Lehrsupervision im Fokus [1 ed.] 9783666405679, 9783525405673

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Lehrsupervision im Fokus [1 ed.]
 9783666405679, 9783525405673

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Edeltrud Freitag-Becker/Mechtild Grohs-Schulz/ Heidi Neumann-Wirsig (Hg.)

Lehrsupervision im Fokus

Mit einem Vorwort von Paul Fortmeier

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 7 Abbildungen und 9 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-666-40567-9 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Umschlagabbildung: INFINITY/Fotolia © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: SchwabScantechnik, Göttingen

Inhalt

Vorwort von Paul Fortmeier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort der Herausgeberinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Teil I Lehrsupervision – ein besonderer Lernort Heidi Neumann-Wirsig Von der Unmöglichkeit zu lehren und dem Ermöglichen von Lernen – Lehrsupervision aus konstruktivistischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Angela Gotthardt-Lorenz und Kornelia Steinhardt Lehrsupervision heute: eine Sozialisationsinstanz im Umbruch . . . . . . . . . . . . 31 Rolf Haubl Ausbildungssupervision: Im Spannungsfeld zwischen individueller Rollenfindung und Qualitätssicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Carla van Kaldenkerken Die besondere Konstellation von Triaden im Ausbildungssystem . . . . . . . . . . . 57 Mechtild Grohs-Schulz und Klaus Obermeyer Vertrauen und Konflikt – Gedanken zur Triade in der Supervisorenausbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Jürgen Wessel Eine unvollständige Liste wiederkehrender Themen in der Lehrsupervision – eine Selbstbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

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Inhalt

Teil II Konzeptionelle Zugänge Jutta Borck, Karlheinz Kramer und Ulrike Kreyssig Systemische Supervision lehren und lernen – durch Supervision. Lehrsupervision am Supervisionszentrum Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Louis van Kessel und Wolfgang Dinger Lehrsupervision in Entwicklung – ein Projekt von »Supervision und TZI e. V.« 109 Susanne Holzbauer Lehrsupervision in der Gruppe – das Potenzial der Gruppendynamik für die Fallbearbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 Edeltrud Freitag-Becker Unsicherheit zulassen – Lehrsupervision als vielseitiger Möglichkeitsraum . . . 134 Heinrich Fallner und Elke Vowinkel Lehrsupervision mit Gestalt und System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Kersti Weiß Über-Blicke gewinnen in komplexen Wirklichkeiten: Psychodrama, Soziodrama und Soziometrie als Konzepte des Lehrens, Lernens und Begreifens in der Lehrsupervision . . . . . . . . . . . . . . 161 Teil III Formen von Lehrsupervision Wilfried Lauinger Lehrsupervision im dyadischen Setting: Wert-Schätzung in Zeiten der Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Sascha Kuhlmann Das Spiel der Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Annemarie Bauer und Marlies W. Fröse Habitus- und feldsensible Rollenübernahme in der Gruppenlehrsupervision 201 Thomas Hegemann Live- und Video-Lehrsupervision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Robert Erlinghagen und Jessica Koch »Grau is’ alle Theorie – entscheidend is’ auf ’m Platz«: Die Coaching-Zone als Testspielort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Inhalt

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Barbara Baumann Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring: Eine notwendige Differenzierung im Kontext der Supervision(sausbildung) . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Teil IV Organisationale Aspekte Brigitte Geißler-Piltz und Monika Klinkhammer Lehrsupervision an Hochschulen: Die Supervisionsweiterbildung an der Alice Salomon Hochschule Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Hans Karl Krey Konsultation von Lehrsupervision – ein Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Teil V Kompetenz- und Professionsentwicklung Astrid Hassler Kompetent ausbilden und lehren – ein Kunsthandwerk der Beratung . . . . . . . 287 Birgit Ramon Supervision lehren lernen – ein Qualifizierungskonzept zur Lehrsupervision . 296 Wolfgang Knopf Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden – was sollten Supervisoren/Coaches am Ende ihrer Ausbildung zeigen können? 309 Beate Fietze und Edeltrud Freitag-Becker Schärfung eines professionellen Anspruchs oder romantische Reminiszenzen an den supervisorischen Ursprung – zur Bedeutung der Lehrsupervision . . . 322 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Vorwort von Paul Fortmeier

Im Jahr 2003 fand eine öffentliche Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) für Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren unter dem Titel »Verpflichtet zur Verantwortung« statt. Ahnten die Autorinnen oder Autoren dieses Titels damals schon, dass es nötig werden könnte, Verantwortung einzufordern und dies mit dem Begriff der »Verpflichtung« appellativ zu verschärfen? Diese Tagung war jedenfalls die letzte zum Thema Lehrsupervision, die von der DGSv veranstaltet wurde. Seither ist es in der verbandlichen Diskussion merkwürdig still geworden um dieses Thema. Einige Anbietende von Weiterbildungsmaßnahmen zur Supervisorin, zum Supervisor bzw. Coach führen zwar regelmäßig Lehrsupervisionskonferenzen durch. Sie dienen der Begleitung laufender Maßnahmen, durchaus auch der Konzeptentwicklung von Weiterbildung und Lehrsupervision und dem fachlichen Diskurs über grundsätzliche Fragen im Kontext der Lehrsupervision. Und einige wenige Weiterbildungsanbietende laden institutsübergreifend, auch international, zu interessanten Lehrsupervisionstagungen ein. Manche Anbieter jedoch scheinen sich mit Lehrsupervision oder Konzepten von Lehrsupervision wenig bis gar nicht zu beschäftigen, mindestens aber nachlässig mit dem Instrument Lehrsupervision in der curricularen Einbindung, Kontraktierung und operativen Umsetzung umzugehen. Auch Fragen, wozu Lehrsupervision denn überhaupt nötig sei, kamen schon auf. Ernst zu nehmende fachliche Argumente gegen das Konzept Lehrsupervision wären vielleicht spannend, werden aber bisher nicht genannt. Dies alles fällt in Gesprächen von Gutachtern der DGSv, die in Zertifizierungs- oder Anerkennungsverfahren tätig sind, auf und wird gelegentlich deutlich in Gesprächen mit Lehrsuper­ visorinnen oder auch Teilnehmenden von Maßnahmen, die sich in bestimmten Qualifizierungskontexten bewegen. Die Diversität der Szene ist beachtlich: Während die meisten Weiterbildungsanbietenden engagiert bewährte Konzepte anwenden, innovative Ideen

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Vorwort von Paul Fortmeier

entwickeln, neue Kooperationen eingehen und versuchen, sich fachlich auf der Höhe der Zeit halten, gibt es bei einigen wenigen offensichtlich eine gewisse Orientierungslosigkeit über Konzepte, Kompetenzen und Qualität. In der verbandlichen Arbeit an Lehrsupervisionskonzepten und der Diskussion darüber wurde der Satz von der »Lehrsupervision als Herzstück« der Qualifizierung geprägt. Trotz dieser Betonung ihrer Bedeutung findet aktuell keine breite, institutsübergreifende, professionsentwickelnde Debatte über die Aufgabe und Rolle von Lehrsupervision im Rahmen der Qualifizierung statt. Der breite fachliche Diskurs auf der Plattform der DGSv endete etwa zu dem Zeitpunkt, als der Verband nach vielen, auch konflikthaften Diskussionen entschied, als Verband keinen Titel »Lehrsupervisor/in DGSv« zu vergeben. Die Funktion der Lehrsupervisorin oder des Lehrsupervisors wurde als Funktion auf Zeit und nicht als dauerhaft und berufsanalog verstanden. Die »Ernennung« von Lehrsupervisoren sollte den Qualifizierungsträgern vorbehalten sein. Dies war auch eine Konzession an die Weiterbildungsanbietenden und markierte das Ende einer jahrelangen Machtauseinandersetzung zwischen den Weiterbildenden und ihren Absolventinnen und Absolventen, also zwischen den juristischen und den persönlichen Mitgliedern der DGSv. Mit dem Zugeständnis an die Weiterbildungsanbieter als letztem Akt in einer langen Kette unterschiedlicher Auseinandersetzungen war zwar der Streit beendet, der fachliche Diskurs in der Community aber ebenfalls. Schade, denn die Auseinandersetzungen waren zwar anstrengend, aber auch ­produktiv gewesen! Zwar gab es zunächst noch anspruchsvolle Standards für Lehrsupervisoren und -supervisorinnen, die Kompetenz und Qualität sichern sollten, und diese wurden auch durch die DGSv kontrolliert. Gleiches galt für die Standards für die Leitenden von Weiterbildungen, die es ebenfalls gab. Die gegebenen Freiheiten wurden faktisch durch ein erhöhtes Maß an Kontrolle der Weiterbildungsanbietenden durch die DGSv bezahlt. Mittlerweile sind die Standards für Lehrsupervisorinnen nicht mehr in Kraft, auch nicht die für die Weiterbildner. Der verbandliche Diskurs ruht. An die Leerstelle ist nichts Adäquates getreten. »Erbsenzählerische« Kontrolle will keiner mehr, die alten Konflikte auch nicht. Beides erscheint weder den handelnden Personen angemessen, noch ihren Rollen, noch den Institutionen, die sie vertreten, noch der Profession. Gefragt sind heute: Bewusstsein für die eigene Verantwortung – für die Teilnehmenden, für Konzepte, fachliche und methodisch-didaktische Qualität, für die Profession und ihre Entwicklung. Gefragt sind weiterhin gegenseitiger Respekt und die Entscheidung, sich auf kollegialer und fachlicher Augenhöhe zu begegnen.

Vorwort von Paul Fortmeier

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Wenn unter diesen Bedingungen ein breiter fachlicher Diskurs wieder aufleben würde, wäre das sehr erfreulich und nützlich für die Professionsentwicklung. In diesem Diskurs sollte über Lernarrangements gesprochen werden, die konzeptionell modellbildend sind und musterhaft analog zur eigenen Beratungstätigkeit der Qualifizierungskandidaten: Arrangements, die eine Balance zwischen Freiheit und Verbindlichkeit ermöglichen und persönliche Entwicklung mit den organisatorisch-institutionellen Anforderungen in einer Quali­ fizierung in Einklang bringen – ähnliche Anforderungen, wie sie analog häufig in Beratungsprozessen zu bewältigen sind. Diesem Buch ist zu wünschen, dass es zu einem Wiederaufleben des Diskurses über Konzepte von Lehrsupervision beiträgt und insgesamt zur Bereicherung des Diskurses über die Weiterbildung zur Supervisorin, zum Supervisor bzw. Coach.

Vorwort der Herausgeberinnen

Der Kontext des Buches Die Idee, sich mit dem Themenspektrum Lehrsupervision zu befassen, entstand im Rahmen eines angeregten Fachgespräches. Vitalisierend und inspirierend empfanden wir es – trotz unserer unterschiedlichen konzeptionellen Beheimatung – zu grundlegenden Fragen der Bedeutung der Lehrsupervision, den sich abzeichnenden Veränderungserfordernissen und dem starken Interesse an der Professionsentwicklung der Supervision zu diskutieren. Wir blicken auf viele Jahre als Lehrsupervisorinnen in unterschiedlichen Instituten und einem damit verbundenen reichen Erfahrungsschatz. In der Rolle der Ausbildungsleiterin und -verantwortlichen arbeiten wir seit Jahrzehnten erfolgreich in unseren Instituten, entwickeln die Konzepte weiter und stehen im ständigen kollegialen Austausch mit den Dozenten sowie ­Lehrsupervisorinnen und -supervisoren. Mechtild Grohs-Schulz und Edeltrud Freitag-Becker sind als Gutachterinnen für Aus- und Weiterbildungen bei der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. tätig und führen Fachgespräche während der Zertifizierung von Aus- und Weiterbildungen. Unsere Mehrperspektivität liefert Eindrücke, Erkenntnisse, Erfahrungen ganz unterschiedlicher Art und bewirkt ständige Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Themenspektrum der Aus- und Weiterbildung in Supervision. In den Gesprächen mit Kollegen und Kolleginnen tauchen in diesen Zusammenhängen auch Fragen nach einem Konzept oder unterschiedlichen Konzepten von Lehrsupervision, nach der Rolle von Lehrsupervision im Rahmen der Supervisionsweiterbildungen, nach Perspektiven der Weiterentwicklung, der Qualifizierung von Lehrsupervisoren und der Qualitätserfassung bzw. -sicherung auf. Lehrsupervision ist eine Form von Ausbildungssupervision und verbind­ licher Bestandteil innerhalb der Weiterbildungen in Supervision, die nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Supervision durchgeführt werden. Gegenstand der Lehrsupervision sind die sogenannten Lernsupervisionen, die

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Vorwort der Herausgeberinnen

die Teilnehmer/-innen von Supervisionsweiterbildungen selbst durchführen. Das Besondere an Lehrsupervisionen besteht darin, dass Gegenstand und Mittel Supervision ist. Darüber hinaus verbindet sich in der Lehrsupervision mit der Supervision die Lehre von Supervision. Deshalb müssen Lehrsupervisoren beides können: supervidieren und lehren.

Unsere Beobachtungen Wir beobachten den Rückgang der öffentlichen Diskussion zum Thema Lehrsupervision sowohl im Berufsverband selbst als auch zwischen den Instituten und dem Berufsverband. Innerhalb der Institute und Hochschulen wissen oder vermuten wir die interne Diskussion, die aber kaum im öffentlichen Raum Beachtung und Widerhall findet. Über viele Jahre galt die Lehrsupervision als der zweite, gleichgewichtige Lernort innerhalb der Supervisionsausbildungen. Während die Ausbildungsseminare die inhaltliche Aneignung, die Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensgeschichte und ihren Auswirkungen auf das professionelle Handeln gewährleisten und das Probehandeln ermöglichen, stellt die Lehrsupervision die Verknüpfung von Wissen und Können mit der erlebten Praxis sicher. Der Lehrsupervision obliegt in entscheidendem Maße die Entwicklung der eigenen professionellen Rolle als Supervisorin und Supervisor. Aus diesen Beobachtungen entstanden bei uns Fragen: Wozu ist die Lehrsupervision in den letzten Jahren an den Diskussionsrand geraten? Wo ist der etablierte öffentliche Raum zur fachlichen Auseinandersetzung um die Bedeutung von Lehrsupervision? Wer hält das Thema lebendig und wer sichert die Qualitätsentwicklung von Lehrsupervision? Wie hat sich die Kooperation zwischen Lehrsupervisoren und Instituten entwickelt? Wie sieht die Gestaltung des Dreiecksverhältnisses Institut, Lehrsupervisoren, Ausbildungskandidaten zurzeit aus, und wie wird dieses besondere Verhältnis gelebt und für die Ausbildung genutzt? Welche Auswirkungen zeichnen sich durch eine aus dem Fokus geratene Lehrsupervision auf die Ausbildungskonzepte und die professionelle Entwicklung der Ausbildungskandidaten möglicherweise ab? Gleichzeitig erleben wir auch Kollegen und Kolleginnen, die in ihrem Engagement für das Thema Lehrsupervision nicht nachlassen. Vereinzelt wird sogar der Ruf nach einer Auseinandersetzung und wissenschaftlicher Erforschung des Segmentes Lehrsupervision an die professionelle Community gerichtet (siehe: Supervision und TZI e. V., Prof. Dr. Hilarion Petzold). Leider bleibt dieser Ruf bisher eher wenig beantwortet.

Vorwort der Herausgeberinnen

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Buchveröffentlichungen zum Thema Lehrsupervision liegen zum größten Teil lange zurück (Boettcher u. Leuschner, 1989; Eckardt, Richter u. Schulte, 1997). Erst 2011 erscheint das Buch von Astrid Hassler »Ausbildungssupervision und Lehrsupervision« (Hassler, 2011). Dieser Tatbestand löst weitere Fragen bei uns aus: Hat sich Lehrsupervision seitdem nicht verändert? Sind die alten Konzepte noch relevant und inwieweit? Kann es sein, dass Lehrsupervision keine Entwicklung genommen hat? Das scheint uns kaum vorstellbar. Welchen Sinn macht es, dass Lehrsupervision so unbeschrieben bleibt? Ist Lehrsupervision so selbstverständlich geworden? Hat Lehrsupervision an Bedeutung verloren? Wer gab und gibt Lehrsupervision heute im Ausbildungskontext Bedeutung? Die gesellschaftlichen und arbeitsweltlichen Veränderungen veranlassen Institute und Hochschulen, ihre Konzepte für die Supervisions- und Coachingweiterbildungen anzupassen und auf die Herausforderungen zu reagieren, um marktfähig zu bleiben. Doch inwieweit geschieht diese Anpassungsleistung auch für den sogenannten zweiten Lernort, die Lehrsupervision? Wenn Lehrsupervision noch die herausgehobene Bedeutung als zweiter Lernort hat und haben soll, müssten Weiterentwicklungen auch im Bereich Lehrsupervision zu beobachten sein. Oder hat die Lehrsupervision innerhalb der Weiterbildungen fast lautlos ihre Stellung als zweiter Lernort eingebüßt? Diese Fragen beschäftigen uns in unseren verschiedenen Rollen, und darauf suchen wir Antworten. Neben den arbeitsweltbezogenen Herausforderungen sind es die Professionalisierungsdebatten, die auffallen und denen sich die Ausbildungsinstitute stellen müssen. Ausbildungsprogramme werden konzeptionell, didaktisch und methodisch kritisch beleuchtet, Theoriekonzepte werden angefragt und Lehr-/Lernkonzepte müssen schon aufgrund aktueller Forschung überdacht werden. Ausbildungsverantwortliche und Veranstalter müssen dazu – nicht nur – gegenüber der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. bei den Zertifizierungsprozessen und die Hochschulen gegenüber den Akkreditierungsgesellschaften Rechenschaft ablegen. Auch Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten zeigen sich selbstbewusster, neugieriger und anspruchs­voller als noch vor Jahren. Der Bildungsmarkt fordert die Professionsentwicklung und die Kompetenzorientierung ein. Als Dienstleistung muss Beratung Aussagen zu ihrem Selbstverständnis, zu »guter« Beratung und der Wirkung von Beratung machen. Das Nationale Forum für Beratung in Bildung, Beruf und Beschäftigung, die Deutsche Gesellschaft für Beratung, die Beratungswissenschaften oder die Verbraucherzentrale seien hier als Vertreter dieser Bemühungen benannt.

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Vorwort der Herausgeberinnen

Unsere Intention Aus unseren verschiedenen Rollen heraus und als überzeugte Supervisorinnen haben wir Interesse an der Professionsentwicklung von Supervision und möchten über unser Alltagshandeln hinaus einen aktiven Beitrag dazu leisten. Dazu gehört für uns auch ein Blick auf die Stellung und Aufgabe von Lehrsupervision, auf die Beiträge aller Beteiligten und auf die Dramaturgie, die im Zusammenwirken von Ausbildungsinstitution, Lehrsupervisorinnen und Ausbildungsteilnehmern entsteht. Uns interessiert, wie Institute und Lehrsupervisoren ihre Kooperation gestalten und welche Themen sie zurzeit diskutieren. Ob und inwieweit sich Lehrsupervision von Konzept zu Konzept unterscheidet, ist eine weitere Frage für uns. Und nicht zuletzt wollen wir den Stellenwert von Lehrsupervision in den Blick nehmen. Über Konzeptgrenzen einzelner Weiterbildungsanbieter hinweg möchten wir den Diskurs neu entfachen und wollen den europäischen Blick mit hinzunehmen, da auch die Ausbildung zur Supervisorin und zum Supervisor nicht mehr ohne diesen Zusammenhang gedacht werden kann (siehe z. B. das Treffen der Lehrsupervisoren in Bregenz 2015, in Trägerschaft der nationalen Berufsverbände D, A, CH, I). Wir möchten den Berufsverband gern in die Pflicht nehmen, das Thema Lehrsupervision innerhalb der verbandlichen Gremien und »außerhalb«, im Diskurs mit anderen bildungspolitischen Playern, wieder in Gang zu setzen, Veröffentlichungen zu fördern und Forschungsprojekte zu initiieren. Wir sehen es als eine Aufgabe des Verbandes, das Thema lebendig und im Fokus zu halten. Die Bereitschaft des Vorstandes und der Geschäftsführung, diese Aufgabe aktiv zu betreiben, zeigt sich unter anderem auch in der Unterstützung dieses Buchprojektes. Den Lehrsupervisionskolleginnen und Ausbildungsverantwortlichen möchten wir Mut machen, die Herausforderungen aufzunehmen, verstärkt den mündlichen und schriftlichen Diskurs miteinander zu gestalten, aktiv einen Beitrag zur Qualitätsverbesserung der Ausbildungen zu leisten und sich an der Professionalisierungsentwicklung von Supervision zu beteiligen. Weil Supervisoren Meister der Reflexion sind, möchten wir über die Reflexionen in diesem Buch zu weiteren Reflexionen einladen. Supervision ist und bleibt Reflexion. Deshalb ist es uns wichtig, die Reflexionen über Lehrsupervision und ihre Einbindung in den Ausbildungskontext zu betreiben. Wir möchten das Gespräch über Erfahrungen, Kooperationen, die Qualität von Lehrsupervision und Lehrsupervisoren, über Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten anregen. In unserer Zusammenarbeit als Herausgeberinnen gelingt es uns, trotz unter-

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schiedlicher Konzepte wertschätzend, konstruktiv und Unterschiede akzeptierend zu kooperieren. Dabei sind uns unsere Erfahrungen in Vernetzung und gemeinsamem Denken, unsere Neugier und Interesse an den jeweils anderen und ihren Gedanken von großem Wert. Diese persönliche Erfahrung bestärkte uns in der Idee zu diesem Sammelband. Wir verstehen ihn als Beitrag, der Lehrsupervisorinnen, Ausbildungsleitungen, Ausbildungskandidaten, Vorstand und Geschäftsführung der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. und Verantwortliche in den europäischen Berufsverbänden anregen will, den fachlichen Diskurs in einer breiten, umfassenden thematischen Spannweite zu führen. Wir haben Kolleginnen und Kollegen eingeladen, aus ihrer jeweiligen spezifischen Sicht einen Beitrag zum Thema Lehrsupervision zu schreiben. In der Auswahl der Kolleginnen und Kollegen wollen wir unterschiedliche Konzepte und die unterschiedlichen Perspektiven als Lehrsupervisoren und Ausbildungsleitungen berücksichtigen. Während wir, die Herausgeberinnen, für die Konzeptvielfalt in diesem Buch stehen, verantworten die jeweiligen Autorinnen und Autoren ihre Beiträge inhaltlich selbst. Das Kaleidoskop der Buchbeiträge gibt Einblicke in grundsätzliche Aspekte, konzeptionelle Zugänge und Formen von Lehrsupervision, organisationale Aspekte sowie Überlegungen zur Kompetenz- und Professionsentwicklung von Lehrsupervision. Entsprechend haben wir das Buch untergliedert. Der erste Teil greift das Thema Lehrsupervision als besonderen Lernort auf. Dabei fällt das Schlaglicht auf ein konstruktivistisches Verständnis von Lehren und Lernen, die Bedeutung von Vertrauen und Konflikt innerhalb der triadischen Konstellation Lehrsupervision und der Lehrsupervision als Sozialisationsinstanz. Ausbildungssupervision und ihre Besonderheit, die Triade als grundsätzlich anspruchsvolles System und eine Liste wiederkehrender Themen in der Lehrsupervision bereichern das Spektrum. Der zweite Teil spannt den Bogen über einen weiten Bereich unterschiedlicher konzeptioneller Zugänge, die jeweils auf den Theorien, Paradigmen und Selbstverständnissen der ausbildenden Institute basieren. Im dritten Teil finden sich Beiträge, die die unterschiedlichen Formen von Lehrsupervision in den Fokus nehmen. Besonders vielfältig wird dabei die Gestaltung von Gruppenlehrsupervision beschrieben. Unter der Überschrift »Organisationale Aspekte« wird im vierten Teil einmal die Lehrsupervision an der Hochschule thematisiert und zum anderen eine besondere Form der Zusammenarbeit von Lehrsupervisoren und Ausbildungs­ institut beleuchtet.

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Da uns Kompetenz- und Professionsentwicklung wichtig sind, haben wir im fünften Teil Beiträge zu den Themen Kompetent ausbilden, Qualifizierung zur Lehrsupervision und einen Beitrag aus professionssoziologischer Sicht sowie den Blick ins europäische Ausland gern aufgenommen. Wir bedanken uns herzlich bei den Autorinnen und Autoren für ihre Beiträge, ihr Engagement und die Zeit, die sie in unsere gemeinsame Sache investiert haben. Kolleginnen und Kollegen sagen wir Dank für den Gedankenaustausch und die vielfältigen, auch kritischen Ideen. Frau Kaiser hat freundlicherweise für uns den ersten Korrekturdurchgang übernommen. Herzlicher Dank gilt dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. und der Geschäftsführung unter Paul Fortmeier und Sofia Bengel. Sie haben unser Vorhaben von Anfang an konstruktiv unterstützt und den Verlagsweg geebnet. Wir wissen, dass wir den Verlagsmitarbeiterinnen mit unseren Wünschen manches zugemutet haben. Hier bedanken wir uns für die gute Zusammenarbeit, die Geduld und das Verständnis. Edeltrud Freitag-Becker, Mechtild Grohs-Schulz und Heidi Neumann-Wirsig

Literatur Boetcher, W., Leuschner, G. (Hrsg.) (1989). Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung. Aachen: Kersting. Eckhardt, U., Richter, K., Schulte, H. (Hrsg.) (1997). System Lehrsupervision. Aachen: Kersting. Hassler, A. (2011). Ausbildungssupervision und Lehrsupervision. Ein Leitfaden fürs Lehren und Lernen. Bern: Haupt.

Teil I Lehrsupervision – ein besonderer Lernort

Heidi Neumann-Wirsig

Von der Unmöglichkeit zu lehren und dem Ermöglichen von Lernen – Lehrsupervision aus konstruktivistischer Sicht

About the impossibility of teaching and the enabling of learning – supervision-on-supervision from a constructivist perspective The concept of supervision-on-supervision pairs two basically impossible ventures: supervising and teaching. The process of the construction of realities and its importance to learning and teach ing is used to outline how learning is an autonomous process carried out by the learner. This process can neither be steered nor observed from the outside. The process of supervision-on-supervision is characterised by this dilemma. By (re-)shaping the context of supervision-on-supervision through meta-communication and by the consistent application of second-order observation in practice, this dilemma can be overcome. Zusammenfassung In der Lehrsupervision verbinden sich zwei grundsätzlich unmögliche Unterfangen: Supervidieren und Lehren. Am Prozess der Wirklichkeitskonstruktion und seiner Bedeutung für Lernen und Lehren wird erklärt, dass Lernen ein autonomer Vorgang beim Lernenden darstellt, der von außen weder gesteuert noch beobachtet werden kann. Das Dilemma, das sich in der Lehrsupervision zeigt, lässt sich über die Gestaltung des Lehrsupervisionskontextes, mithilfe von Metakommunikation sowie die konsequente Anwendung der Beobachtung zweiter Ordnung in der Praxis überwinden.

In der Lehrsupervision verbinden sich zwei (auf den ersten Blick) unterschied­ liche Tätigkeiten: supervidieren, also beraten, und lehren. Beim Supervidieren soll jemand zum Nachdenken über sich selbst angeregt, beim Lehren Wissen vermittelt werden. Bei genauerem Hinsehen und aus konstruktivistischer Sicht haben beide Tätigkeiten, supervidieren und lehren, Gemeinsamkeiten. Gemeinsam sind ihnen z. B. die Reflexionsanteile und die eigentliche Unmöglichkeit des Vorhabens. Wo sind Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu sehen? Welche Bedeutung hat konstruktivistisches Denken überhaupt für die Lehrsupervision? Was sind die Grundaussagen des Konstruktivismus, wie wir Menschen unsere eigene Wirklichkeit erfinden? Was heißt das für Lehren und Lernen und wie kann vor diesem Hintergrund ein konstruktivistisch-systemisches Verständnis von Lehrsupervision aussehen? Diesen Fragen möchte ich nachgehen.

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Dabei nehme ich vor allem den Teil von Lehrsupervision in den Blick, der sich von Supervision unterscheidet – das Lehren. Den supervisorischen Teil möchte ich dort streifen, wo ich Ähnlichkeiten oder Übereinstimmendes entdecke. Zunächst skizziere ich einige konstruktivistische Grundgedanken, beschreibe dann ihre Bedeutung für Lernen und Lehren und beziehe diese theoretischen Überlegungen schließlich auf Lehrsupervision.

Konstruktion von Wirklichkeit Im systemisch-konstruktivistischen Kontext mit seinen theoretischen Implikationen wird davon ausgegangen, dass Menschen ihre individuellen Weltbilder in einem permanenten Prozess der Interaktion mit ihrer sozialen Umwelt und ihrer psychischen Innenwelt erschaffen. Die Außenwelt bildet sich nicht im Gehirn ab. Sondern, das Gehirn erzeugt autonom ein eigenes inneres Weltbild. Diese Konstruktionen sind unbewusste Prozesse, die Erfahrungen zueinander in Beziehung setzen und ordnen. Dabei ist es keineswegs beliebig, welche Wirklichkeit konstruiert wird. Aufgenommen und verarbeitet wird, was an die innere Struktur anschließt und passt oder passend gemacht werden kann. Der Konstruktivismus verabschiedet sich insofern von einer objektiven Wahrheit und setzt an deren Stelle die Viabilität, die Passung. Die Hirnforschung belegt in eindrucksvoller Weise diese Aussagen des Konstruktivismus. Die Sprache spielt bei der Konstruktion von Wirklichkeit eine zentrale Rolle und zwar in mehrfacher Hinsicht: Wenn jemand spricht, erzeugt er zunächst Schalldruckwellen, die an das Innenohr und dann in das Gehirn des Hörers gelangen. Dort können sie nur »entschlüsselt« werden, wenn der Hörer über eine Art Vorwissen, ein Bedeutungssystem verfügt, das den Schallwellen Bedeutung verleiht. Als Beispiel sei das Hören einer fremden Sprache, derer man nicht kundig ist, genannt. Die Laute kann der Hörer hören, ihre Bedeutung aber nur verstehen, wenn er über Muster der Bedeutungsgebung verfügt. Ein weiterer Bedeutungsaspekt von Sprache besteht darin, dass sie als Mittel der Kommunikation Zugang zu innerpsychischen Prozessen anderer Personen schafft, die von außen nicht zugänglich sind. Im Kommunikationsprozess wird über Sprache die Illusion des Verstehens erzeugt. Der Normalfall zwischenmenschlicher Kommunikation ist allerdings das Missverstehen, weil Worten individuelle und durchaus unterschiedliche Bedeutungen unterlegt sind. Wird dies nicht beachtet, haben die Beteiligten den Eindruck, dass sie vom Gleichen sprechen, obwohl sie sehr unterschiedliche Vorstellungen, Gefühle, ­Definitionen

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mit dem Gesagten verbinden. Menschen bleiben »Gefangene« ihrer Wirklichkeitskonstruktionen. Sie können nicht in die Köpfe und Herzen der anderen schauen. Sie entwickeln Vorstellungen, Bilder, Ideen vom anderen. Alles, was kommuniziert wird, ist Ausdruck der Wirklichkeitskonstruktion des Sprechers, oder wie es im Konstruktivismus heißt, des Beobachters. Der Prozess der Wirklichkeitskonstruktion hat drei Aspekt, die zirkulär verbunden und abhängig voneinander sind: Jemand beobachtet ein Phänomen, erklärt es sich und bewertet es in seiner Bedeutung. Bereits bei der Beobachtung findet ein Auswahlprozess statt. Etwas Bestimmtes wird wahrgenommen, anderes ausgeblendet, bleibt unerkannt, wird übersehen, vergessen, verleugnet – wie auch immer. Die Auswahl, welche Phänomene beobachtet werden, ist nicht zufällig. Sie beruht auf der bereits vorhandenen Wirklichkeitskonstruktion, der bisherigen Auswahl, den Ordnungen der Erfahrungen, den Mustern und Wahrnehmungsgewohnheiten. Zur Erklärung eines beobachteten Phänomens werden Hypothesen und Ursache-Wirkungszusammenhänge gebildet, die dann Grundlage des Handelns sind. Phänomene können auf vielfältige Art und Weise erklärt werden. Auch sie folgen den bestehenden Wirklichkeitskonstruktionen, den Wahrnehmungsund Erklärungsgewohnheiten. Die Bewertung eines Phänomens erfolgt meistens blitzschnell. Sie kann positiv oder negativ und in allen Schattierungen ausfallen. Sie drückt sich besonders in Gefühlen aus. Die Schnelligkeit der Gefühle ist zum Teil überlebenswichtig. Man denke nur an Gefahrenmomente, in denen nicht lange nachgedacht werden kann. All diese Prozesse spielen sich im Limbischen System unseres Gehirns ab. Dazu gehören limbische Teile der Großhirnrinde, Hippocampus-Formation, Amygdala, Mesolimbisches System und Neuromodulatorische Systeme (Roth, 2003). Das Limbische System vermittelt Affekte, Gefühle und Motivation und ist für das Lernen wichtig. Der gesamte Konstruktionsprozess geschieht unbewusst und wird in der Regel nicht in der Abfolge Beobachtung, Erklärung, Bewertung wahrgenommen. Häufig werden zuerst die Gefühle erlebt, dann wird die Erklärung angeführt und zum Schluss erst das beobachtete Phänomen beschrieben. Die gegenseitige Abhängigkeit der drei Konstruktionsaspekte zeigt sich, sobald ein Aspekt verändert wird. Wenn die Erklärung für eine Beobachtung verändert wird, ändert sich die Bewertung. Wird z. B. das Verhalten eines anderen anders bewertet, statt böser Absicht, Krankheit als Ursache gesehen, so ändern sich auch Erklärung und Beobachtung. Deshalb stellen die drei Konstruktionsaspekte gleichzeitig wichtige Ansatzpunkte für Beraten und Lehren dar. Einladungen an den Supervisanden bzw. den

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Lernenden, andere Beobachtungen, Erklärungen, Bewertungen vorzunehmen, können, wenn sie anschlussfähig sind und angenommen werden, Veränderungen der Wirklichkeitskonstruktionen auf beiden Seiten bewirken. Zusammenfassend kann man sagen, dass unter Wirklichkeitskonstruktionen alle affektiven und kognitiven Prozesse, die das Wahrnehmen, Erleben, Denken, Fühlen, Handeln eines Menschen steuern, zu verstehen sind. Sie bilden sich über den Prozess des Beobachtens, Erklärens und Bewertens von wahrgenommenen Phänomenen und deren Einordnung in die vorhandenen Muster. Diese Wahrnehmungs- und Deutungsgewohnheiten steuern ihrerseits die Auswahlprozesse der Wahrnehmung, sodass eine fortwährende Bestätigung des Bisherigen stattfinden kann.

Was bedeutet systemisch-konstruktivistisch »Lernen«? Menschen und andere lebende Systeme (Familien, Gruppen, Organisationen) sind aus systemisch-konstruktivistischer Sicht autopoietische Systeme, d. h., es sind selbstorganisierte und selbstorganisierende Systeme, die autonom und aufgrund einer eigenen inneren Struktur operieren. Strukturdeterminiertheit bedeutet: Das Denken, Fühlen und Handeln folgt den eigenen Erfahrungen, den zum Teil früh gebildeten Deutungs- und Emotionsmustern. Lernen impliziert die Weiterentwicklung und Differenzierung bewährter und vertrauter Deutungsmuster. Lebende Systeme sind von außen nicht direkt beeinflussbar. Sie verarbeiten Anregungen, Impulse, Reize von außen nach ihrer Eigenlogik und verhalten sich und lernen zu jedem Zeitpunkt so, wie es ihre interne Struktur vorsieht. Diese Struktur ist nicht starr, sondern verändert sich im Laufe des Lebens. Und sie ist immer ein Interaktionsprozess mit der Umwelt. Nach den Erkenntnissen der Hirnforschung konstruiert das Gehirn in hochkomplexen Abläufen Bedeutungsmuster, die größtenteils automatisch und unbewusst ablaufen (Roth, 2003). Lernen ist eine Form von Wirklichkeitskonstruktion. Wir erkennen die Welt nicht so, wie sie »wirklich« ist, sondern wir konstruieren unsere Realität mit unseren Sinnen, Gedanken und Gefühlen. Beim Lernen wird die Realität sozusagen neu erfunden. Lernen ist keine passive Informationsaufnahme, sondern ein aktiver, innengesteuerter Auswahlprozess. Als willkürlich gesetzten Beginn dieses Prozesses kann man die Wahrnehmung wählen. Grundsätzlich gibt es viel mehr wahrzunehmen als wahrgenommen wird. Deshalb muss in jeder Situation aus-

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gewählt werden, und das geschieht wiederum auf der Basis der bestehenden Wirklichkeitskonstruktion. So ist es z. B. erklärbar, dass zwei Personen, die Zeugen eines Ereignisses sind, nie die gleiche Auswahl der Wahrnehmungen treffen und deshalb auch nicht zum gleichen Ergebnis kommen. Wie unterschiedlich Wirklichkeit konstruiert werden kann, zeigt sich häufig bei Gerichtsverhandlungen. Ein anderes Beispiel: die Konstruktionsleistung des Hörers eines Vortrags. Sein Gehirn zeichnet das Gehörte nicht wie ein Tonband auf. Beim Zuhören werden Gedanken, Assoziationen, Gefühle ausgelöst, sofern mindestens eine Anschlussfähigkeit des Vortrags an die Welt des Zuhörers besteht. Die aufgenommen Schallwellen (Vortrag) müssen vom Gehirn des Hörers mit Bedeutungen verbunden werden können, damit der Zuhörer seine Wirklichkeit (neu) konstruiert und auf dieses Weise lernt. Lernen wird nicht als Informationsaneignung gesehen, sondern als ein innengesteuerter Prozess innerhalb komplexer Zusammenhänge von biologischen und soziokulturellen Gegebenheiten (Roth, 2003) sowie emotionaler und motivationaler Vorgänge. Wissen und Können lässt sich nicht vermitteln, der Unterrichtsstoff ist lediglich Auslöser für kognitive Operationen. Wir lernen das, was wir als bedeutungsvoll wahrnehmen und was an die eigene Struktur anschließt.

Lernen ist ein nicht beobachtbarer Prozess Wie ist Lernen erkennbar? Wie stets, wenn man etwas erkennen möchte, braucht man eine Unterscheidung. Was also unterscheidet Lernen von Nichtlernen? Woran kann der Lehrende merken, dass der Lernende etwas gelernt hat? Ein Beobachter, z. B. der Lehrende, beobachtet den Lernenden mindestens zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten. Einmal zeigt der Lernende das gewünschte Verhalten (z. B. eine bestimmte Aussage machen), einmal nicht. Zwei Beobachtungen werden miteinander verglichen, in denen der Beobachtete Unterschiedliches zeigt. Es werden beobachtete Phänomene mit nicht beobachtbaren, vermuteten Prozessen (es wurde gelernt) im Inneren des Lernenden verbunden. Lernen ist also keine Beobachtung, sondern eine Erklärung für einen konstruierten Kausal­zusammenhang. Allerdings sind viele Erklärungen möglich: Der Lernende hätte sich auch schon früher so verhalten (eine bestimmte Aussage machen) können, hat es aber nicht getan, der Lehrende hat auf die Unterschiede vorher nicht geachtet und vieles andere mehr. Die Erklärung, dass Lernen stattgefunden hat, ist nur eine von vielen Möglichkeiten.

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Hinzu kommt, dass diese Beobachtungen und Erklärungen von einem bestimmten Beobachter, dem Lehrenden, getroffen werden. Möglicherweise würde ein anderer Beobachter keinen oder einen völlig anderen Unterschied wahrnehmen und kein Lernen annehmen. Es hängt von den Beobachtungskriterien und Wirklichkeitskonstruktionen des Beobachters ab, ob ein Verhalten als Resultat von Lernen erklärt wird oder vielleicht als Zufall oder Einfluss der Sterne usw. In der Regel schreiben Lehrende die Ursache ihrer Beobachtung ihren Intentionen und ihrem Handeln zu: Weil ich das und das getan habe, ist es zu diesem Unterschied gekommen. Fataler­ weise sind solche Schlussfolgerungen, die lediglich auf Erklärungen beruhen, nicht selten die Basis für weitere Anstrengungen des Lehrenden. Ob jedoch ein Zusammenhang zwischen dem Handeln des Lehrenden und den Wirkungen beim Lernenden besteht, kann (wenn überhaupt) nur der Lernende selbst beschreiben. Er kann einen Unterschied in seinem Denken, Fühlen und Handeln von innen her wahrnehmen.

Was bedeutet systemisch-konstruktivistisch »Lehren«? Wenn Menschen als lebende Systeme nicht instruierbar sind, sie sich als nicht belehrbar erwiesen haben, sondern autonom ihren Wissenserwerb selbst organisieren, dann sind Lehrende Moderatoren von Selbstorganisationsprozessen und zuständig für die Voraussetzungen, dass Lernen geschehen kann. Lehren ist dann das Ermöglichen von Lernen, indem Erfahrungsräume bereitgestellt und Kontexte gestaltet werden, die Prozesse selbstständiger Wissenserschließung und Neukonstruktion von Wirklichkeit zulassen. Es ist diese prinzipielle Nichtsteuerbarkeit von autonomen, lebenden Systemen, die das Lehren so unmöglich macht. Die Aufgabe von Lehrenden ist, mit diesem Dilemma umzugehen.

Lernen ermöglichen Welche Möglichkeiten haben Lehrende, lernen zu ermöglichen und die Selbstorganisation anzuregen? Zum einen eröffnet die Beobachtung der Wirklichkeitskonstruktion mit den bevorzugten, typischen Deutungsmustern dem Lehrenden den Zugang zur Welt des Lernenden. Diese Beobachtungen folgen sinnvollerweise wieder den Konstruktionsaspekten beobachten, erklären, bewerten. Was beobachtet der

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Lernende, wie erklärt er sich diese und welche Zusammenhänge stellt er her? Wie sind seine Bewertungsschemata? Die Deutungsmuster werden im Laufe der Jahre gebahnt. Neues wird zuerst mit bekannten Erklärungen in Verbindung gebracht. Wer z. B. Lernen mit Bedrohung, Abwertung oder Angstgefühlen verbindet, wird Lernsituationen eher defensiv deuten und möglicherweise mehr Bedenken äußern als andere (Arnold, 2012). Erlebnismuster können nicht völlig gelöscht, aber durch neue Erfahrungen geschwächt und neue Muster können gebahnt werden. Wenn Lehrende sich als Moderatoren der Selbstorganisationsprozesse der Lernenden verstehen, laden sie den Lernenden zu einem selbstreflexiven Blick auf die inneren und äußeren Dynamiken, die sein Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen, ein. Kontextwissen, d. h. Wissen, dass Verhalten immer in seinem Kontext zu sehen ist, und vergangene und gegenwärtige Kontexte zu erfragen, ermöglicht einen weiteren Zugang zur Selbstorganisation des Lernenden. Manchmal fühlen sich Lernende alten Kontexten, in denen sie längst nicht mehr leben, »verpflichtet«. Aus diesen Loyalitäten heraus behalten sie bewährte Bedeutungsmuster bei, auch um den möglichen Preis, nicht zu lernen. Mitentscheidend für das Lernen ist der Kontext noch in anderer Weise. Wann, wo und wie Lernen stattfindet und welche Haltung der Lehrende dem Lernenden gegenüber einnimmt, wird mitgelernt. Der Lernkontext und der Lerninhalt werden immer zusammen im Gedächtnis gespeichert. Das Etablieren eines Lernkontextes, der von Wertschätzung und Anerkennung geprägt und frei von jeder Form des Sich-bedroht-Fühlens ist, erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Lernende seine Wirklichkeitskonstruktionen verändert. Lehrende und Lernende verfügen jeweils nur über subjektive Realitäten, jeder ist sein eigener Experte für sich und sein Lernen. Aus diesem konstruktivistischen Gedanken heraus ist die Haltung des Nicht(besser)wissens des Lehrenden und die Neugier auf das »So-Sein« des Lernenden von grundlegender Bedeutung. Wenn Lehrende Lernen ermöglichen wollen, dann ist es wichtig, dass Lernangebote an die Erfahrungswelt des Lernenden Anschluss finden. Menschen erfinden ihre Wirklichkeit unter der Maßgabe dessen, was ihnen einleuchtet und was sie verstehen können. Sie lernen nur, was ihnen relevant und viabel erscheint. Deshalb muss Lehren mehr von den Wirkungen bei den Lernenden als von den Intentionen des Lehrenden her gedacht und gestaltet werden. Die guten Ideen, die ebenso gute Absicht, die noch so detaillierte Planung des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin stellen kein Lernergebnis sicher. Sie erhöhen im besten Fall die Wahrscheinlichkeit für Lernen.

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Das doppelte Dilemma von Lehrsupervisoren Die konstruktivistischen Implikationen gelten sowohl für Beratungsbeziehungen als auch für Lern-Lehr-Beziehungen. Deshalb können sich ­Lehrsupervisoren in einem doppelten Dilemma sehen. Sie tun zwei unmögliche Dinge gleichzeitig: supervidieren und lehren. In beiden Kontexten haben sie es mit autonomen, selbststeuernden, weil lebenden Systemen zu tun. Und in beiden Bereichen müssen sie wissen und bedenken, dass Menschen nicht instruierbar, nicht belehrbar sind, sondern ihren Wissens- und Kompetenzerwerb organisieren und entscheiden, was für sie wichtig und passend ist. Wenn Lehrsupervisoren ihre Supervisanden und Lernende beschreiben, beschreiben sie immer ihre eigene Sichtweise von diesen Menschen. Aus konstruktivistischer Sicht verfügen auch Lehrsupervisoren über keine objektiven Kriterien. Sie haben kein objektives Wissen, wie Menschen wirklich sind. Konstruktivisten können sich nicht auf Begriffe wie Persönlichkeit und Charakter beziehen und verlassen. Sie können nicht sagen: »Du bist so.« Der Blick auf den jeweils anderen schließt immer den Beobachter mit ein; es ist eigentlich ein Blick auf ihn selbst, auf seine Konstruktion von Wirklichkeit. Deshalb muss sich derjenige, der z. B. ein Verhalten oder eine Interaktion als problematisch bezeichnet, selbstreflexiv der Frage stellen, welche Beobachtungskriterien er anlegt und von welcher Position aus er diese Aussage trifft. Für Lehrende und für Supervisoren gelten die gleichen Möglichkeiten und Einschränkungen, Erfahrungsräume zu gestalten, die Lernen und Veränderung erlauben. Da Lernen immer die Veränderung von Deutungs- und Erlebnismustern impliziert, können Lernen und Veränderung gleichgesetzt werden. Welche Haltungsaspekte sowohl für Supervisoren als auch für Lehrende lassen sich aus den systemisch-konstruktivistischen Überlegungen ableiten? ȤȤ Aus der Nichtsteuerbarkeit lebender Systeme ergibt sich eine Haltung der Bescheidenheit. Das bedeutet ein Abschiednehmen vom Wunsch nach direkter Steuerung von Lernprozessen und ein Akzeptieren, dass Supervisanden und Lernende lernen, was sie wollen, und lernen, was sie lernen! ȤȤ Lehrsupervisoren können nicht nur, sondern sie sind verpflichtet, einen Kontext zu schaffen, der Lernen ermöglicht und fördert. Das ist ihre Aufgabe! Oder anders gesagt, sie sollen alles vermeiden, was bedrohlich, ängstigend, deutend und festlegend wirken könnte. ȤȤ Lehrsupervisoren können im Sinne einer zusammenfassend-strukturierenden Kraft wirken, um Supervisanden das Ordnen von Erlebtem zu ermöglichen.

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ȤȤ Die Einladung zur Reflexion ist sowohl für den Supervisanden als auch für den Lernenden wichtig, denn über die Reflexion können Deutungs- und Erlebnismuster, also selbstorganisierende Prozesse verändert werden. ȤȤ Dass Lehrsupervision variantenreich in der Bearbeitung von Themen gestaltet sein sollte, ist eine Selbstverständlichkeit und nützlich, um an möglichst viele Erfahrungen anzuschließen und gleichzeitig neue zu ermöglichen. ȤȤ Lehrsupervision lebt von der Vielfalt möglicher Lösungswege, die der Lehrsupervisand erfindet. Deshalb sollte der Lehrende immer mehr als eine Möglichkeit fördern. ȤȤ Wenn Lehren stärker von den Wirkungen beim Lernenden her gedacht werden muss, dann sollten Lehrsupervisoren neugierig die Wirkungen ihrer Bemühungen im Lernprozess beobachten. ȤȤ Lernen ist kein einseitiger Prozess, sondern eine Interaktion. Deshalb können Lehrsupervisoren achtsam Wirkungen beim Lernenden beobachten und sich selbst überraschen, was sie selbst gelernt haben könnten. ȤȤ Neutralität bedeutet in diesem Zusammenhang, altem und neuem Wissen allparteilich gegenüberzustehen. ȤȤ Lernen bedeutet auch »Altes« zu verlernen. Das Aufgeben von Wissen und Können ist häufig mit dem Gefühl der Kränkung verbunden. Deshalb sollte die Bereitschaft, etwas Altes zugunsten von Neuem aufzugeben, gewürdigt werden.

Ein Unterschied Ein wichtiger Unterschied zwischen Supervision und Lehrsupervision ist darin zu sehen, dass Lehrsupervisoren Metakommunikation betreiben oder sogenannte »Produktinformationen« geben. Sie beschreiben ihre Intentionen und beabsichtigten Wirkungen, die sie veranlasst haben, z. B. diese Frage zu stellen, dieser Hypothese zu folgen, diese Umdeutung oder Wertschätzung zu geben. Sie geben Auskunft, wozu sie welches Setting bevorzugen, welches Tool sie auswählen, auf welches theoretische Konzept sie sich stützen usw. Im besten Falle beschreiben sie ihre Beobachtungen, ihre Erklärungen und Bewertungen, ihre Konstruktion von Wirklichkeit als Ausgangspunkte ihres supervisorischen Handelns. Sie betreiben Beobachtung zweiter Ordnung, indem sie aus der Metaperspektive gemeinsam mit ihrem Lehrsupervisanden, sich selbst, den Lehrsupervisanden und ihren gemeinsamen, einmaligen Prozess beobachten, erklären und bewerten. Das Bedeutsamste, das Lehrsupervisanden in der Lehrsupervision

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von ihrem Lehrsupervisoren lernen können, ist die Beobachtung der Beobachtung – und die Kommunikation darüber. Abschließend fasse ich kurz zusammen: Lehren ist das Ermöglichen von Lernen, das Bereitstellen von Erfahrungsräumen, das Gestalten von Kontexten zur selbstständigen Wissenserschließung und Neukonstruktion von Wirklichkeit.

Literatur Arnold, R. (2012). Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Roth, G. (2003). Warum sind Lehren und Lernen so schwierig? Vortrag, Bremen 2002, Version vom 14.6.2003. Zugriff am 20.10.2015 unter www.die-bonn.de/doks7roth0301.pdf Simon, F. B. (2008). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (3. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Simon, F. B. (2014). Die Kunst, nicht zu lernen. Und andere Paradoxien in Psychotherapie, Management, Politik … (6. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer.

Angela Gotthardt-Lorenz und Kornelia Steinhardt

Lehrsupervision heute: eine Sozialisationsinstanz im Umbruch

Supervision-on-supervision today: an agent of socialisation undergoing a fundamental change Based on their common experiences as trainers in a supervison training program and as supervisors-on-supervision, the authors discuss new developments in supervision training programs and in supervision-on-supervision. This touches a range from different learning experiences and learning cultures over professional socialization inside and outside psychosocial fields, the academisation of supervisio training programs and changes in the professional understanding of supervision. Despite these developments, many supervision trainers are »classically« socialised, even though they take responsibility for a continuing professional development and the related paradigmatic shifts. The diversification of the field of supervision demands, that supervision-on-supervision – as an agent of socialisation – is faced with the need of perceiving and debating the traditional concepts and current requirements. Assumed, that supervision-on-supervision will remain meaningful for the development of the professional identity of supervisors, then the current challenges and questions, as pointed out by the authors, must be faced. In conclusion, a pilot project on group supervision-on-supervision is outlined. It is targeted as a contribution to the changes, which take place in supervision-on-supervision as a central part of supervision training programs. Zusammenfassung Ausgehend von ihren Erfahrungen als Supervisionsausbilderin und Lehrsupervisorin zeigen die Autorinnen auf, welche neuen Entwicklungen in Ausbildung und Lehrsupervision virulent geworden sind. Dies reicht unter anderem von unterschiedlichen Lernerfahrungen und Lernkulturen über berufliche Sozialisation außerhalb des psychosozialen Feldes bis hin zur Akademisierung von Ausbildungen und zu Veränderungen im Supervisionsverständnis. Demgegenüber sind zahlreiche Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren in der Regel »klassisch« sozialisiert, auch wenn sie die professionelle Weiterentwicklung und die damit verbundenen Paradigmenwechsel mittragen. Die Diversifizierung im supervisorischen Feld stellt die Sozialisationsinstanz Lehrsupervision vor die Anforderung, die tradierten und aktuellen Ansprüche wahrzunehmen und zu diskutieren. Wenn davon auszugehen ist, dass Lehrsupervision weiterhin für die professionelle Identitätsentwicklung sozialisatorisch bedeutsam ist, gilt es, sich den aktuellen Herausforderungen und Fragen zu stellen, die von den Autorinnen aufgezeigt werden. Abschließend wird ein Pilotprojekt zur Gruppenlehrsupervision skizziert, in dem versucht wird, den hier beschriebenen Umbrüchen in der Sozialisationsinstanz Lehrsupervision (zumindest partiell) Rechnung zu tragen.

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Neue Entwicklungen in Supervisionsausbildungen und Lehrsupervision Lehrsupervision ist in den deutschsprachigen Ländern fixer Bestandteil in den Supervisionsausbildungen. Die Idee ist bestechend: Über die Reflexion ihrer eigenen Tätigkeit mit erfahrenen Supervisorinnen bzw. Supervisoren erwerben Auszubildende Rüstzeug für ihre supervisorische Arbeit und entwickeln eine professionelle supervisorische Identität. Das heißt, sie werden supervisorisch für die Supervision sozialisiert. Dieses Lernmodell ist in der Ausbildungspraxis seit vielen Jahrzehnten bewährt und bisher nur wenigen Diskussionen ausgesetzt. Mit den derzeitigen Veränderungen in den Bildungssystemen, in der Arbeitswelt und den damit in Korrespondenz sich verändernden Supervisionsverständnissen stehen die Supervisionsausbildungen vor neuen Herausforderungen, die in der Community der deutschsprachigen Ausbildungen mehr und mehr diskutiert werden. Diese Herausforderungen tangieren auch die Lehrsupervision, die bislang nur marginal von diesem Diskurs berührt wird. Beschäftigen möchten wir uns mit der Bedeutung der verschiedenen, der beruflichen Sozialisation zugehörigen Lernprozesse, die im Kontext der Ausbildung zur Supervision auftreten. Relevant sind hier vor allem die Lernprozesse bzw. Internalisierungen der sekundären und tertiären Sozialisation, also die Heranbildung eines professionellen Habitus durch ausbildungsbezogene und berufliche Prägungen (Oevermann, 1996, S. 105), wobei uns hier besonders das Erlernen der berufsbezogenen Reflexion interessiert. Gerade in der Lehrsupervision – einer der Supervision zugeordneten Sozialisationsinstanz – bietet die Beachtung der erlernten und verinnerlichten Einstellungen, Denkungsweisen und Handlungsusancen schon immer einen zentralen Anker der gemeinsamen Reflexion (Leuschner, 1979). Unser Ansatz besteht nun darin, die nach unserer Einschätzung sich in den letzten Jahren sehr stark veränderten Konstellationen von beruflichen Erfahrungen und Prägungen im Ausbildungskontext der Supervision zu untersuchen und die daraus sich ergebenden Entwicklungen, Anforderungen und Ideen für die Sozialisationsinstanz Lehrsupervision abzuleiten. Am Beispiel des Universitätslehrgangs für Supervision und Coaching der Universität Wien, in dem wir einerseits als Ausbildungsverantwortliche, andererseits als Lehrsupervisorin tätig sind, versuchen wir zunächst, grundlegende Veränderungen in Supervisionsausbildungen und aktuelle Herausforderungen zu verdeutlichen, die uns gerade auch im Zusammenhang mit Lehrsupervision beschäftigen.

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Die Konstellationen beruflicher Herkunft In unserer Ausbildung stellen sich die Konstellationen in der Lehrsupervision im Jahr 2016 markant anders dar als jene, die – bedenkt man den gesamten Zeitraum der deutschsprachigen Supervisionsausbildungen – 1979 von G ­ erhard Leuschner beschrieben wurden. Die prototypische Gegenüberstellung einer Lehrsuper­vision, wie sie in einer Supervisionsausbildung in den 1970er Jahren üblich war, zu jener in einer Supervisionsausbildung in den 2010er Jahren illustriert dies deutlich: In den 1970er Jahren war der Grundberuf einer Ausbilderin Sozialarbeiterin (oder ein anderer Beruf im psychosozialen Spektrum), ebenso kam die Lehr­supervisorin ursprünglich aus der Sozialarbeit und hatte Erfahrung in der Supervision von sozialer Arbeit, auch die Lehrsupervisandin war im Herkunftsberuf Sozialarbeiterin und in der Lehrsupervision wurden die ersten Lernsuper­visionsprozesse, die im Feld der Sozialarbeit lokalisiert waren, reflektiert. Ausbilderin, Lehrsupervisorin und Ausbildungsteilnehmerin konnten auf gemeinsam geteilte Berufserfahrungen und eine reflexive Haltung, wie sie in der Sozialarbeit zum Berufsbild gehört, zurückgreifen und darauf aufbauend supervisorische Reflexivität entwickeln (Leuschner, 1979, S. 64). Im Jahr 2016 stellt sich dies im Universitätslehrgang Supervision und Coach­ ing teilweise sehr verschieden dar: So ist z. B. die Ausbilderin Bildungswissenschaftlerin und selbstständige Beraterin, die Lehrsupervisorin als Supervisorin Fulltime tätig und bringt Erfahrungen als Referatsleiterin einer Erwachsenenbildungseinrichtung mit. Die Lehrsupervisandin ist im Herkunftsberuf Vermögensberaterin und reflektiert in der Lehrsupervision ihre Coachingpraxis mit Gleisbauingenieuren, die bei der Bundesbahn beschäftigt sind. Während Ausbilderin und Lehrsupervisorin noch von einem weitgehend übereinstimmenden Supervisions- und Reflexionsverständnis ausgehen, bringt die Ausbildungskandidatin aufgrund ihrer vollständig anders gestalteten Berufssozialisation ein gänzlich anderes reflexives Verständnis mit und coacht eine Berufsgruppe, die in ihrem beruflichen Selbstverständnis gänzlich anderen Logiken folgen als Ausbilderin, Lehrsupervisorin und vermutlich auch die Kandidatin. Es kann nicht mehr von annähernd ähnlichen Konstellationen ausgegangen werden, was maßgebliche Implikationen für den Lehrsupervisionsprozess mit sich bringt. Dieses Beispiel illustriert eindrücklich, dass die langfristig vollzogenen Veränderungen im Ausbildungsgefüge, die uns heute wahrscheinlich schon recht selbstverständlich vorkommen, eine Breite beruflicher Sozialisationen in das Lernen der Supervision einbringen, die – wie wir im Folgenden aufzeigen – in ihren Ausformungen und Konsequenzen radikal zunehmen.

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Unterschiedliche Lernerfahrungen und Lernkulturen In den letzten zehn Jahren melden sich mehr und mehr Interessenten und Interessentinnen zur Ausbildung, die nicht den tradierten Weg der supervisorischen Sozialisation durchlaufen haben: Berufstätige aus wirtschaftlichen und technischen Berufen, der Verwaltung und aus dem Management, die für ihre Felder hochqualifiziert sind, zahlreiche Weiterbildungen absolviert haben, vertraut sind mit unterschiedlichen Maßnahmen wie Teambuilding, Teamentwicklung, Organisationsentwicklung, Leitungsreflexion usw. Trotz dieser Vielzahl an Kompetenzen zeigt sich eine wesentliche Differenz: Sie haben Lernkulturen erfahren, die unterschiedlich sind zu jenen, die in den Supervisionsausbildungen vorausgesetzt werden, denn ihre berufliche, arbeitsbezogene Selbstreflexion ist nicht essenzieller Bestandteil der Berufspraxis, sondern mehr oder weniger elaborierter Nebeneffekt. Die berufliche Reflexion dient vorrangig dem Primat der Organisations- und Arbeitseffizienz. Auch in der Lehrsupervision erfahren wir diese Veränderung: Wir haben es heute zu tun mit Bankangestellten, Human-Resources-/HR-Managerinnen, Verwaltungsfachkräften, Ingenieuren usw., die einem hohen beruflichen Ethos unterliegen, aber keine berufliche Sozialisation erfahren haben, in der Selbstreflexion ein integraler Bestandteil ihrer Profession wäre. Dies führt dazu, dass Selbstreflexion und Introspektion für manche Lehrsupervisanden und Lehrsupervisandinnen (trotz zahlreicher Weiterbildungen) noch Neuland sind. Die Herausforderung für die Lehrsupervision besteht nach unserer Erfahrung darin, die unterschiedlichen Vorerfahrungen, Lernkulturen und Vorstellungen der Lehrsupervisanden einer supervisionsrelevanten Selbstreflexion zu unterziehen. Neue Lehr- und Lernanforderungen Entsprechend der Entwicklung der Profession Supervision und dem sich ebenfalls entwickelnden breiten Spektrum von supervisionsbasierten bzw. supervisionsnahen Beratungsangeboten wurden die Supervisionsausbildungen erweitert: Zahlreiche Supervisionsausbildungen in Österreich haben Coaching als supervisionsrelevante Beratungsform aufgegriffen, die Schnittmenge zur Supervision beschrieben und das Thema Coaching in die Lehrinhalte aufgenommen. Dieser Schritt beinhaltet nicht bloß die Erweiterung des Ausbildungsspektrums, sondern zeitigt auch strukturelle Konsequenzen: Wir erkennen Coaching­prozesse als Zugangsvoraussetzung für unsere Ausbildung an, ohne überprüfen zu können, inwieweit die selbstreflexive Auseinandersetzung mit beruflicher Rolle, Organisation und Arbeit stattgefunden hat. Die tradierte

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Erwartung, dass über die Absolvierung von Supervisionsprozessen im Vorfeld der Ausbildung ein Zugang zu berufsbezogener Selbstreflexion eröffnet wurde und in der Ausbildung darauf aufgebaut werden kann, wird oft nicht mehr erfüllt. In der Lehrsupervision sind wir mit dieser Erweiterung der Ausbildungsinhalte und der Anerkennung von Coaching als Voraussetzung verstärkt damit konfrontiert, dass das Basismodell Supervision und die vorrangig dort übliche Selbst- und Kontexthinterfragung nicht eingeübt und verständlich ist, sondern immer öfter im Rahmen der Lehrsupervision erst neu zu lernen ist. Damit erweitert sich letztendlich der Auftrag an Lehrsupervision dahingehend, dass supervisionsbasierte Reflexionsformen für neue Arbeitsfelder (jenseits der traditionellen supervisionserprobten und -affinen) zu entwickeln sind, die mit deren Arbeits- und Berufslogiken kompatibel sind. Projektsupervision für Start-ups? In den letzten Jahren ist ein neuer, ja ungewohnter Trend zu bemerken, dass manche Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten mit dem expliziten Anliegen in die Ausbildung kommen, eine vertiefte, umfangreiche und umfassende, sinnvolle reflexive Zusatzkompetenz zu erwerben, die ein wesentliches Fundament im Katalog ihrer verschiedenen Berufsqualifikationen für die zukünftige Freiberuflichkeit sein soll, die sie im Rahmen der Ausbildung beginnen und aufbauen wollen. Somit sind sie nicht bloß am Erwerb supervisorischer Kompetenz interessiert, sondern auch damit beschäftigt, die neu erworbenen Kompetenzen in ihr Portfolio von freiberuflichen Qualifikationen zu integrieren, Supervisionsprozesse und verschiedene andere Beratungsaufträge zu akquirieren und zu erproben. Die Supervisionsausbildung ist damit ein hilfreiches Mittel zur Erreichung der Selbstständigkeit und wird vorrangig unter dem Fokus subsumiert, wie unterstütze ich am besten meine neue Freiberuflichkeit und was brauche ich dafür, um am Markt bestehen zu können. Lehrsupervisionen bekommen unter diesem Anspruch von Lehrsupervisanden bisweilen den Charakter einer »Projektsupervision« für ein neues Start-up-Unternehmen. Es geht nicht allein um die identitätsstiftende Reflexion von Supervisionsakquise und ersten Supervisionsprozessen (inklusive deren Scheitern bzw. Nicht-Zustandekommen), sondern auch um die vielfältigen Themen, die sich beim Weg in die neue Selbstständigkeit bzw. Freiberuflichkeit für die Lehrsupervisanden ergeben. Themenschwerpunkte sind dann auch der Druck, rasch neue Projekte aufzubauen, Websites zu konstruieren, Präsentationen zu liefern, Marketing zu betreiben – was beim Aufbau der Freiberuflichkeit in gleichem Maße bedeutsam ist wie die neue super­visorische

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Identität. Als Lehrsupervisorin entsteht dann die Frage, was ist hier meine Rolle und mein Auftrag? Supervisionsverständnis – theoretisch und konzeptionell Das theoretische und konzeptionelle Verständnis von Supervision und Coach­ ing, das in Ausbildungen gelehrt wird, verändert sich stark und differenziert sich auch unter den Ausbildungen. So haben wir z. B. an der Universität Wien insbesondere in den letzten Jahren den Paradigmenwechsel von einer vorrangig settingbezogenen Formulierung (wie Einzel-, Gruppen-, Teamsupervision) hin zu einer verstärkt theoriebegründeten Methodik der reflexiven arbeitsfeldorientierten Beratung vollzogen, die im Rahmen der Beratungswissenschaften angesiedelt ist. Dieser Zugang spiegelt wider, dass Supervisoren und Supervisorinnen verstärkt mit Aufträgen konfrontiert werden, bei denen sie mit organisationellen Komplexitäten konfrontiert sind, was die Fähigkeit erforderlich macht, organisations- und situationsbezogene Supervisionssettings und Arbeitsweisen zu designen, die auf einem theoretisch fundierten Supervisionsverständnis aufbauen. Mit diesen Entwicklungen ist die Community der Supervisorinnen und Supervisoren insgesamt, die Ausbildungen in ganz besonderer Weise konfrontiert. Ein hoher Anspruch liegt somit darin, Ausbildungskandidaten dazu zu befähigen, in komplexen Organisationsstrukturen zu arbeiten, d. h. – wie an vielen Stellen der Entwicklung unserer Ausbildung – weitere neue Inhalte zu integrieren. Diese neuen Entwicklungen und die sich daraus ergebenden Fragen in der Community der Supervisorinnen, die höchst ausbildungsrelevant sind, betreffen in gleicher Weise die Lehrsupervisorinnen. So sind sie schon allein aufgrund der veränderten Anfragen und (potenziellen) Aufträge der Ausbildungskandidaten damit beschäftigt: Beispielsweise taucht die Frage der Positionierung der Supervisoren in Organisationen auf, das Thema der Verantwortung für die Organisation, die Frage der Kooperation von mehreren Supervisoren bzw. unterschiedlichen Beraterinnen in einer Organisation. Dies führt weiter zur Frage der gesellschaftlichen Positionierung von Supervisorinnen und Supervisoren hinsichtlich der Entwicklungen der Arbeitswelt, zur Integration der Themen der Arbeitswissenschaften und überhaupt der gesellschaftlichen Position von Supervision in der gegenwärtigen Arbeitswelt und ihren Anforderungen.

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Akademisierung Die bisherigen Veränderungen in den Ausbildungen waren bedingt durch neue Entwicklungen der Arbeitswelt und den damit in Zusammenhang stehenden Veränderungen von Supervision. Dies wird ergänzt durch einen weiteren gesellschaftlichen Trend, der die gesamte Weiterbildungslandschaft massiv beeinflusst: die Akademisierung von Ausbildungen mit verstärkter Verwissenschaftlichung. Auch die Supervisionsausbildungen haben sich dieser Entwicklung nicht verschlossen. Neben außeruniversitären Instituten werden Supervisionsausbildungen verstärkt an Universitäten sowie Fachhochschulen angeboten und schließen mit dem akademischen Grad eines Masters ab. Damit wird super­ visionsbezogene Forschung ein weiterer Inhalt der Ausbildung, da Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten im Rahmen ihrer akademischen Qualifizierung wissenschaftlich arbeiten und im Rahmen ihrer Masterthesen supervisions­ relevante Forschungen durchführen. Einerseits erfährt Supervision so eine stärkere Verwissenschaftlichung, andererseits sind die Ausbildungskandidatinnen damit konfrontiert, neben der forschenden supervisorischen Haltung auch die Kompetenz der wissenschaftlich forschenden, theoriegeleiteten Reflexion im supervisorischen Feld aufzubauen. Mit der Akademisierung der Ausbildung kommen Lehrsupervisorinnen immer wieder in die unerwartete Rolle, den Raum für die Reflexion der wissenschaftlichen Fragestellungen (für Seminararbeiten und Masterthesen) zu bieten. Denn die Ausbildungskandidaten sind dazu aufgefordert, wissenschaftliche Fragen zu entwickeln, die unmittelbar aus ihren Supervisionserfahrungen bzw. ihren Supervisionspraxen erwachsen. Wenn also die Reflexion der eigenen supervisorischen Tätigkeit in der Lehrsupervision erfolgt, liegt es für Ausbildungskandidaten nahe, auch die daraus entstehenden Forschungsfragen in der Lehrsupervision zu reflektieren. Somit erfährt die Lehrsupervision in diesem Sinne eine Verwissenschaft­ lichung, die in den Ausbildungen bislang nicht diskutiert bzw. oft gar nicht bewusst wahrgenommen wird. Für Lehrsupervisoren erwachsen aus dieser Entwicklung zur verstärkten Akademisierung zahlreiche Fragen: Was lernen die Ausbildungskandidatinnen in der Ausbildung überhaupt? Bleibt die Ausbildung praxis- und erfahrungsorientiert oder wird sie verschult bzw. theoretisch-­abstrakt? Bekommen Lehrsupervisionen dann eine kompensierende Funktion und sind der Ort, an dem die tradierte supervisorische Identität praxisnah vermittelt wird, während in der Ausbildung verstärkt sachbezogen-universitär gelehrt wird? Ist dann die Lehrsupervision der Raum für die Aneignung der Praxis der Supervision? Wie sieht es dann mit der Identitätsentwicklung als Supervisor aus? Diese

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und ähnliche Fragen sind bislang in der Community der Ausbilderinnen und Lehrsupervisoren erst zögerlich gestellt, bedürfen aber intensiver Diskussion.

Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren – in der Regel klassisch sozialisiert Sozusagen als Hintergrundfolie für die Lehrsupervision in diesen skizzierten Ausbildungsentwicklungen gilt es nun, die Sozialisierung der Lehrsupervisorinnen in den Blick zu nehmen. Viele Lehrsupervisorinnen der heutigen Generation knüpfen an das in den psychosozialen Arbeitsfeldern entstandene und gepflegte Verständnis von Supervision an, das sie aus ihren eigenen Basis­berufen kennen. In diesen Arbeitsfeldern, in denen Reflexion genuin zur Ausbildung und Ausübung der entsprechenden Berufe gehört, haben sie Supervision als hilfreiches Instrument kennengelernt, um ihre berufliche Aufgabe und ihre Rolle im Kontext der jeweiligen Organisationen besser verstehen und handhaben zu können. In dieser Weise sozialisierte Lehrsupervisorinnen verstehen die vielfältigen Prozessdynamiken bzw. sind um Einsicht in Tiefendynamiken bemüht. Es gibt einen gemeinsamen beruflich bedingten Konsens, der durch die berufliche Sozialisation gewachsen ist, dass Selbstreflexion und soziale Selbstreflexion sowie die Anleitung dazu, die ja die Basis von Supervision darstellt, ein Grundprinzip professioneller Tätigkeit ist. Dieses historisch gewachsene Verständnis von Supervision, das dann eben auch die Lehrsupervision prägt, bildet das tradierte Gerüst, auf dem ein Großteil der Lehrsupervisoren auch heute entscheidend aufbaut. Eine Vielzahl von ihnen war oder ist zugleich wesentlich an der Weiterentwicklung der Profession bzw. an deren Aufbau beteiligt. Dort kam es in den letzten Jahrzehnten zu entscheidenden Paradigmenwechseln bezogen auf berufliches Selbstverständnis, konzeptionelle Vorstellungen und Praxis von Supervision, die auch von vielen Lehrsupervisoren wesentlich mitgestaltet wurden. Für viele gehören z. B. die folgenden Aspekte zum derzeit aktuellen State of the Art: ȤȤ Supervision sieht sich in der Verantwortung für Organisationen. ȤȤ Die Auftragsgestaltung erfolgt in Organisationen im Dreieckskontrakt. ȤȤ Supervision wird als komplexe Beratungsform verstanden, die mit komplexen Systemen arbeitet. ȤȤ Supervision wird in neue Felder integriert wie etwa Gesundheitsmanagement, Verwaltung, wirtschaftliche Unternehmen. ȤȤ Der supervisorische Ansatz ist integrierbar in unterschiedliche Beratungssettings.

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ȤȤ Supervisorinnen kooperieren mit anderen Beratern und Supervisoren. ȤȤ Supervisoren und die der Supervision nahestehenden Wissenschaftlerinnen bemühen sich um wissenschaftliche Fundierung der Supervision. Der Diskurs zu diesen Themen wird auch aktuell in der Community der Supervision fortgesetzt. Die heutige Ökonomisierung aller Arbeitsfelder und die Verbreiterung von Supervision in Richtung Coaching und Organisationsberatung aktualisieren die Frage nach dem Selbstverständnis von Supervision und ihrer Begründung neu. Zuschreibungen und Praxis liegen zwischen den beiden Polen: ein unüberschaubares Angebot von bisweilen angepasster, die Aufträge nicht hinterfragender Supervision einerseits und permanenter Suche nach (arbeitsund beratungs-)wissenschaftlich fundierter Standortbestimmung des reflexiven, in kritischen Denkschulen verankerten (bzw. zu verankernden) Ansatzes der Supervision andererseits. Die Differenzierung der Supervision, verstärkt durch nicht mehr einheitlich klassische Sozialisierungen im Sinne einer reflexiven, der Aufklärung verpflichteten Tradition, erzeugt zunehmend ein breites, nicht mehr gut überschaubares Bild zur inhaltlichen Ausrichtung von Supervisorinnen und damit auch von Lehrsupervisorinnen. Allerdings deutet sich der Prozess dieser Divergenz erst langsam an. Anzunehmen ist – und das deckt sich mit unseren Erfahrungen –, dass über viele Jahre die Vorstellungen zu Supervision und dem ihr nahestehenden Coaching von einem Großteil der Ausbilder und Lehrsupervisorinnen weitgehend übereinstimmend gesehen, weiterentwickelt und als kritisch fragendes und zu befragendes arbeits- und aufgabenbezogenes Instrument generativ weitergegeben wurde.

Lehrsupervision als Sozialisationsinstanz Unsere Darstellung macht deutlich, dass Supervisionsausbildungsprozesse und Lehrsupervisionen heute nicht mehr durch einen kongruenten Sozialisationshintergrund aller Beteiligten gekennzeichnet sind. Anhand der Veränderungslinien in der Ausbildung, die wir hier identifiziert haben, und auch entlang der Entwicklungslinien von Supervision selbst, an denen Lehrsupervisoren ja ebenfalls beteiligt sind, resultieren massive Herausforderungen für die Lehrsupervision. Zu erarbeiten ist, wie (und gegebenenfalls auch, ob) es angesichts dieser Komplexität gelingt, in der Lehrsupervision die Auseinandersetzung mit den bisherigen, eben auch sehr verschiedenen Sozialisierungsprozessen zu führen. Die Aufgabe der Lehrsupervision als Sozialisationsinstanz im Ausbildungskon-

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text besteht bei diesen Auseinandersetzungen darin, die Anforderungen, die aus den tradierten und aktuellen Ansprüchen einer reflexiven, arbeitsethisch und wissenschaftlich zu verankernden Supervision kommen, zu berücksichtigen und den Diskurs auf diesem Hintergrund zu gestalten – eine nicht einfache Aufgabe, wenn z. B. Introspektion und Metakommunikation seitens der Ausbildungskandidatinnen noch sehr wenig eingeübt sind. Es wird mehr und mehr notwendig sein, ein besonderes Augenmerk auf die gezielte Begleitung und Reflexion von Brüchen zwischen Erfahrungen im Berufsleben der Lehrsupervisanden und Grundlagen ihrer sich entwickelnden Identität als Supervisoren und Coaches zu legen. Die Anleitung zu der reflexiv gestalteten und werteorientierten Auseinandersetzung erscheint uns eine genuin lehrsupervisorische Aufgabe zu sein. Damit sehen wir uns vom Anspruch nahe an dem Grundkonzept von Lehrsupervision. Leuschner zeigte schon 1979 – noch für einen Ausbildungskontext, in dem Lehrende, Lehrsupervisorinnen und Kandidaten beruflich sehr verwandt waren –, dass Lehrsupervision vor allem als eine bedeutsame Instanz zur Reflexion von Sozialisation und Institutions- bzw. Organisationsgeschichten anzusehen ist. Die Sozialisierung aller mittelbar und unmittelbar Beteiligten bestimmt das Geschehen in der Lehrsupervision und den Umgang mit den dort relevanten Fragen (Leuschner, 1979, S. 55 ff.). Wir gehen davon aus, dass ein Verständnis von Lehrsupervision, in deren Zentrum die Auseinandersetzung mit Sozialisierungsprozessen liegt, auch heute noch besteht und Leitmotiv für das Lehr-/ Lernmodell in der Lehrsupervision ist – allerdings immer mehr mit dem Fokus der Verständigung über sehr unterschiedliche berufliche Sozialisationen, den jeweiligen ethischen Grundlagen und den dort jeweils üblichen Kommunikations- und Reflexionsformen.

Aktuelle Anforderungen und Fragen Wichtig erscheint vor allem, dass Lehrsupervisoren und Ausbilderinnen selbst rund um die hier aktualisierten Fragen und Umbrüche in einem institutionell abgesicherten Rahmen der Ausbildung den Diskurs führen – auch zusammen mit den Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten. Dieser Raum der dreieckförmigen Kontraktierung und Beauftragung sollte – was bisher kaum der Fall war – beforscht werden. Erforderlich und zielführend ist es, wenn die Auseinandersetzung mit Sozialisierungsansprüchen durch Ausbildung und Lehrsupervision nicht zufällig und en passant erfolgen, sondern wenn ihnen mehr Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet wird, als das bisher meist der Fall ist.

Lehrsupervision heute: eine Sozialisationsinstanz im Umbruch

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Gerade die Analyse der Herausforderungen in der Lehrsupervision kann die Weiterentwicklung von Curricula unterstützen. So kann der Stellenwert und das Entwicklungspotenzial von Lehrsupervision in dieser Weise erweitert werden. Unsere Überlegungen zeigen auf jeden Fall: Für Ausbilderinnen und Lehrsupervisoren ergeben sich viele neue bzw. aktualisierte Fragen, die nach weiteren Diskursen in der Ausbildungsszene und in der supervisorischen Community verlangen: ȤȤ Inwieweit fühlen sich Lehrsupervisoren und Ausbilderinnen aufgerufen, über unterschiedliche Reflexionskompetenzen nachzudenken, und was erschwert diese Auseinandersetzung? ȤȤ Welche Möglichkeiten haben klassisch sozialisierte Lehrsupervisoren jene Ausbildungskandidatinnen zu erreichen, die ganz andere berufliche Sozialisationen erfahren haben als sie selbst, und wie ist es möglich, diesen eine supervisorische Haltung zu vermitteln? ȤȤ Welche Möglichkeiten und Grenzen ergeben sich in Gruppenlehrsupervisionen mit Teilnehmenden aus völlig unterschiedlichen beruflichen Sozialisationen? ȤȤ Inwieweit kann strategisches Coaching im Rahmen einer Lehrsupervision, in der an der (selbst)reflexiven supervisorischen Identitätsentwicklung gearbeitet wird, einen relevanten Platz finden? ȤȤ Inwiefern tragen Lehrsupervisorinnen den wissenschaftlichen Qualifizierungsprozess von Ausbildungskandidaten mit? ȤȤ Welche Auseinandersetzungen um die Weiterentwicklung von Supervision in Theorie und Praxis sind den Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren präsent und wie fördern sie diese in der Supervisionscommunity durch Erfahrungen aus ihren Lehrsupervisionen?

Ein Pilotprojekt zur Gruppenlehrsupervision Die bisherigen Überlegungen führten 2015 zu einer von der Ausbildungsleitung und einigen Lehrsupervisorinnen getragenen Neuentwicklung des Konzepts der Gruppenlehrsupervision in der hier vorgestellten Ausbildung. Während die Analyse der eigenen Lernsupervisionsprozesse weiterhin in der Einzellehrsupervision verortet ist, liegt der Fokus in der Gruppenlehrsupervision auf der qualifizierten, als Gruppe von angehenden Beratern zu leistenden Erkundung und Analyse eines Arbeitsfeldes, in dem Supervision angeboten bzw. angefragt werden kann. Gegeben ist damit auch ein Einübungsfeld für die in komplexen organisationalen Beratungsanfragen notwendige und sinnvolle Kooperation

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von Supervisorinnen. Das Konzept dieser Lehrsupervision konzentriert sich auf das Erlernen der forschenden Haltung und des forschenden Vorgehens in der Supervision (Gotthardt-Lorenz, Hausinger u. Sauer, 2013), inklusive der Reflexion der eigenen Einstellungen und Vorerfahrungen – eine Lernebene, die uns besonders relevant erscheint für Teilnehmende, die aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Sozialisationen wenig Erfahrungen mit dieser supervisorischen Arbeitsweise haben. Die Gruppe der Ausbildungsteilnehmenden erforscht – als Peergroup – eigenständig, wie in einem exemplarisch gewählten Arbeitsbereich die dazugehörigen Organisationen, die dortigen Professions- und Arbeitsansätze, die Klienten- bzw. Kundensysteme und die jeweils mitbestimmenden gesellschaftlichen Kräfte beschaffen sind. Die Gruppenlehrsupervision ist darauf angelegt, die Erstellung, Überprüfung und Weiterentwicklung dieser supervisionsbezogenen Expertisen mit den Ausbildungskandidatinnen zu reflektieren. Insbesondere geht es darum, die jeweiligen Blickwinkel zu schärfen, die Ressourcen der unterschiedlichen Sichtweisen zu nutzen, die bisherigen, vor allem biografisch und durch Berufssozialisationen geprägten Einschätzungen kritisch zu befragen sowie die Kooperation unter angehenden Kolleginnen und Kollegen zu thematisieren und auftretende Konflikte zu bearbeiten. Durchgeführt wird die Gruppenlehrsupervision von zwei Lehrsupervisorinnen und einem Lehrsupervisor, die als Team und in Kooperation mit der Leitung diesen Teil der Ausbildung fortlaufend reflektieren, evaluieren und gegebenenfalls weiterentwickeln.

Unser Credo Die von den aufgezeigten Umbrüchen gekennzeichnete Sozialisationsinstanz Lehrsupervision ist einer kritischen Reflexion und Weiterentwicklung zu unterziehen. Weitere Diskurse, Experimente und eben auch Lehrsupervisionsmodelle sind erforderlich, um den verschiedenen Veränderungen im Ausbildungskontext der Supervision Rechnung zu tragen und um die Herausforderungen – insbesondere die verschiedener Sozialisationen im Ausbildungskontext – nutzen und das Erlernen eines kritisch reflexiven supervisorischen Beratungsverständnisses ermöglichen zu können.

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Literatur Gotthardt-Lorenz, A., Hausinger, B., Sauer, J. (2013). Das forschende Vorgehen in Supervisionsprozessen. In S. Busse, B. Hausinger (Hrsg.), Supervisions- und Coachingprozesse erforschen (S. 200–221). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Leuschner, G. (1979). Gedanken zur Rolle des Lehrsupervisors. In Akademie für Jugendfragen Münster (Hrsg.), Supervision im Spannungsfeld zwischen Person und Institution (S. 50–65). Freiburg: Lambertus. Oevermann, U. (1996). Theoretische Skizze einer revidierten Theorie professionalisierten Handelns. In A. Combe, W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 70–182). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Ausbildungssupervision: Im Spannungsfeld zwischen individueller Rollenfindung und Qualitätssicherung

Supervision-on-supervision: The field between the dimensions of personal role definition and quality assurance This article reconstructs the complex dynamics of interactions arising between junior supervisors and the supervision trainers within training institutions. The partners in this context face the challenge to find a satisfying balance between variously divergent and some times conflict-laden interests. If the training target of the course is to enable future supervisors to perform professional supervision, then this mandates continuous reflection on the cognitive and emotional challenges inherent to individually orientated services. For such tasks, promising routines of success can only be developed to a limited extent. A more decisive factor is empowering future supervisors with the ability to initiate error-prone search processes, that might generate case-specific solutions to problems. A sufficient creativity can only be developed in training courses if the training institutes establish the necessary prerequisites. Essential for this is an identity as a learning organisation – one that does not shy away from quality assurance, but considers its students as providers of potential innovations, whilst respecting and helping them to develop a post-conventional professional identity. Zusammenfassung Der Beitrag rekonstruiert die komplexe Interaktionsdynamik, die zwischen Supervisoren in Ausbildung und ausbildenden Supervisoren im Rahmen von Ausbildungsinstitutionen entsteht, wobei die beteiligten Akteure verschiedene, durchaus konfliktträchtige divergente Interessen zu einem befriedigenden Ausgleich bringen müssen. Ist es das Ziel der Ausbildung, künftige Supervisoren im Verlauf ihrer Ausbildung zu befähigen, Supervisionsaufträge professionell bearbeiten zu können, dann bedarf es dazu einer kontinuierlichen Reflexion der kognitiven und emotionalen Herausforderungen, die personale Dienstleistungen mit sich bringen. Denn für solche Leistungen lassen sich nur in einem geringfügigen Ausmaß Erfolg versprechende Routinen entwickeln. Entscheidender ist die Fähigkeit, einen irrtumsanfälligen Suchprozess in Gang zu setzen, der fallspezifische Problemlösungen kreiert. Diese Kreativität entsteht in der Ausbildung nur dann, wenn die Ausbildungsinstitute die dafür nötigen Voraussetzungen schaffen. Nötig ist ein Selbstverständnis als lernende Organisation, die, um Qualität zu sichern, zwar nicht auf Kontrollen verzichtet, aber ihre Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen als Träger potenzieller Innovationen respektiert und ihnen hilft, eine postkonventionelle berufliche Identität zu entwickeln.

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Die Ausbildungssupervision gilt als das Zentrum der Supervisionsausbildung. Ihr Ziel ist die Gestaltung eines Lernprozesses, der zu einer nachweisbaren professionellen Supervisionskompetenz und einer darauf gründenden Identität als Supervisor führt. Als Vertreter der Profession tragen die ausbildenden Supervisoren und Supervisorinnen die Verantwortung dafür, dass die künftigen ausgebildeten Supervisoren professionelle Arbeit leisten. Unverzichtbares Mittel, dieses Ziel zu erreichen, ist die Reflexion von Supervisionsprozessen, die Supervisoren in Ausbildung während ihrer Ausbildung, sei es im Einzel- oder im Gruppen- bzw. Teamsetting, durchführen und ihrem ausbildenden Supervisor vorstellen.

Arbeitsbeziehungen Ausbildungssupervisionen sind anspruchsvolle Unternehmungen, in denen die Sachfragen eines präsentierten Problems in Abhängigkeit von einer komplexen Struktur verschiedener – realer und imaginärer – Arbeitsbeziehungen verhandelt werden. Zu unterscheiden sind: ȤȤ die reale Arbeitsbeziehung, die ein Supervisor in Ausbildung mit seinem Supervisanden eingeht; ȤȤ die reale Arbeitsbeziehung, die ein ausbildender Supervisor mit seinem Supervisor in Ausbildung eingeht; ȤȤ die reale Arbeitsbeziehung, die beide mit dem Ausbildungsinstitut eingehen, das die Ausbildung anbietet und organisiert; ȤȤ die imaginäre Arbeitsbeziehung, die ein ausbildender Supervisor zu seinem Supervisor in Ausbildung eingeht, soll heißen: die Vorstellungen, die er sich aufgrund des Fallberichts seines Supervisors in Ausbildung von dessen Arbeit mit dessen Supervisanden macht; ȤȤ die imaginäre Arbeitsbeziehung, die ein ausbildender Supervisor mit dem Supervisanden seines Supervisors in Ausbildung eingeht, soll heißen: die Vorstellungen, die er sich aufgrund des Fallberichts seines Supervisors in Ausbildung von ihm macht. Reale und imaginäre Arbeitsbeziehungen verschränken sich auf eine Art und Weise, die als »Spiegelung« (Kutter, 2000) konzipiert und erkenntnisproduktiv gemacht werden kann: Dabei wird angenommen, dass sich die Arbeitsbeziehung zwischen dem Supervisor in Ausbildung und seinem Supervisanden in der Arbeitsbeziehung zwischen ihm und seinem ausbildenden Supervisor spiegelt, soll heißen: Indem der ausbildende Supervisor und sein Supervisor in Aus-

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bildung ihre Arbeitsbeziehung untersuchen, erfahren sie zugleich etwas über die Arbeitsbeziehung des Supervisors in Ausbildung zu dessen Supervisanden. Abwesendes soll auf diese Weise anwesend werden. Streng genommen kann sich auch die Arbeitsbeziehung eines ausbildenden Supervisors zu dessen Supervisor in Ausbildung in der Arbeitsbeziehung des Supervisors in Ausbildung zu dessen Supervisanden spiegeln, nur bleibt dies noch unzugänglicher, weil es nicht zu den Üblichkeiten gehört, dass die Ausbildungssupervision in der supervidierten Supervision zum Thema wird. Davon abgesehen, lässt sich darüber streiten, ob es beratungsethisch geboten ist, dass ein Supervisand um den Ausbildungsstatus seines Supervisors weiß. Weiß er darum, wird dieses Wissen gegebenenfalls strategisch-taktisch genutzt, z. B. dann, wenn der Supervisand unliebsame Interventionen seines Supervisors in Ausbildung als unzutreffend zurückweist, da der ja noch nicht »ausgelernt« habe.

Offene Fragen Ausbildende Supervisoren sind durch eine Ausbildungsinstitution legitimiert, Supervisoren in Ausbildung zu supervidieren. Wie die konkrete Praxis in den Instituten aussieht, ist nicht systematisch erfasst. Zu folgenden Fragen fehlen aussagefähige Daten: ȤȤ Welche Funktionen schreiben die Ausbildungsinstitute der Ausbildungssupervision zu? ȤȤ Wer wird in den Ausbildungsinstituten mit Ausbildungssupervisionen betraut: Welcher Qualifikationen bedarf es? ȤȤ Wie finden Supervisoren in Ausbildung die ausbildenden Supervisoren, mit denen sie arbeiten wollen? Gibt es Kriterien für eine erfolgreiche Passung? ȤȤ Wo können Supervisoren in Ausbildung konflikthafte Verstrickungen mit ihren ausbildenden Supervisoren, die ihren Ausbildungserfolg gefährden, klären?

Funktionen der Ausbildungssupervision Eine Gelegenheitsbefragung unter (psychoanalytisch bzw. psychodynamisch orientierten) Supervisoren, welche Funktionen sie der Ausbildungssupervision zuschreiben, ergibt die folgende (von mir thematisch verdichtete) Liste: Supervisorinnen und Supervisoren in Ausbildung sollen in ihrer Ausbildungssupervision

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ȤȤ keine ausufernde Selbsterfahrung betreiben, sondern ihre Berufsrolle im Blick behalten (Rollenanalyse); ȤȤ Zutrauen in ihre noch unfertige, aber sich entwickelnde Kompetenz, Supervisionsprozesse in Gang zu setzen und in Gang zu halten, gewinnen; ȤȤ ihre subjektiven Theorien kennenlernen und mit den Theorien ihrer ausbildenden Supervisoren sowie dem Lehrbuchwissen abgleichen und zur Disposition stellen; ȤȤ die Fähigkeit und Bereitschaft entwickeln, zu begründen, was sie in ihren Supervisionsprozessen (nicht) tun; ȤȤ den Einfluss unbewusster Motive auf den Supervisionsprozess erleben und ihn reflektieren können, einschließlich ihrer unbewussten Motive, überhaupt Supervisor werden zu wollen; ȤȤ lernen, sich als Übertragungsobjekt für ihre Supervisanden zur Verfügung zu stellen, ohne sich mit dem übertragenen Objekt zu verwechseln; ȤȤ ein realistisches Bild davon gewinnen, was Supervision leisten kann und was nicht; ȤȤ erste Umrisse eines eigenen Supervisionsstils entwickeln, der für sie persön­ lich stimmig ist. Ausbildende Supervisoren sollen ȤȤ über eine anschlussfähige »Feldaffinität« wie ihre Supervisoren in Ausbildung verfügen; ȤȤ ihren Supervisoren in Ausbildung wertschätzend begegnen; ȤȤ ihren Supervisoren in Ausbildung klare Orientierungen bieten; ȤȤ ihre Supervisoren in Ausbildung fördern, fordern und nachvollziehbar evaluieren; ȤȤ einen Möglichkeitsraum öffnen, in dem sich die Supervisoren in Ausbildung angstfrei in ihrer neuen Rolle erproben dürfen (Fehlerfreundlichkeit); ȤȤ ihre eigenen Urteilsprozesse selbstkritisch prüfen, wenn sie am Ende der Ausbildung zu der Eignung ihrer Supervisoren in Ausbildung gutachterlich Stellung nehmen; ȤȤ ihren Supervisoren in Ausbildung nicht vormachen, immer schon alles besser zu wissen; ȤȤ gegebenenfalls die Haltung und die Interventionen ihrer Supervisoren in Ausbildung kritisieren, nicht aber deren Persönlichkeit.

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Supervisor in Ausbildung Bei den Ausbildungsteilnehmenden von Supervisionsausbildungen handelt es sich um Personen mit langjährigen beruflichen Erfahrungen. In ihren Grundberufen sind sie soweit wie möglich professionalisiert und dementsprechend kompetent. Aber nicht nur das: Professionalisierungsprozesse sind immer auch Prozesse, in denen sich Personen eine bestimmte berufliche Identitätsformation angeeignet haben, wodurch sie sich signifikant von ihren Mitmenschen und den Vertretern anderer Professionen unterscheiden. Indem bereits professionalisierte Personen eine Supervisionsausbildung beginnen, hat es die Ausbildung mit »erfahrenen Anfängern« (Rappe-Giesecke, 2009, S. 28) zu tun. Die Differenz zwischen den Werten und Normen, wissenschaftlichen Wissensbeständen und Praxeologien, die sich Supervisoren in Ausbildung bisher angeeignet haben, und denen, auf die sie in der Supervisionsausbildung treffen, kann dabei unterschiedlich groß sein. Die Größe der Differenz hat Auswirkungen auf die Lernwiderstände, die aus ihr resultieren. Einerseits ist es plausibel, anzunehmen, dass die Lernwiderstände mit der Größe der Differenz zunehmen. Andererseits verleitet eine große Ähnlichkeit schnell zu der kontraproduktiven Annahme, alles schon zu wissen und zu können. Lernwiderstände müssen nicht per se destruktiv sein. Im Gegenteil: Sie bieten wechselseitige Reibungen, durch die das bereits Bekannte im Lichte des bislang Unbekannten sowie das bislang Unbekannte im Lichte des bereits Bekannten an Bewusstheit gewinnt. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, in der Ausbildung anzuerkennen und zu nutzen, was die Ausbildungsteilnehmenden an Erfahrungen mitbringen. Werden sie, wie subtil auch immer, entwertet, erleben sie sich einer Infantilisierung ausgesetzt, die ihren Lernprozess zu einer einsichtslosen Unterwerfung und Anpassung entstellt.

Die Sichtbarkeit ausbildender Supervisoren und Supervisorinnen Auch wenn das folgende Zitat die Verhältnisse in der klinischen Psychoanalyse im Blick hat, trifft das Argument auch auf die Ausbildung von nicht therapiezentrierten Supervisoren zu: »Die Lehr-Lernsituation in der Supervision ist eine in unserer Kultur einmalige Situation, insofern der Schüler seinen Lehrer nie bei der Arbeit sieht, kaum je ein Werkstück von ihm zu Gesicht bekommt. Das gilt auch für publizierte Falldarstellungen der Supervisoren: Sie beschränken sich in der Regel auf Ausschnitte einer Behandlung, auf sogenannte Vignetten, bei

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welchen die Dramatik der Interaktion hinter der Darstellung objektiver/objektivierender Deutungen verborgen bleibt. […] Der idealisierte Lehrer muss der verborgene Lehrer bleiben, weil nur so die Idealisierung, d. h. auch die Identifizierung, erhalten bleiben kann. […] Je mehr er sich selbst mit seiner Arbeit einbringt – und das ist zu fordern –, desto weniger kann er idealisiert werden« (Cremerius, 1992, S. 70 f., S. 77). Ist das Argument triftig, muss für Supervisoren in Ausbildung sichtbar werden, wie ihre ausbildenden Supervisoren und Supervisorinnen arbeiten: ȤȤ Die einfachste Art und Weise besteht darin, sich an der Reflexion der Fälle, die ihre Supervisoren in Ausbildung in der Ausbildungssupervision vorstellen, aktiv zu beteiligen, und zwar so, dass eine gemeinsame Suchbewegung in Gang kommt. Damit ist freilich nicht gemeint, Supervisoren in Ausbildung ihre Reflexion abzunehmen, und schon gar nicht die fatale, aber allzu häufige Strategie, sie »entdecken« zu lassen, was die ausbildenden Supervisoren für zutreffend halten! Gemeinsam ist die Suchbewegung nur dann, wenn der Prozess für Eigensinnigkeiten auf beiden Seiten offen bleibt. ȤȤ Ausbildungsinstitute können Ausbildungsmodule kreieren, in denen sie ihren Supervisoren in Ausbildung die Möglichkeit anbieten, Videoaufzeichnungen oder Live-Supervisionen ihrer ausbildenden Supervisoren (offen oder verdeckt) zu beobachten und mit ihnen zu reflektieren. Je besser es dabei gelingt, den Demonstrationseffekt gering zu halten, desto ergiebiger kann eine Besprechung sein. ȤȤ Am weitesten geht eine Ausbildungssupervision, die konsequent als CoKonstruktion der Supervisoren in Ausbildung und ihrer ausbildenden Supervisoren durchgeführt wird. In der Psychoanalyse hat man mit »mutuellen Analysen« experimentiert (Thomä, 2001). Soweit sollte es nicht kommen, weil die Gefahr besteht, zweifellos vorhandene Kompetenzunterschiede zu verleugnen. Aber was spricht dagegen, dass auch die ausbildenden Supervisoren ab und an, vermehrt gegen Ende der Ausbildungssupervision, einen eigenen Fall einbringen und mit ihren Supervisoren in Ausbildung besprechen? Solange dies ein Ausdruck echter kollegialer Wertschätzung ist und keine Verführung zu grandioser Selbstüberschätzung, können beide davon profitieren. Damit wird das tradierte »Meister-Lehrling- bzw. Lehrer-Schüler-Verhältnis« (Siller, 2010, S. 17), das nach dem Modell eines autoritativen oder gar autoritären Vaters zu seinem gehorsamen Sohn gebildet ist, zwar nicht völlig außer Kraft gesetzt, aber partizipativer. Während erzwungener Gehorsam früher oder später zu einem Widerstand führt, der freies Denken blockiert, fördert eine begrüßte

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Partizipation solches Denken. Meine eigenen Erfahrungen, vermehrt mutuelle Elemente in meine Ausbildungssupervisionen einzubeziehen, lassen mich vermuten, dass es erste Schritte in die richtige Richtung sind.

Professionalisierung Ausbildungssupervisionen dienen der Professionalisierung von Supervisoren in Ausbildung. Professionalisierung ist dabei mit einem bestimmten Anspruch verbunden. Um als professionalisiert gelten zu dürfen, muss ein Supervisor bzw. eine Supervisorin mehr können als eine Reproduktion von supervisorischem Common Sense. Professionalisierung setzt Problemlagen voraus, die so komplex sind, dass sie sich nicht routiniert bewältigen lassen. Statt Routinen ist die Kreativität gefragt, einer Problemlage in ihrer Fallspezifität gerecht zu werden (Oevermann, 1996). Dazu trägt zwar bei, was ein Supervisor an allgemeinem theoretischen und praxeologischen Wissen zur Verfügung hat, darüber hinaus muss er aber die Bereitschaft mitbringen, bekannte Wege zu verlassen, um an sein Ziel zu kommen. Sich in unwegsames Gelände zu begeben, ohne die Orientierung zu verlieren, gelingt Supervisoren dabei nur, wenn sie sich ihrer selbst sicher sind, was ihnen Gelassenheit verleiht. Um eine solche Haltung zu lernen, muss die Ausbildungssupervision von Anfang an als ein kreativer Prozess gestaltet sein, der Wissen und Intuition verbindet. Wer die Sicherheit von Ableitungen benötigt, um leistungsfähig zu sein, ist als Supervisor eher ungeeignet. Denn wird Supervision als gemeinsamer Suchprozess konzipiert, bedarf es einer Toleranz für Unsicherheit.

Einfluss des institutionellen Rahmens Ausbildungssupervisionen finden immer im Rahmen des Ausbildungsinstituts statt, in dem die Supervisorinnen- und Supervisoren in Ausbildung als Ausbildungsteilnehmende zugelassen sind. Die institutionelle Dynamik eines Instituts bleibt den Ausbildungssupervisionen des Instituts nicht äußerlich, sondern schlägt auf die Arbeitsbeziehungen durch, die die Supervisoren in Ausbildung und ihre ausbildenden Supervisoren, ob diese nun Institutsmitglieder oder affilierte Externe sind, eingehen (Buchinger, 1997). Um nur ein Beispiel zu nennen: Gibt es in einem Ausbildungsinstitut konträre theoretische und praxeologische Positionen, kann es dazu kommen, dass

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institutsinterne Kontroversen auf Kosten der Supervisoren in Ausbildung ausgetragen werden: Dann verlangt jeder ausbildende Supervisor eine Identifikation mit der Position, die er vertritt, was nicht selten auf eine Entwertung der konkurrierenden Position hinausläuft. Versucht ein Supervisor in Ausbildung unter diesen Bedingungen, sich einer Positionierung zu entziehen, wird ihm dies nicht gestattet. Stattdessen zwingt man ihn in ein Dilemma, das seinen Ausbildungserfolg gefährdet. Denn unter den Bedingungen einer Spaltung gilt: Jeder muss sich für eine Partei entscheiden. Neutralität ist nicht erlaubt. Wer dennoch auf Neutralität besteht, bringt beide Parteien im Wechsel gegen sich auf.

Evaluation Ausbildungssupervisionen haben eine Evaluationsfunktion, die nicht verleugnet werden darf. Sowohl die Supervisoren in Ausbildung als auch ihre ausbildenden Supervisoren und Supervisorinnen müssen diesen Sachverhalt nicht nur im Bewusstsein halten, sondern auch als legitim und zum Nutzen aller anerkennen. Zwar mag sich mancher wünschen, es beim Fördern und Fordern zu belassen, aber damit würde man sich der Verantwortung entziehen, deren Übernahme nur recht und billig ist. Denn die Berufsethik gebietet es, den Kompetenzerwerb von Supervisoren in Ausbildung zu evaluieren, um Schaden abzuwenden, der entstehen kann, wenn unzureichend kompetente Supervisoren in Ausbildung am Ende ihrer Ausbildung ein Zertifikat erhalten. Wenn Supervisoren in Ausbildung an den Erfolgskriterien ihres Ausbildungsinstituts scheitern, liegt das allerdings nicht unbedingt an deren unzureichender Kompetenzentwicklung. Es kann das Resultat einer mangelnden Passung mit ihren ausbildenden Supervisoren sein, weshalb der Passung zu Beginn der Arbeitsbeziehung ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Das Scheitern kann auch durch eine Situation begünstigt werden, in der es Supervisoren in Ausbildung an Orientierung mangelt, da die Erfolgskriterien des Ausbildungsinstituts nicht transparent genug sind bzw. gemacht werden. Oder zwar allseitig bekannt sind, aber nicht angewendet werden (Dürr-­Feuerfein, 1997). Des Weiteren kommt es immer wieder vor, dass Supervisoren in Ausbildung von ihren ausbildenden Supervisoren zu selten oder zu wenig konkrete Rückmeldungen über ihre Fortschritte erhalten – z. B. deshalb, weil diese Evaluationskonflikte vorhersehen, die sie sich auszutragen scheuen.

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Mögliche Verstrickungen Es gibt zahlreiche Varianten, wie sich die ausbildenden Supervisoren mit ihren Supervisoren in Ausbildung verstricken können, nicht zuletzt dadurch, dass sich Ausbildungen besonders als Feld für Übertragungen und Gegenübertragungen eignen: So kommt es nicht selten vor, dass ein Supervisor in Ausbildung seine negativen lebensgeschichtlichen Erfahrungen mit Autoritätsfiguren an seinem ausbildenden Supervisor abzuarbeiten versucht, worauf der mit einer scharfen Gegenaggression reagiert, die keine Verständigung mehr zulässt. Nicht selten, wenn auch oft übersehen, ist der »Laios-Komplex«: Ein ausbildender Supervisor engagiert sich für einen seiner Supervisoren in Ausbildung besonders, weil er sich in ihm – unbewusst – gespiegelt sieht, erwartet dafür aber – unbewusst – Dankbarkeit, die darin besteht, ihn zu idealisieren. Handelt der Supervisor in Ausbildung stattdessen eigensinnig, wird er – unabhängig davon, wie gut seine fachlichen Gründe auch sein mögen – plötzlich entwertet. Ausbildungsinstitute benötigen Orte und Verfahren, wie solche Verstrickungen jenseits des bestehenden institutionellen Machtgefälles geklärt werden können. Wenn Institute dazu tendieren, auftretende Schwierigkeiten wie selbstverständlich den Supervisoren in Ausbildung anzulasten, darf dies als Symptom einer Machtdemonstration der Institution gelten, die meist zu einem kontraproduktiven Verlust institutionellen Vertrauens führt. Ausbildende Supervisoren und Supervisorinnen tragen eine große Verantwortung. Zugleich ziehen sie Projektionen auf sich, die es für sie nicht immer leicht macht, die Realität zu erkennen. Deshalb ist es in einem Ausbildungsinstitut zum einen angebracht, den Status eines ausbildenden Supervisors nur nach sorgfältiger Prüfung zu vergeben, und zum anderen dafür zu sorgen, dass sich die ausbildenden Supervisoren regelmäßig selbstkritisch über ihre Erfahrungen austauschen.

Realitätsprüfung Auch wenn eine Ausbildungssupervision mit einem Zertifikat abschließt, ist der Lernprozess dann noch längst nicht beendet, denn er hält – auch wenn die Formel abgedroschen sein mag – ein Berufsleben lang an. Dabei lassen sich verschiedene Entwicklungsphasen feststellen, die für die Entwicklung von Psychotherapeuten bereits plausibel gemacht worden sind (Ronnestad u. Skovholt, 2003). Vergleichbare Untersuchungen liegen für die Entwicklung von Super­ visoren nicht vor, Parallelen dürften aber höchst wahrscheinlich sein.

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So ist anzunehmen, dass kein Supervisor seine Berufslaufbahn mit einem gut begründeten individuellen Supervisionsstil beginnt. Ein solcher braucht Zeit, um sich herauszubilden, wobei die Bewältigung von Orientierungskrisen zumeist entwicklungsfördernde Erfahrungen sind. Und solche Krisen bleiben schon deshalb nicht aus, weil in der Ausbildung nur unzureichend antizipiert werden kann, was der Berufsalltag an Herausforderungen mit sich bringt. Mag die Praxis auch nur in seltenen Fällen ein Schock sein, so kommt kein Super­ visor darum herum, seine Gratifikationen zu bilanzieren, die ihm der Beruf bietet. Oftmals startet er mit Idealisierungen, die enttäuscht werden, aber dadurch dem Realitätssinn freie Bahn verschaffen. Erfahrungsgemäß sind es nicht die »Highlights« im Beruf, die die Berufszufriedenheit eines Supervisors ausmachen, sondern die mittleren Erfolge, die er über alle seine Fälle hinweg erzielt und ihm ein Gefühl der Selbstwirksamkeit verschaffen. In dieser Hinsicht sind ausbildende Supervisorinnen und Supervisoren dann hinreichend gut, wenn es ihnen gelingt, ihren Supervisoren in Ausbildung nicht nur Theorie und Praxeologie der Supervision zu vermitteln, sondern darüber hinaus auch die enttäuschungsfeste Überzeugung, dass sich der Beruf – Verdienstmöglichkeiten einmal beiseite gestellt – persönlich lohnt. Ausbildende Supervisoren sind insofern immer auch Vorbilder für eine identitätsstiftende berufliche Lebensführung.

Typologie ausbildender Supervisoren und Supervisorinnen Einem prominenten Modell zufolge (Habermas, 1976) lassen sich strukturell drei Identitätsformationen unterscheiden: präkonventionell, konventionell und postkonventionell. Als Typen von ausbildenden Supervisoren betrachtet, ergibt sich folgendes Bild: ȤȤ Ein präkonventionell ausbildender Supervisor erhebt seine idiosynkratische Vorstellung von Supervision zum »Gesetz«, auf das er seinen Supervisor in Ausbildung verpflichtet, ohne zu begründen, was er für richtig erachtet. Er verlangt bedingungslose Loyalität und nötigt ihn, sich kritiklos mit ihm zu identifizieren. ȤȤ Ein konventionell ausbildender Supervisor versteht sich als Repräsentant der Vorstellungen eines bestimmten Ausbildungsinstituts oder einer bestimmten Supervisions»schule«. Folglich ist er fähig und bereit, zu begründen, was er für richtig erachtet, und er leitet seinen Supervisor in Ausbildung an, in diesem konzeptionellen Rahmen zu denken. Dieser erhält dadurch eine sichere Orientierung, die von vielen Gleichgesinnten geteilt wird, was ihm ein star-

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kes Gefühl der Zugehörigkeit verschafft. Allerdings setzt sie den Supervisor in Ausbildung unter einen starken Konformitätsdruck, der verlangt, keine Innovationen zuzulassen oder sie wenigstens soweit zu begrenzen, dass sie eine stabile berufliche Selbstgewissheit nicht gefährdet. ȤȤ Ein postkonventionell ausbildender Supervisor ist weder mit Idiosynkrasien noch mit Gruppendenken identifiziert. Er orientiert sich und seine Supervisorinnen und Supervisoren in Ausbildung am Supervisionsdiskurs, der weder Theorien noch Praxeologien für sakrosankt erklärt, sondern beide für begründete Veränderungen offenhält. Deshalb gilt es, vorhandene Wissensbestände fortlaufend einer konstruktiven Kritik zu unterziehen, die sich sowohl aus neuen Erfahrungen als auch aus Befunden der Supervisionsforschung speist (Haubl, 2009). Insofern verbindet er die »Community of Practice« mit der »Community of Science«, ohne die eine gegen die andere auszuspielen. Wohl wissend, dass es für die meisten Probleme, die in Supervisionen zur Sprache gebracht und in Szene gesetzt werden, keine Standardlösungen gibt, ermutigt er seine Supervisoren in Ausbildung zu innovativen Lösungen, die unkonventionell, aber nicht willkürlich sein dürfen. Aus der Sicht von Ausbildungsinstituten sind die Arbeitsbeziehungen zwischen den ausbildenden Supervisorinnen bzw. Supervisoren und ihren Supervisoren in Ausbildung die intergenerationellen »Hotspots« ihres Bestandes. Um die Zukunft der Supervision offenzuhalten, bedarf es eines produktiven Abgleichs zwischen Tradition und Innovation. Dem sollten postkonventionell ausbildende Supervisoren am besten gerecht werden. Auch wenn dies plausibel erscheint, muss doch festgehalten werden, dass empirische Daten fehlen, die es aber braucht, um die Institute als »lernende Organisationen« (Argyris u. Schön, 1999) zu entwickeln.

Nachbemerkung Wenn die Protagonisten, um die es in diesem Text geht, als »ausbildender Supervisor« bzw. »ausbildende Supervisorin« und »Supervisor in Ausbildung« bzw. »Supervisorin in Ausbildung« bezeichnet werden, dann mag das ungelenk sein, intendiert aber eine bewusste Absetzung gegenüber den Begriffen, die ursprünglich aus der Psychoanalyse übernommen wurden: So ist aus dem »Lehranalytiker« der »Lehrsupervisor« und aus dem »Kontrollanalytiker« der »Kontrollsupervisor« geworden. Die Begriffe unterscheiden zwei Funktionen: Lehren und Kontrollieren. Zugleich werfen sie die Frage auf, wie beide einander durchdringen.

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Nicht, dass sich die Übernahme der Begriffe nicht legitimieren ließe. Da die Semantik die Begriffe liefert, aber oftmals unreflektiert das Bewusstsein derer prägt, die sie selbstverständlich zu gebrauchen lehren und lernen, bedarf es einer kritischen Überprüfung, ob das Bild, das sie von der Welt entwerfen, der Realität entspricht, wie sie hier und heute in Erscheinung tritt, oder auch: wie sie morgen sein soll. So gesehen, ist Begriffskritik eine unverzichtbare Übung. Was also gibt es an den übernommenen Begriffen zu kritisieren? Und zwar nicht nur aus der Perspektive der Supervision als einer arbeitsweltbezogenen professionellen Beratungsform, denn in der anhaltenden Diskussion um die psychoanalytische Ausbildung finden sich vergleichbare Überlegungen (Streeck, 2014, sowie das einschlägige Themenheft der Zeitschrift »Psyche«, 11/2014: »Psychoanalytische Ausbildung kontrovers«). Wer einen Ausbildenden als »Lehranalytiker« bzw. »Lehrsupervisor« bezeichnet, läuft Gefahr, den Lernprozess, den ein Auszubildender bzw. eine Auszubildende durchläuft, als Belehrung zu verstehen: Demzufolge lehrt ein Lehrer bzw. eine Lehrerin in einem Selbstverständnis, selbst nichts mehr lernen zu müssen, da er bzw. sie fertiges Wissen weitergibt, das nicht zu bestreiten ist. Eine solche Position gilt inzwischen als überholt. So wie die Moderne insgesamt auf eine ständige Erweiterung von Mitspracherechten abstellt, sind alle Lernprozesse als deliberative Co-Konstruktionen anzusehen, in denen eine Berufung auf Statusprivilegien zu Recht als defizitäre Komplexitätsreduktion gebrandmarkt wird. Dennoch sind Erfahrungsunterschiede nicht zu leugnen. Folglich kann es nicht darum gehen, Lehrer – ob als Lehranalytiker oder als Lehrsupervisor – abzuschaffen, sondern auch den Lehrer als Lernenden und den Lernenden als Lehrer zu institutionalisieren. Diese »Demokratisierung« trifft insbesondere die Vorstellung von Kontrolle, wie sie als »Kontrollanalyse« und »Kontrollsupervision« begrifflich gefasst ist. Kontrollieren heißt, eine Grenze zwischen »richtig« und »falsch« zu ziehen und alles vermeintlich Falsche als deviant zu sanktionieren, um dadurch alles vermeintlich Richtige zu verteidigen. Da es sich dabei um Zuschreibungen handelt, bleibt prinzipiell strittig, wo die Grenze verläuft. Aber statt eine Kontroverse auszutragen, die von der Annahme ausgeht, dass Devianz immer auch eine erkenntnisproduktive Herausforderung des Status quo sein kann, wird sie als Bedrohung markiert und schnellstens unterbunden: Machterhalt bremst den möglichen Erkenntnisfortschritt. Freilich hat Kontrolle auch ihre Berechtigung. Stellt sie sich in den Dienst einer ergebnisoffenen Qualitätssicherung, die den Supervisor in Ausbildung nicht dazu zwingt, sich zu unterwerfen, sondern seine Wahrnehmungen der Ausbildungspraxis als hilfreiches Korrektiv anerkennt, schützt sie vor Willkür.

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Die besondere Konstellation von Triaden im Ausbildungssystem

The special constellation of triads in the training system Triangular contracts are standards of good consulting, yet. Not only they clarify expectations, objectives and resources among all partners, but also they give directions to the consulting processes and link relevant information to the organisation in such a way that this as a whole can learn from it.   It is widely accepted, that the commissioning organisations, the consultation-seeking clients and the supervisor sign agreements that unite the expectations and aims of the participants in such a way that the tasks of the organisation, the quality of task performance and the capacity of all collaborators are being reflected, evaluated and improved. Only by means of a contract, a consulting systems can be installed, which steer the consulting process by substantive and formal agreements.   This article deals with the different triangles in the training system for junior supervisors: Based on the formal and process-related design of the triangles, it examines how supervision-on-supervision is integrated into the supervision training system as a whole.   At first, an understanding of supervision-on-supervision is described, and the triads are outlined as a fundamental structure and the underlying concept of contracts. Based on this, the structural design and the control of the diverse triads in the supervision-on-supervision are described, as well as the triadic competence of all participating partners. Zusammenfassung Dreieckskontrakte gehören heute zu den Standards guter Beratung. Mit Dreieckskontrakten werden nicht nur Erwartungen, Ziele und Ressourcen mit allen Beteiligten geklärt, sondern auch Beratungsprozesse gesteuert und relevante Informationen an die Organisation so zurückgekoppelt, dass auch die Organisation als Ganzes daraus lernen kann.   Es ist mittlerweile selbstverständlich, dass die beauftragende Organisation, die ratsuchenden Kunden und der Supervisor Vereinbarungen schließen, die die Erwartungen und Ziele der Beteiligten so verbinden, dass die Aufgabe der Organisation, die Qualität der Aufgabenerfüllung und die Arbeitsfähigkeit aller Mitarbeitenden reflektiert, überprüft und verbessert werden. Mit den Kontrakten konstituieren sich erst Beratungssysteme, die mithilfe der inhaltlichen und formalen Vereinbarungen den Beratungsprozess steuern.   Der Beitrag beschäftigt sich mit den verschiedenen Dreiecken im Ausbildungssystem und betrachtet anhand der formalen und prozessbezogenen Gestaltung der Dreiecke die Einbindung der Lernebene Lehrsupervision in das Ausbildungssystem als Ganzes.   Zunächst wird das Verständnis von Lehrsupervision beschrieben, die Triade als Grundstruktur dargestellt und das hier zugrundeliegende Verständnis von Kontrakten skizziert, um darauf aufbauend die Anforderungen an die strukturelle Gestaltung und Steuerung der vielfältigen Triaden in der Lehrsupervision und an die triadische Kompetenz der am Kontrakt Beteiligten zu beschreiben.

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Das Verständnis von Lehrsupervision Das Programm1 Ausbildungssupervision hat sowohl in der Hochschulausbildung der Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, in der Ausbildung von Psychotherapeuten und Psychoanalytikern (Lehrtherapie/Lehranalyse) und der Lehrsupervision für angehende Supervisoren eine lange Tradition und spielt in der Supervisionsausbildung als eigenständige Säule von Beginn an eine herausragende Rolle. Bei näherer Betrachtung sowohl der Literatur als auch in der Praxis der Institute sind die Konzepte von Lehrsupervision und die Gestaltung der Zusammenarbeit zwischen Ausbildungsinstitut und Lehrsupervisoren sehr verschieden. Deshalb wird zunächst das hier zugrunde liegende Verständnis von Lehrsupervision skizziert. Lehrsupervision ist die professionelle Begleitung, Anleitung und Kontrolle von Ausbildungskandidaten mit dem Ziel, das Beratungsformat Supervision zu lernen, die dazugehörende professionelle Identität und Rolle zu entwickeln, die ersten Praxisfälle mit Fallsupervision zu begleiten, fachlich zu unterstützen und zu kontrollieren und den Kunden trotz Ausbildungssupervision eine gute Leistung zu garantieren (Rappe-Giesecke, 2009; Wertz-Schönhagen, 2015). Lehrsupervision muss dafür viele Dimensionen und somit auch Verfahren integrieren und unterscheidet sich dadurch sehr wesentlich von der berufs­ begleitenden Supervision. Die Lehrsupervision verbindet ȤȤ Wissensvermittlung und Instruktion, ȤȤ Selbstreflexion und Selbsterfahrung, ȤȤ Identitätsbildung und Rollenklärung, ȤȤ Training/Übung/Vorbereitung der eigenen Praxis, ȤȤ Reflexion und Nachbetrachtung der eigenen Praxis, ȤȤ Kontrolle einer guten Leistung für den Kunden. ȤȤ Außerdem haben die Lehrsupervisoren und -supervisorinnen für die Lernenden Modellcharakter. Für die Bearbeitung der genannten Themen werden Verfahren aus der berufs­ bezogenen Supervision (wie die Rollenberatung, die persönliche und soziale Selbstthematisierung und Fallsupervision) mit Wissensvermittlung und Trainings­elementen kombiniert. Lehrsupervisoren sollten zudem erfahrene Praktiker mit einem aufgearbeiteten Erfahrungswissen und aktuellen Kenntnis1 Als Format wird Supervision wie seine Nachbarprofessionen, z. B. Konfliktmanagement und Organisationsberatung, bezeichnet. Programme bezeichnen die unterschiedlichen Bereiche in einem Format, wie die berufsbegleitende, die kooperationsbezogene, die rollenbezogene Supervision und die Ausbildungssupervision.

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sen zum fachlichen Diskurs sein. Sie unterstützen Berufsanfänger in der Aneignung der professionellen Rolle mit Fachkenntnis, supervisorischer Kompetenz, Rollenspiel- und Trainingskompetenz und dem Ansatz, den Nachwuchs in die Profession gut einzuführen, indem man sie an den eigenen Erfahrungen teilhaben lässt. In der Lehrsupervision wird genau das praktiziert, was gelernt werden soll. Die erlebte Wirkung der Steuerung, der Verfahren und eingesetzten Methoden bietet eine hervorragende Basis für die Reflexion und das Modelllernen. Je offener der Lehrsupervisor die eigenen Methoden und Steuerungskriterien transparent macht, umso vielfältiger lässt sich auf dieser Ebene lernen. Ausbildungssupervision ist nicht nur inhaltlich anspruchsvoll, sondern außerdem ein hochkomplexes Kommunikationssystem, bestehend aus den Hochschulen/Ausbildungsinstituten als Institution, ihren Dozenten als Ausbilder und Ausbilderinnen, den Lehrsupervisoren, den Teilnehmenden der Weiterbildung und ihren Kunden, den Supervisanden und Supervisandinnen. Die Einbindung der Lehrsupervisorin in dieses Kommunikationssystem stellt große Anforderungen an die Rollenklarheit und den Umgang mit Transparenz/­ Vertraulichkeit und verbietet jede Form von Kontextvermischung. Aus der umfassenden Studie von Herbert Effinger (2002) zur Ausbildungssupervision lassen sich Standards und Qualitätskriterien für Lehrsupervision ableiten, die die bereits genannte Definition und die aufgeführten Anforderungen unterstreichen. Die Kriterien klären die Einbindung der Lehrsupervision in das Ausbildungssystem, die personelle Besetzung der Lehrsupervisoren und die Verteilung der Anteile an Selbstreflexion, Wissensvermittlung und -aneignung, Anleitung, Übung und Kontrolle. Im Wesentlichen lassen sich folgende Kriterien für die Lehrsupervision beschreiben: ȤȤ Es gibt eine konzeptionelle und methodische Klarheit, wie das Mischungsverhältnis zwischen Reflexion/Prozessbegleitung einerseits und Wissensvermittlung und Kontrolle gestaltet wird, um die Erwartungen des Instituts und das Selbstverständnis des Lehrsupervisors in Einklang zu bringen. Diese Erwartungsklärung ist der Teil der Kontraktgestaltung. ȤȤ Lehrsupervisoren und -supervisorinnen sind unabhängig vom Ausbildungsinstitut und dort in keiner bewertenden Rolle. Sie achten auf die Qualität für den Kunden. Für grobe Qualitätsmängel, fachliche und ethische Probleme und Konflikte liegen Verfahrensregelungen des Instituts vor. ȤȤ Trotz der Eigenständigkeit der Lehrsupervision sind die Lehrsupervisoren nicht abgekoppelt von dem Ausbildungssystem als Ganzem. Es sollte eine klare, für alle transparente Vereinbarung zur Offenheit und Verschwiegen-

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heit geben und darüber, wie mit Informationen zwischen Institut und Lehrsupervisoren umgegangen wird. Die Qualifikationen der Lehrsupervisoren unterscheiden sich von praktizierenden Supervisoren. Meist sind es erfahrene Praktikerinnen und Praktiker, »Meister ihres Faches«, wie Kornelia Rappe-Giesecke (2009) sie nennt. Der Zeitpunkt der beginnenden Lehrsupervision sollte von den Teilnehmenden entsprechend dem Beginn ihrer eigenen Praxis selbst bestimmt werden können. Die Größe der Gruppe, der Sitzungsrhythmus und -umfang muss so gestaltet sein, dass eine tatsächliche reflexive Begleitung der ersten eigenen Praxisfälle möglich ist und Themen der Rollen- und beruflichen Identitätsklärung zusätzlich bearbeitet werden können. Ein weiteres Kriterium bezieht sich auf die freie Wahl des Supervisors bzw. der Supervisorin. Ein Zwangskontext kann die Bereitschaft zur Reflexion, Offenheit und Selbstklärung beeinflussen und die Lernmöglichkeiten einschränken.

Aus den oben genannten Definitionen von Lehrsupervision und ihren Kriterien ergeben sich Erwartungen an das System Lehrsupervision, die mit Kontrakten und transparenten Vereinbarungen geregelt werden sollten.

Triaden – die besondere Konstellation von Dreiecken »Die Vorstellung, Triaden als Grundelemente therapeutischen und beraterischen Arbeitens und Denkens zu nutzen, reicht weit in die Geschichte menschlicher Interaktion zurück und findet sich in vielen Beratungs- und Psychotherapieansätzen wieder. […] Die Fähigkeit zur gesunden Triangulierung ist lange bekannt als Form der Überwindung symbiotischer Beziehungsmodi und Basis für vollständige Entwicklung« (Rieforth, 2006, S. 3). So beschreibt Josef Rieforth in der Einleitung zum Tagungsband »Triadisches Verstehen in sozialen Systemen – Gestaltung komplexer Wirklichkeiten« den Kernpunkt des triadischen Ansatzes. Die zunehmende Beachtung der Dimension des Dritten lässt sich mit den Gestaltungsanforderungen immer komplexerer Wirkungszusammenhänge erklären. »Menschen müssen lernen, triadisch zu verstehen und zu handeln, sie sind aufgefordert, sowohl in sich ›als auch zwischen sich‹ dem Sog der Spaltung und Vereinfachung zu widerstehen und immer wieder neu um trianguläre Räume zu ringen« (Tietel, 2006, S. 62). Das triadische Denken und triadische Modelle schaffen ein Verständnis, das elementare logische Denken zwischen

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ja/nein, entweder/oder zu ergänzen und durch die Erweiterung um eine dritte Dimension einerseits komplexer zu machen und anderseits die Komplexität durch die Zuspitzung von komplexen Sachverhalten auf diese wiederum schlichte Dreiecksstruktur zu reduzieren (vgl. Michael Giesecke: unter www. triadisches-denken.de und www.triadische-beratung.de). Ob man nun soziologische, philosophische, systemische oder psychoanalytische Erklärungen heranzieht – in allen Konzeptionen geht es um die konstruktive Gestaltung der Triade als Grundform des Sozialen. Murray Bowen beschreibt das Dreieck als »basalen Baustein jedes emotionalen Systems, sei dies in einer Familie oder irgendeiner anderer Gruppe« (zit. nach Simon, ­Clement u. Stierlin, 1999, S. 329). Beginnend bei der Familie, der primären Triade und »vermutlich einflussreichsten unter allen Sozialsystemen« (Satir, Banmen, Gerber u. Gomori, 2011, S. 35) bezeichnet die Triade eine Gruppe von drei aufeinander bezogenen Elementen, die zusammen eine Einheit bilden und – wenn wir Virgina Satir und Kollegen weiter folgen – die schwierigste aller Beziehungen darstellt.

Die Herausforderung in der Gestaltung von Dreiecken Bündnisse und Koalitionen stellen ein Grundmuster der Konfliktlösung von Werte-, Bedürfnis- und Interessenunterschieden dar. Eine Partei versucht durch ein Bündnis mit einem Dritten ihre Interessen zu stärken. Ein weiteres Muster für die Lösung von Wertedifferenzen und Konflikten ist die Delegation: Ein Mitglied der Triade zeigt ein Problem auf bzw. wird dazu delegiert und ermöglicht dadurch den Zusammenschluss der anderen. Dies sind allerdings defizitäre, misslingende Triaden, die in ihrer Konsequenz dazu führen, dass sich die Triade wieder zu einer Dyade reduziert, »womit der binäre Schematismus des ›Entweder-Oder‹ wieder in sein Recht tritt« (Tietel, 2006, S. 70). Die triadische Konstellation ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder in einem Dreieck sowohl Teil einer Beziehung als auch gleichzeitig Beobachter der Beziehung der beiden anderen ist. In der Bobachterposition erscheint er zunächst ausgeschlossen aus dem System. So haben wir das charakteristische Zugleich von Beziehung und Ausschluss aus der Beziehung, das bewusst zu gestalten ist. So muss der Supervisor anerkennen, dass der oder die Vorgesetzte und der Supervisand eine Beziehung miteinander haben, von der er ausgeschlossen ist. Als Supervisor hat er wiederum Beziehungen mit dem Vorgesetzten wie auch mit dem Supervisanden und muss diese Verbindungen so gestalten, dass der jeweils Abwesende nicht ausgeschlossen wird.

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Daraus ergibt sich für eine gelingende triadische Balance, dass der Dritte in der Begegnung der beiden trotzdem Teil davon ist. Die triadische Qualität zeigt sich daran, dass die Interessen und Bedürfnisse des Dritten trotz Abwesenheit anwesend sind und diese beachtet und bestenfalls berücksichtigt werden: »Das ›Jenseits‹ der Koalition beginnt da, wo ein Akteur gewillt und in der Lage ist, gleichzeitig mit zwei eigenständigen oder gar auseinanderstrebenden Parteien gute Beziehungen zu unterhalten. […] Berater sind in ihrer Fähigkeit, den Winkel in organisatorischen Dreiecksverhältnissen zu halten, ständig gefordert« (Tietel, 2011, S. 14). Elisabeth Fivaz-Depeursinge und Antoinette Corboz-Warnery (2001) konzipieren anstelle der defizitorientierten Modelle der Triangulierung eine positive Beschreibung der gelingenden Dreiecksgestaltung. So gelingt ein Anschluss der psychoanalytischen und familientherapeutischen Konzepte an die positiv konnotierte Beschreibung der Triangulierung als Fähigkeit, die Bezogenheit zu dritt zu halten. Die Autorinnen nennen vier Funktionen, die alle Beteiligten erfüllen müssen, damit der trianguläre Rahmen gelingt: »Alle Partner müssen einbezogen sein, sie müssen sich an ihre Rollen halten, sie müssen einen gemeinsamen Fokus herstellen und affektive Abstimmung aufrechterhalten« (Fivaz-Depeursinge u. Corboz-Warnery, 2001, S. 245). Sie beschreiben parallel verlaufende Ebenen, die ich hier verallgemeinere, um sie auf Supervisionsprozesse beziehen zu können. ȤȤ Die Funktion des Systems definiert sich durch die Aufgabe. ȤȤ Um die Aufgabe zu erfüllen, ordnet ein System mithilfe des triangulären Rahmens seine Elemente in eine für die Aufgabenerfüllung sinnvolle Struktur. ȤȤ Um Abweichungen korrigieren zu können, benötigt das System eine prozesshafte Dynamik der Korrektur und Anpassung. ȤȤ Die Anpassung an und die Förderung von Entwicklungs- und Lernprozessen der Einzelnen und des Systems als Ganzem werden ebenfalls über Rückkopplungsprozesse gestaltet. ȤȤ Die Interaktion von System und Umwelt sowie die Durchlässigkeit und das Sich-Verschließen gegenüber der Umwelt müssen gestaltet werden.

Die persönliche triadische Kompetenz der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren »Mit triadischer Kompetenz ist also die Fähigkeit gemeint, die in den Beziehungsdreiecken der Organisation auftretenden Widersprüche, Konflikte, Ambivalenzen und Paradoxien auszuhalten und zu balancieren, ohne in eine Richtung zu vereinfachen oder den Kontakt nach einer Seite hin abreißen zu lassen« (Tietel,

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2009, S. 147). Einem professionellen Lehrsupervisor gelingt es, mit Dysbalancen in Dreiecken aufmerksam, allparteilich und ressourcenorientiert umzugehen. Er ergreift nicht Partei und schafft durch das Verstehen der unterschiedlichen Interessen ein Modell, mit Konflikten und Spannungen produktiv umzugehen. Der Lehrsupervisor gestaltet den triangulären Raum als Raum, der den Dritten und das Dritte immer mitbedenkt und selbst in aufgeladenen affektiven Situationen die Bezogenheit zu dritt entwickeln und halten kann. Das verlangt als triadische Kompetenz von ihm, die Beziehungen mit den Beteiligten so zu gestalten, dass trotz Abwesenheit und Ausschluss die Interessen und Erwartungen aller Beteiligten gewahrt und berücksichtigt und keine Lösungen auf Kosten eines Abwesenden entwickelt werden. Weder die Interessen und Ausbildungsanforderungen des Instituts, die Qualitätsanforderungen der DGSv, noch die Kundeninteressen der Supervisanden und nicht zuletzt die persönlichen Lernund Entwicklungsinteressen der Lehrsupervisanden werden trotz Ambivalenzen, Widersprüchen oder Konflikten prämiert und auf Kosten anderer Interessen bevorzugt bearbeitet. Triadische Kompetenz bedeutet auch, die eigenen biografischen Prägungen aus den familiendynamischen Mustern der Ursprungstriade Familie zu kennen und sich ihrer bewusst zu bleiben. Diese komplexe Wahrnehmung verlangt von der Lehrsupervisorin die mehrperspektivische Beobachtung der eigenen Gefühle, Gedanken, Assoziationen und inneren Modelle, die Beobachtung von sich selbst in Beziehung zu den anderen und die Beobachtung der Beziehung der anderen zueinander und zusammen als gemeinsames System mit seinen Mustern. Die vielfache Loyalität, Allparteilichkeit, Abstinenz und Fähigkeit der Suspendierung ungeprüfter Erklärungen und Bewertungen können als Voraussetzungen für die triadische Kompetenz bezeichnet werden. Zu all dem kommt dem Lehrsupervisor auch noch eine Doppelfunktion zu. Er ist zugleich der interpersonelle Dritte im Lehrsupervisionssetting, bestehend aus Lehrsupervisandin, Ausbildungsinstitut und ihm und gleichzeitig »auch Verkörperung eines strukturellen Dritten« (Tietel, 2009, S. 147), indem er für den Rahmen, das Setting, die transparente Kommunikation zum Institut und die Ausrichtung auf die Aufgabe sorgt.

Kontrakte konstituieren und steuern Beratungssysteme Aufträge klären, Ziele setzen, das Vorgehen vereinbaren und Kontrakte schließen sind ein durchgängiges Prinzip und Steuerungsinstrument von Beratungs-,

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Lern- und Entwicklungsprozessen. Nur wer sich Ziele setzt, kann später einen Unterschied bewerten. Der Kontrakt ist ein Steuerungsinstrument, mit dessen Hilfe der Kurs bestimmt, immer wieder überprüft und korrigiert werden kann. Gute Kontrakte geben Orientierung über die Inhalte und Ziele, geben Sicherheit und Klarheit im Hinblick auf das, worauf man sich einlässt. Sie klären die Arbeitsteilung, die Verantwortlichkeiten, die Arbeitsweise, bemessen Ressourcen und sorgen für transparente Absprachen mit allen Beteiligten. In den Auftragsklärungs- und Kontraktgesprächen werden alle notwendigen Aspekte für die Konstituierung dieses neuen Systems besprochen, verhandelt und vereinbart. Die Kontraktphase stellt insofern eine Klärungs- und Verhandlungsphase zweier oder mehrerer Verhandlungspartner dar. Damit auch die Organisationen von der Supervision profitieren können, sind transparente Verfahren zur Rückkopplung von Informationen wichtig. Werden strukturelle Aspekte in der Supervision als hinderlich für die Aufgabenerfüllung identifiziert, kann die Organisation diese nur ändern und selbst lernen, wenn diese Informationen aus der Supervision an die Organisation rückgekoppelt werden. Deshalb sind Dreieckskontrakte in der Beratung so bedeutsam, weil sie diese Rückkopplungsprozesse regeln. In Beratungsprozessen muss deshalb für die Schließung von Rückkopplungsschleifen gesorgt werden. Aus diesem Grunde werden Vertreter der Organisation in die Zielklärung, den Kontrakt, die Zwischenbilanzen und zur Evaluation einbezogen. Dadurch entsteht ein lernfähiges System. Folgende Grundsätze haben sich im Zusammenhang mit Dreieckskontrakten bewährt: ȤȤ Im Fokus steht immer die Handlungsfähigkeit des zu beratenden Systems und der Organisation – also die Leistung für den Kunden der Organisation. ȤȤ Die Loyalität der Supervisoren gilt der Aufgabe und dem Auftrag der Organisation. Der Supervisor ist deshalb allparteilich und arbeitet für das Team und für die Organisation. ȤȤ In Supervisionen können strukturelle Hintergründe von Problemen und Konflikten deutlich werden. Durch Rückkopplungen aus der Supervision erhält die Organisation wichtige Informationen zur Verbesserung ihrer Struktur und Kommunikation. Eine lernende Organisation ist daran interessiert, Quellen der Ineffektivität aufzuspüren und ihre Strukturen entsprechend zu verändern (Senge, 1996). ȤȤ Deshalb gilt in Bezug auf die Transparenz und Verschwiegenheit der Leitsatz: Es besteht Verschwiegenheit in Bezug auf persönlichen Themen und Offenheit in Bezug auf strukturelle und strategische Themen.

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Die Gestaltung des triangulären Rahmens im System Lehrsupervision durch Kontrakte Die Lehrsupervision ist Teil eines Ausbildungssystems, bestehend aus dem Ausbildungsinstitut/der Hochschule, den Lernenden/Studierenden, den Dozenten und Dozentinnen, den Lehrsupervisoren und den Kunden/Klienten des Lehrsupervisanden. In diesem System haben wir es mit mehreren Dreiecken zu tun, die alle beachtet und in eine aufeinander bezogene Struktur gebracht werden sollten (siehe Abbildung 1). Obwohl die Lehrsupervisoren direkt nur in zwei Triaden eingebunden sind, sollten sie die anderen Triaden mitbetrachten und strukturell aufeinander beziehen. Die Lehrsupervisanden sind Teil aller Triaden und erhalten durch das Modell der Lehrsupervisorin Anregungen, wie ein Lernen und Ringen um eine triadische Haltung in einer solchen Komplexität möglich ist. Lehrsupervisoren sorgen für das Lernen und die Entwicklung der Lehr­ supervisanden, für die Fachlichkeit und den Nachwuchs in der Profession, für die Qualität dem Kunden bzw. Klienten gegenüber, für die Einhaltung der Konzepte und Regeln des Ausbildungsinstituts und darüber hinaus für die Wahrung eigener Qualitätsansprüche und berufsethischer Normen. Diese mehrfache Loyalität und die Einbindung in ein übergreifendes Ausbildungssystem haben vielerlei Konsequenzen. Lehrsupervisor

Institut Lehrsupervison

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Professionsentwicklung, Qualität

Teilnehmer

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Ausbildungslehrgang

Lernsupervison

DGSv Kunden/Klienten

Abbildung 1: Die Lehrsupervision als mehrfaches Dreieckssystem

Ausbilder/Dozenten Organisation

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Im Ausbildungssystem besteht die Anforderung an Kontrakte nicht nur im Einbezug des Dritten, sondern auch in der Gestaltung und Verbindung aller Triaden. Mithilfe von Kontrakten wird die strukturelle Bezogenheit der verschiedenen Triaden zueinander und damit der trianguläre Rahmen geschaffen. Die oben bereits erwähnten, von Fivaz-Depeursinge und Corboz-Warnery beschriebenen Ebenen werden in den Kontrakten verhandelt und vereinbart, damit sie von allen Beteiligten erfüllt werden können. ȤȤ Der Kontrakt und die Konstituierung des Systems Ausbildung und Lehrsupervision definiert sich über die Aufgabe, den Nachwuchs auszubilden, in die Rolle einzuführen, für Professionalität zu sorgen und die Qualität für den Kunden zu sichern. Darauf sind alle an der Ausbildung Beteiligten bezogen und füllen ihre Rolle entsprechend aus. ȤȤ Die für die Aufgabenerfüllung notwendigen Funktionen, Rollen, Strukturen und die verbindende Kommunikation werden so angeordnet, dass alle ihrer Aufgabe gut nachkommen können und die jeweils anderen mitberücksichtigen können. ȤȤ Für die Lernfähigkeit der Organisation in Bezug auf Konzepte, Ausbildungsstruktur, Qualität und Kommunikation wird eine Kommunikation verabredet, die sowohl die Offenheit für die notwendige Rückkopplung als auch die Verschwiegenheit für den persönlichen Schutz der Kunden und Ausbildungskandidaten sicherstellt. Alle Prozesse sind als lernfähige, geschlossene Rückkopplungsschleifen angelegt. ȤȤ Der Austausch mit anderen Instituten, die Qualitätskontrolle, die Fach­ gespräche durch den Berufsverband, der Kontakt und Austausch mit der Fachöffentlichkeit werden bewusst gestaltet. Für die Kontraktgestaltung macht dies einen gravierenden Unterschied zur berufsbegleitenden Supervision, da die Lehrsupervisoren in einen Rahmenkontrakt eingebunden werden, der sowohl die Umsetzung der Ausbildungsziele als auch das Verständnis von Lehrsupervision, die Anforderungen der DGSv, die Kontrolle der Qualität für den Kunden und die Unterstützung und Begleitung der Lernenden im Blick behält. Das hat Folgen für die Handhabung von Verschwiegenheitsvereinbarungen und die Vernetzung mit allen Beteiligten. Für die Lehrsupervision bedeutet das im Idealfall: ȤȤ Im Fokus stehen das Lernen und die Ausbildung des Nachwuchses, die Entwicklung der Profession und die Qualität, sowohl für die Teilnehmenden als auch für ihre Kunden. ȤȤ Die Loyalität der Lehrsupervisoren gehört allen Kontraktbeteiligten und allen an der Ausbildung Beteiligten gleichermaßen. Sie kennen und fördern

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die Ausbildungsgrundsätze des Ausbildungsinstituts, sie unterstützen den Nachwuchs, fördern dessen Handlungskompetenz in der neuen Rolle und achten auf eine qualifizierte Leistung für die Kunden. Es besteht eine Trennung von Ausbildungsinstitut/Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren. Ein Pool an ausgewählten Lehrsupervisoren steht zur Verfügung, unter denen die Teilnehmenden frei wählen können. Die Lehrsupervisoren und Lehrsupervisorinnen kennen das spezifische Konzept des Lehrgangs und orientieren sich an den Lerninhalten des Ausbildungsinstituts. Es gibt eine Verständigung über dieses Konzept und das Beratungsverständnis. Die Erwartungen des Instituts und das Selbstverständnis der Lehrsupervisoren sind abgeglichen. Die Erwartungen des Berufsverbands, die Standards, ethischen Leitlinien und Qualitätsmerkmale, werden durch die Regeln und Verabredungen einbezogen. Formale Aspekte wie die Gruppengröße, Sitzungsrhythmus und -umfang, Beginn der Lehrsupervision und Erwartungen an die Dokumentation werden ebenfalls geregelt (van Kaldenkerken, 2014b, S. 43 f.)

Diese übergeordneten Aspekte der Kooperation und der Arbeit im Ausbildungssystem werden in einer Rahmenvereinbarung oder durch Leitlinien zur Lehrsupervision geregelt. In der Regel werden Ausbildungsziele, Kooperation, Kommunikation und Verschwiegenheit, Konfliktregulierung, Kontrolle der Lernziele, Dokumentation der ersten Praxisprojekte und Kriterien dieser Dokumentation und des Abschlussberichts vom Ausbildungsinstitut oder der Hochschule vorgegeben, manchmal auch gemeinsam festgelegt. Dieser Rahmenkontrakt kann als Teil der Ausbildungsordnung im Konzept oder in Merkblättern dokumentiert werden. Im Lehrsupervisionsvertrag zwischen Ausbildungskandidat und Supervisor wird darauf Bezug genommen und der Dreieckskontrakt vollzogen, indem diese Regelungen Teil des Vertrags sind. Im Dreieckskontrakt zwischen Lehrsupervisoren, Ausbildungsinstitut und Lehrsupervisanden werden dann die Details der Triade Lehrsupervision geregelt: ȤȤ Im Rahmen von Lehrsupervision werden Dreieckskontrakte jeweils zwischen dem Ausbildungsinstitut, den Ausbildungskandidaten und den Lehrsuper­ visoren geschlossen. Implizit gehören auch die Kunden des Studierenden mit in den Kontrakt. Ihre Ziele und Erwartungen müssen ebenfalls bedacht werden, auch wenn sie nicht unmittelbar an der Kontraktgestaltung beteiligt sind. ȤȤ Alle vorgegebenen formalen Regelungen werden im Vertrag konkretisiert und mit den individuellen Daten und Regelungsbedarfen der Lehrsuper­ visoren ergänzt. Das betrifft den Umfang der Sitzungen, Dauer, Rhythmus,

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Ausfallregelungen, Fehlzeiten, Honorar und anderes mehr. Der Vertrag nimmt Bezug auf die Rahmenvereinbarung, die Teil des Kontraktes ist. ȤȤ Der Kontrollaspekt für die Qualität des Kunden wird den Ausbildungsteilnehmenden transparent gemacht, und es wird vereinbart, wie damit umgegangen wird. Die Rollenverteilung zwischen Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren wird damit deutlich. ȤȤ Lehrsupervisoren unterstützen die Lernfähigkeit des Ausbildungsinstituts durch qualifizierte Rückkopplungen. Dadurch erhält das Ausbildungsinstitut wichtige Informationen zur Verbesserung des Konzepts, der Lehrgangsstruktur, der Lehrgangsleitung sowie der institutsinternen Kommunikation. Dafür stehen Ausbildungsinstitut und Supervisoren bzw. Supervisorinnen zum Zwecke der Evaluation und Rückkopplung zu strukturellen, inhalt­ lichen und konzeptionellen Themen in Kontakt. ȤȤ Die Form des Kontaktes und die Kommunikationswege sind transparent. Die Vereinbarung sollte eine vollständige Verschwiegenheit zu allen persönlichen Aspekten der Teilnehmenden vorsehen und durch eine offene Diskussion über konzeptionelle und strukturelle Aspekte der Weiterbildung die Weiterentwicklung des Ausbildungsinstituts wie des -konzepts ermöglichen. Diese komplexe Kontraktgestaltung schafft damit wiederum eine Reduzierung der Komplexität, um einen guten, möglichst störungsfreien Raum für das Lernen zu schaffen. Durch die bewusste Arbeit in und mit Triaden wird den Teilnehmenden die Möglichkeit eröffnet, die Gestaltung und Steuerung der persönlichen triadischen Fähigkeiten am Modell zu lernen, um die eigene triadische Kompetenz zu entwickeln.

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Mechtild Grohs-Schulz und Klaus Obermeyer1

Vertrauen und Konflikt – Gedanken zur Triade in der Supervisorenausbildung Zur stabilen Stützung eines Körpers ist es notwendig, dass er mindestens drei Auflagepunkte hat, die nicht in einer Geraden liegen … Thomas Bernhard (1988, S. 6)

Confidence and conflict – Reflections on triads in supervision training programs The triad in a supervision training course as there is: the head of the training course, the training supervisor and the participant, forms the most basic organisational analogy in the setting of supervision training courses. Its common reference points are the development of a personal role model as a supervisor and the »qualification outcome«; in other words, a successful qualification is the primary mission of this triadic micro-organisation. The authors illustrate aspects and impacts of the system-immanent problems of such triads. The importance of confidence in the quality of the contract within the triad is explained as well. This quality of contracts gives direction to the triadic learning and to the development of sufficient competence of the junior supervisors. Developmental tasks for the dyadic system as there are the of head of the course and supervision trainers are lined out. Zusammenfassung Die Trias Ausbildungsleitung – Lehrsupervisorin – Ausbildungsteilnehmer konstituiert die grund­ legendste Organisationsanalogie im Ausbildungssetting. Ihr gemeinsamer Bezugspunkt ist die supervisorische Rollenentwicklung der Ausbildungskandidaten und der »Qualifizierungs­erfolg«, sozusagen als Primäraufgabe dieser triadischen Mikroorganisation. Die Autoren beleuchten Aspekte systemimmanenter Probleme der Triade, deren Auswirkungen, sowie die Bedeutung von Vertrauen für die Kontraktqualität in der Triade. Diese Kontraktqualität ist Voraussetzung für eine triadische Lern- und Kompetenzentwicklung der Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen. Es werden Entwicklungsaufgaben für das dyadische System Ausbildungsleitung – Lehrsupervisor(en) formuliert.

Triadisches Denken im Kontext der Supervisionsausbildung Die Triade ist eine der zentralen Metaphern im supervisorischen Denken. Sie strukturiert zum einen die Kontraktbildung (Dreieckskontrakt) und inspiriert zum anderen theoretische Modelle hinsichtlich der sozioemotionalen Qualität 1

Die Autoren kooperieren als Lehrsupervisorin und Kursleiter in der DGSv-zertifizierten Ausbildung »Supervision, Coaching und Organisationsberatung – Komplexe Beratung in Arbeitskontexten« am Triangel-Institut (Berlin/Hamburg). Diesem Essay liegen gemeinsam ­getragene Auffassungen zugrunde.

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der Kooperation im supervisorischen Prozess. Die Vorstellung über ein ambiguitätstolerantes Zusammenarbeiten im Sinne des triadischen Raums bzw. Möglichkeitsraums (Winnicott) ist ebenfalls Bestandteil des triadischen Denkens. Die Trias von Lehrsupervisorin, Ausbildungsteilnehmer und Ausbildungsleitung überzeugt also nicht nur in ihrem pragmatischen Potenzial hinsichtlich der Aufgabenverteilung und Rollendifferenzierung im Ausbildungsprozess. Sie konstituiert vor allem die vielleicht grundlegendste Organisationsanalogie im Ausbildungssetting. Die gelingende Entfaltung dieser Triade optimiert die Lernbedingungen in den Ausbildungssettings und versorgt den Ausbildungsprozess gleichzeitig mit lebendigen (organisationsanalogen) Erfahrungen und Dynamiken, die dann Gegenstand des Erfahrungslernens und der Reflexion sein können. Der gemeinsame Bezugspunkt von Lehrsupervisor, Ausbildungsteilnehmerin und Ausbildungsleitung ist die Rollenentwicklung der angehenden Supervisoren und deren Qualifizierungserfolg, sozusagen als Primäraufgabe dieser triadischen Mikroorganisation. Diese gemeinsame Arbeitsaufgabe bildet den Schnittpunkt zwischen Organisation und Individuum. Sie vermittelt die organisationalen Rahmenbedingungen auf das Denken, Erleben und Handeln von Personen (Hacker, 2005). Ähnlich wie in den Modellen der vertrauensbasierten Organisation (Lohmer, 2005; Osterloh u. Weibel, 2006) beschrieben, betrachten wir Vertrauen auch im triadischen System von Ausbildungsleitung, Lehrsupervisorin und Ausbildungsteilnehmer als grundlegende Dimension. Vertrauen umschreibt für uns eine positive Erwartungshaltung, die uns dazu motiviert, aktiv und verantwortungsvoll Aufgaben anzugehen und Arbeits­ beziehungen zu gestalten. Entstehung und Reproduktion von Vertrauen und Vertrauensbeziehungen sind das Ergebnis von wechselseitiger Abstimmung und Beeinflussung. Vertrauen setzt die Risikobereitschaft, einen Vertrauensvorschuss zu gewähren, voraus. Man räumt dem Interaktionspartner die Dispositionsbefugnis über bestimmte Ressourcen ein, ohne je die Kontrolle über ihn und seine Handlungen haben zu können. Vertrauen basiert auf der Bereitschaft und Fähigkeit, gegenseitige Abhängigkeiten eingehen zu wollen und zu können (Lohmer, 2005). Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren sind wechselseitig auf eine grundlegende Haltung kritischer und geteilter Loyalität angewiesen. Dazu gehört das Gefühl grundsätzlicher fachlicher Anschlussfähigkeit hinsichtlich der Bewertung der mannigfachen und zum Teil widersprüchlichen Anforderungen, mit denen die Ausbildungsteilnehmenden konfrontiert sind. Zudem ein gemeinsames Verständnis der Gestaltung des Lehr- und Lernraums, das den notwendigen Umgang mit Irritationen und Paradoxien einschließt und die Lehrpersonen selbst als krisenanfällig und subjektiv beteiligt versteht. Ziel ist es, dass die

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Akteure zu einer vertrauensvollen Kooperation gelangen, welche die Wahrung ihrer unterschiedlichen professionellen Identitäten respektiert. Die Erfahrung, dass sich Vertrauen teilweise auch ohne umfangreiche konkrete Kooperationserfahrung entfaltet, entspricht einer fantasierten Stabilität auf allen Seiten der Triade. Dieser Vertrauensvorschuss ist zunächst eine wohlwollende Illusion über die Arbeitsbeziehung. Seine Nachhaltigkeit erweist sich spätestens durch die Realitätsprüfung im Konflikt. Die Triade von Lehrsupervisorin, Ausbildungskandidat und Ausbildungsleitung ist, wie alle triadischen Räume, anfällig für Regression und Krisen. Auch wenn wir im Ausbildungskontext bewusst bemüht sind, regressive Dynamiken nicht zu fördern, so ist gegen sie dennoch kein Kraut gewachsen. Dies gilt für alle Seiten der Trias. Die Störanfälligkeiten und Interaktionsstörungen in der Triade werden genährt von Problemen der Ausbildungsinstitution und ihrer Ausbildungsleitung, von Problemen, die vorwiegend durch die Rolle und Person der Lehrsupervisorin ausgelöst werden, durch Irritationen in der Kooperation von Ausbildungsleitung und Lehrsupervisor und durch Probleme, die vom Ausbildungskandi­ daten und seiner subjektiven Verwicklungsneigung bereitgestellt werden. Zentrale Herausforderungen, die in der Triade zu bewältigen sind, sehen wir vor allem in folgenden Spannungsfeldern: ȤȤ Bewältigung der »triadischen Grundängste« (Angst, ausgeschlossen zu werden, Angst vor Ausstoßung, von einem gegen einen anderen Partner missbräuchlich benutzt zu werden, Angst vor dem Alleingelassensein) (Pühl, 1998); ȤȤ Bewältigung ödipaler Konfliktspannungen um Selbstwert, Macht und Einfluss sowie um geteilte Bezogenheit (Triade vs. Dyade); ȤȤ Loyalitätswahrung zur Ausbildungsleitung und Lehrsupervisorin vs. Spaltungsbereitschaft; ȤȤ Konkurrenz und Geschwisterrivalität; ȤȤ Fantasien über den abwesenden Dritten; ȤȤ Entidealisierung der Vorbilder und Mut zur eigenen Entwicklung – in Bezogenheit und in Abgrenzung zum Lehrpersonal. Diese Spannungsfelder sind herausfordernd für die Ausbildungsteilnehmenden. Sie haben aber auch induktive Wirkung auf unsere narzisstische Stör­ anfälligkeit als Lehrpersonen und stellen uns vor die Aufgabe kontinuierlicher Selbstentidealisierung. Die unterschiedlichen Settings und Kontrakte, in denen Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren arbeiten, legen ihnen jeweils unterschiedliche Funktionen

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und Aufgaben zur Unterstützung der Ausbildungskandidaten bei der Bewältigung der Spannungsfelder nahe. Die Ausbildungsleitung – deren Arbeitsplatz vor allem die Kursgruppe ist – steht den Ausbildungskandidaten unter anderem in der Auseinandersetzung mit gruppendynamischen Prozessen zur Verfügung.2 Ermutigung zum Einstieg in die praktische Beratungsarbeit, Vergleich und Konkurrenz in der Kursgruppe, Auseinandersetzung mit der relativen Unbestimmtheit der Rolle des Beraters bzw. der Beraterin sind Themen, die mit Bewertungs- und Beurteilungsängsten verbunden sind und entsprechende regressive Bereitstellungen aktualisieren. In der Lehrsupervision ist die (beidseitig fantasierte) Beziehung vermutlich eher haltgebend gefärbt. Ödipal getönte Themen inszenieren sich vermutlich eher in der Öffentlichkeit der Kursgruppe. Die relative Intimität der Zusammenarbeit in der Lehrsupervision entfaltet ein stärker haltgebendes Potenzial und ist damit eher auf die Bewältigung von Identitäts- und Strukturängsten ausgerichtet. Am Anfang der Ausbildung sind die Ausbildungsteilnehmenden besonders darauf angewiesen, Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren in ihrer Kompetenz zu erleben. Im Interesse der Angstbindung wird diese Kompetenzzuschreibung nicht selten idealisierend überhöht. Diese durchaus funktionale Kompetenzillusion erfährt im weiteren Ausbildungsverlauf eine erfahrungsbasierte Entidealisierung. Dieser Prozess schafft Räume für die individuelle Rollenidentitätsentwicklung, verbunden mit gleichzeitig erneuter Verunsicherung. Hier kann unserer Erfahrung nach die Kursgruppe bzw. die ausbildungsbezogene Intervisionsgruppe hilfreich sein. Trotz aller Schwierigkeiten geschwisterlicher Konkurrenz und Rivalität befreit die Gruppe auch von den Schattenseiten der Idealisierung. Sie hilft ihren Mitgliedern, sich aus der ausgeprägten Abhängigkeit von den Lehrpersonen zu lösen und begrenzt deren Definitionsmacht. Die Gruppe relativiert und mindert Anpassungsleistungen. So wird erfahrbar, dass die in der Sprache der Lehrpersonen formulierten Inhalte eher eine Weiterentwicklung und Optimierung erfahren, wenn sie durch die Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen neu und eigenständig reformuliert werden (Schmidbauer, 1992). Der Prozess der Entidealisierung wird im günstigen Fall in der Lehrsupervision und im Rahmen lernprozessbezogener Selbsterfahrung in der Kursgruppe unterstützend begleitet und verarbeitet. 2 Die Ausbildung am hochschulunabhängigen Triangel-Institut ist bis heute relativ wenig modularisiert. Ausbildungsleitung und Ausbildungsgruppe stehen in einem engen gemeinsamen Arbeitsprozess über den gesamten Zeitraum der Ausbildung.

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Thematisches Spektrum von Lehrsupervision Das thematische Spektrum in der Lehrsupervision umfasst vor allem: Die Begleitung der supervisorischen Praxisfälle: Die Lehrsupervision unterstützt die Teilnehmenden in der Vor- und Nachbereitung ihrer Beratungsprojekte. Am Anfang der eigenen supervisorischen Praxis gilt es, die Paradoxie zu bewältigen, etwas anzubieten, was man beim besten Willen noch nicht können kann. Die Fragen sind dann: Wen muss ich ansprechen? Was kann ich meinen Super­ visandinnen in der Sitzung anbieten? Was tue ich, wenn alle schweigen? usw. Es geht darum, die ersten konkreten Schritte zu tun, ins kalte Wasser zu springen und mit der Beratung zu beginnen. Nicht ohne Grund thematisieren die Teilnehmenden am Anfang der Lehrsupervision die Akquisition, da die Aufträge ja nicht vom Himmel fallen. Lehrsupervision zu den Fällen hat die durchaus delikate Seite, dass die Teilnehmenden selbstverständlich auch in der Kursgruppe ihre Fälle thematisieren, die dann in diesem Kontext Gegenstand der »Supervision« durch die Kursleitung und der kollegialen Beratung werden. Selbstverständlich schaut die Kursleitung nicht selten auf eine andere Weise auf den Fall wie die jeweilige Lehrsupervisorin. So entsteht ein inhaltlicher Spannungs­ bogen, der große Potenziale birgt, aber eben gleichzeitig das Arbeitsbündnis in der Triade strapaziert. In der Lehrsupervision besteht zum einen die Chance, die Beratungshaltung, Diagnose- und Interventionsfähigkeit tiefenschärfer zu erarbeiten. Vor allem aber deutlicher auf die (Inter-)Subjektivität der Lehrsupervisanden, auf deren Kontaktmodalitäten, Verwicklungen und Angstbereitstellungen und -strukturen zu fokussieren. Dies führt zum nächsten – und vielleicht bedeutungsvollsten Aufgaben- und Funktionsaspekt von Lehrsupervision: Berufs- und rollenbezogene Selbsterfahrung: Wenn es gut läuft, spielt sie eine große Rolle. Ohne eine Ahnung von den eigenen Interventionsneigungen, den eigenen habituellen Mustern, in denen wir auf die (Arbeits-)Welt schauen, wird es nicht gehen. Dazu gehört es natürlich auch, die eigene unbewusste Verwicklungsneigung kennen und ausloten zu lernen. Damit kann am eigenen Leib erfahren werden, wie lebendig es im intermediären Raum zugeht. Selbsterfahrungsprozesse zu Fragen wie der eigenen institutionellen Biografie, zum eigenen Verhältnis zu Macht, Intimität sowie zu diversen Organisationskulturen spielen in den Gruppenmodulen der Ausbildung eine Rolle. Vieles wird fragmentarisch angerissen, einiges wird berührt. Es entstehen Erwärmungen für persönliche Themen, Nachdenklichkeit und Betroffenheit, die der weiteren Bearbeitung und Integration in der Lehrsupervision bedürfen.

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Reflexion und Containment der Lernerfahrung in der Ausbildung: Lehrsupervision reflektiert das Erleben der Teilnehmenden in der Ausbildungsgruppe, Erfahrungen mit der Ausbildungsleitung und die Begleitung im verunsichernden Prozess der Rollenselbstfindung. Supervisorenausbildungen qualifizieren für eine Rolle, die wenig kohärent und wenig präzise definiert ist. Nicht ohne Grund sprechen wir von Tag zu Tag weniger von Supervision und mehr und mehr von »Beratung«. In diesem Widerstreit bewegt sich das ganze Projekt der Ausbildung. In der Hoffnung, etwas Solides zu lernen, endet die Ausbildung doch in einer Welt, in der sich jeder Beratungsprozess wieder völlig neu, fremd anfühlt und die Verunsicherung die einzige Konstante bleibt. Die Teilnehmenden stehen vor der Anforderung, die wenigen Standards, die in der Supervisionsszene »State of the Art« sind, kennenzulernen und sich gleich im übernächsten Schritt wieder von ihnen zu distanzieren. Qualifizierungsprozesse von Supervisorinnen haben in unserem Verständnis keinen klar definierten Anfangs- und Endpunkt. Die DGSv-zertifizierten Curricula sollen eine solide, grundständige Basisqualifikation in arbeits­ bezogener Beratung vermitteln. Die Notwendigkeit, sich zu qualifizieren und zu lernen, besteht nach Abschluss der Ausbildung lebenslang und unvermindert fort. Wer in diesem Metier das Gefühl entwickelt, »fertig« zu sein bzw. sich auf »Exzellenz-Niveau« zu befinden, ist an einem problematischen Punkt angelangt. Verfügen die Lehrsupervisoren neben ihrer Konzeptualisierungs- und Empathiefähigkeit über eine Haltung, die Neugierde, einen ethnologischen Blick und Forschungsinteresse ausweist, vermittelt sich diese explizit in der Lehrbegleitung der supervisorischen (Lern-)Praxis der Kandidaten und implizit als auffordernde Ermutigung, sich zu trauen, sich neugierig interessiert und kreativ der eigenen Arbeit zu widmen. Last, not least, bietet die Lehrsupervision den Raum, um die eigenen Ambivalenzen hinsichtlich der Ausbildung zu reflektieren; sich im Verhältnis zu der  – auch durch Ausbildungsinstitut und Lehrsupervisor/-in verkörperten – professionellen Community zu erfahren und positionieren zu lernen. Dies schließt mögliche Entwicklungen ein, in denen sich der Ausbildungsteilnehmer als nur eingeschränkt oder gar nicht für die Arbeit eines Supervisors geeignet erkennt.

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Fantasien über den abwesenden Dritten Fantasien der Akteure in der Triade über den (abwesenden) Dritten stören die eigene narzisstische Balance und begünstigen Interaktionsstörungen. Vielleicht lohnt es sich, die Identifizierung mit den drei Positionen der Triade zu suchen, um Hypothesen über deren Unterschiedlichkeit, aber auch über verbindende Herausforderungen zu gewinnen: Lehrsupervisorinnen und -supervisoren fühlen sich narzisstisch aufgewertet, angefragt und beauftragt worden zu sein. Gleichzeitig erleben sie »die Angst des Lehrers vor seinen Schülern«. Sie hängt mit der Frage zusammen, ob der Lehrer narzisstisch genügend gefestigt ist und sich zutraut, dem Ausbildungskandidaten tatsächlich etwas beibringen zu können (Heising, 2002, S. 142). Zudem können Konkurrenzfantasien gegenüber Institut und Ausbildungsleitung wirksam sein: »Ich freue mich, von Institut und vom Ausbildungsteilnehmer als Lehrsupervisorin beauftragt (auserwählt) zu sein. Hoffentlich gelingt es mir, den Ausbildungsteilnehmer gut zu unterstützen. Wie steht die Ausbildungsleitung zu mir? Wie stehen die anderen Lehrsupervisoren des Instituts zu mir? Passe ich zu denen? Passe ich zum Institut? Hoffentlich ist die gemeinsame fachliche Grundlage zwischen mir und dem Institut tragfähig? Was erwartet das Institut von mir? Wie wird das Institut damit umgehen, wenn sich Krisen in der Lehrsupervision entwickeln? Ich habe so manches über das Institut gehört. Mal sehen, wie sich die Dinge entwickeln. Wenn mir der Lehrsupervisand von der Ausbildungsleitung erzählt, denke ich manchmal: Wie kann ich damit umgehen?«

Diese Befürchtungen korrespondieren mit denjenigen der Ausbildungs­leitung und deren latenter Neigung, ihre Verunsicherung spaltend auf die Lehrsupervisoren zu projizieren: »Hoffentlich haben wir eine gute Entscheidung getroffen. Hoffentlich kann der Lehrsupervisor unsere Teilnehmenden gut unterstützen. Kennen wir ihn gut genug oder müssen wir eher viel Vorschussvertrauen geben? Was hält der Lehrsupervisor von uns? Was hält er von unseren Ausbildungsteilnehmenden? Sollen wir ihn direkt empfehlen oder überlassen wir dem Ausbildungsteilnehmer die Wahl? Kann der Lehrsupervisor unsere Rahmenbedingungen akzeptieren? Sind sie ihm überhaupt bekannt? Wie wird er mit Konflikten in der Triade umgehen? Wir fürchten uns vor einer Situation, in der er sich im Verborgenen mit dem Ausbildungsteilnehmer verbündet oder in der wir uns mit dem Ausbildungsteilnehmer gegen den Lehrsuper-

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visor verbünden. Wenn uns der Ausbildungsteilnehmer von der Lehrsupervision erzählt, denken wir manchmal: Wie können wir damit umgehen?«

Ausbildungsleitung und Lehrsupervisorinnen kontrollieren den Zugang zu den verschiedenen Bereichen des Broterwerbs Supervision. Ausbildungs­ kandidatinnen und -kandidaten haben auch vor diesem Hintergrund Anpassung und Rebellion und die damit verbundenen Fantasien und Ängste zu regulieren: »Hoffentlich erhalte ich hier eine gute Ausbildung. Hoffentlich genüge ich den Anforderungen. Ich habe mich für das Institut entschieden, bin aber vielleicht nicht oder immer weniger sicher, ob die Entscheidung richtig war. Die Lehrsupervisoren-Liste des Instituts ist für mich bindend. Ich kann mich zwar für eine Lehrsupervisorin entscheiden, aber die Liste ist überschaubar, was mich auch ein wenig unfrei in meiner Entscheidung macht. Wonach wähle ich aus? Was halten Kursleitung und Lehrsupervisorin von mir? Was halte ich von Kursleitung und Lehrsupervisorin? Wie sieht die (Arbeits-)Beziehung von Lehrsupervisorin und Ausbildungsleitung aus? Wie sprechen sie untereinander über mich? Gegen die Verbindung und die Macht dieser beiden habe ich als Schüler nur schwer eine Chance. Ich will mir aber auch nicht alles bieten lassen. Wie steht die Ausbildungsleitung zur Fachlichkeit und Denkweise der Lehrsupervisorin und umgekehrt? Darf ich in der Lehrsupervision meine Kritik und mein Unbehagen hinsichtlich der Ausbildungsleitung artikulieren? Was löse ich damit aus? Wie weit darf ich mich in meiner beraterischen Arbeit von den fachlichen Überzeugungen der Ausbildungsleitung und Lehrsupervisorin entfernen? Was löse ich dadurch aus? Sind noch andere Ausbildungsteilnehmende als Supervisanden bei meiner Lehrsupervisorin? Wie steht sie zu mir und wie zu den anderen?«

Kontraktqualität in der Triade Gerade wenn sich die Differenz zwischen Lehrsupervisor, Ausbildungsleitung und Teilnehmerin entfaltet und damit auch das Konfliktpotenzial erfahrbar wird, ist die triadische Kompetenz der Beteiligten herausgefordert. Wichtiger Indikator für die Kontraktqualität innerhalb der Triade ist das Gefühl aller Beteiligten, frei sprechen zu können. Dies schließt Meinungsverschiedenheiten und Konflikte ausdrücklich ein, die zu respektieren und im Sinne »kritischer Loyalität« (Gotthardt-Lorenz, 2009) und »geteilter Loyalität« (Schmidbauer, 2004) erfahren, ansprech- und verhandelbar gemacht werden müssen.

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Spannend ist die Frage, wie sich dieses Potenzial der Triade den Ausbildungsteilnehmenden vermittelt. Wie müssen sich Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren gegenüber den Ausbildungsteilnehmenden zeigen, um deren Vertrauen in die konsolidierte Qualität der Triade zu stärken? Diese Frage ist auch deshalb bedeutsam, da es in vielen Ausbildungsgängen kaum Settings gibt, in denen sich die Trias von Lehrsupervisorin, Ausbildungsleitung und Teilnehmer tatsächlich face-to-face begegnet.3 Die Kontraktqualität in der Triade lebt von der Fähigkeit, Differenzen der Beteiligten angstarm zu akzeptieren, sie ambiguitätstolerant zu halten und institutionsanalytisch zu verstehen. Wenn dies nicht gelingt, dekompensiert die Triade in Spaltungsdynamiken, in ein »gutes und böses Objekt« (Heising, 2002). Eine solche Dynamik markiert eine ernste Krise des Ausbildungssettings.4 Es macht Sinn zu bedenken, dass die Entwicklung eines triangulären psychischen Raumes in aller Regel mit der Bewältigung von Verlusterfahrungen verbunden ist. Die kleinianische Tradition spricht hier von der »depressiven Position«. Tatsächlich ist der Ausbildungsprozess in seinen identitätsbildenden Aspekten über weite Strecken ein schmerzhafter Ernüchterungsprozess hinsichtlich romantisierender Vorstellungen von der Wirksamkeit der Beraterrolle und hinsichtlich organisationaler Verhältnisse (Obermeyer u. Pühl, 2016). In einer anderen Perspektive schließt diese Verlusterfahrung an die frühen Stadien des ödipalen Konfliktes an, »welcher zentral die Fähigkeit beinhaltet, das Zusammensein von zwei Objekten zu beobachten, d. h. auch die eigene Ausgeschlossenheit ertragen zu können. Darin stellt sich eine trianguläre Struktur dar, welche die Basis bildet für die grundsätzlich ödipale Struktur des Denkens. Erst sie ermöglicht die dritte Position der Beobachtung, der Reflexion – sie ist die Position des ödipalen Zeugen, die Position des ›ich denke, dass …‹« (­Plänkers, 2008, S. 45 f.). Diese seelische Leistung ist von den Ausbildungskandidaten auch insofern zu bewältigen, als ihnen das Verhältnis von Lehrsupervisor und Kursleitung doch im gesamten Verlauf der Ausbildung in gewisser Weise undurchsichtig und eben auch privilegiert erscheinen muss. 3 In unserem Erfahrungsbereich gibt es derartige Zusammenkünfte sehr selten. Es sei denn, es haben sich bereits eskalierte Konflikte in der Triade entwickelt, die ein Zusammentreffen unausweichlich machen. 4 Derartige Spaltungsszenarien gibt es unglücklicherweise gelegentlich schon am Anfang der Zusammenarbeit. Wir haben es zumindest erlebt, dass sich Institut und Lehrsupervisor zur Zusammenarbeit entschlossen haben, obwohl die gegenseitige fachliche Wertschätzung äußerst fragil war. Die Zusammenarbeit gestaltete sich entsprechend problematisch – zulasten der Ausbildungsteilnehmenden.

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Ausbildungskandidatinnen haben also einen relativen Ausschluss zu verkraften. Damit stehen sie auch vor der Herausforderung, sich mit Machtverhältnissen im Ausbildungssystem auseinanderzusetzen. Einerseits gilt es, sich mit dieser Macht auf gedeihliche Weise zu arrangieren, andererseits geht es um Abgrenzung von den Lehrern. Eine möglicherweise milde negative Übertragung der Teilnehmerin auf das Ausbildungsinstitut kann auf der Suche nach individueller Positionierung durchaus förderlich sein. Lacan fordert, die Ausbildungskandidaten mögen ihre Institute kritisch begleiten, sie gewissermaßen »nicht aus den Augen lassen« (Lacan, zit. nach Braun, 2013, S. 112). Ausbildungsteilnehmende sind darauf angewiesen, die Freiheit zu entwickeln, sich auch konflikthaft zum Ausbildungskontext positionieren zu können. Die Freiheit der Ausbildungskandidaten, sich in der Ausbildungstriade oszillierend zwischen Identifizierung und Abgrenzung zu bewegen, ist umso größer, je mehr es Lehrsupervisorinnen und Kursleitung gelingt, die eigenen Ängste hinsichtlich Konkurrenz, Vereinnahmung und Missachtung in sich zu regulieren und interaktionell vertrauensvoll zu halten. Konkret geht es darum, in spürbarer Wahrung fachlicher und individueller Differenz, vorhandene Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Ausbildungsleitung und Lehrsupervisoren für die Ausbildungsteilnehmenden kommunizierbar und somit transparent und nachvollziehbar zu machen. Dies ermöglicht eine Validierung der in der Triade wirksamen Fantasien und mildert Spaltungsdynamiken. Per Saldo erscheint eine Entwicklung wünschenswert, in der Ausbildungskandidaten am Modell der impliziten oder tatsächlich erlebbaren Kooperation von Lehrsupervisor und Ausbildungsleitung eine Kultur der Perspektiven­vielfalt und Eindeutigkeit in der Mehrdeutigkeit erleben. Dies befördert eine Rollenund Identitätsentwicklung, in der sich die Teilnehmenden nicht nur mit Idealbildern von Lehrenden sondern auch mit deren Mangel identifizieren. Braun (2013) beschreibt es für die psychoanalytische Ausbildung als einen Weg, an dessen Ende »man sich dann nicht mit einem (neidvoll) bewunderten Lehrer identifiziert, den man dann irgendwann ›gefressen‹ hat, sondern im anderen sich und in sich den anderen erkennt, mit radikaler Andersheit, auch mit Dankbarkeit« (S. 118). Das bedeutet, unsererseits Sorge zu tragen, keine Proselyten auszubilden.

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Gedanken zu Entwicklungsaufgaben Die Ausbildungssituation mit ihren hierarchisch gegliederten Rangstrukturen, die zu spezifischen Machtverhältnissen und Abhängigkeitsverhältnissen führen, fördert die Regression. Die Machtfülle der Ausbildungsinstitutionen mit ihren entsprechenden Über-Ich-Instanzen, ist nicht nur eine Projektion der Ausbildungskandidaten, sondern durchaus (auch) Realität. Die erwähnten, interdependent wirksamen Störfaktoren und Interaktions­ störungen in der Ausbildungstriade bieten einen fruchtbaren Boden für paranoide Ängste. »Behind the closed door«, nicht wissen, jedoch fantasieren (müssen), ob, was, wie, in und zwischen den Subsystemen der Ausbildungsverantwortlichen kommuniziert wird – diese Konstellation des relativen Ausschlusses der Ausbildungskandidatinnen in der Triade – begründet (wahrscheinlich) die größte Angstquelle. Diese Ängste sollten als Herausforderung verstanden werden, ohne der Illusion zu verfallen, sie gänzlich aus der Welt schaffen zu können. Auch die Position von Supervisoren in Organisationen ist durch relativen Ausschluss und relative Machtarmut gekennzeichnet. Lehrsupervisionsgruppen, in denen mehrere Ausbildungsteilnehmende supervidiert werden, fördern eine gesunde Über-Ich-Atrophie, durch Auseinandersetzung mit den oftmals übermächtig anmutenden Über-Ich-Instanzen sowie mit Konkurrenz und Neid. In einem solchen Setting gibt es Raum für wechselseitiges Erkennen und Akzeptieren von Stärken, Schwächen und Fehlern. Dies ermöglicht den Kandidaten, ihre Ängste und narzisstischen Omnipotenzfantasien zu überprüfen, zu relativieren und zu regulieren. Balintgruppen(arbeit) als Gruppenlehrsupervisionskonzept bewirkt eine sukzessive Integration von fachlicher Kompetenzentwicklung und berufsrollenbezogener Selbsterfahrung durch Fokussierung der vielfältigen Gegenübertragungen auf Klientensysteme und Ausbildungsverantwortliche und durch die bewusste Erfahrung der selbstregulierenden Kräfte in einer Gruppe. Bedeutend für die Ausbildung erscheint uns, dass das Ausbildungsinstitut und die an der Ausbildung beteiligten Personen selbst als »Arbeitsgruppe« in dem von Bion (2001) beschriebenen Verständnis kooperieren. Um dies zu unterstützen, sind Zusammenkünfte wünschenswert, bei denen sich das gesamte Lehrpersonal der Ausbildung mit den Belangen des Instituts, Ausbildungsfragen und wissenschaftlicher Diskussion auseinandersetzen. Die Beteiligten haben hier die Chance, ihre institutionalisierten Strukturen und deren Wirksamkeit gruppendynamisch, organisationssoziologisch und psychoanalytisch

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zu reflektieren. Eine Verminderung der Konkurrenzen und Konkurrenzängste innerhalb der Gruppe der Ausbildungsverantwortlichen und der Ausbildungsteilnehmenden könnte die Folge sein. Einhergehend mit der Bereitschaft und Fähigkeit, in eine ironische Distanz zur eigenen Selbstgewissheit zu treten, ist eine »Face-to-Face-Kooperation« von Lehrsupervisorinnen und Ausbildungsverantwortlichen vertrauensbildend. Gerhard Wittenberger (2014) akzentuiert dies in seinem Wunsch nach »respektvoller Aufgeschlossenheit« (S. 4) unter Ausbildungsverantwortlichen: »Vorausgesetzt es gelingt uns, persönliche Schwächen anzuerkennen, dann können wir untersuchen, wie diese sich auf den interpersonalen Kontext auswirken. Die Interdependenz zwischen narzisstischer Selbstgratifikation und der Aufgeschlossenheit für die Außenwelt spiegelt den Konflikt zwischen dem Verlangen, sich vor anderen auszuzeichnen und dem Wunsch, wieder von anderen akzeptiert zu werden und mit ihnen verbunden zu sein« (S. 10). Ohne oszillierende, geschmeidige Beweglichkeit zwischen diesen Polen bleibt das volle Potenzial der Triade ungenutzt. Die in den Instituten gewonnenen Erkenntnisse und Überlegungen auch in der übergeordneten Fachgesellschaft DGSv Berücksichtigung finden zu lassen, hätte durchaus erdende Ein- und Nebenwirkungen auf die aktuelle Debatte um das »Berufsbild Supervisor« und den Professionalisierungsdiskurs mit seinen derzeit omnipotenzlastigen Überzeichnungen.

Literatur Bauer, A., Grohs-Schulz, M. (1999). Symbole – Mythen – Rituale. In G. Leuschner, G. Wittenberger (Hrsg.), Forum Supervision, Nr. 13: Unbewusstes in Institutionen (S. 5–25). Tübingen: Edition Diskord. Bauer, A., Grohs-Schulz, M. (2002). Menschen in Organisationen. Psychoanalytische Betrachtungen im sozialpsychologischen Feld. In A. Bauer, K. Gröning, M. Grohs-Schulz (Hrsg.), Psychoanalytische Perspektiven. Ein Lesebuch. Wolfgang Schmidtbauer als Festschrift zum 60. Geburtstag (S. 63–78). Frankfurt a. M.: Peter Lang. Bernhard, T. (1988). Korrektur. Roman. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bion, W. R. (2001). Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften (3. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Braun, C. (2013). Übers Unfertigsein hinaus. In C. Braun, W. Brüggen (Hrsg.), Psychoanalyse der Institutionen – Institutionen der Psychoanalyse (S. 111–121). Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel. Cremerius, J.(1992). Kritische Überlegungen zur Supervision in der institutionalisierten psychoanalytischen Ausbildung. In H. Pühl (Hrsg.), Handbuch der Supervision (2. Aufl., S. 68–81). Berlin: Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Spiess. Gotthardt-Lorenz, A. (2009). Organisationssupervision – Raum für wachsende Anforderungen. In H. Pühl (Hrsg.), Supervision und Organisationsentwicklung (S. 147–160). Wiesbaden: VS. Hacker, W. (2005). Allgemeine Arbeitspsychologie. Psychische Regulation von Wissens-, Denkund körperlicher Arbeit (2. Aufl.). Bern: Hans Huber.

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Heimer, C. (2012). Psychodynamik interkultureller Zusammenarbeit. In T. Giernalczyk, M. Lohmer (Hrsg.), Das Unbewusste im Unternehmen. Psychodynamik von Führung, Beratung und Change Management (S. 159–182). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Heising, G. (2002). Spaltungsprozesse in der Supervision. In G. Heising, B. F. Hensel, W. D. Rost, E. Vorspohl (Hrsg.), Zur Attraktivität des »bösen Objekts«. Anwendungen der Objektbeziehungstheorie in der Gießener Schule (S. 139–152). Gießen: Psychosozial-Verlag. Lohmer, M. (2005). Der Berater zwischen den Fronten. Die Dynamik von Vertrauen, Misstrauen und Containment in Organisationen. Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, 41, 335–255. Obermeyer, K., Pühl, H. (2016). Beraterhaltung als Ausbildungsziel. In stürmischen Prozessen nicht vom Stuhl kippen. In A. Hummelsheim, M. Höcker, D. Rohr (Hrsg.), Beratung lehren. Erfahrungen, Geschichten, Reflexionen aus der Praxis von 30 Lehrenden (S. 63–74). Weinheim: Beltz. Osterloh, M., Weibel, A. (2006). Investition Vertrauen. Prozesse der Vertrauensentwicklung in Organisationen. Wiesbaden: Gabler. Plänkers, T. (2008). Dimensionen des psychischen Raums. Zur Struktur psychischer Triangulierung. In F. Dammasch, D. Katzenbach, J. Ruth (Hrsg.), Triangulierung. Lernen, Denken und Handeln aus psychoanalytischer und pädagogischer Sicht (S. 41–57). Frankfurt a. M.: Brandes & Apsel. Pühl, H. (1998). Team-Supervision. Von der Subversion zur Institutionsanalyse. Göttingen: ­Vandenhoeck & Ruprecht. Schmidbauer, W. (1992). Die Supervision der Supervisoren. In H. Pühl (Hrsg.), Handbuch der Supervision (2. Aufl., S. 48–52). Berlin: Edition Marhold im Wissenschaftsverlag Spiess. Schmidbauer, W. (1999). Wie Gruppen uns verändern. Reinbek: Rowohlt. Schmidbauer, W. (2004). Persönlichkeit und Menschenführung. Vom Umgang mit sich und anderen. München: dtv. Wittenberger, G. (2014). Die Bedeutung der Lehrsupervision für den Ausbildungsprozess. In fis Newsletter, Nr. 4. Zugriff am 02.02.2015 unter www.fis-agm.de

Jürgen Wessel

Eine unvollständige Liste wiederkehrender Themen in der Lehrsupervision – eine Selbstbeobachtung

An incomplete list of recurring topics in supervision-on-supervision – a personal observation On one hand, processes of supervision-on-supervision in individual or group sessions during supervision courses form constantly new systems of consultation of the trainees with their highly divergent life histories, professional biographies and expectations of the future. On the other hand, it becomes evident that there are topics that emerge currently with great regularity, independently from the participants involved. These core topics mirror the learning process related to the training curriculum (topics in training modules become immediate topics in the supervisionon-­supervision). Moreover, trainees reflect in the supervision-on-supervision on crucial questions of their own supervisory practice that go beyond the course context.   These core topics are characterised as seven developmental tasks for supervisors during their supervisory training: Developing a supervisory profile, self-assessment of one’s own professional competence, acquisition, professionalization, development of a supervisory attitude, handling competition, handling of life-related topics. Zusammenfassung Lehrsupervisionsprozesse im Einzel- und Gruppensetting stellen einerseits immer wieder neue Beratungssysteme mit Lehrsupervisandinnen und -supervisanden mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenswegen, Berufsbiografien und Zukunftserwartungen dar. Andererseits sind Themen erkennbar, die über die Zeit und unabhängig von den beteiligten Personen mit großer Regelmäßigkeit wiederkehren. Diese Kernthemen spiegeln den Lernprozess im Rahmen des Ausbildungscurriculums wider (Themen der Ausbildungsmodule werden zeitnah Themen in der Lehrsupervision). Darüber hinaus reflektieren Supervisorinnen in der Lehrsupervision über den Ausbildungskontext hinaus maßgebliche Fragen der eigenen Supervisionspraxis.   Im vorliegenden Beitrag werden diese Kernthemen als sieben Entwicklungsaufgaben für Supervisoren in Weiterbildung gekennzeichnet: Entwicklung eines Supervisionsprofils, Kompetenzselbstzuschreibung, Kundenakquise, Professionalisierung, Entwicklung einer supervisorischen Haltung, Umgang mit Konkurrenz, supervisorischer Umgang mit den Lebensthemen.

Lehrsupervisionsprozesse in Einzel- und Gruppensettings stellen einerseits immer wieder neue Beratungssysteme mit Lehrsupervisandinnen und -supervisanden mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenswegen, Berufsbiografien und Zukunftserwartungen dar. Andererseits sind Themen erkennbar, die über die

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Zeit und unabhängig von den individuellen Ausgangslagen mit großer Regelmäßigkeit wiederkehren. Diese Kernthemen spiegeln einerseits den Lernprozess im Rahmen des Ausbildungscurriculums wider (Themen der Ausbildungs- bzw. Studienmodule werden zeitnah Themen in der Lehrsupervision), andererseits reflektieren Supervisoren in der Lehrsupervision über den Ausbildungs­ kontext hinaus maßgebliche Fragen der eigenen Supervisionspraxis. (Im Sinne geschlechtergerechter Sprache und aus Gründen der Lesbarkeit werden nachfolgend männliche und weibliche Personenbezeichnungen im Wechsel benutzt. Dabei sind immer beide Geschlechter gemeint.) Aus methodischer Perspektive ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die im Folgenden benannten Kernthemen in Lehrsupervisionsprozessen nicht auf empirischen Erhebungen beruhen. Die zu diskutierende Liste von wiederkehrenden Inhalten beruht zum einen auf der Reflexion einer eigenen langjährigen Lehrsupervisionspraxis und zum anderen auf dem intensiven Austausch mit anderen Lehrsupervisorinnen und insbesondere den Ausbildungsleitungen diverser Institute und Hochschulen. Aus einer systemisch-konstruktivistischen Perspektive (vgl. dazu auch den Beitrag von Heidi Neumann-Wirsig im vorliegenden Band) lässt sich Supervision wie folgt kennzeichnen: Supervisandensysteme (Einzelne, eine Gruppe, ein Team) stellen einer Supervisorin in Weiterbildung ihre Beobachtungen aus dem Arbeitsalltag zur Verfügung. Die Supervisorin in Weiterbildung beobachtet das Supervisandensystem und bietet ihre Kompetenz zur Reflexion der geschilderten Beobachtungen sowie der eigenen Beobachtungen an. Entsprechend gestaltet sich Lehrsupervision: Ein Supervisor in Weiterbildung stellt einer Lehrsupervisorin Beobachtungen aus der eigenen Supervisionspraxis zur Verfügung. Er ermöglicht der Lehrsupervisorin, ihn bei seinen Selbstbeobachtungen zu beobachten und seine Reflexionen anzuleiten. Zusätzlich reflektieren die Protagonisten diesen Prozess auf einer Metaebene. Lehrsupervision stellt somit eine Supervision zweiter Ordnung dar (Haye u. Kleve, 2001, S. 196). »In der Lehrsupervision sind Inhalt und Methode miteinander verschränkt« (Kersting, 2001, S. 176). Die Ausübung der Supervision wird supervidiert. Es wird angewendet, was gelernt werden soll: Supervision. Somit stellen die vorliegenden Ausführungen zu großen Teilen eine Selbstbeobachtung bei der Beobachtung von Selbstbeobachtern dar – und keine objektivierbaren Tatsachen. Der Katalog an »lehrsupervisionstypischen« Themen lässt sich auf vielfältige Weise systematisieren. Denkbar ist z. B. die Trennung nach Fragestellungen, die sich beziehen:

Eine unvollständige Liste wiederkehrender Themen in der Lehrsupervision

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ȤȤ unmittelbar auf das beraterische Handeln (Akquise, Gestaltung von Vorgesprächen, Kontraktierung, Prozesssteuerung, Auswertung u. Ä.); ȤȤ auf die Organisation der Dienstleistung (Geschäftsplan, Gestaltung von Geschäftspapieren, Selbstpräsentation, Einrichten von Praxisräumen, Vernetzung in Berufsverbänden und Fachportalen usw.). Als Strukturierungshilfe könnte auch die Trennung nach Theorie und Praxis dienen. Zu unterscheiden wären dann: ȤȤ Fragen nach den der Beratungstätigkeit zugrunde liegenden theoretischen Modellen aus Supervision, Psychologie, Beratungswissenschaft, sozialer Arbeit, Pädagogik usw.; ȤȤ Fragen nach dem praktischen Beratungshandeln. Ebenso denkbar ist eine Trennung nach Kernthemen im Verhältnis zum zeitlichen Verlauf der Weiterbildung, also: ȤȤ Themen, die vor allem zu Beginn und in der Anfangsphase der Weiterbildung relevant sind (Entwicklung eines Profils, Akquise usw.); ȤȤ Themen, die in der zweiten Hälfte der Weiterbildung (aufgrund der fortgeschrittenen Beratungstätigkeit, der Marktpräsenz, der Handlungssicherheit usw.) bedeutsam werden. Analog zu psychologischen Modellen, die sich an den Entwicklungsaufgaben des Menschen in seiner jeweiligen Lebensphase orientieren, lassen sich die Kerninhalte von Lehrsupervisionsprozessen auch als Entwicklungsaufgaben im Kontext professionsspezifischer Qualifikation beschreiben. Und entsprechend können die im Folgenden darzustellenden Kernthemen als von Supervisorinnen zu bewältigende Aufgaben aufgefasst werden, die in Ausbildungs- und Studienmodulen sowie Peergroup-Reflexionen, vor allem aber im Rahmen der Lehrsupervision bearbeitet werden. Zu bewältigende Aufgaben sind entsprechend: ȤȤ Entwickle ein Profil als Supervisor! ȤȤ Vertraue auf deine Kompetenz! ȤȤ Finde Supervisandinnen! ȤȤ Professionalisiere dein Beratungshandeln! ȤȤ Entwickle eine supervisorische Haltung! ȤȤ Prüfe deinen Umgang mit Konkurrenz! ȤȤ Setze dich (ein weiteres Mal) mit deinen Lebensthemen auseinander! In den nachfolgenden Abschnitten wird die Vielfalt der regelmäßig in Lehr­ supervisionsprozessen auftauchenden Fragestellungen in Kategorien eingeord-

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net, die jeweils als Entwicklungsaufgabe formuliert sind. Supervisorinnen in Weiterbildung stellen also nicht explizit die Frage nach der Entwicklung eines Supervisionsprofils oder nach einer Haltung, geschweige denn nach einer Kompetenzselbstzuschreibung. Die meisten der in der Lehrsupervision bearbeiteten Fragen lassen sich allerdings einer der oben genannten Entwicklungsaufgaben zuordnen bzw. spiegeln diese wider. Die Darstellung stellt keine chronologische Reihenfolge dar. Wenn Entwicklungsaufgaben einer spezifischen Phase der Weiterbildung zuzuordnen sind, wird entsprechend darauf hingewiesen.

Die Entwicklung eines Supervisionsprofils Supervisorinnen in Weiterbildung verfügen bereits zu Beginn der Weiterbildung über eine ausgeprägte, oft im Rahmen vieler Berufsjahre entwickelte Beratungskompetenz. Sie haben in der Regel im Kontext ihrer beruflichen Qualifizierungen und Weiterbildungen Beratungskonzepte kennengelernt und Beratungshaltungen entwickelt und verfügen über eine Fülle von Beratungserfahrungen. Sie sind Trainer, Therapeutinnen, Schuldnerberater, Seelsorgerinnen, Personalentwickler oder Ähnliches. Im Rahmen der Supervisionsweiterbildung wird dieses vorhandene Beratungsprofil als Ressource aufgegriffen und für die Qualifizierung zum Supervisor genutzt. Eine der maßgeblichen Herausforderungen auf diesem Weg besteht darin, das bisherige Beratungshandeln (z. B. orientiert am Modell der systemischen Beratung, der Themenzentrierten Interaktion/TZI, der Gestaltarbeit o. Ä.) in seinem jeweiligen Kontext (z. B. Fachberatung, psychosoziale Beratung, Seelsorge, Therapie) einzuordnen und vom neu zu erwerbenden Beratungs­format – Supervision als Beratung in der Arbeitswelt – zu unterscheiden. (Dies gilt ausschließlich für Weiterbildungsteilnehmende, die nicht bereits durch die Ausübung von Supervision ein Profil entwickelt haben und dieses in der Weiterbildung vertieft professionalisieren wollen.) Im Rahmen der Lehrsuper­vision wird entsprechend an der Entwicklung des Profils »Supervisor« gearbeitet, erkennbar an Fragestellungen wie: ȤȤ Woran können Außenstehende erkennen, dass ich Supervisorin bin? ȤȤ Wie kommuniziere ich mein Supervisionsangebot? ȤȤ Wie stelle ich mich bei Erstkontakten vor? ȤȤ Wie erläutere ich das Beratungsformat Supervision in einem Satz? Die Kennzeichnung des noch neuen Profils »Supervisorin« gelingt oft zunächst erst über die Abgrenzung von den bisher ausgeübten Beratungsformaten und

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den dort nützlichen Profilen. Entsprechend bieten sich in der Lehrsupervision Unterscheidungen an, die die jeweiligen Beratungsformate kennzeichnen. Für einen Personalentwickler, der in seinem Unternehmen nun auch interne Supervision anbietet, stellt sich die Herausforderung, das Format »Supervision« vom Format »Personalentwicklungsgespräch« unterscheidbar zu machen, und zwar für ihn selbst wie auch für die Mitarbeitenden. Eine Seelsorgerin in Ausbildung zur Supervisorin und ihr Supervisand benötigen eine brauchbare Unterscheidung, um eine Supervisionssitzung nicht mit einem Seelsorgegespräch zu verwechseln. Ein Trainer arbeitet in der Lehrsupervision am Unterschied zwischen Training bzw. Weiterbildung und Supervision. Im Kern der Unterscheidung stehen zwei Fragen: 1. Woran ist das Format Supervision eindeutig erkennbar? Woran bin ich als Supervisorin erkennbar? Inhaltliche Schwerpunkte, Feldkompetenz, Kontraktgestaltung, Ziel- und Auftragsorientierung, Kommunikation über die eigene Rolle, Haltung des Supervisors, Interventionen, der Ort der Supervision usw. sind hier maßgebliche Unterscheidungskriterien. 2. Welche Kompetenzen aus dem bisherigen Beratungsformat kann ich für das Format Supervision nutzen? Vorhandene Ressourcen zur Gesprächsführung, zu professioneller Beziehungsgestaltung sowie Reflexionsinstrumente, Empathiefähigkeit, Lösungsorientierung, aber auch Feldkompetenz und vieles andere mehr sind ebenso und besonders im Bereich der Supervision brauchbar und können für dieses Format hilfreich sein. Die Entwicklung eines Supervisionsprofils zählt somit zu den frühen Kern­ themen in Lehrsupervisionsprozessen.

Die Kompetenzselbstzuschreibung Eine weitere für viele Supervisorinnen in Ausbildung bestehende Herausforderung ist eng mit der erstgenannten Entwicklungsaufgabe verwoben und wird entsprechend früh im Lehrsupervisionsprozess thematisiert. Supervisoren in Weiterbildung erlernen ein neues Beratungsformat und stellen sich oftmals wegen der noch nicht abgeschlossenen Weiterbildung als zukünftige Super­ visoren vor. (Die DGSv als Berufsverband verpflichtet entsprechend dazu, sich auf ihrer Homepage mit einem »Sternchen« als Weiterbildungsteilnehmerin zu kennzeichnen.) Die Zuschreibung als »in Ausbildung« führt oft zur Selbstsuggestion des noch nicht Abgeschlossenen und noch nicht Kompetenten. In der Lehrsuper-

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vision spiegelt sich die Verunsicherung und die daraus abgeleitete Herausforderung in der Frage nach der Qualität der eigenen Beratungstätigkeit wider: »Bin ich gut (genug)?« Anfragende Supervisandensysteme verstehen sich allerdings weniger als Geburtshelfer bei der Qualifizierung eines Supervisors. Sie suchen bei der Recherche ihrer zukünftigen Supervisorinnen, im Erstkontakt und im Vorgespräch nach Hinweisen darauf, dass aufseiten der Angefragten Kompetenz vorliegt. Sie wollen zuversichtlich auf den bevorstehenden Supervisionsprozess schauen und sich im laufenden Prozess auf die Professionalität ihrer Supervisorin verlassen können. Auf die Bedeutung der Darstellung der eigenen Kompetenz weist Kühl hin. In einem Beitrag zu den Möglichkeiten und Grenzen der Kompetenzdarstellung hebt er die Notwendigkeit hervor, »vom Klienten als kompetent wahrgenommen zu werden, um überhaupt seine Kompetenzen anwenden zu können« (Kühl, 2010, S. 277). Die Kompetenzunterstellung beim anfragenden Super­ visanden lässt den Supervisionsprozess erst möglich werden. Für eine erfolgreiche Kundenakquise ist demnach eine positive Selbstwirksamkeitserwartung überaus hilfreich. Somit wird die Lehrsupervision zum Trainingsraum, um sich als Supervisor (und nicht nur als Supervisor in der Zukunft) vorzustellen und sein eigenes Kompetenzprofil offensiv zu kommunizieren. Die Herausforderung für die Weiterbildungsteilnehmenden besteht darin, formal noch nicht über die Voraussetzungen zur vollwertigen Mitgliedschaft im Berufsverband DGSv zu verfügen, sich inhaltlich und methodisch noch nicht sicher zu fühlen, sich auf dem Supervisionsmarkt aber als kompetente Supervisoren anzubieten. Als eine spezifische Teilkomponente supervisorischer Kernkompetenz ist die Beratung von Kundinnen und Anfragenden zu den Möglichkeiten und Grenzen von Supervision und alternativen Beratungsformaten zu zählen. Super­visoren werden nach ihrer Einschätzung zur Brauchbarkeit und Notwendigkeit von Coach­ing-, Supervisions-, Organisationsberatungs- bis hin zu Therapieprozessen gefragt. Um auch hier hilfreiche Auskunft geben zu können, arbeiten Supervisorinnen in der Lehrsupervision am Vertrauen in die eigene Kompetenz, am eigenen Profil und an einer überzeugenden Selbstdarstellung. Die eigene Kompetenz, die Akquise (vgl. nachfolgender Abschnitt) und Prozessgestaltung (vgl. Abschnitt zur Professionalisierung) werden regelmäßig im Rahmen von Lehrsupervisionsprozessen bearbeitet. Ressourcenorientierte Reflexion, Bestätigung bei Erfolgen, Reframingangebote bei vermeintlichen Fehlern oder Misserfolgen, Coaching im Feld der Selbstdarstellung sind potenzielle Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen dieses Lernprozesses.

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Die Kundenakquise Mit Ausnahme der Weiterbildungsteilnehmenden, die bereits zu Beginn der Weiterbildung supervisorisch tätig sind, stellt sich für alle spätestens nach Bewusstwerden der Auflagen zum erfolgreichen Abschluss der Weiterbildung – in der Regel werden mehrere Supervisionsprozesse in unterschiedlichen Settings mit einer Mindestzahl von Sitzungen erwartet – die Frage nach Art und Umfang von Akquise und der Umgang mit akquisitorischen Durststrecken und Misserfolgen. Und mit zunehmender Weiterbildungsdauer wächst bei vielen Lehrsupervisanden der Druck, sich selbst, der Weiterbildungsgruppe, der Ausbildungsleitung und der Lehrsupervisorin das Ausbleiben von Akquiseerfolgen zu erklären. Obwohl der sich oftmals nur schleppend einstellende Erfolg auf der Sachebene absolut nachvollziehbar ist, ȤȤ weil in vielen Regionen ein ausdifferenzierter Anbietermarkt existiert und aufseiten der Nachfrager keinerlei Erleichterung darüber wahrnehmbar ist, wenn ein neuer Supervisor in den Markt eintritt, ȤȤ weil potenzielle Supervisionskunden beim Eintritt in diesen Markt aktuell keine neue Supervisorin suchen, ȤȤ weil mit dem Hochladen einer Webpräsenz nicht am Folgetag Mailpostfach und Anrufbeantworter überquellen, ȤȤ weil »Kaltakquise« in der Regel frühestens mittelfristig erste Erfolge zeitigt, ȤȤ weil Erwartungen zur erfolgreichen Kundenvermittlung oft wenig realistisch sind, entstehen auf der emotionalen und motivationalen Ebene Enttäuschung, Trauer, Wut und Selbstzweifel. Wenn mit fortlaufender Weiterbildung im Kreise der Kollegen sich immer mehr Erfolge einstellen, ist gerade der Prozess der Lehrsupervision ein für Lehrsupervisandinnen geeigneter Raum, um Sachebene und emotionale Ebene zu reflektieren, Einredungen und Ausblendungen zu hinterfragen, über alternative Akquisestrategien nachzudenken und das Vertrauen in die eigene Kompetenz nicht zu verlieren (siehe Entwicklungsaufgabe »Kompetenzselbstzuschreibung«). Zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Weiterbildung sind die Teilnehmenden somit auch aufgefordert, Akquisematerialien zu erstellen. Visitenkarte, Homepage, Flyer oder Selbstdarstellungen in sozialen Netzwerken bieten zwar keine Garantie für eine erfolgreiche Akquise, sind allerdings unverzichtbar zur Erhöhung der Chancen einer solchen. Die Erstellung dieser Materialien und Selbstpräsentationen zur Kundengewinnung sind zugleich Voraussetzungen und Folge eines auch in der Lehrsupervision stattfindenden Selbstreflexionsprozesses zu

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den eigenen Kompetenzen. Sie sind – wie dargelegt – Ausdruck einer Kompetenzselbstzuschreibung und gleichzeitig der Weg dorthin. Dieser Weg wird in aller Regel in der Lehrsupervision begleitet. Im Moment des ersten Akquiseerfolges – eine Anfrage, die Bitte um Zusendung eines Flyers usw. – stellen sich Folgeherausforderungen ein, die im nachfolgenden Abschnitt als »Professionalisierung« diskutiert werden sollen. Wegen der oben genannten Auflagen von Berufs- und Fachverbänden stellt sich die Aufgabe der Kundengewinnung nicht nur in der Anfangsphase von Lehrsupervisionsprozessen. Die Akquise alternativer Settings, das Erschließen neuer Felder, die Selbstpräsentation auf Fachtagungen oder das Aushandeln von Folge- und Dreiecksverträgen stellen über den gesamten Lernprozess bedeutsame Themen dar.

Die Professionalisierung In den vorangegangenen Abschnitten wurde bereits auf die Entwicklungsaufgabe für Supervisorinnen in Weiterbildung hingewiesen, die bislang erworbenen Kompetenzen für das Beratungsformat Supervision zu nutzen. Hierbei standen vor allem Fragen zum Profil und zur Kompetenzdarstellung im Mittelpunkt. Im vorliegenden Abschnitt wird die Entwicklungsaufgabe der kontinuierlichen Qualitätsentwicklung fokussiert, hier als Professionalisierung gekennzeichnet. Professionalisierung meint die gezielte Qualitätsverbesserung im Rahmen einer beruflichen Tätigkeit, die vor allem durch die Entwicklung von Standards erreicht wird. Sie ist quasi der individuelle Weg zur Ausübung einer Profession, eines gesellschaftlich anerkannten, mit hohem Freiheitsgrad versehenen, durch eine berufliche Ethik getragenen und durch Berufsverbände organisierten Berufs (zur Bestimmung professioneller Berufsgruppen: Kurtz, 2002, S. 49). Lehrsupervisionsprozesse begleiten vor allem die Entwicklung von Standards, die sich in einer Reihe dieser und ähnlicher Fragen von Lehrsupervisandinnen widerspiegeln: ȤȤ Welche Vereinbarungen müssen in einem Kontrakt getroffen werden? Welche Vertragsformen sind üblich? Wer ist in ein Kontraktgespräch einzubeziehen? ȤȤ Wie gehe ich mit Veränderungen im Laufe des Supervisionsprozesses um (z. B. Teilnahmeverpflichtung, Teilnehmerzahl, Ziele)? ȤȤ Wie viel ist meine Supervisionsarbeit wert? Wie gestalte ich meine Honorarforderungen? Wie meine Spesenforderungen? Wie Ausfallhonorare? ȤȤ Wie gestalte ich die Aushandlung eines Dreieckskontraktes? ȤȤ Wie gehe ich mit meiner Verschwiegenheitsverpflichtung um?

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ȤȤ In welchen Räumen biete ich Supervision an? Wie gestalte ich diese Räume? ȤȤ Wie gehe ich mit Nähe und Distanz um? ȤȤ Welche Standards benötige ich für den Beginn, für die Durchführung und für die Beendigung eines Supervisionsprozesses? ȤȤ Wie gestalte ich Zwischen- und Endauswertungen? ȤȤ Wie evaluiere ich mein Beratungshandeln? Wie überprüfe ich Wirkungen und die Nachhaltigkeit meiner Supervisionstätigkeit? ȤȤ Wie sichere ich mittel- und langfristig die Qualität meiner Arbeit (zusätzlich zur bzw. nach Ablauf der Lehrsupervision)? ȤȤ Wie gelingt die Integration der Freiberuflichkeit in meinen Lebensalltag? Wie will ich erreichbar sein? Wie kurzfristig will ich verfügbar sein? Für Supervisorinnen, die bereits während der Weiterbildungsmaßnahme die Supervisionstätigkeit in größerem Umfang betreiben, stellen sich darüber hinaus Fragen nach der Existenzgründung, einem Geschäftsplan, steuerrechtlichen Bedingungen, langfristigen Akquisestrategien, Netzwerkarbeit usw. Die im Rahmen von Lehrsupervisionsprozessen diesbezüglich auftretenden Fragen sind im Beratungssystem Lehrsupervision in zweifacher Weise bedeutsam: Zum einen fragen Lehrsupervisanden ihre langjährig erfahrenen Lehrsupervisorinnen nach deren Vorgehen bzw. bitten um ihr Feedback. Hier steht die Erwartung nach Auskunft und Feedback als »Rückspiegelung der Wirkung der eigenen Aktionen, gebrochen durch die Sicht des Anderen« (Königswieser u. Hillebrand, 2007, S. 50) im Mittelpunkt. Lehrsupervision bietet hier Möglichkeiten zum kollegialen Austausch und zur unterstützenden Begleitung, vergleichbar mit einem Mentoringprozess. Zum anderen stellen die genannten Fragen supervisorisch zu bearbeitende Themen dar. Jede Entscheidung für oder gegen eine Professionalisierungsstrategie stellt eine Entscheidung einer Supervisorin dar, bezogen auf deren Vorerfahrungen, Erwartungen, Selbstkompetenzzuschreibung und deren berufliche und private Kontextbedingungen. In der Lehrsupervision werden diese Entscheidungen mit methodischen Zugängen der Supervision reflexiv bearbeitet – Lehrsupervision ist Supervision, beruhend auf einem Dreieckskontrakt zwischen Weiterbildungsinstitution, Lehrsupervisandin und Lehrsupervisor. Die Integration dieser zwei Perspektiven im Rahmen der Lehrsupervision gelingt in der Regel durch kontinuierliche Metakommunikation, durch die Reflexion von Erwartungen und Kontraktbedingungen, von Methoden und Wirkungen.

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Entwicklung einer supervisorischen Haltung Die Entwicklung einer supervisorischen Haltung stellt einerseits eine Ausdifferenzierung der Entwicklungsaufgaben der Profilbildung und Professionalisierung dar. Andererseits kann sie auch als die Grundlage jedweder supervisorischer Tätigkeit angesehen werden, als Nährboden jeglichen Agierens im Feld der Supervision. In Lehrsupervisionssitzungen wird die Frage nach der Haltung eher selten direkt gestellt. Zum einen verfügen die meisten Supervisorinnen in Weiterbildung oftmals bereits über eine professionelle Beratungshaltung als Resultat früher erworbener Qualifikationen. Zum anderen stehen für viele Supervisorinnen zu Beginn ihrer Supervisionstätigkeit die jeweils zu berücksichtigenden Standards bei Akquise, Kontraktierung und Prozesssteuerung im Fokus, weniger die Reflexion der zugrunde liegenden Haltung. Indirekt taucht die Frage der Haltung in Lehrsupervisionssitzungen allerdings regelmäßig auf, und zwar in Form von Fragen nach dem »richtigen« Vorgehen, nach »geeigneten« Methoden, nach »Vollständigkeit« des beraterischen Handelns. Im Rahmen der angeleiteten Reflexion im Lehrsupervisionsprozess bietet sich bei diesen Themen die Rückfrage nach dem Kriterium, dem theoretischen Modell oder eben nach der supervisorischen Haltung an, in deren Kontext Richtigkeit, Geeignetheit oder Vollständigkeit geprüft werden können. Geeignete Modelle liegen in der Regel zu Genüge vor, zum einen aus den bisherigen beruflichen Kontexten, zum anderen aus der laufenden Weiterbildung. Der erkenntnistheoretische oder beraterische Theoriehintergrund der ausbildenden Institutionen (systemisch-konstruktivistisch, analytisch, TZI, gruppendynamisch usw.) bietet ebenso gut eine Reflexionsgrundlage wie die in den diversen Beratungskonzepten oder Therapieschulen bevorzugten Haltungen und Vorgehensweisen (lösungsorientiert, entwicklungsorientiert, ressourcenorientiert, provokativ, dienstleistungsorientiert, achtsamkeitsorientiert usw.). Die Frage nach der Eignung von Techniken der Gesprächsführung, von digitalen und analogen Methoden der Beratung, von Anfangs- und Schlussinterventionen usw. wird dadurch eine Frage nach der Eignung in Bezug auf systemtheoretische Annahmen oder in Bezug auf Ressourcenorientierung. Selbst die in nahezu einhundert Prozent der bisherigen Lehrsupervisionsprozesse gestellte Frage, was vom Supervisor zu tun sei, wenn das Supervisandensystem (eine Einzelne, ein Team, eine Gruppe) in der konkreten Sitzung kein Thema habe (»Die Angst des Supervisors vor dem Mangel an Problemen«), lässt sich mit theoretischen und pragmatischen Bezügen reflektieren. Handlungsoptionen entstehen nahezu automatisch: Ressourcenorientiert böte

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sich ein Kompliment über die offensichtliche Kompetenz bei der Bewältigung der Arbeitsanforderungen an, analytisch eine Reflexion über den Umgang mit Widerständen, provokativ der respektvolle Abschied oder eine Überprüfung der Arbeitsplatzbeschreibungen usw. Ein Teil der Lehrsupervisandinnen vertieft dadurch bereits vorhandene Haltungen, ein anderer Teil entwickelt eine supervisorische Haltung über dieses Vorgehen erstmalig. Viele Fragen zur Steuerung von Supervisionsprozessen sind somit unter der hier fokussierten Perspektive als Schritte auf dem Weg der Bewältigung der Entwicklungsaufgabe deutbar, eine Haltung als Super­visor zu entwickeln.

Umgang mit Konkurrenz Eine freiberufliche und möglicherweise selbstständige Beratungstätigkeit stellt, wie im Abschnitt »Kundenakquise« bereits angesprochen, in jedem Fall auch ein Eintauchen in den Supervisionsmarkt dar. Supervisorinnen betreten bereits insofern zu Beginn ihrer Weiterbildung diesen Markt, als sie schon frühestmöglich Kundenakquise betreiben müssen, um die für die Weiterbildung geforderten Prozesse und Sitzungszahlen zu erreichen. Je nach Region gilt es dann, sich einem Anbietermarkt (mit geringem Konkurrenzdruck) oder einem Nachfragermarkt (mit starkem Konkurrenzdruck) zu stellen. Eine Reihe von Fragestellungen in Lehrsupervisionsprozessen spiegeln insbesondere die Herausforderungen im zweitgenannten Fall des Nachfragermarktes wider: ȤȤ Wie kann ich mich bei Ausschreibungen positionieren? Wie offensiv betreibe ich meine Bewerbung? ȤȤ Wie werde ich in Auswahlgesprächen von der Vielzahl der Anbieter unterscheidbar? ȤȤ Mit welchem Honorar bin ich als Marktneuling konkurrenzfähig? ȤȤ Wie vernetze ich mich? Wie gehe ich mit Kollegialität und Konkurrenz um? ȤȤ Im Gegensatz zu den anderen Weiterbildungsteilnehmenden verspüre ich keine Konkurrenz. Mache ich etwas falsch? Beim Eintritt in einen Nachfragermarkt stellt sich ein Supervisor in Weiterbildung immer der Konkurrenz der mehr- und langjährig in der Region tätigen Kollegen – und ebenso der Konkurrenz der anderen Weiterbildungsteilnehmenden. Insbesondere die sich in der gleichen Region anbietenden Kolleginnen bieten zwar zum einen die Möglichkeit der Vernetzung und des solidarisch-­ kollegialen Austauschs; zum anderen bieten sie allerdings auch Projektions­

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flächen und Vergleichsmöglichkeiten in Bezug auf Erfolg und Scheitern und somit ein weiterbildungsinternes Training zum Umgang mit Konkurrenz. In der Folge des Vergleichs mit Mitstreitern drängt sich in der Regel dann auch wieder die Frage nach der eigenen Qualität (»Bin ich gut genug?« – siehe Abschnitt »Kompetenzselbstzuschreibung«) in den Vordergrund und wird (ein weiteres Mal) zum Thema in der Lehrsupervision (vgl. auch nachfolgenden Abschnitt zum supervisorischen Umgang mit den Lebensthemen). Darüber hinaus stellt sich das Thema der Konkurrenz im Lehrsupervisionsprozess selbst, und zwar in zweierlei Form: Zum einen agieren in der Vielzahl der Lehrsupervisionsprozesse Lehrsupervisandin und Lehrsupervisor in der gleichen Region. Sie sind somit Konkurrenten auf dem gleichen Markt. Das Lehrsupervisionsgespräch wird in dieser Konstellation zum von der Konkurrentin angeleiteten Austausch mit der Konkurrentin über den Umgang mit Konkurrenz. Diese angeleitete Beobachtung höherer Ordnung findet seine Steigerung in Gruppenlehrsupervisionsprozessen, bei denen mehrere Weiterbildungsteilnehmende in einer bestimmten Region miteinander und mit dem Lehrsupervisor um Supervisionsaufträge konkurrieren. Dieses Setting stellt ein vorzügliches Übungsfeld zum reflektierten Umgang mit Konkurrenz dar und bietet zugleich eine wunderbare Vorbereitung auf die nach Abschluss der Weiterbildung zu empfehlende Einrichtung von Intervisions-, kollegialen Fallberatungs-, Balintgruppen oder vergleichbaren Formaten, in denen sich Supervisoren professionell im Spannungsfeld von Kollegialität und Konkurrenz bewegen.

Der supervisorische Umgang mit den Lebensthemen Schließlich lädt eine intensive Weiterbildung mit einem hohen Anteil an Selbstreflexion (Biografiearbeit u. Ä.) alle Teilnehmenden dazu ein, sich ein weiteres Mal mit den eigenen Lebensthemen zu beschäftigen. Dazu eine kleine Anekdote: In einer viele Jahre zurückliegenden Gruppenlehrsupervisionssitzung entwickelte sich ein kurzer Dialog zwischen einem Lehrsupervisanden und seiner Kollegin. Im Verlauf einer Themenbearbeitung war der Kollegin aufgefallen, dass sie im Rahmen des vorgestellten Beratungsprozesses in einer Art agiert hatte, die sie als persönliche Schwäche einstufte, schon seit Jahren von sich kannte, mehrmals bearbeitet hatte und mittlerweile überwunden glaubte. Auf ihre ehrlich entsetzte Frage, ob sie dieses Thema denn nie abschließen könne, antwortete ihr Kollege mit ebenso ehrlichem Wohlwollen: »Liebe Kollegin, Lebens-

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themen heißen Lebensthemen, weil sie uns ein Leben lang begleiten.« Und da Lehrsupervisionsprozesse qua Auftrag eine angeleitete Selbstbeobachtung und Selbstbegegnung darstellen, ist die Wahrscheinlichkeit der Wiederbegegnung mit maßgeblichen Lebensfragen groß. Nahezu jede im Rahmen der Lehrsupervision eingeblendete Frage, jede Reflexion von Affekten, von methodischen Vorlieben oder Abneigungen oder von persönlichen Einstellungen zu supervisorisch relevanten Themen (z. B. der Wert von Arbeit, Work-Life-Balance, Gesundheit, Lebensführung, Karriere, Entwicklung, Hierarchie, Macht, Konkurrenz, Widerstand, Rollen, Gerechtigkeit u. v. a. m.) ist potenziell auch dazu geeignet, die eigenen Leidenschaften, Fokussierungen, Sensibilitäten, aber auch Kränkungserfahrungen und -potenziale zu thematisieren. Jeder biografisch orientierte methodische Zugang, der in der Weiterbildung als Werkzeug gelernt, in der eigenen Supervisionspraxis angewendet und in der Lehrsupervision auf seine Brauchbarkeit und Wirkung hin reflektiert wird, konfrontiert den Lehrsupervisanden auch mit seiner eigenen Biografie. In der Lehrsupervision aufgegriffen, entsteht dann die Möglichkeit eines weiteren Schrittes zum gelassenen bis liebevollen Umgang mit den weniger geschätzten eigenen Anteilen. Diese Möglichkeit wird regelmäßig von Lehrsupervisandinnen genutzt.

Fazit Forrest Gump stellt im gleichnamigen Film (Paramount, 1994) in seinen Lebensbetrachtungen fest, das Leben sei eine Pralinenschachtel und man wisse nie, was man bekomme. Zumindest im Feld der Lehrsupervision gilt diese Lebensweisheit nur eingeschränkt. Bei aller Vielfalt an Feldern, Charakteren, Supervisionskonzepten und Settings und der sich verändernden Bedingungen in der Arbeitswelt kehren eine Reihe von Kernthemen mit großer Regelmäßigkeit wieder. Eine Vielzahl von Herausforderungen, Fragestellungen und inneren Konflikten, die in der Lehrsupervision reflektiert werden, lässt sich den genannten sieben Kategorien zuordnen, die hier als Entwicklungsaufgaben beschrieben werden.

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Literatur Haye, B., Kleve, H. (2001). Lehrsupervision als Beobachten des Beobachtens. Systemtheoretische Bemerkungen zur Kommunikation und Wirklichkeitskonstruktion in Prozessen der Lehrsupervision. In H. J. Kersting (Hrsg.), Supervision und Qualität. Das Aachener Modell der Supervisionsausbildung (S. 195–212). Aachen: Kersting. Kersting, H. J. (2001). Lehrsupervision als System und als Begegnung. In H. J. Kersting (Hrsg.), Supervision und Qualität. Das Aachener Modell der Supervisionsausbildung (S. 171–193). Aachen: Kersting. Königswieser, R., Hillebrand, M. (2007). Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg: Carl-Auer. Kühl, S. (2010). Ächtung des Selbstlobs und Probleme der Kompetenzdarstellung. In T. Kurtz, M. Pfadenhauer (Hrsg.), Soziologie der Kompetenz (S. 275–291). Wiesbaden: VS. Kurtz, T. (2002). Berufssoziologie. Bielefeld: transcript. Paramount Pictures (1994). Forrest Gump (Film).

Teil II Konzeptionelle Zugänge

Jutta Borck, Karlheinz Kramer und Ulrike Kreyssig

Systemische Supervision lehren und lernen – durch Supervision Lehrsupervision am Supervisionszentrum Berlin

Teaching and learning systemic supervision – by supervision: supervision-on-supervision at the Berlin Supervision Centre The supervision training course at the Berlin Supervision Centre is structured according to a »two-chamber system« system: Both, Seminars as well as supervision-on-supervision, each in their own independent teaching and learning fields. A triangle contract links the super-visionon-super­vision to the institute which performs the training program. This article explains the prevailing conditions and rules that promote best a systemic-constructivist working method and explains how the concept of supervision-on-supervision, developed »from practice for practice«, can be projected forward by all partners. Zusammenfassung Die Weiterbildung am Supervisionszentrum Berlin ist nach dem Prinzip eines »Zwei-Kammer-­ Systems« aufgebaut: Seminare und Lehrsupervision bilden jeweils eigene, unabhängige Lehr- und Lernwelten. Dabei ist die Lehrsupervision durch einen Dreieckskontrakt an das Weiterbildungsinstitut angebunden. Im Beitrag wird erläutert, welche Rahmenbedingungen und Spielregeln eine systemisch-konstruktivistische Arbeitsweise begünstigen und wie das Lehrsupervisionskonzept, das »aus der Praxis für die Praxis« entwickelt wurde, von allen Beteiligten kontinuierlich fortgeschrieben wird.

Vorbemerkung Unser Konzept der Lehrsupervision ist ein Gemeinschaftswerk. Es geht ur­ sprünglich zurück auf Britta Haye, die die Supervisionsweiterbildung Anfang der 1990er Jahre für das Berliner Institut für Familientherapie (BIF) entwickelt und dann gemeinsam mit Jürgen Linke geleitet hat. Dabei gab es von Anfang an immer einen festen Kreis von Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren, der regelmäßig zu fachlichem Austausch zusammenkam und sich in Absprache mit der Weiterbildungsleitung auf gemeinsame Standards und Regeln verständigte. Erfahrungen aus anderen Systemischen Instituten wie auch Feedback und Anregungen aus den Weiterbildungsgruppen flossen mit ein, und so entstand über die Jahre ein Konzept von Lehrsupervision, das als theoretisch fundiert und praxistauglich gelten kann.

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Jutta Borck, Karlheinz Kramer und Ulrike Kreyssig

Es wird immer weiter fortgeschrieben und ist inzwischen ein Mehrgenerationenprojekt, das wir mit unserem Weiterbildungsteam seit vielen Jahren gestalten – heute am Supervisionszentrum Berlin.

Rahmenbedingungen Unsere Weiterbildung ist nach dem Prinzip eines »Zwei-Kammer-Systems« aufgebaut, das heißt, Seminare und Lehrsupervision bilden jeweils eigene, unabhängige Lehr- und Lernwelten: ȤȤ Die Seminare finden in einer festen Lerngruppe von bis zu 16 Personen statt; Lehrende sind durchgängig die Weiterbildungsleitung und ein Team von Dozentinnen und Dozenten, die jeweils ihr Spezialgebiet einbringen. ȤȤ Die Lehrsupervision erfolgt sowohl im Einzelsetting als auch in Gruppen; Lehrende können aus einem vorgegebenen Kreis von Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ausgewählt werden. Auf diese Weise sind an unserer Weiterbildung viele Fachleute beteiligt. Ein Grund dafür ist, dass die arbeitsweltbezogene Beratung heute viel Spezialwissen erfordert, was Teamarbeit auch in der Lehre nahelegt. Außerdem bieten unterschiedliche Rollenmodelle den Teilnehmenden die Möglichkeit, verschiedene Herangehensweisen und Persönlichkeiten in den Seminaren und in der Lehrsupervision kennenzulernen. »Viele Wege führen nach Rom« – diese Haltung soll sich auch in unserer Struktur wiederfinden und dazu beitragen, dass unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren ganz eigenen Weg und ihre eigene Art des Supervidierens entwickeln. Unterschiedlichkeit und Vielfalt sind für uns aber nicht ohne Gemeinsamkeiten und Abstimmungsprozesse zu denken. Was alle Beteiligten verbindet, ist langjährige Berufserfahrung, Interesse an Themen der Arbeitswelt, ein systemisch-konstruktivistischer Blick und – last, but not least – die eigene Super­ visionsfreudigkeit. Auch praktizieren und lehren wir übereinstimmend Super­ vision als eigenständige Profession, die ein Berufsbild und fachliche sowie ethische Standards mitbringt.

Systemische Supervision lehren und lernen

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Lehr- und Lernsupervision – systemisch Teilnehmende von Supervisionsweiterbildungen verfügen bereits über langjährige Berufs- und Beratungserfahrung; die Aufnahmebedingungen sind anspruchsvoll. Aus diesem Grund kann parallel zu den Seminaren schon früh mit dem Supervidieren begonnen werden. Dabei gilt: Die Lernsupervisionen und Coachingaufträge müssen selbst akquiriert und in Eigenverantwortung durchgeführt werden. Es geht also gleich los, mit allem was dazugehört: ein Sprung ins kalte Wasser. Für ihren Selbstfindungsprozess in der neuen Rolle und die fachgerechte Durchführung ihrer Beratungen steht den Neulingen ein erfahrener Kollege oder eine Kollegin zur Seite – mit Lehrsupervision. Lehrsupervision ist die individualisierte, man könnte sagen maßgeschneiderte Version der Weiterbildung. Sie soll ermöglichen, dass sich die Lernenden den Stoff aus den Seminaren so anverwandeln können, dass sie in Supervision und Coach­ ing rollen- und handlungssicher werden und ihren eigenen Stil finden. Modellhaft wird dabei in einer systemisch-konstruktivistisch orientierten Lehrsupervision nicht nur auf das Gelernte oder zu Lernende fokussiert, sondern zugleich immer auf bereits vorhandene Kompetenzen. Im gemeinsamen Reflexionsprozess zwischen Lehrenden und Lernenden sollen sich die Regeln der supervisorischen Kunst mit den Zielen, Ambitionen und Ressourcen der angehenden Kolleginnen und Kollegen verbinden: Systemische Supervision erlernen heißt, sie durchführen (»Lernsupervision«) und supervisorisch reflektieren (»Lehrsupervision«). Die Begriffe Lehren und Lernen könnten auf den ersten Blick nahelegen, dass sich in der Lehrsupervision ein hierarchisches Verhältnis konstituiert. Dies verträgt sich aber weder mit dem Format der Supervision (als einer Dienstleistung) noch mit der systemisch-konstruktivistischen Vorstellung von Realität (als einer gemeinsamen Konstruktion). Es gilt also einerseits, eine Begegnung auf Augenhöhe herzustellen, die das Konstruieren von Wirklichkeiten als gemeinsamen Prozess anerkennt, und andererseits Lernenden den Erfahrungs- und Wissensvorsprung zur Verfügung zu stellen. Lehrsupervisorinnen und -supervisoren verkörpern Mentalität und »Spirit« von Supervision. Sie zeigen, mit welchem Berufs- und Rollenverständnis gearbeitet wird und vermitteln bevorzugte Deutungsmuster und Interventionen. Zugleich repräsentieren sie das systemischkonstruktivistische Paradigma, in dem Lernende (wie alle Systeme) als grundsätzlich »nicht instruierbar« gelten und jeweils selbst entscheiden, was sie aus den Begegnungen, Anregungen und »Unterweisungen« ihrer Lehrenden machen. Die Kunst von Lehrsupervision liegt in der einladenden Gestaltung des Lernraums und im lebendigen Dialog: Alles, was hilft, hilft – alles was hindert, hindert.

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Jutta Borck, Karlheinz Kramer und Ulrike Kreyssig

Fachgruppe Lehrsupervision Die an unseren Weiterbildungen beteiligten Lehrsupervisorinnen und -supervisoren sind langjährig erfahren in der Praxis von systemischer Supervision und systemischem Coaching und kennen sich aus mit den Höhen und Tiefen der Freiberuflichkeit. Gemeinsam ist ihnen auch ein Bewusstsein von Lehrtätigkeit als einer besonderen Form theoriegeleiteten Handelns. Lehrsupervisorisches Engagement lebt darüber hinaus von der Bereitschaft, Einblick in die eigene Werkstatt zu gewähren, sich zu zeigen und (systemisch gesprochen) beim Beobachten beobachten zu lassen. Die an der Lehrsupervision Beteiligten bilden einen festen Kreis von Kolleginnen und Kollegen, die unabhängig voneinander arbeiten, aber zwei- bis viermal im Jahr mit der Weiterbildungsleitung zu einer Art Fachgruppe zusammenkommen, um curriculare und organisatorische Dinge zu besprechen und abzustimmen. Themen und Fragen sind zum Beispiel: ȤȤ Möglichkeiten der Hilfe zur Selbsthilfe bei der Akquise von Lernsupervisionen. ȤȤ Welche Aufträge werden als Lernsupervision anerkannt? ȤȤ Austausch und Diskussion über Seminarinhalte und besondere Themen, die in der Lehrsupervision sichtbar werden. ȤȤ Honorare für Lehrsupervision (Einigung über Margen – keine Vorgaben durch die Weiterbildungsleitung oder »feste Sätze«). ȤȤ Abgleich der Rahmenbedingungen und allgemein gültigen Grundsätze: Protokolle, Auswertungen. ȤȤ Welche Aufgabe kommt der Lehrsupervision im Hinblick auf einen erfolgreichen Abschluss zu? Die Zusammenkünfte der Fachgruppe dienen der Information über den Lehrstoff und sind ein wichtiges Instrument zur Abstimmung der Aufgabenteilung und Kooperation in den beiden »Kammern«. Der kontinuierliche fachliche Austausch in diesem Gremium sichert die Qualität und Weiterentwicklung des Curriculums. Grundsätze, auf die sich alle Beteiligten geeinigt haben, werden schriftlich festgehalten und gegenüber der Weiterbildungsgruppe transparent gemacht. Sie sind Teil des Dreieckskontraktes zwischen Weiterbildungsleitung, Lehrsupervisionssystem und den Teilnehmenden.

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Passungsdialog Wir lehren Supervision und Coaching »aus der Praxis für die Praxis« und möchten möglichst viel von dem, was Supervision im Alltag ausmacht, bereits in der Weiterbildung erfahrbar machen. Für die Lehrsupervision bedeutet dies eine gewisse Wahlfreiheit: Die Auswahl der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren erfolgt in Form der auch im Alltag allgemein üblichen Vorgespräche und Aushandlungsprozesse. Als Grundlage erhalten die Gruppen eine Namensliste mit einer kurzen Selbstdarstellung der Lehrenden. Grundsätzlich weisen wir niemanden aus der Weiterbildung einer bestimmten Person aus dem Lehrsupervisionskreis zu. Auch sprechen wir bewusst keine Empfehlungen aus und vermeiden Statements zu den persönlichen oder fachlichen Qualitäten der Einzelnen. Selbst wenn es sich ausschließlich um positive Aussagen handelt, sind es doch immer Zuschreibungen von Eigenschaften oder Fähigkeiten. Hinzu kommt, dass sie in Kontexten gewonnen wurden, die andere sind als die, für die die Empfehlungen gelten sollten. Aus systemisch-konstruktivistischer Sicht liegt es näher, stattdessen auf die Fähigkeit der Beteiligten zu setzen, Passungsdialoge zu führen und eine für beide Seiten stimmige Entscheidung zu treffen. Es geht also zu »fast wie im richtigen Leben«, nur dass eben die Auswahl auf den vorgegebenen Kreis beschränkt bleibt. (Allerdings ist auch dieses Konstrukt mittlerweile keine Seltenheit mehr in Unternehmen. Viele haben einen festen Stamm von potenziellen Beraterinnen und Beratern, aus dem man sich bei Bedarf und im Rahmen eines bestimmten Budgets jemanden auswählen kann.) Einzige Ausnahme: Wenn Teilnehmende von auswärts kommen, versuchen wir möglichst vor Ort DGSv-Mitglieder mit langjähriger Supervisionserfahrung zu finden, die systemisch-konstruktivistisch arbeiten und bereit sind, eine Lehrsupervision zu übernehmen. Inzwischen haben wir auf diese Weise schon ein kleines lehrsupervisorisches Netzwerk im Bundesgebiet geknüpft.

Dreieckskontrakt Die professionelle Gestaltung von Dreieckskontrakten gewinnt in der Supervision eine immer größere Bedeutung. War Supervision in früheren Jahren strikt als »non-reporting system« gedacht, als eine Art privater Nische, aus der nichts, aber auch gar nichts nach außen dringen durfte, werden Supervision und Coach­ ing heute zunehmend auch als Instrumente der Unternehmensentwicklung erkannt und genutzt. Dabei gilt die Devise, dass alles Persönliche und Perso-

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nenbezogene strikt vertraulich bleibt, unternehmensrelevante Themen aber in geeigneter Form, nach klaren Regeln und in Absprache (!) mit den Beteiligten dem Auftraggeber mitgeteilt werden. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt darin, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei strukturellen Themen nicht allein auf ihr Verhalten (zum Beispiel der Stressbewältigung) zurückgeworfen sind, sondern die Verhältnisse im Unternehmen (zum Beispiel Risikofaktoren am Arbeitsplatz) gleichermaßen in den Blick kommen. Aufgrund dieser allgemeinen Entwicklung ist es wichtig, dass Supervisorinnen und Supervisoren imstande sind, Dreieckskontrakte kontext- und fachgerecht zu gestalten. Das »Zwei-Kammersystem« ermöglicht uns, dies proto­typisch in der Weiterbildung erfahrbar zu machen: Im Dreieckskontrakt innerhalb der Weiterbildung ist die Leitung Auftraggeber für die Lehrsupervision. Da die zertifizierenden Verbände (DGSv, SG und womöglich andere) nicht unmittelbar selbst in den Kontrakt hineinwirken, vertritt sie auch deren Standards und Regularien. Beauftragt wird also die Durchführung von Lehrsupervision auf Basis eines Curriculums, das die beruflichen Standards und die Vorgaben der mit uns verbundenen Verbände einschließt. Der Dreieckskontrakt beinhaltet folgende Vereinbarungen: ȤȤ Auf der Basis der bekannten Rahmenbedingungen können die Beteiligten den Prozess der Lehrsupervision frei vereinbaren und gestalten. ȤȤ Die Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren entscheiden darüber, ob ein Auftrag/Prozess als Lernsupervision anerkannt wird. ȤȤ »Protokolle«: Die Art und Weise, wie Material aus den Lernsupervisionen in die Lehrsupervision eingebracht wird, vereinbaren die Beteiligten unter sich. Unterschiedliche Arten der Dokumentation sind möglich (mündlich, schriftlich, Bild, Ton, Video). Eine Vorgabe seitens der Weiterbildungsleitung gibt es dazu nicht. Es geht uns darum, dass unsere Teilnehmenden lernen, ihre Prozesse in einer für sie selbst geeigneten Form zu dokumentieren. Hinzu kommt: Die Dokumentationen müssen so gestaltet sein, dass sie eine Arbeitsgrundlage für die Lehrsupervisionssitzung bilden können. ȤȤ Die Lehrsupervision ist ein geschützter Rahmen, in dem Vertraulichkeit gilt. ȤȤ Allgemeine Themen aus der Lehrsupervision können in der Fachgruppe und/oder mit der Weiterbildungsleitung besprochen werden. Dies dient der Qualitätssicherung und Weiterentwicklung des Curriculums. ȤȤ Es besteht eine gemeinsame Verantwortung für das Erreichen der Lernziele auf der Basis eines Dreieckskontrakts. Bei Konflikten in der Lehrsupervision kann nach vorheriger Absprache die Weiterbildungsleitung hinzugezogen werden.

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Vertraulichkeit (auch gegenüber der Weiterbildungsleitung) ist uns wichtig, weil dadurch erst möglich wird, was wir uns für die Lehrsupervision wünschen: Sie ist gedacht als geschützter Raum, in dem die angehenden Supervisorinnen und Supervisoren alles für sie Notwendige vertrauensvoll besprechen können. Gleiches gilt für das erfahrene Gegenüber. Einschätzungen, Korrekturen und Empfehlungen werden mitgeteilt, dringen aber nicht nach außen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Lernenden sich auf diese Weise eingeladen fühlen, den Erfahrungsraum Lehrsupervision voll für sich auszuschöpfen und Einblicke in ihre Praxis zu gewähren. In diesem Zusammenhang steht auch das Thema Beurteilung und Erfolgskontrolle im Kontext der Weiterbildung. Wir beschäftigen uns mit der Frage, ob jemand in Supervision und Coaching perspektivisch erfolgreich sein kann, zu Beginn und nicht am Ende der Weiterbildung. In ihrem eigenen Interesse bemühen wir uns, nur Bewerberinnen und Bewerber aufzunehmen, von denen wir mit gutem Grund annehmen können, dass sich die Weiterbildung für sie lohnt. So nehmen wir uns viel Zeit für Vorgespräche und führen diese grundsätzlich zu zweit. Wir achten in diesem besonderen Moment des Sich-Kennenlernens auf Rollen- und Kontextsicherheit, sprachliche Sorgfalt und Anzeichen von Mehrperspektivität beim Beobachten, Erklären und Bewerten. Sollten im Verlauf der Weiterbildung doch Zweifel an der Eignung einer Person aufkommen, fiele dies in die Zuständigkeit der Weiterbildungsleitung und nicht in die der Lehrsupervision. Auch dieses Prinzip ist modellhaft, denn in der Arbeitswelt sind Personalentscheidungen Leitungsaufgaben und dürfen keinesfalls aus der Supervision hervorgehen oder von dort aus beeinflusst werden. So regelt der Dreieckskontrakt ganz allgemein die Kooperation und Kommunikation zwischen den beiden »Kammern« Seminar und Lehrsupervision. Es gilt: Die Dinge sollten dort besprochen werden, wo sie hingehören. Für Kontextbewusstsein, Ränge und Zuständigkeiten zu sensibilisieren, obliegt in besonderer Weise den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren. Sie sollten Verführungen widerstehen, von außen ins Seminargeschehen hineinzuregieren und bieten im Fall des Falles allenfalls Reflexionsmöglichkeiten im Sinne einer Hilfe zur Selbsthilfe. Wenn Lücken im Curriculum oder bei den Personen sichtbar werden, bieten sie fachlichen Input in passender Dosis, aber nicht als Parallelprogramm zu den Seminaren.

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Settings Grundsätzlich sind in der regulären Weiterbildung beide Settings, Einzel- und Gruppenlehrsupervision, obligatorisch. Lediglich in der verkürzten Weiterbildung kann ausschließlich mit Einzellehrsupervision gearbeitet werden. Trotzdem entscheiden sich auch hier die meisten für beide Varianten, was wir ausdrücklich empfehlen, da Einzel- und Gruppenarbeit den Alltag in der Supervision bestimmen. Gruppenlehrsupervision Viele Teilnehmende erleben im Kontext der Weiterbildung ihre Lehrsupervisionsgruppe als erstes vertrautes Netzwerk. Nicht selten bleiben sie auch nach dem Abschluss zusammen, dann in Kontrollsupervision. So sorgen sie für Qualitätssicherung und gegenseitige Unterstützung – fachlich, persönlich und bei der Akquisition von Aufträgen. Aus unserer Erfahrung ist gerade die Gruppenlehrsupervision ein in vielfacher Hinsicht wertvolles Instrument. Die Gruppenmitglieder erleben, was es methodisch heißt, die Gruppe für die Bearbeitung von Anliegen zu nutzen (Mehrperspektivität) und über einen längeren Zeitraum den Spannungsbogen für ein wirkungsvolles Kommunikations- und Lernsystem zu halten. Das gilt auch für sensible und heikle Themen innerhalb der Gruppe, die wie unter einem Brennglas für alle sichtbar werden: ȤȤ unterschiedliche Tempi bei der Akquisition von Lernsupervisionen (Umgang mit Anderssein, Konkurrenzerleben), ȤȤ Umgang mit (vermeintlichen) Fehlern in der supervisorischen Praxis, ȤȤ Befürchtungen in Bezug auf Kritik oder Konflikte, ȤȤ Unterschiede in Bezug auf »den Auftritt« und die Außenwirkung, ȤȤ Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung in Bezug auf Kompetenz. Besonders an diesen Themen kann in der Lehrsupervision gezeigt werden, wie Anliegen und Befindlichkeiten so »gehoben« und bearbeitbar gemacht werden können, dass die Einzelnen für sich profitieren und zugleich die Gruppe einen größtmöglichen Erkenntnisgewinn hat. In der Gruppenlehrsupervision wird das Voneinander-Lernen zur zentralen Methode. In der gemeinsamen Umsetzung und Erprobung des Lernstoffs aus den Seminaren kann sich Wissen vertiefen, anreichern und zur Handlungskompetenz in den Lernsupervisionen entwickeln. Insgesamt wird deutlich: Gruppensupervision bedeutet nicht Einzelarbeit mit Publikum, sondern

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Spiel im Ensemble. Im besten Falle kommt der »Spielleitung« dabei lediglich die Aufgabe von behutsamer Lenkung des Reflexionsprozesses zu – zusätzliche methodische Hinweise, Anregungen und Fragen inbegriffen. Ein heikler Punkt ist manchmal die Bildung der Lehrsupervisionsgruppen: Wer will mit wem und mit wem nicht? Als Weiterbildungsleitung stellen wir im Seminarkontext Zeit und Methoden zur Verfügung, damit dies »bekömmlich« und mit einem guten Ergebnis über die Bühne gehen kann. Diese Aufgabe gibt uns einmal mehr Gelegenheit, etwas typisch Supervisorisches in den Prozess einzubringen: Es geht darum, Lerngruppen zusammenzustellen, nicht Neigungsgruppen. Die Kombinationen sollten also so aussehen, dass die Gruppen für alle Mitglieder einen maximalen Lernerfolg erwarten lassen. Durch Feedback aus dem Plenum an die »Wunschgruppen« kommen bei der Gruppenbildung noch andere als die eigenen Blickwinkel ins Spiel. Pragmatische, ökonomische, persönliche oder andere Erwägungen schließt ein solches aufgabenorientiertes (statt beziehungsorientiertes) Verfahren nicht aus. Einzellehrsupervision Gleichwertig und doch ganz anders ist die Einzellehrsupervision. Hier erleben die Teilnehmenden einen besonderen Schutz in Bezug auf mögliche Ängste und Startschwierigkeiten. Das gilt besonders bei der Aneignung der neuen beruflichen Rolle. Zu Beginn dominiert fast immer noch das Gewohnte: Therapeuten therapieren, Richterinnen richten, Pastoren predigen, Leiterinnen leiten. Auch hier sind die Lehrenden als Modell gefragt. Sie zeigen, mit welcher Haltung Supervisorinnen und Supervisoren arbeiten, welche Ziele sie im Blick haben, welche Themen sie aufblenden und abblenden, wie sie Hypothesen bilden, intervenieren, auswerten und worin sich ganz allgemein ihr Handeln von anderem beruflichen Wirken unterscheidet. In der Einzelsupervision verdichten sich Themen nicht selten an der Grenze von beruflichen und persönlichen Belangen, und so kann ein Lernprozess entstehen, der über den gesteckten Rahmen hinausweist und auch in anderen Lebensbereichen Wirkung entfaltet. Wenn manchmal die Lehrsupervision als eine Art Mentorentätigkeit gesehen wird, dann gilt dies vermutlich ganz besonders für das Einzelsetting. Dazu können auch Noteinsätze der Lehrenden gehören, nach dem Motto: »Morgens Anruf, abends gerettet.«

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Schlussbemerkung Das Gehirn, lehrt uns die Neurowissenschaft, formt sich im Gebrauch. In diesem Sinne könnte man sagen, dass Lehr- und Lernsupervision »Gebrauchs­spuren« von Ressourcen- und Lösungsorientierung bei den angehenden Supervisorinnen und Supervisoren hinterlassen sollen. Damit wird es ihnen möglich, die eigenen Supervisionsprozesse so zu gestalten, dass Qualitätsbewusstsein, ökonomische Stabilität und Gesundheit in der Arbeitswelt in Balance bleiben – soweit dies Aspekte betrifft, die mit dem Mittel der Reflexion und der Veränderung von Realitätskonstruktionen bewerkstelligt werden können. Auch für die Lehrenden wird ein Gewinn zurückbleiben, denn am Ende haben beide Seiten (einmal mehr) erlebt, was den Reiz und die Besonderheit unseres Berufes ausmacht: Dass wir uns an einem Punkt »außerhalb« befinden, auf dem »gläsernen Boden«, die Eile des Alltags abstreifend, in einem kontemplativen Modus. Und dass wir doch (oder vielleicht gerade deshalb) Wirkung haben auf einen sehr wichtigen, existenziellen Teil des Lebens: die Arbeit.

Louis van Kessel und Wolfgang Dinger

Lehrsupervision in Entwicklung – ein Projekt von »Supervision und TZI e. V.«

Supervision-on-supervision in development – a project of »Supervision and TCI« (theme-centred interaction) Since 2008, the authors have been conducting the project entitled »Supervision-on-supervision in focus – Supervision-on-supervision in development«. Its main target is to foster conceptualysing supervision-on-supervision and the professionalising those who deliver supervision-on-supervision. Essential aspects of the working and research approach as it is practised in the project, are presented along with empirical knowledge gathered at the seven conferences involving a total of 65 participating teaching supervisors from four countries (Austria, Switzerland, Germany, Netherlands). These findings contribute to the professionalization of supervision-on-supervision and are useful for the practical work. So, it offers an overview of essentials for organising, delivering and designing supervision-on-supervision. Useful tips on structure and handling for the management of training programs and for teaching supervisors round up the article. Zusammenfassung Seit 2008 führen die Autoren das Projekt »Lehrsupervision im Fokus – Lehrsupervision in Entwicklung« durch. Das Hauptanliegen ist die Förderung der Konzeptualisierung von Lehrsupervision und die Professionalisierung der lehrsupervisorischen Tätigkeit. Wesentliche Aspekte des in dem Projekt praktizierten Arbeits- und Forschungsansatzes werden vorgestellt und die in sieben Tagungen mit insgesamt 65 teilnehmenden Lehrsupervisoren aus vier Ländern (A, CH, D, NL) gewonnenen Erkenntnisse. Sie stellen einen Beitrag zur Konzeptentwicklung von Lehrsupervision dar und sind auch für die Praxis der Lehrsupervision nützlich. Damit wird ein Überblick geboten über Schlüsselthemen der Einrichtung, Durchführung und Gestaltung einer Lehrsupervision. Praktische Hinweise für Ausbildungsleitungen und Lehrsupervisoren zur Ausrichtung und Handhabung runden den Beitrag ab.

Im Jahr 2008 beschloss der Verein Supervision und TZI e. V. auf Vorschlag der Projektgruppe Lehrsupervision1, das über mehrere Jahre laufende Projekt »Lehrsupervision im Fokus – Lehrsupervision in Entwicklung« durchzuführen. Hauptanliegen sollte die Förderung der Konzeptualisierung von Lehrsupervision und die Professionalisierung der lehrsupervisorischen Tätigkeit sein.

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Mitglieder: Janny Wolf-Hollander (BRD, † 2012), Wolfgang Dinger (BRD), Louis van Kessel (NL).

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Ausgangsfrage des Projekts war: Wie könnte ein kombiniertes Verfahren zur Fortbildung von Lehrsupervisoren2 und zur praxisnahen Konzeptentwicklung von Lehrsupervision durchgeführt werden? Auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen mit dem Projekt – nun seit acht Jahren – stellen wir wesentliche Aspekte unseres Arbeits- und Forschungsansatzes vor. Neben dem primären Ziel der Kompetenzentwicklung der an den Tagungen teilnehmenden Lehrsupervisoren, generierte unser Ansatz Erkenntnisse, die einen Beitrag zur Konzeptentwicklung von Lehrsupervision bieten und für die Praxis der Lehrsupervision nützlich sind. Die Ergebnisse sind in der Zusammenarbeit mit insgesamt 65 Lehrsupervisoren erarbeitet worden, die bei verschiedenen Ausbildungsinstituten mitwirken und aus vier Ländern (A, CH, D, NL) kommen. Zum Schluss bewerten wir die Bedeutung des Projekts. Um die Tagungsinhalte zu veranschaulichen, haben wir Beiträge von Tagungsteilnehmenden zitiert (Fallvignetten und Stellungnahmen) und an den entsprechenden Stellen eingefügt.

Geschichte und Merkmale des Projekts Seit 1995 lädt die Ausbildungsleitung der Supervision und TZI e. V. jährlich Lehrsupervisoren zu einer zweitägigen lehrsupervisorischen Tagung ein. Im Jahr 2005 wurde die Zuständigkeit für die Tagung der Projektgruppe Lehrsupervision übertragen, und damit eine Differenzierung zwischen Ausbildungs- und Tagungsleitung vorgenommen und der eigenständige Charakter der Tagung definiert. Die Tagungen wurden von da an nicht mehr als solitäre Einzelveranstaltungen verstanden, sondern in einen Kontext gestellt, der der Konzeptentwicklung dient und die Funktion einer Plattform für den professionellen Kontakt zwischen Lehrsupervisoren unterschiedlicher Institute aus möglichst vielen europäischen Ländern bekommen hat. Dieser Kontext orientiert sich an den folgenden Paradigmen der Themenzentrierten Interaktion (TZI): Themenorientierung, Interaktion, Selbstreflexivität, Gruppenarbeit und Internationalität. Auf diesen TZI-Eckpunkten beruht die Konzeption der Tagungen: interaktives und reflexives Arbeiten und Lernen in der Gruppe. Das Konzept basiert auf der Beschäftigung mit Szenen, die die Teilnehmenden einbringen, und deren verstehender Analyse. Inhaltlich beziehen sich die Tagungen auf Funktion, Konzept und Methodik von Lehrsupervision, Auswertung und Beurteilung, Zusammenhang von 2 Zur besseren Lesbarkeit verwenden wir die männliche Schreibweise.

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Lern- und Lehrsupervision, Rahmenbedingungen und Organisationskontext. Das Thema wird jeweils aus der vorangegangenen Tagungsarbeit entwickelt. Der Arbeitsansatz der Tagungen ist dialogisch-diskursiv und folgt dem Konzept der Aktions- bzw. Handlungsforschung der kritischen Sozialwissenschaft. Die Teilnehmergruppe bekommt dadurch den Status einer Expertengruppe (community of practice): ein Ort, an dem Fragen und Problemstellungen der lehrsupervisorischen Praxis ernst genommen werden. Erkenntnisse darüber, wie sich das jeweilige Thema in der Praxis der Lehrsupervisoren zeigt, werden mithilfe verschiedener Arbeitsformen erschlossen und gesammelt, vertiefend reflektiert und gelegentlich mit einem theoretischen Beitrag angereichert. Auf dieser Basis werden neue Perspektiven in szenischen Experimenten handlungsorientiert erprobt, um daraus Handlungsperspektiven für die Rollengestaltung in der Lehrsupervision abzuleiten. Vereinzelt werden auch berufspolitische Positionierungen angestoßen. Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Tagungsbericht dargestellt. So findet in einer gemeinsamen Arbeit – im Wechsel zwischen praxisnaher und handlungsorientierter Beschäftigung sowie Systematisierung – Theoriebildung statt. Die Veröffentlichung der Berichte liefert einem breiten Kollegenkreis Anregungen für die eigene lehrsupervisorische Tätigkeit.

Inhalte und Ergebnisse der Tagungen Im Laufe des Projekts sind bisher sieben Themen bearbeitet worden, die wir im Folgenden kurz beschreiben. Wesentliche Bestandteile des Konzepts Lehrsupervision Weil wir festgestellt haben, dass die Funktion von Lehrsupervision und deren konzeptionelle Entwicklung in den Berufsverbänden und im kollegialen Diskurs in den Hintergrund getreten ist, wurde in der Tagung 2008 versucht, die Lehrsupervision zu konturieren. Das führte insbesondere zu folgenden Feststellungen: Lehrsupervision ist ein wesentlicher Bestandteil der Ausbildung zum Supervisor, mit deren Hilfe ein Ausbildungskandidat lernt, wie er selbst die Organisation, Gestaltung und Handhabung von Supervision durchführen kann, sodass er die professionellen Standards der »professional community« der Supervisoren erfüllt. Dazu muss er sowohl eine supervisorische Identität wie auch ein angemessenes Rollenverhalten hinsichtlich seiner Aufgaben in verschiedenen Kontexten entwickeln. Damit ist der Rahmen für den Inhalt dieses Lernprozesses benannt.

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Lehrsupervision hat die Funktion einer Ausbildungssupervision. Es wird der gesamte Prozess einer Lernsupervision begleitet. In der Lehrsupervision werden einzelne Aspekte wegen ihrer Bedeutung für den angestrebten Lernprozess thematisiert. Wie der Lehrsupervisand die Lernsupervision durchführt, ist Ausgangspunkt des Lernprozesses (induktives Lernen). Darin verbergen sich seine Lernthemen und daraus ergeben sich die Lernaufgaben und Zielsetzungen für seinen Lernprozess auf dem Hintergrund der Kriterien für eine professionelle Supervision. Auf diese Weise lernt der Lehrsupervisand die Kompetenz für die selbstständige Durchführung von Supervision zu entwickeln. Die Gestaltung eigener Supervisionsprozesse ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an Lehrsupervision. Diese stellt als »supervision-onsupervision« eine besondere Form der Supervision dar. Um in Zukunft selbstständig Supervision zu betreiben, muss der Ausbildungskandidat mithilfe der Lehrsupervision lernen, Supervision in diversen Settings und Situationen sowie mit Supervisanden in unterschiedlichen Berufen und Organisationen durchzuführen. Richtungweisend für die Ziele der Lehrsupervision sind die Kompetenzen, über die ein qualifizierter Supervisor verfügen muss, wie supervisorische Identität, ein geklärtes Rollenverständnis und -handeln bezüglich unterschiedlicher Aufgaben in verschiedenen supervisorischen Kontexten, Förderung beruflicher Selbstreflexion, Zulassen von Unsicherheit, zielgerichtete Förderung der Entwicklung von qualitativem beruflichen Handeln und entsprechende Kooperation sowie Selbststeuerung im Kontext von Systemen. Dass die Ziele der Lehrsupervision explizit im Rahmenkontrakt der Lehrsupervision zu formulieren seien, war einhellige Auffassung der Tagungsteilnehmenden. Selbstreflexivität als Kernaufgabe von Lehrsupervision Selbstreflexivität ist eine Schlüsselkompetenz, die in der Lehrsupervision entwickelt werden muss. Die Tagung 2009 beschäftigte sich mit der Klärung von Funktion und wesentlichen Merkmalen von Selbstreflexivität beim Erlernen von Supervision: wie sie in der Lehrsupervision angestrebt werden kann, vor welche Aufgaben die Lehrsupervisoren und die Lehrsupervisanden deshalb gestellt sind und wie adäquate Handlungsperspektiven entwickelt werden können. Für die berufliche Rollengestaltung ist Selbstreflexion unabdingbar. Sie bezieht die berufliche Situation, die Akteure, ihre Interaktion und den Kontext der Arbeit mit ein. Mithilfe von Supervision erwerben Supervisanden nicht nur eine Verbesserung ihres Praxishandelns (Berufsdimension), sondern gleichzeitig auch diese Art von Selbstreflexivität (Lerndimension) (vgl. van Kessel, 1998;

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van Kessel, 2007). Sie erlernen eine Kompetenz, die wesentlich für professionelles Verhalten und nachhaltiges Lernen ist. Selbstreflexion ist ein wichtiger Schritt bei der Gestaltung des Lernwegs. Mittels der in der Lehrsupervision geförderten Selbstreflexion erlernt der Lehrsupervisand seine Rolle als Handelnder (Akteur), Beobachter, Regisseur, Interpretierender und Bedeutung-Gebender. Reflexion findet in der Rückschau statt. Sie ist darauf bezogen, wie der Lehrsupervisand seine supervisorische Tätigkeit gestaltet hat (retrospektive Reflexion bezüglich der realisierten Aktion), bezieht sich aber auch auf die Gestaltung im Hier und Jetzt (Reflexion während der Aktion/synchrone Reflexion) und auf die Vorbereitung einer Aktion (­prospektive/ antizipatorische Reflexion) (van Kessel, 1998, 2007). Reflexion als überprüfendes Nachdenken wird zum Lernen durch Begreifen im Sinne des Wortes: Was entdeckt und erkannt wird, soll von dem Lehrsupervisanden auch durch Benennen »ergriffen« werden. Eine mündliche und schriftliche Versprachlichung ist Bestandteil dieser Reflexion. Für die Lehrsupervision bedeutet dies, dass der Lehrsupervisand mithilfe des Lehrsupervisors erlernt, wie er die Selbstreflexivität seiner (Lern-)Supervisanden fördern kann, indem er sie als zentrales Mittel in der Bearbeitung von Fällen anwendet. Durch die Anwendung wird die Kompetenz der Selbstreflexivität entwickelt. Für die Förderung des Lehrsupervisanden muss der Lehrsupervisor wahrnehmen, ob und wie er Selbstreflexion übt. Dafür muss er wissen, worauf Selbstreflexion in der Lehrsupervision bezogen ist und wie sie gefördert werden kann. Dazu ein Teilnehmer: »Selbstreflexion eigener innerer Reaktionen hilft (angehenden) Supervisoren zu vermeiden, unbewusst und unkontrolliert auf das Klientensystem zu reagieren. Auch wir als Lehrsupervisoren können in etwas ›hineinschlittern‹ und wir müssen dies dann selbst oder mithilfe von Kollegen reflektieren können.« Beziehungsdynamik in der Lehrsupervision – Bedeutung für die Gestaltung der Arbeitsbeziehung Kollegialität, Konkurrenz und Rivalität als Aspekte von Beziehungsdynamik inszenieren sich auch in der Lehrsupervision. Die Tagung 2010 beabsichtigte die Klärung ihrer Bedeutung und Funktion. Folgende Beispiele illustrieren die Wichtigkeit dieses Themas: ȤȤ Begeistert von einem Referenten in der Ausbildung erzählt einer der Lehrsupervisanden in der Lehrsupervision: »Von ihm habe ich erst richtig gute Methoden für die Gestaltung einer Supervision bekommen.«

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ȤȤ In der Gruppenlehrsupervision ist einer der Lehrsupervisanden sehr zufrieden mit den Verfahrensweisen und Interventionen des Lehrsupervisors. Ein anderer Lehrsupervisand ist jedoch sehr unzufrieden und teilt mit: »In der Ausbildung wird es ganz anders gelehrt!« So ergibt sich eine Rivalität zwischen dem Lehrsupervisor und der Ausbildung wie auch zwischen Lehrsupervisor und Lehrsupervisand sowie den Lehrsupervisanden untereinander. Es ist wichtig, dass der Lehrsupervisor unterscheiden kann, welche Bedeutung die Rivalität hat: konstruktiv, destruktiv, defizitär oder strukturell. Auch wie Kollegialität funktional oder dysfunktional sein kann und wie Konkurrenz ­Stimulans oder Bedrohung sein kann. Ein adäquater Umgang des Lehrsupervisors damit ist erforderlich und beinhaltet auch, dass er dem Lehrsupervisanden hilft, daraus zu lernen und seine Fähigkeiten im Umgang damit adäquat zu entwickeln. Ein erster Schritt dazu ist die Enttabuisierung des Themas. Rivalität und Konkurrenz sind kein Widerspruch zur Kollegialität. Die Herausforderung besteht darin, sie auf eine konstruktive Weise zu gestalten. Wenn das gelingt, bringt es Energie, Engagement, Kreativität und Lustgewinn. Umgang mit Dreiecksverhältnissen – Triangulierung in der Lehrsupervision Die Lehrsupervision (Lehrsupervisor), der Lehrsupervisand (mit seinen Lernsupervisionen) und die Supervisionsausbildung (vertreten durch die Ausbildungsleitung) bilden strukturell (positionell) und interpersonell ein Dreiecksverhältnis. Parallel gilt das auch für das Verhältnis Lehrsupervision, Lehrsupervisand (als Lernender) und Lernsupervision. Die Tagung 2011 widmete sich der Bearbeitung dieser Konstellationen. Für den Lehrsupervisor ist es eine Herausforderung, mit dem Dreiecksverhältnis und mit der darin inszenierten Triangulierung professionell umzugehen und sie als Lernchance für den Lehrsupervisanden zu nutzen. Dem Lehrsupervisanden bietet sie eine Lernmöglichkeit, um das eigene Verhalten in Triangulierungen kennenzulernen und um ein adäquates Verhalten zu erproben. Damit kann er dies in seiner Supervisionsarbeit darstellen und gegenüber Organisationen ein modellhaftes Verhalten zeigen. Voraussetzung ist, dass Lehrsupervisoren und Ausbildungsleitung diese Möglichkeit aktiv nutzen. Im Verhalten der drei Akteure muss das Dreieck ständig mental präsent sein und gestaltet werden. Der abwesende Dritte darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Auflösung des Dreiecks in bipolare Strukturen ist keine Lösung. Ein Beispiel dafür:

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Nach einigen Sitzungen teilte der Lehrsupervisand dem Lehrsupervisor mit: »Ich habe jetzt zwei Teamsupervisionen, eine davon mit einem wirklich großen Team.« Worauf der Lehrsupervisor erwiderte: »Das ist zu schwer für einen Anfänger. Sie überfordern sich damit!« Der Lehrsupervisand sagte dazu: »Wenn Sie die zwei Teamsupervisionen nicht als Lernsupervisionspraxis anerkennen, dann höre ich bei Ihnen auf!« Nach Beendigung der Sitzung nahm der Lehrsupervisor Kontakt mit dem Ausbildungsinstitut auf. Der Ansprechpartner des Lehrsupervisors erklärte: »Unsere Lehrsupervisoren sollten eine derartige Lernpraxis genehmigen. Sie müssen die Marktentwicklung berücksichtigen.« In der nächsten Sitzung sagte der Lehrsupervisand: »Ich habe mit der Ausbildungsleitung über Ihre Position gesprochen. Aufgrund dessen möchte ich Ihnen sagen: Ich höre mit der Lehrsupervision bei Ihnen auf. Das wird vom Ausbildungsinstitut mitgetragen!« Das führte zum Konflikt zwischen Lehrsupervisor und Ausbildungsinstitut.

Aus der Beschäftigung mit diesem Beispiel wurden folgende Erkenntnisse gewonnen: Als Strukturbedingung müssen die Art der geforderten Lernsupervisionspraxis und die Kriterien für die Anerkennung für alle beteiligten Positionen klar und im Kontrakt vereinbart sein. Klar umschrieben muss sein, ob der Ausbildungskandidat über die geforderte Lernsupervisionspraxis hinaus mehr Supervisionsprozesse durchführen darf. Für den Umgang mit Unklarheiten und Konfliktsituationen sowie für den Ablauf von Konfliktlösungen, muss das Ausbildungsinstitut ein klares Vorgehen haben, das als Teil des Kontrakts allen Beteiligten bekannt ist. Eine Option kann sein: Im Fall von Unklarheiten, besonderen Situationen oder Konflikten setzen sich alle drei beteiligten Akteure zusammen. Das Dreieck muss manifestiert werden und die Triangulierung erlebbar gestaltet werden. Angewendet auf den Fall, hätte der Lehrsupervisor sagen können: »O. K., es ergibt sich, dass Sie meine Position nicht akzeptieren. Das heißt, wir müssen das in einem Treffen zu dritt weiter besprechen. Sind Sie einverstanden, dass ich dazu mit dem Ausbildungsinstitut in Kontakt trete?« Im Kontrakt mit den Lehrsupervisoren muss klar festgelegt sein, wer für ein solches Treffen die Kosten und das Honorar übernimmt. Eine alternative Intervention hätte sein können: »Diese zweite Teamsupervision ist kein Bestandteil der Lernsupervisionspraxis, auf die sich diese Lehrsupervision bezieht. Die eine genügt.«

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Vermittlung und Verstehen der Lernsupervisionspraxis außerhalb Der Lehrsupervisor kann wahrnehmen, was und wie der Lehrsupervisand erzählt, wie er sich in der Situation der Lehrsupervision verhält und seine Rolle gestaltet. Wie er seine Lernsupervision aber faktisch gestaltet, was darin geschieht und in welchem Kontext seine Supervisanden beruflich arbeiten, das kann der Lehrsupervisor nur vermittelt durch den Lehrsupervisanden wahrnehmen: Die Lehrsupervision ermöglicht nur eine begrenzte Sicht auf das Geschehen und auf den Inhalt der von dem Lehrsupervisanden durchgeführten Lernsupervision. Das betrifft insbesondere den Organisationshintergrund des Lernsupervisanden. Die ursprüngliche Praxis ist nur virtuell anwesend. Damit ergibt sich ein hermeneutisches Problem, das bei der Tagung 2013 bearbeitet wurde. Neben der Inhaltsdimension (was der Lehrsupervisand berichtet) spielt die Dimension des Vermittlungsprozesses eine Rolle. Das kann als ein erkenntnisgenerierender Prozess verstanden werden, bei dem sich im diskursiven Vorgehen objektive und subjektive Realitäten vermischen und die Vermittlung sich in Überformung verwandelt. Aus dieser Bedingtheit des Erkenntnisprozesses entstehen Fragen: Wie ist das Verhältnis von subjektiver Wahrheit (innere Realität) und Wirklichkeit (äußere Realität)? Welche Widersprüchlichkeiten verstecken sich darin? Was versteht der Lehrsupervisor von der möglichen Realität in diesem Vermittlungs­prozess? Was kann er sich vorstellen? Aufgrund welches Referenzrahmens interpretiert und bewertet er das Berichtete? Und welche Konsequenzen hat das für die Gestaltung des Lernprozesses? Daraus folgt, dass der Lehrsupervisor den Untersuchungsraum offen halten muss und damit ermöglicht, dass der Lehrsupervisand bei der Bearbeitung die Gewichtung von Wirklichkeit, interpretativer Wahrnehmung und (un)bewusstem Referenzrahmen auseinanderhalten und als unterschiedliche Perspektiven in Wechselwirkung bearbeiten kann. Anhand des folgenden Beispiels möchten wir das erläutern: Ein Lehrsupervisand stellt die Organisation seines Lernsupervisanden als Realität in der Lehrsupervision vor. Welche Sicht auf die Organisation, die ihm durch den Lehrsupervisanden vermittelt wird, bekommt der Lehrsupervisor? Wie entschlüsselt er den vermittelten Organisationskontext und dessen Einfluss auf das Verhalten des Supervisanden seines Lehrsupervisanden? Durch welche Bilder von Organisation lässt sich der Lehrsupervisor wie auch der Lehrsupervisand, (un)bewusst beeinflussen? Wie kann der Lehrsupervisand lernen, diese Einflüsse besser wahr-

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zunehmen und für die berufliche Entwicklung und Tätigkeit der Supervisanden adäquat zu nutzen? Wie lassen sich der Untersuchungsraum der Lehrsupervision, die Perspektiven und Handlungsspielräume bezüglich dieser Einflüsse erweitern?

Die Fragen verweisen auf die Wichtigkeit einer Entschlüsselungsarbeit von Bedeutungen, bevor die Suche nach Handlungsspielräumen zu aktivieren ist. Auf diese Weise bietet die Lehrsupervision dem Lehrsupervisanden ein Lernfeld, die eigenen (un)bewussten Organisationskonzepte zu reflektieren und Organisation als Kontextaspekt und als Inhalt seiner supervisorischen Tätigkeit für die Kompetenzentwicklung seiner Supervisanden besser zu handhaben. Damit wird Kontextsensitivität als notwendige Kompetenz gefördert. Um diesen Prozess gestalten und anleiten zu können, muss der Lehrsupervisor selbst auch über diese Kompetenz verfügen und fähig sein, sie in ihr lehrsupervisorisches Vorgehen passend zu integrieren und zu handhaben. Beurteilung der Qualität von Professionalität – Verantwortung des Lehrsupervisors Als Repräsentanten ihrer Profession haben Lehrsupervisoren Verantwortung dafür, dass Lehrsupervisanden ihre Rolle als künftige Supervisoren finden und professionelle Identität und Kompetenzen entwickeln. Darüber hinaus übernehmen Lehrsupervisoren eine Verantwortung für die Feststellung der Qualität eines Lehrsupervisanden im Sinne von Eignung für die Tätigkeit als Supervisor. Wie sie die Beurteilung gestalten können, war Thema der Tagung 2014. Wichtige Fragen sind in diesem Rahmen: Wie stellen Lehrsupervisoren die Qualität fest? Worauf gründen sie die Feststellung von Professionalitätsentwicklung? An welchen Kriterien für Professionalität orientieren sie sich dabei? Was bedeutet das für die Kontraktgestaltung mit dem Ausbildungsinstitut und mit den Lehrsupervisanden? Wer hat welche Rolle und welche Verantwortung ist damit verbunden? Welche Orientierungsgrundlage bietet der Berufsverband dafür? Die Aufgabe des Lehrsupervisors, für den erfolgreichen Abschluss der Ausbildung festzustellen, dass der Lehrsupervisand genügend kompetent ist, um selbstständig Supervision durchzuführen, bringt sowohl den Lehrsupervisor als auch den Lehrsupervisand in ein Spannungsfeld. Einerseits soll der Lehrsupervisor in Wechselwirkung und Zusammenarbeit mit dem Lehrsupervisanden dem Lernprozess eine Richtung geben und ihn beim Kompetenzerwerb als angehender Supervisor kontrollieren. Andererseits unterstützt er als Partner den Lernprozess, den der Lehrsupervisand freiwillig begonnen hat, selber gestalten

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muss und letztendlich erfolgreich realisieren will. Ebenso muss der Lehrsupervisor – als Torwächter der Profession – die Ergebnisse des Lernprozesses beurteilen. In der Kontraktgestaltung der Lehrsupervision muss klar sein, dass dies zur Lehrsupervision gehört und in der Verantwortung des Lehrsupervisors liegt. Wenn es für die Beurteilung keine Kriterien gibt, fehlt ein Rahmen für die angestrebte Lernentwicklung, sowohl für den Lehrsupervisanden als auch für den Lehrsupervisor. Das führt zur Beliebigkeit in der Auswertung und bringt den Lehrsupervisanden in eine unangemessene Abhängigkeit. Kriterien für die Beurteilung spezifizieren die intendierte Qualität. Sie sind aber damit noch nicht in einer konkret wahrnehmbaren Form materialisiert. Das erfordert die Interpretation von konkretem Verhalten, in dem sich die Qualitätsmerkmale zeigen (oder eben nicht zeigen). Wie können wir feststellen, dass die Lehrsupervision erfolgreich ist? Was soll der Lehrsupervisand zeigen: Disposition oder Fähigkeit? Eine Disposition reicht nicht aus. Der Lehrsupervisand muss einen Komplex von Fähigkeiten, Auffassungen und Haltung zeigen und darstellen, wie sie miteinander und mit seiner Person sowie mit der erwünschten Rolle als Supervisor verbunden sind. Er muss zeigen, wie er das situationsspezifisch anwendet – gleichbedeutend mit Kompetenz. Und der Lehrsupervisor muss das wahrnehmen können. Was manifest wird, ist als Performanz zu definieren. Der Lehrsupervisand ist unter anderem kompetent, wenn er mit seinem konkreten Verhalten und in seiner Reflexion zeigt: »Es ist mir nicht gelungen …, weil ich …, und ich hätte besser …, und deshalb muss und will ich nächstes Mal …, und ich will das überprüfen und weiter untersuchen. Was ich zu lernen, zu entwickeln habe, ist …« Während der Tagung bekamen die Teilnehmenden ein Kompetenzprofil mit Beurteilungskriterien ausgehändigt, das eine positive Resonanz auslöste: »Das vorliegende Profil bietet eine gute Grundlage für die Auseinandersetzung mit Eignung und Kompetenz. Es bietet eine Professionslogik statt einer numerischen, formalen Strukturlogik. Ein solcher Katalog kann von jedem als Orientierungsgrundlage genutzt werden. In der Kommunikation zwischen allen Beteiligten als angemessene Verfahrensweise kann dann aufgrund von Selbst- und Fremdeinschätzung eine Qualitätserkenntnis entstehen. Veränderungen in der Ausbildung – Konsequenzen für die Lehrsupervision In der letzten Dekade haben sich Supervisionsausbildungen stark verändert: in ihren Zielen, Inhalten und in der Gestaltung. Diese Entwicklung spiegelt einer-

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seits Änderungen in der Berufsauffassung und Praxis von Supervisoren wider, andererseits hängt sie auch mit veränderten Ausbildungskonzepten und mit der Rolle von Supervision in den aktuellen gesellschaftlichen Trends zusammen. Mit der Erweiterung um Coaching stellt sich die Frage, was heute gelehrt und gelernt werden muss, um ein kompetenter Supervisor zu werden. In Zusammenhang damit hat sich die Lernpraxis der Lehrsupervisanden – die Lernsupervision – geändert. In der Tagung 2015 wurde der Einfluss der Veränderungen auf Partizipation und Lernverhalten der Lehrsupervisanden in der Lehrsupervision erkundet und welche Konsequenzen das für die Lehrsupervision hat. Mit diesen Veränderungen haben die Teilnehmenden folgende Erfahrungen gemacht: ȤȤ Weil die Ausbildungsgruppe weniger als integrativer Lernort gestaltet wird, gibt es mehr Druck auf die Lehrsupervision, diese Integration herzustellen. Beispiel: Die Lehrsupervisanden in einer Gruppenlehrsupervision haben nicht alle an denselben Modulen teilgenommen und verfügen deshalb nicht über denselben Ausbildungshintergrund. Auch konflikthafte Auffassungen der beteiligten Dozenten wirken sich in der Lehrsupervision aus. ȤȤ Weil Lehrsupervisanden eine größere Heterogenität von Grundberufen mitbringen, ergeben sich Identitätskonflikte beim Erwerb der Supervisorenrolle. Die Lehrsupervisanden bringen ihre eigenen, noch ungeklärten Vorstellungen davon ein. ȤȤ Supervision hat an Wert verloren. Coaching wird aufgewertet. Hinzu kommt die ungeklärte Unterscheidung von Coaching und Supervision. Das hat Auswirkungen auf die Vorstellungen der Lehrsupervisanden von der Praxis ihrer Lernsupervisionen. Diese Veränderungen im Lernverhalten beeinflussen wiederum das Verhalten der Lehrsupervisoren und die Art und Weise der Prozessbegleitung. Es wurde festgestellt: ȤȤ Lehrsupervisanden meinen vielfach: Umwege kann ich mir nicht leisten! Das verführt den Lehrsupervisor in der Reaktion auf die Bedürfnisse des Lehrsupervisanden zu einer direktiven, eher coachenden Anleitung. Das geschieht dann auf Kosten der Selbstreflexion, die so nicht hinreichend gefördert wird. ȤȤ Die Begleitung des Prozesses wird beeinflusst von der Dynamik zwischen der Orientierung am Bedürfnis nach Anerkennung der Vorerfahrungen einerseits und der Zielorientierung (Unsicherheit bezüglich der angestrebten Supervisionskompetenz) andererseits. Oft wird die Vorerfahrung vom Lehrsupervisanden oder Lehrsupervisor überschätzt. Das kann eine Form der Abwehr sein. Es ist schwieriger, einen Prozess des Umlernens zu gestal-

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Louis van Kessel und Wolfgang Dinger

ten, um eingeübte inadäquate Lernhaltungen loszulassen und damit den Kompetenzerwerb des supervisorischen Lernens zu fördern. ȤȤ Auch die Praxis der Lernsupervision ändert sich und es ist nicht eindeutig, ob dies wirklich supervisorischen Kriterien genügt. Es gab dazu folgende Fragen und Kommentare der Teilnehmenden: ȤȤ Welche Art von Professionalität streben die Ausbildungen an und was bewirken sie? ȤȤ Welche Verantwortung übernimmt die Ausbildungsleitung für die Handhabung und Gestaltung der Rahmenbedingungen von Lehrsupervision? ȤȤ Mit einer sehr ausgeprägten Vorstellung positioniert sich der Lehrsupervisand als Kunde und Auftraggeber: Er stellt das eigene Interesse in den Mittelpunkt ohne Bezug auf eine Professionsvorstellung. Die Ausbildungs­leitung als Dritte fehlt bei der Kontraktgestaltung. ȤȤ Nehmen die Lehrsupervisoren selbst ihre Professionalität ernst? Stellen sie klar dar, was die Funktion von Lehrsupervision in einer Supervisionsausbildung ist? Das oben Beschriebene verweist auf die Notwendigkeit einer Vernetzung der Subsysteme in der Ausbildung. Lehrsupervision als eines der Subsysteme der Ausbildung wird als »Herzstück« der Ausbildung beschrieben. Damit sie ihre Funktion erfüllen kann, ist eine Vernetzung der Ausbildungssubsysteme und der Akteure notwendig. Sie muss auf zwei Ebenen stattfinden und zwar bezüglich: ȤȤ Zielen, Lernkontrakt und Vorgehensweise bei der Anerkennung von Lernsupervisionen, bei der Beurteilung der Eignung und bei Konflikten zwischen Ausbildungsinstitut, Lehrsupervisand und Lehrsupervisor; ȤȤ des thematischen Inhalts und der Verfahrensweise zwischen Kurssystem, Lehrsupervision und Eigenarbeit (inkl. Intervisionsgruppen).

Bewertung des Projekts Die Tagungen und deren Berichte werden von den Teilnehmenden als wertvoll für ihre lehrsupervisorische Tätigkeit und für die Entwicklung ihrer Kompetenz und Identität als Lehrsupervisor erlebt. Es ergeben sich neue richtungsweisende Erkenntnisse und Handlungsmöglichkeiten für die lehrsupervisorische Praxis. Die Themen haben sowohl Bedeutung für die Gestaltung und Handhabung der Lehrsupervision als auch für die Supervision selbst und dadurch wiederum für die Zielsetzung und Inhalte der Lehrsupervision.

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Die Vorgehensweise generiert neue Erkenntnisse, ermöglicht die Entwicklung der Handlungsfähigkeit und eine bessere Sicht auf die Funktion der Lehrsupervision und ihre Gestaltung. Sowohl der Prozess als auch der Inhalt der Lehrsupervision wird erfahrbar und benennbar. Sehr geschätzt wird dabei die Untersuchung der eigenen Lehrsupervision und die Gestaltung des eigenen Interventionsverhaltens unter der Perspektive der Konzeptentwicklung. Und das offene kollegiale Klima erleben die Teilnehmenden als einzigartig. Weil die Teilnehmer als Lehrsupervisoren mit verschiedenen Ausbildungs­ instituten verbunden sind, ist auch die Diversität in der Ausbildungspraxis gegeben und so eine konzeptionelle Befruchtung möglich. Die internationale Zusammensetzung der Teilnehmergruppe ist fachlich und persönlich ein großer Gewinn. Neben der Bedeutung des Projekts für die Kompetenzentwicklung der Lehrsupervisoren, können wir feststellen, dass die Verbindung mit dem Aktionsforschungsansatz einen wertvollen und einzigartigen Beitrag zur (übernationalen) Theoriebildung liefert, weil sie in der Zusammenarbeit einer großen Anzahl von Lehrsupervisoren mit unterschiedlichen nationalen Praxissituationen zustande kommt.

Literatur Kessel, L. van (1998). Theorie und Praxeologie des Lernens in der Supervision. Aus niederlandischer Sicht – Einige Bausteine. In P. Berker, F. Buer (Hrsg.), Praxisnahe Supervisionsforschung. Felder – Designs – Ergebnisse (S. 46–68). Münster: Votum-Verlag. Download; www.researchgate.net/publication/259480662_Theorie_und_Praxeologie_des_Lernens_in_der_Supervision._Aus_niederlndischer_Sicht_-_Einige_Bausteine Kessel, L. van (2007). Das Niederländische Modell supervisorischen Lernens. Ein Panorama. Download; www.researchgate.net/publication/256843530_DAS_NIEDERLNDISCHE_MODELL_ SUPERVISORISCHEN_LERNENS._Ein_Panorama. Veröffentlichungen im Rahmen des Projekts sind abrufbar unter: www.researchgate.net/profile/Louis_Van_Kessel2/contributions

Susanne Holzbauer

Lehrsupervision in der Gruppe – das Potenzial der Gruppendynamik für die Fallbearbeitung

Supervision-on-supervision in groups – applying the potential impact of group dynamics to supervisory work with cases This article illustrates the characteristics of supervisions-on supervision following a concept group dynamics. The develop of working skills in a group is explained on the background of sociodynamic concepts and of the application group-dynamic orientated work models to supervisory practice with cases. The role of the supervision trainer in this process and his or her ranges of intervention are discussed. Another focus is placed on the benefits of such forms of supervision-on-supervision for the training of competences of junior supervisors. Zusammenfassung Im Beitrag wird veranschaulicht, was eine gruppendynamisch orientierte Gruppenlehrsupervision kennzeichnet. Die Ausbildung von Arbeitsfähigkeit in der Gruppe vor dem Hintergrund der Soziodynamik wird erläutert, ebenso zentrale gruppendynamische Arbeitsformen in ihrer Anwendung auf die Fallbearbeitung. Die Rolle des Lehrsupervisors in diesem Prozess und seine Interventionsräume werden ebenso wie der Nutzen der so gestalteten Gruppenlehrsupervision für die Ausbildung von Kompetenzen der angehenden Supervisoren und Supervisorinnen diskutiert.

Einzellehrsupervision ermöglicht als genuiner Bestandteil der Ausbildung zur Supervisorin eine individuelle Begleitung und eine intensive Reflexion der Lernsupervisionsprozesse über einen längeren Zeitraum hinweg. Was zeichnet nun Gruppenlehrsupervision in der Ausbildung von Supervisoren und Coaches aus? In welcher Verbindung stehen Fallberatung und Gruppendynamik, und inwieweit erweitert das Lernen in diesem Setting die Kompetenz von angehenden Supervisorinnen und Supervisoren? Auf diese Frage antwortet der folgende Beitrag und bezieht dabei gruppendynamische Konzepte und Praxis ein.

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Die Gruppe als Lernsystem arbeitsfähig machen Teilnehmende, die eine Gruppe für die Reflexion der eigenen Lernsupervisionsprozesse nutzen, erleben »hautnah«, wie Gruppen arbeitsfähig werden (Clausen, 2001, S. 312 ff.). Dies ist ein gutes Modell für den zukünftigen Beratungsalltag mit Supervisionsgruppen. Welche Art Gruppe ist eine Lehrsupervisionsgruppe? In Gruppen kann eine »innere« und eine »äußere« Umwelt unterschieden werden (Schattenhofer, 2009a, S. 20 ff.). Die »innere« Umwelt bezieht sich auf die Einzelnen in ihrer Individualität und auf den Einfluss ihrer psychischen Dynamik auf die Gruppe: Wie sind die Einzelnen mit der Gruppe verbunden? Wie werden sie beeinflusst und wie beeinflussen sie die Gruppe? Wie sind sie an der Normen-, Rollen- und Strukturentwicklung der Gruppe beteiligt? Welche Seiten von sich können sie einbringen und welche sind nicht gefragt? Der eher soziologische Blick auf die »äußere« Umwelt beschäftigt sich mit der Wirkung der äußeren Bedingungen auf die Gruppe, beispielsweise zur Verfügung stehende Ressourcen, Handlungsdruck und Abhängigkeit zu anderen sozialen Systemen. Zwischen diesen beiden Umwelten findet sich die Lehrsupervisionsgruppe mit der Notwendigkeit, die »innere« und »äußere« Umwelt auszubalancieren. Auf der einen Seite benötigt eine gelungene Fallbearbeitung eine in Bezug auf das emotionale Geschehen durchlässige Gruppe, die persönliche und vielfältige Beziehungen zwischen und geklärte Beziehungserwartungen unter ihren Mitgliedern hat. Auf der anderen Seite ist die gemeinsame Arbeit auf das Erreichen des Ziels einer verbesserten Supervisionskompetenz auszurichten und die erforderliche Kommunikation und fachliche Orientierung diesem Ziel anzupassen. Die Zusammenarbeit setzt eine soziale Dynamik in Gang, d. h., die Wünsche und Befürchtungen den anderen Teilnehmenden und der Lehrsupervisorin gegenüber werden spürbar. Die Perspektive der Beobachtung dieser Dynamik richtet sich auf das Geschehen zwischen den Personen und die Gruppe als Ganzes. Das kann auch als soziodynamische oder gruppendynamische Ebene bezeichnet werden. Am besten lässt sich die Dynamik mit dem Modell des gruppendynamischen Raums beschreiben, in dem drei Grundfragen beantwortet werden müssen: Wer gehört dazu und wer nicht – bezogen auf die gegenseitige Anerkennung als Beteiligte (Dimension Zugehörigkeit)? Wer nimmt welchen Einfluss auf das Geschehen und wer folgt wem (Dimension Macht)? Und wer

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ist wem wie nah bzw. fern (Dimension Intimität; Amman, Antons, Clausen, König u. Schattenhofer, 2001, S. 426)? Verhaltensweisen auf der sichtbaren Ebene, die nicht leicht zu entschlüsseln sind, können so besser verstanden und bewusst gemacht werden. Arbeitsfähigkeit entwickelt sich vor diesem Hintergrund als ein komplexer Prozess, denn die Einzelnen loten erst langsam und durch die gemeinsame Erfahrung aus, wie vertrauensvoll man sein kann und wer für welche Themen steht. Auch die Fragen nach Verbindlichkeit, gemeinsamen Normen und Regeln, nach der Rolle des Lehrsupervisors usw. bedürfen einer inneren und einer gemeinsamen Klärung. Die damit verbundenen Spannungen und Konflikte sind Teil der Annäherung und Differenzierung. Auch wenn eine erste Verständigung gelungen ist und das gemeinsame Arbeiten zunehmend produktiv erlebt wird, bedarf es beständiger Anpassungen. Die Anfangsphase und die Schlussphase beispielsweise sind oft eine besonders verunsichernde Zeit. Eine gezielte und strukturierte Reflexion von individuellen und auf die Gruppe bezogenen Themen und Emotionen erleichtert die Entwicklung von Arbeitsfähigkeit. Ebenso ermöglicht die erfolgreiche Arbeit an Fällen ein wachsendes Vertrauen und dies erhöht wiederum die Bereitschaft, Risiken bezüglich eigener Unsicherheiten einzugehen und Klärungen zu suchen (König u. Schattenhofer, im Druck). Damit kann auch der oft als belastend erlebte Aspekt der Bewertung besser integriert werden. Konkurrenz und Profilbildung, gegebenenfalls auch Scham angesichts von selbst empfundenem oder sogar zugeschriebenem Versagen spielen im Rahmen der Ausbildungssituation eine wichtige Rolle zwischen den Teilnehmenden: »Darf ich Schwächen zeigen, bin ich gut genug, was denken die anderen?« Die prozessorientierte Vorgehensweise greift diese Hemmungen bei Bedarf auf und ermöglicht über das Benennen von Spannungen die Bildung von Vertrauen. Die Wertschätzung und der bewusste Umgang mit der Dynamik der Lehrsupervisionsgruppe schafft im Laufe der Zusammenarbeit eine hohe Präsenz und Präzision in Bezug auf Selbst- und Fremdwahrnehmung und bietet ein weites Übungsfeld, soziale Realitäten wahrzunehmen und zu benennen. Die Arbeitsbasis in der Lehrsupervisionsgruppe wird durch einen (Dreiecks-) Kontrakt zwischen Lehrsupervisor, Teilnehmenden und dem Fortbildungsträger geregelt. Neben den Arbeitsebenen beschreibt der Kontrakt die Ziele der gemeinsamen Arbeit und die Rahmenbedingungen1, wie Gruppengröße, Ort 1 Die Gruppenlehrsupervision wird als ein fortlaufender Prozess gestaltet, der sich in der Regel über sieben bis zehn Treffen mit je vier bis sechs Arbeitsstunden erstreckt. Die Anzahl der Teilnehmenden variiert zwischen vier und acht.

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der Sitzungen, Sitzungsanzahl, Dauer, Kosten und Bezahlung, Verbindlichkeit und Auswertung, Stornobedingungen usw. Auf der Sach- und Arbeitsebene der Gruppenlehrsupervision bewegt sich die Fallbearbeitung von Lernsupervisionsprozessen. Sie wird dabei auch auf der Prozessebene der Gruppe wirksam und benötigt die Reflexion der Zusammenarbeit in der Gruppe. Die Reflexion des Verhaltens der Einzelnen und seiner Wirkungen in den Fällen und im Hier und Jetzt der Gruppe ermöglicht darüber hinaus Selbsterfahrung und Reflexion zur Identität als angehende Supervisorinnen und Supervisoren.

Die Gruppe zur Fallbesprechung nutzen Die Ablaufschemata für die Fallbesprechungen ähneln sich und dienen dazu, die Alltagskommunikation in eine Problemlösekommunikation umzuwandeln: ȤȤ Einstiegsrunde und Bezugnahme auf die letzte Sitzung; ȤȤ Sammeln, Kurzdarstellung und Auswahl des Falles; ȤȤ Klärung der Fragestellung; ȤȤ Erzählung der oder des Falleinbringenden; ȤȤ Rück- und Informationsfragen zum besseren Verständnis; ȤȤ Austausch von Eindrücken, Identifikationen, Wahrnehmungen usw.; ȤȤ Suche nach Handlungsalternativen; ȤȤ Abschlussfrage: Was hat sich für die Falleinbringende bzw. den Falleinbringenden geklärt? Zum Ende des Treffens empfiehlt es sich, eine Abschlussrunde zu machen, um den Einzelnen und der Gruppe Gelegenheit zu geben, eigene Themen und Erfahrungen anzusprechen, die während der Fallbearbeitung aufgetaucht sind. Die vielfältigen Resonanzen auch zu eigenen Fällen und damit verbundene Überlegungen und Emotionen reichern das eigene Arbeiten als Supervisor an, auch wenn nicht der eigene Fall besprochen wurde. Die Arbeit an den eingebrachten Fällen in der Gruppenlehrsupervision ist in Erweiterung zur klassischen Gruppensupervision durch eine besondere Komplexität gekennzeichnet: Gegenstand der Fallbearbeitung sind meist die Lernprozesse der Teilnehmenden, in denen diese selbst als Supervisorinnen beratend tätig waren. Die Bearbeitung nimmt die Rolle und Vorgehensweise der Falleinbringenden in den Blick und fokussiert auf das Fallgeschehen. Der Ablauf kann variieren in der Phase des Austauschs von Eindrücken, Identifikationen, Wahrnehmungen. Eine methodische Vielfalt regt dann die Aktivitäten der Gruppe im Prozess des gemeinsamen Verstehens an.

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Folgende gruppendynamische Prinzipien verbessern eine Entfaltung des Potenzials der Gruppe in der Fallbesprechung:2 Hier und Jetzt Die Kommunikation über die aus einer forschenden Grundhaltung zusammengetragenen Eindrücke geschieht im Hier und Jetzt und bezieht sich dabei auf das Dort und Damals des eingebrachten Falles: Was wird über das Dort und Damals erzählt, und wie geschieht es im Hier und Jetzt? Was immer von den Supervisanden als Fragestellung angeboten wird, bildet sich in unterschiedlicher Weise im Hier und Jetzt ab, auch wenn es nicht darin aufgeht. Die Bearbeitung selbst geschieht ebenfalls in der aktuellen Situation, auch wenn das Dort und Damals bzw. der Blick in die Zukunft für die Bearbeitung in den Blick genommen werden. Dabei ist allen Beteiligten als berufserfahrenen Mitgliedern bewusst, dass die Erzählung der Falleinbringenden keine objektive Wirklichkeit darstellt, sondern eine subjektive Beschreibung aus der jeweiligen Perspektive des Erzählenden, verbunden mit Konstruktionen von Wirklichkeit, die aus dem Kontext des Falles stammen. So beeinflusst die unterschiedliche Organisations- und Felddynamik, in der der Fall angesiedelt ist, die Darstellung (König u. Schattenhofer, im Druck). Der Fall und seine Dynamik spiegeln sich aktuell in der Gruppe wider und die Reaktionen im Hier und Jetzt können deshalb genutzt werden, um Hypothesen zu bilden über die Reaktionen und Handlungen der Fallbeteiligten im Dort und Damals (König u. Schattenhofer, im Druck). Die Arbeit mit Spiegelungsphänomenen wird eng mit dem Konzept von Übertragung/Gegenübertragung verbunden (Oberhoff, 2000). Die Tradition3 von Gruppenanalyse, Gruppendynamik, Gruppenpsychotherapie und Gruppensupervision geht davon aus, dass »in der Reflexion des Gruppenprozesses […] dann die Beziehungsmuster rekonstruiert werden (können), die den geschilderten Patienten kennzeichnen« (Möller, 2012, S. 43). Es werden sprachlich noch diffuse Aspekte des präsentierten Falles in den Einfällen und Interaktionen der Gruppenteilnehmenden gespiegelt und in einem 2 Das Hier-und-Jetzt-Prinzip, Feedbackprozesse, Strukturen und Prozesse sowie Rollenverständnis stellen vier gruppendynamische Arbeitsprinzipien dar, die in der supervisorischen Arbeit mit Gruppen und Teams zum Tragen kommen. Diese Prinzipien wurden in sich selbst entwickelnden Gruppen erforscht und im Rahmen der sogenannten Trainingsgruppenarbeit weiterentwickelt und konzeptionell systematisch beschrieben (König, 2004). 3 Michael Balint, ein englischer Analytiker, hat als erster das Spiegelphänomen für die Gruppenarbeit nutzbar gemacht (Balint, 1975/2010).

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nächsten Schritt der Reflexion zugänglich gemacht. Wie ein »reflexiver Schwingboden« entsteht dann eine vielfältige Resonanz auf die ausgesendeten Informationen der oder des Falleinbringenden. Diese Grundlage ermöglicht, sich im gemeinsamen Bearbeiten von Fällen stellvertretend zu identifizieren. »Idealtypisches Beispiel ist eine Gruppensupervision, in der wiederum eine Gruppe untersucht wird, und sich das untersuchte System im Sinne einer Spiegelung in der Dynamik des untersuchenden Systems abbildet und zu dessen Verständnis genutzt werden kann« (König, 2004, S. 3). Die »Ebenen der Bearbeitung« und der Wechsel zwischen diesen Doch die Lehrsupervisionsgruppe ist kein »leerer Spiegel«, sondern ein soziales System mit Eigendynamik. Die Voraussetzungen für eine Arbeit mit dem Spiegelungsphänomen muss in der Gruppenarbeit immer wieder konstelliert werden, indem die Arbeitsfähigkeit weiterentwickelt wird. Es gibt mehrere Ebenen im Prozess der Bearbeitung: die Ebene des Falles selbst, das Dort und Damals, die Ebene der Lehrsupervisionsgruppe im Hier und Jetzt und die Ebene der frühen persönlichen und biografischen Vorerfahrungen der Falleinbringenden bzw. der Gruppenmitglieder. In der Phase der Fallbearbeitung werden die beiden letzteren Ebenen in der Regel nicht thematisiert. Im Unterschied zur Umsetzung des gruppendynamischen Verfahrens im gruppendynamischen Training liegt der Fokus auf der Fallbearbeitung und nicht auf einem Selbsterfahrungsprozess (König u. Schattenhofer, 2006, S. 64 ff.). Diese Klarheit ermöglicht es, sich auf den Fall einzulassen. Die Teilnehmenden stellen ihre durch Identifikation und Einfühlung entstandenen Emotionen, aber auch ihre kognitiven Erkenntnisse dem Falleinbringenden zur Verfügung. Damit schützt das Tabu des »Hier und Jetzt« die Gruppe in ihrer Arbeitsfähigkeit und dieses wird, ebenso wie die individuellen biografischen Anteile nur sehr gezielt und begrenzt an den Stellen angesprochen, wo es für die Fall­bearbeitung und im Prozess als notwendig eingeschätzt wird. So ist zu markieren, wenn in hohem Maß der Dynamik der Gruppe selbst geschuldete Emotionen und Besonderheiten die Wahrnehmung beeinflussen. Der schmale Grat zwischen erkenntnisbringenden Anteilen einerseits und die Arbeit blockierenden Störungen andererseits können durch den Lehrsupervisor und durch Einzelne in der Gruppe aufgegriffen und damit wiederum in erkenntnisbringender Form für den Fall genutzt werden. Wenn die jeweilige Fallarbeit abgeschlossen ist, erweist sich gerade in der Gruppenlehrsupervision das abschließende und gezielte Aufgreifen der Ebene des Hier und Jetzt als produktiv für Einzelne und für die Gruppe in ihrer Ent-

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wicklung. Wie ging es der Falleinbringenden mit der Gruppe? und Wie ging es der Gruppe mit der Falleinbringenden? Dieses Vorgehen bietet Raum, mögliche Spannungen ansprechen zu können. Es entlastet gegebenenfalls die Falleinbringende, die auch kritische Emotionen wahrnehmen und nicht eindeutig zuordnen konnte. Und es bietet den Teilnehmenden die Möglichkeit, ein gezieltes Feedback an die Falleinbringende zu geben. Das Vorgehen und Interventionsverhalten des Lehrsupervisors kann thematisiert werden als konzeptionelles und methodisches Lernfeld. Feedback als Motor der Arbeit Die Kommunikation im Rahmen der Fallarbeit wird durch die Initiierung von Feedbackprozessen gefördert, »d. h., die Mitglieder einer Gruppe stellen sich gegenseitig ihre Rückmeldungen zur Verfügung zu ihren jeweiligen Wahrnehmungen über eigenes und fremdes Verhalten, seine Wirkungen, die dadurch ausgelösten Phantasien und Motivunterstellungen« (König, 2004, S. 3). Durch den Abgleich von Selbst- und Fremdwahrnehmung wird die Multiperspektivität der Gruppe in eine Ressource verwandelt. Der Wahrnehmungshorizont des einzelnen Mitglieds erweitert sich. Darüber hinaus wird eine den individuellen Blick überschreitende Sicht auf die Felddynamik und auf die Wechselwirkungen der einzelnen Systeme ermöglicht. »Solche Feedbackprozesse und die dadurch initiierte Metakommunikation erhöhen […] die Handlungs- und Problemlösungskompetenz der Gruppe« (S. 3). Dieser Wechsel in die Metakommunikation und das sich wieder anschließende Arbeiten am Fall schafft eine breite Basis des Verstehens, die sowohl individuelle Aspekte, aber auch organisationsbezogene Elemente verknüpfen kann und einen anspruchsvollen Blick ermöglicht. Struktur und Prozess Der gruppendynamische Wahrnehmungsfokus ist auf zwei Ebenen – Struktur und Prozess – ausgerichtet. Strukturen sind auf der Ebene des Falles zu finden, aber auch in der Gruppe selbst: Institutionelle und organisatorische Rahmen­ bedingungen des Geschehens, das Rollengefüge der Beteiligten, Fragen von Macht, Einfluss und Führung, von Nähe und Distanz, Mitgliedschaft und Zugehörigkeit. Wie realisiert sich dies im Prozess? Wie können Veränderungen in der Gruppe wahrgenommen werden? Hilfreich hier ist der Blick auf Dimensionen wie Spannung vs. Entspannung, Harmonie vs. Konflikt, Zufriedenheit vs. Unzufriedenheit, Fremdsteuerung vs. Selbststeuerung (König u. Schattenhofer, 2006, S. 55).

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Das Selbststeuerungspotenzial der Gruppe4 wird wirksam, wenn die Gruppe lernt, erfolgte Handlungen vor dem Hintergrund dieser Strukturen und deren Erleben gemeinsam zu besprechen und die Erkenntnisse im weiteren Handeln zu nutzen. Damit wird die Gruppe zunehmend stärker, auf unterschiedlichste Impulse zu reagieren und sich flexibel den Bedürfnissen der Einzelnen anzupassen, ohne die gemeinsame Aufgabe aus dem Blick zu verlieren. Dies schafft ein vertieftes Verstehen für die Arbeit mit Gruppen und dann auch mit Teams, denn in allen professionellen Zusammenhängen liegen diese Dimensionen vor und benötigen eine Regelung. Wie dies geschieht, kann durch gemeinsame Reflexion zugänglich gemacht werden. Prozessorientiert zu arbeiten beinhaltet die Erkenntnis, dass Verstehen und Lernen eine Eigenzeit brauchen, in unterschiedlicher Art und Geschwindigkeit fassen die Teilnehmenden Vertrauen in das eigene und gemeinsame Veränderungs- und Entwicklungspotenzial und probieren sich mit neuen Sicht- und Herangehensweisen aus.

Lernen am Modell »Lehrsupervisor« Teilnehmende der Gruppenlehrsupervision lernen am Modell der anderen Gruppenmitglieder und an dem der Lehrsupervisorin bzw. des Lehrsupervisors. Der Lehrsupervisor sorgt für einen verlässlichen und transparenten Kontext, verdeutlicht den Gesprächsraum und sorgt dafür, dass das Anliegen tatsächlich bearbeitet wird. Er löst den eingebrachten Fall nicht selbst, sondern unterstützt die Gruppe, Ideen zu entwickeln und Sichtweisen und Fragen zu formulieren. Fragen, Kommentare und Deutungen oder auch kleine Inputs helfen bei der Bearbeitung, indem als wichtig für die Fallarbeit Eingeschätztes aufgegriffen und steuernd auch in Bezug auf Inhalte eingebracht wird. Auch der Lehrsupervisor hat zu Beginn noch keine klare Sicht auf die wesentlichen Einsichten, die sich erst im Arbeiten der Gruppe herauskristallisieren. Die (lehr)supervisorische Aufgabe beinhaltet, identifizierende und emotional engagierte Assoziationen zu bestärken; Zögern, Widersprüchlichkeiten, Widerstände, Umwege und Irritationen ernst zu nehmen und entstehende Spannungen zu halten, um in die (emotionale) Tiefe des Falls zu kommen. 4

»Selbststeuerung versteht man […] als die jeweils gruppeneigene Umgangsweise mit sich verändernden Kontextbedingungen. Gruppen können mehr oder weniger Potential haben, ›selbst‹ mit den Verstörungen von außen umzugehen und ihre Umwelt im eigenen Sinne (mit) zu gestalten« (Schattenhofer, 2009b, S. 437).

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Aus der Erfahrung mit sich entwickelnden Prozessen hat die Lehrsupervisorin das Vertrauen, dass in der Gruppenarbeit wesentliche Erkenntnisse entstehen und eine Evidenz beinhalten, die ihre Basis im Verstehen und in der Klärung der emotionalen Anteile hat. So kann sie der Gruppe Sicherheit geben. Dazu zählt auch, grenzüberschreitendes und entwertendes Verhalten wahrzunehmen und zu benennen und gegebenenfalls destruktive Dynamiken zu begrenzen. Die eingangs geklärte Fragestellung und eine klare Anbindung des Falls an den Falleinbringenden sind wichtig, und nicht zuletzt ist es Aufgabe des Falleinbringenden, selbst zu entscheiden, welche der vertieften Erkenntnisse für ihn wesentlich sind. Das Rollenverständnis der Lehrsupervisorin ist aktiv und zielt auf Realbeziehungen, die sich im gemeinsamen Arbeitsprozess herausstellen bzw. aus Übertragungsanteilen herausgeschält werden müssen. Dabei helfen gegebenenfalls das Hier-und-Jetzt–Prinzip und Feedback. Die Rolle ist dabei angesiedelt auf der Grenze zwischen »drinnen« (Teil der Gruppe) und »draußen« (Teil der ausbildenden Institution). Die professionelle Beziehung des Lehrsupervisors zur Supervisionsgruppe kann auch selbst jederzeit zum Gegenstand der Auseinandersetzung werden (König, 2004). Da die Rolle des Lehrsupervisors auch beinhaltet, Lernsupervisionsprozesse zu bewerten, wird dieser auch als kontrollierendes Gegenüber bedeutsam. Dies kann in der Bearbeitung je nach Loyalitäten und Konkurrenzen eine wichtige Rolle spielen. Der Lehrsupervisor sollte sich infrage stellen lassen können und die Fähigkeit besitzen, mögliche Konflikte anzusprechen und zu klären. Mit Prozess- und Beziehungskompetenz Fallarbeit zu gestalten, setzt eigene intensive Selbsterfahrung (auch) in Gruppen voraus, um die eigenen Reaktionsbereitschaften zu kennen. Die erforderliche Rollenflexibilität und -klarheit ermöglicht es, im Gegenüber der Teilnehmenden in unterschiedlichen Situationen und Aufgaben eine passende Herangehensweise zu entwickeln, ohne beliebig zu werden. Kollegialität und Teamfähigkeit gewinnen vor diesem Hintergrund gerade für die später einzeln arbeitenden Supervisorinnen und Supervisoren an Bedeutung. Für viele ist es dann eine Selbstverständlichkeit und Teil der Professionalität, sich in einer Intervisionsgruppe weiterhin regelmäßig auch ohne Lehrsupervisor selbstgesteuert auszutauschen und weiter miteinander und voneinander zu lernen. Gruppensupervisionsprozesse werden erlebt und gestaltet und können so in das eigene Methodeninventar aufgenommen werden. Abhängigkeitswünsche der Gruppe an die Expertise der Lehrsupervisorin sollten nicht erfüllt werden. Umgekehrt erfordert dies auch Bescheidenheit auf der Seite der Lehrsupervisorin. Zum Beispiel kann das Abschlussfeedback im

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gelungenen Fall beinhalten, von der Gruppe sehr viel gelernt zu haben. Die Leitung wird vielleicht nicht als zentral verantwortlich erwähnt und war doch im Rahmen der zurückhaltenden und unterstützenden Steuerung wesentlich für das Ergebnis ebenso wie die Teilnehmenden selbst.

Die Lehrsupervisionsgruppe als Ort für den Kompetenzerwerb Lehrsupervision als eine tragende Säule der Ausbildung hilft den Teilnehmenden durch das Arbeiten in der Gruppe Kompetenzen professioneller Beratung für Supervision und Coaching (Ajdukovic et al., 2015) auszubilden. Diese beziehen sich sowohl auf die professionelle Identität als auch auf professionelles Verhalten.5 Exemplarisch soll dies für zwei Kompetenzen6 verdeutlicht werden: Reflexionsvermögen Die Lehrsupervision in der Gruppe vertieft die selbstreflexive Haltung gegenüber eigenen beruflichen und persönlichen Verhaltensweisen und beinhaltet, Gedanken und Gefühle verständlich zum Ausdruck bringen zu können. Die eigenen, manchmal erst verstörenden und als störend erlebten Reaktionen und Empfindungen auf Erfahrenes können ausgehalten und durch den Austausch eingeordnet werden, selbst wenn dies mit unangenehmen Einsichten verbunden ist. Die Ambiguitätstoleranz in der Konfrontation mit Gefühlen und Einsichten wird in einer arbeitsfähigen Gruppe als ein für alle gleichermaßen notwendiger Prozess erlebt und kann so besser als Teil der eigenen Person akzeptiert werden. In der Arbeit als Supervisorin und Supervisor ist diese Kompetenz eine zwingende Voraussetzung, um mit auftretenden Konflikten und als unübersichtlich erlebten und emotional fordernden Situationen in Supervisionsprozessen umgehen zu können. Gerade weil in der Lehrsupervisionsgruppe eine Orientierung erfolgen kann durch die vielen »Spiegel« und Vergleiche mit den 5 Professionelle Identität beinhaltet Reflexionsvermögen, Integration von Theorie und Praxis und Ambiguitätstoleranz. Professionelles Verhalten: Arbeitsbeziehungen gestalten, Entwicklung fördern, komplexe Kommunikation steuern, Umgang mit Vielfalt und das Handwerkszeug, Techniken und Methoden gezielt einzusetzen (Ajdukovic et al., 2015). 6 Die »Kompetenz« bezeichnet jeweils diese unverzichtbaren fundamentalen Charakteristika professioneller Beratung in Supervision und Coaching. Das Herzstück ist dabei die Beschreibung der Performance, d. h. die Frage, wie Kompetenz wahrnehmbar wird (Ajdukovic et al., 2015, S. 6).

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anderen in der gemeinsamen Fallbearbeitung und Reflexion, lassen sich diese verunsichernden Phasen in der Beratung handhabbar machen als Teil von notwendigen Entwicklungen in der zu beratenden Gruppe. Die große Anzahl und Vielfalt der Fallbesprechungen ermöglicht ein breites Repertoire an Erfahrungen und Einsichten und ein Ausmaß an Konfrontation mit dem Eigenen, das in der Einzellehrsupervision nicht leistbar ist. Prozesse strukturieren Auch die Kompetenz, Prozesse zu strukturieren, kann vertieft werden. Das betrifft nicht nur die Gestaltung von Anfangs- und Schlusssituationen, es beinhaltet auch die Fallbearbeitung und die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen. Ein angemessenes Maß von Festlegung und Struktur auf der einen Seite, aber auch Raum für offenen Austausch zu ermöglichen, verlangt Übung und Sicherheit im Prozess. Damit verbunden ist das Aufrechterhalten und Strukturieren der professionellen Beziehung sowohl zu Einzelnen als auch mit der Gruppe als Ganzem. Die Gruppenlehrsupervision stellt eine zusätzliche und im Gegenüber zur Ausbildungsgruppe und deren Fortbildungsveranstaltungen abgeschlossene und durch einen externen Lehrsupervisor begleitete Einheit dar. Es ermöglicht in dem geschützten und zahlenmäßig kleineren Rahmen die Möglichkeit, das präzise Reagieren auf Emotionen bei unbewussten Prozessen und Spiegelphänomenen intensiv einzuüben und in die eigene berufliche Praxis zu übertragen. Der sichere Rahmen schafft Möglichkeiten, Fehler und Verletzlichkeit eher zu akzeptieren, so wie es die Teilnehmenden auch »draußen« in der Rolle als Supervisoren und Supervisorinnen selbst praktizieren können. Die Vielfalt in der Praxis der Teilnehmenden kann im gelungenen Wechselspiel von Sach- und Prozessebene als bereichernd erlebt und das eigene unverwechselbare Profil zunehmend erkannt und gefestigt werden.

Schlussbemerkung Sich in Gruppen als angehende Supervisorin bzw. angehender Supervisor zu zeigen und auszuprobieren, erfordert einen Sinn für Demut und Verbindlichkeit in der Teilnahme und im Gegenüber zu den anderen Gruppenmitgliedern. Es erleichtert die Erkenntnis, dass das eigene Können immer auch abhängig ist vom Gegenüber und dies entlastet davon, alles können zu müssen. Gruppen sind immer eine Herausforderung, denn sie sind – abhängig von ihrer Zusammensetzung – tatsächlich einzigartig. Auch wenn es erkennbare

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und benennbare Gesetzmäßigkeiten gibt, bleibt es doch aufregend, was und wie sich die Gruppe entwickelt. Der Stolz und die Erfahrung, miteinander etwas geschafft zu haben, werden zu tragenden Gewissheiten. Die Erfahrung, mit der supervisorischen Arbeit in vielen Augen gespiegelt und konfrontiert worden zu sein, schafft Sicherheit für das weitere professionelle Handeln.

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Edeltrud Freitag-Becker

Unsicherheit zulassen – Lehrsupervision als vielseitiger Möglichkeitsraum Der Möglichkeitsraum eröffnet sich dem Suchenden und Fragenden, nicht dem Wissenden, nicht dem Besserwissenden, schon gar nicht dem Allwissenden. Auchter (2004, S. 37)

Allowing uncertainty – supervision-on-supervision as a versatile space of possibilities Changes in the professional world and also in the training field have an impact on the requirements placed on coaching and supervision training. Handling these requirements, which partly express themselves in unpredictability and uncertainty, requires a better consideration and understanding of unconscious dynamics, as mirrored in the personal experience of the individual as well as in the experience of collective processes and organisational conditions. Psychodynamic supervision creates spaces for perception, understanding and utilization of these processes and target on a better understanding of the history and conditions of the emergence of current situations and behavioural patterns in everyday work life. Both places of learning (training course and supervision-on-supervision) ought to provide an adequate »opportunity space«, in which individuals can learn how to explore and deal with changes in personal and professional development. Zusammenfassung Die Veränderungen in der Arbeitswelt und Bildungslandschaft verändern auch die Anforderungen an eine Coaching-/Supervisionsausbildung. Der Umgang mit diesen Anforderungen, die sich zum Teil in Unplanbarkeiten und Verunsicherungen zeigen, bedarf der Berücksichtigung und des Verstehens unbewusster Dynamiken, wie sie sich im persönlichen Erleben des Individuums wie auch im Erleben kollektiver Prozesse und organisationaler Bedingungen widerspiegeln. Psychodynamische Supervision schafft Raum für Wahrnehmung, Verstehen und Nutzung dieser Prozesse und zielt auf eine bessere Einsicht in die Geschichte und Entstehungsbedingungen aktueller Situationen und Verhaltensmuster im beruflichen Alltag. Beide Lernorte (Kurs und Lehrsupervision) sind verpflichtet, einen adäquaten Möglichkeitsraum zur Verfügung zu stellen, in dem die Exploration und der Umgang mit Veränderungen hinsichtlich der persönlichen und professionellen Entwicklung gelernt werden kann.

Zunächst werden die Herausforderungen der Arbeitswelt an das Weiterbildungskonzept von Supervision und Coaching markiert. Es folgt ein kurzer Einblick in das psychodynamische Beratungsverständnis von »inscape«1, um anschließend die Bedeutung der Lehrsupervision innerhalb der Weiterbildung herauszustellen. 1

Mit der poetischen Wortschöpfung »inscape« hat der englische Literat und Forscher Gerard Manley Hopkins die den Erscheinungsformen der Natur inhärente Wirkungskraft zu erfassen gesucht. Übertragen auf die Arbeitswelt versinnbildlicht »inscape« die »innere Landschaft« von Menschen, Räumen und Objekten, wie sie sich in Unternehmen und Institutionen als

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Herausforderungen der Arbeitswelt – Konsequenzen für die Weiterbildung Supervision und Coaching2 finden dort statt, wo Arbeit stattfindet, und diese hat sich mit den entsprechenden Kontextbedingungen in den letzten Jahren hochgradig verändert: variierende Arbeitsstrukturen, zunehmender Kostendruck, kollektives Altern, mehr Arbeit für weniger Menschen, Qualitätsdruck, Globalisierung, Digitalisierung, wachsendes Tempo, Fachkräftemangel, Forderung nach Nachhaltigkeit, verantwortlichem und ethischem Handeln und anderes mehr. Daraus ergeben sich für die Supervision(sausbildung) folgende Konsequenzen: 1. Bei all diesen Umbrüchen und Perspektivwechseln, die oft von Unsicherheit und Unplanbarkeit begleitet werden, setzen Unternehmen und Organisationen auf Führungskräfte und Mitarbeitende, die die Fähigkeit und den Mut besitzen, mit unerwarteten und unvorhersehbaren Herausforderungen umgehen zu können und sie möglicherweise auch zu verändern suchen. Diese Anforderungen sind nicht durch Anordnungen und Verordnungen lösbar, sondern es werden Verantwortliche benötigt, die neue Sichtweisen herstellen und entsprechende Handlungsoptionen ermöglichen können, die eine Halt gebende Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit besitzen, die in der Nachdenklichkeit einen Wert sehen, die Verluste (von Arbeit und Sicherheit) »halten« können und bereit sind, trotz alledem Positionierungen vorzunehmen: Wie sind beispielsweise Entscheidungen zu treffen, wenn niemand weiß, wie die Zukunft aussehen wird und sich die Bedingungen stets ändern? Wie bleibt eine Zielorientierung möglich, ohne sich durch Ziel­fixierungen einzuschränken? Wie sind Paradoxien auszuhalten, und wie lässt sich Ambiguitätstoleranz entwickeln angesichts widersprüchlicher Anforderungen des Lebens und Berufs? Gelatt (zit. nach Nestmann, 2011) geht davon aus, dass es heute und in Zukunft wichtiger sein wird, seine Meinung ändern zu können, offen an Dinge heranzugehen und eine posiein wesentlicher Teil der Unternehmensidentität organisiert und darstellt. Diese Wortschöpfung dient als Metapher unter anderem für die Konzeptstruktur der psychodynamischen Coaching- und Supervisionsausbildung bei »inscape«, einem Fortbildungs- und Beratungsunternehmen in Köln. 2 In Bezug auf Methodik und Settings und vielfach auch in der Zielsetzung sind Supervision und Coaching sich sehr ähnlich. Die Unterschiede gehen in erster Linie auf die praktische Arbeit und Erfahrungen mit unterschiedlichen Zielgruppen und in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zurück. Das Weiterbildungskonzept versucht, die Differenzen zwischen den beiden Konzepten zu integrieren und eher zum Gegenstand lebendiger Reflexion denn zu einer professionellen Abgrenzungsdiskussion zu machen. Dies kann in diesem Beitrag nicht ausführlicher dargestellt werden. Im Folgenden wird von Supervision gesprochen.

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tive Haltung gegenüber der Nicht-Sicherheit zu entwickeln. Dafür benötigen Führungskräfte und Mitarbeitende unter anderem Denk- und Reflexionsräume (Freitag-­Becker u. Hausinger, 2016). Führen erfordert zukunftsorientiertes Denken und Handeln. Coaching und Supervision können dabei eine wichtige Unterstützung bieten, indem sie bekannte Verhaltensmuster hinterfragen helfen und neue Sichtweisen ermöglichen. Dafür müssen sie verschiedene Zugänge des Verstehens und der Reflexion ermöglichen. Sie können helfen, die häufig noch ungerichteten inneren Bewegungen zu formen und in sinnvolles und realistisches Handeln umzusetzen. Coaching und Supervision fördern somit das »Denken als Werden« wie es Gordon Lawrence (2003) beschrieben hat, es geht um den »Schatten der Zukunft« im Sinne Bions (zit. nach van Reekum, 2005). Unbewusste Dynamiken zu verstehen ist eine Möglichkeit, Ideen darüber zu entwickeln, wie sich Person und Organisation nicht nur aus ihrer Geschichte, sondern auch aus einer möglichen Zukunft heraus denken und verändern lassen. Zudem braucht es ein Bewusstsein darüber, dass die wahrgenommene Welt den eigenen Überzeugungen folgt und die eigene Beurteilung stützt. Folglich kann das Beobachten des Beobachtens (Bateson, 1981) hilfreich sein, die blinden Flecke über sich und die Umwelt zu reduzieren. »Ein System kann nur sehen, was es sehen kann. Es kann nicht sehen, was es nicht sehen kann. Es kann auch nicht sehen, was es nicht sehen kann, wenn es nicht sehen kann« (Luhmann, 1990, S. 52). Führungskräfte und Mitarbeitende in Organisationen und Unternehmen benötigen vor diesem Hintergrund Coaches und Supervisorinnen/Supervisoren, die selbst in der Lage sind, ihre Wahrnehmungskonstruktionen zu reflektieren, ihre Rolle bewusst zu gestalten, Handlungs- und Beziehungskonzepte zu entwickeln, Abgrenzungen und Differenzierungen vorzunehmen; die zum Nachdenken über Verhaltensänderungen motivieren, eine tragfähige Arbeitsbeziehung gestalten können – und ein stabiles psychisches Selbst »besitzen«. Eine berufliche Weiterqualifizierung zum Coach und Supervisor muss den aufgezeigten Entwicklungen Rechnung tragen, indem sie sich selbst als lernende Organisation versteht und ein haltender Ort für Veränderungen und Verunsicherungen ist. Gleichzeitig sollte sie sich von einem Omnipotenzanspruch und einer Machbarkeitsideologie distanzieren, alles und jeden bedienen und beraten zu können oder zu müssen. Mit einer Berater(innen)-Qualifizierung werden vielfältigste persönliche Veränderungs- und Entwicklungswünsche verbunden: Kompetenzzuwachs im Kontext der Personalentwicklung und -beratung, die Übernahme einer

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anderen Rolle im Unternehmen, Aufbau einer beruflichen Tätigkeit jenseits der Berentung usw. Die damit einhergehenden Erwartungen an eine Weiterbildung zeichnen sich durch einen hohen Anspruch bei gleichzeitiger Verunsicherung aus. Die Lehrenden (Kursleitung wie Lehrsupervisorinnen) müssen infolgedessen Lernprozesse kreieren, in denen bekannte Muster und Ansichten hinterfragt und neue Sichtweisen sich entwickeln können, in denen zu Veränderungen ermutigt wird und der Scham (z. B. gescheitert zu sein) einen Platz im Reflexionsprozess gesichert ist. Sie müssen in der Gleichzeitigkeit einen Möglichkeitsraum (für Exploration und Reflexion) anbieten sowie einen Schutzraum (für die Entwicklung der Persönlichkeit) garantieren.

Das psychodynamische Beratungsverständnis – vier Bezüge All dies bildet sozusagen die »Hinterbühne« für ein psychodynamisches Konzept des Lehrens und Lernens von Supervision, das alle am Prozess Beteiligten mit einbezieht: Teilnehmende der Weiterbildung, Kursleitung, Dozenten, Lehrsupervisorinnen und die Mitarbeitenden des Weiterbildungsinstituts. Das Weiterbildungskonzept von »inscape« orientiert sich an der Psychoanalyse als Forschungsmethode mit einem erweiterten Blick auf sozioanalytische und psychosoziale Dynamiken von Organisationen sowie an der Systemtheorie mit ihren Denk- und Handlungsoptionen. Und dies im curricularen Spannungsdreieck: Wissensvermittlung, Selbstreflexion, Handlungslernen. Supervision als reflexives Verfahren bleibt langfristig wirkungslos, »wenn sie sich nicht auf ein Konzept bezieht, das ein fundiertes Verstehen innerpsychischer und systemischer Prozesse in Berufsrollen und Organisationen bereitstellt. […] Das psychodynamische Konzept ist ein Konzept zur Gestaltung von Verstehens- und Veränderungsprozessen mit Hilfe einer in einer Übertragungsbeziehung möglichen Reflexion des Erlebten. Über das Verstehen der vorbewussten Hier-und-Jetzt-Dynamik einer sozialen Situation hinaus ist also zum einen die Kenntnis und Analyse unbewusster Wiederinszenierungen und Übertragungen frühkindlicher Objektbeziehungen in gegenwärtigen Kontakten zu Klienten, Kunden, Vorgesetzten oder auch zum Supervisor durch die analytische Selbsterfahrung unabdingbar.3 Nur durch die Berücksichtigung dieser Dimension in der Supervision ist es möglich, beim Supervisanden wesentliche und durchgreifende Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung zu initiieren, die zu mehr Kreativität, Stabilität und Profilierung der beruflichen Rolle beitragen. Darüber hinaus ist die Einbeziehung der Tiefendimension aber auch als wichtiges Instrumentarium zum Verständnis von Strukturen, Prozessen und Konflikten in Organisationen nötig. Das szenische bzw. symbolische Verstehen als 3 Die psychoanalytische Selbsterfahrung gehört nicht mehr zum Pflichtbestandteil der Weiterbildung. Andere Formen der Selbstreflexion sind jedoch als Nachweis für die Aufnahme in die Weiterbildung wichtig.

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zentrales Konzept der psychoanalytisch orientierten Supervision erleichtert es, die unbewusste Dynamik von Vorgängen auch in Institutionen wahrzunehmen, Widerstände zu erkennen und zu analysieren und der bewussten Aufarbeitung zuzuführen. Psychoanalytisch gesehen begreifen wir berufliche Situationen in Organisationen als Niederschlag bzw. Reflexion menschlicher Grunderfahrungen im biografischen und gesellschaftlichen Sinn« (Beumer, 2003, S. 152).

Das Konzept folgt somit einer Idee des »Dual Listening«: Der Supervisor bzw. die Supervisorin widmet sich sowohl der Person (Klient, Kunde …) im Kontext der jeweiligen Organisation und ihrem Erleben beruflicher Aufgabenstellung wie auch der Dynamik der Organisation, wie sie sich im Erleben der Ratsuchenden niederschlägt. Supervision ist in diesem Sinne immer gleichzeitig Beratung für den Einzelnen sowie Beratung für die Organisation. »Dabei wird die Organisation […] als ein inneres Objekt verstanden, dessen Bewusstmachung dem/der Supervisand_in helfen kann, seine/ihre professionelle Rolle besser zu verstehen, um zwischen Phantasie, Realität und Illusion Unterscheidungen zu treffen« (Beumer u. Sievers, 2000, S. 10). Dies ist der Kern der Rollenanalyse und -beratung, des »coaching in depth«. Selbstreflexion und die Analyse der Spannungsfelder mit ihren unterschiedlichen Handlungslogiken (und Handlungsaufträgen) führt zum Nachdenken über die jeweilige Gestaltung der beruflichen Rolle. Und bietet bei weiterer Bearbeitung eine wichtige Unterstützung, um innerhalb dieser Rolle inspirierende Ideen entwickeln zu können. Ziel ist es, wie oben bereits skizziert, die häufig noch ungerichteten inneren Bewegungen zu formen und in »sinnvolles« Handeln umzusetzen. Das Unbewusste ist nicht nur potenziell einschränkend und Entwicklungen blockierend, wenn es nicht verstanden wird, sondern es ist gleichzeitig das Reservoir, aus dem heraus Neues entstehen kann. Ziele und Betrachtungsfokus der Weiterbildung zeigt Abbildung 1 im Überblick.

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Persönlichkeitswachstum/ Lernen

Rollen-/Verhaltenstraining

– Bewusstheit über Charakter – »Performance« (individuelle) – Kompetenzen, Skills – Potenzial – Störung = Performance

– Interkulturelles Coaching – Leitungscoaching in FKE – Strategiewandel – Rollenübernahme – »Organisationsperformance«

Fokus der Aufmerksamkeit

Selbsterfahrung – Arbeit an der inneren Welt – äußere Konflikte (Anlass) – therapeutisch getönt

primäre Ziele

Person

Ergebnis Output Handeln

Einsicht Verstehen Bewusstwerden

Organisation

Rollenanalyse – Fokus auf Person-Rolle-OrganisationWechselwirkung – Coaching als Organisationsberatung – »Organization in the mind« – Verstehen als Voraussetzung zum Handeln – Autorität in der Rolle – Kontextorientierung

Abbildung 1: Ziele und Betrachtungsfokus der Weiterbildung

Zum Personenbezug Psychoanalytisches Verstehen ist hier nicht als therapeutische Behandlung misszuverstehen. Jede Beziehung hat auch unbewusste Anteile. Diese zu erspüren, zu verstehen und in der Beratung zu nutzen, ist mit der Theorie und Methode der Psychoanalyse verbunden. Dies bedeutet, dass sowohl in den Settings als auch in den theoretischen Teilen der Weiterbildung Beziehungen und Beziehungsaspekte entdeckt, verstanden und bearbeitet werden, um sie affektiv und assoziativ für die Tätigkeit als Supervisor nutzen zu können. Konkret bedeutet dies, das die Themen von Übertragung und Gegenübertragung, Abwehr und Widerstand, unbewusste Wiederholungsinszenierungen, szenisches Verstehen, Identifikation und Projektion, die seelische Verarbeitung sozialer Prozesse, die Reflexion der eigenen emotionalen Reaktionen und anderes mehr persönlich exploriert werden. Dies setzt voraus, dass die Toleranz mit sich selbst gefördert werden muss: »Sie ist die Vorbedingung dafür, daß man die in Feindbildern gebundenen Ängste ausfindig machen kann. Der Respekt vor den eigenen Schwierigkeiten und Ängsten und deren Erkenntnis ist die Basis, auf der man die entsprechenden Schwierigkeiten und Ängste der Supervisanden erkennen und akzeptierend aufdecken kann. Wer sich selbst

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nicht kennt, kann andere Menschen nicht so annehmen, wie sie sind. Er wird immer die Anteile am anderen kritisieren und ablehnen, die er bei sich selbst entweder nicht kennt oder die er bei sich selbst ablehnt« (Bauriedl, 1985, S. 55). Nur so kann es gelingen, die Selbsterkenntnisse in supervisorische Handlungskompetenz umzusetzen. Zum Rollenbezug Die Rolle, die eine Person in einer Organisation (analog auch in einer Lernorganisation) einnimmt, ist die Schnittmenge, die einerseits durch die Organisation und deren Vorgaben beeinflusst wird und die andererseits durch die Person (Rollenträger) selbst auf dem Hintergrund des bisher Erlebten geprägt wird (siehe Abbildung 2).

Person

Rolle

Organisation

Abbildung 2: Die Rollenschnittmenge

Die Rolle ist somit ein Teil der Psychodynamik, die sich aus dem »Interface« von Menschen und Organisationen ergibt. In gewisser Hinsicht ist die Rolle somit ein Zwischenraum, der von innen und von außen beeinflusst und gestaltet wird. Sich die eigene Rolle »klar machen«, setzt voraus, sich mit den inneren und äußeren Wünschen, Erwartungen, Normen, Enttäuschungen usw., die diese Rolle begleiten, auseinandergesetzt zu haben. Dazu gehört unter anderem die Reflexion der »Organization in the Mind« – der in mir verinnerlichten Bilder »meines« Organisationsverstehens und meiner Rolle dort sowie die Auseinandersetzung mit den konkreten »äußeren« Rollenerwartungen, wie sie sich in Funktions­beschreibungen hinsichtlich der Primäraufgabe niederschlagen.

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Zum Organisationsbezug Neben der Erforschung der Prozesse des Individuums steht die Auseinandersetzung mit den Organisationsdynamiken gleichermaßen im Mittelpunkt der Betrachtung und kritischen Reflexion. Intrapsychische Betrachtungen werden zu einer interpsychischen Beziehungstheorie erweitert und finden in einer Theorie der Psychodynamik in Organisationen Niederschlag. Diese Arbeit mit, in und an Organisationen findet im Kurs durch die Bearbeitung der oben benannten Theorien statt, durch die Reflexion der eigenen Lernorganisation sowie durch die Analyse und Diagnose erlebter Organisationsdynamiken, wie sie an den eingebrachten Beratungsfällen sichtbar werden. Zum Gesellschaftsbezug Eine kritische Reflexion gesellschaftlicher Einflussfaktoren und Erwartungen an Supervision wird mit einbezogen. Beim Thema »Umgang mit Veränderung« ist angezeigt, zwischen emanzipatorischen und manipulativen Impulsen zu unterscheiden. »Nach dem emanzipatorischen Prinzip wird bisher bestehende Unbewußtheit aufgehoben, nach dem manipulativen Prinzip wird Unbewußt­ heit und Abwehrnotwendigkeit zur (weiteren) Repression verwendet« (Bauriedl, 1985, S. 57). Das Lernen in einer prozessorientierten und kontextgebundenen Struktur umfasst somit das Lernen über sich selbst, das Lernen mit anderen, das Lernen über Gruppenprozesse und in Gruppenprozessen sowie das Erfassen sozialer und gesellschaftspolitischer Phänomene im Leistungs- und Aufgabenkontext der Arbeits- und Weiterbildungswelt. Die Gruppe der Teilnehmenden wird in der Weiterbildung gezielt heterogen zusammengestellt, damit in dieser modellhaft und stellvertretend die Vielfalt und Unterschiedlichkeit, wie sie auch auf dem Arbeitsmarkt und in den Beratungsanfragen vorzufinden sind, erlebt und reflektiert werden kann. Dieses Diversity-Lernen ermöglicht die Auseinandersetzung mit Ambivalenzen, Paradoxien und Widersprüchen. Im Prozess geht es darum, »die eigenen inneren Konflikte (inner Diversity) mit den äußeren Prozessen der Diversität, Komplexität und potentiellen Konfliktgemengelagen ›sinnvoll‹ zu koppeln. Die Zumutung besteht darin (sich und andere) in Prozessen sozialer Differenzierung nicht unhinterfragt einzuordnen, sondern die Herstellung von Gleichheit und Ungleichheit, von Hierarchie, Macht und Dominanz als Ergebnis eines wechselseitigen Herstellungsprozesses von sozialer Ordnung zu ermitteln« (Bruchhagen, 2010).

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Diese Dynamik zeigt sich unter anderem daran, dass nicht alle Teilnehmenden das gleiche Lernverständnis haben und das Gewollte zudem unterschiedlich bewertet wird: Lernen als Anpassung an permanenten Anforderungsdruck oder Lernen als Chance, sich zur Verbesserung von Entwicklungs-, Gestaltungsund Bewältigungsanforderungen notwendige Kompetenzen anzueignen, oder Lernen in einem Möglichkeitsraum, der die Chancen für generative Prozesse erschließt, oder Lernen unter dem Diktat des »lebenslangen Lernens« und dem Erwartungsdruck, Autonomie und Reflexivität entwickeln zu »müssen«.4 Durch verschiedene Formen der aktiven Mitgestaltung der Teilnehmenden an diesen Lernprozessen können die Inneneinflüsse (Tagesgeschehen und Gruppendynamik im Kurs) mit den Außeneinflüssen (Institut, Gesellschaft u. a. m.) in Bezug gesetzt werden. Das Nachdenken über die jeweils eingenommene Rolle in diesen Prozessen ermöglicht wiederum das Verstehen des eigenen Verhaltens. Auch hier besteht das Ziel darin – wie schon skizziert wurde – die häufig noch ungerichteten inneren Bewegungen zu sortieren, zu konkretisieren und dem eigenen Lernziel zuzuführen.

Der Lernort Lehrsupervision – der Unterschied, der Unterschiede macht Im inscape-Weiterbildungskonzept wird die Lehrsupervision als Möglichkeitsraum im Sinne Auchters (2007) verstanden. Ein Lernort, in dem vorbehaltlose Aufmerksamkeit für all jene (zuvor aufgezeigten) Prozesse den Schwerpunkt bildet. Drei verschiedene Formate der Lehrsupervision sind in das inscape-­Konzept integriert: ȤȤ Einzellehrsupervision, ȤȤ Coaching-Zone5, ȤȤ Gruppenlehrsupervision6. 4 »Durch autonomes Handeln sind die Menschen befähigt, Verantwortung für ihre Lebensgestaltung zu übernehmen, ihr Leben im größeren Kontext zu situieren und eigenständig zu handeln. […] Die Notwendigkeit des reflexiven Denkens und Handelns stellt ein zentrales Element […] dar. Reflexivität beinhaltet nicht nur die Fähigkeit, im Umgang mit einer bestimmten Situation routinemäßig nach einer Formel oder Methode zu verfahren, sondern auch mit Veränderungen umzugehen, aus Erfahrungen zu lernen und kritisch zu denken und zu handeln« (OECD, 2003, S. 7). 5 Die Coaching-Zone wird von Erlinghagen und Koch in diesem Band vorgestellt. 6 Die Gruppen(lehr)supervisionen folgen dem Konzept des intergenerativen Lernens: »Fertige« Coachs und Supervisorinnen sowie Weiterbildungsteilnehmende arbeiten in einer Gruppe gemeinsam an Supervisionsfällen und Fragestellungen.

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Welche Lehrsupervisionsformate in welcher Zusammenstellung und zu welcher Zeit für das individuelle Lernen förderlich sein können, klären Kursleitung und Teilnehmende in der individuellen Lernberatung. Ein erster Orientierungspunkt sind die Vorerfahrungen der Teilnehmenden hinsichtlich ihrer eigenen Selbstund Reflexionserfahrungen. Im Folgenden wird der Fokus auf die Einzellehrsupervision gelegt. Beiden Lernorten, Kurs und Lehrsupervision, ist gemein, dass die konkrete Beratungsarbeit der Teilnehmenden im Fokus der Aufmerksamkeit steht und dass die Reflexion der Reflexion reflektierend gelernt wird. Während die Kursleitung in den Kursmodulen das curriculare Dreieck (Wissensvermittlung – Selbstreflexion – Handlungslernen) primär mit Blick auf die ersten beiden Aspekte konkretisieren muss, liegt der Fokus in der Einzellehrsupervision auf Selbstreflexion und Handlungslernen. Erstens besteht der Auftrag der Lehrsupervision darin, ein Ort zu sein, an dem sich die Lehrsupervisandin mit den entstandenen Fragen und Suchbewegungen – bezogen auf die eigene Person, die zu lernende neue Rolle und die konkreten Beratungsanfragen – ernst und angenommen fühlt. Hier bekommt die persönliche wie professionelle Entwicklung den größten Raum. »Ein guter Berater wird man nicht durch das Erlernen technischer Fähigkeiten und methodischer Kompetenzen; die Berateridentität entscheidet sich an der Entwicklung der persönlichen Identität, d. h. an der Glaubwürdigkeit, der Stimmigkeit und der Überzeugungskraft in der gemeinsamen Suche nach Lösungen, in der sicheren Begleitung im unsicheren Gelände, in der Bewältigung von auftauchenden Konflikten, im Anerkennen von Grenzen und unlösbaren Problemen, im Erkennen, was der Seele gut tut« (Weigand, 2016, S. 120). Die Lehrsupervisorinnen stellen sich im skizzierten Verständnis als Lehr-Lern-Modell ihren Lehrsupervisanden zur Verfügung. Ihre soziale und selbstreflexive Kompetenz mit all den Facetten, die dafür nötig sind, zeigt sich in der Gestaltung dieser Lehr-Lern-Beziehung. Die zweite Aufgabe der Lehrsupervision ist es, Reflexion zu lehren, insbesondere die Aneignung selbstreflexiver Kompetenz (biografische und berufsbiografische Prägungen, Erfahrungen und Erleben im Umgang mit Veränderung, Widerstand usw.). Die Heterogenität der Lernenden bringt es mit sich, dass diese Aufgabe inzwischen eine herausfordernde für alle am Lernprozess Beteiligten geworden ist. Aufgrund der unterschiedlichen Vorerfahrungen der Lernenden ist die Reflexionskompetenz divers, ungenau und oft eher nur methodisch-technisch vorhanden. Es gibt weniger erlebte Selbsterfahrung wie auch weniger Wissen über die Bedeutung der Reflexion. Ebenso hat sich auf der Seite der Lehr­supervisorinnen und -supervisoren etwas verändert. Sie haben es mit Lernenden zu tun, die Anforderungen

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aus Arbeits- und Beratungsfeldern mitbringen, die ihnen (den Lehrsupervisoren) selbst fremd sind. Eine Asymmetrie beim Wissen und Können entsteht (die traditionelle Generationenfolge in Wissen und Kompetenz gerät durcheinander, die damit einhergehenden Sicherheiten werden infrage gestellt). Die dadurch entstehende Spannung gerät in den Fokus der Aufmerksamkeit und hat Auswirkungen auf die Gestaltung der dyadischen Beziehung und die jeweilige Rollengestaltung. Deren jeweils wahrgenommene Realität folgt den Routinen des jeweiligen eigenen Erlebens, Interpretierens und Bewertens. Angesichts dieser Irritationen bedarf es eines guten Containments seitens der Lehrsupervisorinnen, damit – bezogen auf die zu bewerkstelligende Primäraufgabe »Beratung lernen« – die Handlungs­ fähigkeit aufrechterhalten, die individuelle und soziale Identität in der Balance und ein angemessener Realitätskontakt gewährleistet bleiben (Schülein, 1998, S. 8). Die Realitätsüberprüfung erfolgt im Regelfall am eingebrachten »Fall« und entlang der psychodynamischen Blickwinkel: Reflexion der Person, der Rolle, der organisationalen und gesellschaftlichen Kontexte. In der Bearbeitung »des Falles« stellt sich jedoch ein weiterer Faktor der Verunsicherung ein, das Nicht-Wissen über die Klientendynamik, die organisationalen Bedingungen, das konkrete Arbeitsumfeld usw. Wie viel Bereitschaft bringen Lehrsupervisandinnen und Lehrsupervisoren hier ein, sich dem jeweiligen Nicht-Wissen zu stellen, und wie können die Gefühle von Inkompetenz und Scham auch als Ressource genutzt werden? Die Wissensgesellschaft mit ihrem Druck auf Kompetenzorientierung (und davon ist die Supervisionsausbildung nicht ausgenommen) suggeriert, dass eine entsprechende Wissensaneignung Sicherheit bringt. Im Beratungsgeschäft bleibt es jedoch die spannende Frage, was genau ich eigentlich, bezogen auf was, wissen muss und welches Wissen worüber mir eine Sicherheit im Verhalten ermöglichen wird. Das psychodynamische Konzept setzt zunächst auf die Generierung des Wissens über sich selbst, damit die eigenen Themen und Empfindungen sich nicht unreflektiert in einer rollierenden Übertragung stets wiederholen und Veränderungen somit unmöglich werden. Das erlebte Nicht-Wissen ist somit eher das Reservoir, aus dem die Suchbewegungen für die Neugier und das Entdecken des eigenen Fremden-Selbst erwachsen. Können die deutlich werdenden Empfindungen exploriert und verstanden werden, kann die Umsetzung des Verstandenen in Wissen und konkrete Handlungsprozesse erfolgen – und die Realität kann anders wahrgenommen werden. Diese Prozesse benötigen Zeit, Raum, Gelassenheit und eine verlässliche, Halt gebende Beziehungsstruktur in der Lehrsupervision. Einfühlungsvermögen und eine kongruente Haltung der Lehrsupervisoren ermöglichen, dass das implizite Wissen in explizites umgesetzt werden kann und dass andere Formen der »Wissensgenerierung« genutzt werden (z. B. durch Assoziationen oder Amplifikationen).

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Drittens ist der Lernort Lehrsupervision die Werkstatt für das Erlernen des Handwerks Supervision. Hier wird handwerklich gelernt, indem Vorgehensweisen diskutiert, Ideen verworfen und neue Handlungsmöglichkeiten konzeptualisiert werden. Die Vermittlung eines Handwerks im Sinne Sennetts braucht einen Meister, der sich zwei Fähigkeiten zu eigen macht: »Ein guter Lehrer vermittelt eine zureichende Erklärung, ein großer Lehrer verunsichert, sorgt für Unruhe und lädt zum Nachdenken ein« (Sennett, 2000, S. 15). Er verhindert nicht die Spannungen, die notwendigen Experimente, das mögliche Scheitern und die Erfahrungen von Verletzungen. Er betrachtet sich selbst als Lernenden, lässt sich etwas beibringen, ebenfalls verunsichern und infrage stellen. Und er entwickelt eine ethische Haltung im Umgang mit den »Dingen«. Bezogen auf Hanna Arendt führt Sennett aus, »dass die Menschen durch die von ihnen hergestellten Dinge etwas über sich selbst lernen können, dass also materielle Kultur durchaus ihre Bedeutung hat. […] Wir können das materielle Leben humaner gestalten, wenn wir das Herstellen von Dingen besser verstehen lernen« (S. 18). In dem Bemühen, das »Hergestellte« (im supervisorischen Kontext: das Herstellen von tragfähigen Arbeitsbeziehungen, die Verdeutlichung von Kontextbedingungen für die Gestaltung von Arbeit, das Verstehen von Strukturen usw.) zu verstehen, gibt es in der Lernwerkstatt vier Zugänge: Feststellung von Fakten/Wahrnehmung von Emotionen/Reflexion/Erprobung und Neuausrichtung. Viertens wird die Lehrsupervision mit Dynamiken des Gesamtsystems Kurs konfrontiert. Insbesondere Spannungsthemen werden hierhin verschoben, begleitet von dem Wunsch, dass sie hier bei »der versorgenden guten Mutter« Lehrsupervision eine Aufklärung oder Versorgung erfahren. Die Aufspaltung in eine versorgende Stelle (Lehrsupervision) und eine fordernde und bewertende Stelle (Kursleitung) führt zu Spaltungsprozessen. Das szenische Verstehen (Oberhoff, 2000, S. 95) dieser miteinander verwobenen Erlebnis- und Handlungsebenen in der realen wie virtuellen Triangulierung führt zu einer weiteren Klärung der Erwartungen an die jeweiligen Rollenträger. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Auftrag der Lehrsupervision darin besteht, ein Lehr-Lernsetting zu schaffen, in dem sich Habitus, Haltung und eine ethisch reflektierende Haltung im Hinblick auf das zu beratende System entwickeln kann. Dazu gehören unabdingbar: die Bereitschaft und Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit den persönlichen biografischen Themen, die Entwicklung einer suchenden und fragenden Haltung, das Interesse an einer professionellen Rollenentwicklung und Beziehungsgestaltung sowie das Halten von Ambivalenzen und Dilemmata.

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Die institutionelle Einbindung der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren Auch hinsichtlich der Auswahl mitarbeitender Lehrsupervisoren wird der Diversität Rechnung getragen: Lehrsupervisoren aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten (Hochschule, Unternehmen, Selbstständigkeit, Verwaltung) gehören zum erweiterten Personal der Weiterbildung. Sie sind Co-Leitungen in der Weiterbildung und damit in der Mitverantwortung für das Gelingen der Qualifizierungsmaßnahme. Das Anforderungsprofil umfasst verschiedene Anforderungen, unter anderem ȤȤ konzeptuelle Affinität mit dem psychodynamischen Konzept von inscape; ȤȤ Transparenz der Beratungsarbeit und des Beratungsverständnisses durch Publikationen oder Vorträge; ȤȤ Bereitschaft, sich den veränderten Erfordernissen aus der Arbeits- und Beratungswelt zu stellen, sowie die Bereitschaft, eigene Lernsettings zu überprüfen; ȤȤ sprachliche Vielfalt: z. B. Lehrsupervision in englischer Sprache; ȤȤ Teilnahme an Kontrollverfahren für die Reflexion der eigenen Beratungsarbeit. Den Weiterbildungsteilnehmenden werden Lehrsupervisorinnen und -supervisoren empfohlen. Die hohe Komplexitätsstruktur der Weiterbildung macht Halt gebende Lernsettings nötig, sodass die Kursleitung nach dem ersten Modul hierzu eine Ersteinschätzung formuliert. Begleitaspekte der Überlegungen sind: Bedeutung der regionalen Nähe, des Genderaspekts, der Branchenkenntnis, der konzeptionellen Fremdheit oder Nähe. Ein Dreieckskontrakt zwischen Weiterbildungsinstitut/Kursleitung, Lehrsupervisor und Weiterbildungskandidatin regelt die formalen Aspekte der Arbeitsbeziehung (Anzahl der Treffen, Honorarhöhe, Abschlussbericht, Nachweis über die durchgeführten Lernprozesse) und stellt gleichzeitig ein Beziehungs- und Konfliktbearbeitungsmodell dar. Ein jährliches Treffen mit den an den Weiterbildungen beteiligten Ausbilderinnen und Lehrsupervisoren dient der gemeinsamen konzeptuellen Weiterentwicklung und dem kollegialen Lernen. Fokus ist auch hier die Schaffung eines Möglichkeitsraums. Durch die gemeinsame Betrachtung der Veränderungen in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und ihre Auswirkungen auf Arbeitsprozesse und Beratungsanforderungen entsteht eine gemeinsame Schärfung des Blicks auf die bewussten und unbewussten Prozesse in Personen und Organisationen – und auf die daraus abzuleitenden notwendigen Beraterkompetenzen. Die Entwicklung eines gemeinsamen Forschungsgeistes hat das Ziel, die diversen Spannungen halten zu können, um nicht vorschnell einem Auflösungs- und Machbarkeitsdruck zu erliegen. Nicht zuletzt müssen die bewussten und unbewussten Themen

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und Dynamiken der Weiterbildung selbst verortet und versprachlicht werden, damit sie nicht im Verborgenen wirken, sondern zielgerichtet der gemeinsamen Arbeit und den verschiedenen Lernorten zugeführt werden können. Wenn inscape weiterhin »ein sicherer Ort für den Umgang mit Verunsicherung« sein will, dann muss das Institut auch zukünftig Räume und Möglichkeiten anbieten, in denen die Weiterbildungsverantwortlichen mit ihren unterschiedlichen Rollen die Verunsicherungen, Irritationen und Fantasien, die sich aus der Triade ergeben, in den Blick nehmen und bearbeiten können.

Literatur Auchter, T. (2004). Zur Psychoanalyse des Möglichkeitsraumes (Potential Space). Freie Assoziation, 7 (3), 37–58. Bateson, G. (1981). Form, Substanz, Differenz. In G. Bateson, Ökologie des Geistes (S. 576–597). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bauriedl, T. (1985). Die Aufhebung von Unbewußtheit in Balintgruppen – ein politisch bedeutsamer Prozeß. Supervision, 8, 55–59. Beumer, U. (2003). Coaching und Supervision – Modelle zur professionellen Kompetenzentwicklung. Pädagogischer Blick, 11 (3), 144–154. Beumer, U., Sievers, B. (2000). Einzelsupervision als Rollenberatung – Die Organisation als inneres Objekt. Supervision, 3/2000, 10–17. Bruchhagen, V. (2010). Nicht veröffentlichter Vortrag auf der Final Conference des EU-Projektes »Counselling in a Mulicultural Europe« der ANSE (Association of national Organisations for Supervision in Europe), Wien. Freitag-Becker, E., Hausinger, B. (2016). Supervision. In W. Gieseke, D. Nittel (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz Juventa. Lawrence, W. G. (2003). Soziales Träumen und Organisationsberatung. In B. Sievers, D. Ohlmeier, B. Oberhoff, U. Beumer (Hrsg.), Das Unbewusste in Organisationen (S. 349–374). Gießen: Psychosozial-Verlag. Nestmann, F. (2011). Anforderungen an eine nachhaltige Beratung in Beratung, Bildung und Beruf. Ein Plädoyer für die Wiedervereinigung von »Counselling« und »Guidance«. Positionen, Beiträge in der Beratungswelt (Deutsche Gesellschaft für Supervision), 4, 2–8. Luhmann, N. (1990). Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf die ökologische Gefährdung einstellen (3. Aufl.). Opladen: Westdeutscher Verlag. Oberhoff, B. (2000). Übertragung und Gegenübertragung in der Supervision. Münster: Daedalus. OECD (2003). Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung, htttp:// www,oecd.org/dataoecd Schülein, J. A. (1998). Psychoanalyse und Soziologie oder: Das Unbehagen am Diskurs. Psychosozial, 72 (2), 111–120. Sennett, R. (2000). Handwerk. Berlin: Berlin-Verlag. Sievers, B. (2015). Coaching in Zeiten der Krise. In B. Sievers (Hrsg.), Sozioanalyse und psychosoziale Dynamik von Organisationen (S. 59–76). Gießen: Psychosozial-Verlag. Van Reekum, G. (2005). Zu einem Zitat von Bion – Assoziationen für ein Transformationsmodell von Zukunft. Freie Assoziation, 8 (2), 23–46. Weigand, W. (2016). Beraten – ein professionelles und personengebundenes Alltagsgeschäft. In D. Rohr, A. Hummelsheim, M. Höcker (Hrsg.), Beratung lehren. Erfahrungen, Geschichten, Reflexionen aus der Praxis von 30 Lehrenden (S. 113–122). Weinheim: Beltz Juventa. Winnicott, D. W. (1983). Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. Frankfurt a. M.: Fischer.

Heinrich Fallner und Elke Vowinkel

Lehrsupervision mit Gestalt und System

Supervision-on-supervision using gestalt and systemic approaches One of the most basic conceptual aspects of gestalt supervision-on-supervision is the internal dialogical attitude of the supervisor. Being aware, that it is something special to work with living human beings, the gestalt supervision trainer takes theoretical knowledge and the use of creative methods into account. Appreciation and assertiveness are the essentials of the supervisory processes entrusted. Being aware of phenomenology as a method, we postulate in gestalt super­visionon-supervision, that it centers around an understanding of human existence. In this article, we give a simple and very practical overview of a process of supervision-on-supervision using systemic and gestalt approaches – based widely on the motto: »From contact through contract into a working relationship!« Zusammenfassung Einer der grundlegendsten konzeptionellen Aspekte der Lehrsupervision mit Gestalt ist die innere dialogische Haltung des Supervisors bzw. der Supervisorin. Die Gestalt(lehr)supervisorin arbeitet unter Berücksichtigung von theoretischem Wissen und dem Einsatz kreativer Medien in der Bewusstheit, dass die Arbeit mit lebendigen Menschen etwas Besonderes ist. Wertschätzung und Achtsamkeit sind die Grundlage der ihr anvertrauten Supervisionsprozesse. In der Bewusstheit der Phänomenologie als Methode gehen wir in der Gestalt-Lehrsupervision davon aus, dass es immer um das Verstehen des menschlichen Seins geht. In unserem Beitrag geben wir ganz praktisch einen Überblick über einen Lehrsupervisionsprozess mit System und Gestalt – frei nach dem Motto: »Vom Kontakt über den Kontrakt hin zur Arbeitsbeziehung!«

Leitbild: Gestalt-Lehrsupervision »Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten! In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig! Im Handeln ähnlich wie ein Engel! Im Begreifen wie ähnlich einem Gott! Die Zierde der Welt! Das Vorbild der Lebendigen!« (Shakespeare, 1623/1974, S. 43)

Dieses Zitat von William Shakespeares aus »Hamlet« sagt viel über einen der grundlegenden konzeptionellen Aspekte der Lehrsupervision mit Gestalt aus:

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die innere dialogische Haltung des Supervisors bzw. der Supervisorin! Aus dieser Haltung heraus sowie unter Berücksichtigung von theoretischem Wissen und dem Einsatz kreativer Medien arbeitet die Gestalt(lehr)supervisorin in der Bewusstheit, dass die Arbeit mit lebendigen Menschen etwas Besonderes ist. Wertschätzung und Achtsamkeit sind die Grundlage der ihr anvertrauten Supervisionsprozesse. Der supervisorische Gestaltansatz geht davon aus, dass die Ressourcen und Potenziale zur Lösung eines Problems/einer Situation im Supervisanden selbst liegen. In der Supervision gilt es den Einzelnen zu befähigen, den Kontakt zwischen sich und seinem Umfeld sinnerfüllt, schöpferisch und zielführend zu gestalten. Der Begriff »Gestalt« im Zusammenhang mit (Lehr-)Supervision steht für die ganzheitliche Sicht des Menschen, in der Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden. In der Supervision werden somit Gemütsregungen, Denken und Handeln gleichermaßen berücksichtigt. Die supervisorische Arbeit ist orientiert am Hier und Jetzt, ohne jedoch die Umsetzung aus dem Blick zu verlieren. Neben Reflexion und Gespräch bedient sich die Gestalt(lehr)supervision einer Vielzahl von kreativen Vorgehensweisen und Methoden, die im Folgenden an einigen Beispielen entdeckt werden können.

Gestalt, praktisch und hautnah In der Bewusstheit der Phänomenologie als Methode gehen wir in der GestaltLehrsupervision davon aus, dass es immer um das Verstehen des menschlichen Seins geht. Das erlebte Hier und Jetzt gehört der Lehrsupervisandin selbst und ihrem Ich. Als Lehrsupervisor/-in fordere ich sie immer wieder auf, ihren Aussagen, Handlungen und Emotionen Beachtung zu schenken, sie als ihr Eigentum zu betrachten und dafür auch Verantwortung zu übernehmen. Für uns spielt in diesem Zusammenhang in der Lehrsupervision die Intervention des Wahrnehmens und Nachspürens eine große Rolle: »Wie haben Sie die bzw. sich in der Situation erlebt? Was hat das bei Ihnen ausgelöst? Welche Gefühle haben dabei eine Rolle gespielt?« Es gilt, die Lehrsupervisandin eintauchen zu lassen in ihr Erleben. Hier unterscheidet sich die Gestalt-Lehrsupervision von anderen supervisorischen Ansätzen: im bewussten Wahrnehmen, Erleben und Gestalten der zu bearbeitenden Situationen oder Fälle. »Werden Lebensgeschichten nicht nur im Leib archiviert, sondern auch intensiv verkörpert, z. B. durch eine Körperhaltung, ein psychosomatisches Regulationsmuster, das Wahrnehmung, Erleben und Handlungsabläufe behindert, so ist eine Kontaktaufnahme mit Quellszenen notwendig. Wichtig dabei ist, dass solche Quellszenen nicht nur

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in der frühen Kindheit entstehen, sondern in jedem Lebensabschnitt auftreten können, also auch noch in der Lehrsupervision selbst« (Richter, 1997, S. 141). Wir möchten Ihnen in diesem Beitrag ganz praktisch einen Überblick über einen Lehrsupervisionsprozess mit System und Gestalt vorstellen. Frei nach dem Motto: »Vom Kontakt über den Kontrakt hin zur Arbeitsbeziehung!«

Den Raum für die Lehrsupervision markieren und gestalten Als Lehrsupervisor/-in benötige ich Klarheit für den Rahmen und die Gestaltung des Lehrsupervisionsraumes. Hier beziehen wir uns nicht auf die äußere Gestaltung, sondern auf das Konzeptionelle und Inhaltliche des Beratungsraumes. Als wesentliche Markierung sehen wir: Einen Raum mit vielen Möglichkeiten und »jenseits von richtig und falsch« (nach Rumi, o. J.) anzubieten; Ressourcenblick und Entwicklung; Orientierung und Perspektiven; Unterstützung und Anforderungen. Für die Arbeit in diesem Raum ist die Präsenz der Lehrsupervisorin von Bedeutung. In der Lehrsupervision mit Gestaltansatz ist es grundlegend, dass sie mit sich in Kontakt ist. Es gilt die Devise: »Wenn du nicht in Kontakt mit dir selbst bist, dann sei besonders behutsam mit deinem Gegenüber und dem Prozess!« Ebenfalls bedeutsam ist der Kontakt der Lehrsupervisorin zum Lehrsupervisanden und umgekehrt. In dieser Wechselwirksamkeit kann eine Arbeitsbeziehung entstehen, wachsen und zum späteren Zeitpunkt mit inhaltlichen und personalen Anforderungen tragfähig werden. Für die Entfaltung von Supervisionskompetenz ist es erforderlich, dass der Lehrsupervisor Raum gibt und gleichzeitig hinreichend Halt bietet, um in Entfaltungsunsicherheiten zu stützen. Nahrung für die Kompetenzentfaltung der Lehrsupervisandin wird möglich durch stützendes, schützendes Begleiten, Fordern und Konfrontieren. Als zentrale Prinzipien der Lehrsupervision sind zu sehen: Einverständnis, Einfühlung und die Fähigkeit zur Konfrontation (­Fallner, 1989). Dazu erforderlich ist das Hineinversetzen der Lehrsupervisorin in die Kompetenzentfaltung des Lehrsupervisanden. Der Lehrsupervisionsprozess mit Gestalt findet im Hier und Jetzt statt, ist vertraulich nach innen offen, nach außen verschlossen und zeitnah an den Prozessen des Lehrsupervisanden orientiert. Lehrsupervision mit Gestaltelementen ist interaktiv und innovativ. »Der Lehrsupervisionsraum ist ein Raum, den ich als Werkstatt betrachte. Die Intention ist ein Zusammenfügen vieler Erfahrungen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu einem Konzept, welches zu der werdenden Supervisorin passt. […] Ich als Supervisor bin die Grundintervention im Supervisionssystem und -prozeß« (Fallner, 1997, S. 159).

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Über vorhergehende Kontraktarbeit hinaus, gilt es auch für die konkrete Lehrsupervisionssitzung einen Kontrakt zu gestalten: Welchen Auftrag gibt sich die Lehrsupervisandin für diese Sitzung? Hat sie ihr Thema aus ihren Supervisionsprozessen klar und dabei? Benötigt sie einen Impuls, um gut in der Sitzung anzukommen und arbeitsfähig zu werden? Ausgangs- und Bezugspunkt in der Lehrsupervision sind die Supervisionsprozesse des Lehrsupervisanden. Dabei entstehen Arbeitsschwerpunkte. »Die Entfaltung der lehrsupervisorischen Beziehung (Arbeitsbeziehungsweitung) steht in engem Zusammenhang mit den Lernmöglichkeiten und damit der Kompetenzweitung. LehrsupervisandInnen werden am Anfang der Arbeitsbeziehung oft mit sehr engen, eigenen Grenzen konfrontiert« (Richter, 1997, S. 136).

Die Quellen und Ziele der supervisorischen Kompetenzentwicklung Person Damit die Lehrsupervisandin in ihrer Rolle als Supervisorin rollenklar, arbeitsbeziehungsstabilisierend und prozesserhaltend im Supervisionssetting intervenieren kann, benötigt sie unter anderem die Klarheit ihrer Person. Auf wen treffen Supervisanden bei der Lehrsupervisandin in ihrer Praxis als Supervisorin (Fallner, 1989)? Die Lehrsupervisandin muss eine Verbindung herstellen mit ihrer Kompetenzentfaltung und ihrer Lebensgeschichte. »Die Arbeit im personalen Entfaltungsbereich entwickelt sich aus der Betrachtung und Reflexion des Erlebens und Handelns als SupervisorIn im Supervisionssystem heraus. Das ›Gewordensein‹ und der eigene Entwicklungsweg sind wichtige Aufmerksamkeitsrichtungen« (Fallner, 1997, S. 165 f.). Dabei geht es um: ȤȤ Biografisches Wissen: Wo komme ich her? ȤȤ Identitätswissen: Wer bin ich? ȤȤ System- und Rollenwissen: In welchen Bezügen, Verbindungen und Beziehungen lebe und befinde ich mich? ȤȤ Wissen um Ziele, Visionen und Spiritualität: Wo will ich hin? ȤȤ Bedarfs-, Ressourcen- und Veränderungswissen: Was brauche ich dazu? In dieser Phase arbeiten wir in der Lehrsupervision mit »Eintragungen in meiner Lebenslandkarte« (der Lehrsupervisandin). Aus der Praxis der Lehrsupervisandin als Supervisorin ergeben sich die Themen (Aufmerksamkeitsrichtungen) und die Fokusse der einzelnen Lebensphasen und Zeitetappen. Themen sind bzw.

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können sein: Begleitung, Konflikte, Belastungen, Freude in meinem Leben und vieles andere mehr. Das Thema kann auf alle Zeitetappen oder aber auch nur auf einzelne Zeiträume bezogen werden. Diese können sein: ein Jahr zurück, Berufsund Arbeitszeit (Erwachsenenzeit), Berufsausbildungs- und Studienzeit, Schulzeit und Kindheit. Als Gestaltungselemente arbeiten wir mit Symbolen zum Thema und der jeweiligen Zeitetappe. Für die Gestaltung verwenden wir unterschiedliche Materialien, wie z. B. Seile (farbige Gymnastikseile), Tonerde, Pfeifen­reiniger (groß und bunt), Aufstellungsfiguren, Farbkreide. Welche Erfahrungen werden im Kontakt zu den jeweiligen Symbolen bei der Lehrsupervisandin wieder erlebbar? Wie wirken sich diese Erfahrungen im Supervisionsprozess aus? Welche Chancen und Fallen werden wahrnehmbar, annehmbar, betrachtbar und handhabbar? Die Lehrsupervisorin entscheidet ganz bewusst, welchen Fokus sie anbieten will. Welcher Fokus steht im Hier und Jetzt im Vordergrund? Es ist wichtig, dass sie dabei einschätzt, auf welcher Tiefungsebene das kreative Material und Verfahren seine Wirkung hat. Kreative Ansätze fördern oft den tieferen Kontakt zu sich selbst und sind regressive Stimulanzen. Sie stimulieren und reflektieren gleichzeitig derzeit ungesehene persönliche Erlebnisanteile. »Man kann zwei Tiefungsmodalitäten unterscheiden, das ›regressive Absenken‹ und Tiefen als ›Heben von psychischem Material‹ über die Bewusstseinsschwelle. Sie dienen dem Begreifen, Verstehen und Verändern von psychischen und beziehungs-dynamischen Zusammenhängen. Lehrsupervision verwendet das Tiefen nur im Sinne der Materialhebung. Die andere Variante ist eindeutig ein therapeutisches Vorgehen« (Richter, 1997, S. 155). Die Frage, die es zu stellen gilt: Was bedarf in der Lehrsupervision der tiefenden Reflexion, um den weiteren Umgang für die Lehrsupervisandin aufzubereiten? Wie an diesen Fragen deutlich wird, ist die biografische Arbeit an und mit der eigenen Person ein wesentlicher Bestandteil in der Gestalt-Lehrsupervision. Die Auseinandersetzung mit den eigenen biografischen Mustern und die Arbeit an und mit diesen bildet eine gute Basis für die Arbeit als Supervisor. »Das Leib-Selbst speichert nicht nur wichtige biographische Erlebnisse, sondern auch aktuelle Ereignisse. Tiefen kann also auch dazu dienen, aktuelle, aber zunächst nicht begreifbare seelische Vorgänge über die Schwelle des bewußten Ichs zu ›heben‹« (Richter, 1997, S. 155). Haltung Die inneren Beweggründe der Person verkörpern sich über die Haltung im Beziehungsraum (Arbeitsbeziehungsraum). Haltungen enthalten Botschaften, Aufträge und Anweisungen zum eigenen Sein und Wert. Die Haltung ist die primäre Intervention im Supervisionsraum (»Ich bin die Grundintervention«). In

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der Gestaltarbeit gehen wir davon aus, dass die Haltung der Supervisorin eine verkörperte Bewältigungsstrategie ist, d. h. die Haltung beinhaltet alle Anteile, wie die Person bisher das Leben bewältigt hat. Die Klarlegung des Bewältigungshaushaltes ermöglicht die Entwicklung von Gestaltungsmöglichkeiten (siehe auch Abschnitt Konzept und Kompetenz). Interventionen sind reflektierte, konzeptgeleitete Kommunikationen und Interaktionen aus der professionellen Rolle heraus. Sie sind im Bewältigungshaushalt der Lehrsupervisandin angebunden und werden weiterentwickelt in eine Gestaltung: Interventionen sind aus dem Bewältigungsrahmen heraus reflektierte und gestaltete Interaktionen in Situationen innerhalb der Supervision. Jede Haltung hat Ressourcen und Fallen, die sich in den systemischen, zirkulären Zusammenhängen der Supervisionsprozesse auswirken. Für werdende Supervisorinnen und -supervisoren bedarf die eigene Haltung der professionellen Reflexion. In der Lehrsupervision mit Gestalt beziehen wir uns auf den körperlichen, leiblichen Ausdruck der Haltung. Was scheint durch von der Person, ihrem Wesen, ihrem Lebensweg, ihren Erfolgen und Schicksalen? Und wie wirkt es im Prozess? Arbeitsmittel zur Haltungsreflexion sind für uns Skulpturen, Statuen und nachgestellte Beziehungsszenen (in Anlehnung an K. F. Richter). Die Arbeit an und mit der eigenen Haltung erleichtert der Lehrsupervisandin die Arbeit an und mit der Haltung ihrer Supervisanden. »In meiner Haltung als Lehrsupervisorin bin ich in der Arbeitsbeziehung unmittelbares Gegenüber und somit ›leibhaftig‹ als Modell sichtbar und betrachtbar. […] Meine reflektierten Supervisionserfahrungen können (nur) als Praxislehrstück angeboten und vermittelt werden, da, wo es im Entfaltungsprozess der Ausbildungskandidatin unterstützend ist. In diesen Prozesssequenzen bin ich Supervisionslehrer« (Fallner, 1997, S. 161). Beziehung Wer in Systemen wirksam werden will, muss sich auf Beziehungen beziehen! Beziehungen befinden sich in wechselwirksamen Zusammenhängen. In Anlehnung an Hildegard von Bingen kann man sagen: »Alles ist aufeinander bezogen und wechselseitig verbunden.« Die Einheit für Veränderung ist die Beziehung bzw. die interaktionale Wechselwirksamkeit. In der Gestalt-Lehrsupervision gehen wir davon aus, dass alle Themen der Lehrsupervisandin in der Beziehung zwischen ihr und dem Lehrsupervisor transportiert werden. Über die analoge Haltung und der Art und Weise der Kommunikation der Lehrsupervisandin wird die beziehungsmäßige Bedeutsamkeit der Themen für den Lehrsupervisor erkennbar und somit die gemeinsame Betrachtung und Reflexion ermöglicht. Bezogen auf den Lehrsupervisor

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sind für uns Achtung, Wertschätzung und Respekt wesentliche Interventionen in der Arbeitsbeziehung. Selbstwert entsteht über Beziehungswert! Die beziehungsmäßige Wertschätzung des Lehrsupervisors führt bei der Lehrsupervisandin zur Annahme und Stabilisierung ihrer professionellen Haltung. An dieser Stelle beziehen wir bei Bedarf die unterschiedlichen Kommunikationshaltungen nach Virgina Satir (1994) mit ein: das Erkennen der sozialsystemischen Hintergründe, der enthaltenden Sehnsüchte und der häufig paradoxen Verhaltensweisen. Für die supervisorische Kompetenz werden professionelle Ansätze im Umgang damit in der Lehrsupervision erarbeitet. Beziehungen werden gestaltet durch: Sehen – »Das Ansehen der Person beginnt mit dem Anschauen des Menschen«; Hören – »Ich höre und ich werde angehört«; Haltung – »Wie bin ich leiblich-körperlich zugewandt, abgewandt, in Nähe, in Distanz«; Fragen – »Ich frage und ich bin gefragt«; Antworten – »Ich antworte und nehme Antworten an« (Zitate: Ohm, 2015). In Verbindung und Abgrenzung zu anderen Lehrsupervisionskonzepten beziehen wir den analogen Teil der Kommunikation als wesentlichen Lernbereich der Supervision mit ein. Rolle Die Grundlage für die professionelle Rolle sind Erfahrungen in den Wachstums- und Entwicklungsrollen, Leistungs- und Funktionsrollen, sozialen und gesellschaftlichen Rollen aus dem Lebenshintergrund der Lehrsupervisandin. Welche Rollen habe ich erfahren in diesen Zusammenhängen? Welche habe ich nicht erfahren und leben können? Die Zu- und Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Rollen (erinnern, vergegenwärtigen) sind unter Hinzunahme von supervisorischem Fachwissen die Grundlage für die Entwicklung der professionellen Rolle als Supervisorin. Diese Schnittmenge und Verbindung ist ein sensibler Bereich für die Rollenentwicklung der Lehrsupervisandin. Wir nehmen an, dass viele Rollenanteile in uns wirksam werden können, wenn sie entsprechende Impulse bekommen: Wie muss eine Situation beschaffen sein, dass diese (alte) Rolle in dieser Situation wieder »Ladung« bekommt? Das bedeutet für die professionelle Supervisorin eine gute Achtsamkeit für die Rollen, die sich in ihrem persönlichem »Rollengepäck« befinden. In der Gestalt-Lehrsupervision wird angeregt, dass etliche Rollen wieder Gestalt bekommen. Damit gemeint ist: Wesentliche Rollen werden herausgearbeitet und angeschaut unter dem Aspekt, welche Funktionen mit diesen Rollen im Leben verbunden waren. Ganz praktisch werden in begreifbarer Form der Stuhl der Lehrsupervisandin und der Stuhl ihres Supervisanden aufgestellt (z. B. Modellstühle aus dem Stapelspiel). Hinter dem Stuhl der Lehrsupervisan-

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din werden ihre wesentlichen »Rollen-Stühle« (»Rollenschwanz«) aufgebaut. In der Betrachtung und Reflexion kann sie für sich ermitteln, welche Rollen für ihre professionelle Rolle eher unterstützend und welche eher blockierend sind. Wann springt eine Rolle aus dem »Rollenstuhlsetting« bei mir als Supervisorin an und aus welcher Rolle des Supervisanden kommt der Impuls, der zur Aktivierung der Rolle in meinem Rollenhaushalt führte (»Rollenklappern«). Auf welchen Knopf muss bei mir gedrückt werden, dass diese Rolle bei mir anspringt? Die erfahrenen und vergegenwärtigten Rollen sind auch Ressourcen. Sie können gute Informationen für die aktuelle Situation liefern. Entscheidend ist, dass sie nicht die Regie übernehmen, sondern meine professionelle Rolle die Regie behält. Um das zu gewährleisten, brauche ich mit meinen wesentlichen Rollen Kontrakte: Sie dürfen mir Informationen geben, die ich schätze, aber sie dürfen nicht die Regie übernehmen! In der Lehrsupervisionspraxis mit Gestalt beginnen wir im Hier und Jetzt und lassen einen Rollenkalender (Leporello) über sieben Tage erstellen. An welchen Tagen bin ich mit welchen Rollen in Kontakt gekommen? Wie war die Situation beschaffen? Was haben die Rollen bewirkt, ermöglicht und verhindert? Kompetenz und Konzept Konzeptentwicklung und Kompetenzentfaltung sind unaufhebbar miteinander verbunden und vernetzt. Im Werden sind es Parallelprozesse. Unter Konzept verstehen wir im engeren Sinne das, was aus der Vielfalt der Erfahrungen bisheriger Berufsausbildungen, Fort- und Weiterbildungen zusammentrifft, sich »empfängt« (Fremdwörterbuch, 1983, Stichwort: Konzept) und in das Wachstum der supervisorischen Kompetenz eingeht und aufgenommen werden kann. Wesentlich für »das Werden« ist immer auch die Zuhilfenahme des supervisorischen Fachwissens. Das Konzept beinhaltet die Gesamtheit der Möglichkeiten und Annahmen, die der Lehrsupervisandin zu eigen sind und werden, um den Supervisionsraum professionell zu gestalten. Im Einhergehen mit der Konzeptverdichtung verläuft in der Gestalt-Lehrsupervision die Kompetenzentfaltung. Das Augenmerk dabei ist auf die Verbindung von Person, Haltung, Konzept, Kompetenz und professionelle Rolle gerichtet. Können die Inhalte des Konzeptes im Supervisionsprozess Raum finden und gehalten werden? Wo und wie über- bzw. unterfordert sich die Lehrsupervisandin in ihrer Rolle als Supervisorin? In diesem Sinne bezeichnen wir Kompetenz auch als die Fülle der Möglichkeiten, um die konzeptionellen Inhalte arbeitsbeziehungsmäßig im Supervisionssystem umzusetzen (Fremdwörterbuch, 1983, Stichwort: Kompetenz).

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Um wesentliche Zugänge zum Konzept und zur Kompetenz zu entdecken, zu betrachten und auf Ressourcen hin zu reflektieren, arbeiten wir in der GestaltLehrsupervision mit dem Konzept- und Kompetenzkubus (Fallner, 2015). Der Innenraum des Kubus ist markiert mit den Zielen, die für die Konzeptentwicklung und -entfaltung in der Supervision grundlegend sind (siehe Abbildung 1). Person Haltung Beziehung Professionelle Rolle Kompetenz/Konzept »Koffer« Prozessblick/Prozessgestaltung Systemblick Abbildung 1: Ziele der Kompetenzentwicklung und -entfaltung

In den Kubus hinein führen Wege/»Zuflüsse«, die für die Kompetenzentfaltung wesentlich sind. Sie erhellen und verdeutlichen die Quellen und Ressourcen der supervisorischen Entwicklung. Mit der Übersicht in Tabelle 1 laden wir die Lehrsupervisandin ein, diese Zuflüsse zu entdecken, sie sich klarzulegen, zu betrachten und für die Professionalisierung als Supervisorin zu nutzen. Tabelle 1: Zuflüsse zur Kompetenzentfaltung – Fragen und Stichworte Mein Lebensweg ich als Person, in meiner Biografie, immer wieder auf dem Weg zur Übereinstimmung mit mir, genografische Selbstkenntnisarbeit

Mein Beziehungsweg ich in meinen persönlichen, privaten, sozialen, gesellschaftlichen und beruflichen Entwicklungen, Bezügen und Beziehungen

Mein Leibweg Wie bin ich Zuhause in meinem Körper, mit Leib, Seele und Herz, Sinnen, Bewegung, Möglichkeiten, Grenzen und auch Behinderungen?

Mein Leidens- und Kränkungsweg Welche Brüche, Abwertungen und Schicksalsschleifen habe ich erfahren und durchlebt? Was kann ich daraus für meinen Weg als Supervisorin mitnehmen und lernen?

Mein Ressourcenweg Welche Gaben, welche Charismen ruhen und leben in mir, welche konnte ich weiterentwickeln? Was wurde Fülle in mir? Welche Begabungen und Fähigkeiten konnte ich bisher entwickeln? Welche Lücken bleiben?

Mein Verarbeitungsweg Welche Situationen habe ich gut ­verdaut, was habe ich vermieden? ­Konflikte und Harmonie in meinem Leben, Stärken, Schwächen, Bescheidenheit, Überheb­­lichkeit

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Mein Rollenweg Wachstums- und Entwicklungsrollen, Leistungs- und Funktionsrollen, soziale und gesellschaftliche Rollen, Rollenerleben, Unter- und Überforderung, Rollenverantwortung

Mein Handlungsweg Was hat mein Handeln bestimmt? Welche Grundmuster erkenne ich in meinem Tun und Handeln? meine Wahrnehmung, meine Bedeutungsgebungen, Methoden, Interventionen in meinem Leben

Mein Wissensweg Wie wurde Wissen an mich herangetragen? Wie habe ich mir Wissen angeeignet? Erfahrungswissen, Theorie- und Alltagsverbindungen. Wie lerne ich heute?

Mein kultureller Weg meine Herkunft, regionale Prägungen, ­ethnischer Hintergrund, Nationalität, Kultur in meinen früheren Bezügen, Kontakt mit anderen Kulturen

Mein spiritueller Weg mein Menschen-, Gottes- und Schöpfungsbild, Spiritualität, Religion und Glaube in meinem Leben, Theologie, Ideologien, Visionen

Mein Systemweg ich in und mit Systemen unterwegs, eingeengt, Raum bekommen, ­gewachsen, geworden, Erfahrungen mit/in Organi­sationen/Institutionen

Mein politischer Weg meine politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen, Hintergründe, Annahmen und Initiativen, ich als Bürger in diesem Staat

Andere Wege Manchmal werden bestimmte Wege für die Lehrsupervisandin in diesem Zusammenhang überhaupt erst erkennbar, wichtig und interessant, sodass auch andere Wege hinzukommen können.

Insgesamt geht es in der Gestalt-Lehrsupervision darum, dass der Lehrsuper­ visand sich an diese Wege erinnert und sie für sich vergegenwärtigt, um sie später gegebenenfalls für seine eigene Supervisionspraxis übersetzbar zu machen. In der Lehrsupervisionsarbeit werden unterschiedliche Materialien zu ausgewählten oder hinzugefügten Wegen verwendet. Die Arbeit, auch mit dem Konzept- und Kompetenzkubus, nimmt am Anfang einen großen Teil der Lehrsupervision in Anspruch. Wir sprechen hier von einem neuen Berühren mit Vielfältigkeit, Intensität und tiefendem Sehen im Supervisionsprozess. Auch in der Abschlussphase der Lehrsupervision kann man im Rückblick auf die Wege oft bemerkenswerte Verbindungen zur Kompetenzentfaltung feststellen. »Koffer« Im Verlauf der Weiterbildungen zur Supervisorin füllt sich der Methoden- und Interventionskoffer. Er wird gefüllt vom Lehrsupervisanden selbst. Er erfährt, erlebt, vergegenwärtigt und entscheidet. In der Lehrsupervision wird ein professioneller Umgang mit erlebten Methoden, Settings und Strategien trainiert. Dies erfolgt in und durch die Reflexion folgender Ebenen:

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ȤȤ Erlebnis-Ebene: Individuelle Resonanz, Kontakt zum persönlichen Bezugsrahmen (situativ-aktuell, strukturell-lebensgeschichtlich); ȤȤ Ergebnis-Ebene: persönliches Ergebnis, professionelle Erfahrung, Gewinn für die Supervisionsarbeit; ȤȤ Methoden-Ebene: »Anfühlen« der Methode/Beziehung zur Methode, »Stimmigkeit« der Methode: Passt die Methode zu mir und zu meinem Gegenüber? ȤȤ Transfer und Variationen: Kann ich die Methode gut in meine Supervisionen übernehmen? Was will ich an der Methode verändern, ergänzen oder für mein Konzept umgestalten? Werde ich diese Methode nicht verwenden? Prozessblick und -gestaltung Hier kommt es darauf an, dass die Lehrsupervisandin einen guten Blick für Prozessverläufe entwickelt. Welche Gestaltungselemente (»Beratungskoffer«) stehen ihr für einzelne Sitzungen zur Verfügung? Welche inneren eigenen Ressourcen sind erforderlich, um Raum und Halt zu geben? Welche Möglichkeiten hat sie, diese zu entwickeln? Wie verbinden sich die einzelnen Sitzungen im Verlauf des Prozesses miteinander? Entsteht ein guter Spannungsbogen – ist er zu flach oder zu hoch? Wie geht sie mit dem Tiefungsbogen um? Welche Möglichkeiten stehen ihr zur Verfügung und welche gilt es zu entwickeln? Diese Entwicklung nennen wir in der Gestalt-Lehrsupervision »prozessuale Diagnostik«. Der Entfaltung Raum zu geben, bedeutet für den Lehrsupervisor, diese kontinuierlich im Blick zu haben und in Verbindung zu bringen mit dem Lehrsupervisionsprozess im Hier und Jetzt. »Aus Sicht des Lehrsupervisors, der Lehrsupervisorin ist der Lehrsupervisionsprozeß eine Tätigkeit des Begleitens, der Bereitstellung von sicheren Erfahrungsräumen, Modellverhalten, Wahrnehmungen, Wissen und Kompetenzen« (Fallner u. Richter, 1992). »Begleitung ist ein intensiver Arbeitsprozeß« (Richter, 1997, S. 136). Systemblick Das Leben beginnt im Netzwerk von Systemen (System; griech.: Gebilde, Verbundenes). Vom Eintritt ins Leben in diese Welt an befinden wir uns im Gewebe des Verbundenseins und den systemisch-zirkulären Wechselwirksamkeiten. Im Gestalt-Lehrsupervisionsprozess ergeben sich immer wieder wichtige und notwendige Anlässe, für die es sich lohnt, anzuhalten. Der Lehrsupervisand erhält hierdurch die Möglichkeit, seine frühen Lebensräume sequenzweise zu »besuchen« und zu betrachten. In Abwandlung eines bekann-

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ten Aphorismus kann man sagen: »Wer sich in seinen frühen Lebensräumen und Systemen nicht immer mal besucht, trifft sich irgendwann nicht mehr an«. Ebenso sind spätere und weitere Systeme im Leben des Lehrsupervisanden bedeutsam. Welche Erfahrungen hat er machen können, welche sind in Vergessenheit geraten, welche hat sie sich nicht zu eigen machen können? Welche Rollen, Funktionen, Aufgaben und Zuständigkeiten tauchen wieder auf? Im Kontakt zu früheren Systemen können in der Gestalt-Lehrsupervision wesentliche Erfahrungen (wieder) vergegenwärtigt werden. Daraus ergeben sich Klarheiten über eigene vergangene und aktuelle Muster im professionellen, supervisorischen Umgang mit Institutionen und Organisationen im Rahmen der Supervisionsarbeit. Als Unterstützung in der Lehrsupervision haben wir dem System eine Gestalt gegeben: Das Systemhaus ist eine Folie für Systemblicke (Fallner u. Pohl, 2004). Unter Zuhilfenahme dieser Folie, die als Gestalt (Seile u. a. Materialien) ausgelegt wird oder als Arbeitspapier genutzt werden kann. Das Systemhaus hat folgende Etagen: ȤȤ die psychosoziale Arbeitsbeziehungsebene (Beziehung), ȤȤ die operationale, pragmatische Ebene des Handelns (Alltag), ȤȤ die strukturelle Ebene der Rollen und festgelegten Abläufe (Struktur), ȤȤ die ideologische Ebene (Leitbild). Im Dachgeschoss befindet sich die »Rumpelkammer« (Abgelegtes im System). Im »Kellerbereich« finden wir, neben den »Bewältigungshaushalten« und dem individuellen Bezugsrahmen der Mitarbeitenden, den »Systemkeller« der informellen, verdeckten Wege und Abläufe in der Organisation. Die »Rauchzeichen« aus dem Kamin weisen darauf hin, dass das System, die Organisation von anderen Kontexten wahrgenommen wird. Umgeben ist das Systemhaus auch von größeren Einflüssen und Abhängigkeiten (Kontexten). Ist das System bezüglich seiner Flexibilität und Stabilität in Balance, sowohl in der horizontalen Ebene der jeweiligen Etage als auch in der vertikalen Verbindung der Bereiche untereinander? Was läuft in den Bereichen des Systems rund? Was fühlt sich eher eckig an? Die Arbeit mit der »Systemgestalt« ermöglicht der Lehrsupervisandin bzw. dem -supervisanden, Blicke in bisherige Systeme zu aktualisieren und Verbindungen im heutigen Umgang mit Systemen zu erkennen. Dies kann eine Basis für die weitere Entwicklung ihrer systembezogenen Arbeit in der Supervision sein.

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Rückblick Am Ende der Gestalt-Lehrsupervision steht der gemeinsame Rückblick auf den Lehrsupervisionsprozess. Was war für mich interessant, hilfreich, unterstützend? Was war anschaulich und gut? Was habe ich für meine eigene Prozessgestaltung als Supervisorin mitnehmen können? Kurz: Die Nachhaltigkeit des Prozessblicks ist in der Lehrsupervision für beide Seiten, Lehrsupervisandin wie Lehrsupervisor, hilfreich.

Fazit Lehrsupervision mit Ansätzen aus der Gestalttherapie und einer systemischen Sichtweise ist ganzheitlich auf die Person der Lehrsupervisandin bzw. des Lehrsupervisanden bezogen. Die Haltung und die Gestaltung der Beziehungen im professionellen Zusammenhang und im Hier und Jetzt des Lehrsupervisionsprozesses sind Ausgangs- und Bezugspunkt für Kompetenz-, Konzept- und Rollenentfaltung für die Profession Supervision.

Literatur Dschalal ad-Din al-Rumi (o. J.). Zitat. Aufgerufen am 25.08.2016 unter https://de.wikiquote.org/ wiki/Dschalal_ad-Din_al-Rumi Fallner, H. (1989). Einverständnis, Einfühlung und Konfrontation als zentrale Prinzipien in der Lehrsupervision. In W. Boettcher, G. Leuschner (Hrsg.), Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung (S. 273–279). Aachen: Kersting. Fallner, H. (1997). Kompetenz-Entfaltung in der Lehrsupervision. In U.-L. Eckardt, K. Richter, H. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision (S. 159–181). Aachen: Kersting. Fallner, H. (2015). Coachingreader, unveröffentlichtes Arbeitspapier. Fallner, H., Pohl, M. (2004). Coaching mit System. Die Kunst nachhaltiger Beratung (2. Aufl.). Wiesbaden: VS. Fallner, H., Richter, K. F. (1992). Das Konzept der Lehrsupervision an der Akademie Remscheid. Unveröffentlichtes Arbeitspapier. Fremdwörterbuch (1983). Der kleine Duden (2. Aufl.). Mannheim u. a.: Dudenverlag. Ohm, A. (2012). Kursmaterial Spirituelle Wegbegleitung. Haus Ohrbeck. Richter, K. F. (1997). Weiten und Tiefen in der Lehrsupervision. In U.-L. Eckardt, K. Richter, H. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision (S. 135–158). Aachen: Kersting. Satir, V. (1994). Kommunikation – Selbstwert – Kongruenz. Konzepte und Perspektiven familientherapeutischer Praxis (9. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Shakespeare, W. (1623/1974). Hamlet, Prinz von Dänemark. Stuttgart: Reclam.

Kersti Weiß

Über-Blicke gewinnen in komplexen Wirklichkeiten: Psychodrama, Soziodrama und Soziometrie als Konzepte des Lehrens, Lernens und Begreifens in der Lehrsupervision

Gaining an Over-View within complex realities: psychodrama, sociodrama and sociometry as concepts for teaching, learning and comprehension in supervision-on-supervision Institutes that offer training courses in supervison face the problem of students on the course, who do not have basic qualification in psychodrama. Therefore, all institutes – even those evolving from the tradition of psychodrama – have to teach students without previous knowledge the theory, methodology and practice of psychodrama and supervision and simultaneously to developing together with them a basic stance. The challenge is to convey within the same teaching process the values and aspects of the complex theory and practice of psychodrama; this not only simply as a methodology, but also as a complete system, whilst aligning it with the target of qualifying the trainees to meet the demands of supervision.   This article presents a specific concept on supervision-on-supervision which, as above mentioned, combines theory and practice of supervision, psychodrama and sociometry and illustrates this with examples from the practical work. Zusammenfassung Ausbildungsinstitute für Supervision – auch solche, die aus der Tradition des Psychodramas kommen – haben das Problem, dass sie für all diejenigen, die nicht als Vorbereitung für die Supervisionsausbildung eine Grundqualifikation in Psychodrama besitzen, gleichzeitig die Theorie, Methodik und Praxis des Psychodramas und der Supervision vermitteln und gemeinsam erarbeiten müssen. Die Herausforderung besteht darin, im selben Lehrprozess die Werte und die Aspekte der komplexen Theorie und Praxis des Psychodramas nicht nur als einzelne Methodik, sondern als komplettes System zu vermitteln und diese mit der Aufgabe, zur Supervision zu qualifizieren, zusammenzufügen.   Ein spezifisches Lehrsupervisionskonzept, das in diesem Sinne Theorie und Praxis von Supervision, Psychodrama und Soziometrie verbindet, wird im Folgenden dargestellt und mit Praxisbeispielen anschaulich gemacht.

Lehrsupervisorin in verschiedenen Supervisionsausbildungskontexten zu sein, ist eine Herausforderung, um das eigene Lehrsupervisionskonzept zu überprüfen und zu schärfen. Im Kontrakt mit den Instituten oder Universitäten werden die ausgehandelten Bedingungen der Zusammenarbeit festgehalten. Meine

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Kriterien für eine solche Zusammenarbeit sind in erster Linie die Qualität der jeweiligen Ausbildung und die konzeptionelle Passung zum eigenen professionellen Vorgehen. Dabei ist durchaus die Kooperation mit Ausbildungen unterschiedlicher theoretischer und praktisch-methodischer Prägung – ob gruppendynamisch, psychodramatisch, psychoanalytisch, gesprächstherapeutisch, systemisch oder multikonzeptionell – möglich. Denn es werden jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gelegt, und die Wege zur Rollen- und Professionsentwicklung eines Supervisors bzw. einer Supervisorin differieren. Auch die Voraussetzungen der Kursteilnehmenden wie das, was schon im Kursgeschehen entdeckt und gelernt werden konnte, sind unter Umständen sehr verschieden. Aufgabe der Lehrsupervision ist es dann unter anderem, den Lehrsupervisanden ergänzende Aspekte zur Komplementierung ihrer Entwicklung zugänglich zu machen. Als Lehrsupervisorin, die mit verschiedenen theoretischen Konzepten vertraut ist, gründet mein Supervisions- und Lehrsupervisionskonzept vor allem auf der Theorie und Praxis des Psychodramas und der Soziometrie, die im Folgenden zusammen mit den spezifischen Konstellationen in der Lehrsupervision dargestellt werden. Die Ausbildungsinstitute – auch solche, die aus der Tradition des Psychodramas kommen – haben das Problem, dass sie für all diejenigen, die nicht als Vorbereitung für die Supervisionsausbildung eine Grundqualifikation in Psychodrama besitzen, gleichzeitig die Theorie, Methodik und Praxis des Psychodramas und der Supervision vermitteln und gemeinsam erarbeiten müssen. Die Aufgabe besteht somit darin, die Werte und Aspekte der komplexen Theorie und Praxis des Psychodramas nicht nur als einzelne Methodik, sondern als komplettes System zu vermitteln und diese im selben Lehrprozess mit der Aufgabe, zur Supervision zu qualifizieren, zusammenzufügen. Die derzeitigen Supervisionsausbildungen, die das Psychodrama zur Grundlage haben, realisieren dies, indem sie sowohl die Anteile berufsbezogener Selbsterfahrung als Grundlage der Rollenentwicklung zum Supervisor psychodramatisch gestalten als auch die supervisionsspezifischen Themen theoretisch und spielend angehen. Sie beziehen sich dabei vielfach auf die Ausführungen ­Ferdinand Buers in seinem »Lehrbuch Supervision« (1999), in dem er Grundlagen der Theorie der Supervision weiterentwickelt und sie aus den Quellen des Pragmatismus und Psychodramas beschreibt. Die Unterscheidung von Format und Verfahren macht es möglich, undogmatisch vielfältige methodische und theoretische Ansätze nebeneinander bestehen zu lassen. Ich gehe hier davon aus, dass das Format der Auftrag Supervision ist – etwa im Unterschied zu den Aufträgen Psychotherapie oder Organisationsberatung – und das Verfahren die theoretische, methodische Vorgehensweise z. B. mithilfe des Psychodramas.

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So lässt sich eine Orientierung in der noch immer häufig anzutreffenden Verwechselung von Supervision und z. B. psychologischer Beratung oder Psychotherapie gewinnen. Das Anliegen, die im Psychodrama verflochtene Theorie und Methodik in ihrer Auseinandersetzung mit der Mit- und Umwelt für und mit angehenden Supervisorinnen/Supervisoren lernend und lehrend begreifbar zu machen, kann dann gut gelingen, wenn zentrale Ausbildungsleitende und Lehrsupervisorinnen bzw. -supervisoren sowohl in Psychodrama als auch in Supervision ausgebildet sind.

Das Zusammenspiel Psychodrama – Lehrsupervision Überblick 1: Grundidee Supervision kann fruchtbar an Jacob Levy Moreno (1889–1974) anknüpfen: an seiner Rollentheorie, seinem Konzept der Begegnung mit dem Rollentausch und Perspektivenwechsel, seiner Theorie zur Entwicklung von Kreativität, seinen Erkenntnissen der Soziometrie und der sozialen Interaktion, seinem Forschungsansatz und seiner grundlegenden Haltung gegenüber den Menschen in Organisationen. Er begreift Menschen immer als Handelnde – und nicht als zu Behandelnde – und postuliert die buchstäblich aufklärende Wirkung der Wahrnehmung komplexer Zusammenhänge. Ausgehend vom Denken und Fühlen wird mit der Aktionsmethode das Handeln verstanden und so ein Sinn für Varianten und Lösungen erlebt. Die Komplexität des Geschehens macht die hier um die Sichtweisen des Sozio-und Psychodrama erweiterte Grafik des Modells der vier Faktoren der Supervision (Weigand, 1987, S. 27) deutlich (siehe Abbildung 1). Das Modell dient dazu, die Komplexität der Faktoren zu erschließen, die in einer und auf eine Situation Einfluss haben – die natürlich nicht nur in der Supervision wirksam, sondern Bestandteil des alltäglichen (Arbeits-)Lebens sind. Eben deshalb erscheint es sinnvoll, zukünftigen Supervisorinnen das Modell gleichsam als Schlüssel zur Analyse konkreter Arbeitswirklichkeiten an die Hand zu geben. Ihnen bietet es Hilfestellung dafür, bildlich zu verstehen, wie die verschiedenen Faktoren des oftmals zunächst undurchsichtigen Geschehens zusammenhängen und wo sich in einer aktuellen oder vergangenen Situation möglicherweise Ansatzpunkte des Begreifens und damit Impulse zu sinnvollem Handeln auffinden lassen. Supervisorinnen und Supervisoren kann das Modell als Grundorientierung zur Entwicklung eines Supervisionskonzepts

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und zur Gestaltung von Supervisionsprozessen dienlich sein. Zugleich bietet es ein Grundmodell für das Konzept der Lehrsupervision.1 Was wirkt?

Abbildung 1: Wirkfaktoren in der Supervision (Weiß, 2007). 1

Dem hier entwickelten Modell liegen Soziodrama, Soziometrie und Psychodrama als Theorie und Methodik der Handlungsforschung zugrunde – unter der Maßgabe, diese auf die Supervision zu beziehen. Der Nutzen des nachfolgend vorgestellten Ansatzes bezieht seine Evidenz nicht zuletzt daraus, dass gegenwärtig die Anforderungen an Supervision Parallelen zu den zeitgeschichtlichen Hintergründen und Umständen aufweisen, in denen Moreno sein Erkenntnisinteresse seine Theorie entwickelte. Sie wurde in einer Zeit politischer und sozialer Umbrüche formuliert und durch Morenos spirituelle und philosophische Herkunft sowie seine vielfältigen Berufsrollen und Praxiserfahrungen geprägt. Moreno ging es um eine umfassende Wahrnehmung des Menschen in all seinen sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontexten. In seinen Schriften wie in seiner Praxis suchte er Menschen in ihren persönlichen, psychischen, sozialen und universellen Handlungsweisen zu verstehen und gemeinsam mit ihnen als Forschungssubjekte Möglichkeiten einer kreativen Lebensbewältigung zu schaffen.

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Durch die Analyse des Zusammenwirkens von innerer und äußerer Realität, von psychischen, physischen und soziodramatischen Rollen lassen sich situative Konstellationen systemisch betrachten. Für die Supervision und Lehrsupervision eröffnet sich damit die Chance, an die (erkennbaren) Werte von Moreno und an seine grundlegenden Haltungen gegenüber Menschen, die in Organisationen zusammenkommen, anzuknüpfen. Die Schnittpunkte zwischen Person, beruflicher Rolle, Arbeitsfeld, Organisation und Klienten bzw. Kunden einerseits und gesellschaftlichen Kontexten andererseits – sowie ihre jeweiligen Wechselwirkungen – sind weitaus komplexer, als sie das rein individuelle Erleben (als Innenleben) zunächst spiegelt. Sie beeinflussen die individuelle Wahrnehmung und Verarbeitung nachhaltig. Die Ursachen von Konflikten – und damit auch deren Klärungsmöglichkeiten – liegen häufig außerhalb der einzelnen Person. Die Suche nach den Ursachen der Verwicklungen nimmt daher einen bedeutenden Teil des Supervisionsprozesses ein. Werden diese erkannt und akzeptiert, können die Einzelnen wieder zu produktiv Handelnden werden. Vorrangig nur eigene inner- oder interpsychische Realitäten der Klientinnen bzw. Kundinnen wie auch der Supervisanden wahrzunehmen, psychologisiert und individualisiert – und das bedeutet: Es verkürzt in der Regel die Problematik und wirkt damit dem kritischen und aufklärenden Impuls von Supervision – sowie dem Anliegen, zu befreien – entgegen. Insgesamt lässt sich das Modell als eine Art Radarsystem betrachten, in dem die aktuelle Landschaft, die Konstellation des institutionellen Geschehens in seinen komplexen Prozessen zum Vorschein und zur Darstellung kommt. Im Anschluss können einzelne Ausschnitte näher betrachtet, Teile zur tieferen Erkundung gleichsam herangezoomt werden. Die große Herausforderung und die zugleich aufregende, das eigene Engagement revitalisierende Aufgabe für alle Beteiligten liegt in der Erkenntnis, dass die einzelnen Wirkfaktoren dabei einen interaktiven Kontext bilden – wobei nicht in jeder Supervisionssitzung sämtliche Dimensionen zum Thema gemacht werden oder gemacht werden können oder müssen. Gleichsam unter oder über dem Modell liegt bzw. schwebt die Kernaufgabe der Organisation, des Teams, der Person: Sie ist das, worauf sich in der Supervision immer wieder bezogen werden sollte. Sie ist der Referenzrahmen für Verstehen und Aktion. Handlungsideen – z. B. zur Umstrukturierung von Arbeitsfeldern, Aufgaben, Arbeitsabläufen oder Rollen –, die nicht der besseren Erledigung der Kernaufgabe dienen, ziehen destruktive Konflikte, Demotivation der Mitarbeitenden und »schlechte Arbeit« nach sich. Für die Ausbildung macht das Modell das Zusammenspiel der vielen Wirklichkeitsfaktoren deutlich und bietet eine grundlegende Orientierung zur Entwicklung professionellen Handelns als Supervisorin, Coach und Organisationsentwicklerin.

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Überblick 2: Wechselwirkungen In der Lehrsupervision treffen vier Aktionsfelder und in jeder Sitzung zwei Menschen, aber auch zwei komplexe Systeme zusammen: der Lehrsupervisor mit seinem professionellen Hintergrund, seiner Organisationserfahrung und Geschichte, mit geklärten oder ungeklärten Rollen und Kooperationen, mit Werten und sozialen Einbindungen, mit seiner jeweiligen Einbindung in eine Organisation oder aber seiner Freiberuflichkeit sowie mit der Kernaufgabe der Begleitung der Lehrsupervisandin in deren Entwicklungs- und Lernprozessen zur Aufgabe und Profession Supervision; desgleichen die Lehrsupervisandin mit jeweils eigener Professions- und Organisationsgeschichte sowie Erfahrungen und Verwicklungen im ursprünglichen Arbeits- und Lebenskontext im Hinblick auf eine doppelte Kernaufgabe: Im Setting der Lehrsupervision ist sie in Sachen Supervision und ebenso in der Auseinandersetzung mit den weiteren Lernsupervisanden und deren Themen eine Lernende. Gleichzeitig ist sie dort diejenige, die komplexe Situationen zusammen mit ihren jeweiligen Super­ visanden praktisch begreift und sie darin begleitet, passende Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. So kann man sagen: Um die Komplexität der Lehrsupervision zu begreifen, braucht es die Wahrnehmung der verschiedenen Perspektiven und der Dynamik, die die jeweilige Kernaufgabe, die Rollen, die Personen und das Setting bestimmen: ȤȤ Ausbildungsinstitution mit Lehrsupervisorin, ȤȤ Lehrsupervisorin mit Lehrsupervisanden, ȤȤ Lehrsupervisand mit Lernsupervisandinnen, ȤȤ Lernsupervisandin mit jeweiligen Kundensystemen. Als Leitidee wie -konzept zur Orientierung und Klärung der Rollen und ihrer Verwicklungen kann das oben beschriebene Modell nützlich sein. Wenn es stimmt, dass immer alles alles andere beeinflusst, dann wird die Welt leicht unübersichtlich – selbst in der Supervision und hier besonders für die Supervisandinnen und Supervisanden. Allerdings macht das Wissen um die vielen Einflussfaktoren und die Berücksichtigung ihrer Wechselwirkungen eine Verortung von Themen möglich, die anders nicht möglich wäre. Wird das skizzierte Modell im Rahmen der Ausbildung oder im Rahmen einer Gruppenlehrsupervision mit Personen aufgestellt, so wird es plastisch erlebbar und damit leichter verständlich und handhabbar. Wird es in der Lehrsupervision immer wieder als diagnostisches Instrument und als Orientierung dafür genutzt, welche Themen des Lehrsupervisanden in

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welchen Zusammenhang gehören und wie sie bearbeitet werden können, dann stellt sich das zunächst vielleicht erschreckend komplex wirkende Instrument in aller Regel schon bald als hilfreich und alltagstauglich heraus. Da die bisherige Profession der Lehrsupervisanden in hohem Maße die Wahrnehmung und Handlung in der Supervision prägt, können einzelne Aspekte des Modells auch gleichsam als Scan dienen, mit dessen Hilfe sich erkunden lässt, wo Schwerpunkte der Lehrsupervision liegen sollen. Eine ausgebildete Psychotherapeutin etwa hat in der Regel schon sehr viel über die eigene Person und über die persönlichen Aspekte ihrer Patienten bzw. Klientinnen nachgedacht. In diesem Fall sind die Aspekte Rollenklarheit und -entwicklung sowie die Relevanz und Wirkung von Organisationseinflüssen möglicherweise bisher noch unzureichend im Blick. Für einen Ingenieur oder Betriebswirt dagegen kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Person eine wesentliche Entdeckungsreise darstellen, die viele Überraschungen, manchmal Verwirrungen und Verunsicherungen, aber auch neue Erkenntnisse bereithält. Ein sorgsamer Umgang im Kontakt und die Verbindung mit dem Wissen um die Dynamik von Aufgaben, Rollen und Organisationen sind hier für einen fruchtbaren Lernprozess unabdingbar. So bringen auch alle anderen Professionen ihr jeweiliges Selbstverständnis mit, ihre Werte und Kultur, ihren eigenen Rhythmus und ihre spezielle Wahrnehmung der Umwelt. Das, was die neue Aufgabe und Profession Supervision braucht und was leicht mit der bisherigen beruflichen Identität vereinbar ist – oder auch im Widerspruch dazu steht –, wird im konkreten Lehrsupervisionsgeschehen virulent. Neben diesem Aspekt der Rollenentwicklung kommen nach und nach alle weiteren Aspekte – von den Werten bis zur Organisationsstruktur, vom Einfluss der Veränderung gesellschaftlicher Regeln bis zu den Dynamiken spezieller Aufgaben für die Mitarbeitenden – in den Blick und können im konkreten Supervisionsgeschehen »gelesen« und verstanden werden. Folgende Beispiele zu Aspekten der Wechselwirkungen mögen diesen Prozess deutlich machen: ȤȤ Eine Lehrsupervisandin ist Betriebswirtin und arbeitet sehr erfolgreich im Vertrieb. Das Tempo dort ist schnell – je schneller desto erfolgreicher –, und es ist selbstverständlich, dass man dem Kundenwunsch soweit wie möglich entgegenkommt, damit das Geschäft/der Verkauf zustande kommt. Schnell ist in diesem Fall auch ein erster Kunde für ein Coaching gefunden. In der Vorbereitung des Erstkontakts im psychodramatischen Rollenspiel stellt sich heraus, dass die Kollegin den Ort aus der Rolle der Vertrieblerin heraus gewählt hat – nämlich bei dem Kunden zu Hause – und das Tempo der Beratung auch aus dieser Rolle gestalten will.

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ȤȤ Eine andere Lehrsupervisandin, Psychotherapeutin, begleitet einen jungen Mann bei der Orientierung in einer neuen Führungsposition. Sie ist bei der Analyse seiner Schwierigkeiten mit den Mitarbeitenden unversehens im Bereich der Auseinandersetzung mit Geschwistern und Eltern gelandet und hätte mit dem jungen Mann am liebsten Psychotherapie gemacht. (Insbesondere zu Beginn der Supervisionstätigkeit erscheint der Rückgriff auf alte berufliche Rollen- und Handlungsmuster nur allzu verständlich, um so Unsicherheit und fantasierte oder reale Beschämung in Grenzen zu halten.) ȤȤ Ein Lehrsupervisand begleitet im Rahmen der Lernsupervision Mitarbeitende in einer Kinderklinik. Auffällig wird dabei eine existenziell bedroh­ liche Konfliktdynamik zwischen und innerhalb der Berufsgruppen. Eine der darin zum Tragen kommende Dimension besteht darin, zu verstehen, was es bedeutet, dass die Station gerade besonders viele Kinder mit lebensbedrohlichen Krebserkrankungen behandelt; eine weitere liegt in der Tatsache, dass zeitgleich in der Klinik unter großem finanziellen Druck Umstrukturierungen vorgenommen werden, die den Mitarbeitenden nicht einsichtig sind. Das Erleben mehrfacher Ohnmacht und der Eindruck drohender Deprofessionalisierung (dadurch, dass Werte und Handlungsweisen des eigenen Berufes keine Rolle mehr zu spielen scheinen) bilden die Hintergründe dieser Konfliktdynamik. In der Lehrsupervision, in der auch die Verzweiflung, Hilflosigkeit und die Wut des Lehrsupervisanden als Reflex spürbar werden, wird das durch die Perspektivenübernahme der einzelnen Aspekte des Falles gemeinsam herausgearbeitet. Im Laufe der Praxis von Lernsupervisionen sowie in der Lehrsupervision entwickelt sich in aller Regel eine Kompetenz, um dies alles in seiner Komplexität zu begreifen und in der Supervision auch methodisch sauber handlungsfähig zu werden und schließlich beides zu einem passenden professionellen Selbstverständnis zu verbinden.

Ist Handeln heilender als Reden? Eine umstrittene These »Handeln ist heilender als Reden« – so lautet ein berühmter Satz von Moreno. Stimmt das in der heutigen Situation, in der politisch, gesellschaftlich, in Organisationen usw. lieber schneller gehandelt als nachgedacht wird? Ist nicht eine gründliche Analyse dessen, was Ursache und Sinn einer Handlung ist und was sie bewirkt, oftmals viel sinn- und wirkungsvoller? Und ist es nicht möglicherweise manchmal besser, die eine oder andere Aktion zu unterlassen?

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Doch Morenos These ist keinesfalls ein Plädoyer für gedankenlosen Aktionismus. Ihm geht es vielmehr darum, auch Reflexion handelnd zu vollziehen, sich etwa in unübersichtlichen Situationen einen Überblick zu verschaffen – indem das, was als allzu komplexe, widersprechende Gedanken das Kopfzerbrechen erzeugt, z. B. mit Symbolen aufgebaut wird und dadurch Einzelnes in seiner Wechselwirkung betrachtet und so, neben dem Verstehen, auch spielerisch neue Ordnung gefunden werden kann. Im Probehandeln können Möglichkeiten und Wirkungen ausprobiert, in der Inszenierung von Zukunftsszenarien Perspektiven entwickelt und in der Bearbeitung schwieriger beruflicher Situationen – u. a. durch Rollentausch mit den Beteiligten – neue Sichtweisen erarbeitet werden. In den verschiedenen Phasen der Lehrsupervision spielen dann unterschiedliche Vorgehensweisen eine Rolle. Werden z. B. zu Beginn bisherige berufliche und persönliche Ressourcen mithilfe von Symbolen dargestellt und im Rollentausch vorgestellt, ist die Überraschung oft groß, zu entdecken, wie viel davon auch Grundlage für eine Supervisorinnenrolle sein kann. Wird die Distanz zwischen der aktuellen beruflichen Rolle und der gedachten Supervisorinnenrolle im Raum als realer Abstand dargestellt, macht dies den Weg der Entwicklung deutlich sicht- und spürbar. Bei der Bearbeitung der Ängste vor »dem ersten Mal«, etwa in Form eines inneren Dialogs, oder bei Proben zu Vorstellungsgesprächen aus verschiedenen Perspektiven mithilfe des Psychodramas stehen die Einfühlung in Kultur und Art des zukünftigen Supervisanden wie zugleich auch die Erwartungen und die Einübung in die neue Rolle als Supervisor auf dem Prüfstand. Die Erfahrung zeigt, dass die reale Begegnung im Vorstellungsgespräch der vorausgehenden Fantasie in aller Regel sehr nahe kommt. Ist die Unsicherheit des Supervisors in der Bewerbungssituation zu groß, wird die Einfühlung in zukünftige Kunden kaum gelingen können. Im Handeln wird dies ebenso deutlich spürbar wie die Notwendigkeit, sich mit beidem zu beschäftigen, wenn der Kontakt und Kontrakt zustande kommen soll.

Auf dem Weg zur professionellen Identität und zu professionellem Verhalten Für manche Lernenden scheint der Weg am Anfang ganz leicht; andere wittern sofort große Schwierigkeiten. Die Lehrsupervision (sowohl im Einzelsetting als auch in der Gruppe) ist meines Erachtens der Ort, um den eigenen Weg einschließlich aller ängstigenden und kreativen Verunsicherungen respektvoll im je eigenen

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Tempo zu beschreiten. Diese Grunderfahrung stellt für angehende Supervisorinnen und Supervisoren auch ein Modell für ihre Arbeit in der Supervision bereit. Dabei wirken die Rolle, das Verhalten und die Anforderungen der Lehrsupervisorin als Modell, das nicht zu unterschätzen ist. Die Auseinandersetzung mit den hierbei wahrgenommenen Unterschieden und Gemeinsamkeiten gegenüber anderen an der Lehrsupervision Teilnehmenden – aber auch gegenüber denen der Lehrsupervisorin – ist ein wichtiger Baustein in der Entwicklung der professionellen Identität. Die Lehrsupervisorin, die Psychodramatikerin ist, sieht sich dabei gleich zwei Klippen bzw. Anforderungen gegenüber: erstens als Person erkennbar zu sein, um die Übertragung zu minimieren und zweitens die Begegnung in einer Abhängigkeitsbeziehung zu gestalten, die es im Verlauf des Prozesses zu lösen gilt. Das Wahrnehmen und Handeln in der Beziehung, in der die Übertragung möglichst reduziert ist, ist notwendig, um zugleich Leiterin eines psychodramatischen Spiels, Doppel für nicht anwesende Personen und für die Auswertung Gesprächspartnerin in der Reflexion sein zu können und nicht etwa aus der »Macht« der Übertragungsbeziehung heraus ein Spiel zu leiten. Das ist eine Herausforderung, die sich lohnt – bringt sie doch die erlebte Interaktion (die Szene von draußen) auf die »Bühne« im Innenraum der Lehrsupervision. Ab und zu durch ein Sharing eigene ähnliche Erfahrungen mitzuteilen, gehört zu den vielfältigen Möglichkeiten, als Person erkennbar zu werden und dem lernenden Gegenüber mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Das Psychodrama als Interaktionstheorie macht das Konzept des »Tele« und die Begegnung zum Kernanliegen: das Wahrnehmen des anderen nicht nur durch Einfühlung, sondern durch »Zweifühlung« – sich, den anderen und das, was im Moment geschieht, zu erkennen, ohne sich hinter Rollenmasken zu verstecken. Moreno (1956, S. 27; Übers. KW) sagt dazu: »Es ist ein intuitiver Tausch der Rollen«, und Hutter (2000, S. 100) umschreibt die Interaktionsform so: »Moreno denkt Begegnung als mehrdimensionales Geschehen, das zumindest die physische, psychische, emotionale, soziale und kosmische Dimension des Lebens umgreift.« Ihr Erleben in der Lehrsupervision ist in jedem Fall prägend – und im Verlauf werden durch die vielen im Spiel erlebten Szenen inklusive der Einfühlung in sehr unterschiedliche Personen, Symbole, Gefühlsaspekte und strukturelle Situationen durch den Rollentausch sowohl eine Fähigkeit zur Zweifühlung als auch ein intuitives Wissen entwickelt. Die Rückkehr in die eigene Rolle nach dieser Erfahrung löst eine vertiefte Kenntnis des Anderen als Differenten und zugleich ein Verstehen der eigenen Person in dieser Interaktion aus. Professionelle Identität wächst in dieser Auseinandersetzung mit der eigenen und fremden beruflichen, gesellschaftlichen und persönlichen Realität.

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Supervision ist eine Aufgabe, mit Irritationen umzugehen – meist denen der Supervisandinnen, aber auch mit den eigenen als Supervisor. Das Psychodrama besitzt keine Theorie und Methodik, um bewusst Irritationen zu setzen. Aber der Umgang mit unbekannten, verunsichernden Situationen ist zentral und wird mit dem Konzept der Spontaneität und Kreativität beschrieben und durch aktives Handeln gefördert (Weiß, 2015). Spontaneität und Kreativität sind die Fähigkeiten, um in unerwarteten, unübersichtlichen Situationen angemessen zu agieren, aktuell passendes Verhalten zu ermöglichen und gleichzeitig in einer stimmigen Interaktion mit den Beteiligten zu sein. Solche Begebenheiten ereignen sich natürlich auch in der Lehr- und in den Lernsupervisionen. Ihr Durchleben und Verstehen erweitert das Handlungsund Rollenrepertoire und verhilft allmählich zu größerer (Selbst-)Sicherheit. Damit wächst auch die Lust und Neugier, sich mit Ungewöhnlichem, Fremdem, bislang Unverstandenem zu beschäftigen, und die Spannung, die darin steckt, als ebenso anstrengend wie anregend und bereichernd wahrzunehmen. In den Anfängen war Supervision vor allem eine Anleitungstätigkeit, das Anlernen und die Kontrolle vor allem von Nichtprofessionellen oder Berufsanfängern. In vielen theoretischen und praktischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit hat sie sich weit davon entfernt – und ist heute vor allem ein Ort der Reflexion beruflicher Tätigkeiten und Rollen von Personen in Organisationen (Weiß, 1998). Das aber bedeutet einen dem Setting der Lehrsupervision innewohnenden Konflikt: Einerseits geht es um das Anleiten, Anlernen und Vermitteln von Handwerkszeug und letztlich auch um die Kontrolle dessen, was die Lehrsupervisandin in der Supervision tut (soweit dies möglich ist). Gibt der Lehrsupervisor und sein Vorgehen aber, wie beschrieben, ein wesentliches Modell für die Tätigkeit Supervision ab, kommt es andererseits zum Widerspruch zu dem heute gängigen Konzept von Supervision. Wie so oft, bietet sich der Weg einer kontinuierlichen Reflexion an, der Auseinandersetzung mit den Konzepten und der Markierung der verschiedenen Rollen, Aufgaben und der entsprechenden Beziehungsgestaltung. Eingebettet in Theorie und praktische Erfahrung muss handwerkliches Lernen stattfinden. Hierzu gehören unter anderem der Szenenaufbau und -abbau, die Differenz von Bühnen- und Gesprächsraum, Formen des Doppelns und des Rollenwechsels und Rollentauschs, das Spiegeln und die psychodramatische Gruppentheorie, der Einsatz von Soziometrie und die angemessene Auswertung von (psychodramatischen) Rollenspielen, um hier einige zentrale Elemente zu nennen. Was immer von dem Genannten als zur Lern- und Beziehungssituation passend erlebt und reflektiert wird, kann im Laufe des Lehrsupervisionsprozesses natürlich selbstverständlich integriert werden. Das gelingt umso leichter, je

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mehr der Lehrsupervisand eine gute methodische Grundqualifikation im Psychodrama mitbringt. Bei all jenen, die von anderen Konzepten herkommen, ist es wichtig, dass sie psychodramatische Techniken nicht unabhängig von der Situation – quasi als »schicke Methode« – verwenden, sondern sie konzeptionell einbinden und für die Fragen, Aufgaben und Rollen passend verwenden. Dem dient auch der wiederholte Rückgriff auf den zu Beginn beschriebenen Rahmen des psycho- bzw. soziodramatischen Gesamtkonzepts. Ein wesentliches Element des Lernens und der stetigen Entwicklung der Unabhängigkeit ist das Einüben der Rolle als eigene Kontrollsupervisorin durch kontinuierliches systematisches Reflektieren durch das Protokollieren der Lernwie der Lehrsupervisionen. Das mag mühsam sein – aber ist allemal der Mühe wert, weil im Prozess des Schreibens, des Protokollierens, häufig die Selbstreflexion so weit entwickelt wird, dass Lehrsupervisanden zunehmend selbst auch in komplexen Situationen einen Überblick über ihre Tätigkeit gewinnen.

Gute Aussichten Durch die Arbeit mit einem psychodramatischen Lehrsupervisionskonzept reichern sich mithilfe des Durchspielens überaus vielfältiger Rollen und Situationen im Laufe der Praxis zahlreiche Bilder und ein breit gefächertes Wissen von Berufen, Rollen, Organisationen, Personen, gesellschaftlichen Entwicklungen und vieles mehr an. Sie fordert immer wieder zu spontanen und kreativen Interaktionen heraus, sodass das Lehren – und Lernen! – vergnüglich bleibt und für Lehr- und Lernsupervisorinnen bzw. -supervisoren immer wieder neue Überraschungen bereit hält (Bosselmann u. Weiß, 2003).

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Teil III Formen von Lehrsupervision

Wilfried Lauinger

Lehrsupervision im dyadischen Setting: Wert-Schätzung in Zeiten der Inflation

Supervision-on-supervision in the dyadic setting: Appreciation in times of inflation From the beginning of supervision training programs in Germany, individual supervision-on-supervision has been described as its cornerstone. In the light of today’s market of training programs, this claim can no longer be justified credibly. Vanishing standards, lower admission requirements, the domination of economic interests and a rather vague understanding of supervision on the behalf of commissioners, require a realistic and liable classification and a description of the tasks of this dimension of training. This article presents four aspects of basic competences essential for supervisors. Individual supervision-on-supervision provides a special framework in which these competences can be acquired, practiced and evaluated. Zusammenfassung Seit den Anfängen des Supervisions-Ausbildungswesens in Deutschland wird Einzellehrsupervision als das Herzstück der Ausbildung beschrieben. Angesichts des heutigen Ausbildungsmarktes ist dieser Anspruch nicht mehr glaubwürdig vertretbar. Verschwundene Standards, geringere Zugangsvoraussetzungen, dominierende ökonomische Interessen und ein teilweise diffuses Supervisionsverständnis bei Auftraggebern erfordern eine realistische, verbindliche Einordnung und Aufgabenstellung für diesen Ausbildungsteil. Vorgestellt wird eine vierdimensionale Basiskompetenz, über die Supervisorinnen und Supervisoren grundsätzlich verfügen sollten. Einzellehrsupervision bietet einen besonderen Rahmen, in dem diese Kompetenz erlernt, geübt und beurteilt werden kann.

Charakteristika des dyadischen Settings Zu Beginn dieses Beitrags sei ein kurzer Überblick über die besonderen Eigenschaften des dyadischen Settings gegeben: ȤȤ In der Einzellehrsupervision (ELSv) bildet mit dem Lehrsupervisor bzw. der Lehrsupervisorin nur eine Person das Gegenüber des Supervisors in Ausbildung (SiA), d. h., der »Resonanzboden« schwingt anders als in Gruppen­ settings. Interventionen und Reaktionen sind weniger vielfältig, können dafür aber intensiver reflektiert und bearbeitet werden.

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Wilfried Lauinger

ȤȤ Im dyadischen Setting lassen sich persönliche Handlungsmuster und Abwehrmechanismen im Prozess von Übertragung und Gegenübertragung schneller und differenzierter analysieren, vorausgesetzt, das jeweilige Setting der ELSv lässt eine ausreichende Kontinuität und Intensität zu und die Atmosphäre in der Lehrsupervision (LSv) ist von gegenseitiger Achtung geprägt. ȤȤ In der ELSv können in der Person des SiA liegende Determinanten des Lernens und Handelns in Bezug auf die supervisorische Tätigkeit intensiver reflektiert und verarbeitet werden. Dazu gehört die unterschiedliche neuronale Intelligenz, also die angeborene und unveränderliche Geschwindigkeit, mit der die Person auf ungewohnte, unerwartete oder plötzliche Veränderungen der Umgebung reagiert (Perkins, 1995). Eine weitere Determinante liegt in Persönlichkeitsmerkmalen, die Riemann (2013) auf »Grundformen der Angst« und diesbezüglich entwickelte Bewältigungsstrategien zurückführt. Nicht zuletzt kann eine an den soziologischen Forschungsarbeiten von Bourdieu orientierte Analyse des biografisch erworbenen Habitus in der ELSv wichtige Hinweise für das Verstehen und die Gestaltung des Lernprozesses geben (Heimann, 2010). ȤȤ Eine weitere Aufgabe der ELSv besteht darin, die innere Organisation des Lernprozesses des SiA zu thematisieren und zu fördern. Lernen-Lernen und Reflektieren-Lernen sind wertvolle Merkmale supervisorischer Arbeit, die sich von den Problemlösungszielen vieler Coaching-Konzepte unterscheiden. Welche Schritte einen individuell zugeschnittenen, nachhaltigen Lernprozess ermöglichen und was dazu erforderlich ist, zeigt das Konzept des Doppelschleifen-Lernens im Niederländischen Supervisionsmodell (Van Kessel, 2007).

Floating in Space? – Entwicklung der Einzellehrsupervision Davon ausgehend, dass sich das konzeptionelle Verständnis einer professionellen Tätigkeit an Inhalten und Strukturen ihres Ausbildungswesens ablesen lässt, ist die Entwicklung des Stellenwertes von ELSv ein eindrucksvoller Beleg dafür, welchen tief greifenden Kulturwandel das Supervisionsverständnis in Deutschland bisher erlebt hat1. In der ersten umfangreicheren Veröffentlichung zum 1 Mit der Thematik befasste sich auch die 7. Internationale Tagung Lehrsupervision des Vereins Supervision und TZI e. V. im April 2015. Der Tagungsbericht erschien zeitgleich mit der Fertigstellung dieses Beitrags (Van Kessel u. Dinger, 2015). Inhalte des Tagungsberichtes sind daher nicht einbezogen und zitiert.

Lehrsupervision im dyadischen Setting

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Thema Lehrsupervision (Boettcher u. Leuschner, 1989) haben Mitwirkende fast aller damals führenden Ausbildungsinstitute Beiträge zu den verschiedenen Facetten des Themas verfasst. In allen Artikeln ist LSv unausgesprochen gleichgesetzt mit Einzellehrsupervision. Offenbar war LSv vor dem Hintergrund des mit ihr verbundenen Anspruchs und der Aufgabenstellung nur als dyadisches Setting vorstellbar. Schon damals wurde thematisiert, dass es eine Konfliktspannung gibt zwischen Ansprüchen und Zielen, die mit der LSv verbunden werden, und den gegebenen zeitlichen Ressourcen: »Diese Fülle der Aufgaben ist in der Kürze der Lehrsupervisionszeit nur selektiv anzugehen. Die große Schwierigkeit oder die Kunst besteht nun für die Lehrsupervisoren/Lehrsupervisorinnen darin, jeweils herauszufinden, was sie focussieren müssen und was sie ›liegen lassen‹« (Boettcher u. Leuschner, 1989, S. 6). In den 1980er und 1990er Jahren sahen die meisten Ausbildungen noch einen relativ hohen Zeitanteil für ELSv vor, 35 Sitzungen à 90 Minuten waren üblich. Ein Wechsel des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin war nur zulässig, wenn es zu gravierenden Arbeitshindernissen kam und wenn sich diese nicht unter der (vorgeschriebenen) Beteiligung des Ausbildungsinstitutes auflösen ließen. Meistens wurde einem SiA ein Lehrsupervisor vom Institut zugewiesen oder zumindest »nachhaltig empfohlen«. Damit sollte gewährleistet sein, dass der Lehrsupervisor den gesamten Lernprozess des SiA analog zu dessen Praxiserfahrungen anleiten und seine professionelle Entwicklung beobachten konnte. Bis 2010 waren nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) mindestens 35 Sitzungen LSv erforderlich, damit das Institut und seine Ausbildung nach DGSv-Standards anerkannt wurde, jedoch war nur noch ein Mindestanteil von 15 Sitzungen à 90 Minuten für Einzel-LSv festgeschrieben. Die LSv musste sich über den gesamten Zeitraum erstrecken, in dem die erforderlichen Lernsupervisionsprozesse stattfanden. Bis 2010 waren in den Standards auch (nicht quantifizierte) Qualifikationsanforderungen an die Lehrsupervisoren enthalten. Seit 2010 erfordern die Standards lediglich noch »mindestens 50 Präsenzstunden in Anwesenheit einer/eines Lehrsupervisors/in« (Deutsche Gesellschaft für Supervision e. V., 2013). Das heißt, es gibt keine Mindestanforderung mehr bezüglich ELSv, keine Aussagen mehr zur zeitlichen Einordnung der LSv und zu den Qualifikationen der Lehrsupervisoren und -supervisorinnen. Wenn heute ein Ausbildungsinstitut nach eigenem Ermessen eine bestimmte Zahl von ELSv-Einheiten vorschreibt, kann es sein, dass innerhalb dieses Rahmens die SiAs von verschiedenen Lehrsupervisoren begleitet werden, z. B. wenn die Ausbildung in mehrere Abschnitte aufgeteilt ist.

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Zeitanalog zur Einordnung der ELSv hat die DGSv, die sich als führender Berufs- und Fachverband für Supervisorinnen und Supervisoren bzw. für die Förderung von Supervision sieht, die Zugangsbedingungen zu von ihr zertifizierten Ausbildungen verändert. Nach den aktuellen Standards müssen Teilnehmende für die Zulassung zur Ausbildung die Erfüllung folgender Mindestanforderungen nachweisen: ȤȤ »mehrjährige Berufserfahrung (mindestens drei Jahre); ȤȤ Teilnahme an längerfristigen Weiterbildungen […] zum Erwerb personaler, methodischer und anderer beratungsrelevanter Kompetenzen; ȤȤ Teilnahme an mehreren Supervisionsprozessen oder anderer Formen arbeitsweltbezogener Beratung in unterschiedlichen Settings (mindestens 30 Sitzungen und mindestens teilweise bei von der DGSv anerkannten Supervisor/ innen)« (Deutsche Gesellschaft für Supervision e. V., 2013, Kap. 5). Diese Regelung schafft so viel Entscheidungsspielraum, dass Personen in Supervisionsausbildungen aufgenommen werden können, die weder Erfahrung mitbringen, wie Supervision angewendet wird und wie sich »Supervisand-Sein mit Leidensdruck« anfühlt, noch nennenswerte Erfahrungen und Ressourcen mitbringen in Bezug auf introspektive Wahrnehmung und Reflexion. Ebenso groß scheint der Entscheidungsspielraum darüber zu sein, was supervisorische Qualität bedeutet und was diesbezüglich erlernt werden soll. In einem ihrer Tagungsberichte schreibt eine Gruppe erfahrener Lehrsupervisoren und -supervisorinnen: »Als Projektgruppe haben wir uns am Thema ›Qualität‹ orientiert und festgestellt, dass z. B. die Deutsche Gesellschaft für Supervision dafür keine klare Orientierungsgrundlage anbietet, die von Lehrsupervisoren, SiAs und Ausbildungsinstituten genützt werden kann. Übersetzung und Anwendung der global formulierten Ausbildungsziele wird in aller Offenheit den Ausbildungsinstituten und ihren Lehrsupervisoren überlassen. Was von den SiAs entwickelt werden muss und was auf welche Art und Weise bearbeitet werden muss, ist unklar« (Van Kessel u. Dinger, 2014, S. 3). Es gibt ungeachtet dessen qualitativ anspruchsvolle Ausbildungskonzepte und sehr kompetente Absolventinnen und Absolventen. Die veränderten Rahmenbedingungen haben jedoch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der schon immer da gewesene Widerspruch zwischen Anspruch an die Ausbildungsziele und gegebenen Ressourcen in einer wachsenden Zahl von Fällen zu erheb­lichen oder sogar unlösbaren Konflikten führt.

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Emotionale Folgen und ethische Dissonanzen Der Lehrsupervisor übernimmt Mitverantwortung für die Qualität des Lernprozesses des SiA. »Die Qualität der Gestaltung und Durchführung der Lernsupervision ist in der Verantwortung des SiAs. […] Sie kann nicht vom Lehrsupervisor übernommen werden« (Van Kessel u. Dinger, 2014, S. 4). Aber: »Der Lehrsupervisor muss feststellen, dass der SiA genügend kompetent ist, um selbständig Supervision professionell zu gestalten und durchzuführen, damit der SiA die Ausbildung erfolgreich abschließen kann. Diese Aufgabe bringt sowohl den Lehrsupervisor als auch den SiA in ein Spannungsfeld« (S. 4). Folgendes Szenario zeigt, wie diese Problematik angesichts der gegenwärtigen Ausbildungspraxis in einer Lehrsupervision manifest werden kann: Ein SiA (ca. fünfzig Jahre alt) arbeitet seit vielen Jahren in der Personalentwicklung eines großen Handelsunternehmens, wo er vorrangig für die Organisation und Durchführung von Verkaufstrainings zuständig ist. Er hat ein betriebswirtschaft­ liches Studium abgeschlossen und an umfangreichen Train-the-Trainer-Fortbildungen teilgenommen, die unter anderem verhaltensorientierte videogestützte Gruppencoachings beinhalten. Diese Fortbildungen sowie die Teilnahme an einigen Workshops während einer Organisationsentwicklungsmaßnahme wurden ihm vom Ausbildungsinstitut als ausreichende Eingangsvoraussetzung anerkannt. Dem Lehrsupervisor gegenüber gesteht er etwas schamhaft: »Na ja, eigene Erfahrung mit persönlicher Beratung habe ich nicht wirklich, aber man kann das ja schon so verkaufen.« Mit seiner Arbeit und deren begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten ist er unzufrieden. Innerhalb des Unternehmens sieht er für sich und sein berufliches Fortkommen keine Perspektive. Für den Wechsel in eine andere Firma fühlt er sich zu alt, zumal er auch eine andere Tätigkeit anstrebt. Er befindet sich seit drei Monaten in einer Supervisionsausbildung. In sechs Monaten will er sich »als Coach und Organisationsberater« selbstständig machen, da spätestens dann die Verlegung seiner Abteilung in eine andere Stadt erfolgen wird. Er hat sich bereits beim Jobcenter gemeldet und sich nach Gründungssubventionen erkundigt, hat eine aufwendige Website und einen Flyer anfertigen lassen. Im Rahmen der Ausbildung soll er 15 Sitzungen ELSv absolvieren. Zusätzlich hat er vom Institut die Auflage erhalten, an fünfzig Sitzungen einer Selbsterfahrungsgruppe teilzunehmen; wann er diese begonnen bzw. abgeschlossen haben soll, sei ihm nicht vorgegeben, so sagt er. Diese Anforderung teilt der SiA dem Lehrsupervisor erst geraume Zeit nach Beginn der LSv mit. Der SiA will diesen Ausbildungsteil erst später erfüllen, da ihm die zeitliche Belastung für Kurse, LSv und gleichzeitig Selbsterfahrungsgruppe neben seiner Berufstätigkeit zu hoch ist.

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Als Einzellernsupervision hat er schnell den Auftrag eines bei einer anderen Firma tätigen Verkaufstrainers akquiriert, der Schwierigkeiten mit seinem Vorgesetzten hat. Der Lehrsupervisor nimmt wahr, dass der SiA in dieser Arbeit auf Praktiken zurückgreift, die er von seinen Verhaltenstrainings her kennt. Er erlebt die Erzählungen des SiA wie eine Geschäftsberichterstattung nach dem Motto: »Supervisand macht und sagt«, »Meine Intervention hat etwas gebracht«. Der Lehrsupervisor hat dem SiA empfohlen, ihm nach jeder Lehrsupervisionseinheit eine schriftliche Rückmeldung in Bezug auf sein emotionales Erleben der LSv und auf Inhalte zu schicken, die ihm als besonders wichtig in Erinnerung sind. Der SiA schickt ihm wunschgemäß seine Berichte zu, immer erst kurz vor dem nächsten LSv-Termin; sie umfassen knapp eine halbe Seite und geben überwiegend Aussagen wieder, die der Lehrsupervisor getätigt hat. Auf dessen Nachfragen nach seinen emotionalen Erlebnisinhalten und deren Bedeutungsgehalt kommen meistens Wiederholungen im Sinne von »Ich fand gut, dass Sie …«, »Das war für mich neu«, »Das habe ich mir gut gemerkt«. Obwohl der Lehrsupervisor wahrnimmt, dass der SiA auf seine Fragen nicht wirklich Antwort gibt, erlahmt seine Aufmerksamkeit, er achtet nicht mehr darauf, auf Reflexion und Bewertung des Lerngeschehens zu bestehen. In der vierten Lehrsupervisionseinheit stellt der SiA einen zweiten Auftrag vor, den er gerade »an Land gezogen« hat: Eine Freundin seiner Ehefrau arbeitet als Ausbilderin in einer Schule für Heilerziehungspflege. Der Schulleiter, selbst Supervisor, verpflichtet alle Auszubildenden von Beginn ihrer Ausbildung an zur Teilnahme an Supervisionsgruppen, die Bestandteil der Ausbildung sind und während der Praxisphasen stattfinden sollen. Vermittelt durch die Freundin der Ehefrau konnte der SiA sich in der Schule vorstellen und wurde als Supervisor beauftragt. »Ich hatte nicht gedacht, dass ich da ernsthaft Chancen habe, habe mich aber wohl richtig gut verkauft«, teilt er seinem Lehrsupervisor nicht ohne Stolz in der Stimme mit. Die Gruppensupervisionen stehen unmittelbar bevor, und so bittet er den Lehrsupervisor um Unterstützung bei der Planung seines Vorgehens. Als der Lehrsupervisor ihn darauf aufmerksam macht, dass erfahrungsgemäß solche Supervisionen viele Schwierigkeiten beinhalten und für das Erlernen von Supervision nicht gerade günstig sind, lässt er sich vordergründig nicht beeindrucken und meint, dafür bekomme man doch jetzt eine Ausbildung, außerdem sei es »ja eh schon schwer genug, überhaupt Aufträge zu bekommen«. Als der Lehrsupervisor ihn fragt, welche Assoziationen, Gefühle und Vorstellungen er dazu hat, demnächst mit Heilerziehungspflegerinnen und -pflegern zu arbeiten, die ihren künftigen Beruf kaum kennen, antwortet der SiA: »Ehrlich gesagt, keine Ahnung.«

Welche Prioritäten sind in einem solchen Prozess zu setzen, und wie können sie didaktisch bearbeitet werden? Seit den ersten Veröffentlichungen zum Thema

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LSv, gemeint war damit stets das dyadische Setting, wird diese »von den an der Supervisionsausbildung Beteiligten als ›Herzstück‹ dieser Ausbildung verstanden« (Boettcher u. Leuschner, 1989, S. 7). Nirgendwo finden sich seit dieser Zeit in den Verlautbarungen von Instituten oder der DGSv Hinweise, dass dieser Anspruch aufgehoben, relativiert oder gemindert worden wäre. »Die Lehrsupervision ist das Herzstück der Supervisionsausbildung und damit der zentrale Ort der Professionalitätsentwicklung künftiger Supervisoren« (Van Kessel u. Dinger, 2014, S. 2). Wenn Boettcher und Leuschner (1989, S. 7) von LSv als einem »›verschwiegenen‹ Thema« sprechen, lassen sich dafür Gründe finden: »das Vermeiden schwieriger Themen wie z. B. die Eignung des Kandidaten für den Supervisorenberuf […]; der sorgende Lehrsupervisor, hinter dem das Bild des urteilenden (sprich: verurteilenden) Lehrsupervisors verschwindet […]; Geltungswünsche der Lehrsupervisoren […]« (Wittenberger, 1989, S. 32). Eine weitere Ursache für das Schattendasein des Themas dürfte in der inflationären Zunahme angebotener Supervisionsausbildungen liegen. Aufseiten der Nachfragenden suchen viele nach einer möglichst kostengünstigen Möglichkeit, die Eintrittskarte zum Supervisionsmarkt zu lösen. Im Spannungsfeld von Angebot und Nachfrage ist ein unvermindert anhaltender Wettbewerb um Teilnehmende entstanden. Durch abgestufte Ausbildungen mit einzelnen Abschnitts-Zertifikaten, mit der Erweiterung der Zugangsmöglichkeiten und nicht zuletzt durch kostengünstigere Settings versuchen die Institute, sich am Markt zu behaupten. Das gesondert aufzubringende Honorar für ELSv ist neben den Kursgebühren ein erheblicher Kostenfaktor. Seine Minimierung dürfte eine wesentliche Erklärung dafür sein, dass das vielfach gepriesene »Herzstück« der Ausbildung eine solche Schwächung erfahren hat, bis hin zur völligen Austauschbarkeit in den Standards der DGSv. Die fehlende konsequente Auseinandersetzung mit der Qualität der Ausbildung wird begleitet und begünstigt durch schwindendes oder fehlendes Qualitätswissen aufseiten von Supervision verordnenden Instanzen und von Auftraggebern im Supervisionsmarkt. Dafür gibt das geschilderte Szenario ein typisches Beispiel. Bredemann (2015) arbeitet die Phänomenologie dieser Entwicklung historisch auf und stellt sie in Bezug zur Gesamtentwicklung von Arbeitswelt und Gesellschaft. Sie fordert in Konsequenz: Aufgabe ist, »dass sich mit grundlegenden Fragen nach Berufsethik, professioneller Haltung, Werten, Zielen, Methoden, […] sowie auch Fragen nach Misserfolgen in der supervisorischen Arbeit […] auseinandergesetzt wird« (Bredemann, 2015, S. 110 f.).

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Im Dienst der Glaubwürdigkeit: Kontraktbildung in der Lehrsupervision Auf die Arbeitswelt bezogen gibt es eine spezifische Aufgabe: »Ich vermute, dass es immer weniger komplexe Problemstellungen gibt, die nur und ausschließlich durch die Bearbeitung zwischenmenschlicher Konflikte gelöst werden können, sondern durch die Einbeziehung organisationeller Aufgabenstellungen und deren Widersprüchlichkeiten. Denn man kann davon ausgehen, dass die zwischenmenschliche Konfliktdynamik in der Tendenz eine Resonanz ist auf die aufgabenbezogenen Zielsetzungen und ihre Widersprüchlichkeiten, die es zu synchronisieren gilt« (Wimmer, 2015). Supervision fördert die Kompetenz, Ansprüche an sich und an andere in einem ausgewogenen, realistischen Verhältnis von Einflussmöglichkeiten und Verantwortlichkeit zu balancieren. Wie können analog dazu Aufgaben, die an ELSv gestellt sind, mit den jeweils vorhandenen Ressourcen des SiA und des Lehrsupervisors synchronisiert werden? Wie kann gewährleistet werden, dass das Ausbildungsinstitut und der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin einander, sich selbst und dem SiA nur versprechen, was angesichts vorliegender Informationen und erkennbarer Ressourcen leistbar ist? Bauer (1989) hat die Thematik des Dreiecksverhältnisses in der Ausbildung aus psychoanalytischer Sicht sehr differenziert bearbeitet und deutet vorsichtig eine Schlussfolgerung an: Um der »Arbeit mit dem Lehrsupervisanden willen muss es dem Lehrsupervisor wichtig sein, möglichst viele manifeste Aufträge zu erhalten« (Bauer, 1989, S. 38). Das oben skizzierte Fallszenario zeigt, wie der Lehrsupervisor sich in eine Abarbeitungsdynamik verstricken kann, in der er sich selbst und den SiA nicht mehr ernst nimmt, wenn es an manifesten Aufträgen für die ELSv fehlt. Wie hoch wird der Wert des Sich-und-andere-ernst-Nehmens in der Ausbildungsrealität geschätzt? Und wie erfolgt die Schätzung? Ein bedeutender Schritt wäre die Verbindlichkeit, den formalen Dreieckskontrakt zwischen Lehrsupervisor, SiA und Ausbildungsinstitut in Form einer gemeinsamen Sitzung zu eröffnen, in der Schwerpunktaufgaben für die LSv definiert werden. Das sollte zumindest dann erfolgen, wenn weniger als zwanzig Einheiten ELSv geplant sind oder besondere Eingangsvoraussetzungen des SiA vorliegen. Außerdem sollte Standard werden, dass der Lehrsupervisor schon vor dem Erstgespräch vom Ausbildungsinstitut alle Informationen darüber bekommt, mit welchen Eingangsvoraussetzungen der SiA in die Ausbildung aufgenommen wurde und welche Settings in welcher zeitlichen Abfolge für seine individuelle Ausbildung gefordert sind. Erfolgt eine solche Sitzung erst später aufgrund einer festgestellten Problematik, stehen alle Beteiligten latent bis manifest in einer kritischen

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Situation, die nicht sein müsste. Optional könnte der Dreiecks-Kontakt auch erst nach einer ersten Arbeitsphase stattfinden, allerdings müsste das von vornherein avisiert und unabhängig vom Verlauf der LSv sein. Man kann einwenden, dass die Freiheit der Lehre dadurch zu sehr eingeschränkt würde. Dass dieser Wert in Konflikt gerät mit dem Wert, Ausbildungsqualität durch mehr Transparenz und Verbindlichkeit zu verbessern, ist nicht zwingend. Im Einzelfall bedürfte es einer sorgfältigen Prüfung anhand der gegebenen Ressourcenlage des SiA.

Supervision in vier Ebenen – ein standardtaugliches Praxismodell Gesucht wird als Qualitätsmerkmal für Supervisionsprozesse eine Grundstruktur, die in der LSv modellhaft Anwendung finden kann und die der SiA in seine Lernsupervisionen transformieren und dort erproben kann. Realistisch ist die Orientierung an den Elementen förderlicher Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg (z. B. 2012), die man in verschiedenen Kommunikations- und Konfliktlösungskonzepten findet. Die Schritte folgen auch in Supervisionsprozessen einer Logik, ihre Reihenfolge ist jedoch nicht zwingend, daher sind die Begriffe »Dimension« oder »Ebene« zutreffender. »Was ist geschehen? Wie stellt sich genau die Sachlage dar?« Diese Frage bietet sich als erste Ebene an, auf der eine Supervision aufbaut. Die sorgfältige Exploration von Sachverhalten, inklusive aller relevanten Begleitumstände (z. B. Organigramm, Verhaltenskultur der Organisation), ist eine Voraussetzung dafür, dass sich in Supervision das erschließen kann, was Max Wertheimer (Walter, 1991) mit dem Begriff der »Gefordertheit« bezeichnet: »Gefordertheiten nennt Wertheimer für Menschen spürbare, ihr Denken oder Handeln in eine bestimmte Richtung weisende Kräfte, die jedoch (im Unterschied zu auf einseitige Befriedigung von Ich-Interessen zielenden Begierden, Wünschen) nicht vom anschaulichen ›Ich‹, sondern aus einer in der Umwelt wahrgenommenen Sachlage oder einer die eigene Person als Teil einschließenden Situation ausgehen. In der so verstandenen Fähigkeit des Menschen zur Sachlichkeit sieht Wertheimer auch das wichtigste Kennzeichen des freien Menschen« (Walter, 1991, S. 181 f.).2 »Was bedeutet das für Sie? Was fühlen und empfinden Sie dabei?« Damit der Supervisand die »führende« Antwort findet, das Gefühl benennen kann, das 2

Neben Max Wertheimer hat Wolfgang Köhler (1938/1968), ein weiterer Mitbegründer der Gestalt-Psychologie der so genannten Berliner Schule, den Begriff der »Gefordertheit« definiert.

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die Dynamik seines Themas am stärksten steuert, bedarf es auf dieser zweiten Ebene des Verbalisierens emotionaler Erlebnisinhalte sorgfältiger und geduldig suchender Arbeit. Gefühle sind Ausdruck erfüllter oder nicht erfüllter Bedürfnisse, geachteter oder verletzter Werte. Diese können nicht ohne Weiteres aus einer Gefühlslage oder -äußerung abgeleitet werden. Auf der dritten Ebene beginnt daher der anspruchsvollste Teil supervisorischer Arbeit. Verstehen als Grundlage für perspektivisches Arbeiten an Lösungen und Handlungsalternativen ist dem Supervisanden selbst und dem Supervisor nur gegeben, wenn es gelingt, die den Gefühlen zugrunde liegenden Werte und Bedürfnisse zu heben, sie dem Bewusstsein und dem kommunikativen Ausdruck zugänglich zu machen. Damit ist nicht zwingend der biografische Hintergrund gemeint, vor dem diese Werte und Bedürfnisse entstanden sind. Zielführend ist, dass der Supervisand diese Dimension seines Daseins und seines Konflikterlebens wahr- und ernst nimmt, dass er ihren Wert schätzt. Auf der vierten Ebene ist zu erarbeiten, was der Supervisand mit seinen Erkenntnissen machen kann und will, welche Handlungsperspektiven sich für ihn als sinnhaft und realistisch zeigen im Spannungsfeld von gesammelten Erfahrungen, Bedürfnissen, Ansprüchen, Idealen und wahrgenommener Realität. Zum Erarbeiten gehört in der vierten Dimension supervisorischen Vorgehens auch das Auf- und Ernstnehmen, was dem Supervisanden sein Instinkt mitteilt (zu unterscheiden von Intuition, die der Kreativität zuzuordnen ist). Diese Wahrnehmung, auch »das sichere Gefühl« genannt, ist ein Indikator, dass sich die Gefordertheit der Lage zeigt: ein eindeutiger Handlungsimpuls, der sich sogar völlig überraschend gegen alle zuvor gesammelten und strukturierten Aspekte und Gedanken durchsetzen kann, der aber für die Person dieses Supervisanden in dieser Situation passt, der Stimmigkeit entstehen lässt. Ein großer Teil der Energie richtet sich bei der Analyse von Supervisionsprozessen auf das Geflecht von personen-, professions-, rollen- und organisationsbezogenen Aspekten, die als Verstehenszugang dienen. Die relativ einfache Struktur in dieser Analyse zu nutzen und anhand derer den Prozess zu führen, ist keine leichte Aufgabe.

Einzellehrsupervision und Qualitätsbewertung Der Lehrsupervisor kann gemäß dieser Struktur den LSv-Prozess des SiA führen, d. h. die Arbeit an den persönlichen Zielen und Motiven des SiA, an seinen Lernsupervisionen und an seinem Interventionsverhalten. Entscheidend ist dabei nicht, wie, sondern dass alle vier Ebenen gleichermaßen Gegenstand der

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Supervisionsprozesse sind (methodisch kann das auf unterschiedliche Weise geschehen). Im dyadischen Setting kann der Lehrsupervisor differenziert beobachten, ob dem SiA alle vier Phasen des Strukturmodells in Bezug auf sein Selbst-Erleben reflexiv zugänglich sind bzw. ob sich der Zugang im Laufe der LSv erschließt. Er erhält Hinweise, ob der SiA die Fähigkeit entwickelt, in seinen eigenen Lernsupervisionen danach zu arbeiten. Damit kann der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin die Kompetenzentwicklung des SiA anhand nachvollziehbarer Kriterien bewerten. Ein Kontinuum der Selbst- und Fremdbeurteilung während des gesamten LSv-Prozesses könnte dadurch gegeben sein, dass die schriftliche Rückmeldung des SiA an den Lehrsupervisor nach jeder Sitzung von diesem verbindlich gemacht wird und sich auf konkret gestellte Fragen bezieht, die der didaktischen Struktur des LSv-Prozesses folgen. Im Sinne von Qualitätssicherung sowie zur Vermeidung von Konkurrenz und Irritation unter den Lehrsupervisoren bzw. unter den SiAs wäre es notwendig, dass das Ausbildungsinstitut ein solches Vorgehen nicht nur befürwortet, sondern als Standard ausweist. Dürr-Feuerlein hat ein differenziertes Bewertungssystem für den Abschluss von Lehrsupervisionsprozessen ausgearbeitet (1989, S. 199 ff.). Van Kessel stellt ein weiteres Beurteilungsraster vor, das in Teilen sogar abgestufte Maßeinheiten enthält und in den Niederlanden erprobt ist (Van Kessel u. Dinger, 2014, S. 22 ff.). Man mag über die Objektivierbarkeit solcher Verfahren streiten. Dass jedoch solche Konzepte in der deutschen Supervisions-Ausbildungslandschaft bisher nicht ansatzweise zu einer ernsthaften Diskussion führen, deutet auf Tabuisierung hin. Supervisoren als Vertreter ihrer Profession, Lehrsupervisoren, Ausbildungsinstitute sowie der führende Berufsverband erheben den Anspruch, dass ihre Ausbildungen, und damit verbunden die Tätigkeit der Absolventinnen und Absolventen, von hoher Qualität seien. Wenn sie das überzeugend vertreten wollen, ist es dringend geboten, Kriterien und Systeme zu entwickeln, die eine nachvollziehbare Beurteilung dieser Qualität ermöglichen. Das Fehlen von Beurteilung kann mit hoher Autonomie und Unberührbarkeit assoziiert werden. Daneben lauert jedoch eine gewisse Art von Stress, weil die Glaubwürdigkeit infrage gestellt ist und man sich ständig »produzieren« und beweisen muss. Wünschenswert wäre, wenn in hoffentlich nicht allzu ferner Zukunft über die Geschichte der Supervisionsausbildung geschrieben würde: »Früher musste man häufig selbst herausfinden und definieren, was für ein Supervisor man war. Heute hat man in der Person des Lehrsupervisors ein Gegenüber, von dem man differenzierte Beurteilungen zur Verfügung gestellt bekommt, anhand derer man seine Entwicklung messen kann.«

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Literatur Bauer, A. (1989). Sorgerecht und Sozialisationseinflüsse in einer Familie mit getrennten Eltern. Einige problematisierende Ideen zur Position des Lehrsupervisors. In W. Boettcher, G. Leuschner (Hrsg.), Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung (S. 27–44). Aachen: Kersting. Boettcher, W., Leuschner, G. (Hrsg.) (1989). Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung. Aachen: Kersting. Bredemann, M. (2015). Mehr Masse statt Klasse? Die Bedeutung der Inflation von Beratungsformen für die Professionalisierung von Supervision. Forum Supervision, 45, 97–113. Zugriff am 20.04.2016 unter http://fs.ub.uni-bielefeld.de/index.php/fs/article/view/265 Deutsche Gesellschaft für Supervision e. V. (2013). Standards für die Qualifizierung zum/zur Supervisor/in DGSv. Zugriff am 20.04.2016 unter www.dgsv.de/wp-content/uploads/2014/01/standards_2013_web1.pdf Dürr-Feuerlein, E. (1989). Bewertungskriterien für die Lehrsupervision. In W. Boettcher, G. Leuschner (Hrsg.), Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung (S. 187–205). Aachen: Kersting. Heimann, R. (2010). Die Habitusanalyse. In K. Gröning, C. Hoffmann (Hrsg.), Studienbrief Forschungsmethoden (S. 106–134). Bielefeld: Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld. Köhler, W. (1938/1968). Werte und Tatsachen (Übers. aus dem Engl.). Berlin u. a.: Springer. Perkins, D. (1995). Outsmarting IQ. The emerging science of learnable intelligence. New York: The Free Press. Riemann, F. (2013). Grundformen der Angst (41. Aufl.). München: Ernst Reinhardt. Rosenberg, M. B. (2012). Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens (10. Aufl.). Paderborn: Junfermann. Van Kessel, L. (2007). Das Niederländische Modell supervisorischen Lernens. Ein Panorama. Vortrag auf der Konferenz »Komplexes Lernen und Metalernen in der Supervision. Die Botschaft der Neurowissenschaften« in Hückeswagen. Manuskript. Zugriff am 20.04.2016 unter https://www.researchgate.net/publication/256843530_DAS_NIEDERLANDISCHE_ MODELL_SUPERVISORISCHEN_LERNENS_Ein_Panorama Van Kessel, L., Dinger, W. (2014). Die Qualität von Professionalität. Welche Verantwortung übernehmen Lehrsupervisoren dafür? Bericht über die Internationale Tagung Lehrsupervision des Vereins Supervision und TZI e. V. 2014. Zugriff am 20.04.2016 unter https://www.researchgate. net/publication/270049045_DIE_QUALITAT_VON_PROFESSIONALITAT_Welche_Verantwortung_ubernehmen_Lehrsupervisoren_dafur Van Kessel, L., Dinger, W. (2015). Veränderungen in den Ausbildungen – Konsequenzen für die Lehrsupervision? Bericht über die Internationale Tagung Lehrsupervision des Vereins Supervision und TZI e. V. 2015. Zugriff am 20.04.2016 unter https://www.researchgate.net/publication/281201902_VERANDERUNGEN_IN_DEN_AUSBILDUNGEN_-_KONSEQUENZEN_FUR_DIE_LEHRSUPERVISION Walter, H.-J. P. (1991). Zur Aktualität Max Wertheimers. In H.-J. P. Walter (Hrsg.), Max Wertheimer. Zur Gestaltpsychologie menschlicher Werte. Aufsätze 1934–1940 (S. 171–209). Opladen: Westdeutscher Verlag. Wimmer, R. (2015). Eine Prognose: Die Zukunft von Mediation und Beratung in der Wirtschaft. Interview von Jürgen G. Heim. Mediation aktuell, 28.07.2015. Frankfurt a. M.: Wolfgang Metzner. Zugriff am 20.04.2016 unter https://www.mediationaktuell.de/news/prognose-zukunftmediation-und-beratung-in-wirtschaft-4.0 Wittenberger, G. (1989). Supervisionsausbildung und Lehrsupervision. In W. Boettcher, G. Leuschner (Hrsg.), Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptionsentwicklung (S. 13–26). Aachen: Kersting.

Sascha Kuhlmann

Das Spiel der Kontexte Illusion Es war einmal ein dicker, hässlicher Bauer, der hatte sich (warum auch nicht?) in eine hübsche blonde Prinzessin verliebt. Eines Tages – weiß der Himmel, warum – gab die Prinzessin dem hässlichen, dicken Bauern einen Kuss, und wie von Zauberhand verwandelte sich dieser in einen schlanken, ansehnlichen Prinzen. (So zumindest sah sie ihn …) (So zumindest fühlte er sich …) Jorge Bucay (2009)

The game of contexts The game of contexts, as a setting within group supervision-on-supervision, represents a somewhat unusual supplement to pure reflection on supervisions carried out by junior supervisors. All participants have access to their common experience of a supervisory sequence, which form the basis for their observation. An artificial space is created in which the group supervision-on-super­vision illustrates the different levels of supervision and makes them tangible within a short period of time. A quick change of roles and levels is essential. Thus the junior supervisors practice to assign their observations to an experience level and to a meta-level. All participants in the group super­visionon-supervision generate »new« information. Experiences are created and reflected, which are highly valuable for use in subsequent learning.   Starting from a basic systemic understanding of various concepts such as perception, reality construction, second-order observation and context etc., this article gives a precise description of all procedural steps. In addition, the role of the supervision trainer and his or her obligations are addressed in detail. Zusammenfassung Das Spiel der Kontexte, als Setting innerhalb der Gruppenlehrsupervision, stellt eine etwas ungewöhnliche Ergänzung zur reinen Reflexion supervisorischen Handelns der Lernsupervisanden dar. Alle Beteiligten greifen auf die gemeinsame Erfahrung einer soeben erlebten Supervisionssequenz als Basis ihrer Beobachtungen zu. Es wird ein Kunstraum geschaffen, in dem die Gruppenlehrsupervision in sehr kurzer Zeit die verschiedenen Ebenen der Supervision verdeutlicht und erlebbar macht. Dabei ist ein schneller Rollen- und Ebenenwechsel von Bedeutung. Die Lernsupervisanden und -supervisandinnen üben, Beobachtungen Erlebnisebene und Metaebene zuzuordnen. Alle Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision generieren »neue« Informationen. Erfahrungen werden kreiert und reflektiert, die dann für das Lernen sehr gut genutzt werden können.   Ausgehend vom grundlegenden systemischen Verständnis verschiedener Begriffe wie Wahrnehmung, Wirklichkeitskonstruktion, Beobachtung zweiter Ordnung, Kontext und andere wird in diesem Beitrag das Vorgehen konkret in allen Schritten beschrieben. Daneben wird auch die Rolle der Lehrsupervisorin bzw. des Lehrsupervisors mit seinen Aufgaben ausführlich in den Blick genommen.

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Sascha Kuhlmann

Bauer und Prinzessin Blickt man auf die Prinzessin und den Bauern der kleinen Geschichte, so wird deutlich, dass in dieser Geschichte mit den Vorannahmen des Lesers gespielt wird. Zunächst ist allen Leserinnen und Lesern klar, dass ein dicker, hässlicher Bauer mit seiner Liebe wenig Chancen bei einer Prinzessin haben wird. Diese Vorannahme greift der Autor geschickt mit der Frage »Warum auch nicht?« auf, und der Leser ist zum ersten Mal mit seinen eigenen Vorannahmen konfrontiert. Gleiches geschieht beim Kuss der Prinzessin, ein ebenfalls eher unerwartetes Verhalten. Vorannahmen sind Teile unserer Selbstbeschreibung, sie gestalten in der Interaktion den Kontext und leisten einen wesentlichen Beitrag zu unserer Handlungsweise. Die Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung zu legen, auf die Gestaltung unterschiedlicher Kontexte, der Einbezug relevanter Umwelten und die Beobachtung möglicher Wirkungen und Auswirkungen sind wesentliche Bestandteile der Ausbildung in Supervision. In diesem Beitrag stelle ich ein Setting vor, anhand dessen die Teilnehmenden für ihr eigenes supervisorisches Handeln im Rahmen von Gruppenlehrsupervision hilfreiche Erfahrungen sammeln können. Sie lernen darüber hinaus, Kontexte und Vorannahmen wahrzunehmen und professionell damit umzugehen. Zunächst skizziere ich einige grundlegende Begrifflichkeiten, die für das Verständnis des Vorgehens zentral sind: Bateson schreibt zu dem Begriff der Wahrnehmung: »Wahrnehmung arbeitet nur mit Unterschieden. Jede Informationsaufnahme ist notwendig die Aufnahme einer Nachricht von einem Unterschied, und alle Wahrnehmung von Unterschieden ist von Schwellen begrenzt. Unterschiede, die zu klein oder zu langsam dargestellt sind, können nicht wahrgenommen werden. Sie sind keine Nahrung für die Wahrnehmung« (Bateson, 1979, S. 39 f.). Damit ist gemeint, dass wir Menschen mit Unterscheidungen operieren, z. B. hell – dunkel, laut – leise, und erst durch die Unterscheidung zu einer Information gelangen. In der Geschichte vom Bauern und der Prinzessin wird mit solchen Unterschieden »gespielt«: dick – ansehnlich, hässlich – hübsch, dick – schlank. Über diese Unterscheidungen konstruiert das Gehirn ein Bild und entwickelt Vorannahmen. Die unerwartete Reaktion der Prinzessin führt zu einer weiteren Information für den Leser: Hübsche, blonde Prinzessinnen können dicke, hässliche Bauern küssen. Mit der Wahrnehmung ist der Prozess der Wirklichkeitskonstruktion untrennbar und zirkulär verbunden. Beide bedingen sich gegenseitig. Die Wirklichkeitskonstruktion steuert die Wahrnehmung (man könnte sogar von Wahr-

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gebung sprechen) und umgekehrt. Heidi Neumann-Wirsig schreibt hierzu: »Wirklichkeitskonstruktion bezeichnet alle affektiven und kognitiven Prozesse, die das Wahrnehmen, Erleben, Denken, Fühlen und Handeln eines Menschen bestimmen« (Neumann-Wirsig, 2011, S. 28). Wirklichkeitskonstruktion findet permanent statt. Vorannahmen sind Bestandteile der jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion und wirken in mehrfacher Hinsicht. Sie fließen in den Kontext ein, steuern das Verhalten und lassen Erwartungen entstehen. So ist anzunehmen, dass die wenigsten Leser erwarten würden, dass eine hübsche, blonde Prinzessin einen dicken, hässlichen Bauern küsst. Und in der Geschichte weiß (auch nur) der Himmel, warum, und der Leser sitzt seiner eigenen Vorannahme auf. In der menschlichen Interaktion kommen wir ohne Vorannahmen oder, wie sie auch genannt werden, Erwartungserwartungen nicht aus. Dieser ständige Prozess wird durch Beobachtung auf der Metaebene beschreibbar. Doch selbst die Prozesse des Beobachtens und Beschreibens laufen zirkulär ab und sind linear nur unvollständig fassbar. In einem systemtheoretischen Verständnis findet die Konstruktion von Wirklichkeit immer in einer Wechselbeziehung zwischen dem Beobachter und dem zu Beobachtenden statt. Während die Kybernetik erster Ordnung zwischen Beobachter und zu Beobachtendem trennt, schließt die Beobachtung zweiter Ordnung den Beobachter mit in das zu beobachtende System ein. Heinz von Foerster hat hierfür den Begriff der »Kybernetik der Kybernetik« geprägt. Ist nun der Beobachter nicht aus dem System wegzudenken, so muss er sich bzw. seine Kommunikation immer als Teil des Systems verstehen. Die Konsequenz für die Supervision heißt z. B., dass eine reine »Fallsupervision« unmöglich ist, da die Beschreibung des »Falles« die Beschreibung einer Interaktion zwischen Falleinbringer und Klient/Patient/Kunde ist. Das gilt auch für die Lehrsupervision. Der Lehrsupervisand berichtet innerhalb der Lehrsupervision von seiner Lernsupervision in Abwesenheit seines Supervisanden. Er schildert seine Konstruktion seiner (Supervisions-) Wirklichkeit. Die Reflexion dieser Beschreibung unter Berücksichtigung der Beschreibungskriterien macht die Lehrsupervision zur Beobachtung zweiter Ordnung. In der Lehrsupervision können diese Prozesse, unter anderem die des Lehrsupervisanden, reflektiert werden. Damit ermöglicht der Lehrsupervisor, einen Ablauf in Sprache zu fassen, der dem Lehrsupervisanden helfen kann, sein eigenes Denken und Handeln zu verstehen, neu zu bewerten, und letztlich, zu lernen. Eine weitere, sehr hilfreiche Unterscheidung ist die zwischen Heimat- und Supervisionssystem. Hierzu führt Heidi Neumann-Wirsig (2011, S. 177) aus:

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»Die Unterscheidung in Heimat- und Supervisionssystem [= Beratungssystem, Anm. d. Autors] hat ganz praktische Auswirkungen. […] Die Leitfrage in der Supervision heißt deshalb: Inwieweit ist das, was wir hier besprechen, tun etc. hilfreich für den Supervisanden in seinem Heimatsystem?« Im »Spiel der Kontexte« wird gleich in mehrfacher Weise auf die Unterscheidung zwischen diesen beiden Systemen hingewiesen und das Arbeiten im Supervisionssystem (und nur in diesem) eingeübt. Fritz B. Simon (2009, S. 113) beschreibt als drittes Gebot des systemischen Denkens: »Wenn Du Informationen (be-)schaffen willst, triff Unterscheidungen!« Und: »Informationen entstehen durch das Ziehen von Grenzen, durch die ein Raum, Zustand oder Inhalt ›innen‹ von einem Raum, Zustand oder Inhalt ›außen‹ getrennt wird«. Der Kontext ist also ein geschaffener »Raum«, der ermöglicht, Informationen zu erhalten und mit diesen weiterzuarbeiten. In diesem Sinne kann das »Spiel der Kontexte« dazu beitragen, den Lernsuper­ visanden und -supervisandinnen das Nutzbarmachen von Informationen durch das Ziehen von Unterscheidungslinien darzulegen. Das Setting »Das Spiel der Kontexte« lehnt sich an die Triadenlehrsupervision von Lothar Krapohl (Eckhardt, Richter u. Schulte, 1997) an. Krapohl beschreibt die Möglichkeit, in triadischen Systemen vor einem Beobachter und dem Lehrsupervisor »Live-Supervision« durchzuführen und direkte Rückmeldungen aus drei unterschiedlichen Perspektiven zu erhalten: ȤȤ die Erfahrungen des Falleinbringers mit dem Supervisor, der gewählten Methode und den Wirkungen, die in diesem Maße auch durch Zwischenauswertungen oder Endauswertungen in »realen« Supervisionsprozessen nicht zu erhalten sind; ȤȤ die Wahrnehmung eines Beobachters, der seinen Fokus auf die Arbeit des Supervisors legt, mit der besonderen Brille, ebenfalls in der Ausbildungssituation zu stecken, und der von daher nah am Erleben des Supervisors in dieser Situation ist; ȤȤ der Lehrsupervisor mit seinen geschulten Augen und Ohren, der im Rahmen dieses Ausbildungsteils auch die Aufgabe hat, die Ausbildungsteilnehmenden darin zu unterstützen, bestmögliche Supervisoren und Supervisorinnen zu werden. Krapohl beschreibt die Triadenlehrsupervision als »berufliche Selbstreflexion, Beratung, Prüfung und Kontrolle« (Eckhardt et al., 1997).

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Ziele des Vorgehens Als grundsätzliches Ziel der Gruppenlehrsupervision ist die Weiterentwicklung der Teilnehmenden in der Rolle des Supervisors bzw. der Supervisorin zu verstehen. »Das Spiel der Kontexte« als Setting innerhalb der Gruppenlehrsupervision verfolgt dieses Ziel gleich in mehrfacher Hinsicht. In der ersten Phase kann ein Teilnehmer (in der Rolle des Supervisanden) ein Anliegen aus seiner Supervisionspraxis einbringen und hierfür zieldienliche Informationen generieren. Zudem kann dieser Teilnehmer in seiner Rolle nicht minder wichtige Informationen über die Wirkungen einzelner Interventionen des Lernsupervisors »am eigenen Leib« erfahren und Hinweise zu hilfreichen und weniger hilfreichen Angeboten erleben. In der Rückmeldung stellt er diese (Selbst-)Beobachtung den anderen Gruppenteilnehmenden zur Verfügung. Ein anderer Teilnehmer kann sich in dieser Phase in der Rolle des Lernsupervisors erproben, indem er die Anfrage des Supervisanden mit diesem gemeinsam zu einem unterstützenden und in der Fragestellung voranbringenden Ergebnis führt. In der zweiten Phase kommt nun der spielerische Ansatz hinzu. Es folgt ein beinahe nahtloser Wechsel der Rollen. Der bisherige Supervisand wird zum Lernsupervisor, der bisherige Lernsupervisor schlüpft in die Rolle des Supervisanden. Die Spielmetapher dient dazu, den Spaß an dieser etwas paradox wirkenden Vorgehensweise in den Vordergrund zu stellen und so eine hilfreiche und unterstützende Lernatmosphäre in der Gruppenlehrsupervision zu etablieren. Das Ziel der zweiten Phase ist besonders die Prozessbeobachtung. Der »neue« Supervisand formuliert jetzt eine Fragestellung aus dem gerade Erlebten. Die Herausforderung für den »neuen« Lernsupervisor besteht darin, den Unterschied zwischen Heimat- und Supervisionssystem aus dieser Perspektive zu erleben. Gleichzeitig muss er als Lernsupervisor dafür sorgen, dass diese Unterscheidung für beide Seiten, den Supervisanden und den Supervisor, über den gesamten Zeitraum der Supervisionssitzung hinweg deutlich bleibt. Ein weiterer zentraler Bestandteil der Gruppenlehrsupervision ist das Ausblenden von Vorannahmen und die Reflexion möglicher Interventionen. Beides wird im zweiten Supervisionssetting in der nächsten Phase der wichtigste Fokus. Die weiteren Lehrsupervisions-Gruppenteilnehmenden können in den Abschnitten der Live-Situation (Supervisionssequenzen 1 und 2) beobachten, an welchen Stellen mit den Informationen des Falleinbringers wie gearbeitet wird und welche Fragen und Interventionen von welchen Vorannahmen geleitet werden. Dies ist besonders in der zweiten Phase deutlich beobachtbar.

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Die dritte Phase dient der Reflexion, denn der Gewinn aus diesen Beobachtungen ergibt sich aus der anschließenden Reflexion aller Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision in Hinblick auf Interaktions- und Beziehungseinladungen. Wer als Supervisorin oder Supervisor seine »verführbaren« Seiten kennt, hat bessere Chancen, Interventionsentscheidungen seinen anderen Seiten zu überlassen und dadurch nah an dem Anliegen des Supervisanden zu bleiben.

Aufbau des Gruppen-Lehrsupervisionssettings Im Folgenden werde ich das »Spiel mit den Kontexten« anhand eines beispielhaften Verlaufs unter Berücksichtigung des Rollenwechsels ausführlich beschreiben. Das Setting besteht aus drei Phasen: Phase 1 Erster Schritt: Installieren der ersten Supervisionssequenz

Lehrsupervisand (A) bringt ein Anliegen aus seiner Lernsupervision (Heimatsystem) ein. Die weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Gruppe einigen sich auf einen Supervisor, im weiteren Supervisor (B) genannt, aus ihren Reihen, nicht den Lehrsupervisor. Dieser Teilnehmer weiß, dass er im Rahmen dieser Lehrsupervisionssitzung die Erfahrungen und Geschehnisse der Supervision mit A im Rahmen einer weiteren Supervisionssequenz als Supervisand einbringen wird. Die zeitliche Festlegung der Supervisionssequenzen beläuft sich auf 20, maximal 25 Minuten. Als hilfreiche Unterstützung hat sich bewährt, dem Supervisor (B) die Möglichkeit einzuräumen, bei Unsicherheiten ein Time-out einzulegen und sich mit dem Lehrsupervisor kurz über das weitere Vorgehen zu beraten. Zweiter Schritt: Erteilen von Beobachtungsaufträgen

Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten Beobachtungsaufgaben. Die Fo­ kusse können z. B. auf systemischen Fragen, Strategien des Beziehungsaufbaus, Körperreaktionen oder Irritationen bei Supervisor B oder Supervisand A liegen. Die unterschiedlichen Beobachtungsrichtungen werden von den anderen Teilnehmenden selbst gewählt oder vom Lehrsupervisor bzw. der Lehrsuper­ visorin festgelegt.

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Dritter Schritt: Durchführung der ersten Supervisionssequenz

Der Supervisor (B) arbeitet innerhalb dieses Rahmens, des Supervisions­ systems 1, nun mit seinem Supervisanden (A) am Anliegen von (A). In der Wahl des Vorgehens und der Methode ist Supervisor (B) völlig frei. Ziel im Super­visionssystem 1 ist, ein zufriedenstellendes, gutes Ergebnis mit dem Supervisanden (A) zu erarbeiten. Der Lehrsupervisor achtet auf den Zeitrahmen und kündigt Supervisor B nach 20 Minuten das Ende der Supervision 1 an, auch um einen angemessenen Abschluss der Supervision 1 zu ermöglichen. Nach Abschluss der Supervisionseinheit 1 verändern die beiden Teilnehmenden ihre Sitzposition im Raum, um kenntlich zu machen, dass nun ein neuer Abschnitt beginnt, und um die Übernahme der veränderten Rolle zu erleichtern. Phase 2 Erster Schritt: Rollenwechsel

Bis hierher entspricht der Ablauf dem gewohnten Gruppen-Lehrsupervisionssetting. Der bevorstehende Rollenwechsel vom Supervisor zum Supervisanden und noch mehr der Wechsel vom Supervisanden zum Supervisor stellt den größten Unterschied zur normalen Lehrsupervision dar. Daher ist es die Aufgabe des Lehrsupervisors, den beiden Akteuren (A) und (B) unterstützend zur Seite zu stehen. Hilfreiche Fragen an (A), den Supervisor der kommenden Sequenz, Supervision 2, könnten sein: a) »Welche Haltung nehmen Sie für gewöhnlich zu Beginn einer Supervisionssitzung ein?« b) »Wie gelingt es Ihnen in anderen Kontexten, sich auf eine neue Situation einzustellen?« c) »Welche Materialien benötigen Sie, um die Rolle des Supervisors auszufüllen?« d) »Gibt es einen Satz, einen Anker, der Sie verlässlich in Ihre ›neue‹ Rolle bringt und daran erinnert, diese Rolle beizubehalten?« Um die Rolle des Supervisanden in der Supervision 2 gut einzunehmen zu können, sind folgende Fragen des Lehrsupervisors unterstützend und hilfreich: ȤȤ »Wie gelingt es Ihnen, eine neue Rolle einzunehmen?« ȤȤ »Was kann Sie darin unterstützen, die vorherige Rolle zu verlassen?« ȤȤ »Gibt es Informationen oder Beobachtungen, die Sie sich als Supervisor der ersten Supervisionssequenz aufschreiben möchten, um sie nicht zu vergessen?«

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Zweiter Schritt: Installieren der zweiten Supervisionssequenz

In diesem Schritt des Spiels wird aus Supervisand (A) nun der Supervisor (a), aus Supervisor (B) wird der Supervisand (b), der seinerseits die Erfahrungen der vorangegangenen Supervisionssequenz 1 in die neue Sequenz (Supervisionssystem 2) einbringt (siehe Abbildung 1, S. 196). Dabei besteht der Spielcharakter aus dem zeitnahen Wechsel der Rollen. Jeder der anwesenden Lehrsupervisionsteilnehmer kennt die Rolle des Supervisors und des Supervisanden. Normalerweise lässt man sich Zeit für den Wechsel. Die Konnotation des Settings als Spiel erleichtert es den Teilnehmenden erfahrungsgemäß, sich auf dieses Vorgehen einzulassen. Die Metapher »Spiel« unterstützt die beiden Lehrsupervisanden darin, einen entspannten Rollenwechsel zu vollziehen und die Experimentierfreude aufrechtzuerhalten. Ein Austausch zwischen (A) und (B) oder auch Rückmeldungen vonseiten der Beobachtenden oder des Lehrsupervisors finden zu diesem Zeitpunkt nicht statt, um den weiteren Prozess nicht zu beeinflussen. Das Besondere am »Spiel der Kontexte« sind die getauschten Rollen. Denn der Supervisor (a) ist der vorherige Supervisand (A) und der vorherige Supervisor (B) ist nun der Supervisand (b). Damit wird für den »neuen« Super­visor (a) eine besondere Herausforderung in das Setting eingebaut. Der Umgang mit dem eigenen Bezugsrahmen bekommt große Bedeutung. Supervisor (a) muss seinen Bezugsrahmen in den Hintergrund treten lassen. Mit dem eigenen Bezugsrahmen ist der Erfahrungshintergrund des Supervisors gemeint, die eigenen Annahmen zu Verläufen, die eigenen Erklärungen für die Entstehung oder den Verlauf von Situationen, eigentlich seine gesamte Konstruktion von Wirklichkeit. Im systemischen Verständnis spricht man von der »Landkarte«. Da in der Supervision ausschließlich das Erleben und die Fragestellung des neuen Supervisanden B der Fokus ist, muss der Supervisor (a) die Fähigkeit entwickeln, sich zu dissoziieren. Die bisherigen Gedanken und Verknüpfungen zu diesem Thema und zu dem Supervisanden sind an dieser Stelle nicht mehr relevant. Auch hier hat sich die Time-out-Möglichkeit für den Supervisor (a) sehr bewährt. Dritter Schritt: Durchführung der zweiten Supervisionssequenz

Der Supervisand B schildert also sein Erleben der vorausgegangenen Supervisionseinheit mit seinen Eindrücken, Hypothesen, Schlussfolgerungen und Fragestellungen. Selbstverständlich können dabei Formulierungen und Rückschlüsse in den Fokus geraten, von denen zumindest eine Seite des Super­visors (a) denkt: »So hat der Supervisand (A) das nicht gesagt, das hat er nicht sagen wollen, er hat eine völlig andere Idee damit verfolgt« bzw. »So habe ich das in der Rolle

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des Supervisanden nicht gesagt, das habe ich nicht sagen wollen, ich habe eine völlig andere Idee verfolgt«. Die besondere Aufgabe für den Supervisor (a) ist es nun, einer anderen Seite in ihm das Steuer zu überlassen und sich weniger damit zu beschäftigen, was er als Supervisand eigentlich sagen wollte, sondern sich ausschließlich auf die Anfragen und Erwartungen des Supervisanden B zu konzentrieren. Diese etwas künstlich wirkende Situation hat durchaus realen Charakter. In ihren alltäglichen Supervisionen sind Supervisoren und Supervisorinnen immer wieder mit dem eigenen Bezugsrahmen konfrontiert und denken oder fragen sich möglicherweise: ȤȤ »Kann das so sein?« ȤȤ »Da liegt bestimmt ein Missverständnis vor.« ȤȤ »Diese Organisation habe ich in anderen Kontexten aber immer ganz anders erlebt.« Usw. Im Supervisionssystem 2 arbeitet nun der Supervisor (a) gemeinsam mit seinem Supervisanden (b) an einem zieldienlichen Ergebnis für das Anliegen von (b). Bei der Durchführung gelten die gleichen Vorgaben wie für das Supervisionssystem 1. Der Fokus dieses Gruppen-Lehrsupervisionssettings liegt eher auf den Erfahrungen, die die Teilnehmenden sammeln, weniger bei den Zielen, idealen Ergebnissen für die jeweiligen Supervisanden, erst recht nicht für das Supervisionssystem 2, für das die Fragestellung sehr spontan erarbeitet wird. Der Supervisand (a) kommt in dieser Supervisionssequenz schließlich nicht mit einem Anliegen, das ihn bereits länger beschäftigt oder das wohlüberlegt in die Gruppenlehrsupervision eingebracht wird, sondern mit einer Erfahrung, die gerade erst gemacht wurde und quasi ad hoc supervidiert wird. Daher handelt es sich beim Spiel mit den Kontexten um ein eher selten anzutreffendes Setting, in dem eine Supervision ohne zeitlichen Abstand in die Gruppenlehrsuper­ vision eingebracht wird. Dieser Umstand ist unter dem hier zugrunde liegenden Fokus zu akzeptieren. Phase 3 Der Supervisor (a) erhält zunächst über die Selbstbeobachtung eine detaillierte Rückmeldung zum eigenen supervisorischen Handeln: Er kann beobachten, wie häufig und in welcher Intensität sich z. B. seine Seite des »missverstandenen Supervisanden« meldet, wie es ihm gelingt, mit deren Erwartungen umzugehen, und an welchen Stellen der Umgang leichter oder schwerer für ihn ist.

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Aus diesen Selbstbeobachtungen können sowohl dem Supervisor (a) als auch den weiteren Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision intensive und sehr hilfreiche Lernerfahrungen erwachsen. Daneben sind auch die Beobachtungen der anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer und des Supervisanden (b) wichtige Hinweise für die weitere Entwicklung als Supervisor, denn diese können dem Supervisor helfen, die möglichen Unterschiede zwischen der Selbst- und Fremdwahrnehmung in den Blick zu nehmen. Damit stellt diese Form der Rückmeldung ein weiteres Qualitätsmerkmal (das intensive Differenzieren und Vergleichen der Selbst- und Fremdwahrnehmung) der Gruppenlehrsupervision dar.

Supervisionssequenz 1 Supervisand A

Supervisor B

Supervisor a

Supervisand b Supervisionssequenz 2 Abbildung 1: Setting beim »Spiel der Kontexte«

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Reflexion und Auswertung Für die Reflexion ist in der Gruppenlehrsupervisionssitzung ein angemessener (auch zeitlicher) Rahmen zu schaffen. In dieser Phase ist der Lehrsupervisor derjenige, der die Fäden zusammenführt und unter Beteiligung aller, der Protagonisten ebenso wie der Beobachter, die Ergebnisse und wichtigen Lernfortschritte herausarbeitet. Dieser Schritt beinhaltet, sowohl die Erfahrungen aus den Supervisionssequenzen 1 und 2 zu sortieren und zu benennen als auch den Transfer in die alltägliche Situation der Supervisoren zu gewährleisten. In der Reflexion des Supervisionssystems 1 erhalten Supervisand A und Supervisor B durch die vielfältigen und unterschiedlichen Beobachtungen der weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer Hinweise und Anregungen in Bezug auf das eigene Verhalten, die Rollenklarheit und das professionelle Handeln als Supervisor. Die weiteren Gruppenteilnehmenden reflektieren den jeweils eigenen Lernfortschritt und ihre Erkenntnisse. Darüber hinaus können alle Teilnehmenden ihre nächsten Lernvorhaben und -schritte ableiten. Für die zweite Supervisionssequenz findet dabei die Auseinandersetzung mit den eigenen Vorannahmen besondere Berücksichtigung, die bereits als ein wesentliches Ziel beschrieben wurde. Denn dafür ist das »Spiel der Kontexte« ein bewusst kreierter Übungsraum. Wenn Supervisoren ihren Supervisanden nicht (mehr) zuhören, sondern viel mehr mit dem nicht gesagten, aber vermeintlich verstandenen Inhalt agieren, bedeutet dies eine Abwendung von der Maßgabe, dass der Klient (in diesem Fall der Supervisand) Experte für seine eigenen Bedürfnisse ist. Von dieser Beschäftigung mit den eigenen Vorannahmen statt der Konzentration auf das vom Supervisanden Gesagte sei dringend abgeraten. Viel zu schnell bieten sich die Möglichkeiten des Hineininterpretierens oder des zu frühen (weil ungenauen) Verstehens an. Die dann häufig als die vermeintlich wahre angebotene Wirklichkeit beruht eher auf einem Missverstehen und ungenauem Hinhören als auf tatsächlichem Verstehen. Lehrsupervisandinnen und -supervisanden beschreiben ihre Erfahrungen mit diesem Setting häufig so: ȤȤ »Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass aus dieser Supervisionssequenz (Supervisionssystem 1) ein weiteres Supervisionsanliegen erwachsen könnte.« ȤȤ »Ich habe mich in der Supervisionssequenz so eindeutig verhalten, das kann nur zu dieser einen Fragestellung führen.« ȤȤ »Der hilfreiche zweite Blick auf eine Situation hat zu erstaunlichen Erkenntnissen geführt.« ȤȤ »Das Interaktionsthema der ersten Sequenz hat sich in der zweiten fortgesetzt.«

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Die Wirkung, die bei den Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision beobachtet werden kann, ist eine höhere Aufmerksamkeit für das Ziel des Prozessgeschehens in der Supervision und eine Abwendung von den Inhalten hin zu den bearbeitbaren und erreichbaren Lösungen innerhalb der Supervision. Das Supervisionssystem wird als eigener, besonderer Raum zur Bearbeitung der Anliegen erfahrbar, und die Sensibilität für das Anliegen des Supervisanden wächst. »Das Spiel der Kontexte« stellt daher ein Setting dar, das rein zu Übungszwecken in der Gruppenlehrsupervision (und anderen Ausbildungszusammenhängen) einsetzbar ist. Es dient nicht als Tool, das von den Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision in ihrer eigenen Supervisionspraxis nutzbar ist. Dennoch halte ich das wiederholte Üben dieses Settings im Rahmen des Gruppenlehrsupervisionsprozesses für ein wertvolles Element zum Einüben und Erfahrbarmachen der Beobachtung zweiter Ordnung.

Aufgaben des Lehrsupervisors Für die Lehrsupervisorin oder den Lehrsupervisor ergeben sich beim »Spiel der Kontexte« eine Reihe von Aufgaben und Herausforderungen: ȤȤ Zunächst brauchen die Lehrsupervisanden ein theoretisches Verständnis von Systemen und den Interaktionsmustern, die daraus resultieren können. Dieses muss der Lehrsupervisor entweder durch eigenes Erklären oder durch Erfragen der Ausbildungsinhalte zum Zeitpunkt der Gruppenlehrsupervision sicherstellen. ȤȤ Um das Setting einzuführen, empfiehlt sich ein exemplarisches Beispiel für die Unterscheidung von Beratungs- und Heimatsystem, damit die Teilnehmenden wissen, was im Weiteren auf sie zukommt. Diese »Produktinformation« sollte ausführlich sein, denn es ist für die Lehrsupervisanden und -supervisandinnen wichtig, in der direkten Rolle zu erfahren, dass in herausfordernden Situationen (in der Supervision ist dies häufig der Fall) ein genaues Verständnis des Ablaufes hilfreich ist. ȤȤ Neben der zeitlichen Steuerung ist es im Verlauf dieses Settings die Aufgabe des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin, auf die Einhaltung der Rollen zu achten und die Teilnehmenden dabei zu unterstützen, sich in diesen Rollen zurechtzufinden. Dies kann durch kurzes Nachfragen geschehen oder durch die vorherige Absprache, dass der Lehrsupervisor zu kurzen Nach­ fragen im Rahmen eines »Time-outs« hinzugezogen werden kann. ȤȤ Bei der anschließenden Auswertung ist es die Aufgabe des Lehrsupervisors (wie in allen anderen Fällen auch), darauf zu achten, dass wertschätzend

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und ressourcenorientiert miteinander gesprochen wird. Sicher besteht durch die Rückmeldungen der Beobachter die Gefahr, dass besonders bei dem Falleinbringer, der dann auch noch in die Supervisorenrolle geschlüpft ist, der Eindruck entsteht: »Ich habe etwas nicht richtig gemacht.« Hier ist die Lehrsupervisorin oder der Lehrsupervisor gefordert, den Übungscharakter hervorzuheben, das vermeintlich »Nichtgelungene« als hilfreiche Information wertzuschätzen und mögliche alternative Handlungsweisen in den Blick zu nehmen. Ein Springen zwischen den Systemen kann immer wieder geschehen, sollte allerdings mit zunehmender Dauer der Lehrsupervision möglichst früh auch durch die Supervisorinnen und Supervisoren selbst erkannt werden. In diesem anspruchsvollen Setting ist es die Lehrsupervisorin oder der Lehrsupervisor, der sicher und passgenau die verschiedenen Beobachtungs- und Erlebnisebenen markiert und sicherstellt, welche Ebene gerade im Reflexionsfokus ist. Er steuert und führt durch das Labyrinth der Ebenen, Kreisläufe und Abläufe. Seine Aufgabe ist es, im Sinne einer zusammenfassend-strukturierenden Kraft zu wirken, um Supervisanden das Ordnen von Erlebtem zu ermöglichen (vgl. den Beitrag von Neumann-Wirsig in diesem Band). Lehrsupervisanden und -supervisandinnen erleben die Wirkungen des eigenen Bezugsrahmens und der eigenen Vorannahmen auf den jeweiligen Supervisanden und den gemeinsamen Prozess. Sie lernen die Differenzierung zwischen Selbstbeobachtung (eigenes Fühlen, Denken, Erleben) und den Beobachtungen ihrer Interaktion mit dem Supervisanden. Sie erfahren die Zirkularität menschlicher Kommunikation und trainieren sich in der Steuerung des Supervisionsprozesses. Sie erfahren, wie der jeweilige Kontext ihre Rolle, ihr Handeln, das gesamte Erleben rahmt und beeinflusst.

Die zu Beginn dieses Beitrags beschriebene »Illusion« von Jorge Bucay mag in ihrer Gänze so nicht in Lehrsupervisionssitzungen vorkommen. Und dennoch, es ist diese Art der Illusion, die in diesem Setting sehr leicht zugänglich gemacht wird. Denn die Teilnehmenden der Gruppenlehrsupervision können anhand der hier gewählten Übergänge die theoretische Idee des Heimat- und Super­ visionssystems in einfacher Weise erfahren. Diese Einfachheit verblüfft an vielen Stellen die Teilnehmenden durch die nachhaltige Wirkung des »Selbst-Erlebens«, was zu einem leichteren Zugang zu den manchmal nicht leicht zugänglichen Beschreibungen der Supervisanden im Alltag verhilft. Zudem ermöglicht dieses Setting dem Lehrsupervisor oder der Lehrsupervisorin und den weiteren Teil-

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nehmenden einen vielschichtigen Einblick in das Wirken der Kolleginnen und Kollegen und damit auch eine gute Grundlage für den gegenseitigen Abgleich von Wahrnehmungen.

Literatur Bateson, G. (1979). Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bucay, J. (2009). Geschichten zum Nachdenken. Frankfurt a. M.: Fischer. Eckhardt, U.-L., Richter, K. F., Schulte, H. G. (Hrsg.) (1997). System Lehrsupervision. Aachen: Kersting. Neumann-Wirsig, H. (2011). Jedes Mal anders. Heidelberg: Carl-Auer. Simon, F. B. (2009). Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (4. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer.

Annemarie Bauer und Marlies W. Fröse

Habitus- und feldsensible Rollenübernahme in der Gruppenlehrsupervision

Habitus- and field-sensitive role adoption in group supervision-on-supervision This article focuses on Bourdieu’s concepts of field and habitus and its importance for the development of a new understanding of one’s role by means of group supervision-on-supervision (Balint groups): Supervisors are faced with new fields, new organisations and their corresponding habitus. Consultants bring in their own habitus and experiences, which they acquired in the field of their own profession. This can be compatible or not – and should therefore be an important element in the various types of supervision-on-supervision. Zusammenfassung Der Beitrag fokussiert Bourdieus Feld- und Habitustheorie und deren Bedeutung für die Entwicklung eines neuen Rollenverständnisses mithilfe der Gruppenlehrsupervision (Balintgruppe): Als Supervisorin wird man in neuen Feldern konfrontiert mit neuen Organisationen und deren zugehörigem Habitus. Als Beraterin bringt man den eigenen Habitus und die Erfahrung in dem Feld der eigenen Profession mit. Das kann (nicht) kompatibel sein – und sollte von daher ein wichtiges Element der verschiedenen Formen der Lehrsupervision sein.

Wir werden niemals wissen, wie weit das Denken reicht im Hinblick auf die Gesamtheit der Realität. George Steiner (2008, S. 21)

Lehrsupervision und die Notwendigkeit, tiefenpsychologisch und organisational zu denken »Das erste Haus, das erste Boot, die weite Reise …« – das diskutierte vor einiger Zeit eine Ausbildungsbalintgruppe in der Kaffeepause während einer Sitzung – spaßig, ironisch und auch ernsthaft: Die Teilnehmenden wollen auf den Beratungsmarkt, schwärmen von Coaching und viel Geld und einer sichtbaren Karriere. Viele der Teilnehmenden kommen aus dem pädagogischen und sozialen Bereich und haben nach dem Studium eine Zusatzausbildung gemacht. Eine

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systemische Ausbildung liegt nahe, die in der Grundausbildung weitgehend aus dem Erlernen von Fragemethoden und Lösungsorientierung besteht. Die Teilnehmenden haben gelernt, dass die psychoanalytische Beratung veraltet sei: Die Psychoanalyse wird mit der Aufdeckung früher und kindlicher Traumata gleichgesetzt, was man in der Supervision – vor allem »in der Wirtschaft« – nicht brauchen könne. Wobei aber vergessen wird, dass gerade die Fragen unseres Beitrags zu verborgenen Deutungsmustern und Metaphern – individuell wie auch organisational – psychoanalytischer Herkunft sind. Diese Überlegungen lassen uns zwei Spuren in diesem Beitrag aufnehmen und verfolgen: 1) die Chancen einer psychoanalytisch orientierten Gruppe als Lehrsupervision mit dem Fokus auf dem Habitus der angehenden Supervisorinnen und Supervisoren und die Organisationen als Bestandteile des »Feldes« sowie 2) der Blick auf das Zusammenspiel von Feld und Habitus nach Pierre Bourdieu. Erste Spur: Die Balintgruppe als Form der Lehrsupervision Die Ausbildung zur Supervisorin oder zum Supervisor suchen Menschen, die sich bereits in ihrem ersten Beruf – in der Regel auf einem Studium aufbauend – etabliert haben und sich nun ausdifferenzieren wollen. Die angestrebte neue Rolle und das neue Aktionsfeld sind gleichermaßen reizvoll wie verunsichernd. Dieses Bewegen in neuen Feldern, die der eigenen Erfahrung nicht entsprechen, fordert heraus und löst unter Umständen einen beängstigenden Prozess aus. Um diesen Prozess zu begleiten, wird ein Baustein zur Verfügung gestellt: die Lehrsupervision. Sie findet in manchen Ausbildungen in zwei Settings statt: als dyadischer Prozess zwischen zwei Personen und als Gruppenprozess in einer Balintgruppe. Im Umgang mit der Lehrsupervisandin inszeniert sich ein Modell von Supervision. Es geht um die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Kontext einer neuen Berufsrolle, die Entwicklung spezifischer Fragestellungen für den Beratungsprozess »Supervision«, die Erweiterung des bisherigen Tuns – und nicht nur um die Anwendung des bisherigen Tuns in einem neuen Kontext und die Erweiterung um die Dimension Organisation. Diese Themen wird es nicht ohne Kränkung geben. Die Beteiligten im Supervisionsprozess können nicht einfach dort weitermachen, wo sie gerade stehen. Da es sich aber in der Regel um Menschen handelt, die die Selbstreflexivität und Rollenbewusstheit schon geübt haben, kann darauf gebaut werden, dass die auftauchenden Verunsicherungen sich nicht in Krisen auswachsen – meistens jedenfalls. Neben dem dyadischen Setting der LSv (Lehrsupervision) kann die Balintgruppe für die Ausbildungsgruppe ein hilfreiches Setting sein. Auch hier ent-

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steht Raum, die neue Rolle zu klären, Unterschiede in den Rollen des bisherigen beruflichen Arbeitens herauszufinden, die Herausforderungen für Person, Kontexte und Identität anzunehmen. Die analytisch orientierte Einzellehrsupervision hat den Vorteil, in die Tiefe gehen zu können und Bestandteile der eigenen Geschichte in die Rollenfindung einzubeziehen, auch die Organisationsgeschichte zu reflektieren und die Übertragungen dieser Geschichte in die neue Rolle hinein aufzuspüren. Die Balintlehrsupervision bietet hingegen den Vorteil, Spiegelphänomene des Berichts in der Gruppe zu kreieren, vielfältige Ideen zu produzieren, konsistente, aber auch inkonsistente und konkurrierende Ideen einzubringen, kollegial-zustimmende Anregungen, aber auch kollegial-rivalisierende Konfrontationen zu ermöglichen. Fokus Organisation: Seit einigen Jahren leitet Annemarie Bauer eine sich experimentell verstehende »Institutionsanalytische Balintgruppe«, deren Ziel es ist, die Fallarbeit zu fokussieren und den erhaltenen Fallbericht nicht für alle Assoziationen und Ideen freizugeben, sondern diese auf den institutionellen und organisationalen Rahmen zu beziehen, wenn nicht sofort, dann nach der ersten »Einfallsrunde«. Wir wollen erkunden, welche Rolle die Organisation in dem Fall spielt, wie sie Einfluss nimmt auf den Fall, wie sie Handeln der Akteure beeinflusst, wie sie zu verstehen ist und wie sie einkalkuliert werden kann. Foki können sein, wie die Organisation bezüglich der Psychodynamik in der Balintgruppe wirkt, welche Phänomene beobachtet werden, wann sich die Organisationsdynamik vor den Fall schiebt. Dazu gehört auch, inwieweit Mythen, die Geschichte, der Auftrag und die Struktur der Organisation eine bedeutsame Rolle spielen. Außerdem ist im Fokus: Inwieweit prägen Erfahrungen oder Bilder von der Organisation die Einfälle der teilnehmenden Balintgruppenmitglieder? Wir brechen also einige Regeln der »freien Assoziation«: Wir lenken den Fokus und nehmen neben der Sprache auch Identifizierungsfoki dazu, die sich auf die Organisation beziehen. Feststellen konnten wir, dass das methodische Arbeiten mit den Identifizierungsfoki auf Bestandteile der Organisation den Tiefenerkenntnissen über die Organisation entgegenkommt. Fokus Habitus: Durch die Vielfalt und durch die Auseinandersetzung mit den Wahrnehmungsmustern der anderen Teilnehmenden kann die erforderliche Reflexion beschleunigt und angereichert werden. Typische Übertragungswege können durch die Konfrontation oder Kontrastierung in der Gruppe auch in Bezug auf den Habitus bedacht werden. Die Balintgruppe ermöglicht sogar mit verschiedenem Habitus konfrontiert zu werden. Hilfreich sind Balintgruppen, wenn die Dynamik der Peergroups und das Spiegelphänomen Ausgangspunkte der Erweiterung darstellen: die Spiegelung der Teamdynamik und der Organisation in der Balintgruppe einerseits und die Bewegungen des Supervisors

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oder der Supervisorin in diesen Organisationen andererseits. Dies betrachten wir unter dem Aspekt des Habitus, der mit den Organisationen als Bestandteil eines Feldes eng verknüpft ist. Wichtig ist uns die Schärfung der Wahrnehmung in Bezug auf die supervisorisch arbeitende Person im Kontext der Organisation. Zweite Spur: Habitus und Feld als Hintergrund in der Lehrsupervision Nun wenden wir uns der Thematik des Habitus und Feldes zu. Insbesondere im Umgang mit dem Habitus und mit dem Feld (im Bourdieu’schen Sinne) geschieht viel Unbewusstes. Von daher halten wir beide Zugänge für die Ausbildung wichtig: das Habitus-Konzept für die Ausbildung der Person und das »Feld« für das Verstehen von Organisationen. »Feld« und »Habitus«: Organisationen als Feld im Sinne Bourdieus

Eines der zentralen Anliegen, das Pierre Bourdieu (1930–2002) mit seinen soziologischen Analysen stets verfolgt hat, liegt in der Entschleierung der verborgenen Grundlagen der Herrschaft. Ihm sind nicht nur Akteure wichtig, sondern auch »Felder«, also Segmente der Gesellschaft. Das »Feld« meint bei Bourdieu mehr als »Feldkompetenz«: Feldkompetenz versteht sich oft als bereits gemachte Erfahrungen in bestimmten Segmenten von Berufen: Abläufe, Fragen, Methoden. Das »Feld« umfasst die Gesamtheit der gesellschaftlichen Interaktionen und Konstellationen, aber auch Felder wie etwa Politik, Wirtschaft oder Kunst. Dazu gehören auch Subfelder, beispielsweise das Feld der Literatur, der Schule, der Universität, die sich im Feld der Bildung und im kulturellen Feld untereinander abgrenzen. Bourdieu verknüpft den Habitus mit einem Praxisbegriff, der den Ort markiert, an dem sich Subjekte begegnen, sich in einer relationalen Ordnung positionieren, im »Feld« handeln und damit genau diese Ordnung reproduzieren: Das Feld bestimmt den Habitus und der Habitus das Feld. Der Habitus ist gedacht als Körper gewordene, das Feld, korrespondierend dazu, Umgebung und Ding gewordene Geschichte. Das Feld bietet die äußeren Chancen für das, was im Habitus als Disposition angelegt ist. Es handelt sich also um einen doppelten Prozess der Interiorisierung der Exteriorität und der Exteriorisierung der Interiorität. In Bourdieus »sozialem Feld« geht es um Position und Ansehen, also um symbolisches Kapital, neben den anderen Kapitalsorten wie ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital. Es werden also Bereiche beschrieben, die eigene Spielregeln für das Verhalten und Handeln entwickelt haben. »Felder« haben in der Philosophie Bourdieus ein »spezielles Kapital«, das in den Grenzen des Feldes Wert und Bedeutung hat, die es außerhalb nicht zwin-

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gend haben muss. Eine Universität hat eine andere Struktur, andere Macht­ verhältnisse, andere Kapitalien und andere Kämpfe als eine Schule – obwohl beides Bildungseinrichtungen sind. Es geht um den Erhalt oder die Veränderung eines bestimmten Kapitals. Menschen, die sich in einem bestimmten Feld bewegen, haben bestimmte gemeinsame Grundinteressen und verteidigen die Regeln des Feldes. Neulinge müssen diese Selbstverständlichkeiten kennenlernen, akzeptieren und anerkennen, selbst wenn sie antreten, um Dinge zu verändern. Bourdieus Habituskonzept und seine Kapitalien

Schon seit Längerem setzen wir uns mit der Relevanz des Habitus in der Beratung auseinander (Bauer u. Fröse, 2014). Im Kontext des Rollenerwerbs sollte auch die Frage nach dem Habitus einer Lehrsupervisandin thematisiert werden. Wird eine professionelle Rolle angestrebt, kommt man nicht umhin, sich mit dem Habitus dessen, der sie anstrebt, und dessen, der einen Teil der Rollenübernahme begleitet, auseinanderzusetzen. Mit Pierre Bourdieus Theorie, der Habitus als Ergebnis von Sozialisation und verinnerlichten Prozessen, als die »im Leib eingeschriebene Geschichte« beschreibt, wollen wir eine Fragestellung und, wie wir meinen, Aufgabe der Lehrsupervision behandeln. Der Habitus-Begriff ist die zentrale Kategorie im Werk des Soziologen Pierre Bourdieu. Ziel des Konzeptes ist, die Handlungsbedingungen und Handlungsmöglichkeiten des Menschen als vergesellschaftetes Subjekt zu analysieren. Habitus bezeichnet, vereinfacht gesagt, eine Grundhaltung, eine Disposition gegenüber der Welt. Der Mensch ist kein völlig freies Subjekt, sondern ein gesellschaftlich, von seiner Subgruppe geprägter Akteur; der Habitus ist das Produkt von frühen Erfahrungen und gleichzeitig deren aktive und unbewusste Präsenz. Unter »frühen Erfahrungen« sind Muster der Wahrnehmung, des Denkens und der Handlungen gemeint, die ihrerseits die weiteren Eindrücke eines Menschen präjudizieren sowie seine Alltagstheorien, Klassifikationsmuster, ethischen Normen und ästhetischen Ansprüche steuern, mit denen er seine individuellen und kollektiven Praktiken gestaltet. Vermittler sind die Herkunftsfamilie und dann die – der Familie – angemessenen Bildungseinrichtungen. Das Erlernte ist aber nicht das offizielle, sondern das Haltungs-Curriculum, das »nebenher«, also auf der vorbewussten Ebene, erworben wird. Die dort erworbenen Schemata sind tief verankert und werden als selbstverständlich erlebt. Der Habitus wirkt als eine relativ dauerhafte, charakterkonstituierende Kraft. Von daher ergibt sich der Begriff der Inkorporation, der Verinnerlichung bis hinein in den Körper, der zum Träger des unbewusst ausgewählten und internalisierten gesellschaftlichen Ausschnitts wird. Trotz vorhandener Spielräume ist Programmierung stark. Bourdieu kategorisiert verschiedene Kapitalsorten:

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ökonomisches Kapital (materieller Besitz), kulturelles Kapital (Bildung), soziales Kapital (soziale Beziehungen) und symbolisches Kapital (Ansehen).

Diese Kapitalien sind – so Bourdieu (2005) – innerhalb der modernen Gesellschaft ungleich verteilt. Menschen partizipieren unterschiedlich am gesamtgesellschaftlichen Reichtum und haben verschiedenartigen Einfluss auf gesellschaftliche Entscheidungs- und Gestaltungsprozesse. Über den Habitus werden die sozialen Verhältnisse und die soziale Struktur mitproduziert bzw. permanent reproduziert – er ist also ein generatives Prinzip von Gesellschaft. Das Konzept der Kapitalien kann die Ungleichheit zwischen Menschen erklären. Das Beispiel »Schule« zeigt, dass der Schulerfolg oder -misserfolg nicht allein von den Begabungen abhängt, sondern viel mit der Herkunft und den zur Verfügung stehenden Ressourcen, auch habitueller Art, zu tun hat. Das Zusammenspiel

Nach unserem Ermessen muss es in der Supervision auch um die Anerkennung der Spezifika des Habitus von Organisationen gehen. Deshalb ist ein tiefenpsychologisch-habitueller Blick auf Strukturen, Prozesse und die verborgenen und geheimen Regeln von Organisationen erforderlich. Und das ist mühsam. Gerade die Aufarbeitung der Berufsgeschichte hat große Bedeutung, denn es geht um die Relativierung der Interpretationsmuster aus dem Blickwinkel der Mitarbeiterin »unter einem Chef«. Es geht aber auch um die Infragestellung der Machtfantasien, die man als Supervisorin hat und die sich z. B. in einer unangemessenen Parteilichkeit für ein Team zeigen können. Es geht zudem darum, Machtgefüge und Veränderungsprozesse in Organisationen zu verstehen. Kann man Menschen darin begleiten, sich dort zu bewegen? Die psychodynamische Organisationsentwicklung bietet hier ein analytisches Organisationswissen, sodass auch dieses Wissen in die Lehrsupervisionen Eingang finden müsste. Wir verstehen »Organisation« als einen Unterbegriff des Bourdieu’schen »Feldes«. Annähern können wir uns der Thematik über den Begriff der Organisationskultur (Schein, 1991, 1995, 2003; Bauer u. Fröse, 2015); dieser ist im Kontext der Organisations- und Arbeitswissenschaft seit den 1980er Jahren gut erforscht. Kroeber und Kluckhohn (1952, S. 357) haben Kultur folgendermaßen definiert: »Kultur besteht aus expliziten und impliziten Verhaltensmustern, die durch Symbole erworben und weitergeleitet werden und die die besondere und unterschiedliche Ausprägung menschlicher Gruppen ausmachen, einschließlich ihrer Verkörperung in Artefakten. Der wesentliche Kern der Kultur besteht aus traditionellen,

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das heißt historisch gewonnenen und ausgewählten Ideen und besonders ihrer zugehörigen Werte. Kultursysteme können einerseits als Produkte der Handlung, andererseits als bestimmte Einflüsse auf weitere Handlungen gesehen werden.« Edgar H. Schein (1995, S. 25), Wegbereiter des Forschungsfeldes Organisationskultur, definiert Unternehmenskultur als »ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird.« Gerade Schein hat hier durch sein Drei-Ebenen-Modell einen großen Beitrag geleistet: Auf der ersten Ebene, an der Oberfläche, liegen die sichtbaren Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen, Artefakte und Erzeugnisse, wie etwa Kommunikationsverhalten mit Mitarbeitenden, Kunden und Lieferanten, Logo, Parkplätze, Bürolayout, verwendete Technologie, das Leitbild, aber auch die Rituale und Mythen der Organisation. Auf der zweiten, tiefer liegenden Ebene liegt das Gefühl, wie die Dinge sein sollen, etwa die kollektiven Werte »Ehrlichkeit«, »Freundlichkeit«, »Technik-Verliebtheit«, »spielerisch«, »konservativ« usw., also Einstellungen, die das Verhalten von Mitarbeitenden bestimmen. Und auf der tiefsten Ebene liegen die Dinge, die als selbstverständlich angenommen werden für die Art und Weise, wie man auf die Umwelt reagiert (Grundannahmen). Diese Grundannahmen (engl. basic assumptions) werden nicht hinterfragt oder diskutiert. Sie sind so tief im Denken verwurzelt, dass sie von Mitgliedern der Organisation nicht bewusst wahrgenommen werden. Artefakte sind sichtbar, aber nicht interpretierbar ohne Kenntnis der tiefer liegenden Werte und Basisannahmen (Verhalten, Sprache, Architektur); Werte sind teilweise sichtbar, leiten sich aus Basisannahmen ab (Höflichkeit, Respekt, Toleranz), und Basisannahmen sind nicht sichtbar, oft unbewusst, leiten menschliches Denken und Handeln (falsch und richtig). Wir gehen davon aus, dass sich die Organisationskultur im Habitus der an eine Organisation gebundenen Person inkorporiert, ablagert und ihr Verhalten und Handeln bestimmt. Commitment kann als Teil symbolischen Kapitals verstanden werden. Ein Beispiel dazu: In manchen Universitäten bzw. in ausgewählten Disziplinen oder Branchen herrscht die unausgesprochene Regel, dass Frauen (nicht) gut gekleidet, (keinen) Schmuck und (kein) Make-up tragen sollten. Geistiges Denken solle sich (nicht) durch öffentliche, äußere Präsentation zeigen. Es geht also nicht nur um die individuellen Einstellungen, sondern um Regeln des Feldes bzw. der Organisationskultur. Zu den Merkmalen einer Organisationskultur kommen die habituellen Merkmale einer Person hinzu und bilden einen zirkulären Zusammenhang. Hier kann

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man von einer »Passung« sprechen, die dann in einer Normierung des Umgangs mündet.1 Die Bindung an die Organisation geschieht über Attraktion, Motivation, interpersonale Beziehungen, Loyalität und Gratifikation, um nur einige Variablen zu nennen. Wenn man Bourdieu folgt, so ist ein »Feld« dann für einen Menschen interessant, wenn er alle Kapitalarten in diesem Feld mehren kann. Wenn Habitus und Feld gut miteinander harmonieren, sind wenig Anpassungsleistungen notwendig, dann funktioniert das Zusammenspiel »automatisch«: Man ist am »richtigen Ort«! Wenn Sie nicht zueinanderpassen, »knirscht« es. Und gerade soziale Aufstiege sind anfällig für ein knirschendes Zusammenspiel von Habitus und Feld. Die Zirkularität ist nicht gegeben, die »feinen« Regeln sind nicht internalisiert, die Kultur des »Feldes« ist oft nur äußerlich bekannt, was dazu führt, dass der »Aufsteiger« erkannt und enttarnt wird und die Selbstverständlichkeit des Zusammenspiels gestört ist.

Fazit: Lehrsupervision als habituelle Umsetzung des Erlernten und einer neuen Rolle Was bedeuten diese Überlegungen für die Lehrsupervision? In der Lehrsupervision wird mehr gelehrt als Schritte und Prozesse einer guten Supervision. Diese Prozesse sind wichtig, denn sie werden zum Handwerkszeug professionellen Handelns, bleiben aber auf der »Vorderbühne« der Person. Auf der »Hinterbühne« spielt sich eine andere Konfrontation ab. Wir halten deshalb den Habitus als ein Analyseinstrument für entscheidend, weil dieser den Unterschied zwischen einer Mitarbeiterin und einer Beraterin in Organisationen ersichtlich macht. Wir gehen davon aus, dass Lehrsupervisorinnen und -supervisoren aufgrund ihrer supervisorischen Sozialisation einen Zugang zum Habitusverständnis haben sollten: Sie benötigen Habitussensibilität für sich und ihre Lehrsupervisandinnen und sie benötigen Feldsensibilität: Eine Kita ist etwas anderes als eine Sparkasse und eine Psychiatrie ist etwas anderes als eine Onkologie oder ein Pharmakonzern. Gleichzeitig sollten sie die Lehrsupervisandin anleiten, ihren bisherigen beruflichen Habitus und Aspekte der neuen Rolle zu reflektieren.

1

Definition Passung: »Als Passung wird die maßliche Beziehung zwischen zwei gepaarten, toleranzbehafteten Teilen bezeichnet, wobei beide Teile das gleiche Nennmaß aufweisen, jedoch Lage und Größe der Toleranzfelder unterschiedlich sein können. Eine Passung gibt immer eine Toleranz an, in der sich die Istmasse von Bohrung und Welle bewegen dürfen« (entnommen aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Passung).

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Ein Beispiel: Eine Person will Supervisorin werden und hat als Mitarbeiterin bestimmte Erfahrungen in Organisationen als ihrem »Feld« gemacht. Sie hat aus der Sozialisation einen Habitus entwickelt, der vom Feld gestützt und möglicherweise vertieft wurde. Als Supervisorin geht sie aber in einer anderen Rolle in dasselbe Feld oder in einer anderen Rolle auch in andere »Felder« – im Sinne Bourdieus –, in andere Organisationen mit anderen Kulturen und Regeln. In diesem Kontext geht es nicht allein um »Aufgaben«, »Strukturen« oder »Abläufe«. Es geht um die prägenden Kräfte, die in einer Organisation eingebaut sind und dem Habitus einer Person, die von außen neu hinzukommt, entgegenkommen oder widersprechen, um die beiden Extreme zu benennen. Organisationen sind also nicht nur instrumentell in den Prozess einer Beratung einzubeziehen, sondern als fremde »Felder« zu betrachten. Supervisanden werden dann zu Habitusträgern, die mit ihrem »Feld« in einem zirkulären Austausch stehen. Vergleichbare Ansätze lassen sich bezogen auf Scheins »Drei-Ebenen-Modell« wie auch auf Baileys (1977) »Bühnenmetapher« finden. Entscheidend ist, dass das Wissen um diesen unterschiedlichen Habitus in unterschiedlichen Feldern sozusagen die Hinterbühne ist, auf der die wichtigen Dinge passieren und das Zusammenspiel, das Arrangement, die »Gestalt«, konstruiert wird. Daraus abgeleitet geht es auch um folgende Fragen für die Lehrsupervisandin: Welche berufliche Rolle mit welchem Habitus in welchem Feld hat sie derzeit inne? Welche Wahrnehmungsbereiche sind vertraut? Welche sind verschlossen? Mit welchem Habitus, mit welcher Haltung will sie Beraterin werden? Sieht sie Unterschiede zwischen dem derzeitigen Berufsbild oder Berufshabitus und dem, was Supervisorinnen und Supervisoren haben? Wie nimmt sie die Felder wahr, in denen sie sich bewegt? Wird die Organisationskultur als wichtig angesehen, in etwa als Habitus des »Feldes«? Wie geht sie damit um, dass das Zusammenspiel von individuellem Habitus und »Feld«, in unserem Kontext einer Organisation, gelingen oder »knirschen« kann? Gibt es die (An-)Erkenntnis, dass die angehende Supervisorin selbst in der Regel einen eigenen Habitus hat und nun in Organisationen auftritt, die andere Kulturen haben? Ausgehend vom Professionsverständnis wird man davon ausgehen, dass eine entsprechende Sensibilität und Achtsamkeit wie auch ein analytisches Handwerkszeug – téchne – vorhanden sein müssen, denn wir arbeiten im Sinne von Klatetzki (2010, S. 11) mit der Verwendung »unbestimmte[r] Technologien im eher weiteren aristotelischen Verständnis«. »Technologien« werden verstanden als alle von Menschen entwickelten Handlungsformen (griech. Τέχνη, téchne); als Kunstfertigkeit, Kunst, Technik, das Handwerk, Wort (griech. λόγος, lógos), Kunst der Rede, Wissenschaft, Lehre und Vorgehensweisen (Löbl, 1997, 2003). Heute versteht man unter Technologie vorwiegend die Lehre und Wissenschaft

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von der Technik. In jeder Supervision bedarf es einer achtsamen Sensibilität, um zu prüfen, was kompatibel ist und was nicht, ob die Supervisandin oder der Supervisand eine solche mögliche Konfrontation will oder nicht. Wir plädieren also dafür, dass die Lehrsupervision wie auch die Balintgruppe mehr sein sollte und mehr sein kann: ein Ort für die Reflexion des eigenen Habitus und dessen Passung oder Nichtpassung mit den Feldern, in deren Organisationen Supervisorinnen sich bewegen. Das setzt aber auch an die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ein anderes Anspruchsniveau: die eigene Analyse und die Bereitschaft, sich auch unter diesen Fragen als Vorbild anzubieten, und die Fähigkeit, in der Begegnung mit der Lehrsupervisandin sensibel und vorsichtig konfrontierend die inneren Bilder von sich selbst und den Feldern zu reflektieren. Dabei geht es nicht nur um die Rollenübernahme, sondern um ein »Handwerkszeug«, angemessen mit dem Habitus auf allen Ebenen umzugehen. Unter dem Aspekt, dass nicht die Anpassung und Kopie, sondern die Eigenwilligkeit, die Konturen, der Mut zur Identität, Authentizität bis hin zur Integrität und deren Präsentation zum Erfolg führen, erachten wir folgende Aspekte für sinnvolle Bestandteile einer habitus- und feldorientierten Lehrsupervision: Aufdecken von Widersprüchen: Im Prozess der LSv mit unterschiedlichen Organisationen als Subbestandteilen eines gesellschaftlich bedeutsamen Feldes kommt es zu Widersprüchen. Die Supervisorin kann Vertrautes entdecken und sich »heimisch« fühlen, sie kann aber auch anecken und Unvertrautes spüren, Fremdheit, unsicher werden. Diese Widersprüche haben mit Macht zu tun, weil der Supervisorin ihre Kompetenz abgesprochen werden kann. Für den Lehrsupervisionsprozess kann dies bedeuten, mit der Lehrsupervisandin die Unterschiede zwischen sich als Person und der Organisation als Feld herauszuarbeiten und das Regelwerk der Organisation zu erkennen, nicht im Sinne von Anpassung, sondern im Sinne der Entwicklung eines eigenen reflektierten und passenden Umgangs damit. Gefahr der totalen Anpassung oder gar Dissoziation: Man kann aber auch versuchen, das Regelwerk zu lernen; man bewegt sich darin, ohne darin aufzuscheinen: Das eigene Ich wird abgespalten und nur die Rolle bleibt wie eine Attrappe übrig. Diese Anpassung, vor allem die Überanpassung, kann übelgenommen werden, wenn die Taktik durchschaut wird. Für den Lehrsupervisionsprozess bedeutet dies, dass solche Versuche der Anpassung aufgedeckt werden sollten. Es geht dabei um die Identität der Lehrsupervisandin. Identität meint etwas Stabiles, eine subjektive Konstruktion des Überdauernden. Identität ist Teil der Persönlichkeit, bei der Menschen »eine Passung von innerer und äußerer Welt« suchen (Keupp, 1999, S. 7).

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Wissen um die institutionelle Abwehr: Jede Organisation muss zwei Aufgaben lösen: Zu dem inhaltlichen Auftrag ist eine Haltung zu entwickeln. Die psychoanalytische Theorie betont, dass auf der Rückseite (fast) jeden Wollens, Denkens, jeder Motivation ein entgegengesetztes Wollen, Denken, eine entgegengesetzte Motivation vorhanden ist. Mit der Erfüllung der Primäraufgaben in Organisationen entstehen Aushandlungsprozesse, Rollenzuschreibungen und -übernahmen, aber auch Konflikte und Spannungen, die oft zu lange verdrängt werden. Häufig genug wird die Abwehr oder der Versuch, die Konflikte im Zaum zu halten, zur eigentlichen Aufgabe einer Organisation, sodass die Primäraufgabe zur zweiten Aufgabe wird. Das kann den Einsatz einer Supervision zur Folge haben – ein Aufgabenfeld für die Lehrsupervisandin. Eine Supervisorin, die unsensibel für die verborgenen Feldprozesse ist und nicht darum kümmert, wie sie sich mit ihrem Habitus und ihrem internalisierten Feldwissen in der fremden Organisation bewegt, kann viel falsch machen. Wissen um den Habitus: Als Supervisorin oder Supervisor arbeitet man in der Regel in unterschiedlichen Organisationen und Feldern. Es kann sein, dass der eigene Habitus und die eigene Feldkompetenz im Sinne Bourdieus nicht passen. Das bedeutet nicht, dass man nicht in fremden Feldern arbeiten soll, es gibt aber unabdingbare Voraussetzungen: ȤȤ die Kenntnis der eigenen Sozialisation und Prägung in Bezug auf den daraus entstandenen Habitus; die Kenntnis der eigenen Feld- und Organisationserfahrungen im Bourdieu’schen Sinne; die Anerkennung des fremden Feldes mit der Anerkennung der fremden Kultur und den darin lebenden und arbeitenden Menschen mit deren Habitus; ȤȤ das Einbeziehen dieser Fragen in Konfliktanalysen und in die Konfliktbewältigungssuche. Man kann Spielregeln durchschauen, man kann »Passungen« erkennen ebenso wie Widersprüche. Die Passung muss keine Anpassung sein, sondern »es passt gut zusammen«. Das Knirschen kann mehr sein als persönliche Animositäten oder die vermeintlich allgemeine Regel: Das Team passt nicht zusammen; ȤȤ Organisationen im Wandel verändern oft beides: sowohl die bisher da gewesenen Habitusmuster als auch die Feldregeln. Das ist auch bei Organisationen so, die mit einem Generationenwechsel beschäftigt sind. Habitussensibilität und Feldanerkenntnis sind wichtige Bestandteile der LSv. Die Lehrsupervisorin muss sich dieser Aufgaben bewusst sein, sie muss die Lehrsupervisandin bei dieser oft neuen Wahrnehmungsaufgabe begleiten. Das halten wir für ein deutlich sensibleres Thema als zum Beispiel die Aufarbeitung ihrer Biografie samt ihren Vater- und Mutterbildern, den Mustern der Verant-

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wortungsübernahme usw. Hier geht es um die Konfrontation der Person mit Milieus, Kulturen und Organisationen, ein Thema, das mit schnellen Bewertungen verbunden ist und als verborgenes Thema in Supervisionsprozessen sozusagen als »Basso continuo« mitläuft. Wir sind von Bourdieus Habitus- und Feldtheorie ausgegangen und versuchen, daraus Aufgaben für die LSv abzuleiten. Einen eindeutigen und überall zu findenden Beratungshabitus gibt es nicht. Eindeutige Felder und deren Substrukturen, Organisationen, gibt es auch nicht. Beide leben von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Gute Kompetenz bedeutet: ȤȤ Merkmale des Feldes und der Organisation aufspüren und analysieren zu können, um sie als Hintergrund von professionellem Handeln in Organisationen zu verstehen; ȤȤ die erlernten Beratungskompetenzen im Kontext von sozialer Arbeit, pädagogischer und psychologischer Beratung als nicht ausreichend für die deutlich komplexeren supervisorischen Beratungen anzuerkennen; ȤȤ nicht vom sozialen Aufstieg zu träumen, sondern mit neuen Kompetenzen in Beratungsprozessen/Organisationen den eigenen Habitus zu kontrastieren und angemessen damit umgehen zu können; ȤȤ Habitussensibilität für die Berufsrollenträger in den unterschiedlichen Organisationen zu entwickeln, ohne sich diesen Verhaltens- und Handlungsweisen kopierend anzuschließen; ȤȤ Feldsensibilität wahrnehmen, ohne Abwertungen vornehmen zu müssen; ȤȤ analysierende Kompetenzen für Prozesse und Kulturen entwickeln, die man in die Beratungen einbringen kann: Das »Mehr« an Kompetenz besteht weniger in spektakulären Methoden als in gründlicher Analyse. Es wäre anmaßend zu glauben, es gebe nur eine einzige wahre Vorstellung von der Welt, die deren natürliche Arten vollkommen abbilden würde. Jede Vorstellung ist bestenfalls auf einen Ausschnitt bezogen, idealisierend und abstrakt. Sandra Mitchell (2008, S. 176)

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Literatur Bailey, F. G. (1977). Morality and expediency. The folklore of academic politics. Oxford: B. Blackwell. Bauer, A., Fröse, M. W. (2014). »Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen?« Filigrane Regeln in Organisationen und Aspekte habitusorientierter Beratung für hochqualifizierte Frauen. In G. Kubon-Gilke, W. Lanwer (Hrsg.), Übergänge. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Köhler-Offierski (S. 221–241). Freiburg, Br.: FEL-Verl. Forschung – Entwicklung – Lehre. Bauer, A., Fröse, M. W. (2015). »Du sollst nicht merken – dass Du arbeitest!« Das elfte Gebot? Psychoanalytische Anmerkungen zu einem Film über moderne Arbeitswelten. Forum Supervision. Onlinezeitschrift für Beratungswissenschaft und Supervision, Nov. (46), 14–26. Zugriff am 18.05.2016 unter www.beratungundsupervision.de Boudon, R. (1988). Ideologie. Geschichte und Kritik eines Begriffs. Reinbek: Rowohlt. Bourdieu, P. (1979). Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bourdieu, P. (1994). Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Bourdieu, P. (2005). Ökonomisches Kapital – Kulturelles Kapital – Soziales Kapital (S. 49–79). In P. Bourdieu, Die verborgenen Mechanismen der Macht (Schriften zu Politik & Kultur, 1). Hamburg: VSA. Bourdieu, P., Wacquant, L. J. D. (1996). Reflexive Anthropologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Fröse, M. W. (2015). Transformationen in »sozialen« Organisationen. Verborgene Komplexitäten. Ein Entwurf. Würzburg: Ergon. Fröse, M. W., Kaudela-Baum, S., Dievernich, F. E. P. (Hrsg.) (2015). Emotion und Intuition in Organisation und Führung (uniscope. Publikationen der SGO Stiftung). Wiesbaden: Springer Gabler. Keupp, H. (1999). Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. Reinbek: Rowohlt. Klatetzki, T. (2010). Soziale personenbezogene Dienstleistungsorganisationen. Soziologische Perspektiven. Wiesbaden: VS. Kroeber, A. L., Kluckhohn, C. (1952). Culture – A critical review of concepts and definitions. Cambridge: The Museum. Löbl, R. (1997). Techne. Band 1: Von Homer bis zu den Sophisten: Untersuchungen zur Bedeutung dieses Worts in der Zeit von Homer bis Aristoteles. Würzburg: Königshausen & Neumann. Löbl, R. (2003). Techne. Band 2: Von den Sophisten bis Aristoteles: Untersuchungen zur Bedeutung dieses Worts in der Zeit von Homer bis Aristoteles. Würzburg: Königshausen & Neumann. Mitchell, S. (2008). Komplexitäten. Warum wir erst anfangen, die Welt zuverstehen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Schein, E. H. (1991). Organizational culture and leadership. A dynamic view (10th ed.). San Francisco: Jossey-Bass. Schein, E. H. (1995). Unternehmenskultur. Ein Handbuch für Führungskräfte. Frankfurt a. M. u. New York: Campus. Schein, E. H. (2003). Organisationskultur. Bergisch Gladbach: EHP. Steiner, G. (2008). Warum Denken traurig macht. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Thomas Hegemann

Live- und Video-Lehrsupervision

Live and Video Sessions in Supervison Trainings Live and video supervision in training sessions offer the unique opportunity of a direct observation of the interactions between supervisees and clients, in particular of all the non-verbal aspects of the interactions. Thus, trainees get offered a comprehensive feedback to reflect their own procedural approach. Supervision training groups are advised to monitor carefully these dimensions. Supervisees have the opportunity to use the observed material to and broaden their didactical, methodical and conceptual repertoire.   Supervision training institutes benefit of coming back to relying on the instrument of live and also of video supervision, which were so much more practiced in the initial times of supervision. Thus, reluctances about this useful instrument can be diminished and its use will become more natural and self evident. Zusammenfassung Live-Lehrsupervision und Video-Lehrsupervision bieten die einmalige Gelegenheit, die Interaktion zwischen Lehrsupervisanden und Klienten unmittelbar zu beobachten und dabei nonverbale Aspekte der Interaktion mit zu berücksichtigen. Lehrsupervisanden und -supervisandinnen bekommen dazu eine umfassende Rückmeldung, um ihr Vorgehen zu reflektieren. Weiterbildungsgruppen werden damit geschult, diese Dimensionen sorgfältiger zu beobachten. Lehrsupervisoren und -supervisorinnen erhalten die Möglichkeit, mit diesem Anschauungsmaterial ihr didaktisches, methodisches und konzeptionelles Repertoire zu erweitern.   Weiterbildungsinstitute profitieren davon, wenn sie dieses in der Anfangszeit der Supervision viel stärker genutzte Instrumentarium der Live-Lehrsupervision und der Video-Lehrsupervision wieder stärker nutzen, damit durch eine größere Selbstverständlichkeit Vorbehalte abgebaut werden können.

Live-Supervision Das Konzept, unter Livebedingungen zu supervidieren, ist so alt wie Supervision selbst. Bei der Ausbildung gerade von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, zuerst in den USA und in Großbritannien, gehörte die Supervision der Nachwuchskräfte unter Livebedingungen zum Standard, wie Louis Lowy in seinen leider vergriffenen Schriften schon in den 1960er Jahren beschrieben

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hat. Ausbilder wollten konkret beobachten, wie Ausbildungskandidaten mit Klienten sprechen und umgehen, um sie zur Weiterentwicklung ihres Repertoires besser beraten zu können. Wenn Ausbilder den Klientenkontakt unter Livebedingungen mit allen Sinnen erfassen, können sie zielgerichteter beraten: zu Sprachinhalten, zu Sprachstil wie Jargon, Dialekt oder Sprachtempo, zu Stil wie Körperhaltung und Kleidung, zu Sitzordnung, zu Nähe und Distanz usw. In der Gründerzeit der Familientherapie gehörte Live-Supervision zum Standard (Ludewig, 2013). Supervisionen der Sitzungen hinter dem Einwegspiegel wurden von den Gründervätern und -müttern ausführlich beschrieben (Boscolo u. Cecchin, 1997). In meiner Ausbildung zum Familientherapeuten in England wurde ich nach diesem Modell trainiert. Ich hatte einen Kopfhörer, über den meine Supervisorin mir Gedanken über Themen mitteilte, die ihrer Meinung nach nicht ausreichend beachtet worden waren. Ebenso gehörten Video-Supervisionen zum Curriculum, die es erlaubten, bestimmte Szenen immer wieder zu beobachten und dadurch Mikroprozesse zu analysieren gemäß der Fragestellung: »Was hat was zur Folge?«. Später habe ich dann gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen ein systemisches Weiterbildungsinstitut gegründet, mit denen ich zuvor eine Live-Intervisionsgruppe gegründet hatte. Das aufgrund der Nachteile des Einwegspiegels von Tom Andersen entwickelte Konzept des Reflektierenden Teams (Andersen, 2011) ist ursprünglich ebenfalls ein supervisorisches Konzept. Es ging darum, wie neue Ideen in ein Beratungssystem eingebracht werden können. Gleichzeitig sollten Werte­ hierarchien, die durch die Rolle eines Lehrenden immer gegeben sind, möglichst flach gehalten werden.

Konzept der Live-Lehrsupervision Das Standardmodell von Lehrsupervisionen, wie sie üblicherweise in Abwesenheit der Klientinnen und Klienten durchgeführt werden, basiert auf Schilderungen des Supervisionsgeschehens durch die Lehrsupervisanden an den Lehrsupervisor und/oder die Lehrsupervisionsgruppe. Diese sind daher Konstruktionen aus der Sicht der Lehrsupervisanden, die Aspekte betonen, die sie für relevant halten, und Aspekte ausschließen, die sie nicht bedeutsam finden, nicht beachten oder gar nicht wahrnehmen. Weiterhin fokussieren diese Formen der Lehrsupervision auf die Makroprozesse, also Prozesse, die sich über längere Zeiträume erstrecken. Das können Veränderungen innerhalb der Sitzung oder von einer bis zur nächsten Sitzung sein. Ebenso kann es das Ausblei-

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ben der erwarteten Veränderungen sein. Und zum Letzten fokussieren diese Formen von Lehrsupervisionen tendenziell auf Sprache und weniger auf den nonverbalen Ausdruck. Sinn und Zweck der Live-Lehrsupervision ist es, Weiterbildungsteilnehmende darin zu schulen, alle Sinneskanäle zu nutzen, um Prozesse zu beobachten, die einen Supervisionsprozess gestalten. Vor allem aber ermöglicht die Live-Lehrsupervision eine Beobachtung der Mikroprozesse. Nur mit diesem Instrumentarium werden die unmittelbaren Reaktionen der Klienten auf die Fragen und Sätze der Lehrsupervisanden erfahrbar. Das gilt für sprachliche Antworten ebenso wie für die nonverbalen Reaktionen. Gleiches gilt wiederum für Reaktionen der Lehrsupervisanden und -supervisandinnen darauf. Auf diese Weise werden zirkuläre Prozesse für Beobachtende erfahrbar. Diese beobachteten Erfahrungen sind von der Supervisionsgruppe so zu nutzen, dass sie dem Supervisionssystem zur Erweiterung seiner Handlungsoptionen verhelfen und alles vermeiden, was diesem Ziel zuwiderläuft. Daher ist in der Live-Lehrsupervision besonderer Wert auf die Art und Weise zu legen, wie die Rückmeldungen erfolgen. Sie sind nach den Grundideen der Lösungsfokussierung zu gestalten (De Shazer u. Dolan, 2008; Hegemann, 2012). Um diese Ziele für ganze Weiterbildungskurse zu erreichen, läuft die LiveLehrsupervision sinnvollerweise als Gruppensupervision ab, auch wenn es in Einzelfällen Live-Lehrsupervision allein mit dem Lehrsupervisor oder der Lehrsupervisorin geben kann. Supervisionsgruppen bieten den Vorteil, dass ganze Kurse und Gruppen von erfahrenen Supervisoren in der entsprechenden Beobachtung geschult werden können. Auch kann eine Sicherheit mit dem Methodenrepertoire der Live-Lehrsupervision schneller erworben werden. Die Supervisionsgruppe sollte dazu maximal sieben Personen, minimal zwei Personen zuzüglich des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin umfassen. Mehr Personen erzeugen beim Klienten leicht einen überwältigenden Eindruck. Die Rückmeldung erfolgt nach den Regeln des Reflecting Teams (Andersen, 2011). Dies beruht auf einer lösungsfokussierten Grundausrichtung, die es vermeidet, Empfehlungen zu geben, sondern den Zweck hat, mit neuen Ideen anzuregen. Daher beteiligt sich das Reflecting Team nicht am Gespräch, sondern äußert sich nur auf Anfrage durch die Lehrsupervisanden. Um die Lösungsfokussierung einzuhalten, gilt es für Reflektoren, ein bestimmtes Prozedere einzuhalten: ȤȤ Sie wertschätzen sowohl die beobachteten als auch die von den Klienten beschriebenen Interaktionen, konnotieren grundsätzlich positiv und enthalten sich jeder Kritik oder Abwertung.

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ȤȤ Sie führen neue Ideen ein, die bisher nicht geäußert wurden, und stimmen diese auf die Möglichkeiten des Supervisionssystems ab. ȤȤ Sie äußern die Ideen fragend und nicht empfehlend oder beschreiben eigene oder ihnen bekannte Möglichkeiten und achten darauf, dass diese nicht empfehlend oder gar instruierend rüberkommen. ȤȤ Sie fokussieren auf Verhalten und Sprache und nicht auf Haltungen. ȤȤ Sie dialogisieren miteinander und sprechen daher das Beratungssystem nicht an, sie vermeiden den Blickkontakt und antworten auch nicht auf Fragen. Aus der Supervisionsgruppe sollte ein solches Reflecting Team ausgewählt werden, an dem der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin und ein oder zwei weitere Personen teilnehmen. Dies erlaubt Lehrsupervisoren, ihr erweitertes Wissen zu Supervision in einer gleichberechtigten Rolle einzubringen. Zu Themen wie Wertschätzung des Beobachteten und Einbringen neuer Ideen sollten Lehrsupervisoren immer als Letzte reden, um die Ideen der anderen Reflektoren in ihre Gedanken einbauen zu können. Die Lehrsupervisanden sollten im Vorfeld ausdrücklich angehalten werden, nach Ende der Rückmeldungen des Reflecting Teams keine eigene Bewertung oder Zusammenfassung des Gesagten vorzunehmen, sondern die Klientinnen und Klienten zu fragen, was davon für sie nützlich war. An diesen Themen wird dann in der Lehrsupervision weitergearbeitet.

Ablauf Alle Live-Lehrsupervisionen benötigen sorgfältige Überlegungen zum Prozedere. Dies besteht aus der Ankündigung, der Vorbereitung, der Durchführung und der Nachbesprechung. Im Grunde richten sich alle diese Prozesse nach dem Modell des Lösungskreises (Hegemann, 2016); auf die Prozesssteuerung ist aber zusätzlich großer Wert zu legen. Ankündigung Frühzeitig im Verlauf einer Weiterbildung sind die Teilnehmenden darauf hinzuweisen, dass Live-Lehrsupervisionen Teil des Weiterbildungscurriculums sind. Für viele Teilnehmende ist das erst einmal mit Befürchtungen verbunden. Sie sehen die sehr persönliche Beziehung zwischen Supervisoren und Supervisanden fremden Blicken exponiert. Sie befürchten, dass die Live-Lehrsupervision auf ihre Schwächen fokussiert. Sie befürchten auch häufig, dass der Supervisor

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oder die Supervisionsgruppe für die Klienten irritierend sein könnten und dass daher die weitere Supervision durch die Live-Lehrsupervision nicht bereichert, sondern erschwert wird. Daher ist in der Ankündigung das Prozedere sorgfältig zu erklären. Es sind Beispiele zu beschreiben oder in Videos vorzustellen, aus denen sich die Weiterbildungsteilnehmenden ein Bild über den Ablauf machen können. Besonderer Wert ist darauf zu legen, den Teilnehmenden Formulierungen anzubieten, wie sie den Klienten die Live-Lehrsupervision und ihren Nutzen erklären können. Vereinfacht wird dies dann, wenn das Weiterbildungsinstitut einen eigenen Klientenservice unterhält, in dem die Klienten von Anfang an an Live-Lehrsupervision gewöhnt sind. Hier können sich Teilnehmende den Ablauf einer Live-Lehrsupervisionsgruppe ansehen, bevor sie eine persönliche Live-Lehrsupervision erhalten. Formulierungen, die sich zur Vorbereitung der Klienten bewährt haben, sind: ȤȤ »Wir kommen hier in der Supervision immer wieder an Punkte, an denen wir keine Ideen mehr haben, die für die Bewältigung Ihrer Anliegen brauchbar sind. Sicher findet eine Supervisionsgruppe in einer Live-Lehrsuper­vision viel eher noch weitere Ideen.« ȤȤ »Ich bin in Ausbildung zum Supervisor. Meine geringere Erfahrung wird dadurch ausgeglichen, dass ich in einer Weiterbildungsgruppe bin, die mich mit neuen Ideen ausstattet. Es wäre doch gut, wenn Sie diese einmal kennenlernen könnten. Sie wird von einer erfahrenen Lehrsupervisorin begleitet.« ȤȤ »Ich bin in Ausbildung zum Supervisor. In dieser Zeit gehören Live-Lehrsupervisionen zur Ausbildung. Dazu ist es erforderlich, dass Sie bereit wären, an einer Live-Lehrsupervision teilzunehmen.« Es hängt dann vom Curriculum ab, wie verbindlich Live-Lehrsupervision für die Weiterbildung gemacht wird. Die Erfahrung lehrt, dass es umso leichter für die Teilnehmenden wird, ihre Klienten vom Nutzen der Live-Lehrsupervision zu überzeugen, je selbstverständlicher diese Form der Lehrsupervision für das Weiterbildungsinstitut und für den Lehrsupervisor sind. Optionale Angebote, die nur gelegentlich angeboten werden, sind viel schwerer umzusetzen. Von weiterer Bedeutung ist der sorgfältige Umgang mit der Schweigepflicht. Die Klienten sind ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass alle Mitglieder einer Live-Supervisionsgruppe der Schweigepflicht unterliegen. Dazu bewähren sich auch schriftliche Darstellungen mit dem Logo des Weiterbildungsinstituts. Ausdrücklich muss erwähnt werden, dass die Mitglieder der Live-Supervisionsgruppe mit ihrem Namen und ihrer Tätigkeit vorgestellt werden. In den seltenen Fällen, wo sich herausstellen sollte, dass es Bekanntschaften zwischen den

Live- und Video-Lehrsupervision

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Klienten und Mitgliedern der Live-Supervisionsgruppe gibt, wird diese abgebrochen, gar nicht gestartet oder es wird angeboten, dass die bekannte Person die Supervisionsgruppe verlässt. Vorbereitung Je besser die Ankündigung, umso leichter die Vorbereitung! Wenn mit den Klienten die Live-Lehrsupervision vereinbart wurde, sind alle Themen der Ankündigung mit ihnen zu besprechen und sie noch einmal zu befragen, was sie wissen möchten, um sich gut darauf einlassen zu können. Es sollte ein Anfahrtsplan ausgegeben werden, je nachdem, ob die Live-Lehrsupervision in gewohnten Räumen oder anderen Räumen stattfindet. Es ist anzukündigen, dass die vertrauten Lehrsupervisanden die Klienten empfangen werden und dass es sein kann, dass maximal 15 Minuten gewartet werden muss, um der Gruppe ausreichend Zeit zu geben, sich vorzubereiten. Weiterhin ist anzukündigen, dass die vertrauten Lehrsupervisanden, wie immer, die Beratung durchführen und dass die Sitzung maximal 60 Minuten dauern wird. Die Supervisionsgruppe einschließlich des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin haben die Aufgabe, nach Aufforderung durch den Lehrsupervisanden neue Ideen einzubringen. Nach der letzten Rückmeldung der Gruppe wird dann der Lehrsupervisand mit dem Klienten überlegen, wie sie beide weiterarbeiten werden. Dem Klienten ist eine Handynummer zu überlassen, über die er bis zuletzt Fragen zum Setting stellen kann und zur Anfahrt. Durchführung Die Live-Lehrsupervision ist mit ausreichend Zeit in einen Supervisionstag einzupassen. Es ist ein Vorgespräch mit der Supervisionsgruppe mindestens 30 Minuten vor dem Termin einzuplanen, zu dem der Klient oder die Klientin einbestellt wurde. Die Lehrsupervisanden sollten Organigramme vorbereitet haben, sodass die Darstellung des Kontextes möglichst kurz gehalten werden kann. Nach der Darstellung des bisherigen Verlaufs formulieren die Lehrsupervisanden die Fragestellung an die Lehrsupervision, sodass die Gruppe gut vorbereitet ist und weiß, worauf sie achten soll. All dies sollte abgeschlossen sein, bevor der Klient eintrifft. Auch sind alle Aufzeichnungen auf Flipcharts und Pinnwänden, die den Klienten irritieren könnten, abzuräumen. Wenn möglich begrüßt der vertraute Lehrsupervisand den Klienten oder die Klientin, bittet in ein Wartezimmer und bietet etwas zu trinken an. Während

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dieser Zeit bereitet die Gruppe den Raum vor, sofern dort nicht regelmäßig LiveSupervisionen stattfinden. Der Klient und der Lehrsupervisand sitzen idealerweise jeweils zu etwa 45 ° vor der im Halbkreis sitzenden Supervisionsgruppe. Der Lehrsupervisor und die maximal zwei weiteren Reflektoren des Reflecting Teams sitzen an dem Schenkel des Halbkreises, von dem sie vom Klienten gut gesehen werden können. Zu Beginn begrüßt der Lehrsupervisand den Klienten oder die Klientin, dankt für das Vertrauen und stellt die Gruppenteilnehmenden und den Lehrsupervisor vor. Er beschreibt erneut den Ablauf wie bei der Vorbereitung und fragt, ob es Vorbehalte gegen Teilnehmende der Gruppe gibt. Dann beginnt die Live-Lehrsupervision. Nach spätestens 20 Minuten gibt ein im Vorfeld beauftragtes Mitglied der Gruppe ein Handzeichen, sodass daran erinnert wird, das Reflecting Team anzurufen. Dieses gibt Rückmeldung entsprechend der einschlägigen Regeln. Bis zu drei Mal kann das Reflecting Team angerufen werden. Nach Ablauf der Supervision sollte der Klient vom Lehrsupervisor oder von der Lehrsupervisorin gebeten werden, Feedback zum Prozedere der LiveSupervision selbst zu geben, damit die Gruppe daraus lernen kann. Danach dankt der Lehrsupervisor für die Anregungen und der Lehrsupervisand verabschiedet den Klienten, macht mit diesem den nächsten Termin aus und begleitet ihn zur Tür. Nachbesprechung Sobald Lehrsupervisand und Klient den Raum verlassen haben, schlägt der Lehrsupervisor eine kurze Pause vor. Nach Rückkehr des Lehrsupervisanden in die Gruppe werden die Beobachter gebeten, Feedback zu allen von ihnen beobachteten Aspekten der Supervisionsprozesse zu geben. Dann kann der Lehrsupervisand überlegen, was davon für die weitere Supervision nutzbar ist. Der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin hat danach die Möglichkeit, dem Curriculum entsprechend typische Muster und Prozesse in der Supervision ausführlicher zu beleuchten. Weiterhin bietet sich die Möglichkeit, das Prozedere der Live-Lehrsupervision kritisch zu reflektieren und an seiner Verbesserung zu arbeiten. Insgesamt sollte für eine derart aufgebaute Supervision eine Zeit von zwei Stunden eingeplant werden.

Live- und Video-Lehrsupervision

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Live-Video-Supervision Eine besondere Form der Live-Lehrsupervision ist die Video-Lehrsupervision. Auch diese braucht eine Ankündigung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung. Zur Vorbereitung gilt für Video-Supervisionen ebenso wie für Live-Super­ visionen: Je selbstverständlicher sie in den Kursbetrieb eingeführt werden, umso leichter sind sie vermittelbar. In den von den meisten Curricula vorgesehenen Peer- oder Studygruppen können sich die Teilnehmenden leicht helfen, mit den technischen Anforderungen der Kamera, der Speicherung, des Schnitts und der Wiedergabe zurechtzukommen. Die Teilnehmenden sollten darauf hingewiesen werden, bei Unsicherheiten eher die Lehrsupervisanden ins Blickfeld der Kamera zu nehmen und weniger die Klienten. Wichtig ist der Prozess und weniger die Individualität einzelner Klientinnen und Klienten. Ebenso ist auf der technischen Seite die Tonqualität wichtiger als die Bildqualität. Gute, am besten schriftliche Vereinbarungen zur Schweigepflicht haben sich auch hier bewährt. Auf jeden Fall sollte in der Kamera die Zeitangabe eingeschaltet werden, sodass einzelne Sequenzen leicht wiedergefunden werden können. Wenn eine Kurskultur eingeführt wird, in der Videos in erster Linie für die Peergruppenarbeit hergestellt werden, wird es auch leichter, gute Videos für Video-Lehrsupervisionen herzustellen. Zur Vorbereitung sind die Lehrsupervisanden und -supervisandinnen darauf hinzuweisen, dass sie für die Präsentation in der Video-Lehrsupervision einen oder maximal zwei relevante Ausschnitte auswählen sollen. Weiterhin sollte den Lehrsupervisanden ausreichend Zeit gegeben werden, das Funktionieren der Wiedergabetechnik in der aktuellen Situation zu überprüfen, damit die Gruppe nicht unnötig warten muss. Daher bewährt es sich, die Video-Supervision unmittelbar an eine Pause anzuschließen, in der das Funktionieren der Technik überprüft werden kann. Vor der Präsentation ist der Lehrsupervisand, wie bei der Live-Super­ vision, zum Anliegen zu befragen (siehe auch Hegemann, 2016). Nach Klärung der Anliegen, die der Lehrsupervisand an die Video-Supervision hat, wird er gebeten, zu beschreiben, was in der Sitzung vor dem Videoausschnitt abgelaufen ist und was die Gründe sind, weshalb dieser Ausschnitt gewählt wurde. Der Lehrsupervisor bedient die Fernbedienung, mit der das Video gestartet und angehalten wird. Er kann auch ein Gruppenmitglied bestimmen, welches dies dann auf die Signale »Weiter«, »Pause« und »Zurück« erledigt. Es sollte möglichst nicht auf »Stopp« gedrückt werden, damit das Standbild nicht verschwindet.

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Der große Vorteil, mit Video Mikroprozesse beobachten zu können, sollte vom Lehrsupervisor gezielt genutzt werden. Immer wieder sollte er die Gruppe fragen: »Was habt ihr gerade gesehen?« »Wie hat die Person A oder B reagiert?« »Wann nimmt das Engagement einzelner Personen zu, wann ab?« »Wann geht wer mit wem in Kontakt?« Wenn niemand oder nur wenige Teilnehmende die Veränderungen der interaktiven Muster beobachtet haben, kann durch wiederholtes Vorspielen der entsprechenden Sequenzen die Aufmerksamkeit gesteigert werden. Danach wird der Lehrsupervisand, wie in der Live-Supervision, gefragt, was seine eindrücklichsten Lernerfahrungen sind und was er als Nächstes ausprobieren wird. In einem Weiterbildungssetting können dann durch den Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin wieder Ausführungen zu typischen interaktiven Mustern und bewährten Möglichkeiten in der Supervision erfolgen.

Literatur Andersen, T. (Hrsg.) (2011). Das Reflektierende Team. Dialoge und Dialoge über die Dialoge. Dortmund: Verl. Modernes Lernen. Boscolo, L., Cecchin, G. (1997). Familientherapie – Systemtherapie. Das Mailänder Modell. Theorie, Praxis und Konversationen (5. Aufl.). Dortmund: Verl. Modernes Lernen. De Shazer, S., Dolan, Y. (2008). Mehr als ein Wunder. Heidelberg: Carl-Auer. Fischer, M., Graf, P. (2000). Coaching. Ein Fernworkshop (2. Aufl.). Augsburg: Ziel. Hegemann, T. (2012). Lösungsfokussierung. In J. V. Wirth, H. Kleve (Hrsg.), Lexikon des systemischen Arbeitens. Grundbegriffe der systemischen Praxis, Methodik und Theorie. Heidelberg: Carl-Auer. Hegemann, T. (2016). Lösungsrunde. In H. Neumann-Wirsig (Hrsg.), Lösungsorientierte Supervisions-Tools. Renommierte Supervisorinnen und Supervisoren beschreiben 50 lösungsorientierte, systemische und hypnosystemische Tools für die Supervision (S. 176–181). Bonn: managerSeminare. Ludewig, K. (2013). Entwicklungen systemischer Therapie. Einblicke, Entzerrungen, Ausblicke. Heidelberg: Carl-Auer. Neumann-Wirsig, H. (Hrsg.) (2009). Supervisions-Tools. Die Methodenvielfalt der Supervision in 55 Beiträgen renommierter Supervisorinnen und Supervisoren. Bonn: managerSeminare.

Robert Erlinghagen und Jessica Koch

»Grau is’ alle Theorie – entscheidend is’ auf’m Platz«: Die Coaching-Zone als Testspielort

»All theory is grey – what counts is what happens on the pitch«: The coaching zone as place for test matches »Coaching Zone« is a concept developed by Ullrich Beumer and Edeltrud Freitag-Becker in 2009. Among other things, they were concerned with demystifying the art and science of coaching and supervision. In the setting of a coaching zone, various experienced coaches and supervisors run simultaneous coaching sessions (we refrain here from making a distinction between coaching and supervision). The participants can try to play two different roles in the same setting: the active role of a coachee or the passive role of a observer.   Thus, this setting allows participants in supervision and coaching training courses, as well as interested visitors, to gain a deeper insights into the various ranges of access, schools of thought, methodological approaches and personal styles, which characterise the various coaches and supervisors.   The coaching zone is so a unique place of learning of great importance for the development of a professional identity for junior supervisors and coaches. It supports the necessary differentiation of junior coaches and supervisors from normative role models, usually presented by senior couches, i. e. teaching staff on the courses or individual supervision trainers.   Beyond this, the coaching zone provides a unique opportunity for its participants to gain a deeper insight into the specific psychodynamics of coaching processes within a complex organisational frame- work: Various coaches, several observers, different organisational and group affiliations, multiple role changes, changing venues. The variety of all these factors have an impact on the dynamics of relationships and other types of dynamics in the observable coaching processes, which is much wider than in individual supervision-on-supervision or in a stable training group. Zusammenfassung Die Coaching-Zone wurde im Jahr 2009 von Ullrich Beumer und Edeltrud Freitag-Becker entwickelt. Ihr Anliegen war es unter anderem, einen Beitrag zur Entmystifizierung von Coaching und Supervision zu leisten. Im Veranstaltungssetting der Coaching-Zone bieten verschiedene erfahrene Coaches und Supervisorinnen und Supervisoren parallele Coachings an (wir verzichten an dieser Stelle auf eine Differenzierung zwischen Coaching und Supervision). Die Teilnehmenden können dabei zwei verschiedene Rollen ausprobieren: die aktive Rolle des Coachees und die passive des Beobachters.   Insbesondere Teilnehmende an Coaching- oder Supervisionsausbildungen, aber auch andere Interessierte können dadurch vertiefte Einsichten in die verschiedensten Zugänge, Denkschulen, methodischen Ausrichtungen und persönlichen Stile verschiedener Coaches und Supervisoren gewinnen.

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  Die Coaching-Zone ist somit ein eigenständiger Lernort, der für die Identitätsbildung und Professionalisierung von Supervisoren und Coaches von großer Bedeutung ist. Sie unterstützt die notwendige Abgrenzung angehender Coaches und Supervisoren zu den sonst prägenden Vorbildern – vor allem zu Ausbildungsleitungen und Einzellehrsupervisoren und -supervisorinnen.   Darüber hinaus bietet die Coaching-Zone eine einzigartige Gelegenheit, Erfahrungen mit der spezifischen Psychodynamik von Coachingprozessen innerhalb eines komplexen organisatorischen Rahmens zu machen: verschiedene Coaches, mehrere Beobachtende, unterschiedliche Organisations- und Gruppenzugehörigkeiten, mehrfacher Rollenwechsel, wechselnde Veranstaltungsorte – die Zahl der Einflussfaktoren auf die Beziehungs- und sonstige Dynamik in den beobachtbaren Coachingprozessen ist um ein vielfaches höher als in der Einzellehrsupervision und auch in einer stabilen Ausbildungsgruppe.

Schon in den 1950er Jahren formulierte der Fußballer Alfred Preißler eine Weisheit sehr prägnant, die sich letzten Endes auch für Coaching und Supervision immer wieder bewahrheitet: Wissenschaftliche oder theoretische Fundierung und konzeptionelle Klarheit sind wesentliche Komponenten der Professionalität, doch Wirksamkeit, Erfolg und Qualität zeigen sich erst im konkreten Handeln und Erleben. Entscheidend is’ auf ’m Platz. Die Coaching-Zone, die wir im Folgenden vorstellen möchten, knüpft sowohl an diese Erkenntnis als auch an die Metaphorik des Fußballplatzes an. Im Fußball markiert diese Zone den Bereich, in dem sich Betreuer und Ersatzspieler aufhalten und von dem aus taktische Anweisungen gegeben werden dürfen. Die Coaching-Zone, die wir hier beschreiben, macht Coaching als kurze »Auszeit« vom »Spielbetrieb« erlebbar.

Die Idee Im Sommer 2009, unter dem Eindruck der Bankenkrise des Jahres 2008, veranstaltete das Kölner Beratungs- und Fortbildungsinstitut inscape gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv) und dem Sigmund-FreudInstitut der Universität Frankfurt einen Coaching-Kongress unter dem Titel »Krise und Bewährung«. Kern der Krise, die dort verhandelt wurde, war und ist – laut Kongressankündigung – »eine Zerstörung des Vertrauens im Kontakt zwischen Menschen und Organisationen« (der Ausschreibungstext ist zu finden unter www.sfi-frankfurt.de/de/veranstaltungen/tagungen-und-workshops/ archiv-2009/coaching-tagung-2009/hintergrund.html; 27.08.15). Eine wesentliche Frage des Kongresses war, ob Coaching oder Supervision helfen können, diese Vertrauenskrise zu überwinden. Diese Frage ließ und lässt sich vermutlich nicht eindeutig mit Ja oder Nein beantworten, aber ein Gedanke liegt auf der Hand: Wenn Coaching oder Super-

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vision helfen können, dann nur, wenn sie als Methoden den Menschen und Organisationen vertraut sind. Bis heute gibt es jedoch eine Neigung, das, was in Coaching und Supervision geschieht, zu mystifizieren, es zu einem geheimnisvollen Vorgang zu machen, den »man mal erlebt haben muss«, um ihn zu verstehen. Als Beitrag zur Entmystifizierung entwickelten Ullrich Beumer und Edeltrud Freitag-Becker daher ein Konzept, das im Kontext des Coaching-­ Kongresses 2009 zum ersten Mal ausprobiert wurde und seitdem mehrmals jährlich angeboten wird: die Coaching-Zone. Die Coaching-Zone bietet einerseits die Möglichkeit, erfahrene Coaches bzw. Supervisorinnen und Supervisoren als Coachee für eigene Anliegen in Anspruch zu nehmen, und andererseits Gelegenheit, ihnen als Beobachter bei der Arbeit zuzuschauen und sie anschließend zu ihrer Arbeit zu befragen. In parallelen Gruppen finden mehrere Coachings in einem halböffentlichen Rahmen, d. h. mit einer begrenzten Zahl von Beobachtern, statt. Das Angebot richtet sich prinzipiell an alle an Coaching oder Supervision interessierten Personen, insbesondere aber natürlich an Teilnehmende von Coaching- und Super­visionsausbildungen. Inzwischen ist die Coaching-Zone zum festen Bestandteil der entsprechenden Ausbildungen von inscape geworden. Gleichzeitig steht sie nach wie vor auch anderen Interessenten offen. Die doppelte Aufgabenstellung – geschützte Arbeit am Anliegen und halböffentlicher Ort der Beobachtung – führt zu einer hohen Komplexität für alle Beteiligten: Coachee, Coach und Beobachtende. Damit unterscheidet sich dieses Setting deutlich von anderen Coaching-Zones, wie sie gelegentlich zum Beispiel auf Personalberatermessen eingerichtet werden. Dort sind zwar auch Coaches für eine Art Probecoaching buchbar; eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Methode findet aber nicht statt. Zugleich unterscheidet sich die CoachingZone durch ihre Öffentlichkeit auch von den Peer-Coachings oder Coachings durch Ausbildungsleitungen, die üblicherweise innerhalb von Ausbildungsgruppen stattfinden. Neben dem Ziel, Coaching als spezifischen Kommunikationsprozess zu entmystifizieren und eine anregende Kontaktaufnahme mit dem Format und den Coaches zu ermöglichen, sind in der Zwischenzeit auch andere Ziele hinzugekommen: ȤȤ Für die Teilnehmenden an den Coaching- und Supervisionsausbildungen von inscape und auch von anderen Anbietern bietet die Coaching-Zone eine Gelegenheit, andere Vorbilder als die eigenen Ausbildungsleiter kennenzulernen. Dadurch können sie ihre inneren Rollenmodelle um zusätzliche Ideen und Konzepte erweitern, die über die Rollenmodelle der jeweiligen Ausbildungsleiter und -leiterinnen hinausgehen oder diese ergänzen.

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ȤȤ Beratung ist auch immer mit der Überwindung einer Schamgrenze verbunden. Wer Coaching oder Supervision anbieten will, kommt an einer Auseinandersetzung mit den eigenen und fremden Schamgrenzen nicht vorbei. Die Coaching-Zone bietet hierzu vielfältige Möglichkeiten in den verschiedenen Rollen: als Coach, als Coachee und als Beobachter. ȤȤ Die Komplexität der Gruppensituation hat vielfältigen Einfluss auf die Arbeit in der Coaching-Zone. Coach und Coachee arbeiten hier innerhalb eines Systems, wodurch es möglich wird, auch diese Dynamiken live zu erleben und bei der Betrachtung der Chancen und Grenzen dieses Beratungs­formats mit einzublenden. ȤȤ Die Coaching-Zone ist eine Ergänzung zu den anderen gängigen Formen von Einzel- und Gruppenlehrsupervision und -Lehrcoaching. ȤȤ Das Format soll die Möglichkeit bieten, verschiedene Coaches mit ihren unterschiedlichen Zugängen, Haltungen, Methoden und Interventionen kennenzulernen. Angestrebt wird in der Regel ein heterogenes Angebot aus Männern und Frauen, Älteren und Jüngeren, unterschiedlichen Branchen und Berufsfeldern usw. Gemeinsam ist ihnen eine Affinität zu psychodynamischen Coaching- und Supervisionskonzepten. An dieser Stelle konzentrieren wir uns zunächst auf die Coaching-Zone als Tagesveranstaltung. Weiterentwicklungen und andere Anwendungsfelder diskutieren wir am Ende dieses Beitrags. Als Tagesveranstaltung enthält die Coaching-Zone mehrere aufeinanderfolgende Beratungssequenzen »unter Beobachtung«. Im Folgenden wird zunächst die Beratungssequenz als »Kernstück« einer Coaching-Zone näher betrachtet, bevor sich der Blick auf die Konzeption und den Gesamtablauf einer CoachingZone als Tagesveranstaltung ausweitet.

Die Beratungssequenz Ein erfahrener Coach bietet einem Coachee, der kurzfristig ein Thema aus dem zumeist beruflichen Kontext – welcher Art auch immer – bearbeiten möchte, eine klassische Einzelberatung an. Erfahrungsgemäß bringen die Coachees dabei folgende Anliegen ein: ȤȤ Bearbeitung einer kurzfristigen Spitzenbelastung; ȤȤ Wunsch nach einer Diagnose der Situation und dem Aufzeigen von Handlungsoptionen; ȤȤ Unterstützung bei der Positionierung in der beruflichen Rolle;

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ȤȤ Indikationsprüfungen hinsichtlich weiterer Interventionen (Trainings, Fortbildungen, Beratungen u. a.). Zugrunde liegt die Idee, dass nicht immer der Bedarf oder auch die Möglichkeit für einen längerfristigen Beratungsprozess besteht und in diesen Situationen bereits ein kurzfristiges, variables Coachingangebot ausreichen kann. So nimmt die eigentliche Beratung circa 50 Minuten in Anspruch. Ihre Besonderheit liegt darin, dass bis zu fünf Beobachter diese im Hintergrund verfolgen können. Im Anschluss daran stellt sich der Coach den im Raum Anwesenden einer Diskussion über sein Konzept, den theoretischen Hintergrund, seine Haltung und die gewählten Interventionen. Es geht bei diesem Austausch ausdrücklich nicht darum, den bearbeiteten Fall erneut zu betrachten und inhaltlich zu diskutieren. Vielmehr geht es um die Betrachtung und Reflexion der Arbeit des Coachs. Für diesen Austausch hat sich ein circa 20-minütiges Zeitfenster bewährt. Coach und Coachee erhalten im Anschluss an diesen Austausch die Gelegenheit, »ihren« begonnenen Prozess »unter vier Augen« abzuschließen. Die Erfahrung zeigt, dass bei beiden zumeist ein großes Bedürfnis besteht, den Prozess in intimer Atmosphäre abzurunden. Die Beobachter verlassen dabei den Raum. Für diesen Abschluss sollten ebenfalls 20 Minuten eingeplant werden. Damit ergibt sich für eine Beratungssequenz eine Gesamtdauer von circa anderthalb Stunden.

Die Coaching-Zone als Tagesveranstaltung Die Coaching-Zone wird nun bereits seit einigen Jahren von inscape als Tagesveranstaltung angeboten. Dadurch gelingt es, einen passenden Rahmen zur Verfügung zu stellen, in dem die vielfältig auftretenden Dynamiken zwischen Coach, Coachee und Beobachtenden bearbeitet und gehalten werden. Ein solcher ist für den gelungenen Ablauf einer Coaching-Zone unverzichtbar. Die Verantwortung dafür übernimmt ein Gastgeber, der alle Beteiligten durch die Veranstaltung führt. In der Regel arbeiten vier bis fünf Coaches aus unterschiedlichen Arbeitsfeldern parallel nebeneinander. Sie bieten dabei bis zu drei aufeinanderfolgende Live-Coachings bzw. Beratungssequenzen an. Unter der Maßgabe einer maximalen Zahl von fünf Beobachtern sowie einem Coachee pro Beratungssequenz können also 24 bis 30 Personen an einer ­Coaching-Zone teilnehmen.

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Ihnen wird bereits durch die Ausschreibung verdeutlicht, dass eine gelungene Coaching-Zone nicht nur von der Mitarbeit und dem Engagement der ­Coaches abhängt. Vielmehr muss bei den Teilnehmenden die Bereitschaft vorausgesetzt werden, sich nicht nur in der Rolle als Beobachter (passive Teilnahme), sondern auch als Coachee (aktive Teilnahme) in den Prozess einzubringen. Dies gilt insbesondere, wenn der Teilnehmer oder die Teilnehmerin sich die ­Coaching-Zone als Format des Lehrcoachings anrechnen lassen will, so wie es zum Beispiel im Rahmen der inscape-eigenen Ausbildungen zum Coach oder Supervisor DGSv möglich ist. Es versteht sich von selbst, dass die Inhalte der besprochenen Fälle vertraulich zu behandeln sind. Welche Bedeutung die Bereitschaft zur Übernahme des passiven wie aktiven Parts rein praktisch hat, wird bei der gemeinsamen Einführungsrunde in den Tag deutlich: Regelmäßig ist es hier zunächst schwierig, genügend Coachees (aktive Teilnahme) für alle Beratungssequenzen zu finden. Die Plätze der Beobachtenden (passive Teilnahme) sind hingegen schnell gefüllt. Die überschaubare Größe des Teilnehmerkreises von maximal dreißig Personen verhindert, sich in die ausschließliche Rolle des Beobachters »flüchten« zu können. Die eigene Verantwortung auch hinsichtlich einer aktiven Teilnahme wird nur zu deutlich sichtbar: Ohne Coachee kein Coaching, das beobachtet werden kann. Durch die Zahl von maximal fünf Beobachtenden innerhalb einer Beratungssequenz kann gleichwohl eine gewisse Intimität und Vertraulichkeit gewahrt werden. Wer offenbart sich schon gern auf großer Bühne? Daher hat im Zweifelsfall auch der Schutz der Coachees Vorrang: Sie können, falls erforderlich, Beobachtende ausladen. Das kann insbesondere dann sinnvoll sein, wenn Coachee und Beobachter oder Beobachterin beide in den Kontext des zu bearbeitenden Anliegens verwickelt sind. Zur Entmystifizierung gehört allerdings auch hier, dass es keine dogmatische Vorschrift gibt. Stattdessen steht immer die Frage im Vordergrund, wie mit solchen Interessenkonflikten und potenziellen Verwicklungen möglichst offen und konstruktiv gearbeitet werden kann. Durch die parallele Beratung der Coaches ist garantiert, dass die Teilnehmenden über den Tag verteilt auch rein praktisch die Möglichkeit erhalten, verschiedene Coachings live zu erleben. Folgender Tagesablauf hat sich bewährt: ȤȤ Begrüßung/Einführung – im Plenum: Vorstellung der Coaches, Erklärungen zum Ablauf des Tages, gemeinsame Zuordnung von Coachees und Beobachtern zu den einzelnen Beratungssequenzen (mindestens 30 Minuten); ȤȤ Beratungssequenz I – jeder Coach erhält für den Tag einen festen Raum für seine Beratung (circa 90 Minuten);

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ȤȤ (Mittags-)Pause – nach den intensiven Beratungssequenzen benötigen insbesondere die Coaches nach eigenen Angaben genügend lange Pausen, um sich auf die nächste Sequenz einstellen zu können (mindestens 30 Minuten); ȤȤ Beratungssequenz II (circa 90 Minuten); ȤȤ (Kaffee-)Pause (mindestens 30 Minuten); ȤȤ Beratungssequenz III (circa 90 Minuten); ȤȤ Abschluss – Gelegenheit zum Austausch in großer Runde: Erfahrungen aus den verschiedenen Rollen, offene Fragen.

Spezifische Chancen und Herausforderungen Die Komplexität des Settings mit den eingangs beschriebenen vielfältigen Primäraufgaben bietet allen Teilnehmenden sowie den Coaches spezifische Chancen, stellt sie aber auch vor besondere Herausforderungen, die andere Formate – insbesondere die klassischen Formen des Lehrcoachings – nicht dergestalt aufweisen können (vgl. Tabelle 1; die Angaben zu den Rollen Coach, Coachee und Beobachter stammen zumeist aus einer schriftlichen Umfrage unter den Teilnehmenden und Coaches einer Coaching-Zone im Februar 2015). Tabelle 1: Chancen und Herausforderungen für Teilnehmende und Veranstalter einer CoachingZone Rolle innerhalb der Coaching-Zone

Chancen

Herausforderung

Coach

Reflexion der eigenen Arbeit;

Arbeiten unter Beobachtung und gleichzeitig Schaffung einer Arbeitsatmosphäre mit ausreichend Containment für den ­Coachee und sein Anliegen;

Austausch mit den anderen Coaches über die gemachten Erfahrungen und über deren Beratungsansätze; Präsentation als Coach mit Mut zum Risiko; möglicherweise Akquise von ­neuen Klienten

Konkurrenz der beteiligten Coaches untereinander (wessen Beratungssequenzen sind als Erstes besetzt? Wer ist der bessere Coach?); kein längerfristiger Prozess, nach kurzer Zeit muss ein Abschluss gefunden werden; Zulassen einer Diskussion über die eigene Arbeit;

230 Rolle innerhalb der Coaching-Zone

Robert Erlinghagen und Jessica Koch

Chancen

Herausforderung

»Halten« der ungewohnten Situation und der mehrdimensionalen Rolle: Coach, Fachexperte und Mitverantwortliche(r) für die Veranstaltungsstruktur; da Coachings als ergebnisoffene Prozesse immer auch »scheitern« können: Risiko des »öffentlichen Scheiterns« Teilnehmende insgesamt

Coachee

Erleben von verschiedenen ­Coaching-Stilen und Konzepten;

Bereitschaft zur passiven und aktiven Teilnahme;

Austausch über verschiedene fachliche Interventionen und Ansätze

zeitliche und thematische Dichte des Tages;

sich Dritten gegenüber öffnen zu können;

Offenheit/Mut, Beobachter am eigenen Prozess teilhaben zu lassen;

Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Coaches; kurzfristige Bearbeitung der eigenen Themen durch erfahrene Coaches

schneller Rollenwechsel

sich auf die Rolle des Coachee einlassen zu können; sich der Konkurrenz der ­Coachees und der Anliegen zu stellen (wer hat das »interessantere« Thema? Wer ist der »interessantere« Coachee? Wer nimmt einen Coaching-Platz in Anspruch?); Thema muss aufgrund der kurzen Zeit schnell dargestellt werden

Beobachtende

Training des eigenen Reflexionsvermögens;

lange Konzentrationsphasen während der Beratung notwendig;

Erleben von unterschiedlichen Coaches und Ansätzen;

Konzentration auf die fachlichen Interventionen bzw. den Prozess und nicht auf die inhaltlichen ­Aspekte des Falls;

innere Arbeit an eigenen, dem bearbeiteten Anliegen vergleichbaren Themen

Containment für eigene Betroffenheit; in der Beobachterrolle bleiben bzw. dem Impuls widerstehen, eigene Beratungsinterventionen – oder gar Ratschläge – anzubieten

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»Grau is’ alle Theorie – entscheidend is’ auf’m Platz«

Rolle innerhalb der Coaching-Zone

Chancen

Herausforderung

Gastgeber

Profilierung als Moderator/-in;

Schaffung eines Containments zur Bearbeitung der bewussten und unbewussten Dynamiken zwischen den beteiligten Akteuren;

Erkenntnisgewinn über psychodynamische Prozesse innerhalb des Settings

Motivation der Teilnehmenden zur Übernahme der Coachee-Rolle; Repräsentation des veranstaltenden Instituts Veranstalter

Darstellung als experimentierfreudiges und innovatives Institut;

Schaffung einer haltenden Struktur für die hohe Komplexität;

Akquise von Klientinnen/Klienten und Ausbildungsteilnehmenden

Bereitschaft, die entstehenden Dynamiken aus Konkurrenz und Scham zu »containen«

Einige Elemente, die ein klassisches Einzellehrcoaching oder eine klassische Einzellehrsupervision auszeichnen, sind in der Coaching-Zone nicht gegeben. In aller Regel liegt der Fokus nicht auf der Supervision von eigenen Beratungsfällen der Coachees, und es gibt nicht den Rahmen eines kontinuierlichen Beratungsprozesses aus mehreren Sitzungen. Dafür bietet die Coaching-Zone Einblicke in das Beratungshandwerk, das sonst hinter verschlossenen Türen bleibt. Es findet ein Lehrcoaching bzw. eine Lehrsupervision in dem Sinne statt, dass sich alle Beteiligten anhand des Materials eines gemeinsam, aber aus unterschiedlichen Perspektiven erlebten Beratungsprozesses in einen Reflexionsprozess über das professionelle Handeln von Supervisoren und Coaches begeben. Hinzu kommt, dass die Beziehung zwischen Lehrcoach und Coachee auf einer anderen Basis gestaltet wird. Die Tatsache, dass die Lehrcoaches in einer offenen Konkurrenzsituation von den Coachees ausgewählt werden, dass sie anschließend unter Beobachtung ihrer Arbeit nachgehen und sich dazu befragen lassen, konfrontiert diese mit ihren Ängsten und Schamgefühlen (Zwiebel, 2007). Während in der klassischen Lehrsupervision bzw. im klassischen Lehrcoaching der Lehrcoach seine Klientin bzw. seinen Klienten in den eigenen Beratungsräumen empfängt, muss er oder sie in der Coaching-Zone selbst genauso in die Fremde wie der Coachee und sich das Setting erst vor Ort aneignen. Dadurch wird das Machtgefälle in der Beratungsbeziehung deutlich verändert. Psychoanalytisch gesehen entsteht (professionelle) Identität durch die Verinnerlichung von Objektbeziehungen, die für den Coach relevant sind. Ziel der Coaching-Zone ist es, durch die Möglichkeit zur Identifikation mit oder Abgrenzung von erlebten Personen, Szenen, Beziehungsmustern und Interventionen die

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Chance zu einer reichhaltigen Identität frühzeitig zu garantieren. Untersuchungen zeigen, dass gerade in der Sozialisation von Supervisoren zum Teil mikrotraumatische Anpassungs-, Unterwerfungs- und Bindungsprozesse geschehen, die eine autonome Entwicklung und Identitätsbildung für lange Zeit erschweren und die Kreativität des jungen Supervisors oder der jungen Supervisorin untergraben (Wittenberger, 1993; Buchinger, 1996; Menches Dändliker, 2002). Dem soll die Coaching-Zone gezielt entgegenwirken, zumal die heutige Arbeitswelt besondere Herausforderungen an diese professionelle Identität stellt: »Die wachsende Interdependenz der um immer speziellere Inhalte und um kleinere Problemabschnitte herum ausdifferenzierten Professionen bringt Anforderungen mit sich, die vielen herkömmlichen Bedingungen der Professionalisierung widersprechen« (Buchinger u. Klinkhammer, 2007, S. 177). Eine dieser Anforderungen ist die Bereitschaft zur Kooperation in multiprofessionellen Teams. Dies wiederum erfordert von angehenden wie etablierten Coaches und Supervisoren eine »Distanzierung von der eigenen Profession [als] Voraussetzung einer dauerhaften Identifikation mit ihr« (Buchinger u. Klinkhammer, 2007, S. 178). Sprich: Nur wer nicht darauf beharrt, dass die eigene Denkschule die einzig richtige ist, ist kooperations- und damit zukunftsfähig. Noch stärker als im klassischen Lehrcoaching kann in der Coaching-Zone ein wesentliches Phänomen sichtbar werden, das professionelles Handeln ausmacht und von Schütze als »das Paradoxe, das Zerbrechliche, das Fehlerhafte« (1996, S. 187) beschrieben wird. Schütze steht in der Tradition eines interaktionistischen Ansatzes der Professionssoziologie, der die Gestaltung der Beziehung als das besondere Merkmal von Professionen betrachtet. Schütze macht das Fragile des professionellen Handelns vor diesem Hintergrund an drei Aspekten fest: 1. unsichere empirische Basis als Grundlage von Prognose und Handeln, 2. Anwendung allgemeiner Typenkategorien des professionellen Wissens auf konkrete, einzigartige Situationen, 3. Unsicherheit in Bezug auf den richtigen Interventionszeitpunkt (Schütze, 1996, S. 194). Wir können mit Blick auf die Profession Coach oder Supervisor einen vierten Aspekt ergänzen: Gefahr des Scheiterns der Kommunikation in der Hier-undJetzt-Situation. Insofern braucht es in dieser Profession Mut bzw. die Bereitschaft, sich auf einen im Sinne Sigmund Freuds »unmöglichen Beruf« einzulassen (Willke, 2004). Für die Professionalisierung von Coaches ist es von wesentlicher Bedeutung, dass dem Scheitern der Makel genommen wird und die eigene Kreativität nicht durch übergroßes Sicherheitsstreben und Risikovermeidung blockiert wird. All dies macht deutlich, dass dem Gastgeber der Coaching-Zone eine zentrale Rolle zukommt. Durch seine Vorbereitung, Moderation und Nachbereitung wird möglich, dass sich die übrigen Akteure in eine solch offene Situation hineinbegeben. Konkret geschieht dies

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ȤȤ durch Vorgespräche mit den Coaches über Sinn und Ablauf der Veranstaltung; ȤȤ durch eine Einführung in Struktur und Vorgehensweise am Tag selbst; ȤȤ durch Sensibilität für die Bedürfnisse der Akteure (bei der Vorstellungsrunde, in den Pausen, bei der Wahl der Coaching-Räume, beim Umgang mit der Konkurrenzsituation, bei der Belegung der Coaching-Plätze, bei der Verabschiedung usw.); ȤȤ durch Moderation und Gestaltung eines gemeinsamen Auswertungs­ gesprächs am Ende der Veranstaltung.

Fazit und Ausblick Seit 2009 hat inscape die Coaching-Zone als Tagesveranstaltung kontinuierlich weiterentwickelt. Das Setting wurde immer wieder überprüft, um der komplexen, teilweise widersprüchlichen doppelten Aufgabenstellung – geschützte Arbeit am Anliegen und halböffentlicher Ort der Beobachtung – gerecht zu werden. Da das Gesamtkonzept damit steht und fällt, dass Coachees sich mit ihren Coachinganliegen zur Verfügung stellen, hat der Schutz der Beziehung zwischen Coachee und Coach zuletzt noch einmal dadurch Vorrang erhalten, dass die Beratungssequenz im unbeobachteten Zwiegespräch zwischen diesen beiden endet. Wie wichtig dieser Grundsatz des Schutzes der Arbeitsbeziehung zwischen Coachee und Coach ist, zeigen auch Erfahrungen einer ähnlichen Veranstaltung, eines Simultan-Live-Coachings unter der Organisation des Berufsverbandes der Trainer, Berater und Coaches (BDVT) auf den Petersberger Trainertagen 2008. Dort führte eine allzu offene Raum- und Zeitstruktur unter anderem dazu, dass Beobachter während laufender Coachings die Gruppe wechselten und Hintergrund­geräusche ein störendes Niveau erreichten (Martens, 2008). Darüber hinaus wird das Format auch an anderer Stelle eingesetzt. Im Rahmen von Fortbildungen wie der mehrtägigen »inscape experience«, einer Organisationskonferenz in der Tradition der Tavistock- bzw. Group-Relations-Konferenzen, bietet inscape die Coaching-Zone auch für geschlossene Teilnehmerkreise an. Hier dient sie der Verarbeitung von intensiven gemeinsamen Lernprozessen gegen Ende des mehrtägigen erfahrungsbasierten Arbeitens mit bewussten und unbewussten Dynamiken in sozialen Systemen. Der Ablauf dieser CoachingZone ähnelt dem der Tagesveranstaltungen: mehrere parallele Coachings mit Beobachtenden. Die innere Dynamik (bearbeitete Anliegen, Wahl der Coaches, Zusammensetzung der Beobachtergruppen, Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse usw.) ist aufgrund der kollektiven Vorerfahrung von Teilnehmenden und Beratenden eine andere, und es gibt hier keinen eigenen Zeitrahmen für die systematische Reflexion des professionellen Handelns der Coaches.

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Robert Erlinghagen und Jessica Koch

Mit etwas Abstand betrachtet ist die Coaching-Zone mit ihrer Kernidee der Entmystifizierung eine Einladung und Ermutigung, einen entspannteren und offeneren Umgang mit den vermutlich größten emotionalen Herausforderungen des beruflichen Alltags zu suchen, z. B. ȤȤ mit dem Risiko des Scheiterns; ȤȤ mit der Sorge um Bloßstellung und Beschämung; ȤȤ mit Konkurrenz; ȤȤ mit komplexen, teilweise verwickelten professionellen Beziehungen. Die Coaching-Zone lebt davon, dass sich alle Beteiligten diesen Herausforderungen stellen und dass es eine haltende Struktur gibt, die ausreichend Schutz und Containment gewährleistet. Bislang sind sowohl die Tagesveranstaltung als auch die Coaching-Zone innerhalb der »inscape experience«-Settings, zu denen die Teilnehmenden sich individuell aus unterschiedlichen Herkunftsorganisationen anmelden. Derzeit entwickelt inscape Konzepte, solche innovativen und herausfordernden Formate auch für Teams und Gruppen innerhalb von Organisationen und Unternehmen durchzuführen. Hier kommt als zusätzliche Herausforderung – und Chance – die Besonderheit hinzu, dass die potenziellen Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine gemeinsame Geschichte und Zukunft in der Gestaltung ihrer Arbeitsbeziehungen haben.

Literatur Buchinger, K. (1996). Autonomie und Abhängigkeit in der Lehrsupervision. In Lehrsupervision. Materialien der DGSv (S. 9–25). Stand 15.3.1996. Buchinger, K., Klinkhammer, M. (2007). Beratungskompetenz. Supervision, Coaching, Organisationsberatung. Stuttgart: Kohlhammer. Martens, A. (2008). Zwiegespräch vor Publikum. managerSeminare Know-how, 124, 16–19. Menches Dändliker, T. (2002). Was raten Sie mir? Reflexionen über Autonomie und Abhängigkeit in der Lehrsupervision. Forum Supervision, 20, 66–76. Mieg, H. A. (2005). Professionalisierung. In F. Rauner (Hrsg.), Handbuch der Berufsbildungsforschung (S. 342−349). Bielefeld: Bertelsmann. Schütze, F. (1996). Organisationszwänge und hoheitsstaatliche Rahmenbedingungen im Sozialwesen: Ihre Auswirkungen auf die Paradoxien des professionellen Handelns. In A. Combe, W. Helsper (Hrsg.), Pädagogische Professionalität. Untersuchungen zum Typus pädagogischen Handelns (S. 183–275). Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Willke, H. (2004). Supervision der intelligenten Organisation – Supervision in der wissensbasierten Organisation. In H. J. Kerstin, H. Neumann-Wirsig (Hrsg.), Supervision intelligenter Systeme. Coaching, Supervision und Organisationsberatung (S. 15–29). Aachen: Kersting. Wittenberger, G. (1993). Über die Verwundbarkeit in der Supervisionsausbildung – Aspekte angewandter Psychoanalyse. Forum Supervision, 1, 33–54. Zwiebel, R. (2007). Von der Angst, Psychoanalytiker zu sein. Das Durcharbeiten der phobischen Position. Stuttgart: Klett-Cotta.

Barbara Baumann

Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring: Eine notwendige Differenzierung im Kontext der Supervision(sausbildung) Glaubt nicht, wir Alten würden schon alles wissen! Von Jungen lässt sich sehr viel lernen. Alt und Jung sind Antonyme, die einander bedingen! Dieter Gropp (Lyriker und Aphoristiker; 2010) Quality requires both: supervision-on-supervision and mentoring: About the need of differentiation in the context of supervision and supervison trainings Mentoring is booming, supervision-on-supervision not so? Could one perchance replace the other? In my opinion, the answer is no: indeed, both mutually enhance each other in a wonderful way, but they are not interchangeable. This article gives background information and describes characteristics of good mentoring and compares this to supervision-on-supervision. It lists useful and practical options for integrating mentoring into supervision training programs.   If mentoring is understood as a modern form of the intergenerational contract, then supervision-on-supervision remains an existential part of the teaching/learning contract. This conceptual differentiation has an impact on mentoring activities in terms of its objectives, contents and relational structure as well as on a proper position within the framework of a supervision an supervison training and on the development of the professional identity as supervisor. Zusammenfassung Mentoring hat Konjunktur, Lehrsupervision weniger? Lässt sich vielleicht das eine sogar durch das andere ersetzen? Aus meiner Sicht nicht, denn beide ergänzen sich wunderbar, sind aber nicht austauschbar. Der Beitrag zeigt die Hintergründe und Charakteristika eines guten Mentorings im Vergleich zur Lehrsupervision auf und benennt sinnvolle und fruchtbare Integrationsmöglichkeiten eines Mentorings in die Supervisionsausbildung.   Kann man Mentoring als eine moderne Form des Generationenvertrags verstehen, so bleibt Lehrsupervision existenzieller Teil des Lehr-/Lernvertrags. Diese konzeptionelle Differenzierung hat Auswirkungen auf das Mentoring sowohl mit Blick auf die Ziele, Inhalte und Beziehungs­ gestaltung als auch auf eine gute Verortung im Rahmen der Supervision(sausbildung) und professionellen Identitätsentwicklung von Supervisorinnen und Supervisoren.

Einblick Mentoring hat Konjunktur und fast scheint es »in« zu sein, Mentorin oder Mentor zu sein. Auch im Bereich der Supervisionsausbildung hört man häufiger die Aussage von Lehrsupervisoren und -supervisorinnen: »Ich verstehe mich als Mentorin. Mir liegt die Ausbildung der jüngeren Kolleginnen und Kollegen am Herzen.« – »Super«, möchte man im ersten Moment sagen, da ist jemand

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Barbara Baumann

wirklich engagiert, geht in Beziehung und kümmert sich um den Nachwuchs der eigenen Profession. Aber ich werde bei diesen Aussagen immer hellhörig, da hier unterschiedliche Settings vermischt werden, was zu Rollenunklarheiten und Verwirrungen auf unterschiedlichen Ebenen führen kann. Als begeisterte Anhängerin des Mentorings und als Lehrcoach/Lehrsupervisorin kann ich die Begeisterung, Mentorin oder Mentor zu sein, gut verstehen, und die Sorge um den Nachwuchs der Profession Supervision liegt auch mir sehr am Herzen, aber dennoch plädiere ich für eine Trennung der Rollen und für eine Differenzierung der Settings. In diesem Beitrag möchte ich die Besonderheiten und Qualitätsmerkmale des Mentorings herausarbeiten, um damit die Unterscheidung zur Lehrsupervision hervorzuheben. Ich bin überzeugt, dass beide, Lehrsupervision und Mentoring, zur Qualitätssicherung und auch -steigerung in der Supervision(sausbildung) beitragen können, aber letztlich nur, wenn es nicht zur Vermischung und Verwässerung des jeweiligen Angebots kommt.

Mentoring, ein neues (altes) Förderinstrument Die Mentoringlandschaft ist vielfältig geworden in Bezug auf die Orte wie auch die Formen des Mentorings. In Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft werden nun seit über zehn Jahren immer mehr formelle Mentoringprogramme aufgelegt. Dies können z. B. Mentoringprogramme für weibliche Führungskräfte sein, die innerhalb des Unternehmens oder als Cross-Mentoring organisiert werden. Mentoring gehört in vielen Unternehmen zum festen Bestandteil der Personalentwicklung und -förderung. Mittlerweile werden aber auch z. B. im Bereich des Handwerks zur Unternehmensnachfolge Mentoringprogramme mit Erfolg implementiert. Im gesellschaftlichen Bereich finden sich Mentoringprogramme unter anderem im Gender- und/oder Integrationsbereich. In der Wissenschaft mehren sich Mentoringprogramme an Universitäten oder Fakultäten mit dem Ziel, mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Habilitation und wissenschaftlichen Karriere zu führen. Gerade innerhalb der universitären Landschaft gibt es mittlerweile eine sehr gute Vernetzung, die eine gemeinsame Reflexion und Professionalisierung inklusive der Entwicklung gemeinsamer Standards ermöglicht hat. Zu verweisen sei an dieser Stelle ausdrücklich auf das Forum Mentoring, das als Dachverband der Mentoringprogramme an deutschen Hochschulen hervorragende Arbeit in dieser Hinsicht leistet (www.forum-mentoring.de).

Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring

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Was meint Mentoring? Mentoring beschreibt die Beziehung einer erfahrenen Person zu einer unerfahrenen Person. Mentorinnen und Mentoren unterstützen Mentees in ihren persönlichen und beruflichen Entwicklungen. Aus diesem Grund steht auch wohl Mentor, der Freund des Odysseus, der dessen Sohn Telemachos während der zahlreichen Reisen des Odysseus betreut und begleitet hat, als Namensgeber für dieses Instrumentarium, für diese Beziehungsart. Denn zunächst einmal geht es um eine individuelle, persönliche Beziehung, die nicht aufgrund geregelter Verwandtschaftsbeziehungen zustande kommt, deren Charakter aber durchaus an alte Vorstellungen von Patenschaften und andere Formen der individuellen Beziehungen zwischen den Generationen erinnert. Mentoringbeziehungen hat es vermutlich seit Menschengedenken gegeben. Die Idee und die Praxis des Mentorings sind also nicht neu, sondern uralt. Neu ist, dass dieses Instrumentarium im Rahmen von formellen Mentoringprogrammen in einem öffentlichen, formalen Rahmen zum Tragen kommt. Neben den häufig eher informellen Mentoringbeziehungen sollen hier die Mentoringprogramme in den Blick genommen werden, die sich bestimmten Standards und Qualitätskriterien verpflichtet wissen. Die Mentoringprogramme bieten häufig den Ort, an dem milieu-, fach- und kulturübergreifende Förderung Einzelner geschehen kann. In den Mentoringprogrammen erhalten gerade die Personen Zugang zu fördernden Mentoringbeziehungen, die ansonsten vielleicht von Entwicklungs- und Karrierewegen ausgeschlossen wären. So sind z. B. die ersten formellen Mentoringprogramme entstanden, um jungen Frauen Zugang zur beruflichen Karriere zu ermöglichen. Denn immer schon war es »eigentlich« klar: Die fachliche Qualifikation allein reicht nicht für eine erfolgreiche Karriere. Ebenso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger sind die Beziehungen und Netzwerke. Und diese konnten Männer in der Regel in weit größerem und ausgeprägterem Maße vorweisen als Frauen. Mentoring wird heute zumeist in Übergangssituationen eingesetzt. Sei es vom Studium in den Beruf, beim Wechsel in Führungspositionen, bei der Übernahme von Unternehmen – gerade in Übergangssituationen bedarf es der Förderung und Unterstützung durch Netzwerke. Mentoren und Mentorinnen können in diesen Situationen wichtige Brückenbauer sein und Wege ebnen. Der Erfolg der Mentoringprogramme bestätigt die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges. Mentoring hat sich als ein sehr erfolgreiches Förderinstrument der individuellen Karriere und des beruflichen Fortkommens erwiesen. Vor diesem Hintergrund wird Mentoring vom »Forum Mentoring« wie folgt definiert:

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Barbara Baumann

»Nach heutigem Verständnis besteht die Funktion von Mentor/inn/en [sic] darin, Mentees an Erfahrungen teilhaben zu lassen und die Weiterentwicklung des beruflichen Weges individuell zu begleiten. Im Fokus stehen: Perspektivengenerierung, strategisches Vorgehen, Umsetzung von Handlungsschritten und Zugang zu Netzwerken. Mentees werden darin unterstützt, ihre berufliche Identität zu entwickeln. Mentor/inn/en stehen als Leitbild und Reflexionspartner/ innen solidarisch hinter den Mentees, z. B. in Entscheidungs- und Umbruchsituationen« (Forum Mentoring, 2016). Durch diese Umschreibung wird deutlich: Im Mentoring geht es um die individuelle Förderung. Heute werden mit Blick auf die Chancen für die Mentees häufig folgende Dimensionen benannt: Entwicklung der Persönlichkeit, Orientierung, Qualifikation, soziale Kompetenz, Karriereplanung und Eintritt in Netzwerke (Haghanipour, 2013, S. 120). Dass Mentoring mehr als nur die individuelle Förderung der Mentees meinen und auch im Sinne einer Organisationsentwicklung genutzt werden kann, ist ein wichtiger Aspekt, der aber an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden kann (Baumann, 2011a).

Besonderheiten der Mentoringbeziehung Die Besonderheiten einer Mentoringbeziehung ergeben sich durch den Fokus auf die individuellen Förderungen der Mentees. Zusammenfassend kann diese wie folgt beschrieben werden: Mentees und Mentoren bzw. Mentorinnen gehen eine (meist) befristete persönliche Beziehung ein. Diese dient bestimmten vorher verhandelten Zwecken und Zielen, ist freiwillig und beruht in erster Linie auf Vertrauen und Autorität. Die Mentees vertrauen sich Mentoren oder Mentorinnen an, sprechen diesen die Autorität zu, in der aktuellen Lebens- und Berufsphase Beratende, Wegbegleitende, Ratgebende, selten auch Freund oder Freundin zu sein. Entscheidend bei der Mentoringbeziehung – im Gegensatz z. B. zu Ausbildungsbeziehungen oder auch Patenschaftsbeziehungen – ist, dass die Beziehungsinitiierung und Aktivierung von den Mentees, also den Unerfahreneren, ausgeht. Die »Führungsrolle« der Mentees in der Mentoringbeziehung ist das entscheidende Charakteristikum und auch die Differenz zu anderen Lern- und Lehrsettings – auch der Lehrsupervision. In wunderbarer Weise wurde diese Art der Beziehungsgestaltung von den »Italienerinnen« umschrieben, auch wenn sie diese Form der Beziehungsgestaltung nicht auf das Mentoring beziehen. Mit den Italienerinnen sind die Philosophinnengruppen gemeint, die sich im

Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring

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Mailänder Buchladen (Libreria delle donne di Milano) und an der Universität Verona (Diotima) gebildet haben und als Vertreterinnen des Differenzfeminismus verstanden werden können. Die Italienerinnen sprechen von der »Affidamento-Beziehung«. Affidamento meint im Italienischen »sich anvertrauen«. Eine Affidamento-Beziehung kann sich nur entwickeln, wenn eine Person in einer anderen ein »Mehr« entdeckt, das ihr Begehren weckt und ihrem eigenen Entwicklungsantrieb eine Richtung weist. Sie entdeckt etwas im Gegenüber, erlebt die andere Person in dem Sinne, dass sie in ihr einen Vorsprung an Wissen und Erfahrung sieht und ihr daher Autorität zuspricht. Die Affidamento-Beziehung meint aber nicht nur den Zuspruch von Autorität, sondern das bewusste Eingehen einer Beziehung zu der Autoritätsperson, um von ihr zu lernen und/oder sich ihrem Feedback zu stellen (Diotima, 1999; Markert, 2002). In der Besonderheit der Beziehungsgestaltung zeigt sich aus meiner Sicht der entscheidende Unterschied zwischen Mentoring und Lehrsupervision. Sicherlich ist auch die Beziehung zwischen Lehrsupervisandinnen und Lehrsupervisorinnen geprägt von Autorität – ohne diese wäre ein Lernen nicht möglich. Aber dennoch ist der Fokus ein anderer und markiert die entscheidende Differenz. Im Lehrsupervisionskontext geht es, wie der Name schon sagt, um ein Lern-/Lehrsetting im Rahmen einer Ausbildung. Beide, Lehrsupervisanden und Lehrsupervisoren, stehen in einem Dreieckskontrakt zur Ausbildungsstätte, sei es eine Universität, z. B. bei Masterstudiengängen, oder ein privates Institut. Die Inhalte und Themen im Rahmen der Lehrsupervision können nicht von beiden frei verhandelt und vereinbart werden, sondern sind durch den Ausbildungskontext bestimmt. Insbesondere die Lehrsupervisoren und -supervisorinnen sind dem Ansatz und der fachlichen Ausrichtung des Ausbildungsträgers verpflichtet. Anders verhält es sich im Mentoring. Auch bei formellen Mentoringprogrammen, die meist einen thematischen Rahmen bieten, in dem das Mentoring stattfindet, werden die Themen, die in der Mentoringbeziehung vom Tandem bearbeitet werden, von den Mentees bestimmt. Sie entscheiden, wie, in welchem Maße und wofür sie die Mentoren und Mentorinnen »nutzen« wollen, wo sie bei diesen das »Mehr« sehen und hiervon profitieren und lernen möchten. Im Kern geht es also darum, dass es sich bei der Mentoringbeziehung um eine Beziehung im Kontext des Generationenvertrags handelt, bei der Lehrsupervision um eine Beziehung im Kontext eines Lehr- und Ausbildungsvertrags.

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Zusammenschau der Differenz zwischen Mentoring und Lehrsupervision Dieser Grundunterschied, die Art und Weise der Beziehungsgestaltung, bestimmt letztlich auch die Differenz zwischen Mentoring und Lehrsupervision in weiteren Aspekten wie Ausgangslage, Zielen, Setting, Bezahlung und anderes. Tabelle 1 veranschaulicht wichtige Aspekte der Differenz zwischen Mentoring und Lehrsupervision. Tabelle 1: Mentoring und Lehrsupervision im Vergleich Mentoring

Lehrsupervision

Bezugsrahmen

Generationenvertrag

Lehr-/Ausbildungsvertrag

Grundlage

Vereinbarung zwischen Mentorinnen/Mentoren und Mentees

Dreiecksvertrag zwischen Ausbildungsstätte, Lehrsupervisorinnen/-supervisoren und Lehrsupervisandinnen/-supervisanden

Ausgangslage

freiwillig

verpflichtend

Ziel

individuelle Förderung der Karriere; Unterstützung im Übergangsmanagement

Entwicklung einer professionellen Rollenidentität als Supervisor/-in

Anlass/Verortung

vielfältig, z. B. in Übergangsphasen (z. B. Schule – ­Studium; Studium – Beruf, Selbstständigkeit, Ausscheiden aus dem Beruf); Neugier auf neue Felder; Übernahme neuer Rollen, Positionen

Ausbildungskontext Supervision

Dauer

zeitlich befristet nach Vereinbarung

für die Zeit der Ausbildung

Umfang

individuelle Vereinbarung zwischen Mentee und Mentor/-in

vom Ausbildungsträger festgelegter Umfang

Setting

vielfältig; individuelle Verein­ barung; häufig Face to Face

Face to Face

Themen

bestimmt durch Mentee; Fragen/Anliegen der Mentees stehen im Fokus

bestimmt durch Ausbildungskontext; Fragen/Entwicklung der Rollen­ identität und Tätigkeit als Supervisor/-in stehen im Fokus

Wissensvermittlung

Weitergabe von Erfahrungswissen orientiert am Wissensbedarf der Mentees

Weitergabe von Fachwissen und Erfahrungswissen orientiert am Ausbildungskontext

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Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring

Mentoring

Lehrsupervision

Beziehungsgestaltung

aktiver Part liegt bei den Mentees; Begegnung auf Augenhöhe

aktiver Part bei Lehrsupervisor/-in; hierarchisches Beziehungsgefüge

Fachkenntnisse

Mentorinnen/Mentoren erfahren im gewünschten Themenbereich

Supervision

Networking

Vermittlung von Kontakten; Netzwerken ist intendiert

nicht intendiert; ggf. freiwillig

Bezahlung

Mentor/-in arbeitet ehrenamtlich

Honorarbasis

Tabelle 1 veranschaulicht, dass Mentoring und Lehrsupervision nicht beliebig auszutauschen sind oder sich gegenseitig ersetzen können. Nur in der Kombination beider wird ein Gewinn erzielt. Warum braucht aber die Supervisionsausbildung heute auch das Mentoring? In erster Linie deshalb, weil die Supervision vielfältiger geworden ist und Ausbildung sich dieser Vervielfältigung stellen und ihr gerecht werden muss. Zum einen haben sich die Felder der Supervision im Profit- und Non-­ProfitBereich immens ausgeweitet. Um Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen diese Felder zu erschließen, reichen die Erfahrungshintergründe vieler Lehrsupervisorinnen und -supervisoren nicht aus. Mentoring bietet hier die Möglichkeit, den Ausbildungskandidatinnen und -kandidaten neue Felder zu erschließen, sich mit Dynamiken und Fragestellungen vertraut zu machen und die Schwelle, sich als Supervisoren und Supervisorinnen in diese zu begeben, herabzusetzen. Zum anderen sind bereits die beruflichen Hintergründe der Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen vielfältiger geworden und Mentoring bietet hier die Möglichkeit, diesen bereits mitgebrachten Feldkompetenzen einen unterstützenden Rahmen zu bieten. Letztlich geht es also durchaus um eine gewisse »Entmystifizierung« der Lehrsupervisoren und Ausbilder. Die Implementierung eines Mentorings im Rahmen der Ausbildung erkennt an, dass heute Lehrsupervisorinnen und Ausbildende nicht zu allen Berufsfeldern und Organisationsformen Fachwissen vermitteln und Fragen beantworten können. Supervision als Profession überschreitet seit Langem die Grenzen des sozialen Sektors und wird heute in fast allen Bereichen angefragt. Dieser Vervielfältigung können Ausbilder und Lehrsupervisoren nicht gerecht werden. Die Einbeziehung von Mentorinnen und Mentoren bietet die Chance, dennoch der Vielfalt der professionellen Identitäten und Organisationswirklichkeiten Rechnung zu tragen. Nur so können Ausbil-

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Barbara Baumann

dungskandidaten und -kandidatinnen auf ihre zukünftigen Tätigkeitsbereiche adäquat vorbereitet werden. Damit wird aber auch deutlich: Im Rahmen der Supervisionsausbildung gilt es, immer mehr Grenzen zu überschreiten und neue Wege zu gehen. Dies gelingt nicht, wenn man einfach nur die Grenzen der Lehrsupervision erweitert. Im Gegenteil, den in der Tabelle beschriebenen Rahmen der Lehrsupervision gilt es zu halten, um Lernen für die Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen zu ermöglichen. Nur durch die Implementierung weiterer Formen und Settings der Begleitung der zukünftigen Supervisionskolleginnen und -kollegen – wie des Mentorings – kann eine nachhaltige und an den aktuellen Bedingungen in der Arbeitswelt orientierte Ausbildung gelingen.

Die neue Lust am Generationenvertrag Warum erlebt Mentoring heute eine fast inflationäre Beachtung? Was macht die Attraktivität von Mentoring aus? Warum engagieren sich so viele Mentoren und Mentorinnen ehrenamtlich in diesem Bereich? Aus meiner Wahrnehmung hat dies genau mit dem entscheidenden Unterschied zwischen Mentoring und Lehrsupervision zu tun. Es geht um den Generationenvertrag und auch um das intergenerative Lernen. Intergenerativität ist hier nicht nur mit Blick auf das Alter zu verstehen, sondern ebenso bezogen auf die fachliche und erfahrungsbezogene Differenz. Viele gesellschaftliche Entwicklungen erwecken den Eindruck, dass die nachwachsende Generation wenig von den »Alten« lernen kann und will. In vielen Bereichen (z. B. Social Media, IT) verkehrt sich das intergenerative Lernen sogar um, die Alten müssen von den Jungen lernen, um anschlussfähig an aktuelle gesellschaftliche Prozesse zu bleiben. Im Mentoring erhält der Faktor Erfahrung im Gegensatz dazu eine hohe Wertschätzung und Bedeutung. Untersuchungen zeigen, dass eine der Hauptmotivationen von Mentoren und Mentorinnen, sich in diesem Bereich ehrenamtlich zu engagieren, die Weitergabe von Erfahrungen ist. Die Sorge um die nachwachsende Generation findet hier einen sinnvollen Ort und ist von der Nachwuchsgeneration auch gewollt und angefragt. In manchen Mentoring­ programmen fällt auf, dass signifikant mehr Mentorinnen und Mentoren kinderlos sind bzw. die Kinder schon länger selbstständig und unabhängig sind. Hinzu kommt, dass Mentorinnen und Mentoren immer wieder auch als Motivationsgrund angeben, dass das Mentoring ihnen eine Möglichkeit bietet, an Erfahrungen der jüngeren Generation zu partizipieren, dass sie mit­

Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring

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bekommen, wie die nachwachsende Generation denkt, was ihr wichtig ist, welche Werte sie vertritt. Im Mentoring geht es also nicht nur um eine altruistische Motivation der Mentoren und Mentorinnen, um das reine »Gutmensch-Sein«, sondern Mentoring bietet allen Beteiligten einen Zuwachs an Erkenntnis und Erfahrung, eine klassische Win-win-Situation. Mentoring bietet damit heute Möglichkeiten für intergeneratives Lernen, das sich nicht auf den familiären Kontext beschränkt. Dies mag mit ein entscheidender Erfolgsfaktor sein, und in diesem Kontext ist von dem »vergesellschafteten Generationenvertrag« zu sprechen. Der zeitlich klar befristete Rahmen des Mentorings bietet, im Gegensatz zum familiären Kontext, die Möglichkeit, zeitlich und thematisch begrenzt Verantwortung zu übernehmen (Jung u. Schubert, 2010; Edelkraut u. Graf, 2011). Mentoring bietet für Mentees und Mentorinnen und Mentoren die Möglichkeit, das »Gute« und den »Gewinn« des Generationenvertrags zu nehmen ohne langfristige Mühen und Bindungen. Und dies verschafft beiden Seiten (neue) Lust am Generationenvertrag. Supervision ist eine verhältnismäßig junge Profession und viele Supervisionsverbände im europäischen Kontext erreichen aktuell zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Aufbau der Generationenfolge. Die ersten Supervisoren und Supervisorinnen gehen in den Ruhestand, scheiden aus der aktiven Tätigkeit aus; durch die Implementierung der Supervisionsausbildung im universitären Kontext kommen neue und verhältnismäßig junge Kolleginnen und Kollegen auf den Supervisionsmarkt. Insofern ist vielleicht auch verständlich, dass der Supervisionsbereich bisher wenig Mentoringprogramme organisiert und genutzt hat. Bisher galt die Sorge vornehmlich der Ausbildung, und hier spielt die Lehrsupervision eine entscheidende Rolle. Mentoring nun aber mehr in den Blick zu nehmen trägt folglich auch der Wahrnehmung der eigenen Verbandsentwicklung Rechnung.

Mentoring im Bereich der Supervision(sausbildung) Aus der bisherigen Darstellung ist deutlich geworden, dass Mentoring und Lehrsupervision nicht einfach austauschbar sind, sondern sehr unterschiedliche Voraussetzungen haben und Ziele verfolgen. In der konkreten Lehrsupervisionsbeziehung mag durchaus der Eindruck entstehen, dass Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisandinnen die Beziehung im Sinne einer Mentoringbeziehung gestalten. Aus meiner Sicht entsteht dieser Eindruck gerade dann, wenn das für die Mentoringbeziehung konstituierende

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Element, die Autorisierung der Mentorinnen und Mentoren durch die Mentees, auch in der Lehrsupervision zum prägenden Beziehungsgestaltungs­element wird. Insofern ist der zu Beginn zitierte Ausspruch der Lehrsupervisorin einerseits durchaus zutreffend. Andererseits darf der Bezugsrahmen und Auftrag der Lehrsupervision nicht aus den Augen verloren werden. Lässt sich Mentoring dennoch im Bereich der Supervision Erfolg versprechend implementieren oder soll man darauf eher verzichten? Hier lautet die klare Antwort, dass es sinnvolle Orte und Zusammenhänge für ein Mentoring im Bereich der Supervision gibt, auch im Rahmen der Supervisionsausbildung. Und es ist zu bedauern, dass es bisher nur sehr vereinzelte Beispiele für formelle Mentoringprogramme und -settings im Supervisionsbereich gibt. Verwiesen sei an dieser Stelle z. B. auf das Mentoring-Pilotprogramm der Stiftung Supervision (www.stiftung-supervision.de/angebote/mentoring-pilotprogramm). Es gibt sinnvolle Einsatzmöglichkeiten des Mentorings im Rahmen der Supervisionsausbildung, hierzu zwei Beispiele: ȤȤ Als Erstes sei auf ein Mentoringangebot im Rahmen der Supervisionsausbildung hingewiesen, wie es vom Institut inscape, Köln, im Rahmen der Coaching-/Supervisionsausbildung angeboten wird. Hier können die Teilnehmenden eine Mentoringbeziehung zu Fach- und Führungskräften aus verschiedensten Feldern eingehen. Ziel dieses Mentorings ist, den Ausbildungskandidaten die Felder zu erschließen, in denen sie sich vorstellen können, zukünftig als Supervisoren tätig zu sein. Gerade direkt nach der Ausbildung ist es für viele Supervisorinnen und Supervisoren schwer, in den »Wunschfeldern« Fuß zu fassen. Oft haben Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen durchaus Vorstellungen und Affinitäten zu bestimmten Bereichen, in die sie gern als Supervisor oder Supervisorin einsteigen möchten – aber sie wissen nicht, wie das geschehen kann. Das Mentoring bietet ihnen dann die Möglichkeit, im Rahmen der Ausbildung in diese Bereiche »reinzuschnuppern«, Antworten auf Fragen zu finden und vielleicht sogar erste Kontakte über das Netzwerk der Mentoren und Mentorinnen zu knüpfen. Letztere besitzen in diesem Mentoring kein ausgewiesenes Fachwissen im Bereich der Supervision, sondern bieten exzellentes Wissen und Erfahrungen zu dem Feld, in dem Supervision stattfinden könnte. Die Gestaltung des Mentorings in diesem Sinne bietet den Ausbildungskandidaten und -kandidatinnen eine sinnvolle Ergänzung zur Lehrsupervision. Mentoring und Lehrsupervision stehen sich nicht konkurrierend gegenüber, sondern ergänzen sich wesentlich, und beide fördern so die Qualität der Ausbildung (Baumann, 2014).

Qualität braucht beides, Lehrsupervision und Mentoring

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ȤȤ Eine zweite sinnvolle Möglichkeit sehe ich in der Begleitung von neuen Mitgliedern im Supervisionsverband. Gerade im Sinne des Generationenvertrags bietet sich hier die Möglichkeit, jungen Kolleginnen und Kollegen den Weg in die neu erlernte Profession zu ebnen. Die Fokussierungen könnten hier noch einmal sehr unterschiedlich sein. Auch hier bietet sich zum einen die Konzentration auf bestimmte Supervisionsfelder an, zum anderen aber z. B. auch die Frage nach der Existenzgründung: Wie mache ich mich als Supervisorin oder Supervisor selbstständig? Mit dem Instrument »Mentoring« erhalten die Supervisionsverbände, die ja – wie oben beschrieben – zumeist erst in den letzten Jahren in die Situation kommen, dass sie innerhalb des Verbandes eine Generationenpyramide aufbauen, die Möglichkeit der Förderung der Profession und der Entwicklung des eigenen Verbandes.

Ausblick Lehrsupervision und Mentoring können einander nicht ersetzen, können sich aber wunderbar ergänzen, zur Qualitätssteigerung beitragen und für alle Seiten zum Gewinn werden. Dies ist meine Überzeugung und ich hoffe, dass dies durch die aufgeführten Aspekte deutlich geworden ist. Dieses »Mehr« aus Lehrsupervision und Mentoring kann aber nur geschöpft werden, wenn die Profilierung beider vorangetrieben wird und es nicht vorschnell zur Vermischung des einen mit dem anderen kommt. Ganz im Sinne des Zitats von Dieter Gropp (2010), das ich diesem Beitrag vorangestellt habe, sind auch Lehrsupervision und Mentoring Antonyme, die einander bedingen!

Literatur Baumann, B. (2011a). »Es geht nicht um die Hälfte des Kuchens, es geht um die ganze Konditorei«. Mentoringprogramme im Spannungsfeld von individueller (Karriere-)Förderung und (universitärer) Organisationsentwicklung. In M. E. Aigner, U. Rapp (Hrsg.), KlarA. Klar anders! Mentoring für Wissenschaftlerinnen (S. 91–103). Wien: LIT. Baumann, B. (2011b). »Dazwischen kann man durchfallen«. Mentoring und Networking – erfolgreiche Instrumente im Übergangsmanagement. In A. Ahlers-Niemann, E. Freitag-Becker (Hrsg.), Netzwerke – Begegnungen auf Zeit. Zwischen Uns und Ich (S. 127–143). Bergisch Gladbach: EHP. Baumann, B. (2014). »Wie läuft es denn bei Ihnen …?« Ein unangestrengt innovatives Mentoringprogramm für die Supervisionsausbildung. Journal Supervision, 1, 20–21. Diotima (1999). Jenseits der Gleichheit. Über Macht und weibliche Wurzeln der Autorität (aus dem Ital. übers. von D. Markert u. A. Schrupp). Königstein/Taunus: Helmer.

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Barbara Baumann

Edelkraut, F., Graf, N. (2011). Der Mentor – Rolle, Erwartungen, Realität. Standortbestimmung des Mentorings aus Sicht der Mentoren. Lengerich u. a.: Pabst Science. Forum Mentoring (2016). Der Begriff Mentoring. Zugriff am 25.08.2016 unter www.forum-mentoring.de/index.php/mentoring_top/mentoring/begriffsklarung Gropp, D. (2010). Meine Reflexionen und Maximen. Kleine Lebensweisheiten und Aphorismen, die mich das Leben lehrte. Leipzig: Engelsdorfer Verlag. Haasen, N. (2001). Mentoring. Persönliche Karriereförderung als Erfolgskonzept. München: Heyne. Haghanipour, B. (2013). Mentoring als gendergerechte Personalentwicklung. Wirksamkeit und Grenzen eines Programms in den Ingenieurwissenschaften. Wiesbaden: Springer. Jung, D., Schubert, S.; BMFSFJ (Hrsg.) (2010). NetWork.21 – Wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes Network.21. Frankfurt. Zugriff am 14.03.2016 unter www.bmfsfj.de/BMFSFJ/ Service/publikationen,did=154028.html Junk, A. (2004). 30 Minuten für erfolgreiches Mentoring. Offenbach: Gabal. Kaiser-Belz, M. (2008). Mentoring im Spannungsfeld von Personalentwicklung und Frauen­ förderung. Eine gleichstellungspolitische Maßnahme im Kontext beruflicher Felder. Wiesbaden: Springer. Kropf, E. (2011). Weibliche Identität durch weibliche Autorität? Die Mentee und ihre Beziehung zur Mentorin vor dem Hintergrund zentraler Begriffe bei den Mailänderinnen. In M. E. Aigner, U. Rapp (Hrsg.), KlarA. Klar anders! Mentoring für Wissenschaftlerinnen (S. 61–71). Wien: LIT. Kurmeyer, C. (2012). Weibliche Professionalität im Aufbruch. Wiesbaden: Springer. Markert, D. (2002). Wachsen am Mehr anderer Frauen. Vorträge über Begehren, Dankbarkeit und Politik. Rüsselsheim: Christel Götter. Schell-Kiehl, I. (2007). Mentoring: Lernen aus Erfahrung? Biographisches Lernen im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse. Bielefeld: Bertelsmann. Stöger, H., Ziegler, A., Schimke, D. (2009). Mentoring. Theoretische Hintergründe, empirische Befunde und praktische Anwendungen. Lengerich u. a.: Pabst Science.

Teil IV Organisationale Aspekte

Brigitte Geißler-Piltz und Monika Klinkhammer

Lehrsupervision an Hochschulen: Die Supervisionsweiterbildung an der Alice Salomon Hochschule Berlin

Supervision-on-supervision at universities: The supervision training course at the Alice Salomon University of Applied Sciences, Berlin This article examines the characteristics of a university of applied studies as an organisation – exemplified by a certified education course in supervision and coaching at the Alice Salomon University of Applied Sciences – and its impact on supervision-on-super-vision. The question is, how to place supervision-on-supervision within the context of an organisational culture, where academic teaching and research structures are dominant. This opens our eyes on the under­appreciated status of supervision-on-supervision and supervision trainers in academic curricula and among the lecturing staff, as well as to the loss of practical relevance. Because of the lack of recognized empirical data, this article quotes various assumptions and experiences derived from questionnaires filled in by supervision trainers working at this University.   The authors conclude: Without research and empirical data, the field of supervision-on-supervision cannot developed any further. Zusammenfassung Der Beitrag betrachtet die Besonderheiten der Organisation Hochschule – exemplarisch dargestellt am Beispiel eines weiterbildenden Zertifikatskurses Supervision und Coaching der Alice Salomon Hochschule – und ihren Einfluss auf die Lehrsupervision. Die Fragestellung nach der Verortung von Lehrsupervision im Kontext einer Organisationskultur, in der akademische Lehrund Forschungsstrukturen dominant sind, öffnet den Blick für einen unterschätzten Status von Lehrsupervision und Lehrsupervisorinnen und -supervisoren1 im akademischen Curriculum und Lehrkörper wie auch für den Verlust von Praxisrelevanz. Mangels anerkannter empirischer Daten werden hier einige aus einer schriftlichen Befragung stammenden Einschätzungen und Erfahrungen von an der Hochschule tätigen Lehrsupervisoren und -supervisorinnen zitiert.   Resümierend stellen die Autorinnen fest: Ohne Forschung und empirische Daten kann sich das Feld der Lehrsupervision nicht weiterentwickeln.

1

Zur besseren Lesbarkeit wurden die Formulierungen nicht durchgängig geschlechterneutral gewählt; es sind immer alle Geschlechter gemeint.

250

Brigitte Geißler-Piltz und Monika Klinkhammer

»Dieses Milieu [Universität] war meiner Natur fremd, zu sehr vom Leben entfernt; für mich ein Mittel und kein Ziel.« Alice Salomon (1984, S. 98)

Vorbemerkung Die von uns hier vorgestellte Weiterbildung »Supervision und Coaching in der Sozialen Arbeit, Bildung und Gesundheit« an der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) ist insofern vom Salomon-Geist getragen, als wir ein Konzept entwickelt haben, das zwar von Inhalt und Umfang her auf Masterniveau angesiedelt ist, wir uns aber für einen berufsbegleitenden Zertifikatskurs der wissenschaftlichen Weiterbildung entschieden haben. Die Verortung innerhalb der Organisation Hochschule im Zentrum für Weiterbildung gibt uns die Freiheit, inmitten akademischer Lehr- und Forschungsstrukturen eine praxisorientierte Weiterbildung zu etablieren. Die Hochschule ist Lernort und in diesem Sinne »Mittel« des Wissenstransfers. Die Lehrsupervision ist in die Weiterbildung eingewoben, die gerade an einer Hochschule eine Vielzahl an Herausforderungen und Besonderheiten impliziert, auf die wir in diesem Beitrag eingehen möchten. Zunächst werden wir den organisationalen Lernort Hochschule mit seinen Rahmenbedingungen für Lehrsupervision darlegen, um im zweiten Teil unser Konzept der Lehrsupervision zu präsentieren. Im dritten Teil fassen wir unsere Erfahrungen mit dem Lehrsupervisionskonzept zusammen. Im vierten Teil ziehen wir ein Fazit im Hinblick auf hochschulische Besonderheiten. Bereichert werden unsere Ausführungen durch Zitate der an unserer Weiterbildung mitwirkenden Lehrsupervisorinnen und -supervisoren, die aus einer schriftlichen Befragung im Sommer 2015 stammen.2

Lernort Hochschule: Hochschulkultur, Hochschulkontext und hochschulische Rahmenbedingungen Ein deutlicher Trend in der Professionalisierung von Supervision und Coaching ist die zunehmende Akademisierung der Weiterbildungen und deren Verortung als Masterstudiengänge oder Zertifizierungskurse im Kontext von Hochschu2 Wir danken insbesondere den mitwirkenden Lehrsupervisorinnen und -supervisoren für ihr Feedback und ihre konzeptionellen Anregungen sowohl in den Konferenzen der Lehrsupervisorinnen/-supervisoren als auch im Vorfeld zu diesem Beitrag. Unser Dank gilt auch den bisherigen Teilnehmenden, durch deren Rückmeldungen und Erfahrungen wir das Weiterbildungs- und Lehrsupervisionskonzept fortschreiben konnten.

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len und Universitäten. Lange Zeit haben nur vier Hochschulen in Deutschland DGSv-zertifizierte Qualifizierungen in Supervision angeboten. Die Harmonisierung von Studiengängen und Studienabschlüssen durch den Bologna-Prozess hat diese exklusive Stellung radikal verändert. Die Hochschulreform ermöglichte eine Anerkennung von wissenschaftlich fundierten Studiengängen für Supervision und Coaching und/oder Organisationsberatung an Hochschulen. Im Jahr 1999 unterzeichneten 30 europäische Bildungsminister und -ministerinnen eine bildungsprogrammatische Erklärung mit dem Ziel, die europäischen Hochschulsysteme anzugleichen, vor allem zur Förderung einer Mobilität von Studierenden und Lehrenden in Europa (Kultusminister-­Konferenz, o. J.). Präferiert wurde ein zweistufiges System, das erstens die berufsqualifizierenden Studienabschlüsse in Bachelor und Master gliedert und zweitens die angestrebte Vergleichbarkeit der Studiengänge und Studienabschlüsse durch eine Neuorganisation der Studienstruktur hergestellt. Die Masterstudiengänge unterscheiden sich in konsekutive Master, die eine fachliche Basis des Bachelors erweitern, und nicht konsekutive und weiterbildende Masterstudiengänge, die keine Fortsetzung der ersten Ausbildung sind. Bislang gibt es noch keinen konsekutiven Masterstudiengang zu Supervision/Coaching (Bologna Process – European Higher Education Area, 2014). Alle Studiengänge werden in inhaltlich und zeitlich abgeschlossene Lehr- und Lerneinheiten, in Module, zusammengefasst. Der Lernaufwand der Studierenden wird quantitativ gemessen und mit Leistungspunkten versehen; dabei hat sich das European Credit System (ECTS) durchgesetzt. Unabhängig von den Credits erhalten Studierende weiterhin eine Note für Leistungen, die qualitativ im Studium erbracht wurden. Mit der Einführung eines Leistungspunktesystems ist ein Paradigmenwechsel vom Lehren zum Lernen verbunden. Das heißt, es geht stärker um den Lernprozess und die Lernresultate. Letztere bilden sich ab in Kompetenzen, welche die Studierenden nach Abschluss eines Moduls bzw. des Studiengangs erlangt haben und welche sie zur Ausübung ihrer späteren Tätigkeit benötigen (Geißler-Piltz, Kirschning u. Machocki, 2006, S. 100 ff.). Auch hier hat man sich auf bestimmte Terminologien verständigt. Auf europäischer Ebene wird grob zwischen Fachkompetenzen (subject-related competences) und fachunabhängigen Kompetenzen (generic competences) unterschieden (Tuning Educational Structures in Europe, o. J.). Die Bologna-Reform greift damit tief in die verwurzelte Hierarchie zwischen Universität und Hochschulen – ehemals Fachhochschulen – ein. Sie hebt die Hochschul-Masterabschlüsse auf Universitätsniveau an (Geißler-Piltz et al., 2006, S. 98). Für die Hochschulen bieten sich dadurch neue Möglichkeiten, um sich auf einem umkämpften wissenschaftlichen Weiterbildungsmarkt zu etablieren.

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Dies spiegelt sich auch bei den Anbietern DGSv-zertifizierter Weiterbildungen: Derzeit gibt es 42 Weiterbildungsanbieter, davon sind 14 Hochschulen/Universitäten (= 33,3 %). Darunter befinden sich sechs Masterstudiengänge (= 14,3 %) und acht Zertifikatsstudiengänge (19 %) bzw. -weiterbildungen (Angaben der Geschäftsstelle der DGSv vom 15.4.16). Damit sind besondere Chancen der Professionalisierung, jedoch auch deutliche Herausforderungen verbunden, die insbesondere die Lehrsupervision betreffen. Diese Herausforderungen sind geprägt durch die gänzlich andere hochschulische und universitäre Organisationskultur sowie organisatorische, finanzielle und personelle Rahmenbedingungen. Wir möchten dies exemplarisch an der Supervisionsweiterbildung der ASH darstellen (Geißler-Piltz u. Klinkhammer, 2012).3 Das exemplarische Vorgehen bietet sich hier an, denn die Weiterbildungszertifikate und die Masterabschlüsse erscheinen jeweils gleichartig und – auch vor dem Hintergrund der DGSv-Zertifiztierung – gleichwertig. Sie sind jedoch in ihren Konzepten, ihren inhaltlichen Ausgestaltungen, den Studien- bzw. Teilnahmegebühren und anderem höchst different, auch was die Position der Lehrsupervision anbelangt. Das Beispiel der ASH steht hier also für ein Konzept einer Hochschulweiterbildung, das an der Lehrsupervision als integralem Bestandteil der Weiterbildung festhält. Die ASH und ihre Studierenden Die ASH mit ihrer langjährigen Ausbildungs- und Weiterbildungstradition spricht in der Regel qualifizierte und interessierte Praktiker und Praktikerinnen an, die sich verändern oder sich für einen Aufstieg qualifizieren wollen. Vor allem sind es die ehemaligen Studierenden aus Studiengängen der Sozialen Arbeit, Bildung und Erziehung sowie Angehörige der Gesundheitsberufe. Sie entfliehen den klassischen Frauenberufen, in denen ihre professionelle Arbeit 3 Als eine der ersten Hochschulen in Deutschland hat die EH Freiburg (heute: Evangelische Hochschule Freiburg) seit 1974 Supervisionsausbildungen angeboten, gefolgt zu Beginn der 1980er Jahre von der Gesamthochschule Kassel (heute: Universität Kassel), der Frankfurt University of Applied Sciences und der Katholischen Hochschule NRW. Ab 2010 nimmt die Anzahl hochschulischer Weiterbildungen und ab 2004 (Kerstin, 2004) die der Masterstudiengänge deutlich zu (Universität Bielefeld seit 2010, Fachhochschule der Diakonie gGmbH seit 2013); weitere aktuelle hochschulische Anbieter: Hochschule Mittweida in Kooperation mit Basta e. V.; Kath. Stiftungsfachhochschule München – Institut f. Fort- und Weiterbildung, Forschung und Entwicklung; Carl von Ossietzky Universität Oldenburg – Center für lebenslanges Lernen; Akademie für Bildung und Personalentwicklung am Universitätsklinikum Tübingen; Universität Flensburg – Zentrum für wiss. Weiterbildung in Kooperation mit Kooperation Plus; Alice Salomon Hochschule Berlin; Hochschule Fulda; Hochschule Kempten.

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unter Wert behandelt und entlohnt wird. Verglichen mit ihren männlichen ­ ollegen nutzen sie häufig Weiterbildungen, die ihnen vom Studium oder aus K der praktischen Arbeit bekannt sind und von denen sie sich ein gesellschaftlich und beruflich höheres Ansehen erhoffen (Geißler-Piltz, 2009, S. 59). »›Meine Supervisanden‹ des ASH-Lehrgangs haben sich alle bewusst für die Ausbildung im Hochschulkontext entschieden. Sie verbinden damit die Erwartung einer besonders qualifizierten und renommierten Ausbildung. Das Zertifikat einer Hochschule gilt als Prädikatsmerkmal, nicht zuletzt im Wettbewerb um Super­visions- und Coachingaufträge« (RH).

Andererseits bewirkt die Hochschulkultur andere Widerstände: »Ja, die Tatsache, die Weiterbildung im Rahmen einer Hochschule zu machen, löst offensichtlich mehr Widerständigkeit aus als in den klassischen Instituten« (WH).

Das Weiterbildungsstudium weckt bei den Teilnehmenden auch nostalgische Erinnerungen an ihre Rolle als Studentin oder Student, etwa an einen privilegierten Status in Beiräten und studentischen Gremien, die über hochschulpolitische Entwicklungen mitentscheiden konnten. Die Rolle als Teilnehmende in der Weiterbildung stellt sich jedoch als ernüchternd anders dar. Teilnehmende der Weiterbildung nehmen eher einen marginalen Platz im Hochschulleben ein. Daran ändern auch der Studentenausweis, die interaktive Lernplattform »Moodle« sowie die Möglichkeit, eine gut ausgestattete Bibliothek zu nutzen, wenig. Strukturell bedingt zeigt die Organisation zu wenig Interesse an zahlenden Studierenden der Weiterbildung. Denn im Gegensatz zur grundständigen Ausbildung und zur Forschung ist die Weiterbildung finanziell nicht ausgestattet. Es klingt widersprüchlich, aber trotz dieser strukturellen Benachteiligung können wir davon ausgehen, dass wissenschaftliche Weiterbildungen – Degree oder Non-Degree – auf dem Bildungsmarkt weiter expandieren und die Zukunft der Qualifizierung zur Supervisorin bzw. zum Supervisor oder Coach gestalten werden. Die Attraktivität guter Weiterbildung besteht für die Teilnehmenden im Erwerb eines akademischen Titels bzw. in unserem Fall in einem an der Hochschule erworbenen Zertifikat inklusive 40 Credits. Es ist zugleich mit einer Anerkennung als DGSv-Supervisor/-in verbunden und damit mit einer höheren beruflichen und gesellschaftlichen Anerkennung bzw. besseren Chancen auf dem Beratungsmarkt.

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Lehrsupervision als Element der Weiterbildung Seit 2010 bieten wir an der ASH im Bereich von Supervision und Coaching Zertifikatskurse an. Angesiedelt sind die Zertifikatskurse im Zentrum für Weiterbildung, das zur Schärfung des Weiterbildungsprofils der ASH gegründet wurde und wertvolle Arbeit bei der Koordinierung und Unterstützung der Verwaltungstätigkeiten leistet. Die Lehrsupervision ist dabei als integraler Bestandteil der Supervisionsweiterbildung durch einen formalen Kontrakt zwischen dem Zentrum für Weiterbildung und den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren geregelt. Das Zentrum für Weiterbildung hat eine eigene Gebührenordnung, nach der sich auch die Honorare für Lehrsupervisoren und -supervisorinnen gestalten und die deshalb in den Kursgebühren enthalten sind. Zu Beginn gab es unsererseits Zweifel, ob der so standardisierte formale Kontrakt und die einheitliche Honorargestaltung auch den Vorstellungen der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren, die wir gewinnen wollten, entsprechen und genügen würden. Die Zweifel haben sich als unbegründet erwiesen: Motivierend haben offenbar der auch international gute Ruf der ASH sowie die eigene professionelle Neugier und Lust auf Engagement für den supervisorischen Nachwuchs gewirkt. Auch ist es für viele Lehrsupervisorinnen wie Dozenten gleichermaßen höchst attraktiv, die ASH als Auftraggeberin mit dem eigenen Profil verbinden zu können. Da die Honorare für Lehrsupervision, anders als bei anderen Weiterbildungsträgern, festgelegt und über die Hochschule bezahlt werden, fehlt den Teilnehmenden hier allerdings ein wichtiges Übungsfeld, nämlich der Verhandlungsprozess um Honorare. Ein Wermutstropfen in der Zuordnung der Supervisionsweiterbildung und damit der Lehrsupervision zum Zentrum für Weiterbildung bleibt allerdings: die fehlende innerhochschulische Wertschätzung. Diese ist mit der strukturellen Marginalisierung von Lehrsupervision in der Hochschule verbunden; sie wird auf der Ebene einer Praxisbegleitung angesiedelt. Im Zentrum für Weiterbildung selbst werden dagegen die Supervisionszertifikatskurse zunehmend wertgeschätzt und auch interne Kooperationen aufgebaut, wie jüngst eine durch Teilnehmende angebotene Reihe zu Supervision im Kontext von Migration, Flucht und Asyl.

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Das Konzept der Lehrsupervision an der ASH Zum Kurskonzept allgemein Individuell und als Gruppe lernen: Das Ziel dieser dreijährigen, in 19 Modulen aufgebauten Weiterbildung ist es, die Lernenden zu befähigen, eigenständig gute Supervision durchzuführen und am Markt zu bestehen. Das Konzept des Zertifikatskurses hat dementsprechend die Aufgabe, die Komplexität der Supervision und des Coachings in der Arbeitswelt in ausgewiesenen Ansätzen theoretisch wie praktisch zu vermitteln. Im Fokus steht einerseits der individuelle Lernprozess der einzelnen Teilnehmenden im Hinblick auf ihre Rolle als Supervisorin und Coach. Die Teilnehmenden werden durchgängig unterstützt, eigene Lernfelder zu definieren und die eigenen Lernziele kontinuierlich zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Dies bezieht sich auch auf die ab Modul 4 startende Einzellehrsupervision und die nachfolgende, ab dem 10. Modul beginnende Gruppenlehrsupervision. Dem liegt das Prinzip der Selbststeuerung und Eigenverantwortung der Teilnehmenden zugrunde. Hierzu gehört auch die eigenverantwortliche Gestaltung des Selbststudiums, also der Vertiefung des in den Modulen präsentierten theoretisch-thematischen Wissens durch Literaturstudium, durch Erproben und durch den Austausch darüber in den bis sechs Personen großen Lerngruppen, die kontinuierlich selbst organisiert stattfinden. Das Prinzip der Selbststeuerung und Eigenverantwortung gilt auch für die Weiterentwicklung und das Controll­ ing der auch individuell definierten Lernfelder im Hinblick auf die Lernsupervision sowie auf den Transfer der Kenntnisse und Kompetenzen in die eigene, sich entwickelnde supervisorische Praxis. Ein weiterer Fokus ist der Lernprozess in der Gruppe, der auch durch Lernen über Erfahrungen mit der Gruppe erfolgt. Dies bezieht sich sowohl auf das Lernsetting als Weiterbildungsgruppe von in der Regel 18 Teilnehmenden in den thematischen Modulen als auch auf das Setting der Gruppenlehrsupervision in vier Untergruppen mit jeweils bis zu sechs Personen. Nicht nur im Setting der Gruppenlehrsupervision, sondern auch in der Gesamtweiterbildungsgruppe wird die Gruppe als Resonanzraum und Lernfeld in vielfältiger Weise immer wieder mit einbezogen, sowohl im Hinblick auf die individuelle Entwicklung der Teilnehmenden als auch im Hinblick auf kollektive Lernerfahrung und deren Relevanz für die Rolle als Supervisorin oder Supervisor. Prinzip Kompetenzorientierung: Eine der tragenden Säulen des modularisierten Weiterbildungskonzeptes ist die durchgängige Kompetenzorientierung. Sie beschreibt, was Lernende nach Abschluss eines Moduls an Wissen, Fähigkeiten

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und Haltung erworben haben sollen. Dabei knüpft die Weiterbildung bewusst an bereits erworbenes fachliches Wissen, an persönliche und soziale Kompetenzen an und unterstützt die Teilnehmenden gezielt, selbst gesteuerte Lernprozesse zu initiieren und diese etwa in Form eines Lerntagebuchs zu dokumentieren. Kompetenzorientierung und -bündelung ist auch leitendes Prinzip bei der Auswahl der Lehrsupervisorinnen und der Dozenten. Im Zertifikatskurs werden die Teilnehmenden von einem Team beratungspraktisch wie didaktisch hoch qualifizierter Dozentinnen und Dozenten – in der Hälfte der Module im Teamteaching – unterrichtet. Sie sind meist zugleich auch DGSv-anerkannte Supervisorinnen und -supervisoren mit ausgewiesenen Beratungsprofilen in den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Soziale Arbeit. Wir haben uns bewusst für die Feldexpertise passend zur Schwerpunktsetzung der Weiterbildung entschieden und damit auf die Integration von feldfremden Experten, z. B. aus Branchen der Finanz-, Verwaltungs-, Betriebswirtschaft oder aus technischen Bereichen, verzichtet. Bei der Auswahl der Dozentinnen und Dozenten ist entscheidend, dass sie nicht nur Inhalte kompetent und an den bereits vorhandenen sowie noch zu erlangenden Kompetenzen der Teilnehmenden orientiert vermitteln können, sondern vor allem auch ausgewiesene Praktiker sind und sich im Kurs als Lernmodell für die Rolle als Supervisorin oder Supervisor zur Verfügung stellen. Sie haben sozusagen einen doppelten Rollenauftrag als vorwiegend Lehrende und als Rollenmodell im Austausch zu supervisorischen Themen. Dadurch erleben die Teilnehmenden unterschiedliche Rollenmodelle und die vielfältigen Herangehensweisen in verschiedenen Feldern und Arbeitsbereichen der Supervision und des Coachings. Dies entspricht auch dem methodenpluralen und schulenübergreifenden Ansatz der Weiterbildung. Unser Verständnis von Lehrsupervision Unser Lehrsupervisionskonzept orientierte sich von Beginn an konsequent an professionellen State-of-the-Art-Diskursen, also konkret an den »Standards für die Qualifizierung zur/zum Supervisor/in der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V.« (DGSv, 2012). Dazu gehören für uns auch klare Anforderungen an die Lehrsupervision, die sich an die »Standards für die Übernahme der Tätigkeit als Lehrsupervisor/in« anlehnen, die aus fachlicher Sicht bedauer­licherweise außer Kraft gesetzt wurden (DGSv, 2004)4. 4 Wir greifen in Bezug auf Lehrsupervision hier auf die alten »Standards für die Übernahme der Tätigkeit als Lehrsupervisor/in« der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. (2004) zurück, die mit Wirkung zum 01.01.2005 in der DGSv außer Kraft gesetzt wurden.

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Die Leitfrage für uns ist dabei: Welche Fähigkeiten, Haltungen, welchen Habitus müssen die Lernenden entwickeln, um durch das professionelle Nadelöhr Lehrsupervision zu schlüpfen und um die Weiterbildung erfolgreich abschließen zu können? Hier sind Kernkompetenzen als eine professionsleitende Systematik gefragt, die formuliert, was von guten Supervisorinnen und -supervisoren erwartet wird. Diese Kompetenzorientierung basiert also auf den Standards der DGSv (2012), sie entspricht dem Europäischen und Deutschen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen von 2011 (AK DQR, 2011); den Ergebnissen von Tuning Educational Structures in Europe (www.unideusto.org/tuningeu) und den Arbeitsergebnissen des ECVision-Projekts (Ajdukovic et al., 2015). Unser Lehrsupervisionskonzept wird fortlaufend evaluiert und fortgeschrieben. Es bezieht aktuelle gesellschaftliche wie berufsständische Entwicklungen und Diskurse auch mit den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ein. Die Lehrsupervision als Kernstück der Weiterbildung

Bis zum Abschluss der Weiterbildung unterstützt die Lehrsupervision die Teilnehmenden in ihrer professionellen Qualifizierung und bei der Entwicklung einer supervisorischen Identität. Dabei wird die eigene Supervisionsarbeit im Rahmen der Weiterbildung der Teilnehmenden (Lernsupervision) durch (Selbst-)Reflexion und Beratung begleitet und unterstützt. Lehrsupervision beinhaltet dabei neben der reflexiven Bearbeitung aller im Hinblick auf die neue Rolle der Teilnehmenden als Supervisorinnen und Coaches bezogenen Fragen auch instruktive, fachlich beratende und lehrende Elemente. Sie dient so der Optimierung und Kontrolle der Lernsupervisionsprozesse der Teilnehmenden und ihrer Rolle als Supervisorinnen und Coaches. Lehrsupervision unterstützt zudem die Planung, Vorbereitung und Nachbereitung der lernsupervisorischen Sitzungen. »Im Mittelpunkt steht der Lehrsupervisand und sein Vorgehen, ohne dass die jeweiligen Klienten leiden müssen. Ich erlebe immer wieder sehr gut vorbereitete (Lern-) Supervisionen, die als Hintergrund dienen müssen, jedoch in der Regel so nie eingehalten werden können« (FM).

Lehrsupervision fungiert in der Weiterbildung als ein geschützter Raum, in dem Fragen, Selbstzweifel, Unsicherheiten usw. geklärt werden können: »Mein Eindruck ist, dass die Institution Hochschule einen Sicherheit und Vertrauen gebenden Einfluss auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer hat. Denn sie begeben sich in einen Lernprozess, in dem ja die Aneignung einer professionellen Identität

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das Ziel ist. Das bedeutet, Unsicherheit, Zweifel und Ambivalenz auszuhalten. Angesichts dieser Zumutungen ist ein institutioneller Rahmen hilfreich, der Kompetenz in der Begleitung von persönlich herausforderndem Lernen vorzuweisen hat. Dieser Verlässlichkeit ausstrahlende Aspekt der Institution Hochschule, der positiv auf die prekäre Balance von einerseits Sicherheit, Orientierung, Neugier und andererseits Selbstzweifel wirkt, ist natürlich nur ein Wirkelement neben der Rolle, die Dozenten, die Inhalte usw. spielen« (PJ).

Neben der Reflexion der eigenen praktischen Lernfälle und Übungsfelder dient Lehrsupervision vor allem der Entwicklung der supervisorischen Identität, Haltung und des eigenen Beratungsprofils zur künftigen Existenzsicherung. »Mit der Ausbildung wird ein zusätzliches berufliches Standbein angestrebt. Das Thema Akquisition ist ebenfalls wichtig« (RH).

Lehrsupervision bietet so Raum, um die ersten professionellen Schritte gründlich zu analysieren und sich mit den Stärken und Schwächen im eigenen professionellen Handeln, in der Haltung zu Klientinnen bzw. Kunden kritisch auseinanderzusetzen, »blinde Flecken« zu bearbeiten und anderes. Die in der Weiterbildung erworbenen Kenntnisse und berufsethischen Prinzipien und Haltungen sollen gefestigt werden. Zudem soll das eigene beratungspraktische Handeln im Lernsupervisionsprozess reflektiert und durch Fallsupervision und Protokolle kontrolliert werden. Lehrsupervision ist auch Kontrolle

Die Lehrsupervision ist somit nicht frei von Bewertung. Der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin soll durch Feedback während des Lehrsupervisionsprozesses die Fähigkeiten der Teilnehmenden einschätzen und einstufen. Dies bietet den Lernenden die Chance, sich an eigenen Stärken zu erfreuen, sie auszubauen und an Schwächen zu arbeiten. Eine solche Einschätzung und eine letztlich durch Wertschätzung gekennzeichnete Bewertung der Entwicklung der Teilnehmenden in ihrer Rolle als Supervisorin und Coach durch ihre Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ist vor allem für den Abschluss der Lehrsupervision vorgesehen. Neben der Bestätigung im Abschlussbericht über die Teilnahme an der Lehrsupervision und Durchführung der erforderlichen Lernsupervisionsprozesse bescheinigen die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ihren Teilnehmenden auch die Eignung (oder Nichteignung) als Supervisorin und Coach. Sie sind also die mit entscheidende Instanz, die den Teilnehmenden die Befähigung ausspricht, in die Rolle des Supervisors oder der Supervisorin zu schlüpfen.

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Die Exklusivstellung der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren

Im Zertifikatskurs lernen die Teilnehmenden eine Reihe ausgewiesener Expertinnen und Experten kennen, die alle auch langjährig praktisch tätig sind. Jede und jeder von ihnen hat in der Praxis eine Vielzahl an Rollen inne, die auf die Dozentinnen- oder Lehrsupervisorenrollen wirken. Durch die strikte personelle Trennung von Lehrsupervisoren- und Dozentenrolle werden die Teilnehmenden in der Regel nur von zwei Personen als Lehrsupervisorinnen oder -supervisoren begleitet: eine Person als Einzellehrsupervisorin und eine andere als Gruppenlehrsupervisorin bzw. -supervisor. Dies führt einerseits zu einer Exklusivstellung der Einzellehrsupervisorinnen und -supervisoren und zu einer vertrauensbasierten Lehr-Supervisionsbeziehung. Die Beziehung zur Lehr­supervisorin ist in diesem Setting insofern exklusiver Art, als diese Beratungsbeziehung anders als zu den Dozentinnen und zu uns als Kursleiterinnen ist. Sie bietet den Raum zur Reflexion persönlich berührender Fragen, Unsicherheiten, Ängste und Irritationen, die mit der Genese der professionellen Identität als Supervisorin oder Supervisor verbunden sind, und die Teilnehmende in der Gruppe oder den Kurs­leiterinnen nicht offenlegen wollen oder können. Die Einzellehrsupervision bietet einen anderen Halt und Rückhalt. Andererseits vergleichen die Teilnehmenden immer wieder das praktisch erlebte Rollenmodell der Lehrsupervisorinnen mit den Dozentinnen und Kursleiterinnen. Durch die Rollenvielfalt der Expertinnen und Experten und ihrer jeweils unterschiedlich praktizierten Konzepte erleben sie so direkt und indirekt diverse Rollenvorbilder zur Identifikation oder Gegenidentifikation. Kontraktgestaltung Es sind zwei Settings der Lehrsupervision vorgesehen: Die Lehrsupervision findet ab dem 4. Modul als Einzel- und ab dem 10. Modul als Gruppenlehrsupervision mit vier bis sechs Teilnehmenden statt. Sie begleitet die Teilnehmenden bis zum Ende der Weiterbildung. Im Viereckskontrakt zwischen der ASH, den Teilnehmenden, den Lehr­ supervisorinnen und -supervisoren und der Kursleitung, die durch zwei Personen erfolgt, sind formal die Aufträge der beteiligten Personen, ihre Rechte, Pflichten, die Rahmenbedingungen (Zeit, Dauer, Ort, Teilnahmepflicht und Fehlzeitenregelung, Umgang mit versäumten Terminen, Vertraulichkeit, Weitergabe von Informationen von wem an wen und wann) und das Honorar geregelt. Grundlage dieser Kontrakte sind auch die von der Kursleitung festgelegten »Leitlinien zur Lehrsupervision« (Geißler-Piltz u. Klinkhammer, 2012), die nach der Evaluation einzelner Kurse fortgeschrieben werden.

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Zwischen Lehrsupervisorin und Teilnehmerin werden im Einklang mit den Rahmenbedingungen jeweils individuelle Kontrakte geschlossen. Folgende Fragen sind hier z. B. jeweils auch individuell zu vereinbaren: Was soll spezifischer Inhalt der Kontrakte mit dem Teilnehmer sein? Welche konkreten Informationen werden wann und wie an die Kursleitung weitergegeben? Wie soll das Kontraktprozedere ablaufen? Dazu gehört auch die Vereinbarung schriftlicher Lernziele für die Teilnehmenden, z. B. in Form einer Lernagenda, einer SWOT-Analyse oder bildlicher Darstellungen. »Der Lehrsupervisand und ich verhandeln miteinander, welche Lernschritte er oder sie jeweils machen möchte, wir orientieren uns an den Vorgaben des Ausbildungsinstituts« (FM).

Diese Lernziele werden durch Kursleitung und Teilnehmende in den Modulen gut vorbereitet und nach der Kontraktierung der Leitung des Zertifikatskurses durch die Teilnehmenden übermittelt. Die Lernziele können im Laufe des Lehrsupervisionsprozesses verändert werden. Die Anfangszielsetzung dient im Austausch zwischen Kursleitung und Lehrsupervisorin der Orientierung im Hinblick auf die Entwicklung und Bewertung der Teilnehmenden.

Erfahrungen mit dem Lehrsupervisionskonzept Das Erleben von Lehrsupervision in der Fülle von Modulen Die thematischen Lern- und Lehrinhalte werden in den Präsenzzeiten und Modulen von verschiedenen hoch qualifizierten Dozentinnen und Dozenten vermittelt. Sie stellen jeweils ihr spezifisches themenbezogenes Wissen, ihre fachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten wie auch ihre langjährigen Praxiserfahrungen zur Verfügung. An diese Fachdozentinnen und -dozenten übergibt die Kursleitung die Verantwortung für bestimmte Module mit dem Auftrag, durch ihr Lernkonzept die fachlichen und überfachlichen Kompetenzen der Teilnehmenden zu fördern. Dem liegen im Weiterbildungskonzept integrierte Modulbeschreibungen zugrunde, die im Bologna-Sprachgebrauch Lernziele, -inhalte, -formen und Learning-Outcome sowie grundlegende Literatur umreißen. Die modulare Gestaltung des Kurses bringt einen regen Dozentinnenwechsel mit sich, der zumeist als bereichernd erfahren wird: Ein Schatz an Wissen

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und Erfahrung wird vermittelt. Auch ist der spannungsreiche Lernkontext ein Übungsfeld für die angestrebte berufliche Praxis. Die thematische Vielfalt wirkt auch in die Lehrsupervision hinein: »Die Themenbandbreite ist allein durch die Unterschiedlichkeit der Dozentinnen und Dozenten an der Hochschule weiter, in der Lehrsupervision ist deshalb mehr Bedarf, zu sortieren und auf Verwertbarkeit für die eigene Praxis zu überprüfen« (AS).

Die besondere Funktion der Lehrsupervisorin als Haltgeberin

Diese Art des Lernens ist ohne Zweifel eine Herausforderung, gilt es für die Teilnehmenden doch, die Wissenserweiterung und die gewonnenen Erfahrungen in den eigenen Wachstumsprozess zu integrieren. Hier bietet die Lehrsupervision Halt und Unterstützung. Im Kontrast zum modularisierten Zertifikatskurs bietet sie den Teilnehmenden Kontinuität und Stabilität, baut emotionale und verlässliche Beziehungen auch für schwierige Zeiten und Lernsituationen auf. Sie bieten auch eine wohlwollende Reibungsfläche für konfliktträchtige Themen. Durch Reflexion der durchgeführten Lernsupervisionen haben die Lehrsupervisorinnen unmittelbare Einsicht in persönliche, fachliche und methodische Fähigkeiten, Lernfelder und Schwächen »ihrer« angehenden Supervisorinnen und Supervisoren. Die dadurch entstehende persönliche Nähe vermittelt den meisten Teilnehmenden ein Gefühl des Gehaltenwerdens, das die Kursleiterinnen nur bedingt und die Dozentinnen und Dozenten in der Regel nicht leisten können. Dies führt zu regelrechten Herausforderungen: Es entsteht bisweilen eine durch vielfältige Ambivalenzen geprägte Lernbeziehung, aus der die Loslösung schwerfallen kann, da einige Teilnehmende ansatzweise eine »zweite Adoleszenz« (Knigge-Illner, 2002) durchleben. Eine Art Verführung besteht hier darin, als Lehrsupervisorin oder -supervisor in eine – zum Beispiel im Sinne der Transaktionsanalyse nach Eric Berne – unbewusst inszenierte Elternrolle für Teilnehmende hineinzugeraten. Darüber hinaus besteht die Verführung oder Herausforderung im Sinne der »zweiten Adoleszenz« darin, im Rahmen des Prozesses den Wechsel von Lernmodell und Vorbildfigur zur Kollegin oder zum Kollegen auf Augenhöhe zu vollziehen. Diese unvermeidbaren Ambivalenzen in der Rolle als Lehrsupervisorin, einerseits Profi, Vorbild, Kontrolleur, Befähiger, Anleiterin und Türwächterin am Eingang zur Profession zu sein und andererseits im Lauf der Lehrsupervisionsbeziehung zunehmend Augenhöhe herzustellen, gilt es auszuhalten und im Sinne der Identitätsentwicklung der Teilnehmenden zu gestalten. Dies wird beispielhaft von einer Lehrsupervisorin beschrieben:

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»In der Lehrsupervision verhalte ich mich eher kollegial. Ich baue ein anderes Vertrauensverhältnis auf, das eher auf Gleichberechtigung basiert, um die zukünftige Kollegin oder den zukünftigen Kollegen zu ermutigen, ihre Möglichkeiten und Kompetenzen kennenzulernen. Gleichzeitig unterstütze ich sie fachlich, ihre Fähigkeiten einzusetzen und neues Terrain zu erproben. Mein Anliegen ist, die anfängliche Unterstützung in Strategien, Methoden und Struktur in eigenständige Ideen und Handeln zu entwickeln« (FM).

Die Herstellung einer ausgewogenen Balance von professioneller Kooperation und Konkurrenz, Nähe und Distanz ist dabei eine immer neu zu lösende Herausforderung im gesamten Beratungsprozess. Dazu bedarf es von Beginn an eines Vertrauensverhältnisses: »In der Lehrsupervision ist die Dynamik und Strukturierung einer vorbereiteten Sitzung oft Schwerpunkt, die Frage, ob man richtig ist und Anerkennung erhält und der Lernprozess in fortgesetzten Supervisionen verstanden wird. Ich erlebe immer wieder ein großes Bedürfnis nach Erlernen und Verstehen von Strategien, Erkennen der Probleme und der Möglichkeit eines souveränen Umgangs mit den Klienten. Dazu gehört ein Bedürfnis, schnell ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zu mir als Lehrsupervisorin zu entwickeln, um auch mit kritischem Feedback umgehen zu können« (FM).

Die Hochschule als Lern- und Leistungsort

Im Weiterbildungskurs werden diverse Erinnerungen aus dem Erststudium der Teilnehmenden getriggert. An »gute« Professorinnen und Lehrende, die unterstützend, zugänglich oder beeindruckend erschienen, und an diejenigen, die zu Höchstleistungen beflügelten, erinnert man sich gern. Vom Lernort Hochschule könnte jedoch ein falsches Bild entstehen, wenn nicht auch die Seite der unerbittlichen Konkurrenz, des Leistungs- und Bewertungsdrucks und der Angst vor Leistungsversagen angesprochen würde. Mit ihren hierarchischen Strukturen differenzieren Hochschulen deutlich nach akademischen Leistungen, Titeln und Erfolgen. Die Teilnehmenden bringen entsprechend auch leistungs- und bewertungsorientierte Themen und Dynamiken in die Lehrsupervision ein, etwa Fragen wie: »Was fehlt mir noch für meine Leistungsnachweise und für die ECTS-Punkte?« (AH).

Bei einigen Teilnehmenden melden sich während der Weiterbildung alte und aktuelle Versagensängste. Sie treten dann auf, wenn es um zu erbringende Leistungen geht oder um mächtig erlebte Personen, denen sie sich ausgeliefert fühlen.

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Gerade in solchen Situationen, wenn die Schattenseiten von Hochschulen in den Vordergrund treten und sie insbesondere die Psyche sichernde Strukturen verweigern, ist die Lehrsupervision der verlässliche Raum auch zur Thematisierung persönlicher Ängste. Lehrsupervision ist dabei für die Teilnehmenden nicht nur in persönlichen Lernkrisen von Bedeutung. Die Reflexion der vollzogenen Lernschritte als Supervisorin oder Supervisor ist auch ein Baustein für die supervisorische Identität. Lernkrisen sind ohne Zweifel ein integraler Bestandteil des Identitätsentwicklungs- und Lernprozesses, in dem auch die damit verbundenen Emotionen angemessen bearbeitet, reflektiert und so nutzbar gemacht werden können. Die Hochschulkultur unterscheidet sich von der Kultur von Weiterbildungen in kirchlicher oder freier Trägerschaft insofern auch, als ihre inhärenten Hierarchisierungen sowie der Status von Professorinnen und Professoren stark auf die Gruppendynamik und die Wahrnehmung von Leitung einwirken. In der Gruppe kann es aufgrund der in der Hochschulkultur stark ausgeprägten Leistungsorientierung und Bewertungsrituale zu entsprechenden Spiegelphänomenen kommen. Teilnehmende erinnern sich an die Benotung oder die Auswahl der Besten z. B. bei der Zulassung zum Master. Die in der Weiterbildung vorhandenen normalen Konkurrenzen innerhalb einer Weiterbildungsgruppe, z. B. darum, wer schneller die mit dem Zertifikat verbundenen Nachweise, etwa die Lernsupervisionen, absolviert oder wer in Lernsupervisionsprozessen bereits gute Honorarsätze verhandelt und sich parallel zur Weiterbildung auf dem Markt präsentiert und platziert, können durch den von Konkurrenz geprägten Hochschulkontext verstärkt werden. So schwingt in der Beziehung zu uns als Kursleiterinnen oftmals die Erfahrung mit Professorinnen und Professoren z. B. aus unangenehmen Prüfungserfahrungen aus der Hochschulsozialisation mit, insbesondere bei Konfliktlagen in der Weiterbildungsgruppe. Auch wird insbesondere mit der professoralen und wissenschaftlichen Kursleitung Macht assoziiert, die über die Macht der Rolle als Weiterbildungskursleitung hinausgeht. Auch können entsprechende Projektionen auf die Kursleitung (seltener auf die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren) entstehen, die vor diesem kulturellen Hintergrund zu verstehen sind. Die Perspektive der Lernenden auf die Lehrsupervision In der Betrachtung der Lehr-Lernsituation hat die Perspektive der Teilnehmenden ein besonderes Gewicht. Lehrsupervision ist eine obligatorische Veranstaltung, die im Kurskonzept gut eingebettet erscheint und mit einem Hochschul-Vertrauensvorschuss akzeptiert wird. Das gilt weitgehend auch für die

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Zuordnung von Teilnehmenden und Lehrsupervisorinnen. Die Teilnehmenden sind im Matching-Verfahren nicht »ausgeliefert«, sondern wählen im Gruppenkontext und begleitet von uns als Kursleiterinnen eine Lehrsupervisorin oder einen Lehrsupervisor aus einer von der Hochschule zur Verfügung gestellten Lehrsupervisoren-Liste. Gleichwohl ist als ein Nachteil hier festzuhalten, dass einige Teilnehmende es als eine Art Zwang erleben, nicht – wie sonst im Hochschulkontext und bei vielen Weiterbildungsträgern – frei, sondern eine Lehrsupervisorin oder einen Lehrsupervisor nur aus der vorgegebenen Liste zu wählen. Konzept der Joint Competences

Bei der Erstellung dieser Liste folgt die ASH, wie bereits erwähnt, dem Konzept der Kompetenzbündelung oder dem der »Joint Competences« (Petzold, 2007, S. 114). Der Pool ist zusammengesetzt aus qualifizierten Lehrsupervisorinnen und -supervisoren mit diversen Kompetenzen, Lehr- und Felderfahrungen. Das Profil und die Kompetenzen jeder Lehrsupervisorin gewährleisten eine komplexe bzw. differenzierte Sicht auf die Erfahrungen, Fähigkeiten, Haltungen und auch das theoretische Wissen der Teilnehmenden. Von diesen Joint Competences, die für uns als Kursleiterinnen nur indirekt über Berichte der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in deren Konferenzen lebendig erlebbar werden, profitieren die Teilnehmenden. Sie lernen im Austausch in ihren Peergruppen, wie unterschiedlich Supervisorinnen und Coaches sein können und dürfen und wie sich dies auf Supervisions- und Coachingprozesse auswirken kann. Das Erleben von Diversität wirkt einladend, an der Persönlichkeit und Entwicklung des eigenen supervisorischen Kompetenzprofils weiterzuarbeiten. Es bewirkt jedoch auch, dass die Teilnehmenden ihre Erfahrungen mit den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren untereinander vergleichen, diese bewerten und gegebenenfalls infrage stellen, was Konkurrenzdynamiken auslösen kann. Konfliktmanagement in der Lehrsupervision: Das Dreieck als Kommunikations- und Konfliktmodell

Unser Konzept der Lehrsupervision beinhaltet eine immer wieder neu zu verhandelnde Balance zwischen den Vorgaben des Konzeptes und Leitungsentscheidungen einerseits und den vielfältigen Vorgehensweisen und Prozessgestaltungen der Beteiligten andererseits. Auch die Teilnehmenden gestalten das Dreieck mit: Sie müssen sich dabei auch mit Konflikten um diese Vorgehensweisen und um die Prozessgestaltungen der Lehrsupervisorinnen oder der Kursleiterinnen auseinandersetzen. Letztlich ermöglicht dies eine gesunde Genese und Verortung einer eigenen supervisorischen Identität und eines eigenen Supervi-

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sionskonzeptes. Die Kommunikation im Dreieck ist deshalb ein durchgängiges Prinzip der Weiterbildung. Irritationen, Störungen und Konflikte in der Lehrsupervision werden – wie in den anderen Lernsettings auch – jeweils in dem Lernort selbst bearbeitet, an dem sie entstehen. Sie dienen dem Lernprozess. Nur Konflikte, die in der Lehrsupervision entstehen und in der Dyade nicht gelöst werden können, werden von den Kursleiterinnen gemanagt. Das führt in der Regel im Einzelfall zu getrennten und/oder gemeinsamen Gesprächen von Lehrsupervisorin und Teilnehmerin mit den Kursleiterinnen, die mit den Betroffenen Lösungen suchen. Im Konflikt- und Krisenfall – so unsere Erfahrung – ist es wichtig, dass die Kommunikation zeitnah und im Dreieck erfolgt. Dabei sind doppelte Loyalitäten und das Dreieck als Konfliktmodell unverzichtbar. Unüberwindbare Störungen in der Beziehung werden früh offenbar. Ein zentraler Raum zur Konflikt- und Krisenintervention ist die Sprechstunde der Kursleiterinnen, verstanden als angebotene Beratung zu individuellen Fragen. Hier können z. B. Fragen zur Lehrsupervision, zur Anerkennung von Prüfungsleistungen, zur Kompensation von Fehlzeiten oder zu anderen individuellen weiterbildungsbezogenen Konflikten geklärt werden. Andererseits bietet die Lehrsupervision selbst auch Raum für die Reflexion von Konflikten in der Weiterbildungsgruppe oder mit der Kursleitung: »Mein Eindruck ist ferner, dass ich nicht als ›Teil‹ der ASH wahrgenommen werde. Meine Hypothese wäre, dass dieser Unterschied dazu beiträgt, dass Probleme oder Themen aus dem ›Unterricht‹ mehr in die Lehrsupervision getragen werden« (AS).

Die Konferenz der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren: Austausch, Feedback, Bewertung und Weiterbildung Halber Tag, volle Aufmerksamkeit

Jährlich lädt die ASH zu einer halbtägigen Konferenz der Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren ein. Sie dient dem Austausch über die Entwicklungsprozesse der einzelnen Teilnehmenden und der Klärung allgemeiner Fragen: Wie finden die Teilnehmenden in die Supervisorenrolle und die neue Identität hinein? Welche Lernprozesse, Fortschritte und Lernhindernisse sind wahrnehmbar und kommunizierbar? Wie läuft die individuelle Entwicklung im Vergleich zur Gesamtgruppe? Die Teilnehmenden sind vorab über die Konferenzen informiert und haben mit ihrer Lehrsupervisorin oder ihrem Lehrsupervisor thematisiert, welche

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Informationen und Rückmeldungen über ihre Entwicklung im Rahmen der Konferenz weitergegeben werden. Der immer wieder informell hergestellte Dreieckskontrakt erweist sich auch hier als sehr konstruktives und adäquates Konfliktmodell: Das offene Feedback- und Austauschmodell zwischen den drei Beteiligten ist ein konflikterzeugendes und zugleich -lösendes Modell. Die Konferenzen bieten so Raum, lehrsupervisionsbezogene Konflikte zwischen Lehrsupervisorin und Kursleiterinnen, zwischen Kursleiterinnen und Hochschule, zwischen Teilnehmenden und Lehrsupervisor usw. zu verstehen, zugleich Grenzen zu markieren und Lösungen zu generieren. Die Konferenz bietet einen themenbezogenen Austausch und zugleich eine Weiterbildung an, in der die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung oder Strategien zu gruppenspezifischen Herausforderungen diskutiert werden. Um einen kurzen Eindruck zu vermitteln: In den Konferenzen wurden beispielsweise folgende Fragen und Themen diskutiert und reflektiert: ȤȤ Wie ist mit der wiederkehrenden Frage der Teilnehmenden umzugehen, was »richtige Supervision« ist? ȤȤ Wie soll mit der Anerkennung von internen Lernsupervisionsprozessen verfahren werden, die innerhalb aktueller Beschäftigungsverhältnisse von Teilnehmenden stattfinden? ȤȤ Welche Haltung soll im Hinblick auf das Honorar für Lernsupervision vertreten werden? ȤȤ Wie wird Erfolg der Lehrsupervision definiert und gemessen? ȤȤ Wie damit umgehen, wenn eine Lehrsupervisorin eine Teilnehmerin für weniger geeignet hält? ȤȤ Ist es sinnvoll, auch ehrenamtliche Lernsupervisionsprozesse anzuerkennen oder müssen Honorare für Lernsupervisionsprozesse verlangt werden? Zu manchen Fragen konnte zwischen Lehrsupervisorinnen und Kursleiterinnen übereinstimmend und kollektiv eine Haltung erarbeitet werden, andere Fragen bleiben zur individuellen Disposition gestellt. So etwa, in welchem Umfang die Lehr- und Lernsupervisionsprozesse protokolliert werden. Bei anderen Fragen, etwa zur Verlängerung der Lehrsupervision über das Ende der Weiterbildung hinaus, sind eindeutige institutionelle und spezifische Grenzen gesetzt. Hier gilt es, nicht nur die hochschulische Praxis des Zentrums für Weiterbildung zu berücksichtigen, sondern zugleich eine Vereinbarung im Viereckskontrakt zwischen Hochschule, Kursleitung, Lehrsupervisor und Teilnehmerin zu spezifizieren. Hierbei übernimmt das Zentrum für Weiterbildung die formale Kontrolle. Die Kontrolle und Gestaltung der inhaltlichen und prozessualen Vereinbarungen verantwortet hingegen die Kursleitung.

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Die Konferenz hat auch den Charakter einer fachlichen Weiterbildung. Der themenbezogene Austausch der Konferenz ist konzeptübergreifend konzipiert, zum Beispiel durch die Präsentation unterschiedlicher Lehrsupervisionskonzepte anderer Weiterbildungsträger (Mulkau, 2014; Baumgartner, 2014) oder den Bezug zu europäischen Entwicklungen wie z. B. »ECVision. Ein Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching« (Ajdukovic et al., 2015). Auch die Mitwirkung von Lehrsupervisorinnen und -supervisoren aus der Schweiz ermöglicht einen transnationalen Blick (Baumgartner, 2008; Hassler, 2011). Die Konferenzen wirken nicht nur fachlich bereichernd auf die Beteiligten, sondern sichern zugleich die Entwicklung der Qualität der Lehrsupervisionsarbeit und des Konzeptes. Ein Evergreen der Lehrsupervision: Verfahren der Bewertung

Die Diskussion um eine »Beurteilung« durch die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ist ein immer wiederkehrendes Thema, denn es betrifft den Aspekt der Verantwortung für einen erfolgreichen Abschluss der Weiterbildung. In den Konferenzen wurden mehrfach die Kriterien für eine Bewertung »Ist als Supervisorin oder Supervisor geeignet« diskutiert und reflektiert. Gefürchtet sind Bewertungen, Beurteilungen, Assessments und Evaluationen durch ihre subjektive Prägung. Sie sagen nicht nur etwas über die Beurteilten, sondern auch etwas über die Beurteilenden wie über das Lernen in der Beziehung aus. Es fehlen verlässlichere, harte Kriterien. Hinzu kommt, dass Beurteilungen in Hochschulen einen besonderen Stellenwert haben, denn nichts ist der Organisation Hochschule so vertraut wie Leistungen und deren Einschätzung. Deshalb vertrauen die Teilnehmenden auch darauf, dass Hochschulen in der Lage sind, klare Kriterien zu formulieren, denen sowohl die Beurteilenden als auch die Beurteilten folgen können. Es gibt also den Wunsch nach »harten«, messbaren und evaluierbaren Kriterien, auf die sich Lehrsupervisorinnen und Teilnehmende stützen können. Aber was sind Kriterien des Erfolgs von Lehrsupervision? Wer überprüft die Qualität der Arbeit von Lehrsupervisorinnen und -supervisoren? Wie misst sich, ob eine Person befähigt ist, ein guter Supervisor zu sein? Nur wenige Publikationen existieren zur Lehrsupervision selbst (z. B. Boettcher u. Leuschner, 1990; Buchinger, 1997; Eckardt et al., 1997; Forum Supervision, 1997; DGSvaktuell, 1998, Positionen; Effinger, 2003). Es fragt sich, wer diese Kriterien entwickeln sollte und wie verbindlich sie sein sollen: die DGSv als Berufsverband, die Weiterbildungsstätten, die Forschung? Aus den frühen Jahren der Supervision stammen Elvira Dürr-Feuerleins »Bewertungskriterien für die Lehrsupervision« (1990), die sie als offene Form der Lernkontrolle beschreibt.

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Heute bieten sich hier vor allem die vom ECVision-Projekt erstellten Konzepte und Kompetenzen an, die sich insbesondere zur Evaluation eignen. Zwischen der Kursleitung und den Teilnehmenden wurde vereinbart, dass zu Beginn der Lehrsupervision Lernziele etwa in Form einer Lernagenda gemeinsam mit den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren erarbeitet, schriftlich fixiert und den Kursleiterinnen übermittelt werden. Das Erreichen dieser Lernziele, die eingereichten Protokolle, die Reflexion der Lernsupervisionen können so als Leistungen und als Grundlage für eine Evaluation angesehen werden. In kritischen Fällen, in denen es zwischen Lehrsupervisorinnen und den Kursleiterinnen eine unterschiedliche Einschätzung zur Bewertung von Teilnehmenden gab, wurden bislang Lösungen durch Zweier- und Dreiergespräche gefunden, z. B. die Verlängerung der Lehrsupervision, der Wechsel des Lehrsupervisors oder der Lehrsupervisorin oder der Verzicht von Teilnehmenden, ein Zertifikat zu erlangen.

Fazit: Besonderheiten der Lehrsupervision in hochschulischen Weiterbildungen In den meisten Hochschulstudiengängen ist Lehrsupervision eine »freischwebende Veranstaltung«, die hochschulintern eine eher marginale Position einnimmt. Eigentlich könnte Lehrsupervision so wie alle anderen Lerneinheiten als ein zeitlich gestrecktes Modul mit zu erwerbenden Kompetenzen beschrieben werden. Es werden hier Kompetenzen erworben, die letztlich zu einer Identität als Supervisorin oder Coach führen. Ob dieser Prozess gelungen ist, wird von der Lehrsupervisorin oder dem Lehrsupervisor am Ende der gemeinsamen Arbeit attestiert oder infrage gestellt. Auch hier folgt die Lehrsupervision den Ansprüchen der Bologna-Philosophie, die festlegt, dass die in den Modulen beschriebenen Kompetenzen in einer sinnvollen Weise evaluiert werden müssen. Die hochschulische Realität sieht aber momentan so aus, dass die Lehrsupervision unterschätzt und in ihrer Bedeutung marginalisiert bleibt. Die Kompetenzorientierung in der Lehrsupervision birgt – aus Sicht einer Lehrsupervisorin – auch grundlegende Gefahren: »Die Fachhochschulen haben große Veränderungen in der Didaktik und in den Lehrplänen gemacht. […] Die Kompetenzorientierung bedingt ein Commitment und Verständnis der Lehrsupervision. Leider sind ethische Kompetenzen bei der Kompetenzorientierung wenig bearbeitet. Für mich ist es ein Verlust. Die Selbst-

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reflexion wird dadurch stärker ausgerichtet auf Wissenskompetenzen und weniger auf Prozessführungskompetenzen, Selbstreflexion und Haltungsfragen« (AH).

Zugleich kann festgehalten werden, dass Hochschulen – trotz der rasant stattfindenden Veränderungen z. B. durch die Exzellenzinitiative, die Qualitätsoffensive Lehre oder die Bologna-Reformen und trotz der Innovation in der Forschung – tendenziell als Organisationen veränderungsresistent und wenig offen für Innovationen sind. Das Konzept der lernenden Organisation ist – obwohl oder gerade weil der Zweck von Hochschule auch in der Produktion von Lernen und neuem Wissen liegt – in der Organisation noch nicht angekommen. Der inadäquate Status der Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren Das wird besonders am widersprüchlichen Status der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren deutlich. Sie haben berufsständisch betrachtet einen Führungskräften ähnlichen hohen Status, einen »Lehr-Leadership-Seniorstatus«. In der Hochschule selbst werden sie im Hinblick auf ihren Status jedoch wie prekär beschäftigte Lehrbeauftragte behandelt und ähnlich der Praxisbegleitung angesiedelt. Auch an der ASH haben Lehrsupervisorinnen und -supervisoren keinen Hochschullehrenden- oder Dozentenstatus; ihre Veranstaltungen finden nicht in der Hochschule, sondern in privaten Praxen statt, die sich auch dem direkten Einfluss entziehen und deshalb z. B. nicht routinemäßig evaluiert werden. Gründe für den Sonderstatus liegen in der akademischen Wertehierarchie, die Wissenschaft und Forschung einen höheren Wert als der Praxis zuordnet. Zugleich versuchen wir als Kursleiterinnen bewusst, diesen niedrigen Staus im Hochschulsystem zu kompensieren und die hohe Relevanz von Lehrsupervision und unsere Wertschätzung für die Arbeit der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren an verschiedenen Stellen zur Geltung zu bringen: innerhalb der Hochschule, bei den Teilnehmenden, im Konzept und letztlich in den Kontakten und Kontrakten mit den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren selbst. Ist Lehrsupervision nicht eigentlich praktische Forschung? In der akademischen Wertehierarchie steht Theorie über Praxis, Forschung über Lehre und diese wiederum über Praxisgestaltung und -betreuung. Zudem existiert eine Hierarchisierung entlang von Profession und Geschlecht (Wetterer, 1992). Da Weiterbildungskurse nicht Teil der grundständigen und finan-

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ziell ausgestatteten Lehre (wie Bachelor- und konsekutive Masterstudiengänge) sind, erhalten sie über die Kurs- oder Mastergebühren hinaus keine Mittel. Forschung, die eine Voraussetzung zur weiteren Professionalisierung von (Lehr-) Supervision ist, ist damit praktisch unmöglich. In den meisten Bundesländern wird die Lehre entsprechend den Lehrverpflichtungsverordnungen in weiterbildenden Master oder Zertifikatskursen nicht auf das Lehrdeputat angerechnet und ist damit nachrangig zur originären Aufgabe der angestellten Hochschullehrenden und ein zusätzliches, teils nebenberuflich honoriertes »Teaching Load«. Lehrsupervision steht hier stellvertretend für die Praxis auch in den Studienbereichen, die etwa mit der Akademisierung der Sozialen Arbeit zurückgefahren worden sind. Kritiker des Bologna-Prozesses prognostizierten (Cornel, Geißler-Piltz u. Kirschning, 2008, S. 408) deshalb einen Qualitätsverlust durch eine Vernachlässigung der Ausgestaltung von Praxisphasen. Diese Tendenz ist durch besondere Forschungsaktivierung, die einen direkten Bezug zur Praxis sucht, nicht auszugleichen. Die Praxis und die hier Lehrenden brauchen eine andere professionelle Wertschätzung und Wahrnehmung, auch, weil die Lehrsupervision am Lernort Hochschule für die Teilnehmenden wichtig ist. Das bestätigen zumindest die Rückmeldungen der Teilnehmenden und Untersuchungen zur Ausbildungssupervision. Es ist denkbar, dass die dort empirisch gewonnenen Erkenntnisse sich auf die Lehrsupervision übertragen lassen (Effinger, 2002; Geißer-Piltz, 2010). Eine Intensivierung der Wissenschaft und Forschung, auch vor dem Hintergrund der hochschulorganisatorischen Kontexte und Kulturen, eröffnet die Chance einer weiteren Professionalisierung von Supervision und Coaching: und damit auch der Lehrsupervision. Die Aufgabe besteht darin, so die DGSv, den wissenschaftlichen Status von Supervision zu erhöhen, »um die Professionalisierung voranzutreiben« (DGSv, 2007, S. 27). Eine Aufgabe, die unter den bestehenden Hochschulstrukturen und vor dem Hintergrund der dargestellten Besonderheiten der Lehrsupervision eine regelrechte Herausforderung ist.

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Konsultation von Lehrsupervision – ein Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung

Consultation of supervision trainers – a concept of second-order observation Consultation meetings between the head of the supervision training course and the participating supervision trainers make up some of the most decisive aspects of the training conditions for the participants. So the two very isolated qualification systems »course« and »supervision-on-supervision« meet each other with the objective of sharing the learning and developmental status of each participant. This article explores the question, how such a consultation meeting can be designed on the background of a systemic-constructivist training concept. Zusammenfassung Konsultationstreffen zwischen der Kursleitung einer Supervisionsausbildung und den beteiligten Lehrsupervisoren und -supervisorinnen gehören für die Kursteilnehmenden zu den entscheidenden Momenten ihrer Ausbildung, weil sich hier die beiden ansonsten sehr getrennt arbeitenden Qualifizierungssysteme »Kurs« und »Lehrsupervision« begegnen mit dem Ziel, sich über den Lernund Entwicklungsstand eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin auszutauschen. Der Beitrag geht der Frage nach, wie ein solches Konsultationstreffen gestaltet werden kann auf dem Hintergrund eines systemisch-konstruktivistischen Ausbildungskonzeptes.

Eine schlichte Frage und einige Beobachtungen standen vor ein paar Jahren am Anfang der Entwicklung, die hier skizziert werden soll. Die Frage hieß: »Wie gestaltet man ein Konsultationstreffen von Lehrsupervisoren so, dass es dem eigenen Ausbildungskonzept entspricht?« Sowohl das Erzbistum Köln als Ausbildungsträger als auch BTS Mannheim, Gesellschaft für Organisationsberatung, Training und Supervision, bilden nach einem systemisch-konstruktivistischen Konzept aus. Die Lehrsupervisorentreffen waren vor zehn Jahren nichts anderes als ein Dialog zwischen der Kursleitung und dem jeweiligen Lehrsupervisor oder der Lehrsupervisorin über den Lernstand einzelner Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor einem Plenum. Dieser bilaterale Austausch ließe sich mit den heutigen technischen Mitteln auch per Skype erledigen. Ein Gruppentreffen wäre dafür nicht vonnöten. Ein gemeinsames Lernen von Kursleitung und Lehrsupervisoren im Konsultationstreffen wird vermutlich trotzdem stattgefun-

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den haben, war aber nicht explizit im Blick, vor allem nicht als Lernen in der Beobachtung zweiter Ordnung. Im Blickpunkt waren ausschließlich die nicht anwesenden Kursteilnehmenden. Ich möchte deshalb in diesem Beitrag zuerst auf die Bedeutung des Konzeptes der Beobachtung zweiter Ordnung, eines konstruktivistischen Grundprinzips, eingehen und von da aus zeigen, wie die beiden Ausbildungsinstitute Möglichkeiten und eine Struktur entwickelt haben, diesem Ansatz in der Begegnung von Kursleitung und Lehrsupervisorenkollegium Rechnung zu tragen und so auch die Konsultationstreffen anders und wirkungsvoller für sich selbst zu nutzen.

Beobachtung beobachten – eine Kurzdefinition systemischer Supervision »Was Peter über Paul sagt, sagt mehr über Peter als über Paul.«

Wer dieses Zitat googelt, der findet eine Wurzel dieses Gedankens bei Aristoteles und über Spinoza bis hin zu Paul Watzlawick ganz verschiedene Autoren, die es verwendet haben oder denen es zugeschrieben wird. Dies mag an seiner Eingängigkeit und erkenntnisöffnenden Einfachheit liegen. Denn eine gute Erkenntnis hat, weil über sie kommuniziert wurde und wird, immer mehrere Väter und Mütter. Urheberrechte sind oft schwer zu klären. Kein Zitat verdeutlicht in aller Einfachheit klarer und besser, was die Systemtheorie in Verbindung mit der Kybernetik zweiter Ordnung mit der Beobachtung zweiter Ordnung meint. Es komprimiert ein Herzstück jeder systemischkonstruktivistischen Supervisions- oder Beratungsausbildung. Während sich die Kybernetik erster Ordnung mit Regelkreisen und ihren Wechselwirkungen beschäftigt, hebt die Kybernetik zweiter Ordnung die Trennung zwischen Beobachter und zu Beobachtendem auf. Es wird beobachtet, wie der Beobachter beobachtet. So gerät der Beobachter mit seinen Kriterien der Beobachtung, seinen Vorannahmen, seinen Wirklichkeitskonstruktionen selbst in den Fokus (Kersting, 2002). Die Beobachtung zweiter Ordnung bemüht sich, den »blinden Fleck« sichtbarer zu machen, also das, was in der gewählten Beobachterperspektive nicht wahrgenommen werden kann oder soll: Der Beobachter kann nicht unmittelbar in der Handlung sein eigenes Beobachten beobachten. Eine nachträgliche Reflexion der Beobachtung erster Ordnung macht wenigstens die Bedingtheiten und Fokussierungen der vorausgehenden oder nachfolgenden Beobachtungen sichtbar. Insofern ist Supervision immer Beobachtung zweiter Ordnung.

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Es war das Verdienst von Heinz Kersting, den Theorieansatz der Kybernetik zweiter Ordnung in den supervisorischen Diskurs in Deutschland eingebracht zu haben. In mehreren Aufsätzen und Büchern hat er andere mit diesen Gedanken vertraut gemacht und sie für systemische Supervision nutzbar werden lassen (Hercher u. Kersting, 2003). In jeder Supervisionssitzung ist man mit der Dynamik konfrontiert, dass eine berufliche Situation bearbeitet wird, die nicht im Hier und Jetzt der Sitzung stattfindet, sondern irgendwo im beruflichen Kontext des Supervisanden oder der Supervisandin verankert ist. Alltagsentsprechend entsteht damit eine kommunikative Situation, als würde man im Hier und Jetzt der Supervision etwas bearbeiten, das unmittelbar im Da und Dort der beruflichen Situation etwas verändern könnte. Dabei verändert sich nur die Sichtweise, die Herangehensweise oder die Beurteilung der Situation. Der Erweis einer Wirkung im Arbeitskontext steht noch bevor und muss sich erst zeigen. Das Konzept der Kybernetik oder der Beobachtung zweiter Ordnung hebt diesen alltagstaug­ lichen, aber naiven Zusammenhang auf. Die Beratung ist nicht schon die Veränderung einer Situation, die weit weg stattgefunden hat. Im Gegenteil: Das Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung verschärft den reflexiven Charakter von Supervision, weil er Supervisor und Supervisand nicht nur reflektieren lässt über eine Situation im Da und Dort, sondern beide auch auffordert, über die der Reflexion zugrunde liegenden eigenen Wirklichkeitskonstruktionen und Vorannahmen nachzudenken und ins Gespräch zu kommen. Niklas Luhmann schreibt dazu: »Zu den wichtigsten Leistungen der Kommunikation gehört die Sensibilisierung des Systems für Zufälle, für Störungen, für Noise aller Art. Mit Hilfe von Kommunikation ist es möglich, Unerwartetes, Unwillkommenes, Enttäuschendes verständlich zu machen. Verständlich heißt dabei nicht, daß man auch die Gründe zutreffend begreifen und den Sachverhalt ändern könnte. Das leistet die Kommunikation nicht ohne weiteres. Entscheidend ist, daß Störungen überhaupt in die Form von Sinn gezwungen werden und dabei weiter behandelt werden können« (Luhmann, 1987, S. 237). An anderer Stelle sagt er lapidar, dass über Kommunikation kommuniziert werden muss, um Reflexivität herzustellen (S. 210). BTS Mannheim und das Erzbistum Köln verantworten schon seit Jahrzehnten ein systemisch fundiertes Ausbildungskonzept. Das Training der Kursteilnehmenden in der Beobachtung zweiter Ordnung stellt einen zentralen Baustein der Ausbildungskonzepte dar. Übungen, Theorieinputs und Feedbackschleifen sind so angelegt, dass die Beobachtung zweiter Ordnung ein ständiger Begleiter ist. Was aber ist mit der Lehrsupervision?

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Die Beobachtung zweiter Ordnung und die Lehrsupervision Es ist im Kontext der systemischen Ausbildungsinstitute wiederum Heinz Kersting und seinen Kolleginnen und Kollegen vom IBS – Institut für Beratung und Supervision – in Aachen zu verdanken, den Begriff der Beobachtung zweiter Ordnung auch auf die Lehrsupervision übertragen zu haben. Hier sind vor allem zwei Aufsätze in dem Band »Supervision und Qualität« (Kersting, 2001), der das Aachener Modell der Supervisionsausbildung darstellt, zu nennen: Heinz Kersting beschäftigt sich mit »Lehrsupervision als System und Begegnung« (1997). Birgit Haye und Heiko Kleve beschreiben »Lehrsupervision als Beobachten des Beobachtens« (2001). Beiden Aufsätzen ist eigen, dass sie sich mit dem Lehrsupervisionsprozess aus systemtheoretischer Sicht beschäftigen. Eine konkrete Form, die Beobachtung zweiter Ordnung in der Lehrsupervision zu etablieren, war das Aachener Modell der Triadenlehrsupervision. Allerdings blieb es hier noch dabei, die Beobachtung zweiter Ordnung innerhalb der Lehrsupervision zu etablieren. Ein Konsultationstreffen zwischen Kursleitung und Lehrsupervisoren aus systemtheoretischer Sicht war damals noch nicht im Blick.

Die Konsultation von Lehrsupervision als Beobachtung zweiter Ordnung Sowohl im Kursgeschehen als auch in der Lehrsupervision der Kurse des Erzbistums Köln und von BTS Mannheim ist das Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung bis heute etabliert und nicht mehr wegzudenken. Wenn es aber zu den über Kontrakt abgesicherten Treffen der Kursleitungen mit den im Kurs tätigen Lehrsupervisorinnen und -supervisoren kam, verlor sich die Spur. Alle Regularien waren sauber kontraktiert. Die Treffen zwischen Kursleitung und Kursteilnehmer waren als Lernstandsbestimmung verankert. Den Kursteilnehmenden war der Sinn der Konsultationstreffen klar: Sie sollten sich für diese Treffen mit ihrem Lehrsupervisor oder ihrer Lehrsupervisorin abstimmen. In den Treffen zwischen Kursleitung und den Lehrsupervisoren wurde dann aber plötzlich wieder so gearbeitet, als würde man objektiv über Kandidaten und deren Lernstand reden können. Weder die Kursleitung noch die Lehrsupervisoren legten sich gegenseitig dabei Rechenschaft über ihre Beobachtungskriterien oder Maßstäbe ab und machten ihre Bewertungen oder Beurteilungen nicht deutlich als das, was sie waren: kontextbezogene Beobachtungen aus Kursdynamik und Lehrsupervision, die mehr über die Kurs-

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leitung und Lehrsupervisoren sagten als über den Kursteilnehmer oder die Kursteilnehmerin. Dies mochte der Tatsache geschuldet sein, dass bei solchen Konsultationstreffen hoch qualifizierte Fachleute oft unter Zeitdruck zusammensaßen. Die Ausblendung der Rechenschaftspflicht über die eigenen Beobachtungen schien hinnehmbar. Außerdem zeigte sich ein aus der Gruppensupervision bekanntes Phänomen: Es entwickelte sich zu jedem Kandidaten jeweils vor den anderen Teilnehmenden der Konsultationstreffen ein Gespräch zwischen Kursleitung und jeweiligem Lehrsupervisor oder jeweiliger Lehrsupervisorin, aber ohne Beteiligung der anderen Teilnehmenden. Was sollten sie auf einer Ebene der Beobachtung erster Ordnung auch zu einem Kursteilnehmer sagen, der ihnen unbekannt war? Es fand eine Einzelberatung in der Gruppe statt. Nachdem dieses Problem deutlich wurde, begannen die Überlegungen zu einer Neukonzeption der Lehrsupervisionstreffen. Das hat uns bewogen, das Konzept der Beobachtung zweiter Ordnung auch integral in die Konsultationstreffen einzuführen und zum Standard zu machen. Wir haben immer wieder experimentiert, verändert, Erfahrungen gesammelt und haben bis heute folgende Ablaufform entwickelt. Ablauf einer Lehrsupervisionskonsultation Der Ablauf des Lehrsupervisionstreffen gliedert sich in zwei Abschnitte mit jeweils drei Schritten. Im ersten Abschnitt kommt es zu einer Reflexion über den bisherigen Kursverlauf, über konzeptionelle Akzentsetzungen und Besonderheiten des laufenden Kurses, im zweiten Abschnitt geht es um den Lernstand der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Allgemeine Kursreflexion

1. Schritt: Die Kursleitung beschreibt ihre Beobachtungen der Entwicklung des gesamten Kurses, benennt Besonderheiten und reflektiert vor den Lehrsupervisoren und -supervisorinnen sowohl inhaltliche als auch gruppenspezifische Besonderheiten dieses Kurses. Sie gibt damit einen Einblick in ihre Grundüberzeugungen und deren Transfer in das Curriculum und die Didaktik eines konkreten Kurses. Und gleichzeitig unterliegt sie demselben unausweichlichen Prinzip, nichts anderes als die eigene Sicht beschreiben zu können. Die Beschreibungen bewegen sich auf der Ebene erster Ordnung. 2. Schritt: Die Lehrsupervisoren und -supervisorinnen werden eingeladen, die Beobachtungen der Kursleitung zum Gesamtkurs mit Beobachtungen aus ihren Lehrsupervisionen zu ergänzen und die Beobachtungen der Kursleitung

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zu reflektieren. Was erzählen die Teilnehmenden über den Kursverlauf, über Krisen und Höhepunkte eines Kursteils, welche gruppenspezifischen Beobachtungen gibt es? Werden durch kursbezogene Beobachtungen aus der Lehrsupervision Ausblendungen der Kursleitung wahrnehmbar? Können die Lehrsupervisoren Beobachtungen hinzufügen, die der Kursleitung eine andere oder ergänzende Sichtweise ermöglichen? 3. Schritt: Kursleitung und Lehrsupervisoren stellen sich im Sinne der Beobachtung zweiter Ordnung vor allem der Unterschiedlichkeit (aber auch Ähnlichkeit) der gemachten Beobachtungen im Blick auf den gesamten Kurs. Unterschiede bieten sich ja vor allem deshalb an, weil man ihnen entlang am einfachsten zu der Frage kommen kann: »Wie bist du zu deiner Beobachtung gekommen? Wie deutest du deine Beobachtungen und wie könnten sie noch gedeutet werden? Was veranlasst dich, so und nicht anders über den Kurs zu sprechen?« Damit geht es sofort nicht mehr um die vermeintlich objektiven Beschreibungen des Geschehens, sondern um das, was Kursleitung und Lehrsupervisor aus unterschiedlichen Positionen aus den Beschreibungen machen. Sie bilden daraus Hypothesen und Annahmen und reflektieren mögliche Konsequenzen für den weiteren Kursverlauf oder die Lehrsupervision. Ein Beispiel: Wir als Kursleitung berichten, dass die Kursteilnehmenden eher jünger werden und trotzdem über ausreichende Weiterbildungserfahrungen zur Teilnahme an einer DGSv-zertifizierten Ausbildung verfügen. Im Unterschied zu früheren Teilnehmergenerationen sind diese Weiterbildungsvorerfahrungen aber unter viel höherem Zeitdruck und mit mehr Kämpfen, überhaupt freigestellt zu werden, erreicht worden. Dies führt im Kurs zu einer besonderen Dynamik. Mit Stolz wird berichtet, mit welcher Anstrengung man sich die Teilnahme an der Supervisionsfortbildung erstritten und erkämpft hat. In der Einzellehrsupervision wird eher die sogenannte Schattenseite eingeblendet: welche Kraftanstrengung es berufsbiografisch gekostet hat, überhaupt einen solchen Kurs absolvieren zu können; Sorgen hinsichtlich Überforderung oder Angst vor Scheitern werden thematisiert. Im Beobachtungsfokus der Kursleitung steht die gesamte Kursgruppe und jeder Einzelne, der von ihr ja letztlich auch ausgewählt worden ist. Selbstverständlich ist daher ein sinnvolles Beobachtungskriterium aus Sicht der Kursleitung, Ausschau zu halten nach Geschichten, die einen Hinweis geben könnten, die »Richtigen« ausgewählt zu haben. Teilnehmende bestätigen sich gern gegenseitig, wie froh man ist, genommen worden zu sein und zu diesem Kurs zu gehören. Lehrsupervisoren und -supervisorinnen dagegen haben qua Auftrag eine Unterstützungsfunktion für das Erlernen der neuen Profession mit allen Schwierigkeiten, und insofern ruht ihr Blick gerade am Anfang auch auf

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den Sorgen der Teilnehmenden, das Kursziel zu erreichen, oder auf Erzählungen, was die Teilnahme »gekostet« hat. Diese gegenseitige Einblendung von wechselseitig Ausgeblendetem führt auf der Metaebene zu einem gemeinsamen Diskurs. Weder die eine Seite der Beobachtung noch die andere ist objektiv richtig. Die Zusammenführung aller zur Verfügung stehenden Beobachtungen führt in der Konsultation zu einer Diskussion über die veränderten Rahmenbedingungen für die Teilnahme an einer Supervisionsausbildung. Wenn in Zeiten turbulenter Veränderungen soziale Umbrüche Gegenstand von Supervision sind, dann hat das auch Auswirkungen auf die, die eine Supervisionsausbildung konzeptionieren. Teilnehmende heutiger Fortbildungen sind häufigeren Stellenwechseln, Phasen von Arbeits­ losigkeit, Versetzungen oder persönlichen Veränderungen ausgesetzt als die Teilnehmenden in der Vergangenheit. Die Integration der Themen Entwicklungen in der Arbeitswelt, Gesundheitscoaching, Selbstfürsorge bis hin zu einem verstärkten Arbeiten an der Relevanz von Kontrakten war ein Ergebnis der Reflexionen eines Konsultationstreffens. Reflexion des Lernstandes der Teilnehmenden

Die Reflexion des Lernstandes der einzelnen Teilnehmerinnen und Teilnehmer verläuft nach einem ähnlichen Schema im zweiten Abschnitt des Treffens. 1. Schritt: Der Lehrsupervisor schildert den Entwicklungsstand seines Lehr­ supervisanden, seine Fähigkeiten, Ressourcen und die Herausforderungen, denen sich der Lehrsupervisand ausgesetzt sieht. Akquise, Erfolge und Misserfolge, Lernentwicklungen, Meilensteine und Beobachtungen, die ihm im Blick auf die Erreichung des Abschlusszertifikats relevant erscheinen, werden eingeblendet. Vor allem berichtet er vom gemeinsamen Prozess und der gemeinsamen Vorbereitung dieser Rückmeldung mit dem Lehrsupervisanden oder der Lehrsupervisandin. 2. Schritt: Die Kursleitung beschreibt die Teilnehmerin oder den Teilnehmer aus ihrer Wahrnehmung und ihrem Erleben, ergänzt diese Beobachtungen aus ihrer Sicht oder blendet andere Erfahrungen ein. Hier kann es zu ganz unterschiedlichen Beschreibungen derselben Person kommen. Eine Lehrsupervisorin beschreibt einen Kursteilnehmer als hochkompetent, während die Kursleitung einen sehr an den eigenen Ressourcen zweifelnden Teilnehmer vor sich sieht. Erst als klar wird, dass im Beobachtungsfokus der Lehrsupervisorin vorrangig die Selbstbeschreibung des Teilnehmers als Einzelsupervisor stand, während die Kursleitung ihre Beobachtungen vor allem im Kontext von Übungen zu Gruppen- oder Teamsupervision gemacht hat, wird deutlich, dass es sich hier nicht um zwei völlig verschiedene, ja sogar sich widersprechende Bilder eines

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Menschen handelt, sondern um Beurteilungen oder Selbstwahrnehmungen in unterschiedlichen Lernkontexten. Entlang dieser Beobachtung gelang es beiden Seiten, mit dem Teilnehmer noch einmal ganz anders über seine Ressourcen und seinen Lernbedarf ins Gespräch zu kommen, und zwar in Bezug auf die unterschiedlichen supervisorischen Formate. 3. Schritt: Die anderen anwesenden Lehrsupervisoren und -supervisorinnen schalten sich nach diesen beiden Schritten ein und reflektieren das bisher auf den einzelnen Kursteilnehmer hin gehörte, indem sie Hypothesen anbieten, die Beobachtungskriterien benennen oder andere, bisher vernachlässigte einführen und somit das Bild auf den Ausbildungskandidaten und den Lehrsupervisionsprozess verändern. Vor allem aber sind sie in der Rolle, wertschätzend, aber auch kritisch deutlich zu machen, dass das, was ein Lehrsupervisor einerseits und die Kursleitung andererseits über einen Lehrsupervisanden sagen, mehr über die Lehrenden selbst als über den Kursteilnehmer oder die Kursteilnehmerin sagt. Daraus entsteht sowohl für die Kursleitung als auch den Lehrsupervisor ein anderer, differenzierterer Blick auf den Ausbildungskandidaten. Ein weiteres Beispiel: Der Lehrsupervisor schildert einen in der internen Supervision tätigen Ausbildungskandidaten, dem es schwerfällt, frei zu akquirieren. Die Kursleitung bestätigt diese Beobachtung. Erst die kritische Einblendung der Kolleginnen und Kollegen, dass das angewandte Beobachtungskriterium hier wohl eine erfolgreiche und gelingende Freiberuflichkeit sei, verändert die Perspektive und lenkt den Blick auf die Kontextbedingungen des Ausbildungskandidaten. Die Beobachtungskriterien verlagern sich auf den Kontext. Für ihn ist eine freiberufliche Akquise eine Randerscheinung in seinem beruflichen Alltag. Als Personalentwickler ist er es gewohnt, innerhalb der Firma stark angefragt zu sein und erfolgreich Maßnahmen der Personalentwicklung zu etablieren. Er ist in interner Akquise erfahren und handelt sehr im Rahmen der ihm vertrauten Rolle als interner Personalentwickler. Im weiteren Kursverlauf haben alle an der Ausbildung Beteiligten den Kursteilnehmer ermutigt, die veränderten Kontextbedingungen eines freiberuflichen Handelns bei der Akquise stärker zu berücksichtigen und entlang seiner internen Erfolge für die Akquise als Freiberufler zu lernen. Von dem Bild einer Unfähigkeit, »frei« zu akquirieren, wurde nicht mehr gesprochen. Und siehe da: Befreit von diesem Bild, konnte der Kursteilnehmer sich in Kontrakten ganz anders verhalten und aus seinem reichen internen Erfahrungsschatz vieles außerhalb seiner Institution nutzen und am Unterschied lernen. Bei circa 16 Lehrsupervisorinnen und -supervisoren erfordert diese Vorgehensweise einige Zeit. Aber alle Teilnehmenden des Treffens werden zu Akteuren. Die Bereitschaft, mitzudenken, die eigenen Fähigkeiten und Ressourcen

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auch dann einzubringen, wenn es nicht um meinen eigenen Lehrsupervisanden geht, ist enorm. Der wertschätzende, kollegiale Umgang wird gefördert. Eine Atmosphäre des Wohlwollens, der Neugier und des Nicht-Besserwissens zeichnet die Konsultationen aus. Wirkungen auf die Kursleitung und die Lehrsupervisoren Die Wirkung dieser Vorgehensweise auf die Kursleitung und die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ist vor allem blickerweiternd und einem Perspektivwechsel oder einer Perspektiverweiterung gleichzusetzen. Es kommt zu allen Phänomenen, die allgemein mit einer Beobachtung zweiter Ordnung verbunden werden: Neue Sichtweisen werden entwickelt, Arbeit an Unterschieden findet statt sowie Reflexion über dahinterliegende Theorieansätze und Grundlagen der jeweiligen Hypothesenbildung. Die Diskurse in diesem Dreischritt erhöhen die Fähigkeit, eine Beurteilung des Lehrsupervisanden abzugeben unter Berücksichtigung oder Veränderung der eigenen Beobachtungskriterien. Eine weitere Wirkung dieses Verfahrens in der Anwendung in einer stabilen Gruppe von Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ist eine gemeinsame Schulung der relevanten Beobachtungskriterien über den jeweils laufenden Kurs hinaus. Nach einiger Zeit weiß man umeinander, weiß, was gern aufseiten der Kursleitung ausgeblendet wird, und kann dementsprechend als Lehrsupervisor reagieren, oder aber die Kursleitung erinnert die Lehrsupervisorin an ähnliche Beobachtungen in anderen Kursen. Lässt man hier keine Routine einkehren, sondern fragt wieder danach, wie es zu einer Wiederholung der Beobachtung kommt und welche Auswirkungen eine Veränderung der Beobachtungskriterien hätte, schärft das den Blick eines jeden. Wirkungen auf die Lehrsupervisanden Eine nicht zu unterschätzende Wirkung lässt sich bei den Kursteilnehmenden feststellen. Das Verfahren wird im Kurs ausführlich vorgestellt und die Kursteilnehmenden werden aufgefordert, das Konsultationstreffen mit ihrem Lehrsupervisor oder ihrer Lehrsupervisorin vorzubereiten. Damit trifft sich hier für den Teilnehmer kein Geheimzirkel, der über ihn urteilt. Er ist an der Hypothesenbildung beteiligt und wird vor allem mit eingeladen, Kriterien zu entwickeln, an denen entlang sein Lernweg von ihm, Ausbildungsleitung und Lehrsupervisor oder Lehrsupervisorin eingeschätzt werden kann. Wenn dieser Diskurs durchgehalten und wertschätzend erlebt wird, hat er eine hoch motivierende und emanzipatorische Wirkung. Theorie wird gelebt und erlebt,

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indem die jeweiligen Beobachtungen als gleichwertig gesehen werden und über alle Kriterien, auch die der »Meisterinnen und Meister«, reflektiert werden darf und soll. Fast noch wichtiger als die Vorbereitung des Konsultationstreffens in der Lehrsupervision ist die Nachbesprechung sowohl im Kurs als auch und vor allem in der Lehrsupervision. Hier geht es insbesondere um die Wirkung und den Transfer der zur Verfügung gestellten Hypothesen auf das Erlernen der Supervisorenrolle. Es wird keine »Schulnote« abgeholt, sondern man ist Beteiligter eines Verfahrens, dessen Ziel es ja letztlich ist, einen guten Abschluss des Kurses für den Teilnehmer oder die Teilnehmerin zu ermöglichen.

Schlussbemerkung Lehrsupervision in einem systemischen Ausbildungskontext muss sich den theoretischen Grundlagen des Konzeptes stellen. Wenn die Relativität aller Wahrnehmung und die Notwendigkeit gelehrt wird, sich einer Reflexion der Beobachtungskriterien zu stellen, dann kann Lehrsupervision davon nicht ausgenommen werden. Dass in unserem Ausbildungskonzept die Konsultationstreffen später als andere Bestandteile in den Blick geraten und mit einer Struktur unterlegt worden sind, in der unter Einbeziehung der gesamten Gruppe Formen der Beobachtung zweiter Ordnung etabliert wurden, ist kein Zufall. Sich die Kontext­gebundenheit jeder Beobachtung klarzumachen, ist dort, wo man letztlich auch in einer beurteilenden Rolle tätig ist, am schwierigsten. Das gemeinsame Lernen in dieser Rolle durch unsere Form der Konsultation bereichert bis heute nicht nur die Kursleitung, sondern auch die Lehrsupervisoren und -supervisorinnen. Es entfaltet eine positive Wirkung auf die Ausbildungskandidaten, die erleben, dass sich Kursleitung und Lehrsupervisor oder Lehrsupervisorin Rechenschaft geben über das Zustandekommen von Bewertungen, die letztlich darüber entscheiden, ob das Kursziel erreicht werden wird oder nicht.

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Literatur Haye, B., Kleve, H. (2001). Lehrsupervision als Beobachten des Beobachtens. In H. J. Kersting (Hrsg.), Supervision und Qualität. Das Aachener Modell der Supervisionsausbildung (Schriften zur Supervision, Bd. 10; S. 195–212). Aachen: Kersting. Kersting, H. J. (Hrsg.) (2001). Supervision und Qualität. Das Aachener Modell der Supervisionsausbildung (Schriften zur Supervision, Bd. 10). Aachen: Kersting. Kersting, H. J. (2002). Zirkelzeichen. Supervision als konstruktivistische Beratung (Schriften zur Supervision, Bd. 11). Aachen: Kersting. Kersting, H. J. (1997). Lehrsupervision als System und Begegnung. In U.-L- Eckhart, K. F. Richter, H. G. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision. (= Schriften zur Supervision, Band 6, S. 15–39). Aachen: Kersting. Hercher, H., Kersting, H. J. (Hrsg.) (2003). Systemische Supervision im Gespräch (Schriften zur Supervision, Bd. 13). Aachen: Kersting. Luhmann, N. (1987). Soziale Systeme. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Teil V Kompetenz- und Professionsentwicklung

Astrid Hassler

Kompetent ausbilden und lehren – ein Kunsthandwerk der Beratung

Competent training and teaching – a craft in consultation Many providers of supervision training have adapted their didactic concepts and aligned them to a more competence orientation. This has an impact on supervision-on-supervision also. This new training context is as well a challenge as an opportunity to a re-alignment of the curricula, of the formats of supervision and of coaching and organisational consultation. This article describes the main tasks for supervision trainers in terms of the two competence-based training concepts: First, teaching and training and second, giving feedback on the teaching and learning processes to the training institute. Out of this, conclusions can be derived for the requirements of supervision trainers and their profiles. Professional associations are also challenged within this changing training context, as is demonstrated by the professional issues considered in the conclusion. Zusammenfassung Viele Ausbildungsinstitute haben ihre didaktischen Konzepte angepasst und auf Kompetenzorientierung ausgerichtet. Dadurch verändert sich auch die Lehrsupervision. Dieser neue Bildungskontext ist Herausforderung und Chance für eine Neuausrichtung der Ausbildungen in den Beratungsformaten Supervision, Coaching und Organisationsberatung. In diesem Beitrag werden die Hauptaufgaben der Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren in Bezug auf kompetenzorientierte Ausbildungskonzepte beschrieben: Zum einen ist es Lehren und Ausbilden von Beraterinnen und Beratern, zum anderen die Rückkoppelung von Lehr- und Lernprozessen zum Ausbildungsinstitut. Daraus lassen sich Anforderungs- und Kompetenzprofile von Lehr­supervisorinnen und -supervisoren ableiten. In diesem veränderten Bildungskontext sind auch die Berufsverbände herausgefordert, wie die abschließenden berufspolitischen Überlegungen zeigen.

Was bedeutet Kompetenzorientierung? Die Bildungslandschaft und die Berufsbildung haben sich in den letzten 15 Jahren aufgrund der Bologna-Reform stark verändert. Lernen und Didaktik sind auf Lernziele und Kompetenzorientierung ausgerichtet und Berufsbilder werden in Form von Kompetenzrastern beschrieben. Dieser neue Lernkontext hat Auswirkungen auf die Didaktik und entsprechend auch auf die Lehrenden und Auszubildenden. Diese bildungspolitischen Veränderungen betreffen ebenso

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Astrid Hassler

die Studierenden und Lehrpersonen in den Ausbildungen zu den Beratungsformaten Supervision, Coaching und Organisationsberatung (Berufsverband für Supervision, Coaching und Organisationsberatung Schweiz, 2015). In einem ersten Schritt wird nachfolgend die Kompetenzorientierung erläutert. Im zweiten Teil werden die Auswirkungen auf das Setting Lehrsupervision und auf die Lehrsupervisoren und -supervisorinnen beschrieben.

Kompetenzen und Lernziele Strauch, Jütten und Mania (2009, S. 17) beschreiben Kompetenz als die Fähigkeit beziehungsweise das Potenzial zur erfolgreichen Bewältigung komplexer Anforderungen in spezifischen Situationen. Kompetentes Handeln schließt einen angemessenen Einsatz von Wissen und Fertigkeiten sowie Werte, Motivationen und Persönlichkeitseigenschaften des Individuums ein und wird durch äußere Umstände und Rahmenbedingungen einer Situation beeinflusst. Der Kompetenzbegriff hat gegenüber älteren pädagogischen Zielangaben wie etwa den Lernzielen Vorzüge, die auch in der Überprüfung des Erreichten sichtbar werden: ȤȤ Es handelt sich hier nicht um einzelne Elemente des Wissens oder Könnens, sondern um eine koordinierte Anwendung verschiedener Einzelleistungen anhand eines für die Studierenden jeweils neuen Problems. ȤȤ Der Kompetenzbegriff orientiert sich nicht am abstrakten Schulstoff, sondern stets an berufsspezifischen Bezügen der Studierenden, d. h. daran, wie sie sich in der Praxis bewähren. ȤȤ Ein kompetenzorientierter Unterricht achtet stärker auf die Studierenden und deren Lernvoraussetzungen als auf einen auf den Lernstoff und den Lehrplan ausgerichteten Unterricht (Strauch et al., 2009; Bachmann, 2011). Der amerikanische Pädagoge Benjamin Bloom (1973, zitiert aus Bachmann, 2011) stellte eine Taxonomie von Lernzielen vor, in der folgende kognitive Kompetenzgrade genannt werden: 1. Wissen, 2. Verstehen, 3. Anwenden, 4. Analyse, 5. Gestalten (Synthese), 6. Evaluation.

Kompetent ausbilden und lehren

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Es ist also erforderlich, die zu erwerbenden Kompetenzen zu benennen sowie zu klären, zu welchem Grad eine Kompetenz erworben werden soll. Während unter Kompetenz die latente Fähigkeit einer Person zur Ausführung einer bestimmten Aufgabe (z. B. Spanisch zu sprechen) verstanden wird, so wird mit Performanz die tatsächliche Ausführung dieser Aufgabe (jemanden auf Spanisch begrüßen) bezeichnet. Daraus folgt, dass eine Kompetenz niemals direkt, sondern stets indirekt über deren Performanz diagnostiziert und beurteilt werden kann (Schott u. Ghanbari, 2008).

Der Kompetenzbegriff in der beruflichen Bildung In der Berufs- und Wirtschaftspädagogik werden Kompetenzen teilweise als sogenannte »Selbstorganisations-Dispositionen« definiert. Eine Person, die über ausreichend Kompetenz verfügt, um sachgerecht bestimmte Dinge zu tun, ist in dieser Hinsicht kompetent. Kompetenz erwirbt man unter anderem durch Bildung, Weiterbildungsmaßnahmen, Erfahrung, Selbstreflexion, informelles Lernen, Training, aber auch autodidaktisch. In der Praxis der beruflichen Bildung werden üblicherweise vier Kernkompetenzen in den Mittelpunkt gestellt, aus denen sich alle weiteren Kompetenzen ableiten lassen: soziale Kompetenzen, fachliche Kompetenzen, Methodenkompetenzen und personale Kompetenzen (manchmal auch als Selbstkompetenzen beschrieben). Diese Systematik hat sich in den 1990er Jahren eingebürgert; sie wird in der wissenschaftlichen Diskussion jedoch immer wieder als problematisch betrachtet, weil beispielsweise fachliche und methodische Kompetenzen inhaltlich schwer zu unterscheiden sind. In der Erziehungswissenschaft wird das Modell einer Matrix bevorzugt, in der auf der einen Achse die Bereiche Fachkompetenz, soziale Kompetenz und Selbstkompetenz unterschieden werden, auf der anderen Achse die Schwerpunkte Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen. Alle diese Kompetenzbereiche zusammen bilden die Grundlage für Handlungskompetenz (Strauch et al., 2009; Bachmann, 2011; Schott u. Ghanbari, 2008).

Neue Herausforderungen für die Lehrsupervision Für die Lehrsupervision ergeben sich nun einige Konsequenzen. Lehrsupervision spielt sich im Kontext einer Ausbildung ab und ist dementsprechend kontextgebunden. Das zentrale Bindemittel ist der Dreiecksvertrag zwischen

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Lehrsupervisandin, Ausbildungsinstitut und Lehrsupervisorin. Dieser bezieht sich auf den praktischen Ausbildungsteil, d. h., Lehrsupervisandinnen arbeiten als Beraterinnen. Die praktische Arbeit wird in der Lehrsupervision reflektiert, bearbeitet, fachlich weiterentwickelt und kontrolliert. Für die Endprüfung des Ausbildungs- und Lernprozesses, Lehrsupervision eingeschlossen, ist das Ausbildungsinstitut verantwortlich, welches die Studierenden zertifiziert. Das Ausbildungsinstitut überprüft die Eintritts- und die Austrittskompetenzen der Studierenden. Die Lehrsupervision kann in diesem Kontext unterschiedlich eingebunden sein. Es kommt vor, dass Lehrsupervision den praktischen Ausbildungsteil ohne jegliche Einbindung und Rückkoppelung abdeckt. Es ist jedoch auch möglich, dass die persönlichen und fachlichen Lernprozesse auf unterschiedliche Weise an das Ausbildungsinstitut rückgekoppelt werden. Grundsätzlich sind alle Abstufungen von Einbindung in den Ausbildungskontext denkbar: von keinerlei Einbindung – das Setting Lehrsupervision wird dann als persönliches und vertrauliches Reflexionsgefäß aufgefasst – bis hin zu starker Einbindung und einer zusätzlichen Kompetenzbewertung der Lehrsupervisanden durch die Lehrsupervisoren. In diesem Fall wird die Lehrsupervision zu einem stark aufgewerteten praktischen Ausbildungsteil, vergleichbar mit einem Praxismodul in einer Hochschulausbildung. In der Berufs- und Hochschulbildung sind die beruflichen Kompetenz­ beschreibungen für das entsprechende Praxisfeld vorhanden bzw. im Entstehen begriffen. Für die Lehrsupervision ist dies noch kaum der Fall. Einige Beispiele von Kompetenzbeschreibungen finden sich bei Hassler (2011, S. 57 ff.).

Auswirkungen der Kompetenzorientierung auf die Lehrsupervision Ausbilden und Lehren im Kontext einer kompetenzorientierten Ausbildung erfordert das Commitment der Lehrenden. Daraus ergibt sich die grundlegende Verpflichtung, die didaktischen Gegebenheiten auch in der Lehrsupervision anzuwenden. Dazu braucht es einige Anpassungen: ȤȤ Ausbilden für die Praxis in allen Kompetenzbereichen: Wissens-, Handlungs-, Sozial-, Selbst- und ethischer Kompetenz; ȤȤ Lehren und Überprüfen von Lernergebnissen und der erreichten Kompetenz; ȤȤ Der Schwerpunkt liegt auf handlungsorientiertem Lernen mit den zu erreichenden Taxonomiestufen 5 und 6, also auf Syntheseleistungen.

Kompetent ausbilden und lehren

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Für das handlungsorientierte Lernen in Beratungssituationen ist es notwendig, Kompetenzen aller Bereiche miteinander zu verbinden und in einer sinnvollen Weise in Synthese zu bringen. So ist etwa das Einnehmen einer professionellen Haltung und Rolle in Beratungssituationen eine komplexe Syntheseleistung. Ein adäquates Rollenmanagement kann demzufolge auch als Indikator für einen erfolgreichen Lernprozess bewertet werden. Mit dem Lernen nach der Konzeption der Kompetenzorientierung verschiebt sich die Stellung der Lehrsupervision innerhalb der Ausbildung. Die Lehrsupervision verliert einen Teil der vertraulichen Selbstreflexion und wird um das Fachgebiet Lehre und Didaktik erweitert. Ein Teil des Lernprozesses wird nun »öffentlich«, indem Lernergebnisse gezeigt und erfasst werden und das Erreichen bestimmter Kompetenzen zum Ziel gemacht wird. Zudem verlangen viele Ausbildungsinstitute umfassende Dokumentationen sowohl von den Studierenden als auch von den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren. Das heißt, Lernprozesse aus der Lehrsupervision werden auf vielerlei Arten an die Lernprozesse der Gesamtausbildung rückgekoppelt und damit auch überprüft. Der Prozess des Lernens und Lehrens wird transparenter. Das Setting Lehrsupervision verliert den intimen Rahmen der Zweiersituation beziehungsweise der Kleingruppe.

Die Rolle der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in einer kompetenzorientierten Ausbildung Diese Art des kompetenzorientierten Lernens braucht des Lernens und Lehrens kundige Ausbildende. Denn es verändert das Setting Lehrsupervision, die Aufgaben und die Rolle der Lehrsupervisorin oder des Lehrsupervisors grundlegend: Veränderungen des Settings Lehrsupervision: Die Art und Weise, wie die Lehr- und Lernprozesse innerhalb der Lehrsupervision ablaufen, wird im gesamten Ausbildungsprozess transparenter. Die Lehrsupervision wird nicht nur kompetenzorientierter, sie wird auch ergebnisorientierter. Das ursprüngliche Paradigma der Lehrsupervision, ein geschützter und geschlossener Rahmen für Selbstreflexion und Rollenfindung zu sein, wird mit der Kompetenzorientierung aufgeweicht. Die Lehrsupervision ist mit einer definierten Ergebnisorientierung und mit Leistungsnachweisen erfolgreich abzuschließen. Die Fachkenntnisse und das Commitment der Lehrsupervisorin oder des Lehrsupervisors zu dieser Art des Lehrens und Lernens sind für die Zusammenarbeit im Dreiecksvertrag unerlässlich.

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Neue Aufgaben für die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren: Lehrsuper­ visoren können nicht immer auf differenzierte Ziel- und Kompetenzbeschreibungen der Ausbildungsinstitute zurückgreifen. Die Kompetenzen der Lehrsuper­ visoren bestehen in ihrer Praxiserfahrung und der Verknüpfung ihrer Fertigkeiten mit den Handlungswissenschaften zu einem Kunsthandwerk der Beratung. Es ist die Aufgabe der Lehrsupervisoren, dieses Kunsthandwerk zu lehren, ihr Handeln in der Lehrsupervision wissenschaftlich und fachlich zu begründen sowie den Auszubildenden differenzierte Rückmeldungen zu ihrem beraterischen Handeln und Begründen ihrer Entscheidungen zu geben. Dazu ist die Beschreibung der Kompetenzen einer guten Beraterin oder eines guten Beraters notwendig, damit anhand zu erreichender beruflicher Kompetenzen ein Feedback an die auszubildende Person und eine Bewertung der Ziel- und Kompetenzerreichung gegeben werden kann. Das Ausbildungsinstitut kann auch eine Beurteilung im Sinne einer Bewertung durch die Lehrsupervisorin verlangen, wodurch deren Rolle um die Aufgabe der Bewertung und Beurteilung erweitert wird. Die Rolle der Lehrsupervisorin oder des Lehrsupervisors: Wenn Lehrsupervision ein qualifizierendes Element in der Ausbildung ist, ändert sich die Rolle der Lehrsupervisorin grundlegend. Der Umgang mit den Spannungsfeldern und Ambivalenzen von Ausbilden/Lehren und Bewerten erfordert ein klares, mitunter auch diffiziles Rollenmanagement. Zudem müssen wichtige Fragen geklärt werden wie z. B.: Welche Informationen über den Lernprozess werden durch wen und wie weitergegeben, und welche Informationen gehören in den persönlichen und damit vertraulichen Bereich? Welchen Stellenwert hat »Fehler machen« in der Lehrsupervision und wie wird damit in der Bewertung umgegangen? Auch Haltungen, Werte und Normen sind in einem qualifizierenden Setting neu zu reflektieren und zu klären. Nur so kann es gelingen, die Arbeitsbeziehung partnerschaftlich, d. h. auf Augenhöhe, zu gestalten, und dies trotz des Machtunterschieds in der Rolle, der durch die Aufgabe der Bewertung und Qualifizierung gegeben ist.

Das Anforderungsprofil für Lehrsupervisorinnen und -supervisoren Von diesen Veränderungen in den Ausbildungen, welche die Kompetenzorientierung ausgelöst hat, lässt sich ein neues bzw. erweitertes Anforderungsprofil für Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ableiten: Beraterische Kompetenzen: Für die Lehrsupervision, den Praxisteil einer Ausbildung für Organisationsberatung/Supervision/Coaching, braucht es Fach-

Kompetent ausbilden und lehren

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personen, welche einerseits das (Kunst-)Handwerk Beratung beherrschen und andererseits ihr professionelles Handeln fachlich begründen und erklären können. Erst wenn Personen eine Fertigkeit bis zu 10.000 Stunden trainiert haben, erreichen sie in dieser Fertigkeit Meisterschaft, schreibt Spitzer (2002). 10.000 Stunden entsprechen bei einer Vollzeittätigkeit rund fünf Jahren Berufserfahrung. Für einen guten praktischen Ausbildungsteil braucht es gute Praktiker, welche das Level der Meisterschaft in ihrem Metier erreicht haben. Kompetenzen im Bereich Lehren und Lernen: Grundsätzlich setzt jede Ausbildungstätigkeit didaktische Fähigkeiten voraus, d. h., Lehrsupervisorinnen und -supervisoren sollten sich über die beraterischen Fertigkeiten im Bereich Lernen und Lehren hinaus zusätzliche Kompetenzen erworben haben. Die Besonderheiten des kompetenzorientierten Lernens können von kundigen Fachpersonen dann auch positiv ausgeschöpft werden. Ethische Kompetenzen und Entscheidungsbildung: Beratungsarbeit verlangt ständig Entscheidungen darüber, welche Intervention wie und zu welchem Zeitpunkt passend und wirksam ist. Die Grundhaltung und Werteorientierung der Fachperson geben diesen Entscheidungsprozessen die ethische Ausrichtung. Erst die Reflexion über die eigene Haltung und Entscheidungsbildung ermöglicht es, die ethischen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Ein Lehr- und Lerninstrument in der Lehrsupervision ist unter anderem die Selbstreflexion. Greif nennt sie ergebnisorientierte Selbstreflexion (2008, S. 36 f.). In den Konzeptionen einer kompetenzorientierten Ausbildung werden ethische Kompetenzen, z. B. Urteilsbildung, Entscheidungsfindung oder Grundhaltungen, zum Teil zu wenig berücksichtigt. Dazu kommt, dass die Bologna-Reform bei einigen Studierenden zu einem veränderten Verhalten im Studium geführt hat, das darin besteht, möglichst rasch die geforderten Module zu absolvieren und Leistungsnachweise zu erwerben. Selbstreflexion als Lerninstrument wird nur angewendet, wenn es für Leistungsnachweise notwendig ist. Lehrsupervisorinnen stehen vor der Herausforderung, ethische Kompetenzen und die entsprechenden Lernziele zu beschreiben, zu lehren und mit den Studierenden zu trainieren. Insbesondere im Reflexionsgefäß Lehrsupervision können Lehrsupervisorinnen und -supervisoren professionelle Kompetenzen, welche auf Haltung und Haltungsänderungen abzielen, mit den Studierenden reflektieren und trainieren. Rückkoppelung von Lernprozessen und Kooperation im Ausbildungskontext: Das Setting Lehrsupervision ist mit der Kompetenzorientierung transparent geworden. Ein Teil der Lernprozesse sollte zugunsten des effizienten Lernens in die Gesamtausbildung zurückgeleitet werden. Dazu ist die Überprüfung der Lernziele und Lernergebnisse erforderlich. Zum Teil werden Lehrsupervisorinnen von den Ausbildungsinstituten eingeladen, diese Rückkoppelungsprozesse

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des Lernens gemeinsam zu gestalten. Andererseits ist es notwendig, dass Lehrsupervisorinnen und -supervisoren sich an der Bildungskonzeption orientieren und die Ressourcen für die Gestaltung, Überwachung und Überprüfung von Lernprozessen für ihren fachlichen Mehrwert und für die Qualität in der Ausbildung nutzen. In diesem Zusammenhang ist konzeptionelle Arbeit für die Lehrsupervision zu leisten.

Berufspolitische Herausforderungen Die oben geschilderten Veränderungen in der Bildungslandschaft und in den Ausbildungen für Supervision, Coaching und Organisationsberatung fordern alle Akteure heraus, sich mit neuen Entwicklungen auseinanderzusetzen und Anpassungen vorzunehmen. Ausbildungsinstitute, Berufsverbände und Lehrsupervisorinnen sind gleichermaßen gefordert, die entsprechenden Kompetenzen, welche Studierende in der Lehrsupervision erwerben sollten, zu beschreiben. Dadurch wird der praktische Ausbildungsteil qualitativ aufgewertet. Daraus ergibt sich, dass für Ausbildende, also die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren, ebenfalls ein angepasstes Kompetenzprofil zur Ausübung der Lehrsupervision vorhanden ist. Das erfordert ein neues Kompetenzprofil für Lehrsupervisorinnen und -supervisoren. Die Ausbildungsfunktion Lehrsupervision unterscheidet sich ja, wie oben beschrieben, von Supervision.

Ein Berufsbild Lehrsupervisorin? Eine gute Ausbildung erfordert gut ausgebildete Ausbilder, also auch gut ausgebildete Lehrsupervisoren. Mit einem Kompetenzprofil für Lehrsupervisoren zeichnet sich hier ein Weg ab, wie die Lehrsupervision als praktischer Teil innerhalb der Gesamtausbildung professionalisiert und aufgewertet werden kann. Die Beschreibung und Spezifizierung des Kompetenzprofils Lehrsupervision – einschließlich der Abgrenzung zur Supervision – ist die Aufgabe der Berufsverbände. Ihnen würde es denn auch obliegen, ein Controlling über die Standards einzuführen und durchzusetzen, d. h. Kompetenzen für Lehrsupervisorinnen und -supervisoren zu definieren und zu überprüfen. Dies nicht im Sinne einer weiteren (Qualitäts-)Kontrolle, sondern zugunsten einer Qualitätssteigerung des praktischen Ausbildungsteils und damit der Lehrsupervision.

Kompetent ausbilden und lehren

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Visionen für die Lehrsupervision Für die weitere Entwicklung und Neuorientierung der Lehrsupervision könnte wie in vielen anderen Lehrgängen ein Praxismodul Lehrsupervision geschaffen werden. Ein Teil davon könnte den vertraulichen Rahmen für Selbstreflexion und Rollenfindung abdecken, welcher durch die Kompetenzorientierung verloren wurde. Der andere Teil könnte das eigentliche Praxismodul sein, in dem die Studierenden durch die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren ausgebildet und in einem abschließenden Assessment beurteilt würden. Dieses Praxis­ modul würde einen fachlichen Mehrwert für alle Beteiligten schaffen.

Literatur Bachmann, H. (2011). Kompetenzorientierte Hochschullehre. Die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen Lernzielen, Prüfungsformen und Lehr-Lern-Methoden. Forum Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung Bd. 1. Bern: hep verlag. Berufsverband für Supervision, Coaching und Organisationsberatung Schweiz (2015). Zugriff am 05.10.2015 unter www.bso.ch/beratung/beratungsformate.html Greif, S. (2008). Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion. Theorie, Forschung und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings. Göttingen: Hogrefe. Hassler, A. (2011). Ausbildungssupervision und Lehrsupervision. Ein Leitfaden fürs Lehren und Lernen. Bern: Haupt. Schott, F., Ghanbari, S. A. (2008). Kompetenzdiagnostik, Kompetenzmodelle, kompetenzorientierter Unterricht. Münster: Waxmann. Spitzer, M. (2002). Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag. Strauch, A., Jütten, S., Mania, M. (2009). Kompetenzerfassung in der Weiterbildung. Instrumente und Methoden situativ anwenden. Deutsches Institut für Erwachsenenbildung. Bielefeld: Bertelsmann.

Birgit Ramon

Supervision lehren lernen – ein Qualifizierungskonzept zur Lehrsupervision

Learning how to teach supervision – a qualification plan to become a supervision trainer This article describes the concept of qualifying supervision trainers and illustrates how a professionally structured teaching and learning process can be planned and carried out within a defined format. Experiences from two qualification courses actually carried out and from an evaluation workshop are considered. Specific (learning) goals as well as considerations about content, didactics and methods are lined out. In conclusion, a critical reflection of experiences in practice as well as the benefit of this qualification concept is out lined. Zusammenfassung Der Beitrag beschreibt die Konzeption einer Qualifizierung zur Lehrsupervisorin und zeigt auf, wie ein professionell gestalteter Lehr- und Lernprozess in einem bestimmten Format geplant und durchgeführt wird. Erfahrungen aus zwei konkret durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen und einem Evaluationsworkshop als Abschluss der Maßnahme werden dabei berücksichtigt. Sowohl die spezifischen (Lern-)Ziele als auch inhaltliche und didaktisch-methodische Überlegungen bei der Konzeption sind ausgeführt. Abschließend werden die bisherigen Arbeitserfahrungen kritisch reflektiert und der Gewinn dieses Qualifizierungskonzeptes dargestellt.

Vorbemerkungen Bisher haben sich Lehrsupervisorinnen durch langjährige Praxiserfahrung in ihrem Metier, quasi durch Learning by Doing, Kontrollsupervision, Intervision sowie die Teilnahme an Fortbildungen und einschlägigen Tagungen qualifiziert. Eine strukturierte Qualifizierung mit dem Ziel, das eigene konzeptionelle Vorgehen genauer zu reflektieren und das professionelle Handeln auf eine sichere Basis zu stellen, ist bisher die Ausnahme. Lehrsupervision als spezielles Beratungs- und Weiterbildungsformat rückt jedoch zunehmend in den Blickpunkt des professionellen Interesses der Fachwelt. Ziel und Hintergrund dieses Interesses sind zum einen die Weiterentwicklung von Qualitätsstandards für Supervision und Coaching, auch im Zusammenhang mit den Anforderungen des Europäischen Qualifikationsrahmens.

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Zum anderen wird ein zunehmendes Interesse der Beratungswissenschaften an diesem Thema sichtbar. Darüber hinaus drängt eine Vielzahl von Anbietern unterschiedlicher Qualität auf diesen Weiterbildungsmarkt. Dies lässt eine Festlegung von überprüfbaren Qualitätsstandards auch für Lehrsupervisorinnen umso dringlicher erscheinen, damit sich sowohl die Kundinnen (Weiterbildungsteilnehmende) als auch die Endabnehmerinnen (Nutzerinnen von Supervision, wie Organisationen, Unternehmen, Einzelpersonen) entsprechend orientieren können. Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Theorie-Praxis-Modell entstanden und wird in Verbindung mit ersten Arbeitsergebnissen beschrieben. Ausgehend von einer Definition der Zielgruppe und einer Beschreibung des Lehr- und Lernverständnisses werden die wichtigsten Leitfragen benannt und anschließend die Lernziele aufgezeigt. Darauf aufbauend wird das diesem Qualifizierungskonzept zugrunde liegende Theorie-Praxismodell beschrieben. Die spezielle Lernarchitektur, orientiert an den Lernphasen, Inhalten und Lernformen der einzelnen Module, ist in einer Übersichtstabelle dargestellt. Exemplarisch wird die Anwendung des Modells in der Praxis am Beispiel des Auftakt-Workshops beschrieben. Mit Ausführungen zum Evaluationsworkshop und einem Resümee zu den gemachten Arbeitserfahrungen schließt dieser Beitrag. Für eine einfache Lesbarkeit wird bevorzugt die weibliche Form der Substantive und Berufsbezeichnungen genutzt.

Zielgruppe Zielgruppe der Qualifizierung zur Lehrsupervisorin sind sowohl erfahrene Supervisorinnen und Coaches, die eine Tätigkeit als Lehrsupervisorin anstreben, als auch bereits praktizierende Lehrsupervisorinnen, die ihre Arbeit damit auf ein strukturiertes, theoretisch-praktisches Fundament stellen und in diesem Rahmen zudem einen qualifizierten Austausch unter Kolleginnen finden. Beiden Gruppen gemeinsam ist eine bereits bestehende hohe Qualifizierung durch Supervisionsausbildungen, verschiedene Zusatzqualifizierungen (z. B. Organisationsberatung, EFQM, Mediation, Hypnotherapie, Gruppendynamik) und Erfahrungen in ganz unterschiedlichen Arbeitsfeldern und beruflichen Rollen.

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Lehr- und Lernverständnis Wie kann es nun gelingen, diese unterschiedlichen Erfahrungen fruchtbar in einen gemeinsamen Lernprozess der Gruppe zu integrieren und andererseits das individualisierte Lernen zu ermöglichen? Zumal die Teilnehmerinnen eine ganz besondere Herausforderung eint: Sie müssen die bisherige Rolle als Supervisorin »verlernen« (Rappe-Giesecke, 2009), um die neue Rolle als Lehrsupervisorin zu erlernen. Daraus ergibt sich die Frage, wie dieser Lernprozess begleitet werden kann und welches Lehr- und Lernverständnis die Basis dafür bildet. Da der Fokus dieses Beitrags auf den Praxiserfahrungen liegt, werden die entsprechenden Theorien hier nur kurz benannt. Zur Vertiefung wird auf die weiterführenden Quellen verwiesen. Aus einer Vielzahl wissenschaftlich-theoretisch eingeführter Lehr- und Lernmodelle sind die folgenden Theorien handlungsleitend für das beschriebene Modell: ȤȤ Hamburger Modell (Schulz, 2011); ȤȤ Sandwich-Prinzip (Wahl, 2013); ȤȤ das tiefenpsychologische Persönlichkeitsmodell (Freud, 1941); ȤȤ Container-Contained-Modell (Bion, 1990); ȤȤ Konzept der Selbstwirksamkeit/Lernen am Modell (Bandura, 1979); ȤȤ Phasen der Gruppenentwicklung (König u. Schattenhofer, 2012); ȤȤ die »Gruppe als Resonanzraum und Mittel zur Beratung« (Weigand, 2009). Das Hamburger Modell (Schulz, 2011) ist ein lehr- und lerntheoretisches Didaktik-Konzept. Es bietet Struktur und Leitplanken für die Planung, Durchführung und Evaluation von Lehreinheiten. Zentrales Element sind vier Planungskriterien: 1. was und wozu, 2. wer und mit wem, 3. wie und womit sowie 4. die Erfolgskontrolle. Dabei stellen die unmittelbaren Erfahrungsfelder der Zielgruppe den Ausgangspunkt aller Überlegungen dar und werden mit der übergeordneten Intention verbunden, die Lernenden in »Kompetenz, Autonomie und Solidarität« (Gudjons u. Traub, 2012, S. 250) zu fördern. Das Hamburger Modell fordert zudem, kürzere Lehreinheiten in den gesamten Lern- und Entwicklungsprozess des Individuums einzuordnen und dabei sowohl institutionelle als auch gesellschaftliche Rahmenbedingungen kritisch zu reflektieren. Mit diesem emanzipatorischen Anspruch, verbunden mit seiner Praktikabilität bietet es die passende Grundlage für das didaktisch-­ methodische Vorgehen. Ergänzend sei das Sandwich-Prinzip von Wahl (2013) genannt. Es legt das Augenmerk auf die aktive Gestaltung von Lernumgebungen und bietet eine Fülle erprobter Handlungsanleitungen für Lehren und Lernen.

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Das tiefenpsychologische Persönlichkeitsmodell (Freud, 1941), das ContainerContained-Modell (Bion, 1990) und das Konzept der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1979) bilden die theoretischen Grundlagen für den Bereich des »individuellen Lernens«. Die Konzepte haben gemeinsam, dass sie den Beziehungen zwischen den Akteurinnen (Gruppenteilnehmerinnen, Trainerin u. a.) und den damit verknüpften dynamischen Prozessen konstituierende Bedeutung für das Lernen zuweisen. Für die Strukturierung und Reflexion des Lernprozesses in der Gruppe bieten das Konzept der Phasen der Gruppenentwicklung (König u. Schattenhofer, 2012, S. 60–63) und die Überlegungen zur Gruppe als Resonanzraum und Mittel zur Beratung (Weigand, 2009) die theoretische Basis. Erfahrungen aus der Praxis zeigen die Brauchbarkeit dieser genannten Theorien, denn sie beziehen sich auf die relevanten Gestaltungsfelder des Konzepts: den methodisch-didaktischen Aufbau und die prozessorientierte Gestaltung und Begleitung des individuellen Lernens in Kombination mit den gruppendynamischen Prozessen. Während der Erarbeitung des Konzeptes bildeten die im Folgenden genannten Kernfragen den roten Faden für die Handlungsstrukturierung: ȤȤ Worin besteht der inhaltliche Mehrwert dieses Qualifizierungsangebotes gegenüber den tradierten Formen der Kontrollsupervision und Fortbildung? ȤȤ Welche didaktisch-methodischen Überlegungen ergeben sich, ausgehend vom speziellen Bedarf der Zielgruppe und den sich daraus ergebenden Lernzielen? Welche Lernsettings folgen daraus? ȤȤ Wie lässt sich der individuelle Lernprozess mit dem Lernen in der Gruppe verknüpfen, sodass sowohl der Einzelne einen effektiven Prozess durchläuft als auch die Gruppe als Spielfeld für kooperatives Lernen genutzt werden kann? ȤȤ Welchen Einfluss haben die angestrebte Zertifizierung und die Teilnahme am Evaluationsworkshop auf den Lehr-/Lernprozess?

Lernziele Für den qualifizierten Abschluss der Weiterbildung werden folgende Ziele definiert: ȤȤ die Qualifizierung zum professionellen Handeln als Lehrsupervisorin (Lernziele 1–3); ȤȤ das Erstellen eines schriftlichen Lehrsupervisionskonzepts (Lernziel 4); ȤȤ die erfolgreiche Teilnahme an einem Evaluationsworkshop (Lernziel 5).

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Orientierungsrahmen bieten hier die vom Berufsverband EASC (European Association for Supervision and Coaching in Europe) erarbeiteten Qualitätsstandards sowie die Kriterien zur Begutachtung der Lehrsupervisionskompetenzen, die in einem Evaluationsworkshop Anwendung finden (EASC, 2015, S. 34). Im Folgenden werden die benannten Lernziele näher beschrieben. Qualifizierung zum professionellen Handeln als Lehrsupervisorin Rollenkompetenz (RK, Lernziel 1): Die Teilnehmerinnen erweitern ihre bisherige Rollenidentität als Supervisorin und verstehen sich zunehmend als lehrende Supervisorin. Sie vergegenwärtigen sich den professionellen Rahmen, in dem Lehrsupervision stattfindet. Sie setzen sich mit Anforderungen und möglichen Erwartungen der Vertragspartnerinnen auseinander und gestalten vor diesem Hintergrund einen professionellen Vertrag (Dreiecksvertrag). Sie befassen sich mit Weiterbildungskonzepten und der Rolle der Lehrsupervision im Weiterbildungskontext. Dabei lernen sie, sich auf der Basis ihres eigenen Rollenverständnisses einzubringen. Sie können den Beitrag von Lehrsupervision zum Lehr- und Lernerfolg im Rahmen einer qualitätsorientierten Weiterbildung aufzeigen und sich in der Professionsgemeinschaft als mitgestaltende Lehr- und Lernpartnerinnen positionieren. Die Teilnehmerinnen lernen, den Prozess der Lehrsupervision mit der Lehrsupervisandin professionell zu steuern. Dabei fokussieren sie sowohl ihre eigenen Aufgaben als auch die der Supervisandin. Sie erkennen den Lern- und Entwicklungsbedarf und entwickeln auf der Basis theoretischer Modelle ein Konzept, wie ihre Lehrsupervision den individuellen Lernprozess fördern kann (z. B. zum Thema Ziele entwickeln – angelehnt an Wastian u. Poetschki, 2016; Storch u. Krause, 2007; zum Thema Fallarbeit, Weigand, 2009; Hassler, 2011). In dem Zusammenhang setzen sich die Teilnehmerinnen mit diesen Elementen auseinander: Lehren, beurteilen, Entwicklung fördern, kontrollieren und evaluieren. Sie erweitern diesbezüglich ihr Wissen und ihr Handlungsrepertoire. Auf der Basis eines interaktiv gestalteten Lernprozesses in der Lerngruppe lernen sie »am Modell« und erweitern ihr Konzept der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1979) um die Rolle der Lehrenden. Transferkompetenz von Lehr-/Lernprozessen (TK, Lernziel 2): Erfolgreiches Lehren und Lernen hat immer den Transfer des Gelernten zum Ziel. Hier steht das methodisch-didaktische Handwerkszeug der Lehrsupervisorin im Mittelpunkt. Lehrsupervision ist per se transferorientiert. Dabei werden auf verschiedenen Ebenen (z. B. Organisation, Person, Rollen) Diagnoseansätze, entsprechende Interventionsmöglichkeiten und Wirkungsfragen fokussiert und für

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den Lernprozess der Lehrsupervisandin nutzbar gemacht. In der Qualifizierung wird das Augenmerk auf die Metaebene gelegt: Lehrsupervisorinnen konzeptualisieren ihr methodisch-didaktisches Vorgehen mit dem Blick auf nachhaltiges Lernen ihrer Supervisandinnen. Damit erarbeiten sie sich eine maßgebliche Grundlage für die Prozessgestaltung in der Lehrsupervision. Sie können ihr Vorgehen schlüssig und theoriebasiert beschreiben. Personale Kompetenz (PK, Lernziel 3): Die Lehrenden-Rolle erfordert eine Nachjustierung der Beziehungsgestaltungsfähigkeit und der (Lern-)Prozessgestaltung eines Lehrsupervisionsprozesses. Während das Lernziel 1 die professionelle Rolle insgesamt in den Blick nimmt, liegt hier der Fokus auf der Ausgestaltung und der Bearbeitbarkeit der Beziehung zwischen Lehrsupervisorin und Supervisandin. Diese kann wiederum Modell für die Beziehung zwischen der Supervisandin (Supervisorin in Ausbildung) zu deren Supervisandinnen sein. Auf der Metaebene wird diese Arbeitsbeziehung durch vertiefende Reflexion bearbeitet. Zudem umfasst dieses Lernziel auch die Fähigkeit zur Selbstexploration im Dienste der persönlichen Weiterentwicklung, der Selbstführung und des Selbstmanagements. Sowohl die Live- und Fallsupervision als auch die Reflexion personenbezogener und gruppendynamischer Prozesse während des Lernprozesses in der Gruppe bieten hier das erforderliche »Material« für dieses Lernziel. Das eigene Lehrsupervisionskonzept entwickeln (LSK, Lernziel 4) Ziel der Weiterbildung ist es, die Weiterbildungsteilnehmerinnen zu befähigen, die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich ihrer (neuen) beruflichen Rolle in einen konzeptionellen Zusammenhang zu bringen. Sie verknüpfen ihr berufliches Handeln, die Seminarerfahrungen und die neu gewonnenen Theorie­ zugänge zu einem eigenen Lehrsupervisionskonzept. Dieses stellen sie schriftlich dar. Das Konzept muss von der Weiterbildungsleiterin und der zweiten Leiterin des Evaluationsworkshops angenommen werden. Die erfolgreiche Teilnahme am Evaluationsworkshop (EVA, Lernziel 5) Die Teilnahme an einem Evaluationsworkshop ist ein fester Bestandteil von Qualitätsnachweisen im Rahmen der Standards der EASC. Zwei Ausbilderinnen, die den Workshop leiten, erstellen das für die Zertifizierung erforderliche Empfehlungsschreiben. Im Einzelnen sind folgende Aufgaben von den Teilnehmerinnen zu erfüllen: Sie stellen ihr Lehrsupervisionskonzept vor, geben eine 15-minütige Probe ihres Lehrens in der Lehrsupervision sowie eine Ein-

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heit Live-Lehrsupervision. Feedbackgespräche mit Leitung und Gruppe geben dem Workshop den Charakter eines Kolloquiums.

Das Weiterbildungsmodell Lernphasen und Lernarchitektur Die Weiterbildung wird über einen Zeitraum von mehreren Monaten bis zu einem Jahr durchgeführt. Aufbau, Setting und Methoden sollen das Lernen befördern. Auszugehen ist von einer hohen Lernmotivation. Aus meiner Erfahrung zeigt sich, dass die Lernintensität individuell unterschiedlich und im Laufe einer länger dauernden Maßnahme unterschiedlich hoch ist. Grundlegendes Element der Lernarchitektur ist ein am Lernprozess der Teilnehmerinnen orientiertes Phasenmodell, welches ich aus den Erfahrungen meiner langjährigen Lehrpraxis entwickelt habe. Wesentlicher Bestandteil dieses Phasenmodells ist der Spannungsbogen, der sich im Lernprozess zeigt und für den Prozess konstruktiv genutzt wird. Das Phasenmodell bietet Orientierung für das Setting und den Aufbau der Qualifizierung und stellt quasi ein Gerüst für die Lernarchitektur dar. Dabei ist es sowohl auf den Gesamtprozess (siehe Abbildung 1) als auch auf jedes einzelne Modul anwendbar: Lernphase 1 – Kontakt, Klärung und Kontrakt: Ausgangssituation, erste Zielbeschreibung, Kontrakt mit Leiterin und Gruppe. Lernphase 2 – Orientierung und Zielfindung: Was machen andere? Anforderungen des Berufsverbandes. Inhaltliche Auseinandersetzung mit der Funktion von Lehrsupervision im Rahmen von Weiterbildung; Welche Formen gibt es? Vergleiche mit der eigenen Praxis; Erarbeitung von Lernzielen. Lernphase 3 – Analyse und Reflexion: erste Erarbeitung von Bausteinen; eigenes Handeln wird in Bezug gestellt zu Lernzielen und Anforderungen; Fall­ beispiele; Live-Supervision. Lernphase 4 – Lösungen und Handlungswege: Erweiterung der eigenen Handlungskompetenzen, größere Tiefe, genaueres Analysieren und Anwenden der Erkenntnisse, Bausteine für das eigene Konzept. Lernphase 5 – Stabilisierung und Transfer: Auswertung der Erfahrungen und Ergebnissicherung, Anwendung in neuen Bereichen, Feedback; weitere Professionalisierung durch Formulieren, Erklären des eigenen Vorgehens, Erstellen des schriftlichen Konzepts. Lernphase 6 – Zielerreichung und Evaluation: sich in der kollegialen Professionswelt mit dem eigenen Konzept zeigen, sich der Begutachtung durch andere stellen.

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Abbildung 1 stellt den Gesamtprozess in seinem Aufbau dar. Gruppenlernen und individuelles Lernen wechseln darin einander ab – damit wird der Spannungsbogen im Lernprozess bis zum Evaluationsworkshop aufrechterhalten.

Ziele & Orientierung

Kontakt, Klärung & Kontrakt

Individuelle Umsetzung

Lösungen & Handlungswege

Individuelle Umsetzung

Individuelle Umsetzung

1

2

Auftakt-WS LS-Treffen

Stabilisierung & Transfer

Individuelle Umsetzung

3

4

5

Zielerreichung & Evaluation 6

7

Gruppen-LS Intensiv-WS Gruppen-LS Konzeptberatung Evaluations-WS

Qualifizierung Lehrsupervision – der Gesamtprozess

© clarté gesunde zukunft für unternehmen

Analyse & Reflexion

Abbildung 1: Qualifizierung Lehrsupervision – der Gesamtprozess

Ziele, Inhalte und Didaktik der einzelnen Module Die Qualifizierung beinhaltet: ȤȤ zwei Theorie-Praxis-Workshops, inhaltlich aufeinander aufbauend; ȤȤ die Teilnahme an einem kollegialen Fortbildungstreffen praktizierender Lehrsupervisorinnen, Trainerinnen und Weiterbildungsleiterinnen; ȤȤ mehrere Gruppenlehrsupervisionstreffen; ȤȤ unterschiedliche, individuell umgesetzte Praxisanteile (z. B. ein Workshop Teamentwicklung, ein Praxistag Coaching); ȤȤ eine Konzeptberatung im Einzelsetting gegen Ende der Weiterbildung; ȤȤ den Abschluss der Weiterbildung bildet ein Evaluationsworkshop. Im Auftakt-Workshop wird sichergestellt, dass die Teilnehmenden bereits zu Beginn der Qualifizierung für eigene Lehrsupervisionsprozesse gerüstet sind und ihre bereits stattfindenden Prozesse vertiefend reflektieren können. Daran schließen nahtlos die »individuelle Umsetzung« und das Lehrsupervisorinnentreffen an (siehe Tabelle 1). In den Gruppenlehrsupervisionstreffen werden sowohl die Settings Gruppensupervision als auch Einzelsupervision (Fish-Bowl) praktiziert und reflektiert. Die Teilnehmenden experimentieren und erfahren Modelle, die sie selbst unmittelbar in ihrer Praxis anwenden können.

RK/PK erweiterten Kollegenkreis kennenlernen; Fachthemen; Prüfungskriterien für Coaches/ Supervisorinnen EVA/RK/PK Entwicklungsbedarfe erkennen, Feedback

RK/PK WB-Konzept, Lern­ kon­trakt; Rahmenbedingungen für LS; Rolle Berufsverband; Rolle der LS in der Weiterbildung; Dreiecksvertrag; Lehren und Lernen; Lernphasen; »Lernen am Modell«; Lernen am Fall; Ziele entwickeln LSK/EVA möglicher Aufbau eines Konzepts; individuelle Lernziele

RK/PK Fokussieren auf Rolle: Lehren, Beurteilen, Konfrontieren, Dreiecksverträge; Fallsupervision und Konzeptentwicklung LSK Lernen am Modell; verschiedene Settings

3+5 Gruppen-LS

Fotoprotokolle, Handouts, Hausaufgaben, Fachliteratur, Lerntagebuch, Peergrouptreffen, Vorbereitung Konzeptberatung

Ergebnissicherung

das eigene Konzept weiterentwickeln

Lerngruppe; div. Lehr- und Lernmethoden; Lernen durch Lehren

RK/PK die Organisation in der LS; Dreiecks-/Netz­ vertrag; versch. Konzepte: Supervision, Training, Coaching, Organisationsberatung; Modell der Lernphasen; Spiegelungsphänomene; Parallelprozesse; Selbstfürsorge, Stressbewältigung u. a. LSK Bausteine für eigenes Konzept

4 Intensiv-WS

individueller Lernplan, Umsetzung und Anwendung in eigener Praxis, individualisierte Hausaufgaben

Learning by Doing; Dyade/Tandem; Lehrsupervision

RK/PK z. B. Praxistag »Coach­ ing« konzeptualisieren und durchführen; Feedback nehmen und geben; »Lernen am Modell« in der Praxis LSK Bausteine für eigenes Konzept

Individuelle Umsetzung

Transfersicherung TK

erweiterte Lerngruppe; Lerngruppe, (Live-)div. Methoden Lehrsupervision; div. Methoden

2 LS-Treffen

1 Auftakt-WS

Wie? Lerngruppe; (Setting und div. Lehr- und Methode) Lernmethoden

Was und wozu? (Ziele und Inhalte)

Konzept

Module

Tabelle 1: Inhaltliche und didaktische Strukturierung der Qualifizierung

LSK

Umsetzung in LSK

Einzelsetting

LSK eigenes Konzept wird vorgestellt und beraten

6 Konzeptberatung

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Der Intensiv-Workshop beinhaltet verschiedene Themen, die in den Gruppenlehrsupervisionen zutage getreten sind und damit unmittelbar an die Praxis anknüpfen (z. B. Spiegelungsphänomene, Parallelprozesse, Konfrontieren). Durch individuelle Arbeitsaufträge wird der Intensiv-Workshop auch vonseiten der Teilnehmenden vorbereitet. Kurze Lehreinheiten der Teilnehmenden vor der Gruppe und Live-Supervision stellen gleichzeitig ein Übungsfeld für den bevorstehenden Evaluationsworkshop dar. Das Modell der Lernphasen 1 bis 6 findet immanent in jedem einzelnen Modul Anwendung. Durch das Anheben auf die Metaebene wird es zum Lerngegenstand und steht damit den Teilnehmenden als Strukturierungs- und Steuerungshilfe für eigene Supervisionsprozesse zur Verfügung. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die inhaltliche und didaktische Strukturierung der Qualifizierung. Die didaktischen Fragen des Hamburger Modells (y-Achse) und die Chronologie in der Abfolge der Module (x-Achse) bilden die Grundstruktur. Die wichtigsten Inhalte jedes Moduls, zugeordnet zu den Lernzielen, sind stichpunktartig benannt. Das Phasenmodell in der Praxis – am Beispiel »Auftakt-Workshop« Im Auftakt-Workshop werden die Grundlagen zu Funktion, Aufgabe und Rolle von Lehrsupervision im Weiterbildungskontext vermittelt. Dabei werden die institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt. Lehrsupervision geschieht im Kontext von gesellschaftlich und wirtschaftlich organisierter Arbeit (das Feld für Supervision) und beruflicher Bildung und Qualifizierung (das Feld für Lehrsupervision). Diesen Kontext in die Reflexion und in den Lehr- und Lernprozess mit einzubeziehen fördert von Beginn an die Rollenadaption. Es werden Theorien vermittelt (z. B. Ziele entwickeln, Wastian u. Poetschki, 2016; Lernen am Modell, Bandura, 1979), die in Verbindung mit dem entsprechenden »Handwerkszeug« (z. B. Zürcher Ressourcenmodell, Storch u. Krause, 2007; Lernen am Fall, Hassler, 2011) die Basis für die konkrete Anwendung in der Lehrsupervisionspraxis der Teilnehmenden bieten können. Gleichzeitig werden im ersten Workshop die Weichen sowohl für den individuellen als auch für den Gruppen-Lernprozess gestellt. »Lernen am Modell« geschieht in der Interaktion in der – geleiteten – Gruppe. Ziele werden sowohl individuell als auch in der Gruppenreflexion erarbeitet und vereinbart. Ein Lernkontrakt wird eingegangen. Dies alles geschieht beispiel- und modellhaft für die Anwendung in der Praxis der Teilnehmenden. Diese bringen sich von Beginn an mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen ein, da sie die Themen aus ihrer Supervisionspraxis sowie von einschlägigen

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Veröffentlichungen und Tagungen kennen und zudem vieles vom Handwerkszeug bereits praktizieren. Die Lerninhalte bauen auf bereits Bekanntem auf (Sandwich-Prinzip; Wahl, 2013). Gleichzeitig kommt hier das »Verlernen« zum Tragen (Rappe-Giesecke, 2009) und die damit zusammenhängende Konfrontation mit dem »Nichtwissen« und den damit wiederum verbundenen Gefühlen (z. B. Scham). Theoretische Basis für das Leitungshandeln bietet hier das Container-Contained-Modell von Bion (1990), in seiner Anwendung beschrieben von Giernalczyk, Lazar und Albrecht (2012, S. 25–37). Die Lernphasen 1 Kontakt, Klärung und Kontrakt und 2 Orientierung und Ziele stehen im Auftakt-Workshop im Vordergrund. Zudem werden durch die vertiefende Erarbeitung eines Themas (der Dreiecksvertrag) die Lern­ phasen 3 Analyse und Reflexion und 4 Lösungen und Handlungswege eingeleitet. Die gemeinsame inhaltliche Erarbeitung – methodisch unterstützt z. B. durch Kleingruppenarbeit und Plenumsarbeit im Wechsel – fördert den Gruppenprozess. Die Gruppe entwickelt sich zu einem Ort, an dem individuelle Erfahrungen reflektiert und beraten werden können und persönliches Wachstum möglich ist.

Der Evaluationsworkshop Die Absolventinnen stellen ihre Arbeitsergebnisse in verschiedenen Formen einem größeren Kolleginnenkreis und zwei Ausbilderinnen vor, von denen eine Ausbilderin nicht an der Qualifizierung beteiligt war. Weitere Teilnehmende sind Kolleginnen, die eine Zertifizierung zur Ausbilderin (EASC) sowie zum MasterCoach (EASC) anstreben sowie weitere Coaches und Supervisorinnen. Bereits die Vorbereitung stellt ein wichtiges Lernelement dar. Das eigene Konzept schriftlich zu erstellen bedeutet, das eigene Tun und Denken zu strukturieren und in eine in der Fachwelt anerkannte, verständliche Form zu bringen. »Lernen durch Lehren« (Aebli, 2011) wurde bereits im Intensiv-Workshop geübt und in der eigenen Praxis angewandt. Live-Supervision inklusive Feedback wurden ebenfalls praktiziert. Nun wird das eigene Können der Fachwelt vorgestellt. Die Absolventinnen erleben im Workshop unmittelbar die Resonanz auf ihr Tun und Handeln. Sie erhalten qualifiziertes Feedback auf ihre bisher geleistete und hier präsentierte Arbeit – auch von ihnen bisher unbekannten Kolleginnen und Kollegen. Sie können ihr professionelles Selbstbild bestätigt sehen und kritisch erweitern. Durch Fachgespräche im Kolleginnenkreis erleben sie persönliche Wertschätzung der weiteren Professionalisierung ihres supervisorischen Handelns.

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Resümee Aus den bisherigen Anwendungserfahrungen lässt sich ein vorläufiges Resümee ziehen: Aus der Perspektive der Teilnehmenden ergeben sich mehrere Nutzen. Das eigene berufliche Handeln wird evaluiert und methodisch und theorieergänzend erweitert. Die Rollen- und Handlungssicherheit wird insgesamt gestärkt. Die professionelle Identität wird um die Rolle der Lehrsupervisorin erweitert, ebenso die Handlungskompetenz als lehrende Supervisorin in Weiterbildungskontexten. Das Zertifikat und auch das eigene Lehrsupervisionskonzept können für Auftragsgewinnung und damit die Erweiterung des Tätigkeitsund Geschäftsfeldes genutzt werden. Die Zertifizierung als Qualitätsmerkmal innerhalb der Professionswelt ermöglicht den Eintritt in die Riege der Lehrenden. Damit erweitert sich auch das berufliche Netzwerk. Die Bereitschaft, sich verbandlich oder überverbandlich zu engagieren und die Profession weiterzuentwickeln, kann dadurch gefördert werden. Weiterbildungsinstitute und deren Kundinnen erhalten die Gewähr, dass die Absolventinnen dieser Qualifizierung ausgewiesene Kompetenzen und Professionalität in ihrer Rolle als Lehrsupervisorinnen mitbringen. Damit können Weiterbildungsinstitute die Qualität ihrer Angebote und Leistungen steigern und die Kundenakquise optimieren. Ihre Kundinnen erhalten darüber hinaus die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Ansätzen und Konzepten zu wählen und damit passgenau und selbstverantwortlich ihre eigene Weiterbildung voranzubringen. Endabnehmerinnen von Supervision, Coaching, Fort- und Weiterbildung wird durch die ausgewiesene Qualität (das Zertifikat) Orientierung bei der Auswahl ihrer Dienstleisterinnen geboten. Berufsverbände, wie die European Association for Supervision and Coaching (EASC) und die Deutsche Gesellschaft für Supervision (DGSv), legen Wert auf qualitativ hochwertige Weiterbildungskonzepte sowie den professionellen und engagierten fachlichen Austausch. Beides wird durch die Qualifizierung direkt und indirekt gefördert. Das vorliegende Konzept bietet somit eine theoretisch fundierte und methodisch durchdachte Basis für die professionelle Gestaltung des Lehr- und Lernprozesses zukünftiger Lehrsupervisorinnen.

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Literatur Aebli, H. (1994). Denken. Das Ordnen des Tuns. Band II: Denkprozesse (2. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Aebli, H. (2011). Zwölf Grundformen des Lehrens (14. Aufl.). Freiburg u. Stuttgart: Klett-Cotta. Bandura, A. (1979). Social learning theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice-Hall. Zitiert und erörtert in T. Seidel, A. Krapp (Hrsg.) (2014), Pädagogische Psychologie (6. Aufl., S. 163 ff.). Weinheim u. Basel: Beltz; sowie in H. Gudjons, S. Traub (Hrsg.) (2012), Pädagogisches Grundwissen (S. 224 ff.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Bion, W. R. (1990). Lernen durch Erfahrung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. EASC (European Association for Supervision and Coaching) (Hrsg.) (2015). Manual. Qualitätsstandards der EASC. Berlin: o. V. Freud, S. (1941). Abriss der Psychoanalyse. GW XVII. London: Imago. Giernalczyk, T., Lazar, R. A., Albrecht, C. (2012). Die Rolle der Führungskraft und des Beraters als Container. In T. Giernalczyk, M. Lohmer (Hrsg.), Das Unbewusste im Unternehmen. Psychodynamik von Führung, Beratung und Change Management (S. 25–37). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Gudjons, H., Traub, S. (2012). Pädagogisches Grundwissen (11. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Gudjons, H., Winkel, R. (Hrsg.) (2011). Didaktische Theorien (12. Aufl.). Hamburg: Bergmann + Helbig. Hassler, A. (2011). Ausbildungssupervision und Lehrsupervision. Ein Leitfaden fürs Lehren und Lernen. Bern u. a.: Haupt. Judy, M., Knopf, W. (Eds.) (2015). ECVision. Supervision and Coaching in Europe. Concepts and Competences. Wien. Zugriff am 01.11.2015 unter www.anse.eu/ecvision/start.html Kallabis, O. (1992). Gestaltung von Dreieckskontrakten. Supervision, 22, 14–29. König, O., Schattenhofer, K. (2012). Einführung in die Gruppendynamik (6. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Rappe-Giesecke, K. (2009). Lernen und Verlernen – Wie müssen Weiterbildungen in Beratung konzipiert sein? Supervision, 1, 28–36. Schulz, W. (2011). Die lehrtheoretische Didaktik. In H. Gudjons, R. Winkel (Hrsg.), Didaktische Theorien (12. Aufl., S. 35–56). Hamburg: Bergmann + Helbig. Seidel, T., Krapp, A. (Hrsg.) (2014). Pädagogische Psychologie (6. Aufl.). Weinheim u. Basel: Beltz. Storch, M., Krause, F. (2007). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit mit dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM) (4. Aufl.). Bern: Huber. Wahl, D. (2013). Lernumgebungen erfolgreich gestalten. Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln (3. Aufl. mit Methodensammlung). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Wastian, M., Poetschki, J. (2016). Coaching-Ziele klären und erreichen. Wie Coachs ihre Coachees zum Erfolg führen. In C. Triebel, J. Heller, B. Hauser, A. Koch (Hrsg.), Qualität im Coaching (S. 185–194). Berlin u. Heidelberg: Springer. Weigand, W. (2009). Die Gruppe als Resonanzraum und Mittel zur Beratung. In C. Edding, K. Schattenhofer (Hrsg.), Handbuch. Alles über Gruppen (S. 209–257). Weinheim u. Basel: Beltz.

Wolfgang Knopf

Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden – was sollten Supervisoren/Coaches am Ende ihrer Ausbildung zeigen können?

How do we recognise successful supervision-on-supervision – what should supervisors/coaches be able to demonstrate at the end of their training? Can there be a sufficient answer to this question? This article wants to stimulate reflection and examination of this. Can a framework of competence, developed in a project entitled »ECVision – A European Competence Framework of Supervision and Coaching« conducted by the European Professional Association, be a basis for discussion and an initial orientation for the professionalisation of supervision-on-supervision?   This article highlights »professional identity« as defined in the ECVision competence profile. It seems reasonable to analyse this question just at the interface between theory and practice. Just there, supervision-on-supervision is placed to reflect and process supervision of trainees. Yet, such an analysis is not the main target of this article. The reader is rather invited to »re-reflect« on this concept and to illustrate it critically – at best, by putting it directly into practice.   The mentioned project is briefly demonstrated, followed by a description of the four key areas of competence – »reflection«, »integration of theory and practice«, »perspectives on individuals, services and organisations« and »structuring processes«. Detailed case examples are presented, which can be verified in terms of their suitability for supervision-on-supervision. Two brief concluding sections cover the probable benefit of the ECVision competence profile for the curricula as well as for the selection of supervision trainers. Zusammenfassung Kann es auf die im Titel gestellte Frage eine befriedigende Antwort geben? Der Beitrag möchte zum Nachdenken und Überprüfen anregen. Kann der in einem vom Europäischen Berufsverband durchgeführten Projekt, »ECVision – ein Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching«, entwickelte Kompetenzrahmen eine Diskussionsgrundlage und eine erste Orientierung für die Professionalisierung der Lehrsupervision abgeben? Exemplarisch wird in diesem Beitrag die »professionelle Identität« aus dem ECVision-Kompetenzprofil dargestellt. Gerade an der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis, wo die Lehrsupervision mit der Reflexion und Ver-/Bearbeitung der Lernsupervision angesiedelt ist, erscheint eine Überprüfung sinnvoll. Diese Überprüfung erfolgt nicht in diesem Beitrag. Er lädt ein zum »Nach-Denken« des Konzepts, zu einer kritischen Beleuchtung am besten gleich in der Praxis.   Kurz wird das erwähnte Projekt vorgestellt, konkret werden dann exemplarisch vier zentrale Kompetenzbereiche, »Reflexion«, »Integration von Theorie und Praxis«, »Perspektive auf Person, Arbeit und Organisation« und »Prozesse strukturieren«, beschrieben, die auf ihre Tauglichkeit für Lehrsupervision überprüft werden können. Abschließend wird die mögliche Nutzung des ­ECVision-Kompetenzprofils für Curricula und für die Auswahl von Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in zwei kurzen Abschnitten behandelt.

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Wolfgang Knopf

ECVision – ein Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching1 2012 wurde das LEONARDO-Projekt »ECVision« von der Europäischen Kommission ausgewählt, um ein »European System of Comparability and Validation of Supervisory Competences« zu entwickeln. Dieses Projekt wurde unter der Federführung der ANSE (Association of National Organizations for Supervision in Europe, www.anse.eu) in Kooperation mit EUROCADRES (The Council of European Professional and Managerial Staff) und der Wiener Volkshochschulen GmbH durchgeführt und 2015 abgeschlossen (Judy u. Knopf, 2015). Neben einem Glossar für Supervision und Coaching wurde hier ein Kompetenzprofil für Supervision und Coaching erarbeitet (Ajdukovic et al., 2015). Für dieses Kompetenzprofil wurden drei Konzepte als methodologische Orientierung herangezogen: ȤȤ das ECVision Glossar, ȤȤ die Taxonomie von Bloom (Krathwohl, Bloom u. Masia, 1978), ȤȤ der Europäische Qualifikationsrahmen. Vom ECVision Glossar wurden die Kernqualitäten und Methoden als Ausgangspunkt für die Erstellung des Profils herangezogen und die Taxonomie von Bloom, sowohl die kognitive als auch die emotionale, an die Erfordernisse einer möglichen Beschreibung von Lernergebnissen und Kompetenzen für Supervisorinnen und Coaches angepasst. Die hier verwendete Taxonomie war: »1. Anwenden: abgleichen, analysieren, beobachten, einnehmen, einsetzen, nutzen, kommunizieren, pflegen, reagieren, verwenden, leisten. 2. Analysieren: artikulieren, bearbeiten, erforschen, erkennen, Erkenntnisse gewinnen, studieren. 3. Evaluieren: beurteilen, beziehen, einschätzen, entscheiden, festlegen, fokussieren, klären, identifizieren, in Zusammenhang bringen, infrage stellen, integrieren, meta-kommunizieren, reflektieren, überprüfen, unterscheiden, untersuchen, verdeutlichen, vermitteln, verstärken, wählen. 1

An diesem Projekt waren folgende Personen aktiv beteiligt: Project-Team: M. Judy (Project coordinator, A), M. Ajdukovic (Univ. Zagreb, HR), L. Cajvert (Univ. Gothenburg, SE), W. Knopf (ANSE, EU/A), H. Kuhn (TOPS-München-Berlin e. V., D), K. Madai (Coach Academy, H), M. Voogd (Coachkwadraat, NL); Experts: G. Baumgartner (CH), H. Björkman (WSP, S), E. Brugger (WBA- Weiterbildungsakademie, A), S. Ehmer (Univ. Freiburg; D/A), E. de Haan (Ashridge’s Centre for Coaching; VU Univ. Amsterdam, UK/NL), T. Haugs (Univ. Stavanger, NO), L. van Kessel (NL), H. Messel (S), H. Möller (Univ. Kassel, D), H. Müller-Riedl­huber (WIAB-Wiener Institut für Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung, A).

Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden

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4. Ermöglichen: ansprechen, anbieten, anpassen, behandeln, beziehen, einbeziehen, eingehen, erleichtern, ermöglichen, ermutigen, fördern, fordern, fungieren, Kontakt/Spannungen halten, stimulieren, teilnehmen, unterstützen, wahren. 5. Erschaffen: co-kreieren, beherrschen, entwickeln, führen, generieren, gestalten, handhaben, kreieren, intervenieren, Lösungen finden, realisieren, schaffen« (Ajdukovic et al., 2015, S. 6). Die Beschreibung supervisorischer Kompetenzen über Kenntnisse, Fertigkeiten und Performance folgt den Deskriptoren des Europäischen Qualifikationsrahmens: »Die ›Kompetenz‹ bezeichnet jeweils jene unverzichtbaren fundamentalen Charakteristika professioneller Beratung in Supervision und Coaching. Die ›Kenntnisse‹ beschreiben Fakten, Grundsätze, Theorien und Praxis­wissen, die supervisorischem Arbeiten zugrunde liegen müssen. Unter ›Fertigkeiten‹ beschreiben wir die kognitiven wie praktischen Fähigkeiten, diese Kenntnisse anzuwenden, um effektiv beratend tätig werden zu können. Das Herzstück des Kompetenzprofils ist die Beschreibung der ›Performance‹. Ohne die Nachvollziehbarkeit, worüber Kompetenz wahrnehmbar wird, halten wir Kompetenzbeschreibungen für wenig sinnvoll. Mit dem Fokus auf Performance-Kriterien haben wir darüber hinaus auch bereits Lernergebnisse formuliert, die am Ende einer qualifizierten Ausbildung zu Supervision und Coach­ing im Verhalten der AusbildungskandidatInnen beobachtbar sein sollten« (Ajdukovic et al., 2015, S. 6). Der bewusst auf die Beschreibung beobachtbaren Verhaltens gewählte Fokus soll eine reale, nachvollziehbare, d. h. transparente Lernergebnisorientierung ermöglichen und dadurch die Kommunikation über Fremd- wie Selbsteinschätzung professionell unterstützen. Gleichzeitig sei hier aber darauf verwiesen, dass sich nicht alle Facetten einer Kompetenz eindeutig beschreiben lassen. Sich nur und alleinig auf eine Kompetenzorientierung, wie sie zurzeit von allen Ausbildungen von der EUKommission verlangt werden, zu beschränken, wird nicht den Anforderungen, den Erfahrungen von effektiver Beratung gerecht. Auch hier ist eine kritische Reflexion notwendig. In diesem Sinn versteht sich das ECVision-Kompetenzprofil als Orientierung, als Rahmen, den es sinnstiftend zu nutzen, zu erweitern, aber auch zu negieren gilt!

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Wolfgang Knopf

ECVision-Kompetenzprofil und Lehrsupervision Die Lern- und Lehrsupervisionen sind in allen Ausbildungen zentrale Elemente. Unterstützt durch Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren erfolgen die ersten Schritte in die eigene Beratungspraxis. Die Reflexion der Selbsteinschätzung durch die Ausbildungskandidaten und die Fremdeinschätzung durch die Lehrsupervisoren sind die Grundlage dieser Ausbildungsschritte. Die Ausbildungen, die von den nationalen Verbänden akkreditiert sind, folgen einem in der ANSE formulierten Mindeststandard an Grundvoraussetzungen, die die Aufnahmekriterien für die Teilnehmenden, die Anforderungen an die Curricula (Inhalt, Zeitumfang) und an die Trainierenden beschreiben. Die Qualifikationen der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren sind vage, meist als vorzuweisende mehrjährige Erfahrungen als Beraterin oder Berater in unterschiedlichen Arbeitsfeldern umrissen. Auch wie in Lehrsupervisionen gearbeitet werden soll, im Einzel- wie im Gruppensetting, ist wenig systematisiert und wird erst langsam innerhalb der Supervisionscommunity professionell diskutiert. Momentan definieren die Ausbildungsträger – wenn überhaupt – und die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren die Art und Weise dieser Ausbildungsphase nach eigenem Gutdünken (das ist hier nicht abwertend zu verstehen!). Ich selbst, sowohl als Ausbildungsleiter, Trainer als auch als Lehrsupervisor tätig, stelle in der eigenen Praxis immer wieder fest, dass die Formulierung von Inhalten, von Kompetenzen leichter fällt als die Antwort auf die Frage, woran man gerade Letztere als Umsetzung der vorgestellten Inhalte erkennen könnte. Vieles wird dabei eher »gespürt und geahnt«. Dieses Intuitive soll jetzt nicht an Bedeutung verlieren, aber es soll – wenn sich die Profession auch in den Ausbildungen weiterentwickeln will – durch möglichst klare Beschreibungen der realen Wahrnehmung von Kompetenzen ergänzt, auf eine solide Basis gestellt werden. Für diesen notwendigen Schritt kann das ECVision-Kompetenzprofil als Grundlage dienlich sein. Ziel der Lehrsupervision ist im weitesten Sinn die Unterstützung einer professionellen Identität als Supervisorin oder Supervisor und Coach. Diese professionelle Identität umfasst eine professionelle Haltung und professionelles Verhalten. Im ECVision-Kompetenzprofil wurden darunter folgende Kompetenzen subsumiert (Tabelle 1).

Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden

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Tabelle 1: Kompetenzen der professionellen Identität Professionelle Identität Professionelle Haltung

Professionelles Verhalten

Professionelle Haltung Reflexionsvermögen Integration von Theorie und Praxis Ambiguitätstoleranz Ethik Qualitätsentwicklung Sicherstellen beruflicher Weiterentwicklung Sicherstellen persönlicher Weiterentwicklung Mitarbeiten an professionellen Standards und Entwicklungen Perspektive auf Person, Arbeit und Organisation Unterschiedliche persönliche, berufliche und organisatorische Werte und Kulturen einbeziehen Funktion, Rolle und Status innerhalb einer Organisation gestalten Auf Führung fokussieren Professionelles Verhalten Arbeitsbeziehung gestalten Auftragsklärung Prozesse strukturieren Evaluieren Entwicklung fördern Berufliche Entwicklung fördern Veränderung ermöglichen Lernen fördern Komplexe Kommunikation steuern Den eigenen Kommunikationsstil professionell nutzen Kommunikationsprozesse gestalten Die Kommunikation von Person – Arbeit – Organisation gestalten Spannungen, Brüche und Konflikte halten und bearbeiten Umgang mit Vielfalt Diversity-Bewusstsein Macht, Hierarchie und Diskriminierung handhaben Handwerkszeug, Techniken und Methoden gezielt einsetzen Gestalten unterschiedlicher Settings Methoden und Techniken einsetzen

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Wolfgang Knopf

Wie diese Kompetenzen lernergebnisorientiert dargestellt werden, wird anhand von vier Kompetenzbereichen, die auch im Zentrum der Lehrsupervision stehen, gezeigt. Zu Beginn wird die grundlegende Kompetenz »Reflexion« in den Kategorien Kenntnisse, Fähigkeiten und Performance beschrieben (siehe Tabelle 2), dann eine der wesentlichen Transferaufgaben »Integration von Theorie und Praxis« (Tabelle 3). In einer nächsten Tabelle wird der Kernfokus von Supervision, die »Perspektive auf Person, Arbeit und Organisation«, dargestellt (Tabelle 4), abschließend exemplarisch aus dem Bereich »Professionelles Verhalten« eine Kompetenz unter der Kategorie »Arbeitsbeziehung gestalten«: »Prozesse strukturieren« (Tabelle 5) (Ajdukovic et al., 2015). Tabelle 2: Kompetenz »Reflexionsvermögen« Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Reflexionsvermögen

Wissen über: –– unbewusste Prozesse und Theorien dazu; –– Theorien der menschlichen Wahrnehmung, Kognition und Emotion

Klarer und theoriebasierter Ansatz, um unbewusste Prozesse persönlich und professionell handzuhaben

Beobachtet und artikuliert ­eigene Erfahrungen, Gedanken und Überzeugungen

Wissen um die Bedeutung, eigenes professionelles Handeln, berufliche Erfahrung, Fakten, Gedanken und Gefühle mitzuteilen Wissen über Formen der Reflexion und den eigenen, persönlichen Stil des Reflektierens

Eine selbstreflexive Haltung gegenüber den eigenen beruflichen und persönlichen Verhaltensweisen pflegen Selbstreflexive Techniken anwenden Gedanken und Gefühle verständlich zum Ausdruck bringen können

Erkennt Hinweise auf unbewuss­ te Prozesse und kann mit ihnen umgehen Befragt diese Beobachtungen und stellt sie g ­ egebenenfalls infrage Gewinnt Erkenntnisse aus dieser Befragung Beobachtet die Wirkungen des eigenen Handelns und entscheidet, ob und wie dieses Handeln zu ändern wäre Entscheidet, ob das Aussprechen eigener Einsichten situativ passend ist Verwendet Formulierungen, die einen Perspektivenwechsel fördern

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Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden

Tabelle 3: Kompetenz »Integration von Theorie und Praxis« Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Integration von Theorie und Praxis

Wissen um die eigenen Überzeugungen und impliziten Theorien

Eigene implizite Theorien erkennen

Artikuliert eigene Überzeugungen und implizite Theorien

Reflektieren eigener Erfahrungen mit gleichen oder ähnlichen Rollen von Supervisand(inn)en/Coachees

Reflektiert ihre Wirkungen auf Supervisions-/Coachingprozesse in einer bestimmten Situation.

Bezugnahme auf andere theoretische Ansätze

Unterscheidet ­Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen verschiedenen theoretischen Ansätzen

Gute Kenntnisse der wichtigsten theoretischen Ansätze

Entscheidet, ob eigene Erfahrungen für die Supervisand(inn)en/ Coachees hilfreich sein könnten

Setzt verschiedene Ansätze flexibel ein, je nach den spezifischen Anforderungen, die in einem Supervisions-/Coachingprozess auftauchen Fundiertes Wissen über mindestens einen theoretischen Ansatz (Tiefenpsychologie, integrative Theorie, systemische Theorie u. a.)

Adaptieren der Theorie an die verschiedenen und widersprüchlichen Situationen, die im Rahmen eines Supervisions-/Coachingprozesses entstehen

Präsentiert die Theorie und ihre Anwendung in verschiedenen Kontexten Erörtert Möglichkeiten und Grenzen der Theorie Wendet theoretische Erkenntnisse gekonnt auf unterschiedliche Situationen an Reduziert die Komplexität einer gegebenen Situation unter Bezugnahme auf einen theoretischen Rahmen Wählt Interventionen, die Komplexität für die Supervisand(inn) en/Coachees reduzieren

Die Relevanz der spezifischen theoretischen Erkenntnisse untersuchen

Vermittelt Theorie als systematisch angewendete Beschreibungen von Erfahrung (»Die Landkarte ist nicht die Landschaft«) Entscheidet situationsspezifisch über den Umgang mit der Dynamik zwischen eigenen impliziten Theorien (dem Set aus Überzeugungen, Werten, handlungsleitenden Annahmen und Verhaltensweisen und wie Menschen diese rational zu erklären suchen) und evidenzbasierten wissenschaftlichen Referenzsystemen

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Wolfgang Knopf

Tabelle 4: Kompetenz »Perspektive auf Person, Arbeit und Organisation« Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Unterschiedliche persönliche, berufliche und organisatorische Werte und Kulturen einbeziehen

Wissen um: –– verschiedene Typen von Organisationen und deren rechtliche und ökologische Implikationen; –– verschiedene Konzepte der Organisationsanalyse; –– verschiedene Beratungsformate innerhalb von Organisationen und die Funktion von Supervision/Coaching darin; –– Spiegelphänomene (Parallelprozesse) in Organisationen

Erkennen von Organisationstypen

Legt fest, auf welchem Level und innerhalb welchen Beratungsdesigns Supervision/Coaching Erfolg versprechend sind

Erkennen von Konflikten zwischen persönlichen und organisatorischen Werten Handhaben dieser Wertekonflikte Anwenden von Kon­zepten der Organisationsanalyse Erkennen von Organisationskulturen bzw. professionellen Kulturen Erkennen von Spiegelphänomenen in Organisationen

Ermutigt Supervisand(inn)en/ Coachees dabei, Konflikte zwischen persönlichen und organisatorischen Werten zu erkunden Entwickelt Supervisions-Coach­ ing-Angebote anhand der jeweiligen Art der Organisation, ihres Umfelds und ihrer Bedürfnisse Passt Konzepte der Organisationsanalyse an die Gegebenheiten wie auch die Bedürfnisse der Supervisand(inn)en/Coachees und ihrer Organisationen an Unterstützt Führungskräfte bei der Analyse der Unternehmenskultur, in der sie arbeiten Kommuniziert Supervisand(inn)en/ Coachees Ergebnisse klar und angemessen Unterstützt Supervisand(inn)en/ Coachees bei der Umsetzung von Erkenntnissen in konkretes Handeln

Wissen über soziologische Theorien der Arbeit, einschließlich der Entwicklung der arbeitsteiligen Gesellschaft

Miteinbeziehen von Praxis, Theorie und akademischem Diskurs zur Arbeitswelt

Bringt die konkrete Arbeitssituation von Supervisand(inn)en/ Coachees in Zusammenhang mit Entwicklungen am Arbeitsmarkt

Miteinbeziehen von relevanten Richtlinien der Arbeitswelt

Fördert das Verständnis von Supervisand(inn)en/Coachees für die Verwobenheit ihrer persönlichen Arbeitssituation mit gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen

Miteinbeziehen von Entwicklungen am Arbeitsmarkt

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Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Funktion, Rolle und Status innerhalb einer Organisation gestalten

Wissen um: –– die formalen Aktivitäten, die Mitglieder einer Organisationen zu verhandeln haben; –– die verschiedenen Verhaltensmuster und Verhaltenserwartungen in sozialen Systemen, vor allem Wechselwirkungen des Rollenhandelns; –– die Dynamik von Macht und Hierarchie

Unterscheiden zwischen formaler Funktion und persönlichen Zugängen

Untersucht die Anforderungen jeder formalen Funktion in einer Weise, die Supervisand(inn)en/ Coachees deutlich macht, dass es verschie­dene persönliche Möglichkeiten gibt, sie zu erfüllen

Transparentmachen dieser Unterscheidung für die Supervisand(inn)en/Coachees Verknüpfen von Rollen mit einem biografischen, organisatorischen und kulturellen Hintergrund

Interveniert mit Bezug auf beides und unterstützt die Reflexion über ihre gegenseitige Abhängigkeit Setzt Interventionen entspre­chend der ­formalen Position innerhalb der Organisationshierarchie Untersucht die Wechselwirkungen des Rollenhandelns, wie Rollen gestaltet und übernommen werden und unterstützt bewusste Entscheidungen darüber

Auf Führung fokussieren

Wissen um Theorien von Führung und Management

Einschätzen organisationaler Komponenten wie Autorität, Unterordnung und Konkurrenz Erkennen der persönlichen Muster und des Führungsstils der Supervisand(inn)en/ Coachees

Erkennt organisationale Komponenten wie Autorität, Unterordnung und Konkurrenz Entwickelt gemeinsam mit den Supervisand(inn)en/Coachees umsetzbare Strategien zur Zielerreichung für sich selbst wie auch die Managementaufgabe Erforscht Umgangsweisen mit Autorität, Unterordnung und Konkurrenz Integriert die persönlichen Verhaltensweisen und Stile der Supervisand(inn)en/Coachees in den Prozess Fokussiert die Supervisand(inn) en/Coachees auf deren eigene Führungsressourcen

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Wolfgang Knopf

Tabelle 5: Kompetenz »Prozesse strukturieren« Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Prozesse strukturieren

Beherrscht Theorien der: –– Sozialpsychologie, relationalen Theorien sowie Interventionsmodelle; –– Kontext- und Macht-Dimensionen

Aufbau einer professionellen Beziehung durch: –– Beobachten und Reflektieren der Anfangsphase; –– Aufbau der Beziehung auf einem klaren Vertrag;

Untersucht, wie sich sowohl Supervisor(in)/Coach als auch Supervisand(inn)en/Coachees in der Anfangsphase präsentieren

Wissen um: –– Merkmale einer Supervisions-/ Coachingbeziehung; –– Konzepte der Phasen dieser Beziehung; –– unbewusste Prozesse und Spiegelphänomene und deren Einfluss auf Beziehung und Prozess; –– spezifische Schwierigkeiten und Hindernisse in Supervisions-/Coachingbeziehungen

–– Klären, welche Elemente innerhalb der Beziehung verhandelt werden müssen; –– Aufbau einer funktionierenden Allianz durch Klärung der Ziele, Grenzen und Pflichten aller Beteiligten

Setzt Methoden gemäß den Besonderheiten jeder Supervisions-/Coachingbeziehung ein

Aufrechterhalten und Entwickeln der professionellen Beziehung durch: –– Gestalten eines dynamischen Lernprozesses; –– Unterstützen der Bedürfnisse der Supervisand(inn)en/ Coachees; –– Ermutigen von Entwicklung

Überprüft ständig die relationale Verbundenheit mit den Supervisand(inn)en/Coachees

Feedback geben und nehmen

Schafft Möglichkeiten, um Bedürfnisse und Gefühle zu äußern und um Feedback zu geben und zu erhalten

Entwickelt Vertrauen, Offenheit und Selbstoffenbarung durch Förderung von Verantwortlichkeit, Erkennen der Bedürfnisse der Supervisand(inn)en/ Coachees und durch passende Formen des Feedbacks

Baut Beziehungen sowohl mit den einzelnen Personen als auch mit der Gruppe als Ganzem auf

Schafft einen sicheren Rahmen durch Akzeptieren von Fehlern und Verletzlichkeit als Lernmöglichkeiten

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Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden Kompetenz

Kenntnisse

Fähigkeiten

Performance

Halten von und präzises Reagieren auf Emotionen bei unbewussten Prozessen und Spiegelphänomenen

Identifiziert Beziehungsmuster sowie Übertragungs- und Gegenübertragungsdynamiken und handhabt sie als relationale Mechanismen Erfasst die Gefühle anderer und reagiert empathisch darauf

Handhaben von Beziehungskonflikten und Vertragsbruch

Handhabt die Bedeutung individueller Gemeinsamkeiten und Unterschiede in einer Arbeitsbeziehung Bietet ein ausgewogenes Verhältnis von Forderung und Unterstützung Spricht Konkurrenz und Rivalität an und unterstützt die Supervisand(inn)en/Coachees im Umgang damit

Umgang mit Zirkularität

Bezieht die Wirkungen des Beobachters einer Aktion auf diese Aktion mit ein Beobachtet die Auswirkungen des eigenen Handelns Interveniert auf Basis dieser Beobachtungen

Beendigung der Arbeits­beziehung durch: –– Planung und Vorbereitung der Beendigung einer Supervisions-/ Coachingbeziehung; –– Bearbeiten von Fragen, die bei Beendigung einer Arbeitsbeziehung aufkommen

Identifiziert Ausdrucksformen und Muster von Trennungsdynamiken und ist in der Lage, damit umzugehen Ermöglicht die Zusammenfassung und Bewertung sowohl des Prozesses wie auch der professionellen Entwicklung der Supervisand(inn)en/Coachees

Erste Rückmeldungen über die bei der Anwendung dieses Kompetenzprofils gemachten Erfahrungen waren durchweg positiv, auch wenn bemerkt wurde, dass »es« nicht wirklich Neues in sich berge. Das stimmt. Aber der Fokus »Weg vom Inhalt, mehr zur Performance«, dieser Perspektivenwechsel kann auch wieder die Inhalte schärfen und möchte auch zur Weiterentwicklung anregen. Glossar wie Kompetenzrahmen verstehen sich als Orientierung, als »Work in Progress« und nicht als normative Festschreibung. Und: Die Wendung zur Per-

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Wolfgang Knopf

formance kann nicht heißen, dass auf Inhaltsvermittlung verzichtet wird. Auch das macht und hat Sinn.

ECVision-Kompetenzprofil und Supervisions-/Coachingcurricula Die an den Universitäten angesiedelten Lehrgänge zu Supervision und Coaching sind angehalten, ihre Curricula kompetenz- und lernergebnisorientiert zu formulieren. Für die anderen Ausbildungsträger existiert kein Druck. Die Auseinandersetzung mit dieser Umformulierung bestehender Curricula in der hier präsentierten Form bietet aber für alle die Chance einer Evaluierung, ob die in den Modulen, Seminaren, Workshops beschriebenen Inhalte wirklich zu der jeweils erwünschten und erforderlichen Performance führen. Auch für die Lehrenden bietet sich hier eine Möglichkeit der Selbstevaluierung in dem Sinn, ob auch auf die Anwendung, auf den Transfer der vorgetragenen, der erarbeiteten Inhalte geachtet wird.

ECVision-Kompetenzprofil und Auswahl/Ausbildung der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren Die Frage der Auswahl für Lehrsupervision ist in der Verantwortung der Ausbildungsträger bzw. der jeweiligen Ausbildungsleitungen. Sie sind für die Qualität der Ausbildung – und dazu gehört die Lehrsupervision – zuständig. Die Entwicklung, Festlegung und Überprüfung professioneller Standards dafür kann aber nicht allein den Ausbildungsinstituten überlassen werden. Es ist Aufgabe der nationalen Verbände und des europäischen Verbands bei diesem Prozess federführend mitzuwirken, um verbindliche Standards zur Diskussion zu stellen und zur Anwendung zu bringen. Erste Schritte dazu sind bei den diversen Tagungen feststellbar, müssen aber meines Erachtens von den Berufsverbänden angeführt werden. Ob auch eine eigene Ausbildung für Lehrsupervisorinnen und Lehrsupervisoren sinnvoll ist, bezweifle ich. Das würde mit der allgemeinen Tendenz der Verschulung mitlaufen. Sind Kompetenzen und andere Voraussetzungen einmal formuliert, würde sich die Form eines Assessments anbieten, bei dem – nach dem in einem Vorlauf die formalen Bedingungen abgeklärt wurden – die Kenntnisse und Fähigkeiten gezeigt werden. Ein solches Setting, bei dem neben formalem auch informelles Wissen zur Geltung käme, könnte in einem ersten Schritt von den deutsch sprechenden Verbänden BSO (CH),

Woran kann eine erfolgreiche Lehrsupervision erkannt werden

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DGSv (D) und ÖVS (A) in Auftrag gegeben werden und später auch europäisch adaptiert werden.

Literatur Ajdukovic, M., Cajvert, L., Judy, M., Knopf, W., Kuhn, H., Madai, K., Voogd, M. (2015). ECVision. Ein Europäisches Kompetenzprofil für Supervision und Coaching. Hrsg. v. Die Wiener Volkshochschulen GmbH. Zugriff am 25.05.2016 unter www.dgsv.de/wp-content/uploads/2015/05/ ecvision_kompetenzprofil.pdf Judy, M., Knopf, W. (Eds.) (2015). ECVision. Supervision and Coaching in Europe: Concepts and Competences. Wien: Die Wiener Volkshochschulen GmbH. Zugriff am 25.05.2016 unter www.anse.eu/tl_files/ecvision/dokuments/ECvision_e_book.pdf Krathwohl, D., Bloom, B., Masia, B. (1978). Taxonomie von Lernzielen im affektiven Bereich (2. Aufl.). Weinheim u. Basel: Beltz.

Beate Fietze und Edeltrud Freitag-Becker

Schärfung eines professionellen Anspruchs oder romantische Reminiszenzen an den supervisorischen Ursprung – zur Bedeutung der Lehrsupervision

Profiling professional standards or romantic reminiscence on the origins of supervision – about the importance of supervision-on-supervision This article focusses on the observable contrast between the great importance given to supervision-on-supervision on one side as an indispensable part of the supervisor training program, an on the other side to the fading dispute over its conceptual origins in the early days of supervision as a profession. Viewing on the professional demands of supervision, this article looks at the key dimensions of a conceptual development of supervision-on-supervision. The authors’ intention is to re-reflect on how to incorporate the two places of learning »course« and »supervisionon-­supervision« and their institutional embedding. This should be a contribution to an widening discussion within the professional field. Zusammenfassung Der Beitrag setzt an dem Widerspruch an, der zwischen der hohen Bedeutung, der der Lehrsupervision als unverzichtbarer Bestandteil in der Supervisionsweiterbildung zugemessen wird, und dem Verstummen der in den Anfängen der supervisorischen Professionsgeschichte intensiv geführten Auseinandersetzung über seine konzeptionellen Grundlagen, festzustellen ist. Mit Blick auf die professionellen Erfordernisse der Supervision greift der Artikel die wichtigsten Dimensionen für eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Lehrsupervision auf. Die Intention der Autorinnen ist es, beide Lernorte, »Kurs« und »Lehrsupervision« und ihre institutionelle Einbettung, neu zu reflektieren und in die fachöffentliche Diskussion einzubinden.

Auch wenn Supervision (noch) keine staatlich geschützte Berufsbezeichnung ist, orientieren sich die Supervisorinnen und Supervisoren in ihrem Anspruch an den klassischen Professionen. Als Sachwalter einer spezialisierten Expertise für die Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Problemtypen und deren fachkundige Anwendung besetzen die Professionen innerhalb des Systems gesellschaftlicher Arbeitsteilung eine Sonderstellung. Sie genießen die Privilegien der kollegialen Selbstkontrolle und des Marktmonopols und behaupten dadurch eine relative Autonomie sowohl gegenüber der Nachfrage auf dem Markt wie auch gegenüber den direkten Reglementierungen des Staates (Rüschemeyer, 1983). Gleichwohl ist die Entwicklung einer Profession in gesellschaftliche, ökonomische,

Schärfung eines professionellen Anspruchs

323

bildungspolitische und auf das jeweilige Berufsfeld bezogene Veränderungen eingebunden (Freitag-Becker u. Hausinger, 2016). Begleitet und geprägt werden diese Veränderungen durch die Interessen und Erwartungen der Dienstleistungsanbietenden, der Kunden und Klienten und der verschiedenen politischen Interessengruppen wie Verbände und Behörden. Die Entwicklung der Supervision und ihrer Professionalisierung ist davon nicht ausgenommen. In Deutschland war diese in den 1980er und 1990er Jahren durch die wachsende Zahl an Weiterbildungsanbietenden besonders dynamisch. Deren Zusammenschluss führte im Jahr 1989 zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Supervision e. V. (DGSv) und zur Erarbeitung von Ausbildungsstandards. Die Teilnehmerschaft der Weiterbildungen war vergleichsweise homogen und kam primär aus sozialpädagogischen und sozialpsychologischen Arbeitsfeldern. Seit den 1990er Jahren hat sich dies verändert. Interessierte aus unterschiedlichen Berufsfeldern streben das Weiterbildungsziel an. Parallel dazu sind weitere Beratungsformate wie Coaching, Mentoring, Organisationsentwicklung und Mediation vermehr auf den Markt getreten, sodass die Schärfung der Profession Supervision wie auch des Profils der Supervisoren notwendig scheint.1 Zusätzlich konfrontiert der Bologna-Prozess, der die europäische Vereinheitlichung respektive Vergleichbarkeit der Dienstleistungen vorantreibt, den Weiterbildungssektor und fordert entsprechend deutlichere Profile ein. Die Lehrsupervision wird in der Geschichte der Supervision in Deutschland als »Herzstück« betitelt, als »Übergangsraum« (Winnicott, 1983, S. 300–319), als der »Praxisort des handwerklichen Lernens von Supervision und Coaching«, als Ort der gelungenen Weitergabe des Wissens vom Meister auf den Lehrling. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung, die der Lehrsupervision als unverzichtbarer Bestandteil in der Supervisionsweiterbildung zugemessen wird, ist es nach der in den Anfängen der supervisorischen Professionsgeschichte intensiv geführten Auseinandersetzung über die Konzeption der Lehrsupervision erstaunlich still geworden. Um diesem Desiderat zu begegnen, wird es kaum reichen, wenn sich die Verantwortlichen in den Supervisionsausbildungen in nostalgischer Erinnerung auf die Anfangszeiten beziehen. Stattdessen bedarf 1 Supervision und Coaching werden inzwischen in der Supervisionsszene unter Berücksichtigung der jeweiligen Geschichte, der Adressaten und des Beratungsansatzes als weitgehend identische Beratungsformate aufgefasst. Wir möchten an dieser Stelle weder die Diskussion aufgreifen, inwiefern die Einebnung der semantischen Differenz zwischen Supervision und Coaching fachlich angemessen ist, noch möchten wir die unentschiedene und umständliche Schreibweise »Lehrsupervision/Lehrcoaching« verwenden und werden daher im Folgenden ausschließlich von »Lehrsupervision« sprechen. Ein Vergleich von Supervision und Coaching findet sich in dem Glossar des ECVision-Projektes, das in Kooperation mit der ANSE entstanden ist (Ajdukovic et al., 2015).

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Beate Fietze und Edeltrud Freitag-Becker

es einer offenen Diskussion über die konzeptionelle Grundlegung der Lehrsupervision mit dem Ziel, beide Lernorte, »Kurs« und »Lehrsupervision«, neu zu konzeptualisieren. Im Folgenden wollen wir die Dimensionen thesenartig aufgreifen, die uns für eine konzeptionelle Weiterentwicklung der Lehrsupervision als wichtige Elemente der Supervisionsweiterbildung notwendig erscheinen.

Das Konzept der Lehrsupervision  Die fehlende öffentliche Fachdiskussion und mangelnde Reflexion der Lehrsupervision führt zu einer Intransparenz und »Quasi-Privatisierung« der gelebten Praxis für alle Beteiligten, für die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren selbst, für die Weiterbildungsanbietenden sowie für die Weiterbildungskandidatinnen und -kandidaten. Dies ist ein Indiz für eine mangelnde Professionalität der Supervisionsweiterbildung insgesamt. Es bedarf daher einer Verständigung über ein eigenständiges Grundkonzept der Lehrsupervision, das ihre spezifische Funktion in der Weiterbildung explizit herausstellt und die Lern- und Reflexionsmöglichkeiten aufzeigt, die in anderen Lernformen nicht oder nicht mit gleicher Qualität möglich sind. In einem solchen Konzept müssen die institutionelle Einbindung der Lehrsupervision in die Weiterbildung und die sich daraus ergebenden Aufgaben der Lehrenden, ihre Rolle, ihre Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen und die an sie gestellten fachlichen Anforderungen benannt und begründet werden (vgl. den Beitrag von Lauinger in diesem Band). … muss schulenübergreifend sein: Professionen definieren sich durch den Zuständigkeitsanspruch der Professionellen für die kompetente und exklusive Bearbeitung eines bestimmten Problemtypus (Abbott, 1988). Die in diesem Rahmen vorgetragenen konkreten Probleme der Klientinnen und Kunden können prinzipiell mithilfe sehr unterschiedlicher Ansätze, Methoden und Verfahren bearbeitet und einer Lösung zugeführt werden. Ein allgemeingültiges Konzept kann es daher nicht geben. Auch Professionelle, die vornehmlich einem bestimmten Ansatz verpflichtet sind, anerkennen diese schulenübergreifende Ausrichtung der Professional Community und sind bereit und in der Lage, ihre Vorgehensweise zu anderen Ansätzen ins Verhältnis zu setzen. … muss institutionenübergreifend sein: Supervisionsweiterbildungen orientieren sich nicht nur an unterschiedlichen theoretischen Zugängen und methodischen Verfahren, sondern werden auch in unterschiedlichen institutionellen Kontexten angeboten. Neben den freien Instituten, die am Beginn der Professionsentwicklung standen, werden Weiterbildungen inzwischen längst auch im Rahmen von Hochschulinstituten, als Weiterbildungsmaster an Universitäten

Schärfung eines professionellen Anspruchs

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und in Einrichtungen der Erwachsenenbildung durchgeführt. Das Konzept der Lehrsupervision sollte daher nicht nur schulenübergreifend, sondern darüber hinaus auch institutionenübergreifend gefasst sein. Es bedarf Klarheit darüber, wie sich die verschiedenen institutionellen und bildungspolitischen Rahmenbedingungen auf das Konzept der Lehrsupervision niederschlagen und welche Voraussetzungen unter allen Umständen sichergestellt sein müssen.2

Die institutionelle Verankerung Die konkrete Einbindung der Lehrsupervision und damit der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in den jeweiligen institutionellen Kontext und der Weiterbildung scheint nicht nur recht verschieden, sondern oft unklar, von Widersprüchen und Rollenüberlagerungen gekennzeichnet zu sein. Die psychodynamischen Konsequenzen der unterschiedlichen Konstrukte scheinen wenig bedacht: Einige Lehrsupervisanden suchen sich auf dem »Beratermarkt« ihre Lehrsupervisoren, in anderen Fällen werden Lehrsupervisoren vom Weiterbildungsträger empfohlen, oder es gibt eine Namensliste, mit deren Hilfe gesucht werden kann usw. Entsprechend gibt es unterschiedlich kontraktierte Vereinbarungen zwischen dem Weiterbildungsträger und den Lehrenden (Honorar, Gutachten oder Abschlussberichte usw.) – oder eben auch nicht. Häufig wird die Einbindung der Lehrsupervision über einen »Dreieckskontrakt« zwischen den Weiterbildungsbeteiligten (Träger, Lehrsupervisorin, Lehrsupervisandin) geregelt (vgl. Grohs-Schulz u. Obermeyer in diesem Band). Das Kontraktverständnis entstammt den psychotherapeutischen bzw. psychoanalytischen Theorien, wie sich in den Konzepten der Transaktionsanalyse von Fanita English (1987) oder der Konzeptualisierung der Lebensbeziehungen und ihrer Dynamiken durch Otto F. Kernberg (1998)3 nachlesen lässt. Dreiecks2

Gerade die institutionellen Vorgaben und Ansprüche z. B. der Hochschulen machen deutlich, dass im Weiterbildungskonzept die Lehrsupervision als integraler Bestandteil der Weiterbildung ausgewiesen sein muss, um deren Bedeutung gegenüber allen institutionellen Rahmenbedingungen vertreten zu können. Die Weiterbildungsanbietenden müssen daher die jeweiligen Rahmenbedingungen ihrer Institution in ihr Lehrsupervisionskonzept mit aufnehmen (vgl. Geißler-Piltz u. Klinkhammer in diesem Band). 3 In der Beratung ist der »Dreieckskontrakt« immer dann von Bedeutung, wenn Klient und Auftraggeber nicht identisch sind, sondern die Beratung eines Klienten zum Beispiel durch den Arbeitgeber beauftragt und finanziert wird (Leidner, 1994, S. 5 ff.). Der Dreieckskontrakt dient der Transparenz und Steuerbarkeit von Prozessen und gibt den Beteiligten durch die getroffenen Vereinbarungen Orientierung und Sicherheit. Zur Vorbereitung dieser Kontraktierungskompetenz werden in der Weiterbildung frühkindliche und reinszenierte Trian-

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Beate Fietze und Edeltrud Freitag-Becker

kontrakte entsprechen jedoch nicht dem bürgerlichen Vertragsrecht und sind nicht justiziabel. Infolgedessen spiegeln sich diesbezüglich rechtsverbindliche Vereinbarungen eher auf der Beziehungsebene, als dass sie formal geregelt sind. Gerade in einer Supervisionsweiterbildung, deren primärer Lehrinhalt sich auf die Analyse und Gestaltung der Spannung zwischen individuellen und organisationellen Anforderungen an Arbeit, Arbeitsbewältigung, Leistungserbringung etc. bezieht, ist es für alle Verantwortlichen in dieser Weiterbildung wichtig die (sozial)psychologische Beziehungsebene zwischen den Personen von der Ebene der institutionellen Einbindung der Lehrsupervision in die Organisation der Weiterbildung und den damit verbundenen organisatorischen Positionsund Rollendefinitionen zu unterscheiden. Der Verzicht auf die explizite Differenzierung dieser beiden Ebenen birgt die Gefahr, die institutionell bestimmten Beziehungen und rollenadäquaten Verhaltensweisen als pseudoödipale Struktur unangemessen zu psychologisieren. Die Gründe für die fehlende konzeptionelle Durchdringung der Vielzahl der Variablen des Weiterbildungssystems und der organisatorischen Beziehungsstruktur liegen sicherlich zum Teil in der praxeologischen Entstehungsgeschichte der Supervision, teilweise wohl aber auch in den Interessenunterschieden und den impliziten Konfliktstrukturen und Dilemmata zwischen den verschiedenen Positionen und ihren Aufgaben innerhalb der Weiterbildung. Das Ziel der Professionalisierung eines Dienstleistungsangebots ist im Kern stets die Gewährleistung einer »relativen Autonomie« der Professionellen. Diese ist nur dann gegeben, wenn die fachliche Arbeit der Professionellen weder durch die ökonomischen noch die institutionellen Abhängigkeiten dominiert wird, sondern das professionelle Handeln den fachlichen Kriterien der Professional Community folgt. Als Voraussetzung für die weitere Entwicklung und Professionalisierung der Lehrsupervision ist daher die Klärung ihrer institutionellen und rechtsverbindlichen Einbindung sowie die der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren (hinsichtlich der Rolle, der Zuständigkeit, der Entscheidungsbefugnis) in den organisatorischen Kontext der Weiterbildung äußerst bedeutsam.

gulierungen aufgearbeitet, um das Übertragungspotenzial auszuleuchten und zwischen den unterschiedlichen Kontraktparteien und deren unterschiedlichen Interessen differenzieren zu können.

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Die Funktion der Lehrsupervision in der Weiterbildung Weitgehend besteht darüber Einigkeit, dass die Entwicklung der supervisorischen Haltung und damit die berufliche Identitätsbildung die wichtigste Funktion der Lehrsupervision darstellt (vgl. Haubl in diesem Band). Zwar haben daran auch alle anderen Lehr-Lernkonstellationen im Rahmen der Weiterbildung ihren Anteil. Die Einzellehrsupervision bietet jedoch den Lernenden in besonderer Weise die Möglichkeit zu einer vertieften Reflexion und Entwicklung der professionellen Identität im exklusiven dyadischen Setting: von den Dynamiken des Gruppengeschehens entlastet, im persönlichen Kontakt mit den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren (vgl. Lauinger in diesem Band). Die psychodynamische Funktion dieser Dyade als Schutzraum und Containment für die Reflexion persönlich(st)er Lernerfahrungen setzt voraus, dass die Lehrsupervision ein Ort der verlässlichen Begegnung und Beziehung ist.

Die spezifische Aufgabe der Lehrsupervision für die Weiterbildung Das Konzept Lehrsupervision folgt der Grundannahme, dass die Wirkung von Supervision und die damit im Zusammenhang stehenden innerpsychischen, interaktionellen, systemischen und institutionellen Dynamiken eher nachvollzogen werden können, wenn das eigene Erleben und Verstehen genau dieser Dynamiken in der Lehrsupervision reflektiert werden konnte.4 Damit ist die Kernaufgabe der Lehrsupervision beschrieben: Beratung lernen durch das Erleben und Reflektieren der eigenen Beratung. Oder mit Kersting gesprochen: »Der/die Lehrsuspervisand/-in lernt selbstreferentiell durch die beobachtende Selbstbeobachtung« (Kersting, 1997, S. 20) und eben durch die Reflexion des Modells.5 4 Wittenberger (1989, S. 20) nimmt die psychoanalytisch geprägte Entstehungsgeschichte der Supervision auf und setzt sich kritisch mit der Frage auseinander, ob und inwieweit der Weiterbildungskandidat zunächst »das Leiden« erlernen muss, bevor er die Bedeutung und Wirkmächtigkeit von Beziehungsstrukturen verstehen kann. Aus einer systemischen Grundposition betont Heinz Kersting ebenfalls, dass die Primäraufgabe der Lehrsupervision darin besteht, den zu lernenden Inhalt Supervision mit der Methode der Supervision zu vermitteln. Kersting beschreibt dies als eine Verschränkung von Inhalt und Methode (1997, S. 20). 5 Unabhängig vom Theoriekontext bleibt entscheidend, dass neben dem faktisch Erzählten das vom Lehrsupervisanden jeweils Ausgeblendete, Verdunkelte, Ignorierte, Vergessene oder Überlesene durch den Lehrsupervisor wieder eingeblendet und betrachtet wird, damit ein »ganzes« Bild entstehen und der Bearbeitung und dem Verstehen zugeführt werden kann (z. B. kann

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Zunehmend bekommt dieses Lehr-Lernmodell (frühere Bezüge zu diesem Begriff finden sich bei Krüger u. Degwart, 1997) eine neue Bedeutung. Die Arbeits- und Organisationserfahrungen der Lehrsupervisorinnen stimmen nicht mehr mit den Arbeits- und Organisationserfahrungen der Lernsupervisandinnen überein (vgl. Gotthardt-Lorenz u. Steinhardt in diesem Band). Diese Veränderungen fordern alle Lehrenden in der Weiterbildung dazu auf, während des Lehrens dem eigenen Lernen einen größeren Platz einzuräumen sowie den Lernenden die Rolle der Lehrenden (Belehrenden) zuzugestehen. Die somit nicht einzuhaltende traditionelle Generationenfolge, die vorgab, wer aufgrund welcher Erfahrungen und welchen Alters welche Rolle einzunehmen hatte, führt zu neuen Anforderungen und Verunsicherungen. Während in den Kursen, Modulen oder Blockeinheiten der Weiterbildung vorrangig der Wissenstransfer sowie eine exemplarische Erprobung der jeweiligen Fachthematik stattfinden, erfolgt in der Lehrsupervision die Konkretisierung des im Kurs Erlernten durch die Umsetzung der Erkenntnisse auf die jeweilige zu beratende »Fallvignette« der Lehrsupervisandinnen und -supervisanden. Hier werden Wissen (die Theoriebezüge und ihre jeweiligen Verstehen­ modelle) und Praxis (die Konkretisierung) miteinander in Beziehung gesetzt und in mögliche Handlungsschritte »gegossen« (Handlungskompetenz). Die unterschiedlichen persönlichen und institutionellen Ebenen, Beziehungsmuster und Einfluss­faktoren bedürfen zunächst einer selbstreflexiven Auseinandersetzung, bevor der Blick auf die anderen Beteiligten gerichtet und die Dramaturgie dieses Dreiecks verstanden werden kann. Die Aufmerksamkeit der Lehrsupervisoren gilt der Balance, die Reflexion der Lerninhalte mit der Reflexion der persönlichen Themen der Lehrsupervisandinnen so zu verknüpfen, dass sie sowohl der Primäraufgabe wie auch der Rollenentwicklung dienlich ist. »Lehrsupervision ist der Ort des Switchens von einer Seite der Unterscheidung zu ihrer anderen« (Kersting, 1997, S. 31).

hier das szenische Verstehen im psychodynamischen Konzept eine Arbeitsform sein; Lorenzer, 2002; Oberhoff, 1996). Im systemischen Zugang postuliert Heinz von Foerster die »Expansion der Komplexität« (1981). Und zur Komplexität gehört, dass die Lehrsupervision sich nicht nur auf die vorhandene Beziehungsdynamik konzentriert, sondern das »Dritte«, die Klienten in ihren Organisationskontexten sowie auch die Organisationskontexte der Lehrsupervisandin selbst mit einbezieht. Erst durch die Erschließung des »Ganzen« lassen sich Handlungs­optionen entwickeln (vgl. Lauinger in diesem Band).

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Die Rollenvielfalt der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren Wie bereits verdeutlicht, besteht die wichtigste Aufgabe der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in der Ausgestaltung des »role models«. Dem aufgezeigten Lehr-Lernmodell entsprechend schließt dies eine hohe Rollenflexibilität mit ein. Diese Lernutopie löst die Paradoxie der asymmetrischen Positionierung keineswegs auf, die durch den nötigen und gewünschten Wissens- und Erfahrungsvorsprung der Lehrsupervisorinnen und ihre Bewertungsaufgabe gegeben ist.6 Durch die Anzahl und Häufigkeit der Lehrsupervisionssitzungen, die Exklusivität der Beziehung, die durch die Schweigepflicht eine entsprechende Beziehungstiefe ermöglicht, wird den Lehrsupervisorinnen und -supervisoren zumeist die Rolle eines vertrauenswürdigen Mentors zugesprochen, dem gegenüber die Lehrsupervisanden Schwierigkeiten, Konflikte und innere Nöte im Rahmen der Weiterbildung thematisieren können. Sie sind über diesen Arbeitsauftrag hinaus gleichzeitig in der Rolle der Ko-Ausbildenden auch in ein Loyalitätsverhältnis gegenüber den Weiterbildungsanbietenden eingebunden. Durch die doppelte Einbindung – im Arbeitsbündnis mit den Lernenden und in der Mitverantwortung für die Weiterbildung – geraten die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren in eine Rollenambivalenz. Auch für diese Konfliktkonstellation braucht es überindividuelle, konzeptionelle Lösungen.

Verschiedene Settings von Lehrsupervision in der Weiterbildung Die Lehrsupervision wird in verschiedenen, konzeptionell unterschiedlich ausgearbeiteten Settings durchgeführt, in denen sich sowohl die historischen Hintergründe wie auch die sich verändernden arbeitsweltlichen Bedarfe spiegeln. Im Ursprung fand die Lehrsupervision überwiegend als Einzellehrsupervision statt, die an die psychoanalytische Tradition der Kontrollanalyse anknüpfte (Wittenberger, 1989; vgl. Haubl in diesem Band). Die dyadisch gestaltete Lehrsupervision (mit ihrer hohen Sitzungszahl) orientierte sich an diesem Vorbild und förderte so eine hohe Bindung an die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren, zumal die Lernenden proportional mehr Zeit in der Lehrsupervision 6 Die Notwendigkeit zur Rollenflexibilität spiegelt die Dynamiken der Arbeitswelt wider, in der Rollen und Lernprozesse dialogisch auszuhandeln sind (vgl. Gotthardt-Lorenz u. Steinhardt in diesem Band).

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verbrachten als in den Weiterbildungskursen. Inhaltlich stützte sich die Einzellehrsupervision in den 1970er Jahren auf das Konzept des Case-Work, welches aus der Einzelfallhilfe in der Sozialarbeit und der therapeutischen Einzelarbeit bekannt war. Die Lehrsupervisoren kamen überwiegend aus ähnlichen Arbeitsfeldern wie ihre Ausbildungskandidaten und hatten selbst mit Fallarbeit zu tun. Die gezielte Fall- und Beziehungsreflexion konnte folglich fachlich souverän durchgeführt werden, da sich alle in der Einzelfallarbeit auskannten (Wittenberger, 1989): So wundert es nicht, dass in diesen Zeiten die Lehrsupervision als das Herzstück der Weiterbildung zum Supervisor oder zur Supervisorin bezeichnet wurde. Heute wird die Beziehungsanalyse und -arbeit jedoch allein nicht mehr als ausreichend für die Entwicklung einer professionellen Rolle angesehen (vgl. ­Lauinger in diesem Band). Systemisches Verstehen, Kontextarbeit, Organisationskenntnisse und die Erarbeitung alternativer Rollenmodelle und verschiedener Handlungsrepertoires müssen weitere Inhalte in der Einzellehrsupervision sein. Eine Erweiterung der auf die Beziehungsarbeit fokussierten Supervision ist die sogenannte Triadensupervision (Krapohl, Quint u. Krapohl, 1997, S. 81). Diese Form der Live-Supervision versteht sich als ein emanzipatorisches, ressourcenorientiertes analoges Lernarrangement und wird von Krapohl als Installation der Beobachtung zweiter Ordnung bezeichnet, in der drei Lernsupervisanden sich wechselseitig im Beisein der Lehrsupervisorin oder des Lehrsupervisors mit wechselnden Rollen als Falleinbringer, Supervisor und Beobachter supervidieren und dadurch auch nichtsprachliche und kontextgebundene Aspekte der jeweiligen Wirklichkeitskonstruktion erfahrbar werden. Analoges Lernen findet auch in der Gruppenlehrsupervision statt, in der man zunächst geschichtlich dem Modell des Group-Work folgte: Die Fallsupervision findet in der Gruppe statt, und die Lehrenden haben die Spannung zwischen Fallarbeit und Gruppendynamik zu gestalten (vgl. Holzbauer in diesem Band). In einigen Weiterbildungen wurde und wird die Einzellehrsupervision durch die Balintgruppe als Gruppenlehrmodell ergänzt (vgl. Bauer u. Fröse in diesem Band). Auch sie folgt einem psychoanalytischen Konzept: Im Vordergrund steht die Aufklärung der Falldynamik in ihren verschiedenen situativen Dimensionen nebst der Bearbeitung des szenischen Verstehens (Spiegelung der Fall­vignette in der Gruppe). Für Teamsupervision findet sich bis heute kein analoges Setting in der Lehrsupervision. Team- und auch Organisationssupervision wurden und werden sowohl im Einzelsetting als auch in der Gruppe bearbeitet. Die Mehrdimensionalität der Team- und Organisationsberatung findet von daher eher im Kursgeschehen einen Reflexionsort. Vereinzelt ermöglichen Lehrsupervisorinnen und -supervisoren hierzu Live-Supervisionen.

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Einige Weiterbildungsinstitutionen nehmen bereits weitere Beratungs­ formate in ihre Konzepte auf, die die Veränderungen am Arbeitsmarkt widerspiegeln. Lehrsupervisorinnen und -supervisoren bemühen sich individuell um neue Settingformen wie Projekt-Lehrsupervision oder Online-Beratung, doch leider ist dazu bisher wenig publiziert. Über eine weitere neue Settingform, die »Coaching-Zone«, lässt sich in diesem Buch nachlesen (vgl. Erlinghagen u. Koch in diesem Band).

Kompetenzorientierung als Herausforderung und Chance Die Qualifizierungsdebatte wird seit den 1990er Jahren vom Bologna-Prozess und dessen Ansatz der Kompetenzorientierung bestimmt. In den Hochschulen ist das Konzept der Kompetenzorientierung für die Weiterbildungen längst durchgeführt – in den meisten freien Instituten jedoch nicht. Um dem professionellen Anspruch gerecht zu werden, müssen die Weiterbildungsanbietenden sich mit der bildungspolitischen Entwicklung auseinandersetzen – unabhängig davon, wie sie die inzwischen etablierten Entwicklungen für die Bedarfe der Weiterbildung zur Supervisorin oder zum Supervisor beurteilen. Sie sollten in der Lage sein, die eigene Entscheidung auf dem Stand der aktuellen Bildungsdebatte zu begründen. Diese Anforderung betrifft die Weiterbildungsanbietenden und die Lehrsupervisoren in ihrer Kooperation mit Blick auf die Lehrsupervisanden, die Weiterbildung nicht nach unterschiedlichen Paradigmen auszurichten. Die Kompetenzorientierung erfordert eine differenzierte und konkrete Beschreibung der zu lehrenden Kompetenzen und ist auf deren beobachtbare Performanz und Überprüfung ausgerichtet (vgl. Hassler in diesem Band). Darin liegt sicher eine Herausforderung für alle Formen der reflexiven Beratung, die sich in der Interaktion zwischen zwei Personen realisiert. Gerade deshalb besteht in einer Auseinandersetzung mit dem Kompetenzprofil der Lehrsupervision die Chance zu einer Selbstklärung und Selbstentwicklung.

Anforderungen an die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren Die vorangestellten Themenabschnitte benennen im Wesentlichen die Anforderungen, mit denen sich die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren konfrontiert sehen. Sie sollten über eine eigene Konzeption der Lehrsupervision verfügen bzw. – sofern vorhanden – sich auf eine fachverbandlich entwickelte und

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standardisierte Konzeption der Lehrsupervision beziehen, in der die Fragen der institutionellen Einbindung in den Kontext der Weiterbildung sowie ihre Rollen und Aufgaben geklärt sind. Ein Kompetenzprofil der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren entwickelt sich orientierend an den Erfordernissen der Beratungspraxis im Kontext der Präferenztheorie der jeweiligen Weiterbildung und an den Anforderungen, die die Lernenden mitbringen. Es erscheint daher sinnvoll, eine weitere Qualifizierungsphase einzurichten, in der diese Anforderungen reflektiert und ein deutlicheres Rollenprofil entwickelt werden können (vgl. Ramon in diesem Band).

Lehrsupervisor oder Lehrsupervisorin – ein neuer Status? Mit diesem Anforderungskatalog an die Lehrsupervisorinnen und -supervisoren stellt sich die Frage, wer die jeweilige Eignung attestiert. In der gegenwärtigen Praxis findet entweder eine Selbstattestierung durch die Weiterbildungsverantwortlichen statt oder eine Fremdattestierung, wenn sie externe Lehrsupervisoren ins eigene Haus »berufen«. Dadurch ist de facto eine Statusdifferenz innerhalb der Profession eingezogen – allerdings auf informeller Basis. Im Sinne der Professionalisierung der Supervision wäre auch hier eine transparente, fach- und verbandsöffentliche Institutionalisierung der Statusgruppe der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren angezeigt (Petzold, 2015). Dies stünde nicht im Widerspruch zu der erforderlichen inhaltlich-theoretischen Passung zwischen Weiterbildungsanbietenden und Lehrsupervisorinnen. Den Weiterbildungsanbietenden bliebe auch weiterhin die Auswahl vorbehalten, wen sie in ihre Weiterbildung einbinden wollen. Durch die Institutionalisierung durch den Berufsverband entstünde eine größere (Status-)Unabhängigkeit der Lehrsupervisorinnen und -supervisoren gegenüber den Weiterbildungsanbietenden. Im Konfliktfall wäre zwar möglicherweise die konkrete Zusammenarbeit mit einem Weiterbildungsträger aufgekündigt, der Lehrsupervisor oder die Lehrsupervisorin verlöre aber nicht den Rollenstatus, der auch nach außen als ein zusätzlicher Senioritätsausweis herausgestellt wird.

Die Rolle der Berufsverbände Als »Hüter« der Profession und ihrer Entwicklung besteht das Anliegen der Verbände darin, den fachlichen Diskurs voranzutreiben und die gesellschaftliche und ökonomische Position zu sichern. Ihre entscheidende Stellschraube für die

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Professionalisierung ihres Fachs ist die Formulierung verbindlicher Qualifizierungsstandards. Fehlende Standardsetzungen führen zur Beliebigkeit, zu Stagnation und schließlich zu Qualitätseinbußen und Bedeutungsverlust. Die Entwicklung von Standards steht dabei nicht im Widerspruch zu dem erwünschten »Artenreichtum« von Weiterbildungen – im Gegenteil: Standards bieten den verschiedenen Weiterbildungsanbietenden einen elaborierten Bezugspunkt für ihre unterschiedlichen Profilierungen auf gehobenem Niveau. Die Aufgabe der Verbände ist es, diese Entwicklung innerverbandlich voranzutreiben und nach außen zu kommunizieren.

Forschung und Profession Der Wissenschaftsbezug ist für die Professionen konstitutiv und die Bezugnahme auf den wissenschaftlichen Diskurs selbstverständlich. Historisch hat sich Supervision jedoch nicht aus einer akademischen Disziplin entwickelt, sondern entstammt (alltags)praktischen Beratungs- und Betreuungsbedarfen in den Bereichen der sozialen Arbeit, der psychotherapeutischen Versorgung und der Seelsorge. Der Wissenschaftsbezug muss daher explizit gesucht werden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Supervision wie alle anderen Formate der personenbezogenen Beratung multidisziplinär angelegt ist und ihr professionsspezifisches Wissen inzwischen aus einer Vielzahl verschiedener Disziplinen bezieht. Insgesamt steht die Erforschung der Formen der reflexiven Beratung in Qualität und Quantität noch sehr am Anfang. Immerhin gibt es Bemühungen, die Wirkfaktoren- und die Wirksamkeitsforschung voranzutreiben (Petzold, 2003; Möller, Oellerich, Schubert u. Kotte, 2014; Möller u. Kotte, 2011). Das Thema Lehrsupervision ist jedoch bisher überhaupt noch nicht Gegenstand von Beratungsforschung. Das »Herzstück« der Supervisionsausbildung verfügt über keinen empirischen Wirksamkeitsnachweis! Die wenigen neueren Publikationen, die sich mit der Lehrsupervision befassen (Hassler, 2002; P ­ etzold, 2015; Rohr, Hummelsheim u. Höcker, 2016), konstatieren alle selbst die Lücke, die es hier zu schließen gilt.

Schlussfolgerung Obwohl die Lehrsupervision als wesentlicher Bestandteil einer Qualifizierungsmaßnahme zur Supervisorin oder zum Supervisor betrachtet wird, steht bisher kein in sich kohärentes Konzept zur Verfügung, das in die Gestaltung dieser

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Weiterbildung integriert ist, weder im organisatorischen noch im curricularen Aufbau. Völlig offen ist außerdem die Frage, ob der Status der Lehrsupervisorinnen durch die Institutionalisierung einer eigenen Qualifizierungsstufe durch die Verbände abgesichert werden sollte. Für die weitere Professionalisierung von Supervision ist daher eine fachöffentliche Auseinandersetzung über den Stellenwert und die Ausgestaltung der Lehrsupervision überfällig. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Weiterbildungsanbietende sowie Lehrsupervisoren und -supervisorinnen bereit sind, sich an den spezifischen Fachthemen zu beteiligen, ihre Konzepte weiterzuentwickeln und sich entsprechend in der Professional Community deutlich zu positionieren. Nur durch die gemeinsame aktive Mitgestaltung der Weiterbildungsverantwortlichen kann die fachliche Expertise der Supervision entwickelt und die Profession lebendig gehalten werden.

Literatur Abbott, A. (1988). The system of professions. An essay on the division of expert labor. Chicago u. London: The University of Chicago Press. Ajdukovic, M., Cajvert, L., Judy, M., Knopf, W., Kuhn, H., Madai, K., Voogd, M. (2015). ECVision. Ein Europäisches Glossar für Supervision und Coaching. Hrsg. v. Die Wiener Volkshochschulen GmbH. Zugriff am 30.05.2016 unter www.dgsv.de/wp-content/uploads/2015/05/ ecvision_glossar_deutsch.pdf English, F. (1987). Der Dreiecksvertrag (the three-comered-contract). Zeitschrift für Transaktionsanalyse in Theorie und Praxis, 2, 99–111. Foerster, H. v. (1981). Das Konstruieren einer Wirklichkeit. In P. Watzlawick (Hrsg.), Die erfundene Wirklichkeit. Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? (S. 39–60). München: Piper. Freitag-Becker, E., Hausinger, B. (2016). Supervision. In W. Gieseke, D. Nittel (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Beratung über die Lebensspanne. Weinheim: Beltz Juventa. Hassler, A. (2002). Master Thesis: Indikatorenkatolog zur Evaluation von Qualität in der Lehrsupervision. Donau-Universität Krems. Kernberg, O. F. (1998). Liebesbeziehungen, Normalität und Pathologie. Stuttgart: Klett-Cotta. Kersting, H. (1997). Lehrsupervision als System und als Begegnung. In U. Eckardt, K. Richter, H. G. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision. Aachen: Kersting. Krapohl, L., Quint, W., Krapohl, C. (1997). Triaden-Lehrsupervision. In U. Eckardt, K. Richter, H. G. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision. Aachen: Kersting. Krüger, D., Degwart, I. (1997). Lehren lernen im Lehrsupervisionsprozeß. In U. Eckardt, K. Richter, H. G. Schulte (Hrsg.), System Lehrsupervision. Aachen: Kersting. Leidner, B. (1994). Der Dreiecksvertrag in der betrieblichen Weiterbildung. Themenzentrierte Interaktion, 8 (4), 5–12. Lorenzer, A. (2002). Die Sprache, der Sinn, das Unbewusste. Psychoanalytisches Grundverständnis und Neurowissenschaften. Stuttgart: Klett-Cotta. Möller, H., Kotte, S. (2011). Die Zukunft der Coachingforschung. Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 18 (4), 445–456. Möller, H., Oellerich, K., Schubert, D., Kotte, S. (2014). Beratungsforschung mit, für oder ohne die Praxis? Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 21 (3), 313–327.

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Oberhoff, B. (1996). Szenisches Verstehen in der institutionellen Supervision. In H. Pühl (Hrsg.), Supervision in Institutionen. Eine Bestandsaufnahme. Frankfurt a. M.: Fischer. Petzold, H. G. (2003). Supervision auf dem Prüfstand: Wirksamkeit, Forschung, Anwendungs­ felder, Innovation. Opladen: Leske + Budrich. Petzold, H. G. (2015). Lehrsupervision, Verantwortung, Forschung. Anmerkungen zu Zukunftsperspektiven der Supervision. Juni 1994 – Juni 2015 – Juni 2016. Offener Brief an den Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Supervision. Supervision. Theorie – Praxis – Forschung, Eine interdisziplinäre Internet-Zeitschrift, 7. Rohr, R., Hummelsheim, A., Höcker, M. (2016). Beratung lehren. Weinheim: Beltz Juventa. Rüschemeyer, D. (1983). Professional autonomy and the social control of expertise. In R. Dingwall, P. Lewis (Eds.), The sociology of professions: Lawyers, doctors and others (pp. 38–58). London: Macmillan. Winnicott, D. W. (1983). Von der Kinderheilkunde zur Psychoanalyse. Frankfurt a. M.: Fischer. Wittenberger, G. (1989). Supervisionsausbildung und Lehrsupervision. In W. Boettcher, G. Leuschner (Hrsg.), Lehrsupervision. Beiträge zur Konzeptentwicklung. Aachen: HKV.

Die Autorinnen und Autoren

Prof. Dr. Annemarie Bauer, Supervisorin (DGSv) und Gruppenanalytikerin (»D3G«), Lehrsupervisorin in Heidelberg (ConSeiL; http://conseil-consult. com/); bis 2010 Professorin an einer Fachhochschule. Schwerpunkte unter anderem Habitus und reflexives Handeln in Coaching und Super­vision; verborgene Dynamiken in Organisationen. Barbara Baumann, Theologin, Biologin; Supervisorin, Coach (DGSv), selbstständig in eigener Praxis für Supervision, Coaching, Fortbildung; Herzogenrath/Aachen; Lehrsupervisorin/Coach; Lehrbeauftragte an der KatHo NRW, Abt. Aachen, und der Universität Köln; 2007–2010 Projektleitung des Mentoringprogramms »NetWork.21«; Referentinnentätigkeit in unterschiedlichen Mentoringprogrammen. Jutta Borck, Diplom-Psychologin, Supervisorin (DGSv) und lehrende Supervisorin (SG), Mediatorin und Fortbildnerin; langjährige Weiterbildungsleiterin für Supervision am »Berliner Institut für Familientherapie BIF«; 2014 Gründerin des »Supervisionszentrums Berlin« und dort Weiterbildungsleiterin für Systemische Supervision und Coaching. Freiberufliche Tätigkeit in verschiedenen Settings und Branchen. Wolfgang Dinger, Diplom-Theologe, (Lehr-)Supervisor (DGSv), Gruppenanalytiker (IGA-HD), Fortbilder und Ausbildungsleiter; Mitglied des Lehrkollegiums und der Projektgruppe Lehrsupervision von »Supervision und TZI e. V.«; Gutachter für die Fachgespräche im Zertifizierungsverfahren der DGSv. Robert Erlinghagen, M. A., Supervisor (DGSv), Coach (SG), Organisations­ berater und Trainer; Partner der »inscapegroup« und Inhaber von »erlinghagen consulting & coaching«; Mitglied der Ausbildungsleitung der Coaching- und Supervisionsausbildung von »inscape«, Köln.

Die Autorinnen und Autoren

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Heinrich Fallner, Ausbilder für Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung, Mastercoach (ISP/DGfC), Lehr-/Supervisor (DGSv). Dr. Beate Fietze, Diplom-Soziologin, Diplom-Psychologin, Coach (EAB), Organisationsberaterin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Universitäten; bis 2013 Beratungsforschung am Humboldt Center for Social and Political Research, Humboldt Universität Berlin; 2013–2016 Beauftragte für Qualifizierung und Forschung der DGSv; Beirätin des »Round Table der deutschsprachigen Coachingverbände«; Mitherausgeberin der Zeitschrift »Organisations­ beratung, Supervision, Coaching«. Paul Fortmeier, Supervisor und Coach (DGSv), Lehrsupervisor, Trainer und Ausbilder für Gruppendynamik (DGGO), Organisationsberater; Geschäftsführer der DGSv. Edeltrud Freitag-Becker, Diplom-Sozialpädagogin, Supervisorin (DGSv), Coach, Beraterin für Organisationsentwicklung; Ausbildungsleitung der psychodynamischen Coaching- und Supervisionsausbildung bei »inscape«, Lehrsuprvisorin, Delegierte der DGSv zu Fragen der Qualitätsentwicklung von Beratung und Supervision innerhalb der DGSv und des NFB. Prof. Dr. phil. habil. Marlies W. Fröse, Professur für Organisations- und Personalentwicklung in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft (Evangelische Hochschule Dresden); Privatdozentin (Friedrich-Schiller-Universität, Jena); Supervisorin (DGSv); Organisationsberaterin (Trigon); Schwerpunkte: Transformation in Organisationen, Management & Leadership, HRM, Gender & Diversity Management, Coaching, Hochschul­beratung, Executive Coaching von Fach- und Führungskräften, habitusorientierte Managementberatung; http://conseil-consult.com/ Prof. Dr. emerit. Brigitte Geißler-Piltz, Alice Salomon Hochschule Berlin, Schwerpunkte: Gesundheit/Beratung/Counselling; Supervisorin und Coach (DGSv), Lehrsupervisorin; tätig in freier Praxis; Vorsitzende der DGSv (2010–2016); mit Monika Klinkhammer Leitung des ASH-Zertifikatskurses »Supervision und Coaching«. Angela Gotthardt-Lorenz, Maga, Supervisorin (ÖVS), Coach und Organisationsberaterin; Vorsitzende des Instituts für Supervision und Organisationsentwicklung Wien; Lehr- und Kontrollsupervisorin; Lektorin in verschiedenen Supervisions-/Coachingausbildungen; Vertreterin des soziodynamischen Konzepts der Organisationssupervision.

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Die Autorinnen und Autoren

Mechtild Grohs-Schulz, Supervisorin (DGSv), Lehrsupervisorin, Gruppenanalytikerin und Gruppenpsychotherapeutin (AGG), Balintgruppenleiterin (AGBaB). Schwerpunkte: angewandte Psychoanalyse in Gruppen und Organisationen. Gutachterin im Zertifizierungsverfahren der DGSv. Freie Praxis in München und Hamburg. Astrid Hassler, MAS, MSc, ist Organisationsberaterin, Coach und Supervisorin; Autorin unter anderem von »Ausbildungssupervision und Lehrsupervision. Ein Leitfaden fürs Lehren und Lernen«; Leiterin des »Instituts für Lehrsupervision und Ausbildungssupervision ilea gmbh«; freiberufliche Dozentin, Lehrbeauftragte und -trainerin für systemische Beratungsformen, Organisationsberatung, Supervision und Coaching. Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl, Diplom-Psychologe und Germanist, lehrte Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt a. M. und war Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt a. M.; Gruppenlehranalytiker, Supervisor und Organisationsberater (D3G, DGSv). Dr. Thomas Hegemann, Lehrender Supervisor (SG), Lehrender Coach (SG), Professional Coach (DBVC), Supervisor (DGSv) München; langjähriger Leiter eines systemischen Weiterbildungsinstituts; Coaching von Führungskräften in Veränderungsprozessen und Teamentwicklung mit den Schwerpunkten: Führungskräftetraining und interkulturelle Kompetenz. Susanne Holzbauer, Diplom-Psychologin, Trainerin für Gruppendynamik (DGGO), Supervisorin (DGSv), Psychologische Psychotherapeutin; diverse Lehraufträge an Hochschulen, mehrjährige Leitung einer sozialtherapeutischen Einrichtung; seit 2003 Supervisorin, niedergelassene Psychotherapeutin und Trainerin in freier Praxis. Seit 2002 Mitglied von »TOPS München-Berlin e. V.« und dort unter anderem als Ausbilderin für Supervision und Gruppendynamik tätig. Dr. Monika Klinkhammer, Diplom-Pädagogin, Diplom-Supervisorin (DGSv, DGV), Gestalttherapeutin (DVG, BAPt, ECP); seit 1997 Coach, Trainerin und Lehrcoach in freier Praxis; Gründungsmitglied »Coachingnetz Wissenschaft e. V.«; Leitung der IHK-zertifizierten Coachingausbildung 2004–2009; mit Brigitte Geißler-Piltz Leitung des ASH-Zertifikatskurses »Supervision und Coaching«; Mitglied Entwicklungskommission und Gutachterin der DGSv.

Die Autorinnen und Autoren

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Dr. phil. Wolfgang Knopf, Gruppendynamiker, Managementtrainer, Lektor an verschiedenen Universitäten; Lehrgangsleitung des Universitätslehrgangs Supervision und Coaching (MSci) an der Universität Wien – SuCo (gem. mit Kornelia Steinhardt); Präsident der ANSE (Association of National Organisations for Supervision in Europe) 2006–2014. Jessica Koch, Sozialpsychologin M. A., Supervisorin (DGSv); Leiterin der Stabsstelle Personalentwicklung am Oberlandesgericht Hamm, mehrjährige Berufserfahrung in der freien Wirtschaft in sämtlichen Aufgabenfeldern der Personalrekrutierung und -entwicklung; tätig als freie Trainerin und Consultant. Karlheinz Kramer, Diplom-Sozialpädagoge, Supervisor (DGSv), Lehrsupervisor, Mediator und Fortbildner; langjähriger Weiterbildungsleiter für Supervision am »Berliner Institut für Familientherapie BIF«; 2014 Gründer des »Supervisionszentrums Berlin« und dort Weiterbildungsleiter für Systemische Supervision und Coaching; freiberufliche Tätigkeit in verschiedenen Settings und Branchen. Hans-Karl Krey, Supervisor (DGSv), Lehrsupervisor, Lehrender Supervisor (SG), Systemischer Supervisor und Organisationsberater; Leiter einer Fachabteilung für Supervision und kirchliche Organisationsentwicklung beim Erzbistum Köln; Leiter der Supervisionsweiterbildung beim Erzbistum Köln. Ulrike Kreyssig, Diplom-Pädagogin, Supervisorin (DGSv) und Lehrende Supervisorin (SG), Mediatorin und Fortbildnerin; langjährige Weiterbildungsleiterin für Supervision am »Berliner Institut für Familientherapie BIF«; 2014 Gründerin des »Supervisionszentrums Berlin« und dort Weiterbildungsleiterin für Systemische Supervision und Coaching; freiberufliche Tätigkeit in verschiedenen Settings und Branchen. Sascha Kuhlmann, Diplom-Sozialpädagoge, Supervisor (DGSv), Lehrsupervisor, Lehrender Supervisor und Lehrender Coach (SG); Leiter der Supervisionsweiterbildungen und Trainer bei »BTS Mannheim«; Familien- und Erziehungsberater (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung bke); Teamleiter in einer Erziehungsberatungsstelle; Vorstandsmitglied der »Systemischen Gesellschaft e. V.«.

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Die Autorinnen und Autoren

Wilfried Lauinger, Diplom-Pädagoge, Supervisor und Coach (DGSv), Lehrsupervisor, zertifizierter/akkredidierter Wirtschaftsmediator BMWA®, Psychologischer Berater für Ehe-, Familien- und Lebensfragen (EKFuL); seit 1991 freiberuflich und selbstständig tätig in eigener Praxis für Supervision, Coaching, Mediation und Organisationsentwicklung; Eigentümer der »Agentur für berufliche Bildung und Beratung agenda pari®«. Heidi Neumann-Wirsig, Diplom-Sozialarbeiterin, Lehrende Supervisorin und Coach SG; seit 1980 selbstständige Supervisorin; Geschäftsführerin der eigenen Ausbildungs- und Beratungsfirma »BTS Mannheim«, zahlreiche Veröffentlichungen zu systemischer Supervision und Beratung; Schwerpunkt: Supervision, Coaching, Coaching-und Supervisionsausbildung mit systemisch-lösungsorientierten Konzepten, Teamentwicklung, Kurzzeitcoaching; Klaus Obermeyer, Supervisor (DGSv), Mediator (BMWA), Psychologischer Psychotherapeut, zusammen mit Harald Pühl Kursleitung in der 3-jährigen DGSvzertifizierten Ausbildung »Supervision, Coaching und Organisationsberatung – komplexe Beratung in Arbeitskontexten« am »Triangel-Institut für Supervision, Coaching und Mediation, Berlin und Hamburg«. Birgit Ramon, Coach, (Lehr-)Supervisorin (DGSv, EASC), Pädagogin und ausgebildete Sucht- und Sozialtherapeutin; leitet das Beratungsinstitut »clarté – gesunde zukunft für unternehmen« und bildet seit vielen Jahren Coaches, (Lehr-)Supervisorinnen und -supervisoren sowie Changemanagement-Berater/-innen aus; Beraterin für Organisations- und Personalentwicklung sowie betriebliches Gesundheitsmanagement von Organisationen aus dem Profitund Non-Profit-Bereich. Dr. Kornelia Steinhardt, Supervisorin (ÖVS), Lehrsupervisorin, Coach und Organisationsberaterin, Gruppenanalytikerin (ÖAGG) und Psychoanalytikerin (WPV); Lehrgangsleitung des Universitätslehrgangs Supervision und Coach­ ing an der Universität Wien – SuCo (gem. mit Wolfgang Knopf). Carla van Kaldenkerken, Diplom-Sozialpädagogin, Ausbildungsleiterin der DGSv-zertifizierten Weiterbildung »Systemische Supervision und Coaching« Supervisorin (DGSv), Coach, Lehrsupervisorin, Mediatorin, Ausbilderin für Mediation (BM e. V.), Organisationsberaterin; Geschäftsführende Gesellschafterin der Beratungsfirma »step«: Supervision, Coaching, Organisationsberatung, Konfliktmanagement.

Die Autorinnen und Autoren

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Drs. Louis van Kessel, Andragologe, (Lehr-)Supervisor, Professioneller Coach, Gruppendynamiker, Organisationsentwickler; Lehr- und Beratungsbeauftragter im In- und Ausland; Gründungspräsident ANSE (Association of National Organisations for Supervision in Europe); Koordinator Projektgruppe Lehrsupervision von »Supervision und TZI e. V.«. Elke Vowinkel, Diplom-Sozialpädagogin, Gestalttherapeutin, Mastercoach (DGfC), Supervisorin (DGSv). Kersti Weiß, Diplom-Psychologin, approbierte Psychotherapeutin, Gesprächspsychotherapeutin (GWG), Psychodramatherapeutin (dagg), Supervisorin (DGSv); Lehrsupervision, Coaching, Mediation, Organisationsentwicklung, Fortbildung. Vielfältige qualifizierende und beratende Tätigkeit von Menschen und Organisationen im Sozial-, Wirtschafts- und Politikbereich. Mitglied der Entwicklungskommission der DGSv. Dr. Jürgen Wessel, Systemischer Supervisor und Coach in eigener Praxis in Köln seit 1998; seit 2004 Lehrender Supervisor (SG) und Lehrsupervisor (DGSv); Arbeitsschwerpunkte: Teamsupervision und Teamentwicklung in Profit- und Nonprofit-Organisationen; Gruppensupervision; Intervision/Kontrollsupervision für Supervisorinnen, Supervisoren und Coaches; Lehrsupervision/Ausbildungssupervision für systemisch arbeitende Ausbildungsinstitute und Hochschulen; Coaching für Führungskräfte.