Land und Landeshistoriographie: Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Landesgeschichtsforschung 9783110427936, 9783110437522

Until 1990, research on state historiography about the historical Middle German and East German territories was shaped b

167 94 2MB

German Pages 574 Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Land und Landeshistoriographie: Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Landesgeschichtsforschung
 9783110427936, 9783110437522

Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830–1848
Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg
Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945. Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen
Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“
Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit
Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des geteilten Deutschland und Europa: Walter Schlesinger, die ost(mittel)deutsche Landesgeschichte und die deutsche Ostforschung
Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands: Walter Schlesinger und Hans Patze. I. Teil: Hans Patze: thüringischer Landesarchivar – gesamtdeutscher Landeshistoriker – Erforscher der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaften
Landesgeschichtsforschung im Exil. Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger
Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien in Göttingen nach 1945
Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)
Nachwort des Verfassers

Citation preview

Klaus Neitmann Land und Landeshistoriographie

Klaus Neitmann

Land und Landeshistoriographie

Beiträge zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen und deutschen Landesgeschichtsforschung Hrsg. von Hans-Christof Kraus und Uwe Schaper

ISBN 978-3-11-043752-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-042793-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-042797-4 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Atlas Selectus von allen Königreichen und Ländern der Welt. Reisekarte durch das Kurfürstentum Brandenburg, altkol. Kupferstich, angefertigt von Johann Georg Schreiber, Leipzig, ca. 1743 (Brandenburgisches Landeshauptarchiv, AKS Nr. 843 C). Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort der Herausgeber 

 IX

Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830–1848   1 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg   59 Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945 Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen   137 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“  171 Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamt­verein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit  245 Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des geteilten Deutschland und Europa: Walter Schlesinger, die ost(mittel)deutsche Landesgeschichte und die deutsche Ostforschung  293 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands: Walter Schlesinger und Hans Patze I. Teil: Hans Patze: thüringischer Landesarchivar – gesamtdeutscher Landeshistoriker – Erforscher der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaften  357 Landesgeschichtsforschung im Exil Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger

 483

Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien in Göttingen nach 1945  521

VI 

 Inhalt

Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015) Nachwort des Verfassers

 561

 543

Klaus Neitmann zum 60. Geburtstag am 22. August 2014 zugeeignet

Vorwort Historische Themenkomplexe haben ihre – nicht zuletzt zeitgeschichtlich bedingten – Konjunkturen, aber sie erleben ebenfalls Jahre geringer Bearbeitung und Beachtung. So ist es in der Zeit der alten Bundesrepublik der mittel-ostdeutschen, damit auch der brandenburgisch-preußischen Landesgeschichte ergangen, was den 1998 verstorbenen Hartmut Boockmann, den Altmeister der west- und ostpreußischen Landesgeschichte, noch im Frühjahr 1989 einmal zu der sarkastischen, inzwischen fast klassisch zu nennenden Formulierung veranlasste, der seinerzeit im westlichen deutschen Teilstaat kräftig fortlebende „alte süd- und westdeutsche Provinzialismus“ befinde sich mehr denn je in der „Versuchung, sich schon für das Ganze zu nehmen“, und befördere den allgemeinen Eindruck, „die Geschichte Ostdeutschlands sei schon immer die Schwundstufe der allgemeinen deutschen Geschichte gewesen“. Demgegenüber beharrte Boockmann jedoch mit Nachdruck darauf, die deutsche Geschichte sei durchaus „mehr als rhein-donauländische Heimatkunde“. Zu denen, die jene von Boockmann beklagte Selbstbeschränkung der westdeutschen Geschichtswissenschaft schon vor 1989 nicht akzeptieren wollten, gehört Klaus Neitmann, seit seiner 1984 bei Hans Patze in Göttingen abgeschlossenen Dissertation „Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230– 1449 – Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaates“ ein ausgewiesener Spezialist für die Geschichte des alten deutschen Ostens, zu dessen Erforschung er seit drei Jahrzehnten immer wieder gewichtige Beiträge geleistet hat. Er beschritt seit seiner Promotion einen dreifachen beruflichen Weg: als Archivar, als wissenschaftlicher Forscher und seit 2008 auch als akademischer Lehrer (an der Universität Potsdam). Nach einigen Jahren beruflicher Tätigkeit am Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem übernahm er 1993 die Leitung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs in Potsdam, dessen Direktor er bis heute ist. Daneben fungiert er als sehr aktiver Herausgeber und Mitherausgeber mehrerer wissenschaftlicher Fachorgane sowie als angesehenes und gefragtes Mitglied einer Reihe gelehrter Korporationen, darunter der Historischen Kommission zu Berlin, der Preußischen Historischen Kommission, der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung sowie der Brandenburgischen Historischen Kommission, deren Vorsitz er innehat. Der vorliegende Band, der ihm von den beiden – Klaus Neitmann seit Jahren beruflich wie persönlich eng verbundenen – Herausgebern zur Vollendung des sechsten Lebensjahrzehnts überreicht werden soll, umfasst zwar nur einen Ausschnitt aus seinem umfangreichen wissenschaftlichen Werk, beschränkt sich jedoch ganz bewusst auf die Beiträge Neitmanns zur Geschichte der deutschen

X 

 Vorwort

Landesgeschichte, also auf ein Thema, zu dem er seit vielen Jahren intensiv gearbeitet und zu dem er eine Reihe umfangreicher, inhaltlich überaus gewichtiger Beiträge verfasst hat. Das gilt zuerst für die Rekonstruktion der Entwicklung der älteren und neueren Landesgeschichtsforschung in Brandenburg bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts; diesem Gegenstand ist der erste Teil der hier erneut gesammelten und in einer vom Autor partiell revidierten, also letztgültigen Fassung abgedruckten Aufsätzen gewidmet. Hier, in den ersten fünf Studien, geht es vor allem um die institutionelle Entwicklung der Landesgeschichtsforschung in der ehemaligen preußischen Zentralprovinz zwischen dem Vormärz und der NS-Zeit. Ein zweiter Schwerpunkt wiederum gilt in vier weiteren Einzelbeiträgen dem Neubeginn der ostmitteldeutschen landesgeschichtlichen Forschung während der frühen Nachkriegszeit, zuerst noch in beiden deutschen Staaten – hier fokussiert auf Persönlichkeit und Werk Walter Schlesingers, Hans Patzes und Reinhard Wittrams, die seit den 1950er Jahren, vornehmlich in Hessen und Niedersachsen, unter schwierigen Bedingungen an das Erbe älterer Bemühungen wieder anzuknüpfen versuchten – nun freilich belehrt durch die bitteren Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit. Eindrucksvoll zeigt Neitmann, wie die Landesgeschichte, ein im geschichtsbewussten 19. Jahrhundert entstandenes Produkt des traditionellen deutschen Föderalismus, ihre hohen wissenschaftlichen Standards auch über die Brüche der jüngeren deutschen Geschichte hinweg zu wahren wusste, freilich nicht ohne gelegentliche Anpassung an die jeweils herrschenden politischen Regime, die zumeist jedoch über Lippenbekenntnisse selten hinausgingen. Diese Fehlleistungen bedürfen einer kritischen Aufarbeitung, sie haben sich insgesamt jedoch als weniger gravierend erwiesen als diejenigen, die seinerzeit in so manchen anderen Teilgebieten der historischen Wissenschaften in Deutschland zu finden waren, etwa in der „Volksgeschichte“. Das Fundament für eine solche kritisch-sachliche, Licht und Schatten gleichermaßen verteilende Rekonstruktion der Entstehung und Entwicklung der ostmitteldeutschen Landesgeschichtsforschung haben die einschlägigen Studien Klaus Neitmanns seit Jahren gelegt; sie werden hier erneut in zusammenfassender Form zugänglich gemacht. Schon wegen ihrer reichhaltigen archivalischen Fundierung, ihrer Quellendichte und ihres Informationsgehalts werden sie auch künftig unverzichtbar bleiben. März 2015 Die Herausgeber

Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg1 Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830– 1848 I. Einführung: Thema und historiographische Ausgangslage  1 II. Georg Wilhelm von Raumer   4 III. Adolph Friedrich Riedel   17 IV. Der Codex diplomaticus Brandenburgensis   22 V. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg   28 VI. Die Märkischen Forschungen   38 VII. Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung der vormärzlichen brandenburgischen Landesgeschichtsforschung   45

I. Einführung: Thema und historiographische I. Ausgangslage Einführung: Thema und historiographische Ausgangslage

Adolph Friedrich Riedel, sein Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg sind die Namen, mit denen gemeinhin die Anfänge der modernen brandenburgischen Landesgeschichtsforschung verbunden werden. Sie stehen für den bedeutendsten brandenburgischen Historiker-Archivar des gesamten 19. Jahrhunderts, für die umfassendste, bis heute unverzichtbare Quellenedition zur mittelalterlichen und nachmittelalterlichen brandenburgischen Geschichte und für den ältesten und ein Jahrhundert lang gewichtigsten brandenburgischen Geschichtsverein. Die Entstehung der damit angedeuteten Landesgeschichtsforschung fällt in die zwei Jahrzehnte zwischen dem Ende der 1820er Jahre und der Revolution von 1848, also, in den Leit-

Aus: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hrsg. v. Bärbel Holtz (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 11), Berlin 2010, S. 249–298.

2 

 Adolph Friedrich Riedel

begriffen der politischen Geschichte gesprochen, in die Restaurationszeit. Ob und inwieweit der neue Zweig der Historie sachlich noch mit den Bestrebungen der Reformzeit verknüpft ist und überhaupt in den in unserem Sammelband gesetzten thematischen, auf die preußischen Kulturreformen bezogenen Rahmen hineinpaßt, soll am Eingang unserer Betrachtungen nur als Frage aufgeworfen werden. Immerhin ist die Auffassung pointiert vertreten worden: Es ist ... der Geist der Befreiungskriege und weiterhin der Geist der ständischen Reaktion nach 1815 gewesen, der die erste eigentliche Blüte der landesgeschichtlichen Forschung [in Brandenburg] begünstigte. … Das konservative Prinzip … war der Vater unserer ernsten Landesgeschichte. Im Staate der Provinziallandtage musste sie ihre Förderung finden1.

Wir kommen auf das Problem am Schluß unserer Erörterungen zurück, verschaffen uns aber zunächst eine ausreichende Grundlage für unsere Urteilsbildung, indem wir uns für die angesprochenen knapp zwei Jahrzehnte einen näheren Einblick in das landesgeschichtliche Personal, in sein landesgeschichtliches Arbeitsprogramm und in seine landesgeschichtliche Organisationsform verschaffen. Wer bearbeitete Themen der brandenburgischen Geschichte? Welche Forschungsaufgaben wurden von den Landeshistorikern aufgestellt? Wie suchten sie ihre Arbeitsbedingungen zu gestalten und zu fördern? Von welchen allgemeinen Erwägungen und Absichten wurden sie zu ihren Bemühungen angetrieben? Bevor wir uns den ersten maßgeblichen Vertretern der „modernen“ brandenburgischen Landesgeschichte zuwenden, gilt es zunächst knapp die Lage zu skizzieren, die sie zu Beginn ihres Einsatzes auf ihrem Arbeitsfeld vorfanden. Als Adolph Friedrich Riedel und seine Mitstreiter sich um 1830 der brandenburgischen Landesgeschichte zuwandten, war ihnen mehr als ein Menschenalter zuvor die von Gerd Heinrich trefflich beschriebene „Historiographie der Bürokratie“ vorangegangen2. Reformorientierte Vertreter der zentralstaatlichen Berliner 1 Berthold Schulze, Landesgeschichtsschreibung in Brandenburg, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), 83–102, hier 86. 2 Gerd Heinrich, Historiographie der Bureaukratie. Studien zu den Anfängen historisch-landeskundlicher Forschung in Brandenburg-Preußen (1788–1837), in: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag, hrsg. v. Gerd Heinrich u. Werner Vogel (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, 35), Berlin 1971, 161–188, danach im Folgenden, bes. 163, 167, 172–175 (173–175 die Zitate Bratrings), 184f.; – vgl. ergänzend: Ders., Brandenburgische Landesgeschichte und preußische Staatsgeschichte. Universitäten, Hochschulen, Archive, Historische Gesellschaften und Vereine, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. v. Reimer Hansen u. Wolfgang Ribbe (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82), Berlin, New York 1992, 323–363, hier 323–326; – ders., Amtsträger als Historiographen des Preußischen Staates (1750–1815), in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des



Einführung: Thema und historiographische Ausgangslage 

 3

Bürokratie hatten zwischen 1788 und 1804 die theoretischen und praktischen Grundlagen für eine geschichtliche Landeskunde der Mark Brandenburg gelegt, durch die Herausbildung eines landesgeschichtlichen Bewußtseins und erster landesgeschichtlicher Arbeitsprogramme mit dem Schwergewicht auf topographisch-statistischen Untersuchungen. Das Interesse der Aufklärer war dabei darauf gerichtet, die innere Verfassung des Staatswesens in ihrer historischen und gegenwärtigen Bedingtheit zu erhellen. Der leistungsfähigste Mann, Friedrich Wilhelm August Bratring, vereinigte dazu in seinen Arbeiten, darunter in seinem Hauptwerk, der „Statistisch-topographischen Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg“, die Kameral-Statistik, die statistisch-topographische Landesbeschreibung, die Provinzial- und Staatsgeschichte und eine geographische Länderkunde zu einer gegenwartsnahen „historischen Landeskunde“. Der landeskundliche Forscher untersucht, so formulierte er programmatisch, den Zustand des Ackerbaues, der Produkte, der Manufakturen und Fabriken, des Handels und der Tätigkeit; [er] erforscht den Flächeninhalt und das Verhältnis der Volksmenge, das Verhältnis des Reichtums und der Armut, die Polizei und Justiz, das Religions- und Schulwesen.

„Volks-Wohl und Volks-Glückseligkeit“, heißt es weiter mit aufklärerischem Pathos, sind der einzige Gesichtspunkt bei seinen [d.h. des Historikers] Nachforschungen. ... Wenn ehedem der politische Zustand eines Landes untersucht ward, galt es die Frage, wie die ausgeleerte Schatulle des Fürsten am bequemsten zu füllen sei; jetzt dient es zur Erforschung der Quellen des Wohlstandes und Elendes, um die Masse des Menschenglücks zu vermehren und die Großen darauf aufmerksam zu machen.

Aber Bratring gewann für seine Sicht unter den um 1800 in Berlin arbeitenden Historikern nur wenige Gefährten, er fand keine personellen oder institutionellen Förderer seiner Bemühungen, zu denen auch die Sammlung und Teiledition landesgeschichtlicher Quellen gehörten, so daß er, der seine Themen als Einzelgänger anpackte, über die Bündelung der Kräfte in einer relativ kurzlebigen Zeitschrift hinaus keine Vereinsgründung anging.

19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Wolfgang Neugebauer (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, 61–82; – zu den Anfängen der brandenburg-preußischen Historiographie im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. auch Reinhold Koser, Umschau auf dem Gebiete der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 1 (1888), 1–56, hier 2–7.

4 

 Adolph Friedrich Riedel

Überhaupt schien nach der politischen Katastrophe von 1806 das landesgeschichtliche Interesse weit über zwei Jahrzehnte geradezu erloschen zu sein, zwischen 1807 und 1830 wurden kaum nennenswerte landesgeschichtliche Studien veröffentlicht. Erst um die Wende von den 20er zu den 30er Jahren wandelte sich auf einmal das Bild, innerhalb weniger Jahre wurde eine Vielzahl von historischen Forschungen, darunter auch mehrere von großem Umfange und inhaltlicher Tiefe, publiziert. Die maßgeblichen Werke stammten von Angehörigen der damals jungen Generation, von Personen, die zwischen 1800 und 1810 geboren worden waren und die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn mit neuen Ansätzen auf sich aufmerksam machten. Zwei von ihnen seien an dieser Stelle herausgegriffen und näher vorgestellt, um den Umbruch in der historischen Forschungslandschaft besser charakterisieren zu können. Bewußt beginnen wir nicht mit Adolph Friedrich Riedel, weil seine Leistungen die seiner gleichgesinnten Generationsgenossen im nachhinein wohl ein wenig zu sehr verdunkelt haben.

II. Georg Wilhelm von Raumer Georg Wilhelm von Raumer3 wurde am 19. November 1800 in Berlin geboren, als jüngster von vier Söhnen aus der Ehe Karl Georg von Raumers (1753–1833)4 und 3 Das Folgende nach: Ernst Friedlaender, Raumer, Georg Wilhelm v. R., in: Allgemeine deutsche Biographie, Bd. 27, Leipzig 1888, 414; – Hermann v. Raumer, Die Geschichte der Familie von Raumer, Neustadt a. d. Aisch 1975, 83–87; – Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare 1500– 1945, Bd. 2, München, New York u. a. 1992, 476; – Johanna Weiser, Geschichte der preußischen Archivverwaltung und ihrer Leiter. Von den Anfängen unter Staatskanzler von Hardenberg bis zur Auflösung im Jahre 1945 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 7), Köln, Weimar, Wien 2000, 22, 27, 30–34; – Regina Rousavy, Raumer, Georg Wilhelm v., in: Brandenburgisches Biographisches Lexikon (im Folgenden zitiert: BBL), hrsg. v. Friedrich Beck u. Eckart Henning in Verbindung mit Kurt Adamy, Peter Bahl u. Detlef Kotsch, Potsdam, 2002, 325 (Ebd. sind aus Versehen die Abbildungen Georg Wilhelms und seines Vaters Karl Georg miteinander vertauscht worden.); zuletzt: Klaus Neitmann, Georg Wilhelm von Raumer (1800–1856), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landes- und Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Friedrich Beck u. Klaus Neitmann (Brandenburgische Historische Studien, 16; zugleich Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., 4), Berlin-Brandenburg 2013, 40–49. – Die bislang umfangreichste, tief in Persönlichkeit und Gesinnung eindringende Untersuchung stammt von Hubertus Fischer; vgl.: „Preussen ist mir jetzt, was Athen und Sparta …“. Unbekannte Briefe Georg Wilhelm von Raumers an Leopold von Ledebur nebst Konzepten und Abschriften des Empfängers, eingeleitet u. hrsg. v. Hubertus Fischer, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45 (1999), 209–274, die Darstellung



Georg Wilhelm von Raumer 

 5

dessen Frau Luise geb. Lecke. Sein Vater stieg in einer erfolgreichen Laufbahn im preußischen Justiz- und Verwaltungsdienst 1811 zum Geheimen Staatsrat im Staatskanzleramt auf, beriet Hardenberg u.a. 1819 für die anstehende Neuorganisation des preußischen Archivwesens und erhielt 1822 im Nebenamt die Stellung eines Direktors des Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs in Berlin, 1831 die eines Direktors der Preußischen Staatsarchive. Nach dem Besuch des Friedrichwerderschen Gymnasiums in Berlin studierte Georg Wilhelm Rechtswissenschaft in Göttingen, Berlin und Heidelberg und fand danach eine Tätigkeit am Berliner Kammergericht, wurde dort 1823 Auskultator, 1825 Referendar und 1827 Assessor. Nachdem er 1829 zum Hilfsarbeiter im Finanzministerium bestellt worden war, trat er nach dem Tode seines Vaters am 2. Juli 1833 in dessen unmittelbare Fußstapfen: Am 6. Juli 1833 stieg er zum Regierungsrat und Vortragenden Rat im Königlichen Hausministerium und bei der Preußischen Archivverwaltung auf und wurde dem Nachfolger seines Vaters als Direktor des Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs und der Archivverwaltung, Gustav Adolf von Tzschoppe, beigeordnet5. Vier Jahre später wurde er zum Geheimen Regierungsrat befördert und 1839 anläßlich des brandenburgischen Reformationsjubiläums von der Universität Berlin zum Dr. juris promoviert. Nach dem Tode seines Vorgesetzten Tzschoppe am 16. September 1842 wurde er unter Beibehaltung seiner Stelle im Hausministerium am 17. März 1843 zum Direktor der Staatsarchive mit dem Recht zum unmittelbaren Vortrag beim König ernannt. 1842 wurde er zum Mitglied der Generalordenskommission, 1844 zum Mitglied des Staatsrates bestellt, ab 1848 4

ebd., 209–237, hier 223–226 die Erörterung der nicht eindeutig aufgeklärten Todesumstände. – Der im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden abgekürzt: GStAPK), Berlin-Dahlem, befindliche Nachlaß Raumers enthält v. a. aus seiner dienstlichen Tätigkeit erwachsene Unterlagen über das Archivwesen, das Hausministerium und Hausangelegenheiten der brandenburg-preußischen Herrscher, siehe: Familienarchive und Nachlässe im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Ein Inventar, bearb. v. Ute Dietsch (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 8), Berlin 2008, 346f. – Abbildung Raumers bei Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins, Heft 61, Berlin 1977, 3–81, hier 59. 4 Johannes Schultze, Karl Georg v. Raumer, in: Ders.: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut Berlin, 13), Berlin 1964, 287–297, bes. 291, 293f.; – Weiser, Preußische Archivverwaltung (Anm. 3), 9, 22f., 25–27. 5 Wohl zur eigenen Orientierung ohne Veröffentlichungsabsichten verfaßte Raumer anschließend, wohl um 1835, eine bemerkenswerte, durch die Vielfalt ihrer Gesichtspunkte immer noch zu beachtende Geschichte des ihm unterstellten Archivinstituts: Georg Wilhelm von Raumer, Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinets-Archivs zu Berlin bis zum Jahre 1820, hrsg. v. Eckart Henning, in: Archivalische Zeitschrift 72 (1976), 30–75.

6 

 Adolph Friedrich Riedel

gehörte er dem Gerichtshof zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten an. Er beging Selbstmord zu Berlin am 11. März 1856, in unmittelbarem zeitlichen und vielleicht auch sachlichen Umfeld der Hinckeldey-Affäre, vielleicht aus Verzweiflung über den Untergang der alten Preußen in der Revolution von 1848 und zugleich aus Enttäuschung über die Halt- und Treulosigkeit Friedrich Wilhelms IV. gegenüber vertrauten Ratgebern. Wie Georg Wilhelm von Raumers dienstliche Laufbahn zeigt, war er ebenso wie sein Vater vorrangig als Verwaltungsbeamter in mancherlei Verwaltungsfunktionen tätig. Das Archivwesen war nur eines und nicht das vorrangigste unter seinen Geschäftsfeldern, denn die Direktoren des Geheimen Staats- und Kabinettsarchivs bzw. der Staatsarchive wirkten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, bis zur Berufung Carl Wilhelm von Lancizolles 1852, nur nebenamtlich. Raumer bemühte sich zwar um eine Verbesserung der Archivverhältnisse, etwa um Aktenabgaben aus den Behörden, um Errichtung eines neuen Archivgebäudes in Berlin, um Abfassung einer Geschichte des preußischen Archivwesens, aber seinen Anstrengungen blieb der Erfolg versagt, durchschlagende Neuerungen in der preußischen Archivverwaltung blieben unter ihm aus. In einer Beziehung unterschied er sich allerdings erheblich von seinem Vater und dessen Verständnis archivarischer Leitungstätigkeit. Karl Georg von Raumers Amtstätigkeit war im wesentlichen auf die anfallenden Verwaltungs-, Personal- und Etatsfragen der ihm unterstellten Archive beschränkt geblieben. Da er selbst sie durch den Rückgriff auf ihre Dokumente für die Anfertigung seiner zahlreichen Rechtsgutachten kennengelernt hatte, dienten sie nach seiner Auffassung in erster Linie der Verteidigung der Ansprüche und Rechte der Krone nach innen und außen, somit vornehmlich staats- und völkerrechtlichen, erst nachrangig wissenschaftlichen Zwecken, so daß er den Archivar zur Geheimhaltung und Verschwiegenheit verpflichtete und der Öffnung der Archive für die wissenschaftliche Benutzung eher widerstrebte; im allgemeinen wurden nur Bestände bis 1500 zur Einsichtnahme vorgelegt. Der Archivar solle sich, so verstand der Verwaltungsjurist Raumer den Beruf des Staatsbeamten, durch „Abneigung von schriftstellerischem Treiben“ auszeichnen, mit seiner Arbeit keine persönlichen literarischen oder wissenschaftlichen Neigungen verbinden6. Georg Wilhelm hingegen gab sich bereits im jugendlichen Alter, nach Abschluß seines Studiums, seinen wissenschaftlichen und literarischen Neigungen hin und begann, sich neben und unabhängig von seiner hauptamtlichen Verwaltungstätigkeit der Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte zuzuwenden.

6 Schultze, Karl Georg v. Raumer (Anm. 4), 293f., Zitat 293; – Weiser, Preußische Archivverwaltung (Anm. 3), 25, 28.



Georg Wilhelm von Raumer 

 7

Während seiner Zeit am Kammergericht beschäftigte sich Raumer mit der Geschichte der Mark Brandenburg, „aus Liebhaberei“, wie er 1830 und 1833 in seinen Publikationen öffentlich bekannte7. 1830 erschien seine erste selbständige Veröffentlichung zur brandenburgischen Landesgeschichte, eine ohne Nennung des Verfassernamens ausgegebene kleine Schrift „Ueber die älteste Geschichte und Verfassung der Churmark Brandenburg, insbesondre der Altmark und Mittelmark“8. Sie setzt mit der Schilderung der Kämpfe zwischen Deutschen und Slawen im Bereich der mittleren Elbe und zwischen Elbe und Oder vom 10. bis zum 12. Jahrhundert ein und konzentriert sich dann auf die Beschreibung der politischen, sozialen und rechtlichen Verfassung der Mark Brandenburg und ihrer Stände, Geistlichkeit, Adel, Bürger und Bauern, vornehmlich im 12. bis 14. Jahrhundert. Das Schwergewicht von Raumers wissenschaftlichen Aktivitäten lag jedoch in der Folgezeit nicht auf derartigen verfassungsgeschichtlichen Analysen, sondern er verlegte sich nachdrücklich auf die Quellenerfassung und Quellenedition. Dazu wurde er zunächst dadurch angestoßen9, daß er in seiner kammergerichtlichen Wirkungsstätte das Kurmärkische Lehnsarchiv mit den bis ins 14. Jahrhundert zurückreichenden landesherrlichen Lehnskopiaren vorfand, allein 25 Folianten aus dem 15. Jahrhundert mit größtenteils damals unbekannten Urkunden, und ihm dessen uneingeschränkte Benutzung gestattet wurde. In der Erkenntnis, daß mangels nennenswerter chronikalischer Zeugnisse für die 7 [Georg Wilhelm von Raumer], Ueber die älteste Geschichte und Verfassung der Churmark Brandenburg, insbesondre der Altmark und der Mittelmark, Zerbst 1830, III. – Die dortige Formulierung wird wörtlich wiederholt in: Ders., Ueber die Herausgabe brandenburgischer Regesten, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 12 (1833), 97–112, hier 97. – Die zahlreichen Aufsätze und Schriften, die Raumer insbesondere in den 1830er und frühen 1840er Jahren, seiner wissenschaftlich produktivsten Zeit, veröffentlichte, sind zusammengestellt bei Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 228–234. – Raumer zählte zu den fleißigsten Mitarbeitern der von Ledebur 1830–1835 (1836) herausgegebenen Zeitschrift „Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates“, vgl. seine Bemerkung in einem Brief an Ledebur von 1833, in: Fischer, „Preußen …“ (Anm. 2), 240f. 8 Siehe vorige Anm. 9 Zum Folgenden vgl. G[eorg] W[ilhelm] von Raumer, Anzeige eines nächstens erscheinenden Codex diplomaticus Brandenburgensis, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 4 (1831), 383–386; – vgl. die knappen Bemerkungen zu Raumers Urkunden­ arbeiten bei Ribbe, Quellen und Historiographie (Anm. 3), 36, 38. – Zur Behörden- und Bestandsgeschichte der Kurmärkischen Lehnskanzlei und ihres Lehnsarchivs vgl.: Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen Landeshauptarchivs Potsdam, Teil I, bearb. v. Friedrich Beck, Lieselott Enders, Heinz Braun (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 4), Weimar 1964, 28–30. – Siehe auch Raumers Bemerkung zur kurz vor 1835 erfolgten Abgabe der älteren, aus der Zeit vor 1536 stammenden Teile des Lehnsarchivs durch das Kammergericht an das Geheime Staatsarchiv, in: Raumer, Geschichte des Geheimen Staats- und CabinetsArchivs (Anm. 5), 34.

8 

 Adolph Friedrich Riedel

ältere Geschichte der Mark Brandenburg deren Erforschung sich weitgehend auf die urkundliche Überlieferung stützen muß, packte Raumer, der offenkundig eine Berufung „zum eigentlichen Geschichtsschreiber“10 nicht empfand, zur Vermehrung des zugänglichen Quellenstoffes eine umfangreiche Quellenedition an, indem er fast ausschließlich den Fundus des Lehnsarchivs, also seine Kopialbücher, sichtete, daraus in Auswahl Hunderte von ungedruckten und inhaltlich bedeutsamen Dokumenten abschreiben ließ, die Transkriptionen selbst kollationierte und schließlich publizierte. Die Texte entstammen in erster Linie der Zeit der frühen Hohenzollern bis zur Reformation, also vom Regierungsantritt Friedrichs I. 1411 bis zum Tode Joachims I. 1535: Nur 44 Urkunden gehören der Zeit vor 1411 an, hingegen 125 Nummern der Regierungszeit Friedrichs I., 168 derjenigen Friedrichs II., 104 derjenigen Albrechts Achilles und Johanns Cicero zuzüglich 155 Nummern der 1470er bis 1490er Jahre aus einem landesherrlichen Urteilsbuch, 91 Nummern entfallen auf die Regierungszeit Joachims I. Das inhaltliche Schwergewicht der Edition liegt auf der Ausbildung der inneren Landesverfassung und inneren Landesverhältnisse, wie sie sich in Urkunden, Landtagsverhandlungen und Rechtssprüchen widerspiegelt. Belehnungen, Verpfändungen, Käufe und Verkäufe von Besitzungen und Rechten, Ämtervergaben, Privilegierungen von Adligen und Städten, Verträge und Vereinbarungen mit den benachbarten Territorialfürsten, Angelegenheiten des kurfürstlichen Hauses bestimmen im ersten Band das Bild. Im Bereich der politischen Geschichte sind insbesondere die Auseinandersetzungen Kurfürst Friedrichs I. mit dem märkischen Adel nach 1412 in etlichen Urkunden und die Konflikte mit den Herzögen von Pommern im Stettiner Erbfolgestreit nach 1464 in zahlreichen Schreiben und Verhandlungsprotokollen reich dokumentiert. Im zweiten Band wird den militärischen und diplomatischen Kämpfen mit Pommern ebenfalls breiter Raum gewidmet, ansonsten schieben sich die Verhandlungen der Kurfürsten mit der Gesamtheit der Stände oder einzelnen Ständen, die Landtagsdebatten und Landtagsabschiede, Städteordnungen und Ämterbestallungen stark in den Vordergrund. Mit dem Titel seines 1831 und 1833 in der Nicolaischen Buchhandlung erschienenen zweibändigen Werkes, „Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus“11, erinnerte Raumer an die bedeutendste brandenburgische Urkundenedition des 18. Jahrhunderts, an die Philipp Wilhelms Gerckens, und unterstrich die Notwendigkeit zu ihrer lange versäumten Fortsetzung, damit man „durch Mittheilung unzugänglich gewese10 Codex … continuatus (Anm. 11), Tl. 1, III. 11 Codex diplomaticus Brandenburgensis continuatus. Sammlung ungedruckter Urkunden zur Brandenburgischen Geschichte, hrsg. v. Georg Wilhelm von Raumer. Erster Theil, Berlin, Stettin und Elbing 1831, Zweiter Theil, Berlin und Elbing 1833. – Ein am Ende der Vorrede zum zweiten Teil angedeuteter dritter Teil (S. IV) ist nicht erschienen.



Georg Wilhelm von Raumer 

 9

ner Materialien den Geschichtsforschern in die Hände arbeiten“ könne und aus ihrer Auswertung „dereinst eine gediegene Geschichte der Mark Brandenburg, wie andre Länder solche längst besitzen, erwartet werden“ dürfe12. Zwei kleine Darstellungen fügte Raumer dem ersten Teil seiner Edition ein. In der ersten behandelt er die adlige Opposition gegen den ersten hohenzollernschen Markgrafen Friedrich I. nach dessen Erscheinen in der Mark mit dem Schwergewicht auf der Quitzowschen Fehde und sucht mit bemerkenswerten Argumenten, die von der Kritik an dem einseitig städtischen Standpunkt des Geschichtsschreibers Engelbert Wusterwitz ausgehen und um die Unterscheidung von gerechtfertigter adliger Fehde und Straßenräuberei kreisen, die Verhaltensweise der adligen Gegner Friedrichs aus den Zeitverhältnissen zu erklären. In der zweiten Darstellung charakterisiert er überblicksartig die beiden ersten hohenzollernschen Kurfürsten, Friedrich I. und Friedrich II., preist geradezu vorbehaltlos ihre politischen Taten und ihre persönlichen Eigenschaften, um so, wie er sein Vorgehen begründete, „die Theilnahme gerade für diesen Abschnitt der Brandenburgischen Geschichte zu erhöhen“13. Der zweite Teil enthält als Einleitung zur Edition des Urteilsbuches eine kleine Einführung in die brandenburgische Rechtsgeschichte, vor allem in die Gerichtsverfassung und in das kammergerichtliche Prozeßverfahren, um, wie erläutert wird, „die Aufmerksamkeit der vaterländischen Juristen auf die alten Rechtsdenkmahle [zu] leiten“, und deutet einige inhaltliche Schwerpunkte des edierten Quellenstoffes aus der Zeit Joachims I. an14. Zu Raumers methodischer Darbietung des Urkundenstoffes ist zu bemerken, daß er den Inhalt der einzelnen Urkunden in sehr knapp gehaltenen Kopfregesten unter Hinzufügung des Entstehungsjahres, aber nicht des tag12 Ebd., Tl. 1, IV. – Vgl. auch Raumers Bemerkung zu Gercken in: Ders., Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 7 (1832), 5–27, hier 7f. – Die markgräflichen Lehnskopiare des 15. Jahrhunderts, so schrieb Raumer wenige Jahre nach dem Erscheinen seiner vornehmlich aus ihnen schöpfenden Edition, bildeten „die schätzbarste Geschichtsquelle dieser Zeit“. Raumer, Geschichte des Geheimen Staats- und Cabinets-Archivs (Anm. 5), 34. – Zu Gercken und überhaupt zu den älteren brandenburgischen Urkundensammlungen und -editionen vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert vgl. jetzt: Regesten der Urkunden zur Geschichte von Berlin / Cölln im Mittelalter (1237 bis 1499). Mit Nachträgen für die Zeit von 1500 bis 1815, bearb. v. Gaby Huch u. Wolfgang Ribbe (Berlin-Forschungen der Historischen Kommission zu Berlin, 7; zugleich Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, 13), Berlin 2008, 17–23. 13 Codex … continuatus (Anm. 11), Tl. 1, S. 35–42 bzw. S. 149–160. – Zitat: Raumer: Anzeige (Anm. 9), 385. – Theodor Fontane gründete sein den „Historiker“ Raumer über den „Forscher“ Riedel stellendes Urteil vor allem auf Raumers Behandlung der Quitzowzeit, vgl. Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 209. 14 Codex … continuatus (Anm. 11), Tl. 2, 107–124 bzw. 201–204, das Zitat aus der Vorrede zu Tl. 2, III.

10 

 Adolph Friedrich Riedel

genauen Entstehungsdatums skizziert, da er „nicht mit großer Raumverschwendung die ganze Urkunde in der Ueberschrift wiederhohlen“ wollte. Orts- und Personenregister gab er beiden Teilen bei, verzichtete hingegen auf Sachregister, die „ohne allen Nutzen“ seien, „da sie niemanden der Mühe überheben können oder sollen, die Urkunden selbst zu lesen“. Die wenigen Anmerkungen beschränken sich auf die Erwähnung ergänzender Urkunden oder die Korrektur von Behauptungen historischer Literatur, verzichten damit bewußt auf die inhaltliche Erörterung. Die Urkunden sind nicht streng nach ihrer chronologischen Folge aneinandergereiht, sondern es herrscht in ihrer Anordnung ein undurchschaubares chronologisches Durcheinander. Die an diesem Verfahren von den Benutzern des ersten Teiles geäußerte Kritik wehrte Raumer in der Vorrede zum zweiten Teil mit dem Hinweis ab: Eine solche schwer zu erreichende Anordnung [sc. nach der Zeitfolge] ist doch immer nur eine ganz äußerliche, denn zwischen jede hier mitgetheilte Urkunde schieben sich sehr viele ein, welche an andern Orten gedruckt sind.

Stattdessen vertröstete er den Leser darauf, daß „er seit längerer Zeit mit Zusammenstellung eines vollständigen Directorii aller gedruckten brandenburgischen Urkunden beschäftigt ist, welches baldigst in Druck erscheinen soll“15. Daß sich Raumer im Fortschritt seiner Quellenbearbeitung nicht wie anfänglich beabsichtigt mit einem chronologisch geordneten Verzeichnis der gedruckten Urkunden begnügte, sondern der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung eine ganz neuartige Methode zur Aufbereitung des gesamten schriftlichen Quellenstoffes mittelalterlicher Jahrhunderte erschloß, verdankte er dem Vorbild und Einfluß Johann Friedrich Böhmers und seiner zuerst 1831 erschienenen Königs- und Kaiserregesten16. Böhmer regte Raumer persönlich zu analogen brandenburgischen Regesten an und beriet ihn in deren Ausarbeitung17, ein sehr frühes Beispiel für die Befruchtung der Landesgeschichte durch die Reichsgeschichte. Der 1836 erschienene erste Band der „Regesta historiae Brandenburgensis“ enthielt, wie der Untertitel verkündete, „chronologisch geordnete Auszüge aus allen Chroniken und Urkunden zur Geschichte der Mark Brandenburg“ bis

15 Ebd., Tl. 1, IV (daraus das erste Zitat), Tl. 2, IV (daraus das zweite und dritte Zitat). 16 Heinrich Ritter von Srbik, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, Bd. I, München, Salzburg 1950, 236f.; – G[eorge] P[eabody] Gooch, Geschichte und Geschichtsschreiber im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1964, 79–82. 17 Raumer, Herausgabe (Anm. 7), 98; – ders., Regesta (Anm. 10), X. – Vgl. Böhmers beiläufige Erwähnung in Raumers Schreiben an Ledebur vom 2. August 1835, in: Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 245, auch 247.



Georg Wilhelm von Raumer 

 11

zum Jahre 120018. Er erfaßte in 1664 Nummern Chroniken ebenso wie Urkunden zwecks ihrer gegenseitigen Erhellung, ordnete die Urkunden und die fraglichen chronikalischen Stellen zur leichteren Übersicht, streng chronologisch, jahrgangsweise gereiht, in einer aus vier Kolonnen bestehenden Tabelle an: die erste für die laufende Nummer, die zweite für das Ausstellungsdatum, die dritte für den Ausstellungsort und die vierte für den Inhalt der Urkunde (bzw. für den Zeitpunkt und den Inhalt des in der Chronik dargestellten Ereignisses oder Vorganges). Die Datumsangaben der Quellen wurde sowohl in der zweiten Kolonne in aufgelöster Form, also nach heutiger Zeitrechnung als auch in der Inhaltsangabe im originalem Wortlaut zwecks Kontrolle der Datumsauflösung angegeben. Die Inhaltswiedergabe sollte entsprechend der historischen Bedeutung der Quelle möglichst knapp ausfallen, und zwar wegen der Willkürlichkeit einer Übersetzung weitgehend in der Sprache der Vorlage, so daß im ersten Band die lateinischen Quellenexzerpte dominierten. Die Auswahl von Urkunden und Chronikauszügen richtete sich nach der epochenspezifisch unterschiedlichen Reichweite der brandenburgischen Geschichte. Eigentliche brandenburgische Landesregesten beginnen überhaupt erst mit dem dreizehnten Jahrhundert; was bis dahin gegeben werden kann, ist eine historische Vorhalle, deren Grenzen so genau nicht abgesteckt werden können19.

Dementsprechend wurden für die Zeit bis 1200 die Quellenstellen aufgenommen, die Orte in der nachmaligen Mark Brandenburg, das askanische Herrschergeschlecht (einschließlich seiner verstreuten Besitzungen und unter Einbeziehung von Zeugennennungen seiner Angehörigen für die Erarbeitung des landesherrlichen Itinerares), westelbische Lande wie die Altmark und den nordthüringischen- und Schwabengau sowie die Kriege gegen die Slawen zwischen Elbe und Oder betrafen. Den Regestenband von 1836 ergänzte Raumer ein Jahr später durch ein Karten- und Stammtafelwerk zur hochmittelalterlichen Geographie und Genealogie der Mark Brandenburg und ihrer westelbischen Vorläufer20. Es enthielt einerseits vier Karten – „Zur Geschichte der Mark Brandenburg von Kaiser Karl dem Grossen bis auf Kaiser Heinrich I.“, „Zur Geschichte der Mark Brandenburg von 18 Georg Wilhelm von Raumer, Regesta historiae Brandenburgensis. Chronologisch geordnete Auszüge aus allen Chroniken und Urkunden zur Geschichte der Mark Brandenburg. Erster Band bis zum Jahre 1200, Berlin 1836, Ndr. Hildesheim, New York 1975. – Das Folgende nach: Raumer, Herausgabe (Anm. 7), bes. 99–107; – ders., Regesta, VII–IX. 19 Raumer, Regesta (Anm. 18), IX. 20 Georg Wilhelm von Raumer, Historische Charten und Stammtafeln zu den Regesta Historiae Brandenburgensis. Erstes Heft bis zum Jahre 1200, Berlin 1837.

12 

 Adolph Friedrich Riedel

919 bis 1039 (sächsische Kaiser)“, „Karte der Gaue an der Elbe bis 1130“, „Karte zur Geschichte der Mark Brandenburg von 1040 bis 1200“ –, deren geographische Namen in einem nach historischen Raumeinheiten gegliederten Register der Benutzung erschlossen waren, und andererseits 17 genealogische Stammtafeln zu Herzogs-, Markgrafen-, Grafen- und Adelsgeschlechtern des 10.–12. Jahrhunderts aus Sachsen, Thüringen und den Ostmarken. Nach Raumers eigener Darstellung war die Fortführung der Regesten über das Jahren 1200 hinaus beabsichtigt. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Kriterien der Quellenauswahl hatte er die brandenburgische Landesgeschichte von ihren Anfängen im 10. Jahrhundert bis zur Reformation in fünf Periode eingeteilt, von denen der Regestenband von 1836 die ersten beiden abdeckte. Für die drei folgenden Perioden, von 1200 bis 1320, von 1321 bis 1412, von 1412 bis zur Reformation, gedachte er, einerseits sich auf gedruckte Urkunden zu konzentrieren, ungedruckte allenfalls in enger inhaltlicher Auswahl aufzunehmen und außerhalb Brandenburgs entstandene Urkunden der wittelsbachischen und luxemburgischen Markgrafen wenigstens zu erwähnen, andererseits für die chronikalischen Stellen ab dem 14. Jahrhundert auf Vollständigkeit zu verzichten. Raumers auf den Oktober 1835 datierte Vorrede zum ersten Regestenband erwähnt weitere Teile des Gesamtwerkes und kündigt den nächsten wegen erledigter Vorarbeit für die nähere Zukunft an. Im August 1837 sprach er im Vorwort zum Beiheft davon, daß „ich [die Fortsetzung der Regesta] als eine Aufgabe meines Lebens betrachte, deren Lösung nur durch gänzlichen Mängel an erforderlicher Muße verhindert werden könnte“21. Erfüllt hat er dieses Versprechen nicht, die Regesten sind über den ersten Band mitsamt dem dazugehörigen Beiheft nicht hinausgekommen. Raumers in den Regesten verfolgtes Anliegen erschöpft sich nicht in der übersichtlichen Aufbereitung eines umfangreichen Quellenstoffes, sondern er will darüber hinaus mit seinem Werk die Aufmerksamkeit des Geschichtsfreundes von der Geschichtsschreibung auf die Quellenerforschung verlagern.

21 Ders.,Historische Charten (Anm. 20), IV. – In der Anfangsphase des Projektes war ihm das Regestenwerk wie ein Faß ohne Boden, wie eine dauerhaft unerfüllbare Aufgabe, eben „wie das Faß der Danaiden“, wie er einem vertrauten Freund schrieb, erschienen (Raumer an Leopold von Ledebur, [1833], in: Fischer, „Preußen …“ [Anm. 3], S. 240). – Auf der ersten Monatssitzung der Sektion für Sammlung und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg im Dezember 1838 referierte Raumer „über die Beförderung der Sammlung und Veröffentlichung von Urkunden und sonstigen Geschichtsquellen, sowie der Herausgabe von Regesten durch das Zusammenwirken der Vereinsmitglieder“. Märkische Forschungen (im Folgenden zitiert: MF) 1 (1841), 11. – Die Ankündigung eines Abdrucks zahlreicher ungedruckter neumärkischer Urkunden (vgl. Raumer, Neumark Brandenburg [wie unten Anm. 24], VII–VIII) blieb unerfüllt.



Georg Wilhelm von Raumer 

 13

Die Regesten … enthalten … den Versuch, alle die Geschichte der Mark Brandenburg berührenden Chroniken und Urkunden, mit Beibehaltung ihrer eignen Worte, chronologisch in einander zu verarbeiten, so daß sie gleichsam selbst sprächen und von ihrer eigenthümlichen Färbung nichts verloren gehen könne. … Meine Absicht ist …, durch eine solche Darlegung der Totalität der einander durchdringenden historischen Monumente in ihrer Zeitfolge, das Studium unsrer vaterländischen Geschichtsquellen zu wecken und zu verbreiten, indem ich davon ausgehe, daß die Geschichte, als Wissenschaft, eben nur in diesen sogenannten Quellen und in dem Eindringen und Erforschen derselben beruht22.

Eine wahrhaft wissenschaftliche Geschichtsforschung hat von den Quellen auszugehen, hat in die in der jeweiligen Epoche entstandenen Chroniken, Urkunden und andere Denkmale einzudringen und die darin enthaltenen Erlebnisse, Empfindungen und Urteile der Verfasser zu betrachten, statt sich die historischen Tatsachen „im geschminkten Gewande und trüben Bilde eines modernen Geschichtsschreibers“ vorführen zu lassen, statt sich von der „abgeleitete[n] Geschichtsschreibung“ mit ihrer künstlerisch gestalteten Darstellung blenden zu lassen23. Raumers Gedankenführung erscheint nicht ganz ausgereift, weil sie im Dunkel läßt, wie denn ein Geschichtsschreiber seinen Stoff formen soll, sofern sich sein Werk auf die Aneinanderreihung von zeitlich und sachlich zueinander passenden Quellenzitaten beschränken mag. Die Polemik gegen die Geschichtsschreibung ist daraus zu erklären, daß er mit seinen Regesten historische Fachleute ebenso wie Laien vorrangig und als erstes an die Quellen heranführen, sie zu deren Studium ermutigen und zu deren Auswertung verpflichten will, also an die Zeugnisse, in denen vergangene Zeiten unmittelbar angeschaut werden. Eine ausgeprägte und ausgefeilte Quellenkritik ist freilich in seinem Ansatz noch nicht enthalten, weder in seinen grundsätzlichen theoretischen Darlegungen noch in der Praxis der Regestenbearbeitung, denn vielfach werden die chronikalischen Notizen verschiedener Verfasser aus unterschiedlichen Zeiten zu den einzelnen Vorgängen trotz gelegentlicher sachlicher Erläuterungen bloß aneinandergereiht, ohne daß ihr in ihren Entstehungsbedingungen begründeter Quellenwert analysiert wird. Mit seiner letzten großen Edition erschloß sich Raumer, nachdem er sich zuvor mit Urkunden, Chroniken und Akten befaßt hatte, eine weitere Quellengattung: 1837 gab er ein Amtsbuch, das älteste landesherrlichen Urbar in der Mark Brandenburg, heraus, das von ihm auf das Jahr 1337 datierte sog. Landbuch der Neumark, wegen seiner Aussagekraft für die Ortskunde und Topographie der Landschaft und unter Benutzung der Abschriften Wohlbrücks von dem verloren gegangenen Original. Das 120seitige Bändchen widmete er übrigens 22 Ders., Regesta (Anm. 18), V. 23 Ebd., V–VII. – Vgl. auch ders., Historische Charten (Anm. 20), IV.

14 

 Adolph Friedrich Riedel

dem damaligen Präsidenten des Oberlandesgerichts der Neumark, Ernst Ludwig von Gerlach, dem bekannten hochkonservativen Politiker aus dem Umfeld Friedrich Wilhelms IV.24. Zum besseren Verständnis des Landbuches beschreibt die umfangreiche Einleitung die Territorialgeschichte der Neumark sowie die allgemeine Geschichte ihrer einzelnen Länder bzw. Kreise mit ihren Städten und Klöstern sowie die politische und soziale Verfassung der gesamten Landschaft, ihrer Landesherrschaft und ihrer Stände Geistlichkeit, Adel und Bauerntum im 13. und in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Hingegen fehlt eine quellenkritische Untersuchung über die Entstehungsumstände und den Gehalt des Landbuches, also über die seine Anlage auslösenden Anlässe, die mit ihm verfolgten Zwecke und die daraus resultierende Bewertung seiner Angaben. Nach dem Fund der mittelalterlichen Handschrift des Landbuches aus dem 14. Jahrhundert stellte sich heraus, daß die von Raumer erwähnten und benutzten Kopien des 19. Jahrhunderts sehr fehlerhaft gewesen waren. Der Einzelfall verweist auf ein grundsätzliches Problem vieler Quellenausgaben gerade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das spürbar auch Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis in seinem Wert beeinträchtigen sollte: Infolge der unzureichenden Erschließung der Archive ermittelten die Editoren nicht die beste Überlieferung, sondern legten ihrer Arbeit zugängliche, aber oftmals höchst unzuverlässige neuzeitliche Abschriften, etwa urkundliche Abschriftensammlungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, zugrunde, die in ihrer Qualität zu wünschen übrig ließen. Raumers Leistung für die Erfassung und Bearbeitung der mittelalterlichen Quellen zur brandenburgischen Landesgeschichte ist hinter dem gewaltigen Monument von Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis zu Unrecht allzu sehr verblaßt, denn in der Erkenntnis der Aufgabe und in den methodischen Ansätzen zu ihrer Lösung ist er Riedel vorangegangen und ihm in gewisser Weise sogar überlegen geblieben. Voller Nachdruck hat er hervorgehoben und mit seinen Editionen unter Beweis gestellt, daß die Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte zunächst und vorrangig auf die Quellen zurückgreifen und auf ihrer Auswertung aufbauen mußte, daß dazu sowohl neue Quellenbe24 Die Neumark Brandenburg im Jahre 1337 oder Markgraf Ludwig’s des Aelteren neumärkisches Landbuch aus dieser Zeit, hrsg. u. erläutert v. Georg Wilhelm von Raumer. Mit einer zum Landbuch gehörigen Karte, Berlin 1837. – Zum aktuellen Forschungsstand zum neumärkischen Landbuch vgl. Christian Gahlbeck, Das sogenannte Neumärkische Landbuch Markgraf Ludwigs des Älteren von 1337. Studien zur territorialen Gliederung und zur Überlieferung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 50 (2004), 1–48; ebd., 3–6, zu den beiden Quellenausgaben des 19. Jahrhunderts, aus denen die nachfolgenden Bemerkungen zum editorischen Wert der Raumerschen Ausgabe abgeleitet sind. – Zu den familiären Verbindungen zwischen den Raumers und den Gerlachs und Georg Wilhelms Beziehungen zu einzelnen Familienmitgliedern vgl. Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 211f., 216.



Georg Wilhelm von Raumer 

 15

stände erschlossen und publiziert und als auch zugleich die verschiedenen Quellengattungen in ihren gemeinsamen sachlichen Bezugspunkten und zur gegenseitiger Erhellung ihrer Aussagen zu denselben historischen Vorgängen zusammengeführt werden sollten. Man spürt seinen Quellenwerken die ungefestigten methodischen Grundlagen an, seine tastende Versuche führten noch nicht zu überzeugenden Ergebnissen: Der Codex leidet unter mangelhafter innerer Ordnung und unzureichenden Kopfregesten und Registern, die die Benutzbarkeit für thematische Fragestellungen erheblich erschweren. Die Regesta kombinieren zwar urkundliche und chronikalische Aussagen und ermöglichen durch die chronologische Gliederung der Quellenbelege den umfassenden Überblick über den ereignisgeschichtlichen Ablauf, aber sie bieten dem Leser noch nicht die zur Beurteilung der einzelnen Zeugnisse notwendige Quellenkritik. Trotz dieser Einschränkung wiesen Raumes Regesten weit in die Zukunft, in der dann Hermann Krabbo mit seinem großen Regestenwerk zu den askanischen Markgrafen unter Verwendung des zwischenzeitlich geschaffenen quellenkritischen Rüstzeuges die Tragfähigkeit und Ergiebigkeit des Ansatzes nachdrücklich bewies und einen unüberholten Klassiker der Quellenbearbeitung vorlegte. Raumers Bedeutung liegt freilich nicht nur darin, daß er vor und neben Riedel mit seinen Editionen die Grundlagen der Geschichtsforschung wesentlich verbreitert hat. Er hat darüber hinaus programmatisch die zentralen Probleme, die gegenwärtigen Herausforderungen und künftigen Aufgaben der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung eindringlich analysiert und neue Wege gewiesen, in seinem 1832 veröffentlichten „Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums“25. Es leidet, so führt er aus, unter der Konkurrenz oder dem Vorrang Preußens, in doppelter Hinsicht: In Berlin, das nicht nur Mittelpunkt der Mark Brandenburg, sondern auch Hauptstadt des preußischen Staates ist, tritt das allgemeine Interesse am Provinziellen stärker als anderswo zurück. Und das besondere historische Interesse richtet sich mehr auf die Politik und Kriege der Regenten und den dadurch bewirkten Aufstieg Preußens zu einer europäischen Großmacht als auf das speziell Brandenburgische. Eine echte märkische Geschichtsforschung, so Raumers Schlußfolgerung, muß sich demgegenüber auf die inneren Verhältnisse der Mark konzentrieren, auf die Gestaltung der Verfassung und des Volkslebens und ihre unmerklichen Veränderungen, auf das innere Leben und die eigentümlichen Einrichtungen der Mark, wie sie sich unter dem Einfluß der Fürsten und der europäischen Stellung Preußens entwickelt haben. Als Vorbilder des gelehrten historischen Studiums, wie es Raumer für die Zukunft vorschwebt, preist er die historische Rechtsschule Karl Friedrich Eichhorns, 25 Raumer, Vorschlag (Anm. 12), bes. 6, 12, 17f.

16 

 Adolph Friedrich Riedel

denn indem diese Schule die Erkenntniß der vaterländischen Rechtsinstitute auf geschichtlichem Wege herbeiführen wollte, machte sie ein tieferes Eindringen in die Geschichte selbst unumgänglich notwendig,

und lobt die s.E. geistesverwandten Monographien Siegmund Wilhelm Wohlbrücks26. Zur Bearbeitung der angedeuteten Themen bedarf die historische Forschung der Bekanntmachung der Quellen, dadurch soll zugleich der vaterländische Sinn überhaupt in der Mark Brandenburg angeregt werden27. Diesen doppelten Zweck zu erreichen, scheint uns nur auf einem einzige Wege möglich, nämlich dadurch: daß die Freunde und Liebhaber der brandenburgischen Geschichte ihre Bemühungen, welche bisher vereinzelt nicht recht gedeihen konnten, auf ein gemeinsames Ziel vereinigen.

Raumer ruft damit zur Gründung eines brandenburgischen Geschichtsvereins auf, und zwar von unten her, nicht auf Grund obrigkeitlicher Initiative, indem er dazu auffordert, daß die bislang in der ganzen Mark verstreuten Landeshistoriker sich gegenseitig in ihren Forschungen unterstützen, daß ihre einzelnen Forschungsergebnisse in einer durch die Mitgliedsbeiträge des Vereins zu finanzierenden Zeitschrift und größeren Werken veröffentlicht werden28 und daß sie sich gemeinsam anzustrebenden Aufgaben und Ziele setzen, die Raumer in sieben Punkten beschreibt: 1. bibliographische Erfassung der landesgeschichtlichen Literatur (einschließlich Einrichtung einer eigenen Bibliothek), 2. Ermittlung und Bearbei26 Ebd., 8f. – An anderer Stelle kritisierte Raumer die einseitig juristische Darstellung des deutschen Mittelalters, „da doch die Rechtsverhältnisse jedes Zeitalters nur das Product der Sitten, Anschauungs- und Lebensweise, der Commerzial- und Agriculturalverhältnisse sind“. Raumer, Neumark Brandenburg (Anm. 24), VII. Dieser Gedanke wird von Raumer 1851 in seiner Schrift „Die Insel Wollin und da Seebad Misdroy“ noch weiter ausgeführt, vgl. dazu das von Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte (Anm. 2), 330, daraus angeführte Zitat sowie die etwas oberflächliche Miszelle von Andreas Voigt, Georg Wilhelm von Raumer und die materialistische Geschichtsauffassung, in: Preußische Jahrbücher 103 (1901), 430–437. – Zu Eichhorn (1781–1854) und seinem Hauptwerk „Deutsche Staats- und Rechtgeschichte“ (4 Bände 1808–1823) vgl. Fritz Hartung, Zur Entwicklung der Verfassungsgeschichtsschreibung in Deutschland, in: Ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, 431–469 (zuerst 1956), hier 435f.; – Joachim Rückert, Karl Friedrich Eichhorn (1781–1854): Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, in: Hauptwerke der Geschichtsschreibung, hrsg. v. Volker Reinhardt, Stuttgart 1997, 152–156, bes. 155. – Ralf-Rüdiger Targiel, Wohlbrück, Siegmund Wilhelm, in: BBL, 428; – Friedrich Beck, Sigmund Wilhelm Wohlbrück (1762–1834), in: Lebensbilder (Anm. 3), 25–30. 27 Vgl. auch seine Aussage: „Daß die Zahl solcher Geschichtsfreunde sich stets vermehren möchte, ist bei allen meinen Unternehmungen für quellenmäßige vaterländische Geschichte ein Hauptaugenmerk gewesen“. Raumer, Historische Charten (wie Anm. 20), III. 28 Ebd., 18–20, Zitat 18.



Adolph Friedrich Riedel 

 17

tung der chronikalischen Quellen, 3. Ermittlung der Urkunden zum Aufbau einer brandenburgischen Urkundensammlung in Regestenform – darin sieht Raumer die Hauptwirksamkeit des Vereins –, 4. Untersuchung und Beschreibung der Kunstgegenstände (wie Kirchen, Rathäuser, Skulpturen, Malerei) als Vorarbeit einer brandenburgischen Kunstgeschichte, 5. Veröffentlichung von Monographien und Aufsätzen, 6. Bearbeitung der nachmittelalterlichen Geschichte, vor allem des 16. und 17. Jahrhunderts durch Ausschöpfung von Stadt- und Adelsarchiven und bislang unzugänglicher Registraturen, 7. Darstellung der eigentümlich märkischen Institutionen und Rechte in Vergangenheit und Gegenwart29. Raumer stellt damit hohe Ziele auf, steckt ein umfangreiches Programm ab, das er nur zu erreichen glaubt, wenn die märkischen Geschichtsfreunde sich nach dem ausdrücklich angerufenen Vorbild der historischen Gesellschaften in den preußischen Provinzen Westfalen und Pommern und derjenigen des Karl Heinrich Ritter zu Lang im einst hohenzollernschen Bayreuth30 zu einem Geschichtsverein zusammenschließen und in ihm mit vereinten Kräften in arbeitsteiligem Vorgang die skizzierten Aufgaben ergreifen. Die großen inhaltlichen Aufgaben verlangen eine neue Organisationsform. Die programmatische Forderung sogleich in die Tat umzusetzen, gelang Raumer allerdings nicht, anscheinend weil befördernde Autoritäten wie Wohlbrück und Wilken wegen Tod oder Erkrankung ausfielen und Widerwillen oder Widerstand von Regierungsstellen gegen historischen Publikationen wegen möglicher „Enthüllungen“ vermutet wurde31.

III. Adolph Friedrich Riedel Den von Raumer propagierten Geschichtsverein tatsächlich ins Leben zu rufen und seine Tätigkeiten in Gang zu setzen, blieb Adolph Friedrich Riedel32 vorbehal29 Ebd., 20–27. 30 Ebd., 12, 18f. – Zur Gründung der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde 1824 und zur Herausgabe ihrer eigenen Zeitschrift, der Baltischen Studien, ab 1832, vgl. Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln, Weimar, Wien 1996, 21–30. 31 Diese Schlußfolgerung wird man aus dem Schreiben Riedels an Stenzel vom 12. Dezember 1834 ziehen dürfen, vgl. Johannes Schultze, Zur Geschichte des „Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“. Aus den Briefen A.F. Riedels an G.A.H. Stenzel, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 36 (1924), 221–223, hier 221f. 32 Das Folgende nach: F[riedrich] Holtze, Adolf Friedrich Riedel, in: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 8 (1872), 629–639; – ders., Riedel, Adolf Friedrich Johann R., in: Allgemeine Deutsche Biographie 28, Leipzig 1889, 514–517 (beruht auf wörtlichen Auszügen aus dem erstgenannten Titel); – Rudolf Schmidt, Friedrich Adolf Riedel, der märkische Forscher,

18 

 Adolph Friedrich Riedel

ten. Am 5. Dezember 1809 als Pfarrerssohn im mecklenburgischen Biendorf bei Doberan geboren, besuchte er nach häuslicher Vorbereitung die oberen Klassen des Gymnasium Fridericianum in Schwerin. 19jährig schrieb er sich am 16. April 1828 in die Matrikel der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität ein, als Student der Theologie, aber er wandte sich sogleich und ausschließlich philosophischen, philologischen, kameralistischen und historischen Studien zu. Er beteiligte sich an der von der Philosophischen Fakultät für das Jahr 1828 gestellten Preisaufgabe, eine Darstellung des Zustandes der Mark Brandenburg um die Mitte des 13. Jahrhunderts zu liefern. Seine glänzende Leistung fand die uneingeschränkte Anerkennung der Fachleute, vornehmlich die Friedrich Wilkens, des Direktors der Königlichen Bibliothek und „Historiographen des preußischen Staates und insbesondere der brandenburgischen Geschichte“33, und die Siegmund Wilhelm Wohlbrücks, eines brandenburgischen Landeshistorikers, der seine wissenschaftlichen Fähigkeiten soeben durch eine Geschichte des Bistums Lebus erneut unter Beweis gestellt hatte. Ihr Lob drang zu Ohren des Königs, der mit Kabinettsordre vom 30. November 1829 dem „Ausländer“ Riedel „die Rechte eines Eingebornen“ verlieh und damit seinen Eintritt in den preußischen Staatsdienst ermöglichte. Sein Werk brachte ihm auch die Bekanntschaft mit dem damaligen Direktor im Justizministerium, dem Wirklichen Geheimen Rat Karl v. Kamptz34, der wissenschaftlich sehr interessiert war, selbst mit rechtshistorischen Untersuchungen zur mecklenburgischen und brandenburg-preußischen Rechtsgeschichte hervorgetreten und die Provinzial- und statutarischen Rechte in der preußischen Monarchie wegen seiner damaligen justizpolitischen Hauptaufgabe, ihrer beabsichtigten Neufassung, auch literarisch behandelt hatte. Auf Veranlassung und mit finanzieller Unterstützung Kamptz’ wurde Riedels auf lateinisch in: Brandenburg 4 (1926), 213–215 (beruht fast vollständig auf wörtlichen Auszügen aus Holtzes Nachruf); – Wolfgang Ribbe, Archivare als brandenburgische Landeshistoriker. Drei Lebensbilder aus drei Generationen, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 55 (2004), 100–121, zu Riedel 101–107 (unter Auswertung seiner Personalakte im Bestand des Preußischen Kultusministeriums im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz); – ders., Adolf Friedrich Riedel (1809–1872), in: Lebensbilder (Anm. 3), 50–57; – Felix Engel, Adolph Friedrich Johann Riedel. Historiograph der brandenburgischen Geschichte oder Historiograph der Hohenzollern?, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 64 (2013), 59–84 (unter Heranziehung ungedruckter Archivalien des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs); – Leesch, Deutsche Archivare (Anm. 3), 488f. (Lit.). – Der Nachlaß Riedels im Geheimen Staatsarchiv besteht vornehmlich aus seinen Materialsammlungen zur brandenburgischen Geschichte, siehe Familienarchive und Nachlässe (Anm. 3), 349f. – Abbildung Riedels bei Ribbe, Quellen (Anm. 3), S. 59. 33 Wolfgang Neugebauer, Die preußischen Staatshistoriographen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Das Thema „Preußen“ (Anm. 2), 17–60, hier 36–39. 34 Peter Baumgart, Kamptz, Karl v., in: Neue deutsche Biographie, Bd. 11, Berlin 1977, 95–97.



Adolph Friedrich Riedel 

 19

abgefaßte Preisschrift ins Deutsche übersetzt und 1831/32 in zwei Bänden von insgesamt ca. 1150 Seiten Umfang in Oktav unter dem Titel „Die Mark Brandenburg im Jahre 1250 oder historische Beschreibung der Brandenburgischen Lande und ihrer politischen und kirchlichen Verhältnisse um diese Zeit, eine aus Urkunden und Kroniken bearbeitete Preisschrift“ veröffentlicht; Kamptz hatte im Juli 1830 dafür gesorgt, daß der Autor sein Werk dem König widmen durfte35. Riedel beschreibt im ersten, „Beschreibung der einzelnen Provinzen der Mark Brandenburg um die Mitte des 13ten Jahrhunderts“ benannten Teil seiner Untersuchung vornehmlich die politische und Besitzgeschichte der einzelnen brandenburgischen Landschaften und ihrer Orte, von der Altmark im Westen, die verständlicherweise fast die Hälfte der Darstellung ausmacht, bis zum Land Lebus im Osten, von der Zauche im Südwesten bis zum Uckerland im Nordosten, und zwar von der karolingischen und ottonischen Frühzeit bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Im Grunde genommen reiht er hierbei Ortsgeschichten aneinander, stellt die über ein Dorf, eine Stadt oder ein Kloster vorliegenden Nachrichten von der ältesten Erwähnung bis etwa zu seinem Zielpunkt 1250 zusammen und wertet sie kritisch aus, wobei infolge seiner Quellengrundlagen vornehmlich die Besitz- und Verfassungsverhältnisse sowie die handelnden Personen und Personengruppen, Edelleute, Ministeriale und ihre Geschlechter, geschildert werden. Im zweiten, „Historische Beschreibung der politischen und kirchlichen Verhältnisse der Mark Brandenburg um die Mitte des 13ten Jahrhunderts“ betitelten Teil untersucht Riedel in systematischer Erörterung die ethnischen, sozialen, rechtlichen und kirchlichen Verhältnisse der Mark, greift dabei zur Erläuterung der angesprochenen Gegebenheiten vielfach über seine Zeitgrenze 1250 hinweg auf das spätere 13. und das 14. Jahrhundert aus. Er behandelt zunächst die Herkunft und Zusammensetzung der brandenburgischen Bevölkerung aus Slawen, (Nieder)Sachsen und Niederländern und geht dann im umfangreichsten Kapitel auf die verschiedenen Stände ein: auf die Markgrafen, – wobei er vornehmlich ihre Regierungsweise darstellt –, auf den hohen und niederen Adel – wobei er sich auf die Rechte und Pflichten der Amtsträger und der Vasallen konzentriert –, auf die Bauern und die Bauerndörfer – wobei er ihre verschiedenen Gruppen und die von ihnen zu erbringenden Leistungen vorrangig erörtert –, auf die Bürger und ihre Städte – wobei er die städtischen Organe und die Zusammensetzung der Bürgerschaft beschreibt. Die Rechtsverhältnisse werden in der Weise vorgestellt, daß einerseits das Landrecht und umfassender die verschiedenen Stadtrechte 35 Adolph Friedrich Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250 oder historische Beschreibung der Brandenburgischen Lande und ihrer politischen und kirchlichen Verhältnisse um diese Zeit, eine aus Urkunden und Kroniken bearbeitete Preisschrift, 2 Teile, Berlin 1831–1832, hier Tl. 1, VI, X–XI.

20 

 Adolph Friedrich Riedel

skizziert werden, andererseits die verschiedenartigen Gerichte – Hofgericht, Land- oder Vogteigericht, Stadtgericht, Dorfgericht –, ihre Zuständigkeiten und Aufgabengebiete und deren Wandel im Laufe der Zeit ausführlicher auseinandergesetzt werden. Im letzten Kapitel wird die Kirche entsprechend ihrer hierarchischen Ordnung geschildert, von den Bistümern und Domkapiteln über die Klöster der verschiedenen Orden bis zu den Pfarreien, so daß ihre Organisation einschließlich ihrer Vermögensverhältnisse im Vordergrund des Interesses steht, geistliche Frömmigkeit etwa allenfalls am Rande berührt wird. Riedel stützte seine Ausführungen auf die umfassende Auswertung der damals gedruckt vorliegenden urkundlichen und chronikalischen Quellen und von Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin und übertraf dadurch seine Vorgänger bei weitem. Sein wesentliches Anliegen war es, den ermittelten Quellenstoff für die großen Themen und die vielen darunter im einzelnen fallenden Fragestellungen darzubieten und aus ihm seine belegbaren Schlußfolgerungen zu ziehen. Sein Werk ist von einem analytischem Grundzug bestimmt, er wollte in einem weitausgreifenden Zugriff die innere Verfaßtheit der Mark und ihrer Bewohner mit ihren dominierenden Elementen – durchaus unter Zurückstellung der politischen Geschichte – erhellen. Darstellerischer Ehrgeiz oder gar die zupackende und zuspitzende Thesenbildung lagen ihm zu einem Zeitpunkt, in dem die historischen Tatbestände von der entstehenden brandenburgischen Landesgeschichtsforschung überhaupt erst einmal geklärt werden mußten, gänzlich fern. Dem Leser kündigte Riedel seine Untersuchung als „eine Vorarbeit zu umfassendern Forschungen in dem betretenen Gebiete“ an36 und gab damit für seinen wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt ein Versprechen ab, das er in seinem ganzen weiteren Leben in glänzender Weise erfüllen sollte. 1831 wurde er nach dem vorgeschriebenen dreijährigen Hochschulbesuch von der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität multa cum laude mit der Dissertation „De comite palatii judiciis praefecto“ zum Doktor promoviert, ein Jahr später habilitierte er sich dort mit einer Rede „De disciplinae politicae notione et finibus“ als Privatdozent. Als solcher und – nach Überwindung anfänglicher Widerstände aus der Fakultät – seit 1836 als außerordentlicher Professor las er gewöhnlich zwei Collegia publica in jedem Semester über Staatswissenschaften. Seine Studien

36 Ebd., Tl. 1, IX. – Zu Riedels erster, 1830 im Allgemeinen Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates erschienener Spezialuntersuchung über die askanische Erwerbung der Zauche und des Havellandes und der daraus erwachsenen Auseinandersetzung mit einem Vertreter der rationalistischen Geschichtsforschung, Valentin Heinrich Schmidt, vgl. jetzt: Hubertus Fischer, Albrecht der Bär – Eroberer oder Erbe der Mark Brandenburg? Eine Kontroverse aus den Anfängen des Allgemeinen Archivs für die Geschichtskunde des Preußischen Staates in unbekannten Briefen, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 59 (2008), 137–149.



Adolph Friedrich Riedel 

 21

zur Finanzwissenschaft wurden vom preußischen Finanzminister gefördert, er gedachte, wie er 1833 schrieb, auf archivalischer Grundlage die Geschichte der preußischen Finanzpolitik darzustellen. Aus seiner akademischen Lehrtätigkeit, zunächst als Kompendium für seine Schüler gedacht, ging das 1837–1840 erschienene dreibändige Werk „Nationalökonomie oder Volkswirthschaftslehre“ hervor. Riedels Verbindung mit Kamptz wurde noch enger dadurch geknüpft, daß ihn sein 1832 zum Justizminister ernannter Mentor mit Hilfsarbeiten für die Revision der märkischen Provinzialrechte, an denen im Justizministerium unter Hinzuziehung ständischer Deputierter gearbeitet wurde, betraute. Auf Wunsch des Ministers gab Riedel, als die Entwürfe des Provinzialrechtes der Mark Brandenburg und des Herzogtums Pommern zur allseitigen Prüfung und Begutachtung vorgelegt worden waren, 1837–1839 das dreibändige „Magazin des Provinzial- und statutarischen Rechts der Mark Brandenburg und des Herzogthums Pommern“ heraus. Mit ihm sollte vornehmlich dazu angeregt werden, die einschlägigen Materialsammlungen zu erweitern und zu vervollständigen sowie sie zu bearbeiten, etwa „durch besondere Beleuchtung einzelner Rechtsgewohnheiten, Gesetze oder Institute, durch Darstellung des Rechtszustandes einzelner Städte, durch selbstständige Bearbeitung von wichtigen Lehren“; trotz der justizpolitischen Aufgaben- und Zielstellungen waren auch bloß wissenschaftliche und nur historische Erörterungen nicht ausgeschlossen37. 1840 verfaßte Riedel für das 50jährige Dienstjubiläum des Ministers die aus seinen Wiener und Dresdener Archivfunden gespeiste Gratulationsschrift über „Die Erwerbung der Mark Brandenburg durch das Luxemburgsche Haus“38. In der Zwischenzeit hatte Riedel es verstanden, eine feste dauerhafte Anstellung in einer der Aufsicht eines anderen Ministeriums unterstellten Staatsbehörde zu bekommen. Am 9. September 1833 bewarb er sich um eine Anstellung beim Archiv des ehemaligen Generaldirektoriums, bereits zwei Wochen später leistete er den Eid auf sein neues, mit einem regelmäßigen Gehalt verbundenes Amt. Aus der Vereinigung der Überlieferung des Generaldirektoriums mit den Altregistraturen mehrerer ebenfalls aufgehobener Behörden formte er ein Gesamtarchiv für die Ministerien der inneren Verwaltung, das 1838 eingerichtete, vom Finanzministerium ressortierende „Geheime Ministerial-Archiv“, das dem Geheimen Staats37 Aus der Vorrede Riedels zu: Magazin des Provinzial- und statutarischen Rechts der Mark Brandenburg und des Herzogthums Pommern, 1. Bd. 1. Abt., Berlin 1837, V–VII, Zitat VI. – Der Band war dem Finanzminister von Alvensleben gewidmet, ebd., III. 38 Die Erwerbung der Mark Brandenburg durch das Luxemburgsche Haus. Eine Denkschrift zur Feier des 24. März 1840 Sr. Excellenz dem Königl. Wirkl. Geh. Staats- und Justiz-Minister etc. Herrn von Kamptz dargebracht von dem Vereine für Geschichte der Mark Brandenburg, Berlin 1840. – Siehe MF 2 (1843), 4. – [Theodor] Odebrecht, Die ersten fünfundzwanzig Jahre des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, in: MF 8 (1863), 3–20, hier 8f.

22 

 Adolph Friedrich Riedel

und Kabinettsarchiv als zweites preußisches Zentralarchiv zur Seite trat und mit dessen Leitung er – 1836 zum Geheimen Hofrat, 1842 zum Geheimen Archivrat ernannt – beauftragt wurde.

IV. Der Codex diplomaticus Brandenburgensis Seine staatliche Anstellung versetzte Riedel in die Lage, mit Nachdruck und Ausdauer die Aufgabe anzupacken, die ihm im Hinblick auf den „neuerwachte[n] Eifer für Förderung der vaterländischen Studien“ erstrangig erschien: die „Erweiterung historischer Quellen“39, also die systematische Ermittlung und editorische Bearbeitung von Quellen-, vornehmlich von Urkundenbeständen, damit auf dieser gesicherten Grundlage die Erforschung und Darstellung der Landesgeschichte fortan betrieben werden konnte. Bereits 1833 hatte er in seinen „Diplomatische[n] Beiträgen zur Geschichte der Mark Brandenburg und ihr angrenzender Länder“, gefördert von dem Oberbibliothekar Wilken, dem das Werk auch gewidmet wurde, fünf Urkundensammlungen mit insgesamt 276 Urkunden des 12.–16. Jahrhunderts zu drei geistlichen Einrichtungen (Benediktinerkloster Hillersleben an der Ohre, Johanniterordenskomturei Werben, Benediktinerkloster Lehnin), einer adligen Gutsherrschaft (Radensleben in der Grafschaft Ruppin) und einer Landesherrschaft (Herrschaft Ruppin bzw. Grafen von Lindow), die vornehmlich auf der Königlichen Bibliothek in Berlin verwahrt wurden, veröffentlicht, teils durch eigene Abschriftnahme zweier Kopialbücher (Hillersleben) bzw. der (von ihrem Eigentümer Ferdinand von Quast bereitgestellten) Originalurkunden (Radensleben), teils wegen verlorener Originale unter Verwendung älterer Abschriften, der des Johanniterordensrates König (Werben), der des Bergwerksinspektors F.L. Schönemann (Lehnin) und der Bratrings (Herrschaft Ruppin). Die Urkunden werden zumeist in ihrem vollständigen Wortlaut, nur zum geringen Teil in Vollregesten wiedergegeben, fast ohne jegliche Sachkommentierung und ohne Kopfregest, ausschließlich mit Datumsauflösung, da Riedel, wie er einleitend schrieb, „von dem Nutzen einer solchen Zugabe [sc. von Überschriften und Anmerkungen] nicht überzeugt“ war40. Ebenfalls 1833 edierte er in einem Zeitschriftenbeitrag nach ihrer Bedeutsamkeit von ihm ausgewählte und abgeschriebene 30 Urkunden aus der reponierten Registratur der Stadt Bernau, die ihm von Bürgermeister und Kämmerer zugänglich gemacht worden waren, als er, ausgelöst durch

39 Adolph Friedrich Riedel, Diplomatische Beiträge zur Geschichte der Mark Brandenburg und ihr angrenzender Länder. Erster Theil, Berlin 1833, VIII. 40 Ebd., XI.



Der Codex diplomaticus Brandenburgensis 

 23

ein älteres veröffentlichtes Verzeichnis, während einer mehrtägigen Reise den städtischen Urkundenbestand ausfindig zu machen gesucht hatte. Der Einblick in die ältere Urkunden- und Aktenüberlieferung Bernaus vermittelte ihm, wie er bekannte, „erst einen Begriff von der Wichtigkeit der einzelnen städtischen Registraturen für die Landesgeschichte, die ich mir früher nicht so bedeutend gedacht hatte“, und die reiche Ausbeute ermunterte ihn zu weiteren Archivreisen41. Riedel erkannte, daß es notwendig sei, im Gegensatz etwa zu dem Verfahren Raumers in seinem Codex sich nicht im wesentlichen auf einen einzigen Quellenfundus – und sei er noch so wertvoll – zu beschränken, sondern sich auf eine umfassende Suche nach den verstreuten Archivbeständen überall in der Mark Brandenburg und darüber hinaus in den angrenzenden Ländern zu begeben. Über erste sporadische Ansätze aus eigenem Antrieb, wiederholte erfolgreiche Reisen zur Ermittlung archivalischer Überlieferungen, kam er hinaus, als ihm die ministerielle Unterstützung die Bereisung einschlägiger Archive und Bibliotheken in Preußen und im näheren und weiteren Ausland in umfassendem Umfange ermöglichte. 1837 beauftragte ihn der Staatsminister von Ladenberg damit, die aktenmäßig begründete Geschichte der Entstehung und Verwaltung der kurbrandenburgischen Domänen zu schreiben sowie den Ursprung und die rechtliche Natur der Urbede zu untersuchen, wies ihm die Mittel zur Bereisung der märkischen Domänenämter an und gestattete ihm, den ihm dafür von Kultusminister Altenstein und Finanzminister Alvensleben gewährten längeren Urlaub neben der Untersuchung der Domänenamtsregistraturen auch zum Besuch der Archive bzw. Archivbestände von Städten, Klöstern und Familien im Regierungsbezirk Potsdam auszunutzen. So ermittelte Riedel allein in diesem Verwaltungsbezirk im Laufe seiner Recherchen ca. 2.000 druckwürdige Urkunden des 13. bis 16. Jahr­ hunderts42. 1839 schloß sich ebenfalls mit ministerieller Unterstützung eine 41 Urkunden zur Stadtgeschichte von Bernau. Mitgetheilt von Dr. Adolph Friedrich Riedel, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 12 (1833), 113–168, Zitat 116. 42 Codex diplomaticus Brandenburgensis. Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten (im Folgenden zitiert: CDB), hrsg. v. Adolph Friedrich Riedel, vier Hauptteile, 41 Bde., davon 5 Bde. Register, Berlin 1838–1869, hier CDB I 1, IV–V. – Riedel führte auf seiner Reise ein Tagebuch mit ausführlichen Beschreibungen der von ihm vorgefundenen historischen Denkmäler (Klöster, Burgen, Befestigungswerke u.a.), aus dem er Auszüge in Form eines Reiseberichts über die märkischen Klöster und Klosterruinen veröffentlichte, siehe Riedel: Klöster und Klosterruinen (unten Anm. 93). – Über Riedels Funde im Domänenrentamt Havelberg, das die Reste von Archiv und Bibliothek des aufgehobenen Domstifts Havelberg kenntnislos und unzulänglich aufbewahrte, vgl. den ungezeichneten, wohl von einem Mitarbeiter der Königlichen Bibliothek zu Berlin stammenden Aufsatz: Nachricht von der Auffindung einer Anzahl alter Handschriften des ehemaligen Domcapitels zu Havelberg durch Herrn Hofrath und Professor Dr. Riedel in Berlin, in: Serapeum. Zeitschrift für Bibliothekwissenschaft, Handschriftenkunde und ältere Litteratur 1 (1840), 177–185, bes. 179.

24 

 Adolph Friedrich Riedel

viel größere Archivreise in die Staatsarchive und Bibliotheken von Wien, Prag, Dresden, Leipzig, Wolfenbüttel, Braunschweig, Hannover, Hamburg, Lübeck und Schwerin ein, die ihm allein eine Ausbeute von über 1000 auf die märkische Geschichte bezüglichen Urkunden und größeren Handschriften eintrug43. Die Unterstützung des Innenministers Rochow und des Justizministers Kamptz ermöglichte ihm in schwierigeren Fällen die angestrebte Archivbenutzung. Ununterbrochen setzte er in den folgenden Jahren seine Recherchen nach Urkundenbeständen fort. Im Dezember 1844 berichtete er etwa den Mitgliedern des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg davon, daß er dank behördlichen Entgegenkommens die aus der Frankfurter Viadrina stammende Urkundensammlung des Universitätsarchivs in Berlin mit klösterlichen Überlieferungen aus der Altmark und dem Lebuser Land ausgewertet hatte. Im Februar 1846 beschrieb er den historischen Gehalt unbekannter Urkunden aus mährischen Klosterarchiven, die ihm dank priesterlicher Vermittlung für den Abdruck im Codex bereitgestellt worden waren44. Durch die systematische und umfassende Archivbereisung, an die kein Vorgänger in vergleichbarer Weise gedacht hatte, also durch die gezielte regionale und überregionale Suche nach einschlägigen Archivbeständen schuf Riedel wahrlich eine neue Quellengrundlage für die brandenburgische Landesgeschichtsforschung: Die quantitative Vermehrung des bekannten und gedruckten Quellenstoffs veränderte zugleich durch die dadurch geschaffenen Erkenntnismöglichkeiten die Qualität der Forschungsarbeit. Das Ergebnis seiner Quellenrecherchen veröffentlichte Riedel seit 1838 in den schließlich 36 Bänden seines „Codex diplomaticus Brandenburgensis“45, einer, wie der Untertitel besagte, „Sammlung der Urkunden, Chroniken und sonstigen 43 Riedel veröffentlichte über seine Archivreise und ihre Ergebnisse eine eigene kleine Schrift: Bericht über eine von Seiner Majestät dem Könige allergnädigst unterstützte Reise, welche behufs Ermittelung und Sammlung von Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg in auswärtigen Archiven und Bibliotheken von dem Königlichen Hofrathe und Professor Dr. Riedel im Jahre 1839 unternommen wurde, Berlin 1839. 44 MF 3 (1845), S. 127; – MF 4 (1847), S. 80. 45 Vgl. die sehr knappen Bemerkungen bei Ribbe, Quellen (Anm. 3), S. 40–42, dazu die hilfreiche systematische Übersicht über das Gesamtwerk, ebd., 66–73. – Engel, Riedel (Anm. 32), 62–66, referiert einige für die konkrete Förderung des Riedel’schen Werkes durch die Staatsverwaltung aufschlußreiche Quellenzeugnisse, unterläßt aber die wissenschaftsgeschichtliche Einordnung seiner Edition und bleibt in seinen Bemerkungen zu Riedels Methode (ebd. 68–70) oberflächlich. – Der 1838 erschienene erste Band war übrigens, bezeichnend für Riedels politisches und gesellschaftliches Umfeld, dem Innenminister von Rochow, „dem hohen Kenner und Beförderer des vaterländischen Geschichtsstudiums“, zugeeignet. – Wegen der Beschränkung dieses Aufsatzes auf die Zeit bis 1848 werden hier nur die Anfänge des CDB skizziert, eine ausführlichere und vollständige Behandlung und Beurteilung der in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung einmalig dastehenden Edition behält der Verfasser sich vor.



Der Codex diplomaticus Brandenburgensis 

 25

Quellenschriften für die Geschichte der Mark Brandenburg und ihrer Regenten“. Zwei aufeinander bezogene Ziele verfolgte er mit der im Ergebnis geradezu monumentalen Edition. Er beabsichtigte, in seinen eigenen Worten, theils den Bearbeitern der Brandenburgischen Geschichte eine höchst nothwendige Erweiterung ihrer Quellen zu verleihen; theils das Interesse an dieser Geschichte weiter zu verbreiten und durch directe Beziehung auf alle bedeutendern Orte, Institute oder Familien der Mark Brandenburg die Bewohner solcher Orte, die Beamten und Vorstände solcher Institute oder die Glieder solcher Familien zur Kenntnisnahme von ihrer Geschichte und mittelbar dadurch auch zu mehrerer Bearbeitung der Orts- und Familiengeschichte und zur Bereicherung unserer allgemeinen Landesgeschichte durch sonstige der Art Monographien mehr anzuregen46.

Die Vermehrung der Quellenkenntnis, die mit dem Anspruch auf einen hohen Grad von Vollständigkeit und mit der Entscheidung für den Volltextabdruck und gegen das Regest verknüpft war47, suchte Riedel vornehmlich dadurch zu erreichen, daß er das Schwergewicht seiner Nachforschungen nicht auf von Gercken und Raumer bevorzugte staatliche Überlieferungen, sondern auf nicht-staatliche 46 CDB I 1, III. Zum Folgenden ebd., III–IV. 47 Riedel verwarf eine Auswahledition, da die urkundliche Überlieferung der Mark insgesamt, verglichen mit anderen deutschen Landschaften, sehr schmal ausfalle, auch unbedeutendere Stücke historische Aussagekraft für die vielfältigen Themen gewinnen könnten und die andere wesentliche mittelalterliche Quellengruppe, die der Chroniken, in der Mark kaum vertreten sei. Die Urkundenregestierung lehnte er ab, da sie mit der gerafften Inhaltsangabe nicht alle Forschungsinteressen erfüllen könne. CDB I 3, V. Wegen seiner Entscheidung gegen die Auswahledition und gegen ein Regestenwerk überwarf sich Riedel mit Ranke, der beides zur Darbietung der brandenburgischen Quellen bevorzugte. Ranke befürwortete damals landesgeschichtliche Urkundeneditionen und Darstellungen im Rahmen eines großen Vorhabens der „Monumenta historiae Brandenburgo-Borussicae“, so daß die einzelnen Landesgeschichten die Grundlage für die gesamtpreußische Geschichte abgeben sollten. „Ich halte … provinziale Urkundensammlungen, in ein Corpus vereinigt, für die wichtigste Grundlage aller Landesgeschichte. Eigentlich wären 4 Dinge nötig: 1) Quellensammlung, 2) Urkundensammlung, 3) Ausarbeitung kritischer Provinzialgeschichten, 4) eine Geschichte des Staates“. Ranke an Gustav Adolf Stenzel, 3. August 1841, in: Leopold von Ranke: Das Briefwerk, eingeleitet und hrsg. v. Walther Peter Fuchs, Hamburg 1949, S. 310–312, Zitat S. 310. Wie sich aus Rankes Andeutungen ergibt, war sein Zielpunkt ein anderer als der Riedels, eben die gesamtpreußische, die allgemeine Geschichte, während Riedel sich gänzlich auf die Landes-, Orts- und Familiengeschichte oder, anders ausgedrückt, auf die inneren Verhältnisse der Mark Brandenburg konzentrierte und so notwendigerweise die Akzente für seine Quellenbearbeitung anders setzte. Zu seiner Kritik an Ranke vgl. seine Briefe an Stenzel vom 24. März 1840 und 23. Januar 1842, in Schultze, Zur Geschichte (Anm. 31), 223. – Daß Riedel im CDB seine Prioritäten zugunsten der Hohenzollern-Dynastie und zuungunsten der Lokalgeschichte gesetzt habe, wie Engel, Riedel (Anm. 32), 72, behauptet, wird allein schon durch den Umfang des ersten, der Regional- und Lokalgeschichte gewidmeten Hauptteils des CDB widerlegt.

26 

 Adolph Friedrich Riedel

Bestände, auf die von Städten, Klöstern, Familien, legte und daher weit ausholend Kommunal-, Stifts-, Pfarr-, Gutsarchive und sonstige private Sammlungen in seine Quellensuche einbezog. Er gliederte seinen Stoff nicht wie zumeist in Urkundeneditionen in chronologischer Folge, sondern nach einzelnen brandenburgischen Landschaften, Städten, Klöstern und Stiften, Familien, damit deren Bewohner durch die kompakte Zusammenfassung der ihre Heimat betreffenden Quellen umso mehr zu deren Lektüre bewogen und außerdem zur eigenen Bearbeitung ihrer Geschichte angeregt wurden. Im ersten Band des Codex begann Riedel damit, Überlieferungen aus der Prignitz abzudrucken; seine acht Abschnitte waren den Städten Havelberg (einschließlich Dom), Perleberg, Kyritz und Wittstock (einschließlich Burg und Amt), den Zisterzienserinnenklöstern zu Marienfließ und zu Heiligengrabe und dem Mönchshof zu Dransee sowie den Herrschaften Putlitz und Wittenberge und den Edlen Gänse zu Putlitz gewidmet. Ebenso diente es der Förderung des Leserinteresses und der Anregung künftiger Forschungen, daß Riedel den einzelnen Quellenabschnitten kürzere und längere historische Einleitungen voranstellte, in denen er auf der Grundlage der abgedruckten Dokumente und unter Verwertung weiterer Quellen die geschichtliche Entwicklung einer Stadt, einer Institution oder einer Familie schilderte, die Quellenedition also sogleich um eine sie auswertende Darstellung ergänzte. Das Schwergewicht des Vorhabens lag innerhalb ihrer vier Hauptteile48 eindeutig auf dem ersten, auf der sog. „Urkundensammlung für die Orts- und spezielle Landesgeschichte“ bzw. auf der „Geschichte der geistlichen Stiftungen, der adlichen Familien, so wie der Städte und Burgen der Mark Brandenburg“, wie der erste Hauptteil auch betitelt wurde, der allein 25 der 36 Bände (mit insgesamt ca. 19.000 Urkunden) umfaßte. Die Schwerpunktsetzung war nicht nur durch die Überlieferungslage bedingt, sondern auch durch Riedels vorrangiges inhaltliches Interesse, zählte er doch „die Entwickelungsgeschichte der städtischen und inneren Landesverfassung ... wohl zu den anziehendsten Seiten des Studiums der vaterländischen Geschichte“49. Nach der Veröffentlichung des ersten Bandes 1838 veränderte Riedel die Auswahlgrundsätze insofern, als er, wie er in der Vorrede zum zweiten Band 1842 bekanntgab, in seine Edition nicht nur die ungedruckten, sondern auch die schon gedruckten Urkunden aufnahm – ausgenommen die in den jüngsten Editionen, nämlich in Raumers Codex und in Fidicins Berliner Urkundenbuch enthaltenen Stücke –, um dem Benutzer außerhalb Berlins mit 48 CDB I 2, VI. – Dem sogleich zu benennenden ersten Hauptteil schlossen sich der zweite Hauptteil mit Urkunden zur Geschichte der auswärtigen Verhältnisse (6 Bände), der dritte Hauptteil mit einer Sammlung zu Landes- und kurfürstliche Hausangelegenheiten (3 Bände) und der vierte Hauptteil mit chronikalischen Quellen (1 Band) an. 49 CDB I 1, IV.



Der Codex diplomaticus Brandenburgensis 

 27

schlechten Bibliotheksverhältnissen eine möglichst vollständige Sammlung an die Hand zu geben, und zudem die sehr schmale und fragmentarische Überlieferung der märkischen Chroniken in sein Editionsprogramm einfügte50. Die Staatsregierung förderte das Werk zunächst in der Entstehungsphase dadurch, daß die zuständigen Minister Riedel für die notwendigen Archivreisen freistellten und diese finanzierten. Und sie griff zu seinen Gunsten in der Publikationsphase ein, als der erste Band nur stockenden Absatz fand, zum wirtschaftlichen Mißerfolg zu werden drohte und der Verleger dem Autor die Fortsetzung aufkündigte. Riedel selbst, der ohnehin damals schon 200 Taler für die Beschaffung von Urkundenabschriften aus den 1839 aufgesuchten ausländischen Archiven in bar bezahlt hatte und sich zu weiteren Auslagen außerstande sah, hoffte in dieser Situation darauf, daß sein Chef, Finanzminister Alvensleben, ihm 100 Exemplare auf Kosten der Staatskasse abnahm und ihm damit die notwendige Subventionierung verschaffte51 – seine Erwartung trog ihn nicht. Denn auf Antrag des Innenministers von Rochow und des Finanzministers von Alvensleben bewilligte Friedrich Wilhelm IV. den Ankauf von 200 Exemplaren des Codex zur unentgeltlichen Verteilung an öffentliche Bibliotheken, Schulen und die unvermögenden Städte der Mark52, so daß er so überhaupt erst in die Hand der gewünschten lokalen Interessentenkreise gelangte; der aus dem Förderkauf folgende Erlös erwies sich als kostendeckend und ermöglichte von 1842 bis 1849 die Herausgabe weiterer dreizehn Bände, bis die Revolution von 1848 und ihre Auswirkungen eine mehrjährige Unterbrechung herbeiführten53. Riedel setzte sich selbst, wie man einzelnen Bemerkungen in seinen Vorreden entnimmt, für die Weiterführung und Erreichung seines großen Lebenszieles unter stärksten Druck, in der Furcht, sein eigener vorzeitiger Tod oder die Einstellung der notwendigen königlichen Förderung könne die Vollendung verhindern. Um für einen solchen Fall vorzubeugen, zog er die wichtigsten bislang unbekannten Urkundensammlungen und -provenienzen in seinem Publikationsplan vor und nahm dafür in Kauf, daß er auf die systematische Programmfolge verzichtete. Einerseits gab er es auf, erst jeweils die eine einzige Landschaft betreffenden Urkunden vollständig herauszugeben, stattdessen ließ er 1845 auf den vorangegangenen erster Band mit mittelmärkischen Urkunden sogleich einen mit altmärkischen Urkunden folgen54. Andererseits eröffnete er bereits 1843, als 50 CDB I 2, V–VI. – Vgl. Riedels Vorträge vom September 1842 und Januar 1843 über die Fragmente mittelalterlicher brandenburgischer Chroniken, in: MF 2 (1843), 25f., 193f. 51 Riedel an Stenzel, 24. März 1840, in Schultze, Zur Geschichte (Anm. 31), 223. 52 CDB I 2, V. 53 Zur Fortsetzung des Werkes vgl. Riedels Vorrede zu CDB I 10, III–IV. 54 CDB I 5, VII–VIII.

28 

 Adolph Friedrich Riedel

gerade einmal drei Bände des ersten Hauptteils vorlagen, den zweiten Hauptteil, die „Urkunden-Sammlung für die Geschichte der auswärtigen Verhältnisse“, in der Absicht, das Werk schneller voranzutreiben55. Man spürt seine Sorge um seine herausragende Lebensaufgabe wie zugleich seine Überzeugung von seiner richtigen Lebensentscheidung, wenn er 1845 schreibt: Die feste Überzeugung von der Nützlichkeit und Nothwendigkeit dieses Unternehmens, die mich bisher vermogte, meine besten Lebenskräfte und manche Opfer anderer Art, demselben darzubringen, wird mich auch bis an das Ende an die Ausführung desselben fesseln56.

V. Der Verein für Geschichte der V. Mark Brandenburg Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg

Zum wissenschaftsgeschichtlichen Gewicht Riedels hat schließlich unabdingbar beigetragen, daß er sich innerhalb der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung mit durchschlagendem Erfolg organisatorisch betätigte: Die Forderung, die Raumer 1832 aufgestellt hatte, die nach einer Vereinsgründung, setzte er mit Entschlossenheit und fintenreichem Wagemut 1836/37 in die Tat um57. Als er für 55 CDB II 1, V. 56 CDB I 5, VII. 57 Literatur zum Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg: Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38); – F[riedrich] Holtze, Übersicht über die Geschichte des Vereins, in: MF 20 (1887), 326–330; – Johannes Schultze, Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35 (1923), 1–20 (der bisher beste Überblick); – Ders., Zur Geschichte (Anm. 31). – Aus der Chronik des Vereins, in: Brandenburgische Siegel und Wappen. Festschrift des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg zur Feier des hundertjährigen Bestehens 1837–1937, hrsg. v. Erich Kittel, Berlin 1937, 6–8; – Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg, in: Die deutschen Kommissionen und Vereine für Geschichte und Altertumskunde, hrsg. v. Willy Hoppe u. Gerhard Lüdtke (Minerva-Handbücher, 4. Abteilung: Die gelehrten Gesellschaften, I), Berlin 1940, 11–14; – Franz Eisel, Zur Funktionsbestimmung der lokalen Geschichtsvereine und der Heimatmuseen in der preußischen Provinz Brandenburg vor 1918: Fallstudie: Historischer Verein zu Brandenburg a.H. und sein Museum 1868 bis 1918 (Institut für Museumswesen, Schriftenreihe, Heft 24 = Studien zur Geschichte des Museumswesens und der Museologie, 3), Berlin 1986, 47–53 (unergiebig); – Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte (Anm. 2), 331–334; – Georg Kunz: Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 138), Göttingen 2000, 199–238 (die bislang eindringlichste, wenn auch nicht ohne Einseitigkeiten vorgehende Untersuchung; zur Kritik vgl. den im Folgenden genannten Titel von Neitmann, Geschichtsvereine, 119 Anm. 10, 122 Anm. 19, 125 Anm. 24, 173 Anm. 120, 174 Anm. 122); – Klaus Neitmann: Geschichtsvereine und Historischen Kommissio-



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 29

seine von dem Breslauer Landeshistoriker Gustav Adolf Harald Stenzel angestoßene Anregung zur Bildung einer historischen Gesellschaft im potentiellen Interessenkreise, bei Raumer, Ledebur und anderen, zunächst keinen Widerhall fand, schloß er sich mit zwei engen Verwandten, seinem Schwiegervater, dem Geheimen Archivrat Ludwig Franz Hoefer, und seinem Vetter, dem Landgerichtsdirektor Theodor Odebrecht, zusammen, und unter dem Motto „tres faciunt collegium“ designierten sie ihn zum Sekretär des künftigen Vereins. Unter diesem Titel bat er Gustav Adolf von Tschoppe, den Leiter der Archivverwaltung, und die ihm aus seiner beruflichen und wissenschaftlichen Tätigkeit vertrauten Minister der Justiz, des Innern und der Finanzen, Kamptz, Rochow und Alvensleben, das Kuratorium des Vereins zu übernehmen und beim König dessen Bestätigung zu beantragen. Der gewitzte Plan gelang, die Kuratoriumsmitglieder ahnten nicht Riedels Isolierung, sondern betrachteten ihn als Bevollmächtigten vieler58. Vollmundig bekundeten Hoefer, Odebrecht und Riedel in ihrem Gesuch um Genehmigung ihrer wissenschaftlichen Gesellschaft: Das seit einigen Jahren sich vielseitig aussprechende Bedürfniß eines Vereinigungspunktes der für die Geschichte und Landeskunde der Mark Brandenburg vereinzelt und nicht immer mit hinlänglicher Unterstützung wirkender Bestrebungen hat bei einer beträchtlichen Anzahl gleichgesinnter Gelehrten den dringenden Wunsch rege gemacht, einen Verein zu gemeinschaftlicher Förderung dieser Bestrebungen zu errichten.

Innenminister Rochow leitete den ihm nach vorangegangenen mündlichen Vortrag am 20. Oktober 1836 schriftlich eingereichten Antrag auf Vereinsgründung am 29. Oktober an den zuständigen Kultusminister Altenstein mit einer nachdrücklichen Empfehlung weiter: „Nach diesseitigem Ermeßen scheint der Verein allen Beifall zu verdienen“. Altenstein wiederum befand nach dem zwischenzeitlich von ihm angeforderten und ihm von Hoefer vorgelegten Statutenentwurf in seinem vom Geheimen Oberregierungsrat Johannes Schulze konzipierten Bericht an den König vom 13. Februar 1837 die Zwecke des beabsichtigten Vereins, nachdem er dessen eben aus dem Schreiben der Vereinsinitiatoren zitierte Begründung wörtlich übernommen hatte, für „beifallswerth“. Entsprechend seinem Antrag ermächtigte ihn Friedrich Wilhelm III. mit Kabinettsorder vom 7. März 1837 dazu, „dem Berliner Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg […] die Genehmigung zu seiner Errichtung zu erteilen, und will ihm die nen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Neugebauer (Hrsg.): Das Thema „Preußen“ (Anm. 2), 115–181, hier 117–129, in diesem Band 59–136, hier 61–79. 58 Nach Riedels Darstellung in seinem Schreiben vom 5. März 1838 an Stenzel, gedruckt bei Schultze, Zur Geschichte (Anm. 31), 222.

30 

 Adolph Friedrich Riedel

Rechte einer moralischen Person beilegen“59. Das nachfolgende Ministerialreskript vom 24. März 1837 teilte den drei Vereinsgründern die allerhöchste Genehmigung mit. Die Statuten des Vereins bezeichneten als seinen Zweck „die Erforschung und Bearbeitung der frühern Verhältnisse der Mark Brandenburg und die Sammlung, Aufbewahrung und Würdigung der in ihr zerstreut sich findenden Denkmale der Vorzeit“60. Mit der Bildung einer „wissenschaftlichen Gesellschaft“, als welche die Statuten den Verein einordneten, sollte die brandenburgische Landesgeschichtsforschung gestärkt werden, nach innen durch die Zusammenführung der Fachkräfte zu gemeinsamen Vorhaben, nach außen durch den geschlossenen Auftritt eines gesamten Wissenschaftszweiges; der Verein war nach den Worten Riedels dazu gedacht, „dem Studio [sc. des vaterländischen Alterthums] … mehr einmüthiges Zusammenwirken, mehr Unterstützung durch gemeinschaftliche Maaßregeln und Anstalten so wie mehr äußere Anerkennung zu sichern“61. Mit Hilfe des Kuratoriums bzw. der auf unbeschränkte Dauer berufenen Kuratoriumsmitglieder erhoffte der Verein sich, wie es die Statuten in aller Deutlichkeit ausdrückten, „der besondern Förderung seiner Interessen von Seiten der Staatsbehörden und Verwaltungsstellen zu versichern“62, seine erwähnte Zusammensetzung spiegelt das engere dienstliche Umfeld und die dienstlichen und wissenschaftlichen Kontakte Riedels wider. Das im Juni 1837 offiziell zusammengetretene Gremium erwirkte zunächst im Juli und Oktober 1837 die königliche Genehmigung dafür, daß der Verein ein Siegel mit dem brandenburgischen Adler und dem Kurhut einschließlich der Wappen von Städten und Stiften der Mark Brandenburg und mit der Umschrift „Siegel des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“ führen durfte, also ein „nur alterthümliche Verhältnisse darstellende[s] Siegel“

59 [Theodor] Odebrecht, Erster Jahresbericht des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, in: MF 1 (1841), 1–16, hier 2. – Akten zur Vereinsgründung 1836/38: GStAPK, I. HA, Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A Nr. 28, Bl. 1–30, die Zitate Bl. 4 (Schreiben Hoefers, Odebrechts und Riedels an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, v. Bassewitz, vom 10. 10. 1836), Bl. 1–3 (Schreiben Hoefers, Odebrechts und Riedels an den Minister des Innern und der Polizei, v. Rochow, vom 20. 10. 1836, mit Marginaldekret Rochows vom 29.10. 1836), Bl. 15 (Schreiben [Konzept] des Kultusministers v. Altenstein an König Friedrich Wilhelm III. vom 13. 2. 1837). – Ebd., I. HA, Rep. 89, Nr. 19929, Bl. 1–2 (Schreiben [Ausfertigung] Altensteins vom 13. 2. 1837, Kabinettsorder Friedrich Wilhelms III. vom 7. 3. 1837). – Das Schreiben Altensteins vom 13. 2. 1837 gedruckt in: MF 1 (1841), 9. 60 § 2 der Statuten des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, Berlin 1838, siehe unten Quellenhang, S. 55. 61 § 1 der Statuten, siehe unten Quellenanhang, S. 55. – Riedel, Vorrede zum CDB I 1, III (Oktober 1838). 62 § 20 der Statuten, siehe unten Quellenanhang, S. 57.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 31

erhielt63. Ebenso verschaffte es dem Verein die Portofreiheit seiner innerhalb der Mark Brandenburg geführten Korrespondenz. Nachdem eine erste außerordentliche Generalversammlung am 15. September 1838 eine Kommission zur Abfassung von Ausführungsvorschriften zu den Statuten eingesetzt hatte, setzte die erste ordentliche Generalversammlung die regelmäßigen Versammlungen der Vereinsmitglieder für ihre wissenschaftlichen Verhandlungen auf den zweiten Mittwoch jedes Monats fest und ergänzte den Vereinsvorstand durch die Wahl der Direktoren und Sekretäre der drei nach fachlichen Schwerpunkten gebildeten Sektionen64. Damit war der Verein Ende 1838 in seinen äußeren Formen endgültig konstituiert. Im folgenden Jahr erfüllte das Kuratorium die zunächst wichtigste ihm zugedachte Funktion, die Berufung von Mitgliedern. Zum Verfahren bemerkte Riedel im persönlichen Briefverkehr mit einem gehörigen Schuß Ironie: Die Berufungen, welche ich durch mein glänzendes Curatorium sende ... nimt jeder hiesige mit Freuden auf. Sie beugen sich der äußern Autorität und finden sich zuletzt friedlich zusammen, vernünftigen Vorstellungen gibt niemand Gehör65.

Im Januar 1839 zählte der Verein 50 Mitglieder66, im Oktober 1839 bereits 15267. Ein Jahr später, an seinem vierten Jahrestage, dem 15. Oktober 1840, waren es insgesamt 221 Mitglieder, davon 188 ordentliche, d.h. in der Mark Brandenburg wohnhafte Mitglieder und 33 korrespondierende, d.h. außerhalb der Mark wohnhafte Mitglieder68. Von den ordentlichen Mitgliedern waren in 94 in Berlin ansässig, 76 außerhalb Berlins in der Mark Brandenburg, 18 außerhalb der Mark Brandenburg69. Unter den Berlinern dominierten mit über 70 % die Angehöri63 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 3, 10 (Wappenerklärung). – GStAPK, I. HA Rep. 89, Nr. 19929, Bl. 3–7, Zitat ebd. Bl. 4. 64 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 3f. – 1846 wurde die Portofreiheit des Vereins auf ganz Preußen ausgedehnt. MF 4 (1847), 80. – Vgl. auch Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), S. 15. 65 Riedel an Stenzel, 5. März 1838 (Anm. 58). 66 Riedel an Stenzel, 20. Januar 1839, in: Schultze, Zur Geschichte (Anm. 31), 222. 67 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 4. 68 Personal-Bestand des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg an seinem vierten Jahrestage, dem 15. October 1840, in: MF 1 (1841), 397–402. – Im Oktober 1841 belief sich die Mitgliederzahl auf 232, davon gegen hundert in Berlin. MF 2 (1843), 17. 69 Die im Folgenden genannten Zahlen sind, da auf Grund der zuweilen ungenauen oder fehlenden Angaben die Zuordnung der Personen zu den verschiedenen Gruppen nicht immer eindeutig vorgenommen werden kann, als Näherungswerte zu verstehen. – Vgl. auch die knappe Auswertung der Mitgliederliste bei Heinrich, Historiographie (Anm. 2), 185f. mit Anm. 85, und ders., Brandenburgische Landesgeschichte (Anm. 2), 332. – Eine bislang unbekannte Mitgliederliste aus dem Jahr 1847 enthält die Akte des Kultusministeriums über den Verein: GStA PK, I. HA

32 

 Adolph Friedrich Riedel

gen der höheren Bildungs-, Wissenschafts- und Kultureinrichtungen, Schullehrer (7 Mitglieder, u.a. Klöden) und Universitätsprofessoren (11 Privatdozenten, außerordentliche und ordentliche Professoren an der Friedrich-Wilhelms-Universität, darunter Ranke70, Homeyer, Lancizolle), Registratoren (2: Fidicin und Voßberg), Archivare (5, u.a. Riedel), Bibliothekare (4, u.a. Friedländer, Wilken), Mitarbeiter von Kunst- und Kulturinstitutionen (3, u.a. Kugler, aus Kunstkammer, Akademie, Museum für vaterländische Altertümer) – sowie höhere Staatsbeamte aus der Ministerial- und sonstigen Verwaltungsbürokratie (12), u.a. aus den Ministerien des Innern, der Finanzen und des Königlichen Hauses, aus den Justizbehörden (11, vornehmlich aus dem Kammergericht, u.a. die Präsidenten des Kammergerichts und des Geheimen Obertribunals), aus dem Militär (10 Offiziere) sowie aus der Geistlichkeit (5, v.a. Prediger und Konsistorialangehörige). Angehörige freier Berufe außerhalb des unmittelbaren oder mittelbaren Bereiches der Staatsverwaltung waren nur mit einer einstelligen Zahl vertreten (u.a. Arzt, Apotheker, Buchhändler, Verlagsbuchhändler [Gropius], Architekt [von Quast], Rentier, Particulier). Die außerberlinische Mitgliedschaft der Mark Brandenburg – die in ihren historischen Grenzen bis 1815 umschrieben wurde – war, geographisch betrachtet, beherrscht vom Übergewicht der Berlin näheren Mittelmärker zwischen Elbe und Oder, denn nur drei Mitglieder kamen aus der Altmark (Salzwedel und Stendal), zwei aus der Neumark (Landsberg an der Warthe, Crossen). Die außerhauptstädtischen märkischen Regionen waren im Wesentlichen repräsentiert durch die Geistlichkeit, die lokale Kommunal- und Staatsverwaltung und das Schulwesen, mit charakteristischen Verschiebungen gegenüber Berlin. Der Anteil der Geistlichkeit lag deutlich höher (20 Mitglieder, davon 6 Superintendenten, 12 Prediger, 2 Archidiakone), die größte Gruppe machten die Leitungskräfte und Mitarbeiter der Staats-, Kommunal- und Justizverwaltung der mittlere und unteren Verwaltungsebene aus (insgesamt 37), darunter 10 Bürgermeister (aus Salzwedel, Perleberg, Pritzwalk, Kyritz, Lindow, Treuenbrietzen, Köpenick, Beeskow, Templin, Prenzlau), 7 Landräte, 4 Domänenrentmeister, ansonsten Land- und Stadtrichter, Justiz- und Regierungsräte. Der Bildungsbereich fiel auf dem Lande mangels einer Universität und mangels Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen auf einen kleinen Bestand an Gymnasiallehrern zurück (7, u.a.

Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A, Nr. 28, Bl. 46–49. Danach gehörten dem Verein damals insgesamt 203 Mitglieder an: 71 Mitglieder in Berlin, 70 außerhalb Berlins in der Mark Brandenburg, 28 außerhalb der Mark Brandenburg, 34 Korrespondierende Mitglieder. Die im Folgenden an Hand des Mitgliederverzeichnisses von 1840 entwickelten Beobachtungen zur Zusammensetzung der Mitgliedschaft gelten im Grundsatz unverändert auch für die personellen Gegebenheiten von 1847. 70 Nach Riedels Mitteilung an Stenzel vom 23. Januar 1842 war Ranke damals wieder aus dem Verein ausgetreten; Schultze, Zur Geschichte (Anm. 31), 223.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 33

Moritz Heffter), ebenso wie das Militär (4) und der Landadel (4, darunter Gans Edler Herr zu Putlitz) kaum mitwirkten, und zu freien bürgerlichen Berufe zählte, wahrlich kümmerlich, ein Apotheker. Die außermärkischen Mitglieder stammten vornehmlich entweder aus Pommern (7) oder aus den ehemals sächsischen Teilen der Provinz Brandenburg einschließlich der Niederlausitz (4, u.a. von Houwald in Lübbenau und Neumann in Lübben); der bekannteste unter ihnen war Johann Gustav Droysen, damals Professor an der Universität Kiel. Unter den korrespondierenden Mitgliedern, in erster Linie Wissenschaftlern wie Professoren, Archivaren, Bibliothekaren und Museologen, die sich vornehmlich aus den preußischen Provinzen Preußen, Pommern, Schlesien und Sachsen sowie aus dem Königreich Sachsen und der Habsburgermonarchie rekrutierten, waren so klangvolle Namen wie Joseph Chmel (Geheimer Staatsarchivar in Wien), Johann Martin Lappenberg (Archivar in Hamburg), C. G. Friedrich Lisch (Archivar in Schwerin), František Palacký (Ständischer Historiograph des Königreichs Böhmen in Prag), Gustav Adolf Harald Stenzel (Professor an der Universität Breslau) und Johannes Voigt (Professor an der Universität Königsberg) vertreten, Persönlichkeiten, die den Aufbruch der Geschichtswissenschaft zu neuen Ufern in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts verkörperten. Die aktiven wissenschaftlichen Kräfte mit landeshistorischer Kenntnis und Befähigung machten nur einen Bruchteil der Mitgliedschaft aus, und sie kamen in erster Linie aus Berlin, weil sich hier die Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen Preußens und Brandenburgs mit leistungsfähigem Personal konzentrierten. Um den vergleichsweise kleinen Kern der wissenschaftlichen Elite gruppierte sich eine gesellschaftliche Elite vornehmlich aus verschiedenen Zweigen der Staats- und Kommunalbürokratie. Daß Staatsbeamte den Ministerien des Innern, der Finanzen und des Königlichen Hauses – nicht aber dem Kultusministerium – sowie dem Kammergericht entstammten, deutet darauf hin, daß die Protagonisten des Vereins wie Riedel, Raumer und Tzschoppe außer unter ihrer wissenschaftlichen Kollegenschaft besonders in ihrem dienstlichen Umfeld für die Mitgliedschaft geworben hatten. Der inhaltliche Anspruch des Vereins ergibt sich am sichtbarsten aus den drei „zu einer sicherern Verfolgung spezieller Richtungen“ vorgesehenen Sektio­ nen, der Sektion „für Sammlung und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen“, der Sektion „für Bearbeitung der äußern und innern Landesgeschichte“ und der Sektion „für Sprache, Kunst und Alterthümer“. Da der ursprünglichen Plan, die einzelnen Mitglieder jeweils einer bestimmten Sektion zuzuweisen, auf den Widerspruch stieß, daß alle Mitglieder „allen Sektionen zugleich angehören“ wollten, wurde er aufgegeben71 und entfaltete keine praktische Wirkung. Aber er 71 Statuten, §§ 3–4, siehe unten Quellenanhang, S. 55. – Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 3f.

34 

 Adolph Friedrich Riedel

widerspiegelte deutlich die umfassenden, verschiedenartigen auf die Mark Brandenburg bezogenen disziplinären Interessen der Mitglieder, die in ihrer Summe eine Art historische Landeskunde anstrebten: Sammlung schriftlicher Quellen, Erforschung und Darstellung der Innen- und Außenpolitik der Mark Brandenburg, Untersuchung ihrer sprachlichen, archäologischen und künstlerischen Zeugnisse. Welche wissenschaftlichen Initiativen vermochte der Verein in dem ersten Jahrzehnt seines Wirkens in seinen drei Sektionen nun zu entfalten? Die in der Satzung angesprochene eigene Sammlung von Denkmälern bzw. Altertümern der Vorzeit kam über bescheidene Anfänge nicht hinaus, da man sich zu der Auffassung durchrang, Leopold von Ledebur, einem der aktivsten Mitglieder des Vereins, dem Direktor des Museums für vaterländische Altertümer, keine Konkurrenz machen, sondern ihm die Aufbewahrung wertvoller Funde aus prähistorischen und historischen Zeiten überlassen zu wollen72. Zur Ermittlung und Erhaltung der brandenburgischen Altertümer wurde Ledebur im April und Juni 1840 damit beauftragt, die auswärtigen Vereinsmitglieder, die ländlichen und städtischen Pfarrer und alle Gebildeten um die Ausfüllung und Zurücksendung eines von ihm ausgearbeiteten Fragebogens zur Beschreibung der „jedes Orts vorhandenen, geschichtlichen oder alterthümlichen Merkwürdigkeiten“ zu ersuchen. Dank der Einschaltung von Landratsämtern liefen in den folgenden Jahren aus verschiedenen Kreisen der Mark derartige Berichte von Pfarrern und städtischen Magistraten ein, so knapp 50 Anzeigen aus dem Kreis Teltow, über 40 aus dem Kreis Beeskow-Storkow, ferner aus den Kreisen Oberbarnim, Jüterbog-Luckenwalde und West-Prignitz, teils sorgfältig abgefaßt, teils „das Vorhandensein alles geschichtlich Merkwürdigen einfach in Abrede“ stellend. Im Juli 1846 berichtete Ledebur über die im Verlauf eines Jahres aus den Kreisen Ostund Westhavelland, Ruppin, Angermünde und Prenzlau eingegangenen, vielfach vom Superintendenten und von Predigern sorgfältig ausgefüllten Formulare73. Zu irgendeiner Auswertung der formularmäßigen Materialerfassung ist es nicht gekommen. Auf diese Weise blieben die „Altertümer“, die Sammlung gegenständlicher und schriftlicher Zeugnisse der Vergangenheit, die ansonsten in der Frühgeschichte der deutschen Geschichtsvereine im 19. Jahrhundert die Interessen stark auf sich zogen74, im Verein für Geschichte der Mark Brandenburg von

72 Ders., Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 13f. – Vgl. auch die Darlegungen zu den Altertümern in Odebrechts Memorandum von 1836, ebd., 17f. 73 MF 2 (1843), 5f., 10, 16, 20, 23, 201 (Zitat), 208f.; – MF 3 (1845), 125f.; – MF 4 (1847), 83. – Vgl. auch Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 8. – Siehe außerdem: Ledebur an Raumer und v.d. Hagen, 3. Oktober 1840, in: Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 252f. 74 Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung, in: Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859–1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutsch-



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 35

vornherein eher am Rande der Neigungen und vermochten nie den Vorrang der historischen Forschung zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Mark Brandenburg zu beeinträchtigen. Mehrere Vorträge auf den Vereinsversammlungen waren der Vorstellung urkundlicher Quellenfunde gewidmet, aber der systematische Aufbau einer Sammlung von Originalurkunden oder Urkundenabschriften wurde nicht in Angriff genommen. Man gewinnt den Eindruck, daß der Verein sporadisch zugriff, wenn ihm der Zufall einen geeigneten Fund zuspielte75. Als 1846 die Witwe des vor einigen Jahren verstorbenen Leutnants a.D. von Hackewitz dessen Urkundenabschriften vornehmlich zur neumärkischen Geschichte für 100 Taler anbot, bewogen die Kuratoren Kamptz und Rochow Friedrich Wilhelm IV. dazu, dem Verein, da er „bei den geringen, auf freiwillige Beiträge der Mitglieder beschränkten Einkünften aus eigenen Mitteln den geforderten Preis nicht zu zahlen vermag“, diese Summe aus dem Dispositionsfonds der Generalstaatskasse bereitzustellen; die Abschriften, die Hackewitz für ein neumärkisches Urkundenbuch aus den Beständen von Stadt- und Privatarchiven angefertigt hatte, sollten gesichert werden, da die neumärkischen „Geschichtsquellen fast noch ganz unbekannt sind“76. Eine Veröffentlichung von Urkunden und Urkundenregesten, die sich Raumer anfänglich aus dem Zusammenwirken von Vereinsmitgliedern erhofft hatte77, wurde nicht in Angriff genommen. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, daß Riedel zwar in seinen Vereinsvorträgen wiederholt über seine Arbeit am Codex diplomaticus Brandenburgensis berichtete, aber dieser in seiner ersten Phase bis 1849 völlig unabhängig vom Verein und nicht als Vereinspublikation erschien; erst unter gewandelten Bedingungen rückte der Verein seit der Mitte der 1850er Jahre auf das Titelblatt, ohne viel eigene Arbeit dafür zu investieren. Im Gegensatz zur Altertümer- und Urkundensammlung gewann die Büchersammlung, also die Bibliothek, im Laufe der Jahre zunehmend auf Grund des Wunsches nach einer umfassenden, möglichst vollständigen Erfassung der die märkische Geschichte betreffenden Literatur an Gewicht, insbesondere durch sprachigen Ländern, hrsg. v. Theodor Schieder (= Historische Zeitschrift 189), München 1959, 139–222, hier 206, 212, 214. 75 Vgl. z.B. MF 3 (1845), 127 (Schenkung von Urkunden durch Ledebur); 4 (1847), 80 (Schenkung eines Kopialbuches der Stadt Kyritz aus dem 14. Jh.). – Siehe ferner die allerdings sehr knappe Übersicht zu den Handschriften- und Urkundenbeständen des Vereins nach dem Stand der späten 1880er Jahre bei Holtze, Übersicht (Anm. 57), 329f. – Die Repertorien zu den Kurmärkischen Lehnskopialbüchern wurden auf Kosten des Vereins zur Ermöglichung der Benutzung abgeschrieben, vgl. Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 9. 76 GStAPK, I. HA, Rep. 89, Nr. 19929, Bl. 8–9. – Vgl. die Erwähnung des Ankaufs in MF 4 (1847), 86. – Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 9. 77 Vgl. oben Anm. 21.

36 

 Adolph Friedrich Riedel

den umfangreicheren Schriftentausch, den der Verein mit zahlreichen gleichgerichteten Geschichtsvereinen in anderen preußischen Provinzen, deutschen und außerdeutschen Staaten pflegte, ferner durch Schenkungen von Mitgliedern und befreundeten Institutionen und durch Ankäufe78. Die Durchführung eines großen wissenschaftlichen Gemeinschaftswerkes gelang dem Verein nicht, dazu fehlten die materiellen und personellen Voraussetzungen. „Die bisherige Wirksamkeit des Vereins für die vaterländische Geschichte“, so erklärte Generalsekretär Riedel auf der Generalversammlung am 1. Dezember 1842, bestand ... nicht sowohl in der Ausführung gemeinschaftlicher Unternehmungen, als vielmehr hauptsächlich in der ermunternden Anregung zu Forschungen und Aufklärungen über Gegenstände der vaterländischen Geschichte, welche den einzelnen Mitgliedern durch das lebhafte Interesse der Gesamtheit an solchen Abhandlungen geboten wurden79.

Damit ist der Kern trefflich beschrieben: Der Verein lebte in erster Linie davon, daß seine interessierten ordentlichen Mitglieder zu den monatlichen Versammlungen erschienen, sich die dort gehaltenen wissenschaftlichen Vorträge anhörten und mit den Referenten über deren Inhalte diskutierten oder darüber hinaus als „arbeitende Mitglieder“ gemäß der in den Statuten (§ 10) enthaltenen Aufforderung wenigstens einmal jährlich einen eigenen wissenschaftlichen Beitrag lieferten. Es fanden sich für eine zweistündige Unterhaltung dieser Art regelmäßig 30 bis 40 Mitglieder ein80. Die Zahl der Referate auf den einzelnen Sitzungen war recht hoch, lag üblicherweise über fünf, hier wurden eine sehr breite Palette von Themen sowohl in zeitlicher als auch in sachlicher Hinsicht vorgestellt und behandelt als auch literarische Neuerscheinungen besprochen. Der jährliche Höhepunkt war die seit 1842 am 1. Dezember abgehaltene Generalversammlung81, sie vereinigte ein großes und hochrangiges Publikum, dem der Tätigkeitsbericht des Vorstandes und Fachthemen vorgetragen wurden. Von den Kuratoren erschienen hier dreimal, 1839, 1840 und 1842, Justizminister von Kamptz, einmal, 1840, Finanzminister von Alvensleben82. Aber der organisatorische Zusammenschluß der Interessenten an der brandenburgischen Landes78 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), S. 5f. – Riedel, in: MF 2 (1843), 209. – Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 13. – 1863 umfaßte die Bibliothek 2.038 Nummern (ebd.), Ende der 1880er Jahre vor allem auf Grund des Schriftentausches mit anderen historischen Gesellschaften ca. 4.000 Bände, siehe Holtze, Übersicht (Anm. 57), 329. 79 MF 2 (1843), 27. 80 MF 2 (1843), 27. 81 MF 2 (1843), 8, 17. 82 MF 2 (1843), 1 (Kamptz 1839), 8 (Kamptz und Alvensleben 1840), 27 (Kamptz 1842).



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 37

geschichte bewirkte nicht, daß große und anspruchsvolle inhaltliche Vorhaben durch die Arbeitsgemeinschaft einzelner oder gar etlicher Vereinsmitglieder angestrebt und verwirklicht worden wären. Raumers weitgespanntes Programm von 1832 mit seiner Hoffnung auf die gemeinsame Bearbeitung der darin skizzierten Schwerpunkte blieb weitgehend auf dem Papier stehen, nur sehr bruchstückhaft und ansatzweise wurden manche Aufgaben übernommen, die Vereinsmitglieder kamen über die Behandlung ihrer individuellen Themen und Vorlieben nicht nachhaltig hinaus. Daß Wirkungsmöglichkeiten des Vereins beschränkt blieben, hing verständlicherweise maßgeblich von seinen beschränkten verfügbaren Mitteln ab. Sie stammten zunächst nur aus den jährlichen Beiträgen der Vereinsmitglieder und dienten vorrangig der Bestreitung der Kosten des laufenden Betriebes. Das erste Kassenjahr vom 1. Juli 1838 bis zum 1. Juli 1839 schloß sogleich mit einem Defizit, Einnahmen von 152 Thlr. standen Ausgaben von 166 Thrl. 20 sgr. gegenüber83, obwohl Riedel, wie er später, im Dezember 1840, dem Kultusminister erklärte, für den Verein „die Kosten seiner ersten Einrichtung getragen“ habe84. In seinem Jahresbericht vom 1. Dezember 1843 zeigte er sich hingegen darüber erfreut, daß die Mitgliedsbeiträge von insgesamt 225 Thlr. 2 Sgr. 6 Pf. es ermöglicht hatten, das zweite Heft des zweiten Bandes der Märkischen Forschungen durch Ankauf von Exemplaren mit 75 Thlr. zu fördern85. Auf Dauer vermochten freilich die jährlichen Mitgliedsbeiträge von zwei Talern pro Person – befreit waren von seiner Leistung die arbeitenden Mitglieder, die wenigstens einmal jährlich eine Abhandlung oder einen sonstigen wissenschaftlichen Beitrag lieferten – zwar die für die Versammlungen, die Bibliothek und die Korrespondenz anfallenden Geschäftskosten zu decken, aber nicht größere, langfristige und kostenträchtigere Vorhaben zu finanzieren. Dazu gehörte insbesondere eine wissenschaftliche Zeitschrift zur Veröffentlichung der von den Mitgliedern erarbeiteten und vorgetragenen wissenschaftlichen Ergebnisse86.

83 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 7. 84 Riedel an Kultusminister vom 26. 12. 1840, in: GStA PK, I. HA Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23, Litt. A 16 Bd. 1, fol. 53–55. 85 MF 2 (1843), 208. 86 Vgl. die Darlegungen des Vereins und des Kultus- und Finanzministers aus dem Jahr 1847, in: GStA PK, I. HA, Rep. 89 Nr. 19929, Bl. 13–14. – §§ 10–11 der Statuten, unten Quellenanhang, S. 56.

38 

 Adolph Friedrich Riedel

VI. Die Märkischen Forschungen Die von Anfang an beabsichtigte Herausgabe einer Vereinszeitschrift erwies sich wegen der unzureichenden eigenen, wie gerade bemerkt fast ausschließlich aus Mitgliedsbeiträgen gespeisten Mittel zunächst als schwierig, aber schon sogleich nach der ersten Jahresversammlung erlöste Justizminister von Kamptz den Verein aus seiner Verlegenheit, als er 150 Taler aus dem Überschuß der von ihm herausgegebenen „Annalen der Preußischen innern Staatsverwaltung“ gewährte87. Dadurch war man in die Lage versetzt, im Verlag von George Gropius die „Märkischen Forschungen“ herauszubringen, das erste Heft des ersten Bandes erschien 1841. Aber aus dem inhaltlichen Gewicht der Zeitschrift folgte nicht ihr wirtschaftlicher Erfolg, ihr Erscheinen blieb wegen mangelnden Absatzes und trotz eines ungewöhnlichen Nachlasses des Verlegers auf finanzielle Zuschüsse angewiesen88, die dauerhaft aus eigener Kraft aufzubringen dem Verein nicht gelang, so daß schon nach der verlustreichen Ausgabe des dritten Bandes 1847 eine existenzgefährdende Finanzkrise eintrat. Vorstand und Kuratorium sahen im Februar und Mai 1847 keine andere Möglichkeit, als den König zur gesicherten Fortführung der Zeitschrift um „eine fortlaufende jährliche Unterstützung von zweihundert Thalern“ bzw. um „eine für eine Reihe von Jahren zu gewährende Allerhöchste Geldunterstützung“ zu ersuchen, unter Hinweis auf die bisherige fast gänzlich fehlende öffentliche Förderung des Vereins und auf die Bedeutung der Zeitschrift für die Außenwirkung, unter Ausmalung des drohenden Vereinsunterganges. Die Einkünfte des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg bestehen lediglich in den Beiträgen seiner Mitglieder. Anderweitige Unterstützungen und Geldzuschüsse, wie solche fast allen historischen Vereinen Deutschlands zufließen, gehen diesem Verein gänzlich ab. … Ohne ein solches Organ der Mittheilung, wie eine fortlaufend erscheinende Zeitschrift darbietet, kann aber ein historischer Verein nicht seinen Zweck erreichen. Er käme außer Verbindung mit seinen auswärtigen Mitgliedern und aus dem erforderlichen Wechselverkehre mit den übrigen historischen Vereinen Deutschlands. Es wird daher eine gänzliche Auflösung des Vereines voraussichtlich die endliche Folge des Eingehens seiner Zeitschrift sein.

Die vom König zur Stellungnahme aufgeforderten Staatsminister für Kultus und Finanzen Eichhorn und Duesberg äußerten sich am 30. Juni 1847 sehr anerkennend über die bisherigen wissenschaftlichen Leistungen: Der dritte Band der

87 Odebrecht, Erster Jahresbericht (Anm. 59), 6; – Ders., Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 5. 88 Ebd., 5f.



Die Märkischen Forschungen 

 39

Märkischen Forschungen schien dem Kultusminister, wie es in seiner von Johannes Schulze konzipierten Stellungnahme hieß, auf eine unzweideutige Weise von den fortgesetzten verdienstlichen Bemühungen des Vereins um die Märkische Geschichte zu zeugen; er empfiehlt sich gleich den beiden früheren Bänden durch die Mannigfaltigkeit seines die früheren Verhältniße der Mark Brandenburg betreffenden Inhalts, wie durch die Gründlichkeit der darin veröffentlichten Untersuchungen, so daß diese Vereinsschrift neben ähnlichen deutschen Zeitschriften sich wohl behaupten kann. … Je mehr die Geschichte der Mark Brandenburg noch der weiteren Bearbeitung und Aufklärung bedürftig ist, um so wünschenswerther scheint es mir, daß die öffentliche Mittheilung der Ergebnisse der Forschungen und Leistungen des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg fortgesetzt und nicht wegen Mangels an den zur Bestreitung der Druckkosten erforderlichen Geldmitteln unterbrochen oder gar eingestellt werde.

Kultus- und Finanzminister empfahlen daher ihrem Herrn, zur weiteren Herausgabe der Zeitschrift „vorläufig eine Unterstützung von dreihundert Thalern huldreich zu bewilligen“, und zwar aus den Mitteln des Allerhöchsten Dispositionsfonds bei der Generalstaatskasse. Der Geheime Kabinettsrat in der zuständigen zweiten Abteilung des Königlichen Zivilkabinetts suchte so viel Großzügigkeit entgegenzuwirken, er empfahl eine einmalige Zahlung von höchstens 200 Talern. Aber Friedrich Wilhelm IV. setzte sich über diesen Einwand hinweg, mit Schreiben vom 19. Juli 1847 an die beiden Minister bewilligte er dem Verein eine Unterstützung von 100 Talern jährlich auf drei Jahre89. Die Finanzkrise der Zeitschrift war damit – allerdings nur vorläufig für die nächsten Jahre bzw. die nächsten Hefte, aber nicht grundsätzlich – überwunden, die königliche Beihilfe ermöglichte es, den vierten Band in zwei Heften 1847 und 1850 zu publizieren. Die Märkischen Forschungen speisten sich fast ausschließlich aus den wissenschaftlichen Beiträgen der Vereinsmitglieder, die dort gedruckten Aufsätze gingen zumeist aus den auf den Mitgliederversammlungen gehaltenen Vorträgen hervor. Zur Wahrung der fachlichen Qualität entschieden zwei gutachtende Mitglieder unabhängig voneinander über die Aufnahme in das Publikationsorgan, das sich durch seinen hohen Standard auf dem Gebiet der brandenburgischen Landesgeschichte unentbehrlich machen wollte90. Namen und Zahl der Autoren zeigen, daß damals – wie auch in späteren Zeiten – die brandenburgische Landesgeschichtsforschung von wenigen tatkräftigen Gelehrten getragen wurde. Die 89 Vorstand des Vereins an Kuratorium vom 20.2.1847, Kuratorium an König vom 4.5.1847, Staatsminister Eichhorn und v. Duesberg an König vom 30.6.1847, König an die Staatsminister bzw. an das Kuratorium vom 19.7.1847, in: GStA PK, I. HA Rep. 89, Nr. 19929, Bl. 10–15 (Akte des Geheimen Zivilkabinetts); die korrespondierende Akte des Kultusministeriums: GStA PK, I. HA Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A, Nr. 28, bes. Bl. 33–41. 90 Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (Anm. 38), 6.

40 

 Adolph Friedrich Riedel

ersten vier Bände der Zeitschrift, insgesamt acht zwischen 1841 und 1850 erschienene Hefte, enthalten, wenn man die Tätigkeitsberichte außer Acht läßt und die in mehreren Teilen auf verschiedene Hefte verteilten Beiträge zusammenfaßt, insgesamt 67 Aufsätze und Miszellen unterschiedlichen Umfanges. 42 von ihnen, also knapp zwei Drittel, stammen von fünf Forschern. An der Spitze der Autorenliste steht uneingeschränkt Leopold von Ledebur (1829 Vorsteher der Abteilung für vaterländische Altertümer der Königlichen Museen, 1832 Direktor der Königlichen Kunstkammer)91 mit achtzehn Artikeln, von denen allerdings zehn einen Umfang von 12 Seiten und weniger haben; er ist in jedem Jahrgang vertreten, im zweiten bis vierten Band einmal mit fünf, zweimal mit sechs Untersuchungen92. Unter ihnen zeichnen sich zwei Schwerpunkte ab. Die früh- und hochmittelalterlichen Verhältnisse der slawischen und frühdeutschen Zeit in der späteren Mark Brandenburg und weit darüber hinaus in den slawischen Landen östlich von Elbe und Saale fesseln Ledebur vornehmlich unter den Fragestellungen einer historischen Geographie: Der Identifizierung von Gauen, Landschaften und Regionen einschließlich ihres Namenwandels und ihrer inneren Gliederung mit 91 Ernst Friedlaender, Ledebur, Leopold Karl Wilhelm August Freiherr v.L., in: Allgemeine deutsche Biographie 18, Leipzig 1883, 113f.; – Beatrice Falk, Ledebur, Leopold, Karl Wilhelm August, Frhr. v., in: BBL, 248f. – Zu Ledebur sind vornehmlich die zahlreichen, verschiedene Aspekte seines Wirkens eindringlich darstellenden Untersuchungen von Hubertus Fischer heranzuziehen, u.a. Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 217–220, zuletzt: Fischer, Albrecht der Bär (Anm. 36); ebd., 137, Anm. 1, sind seine älteren Arbeiten und weitere Literatur angeführt; vgl. jetzt seine biographische Skizze: Leopold Freiherr von Ledebur (1799–1877), in: Lebensbilder (Anm. 3), 31–39. 92 Die Landschaften des Havelbergischen Sprengels, in: MF 1 (1841), 200–226; MF 2 (1843), 361– 373; – Samo’s Heimath und Reich. Castrum Vogastense, ebd., 37–45; – Die Slawische Völkertafel der St. Emmeramer Handschrift, mit besonderer Rücksicht auf die Mark Brandenburg, ebd., 72– 82; – Gehörte die Zauche zu der Provinz Plonim oder Heveldun, zum Plane- oder Havelgau?, ebd., 97–101; – Ueber des Bischof Boguphal II. von Posen Kenntniß der nordwestlichen Slawenländer, ebd., 120–130; – Die in dem Zeitraum von 1740 bis 1840 erloschenen adeligen Geschlechter der Mark Brandenburg, ebd., 374–388; – Der Adel der Mark Brandenburg nach Wappenbildern gruppirt und auf Stammes-Gemeinschaft zurückgeführt, in: MF 3/1 (1845), 96–120; 3/2 (1847), 304– 344; 4/1 (1847), 174–192; – Geographische Miscellen, in: MF 3/1 (1845), 187–192; – Die Ucranen und nicht Veranen, in: MF 3/2 (1847), 345–353; – Bären und Bärenjagden in der Mark Brandenburg, ebd., 354–359; – Ueber der Ursprung der Grafen von Osterburg und ihr Verhältniß zu der Familie von Veltheim, ebd. 360–370; – Die Kalands-Verbrüderungen in den Landen Sächsischen Volks-Stamme mit besonderer Berücksichtigung auf die Mark Brandenburg, in: MF 4/1 (1847), 7–76; – Ueber die Gegensätze Alt- und Neumark, ebd., 88–94; – Die Nordmark, ihre Legationen, Legaten und Markgrafen, insbesondere nach Anleitung des Annalista Saxo, ebd., 165–173; – Zur Geschichte des Geschlechtes von Meyendorff, ebd., 258–273; – Des Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth Jugend-Geschichte, ebd., 280–320; – Biographische Nachrichten über diejenigen Prinzen des markgräflich Brandenburgischen Hauses, die in der Österreichischen Armee militairische Würden bekleidet haben, ebd., 337–406 (vgl. auch die auf diesen Aufsatz bezüglichen Korrespondenzen Ledeburs bei Fischer, „Preußen …“ [Anm. 3], 255–262).



Die Märkischen Forschungen 

 41

den dazugehörigen Orten sowie der Identifizierung von Stämmen und Völkern und ihres Siedlungsraumes widmet er besondere Aufmerksamkeit. Sein anderes Interessenfeld ist die vornehmlich genealogisch betrachtete mittelalterliche und frühneuzeitliche brandenburgische Adelsgeschichte. Erwähnung verdienen hierbei vornehmlich wegen seines methodischen Ansatzes seine Untersuchungen zu den hoch- und spätmittelalterlichen Adelsfamilien, weil er unter Auswertung von Wappen- und Siegelbildern Stammesgemeinschaften festzustellen und so familiäre Ursprünge aufzuhellen sucht. Mit spürbarem Abstand auf Ledebur folgt Riedel mit elf Artikeln nach, von denen allein sechs in den beiden ersten Bänden abgedruckt sind. Seine Neigungen sind weitgespannt: Zeitlich umfassen seine Beiträge die Jahrhunderte von den askanischen Markgrafen bis zu Friedrich dem Großen, sachlich sind sie der Sozial-, Wirtschafts-, Finanz-, Militär- und Kulturgeschichte zuzuordnen, darstellerisch werden Beschreibungen und Analysen durch die Ausbreitung von Quellenfunden, die zuweilen sogar dominieren, ergänzt. Hervorgehoben sei hier, daß Riedel im Stil eines Reiseberichtes die mittelmärkischen Klöster und Klösterruinen und ihre Bauten bzw. baulichen Überreste beschreibt und den spätmittelalterlichen Siegelgebrauch charakterisiert, daß er die Unterschiede zwischen beschlossenen und unbeschlossenen Adelsgeschlechtern vom 14. bis zum 17. Jahrhundert herausarbeitet und das brandenburgische Militäraufgebot in seiner ständischen Zusammensetzung vom 13. Jahrhundert bis in den 30jährigen Krieg hinein unter Auswertung von Musterungslisten analysiert, daß er die Schatullkasse des Großen Kurfürsten mit ihren verschiedenartigen Einnahmen und Ausgaben untersucht, daß er die Landesmeliorationen im havelländischen Luch unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. sowie des letzteren Maßnahmen zur Förderung der Landwirtschaft in der Mark eingehend schildert, daß er die alchimistischen Neigungen der hohenzollernschen Markgrafen des 15. Jahrhundert darstellt93.

93 Urbarmachung des Havelländischen Luches, Gründung und erste Einrichtung des Königlichen Domainen-Amtes Königshorst und daselbst geschehene Errichtung einer Lehranstalt für die Kunst der Butter- und Käsebereitung, durch die Könige Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., in: MF 1 (1841), 56–93; – Klöster und Klosterruinen in der Churmark Brandenburg ausserhalb der Altmark, ebd., 165–199; – Von dem Unterschiede zwischen den beschlossenen und unbeschlossenen Geschlechtern der Brandenburgischen Ritterschaft, ebd., 266–290; – Die Brandenburgische Lehnsmiliz, ebd., 365–396; – Ueber den Gebrauch der Siegel in der Mark Brandenburg, besonders bei landesherrlichen Ausfertigungen, in: MF 2 (1843), 46–71; – Ein Hexenprozeß, verhandelt bei dem Amtsgerichte zu Neustadt an der Dosse, im Jahre 1667. Nach den Akten, ebd., 106–119; – Uebersicht der Einrichtungen, welche König Friedrich II. für das Gedeihen des landwirthschaftlichen Gewerbes in der Mark Brandenburg getroffen, ebd., 135–176; – Notiz über die Zunahme des Anbaues der Städte in der Mittelmark und Ukermark, ebd., 191f.; – Die Chatulleinrichtung des Großen Kurfürsten, ebd., 297–337; – Beitrag zur Geschichte des falschen Woldemar,

42 

 Adolph Friedrich Riedel

Auf Ledebur und Riedel folgen Autoren mit mehreren Aufsätzen: Georg Wilhelm von Raumer (5), Karl Friedrich Klöden (3), Theodor Odebrecht (3). Raumers Beiträge gleichen vornehmlich Quellenreferaten, die Wiedergabe der Akteninhalte zu ausgewählten Themen steht im Vordergrund. In dieser Weise beschreibt er die Verhandlungen der Kurfürsten Albrecht Achilles und Joachims II. mit den Landständen über die Steuererhebung und Steuerverfassung des Landes, gibt er die 1564 gemachten Zeugenaussagen in einem Reichskammergerichtsprozeß um die Landsässigkeit der drei brandenburgischen Bischöfe bzw. der Grafen von Lindow-Ruppin und Hohenstein-Vierraden wieder und schildert er märkische Prozesse um Hexerei und Zauberei von der zweiten Hälfte des 16. bis zur Zeit Friedrich Wilhelms I.94. Klöden in seinen umfangreichen Artikeln behandelt die slawische Götterwelt und die ostelbischen Orte ihrer Verehrung, beschreibt biographisch den Lebensweg des berühmten brandenburgischen Rechtsgelehrten Johann von Buch aus dem 14. Jahrhundert und schildert landeskundlich und historisch die Werbelliner Heide im Barnim und die verschiedenartigen Nutzungen ihrer Forsten vom 13. bis zum 18. Jahrhundert95. Odebrecht referiert in kleinen Artikeln Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts zu rechtswidrigen Vereinigungen der Schäfer und Hirten bzw. landesherrliche Reskripte und Verordnungen aus der Zeit des Großen Kurfürsten und Friedrichs III. (I.) zur Sonntagsheiligung und schildert knapp die Entstehung der unterschiedlichen bäuerlichen Besitzverhältnisse in der Umgebung Berlins im 17. und 18. Jahrhunin: MF 3/1 (1845), 121–126; – Ueber die alchemistischen Bestrebungen des Markgrafen Johann von Brandenburg und anderer Fürsten seines Hauses, ebd., 153–164. 94 Die Unterordnung der Bischöfe von Brandenburg, Havelberg und Lebus unter die Landeshoheit der Churfürsten von Brandenburg, in: MF 1 (1841), 44–55; – Actenmäßige Nachrichten von Hexenprozessen und Zaubereien in der Mark Brandenburg vom sechszehnten bis ins achtzehnte Jahrhundert, ebd., 236–265; – Verhandlung Churfürst Albrecht Achill’s mit den märkischen Landständen, nach seinem Regierungsanritt; nebst einem eigenen Aufsatze des Churfürsten hierüber, ebd., 319–352; – Die Landeshoheit der Churfürsten von Brandenburg über die Grafen von Lindow-Ruppin und die Grafen von Hohenstein-Vierraden, in: MF 2 (1843), 210–218; – Die Steuerverfassung der Mark Brandenburg zur Zeit Kurfürst Joachims II., in: 4/2 (1850), 321–336; ebd., 321f. erwähnt Raumer seinen, wie er meint, schwerlich ausführbaren, „einst gehegten Vorsatz, die landständischen Verhandlungen, besonders von 1550 bis 1653 in Druck erscheinen zu lassen, wozu ich ausführliche Auszüge aus den Acten gemacht habe“, sowie eine druckfertige Geschichte des kurmärkischen Landtages von 1564, die er als „Vorläufer jenes größeren Beginnens“ verfaßt hatte und zu der der gedruckte Aufsatz über die Steuerverfassung als Einleitung hatte dienen sollen. 95 Ueber den Verfasser der niedersächsischen (Buchschen) Glosse zum Sachsenspiegel und des Richtsteiges, in: MF 2 (1843), 242–295; – Die ehemalige große Heide Werbellin, in: MF 3/1 (1845), 152–186; – Die Götter des Wendenlandes, und die Orte ihrer Verehrung. Versuch einer Nachweisung derselben, in: MF 3/2 (1847), 193–291. – Vgl. Gebhard Falk, Klöden, Karl Friedrich, in: BBL, 226; – ders., Karl Friedrich (von) Klöden (1786–1856), in: Lebensbilder (Anm. 3), 569–573.



Die Märkischen Forschungen 

 43

dert96. Alle anderen Verfasser haben nur mit einer oder zwei Untersuchungen an der Zeitschrift mitgewirkt, u.a. Gustav Adolf von Tzschoppe97, Ernst Fidicin98, Ernst Friedländer, der Kustos der Königlichen Bibliothek99, der Architekt und Kunsthistoriker Ferdinand von Quast100, F. A. Voßberg101 und der Professor an der Berliner Universität Friedrich Heinrich von der Hagen, altdeutscher Philologe102, Adalbert Kuhn (mit sagen- und volkskundlichen Untersuchungen)103. Sie ergänzen das für die angeführten Autoren entworfene Bild der Forschungsinteressen um kunsthistorische, bildungs- und bibliotheksgeschichtliche, hilfswissenschaftliche, sagen- und volkskundliche Züge.

96 Ueber die Entstehung der jetzigen Besitz-Verhältnisse der bäuerlichen Einsassen in den Umgebungen von Berlin, in: MF 1 (1841), 227–235; – Die Brandenburgische Gesetzgebung über die Sonntagsfeier, in: MF 2 (1843), 177–185; – Die missbräuchlichen Gilden der märkischen Schäfer und Hirten im 16. bis 18. Jahrhundert, in: MF 3/2 (1847), 292–303. 97 Ueber die Hülfe brandenburgischer Ritter zur Beseitigung eines im J. 1354 entstandenen Aufruhrs zu Verona, in: MF 1 (1841), 17–43. – Vgl. Hermann von Petersdorff, (v.) Tzschoppe, Gustav Adolf, in: Allgemeine Deutsche Biographie 39, Leipzig 1895, 66–68. 98 Ueber die Autonomie der märkischen Städte, besonders in Bezug auf die Raths- und Schöffenwahlen, in: MF 1 (1841), 355–364. – Vgl. Regina Rousavy / Gebhard Falk, Fidicin, Johann Carl Ernst, in: BBL, 109f.; – Regina Rousavy, Ernst Fidicin (1802–1883), in: Lebensbilder (Anm. 3), 231–237. 99 Johann Agricola Eisleben in Berlin, in: MF 2 (1843), 219–227; – Das erste Decennium der Typo­ graphie in Frankfurt an der Oder, ebd., 228–241. 100 Beschreibung des Domes zu Stendal und Bestimmung der Erbauungs-Zeit des gegenwärtigen Gebäudes, in: MF 3/1 (1845), 132–151. – Vgl. Detlef Karg, Quast, Alexander Ferdinand Wilhelm Robert v., in: BBL, 320f.; – Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Zum 200. Geburtstag von Ferdinand von Quast 1807–1877. Erster preußischer Konservator der Kunstdenkmäler (Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums, 18), Berlin 2007. 101 Banderia Prutenorum. Die Beschreibung und Abbildung der Fahnen, welche dem deutschen Orden und seinen Bundesgenossen in der Schlacht bei Tannenberg etc. von den Polen abgenommen wurden, in: MF 4/2 (1850), 193–257. – Zur wissenschaftlichen Bedeutung dieses Aufsatzes vgl. Sven Ekdahl, Die „Banderia Prutenorum“ des Jan Długosz – eine Quelle zur Schlacht bei Tannenberg 1410. Untersuchungen zu Aufbau, Entstehung und Quellenwert der Handschrift (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philol.-hist. Klasse, Dritte Folge, 104), Göttingen 1976, 50. 102 Die Brandenburger Markgrafen des Askanischen Stammes als Dichter und von gleichzeitigen Dichtern besungen, in: MF 1 (1841), 95–114; – Züge aus dem Leben des Großen Kurfürsten, nach den Denkwürdigkeiten des Polen Passek, in: MF 2 (1843), 102–105. – Zum Verfasser vgl. Al[exander] Reifferscheid: Hagen, Friedrich Heinrich v.d., in: Allgemeine deutsche Biographie 10, Leipzig 1879, 332–337. 103 Ueber das Verhältniß Märkischer Sagen und Gebräuche zur Altdeutschen Mythologie, in: MF 1 (1841), 115–146; – Ueber einen Fastnachtsgebrauch im Dorfe Stralow bei Berlin, ebd., 294– 318.

44 

 Adolph Friedrich Riedel

Betrachtet man den Inhalt der ersten vier Bände der Märkischen Forschungen in seiner Gesamtheit, zeichnen sich nicht überragende Schwerpunkte ab. Im Gegenteil: Die Zeitschrift zeigt dem Leser die märkische Geschichte in einer ausgesprochenen Vielfalt in zeitlicher wie in sachlicher Hinsicht. Der Bogen wird von der slawischen Ur- und Frühgeschichte bis an die Wende vom 18. und 19. Jahrhundert, also bis an die Schranken der damaligen „Zeitgeschichte“, geschlagen, und keinesfalls überwiegen die mediävistischen Themen, die frühe Neuzeit steht trotz der Unzugänglichkeit der Staatsarchive gleichgewichtig neben dem Mittelalter. Die verschiedenen Spezialdisziplinen, in die sich die Geschichtswissenschaft im weiteren Verlauf des 19. und im 20. Jahrhundert aufspalten sollte, erscheinen ebenfalls schon mit ihren Gegenständen, so die Sozial-, Wirtschafts-, Kunst- und Kulturgeschichte. Es fällt auf, daß die politische Geschichte und die Kirchengeschichte stark zurücktreten. Die außenpolitischen Beziehungen und Verhältnisse der Mark Brandenburg und ihrer Kurfürsten, ihre Beziehungen zu Kaiser und Reich, zu den anderen deutschen Territorien und zu den benachbarten europäischen Mächten werden allenfalls beiläufig berührt, aber nicht eingehender thematisiert, obwohl man durchaus auch vor der brandenburg-preußischen Staatsbildung des 17./18. Jahrhunderts die politische Bildung und Entwicklung der mittelalterlichen und reformatorischen Markgrafschaft nachdrücklicher in die Betrachtung hätte einbeziehen können. Auch die Landesherren und ihre Dynastien werden nicht übermäßig nach vorne gedrängt104. Das Augenmerk ist deutlich spürbar auf die inneren Zustände der Mark Brandenburg und deren Wandel, auf die Lebensverhältnisse ihrer Bewohner gerichtet, entsprechend der von Raumer und Riedel so nachdrücklich geforderten Beschäftigung mit der inneren Verfassung des Landes.

104 Nach Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 57), 207, „dominierte … in den Publikationen des Märkischen Geschichtsvereins zunächst die territorialhistorisch und dynastisch orientierte Geschichtsforschung“. Ein solches Urteil wird durch die Breite und Vielfalt der in den Märkischen Forschungen dokumentierten Forschungen nicht gerechtfertigt, wie Kunz überhaupt in der Skizzierung der Veröffentlichungen (207–212) allzu willkürlich einzelne Arbeiten herausgreift, die er leicht seinen kritischen Maßstäben unterwerfen kann; die zahlreichen Forschungsfelder in ihrer Gänze werden von ihm gar nicht bewußt gemacht.



Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung 

 45

VII. Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung VII. der vormärzlichen brandenburgischen VII. Landesgeschichtsforschung In welchem Geiste betrieben der Verein und seine führenden Köpfe in unserem Untersuchungszeitraum brandenburgische Landesgeschichte? Auch wenn die Quellenarbeit, die Ermittlung und Herausgabe von Quellenbeständen, im Vordergrund stand und die Kräfte am stärksten band, war der Antrieb der Wissenschaftler nicht bloß antiquarischer Natur, erschöpfte er sich nicht darin, unbekannte Zeugnisse der Vergangenheit zu entdecken und vorzustellen und allein darin seine Zufriedenheit zu finden. Riedel und seine Gefährten waren durchaus davon bestimmt, die von ihnen erforschte Vergangenheit in ein spezifisches Verhältnis zu ihrer eigenen Gegenwart zu setzen. Raumers und Riedels grundsätzliche Bemerkungen zu den Aufgaben der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung waren geprägt von dem geradezu überwältigenden Eindruck, den die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen der vorangegangenen Jahrzehnte, der Französischen Revolution von außen, der preußischen Reformen von innen, mit sich gebracht hatten. Die tiefgreifende Umgestaltung der eigentümlich brandenburgischen Verhältnisse, der Untergang jahrhundertelang bestehender Institutionen und Gewohnheiten, die sie erlebten, trieb sie dazu, sich der Vergangenheit des Landes zuzuwenden und ihre Ereignisse und Zustände durch ihre Forschungen wieder ins helle Bewußtsein zu heben105 – in der Hoffnung und Erwartung, daß die generalisierenden, zentralisierenden Tendenzen der eigenen Zeit mit der historisch gewachsenen landschaftlichen Individualität versöhnt werden würden. Ihr landeshistorisches Werk durchzieht eine ausgesprochen konservative Grundstimmung, sie widerstrebten der Neuerungssucht der vormärzlichen Bewegungsparteien, wie sie deren politische Forderungen empfanden, sie verwarfen deren Bestrebungen zur Umgestaltung der bestehenden lokalen Eigenarten nach allgemein gültigen Theorien wie dem Napoleonischen Gesetzbuch, der französischen Charte von 1814 oder der Volkssouveränität, und beharrten auf der Anknüpfung an die historische Gegebenheiten und deren evolutionäre Weiter-

105 Vgl. Raumer, Vorschlag (Anm. 12), 8: „Der Strom der französischen Revolution und die ganze Richtung der Zeit, aus der sie hervorgegangen ist, trieb gewaltsam von der Liebe zum Nationalen hinweg, die alten Einrichtungen verloren ihr Bewußtsein, … die ungeheueren Drangsale der Gegenwart … und die daraus hervorgehende Opposition gegen Grundsätze, welche die Nationalität und Selbstständigkeit von ganz Deutschland zu vernichten drohten, riefen den Befreiungskrieg von 1815 hervor und weckten zugleich den Sinn für das Vaterländische und die damit innig zusammenhängende Vorliebe für die vaterländische Geschichte“.

46 

 Adolph Friedrich Riedel

führung, befürworteten für Preußen die Bewahrung der historisch gewachsenen Eigenständigkeit der Länder bzw. Provinzen gegen übermäßige Uniformierung und Zentralisierung, ohne in der Summe hinter Revolution und Reform zurückfallen zu wollen106. Es ist nicht reiner Zufall oder bloßer Pragmatismus, daß der Verein und seine Vorreiter im Umfeld von Kamptz, Alvensleben, Rochow, Tzschoppe und Gerlach, bekannten und bekennenden Vertretern der Reaktion und des Hochkonservativismus, agierten. Riedel, Raumer und andere standen ihnen nahe, weil sie dem liberalen und demokratischen Fortschritt die Kraft der historischen Überlieferung, die althergebrachten eigentümlichen brandenburgisch-preußischen Traditionen entgegenstellten. Drei längere Zitate mögen ihren Standpunkt verdeutlichen. Raumer schreibt 1832 in seinem programmatischen Aufsatz zum brandenburgischen Geschichtsstudium: Wenn ... das Interesse an der vaterländischen Geschichte wahres Leben gewinnen soll, so ist ... dringend nothwendig, daß die aus der Entwickelung der Geschichte hervorgegangenen, noch bestehenden, dem Vaterland und jeder Provinz desselben eigenthümlichen Einrichtungen mit Liebe umfaßt, ... möglichst erhalten, fortgebildet und vervollkommnet werden. ... [Zu] unsere[n] Aufgaben, die Gegenwart aus der Geschichte zu erkennen und die Geschichte für die Gegenwart zu benutzen, ... gehört ... zunächst eine gründliche Kenntniß des wirklich Bestehenden, und diese und die Bedeutung, welche jede Institution im Laufe der Zeit erlangt hat, wird nur erfaßt, wenn man auf die Geschichte der Entstehung und Ausbildung derselben zurückgeht107.

Ein Jahr später äußert Riedel im Vorwort zu seiner ersten größeren Quellenedition, daß in den voraufgegangenen Jahrzehnten ein von den äussern politischen Verhältnissen angeregter und begünstigter Geist der Neuerungssucht herrschend wurde, der allen Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit lösen zu wollen schien, und das Alte, wo er es erreichen konnte, zerstörte. Was sich 106 Ebd., 10, 13, 15, 27. – Seine Ablehnung der modernen Repräsentativverfassung deutet Raumer auch in beiläufigen Bemerkungen zur älteren landständischen Verfassung der Mark an: Durch „die glückliche Verbindung des der Mark eigenthümlichen, durch stete Kämpfe erhaltenen kriegerischen und thätigen Geistes mit dem angeerbten Character des Hohenzollerischen Regentenhauses … ist … im Lauf von drei Jahrhunderten zwischen Fürst und Unterthanen ein stärkeres, lebendigeres und dauerhafteres Band geknüpft worden, als je todte Buchstaben oder willkührlich ersonnene Formen [Sogenannte Garantieen, welche unsere Vorfahren besser in einem lebendigen Rechtssinn besaßen] zu knüpfen vermögen“. Codex … continuatus (Anm. 11), Bd. 1, 150. – Für die Landtagsschlüsse des 16. Jahrhunderts sei „sehr zu beachten, daß man auch der Majorität der älteren Landstände nicht, wie den heutigen s.g. Volksrepräsentanten, ein unbedingtes Gesetzgebungs- und Bewilligungsrecht zusprach, wodurch das Recht der Majorität freilich in einen unerträglichen Despotismus ausgeartet wäre“. Ebd., Bd. 2, 201. 107 Raumer, Vorschlag (Anm. 12), 14, 16.



Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung 

 47

von dem Alterthümlichen dessenungeachtet erhielt, gerieth dadurch doch in so vielfachen Conflict mit den unvorbereitet ins Leben getretenen neuen Einrichtungen,

daß als Folge davon „die Aufgabe für unsere Zeit“ entstand, Eintracht zwischen dem Alten und Neuen wiederherzustellen. Damit hat ... das Studium des vaterländischen Alterthums ... ein besonderes practisches Interesse erhalten ...: denn zur Lösung der Aufgabe, das Alterthümliche zum Neuen in das richtige Verhältniss zu setzten, und, nach bedachtsamer Würdigung beider, das eine gegen das andere aufzuheben oder einzuschränken, ist die genaueste Kenntniss des erstern und vertrauteste Bekanntschaft mit der Zeit und den Einrichtungen besonders nothwendig, in der und unter deren Einflusse unsere alterthümlichen Institute, Rechte und Gewohnheiten sich bildeten108.

In der Vorrede zum ersten Band seines Codex plädiert Riedel 1838 gegen die rücksichtslose, bestehende Einrichtungen bedenkenlos zerstörende Neuerungssucht für die auf der historischen Erfahrung gestützte allmähliche Umbildung der Verhältnisse und sieht den Zweck der Landesgeschichtsforschung darin, daß sie die notwendigen Kenntnisse über die historischen Gegebenheiten als Voraussetzung für deren überlegte Weiterentwicklung vermittelt. Nichts verknüpft wohl den Geist des Menschen so innig mit der Heimath, nährt so wohlthätig die Gefühle der Anhänglichkeit für die hergebrachte bestehende Ordnung der Dinge, gewährt so zuverlässigen Schutz gegen übereilte Neuerungen, ermahnt so eindringlich zur Anwendung der größten Vorsicht und Behutsamkeit bei Veränderungen historisch begründeter Verhältnisse und giebt eine so allgemeine sichere Bürgschaft für die Angemessenheit der Einrichtungen und Maaßregeln, welche neu ins Daseyn treten, als der innere feste Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit, welchen das Studium der eignen Landes- und Ortsgeschichte begründet109.

Deutlich spricht aus Raumers und Riedels Worten die Sorge um den Fortbestand und die Weiterentwicklung der aus dem „Ancien Régime“, aus den zurückliegenden Jahrhunderten stammenden Institutionen, Rechten und Gewohnheiten der trotz landesfürstlichem Absolutismus immer noch ständisch geprägten regionalen und lokalen politischen Einheiten, spricht aus ihren Darlegungen die Furcht 108 Riedel, Diplomatische Beiträge (Anm. 39), VI–VII. 109 CDB I 1, VII. – Odebrecht wendet gewissermaßen Riedels allgemeine Grundsätze auf den konkreten Einzelfall an, wenn er seine Untersuchung über die große Verschiedenheit der bäuer­ lichen Besitzverhältnisse in denselben Orten in der Berliner Umgebung einleitet mit der Bemerkung: „Nur auf historischem Wege läßt sich diese Mannigfaltigkeit der jetzt bestehenden Besitzverhältnisse erklären; vieles, was sonst als ein Product der Willkühr, ohne Zusammenhang und ohne hinreichende Begründung, erscheinen mögte, wird dadurch als ein Nothwendiges sich darstellen“. Odebrecht, Über die Entstehung (Anm. 95), 227.

48 

 Adolph Friedrich Riedel

vor der Einebnung der bestehenden politischen und sozialen Traditionen durch bürgerliche Revolution, bürokratischen Zentralismus und liberalen Verfassungsstaat. Mit dieser Einstellung zu ihrer eigenen Gegenwart wandten sie sich der Erforschung der märkischen Landesgeschichte zu, denn sie erhofften sich, daß die Erkenntnis der überkommenen historischen Traditionen, ihrer Ursprünge und Zwecke willkürliche Vernunftkonstruktionen verhindern und einen Ausgleich von Alt und Neu ohne revolutionären und reformerischen Bruch ermöglichen werde. Aber welche konkreten Schlußfolgerungen aus solchen allgemeinen Grundsätzen zu ziehen seien, in welcher Weise die aus der Vergangenheit herrührenden Verhältnisse bestimmt fortentwickelt werden sollten, wurde von Raumer und von Riedel nicht näher ausgeführt, denn dann hätten sie aus ihren historischen Prinzipien ein politisches Programm geformt. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß sie sich über die Verfolgung ihrer wissenschaftlichen Ziele hinaus zur Annahme einer derartigen Herausforderung veranlaßt gesehen hätten. Ihre landesgeschichtlichen Forschungsergebnisse wurden nicht zur Legitimation politischer Ziele herangezogen, weder von ihnen selbst noch von ministerieller Seite. Der aus dem bewußten Erleben der eigenen Gegenwart herrührende Anstoß zur intensiven Beschäftigung mit der brandenburgischen Landesgeschichte führte zur Einsicht in deren Forschungslage und Forschungsaufgaben, die sich allein wegen ihrer sachlichen Komplexität einer politischen Instrumentalisierung entzogen und ihr wissenschaftlichen Eigengewicht besaßen, wie insbesondere die größte von ihnen angenommene Herausforderung, die Quellenerschließung und Quellenedition, beweist110. 110 Engel, Riedel (Anm. 32), 81f., schlußfolgert: „Riedel war ein Historiker, der die Herrschaft der Hohenzollern – sicher auch mit einiger Überzeugung – mittels eines zielorientierten Fortschrittsgedankens, eines zeittypischen Objektivitätsanspruchs und der Nutzung der Geschichte als politisches Argument historisch zu legitimieren suchte“. Ein solches Ergebnis kann nur erreicht werden, wenn das Augenmerk ganz einseitig auf die historisch-politischen, vor allem in Vorworten artikulierten Aussagen Riedels gerichtet, er so eher als historisch-politischer Publizist interpretiert wird, während seine geschichtswissenschaftliche Forschungsarbeit in ihrer Praxis, in den Inhalten und Methoden seiner Untersuchungen fast vollständig ausgespart wird. Bezeichnenderweise werden weder der CDB noch ein anderes der angesprochenen Werke Riedels von Engel einer eingehenden Analyse ihrer Thesen und deren Grundlagen gewürdigt. Daß Riedel „die bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zu bewahren“ beabsichtigte und gedachte, „ein Volk von Untertanen in der einer Zeit der beginnenden Klassengegensätze zusammen[zu]schweißen unter Führung des etablierten Herrscherhauses“ (ebd., 72), verkennt seine konservativen Vorstellungen von der notwendigen Fortentwicklung Brandenburgs und Preußens über den status quo hinaus, die aber eben nicht mit den Zielen seiner Zeitgenossen im liberalen und demokratischen Lager identisch waren. Engels Aufsatz kann wie vielen gegenwärtigen historiographischen Studien mit ihrer geradezu starren Fixierung auf die (angebliche) politische Instrumentalisierung von Geschichtswissenschaft der Ansatz entgegengehalten wer-



Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung 

 49

Die Situation änderte sich für Riedel mit dem Ausbruch der Revolution von 1848, denn er sah jetzt für sich die Zeit zum Versuch der politischen Mitwirkung und Mitgestaltung gekommen. Auch wenn seine Stellungnahmen als Abgeordneter des Wahlbezirkes Niederbarnim in der verfassunggebenden preußischen Nationalversammlung von den neuen revolutionären Fragestellungen und Diskussionsgegenständen gespeist waren, fällt dadurch doch ein wenig Licht auf seine vormärzliche Haltung. Riedel, von konservativen Wählern in die Versammlung geschickt, zählte sich selbst zur Rechten, ohne dadurch seine politische Eigenständigkeit aufzugeben. Er vertrat eine starke monarchische Gewalt, zugleich aber auch als notwendiges Gegengewicht dazu eine aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung mit einem ausgedehnten Budgetrecht und der Befugnis, die Minister zur Verantwortung zu ziehen. Ich wünsche für Preußen den Aufbau einer konstitutionellen Monarchie in wahrhafter Volkstümlichkeit und Lebendigkeit … In dieser Verfassung wünsche ich vor allem dem Volke eine alle Lebenssphären desselben durchdringende, sein Wohl und seine geordnete, schnelle Entwicklung zuverlässig verbürgende, politische und Gemeindefreiheit gesichert. Ich wünsche aber auch darin neu begründet zu sehen das mächtige starke Königtum, unter welchem Preußen ungeachtet des Absolutismus groß und blühend geworden ist111.

Die konservative Haltung zu den politischen Gegenwartsfragen und die konservative Einstellung zu den in der historischen Forschungsarbeit erkannten Traditionen gehören zusammen, aber das eine ist nicht einfach aus dem anderen abzuleiten. Blicken wir zurück auf die skizzierten Anfänge der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung im frühen Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg und seinem Umfeld in den letzten beiden vormärzlichen Jahrzehnten, so erscheinen sie zunächst recht bescheiden und beschränkt. Mehrere Liebhaber der den, mit dem Alfred Heuß vor 60 Jahren Heinrich Ritter von Srbiks Geschichte der neuzeitlichen deutschen Geschichtsschreibung kritisiert hat: „Wenn also schon Geschichte der ‚deutschen‘ Geschichtswissenschaft, warum dann nicht auch eine stärkere Orientierung an der Leistungshöhe des geschichtswissenschaftlichen Bemühens? Man käme dann aber wohl auch zu Überlegungen über die zugrundeliegenden Maßstäbe und hätte eben so die innere Form der Forschung und ihr begriffliches Rüstzeug zu diskutieren. Mit dem allgemeinen politischen und geistesgeschichtlichen Aspekt, so unentbehrlich er ist, wäre es dann schwerlich getan“. Alfred Heuss, Gesammelte Schriften in 3 Bänden, III, Stuttgart 1995, 2617 (zuerst 1953). 111 Reinhold Müller, Adolf Friedrich Johann Riedel und die Reaktion in Preußen, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 42 (1929), 274–286, bes. 274–277; das Zitat aus Riedels Erklärung vom 4.1.1849, ebd., 282f. – Raumers Reaktion auf die Revolution unterschied sich diametral von der Riedels: Aus Enttäuschung über den Untergang „seiner“ Welt, das „Zerbrechen des alten Staates“, verfiel er in Resignation und zog sich gänzlich aus der Politik und Geschichtsforschung zurück, vgl. dazu im einzelnen Fischer, „Preußen …“ (Anm. 3), 213, 220–223, 235f.

50 

 Adolph Friedrich Riedel

vaterländischen Geschichte traten seit 1830 mit Zeitschriftenaufsätzen und Monographien, mit Quelleneditionen und Darstellungen zur Erforschung der brandenburgischen Historie hervor, zunächst einzeln und in individueller Behandlung ausgewählter landeshistorischer Anliegen. Der entschlossenen Initiative eines tatkräftigen Organisators gelang es, die Interessenten, sowohl die Wissenschaftler als auch an deren Arbeit teilnehmende weitere Kreise, in einem Verein zusammenzuführen. Das Hauptproblem sahen die Gründerkreise in dem mangelnden Interesse der Berliner und der übrigen Märker an der heimischen Geschichte: Die zahlreichen Zuwanderer nach Berlin seien nicht auf Grund ihrer Herkunft fest in der Mark verwurzelt, und sie identifizierten sich mit Preußen, dem Gesamtstaat Friedrichs des Großen, aber nicht mit der Mark Brandenburg. Bei diesen Umständen sucht man in der Mark Brandenburg vergebens nach dem über alle Theile des Landes und über alle Klassen der Bevölkerung verbreiteten, auf patriotischem Heimathssinne beruhendem Interesse für die eigene Geschichte, dessen manche andere Länder sich rühmen können. … Der Bildungsgeschichte der Preußischen Monarchie aber liegen die ersten Perioden der Brandenburgischen Geschichte viel zu fern, als daß das Nationalgefühl des Preußischen Staatsbürgers des Interesse für Brandenburgische Geschichte beleben könnte112.

Die Gründung des Vereins ging von wenigen Historikern aus, die die märkische Geschichte als ihre besondere Aufgabe und als ihr eigenständiges Thema „entdeckt“ hatten, sie entsprang keineswegs wissenschaftspolitischen Absichten der Staatsverwaltung bzw. des Kultusministeriums, die sich etwa – wie in Bayern113 – in dem Verein ein Instrument für ihre geschichtspolitischen Absichten geschaffen hätten. Das Umgekehrte gilt: Die Zulassung eines brandenburgischen Geschichtsvereins und damit die künftige Förderung der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung als eines neuen historischen Forschungszweiges mit einem eigenständigen Themenbereich wurden aus dem Kreise der beteiligten Wissenschaftler der Staatsverwaltung nahegelegt, und es wurde um deren Unterstützung geworben, weil offensichtlich war, daß größere Vorhaben ohne finanzielle Zuschüsse des Staates nicht verfolgt werden konnten. Verständlicherund bezeichnenderweise suchte der eigentliche Initiator Riedel durch die perso-

112 [Adolph Friedrich] Riedel, XVI. Jahresbericht für 1843, der Generalversammlung vom 1. Dezember 1843 vorgetragen, in: MF 2 (1843), 203–209, hier 206f. – Vgl. die gleichlautenden Äußerungen Raumers von 1832, oben S. 15 bei Anm. 25, und Odebrechts von 1836, in der Gründungsphase des Vereins, Odebrecht, Fünfundzwanzig Jahre (wie Anm. 38), S. 16. 113 Vgl. dazu immer noch die eindringlichen grundsätzlichen Darlegungen von Heimpel, Organisationsformen (wie Anm. 73), S. 201–212. Detailliert für die Bayreuther und Bamberger Geschichtsvereine: Kunz, Verortete Geschichte (wie Anm. 57), S. 78–158.



Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung 

 51

nelle Besetzung des Vereinskuratoriums diejenigen Minister bzw. Amtsträger auf seine Seite zu ziehen, mit denen er schon längere Zeit zuvor durch verschiedene Arbeiten persönlich zusammengewirkt hatte und denen er dadurch vertraut war. Besondere Begünstigung erfuhren die Landeshistoriker durch den Justizminister Kamptz, wohl wegen der beiderseitigen Interessen an den historischen Rechtsund Verfassungsverhältnissen der Mark Brandenburg – ohne Kamptz’ Begünstigung wäre die Bestrebungen schwerlich so nachhaltig vorangekommen. Aber die staatliche Unterstützung war nicht dauerhaft zugesichert, sie wurde allenfalls für einzelne Maßnahmen gewährt und mußte immer wieder dafür ersucht und erkämpft werden, sie war also, im heutigen Jargon gesprochen, Projekt- und nicht institutionelle Förderung. Und die an sich überzeugende Konstruktion des Vereinskuratoriums erwies sich nach geraumer Zeit als brüchig, als ein Mitglied nach dem anderen starb und keinen Nachfolger erhielt – was belegt, daß das Kuratorium auf persönlicher Nähe seiner Mitglieder zu Führungspersönlichkeiten des Vereins beruhte, nicht aber institutionell in die Staatsverwaltung eingebunden war – und was auch einiges über den Rang aussagt, den die Staatsverwaltung den brandenburgischen Forscherkreisen entgegenbrachte. Überhaupt erhellen die Beziehungen Riedels und des Vereins zu den politischen Führungskreisen in Zentralbehörden Preußens die besonderen Berliner Schwierigkeiten einer brandenburgischen Landesgeschichtsforschung. Es fällt nämlich im Vergleich mit vergleichbaren wissenschaftlichen Bestrebungen in anderen preußischen Provinzen auf, daß in der Mark die Instanzen, die sich andernorts um die jeweilige „Provinzialgeschichte“ kümmerten, gar nicht in Erscheinung traten, nämlich der Oberpräsident der Provinz Brandenburg und die brandenburgischen Provinzialstände. Während in der Provinz Preußen die Bemühungen Johannes Voigts um die Deutschordensgeschichte vom Oberpräsidenten Theodor von Schön engagiert begleitet und in der Provinz Pommern die Gründung des Geschichtsvereins und seiner Vereinszeitschrift vom Oberpräsidenten Johann August Sack vorangetrieben wurden114, tauchten der brandenburgische Oberpräsident im Umfeld des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg gar nicht auf. Als Hoefer, Odebrecht und Riedel ihr Gesuch um Vereinsgenehmigung im Oktober 1836 zunächst an den Oberpräsidenten v. Bassewitz richteten, erklärte er sich für unzuständig und verwies sie mit ihrem Anliegen an das Berliner Polizeipräsidium. Die drei hielten diese Reaktion gegenüber Innenminister v. Rochow für 114 Erich Maschke, Johannes Voigt als Geschichtsschreiber Altpreußens, in: Altpreußische Forschungen 5 (1928), 93–135, hier 102–104, 110, 126–128, 131. – Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum, in: Baltische Studien N.F. 86 (2000), 7–24, hier 7–14.

52 

 Adolph Friedrich Riedel

unangemessen, weil die Genehmigung des Statutes zur Stiftung gelehrter Gesellschaften und Vereine überhaupt herkömmlich nicht bei der Orts-Polizei-Behörde, sondern immer an höherer Stelle, gewöhnlich bei den hohen Ministerien oder Oberpräsidien, nachgesucht und ertheilt worden ist115.

Die damalige Abwehr des Oberpräsidiums und das daraus ersichtliche Desinteresse kennzeichnet überhaupt sein Verhältnis zur entstehenden brandenburgischen Landesgeschichtsforschung: Weder machte es die Unterstützung der Provinzialgeschichtsschreibung zu seinem Anliegen, noch wurde es – verständlicherweise nach dieser Erfahrung – vom märkischen Geschichtsverein um Beihilfe ersucht. Die Ursache lag offensichtlich darin, daß Riedel und seine Gefährten hauptamtlich in preußischen Zentralbehörden wirkten und sie von dort aus auf Grund der bestehenden Kontakte ihre Vorgesetzten in den Ministerien – und über diese den König – für ihr Vorhaben zu gewinnen trachteten. Diesen Weg zu beschreiten, lag sicherlich nahe, hatte freilich den Nachteil, daß die politischen Vertrauenspersonen nicht von Amts wegen mit der Pflege der Wissenschaften befaßt waren. Denn trotz oder gerade wegen des geschichtswissenschaftlichen, landeshistorischen Themenfeldes blieb das eigentlich zuständige Ressort, das Kultusministerium, am Rande. Seine Mitwirkung beschränkte sich in der Gründungsund Anfangsphase der Landesgeschichtsforschung darauf, so könnte man nur mit geringer Übertreibung behaupten, den Antrag auf Vereinsgründung befürwortend an den König weitergeleitet und Universitätsprofessor Riedel für Archivreisen beurlaubt zu haben; später befürwortete es die Subventionierung der landesgeschichtlichen Zeitschrift – aus dem königlichen Dispositionsfonds (!). Bezeichnenderweise taucht wie schon erwähnt keiner seiner Beamten unter der Mitgliederliste des Vereins von 1840 auf, im Gegensatz zum Innen- und Finanzministerium und dem Ministerium des Königlichen Hauses. Wie das Kultusministerium damals den Stellenwert der märkischen Geschichte einschätzte, ergibt sich aus der 1841 anstehenden Besetzung zweier Historiographenpositionen: des Historiographen für die brandenburgische Geschichte und desjenigen für die Geschichte des Preußischen Staates im Allgemeinen. Auf Vorschlag von Johannes Schultze wurde die erste Stelle damals mit Johann David Erdmann Preuß wegen seiner Werke zu Friedrich dem Großen besetzt, war sie doch nach Schultzes Worten dazu bestimmt, „die brandenburgische Geschichte und namentlich die des Königlichen Hauses gründlich zu erforschen und in gediegenen Werken darzustellen“116. Brandenburgische Geschichte wurde hier im Sinne der Geschichte des Hauses Brandenburg, der herrschenden Dynastie verstanden, 115 GStA, I. HA, Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A Nr. 28, Bl. 1–3. 116 Neugebauer, Staatshistoriographien (Anm. 33), 39–42, Zitat 41.



Ergebnisse: Antriebskräfte und Bedeutung 

 53

nicht aber im Sinne Riedels als Geschichte der inneren märkischen Verhältnisse. Als er selbst sich zuvor um die Historiographienstelle beworben hatte, war er von der Annahme ausgegangen: Das Amt eines königlichen Historiographen des Preußischen Staates, welche früher ausschließend auf die Mark Brandenburg Bezug hatte, scheint von den alten Churfürsten zu besonderer Förderung der vaterländischen Geschichtsforschung errichtet und mit einem kleinen Gehalte dotiert worden zu seyn117.

Johannes Schulze bzw. sein Kultusminister Eichhorn anerkannten zwar in ihrem Immediatbericht an Friedrich Wilhelm IV. Riedels „nicht unverdienstliche Bemühungen um die vaterländische Geschichtsforschung, hauptsächlich der Provinz Brandenburg“, aber nach ihrer Einschätzung hatte eben Preuß mit seinen Arbeiten „eine unzweideutigere Anerkennung von Seiten der Sachverständigen und aller Freunde der vaterländischen Geschichte“ als Riedel und andere Kandidaten gewonnen118. Gegen den Geschichtsschreiber Friedrichs des Großen kam der märkische Landeshistoriker nicht an. Der Kulturstaat Preußen fing zwar damals, wie die Vorgänge um die Besetzung der Historiographenstelle 1841 zeigten, an, im Rahmen seiner Sorge um die Wissenschaften die Förderung der preußischen Geschichtsschreibung als seine besondere Aufgabe zu empfinden119. Aber die Geschichtsforschung einer preußischen Provinz, und sei es die der preußischen 117 Riedel an Kultusminister Eichhorn, 26.12.1840, in: GStAPK, I. HA Rep 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23, Litt. A 16 Bd. 1, Bl. 53–55. 118 Kultusminister Eichhorn an König Friedrich Wilhelm IV., 3.8.1841, in: GStAPK, I. HA Rep. 89, Nr. 21379, Bl. 5–9. – Aufschlußreich ist der Vergleich mit dem Archäologischen Institut in Rom und dessen Entwicklung von seiner privaten Gründung 1829 hin zu einem Institut des Deutschen Reiches 1874, die Paul Marcus in den Sätzen zusammenfaßt: „Das Institut ist ein Beispiel dafür, wie einerseits private Initiative, persönliche Tätigkeit und eigenständige Finanzierung, andererseits kronprinzliches und anschließend königliches Engagement sowie staatliches Verwaltungshandeln mit finanzieller Bezuschussung ineinander griffen. Diese beiden Formen eines kulturellen Mäzenatentums wandelten sich geradezu zwangsläufig in eine kulturpolitische Aufgabe des Staates“. Paul Marcus, Preußische Kulturarbeit im Ausland. Wissenschaftliche Chancen und finanzielle Grenzen des Archäologischen Instituts in Rom, 1829–1874, in: Streifzug durch BrandenburgPreußen. Archivarische Beiträge zur kulturellen Bildungsarbeit im Wissenschaftsjahr 2010, hrsg. v. Jürgen Kloosterhuis (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 14), Berlin 2011, 231–340, hier 339. Die Bestrebungen Riedels und des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg kamen mit gelegentlicher, punktueller Förderung in den Genuß königlichen und ministeriellen Mäzenatentums, aber ihre geschichtswissenschaftliche Fachaufgabe war weit davon entfernt, als kulturpolitische Aufgabe des Staates mit dessen Pflicht zur dauerhaften Gewährleistung der einschlägigen Tätigkeit empfunden zu werden. Davon könnte man erst seit den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts auf sehr niedrigem Niveau sprechen. 119 Neugebauer, Staatshistoriographen (Anm. 33), 39–47, bes. 39, 42f., 45.

54 

 Adolph Friedrich Riedel

Keimzelle Brandenburg, blieb weitgehend außerhalb des Interessenfeldes der kulturstaatlichen Zentralinstanz und tauchte darin nur gelegentlich und beiläufig auf. Erst fast ein halbes Jahrhundert später rückte unter ganz anderen Voraussetzungen die brandenburgische Geschichte stärker in das Blickfeld des Kultusministeriums. Aber auch wenn die staatliche Förderung der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung vor 1848 bescheiden ausfiel, bleibt dennoch abschließend festzuhalten, daß damals ihre Grundlagen gelegt wurden. Ein landesgeschichtliches Arbeitsprogramm mit einem breiten Aufgabengebiet wurde aufgestellt, einzelne Arbeitsschwerpunkte wurde tatsächlich nachdrücklich und dauerhaft verfolgt, der Verein als organisatorischer Mittelpunkt und Diskussionsforum der Landeshistoriker wurde geschaffen, eine Zeitschrift zur Veröffentlichung der wissenschaftlichen Arbeitsergebnisse wurde herausgegeben, die maßgebliche, geradezu monumentale Quellenedition zur mittelalterlichen Geschichte wurde begonnen und in jahrzehntelangen Anstrengungen vollendet. Spätere Zeiten investierten mehr Mittel und mehr Personal in die Landesgeschichtsforschung, sie verbreiterten mit unterschiedlichen Ansätzen die Forschungsarbeit und das von ihnen erreichte Publikum120, aber sie verblieben vielfach auf den Bahnen, die der Vormärz dank der tatkräftigen Initiative einzelner und ihres nachhaltigen Einsatz gelegt hatte.

Quellenanhang

: Statuten

Statuten des Vereines für Geschichte der Mark Brandenburg121 Berlin 1838 Ich ermächtige Sie auf Ihren Bericht vom 13ten v. M. dem Berliner Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg, dessen Statuten sie beigehend zurück erhalten, die Genehmigung zu seiner Errichtung zu erteilen und will ihm die Rechte einer moralischen Person beilegen. Berlin, den 7. März 1837. gez. Friedrich Wilhelm. An den Staatsminister Freiherrn von Altenstein. 120 Vgl. etwa für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die knappen, aber eindringlichen Bemerkungen von Friedrich Holtze jun., Die märkische Lokalgeschichte, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 5 (1892), 205–208. 121 Wiedergabe nach dem Druckexemplar in der Akte GStAPK, I. HA Rep. 76 Vc, Sekt. 2 Tit. 23 Litt. A Nr. 28, Bl. 27–30.



Quellenanhang: Statuten 

 55

Die Genehmigung zur Errichtung des Vereines seitens Sr. Excellenz des Herrn Geheimen Staats-Ministers, Freiherrn von Altenstein, ist auf Grund vorstehender Allerhöchster Kabinets-Ordre, mittelst Rescriptes vom 24. März 1837, ertheilt worden.

Statuten des Vereines für Geschichte der Mark Brandenburg I. Wesen, Zweck und Eintheilung §. 1. Der in Berlin zusammen getretene Verein für Geschichte der Mark Brandenburg ist eine wissenschaftliche Gesellschaft zu dauernden Zwecken, welche für sich, nicht aber für ihre einzelnen Sectionen, die Rechte einer Corporation besitzt. §. 2. Die Zwecke des Vereines sind die Erforschung und Bearbeitung der frühern Verhältnisse der Mark Brandenburg und die Sammlung, Aufbewahrung und Würdigung der in ihr zerstreut sich findenden Denkmale der Vorzeit. §. 3. Zur Erreichung der im §. 2. angegebenen Zwecke wirkt der Verein zwar im Allgemeinen als Einheit, doch wird er sich darneben, zu mehrerer Ordnung seiner Geschäfte und zu einer sicherern Verfolgung spezieller Richtungen, in besondere dauernde Sectionen theilen. §. 4. Solche Sectionen sind: eine Section für Sammlung und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen; eine zweite Section für Bearbeitung der äußern und innern Landesgeschichte und eine dritte Section für Sprache, Kunst und Alterthümer. §. 5. Es können jedoch, sobald zwölf arbeitende Mitglieder sich zur Verfolgung einer speziellern Richtung abzusondern wünschen, dieselben, nach Genehmigung des Vereinsvorstandes, als eine neue Section hinzutreten. §. 6. Jede Section erhält von dem Vereinsvorstande eine Geschäfts-Ordnung auf Grund von ihr einzureichender Vorschläge.

II. Mitglieder §. 7. Die Mitglieder des Vereines, welche vom Vereinsvorstande erwählt und vom Curatorio berufen werden, teilen sich in correspondirende und ordentliche Mitglieder, und die letztern wieder, nach der Art ihre Wirksamkeit für den Verein, in arbeitende und beitragende Mitglieder. §. 8. Correspondirende Mitglieder, wozu nur solche berufen werfen sollen, welche außerhalb der Mark Brandenburg wohnen, haben weiter keine Verpflichtungen gegen den Verein, als die Interessen desselben überhaupt und namentlich durch unaufgeforderte Berichterstattung, durch Beantwortung der an sie

56 

 Adolph Friedrich Riedel

ergehenden Anfragen und durch Ausrichtung sonstiger kleiner Aufträge, zu befördern. §. 9. Alle innerhalb der Mark Brandenburg wohnhafte Mitglieder können nur ordentliche Mitglieder sein. §. 10. Als arbeitende Mitglieder gelten die Beamten des Vereines und diejenigen Mitglieder, welche wenigstens einmal des Jahres ihrer Section eine Abhandlung oder sonst einen wissenschaftlichen Beitrag liefern, und außerdem, sofern sie in Berlin wohnhaft sind, wenigstens sechs Sectionssitzungen des Jahres beigewohnt haben. §. 11. Alle andere ordentlichen Mitglieder sind verpflichtet für jedes Jahr, in welchem sie sich nicht nach Anleitung des §. 10. den arbeitenden Mitgliedern angereiht haben, um Johannis einen Geld-Beitrag von 2 Thalern an den Rentmeister des Vereines unaufgefordert und portofrei einzusenden. Jeder, welcher dem Vereine neu beitritt, hat diesen Beitrag für das laufende Kalenderjahr zu bezahlen, auch wenn der Zahlungs-Termin schon verstrichen wäre. §. 12. Alle Mitglieder sind zugleich verbunden, von ihren schriftstellerischen Leistungen, welche die Geschichte und Landeskunde des Preußischen Staates, seiner Provinzen und des benachbarten Auslandes betreffen, binnen 4 Wochen nach dem Erscheinen derselben im Buchhandel, ein Exemplar zur Vereinsbibliothek unentgeltlich abzuliefern. §. 13. Auch sind sämmtliche ordentliche Mitglieder gehalten, die ihnen von dem Vereinsvorstande oder dem Directorio ihrer Section gemachten, ohne große Beschwerlichkeit ausführbaren Aufträge, lediglich gegen Erstattung der baaren Auslagen, zu übernehmen und auszuführen. §. 14. Sofort bei seinem Eintritte in den Verein hat jedes Mitglied sich darüber zu erklären, welcher oder welchen der Sectionen er angehörig sein will. Unbeschadet dieser Wahl ist jedes Mitglied berechtigt, auch zu andern Sectionen Beiträge und Abhandlungen zu liefern und den Versammlungen anderer Sectionen beizuwohnen. §. 15. Die Verpflichtung zu der erwählten Section dauert, den Fall des gänzlichen Ausscheidens aus dem Verein ausgenommen, wenigstens ein Jahr. §. 16. Der Uebergang von der einen Section zur andern muß alsdann dem Vereinsvorstande angezeigt und von diesem angeordnet werden.

III. Verwaltung §. 17. An der Spitze der Verwaltung des Vereines steht ein Curatorium, dessen Mitglieder beständig sind. §. 18. Jede Section erwählt aus ihren Mitglieder einen Direktor und einen Secretair, welche das Sections-Direktorium bilden.



Quellenanhang: Statuten 

 57

§. 19. Die sämmtlichen Direktoren und Secretaire der Sectionen machen mit Einschluß eines Generalsecretairs, eines Bibliothekars und eines Rentmeisters den Vereinsvorstand aus. §. 20. Durch das Curatorium hofft der Verein sich der besondern Förderung seiner Interessen von Seiten der Staatsbehörden und Verwaltungsstellen zu versichern. §. 21. Dem Vereinsvorstande liegt die Ausübung der Rechte der Gesellschaft als moralischen Person, die Aufrechterhaltung der Einheit und der Tendenzen des Vereines und die Leitung seiner Thätigkeit nach einem allgemeinen Plane ob; auch kann ohne seine Zustimmung von den Arbeiten der Sectionen nichts der Oeffentlichkeit übergeben werden. §. 22. Der Vereinsvorstand erwählt aus seinen Mitgliedern jährlich einen Ordner, welche seine Zusammenkünfte und Berathungen leitet. §. 23. Die Sectionsdirectorien leiten die Tätigkeit der Mitglieder in ihren Sectionen, ordnen die Sectionsversammlungen und erstatten dem Vereinsvorstande darüber vierteljährlich ihren Bericht. §. 24. Der Director hat in seiner Section den Vorsitz und die eigentliche Leitung der vorzunehmenden Geschäfte. Der Secretair führt das Protokoll und die Correspondenz, und hat in Abwesenheit des Directors diesen zu vertreten. §. 25. Der Generalsecretair empfängt alle an den Vereinsvorstand gelangenden Sachen, trägt sie vor, expedirt die Beschlüsse desselben, führt die allgemeine Correspondenz und nimmt überhaupt die allgemeinen Angelegenheiten des Vereines wahr. §. 26. Der Bibliothekar, welcher in den Vorstandsversammlungen das Protokoll führt, und den Generalsecretair in Abwesenheitsfällen vertritt, hat die Sorge für die Aufbewahrung und Ordnung alles beweglichen Eigenthums des Vereines außer dem Gelde. §. 27. Der Rentmeister empfängt alle Geldbeiträge des Vereines, sorgt für richtigen Eingang derselben, bestreitet daraus die vom Vereinsvorstande beschlossenen Ausgaben und führt über Ausgaben und Einnahmen gehörige Rechnung. Seine Geschäftsführung wird eine besondere Instruction näher bestimmen. §. 28. Alle Beamten des Vereines werden durch Mehrheit der Stimmen auf 2 Jahre erwählt, die Sections-Directorien durch die Sections-Mitglieder, der General-Secretair, der Bibliothekar und der Rentmeister durch den Vereinsvorstand. Die ersten Begründer des Vereines unterliegen jedoch unfreiwillig keinem Wechsel in den von ihnen übernommenen Aemtern. §. 29. Der Uebernahme eines ihm durch Wahlbeschluß angetragenen Amtes darf sich kein Mitglied weigern. Doch kann die 2jährige Amtsführung von dem Vorstande auf eine einjährige ermäßigt werden.

58 

 Adolph Friedrich Riedel

IV. Versammlungen §. 30. Jede Section hält alle 6 Wochen eine Sitzung, worin Arbeiten der Mitglieder vorgelegt oder vorgetragen, die Ergebnisse des verflossenen Zeitraumes für die Zwecke der Section geprüft, besonders neue literarische Erscheinungen beurtheilt und andere gemeine Angelegenheiten vorgetragen und besprochen werden. §. 31. Viermal im Jahre versammelt sich der Vereinsvorstand, um den Bericht der Sections-Directorien entgegen zu nehmen und über die Lage des Vereines überhaupt zu beraten. §. 32. Jährlich einmal am 15ten October hält der Verein eine öffentliche General-Versammlung seiner Mitglieder, welche der General-Secretair mit einem Bericht von den Leistungen des Vereines im verflossenen Jahr eröffnet, und worin der Rentmeister die von dem Vereinsvorstand vorher abgenommenen Rechnungen öffentlich auslegt, auch einzelne Mitglieder kurz gefaßte auf das Interesse eines größern Publikums Anspruch habende und von dem Vereinsvorstand genehmigte Abhandlungen vortragen.

Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg Die Geschichte der Geschichtswissenschaft kann von unterschiedlichen Ausgangspunkten ins Auge gefaßt werden. Ihre Darsteller beschäftigen sich einerseits mit der geschichtswissenschaftlichen Forschung, mit deren Methoden, Themen, Maßstäben und Ergebnissen, andererseits mit der geschichtswissenschaftlichen Organisation, mit den Institutionen und Personen, die durch ihre Tätigkeit den Wissenschaftsbetrieb tragen. Die Betrachtung der Organisation wiederum kann sich konzentrieren auf die Forschungsstellen, auf die mit ihrer Gründung verfolgten Ziele, auf ihre Entwicklung mit ihren Leistungen und Versäumnissen, auf die Ursachen ihrer Auflösung.1 Oder sie mag die Träger der Einrichtungen in den Vordergrund rücken, die staatlichen, sonstigen öffentlichen oder privaten Instanzen und Personen, die als Förderer und Geldgeber die finanziellen Voraussetzungen für die historische Arbeit und die historischen Arbeiter bereitstellen. Ihre jeweilige Stellung innerhalb oder außerhalb der staatlichen Verwaltungsordnung und ihre spezifischen Interessen auf den Feldern von Wissenschaft und Kultur haben für die materielle und personelle Ausstattung eines Wissenschaftszweiges wie der Historie erhebliche Konsequenzen. Ausgehend von solchen allgemeinen Überlegungen will unser Aufsatz zwei wesentliche Organisationsformen der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung zwischen dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, der Gründungsphase der ältesten landesgeschichtlichen Vereine, und dem Jahr 1945, dem Ende der Provinz Brandenburg mit seinen einschneidenden wissenschaftspolitischen Folgen, untersuchen, zugegebenermaßen sachlich wie zeitlich nur ausschnittweise. Unser Schwerpunkt liegt einerseits in einem einleitenden Abschnitt auf dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg und in den beiden anschlie1 Exemplarisch für einen derartigen Untersuchungsansatz: Wolfgang Neugebauer, Die Gründungskonstellation des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte und dessen Arbeit bis 1945. Zum Problem historischer „Großforschung“ in Deutschland, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (im folgenden zitiert: JGMOD) 44 (1996), 151–179. Aus: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Wolfgang Neugebauer (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 115–181.

60 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

ßenden Hauptteilen auf der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin sowie auf der Historischen Kommission für die Provinz Mark Brandenburg. Wir lassen somit zahlreiche Geschichtsvereine außer Betracht, die nach der Mitte des 19. Jahrhunderts in einzelnen Städten und Landschaften der Provinz gegründet wurden. Ihre ertragreichen historischen Untersuchungen konzentrierten sich auf ihren jeweiligen heimatlichen Umkreis, während fast allein die beiden zuvor genannten Vereinigungen ihr Augenmerk auf die gesamte Mark und Provinz Brandenburg lenkten. Und unser Schwerpunkt liegt andererseits eindeutig auf der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, nicht auf den voraufgegangenen Jahrzehnten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, da der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg bis zum Ende der Monarchie in historiographischen Untersuchungen aus älterer und jüngerer Zeit bereits einige Aufmerksamkeit gefunden hat, während eine aktenmäßig belegte Darstellung für die Phase von 1918 bis 1945 noch vollständig fehlt, die wir hiermit für die beiden Historischen Kommission dieser Zeit vorzulegen beabsichtigen. Die organisatorischen Möglichkeiten der Landesgeschichtsforschung in Brandenburg unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen in anderen preußischen Provinzen, aber das allgemeine Muster gewinnt auf Grund spezifisch brandenburgischer Voraussetzungen erst in individueller Konkretisierung Wirklichkeit. Der organisationsgeschichtliche Weg der deutschen landes- und ortsgeschichtlichen Forschung führt, so hat es Hermann Heimpel einmal knapp und trefflich ausgedrückt, „vom Verein über die Kommission zum Institut“2. Der Satz läßt sich ohne Schwierigkeiten auch auf Brandenburg anwenden, aber er sagt noch nichts aus über die eigentümlichen brandenburgischen Bedingungen, denen Vereine und Kommissionen Entstehung und Wirkung verdankten. Die wissenschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der Provinz Brandenburg zwischen 1815 und 1945 waren stärkstens von der allgemeinhistorischen Lage bestimmt, daß das Königreich Preußen in seinem Kern aus der Mark Brandenburg hervorgegangen war und daß die Hauptstadt Berlin durch ihre rasante Expansion immer mehr aus der Provinz Brandenburg herauswuchs und sich von ihr sonderte. Daraus folgte, daß auf geschichtswissenschaftlichem Gebiet die provinzialbrandenburgischen Organisationen und ihre Themen sowohl im Schatten der zentralen preußischen Einrichtungen und ihrer gesamtpreußischen Inhalte standen als

2 Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland, in: Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859–1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern, hrsg. v. Theodor Schieder (Historische Zeitschrift Sonderausg. 189 [1959]), München 1959, 139–222, hier 189.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 61

auch mit der Konkurrenz der aus dem Selbstbewußtsein einer Metropole gespeisten berlinischen Anstrengungen zu rechnen hatten3.

I. Der Verein für Geschichte der I.  I. Mark Brandenburg Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg

Bekanntlich sind in den Jahrzehnten des Vormärz überall in den deutschen Staaten, Provinzen und Regionen historische Vereine entstanden, in denen sich Liebhaber wie Fachkenner der Geschichte zusammenschlossen, um die überkommenen Zeugnisse aus der Vergangenheit eines begrenzten Raumes, einer Territorialherrschaft des untergegangenen Alten Reiches ebenso wie einer Verwaltungseinheit des nachrevolutionären Staates, zu sammeln und zu bewahren, auf ihrer Grundlage die Ereignisse und Zustände der zurückliegenden Jahrhunderte zu erforschen und in weiteren Kreisen das Interesse an der heimatlichen Geschichte zu erwecken4. In diese Reihe gehört auch, etwas später als manche vergleichbare Einrichtung in anderen Ländern ins Leben tretend5, der Verein für 3 Gerd Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte und preußische Staatsgeschichte. Universitäten, Hochschulen, Archive, Historische Gesellschaften und Vereine, in: Geschichtswissen­ schaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. v. Rei­mer Hansen u. Wolfgang Ribbe (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 82), Berlin/New York 1992, 323–363, erörtert in anregender essayistischer Form für die Zeit von ca. 1800 bis ca. 1990 die begünstigenden und behindernden wissenschaftsorganisatorischen Bedingungen und die damit in Verbindung stehenden wechselnden geschichtswissenschaftlichen Schwerpunkte und benennt so die wesentlichen Formen und Inhalte, unter denen in Berlin und Brandenburg brandenburgische Landesgeschichtsforschung betrieben worden ist. Zu den Geschichtsvereinen und Historischen Kommissionen ebd. 331–333, 343–348, 352 f. 4 H. Heimpel, Organisationsformen (Anm. 2), 189–214; Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Historischen Vereinen des 19. Jahrhunderts (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 138), Göttingen 2000; Gabriele B. Clemens, Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 106), Tübingen 2004. 5 In der benachbarten Provinz Pommern war bereits 1824 auf nachhaltiges Betreiben und mit tatkräftiger Unterstützung des Oberpräsidenten Sack die „Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde“ gegründet worden, auf Grund seiner Einsicht: „Welchen Stoff zur Cultur ... Land und Volk besitzen, ist im Allgemeinen bekannt; aber nicht, wieviel zerstreute Kräfte darin vorhanden sind, die nur einer größeren Belebung ... und gemeinsamer Theilnahme bedürfen, um in und durch sich selbst die Cultur mächtig zu fördern“. Das vom Oberpräsidenten erlassene Statut der Gesellschaft bezeichnete als ihren Zweck, „die Denkmäler der Vorzeit in Pommern und Rügen ... zu retten und gemeinnützlich zu machen“, mit dem Ziel, „dadurch dem künftigen Geschichtsschreiber Pommerns brauchbare Vorarbeiten zu liefern“ und so „die

62 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Geschichte der Mark Brandenburg6, überhaupt die erste organisatorische Vereinigung von Landeshistorikern in der Provinz Brandenburg7. Zwar hatten reformorientierte Vertreter der zentralstaatlichen Berliner Bürokratie schon zwischen 1788 und 1804 die theoretischen und praktischen Grundlagen für eine geschichtliche Landeskunde der Mark Brandenburg gelegt, durch die Herausbildung eines landesgeschichtlichen Bewußtseins und erster landesgeschichtlicher Arbeitsprogramme mit dem Schwergewicht auf topographisch-statistischen Untersuchungen. Aber der leistungsfähigste Mann, Friedrich Wilhelm August Bratring, hatte für seine Sicht unter den um 1800 in Berlin arbeitenden Historikern nur wenige Arbeitsgefährten gewonnen, er hatte keine personellen oder institutionellen

Abfassung einer quellenmäßigen älteren Geschichte des Pommerschen Landes und Volkes zu erleichtern“. Die Arbeit der Gesellschaft wurde in den ersten Jahrzehnten von den herausragenden Bildungseinrichtungen der Provinz, dem Marienstiftsgymnasium in Stettin und der Universität Greifswald, getragen. 1832 erschien der erste Band des von ihnen angeregten wissenschaftlichen Publikationsorgans, der ebenfalls noch von Sack befürworteten „Baltischen Studien“. Vgl. Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum, in: Baltische Studien N. F 86 (2000), 7–24, hier 7–14, Zitate 8, 10. Die pommerschen Vorgänge zeigen im Vergleich bei gleichgerichteten allgemeinen Bestrebungen und gleichartigen Publikationsvorhaben sowohl die „Verspätung“ Brandenburgs als auch die Orientierung der brandenburgischen Landeshistoriker an der preußischen Zentral- und nicht an der brandenburgischen Provinzialverwaltung. 6 Zum Folgenden vgl. Johannes Schultze, Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte (im folgenden zitiert: FBPG) 35 (1923), 1–20; die hier 4 f. gegebene Darstellung der Gründungsgeschichte ist von Schultze kurz danach auf Grund neuer Quellenfunde korrigiert worden, vgl. Johannes Schultze, Zur Geschichte des „Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“. Aus den Briefen A. F. Riedels an G. A. H. Stenzel, in: FBPG 36 (1924), 221–223, insbes. der 222 abgedruckte Brief Riedels vom 5. März 1838. Die hier nur ganz knapp berührte Frühgeschichte des Vereins ist jetzt ausführlich beschrieben bei Klaus Neitmann, Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 bis 1848, in: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hrsg. v. Bärbel Holtz (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Beiheft 11), Berlin 2010, 249–298, siehe oben S. 1–58. In jüngerer Vergangenheit gab G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 199–238, einen ausschließlich auf die gedruckte Literatur gestützten Überblick über die Geschichte des Vereins von seiner Gründung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, der mit seiner eingeschränkten und einseitigen Perspektive nicht als weiterführend einzuschätzen ist (zur Kritik vgl. unten Anm. 10, 24, 31, 139, 141). 7 Ein 1826 eingeleiteter Versuch, für die 1815 an Preußen bzw. die Provinz Brandenburg angegliederte Niederlausitz mit Unterstützung der Niederlausitzischen Stände einen Geschichtsverein zu bilden, war trotz deren Hilfszusage schließlich ohne Ergebnisse 1832 abgebrochen worden. Vgl. Rudolf Lehmann, Zum fünfzigsten Geburtstag der Niederlausitzer Gesellschaft, in: Niederlausitzer Mitteilungen 22 (1934), 1–8, hier 1 f.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 63

Förderer seiner Bemühungen gefunden, so daß er, der seine Themen als Einzelgänger anpackte, über die Bündelung der Kräfte in einer relativ kurzlebigen Zeitschrift hinaus keine Vereinsgründung angegangen war8. Ein derartiger Versuch wurde erst unternommen, als nach einem etwa 25jährigen Publikationsstillstand eine neue Generation von Wissenschaftlern sich mit neuen inhaltlichen und organisatorischen Ansätzen der märkischen Geschichte annahm. Der Fortschritt ist der entschlossenen, in den konkreten Umständen geradezu wagemutigen Initiative eines Historikers und Archivars, des Leiters des Berliner „Geheimen Ministerial-Archivs“ (seit 1838), Prof. Dr. Adolph Friedrich Riedel9, zu verdanken, der seit den späten 1820er Jahren mit damals bahnbrechenden Untersuchungen zur mittelalterlichen Geschichte der Mark Brandenburg hervorgetreten war und deren Thematisierung zu seiner Lebensaufgabe gemacht hatte. Riedel gelang es, sich der ministeriellen Unterstützung für seine Absicht zu einer vereinsmäßigen Zusammenfassung der märkischen Landeshistoriker zu versichern, so daß nach der Vorlage eines Statutenentwurfes zunächst am 7. März 1837 eine königliche Kabinettsorder dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg „die Rechte einer moralischen Person“ verlieh und anschließend am 24. März 1837 ein Ministerialreskript endgültig seine Gründung bestätigte. Als seinen Zweck gab § 2 der Statuten an: die Erforschung und Bearbeitung der früheren Verhältnisse der Mark Brandenburg und die Sammlung, Aufbewahrung und Würdigung der in ihr zerstreut sich findenden Denkmale der Vorzeit. 8 Gerd Heinrich, Historiographie der Bürokratie. Studien zu den Anfängen historisch-landeskundlicher Forschung in Brandenburg-Preußen (1788–1837), in: Brandenburgische Jahrhunderte. Festgabe für Johannes Schultze zum 90. Geburtstag, hrsg. v. Gerd Heinrich u. Werner Vogel (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, 35), Berlin 1971, 160–188, bes. 163, 170, 172, 185. 9 Klaus Neitmann, Adolf Friedrich Johann Riedel, in: Brandenburgisches Biographisches Lexikon (im folgenden zitiert: BBL), hrsg. v. Friedrich Beck u. Eckart Henning (Einzelveröffentlichung der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., V), Potsdam 2002, 330 f. (Lit.); Friedrich Holtze, Adolf Friedrich RiedeI, in: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 9 (1872), S. 629–639; Wolfgang Ribbe, Archivare als brandenburgische Landeshistoriker. Drei Lebensbilder aus drei Generationen, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte (im folgenden zitiert: JBLG) 55 (2004), 100–121, hier 101–107; ders., Adolf Friedrich Riedel (1809– 1872), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landes- und Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Friedrich Beck u. Klaus Neitmann (Brandenburgische Historische Studien, 16; zugl. Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., 4), BerlinBrandenburg 2013, 50–57; Felix Engel, Adolph Friedrich Johann Riedel. Historiograph der brandenburgischen Geschichte oder Historiograph der Hohenzollern?, in: JBLG 64 (2013), 59–84.

64 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Den festen Rückhalt des Vereins an der Staatsverwaltung und deren Unterstützung für die wissenschaftliche Arbeit des Vereins suchte Riedel dadurch zu gewährleisten, daß dessen Kuratorium mit den Spitzen der maßgebenden Verwaltungen besetzt wurde: In ihm saßen seit Juni 1837 der Justizminister von Kamptz, der Innenminister von Rochow, der Finanzminister Graf Alvensleben und der Direktor im Ministerium des Kgl. Hauses Gustav Adolf von Tzschoppe10. Riedel und der Verein erfreuten sich der besonderen Gunst des Justizministers, weil dieser hoffte, mit ihrer Hilfe die seit Jahrzehnte geplante Kodifikation des märkischen Provinzialrechts zu fördern. Damit Riedel die dafür nötigen Quellenkenntnisse erwerben konnte, unterstützte er ihn finanziell seit 1838 in der Bearbeitung und Veröffentlichung des monumentalen, bis heute grundlegenden Urkundenwerkes der Mark Brandenburg, des „Codex diplomaticus Brandenburgensis“. Mit staatlichen, nach der Revolution von 1848 mit königlichen Mitteln veröffentlichte Riedel bis 1869 in 36 Quartbänden Text und fünf Registerbänden ca. 19.000 Urkunden zur märkischen Landes-, Orts- und Familiengeschichte11. Die historischen Untersuchungen der Vereinsmitglieder wurden in den Monatssitzungen vorgetragen und erschienen seit 1841 in der eigenen Vereinszeitschrift, den „Märkischen Forschungen“. Deren Drucklegung wurde außer von den Mitgliedsbeiträgen durch erneut von Kamptz gewährte staatliche Zuschüsse ermöglicht. Die Aufnahme in den Verein war davon abhängig, daß ein Kandidat, der durch eigene Mitarbeit die märkische Geschichtsforschung zu fördern imstande sein sollte, nach dem Vorschlag des Vorstandes durch das Kuratorium zum Mitglied ernannt wurde. Das Verfahren führte dazu, daß wissenschaftliche Fachleute und Angehörige des Bildungsbürgertums dominierten und die hohe Qualität der wissenschaftlichen 10 G. Kunz’ Einschätzung (Verortete Geschichte [Anm. 4], 205), die Zusammensetzung des Kura­ toriums habe „eine ministeriell-staatliche Kontrolle der personellen Zusammensetzung und damit der politischen Richtung der Gesellschaft“ ermöglicht, geht an dem Kernpunkt vorbei: Riedel war auf Gönner aus der hohen Staatsverwaltung angewiesen, damit der Verein für seine wissenschaftlichen Arbeiten und insbesondere für die Drucklegung ihrer Ergebnisse überhaupt auf die unentbehrlichen staatlichen Zuschüsse – die eigenen Mitgliedsbeiträge reichten nie für größere Vorhaben aus – hoffen konnte. Überhaupt stellt Kunz gar nicht als zentrale Herausforderung der neuen historischen Organisationsformen heraus, daß Umfang und Qualität der Akti­vitäten eines Geschichtsvereins entscheidend von einer gesicherten Finanzierung abhingen. Bezeichnenderweise war unmittelbar vor der Vereinsgründung von 1837 Ledeburs Zeitschrift „Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des preußischen Staates“ wegen mangelnden Interesses und fehlender Unterstützung seitens der preußischen Ministerialbürokratie eingegangen. G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 201 Anm. 9. 11 Vgl. die Zusammenstellung aller Bände des Gesamtwerkes bei Wolfgang Ribbe, Quellen und Historiographie zur mittelalterlichen Geschichte von Berlin-Brandenburg, in: Schriften des Vereins für die Geschichte Berlins 61 (1977), 1–81, hier 66–73, dazu die Bemerkungen zur wissenschaftlichen Bedeutung der RiedeIschen Urkundenpublikation, ebd. 40–42.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 65

Arbeit gewährleisteten. Die Mitglieder verstanden sich als Gelehrtenkollegium, sie rekrutierten sich stärker aus den Berliner wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen als aus den verschiedenen Regionen der Provinz. 1839 umfaßte der Verein 94 Mitglieder aus Berlin, 76 aus der Mark außerhalb Berlins, größtenteils Beamte, Universitätsprofessoren, Geistliche und Lehrer, auch große märkische Grundbesitzer. Die Außenwirkung außerhalb der Hauptstadt blieb gering oder wurde gar nicht erst angestrebt. Riedel beklagte zwar, daß man wegen der hauptstadtbedingten Bevölkerungszuwanderung gerade in der Berlin-Potsdamer Zentrallandschaft vergeblich „nach dem über alle Teile des Landes und über alle Klassen der Bevölkerung verbreiteten, auf patriotischem Heimatsinne beruhenden Interesse für die eigene Geschichte“ suche12, aber sein Verein bemühte sich auch nicht darum, den nach seiner Auffassung in den residenzferneren märkischen Regionen wie der Prignitz oder der Uckermark vorhandenen „Heimatsinn“ durch die Ansprache und Gewinnung von Freunden der Heimatgeschichte zu erwecken. Diese Gegebenheiten hatten zur Folge, daß das allmählich in den Landschaften zwischen Prignitz und Niederlausitz, zwischen Havelland und Neumark erwachende historische Interesse zu eigenen Vereinsbildungen führte13. Zum Gegenstand der Vereinstätigkeit wurde dabei entweder die Geschichte einer herausragenden größeren Stadt und ihres Umlandes oder die einer historisch gewachsenen Landschaft gemacht, also jeweils einer geschichtlichen Einheit von spürbarem Eigengewicht, deutlicher Eigenart und daraus entsprungenem Eigenbewußtsein innerhalb Brandenburgs. In den 1860er Jahren wurden in den bedeutendsten Städten der Provinz Vereine zur Stadtgeschichtsforschung geschaffen, 1860, 1862, 1865 und 1868 in Frankfurt (Oder), Potsdam, Berlin und Brandenburg (Havel). Die landschaftsbezogenen Vereine entstanden zumeist seit den 1880er Jahren. Für die ehemals sächsische Niederlausitz ist die 1884 auf Anregung von Rudolf Virchow gegründete „Niederlausitzer Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde“ (so die Namensbezeichnung seit 1889) zu nennen, die Rudolf Lehmann als „Niederlausitzer Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde“ 1930 übernahm und bis 1945 leitete14. Für die Neumark wurde 1890 der „Verein für die Geschichte der Neumark“ ins Leben gerufen, unter dessen Mitgliedern

12 Zitiert bei J. Schultze, Verein (Anm. 6), 4, und G. Heinrich, Brandenburgische Landesgeschichte (Anm. 3), 331 Anm. 18. 13 Vgl. die Zusammenstellungen bei Johannes Schultze, Die erste Versammlung der brandenburgischen Geschichtsvereine am 4. und 5. Oktober [1924] in Berlin und Potsdam, in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 72 (1924), Sp. 165– 170, hier Sp. 168–170, und bei W. Ribbe, Quellen (Anm. 11), 55–57. 14 R. Lehmann, Zum fünfzigsten Geburtstag (Anm. 7).

66 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

die Namen von Paul v. Nießen15 und Paul Schwartz16 herausragten. Die Uckermark folgte 1898 mit dem Uckermärkischen Museums- und Geschichtsverein, die Prignitz 1913 mit dem „Verein zur Förderung der Heimatforschung und des Heimatmuseums für die Prignitz in Heiligengrabe“. Zahlreiche weitere historische Vereine und Gesellschaften ließen sich hier noch aufzählen. In ihnen schlossen sich dilettierende Freunde und Liebhaber mit fachkundigeren Kräften aus Geistlichkeit, Lehrerschaft, Adel und Bürgerschaft zur Sammlung und Aufbewahrung archivalischer und musealer Zeugnisse ihrer Orts- und Regionalgeschichte und zu deren Erforschung und Darstellung zusammen. Wenn ausreichend wissenschaftlich ausgebildete Kräfte mitwirkten, gaben die Vereine eigene, mehr oder minder regelmäßig erscheinende Zeitschriften oder sogar zusätzlich noch Schriftenreihen heraus und veröffentlichten darin die ihre Region betreffenden Forschungsergebnisse, je nach der Qualität des Mitarbeiterstammes mit unterschiedlichem wissenschaftlichen Niveau. Aber die zu geringen Mittel, die aus den Mitgliedsbeiträgen sowie öffentlichen und privaten Zuschüssen gespeist wurden, reichten für ein größeres und langfristigeres wissenschaftliches Arbeitsprogramm nicht aus. Der allen Interessenten an der Geschichte auch ohne besondere fachliche Vorkenntnisse und Fähigkeiten offenstehende Zugang gab diesen Vereinigungen viel eher den Charakter eines bürgerlichen Vereins als der RiedeIschen Schöpfung, die eher den Typus einer in ihrer Mitgliedschaft homogenen gelehrten wissenschaftlichen Gesellschaft vertrat. Die Jahrzehnte vor und nach Riedels Tod 1872 sind nach den erfolgversprechenden Anfängen im allgemeinen durch zunehmende Stagnation gekennzeichnet. Die Revolution von 1848 mit ihren politischen Kontroversen und Folgen in Staat und Gesellschaft machte den Verein mehrere Jahre lang handlungsunfähig und drohte ihn gar auszulöschen. Als im Herbst 1851 die Wiederaufnahme seiner Tätigkeit erwogen wurde, lud jedenfalls Leopold von Ledebur, einer seiner bisherigen bestimmenden Persönlichkeiten17, die Vorstandsmitglieder zu einer Sitzung am 30. Oktober ein mit der Aufforderung „zur Beschlussfassung über das Fortbestehen, event. die Auflösung des Vereins für Märkische Geschichte“18. Die übrig gebliebene kleine Schar entschied sich für die Fortsetzung ihrer Bemühungen, aber sie waren lange Zeit nur von mäßigem Erfolg gekrönt. Die engen 15 Peter Bahl, Paul von Nießen, in: BBL (Anm. 9), 297 f. (Lit.). 16 Gebhard Falk, Paul Schwartz, in: BBL (Anm. 9), 363 (Lit.); ders., Paul Schwartz (1853–1940), in: Lebensbilder (Anm. 9), S. 480–483. 17  Hubertus Fischer, Leopold Freiherr von Ledebur (1799–1877), in: Lebensbilder (Anm. 9), 31–39. 18  Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im folgenden zitiert: GStAPK), Berlin, I. HA Rep. 224 E Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, Nr. 134 (Sitzungsprotokolle 1851–1893), Bl. 1.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 67

Verbindungen zur Staatsverwaltung waren im Gefolge der Revolution wegen der ausgebliebenen Ergänzung des Kuratoriums abgerissen, mit der Folge, daß die Zeitschrift wiederholt unter Finanzierungsschwierigkeiten litt und ihre Fortführung mehrfach längere Zeit stockte. Auch ermangelte die Vereinstätigkeit gewichtigerer wissenschaftlicher Initiativen. Nach dem Abschluß des „Codex diplomaticus Brandenburgensis“ wurde ein vergleichbares Großprojekt nicht angepackt, überhaupt fehlte es für die schmale Mitgliedschaft – 59 ordentliche Mitglieder im Jahre 1862 –, die sich zunehmend als exklusive wissenschaftliche Gesellschaft verstand, an einem umfassenderen Forschungsprogramm für die Mark und ihre Teile, mit dem Kräfte aus der Provinz zur Mitwirkung hätten bewogen werden können. Die begrenzten Möglichkeiten und unübersehbaren Grenzen des Vereins kennzeichnet gerade einer seiner gewichtigsten, in gewisser Weise an Riedels Codex anknüpfenden Veröffentlichungen aus diesem Zeitraum, die von Karl Kletke erarbeiteten Regesten zur neumärkischen Geschichte des Mittelalters und des Reformationszeitalters bis zum Tode des Markgrafen Hans von Küstrin im Jahre 1571, ein bis auf den heutigen Tag gebrauchtes grundlegendes Quellenwerk, in dem die aus der gesamten älteren Literatur, aus Editionen ebenso wie aus Darstellungen ermittelten Urkunden, Briefe und sonstigen Quellen zumeist in Form von Vollregesten ausgebreitet sind. Das Vorhaben war nicht aus der Mitte des Vereins hervorgegangen, denn sein Verfasser war ein wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Außenseiter (und wurde übrigens erst nach dem zweiten Band seines dreiteiligen Werkes zum korrespondierenden Mitglied des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg befördert): Ein Lobredner beschrieb ihn nach dem Abschluß seines neumärkischen Unternehmens 1876 als eine zurückgezogen lebende Person, die 60 Jahre alt, schwächlich und kränklich ist, seine Stelle als Oberlehrer wegen Taubheit aufgeben mußte, und jetzt in sehr untergeordneter Stellung, als Correktur beim Reichsund Staats-Anzeiger, sein kümmerliches Brod verdient; alle seine dienstfreie Zeit aber den Arbeiten für die vaterländische Geschichte widmet.

Kletkes zahl- und umfangreiche Regesten füllten allein drei Bände der „Märkischen Forschungen“, die Bände 10 (1867), 12 (1868) und 13 (1876)19, aber mit seinem großen Wurf war die wissenschaftliche Produktivität des Vereins in seiner 19  Regesta Historiae Neomarchicae. Die Urkunden zur Geschichte der Neumark und des Landes Sternberg, in Auszügen mitgeteilt von Karl Kletke. Erste Abteilung [enthält Quellen von 1187 bis 1402; 416 S.] (= Märkische Forschungen 10), Berlin 1867. – Zweite Abteilung [enthält Quellen von 1402, dem Beginn der Herrschaft des Deutschen Ordens in der Neumark, bis 1535, dem Tode Kurfürst Joachims I. von Brandenburg; 439 S.] (= Märkische Forschungen 12), Berlin 1868. – Dritte

68 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Zeitschrift fast für ein ganzes Jahrzehnt erschöpft. Die Herausgabe seiner Edition gelang, weil der Verein neben der Heranziehung der eigenen Mittel ständische und staatliche Stellen zur Mitfinanzierung des Druckes zu bewegen vermochte. Auf Vermittlung des Geheimen Oberregierungsrates Zitelmann, Bismarcks Referenten für Archivangelegenheiten, stellten die Neumärkischen Stände 1867 200 Taler für das Gesamtwerk in Aussicht und bezahlten die Hälfte davon nach Erscheinen der ersten beiden Bände, während der Verein selbst „mehrere hundert Taler“ beisteuerte. 1875 erklärte sein Generalsekretär Friedrich Holtze, daß der Verein, der „selbst … inzwischen durch Tod und Ausscheiden zahlreicher Mitglieder auf sehr geringe Einnahmen zurückgebracht ist, völlig außer Stande“ sei, die Veröffentlichung mit zusätzlichen 30 Bogen zum Abschluß zu bringen, und er beantragte und erhielt dafür 1876 nach Erscheinen des Bandes aus dem Fonds der Preußischen Archivverwaltung eine einmalige Beihilfe von 900 Mark, während die seitens der Stände noch ausstehenden 300 Mark zur Honorierung Kletkes verwendet werden sollten20. In der Folge verbesserte sich die Lage des Vereins wenigstens im Hinblick auf seine Zeitschrift insofern, als es ihm gelang, eine öffentliche Stelle zu einer festen regelmäßigen Subventionierung zu bewegen. Ihm erstand ein verläßlicher Partner in dem 1875 gegründeten Brandenburgischen Provinzialverband, zu dessen Aufgaben kraft Gesetzes die landschaftliche Kulturpflege gehörte und der daher dem Anliegen des Geschichtsvereins wohlwollend gegenüberstand. Friedrich Holtze, dessen Generalsekretär, schilderte Landesdirektor von Levetzow am 26. Februar 1877 die mißliche Lage: Da [der Verein] seinen Mitgliedern weder materielle Vorteile, noch Vergnügungen bietet, so ist ihre Zahl nie groß gewesen, und das Verhältniß der eingehenden Geldbeiträge der Vereinsmitglieder zu den, besonders im letzten Jahrzehnt, außerordentlich gestiegenen Herstellungskosten wissenschaftlicher Druckwerke ist mit der Zeit ein immer ungünstigeres geworden.

Abteilung. Markgraf Johann (Hans) von Cüstrin. 1513–1571 [507 S.] (= Märkische Forschungen 13), Berlin 1876. 20  GStA PK, I. HA Rep. 178 Generaldirektion der Staatsarchive, Nr. 1741 (Akten betr. Förderung der wissenschaftlichen Untersuchungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), Bl. 1–18, Zitate Bl. 11v (aus der Beschreibung des Potsdamer Lokalhistorikers Louis Schneider vom 29. Dezember 1876) und 1v (aus dem Antrag Holtzes vom 20. April 1875). Übrigens geriet die von Schneider anregte Belohnung und von Kletke selbst erbetene Auszeichnung für seine wissenschaftlichen Werke in das ministerielle Kompetenzgerangel, indem Ministerpräsident Otto von Bismarck in einem von Heinrich von Sybel, dem Direktor der Staatsarchive, konzipierten, von ihm selbst noch korrigierten Schreiben Kultusminister Adalbert Falk den Beschluß über die Gewährung einer Auszeichnung anheimstellte, da Kletkes Leistungen nicht der (in der Zuständigkeit des Ministerpräsidenten liegenden) Archivverwaltung, sondern der (in der Zuständigkeit des Kultusministers liegenden) Geschichtsforschung zugute kämen. Ebd., Bl. 18.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 69

Unter zweimaligem Hinweis auf den Rückstand des märkischen Geschichtsvereins gegenüber denen in den anderen preußischen Provinzen und die dortige vorbildliche Förderung „der mit der Sammlung und Bearbeitung der ProvinzialGeschichtsquellen beschäftigten Vereine“ richtete Holtze an den dritten brandenburgischen Provinziallandtag die Bitte, für die Druckkosten des nächsten, 14. Bandes der Märkischen Forschungen eine ähnliche Beihilfe wie die der Staatsregierung für den letzten vorangegangenen zu gewähren. Der Provinzialausschuß bewilligte umgehend 1.000 Mark unter der Voraussetzung, daß die Provinzialbibliothek ein Belegexemplar erhielt. Diese Summe wurde fortan dem Verein ohne Schwierigkeiten und Aufwand zugestanden, wenn der Druck eines neues Bandes der Zeitschrift anstand, so daß deren Erscheinen ab dem Band 14 in regelmäßiger, dichter Folge gewährleistet war, bis zu ihrem letzten, 20. Band im Jahre 1887. Komplikationslos wurde die Förderung im Jahr 1888 vom Provinzialverband auf das Nachfolgeorgan, die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, übertragen21. Ein neuer kräftiger inhaltlicher und organisatorischer Impuls ging trotz dieser Verbesserung erst in den späten 1880er Jahren von Gustav Schmoller aus, als er seinen großen Plan zur Erforschung der inneren Geschichte des brandenburg-preußischen Staatswesens in die Tat umzusetzen, zusammen mit anderen und zugleich in Konkurrenz zu ihnen den wissenschaftlichen „Paradigmenwechsel weg von der politischen hin zur Staats-Strukturgeschichte“ mit der Leitfrage „nach den sozialen und administrativen Personen- bzw. Trägergruppen der preußischen (Staats-)Entwicklung“ durchzuführen begann22. Den Kern seines damals geschaffenen wissenschaftlichen Imperiums gab das große Editionsunternehmen der „Acta Borussica“ ab, das er mit Hilfe Friedrich Althoffs bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften ansiedelte und dank großzügiger Dotierung durch das Preußische Kultusministerium mit einem Stab befähigter Mitarbeiter, hervorragender Nachwuchskräfte, darunter als einer der ersten der junge Otto Hintze23, zum monumentalen Quellenwerk über die innere Verwaltung Preu21  GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 199, v.a. Bl. 11, 17–20, 25-30, 40–41, das Zitat auf Bl. 27/28. 22 Wolfgang Neugebauer, Die Anfänge strukturgeschichtlicher Erforschung der preußischen Historie, in: Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700–1918, hrsg. v. dems. u. Ralf Pröve, Berlin 1998, 383–429, Zitate 429, 395; aus der älteren Schmoller-Literatur behält seinen Wert: Fritz Hartung, Gustav Schmoller und die preußische Geschichtsschreibung, in: ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, 470–496 (zuerst 1938). 23 Wolfgang Neugebauer, Otto Hintze (1861–1940), in: Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, hrsg. v. Michael Fröhlich, Darmstadt 2001, 286–298 (mit ält. Lit.); ders., Die wissenschaftlichen Anfänge Otto Hintzes, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 115 (1998), 540–551.

70 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

ßens im 18. Jahrhundert ausgestaltete24. In direkter oder indirekter Verbindung mit der Edition entstanden auf Schmollers Anregung und unter seiner Aufsicht aus seiner wissenschaftlichen Schule zahlreiche Untersuchungen zur Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Mark Brandenburg ebenso wie des daraus hervorgehenden Königreiches Preußen seit dem späten Mittelalter. Um sich dafür ein wissenschaftliches Forum, insbesondere ein Publikationsforum zu schaffen, gestaltete Schmoller den Verein für Geschichte der Mark Brandenburg in seinem Sinne um. Die „Märkischen Forschungen“ wurden mit dem 20. Band 1887 eingestellt, nachdem zwei Jahre zuvor schon die 1864 von Friedrich Holtze, dem Generalsekretär des Vereins, mitbegründete „Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde“ mit einem allgemein-preußischen Horizont eingegangen war. An Stelle dieser beiden Fachorgane trat 1888, unmittelbar nach der Installierung der Acta Borussica an der Akademie, eine neue Zeitschrift, deren Titel das neue Programm andeutete: die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“. Ohne Aufgabe der provinzial-brandenburgischen, landesgeschichtlichen Thematik wurde das Interessenfeld auf die gesamtpreußische Geschichte ausgedehnt oder gar schwerpunktmäßig dorthin verlegt, und mit der gesamtstaatlichen Aufgabenstellung bewog Schmoller das Kultusministerium dazu, die Zeitschrift, die im Auftrage des Vereins herausgegeben wurde, mit öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Die ,Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte‘ ... waren das Organ der Acta Borussica. Mit diesem zweimal im Jahr erscheinenden Periodikum wurde die Forschung dieses Feldes koordiniert und auch – im Rezensions- und Berichtsteil auf in Schmol24 Wolfgang Neugebauer, Gustav Schmoller, Otto Hintze und die Arbeit an den Acta Borussica, in: JBLG 48 (1997), 152–202; ders., Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlass der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition, hrsg. v. Jürgen Kloosterhuis (Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte, 2), Berlin 2000, 261–301, hier 284–287 zur Finanzierung der Acta Borussica, 298–301 zum wissenschaftlichen Personal; ders., Zum schwierigen Verhältnis von Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften am Beispiel der Acta Borussica, in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Berlin 1999, S. 235–275; G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 218–238, bleibt in seiner Darstellung der Vereinsgeschichte unter Schmollers Dominanz ganz oberflächlich, erwähnt nicht einmal, daß damals Droysens teleologische Interpretation der preußischen Geschichte durch Hintze und Koser überwunden wurde, und glaubt, das von Schmoller im Verein inaugurierte Forschungsprogramm folgendermaßen erklären zu können: „... können die in den folgenden Jahrzehnten sichtbaren Inhalte historischen Bewußtseins im Märkischen Geschichtsverein und seiner neuen, gesamtpreußischen orientierten Zeitschrift durchaus noch auf die spezifische Sozialstruktur der Vereinsmitgliedschaft zurückgeführt werden“ (ebd. 222, ähnlich 223, 231).



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 71

lers Sinne parteiischem aber hohem Niveau – der Gesamtbereich preußischer Produktionen evaluiert25.

Es war nur folgerichtig26, daß Schmoller 1899 zum Vorsitzenden des Vereins gewählt wurde (und es bis 1915, kurz vor seinem Tode, blieb) und daß die ebenfalls 1899 verabschiedete neue Satzung dessen Aufgabe folgendermaßen umschrieb: Der in Berlin unter dem Namen: Verein für Geschichte der Mark Brandenburg bestehende Verein bezweckt die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit der Provinz Brandenburg und der jetzt zur Provinz Sachsen gehörigen Altmark, einschließlich der Entwicklung der Mark Brandenburg zum preußischen Staate.

Mit der Statutenrevision hoffte der Verein, seine wirtschaftliche Grundlage verbreitern zu können, um so nach dem Vorbild bestehender, öffentlich geförderter Historischer Kommissionen in anderen preußischen Provinzen27 seine wissenschaftliche Arbeit auszudehnen, insbesondere neben der Zeitschrift selbständige Monographien herauszubringen und nicht-staatliche Archivalien inventarisieren zu lassen, in der Sprache der Satzung: „Unterstützung größerer wissenschaftlicher Unternehmungen durch Mitarbeit oder Geldhilfe und Nutzbarmachung der zerstreuten Archivalien der Provinz durch Herstellung von Verzeichnissen“. Es gelang in einigem Maße, sowohl kommunale Körperschaften, einen Teil der Kreise und die größeren Städte der Provinz, als auch alteingesessene märkische Adelsfamilien als Patrone zur Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens 50 Mark zu bewegen. Schmollers enge Beziehungen zu Reinhold Koser, dem Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive, kamen dem Verein finanziell in doppelter Hinsicht zugute. Der Brandenburgische Provinzialverband bewilligte ihm fortan jährlich 2.500,00 Mark statt der bislang gewährten 1.000 Mark auf Grund von Kosers Fürsprache gegenüber Landesdirektor von Manteuffel. Und Koser selbst bewilligte dem Verein zur Förderung seiner wissenschaftlichen Tätigkeiten in den beiden von Schmoller bezeichneten Richtungen, der Herausgabe von Aktensammlungen zur Mark Brandenburg und der Verzeichnung der bei kleineren Behörden und Korporationen oder im Privatbesitz befindlichen Archivalien, ab dem 1. April 1899 bis auf weiteres einen außerordentlichen Zuschuß von jährlich 750 Mark aus dem Etat der Archivverwaltung, gegen die Verpflichtung, dieser 17 Freiexemplare der Veröffentlichungen für die preußischen Staatsarchive zu 25 W. Neugebauer, Zum schwierigen Verhältnis (Anm. 18), 267 f. Ausführlicher zu den FBPG vgl. ders., „Schmoller-Connection“ (Anm. 19), 288–291. 26 Zum Folgenden vgl.: Mitteilung über eine Statutenrevision des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, in: FBPG 12 (1899), 269–275. 27 Vgl. zu den Historischen Kommissionen H. Heimpel, Organisationsformen (Anm. 2), 214–217.

72 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

überlassen28. Die 1899 geschaffene neue Finanzverfassung blieb in ihren Grundzügen bis zum Ende der Monarchie und noch darüber hinaus erhalten, sie sei hier mit dem Haushaltsplanentwurf für das Jahr 1910 veranschaulicht. Die Einnahmen in Höhe von insgesamt 7 157 Mark setzten sich zusammen aus: den Jahresbeiträgen der 137 Mitglieder (1 209 M), den Patronatsbeiträgen von 15 Städten, 11 Kreisen und 8 adligen Familien (2 170 M), den Zinsen vom Vereinsvermögen (528 M), den Beihilfen der Archivverwaltung (750 M) und des Provinzialverbandes (2 500 M). Ihnen standen Ausgaben in Höhe von 7 975 M gegenüber für: die Druck- und Portokosten der „Forschungen“ (306 Exemplare, 1 683 M) und der dazugehörigen Sitzungsberichte des Vereins (202 M), die Bibliothek (500 M), das Honorar für die Bearbeitung der Regesten der Markgrafen von Brandenburg (1 500 M), die Druck- und Portokosten der Monographien in der Schriftenreihe des Vereins (2 870 M) und das Honorar für ihre drei Bearbeiter (1 220 M); der absehbare Fehlbetrag von 818 M war aus dem Vereinsvermögen zu decken29. Trotz der Berufung auf die Historischen Kommissionen in anderen preußischen Provinzen behielt der Verein im Gegensatz zu ihnen die vereinsrechtliche Anforderung an die Mitgliedschaft aufrecht: Gegen einen Jahresbeitrag von 9 Mark und nach Zustimmung des Vorstandes konnte jede großjährige männliche Person, „die bereit und im stande ist, an den Zwecken des Vereins mitzuwirken“, Mitglied werden. Das Mitgliederverzeichnis mit Stand vom 8. Februar 1899 nennt insgesamt 83 Personen, vornehmlich Universitätshistoriker, Archivare, Museologen, Lehrer, höhere Verwaltungsbeamte und Militärs30. Das in Aussicht genommene Arbeitsprogramm beinhaltete u. a. die Publikation von Stände- und Landtagsakten und die Bearbeitung der kirchlichen Geographie der mittelalterlichen Mark Brandenburg. Unter diesen Umständen erreichte es der Verein, bis zum Ende der Monarchie eigene wissenschaftliche Unternehmungen durchzuführen und die Veröffentlichung von Manuskripten zu ermöglichen. Insgesamt sind damals in seiner neugeschaffenen Schriftenreihe, den „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“, 20 Einzelwerke erschienen, Quellenbearbeitungen ebenso wie Darstellungen, die im Gegensatz zum weitgefaßten Spektrum der Zeitschrift auf die Mark Brandenburg konzentriert waren, mit dem zeitlichen Schwerpunkt auf dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit, mit dem sach-

28  GStA PK, I. HA Rep. 178, Nr. 1741, Bl. 19–20. 29  Ebd., Nr. 199, Bl. 69–71. 30 Vgl. ausführlicher zur Zusammensetzung der Mitgliedschaft G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 222.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 73

lichen Schwerpunkt auf der Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialgeschichte, unter Aussparung der dynastischen Geschichte31. Unter den Quellenwerken erwähne ich die von Hermann Krabbo32 in Lieferungen bearbeiteten „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause“33, die von Walter Friedensburg herausgegebenen Kurmärkischen Ständeakten aus der Zeit Joachims II. und die von Hermann von Caemmerer edierten Testamente der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg (aus dem Hause der Hohenzollern). Aus ersten Erwägungen für einen historischen Atlas entstanden politisch-historische Grundkarten für das märkische Gebiet. Eine ausführlichere Erörterung verdienen dabei Krabbos Askanierregesten, weil sie auf einer vom Verein geschaffenen, durch die zusätzlichen Mittel ermöglichten neuartigen Arbeitsorganisation eines groß angelegten wissenschaftlichen Projektes beruhten34. Der Berliner Mediävist Karl Zeumer beantragte am 11. Dezember 1901: „Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg übernimmt die Herausgabe eines Werkes: Regesten der Markgrafen von Brandenburg mit einem Urkundenanhang“. Auf drei Seiten skizzierte er eine für die mittelalterliche Geschichte der Mark grundlegende Quellenbearbeitung, in wenigen nüchternen Sätzen verlangte er: Das Werk soll enthalten: 1. den Anforderungen der wissenschaftlichen Diplomatik entsprechende Regesten der markgräflichen Urkunden und solcher Urkunden, welche für die Geschichte der Markgrafen der Mark, namentlich der Bildung ihres Territoriums, sowie ihrer politischen und wirtschaftlichen Verfassung von erheblicher Bedeutung sind. Die Urkundenregesten werden ergänzt durch aus anderen Quellen geschöpfte Nachrichten, welche das Itinerar und überhaupt die Geschichte der Fürsten sowie wichtige Ereignisse der Landesgeschichte betreffen. 2. die diplomatisch-kritische Ausgaben derjenigen in die Regesten aufgenommenen Urkunden, welche entweder durch ihren Inhalt von erheblicher Bedeutung für die Geschichte der Fürsten, des Territoriums und seiner Verfassung sind, oder welche, auch

31 Vgl. die Zusammenstellung der Vereinsveröffentlichungen bei W. Ribbe, Quellen (Anm. 11), 76 f., und die dazugehörige Bewertung, ebd. 54. Phantasievoll und unbegründet die Vermutung von G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 234, zur Interpretation der Schriftenreihe. 32 Werner Vogel, Hermann Krabbo, in: BBL (Anm. 9), S. 237 (Lit.); ders., Hermann Krabbo (1875–1928), in: Lebensbilder (Anm. 9), 81–86; Gustav Abb, Nachruf auf Hermann Krabbo, in: FBPG 41 (1928), 383–393; mit Schriftenverzeichnis, ebd. 390–393; zu seinem Hauptwerk, den Askanierregesten, ebd. 386 f. 33 Zum herausragenden wissenschaftlichen Wert vgl. W. Ribbe, Quellen (Anm. 11), 38–40, mit dem Gesamturteil: Die „lebendig geschriebenen Legenden zu den Regesten und die zusammenfassenden Charakteristiken der einzelnen Landesherrn erweitern sein Regestenwerk fast zu Jahrbüchern der Askaniergeschichte. Erst durch sie ist die brandenburgische Landesgeschichte zu einem wissenschaftlichen Forschungsgebiet geworden“ (ebd. 40). 34  Das Folgende nach GStA PK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 146, Bl. 110–112.

74 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

wenn ihnen diese Bedeutung nicht zukommt, noch gänzlich ungedruckt, oder aber besonders unzulänglich oder in sehr entlegenen Werken gedruckt sind. … Das Werk wird zunächst beschränkt [!] auf die Markgrafen aus askanischem, wittelsbachischem und luxemburgischem Hause. Ein erster Teil, der die askanische Zeit umfaßt, soll zuerst in Angriff genommen werden; doch ist bei den Arbeiten für diesen Theil thunlichst zugleich auf die folgenden Theile Rücksicht zu nehmen, z.B. bei Benutzung auswärtiger Archive usw.

Das längere Zitat verdeutlicht einerseits, wie zupackend und konzentriert Zeumer die maßgeblichen Leitlinien des Quellenwerkes in überzeugender Weise beschrieb, andererseits, wie er bar einer klaren und geprüften Vorstellung von dessen Dimensionen geradezu eine Lebensaufgabe oder gar Generationenaufgabe vergab. Aber die weitreichenden Perspektiven rissen alle Verantwortlichen mit. Der vom Verein eingesetzte „Ausschuß für Herausgabe der Regesten der Markgrafen von Brandenburg“, der aus dem Geheimen Staatsarchivar Anton Hegert und den Professoren der Friedrich-Wilhelms-Universität Michael Tangl und Karl Zeumer bestand, wurde beauftragt, einen geeigneten Bearbeiter zu finden, und nachdem er sich für den jüngst promovierten Tangl-Schüler Hermann Krabbo entschieden hatte, schloß er am 13./14. Mai 1902 mit ihm einen Arbeitsvertrag ab35. Krabbo verpflichtete sich, ab dem 1. Oktober 1902 seine volle Arbeitskraft dem Regestenwerk zu widmen, gegen eine jährliche Bezahlung von 1.500 Mark im ersten Jahr und von 1.800 Mark ab dem 1. Oktober 1903. Nach mehrjähriger Sammlung des askanischen Urkundenmaterials wurde im Dezember 1906 die Konzeption des Vorhabens nach Erwägung der von ihm dargestellten Alternativen endgültig festgelegt. Nach weiteren Jahren der kritischen Urkundenbearbeitung erschienen die ersten Lieferungen ab dem Jahr 1910. Die Askanierregesten ragen aus den zahlreichen damaligen Projekten des Vereins merklich heraus. Sie wurden in ihrem wissenschaftlichen Wert so hoch eingeschätzt, daß der Verein allein dafür die von einer vollen wissenschaftlichen Arbeitskraft benötigten Mittel bereitstellte bzw. daß allein dafür seine Mittel ausreichten. Seine verbesserte Finanzierung wurde mithin u.a. dazu genutzt, zum ersten Mal überhaupt in seiner Geschichte allein aus eigener Kraft ein langfristiges, geradezu unabsehbares und zugleich quantitativ und qualitativ umfassendes, anspruchsvolles Großprojekt der historischen Grundlagenforschung auf den Weg zu bringen, auf der Grundlage einer von einem Fachausschuß entworfenen Konzeption, und zur Verwirklichung wurde ein wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt, der unter Anleitung und Begleitung des Ausschusses seiner Aufgabe nachging. Umfang, Qualität und Organisation der Quellenbearbeitung zeigen, daß der Verein mit

35 Ebd,, Nr. 197.



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 75

seiner wissenschaftlichen Aktivität den Standard von Historischen Kommissionen oder gar Akademien erreicht hatte. Unter den Darstellungen, die in der Schriftenreihe des Vereins erschienen, ragen wegen ihrer wissenschaftlichen Qualitäten hervor Friedrich Holtzes vierbändige „Geschichte des Kammergerichts“, Hans Spangenbergs Untersuchung zu „Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im Mittelalter“ und Fritz Curschmanns Werk über die kirchliche Geographie und Verfassungsgeschichte der Diözese Brandenburg. Auch wenn sich mit den verfügbaren Mitteln nicht alle Pläne verwirklichen ließen – die Inventarisierung nichtstaatlicher Archivbestände kam nicht in Gang –, so war die Schmollersche Ägide doch die Blütezeit des Vereins. Der märkische wurde zu einem preußischen Verein in publikationspolitischer Arbeitsteilung und Zuordnung zu den Acta Borussica. Er war eigentlich ... längst aufgestiegen zu einer Historischen Kommission. Hier arbeiteten um 1910 die Kapazitäten von verschiedenem beruflichen Status mit beachtlichem wissenschaftlichen Kaliber36.

Die wissenschaftlich so ungemein fruchtbare Verbindung von frühneuzeitlicher brandenburgischer Territorialgeschichte mit preußischer Gesamtstaatsgeschichte, die von Schmoller bevorzugte Konzentration auf die weitgefaßte Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte mit gleichmäßiger Berücksichtigung der landesherrlichen wie der ständischen Seite verkörpert vielleicht niemand besser als der jung verstorbene Hintze-Schüler und Acta Borussica-Mitarbeiter Martin Hass, dessen Werk tief eindringende Forschungen und Editionen sowohl zur landständischen Verfassung und Verwaltung der Mark Brandenburg im Reformationszeitalter als auch zur absolutistischen preußischen Behördenarbeit des 18. Jahrhunderts mit personen- und aktenkundlichen Perspektiven umfaßte. Dabei vermochte Hass an Hand der brandenburgischen Gegebenheiten zu grundsätzlichen Problemen der frühneuzeitlichen Verfassungsverhältnisse vorzustoßen. Sein Hauptwerk über „Die kurmärkischen Stände im letzten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts“ ist folgerichtig in den „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“, in dessen wissenschaftlichkulturellem Milieu er die erforderliche Resonanz für seine Bestrebungen fand, erschienen37. Der Erfolg der Vereinstätigkeit erklärt sich, wenn man, wie unbedingt erforderlich ist, an die konkreten Arbeitsbedingungen der wissenschaftlich forschenden Historiker denkt38, einerseits in intellektuel36 W. Neugebauer, „Schmoller-Connection“ (Anm. 18), 292. 37 Wolfgang Neugebauer, Martin Hass (1883–1911). Beiträge zur Biographie eines preußischen Historikers und Wegbereiters der Aktenkunde der Historischen Hilfswissenschaft, in: HeroldJahrbuch N.F 3 (1998), 53–71; ders., Martin Hass (1883–1911), in: Lebensbilder (Anm. 9), 103–107. 38 Vgl. die grundsätzlichen methodischen Bemerkungen bei Neugebauer, Martin Hass (1883– 1911). Beiträge (Anm. 37), 53.

76 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

ler Hinsicht daraus, daß Schmoller, Hintze und ihr Umfeld mit beeindruckender wissenschaftlicher Innovationskraft die zuvor politikgeschichtlich geprägten brandenburg-preußischen Forschungen durch umfassende inhaltliche Erweiterung vorantrieben, andererseits in materieller Hinsicht daraus, daß Schmoller es verstand, die brandenburgische Provinzialgeschichtsforschung an sein gesamtpreußisches Forschungsfeld anzubinden und so dem Verein Mittel sowohl zentraler als auch provinzialer Instanzen zuzuführen. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen bedeuteten einen tiefen Einschnitt. Die ideellen und materiellen Antriebe, aus denen heraus der Verein seit den 1880er Jahren aufgeblüht war, versiegten. Mit dem Tode Schmollers, dem Rückzug Hintzes und der in den ersten Nachkriegsjahren erfolgten drastischen finanziellen und personellen Reduzierung der „Acta Borussica“, d. h. ihrer weitgehenden Beschränkung auf die von dem Geheimen Staatsarchivar Ernst Posner nebenamtlich bearbeitete Hauptserie der Behördenorganisation und allgemeinen Staatsverwaltung Preußens39, waren zentrale personelle und sachliche Elemente des bisherigen Vereins- und Wissenschaftsbetriebes weggebrochen. „Was nahezu ganz entfiel, das war die vor 1918 so reichhaltige, vor allem in den ,Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte‘ publizierte Begleitproduktion“40. Andere Personen traten nach vorne mit vornehmlich provinzial-brandenburgischen Interessen, so der 1922 gewählte neue Vereinsvorsitzende Melle Klinkenborg41, der zweite Direktor des Geheimen Staatsarchivs, und der Schriftführer Johannes Schultze42, Archivar am selben Hause, später vornehmlich für die provinzialbrandenburgischen Bestände. 1921 fügte der Verein43 im Rahmen 39 Wolfgang Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft zwischen den Weltkriegen am Beispiel der Acta Borussica, in: JBLG 50 (1999), 169–196, bes. 171–183. 40 Ebd. 183. 41 Klaus Neitmann, Melle Klinkenborg, in: BBL (Anm. 9), 225 (Lit.); ders., Melle Klinkenborg (1872–1930), in: Lebensbilder (Anm. 9), 72–80; Johannes Schultze, Melle Klinkenborg, in: FBPG 43 (1930), 1–21 (mit Schriftenverzeichnis); Emst Müller, Melle Klinkenborg, in: Archivalische Zeitschrift 40 (1931), 281–285. 42 Gerd Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: JGMOD 26 (1977), 452–467; W. Ribbe, Archivare (Anm. 9), 116–120; ders., Johannes Schultze (1881–1976), in: Lebensbilder (Anm. 9), 97–102; Hermann Fricke, Johannes Schultze – Historiograph unter dem Kurstab, in: Brandenburgische Jahrhunderte (Anm. 8), 255–262; vgI. Bibliographie Johannes Schultze, bearb. v. Ulf Heinrich, in: Johannes Schultze, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Ausgewählte Aufsätze (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, 13), Berlin 1964, 298–312; Ulf Heinrich, Bibliographie Johannes Schultze, Teil II, in: Brandenburgische Jahrhunderte (Anm. 8), 263–267. 43 Zum Folgenden vgI. Brandenburgisches Landeshauptarchiv (im folgenden zitiert: BLHA), Potsdam, Rep. 55 XI Brandenburgischer Provinzialverband, Kulturabteilung, Nr. 90: Verein für



Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 

 77

einer Satzungsänderung seinem bisherigen Namen die Bezeichnung „Historische Kommission für die Mark Brandenburg“ bei, um seinen auf seine bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten gegründeten Anspruch auf die zentrale Stellung in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung vor allem durch die Herausgabe von Quelleneditionen zu verdeutlichen und die landesgeschichtliche Arbeit auf verbreiterter Grundlage fortzuführen. Denn mit der Namensergänzung verknüpfte sich die Hoffnung sowohl auf eine Zusammenfassung der verstreuten wissenschaftlichen Kräfte wie auch auf eine bessere materielle Förderung durch öffentliche Institutionen und gesellschaftliche Kreise, insbesondere durch den Provinzialverband, dessen Kommissar die Satzungsänderung das Stimmrecht in der Mitgliederversammlung zugestand44. Die Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben im Jahre 1921 zeigt die damalige Struktur der Vereinsfinanzen. Die Gesamteinnahmen von 14.561,49 M setzten sich größtenteils aus fünf Positionen zusammen: Jahresbeiträgen der Mitglieder (2.971,30 M), Patronatsbeiträgen von 14 Städten (1.070 M), 10 Kreisen (850 M) und 42 Einzelnen (5.500 M) (zusammen 7.420 M), Zinsen von angelegten Geldern (839,78 M), jährlichen Beihilfen der Preußischen Archivverwaltung (750 M) und der Brandenburgischen Provinzialverwaltung (2.500 M). Demgegenüber standen Ausgaben von 25.679,17 M. Sie entfielen vor allem auf die verschiedenen Publikationen, auf die Zeitschrift – zwei Hefte der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ kosteten 8.965 M –, auf die „Sitzungsberichte“ (684,75 M) und auf zwei selbständige Veröffentlichungen, nämlich zwei Lieferungen von Krabbos „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause“ (3.756,05 M einschließlich Honorar für eine Lieferung) und Eberhard Schmidts Studie „Fiskalat und Strafprozeß in Brandenburg-Preußen“. Das Rechnungsjahr 1921 schloß also mit einem kräftigen Fehlbetrag von über 11.000 M, den auszugleichen man nachdrücklich bemüht war. Man beantragte beim Brandenburgischen Provinzialverband eine Erhöhung der jährlichen Beihilfe auf 10.000 M, er bewilligte für 1922 5.000 M. Man suchte darüber hinaus zusätzliche Stifter, die um einen einmaligen Beitrag von mindestens 3.000 M gebeten wurden, und Patrone, die jährlich mindestens 100 M beisteuern sollten, aus den Kreisen großer Bankinstitute, industrieller Unternehmungen und märkischer Adelsfamilien zu gewinnen, jedoch mit begrenztem Erfolg; während „die alten

Geschichte der Mark Brandenburg (1922–1942), hier Bl. 1–4; ergänzend: GStAPK, I. HA, Rep. 224 E, Nr. 173, Bl. 80 (Satzungsänderung); FBPG 34 (1922), Sitzungsberichte, 7, 12 (Sitzungen vom 9. Februar bzw. 11. Mai 1921). 44 VgI. J. Schultze, Verein (Anm. 6), 1, 17 f. Die Ausführungen des folgenden Absatzes nach dem in Anm. 43 zuerst zitierten Aktenband; ergänzend GStAPK, I. HA Rep. 178, Nr. 1741, Bl. 97–102.

78 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Familien der Mark so gut wie gar keine Neigung für unsere Bestrebungen gezeigt haben“, verstanden sich immerhin einige Banken zur Förderung. All diese Anstrengungen, die mit den vertrauten Partnern und Wegen aus der Vorkriegszeit ohne grundsätzlich neue Elemente operierten, gingen schließlich im Strudel der Inflationszeit unter. Erst nach der Stabilisierung der Währung und des Wirtschaftslebens ergriffen die verantwortlichen Vereinspersönlichkeiten eine neue Initiative, die schließlich zu einer andersartigen Organisationsform führte. Zum besseren Verständnis der folgenden Vorgänge bedarf es an dieser Stelle eines kleinen verwaltungsgeschichtlichen Exkurses, ausgehend von der Frage, von welcher Stelle innerhalb des Verwaltungsaufbaues des Staates Preußen und seiner Provinz Brandenburg die brandenburgische Landesgeschichtsforschung bürokratisch behandelt wurde. Anders ausgedrückt: Welche Verwaltung nahm auf Grund ihrer gesetzmäßigen Zuständigkeit vorrangig die Sorge um die Landesgeschichte wahr? Die Neuordnung des preußischen Staates von 1815 mit seiner Einteilung in Provinzen wurde durch die Provinzialordnung von 1875 erheblich umgestaltet. Die Verwaltung der Provinzen wurde zweigeteilt, in einen staatlichen Verwaltungsbereich mit dem Oberpräsidenten an der Spitze als Vertreter der Staatsregierung und darunter den Regierungspräsidenten zur Wahrnehmung der allgemeinen inneren Verwaltung, und in einen kommunalen Selbstverwaltungskörper, den „Provinzialverband“, dem sämtliche Landkreise und kreisfreien Städte angehörten. Organe des Provinzialverbandes waren der Provinziallandtag als Legislativorgan sowie der Provinzialausschuß mit höchstens 13 Mitgliedern und der von ihm auf 12 Jahre gewählte, vom Landesherrn zu bestätigende Landesdirektor, die als Exekutivorgane die Verwaltung der gesetzlich zugewiesenen Selbstverwaltungsaufgaben führten. Zu deren Wahrnehmung stellte der Staat den Provinzialverbänden finanzielle Mittel zur Verfügung, er überwies ihnen im sog. Dotationsgesetz besondere Fonds für die im einzelnen beschriebenen Aufgaben, vornehmlich Betätigungen auf wirtschaftlichem und sozialem Felde, aber auch, was hier interessiert, für die Pflege von Kunst und Wissenschaft. Bis 1945 galt das Gesetz vom 30. April 1875 wegen der Dotation der Provinzial- und Kreisverbände, nach dessen § 4 die den Provinzialverbänden überwiesenen Jahresrenten u. a. zu verwenden waren zu Zuschüssen zu Vereinen, welche der Kunst und Wissenschaft dienen, desgleichen für öffent­liche Sammlungen, welche diesen Zweck verfolgen, Erhaltung und Ergänzung von Landesbibliotheken, Unterhaltung von Denkmälern

und „für ähnliche, im Wege der Gesetzgebung festzustellende Zwecke“45. 45 Gesetzsammlung für die Königlich Preußischen Staaten 1875, Berlin 1875, 797.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 79

Auf der Grundlage dieser Gesetzesbestimmung waren dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg vom Brandenburgischen Provinzialverband seit 1877 regelmäßig Gelder, seit 1899 jährlich 2.500 M, zur Unterstützung seiner Arbeiten und zur Herausgabe seiner Publikationen zugeflossen, wie schon angesprochen. Es lag daher nahe, daß die maßgeblichen Landeshistoriker in erster Linie an die für ihre landesgeschichtliche Forschung gesetzlich zuständige Stelle, den Provinzialverband, dachten, wenn sie für ihre geschichtswissenschaftliche Arbeit eine gesicherte Finanzierung seitens einer öffentlichen Hand anstrebten.

II. Die Historische Kommission für die Provinz II. Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin II. (1925–1935/39) Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39)

Der wohl von Schultze entworfene, sorgfältig erwogene Plan sah die Neugründung einer Historischen Kommission als einer selbständigen Organisation, unabhängig vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, vor. Im November 1924 beschloß der Vereinsvorstand auf Vortrag Klinkenborgs, eine „Neuorganisierung der ,Historischen Kommission‘ im engeren Anschluß an die Provinzialverwaltung und mit Ausdehnung auf die ganze Provinz“ anzustreben46. In der „Denkschrift über Begründung einer historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Stadt Berlin“ begründete Klinkenborg47 das Vorhaben im Februar 1925 damit, daß seit längerer Zeit in fast allen deutschen Staaten und in den preußischen Provinzen Historische Kommissionen als Organe der Staats- bzw. Provinzialverwaltung zur Herausgabe der regionalen Geschichtsquellen gegründet worden seien und daß der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg aus Geldmangel vor wie nach dem Kriege diese Aufgabe nicht habe lösen können. Er versicherte sich für sein Vorhaben zunächst auf der Grundlage der Verhandlungsvollmacht, die ihm der Vereinsvorstand gewährt hatte48, der Unterstützung seines wichtigsten Ansprechpartners in der Provinzialverwaltung, des Landesdirektors Joachim von Winterfeldt-Menkin, eines traditionsbewußten, geschichtlich verwurzelten Mannes aus altem brandenburgischen Adelsgeschlecht, der die Arbeiten der Historischen Vereine, der Landeshistoriker und Denkmalpfleger 46 G. Heinrich, Johannes Schultze (Anm. 33), 456 Anm. 10. 47 Das Folgende nach: Landesarchiv Berlin (im folgenden zitiert: LAB), A Rep. 021-02 (Stadtarchiv Berlin), Nr. 71; GStAPK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 118, Bl. 3–4, 7, 9, 13–14, 17, 24–29. Die angeführte Denkschrift Klinkenborgs ediert unten im Anhang, Nr. 1. 48 Wie Anm. 46.

80 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

in Brandenburg seit dem Beginn seiner Verwaltungslaufbahn andauernd und nachdrücklich gefördert hatte und in seiner uckermärkischen Heimat als junger Landrat einst selbst die Gründung von lokalem Geschichtsverein und Museum angeregt hatte49. Zu ihm stand Klinkenborg als 1908 bestellter nebenamtlicher Leiter des die ständische Überlieferung verwahrenden Archivs des Provinzialverbandes seit vielen Jahren in engem Kontakt. Winterfeldt erklärte sich dazu bereit, die Kommission und ihre Aufgabe, die von Klinkenborg herausgestellte Herausgabe von Quellen zur brandenburgischen Landesgeschichte, durch die Bereitstellung von ansehnlichen Mitteln aus dem Etat des Provinzialverbandes zu unterstützen, und vermochte die notwendige Zustimmung des Provinzialausschusses zu besorgen. Mit seiner diplomatisch geschickt konditionierten Zusage gelang es ihm und Klinkenborg, nach persönlichen Gesprächen mit dem Berliner Oberbürgermeister Gustav Böss und mit nachhaltiger Befürwortung des von ihnen eingeweihten und mit ihnen verbündeten Berliner Stadtarchivars Ernst Kaeber50, der zudem für seine Belange in dem zuständigen Fachdezernenten, dem Stadtsyndikus Lange, einen verständnisvollen Förderer besaß, auch die Stadt Berlin, die außerhalb des Provinzialverbandes stand, zur Mitwirkung zu bewegen. Klinkenborg hatte beide Verwaltungen durch den Hinweis in die Pflicht zu nehmen gesucht, daß die herauszugebenden Quellen sich auf beide Gebiete bezögen. Unterstützung aus einer geschichtsinteressierten Öffentlichkeit besorgten sich die Initiatoren, indem die brandenburgischen Geschichtsvereine auf ihrer Tagung in Landsberg/Warthe am 16. Mai 1925 eine von Kaeber entworfene Resolution annahmen, die die Kommission als sehr wünschenswert begrüßte. Nach der Abstimmung der beteiligten Seiten über die Statuten und die Personalauswahl wurde auf der konstituierenden Sitzung vom 28. Oktober 1925 die „Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ gegründet, die ihren organisatorischen und finanziellen Rückhalt an zwei Partnern, dem Brandenburgischen Provinzialverband und der Stadt Berlin, hatte, deren Gleichberechtigung und Parität die Statuten51 in sorgsam erwogenen Formulierungen wahrten. Daraus erklären sich etwa der Kommissionsname, der zwischen dem Berliner Rathaus und dem Landeshaus der Provinz Brandenburg halbjährlich wechselnde Ort der Kommissionssitzungen, die Einrichtung einer 49 Hermann Fricke, Joachim von Winterfeldt-Menkin. Seine Verdienste um die märkische Geschichtsforschung, in: FBPG 47 (1935), 385–388. 50 Werner Vogel, Ernst Kaeber. Leben und Werk, in: Ernst Kaeber, Beiträge zur Berliner Geschichte. Ausgewählte Aufsätze, bearb. u. mit einer biographischen Darstellung versehen v. Werner Vogel (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-MeineckeInstitut der Freien Universität Berlin, 14), Berlin 1964, 377–385, mit Schriftenverzeichnis, ebd. 386–392; ders., Ernst Kaeber (1882–1961), in: Lebensbilder (Anm. 9), 231–237. 51 Vgl. unten Anhang, Nr. 2.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 81

Unterreihe „Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins“ innerhalb der Kommissionsreihe. Mit der nachfolgenden Sitzung am 21. November 1925, auf der die drei Vorstandsmitglieder gewählt und das Arbeitsprogramm angenommen wurde, war die Gründung abgeschlossen. Zur Mitgliedschaft besagte § 2 der Statuten: Die Historische Kommission besteht aus dem Herrn Landesdirektor der Provinz Brandenburg und dem Herrn Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin (bzw. einem von ihnen mit der Vertretung beauftragten Landesrat oder Mitglied des Magistrats), je einem Vertreter des Geheimen Staatsarchivs (als des Staatsarchivs der Provinz Brandenburg) und des Berliner Stadtarchivs, dem Bearbeiter für Kunst und Wissenschaft bei der Provinzialverwaltung sowie drei Professoren der Universität Berlin. Die so gebildete Kommission verstärkt sich durch Zuwahl um höchstens zehn weitere Mitglieder, welche mit den landesgeschichtlichen Aufgaben vertraute und darin hervorgetretene Fachgelehrte sein müssen. ... Die in Absatz 1 aufgeführten Mitglieder werden erstmalig vom Herrn Landesdirektor und Herrn Oberbürgermeister im gegenseitigen Einvernehmen berufen. In Zukunft ergänzt sich die Kommission für sämtliche Mitglieder durch Zuwahl (mit Ausnahme der die Vertretung des Herrn Landesdirektors und des Herrn Oberbürgermeisters ausübenden Mitglieder).

Die Mitgliedschaft entstand also auf unterschiedlichen Grundlagen. Von Amts wegen gehörten der Kommission – zwecks Herstellung der Parität – je zwei von der Provinzial- und Stadtverwaltung entsandte Mußmitglieder an: der brandenburgische Landesdirektor und der Berliner Oberbürgermeister (bzw. der von ihm bestimmte ständige Vertreter, der Fachdezernent für das Stadtarchiv, der Stadtsyndikus und spätere Bürgermeister Lange) sowie der brandenburgische Dezernent für Kunst und Wissenschaft, der Provinzialkonservator Erich Blunck52 (solange ein hauptamtlicher Leiter des Archivs des Provinzialverbandes nicht bestellt war) und der Berliner Stadtarchivar. Zur „engeren Kommission“ wurden darüber hinaus noch der Vertreter des Geheimen Staatsarchivs und drei Professoren der Berliner Universität gezählt; die Dienststellung „Professor“ durch „Dozent“ zu ersetzen, wurde „im Interesse des Ansehens der Kommission“ abgelehnt. Die weiteren Mitglieder traten nach freier Kooptation bei. Praktische Wirkung hat die vereinsrechtliche Differenzierung in der Folge nicht gehabt. Zur Finanzierung der Kommissionsarbeit bemerkt § 5 lakonisch: „Die Einnahmen bestehen aus den vom Provinzialausschuß und dem Magistrat der Stadt Berlin bewilligten Mitteln“. Nachdem die Initiatoren für die Höhe der bereitzustellenden Geldmittel auf die 30.000 M hingewiesen hatten, die der Provinzialverband der Provinz Sachsen damals der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt bewilligte, hatte sich bereits zu Beginn der Verhandlungen Winterfeldt zur Bewilligung von 15.000 M bereitgefunden, unter dem Vor52 Dieter Hübener, Erich Blunck, in: BBL (Anm. 9), 54 (Lit.).

82 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

behalt einer gleich hohen Dotierung seitens Berlins, so daß die städtische Deputation für Kunst und Bildungswesen, dadurch im Sinne der Parität unter Zugzwang gesetzt, im Juni 1925 ebenfalls 15.000 M gewährte. Die unveränderbare, aus dem Amt abgeleitete Mitgliedschaft der politischen Spitzen von Provinzialverband und Reichshauptstadt ebenso wie die ausschließliche Finanzierung aus deren Zuschüssen machten die Kommission, wie es Kaeber einmal später ausdrückte, zu einem „halbamtlichen Unternehmen“53, auch wenn die Kooptation weiterer Mitglieder und die Ausarbeitung und Festlegung des wissenschaftlichen Programms im freien Ermessen der Mitgliederversammlung lag. Man erhoffte sich von dieser Konstruktion, wie es in der vorbereitenden Denkschrift heißt, daß die Teilnahme der beiden öffentlichen Körperschaften „die Gewähr einer dauerhaft finanzierten Tätigkeit und des behördlichen Nachdrucks“ biete; die eigentliche Arbeit könne hingegen nur in den Händen wissenschaftlich vorgebildeter Historiker liegen, die bedeutendsten Kenner märkischer Landesgeschichte seien hierzu zu vereinen. Die Konstruktion der Historischen Kommission wich damit in zwei wesentlichen Punkten von der Struktur ihres „Vorläufers“, des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, ab. Die öffentlichen Gründer und finanziellen Träger gehörten als feste Mitglieder mit Sitz- und Stimmrecht der Kommission an und konnten somit über deren Belange mitentscheiden, allerdings ohne ein qualifiziertes Stimmrecht etwa in Form eines Vetorechtes. Die Zahl der Mitglieder war bewußt klein gehalten, statutenmäßig auf höchstens 18 Personen begrenzt, weil man die förmliche Vertretung von Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen oder von Städten und Regionen ausschließen und sich auf die befähigtsten Köpfe der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung mit der Bereitschaft zu eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen beschränken wollte. Die Kommission, verlautbarte einmal ihr Vorsitzender, sei „nicht Geschichtsverein, sondern ein akademieähnliches Amt mit der Aufgabe, größere wissenschaftliche Unternehmungen zur Geschichte von Provinz und Stadt herauszubringen“54. Daher lehnte er es auch ab, einen Kenner der Geschichte von Frankfurt (Oder) entsprechend dem Wunsch des dortigen Magistrates aufzunehmen, da kein Teil der Provinz, auch Brandenburg und Niederlausitz nicht, als solcher Vertreter in der H[istorischen] K[ommission] habe ..., ... vielmehr (wähle) die H[istorische] K[ommission] ihre Mitglieder selbst nach ihren Bedürfnissen55. 53 LAB, A Rep. 21–02, Nr. 71, Bl. 76rv, Kaeber an die Deputation für Kunst und Bildungswesen der Stadt Berlin, 19. 9. 1928. 54 Der Kommissionsvorsitzende Stutz an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg, 26. Januar 1935, in: BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 85, Bl. 10. 55 Stutz auf der Sitzung der Kommission am 13. März 1926, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 72.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 83

Die Betonung der individuellen Voraussetzungen führte dazu, daß nach der von Schultze und Kaeber aufgestellten und mit Klinkenborg abgestimmten Vorschlagsliste solche Personen ausgewählt wurden, die mit herausragenden Publikationen wesentliche Forschungsfelder oder -aufgaben abdeckten, entweder bestimmte Sachgebiete oder bestimmte historische Landschaften der Provinz. Dabei fiel der Blick notwendigerweise auf Angehörige von Institutionen wie des Geheimen Staatsarchivs, der Berliner Universität oder verschiedener Geschichtsvereine, die kraft ihrer Aufgabengebiete und Funktionen mit der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung befaßt waren und kompetente Fachleute in ihren Reihen aufwiesen. So gehörten der Kommission 1925 und in den folgenden Jahren56 Namen von Rang und Klang aus der brandenburgischen und, darüber hinausgehend, aus der brandenburg-preußischen Geschichtsforschung an. Den Vorsitz übernahm der berühmte Kirchenrechtshistoriker Ulrich Stutz, der sich seit seiner Berufung an die Berliner Universität 1917 auch der brandenburgischen Geschichte zugewandt hatte, als stellvertretender Vorsitzender des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg ebenso wie mit eigenen Forschungen zum Bekenntniswechsel des Kurfürsten Johann Sigismund in einer Akademie56 Der nachfolgende Überblick über die Organisation und Tätigkeit der Historischen Kommission beruht vornehmlich auf den ausführlichen Protokollen der halbjährlichen Kommissionssitzungen, vgl. LAB, A Rep. 21-02, Nr. 72. – Vgl. ferner die gedruckten, allerdings sehr knappen regelmäßigen Arbeitsberichte der Kommission in den FBPG 38 (1926), 377 f.; 39 (1927), 143, 313 f.; 40 (1927), 158 f., 349 f.; 41 (1928), 141, 393 f.; 42 (1929), 145, 324 f.; 43 (1930), 354 f.; 45 (1933), 388; 46 (1934), 392; 47 (1935), 388; 50 (1938), 141 f.; 51 (1939), 377. – Erwägungen der Gründungsphase referiert der kurze Beitrag des Gründungsmitgliedes Rudolf Lehmann, Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und ihre Aufgaben, in: Niederlausitzer Mitteilungen 17 (1925/26), 323–328. – Zur Ergänzung der offiziellen Akten vgl. Johannes Schultze, Meine Erinnerungen, Berlin 1976, S. 42–52, mit seinen temperamentvoll-subjektiven Schilderungen und Einschätzungen. – Die Akten der Historischen Kommission, insbesondere die Korrespondenz des Vorsitzenden Stutz, wurden bei dem Bombenangriff auf Potsdam im April 1945 zerstört, vgl. J. Schultze, Erinnerungen, S. 44. Erhalten geblieben sind die Akten des Schriftführers Kaeber (im LAB, Bestand A Rep. 21–02: Stadtarchiv Berlin, vgl. dazu im allgemeinen: Das Landesarchiv Berlin und seine Bestände, Teil 1: Übersicht der Bestände aus der Zeit bis 1945 (Tektonik-Gruppe A), bearb. v. Heike Schroll u. Regina Rousavy [Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin, Bd. 1, Teil I], Berlin 2003, 119 f.) und die Akten des Brandenburgischen Provinzialverbandes (im BLHA), auf die die vorliegende Untersuchung sich vornehmlich stützt. – Die von Kaeber geführten Akten (LAB, A Rep. 21– 02, Nr. 71–85) entsprangen seiner Funktion als Schriftführer und als Mitglied der Verlagskommission, so daß in ihnen vornehmlich sein Schriftverkehr mit den Autoren und mit den Verlagen und Druckereien mit dem Schwergewicht auf drucktechnischen, nicht auf inhaltlichen Fragen enthalten ist. Als besonders ergiebig erwies sich die Akte mit den Protokollen der halbjährlichen Sitzungen (LAB, A Rep. 21–02, Nr. 72). – Herrn Dr. Klaus Dettmer, Landesarchiv Berlin, bin ich für die Gewährung liberalster Benutzungsbedingungen, ohne die die eingehende Auswertung der Archivalien dem Vf. nicht möglich gewesen wäre, zu größtem Dank verpflichtet.

84 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Abhandlung, „seine[r] wichtigste[n] Schrift aus der Geschichte des evangelischen Kirchenrechts“57. Zum Stellvertreter Stutz’ wurde Klinkenborg bestimmt, der die Fäden in der Vorgeschichte der Kommissionsgründung geknüpft hatte. Zum Schriftführer wurde der Berliner „Strippenzieher“ Kaeber gewählt. Die Friedrich-Wilhelms-Universität war neben Stutz durch Otto Hintze – der dann die ersten vier Kommissionssitzungen mit seinen Beiträgen anregte, aber seit dem Herbst 1927 dort nicht mehr auftauchte – und Fritz Hartung vertreten. Unter den im Oktober 1925 hinzugewählten Mitgliedern erschienen mehrere Landeshistoriker, die vornehmlich durch Arbeiten zu einzelnen Regionen oder Städten Brandenburgs hervorgetreten waren, so Paul Clauswitz58 (Berlin), Otto Tschirch59 (Stadt Brandenburg und Havelland), Rudolf Lehmann60 (Niederlausitz) und Paul Schwartz (Neumark), während andere die gesamte Mark ins Auge gefaßt hatten, wie Friedrich Holtze61 (Rechtshistoriker), Hermann Krabbo (Bearbeiter der Askanier-Regesten und Mitglied der Gesellschaft für Heimatkunde und Heimatschutz „Brandenburgia“), Willy Hoppe62 (Dozent der märkischen Geschichte an der Ber57 Daß Stutz der Kommission „nominell“ vorgestanden, Johannes Schultzes aber die fachliche Arbeit geleistet habe (so W. Ribbe, Quellen [Anm. 11], 60; genauso ders., Historische Kommission [wie unten Anm. 128], 12), wird der Leistung des Erstgenannten nicht gerecht, wie sowohl das Studium der überlieferten Akten (mit zahlreichen Hinweisen zu Stutz’ umfassenden Einsatz für die Kommission insgesamt als auch für einzelne ihrer Forschungsvorhaben) als auch das ausdrückliche Zeugnis Schultzes in seinen Erinnerungen, der dort nur wenige Kollegen von seinem scharfen Urteil ausnimmt (Stutz habe sich „in geradezu aufopferndem Umfang für die H.K. eingesetzt“, Erinnerungen [Anm. 56], 43), zeigen. – Zutreffender zum Verhältnis von Stutz und Schultze Heinrich, Johannes Schultze (Anm. 42), 456. 58  Jürgen Wetzel, Paul Clauswitz (1839–1927), in: Lebensbilder (Anm. 9), 238–249. 59 Willy Hoppe, Otto Tschirch. Ein Nachruf, in: FBPG 54 (1943), 1–10; zur bloß beratenden Mitwirkung Tschirchs in der Historischen Kommission ebd., 8; Klaus Heß, Otto Tschirch (1858–1941), in: Lebensbilder (Anm. 9), 380–385. – Die von Tschirch sogleich nach der Kommissionsgründung vorgeschlagene Sammlung märkischer Biographien scheiterte an dem Widerspruch Hintzes und Hartungs, vgl. LAB, A 21 – 02, Nr. 83. 60 Richard Moderhack, Rudolf Lehmann zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), 469–472; Bibliographie Rudolf Lehmann 1916–1984, bearb. v. Michael Gockel u. Annerose Michel, ebd., 473–495; Gerd Heinrich, Rudolf Lehmann zum Gedächtnis (16. 9. 1891–14. 1. 1984), in: JGMOD 33 (1984), 583 f.; Michael Gockel, Rudolf Lehmann (1891–1984), in: Lebensbilder (Anm. 9), 135–152. 61 Judith Uhlig, Friedrich Holtze, in: BBL (Anm. 9), 184 (Lit.). 62 Werner Vogel, Willy Hoppe, in: BBL (Anm. 9), 185 (Lit.); Eberhard Faden, Willy Hoppe 1884– 1960, in: JBLG 11 (1960), 158–170; Herbert Ludat, Willy Hoppe, in: Willy Hoppe, Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, eingeleitet u. hrsg. v. Herbert Ludat, Köln, Graz 1965, VII–XV, ebd. 403–411 Schriftenverzeichnis Willy Hoppe; Ernst Kaeber; Willy Hoppe als märkischer Historiker, in: JBLG 5 (1954), 7–12, darin 12 Verzeichnis der von Hoppe angeregten und angenommenen Dissertationen; Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 13),



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 85

liner Universität) und Johannes Schultze (vom Verein für Geschichte der Mark Brandenburg beauftragter Herausgeber der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“). Drei Mitglieder verstarben schon wenige Jahre nach deren Gründung, Clauswitz 1927, Holtze – der an keiner einzigen Kommissionssitzung teilgenommen hatte – 1929 und Krabbo 1928, ohne daß er wegen seiner schweren Erkrankung die von ihm übernommene Aufgabe, Ergänzungen zu Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis zu sammeln und herauszugeben, noch hätte merklich in Angriff nehmen können63; sein Projekt blieb verwaist. Im März 1928 wurden der Staatsbibliothekar Gustav Abb (Mitarbeiter an der Germania Sacra), der Militärhistoriker Curt Jany und der Geheime Staatsarchivar Reinhard Lüdicke64 (tätig im Brandenburgischen Provinzialarchiv im Geheimen Staatsarchiv) hinzugewählt, schließlich im November 1930 zwei erst im selben Jahr nach Berlin berufene Gelehrte, Adolf Brenneke65 (Zweiter Direktor des Geheimen Staatsarchivs) und Robert Holtzmann (Mediävist an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität). Nicht immer beachtete man bei diesen späteren Zuwahlen das Kriterium der Satzung, wonach nur in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung hervorgetretene Fachleute in die Kommission aufgenommen werden sollten66. Nach Klinkenborgs frühem Tod im März 1930 rückte Schultze, der tatkräftigste und produktivste Kopf unter den Brandenburg-Historikern seiner damals mittleren Generation, im November 1930 als Stellvertreter nach67. Innerhalb des kleinen ausgewählten Mitgliederkreises zeichnete sich, betrachtet man die Veröffentlichungen und studiert man die Kommissionsakten, wiederum eine Gruppe von wenigen Personen durch nachhaltige aktive Mitwirkung an den wissenschaftlichen Vorhaben aus. Hierzu wird man Stutz, KlinkenStuttgart 1966, 242–245, 265, 874–878, 1249; Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142 (2005/2006), 19–60, siehe unten S. 245–292; ders., Willy Hoppe (1884–1960), in: Lebensbilder (Anm. 9), 108–119. 63 VgI. auch Abb, Krabbo (Anm. 32), 383, 387. 64 Klaus Neitmann, Reinhard Lüdicke, in: BBL (Anm. 9), 263 (Lit.); Erich Kittel, Reinhard Lüdicke und das Brandenburgische Provinzialarchiv, in: Archivalische Zeitschrift 53 (1957), 153–160; Eckart Henning, Reinhard Lüdicke (1878–1947), in: Lebensbilder (Anm. 9), 87–96. – Zur Wahlkonstellation vgI. Hoppe an Lehmann, 27. 1. 1928, in: BLHA, Rep. 16, NL Rudolf Lehmann, Nr. II, 2. 65 Wolfgang Leesch, Adolf Brenneke, in: Adolf Brenneke, Archivkunde. Ein Beitrag zur Theorie und Geschichte des europäischen Archivwesens, Leipzig 1953, IX–XIX (mit Schriftenverzeichnis); ebd. XIV zu seiner fehlenden Verankerung in der brandenburg-preußischen Geschichtsforschung. 66 VgI. J. Schultze, Erinnerungen (wie Anm. 47), S. 50, 52. – Zur Vorgeschichte von Lüdickes Zuwahl vgl. sein Schreiben an Kaeber vom 17. 10. 1927, LAB, Rep. A 21–02, Nr. 75, Bl. 63. 67 Zur Wahlkonstellation vgI. Schultze, Erinnerungen (Anm. 47), 47–51, sowie sein Vermerk von 1962, in: BLHA, Rep. 162 A Historische Kommission zu Berlin, Nr. 1206.

86 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

borg, Schultze, Kaeber, Hartung, Hoppe, Lehmann und Lüdicke rechnen dürfen – vor allem von ihrem Einsatz lebte die Kommission. Die Beaufsichtigung des Arbeitsprogramms wurde in der Weise organisiert, daß Unterkommissionen aus einigen Kommissionsmitgliedern mit einem Vorsitzenden zur fachlichen Begleitung und Begutachtung der geplanten, laufenden und abgeschlossenen Forschungsvorhaben und -felder eingesetzt wurden. Die einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten wurden sowohl von Mitgliedern als auch in Absprache mit der Kommission sowie in ihrem Auftrage von außenstehenden Forschern geleistet. Die verfügbaren Mittel wurden vornehmlich für die Honorierung und Entlohnung einzelner Bearbeiter sowie für die Drucklegung der Manuskripte verwendet. Den Autoren wurde nach dem Muster der Acta Borussica in den ersten Jahren ein Bogenhonorar von 100 M gewährt. Über dieses Modell ging die Kommission für drei Arbeitsvorhaben hinaus, indem sie die verantwortlichen Wissenschaftler, Berthold Schulze (für den Historischen Atlas), Hugo Rachel (Akten zur Geschichte der landesherrlichen Ämter der Mark Brandenburg) und Helmuth Croon (Ständeakten), damit beauftragte, gegen ein festes monatliches Honorar bei einer festen wöchentlichen Arbeitszeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen. Schulze erhielt seit November 1926, zunächst probeweise für ein halbes Jahr, zur Vergütung seiner vorerst an der Universität Greifswald angesiedelten Atlasarbeiten eine monatliche Entschädigung von 175 M, die nach seiner Überwechselung nach Berlin auf 200 M erhöht werden sollte. Nach seinem zeitweisen Ausscheiden erneuerte die Kommission 1930 seine Verpflichtung gegen ein Monatshonorar von 200 M, unter der Voraussetzung seiner schriftlichen Zusage, „dass er dadurch keinerlei Anspruch auf dauernde Beschäftigung durch die Historische Kommission erhält“; wegen der Weltwirtschaftskrise wurde die Vergütung im Herbst 1931 auf 180 M herabgesetzt. Die Veröffentlichungen wurden über einen Kommissionsverlag, die Berliner Firma Gsellius, vertrieben, so daß die aus ihrem Verkauf erzielten Erlöse wieder der Kommission zuflossen und diese im günstigen Falle mindestens die Druckkosten deckten. Da Provinzialverband und Reichshauptstadt bereits 1925 30.000 M zahlten, ohne daß in der Anfangsphase der Arbeit nennenswerte Ausgaben anstanden, legte die Kommission sogleich den größten Teil davon bei der Preußischen Seehandlung verzinslich an. Sie startete so mit einer soliden materiellen Ausstattung: Im ersten vollen Rechnungsjahr vom 18. 3. 1926 bis zum 3. 3. 1927 nahm man 56.990,20 M ein, denen 8.002,03 M Ausgaben gegenüberstanden, so daß am 3. 3. 1927 ein Bestand von 48.988,17 M vorhanden war. Zur dauerhafteren finanziellen Absicherung ihrer Tätigkeit, insbesondere der kostenträchtigen Bearbeitung des Historischen Atlas, schuf die Kommission bald einen Atlas- und Reservefonds, damit sie „plötzlich sich geltend machenden finanziellen Anforderungen erheblicheren Ausmaßes gewachsen zu sein und über etwaige wirtschaftliche Notjahre



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 87

hinweg zu kommen vermag“, wie es das Protokoll der Sitzung vom Oktober 1926 formuliert. Am Ende des Rechnungsjahres 1927/28 belief dieser sich auf 45.000 M, seine Zinsen kamen den laufenden Einnahmen zugute. Zum Zweck ihrer Anstrengungen erklärte die Kommission nach § 1 ihrer Statuten, die Quellen der Geschichte der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin in einer den Forderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise herauszugeben und die Geschichtsforschung auf diesem Gebiete durch gewichtige Darstellungen zu fördern.

Liest man Schriftwechsel und Erklärungen aus der Gründungsphase und betrachtet man die nachfolgende Praxis, so hat die Kommission eindeutig in das Zentrum ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit die Erarbeitung und Veröffentlichung von Quelleneditionen gerückt. Dabei wollte man nach der Denkschrift vom Februar 1925 unter Hinweis auf Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis für mittelalterliche Quellen allenfalls eine Nachlese halten, vor allem aber Quellen aus den neueren Jahrhunderten, beginnend mit der Reformationszeit, und zwar sowohl allgemeine Quellen als auch rein lokale, herausgeben, „während Forschungen und Darstellungen den einzelnen lokalen Geschichtsvereinen überlassen bleiben“. In diesem Sinne betonte Kaeber in einem für Stadtsyndikus Lange und Oberbürgermeister Böss angefertigten Aktenvermerk bei Vorlage dieser Denkschrift: M. E. sind in der Tat Provinz und Stadt in gleichem Maße bei diesem ersten ernsthaften Plan beteiligt, den heimatgeschichtlichen Vereinen das für ihre Arbeit notwendige Quellenmaterial in wissenschaftlich einwandfreier Form zu bieten68.

Die erste Arbeitssitzung der Kommission im November 1925 bestätigte bei der Beratung des Arbeitsprogramms nochmals den Vorrang der Quelleneditionen, 68 LAB, A Rep. 021–02, Nr. 71, BI. 4v. – In ähnlichem Sinne mit derselben Konsequenz äußerte sich Kaeber in einer Aktennotiz vom September 1925: „Eine den heutigen Ansprüchen genügende Geschichte Berlins wird sich daher auch erst schreiben lassen, wenn die in der Gründung begriffene Historische Kommission die wichtigsten Quellen veröffentlicht haben wird“. Ebd., BI. 24r. – Die von Tschirch 1926 vorgeschlagene Sammlung märkischer Biographien oder märkischer Lebensbilder empfand Lehmann nicht als vorrangige Kommissionsaufgabe: „Meiner Meinung nach muß es doch wohl die Hauptaufgabe der Kommission sein, solche Arbeiten zu beginnen, die in irgendeiner Weise u. Form Material (Quellen u. dergl.) bereitstellen, Aufgaben also, die von privater Seite kaum oder überhaupt nicht zu geleistet werden können. Darstellende, das bereitgestellte Material ausschöpfende Arbeiten sollen ja nicht ganz fehlen, müßten doch aber wohl in der Hauptsache anderen Kreisen überlassen bleiben“. Lehmann an Kaeber vom 5.5.1926, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 83, Bl. 51–52, Zitat Bl. 52r.

88 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

indem für weniger umfangreiche Darstellungen, besonders auch für Dissertationen, die Veröffentlichung durch den Verein für Geschichte der Mark Brandenburg empfohlen wurde. Dieser nahm es, da an seiner Spitze Klinkenborg und Schultze standen, ohne Widerspruch hin, daß eine Aufgabenteilung eingetreten war: Da die Quellenveröffentlichungen von jetzt ab auf die Histor[ische] Kommission übergehen, verbleibt dem Verein die Aufgabe, kleinere Darstellungen zur Brandenburgischen Geschichte von bedeutendem wissenschaftlichen Wert zu unterstützen.

Er mußte es allerdings auch hinnehmen, daß der Provinzialverband im Dezember 1925 seinen erneuerten Antrag, ihm entsprechend den Vorkriegsverhältnissen eine Beihilfe von 2.500 M zu gewähren, ablehnte, da größere Veröffentlichungen jetzt von der Historischen Kommission herausgebracht würden; 1.000 M erschienen ihm wie schon 1924 unter diesen Gegebenheiten für den Verein „angemessen“69. Der unbedingte Vorrang der Quellenarbeit zeigte sich in dem von Kaeber, Hoppe und Schultze vorgelegten und von der Mitgliederversammlung mit den Korrekturen Hintzes genehmigten allgemeinen Arbeitsplan. Er sah vor, die angestrebten Veröffentlichungen in acht Gruppen zu gliedern: 1. Bibliographien (zur Geschichte der Kur- und Neumark, der Niederlausitz und der Stadt Berlin), 2. Ständeakten (Quellen zur Geschichte der märkischen Land- und Provinzialstände), 3. Quellen und Untersuchungen zur Wirtschafts-, Rechts- und Verfassungsgeschichte, der Städte wie der Ämter und Kreise, 4. Urkunden (Ergänzungsbände zu Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis) und Regesten (Fortführung der Regesten der Markgrafen von Brandenburg), 5. Inventare der nichtstaatlichen Archive, 6. Quellen zur Kirchen- und Schulgeschichte, 7. Quellen zur historischen Geographie mit dem Ziel der Schaffung eines historischen Atlas, 8. Förderung von wissenschaftlichen Arbeiten der historischen Vereine. Die Diskussion der Mitglieder bekräftigte Hintzes Forderung, sich nicht auf das Mittelalter zu beschränken, sondern die Arbeit bis in das 19. Jahrhundert auszudehnen. Ihrer Intention nach wollte die Kommission, wie die einzelnen Vorhaben zeigen, Grundlagenforschung leisten, die Arbeit der Landes- und Ortshistoriker in den Geschichtsvereinen dadurch erleichtern und ermöglichen, daß sie ihr verläßliche bibliographische (Nr. 1) und kartographische (Nr. 9) Hilfsmittel und zuverlässige Quellenausgaben unterschiedlichster Überlieferungsarten (Nr. 2–8) zur Verfügung zu stellen gedachte. Die Betonung der editorischen Aufgabe knüpfte an 69 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 90, Bl. 19–20, 27, 30. – Wie aus dieser Akte hervorgeht, erhielt der Verein fortan bis in die frühen 1940er Jahre vom Provinzialverband im allgemeinen einen jährlichen Zuschuß von 1.000,– M und lag damit in der Zuschußhöhe an der Spitze der von diesem geförderten brandenburgischen Geschichtsvereine.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 89

die große Tradition der Quellenarbeit in der brandenburg-preußischen und deutschen Geschichtswissenschaft an, die gerade in den positivistischen Jahrzehnten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit gewichtigen Unternehmungen Schwerpunkte gesetzt und herausragende Leistungen hervorgebracht hatte. Sie bezog sich darauf, daß die Historischen Kommissionen seit 1876 vorrangig zur Bearbeitung von wissenschaftlich schwierigen und anspruchsvollen Quellenausgaben eingerichtet worden waren. Und sie schloß an die großen Editionsprojekte im Umfeld des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg und der Acta Borussica vor 1914 /18 an. Hingegen nahm die Forderung nach einem historischen Atlas ein methodisches Verfahren auf, das in der landesgeschichtlichen Diskussion seit der Jahrhundertwende theoretisch entwickelt worden war, nach dem I. Weltkrieg zu konkreten Arbeitsansätzen geführt hatte und damit mitten in der damals aktuellen Umformung landesgeschichtlicher Arbeit stand. Deren modernste methodische Ansätze, die Kulturraumforschung und Siedlungsgeschichte, für die vor allem Namen wie Hermann Aubin in Bonn und Rudolf Kötzschke in Leipzig standen70, haben hingegen in Programm und Praxis unserer Kommission kaum einen Niederschlag gefunden. Bezeichnenderweise wurde aus der Bevorzugung schriftlicher Quellen gerade entgegen den von Aubin repräsentierten Forschungs­ tendenzen abgeleitet und bei konkreten Anlässen mehrfach bekräftigt, daß die Vorgeschichte, die Volkskunde und die Kunstgeschichte aus der Arbeit der Kommission zwar nicht gänzlich ausgeschlossen bleiben, aber doch nur am Rande berücksichtigt werden sollten, da sie nicht zu ihren „eigentlichen Aufgaben“ gehörten. Die skizzierten Bedingungen, vor allem die für „ein großzügiges Arbeitsprogramm“ erforderliche Ausstattung mit ausreichenden Mitteln, wurde von den Kommissionsgründern als unerwarteter, außerordentlicher Erfolg ihrer Bemühungen empfunden: „Ein oft im Kreis des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg erörterter Wunsch wurde dadurch Wirklichkeit in einem Umfange, wie wir es nie zu erhoffen gewagt hatten“71. Und die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin ergriff die ihr gebotene Chance mit energischem Nachdruck. Sie vermochte sich sehr schnell mit einer Vielzahl von hervorragenden wissenschaftlichen Werken allgemeine Anerken-

70 Ernst Pitz, Neue Methoden und Betrachtungsweisen in der landesgeschichtlichen Forschung nach 1918, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 124 (1988), 483–506; Matthias Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Moraw u. Rudolf Schieffer (Vorträge und Forschungen, 62), Ostfildern 2005, 251–364, hier 256–328. 71 J. Schultze, Melle Klinkenborg (Anm. 41), 16.

90 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

nung zu verschaffen, zumal sie pragmatisch bereits laufende Vorhaben wie auch vorhandene Vorarbeiten aufgriff, so im Falle der Acta Brandenburgica, der Lausitz-Bibliographie und der ältesten Berlin-Cöllner Bürgerbücher72. Ohne hier ihre Veröffentlichungen im einzelnen detailliert würdigen zu können, seien sie wenigstens im Überblick skizziert73, unter Hervorhebung der gewichtigsten Werke und der thematischen Schwerpunkte, ggf. mit dem Vergleich zwischen der ursprünglichen Planung und dem tatsächlich erreichten Ergebnis, das in zahlreichen Fällen durch die noch näher zu schildernden Finanznöte der Kommission ab 1931/32 erheblich beeinträchtigt worden ist. Die drei größten, umfangreichsten Editionsvorhaben waren dem 16. und frühen 17. Jahrhundert gewidmet, also der Epoche, in der die mittelalterliche Markgrafschaft Brandenburg durch die kirchlich-geistliche Bewegung der Reformation, durch die politische Mitwirkung der Landstände und durch die Einbeziehung in die große Reichs- und europäische Politik geprägt wurde und unbewußt die ersten Schritte auf den späteren brandenburg-preußischen Staat zurücklegte. Zum ersten: Studienrat Victor Herold, der mit einer sorgfältigen Untersuchung über die erste lutherische Kirchenvisitation in der Mark promoviert worden war, wurde dafür gewonnen, die Akten der vier evangelischen Generalvisitationen zwischen 1540 und 1602 zu bearbeiten und in nach Superintendenturbezirken gegliederten Heften herauszugeben, wobei man sich für das landschaftsweise Vorgehen darauf verständigte, mit der Prignitz zu beginnen und mit Ruppin, Havelland und Frankfurt (Oder) fortzufahren74. In sieben in rascher Folge ab 1928 erscheinenden Lieferungen lagen die Kirchenvisitations-Abschiede und -Register der Prignitz 1931 vollständig vor. Sie beinhalten die reformatorische, von der landesherrlichen Kirchenaufsicht begleitete Reorganisation des kirchlichen Lebens in geistlicher und in materieller Hinsicht. Die Abschiede sind die Richtlinien für das kirchliche Leben in der Gemeinde, sie enthalten Bestimmungen über 72 Kaeber hatte bereits im Frühjahr 1925 mit dem Genealogen Peter von Gebhardt die Herausgabe des ältesten Berliner Bürgerbuches als erste Veröffentlichung in einer neuen Schriftenreihe des Berliner Stadtarchivs vereinbart und dafür Mittel vom Magistrat bewilligt erhalten. Vgl. LAB, A Rep. 21–02, Nr. 38, Bl. 42–62, 73, 110; ebd. Bl. 44–45 ein Schreiben Gebhardts vom 5. 1. 1925 mit Darstellung seiner Bearbeitungsgrundsätze. – Die Schaffung einer Berliner Unterreihe in der Schriftenreihe der Historischen Kommission bot Kaeber den Vorteil, daß ihm für die nachdrücklich verfolgte Publikationstätigkeit des Stadtarchivs zwei Reihen, die eben genannte und zusätzlich (ab 1927) eine eigene, vom Stadtarchiv herausgegebene, zur Verfügung standen. 73 Vollständige Zusammenstellung der Titel mit bibliographischen Angaben unten im Anhang, Nr. 4. 74 Vgl. den Schriftverkehr zwischen Herold und Stutz aus dem Sommer und Herbst 1926 über die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung des Vorhabens, insbes. das Schreiben Herolds vom 19. 10. 1926 mit der Darlegung der editorischen Aufgabe, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 82, Bl. 2–14. – Christiane Schuchard, Victor Herold (1890–1956), in: Lebensbilder (Anm. 9), 545–550.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 91

das Patronat, die Rechte und Pflichten der Kirchendiener und der Gemeinden, die Vermögensverwaltung der Kirche und der Fürsorgeeinrichtungen; die Register sind detaillierte Einkommensverzeichnisse der Kirchen, ihrer Diener und ihrer Institute. Herold hat den für die Territorial-, Lokal- und Kirchengeschichte gewichtigen Stoff für die Benutzung durch umfangreiche Orts-, Personen- und Sachregister sowie ein Glossar vorbildlich erschlossen. Obwohl die Kommission im Frühjahr 1932 wegen ihrer prekären Finanzlage die Abnahme und den Druck eines Fortsetzungsbandes nicht mehr garantieren konnte, entschloß sich der Editor zur Weiterarbeit an den Visitationsabschieden der Grafschaft Ruppin und erklärte sich bereit, „sie fort- und zu Ende zu führen ohne Rücksicht darauf, ob und wann die Historische Kommission sie publizieren kann“. Bereits ein Jahr später berichtete er den Abschluß des druckfertigen Manuskriptes, aber der betrübliche Beschluß ließ sich nicht vermeiden: „Eine Veröffentlichung kommt erst nach Zuführung neuer Mittel an die Historische Kommission in Betracht“. Herold führte trotzdem seine Editionsarbeiten bis in die frühen 1940er Jahre fort, aber die Publikationspläne zerschlugen sich wegen des Kriegsverlaufs und der Nachkriegszeit, erst die 1959 gegründete Historische Kommission zu Berlin, die sich damals um die Weiterführung des Programms ihrer Vorgängerin bemühte, veröffentlichte das Heroldsche Manuskript über das Land Ruppin aus seinem Nachlaß75. Zum zweiten: Klinkenborg griff auf ein älteres, auf die späten 1880er Jahre zurückreichendes Editionsvorhaben der preußischen Archivverwaltung, mit dem die Reihe der „Protokolle und Relationen des Brandenburgischen Geheimen Rats aus der Zeit des Kurfürsten Friedrich Wilhelm“ durch eine zweite Serie für die Zeit von 1604, der Gründung des Geheimen Rates, bis 1640, dem Regierungsantritt des Großen Kurfürsten, hatte ergänzt werden sollen, zurück, nachdem die geplante Veröffentlichung nach dem Ausscheiden bzw. Tod der beiden Bearbeiter Robert Arnold und Louis Erhardt hatte abgebrochen werden müssen. Der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Paul Fridolin Kehr genehmigte den Antrag, die vorliegenden Abschriftensammlungen der Historischen Kommission zu überlassen, da es sich dabei noch wesentlich um brandenburgische Geschichte handelte. Klinkenborg orientierte sich für seine Quellenauswahl an den Geschäftsgängen in der um den Kurfürsten gruppierten Regierung und wollte unter Ausnutzung der günstigen Überlieferungsumstände das gesamte, bei der 75 Die Brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Zweiter Band: Das Land Ruppin, aus dem Nachlaß von Victor Herold hrsg. v. Gerhard Zimmermann, bearb. v. Gerd Heinrich (Veröffentlichungen der Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, 6 = Quellenwerke, 2), Berlin 1963, zur Vorgeschichte vgl. die sehr knappen Angaben V–VII.

92 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Kurfürstlichen Kanzlei entstandene Geschäftsschriftgut erfassen, nicht nur die im Geheimen Rat kollegial behandelten Vorgänge, damit ein volles Bild von den bei der kurfürstlichen Regierung erledigten Angelegenheiten entstand. Die Ratsprotokolle wurden wörtlich abgedruckt, ausgewählte entscheidende Schriftstücke der inneren und äußeren Politik wurden wörtlich oder nur inhaltlich wiedergegeben, der verbleibende Rest findbuchartig verzeichnet76. Wegen der bequemen Ausgangslage, der vorliegenden Abschriftensammlung, konnten zwischen 1927 und 1930 in rascher Folge vier Bände „Acta Brandenburgica. Brandenburgische Regierungsakten seit der Begründung des Geheimen Rates“ aus dem Zeitraum von Juni 1604 bis Dezember 1608 herausgebracht werden. Klinkenborg verzichtete gänzlich auf eine den reichen Inhalt wenigstens andeutende Einleitung und veröffentlichte statt dessen nur zu einer allerdings wichtigen Spezialfrage, der nach der Entstehung der Geheimen Ratsordnung vom Dezember 1604, also nach den mit ihr im Kampf der Hofparteien und ihren unterschiedlichen politischen Ausrichtungen verbundenen Absichten und nach dem Entscheidungsverfahren zwischen Kurfürst und Ratsgremium, in Auseinandersetzung mit Reinhold Koser einen schmalen Beitrag in den „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“77. Hingegen hat Otto Hintze in einem seiner letzten großen Aufsätze den gewichtigen Ertrag der Edition aus der Sicht der deutschen und europäischen Geschichte herausgearbeitet, indem er der Leitfrage, „ob und in welcher Weise die brandenburgische Politik durch das Eindringen kalvinistischer Anschauungen in die regierenden Kreise in ihrer Art und Richtung beeinflußt worden ist“, nachging78 und dabei die brandenburgische Politik in ihrer engen 76 VgI. zu den Bearbeitungsgrundsätzen neben Klinkenborgs Einleitung zu Bd. I seine teilweise darüber hinausgehenden und mit Hintze abgestimmten Darlegungen vom Juli und Dezember 1926 in: LAB, A Rep. 21–02, Nr. 78, Bl. 2–6. 77 Melle Klinkenborg, Die Entstehung der Geheimen Ratsordnung vom 13. Dezember 1604, in: FBPG 39 (1927), 215–228. – Zwei andere Spezialarbeiten Klinkenborgs, Das Stralendorffsche Gutachten, ein politisches Intermezzo, in: FBPG 41 (1928), 83–91, bzw. Das Stralendorffsche Gutachten und die antikaiserliche Politik in Brandenburg-Preußen, ebd. 229–247, die den Verfasser, die Entstehungsumstände und Absichten sowie die längerfristigen Wirkungen einer ca. 1614 gefälschten kaiserlichen Denkschrift untersuchen, sind zwar durch die Forschungen an den Acta ausgelöst worden, fallen aber hinsichtlich des behandelten Zeitraumes und der Quellengrundlagen aus der Thematik der edierten Bände weitestgehend heraus. 78 Otto Hintze, Kalvinismus und Staatsräson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 144 (1931), 229–286; wiederholt in: ders., Gesammelte Abhandlungen, III. Bd.: Geist und Epochen der preußischen Geschichte, hrsg. v. Fritz Hartung, Leipzig 1943, 289– 346 (Zitat 289). – Zur Würdigung dieses bedeutenden Aufsatzes vgl. Fritz Hartung, Otto Hintze, in: ders., Staatsbildende Kräfte (Anm. 22), 497–520 (zuerst 1941), hier 514 f., u. a.: „Das trockene Aktenmaterial der Acta Brandenburgica gewinnt Leben in dieser geistvollen Darstellung der geistigen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen des altterritorialen brandenburgischen



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 93

Berührung mit den wichtigsten europäischen Staaten schilderte. Klinkenborgs Plan, in einer zweiten Reihe die Acta aus der Zeit des Kurfürsten Georg Wilhelm 1619–1640 durch einen jüngeren Beamten des Geheimen Staatsarchivs, Hermann Meinert, bearbeiten zu lassen, erwies sich als nicht realisierbar. Nach Klinkenborgs Tod im März 1930 brachte sein Mitarbeiter Ernst Posner das von ihm schon druckreif gemachte Material in einem Halbband heraus. Der zweite Halbband sollte das Register sämtlicher erschienener Bände umfassen, mit seiner Erstellung beauftragte die Kommission Staatsarchivrat Friedrich Granier. Er vollendete es bis zum Frühjahr 1933, aber da die Kommission seine Drucklegung aus Mangel an Mitteln nicht zu bewerkstelligen vermochte, wurde die handschriftliche, in Kästen aufbewahrte Fassung der Benutzung im Geheimen Staatsarchiv zugänglich gemacht, wo sie wohl durch die Kriegs- und Nachkriegsumstände verlorengegangen ist. Zum dritten: Otto Hintze betonte auf den ersten Kommissionssitzungen mehrfach und nachdrücklich die Notwendigkeit, die Herausgabe der Ständeakten über die Edition Walter Friedensburgs für die Zeit Joachims II. hinaus fortzusetzen, einerseits sie bis zum Regierungsantritt des Großen Kurfürsten weiterzuführen, andererseits eine Art Einleitung bis zum Jahr 1540 zu verfassen; „letztere Aufgabe sei die kürzere, aber schwierigere, ihre Lösung nur von einem erprobten Gelehrten zu erwarten“. Nachdem Hellmuth Croon, der für die erstgenannte Aufgabe ausgewählte, seit Mai 1929 tätige Bearbeiter, die Quellenerfassung in den zentralen Überlieferungen, der landesherrlichen im Geheimen Staatsarchiv und der ständischen im Archiv des Brandenburgischen Provinzial­ verbandes, weit vorangetrieben hatte, beschloß man im März 1931 nach dem Vorschlag Hartungs, die landständischen Verhandlungen für die Zeit von 1571 bis 1640 in zwei Bänden behandeln zu lassen, von denen der erste Band bis zum Beginn des 30jährigen Krieges reichen sollte; für die aktenmäßige Darstellung der eigentlich landständischen Verwaltung, des Steuer- und Kassenwesens des landständischen Kreditwerkes, von seiner Entstehung bis zu seiner Reorganisation unter dem Großen Kurfürsten war ein dritter Band vorgesehen. Im Frühjahr 1932 legte Croon das Manuskript des ersten Bandes vor; die von ihm erbetene Umarbeitung lief darauf hinaus, den Abdruck von Akten wegen des immer mehr anschwellenden Quellenmaterials in weiterem Maße als ursprünglich geplant durch eine Darstellung innerhalb der ausführlichen Einleitung zu ersetzen und somit Quellenedition und Darstellung gleichgewichtig nebeneinander zu stellen. Staatswesens und der neuen Einflüsse, die im Zusammenhang mit den westdeutschen und preußischen Erbaussichten hier einströmen; der große Zusammenhang, in dem die zunächst kleinlich anmutenden Auseinandersetzungen und Rivalitäten der brandenburgischen Geheimräte stehen, wird klar erkennbar“ (515).

94 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Wegen der finanziellen Schwierigkeiten der Kommission mußte damals allerdings der umfassende Arbeitsplan aufgegeben, die Materialsammlung für den zweiten und dritten Band abgebrochen werden. Auch die Drucklegung des ersten Bandes verzögerte sich aus demselben Grund erheblich, bis schließlich 1938 eine Teilveröffentlichung erschien, eine ausschließliche Darstellung der Verhandlungen zwischen den Kurfürsten und den Kurmärkischen Ständen vom Regierungsantritt Johann Georgs 1571 bis zum Ende der Auseinandersetzungen um den Bekenntniswechsel Johann Sigismunds 1616, mit dem deutlichen Schwerpunkt auf den Regierungszeiten Joachim Friedrichs und Johann Sigismunds. Der dazugehörige vollendete Quellenteil mit den ausgewählten wichtigsten Aktenstücken, insgesamt 139 Nummern, blieb – bis auf den heutigen Tag – unpubliziert79. Den anspruchsvollen frühneuzeitlichen Großprojekten stellte die Kommission ein etwas schmaleres Editionsprogramm für das späte Mittelalter zur Seite. Hierbei dachte man einmal an die bruchstückhafte, aber wertvolle märkische Amtsbuchüberlieferung, neben Schoßregistern vorrangig an die Landbücher, an das berühmte, damals nur in unzureichenden älteren Editionen vorliegende Landbuch Kaiser Karls IV., ferner an die Landbücher der Neumark, der Grafschaft Ruppin und des Landes Lebus. Johannes Schultze edierte schließlich aus dem erwogenen Programm zwei Landbücher als wesentliche Quelle der spätmittelalterlichen Bevölkerungs-, Siedlungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, das bis dahin fast unbekannte Landregister der Herrschaft Sorau von 1381 und das fast gleichzeitige Landbuch Karls IV. von 1375. In das 14. Jahrhundert führt auch die einzige hilfswissenschaftliche Kommissionsveröffentlichung. Aus den Kreisen der Mitglieder, von Krabbo und Tschirch, war mehrfach der Ruf nach einem Siegelwerk zur Sicherung der Originale erklungen, man hatte dabei an die Siegel der Markgrafen und Kurfürsten, der sonstigen weltlichen und der geistlichen Würdenträger, der Kirchen, geistlichen Anstalten und Körperschaften, der Städte und Gerichte gedacht. Konkrete Gestalt nahm nur die Bearbeitung der Siegel der wittelsbachischen Markgrafen an. Von ihrem Bearbeiter, dem Berliner und Breslauer Staatsarchivar Hermann Bier80, erhoffte man sich darüber hinaus, daß er im Anschluß an seine dem Urkunden- und Kanzleiwesen der wittelsbachischen Markgrafen von Brandenburg gewidmeten Dissertation die von Krabbo und Georg Winter bearbeiteten Askanierregesten für die wittelsbachische Zeit wiederum in Form von Markgrafen-, nicht von Landesregesten fortsetzen und die von ihm im Münchener Staatsarchiv aufgefundenen Mühlenhof- und Vogtei-Rechnungen aus 79 Zur Bearbeitung der Ständeakten vgl. neben den Mitteilungen in den Sitzungsprotokollen auch Croons Hinweise zur Entstehungsgeschichte im Vorwort seines Bandes, IX–XI. 80  Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare 1500–1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon, München u.a. 1992, 65 f.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 95

den Jahren 1342–1346 edieren werde. Aber die Kommission gab diese weitergehenden Wünsche wegen ihrer Finanzlage schon Anfang 1931 auf81 und setzte ihre Mittel vorrangig wegen des fortgeschrittenen Bearbeitungsstandes für seine Siegeluntersuchung ein. Bier analysiert in seiner außerordentlichen, mit acht Lichtdrucktafeln angereicherten Studie die verschiedenartigen Siegel und Siegelstempel der drei wittelsbachischen Markgrafen von Brandenburg, ihrer Gemahlinnen, ihrer erbverbrüderten Fürsten und ihrer Vormünder zwischen 1323 und 1373, unter annähernd vollständiger Erfassung der originalen Überlieferung in zahlreichen Archiven, da er im Hinblick auf die Herkunft und die Herrschaftsgebiete der Regenten auch ihre bayerischen und tiroler Siegel einbezieht. Seine eingehenden Erörterungen führen durch die Betrachtungen zum jeweiligen Gebrauch der einzelnen Siegel, zu den Itineraren der brandenburgischen und tirolischen Siegel, zur Titelführung der Herrscher und zu ihrem Kanzleipersonal weit in die Kanzleigeschichte hinein. Waren die bislang behandelten Quellen vornehmlich von landeshistorischem Wert, wegen ihres Bezuges auf die gesamte Mark Brandenburg, so ließ die Kommission lokalgeschichtliche Quellen doch nicht gänzlich außer Betracht. Auf den Vorschlag des Genealogen Peter von Gebhardt beschloß sie, die bis ins 16. Jahrhundert oder weiter zurückreichenden Bürgerbücher wichtigerer Städte, d. h. vornehmlich von Angermünde, Bernau und Brandenburg, in ihr Editionsprogramm aufzunehmen. Das Bernauer Bürgerbuch wurde bald wieder wegen der Finanznöte der Kommission aus der Planung herausgenommen, das von Ernst Haug bearbeitete Manuskript des Brandenburger Bürgerbuches sollte, wie zweimal verlautete, nach Ablauf des bevorstehenden Halbjahres fertiggestellt sein, ist aber nie vorgelegt worden. Erschienen ist nur das von Gebhardt selbst bearbeitete Bürgerbuch von Angermünde, dessen von 1568 bis 1765 reichende Eintragungen über den Bürgerrechtserwerb durch die Angaben zur Herkunft und zum Beruf der aufgenommenen Personen wichtige Erkenntnisse zur Bevölkerungs- und Sozialstruktur einer märkischen Kleinstadt ermöglichen. Die mit den angesprochenen Quellen geplante Folge der „Märkischen Bürgerbücher“ berührte sich engstens mit voraufgegangenen oder gleichzeitigen, auf Berlin bzw. auf Berlin-Cölln bezogenen, von Kaeber angestoßenen und geförderten Quelleneditionen82. Diese erfaßten personen-, besitz- und finanz81 Bier arbeitete an beiden Aufgaben weiter, so noch im Jahre 1935 (vgl. sein Schreiben vom 31. 7. 1935 in LAB, A Rep. 21–02, Nr. 74), ohne allerdings die Arbeiten vollenden zu können. 82 Kaebers nachhaltige Bemühungen um die Belebung der Berliner Stadtgeschichtsforschung, um die Gewinnung von Autoren für die Bearbeitung von Quelleneditionen und Spezialthemen zur Vorbereitung einer umfassenderen Gesamtdarstellung und um die Veröffentlichungsreihe des Stadtarchivs sind eindringlich der Aktenserie über die Publikationen des Stadtarchivs Ber-

96 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

geschichtliche Amtsbücher des 15.–19. Jahrhunderts, Bürgerbücher und Kämmereirechnungen, die sie in unterschiedlicher Weise, im unveränderten oder zusammenfassenden Textabdruck oder in sachsystematischer Darbietung des Quellenstoffs der Benutzung bereitstellten und durch unterschiedliche Register oder darüber hinaus durch umfassende Einleitungen für die historische Auswertung aufbereiteten. Peter von Gebhardt edierte zunächst das älteste Berliner Bürgerbuch 1454–1700 und danach die ältesten Bürgerbücher von Cölln an der Spree 1508–1611 und 1689–1709 (in Verbindung mit den darin enthaltenen chronikalischen Nachrichten 1542–1610). Ernst Kaeber setzte das erstgenannte Werk fort mit seiner Herausgabe der Bürgerbücher und der Bürgerprotokollbücher Berlins von 1701–1750. Kaebers Ausgabe ist, wenn man auf das Editionsverfahren achtet, denen Gebhardts deutlich überlegen, da er die Aussagekraft der ganzen Quellengruppe, die auf Grund der geographischen Herkunfts- und der beruflichen Tätigkeitsangaben der verzeichneten Neubürger über die Familiengeschichte hinaus für die städtische Verwaltungs-, Wirtschafts-, Bevölkerungsund Sozialgeschichte von Bedeutung ist, in seiner umfangreichen Einleitung eingehend analysiert. Nach der archivischen Beschreibung der herangezogenen Quellen und nach der rechtsgeschichtlichen Erörterung des Bürgerrechts zieht er die Schlußfolgerungen für die Bevölkerungs- sowie die Gewerbe- und Handelsstatistik Berlins83. Der städtischen Finanzgeschichte widmeten sich Joseph Girlin, LAB, A Rep. 021–02 , Nr. 38–43, zu entnehmen. Für seine grundsätzliche Auffassung zur Berliner Forschungslage vgI. etwa sein Schreiben an den Kirchenhistoriker Walter Wendland vom 21. 6. 1927, in dem er dessen Vorschlag für ein 1930 zu feierndes Stadtjubiläum u. a. mit folgender Überlegung ablehnt: „Was mich persönlich an ein Jubiläum im Jahre 1930 mit besondere Besorgnis denken läßt, ist der von Ihnen auch ... hervorgehobene Mangel an guten Spezialarbeiten über die Berliner Geschichte. Bis zum Jahre 1937 [d. h. 700 Jahre seit der ersten urkundlichen Erwähnung Berlins] könnte man allenfalls so weit sein, um eine einigermaßen befriedigende zusammenfassende Darstellung zu wagen“. LAB, A 21–02, Nr. 39, BI. 232. Oder sein Vermerk für den Oberbürgermeister vom 27. 7. 1931: „Die Geschichtsschreibung Berlins bedarf zur Zeit vor allem der darstellenden Monographien, wie sie durch die vom Stadtarchiv herausgegebenen ,Berlinischen Bücher‘ in die Wege geleitet worden sind, und der Quellenveröffentlichungen und Spezialforschungen, wie sie durch die Historische Kommission herausgegeben werden“. LAB, A Rep. 21-02, Nr. 42, BI. 44. – Zu anderen, personellen Schwierigkeiten seiner Bemühungen um die Berliner Stadtgeschichte vgI. seine Äußerung im Schreiben an Friedrich Holtze vom 2. 4. 1929: „Es ist freilich außerordentlich schwer, hier in Berlin geeignete Mitarbeiter zu finden. Die fähigen Köpfe sind leider fast ausschließlich auf dem Gebiet der Reichs- und Staatsgeschichte tätig“. LAB, A Rep. 21–02, Nr. 41, Bl. 16. 83 Den dichten Schriftwechsel Kaebers mit zahlreichen deutschen und ausländischen Archiven zur Identifizierung der im Bürgerbuch genannten Herkunftsorte enthält die Akte des Berliner Stadtarchivs betr. die Anfragen und Antworten: Vorarbeiten für die Herausgabe des Berliner Bürgerbuchs von 1701–1750, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 43 (Oktober 1931 – Februar 1932, mit wenigen späteren Nachträgen). Zur Vorgeschichte seiner Arbeit vgI. ferner ebd., Nr. 40, Bl. 9–10, 23–27.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 97

gensohns Edition der ältesten Berliner Kämmereirechnungen 1504–150884 sowie zwei kleinere, als Dissertationen entstandene Untersuchungen, die Analyse des Kassen- und Schuldenwesens Berlins und Cöllns in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von Erich Thaus und die Analyse der städtischen Kassenorganisation Berlins von der Einführung der Städteordnung bis zur Gründung der Stadthauptkasse (1809–1843) von Otto Latendorf85. Der Quellenstoff zu den Berliner Immobilien sollte in einem mehrteiligen Berliner Häuserbuch aufgearbeitet werden. Davon ist nur ein umfangreicher Band von Reinhard Lüdicke erschienen, der die Grundstücke innerhalb des „alten“ Berlin, d. h. in der Stralauer-, Königs-, Neue Friedrichs- und Burgstraße, auf der Grundlage der seit dem Ende des 17. Jahrhunderts vorliegenden Hypotheken- und Grundbücher schematisch beschreibt, und zwar mit den bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts reichenden Angaben zu den Grundstücken und Gebäuden, zu den Eigentümern und zu den eingetragenen Schulden86. An der Fortsetzung des Werkes für das alte Cölln, für die Neugründungen des 17. Jahrhunderts und die Berlinischen und Cöllnischen Vorstädte arbeitete Lüdicke über viele Jahre hinweg, aber sein Manuskript ist in den Wirren des Kriegsendes vernichtet worden. Vorgesehen war, in einem ersten Teil die Geschichte der Grundstücke und Häuser innerhalb der Stadtmauern bis zum Ende des 17. Jahrhunderts unter Heranziehung der städtischen Schoßregister, der Häuserlisten und der Kaufbriefbücher zu behandeln87. Ergänzend zu dem so geplanten zweiteiligen Berliner Häuserbuch bearbeitete der Studienrat an der Königstädtischen Oberrealschule Hans Jahn – dessen Manuskript zum älteren Cöllner Häuserbuch 1938 nahezu vollendet gewesen sein soll – auf Anregung Kaebers seit 1926 in einem auf zwei Bände veranschlagten Werk vorwiegend darstellerischen Charakters 84 Während Girgensohn sich auf die Edition der Quelle mit einer kurzen editorischen Vorbemerkung beschränkte, hat Kaeber sogleich nach ihrem Erscheinen eine Besprechung zur ausgiebigen Auswertung ihres Inhaltes genutzt, indem er aus ihren vielfältigen Eintragungen ein anschauliches, farbiges Bild der städtischen Verhältnisse Berlins und seiner Bürgerschaft am Anfang des 16. Jahrhunderts entwarf. VgI. Ernst Kaeber, Die Stadt Berlin zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Zugleich eine Besprechung der Ausgabe der ältesten Kämmerei-Rechnungen Berlins durch Joseph Girgensohn, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 48 (1931), 1–11, wiederabgedruckt in: W. Vogel, Beiträge (Anm. 41), 119–143. Schriftwechsel zwischen Kaeber und Girgensohn über die Vorbereitung der Edition in: LAB, A 21–02, Nr. 39, Bl. 236–238, 261, 268–270; ebd., Nr. 40, Bl. 28–30, 113–117. 85 VgI. den Schriftwechsel zwischen Kaeber und Latendorf in: LAB, A Rep. 21–02, Nr. 41, Bl. 316– 318. 86 Die Arbeit ging aus von Lüdickes im Oktober 1927 entworfenem „Plan einer Veröffentlichung aus älteren Berliner Gründbüchern“, vgI. sein Schreiben an Kaeber vom 17.10.1927 mit Anlage, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 75, Bl. 63–67. 87 VgI. Kaebers Schreiben an Prof. Hartenstein vom 2. 1. 1935 in: LAB, A Rep. 21–02, Nr. 74.

98 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

die Geschichte der Feldmarken von Berlin und Cölln außerhalb ihrer mittelalterlichen Stadtmauern88. Die konzeptionellen Überlegungen für einen Historischen Atlas der Provinz Brandenburg knüpften an den damaligen Diskussionsstand innerhalb der deutschen Landesgeschichtsforschung an, insbesondere an die Schritte, die Fritz Curschmann89 in Greifswald seit 1908 zur Herstellung eines historischen Atlasses für die älteren preußischen Provinzen und für die Provinz Pommern unternommen hatte. Das Atlasvorhaben wurde von Anfang an als Schwerpunktvorhaben mit einem besonders hohen Mittelbedarf eingestuft, so daß die Kommission zur Sicherung der Finanzierung einschließlich der späteren Veröffentlichung aus ihren Mitteln seit 1926 jährlich 5.000 M für einen Atlasfonds zurücklegte. Man entschied sich dafür, gleichzeitig mehrere Karten zu unterschiedlichen Themen in Angriff zu nehmen, und zwar unter Ausnutzung der vorhandenen fachlichen Kapazitäten von zwei Bearbeitern, die parallel und unabhängig voneinander vorgingen, was wegen unterschiedlicher methodischer Vorstellungen im nachhinein zu Komplikationen führte90. Einerseits machte man sich dabei zunutze, daß der Staatsarchivar Gottfried Wentz91 damals für das Germania Sacra-Vorhaben des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Geschichte die Geschichte der Bistümer Brandenburg und Havelberg bearbeitete, und verpflichtete ihn dazu, zwei Karten zur mittelalterlichen Kirchengeschichte der Mark zu erarbeiten; 1929 erschien die „Übersichtskarte der kirchlichen Einteilung der Mark Brandenburg und der angrenzenden Gebiete im Jahre 1500“ nebst Erläuterungsheft, 1931/33 wurde die Karte „Der geistliche Grundbesitz in der Mark Brandenburg und angrenzenden Gebieten ... um das Jahr 1535“ herausgebracht, in drei Blättern für die Besitzungen im Bereich der Diözesen

88 Zu den Anfängen seiner Untersuchung, insbesondere zu Jahns zeitweiser Freistellung vom Schuldienst zur Durchführung des erforderlichen Quellenstudiums, und zur nachhaltigen Unterstützung seiner Arbeiten durch Kaeber vgl. LAB, A Rep. 21–02, Nr. 39, Bl. 154–160; ebd., Nr. 40, Bl. 2–7, 100–110, 167–170, 194–198, 306–311; ebd., Nr. 41, Bl. 280–283, 308–309, 336–341; ebd., Nr. 42, Bl. 38, 121–122, 144–148. 89 Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945 (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln / Weimar / Wien 1996, 201–217; zu Curschmanns Arbeit am Historischen Atlas für Pommern ebd., 208–214; Werner Vogel, Fritz Curschmann (1874–1946), in: Lebensbilder (Anm. 9), 580–584. 90 Umfangreiches Material zu den Atlasarbeiten mit grundlegenden Denkschriften und den Protokollen des Unterausschusses für den Historischen Atlas, das hier im einzelnen nicht ausgebreitet werden kann, enthält die Akte LAB, A Rep. 21–02, Nr. 80. Zur Kritik von Curschmann an den Wentzschen Karten vgl. ebd. Bl. 79–80. 91 Eckart Henning, Gottfried Wentz, in: BBL (Anm. 9), 415 (Lit.); ders., Gottfried Wentz (1894– 1945), in: Lebensbilder (Anm. 9), 536–544.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 99

Brandenburg und Havelberg, der Diözesen Kammin, Lebus, Meißen und Posen sowie der Diözesen Halberstadt, Verden und Magdeburg. Andererseits entschied man sich für eine enge Zusammenarbeit mit Curschmann, unter dessen Leitung 1926 eine geographisch-historische Abteilung des Historischen Seminars an der Universität Greifswald eingerichtet worden war, übertrug ihm auf der Grundlage seiner Denkschrift „Über einen geschichtlichen Atlas von Brandenburg“ vom Juni 192692 die Herstellung einer Kreiskarte des 18. und 19. Jahrhunderts, die die alten und die neuen Kreisgrenzen, die Kolonien und Landesmeliorationen des 18. Jahrhunderts, somit den Siedlungszustand am Ende des Jahrhunderts, und ein Straßennetz (Poststraßen und wichtige Landstraßen) enthalten sollte, und stellte ihm einen wissenschaftlichen Hilfsarbeiter, Berthold Schulze93, der mit seiner Dissertation über die brandenburgischen Landesteilungen der Askanier bereits eine historisch-geographische Vorarbeit geleistet hatte, zur Verfügung. Die Kommission drängte dann, als die Schwierigkeiten der ersten Erwägungen mit der gleichmäßigen Berücksichtigung von politischen und kulturgeographisch-genetischen Verhältnissen sich offenbart hatten, vorrangig auf politisch-administrative Karten, zunächst auf eine Karte der Verwaltungseinteilung um 1815, in deren Bearbeitung die Veränderungen der Kreiseinteilung in der preußischen Reformzeit untersucht werden sollten. Daraus ging bis 1933 die gemeinsam von Curschmann und Schulze – der auf Grund eines ausdrücklichen Kommissionsbeschlusses wegen seines Arbeitsanteils gleichberechtigt neben Curschmann auf dem Titelblatt genannt wurde – in vier Blättern bearbeitete „Brandenburgische Kreiskarte. Die alten und neuen brandenburgischen Kreise nach dem Stande von 1815“ (unter Einzeichnung bedeutender und unbedeutenderer Fernhandelsstraßen und Straßen von örtlicher Bedeutung sowie des kirchlichen Filiationsnetzes, mit einer Nebenkarte: „Die wichtigsten Kurse der preußischen Post im Jahre 1815“) hervor. Die kartographische Darstellung wurde 92 LAB, A Rep. 21-02, Nr. 80, Bl. 20–24. 93 Johannes Schultze, Berthold Schulze, in: JGMOD 12 (1963), 555 f.; Werner Vogel, Berthold Schulze (1904–1963), in: Lebensbilder (Anm. 9), 153–156. Zu den Schwierigkeiten seines Beschäftigungsverhältnisses nach 1933 vgI. seine schmale Personalakte im Bestand des Brandenburgischen Provinzialverbandes, BLHA, Rep. 55 Pers., Nr. 8045, bes. Bl. 5. Schulze hat die methodischen Aufgaben und Prinzipien seiner Atlasarbeiten und die dabei im einzelnen zu behandelnden Probleme eingehend erörtert in seinem Aufsatz: ders., Weg und Plan des Historischen Atlasses der Provinz Brandenburg, in: FBPG 51 (1939), 344–370, auf den für die hier nicht näher zu erörternde Beschreibung der wissenschaftlichen Aufgabenstellungen verwiesen sei. Die für das Arbeitsverfahren grundlegende Vorentscheidung faßt Schulze in dem Satz zusammen: „Der brandenburgische Historische Atlas lehnt für sein Arbeitgebiet die Umzeichnung zeitgenössischer Karten in moderne Geschichtskarten ab und beschreitet den viel mühsameren, aber sicheren ... Weg der Rekonstruktion ehemaliger politischer, administrativer und topographischer Verhältnisse aus wissenschaftlich einwandfreien und nachprüfbaren Quellen“. Ebd. 351 f.

100 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

ergänzt durch Schulzes selbständig erschienene historische Untersuchung über „Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809–1818“, die sowohl die allgemeinen, gemeinpreußischen Grundsätze in der Verwaltungsdiskussion der Bezirksreform vor 1815 als auch deren Durchführung in den brandenburgischen und pommerschen Regierungsbezirken 1815–1818 schildert, und durch die selbständig erschienenen „Erläuterungen zur Brandenburgischen Kreiskarte von 1815“, die nach einem Quellenbericht vor allem detailliert die Grenzen der alten brandenburgischen Kreise im Jahre 1815 sowie die Poststraßen in Brandenburg 1815 beschreiben94. Schulze setzte seine Atlasarbeiten dann auf Grund seiner inzwischen gewonnenen kartographischen Erfahrung selbständig fort an einer schon in der ersten Planung enthaltenen Ämter-Karte mit dem Grundbesitz der brandenburgischen Domänenämter und Kämmereien, also wiederum einer politisch-administrativen Karte, in die u. a. auch die historischen Straßen eingezeichnet werden sollten; um die für die Feststellung des ehemaligen Straßenverlaufs notwendigen Bereisungen durchführen und die Bereisungskosten auf ein Minimum beschränken zu können, wurde ihm im April 1933 ein „Beitrag zur Anschaffung eines Motorrades bewilligt“, anstelle des zuvor benutzten Fahrrades. 1935 lag die aus vier Blättern bestehende „Brandenburgische Ämterkarte. Der Grundbesitz der brandenburgischen Domänenämter und Kämmereien im Jahre 1800“ (ebenfalls mit Einzeichnung von bedeutenden und unbedeutenderen Fernhandelsstraßen und Straßen von lokaler Bedeutung sowie mit den Nebenkarten „Übersichtskarte der Haupthandelsstrassen des Brandenburgischen Kaufmanns im 19. Jahrhundert“ und „Die Steuerratsbezirke in der Mark Brandenburg i. J. 1800“) vor. Während die Karte den Grundbesitz des Fiskus und der Kämmereien zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigt, sucht der dazugehörige Beiband, die „Besitz- und siedlungsgeschichtliche Statistik der brandenburgischen Ämter und Städte 1540–1800“, die Entwicklung der brandenburgischen Domänen vom Jahr 1540 – damals enthielt der Domänenbestand durch die Säkularisierung und Einverleibung der geistlichen Güter ein völlig neues Gesicht – bis zum Jahre 1800 nachzuzeichnen, indem im Stile eines historischen Ortslexikons jeder im Jahre 1800 fiskalische Ort auf seine Herkunft untersucht wird, d. h. das Erwerbungs- oder Gründungsdatum durch den Fiskus, bei Käufen auch die Namen der Vorbesitzer angegeben werden. Der Anhang beschreibt die brandenburgischen Handelsstraßen im 18. Jahrhundert und stellt sowohl große Fernstraßen als auch kleinere und örtliche Straßen in ihrem genauen Verlauf dar.

94 Zur Entstehungsgeschichte des Atlaswerkes vgl. neben den Mitteilungen in den Sitzungsprotokollen das Vorwort von Fritz Curschmann zu den Erläuterungen zur Kreiskarte, S. III–VI.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 101

Mit der Berücksichtigung sämtlicher Neusiedlungen innerhalb der fiskalischen Gebiete war schon eine wesentliche Vorarbeit für das dritte Kartenwerk Schulzes geleistet, das sich insofern konsequent an die Vorgänger anschloß und jetzt unter Bevorzugung kulturgeographischer Verhältnisse eine selbständige, aus drei Karten bestehende Reihe zur siedlungsgeschichtlichen Entwicklung einleiten sollte. 1939 veröffentlichte Schulze wiederum in vier Blättern die „Brandenburgische Siedlungskarte 1500–1800. Die neuen Siedlungen vom Ausgang des Mittelalters bis zum Jahre 1800“. Der Beiband zur Siedlungskarte „Neue Siedlungen in Brandenburg 1500–1800“ wies nach einer einleitenden allgemeinen Beschreibung der verschiedenartigen Siedlungsformen und ihrer Ursachen und Zwecke lexikonartig sämtliche Neugründungen der drei frühneuzeitlichen Jahrhunderte mit den erforderlichen Belegen für den Zeitpunkt der Gründung, ihren entwicklungsgeschichtlichen Ansatzpunkt (Schäferei, Vorwerk, Kolonie, gewerbliche Anlage) oder die Wiederbesiedlung einer wüsten Feldmark nach. Beabsichtigt war, diese Siedlungskarte zeitlich rückwärts wie auch vorwärts fortzusetzen. Zunächst sollte mit Hilfe des kenntlich gemachten Zustandes um 1500 eine ältere Siedlungskarte für das 15. und 14. Jahrhundert erstellt werden und dann in fernerer Zukunft eine jüngere von 1800 bis zur Gegenwart. Vorarbeiten waren auch für eine Besitzstandskarte mit dem fiskalischen, geistlichen und insbesondere adligen Besitz in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts eingeleitet worden. Die Einberufung Schulzes zur Wehrmacht im Frühjahr 1940 und sein nahezu ununterbrochener Wehrmachtseinsatz bis Kriegsende95 verhinderten die Ausführung all dieser Pläne. Die Aufnahme der siedlungsgeschichtlichen Thematik, „die Schöpfung und immer erneute Einrichtung menschlicher Siedlung und Heimat“, verrät in Schulzes Selbstdarstellung durchaus ihre kräftigen inneren Antriebe aus der politischen Lage nach 1918, aus der Abwehr der auf die ostdeutschen Landschaften mit historischen Argumenten erhobenen polnischen Ansprüche96, aber sie haben seine wissenschaftliche Solidität nicht beeinträchtigt, wie denn überhaupt die Frage nach der Genesis und diejenige nach der Geltung von Forschungen und Forschungsergebnissen nicht miteinander vermengt werden sollten und die eine nicht gegen die andere ausgespielt werden darf: Die historischen Entstehungsumstände einer These ziehen nicht automatisch das Urteil über ihre wissenschaftliche Überzeugungskraft und Haltbarkeit nach sich. Am Ende des Überblicks über die Arbeitsvorhaben der Kommission sei nicht verschwiegen, daß nicht alle beschlossenen Vorhaben zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht wurden, wobei ihre Verfasser nicht immer allein an fehlenden Geldern scheiterten. Die Brandenburgischen Bibliographien kamen nicht über 95 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 88. 96 Vgl. B. Schulze, Weg und Plan (Anm. 93), 347.

102 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

den von Rudolf Lehmann für die Niederlausitz vorgelegten Band97 hinaus. Die Bearbeiter der beiden anderen vorgesehenen Teile über „Die Mark im allgemeinen“ und „Die Stadt Berlin“, die beiden damaligen Berliner Bibliotheksdirektoren Willy Hoppe und Max Arendt, berichteten zwar regelmäßig in den Sitzungen über die geringfügige oder verstärkte Förderung ihres Vorhabens, über die Sammlung des Materials, über die Auswertung von Berliner und auswärtigen Bibliotheken, aber die von Hoppe ausgesprochene Hoffnung auf die Vorlage eines Manuskriptes im Jahr 1932 wurde nicht erfüllt, ebensowenig wie Arendts Ankündigung über die Fertigstellung seines Manuskriptes erst für das Frühjahr, dann für den Herbst 1933. Auf fruchtbareren Boden fiel die Anregung Schultzes und Hoppes zur Herausgabe von Jahresbibliographien für die Gegenwart ab dem Jahr 1931. Der von der Kommission beauftragte Staatsbibliothekar Wilhelm Polthier98 veröffentlichte seine Arbeitsergebnisse mit ihrer finanziellen Unterstützung ab 1932 in den Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Unvollendet blieben zwei für die neumärkische Landes- und ostdeutsche Kolonisationsgeschichte bedeutsame Quelleneditionen, die Veröffentlichung der märki­schen Johanniterurkunden durch Erich Kittel und die der – zeitlich und sachlich vorangehenden – Templerurkunden durch Hellmuth Lüpke, die beide 1938 im Manuskript nahezu vollendet gewesen sein sollen99. Die Inventarisierung der nicht-staatlichen, d. h. kommunalen und adligen, Archive vermochte die Kommission zwar im Gegensatz zum Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, dessen diesbezügliche Absichten von 1899 überhaupt nicht verwirklicht worden waren, wenigstens in Gang zu setzen, indem nach 97 Über das grundsätzliche Problem einer jeden Bibliographie, ihre zwischen möglichster Vollständigkeit und scharfer Auswahl schwankende Zielstellung, entspann sich unmittelbar vor der Drucklegung zwischen den Mitgliedern der Unterkommission „Märkische Bibliographien“ Hartung und Hoppe und dem Autor ein Disput, bei dem letzterer nachdrücklich für sein Prinzip der vollständigen Titelaufnahme eintrat und sich wegen der angedrohten Zurückziehung seines Manuskriptes durchsetzte. LAB, A Rep. 21–02, Nr. 73, Bl. 3–7. 98 Werner Vogel, Wilhelm Polthier, in: BBL (Anm. 9), 313 f. (Lit.); ders., Wilhelm Polthier (1892– 1961), in: Lebensbilder (Anm. 9), 402–407. 99 Lüpkes „Urkundenbuch zur Geschichte des Templerordens im Gebiet der nordostdeutschen Kolonisation“ erschien erst Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg in einer von Winfried Irgang überarbeiteten und auf den neuesten Forschungsstand gebrachten Fassung, die auf dem im Besitz der Historischen Kommission zu Berlin verbliebenen, fast bis zur Druckreife gelangten Manuskript Lüpkes beruhte. Vgl. Urkunden und Regesten zur Geschichte des Templerordens im Bereich des Bistums Cammin und der Kirchenprovinz Gnesen. Nach Vorlage von Helmut Lüpke neu bearb. v. Winfried Irgang (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe IV: Quellen zur pommerschen Geschichte, 10), Köln/Wien 1987. Das Vorwort Roderich Schmidts, ebd. VII, enthält nur eine extrem knappe und unzureichende Notiz zur Vorgeschichte der Veröffentlichung.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 103

einer ausgearbeiteten Beschreibung der „Aufgaben der Archivpflege in der Provinz Brandenburg“ und den aufgestellten „Leitsätzen für die Inventarisation der nichtstaatlichen Archive in der Provinz Brandenburg“100 in mehreren Fällen angeworbene und bereitwillige Vertrauensleute und Archivpfleger, kenntnisreiche Lehrer und interessierte Staatsarchivare, die kreisweise Erfassung der einschlägigen Archivbestände einleiteten, so Studienrat Neumann101 für die Stadt Brandenburg, Studienrat Jahn für den Kreis Königsberg / Neumark, die Staatsarchivare Schultze und Wentz für den Kreis Ostprignitz, teilweise mit ansehnlichen Archivfunden. Aber die verfrüht geäußerte Hoffnung auf die rasche Vorlage von druckfertigen Inventaren und die Ankündigungen ihrer baldigen Fertigstellung erwiesen sich immer wieder als trügerisch, schließlich führte die Finanznot der Kommission im Frühjahr 1932 zur Einstellung der diesbezüglichen Tätigkeiten ohne ein greifbares Ergebnis. Im Sommer 1929 stellte die Provinzialverwaltung der Kommission 4.000,– RM als „Archivsicherungsfonds“ für eine zusätzliche benachbarte Aufgabe zur Verfügung: Die Gelder sollten dazu eingesetzt werden, die Provinz zu bereisen, gefährdete Archivalien aufzuspüren und für ihre Sicherung zu sorgen, vermochten aber nur in einzelnen Fällen zu konkreten Ergebnisse in Form von archivfachlicher Beratung und Bestandsordnung, Regestierung von Quellen oder Abgabe an das Staatsarchiv zu führen102. Der unbefriedigende Ausgang dürfte maßgeblich damit zu erklären sein, daß die Kommission wegen der für diesen Zweck unzureichenden Mittel mit einer Aufgabe überfordert war, die den nachhaltigen Einsatz einer leistungsfähigen Archivverwaltung gefordert hätte und die dann von dieser überzeugender in den 30er Jahren durch den Ausbau eines Archivpflegersystems angepackt wurde. Die Konzentration der Kommission auf Quelleneditionen schloß zwar Darstellungen aus ihrem Programm wie schon bemerkt nicht völlig aus, aber sie waren bezeichnenderweise nicht in ihrem Auftrage, sondern unabhängig von ihr in anderen wissenschaftlichen und universitären Zusammenhängen entstanden und kamen dann für sie wegen ihres brandenburgischen Themas in Betracht. Zumeist erschienen sie in der zweiten Schriftenreihe der Kommission, ihren „Einzelveröffentlichungen“, die „aus dem eigentlichen Programm der Historischen Kommission herausfallende Schriften“ enthielt103. Hierhin gehören Berthold Schulzes von Krabbo angeregte Dissertation zu den brandenburgischen Landesteilungen der Askanier 1258–1317, die von Stutz betreute Berliner Preisschrift und 100 LAB, A Rep. 21-02, Nr. 79, Bl. 4–5. 101  Klaus Heß, Hans Neumann (1900–1960), in: Lebensbilder (Anm. 9), 386–390. 102 Vgl. den kurzen Bericht von Johannes Schultze, Die Inventarisation der nichtstaatlichen Archive in der Provinz Brandenburg, in: Archivalische Zeitschrift 40 (1931), 266 f. 103 So Kaeber an Berthold Schulze vom 18. 1. 1928, LAB, A Rep. 21–02, Nr. 81, Bl. 10.

104 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

juristische Dissertation Joseph Seeboths über das Privatrecht des Berliner Stadtbuches vom Ende des 14. Jahrhunderts, die von Hoppe befürwortete Königsberger Dissertation von Karl Heidenreich über den Deutsche Orden in der Neumark 1402–1455 – deren Druck von der Albertina erheblich bezuschußt wurde104 – und das architekturgeschichtliche Werk des Ingenieurs Hans Joachim Hellmigk über märkische Herrenhäuser des 16.–19. Jahrhunderts. Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, daß die Historische Kommission in ihren ersten „guten“ Jahren in der Lage war, bedeutende wissenschaftliche Vorhaben von brandenburgischen Geschichtsvereinen oder von Einzelpersonen außerhalb ihrer eigenen Schriftenreihen finanziell zu unterstützen, insbesondere wenn sie der Quellenbearbeitung dienten oder mit eigenen Projekten in engerem inhaltlichen Zusammenhang standen. So gewährte sie dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg Zuschüsse zur Arbeit Georg Winters an der Fortführung, Vollendung und Veröffentlichung der von Krabbo unvollendet hinterlassenen Askanier-Regesten, dem Verein für die Geschichte der Neumark eine Beihilfe für die von ihrem Mitglied Schwartz geleistete Herausgabe der neumärkischen Hufen-Klassifikations-Register aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, dem Verband der märkischen Geschichtsvereine eine Unterstützung für die Inangriffnahme der Flurnamenforschung. Sie förderte Burkhard von Bonins Edition der Entscheidungen des Cöllnischen Konsistoriums 1541–1704, die die um 1700 angefertigten Auszüge des Konsistorialrats und Propstes zu St. Petri in Cölln D. Franz Julius Lütkens aus den verlorenen Protokollbüchern des Konsistoriums enthält, da sie Herolds damals anlaufende Edition der Visitationsakten ergänzte, und ermöglichte die Veröffentlichung der Rostocker Dissertation von Annelise Streichhan über Knobelsdorff und das Friderizianische Rokoko. Der rückblickende Historiker wird, wenn er sich die soeben ausführlicher geschilderten Gegebenheiten aus der Perspektive der ersten Jahre zusammenfassend vor Augen hält, um das Urteil nicht herumkommen, daß die maßgebenden Wissenschaftler eine überzeugende organisatorische Konstruktion für die Historische Kommission gefunden hatten und daß der sorgsame und sorgfältige Einsatz von Personal- und Sachmitteln, für die sie die Berliner und brandenburgische Verwaltung gewonnen hatten, sowie der gezielte Arbeitseinsatz von Mitgliedern und Honorarkräften innerhalb weniger Jahre zu beachtlichen Publikationserfolgen geführt hatten105. Die Tätigkeit beruhte auf einem umfassenden, vielfältigen Arbeitsprogramm mit editorischen Schwerpunkten, wobei die dafür ausgewählten Überlieferungen die Quellengrundlage für herausragende, zentrale 104 VgI. LAB, A Rep. 021–02, Nr. 77, Bl. 24–26, 29, 45–46. 105 Vgl. J. Schultze, Erinnerungen (Anm. 56), S. 45: „Bei einem Etat von 30.000 RM konnte man allerhand drucken, da kein Pfennig für andere Dinge, außer Bogenhonorar, ausgegeben wurde“.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 105

historische ThemensteIlungen lieferten. Aber die anscheinend so wohlüberlegte Schöpfung geriet ab 1930 in den Strudel der Weltwirtschaftskrise und bestand dabei, nüchtern betrachtet, nicht ihre Belastungsprobe, weil die beiden kooperierenden politischen Verwaltungen unter dem enormen Druck der wirtschaftlichen und finanziellen Notlage sich schrittweise aus der Förderung der Kommission zurückzogen, eine Seite noch mehr und noch schneller als die andere unter dem Eindruck schrumpfender öffentlicher Haushalte die ursprünglich zugesagten Mittel zunächst in ihrer Höhe reduzierte und schließlich gänzlich verweigerte. Daß jede Verwaltung die Höhe und die Auszahlung ihres Beitrages von der gleichen Bereitschaft der anderen abhängig machte, verschärfte die Abwärtsspirale. Die Stadt Berlin hatte sich bereits vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Hinblick auf ihre Zahlungsmoral als unzuverlässig erwiesen. Als der Magistrat im Juli 1926 für das Jahr 1926 nur einen Zuschuß von 1.000 M gewähren wollte, hatte es die Kommission dem energischen Eingreifen Winterfeldts zu verdanken gehabt, daß schließlich in den Rechnungsjahren 1926/27 und 1927/28 11.000 RM gezahlt wurden. 1928 und 1929 stellte die Stadt dann die ursprünglich zugesagten 15.000 RM bereit, aber bereits 1930 reduzierte sie ihre Mittel um die Hälfte auf 7.500 RM., mit der für die Kommission doppelt unangenehmen Folge, daß der Provinzialverband entsprechend dem Grundsatz gleich hoher Finanzierungsanteile seinen Zuschuß ebenso kürzte. Von den für 1931 beiderseits bewilligten 15.000 RM flossen tatsächlich der Kommission nur ¾, also 12.250 RM, zu. Im Oktober 1931 entschloß sich Berlin, „mit Rücksicht auf die äusserst angespannte Finanzlage der Stadt“ die Zahlung des Zuschusses ab dem 1. 1. 1932 überhaupt einzustellen – „vorläufig“ hieß es beschwichtigend, aber die daraufhin von Stutz geäußerte Bitte um Aufrechterhaltung eines Etatpostens wurde abgewiesen106. Der Provinzialverband lehnte nach dem Berliner Vorgang ebenfalls jede Unterstützung ab, aber immerhin wurde allein zur Erhaltung der Haushaltsstelle in seinem Etat der Haushaltstitel seit 1932 noch mit 100,– RM ausgestattet. Wenn man auf die Teilnahme offizieller Vertreter an den halbjährlichen Kommissionssitzungen achtet, bestätigt sich der Eindruck, daß Berlin die Kommission mit geringerem Interesse als der Provinzialverband behandelte. Während dort Berliner Vertreter zwischen 1925 und 1935 insgesamt nur viermal erschienen – dreimal, 1925, 1927 und 1928, Stadtsyndikus Lange und einmal, im Oktober 1932, Oberbürgermeister Sahm –, zeigte sich allein Winterfeldt als Landesdirektor zwischen 1925 und 1929 viermal und anschließend, nach seinem Ausscheiden aus dem Amt, als Ehrenmitglied noch fünfmal zwischen 1930 und 1934, seine Nachfolger Swart zweimal (1930 und 1932) und Arnim-Rittgarten einmal (1935).

106 Schriftwechsel in: LAB, A Rep. 21–02, Nr. 71.

106 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Die Kommission suchte der sich von Jahr zu Jahr zuspitzenden Lage Herr zu bleiben. Im November 1930 hielt es Stutz noch für ausreichend, wegen der angespannten Finanzlage neuen Unternehmungen gegenüber Zurückhaltung zu wahren. Ein Jahr später erschienen schmerzhafte, substantielle Eingriffe in das laufende Forschungsprogramm unvermeidlich. Die Arbeit Rachels an der Ämterpublikation wurde zum 31. 12. 1931 mit einem Abschlußbericht über die wissenschaftliche Verwertung des bisher gesammelten Materials abgebrochen107 und die Fortführung der Edition der Visitationsprotokolle Anfang 1932 wie schon erwähnt der freiwilligen Bereitschaft des Herausgebers ohne irgendwelche Verpflichtungen der Kommission überlassen. Grundsätzlich stellte Stutz im März 1932 nach der vollständigen Mittelstreichung der bisherigen Geldgeber fest, „dass es der Kommission nur möglich sein wird, die wichtigsten bereits begonnenen oder in Auftrag gegebenen Veröffentlichungen noch herauszubringen“. Die Weiterbeschäftigung des Atlasbearbeiters Schulze konnte für das zweite Halbjahr 1932 und 1933 mit Zuschüssen des Generaldirektors der Preußischen Staatsarchive, der das monatliche Honorar von 180 RM zur Fertigstellung der brandenburgischen Ämterkarte und des dazugehörigen Erläuterungsheftes gegen Überlassung von Kommissionsveröffentlichungen an sämtliche preußische Staatsarchive übernahm, gewährleistet werden108. Da die sonstigen Einnahmen, Zinsen aus den angelegten Geldern und Erlöse aus den Publikationsverkäufen, mit sinkender Tendenz nur wenige Tausend Reichsmark umfaßten, die Minderung des Honorarsatzes für den Druckbogen keine erhebliche Einsparung erbrachte, blieb nichts anderes übrig, als auf den Atlas- und Reservefonds zurückzugreifen. Zum ersten Mal stellte sich diese Notwendigkeit im Frühjahr 1931 zur Deckung eines Ausfalls von 3.500 RM ein, so daß der Fonds unter 50.000 RM herabsank. Seine Inanspruchnahme steigerte sich anschließend ungebremst; die Ausgaben des Rechnungsjahres 1932/33 in Höhe von 30.772,06 wurden zu ca. 90 %, mit dem Betrag von 26.800 RM, aus dem Atlas- und Reservefonds gedeckt. So hielt sich die Kommission wenige Jahre noch mit den vorhandenen Geldreserven – im März 1932 ca. 45.000 RM, im März 1933 nominell ca. 18.600 RM – über Wasser. Aber um die Jahreswende 1934/35109 hielt Stutz nach dem endgültig für 1936 bevorstehenden Verbrauch der Reserven das finanzielle Aus und damit das Ende der Kommissionstätigkeit für unvermeidlich, sofern nicht wieder ein angemesse107 Rachels daraus hervorgegangene umfangreiche Materialsammlung (Abschriften und Akten­ auszüge über die Ämterverfassung der Mark Brandenburg im Umfang von zwei Archivkartons) ist im BLHA überliefert, vgl. Rep. 16, Nachlaß Hugo Rachel. 108  GStAPK, I. HA Rep. 178, Nr. 1757, Bl. 9–10, 42. 109 Das Folgende nach BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 85: Historische Kommission der Provinz Brandenburg, Bd. 1 (1934–1942).



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 107

ner Betrag von den beiden öffentlichen Trägern bereitgestellt werde. Er verwies darauf, daß im Jahr 1935 und später für den Historischen Atlas, zur Honorierung seines Bearbeiters, 3–6.000 RM benötigt würden; die Entlassung des qualifizierten Wissenschaftlers hätte unweigerlich den Untergang des Unternehmens zur Folge. Stutz’ Appell schien wirkungslos zu verhallen, da entgegen der Bereitschaft des Provinzialverbandes die Stadt Berlin sich nicht dazu bereiterklärte, die bereits für 1935 zugesagte Summe von 1.000 RM auf 3.000 RM zu erhöhen. Auf der Sitzung der Kommission am 30. März 1935 rechnete der Vorsitzende den anwesenden Mitgliedern vor: Die Einnahmen schließen nach Auflösung des Atlas- und Reservefonds mit 19.344,78 RM ab, die Ausgaben mit 15.262,92 RM. Nach Abzug der Kosten für die Sitzung am 30. März 1935 bleibt ein Rest von 3.946,86 RM. Davon sind festgelegt als Honorar für bereits vor Jahren durch die Kommission in Auftrag gegebene Arbeiten: ... 3.700,– RM. Es bleibt demnach nur ein Rest von rund 200,– RM. Für 193[5] sind bewilligt je 1000 RM von der Verwaltung des Provinzialverbandes bezw. von der Stadt Berlin.

Stutz zog auf Grund dieser finanziellen Kalamitäten, offensichtlich enttäuscht und deprimiert vom Verhalten der öffentlichen Stellen, für sich die drastische Konsequenz, denn es heißt im Protokoll unmittelbar weiter: Unter diesen Umständen, die selbst die Fortsetzung des Atlas-Werkes in Frage stellen, sieht sich der Vorsitzende veranlaßt, sein Amt niederzulegen und zugleich seinen Austritt aus der Historischen Kommission zu erklären110.

Der auf der Sitzung anwesende Landesdirektor des Brandenburgischen Provinzialverbandes, Dietloff von Arnim-Rittgarten, stellte in Aussicht, daß der Provinzialverband für 1935 3.000,– M zur Verfügung stellen könne, obgleich die Stadt Berlin mit Rücksicht auf ihre Finanzlage eine gleiche Erhöhung ihres Beitrages abgelehnt habe. Daß er ausdrücklich nachfragte, „ob mit diesen geringen Mitteln überhaupt ein Fortbestand der Kommission möglich ist“, bekundete indirekt seinen deutlichen Wunsch nach der Fortsetzung ihrer Arbeit, dem die meisten Mitglieder entgegen der pessimistischen Ansicht von Stutz mit ihrer Auffassung zustimmten, „dass ... versucht werden müsse, über die nächsten Jahre fortzukommen, um die Grundlage für eine weitere gedeihliche Wirksamkeit zu schaffen“. Da man unter den eingetretenen Gegebenheiten eine Änderung der Satzung für notwendig hielt, wurde nach Stutz’ Rücktritt sein Vertreter, Johannes 110 Die Formulierung des kommissionsinternen Sitzungsprotokolls läßt annehmen, daß die Begründung des offiziellen, gedruckten Sitzungsberichtes nicht stichhaltig ist: Stutz habe „mit Rücksicht auf die ihm obliegenden sonstigen wissenschaftlichen Aufgaben die Geschäftsführung als Vorsitzender niedergelegt“. FBPG 47 (1935), S. 388.

108 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Schultze, beauftragt, in Verbindung mit einem Vertreter des Provinzialverbandes, mit zwei Berliner Vertretern, Archivdirektor Kaeber und Provinzialkonservator Peschke, sowie mit dem Landeshistoriker Hoppe einen neuen Satzungsentwurf vorzubereiten. Die unterschiedlichen finanziellen Zusagen von Anfang 1935 – der Provinzialverband bewilligte im August 1935 der Kommission 3.000 RM trotz der unterbliebenen gleich hohen Beteiligung Berlins – ebenso wie die An- bzw. Abwesenheit auf der März-Sitzung – Arnim war mit zwei Mitarbeitern erschienen, während Berliner Amtsträger fehlten – offenbarten das unterschiedliche Interesse der beiden Verwaltungen an der Historischen Kommission. Die Initiative zu ihrer Neugestaltung lag, wie sich damals ankündigte und wie die nachfolgenden Jahre deutlich offenbarten, beim Brandenburgischen Provinzialverband, seinem Landesdirektor Arnim bzw. dem Leiter seiner zum 1. Januar 1936 neugeschaffenen Kulturabteilung Oskar Karpa111, einerseits, andererseits bei den seitens der Kommission handelnden Persönlichkeiten Johannes Schultze, dem stellvertre­ ten­den Vorsitzenden – der auf Grund dieser Funktion die Geschäfte bis zur Neubestellung des Vorsitzenden weiterführte112 – und Willy Hoppe, dem neuen starken Mann in der brandenburgischen und deutschen Landesgeschichtsforschung nach 1933 – der vom Provinzialverband bereits im Herbst 1935 als neuer Vorsitzender in Aussicht genommen wurde –, während Berlin auf die von ihnen entwickelten Überlegungen allenfalls reagierte. Wegen der ungeklärten Zukunft wurden die Mitglieder nicht mehr zu halbjährlichen Sitzung zusammengerufen, Kassenrechnungen und Arbeitsberichte wurden ihnen in der Erwartung zugesandt, daß sie den darin gemachten Mitteilungen und Vorschlägen folgten. Arnim verheimlichte, wie aus einer späteren, aber glaubwürdigen Selbstaussage113 zu erkennen ist, seine Zielvorstellung den betroffenen Wissenschaftlern durchaus nicht. Da die Zusammenarbeit zwischen dem Provinzialverband und der Stadt Berlin aus personellen und verwaltungspolitischen Gründen Schwierigkeiten und Mißstimmungen zwischen den Beteiligten mit sich gebracht habe, regte er an, zur Schaffung klarer Verhältnisse für die Provinz Mark Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin je eine besondere Historische Kommission zu schaffen. Es habe ihn hierbei insbesondere der Wunsch geleitet, die Provinz Brandenburg wie möglichst auf allen Gebieten, so ganz besonders in dem kulturellen Sektor ein Eigenleben führen zu lassen.

111 Vgl. seine Personalakte in: BLHA, Rep. 55, Personalia, Nr. 3246. 112 Vgl. dazu auch die Bemerkungen J. Schultzes, Erinnerungen (Anm. 56), 52. 113 In seiner Ansprache vom 16. Januar 1943 anläßlich der Gründung der Historischen Kommission der Provinz Mark Brandenburg, BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 86, Bl. 50v.



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 109

Eine wichtige Konsequenz dieses Ansatzes deutete Arnim an, als er in seiner Dienstanweisung vom 3. Januar 1936 für die neugeschaffene Kulturabteilung unter ihren vordringlich zu behandelnden Fragen stichwortartig anführte: „Organisation der Museums- und Geschichtsvereine (Führung oder massgeblicher Einfluss des Provinzialverbandes)“114. Mit anderen Worten: Arnim strebte den Aufbau und Ausbau eines eigenständigen brandenburgischen Kulturlebens an, das in der Pflege der landschaftlichen Besonderheiten und Eigenarten Brandenburgs seine zentrale Aufgabe haben sollte, und die zu diesem Zwecke und auf diesem Felde tätigen kulturellen und wissenschaftlichen Gesellschaften und Einrichtungen sollten den allgemeinen Vorgaben des Provinzialverbandes folgen, als dessen nachgeordnete Einrichtung oder kraft der satzungsgemäß verankerten Mitwirkungsrechte des Provinzialverbandes. Die Betonung des brandenburgischen Eigenlebens zog gerade in der damaligen verwaltungspolitischen Situation, in der sich die Reichshauptstadt Berlin mehr denn je zuvor wegen der parteiinternen Machtverhältnisse in der NSDAP von der Provinz Brandenburg abgrenzte, von ihr verselbständigte und mit der Einsetzung eines eigenen Stadtpräsidenten den Oberpräsidenten der Provinz nahezu gänzlich ausschaltete, unweigerlich nach sich, daß bestehende Kooperationen zwischen Provinz und Hauptstadt auf Betreiben des Provinzialverbandes gelöst wurden. Allerdings verfolgte er115 diese Linie nicht von vornherein und mit allem Nachdruck im Falle der Historischen Kommission, da sie zunächst nicht im Zentrum seiner Bemühungen um eine organisatorische Neuordnung der Landesgeschichtsforschung stand und da er geduldig einen durch den Druck der Verhältnisse hervorgerufenen Meinungswandel der ursprünglich widerstrebenden Landeshistoriker abwartete. Hoppe trug zwar schon im November 1935 den – danach von ihm selbst wieder aufgegebenen – Gedanken vor, die gemeinsame Historische Kommission aufzulösen und an ihrer Stelle eine Landesgeschichtliche Forschungsanstalt nur für die Provinz Brandenburg zu bilden. Aber als der Berliner Magistrat sich wider Erwarten des Provinzialverbandes im März 1936 ebenso wie dieser zur Zahlung eines jährlichen Zuschusses von 3.000,– RM bereiterklärte, verzichtete Karpa darauf, einen bereits formulierten Briefentwurf mit dem Vorschlag, als Nachfolger der alten Historischen Kommission zwei

114 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 49, Bl. 1r. – Vgl. auch den Vermerk Georg Winters (Preußische Archiv­ verwaltung) über ein Gespräch mit Karpa am 15. September 1937: „Wir besprachen dann die Frage der neuen Organisation der Historischen Kommission für Brandenburg und deren Eingliederung in ein großes provinzielles Institut für die kulturellen Aufgaben. Auf diesem Gebiet wird künftig, wie auch sonst, und wenigstens für eine gewisse Zeit, eine Absonderung der Provinz von der Stadt Berlin erfolgen“. GStAPK, I. HA Rep. 178, Nr. 245. 115 Das Folgende wieder nach: BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 85.

110 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

getrennte landesgeschichtliche Forschungsstellen für Berlin und Brandenburg einzurichten, abzusenden. Die beiden Verwaltungen wechselten statt dessen Satzungsentwürfe einer umgestalteten Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin untereinander aus. Karpa empfahl im Februar 1938 Arnim die Annahme der mit Berlin abgestimmten Neufassung, nachdem Hoppe und Schultze erneut entsprechend ihrer bisherigen ablehnenden Haltung reserviert reagiert hatten, als er ihnen die Frage vorlegte: „Scheint es für die Zukunft noch zweckmäßig, die Historische Kommission mit der Stadt Berlin verwaltungsmäßig zu teilen?“ Zumindest auf dem Gebiet der historischen Quellenedition, auf das die beiden damals die Kommission beschränken wollten – historische Darstellungen sollten der Abteilung „Geschichte“ des neuen Provinzialinstituts für brandenburgische Landes- und Volkskunde vorbehalten bleiben –, lehnten sie die Trennung zwischen Provinz und Stadt Berlin als nicht zweckdienlich ab; praktisch würde bei Übernahme des Kommissionsvorsitzes durch Hoppe die Provinz Brandenburg führend sein. Den landeshistorisch betrachtet wesentlichen fachlichen Einwand brachte Rudolf Lehmann, nachdem die Entscheidung gefallen war, im Februar 1939 auf die Formel, daß Berlin „doch schließlich geschichtlich mit der ganzen Landschaft verbunden ist und eigentlich gar nicht herausgelöst werden kann“. Aber als die maßgeblichen historischen Verhandlungspartner, Hoppe und Schultze, ihre Auffassung änderten, nutzte der Provinzialverband ihr Einverständnis sofort im Sinne seiner kulturpolitischen Richtungsvorgabe aus. Karpa hielt nach einem Gespräch mit ihnen am 11. Juni 1938 aus seiner Sicht knapp fest: Nachdem sich die Herren Professor Hoppe und Archivrat Schultze bisher immer gegen den Gedanken gewehrt haben, die Historische Kommission künftighin allein unter die Führung des Landeshauptmanns zu stellen (damit also den Oberbürgermeister Dr. Lippert auszuschalten), sind sie plötzlich anderen Sinnes geworden, wahrscheinlich deshalb, weil die Stadt Berlin immer mit der Bezahlung des Beitrages Schwierigkeiten macht. Kurz: Man wünscht jetzt, dass der Herr Landeshauptmann allein die Führung übernimmt.

Karpa war sich dabei sogleich der Konsequenz bewußt, daß nach der Trennung von Berlin dessen Finanzierungsanteil vom Provinzialverband übernommen werden müsse, ja, er befürwortete zwecks Fertigstellung des Historischen Atlasses die Erhöhung der Mittel auf insgesamt 8.000,– RM, „zum Zeichen dessen .., dass die Historische Kommission unter der alleinigen Führung der Provinz besser fährt als unter dem Doppelgespann“. Am 19. Juli 1938 hielt der Provinzialverband gegenüber dem Oberbürgermeister von Berlin mit Rücksicht auf das vor Jahresfrist gegründete Provinzialinstitut für Brandenburgische Landes- und Volkskunde ... zwecks Vereinheitlichung der Brandenburgischen Geschichts-



Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg (1925–1935/39) 

 111

forschung eine klare Trennung der berlinischen und der provinz-brandenburgischen Geschichtsforschung für geboten

und schlug die Gründung je einer Historischen Kommission für die Stadt Berlin und für die Provinz Brandenburg ab 1. April 1939 vor. Am 23. Januar 1939 erklärte sich Berlin damit einverstanden, die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin zum 1. April 1939 aufzulösen. Statt einer eigenen Kommission wollte es deren Obliegenheiten einem beim Stadtarchiv zu schaffenden Beirat übertragen. Die Reichshauptstadt richtete schließlich im Dezember 1942 eine offiziell im November 1943 öffentlich vorgestellte „Landesstelle für Geschichte, Heimatkunde und Volksforschung“ beim Hauptkulturamt der Reichshauptstadt unter dem repräsentativen Vorsitz des Oberbürgermeisters ein. Sie gliederte sich in einen aus amtlichen Vertretern bestehenden Beirat und einen Arbeitsausschuß unter Leitung Hoppes, der sich zuvor für die Übernahme dieser Aufgabe der Zustimmung des Provinzialverbandes versichert hatte, mit der Argumentation: Er selbst würde die Annahme der Berufung für eine glückliche Lösung halten, da dadurch von vornherein Spannungen und Gegensätze zwischen den historischen Institutionen der Provinz und der Stadt Berlin ausgeschaltet wären116.

116 GStAPK, I. HA Rep. 178, Nr. 1741, Bl. 237; BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 86, Bl. 1. Hoppe hielt anläßlich der Errichtung der Landesstelle am 18. November 1943 den wissenschaftlichen Hauptvortrag über künftige Aufgaben der berlinischen Geschichtsforschung; zu dessen Druckort und zu Hoppes parallelem Referat über die brandenburgische Geschichtsforschung vgl. unten S. 116 bei und mit Anm. 127. Presseberichte über die öffentliche Veranstaltung vom 18. 11. 1943 ebenso wie zahlreiche Unterlagen der voraufgegangenen Erörterungen zum künftigen Arbeitsprogramm der Landesstelle in: LAB, A Rep. 21–02, Nr. 62. – Der Geheime Staatsarchivar Reinhard Lüdicke vermerkte in seinem kurzen Bericht über die Landesstelle vom 4. Juni 1943 nüchtern: „In allgemeiner Aussprache [sc. auf einer Vorbesprechung vom 30. April 1943] wurden die etwa zunächst in Angriff zu nehmenden Arbeitsaufgaben erörtert. Mit einer wirklichen Aufnahme der Tätigkeit der Landestelle wird während der Dauer des Krieges aber wohl kaum zu rechnen sein“. GStAPK, I. HA Rep. 178, Nr. 1741, Bl. 237v. – Bei Johannes Schultze klingt zwischen den Zeilen ein wenig Trauer über das Ende der Kommission von 1925 an, wenn er im Vorwort zu ihrer letzten Veröffentlichung, dem Landbuch Karls IV. von 1375, schreibt (S. VIII): „Es darf besonders hervorgehoben werden, daß die Neuerscheinung dieser wichtigsten Quelle zur brandenburgischen Geschichte dem Zusammenwirken von Provinz und Reichshauptstadt zu verdanken ist“.

112 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

III. Die Historische Kommission der Provinz III. Mark Brandenburg (1939/43–1945)

Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43–1945)

Obwohl der Provinzialverband bereits am 7. Februar 1939 den bisherigen stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden Schultze zu Vorschlägen für die Bildung einer Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg aufforderte, am 20. Dezember 1940 Hoppe entsprechend den älteren Überlegungen den Vorsitz der Kommission antrug und ihn zu Vorschlägen für die Berufung der Mitglieder und des Beirats aufforderte und ihn am 25. November 1941 zum Vorsitzenden der „Historischen Kommission der Provinz Mark Brandenburg“ berief, verzögerte sich deren förmliche Neugründung bis zum Januar 1943. Denn Hoppe war bis Frühjahr 1942 durch sein Rektorat an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität so stark beansprucht, daß er sich trotz wiederholter Ermahnungen Karpas nur sehr schleppend den wichtigsten im Vorfeld zu klärenden Fragen, der Satzung und der Mitgliedschaft, widmete117. Die Satzung der neuen Kommission übernahm in inhaltlicher Hinsicht von ihrem Vorgänger die – abgesehen von der Herauslösung Berlins – unveränderte Aufgabenbeschreibung, nämlich die Bearbeitung von Quelleneditionen und Darstellungen zur Geschichte der Mark Brandenburg. In organisatorischer Hinsicht spiegelte sie aber gegenüber der in der Weimarer Vergangenheit entstandenen Regelung zunächst im allgemeinen die gewandelten vereinsrechtlichen Rahmenbedingungen der nationalsozialistischen Gegenwart und im besonderen die deutlich gesteigerte Stellung des eigentlichen Trägers, des Provinzialverbandes, wider. Alle seit dem Herbst 1935 vorgelegten Satzungsentwürfe hatten nachhaltig im Sinne des Führerprinzips die Position sowohl des öffentlichen Trägers als auch des Vorsitzenden der Kommission gestärkt und die der Mitglieder bzw. der Mitgliederversammlung geschwächt. Die wichtigsten Gesichtspunkte stellte schon ein Vermerk des Provinzialverbandes vom 26. November 1935 über die Satzung der damals statt der Kommission vorgeschlagenen Landesgeschichtlichen Forschungsanstalt zusammen. Der Landesdirektor, satzungsmäßiges Mitglied wie 1925, sollte den Vorsitzenden (auf fünf Jahre) berufen sowie nach dessen 117 Bereits im Oktober 1939, also ein halbes Jahr nach der förmlichen Auflösung der alten Kommission, seufzte Karpa: „Leider besteht die Historische Kommission für die Provinz nur de facto und nicht de jure. Das liegt daran, dass trotz dauernder Aufforderung Prof. Hoppe noch nicht endgültig Stellung genommen hat zu den von uns aufgestellten Satzungen der Historischen Kommission. Er entschuldigte sich jedesmal bei unseren telefonischen oder brieflichen Anforderungen mit seiner derzeitigen Überlastung als Universitätsrektor“. BLHA, Rep. 55 Pers., Nr. 8045, Bl. 5. – Die folgenden Ausführungen wiederum nach der Akte BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 85 sowie – geringfügig ergänzend – nach der Akte GStAPK, I. HA, Nr. 1741, Bl. 200, 227–232, 235–236.



Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43–1945) 

 113

Vorschlag die Mitglieder ernennen oder abberufen, der Vorsitzende seinerseits seinen Stellvertreter und den Schriftführer berufen. „Das Vorschlagsrecht des Vorsitzenden und das Ernennungsrecht des Landesdirektors sollen sicherstellen, dass einmal nur wissenschaftlich befähigte und politisch einwandfreie Männer berufen werden“. Beabsichtigt war, der Landesgeschichtlichen Forschungsanstalt einen Fachbeirat zur Seite zu stellen, dessen Mitglieder, um die landesgeschichtliche Forschung verdiente Männer, ebenfalls vom Landesdirektor auf Vorschlag des Vorsitzenden zu berufen waren. Damit war das Kooptationsrecht der Mitgliederversammlung im Gegensatz zu 1925 aus politischen Erwägungen gänzlich ausgeschaltet. Aus fachlichen Gründen war beabsichtigt, den personellen Umfang der Kommission deutlich zu reduzieren, auf fünf Mitglieder neben dem Vorsitzenden. „Die Zusammensetzung ist ganz stark vermindert worden, um jede Repräsentation auszuschließen und nur auf praktische Arbeit aufzubauen“. Neben zwei Archivaren aus dem Geheimen Staatsarchiv und dem Brandenburgischen Provinzialarchiv waren drei Landeshistoriker vorgesehen, von denen einer Professor der Universität Berlin sein sollte, „um bei dem Fehlen einer eigenen Landeshochschule die Verbindung zur Staatlichen Hochschule sicher zu stellen“. Die nachfolgenden Satzungsdiskussionen bewegten sich innerhalb der so skizzierten Leitlinien, auch die schließlich angenommene Fassung. Der Landeshauptmann, satzungsmäßiges Mitglied, ernannte den Vorsitzenden und berief nach dessen Vorschlag die vorgesehenen acht weiteren Mitglieder der Kommission, die durch „eigene wissenschaftliche Leistung von Bedeutung und durch ständige Mitarbeit auf dem Gebiete der brandenburgische Landesgeschichte“ ausgezeichnet sein sollten, jeweils auf fünf Jahre mit der Möglichkeit zur wiederholten Ernennung bzw. Berufung. Der Vorsitzende führte die gesamten Geschäfte selbständig, doch verantwortlich dem Landeshauptmann, und er hatte das jährliche Arbeitsprogramm nach Beratung mit den Mitgliedern aufzustellen und dem Landeshauptmann zur Genehmigung vorzulegen. Er bestimmte seinen Stellvertreter aus der Zahl der Mitglieder. Für seine starke, satzungsgemäß verankerte Stellung war der Provinzialverband durchaus bereit, seinen Mitteleinsatz zu erhöhen. Karpa hatte, wie schon erwähnt, von vornherein erwogen, nicht nur den Ausfall des bisherigen Berliner Anteils vom Provinzialverband vollständig ausgleichen zu lassen, sondern die Gesamtsumme leicht zu erhöhen. Als Hoppe im Januar 1941 eine „ausreichende wirtschaftliche Sicherung“ der Kommissionsarbeit verlangte, erklärte er deutlich, daß „mit einer Jahressumme von RM 6.000, wie sie mir bisher genannt wurde, nichts Ganzes und nichts Halbes anzufangen“ sei. Ohne eine Ausstattung von mindestens RM 12.000 würde die neue Historische Kommission ein Dasein führen müssen, das weder einer Provinz von Alter und Rang wie Mark Bran-

114 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

denburg entspricht noch den Aufgaben, die historischer Forschung hier gestellt werden müssen.

Der Betrag von 12.000 RM wurde von Arnim bereits nach einer Woche grundsätzlich zugestanden. Hoppes Verhandlungen mit dem Provinzialverband drehten sich neben der Satzung vor allem um die personelle Auswahl, unter der maßgeblichen Voraussetzung, daß im Vergleich mit der Regelung von 1925 die Zahl der Mitglieder zahlenmäßig begrenzt und als zusätzliches Organ ein Beirat größeren Umfanges geschaffen werden sollte. Mit diesen Vorgaben beabsichtigte man, sich in der Mitgliedschaft auf wenige ausgewiesene Wissenschaftler mit der Befähigung zur tatkräftigen und dauerhaften Mitarbeit auf dem Gebiet der brandenburgischen Landesgeschichte zu beschränken, während der Beirat etliche Interessenten an der märkischen Geschichte aus dem Kreise der Fachhistoriker wie auch geschichtsbewußter Verwaltungsleiter umfassen und damit weniger ein Arbeits- als ein Repräsentationsorgan sein sollte. Diese Erwägungen kommen untergründig bereits in dem Satzungsentwurf Schultzes für die Landesgeschichtliche Forschungs­stelle (Historische Kommission) vom Februar 1939 zum Ausdruck, in dem es – in unausgesprochener Absetzung von einigen Mitgliedern der alten Kommission – heißt: Voraussetzung für die Berufung der Mitglieder ist die besondere eigene wissenschaftliche Leistung und ständige Mitarbeit auf dem Gebiet der brandenburgischen Landesgeschichte. Von den 5 ordentlichen Mitgliedern sollen mindestens je einer dem Geheimen Staatsarchiv und dem Lehrkörper der Universität Berlin angehören und möglichst 2 nicht in Berlin angesessen sein. Der L[andesgeschichtlichen] F[orschungsstelle] steht ein Beirat zur Seite, der sich aus um die Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte verdienten Männern und Vertretern wissenschaftlicher Behörden, Institute und Vereinen zusammensetzt.

Hoppe erhöhte Schultzes Fünferliste – Fritz Hartung, Johannes Schultze, Gottfried Wentz, Rudolf Lehmann und Hans Bütow – auf acht Personen, unter Betonung von zwei Auswahlkriterien: Forschungsarbeiten in der brandenburgischen Landesgeschichte und Tätigkeit außerhalb Berliner Institutionen. Er erweiterte den Kreis auf vier Mitglieder aus der Provinz, also außerhalb Berlins ansässige Fachleute, die einzelne brandenburgische Landschaften in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gerückt hatten – Rudolf Lehmann (Vereinsführer der Niederlausitzer Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde), Hans Bütow118 (Lehrer in Königsberg/ Neumark), Hans Neumann (Stadtarchivar von Brandenburg an der Havel)119 und

118  Kurt Metschies, Hans Bütow (1905–1944), in: Lebensbilder (Anm. 9), 498–501. 119  Klaus Heß, Hans Neumann (1900–1960), in: Lebensbilder (Anm. 9), 386–390.



Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43–1945) 

 115

Emil Schwartz120 (Vorsitzender des Uckermärkischen Museums- und Geschichtsvereins in Prenzlau) –, getreu seiner Absicht, mehr Männer von draußen hineinzunehmen; ... Ein Haupterfordernis wird immer sein, dass wir mit unserer Arbeit wirklich draussen, in der Provinz, Fuss fassen. Eine im wesentlichen berlinische Gelehrtenakademie wäre nicht das, was ich mir vorstelle.

Dahinter stand Hoppes Überzeugung, daß die Kommission sich nicht nur an den engen Kreis der Fachgenossen wenden dürfe, sondern darüber hinaus ihre Ergebnisse Geschichtsfreunden im Land möglichst vielseitig (Versammlungen, Einzelvorträge, Ausstellungen usw.) nahebringen, den geschichtlichen Sinn der Bevölkerung beleben und damit bewusst das Verständnis der Gegenwart vertiefen helfen

müsse, wie es die Satzung gemäß seinem Vorschlag formulierte. Als Vertreter der Universität Berlin zog er schließlich den Hilfswissenschaftler Eugen Meyer121, „der sich durch eine ausgezeichnete Arbeit über wittelsbachisch-brandenburgische Urkunden in die hiesige provinzielle Geschichtsarbeit eingeführt hat“, dem allgemeinen Verfassungshistoriker Hartung vor, der „Prof. Meyer gegenüber in seinen landesgeschichtlichen Leistungen und Interessen zurück(tritt)“. Als „auf dem Gebiete der brandenburgischen Geschichtsforschung bewährte Gelehrte“ benannte er neben Wentz noch Heinrich Harmjanz122, Prof. an der Universität Frankfurt am Main und Referent im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volkesbildung, wegen seiner Siedlungsgeschichte des brandenburgischen Glin, „eine ungewöhnlich frische Persönlichkeit mit starken Beziehungen zu kulturpolitischen Kreisen des Staates und der Partei“. Nachdem der Provinzialverband Hoppes Vorschläge akzeptiert hatte, gehörten der neuen Kommission die folgenden neun Mitglieder an: Hoppe (Vorsitzender), Bütow, Harmjanz, Lehmann, Meyer, Neumann, Schultze, Schwartz, Wentz. Der Beirat war in den Augen der Organisatoren Hoppe und Karpa nachrangig, war „mehr Beiwerk“ (Hoppe) bzw. hatte „mehr eine ehrende als praktische Bedeutung“ (Karpa). Seine geradezu minderrangige Aufgabe sah die Satzung darin, „den Vorsitzenden auf dessen Wunsch durch schriftliche oder mündliche Gutachten zu unterstützen“. Verschiedene interessierte Kreise sollten durch die Berufung für die ebenso fachwissenschaftliche wie kulturpolitische Unterstützung der Kommissionstätigkeit gewonnen werden, wobei die zunächst ausgesprochenen Ernennungen nach dem Kriege systematisch zu ergänzen seien. 120  Werner Vogel, Emil Schwartz (1880–1971), in: ebd., 268–271. 121  W. Leesch, Archivare (Anm. 80), 402 f. 122 H. Heiber, Walter Frank (Anm. 62), 648–654.

116 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Aufgenommen wurden einerseits Historiker und Archivare mit Verdiensten um die Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte, Erich Blunck (Brandenburgischer Provinzialkonservator), Eberhard Faden123 (Berliner Stadtarchivdirektor), Fritz Hartung, Hans Kania124 (Potsdam-Historiker), Reinhard Lüdicke (Leiter der Abteilung Staatsarchiv für die Provinz Brandenburg und Reichshauptstadt Berlin im Geheimen Staatsarchiv), Paul Meyer (Neuruppin-Historiker), Georg Mirow (Museumsdirektor)125, Siegfried Reicke (Rechtshistoriker an der Berliner Universität), dazu leitende Verwaltungsbeamte wie der Oberbürgermeister Sievers von Brandenburg an der Havel und der Landrat von Königsberg / Neumark von Keudell. Zum Vertreter der NSDAP-Gauleitung wurde Karpa in seiner Funktion als Leiter des Archivs der NSDAP Gau Mark Brandenburg bestellt. Als die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg126 am 16. Ja­nuar 1943 in Potsdam zu ihrer offiziellen Gründung zusammentrat, konnte der Provinzialverband glauben, das grundsätzliche Ziel seiner Kulturpolitik, die Herstellung der kulturellen Eigenständigkeit der Provinz insbesondere gegenüber Berlin, auf einem weiteren Feld erreicht zu haben. Arnim betonte in seinem Bericht an den Oberpräsidenten der Provinz abschließend, daß er seit der Machtergreifung entsprechend den verwaltungspolitischen Verhältnissen die Loslösung und klare Trennung der alten Historischen Kommission von der Stadt Berlin angestrebt habe und daß die Gründung der neuen Historischen Kommission „einen weiteren Schritt zur Verselbständigung der Mark Brandenburg gegenüber der Reichshauptstadt Berlin“ darstelle; „insofern kommt ihr auch verwaltungspolitisch eine gewisse Bedeutung zu“. Hoppe umriß im Anschluß an Arnims Eröffnungsansprache in seinem einstündigen Vortrag127 das wissenschaftliche Aufgabenfeld der Kommission, freilich in dem Sinne einer umfangreichen und vielfältigen Wunschliste künftiger Generationen brandenburgischer Landesgeschichtsforscher, ohne beschrän123  Jürgen Wetzel, Eberhard Faden (1889–1973), in: Lebensbilder (Anm. 9), 258–267. 124  Hans-Joachim Schreckenbach, Hans Kania (1878–1947), in: ebd., 364–369. 125 Gebhard Falk, Georg Mirow, in: BBL (Anm. 9), 285; ders., Georg Mirow (1880–1954), in: Lebensbilder (Anm. 9), 327–331. 126 Das Folgende nach BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 86: Historische Kommission der Provinz Brandenburg, Bd. 2 (1942–1944). 127 Manuskript in: BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 86, Bl. 56–68; Druckfassung: Brandenburgische und berlinische Geschichtsforschung auf alten und neuen Wegen, [Teil] I, in: FBPG 55 (1944), S. 371– 383 [d. h. in dem zweiten zwar noch ausgedruckten, aber nicht mehr ausgelieferten Heft von Bd. 55 der FBPG], nach Hoppes Tod wohl vom Hrsg. geringfügig verändert erneut abgedruckt in: Willy Hoppe: Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, eingeleitet u. hrsg. v. Herbert Ludat, Köln/Graz 1965, S. 347–359 – unter demselben Titel, obwohl der der berlinischen Geschichtsforschung gewidmete Teil II (FBPG 55 [1944], S. 384–399, siehe dazu oben Anm. 116), hier nicht wiederholt wird.



Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43–1945) 

 117

kende Konzentrierung und Prioritätensetzung auf die in den nächsten Jahren mit den verfügbaren Kräften realisierbaren Vorhaben – ein praktikables Arbeitsprogramm mit einer überschaubaren Anzahl von Schwerpunkten bot sein Referat nicht. Für die einzelnen Aufgaben setzt er breit ein mit den Quelleneditionen, der Herausgabe von Urkundenregesten, mittelalterlichen Chroniken, Landbüchern, Schoßbüchern, Siegeln, Inschriften, Visitationsprotokollen, Ständeakten, Stadtund Bürgerbüchern, Häuserbüchern, bäuerlichen Rechtsquellen, Erbregistern, schreitet weiter mit Atlasarbeiten, Wüstungs- und Flurnamenverzeichnissen, Ortsnamenlexikon und historischem Ortslexikon, einer historisch-topographische Beschreibung der einzelnen Landesteile und biographischen Sammlungen und endet mit darstellerischen Aufgaben des 19. Jahrhunderts, den Agrarreformen, der Auswanderungsbewegung, der Industrie und den Gewerben, der Arbeiterfrage. Hoppe knüpft in manchem an die Vorhaben der Vorgängerkommission an, betont freilich gegenüber ihrer Schwerpunktsetzung, daß man statt „der nackten Quellensammlung“ eine Verbindung zwischen Quellenveröffentlichung und Darstellung anstreben oder das Gewicht gänzlich auf Darstellungen mit Quellenanhang verlegen müsse. Er warnt ausdrücklich vor einer vergangenen ebenso wie vor einer gegenwärtigen „Einseitigkeit“ in der Arbeit historischer Kommissionen, vor einer noch nach 1918 nachwirkenden Konzeption der Landesgeschichte als dynastischer Territorialgeschichte und vor der damals aktuellen fehlerhaften Konzentration allein auf den Bauernstand. Den tieferen Sinn der landesgeschichtlichen Arbeit sieht Hoppe darin, „Liebe zur Heimat [zu] erwecken, jene tiefere Liebe, die aus dem innigen Verstehen um die Lebensbedingungen und das Schicksal der Heimat erwächst“. Wichtiger als der Staat erscheint ihm dabei „heute das Land, der Boden, die den Staat tragen, ... die Menschen und ihr Volkstum, die in der heimischen Landschaft wurzeln“. In seiner insgesamt gesehen betonten sachlichen Nüchternheit, die ohne einen Anspruch auf grundlegende methodische oder inhaltliche Neubesinnung und Neuorientierung auskommt und auf idealistischen, pathetischen Überschwang und ideologische Versatzstücke verzichtet, ist Hoppes Ansprache ein bemerkenswertes Zeitzeugnis. Wer nach einem weitausgreifenden summarischen Überblick über potentielle Aufgabenfelder der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung sucht, kann aus der Lektüre seines Textes durchaus auch heute noch Belehrung schöpfen. Freilich war den Teilnehmern an der Gründungssitzung der Historischen Kommission der Provinz Mark Brandenburg damals, in den letzten Tagen von Stalingrad, bewußt, wie es Karpa ausdrücklich vermerkte, daß es nicht die Zeit zur Durchführung großer geschichtswissenschaftlicher Aufgaben war. Oberpräsident und Gauleiter Stürtz erwiderte denn auch den Bericht Arnims mit der Aufforderung, die „Tätigkeit“ der Historischen Kommission „unter allen Umständen so zu gestalten, daß dadurch keinerlei Kräfte und Zeit einem kriegswichtigen

118 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Einsatz entzogen werden“. Die Akten des Provinzialverbandes über die Historische Kommission schließen mit einem kurzen Briefwechsel zwischen Karpa und Hoppe vom Juni/Juli 1944 über personellen Ersatz für den Beirat der Historischen Kommission; Hoppe vertagte in seinem Schreiben vom 27. Juli 1944 die Entscheidung auf die Zeit „nach dem Kriege, falls wir es erleben sollten“, und schloß seine Zeilen mit dem Satz: „Ich bin körperlich und seelisch erschöpft“; Karpa notierte auf Hoppes Brief für die Registratur: „W[ieder]v[orlage] nach Kriegsende“. Das Kriegsende überlebten allerdings beide, der Brandenburgische Provinzialverband und sein Geschöpf, die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg, nicht. Unter radikal gewandelten politischen Bedingungen mußte die brandenburgische Landesgeschichtsforschung ganz neue Wege beschreiten, im Zeichen der Teilung Deutschlands, die auch in ihrem Bereich Ost und West voneinander trennte und die die beiderseitigen Arbeitsmöglichkeiten aus unterschiedlichen Gründen erheblich beeinträchtigte und teilweise ganz lahmlegte128. Die Betrachtungen zur Historischen Kommission zeigen im Hinblick auf den Provinzialverband ein Bild, wie es sich ähnlich für andere Bereiche seiner Kultur- und Wissenschaftspolitik, etwa für die Bodendenkmalpflege129, zeichnen ließe. Er hatte das zentrale Defizit der Provinz Brandenburg erkannt: Es fehlte ihr im Gegensatz zu den anderen preußischen Provinzen an leistungsfähigen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen, die die Provinz zum Mittelpunkt ihrer Anstrengungen gemacht hätten, da die in der Hauptstadt Berlin ansässigen Organisationen in ihr Aufgabenfeld Preußen, Deutschland oder gar Europa und die Welt einbezogen hatten. In dieser Lage strebte Landesdirektor von Arnim – unter anderem – für die Landesgeschichtsforschung eine eigenständige Einrichtung unter seinem Protektorat an, die sich in ihrer Arbeit ganz auf Brandenburg konzentrierte und die verwaltungsorganisatorisch und finanziell nicht mehr von der Haltung eines Dritten abhängig war. Auf Grund der gegebenen Lage wandte sich die Politik des Provinzialverbandes auf diesem Feld nicht gegen eine zentrale preußische Instanz, wie im Falle der Bodendenkmalpflege gegen das preußische Museum für Ur- und Frühgeschichte, sondern gegen die Reichshauptstadt Berlin, und man wird nicht leugnen können, daß sie dafür gute Gründe geltend machen konnte. Von Anfang an hatte der Provinzialverband die 128 Vgl. für die landesgeschichtliche Arbeit in (West-)Berlin: Die Historische Kommission zu Berlin. Forschungen und Publikationen zur Geschichte von Berlin-Brandenburg und Brandenburg-Preußen, hrsg. v. Wolfgang Ribbe (Kleine Schriftenreihe der Historischen Kommission zu Berlin, Heft 3), Potsdam 2000. 129 Vgl. dazu Klaus Neitmann, Die Kulturverwaltung und Kulturpolitik der Provinz Branden­ burg und die Begründung der brandenburgischen Provinzialarchäologie, in: Miscellanea Archaeo­ logica III. Berlin und Brandenburg. Geschichte der archäologischen Forschung (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, 22), hrsg. v. Jörg Haspel u. Wilfried Menghin, Petersberg 2006, 179–189.



Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg (1939/43–1945) 

 119

Anliegen der Historischen Kommission mit größerer Bereitwilligkeit als Berlin behandelt und gefördert, und insbesondere ließ es, politisch gedacht, die von den Berliner NSDAP-Spitzen betriebene völlige Herauslösung Berlins aus der Provinz geraten erscheinen, auch auf kulturellen und kulturpolitischem Gebiet das brandenburgische Eigenleben mit eigenen wissenschaftlichen Institutionen gezielt mit größerem Mitteleinsatz auszubauen. Aus dem Schlepptau Preußens wie Berlins wollte sich der Provinzialverband mit aller Konsequenz befreien und die brandenburgische Eigenständigkeit betont zur Geltung bringen. Arnim und Karpa gingen – in Karpas Worten – von der Einsicht aus, dass viele, anderwärts [d. h. in anderen preußischen Provinzen] von der Provinzialverwaltung selbst getragene Ämter ehren- oder nebenamtlich entweder von Institutionen der Reichshauptstadt oder unzulänglichen Stellen im Provinzgebiet wahrgenommen wurden.

Und Karpa schlußfolgerte im Sinne Arnims: Dieser Sachlage gegenüber stand die bevölkerungspolitisch dringend gebotene Forderung, mit der verwaltungspolitischen Verselbständigung der Provinz auch ihre kulturpolitische Selbständigkeit zu verwirklichen130.

Arnim besaß durchaus eine eigene umfassende kulturpolitische Konzeption: Es muss im Laufe der Zeit gelingen, der weltstädtischen Kulturpflege eine einheitliche brandenburgische Kulturpflege entgegenzustellen, die ihre Kräfte aus der heimatlichen Landschaft, ihrer Bevölkerung und ihrer Geschichte zieht131.

Es war keine organisatorische Äußerlichkeit, wenn er zum 1. Januar 1936 eine eigene Kulturabteilung, eine Abteilung für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, einrichtete, denn damit schuf er sich das Mittel, um, wie es die Verwaltungsberichte des Provinzialverbandes von 1935 und 1936 ausdrückten, „sämtliche Zweige der provinziellen Kulturpflege einheitlich auszurichten und zusammenzufassen“ und „an Stelle einer abwartenden Hilfsbereitschaft eine positive Formung der Kulturarbeit zum Hauptgrundsatz“ zu erheben. Die deutliche Betonung der kulturellen Arbeit des Provinzialverbandes wurde auch dadurch ausgelöst, daß die Verantwortlichen sich von seinem vermehrten Einsatz auf einem gesetz- und traditionsgemäß ihm überlassenen Aufgabengebiet die Stärkung seiner behördlichen Eigenständigkeit gegenüber den

130 BLHA, Rep. 55 Pers., Personalakte Karpa, Karpa an den Oberpräsidenten der Provinz Brandenburg (Verwaltung des Provinzialverbandes), 23. 6. 1939. 131 Arnim an Karpa, Leiter der Kulturabteilung, 3. 1. 1936, BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 49, Bl. 1v.

120 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

ausgeprägten zentralistischen Bestrebungen innerhalb des nationalsozialistischen Staates versprachen. Der Bericht des Leiters der Kulturabteilung über die Kulturpflege-Sitzung der preußischen Landesdirektorenkonferenz vom Februar 1936 begründete im einzelnen die folgende politische Schlußfolgerung: Wenn die Provinzialverbände im Hinblick auf die Tendenzen, die auf eine Einschränkung der Selbständigkeit der Provinzialverbände hinzielen, ihre möglichst große Selbständigkeit auf dem Gebiet der Kulturarbeit erhalten wollen, müssen sie ihre Ziele und Forderungen möglichst geschlossen und einheitlich zur Geltung bringen,

und zwar auf den Feldern, die ihnen allen kraft Dotationsgesetz und Überlieferung zufallen oder die sie gemäß der Sonderart der landschaftlichen Verhältnisse als Sonderleistung auf sich genommen haben. Je mehr sie [sc. die Provinzen] sich einheitlich auf die landschaftlichen und von keiner anderen Stelle zu betreuenden Belange beriefen, um so stärker würden sie in der Verteidigung ihrer Position bleiben132.

IV. Zusammenfassung Zu abschließenden Überlegungen sei das eingangs angeführte Diktum Hermann Heimpels wiederholt: Der Weg der landes- und ortsgeschichtlichen Forschung führt „vom Verein über die Kommission zum Institut“133. Die in zahlreichen deutschen Bundesstaaten seit den 1820er Jahren gegründeten Geschichtsvereine wurden von Freunden und Liebhabern der Vergangenheit und ihrer schriftlichen und gegenständlichen Altertümer getragen, ihnen kam es nach den revolutionären Erschütterungen in geradezu enzyklopädischer Absicht auf die museale Rettung, Sammlung und Bewahrung von Urkunden und Denkmälern an. Die zunehmende Kritik der historischen Fachleute an dem Dilettantismus der Mitglieder führte zur Spezialisierung auf die Geschichte, zur methodisch sorgfältig vorbereiteten Edition, vorrangig von Urkundenbüchern und Regestenwerken, zur positivistisch betriebenen Forschung. Dieser Schritt erfolgte teilweise noch innerhalb der Vereine, zumeist aber führte der Weg seit den 1870er Jahren aus ihnen heraus in die Historischen Kommissionen, Verbänden von verbeamteten Fachhistorikern aus Universitäten und Archiven mit sachlicher Arbeitsteilung. 132 Bericht Karpas vom 29. 2. 1936 „über die Kulturpflege-Sitzung der Landesdirektorenkonferenz am 20. II. 1936 im Ständehaus zu Hannover“, BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 49, Bl. 46–47, die Zitate Bl. 46v, 47r. 133 Wie Anm. 2.



Zusammenfassung 

 121

Zur Überwindung der wissenschaftlichen Spezialisierung, zur Methodenverbindung, zur Zusammenfassung und Synthese wurden seit den 1920er Jahren neue Organisationsformen wie sachlich bedingte Arbeitsgemeinschaften, institutsartige Sammelwerke und Institute erprobt und geschaffen. Diesem idealtypischen Weg ist mit seinen einzelnen Stationen und Elementen auch in der preußischen Provinz Brandenburg zu begegnen, allerdings mit mancherlei Abweichungen. Dem Typus der unprofessionelleren Liebhabervereinigung entsprechen, zumindest teilweise, die seit den 1860er Jahren in verschiedenen Orten und Landschaften der Provinz gegründeten lokalen Geschichtsvereine, insbesondere dann, wenn die wissenschaftliche Qualität ihrer Mitglieder nicht einmal zu eigenen Publikationsorganen oder allenfalls zu heimatkundlichen Blättern ausreichte. In den besseren Fällen förderten die Vereine in ihren Zeitschriften und Schriftenreihen die Erforschung der Orts- und Regionalgeschichte durch Spezialstudien, aber ein umfassendes und anspruchsvolles Arbeitsprogramm vermochten sie mit ihren beschränkten finanziellen Mitteln und fachlichen Kapazitäten nicht aufzustellen und durchzuführen. Ihr zeitlicher Vorgänger, der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, trug hingegen von vornherein trotz der üblichen vereinsgemäßen Strukturen mit seiner Bevorzugung von Fachleuten aus Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen der Hauptstadt Berlin eher die Züge einer historischen Fachkommission. So vollzog er nach einer längeren Schwächephase bruchlos am Ende des 19. Jahrhunderts wenn auch nicht dem Namen, so doch der Sache nach den Übergang zur kommissionsartigen Tätigkeit. Die gelehrten Fachhistoriker aus Universität und Archiv, den beiden zentralen Heimstätten landesgeschichtlicher Arbeit134, gaben den Ton an, sie intensivierten die landesgeschichtliche Forschung, die mit methodischer Strenge auf der umfassenden Auswertung archivalischer Quellen beruhte, durch Vortragstätigkeit, Fachzeitschrift und Schriftenreihe mit Editionen und Monographien, die in ihrer wissenschaftlichen Qualität keine Konkurrenz zu scheuen brauchten. Befördert wurde das „Goldene Zeitalter“ des Vereins dadurch, daß führende Historiker an der ersten Universität Preußens und des Reiches, der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, die märkische Provinzialgeschichte gewissermaßen an die preußische Gesamtstaatsgeschichte heranzogen und deren Untersuchung mit den vom Preußen-Thema ausgehenden Impulsen beförderten. Eine Historische Kommission als eigene Organisation wurde unter diesen Voraus134 Für die Archive vgl. Wolfgang Ribbe, Archive und Archivare als Förderer der Landesgeschichtsforschung in Brandenburg, in: Im Dienste von Verwaltung, Archivwissenschaft und brandenburgischer Landesgeschichte. 50 Jahre Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Beiträge der Festveranstaltung vom 23. Juni 1999, hrsg. v. Klaus Neitmann (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, 8), Frankfurt am Main u. a. 2000, 101–111.

122 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

setzungen erst sehr spät gegründet, nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei wurde bis zu einem gewissen Grad eine Arbeitsteilung vorgenommen, indem sich die Kommission auf die Bearbeitung von methodisch anspruchsvollen Quelleneditionen konzentrierte, während zumindest kleinere Darstellungen dem Verein überlassen blieben. Die Betrachtung der Organisationsformen bliebe unvollständig und gäbe nur ein wesentlich verkürztes Bild, wenn sie nicht auch die Förderer und Geldgeber der wissenschaftlichen Arbeiter einbezöge135. Die Zugehörigkeit zum Verein für Geschichte der Mark Brandenburg beinhaltete von Anfang an die Zahlung von Mitgliedsbeiträgen, und darüber hinaus bemühte sich der Verein später, sowohl Einzelpersonen als auch öffentliche Stellen in Form von Stiftern und Patronen als fördernde Mitglieder zu gewinnen und so zusätzliche Einnahmen zu erhalten. Aber aus der geringen Zahl von Mitgliedern und Förderern und der begrenzten Höhe ihrer Zahlungen waren die geschichtswissenschaftlichen Vorhaben nur zum geringsten Teil zu finanzieren. Umfangreichere Druckvorhaben wie die Herausgabe von Zeitschriften und Monographien verlangten zu ihrer Realisierung die Beihilfe der öffentlichen Hand, die von der Zweckmäßigkeit und dem Ertrag überzeugt werden mußte. Der Ruf nach staatlichen Instanzen brauchte dabei nicht automatisch nach sich zu ziehen, daß sie auf die Arbeit der wissenschaftlichen Gesellschaften näheren inhaltlichen Einfluß bis hin zur Zensur zu nehmen versuchten, aber er setzte voraus, daß sie sich grundsätzlich überhaupt für das Themen- und Aufgabenfeld, das die jeweilige wissenschaftliche Gesellschaft vertrat, also in unserem Fall die Geschichte Brandenburgs, zu interessieren und zu begeistern vermochten. Für die Landesgeschichtsforschung in den einzelnen preußischen Provinzen waren seit 1875 die Provinzialverbände die entscheidenden Ansprechpartner, da ihnen durch die Dotationsgesetze die landschaftliche Kulturpflege, darunter auch die Betreuung der wissenschaftliche Vereine, als Pflichtaufgabe übertragen worden war. Der Brandenburgische Provinzialverband förderte über Jahrzehnte hinweg die Arbeiten der brandenburgischen Geschichtsvereine, indem er mit seinen bescheidenen Zuschüssen ihre Publikationstätigkeit begünstigte. Die Ausweitung der Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg zu Zeiten Schmollers wurde durch die Vermehrung der ihm gewährten Zuschüsse ermöglicht. Damals kam ihm vor allem zugute, daß die

135 Wenn nach W. Neugebauer, Gründungskonstellation (Anm. 1), 174, für das Kaiser-WilhelmInstitut für deutsche Geschichte das „Faktum der fehlenden Sicherstellung personeller und materieller Kontinuität der Arbeiten als Ursache für die Bilanz der Institutsarbeit anzusehen“ ist, deutet er allgemeine Kriterien für die Beurteilung von Arbeitsergebnissen wissenschaftlicher Organisationen an, die auch auf unseren Fall angewandt werden können und sollen.



Zusammenfassung 

 123

Behandlung gesamtpreußischer Themen ihm auch Mittel der zentralen Instanz, des preußischen Kultusministeriums, zuführte. Die Gründung der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin stellte, verglichen mit den Vorkriegsjahrzehnten, die Landesgeschichtsforschung auf andere Voraussetzungen, indem durch die Verbindung des Provinzialverbandes mit der Stadt Berlin und ihre Aufnahme in die Kommissionsmitgliedschaft eine breitere, gesichertere Trägerschaft geschaffen und die finanzielle Förderung so deutlich erhöht wurden, daß man sich ein umfangreiches Arbeitsprogramm und nicht nur wenige Einzelprojekte vornehmen konnte136. Es ist bemerkenswert, daß die Geldgeber sich mit der Konzentration auf die Editionsarbeit einverstanden erklärten, also auf ein in der wissenschaftsinternen Arbeitsteilung zentrales Stück hilfswissenschaftlicher Grundlagenforschung, und nicht auf die Bevorzugung von Darstellungen drängten, mit denen eher eine breitere Öffentlichkeit angesprochen werden kann. Und es verdient dabei hervorgehoben zu werden, daß weder damals noch später die stark empfundene wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Konkurrenz zu Polen und anderen ostmitteleuropäischen Ländern, die etwa die Lage der Geisteswissenschaften an der Königsberger Albertina und in den Königsberger und ostpreußischen gelehrten Gesellschaften in der Zwischenkriegszeit so nachhaltig beeinflußte und die die ostpreußische Landesgeschichtsforschung in den „Grenzlandkampf“ hineinzog137, für die Historische Kommission der Provinz Branden136 Man vergleiche die pommerschen Verhältnisse: Die Historische Kommission für Pommern war 1911 auf Initiative des Oberpräsidenten zwar mit einer ähnlichen Satzungskonstruktion wie die brandenburgische von 1925 und mit einer ähnlichen vorrangigen Aufgabenstellung, der Herausgabe von Quellen und der Inventarisierung von nichtstaatlichen Archiven, gegründet worden, aber wegen sehr geringer Mittelbewilligungen und der anschließenden Kriegs- und Nachkriegszeiten nicht zu umfassenderer Arbeit gelangt. Erst als 1925 nach einer Satzungsnovellierung die Verbindung zum Provinzialverband enger geknüpft wurde und dieser seinen Mitteleinsatz deutlich erhöhte, waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die Kommission sich anstelle des Vereins für pommersche Geschichte und Altertumskunde zur „zentralen Einrichtung der historischen Landesforschung in der preußischen Provinz Pommern“, zur „führende(n) Instanz der pommerschen Landesgeschichtsforschung“ entwickelte. Landesgeschichtliche Großprojekte wurden angepackt, es bildeten sich Schwerpunkte und Forschungskomplexe aus, teilweise mit denselben Zielen wie in Brandenburg (z. B. Bibliographien, Archivinventare, Historischer Atlas), teilweise mit anderen Aufgaben (Urkundenbuch für das 14. Jahrhundert, Sammlung biographischer Lebensbilder). Vgl. R. Unterstell, Klio (Anm. 78), 55–61, 137–155, Zitate 140, 155. 137 Wolfgang Neugebauer, Wissenschaftskonkurrenz und politische Mission. Beziehungsgeschichtliche Konstellationen der Königsberger Geisteswissenschaften in der Zeit der Weimarer Republik, in: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europäische Region in ihren geschichtlichen Bezügen. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag, hrsg. v. Bernhart Jähnig u. Georg Michels (Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 20), Lüneburg 2000, 741–759.

124 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

burg und der Reichshauptstadt Berlin eine Rolle gespielt hat. Die in Königsberg / Pr. in anderer Ausgangslage verbreitete Argumentation mit den konkurrierenden polnischen Einrichtungen und Bestrebungen findet in den Verhandlungen unserer Kommission mit ihren zuständigen Verwaltungen keinerlei Widerhall, sie hat daraus keine wissenschaftspolitische Begründung ihrer Wünsche zu ziehen gesucht oder ist deswegen nicht bevorzugt behandelt worden. Die Historische Kommission der Provinz Brandenburg und der Reichshauptstadt Berlin rückte nach ihrer Gründung rasch anstelle des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg in die Mitte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, auf Grund zweier einander ergänzender Umstände. Zu­nächst verschaffte ihr ihre finanzielle Ausstattung, die ein Vielfaches der den zuvor den Vereinen gewährten Zuschüsse betrug, die Möglichkeit, ein umfangreiches Arbeits- und Publikationsprogramm aufzustellen und umzusetzen. Daß seine Verwirklichung mit einem in der Dichte und im Niveau herausragenden Ergebnis gelang, lag darin begründet, daß die Kommission herausragende Historiker in einer glücklichen Mischung aus brandenburgischen und preußischen Fachleuten zusammenführte und daß die Verantwortlichen, ausgehend von einer wohlüberlegten rationellen Mittelbewirtschaftung, aussagekräftige Forschungsschwerpunkte verfolgten, insbesondere Publikationen, die maßgebliche Quellengrundlagen für zentrale Themen der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte Brandenburgs bereitstellten. Das Arbeitsprogramm knüpfte dabei in weitem Ausmaße an Überlegungen und Vorhaben an, die bereits vor 1914 im Umfeld von Schmoller, Hintze und Koser entwickelt oder eingeleitet worden waren, und steht daher in merklicher Kontinuität zur landesgeschichtlichen Vorweltkriegsforschung. Die Leistung ist um so höher zu bewerten, als der hohe Mittelzufluß gerade einmal ein Jahrfünft andauerte und das folgende Jahrzehnt im wesentlichen nur noch von den angesparten Reserven zehrte. Man male sich aus, welche weiteren Ergebnisse hätten erreicht werden können, wenn nur die eben im einzelnen angesprochenen Planungen und eingeleiteten Projekte zum Abschluß geführt worden wären. Die Konstruktion von 1925 wurde trotz der großen Anfangserfolge zunächst durch die Weltwirtschaftskrise, die die beiden Träger in ihrer Finanznot zur Reduzierung und Einstellung ihrer Zuschüsse veranlaßte, bis in die Grundfesten erschüttert. Ihre halbamtliche Stellung bewahrte die Kommission nicht vor Haushaltskürzungen, denen kleine wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen ohne größeren Rückhalt in kritischen Zeiten leicht zum Opfer fallen. Die Konstruktion von 1925 zerbrach dann endgültig an der politischen und verwaltungsorganisatorischen Trennung von Provinz Mark Brandenburg und Reichshauptstadt Berlin im NS-Staat, einer Komplikation, die sich in keiner anderen preußischen Provinz findet und in ihren wissenschaftsorganisatorischen Folgen



Zusammenfassung 

 125

für Berlin-Brandenburg einzigartig ist. Der Brandenburgische Provinzialverband entwickelte mit Nachdruck eine eigene aktive Kulturpolitik und strebte mit ihr an, die kulturelle Eigenständigkeit und Eigenart der Provinz Brandenburg gegen und jenseits der weltstädtischen Kultur Berlins herauszustellen. Eine solche umfassende Zielsetzung bedingte, daß der Provinzialverband nicht nur reagierend helfend einsprang, wenn einzelne Gesellschaften für ihre Arbeit seine finanzielle Beihilfe beantragten. Wollte man die Eigenart der Mark auch aus ihrer Geschichte erkennen, bedurfte die landesgeschichtliche Forschung eines gezielten Ausbaues ihrer Arbeitsbedingungen wie der Gewinnung geeigneter Fachkräfte. Für den Provinzialverband kam es vorrangig darauf an, Personen und Institutionen für sich zu gewinnen, die Brandenburg in den Mittelpunkt ihrer Forschungen rückten, die Brandenburg nicht nur, wie es bislang der Fall war, neben- und ehrenamtlich bloß zusätzlich zu ihren hauptamtlichen preußischen Aufgaben in Berlin betreuten, sondern deren Aufgabenstellung ganz auf Brandenburg konzentriert war und deren Einsatz sich aus ihrer Warte durch die Bereitstellung von Förder- und Publikationsmöglichkeiten lohnte. Die Historische Kommission ist nur ein Element, und sicherlich nicht das wichtigste, im Rahmen dieser Kulturpolitik, aber ihre Behandlung ist bezeichnend. Durch seinen statutenmäßig gesicherten Einfluß und mit einem sparsamen Mitteleinsatz wollte der Provinzialverband gewährleisten, daß sie sich unter seiner Obhut mit verstärktem Nachdruck der brandenburgischen Landesgeschichte widmete. Der Ausweitung der landesgeschichtlichen und landeskundlichen Forschungskapazitäten und der Einbindung der wissenschaftlichen Fachleute in die Arbeit und Zielsetzung des Provinzialverbandes diente auch die 1937 erfolgte Gründung des andernorts näher zu behandelnden Provinzialinstituts für Brandenburgische Landes- und Volkskunde138. Seine einzelnen Abteilungen sollten Forschungen zur Bodenkunde, Vorgeschichte, Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde Brandenburgs betreiben, unter der Leitung der jeweiligen professoralen Fachvertreter an der Berliner Universität, „die auf diese Weise mit dazu gebracht werden soll, sich als Brandenburgische Landesuniversität zu fühlen, wie es in Göttingen, Bonn, Münster, Königsberg usw. eine Selbstverständlichkeit ist“139. Karpa ist durchaus zuzustimmen, wenn 138 Vgl. den Vermerk Karpas vom 24. 6. 1936 über die geplante Errichtung eines Provinzialinstituts für brandenburgische Volkskunde, BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 208, Bl. 1. 139 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 208, Bl. 106r (Bericht vom Juli 1940 über das Provinzialinstitut, seine Organisation und Arbeit). G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 201 f., 206, 213, erkennt mit seinen Formeln („innerregionaler Zentrum-Peripherie-Konflikt gegen Berlin als dem städtischen Zentrum der Mark“, „Vertretung der märkischen Interessen gegenüber der kulturellen Dominanz der Großstadt“, „selbstkonstruiertes ,märkisches‘ Geschichtsbewußtsein gegenüber der Metropole“) gar nicht das eigentliche Problem der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung: Sie litt darunter, daß das wissenschaftliche Personal der in Berlin ansässigen Bildungsein-

126 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

er 1941 schrieb, daß „der junge Apparat der brandenburgischen Kulturpflege ... in verhältnismässig kurzer Zeit eine grosse Anzahl wissenschaftlicher Kräfte dem märkischen Forschungsbereich zugeführt (hat)“140. Den grundsätzlichen Zielstellungen war zu verdanken, daß brandenburgische Landesgeschichte und Landeskunde besondere Aufmerksamkeit und Förderung des Provinzialverbandes fanden. Eine wirklich eigenständige brandenburgische Kulturpolitik bedingte, daß die Provinz sich eigene wissenschaftliche Institutionen mit brandenburgischem Aufgabengebiet schuf und nicht mehr auf die Unterstützung der in Berlin ansässigen zentralen wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen Preußens angewiesen war. Das Beispiel der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung zeigt, daß ihre Forschungs- und Wirkungsmöglichkeiten stark von den organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten abhingen, die die politischen Instanzen ihr boten, je nachdem, ob diese dem Aufgabenfeld, der märkischen Geschichte, größeren oder geringeren Stellenwert einräumten. Die beiden Glanzzeiten der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung mit ihrem Reichtum an wertvollen Publikationen, die längere zwischen 1890 und 1918 sowie die kürzere zwischen 1925 und 1935, verdanken sich in erheblichem Maße der wohlwollenden Förderung von Geschichtsverein und Historischer Kommission durch die öffentlichen Stellen. Gerade die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts veränderten die kultur- und wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen mehrfach erheblich, wie für unseren Untersuchungszeitraum schon ersichtlich geworden ist, wie sich noch deutlicher für die Zeit der deutschen Teilung nach 1945 darstellen ließe, mit ihrer Trennung in eine Landesgeschichte (West) und Regionalgeschichte (Ost), die mit jeweils unterschiedlichen Restriktionen an der Entfaltung ihrer Forschungen gehindert wurden. Solche politischen Voraussetzungen der historischen Arbeit herauszuarbeiten und zu berücksichtigen, obliegt der Geschichte der Geschichtsschreibung. Daß die Historiographie trotzdem in ihrer Methode, in ihren Inhalten und Wertungen auch unabhängig von der Politik besteht141, sollte dabei allerdings nicht außer Betracht bleiben. richtungen wegen des Schwergewichts des preußischen Themas sich wenig um die Provinzialgeschichte kümmerte und daß die Provinz außerhalb der Berliner Institutionen kaum über eigene, ganz auf Brandenburg bezogene Forschungsstätten verfügte. 140 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 50, Bl. 109r. 141 Neugebauers Urteil über das Verhältnis von politischen Antrieben und wissenschaftlichen Prinzipien bei Gustav Schmoller kann durchaus über den von ihm beurteilten Einzelfall hinaus verallgemeinert werden: „Das politische Movens eines Wirkens für die Beachtung der sozialen Frage in der Zeit der ,inneren Reichsgründung‘ war ein Treibsatz mit hohem Energiewert, aber die Forschung blieb insoweit autonom, als sie – es sei deutlich gesagt – für die politische Mission nicht nur und nicht primär argumentatorische Waffen schmiedete, sondern Eigengewicht



Anhang 

 127

Anhang 1. Denkschrift über die Begründung einer Historischen 1. Kommission für die Provinz Brandenburg und die Stadt 1. Berlin. o. D. [1925 kurz vor Februar 20]. Landesarchiv Berlin, A Rep. 021–02, Nr. 71, BI. 5–8. – Auf BI. 5 über der Überschrift handschriftlich nachgetragen: Hr. Dr. Kaeber auf Veranlassung von Dr. Schultze mit besten Grüßen. 20/2 25. [folgt unleserliche Paraphe]. – Kaeber legte die Denkschrift mit Schreiben vom 24. Februar 1925 (Bl. 4) dem Berliner Stadtsyndikus Lange zur Kenntnisnahme vor, der sie wiederum nach einer von ihm erbetenen zusätzlichen Erläuterung Kaebers – u. a.: Die Sache wird durch einen Ausschuß der bisherigen provisorischen historischen Kommission, das heißt des „Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg“ ... verfolgt. Sie ist jetzt so weit gediehen, daß der Herr Oberbürgermeister und der Herr Landesdirektor eine persönliche Rücksprache in Aussicht genommen haben. – an Oberbürgermeister Böss zur Kenntnisnahme weiterleitete; Böss zeichnete den Vorgang am 5. 3. 1925 ab.

behielt“. W. Neugebauer, „Schmoller-Connection“ (Anm. 19), 272 f. Ebenso deutlich sein gegen die derzeit gängigen Tendenzen gerichtetes Urteil über die ostdeutschen Geschichtswissenschaften nach 1918: „Es führt auch wissenschaftsgeschichtlich in die Irre, allenfalls in möglichster Kürze die politischen Realitäten nach 1914/19 zu konzedieren, um sodann wissenschaftshistorische Phänomen mit präsentistischen Maßstäben gegenwärtiger Korrektheit und politischer Interessen abzumessen, wenn nicht abzuurteilen“. W. Neugebauer, Wissenschaftskonkurrenz (Anm. 118), 741 f. Die Betrachtung von G. Kunz, Verortete Geschichte (Anm. 4), 199–238, zum Verein für Geschichte der Mark Brandenburg beschränkt sich, soweit er sich mit den wissenschaftlichen Inhalten der Vereinsveröffentlichungen befaßt, darauf, einzelne willkürlich ausgewählte Beiträge nach ihre politischen und ideologischen Bezügen zu befragen, wobei vielfach minderrangige Autoren zitiert werden, während die bedeutenden geschichtswissenschaftlichen Themen und Fragestellungen in ihrem Erkenntniswert für die Forschung überhaupt nicht in den Blick kommen. Auch bei G. Clemens, Sanctus amor patriae (Anm. 4), hat der dominierende sozialgeschichtliche Ansatz zur Folge, daß die in der Arbeit der Geschichtsvereine angewandten wissenschaftlichen Methoden und die daraus gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse ganz an den Rand rücken und nur in ihrem funktionalen Wert für die soziale Behauptung einer Gruppe, des Adels oder des Bürgertums, gesehen werden.

128 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

Denkschrift über Begründung einer historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Stadt Berlin. Bis zum heutigen Tage ist der von Adolf Friedrich Riedel von 1838 bis 1869 in 41 Quartbänden veröffentlichte Codex diplomaticus Brandenburgensis, eine Sammlung des gesamten damals bekannten urkundlichen und chronikalischen Quellenstoffs der Mark, das nur in Einzelheiten überholte Hauptquellenwerk für die märkische Geschichte, freilich nur die des Mittelalters. Inzwischen ist eine Fülle neuen Materials ans Tageslicht gekommen und verstreut veröffentlicht worden. Anderes, namentlich zur märkischen Geschichte seit der Reformationszeit, harrt noch der Herausgabe. Es besteht damit für die Provinz Brandenburg und Berlin ein Zustand, den fast alle anderen Provinzen längst überwunden haben. Dort hatten sich seit den achtziger Jahren sogenannte historische Kommissionen gebildet. Ihre Mitglieder waren neben Vertretern der öffentlichen Körperschaften der Provinz Fachgelehrte, die nach einem festen Plane die Herausgabe des geschichtlichen Quellenmaterials aufteilten und entweder selbst oder durch geeignete Bearbeiter veröffentlichten. Nur so war es möglich, Zersplitterung zu vermeiden und die öffentlichen bezw. privaten Mittel, aus denen die Herausgabe bestritten wurde, zweckmässig zu verwenden. Es liegt auf der Hand, dass eine so planmässige, geregelte Veröffentlichung des Quellenmaterials die geschichtliche Forschung jener Provinzen kräftig befruchtete. Vornehmlich wurde die Tätigkeit der einzelnen Geschichtsvereine dadurch lebhaft angeregt. Die Provinz Brandenburg entbehrt, wie schon angedeutet, einer solchen historischen Kommission. Der 1836 gegründete Verein für Geschichte der Mark Brandenburg hat als der älteste und bedeutendste historische Verein der Provinz die Aufgaben einer Kommission zwar teilweise zu erfüllen gesucht und dementsprechend seit 1921 seinem Namen die Bezeichnung „Historische Kommission für die Mark Brandenburg“ beigefügt, aber bei der trotz provinzieller und kommunaler Geldbeihilfe privaten Stellung des Vereins und bei den verhältnismässig geringen Mitteln musste er sich begnügen, gelegentliche und mehr zufallsmässige Quellenveröffentlichungen zu bringen wie die Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause, die kurmärkischen Ständeakten aus der Zeit Joachims II. und die Testamente der Kurfürsten von Brandenburg und Könige von Preussen. Wenn in Brandenburg eine solche Kommission geschaffen werden soll, so wird sie, so bedauerlich es vom geschichtlichen Standpunkte aus ist, die Altmark als jetzt zur Provinz Sachsen gehörig im allgemeinen nicht in ihren Aufgabenkreis einbeziehen können, jedoch hier und da auch die heutigen Grenzen überschreiten müssen. Sie wird sich im allgemeinen auf die heutige Provinz Bran-



Anhang 

 129

denburg (also einschliesslich der erst seit 1815 brandenburgischen Niederlausitz) beschränken müssen. Die Kommission wird sich am besten aufbauen auf der Provinzial- und der Berliner Stadtverwaltung. Ist auch Berlin mit einem umfangreichen Gebiete vom Provinzialverbande losgelöst, so bildet es doch in seinem geschichtlichen Werden eine feste Einheit mit der Provinz. Die Geschichtsquellen der einen lassen sich im allgemeinen nicht von denen der anderen trennen. Bietet die Teilnahme jener öffentlichen Körperschaften die Gewähr einer dauerhaft finanzierten Tätigkeit und des behördlichen Nachdrucks, so kann doch die eigentliche Arbeit nur in den Händen wissenschaftlich vorgebildeter Historiker liegen. Es wird darauf ankommen, die bedeutendsten Kenner märkischer Landesgeschichte zu vereinen. Dabei ist die Vorgeschichte, die Volkskunde und auch die Kunstgeschichte bewusst auszuschliessen. Ihre Quellen und Methoden sind andere, und es würde die Kraft einer historischen Kommission nur schwächen, wenn ihr kein einheitliches Ziel gesteckt würde. Im einzelnen würde sich die Konstituierung der Kommission etwa so vollziehen. Vertreter des Geheimen Staatsarchivs und des Archivs der Stadt Berlin, sowie zwei Professoren der Universität Berlin, also Vertreter der Institute, die von vorn herein der Kommission angehören müssen, würden erstmalig gemeinsam von dem Herrn Landesdirektor und dem Herrn Oberbürgermeister zu berufen sein. Durch sie wäre dann die Wahl von 10 Personen zu vollziehen, die sich um die wissenschaftliche Erforschung der märkischen und Berliner Geschichte bereits verdient gemacht haben. Spätere Ergänzungen erfolgen durch Zuwahl der Kommission. Von besonderer Wichtigkeit ist es, sofort nach Bildung der Kommission ein festes Programm aufzustellen und ihr damit einen bestimmten Weg zu weisen. Frühere Jahrzehnte haben vornehmlich die mittelalterlichen Quellen veröffentlicht. Es kann nicht die nächstliegende Aufgabe sein, sie in einem dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechenden modernen Gewande noch einmal herauszugeben. Eine Nachlese wird freilich zu halten sein, aber vor allem wird es darauf ankommen, nun in die neueren Jahrhunderte, begonnen mit der Reformationszeit und den Visitationsprotokollen, zu steigen. Dabei würden von der Kommission neben den allgemeinen Quellen auch die rein lokalen bearbeitet werden müssen, während Forschungen und Darstellungen den einzelnen lokalen Geschichtsvereinen überlassen bleiben. Hinsichtlich der Höhe der Geldmittel, die bereit zu stellen sind, darf beispielshalber auf die Provinz Sachsen hingewiesen werden. Dort sind seitens der Provinzialverwaltung augenblicklich 30 000 M. für das Jahr bewilligt worden. Um eine dauernde und unbeengte Tätigkeit der Kommission zu gewährleisten, wäre es angebracht, für die Provinz Brandenburg die gleiche Summe festzusetzen, die

130 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

zur Hälfte vom Provinzialausschuss und vom Magistrat der Stadt Berlin ausgeworfen würde.

2. Statuten der Historischen Kommission für die 2. Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin LAB, A Rep. 21-02, Nr. 71, BI. 28–32, Schreiben des Landesdirektors der Provinz Brandenburg an den Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin vom 4. 11. 1925, betr. Niederschrift über die konstituierende Sitzung der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin, enth. Bl. 29 Abzug der endgültigen Statuten.

Statuten. § 1. Die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin hat den Zweck, die Quellen der Geschichte der Mark Brandenburg und der Stadt Berlin in einer den Forderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise herauszugeben und die Geschichtsforschung auf diesem Gebiete durch gewichtige Darstellungen zu fördern. Sitz der Kommission ist Berlin. § 2. Die Historische Kommission besteht aus dem Herrn Landesdirektor der Provinz Brandenburg und dem Herrn Oberbürgermeister der Reichshauptstadt Berlin (bzw. einem von ihnen mit der Vertretung beauftragten Landesrat oder Mitglied des Magistrats), je einem Vertreter des Geh. Staatsarchivs (als des Staatsarchivs der Prov. Brandenburg) und des Berliner Stadtarchivs, dem Bearbeiter für Kunst und Wissenschaft bei der Provinzialverwaltung, sowie 3 Professoren der Universität Berlin. Die so gebildete Kommission verstärkt sich durch Zuwahl um höchstens 10 weitere Mitglieder, welche mit den landesgeschichtlichen Aufgaben vertraute und darin hervorgetretene Fachgelehrte sein müssen. Nimmt ein Mitglied dauernd seinen Wohnsitz außerhalb der Provinz, so scheidet er aus der Kommission aus. Die in Absatz 1 aufgeführten Mitglieder werden erstmalig vom Herrn Landesdirektor und Herrn Oberbürgermeister im gegenseitigen Einvernehmen berufen. In Zukunft ergänzt sich die Kommission für sämtliche Mitglieder durch Zuwahl (mit Ausnahme der die Vertretung des Herrn Landesdirektors und des Herrn Oberbürgermeisters ausübenden Mitglieder). § 3. Die Kommission beruft aus ihren Mitgliedern eines auf je 5 Jahre zum Vorsitzenden, ein anderes zum Stellvertreter und ein drittes zum Schriftführer.



Anhang 

 131

§ 4. Der Vorsitzende betraut mit der Führung der Kassengeschäfte eine hier für geeignete Persönlichkeit. § 5. Die Einnahmen bestehen aus den vom Provinzialausschuß und dem Magistrat der Stadt Berlin bewilligten Mitteln. § 6. Die Kommission hält jährlich 2 Versammlungen ab zur Vorbereitung der wissenschaftlichen Unternehmungen und zur Berichterstattung über die Tätigkeit des vergangenen Halbjahres. Außerordentliche Versammlungen können stattfinden: 1. auf Berufung des Vorsitzenden, 2. auf Antrag des Landesdirektors oder des Oberbürgermeisters der Stadt Berlin, 3. auf Antrag von 4 anderen Mitgliedern. Die Sitzungen finden abwechselnd in dem Landeshause der Provinz Brandenburg und im Rathause der Stadt Berlin statt. § 7. Die einzelnen Geschichtsvereine der Provinz werden in ihrer Organisation und ihrem Wirken durch die Kommission nicht beschränkt. Die Kommission ist befugt, mit ihrer Zustimmung von einzelnen Vereinen unternommene und gebilligte Veröffentlichungen aus den ihr überwiesenen Geldmitteln zu unterstützen. § 8. Die Kommission hat dem Provinzialausschuß und dem Magistrat der Stadt Berlin unter Beifügung eines Berichtes über ihre Tätigkeit für jedes Rechnungsjahr innerhalb der ersten drei Monate nach Ablauf desselben Rechnung zu legen. § 9. Die Kommission ist berechtigt, für die einzelnen Gebiete ihrer Tätigkeit Unterausschüsse einzusetzen.

3. Satzung der Historischen Kommission der Provinz 3. Mark Brandenburg [vom Januar 1943]. BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 85, BI. 189.

Aufgaben. Die Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg hat die Aufgabe, die Quellen zur Geschichte der Mark und Provinz Brandenburg in einer den Forderungen der Wissenschaft entsprechenden Weise herauszugeben und die brandenburgische Geschichtsforschung durch wertvolle Darstellungen zu fördern. Sie soll als Zusammenfassung der in der Historischen Kommission tätigen Kräfte ihre Ergebnisse den Geschichtsfreunden im Lande möglichst vielseitig (Versammlun-

132 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

gen, Einzelvorträge, Ausstellungen usw.) nahebringen, den geschichtlichen Sinn der Bevölkerung beleben und damit bewusst das Verständnis der Gegenwart vertiefen helfen. Sitz der Historischen Kommission ist Potsdam.

Bestellung des Vorsitzenden und der Mitglieder. Der Landeshauptmann der Provinz Mark Brandenburg ernennt den Vorsitzenden, der acht weitere Mitglieder vorschlägt, die vom Landeshauptmann berufen werden. Der Landeshauptmann bzw. sein Vertreter ist ausser den Genannten satzungsgemässes Mitglied. Voraussetzung für die Berufung der Mitglieder ist eigene wissenschaftliche Leistung von Bedeutung und ständige Mitarbeit auf dem Gebiete der brandenburgischen Landesgeschichte. Von den acht genannten Mitgliedern sollen mindestens je eins dem Geheimen Staatsarchiv und dem Lehrkörper der Friedrich WilhelmsUniversität zu Berlin angehören und möglichst vier in der Provinz angesessen sein. Ernennung des Vorsitzenden und Berufung der Mitglieder erfolgen auf 5 Jahre. Ernennung und Berufung können nach deren Ablauf erneut erfolgen.

Aufgaben des Vorsitzenden und der Mitglieder. Der Vorsitzende führt die gesamten Geschäfte selbständig, doch dem Landeshauptmann verantwortlich. Insbesondere liegt ihm ob, das jährliche Arbeitsprogramm, das vom Landeshauptmann zu genehmigen ist, nach Beratung mit den Mitgliedern der Historischen Kommission aufzustellen und die Ausführung zu überwachen. Er vertritt die Historische Kommission nach aussen hin, insbesondere bei Abschluss von Verträgen und bei allen Rechtsgeschäften, gerichtlich und aussergerichtlich. Er ist vor der Bewilligung der Jahresmittel durch den Landeshauptmann zu hören. Er stellt nach Beratung mit den Mitgliedern den Haushaltsplan innerhalb der bewilligten Mittel auf, entsprechend dem Arbeitsprogramm, Jahresbericht und Jahresrechnung legt er dem Landeshauptmann auf einer alljährlich am Sitze des Oberpräsident der Provinz Mark Brandenburg (Verwaltung des Provinzialverbandes) zusammentretenden Hauptversammlung der Mitglieder vor. Der Vorsitzende bestimmt seinen Stellvertreter aus der Zahl der Mitglieder.



Anhang 

 133

Geschäftsführer. Ein Geschäftsführer steht dem Vorsitzenden zur Seite, dem er allein verantwortlich ist. Er wird nach Genehmigung durch den Landeshauptmann vom Vorsitzenden bestellt. Er erfüllt nach den Weisungen des Vorsitzenden gegen Besoldung die gesamten technischen Aufgaben der Geschäftsführung, doch liegt die Führung der Kassengeschäfte der Landeshauptkasse nach Weisung des Vorsitzenden ob. Der Geschäftsführer ist nicht Mitglied der Historischen Kommission.

Beirat. Ein der Zahl nach nicht beschränkter Beirat wird der Historischen Kommission beigegeben. Seine Aufgabe ist, den Vorsitzenden auf dessen Wunsch durch schriftliche oder mündliche Gutachten zu unterstützen. Der Beirat setzt sich aus Männern zusammen, die um die Erforschung der brandenburgischen Landesgeschichte verdient sind, ferner aus Vertretern von Behörden, Instituten, Vereinen, deren Tätigkeit zur brandenburgischen Landesforschung in Beziehung steht. Seine Mitglieder werden durch den Landeshauptmann auf Vorschlag des Vorsitzenden auf 5 Jahre berufen. Ihre Berufung kann nach Ablauf der 5 Jahre erneuert werden. Die Mitglieder des Beirats sind berechtigt, an der alljährlichen Hauptversammlung der Historischen Kommission teilzunehmen.

4. Publikationen der Historischen Kommission für die 4. Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin A. Schriftenreihe „Veröffentlichungen der Historischen Kommission für die A. Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ I: Quellen und Forschungen zur Geschichte Berlins 1: Das älteste Berliner Bürgerbuch 1453–1700, hrsg. v. Peter von Gebhardt, Berlin 1927, XV, 394 S. 2: Die ältesten Berliner Kämmereirechnungen 1504–1508, hrsg. v. Joseph Girgensohn, – (darin enthalten:) Erich Thaus, Das Kassen- und Schuldenwesen Berlins und Cöllns in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Berlin 1929, XI, 231 S. 3: Die Bürgerbücher von Cölln an der Spree 1508–1511 und 1689–1709 und die chronikalischen Nachrichten des ältesten Cöllner Bürgerbuches 1542–1610, hrsg. v. Peter von Gebhardt, Berlin 1930, XIX, 264 S.

134 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

4: Die Bürgerbücher und die Bürgerprotokollbücher Berlins von 1701–1750, hrsg. v. Ernst Kaeber, Berlin 1934, XIV, 151*, 662 S.

II: Brandenburgische Bibliographien 3: Bibliographie zur Geschichte der Niederlausitz, bearb. v. Rudolf Lehmann, Berlin 1928, XII, 226 S.

III: Acta Brandenburgica. Brandenburgische Regierungsakten seit der Begründung des Geheimen Rates 1: 1604–1605, hrsg. v. Melle Klinkenborg, Berlin 1927, VIII, 632 S. 2: 1606–1607 März, hrsg. v. Melle Klinkenborg, Berlin 1928, 647 S. 3: 1607 April–1608 Juli, hrsg. v. Melle Klinkenborg, Berlin 1930, 667 S. 4: 1. Halbbd. 1608 Juli–Dezember, hrsg. v. Melle Klinkenborg, Berlin 1930, 320 S.

IV: Die brandenburgischen Kirchenvisitations-Abschiede und -Register des 16. und 17. Jahrhunderts 1: Die Prignitz, hrsg. v. Victor Herold, Berlin 1928–1931, VIII, 847 S. & 1 Kt.

V: Märkische Bürgerbücher 1: Das Bürgerbuch der Stadt Angermünde 1568–1765, bearb. v. Peter von Gebhardt, Berlin 1931, XIV, 269 S.

VI: Märkische Siegel Abt. 1. Die Siegel der Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg Teil 2: Die Siegel der Markgrafen von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach 1323–1373, bearb. v. Hermann Bier, Berlin 1933, Textbd. XVI, 315 S., Tafelbd.: 8 Taf.

VII: Berliner Häuserbuch Teil 2,1: Geschichte der Berliner Stadtgrundstücke seit der Einführung der Grundbücher Ende des 17. Jahrhunderts: Berlin Nr. 1–276 – Stralauer-, Königs-, Neue Friedrichs- und Burgstraße, nach den Hypotheken- und Grundbüchern bearb. v. Reinhard Lüdicke, Berlin 1933, XIV, 662 S., 1 Abb.



Anhang 

 135

VIII: Brandenburgische Landbücher 1: Das Landregister der Herrschaft Sorau von 1381, hrsg. v. Johannes Schultze, Berlin 1936, XXXVI, 129 S. 2: Das Landbuch der Mark Brandenburg von 1375, hrsg. v. Johannes Schultze, Berlin 1940, 470 S.

IX: Brandenburgische Ständeakten 1: Die kurmärkischen Landstände 1571–1616, bearb. v. Helmuth Croon, Berlin 1938, XIV, 213 S.

B. Schriftenreihe „Einzelschriften der Historischen Kommission für die B. Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ 1: Berthold Schulze, Brandenburgische Landesteilungen 1258–1317, Berlin 1928, IV, 52 S., 1 Kt. 2: Joseph Seeboth, Das Privatrecht des Berliner Stadtbuches vom Ende des 14. Jahrhunderts, Berlin 1928, VI, 46 S. 3: Berthold Schulze, Die Reform der Verwaltungsbezirke in Brandenburg und Pommern 1809–1818, mit Unterstützung der Historischen Kommission für Pommern, Berlin 1931, IV, 128 S. 4: Otto Latendorf, Die Entwicklung der städtischen Kassenorganisation Berlins von der Einführung der Städteordnung bis zur Gründung der Stadtsparkasse (1809–1843). Ein Beitrag zur Geschichte und Lehre vom städtischen Haushaltswesen, Berlin 1931, 123 S. 5: Karl Heidenreich, Der Deutsche Orden in der Neumark 1402–1455, Berlin 1932, IX, 107 S. 6: Berthold Schulze, Erläuterungen zur Brandenburgischen Kreiskarte von 1815, Berlin 1933, VI, 98 S. 7: Berthold Schulze, Besitz- und siedlungsgeschichtliche Statistik der brandenburgischen Ämter und Städte 1540–1800. Beiband zur Brandenburgischen Ämterkarte, Berlin 1935, VIII, 190 S., Abb. 8: Berthold Schulze, Neue Siedlungen in Brandenburg 1500–1800. Beiband zur Brandenburgischen Siedlungskarte 1500–1800, Berlin 1939, V, 160 S.

136 

 Geschichtsvereine und Historische Kommissionen

C. Außerhalb der Schriftenreihen Hans Joachim Helmigk, Märkische Herrenhäuser aus alter Zeit. Berlin o. J. [1929], 176 S., 86 Abb.

D. Historischer Atlas der Provinz Brandenburg [1: Kirchenkarten:] Karte Nr. 1: Gottfried Wentz, Übersichtskarte der kirchlichen Einteilung der Mark Brandenburg und der angrenzenden Gebiete im Jahre 1500, Berlin 1929. Karte Nr. 2, Bl. 1: Ders., Der geistliche Grundbesitz in der Mark Brandenburg und angrenzenden Gebieten im Bereich der Diözesen Brandenburg und Havelberg um das Jahre 1535, Berlin 1931. Karte Nr. 2, Bl. 2: Ders., Der geistliche Grundbesitz ... im Bereich der Diözesen Kammin, Lebus, Meißen und Posen mit Ausschluß der Kreise Dramburg, Krossen westl. der Bober, Prenzlau nördl. Teil u. Schivelbein, sowie der brandenburgischen Gebiete in der Lausitz um das Jahr 1535, Berlin 1932. Karte Nr. 2, Bl. 3: Ders., Der geistliche Grundbesitz ... im Bereich der Diözesen Halberstadt, Verden und Magdeburg um das Jahr 1535, Berlin 1933. [2] Brandenburgische Kreiskarte. Die alten und neuen brandenburgischen Kreise nach dem Stande von 1815. 4 Blätter, bearb. v. Fritz Curschmann u. Berthold Schulze, Berlin 1933. [3] Brandenburgische Ämterkarte. Der Grundbesitz der brandenburgischen Domä­nenämter und Kämmereien im Jahre 1800. 4 Blätter, bearb. v. Berthold Schulze, Berlin 1935. [4] Brandenburgische Siedlungskarte 1500–1800. Die neuen Siedlungen vom Ausgange des Mittelalters bis zum Jahre 1800. 4 Blätter, bearb. v. Berthold Schulze, Berlin 1939.

Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25–1945 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen

I

Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Historische Kommissionen sind bekanntlich seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in kontinuierlicher Folge, in den Jahrzehnten des Kaiserreiches ebenso wie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, in und für fast alle damaligen Länder des Deutschen Reiches bzw. Provinzen des Königreiches und Freistaates Preußen mit einem landesgeschichtlichen Aufgabengebiet gegründet worden. Ihnen waren seit dem Vormärz, seit den 1820er Jahren Geschichtsvereine in der Beschäftigung mit der Vergangenheit eines politischen Territoriums oder einer Kulturlandschaft im untergegangenen Alten Reich vorausgegangen1. Die Kommissionen verdrängten nicht die Vereine, zumeist traten sie neben diese, nur gelegentlich gingen sie aus ihnen hervor, aber ihre Entstehung ist auf die gesteigerten fachwissenschaftlichen Ansprüche an die landesgeschichtliche Forschung zurückzuführen, denen die Vereine auf Grund der Zusammensetzung ihrer Mitgliedschaft und deren Qualifikationen nicht mehr gerecht zu werden vermochten. Je wissenschaftlicher, methodischer, spezialistischer, positivistischer die allgemeine Ge­schichts­wissenschaft wurde, desto schärfer wurde die Kritik an der Liebhaberei, an dem Dilettantismus der Liebhaber und der Vereine.

Insbesondere die methodische Erschließung der archivalischen Quellen eines Landes, in deren Mittelpunkt vor dem Ersten Weltkrieg die territorialen Urkundenbücher standen, verlangte den Einsatz des der Aufgabe gewachsenen Spezia1 Georg Kunz, Verortete Geschichte. Regionales Geschichtsbewußtsein in den deutschen Histo­ rischen Vereinen des 19. Jahrhunderts, (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 138), Göttingen 2000; Gabriele B. Clemens, Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, (Bibliothek des Deutschen Histo­ rischen Instituts in Rom, 106), Tübingen 2004. Aus: Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011. Bilanz und Ausblick, hrsg. v. Nils Jörn (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 47), Köln, Weimar, Wien 2015 [im Druck].

138 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

listen ebenso wie angesichts des Umfanges des Forschungsfeldes die längerfristige Planung und Zusammenfassung der verfügbaren geeigneten Kräfte. So entstanden die Historischen Kommissionen nicht mehr als Vereine von Geschichtsfreunden, sondern als Verbände von Fachhistorikern bei sachlicher Arbeitsteilung. … Die historischen Kommissionen wurden die Räume, in denen die Fachhistoriker der Universitäten und der Archive den Weg in die Landesgeschichte fanden2.

In das motivenreiche Gemälde, das Hermann Heimpel in seinem gedankentiefen, immer noch sehr lesenswerten Aufsatz von 1959 über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland im Allgemeinen und deutscher orts- und landesgeschichtlichen Forschung im Besonderen mit klarer Linienführung entworfen hat, sollen auf den folgenden Seiten die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern eingefügt werden. Sie wurden wenige Jahre vor bzw. nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, gelangten zu umfassenderer Tätigkeit jedenfalls erst seit 1925, nach der Überwindung der Währungskrise und der Inflation, und versuchten ihre landesgeschichtlichen Ziele unter wechselnden wirtschaftlichen und organisatorischen Schwierigkeiten fast zwei Jahrzehnte lang zu erreichen, bis die kurzfristigen Auswirkungen und die langfristigen Folgen des Zweiten Weltkrieges zunächst ihre Aktivitäten zum Erliegen brachten und dann sogar ihre Existenz faktisch beendeten, so daß erst in den 1950er Jahren unter völlig gewandelten äußeren Umständen bescheidene Neuanfänge die landesgeschichtliche Arbeit für Brandenburg und Pommern wieder auf die Beine stellten. Auch wenn man sich für die Betrachtung der beiden Kommissionsgeschichten zwischen 1911/25 und 1945 eingangs an Heimpels Gedankenführung orientiert, zeigt sich doch rasch, daß diese in ihrer Absicht zur Herausarbeitung der wesentlichen Entwicklungslinien die individuellen Vorgänge in einzelnen deutschen Ländern oder Provinzen mit ihren treibenden Absichten, beteiligten Kräften, maßgeblichen Rahmenbedingungen und erreichten oder unerreichten Ergebnissen nur unvollständig aufzufangen vermag, zumal sie ohnehin ihre detaillierte Darstellung mit dem Ersten Weltkrieg abbricht und die nachfolgenden Jahrzehnte nur noch kursorisch behandelt. Selbst wenn man die Landeshistoriographien von Brandenburg und Pommern, also von zwei Territorien, die in ihrer Geschichte eng miteinander verbunden waren, wie hier für einen begrenzten Zeitraum und unter Konzentration 2 Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung, in: Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1858–1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern, hrsg. v. Theodor Schieder (= Historische Zeitschrift 189), München 1959, S. 139–222, hier S. 189–222, bes. S. 193–214 (zu den Geschichtsvereinen) u. S. 215–218 (zu den Historischen Kommissionen), Zitate S. 212, 215.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 139

auf eine bestimmte geschichtswissenschaftliche Organisationsform untersucht, ergibt sich trotz gleicher oder ähnlicher äußerer Umstände alles andere als ein gleichartiger Verlauf. Es lohnt sich offensichtlich, einmal die Historischen Kommissionen dieser beiden preußischen Provinzen in ihrer Tätigkeit und in deren Bedingungen miteinander zu vergleichen und dadurch beide in ihren Gemeinsamkeiten wie in ihren Eigenarten schärfer zu profilieren. Mehr als eine knappe Skizze kann hier nicht geboten werden: Die folgenden Seiten wollen die Kommissionsarbeiten unter Verzicht auf die Anführung allzu vieler Einzelheiten in den prägenden Grundzügen herausstellen, sie wollen insbesondere die Voraussetzungen klären, unter denen sie wahrgenommen werden konnten (oder mußten). Vorrangig wird geschildert werden, von welchen Antrieben und von welchen Erwartungen die Kommissionsgründer geleitet, welche Organisationsformen für den Zusammenschluß der Landeshistoriker gefunden und welche wissenschaftlichen Planungen unter solchen Bedingungen dann von ihnen verfolgt oder verfehlt wurden. Den Forschungsschwerpunkten des Verfassers sei es nachgesehen, daß er sich stärker auf Brandenburg als auf Pommern bezieht und daß er sich hierfür auf eigene, aus Archivalien erarbeitete Forschungsergebnisse stützt, während er für Pommern nur auf vorliegende Literatur zurückgreift. Die Darstellung ist so aufgebaut, daß die Historischen Kommissionen in beiden Provinzen in ihren individuellen Geschicken getrennt voneinander behandelt und sie abschließend systematisch miteinander verglichen werden.

II Die moderne brandenburgische Landesgeschichtsforschung geht auf den 1837 gegründeten Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, auf die in ihm tätigen Landeshistoriker und auf die von ihnen betriebenen Vorhaben zurück3. Auf 3 Klaus Neitmann, Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 bis 1848, in: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hrsg. v. Bärbel Holtz, (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Beiheft 11), Berlin 2011, S. 249–298, oben S. 1–58; Johannes Schultze, Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 35/1923, S. 1–20; die Darstellung, die Kunz, Verortete Geschichte (wie Anm. 1), S. 199–238, von der Vereinsgeschichte bis 1918 liefert, ist vielfach fragwürdig, vgl. die Kritik bei Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Wolfgang

140 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Initiative des Historikers, Archivars und Staatswissenschaftlers Adolph Friedrich Riedel schlossen sich zum ersten Mal aktive Wissenschaftler sowie Freunde und Liebhaber der märkischen Vergangenheit aus den Kreisen der Berliner Bildungs-, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und der staatlichen und kommunalen Bürokratien in der Hauptstadt und der Provinz zu einer historischen Gesellschaft zusammen, die nach ihren Statuten ihre wesentlichen Aufgaben in der „Erforschung und Bearbeitung der früheren Verhältnisse der Mark Brandenburg und die Sammlung, Aufbewahrung und Würdigung der in ihr zerstreut sich findenden Denkmal der Vorzeit“4 sah und dazu drei Sektionen schuf, für die Sammlung und Aufbewahrung geschichtlicher Quellen, für die Bearbeitung der äußern und innern Landesgeschichte und für Sprache, Kunst und Altertümer. Die Sektionen spiegelten die disziplinären Interessen der Mitglieder mit weitgespanntem landeskundlichen Horizont wider, und von ihrem gemeinsamen Zusammenwirken im neuen Verein erhofften sich die Protagonisten die Bearbeitung eines umfangreichen Forschungsprogramms zur märkischen Geschichte, sowie es einer von ihnen, Georg Wilhelm von Raumer, 1832 programmatisch in seinem „Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums“ verkündet hatte5. Aber die Vereinswirklichkeit blieb hinter den allzu hochgespannten Erwartungen deutlich zurück. Die beabsichtigten Sammlungen von „Altertümern“ wie von Schriftquellen kamen über bescheidene Anfänge nicht hinaus – die erste aus (berechtigter) Rücksichtnahme auf das leistungsfähigere staatliche Museum in Berlin –, und für die erwogenen wissenschaftlichen Großvorhaben fehlte die Kräfte, da die forschenden Mitglieder vornehmlich durch ihre jeweiligen hauptamtlichen Aufgaben beansprucht waren und die bescheidene finanzielle Unterstützung, die gelegentlich von König Friedrich Wilhelm IV. und einzelnen dem Anliegen und den Führungspersönlichkeiten des Vereins besonders verbundenen Staatsministern gewährt wurde, konkreten Einzelzwecken diente, aber nicht langfristige oder geradezu unabsehbare Projekte ins Auge fasste. Die bisherige Wirksamkeit des Vereins für vaterländische Geschichte bestand … nicht sowohl in der Ausführung gemeinschaftlicher Unternehmungen, als vielmehr hauptsäch-

Neugebauer, (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 115–181 (oben S. 59–136), hier S. 119 Anm. 10, S. 122 Anm. 19, S. 173 Anm. 120, S. 174 Anm. 122 (oben S. 64, Anm. 10, S. 70 Anm. 24, S. 125 Anm. 139, S. 127 Anm. 141). 4 Zitiert nach Neitmann, Riedel (wie Anm. 3), S. 276. 5 Georg Wilhelm von Raumer, Vorschlag zur Beförderung des Brandenburgischen Geschichtsstudiums, in: Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates 7/1832, S. 5–27. Zum Verfasser vgl. Klaus Neitmann, Georg Wilhelm von Raumer (1800–1856), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker, hrsg. v. Friedrich Beck u. Klaus Neitmann, (Brandenburgische Historische Studien, 16), Berlin-Brandenburg 2013, S. 40–49.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 141

lich in der ermunternden Anregung zu Forschungen und Aufklärungen über Gegenstände der vaterländischen Geschichte, welche den einzelnen Mitgliedern durch das lebhafte Interesse der Gesamtheit an solchen Abhandlungen geboten wurden6.

Riedels Beschreibung des Vereinslebens von 1842 galt noch jahrzehntelang: Es wurde getragen von den Forschungsneigungen und -arbeiten einzelner Mitglieder, aus ihnen speiste sich seine Tätigkeit, und mit ihnen wurde die – wegen der finanziellen Verlegenheiten unregelmäßig erscheinende – Zeitschrift, die „Märkischen Forschungen“, gefüllt. Aber trotz aller Einschränkungen bleibt als dauerhafte Leistung des Vereins festzuhalten, daß zum ersten Mal ein landesgeschichtliches Forschungsprogramm aufgestellt und seine Bearbeitung wenigstens punktuell, wenn auch nicht systematisch in Angriff genommen wurde, daß ein organisatorischer Mittelpunkt der Landeshistoriker und damit ein Diskussionsforum für die Vorstellung ihrer Untersuchungen geschaffen und dass zu deren Veröffentlichung und Verbreitung eine Fachzeitschrift ins Leben gerufen und kontinuierlich unterhalten wurde. In die zeitweise trägen und nicht sonderlich produktiven Vereinsaktivitäten brachte seit den späten 1880er Jahren der 1882 an die Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität berufene Nationalökonom Gustav Schmoller mit seinen weit ausgreifenden historischen Interessen neuen, ungeahnten Schwung7. Schmoller baute den Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg in sein „Wissenschaftsimperium“ ein, dessen Kern aus dem vom Preußischen Kultusministerium großzügig finanziell geförderten, an der Preußischen Akademie der Wissenschaften angesiedelten editorischen Großunternehmen „Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert“ bestand8, er richtete seine 6 Zitiert nach Neitmann, Riedel (wie Anm. 3), S. 282. 7 Fritz Hartung, Gustav von Schmoller und die preußische Geschichtsschreibung, in: Ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 470–496 (zuerst 1938); Otto Hintze, Gustav Schmoller. Ein Gedenkblatt, in: Ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hrsg. u. eingeleitet v. Gerhard Oestreich, (Otto Hintze, Gesammelte Abhandlungen, II), 2., erweiterte Auflage, Göttingen 1964, S. 519–543 (zuerst 1919). 8 Wolfgang Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Groß­ betrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlass der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition, hrsg. v. Jürgen Kloosterhuis, (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 2), Berlin 2000, S. 261–301; ders., Zum schwierigen Verhältnis von Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften am Beispiel der Acta Borussica, in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Berlin 1999, S. 235–275.

142 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

inhaltliche Arbeit merklich auf die von ihm bevorzugten Forschungsfeldern aus, so daß die Entstehung des Königreiches Preußen aus der Mark Brandenburg nach vorne trat, und er erschloß ihm gerade aus dem gesamtpreußischen Programm neue materielle Quellen9. Die 1899 verabschiedete neue Satzung des Vereins umschrieb seine Aufgabe folgendermaßen: Er bezweckt die wissenschaftliche Erforschung der Vergangenheit der Provinz Brandenburg und der jetzt zur Provinz Sachsen gehörigen Altmark, einschließlich der Entwicklung der Mark Brandenburg zum preußischen Staate.

Die Vorhaben wurden sowohl von Geldgebern in der Provinz Brandenburg als auch in der preußischen Staatsverwaltung finanziert. Einerseits wurden kommunale Körperschaften in der Provinz Brandenburg, ein Teil der Kreise und die größeren Städte, sowie einzelne märkische Adelsfamilien als Stifter und Patrone mit der Pflicht zur Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens 50 Mark gewonnen, und der Brandenburgische Provinzialverband, die 1875 geschaffene kommunale Selbstverwaltungskörperschaft der Provinz, gewährte einen jährlichen Zuschuß von 2.500,– Mark. Andererseits verstand sich der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive zu einer mäßigen Förderung von 750,– Mark, und vor allem wurden Mittel der Acta Borussica für die Vorhaben des Vereins wegen der engeren Verbindung der brandenburgischen und der preußischen Geschichtsforschung abgezweigt. Die „Märkischen Forschungen“ wurden eingestellt, an ihre Stelle traten – mit einer bezeichnenden Titeländerung – die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, ein regelmäßig in zwei umfangreichen Heften pro Jahr erscheinendes Fachorgan, das dank der Qualität der Beiträge aus dem Verein bzw. aus dem Schmoller-Kreis rasch in den Kreis der führenden historischen Zeitschriften Deutschlands aufstieg10. Ein anspruchsvolles wissenschaftliches Arbeitsprogramm, von dem Raumer 1832 geträumt hatte, wurde jetzt wirklich vornehmlich mit der Erarbeitung von Monographien in Angriff genommen und verwirklicht, auf Grund der Ressourcen, die von Schmoller für seinen wissenschaftlichen „Großbetrieb“ herbeigeschafft worden waren. Bis zum Ende der Monarchie wurden in der neugeschaffenen Schriftenreihe, den „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“, 20 Bände publiziert, Quellenbearbeitungen ebenso wie Darstellungen, die – im Gegensatz zur Zeitschrift – 9 Das Folgende nach Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 122–126, das Zitat aus der Satzung von 1899 ebd., S. 124, in diesem Band S. 69–73, das Zitat S. 71. 10 Gerd Heinrich, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Rückblick auf einen Thesaurus, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F. 1/1991, S. 5–13.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 143

auf die Mark Brandenburg konzentriert waren, darunter solche grundlegenden Quelleneditionen wie die von Hermann Krabbo bearbeiteten „Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause“, die von Walter Friedensburg herausgegebenen Kurmärkischen Ständeakten aus der Zeit Joachims II. und die von Hermann von Caemmerer edierten Testamente der hohenzollernschen Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg, und solche bedeutenden Untersuchungen wie Friedrich Holtzes „Geschichte des Kammergerichts“, Hans Spangenbergs „Hof- und Zentralverwaltung der Mark Brandenburg im Mittelalter“ und Fritz Curschmanns „Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums“ – Werke, deren häufige Zitierung bis auf den heutigen Tag beweist, das hier eine in ihren Themenstellungen wohlüberlegte Projektfolge mit fruchtbarer Langzeitwirkung in Gang gesetzt wurde. Die brandenburgische Landesgeschichtsforschung wurde, so könnte man mit gewisser Überspitzung formulieren, zur Blüte gebracht, indem sie an die gesamtpreußische Historiographie angebunden und mit ihr verknüpft wurde. Die neue Satzung von 1899 brachte ausgesprochen und unausgesprochen zum Ausdruck, daß der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg sich als Forschungszentrum der brandenburgischen Landesgeschichte verstand und sich auf Grund der verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen zu einer beachtlichen Arbeitsleistung in der Lage sah, daß er also im Stil einer Historischen Kommission wirkte, wie sie damals in einzelnen preußischen Provinzen und deutschen Ländern schon bestanden, ohne daß er – zur sichtbaren Wahrung der Vereinskontinuität – den Namen einer Historischen Kommission angenommen hätte. Der märkische wurde zu einem preußischen Verein in publikationspolitischer Arbeitsteilung und Zuordnung zu den Acta Borussica. Er war eigentlich … längst aufgestiegen zu einer Historischen Kommission. Hier arbeiteten um 1910 die Kapazitäten von verschiedenem beruflichen Status mit beachtlichem wissenschaftlichen Kaliber11.

Die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkrieges stürzten den Verein in eine tiefe Krise12, da die zunehmende Diskrepanz zwischen den Einnahmen und Ausgaben die Erfüllung der wissenschaftlichen Aufgaben, die Bearbeitung einzel11 Neugebauer, Schmoller-Connection (wie Anm. 8), S. 292. 12 Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 126–129; ders., Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hrsg. v. Hans-Christoph Kraus (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beihefte), Berlin 2013, S. 31–100, in diesem Band S. 171–244, bes. S. 179–188.

144 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

ner Vorhaben und insbesondere die Herausgabe der Vereinszeitschrift und von Monographien in der Vereinsreihe, grundsätzlich gefährdeten oder gar unmöglich machte. Die Vereinsspitze suchten nach Auswegen, indem sie den bisherigen Hauptförderer, den Brandenburgischen Provinzialverband, um eine Erhöhung seines Zuschusses ersuchte und die Zahl der Stifter und Patrone aus den Kreisen von Banken, Industrieunternehmen und Adelsfamilien zu erweitern trachtete. Der Verein fügte 1921 im Rahmen einer Satzungsänderung seinem bisherigen Namen die Bezeichnung „Historische Kommission für die Mark Brandenburg“ zu, in der Erwartung, daß dadurch der auf die zuvor erreichten wissenschaftlichen Ergebnisse gegründete Anspruch auf die Führung der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung bekräftigt werde, und in der Hoffnung, daß die landesgeschichtliche Arbeit auf verbreiterter Grundlage fortgeführt werde. Alle derartigen Bemühungen gingen ohne nennenswerte Resultate im Strudel der Inflation unter. Als sich nach der Währungsreform das wirtschaftliche Leben wieder stabilisierte, entschied sich der Vereinsvorstand auf Initiative seines Vorsitzenden Melle Klinkenborg13, des Zweiten Direktors des Preußischen Geheimen Staatsarchivs, und mit Unterstützung seines Schriftführers Johannes Schultze14, Archivrates am Geheimen Staatsarchiv, dazu, zur Wiederbelebung und Ausweitung der Landesgeschichtsforschung eine neue Organisationsform anzustreben, eben eine Historische Kommission15, die im Gegensatz zu den ersten Nachkriegsüberlegungen unabhängig vom Geschichtsverein sein und mit eigenem Profil neben ihn treten sollte. Ihre Gründung versprach allerdings, wie ihnen bewußt war, nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Finanzierung der von ihr verfolgten wissenschaftlichen Pläne auf eine breite, sichere Grundlage gestellt wurde, wenn also die öffentliche Hand sich zu einer ausreichenden und dauerhaften Mittelbereitstellung verstand. Die Bestrebungen der Historiker führten zu einem unerwartet günstigen Ergebnis, da sie ihren Vorstoß sehr geschickt eingefädelt hatten und zwei große öffentliche Verwaltungen für sich gewannen. Klinkenborg, der als nebenamtlicher Leiter des die ständische Überlieferung verwahrenden Archiv des Provinzialverbandes mit dessen Landesdirektor Joachim von Winterfeldt-Menkin, einem Kenner von Kunst und Wissenschaft und Förderer der märkischen Geschichtsforschung, vertraut war, vermochte diesen von seinen Absich-

13 Klaus Neitmann, Melle Klinkenborg (1872–1930), in: Lebensbilder (wie Anm. 5), S. 72–80. 14 Gerd Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 26/1977, S. 452–467; Wolfgang Ribbe, Johannes Schultze (1881–1976), in: Lebensbilder (wie Anm. 5), S. 97– 102. 15 Zu den folgenden Absätzen vgl. ausführlich Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 129– 154.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 145

ten zu überzeugen, und Winterfeldt-Menkin wiederum vermochte den Berliner Oberbürgermeister Gustav Böss, in dessen Magistrat Klinkenborgs Verbündeter, der Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber16, bereits in seinem Sinne gewirkt hatte, einzubeziehen. Gemäß den getroffenen Absprachen wurde im Oktober 1925 die „Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ gegründet, eine – gemessen an den bisherigen Organisationsformen der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung – vollständige Neuschöpfung, deren Konstruktionsprinzipien und Finanzausstattung ihr zuvor ungeahnte Aussichten eröffneten. Die Kommission wurde von zwei gleichberechtigten, auf ihre Parität achtenden Partnern getragen, vom Brandenburgischen Provinzialverband und von der Reichshauptstadt Berlin. Deren Spitzen – der Landesdirektor und der Oberbürgermeister bzw. ihre beauftragten Vertreter – gehörten der Mitgliedschaft der Kommission von Amts wegen an, ebenso kraft ihrer amtlichen Funktion die in beiden Verwaltungen für Archiv- und Geschichtswissenschaft zuständigen Fachleute, der brandenburgische Provinzialkonservator und der Berliner Stadtarchivar. Institutionell waren in der Kommission ferner das Geheime Staatsarchiv – wegen seiner Aufgabe als Staatsarchiv für die Provinz Brandenburg – und die Friedrichs-Wilhelms-Universität zu Berlin mit einem Archivar und drei Professoren vertreten. Die Mitgliederversammlung war befugt, darüber hinaus höchstens zehn weitere Mitglieder zu wählen, „welche mit den landesgeschichtlichen Aufgaben vertraute und darin hervorgetretene Fachgelehrte sein müssen“17. Provinzialverband und Reichshauptstadt sicherten der Kommission zu, ihre Arbeit jährlich mit jeweils 15.000 Reichsmark (RM) zu unterstützen, nachdem sie von den Initiatoren auf die 30.000 RM hingewiesen worden waren, die der Provinzialverband der preußischen Provinz Sachsen damals der Historischen Kommission für die Provinz Sachsen und für Anhalt bewilligt hatte. Die Lösung von 1925 erfüllte wahrlich die Erwartungen, die Klinkenborg in einer vorbereitenden Denkschrift folgendermaßen umschrieben hatte: Bietet die Teilnahme jener öffentlichen Körperschaften [sc. der Brandenburgischen Provinzial- und Berliner Stadtverwaltung] die Gewähr einer dauerhaft finanzierten Tätigkeit und des behördlichen Nachdrucks, so kann doch die eigentliche Arbeit nur in den Händen wissenschaftlich vorgebildeter Historiker liegen. Es wird darauf ankommen, die bedeutendsten Kenner märkischer Landesgeschichte zu vereinen18.

16 Werner Vogel, Ernst Kaeber (1882–1961), in: Lebensbilder (wie Anm. 5), S. 250–257. 17 Die Kommissionsstatuten von 1925 sind abgedruckt bei Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 177f., Zitat S. 177, in diesem Band S. 130f., Zitat S. 130. 18 Die Denkschrift ist abgedruckt ebd., S. 175f., Zitat S. 176, in diesem Band S. 127–130, Zitat S. 129.

146 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Die Kommission war auf Grund ihrer Konstruktion ein von politischen Instanzen getragenes, ausschließlich von ihnen finanziertes fachwissenschaftliches Gremium, dessen qualifizierte, umfangmäßig begrenzte Mitgliedschaft mit dem aus ihren Reihen gewählten Vorsitzenden für die Konzipierung und Durchführung des wissenschaftlichen Programms verantwortlich war – in den Worten der damaligen Verantwortlichen: Die Kommission war einerseits ein „halbamtliche[s] Unternehmen“ (ihr Schriftführer Ernst Kaeber), andererseits war sie „nicht Geschichtsverein, sondern ein akademieähnliches Amt mit der Aufgabe, größere wissenschaftliche Unternehmungen zur Geschichte von Provinz und Stadt herauszubringen“ (ihr Vorsitzender Ulrich Stutz)19. Das erste Jahrfünft der Kommissionsgeschichte belegte eindrucksvoll die Tragfähigkeit und Ergiebigkeit der gefundenen Konstruktion. Die Kommission war dank ihrer Mittel, die, gemessen an der (direkten) kaiserzeitlichen Förderung des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg durch Provinzialverband und Archivverwaltung, reichlich flossen, in die von ihr überlegt genutzte Lage versetzt, ein hochwertiges Forschungsprogramm zu verfolgen und umzusetzen. Sein Nachdruck lag eindeutig, wie es Klinkenborgs Denkschrift schon verkündet hatte und die nachfolgende Praxis bestätigte, auf dem Gebiet der Quelleneditionen, vornehmlich der Edition frühneuzeitlicher Aktenüberlieferungen. Die Auswahl dieses Schwerpunktes war von der Überlegung geleitet, daß allein ein kleines Fachgremium und qualifizierte Bearbeiter umfassende, auf ganz Brandenburg ebenso wie auf seine Regionen und Gemeinden bezogene Quelleneditionen zu bewältigen imstande seien, nicht aber Geschichtsvereine mit ihrer fachlich gemischten Mitgliedschaft, ihren eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten und ihrer mangelnden Eignung zu längerfristigen Projekten. Mit dem Vorgang von 1925 wurde innerhalb der brandenburgischen Landesgeschichte entgegen den Verhältnissen und Absichten zu Zeiten Gustav Schmollers und der ersten Nachkriegsjahre eine deutliche Trennung zwischen dem Geschichtsverein und der Historischen Kommission gezogen: Die Kommission, ein kleiner Kreis von Fachhistorikern, betrieb vornehmlich die gewichtige, aufwendige und anspruchsvolle Editionsarbeit, während die lokalen, regionalen und überregionalen Vereine, bestehend aus größeren Kreisen von Fachleuten und geschichtsinteressierten Laien, sich auf Einzelforschungen und Darstellungen verwiesen sahen. Die Scheidung, wie sie Klinkenborg 1925 andeutungsweise skizzierte, ist zwar in der Folgezeit nicht in aller Schärfe und Eindeutigkeit durchgeführt worden, sie trifft aber tendenziell die geänderten Verhältnisse. Die Kommission konzentrierte sich stark auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Quelleneditionen oder überhaupt auf Grundlagenforschung, wie es schon 19 Zitiert ebd., S. 132, in diesem Band S. 82.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 147

ihr 1925 vorgelegter Arbeitsplan zeigt. Die Edition der Visitationsprotokolle des 16. Jahrhunderts (Victor Herold), die der Protokolle und Relationen des Geheimen Rates seit seiner Gründung 1604 (Melle Klinkenborg) und die von landständischen Verhandlungen der späteren Reformationszeit (Helmuth Croon) sind hier wegen ihres Gehaltes und Umfanges an erster Stelle zu erwähnen, sie werden ergänzt durch die Edition spätmittelalterliche Amtsbücher wie etwa des Landbuches Kaiser Karls IV. (Johannes Schultze) oder die von frühneuzeitlichen Bürgerbüchern wie etwa der Bürgerbücher und Bürgerprotokollbücher Berlins aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Ernst Kaeber). Der Grundlagenforschung diente neben einer hilfswissenschaftlichen Untersuchung zu den markgräflichen Siegeln (Hermann Bier) vornehmlich – mit einem damals methodisch neuen Ansatz – die Erstellung eines geschichtlichen Atlas von Brandenburg, in dessen Rahmen Karten von märkischen Kirchen-, Verwaltungs- und Siedlungsgeschichte mit darstellenden Begleitveröffentlichungen bearbeitet und herausgebracht wurden (Gottfried Wenz, Fritz Curschmann, v.a. Berthold Schulze). Neben Quellenwerken und Hilfsmitteln der Forschung kümmerte sich die Kommission auch um Forschung und Darstellung, veröffentliche derartige Arbeiten in ihren Schriftenreihen, die freilich zumeist unabhängig von ihr in anderen wissenschaftlichen und universitären Zusammenhängen entstanden waren, zwar wegen ihres brandenburgischen Bezuges aufgenommen wurden, aber, wie Kaeber einmal formulierte, „aus dem eigentlichen Programm der Historischen Kommission herausfallende Schriften“ waren20. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg hielt – auch nach der Kommissionsgründung – seine wissenschaftlichen Zielstellungen und Anstrengungen unverändert aufrecht, er setzte seine Schriftenreihe mit Monographien und Sammelwerken fort. Insbesondere gab er weiterhin die führende Zeitschrift der brandenburg-preußischen Geschichtswissenschaft heraus, die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“21. Aber es war unverkennbar, daß seine wissenschaftliche Leistungskraft infolge seiner allzu schmalen finanziellen Mittel, verglichen mit seiner Produktion vor 1918, deutlich nachgelassen hatte. Seine Veröffentlichungsreihe wurde nur noch um wenige, in größeren Zeitabständen erscheinende Arbeiten bereichert, vorrangig bemühte er sich stattdessen darum, mit Zuschüssen des Preußischen Kultusministeriums, der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften und mit eigenen Geldern die Zeitschrift am Leben zu erhalten. Bezeichnenderweise lehnte es der Brandenburgische Provinzialverband im Dezember 1925 ab, dem Verein wie vor dem Weltkrieg 2.500 Mark jährlich zu gewähren, da jetzt größere Veröffentlichungen von der Historischen Kommission herausgebracht würden, und beschränkte seinen Zuschuß fortan 20 Zitiert ebd., S. 153, in diesem Band S. 103. 21 Neitmann, Preußische Geschichtswissenschaft (wie Anm. 12).

148 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

auf 1.000 Mark. Während der Verein unter diesen Voraussetzungen kaum eigene Forschungsvorhaben zu betreiben vermochte – nur die Fortsetzung der für die märkische Mediävistik fundamentalen Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus askanischem Hause sind hier noch zu erwähnen –, vermochte die Kommission mit ihrer anfänglich üppigen Finanzausstattung in ganz anderer Weise Landesgeschichtsforschung intensiv zu betreiben. Sie honorierte die Bearbeiter der abgesprochenen Manuskripte gemäß einem festgesetzten Bogenhonorar, so daß ihr freiwilliger Einsatz wenigstens mit einer kleineren Entlohnung verbunden war, und bezahlte den Druck der vorgelegten Werke. Und sie wiederbelebte und erweiterte das vor 1914 für Krabbos Askanierregesten erprobte Verfahren für ausgewählte längerfristige Arbeitsvorhaben, indem sie den damit beauftragten Wissenschaftlern – Berthold Schulze für den Historischen Atlas, Hugo Rachel für die Geschichte der landesherrlichen Ämter und Helmuth Croon für die Ständeakten – ein festes monatliches Honorar auf Grund einer festen wöchentlichen Arbeitszeit bezahlte. Ihre finanziellen Möglichkeiten rückten sie dadurch, daß sie sie zu einem wissenschaftlich durchdachten Programm nutzte, kraft der erreichten durchgängig qualitätvollen Veröffentlichungen in die Mitte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung. Der bislang dominierende Verein für Geschichte der Mark Brandenburg trat hingegen hinter ihr zurück – ohne daß eine Konkurrenzsituation entstanden wäre, denn dieselben maßgeblichen Persönlichkeiten gehörten sowohl dem Verein als auch der Kommission an und sorgten entsprechend den unterschiedlichen Vorgaben und Ressourcen für eine Arbeitsteilung, mit der sich die beiderseitigen Aktivitäten gegenseitig ergänzten und nicht überschnitten. Der unvermutete Aufschwung, den die Gründung der Historischen Kommission der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung bescherte, hielt freilich gerade einmal ein Jahrfünft an, bis sich seine Voraussetzungen zunächst als brüchig erwiesen und dann die Konstruktion überhaupt in Frage gestellt wurde – die gesamten 1930er Jahre bestanden für die Kommission aus einer nahezu unausgesetzten Finanz- und Organisationskrise22. Sie ergab sich daraus, daß sich zwei benachbarte Problemkreise miteinander verquickten, genauer gesagt, daraus, daß die Finanznöte der beiden administrativen Träger der Kommission in deren grundsätzlichen politischen Dissenz über die künftige berlin-brandenburgische Kultur- und Wissenschaftspolitik mündeten. Die Lage der Kommission wurde zunächst dadurch zugespitzt, daß infolge der Weltwirtschaftskrise ab 1930 die einst zugesagte Förderung von 30.000 RM zuerst reduziert und dann seit 1932 gar fast vollständig eingestellt wurde. Dabei schritt die Reichshauptstadt Berlin mit ihren Kürzungen voran, aber gemäß der vereinbarten paritätischen Finanzierung 22 Zu den folgenden Abschnitten vgl. Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 154–160, in diesem Band S. 105–111..



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 149

schloß sich der Provinzialverband ihr an. Die Kommission reagierte schrittweise, indem sie zuerst keine neuen Vorhaben in Angriff nahm, dann die laufenden verringerte oder abbrach und schließlich nur noch mit den in ihren guten Jahren angesparten Geldern die Atlasarbeiten weiterführte. Aber im Frühjahr 1935 sah der Vorsitzende Stutz sie finanziell am Ende, da der endgültige Verbrauch der letzten Reserven absehbar und eine grundlegende Neuregelung nicht erkennbar war, und er zog mit seinem Rücktritt vom Vorsitz und seinem Austritt aus der Kommission seine persönliche Konsequenz. In diesen Jahren hatte sich schon das unterschiedlich stark ausgeprägte Interesse der beiden Träger an der Kommission gezeigt, die Berliner Zurückhaltung und die Brandenburger Fürsprache. Diese Differenz wurde nun entscheidend durch die neuen politischen Rahmenbedingungen ab 1933 verstärkt, als Berlin und die Provinz Brandenburg unterschiedlichen Gauen und Gauleitern der NSDAP zugeordnet waren und die gesamte Region von deren Rivalitäten bestimmt wurde. Der Brandenburgische Provinzialverband, der zwar formal dem Oberpräsidium angegliedert war, aber unter dem neuen Landesdirektor (bzw. Landeshauptmann) Dietloff von Arnim-Rittgarten weiterhin sein Eigenleben führte und seine eigenen politischen Zielen verfolgte, drängte darauf, „die Provinz Brandenburg wie möglichst auf allen Gebieten, so ganz besonders in dem kulturellen Sektor ein Eigenleben führen zu lasse“, wie Arnim im Rückblick 1943 betonte23. Der Landeshauptmann und der Leiter der 1936 neugeschaffenen Kulturabteilung des Provinzialverbandes, Oskar Karpa, gingen daher darauf aus, angesichts der bestehenden Mißhelligkeiten zwischen Brandenburg und Berlin die bisherige gemeinsame Historische Kommission aufzuheben und durch zwei getrennte historische Einrichtungen, eine allein für die Provinz Mark Brandenburg, eine allein für die Reichshauptstadt Berlin, zu ersetzen. Sie hielten „zwecks Vereinheitlichung der Brandenburgischen Geschichtsforschung eine klare Trennung der berlinischen und provinz-brandenburgischen Geschichtsforschung für geboten“ und suchten ihre wissenschaftlichen Gesprächspartner für ihre Pläne zu gewinnen, indem sie ihnen mit einem erhöhten Mittelansatz in Aussicht stellten, „dass die Historische Kommission unter der alleinigen Führung der Provinz besser fährt als unter dem Doppelgespann“24. 1938/39 fielen die Entscheidungen: Provinzialverband und Reichshauptstadt verständigten sich darauf, die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin zum 1. April 1939 aufzulösen. Jede Seite schuf für sich in der Folgezeit ihre eigene historische Forschungsgemeinschaft, Berlin im November 1943 die „Landesstelle für Geschichte, Heimatkunde und Volksforschung“ und Brandenburg im 23 Zitiert ebd., S. 157, in diesem Band S. 108. 24 Zitiert ebd., S. 159, in diesem Band S. 110f.

150 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Januar 1943 die „Historische Kommission der Provinz Mark Brandenburg“. Die lange Verzögerung ergab sich daraus, daß der auf beiden Seiten bestimmende Wissenschaftler, der Landeshistoriker Willy Hoppe25, wegen seiner starken Beanspruchung durch sein bis 1942 andauerndes Rektorat der Berliner FriedrichWilhelms-Universität nicht vorher die erforderliche Zeit zu den organisatorischen und personellen Vorbereitungen fand. Die Historische Kommission von 194326 unterschied sich nicht in ihrer allgemeinen inhaltlichen Aufgabenbeschreibung von ihrem Vorgänger von 1925, die beiden Satzungen stimmten in dieser Beziehung inhaltlich vollständig und wörtlich weitgehend überein, indem sie die Herausgabe von Quellen und die Förderung von Darstellungen betonten. Aber ansonsten war die jüngere Kommission organisatorisch und personell erheblich anders konstruiert, was in den gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Nationalsozialismus, in der bestimmenden Rolle des Provinzialverbandes und in den landesgeschichtlichen Zielvorstellungen des Vorsitzenden Hoppe begründet war. Hatte Kaeber einst die ältere Kommission als „halbamtliches Unternehmen“ bezeichnet, so könnte man ihre Nachfolgerin als „vollamtliches Unternehmen“ charakterisieren: Der Landeshauptmann, also der Leiter des Provinzialverbandes, ernannte den Vorsitzende und auf dessen Vorschlag die weiteren Mitglieder; der Vorsitzende war ihm für die von jenem selbständig geführten Geschäfte verantwortlich und hatte das jährliche Arbeitsprogramm von ihm genehmigen zu lassen. Die Mitgliederversammlung war in ihren Befugnissen auf bloße Beratungsfunktionen verringert, insbesondere stand ihr wegen des Führerprinzips nicht mehr das Recht zur Kooptation neuer Mitglieder zu. Die Kommission war, wie ihre Satzung zeigte, geradezu als Organ des Provinzialverbandes angelegt. Ob dieser bzw. sein Abteilungsleiter Kultur in der Alltagswirklichkeit ihre inhaltliche Arbeit so hätte lenken können (oder auch nur wollen), wie es ihm theoretisch die Satzung zugestand, ist nicht mehr erprobt worden, da die Gründung von 1943 infolge des Kriegsverlaufes nicht mehr in nennenswerte Wirksamkeit getreten ist. Die Auswahl der Mitglieder lag jedenfalls im Vorfeld ausschließlich in Hoppes Hand und richtete sich nach dessen Vorstellungen von der allgemeinen Orientierung der neuen Kommission. Sie sollte – im Vergleich mit ihrer Vorgän-

25 Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142 (2005/06), S. 19–60, in diesem Band S. 245–292; ders., Willy Hoppe (1884–1960), in: Lebensbilder, (wie Anm. 5), S. 108–119. 26 Zu den folgenden Abschnitten vgl. ausführlich Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 3), S. 160–168. Die Kommissionssatzung von 1943 ist abgedruckt ebd., S. 178f. – In diesem Band S. 112–120 bzw. S. 131–133.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 151

gerin – stärker auf die Provinz Brandenburg und die dortigen Geschichtsfreunde ausgerichtet und mit ihren Aktivitäten wie Versammlungen, Vorträgen und Ausstellungen nachhaltiger auf deren Kreise einwirken. Die Zahl der Mitglieder war neben dem Landeshauptmann und dem Vorsitzenden auf weitere acht begrenzt, da ein Arbeitsgremium mit befähigten und einsatzbereiten Landeshistorikern geschaffen werden sollte, während die repräsentativen Funktionen, die Vermittlung der Kommissionsziele an weitere Wissenschaftler und Verwaltungsleiter, dem zahlenmäßig wesentlich größeren Beirat zugeschrieben waren. Zu den acht Mitglieder sollten nach der Satzung je einer dem Geheimen Staatsarchiv und der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin angehören, um die Verbindung zu dem für die Provinz Brandenburg zuständigen Staatsarchiv und zur nächstgelegenen Hochschule – Berlin wurde nicht als brandenburgische „Landesuniversität“ angesehen – zu pflegen. Aber ansonsten wünschte Hoppe insbesondere Landesund Regionalhistoriker einzubeziehen, die in der Provinz wirkten und in ihrer wissenschaftlichen Arbeit sich auf die Mark insgesamt oder ihre einzelnen Landschaften konzentrierten, so daß die Satzung forderte, es sollten „möglichst vier [Mitglieder] in der Provinz angesessen sein“. Dementsprechend wurden in der Mitgliedschaft die vier in Berlin tätigen Kräfte (Heinrich Harmjanz [Reichserziehungsministerium], Eugen Meyer [Universität], Johannes Schultze und Gottfried Wentz [Geheimes Staatsarchiv]) von vier herausragenden Historikern aus brandenburgischen Landschaften (Hans Bütow [Neumark], Rudolf Lehmann [Niederlausitz], Hans Neumann [Brandenburg an der Havel] und Emil Schwartz [Uckermark]) ergänzt. Hoppe ließ sich grundsätzlich leiten von seiner Absicht, mehr Männer von draußen hineinzunehmen; … Ein Haupterfordernis wird immer sein, dass wir mit unserer Arbeit wirklich draussen, in der Provinz, Fuss fassen. Eine im wesentlichen berlinische Gelehrtenakademie wäre nicht das, was ich mir vorstelle27.

Die letzte Bemerkung richtete sich unausgesprochen gegen die Kommission von 1925, denn in ihr hatten eindeutig die Angehörigen Berliner wissenschaftlicher Einrichtungen vorgeherrscht, und insbesondere manche Zuwahl hatte einen Berliner Wissenschaftler wegen seines allgemeinen Renommes, aber ohne ausgeprägte brandenburgische Forschungsneigungen in die Kommission gebracht. Bezeichnenderweise verschob Hoppe den Berliner Verfassungshistoriker Fritz Hartung, das Gründungsmitglied von 1925, in den Beirat seiner Kommission und zog ihm als Mitglied Eugen Meyer vor, da Hartungs preußisch-deutsche Forschungsschwerpunkte ihn weniger anzogen als Meyers landesgeschichtlichen Leistungen. Es ist aus der Rückschau vorbehaltlos anzuerkennen, daß Hoppes 27 Zitiert ebd., S. 163, in diesem Band S. 115.

152 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Problematisierung der brandenburgischen Landeshistoriographie und Landeshistoriographen einen wunden Punkt nachhaltig getroffen hat. Die Masse und das Gewicht der Berliner wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen hatten von Anfang an, schon seit der Gründung des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg, bewirkt, daß die in Berlin tätigen Fachleute deutlich die in der Provinz Brandenburg wirkenden Gelehrten überwogen, daß sie mehr als Teil des Berliner wissenschaftlichen Lebens in Erscheinung traten und die Einbeziehung der außerberlinischen Landes- und Regionalhistoriker und der dortigen Geschichtsvereine vernachlässigt wurde. Hoppes Absichten zielten außerdem darauf ab, die Kommission nicht als reine Gelehrtengesellschaft für den innerakademischen Diskurs zu verstehen, sondern die Vermittlung ihrer landesgeschichtlichen Forschungsergebnisse an ein breiteres brandenburgisches Publikum zu einem besonderen Anliegen zu erheben – worauf der akademische wie außerakademische Landeshistoriker im Allgemeinen mehr Wert als der universitäre Allgemeinhistoriker legt. Ob Hoppes Bestrebungen zu nachhaltigen Wirkungen im angestrebten Sinne geführt hätten, ob insbesondere die Summe von 12.000 RM jährlich, die der Landeshauptmann ihm zugestand, auch nur für die begrenzte Umsetzung der von Hoppe aufgestellten, sehr umfassenden Forschungsziele28 ausgereicht hätte, konnte wegen des politischen und wissenschaftspolitischen Umbruchs nach 1945 nicht mehr erprobt werden.

III Wenden wir uns Pommern zu und streifen einleitend nur in äußerster Knappheit das erste Dreivierteljahrhundert der modernen pommerschen Landesgeschichtsforschung, das ganz im Zeichen der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde, eines der ältesten Geschichtsvereine des deutschen Vormärz überhaupt, stand. Sie wurde 1824 auf nachhaltiges Betreiben und mit tatkräftiger Unterstützung des zweiten Oberpräsidenten der Provinz Pommern, Johann August Sack, gegründet, der sich dabei von seiner grundsätzlichen kulturpädagogischen Einsicht leiten ließ: Welchen Stoff zur Cultur … Land und Volk besitzen, ist im Allgemeinen bekannt; aber nicht, wieviel zerstreute Kräfte darin vorhanden sind, die nur einer größeren Belebung … und 28 Willy Hoppe, Brandenburgische und berlinische Geschichtsforschung auf alten und neuen Wegen, in: ders., Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, eingeleitet u. hrsg. v. Herbert Ludat, Köln, Graz 1965, S. 347–359. Zur Einordnung vgl. Neitmann, Willy Hoppe (wie Anm. 25), S. 55–59, in diesem Band S. 286–289.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 153

gemeinsamer Theilnahme bedürfen, um in und durch sich selbst die Cultur mächtig zu fördern.

Das von Sack erlassene Statut der Gesellschaft bezeichnete als ihren Zweck, die Denkmäler der Vorzeit in Pommern und Rügen … zu retten und gemeinnützlich zu machen, mit dem Ziel, dadurch dem künftigen Geschichtsschreiber Pommerns brauchbare Vorarbeiten zu liefern und so die Abfassung einer quellenmäßígen älteren Geschichte des Pommernschen Landes und Volkes zu erleichtern.

Die Arbeit der Gesellschaft wurde in den ersten Jahrzehnten von den herausragenden Bildungseinrichtungen der Provinz, dem Marienstiftsgymnasium in Stettin und der Universität Greifswald, getragen. 1832 erschien der erste Band des von ihnen angeregten wissenschaftlichen Publikationsorgans, der ebenfalls noch von Sack befürworteten „Baltischen Studien“29. Das ganze nachfolgende 19. Jahrhundert hindurch war die Gesellschaft das (einzige) Zentrum der pommerschen Landesgeschichtsforschung30, in ihr fanden sich sowohl die schmale Gruppe gelehrter Fachleute als auch eine breite bildungsbürgerliche Schicht von Geschichtsinteressierten zusammen und trugen mit ihren Untersuchungen und deren Rezeption und Verbreitung pommersche Geschichtsforschung und pommersches Geschichtsbewußtsein, wobei im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zunehmend die Anwendung der geschichtswissenschaftlichen Methodik angemahnt wurde. Die Gesellschaft hatte von Anfang an zwei Mittelpunkte, die Provinzhauptstadt Stettin und die Universitätsstadt Greifswald, unter denen die erstere wegen der dort ansässigen Mehrzahl der Mitglieder und des dort konzentrierten Vereinslebens lange Zeit vorherrschte. Das Unbehagen an dem Stettiner Übergewicht in der Gesellschaft und zugleich das vornehmlich aus der schwedischen Periode 29 Roderich Schmidt, 175 Jahre Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst. Landesgeschichte im Ostseeraum, in: Baltische Studien N.F. 86/2000, S. 7–24, hier S. 7–14, Zitate S. 8, 10; Ludwig Biewer, 190 Jahre „Gesellschaft für pommersche Geschichte, Altertumskunde und Kunst e.V.“ Versuch einer Bestandsaufnahme, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 149/2013, S. 479–504, hier S. 481–485, 491f. 30 Zum Folgenden vgl. auch Rembert Unterstell, Klio in Pommern. Die Geschichte der pommerschen Historiographie 1815 bis 1945, (Mitteldeutsche Forschungen, 113), Köln, Weimar, Wien 1996, S. 21–55; zusammenfassend ders., Provinziale Altertumsgesellschaft, regionaler Geschichtsverein und landesgeschichtliche Kommission. Zur Institutionalisierung der außeruniversitären Landesgeschichte in der preußischen Provinz Pommern, in: Tausend Jahre pommerscher Geschichte, hrsg. v. Roderich Schmidt, (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur pommerschen Geschichte, 31), Köln, Weimar, Wien 1995, S. 369–386, hier S. 371–380.

154 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

abgeleitete eigenständige historische Selbstbewußtsein bewog die Mitglieder ihrer Greifswalder Abteilung 1899 dazu, sich organisatorisch vollständig zu verselbständigen und einen eigenen „Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein“ zu gründen, der in seinen Bestrebungen auf die Geschichte „Neuvorpommerns“ ausgerichtet war, in seinen Arbeiten vornehmlich von Greifswalder Universitätsdozenten getragen wurde und eine zahlreiche Anhängerschaft in Greifswald, Stralsund und ihrem Umland fand. Der neue Verein verkündete umfassende Aufgaben: die Inventarisierung der nichtstaatlichen Archive, die Ergänzung prähistorischer Sammlungen, die Erarbeitung eines pommerschen Wörterbuches, das Studium der Volkskunde, wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtliche Darstellungen. Der große Anspruch blieb unerfüllt – weil für die multidisziplinären landeshistorischen und landeskundlichen Ziele auf manchen Feldern die befähigten Fachleute fehlten und Mittel zur Bearbeitung der angesprochenen Themen nicht bereitstanden. Einsichtigen mußte in der kritischen Analyse der Lage und Möglichkeiten der Landesgeschichtsforschung die Erkenntnis kommen, daß die bestehenden Vereinsstrukturen den verkündeten größeren Forschungsaufgaben nicht mehr gewachsen waren – und nichts lag dann näher, als sich an dem Vorbild anderer preußischer Provinzen oder deutscher Staaten zu orientieren und die Übernahme der dort schon bestehenden „moderneren“ Form der Landesgeschichtsforschung zu fordern. Der Gedanke an die Gründung einer historischen Kommission für die Provinz Pommern31 wurde in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zunächst mehrfach öffentlich und nicht-öffentlich in Historikerkreisen von kenntnisreichen und angesehenen Vertretern der pommerschen Landesgeschichte artikuliert. 1901 trug Martin Wehrmann32, damals als Gymnasialprofessor am Marienstiftsgymnasium 31 Die folgende Darstellung beruht in der Wiedergabe der Vorgänge auf Unterstell, Klio (wie Anm. 30), S. 55–61, 137–155; Dirk Schleinert, Die Gründung der Historischen Kommission für Pommern und die Jahre bis 1945, in: Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011. Bilanz und Ausblick, hrsg. v. Nils Jörn (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Fotschungen zur pommerschen Geschichte, 47), Köln, Weimar, Wien 2015 [im Druck]. Herrn Dr. Schleinert, Magdeburg, danke ich herzlich für die Bereitstellung seines Druckmanuskriptes. – Unter Hinweis auf diese beiden detaillierten Kommissionsgeschichte verzichte ich im Folgenden weitgehend auf Einzelnachweise. – Vgl. auch: Unterstell, Provinziale Altertumsgesellschaft (wie Anm. 30), S. 380–386; Roderich Schmidt, Pommersche Landesgeschichte und die Historische Kommission für Pommern, in: Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, hrsg. v. Werner Buchholz, Paderborn, München , Wien, Zürich 1998, S. 75–92, hier S. 76–83. 32 Unterstell, Klio (wie Anm. 29), S. 185–200; ders., Martin Wehrmann (1861–1937) als Historiograph Pommerns, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 44/1995, S. 375–390; jüngst Dirk Mellies: Martin Wehrmann und die Geschichtsschreibung in Pommern, in: Die Demminer Kolloquien zur Geschichte Vorpommerns. Ausgewählte Beiträge 1995–2011, hrsg. v. Henning



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 155

in Stettin tätig und bereits durch zahlreiche landesgeschichtliche Studien hervorgetreten, dem Vorstand der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde eine Denkschrift vor, in der er die Bildung einer historischen Kommission für Pommern anregte. Der Vereinsvorstand befürwortete seine Idee und beschloß, zu ihrer Verwirklichung den Oberpräsidenten der Provinz Pommern und den Generaldirektor der preußischen Staatsarchive in Berlin um Unterstützung zu bitten33. Wenige Jahre später, 1904, trat Ernst Bernheim34, angesehener Mediävist an der Universität Greifswald und ebenfalls mit der pommerschen Landesgeschichte eng vertraut, in einer Besprechung von Wehrmanns „Geschichte von Pommern“ in der Zeitschrift des Rügisch-Pommerschen Geschichtsvereins für eine historische Kommission ein, weil die Quellenerfassung zur Grundlegung von Forschungen zu den inneren Verhältnissen des Landes verstärkt werden müsse, und unter Hinweis auf die landesgeschichtlichen Aktivitäten in anderen preußischen Provinzen wünschte er, „daß endlich auch bei uns die Kräfte der Provinz in einer Kommission zusammengefasst, reichlichere Mittel für historische Arbeit zur Verfügung gestellt werden möchten“.35 Wie man sieht, befürworteten führende Persönlichkeiten in den beiden bestehenden Geschichtsvereinen der Provinz die Gründung einer Historischen Kommission – zur Verstärkung anspruchsvoller Forschungsarbeit, zur Durchführung langfristiger umfassender Forschungsprojekte. Die dafür zwingend erforderlichen Mittel erhoffte man sich von öffentlichen Stellen, in erster Linie dachte man an die Gewinnung der obersten staatlichen Spitze der Provinz, des Oberpräsidenten, für die eigenen Pläne. Als anstehende vorrangige Aufgabe wurden von Wehrmann wie von Bernheim die Ermittlung und Beschreibung von verstreuten, unerschlossenen Archivalien außerhalb der Staatsarchive genannt, womit auch die preußische Archivverwaltung bzw. das preußische Staatsarchiv Stettin indirekt ins Spiel gebracht war, da ohnehin preußische Staatsarchive damals in etlichen Provinzen an der Inventarisierung vornehmlich kommunalen Archivgutes mitwirkten. Dem Einsatz des Generaldirektors der preußischen Staatsarchive, Reinhold Koser, war es anscheinend zu verdanken, daß die Anregungen der pommerschen Historiker nicht verpufften, so wie es zunächst aussah, sondern daß sie mit etlichen Jahren Verzögerung von dem angesprochenen Oberpräsidenten, Helmuth

Rischer u. Dirk Schleinert, Greifswald 2012, S. 213–222 (Man wundert sich allerdings darüber, dass das gegenwärtige Interesse an „demokratischen Traditionslinien der Geschichte Pommerns“ [S. 218f.] zum Maßstab der Urteilsbildung über Wehrmann – trotz des Versuches zur Abschwächung dieses Gedankenganges – erhoben wird.). 33 Unterstell, Klio (wie Anm. 29), S. 57, 190. 34 Ebd., S. 67–76. 35 Zitiert ebd., S. 56f.

156 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Freiherr von Maltzahn-Gültz, 1910/11 aufgegriffen und verwirklicht wurden36. Zunächst an der Vorbesprechung und anschließend an der förmlichen Kommissionsgründung waren Fachhistoriker bzw. Vertreter der fachhistorischen Gesellschaften ebenso wie Provinzialverwaltungsbehörden bzw. ihre Leiter beteiligt, einerseits Bernheim und Fritz Curschmann37 von der Universität Greifswald und vom Rügisch-Pommerschen Geschichtsverein sowie Wehrmann von der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde, andererseits von Maltzahn-Gültz als Oberpräsident, Paul von Eisenhart-Rothe als Landeshauptmann des Pommerschen Provinzialverbandes und Walter Friedensburg als Direktor des Staatsarchivs Stettin, als solcher ein Verwaltungsbeamter mit archiv- und geschichtswissenschaftlicher Aufgabenstellung. Diese Institutionen und Gesellschaften sollten folgerichtig, wie es die sehr knapp gefasste Satzung38 festlegte, als erste der Kommission angehören: Oberpräsident und Landeshauptmann, Staatsarchivdirektor, Universitätsangehöriger, Geschichtsvereinsvertreter, und sie sollten dann um „andere um die Pommersche Geschichte verdiente Männer“ ergänzt werden. Zum ersten Vorsitzenden wurde der Oberpräsident gewählt. Die Aufgabenbeschreibung der Satzung griff die in der vorhergehenden Diskussion einzig geäußerte konkrete Forschungsaufgabe, die Erfassung nicht-staatlichen Archivgutes auf, forderte dessen Verzeichnung, Zugänglichmachung und Sicherung, verlangte darüber hinaus aber auch ganz allgemein, „die Erforschung und Bearbeitung der heimischen Geschichte auf jede andere Art, insbesondere durch geeignete Publikationen zu fördern“. Dementsprechend lief die praktische Arbeit der Kommission in der Weise an, daß das zur Vorbereitung ihrer Gründung von einem Stettiner Staatsarchivar durchgeführte Pilotprojekt, nämlich die Inventarisierung der nicht-staatlichen Archive eines einzigen pommerschen Kreises (des Kreises Greifswald), für weitere Kreise fortgeführt wurde und umfassend geplant war. Die bestimmenden Historiker gedachten sich freilich nicht mit der archivalischen Quellenermittlung zu begnügen, Bernheim und Curschmann legten auf der ersten regulären Mitgliederversammlung 1912 eine umfangreiche Wunschliste von Forschungsvorhaben vor. In ihrem Mittelpunkt standen einerseits Quellenbearbeitungen und -editionen zu herausragenden Überlieferungen, Persönlichkeiten und Vorgängen der pommerschen Landesgeschichte (wie zur Schwedischen Landesaufnahme Vorpommerns und zu Stadtbüchern und -plänen Pommerns, wie zu den Herzogen Bogislaw X. 36 So jedenfalls die Darstellung in den Lebenserinnerungen des Oberpräsidenten; der entsprechende Auszug ist abgedruckt bei Schleinert, Gründung (wie Anm. 31), Anlage 1. 37 Unterstell, Klio (wie Anm. 29), S. 201–217; Werner Vogel, Fritz Curschmann (1874–1946), in: Lebensbilder (wie Anm. 5), S. 580–584. 38 Abgedruckt bei Schleinert, Gründung (wie Anm. 31), Anlage 2.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 157

und Ernst Bogislaw von Croy, wie zu pommerschen Parlamentariern in der Revolution von 1848), andererseits zentrale Hilfsmittel der Grundlagenforschung wie eine Bibliographie, ein historisches Ortslexikon oder eine Genealogie des pommerschen Herzogshauses. Das Programm hätte mindestens für eine Historikergeneration ausgereicht – aber es blieb vorläufig weitestgehend auf dem Papier stehen, weil die dafür benötigten Mittel nicht annäherungsweise zur Verfügung gestellt wurden. Bescheidene Summe flossen vom Provinzialverband – auf Grund seiner ihm durch die Dotationsgesetze von 1875 vorgeschriebenen Fürsorge für die Kulturpflege in der Provinz – und vom Generaldirektor der preußischen Staatarchive – auf Grund der Archivinventarisation. In das Jahr 1913 übernahm die Kommission einen Geldbestand von 2.000 Mark, erzielte im Jahr selbst 1.000 Mark Einnahmen und gab knapp 2.600 Mark aus, für Honorierung und Reisekostenerstattung von Projektbearbeitern wie für den Druck ihrer Arbeitsergebnisse. Mit solchen Summen waren keine großen Erfolge zu erzielen – aber die Tätigkeit der Kommission lief ja erst an, und man durfte wohl die Hoffnung hegen, wenigstens den Grundstein eines künftig wachsenden Hauses gelegt zu haben. Der Erste Weltkrieg und seine Folgen machten aber derartige Erwartungen zunichte. Die wissenschaftlichen Vorhaben kamen während des Krieges fast vollständig zum Erliegen, und die wirtschaftlichen Nöte nach Kriegsende verhinderten zunächst ihre Wiederaufnahme. Daß der Provinziallandtag auf Antrag des Landeshauptmanns 1921 die jährliche Beihilfe von 1.000 auf 3.000 Mark erhöhte, wirkte sich wegen der folgenden Hyperinflation nicht aus. Die Verantwortlichen waren sich darüber im klaren, daß ein neuer Anlauf erforderlich war – nach Überwindung der akuten Währungs- und Wirtschaftskrise. Die Neuorientierung der Kommission wurde mit den Beschlüssen der Jahresversammlung vom Oktober 1925 in die Wege geleitet, indem in Anknüpfung an die vor dem Ersten Weltkrieg erörterten Absichten und getroffenen Maßnahmen ihre Tätigkeit in organisatorischer wie in inhaltlicher Hinsicht präziser beschrieben, ihre Organisation auf eine festere und breitere Grundlage gestellt und ihr Forschungsprogramm mit der Festlegung und Inangriffnahme verschiedener gewichtiger Einzelprojekte ausgeweitet wurde. Die neu ausgearbeitete Satzung39 suchte die finanzielle Basis dadurch auszuweiten, daß sie – wie etwa der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg schon vor dem Ersten Weltkrieg40 – Stifter und Förderer in ihre Reihen aufnahm, Stifter, die einen einmaligen Betrag von 200 Reichsmark, Förderer, die einen jährlichen Betrag von 20 Reichsmark 39 Abgedruckt bei Unterstell, Klio (wie Anm. 29), Anhang, Dokument 3, S. 287–291. 40 Daß das Modell mit Stiftern und Förderern von der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde übernommen worden sei, wie Unterstell, ebd., S. 139, behauptet, ist daher keine zwingende Annahme.

158 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

zahlten. Man hoffte darauf, daß einzelne Kommunen, Kommunalverbände oder Gutsherren mit historischem Sinn die Kommission finanziell unterstützen würden, und in einem bescheidenen, in seinen Dimensionen von der allgemeinen Wirtschaftslage abhängigen Rahmen erfüllte sich die Absicht. 1932 gehörten der Kommission vornehmlich aus den bezeichneten Kreisen (Städten, Kreisausschüssen und Landwirten) 8 Stifter und 44 Förderer an, 1939 7 Stifter und 51 Förderer. Ansonsten vertraute die Satzung in finanzieller Hinsicht auf „den von dem Direktorium der Staatsarchive und dem Provinzialverbande Pommern zu erbittenden Zuschüssen“ (§ 4). Da der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive die Kommission nur wegen eines bestimmten Vorhabens, nämlich wegen der fortgeführten Archivinventarisierung förderte, ruhte ihr Gedeihen in allererster Linie auf den Zuschüssen des Provinzialverbandes; anders ausgedrückt: Die Kommission vertraute darauf, daß dieser nicht nur wie vor 1914 mit schmalen Beträgen überhaupt ihre Wirksamkeit ermöglichte, sondern daß er endlich mit der deutlichen Steigerung seiner Zuwendungen die Durchführung eines umfassenden Forschungsprogramms, wie man es sich schon damals ausgemalt hatte, gewährleistete. Der von der Satzung neu eingeführte Vorstand bestand zwar aus denselben sechs institutionellen Mitgliedern, die schon 1911 genannt worden waren, mit dem Oberpräsidenten an der Spitze der Aufzählung, aber zum Vorsitzenden wurde der Landeshauptmann des Provinzialverbandes gewählt. Wenn auch erst 1935 nach einer Satzungsänderung der Landeshauptmann von Amts wegen für diese Funktion vorgesehen wurde, führte schon vorher an ihm kein Weg vorbei, da das Gedeihen der Kommission vornehmlich von ihrer Finanzierung durch seine Behörde abhing. So nahm sie nolens volens hin, daß die personellen Wechsel im Amt des Landeshauptmanns nach dem politischen Umschwung von 1933 geradezu automatisch zu einem Wechsel im Kommissionsvorsitz führten. Fritz Curschmann, einer der führenden Wissenschaftler unter den Kommissionsmitgliedern, brachte den Sachverhalt im Mai 1934 nach dem Rücktritt des bisherigen Landeshauptmanns Ernst von Zitzewitz prägnant auf den Punkt: Wie die Kommission einmal mit der Provinzialverwaltung [Provinzialverband] verbunden ist, finanziell ganz auf sie angewiesen ist, so kann eigentlich nur der Landeshauptmann als Vorsitzender in Betracht kommen41.

Curschmanns Greifswalder Kollege Adolf Hofmeister äußerte sein Unbehagen über die Dominanz des Provinzialverbandes im April 1936 in einem Schreiben an seinen brandenburgischen Freund Willy Hoppe noch sehr viel deutlicher. 41 Zitiert ebd., S. 143.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 159

Bei uns ist leider vor einiger Zeit mit Hilfe des Stettiner Archivs die H[istorische] K[ommission] so gut wie ein Ausschuß der Provinzialverwaltung geworden, indem der ständige Vorsitz des Landeshauptmanns oder seines gesetzlichen Stellvertreters erzwungen wurde – mit der (natürlich uns durchzufühlenden [!] Drohung) sonst die Provinzialmittel zu sperren, von denen wir ja fast ausschließlich leben; das Staatsarchiv sicherte sich bei dieser Gelegenheit ständig die Schriftführerstelle. Der Universität will man großmütig den stellvertretenden Vorsitzenden überlassen42.

Freilich standen die Landeshauptmänner fachlich den Anliegen der Kommission so ferne, daß sie trotz ihrer Anwesenheit auf Vorstandssitzungen und Jahresversammlungen die inhaltlichen Diskussionen kaum beeinflußten und allenfalls eine populäre Sonderausgabe von pommerschen Biographien oder eine Sammlung von Soldatenbiographien anregten. Größeres Gewicht warf seitens des Provinzialverbandes der für die Kulturpflege zuständige erste Landesrat, der offiziell ab 1936 als erster stellvertretender Vorsitzender auftrat, in die Waagschale. Man muß an dieser Stelle sogleich hinzufügen, daß die finanziellen Hoffnungen der Wissenschaftler vom Provinzialverband nicht enttäuscht wurden. Die von ihm bereitgestellten Gelder wuchsen im Laufe der Jahre an, 1929 wurden sie auf 5.000 RM erhöht, überschritten Mitte der 1930er Jahre die 10.000 RM-Grenze und beliefen sich 1937 auf 12.000 RM. Der überragende Anteil des Provinzialverbandes an der Finanzierung der Kommission ist beispielsweise an den Einnahmen des Jahres 1939 abzulesen: Von den 19.370 RM stellte der Provinzialverband 18.000 RM bereit. Zu erwähnen ist außerdem, daß einzelne Projekte von Dritten mitfinanziert wurden, so der Historische Atlas von der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Die inhaltliche Aufgabe der Kommission sah ihre Satzung von 1925 darin, „die Erforschung der Geschichte Pommerns auf jede Art, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen pommerscher Geschichte zu fördern“. Die Formulierung unterschied sich in ihrem Kern nicht allzu sehr von der entsprechenden Aussage von 1911, abgesehen davon, dass sie nicht wie damals einen zentralen Ansatzpunkt der Tätigkeit ausdrücklich erwähnte43. 42 Adolf Hofmeister an Willy Hoppe, 12.4.1936, in: Universitätsarchiv Greifswald, NL Adolf Hofmeister, 14/4. – Herrn Universitätsarchiv Dr. Alvermann, Greifswald, danke ich vielmals für die Bereitstellung von Kopien aus dem Nachlaß Hofmeister. 43 Demgegenüber schließt Unterstell, Klio (wie Anm. 29), S. 139, aus dem Vergleich der beiden Satzungen: „Die geschichtsschreibende Präsentation des Erforschten wurde [1925] gegenüber dem positivistisch eingefärbten, antiquarischen Sammeln in den Vordergrund gerückt. Forschung und Darstellung sollten an die Stelle des Sammelns und Festhaltens treten“. Eine solche Interpretation scheint mir den Satzungsformulierungen zu viel Gewicht beizumessen und außer Betracht zu lassen, daß die Intentionen von 1911/12 wegen des Weltkrieges nur sehr bruchstückhaft umgesetzt werden konnten.

160 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

Aber im Gegensatz zu 1911 wurden nach 1925 verschiedene konkrete Arbeitsvorhaben entwickelt und in Angriff genommen, wurden gezielt Projekte entworfen und bearbeitet. Ihrem Charakter nach sind sie vornehmlich dem Bereich der Grundlagenforschung zuzuordnen. Unverzichtbare Hilfsmittel und Nachschlage­ werke der historischen Forschung wie Quellensammlungen und Quelleneditionen, Bibliographien und Biographien wurden in die Planung aufgenommen und ihre Erstellung fachkundigen Wissenschaftlern in Pommern übertragen. Die klassische Aufgabe der mittelalterlichen Landesgeschichte, das Pommersche Urkundenbuch, oder die archivische Erschließungs- und Sicherungsaufgabe, die Inventarisierung nichtstaatlichen Archivgutes in Kommunal-, Guts- und Pfarrarchiven, wurden wiederaufgenommen und weitergeführt. Sie wurden ergänzt durch damals neue methodische Ansätze wie die Zusammenarbeit mit Archäologen zur Erfassung vor- und frühgeschichtlicher Wall- und Wehranlagen oder die kartographische Darstellung historischer Vorgänge und Zustände im Historischen Atlas von Pommern. An ein breiteres Publikum richteten sich die mehrbändigen pommerschen Lebensbilder mit ihren Kurzbiographien ausgewählter bedeutender Persönlichkeiten der Provinz aus dem 18. bis 20. Jahrhundert. Mit der Genealogie des Greifengeschlechtes wurde das maßgebliche biographische Hilfsmittel für das angestammte pommersche Herrscherhaus vorgelegt. Einzelne Spezialthemen wurden in Monographien bearbeitet. Der Erfolg oder Mißerfolg des jeweiligen Vorhabens, sein gelungener Abschluß durch eine Publikation oder der Fehlschlag durch das ausbleibende Druckmanuskript, hing von Umfang und Schwierigkeit des zu bearbeitenden Gegenstandes, von der Person bzw. der Leistungsfähigkeit des Bearbeiters und von den äußeren, finanziellen Arbeitsbedingungen ab. Die Mittel reichten nicht zur Anstellung und Beschäftigung eines hauptamtlichen Mitarbeiters aus, stattdessen dienten sie dazu, mit Honoraren den Bearbeiter und ggf. dessen Hilfskräfte finanziell zu unterstützen und anfallende Sachkosten und schließlich die Druckkosten zu tragen. Die Kommission war unter solchen Umständen darauf angewiesen, daß sie für ihre landesgeschichtlichen Themen Institutionen und Fachleute fand, die an deren Bearbeitung interessiert und dazu bereit waren und die zugleich eigene personelle und materielle Ressourcen in das vereinbarte Projekt einbrachten. Bezeichnenderweise sind die beiden gewichtigsten Kommissionsvorhaben, das Urkundenbuch und der Historische Atlas, durch die enge Absprache und Zusammenarbeit mit angesehenen Wissenschaftseinrichtungen der Provinz, mit dem Staatsarchiv Stettin und der Universität Greifswald, bewerkstelligt worden. Daß in den 1930er Jahren im offiziellen Auftrage der Kommission ein weiterer Band des Urkundenbuches bearbeitet und veröffentlicht wurde, war dadurch ermöglicht worden, daß die preußische Archivverwaltung einen Stettiner Staatsarchivar zum hauptamtlichen Einsatz für das Unternehmen abgestellt hatte –



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 161

obwohl selbst dadurch wegen der dienstlich bedingten Bearbeiterwechsel und anderer archivarischer Arbeitsschwerpunkte wie dem „Ariernachweis“ nach 1933 die Schwierigkeiten nicht ausgeschaltet waren44. Die Atlasarbeiten waren unter Leitung von Fritz Curschmann an der Universität angesiedelt. Die Kommission profitierte zudem davon, daß Adolf Hofmeister45, seit 1921 Inhaber des Lehrstuhls für mittlere und neuere Geschichte an der Greifswalder Universität, schwerpunktmäßig mittelalterlicher Historiker, in die pommersche Landesgeschichte nachhaltig einstieg und an mehreren Kommissionsvorhaben mitwirkte, insbesondere sich nachdrücklich um die Pommerschen Lebensbilder kümmerte. Für die Bibliographie zur Geschichte und Landeskunde Pommerns fanden sich nacheinander zwei Bearbeiter, ein Kösliner Gymnasiallehrer und der Direktor der Greifswalder Universitätsbibliothek, aber beide vermochten die Aufgabe neben ihren hauptamtlichen Tätigkeiten nicht zu vollenden. Der Gymnasialdirektor Robert Holstein46 erarbeitete sein wissenschaftliches Hauptwerk, die pommersche Flurnamensammlung, im Wesentlichen in angestrengter ca. fünfzehnjähriger Tätigkeit in seinem Ruhestand; wegen der Kriegsumstände konnte der Druck nicht mehr abgeschlossen werden, so daß der Band erst lange nach 1945 veröffentlicht wurde. Auf der Grundlage von Erörterungen in der Konferenz der preußischen Landesdirektoren und nach dem Vorbild des in der provinzialen Kulturarbeit führenden Provinzialverbandes Westfalen beabsichtigte der pommersche Provinzialverband 1938/39, die gesamte landschaftliche Kulturpflege unter seiner Leitung neu zu organisieren, wobei die bestehenden wissenschaftlichen Vereine und Einrichtungen, darunter die – 1935 in Landesgeschichtliche Forschungsstelle der Provinz Pommern umbenannte – Historische Kommission, unter Wahrung einer bedingten Eigenständigkeit in einer neuen Dachorganisation zusammengeschlossen werden sollten. Wie die Aufgabengebiete der vorgesehenen einzelnen Organisationseinheiten zeigen47, war bezweckt, verschiedene beste44 Vgl. die angedeuteten Probleme in der Urkundenbuchbearbeitung in einem Schreiben Hofmeisters: „Sachlich ist unsere größte Sorge das Urkundenbuch, das unbedingt rasch vorwärts getrieben werden muß; das kostet sehr viel Geld, und noch viel schwieriger ist die Sorge um Bearbeiter, da die Archivare höchstens noch außerdienstlich dafür zu haben sind, wenn sie nicht andere lohnendere Beschäftigung finden. Man sieht ja freilich ein, daß die dienstlichen Anforderungen im Augenblick sehr groß sind.“ Adolf Hofmeister an Willy Hoppe, 12.4.1936, in: Universitätsarchiv Greifswald, NL Adolf Hofmeister, 14/4. 45 Unterstell, Klio (wie Anm. 29), S. 218–236. 46 Ebd., S. 173–185. 47 Vgl. die Ordnung über die Verwaltung der Landeskundlichen Forschungsstelle der Provinz Pommern vom 21. August 1939, abgedruckt ebd., Anhang, Dokument 5, S. 294–300. – Vgl. die aufschlußreiche Schilderung der Landeskundlichen Forschungsstelle in einem Schreiben Adolf

162 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

hende Wissenschaftsdisziplinen, vornehmlich geisteswissenschaftliche bzw. historisch-philologische, aber auch naturwissenschaftliche Fächer, zu vereinen, damit durch die Kombination der unterschiedlichen fachlichen Sichtweisen auf das allen gemeinsame Objekt, die Provinz bzw. den Kulturraum Pommern, eine umfassende Landeskunde entstand. Die „Landeskundliche Forschungsstelle der Provinz Pommern“ war in acht Abteilungen gegliedert, unter denen die historischen in engerem und weiteren Sinne dominierten: Geschichte, Vor- und Frühgeschichte, Ahnenforschung und Sippenkunde, Volkskunde, Kunstgeschichte und Denkmalpflege, literarisches Schrifttum, Erdkunde, Naturkunde. Die Historische Kommission stand als Abteilung für Geschichte nicht nur in der Aufzählung der Abteilungen an erster Stelle, sondern nach dem ersten Paragraphen war die neue Landeskundliche Forschungsstelle aus der alten Landesgeschichtlichen Forschungsstelle hervorgegangen; die organisatorischen und finanziellen Regelungen orientierten sich deutlich an der Kommissionssatzung von 1925/35, und auch die allgemeine Aufgabenbeschreibung lehnte sich an diese an: Die Forschungsstelle „hat die Aufgabe, die wissenschaftliche Erforschung des pommerschen Landes und seiner Bevölkerung, insbesondere durch Herausgabe von Quellen und Darstellungen, zu fördern“. Die Landeskundliche Forschungsstelle war ihrem Schöpfer, dem Provinzial­ verband, straff untergeordnet: Sie war als dessen „Einrichtung“ geplant, ihr Leiter war der Landeshauptmann, und dem Verwaltungsrat, den der Leiter vor seinen Entschlüssen zur Beratung hinzuzuziehen hatte, gehörten weitere Mitarbeiter des Provinzialverbandes an, der ständige Vertreter des Landeshauptmanns als stellvertretender Vorsitzender, der Leiter der Kulturpflegeabteilung des Provinzialverbandes und der Hauptgeschäftsführer der Landeskundlichen Forschungsstelle, der vom Provinzialverband bestellt wurde. Die Verwaltungsordnung gab deutlich zu erkennen, daß der Provinzialverband die wissenschaftliche Erforschung und Darstellung der Landesgeschichte und Landeskunde Pommerns zu intensivieren und zu verbreitern gedachte; dazu war er bereit, aus seinem Personal zur Führung der laufenden Geschäfte einen hauptamtlichen wissenschaftlichen Geschäftsführer (Hauptgeschäftsführer) zur Verfügung zu Diestelkamps, des damaligen Schriftführers der Historischen Kommission, an Staatsarchivrat Dr. Herberhold in Sigmaringen vom 29. Juni 1939, u.a.: „Es ist also die Landeskunde im weitesten Sinne, die von der Landeskundlichen Forschungsstelle im ganzen und den einzelnen Abteilungen im besonderen betreut wird. Jede Abteilung hat ihren ehrenamtlichen Geschäftsführer, den der Leiter der Landeskundlichen Forschungsstelle ernennt. Er ernennt dazu in erster Linie die Leiter der entsprechenden maßgeblichen wissenschaftlichen Vereine oder Einrichtungen (dementsprechend sollen alle in Pommern vorhandenen wissenschaftlichen Einrichtungen in der Landeskundlichen Forschungsstelle vertreten sein.).“ Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, I. HA Rep. 178, Nr. 1749, Bl. 25–26.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 163

stellen, und ihm wird klar gewesen sein, daß sein Ziel über die Zuwendungen der Stifter (einmalige Zuwendung von mindestens 500 RM) und Förderer (jährliche Beitragszahlung von 50 RM) hinaus nur durch Steigerung seiner eigenen Fördermittel erreicht werden konnte. Dem hauptamtlichen Geschäftsführer standen die für die einzelnen Abteilungen vom Landeshauptmann ernannten ehrenamtlichen Geschäftsführer zur Seite; sie sollten üblicherweise mit den Leitern der entsprechenden maßgeblichen wissenschaftlichen Vereine identisch sein, die daher alle in der Forschungsstelle vertreten sein sollten. Mit dieser Konstruktion zeigten sich die beteiligten bestimmenden Wissenschaftler zufrieden, wie deren Darstellung durch Adolf Diestelkamp, den Direktor des Staatsarchivs Stettin und provisorisch vorgesehenen ersten Hauptgeschäftsführers aus dem Juni 1939 zeigt. Daß die laufenden Geschäfte durch einen hauptamtlichen Geschäftsführer erledigt würden, ist an und für sich unerläßlich, da die Aufgaben der Landeskundlichen Forschungsstelle in unserer Provinz so umfangreich sind, daß so etwas auf die Dauer kaum nebenamtlich gemacht werden kann.

Ebenso hielt er die Einbeziehung der Vereinsvorsitzenden für außerordentlich glücklich, da ja doch letzten Endes die wissenschaftlichen Vereine die Träger der Arbeit sind. … Alles in allem soll also die Landeskundliche Forschungsstelle neben der Kulturpflegeabteilung der Provinz die gesamte Kulturarbeit unserer engeren Heimat zusammenfassen.

Ob freilich aus dieser administrativen Planung, also aus der organisatorischen Zusammenfassung der mit Pommern befaßten wissenschaftlichen Gesellschaften, der angestrebte quantitative und qualitative Erkenntniszuwachs für eine umfassende pommersche Landeskunde folgen würde, war schwer vorherzusagen, da in der Wissenschaft erfahrungsgemäß Organisationsmaßnahmen nicht automatisch zu inhaltlichen Erkenntnisfortschritten führen. Es hing von der nachfolgenden Praxis und von der wissenschaftlichen Leistungskraft der geschaffenen Abteilungen und ihrer Mitwirkenden sowie ihrer Fähigkeit zu interdisziplinärer Zusammenarbeit ab, ob sie bloß nebeneinander ihre alten Vorhaben weiterverfolgen oder durch neue übergreifende Fragestellungen ein neues Niveau der wissenschaftlichen Diskussion erreichen würden. Die Probe auf die Ertragfähigkeit der an sich bedenkenswerten Konstruktion ist nicht gemacht worden, denn wegen des folgenden Kriegsausbruches und des Kriegsverlaufes blieb die Landeskundliche Forschungsstelle auf dem Papier stehen. Die Historische Kommission bzw. die Landesgeschichtliche Forschungsstelle führten gemäß dem in ihren Reihen beschlossenen Programm ihre einzelnen Vorhaben weiter fort, bis

164 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

sie schließlich früher oder später vornehmlich durch den Wehrmachteinsatz der Bearbeiter abgebrochen wurden.

III Die Historischen Kommissionen in Brandenburg und in Pommern zwischen 1911/25 und 1945 stehen, so könnte man cum grano salis behaupten, für eine neue Entwicklungsstufe der landesgeschichtlichen Forschung in ihrem jeweiligen Land, was in Pommern deutlicher als in Brandenburg sichtbar wird. Die Vorhaben, die sie konzipierten und mit größeren, geringeren oder gar keinen Ergebnissen verfolgten, konzentrierten sich auf Grundlagenforschung, auf die Erarbeitung einerseits von Hilfsmitteln wie Bibliographien, Ortslexika oder Atlaskarten, andererseits von Quellenwerken wie mittelalterlichen Urkundenbüchern oder (früh)neuzeitlichen Akteneditionen. Darstellungen zu ausgewählten schmaleren oder umfassenderen Themen waren zwar in die Planungen einbezogen und wurden vorgelegt, aber sie standen in ihrem Gewicht innerhalb der Aktivitäten zurück, merklicher als in Pommern in Brandenburg, wo man programmatisch 1925 und praktisch in der Folgezeit den Vorrang der Quellenedition proklamierte und in die Tat umsetzte. Die unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte, die sowohl in der jeweiligen Landesgeschichte als auch in den Traditionen und im aktuellen Stand der jeweiligen Landesgeschichtsforschung begründet waren, können vernachlässigt werden, wenn man den grundsätzlichen Ansatz der Kommissionsgründer betrachtet. In beiden Provinzen wurde ein zeitlich und sachlich umfangreiches Forschungsprogramm aufgestellt und zu verwirklichen getrachtet. Weit ausgreifende Ideen zu bedeutenden historischen Untersuchungsgegenständen waren zwar schon im 19. Jahrhundert vorgetragen worden, aber die Geschichtsvereine waren an der Verwirklichung von anspruchsvollen Einzeloder Gemeinschaftswerken, wenn man einmal von der regelmäßigen Herausgabe landesgeschichtlicher Zeitschriften absieht, gescheitert. Der Ruf nach historischen Kommissionen erklang um 1900 immer deutlicher und vernehmbarer, weil führende Historiker über individuelle Arbeiten hinaus ein weit ausgreifendes und arbeitsteilig zu bestellendes Aufgabenfeld zur Intensivierung der Forschung anstrebten und dazu als neue Organisationsform den Zusammenschluß von kompetenten Fachleuten wünschten, unter Ausschluß der historischen „Dilettanten“, die die gesteigerten fachlichen Standards nicht mehr zu erfüllen vermochten. Die Aufgabenzusammenstellungen der Kommissionen offenbaren die entsprechend dem allgemeinen Gang der Historiographie gesteigerten methodischen Herausforderungen der Landesgeschichtsforschung, deren Erörterung und Bewältigung



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 165

nur noch von akademisch gebildeten und tätigen Fachhistorikern zu erwarten war. Es war die erhoffte wissenschaftliche Effektivitätssteigerung, die eine neue Organisationsstruktur jenseits des Geschichtsvereins beförderte. Freilich sind Historischen Kommissionen und Geschichtsvereine nicht als unbedingte, unvereinbare Gegensätze zu sehen, sondern sehr viel mehr als einander ergänzende Bestrebungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Die Kommissionen gingen aus den Vereinen hervor, es waren gerade deren bestimmende Vertreter, die die Forderung nach Kommissionsgründungen artikulierten. Außerdem zeigt der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, daß er unter Wahrung der überkommenen Vereinsstrukturen durch die Vereinigung der maßgeblichen Fachleute in seinen Reihen und durch deren Initiative eindrucksvolle wissenschaftliche Leistungen entsprechend den gesteigerten Erwartungen zu erbringen vermochte und sich dadurch in seinem Charakter einer Historischen Kommission schon stark anglich. Und nach den Kommissionsgründungen gaben die Vereine ihre wissenschaftlichen Aspirationen nicht auf, was besonders daran abzulesen ist, daß sie weiterhin die maßgeblichen landesgeschichtlichen Zeitschriften, die „Baltischen Studien“ und die „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“, auf hohem Niveau herausgaben. Daß historische Fachkreise aus fachlichen Gründen die Inangriffnahme eines anspruchsvollen Forschungsprogramms verlangten, entsprang zwar wissenschaftsimmanenten Überlegungen, aber die Umsetzung in die Tat hing, wie ihren Urhebers sehr bewußt war, von der Bereitstellung zusätzlicher Forschungsgelder ab, somit von der Wissenschafts- und Kulturpolitik, die die Berechtigung des Anliegens zu erkennen und dafür Mittel aufzubringen gewillt und in der Lage war. Die Landesgeschichtsforschung des 19. Jahrhunderts hätte ohne staatliche und kommunale materielle Unterstützung nicht erblühen können – spätestens, wenn es darum ging, ihre Arbeitsergebnisse in Druckwerken zu veröffentlichen, war sie (auch) auf die öffentliche Hand angewiesen. Die Rufer nach der Historischen Kommission erhofften sich, daß die zuständigen Stellen aus Einsicht in die angestrebten Ziele deren dauerhafte Finanzierung gewährleisten würden. Die Frage nach der zuständigen Stelle war in Brandenburg und in Pommern während des 19. Jahrhunderts von den Geschichtsvereinen unterschiedlich beantwortet worden. Die Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde ebenso wie die von ihr herausgegebene Zeitschrift waren mit Förderung des Oberpräsidenten der Provinz Pommern ins Leben getreten. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg beschritt einen anderen Weg, indem er sich an seinem Hauptsitz Berlin, der Hauptstadt Preußens, Zugang zu preußischen Zentralinstanzen, zu König und Ministern, vornehmlich zum Kultusminister, erschloß – weil seine maßgeblichen Persönlichkeiten auf Grund ihrer amtlichen Stellung innerhalb der Ministerialressorts und nicht innerhalb der Provinzialverwaltun-

166 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

gen wirkten – und weil er auf Grund des Ganges der brandenburg-preußischen Geschichte auch den Gesamtstaat Preußen auf seine Fahnen zu schreiben und dadurch auch für seine landes- bzw. provinzialgeschichtlichen Vorhaben Mittel preußischer Projekte abzuzweigen vermochte. Der brandenburgische Verein profitierte in den Zeiten Raumers und Riedels, Schmollers und Hintzes von seinen Verbindungen in die preußische Staatsspitze, die brandenburgischen Instanzen spielten für sie nur eine nebensächliche Rolle. Ein solcher Ansatz war den pommerschen Landeshistorikern in ihrer pommerschen Position und mit ihrem pommerschen Anliegen von vornherein verwehrt, sie sahen sich ausschließlich auf die provinzialen Instanzen verwiesen. Innerhalb der preußischen Provinzialverfassung gab es nun seit 1875 eine neue Instanz, der die Aufgabe der landschaftlichen Kulturpflege durch Gesetz übertragen war. Die im Rahmen der preußischen Verwaltungsreformen der 1870er Jahre geschaffenen Provinzialverbände der einzelnen preußischen Provinzen hatten zur Wahrnehmung ihrer Aufgabengebiete im sog. Dotationsgesetz staatliche Mittel zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erhalten, darunter zur Fürsorge für die landschaftliche Kulturpflege, zu der die Landesgeschichtsforschung damals gezählt wurde. Nach dem Preußischen Gesetz vom 30. April 1875 zur Dotation der Provinzial- und Kreisverbände, das bis 1945 in Gültigkeit blieb, waren die den Provinzialverbänden überwiesenen Jahresrenten u.a. zu verwenden zu Zuschüssen für Vereine, welche der Kunst und Wissenschaft dienen, desgleichen für öffentliche Sammlungen, welche diesen Zweck verfolgen, Erhaltung und Ergänzung von Landesbibliotheken, Unterhaltung von Denkmälern und für ähnliche, im Wege der Gesetzgebung festzustellende Zwecke48.

Brandenburgische und pommersche Landesgeschichtsforschung sind in monarchischen Zeiten von ihren jeweiligen Provinzialverbänden gefördert worden, aber diese gaben, wie die Vorgänge und Zustände vor 1914 belegen, noch nicht den entscheidenden Ausschlag. Der märkische Geschichtsverein profitierte sehr stark von der (indirekten) Förderung des Preußischen Kultusministeriums, und die Historische Kommission für Pommern wurde vornehmlich mit dem Beistand des Oberpräsidenten der Provinz Pommern in die Welt gesetzt, wenn auch der Provinzialverband von Anfang an beteiligt war. Erst nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Inflation traten die Provinzialverbände von Brandenburg und Pommern 48 Klaus Neitmann, Die Kulturverwaltung und Kulturpolitik der Provinz Brandenburg und die Begründung der brandenburgischen Provinzialarchäologie, in: Miscellanea Archaeologica III. Berlin und Brandenburg. Geschichte der archäologischen Forschung, hrsg. v. Jörg Haspel u. Wilfried Menghin, (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, 22), Petersberg 2006, S. 179–189, hier S. 179f.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 167

beherrschend in den Vordergrund und ermöglichten es, daß in Brandenburg eine neue Historische Kommission gegründet wurde bzw. in Pommern eine nominell bestehende Historische Kommission in nachhaltige Wirksamkeit trat und daß in beiden Provinzen verschiedene gewichtige Forschungsgebiete besetzt wurden. In Brandenburg erreichte die Verbindung des Provinzialverbandes mit der Reichshauptstadt Berlin, daß die reichlich fließenden Mittel die Kommission zu einem ausgedehnten Arbeitsprogramm in einem zuvor nicht erahnten Ausmaß in den Stand versetzten. Wohl und Wehe der Historischen Kommissionen waren damit aufs engste mit der Kulturpolitik der Provinzialverbände verknüpft, schärfer formuliert, sie waren finanziell und organisatorisch von diesen und ihren Leitlinien abhängig. Verständlicherweise gehörten die Geldgeber der Mitgliedschaft bzw. dem Vorstand der Kommissionen an, ohne daß dadurch freilich die Wissenschaftler in der freien Bestimmung und Gestaltung ihrer Themen und in der freien Auswahl ihrer neuen Mitglieder beeinträchtigt worden wären. Die Modelle von 1925 erschienen erfolgversprechend, und die auf ihrer Grundlage erreichten Ergebnisse der Folgezeit bewiesen ihre Tragfähigkeit. Gefährdet und verändert wurden die Konstruktionen zunächst durch die Weltwirtschaftskrise und die daraus folgenden Nöte der öffentlichen Haushalte, die zu einer drastischen Reduzierung der Förderung führte. Dann schränkten die Folgen der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 und die Anwendung nationalsozialistischer Prinzipien die vorherige Gestaltungsfreiheit der Kommissionen spürbar ein. Sie wurden als Ergebnis von Satzungsänderungen ausdrücklich der Leitung der Provinzialverbände unterstellt, geradezu zu ihrem Organ umgewandelt. Die Mitgliederversammlungen verloren ihr Recht zur Wahl neuer Mitglieder, sie wurden auf die bloße Beratung des Vorstandes bzw. des Vorsitzenden beschränkt, und der Vorsitz wurde entweder dem Landeshauptmann übertragen, oder der Vorsitzende war diesem rechenschaftspflichtig. Die organisatorischen Bestrebungen des pommerschen Provinzialverbandes gingen dabei noch weiter als die des brandenburgischen, indem er einen landeskundlichen Forschungsverbund aller auf die Erforschung Pommerns bezogener Vereine und Gesellschaften einrichtete und darin die Historische Kommission als eine Abteilung aufgehen ließ. Einen solchen umfassenden Zusammenschluß hat der brandenburgische Provinzialverband zwar zeitweise erwogen49, aber nicht nachdrücklich weiterverfolgt, so daß die formale Eigenständigkeit der Histori49 Vgl. die Aktennotiz von Dr. Georg Winter (Preußische Archivverwaltung) über sein Gespräch mit Dr. Oskar Karpa (Brandenburgischer Provinzialverband) am 14. September 1937, mit der Bemerkung: „Wir besprachen dann die Frage der neuen Organisation der Historischen Kommission für Brandenburg und deren Eingliederung in ein großes provinziales Institut für die kulturellen Aufgaben. Auf diesem Gebiet wird künftig, wie auch sonst, und wenigstens für eine gewisse Zeit,

168 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

schen Kommission hier nicht länger zur Debatte stand. Ob die organisatorische Vereinigung der verschiedenen landeskundlichen Gesellschaften und der von ihnen vertretenen Disziplinen sich in der inhaltlichen Arbeit im Sinne interdisziplinäre Fragestellungen, wie sie damals vor allem die in die deutsche Landesgeschichte eingeführte Kulturraumforschung propagierte50, produktiv ausgewirkt hätte, kann nicht beurteilt werden, da der Ansatz des Provinzialverbandes wegen des Krieges faktisch nicht umgesetzt wurde. Ebenso wurde infolge der wenigen Friedensjahre, in der die Forschung noch nachhaltig arbeiten konnte, die Frage nicht beantwortet, ob die Provinzialverbände die inhaltliche Arbeit der Landesgeschichtsforschungen maßgeblich nach ihren Vorstellungen ausgerichtet hätten. Die vorliegenden Akten ihres Wirkens zeugen vornehmlich von ihren verwaltungsorganisatorischen Absichten, kaum hingegen von eigenen konkreten landeskulturellen oder landeskundlichen Zielsetzungen; die neuen Organisationsformen sollten dazu dienen, die auf die eigene Provinz bezogenen wissenschaftlichen und kulturellen Arbeiten zu verstärken und auszuweiten, ohne daß damit von vornherein bestimmte, ausgedehnte inhaltliche Erwartungen verbunden gewesen wären. Wenn auch wie bemerkt prinzipiell seit 1925 die Provinzialverbände in beiden preußischen Provinzen über Wohl und Wehe der Kommissionen entschieden, so führte ihre Kulturpolitik doch auf Grund unterschiedlicher politischer Rahmenbedingungen für diese zu unterschiedlichen Ergebnissen. In Pommern hatte es die Kommission auf Seiten der öffentlichen Verwaltung ausschließlich mit dem Provinzialverband zu tun. In Brandenburg verdankte sie ihre Existenz dem Bündnis von Brandenburgischem Provinzialverband und Reichshauptstadt Berlin, die dem Provinzialverband nicht angehörte. Diese Verbindung begann unter dem Druck der Finanzkrise seit 1930 und wegen des unterschiedlichen Engagements der Partner zu bröckeln, und es zerbrach nach 1933, als der Provinzialverband in bewußter Abwendung von Berlin, von Berliner kommunalen und staatlichen Einrichtungen und von der Zusammenarbeit mit Berlin nachdrücklich den Aufbau einer eigenständigen, berlinfernen brandenburgischen Kulturlebens betrieb. Eine gemeinsam mit Berlin getragene Historische Kommission paßte nicht mehr in die allgemeine kulturpolitische Zielsetzung, auch wenn die maßgeblichen Historiker anfänglich der Trennung widerstrebten, da sie aus aus eine Absonderung der Provinz von der Stadt Berlin erfolgen.“ Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin, I. HA Rep. 178, Nr. 245, Aktennotiz Winters vom 15. September 1937. 50 Matthias Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Moraw u. Rudolf Schieffer, (Vorträge und Forschungen, 62), Ostfildern 2005, S. 251–364.



Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern 

 169

Forschungserwägungen heraus nicht zu abzuleiten war. So entstanden schließlich zwei historische Gesellschaften, allerdings unter demselben Vorsitzenden, so daß auch hier erst die Praxis Vor- oder Nachteile einer solchen Konstruktion hätte erweisen können. Die Berlin-Problematik zeigte sich für die Historische Kommission jenseits ihrer verwaltungsorganisatorischen Konsequenzen noch in forschungsinternen Schwierigkeiten, die auf Grund der unterschiedlichen Forschungslandschaft in Pommern gar nicht oder nur abgeschwächt – wenn man an die Konkurrenz zwischen Stettin und Greifswald und den jeweiligen dort ansässigen Wissenschaftseinrichtungen denkt – auftraten. Das überragende Gewicht der in Berlin ansässigen Wissenschafts- und Kultureinrichtungen und des in ihren tätigen Personals hatte dazu geführt, daß schon der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg sich vornehmlich aus in Berlin wirkenden Historikern rekrutierte, seine Aktivitäten stark auf Berlin konzentriert waren und sich hier sein wissenschaftliches Leben abspielte. Nicht zufällig waren seit den 1860er Jahren in einzelnen historischen Landschaften bzw. Städten der Mark bzw. Provinz Brandenburg eigene Geschichtsvereine entstanden, weil sie sich mit ihren Anliegen vom märkischen Verein nicht ausreichend berücksichtigt fühlten. Die Kommission von 1925 hatte die Berliner Dominanz erneut bekräftigt, indem ihr vornehmlich Berliner Gelehrte angehörten, darunter sogar zunehmend solche, die wegen ihrer Berliner Position, nicht aber wegen ihres brandenburgischen Schwerpunktes hinzugewählt wurden. Hoppe hatte nicht Unrecht, wenn er später die mangelnde Präsenz der „Provinz“ bzw. die unzureichende Berücksichtigung von Landes- und Regionalhistorikern beklagte und hierin für seine Kommission von 1943 eine grundlegende Änderung herbeiführte. Ebenso richtete sich seine Kritik dagegen, daß die Vorgängerkommission in der Provinz nicht in Erscheinung getreten war – er erwartete hingegen, daß seine landesgeschichtliche Schöpfung sich mit Vorträgen, Ausstellungen und Veröffentlichungen dem geschichtsinteressierten Publikum überall in der Provinz bemerkbar machte. Diese Problematik ist von Hoppe ebenfalls zu Recht aufgezeigt worden, auch wenn seine Lösungswege vielleicht die angestrebte Wirkung nur eingeschränkt erreicht hätten. Schließen wir mit einem Resümee in wenigen Sätzen. Die Vereine und Kommissionen in Brandenburg und Pommern wirkten zwischen 1824/1837 bzw. 1911/25 und 1945 innerhalb des Königreiches bzw. Freistaates Preußen, präziser ausgedrückt, innerhalb zweier preußischer Provinzen und innerhalb der preußischen Provinzialverfassung. Ihr Anliegen war die Erforschung und Darstellung der Geschichte ihrer jeweiligen Provinz und deren Vorgängerterritorien, mit Programmen, die mit ihrer Bevorzugung der Grundlagenforschung mancherlei Gemeinsamkeiten aufwiesen. Aber in zweierlei Hinsicht unterschied sich die Lage in Brandenburg von der in Pommern. Die brandenburgische Landesgeschichts-

170 

 Die Historischen Kommissionen der Provinzen Brandenburg und Pommern

forschung sah sich in der Kernprovinz des Staates gewichtiger Konkurrenz ausgesetzt: Das Interesse des Publikums, der Wissenschaft wie der Politik richtete sich im intellektuellen und administrativen Mittelpunkt der Provinz, in der preußischen und Reichshauptstadt Berlin, vornehmlich auf die Geschichte des Gesamtstaates Preußen, so daß es den Gründervätern des märkischen Geschichtsvereins nicht leicht fiel und nur sehr begrenzt gelang, in den ihnen zugänglichen preußischen Zentralinstanzen einen Sinn für ihre „provinziellen“ Bestrebungen zu erwecken und sie zu eine stärkere und dauerhafte Förderung zu bewegen. Während die höchste Provinzialinstanz, der Oberpräsident, in Brandenburg für die historischen Belange völlig ausfiel, verhalf er umgekehrt in Pommern den Bemühungen der Geschichtsfreunde zum Durchbruch. Nach der Schaffung der preußischen Provinzialverbände 1875 und ihren in den Dotationsgesetzen festgeschriebenen kulturpolitischen Aufgaben erwiesen sie sich in Brandenburg wie in Pommern als wichtige, schließlich gar erstrangige Partner der Landesgeschichtsforschung, wenn auch deren nachhaltige Unterstützung erst in der Weimarer Zeit, nach der Überwindung der Inflation, gewährt wurde. Aber dann führte das zweite allgemein- und kulturpolitische Problem der Provinz Brandenburg, ihre Auseinandersetzung bzw. ihre Trennung von der Reichshauptstadt Berlin und die eigenständige Behauptung gegen deren Schwergewicht, zu neuen Komplikationen für die Forschungsorganisation. Die Historische Kommission wurde unter dem Druck der politischen Instanzen in einen brandenburgischen und einen Berlinischen Zweig auseinandergebrochen, was allein aus den sachlichen Forschungsaufgaben und dem personellen Forscherreservoir nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Ob die Historischen Kommission der Provinz Brandenburg langfristig einen erfolgreichen Weg beschritten hätte, konnte infolge des Ausganges des Zweiten Weltkrieges nicht mehr erprobt werden. Die Provinzialverbände in Brandenburg und Pommern waren jedenfalls zur Förderung der landesgeschichtlichen Arbeit bereit, freilich unter Ausweitung ihrer statutengemäßen Einwirkungsmöglichkeiten, die die wissenschaftliche Eigenständigkeit der gelehrten Gesellschaften hätten merklich beeinträchtigen können.

Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“1 Einleitung: das „goldene“ und „silberne“ Zeitalter der „Forschungen“

I Einleitung: das „goldene“ und „silberne“ I Zeitalter der „Forschungen“ vor und nach 1918 Die historische Fachzeitschrift „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“ (im Folgenden: FBPG) erschien in 55 Bänden – der Band jeweils aus zwei Heften bestehend – in den Jahren zwischen 1888 und 1944, sie war in diesem Zeitraum konkurrenzlos das zentrale Organ der brandenburg-preußischen Historikerzunft2. Ihr gingen, seitdem sich im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts eigenständige brandenburgische und preußische Zweige der modernen Geschichtswissenschaft herausgebildet hatten, zwei verwandte, wenn auch aus unterschiedlichen Wurzeln erwachsene Zeitschriften voran, an denen die FBPG inhaltlich wie organisatorisch anknüpften bzw. durch deren Zusammenfassung sie eine neue Phase der brandenburg-preußischen Historiographie mit einleiteten. Der 1837 gegründete „Verein für Geschichte der Mark Brandenburg“, der erste brandenburgische Geschichtsverein überhaupt, hatte von Anfang an beabsichtigt, die Forschungsergebnisse seiner Mitglieder in einer eigenen Zeitschrift zu veröffentlichen, was ihm dank seiner ministeriellen Gönner mit den seit 1841 herausgebrachten „Märkischen Forschungen“ zwar schnell, aber wegen der über

1 Methodisch und inhaltlich vorbildliche, für vergleichbare Untersuchungen anregende Analyse einer historischen Fachzeitschrift: Theodor Schieder, Die deutsche Geschichtswissenschaft im Spiegel der Historischen Zeitschrift, in: Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859–1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern, hrsg. v. dems. (= Historische Zeitschrift 189 [1959]), München 1959, 1–104. – Vgl. auch jetzt: 150 Jahre Geschichtsforschung im Spiegel der Historischen Zeitschrift (= Historische Zeitschrift 289 [2009]), 1–251. 2 Zum Folgenden vgl. den knappen Überblick von Gerd Heinrich, Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte. Rückblick auf einen Thesaurus, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F. 1 (1991), 5–13. Aus: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hrsg. v. Hans-Christof Kraus (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 31–100.

172 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

längere Strecken ungesicherten Finanzierung nur unzulänglich gelang3, so daß bis 1887 20 Bände zum Teil mit großen zeitlichen Unterbrechungen erschienen. Entsprechend der Aufgabenstellung des Vereins beinhalteten die Märkischen Forschungen neben Berichten über dessen Aktivitäten Aufsätze zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte der Mark Brandenburg aus einem weitgespannten sachthematischen Feld. Auf Initiative Bismarcks und unter maßgeblicher Mitwirkung seines Geheimen Oberregierungsrates Zitelmann wurde 1864 die „Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde“ ins Leben gerufen, in der Absicht, Beiträge zur Geschichte des preußischen Gesamtstaates wie zu allen preußischen Provinzen auf ihren Seiten zu vereinigen und über die verzweigten Bestrebungen zur Erforschung der preußischen Geschichte zu berichten. Die Verwirklichung des Programms wurde in 20 Bänden bis 1885 überzeugend erreicht durch die Mitarbeit der damals führenden brandenburgischen und preußischen Historiker, teilweise derselben, die auch an den Märkischen Forschungen und im Verein für Geschichte der Mark Brandenburg mitwirkten wie Leopold von Ledebur und Adolf Friedrich Riedel. Die Neugestaltung des historischen Zeitschriftenwesens in Berlin in der zweiten Hälfte der 1880er Jahre gehört in die umfassende Neuordnung der preußischen Geschichtsstudien durch Gustav Schmoller4. Er schuf sich, wie die eingehenden Forschungen Wolfgang Neugebauers gezeigt haben, in diesen Jahren sein Wissenschaftsimperium5, in dessen Mittelpunkt die monumentale Quellen-

3 Klaus Neitmann, Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 bis 1848, in: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hrsg. v. Bärbel Holtz (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 11), Berlin 2010, 249–298, zur Zeitschrift ebd., 283–290, in diesem Band S. 1–58 bzw. S. 38–44. 4 Fritz Hartung, Gustav Schmoller und die preußische Geschichtsschreibung, in: Ders., Staatsbildende Kräfte der Neuzeit. Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, 470–496 (zuerst 1938). – Pauline R. Anderson, Gustav von Schmoller, in: Deutsche Historiker, Bd. II, hrsg. v. Hans–Ulrich Wehler, Göttingen 1971, 39–65. – Als inhaltlich umfassende biographische Skizze aus jüngerer Zeit vgl. Rüdiger vom Bruch, Gustav Schmoller, in: Berlinische Lebensbilder. Wissenschaftspolitik in Berlin. Minister, Beamte, Ratgeber, hrsg. v. Wolfgang Treue u. Karlfried Gründer (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60 = Berlinische Lebensbilder, 3), Berlin 1987, 175–193. 5 Wolfgang Neugebauer, Die Anfänge strukturgeschichtlicher Erforschung der preußischen Historie, in: Wolfgang Neugebauer/Ralf Pröve (Hrsg.), Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700–1918 (Innovationen, 7), Berlin 1998, 383–429; ders., Zum schwierigen Verhältnis von Geschichts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften am Beispiel der Acta Borussica, in: Die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin im Kaiserreich, hrsg. v. Jürgen Kocka, Berlin 1999, 235–275.



Einleitung: das „goldene“ und „silberne“ Zeitalter der „Forschungen“ 

 173

edition zu Preußens innerer Verwaltung im 18. Jahrhundert, die „Acta Borussica“, stand – und in das auch der Geschichtsverein und die Zeitschrift eingegliedert wurden. Schmoller verstand es, den Verein unter seinen maßgeblichen Einfluß zu bringen, ihn dank vermehrter Finanzquellen und mit einem Forschungsprogramm, das mit gehaltvollen Editionen und Darstellungen sein Gewicht bis auf den heutigen Tag bewahrt hat, der Sache nach in eine Historische Kommission umzuwandeln und in diesem Rahmen eine neue, im Auftrage des Vereins von seinen geistesverwandten Mitstreitern herausgegebene und finanziell durch die Verbindung mit den Acta Borussica abgesicherte Zeitschrift zu plazieren, die „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“6. Die FBPG vereinigten gewissermaßen das Erbe der beiden Vorläufer in sich. Ihr Aufsatzteil umfaßte fachlich sowohl die Mark Brandenburg, ihre Territorial- bzw. Landesgeschichte seit dem hohen Mittelalter, als auch – stärker berücksichtigt – das Königreich Preußen bzw. seinen Aufbau und Ausbau seit dem 17. Jahrhundert zu einer deutschen und europäischen Großmacht. Der Berichtsteil bestand aus einem umfangreichen Rezensionsteil, einer kommentierten Bibliographie der Beiträge in der brandenburg-preußischen Zeitschriftenlandschaft und den Sitzungsberichten des Vereins. Auf dem Titelblatt wurden die FBPG als „Neue Folge der ‚Märkischen Forschungen‘ des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“ ausgegeben, um die Kontinuität zur älteren Vereinszeitschrift zu betonen. Der Sache nach standen sie freilich wegen des Übergewichtes der preußischen Geschichte der Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde näher. In die FBPG flossen vor allem Untersuchungen von Historikern ein, die im engeren und weiteren Umfeld Schmollers, seiner Schule und der großen Editionsunternehmungen zur preußischen Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts angesiedelt waren. Die FBPG stiegen rasch neben und unabhängig von der „Historischen Zeitschrift“, deren Herausgeber Heinrich von Sybel sie in ihrer Vorgeschichte zur Unterbindung einer Konkurrenz auf dem Felde der borussischen Geschichtsschreibung 6 Klaus Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Wolfgang Neugebauer (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, 115–181, hier 122–126, in diesem Band 59–136 bzw. 69–76. – Wolfgang Neugebauer, Zum schwierigen Verhältnis (wie Anm. 5), 267f.; ders., Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Archivarbeit für Preußen. Symposion der Preußischen Historischen Kommission und des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz aus Anlass der 400. Wiederkehr der Begründung seiner archivischen Tradition, hrsg. v. Jürgen Kloosterhuis (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 2), Berlin 2000, 261–301, hier 288–292.

174 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

vergeblich an das eigene Organ anzubinden getrachtet hatte7, in den damals kleinen Kreis der führenden geschichtswissenschaftlichen Fachzeitschriften mit einem „ungewöhnliche[n] Niveau“ auf8. Ihre Glanzzeit fiel sicherlich in die Phase der Herausgeberschaft Otto Hintzes zwischen den Jahren 1898 und 1912, in denen die Bände 10 bis 25 erschienen, bis er sich im Hinblick auf sein Hohenzollernwerk von dieser Aufgabe zurückzog, wenn er auch auf dem Titelblatt verblieb mit der Formulierung „In Verbindung mit Otto Hintze und … herausgegeben von …“. Von seinen eigenen Aufsätzen zur mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte Brandenburg-Preußens hat Hintze übrigens bis zum Ende des Ersten Weltkrieges recht wenige, wenn auch gewichtige in den FBPG veröffentlicht, mehr in der Historischen Zeitschrift, im Hohenzollern-Jahrbuch, in Festschriften und an weiteren Publikationsorten, während sich seine damalige ausgedehnte Rezensionstätigkeit vornehmlich in den FBPG niederschlug9. 7 Vgl. zur Bedeutung des Vorganges Johannes Schultze, Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Ein Rückblick, in: FBPG 35 (1923), 1–20, hier 13–15; Schieder, Deutsche Geschichtswissenschaft (wie Anm. 1), 18. 8 Neugebauer, „Schmoller-Connection“ (wie Anm. 6), 290. – Vgl. Hartungs Urteil über Schmol­ lers Wirkung auf die Zeitschrift und den Verein: „Die neue Zeitschrift, die Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, gelangte bald zu großer Bedeutung und stellte sich den allgemeinen Zeitschriften für Geschichte ebenbürtig an die Seite. An den Sitzungen des Vereins nahm Schmoller regelmäßig teil und sorgte durch zahlreiche Vorträge aus seinem weiten Interessengebiet, daß die jedem lokalgeschichtlichen Verein drohende Gefahr des Erstickens in der Enge von Kirchturmsinteressen, des Überwucherns von Kleinigkeiten und Kuriositäten hier beschworen wurde“. Hartung, Gustav Schmoller (wie Anm. 4), 492f. 9 Vgl.: Bibliographie Otto Hintze, in: Otto Hintze, Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, hrsg. v. Gerhard Oestreich (Otto Hintze, Gesammelte Abhandlungen, I), Göttingen 3. Aufl. 1970, 567–586. – Aus der reichen Literatur zu Hintze seien hier nur angeführt: Fritz Hartung, Otto Hintze, in: FBPG 52 (1940), 201–233, wiederabgedruckt in: ders., Staatsbildende Kräfte (wie Anm. 4), 497–520; Jürgen Kocka, Otto Hintze, in: Deutsche Historiker, Bd. III, hrsg. v. Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1972, 41–64 (Der eigentümlich ahistorische Denkansatz des Verfasser gipfelt darin, Hintze die mangelnde Einsicht dafür vorzuwerfen, daß die preußisch-absolutistische Entwicklungspolitik „eine liberal-demokratische Sozialentwicklung“ behindert habe; ebd. 46); Otto Hintze und die moderne Geschichtswissenschaft. Ein Tagungsbericht, hrsg. v. Otto Büsch u. Michael Erbe (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 38); Brigitta Oestreich, Otto Hintze, in: Berlinische Lebensbilder. Geisteswissenschaftler, hrsg. v. Michael Erbe (Einzel­veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60 = Berlinische Lebensbilder, 4), Berlin 1989, 287–309. – V.a. aber in jüngerer Zeit die auf breiten Archivstudien aufbauenden Studien von Wolfgang Neugebauer: Otto Hintze und seine Konzeption der „Allgemeinen Verfassungsgeschichte der neueren Staaten“, in: Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), 65–96; Die wissenschaftlichen Anfänge Otto Hintzes, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 115 (1998), 540–551; Otto Hintze (1861–1940), in: Michael Fröhlich (Hrsg.), Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2001, 286–298.



Einleitung: das „goldene“ und „silberne“ Zeitalter der „Forschungen“ 

 175

Durchblättert man die nach dem Ende des Ersten Weltkrieges herausgebrachten Bände, die im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen, ist nicht zu verkennen, daß die Zeitschrift einem schleichenden, aber im Laufe der 1920er Jahre immer spürbareren Wandel unterlag, in personeller und organisatorischer wie in inhaltlicher Hinsicht, so daß ihre Gesamtgeschichte in zwei Epochen eingeteilt werden kann, in die „goldene“ Epoche des geschickt beförderten Aufstiegs in der Blütezeit der borussischen Historiographie während des Kaiserreiches10 und in die „silberne“ Epoche der mühsam erkämpften Behauptung unter den langandauernden Auswirkungen des Ersten Weltkrieges. Die beiden über Jahrzehnte hinweg bestimmenden Persönlichkeiten waren um 1920 nicht mehr gegenwärtig und wirkend. Schmoller – der 1915 vom Vereinsvorsitz zurückgetreten war – war im Juni 1917 verstorben. Hintze widmete ihm einen im Juni 1918 entworfenen, im Februar 1919 in einer Vereinssitzung vorgelesenen und in den FBPG 31 (1919) gedruckten langen Nachruf, in dem er ihn mit außergewöhnlicher Eindringlichkeit, gespeist aus intimer Kenntnis der Person und des Werkes, würdigte, seine persönliche Eigenart und seinen Charakter verständnisvoll schilderte und vor allem seine Forschungen mit ihren vornehmlichen Anliegen und im Rahmen der wissenschaftlichen Debatten seiner Zeit mit dem Schwerpunkt auf seinen nationalökonomischen und historischen Studien tiefgründig analysierte. Im Hinblick auf die Zukunft glaubte Hintze erkennen zu können, daß mit Schmollers Abgang „eine große und glänzende Epoche seiner Wissenschaft abgelaufen“ sei, da die jüngere Generation nicht mehr wie die Schmollersche Schule der Nationalökonomie über den Weg historischer Forschung zu einer staatswissenschaftlichen Theorie gelangen wolle und ihren Blick mehr in die Zukunft als in die Vergangenheit richte11. Auch wenn sich diese Bemerkung mehr auf die Staats- als auf die Geschichtswissenschaften bezog, so deutete sie doch indirekt für die FBPG an, daß eine ihrer wesentlichen geistigen Quellen, die in dem Forschungskomplex der Acta Borussica spürbare Verbindung von nationalökonomischen und historischen Forschungsinteressen und Forschungskapazitäten, auszutrocknen drohte.

10 Heinrich Ritter von Srbik, Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart, Bd. I, München/Salzburg 1950, 355–400. – G[eorge] P[eabody] Gooch, Geschichte und Geschichtsschreiber im 19. Jahrhundert, neubearb. dt. Ausgabe Frankfurt am Main 1964, 141–169. – Georg G. Iggers, Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, München 1971, 120–162. 11 Otto Hintze, Gustav Schmoller. Ein Gedenkblatt, in: FBPG 31 (1919), 375–399; wiederabgedruckt in: Ders.; Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hrsg. u. eingeleitet von Gerhard Oestreich (Otto Hintze, Gesammelte Abhandlungen, II), Göttingen 2. Aufl. 1964, 519–543, Zitat 543; zu Schmollers Bedeutung für den Verein für die Geschichte der Mark Brandenburg die knappen Bemerkungen ebd., 519, 536f.

176 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Der Verfasser dieses Nachrufes, Otto Hintze, kehrte wenige Jahre nach Schmollers Tod, bedingt durch den Umbruch in seiner wissenschaftlichen Arbeit in äußerer und innerer Reaktion auf Weltkriegsende und Nachkriegsumstände, ebenfalls vollständig der Zeitschrift und dem Verein den Rücken. Er verabschiedete sich in ihren Bänden 32 und 33 (1920/21) aus ihrem Aufsatzteil gleich mit drei fulminanten Beiträgen, mit einer Auseinandersetzung über die Thesen Hans Delbrücks zur Militärstrategie Friedrichs des Großen, mit einer Analyse des Politischen Testaments Friedrichs von 1768 und mit einem Überblick über Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat12. Hatte er in diesen Titeln noch einmal zu zentralen Fragen die Summe seiner Einsichten aus seinen preußischen Vorkriegsforschungen gezogen, wandte er sich fortan anderen Themen jenseits der preußischen Geschichte zu, zu denen er in anderen Organen, vornehmlich in der Historischen Zeitschrift, in der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft und in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der Wissenschaften, publizierte. Im Aufsatzteil der FBPG trat er nur noch zweimal indirekt und ohne ausdrücklichen Hinweis in Erscheinung, als dort zwischen 1920 und 1925 zwei bei ihm angefertigte Dissertationen – wegen ihres Umfanges jeweils in mehreren Teilen – gedruckt wurden; die bedeutendere von Marie Rumler hatte ursprünglich als Monographie in den „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“ publiziert werden sollen, was jedoch in den ersten Nachkriegsjahren aus Mangel an ausreichenden Vereinsmitteln gescheitert war13. Im Rezensionsteil der FBPG wurden 1921, 1924 und 1926 noch vier Besprechungen Hintzes gedruckt, aber mit den letzten beiden verschwand er 1926 für immer aus deren Seiten14. Als er im Spätsommer 1933 vom Herausgeber Johannes Schultze um die Rezensierung des im Rahmen der Acta Borussica entstandenen Buches von Carl Hinrichs über die Wollindustrie unter Friedrich Wilhelm I. ersucht wurde, hielt er es für ratsam, daß es in den FBPG „von einer minder nahe stehenden Seite

12 Otto Hintze, Friedrich der Große nach dem Siebenjährigen Kriege und das Politische Testament von 1768, in: FBPG 32 (1920), 1–56; Ders., Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat, in: ebd., 385–451; Ders., Delbrück, Clausewitz und die Strategie Friedrichs des Großen. Eine Erwiderung, in: FBPG 33 (1921), 131–178, 417–418. – Vgl. auch Gerd Heinrich, Otto Hintze und sein Beitrag zur institutionalisierten Preußenforschung, in: Otto Hintze und die moderne Geschichtswissenschaft (wie Anm. 9), 43–59, hier 47f. 13 Margot Herzfeld, Der polnische Handelsvertrag von 1775, in: FBPG 32 (1920), 57–107; 35 (1923), 45–82. – Marie Rumler, Die Bestrebungen zur Befreiung der Privatbauern in Preußen 1797–1806, in: FBPG 33 (1921), 179–192, 327–367; 33 (1922), 1–24, 265–296; 37 (1925), 31–76. – Vgl. das Verzeichnis der bei Otto Hintze angefertigten Dissertation, in: Hintze, Staat und Verfassung (wie Anm. 9), S. 583f., hier Nr. 27 und 28 (mit unvollständigen bibliographischen Angaben). 14 Siehe die Nachweise in der Bibliographie Otto Hintze (wie Anm. 9), 572 Nr. 90–92, 581 Nr. 179, 582 Nr. 193, 583 Nr. 219–220.



Einleitung: das „goldene“ und „silberne“ Zeitalter der „Forschungen“ 

 177

als mir besprochen wird, damit das Interesse daran nicht auf einen zu engen Kreis beschränkt bleibt. Ich bitte also von mir freundlichst absehen zu wollen“15. Wenige Monate später zog es Hintze vor, seine letzte sichtbare Verbindung mit der Zeitschrift, die Anführung seines Namens auf dem Titelblatt, abreißen zu lassen, da er unter den neuen politischen und gesetzlichen Rahmenbedingungen eine Verantwortung ablehnte, die zu tragen er sich außerstande sah. Am 22. November 1933 schrieb er Schultze: Im Hinblick auf das neue Schriftleitergesetz ist es nötig die Frage der Schriftleitung bei den ‚Forschungen zur brand. u. preuß. Geschichte‘ zu klären und in Uebereinstimmung mit der tatsächlichen Lage zu bringen. Ich bitte Sie daher auf dem Titelblatt fortan meinen Namen fortfallen zu lassen, damit ich mit keinerlei Verantwortlichkeit belastet bin.

Schultze bestätigte seinen Rücktritt „mit Bedauern und Wünschen für weitere innerliche Verbundenheit“16. Zu diesem Zeitpunkt hatte Hintze sich schon 15 Jahre lang, ausgelöst durch seine Erkrankung von 1918, überhaupt vom Leben des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg zurückgezogen17. Aber sein wissenschaftliches Ansehen und sein Gewicht in der Vereinsgeschichte führten dazu, daß ihm das Heft 44/1 (1932) der FBPG gewidmet wurde18 und das Heft 52/2 (1940) einen über dreißigseitigen Nachruf aus der Feder seines Schülers und Lehrstuhlnachfolgers Fritz Hartung enthielt19. Das Ausscheiden Schmollers und Hintzes hinterließ im Verein für Geschichte der Mark Brandenburg und in seiner Zeitschrift eine merkliche Lücke, ein Vakuum, das Fritz Hartung unmittelbar vor seinem Wechsel von Kiel nach Berlin im Juni 1923 folgendermaßen umschrieb: Einst hat Schmoller in diesem Verein ein Regiment ‚aufgeklärten Despotismus‘ geführt. Jetzt ist er, da Hintze nicht mehr recht mitarbeiten kann und [Paul] Bailleu [der Vereinsvorsitzende] tot ist [† 1922], ziemlich verwaist, und Marcks und Meinecke, die Historiographen

15 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (im Folgenden abgekürzt: GStAPK), Berlin-Dahlem, I. HA Rep. 224 E Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, Nr. 203, Bl. 35: Hintze an Schultze, 2. September 1933. 16 Ebd., Bl. 30: Hintze an Schultze, 22. November 1933, mit Antwortvermerk Schultzes. 17 Hartung, Otto Hintze (wie Anm. 9), in: FBPG 52 (1940), 220f. 18 Widmungsblatt zwischen dem Inhaltsverzeichnis und dem nachfolgenden ersten Aufsatz Fritz Hartungs über „Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierungen im konstitutionellen Preußen 1848–1918“ (siehe unten Anm. 143): „Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg widmet dieses Heft seinem Ehrenvorsitzenden, dem langjährigen Herausgeber dieser Zeitschrift Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Otto Hintze zum 70. Geburtstag“. 19 Siehe oben Anm. 9 und unten bei Anm. 168, 170.

178 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

des brandenburgischen Hauses und des preußischen Staates20, kümmern sich auch um ihn nicht. Ich kann einstweilen nicht beurteilen, wie weit der Verein auf meine Mitarbeit rechnet, muß mir aber einstweilen freie Hand behalten, da die Aufgaben meiner Professur zu dem Verein besondere Beziehungen haben21.

Ausgewiesene Köpfe der mittleren Generation traten jetzt in die führenden Stellungen des Vereins und der Zeitschrift ein. Zu nennen sind zunächst und vorrangig Melle Klinkenborg22 und Johannes Schultze, beide Archivare am Preußischen Geheimen Staatsarchiv in Berlin. Klinkenborg, damals Schriftführer des Vereins, übernahm 1915 die Herausgeberschaft der FBPG, nachdem der unmittelbare Hintze-Nachfolger Hermann von Caemmerer bereits zu Beginn des Ersten Weltkrieges gefallen war, und übte sie, wie es auf dem Titelblatt hieß, „in Verbindung mit Otto Hintze und Paul Bailleu“, dem Direktor des Geheimen Staatsarchivs und Vorsitzenden des Vereins seit Schmollers Rückzug 1915, aus. Die für die folgenden zwei Jahrzehnte maßgebliche Änderung in der Herausgeberschaft trat 1922 ein, als Bailleu verstarb und Klinkenborg seine Nachfolge im Vereinsvorsitz antrat, nachdem er bereits ein Jahr zuvor nach Bailleus Eintritt in den Ruhestand zum Direktor des Geheimen Staatsarchivs befördert worden war. Staatsarchivrat Johannes Schultze23 trat neben seinen neuen Direktor, der offenkundig wegen der Anforderungen seines nunmehrigen Hauptamtes in der Redaktionstätigkeit zurückzutreten gedachte24, so daß das Titelblatt ab Band 35 (1923) lautete: „In Verbindung mit Otto Hintze herausgegeben von Melle Klinkenborg und Johannes Schultze“. Klinkenborg entfiel nach seinem 20 Wolfgang Neugebauer, Die preußischen Staatshistoriographen des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Neugebauer, Das Thema „Preußen“ (wie Anm. 6), 17–60, hier 57f. 21 Fritz Hartung an Albert Brackmann, 4. Juni 1923, in: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, VI. HA, Nachlaß Albert Brackmann, 11, Nr. 168. – Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich dem Gedankenaustausch mit Hans-Christof Kraus (Passau) im Rahmen seiner Vorbereitung einer Edition ausgewählter Briefe Fritz Hartungs. 22 Johannes Schultze, Melle Klinkenborg. Ein Nachruf, in: FBPG 43 (1931), 1–21. – Klaus Neitmann, Melle Klinkenborg (1872–1930). Staatsarchivar und Brandenburg-Preußischer Historiker, in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker, hrsg. v. Friedrich Beck u. Klaus Neitmann (Brandenburgische Historische Studien, 15), Berlin-Brandenburg 2013, 72–80. – Wolfgang Leesch, Die deutschen Archivare 1500–1945, Bd. 2: Biographisches Lexikon, München u.a. 1992, 316f. 23 Gerd Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 26 (1977), 452–467, hier 455f. zu Schultzes Herausgabe der FBPG. – Wolfgang Ribbe, Johannes Schultze (1881–1976), in: Lebensbilder (wie Anm. 22), 97–102. – Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 556f. 24 Die Einzelheiten, die Schultze in seinen Erinnerungen zu seiner Einbeziehung in die Zeitschrift durch Klinkenborg und zu ihrem beiderseitigen Verhältnis beschreibt, entgehen in ihrer extrem subjektiven Färbung nicht des Verdachtes einer tendenziösen Zuspitzung. Johannes Schultze, Meine Erinnerungen, Berlin 1976, 35f.



Die Finanzierung der „Forschungen“ 

 179

Tode 1930, also ab Band 43 (1931), Hintze wegen seines erwähnten Rückzuges 1933, also ab Band 46 (1934). Infolge der im Verein eingetretenen personellen Veränderungen rückten nach dem Ausscheiden des letzteren zwei neue Mitherausgeber nach, Fritz Hartung25 und Willy Hoppe26, letzterer Vereinsvorsitzender seit 1930, ersterer sein Stellvertreter, so daß es von Band 46 (1934) bis zum letzten Band 55 (1944) hieß: „In Verbindung mit Fritz Hartung und Willy Hoppe herausgegeben von Johannes Schultze“. Über die tatsächliche Wahrnehmung der Herausgeberaufgaben sagen die wechselnden Titelblätter aber nichts aus. Denn die leider nur teilweise erhaltenen Vereinsakten zu den FBPG27 bezeugen eindeutig, daß die Lasten des Herausgebers, also insbesondere die Korrespondenz mit den Autoren, dem Verlag, der Druckerei sowie mit den Zuschußgebern, ausschließlich von Schultze getragen wurde28. Die Autoren wandten sich mit ihren Anliegen an den „sehr geehrte[n] Herr[n] Staatsarchivrat!“, und die Anträge um Finanzbeihilfen bis hin zu den Verwendungsnachweisen wurden sämtlich von Schultze verfaßt und allenfalls gelegentlich von den Vereinsvorsitzenden unterschrieben. Johannes Schultze war also für unseren Untersuchungszeitraum die zentrale Figur der Zeitschrift.

II Die Finanzierung der „Forschungen“ Dem rückblickenden Betrachter fällt es zunächst, die dichte Folge der 25 Bände zwischen 1919 und 1944 und ihren qualitätvollen Inhalt vor Augen, leicht, vom „silbernen Zeitalter“ der Zeitschrift zu schwärmen, wie gerade geschehen. Die zeitgenössischen Verantwortlichen mit Schultze an der Spitze wären freilich in diesem Zeitraum selbst wohl kaum auf einen derartigen Hymnus verfallen. Vielmehr mußten sie wegen der schwierigen Finanzierungsprobleme ständig unter 25 Richard Dietrich, Fritz Hartung †, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), 525–528. – Werner Schochow, Ein Historiker in der Zeit. Versuch über Fritz Hartung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 32 (1983), 219–250. 26 Klaus Neitmann, Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142 (2005/2006), 19–60, in diesem Band 245–292. – Ders., Willy Hoppe (1884–1960), in: Lebensbilder (wie Anm. 22), 108–119. 27 Vorrangig GStAPK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 151, 195, 203, 204. 28 In dieser Hinsicht wird man Schultzes Selbstaussage zur Mitwirkung seiner weiteren Mitherausgeber uneingeschränkt folgen können, vgl. Schultze, Erinnerungen (wie Anm. 25), 35f, bes. 36: „Die [außer Klinkenborg] noch als Mitwirkende auf dem Titelblatt genannten Hintze, Harttung [!], Hoppe haben sich ebenfalls nicht im geringsten um die Hefte gekümmert und wurden auch von mir nie gefragt“.

180 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

dem Gefühl leiden, auf schwankendem Grunde zu stehen, ohne ausschließen zu können, daß dieser überhaupt früher oder später unter ihnen zusammenbrechen werde. Im Oktober 1931 schrieb Schultze einem Interessenten an einer Veröffentlichung in der Zeitschrift, es sei die augenblickliche Lage derart, daß ich überhaupt nicht weiß, wie sich die Fortführung der Zeitschrift ermöglichen lässt. Ich bin daher genötigt, überhaupt bis auf Weiteres alle [im Original unterstrichen] Beiträge und irgend welche Zusicherungen abzulehnen29.

Solche Empfindungen werden den Herausgeber aber nicht nur mitten in der Weltwirtschaftskrise mit ihren negativen Auswirkungen auf die Finanzen des Vereins beschlichen haben, denn in dem gesamten Vierteljahrhundert zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Einstellung der Zeitschrift war deren wirtschaftliche Lage, wie man den diesbezüglichen Vereinsakten entnimmt, in unterschiedlichem Ausmaß prekär. Es standen den (vielen) schlechteren zwar auch (wenige) bessere Jahre gegenüber, aber eine dauerhaft und ausreichend gesicherte Finanzierung konnte im Gegensatz zur Zeit vor 1918 nicht mehr erreicht werden und gewährleistet bleiben. Im Kaiserreich waren die FBPG wesentlich aus dem Fonds der Acta Borussica, also aus den Mitteln, die das Kultusministerium dem Editionsunternehmen über die Preußische Akademie der Wissenschaften überwies, gespeist worden, unter der (vorteilhaften) Voraussetzung, daß dessen Mitarbeiter die Zeitschrift für ihre im Rahmen der editorischen Tätigkeit entstandenen Aufsätze und zur Entlastung ihrer editorischen Publikationen nutzen konnten30. Dieser tragende Pfeiler wurde schon seit 1919 durch die eintretende Teuerung bedroht und brach in der Inflation 1922 zusammen. Es wurde insofern ein begrenzter Ersatz gefunden, als der Verein seit 1923 die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft dazu bewog, die Herausgabe der FBPG finanziell zu fördern, und seit 1925 auch das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung wieder Zuschüsse beisteuerte. Aber obwohl die Gelder aus diesen beiden Quellen weitgehend regelmäßig flossen, war die Bewilligung des für jeden neuen Band gestellten Antrages nicht immer gewiß, und noch ungewisser war die Höhe des gewährten Betrages. Das Ausmaß der Unterstützung, das der Verein nach der Wiederherstellung der Währung seit 1924/25 erhielt, wurde jedenfalls nur kurz bewahrt. Seit 1929 sanken die ihm zugestandenen Summe wieder, in mehreren Stufen, aber langfristig dauerhaft, so daß er schon vor der vollen Wirkung der Weltwirtschaftskrise auf Wissenschaft und Kultur wieder auf

29 GStAPK, Rep. 224 E, Nr. 204, Bl. 163. 30 Ebd., Nr. 151, Bl. 4–5: Schreiben des Vereins an die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, 7. November 1921.



Die Finanzierung der „Forschungen“ 

 181

Grund der schmalen eigenen Mittel, die ihm von verschiedenen anderen Seiten zukamen, um den Fortbestand seiner Zeitschrift zu bangen und nach neuen Wegen zur Bewältigung ihrer Existenzkrise zu suchen hatte. Dass der Verein sie trotzdem regelmäßig und ohne nennenswerte Verzögerungen herauszubringen vermochte, ist maßgeblich darin begründet, daß er seine sonstigen Veröffentlichungsaktivitäten drastisch reduzierte und seine Mittel vorrangig für ihre Fortführung einsetzte, unter Verzicht auf andere Forschungsund Publikationsschwerpunkte, die er zuvor hatte pflegen können. Denn unter Schmollers Ägide hatte er an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert eine eigene Schriftenreihe, die „Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“, eröffnet und mit zahlreichen Werken, darunter einigen bedeutenden, auch heute noch benutzten und zitierten Editionen und Darstellungen, bis in die frühen 1920er Jahre hinein zur Blüte gebracht. Dabei hatte er mit den von Hermann Krabbo bearbeiteten Regesten der askanischen Markgrafen von Brandenburg eine für die Untersuchung der Frühzeit der Mark Brandenburg fundamentale Quellenbearbeitung auf den Weg gebracht. Diese Forschungsintensität war wegen und nach der Inflation mit den geschrumpften Mitteln nicht mehr zu halten. Die Schriftenreihe wurde nur noch mit ganz wenigen Werken, die jeweils gesondert durch Drittmittel finanziert wurden, fortgesetzt, und als eigenes Forschungsvorhaben bemühte man sich die gesamte Zeit über um die Weiterführung und Vollendung der Askanierregesten, ohne das letzte Ziel erreichen zu können. Aber im Mittelpunkt der Anstrengungen standen unbestritten die FBPG: Sie erhielten gewissermaßen den Rang des ersten und vorrangigsten Vereinszieles. Das Auf und Ab in der Finanzgeschichte der Zeitschrift soll im Folgenden heller beleuchtet werden, um die bereits hervorgehobene Unsicherheit ihrer Zukunft in der Sicht der beteiligten Zeitgenossen noch schärfer zu kennzeichnen und deren Verhalten und Argumentationsweisen näher zu erläutern. Bereits in den ersten Nachkriegszeit wurde offensichtlich, dass die bisherigen Geldmittel des Vereins, die sich aus Beiträgen seiner Mitglieder und seiner vornehmlich den Reihen brandenburgischer Kommunen entstammenden Patrone und Stifter sowie aus Zuschüssen des Brandenburgischen Provinzialverbandes (2.500 Mark), der Preußischen Archivverwaltung (750 Mark) und des Preußischen Kultusministeriums (via Acta Borussica, 2.500 Mark) zusammensetzten, nicht mehr ausreichten, das laufende Publikationsprogramm mit seinen beiden als Einheit betrachteten Teilen, den FBPG und den „Veröffentlichungen“, ungeschmälert aufrechtzuerhalten. Die Einschätzung der Finanzlage ergab im Mai 1919, daß die gewünschte Fortsetzung des bisherigen Publikationsumfanges jährliche Mehraufwendungen von 3.000–4.000 Mark bedinge, die letztjährigen durchschnittlichen Einnahmen von 6.800 Mark aber die anstehenden Publikationskosten von 9.000–10.000 Mark nicht zu decken vermochten. Die Verantwort-

182 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

lichen suchten daher für ihre Vorhaben ab dem März 1921 eine neue wesentliche Finanzquelle zu erschließen, indem sie sich mit ihren Anträgen an die gerade kurz zuvor, im Oktober 1920, gegründete Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft wandten. Zunächst stand dabei die Drucklegung weiterer Lieferungen von Krabbos Askanierregesten im Vordergrund, wenn auch in der Beschreibung der materiellen Lage und wissenschaftlichen Planungen des Vereins die FBPG erwähnt wurden. Man glaubte noch, den eingetretenen Fehlbetrag der Zeitschrift, die vor dem Weltkrieg zeitweise ein besseres buchhändlerisches Ergebnis als die „Veröffentlichungen“ erzielt und deren Herausgabe mit gedeckt hatte, allein aus eigenen Kräften und durch eigene Sparmaßnahmen auffangen zu können, indem der Umfang der Zeitschrift von früher jährlich 40 Bogen auf 20 Bogen reduziert, den Autoren kein Honorar mehr gezahlt und auf einen Reservefonds zurückgegriffen wurde. Aber die voranschreitende Inflation schnitt endgültig im Januar 1923 diesen Ausweg ab: Die in den letzten Monaten eingetretene Preisentwicklung hat […] die Verhältnisse so umgewandelt, daß die Vereinsmittel den Anforderungen des Druckes vollständig versagen.

Mit der Begründung, die Zeitschrift sei das einzige Organ zur preußischen Gesamtstaatsgeschichte ebenso wie zur Geschichte des ganzen Provinz Brandenburg, beantragte der Verein, daß die Kosten zwischen ihm und der Notgemeinschaft geteilt werden sollten, daß mithin letztere die Kosten für 10 Bogen in Höhe von 50.000 Mark übernehmen sollte. Die Geschwindigkeit der Inflation überholte die Zusagen der Notgemeinschaft – 250.000 Mark für 10 Bogen der FBPG 35 am 3. Februar 1923, nochmals für den Band 1.000.000 Mark am 25. April –, so daß diese auf einen weiteren Antrag vom 28. August 1923 über 600 Millionen Mark für die FBPG 36/1 drei Tage später resignierend eingestand: Die katastrophale, offenbar noch nicht zum Abschluss gekommene Entwicklung aller Verhältnisse im graphischen Gewerbe hat zur Folge gehabt, dass Forderungen der Notgemeinschaft gestellt werden, die sofort zu erfüllen eine Unmöglichkeit ist31.

Die Stabilisierung der Währung durch die Einführung der Rentenmark ermöglichte ab dem Spätherbst 1923 und in den nachfolgenden Jahren die Weiterführung der Zeitschrift auf ausreichender solider Finanzlage. Dabei erwies sich für den Verein allen Ungewißheiten der alljährlichen Mittelbeantragung zum Trotz die Notgemeinschaft, verglichen mit dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, als der verläßlichere und zahlungskräftigere Partner. Sie 31 Ebd., Nr. 151, Bl. 1–19, das erste Zitat Bl. 12, das zweite Bl. 19. – Ebd., Nr. 195, Bl. 22: Schreiben des Vereins an das Preußische Kultusministerium vom 23. Mai 1919.



Die Finanzierung der „Forschungen“ 

 183

bewilligte zunächst am 7. Dezember 1923 für die FBPG 36/2 375 Rentenmark zum Druck von 7 ½ Bogen und dann am 22. Mai 1924 entsprechend dem gestellten Antrag 1.500 Mark zur Drucklegung der FBPG 37 im Umfang von 25 Bogen, die vorgesehen waren, um endlich seit Jahren liegende Manuskripte veröffentlichen zu können. Da der Verein von den Herstellungskosten für die Auflage von 400 Exemplaren nach der Kalkulation des Verlages Robert Oldenbourg vom 19. Mai 1924 auf der Grundlage des Vertrages vom 18. Mai 1922 2.403,38 Mark zu übernehmen hatte, stand er nicht schlecht da32. Wenig später, im Sommer 1924, versuchte er das Ministerium zur Wiederaufnahme seiner Förderung, die zwei Jahre zuvor vollständig eingestellt worden war, genauer gesagt, zur Gewährung einer laufenden Beihilfe zu bewegen, mit mäßigem Erfolg. In seiner Begründung hob er adressatenorientiert die gerade in Zeiten heftiger Kontroversen um den Fortbestand Preußens notwendige Herausgabe eines wissenschaftlichen Organs zur Gesamtstaatsgeschichte Preußens hervor: Wir hoffen […], dass auch die Preußische Staatsregierung ein besonderes Interesse an dem unveränderten Fortbestehen der ‚FBPG‘ nehmen wird, da sie die einzige Zeitschrift ist, welche die Geschichte des preußischen Gesamtstaates pflegt, und es dürfte im Hinblick auf die Zeitverhältnisse eher angezeigt sein, sie nach dieser Richtung hin auszubauen, als einzuschränken.

Das Ministerium verstand sich schließlich mit Bescheid vom 4. März 1925 zu einer Beihilfe, aber, verglichen mit dem Vorkriegszustand, in deutlich verringertem Umfang und mit einem deutlichen Vorbehalt in Bezug auf die erbetene Dauerhaftigkeit. Die grundsätzliche Bereitschaft zur Bewilligung des Zuschusses wurde sogleich ergänzt durch den Hinweis auf die weiterhin anzustrebende Förderung durch die Notgemeinschaft, wie der zuständige Referent, Regierungsrat Dr. Me­dicus, dem Vereinsvorsitzenden Klinkenborg um die Monatswende Februar/März 1925 verdeutlichte. Im Ergebnis bekundete das Ministerium dem Verein, wie Ministerialdirektor Werner Richter ihm am 4. März 1925 mitteilte, seinen Willen, vom Rechnungsjahr 1925 ab bis auf weiteres vorbehaltlich jederzeitigen Widerrufs einen jährlichen Zuschuß von 1.000 RM […] zur Weiterführung der ‚FBPG‘ zu gewähren. Ich möchte daher dem Wunsche Ausdruck geben, daß die Zeitschrift auch in Zukunft ihre Aufgabe der Pflege preußischer Geschichte in demselben Umfange und ebenso wirkungsvoll wie bisher erfüllt und daß auch weiterhin Fühlung mit der die gleichen Gebiete pflegenden Preußischen Historischen Kommission bei der Akademie der Wissenschaften gehalten wird33.

32 Ebd., Bl. 20–27. 33 Ebd., Nr. 195, Bl. 1–7, die Zitate Bl. 6f. – Zur erwähnten „Preußischen Kommission“ vgl. die Ausführungen bei Wolfgang Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft zwischen

184 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Daß der Widerrufsvorbehalt nicht als bloßer routinemäßiger Zusatz zu verstehen war, erwies sich schon ein gutes Jahr später, als der Zuschuß unter Berufung auf „die ungünstige Lage der Staatsfinanzen“ am 31. Juni 1926 um die Hälfte auf 500 RM herabgesetzt wurde. 1927 wurden erneut 1.000 RM bewilligt, 1928 wiederum nur 500 RM, 1929 abermals 1.000 RM, allerdings mit dem ausdrücklichen Zusatz: „Im nächsten Jahre kann aber mit der Gewährung einer nochmaligen Beihilfe nicht gerechnet werden“. Der Verein trat den drohenden und eingetretenen Kürzungen argumentativ dadurch entgegen, daß er den gesamtpreußischen Charakter der Zeitschrift betonte und die zu ihren Gunsten erfolgte Zurückstellung seiner eigentlich brandenburgischen Aufgaben hervorhob, die allgemeine Benutzbarkeit seiner vornehmlich auf dem Schriftentausch mit der FBPG beruhenden Bibliothek im Historischen Seminar der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität herausstrich und auf die 18 Freiexemplare für die preußischen Universitätsbibliotheken und Staatsarchive verwies. Der Herausgeber ist dabei bestrebt gewesen, grade im Hinblick auf die heutigen Verhältnisse den preussischen Charakter noch stärker zu betonen und darin auch die Interessen der anderen Provinzen zu berücksichtigen. Ein Ausbau in dieser Richtung ist jedoch nur möglich, wenn wir mit einer bestimmten laufenden Unterstützung zu rechnen vermögen und wenn auch die preussische Staatsregierung daran ein fördernden Interesse nimmt, zumal ja ein wesentlicher Teil unserer Mittel nur für rein brandenburgische Aufgaben unsers Vereins gedacht ist, die wir zur Erhaltung der Zeitschrift stark haben zurückstellen müssen34.

Die Notgemeinschaft zeigte sich in diesen Jahren großzügiger, von 1925 bis 1928 gewährte sie für die FBPG 38–41 jeweils 1.800 RM zum Druck von 30 Bogen35. Der Haushaltsvoranschlag des Vereins für das Jahr 1929 sah bei Einnahmen von 8.250 Mark und Ausgaben von 9.000 Mark einen leichte Deckungslücke vor. Die Einnahmen bestanden vornehmlich aus den Mitgliederbeiträgen von 1.200 M, aus öffentlichen Beihilfen von 2.750 M (Brandenburgischer Provinzialverband 1.000 M, Preußisches Staatsministerium/Archivverwaltung 750 M36, Preußisches

den Weltkriegen am Beispiel der Acta Borussica, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 50 (1999), 169–196, hier 177–180. 34 GStAPK, I. HA Rep. 224 E, Bl. 18, 23–36, die ersten beiden Zitate Bl. 18 und 36, das dritte Bl. 29. 35 Ebd., Nr. 151, Bl. 39–63. 36 Generaldirektor Kehr hatte im Februar 1925 zugesichert, dem Verein zur Förderung seiner wissenschaftlichen Unternehmungen ab dem Rechnungsjahr 1924 wieder wie schon bis zur Inflationszeit eine Beihilfe von jährlich 750 Reichsmark zu gewähren, unter der Voraussetzung, daß der Archivverwaltung für die einzelnen Staatsarchive von den FBPG und den sonstigen Veröffentlichungen jeweils 15 Exemplare überlassen würden. GStAPK, I. HA, Rep. 178 Generaldirektion der Staatsarchive, Nr. 1741, Bl. 135–136, 139.



Die Finanzierung der „Forschungen“ 

 185

Kultusministerium [für die FBPG] 1.000 M), aus Beiträgen der Stadt Berlin und märkischer Kreise und Städte – als Stifter und Patrone – von 2.000 M und aus dem Zuschuß der Notgemeinschaft für die FBPG von 1.800 M. Der Löwenanteil der Ausgaben entfiel auf die FBPG, die dafür benötigte Gesamtsumme von 6.800 M war aufgegliedert in den Vereinsanteil an den Druckkosten in Höhe von 4.800 M und in Redaktionskosten und Honorare von 2.000 M. Dahinter standen die Bearbeitung der Askanierregesten mit 1.200 M. und die Verwaltung und Unterhaltung der Bibliothek mit 600 M. weit zurück37. Wie dieses hier beispielhaft ausgewählte Zahlenwerk noch einmal eindrucksvoll belegt, konzentrierte sich der Verein in seinen wissenschaftlichen Bestrebungen gänzlich auf die Aufrechterhaltung der FBPG. Das Ende der kurzen wirtschaftlich günstigen Zeitspanne wurde bereits im Frühjahr 1929 eingeläutet, als die Notgemeinschaft mit ihrem Bescheid vom 11. Mai dieses Jahres wegen der bevorstehenden Kürzung ihrer Reichsförderung ihren Zuschuß von 1.800 M auf 1.200 M absenkte. Letztere Summe wurde in den folgenden Jahren aufrechterhalten, bis sie im November 1933 für die FBPG 46 nochmals auf 1.000 M verringert wurde38. Das Kultusministerium bewilligte 1930 und 1931 jeweils 1.000 M, 1932 und 1933 nur noch 500 M39. In diesen Krisenjahren spitzte sich die Finanzlage des Vereins dramatisch dadurch zu, daß alle seine Einnahmequellen in größeren oder geringerem Umfange zurückgingen: Die öffentlichen Zuschüsse wurden verkleinert, kommunale Patrone und Stifter zogen sich zurück, Mitglieder traten aus. Der Verein wurde unter diesem Druck erneut zur Suche nach Auswegen im Rahmen seiner begrenzten Alternativen gezwungen, die er schon im April 1929 gegenüber der Notgemeinschaft angesprochen hatte: Die Möglichkeiten, durch Uebernahme der Zeitschrift in Selbstverlag oder durch Herabsetzung der Honorare oder durch Aufgabe der doch allgemeinen Interessen dienenden Bibliothek Ersparnisse zu erzielen, begegnen sehr grossen Bedenken, die einer sorgfältigen Prüfung bedürfen40.

Von diesen drei Varianten wurden letztlich zwei verworfen: der Verzicht auf die Honorare – da man glaubte, wie schon 1924 geäußert41, dadurch wertvolle Beiträge verloren geben zu müssen und die Zeitschrift so „zu untergraben“ – ebenso wie der Verzicht auf die Bibliothek. In der Diskussion blieb der Selbstverlag, wenn er auch nur zögerlich ins Auge gefaßt wurde: „Es ist erwogen worden“, 37 GStAPK, I. HA, Rep. 224 E, Nr. 195, Bl. 33. 38 Ebd., Nr. 151, Bl. 65–112. 39 Ebd., Nr. 195, Bl. 41–50. 40 Ebd., Nr. 151, Bl. 67, 74–75: Verein an Notgemeinschaft vom 15. April 1929, Zitat Bl. 75. 41 Ebd., Nr. 195, Bl. 5.

186 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

schrieb der Verein der Notgemeinschaft am 26. Mai 1932, also drei Jahre nach der Ersterwähnung dieses Vorschlages, durch Selbstverlag eine Verbilligung der Entstehungskosten herbeizuführen, wir möchten aber diesen nicht im Interesse der Zeitschrift liegenden Weg erst beschreiten, wenn er als einziges Mittel übrig bleibt, eine weitere Kostensenkung zu bewirken42.

Zwei Jahre später waren die Bedenken beiseite geschoben: Im Frühjahr 1934 teilte der Verein in Zusammenhang mit der Beantragung des Zuschusses dem Reichsund Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung mit: „Zur Erzielung von Ersparnissen haben wir die von uns herausgegebene Zeitschrift ‚FBPG‘ in Selbstverlag übernommen“. Mit Band 45 (1933) ging die auf dem Titelblatt mit „Druck und Verlag von Robert Oldenbourg“ gekennzeichnete Phase zu Ende, ab Band 46 (1934) erschien an dieser Stelle stattdessen der „Selbstverlag des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg“. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die politischen Rahmenbedingungen schon grundlegend gewandelt, war der Nationalsozialismus an die Macht gekommen und war das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in ein Reichs- und Preußisches Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung umgebildet worden. Für unseren Verein und seine Zeitschrift bzw. seinen verantwortlichen Zeitschriftenherausgeber änderten sich die Verhältnisse kaum, das inzwischen erreichte, gegenüber den „goldenen“ Weimarer Jahren deutlich verringerte Niveau blieb erhalten. Zwar hatte der von Johannes Schultze konzipierte, vom „Führer des Vereins“, dem Bibliotheksdirektor und Universitätsprofessor Willy Hoppe, unterzeichnete Antrag an das Ministerium vom 9. Mai 1934 nicht nur die alten Argumente – die einzige Zeitschrift für die allgemeine preußische Geschichte und die Unterhaltung der Bibliothek im Historischen Seminar der Berliner Universität – wiederholt, sondern auch auf die großen Leistungen des 1837 gegründeten Vereins in seiner nahezu hundertjährigen Geschichte, die ihn „in die erste Reihe der deutschen Publikationsinstitute gestellt“ hätten, hingewiesen und – wieder einmal adressenorientiert, allerdings recht zurückhaltend formuliert – hinzugefügt: „Diese Leistung jetzt nicht zu mindern, sondern den grossen Aufgaben der Gegenwart entsprechend zu vermehren muss sein [sc. des Vereins] Bestreben sein“43. Aber die Förderung der preußischen Geschichtsforschung bzw. ihrer maßgeblichen Zeitschrift lag den neuen Herren offenkundig nicht besonders am Herzen: Das Ministerium bewilligte jährlich weiterhin – bis 1937 – für zwei Hefte nicht mehr als die in der Weltwirtschaftskrise zuletzt zu42 Ebd., Nr. 151, Bl. 93. 43 Ebd., Nr. 195, Bl. 56.



Die Finanzierung der „Forschungen“ 

 187

gestandenen 500 RM. Auch die Notgemeinschaft verblieb fast durchgängig von 1933 bis 1937 bei einem jährlichen Druckzuschuß von 1.000 RM, 1936 wurden gar nur 900 RM zugestanden44. Mit dem Jahr 1938 trat eine bloß äußerliche Änderung insofern ein, als das Reichswissenschaftsministerium am 6. Januar dieses Jahres dem Verein in Reaktion auf den von diesem vorgelegten Verwendungsnachweis mitteilte: Nach den Ausführungen in dem angeführten Bericht [des Vereins] vom 19.12.1937 sind bisher zur Herausgabe der Zeitschrift ‚FBPG‘ eine Beihilfe von 500 RM jährlich aus preussischen Mitteln (Kap. 153 Tit. 70), ein Teilbetrag aus Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Restbetrag aus Mitteln des Vereins gezahlt worden. Aus haushaltsrechtlichen Gründen ersuche ich, künftig den auf die Deutsche Forschungsgemeinschaft entfallenden Zuschuß bei mir mit anzufordern45.

Da für den Anteil der Forschungsgemeinschaft der Zuschuß von 1936 zugrunde gelegt wurde, ergab sich für die Bewilligung vom 20. Mai 1938 eine Beihilfe von 950 RM. Der Verwendungsnachweis des Vereins vom 27. April 1939 führte für die beiden Hefte FBPG 50/2 und 51/1 Ausgaben in Höhe von 5.097,35 RM (v.a. Druckkosten und Honorare) und Einnahmen von 2.312 RM (erzielt durch den Druckzuschuss des Reichswissenschaftsministeriums in Höhe von 950 RM und den Ver­kaufserlös 1938 in Höhe von 1.362 RM) auf und fügte hinzu: „Der Rest 2.785,35 RM wurde aus Mitteln des Vereins gedeckt“. In den folgenden Jahren wurde der Zuschuß von 950 RM aufrechterhalten. Der letzte Verwendungsnachweis des Vereins vom 10. Januar 1944 benannte Ausgaben (Druckkosten und Honorare) in Höhe von 4.815,20 RM, Einnahmen von 1.757,15 RM (Zuschuß des Ministeriums von 950 RM und Verkaufserlös 1943 von 807,14 RM) sowie die aus Mitteln des Vereins geschlossene Deckungslücke von 3.058 RM46. Kurz zusammengefaßt: Die verantwortlichen Wissenschaftspolitiker der NS-Zeit sahen sich nicht veranlaßt, den schmalen Betrag, auf den die Bezuschussung der FBPG in der Weltwirtschaftskrise geschrumpft war, wieder zu erhöhen. Im letzten Jahrzehnt ihres Bestehens verblieben ihr aus den beiden öffentlichen Töpfen der Notgemeinschaft und des Ministeriums ziemlich genau ein Drittel der Summe, die ihr von dort in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gewährt worden war. Bemißt man die Bedeutung, die ministerielle Wissenschaftspolitik und wissenschaftsfördernde Stellen einem Forschungszweig beimessen, an den dafür bereitgestellten Haushaltsmitteln, kommt man nicht um das Urteil herum, daß die FBPG und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg mit ihren Lei44 Ebd., Nr. 195, Bl. 57–71; ebd., Nr. 151, Bl. 109–137. 45 Ebd., Nr. 195, Bl. 74. 46 Ebd., Bl. 92f. (Zitat Bl. 93), 95, 100, 108, 123.

188 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

stungen für die preußische Geschichtsforschung nur in sehr bescheidenem Maße finanziell unterstützt wurden. Die auf Dauer angelegte Konstruktion der Kaiserzeit und ihr Finanzrahmen waren unter den radikal veränderten Spielräumen nach dem verlorenen Krieg nicht mehr zu halten, und die schließlich gefundenen Ersatzlösungen waren von den früheren Geldsummen weit entfernt und erwiesen sich als recht fragil. Einen so hohen Stellenwert wie vor 1918 besaß die borussische Historiographie in der Sicht der zuständigen Wissenschaftsadministratoren nicht mehr. Dabei verdient ausdrückliche Erwähnung, daß die Ministerialbürokratie der NS-Zeit aus den politischen Bekundungen der NS-Führer zu Preußen und seinen Traditionen47 keine Konsequenzen für die gesteigerte Förderung der Preußen-Forschung zog. Das Beispiel FBPG zeigt jedenfalls, daß sie nicht einmal daran dachte, die Verhältnisse der „guten“ Weimarer Jahre wiederherzustellen. Umso mehr ist hervorzuheben, daß der Verein und der bestimmende Herausgeber unter viel Mühen und Anstrengungen und unter Konzentrierung ihrer allzu beschränkten Mittel auf ein Ziel es geschafft haben, die Zeitschrift ein Vierteljahrhundert lang kontinuierlich erscheinen zu lassen. In ihrer Sicht war sie gewissermaßen das „Flaggschiff“ der preußischen Historikerschaft, das wesentliche Organ, dessen Existenz unbedingt – vor anderen Aufgaben – zu sichern war, da man daran festhielt, den eigenen Forschungsschwerpunkt sichtbar nach außen hin in einer eigenen Fachzeitschrift zu dokumentieren.

III Die thematischen Schwerpunkte III der „Forschungen“ Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“

Geht man von den beiden im Zeitschriftentitel nebeneinander gestellten Leitthemen aus und fragt nach ihrem jeweiligen Anteil an der gesamten Bandfolge, so überwog im Aufsatzteil der 25 Jahre zwischen 1920 und 1944 die preußische Gesamtstaatsgeschichte ab dem 17. Jahrhundert merklich die brandenburgische Landesgeschichte. Für eine erste, zugegebenermaßen recht grobe und unscharfe Einschätzung der inhaltlichen Schwerpunkte sind die beiden vorliegenden, die Bände 31 bis 50 umfassenden Register herangezogen worden, indem die in dessen systematischen Titelverzeichnissen angeführten Aufsätze und Mitteilungen, also Beiträge größeren oder geringeren Umfanges, entsprechend der dorti-

47 Frank-Lothar Kroll, Preußenbild und Preußenforschung im Dritten Reich, in: Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ (wie Anm. 6), 305–327, bes. 309–316.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 189

gen Gliederung ausgezählt worden sind48. Danach entfallen auf die verschiedenen historischen Epochen jeweils die folgende Anzahl von Artikeln (wobei die in der jeweiligen Gruppe 10 und weniger Seiten umfassenden Artikel in Klammern gesondert ausgeworfen, aber in der erstgenannten Zahl enthalten sind): die ältesten Zeiten bis 1415: 9 (4), von 1415 bis 1640: 12 (4), von 1640 bis 1740: 14 (3), von 1740 bis 1786: 28 (9), von 1786 bis 1807: 13 (3), von 1807 bis 1815: 23 (11), von 1815 bis 1864: 30 (4), von 1864 bis zur Gegenwart: 14 (2). Hinzuzufügen sind noch aus dem den preußischen Provinzen gewidmeten Abschnitt des Registers, der die landes-, regional- und lokalgeschichtlichen Untersuchungen aufnimmt, die Zahlen für die Mark Brandenburg (einschließlich Berlins): 36 (17). Wenn man cum grano salis die Abschnitte zu den Epochen bis 1640 sowie zur Mark Brandenburg der brandenburgischen Landesgeschichte und die Epochenabschnitte von 1640 bis 1918 der preußischen Geschichte zurechnet, überwiegen 122 (32) preußische Titel die 57 (25) brandenburgischen überdeutlich. Rein quantitativ betrachtet, stehen sich also die preußische und die märkische Geschichte einander im Verhältnis 2 : 1 gegenüber – oder gar im Verhältnis 3 : 1, wenn man die Miszellen aus der Betrachtung ausscheidet. Daß der Herausgeber in seinen Anträgen an das Kultusministerium so sehr die Bevorzugung der preußischen Geschichte betonte, entsprach den tatsächlichen Gegebenheiten und war nicht zweckorientierte Schönfärberei. Innerhalb der preußischen Geschichte dominiert, epochal betrachtet, das 1 ¼ Jahrhundert vom Regierungsantritt Friedrichs des Großen bis zum deutsch-dänischen Krieg, während die Phasen davor und danach spürbar zurücktreten. Trotz ihrer „Nebenrolle“ verdient die brandenburgische Landesgeschichtsforschung in der Zeitschrift eine gesonderte Behandlung, die an dieser Stelle nicht geleistet werden kann und daher für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen ist. Dabei ist dann die Rolle der Zeitschriftenherausgeber und Vereinsvorsitzenden – Klinkenborg, Schultze, Hoppe – mit ihren inhaltlichen Beiträgen näher zu würdigen, denn sie waren in ihren Forschungen vornehmlich oder gar ausschließlich auf dem Gebiet der brandenburgischen Landesgeschichte, nicht der preußischen Geschichte tätig, und sie waren in den FBPG mit zahlreichen Beiträgen vertreten – insbesondere Schultze hat in ihr eine Vielzahl von zumeist kleineren Studien abgedruckt und außerdem nachhaltig am Rezensionsteil mitgewirkt –, aber keiner von ihnen hat richtungweisende Vorgaben für die preußische Geschichtsforschung aufzustellen, ihr mit Überblicken oder Leitgedanken 48 Register zu den Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Band 31 bis 40, bearb. v. Friedrich Granier, in: FBPG 40 (1927), 421–464, darin 431–441: Systematisches Titelverzeichnis; Register zu den Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Band 41 bis 50, bearb. v. dems., in: FBPG 50 (1938), 422–473, darin 430–440: Systematisches Titelverzeichnis.

190 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

neue Wege zu erschließen getrachtet. Das Übergewicht der preußischen über die brandenburgische Geschichtsforschung erklärt sich – unter anderem – daraus, daß Zahl und Leistungskraft der akademisch angesiedelten preußischen Historiker infolge ihrer vielfach hauptamtlichen Tätigkeit an verschiedenen bedeutenden Berliner Wissenschaftseinrichtungen die Menge und das Arbeitsvermögen der selten hauptamtlich, zumeist ehrenamtlich tätigen brandenburgischen Historiker universitären Niveaus in Berlin und in der Provinz deutlich überwogen. Die FBPG vermochten jährlich einen Band von 400 bis 500 Seiten Umfang zu füllen, weil ihnen gerade für die preußische Geschichte zahlreiche Autoren mit weitgestreuten Interessen zur Verfügung standen. Im Folgenden wird mithin nur die preußische Geschichtsforschung innerhalb der Zeitschrift berücksichtigt werden. Drei miteinander verbundene Leitfragen stehen dabei im Mittelpunkt der Überlegungen. 1. Welches inhaltliche Spektrum deckte die Zeitschrift in ihrem Aufsatzteil ab? Anders ausgedrückt: Welche Themen aus den verschiedenen Epochen und Sachgebieten der preußischen Geschichte wurden aufgegriffen, auf welcher Quellengrundlage, mit welchen Methoden und mit welchen Maßstäben wurden sie behandelt? 2. Aus welchem personellen Reservoir rekrutierte sich die Autorenschar der FBPG? Anders formuliert: Aus welchen Institutionen und aus welchen Forschungsvorhaben stammten ihre Mitarbeiter? 3. An welchen historischen Fachdiskussionen und an welchen historisch-politischen öffentlichen Debatten in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus war die Zeitschrift beteiligt? Anders bemerkt: Wie griffen die preußischen Historiker in ihrem Umfeld in die geschichtswissenschaftlichen wie publizistischen Kontroversen nach den Umbrüchen von 1918 und von 1933 ein, wo verliefen unter welchen Voraussetzungen die jeweiligen bestimmenden Diskussionslinien? Die beiden erstgenannten Gesichtspunkte hängen in der folgenden Darstellung aufs engste zusammen und müssen insgesamt betrachtet werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen werden unter der ersten Leitfrage thematische Schwerpunkte beschrieben und unter der zweiten die personellen und institutionellen Grundlagen geschildert, wobei auch hier inhaltliche Forschungsbeiträge ausführlich erörtert werden. Betrachten wir die thematische Bandbreite der Zeitschrift, indem wir ohne Anspruch auf Vollständigkeit, insbesondere unter Aussparung von Miszellen, eine größere Auswahl von in ihrem Umfang und in ihrem Gehalt gewichtigen Untersuchungen skizzieren und charakterisieren und dabei zunächst in einem zeitlichen Durchgang Beiträge zu den aufeinander folgenden Epochen der preußischen Geschichte vom Großen Kurfürsten bis zum Ende der Monarchie 1918 berücksichtigen. Mit Kurfürst Friedrich Wilhelm befaßt sich Hans Saring mehrfach, er konzentriert sich auf Grund seiner vorrangigen personenkundlichen Interessen in seinen zwei langen, auf ausgedehntes Studium der Akten des



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 191

Geheimen Staatsarchivs gestützten Beiträgen auf das leitende Personal seiner Verwaltung. Einerseits schildert er einen einzelnen Mitarbeiter, den Geheimen Rat Christoph Kaspar Freiherr von Blumenthal (1638–1689) und dessen diplomatische Missionen innerhalb des Reiches und nach Westeuropa, Frankreich, Spanien und England, während der 1660er und 1670er Jahre unter ausgiebiger Referierung der Gesandtschaftsberichte. Andererseits erfaßt er eine ganze Beamtengruppe, die Mitglieder des Kammergerichts in ihren verschiedenen amtlichen Funktionen, also vornehmlich die Vizekanzler und Präsidenten des Kammergerichts, die Hof- und Kammergerichtsräte, die Präsidenten des Geistlichen Konsistoriums und die Kammergerichtsadvokaten, beschreibt ihre jeweiligen Lebensund Berufswege im Stil eines biographischen Nachschlagewerkes und ermöglicht damit deren von ihm selbst nur angedeutete soziologische Analyse49. Ähnlich wie Saring, aber ihm in der interpretatorischen Durchdringung des Stoffes weit überlegen untersucht Gerhard Oestreich50, der Schüler Fritz Hartungs, im Anschluss an seine Dissertation über den Geheimen Rat in der Frühzeit des Großen Kurfürsten und im Rahmen seiner damaligen Untersuchungen zur deutschen Wehr- und Kriegsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts einen Ratgeber des jungen Friedrich Wilhelm, Kurt Bertram von Pfuel (1590–1649), indem er neben der Schilderung seines vom Dreißigjährigen Krieg bestimmten Lebensweges insbesondere dessen gedankenreiche und scharfsinnige, wenn auch unrealisierte Vorschläge zur gründlichen Umgestaltung der brandenburgischen Heeres- und Finanzverfassung aus den mittleren 1640er Jahren analysiert und in die einschlägigen inner- und außerbrandenburgischen Diskussionen und Maßnahmen der Zeit einbettet.

49 Hans Saring, Christoph Kaspar Freiherr v. Blumenthal, ein Diplomat zur Zeit des Großen Kurfürsten, in: FBPG 51 (1939), 1–40; ders., Die Mitglieder des Kammergerichts zu Berlin unter dem Großen Kurfürsten, in: FBPG 54 (1943), 69–114, 217–256. – Geradezu exotische diplomatische Kontakte mit fernen osteuropäischen Mächten, zu den Krimtataren, behandelt Saring in zwei kurzen, den einschlägigen Quellenstoff des Geheimen Staatsarchivs ausbreitenden Darlegungen: Tatarische Gesandtschaften an Kurfürst Friedrich Wilhelm während des ersten Nordischen Krieges, in: FBPG 46 (1934), 374–380; die chronologische Fortsetzung: Tatarische Gesandtschaften am kurbrandenburgischen Hof, in: FBPG 49 (1937), 115–124. – Wie die Nachlaßmaterialien zeigen, stand das brandenburg-preußische Gesandtschaftswesen unter dem Großen Kurfürsten im Mittelpunkt von Sarings ausgedehnten Forschungen. Vgl. Familienarchive und Nachlässe im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Ein Inventar, bearb. v. Ute Dietsch (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußische Kulturbesitz, Arbeitsberichte 8), Berlin 2008, 442f. 50 Peter Baumgart, Gerhard Oestreich zum Gedächtnis, in: Neue Forschungen zur Brandenburg-Preußischen Geschichte 1, hrsg. v. Friedrich Benninghoven, Cécile Lowenthal-Hensel (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 14), Köln, Wien 1979, 355–360.

192 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Das Ziel Pfuels war nach seinen eigenen Worten: eine starke Kriegsverfassung auf den Grundlagen gesunder Finanz- und gerechter Steuerpolitik zur Verteidigung von Religion und teutscher Freiheit51.

Die Zeit Friedrich III./I. tritt gegenüber dem Vorgänger und Nachfolger spürbar zurück, sie wird ausführlich nur in zwei diplomatiegeschichtlichen, vornehmlich auf den Archivalien des Geheimen Staatsarchivs beruhenden Studien behandelt. Eberhard Freiherr v. Danckelmann stellt die enge außenpolitische Zusammenarbeit des Kurfürsten mit dem Oranier Wilhelm III., wenn auch im Urteil allzu einseitig dem letzterem abgeneigt, während des Pfälzischen Erbfolgekrieges zwischen 1694 und 1697 mit dem Schwerpunkt auf dem Friedensvertrag von Rijswijk 1697 dar. Erich Hassinger behandelt eine Episode aus dem Spanischen Erbfolgekrieg, die erfolglosen Verhandlungen zwischen Preußen und Frankreich im Jahre 1705 über ihre beiderseitige Verständigung und das Ausscheiden Preußens aus der antifranzösischen Allianz Habsburgs und der Seemächte52. Für die Zeit Friedrich Wilhelms I. hat die in der Durchdringung des Stoffes gehaltvollsten Beiträge Carl Hinrichs vorgelegt, die unten in der näheren Betrachtung ihres Verfassers angeführt werden sollen. Weitere Artikel zum Soldatenkönig konzentrieren sich auf die Ausbreitung unbekannten Quellenmaterials. Im Rahmen der ausgedehnten Forschungen, die der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität tätige Paul Haake zu den preußisch-sächsischen Beziehungen anstellte, referiert er in aller Breite den Ablauf des vierwöchigen, von Mitte Januar bis Mitte Februar 1728 andauernden Besuches Friedrichs Wilhelms I. bei seinem sächsischen Nachbarn, bei Kurfürst und König August dem Starken, in Dresden, ohne über die Wiedergabe seiner maßgeblichen Quellengrundlage, eines im Brandenburg-Preußischen Hausarchivs überlieferten Journals, hinauszugehen. Ähnlich setzt Ernst Müller, Abteilungsleiter am Preußischen Geheimen Staatsarchiv, den Akzent auf die Quellenmitteilung, wenn er aus zwei Aktenbänden seines Hauses mit Abdrucken wie mit Inhaltsangaben einen hohe politische Wellen schlagenden Konflikt des Soldatenkönigs mit den Niederlanden im Jahr 1733 um eine gescheiterte preußische Soldatenwerbung auf deren Gebiet schilderte. Der Göttinger und spätere Königsberger Universitätsarchivar und –bibliothekar Götz v. Selle referiert in seiner aus seiner Dissertation hervorgegangenen Studie gewissermaßen das zeitgenössische Urteil über die Regierung Friedrich Wilhelms I., indem er den Inhalt 51 Gerhard Oestreich, Kurt Bertram von Pfuel 1590–1649. Leben und Ideenwelt eines brandenburgischen Staatsmannes und Wehrpolitikers, in: FBPG 50 (1938), 201–249, Zitat 249. 52 Eberhard Frhr. v. Danckelmann, Die Friedenspolitik Wilhelms III. von England und Friedrichs III. von Brandenburg in den Jahren 1694–1697, in: FBPG 31 (1919), 1–68. – Erich Hassinger, Preußen und Frankreich im Spanischen Erbfolgekrieg, in: FBPG 54 (1943), 43–68.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 193

der 1740, nach seinem Tode, von den Ständen in den verschiedenen preußischen Provinzen seinem Nachfolger vorgebrachten Gravamina zu den wesentlichen Bereichen des staatlichen Lebens – zu Heerwesen; Finanzen, Wirtschaft, Handel; Justiz; ständische Verhältnisse – ausbreitet. In seinem eigenen Urteilt neigt er zwar dem König zu, ohne die negativen Folgen seiner Politik in ihrer Wirkung auf die Stände und deren Mitwirkung am Staatsleben leugnen zu wollen53. Friedrich der Große steht in der Reihung der Themenfelder mit merklichem Abstand an der Spitze, keine andere Phase der preußischen Geschichte erfährt eine derartig dichte Behandlung wie seine Person und seine Regierung. Dazu trägt schon erheblich bei, daß ein herausragender Friedrich-Spezialist der damaligen Zeit, Gustav Berthold Volz, bevorzugt in den FBPG publiziert hat, wie unten genauer zu schildern ist. Unter den weiteren Beiträgen sind Quellenbearbeitungen anzuführen. Zwei Artikel veröffentlichen ausführliche Berichte kundiger und durchaus nicht unkritischer Beobachter des Königs über seine Politik und die Verfassung seines Staates. Otto Herrmann erörtert und publiziert eine Denkschrift des Prinzen Heinrich aus dem Jahre 1753 über die Kriegführung sowie die äußere und innere Politik seines königlichen Bruders von dessen Regierungsantritt bis zum Zeitpunkt der Abfassung der Schrift. Michael Strich behandelt den ersten ständigen Gesandten des Königreichs Sardinien in Berlin, den Marchese Grisella di Rossignano, in seiner dortigen Tätigkeit zwischen 1774 und 1778 und publiziert dessen diplomatischen Schlußbericht über den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zustand Preußens54. Einen quellenkundlichen Überblick über den Flugschriftenkampf der preußischen, österreichischen und französischen Kriegsparteien in den ersten drei Jahren des Siebenjährigen Krieges gibt Viktor Heydemann mit einer kurzen Skizzierung der einzelnen Werke, ihrer Verfasser und ihrer Entstehungsumstände55. Eine strenge Quellenanalyse der 1790 veröffentlichten, zur Widerlegung einer vorhergehenden Publikation Mirabeaus bestimmten Schrift des Hannoverschen Leibarztes Johann Georg Zimmermann 53 Paul Haake, Der Besuch des preußischen Soldatenkönigs in Dresden 1728, in: FBPG 47 (1935), 358–377; zum Verfasser vgl. auch Familienarchive und Nachlässe (wie Anm. 48), 400f. – Ernst Müller, Die Erschießung des preußischen Werbeoffiziers Michael Georg v. Wollschläger und der Konflikt mit den Niederlanden 1733, in: FBPG 48 (1936), 359–374; zum Verfasser vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 419. – Götz v. Selle, Zur Kritik Friedrich Wilhelms I., in: FBPG 38 (1926), 56–76; zum Verfasser: Karl O. Kurth, Götz von Selle. In Memoriam, in: Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr. 8 (1958), S. 5–34, zur Dissertation S. 6f. 54 Otto Herrmann, Eine Beurteilung Friedrichs des Große aus dem Jahre 1753, in: FBPG 34 (1922), 239–264. – Michael Strich, Die Berliner Mission des Marchese Grisella di Rossignano und sein Schlußbericht von 1778, in: FBPG 39 (1927), 1–27. 55 Viktor Heydemann, Staats- und Flugschriften aus dem Anfange des Siebenjährigen Krieges, in: FBPG 41 (1928), 302–330.

194 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

liefert Johannes Bauermann, indem er die Entstehung des Werkes aus der engen Zusammenarbeit zwischen Zimmermann und dem ehemaligen friderizianischen Minister von der Horst nachweist56. Die öffentliche Meinung in der friderizianischen Regierungszeit untersucht Franz Etzin in der Weise, daß er das Verhältnis zwischen Zensur und Meinungsfreiheit, die Eingriffe der ersteren in letztere und die Möglichkeiten und Grenzen der letzteren, in den verschiedenen Publikationsgattungen, vornehmlich in der Presse, in den Flugschriften und in der periodischen Literatur, behandelt. Insgesamt fällt er ein günstiges Urteil über das Verhalten des Königs trotz all dessen Vorgaben, da er insbesondere in der zweiten Hälfte seiner Regierung „der öffentlichen Meinung in allen ihren Faktoren keine direkten Hemmungen mehr bereitet“ habe, sondern zum politischen Selbstbewußtsein der Bürger habe erziehen wollen57. Eine auf breiter archivalischer Quellengrundlage beruhende, klar und überzeugend argumentierende wirtschaftshistorische Untersuchung zur Agrar- und Adelspolitik Friedrichs mit einer glücklichen Mischung aus landes- und allgemeingeschichtlichen Ansätzen legt Herbert Moegelin vor. Nach seinen eigenen einleitenden Worten hat seine Studie die Aufgabe, Wesen und Erfolg der friderizianischen Agrarpolitik gegenüber dem Adel für ein räumlich und zeitlich begrenztes Gebiet unter allgemein-staatspolitischen Gesichtspunkten darzustellen und kritisch zu betrachten,

und er löst diese Aufgabe glücklich in der Weise, daß er die königlichen Maßnahmen zugunsten des neumärkischen Adels zwischen 1763 und 1786 eingehend untersucht, von der Schuldentilgung der 1760er Jahre ausgehend und mit den Meliorationen der 1770er und 1780er Jahre endend, wobei er zu einem vielschichtigen und abgewogenen, insgesamt positiven Urteil kommt58. Die Rolle Oberschlesiens in der militärischen und vornehmlich in den politischen Überlegungen Friedrichs während des Ersten Schlesischen Krieges wird von Hans Wilhelm Büchsel geschildert59. Dem Vierteljahrhundert zwischen 1789 und 1815, der Auseinandersetzung Preußens mit der Französischen Revolution und Napoleon, seiner Reformbewegung und den Befreiungskriegen, haben die FBPG mit etlichen Studien viel Platz 56 Johannes Bauermann, Der Anteil des Ministers v. d. Horst an J. G. Zimmermanns „Fragmenten über Friedrich den Großen“, in: FBPG 42 (1929), 1–30. 57 Franz Etzin, Die Freiheit der öffentlichen Meinung unter der Regierung Friedrichs des Großen, in: FBPG 33 (1921), 89–129, 293–326, Zitat 325. 58 Herbert Moegelin, Das Retablissement des adligen Grundbesitzes in der Neumark durch Friedrich den Großen, in: FBGP 46 (1934), 28–69, 233–274 Zitat 28. 59 Hans Wilhelm Büchsel, Oberschlesien im Brennpunkt der großen Politik, in: FBPG 51 (1939), 83–102.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 195

eingeräumt, der dem für das vorangegangene friderizianische Zeitalter nicht übermäßig nachsteht. In methodischer Hinsicht fällt der von mehreren Autoren gewählte biographische Zugang auf, die Konzentration auf die politischen Vorstellungen und Maßnahmen einzelner maßgeblicher Politiker und Publizisten, vornehmlich aus dem Lager der Reformer. Wilhelm Lüdtke untersucht in zwei in Zusammenhang mit seiner Dissertation entstandenen, auf Archivalien des Preußischen Geheimen Staatsarchivs erarbeiteten diplomatiegeschichtlichen Studien die Beziehungen Preußens zu Frankreich in den Anfängen der französischen Revolution, behandelt sehr kritisch die recht dilettantischen Bemühungen des preußischen Gesandten in Paris Goltz um ein französisch-preußisches Bündnis und die Furcht Friedrich Wilhelms II. vor den Auswirkungen der revolutionären Propaganda auf sein Königreich und die daraus gezogenen politischen Schlußfolgerungen60. Den preußisch-österreichischen Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich im Jahr 1792 bis zur berühmten Kanonade von Valmy analysiert Johannes Ziekursch in der Weise, daß er die detaillierte Schilderung seines operativen Ablaufes mit der Beschreibung der strukturellen Voraussetzungen der Kriegführung wie etwa der Verpflegung, den Raumverhältnissen und der Reaktion der französischen Zivilbevölkerung verknüpft und das Vorgehen des Herzogs von Braunschweig an den Erfahrungen des 18. Jahrhunderts, besonders an denen Friedrichs des Großes, und nicht an denen der folgenden Revolutionskriege mißt. Aus den grundlegenden Bedingungen des Feldzuges und nicht aus individuellen Versäumnissen leitet er daher „die Aussichtslosigkeit des Unternehmens von 1792“ ab: Nicht das Unterlassen dieser oder jener Operation, nicht die militärische Minderwertigkeit des Herzogs von Braunschweig retteten damals Frankreich, sondern die Größe des Landes und seiner Bevölkerung und deren revolutionäre Leidenschaft schützten Frankreichs politische Selbständigkeit und sein Selbstbestimmungsrecht61.

Karl Disch und Karl Griewank beleuchten auf breiter gedruckter und archivalischer Quellengrundlage die schwankende preußische Außenpolitik der Jahre 1804 bis 1806 in ihrer Stellung zum europäischen Ringen zwischen Frankreich einer-, Rußland und Österreich andererseits aus der Sicht zweier maßgeblicher preußischer Beamter, nämlich der des Kabinettsrates Beyme und des Kabinettsministers Hardenbergs, und unter Konzentration auf deren diplomatischen 60 Wilhelm Lüdtke, Preußen und Frankreich vom Bastillesturm bis Reichenbach (1789–1790), in: FBPG 42 (1929), 230–262; ders., Friedrich Wilhelm II. und die revolutionäre Propaganda (1789–1791), in: FBPG 44 (1932), 70–83. 61 Johannes Ziekursch, Zur Geschichte des Feldzuges in der Champagne von 1792, in: FBPG 47 (1935), 20–77, Zitat 77.

196 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Erwägungen und Absichten62. Ein Objekt der damaligen preußischen Annexionspolitik, das Kurfürstentum Hannover, wird von Karl Friedrich Brandes unter Berücksichtigung der bestimmenden preußischen Politiker wie noch mehr des maßgeblichen hannoverschen Ministers, des Grafen Münster, untersucht63. Die aus dem Nachlaß herausgegebene, Teile seiner Dissertation umfassende Studie von Günther Roß schildert den äußeren, beruflichen Lebensweg des Freiherrn von Altenstein und die Entwicklung seiner politischen Gedankenwelt bis zum Jahre 180764. Scharnhorsts Wiener Gespräche mit Metternich im Jahre 1811, die im Vorfeld des drohenden Rußlandfeldzugs Napoleons und unter dem Eindruck der französischen Bündnisforderungen an Preußen und Österreich geführt wurden, analysiert Wilhelm Rohr in einem aus seiner Berliner Dissertation erwachsenen Aufsatz, der sich nach quellenkritischen Überlegungen auf die Interpretation der Metternichschen Politik in diesen Jahren in Auseinandersetzung mit Heinrich Ritter von Srbiks Metternich-Biographie konzentriert65. In einer Zusammenfassung seiner Leipziger Dissertation stellt Rudolf Körner das Leben Friedrich Ludwig Jahns von seiner Geburt 1778 bis zu seiner Verhaftung und Verurteilung 1819/20, seine politischen Schriften und seine politische Betätigung dar und rückt dabei seine Bemühungen um das Turnwesen in den Mittelpunkt, wobei er ihn vor allem in seinem Charakter, aber auch in seinem Auftreten sehr kritisch beurteilt – und damit den Widerspruch Alexander Scharffs hervorrief66. Die zeitgenössische Wirkung von Fichtes Reden an die deutsche Nation wird kontrovers diskutiert, von Körner sehr gering veranschlagt, von dem amerikanischen, Anfang der 1930er Jahre zu Forschungsarbeiten in Berlin weilenden Historiker Eugene N. Anderson höher gewichtet und besser in übergeordnete Zusammenhänge ein-

62 Karl Disch, Der Kabinettsrat Beyme und die auswärtige Politik Preußens in den Jahren 1805/06, in: FBPG 41 (1928), 331–366; 42 (1929), 93–134 [Freiburger Dissertation aus der Schule Gerhard Ritters]. – Karl Griewank, Hardenberg und die preußische Politik 1804–1806, in: FBPG 47 (1935), 227–308. 63 Karl Friedrich Brandes, Hannover in der Politik der Großmächte. 1801–1807. (Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Beziehungen zwischen Hannover, England und Preußen im Zeitalters Napoleons.), in: FBPG 51 (1939), 239–274; 52 (1940), 26–51. 64 Günter Roß †, Das Leben des Freiherrn von Altenstein bis zum Jahre 1807, in: FBPG 53 (1941), 91–128. Ergänzend: Hermann Schreibmüller, Der Geburts- und der Erziehungsort des Kultusministers Karl Frhr. vom Stein zum Altenstein, in: FBPG 54 (1943), 147–152. 65 Wilhelm Rohr, Scharnhorsts Sendung nach Wien Ende 1811 und Metternichs Politik, in: FBPG 43 (1931), 76–128; zum Verfasser vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 497. 66 Rudolf Körner, Friedrich Ludwig Jahn und sein Turnwesen, in: FBPG 41 (1928), 38–82. – Alexander Scharff, Zur Beurteilung Friedrich Ludwig Jahns, ebd., 475–480. – Rudolf Körner, Entgegnung, ebd., 480.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 197

geordnet67. Martha Schneider behandelt quellenkritisch zwei kleine Aufsätze, die Ernst Moritz Arndt im Herbst 1814 in Görres’ „Rheinischem Merkur“ veröffentlichte, weist seine Verfasserschaft nach und setzt seine Aussagen in Beziehung zu seinen anderen Werken68. Franz Hadamowsky ediert zwei Aufsätze des in österreichischen Diensten stehenden Schriftstellers Karl von Woltmann aus dem Jahre 1815, „Über den Tugendbund“ und „Preußische Charaktere“, in denen vornehmlich die im vergangenen Jahrzehnt maßgeblichen politischen, militärischen und intellektuellen Persönlichkeiten der preußischen Staatsverwaltung in ihrer politischen Haltung und in ihrer Einstellung zur preußischen Innen- und Außenpolitik charakterisiert wurden69. Unter Verwertung Berliner und Wiener Archivmaterials, das auszugsweise in einem Quellenanhang veröffentlicht wird, beschreibt Karl Griewank Preußens Bemühungen um eine neue Gesamtverfassung Deutschlands vor und auf dem Wiener Kongreß in Zusammenhang mit den verschiedenen deutschen Territorialfragen sowie mit den europäischen Konflikten und dem Verhalten der Westmächte England und Frankreich70. Während die Jahrzehnte des Vormärz nur sehr sporadisch aufgegriffen worden sind, fand die Revolution von 1848 von ihrer Vorgeschichte über ihre einzelnen Stufen bis zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes sowohl in ihren innen- wie in ihren außenpolitischen Aspekten zahlreiche Interessenten, so daß der preußische Anteil am Revolutionsgeschehen für die FBPG einen weiteren Kulminationspunkt innerhalb ihrer Themenvielfalt darstellte. Der Wiener Universitätshistoriker Viktor Bibl stellt auf der Grundlage ungedruckter Quellen des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs Metternichs Haltung zu dem 1837 ausgebrochenen Kölner Kirchenstreit dar, beeinträchtigt aber den Wert seiner Mitteilungen durch seine aus seiner Polemik gegen Srbiks Metternich-Biographie bekannte unverhohlene Abneigung gegen den Staatskanzler71. Die politischen Umstände, unter denen die Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm 1841 von Fried67 Rudolf Körner, Die Wirkung der Reden Fichtes, in: FBPG 40 (1927), 65–87. – Eugene N. Ander­son, Die Wirkung der Reden Fichtes, in: FBPG 48 (1936), 395–398; zum Verfasser vgl. Friedrich Meinecke, Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977 (Biographische Quellen zur Zeitgeschichte, 23), München 2006, 318 Anm. 21. 68 Martha Schneider, Ernst Moritz Arndt und der „Rheinische Merkur“. Mit zwei bisher unbekannten Aufsätzen E. M. Arndts, in: FBPG 34 (1922), 25–48. 69 Beiträge zur Geschichte Preußens zur Zeit der Befreiungskrieg. „Über den Tugendbund“ und „Preußische Charaktere“ von Karl v. Woltmann. Mitgeteilt von Franz Hadamowsky, in: FBPG 40 (1927), 88–124. 70 Karl Griewank, Preußen und die Neuordnung Deutschlands 1813–1815, in: FBPG 52 (1940), 234–279. 71 Viktor Bibl, Der Kölner Kirchenstreit und Metternich, in: FBPG 42 (1929), 78–92. – Zum Verfasser vgl. Fritz Fellner u. Doris A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert. Ein biographisch-bibliographische Lexikon (Veröffentlichungen der Kommis-

198 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

rich Wilhelm IV. nach Berlin berufen wurden, insbesondere seine diesbezüglichen Verhandlungen mit König Ernst August von Hannover, der über die zu den Göttinger Sieben gehörenden Brüder erzürnt war, werden von dem Berliner Studienrat Karl Haenchen unter Verwendung unbekannter Briefe und Briefwechsel aus dem Brandenburg-Preußischen Hausarchiv erhellt72. Haenchen war auch unter den Revolutionshistorikern in den FBPG derjenige, der aus ihnen durch die Zahl seiner Studien ebenso wie durch deren Zugriff hervorragte. Zwischen 1933 und 1944 veröffentlichte er nicht weniger als fünf Beiträge, die auf Vorgänge der preußischen Märzrevolution von 1848 und auf die abgewogene kritische Aufbereitung unbekannten Quellenstoffes konzentriert waren. Sein zentraler Gegenstand waren die von ihm im Original aufgefundenen Erinnerungen eines maßgeblichen Beteiligten an den Berliner Ereignissen des 18. März 1848, des Generals von Prittwitz, deren Edition er plante und zu deren Verständnis und Einordnung er eine Vielzahl weiterer Quellen aus staatlichen Archiven und privaten Überlieferungen ermittelte und sammelte. Seine Arbeitsweise wird etwa durch seine Untersuchungen zu den Erinnerungen des Berliner Stadtrats Nobiling an seine Erlebnisse im März 1848 charakterisiert: Sie werden auf ihre historische Aussage­ kraft hin gemustert, indem ihr Verfasser in seiner beruflichen und politischen Tätigkeit beschrieben und insbesondere seine Aufzeichnungen in ihren Entstehungsumständen und in ihren bestimmenden inhaltlichen Tendenzen erhellt werden. Der Klärung von Voraussetzungen der Berliner Märzrevolution dienen Haenchens aus den Akten des Berliner Polizeipräsidenten und des Preußischen Innenministeriums gespeiste Untersuchungen zu einigen markant hervortretenden sozialrevolutionären Aktivisten der 1840er Jahre, ihrer Vorstellungswelt und ihrer Wirksamkeit vornehmlich in kleinbürgerlichen Handwerkerkreisen der preußischen Hauptstadt73. In der Zusammenfassung seiner Rostocker Dission für neuere Geschichte Österreichs, 99), Wien, Köln, Weimar 2006, 57; Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 65. 72 Karl Haenchen, Die Berufung der Brüder Grimm nach Berlin, in: FBPG 54 (1943), 11–42. 73 Ders., Aus dem Nachlaß des Generals von Prittwitz, in: FBPG 45 (1933), 99–125; ders., Neue Briefe und Berichte aus den Berliner Märztagen des Jahres 1848, in: FBPG 49 (1937), 254– 288 [Kommentierte Edition von aus Adelsarchiven und Familienpapieren stammenden Schriftstücken]; ders., Der Quellenwert der Nobilingschen Aufzeichnungen über die Berliner Märzrevolution, in: FBPG 52 (1940), 321–339; ders., Aus den Briefen Nobilings an Prittwitz, in: FBPG 53 (1941), 129–154 [Ergänzende Quellenedition zur vorgenannten Untersuchung]; ders.: Zur revolutionären Unterwühlung Berlins vor den Märztagen des Jahres 1848, in: FBPG 55 (1944), 83–114. Nachdem Haenchen seine Studien nach 1945 nicht hatte vollenden können und sein Nachlaß nach seinem Tode zerfleddert worden war, hat Gerd Heinrich durch glückliche Umstände das Manuskript der Erinnerungen Prittwitz’ gerettet und Haenchens Editionsplan verwirklicht; vgl. Karl Ludwig von Prittwitz, Berlin 1848. Das Erinnerungswerk des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz und andere Quellen zur Berliner Märzrevolution und zur Geschichte Preußens um



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 199

sertation schildert Karl Griewank die politischen Aktivitäten und Ziele und die politischen Eigenarten der demokratischen Gruppen in Berlin vor allem in der Revolution von 1848/49. Wenn er auch ihre politischen Fähigkeiten und Gedankenwelten in ihrer Unausgereiftheit kritisch beurteilt, bewertet er ihr grundsätzliches Anliegen durchaus positiv: Gerade die demokratische Politik in der [Preußischen] Nationalversammlung hatte mit dem Bewußtsein politischer Rechte auch das eines Staates für alle verbreitet. Und indem die Klubdemokratie die umlaufenden Staatstheorien der Bevölkerung verständlich machte und radikale Konsequenzen aus dem zuerst durchweg gemäßigter aufgefaßten vormärzlichen Liberalismus ziehen lehrte, hatte sie, so unlebendig auch ihr Staatsgedanke noch war, sich eindrucksvoll für eine alle Staatsbürger umfassende Idee bemüht74.

Die politische Haltung und Tätigkeit zwei bedeutender Historiker, die die Revolution zur öffentlichen Tätigkeit bewogen hatte, von Johann Gustav Droysen und Adolf Friedrich Riedel, werden von Heinrich Ullmann und Reinhold Müller untersucht75. Der preußischen Außenpolitik in den Revolutionsjahren wendet sich Alexander Scharff zu, indem er den General Carl Graf von der Groeben, den zeitweiligen Generaladjutanten Friedrich Wilhelms IV., der als kommandierender General der preußischen Truppen in Kurhessen Ende 1850 eine gewisse Rolle spielte, in den Mittelpunkt rückt und unter Auswertung seines Nachlasses, vornehmlich seines darin enthaltenen umfangreichen Briefwechsels mit dem König, ihren Gedankenaustausch über die preußische Politik in Deutschland, insbesondere die preußische Unionspolitik 1850, analysiert76. Die Verwicklung Preußens in die Politik der europäischen Großmächte wird trefflich beleuchtet in dem von Willy Andreas aus den Beständen des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs herausgegebenen und in den Ablauf der Ereignisse gestellten Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm I. und Zar Nikolaus I. von Russland aus den Jahren 1848 bis 1850. Er zeigt sowohl den zunehmenden Einfluß Rußlands auf Preußen und

die Mitte des 19. Jahrhunderts, bearb. u. eingeleitet v. Gerd Heinrich (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, 60; Quellenwerk, 7), Berlin, New York 1985, darin knapp zu Haenchen und seinem Nachlaß, XXVI f. 74 Karl Griewank, Vulgärer Radikalismus und demokratische Bewegung in Berlin 1842–1848, in: FBPG 36 (1924), 14–38. 75 Heinrich Ulmann, Johann Gustav Droysen als Abgeordneter zur Paulskirche im Jahre 1848, in: FBPG 42 (1929), 263–273. – Reinhold Müller, Adolf Friedrich Johann Riedel und die Reaktion in Preußen (Mit ungedruckten Briefen), ebd., 274–286. 76 Alexander Scharff, General Carl Graf von der Groeben und die deutsche Politik König Friedrich Wilhelms IV., in: FBPG 48 (1936), 1–47.

200 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

dessen deutsche Politik als auch die Eigenarten der beiden Briefpartner in sachlicher wie in persönlicher Hinsicht77. Das Reaktionsjahrzehnt kann mit der Zahl der ihm gewidmeten Untersuchungen zwar nicht mit den Revolutionsjahren konkurrieren, ist aber durchaus mehrfach behandelt worden. Ernst Freiherr Senfft von Pilsach, Schwager Ludwigs von Gerlach, Mitglied der Kamarilla Friedrich Wilhelms IV. und langjähriger Oberpräsident von Pommern, wird von Paul Haake in seiner politischen Haltung beschrieben, indem vornehmlich politische Korrespondenzen und Denkschriften aus seinem eigenen Nachlaß und dem Friedrich Wilhelms IV. breit referiert und vielfach und ausgiebig wörtlich zitiert werden, unter Verzicht auf eine detaillierte historische Analyse, so daß der Beitrag mehr einer gewichtigen Quellendarbietung als einer klugen Quellenauswertung ähnelt. Da Senfft einen ausgedehnten Briefwechsel mit dem König geführt hat, wird vor allem dieser mit dem Schwergewicht auf das knappe Jahrzehnt zwischen dem Ausbruch der Revolution 1848 und der Erkrankung des Monarchen 1857 ausgebreitet78. Zu den besonderen Pretiosen in allen hier berücksichtigten Jahrgängen der FBPG gehört sicherlich die umfangreiche, auf breitem Aktenmaterial des Geheimen Staatsarchivs gestützte Darstellung von Charlotte Jolles über Theodor Fontanes Tätigkeit in der Zentralstelle für Preßangelegenheiten im Jahrzehnt zwischen 1850 und 1860. Die Autorin, die später zu einer der großen Fontane-Forscher des 20. Jahrhunderts aufstieg, erörtert eingehend Fontanes Einsatz, das Verhältnis zu seinen Vorgesetzten, seine journalistische Arbeit in ihren Eigenarten, besonders ausgiebig seinen dreijährigen Aufenthalt in England mit seinen dortigen Eindrücken und die Wirkungen dieser „Lehrjahre“ auf seine weitere Entwicklung. Darüber hinaus gewinnt der Leser manche Erkenntnisse über die Wirksamkeit der Zentralstelle und die mit ihr von der preußischen Regierung verfolgten Absichten. Die Verbindung von präziser Beschreibung der administrativen Abläufe, scharfsinniger, eindringlicher Interpretation der Personen und Vorgänge und literarischer Ausdruckskraft heben den Aufsatz deutlich spürbar über den – an sich sehr beachtlichen – wissenschaftlichen Durchschnitt der Zeitschrift heraus. Wer etwa die Seiten über die Ursachen für den vorzeitigen Abbruch des England-Aufenthaltes liest, vermag sich der geradezu suggestiven Überzeugungskraft der tief in Fontanes Empfindungswelt eindringenden Verfasserin nicht zu entziehen, was hier nur mit einem beispielhaft ausgewählten Zitat veranschaulicht sei: 77 Willy Andreas, Der Briefwechsel König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen und des Zaren Nikolaus I. von Rußland in den Jahren 1848 bis 1850. Ein Beitrag zur Geschichte der russischpreußischen Beziehungen, in: FBPG 43 (1931), 129–166. 78 Paul Haake, Ernst Freiherr Senfft von Pilsach als Politiker, in: FBPG 54 (1941), 43–90, 296– 323.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 201

Der politische Fontane empfing überreiche Nahrung, der Künstler kam nicht auf seine Rechnung. Der Hast des Londoner Lebens und die Nüchternheit lähmten gleichermaßen. Von individuellen Ausnahmen abgesehen, bot London keinen Boden für großes Künstlertum. … Die langjährige Beschäftigung mit der internationalen Politik konnte F. zwar nicht zum praktischen Politiker machen. Dem widersprach seine künstlerische Natur. Aber er häufte ein gewisses Quantum von Erfahrungen an, die instinktiv wirkten und die ihm den weiten und prophetischen Blick gaben, der dem alten Fontane eigen ist und der durch seine dichterische Gabe noch verstärkt wurde79.

Bismarcks Tätigkeit am Frankfurter Bundestag in Frankfurt beleuchtet Karl Demeter, damals Reichsarchivar an der Außenstelle des Reichsarchivs in Frankfurt am Main, dadurch aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel, daß er Auszüge aus dem privaten Tagebuch eines seiner dortigen Untergebenen, Eduard Crüger, veröffentlicht, aus denen die Züge seiner Persönlichkeit wie die Art seines Auftretens und Wirkens anschaulich hervortreten80. Wir haben damit in unserem chronologischen Durchgang das Zeitalter Bismarcks erreicht, einen weiteren Schwerpunkt der FBPG, der freilich nicht annähernd gleichmäßig den gesamten Zeitraum seiner politischen Leitung, sondern vornehmlich nur das Einigungsjahrzehnt umfaßt. Hans-Joachim Häußler untersucht auf breiter archivalischer Grundlage die vornehmlich in den Jahren 1860 bis 1862 von Preußen verfolgten Absichten zur Herstellung eines einheitlichen Küstenschutzsystems für die gesamten norddeutschen Küsten und die Aufstellung einer Kanonenbootflotille unter seiner Leitung, die in die damaligen Debatten um die Reform des Bundesheerwesens gehörten und die am Widerstand der Mittelstaaten und Österreichs gegen die Ausdehnung des preußischen Einflusses scheiterten81. Die Vorgeschichte und Geschichte von Bismarcks Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten im September 1862 analysiert Wilhelm Treue, ein Schüler Fritz Hartungs, in der Weise, daß er sich auf die Haltung Wilhelms I. zu seinem damaligen Botschafter in Paris seit dem Frühjahr 1862 konzentriert und mit Hinweis auf seine politischen Pläne allenfalls eine sehr bedingte Bereitschaft des Königs zur Abdankung in den entscheidenden Septembertagen anerkennen 79 Charlotte Jolles, Theodor Fontane und die Ära Manteuffel. Ein Jahrzehnt im Dienste der Preußischen Regierung, in: FBPG 49 (1937), 57–114, Zitate 111–113; dies., Theodor Fontane und die Ära Manteuffel. Aus einem dienstlichen Briefwechsel, in: FBPG 50 (1938), 60–85 [Quellenedition]. Als Jüdin emigrierte Charlotte Jolles im Januar 1939 nach Großbritannien; vgl. Gotthard Erler, Charlotte Jolles – ein Leben für Theodor Fontane, in: Ein Leben für Theodor Fontane, Würzburg 2010, S. 9–24. 80 Aus dem Kreis um Bismarck in Frankfurt a. M. Tagebuchblätter, mitgeteilt von Karl Demeter, in: FBPG 48 (1936), 294–326; zum Herausgeber vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 113f. 81 Hans-Joachim Häußler, Küstenschutz und deutsche Flotte 1859–64. Zur Geschichte der Neuen Ära und der preußisch-deutschen Reichseinigung, in: FBPG 51 (1939), 311–343.

202 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

will82. Ludwig Dehios Beiträge zur innenpolitischen Lage Preußens 1866 werden weiter unten angesprochen. Ganz aus den Akten aller beteiligter Seiten schöpft Johannes Petrich seine aus seiner Dissertation erwachsene diplomatiegeschichtliche Darstellung der Friedensverhandlungen Bismarcks mit den süddeutschen Staaten Württemberg, Baden, Hessen-Darmstadt und Bayern 1866 bzw. seines Ringens mit den süddeutschen Kontrahenten ebenso wie mit König Wilhelm I. um Kriegskosten und Annexionsforderungen und seiner maßgeblichen Gesichtspunkte83. Gustav Roloff handelt von dem Versuch Frankreichs, im Herbst 1866 Preußen zu einer Garantie des römischen Kirchenstaates zu bewegen, der an den unterschiedlichen innen- und außenpolitischen Interessen scheiterte84. Die „Kriegsschulddebatte“ um den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges im Juli 1870 wird in der Weise ausgetragen, daß das sehr Bismarck-kritische Buch des amerikanischen Historikers Robert Howard Lord einer ausführlichen scharfen Rezension unterzogen wird85. Gegenüber den bislang behandelten Epochen tritt die Zeit des Kaiserreiches einschließlich des Ersten Weltkrieges in den FBPG deutlich zurück. Die vergleichsweise wenigen Aufsätze verdichten sich nicht mehr zu spürbaren Schwerpunkten, sie sind mehrfach wegen unzulänglicher Quellenbasis rasch von der Forschung überholt worden, und zudem betreffen sie eigentlich Vorgänge aus der Geschichte des Deutschen Reiches, während spezifisch preußische Phänomene wohl unter dem erdrückenden Eindruck der Auseinandersetzungen um das Kaiserreich nur beiläufig erwähnt werden. Die deutsche Außenpolitik von 1871 bis 1898 in ihren Beziehungen zu den anderen europäischen Großmächten wird von Paul Haake fast ausschließlich auf der Grundlage der ersten beiden Serien der vom Auswärtigen Amt veranlaßten Quellenedition „Die große Politik der europäischen Kabinette“ sogleich nach deren Erscheinen beschrieben, so daß es sich eigentlich mehr um Rezensionsaufsätze als um eine umfassende, alle Quellenausgaben berücksichtigende Spezialuntersuchung handelt86. Die Denkwürdigkeiten des Reichskanzlers Bernhard von Bülow wurden sofort nach ihrem Erscheinen 82 Wilhelm Treue, Wollte König Wilhelm I. 1862 zurücktreten?, in: FBPG 51 (1939), 275–310. 83 Johannes Petrich, Die Friedensverhandlungen mit den Süddeutschen 1866. Nach den Akten der beteiligten Staaten, in: FBPG 46 (1934), 321–352. – Vgl. Hilde Binder, Rez. v. Johannes Petrich, Bismarck und die Annexionen 1866 (Dissert. Teildruck), in: FBPG 47 (1935), 211f. 84 Gustav Roloff, Frankreich, Preußen und der Kirchenstaat im Jahre 1866: eine Episode aus dem Kampfe zwischen Bismarck und Napoleon, in: FBPG 51 (1939), 103–133. 85 Kurt Rheindorf, Ein amerikanisches Buch über den Kriegsausbruch von 1870, in: FBPG 38 (1926), 117–128, mit dem abschließenden Urteil: „Man wird auch dieses Buch in die Kategorie: Wirkung der Kriegspsychose einreihen müssen“ (128). 86 Paul Haake, Die deutsche Außenpolitik von 1871 bis 1890, in: FBPG 36 (1924), 97–124; ders., Die deutsche Außenpolitik von 1890 bis 1898, in: FBPG 37 (1925), 77–123.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 203

1931 gleich zweimal unter unterschiedlichen Gesichtspunkten erörtert. Während Johannes Ziekursch quellenkritisch die Entstehungsgeschichte des Werkes analysiert, setzt sich Heinrich Otto Meisner inhaltlich unter Einbeziehung der vorliegenden Aktenpublikationen mit der Bülowschen Selbstdarstellung vornehmlich seiner Außenpolitik auseinander87. Der Erste Weltkrieg ist schon bald nach seiner Beendigung zum Gegenstand historischer Betrachtung geworden, indem die Autoren sich mit den reichlich fließenden Memoirenwerken der handelnden Politiker und Militärs beschäftigten und auf ihrer Grundlage eine Orientierung zu verschaffen suchten – mit entgegengesetzten Urteilen. Während Johannes Ziekursch mit dem Kategorienpaar von Ermattungs- und Vernichtungsstrategie das Vorgehen der deutschen militärischen Führungen tiefer zu deuten trachtet und dabei die im zweiten Sinne denkenden und handelnden Schlieffen und Ludendorff sehr kritisch, den im ersten Sinne handelnden Falkenhayn hingegen positiver einschätzt, vermag Hermann Dreyhaus in seinem etwas oberflächlichen Literaturbericht seine Bewunderung für Hindenburg und Ludendorff kaum zu verhehlen88. Aber in späteren Jahren haben sich die FBPG an den Weltkriegsdebatten wenig beteiligt. Zu erwähnen ist allenfalls ein längerer Aufsatz Anton Ritthalers über die Rolle des Staatssekretärs von Hintze in den Erörterungen der politischen und militärischen Spitzen des Reiches vom September 1918 über dessen Parlamentarisierung, der allerdings infolge seiner Voreingenommenheit gegen die Parlamentarisierung allzu einseitig ausfällt89. An den historisch-politischen Kontroversen der Nachkriegszeit um die Versailler Friedensordnung und deren historische Beurteilung, die die deutsche Geschichtswissenschaft damals stark beanspruchten, haben die FBPG fast überhaupt nicht mitgewirkt. Allenfalls eine Miszelle von Johannes Papritz mit der kritischen Besprechung einer französischen Publikation zum Korridorproblem, die sich weitgehend die polnische Auffassung zu eigen gemacht hatte90, fällt hierunter. Dem damit abgeschlossenen chronologischen Durchgang durch die preußische Geschichte soll hier nur noch andeutungsweise und nicht in aller Breite eine sachthematische Übersicht angeschlossen worden, da zahlreiche Doppelungen unvermeidbar wären. Die vorstehend skizzierten Aufsätze sind vornehmlich einer 87 Johannes Ziekursch, Zur Entstehungsgeschichte der Denkwürdigkeiten des Fürsten Bülow, in: FBPG 44 (1932), 374–384. – Heinrich Otto Meisner, Fürst Bülow, der Memoirenschreiber und der Staatsmann, ebd., 156–196, vgl. dazu unten Anm. 135. 88 Johannes Ziekursch, Falkenhayn und Ludendorff in den Jahren 1914–1916, in: FBPG 34 (1922), 49–77. – Kriegsdenkwürdigkeiten, bespr. v. Hermann Dreyhaus, ebd., S. 421–442; vgl. auch ders., Die Marneschlacht 1914, in: FBPG 34 (1922), 111–122. 89 A[nton] Ritthaler, Die Rolle des Staatssekretärs von Hintze, in: FBPG 55 (1944), 133–162. 90 Johannes Papritz, Französische Wissenschaftler zum Korridorproblem, in: FBPG 44 (1932), 408–415.

204 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

weitgefaßten politischen Geschichte zuzuordnen. Andere Sachgebiete, die sich deutlicher von ihr abheben, haben in den FBPG ebenfalls in unterschiedlichem Ausmaß ihren Niederschlag gefunden. Noch eng mit der politischen Geschichte sind die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte verbunden; sie haben in der Zeitschrift ein williges Forum erhalten, auf dem vor allem einer ihrer wichtigsten Mitarbeiter, der unten zu behandelnde Heinrich-Otto Meisner, aufgetreten ist, so daß an dieser Stelle nur weniges vorgestellt werden soll. Einen verfassungsgeschichtlich orientierten Überblick über die brandenburg-preußischen Statthalter vornehmlich des 17. Jahrhunderts in verschiedenen Territorien bzw. Provinzen des werdenden Gesamtstaates, über die Amtsinhaber und ihre wechselnden amtlichen Funktionen, liefert Dietrich Kausche91. Eine preußische Beamtenfamilie des 18. Jahrhunderts über drei Generationen hinweg mit ihren einzelnen männlichen und weiblichen Angehörigen beschreibt Gottfried Wentz, wobei er von ihrem bedeutendsten Mitglied, Johann Andreas Krautt, ausgeht, der im ersten Jahrzehnt Friedrich Wilhelms I. dank seiner Finanzkünste bis zum preußischen Staatsminister aufstieg, und den Niedergang seiner Erben skizziert92. Aus den Studien zur Verfassungsfrage im 19. Jahrhundert sei hier die fundierte, unter Verwertung umfangreichen gedruckten und vor allem ungedruckten Quellenstoffs aus dem Brandenburg-Preußischen Hausarchiv entstandene Arbeit Friedrich Frahms angeführt. Sie analysiert eingehend das Ringen Friedrich Wilhelms IV., seiner Kamarilla und seiner Ministerien vom März 1848 bis Januar 1850 um die Gestalt der neu zu schaffenden preußischen Verfassung, insbesondere um die stufenweise Formung der oktroyierten Verfassung, und kommt dabei zu einem positiven Urteil über das Ministerium Brandenburg, weil es verstanden habe, den drohenden äußersten Kampf zwischen dem absoluten Königtum und der radikalen Demokratie durch die Einführung einer Verfassung gegen alle Widerstände zu vermeiden. Nicht schöpferische Leistung staatsmännischer Genies ist die preußische Verfassung ge­wesen, aber das Ergebnis aufopfernder Treue, die zwischen Absolutismus und revolutionärem Radikalismus die Mittelstraße der Versöhnung und die gesicherte Grundlage für große geschichtliche Leistungen zu finden wußte93.

Die preußische Militärgeschichte in den FBPG profitierte vornehmlich von den Nachwirkungen bzw. von der Wiederaufnahme des großen preußischen General91 Dietrich Kausche, Zur Geschichte der brandenburgisch-preußischen Statthalter, in: FBPG 52 (1940), 1–25. 92 Gottfried Wentz, Die Familie Krautt in Berlin und Magdeburg (Beamte und Offiziere des preußischen Ancien régime), in: FBPG 38 (1926), 1–29. 93 Friedrich Frahm, Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der preußischen Verfassung (vom März 1848 bis zum Januar 1850), in: FBPG 41 (1928), 248–301, Zitat 301.



Die thematischen Schwerpunkte der „Forschungen“ 

 205

stabswerkes zum Siebenjährigen Krieg, das wegen des Ersten Weltkrieges und der anschließenden Auflösung der preußischen Armee nicht hatte vollendet werden können. Für die Nachwirkung steht Curt Jany, ein in der Monarchie früh mit armeegeschichtlichen Studien und dann vor allem in der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabes hervorgetretenen Generalmajor a.D., der 1928/29 das dreibändige Standardwerk zur „Geschichte der Königlich Preußischen Armee bis zum Jahre 1807“ in ihrer Verflechtung mit dem gesamten Staatsleben und dem allgemeinen Kriegswesen vorlegte94, also ein vorzüglicher Kenner insbesondere der preußischen Militärgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, aus deren Bereich er in unserer Zeitschrift zwischen 1923 und 1943 insgesamt zehn Beiträge, davon drei längere, infolge ihres grundsätzlichen Zugriffes gewichtige Aufsätze und sieben Miszellen zu recht speziellen Vorgängen95, publizierte. Von den Aufsätzen behandelte der eine überblicksartig die Geschichte der drei großen preußischen Militärarchive von den Anfängen im 17. Jahrhundert bis zu ihrem Zustand vor 1914. Der zweite beschrieb auf breiter Quellengrundlage die schwierige, teilweise geradezu gewaltsame Einführung der Dienstpflicht im stehenden Heer für die große Masse der wehrfähigen Bevölkerung unter Friedrich Wilhelm I. in Form der sog. Kantonverfassung und den darin erst allmählich gefundenen Ausgleich der militärischen und wirtschaftlichen Bedürfnisse. Der dritte zog das Fazit aus dem Generalstabswerk zu den Kriegen Friedrichs des Großen und erörterte in weit ausholenden, verschiedenen thematischen Betrachtungen die Denk- und Handlungsweise des königlichen Feldherrn und die Grundlinie seiner Kriegführung96. Für die Wiederaufnahme des Generalstabswerkes steht Eberhard Kessel, der die letzten Kriegsjahre, beginnend mit dem Ende des Jahres 1760, 94 Vgl. die Besprechung von [Rudolf] Vaupel, in: FBPG 43 (1931), 178–180. 95 Curt Janys Miszellen in thematischer Anordnung: Ein Beitrag zur Aliso-Frage [Ort des Römerfeldzuges in Germanien 11 v.Chr.], in: FBPG 46 (1934), 176–179; Derfflingers militärische Jugendjahre [im 30jährigen Krieg], in: FBPG 43 (1931), 334–339; Der Anfang des stehenden Heeres in Brandenburg, in: FBPG 51 (1939), 178–180; Die brandenburgischen Hilfstruppen Wilhelms [III.] von Oranien, in: FBPG 37 (1925), 132–136; Einige Bemerkungen zur Schlacht von Torgau [1760], in: FBPG 52 (1941), 155–162; Nochmals Torgau, in: FBPG 54 (1943), 380–382; Drei anonyme Bücher [des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts] über Friedrich den Großen und sein Heer, in: FBPG 37 (1925), 300–308. 96 Ders., Die Preußischen Militärarchive, in: FBPG 36 (1924), 67–86; Die Kantonverfassung Friedrich Wilhelms I., in: FBPG 38 (1926), 225–272; Der siebenjährige Krieg. Ein Schlußwort zum Generalstabswerk, in: FBPG 35 (1923), 161–192. Vgl. zu Jany die knappen Hinweise bei Jürgen Kloosterhuis, Archivische Sprengelkompetenz versus mililtärhistorische Deutungshoheit. (Militär-)Politische Implikationen in der Entwicklung des preußisch-deutschen Heeresarchivwesens. Eine archivgeschichtliche Dokumentation, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hrsg. v. Hans-Christof Kraus (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, 171–218, hier 177.

206 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

untersuchen und darstellen sollte. In den FBPG publizierte Kessel mehrere Vorarbeiten des geplanten, im Anschluß an seiner Berliner Habilitationsschrift über die Schlacht von Torgau 1760 angepackten großen Hauptwerkes, zumeist kleinere Beiträge zur Kriegführung 1760 und 1761, unter denen der über die Entstehung des russisch-österreichischen Feldzugsplanes von 1761 wegen seiner Quellengrundlage und seines inhaltlichen Gewichtes herausragt. Der Verfasser stützt sich vornehmlich auf Akten des Kriegsarchivs und des Haus-, Hof- und Staatsarchivs in Wien, konzentriert sich auf die strategische Gedankenwelt der österreichischen Generalität und analysiert die politischen und militärischen Verhandlungen über die Abstimmung eines österreichisch-russischen Operationsplanes. Grell treten die grundsätzlichen Schwierigkeiten eines Koalitionskrieges, vornehmlich einer gemeinsamen Koalitionskriegsführung und des Oberbefehls einer vereinigten österreichisch-russischen Armee hervor, die in der österreichischen Führung zu kontroversen Diskussionen über Vorzüge und Nachteile getrennter oder gemeinsamer Operationen führten. Die Möglichkeiten der militärischen Behauptung Preußens werden somit indirekt dadurch erhellt, daß die strukturellen Grenzen seiner Gegner in ihrer Kriegführung beispielhaft erläutert werden97. Anfänge und Ausbau der preußischen Rüstungsbetriebe unter Friedrich Wilhelm I. und vor allem Friedrich dem Großen, ihre Produkte und Produktionsverfahren sowie der verschiedenartige Bedarf des Heeres werden von Paul Rehfeld beschrieben98. Kultur-, Kunst- und Geistesgeschichte im weiteren Sinne fielen im Vergleich mit den zuvor angesprochenen Bereichen ganz erheblich ab, auch wenn sie nicht 97 Eberhard Kessel, Der russisch-österreichische Feldzugsplan 1761, in: FBPG 49 (1937), 142– 160; Tottlebens Verrat, ebd., 371–378 [behandelt einen preußischen Informanten unter der russischen Generalität im Frühjahr 1761]. – Vgl. ferner: Friedrich der Große am Abend der Schlacht bei Torgau, in: FBPG 46 (1934), S. 179–188; Noch einmal die Schlacht bei Torgau, in: FBPG 54 (1943), 135–139 [Polemik gegen Curt Jany]. – Außerhalb seiner Untersuchungen zum Siebenjährigen Krieg liegt Kessels kommentierte Edition einer Denkschrift von Carl von Clausewitz aus dem Jahre 1818 über territoriale Gedankenspiele unter hochrangigen preußischen Verwaltungsbeamten nach dem Wiener Kongreß: Ders., Clausewitz über den Gedanken eines Ländertauschs zur Verbindung der Ost- und West-Masse der Preußischen Monarchie nach den Befreiungskriegen, in: FBPG 51 (1939), 371–377. – Kessel zählte auch zu den fleißigen Rezensenten der FBPG, vgl. beispielhaft seine Besprechungen von: Gerhard Ritter, Friedrich der Große, 1936, in: FBPG 49 (1937), 412–414; Stephan Hirzel, Des großen Königs Weg zu Gott, 1936, ebd., 414–416; Reinhard Höhn, Verfassungskampf und Heereseid, 1938, in: FBPG 51 (1939), 205–207; Friedrich Meinecke, Preußisch-deutsche Gestalten und Probleme, in: FBPG 52 (1940), 384f. – Zu Kessel vgl. jetzt die einfühlsame Darstellung von Ludwig Biewer, Eberhard Kessel und sein Beitrag zur Erforschung der preußischen Geschichte, in: Das Thema „Preußen“ (wie Anm. 96), 403–417, hier 409, 415f. 98 Paul Rehfeld, Die preußische Rüstungsindustrie unter Friedrich dem Großen, in: FBPG 55 (1944), 1–31.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 207

gänzlich fehlten. Eine geistesgeschichtliche Untersuchung, wie sie einmal 1935 über Wilhelm von Humboldt und den preußischen Staatsgedanken vorgelegt wurde99, blieb weitestgehend isoliert. Ernst Kaeber steuert einen großzügigen, umfassenden Überblick über das Geistesleben und die geistigen Betätigungen in Preußens Hauptstadt Berlin zur Zeit Friedrichs des Großen bei, beschreibt darin die meinungsbildenden Gemeinschaften, die Akademie der Wissenschaften und insbesondere den Nicolai-Kreis, und charakterisiert die unterschiedlichen geringeren und größeren Leistungen auf einzelnen Fachgebieten wie der Philosophie, der Theologie, des Unterrichts, der übrigen Geistes- und Naturwissenschaften, der schönen Literatur und der Künste. Die Bewegung der Aufklärung, unter der die verschiedenen Strömungen zusammengefaßt werden, wird von Kaeber im Unterschied zum ansonsten damals üblichen Urteil sehr anerkennend eingeschätzt100. Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen

IV Preußische Forschungsvorhaben IV wissenschaftlicher Einrichtungen und IV ihrer Bearbeiter in den „Forschungen“ Die vorhergehende Übersicht hat nicht nur die große Vielfalt der Themen aufgezeigt, die in den FBPG behandelt wurden, sondern auch die große Zahl der Autoren angedeutet, die sich in ihrer geschichtswissenschaftlichen Arbeit mit dem Gesamtstaat Preußen befaßten. Das Gewicht eines Forschungszweiges hängt bekanntlich maßgeblich davon ab, aus welchem personellen Reservoir er zu schöpfen vermag, welchen qualitativen Anforderungen die Fachkräfte genügen und wie sie institutionell verankert sind. Eine Zeitschrift wie die FBPG, die einen bestimmten regionalen und zeitlichen Ausschnitt aus der deutschen Geschichte als ihr Interessenfeld ausgewählt hatte, war für ihre intellektuelle Ausstrahlung darauf angewiesen, daß sie sich auf einen festen Stamm von Preußen-Historikern stützen konnte, die nicht nur gelegentlich und beiläufig, sondern regelmäßig und ständig preußische Vorgänge untersuchten, weil sie dazu von Amts wegen oder 99 Ernst Schaumkell, Wilhelm von Humboldt und der preußische Staat, in: FBPG 47 (1935), 309–325. – Vgl. noch: Wilhelm Stolze, Der junge Wilhelm von Humboldt und der preußische Staat, ebd., 161–171. Beide Untersuchungen stehen sich in ihrem Urteil über die Staatsnähe oder Staatsferne Humboldts diametral entgegen. 100 Ernst Kaeber, Geistige Strömungen in Berlin zur Zeit Friedrichs des Großen, in: FBPG 54 (1943), 257–303; zum Verfasser vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 291f.; Werner Vogel, Ernst Kaeber (1882–1961), in: Lebensbilder (wie Anm. 22), 250–257.

208 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

auftragsgemäß verpflichtet waren. Wir werden daher im Folgenden aus ihrer bunten Autorenschar diejenigen mit ihren Aufsätzen skizzieren, die auf Grund ihrer allgemeinen amtlichen Position oder eines besonderen Forschungsauftrages direkt oder indirekt mit der Erforschung und Darstellung preußischer Geschichte betraut waren, die wiederholt und mit innerlich und äußerlich gewichtigen Beiträgen auf den Seiten der FBPG vertreten waren und die daher vornehmlich deren Qualität verbürgten. Schaut man mithin auf die berufliche Wirkungsstätten und Forschungsvorhaben dieser Preußen-Historiker, zeigt sich rasch, daß unsere Zeitschrift in entscheidendem Maße von Kräften der Preußischen Akademie der Wissenschaften, des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und der FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin getragen wurde. Anders ausgedrückt: Aus den großen Editionsvorhaben, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Gang gesetzt worden waren, fielen für die FBPG manche gehaltvolle Untersuchungen ab, in denen die Verfasser zu spezielleren Fragen ebenso wie in umfassenderen Überblicken aus ihrer reichen Quellenkenntnis schöpften. Allerdings machte sich bemerkbar, daß infolge der schmaleren Finanzgrundlagen der Umfang der Projekte gegenüber der Zeit vor 1918 erheblich reduziert worden war und damit die daraus erwachsenden Erträge abnahmen. Diese Beobachtung gilt insbesondere für die an der Akademie der Wissenschaften angesiedelten Acta Borussica101, als deren Entlastung oder zu deren Ergänzung wie bemerkt die FBPG ursprünglich wesentlich hatten beitragen sollen. Hatten die Acta Borussica vor 1914 Autoren wie Martin Haß102, Otto Hintze, Hugo Rachel, Gustav Schmoller, Friedrich Frhr. von Schroetter und Wilhelm Stolze beigesteuert, so sind für die spätere Zeit mit umfassenden Artikeln nur noch Rachel und der junge Carl Hinrichs zu nennen. Rachel, Hintze-Schüler, zog 1927 auf 45 Seiten die Summe aus seiner seit 1911 erschienenen dreibändigen Edition zur Handels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens, indem er den Merkantilismus des Staates von 1640 bis 1810 in einem gedrängten Abriß in seinen charakteristischen Eigenarten untersuchte und ihn dazu zur Erkenntnis der wechselnden Schwerpunkte in fünf Zeitabschnitte, von den tastenden Anfängen unter dem Großen Kurfürsten über den systematischen Ausbau unter Friedrich Wilhelm I. und der weiteren, noch wesentlich verschärfteren Ausprägung unter Friedrich dem Großen bis zur Abmilderung unter dessen beiden Nachfolgern untergliederte. Im Mittelpunkt der Schilderung steht die Wirtschaftspolitik der drei großen Hohenzollern-Herrscher des 17. und 18. Jahrhunderts, die von 101 Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), bes. 183. 102 Ders., Martin Hass (1883–1911). Beiträge zur Biographie eines preußischen Historikers und Wegbereiters der Aktenkunde als Historischer Hilfswissenschaft, in: Herold-Jahrbuch 3 (1998), 53–71; ders., Martin Hass (1883–1911), in: Lebensbilder (wie Anm. 22), 103–107.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 209

ihnen jeweils verfolgten wirtschaftspolitischen Absichten und Maßnahmen zum Ausbau und zur Förderung von „Commercien und Manufakturen“ im Innern und zum schroffen Abschluß nach außen werden überblicksartig geschildert und entsprechend den erreichten oder verfehlten Zielen beurteilt. Rachel schätzt den Merkantilismus als „eine geschichtlich notwendige Erscheinung“ ein, wenn „aus dem Vielerlei von städtischen und landschaftlichen Körperschaften staatliche Machtgebilde entstehen sollten“. Insofern versteht er sein Thema als einen Ausschnitt aus dem frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozess. Die so begründete grundsätzliche Bejahung des Merkantilismus hindert ihn aber nicht daran, an manchen seiner Züge erhebliche Kritik zu äußern und die mannigfaltigen Fehlschläge, gerade auch die der Wirtschaftspolitik Friedrichs II., nicht zu verschweigen. … man wird … die Kritik [sc. am merkantilistischen System] nur dann als berechtigt anerkennen können, wenn sie die ganze Erscheinung als geschichtlich notwendig und entwicklungsfördernd begreift und sich darauf beschränkt, die zahleichen Übertreibungen und Härten und das zu lange Festhalten an nicht mehr zeitgemäßen Grundsätzen zu verurteilen103.

Als Nebenfrucht seiner Geschichte der preußischen Wollindustrie im frühen 18. Jahrhundert legte Hinrichs104 1932 – vorbereitet und begleitet durch zwei Vorträge in den Sitzungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg105 – eine Studie zum Königlichen Lagerhaus in Berlin vor106, einer Schöpfung Friedrich Wilhelms I., einer 1713 geschaffenen gewerbliche Unternehmung in seinem militärisch-administrativen System, einer Militärtuchmanufaktur, die dazu 103 Hugo Rachel, Der Merkantilismus in Brandenburg-Preußen, in: FBPG 40 (1927), 221–266, Zitate 222. – Zum Verfasser und seiner Edition vgl. die Bemerkungen bei Neugebauer, Zum schwierigen Verhältnis (wie Anm. 5), 266, und ders., Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), 174, 183f., bes. 184 Anm 64 zu dem FBPG-Aufsatz. 104 Zu Person und wissenschaftlichem Werk vgl. zunächst Gerhard Oestreich, Einleitung, in: Carl Hinrichs, Preußen als historisches Problem. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. v. Gerhard Oestreich (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-MeineckeInstitut der Freien Universität Berlin, 10), Berlin 1964, S. 1–12, und die ebd., S. 430, angegebenen Widmungs- und Gedächtnisaufsätze; jetzt aber auf Grund umfangreichen archivalischen Materials mit ganz neuen Erkenntnissen Wolfgang Neugebauer, Wissenschaft und politische Konjunktur bei Carl Hinrichs. Die früheren Jahre, in: FBPG N.F. 21 (2011), 141–190, in Fortführung und Erweiterung seiner älteren Untersuchung: Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), 185–188; zurückhaltender im Urteil über Hinrichs’ Verhalten in der NS-Zeit: Peter Baumgart, Carl Hinrichs und die preußische Geschichte, in: Das Thema „Preußen“ (wie Anm. 96), 387–402. 105 Nachgewiesen bei Werner Schochow, Bibliographie Carl Hinrichs, ebd., 421–430, hier 424 Nr. 13 und 15. 106 Carl Hinrichs, Das Königliche Lagerhaus in Berlin, in: FBPG 44 (1932), 46–69.

210 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

diente, mit ihrer Arbeit die Massenbedürfnisse des Heeres zu befriedigen. Hinrichs zeichnet „das Bild des Lagerhauses als einer frühkapitalistischen Unternehmung spezifisch preußischer Prägung“, rekonstruiert seinen inneren Aufbau und Betrieb und skizziert seine Bedeutung in der preußischen und allgemeinen Wirtschaftsgeschichte. Er hebt die Verbindung von „Militarismus und Industrialismus“ hervor, analysiert mithin im Zentrum seiner Überlegungen die militärischen und sozialpolitischen Absichten des Königs, nach denen die Arbeiten, die das Heer zu vergeben hatte, die Militärangehörigen ernähren und die daraus fließenden Gewinne der wirtschaftlichen und sittlichen Hebung des Soldatenstandes zugute kommen sollten, und untersucht die Elemente einer frühkapitalistischen Geschäfts- und Fabrikationsleitung. In dem Zusammenhang zwischen dem Lagerhaus und anderer industrieller Betriebe mit dem Potsdamer Militärwaisenhaus und der dortigen Erziehung des gefährdeten Nachwuchses der Soldatenfamilien erkennt Hinrichs – spätere eigene Studien ankündigend – den „geistige[n] Zusammenhang … dieses militärischen Sozialismus mit dem hallischen Pietismus“107. Der Spezialist der Acta Borussica für das preußische Münzwesen, Friedrich Freiherr v. Schrötter, faßte 1927 die wesentlichen Ergebnisse seines in den beiden vorhergehenden Jahren im Auftrage der Preußischen Akademie der Wissenschaften erschienenen, an seine Acta Borussica-Bände für das 18. Jahrhundert anschließenden Werkes über das preußische Münzwesen 1806–1873 auf wenigen Seiten, auf denen Preußens Arbeit an der Herstellung der deutschen Münzeinheit im Mittelpunkt stand, summarisch zusammen108. Außerdem steuerte Schrötter noch zwei Miszellen zu brandenburgischen Münzen des 17. Jahrhunderts109 und wenige Besprechungen zu Veröffentlichungen seines Spezialgebietes bei. Die anderen Mitarbeiter der Acta Borussica der 1920er und 1930er Jahre, August Skalweit und insbesondere Ernst Posner, der Editor der zentralen Reihe über die allgemeine Behördenorganisation, waren hingegen in den FBPG nicht vertreten, Posner referierte nur einmal in einer Vereinssitzung über einen friderizianischen Minister110. 107 Die Zitate ebd., 48, 47, 57. – Zu den Hintergründen und Eigenarten der Hinrichs’schen Studien zur preußischen Wollindustrie vgl. jetzt eindringlich Neugebauer, Wissenschaft (wie Anm. 103), 148–157. 108 Friedrich Freiherr v. Schrötter, Die preußische Münzpolitik im 19. Jahrhundert 1806 bis 1873, in: FBPG 39 (1927), 117–123. 109 Ders., Die Berliner Münzprägung der märkischen Stände 1661–1664, in: FBPG 31 (1919), 401–409; ders., Münzen und Medaillen aus den letzten Jahren des Kurfürsten von Brandenburg Joachim Friedrich (1604 bis 1608), in: FBPG 46 (1934), 369–374 [Der Beitrag wertet Klinkenborgs Quellenedition „Acta Brandenburgica“ münzgeschichtlich aus.]. 110 Vgl. Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), 181–183, 190–192 (zu Posner), 185 (zu Skalweit).



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 211

Zu den fleißigsten Mitarbeitern der FBPG gehörte Gustav Berthold Volz111. Allein zehn kürzere und längere Aufsätze – und dazu noch etliche Rezensionen112 – hat er zur Zeitschrift zwischen 1920 und 1938 beigesteuert, die allesamt ausnahmslos um Friedrich den Großen kreisten, dem Mittelpunkt seines Lebenswerkes. Denn seitdem er im Alter von 26 Jahren 1895 Mitherausgeber und schon drei Jahre später Alleinherausgeber der Politischen Correspondenz des Königs geworden war, hatte er seine ganze Arbeitskraft diesem ebenfalls von der Akademie der Wissenschaften getragenen editorischen Großunternehmen gewidmet, das er mit der Publikation von 24, zwischen 1896 und 1939 erschienenen Bänden über den Zeitraum von 1763 bis 1782 der Vollendung nahebrachte. Seine Beiträge in den FBPG sind teils unmittelbar aus dieser Edition erwachsen und damit auf die friderizianische Außenpolitik nach dem Siebenjährigen Krieg konzentriert, teils sind sie seinen weiteren Editionen zur friderizianischen Zeit entsprungen, teils sie sind durch die kontroversen Debatten um die Persönlichkeit des Königs ausgelöst. Vornehmlich aus dem erstmals erschlossenen Material, unter Verwendung der sonstigen Überlieferung und in kritischer Auseinandersetzung mit der Literatur faßt Volz seine Erkenntnisse in Studien zur preußischen bzw. friderizianischen Außenpolitik, ihren Erwägungen, Absichten und Maßnahmen in Bezug auf die Erste Teilung Polens 1772, den Bayerischen Erbfolgekrieg 1778/79 und weitere Vorgänge der 1770er Jahre zusammen. In diesem Zusammenhang behandelt er auch den Prinzen Heinrich, indem er dessen wesentlichen Anteil an den frühen Plänen und Absprachen von 1770 zur Einleitung der ersten Teilung Polens und damit sein politisches Eigengewicht gegenüber seinem königlichen Bruder untersucht. Die von Volz besorgte, durch das Ende der Monarchie ermöglichte erstmalige vollständige Herausgabe der beiden politischen Testamente Friedrichs, die 1920 als Ergänzungsband zur Politischen Correspondenz erschien, begleitet er in der Zeitschrift mit Erwägungen zu den äußeren Anlässen bzw. zu den (außenpolitischen) Beweggründen ihrer Abfassung113.

111 Fritz Hartung, Gustav Berthold Volz, in: FBPG 51 (1939), 134–142; Hans Volz, Verzeichnis der Schriften von Gustav Berthold Volz, ebd., 142–151. 112 Für die Urteilsmaßstäbe und Argumentationsweise von Volz sind besonders charakteristisch seine Rezensionen von Arnold Berney, Friedrich der Große, 1934, in: FBPG 47 (1935), 192–198, wie von Walter Elze, Friedrich der Große, 1936, in: FBPG 48 (1937), 186–191. 113 Gustav Berthold Volz, Friedrich der Große und der bayrische Erbfolgekrieg, in: FBPG 44 (1932), 264–301; Friderizianische Probleme. I. Österreichs Anschlag auf Schlesien (1775–1776), II. Der Ursprung des Plans eines Dreibundes zwischen Preußen, Russland und der Türkei (1779), in: FBPG 47 (1935), 1–19; Prinz Heinrich und die Vorgeschichte der Ersten Teilung Polens, in: FBPG 35 (1923), 193–211; Zur Entstehung der Politischen Testamente Friedrichs des Großen von 1752 und 1768, in: FBPG 32 (1920), 369–384.

212 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Volz’ quellenkritisches Kernanliegen, die Beurteilung vorliegender Überlieferungen auf ihre Glaubwürdigkeit insbesondere durch die Klärung der Überlieferungsverhältnisse und ihrer Entstehungsumstände, kommt etwa in seinen Studien zu den Denkwürdigkeiten der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth oder – noch schöner – zur berühmten Ansprache Friedrichs an die Offiziere und Soldaten vor der Schlacht von Leuthen zur Geltung, indem er im letzten Fall den Wert der verschiedenen nachträglichen, teilweise voneinander abweichenden Berichte gegeneinander abwägt und unter Berücksichtigung der konkreten militärischen Lage und Lagebeurteilung Anfang Dezember 1757 den Inhalt und die Absicht der königlichen Rede zu rekonstruieren sucht. Ganz ähnlich geht die durch die Quellenedition von Carl Hinrichs ausgelöste Untersuchung zum Kronprinzenprozeß 1730 vor, wenn sie vornehmlich den Quellenwert der vorliegenden Zeugnisse zum Verhältnis des Königs zu seinem ältesten Sohn vor, während und nach dem Prozeß analysiert und auf diese Weise den genauen Ablauf und die damit verknüpften Motive der Beteiligten zu ermitteln trachtet. Bezeichnenderweise entzieht sich Volz dabei einer umfassenden Darstellung und Wertung des Vater-Sohn-Konfliktes114. Mit der quellenkritischen Methode rückt er auch den schon zu Lebzeiten des Königs oder kurz nach seinem Tode entstandenen Anklagen oder auftretenden Anklägern und deren vorwurfsvollen Schilderungen entgegen, die nicht die Politik Friedrichs, sondern sein Menschentum, seine Persönlichkeit betrafen (und die sich, ungeachtet aller historischen Erkenntnisse, auch derjenigen von Volz, bis auf den heutigen Tag einiger Beliebtheit erfreuen, wie man der Rezeption der Literatur des 18. Jahrhunderts im friderizianischen Jubiläumsjahr 2012 ebenso wie in den letzten zurückliegenden Jahrzehnten entnimmt115). Er analysiert die literarischen Schriften aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die die angebliche Homosexualität Friedrichs – vorwurfsvoll – herausgestellt haben, er spannt den Bogen von dem wohl von Voltaire stammenden Pamphlet „Idée de la Cour de Prusse“ und dessen späteren Veröffentlichungen bis hin zu den von Voltaire abhängigen nachfriderizianischen Publikationen der späten 1780er und 1790er Jahre und belegt die Fragwürdigkeit ihrer Behauptungen. Eingehend untersucht er die „Merkwürdige Lebensgeschichte“ 114 Ders., Die Parchwitzer Rede, in: FBPG 35 (1923), 119–127; Die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth und ihre Denkwürdigkeiten, in: FBPG 36 (1924), 164–179; Der Kronprinzenprozeß von 1730, in: FBPG 50 (1938), 1–32. 115 Immerhin entzauberte jüngstens ein kundiger Rezensent „die vermeintliche Entdeckung eines erotischen Gedichts von Friedrich dem Großen“, indem er dessen Erstveröffentlichung durch Volz „in den für die Friedrich-Forschung bis heute unverzichtbaren ‚FBPG‘“ nachwies. Vgl. Hans-Ulrich Seifert, Die höchste Freude, der Materialist und der preußische König, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 302 vom 28. 12. 2011, N 4, mit Verweis auf Gustav Berthold Volz, Ungedruckte Briefe und Dichtungen Friedrichs d. Gr., in: FBPG 45 (1933), 366–374; 46 (1934), 188–194.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 213

des Friedrich Freiherrn von der Trenck, eines Erinnerungswerkes, das mit seiner Geschichte eines angeblich unschuldig Verfolgten und in seiner Mischung aus Abenteurertum und Liebesromantik seine Anziehungskraft von seinem ersten Erscheinen 1786/87 bis zu unserer Gegenwart anscheinend nicht verloren hat – und das doch, wie Volz eingehend durch Auswertung der reichlich vorhandenen zeitgenössischen Akten des Geheimen Staatsarchivs wie auch der eigenen Trenckschen „Blutbibel“ überzeugend nachweist, in großen Teilen seiner Phantasie entsprungen war. Volz beendet seine Quellenkritik mit dem vernichtenden Urteil: „Und entkleiden wir seine Erzählung aller romantischen und poetischen Zutaten, mit denen sie reich ausstaffiert ist, so bleibt am Ende nichts übrig als die Geschichte eines Deserteurs“116. Wenn man, wie es hier geschieht, die Autoren der FBPG nach ihrer institutionellen Verankerung ordnet, stellten die größte Gruppe zweifellos die preußischen Staatsarchivare in den beiden Berliner Zentralarchiven, im Preußischen Geheimen Staatsarchiv und im Brandenburg-Preußischen Hausarchiv, zumindest eindeutig in quantitativer Hinsicht, aber vielleicht auch in qualitativer Betrachtung. Denn ihre Beiträge zeichneten sich vielfach dadurch aus, daß sie sie in breitem Ausmaße auf der Ermittlung und Auswertung archivalischer Quellen gründeten, aber dabei nicht in einem trockenen Aktenreferat stecken blieben, sondern sich von übergeordneten Fragestellungen leiten ließen und zu grundsätzlichen Schlussfolgerungen gelangten. Vier von ihnen, wohl die vier gewichtigsten, Georg Winter, Ludwig Dehio, Carl Hinrichs und Heinrich Otto Meisner, seien hier mit ihren Studien herausgegriffen117. Die beiden Beiträge Georg Winters sind in unmittelbarem und mittelbarem Zusammenhang aus seiner Mitarbeit an der von preußischen Archivverwaltung veranlaßten, letztlich Torso gebliebenen großen Aktenedition zur „Reorganisation des preußischen Staates unter Stein und Hardenberg“ erwachsen, in deren Rahmen er 1931 einen Band über „Allgemeine Verwaltungs- und Behördenreform“ für die Zeit „Vom Beginn des Kampfes gegen 116 Ders., Friedrich der Große und seine sittlichen Ankläger, in: FBPG 41 (1928), 1–37; Trencks Denkwürdigkeiten, in: FBPG 38 (1926), 273–320, Zitat 320. – Trencks Beziehungen zu Preußen nach 1786 wurden wenig später von Johannes Schultze einer eingehenden, auf breiter Aktengrundlage beruhenden Untersuchung unterzogen: Johannes Schultze, Freiherr Friedrich von der Trenck und seine Beziehungen zu Preußen und Graf Hertzberg nach dem Tode Friedrichs d. Gr., in: FBPG 46 (1934), 296–320. 117 An Zahl und Gewicht der Publikationen stehen weitere Geheime Staatsarchivare hinter ihnen zurück. Z.B. Ernst Müller, Briefe des Kronprinzen Friedrich an Hans Christoph Friedrich von Hacke 1732–1738, in: FBPG 40 (1927), 34–64 [Edition von 62 aus einem adligen Gutsarchiv stammenden, dem Geheimen Staatsarchiv 1912 geschenkten Briefen Friedrichs]; ders., Die Erschießung des preußischen Werbeoffiziers Michael Georg v. Wollschläger und der Konflikt mit den Niederlanden 1733, in: FBPG 48 (1936), 359–374.

214 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

die Kabinettsregierung bis zum Wiedereintritt des Ministers vom Stein“ vorlegte. Sein 1927 in den FBPG veröffentlichter Aufsatz zum Edikt vom 9. Oktober 1807 und ergänzenden Verordnung vom 14. Februar 1808, mit denen die bäuerliche Erbuntertänigkeit aufgehoben und in der Folge die preußische Agrarverfassung grundlegend umgestaltet wurde118, beansprucht, an einem Schulbeispiel, bei dem es sich um oft und eingehend erörterte Fragen der historischen Literatur handelt, die unverminderte Notwendigkeit einer umfassenden Bereitstellung und exakten Bearbeitung des archivalischen Materials für die Reformzeit darzulegen.

Winter sucht dem selbst gesetzten Maßstab gerecht zu werden, indem er auf der Grundlage von amtlichen und Nachlaßpapieren die Entscheidungsprozesse der politischen Spitzen Preußens in ihrem administrativen Ablauf, wie sie sich in ihren Grundsatzdokumenten und Gesetzentwürfen mit ihren gleichgerichteten und gegenläufigen Vorstellungen der Beteiligten äußerten, präzise nachvollzieht und analysiert, indem er die in den Papieren der Staatsbeamten auftauchenden sozialen Kräfte, insbesondere den Adel, in seine Betrachtung einbezieht und die Leitlinien der Staatsbürokratie herausarbeitet. So kommt er durch sorgfältiges Aktenstudium im grundsätzlichen, über das Einzelproblem hinausreichenden Ergebnis zu einer wesentlichen Revision des damals von Georg Friedrich Knapp bestimmten Urteils über das Verhältnis von Regierung und Adel: Daß in jenen beiden Gesetzen die Regierung vor dem Adel, aus Gründen der Entschädigung der Gutsbesitzer für die aufgehobene Erbuntertänigkeit, zurückgewichen sei, wie Knapp es darstellt, ist unhaltbar, … der große Reformplan Hardenbergs und dessen mit Energien geladenes Prinzip der Freiheit zur Entfaltung aller individuellen Kräfte im Rahmen des Staates, das ist der breite Strom, auf dem das Oktoberedikt am Horizont einer neuen Epoche Preußens erschien.

Die Bearbeitung der Aktenedition zur preußischen Reformzeit prädestinierte Winter dazu, den literarischen Ertrag des Steinschen Jubiläumsjahres 1931 eingehend zu würdigen. Seine Sammelbesprechung mustert im „Krisenjahr 1931“ die damaligen Neuerscheinungen, darunter vornehmlich die große Stein-Biographie Gerhard Ritters, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, „ob und inwiefern das Werk Steins [nach Auffassung der besprochenen Autoren] noch heute als beispielhaft oder als latente Forderung an die Gegenwart aufgefaßt werden könne“, und in seiner eigenen Antwort neigt er offensichtlich weniger Franz Schnabel,

118 Georg Winter, Zur Entstehungsgeschichte des Oktoberedikts und der Verordnung vom 14. Februar 1808, in: FBPG 40 (1927), 1–33. – Die folgenden Zitate ebd., 5 Anm. 1, 31f. – Zum Verfasser vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 672f.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 215

der Stein „als den Ahnherrn des modernen volksstaatlichen Denkens“ beansprucht habe, mehr Gerhard Ritter und dessen Ablehnung einer Aktualisierung der Vergangenheit zu und deutet seine eigene Position an mit der Bemerkung: Ob sich der Gegenwart ein neuer Zugang zur Gedankenwelt Steins gerade in der Auflehnung gegen die Schematisierung und Egalisierung der Individualitäten eröffnet, die die Gefahr aller modernen Demokratie darstellt? In dem so eigentümlich und lebendig erfaßten Gedanken einer Synthese von Individuum und Gemeinschaft, der sich in der Zeit des allgemeinen Zusammenbruchs mit dem nationalpolitischen Ideal von Einheit und Größe verband, spiegelt sich der tiefste Gehalt der Persönlichkeit des Staatsmannes119.

Alle fünf zwischen 1923 und 1934 publizierten Beiträge Ludwig Dehios beruhen vornehmlich auf der Auswertung von persönlichen Nachlässen oder konzentrieren sich gar auf die Edition einzelner Nachlaßpapiere wie Briefwechsel oder Denkschriften, was u.a. daraus resultierte, daß der Geheime Staatsarchivar in den 1920er Jahren konsequent die bisherige kleine Nachlaßrepositur seines Hauses gezielt und systematisch auszubauen trachtete und einzelne Quellenfunde aus dessen Neuzugängen vorzustellen beliebte. Sein Zugriff gilt der Einordnung und Deutung seiner ausgewählten Quellen aus dem Zeitraum 1806 bis 1866, ihrer Auswertung für die politischen Gedankenwelt und Absichten ihrer Verfasser, deren Persönlichkeiten kraftvoll zupackend und literarisch ambitioniert gezeichnet wurden. Er analysiert eine Denkschrift des Kabinettsrates Beyme aus dem Sommer 1806, vor der Katastrophe, zur preußischen Außenpolitik, zur Organisation der Regierungszentrale und zur Reform des Militärwesens120; er untersucht die Stellung des reaktionären Hausministers Wittgenstein in den 1830er Jahren zur deutschen Politik und zur Verfassungspolitik Preußens sowie seine Mitwirkung am sog. politischen Testament Friedrich Wilhelms III121; er veröffentlicht Papiere des Kriegsministers von Stockhausen aus der außenpolitischen Krise des November 1850122. Besondere Beachtung verdienen seine Besprechungen neuer Quellenfunde zur innenpolitischen Lage Preußens im Frühjahr 1866, in denen sich die Erwägungen, Hoffnungen und Optionen von Regierung und Opposition

119 Ders., Das Bild des Freiherrn vom Stein im Jahre 1931. Ein Literaturbericht, in: FBPG 44 (1932), 385–408, Zitate 386, 405f. 120 Ludwig Dehio, Eine Reform-Denkschrift Beymes aus dem Sommer 1806, in: FBPG 38 (1926), 321–338. 121 Ders., Wittgenstein und das letzte Jahrzehnt Friedrich Wilhelms III., in: FBPG 35 (1923), 213– 240. 122 Ders., Zur November-Krise des Jahres 1850. Aus den Papieren des Kriegsministers von Stockhausen, in: ebd., 134–145.

216 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

vor der Entscheidung im Deutschen Krieg widerspiegelten123. Darunter fällt die eindringlich eingeleitete Ausgabe des Briefwechsels zwischen Karl Rodbertus und Franz Ziegler, will Dehio doch daran erhellen, wie die beiden damals auf der politischen Linken stehenden Männer, wie überhaupt „die preußische Demokratie“, wie er die Gruppe nennt, vor und während des Deutschen Krieges ihre politischen Wirkungsmöglichkeiten im Sinne ihrer Vorstellungen abwog. Der Beitrag gehörte zu Dehios Bemühungen um die liberalen, linksliberalen und sozialistischen Gegenspielern Bismarcks, um das „Lager der Besiegten“, die seines Erachtens zur Erkenntnis der Ambivalenz und Komplexität des historischen Prozesses nicht übergangen werden dürften124. Er stellt sich in seinem Urteil nicht auf die Seite der Gegner Bismarcks, aber ihn reizt es, mit den von ihm vorgestellten Zeugnissen Möglichkeiten des historischen Prozesses vor dem Moment der Entscheidung auszuloten, „jene Spannung voll empfinden zu lassen, der der erlösende Funke der Tat nicht beschieden war“, denkbare andersartige Entwicklung anzudeuten, deren Eintritt „die entschlossene Wahrnehmung der kritischen Monate des Jahres 1866 durch einen Willensmenschen von dem Maße Lassalles“ vorausgesetzt hätte125. Ähnlich wie Friedrich Meinecke urteilt Dehio negativ über Preußens Abkehr von der Reform nach 1815 wegen der langfristigen Scheidung von Staat und Volk, in seinen Worten: Das „Korrelat“ zu dem aus der Überwindung des ancien régime nach 1806 hervorgegangenen modernen Staates, die moderne Masse, begann sich, und gerade in den [18]Dreißigerjahren, zu regen und in Parteien zu organisieren. Daß ihr den ersten Eindruck vom Staat das Wittgensteinsche Regime vermittelte, war ein Verhängnis, an dessen Folgen die deutsche Staatsgesinnung noch heute zu tragen hat126.

Wie sehr Dehio über die Problematisierung der politischen Pragmatik hinaus unter dem Eindruck der revolutionären Umbrüche nach 1914 und unter dem Einfluß „unsere[r] heutige[n] Stimmung der Sorge, ja recht eigentlich der Angst, des Zweifels an der Tradition und des Suchens nach absoluter Festigkeit“ um eine grundsätzliche neue historische Orientierung rang, davon zeugen eindringlich seine beiden Besprechungen der ersten drei Bände von Franz Schnabels „Deut123 Ders., Beiträge zur Bismarcks Politik im Sommer 1866 unter Benutzung der Papiere Robert von Keudells, in: FBPG 46 (1934), 147–165. 124 Ders., Die preußische Demokratie und der Krieg von 1866. Aus dem Briefwechsel von Karl Rodbertus mit Franz Ziegler, in: FBPG 39 (1927), 229–259. – Vgl. Lothar Gall, 150 Jahre Historische Zeitschrift, in: 150 Jahre Geschichtsforschung (wie Anm. 1), 1–23, hier 5f. , auch zu den Ursachen von Dehios „Verstummen“ nach 1933. 125 Dehio, Preußische Demokratie (wie Anm. 123), 235f. 126 Ders., Wittgenstein (wie Anm. 120), 238.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 217

scher Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert“, die dem grandiosen Werk durch dessen geistige Durchdringung durchaus kongenial ist. Auch wenn Dehio Schnabels weltanschaulichen Wurzeln in „einer vergeistigen katholischen Religiosität“ spürbar nicht anhängt, teilt er doch 1931 dessen Anliegen: … heute erscheint die politische Katastrophe nur als erster Stoß eines Bebens, das den tiefsten Grund, und nicht nur Europas, erschüttert. Wem es in dieser Lage um die Fundierung im Geiste geht, der wird eine Betrachtungsweise als angemessen empfinden, der es um die geistigen Lebenswerte zu tun ist, um den Menschen vor dem Staate127.

Nach seinem Eintritt in den preußischen Staatsarchivdienst nahm Carl Hinrichs die Arbeit an seiner geplanten umfassenden Biographie Friedrich Wilhelms I. auf, referierte über seine Erforschung von dessen Frühzeit zweimal 1935 und 1937 in Vorträgen vor dem Verein für Geschichte der Mark Brandenburg128, und darüber hinaus publizierte er dazu in zwei Aufsätzen in der Vereinszeitschrift, bis seine aktive Mitwirkung in Verein und Zeitschrift durch seinen Weggang nach Königsberg 1938 abbrach. Der erste Artikel, ein vorab veröffentlichtes Kapitel aus dem 1941 erschienenen Band über die Kronprinzenzeit seines Helden, war 1937 dessen Bildungsreise nach Holland und seiner Zusammenkunft mit Wilhelm III. im Jahre 1700 gewidmet129, einem sehr speziellen biographischen Detail, das Hinrichs dadurch zum Leuchten bringt, daß er die äußeren Vorgänge zum Anlaß nimmt, Friedrich Wilhelms Eindrücke von der frühesten Begegnung mit der eigenen Auffassungen wesensverwandten ständisch-republikanischen Gesittung und Kultur Hollands und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen für sein späteres eigenes Werk miteinander zu verbinden sowie durch den Vergleich mit dem Großen Kur127 Ders., Rez. v. Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, 1. Bd., Freiburg i. Br. 1929, in: FBPG 43 (1931), 187–191, Zitate 190f.; ders., Rez. v. dems., Bd. 2 u. 3, Freiburg i. Br. 1933–1934, in: FBPG 47 (1935), 212–214, mit bemerkenswerten einleitenden Betrachtungen, die die durch den Umbruch von 1933 gewandelten Rezeptionsbedingungen erörtern und zwischen den Zeilen den Abstand des Rezensenten und des von ihm besprochen Autors zu diesem Umbruch andeuten. Zu Dehio und seinem historischen Werk vgl. immer noch sehr viel ergiebiger Theodor Schieder, Ludwig Dehio zum Gedächtnis. 1888 bis 1963, in: Historische Zeitschrift 201 (1965), S. 1–12, als etwa Volker R. Berghahn, Ludwig Dehio, in: Deutsche Historiker, Bd. IV, Göttingen 1972, S. 97–116, der Dehio letztlich nur dazu benutzt, sein eigenes (geschichts)politisches Programm historiographisch zu rechtfertigen, vgl. bes. S. 109f., 113f. Siehe ferner Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 111f. 128 Vgl. Schochow, Bibliographie Hinrichs (wie Anm. 104), 424 Nr. 18, 425 Nr. 24. 129 Carl Hinrichs, Die Bildungsreise des jungen Friedrich Wilhelm I. in die Niederlande und die preußischen Absichten auf die Statthalterschaft im Jahre 1700, in: FBPG 49 (1937), 39–56. – Der Aufsatz ist unter dem Titel „Die erste holländische Bildungsreise“ unverändert eingegangen in seine Biographie Friedrich Wilhelms I., siehe ders., Friedrich Wilhelm I. König in Preußen. Eine Biographie, Hamburg 1941, Ndr. Darmstadt 1968, 76–88, 678f. (Erstes Buch, Kap. IX).

218 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

fürsten in ihrer Eigenart schärfer zu charakterisieren. Archivalische Ausbeute, scharfsinnige historisch-politische Analyse im Einzelnen wie im Allgemeinen und literarische Formulierungskunst geben schon einen Vorgeschmack auf Hinrichs’ Hauptwerk von 1941. Der zweite Artikel von 1938, „Das Ahnenerbe Friedrich Wilhelms I. Ein historisch-erbbiologischer Versuch“130, sucht in umfassenderen Zugriff die Persönlichkeit des Königs dadurch zu erhellen, daß er „manche Charakterzüge Friedrich Wilhelms I. aus seiner Blutzusammensetzung, aus dem Charaktererbe seiner Vorfahren“ ableitet, also dadurch, daß er gleich oder ähnlich geartete Charakterzüge unter seinen Vorfahren, insbesondere unter den Vorfahren väterlicherseits aus den Häusern Nassau-Oranien und Pfalz seit etwa 1600, die unter ihnen auf Grund der politischen und dynastischen Verbindungen dominierten, belegt und aus dieser „Erbmasse“ die Begabungen Friedrich Wilhelms I. erläutert. Titel, Untertitel und einzelne Begrifflichkeiten und Formulierungen des Aufsatzes könnten voreilig auf die Nähe des Verfassers zum damaligen Zeitgeist schließen lassen. Die Berufung auf die Mendelschen Erbregeln und moderne Erbgesetze bleibt plakativ, letztlich werden, methodisch betrachtet, prägende Eigenschaften und Begabungen Friedrich Wilhelms I. schon unter seinen Vorfahren gesucht und gefunden, ohne damit eine überzeugende erbbiologische Kette nachweisen zu können, zumal in dem wichtigsten Vergleich, dem zwischen Friedrich Wilhelm I. und Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz, auch wesentliche Unterschiede in der inneren Entwicklung und in den Leidenschaften der beiden sowie die unterschiedlichen historischen Lagen, in denen sie aufwuchsen und ihre Eigenarten zur Geltung brachten, eingeräumt werden. Der Grenzen seines Ansatzes war sich Hinrichs selbst sehr bewußt (auch wenn er sie in dessen Umsetzung nicht immer hinreichend bedacht hat), denn er lehnt einleitend in seinem ersten Satz ausdrücklich ab, „das Geheimnis einer einmaligen historischen Persönlichkeit rein biologisch und blutmäßig erklären und entschleiern zu können“, und er schließt in seinem letzten Satz mit der betonten Aussage: „Wir mögen in der erbbiologischen Analyse des Königs noch so weit gelangen, als Ganzes ist er doch etwas Einmaliges, Lebendiges und als solches ein Geheimnis“. Wenn man nicht mehr so wie Hinrichs an „die durch das Einströmen pfälzisch-oranischen Blutes bewirkten Charakter- und Begabungswandlungen des Hohenzollernhauses“131 glaubt, behält seine Untersuchung doch ihren Wert dadurch, daß er die um 1600 130 Ders., Das Ahnenerbe Friedrich Wilhelms I. Ein historisch-erbbiologischer Versuch, in: FBPG 50 (1938), 104–121; unverändert wiederabgedruckt in: ders., Preußen als historisches Problem (wie Anm. 102), 73–90. 131 Die angeführten Zitate FBPG 50 (1938), 104, 108, 104, 121, 118. – Zu Hinrichs’ preußischen Arbeiten nach 1933 vgl. jetzt Neugebauer, Wissenschaft (wie Anm. 103), 157–164, mit teilweise anderer Akzentuierung als hier.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 219

einsetzenden und über Generationen hinweg verdichteten dynastischen Verbindungen der brandenburgischen Hohenzollern mit den calvinistischen Vorkämpfern eines protestantischen Aktivismus beschreibt und dabei mancherlei gleiche Charakterzüge etlicher Angehöriger der verwandten Fürstenhäuser schildert. Im Kern betrachtet er somit die Folgen der dynastischen Heiratspolitik für die Beziehungen der Hohenzollern zum westdeutschen und westeuropäischen Calvinismus, ein großes Thema der borussischen Historiographie seit Droysen und Hintze, das Hinrichs immer wieder beschäftigt und etwa zu einer recht eigenständigen Deutung des Großen Kurfürsten gebracht hat132. Das größte archiv- wie geschichtswissenschaftliche Gewicht in die Waagschale der FBPG hat sicherlich Heinrich Otto Meisner geworfen, in seiner Laufbahn bis 1945 Staatsarchivar am Preußischen Geheimen Staatsarchiv, Brandenburg-Preußischen Hausarchiv und Reichsarchiv. Mit neun kürzeren und längeren Aufsätzen zwischen 1922 und 1943, von zahlreichen Rezensionen133 und einigen Vorträgen in den Sitzungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg ganz zu schweigen, zählte er zu ihren produktivsten Mitarbeitern. Seine Themen entstammten vornehmlich der Verfassungs-, Verwaltungs- und politischen Geschichte Preußens und des Kaiserreiches von der Reformzeit bis zum Ersten Weltkrieg. Mehrfach erprobte er das quellenkritische Rüstzeug des Neuzeithistorikers und überprüfte vor allem durch den Vergleich mit dem zeitgenössischen Dokumentenmaterial die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft von Memoiren einzelner handelnder Soldaten (Oberst von Knesebeck)134 und Politiker 132 Carl Hinrichs, Der Große Kurfürst 1620–1688, in: Die Großen Deutschen. Deutsche Biographie, hrsg. v. Hermann Heimpel, Theodor Heuss, Benno Reifenberg, 1. Bd., Berlin 1956, Ndr. Güters­loh 1978, 593–615. 133 Neben dem in der Rubrik „Kleine Beiträge und Mitteilungen“ eingefügten Rezensionsaufsatz Meisners, Bemerkungen zu einer neuen preußischen Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte [Ludwig Waldecker, Von Brandenburg über Preußen zum Reich. Eine Geschichte der Verfassung und Verwaltung in Brandenburg-Preußen. 1935], in: FBPG 48 (1936), 187–198, sind besonders die folgenden ausführlichen Besprechungen in der Rubrik „Neue Erscheinungen“ zu erwähnen: Adalbert Wahl, Deutsche Geschichte. Von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges (1871–1914), 4. Bd., 1936, in: FBPG 50 (1938), 167–170; Albrecht Wagner, Der Kampf der Justiz gegen die Verwaltung in Preußen. Dargelegt an der rechtsgeschichtlichen Entwicklung des Konfliktgesetzes von 1854, in: FBPG 50 (1938), 376–379; 200 Jahre Dienst am Recht, 1938, in: FBPG 52 (1940), 143–146; Hans Herzfeld, Johannes Miquel, 2 Bde., 1938, ebd., 152–156; Fritz Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte, 1940, in: FBPG 53 (1941), 400–403. – Zum Verfasser vgl. Leesch, Archivare (wie Anm. 22), 396f. 134 Heinrich Otto Meisner, Die Sendung Knesebecks nach Petersburg (1812) im alten Lichte, in: FBPG 34 (1922), 93–103, erörtert in der Auseinandersetzung mit Friedrich Thimme das Memoirenfragment des Obersten von dem Knesebeck in Bezug auf den Zweck seiner Mission an den Zarenhof im Frühjahr 1812, im Vorfeld des napoleonischen Angriffs auf Rußland.

220 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

(Reichskanzler Bernhard von Bülow)135 wie die historischen Darstellungen von als Geschichtsforschern auftretenden Künstlern (Emil Ludwig)136. Seine ausgesprochene Stärke zeigte er in der Untersuchung einzelner Behörden wie des Geheimen Zivilkabinetts von 1807 bis 1918, des Militärkabinetts unter Wilhelm I. vor allem in den frühen 1880er Jahren137 oder des Bundeskanzleramtes von 1867 bis 1871 durch die gedankenreiche Verbindung von verfassungsrechtlichen, verwaltungsorganisatorischen, personenkundlichen und überlieferungsgeschichtlichen Einsichten zu einer scharfsinnigen, in ihrem inhaltlichen Kern verwaltungsgeschichtlichen Analyse138. Ihre Überzeugungskraft gewinnen seine Studien dadurch, daß sich die archivarische Kenntnis der Aktenüberlieferung und ihrer Eigenarten und die Fähigkeit zur politischen Interpretation der in ihnen enthaltenen bürokratischen Vorgänge glücklich ergänzen und so die verfassungs- und verwaltungsgeschichtlichen Problemstellungen präzise herausgearbeitet werden. Seine hier beispielhaft ausgewählte Untersuchung über das Bundeskanzleramt 1867–1871 beruht auf der im Reichsarchiv, Meisners damaliger Wirkungsstätte, vorgenommenen Rekonstruktion seiner Aktenüberlieferung, die durch deren Aufteilung auf die verschiedenen Nachfolgebehörden des 1867 bis 1879 bestehenden Bundes- bzw. Reichskanzleramtes völlig verstreut worden war, so daß sie sogar als verschollen gegolten hatte. Meisner untersucht zunächst den Geschäftskreis des Bundeskanzleramtes, also seine vielseitigen exekutiv-administrativen Funktionen, die der Ausführung von Beschlüssen des Bundesrates dienten. Dann beschreibt er den Personalbestand des Bundeskanzleramtes, vornehmlich 135 Ders., Fürst Bülow, der Memoirenschreiber und der Staatsmann, in: FBPG 44 (1932), 156– 196, wertet die Denkwürdigkeiten Bülows vornehmlich für seine Außenpolitik unter Berücksichtigung der damals vorliegenden Aktenpublikationen aus und sucht dabei gegenüber der nach ihrem Erscheinen aufgekommenen scharfen Kritik an dem ehemaligen Reichskanzler mehr Verständnis für die Bedingungen seines Handelns zu wecken. Bemerkenswerterweise beurteilt Meisner dabei die Bismarcksche Verfassungskonstruktion mit der Vorrangstellung des Trägers der Krongewalt vor Parlament und Staatsministerium sehr skeptisch: Bismarck „schuf … jene unzeitgemäße Krongewalt, welche als persönliches Regiment in der Ära parlamentarischer Regierungsweisen dem Land der Mitte eine verfassungsrechtliche Ausnahmerolle zumutete“ (163–165, Zitat 164). 136 Ders., Bemerkungen zu Emil Ludwigs Wilhelm II., in: FBPG 38 (1926), 368–377, konzentriert sich auf Ludwigs fragwürdige Quellengrundlagen und Quellenauswertungen. 137 Ders., Zur neueren Geschichte des preußischen Kabinetts, in: FBPG 36 (1924), 39–66, 180– 209; ders., Militärkabinett, Kriegsminister und Reichskanzler zur Zeit Wilhelms I., in: FBPG 50 (1938), 86–103. 138 Beiläufig hat Meisner einmal in einer Besprechung darauf hingewiesen, „welche Funken man aus dem Gestein der Verwaltungsgeschichte schlagen kann, die eben nicht nur eine Pragmatik, sondern auch eine Geistesgeschichte der Institutionen sein soll und sein kann“. FBPG 50 (1938), 379.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 221

die leitenden Beamten wie Otto Michaelis und Paul Eck mit ihrer politischen Herkunft und Richtung ebenso wie mit der Art ihres Auftretens und ihrer Wirksamkeit. Schließlich analysiert er das Verhältnis von Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, u.a. die Beziehung des Chefpräsidenten Bismarck zu seinem Vertreter Rudoph Delbrück und die Rolle des Bundeskanzleramtes als vorbereitende wie ausführende Instanz für die legislative und exekutive Tätigkeit des Bundesrates. Die Beziehungsgeflechte zwischen den verschiedenen Verfassungs- und Verwaltungsorganen werden maßgeblich erhellt durch die Kombination von verwaltungsgeschichtlichen und aktenkundlichen Beobachtungen des fachkundigen Archivars Meisner, des Begründers der archivwissenschaftlichen Aktenlehre, so daß ein vielschichtiges Bild der politisch-administrativen Praxis innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens mit tief eindringenden Einsichten gezeichnet wird, wie das folgende Zitat wenigstens andeuten soll. Nachdem aber dieser Kanzler [durch Art. 17 Abs. 2 der Verfassung des Norddeutschen Bundes] verantwortlicher Alleinminister des Bundes geworden war und damit auch die Schaffung eines Bundeszentralministeriums sich als notwendig herausgestellt hatte, konnte von einer preußischen Ersatzbundesregierung im ganzen nicht mehr die Rede sein. Statt ihrer kam es nun lediglich zu zahlreichen Personal- und Realunionen als sinnfälligem Ausdruck der Tatsache, daß die neue gesamtstaatliche Bildung aus der preußischen ‚Pfahlwurzel‘ hervorgewachsen ist. Diese sich ständig mehrenden Querverbindungen zwischen Bund (Reich) und Preußen gehören zu den Geheimnissen der Statik und Dynamik des Bismarckwerks, deren Bedeutung nicht zuletzt darin liegt, daß auch der ‚innere‘ Kanzler das Spiel mit mehreren Kugeln verstanden hat139.

Auf den Spuren seines Lehrers Hintze wandelte Meisner, wenn er auf der Grundlage der neueren österreichischen, vornehmlich von Friedrich Walter vorgelegten Quellenedition und Darstellung das Regierungs- und Behördensystem Maria Theresias beschrieb und es dabei ständig in seinen Ausgangslagen, Zielen und Methoden mit dem preußischen Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs des Großen verglich140. Ihn beschäftigte in seinen konzisen Überlegungen „der Zusammenhang zwischen Verfassungsform, Behördenorganisation und Staatsbildung“. Dabei konzentrierte er sich auf den entscheidenden verfassungsrechtlichen und verwaltungsmäßigen Umbau des zusammengesetzten österreichischen Staates mit seinen ständischen Verwaltungen in den einzelnen Ländern zu einem absolutistischen Machtstaat, wie er in der Staatsreform des Grafen Haugwitz gip139 Ders., Bundesrat, Bundeskanzler und Bundeskanzleramt (1867–1871), in: FBPG 54 (1943), 342–373, Zitat 351f. 140 Ders., Das Regierungs- und Behördensystem Maria Theresias und der preußische Staat, in: FBPG 53 (1941), 324–357.

222 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

felte. Die Stufen des Staatsbildungsprozesses auf dem Weg zum Gesamtstaat, die Behördenorganisationen auf der zentralen, mittleren und unteren Verwaltungsebene, die soziale Herkunft und politische Haltung des Beamtentums, Konzentration und Spezialisierung des Zentralbehördenbaues, Ausgleich und Vereinheitlichung der Ressortinteressen, Regierungseinheit und Regierungsform sind Meisners analytische Gesichtspunkte. Dabei ermöglichte seine ständige Bezugnahme auf die preußischen Verhältnisse mit ihren gleich- oder verschiedenartigen Herausforderungen und Lösungen, mithin der umfassende Vergleich zwischen dem brandenburg-preußischen und österreichischen Regierungssystem, eine typologisch verwertbare Interpretation hochabsolutistischer Verfassungsformen. Aus der Historikerschaft der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin wirkte vornehmlich Fritz Hartung an den FBPG mit, sowohl durch die Tradition seines Lehrstuhls als auch durch die eigenen Forschungsschwerpunkte der preußischen Geschichte aufs engste verbunden, während seine anderen dortigen Kollegen dem Preußen-Thema ferner standen, nicht als preußische Historiographen einzuordnen sind und daher nur ganz beiläufig in den FBPG auftauchten: so Erich Marcks, der 1925 einen knappen Bericht über die Forschungsvorhaben der 1923 an der Preußischen Akademie der Wissenschaften neubegründeten „Preußischen Kommission“ in den FBPG veröffentlichte; so Arnold Oskar Meyer, der 1939 in einen geschliffenen, feinsinnigen Nachruf Werk und Persönlichkeit von Marcks darstellte141. Nicht durch die Zahl, aber durch den Rang seiner Aufsätze hat Hartung das Profil der Zeitschrift zusammen mit Artikeln aus seinem Schülerkreis wie die von Gerhard Oestreich und Wilhelm Treue im Sinne der von ihm vertretenen Verfassungsgeschichte, im Sinne einer Lehre von der Entwicklung staatlicher Einrichtungen und der in ihnen wirksamen Kräfte142 geprägt. Seine Darstellungsweise ist am besten seiner mit fast 120 Seiten den Umfang eines Büchleins annehmenden Studie von 1932 über „Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierungen im konstitutionellen Preußen 1848–1918“143 abzulesen. Im Rahmen seiner weit ausgreifenden Arbeiten zum monarchischen Konstitutionalismus in Preußen-Deutschland und in Europa konzentriert er sich hier 141 Erich Marcks, Aufgaben und Tätigkeit der Preußischen Kommission, in: FBPG 38 (1925), 154–157; zur Preußischen Kommission vgl. oben Anm. 33. – Arnold Oskar Meyer, Erich Marcks †, in: FBPG 51 (1939), 168–177. 142 Vgl. Ewald Grothe, Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970 (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, 16), München 2005, 105–113, 133–149, 286–297 u.ö. 143 Fritz Hartung, Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierungen im konstitutionellen Preußen 1848–1918, in: FBPG 44 (1932), 1–45, 302–373; wiederabgedruckt in ders., Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, Leipzig 1940, 230–338.



Preußische Forschungsvorhaben wissenschaftlicher Einrichtungen 

 223

unter weitgehender Absehung von der parlamentarischen Vertretung auf den monarchischen Faktor, auf die Herausstellung der wechselnden Kräfte, welche die Entschließungen der verantwortlichen Staatsregierung bedingten, auf die Ermittlung der verschiedenen Einflüsse auf die Lenkung der Regierung und ihres Königs bzw. Kaisers, die wegen ihres Wirkens in verborgener Stille auf breiter Quellengrundlage neben den Akten der monarchischen Kabinette, Presseerzeugnissen und Parlamentsverhandlungen vornehmlich auf der Grundlage vertraulicher Quellen wie Briefen, Tagebüchern und Denkwürdigkeiten zu Gehör gebracht werden. Hartungs Interpretationen kreisen in der chronologisch voranschreitenden Darstellung sowohl für einzelne konkrete Situationen als auch für längere Phasen um die unterschiedlichen Einwirkungen auf die monarchische Entschlußfassung, auf die Rolle der verfassungsgemäß verantwortlichen Staatsregierung wie die der „unverantwortlichen“ Nebenregierungen, wobei immer wieder die Struktur der jeweiligen Beziehungsgeflechte, ihr Entstehen und ihr Vergehen, ihre Ursachen und ihre Folgen herausgearbeitet werden. Das Erkenntnisinteresse zielt auf die Funktionsweise des ganzen jeweiligen Regierungssystems, vor allem auf seine vorhandene oder mangelnde Fähigkeit zur Bildung eines einheitlichen staatlichen Willens und zu dessen Umsetzung durch eine kraftvolle Leitung, auf die Kraftproben und Gewichtsverschiebungen zwischen den prägnant charakterisierten beteiligten Persönlichkeiten und Institutionen, auf die Ursachen für das Hervortreten oder Zurücktreten von konstitutionell unverantwortlichen Kamarillas, Kabinetten und Ratgebern gegenüber dem konstitutionell verantwortlichen Staatsministerium in seiner Gesamtheit wie in seinen Leitern. Dabei strebt Hartung in seiner Deutung über das Ringen der beteiligten Personen und über die politischen und verfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen hinaus zum besseren Verständnis eine sozialgeschichtliche Vertiefung an (wenn er sie auch nicht im Detail nachweist); er will also, wie es einmal bezeichnenderweise heißt, „all die hinter dem persönlichen Regiment [Wilhelms II.] stehenden, als Nebenregierung bezeichneten sozialen Kräfte“ erkennen. Wie hinter Friedrich Wilhelm IV., so steht auch hinter Wilhelm II. die starke Kraft der preußischen Aristokraten. Sie begünstigen seine selbstherrlichen Gelüste, weil sie, der Zahl nach eine hoffnungslose Minderheit in dem weiten, an Menschenzahl rasch wachsenden Deutschen Reiche, ein persönliches Regiment im Staate als Gegengewicht gegen das Mehrheitsprinzip des modernen parlamentarischen Wesens, zumal gegen das Kopfwahlprinzip des allgemeinen gleichen Wahlrechts zur Aufrecherhaltung ihrer Machtstellung unbedingt nötig haben. Sie müssen aber … den persönlichen Willen des Monarchen zugleich leiten und bestimmen, damit er nicht gegen sie den Ausschlag gebe144.

144 FBPG 44 (1932), 334. Vgl. auch in dieselbe Richtung zielende Bemerkungen ebd., 7, 350, 360, 369f.

224 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Überhaupt fällt Hartungs Urteil über die konstitutionelle Regierungsweise Preußen-Deutschlands im Allgemeinen, über die Fähigkeit seiner Leitung zur Herstellung und Durchsetzung eines einheitlichen Willens, einer festen, sicheren und beständigen Linie im Besonderen sehr kritisch aus; ja, gemessen an diesem Maßstab, wirkt seine zuweilen scharfzüngige Beschreibung auf den Leser geradezu desillusionierend. Er hebt gebührend die große Führungsleistung Bismarcks hervor, verschweigt aber nicht den Preis, um den sie erzielt wurde, daß nämlich alle denkbaren Kräfte gegen monarchische Überheblichkeit und für die Stärkung des verantwortlichen Staatsmannes systematisch eingedämmt wurden, daß insbesondere der politischen Einheit jegliche feste organisatorische Grundlage fehlte und sie allein auf dem persönlichen Einvernehmen des Kanzlers mit seinem Herrscher beruhte. Daß Bismarck 1890 im ersten konstitutionellen Konflikt zwischen dem verantwortlichen Staatsmann und dem persönlichen Willen des Monarchen allein stand, habe ihn nicht unverdient getroffen, als natürliche Konsequenz seiner Regierungsmethode, denn das wesentliche Gegengewicht gegen die Launen des Monarchen, das Parlament, habe er bewußt geschwächt. Mit strukturellen Mängeln erklärt Hartung den fehlenden Ausgleich zwischen Kriegführung und Politik vor und während des Ersten Weltkrieges. Das Reich war durch seine Verfassung auf eine überragende Persönlichkeit zugeschnitten; daß für den Mangel an einer solchen Persönlichkeit ebenso wenig Vorsorge getroffen war wie im Staate Friedrichs des Großen, daß keine Anstalten getroffen wurden, etwa nach englischem Muster einen Reichsverteidigungsrat zu schaffen, selbst als die politische Lage des Reiches bedrohlich wurde und als an der Unzulänglichkeit des Kaisers nirgends mehr … Zweifel bestand, dafür trägt die ganze politisch-militärische Welt im Vorkriegsdeutschland, nicht nur Wilhelm II., die Verantwortung145.

Daß Wilhelm II. die ihm verfassungsgemäß zugeschriebene Aufgabe einer Zusammenfassung aller politischen und militärischen Kräfte während des Weltkrieges nicht einmal ansatzweise bewältigte, erklärt in Hartungs Augen den Untergang der Monarchie: „… die Monarchie, die es nicht verstanden hatte, rechtzeitig eine die geschlossene Verwendung der nationalen Kraft sichernde Organisation der Regierung zu schaffen, war nun nicht mehr zu retten“146.

145 Ebd., 43f., 371, 335f. (Zitat). Vgl. auch ebd., 362. 146 Ebd., 373.



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

V Historisch-politische Kontroversen um V die Deutung der Geschichte Preußens

 225

Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens

Wie bereits die skizzenartige Musterung der Mitarbeiterschaft der FBPG ergibt, vereinigte sie in erster Linie die Reihen der preußischen Historiker als einer abgrenzbaren Gruppe mit einem eigenen, auf dem Gewicht ihres Gegenstandes beruhenden Selbstbewußtsein, mit einem eigenen, durch die großen Kontroversen um ihr Thema gespeisten „Wir“-Gefühl in sich. Unter den „preußischen Historikern“ faßte Hartung einmal in einer der hervorstechenden Historikerdebatten der Zeit „die durch persönliches Schicksal und wissenschaftliche Arbeit mit dem preußischen Staat und dem auf seiner Leistung beruhenden deutschen Reich eng verwachsenen Fachgenossen“ zusammen147. Es versteht sich nahezu von selbst, daß solche preußische Historiker die heftigen politischen, historisch-politischen und historischen Auseinandersetzungen um den Weg Preußens in Vergangenheit, Gegenwart – und auch Zukunft – nicht unberührt lassen konnten. Der Ausgang des Ersten Weltkrieges, die Friedensverträge und die Reichsverfassung von 1919 erschütterten die Stellung Preußens innerhalb des Reiches wie überhaupt die Bismarcksche Reichsgründung von 1866/71 bis in die Grundfesten. Die politischen und intellektuellen Kämpfe drehten sich im Innern um das Problem der deutschen Staatsform, nachdem die Weimarer Reichsverfassung trotz all ihrer unitarischen Tendenzen das Verhältnis von Reich und Ländern und die Stellung Preußens im Reich nicht abschließend und unumstritten geregelt hatte, drehten sich nach außen um die Frage des Anschlusses Österreichs, nachdem die Pariser Vorortverträge zwar den Untergang des Habsburgerreiches besiegelt, aber den Deutsch-Österreichern entgegen ihrem einvernehmlich bekundeten Willen das nationale Selbstbestimmungsrecht verweigert hatten. Da die Existenz Preußens 1919 auf dem Spiel gestanden hatte, sahen im nachfolgenden Ringen um Reichsreform und Anschluß die föderalistischen und großdeutschen Kritiker ihre Stunde gekommen, und sie bedienten sich dabei zur Stärkung ihrer Position auch historischer Argumente, wandten sich gegen die im Kaiserreich vorwaltende preußische Geschichtsbetrachtung, denn „um … auf die Zukunft deutscher Staatsbildung einwirken zu können, muß man die geschichtliche Auffassung der Vergangenheit ändern“, wie es Meisner pointiert formulierte. In die Diskussionen um Preußen und die Reichsreform wie um Preußen und Österreich haben die FBPG auf ihre Weise mit Beiträgen ihrer damals herausragenden Autoren eingegriffen, wobei der erste Fragenkomplex in den 20er Jahren, der zweite in den 30er Jahren im Vordergrund stand. 147 Fritz Hartung, Preußen und die deutsche Einheit, in: FBPG 49 (1937), 1–21, hier 1.

226 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

In seinem Beitrag „Preußen und der ‚Revisionismus‘. Eine Abwehr“ ging Meisner 1930 mit den großdeutschen und föderalistischen Kritikern Preußens und des Bismarckreiches vornehmlich aus Süddeutschland und aus Österreich hart ins Gericht und verwarf in einer eher publizistischen als fachwissenschaftlichen Darstellungsweise ihre historischen und politischen Annahmen über einen günstigeren Verlauf der deutschen Geschichte, wenn im 19. Jahrhundert die deutsche Einigung in Fortentwicklung des Staatenbundes von 1815 durch einen föderativen Zusammenschluß seiner Glieder nach den österreichischen Modellen von 1849 oder 1863 unter Einbeziehung der gesamten Habsburgermonarchie und ihrer slawischen und magyarischen Völker im mitteleuropäischen Rahmen erreicht worden wäre. Meisner verteidigte den preußischen Weg zur deutschen Einheit, weil nur so der solide Bau eines festgefügten unitarischen Machtstaates mit strenger Linienführung nach dem Vorbild der westeuropäischen Nationalstaaten zur Beseitigung der politischen Ohnmacht in der Mitte Europas habe verwirklicht werden können. Nachdrücklich bekämpfte er die Forderung seiner föderalistischen Gegner, daß Deutschland in möglichst gleichgroße Staaten gegliedert – und damit Preußen zerlegt – werden müsse, da ansonsten der preußische Hegemon alle anderen deutschen Länder und deren Eigenarten vergewaltige. Demgegenüber beharrte er darauf, daß das Reich nicht föderalistischer Auflockerung und nachfolgender Förderung der zentrifugalen Kräfte, sondern umgekehrt der starken preußischen Staats- und Verwaltungseinheit zur Herstellung innerer Festigkeit und Herbeiführung einer starken Reichsgewalt bedürfe. „Preußens deutscher Beruf besteht darin, die Klammer zu sein in einem gar zu gern partikularistisch auseinanderstrebenden Volkskörper“148. Nicht zufällig ließ Meisner seinen Beitrag vor dem Hintergrund der Reichsreformdebatte der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in einem Zitat des sozialdemokratischen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun gipfeln, wenn er im letzten Satz seines Beitrages bemerkte: Es gibt keine bessere Rechtfertigung unserer These von der Brüchigkeit des revisionistischen Vorgehens als die Tatsache, daß auch der republikanische Ministerpräsident Preußens sich zu Bismarcks Gedanken bekennt, indem er erklärt: ‚Preußen mit seinen 40 Millionen Bewohnern muß unversehrt erhalten bleiben, denn es muß und wird schließlich doch den Kern des zu schaffenden deutschen Einheitsstaates bilden!‘149 148 Heinrich Otto Meisner, Preußen und der „Revisionismus“. Eine Abwehr, in: FBPG 43 (1931), 252–289, Zitat 283. 149 Ebd., 289. – In seiner Rezension der historisch-politischen Schrift von Walther Vogel, Deutsche Reichsgliederung und Reichsreform in Vergangenheit und Gegenwart, 1932, lehnte Berthold Schulze ebenfalls unter Berufung auf Otto Braun die Auflösung Preußens in seine Provinzen nachhaltig ab: „Jede Lage, in die Deutschland insbesondere in außenpolitischer Beziehung in den nächsten Jahren versetzt sein wird, wird die Bastion Preußen ungeschwächt auf ihrem Platze erfordern. Die vom Auslande begünstigen partikularistischen und separatistischen Kräfte sind



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 227

Es wäre nach den Meisnerschen Fanfarenstößen freilich verkehrt anzunehmen, die FBPG bzw. ihre maßgebenden Autoren hätten sich in der bloßen Apologie Preußens und des von Preußen geschaffenen zweiten Kaiserreiches erschöpft. Der Ausgang des Weltkrieges warf für die führenden Neuzeithistoriker unausweichlich die Frage nach den innen- und außenpolitischen Ursachen des Unterganges der Hohenzollernherrschaft in Preußen und im Reich sowie nach der Tragfähigkeit der Bismarckschen Lösung der deutsche Frage auf, und diese Probleme wurden auf den Seiten der Zeitschrift wiederholt von unterschiedlichen Standpunkten aus und mit unterschiedlichen Einschätzungen kontrovers diskutiert. Die deutliche Kritik Fritz Hartungs an der monarchischen Regierungsweise 1848–1918 ist bereits näher beleuchtet worden. Der weitergehenden linksliberalen Kritik von Johannes Ziekursch an dem Bismarckschen Werk mochte er sich zwar nicht anschließen, wie seine Besprechungen von dessen „Politischer Geschichte des neuen deutschen Kaiserreiches“ zeigen; er bezweifelt, daß Ziekurschs „Held“, der deutsche Liberalismus, programmatisch und kräftemäßig die erheblichen Widerstände auf dem Weg zur deutschen Einigung hätte überwinden können, er hält es für fraglich, daß die von Ziekursch befürwortete Parlamentarisierung des Reiches wegen der fehlenden regierungsfähigen und –bereiten Parteienkonstellation hätte erreicht werden können, und er schätzt die Entwicklungsfähigkeit und Leistung des Reiches höher als sein Gegner ein. Hartung tritt somit eher Ziekurschs Alternativen entgegen, als dass er dessen Kritik an der Bismarckschen Ordnung rundweg abgelehnt hätte, er räumt ihm ein: Gewiß ist die Frage nach den schwachen Stellen in dem Bau Bismarcks berechtigt; und es ist politisch verhängnisvoll geworden, daß sie nicht rechtzeitig mit Ernst und Nachdruck gestellt worden ist150.

Ziekursch gehörte damals zu den regelmäßigen Mitarbeitern der FBPG, behandelte zwar in deren Aufsatzteil ganz andere Themen als das Kaiserreich, deutete aber im Rezensionsteil seine diesbezüglichen Auffassungen an. Bismarck habe, so heißt es hier einmal, in den 1870er Jahren den unitarisch gesinnten Parteien und dem Reichstag nicht den Einfluß zur Überwindung der partikularistischen Widerstände einräumen wollen, stattdessen führten erst „die staatsrechtliche Geistesarmut des Zeitalters Wilhelms II.“, „die rückständige Verfassung und das dadurch bedingte in keiner Weise zu unterschätzen; gegen sie ist Preußen der einzige wirkliche Halt“. FBPG 44 (1932), 475–478, Zitat 477. – Für eine ähnliche, verwaltungsintern von einem damals sehr bekannten Historiker (Erich Marcks) vorgetragene Argumentation vgl. Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), 180. 150 Fritz Hartung, Rez. v. Johannes Ziekursch, Politische Geschichte des neuen deutschen Kaiserreichs, Bd. 1–3, 1925–1930, in: FBPG 39 (1927), 180–182, Zitat 181; 41 (1928), 188f.; 44 (1932), 470f.

228 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Versagen des Beamtenregimentes“ zum Parlamentarismus151. Einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart im Sinne einer historisch-politischen Traditionsbildung suchte der spätere Brandenburger Stadtarchivar, damals der Deutschen Demokratischen Partei zugehörige Hans Neumann zu schlagen, indem er 1925 in einer Zusammenfassung seiner Berliner Dissertation das politische Programm des liberalen Demokraten Franz Ziegler, eines eigenwilligen, in keine Parteischablone zu pressenden Mannes am linken Rand des liberalen Spektrums, zwischen der Revolution von 1848 und dem Deutschen Einigungskrieg von 1866 mit seinen Idealen von starkem Nationalstaat unter preußischer Führung, von liberalem Verfassungsstaat mit größtmöglicher Freiheit des Individuums und von staatlicherseits betriebener sozialer Hebung des Arbeiterstandes beschrieb. Neumann schließt seine historischen Betrachtungen mit dem Ausblick auf die gegenwärtige Lage nach der Niederlage Deutschlands 1918 und der Schaffung der Republik: Daß der Grundzug seines [Zieglers] Programms, die Vereinigung von starker nationaler Stellung und einer entschieden sozialen und liberalen Innenpolitik, daß seine Forderung einer Weiterentwicklung Preußens im Sinne der preußischen Reformzeit … ein gangbarer Weg und notwendiger Weg für Staat und Partei war, haben die Erfahrungen der letzten Jahre gelehrt. … Die Tragik seines Lebens und Wirkens liegt wohl zumeist darin, daß dieser ‚altpreußischer Demokrat‘ unverstanden in seiner Zeit ein Vorläufer einer politischen Richtung war, die erst in unserem Zeitalter Boden gewonnen hat152.

Der Kampf der großdeutschen (und antimonarchischen) Kritiker gegen die angebliche „Hohenzollernlegende“, die nach dem Zusammenbruch der Monarchie ihre Stunde gekommen sahen, richtete sich natürlicherweise außer gegen Bismarck vornehmlich gegen Friedrich den Großen, gegen dessen Politik ebenso wie gegen dessen Person. Das 1925 erschienene Buch Werner Hegemanns „Fridericus oder das Königsopfer“, das Werk eines politischen Publizisten, nicht eines Fachhistorikers, verband die Leidenschaft für die großdeutsche Lösung mit der Verwerfung der Grundsätze von Friedrichs Staats- und Lebensführung. Einerseits habe Friedrich, der „Reichsfeind“ und „Hochverräter“, durch sein Ringen mit Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland damals ein großes mitteleuropäisches Reich unter Österreichs Führung und in der Folgewirkung heute den Aufstieg Deutschland zu einem der großen Weltreiche verhindert. Andererseits habe der König 151 Johannes Ziekursch, Rez. v. Hans Goldschmidt, Das Reich und Preußen im Kampf um die Führung, in: FBPG 44 (1932), 226–228, Zitate 227. – Zum Verfasser vgl. Karl-Georg Faber, Johannes Ziekursch, in: Deutsche Historiker, Bd. III (wie Anm. 9), 109–123. 152 Hans Neumann, Franz Ziegler und die Politik der liberalen Oppositionsparteien von 1848–1866, in: FBPG 37 (1925), 270–288, Zitat 288; zum Verfasser vgl. Klaus Heß, Hans Neumann (1900–1960), in: Lebensbilder (wie Anm. 22), S. 386–389.



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 229

sich viel lieber verschiedenartigen Genüssen ergeben, statt den Staatsgeschäften und Herrschaftsaufgaben konzentriert nachzugehen. Die Friedrich-Kritiker wie Hegemann und andere wurden in den FBPG vor allem von dem Gustav Berthold Volz vernichtend besprochen und abgewehrt – in einer Schärfe, die die tiefe Verletzung des borussophilen Historikers erkennen lässt. Für Volz war Hegemanns Schrift „eine Ausgeburt persönlichen Hasses und der Tendenzmacherei“, die in ihrer Quellenverwertung dem Grundsatz gefolgt sei: „zuverlässiger Gewährsmann ist, wer Ungünstiges über den König aussagt“153. Denn der Quellenkenner Volz ließ sich zwar auch auf die Erörterung grundsätzlicher Bewertungen ein, aber das Schwergewicht seiner Argumentation verlegte auf die zweifelhaften Quellengrundlage seiner Gegner, nämlich die Pamphletliteratur des 18. Jahrhunderts, aus denen sie in reichlichem Maße geschöpft hatten. Aus der Sicht von Volz war es daher nur folgerichtig, Friedrichs Verächtern dadurch die Grundlage zu entziehen, daß er wie schon dargestellt mehrere der von ihnen benutzten und ausgewerteten Erinnerungswerke und politische Literatur, die zu Friedrichs Lebzeiten oder kurz nach seinem Tode erschienen waren, einer scharfen Quellenkritik hinsichtlich der tatsächlichen Grundlagen ihrer Urteile unterzog und dadurch die Berechtigung ihrer Anklagen verneinte. Bezeichnend für seine Argumentationsweise, die die akademisch eingeübte philologische Text- und Sachkritik auf die Werke einer historisch-politischen Publizistik zur Widerlegung ihrer Thesen anwandte, ist etwa seine Beurteilung des Buches von Bruno Frank, „Tage des Königs“, eines Versuchs zur psychologischen Ergründung Friedrichs: Die Quelle, aus der Frank schöpft, ist die Darstellung Zimmermanns in seinem Pamphlet ‚Fragmente über Friedrich den Großen‘ [1790]. … Da sich die Charakteristik Franks auf Zimmermanns Angaben aufbaut, bricht sie mit dem Nachweis, daß diese Angaben auf Lug und Trug beruhen, endgültig in sich zusammen154.

Einen letzten bemerkenswerten Aufschwung erlebte die großdeutsch-kleindeutsche Debatte in den FBPG, als Fritz Hartung sich 1937 auf über 20 Seiten mit Heinrich Ritter von Srbiks „gesamtdeutscher Geschichtsauffassung“, wie dieser selbst sein wissenschaftlichen Hauptanliegen bezeichnete, anläßlich des Erscheinens der ersten beiden Bände von dessen großem Werk „Deutsche Einheit. Idee und 153 Gustav Berthold Volz, Rez. von Werner Hegemann, Fridericus o.J., in: FBPG 39 (1927), 154–162, Zitate 155, 159f.; Rez. von Werner Hegemann, Das Jugendbuch vom großen König oder Kronprinz Friedrichs Kampf um die Freiheit, o.J., in: FBPG 44 (1932), 458–460. – Vgl. noch die Rezension von Josef Aquilin Lettenbaur, Fridericus. Heldenverehrung und Heldenzerstörung, 1929, in: FBPG 42 (1929), 354. 154 Ders., Rez. von Bruno Frank, Tage des Königs, 1925, in: FBPG 38 (1926), 173f., Zitat 173. Zu Volz’ Beurteilung der Schrift Zimmermanns vgl. FBPG 41 (1928), 24–27.

230 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz“ auseinandersetzte und dabei noch einmal die Maßstäbe seiner preußischen Geschichtsbetrachtung und die Einschätzung des preußischen Staates innerhalb der gesamtdeutschen Geschichte betonte155. Die FBPG waren schon einmal gegen den Österreicher Srbik, als er mit seiner 1925 erschienenen zweibändigen Metternich-Biographie und dessen sehr verständnisvoller Würdigung in der deutschen Geschichtswissenschaft großes Aufsehen erweckt hatte, aufgetreten, indem sie dem aus Ungarn stammenden Historiker Eduard Wertheimer die Gelegenheit zu einer fast 30seitigen geradezu vernichtenden Rezension gegeben hatte. Dieser Versuch zur Abwertung einer Metternich- bzw. Österreich-freundlichen Historiographie war freilich schmählich gescheitert, da der Rezensent über Nörgeleien an Nebensächlichkeiten gar nicht zu dem neuen inhaltlichen und methodischen Ansatz des besprochenen Autors vorstieß156. Ein gutes Jahrzehnt später erreichte die preußisch-österreichische Kontroverse ein ganz anderes Niveau, indem sie die gegensätzlichen Leitlinien der jeweiligen Geschichtsauffassungen ohne unnötige Polemik beschwor. Har155 Hartung, Preußen und die deutsche Einheit (wie Anm. 144). – Zu seinem Kontrahenten Srbik vgl. Fellner u. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft (wie Anm. 70), 385f.; Adam Wandruszka, Einführung, in: Srbik, Wissenschaftliche Korrespondenz (wie Anm. 156), XI–XXI. – In die wissenschaftliche Debatte der Zwischenkriegszeit zwischen den „kleindeutschen“ und „gesamtdeutschen“ Historikern um die Beurteilung des preußischen Aufstieges, seiner objektiven Bedingungen und subjektiven Antriebskräfte gehört auch die auf der Seiten der FBPG sachlich ebenso wie emotional ausgetragene Kontroverse zwischen Carl Hinrichs und Max Braubach, die aus der ausführlichen Rezension der ersten über das Buch des zweiten „Der Aufstieg Brandenburg-Preußens 1640 bis 1815“ erwuchs. Die allzu kräftige Polemik beider Seiten verhinderte, einzelne bemerkenswerte Hinweise ausgenommen, die Herausarbeitung und Gegenüberstellung der grundsätzlichen Standpunkte, so daß von einer weiteren Behandlung hier abgesehen werden kann und nur zur Andeutung von Hinrichs’ negativem Urteil seine einleitende distanzierende Formulierung zitiert werden soll: Den „schicksalsmäßigen historischen Antagonismus“ [zwischen Brandenburg-Preußen und Österreich] wolle „das Bemühen neuester großdeutscher Geschichtsschreibung in einer höheren volksdeutschen Harmonie versöhnen“. FBPG 48 (1936), 420–426, Zitat 421; 49 (1937), S. 225–234. 156 Eduard von Wertheimer, Gibt es einen neuen Metternich, in: FBPG 38 (1926), 339–367. Die anschließende Debatte zwischen Srbik und Wertheimer blieb sachlich ebenfalls unergiebig, siehe Heinrich Ritter von Srbik, Entgegnung, in: FBPG 39 (1927), 133–138; Eduard von Wertheimer, Erwiderung, ebd., S. 139–142. Vgl. zu dem Disput in den FBPG ferner die aufschlußreichen, wenn auch nicht emotionsfreien Briefe Hermann Onckens und Arnold Oskar Meyers an Srbik vom 27. Mai und 12. Juli 1926, in: Heinrich Ritter von Srbik, Die Wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912–1945, hrsg. v. Jürgen Kämmerer (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, 55), Boppard am Rhein 1988, Nr. 160 S. 281–283, und Nr. 165 S. 289f., insbesondere die Bemerkung Meyers: „Keine Stimme in Preußen, sagen Sie, mache Herrn [Johannes] Schultze aufmerksam, was er verbrochen habe! Seien Sie überzeugt, daß viel weniger Preußen, als Sie glauben, das Heft mit W[ertheimer]s Artikel zur Hand genommen haben. Die FBGP sind außerhalb der altpreußischen Provinzen wenig verbreitet“.



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 231

tung hebt in seinem Beitrag hervor, daß die Hohenzollern zwar – genauso wie die Habsburger – im 17. und 18. Jahrhundert dynastische, eigenstaatliche Politik zur Stärkung ihrer Hausmacht und ihres Territoriums, aber keine deutsche Politik zur Stärkung des Reiches betrieben, aber durch die scharfe Zusammenfassung der Kräfte nach dem Vorbild der westeuropäischen Machtstaaten eine moderne Staatsbildung bewerkstelligt hätten und so „Träger der ohne Staats- und Machtentwicklung nicht denkbaren deutschen Zukunft“ hätten werden können, also „die staatliche Aufgabe“ erfüllt hätten, „die Sache der ganzen deutschen Nation gewesen wäre“157. Außerdem hätten sie ein politisch handlungsunfähiges Reich bereits vorgefunden und nicht erst eine bestehende politische Gemeinschaft zerstört. Als im 19. Jahrhundert der nationale Gedanke von Westen her in das deutsche politische Leben eingezogen sei und einen nationalen Staat mit festerer Verfassung und Organisation gefordert habe, habe Preußen, das schon durch die territoriale Gestaltung von 1815 auf Deutschland als Exerzierplatz seiner Politik verwiesen worden sei, sich der Aufgabe, wenn auch nicht mit Sicherheit und Konsequenz in seiner politischen Praxis, angenommen, während sich Österreich wegen seiner fremdnationale Bestandteile und deren Widerstandes gegen einen zentralisierenden und germanisierenden Zentralstaat kaum einem deutschen Nationalstaat habe eingliedern lassen. Die revolutionäre, aus dem Ausland importierte Idee eines deutschen Nationalstaats, einer festeren staatlichen Form des deutschen Volkes sei entwicklungsgeschichtlich allein schon zu seiner außenpolitischen Behauptung unter den Völkern Europas notwendig gewesen, aber dazu sei Österreich infolge seiner inneren Zusammensetzung aus vielen Nationalitäten in unauflösbarem Gegensatz getreten. „Die gesamtdeutsche staatliche Lösung war die Quadratur des Kreises“158, nach den Erfahrungen von 1848 sei nur noch durch das Ausscheiden Österreichs eine staatliche Zusammenfassung des kleineren Deutschlands erreichbar gewesen. Srbiks Glauben an eine Lösung des Verfassungsproblems auf mitteleuropäischer und staatenbündischer Grundlage wird von Hartung verworfen – aus der grundsätzlichen, auf historischer Erfahrung wie politischer Einschätzung beruhenden Überzeugung, daß ein mitteleuropäischer Staatenbund unter deutscher Führung, wie er Srbik deutlich in Fortführung des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Reichsuniversalismus vorschwebte, an „dem jedem europäischen Volk angeborenen Streben nach politischer Selbständigkeit“159 scheitern werde. Hartung vermochte 1937 nicht zu erkennen, „daß die universalistische Tradition des habsburgischen Staates oder die Mission des deutschen Volks gegenüber den Völkern Ostmittel157 FBPG 48 (1936), 7. 158 Ebd., 13. 159 Ebd., 2.

232 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

europas bei diesen Anklang fände“ und daß die kleinen ostmitteleuropäischen Nationen das errungene Gut der politischen Selbständigkeit preiszugeben bereit seien160. Bezeichnenderweise widersprach Srbik gerade an diesem Punkt seinen Kritikern Hartung und Erich Brandenburg, indem er an seiner „Utopie“ „eines mitteleuropäischen Reiches unter deutscher Führung“ nachdrücklich festhielt, indem er „eine Vereinigung der getrennten beiden Denkströme beschwor, des nationalstaatlichen und des universalistischen“ beschwor und konkrete Konturen eines künftigen Mitteleuropa zeichnete: das Deutsche Reich, Österreich und „angegliedert auf der Grundlage der Achtung ihrer Staatlichkeit und der Achtung ungehemmten Lebensrechtes ihrer Völker die ostmitteleuropäische Staaten“161. Gerade diese Sätze und Formulierungen lösten bei einem anderen preußisch gesinnten Historiker, Gerhard Ritter162, Bestürzung und Angst vor ihren politischen Folgen aus. Ritter fürchtete, wie er in einer pointierten brieflichen Stellungnahme zu Srbiks Darlegungen ausführte, aus „echter realpolitischer Einsicht“, daß angesichts der Gefährdung Deutschlands innerhalb des europäischen Mächtesystems mitteleuropäische Zukunftsziele und eine uferlose mitteleuropäische Hegemonialpolitik die Einsicht in das politisch Notwendige und Mögliche geradezu verhinderten, dass mithin eine solche gesamtdeutsche Geschichtsschreibung zum ideologischen Feigenblatt oder Propagandamittel für eine abenteuerliche deutsche Außenpolitik diene könne, mit verheerenden Auswirkungen nicht nur auf die ostmitteleuropäischen Staaten, sondern auch auf die westeuropäischen Großmächte England und Frankreich163. 160 Ebd., 20. 161 Heinrich Ritter von Srbik, Zur gesamtdeutschen Geschichtsauffassung. Ein Versuch und sein Schicksal, in: Historische Zeitschrift 156 (1937), S. 229–262, hier 237. 162 Klaus Schwabe, Gerhard Ritter und die Bedeutung Preußens für die deutsche Geschichte, in: Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ (wie Anm. 6), 355–373. 163 Gerhard Ritter, Ein politischer Historiker in seinen Briefen, hrsg. v. Klaus Schwabe u. Rolf Reichardt (Schriften des Bundesarchivs, 33), Boppard am Rhein 1984, Nr. 78 S. 327f., Nr. 79 S. 329. – Friedrich Meinecke stimmte Srbiks „Utopie“ brieflich zu, fügte allerdings im Sinne einer unausgesprochenen Distanzierung hinzu, „daß nur eine gänzliche seelische Umwälzung der Völker Mitteleuropas sie verwirklichen könnte – vielleicht nach schwersten Katastrophen erst der bornierte Nationalismus sich ausbrennen wird“. Srbik, Die wissenschaftliche Korrespondenz (wie Anm. 153), Nr. 300 S. 474f. – Die hier behandelte Kontroverse um die gesamtdeutsche Geschichtsauffassung wird – freilich ohne Berücksichtigung Hartungs – angesprochen in einer jüngst erschienenen Biographie Srbiks von Martina Pesditschek, Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951), in: Karl Hruza (Hg.), Österreichische Historiker. Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Bd. 2, Köln, Weimar, Wien 2012, S. 263–328, hier S. 286–288, das Beispiel einer unerträglich voreingenommenen Darstellung, die mit gewagten Interpretationen Srbik als Nationalsozialisten abstempeln will, ohne freilich seine großen Werke überhaupt eingehender jenseits seiner politischen Implikationen zu analysieren. – Umsichtig und abgewogen wird der Historikerstreit hingegen



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 233

Hartung teilte zwar Srbiks Anliegen insofern, als auch er es zur Erkenntnis der ganzen deutschen Geschichte für notwendig hielt, die beiden politischen Kraftzentren, den österreichischen und den preußischen Staat, und das geistig und kulturelle führende dritte Deutschland in einer Gesamtschau zusammenzuführen. Aber er hielt daran fest, daß erst die moderne Machtstaatsbildung Preußens die notwendige politische Konzentration Deutschlands herbeigeführt habe und nicht durch föderative mitteleuropäische Wunschträume gefährdet werden solle. Unsere ganze Geschichte seit dem Niedergang der mittelalterlichen Kaisermacht erscheint mir als eine ernste Warnung vor dem klein- oder unstaatlichen Glauben, daß ein Volk ohne Macht in seinem Dasein besser gesichert sei und sich des Wohlwollens seiner Nachbarn mehr zu erfreuen habe als ein Volk mit fester staatlicher Organisation164.

Hartung und Srbik offenbarten in ihrer Kontroverse, bevor der Umbruch von 1945 mit seinen langfristigen historiographischen Wirkungen neue Orientierungen und Maßstäbe hervorbrachte, noch einmal die unterschiedlichen, ja gegensätzlichen historischen Erfahrungswelten, denen ihre Auffassungen entsprangen: einerseits die des hohenzollernschen Machtstaates mit seiner Konzentration der politischen und sozialen Kräfte und in seinem Bündnis mit der deutschen Nationalstaatsbewegung, andererseits die der habsburgischen Staatenunion mit ihren universalistischen und föderativen Ideen und Elementen und in ihrer Verbindung mit anderen ostmitteleuropäischen Völkern. Es ist hinzuzufügen, daß sich zum Zeitpunkt der Debatte, 1935/37, Hartung mit seiner betonten Markierung der preußischen und kleindeutschen Position aus der Sicht damals bestimmender wissenschaftlicher und wissenschaftspolitischer Stimmen geradezu ins Abseits manövrierte, da sein Borussismus die Hoffnungen auf ein Gesamtdeutschland unter Einschluß Österreichs nicht beförderte. Bezeichnenderweise verwarf Walter behandelt von Hans-Christof Kraus, Kleindeutsch – Großdeutsch – Gesamtdeutsch? Eine Historikerkontroverse der Zwischenkriegszeit, in: Alexander Gallus, Thomas Schubert, Tom Thieme (Hg.), Deutsche Kontroversen. Festschrift für Eckhard Jesse, Baden-Baden 2013, 71–86. 164 Hartung, Preußen und die deutsche Einheit (wie Anm. 144), S. 19. – Hartungs 1944 veröffentlichte Besprechung der Bände 3 und 4 von Srbiks „Deutscher Einheit“ mit der Darstellung der österreichischen Politik der Jahre 1859 bis 1866 fiel hingegen freundlicher aus: „Aus den beiden ersten Bänden war deutlich ein Ton der Polemik gegen die reichszerstörende preußische Politik herauszuhören. Der Ton der neuen Bände ist wesentlich resignierter. Denn gerade die eingehende und liebevolle Darstellung der Politik Österreichs seit 1859 zeigt immer wieder, wie wenig der Kaiserstaat jener Jahre in der Lage war, dem unabweislichen Lebensbedürfnis des deutschen Volkes Genüge zu tun“. Ders., Rez. von: Heinrich Ritter von Srbik, Deutsche Einheit. Idee und Wirklichkeit vom Heiligen Reich bis Königgrätz, Bd. 3 u. 4, München 1942, in: FBPG 55 (1944), 225–227, Zitat 226.

234 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Frank in seiner Vorrede zur ersten Veröffentlichung seines 1935 gegründeten Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, der von Richard Fester besorgten Edition der Instruktion Friedrichs des Großen für seine Generale von 1747, unter Bezugnahme auf den Tag von Potsdam, den 21. März 1933, preußische Eigenstaatlichkeit und kleindeutsche Ideenwelt, die er als vergangen ansah, und erblickte andauernde lebendige Kraft nur noch in dem soldatischen Führer Friedrich, in dessen Tradition er Erich Ludendorff und Adolf Hitler stellte165. Und das Reichswissenschaftsministerium verhandelte 1936 mit Srbik über seine Berufung an die Universität Berlin, scheiterte nur an dessen Ablehnung und berief dann stattdessen den ähnlich wie Srbik gesamtdeutsch denkenden Wilhelm Schüssler166. Unverkennbar waren Hartungs Maßstäbe durch die verfassungs- und verwaltungsgeschichtliche Typologie seines Lehrers Otto Hintze über den Wandel des neuzeitlichen Staates geprägt, legte er wie dieser das Schwergewicht seiner historischen Betrachtung darauf, das staatliche Leben in seinen institutionellen Formen ebenso wie die in sein Wirken eingehenden sozialen und wirtschaftlichen Kräfte zu erfassen. Er wahrte deutliche Zurückhaltung gegenüber anderen historischen Ansätzen gerade der Zwischenkriegszeit, den Akzent des historischen Erkenntnisinteresses nachhaltig vom Staat auf das Volk zu verschieben, vorrangig das Volk in seiner Zusammensetzung und in seinen Tätigkeiten zu untersuchen. So sehr die „Volksgeschichte“ mit ihrer sozial- und kulturgeschichtlichen Orientierung seit den frühen 1920er Jahren methodisch neue Wege beschritt, so sehr stand sie nicht erst, aber besonders seit 1933 in Gefahr, daß ihre Forschungen ihre wissenschaftliche Eigenständigkeit vor allem im ostmitteleuropäischen Nationalitätenkampf verloren. Die spürbare Distanz des preußischen Verfassungs- und Staatshistorikers Hartung gegenüber dem Nationalsozialismus im allgemeinen, nationalsozialistischer Geschichtsschreibung und NS-naher Volksgeschichte im besonderen kommt – trotz verbaler Zugeständnisse in einzelnen Veröffentlichungen167 – am deutlichsten in den Schlußpassagen seines Nachrufes auf Otto Hintze in den FBPG von 1940 zum Ausdruck. Er läßt zunächst keinen Zweifel an Hintzes Reserviertheit gegenüber 165 Die Instruktion Friedrichs des Großen für seine Generale von 1747, hrsg. v. Richard Fester (Schriften des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands), Berlin 1936, VI. 166 Vgl. dazu aus der Korrespondenz Srbiks die Briefe Ludwig Bittners vom 8. August 1935 und Wilhelm Schüsslers vom 14. Mai 1936 an Srbik; Srbik, Die wissenschaftliche Korrespondenz, Nr. 259 S. 421f., Nr. 278 S. 447f. 167 Fritz Hartung, Volk und Staat in der deutschen Geschichte, in: ders., Volk und Staat (wie Anm.), 7–27, bes. 26f. – Das Quellenmaterial, das Grothe, Zwischen Geschichte und Recht (wie Anm. 142), 286–297, zu Hartungs Haltung in der NS-Zeit zusammenträgt, widerlegt merklich die von ihm selbst ganz im Sinne der gegenwärtigen Tendenz zur „Nazifizierung“ möglichst vieler Historiker gezogene Schlußfolgerung: „Nicht kritiklos verlebte er die zwölf Jahre, aber auch nicht übermäßig widerstrebend und im Zweifel vor allem loyal und konzessionsbereit“ (297).



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 235

dem NS-Staat, wenn er bemerkt: Nach 1918 verband sich mit dem Kummer über das außenpolitische Schicksal Deutschlands die mit der Schwächung des gebildeten Mittelstandes begründete Sorge Hintzes um die Zukunft des geistigen Lebens. An dieser Stimmung hat auch der Umschwung von 1933 nichts ändern können, obwohl er das Reich von der Schmach und der Last des Versailler Diktats befreite und mit der starken Betonung des alten Preußengeistes auch ein großes Stück von Hintzes Lebensarbeit wieder zu Ehren brachte. Auch im neuen Deutschland fühlte er sich als Mensch und Gelehrter einsam168.

Meisner schlug dagegen in seiner wenig später in der HZ erschienenen Würdigung ganz andere Töne an, indem er Hintze mit Wortakrobatik von seiner Nähe zur Demokratie entfernen und stattdessen in Richtung auf den Nationalsozialismus verschieben wollte: „Trotz manchem, was dagegen spricht, glaubt man, daß etwas im Hintzes Innerstem gegen die judenhörige Formaldemokratie revoltiert hat, die für Deutschland ‚nicht ein Glück‘ war“169. Hartung ließ außerdem und vor allem seinen Nachruf ausklingen mit der nachdrücklichen Mahnung zur Bevorzugung der Staats- vor der Volksgeschichte: Die heutige Zeit mag sogar glauben, daß sie [sc. die Verfassungsgeschichte] nicht mehr zeitgemäß sei, weil sie vom Staat und seinen Institutionen handelt, nicht das Volk in seinen mannigfaltigen Lebensäußerungen zum unmittelbaren Gegenstand hat. Aber Hintze hat ihr die Richtung gewiesen, die sie auch und gerade für unser heutiges Denken fruchtbar machen kann, über das Staatlich-Institutionelle hinaus – ich will nicht sagen: zum Völkischen –, aber doch zum Politischen, zum Verstehen der Gegenwart aus allen Strömungen des geschichtlichen Lebens. Das Verhältnis von Staatenbildung und Verfassungsentwicklung immer gründlicher zu erforschen, … diese Aufgabe ist das verpflichtende Vermächtnis, das er [sc. Hintze] der deutschen Geschichtswissenschaft der Gegenwart und der Zukunft hinterlassen hat170.

168 Hartung, Otto Hintze (wie Anm. 9), 232. Die zitierten Sätze fehlen im Wiederabdruck des Nachrufes in Hartungs Gesammelten Aufsätzen von 1961, siehe ebd., 519. Beachte auch, daß Hartung den Vorwurf von „Weltfremdheit oder wenigstens Weltabgewandtheit“ an die Professoren vor 1914, der etwa von dem NS-Historiker Walter Frank wiederholt geäußert wurde, zurückwies. FBPG 52 (1940), 217. 169 Heinrich Otto Meisner, Otto Hintzes Lebenswerk (27. August 1861 – 25. April 1940), in: Historische Zeitschrift 164 (1941), 66–90, hier 90. An zwei weiteren Stellen dieses ansonsten, soweit es die Analyse von Hintzes Werk betrifft, kenntnisreichen und eindringlichen Nachrufes gibt Meisner seine damalige Bejahung des nationalsozialistischen Staates deutlich zu erkennen, wenn er etwa als eigene Auffassung bekundet, das monarchische Prinzip des Konstitutionalismus sei „als Vorstufe und Traditionsträger für den Führer-Volksstaat unserer Tage zu rechtfertigen“, ebd., 72; siehe ferner 84, Anm. 2. Vgl. auch die Bemerkung von Georg G. Iggers zum Wert des Meisnerschen Nachrufes: Georg G. Iggers, Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, München 1971, 300 Anm. 17. 170 Hartung, Otto Hintze (wie Anm. 9), 233.

236 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Das damit über Fritz Hartungs Haltung abgegebene Urteil kann cum grano salis auf die FBPG insgesamt, auf ihre Linie und Beiträge in der Zeit nach 1933 ausgedehnt werden. Die bisherige Themenpalette wurde im Kern unverändert aufrechterhalten, in der preußischen Geschichte dominierten weiterhin Untersuchungen einerseits zur außenpolitischen Stellung des Staates im deutschen Umfeld und in der europäischen Mächtekonstellation, andererseits zum Ausbau und zur Formung seiner gesamten inneren Verfassung und Verwaltung. Die Vorgänge der äußeren und inneren Staatsbildung bewahrten in Fortführung der borussischen Forschungstraditionen des Kaiserreiches ihren Vorrang. Ein in seinem Gewicht vergleichbares neues Arbeitsfeld trat nicht einmal ansatzweise in Erscheinung, insbesondere auch nicht die zeitgeistgemäßen zum deutschen Volkstum und Rasse. Das damalige Profil der FBPG kann durch den Vergleich mit der HZ und deren Inhalten markanter umschrieben werden. Heinz Gollwitzer hat in seinem Nachruf auf Karl Alexander von Müller trefflich hervorgehoben, daß der neue Herausgeber der Historischen Zeitschrift sein Programm von 1936 eingehalten habe, nämlich die Historikergenerationen miteinander zu verbinden, das überkommene Erbe der deutschen Geschichtswissenschaft mit dem neuen deutschen Staat und seiner Jugend zu verknüpfen, allerdings ausgehend von der Überzeugung, daß die neue, die junge Generation eine definitive Umwälzung hervorgebracht habe und ihr die Zukunft gehöre171. Dementsprechend oszillierte die Zeitschrift in den Jahren seiner Herausgeberschaft zwischen den älteren nationalkonservativen Überlieferungen (einschließlich der Huldigungen an Friedrich Meinecke) und dem nationalsozialistischen Bund zwischen Zunft und Nation (einschließlich der regelmäßigen Forschungsspalte „zur Geschichte der Judenfrage“). Die FBPG wahrten hingegen sehr deutlichen Abstand zu den nationalsozialistischen oder NS-nahen Richtungen der Geschichtswissenschaft, ihren Protagonisten und ihren Leitthemen. Die zweite, 1935 erschienene Auflage der Dissertation Walter Franks, des lauten, zeitweise sehr einflußreichen Herolds einer nationalsozialistischen Geschichtsauffassung172, wurde 1936 von Johannes Schultze sehr subtil in der Weise angezeigt, daß er eingangs auf die ausführliche 171 Heinz Gollwitzer, Karl Alexander von Müller 1882–1964. Ein Nachruf, in: Historische Zeitschrift 205 (1967), 295–322, hier 308–310, bes. 309. Zur ideologischen, aus dem Geist der 1968er-Generation erwachsenen Reaktion auf diesen in seiner Vielschichtigkeit wie in seinem klaren Urteil eindrucksvollen Nachruf vgl. Hans-Christof Kraus, Zur Einführung: Heinz Gollwitzer – Eine biographische Skizze, in: Heinz Gollwitzer. Weltpolitik und deutsche Geschichte. Gesammelte Studien, hrsg. v. Hans-Christof Kraus (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 77), Göttingen 2008, 9–24, hier 19. – Vgl. zu v. Müller jetzt auch die Bemerkungen von Lothar Gall, 150 Jahre Historische Zeitschrift (wie Anm. 121), 2–4. 172 Helmut Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 13), Stuttgart 1966.



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 237

recht anerkennende Besprechung der Erstauflage von 1928 durch Fritz Hartung verwies, dann nur noch Frank’sche Sätze aus dessen neuem Vorwort von 1935 mit der pathetischen Einordnung seiner Arbeit als „Einbruchsstelle der HitlerRevolution in die deutsche Geschichtsschreibung“ unkommentiert wörtlich zitierte173 – und so den kritischen Leser mit der Frage zurückließ, ob hier nicht ein Historiker sein Werk aus der Weimarer Zeit unter dem Eindruck des politischen Wechsels von 1933 opportunistisch umgedeutet habe. Bezeichnenderweise muss man sehr lange in den Jahrgängen der FBPG nach 1933 blättern, bis man auf antisemitische Äußerungen trifft174. Hans Rothfels’ Buch „Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke“ wurde von Ulrich Wendland 1936 dafür gepriesen, daß es den bekenntnishaften Charakter des ‚Vorpostenbericht‘ eines wissenschaftlichen Grenzlandsoldaten und akademischen Geschichtslehrers über seinen menschlichen und geistig-politischen Einsatz im Kampf um und für die in die Zeitenwende hineingestellte studierende Jugend trägt175

– zwei Jahre, nachdem der Autor vom Reichswissenschaftsministerium von seiner Professur an der Königsberger Albertina entbunden worden war, weil ein Mann jüdischer Herkunft nicht die historisch-politische Unterrichtung der Studentenschaft über die Ostfragen übernehmen dürfe176. Es verdient ferner Erwähnung, daß Johannes Schultze 1943 unter seinem Namen eine kleine Edition eines 173 Fritz Hartung, Rez. v. Walter Frank, Hofprediger Adolf Stoecker und die christlich-soziale Bewegung, 1928, in: FBPG 42 (1929), 173–175; Johannes Schultze, Rez. v. Walter Frank, Hofprediger Adolf Stoecker und die christlich-soziale Bewegung, zweite durchgesehene Aufl. 1935, in: FBPG 48 (1936), 225 (Die Verfasserschaft Schultzes ergibt sich aus dem Register der FBPG 41–50, in: FBPG 50 [1938], 447). 174 Friedrich Granier, Rezension der Schrift von Walter Frank, „Affäre Dreyfus“, in: FBPG 52 (1940), 392, u.a.: „Denn die Juden in aller Welt traten für Dreyfus mit einer gewaltigen weltumspannenden Hetze gegen ‚Reaktion‘ und ‚Militarismus‘ ein, nicht weil er unschuldig, sondern weil er Jude war, getreu dem Wahlspruch der Alliance Israélite Universell ‚Ganz Israel bürgt füreinander‘“. – In seiner Besprechung einer Aufsatzsammlung Fritz Hartungs fügt Heinrich Otto Meisner seinen Betrachtungen zu dessen hier oben angeführten Aufsatz über Nebenregierungen in Preußen 1848 bis 1918 an (ohne daß dazu in Hartungs Text ein Ansatz gegeben wäre): „Und noch einer Macht hinter den Kulissen wäre zu gedenken: der jüdischen. Wohl war hier die Tarnung besonders geschickt, aber es finden sich schon in der Literatur so unverdächtige Zeugnisse wie Emil Ludwigs’ Bemerkung, daß Rathenau besser daran getan hätte, ‚von rückwärts (zu) regieren wie Ballin, da er als offener Leiter der Dinge den Deutschen unerträglich war‘“. FBPG 53 (1941), 400–403, hier 403. 175 FBPG 48 (1936), 451f. 176 Zu Rothfels vgl. insbesondere die Arbeiten von Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels und Ostmitteleuropa, in: Hans Rothfels und die deutsche Zeitgeschichte, hrsg. v. Johannes Hürter u. Hans Woller, München 2005, 39–61.

238 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

aus dem Turiner Staatsarchiv stammenden sardinischen Gesandtschaftsberichtes von 1752 mit einer allgemeinen Charakterisierung Friedrichs des Großen und seines Staates aus der Feder eines einstigen jüdischen Autors der Zeitschrift, Michael Strich, veröffentlichte, als der tatsächliche Autor schon in Theresienstadt der NS-Judenverfolgung zum Opfer gefallen war177. Wie im Sinne einer umfassenden Berücksichtigung der Meinungsäußerungen in den FBPG anzuführen ist, fehlte es andererseits nach 1933 nicht an deutlicher Anerkennung der neuen Wertmaßstäbe, die der Nationalsozialismus gesetzt hatte178, und es fehlte auch nicht an ausgesprochenen politischen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus und zu seinem politischen Kampf. Wenn Paul Sattler Bismarcks Entschluß zum Kulturkampf analysiert und aus seiner Gegnerschaft zum politischen Katholizismus ableitet, ist er wiederholt mit kräftigen Formulierungen darum bemüht, „der klerikalen und der marxistischen Partei“, „der schwarzen und der roten Internationale“ gemeinsame reichsfeindliche Bestrebungen zu unterstellen und ihrem Wirken den Untergang des Zweiten Reiches anzulasten. … nach dem Sturz des Kaiserreiches sind beide [sc. der politische Katholizismus und der Marxismus] miteinander den Bund eingegangen, der erst endgültig 1933 zerschlagen wurde. Auf seinem Wege von der staatlichen zur völkischen Grundlage seines nationalen Daseins ist das zweite Reich stecken geblieben, da die beiden Parteimächte, beide auf einer internationalen Grundlage und beide als Parteien der breiten Massen, diese Entwicklung durchkreuzten179.

177 Ein Bericht des sardinischen Gesandten in Dresden Marquis d’Aigueblanche über König Friedrich II. und seinen Staat. 1752. Mitgeteilt von Joh. Schultze, in: FBPG 53 (1943), 139–147. – Strichs Artikel in den FBPG von 1927 siehe oben bei Anm. 54; die ganz engen inhaltlichen und archivischen Zusammenhänge zwischen den Beiträgen von 1927 und 1943 liegen auf der Hand. – Strich wirkte auch als Rezensent für die FBPG, vgl. Rez. v.: M. Doeberl, Entwicklungsgeschichte Bayerns, 3. Bd., 1931, in: FBPG 46 (1934), 421–423. – Die im Herausgeberschriftwechsel enthaltenen fünf Schreiben Strichs an Schultze aus den Jahren 1932 und vor allem 1934, u.a. zu seiner Rezensierung des Werkes Doeberls, sind in herzlichem Ton gehalten, vgl. GStAPK, I. HA Rep. 224 E, Nr. 204, Bl. 120–122, 129–130, 143. – Strichs Hauptwerk, „Das Kurhaus Bayern im Zeitalter Ludwigs XIV. und die europäischen Mächte“, 1933, wurde 1934 in den FBPG von Georg Schnath sehr anerkennend besprochen, wobei er seine Besprechung mit dem Satz schloß: „Daß … hinter seiner Darstellung ein warmes vaterländisches Empfinden für das Reichsganze steht, ist ein im Jahre der nationalen Erhebung besonders wohltuender Zug des gewichtigen Werkes“. FBPG 46 (1934), 410–412, Zitat 412. 178 „Unsere Gegenwart ist über viele Meinungen, die der abgelaufenen Epoche des Liberalismus für heilig galten, hinweggeschritten, und der Satz, daß Staatsdiener nach d e n Grundsätzen zu handeln haben, die das Staatsoberhaupt aufstellt, wird heut auch aus dem Munde von Ernst August [des Königs von Hannover, der die Göttingen Sieben 1837 entließ] verstanden werden“. Karl Haenchen, in: FBPG 54 (1943), 17 (Sperrung in der Vorlage). 179 Paul Sattler, Bismarcks Entschluß zum Kulturkampf, in: FBPG 52 (1940), 66–101, Zitate 98f., 66; vgl. insbesondere die abschließenden Wertungen 98–101.



Historisch-politische Kontroversen um die Deutung der Geschichte Preußens 

 239

Anzuführen ist hier auch Heinrich Otto Meisner mit seiner nach Schwarz-WeißMethode verfahrenden Gegenüberstellung der Weimarer Republik, des „Zwischenreiches“, und der nationalsozialistischen Führerherrschaft: Jene Mächte der Tiefe, die der Zusammenbruch [von 1918] entband, die Fermente der De­komposition waren schon damals in diesem so ‚in Form‘ befindlichen Volke, die Gefahr der Überfremdung bestand (auch beim Adel) schon im kaiserlichen Deutschland. Sie konnte, nachdem durch den Verlust besten Volkstums im Kriege alles verloren schien, erst durch eine einzigartige Erneuerung der Nation in zwölfter Stunde gebannt werden180.

Aber auch Meisner ist nicht spiegelbildlich nach Schwarz-Weiß-Methode aus heutiger Sicht abzuurteilen, wenn man seine wissenschaftliche Urteile bedenkt, die unmittelbarer politischer Implikationen entbehrten, aber indirekt seine Staatsauffassung offenbarten. Er widersprach der harschen Abwertung des liberalen Rechtsstaatsdenkens des 19. Jahrhunderts und seiner Stellungnahme zum Verhältnis von Justiz und Verwaltung, indem er dessen individualistischem Prinzip durchaus in der Auseinandersetzung mit Ministerialdespotismus Berechtigung zugestand181. Er widersprach der rabiaten Abwertung des kaiserlichen Reichstages, die unter Verweis auf den vorbildlichen nationalsozialistischen führertreuen Reichstag ausgesprochen worden war, indem er dagegen hielt, daß der Parlamentarismus des Kaiserreiches nicht nur einer machtlüsternen Opposition entsprungen sei, sondern auch einen Kampf ums Recht geführt und einen Fortschritt gegenüber dem Absolutismus gebracht habe182. Ganz ähnlich wie Fritz Hartung in seiner kurz vorher ausgetragenen Kontroverse mit Carl Schmitt um dessen Schrift „Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches“183 180 Heinrich Otto Meisner, Rez. von: Adalbert Wahl, Deutsche Geschichte. Von der Reichsgründung bis zum Ausbruch des Weltkrieges (1871–1914), 4. Bd., 1935, in: FBPG 50 (1938), 167–170, hier 170. Der Text enthält noch weitere Bekundungen zugunsten des Nationalsozialismus, u.a. durch den Hinweis auf Hitlers „Mein Kampf“ und seine Worte zur Volksgemeinschaft. 181 Ders., Rez. von Albrecht Wagner, Der Kampf der Justiz gegen die Verwaltung in Preußen, 1936, in: FBPG 50 (1938), 376–379, hier 378f. – Vgl. ferner seine sehr wohlwollende Besprechung der Biographie eines führenden (National-)Liberalen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Rez. von Hans Herzfeld, Johannes Miquel, 1938, in: FBPG 52 (1940), 152–156. 182 Ders., Militärkabinett (wie Anm. 134), 99. Ferner ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, daß Meisner gegenüber den Apologeten des Militärkabinetts überhaupt dessen Emanzipation vom Kriegsminister, die der Schwächung von dessen konstitutioneller Verantwortung gegenüber dem Parlament diente, sehr kritisch beurteilt: Die königlichen Entscheidungen von 1861 und 1883 zum Militärkabinett hätten „die Verfassung an einem wichtigen Punkte durchbrochen“, der „Fortfall der ministeriellen Verantwortlichkeit in der Sphäre der Kommandogewalt“ habe „die Verfassungswidrigkeit des Kabinetts“ bedeutet. Ebd., 93, 101 Anm. 1. 183 Fritz Hartung, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, in: Historische Zeitschrift 151 (1935), 528–544; wiederabgedruckt in: ders., Staatsbildende Kräfte (wie Anm. 4),

240 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

wehrte sich Meisner dagegen, daß der monarchische Konstitutionalismus mit seinen beachtlichen liberalen und parlamentarischen Elementen am Maßstab nationalsozialistischer Staatsvorstellungen gemessen und verworfen wurde. Er betonte demgegenüber die „Eigenwerte“ des preußischen Königtums in der monarchisch-konstitutionellen Periode, lehnte andererseits die linksliberale Kritik Ziekurschs an dem notwendigen Übergang zum Parlamentarismus an und bezog damit letztlich eine klare wissenschaftlichen Position in einer generationenlangen, bis auf den heutigen Tag andauernden wissenschaftlichen Debatte um den preußisch-deutschen und europäischen Konstitutionalismus des langen 19. Jahrhunderts, die um die Frage kreist, ob dieser als bloßer Übergangszustand zwischen absolutistischer und parlamentarischer Staatsverfassung oder als eigenständige Staatsform mit eigenen Entwicklungsmöglichkeiten einzuschätzen sei. Trotz politischer Bekenntnisse zum Nationalsozialismus bewahrte Meisner seine bisherigen wissenschaftlichen Standpunkte und Maßstäbe und unterwarf sie nicht NS-Doktrinen. Wie vorsichtig wir heutigen mit öffentlichen historisch-politischen Wertungen der damaligen Zeitgenossen umgehen sollten, wie sehr wir aufgefordert sind, in den damaligen, in einer Diktatur und unter ihren Vorgaben publizierten Äußerungen zwischen den Zeilen zu lesen, vermag der Schlußsatz in Ernst Kaebers großer Untersuchung über „Das Weichbild der Stadt Berlin seit der Steinschen Städteordnung“, die den ein Jahrhundert langen Weg bis zur Schaffung der Einheitsgemeinde Berlin im Gesetz vom 27. April 1920 beschreibt, zu illustrieren: … an dem äußeren Rahmen des Gesetzes und an dem Grundsatz der Gliederung des Ganzen in selbsttätige Bezirksverwaltungen konnte der nationalsozialistische Staat festhalten, als er das Parteiregiment aus dem Rathaus fortfegte und den Grundsatz verantwortlichen Führertums auch in der Reichshauptstadt durchsetzte184.

Hat hier der Ernst Kaeber, der im Jahre der Veröffentlichung dieser Zeilen aus seinem Amt als Berliner Stadtarchivdirektor entlassen wurde, weil er sich von seiner jüdischen Ehefrau nicht trennen wollte, dem Nationalsozialismus und seinem Führerprinzip gehuldigt, oder hat er ihm unterschwellig die Anerkennung des von einem demokratischen Parlamentarismus beschlossenen Berlin-Gesetzes abringen wollen?185 376–392. – Vgl. zu dieser Kontroverse den Aufsatz von Hans-Christof Kraus, Soldatenstaat oder Verfassungsstaat? Zur Kontroverse zwischen Carl Schmitt und Fritz Hartung über den preußisch-deutschen Konstitutionalismus (1934/35), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45 (1999), 275–310. 184 FBPG 49 (1937), 366. 185 Zu wenig beherzigt wird die wohlbegründete Mahnung Wolfgang Neugebauers: „Nicht immer wird berücksichtigt, wie leicht es ist, aus der vergleichsweise wohligen Behaglichkeit



Das Ende der „Forschungen“ und ihres „silbernen Zeitalters“ 

 241

VI Das Ende der „Forschungen“ und VI ihres „silbernen Zeitalters“ Das Ende der „Forschungen“ und ihres „silbernen Zeitalters“

Die letzten beiden Hefte der FBPG, die Hefte 54/2 und 55/1, erschienen im April 1943 und im Januar 1944186. Am 19. Januar 1944 schrieb Johannes Schultze dem Reichswissenschaftsministerium: Am 10. Jan. 44 haben wir den Verwendungsnachweis über die für die FBPG 1942 gewährte Druckkostenbeihilfe eingereicht. Seitdem konnte nur noch ein weiteres Heft 55,2 in Druck gegeben werden, dessen Fertigstellung im Laufe des nächsten Monates zu erwarten steht. Da alsdann die Fortsetzung der Veröffentlichung vorläufig zurückgestellt werden muß, bitten wir uns die bisherige Beihilfe für das im Druck befindliche Heft 55,2 in Höhe von 475,– RM nochmals zu gewähren187.

Dieses Schreiben ist das jüngste und letzte in der Vereinsakte über die Förderung der FBPG durch das preußische Kultusministerium bzw. das Reichswissenschaftsministerium, und die ohnehin geringe Erwartung seines Verfassers wurde noch durch den weiteren kriegsbedingten Verlauf widerlegt, denn das zweite Heft konnte nicht mehr ausgedruckt werden, weil das Personal der Druckerei zum Heeresdienst eingezogen worden war. Schultze vermochte schließlich nur noch für sich aus den vorliegenden Korrekturbögen ein vollständiges Exemplar von Heft 55/2 zusammenzustellen, das im Original bzw. in Kopie heute in den Dienstbibliotheken des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs vorhanden ist188. So endet die Geschichte der FBPG mit dem ersten Heft ihres 55. Bandes, 55 Jahre nach der Ausgabe des ersten Heftes ihres ersten Bandes. Nach dem Zweiten Weltkrieg mißlang die Wiederbelebung und Fortführung der Zeitschrift, erst 1991 wurde unter wiederum völlig veränderten politischen und wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen eine „Neue Folge“ der FBPG ins Leben gerufen, von der seither 23 Bände erschienen sind. Die äußere Lage nach 1945 war zunächst dadurch bestimmt189, daß die Besatzungsmächte alle Vereine einschließlich der Geschichtsvereine verboten und damit auch der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg, der Träger der FBPG, zu bestehen aufeiner liberaldemokratischen Ordnung über diejenigen den Stab zu brechen, die in sehr viel gefährlicheren Lagen ihren wissenschaftlichen Weg nehmen mußten.“ Neugebauer, Zur preußischen Geschichtswissenschaft (wie Anm. 33), 170f. 186 GStAPK, I. HA, Rep. 224 E, Nr. 195, Bl. 123. 187 Ebd., Nr. 195, Bl. 119. 188 Schultze, Erinnerungen (wie Anm. 24), 79. 189 Das Folgende nach ebd., 79–83. Eine Darstellung der Vorgänge auf Grund amtlicher und nichtamtlicher Unterlagen ist sehr wünschenswert.

242 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

hörte. Als ab 1948 Vereine wieder auf Antrag zugelassen wurden, stieß Schultzes Wiederbelebungsversuch nach seiner Schilderung auf Hartungs Widerspruch, da dieser „die Neugründung eines Vereines unter diesem Namen im Hinblick auf die politische Lage und die ehemalige Verbindung des alten Vereins mit der preußischen Geschichte für ganz unmöglich erklärte“190. Hartungs Urteil stand offenkundig unter dem Eindruck der alliierten Verdammung Preußens, wie sie sich in dem bekannten Kontrollratsbeschluß von 1947 geäußert hatte. Aber auch unabhängig von der damaligen (wissenschafts)politischen Lage verwies es schon unbewußt darauf, daß die Geschichte Preußens, seine wissenschaftliche Erforschung und Darstellung in den kommenden Jahrzehnten mit wechselnden Begründungen sich nicht mehr einer ausgedehnten Förderung erfreuen würde, weder seitens der Politik noch seitens der Geschichtswissenschaft selbst – aus vielfältigen Gründen, die hier nicht mehr näher zu erörtern sind. Der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg wurde zwar in den 1950er Jahren doch noch von Schultze und Hoppe fortgeführt, aber er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er kam in der Nachkriegszeit „zu spät“, da ihm mit besseren Verbindungen und Finanzen vor allem einerseits die wiederbegründete Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg mit ihrer eigenen neuen Zeitschrift, dem „Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte“, und andererseits das Friedrich-Meinecke-Institut der neugegründeten Freien Universität Berlin mit seiner eigenen neuen Zeitschrift, dem „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“, vorausgegangen waren. In dem ohnehin stark verkleinerten West-Berliner Umfeld ergaben sich für den Verein für Geschichte der Mark Brandenburg und für die Gedankenspiele zur Fortführung seiner Zeitschrift keine Realisierungsmöglichkeiten mehr, andere Kräfte und Institutionen bestimmten den Wiederaufbau der Geschichtswissenschaft in Berlin nach 1945. Aber weder die Landesgeschichtliche Vereinigung noch das Friedrich-Meinecke-Institut bzw. später die Historischen Kommission zu Berlin haben in ihren Zeitschriften auf Grund ihrer anderen Schwerpunkte der preußischen Geschichte einen solchen Platz einräumen191 und sie so befruchten können, wie es der FBPG auch zwischen 1918 und 1944 möglich gewesen war. Insofern hinterließ ihr Ausscheiden tatsächlich eine historiographische Lücke. Überhaupt wurde die preußische Historiographie durch die Folgen von 1945, die Teilung der preußischen Archive und Archivbestände, die Teilung der brandenburg-preußischen Wissenschaftslandschaft und damit auch die Teilung des wissenschaftlichen Personalkörpers, bis in Mark 190 Ebd., 79. 191 Vgl.: Bibliographie der Aufsätze und Miszellen im „Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands“ Jahrgang 1 (1952) bis Jahrgang 50 (2004), bearb. v. Rosemarie Baudisch, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 51 (2005), 411–470, bes. 424–430.



Das Ende der „Forschungen“ und ihres „silbernen Zeitalters“ 

 243

getroffen, so daß ihre Fortführung nur noch in bescheidenem Maße auf dramatisch verkleinerter Grundlage erfolgen konnte. Insofern ist die ausgebliebene Wiederbelebung der FBPG in den Jahrzehnten der deutschen Teilung nicht zufällig192. Die preußische Geschichtswissenschaft der Zwischenkriegszeit, wie sie in den FBPG mit ihren Arbeiten sichtbar wird, beruhte auf einem ansehnlichen Personalreservoir mit hohem wissenschaftlichen Niveau, das sich vornehmlich aus akademischen Einrichtungen der preußischen und Reichshauptstadt Berlin, aber auch in anderen Orten Preußens und des Reiches und darüber hinaus noch aus Kreisen befähigter Fachleute mit hauptberuflicher außerakademischer Tätigkeit (etwa im höheren Schulwesen) rekrutierte. Die Geschichte Preußens vom frühen 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert konnte zeitlich wie sachlich in beachtlicher Dichte beschrieben werden, weil sie für die mitwirkenden Historiker, gerade für die bestimmenden unter ihnen, in einzelnen Aspekten wie in übergreifenden Ansätzen uneingeschränkt im Zentrum ihrer Forschungsarbeiten stand. Preußen war ihr Leitthema, war ihre Hauptaufgabe, ihre Anstrengungen galten Preußen ausschließlich oder zumindest vor allem, jedenfalls nicht unter anderem, Preußen war für diese ansehnliche Historikergruppe das geschichtswissenschaftliche Thema, das einzige oder das vorrangige. Die breite Verankerung des Themas Preußen in der damaligen Historikerschaft offenbart sich eben darin, daß die FBPG eine Vielzahl von Autoren druckte, sowohl sehr viele Autoren, die nur ein- oder zweimal in ihrem Aufsatzteil und gelegentlich in ihrem Rezensionsteil erschienen, als auch manche Autoren, die sich regelmäßig in dem einen oder anderen Teil oder gar in beiden zu Worte meldeten und die vor allem die Zeitschrift trugen. Der bleibende Wert sehr vieler Beiträge liegt in ihrer archivalischen Fundierung, in der Heranziehung, und Auswertung umfangreichen ungedruckten Quellenmaterials, vorrangig aus dem Geheimen Staatsarchiv, dem preußischen Zentralarchiv, und aus seinen staatlichen Behörden wie privaten Nachlaßüberlieferungen, aber auch aus anderen Archiven. Quellennähe bis hin zu Quellenedition und zur Quellenkritik zeichnen durchgängig die Artikel aus, man könnte geradezu von einem Hunger ihrer Autoren nach ausdauernden Archivstudien und ihrer Hoffnung auf ertragreiche Archivfunde sprechen. Unverkennbar waren gerade die bestimmenden Mitarbeiter der Zeitschrift durch das von Hartung angesprochene „Wir“-Gefühl geeint, von der Überzeugung, daß sie sich Preußen und dem preußischen Staat innerlich verbunden fühlten. Aus einer solchen Grundhaltung erwuchsen aber keine unkritische Verehrung und 192 Vgl. nur die knappen, aber treffenden Hinweise bei Wolfgang Neugebauer, Brandenburgpreußische Geschichte nach der deutschen Einheit. Voraussetzungen und Aufgaben, in: Werner Buchholz (Hrsg.), Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, Paderborn u.a. 1998, 179–212, hier 179–184.

244 

 Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik

Verherrlichung, sie waren nach der Erschütterung von 1918 für nachdenkliche Historiker ausgeschlossen, zumal ohnehin die Positionen der kleindeutschen preußischen Historiker von groß- bzw. gesamtdeutschen Historikern unter den neuen politischen Konstellationen mit erheblich größerem Nachdruck als vor 1914 angegriffen wurden. Aber wenn Werner Hegemann einmal die FBPG als „Blatt für preußische Heldenverehrung“ abqualifizierte193, übersah seine Polemik die kontroverse Debatte, die in der Zeitschrift von verschiedenen vorstehend skizzierten Autoren über den Gang der preußisch-deutschen Geschichte und ihre neuralgischen Punkte wie beispielsweise das Schicksal der preußischen Reformen oder die Verfassungsordnung des Kaiserreiches ausgetragen wurde. In der Zeit der Weimarer Republik kamen dazu unterschiedliche und gegensätzliche Stimmen zu Worte und zeugten von der Lebendigkeit der damaligen Forschungsdebatte. Meisner, Hartung, Dehio und Ziekursch – um nur ein paar wesentliche Namen nochmals herauszugreifen – vertraten mit ihren konservativeren oder liberaleren Positionen ein breites Spektrum an Auffassungen und Urteilen, die von dem tiefen inneren Ringen um die Neuorientierung der Geschichtsschreibung Preußens nach dem Ende der Hohenzollern-Monarchie zeugen. Unter erheblichen organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten, unter denen die Herausgabe der Zeitschrift zu leiden hatte, wurden in ihr alte Forschungsfelder weitergeführt und wurden neue Forschungsaufgaben erschlossen, ohne freilich mit herausfordernden methodischen oder inhaltlichen Ansätzen die gespannte Aufmerksamkeit der allgemeinen Geschichtswissenschaft zu wecken oder deren Fragestellungen mit ihren Anregungen in ganz andere Richtungen zu lenken. Die preußische Historiographie blieb in ihrem Kern Staatsgeschichte, betrieb schwerpunktmäßig die Erforschung der preußischen Politik und des preußischen Staatsbildungsprozesses unter ihren wechselnden inneren und äußeren Anforderungen. Kulturräumliche oder volksgeschichtliche Ansätze, wie sie sich nach 1918 in der deutschen Geschichtswissenschaft zunehmender Beliebtheit erfreuten194, haben in die FBPG nicht Eingang gefunden. Aber gerade in Zeiten, in denen die historisch-politischen Kontroversen und Umbrüche in ihrer Heftigkeit und Radikalität den historiographischen Ideologiebildungen Vorschub leisteten, sollte die Orientierung an einer hochqualifizierten fachlichen Tradition und die Weiterführung ihrer Bahnen positiv bewertet werden. 193 Hier zitiert nach Gustav Berthold Volz’ Referat, in: FBPG 39 (1927), 155. 194 Matthias Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Moraw u. Rudolf Schieffer (Vorträge und Forschungen, 62), Ostfildern 2005, 251–364. – Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, 101), Göttingen 1993. – Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden 1999.

Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichtsund Altertumsvereine in der NS-Zeit1 I. Einleitung: die historiographische I. Fragestellung Einleitung: die historiographische Fragestellung

Der brandenburgische Landesgeschichtsforscher Willy Hoppe gehört auf Grund seiner Lebensdaten – 1884 in Berlin geboren und ebenda 1960 verstorben – einer Generation an, die mit vollem Bewusstsein die drei politischen Umbrüche und Systemwechsel Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt hat und die dreimal zur Stellungnahme zu jeweils entgegengesetzten politischen Vorzeichen herausgefordert worden ist. Im Kaiserreich wuchs Hoppe auf, absolvierte mit Studium und Promotion seine wissenschaftliche Ausbildung und legte die ersten beruflichen Schritte einer geschichtswissenschaftlichen Nachwuchskraft zurück. Mit dem Beginn der Weimarer Republik fand er eine feste langandauernde bibliothekarische Anstellung, in seinen Forschungen konzentrierte er sich auf die brandenburgische Landesgeschichte und übernahm universitär und vor allem außeruniversitär, im berlin-brandenburgischen Geschichtsvereinswesen, fachlich wesentliche Aufgabenstellungen und organisatorisch höhere Ämter. Das Dritte Reich führte ihn innerhalb weniger Jahre auf die Höhepunkte seiner Laufbahn, wiederum außeruniversitär, im gesamtdeutschen landesgeschichtlichen Vereinswesen, und noch mehr universitär mit Ordinariat und Rektorat an der damals ersten Universität des Reiches, der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität. Seinen Karrieresprung nach 1933 verdankte Hoppe seinem frühzeitigen und vorbehaltlosen Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Zwei Zitate mögen dies belegen. Als der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg 1934 den Brandenburgischen Provinzialverband um die Erhöhung der Bezuschussung seiner Zeitschrift, der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, ersuchte, stellte ein Aktenvermerk den Petenten dem Landesdirektor mit der Darlegung vor: Der Führer des Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg ist Universitätsprofessor Dr. Willy Hoppe, ein Schüler Dietrich Schäfers, Führer des Gesamtvereins der deutschen

Aus: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142 (2005/06) [erschienen 2008], S. 19–60.

246 

 Willy Hoppe

Geschichtsvereine, einer der wenigen Universitätsprofessoren, die sich schon jahrelang vor der Machtübernahme durch den Führer offen zum Nationalsozialismus bekannten1.

Die Parteimitgliedschaft Hoppes wurde nicht nur im internen Schriftwechsel von anderen als Argument eingesetzt, sondern Hoppe selbst bekannte sich in öffentlichen Veranstaltungen uneingeschränkt zu ihr. Als er Anfang September 1933 in Königsberg die Leitung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine übernahm, erklärte er, daß er als Nationalsozialist an diese Stelle gekommen sei, und er wolle auch als Nationalsozialist den Gesamtverein leiten und das zu verwirklichen suchen, was der Führer zu fordern nicht müde geworden sei2.

Dem steilen Aufstieg Hoppes nach 1933 folgte der tiefe Fall nach 1945. Aus der Berliner Universität entlassen, vermochte er beruflich anderswo nicht mehr festen Fuß zu fassen. Auf Grund seiner vornehmlich auf Berlin und Brandenburg bezogenen historischen Forschungen fand er noch einen bescheidenen wissenschaftlichen Wirkungsraum in den (West-)Berliner landesgeschichtlichen Organisationen. Sein Leben endete schließlich mit einem wissenschaftlichen Gesamtwerk, dem der erhoffte große Wurf, eine krönende Gesamtdarstellung der brandenburgischen Geschichte, versagt geblieben war, in „Enttäuschung und Resignation“3. Die historiographischen Forschungen haben sich seit ca. 15 Jahren erneut sehr intensiv mit dem Verhältnis der deutschen Historiker zum Nationalsozialismus befasst und sowohl die Organisation der damaligen Geschichtswissenschaft als auch die Thematik der damaligen geschichtswissenschaftlichen Forschungen erhellt. Dabei ist zumeist, wenn auch nicht unwidersprochen, zumindest eine viel größere Nähe der Historikerschaft zum Nationalsozialismus konstatiert worden, als man früher zu konzedieren geneigt war4. Es fiele mir nicht schwer, diese in der gegenwärtigen Diskussion vorherrschende Tendenz am Beispiel Hoppes 1 Brandenburgisches Landeshauptarchiv [im Folgenden abgekürzt: BLHA], Potsdam, Rep. 55 XI, Nr. 90, Vermerk von ca. Sept. 1934. 2 Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine [im Folgenden zitiert: Korrespondenzblatt] 81 (1933), Sp. 199. 3 H. Ludat, Willy Hoppe, in: W. Hoppe, Die Mark Brandenburg, Wettin und Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, eingeleitet und hrsg. v. H. Ludat, 1965, S. VII–XV, hier S. XIV [Willy Hoppe wird in den folgenden Anmerkungen abgekürzt: WH]. 4 Vgl. nur: Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, hrsg. v. W. Schulze u. O. G. Oexle, 1999, darin das pointierte Urteil Hans Mommsens: „Was am Beispiel der Ostforschung zur Diskussion steht, ist nicht Ausfluß einer Affinität zum NS, sondern ist der wirkliche Nationalsozialismus“ (S. 271). – W. Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945 (Kritische Studien zur Geschichtswis-



Einleitung: die historiographische Fragestellung 

 247

und des von ihm vertretenen Forschungsfeldes zu bekräftigen und so um eine weitere Variante zu bereichern – jedenfalls dann, wenn man sich wie der eine oder andere Interpret im wesentlichen damit begnügt, die NSDAP-Mitgliedsnummer eines Historikers und einige markante Zitate der Übereinstimmung mit der NS-Ideologie ohne ausreichende Berücksichtigung des wissenschaftlichen und politischen Zusammenhanges zu ermitteln5. Mir scheint es aber auf eine Verkürzung und Verengung des wissenschaftlichen Urteils hinauszulaufen, wenn ein Historiker nur noch ausschnitthaft zur Kenntnis genommen wird, anstatt ihn in seinem gesamten Wirken wie auch in seinem wissenschaftlichen Umfeld, in dem er agierte, zu würdigen. Es ist mit Sicherheit nicht verkehrt, Hoppe auf Grund der angeführten und anderer Äußerungen als nationalsozialistischen Historiker einzustufen, aber es reicht für ein differenziertes und abgewogenes Urteil nicht aus, sich allein auf seine politischen Bekenntnisse zum NS-Staat zu beschränken. Denn Hoppe war als Geschichtswissenschaftler tätig, und als solcher interessiert er uns. Welche geschichtswissenschaftlichen Inhalte und Methoden hat er verfochten und propagiert? Und welche wissenschaftsorganisatorischen Möglichkeiten zur Umsetzung seines Programms eröffneten sich ihm, und wie hat er sie genutzt? In welcher Weise hat er in den beiden damit angedeuteten Bereichen, in der landesgeschichtlichen Forschung wie in der landesgeschichtlichen Organisation, nationalsozialistisch gewirkt? Die Beantwortung dieser Fragen wird im Falle Hoppes durch die Quellenlage nicht gerade erleichtert, wenn man sich nicht mit Druckerzeugnissen begnügen, sondern mit Hilfe von Archivalien genauer in die Abläufe des Wissenschaftsbetriebes um Hoppe herum im Zeitraum 1920–1945 hineinschauen will. Denn die einschlägigen zentralen Überlieferungen sind bis auf wenige bruchstückhafte Reste untergegangen. Der Nachlass Hoppe im Landesarchiv Berlin6 verdient eigentlich senschaft 101), 1993. – Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, 1999. – Den derzeit gängigen Argumentationen hat etwa Christian Tilitzki mit stupender Quellenkenntnis widersprochen, vgl. nur seine Aufsätze: Von der Grenzlanduniversität zum Zentrum der nationalsozialistischen „Neuordnung des Ostraums“?, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 46 (2000), S. 233–269; Vordenker der Vernichtung? Neue Beiträge zur Kontroverse über „Ostforschung“ und Politik im Dritten Reich, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 47 (2001), S. 301–318; ferner seine zahlreichen Rezensionen von Neuerscheinungen zur Wissenschaftsgeschichte des III. Reiches in derselben Zeitschrift. 5 Vgl. z.B. H.-E. Volkmann, Von Johannes Haller zu Reinhard Wittram. Deutschbaltische Histo­ riker und der Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45 (1997), S. 21–46, wo Wittrams Haltung sehr verkürzt und dadurch verzerrt dargestellt wird. 6 Das Landesarchiv Berlin und seine Bestände, bearb. v. K. Dettmer u.a. (Schriftenreihe des Landesarchivs Berlin 1), 1992, S. 460 (Bestand Rep. 200 Acc 909, Umfang: 73 Nrn., 1 lfm, Laufzeit: 1889–1959).

248 

 Willy Hoppe

diese Bezeichnung gar nicht, weil er vor allem wenige offizielle Dokumente und Bilder seines Lebensweges umfasst und die Kernstücke eines Wissenschaftlernachlasses, die wissenschaftsgeschichtlich besonders aufschlussreichen Werkmanuskripte und Korrespondenzen, fast vollständig fehlen. Die Registraturen der Vereine und Kommissionen, in den Hoppe in maßgeblicher Stellung stand, also des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg7, der verschiedenen Historischen Kommissionen für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin8, des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine9, sind ebenfalls bis auf geringe Bestandsteile von recht unterschiedlicher Aussagekraft verlorengegangen, so dass dadurch dem heutigen Erkenntnisdrang bei Hoppe sehr bald Grenzen gesetzt sind. Trotzdem will ich unter Heranziehung fragmentarischer archivalischer Zeugnisse versuchen, ein Bild von seiner Tätigkeit im Dritten Reich zu entwerfen, zugegebenermaßen nicht in gleichmäßiger vollständiger Ausmalung, sondern eher ungleichmäßig mit wenigen quellenbedingten Farbtupfern. Ich werde dabei so vorgehen, dass ich zunächst Hoppes wissenschaftlichen Werdegang bis 1933 schildere, was mir zur Einordnung der nachfolgenden Vorgänge unverzichtbar erscheint, und danach sein Wirken einerseits im Gesamtverein als dessen Leiter während der NS-Jahre, allerdings nur mit wenigen ausgewählten Gesichtspunkten, ohne Anspruch auf eine umfassende Darstellung, andererseits in der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, seiner wissenschaftlichen Domäne, beschreibe.

II. Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 Willy Hoppe10 wurde am 13. Februar 1884 in Berlin, in der sogenannten guten Gegend der Tempelhofer Vorstadt, als Sohn eines Kürschnermeisters und In7 J. Kloosterhuis (Hrsg.), Tektonik des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Arbeitsberichte 12), 2011, S. 190 (Bestand I. HA Rep. 224 E, Umfang: 227 VE, 2,4 lfm, Laufzeit 1702–1964). 8 Vgl. die Quellenhinweise bei K. Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. W. Neugebauer (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), 2006, S. 115–181, hier S. 133 Anm. 47, S. 156 Anm. 96, S. 164 Anm. 107, in diesem Band S. 59–136 bzw. S. 83 Anm. 56, S. 106 Anm. 109, S. 116 Anm. 126. 9 Kloosterhuis (wie Anm. 7), S. 190 (Bestand I. HA Rep. 224 A, Umfang: 35 VE, 0,8 lfm, Laufzeit 1892–1941). 10 Zur Biographie Hoppes wird im Folgenden herangezogen: E. Kaeber, Willy Hoppe als märkischer Historiker, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 5 (1954), S. 7–12. – E.



Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 

 249

habers eines Pelzwarengeschäftes geboren, besuchte das nahegelegene Askanische Gymnasium in der Halleschen Straße und studierte seit 1902 Klassische Philologie und Geschichte in Berlin und Göttingen. In den höheren Berliner Semestern verlegte er den Schwerpunkt auf die Geschichte, insbesondere auf die mittelalterliche Geschichte. Unter seinen akademischen Lehrern Hans Delbrück, Otto Hintze, Max Lenz, Karl Brandi, Michael Tangl und Dietrich Schäfer entschied der letztere über seinen weiteren wissenschaftlichen Weg, indem Hoppe unter seiner Aufsicht eine Seminararbeit über die Wahl des Erzbischofs Wichmann von Magdeburg 1152 zu dessen vollständiger Biographie ausbaute und mit dieser Dissertation im März 1908 promoviert wurde. Wegen der darin gezeigten Leistung stellte ihn sein Doktorvater als Assistent an, er erhielt die zum 1. April 1909 bewilligte Halbtagsstellung als Bibliothekar am Historischen Seminar. Im selben Jahr trat er in den „Verein für Geschichte der Mark Brandenburg“ ein, die Vereinigung der herausragenden Vertreter der brandenburgisch-preußischen Geschichtsforschung mit dem geistigen Rang einer Historischen Kommission. Dann schien ihn die Suche nach einer auskömmlicheren beruflichen Position von Berlin und Brandenburg wegzuführen, Ende 1913 übernahm er den Posten eines Fachbibliothekars am Sächsischen Landtag in Dresden. Aber noch kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges, im Juni 1918, kehrte er nach Berlin zurück, als er an die größere Bibliothek der Berliner Industrie- und Handelskammer überwechselte. 1922 wurde er zu deren Direktor bestellt und baute sie erheblich aus, 1930 wurde ihm auch die Bibliothek der Berliner Börse unterstellt; beide Bibliotheken galten zusammen als die größte öffentliche Fachbücherei der Wirtschaftswissenschaften. Im Frühjahr 1933 wurde er zum Syndikus der Industrie- und Handelskammer bestellt. Hoppe gab sich allerdings nicht mit dieser hauptamtlichen Tätigkeit zufrieden, sondern er verfolgte weiterhin seine wissenschaftlichen Neigungen auf dem Felde der Landesgeschichtsforschung durch die Publikation zahlreicher Untersuchungen vornehmlich zur Geschichte der Mark Brandenburg, wobei das Mittelalter stärker im Vordergrund als die Neuzeit stand11. Durch seine vielfältige Forschungs-, Vortrags- und Lehrtätigkeit eröffnete er sich neue institutionelle Faden, Willy Hoppe 1884–1960, ebd. 11 (1960), S. 158–170. – H. Ludat, Willy Hoppe †, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 694–698, geringfügig ergänzt erneut abgedruckt in: H. Ludat (wie Anm. 3). – C. Jahr: Rektor ohne Führung? Willy Hoppe und die Wissenschaftspolitik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin in der NS-Zeit, in: „... im­mer im Forschen bleiben“. Rüdiger vom Bruch zum 60. Geburtstag, hrsg. v. M. Schalenberg u. P. T. Walther, 2004, S. 179–198. – Vgl. jetzt auch mein eigenes Biogramm Hoppes: K. Neitmann, Willy Hoppe (1884–1960), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landes- und Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. F. Beck, K. Neitmann (Brandenburgische Historische Studien, 16; zugleich Veröffentlichungen des

250 

 Willy Hoppe

Wirkungsmöglichkeiten, Lebensalter und wissenschaftliche Leistung ließen ihn innerhalb der Wissenschaftseinrichtungen aufsteigen. Auf Grund seiner bisher vorgelegten Schriften wurde er 1924 für Landesgeschichte und Historische Geographie an der Berliner Universität habilitiert. 1929 wurde er zum nicht-beamte­ ten außerordentlichen Professor ernannt und versammelte seitdem einen wachsenden Schülerkreis um sich, 32 Promotionen sind von 1929 bis 1945 unter seiner Obhut entstanden und angenommen worden12. Die Professoren Walther Vogel und Friedrich Solger zogen ihm am Institut für historische Geographie und Staatenkunde der Universität als dritten maßgeblichen Organisator ihres „Heimatkundlichen Colloquiums“ heran, in dem verschiedene Fachdisziplinen zur gegenseitigen Durchdringung zusammengeführt werden sollten. Früher und stärker noch als an der Universität betätigte sich Hoppe in verschiedenen historischen Vereinen, Gesellschaften und Kommissionen, die mit unterschiedlichen Schwerpunkten die Erforschung und Vermittlung der märkischen Vergangenheit zu beleben suchten, schuf sich hier mit gleichgesinnten Wissenschaftlern einen der Erforschung der Mark Brandenburg gewidmeten Wirkungskreis und trat hier schrittweise in leitende Stellungen ein. Er beteiligte sich regelmäßig an den von Lehrern, Kaufleuten und Beamten besuchten Vorlesungsreihen der vom Direktor der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen geschaffenen „Studiengemeinschaft für wissenschaftliche Heimatkunde“. Mit den Hörern der Studiengemeinschaft und den Studenten der Universität zog er regelmäßig auf Studienfahrten ins brandenburgische Land hinaus, um sie dazu „anzuleiten, Geschichte am Ort des Geschehens zu erforschen“13. Der „Brandenburgia“, einer heimatkundlichen und heimatgeschichtlichen GesellLandesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., 4), 2013, S. 108–119. 11 Hoppes Veröffentlichungen sind, nicht ganz vollständig, zusammengestellt in: Schriftenverzeichnis Willy Hoppe, in: WH, Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 403–411 (115 Nrn.). 12 Vgl. die Zusammenstellung der von Hoppe angeregten bzw. zur Prüfung angenommenen Dissertationen im Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 5 (1954), S. 12, ergänzt von Jahr (wie Anm. 10), S.181 Anm. 13. Unter seinen Promovenden ragt, gewissermaßen als sein „Meisterschüler“, Herbert Ludat heraus; bereits seine Dissertation über „Die ostdeutschen Kietze“ von 1936 zeichnete sich durch die Verbindung von historischen, landesgeschichtlichen und ostmitteleuropäischen mit philologischen, slawistischen Kenntnissen aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Aufstieg zu einem führenden deutschen Ostmitteleuropa-, insbesondere PolenHistoriker, förderten. Vgl. K. Zernack, „Europa ostwärts der Elbe“. Zum Lebenswerk Herbert Ludats (1910–1993), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 44 (1996), S. 1–13; ders., Herbert Ludat (1910–1993), in: Lebensbilder (wie Anm. 10), S. 164–173. 13 Faden (wie Anm. 10), S. 166. – Vgl. Hoppes gefühlvolle Schilderung einer eigenen Fahrradfahrt durch das Land Jerichow, WH, Grenzland im Westen der Mark, in: Brandenburger Land 1 (1934), S. 15–17, 58–62.



Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 

 251

schaft mit starker Betonung der Ur- und Vorgeschichte und der Altertumskunde, trat er 1920 bei. 1922 wurde er in den Vorstand des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg gewählt und übernahm 1930 nach dem frühzeitigen Tode Melle Klinkenborgs dessen Vorsitz. Ebenso gehörte er seit 1925 dem Vorstand des Vereins für brandenburgische Kirchengeschichte an. Als 1925 die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin gegründet wurde, zählte er zu ihren ersten Mitgliedern, wobei er vornehmlich als Vertreter der Landesgeschichte an der Universität berücksichtigt wurde, und entwarf zusammen mit dem Geheimen Staatsarchivar Johannes Schultze und dem Berliner Stadtarchivar Ernst Kaeber deren Arbeitsprogramm. Vornehmlich innerhalb der brandenburgischen, aber auch darüber hinaus der deutschen Landesgeschichtsforschung übernahm er wichtige Dienstleistungsfunktionen, die sich aus seiner bibliothekarischen Literaturkenntnis ableiteten. Von 1922 bis 1933 legte er im Rezensionsteil von Friedrich Meineckes Historischer Zeitschrift die Berichterstattung über die deutschen Landschaften, also über die landesgeschichtliche Literatur, vor14, und für die von zwei weiteren Berliner Kollegen, Fritz Hartung und Albert Brackmann, herausgegebenen „Jahresberichte für deutsche Geschichte“, der Jahresbibliographie der deutschen Geschichtswissenschaft, lieferte er seit 1926 kritische Literaturreferate über die Neuerscheinungen zur brandenburgischen Landesgeschichte. In das bedeutendste Großprojekt der damaligen brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, in das vielbändige, vom Brandenburgischen Provinzialverband getragene Werk der „Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg“, war Hoppe schon 1920 eingetreten, als er es nach dem plötzlichen Tode des bisherigen historischen Bearbeiters Willy Spatz auf sich nahm, die allgemeine geschichtliche Einleitung über die einzelnen Kreise und ihre Orte zu verfassen. Betrachten wir etwas genauer Hoppes wichtigere Forschungsarbeiten vor 1933 mit ihren wesentlichen Themen, Methoden und Anliegen15. Seine Dissertation war wie schon bemerkt eine eingehende Biographie des Erzbischofs Wichmann von Magdeburg, des bedeutenden Kirchenfürsten der Barbarossa-Zeit16. Sie folgt in ihrem Aufbau im wesentlichen der Chronologie, erzählt unter sorgsamer kritischer Auswertung der chronikalischen und urkundlichen Quellen das Wirken 14 Zum Rücktritt Hoppes von dieser Aufgabe im Juli 1933 vgl. den Briefwechsel zwischen ihm und Albert Brackmann vom 7./8.7. 1933 und den Brief Brackmanns an Johannes Bauermann vom 10.7.1933, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz [im Folgenden abgekürzt: GStA PK], Berlin, VI. HA, NL Brackmann, Nr. 88/1, Bl. 189–190, 20. 15 Die bedeutendsten Aufsätze Hoppes sind nach seinem Tod von seinem Schüler Ludat herausgeben worden, vgl. WH, Mark Brandenburg (wie Anm. 3). Vgl. dazu auch die eindringliche Besprechung von H. Quirin, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 101 (1965), S. 580–582. 16 WH, Erzbischof Wichmann von Magdeburg, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 1–152 (zuerst 1908/09).

252 

 Willy Hoppe

und die Maßnahmen Wichmanns mit ihren jeweiligen wechselnden Schwerpunkten unter Konzentration auf die politische Geschichte, auf seine ebenso reichswie territorialpolitische Tätigkeit, und ähnelt dadurch in ihrer Anlage den „Jahrbüchern der deutschen Geschichte“, indem sie das auf die deutschen Könige und Kaiser bezogene annalistische Bearbeitungsschema auf einen geistlichen Territorialfürsten überträgt. An einer einzigen Stelle, im zweiten Kapitel über die Kolonisationstätigkeit Wichmanns im Lande Jüterbog, weicht er von diesem Verfahren ab, indem eine Sachfrage, eben die Anfänge der deutschen Ostsiedlung in einem kleinen ostelbischen Ländchen, in ihren verschiedenen systematischen Aspekten umfassend analysiert wird, bereits unter Gesichtspunkten, die die nachfolgende Ostsiedlungsforschung weitergeführt und vertieft hat. So wird etwa das Verhältnis der heidnischen slawischen Urbevölkerung zu den christlichen deutschen Kolonisten angesprochen, u.a. mit der Bemerkung: „An keinem Punkte unseres Gebietes sind Slawen um ihres Stammes willen, also aus deutschnationalen Motiven vertrieben worden“17. Hoppes Darstellung zeichnet sich im einzelnen wie in der Summe durch ein ausgeglichenes, abgewogenes Urteil aus, ohne verleugnen zu können, dass die zuweilen unzureichende Behandlung sachthematischer Probleme auch dem biographischen Ertrag Grenzen setzt. Eine enge zeitliche und sachliche Parallele zur Wichmann-Biographie bildet die wichtigste Frucht von Hoppes Dresdener Jahren, seine ebenfalls biographische Darstellung des Markgrafen Konrad von Meißen, des Begründers der mitteldeutschen wettinischen Landesherrschaft in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts18. Die annalistische Schilderung vornehmlich des politischen Handelns Konrads wird dabei in ausgeglichenerer Weise als in der Wichmann-Studie ergänzt durch die Problematisierung einzelner Sachprobleme. Die gesonderte Schilderung von Konrads reichsfürstlicher und landesfürstlicher Tätigkeit führt dazu, dass die verschiedenartigen Elemente seiner Herrschaftsbildung übersichtlich herausgearbeitet werden. An die Wichmann-Forschungen schließt auch Hoppes reifste Frucht aus seiner ersten Schaffensperiode bis ca. 1919 an, eine zeitlich und sachlich weit ausgreifenden Untersuchung zu einer Wichmannschen Klostergründung im Land Jüterbog, zum Zisterzienserkloster Zinna19. „Alle Lebenserscheinungen des Klosters zu berücksichtigen“, wie sein Vorwort als Absicht verkündet, ist hier Hoppe in überzeugender Weise für die fast 400jährige Klostergeschichte gelun17 Ebd., S. 19. 18 WH, Markgraf Konrad von Meißen, der Reichsfürst und de Gründer des wettinischen Staates, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 153–206. 19 WH, Kloster Zinna. Ein Beitrag zur Geschichte des ostdeutschen Koloniallandes und des Cistercienserordens (Veröffentlichungen des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg), 1914.



Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 

 253

gen. Dass er, wie er bemerkte, an die Aufgabe herangetreten war „gewappnet mit dem Rüstzeug historischer Kritik, aber zugleich erwärmt von treuer Liebe zur märkischen Heimat“, ist dem eindrucksvollen Ergebnis offensichtlich zugute gekommen20. Ausgehend von einer Quellenkunde und auf der Grundlage der aus verstreuten Archiven gesammelten und im Anhang sorgsam edierten unbekannten Urkunden, schlägt Hoppe einen weiten Bogen. Er beschreibt Zinnas Stellung in der politischen Geschichte Magdeburgs und Brandenburgs, seine Haltung zu den dortigen Fürsten, Adligen und Städten, unter Konzentration auf den Drehund Angelpunkt, die Erwerbung, Erweiterung und Behauptung des klösterlichen Besitzes. Er schildert Zinna als geistliches Institut mit seinem Personal, mit dessen geistigen Betätigungen und Beziehungen innerhalb seines Ordens und zu anderen geistlichen Instanzen wie der Kurie und dem Diözesanbischof. Er stellt die Bewirtschaftung und Verwaltung des Besitzes dar, bevor er abschließend Verfall und Auflösung des Klosters in der Reformationszeit erörtert. Wegen der weiteren Wirkungen der klösterlichen Arbeit kommt der speziellen Klostergeschichte nach dem Verständnis des Autors auch grundsätzlichere Bedeutung für die Kolonisationsforschung in den ostelbischen Landen zu. Hoppes Zinna-Buch darf bis auf den heutigen Tag durch seine quellenkundliche und quellenkritische Grundlegung, durch die Weite und Schärfe seines Blickes, durch die Problemorientiertheit seiner Untersuchung und durch die sprachlich-stilistisch elegante Darstellungsweise als mustergültige Klostergeschichte gelten. Hoppes zweite, die Weimarer Republik umfassende Schaffensperiode ist dadurch gekennzeichnet, dass er sich fast nur noch mit der Geschichte der Mark Brandenburg befasste – ein einziges Mal kehrte er zu seinen Magdeburger Forschungsanfängen zurück, bezeichnenderweise mit einem knappen großzügigen Überblick über die kirchliche und politische Bedeutung des Erzstiftes Magdeburg für die ostelbischen Regionen21. Die sehr bewusste uneingeschränkte Konzentrie­ rung seiner wissenschaftlichen Arbeit auf die brandenburgische Landesgeschichte war seinen damaligen Gegenwartserlebnissen geschildert, wie er später einmal aus der Erinnerung schrieb: Es war unter dem Eindruck des Friedensvertrages von Versailles, daß ich in innerem Trotz gegen den Zeitgeist mein geschichtliches Wissen und Forschen endgültig der heimatlichen Mark zu weihen mich entschloß und mir aufs neue klar machte, daß nur aus der deutschen Heimaterde, nicht aus irgendwelchen internationalen Fernen die selbstverständliche Gesundung kommen werde22. 20 Ebd., S. VI. 21 WH, Das Erzstift Magdeburg und der Osten, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 207– 220. 22 Zitiert nach Faden (wie Anm. 10), S. 163.

254 

 Willy Hoppe

Er legte einerseits eine Vielzahl von kleineren und größeren orts-, stadt- und regionalgeschichtlichen Arbeiten vor, andererseits suchte er in zusammenfassenden populäreren Überblicken einem breiteren Publikum die wesentlichen Grundzüge Brandenburgs oder seiner einzelnen Landschaften zu vermitteln. Und über die einzelnen thematischen Gegenstände hinaus war er bestrebt, unter Bezugnahme auf das brandenburgische Beispiel Aufgaben und Methoden landesgeschichtlicher Forschung in Deutschland überhaupt zu skizzieren und sie mit ihren Ergebnissen sowohl größeren Bevölkerungskreisen nahezubringen als auch als eigenständiger Zweig der Geschichtswissenschaft an der Universität zu verankern. Aus der erstgenannten Gruppe seiner Arbeiten sei das 1929 erschienene Büchlein über das tausendjährige Lenzen23 hervorgehoben, die auf ausgedehntes Urkunden- und Aktenstudium gegründete Darstellung einer märkischen Kleinstadt in der Prignitz, verfasst in der Absicht, das Wirken vergangener Generationen und Geschlechter in den entscheidenden Punkten in Zusammenhang mit der Geschichte der Mark Brandenburg und innerhalb der Landschaft wiederaufleben zu lassen. So werden in der chronologischen Epochenabfolge die wesentlichen Sachthemen der Stadtgeschichte erwähnt, die Berührungen mit der großen politischen Geschichte, vor allem die inneren Verhältnisse des städtischen Gemeinwesens mit den rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Lebensumständen ihrer Bürger- und Bewohnerschaft, das Verhältnis der städtischen Selbstverwaltung zur landesherrlichen, staatlichen Gewalt und deren Eingriffe in das städtische Dasein. Die Schilderung zeichnet sich durch einen gewissen literarischen Glanz aus, Hoppes Feder vermeidet wissenschaftliche Schwerfälligkeit und Umständlichkeit, plastisch und anschaulich, sprachkräftig und stilvoll beschreibt er in Metaphern und Bildern und mit pointierten Urteilen allgemeine Verhältnisse, fügt ausgewählte konkrete Beispiele und Quellenzitate zu ihrer Verdeutlichung hinzu und durchstreift unter Herausstellung wesentlicher Erscheinungen, ohne langatmig und langweilig zu wirken, das bunte, vielgestaltige Leben zurückliegender Epochen. Seine geschichtlichen Einleitungen zu den Kreisen Prenzlau und Königsberg (Neumark) im Rahmen der „Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg“ zeichnen sich in ähnlicher Weise durch eine umfassende, präzise Schilderung der inneren Verhältnisse der behandelten Regionen aus: Der Bogen wird von der hochmittelalterlichen Kolonisationszeit bis ins 19. Jahrhundert geschlagen, die politischen, administrativen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Städte und des Adels stehen im Vordergrund, die kirchlichen Gegebenheiten werden nicht vernachlässigt, die markanten Entwicklungslinien übersichtlich herausgearbeitet24. 23 WH, Lenzen. Aus tausend Jahren einer märkischen Stadt. 929–1929, 1929. 24 WH, Geschichtliche Einleitung, in: Die Kunstdenkmäler des Kreises Prenzlau (Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. III Teil 1), 1921, S. XVIII–XXXIV; ders., Geschichtliche



Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 

 255

Aus der zweitgenannten Gruppe seiner Publikationen ist kennzeichnend seine „Landesgeschichte der Mark Brandenburg in ihren Grundzügen“25. Sie erschien innerhalb des aus Vorlesungen der Studiengemeinschaft für wissenschaftliche Heimatkunde gespeisten „Märkischen Heimatbuches“, im Rahmen einer, wie der Untertitel lautete, „Einführung in die Geologie, Botanik, Naturdenkmalkunde, Vorgeschichte, Geschichte und Volkskunde der Mark Brandenburg für die Hand des Lehrers und des Heimatfreundes“ und beschreibt auf knapp 100 Seiten, geradezu lehrbuchmäßig in Paragraphen gegliedert, in stärkster Konzentration auf das Wesentliche, aber unter Berücksichtigung von politischer, wirtschaftlicher, sozialer, kirchlicher und kultureller Phänomene die märkische Entwicklung vom 9. Jahrhundert bis 1815. Der 30seitige Aufsatz über die „Neumark in der ostdeutschen Geschichte“ bietet in einer populär gehaltenen Darstellungsweise für ein breiteres Lesepublikum eine geraffte Übersicht über die die landschaftliche Entwicklung bestimmenden politischen, kirchlichen und sozialen Kräfte von der germanischen und slawischen Frühgeschichte bis ans Ende des 18. Jahrhunderts mit dem Schwergewicht auf der hoch- und spätmittelalterlichen Kolonisation der Region, durch die sie von deutschen Zuwanderern deutscher Kultur erschlossen und deutscher Geschichte eingefügt wurde. Entgegen den polnischen Ansprüchen „die Verbundenheit neumärkischen Geschehens mit dem deutschen Schicksal aufzuzeigen“, bezweckt die Schilderung, hebt daher die deutschen Kulturträger und -leistungen hervor, ohne jedoch die slawischen Elemente und ihre Mitwirkung an Kolonisationsvorgängen zu leugnen26. Als Hoppe mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen nach 1919 in breiteren wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Kreisen hervortrat, war die Landesgeschichte durchaus noch nicht allgemein anerkannt, daher bemühte er sich nachdrücklich um die Herausstellung ihrer wissenschaftlichen Eigenart wie um die Ansprache und Gewinnung außerakademischer Kreise für ihre Anliegen. Er ging dabei von der zutreffenden Beobachtung aus, dass die Geschichte der Mark Brandenburg in der Forschung sowohl an der Universität als auch im wichtigsten Geschichtsverein in den zurückliegenden Jahrzehnten vor der Geschichte Preußens und seines staatlichen Werdens und Wachsens zurückgetreten und dass die märkische Landesgeschichte zu einseitig als politische und Staats-, als Einleitung, ferner: Geschichte der Stadt Königsberg, in: Die Kunstdenkmäler des Kreises Königsberg (Neumark) (Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg, Bd. VII Teil 1), 1928, S. XIII– XXXVIII, 3–23, dazu in diesem Band die zahlreichen ortsgeschichtlichen Artikel. 25 WH, Landesgeschichte der Mark Brandenburg in ihren Grundzügen (bis zur Bildung der Provinz Brandenburg), in: Märkisches Heimatbuch, hrsg. von der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen, 1. und 2. Aufl. 1924, S. 163–256, 3. Aufl. 1935, S. 229–307. 26 WH, Die Neumark in der ostdeutschen Geschichte, in: Brandenburgisches Jahrbuch 6 (1931), S. 39–69, Zitat S. 39, dazu ergänzend S. 69, vgl. bes. S. 44f., 50ff., 54, 56, 62.

256 

 Willy Hoppe

Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aufgefasst worden war. Gegenüber der staatsbezogenen Historiographie betonte er pointiert, dass der Staat nicht das All geschichtlichen Seins sei und der Gesamtkomplex heimatlicher Geschichte sich nicht in der Regentengeschichte erschöpfe, dass die voraufgegangene, von Schmoller geprägte Historikergeneration „ohne wirkliche Sicht und klares Ziel nach der landesgeschichtlichen Seite hin“ gearbeitet habe27. Die trotz aller Bindung bedeutungsvolle Rolle der Kirche und des Klerus, die hart und schwer dahinschreitende Geschichte unserer Städte, ... die Wandlungen des Verkehrs, das Netz der Straßen, die Geschichte der Flüsse und Bäche, der Wüstungen und Waldungen, mit einem Worte die historische Geographie der Mark, ihre Bienenzucht, ihre Gewerbegeschichte, die Entwicklung ihres Bauernstandes, ihre Besiedelung, die soziale Schichtung ihrer früheren Bewohner und vieles, vieles Andere mehr, sollte das kein lohnendes Ziel der Lehre und der Forschung sein?28

Um all diese Themenfelder behandeln zu können29, verlangte Hoppe, den Quellenstoff der Landesgeschichte über die üblicherweise herangezogenen schriftlichen Zeugnisse, die Urkunden und Akten, hinaus weit auszudehnen und die landesgeschichtliche Betrachtung durch die Einbeziehung vier weiterer Bezirke zu vertiefen: durch die Prähistorie, die Geographie, die Baukunst und die Sprache. Die Landesgeschichte der Mark Brandenburg fängt nicht erst mit der deutschen Siedlung des 12. und 13. Jahrhunderts an, sondern hat auch mit prähistorischen Methoden ein Gesamtbild der voraufgegangenen slawischen und germanischen Zeit zu zeichnen30. Aus den geographisch-geologischen Bedingungen ergeben sich schwerwiegende historische Konsequenzen, die unterschiedlichen Böden wirken auf die Urbarmachung und die wirtschaftliche Nutzung des Landes mit den daraus abgeleiteten politischen und sozialen Folgen ein. Die Bauwerke der Vergangenheit wie Kirchen und Befestigungen sind in das Gefüge geschichtlichen Lebens einzureihen und nicht bloß ästhetisch zu werten. Im Sprachgut der Mark mit seinen stark slawischen Überresten, in den Dialekten ihrer einzelnen Landschaften, in den Namen der Fluren und Felder lebt eine erkenntnisfähige geschichtliche Welt. Eine so umfassend verstandene Landesgeschichte zu betreiben, sollte nach Hoppes Auffassung einerseits Aufgabe der Universität sein, 27 WH, Ergebnisse und Ziele der märkischen Landesgeschichte, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 333–346, bes. S. 337–340, Zitat S. 337. 28 WH, Märkische Geschichte im Rahmen brandenburgischer Heimatkunde, in: Brandenburgia 29 (1920), S. 19–22, hier S. 20. 29 Das Folgende nach: WH, Ergebnisse (wie Anm. 27), S. 340–345. 30 „Die Vorgänge bei der Wiedereindeutschung Brandenburgs im Mittelalter lassen sich einfach nicht verstehen, ohne die Ergebnisse prähistorischer Forschung über die Verbreitung und die Tiefe slawischen Lebens in der Mark zu benutzen“. WH, Märkische Geschichte (wie Anm. 28), S. 21.



Hoppes wissenschaftlicher Werdegang bis 1933 

 257

andererseits befürwortete er zur Verbreitung der Arbeitsergebnisse in breiteren Bevölkerungskreisen außeruniversitäre Einrichtungen wie ein zeitweise erwogenes Institut für Heimatkunde, für dessen Mitarbeiter er in emotionaler Ansprache über wissenschaftliche Leistungskraft und über die lebendige, anschauliche, künstlerische Darstellungsweise hinaus verlangte: Sein Herz muß in starkem Rhythmus für die Heimat schlagen, er muß das Land, dessen Geschichte er anderen nahe bringen soll, mit ganzem Herzen lieben, so tief, so innig, wie man eben nur sein Heimatland zu lieben vermag. ... er muß in engster gemeinsamer Arbeit unwägbare und doch schwer wiegende Werte tief in die Seelen seiner Hörer einzupflanzen verstehen31.

Ohne hier in eine detaillierte Einzelanalyse einsteigen zu wollen, dürfte aus den referierten Gedankengängen klar geworden sein, dass Hoppe sich mit seinen Überlegungen in den landesgeschichtlichen Aufbruch der 1920er Jahre einreiht32. Die Landesgeschichte soll von ihrer Konzentration auf die Territorial- und Dynastengeschichte abgelöst werden, sie soll sich unter Verbindung mit Nachbardisziplinen zu einer geschichtlichen Landeskunde öffnen, in der die Lebensbedingungen aller Menschen eines Landes in ihren wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und geistigen Seiten beschrieben, gerade auch jenseits von Fürsten und Adel die Geschichte der Bauern und Bürger und ihrer Dörfer und Städte behandelt werden. Ein wenig provokativ setzt sich Hoppe von der Dynastengeschichte ab und verlangt stattdessen die Einbeziehung der einfachen Menschen mit der Bemerkung: Ist die Geschichte unserer Markgrafen und Kurfürsten die Geschichte der Mark? Nun – wer von uns je offenes Auges hinausgewandert ist, in die Prignitz oder in die Neumark oder auf den Teltow, den grüßen allerorten die Geister jener ungezählten Brandenburger33.

Insbesondere die geologisch-geographischen Auswirkungen der Landschaftsgestalt auf die menschliche Besiedlung und Lebensweise sollen untersucht werden. „Aus der Landschaft heraus ein Stück Geschichte darzustellen“, Geschichte aus dem Boden, aus dem sie erwächst, zu deuten, heißt für Hoppe, 31 WH, Märkische Geschichte (wie Anm. 28), S. 21. 32 Vgl. M. Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. P. Moraw u. R. Schieffer (Vorträge und Forschungen, 62), 2005, S. 251–364, hier S. 256–303. – E. Pitz, Neue Methoden und Betrachtungsweisen in der landesgeschichtlichen Forschung nach 1918, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 124 (1988), S. 483–506. 33 WH, Von Urkunden, Chroniken und alten Drucken der Mark Brandenburg, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 229–236, Zitat S. 229 (zuerst 1927).

258 

 Willy Hoppe

aus der Bodengestaltung und aus der geographischen Struktur eines Landes seine Siedlungsgeschichte zu erklären, wie er es beispielhaft in einer kleinen Studie über die Prignitz angedeutet hat: Flussniederungen und Höhen, Sandzonen und Höhenland mit landwirtschaftlich gut nutzbarem Boden, Straßenzüge und Flussübergänge beeinflussen und bestimmen die Anlage von Siedlungen, von Burgen, Dörfern und Städten34. Man wird nicht behaupten können, dass Hoppe das neue landesgeschichtliche Arbeitsprogramm mit ausgeprägtem methodischem Einfallsreichtum und Akribie gefördert habe. Seine Darlegungen zur Verschiebung und Erweiterung der landesgeschichtlichen Inhalte bleiben eher allgemeine Postulate, als dass er die Konsequenzen in einer methodisch im Detail überlegten Konzeption entfaltet und am praktischen Beispiel überzeugend vorgeführt hätte. Er beeindruckt durch den weit ausholenden Zugriff auf die Verhältnisse einer Landschaft, ihrer Bewohner und ihrer Lebensweisen, aber die grundsätzliche Frage nach den die ein „Land“ konstituierenden historischen Faktoren und die methodischen Ansätze zu ihrer Erfassung hat er nicht aufgeworfen. In die Reihe der bedeutenden programmatischen ebenso wie praktischen Vorreiter der neuen siedlungsgeschichtlichen und kulturräumlichen oder kulturmorphologischen Betrachtungsweise wie Rudolf Kötzschke oder Hermann Aubin, um nur zwei Namen hier zu nennen, wird man ihn nicht einordnen dürfen. Es fällt auch auf, dass Hoppe sein Ziel einer umfassenden märkischen Landesgeschichte in seinen konkreten Einzelstudien jedenfalls in vollem Umfange nicht umgesetzt hat. Die geforderte eindringliche Einbeziehung und Verwertung der Erkenntnisse der Nachbardisziplinen ist ihm bestenfalls teilweise gelungen, Erkenntnisse archäologischer und sprachwissenschaftlicher Forschungen sind etwa nur geringfügig ausgewertet worden. So wird man ihn zwar zu den Historikern zählen dürfen, die nach dem I. Weltkrieg durch ihre Arbeit der Landesgeschichte zu höherer universitärer und außeruniversitärer Anerkennung verholfen haben, aber zu den erstrangigen Vertretern des landesgeschichtlichen Faches gehörte er nicht, dazu fehlten der methodische Tiefgang ebenso wie der weit über die Mark Brandenburg hinausreichende Blick. Bezeichnenderweise hat er – um dieses Urteil an einem Beispiel zu verdeutlichen – zwar in einem 1930 erschienenen Aufsatz die Quitzows35 in das politische Kräftespiel in und um die Mark Brandenburg in den Jahrzehnten um 1400 ansprechend eingeordnet und wichtige Bedingungen ihres Aufstieges wie ihres Falles herausgearbeitet, aber nicht den Gedanken aufgegriffen und verfolgt, von ihrem lehrreichen Schicksal aus, von dem damals in dem Verhalten des Geschlechtes geradezu kul34 WH, Die Prignitz und Wittstock. Beiträge zu ihrer Frühgeschichte, in: Brandenburgia 34 (1925), S. 70–76, Zitat S. 70. 35 WH, Die Quitzows, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 265–287 (zuerst 1930).



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 259

minierenden Fehdewesen aus zu Grundfragen der spätmittelalterlichen Verfassungsgeschichte vorzustoßen, wie dies Otto Brunner neun Jahre später in seinem bahnbrechenden Werk „Land und Herrschaft“, ausgehend vom österreichischen Fehdewesen des 14. und 15. Jahrhunderts, gelungen ist. Hoppe hingegen durchbricht nicht den engeren Rahmen einer allein auf die Mark bezogenen landesgeschichtlichen Betrachtungsweise.

III. Hoppe und der Gesamtverein der deutschen III. Geschichts- und Altertumsvereine Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine

Hoppes politische Haltung ist aus seinen Druckschriften bis 1932 nicht erkennbar, er neigte im Gegensatz zu seinem nationalistischen Lehrer Dietrich Schäfer durchaus nicht zu politischen Bekenntnissen. Er beteiligte sich zwar 1925 mit einem kleinen Biogramm über den preußischen Konservativen Karl von Waldow an der von Hans v. Arnim und Georg v. Below herausgegebenen Sammlung biographischer „Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien“, enthielt sich darin aber jeglicher Wertung aus historischer Sicht oder mit aktuellen Anspielungen36. Seine Lenzener Stadtgeschichte von 1929 erwähnt im Schlusskapitel mit einem durchaus anerkennenden Unterton die beiden ersten Reichspräsidenten, sowohl den Sozialdemokraten Friedrich Ebert als auch seinen konservativen Nachfolger Paul von Hindenburg37, letzteren eine Spur nachdrücklicher, so dass Hoppe damals wohl der politischen Rechten ohne genauere parteipolitische Einordnung zugezählt werden kann. Die nachfolgende politische Krise der Weimarer Republik ließ ihn freilich drei Jahre später eindeutig Partei ergreifen38. Ende 1931 trat er der NSDAP bei, ohne dass wir aus Quellenzeugnissen feststellen könnten, welche Überzeugungen ihn diesem Lager zugeführt hätten. Im Frühjahr 1933 bekannte er sich in aller Öffentlichkeit zur Partei Hitlers, er setzte seine Unterschrift unter den Aufruf „Die deutsche Geisteswelt für Liste 1“, mit der zur Stimmabgabe für die NSDAP anlässlich der Reichstagswahl vom 5. März 1933 aufgerufen wurde. In seiner Rede vom 29. März 1933 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der „Studiengemeinschaft für wissenschaftliche Heimatkunde“ zitierte er Hitlers „Mein Kampf“ und pries das Volkstum, das „stark und von fremden Einfluß frei“ sein solle, „als die wirkende, die schöpferische 36 WH, Karl von Waldow, in: Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien, hrsg. v. H. v. Arnim u. G. v. Below, 1925, S. 135–138. 37 WH, Lenzen (wie Anm. 23), S. 146–148. 38 Zum Folgenden vgl. Jahr (wie Anm. 10), S. 182f.

260 

 Willy Hoppe

Kraft des Staates“. Anlässlich seines 50. Geburtstages im Februar 1934 feierte ihn sein Schüler Helmut Lüpke in einem Zeitschriftenartikel dafür, „daß er mit der Jugend auch schon früh den Weg zu der großen deutschen Freiheitsbewegung fand und sich weder durch Haß noch durch Spott davon abhalten ließ, der Fahne Adolf Hitlers zu folgen“39. Tonfall und Deutungen seiner Schriften änderten sich unter dem Eindruck der „nationalen Revolution“ und ihrer Maßstäbe. Hatte er 1926 keinen Zweifel daran gehabt, „dass nicht nationalpolitische Beweggründe etwa die Askanier in den Osten hineinführten oder jedenfalls nicht in entscheidendem Maße“40, so war er 1934 davon überzeugt, dass Otto der Große durch die Gründung der Bistümer Havelberg und Brandenburg im Slawenland „deutscher Art Eingang zu schaffen gesucht“ habe, und er pries Albrecht den Bären als „Mann der deutschen Tat: Nichts Höheres vermag unsere Zeit an den Helden der deutschen Geschichte zu rühmen“41. In einer von einem Regierungsrat des Reichspropagandaministeriums herausgegebenen Schriftenreihe der nationalsozialistisch umgeformten Deutschen Hochschule für Politik veröffentlichte er im selben Jahr seinen Vortrag über „Die Führerpersönlichkeit in der deutschen Geschichte“42. In der Auswahl und den Auswahlkriterien der skizzierten historischen Führerpersönlichkeiten – zwecks Entwicklung ihres Typus – ebenso wie im Zielpunkt der Gedankenführung – deren Linie ziehend „bis zu dem, vor dem wir uns heute beugen und an dem wir uns zugleich aufrichten, bis zu dem Führer unserer Zeit“ – entsprach er vollkommen und uneingeschränkt mit dem ganzen ihm eigenen Pathos den damaligen politischen und geschichtspolitischen Erwartungen des Nationalsozialismus. Nach Hoppe festigte Arminius „große Teile Germaniens in dem heiligen Glauben an das eigene Volkstum und an die heiligen Sitten der Väter“; in Widukind sieht er „einen Vorkämpfer völkischer Idee, den großen Freiheitshelden schlechthin, den unsere mittelalterliche Geschichte kennt“, mit dem die nordische Weltanschauung in reiner Ausprägung ihr Ende fand; Heinrich I., Otto I., Lothar III. und Heinrich der Löwe rühmt er dafür, dass sie das deutsche Volk in die Bahnen des Ostens gewiesen hätten; Luther erhöhte das deutsche Volk zur geistigen Vormacht des Abendlandes; der große Kurfürst und Friedrich der Große gewährleisteten „das Glück nur durch den nach außen und innen starken Staat“; Bismarck bewies in seiner großartigen preußischen 39 Helmut Lüpke, Professor Hoppe 50 Jahre, in: Brandenburger Land 1 (1934), S. 89f., Zitat S. 89. 40 WH, Das Wachstum der Mark und Provinz Brandenburg, in: Ders., Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 221–228, hier S. 224 (zuerst 1926). 41 WH, Ein märkischer Erinnerungstag (15. April 1134), in: Brandenburger Land 1 (1934), S. 139f., hier S. 140. 42 WH, Die Führerpersönlichkeit in der deutschen Geschichte (Schriften der Deutschen Hochschule für Politik), 1934; die folgenden Zitate in ihrer Reihenfolge auf den Seiten 23, 11–13, 19, 22f.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 261

Einseitigkeit „die große Führertugend des persönlichen Willens“. Die ausgezogene Linie endet in dem emotionalen Bekenntnis: „Das Leben von heute wurzelt aber in allem Wesentlichen in unserem Führer“. Hoppes Universitätslaufbahn soll hier nicht im Einzelnen43 weiter verfolgt werden, da sie nicht zu unserem eigentlichen Thema gehört. Erwähnt sei nur, dass sie aus verschiedenen Gründen nicht ohne Stockungen voranging. Obwohl der Rektor der Friedrich-Wilhelms-Universität im März 1936 dem Reichserziehungsministerium bescheinigte, es scheine ihm „vollkommen unmöglich einen anderen Ordinarius [sc. als Hoppe] zu nennen, der weltanschaulich zuverlässig ist und in gleicher Weise persönlich und sachlich geeignet wäre, das Amt des Prorektors zu übernehmen“44, zögerte das Ministerium ein Jahr später lange wegen seiner mangelnden hohen wissenschaftlichen Reputation, ihn zum Rektor zu ernennen, und entschloss sich dazu erst nach dem Ausscheiden anderer Kandidaten. Man täte Hoppe freilich Unrecht, wenn man ihn als bloßen Karrieristen abtäte, vom Rektorat wünschte er schon 1939 wieder entbunden zu werden, was ihm nach zwei weiteren Anläufen schließlich im April 1942 gelang. Dass er zunächst im Juli 1935 ein persönliches Ordinariat und dann im Oktober 1937 ein planmäßiges Ordinariat erhielt, zog die erstmalige institutionelle Verankerung der Landesgeschichte an der Berliner Universität nach sich, nach einem Beschluss der Philosophischen Fakultät vom Oktober 1938 vertrat Hoppe „Landesgeschichte und historische Geographie in Verbindung mit der Reichsgeschichte“. Trotz seiner nationalsozialistischen Einstellung blieben ihm aber über das Berliner Rektorat hinaus andere hochrangige Ämter und Berufungen verwehrt. Sein Förderer Walter Frank, für den Hoppe 1935 die offizielle Selbstauflösung der Historischen Reichskommission herbeigeführt hatte45, versuchte 1936 vergeblich, ihn für das wichtigste deutsche Archivamt, für den Posten des Generaldirektors der Preußischen Staatsarchive, ins Spiel zu bringen46. Hoppes Aufnahme in die Preußische 43 Vgl. dazu Jahr (wie Anm. 10), S. 184–194, danach im Folgenden. 44 Jahr (wie Anm. 10), S. 185 Anm. 32. 45 H. Heiber, Walter Frank und sein Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands (Quel­len und Darstellungen zur Zeitgeschichte 13), 1966, S. 170, 241–245. 46 Ebd., S. 854, 874–879, 1249–1252. – Vgl. Hoppes ironische Bemerkungen zum Postengerangel im Archivwesen und in der Universität in seinem Schreiben vom 6. März 1937 an seinen Greifswalder Freund Adolf Hofmeister: „Inzwischen zermahlen die Büromühlen das Archiv- und Generaldirektorsgetreide immer mehr zu einem vom Schmutz der Gerüchte verdreckten Brei. Die Kandidatur [Karl August] Eckhardt (der auch nach den MGH strebte) ist, wie ich aus der nächsten Göring’schen Nähe weiß, erledigt. Göring hat Weisung gegeben, nunmehr mit Beschleunigung die Angelegenheit zu ordnen u. zwar unter Berücksichtigung meiner Person. Ich kann mir dieses Spiel von meinem sicheren Port auch noch ein paar Jahre ansehen. … Inzwischen bin ich unter den Wenigen, die für die Magnif[izenz] [sc. das Rektorat der Berliner Universität] in Betracht kommen, dem Ministerium genannt. Ich sehe mir auch dieses Spiel in Ruhe an“. Hoppe an

262 

 Willy Hoppe

Akademie der Wissenschaften scheiterte 1941 an dem von Fritz Hartung organisierten Widerstand, Hoppe erschien ihm mit den wissenschaftlichen Leistungen seiner brandenburgischen Landesgeschichtsforschung des Ranges eines Akademikers nicht würdig47. Kehren wir ins Jahr 1933 zurück und wenden wir uns der damaligen Reaktion des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine48 auf den politischen Umbruch nach dem 30. Januar zu. Wir verharren hierbei ausführlicher, da die überlieferten Korrespondenzen aus dem Vorstandskreis immerhin begrenzte Einblicke in die internen Entscheidungsprozesse ermöglichen und die Konstellation erkennen lassen, aus der heraus schließlich ohne langfristige Planung Hoppe an die Vereinsspitze trat. Der Gesamtverein konnte von der nationalsozialistischen Regierungsübernahme insofern nicht unberührt bleiben, als die Abhaltung seiner jährlichen Hauptversammlungen von der finanziellen Förderung durch die Ministerien des Reiches und der Länder, vornehmlich Preußens, abhing und die Anträge auf deren Bezuschussung nicht gänzlich von den politischen Leitlinien der Regierung absahen. Noch stärker wirkte unter den Vorstandsmitgliedern im Sommer 1933 der Eindruck, dass viele politische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Organisationen direkten Eingriffen der NSDAP unterlagen oder gar aufgelöst wurden. In den leitenden Kreisen des Gesamtvereins war daher die Furcht verbreitet, man werde von unliebsamen Maßnahmen der Partei nicht verschont bleiben, wenn man sich ihr nicht sichtbar annähere. Albert Huyskens,

Adolf Hofmeister, 6. 3.1937, Universitätsarchiv Greifswald, Nachlaß Adolf Hofmeister 14/9 (Herrn Universitätsarchivar Dr. Dirk Alvermann danke ich herzlich für die großzügige Ermittlung von Quellen und Bereitstellung von Kopien.). – Zum bevorstehenden Ende seines Rektorats äußert er sich Hofmeister gegenüber am 8. Dezember 1940: „Ich werde es mit Freuden begrüßen, wenn ich demnächst mein Rektoramt einem Nachfolger übergeben kann. Endlich habe ich’s durchgesetzt, wenn sich’s freilich auch bis Ostern 1941 noch hinzuziehen scheint“. NL Hofmeister 14/10. 47 Zu diesem Vorgang vgl. vorläufig P. T. Walther, Zur Entwicklung der Geschichtswissenschaften in Berlin: Von der Weimarer Republik zur Vier-Sektoren-Stadt, in: Exodus von Wissenschaften aus Berlin. Fragestellungen – Ergebnisse – Desiderate. Entwicklungen vor und nach 1933, hrsg. v. W. Fischer, K. Hierholzer, M. Hubenstorf, P.T. Walther u. R. Winau (Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Forschungsbericht 7), 1994, S. 153–183, hier S. 175f., mit fragwürdigen Deutungen. Neues Licht auf den Vorgang wird die von Hans-Christof Kraus vorbereitete Edition ausgewählter Briefe Fritz Hartungs werfen. 48 Zu seiner Geschichte vgl. die beiden großen Überblicksdarstellungen von WH, Einhundert Jahre Gesamtverein, in: WH, Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 360–402 (zuerst 1952), und von A. Wendehorst, 150 Jahre Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 138 (2002), S. 1–65. Der hier interessierende Zeitraum von 1933–45 wird in beiden Beiträgen sehr knapp abgehandelt, von Wendehorst, der dem Hoppeschen Aufsatz die diskrete Aussparung der jüngsten Vergangenheit vorhält, freilich noch kursorischer und karger (S. 30–32).



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 263

Stadtarchivar von Aachen und innerhalb des Gesamtvereins Leiter der Abteilung für Allgemeine Geschichte, hätte noch im Juli 1933 am liebsten die für den September in Königsberg in Preußen angesetzte nächste Hauptversammlung abgesagt, weil er „sehr in Sorge wegen des Gelingens und des ruhigen Verlaufs der Tagung“ war und mit Angriffen von Parteiorganen auf die Geschichtsvereine rechnete. Seine Ängste verleiteten ihn zu besonders großer Nachgiebigkeit, er setzte sich selbst mit der NSDAP-Parteizentrale in München, dem Braunen Haus, wegen eines geeigneten Referenten für ein Grundsatzreferat in Verbindung, da er sich dafür einen autorisierten Redner und zusätzlich für die genealogischen Verhandlungen einen Vertrauensmann der Reichsregierung für Rassenfragen wünschte. „Ich halte es für dringend notwendig, dass der Gesamtverein die Fühlung mit der Reichsregierung in diesen Dingen aufnimmt, sonst wird Königsberg das Grab des Gesamtvereins“49. Der erste Vorsitzende Georg Wolfram50 vermochte sich zwar einer solchen Position in vollem Umfange nicht anzuschließen: Wir haben eine wissenschaftliche Tagung in Königsberg und infolgedessen keine Veranlassung, für jeden einzelnen Vortrag die Genehmigung von demjenigen Ministerium einzuholen, dessen Belange vielleicht berührt werden51.

Aber er stimmte Huykens insofern zu, als auch er davon überzeugt war, „dass wir uns auf die neue Regierung und ihre Bestrebungen einstellen müssen“, und gedachte einen Vortrag von Martin Spahn über „Die nationalsozialistische Auffassung der deutschen Geschichte“ in das Programm aufzunehmen, da Spahn, „jetzt selbst Nationalsozialist“, das Thema „als Gelehrter doch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus behandeln“ werde52. Als Wolfram Anfang Juli 1933 in Berlin mit dem Reichsministerium des Innern über die erhöhte Förderung der Königsberger Tagung verhandelte, setzte er sich gleichzeitig mit einem NSDAPFunktionär in Verbindung, Franz Lüdtke, dem Führer des Bundes Deutscher Osten und Hauptabteilungsleiter im Außenpolitischen Amt der NSDAP, „da ich mir klar geworden bin, dass unter den derzeitigen Verhältnissen wir unbedingt uns bei unserer Tagung der nationalsozialistischen Bewegung einschalten müssen“. Wolfram gestaltete das von vornherein stärkstens auf die ost- und westpreußische Landesgeschichte bezogene Programm in der Weise um, dass Lüdtke darin mit einem Vortrag über den „Neuaufbau der deutschen Ostarbeit“, dem ersten in der öffentlichen Versammlung und damit an herausgehobener Stelle, eingefügt 49 Albert Huykens an Eugen Meyer, 18.7.1933, GStA PK, I. HA, Rep. 224 A Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, Nr. 30, Bl. 95. 50 O. Lauffer, Georg Wolfram, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 85 (1939), S. 175–179. 51 Georg Wolfram an Eugen Meyer, 20.7.1933, GStA PK, I. HA, Rep. 224 A, Nr. 30, Bl. 100. 52 Georg Wolfram an Albert Huykens, 22.6.1933, ebd., Bl. 63.

264 

 Willy Hoppe

wurde. Ihm sollte sich in seiner Planung nach der Absage Spahns ein zweites Grundsatzreferat des Danziger Museumsdirektors Erich Keyser „Der Nationalsozialismus und die Aufgaben der deutschen Geschichtsforschung“ anschließen53. Keyser lehnte allerdings diese Vortragsformulierung ab, da sie nach einer ihm unmöglichen parteiamtlichen Äußerung klinge. Stattdessen sagte er Ausführungen über „Die völkische Geschichtsauffassung“ zu, mit denen er der Aufgabe nachkommen wollte, „vom Standpunkt des Wissenschaftlers aus zu der neuen Staats- und Kulturauffassung Stellung zu nehmen“. Denn er hielt es, wie er schon zuvor bekundet hatte, „im Hinblick auf die politischen Ereignisse“ für zweckmäßig, „dass auf der Tagung des Gesamtvereins zu der neuen Auffassung von Geschichte und Volkstum auch von fachwissenschaftlicher Seite Stellung genommen wird“54. Wolframs Vorgehen stieß, wie betont werden muss, in der Leitung des Gesamt­ vereins durchaus auf grundsätzliche Bedenken, wie aus einem bemerkenswerten Schreiben des Geschäftsführers des Gesamtvereins und Redakteurs seiner Zeitschrift, des Korrespondenzblattes, des Münsteraner Archivdirektors Eugen Meyer, vom 8. Juli 1933 hervorgeht. Meyers im Konzept mit vielen Streichungen und Änderungen erhaltener Brief lässt deutlich seine innere Erregung und Ablehnung der Strategie seines Vorsitzenden erkennen, zumal wenn man die abgesandte abgemilderte Fassung mit der ersten, schärfer formulierten Version vergleicht. Meyer schrieb: Ich empfing soeben Ihren Brief aus Königsberg und stellte daraus mit innerer Bewegung (statt ursprünglich: zu meinem nicht geringen Schmerz) fest, dass Sie es für nötig halten, dass wir den G.V. bei unserer Tagung in die nationalsozialistische Bewegung unbedingt einschalten. Ich selbst hatte geglaubt, der G.V. habe eine Gleichschaltung nicht nötig, denn er kann doch schließlich einen 80jährigen Ehrenschild vorzeigen, auf dem viele Dinge seit langer Zeit eingeschrieben stehen, die heute von den jungen Leuten als große Neuentdeckungen ausgerufen und patentiert werden.

Herausgenommen hat Meyer dann den Satz: Dazu kommt meine grundsätzliche Abneigung gegen die Verbindung von Wissenschaft und Politik, ... doch das sind ja nun allerletzten Endes alles weltanschauliche Dinge, über die zu diskutieren aber keinen Zweck hat.

Dann fährt er fort: Ich befürchte nun, dass die Einleitung der geplanten Gleichschaltung zwar von uns ausgeht; wie sie dann aber weiter geht und wo sie aufhört, das liegt nicht mehr in unserer Hand. 53 Georg Wolfram an Eugen Meyer, 6.7.1933, ebd., Bl. 77–79. 54 Erich Keyser an Eugen Meyer, 14.7.1933, ebd., Bl. 91; ders. an dens., 8.6.1933, ebd., Bl. 58.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 265

Gestrichen hat er danach den zugespitzten Vorwurf: Und es wäre auf das bitterste zu beklagen, wenn nun zunächst einmal das in 80 Jahren gewachsene nun erst einmal kaputt geschlagen werden müsste. Sollen wir den Leuten, die das wollen (und es gibt deren genug), selbst die Leiter halten, auf der sie hochklettern?

Erspart hat er am Ende Wolfram nicht die Frage: Können Sie sich Herrn Lüdtke oder einen ähnlichen als Ihren Nachfolger im Vorsitz des G.V. vorstellen? (Denn in diese Richtung ungefähr, denke ich nun, wird die Sache doch laufen).

Wolfram glaubte, sich über Meyers Bedenken hinwegsetzen, durch die von ihm hergestellte Verbindung zur NSDAP das Heft in der Hand behalten und dadurch zugleich die Voraussetzung für die unbedingt notwendige öffentliche Förderung schaffen zu können. Wegen der Einschaltung des Gesamtvereins brauchen Sie keine Sorge zu haben. Ausweichen konnten wir diesem Vorgehen auf keinen Fall und es ist immer besser, wenn wir selbst die Initiative ergreifen, als dass wir es uns aufdrängen lassen. ... Ohne das hätten wir auch in Berlin nicht die neuen Unterstützungen zu bekommen.

Obwohl Wolfram gleichzeitig ankündigte, aus Altersgründen und wegen vereinsinterner Querelen in Königsberg vom Vorsitz zurücktreten zu wollen, und damit die Diskussion um seine Nachfolge eröffnete, sah er aus dem bevorstehenden personellen Leitungswechsel keine Gefahren für den Gesamtverein erwachsen, im Bewusstsein, jetzt selbst „die besten Beziehungen zur neuen Regierung und dem Nationalsozialismus“ zu haben: Ein Eingriff in unseren Vorstand seitens der N.S.D.A.P. ist wohl nicht zu fürchten, da Lüdtke ausdrücklich erklärte, dass man sich keinesfalls in wissenschaftliche Vereine einmischen dürfe. Sie seien das Arsenal und müssten die Waffen für die politischen Organisationen schmieden55.

Ungeachtet der Einwände Meyers schritt Wolfram unbeirrt auf der einmal beschrittenen Bahn fort, so dass die Hauptversammlung des Gesamtvereins vom 5. bis zum 8. September 1933 in Königsberg programmgemäß im Sinne seiner Überlegungen gestaltet wurde. In seiner durchaus politischen Eröffnungsansprache bekannte er sich mit allem Nachdruck und ohne jeglichen Vorbehalt zur neuen 55 Eugen Meyer an Georg Wolfram, 8./9.7.1933, Wolfram an Meyer, 10.7.1933, 11.7.1933, 13.7.1933, 17.7.1933, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 30, Bl. 83–84, 88, 90, 93.

266 

 Willy Hoppe

Reichsregierung und ihrem Kanzler Adolf Hitler und versicherte ihnen den uneingeschränkten Willen der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine zur Mitarbeit „an der Erneuerung unseres geliebten deutschen Vaterlandes“. Von der Königsberger Hauptversammlung solle das Bekenntnis ausgehen, dass auch die deutsche Geschichtswissenschaft die neue Zeit erfasst und verstanden hat, dass sie durchdrungen ist von der Erkenntnis der Größe des Führers und dass sie ihm ihre geistigen Werkzeuge und Waffen restlos zur Verfügung stellt, wenn es gilt, die Liebe zum Heimatboden zu vertiefen und dem Ausland zu zeigen, dass wir nicht gewillt sind, stillschweigend das Unrecht und die Schmach hinzunehmen, die uns ein ungeheuerliches Friedensdiktat aufgezwungen und zugefügt hat.

Wolfram begnügte sich allerdings nicht damit, über den gemeinsamen Kampf gegen die seit 1919 von allen politischen Richtungen geforderte Revision von Versailles die Brücke zum Nationalsozialismus zu schlagen, sondern darüber hinaus sah er den Gesamtverein in Übereinstimmung mit einigen spezifisch nationalsozialistischen Auffassungen von sozialen und rassischen Aufgaben und steigerte sich dabei in ein geradezu hymnisches Lob des „Volkskanzlers“ hinein: ... auch sozial hat uns das Verständnis für die Forderungen der Zeit nicht gefehlt, denn nicht nur Gelehrte umfasst der Gesamtverein, nein, gerade die Geschichtsvereine haben bei aller Anerkennung der Notwendigkeit wissenschaftlicher Führerschaft alle Kreise unseres Volkes gleichmässig zu erfassen gesucht, um mit ihnen durch die Erkenntnis unserer Geschichte Schulter an Schulter zu stehen im Kampfe gegen die Unterwühlung der sozialen Voraussetzungen, die allein dem Vaterlande und jedem einzelnen Volksgenossen Festigung und Sicherheit verleihen. ... so gibt die bodenständige und blutmässige Zugehörigkeit zum Heimatboden in ihrer geschichtlichen Erforschung und Feststellung erst die Gewissheit der inneren Einheit, die, wie uns der Führer zeigt, die Voraussetzung einer gesicherten kulturellen und politischen Entwicklung bildet. Hier aber liegt das Arbeitsgebiet der Geschichtsund Altertumsvereine. Gerade in den letzten Tagen hat sich unser Volkskanzler durch seine wunderbare Rede voll tief wissenschaftlicher Erkenntnis und prophetischem Ausblick über ‚die Rasse als Grundlage aller Kultur‘ auch der geschichtlichen Forschung und insbesondere der Arbeit der heimatlichen Geschichtsvereine als ein Führer offenbart, dessen geniale Hilfe unserer Arbeit frohe Zuversicht für die Zukunft gibt56.

Der NSDAP-Funktionär Lüdtke rief anschließend in seinen allgemein- und kulturpolitischen Ausführungen die Historiker auf, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen, „denn im deutschen Volk ist etwas völlig Neues im Werden begriffen, ist eine andere Erkenntnis vom deutschen Wesen geboren“. Er forderte dazu auf, sich am Kampf um den deutschen Ostraum im Wissen um

56 Typoskript von Wolframs Ansprache in: GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 30, Bl. 302–311.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 267

Deutschlands ostgebundenes Schicksal durch die Schmiedung geistiger Waffen zu beteiligen, denn es habe der Führer unserer Tage die Bedeutung des Ostraums klar erkannt, wenn er sagt: es gilt, den ewigen Germanenzug aus dem Osten nach dem Westen zu stoppen, das Antlitz des Volkes wird nach dem Osten gewandt werden müssen, dass sich Deutschlands Schicksal im Osten gestalte.

Der Bund Deutscher Osten vereinige die Kräfte unter der Idee der deutschen Ostsendung, er schmiede die geistigen Waffen für die Ostarbeit, insbesondere gegen die irreführende polnische Pseudowissenschaft, die auch die Geschichtsvereine des Reiches verwenden sollten57. Im Anschluß an Lüdtke behandelte der Danziger Historiker Keyser in seinem geschichtstheoretischen und geschichtsphilosophischen Referat58 die grundsätzlichen Ziele, Methoden und Schwerpunkte einer neuen, der von ihm so genannten „völkischen Geschichtsauffassung“, die er scharf von verschiedenartigen geschichtswissenschaftlichen Richtungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere von der nationalliberalen politischen, der staatlichen, territorialen und dynastischen Geschichtsschreibung und von kultur- und geistesgeschichtlichen Tendenzen, abgrenzte. Er rückte das Volk in das Zentrum der Geschichtswissenschaft, sah in ihm das entscheidende geschichtliche Element, dessen Eigenart alle seine Lebensäußerungen wie etwa seine kulturellen Leistungen in allen Bereichen prägt und sich dem ihm gemäßen Staat schafft. Volk ist die Gesamtheit der durch Blut, Boden und Kultur bestimmten Träger des geschichtlichen Lebens. ... Die Völker sind die eigentlichen Glieder am Körper der Menschheit. Das Volk ist somit vom Einzelnen und von der Menschheit her gesehen jene Gemeinschaft, die das menschliche Leben am stärksten bestimmt. Das Volk ist nicht der einzige Träger der menschlichen Geschichte, es ist aber ihr eigentlicher Meister.

Die berufliche und ständische, die menschheitliche und kulturelle Bedeutung einzelner Personen und Gruppen werden „als Ausdruck und Wirkung des Volkstums“ betont59. Die Geschichtswissenschaft hat zunächst in der Bevölkerungsgeschichte den Zusammenhang zwischen Volk und Rasse zu beachten, sie hebt die natürlichen Kräfte des Blutes, der Erbanlagen des Volkes als gestaltende Kraft 57 Vgl. das Inhaltsreferat im offiziellen Tagungsbericht des Gesamtvereins, Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 190–192, ferner die Zeitungsberichte über seine Rede in: GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 30, Bl. 325, 327. 58 Erich Keyser, Die völkische Geschichtsauffassung, in: Preußische Jahrbücher 234 (1933), S. 1–20. 59 Ebd., S. 6, 8f.

268 

 Willy Hoppe

menschlichen Daseins wie die Rassenlehre hervor, grenzt sich aber andererseits von ihr dadurch ab, daß sie die historischen Organismen, den Menschen und die menschlichen Gruppen, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtung rückt. Denn nur das Volk und seine Gruppen sind für den Historiker die Träger der Geschichte. Sie allein sind geschichtliche Lebenseinheiten.

Die Geschichtswissenschaft hat dann in der Landesgeschichte den Zusammen­ hang von Volk und Raum zu beachten. Keyser verwirft nachdrücklich die Geschichte der Territorien, die territorialstaatliche Geschichtsauffassung. Stattdessen sind die räumlichen Einheiten des geschichtlichen Lebens, die räumliche Ausdehnung, die eine geschichtliche Lebensgemeinschaft wie ein Volk besitzt, zu ermitteln, ist der Boden, den ein Volk besiedelt, mit seinen Einflüssen auf dessen Wesen, Art und Leistungsfähigkeit zu untersuchen. „Landesgeschichte ist die Geschichte der jeweiligen Verbindung, die das Volk und seine Gruppen mit dem Boden auf einem bestimmten Raume eingegangen sind“60. Eine so verstandene deutsche Landesgeschichte soll zum ordentlichen Lehrfach an allen Universitäten erhoben werden. Die Wissenschaft hat nicht nur das Volk in den Mittelpunkt seiner Forschungen zu rücken, sondern sie hat auch dem Volk dienstbar zu sein. Die völkische Geschichtsauffassung verlangt die Einstellung aller geschichtswissenschaftlichen Arbeit auf die Lebensbedürfnisse des Volkes. ... die Geschichtswissenschaft ist nicht um ihrer selbst willen da; ihre Aufgaben sind vielmehr von den gegenwärtigen Bedürfnissen unseres Volkes aus zu bestimmen. ... Wir fordern von jedem Historiker völkische Gesinnung. ... Es darf in Zukunft nur noch politische Historiker geben, nicht in dem überholten Sinne, daß jeder Historiker ausschließlich oder vornehmlich Staatsgeschichte zu treiben hätte, sondern in dem Sinne, daß er seine Forschung und seine Lehre stets und überall auf die politischen Notwendigkeiten seines Volkes abstellt61.

Die wenigen Zitate rechtfertigen schon in hinreichender Deutlichkeit die Schlussfolgerung, dass Keyser trotz aller Hinweise auf neue, durchaus bedenkenswerte geschichtswissenschaftliche Themenfelder einem methodischen Reduktionismus huldigte, indem er alle geschichtlichen Erscheinungen als Ausfluss einer völkischen Art deutete und die Eigenart des Deutschtums in den Rang einer geradezu überhistorischen Wesenheit erhob. Darüber hinaus belegen seine Zitate, dass er die geschichtswissenschaftlichen Themen- und Fragestellungen dem Diktat der politischen Notwendigkeiten des deutschen Volkes unterwarf, ohne die entscheidende Frage auch nur zu berühren, wer denn diese Notwendigkeit feststellte. Keyser nahm zwar in seinen Ausführungen das Wort „Nationalsozia60 Ebd., S. 11f. 61 Ebd., S. 18f.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 269

lismus“ nicht ein einziges Mal in den Mund, stattdessen sprach er nur allgemein davon, die völkische Geschichtsauffassung sei „in engster Verbindung mit dem Bewußtwerden völkischer Gemeinsamkeit und völkischer Eigenart“ entstanden und trage dazu bei, „daß die Deutschen endlich zu einer Volksgemeinschaft zusammenwachsen“62. Aber unverkennbar verkündete er in seinem ganzen Tenor das Hohelied der nationalsozialistischen Revolution und forderte die deutschen Historiker, speziell auf der Königsberger Versammlung die deutschen Landeshistoriker dazu auf, sich mit ihren Forschungen in den Dienst der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft zu stellen und deren politische Anforderungen mit ihren wissenschaftlichen Mitteln zu erfüllen. Die Königsberger Hauptversammlung entschied auch über die Regelung von Wolframs Nachfolge im Vorsitz des Gesamtvereins, und zwar durchaus in Formen, die nationalsozialistischen Prinzipien entsprachen. Nach Wolframs angekündigtem Rückzug waren verschiedene Namen von ihm selbst genannt und in Vorgesprächen Bereitschaft und Akzeptanz der erwogenen Personen erkundet worden, so der schleswig-holsteinische Landes- und Reformationshistoriker Otto Scheel und – ernsthafter – der Generaldirektor der Preußischen Staatsarchive Albert Brackmann. Dieser lehnte für sich selbst ab, schlug stattdessen zunächst den Direktor des Preußischen Geheimen Staatsarchivs Adolf Brenneke und den damaligen Gießener Mediävisten Theodor Mayer vor, einen Mann von großem wissenschaftlichen Gewicht, der programmatisch und praktisch die Verbindung von der mittelalterlichen Reichsgeschichte zur Landesgeschichte hergestellt und enge Verbindungen zu den hessischen Geschichtsvereinen gepflegt hatte63. Aus den vorliegenden Korrespondenzen geht nicht hervor, wann und von wem Willy Hoppe ins Spiel gebracht worden ist, auf jeden Fall ist er erst sehr spät als Kandidat benannt worden, wahrscheinlich von Brackmann, der ihn auf der Vertretersitzung in Königsberg im Namen des Vorstandes präsentierte. Freilich wurde Hoppe gar nicht mehr gewählt, denn Wolfram hatte zuvor ausgeführt, dass der Gesamtverein entsprechend den neuen Verhältnissen in seiner Verwaltung das Führerprinzip einzuführen habe. So stimmte die Versammlung durch Akklamation dem Kandidatenvorschlag des Vorstandes zu, erkannte Hoppe als Führer des Gesamtvereins an und überließ ihm die Bestimmung der Vorstandsmitglieder, die er dann ebenso wie die Verwaltungsratsmitglieder in ihrem Amte bestätigte. In seiner Dankesrede erklärte Hoppe, wie schon eingangs zitiert, „daß er als Nationalsozialist an diese Stelle gekommen sei, und er wolle auch als Nationalsozialist den Gesamtverein leiten und das zu verwirklichen suchen, was der

62 Ebd., S. 1f. 63 Georg Wolfram an Eugen Meyer, 17.7.1933, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Bl. 93–94.

270 

 Willy Hoppe

Führer zu fordern nicht müde geworden sei“64. Mit seinem Rundschreiben vom 23. September 1933 unterrichtete er die dem Gesamtverein angeschlossenen Vereine und Institute über dessen neue Spitze. Damit ist der Verband nationalsozialistischer Führung unterstellt. Er bekennt sich rückhaltlos zum neuen Staat. Er ist sich bewußt, dass er seine Aufgabe in dem Dritten Reich nur dann erfüllen kann und nur dann Bestand haben wird, wenn alle seine Glieder sich unbedingt die Forderungen Adolf Hitlers an die Geschichtswissenschaft zu eigen machen.

Von seinen Adressaten verlangte er, die Führung so umzugestalten, daß vollauf Gewähr für ein Arbeiten im Sinne des neuen Deutschland gegeben ist. ... Alles für Deutschland, nur für Deutschland: in dieser Gesinnung reihen wir uns ein in das Arbeitsheer, das an dem neuen Deutschland baut.

Das bedeutete für die innere Organisation aller Vereine, dass entsprechend dem Königsberger Vorgang Wahlen unterblieben, dass eine Person zum Führer des Vereins bestellt wurde und sie sich den ihm zur Seite stehenden Rat selbst auswählte65. Die Gleichschaltung des Gesamtvereins und seiner Mitglieder war abgeschlossen. Nach der Vorgeschichte der Königsberger Hauptversammlung, die nicht unabsichtlich so breit referiert worden ist, wäre es freilich richtiger festzustellen: Die Selbstgleichschaltung des Gesamtvereins war mit der Bestellung des Nationalsozialisten Hoppe zum Führer abgeschlossen. Die Furcht vor einem möglichen existenzgefährdenden Zugriff der NSDAP auf den Gesamtverein hatte Vorstandsmitglieder geradezu gelähmt und zur Selbstaufgabe durch Anpassung an die personellen und inhaltlichen Vorstellungen von Reichsregierung und Partei getrieben. Der Vorsitzende ging nicht ganz so weit, er glaubte, seine organisatorische und wissenschaftliche Eigenständigkeit wahren zu können, wenn er in der Form wie im Inhalt sich nationalsozialistische Grundsätze zueigen machte. Aber der Preis, den er dafür zu zahlen hatte, war ihm von seinem Geschäftsführer schon zutreffend beschrieben worden: Die Verbindung von Wissenschaft und Politik wurde enger als je zuvor mit einer dienenden Rolle der Wissenschaft geknüpft, wenn sie dazu aufgerufen war – und infolgedessen in ihrem Wert danach bemessen wurde –, den politischen Zielen die passenden wissenschaftlichen Argu64 Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 198f. 65 Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 89–92; wiederabgedruckt in Beilage I 7 zu Wendehorst (wie Anm. 48), S. 56f. – Vgl. noch Hoppes Schreiben an den Verein für Heimatkunde Angermünde vom 29. 9. 1933, das vermutlich als Rundschreiben an alle brandenburgischen Geschichtsvereine gerichtet war, abgedruckt ebd. Beilage I 8, S. 58.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 271

mente zu liefern. Bestenfalls gab sich Wolfram einer Selbsttäuschung hin, wenn er dadurch die selbständige wissenschaftliche Urteilsbildung nicht gefährdet sah. Die wissenschaftliche Eigenständigkeit war schon aufgegeben, wenn man sich darauf einließ, seine Themen und Fragestellungen nach angeblichen politischen Notwendigkeiten und völkischen Lebensbedürfnissen auszurichten. Die Verfechter des Bündnisses von Wissenschaft und Politik lebten offensichtlich in dem geradezu naiven Glauben, der Historiker werde auf seinen eigenen Wegen naturgegeben zur Übereinstimmung mit politischen Zielen kommen. Dabei war, wenn man die Königsberger Bekundungen nüchtern wahrnahm, nicht zu übersehen, wer in einem solchen Bündnis den Ton angeben würde. Die Protagonisten des Gesamtvereins überboten sich darin, ihre uneingeschränkte Zustimmung zur Politik der nationalsozialistischen Regierung auszudrücken und die Orientierung der eigenen Arbeit an deren Grundsätzen nachzuweisen. Der Kotau hätte kaum größer ausfallen können. Meyers Befürchtungen wurden zwar insofern nicht wahr, als dem Gesamtverein ein Parteifunktionär an der Spitze erspart blieb, aber ein bekennender nationalsozialistischer Historiker drohte ihn zum wichtigen oder gar wichtigsten Werkzeug zur Durchsetzung einer nationalsozialistischen deutschen Landesgeschichtsforschung zu machen. Die formalrechtlichen Möglichkeiten gab ihm vorbehaltlos die neue Satzung des Gesamtvereins vom 23. September 1937, indem sie dessen Leiter im Sinne des Führerprinzips mit großer Machtfülle ausstattete und ihm uneingeschränkte Entscheidungsgewalt übertrug: Entscheidungen über die Aufnahme in die Mitgliedschaft, die Berufung in den Beirat, die Bestellung verantwortlicher Mitarbeiter wie des Geschäftsführers, der Abteilungsleiter und des Schriftleiters der Blätter für deutsche Landesgeschichte wurden allein von ihm vorgenommen, Gremien wie der Beirat und die Vertreterversammlung waren auf Beratungsfunktionen beschränkt. Der Leiter bestimmte die Richtlinien des Gesamtvereins, im Einzelnen legte er die Vorträge und Redner in den allgemeinen wissenschaftlichen Sitzungen der Hauptversammlung fest66. Hoppe hatte mit dem Gesamtverein die Chance zu einer nationalsozialistischen Umformung der Landesgeschichtsforschung in der Hand. Hat er sie genutzt? Um diese Frage zu beantworten, sei zunächst darauf hingewiesen, dass Hoppe trotz seiner leitenden Stellung in seinem Beirat und unter den Vereinsmitgliedern nicht eine willenlose Gefolgschaft vorfand, sondern dass durchaus kontroverse Debatten um die Aufgaben und die Stellung des Gesamtvereins innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft stattfanden, wie die erhaltenen Protokolle von Vorstandssitzungen trotz ihrer gelegentlichen lakonischen Kürze 66 Blätter für deutsche Landesgeschichte 84 (1938), S. 82–86, insbes. §§ 5, 8–11, 14–15, 17, 19, 23, 25.

272 

 Willy Hoppe

verraten. Um die innere Organisation des Gesamtvereins, um die Aufrechterhaltung oder Zusammenlegung einzelner Abteilungen und der durch sie vertretenen Fachgebiete ebenso wie über die innere und äußere Gestaltung der Zeitschrift des Gesamtvereins entwickelten sich lebhafte Diskussionen, in denen der Leiter auf den Widerspruch von Vorstandsmitgliedern traf. Eine Denkschrift der südwestdeutschen Geschichtsvereine vom Herbst 1938 äußerte deutliche Kritik und führte zu längeren gegensätzlichen Erörterungen innerhalb des Beirates67. Aber mehr möchte ich das Augenmerk auf die programmatischen Bekundungen Hoppes lenken. Man konnte schon aufhorchen, als er in seiner Königsberger Dankesrede verkündete: „Ein Programm stelle er im Augenblick nicht auf. ... Man müsse den deutschen Osten hineintragen in das Arbeitsgebiet des Gesamtvereins, darüber aber die alten Aufgaben nicht vernachlässigen“68. Die Worte klangen nicht nach einem zielstrebigen Aufbruch zu ganz neuen Ufern, zu einer völligen inhaltlichen und methodischen Neubesinnung der Landesgeschichtsforschung. In seinem Rundschreiben vom 23. September 1933 an die Vereine betonte Hoppe zwar für den Forscher „die heilige Verpflichtung, Geschichte und Gegenwart in Beziehung zu setzen und sein Forschen nutzbar zu machen für die Gesamtheit“, aber daraus folgte nicht viel mehr, als dass alle Schichten des Volkes über die Bedeutung geschichtlicher Vorgänge aufgeklärt und Volkstum, Siedlung und Heimat in ihrer Auswirkung für das Volksganze geschildert werden sollten69. Versteht man Hoppes auf den ersten Spalten des Korrespondenzblattes von 1934 abgedruckte Ausführungen über „Landesgeschichte als Forderung der Gegenwart“70 als programmatische Antrittsrede des neuen Vorsitzenden gegenüber dem Vereinspublikum, wird man inhaltlich enttäuscht. Zwar ist die fordernde Gegenwart die des nationalsozialistischen Deutschland: Den deutschen Staat „hat aus der Not der Zeit ein Mann errettet, der nach den Stümpereien der letzten 14 Jahre sein Können erwies“, die Bedingtheiten des staatlich-völkischen Lebens sind „den lange Staatsentwöhnten darzulegen, die eine trostlose Leere in die Wüste ödesten Internationalismus hineinzujagen drohte“. Mit viel Pathos, mit einem für die Nachlebenden geradezu unerträglichen Pathos beschwört Hoppe die Aufgabe der landesgeschichtlichen Wissenschaft, den Menschen Liebe zu ihrer Heimat zu vermitteln und sie in dem Boden ihrer Vorfahren zu verwurzeln, eben durch die geschichtliche Erkenntnis dieser Heimat.

67 GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 32, 35. 68 Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 199. 69 Beilage I 7 zu Wendehorst (wie Anm. 48), S. 56. 70 Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 1–7.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 273

Heimat ist heilig. Wer der Heimat dient, soll neben seiner Wissenschaft sein Herz darbringen. Er muß nicht nur mit seinem Können, er muß in seinem Innern immer aufs neu ringen um die Segensfülle der heimischen Erde. Wird sie ihm zuteil, dann geht er wahrhaft ein in die Gemeinde jener, die Hüter eines heiligen Grals sind71.

Aber die inhaltlichen Hinweise für die landesgeschichtliche Forschung bleiben ganz blass, sie gehen nicht über die Gesichtspunkte hinaus, die Hoppe bereits in den 1920er Jahren entwickelt hat. Die Landesgeschichte kann sich nicht nur auf schriftliche Quellen stützen, sie muss die Urgeschichte einbeziehen und bis zu den Anfängen menschlicher Wohnplätze zurückgreifen, sie kümmert sich um die baulichen, sprachlichen und volkskundlichen Überreste vergangener Zeiten, sie schenkt dem Boden Beachtung, damit sie daraus die Anlage der Siedlungen, ihre Verteilung auf verschiedenartige Böden und die daraus folgende wirtschaftliche und soziale Struktur und die Abgrenzung der einzelnen Landschaften verständlich macht. Und Landesgeschichte ist in Beziehung auf das größere Ganze der allgemeinen deutschen Geschichte zu setzen. Im Ergebnis: Die Landesgeschichte wird nicht als Wissenschaft um der Wissenschaft willen betrieben, sondern sie bezweckt, unter den Volksgenossen das Verständnis der Gegenwart zu wecken, indem sie diese als Ergebnis einer langen historischen Entwicklung erklärt. Ganz ähnliche Gedanken durchziehen dann 1936 Hoppes knappes Geleitwort zur ersten Nummer der neugestalteten „Blätter für deutsche Landesgeschichte“. Die hier zuweilen ebenfalls pathetisch angemahnte stärkere Prägung der landesgeschichtlichen Forschung läuft methodisch vornehmlich darauf hinaus, „den Menschen zu sehen in Zusammenhang mit seiner Landschaft“ und die Bedingtheit menschlichen Geschehens durch die Landschaft herauszuarbeiten, und gipfelt in der Forderung an die landesgeschichtliche Darstellung, „das Leben der vergangenen Tage, aus dem wir letzthin stammen, so lebensvoll wieder zu erwecken, wie es meist nur dem Künstler, dem Dichter, gegeben ist“72. Hoppes Betrachtungen zu Inhalten und Methoden der Landesgeschichtsforschung bleiben auch nach 1933, wenn man auf ihren Kern schaut und die zeitgenössische Rhetorik nicht überbewertet, im Rahmen der Diskussion, die die Landesgeschichtsforschung schon in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von der Dynastie- und Territorialgeschichte hinweg zur Untersuchung von Landschaftsund Kulturräumen geführt hatte. Für den Gesamtverein, der im Jahre 1940 eine Dachorganisation von über 300 Vereinen, Kommissionen und Instituten73, aber keine eigene Forschungsvor71 Ebd., Sp. 5–6. 72 WH, Geleitwort, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1936), S. 3–5, Zitate S. 3f. 73 Vgl. die von Hoppe mitherausgegebene, handbuchartige Zusammenstellung historischer Kom­­ missionen und Vereine: Die deutschen Kommissionen und Vereine für Geschichte und Altertums­-

274 

 Willy Hoppe

haben betreibende Einrichtung war, blieben die Möglichkeiten zu Anregungen für die weitere Forschungsentwicklung auf Grund seiner Struktur beschränkt. Das Gewicht der Hauptversammlungen, die in ihren Fachvorträgen landesgeschichtliche Forschungsinteressen und –ergebnisse zum Ausdruck brachten, sank insofern, als sie nach 1933 infolge äußerer Umstände nicht mehr regelmäßig zusammentraten. Nach Königsberg 1933 versammelten sich die Mitglieder des Gesamtvereins 1934 in Wiesbaden74. Für 1935 war beabsichtigt, die Gesamtvereinstagung und den mit ihr traditionell verbundenen deutschen Archivtag mit dem Historikertag und dem Geschichtslehrertag zu verknüpfen und dadurch die Arbeit der Einzelorganisationen in einen größeren gemeinsamen Rahmen zu stellen, aber das für Hannover geplante Vorhaben zerschlug sich letztlich75. Es schlossen sich noch Hauptversammlungen des Gesamtvereins 1936 in Karlsruhe76 und 1937 in Gotha an, bis seit 1938 die steigenden Kriegsgefahren und der Krieg selbst ihnen ein Ende setzten. Die 1938 zunächst für Augsburg und dann, nach dem Anschluss Österreichs, für Innsbruck vorbereitete Zusammenkunft wurde auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise abgesagt77, und die für 1939 wiederum für Innsbruck in Aussicht genommene Zusammenkunft fiel dem Ausbruch des II. Weltkrieges zum Opfer78. Unter solchen ungünstigen äußeren Umständen kam, wenn man die Forschungserträge des Gesamtvereins und seiner Einzelvereine unter Beweis stellen wollte, der von ihm herausgegebenen Zeitschrift umso größere Bedeutung zu. Um ihre Gestaltung wurde unter Hoppes Vorsitz eine lebhafte Diskussion geführt, die davon zeugt, dass die Geschichte des Gesamtvereins in der NS-Zeit nicht ausschließlich unter dem Blickwinkel der landesgeschichtlichen Ideologieanfälligkeit betrachtet werden kann. Dadurch geraten wichtige Erörterungen und Entscheidungen, die auf anderen Ebenen liegen, zu sehr aus dem Blickfeld. Das „Korrespondenzblatt der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine“ war fast kunde. Unter Mitarb. von R. Kötzschke hrsg. v. WH u. G. Lüdtke (Minerva-Handbücher, Abt. 4), 1940; dazu die Besprechung von O. Lauffer: Ein Handbuch der deutschen Kommissionen und Vereine für Geschichte und Altertumskunde, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 86 (1941), S. 9–14. 74 GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 31. 75 Ebd., Nr. 32. – Zur Begründung schrieb Hoppe seinem Greifswalder Freund Adolf Hofmeister am 28. August 1935: „Daß der Historikertag, der zusammen mit dem G[esamt]V[erein] tagen sollte, nicht steigt, hat seinen Grund in starker Ablehnung von [Karl] Brandi u[nd] dem Verb[an]d dt. Histor[iker] durch entscheidende Parteistellen“. NL Hofmeister (wie Anm. 46), 14/4. Der Göttinger Historiker Karl Brandi war als Vorsitzender des Historikerverbandes mit der Vorbereitung eines neuen Historikertages betraut. Vgl. auch Heiber, Walter Frank (wie Anm. 45), S. 708f. 76 GStAPK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 33. 77 Ebd., Nr. 34. 78 Ebd., Nr. 35.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 275

gleichzeitig mit dem Gesamtverein ins Leben getreten – 1853 erschien der erste Jahrgang –, und es hatte seitdem vornehmlich über dessen Tätigkeiten und die seiner angeschlossenen Vereine und ihre Publikationen berichtet79. Sehr breiten Raum nahmen in seinen Spalten die Tagungsberichte ein, insbesondere über die Hauptversammlungen des Gesamtvereins und der mit ihnen verbundenen Deutschen Archivtage sowie über die Konferenzen einzelner Vereine und Verbände. Ihr Ablauf wurde vor allem mit der kursorischen Wiedergabe der gehaltenen Vorträge geschildert – die Darstellung von Hauptversammlung und Archivtag in Stuttgart 1932 füllte allein über 120 Spalten bei einem durchschnittlichen Jahresumfang des Korrespondenzblattes von über 300 Spalten –, so dass diese zusammenfassende, zumeist der wissenschaftlichen Nachweise entbehrende Darstellungsweise kaum Nutzen für künftige Forschungsansätze zu stiften vermochte80. Die Zahl der ausgearbeiteten ausführlichen, mit Anmerkungen versehenen Aufsätze mit Relevanz für die historische Forschung, die mehrfach aus Vorträgen auf den Hauptversammlungen hervorgegangen waren, blieb demgegenüber vergleichsweise gering. Gerhard Ritter begnügte sich bezeichnenderweise für seinen auf der Stuttgarter Hauptversammlung 1932 gehaltenen Vortrag über „Die Politik Napoleons III. und das System der Mainlinie“ wegen der „Enge des zur Verfügung stehenden Raumes“ damit, auf fünf Spalten den allgemeinen Gedankengang des Vortrags zu wiederholen, ohne auf die aktenmäßige Erörterung der Einzelfragen, auf die für die Forschung [im Original gesperrt] alles ankommt, einzugehen,

und behielt sich eine spätere Veröffentlichung seiner Studien in extenso vor81. Der Information des Lesers dienten geschäftsmäßige Jahres- bzw. Tätigkeitsberichte weniger Kommissionen und Vereine, bibliographische Zusammenstel-

79 Vgl. die vorläufigen Bemerkungen von Wendehorst (wie Anm. 48), S. 11–13. 80 Die allzu langatmige Tagungsberichterstattung stieß schon damals unter manchen Lesern auf einigen Widerspruch, den der niedersächsische Archivar und Landeshistoriker Georg Schnath im Hinblick auf die wiederholten, sehr ausführlichen Berichte des Verbandes bayerischer Geschichts- und Urgeschichtsvereine im Korrespondenzblatt ironisch zum Ausdruck brachte: Er verwarf gegenüber Meyer „solche Mammutberichte, wie sie der bayerische Verband seit einigen Jahren zum lebhaften Unbehagen aller nicht weiss-blau Geborenen gebracht hat. Wir haben alle das starke Gefühl, dass hier eine Hypertrophie vorliegt, der mit Rotstift und Schere sehr nachdrücklich gesteuert werden muss, wenn aus dem Gesamtunternehmen [d.h. der Zeitschrift des Gesamtvereins] etwas werden soll“. Georg Schnath an Eugen Meyer, 3.4.1936, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 10, Bl. 10–11. 81 G. Ritter, Die Politik Napoleons III. und das System der Mainlinie, in: Korrespondenzblatt 80 (1932), Sp. 178–182, hier Sp. 178 Anm. 1.

276 

 Willy Hoppe

lungen ihrer Veröffentlichungen in Monographien und Zeitschriften sowie ein schmalerer Besprechungsteil. Eugen Meyer, der die Schriftleitung des Korrespondenzblattes seit 1925 innehatte, beklagte auf der Stuttgarter Hauptversammlung im September 1932, dass die Geschichtsvereine und landesgeschichtlichen Kommissionen in der Zeitschrift kaum über ihre Tätigkeiten und Arbeiten berichteten und kaum die bei ihnen aufgetauchten methodischen Fragen der landesgeschichtlichen Forschung zur Diskussion stellten. Das Korrespondenzblatt erfülle daher immer noch nicht seine Aufgabe, ein Vermittlungsorgan [zu] sein für die landesgeschichtliche Forschung, ein Organ, in dem die Vereine etwas über die Tätigkeit der anderen erfahren und in dem sie die bei ihren Arbeiten gemachten Erfahrungen austauschen.

Die Redaktion sei auf die Mitwirkung der Vereine und Kommissionen angewiesen, wenn aus der Zeitschrift „ein Zentralorgan für die wissenschaftliche Vereinsarbeit und eine Vermittlungsstelle für Fragen der Landesgeschichte“ gemacht werden solle82. Ein Jahr später wiederholte Meyer in Königsberg seine Klage83, Hoppe schloss sich ihr unumwunden an und kündigte an, das Korrespondenzblatt über die Wiedergabe von Tätigkeits- und Tagungsberichten des Gesamtvereins und einzelner Vereine hinaus zu einem „Zentralorgan landesgeschichtlicher Forschung und aller ihrer Zweige“ umzugestalten84. In diesem Falle folgte der Ankündigung, wenn auch nach längeren Debatten erst drei Jahre später, die Umsetzung: Ab dem 83. Jahrgang 1936 erschien die neue Folge des Korrespondenzblattes unter dem Titel „Blätter für deutsche Landesgeschichte“. Der Wandel war mit Äußerlichkeiten verbunden: Der alte, als zu umständlich empfundene Titel wurde abgelöst und das alte Großformat durch das handlichere Oktavformat ersetzt. Statt der ursprünglich vorgesehenen fünf Hefte jährlich entschied man sich 1937 aus verlagsrechtlichen Gründen für die nur dreimalige Herausgabe im Jahr, allerdings zum Ausgleich in verdoppeltem Umfange85. Die wesentlich wichtigere Umstellung des inneren Aufbaues der Zeitschrift folgte aus der Absicht, die landesgeschichtliche Forschungskompetenz des Gesamtvereins gegenüber konkurrierenden Einrichtungen wie etwa den damaligen landesgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaften zu stärken. 82 Korrespondenzblatt 81 (1933), Sp. 16. 83 Ebd., Sp. 198. 84 Hoppe in seinem Rundschreiben vom 23. 9. 1933, Beilage I 7 zu Wendehorst (wie Anm. 48), S. 57. 85 GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 12, insbes. Eugen Meyer an Verlag E.S. Mittler, 27.3.1936, ders. an dens., 27.9.1937, ders. an dens., 25.10.1937.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 277

Voraussetzung für alles ist, dass der G.V. eine eigentliche Aufgabe klar herausstellt: Landesgeschichtsforschung [im Original unterstrichen] zu pflegen, d.h. also weder allgemeine Geschichtsforschung zu treiben, noch aber sich heimatpflegerisch zu betätigen.

Die von Hoppe und Meyer entwickelte, an dem Vorbild der vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen „Deutschen Geschichtsblätter“ orientierte Konzeption86 leitete aus dieser zentralen Aufgabenstellung zwei Hauptgruppen von Veröffentlichungen in den Blättern, dem „Vermittlungsorgan für die landesgeschichtliche Forschung in Deutschland“, ab: 1. Berichte „nicht nur über die Tätigkeit der einzelnen Vereine und der historischen Kommissionen, sondern in weit stärkerem Maße als bisher zusammenfassende Darstellungen über die Forschungsarbeit innerhalb der einzelnen geschlossenen Landschaften“, 2. Aufsätze „über Fragen der Methode und Praxis der landesgeschichtlichen Forschung, daneben auch über organisatorische Angelegenheiten o.ä., während darstellende Aufsätze nur in Ausnahmefällen gebracht werden sollen“. Der Erfolg dieses Programms hing, wie nachdrücklich betont wurde, vor allem von der Bereitschaft der Leiter der großen Geschichtsvereine und der Historischen Kommissionen zur Unterstützung und zur Mitarbeit ab87. Meyer erhielt auf sein Rundschreiben vom 27. März 1936 an sechzehn Historische Kommissionen mit der Bitte um Lieferung von Beiträgen zwar vielfache grundsätzliche Zustimmung88 und etliche Zusagen, aber sie wurden zumeist nicht eingehalten, so dass die Autoren, bildlich gesprochen, den Schriftführer im Regen stehen ließen und ihm gegenüber dabei nicht einmal ein schlechtes Gewissen zeigten, wie etwa der Hannoveraner Archivdirektor Georg Schnath, der Meyer am 12. Januar 1937 schrieb: ... fällt mir mit Schreck ein, dass ich Ihnen einen Überblick über Stand und Aufgaben der landesgeschichtlichen Arbeit in Niedersachsen in Aussicht gestellt habe. ... Zu einer baldigen Lieferung auch dieses kurzen Überblicks bin ich nun aber im Augenblick nicht im Stande. ... Es wird ja nichts schaden, wenn die Welt noch etwas darauf wartet89. 86 Vgl. die Debatte auf der Sitzung des Verwaltungsausschusses in Hannover am 24.10.1935, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 32, Bl. 38–39, 45–46. 87 Aus dem Rundschreiben Eugen Meyers vom 27.3.1936, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 10, Bl. 2–3, wörtlich übereinstimmend gedruckt in: Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 201–202. 88 Beispielsweise übermittelte Willy Andreas aus den Kreisen der Badischen Historischen Kom­ mission den Wunsch, „man möchte doch gerade in den ‚Blättern für deutsche Landesgeschichte‘ die gesamtdeutschen Forschungsaufgaben und alles, was damit zusammenhängt, so behandeln, daß die landesgeschichtlichen Vereine einen fortlaufenden Überblick über den Stand dieser Dinge und Anhaltspunkte für die Durchführung ihrer eigenen Editionen und Untersuchungen gewinnen könnten“. Willy Andreas an Eugen Meyer, 24.11.1936, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 10, Bl. 84. 89 Ebd., Bl. 7ff., Georg Schnath an Eugen Meyer, 12.1.1937, ebd. Bl. 95.

278 

 Willy Hoppe

Mit der unter Leitung Rudolf Kötzschkes stehenden Konferenz landesgeschichtlicher Publikationsinstitute wurde vereinbart, dass die Historischen Kommissionen und andere Publikationsinstitute planmäßig in den Blätter ihre Tätigkeit darstellen sollten und durch die Sammlung ihrer Beiträge „eine regelmäßige und gleichbleibende Berichterstattung über die landesgeschichtliche Arbeit in Deutschland gewährleistet werden“ sollte90. Die Reform der Zeitschrift lief, wie ihre praktische Umsetzung zeigte, vor allem darauf hinaus, dass die bisherigen, zuweilen geradezu ausufernden Tagungsberichte über die Hauptversammlungen des Gesamtvereins ersatzlos gestrichen wurden und in ihre Mittelpunktsfunktion stattdessen Aufsätze zu Themen und laufenden Forschungsprojekten der landesgeschichtlichen Forschung in unterschiedlichsten deutschen Landschaften eintraten. Die Ergebnisse der Anlaufphase fanden innerhalb des Gesamtvereins nicht ungeteilten Beifall. Der Beirat befasste sich im November 1938 auf einer Besprechung in Berlin auf Grund einer von südwestdeutschen Geschichtsvereinen geäußerten Kritik ausgiebig mit der Frage der „Vervollkommnung“ der Zeitschrift und diskutierte kontrovers, wie das Ziel, ein Verbindungs- und Vermittlungsorgan der gesamten landesgeschichtlichen Forschung in Deutschland ähnlich wie die früheren „Deutschen Geschichtsblätter“ zu schaffen, zu erreichen war. Der Schriftleiter Meyer sah die wesentlichste Schwierigkeit darin, daß landesgeschichtliche Kommissionen und Institute ebenso wie anerkannte Fachleute trotz all seiner Versuche nicht in ausreichendem Maße zur Mitarbeit, zu Tätigkeitsberichten oder zur Behandlung methodisch und sachlich gewichtiger landesgeschichtlicher Themen, hatten gewonnen werden können. Man schlug die Bildung eines Redaktionsausschusses zur Beratung der Herausgeber vor, befürwortete die stärkere Verbindung mit dem Tagungsprogramm des Gesamtvereins und forderte die Universitätsforschung zur größeren Mitwirkung auf91. Schaut man sich die von Eugen Meyer zwischen 1936 und 1942 herausgegebenen Hefte an, wird man die Kritik nachvollziehen, allerdings nicht uneingeschränkt teilen können. Tätigkeitsberichte historischer Kommissionen und landesgeschichtlicher Institute wurden regelmäßig abgedruckt, allerdings in etwas zufällig wirkender Auswahl, so dass auf diese Weise nur ein recht lückenhafter Überblick über die Organisation und Arbeit der Landesgeschichte in einzelnen deutschen Landschaften erzielt wurde. Ohne hier eine genauere Inhaltsübersicht der Forschungsbeiträge bieten zu können, wurde eine Reihe von Aufsätzen veröffent90 GStA PK, Rep. 224 A Nr. 10, Bl. 160 (undatiert, ca. November 1937). – Blätter für deutsche Landesgeschichte 84 (1938), S. 49. 91 Aus dem Protokoll der Besprechung des Beirates bzw. Verwaltungsausschusses des Gesamtvereins in Berlin am 5.11.1938, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 35.



Hoppe und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 

 279

licht, die dem Ansatz, am thematischen Beispiel die Arbeitsweise, den Stand und die Ziele landesgeschichtlicher Forschung zu verdeutlichen, durchaus gerecht geworden sind, so etwa in den Studien zur Weistumsforschung92, zu Wüstungen93, zu ländlichen Siedlungsformen des deutschen Ostens und Österreichs94, zur Flurnamenforschung95, zu Münzfunden96. Informativ und lehrreich waren auch die Vorstellung von landschaftsübergreifenden Hilfsmitteln der Forschung wie den landesgeschichtlichen Bibliographien97 oder von Langzeitprojekten wie der Germania Sacra des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutschen Geschichte98, des vom Deutschen Gemeindetag unterstützten „Deutschen Städtebuchs“99 oder des von den deutschen Akademien getragenen Inschriftenwerkes100. Die landesgeschichtliche Zeitschriftenschau wurde fortgesetzt, der Rezensionsteil deutlich ausgeweitet. Die nationalsozialistische Ideologie machte, wie hinzugefügt werden muss, vor der Zeitschrift nicht halt. Auf ausdrücklichen Wunsch Hoppes wurde der Vortrag, den Wilhelm Grau, damals Geschäftsführender Leiter der Forschungsabteilung Judenfrage des Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands, über „Die Geschichte der Judenfrage und ihre Erforschung“ auf der Gesamtvereinstagung in Karlsruhe gehalten hatte, in den Blättern abgedruckt101. Grau ließ 92 W. Andreas, Stand und Aufgaben der Weistumsforschung, vornehmlich am Oberrhein, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), S. 102–117. 93 H. Beschorner, Die Wüstungen und ihre Erforschung in Deutschland, besonders in Sachsen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 85 (1939), S. 180–192. 94 W. Ebert, Ländliche Siedlungsformen im deutschen Osten, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), S. 5–46. – A. Klaar, Die Siedelformen in Österreich, ebd. 84 (1938), S. 108–118. 95 H. Beschorner, XIX. Flurnamenbericht über die Zeit vom Oktober 1934 bis September 1936, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 85 (1939), S. 31–53. 96 W. Jesse, Die deutschen Münzfunde, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 86 (1941), S. 67–92. 97 A. Böhmer, Die deutsche landesgeschichtliche Bibliographie seit dem Ausgang des Weltkriegs, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 85 (1939), S. 91–116. 98 G. Wentz, Die Germania sacra des Kaiser-Wilhelm-Instituts für deutsche Geschichte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 86 (1941), S. 92–106. 99 E. Keyser, Neue Forschungen zur Geschichte der deutschen Städte, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), S. 46–53. 100 E. Cucuel, Das deutsche Inschriftenwerk der vereinigten Akademien, seine Aufgaben, Ziele und Methoden, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 85 (1939), S. 116–134. 101 W. Grau, Die Geschichte der Judenfrage und ihre Erforschung, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), S. 163–173, Zitat S. 169; Die historische Statistik der Judentaufen und Mischehen in Deutschland, ebd., S. 174–179, Zitat S. 176; dazu Wilhelm Grau an Eugen Meyer, 29.10.1936, GStA PK, I. HA Rep. 224 A, Nr. 10, Bl. 77. – Vgl. noch ebd., Bl. 87, das Schreiben der Forschungsabteilung an Eugen Meyer vom 14.12.1936 wegen der Veröffentlichung eines Preisausschreibens des Instituts in den Blättern.

280 

 Willy Hoppe

keinen Zweifel daran, dass seine Forschungen darauf abzielten, die Judenemanzipation des 19. und frühen 20. Jahrhunderts rückgängig zu machen, und bekannte, „dass wir trotz unseres rein wissenschaftlichen Weges und Zieles wissen, dass unsere Forschungen zur Geschichte der Judenfrage auch politische Aktion sind“. Die orts- und landesgeschichtliche Forschung rief er dazu auf, an dem von seiner Forschungsabteilung entworfenen Unternehmen einer historischen Statistik über die Judentaufen und Mischehen mitzuarbeiten. Die genauere Beschreibung des Projektes, das durch die systematische historisch-genealogische Bearbeitung aller Übertritte von Juden zu einer christlichen Konfession und die Feststellung aller Mischehen von ungetauften Juden die rassische Assimilation des Judentums und das Gesamtproblem der Judentaufe darzustellen suchte, wurde ebenfalls in den Blättern abgedruckt, mit dem Hinweis: Die Forschungsabteilung Judenfrage bittet daher gemäß der Entschließung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine vom 22.9.1936 die Geschichtsvereine, einen Aufruf an ihre Mitglieder zu erlassen, der zur Mitarbeit an dieser großen Aufgaben auffordert, und dafür Sorge zu tragen, dass nur solche Persönlichkeiten, die eine Gewähr für eine wissenschaftlich zuverlässige Auswertung der Quellen und für eine diskrete Weitergabe ihrer Forschungsergebnisse bieten, für die Arbeit eingesetzt werden.

Zu irgendwelchen Ergebnissen haben die von Friedrich Wilhelm Euler geleiteten Arbeiten nicht geführt102. So wenig zu bestreiten ist, dass der Gesamtverein und seine Zeitschrift nationalsozialistischen Ideologen und Ideologien ein Forum bot, so wenig darf darüber hinweggegangen werden, dass andere Autoren damaligen wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Leitbildern und Themen distanziert gegenüberstanden. Gottfried Wentz schloss seine Vorstellung der Konzeption und Gliederung der Germania Sacra 1941 mit der Bemerkung ab: Im Hinblick auf die heutige kulturpolitische Ausrichtung der geschichtlichen Forschung könnten vielleicht Zweifel erhoben werden an der Daseinsberechtigung einer Germania ‚sacra‘ für die Aufgaben der Geschichtsforschung in der Gegenwart. Wer den Ausführungen dieses Aufsatzes gefolgt ist, wird indes zugeben müssen, daß das Aufwerfen einer solchen Frage das Wesen des Unternehmens völlig verkennen würde. ... Kirche und kirchliches Bewußtsein haben in der abendländischen Vergangenheit das gesamte öffentliche und private Leben in einer Weise durchdrungen, daß eine Betrachtung mittelalterlicher Verhältnisse unter Ausschluß einer Berücksichtigung der mannigfachen Erscheinungen des Kirchenwesens nicht möglich ist103. 102 Heiber (wie Anm. 45), S. 447f. 103 Wentz (wie Anm. 98), S.105f. – Vgl. ferner Wentz’ sehr anerkennende Besprechung des von dem Berliner jüdischen Finanzfachmann Paul Wallich mitbearbeiteten Werkes über „Berliner Großkaufleute und Kapitalisten“, in: Korrespondenzblatt 82 (1934), Sp. 194f.



Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945 

 281

Wentz gab seine Abneigung gegenüber allzu zeitgeistgemäßen Interpretationen auch zu erkennen, als er einem Buch über „Die West-Ost-Bewegung in der deutschen Geschichte“, „das die Vergangenheit unter dem Blickpunkt der deutschen Staatsauffassung der Gegenwart sieht und bewertet“, vorhielt, „Ereignisse und Gestalten nicht oder doch zu wenig aus den Bedingtheiten ihrer Zeit heraus“ verstanden zu haben104.

IV. Hoppe und die brandenburgische IV. Landesgeschichtsforschung 1933–1945

Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945

Wenden wir uns in dem letzten Teil unserer kursorischen Betrachtungen Hoppes eigentlicher wissenschaftlicher Heimat zu, der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, und schildern ansatzweise seine Stellung in ihrer Entwicklung zwischen 1933 und 1945 unter Konzentration auf zwei eng miteinander verbundene Gesichtspunkte: Inwieweit und in welcher Weise hat er auf die Organisation der Forschungsarbeit eingewirkt? Inwieweit und in welcher Weise hat er die Inhalte der Forschungsarbeit mitbestimmt? Wie schon eingangs angedeutet, war Hoppe nach dem Ersten Weltkrieg durch seine zahlreichen landesgeschichtlichen Publikationen und durch die Übernahme leitender Positionen als Angehöriger der damaligen jungen Generation in die erste Reihe der in Berlin tätigen brandenburg-preußischen Geschichtswissenschaftler getreten. In seiner Altersgruppe hatte sich neben ihm noch eine andere Nachwuchskraft durch ihre wissenschaftliche Produktivität und durch ihre ausgeprägte Arbeitskraft in den Vordergrund geschoben, der um drei Jahre ältere Johannes Schultze105. Seit 1914 am Preußischen Geheimen Staatsarchiv beschäftigt, hatte er umfangreichere Quelleneditionen zur preußischen Geschichte des 19. Jahrhunderts herausgebracht und zugleich in zunehmendem Maße durch zahlreiche Aufsätze und einzelne Monographien die mittelalterliche wie neuzeitliche brandenburgische Landesgeschichte bereichert. Außerdem hatte er ähnlich wie Hoppe wichtige Ämter im berlin-brandenburgischen Vereins- und Kommissionswesen übernommen. Er wirkte als Schriftführer des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg und insbesondere als maßgeblicher Herausgeber einer der bedeutendsten Fachzeitschriften der deutschen Geschichtswissenschaft, 104 Blätter für deutsche Landesgeschichte 83 (1937), S. 146. 105 G. Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 26 (1977), S. 452– 467. – W. Ribbe, Johannes Schultze (1881–1976), in: Lebensbilder (wie Anm. 10), S. 97–102.

282 

 Willy Hoppe

der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“. Die Begründung des Verbandes märkischer Geschichtsvereine 1924 und der Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin 1925 sind in hohem Maße seiner Initiative zu verdanken. Es überrascht daher nicht, dass im Jahre 1930 die durch den Tod Melle Klinkenborgs, des Zweiten Direktors des Geheimen Staatsarchivs, freigewordenen Leitungsfunktionen zwischen Hoppe und Schultze aufgeteilt wurden. Hoppe wurde zum Vorsitzenden des Vereins für Geschichte der Mark Brandenburg gewählt, Schultze zum stellvertretenden Vorsitzenden der Historischen Kommission. Diese war zwar erst wenige Jahre zuvor gegründet worden, auf Grund einer gemeinsamen Initiative des Brandenburgischen Provinzialverbandes und der Reichshauptstadt Berlin, aber sie hatte sich anstelle des alten Vereins rasch zum fruchtbaren Mittelpunkt der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung entwickelt, da ihr die großzügige Förderung der beiden öffentlichen Träger die Umsetzung eines anspruchsvollen Arbeitsprogramms mit dem Schwerpunkt auf mittelalterlichen und vor allem frühneuzeitlichen Quelleneditionen gestattete106. Allerdings geriet sie seit 1931 in eine zunehmend schwierigere Lage dadurch, dass der Provinzialverband und noch früher und noch stärker die Reichshauptstadt unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise ihre Förderung zunächst reduzierten und dann fast ganz einstellten. Als die letzten finanziellen Reserven aufgebraucht und Verbesserungen nicht absehbar waren, erklärte der bisherige Vorsitzende, der berühmte Kirchenrechtler und Kirchengeschichtler Ulrich Stutz, auf der Mitgliederversammlung im März 1935 seinen Rücktritt vom Amt und zugleich seinen Austritt aus der Kommission, entnervt vom zermürbenden Ringen um die Finanzierung der wissenschaftlichen Forschungsvorhaben. Der nachfolgende organisatorische Umbau der berlin-brandenburgischen Landesgeschichtsforschung war maßgeblich dadurch bedingt, dass die kulturund wissenschaftspolitischen Zielvorstellungen des Brandenburgischen Provinzialverbandes sich nach 1933 entscheidend gewandelt hatten107. Die Initiative zur Neugestaltung lag einerseits beim Provinzialverband, andererseits bei den seitens der Kommission handelnden Persönlichkeiten: Johannes Schultze, dem stellvertretenden Vorsitzenden – der auf Grund dieser Funktion die Geschäfte bis zur Neubestellung des Vorsitzenden weiterführte –, und Hoppe – der im Jahr 1933 auch die Führung des Verbandes der Brandenburgischen Geschichtsvereine über106 Neitmann, Geschichtsvereine (wie Anm. 8), S. 129–156, in diesem Band S. 79–107. – Die Bemerkungen Walthers (wie Anm. 46), S. 162, 175f., zu den brandenburgischen Historischen Kommissionen sind irreführend. 107 Zu den folgenden drei Absätzen vgl. meine ausführliche Darstellung: Neitmann, Geschichtsver­eine (wie Anm. 8), S. 156–168, in diesem Band S. 107–120, die hier ausschnittweise wiederholt wird.



Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945 

 283

nommen hatte108 und vom Provinzialverband bereits im Herbst 1935 als neuer Vorsitzender in Aussicht genommen wurde –, während Berlin auf die von ihnen entwickelten Überlegungen allenfalls reagierte. Die Betonung des brandenburgischen Eigenlebens zog in der damaligen verwaltungspolitischen Situation, in der sich die Reichshauptstadt Berlin mehr denn je zuvor wegen der parteiinternen Machtverhältnisse in der NSDAP von der Provinz Brandenburg abgrenzte, von ihr verselbständigte und mit der Einsetzung eines eigenen Stadtpräsidenten den Oberpräsidenten der Provinz nahezu gänzlich ausschaltete, unweigerlich nach sich, dass bestehende Kooperationen zwischen Provinz und Hauptstadt auf Betreiben des Provinzialverbandes gelöst wurden. Am 19. Juli 1938 hielt er gegenüber dem Oberbürgermeister von Berlin „eine klare Trennung der berlinischen und der provinz-brandenburgischen Geschichtsforschung für geboten“ und schlug die Gründung je einer Historischen Kommission für die Stadt Berlin und für die Provinz Brandenburg ab dem 1. April 1939 vor. Am 23. Januar 1939 erklärte sich Berlin damit einverstanden, die Historische Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin zum gewünschten Datum aufzulösen. Statt einer eigenen Kommission wollte es deren Obliegenheiten einem beim Stadtarchiv zu schaffenden Beirat überlassen. Die Reichshauptstadt richtete schließlich im November 1943 eine „Landesstelle für Geschichte, Heimatkunde und Volksforschung“ ein, unter dem repräsentativen Vorsitz des Oberbürgermeisters und unter wissenschaftlicher Leitung Hoppes, der sich zuvor für die Übernahme dieser Aufgaben der Zustimmung des Provinzialverbandes versichert hatte, mit der Argumentation: Er selbst würde die Annahme der Berufung für eine glückliche Lösung halten, da dadurch von vornherein Spannungen und Gegensätze zwischen den historischen Institutionen der Provinz und der Stadt Berlin ausgeschaltet wären109.

Obwohl der Provinzialverband bereits am 7. Februar 1939 den bisherigen stellvertretenden Kommissionsvorsitzenden Schultze zu Vorschlägen für die Bildung einer Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg aufforderte, am 20. Dezember 1940 Hoppe entsprechend den älteren Überlegungen den Vorsitz der Kommission antrug und ihn zu Vorschlägen für die Berufung der Mitglieder und des Beirats aufforderte und am 25. November 1941 ihn zum Vorsitzenden der „Historischen Kommission der Provinz Mark Brandenburg“ berief, verzögerte sich deren förmliche Neugründung bis zum Januar 1943. Denn Hoppe war bis

108 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 90, Schreiben Hoppes an den Landesdirektor des Brandenburgischen Provinzialverbandes vom 14.11.1933. 109 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 86, Bl. 1.

284 

 Willy Hoppe

Frühjahr 1942 durch sein Rektorat so stark beansprucht, dass er sich trotz wiederholter Ermahnungen nur sehr schleppend den wichtigsten im Vorfeld zu klären Fragen, der Satzung und der Mitgliedschaft, widmete. Hoppes Verhandlungen mit dem Provinzialverband drehten sich vor allem um die personelle Auswahl, unter der maßgeblichen Voraussetzung, dass im Vergleich mit der Regelung von 1925 die Zahl der Mitglieder zahlenmäßig begrenzt und als zusätzliches Organ ein Beirat größeren Umfangs geschaffen werden sollte. Mit diesen Vorgaben beabsichtigte man, sich in der Mitgliedschaft auf wenige ausgewiesene Mitglieder mit der Befähigung zur tatkräftigen und dauerhaften Mitarbeit auf dem Gebiet der brandenburgischen Landesgeschichte zu beschränken, während der Beirat etliche Interessenten an der märkischen Geschichte aus dem Kreise der Fachhistoriker wie auch geschichtsbewusste Verwaltungsleiter umfassen und damit weniger ein Arbeits- als ein Repräsentationsorgan sein sollte. Hoppe schlug als Kommissionsmitglieder acht Personen vor, unter Betonung von zwei Auswahlkriterien: Forschungsarbeiten in der brandenburgischen Landesgeschichte und Tätigkeit außerhalb Berliner Institutionen. Er dachte an vier Mitglieder aus der Provinz, also außerhalb Berlins ansässige Fachleute, die einzelne brandenburgische Landschaften in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gerückt hatten, getreu seiner Absicht, mehr Männer von draußen hineinzunehmen; ... Ein Haupterfordernis wird immer sein, dass wir mit unserer Arbeit wirklich draussen, in der Provinz, Fuss fassen110. Eine im wesentlichen berlinische Gelehrtenakademie wäre nicht das, was ich mir vorstelle.

Dahinter stand Hoppes Überzeugung, dass die Kommission sich nicht nur an den engen Kreis der Fachgenossen wenden dürfte, sondern darüber hinaus ihre Ergebnisse Geschichtsfreunden im Land möglichst vielseitig (Versammlungen, Einzelvorträge, Ausstellungen usw.) nahe bringen, den geschichtlichen Sinn der Bevölkerung beleben und damit bewusst das Verständnis der Gegenwart vertiefen helfen

müsse, wie es die Satzung gemäß seinem Vorschlag formulierte. Aus verwaltungs- und kulturpolitischen Gründen hatten Brandenburg und Berlin 1943 zwei getrennte landes- bzw. stadtgeschichtliche Organisationen ge­schaffen, aber Hoppe stand an ihrer beider Spitze, mit einer satzungsgemäßen Stellung, die ihm personell, in der Zusammenstellung der Mitgliedschaft, und inhaltlich, in der Darstellung der Aufgabengebiete und Arbeitsprogramme, 110 Bereits 1928 hatte Hoppe im Hinblick auf geplante Zuwahlen von Berliner Gelehrten in die damalige Historische Kommission mahnend angemerkt: „Und wo bleibt die Provinz?“ Hoppe an Lehmann, 27.1.[19]28, BLHA, Rep. 16 NL Lehmann, Nr. II 2.



Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945 

 285

umfassende Möglichkeiten einräumte. Nimmt man seine sonstigen Positionen im Bereich der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung hinzu – die bereits erwähnten Stellungen sind noch zu ergänzen um die Leitung der Abteilung Geschichte des im Herbst 1937 vom Provinzialverband geschaffenen Provinzialinstituts für brandenburgische Landes- und Volkskunde111 –, kann man ihn geradezu als deren organisatorischen Mittelpunkt betrachten. Die Ämterkumulationen machten ihn zur konkurrenzlosen Leitungsperson, freilich um den Preis, dass ihm Johannes Schultze an wissenschaftlicher Produktivität deutlich übertraf. Wozu, für welche Forschungsthemen gedachte Hoppe seine Kräfte und die seiner Kommissions- und Vereinsmitglieder einzusetzen? Die Antwort auf diese Frage muss zweigeteilt werden. Mit eigenen wissenschaftlichen Forschungen Maßstäbe zu setzen und durch eigene Veröffentlichungen anderen Orientierung zu geben und zur Nachfolge zu bewegen, ist Hoppe schon deswegen nicht gelungen, weil die arbeitsaufwendigen wissenschaftsorganisatorischen Aufgaben seine Forschungskapazitäten nahezu vollständig aufsogen. Der kleine Artikel über „Lehnsfolge und Ritterheer“ von 1936 ist kennzeichnend für Hoppes Veröffentlichungen nach 1933. Er skizziert in gefälliger Form die lehnrechtlich begründeten militärischen Dienstpflichten der Ritterschaft vom 13. bis zum 18. Jahrhundert, ohne eigene neue Forschungsergebnisse bieten zu wollen112. Kein einziger Beitrag von ihm aus damaliger Zeit kann solche Ansprüche erheben. Hoppe selbst war sich seines Verzichtes auf aktive eigene Mitwirkung am Forschungsprozess durchaus bewusst und beklagte dieses Ergebnis. Als 1937 Rudolf Lehmanns große „Geschichte des Markgraftums Niederlausitz“, eine herausragende Leistung der neuen landesgeschichtlichen Forschungstendenzen, vor dem Erscheinen stand, beglückwünschte er ihn zur Vollendung Ihres neuen Werkes. Und zugleich beneide ich Sie ein wenig. Wie gut meint es das Schicksal, dass es Ihnen trotz Ihrer wahrlich anspannenden Schularbeit noch Raum gibt zur Wissenschaft und vor allem zur Produktion. Ich beginne ein abschreckendes Beispiel zu werden, wie man’s nicht machen soll. Eben deshalb zerre ich z.Zt. kräftig an dem Prorektorstrick, um ihn spätestens zum 1.4. [1937] loszuwerden. Ich muß endlich wieder arbeiten können u. die Aktenregiererei loswerden113.

Wie schon gesehen, vermochte sich Hoppe den wissenschaftsorganisatorischen Anforderungen entgegen seinem inneren Wunsch nicht zu entziehen, sie be­stimmten letztlich sein wissenschaftliches Dasein bis 1945. 111 BLHA, Rep. 55 XI, Nr. 208. 112 WH, Lehnsfolge und Ritterheer, in: Brandenburgische Jahrbücher 2 (1936): Märkisches Soldatentum, S. 67–72. 113 Hoppe an Lehmann, 1.1.[1937], BLHA, Rep. 16 NL Lehmann, Nr. II 2.

286 

 Willy Hoppe

Aber seine wissenschaftsorganisatorische Schlüsselstellung bot ihm immerhin die Möglichkeit, bestimmte Themen in den Vordergrund zu schieben und mit den vorhandenen Mitteln von anderen Kräften bearbeiten zu lassen. Welche Aufgabenfelder er für die künftige berlin-brandenburgische Landesgeschichtsforschung vorsah und in welche Richtung er sie inhaltlich zu lenken suchte, hat er eingehend in den zwei Reden beschrieben, mit denen er im Januar und im November 1943 die Einsetzung der Historischen Kommission für die Provinz Mark Brandenburg bzw. der Landesstelle der Reichshauptstadt für Geschichte, Heimatforschung und Volkskunde begleitete und die dann unter dem Titel „Brandenburgische und berlinische Geschichtsforschung auf alten und neuen Wegen“114 für den Druck vorbereitet wurden. Für das wissenschaftliche Aufgabenfeld der brandenburgischen Historischen Kommission bot Hoppe eine weitausholende Übersicht, eher in dem Sinne einer umfangreichen und vielfältigen Wunschliste künftiger Generationen brandenburgischer Landesgeschichtsforscher als mit beschränkender Konzentrierung und Prioritätensetzung auf die in den nächsten Jahren mit den verfügbaren Kräften realisierbaren Vorhaben – ein praktikables Arbeitsprogramm mit einer überschaubaren Anzahl von Schwerpunkten bot sein Referat nicht115. Hoppe setzt breit ein mit den Quelleneditionen, also mit der Herausgabe von Urkundenregesten, mittelalterlichen Chroniken, Landbüchern, Schoßbüchern, Siegeln, Inschriften, Visitationsprotokollen, Ständeakten, Stadt- und Bürgerbüchern, Häuserbüchern, bäuerlichen Rechtsquellen, Erbregistern, schreitet weiter mit Atlasarbeiten, Wüstungs- und Flurnamenverzeichnissen, Ortsnamenlexikon und historischem Ortslexikon, einer historisch-topographischen Beschreibung der einzelnen Landesteile und biographischen Sammlungen und endet mit darstellerischen Aufgaben des 19. Jahrhunderts, den Agrarreformen, der Auswanderungsbewegung, der Industrie und den Gewerben, der Arbeiterfrage. Hoppe knüpft in manchem an die Projekte der Vorgängerkommission an, betont freilich gegenüber ihrer Schwerpunktsetzung, dass man statt „der nackten Quellensammlung“ eine Verbindung zwischen Quellenveröffentlichung und Darstellung anstreben 114 Das Heft 55/2 (1944) der „Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte“ ist zwar noch gedruckt, aber nicht mehr ausgeliefert worden, so dass Hoppes Ausführungen zur brandenburgischen Landesgeschichtsforschung erst in seiner Aufsatzsammlung von 1965 (wie Anm. 3) veröffentlicht wurden, während für seine Ausführungen zur berlinischen Landesgeschichtsforschung auf das Umbruchexemplar der Zeitschrift in der Bibliothek des Brandenburgischen Landeshauptarchivs zurückgegriffen wurde. 115 Hoppe begründete wesentlich später sein Vorgehen folgendermaßen: „Ich habe damals das Programm weit gespannt, weil es mir darauf ankam, höhere Stellen darauf aufmerksam zu machen, was alles noch zu tun wäre“. WH an Walter Schlesinger, 8.2.1959, in: NL Walter Schlesinger, Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg, Nr. 68.



Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945 

 287

oder das Gewicht gänzlich auf Darstellung mit Quellenanhang verlegen muss. Er warnt ausdrücklich vor einer vergangenen ebenso wie vor einer gegenwärtigen „Einseitigkeit“ in der Arbeit historischer Kommissionen, vor einer noch nach 1918 nachwirkenden Konzeption der Landesgeschichte als dynastischer Territorialgeschichte ebenso wie vor der aktuellen fehlerhaften Konzentration allein auf den Bauernstand, da neben ihm für das angestrebte Gesamtbild Adel, Bürgertum und Kirche gleicherweise berücksichtigt werden müssen. Den tieferen Sinn der landesgeschichtlichen Arbeit sieht Hoppe darin, „Liebe zur Heimat [zu] erwecken, jene tiefere Liebe, die aus dem innigen Verstehen um die Lebensbedingungen und das Schicksal der Heimat erwächst“116. Wichtiger als der Staat erscheint ihm dabei „heute das Land, der Boden, die den Staat tragen, ... die Menschen und ihr Volkstum, die in der heimischen Landschaft wurzeln“117. Die wichtigste Aufgabe der Berliner Geschichtsforschung118 liegt nach Hoppe darin, eine Gesamtdarstellung der Geschichte der Hauptstadt, die alle Seiten der Entwicklung, die politischen, sozialen und kulturellen, gleichmäßig berücksichtigt und zugleich die Wechselwirkungen mit der allgemeinen deutschen Geschichte herausstellt, vorzulegen und zunächst, damit ein solches anspruchsvolles Ziel, dem auch die 1937 erschienene Jubiläumsschrift „Geschichte der Stadt Berlin“ noch nicht gerecht geworden ist, erreicht werden könne, die dazu erforderlichen Vorarbeiten in Gestalt von Quelleneditionen und vielfältigen Spezialuntersuchungen zu leisten. Geplant sind ein Berliner Urkundenbuch mit Quellen von der Gründung der Stadt bis zum 16. Jahrhundert, eine Neuausgabe des Berliner Stadtbuches aus dem 14. Jahrhundert und Darbietungen vorgeschichtlicher Funde und baugeschichtlicher Ergebnisse zur städtischen Frühzeit, Akten aus der Zeit nach dem 16. Jahrhundert sollen wegen ihrer Massen nur in bearbeiteter Form herausgegeben werden. Wichtige Forschungsschwerpunkte sieht Hoppe in der Bevölkerungsgeschichte, hier insbesondere in der Untersuchung der Einwanderer, der eingewanderten Hugenotten und Böhmen, in der Volkskunde, vor allem zu dem Zweck, den modernen Großstadttyp und seine menschlichseelische Grundlage zu erfassen, und in der Sprachgeschichte, vornehmlich zur Auswertung des Wortschatzes für die Deutung der Berliner Geistesgeschichte. Bildende Kunst, Baukunst, Theater, Musik, Literatur und Wissenschaftsgeschichte bezieht Hoppe weiterhin in seine Forschungskreise ein. Unter den Epochen der Berliner Geschichte sieht er vorrangigen Forschungsbedarf in der jüngeren Stadtgeschichte seit dem 18. Jahrhundert, vor allem im 19. Jahrhundert, in dem „nach

116 WH, Mark Brandenburg (wie Anm. 3), S. 352. 117 Ebd., S. 351. 118 Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 55, 1944, S. 384–399.

288 

 Willy Hoppe

meiner Auffassung unsere Arbeit ihre Krönung finden muß“119, weil Berlin in diesem Zeitraum den Weg zur Weltstadt eingeschlagen hat; Wirtschaft, Technik und Verkehr sind hier ausgiebig zu behandeln. Hoppe skizziert teilweise unter Bezug auf konkrete laufende und geplante Vorhaben zahlreicher Gelehrte, teilweise unter bloßer Andeutung etlicher Sachgebiete einen sehr weiten Aufgabenkreis, „um allen Beteiligten keinen Zweifel zu lassen, was bisher in Berlin versäumt ist und was unser wartet“120. Den lebensweltlichen Antrieb seiner wissenschaftlichen Anstrengungen erblickt Hoppe eingangs und ausgangs seiner Ausführungen in der Heimatliebe: Wenn Berlin aber Heimat sein kann, so wollen wir – und hier liegt der erzieherische Wert unserer Aufgaben – Liebe zur Heimat wecken, jene tiefere Liebe, die aus dem innigen Wissen um die Lebensbedingungen und das Schicksal der Heimat erwächst121.

Die beiden umfassenden Aufgabenschilderungen entbehren nicht nur spezifisch nationalsozialistischer Diktion und Terminologie, sondern sie ermangeln auch zeitgemäßer Schwerpunktsetzungen und Vorlieben ebenso wie Antipathien. Denkt man etwa daran, dass ein NS-Historiker wie Walter Frank Quelleneditionen verachtete, fällt einem auf, dass Hoppe gerade diesem Felde sehr viel Aufmerksamkeit widmete. Einem Lieblingskind des Nationalsozialismus, dem Bauernstand, erteilte er sogar eine deutliche Absage. Seine Ausführungen zeichnen sich durch eine breitangelegte Themenvielfalt ohne methodischen Rigorismus aus, er holt zeitlich und sachlich weit aus, schlägt den Bogen von der Frühgeschichte bis zum 19. Jahrhundert, berücksichtigt alle Stände, bezieht Politik, Wirtschaft, Kirche und Kultur ein, um die geschichtliche gewachsene Eigenart Berlins und Brandenburgs herauszustellen. Sein Forschungsspektrum ist, was hier nicht im einzelnen begründet werden kann, tief in den Forschungseditionen, in den großen realisierten Projekten und unrealisierten Plänen der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung seit dem späten 19. Jahrhundert, seit den Arbeit Schmollers und Hintzes und ihrer Schulen, verankert. An ihnen orientiert sich Hoppe, sie sucht er fortzuführen und zugleich abzuwandeln. Standen für die Generationen Schmollers und Hintzes der Staat, seine Verfassung, seine wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im Vordergrund und mündete für sie die ältere brandenburgische Geschichte in die des preußischen Gesamtstaates ein, so machte Hoppe die Mark Brandenburg im Sinne einer deutschen Landesgeschichte zu seinem Gegenstand und ging im Sinne der geschichtlichen Landes-

119 Ebd., S. 396. 120 Ebd., S. 398. 121 Ebd., S. 385, vgl. noch S. 398.



Hoppe und die brandenburgische Landesgeschichtsforschung 1933–1945 

 289

kunde von ihren Menschen und ihrem im Land begründeten Lebensbedingungen aus. In seiner Forschungsprogrammatik setzte er keine Akzente einer nationalsozialistischen Geschichtsauffassung, geschweige denn, dass er der Landesgeschichtsforschung in diesem Sinne eine ganz neue Richtung vorgegeben hätte. Trotz seines eindeutigen politischen Bekenntnisses zum Nationalsozialismus verblieb er geschichtswissenschaftlich, speziell auf dem Feld der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung, in den Bahnen, die er selbst vor allem nach 1918 eingeschlagen hatte. Dementsprechend dominierten in den fast ausschließlich seit 1933 angenommenen Dissertationen seiner Schülerinnen und Schüler die von ihm selbst seit seinen wissenschaftlichen Anfängen bevorzugten Themen (ohne dass man freilich wegen ihrer Disparatheit von einer Hoppeschen Schule im engeren Sinne sprechen könnte): Stadt-, Kirchen-, Bevölkerungs-, Siedlungsund Kolonisationsgeschichte einzelner Orte und Landschaften standen im Mittelpunkt. Es ist schlicht irreführend, Hoppe zu einem Vertreter der neuen völkischen Geschichtsschreibung122 oder einer nationalsozialistischen Konzeption historischer Landeskunde mit dem Ziel einer Synthese unter rassischen Kategorien123 zu machen. Und aus seinen politischen Bekenntnissen zum Nationalsozialismus folgt keineswegs zwingend, dass er seine Wissenschaft in den Dienst der NS-Ideologie gestellt habe124.

122 So Walther (wie Anm. 46), S. 176, und, ihm folgend, Jahr (wie Anm. 10), S. 184. 123 So Walther (wie Anm. 46), S. 177f., mit einem willkürlich ausgelegten Hoppe-Zitat. 124 Gegen Jahr (wie Anm. 10), S. 195. – Briefe Hoppes an Lehmann aus den letzten Kriegsjahren zeigen, dass er von NS-Durchhalteparolen weit entfernt war und sehr skeptisch in die deutsche Zukunft sah. Vgl. Hoppe an Lehmann, 2.9.1943, 25.2.1944, in: BLHA, Rep. 16 NL Lehmann, Nr. II 2. Ferner: Hoppe an Hofmeister, 11. 3. 1943: Im Anschluß an die Andeutung der verheerenden Bombenangriffe auf Berlin bemerkt er: „Ja, die Zeit mahnt, in gewissem Sinne abzuschließen u. in jeder Stunde bereit zu sein. Wie dankbar können wir sein, sonnige Jugend und Jungmannenjahre verlebt zu haben.“ NL Hofmeister (wie Anm. 44) 14/10. Außerdem Hoppe an Hofmeister, 8.8. 1943 und 2.1.1944, ebd. – Zur Beurteilung Hoppes vgl. auch meine aus seiner Gegenüberstellung zu Johannes Schultze abgeleiteten Überlegungen in dem Artikel: K. Neitmann, Historische Kommissionen und Vereine zur brandenburgischen Landesgeschichte in der NS-Zeit: die Beispiele Willy Hoppe und Johannes Schultze, in: Eberswalder Jahrbuch für Heimat-, Kultur- und Naturgeschichte 2012, Eberswalde 2012, S. 12–18.

290 

 Willy Hoppe

V. Schluss: Inhalt und Methode der Landesgeschichtsforschung als historiographische Aufgabe Schluss: Inhalt und Methode der Landesgeschichtsforschung

Anstatt mit einer Zusammenfassung zu enden, möchte ich eine methodische Überlegung an den Schluss stellen. Geschichte der Geschichtswissenschaft zu treiben, kann bedeuten, dass man ihre Organisationen, Organisationsformen, ihre Träger und Geldgeber analysiert. Da historische Forschung in Deutschland vornehmlich vom Staat und staatlichen Stellen finanziert wurde und wird, kommen bei solchen Fragestellungen sehr stark die mit den Institutionen verknüpften allgemeinpolitischen und wissenschaftspolitischen Zielsetzungen ins Blickfeld. Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, dass aus den politischen Impulsen unmittelbar die geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen und Forschungsergebnisse abgeleitet werden könnten. Wolfgang Neugebauers Urteil über das Verhältnis von politischen Antrieben und wissenschaftlichen Prinzipien bei dem Nationalökonomen und Wirtschaftshistoriker Gustav Schmoller kann durchaus über den von ihm beurteilten Einzelfall hinaus verallgemeinert werden: Das politische Movens eines Wirkens für die Beachtung der sozialen Frage in der Zeit der ‚inneren Reichsgründung‘ war ein Treibsatz mit hohem Energiewert, aber die Forschung blieb insoweit autonom, als sie – es sei deutlich gesagt – für die politische Mission nicht nur und nicht primär argumentatorische Waffen schmiedete, sondern Eigengewicht behielt125.

Auch für die NS-Zeit gilt es zu beachten, dass politische Erwartungen und Wünsche nicht automatisch die geschichtswissenschaftlichen Methoden und Inhalte präjudizieren. Die Entstehungsumstände einer Forschungsrichtung, mögen sie auch in politischen Situationen begründet liegen, sagen noch nichts über deren wissenschaftliche Erklärungs- und Überzeugungskraft aus, Genesis und Geltung sind zwei unterschiedliche Kategorien. Dieses gilt es m.E. auch zu beherzigen, wenn man sich mit der Landesgeschichtsforschung im Dritten Reich befasst. Es ist sicherlich sinnvoll und berechtigt, nach der politischen Haltung von Historikern zu fragen und die Beeinflussung ihres wissenschaftlichen Werkes durch ihre politische Einstellung zu untersuchen. Aber wenn man sich allzu sehr oder gar ausschließlich auf diesen Gesichtspunkt versteift, wie in der gegenwär-

125 W. Neugebauer, Die „Schmoller-Connection“. Acta Borussica, wissenschaftlicher Großbetrieb im Kaiserreich und das Beziehungsgeflecht Gustav Schmollers, in: Kloosterhuis, Archivarbeit (wie Anm. 7), S. 261–301, hier S. 272f.



Schluss: Inhalt und Methode der Landesgeschichtsforschung 

 291

tigen Debatte um die deutsche Geschichtswissenschaft in der NS-Zeit häufig zu beobachten, drohen die wissenschaftliche Forschung, ihre Fragestellungen, Aufgabenschwerpunkte, Konzeptionen und Ergebnisse ungebührlich aus dem Blickfeld zu geraten. Es führt in die Sackgasse, wenn man annimmt, Inhalte und Methoden der Geschichtswissenschaft ließen sich einfach aus dem politischen Willen ihrer Verfasser ableiten126. Wie das Beispiel Hoppe lehrt, führt die Untersuchung seiner politischen und wissenschaftspolitischen Stellungnahmen nicht in den Kern seiner landesgeschichtlichen Betrachtungsweise. Sein politisches Bekenntnis erklärt seinen wissenschaftsorganisatorischen Aufstieg nach 1933. Aber sein landesgeschichtliches Werk, seine Ansätze, Methoden, Themen und Ergebnisse können nicht daraus abgeleitet werden127. Die Historiographie der deutschen Landesgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert geriete auf Abwege, wenn sie glaubte, überall nur noch „politische“ Geschichtsschreibung, politisch 126 Der Verfasser schließt sich uneingeschränkt der grundsätzlichen Kritik an, mit der sich der bedeutende Althistoriker und Wissenschaftshistoriker Alfred Heuß vor über 60 Jahren gegen Heinrich Ritter von Srbiks Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung wegen ihres methodischen Ansatzes, der Ableitung historiographischer Konzeptionen aus politischen Erlebnissen und Einstellungen, gewandt hat: „Srbiks Absicht geht dahin, die Entwicklung der Geschichtswissenschaft auf dem Hintergrund der allgemeinen deutschen Geschichte erstehen zu lassen … Das Verfahren … drängt sich bei den starken Impulsen, die Historiker, zumal der Neuzeit, von ihrer eigenen Gegenwart und deren politischen Anliegen erfahren, beinahe von selbst auf. In allem gerechtfertigt ist es freilich deshalb noch nicht … Wenn also schon Geschichte der ‚deutschen‘ Geschichtswissenschaft, warum dann nicht auch eine stärkere Orientierung an der Leistungshöhe des geschichtswissenschaftlichen Bemühens? Man käme dann aber wohl auch zu Überlegungen über die zugrundeliegenden Maßstäbe und hätte eben so die innere Form der Forschung und ihr begriffliches Rüstzeug zu diskutieren. … Entsprechend seiner Methode zieht Srbik eine ziemlich massive Verbindungslinie zu Niebuhrs politischer Biographie. .. Damit ist aber doch schwerlich das publizistische Plädoyer über ‚Preußens Recht gegen den sächsischen Hof‘ zu dem gewaltigen wissenschaftlichen Nachlaß Niebuhrs in das richtige Verhältnis gebracht. … hat Droysen … den ,Alexander‘ und den ‚Hellenismus‘ geschrieben, und da stimmt es einfach nicht …, daß die Wurzeln dieser großartigen Konzeption in dem Erlebnis des deutschen Nationalgedankens preußischer Färbung liegen“. Alfred Heuss, Gesammelte Schriften in 3 Bänden, III, 1995, S. 2617 (zuerst 1953). – Heuß’ fundamentale Überlegung ließe sich gegen einen Großteil der gegenwärtigen Produktion zur deutschen Historiographiegeschichte richten. 127 Vergleichsweise sei auf die schwergewichtige Debatte um Martin Heidegger, seine Philosophie und sein politisches Bekenntnis 1933 verwiesen, dazu die klug abwägende Stellungnahme von Henning Ritter, Aus dem eigenen Dasein sprach schon das deutsche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 252 v. 29.10.2005, S. 45, mit dem beherzigenswerten Hinweis: „Daß Heidegger sich mit Willen und Überzeugung auf die neue Lage [1933] einstellte und sie emphatisch begrüßte, sagt noch nichts darüber aus, wie es um seine Philosophie bestellt war“. Heideggers Schüler Karl Löwith nahm dessen nationalsozialistisches Engagement bei einer Begegnung in Rom 1936 zur Kenntnis, „ohne von diesen eindeutigen Bekenntnissen auf die Verfassung der Philosophie Heideggers zu schließen“.

292 

 Willy Hoppe

bestimmte Geschichtsforschung erkennen zu können. Sie ist besser beraten, wenn sie Thematik und Methodik landesgeschichtlicher Forschung und Darstellung, deren Genesis, Erklärungskraft und Wandel, zu deuten sucht. Willy Hoppe hat sich darum bemüht, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung im Sinne einer geschichtlichen Landeskunde auszugestalten. Erfolge und Grenzen seiner Arbeit lassen sich dann beurteilen, wenn man eingehend und umfassend sein geschichtswissenschaftliches Werk analysiert, ohne vor der Herausarbeitung politischer Implikationen Halt zu machen.

Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des geteilten Deutschland und Europa: Walter Schlesinger, die ost(mittel)deutsche Landesgeschichte und die deutsche Ostforschung Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

I. Einleitung Die Aufgabe: organisatorische und konzeptionelle Neuorientierung der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung nach 1945 Walter Schlesinger1 hat seine wissenschaftliche Laufbahn in den 1930er Jahren an der Universität Leipzig in der Schülerschar Rudolf Kötzschkes2 als sächsischer 1 Zum Lebensweg und Lebenswerk Schlesingers vgl. zunächst die eindringliche Darstellung eines jahrzehntelangen Weggefährten: H. Patze, Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965–1979, hrsg. v. H. Patze u. F. Schwind (Vorträge und Forschungen 34), 1987, S. IX–XXVIII. – Unter den weiteren Nachrufen wichtig: Hans K. Schulze, Walter Schlesinger 28.4.1908 – 10.6.1984, in: Zeitschrift für Ostforschung 33 (1984), S. 227–243, wiederabgedruckt unter dem Titel: Zum Gedenken an Walter Schlesinger 28.4.1908 – 10.6.1984, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 65 (1994), S. 9–26. – E. Magnor-Nortier, Un grand historien: Walter Schlesinger, in: Saeculum 40 (1989), S. 155–167. – K. Blaschke, Walter Schlesinger (1908– 1984), in: Sächsische Lebensbilder, Bd. 5, 2003, S. 493–509, hier S. 509 weitere Lit. – Anne Christine Nagel, Im Schatten des Dritten Reichs. Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970 (Formen der Erinnerung 24), 2005, S. 105–136, 240–252 u.ö.; vgl. dazu die Besprechung von M. Borgolte, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S. 261–264. – Weitere Literatur bei Michael Gockel, Schlesinger, Friedrich Walter, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23, 2007, S. 65f. 2 Rudolf Kötzschke und das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde an der Universität Leipzig. Heimstatt sächsischer Landeskunde, hrsg. v. W. Held u. U. Schirmer (Schriften der Rudolf-Kötzschke-Gesellschaft 1), 1999. – 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 38), 2012, S. 19–157: I. Rudolf Kötzschke und die Landesgeschichte in Leipzig, bes. die Aufsätze von Enno Bünz, Julia Sobotta u. Karlheinz Blaschke. – Vgl. Schlesingers sowohl seinen Lehrer als auch sich selbst charakterisierende Skizze: Zum hundertsten Geburtstag Rudolf Kötzschkes, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 103 (1967), S. 85f. Aus: 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen, hrsg. v. Enno Bünz (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 38), Leipzig 2012, S. 225–283.

294 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Landeshistoriker begonnen. Mit seiner Dissertation „Die Schönburgischen Lande bis zum Ausgang des Mittelalters“ trat er 1935 zum ersten Mal in das Licht der wissenschaftlichen Öffentlichkeit3. Als Assistent Hermann Heimpels seit 1936 setzte er seine Studien zur sächsisch-thüringischen Landesgeschichte fort, betrieb sie aber unter Fragestellungen, die aus der allgemeinen Geschichte des mittelalterlichen Deutschen Reiches erwachsen waren. Seine Verknüpfung der territorialen Verfassungsgeschichte mit der des Reiches kennzeichnet in bestimmender Weise seine Habilitationsschrift von 1940 „Die Entstehung der Landesherrschaft. Untersuchungen vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen“4. Die Auswahl gerade des mitteldeutschen Ostens für ein zentrales, damals heißumstrittenes Thema der Reichsgeschichte begründet er in seiner Einleitung mit der geographisch-historischen Eigenart des Raumes zwischen Thüringer Wald und Erzgebirge, Harz und Fläming. Wer Ergebnisse anstrebt, die das Allgemeine im Besonderen widerspiegeln, wird hier am ehesten auf seine Rechnung kommen: Mitteldeutschland umfaßt Teile des deutschen Mutterlandes wie des Koloniallandes; zugleich nimmt es eine Mittlerstellung zwischen Nord und Süd ein. Gegensätze, die die gesamtdeutsche Geschichte beherrschen, kommen hier auf engem Raume zum Ausdruck. Neben dem kolonialen Neustamm der Obersachsen steht der Altstamm der Thüringer, und frühzeitig greifen Franken und Sachsen herein, so daß Gemeinsamkeiten und Gegensätze dieser Stämme sich beobachten lassen5.

Den hier angedeuteten Leitlinien ist Schlesinger zeit seines Lebens treu geblieben. Immer wieder ist er in der Untersuchung verfassungsgeschichtlicher Themen von den Verhältnissen des mitteldeutschen Ostens ausgegangen, immer wieder ist er von dieser Region aus zu grundsätzlichen Problemen vorgestoßen, die den gesamten deutschen Osten und darüber hinaus das von der deutschen Ostsiedlung ergriffene Ostmitteleuropa betreffen. Die Kontinuität dieses Schwerpunktes in Schlesingers wissenschaftlichem Oeuvre war freilich alles andere als selbstverständlich, sie darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er nicht ungestört und ungebrochen vorgefundene geschichtswissenschaftliche Traditionen aufnahm, nicht einfach in althergebrachte Forschungsstätten eintrat und an ihre überlieferten Inhalte und Interpretationen anknüpfte. Im Gegenteil: Der II. Weltkrieg, der Zusammenbruch des Deutschen 3 Zu den Veröffentlichungen Schlesingers vgl.: Bibliographie Walter Schlesinger, bearb. v. M. Gockel, in: Ausgewählte Aufsatze (wie Anm. 1), S. 647–670; die Dissertation hier S. 647, Nr. I.1. 4 W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft. Untersuchungen vorwiegend nach mitteldeutschen Quellen, 1941, Ndr. 1964 [Walter Schlesinger in den nachfolgenden Anmerkungen abgekürzt: WS]. 5 WS, Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 4), S. 7.



I. Einleitung 

 295

Reiches 1945 und die nachfolgende Teilung Deutschlands und Europas in Ost und West, in zwei weltpolitischen Blöcke, zerrissen das geschichtswissenschaftliche Erbe, in das Schlesinger mit seinen ersten akademischen Stufen hineingewachsen war, warfen in zuvor ungeahnter Weise Fragen nach dessen Tragfähigkeit und nach dessen Weiterführung auf und veranlaßten ihn dazu, nach einer beispiellosen Katastrophe des ganzen Landes persönlich und fachlich neue Wege mit neuer Orientierung zu beschreiten. In persönlicher Hinsicht zwangen die äußeren Umstände seines „etwas ge­wundene[n] Lebensweg[es]“6 Schlesinger zwischen dem Abschluß seines Leipziger Habilitationsverfahrens 1940 und der Berufung auf den verfassungsgeschichtlichen Lehrstuhl an der Freien Universität Berlin 1954 mehrfach die Übernahme neuer wissenschaftlicher Themen und den vorzeitigen Abbruch ihrer Bearbeitung mit der Folge bruchstückhafter Ergebnisse auf. Von seiner Heimatstadt Glauchau aus schrieb Schlesinger am 27. Dezember 1950, in einem Zeitpunkt, zu dem sein Umzug nach Marburg und die Inangriffnahme stadtgeschichtlicher Untersuchungen feststanden, an Herbert Grundmann wegen seines erbetenen verfassungsund wirtschaftsgeschichtlichen Kapitels zu Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte: Sie wissen, daß der deutschen Verfassungsgeschichte stets meine eigentliche Liebe gegolten hat. Leider bin ich immer wieder herausgerissen worden. Die Entstehung der Landesherrschaft wurde unter dem Druck der bevorstehenden Einberufung nur zu einem halben Abschluß gebracht, der zweite Teil läßt sich unter den jetzigen Umständen gar nicht schreiben. Als ich dann aus der Wehrmacht entlassen wurde, griff ich die Studien zur Geschichte des 9. und 10. Jhs. auf, die sich damals durchführen ließen. Die Dienstentlassung machte alldem ein Ende. Seitdem habe ich meine Arbeiten nicht nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten planen können, sondern stets nur im Hinblick darauf, was man in Glauchau machen konnte, und auch unter materiellem Gesichtspunkt. Die Kirchengeschichte Sachsens war in den letzten Jahren eine Aufgabe, die mich ganz ausfüllte, auch sie muß nun vorzeitig abgebrochen werden7.

Der hier angesprochene Themenwechsel darf allerdings nicht verdecken, daß Schlesinger an einer methodischen Grundüberzeugung sein ganzes wissen6 WS, Stand, Probleme und Aufgaben der ostmitteldeutschen Landesgeschichte, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 34 (1970), S. 130–157, hier S. 141. 7 WS an Herbert Grundmann, 27.12.1950, in: Nachlaß [Im Folgenden: NL] WS, Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Marburg, Nr. 65 (Briefdurchschlag; Briefausfertigung in: NL Herbert Grundmann, Universitätsarchiv Leipzig, Film 21, Aufnahme-Nr. 1273–1275). – Der Direktorin des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, Prof. Dr. Ursula Braasch-Schwersmann, danke ich herzlich dafür, daß ich den Nachlaß Schlesingers in ihrem Hause unter liberalsten Bedingungen benutzen durfte.

296 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

schaftliches Leben lang mit größtem Nachdruck festgehalten hat. Er ging davon aus, daß die Erörterung allgemeiner historischer Phänomene auf eindringlicher landesgeschichtlicher Forschung beruhen müsse, und sah darin einen prägenden Grundzug der deutschen Mittelalterforschung seiner Zeit. 1958 betonte er einmal brieflich, daß die deutsche Mediävistik heute vor allem zwei Tendenzen folgt: Man sucht einerseits die europäischen Zusammenhänge besser zu erkennen, in denen das deutsche Mittelalter steht, und man strebt andererseits nach besserem Verständnis der allgemeinen Erscheinungen durch intensive landes- und ortsgeschichtliche Forschungen. Der Historiker müßte beide Wege zu gehen bereit sein, doch dazu reicht meine Kraft nicht aus. Ich möchte also, wie dies auch meinem Ausbildungsgang entspricht, meine aktive Mitarbeit auf den zweiten Weg beschränken8.

In fachlicher Hinsicht stellten die allgemein- und wissenschaftspolitischen Wandlungen nach 1945 Schlesinger bald vor Augen, daß deutsche Landesgeschichte, speziell ostmitteldeutsche Landesgeschichte, in seiner sächsischen Heimat und darüber hinaus in der gesamten SBZ/DDR nur noch sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht mehr betrieben werden konnte. Und er machte sich selbst in einem inneren Klärungsprozess unter dem Eindruck des Dritten Reiches und seiner Politik gegenüber den östlichen Völkern Europas bewußt, daß einige Grundannahmen der bisherigen ostdeutschen Landesgeschichtsforschung einer grundlegenden Überprüfung bedurften. Beide mit diesen Bemerkungen angedeutete Herausforderungen, sowohl die wissenschaftsorganisatorische, d.h. der Neuaufbau landesgeschichtlicher Arbeitsstrukturen, als auch die wissenschaftskonzeptionelle, d.h. die Neuentwicklung landesgeschichtlicher Interpretationsrahmen, hat Schlesinger insbesondere in den 1950er Jahren entschlossen aufgegriffen, „mit der seiner Generation eigenen Tatkraft“, wie es sein vertrauter Begleiter Hans Patze einmal ausgedrückt hat9. Von beiden Herausforderungen und Schlesingers Antworten im Bereich der Organisation wie der Konzeption der ostmitteldeutschen und ostdeutschen Landesgeschichtsforschung soll im Folgenden gehandelt werden, wobei manche Punkte im Rahmen dieses Beitrages mit seiner Konzentration auf die 50er und frühen 60er Jahre nur angeschnitten werden können und andernorts noch erweitert werden sollen.

8 WS an Hermann Aubin, 29.8.1958, in: NL WS, Nr. 57. 9 Patze, Erinnerungen (wie Anm. 1), S. XI.



Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung 

 297

II. Neuorganisation der ost(mittel)deutschen II. Landesgeschichtsforschung Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung

Von Glauchau, Marburg und Berlin aus beobachtete Schlesinger sehr aufmerksam, gestützt auf viele Gespräche und Korrespondenzen mit befreundeten und bekannten Historikern in Archiven und Universitäten, die Zurückdrängung oder gar Beseitigung der landesgeschichtlichen Arbeit in den geschichtswissenschaftlichen Forschungsstätten zwischen Ostsee und Erzgebirge, die sich unter den politischen und wissenschaftspolitischen Vorgaben der SED insbesondere im ersten Nachkriegsjahrzehnt vollzog10. Die bisherigen organisatorischen Träger der Landesgeschichte fielen entweder gänzlich weg oder wurden zunehmend zu einem Schattendasein verurteilt. Geschichtsvereine als Teil eines freien bürgerlichen Vereinswesens wurden nicht wieder zugelassen, die Historischen Kommissionen waren teilweise wie in Brandenburg oder in Sachsen-Anhalt erloschen oder wie in Sachsen und Thüringen in ihren Betätigungsmöglichkeiten so beschnitten, daß beispielsweise im Falle der Thüringischen Historischen Kommission ihre Wirksamkeit sich zwangsläufig auf die aufopfernden Anstrengungen ihres Vorsitzenden Willy Flach reduzierte. An den Universitäten trat die Landesgeschichte ebenfalls sehr stark in den Hintergrund, wie Schlesinger insbesondere in Leipzig miterlebte, wo die Interessenfelder des Kötzschkeschen Instituts nach der Berufung Heinrich Sproembergs auf den mittelalterlichen Lehrstuhl nicht mehr gepflegt wurden11. Am ehesten wurde noch bis in die 1960er Jahre hinein in den Staatsarchiven der landesgeschichtlichen Arbeit Platz eingeräumt. Geschichtswissenschaftliche Zeitschriften erschienen viele Jahre lang überhaupt nicht, gerade die bis zum II. Weltkrieg blühende landes- und heimatgeschichtliche Zeitschriftenlandschaft wurde nicht wiederbelebt. Die Publikation von Quelleneditionen und noch mehr von Darstellungen scheiterte wiederholt, wie Schlesinger selbst an seiner zweibändigen Kirchengeschichte Sachsens erfahren mußte, am Ausschuß für das Verlagswesen, d.h. an dessen zensorischer Tätigkeit.

10 W. Buchholz, Vergleichende Landesgeschichte und Konzepte der Regionalgeschichte von Karl Lamprecht bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1990, in: Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, hrsg. v. W. Buchholz, 1998, S. 11–60, hier S. 21–36. – M. Werner, Zwischen politischer Begrenzung und methodischer Offenheit. Wege und Stationen deutscher Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. P. Moraw u. R. Schieffer (Vorträge und Forschungen 62), 2005, S. 251– 364, hier S. 348–362. 11 M. Gockel, Die Übersiedlung Walter Schlesingers nach Marburg an der Lahn im Jahre 1951, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 72 (2001), S. 215–253.

298 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Der Wegfall der organisatorischen Basis wurde ergänzt durch den ideologischen Widerspruch gegen die zentralen Inhalte und Methoden der Landesgeschichtsforschung: Allein die historische Beschäftigung mit den ehemaligen Ländern und Territorien des Reiches mußte einem streng zentralistisch aufgebauten Staat wie der DDR und der Staatspartei SED mit dem leitenden Prinzip des sog. demokratischen Zentralismus von vornherein verdächtig sein. Spätestens der Geschichtsbeschluß der SED von 1955 belehrte darüber, daß Geschichtsforschung nur noch im Geiste der marxistisch-leninistischen Geschichtslehre betrieben werden sollte. Die Konsequenzen waren offensichtlich, in Schlesingers Worten, zum einen aus dem Jahr 1952: Es kommt hinzu, daß bestimmte historische Sachgebiete überhaupt nicht mehr objektiv bearbeitet werden können oder doch unerwünscht sind, so z.B. alles, was mit der ostdeutschen Kolonisation zusammenhängt, Fragen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, soweit sie nicht die Geschichte der Arbeiterbewegung betreffen, geschichtliche Landeskunde und Landesgeschichte im engeren Sinne.12

Zum anderen aus dem Jahr 1958: An der Universitäten wird keine Landesgeschichte betrieben, die historischen Vereine sind zerstört, die Wissenschaftler der SBZ dürfen nicht mehr oder nur unter Schwierigkeiten im Westen publizieren – woraus bereits ein wissenschaftliches Vakuum wie in den Ostblockstaaten zu entstehen im Begriff ist. ... Der deutsche Territorialstaat gehöre nicht zum ,Kulturerbe‘, da er auch nicht fortschrittlich gewesen sei, sondern ein Rückschritt. Nachgeblieben sei Heimatgeschichte plus Geschichte der Arbeiterbewegung. Das Zwischenglied fehle.13

Die landesgeschichtliche Forschungstradition wurde durch die staatlichen Vorgaben und Maßnahmen in einer zuvor in Deutschland unbekannten Weise unterdrückt und abgerissen.14 12 Aus Schlesingers Denkschrift an das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen vom 27.6.1952, veröffentlicht bei V. Wahl, Der Kongreß der Archivare der Deutschen Demokratischen Republik 1952 in Weimar, in: Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg, hrsg. v. K. Oldenhage, H. Schreyer, W. Werner (Schriften des Bundesarchivs 57), 2000, S. 115–141, hier S. 134–141, das Zitat S. 141. 13 Zitiert nach K. Neitmann, Landesgeschichtsforschung im Exil. Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger, in: Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, hrsg. v. M. Werner (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 13), 2005, S. 235–272, hier S. 240 Anm. 10; in diesem Band S. 488, Anm. 10. 14 Vgl. Schlesingers Skizzierungen der Forschungssituation aus dem Jahr 1952 – aus unmittelbarem eigenen Erleben erwachsen – (ungezeichnet veröffentlicht unter dem Titel: Die Lage der



Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung 

 299

Auf die so klar erkannte Lage der landesgeschichtlichen Forschung in der SBZ/DDR hat Schlesinger mit einer Doppelstrategie geantwortet. Zum einen bemühte er sich mit Kräften darum, die dort tätigen sog. bürgerlichen Historiker, diejenigen, „die noch im alten Sinne arbeiten“, wie er es einmal ausdrückte15, in ihren Forschungen zu unterstützen, soweit dies unter dem ausgeübten politischen Druck von Westen aus überhaupt noch möglich war, im wesentlichen also bis zum Bau der Berliner Mauer 1961. Die Hilfe bestand ganz praktisch darin, daß westdeutsche und ausländische Neuerscheinungen, insbesondere auch Zeitschriften, an Einzelpersonen und Institute in der DDR verschickt wurden, damit die dortigen Fachkollegen über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion informiert blieben und sich an ihr beteiligten konnten. Ihre Forschungsergebnisse sollten nach Möglichkeit in der DDR veröffentlicht werden, beispielsweise im Verlag Hermann Böhlaus Nachfolger in Weimar, der „eine feste Position wissenschaftlicher Arbeit in abendländischem Sinne“ von nicht zu unterschätzender kulturpolitischer Bedeutung sei. Vor allem legte Schlesinger Wert darauf, daß Historiker aus der DDR an übergreifenden Vorhaben beteiligt, in Projekten mit gesamtdeutschem Anspruch berücksichtigt wurden. Man sollte versuchen, in möglichst zahlreichen Fällen über die Zonengrenze hinweg zu wissenschaftlicher Zusammenarbeit zu kommen. ... Durch solche Zusammenarbeit scheint mir die zunehmende Isolierung der Wissenschaft der Sowjetzone am besten verhindert werden zu können, eine Isolierung, die schließlich zur Sowjetisierung und damit zum Untergang führen muß.16

Als Schlesinger seit 1956 gemeinsam mit Wilhelm Berges und in Zusammenarbeit mit dem neugegründeten Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte ein Repertorium der deutschen Königspfalzen plante, verstand es sich für ihn von vornherein von selbst, daß er die in der damaligen DDR gelegenen historischen Räume in den Bearbeitungsplan einbezog und sogleich ab 1957 für die Untersuchung der thüringischen und sächsischen Königspfalzen geeignete Bearbeiter unter den dortigen Fachleuten zu gewinnen suchte. Damals fand er noch geneigte Ohren. Geschichtswissenschaft in der Sowjetzone, in: Johann Gottfried Herder – Institut Marburg/Lahn, Wissenschaftlicher Dienst 2 [1952], S. 1–8, bes. S. 2–4, 7f.) und aus dem Jahr 1970 – aus dem Rückblick des westdeutschen Beobachters –, in: WS, Stand (wie Anm. 6), bes. S. 135–137. – Die erstgenannte Betrachtung gipfelt in der Schlussfolgerung: „Auf dem Gebiet der Wissenschaft liegt die größte Gefahr in dem Abreißen der Kontinuität im Bereich der Landesgeschichte und geschichtlichen Landeskunde. … ist die Landesgeschichte und geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands allein auf das gestellt, was in der Sowjetzone nur noch in Rudimenten vorhanden ist und in absehbarer Zeit gänzlich zugrundegehen wird“ (S. 8). 15 WS an Theodor Mayer, 25.10.1954 (hier bezogen auf Hans Patze), in: NL WS, Nr. 72. 16 Aus Schlesingers Denkschrift vom 27.6.1952 (wie Anm. 12), S. 139–141.

300 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Es ist bezeichnend für den Fortgang der deutsch-deutschen Wissenschaftsgeschichte, daß zu dem in der ersten Hälfte der 1960er Jahre erschienenen Sammelband der neuen Pfalzenforschung mit Hans Eberhardt und Paul Grimm, mit denen zuvor ihre Mitwirkung an dem großen Werk abgesprochen worden war, ein Archivar und ein Archäologe aus der DDR Beiträge beisteuerten, daß aber der Band Thüringen des Repertoriums seit den 1970er Jahren ausschließlich in Marburg durch einen Schüler und Mitarbeiter Schlesingers, Michael Gockel, erarbeitet und fertiggestellt wurde17. Auf Veranlassung Schlesingers nahm der Wissenschaftliche Arbeitskreis für Mitteldeutschland die Erarbeitung des „Handbuches der historischen Stätten Deutschlands“ für die ehemaligen Länder der SBZ in Angriff und konnte dabei noch bis in die frühen 1960er Jahre hinein in beachtlichem Umfange auf Wissenschaftler in dortigen Archiven, Bibliotheken, Museen und sonstigen Kultureinrichtungen zurückgreifen. In dem von Schlesinger selbst 1965 herausgegebenen Sachsen-Band stammte die Hälfte der Mitarbeiter aus Sachsen selbst, darunter Mitarbeiter des Landeshauptarchivs Dresden (Karlheinz Blaschke), des Landesmuseums für Vorgeschichte in Dresden (Werner Coblenz) und des Instituts für Denkmalpflege in Dresden (Heinrich Magirius)18. Über die schwindenden Möglichkeiten zur Fortführung „bürgerlicher“ Landesgeschichtsforschung in der DDR machte sich Schlesinger, wie ausdrücklich zu betonen ist, von vornherein keine Illusionen. Ihm war bereits in den frühen 1950er Jahren bewußt, daß angesichts des geschichtswissenschaftlichen Systems der DDR letztlich die ostmitteldeutsche Landesgeschichtsforschung in der Bundesrepublik von dort tätigen Wissenschaftlern fortgeführt werden müsse. 1953 unterstrich er nachdrücklich, geeignete Gegenmaßnahmen könnten sich nicht mehr darauf beschränken, die Forschung in der Sowjetzone zu stützen, sondern es muß ins Auge gefaßt werden, in Westdeutschland fortzusetzen, was in der Sowjetzone aufhören muß [Hervorhebung vom Verf., K.N.]. – Das heißt also, daß für die wissenschaftlichen Arbeiten über die Ostzone ähnliche Maßnahmen getroffen werden müssen, wie für die Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie, wobei allerdings der Aufbau eines besonderen Instituts [wie das 1950 für die ostdeutsche und ostmitteleuropäische Geschichte gegründete Johann Gottfried Herder-Institut in Marburg] nicht ratsam ist, sondern eine sehr viel lockere Form gefunden werden muß19. 17 Die deutschen Königspfalzen. Repertorium der Pfalzen, Königshöfe und übrigen Aufenthalts­ orte der Könige im deutschen Reich des Mittelalters, Bd. 2: Thüringen, bearb. v. M. Gockel, 1984– 2000, zur Entstehungsgeschichte vgl. die knappen Bemerkungen im Vorwort von Otto Gerhard Oexle, S. IX–X. 18 Sachsen, hrsg. v. WS (Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 8), 1965, S. VII, XII. 19 Zitiert nach M. Gockel, Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“ und der „Forschungs­ stelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte 64 (1993), S. 223–232, hier S. 226. – Im Februar 1953 hielt es Schlesinger für notwendig,



Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung 

 301

Aus der Einsicht in die wissenschaftsgeschichtlich ganz außergewöhnliche Lage, daß nämlich ausgerechnet eine Landesgeschichtsforschung im Lande selbst zum Absterben verurteilt war, entstanden auf Grund von Schlesingers Initiative und auf Grund der von ihm erreichten politischen und finanziellen Unterstützung des Gesamtdeutschen Ministeriums 1953 der „Wissenschaftliche Arbeitskreis für Mitteldeutschland“ und 1960 die „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“ in Marburg. Im Arbeitskreis waren entsprechend dem Ansatz der geschichtlichen Landeskunde Wissenschafter aus zahlreichen benachbarten Fachdisziplinen vereinigt, Historiker, Kunsthistoriker, Archivare, Archäologen, Germanisten, Slawisten, Geographen, Volkskundler, die sich von ihren jeweiligen fachlichen Voraussetzungen her mit der Geschichte der mitteldeutschen Regionen befaßten. Die Forschungsstelle gewährleistete und verbesserte deren Arbeitsbedingungen, indem sie insbesondere eine leistungsfähige landeskundliche und landesgeschichtliche Spezialbibliothek unter um­fassender Einbeziehung der in der DDR erschienenen Literatur aufbaute. Die vom Arbeitskreis erarbeiteten, angeregten oder berücksichtigten Forschungsergebnisse wurden vornehmlich in der von drei führenden Arbeitskreismitgliedern, darunter Schlesinger, herausgegebenen Schriftenreihe „Mitteldeutsche Forschungen“ veröffentlicht. Im einzelnen sind Arbeitskreis und Forschungsstelle von Michael Gockel bereits beschrieben worden20, so daß ich mir an dieser Stelle weitere diesbezügliche Ausführungen erspare. Etwas näher will ich unter den wissenschaftsorganisatorischen Bemühungen Schlesingers auf seine Mitwirkung in der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin eingehen, da er hierbei im Kern denselben Grundsätzen wie beim Arbeitskreis folgte und sein Anteil an der Kommissionstätigkeit bislang noch nicht angemessen herausgestellt worden ist. Bald nach seiner Überwechselung an die Freie Universität Berlin, ab 1955, bemühte sich Schlesinger durch Kontakte mit dem Berliner Senat und dem Gesamtdeutschen Ministerium um die Wiederbelebung einer historischen Kommission, die die Tradition der 1939 wegen berlin-brandenburgischer Differenzen aufgelösten „Historischen Kommission für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“21 wiederaufnehmen und fortsetzen sollte. Er ver„daß eine lockere Arbeitsgemeinschaft auf die Beine gestellt werden kann, die versucht, das fortzusetzen, was in der Ostzone aufhören muß“. WS an Herbert Ludat, 7.2.1953, in: NL WS, Nr. 71. 20 Gockel, Anfänge (wie Anm. 19). 21 K. Neitmann, Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. W. Neugebauer (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), 2006, S. 115–181, hier S. 129–160; in diesem Band S. 59–136, hier S. 79–111.

302 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

sicherte sich dabei der Unterstützung des angesehenen, damals der Emeritierung näherrückenden Berliner Neuzeithistorikers Hans Herzfeld22, da angesichts der Verflechtungen Berlins und Brandenburgs mit der preußischen und deutschen Geschichte neuzeitliche Themen von vornherein stärkere Berücksichtigung als in anderen landesgeschichtlichen Kommissionen verlangten. Nach längeren Debatten über die juristische Stellung der geplanten Gelehrtengesellschaft gelang im Februar 1959 die Gründung der „Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin“ mit der satzungsgemäßen Aufgabe: Sie „plant, fördert und veröffentlicht wissenschaftliche Arbeiten über Berlin und sein Umland“, d.h. über Groß-Berlin in den Grenzen von 1920 und über den Raum seiner Ausstrahlung, vornehmlich die Mark Brandenburg. Herzfeld übernahm wegen des neuzeitlichen Schwergewichts zwar den Vorsitz, aber Schlesinger, sein Stellvertreter, war „der eigentliche spiritus rector bei der Gründung der Kommission“, wie Herzfeld fast vier Jahre später selbst bemerkte, und er fügte hinzu: Ich habe den Vorsitz wirklich in dem naiven Glauben übernommen, ich würde einige Jahre die Ehrenpuppe spielen, bis Sie als Meister der Berliner Landesgeschichte die Zügel in die Hand nehmen würden23.

Bezeichnenderweise wurde das Arbeitsprogramm in der Gründungssitzung am 13. Februar 1959 von Schlesinger in einem kleinen Referat entwickelt24. Er fügt zunächst die Berliner Historische Kommission in die Entwicklung der landesgeschichtlichen Forschung im zurückliegenden halben Jahrhundert ein, in den Wandel von der Territorialgeschichte zur geschichtlichen Landeskunde im weitesten Sinne und in die Beobachtung des Zuständlichen in seiner ganzen Breite, der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, des Siedlungswesens und der Bevölkerungsbewegung. Dann skizziert er die nach dem gegenwärtigen Forschungsstande besonders dringlichen und unter den obwaltenden Umständen durchführbaren Arbeitsvorhaben der neuen Kommission: 1. die Untersuchung der Weltstadt Berlin in der Weimarer Zeit mit Konzentration auf die Geschichte der Parteien, der wirtschaftlichen Leistungen und der Selbstverwaltung, 2. die Herstellung einer lesbaren, alle Zweige des geschichtlichen Lebens berücksichtigenden Gesamtdarstellung der brandenburgischen Landesgeschichte mittleren Ausführlichkeitsgrades und zu deren Ergänzung die Herstellung eines geschicht22 Vgl. etwa Hans Herzfeld an WS, 7.4.1956, in: NL WS, Nr. 67. – Hans Herzfeld. Persönlichkeit und Werk, hrsg. v. O. Büsch (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 41), 1983. 23 Hans Herzfeld an WS, 8.1.1963, in: NL WS, Nr. 43. 24 NL WS, Nr. 40.



Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung 

 303

lichen Handatlas der Mark Brandenburg, 3. die Anfertigung eines brandenburgischen Ortsnamenbuches zwecks Erforschung des Zusammenlebens von Deutschen und Slawen im Raum östlich der Elbe und Saale und der aus dem Aufgehen breiter slawischer Bevölkerungsteile im deutschen Volk folgenden Bildung sogenannter Neustämme. Schlesinger setzte damit für die Forschungsschwerpunkte die Akzente ähnlich wie für den Mitteldeutschen Arbeitskreis, er rückte die landesgeschichtlichen Grundlagenarbeit mit einem umfassenden Handbuchplan und nach zentralen Forschungsanliegen ausgewählten Hilfsmitteln in den Mittelpunkt. Innerhalb des gesamten Arbeitsprogramms der Kommission konzentrierte er seine eigenen Anstrengungen auf die dreibändige Geschichte der Mark Brandenburg, indem er die Herausgeberschaft des ersten, bis 1415 reichenden Bandes selbst übernahm, dessen detaillierte Konzeption entwickelte und Mitarbeiter vor allem unter den Berliner Historikern anwarb. Ihm schwebte vor, entgegen den älteren Werken Otto Hintzes und Reinhold Kosers die Darstellung Brandenburgs nicht in die Sog der Geschichte Preußens geraten zu lassen, sich nicht auf die politische Geschichte zu beschränken, sondern die natürlichen und die sprachlichen Grundlagen, Vorgeschichte und Slawenzeit, ländliche und städtische Siedlung, Verfassung, Wirtschaft und Gesellschaft, Kirche und Kunst einzubeziehen, für die Gliederung den nach diesen Sachgebieten vollzogenen Längsschnitten dem chronologischen Querschnitt im allgemeinen vorzuziehen, den gegenwärtigen Stand der Forschung unter Verzicht auf umfassende Quellenstudien darzubieten und ein für den Fachmann brauchbares und für den Laien lesbares Werk zu schaffen25. Die Entwicklung der Berliner Historischen Kommission führte freilich, wie sich recht rasch zeigte, in eine ganz andere Richtung, als sie Schlesinger vorgezeichnet hatte. Sie führte von der berlin-brandenburgischen Landesgeschichte weg und hin zu Themen der preußisch-deutschen und europäischen Geschichte. Die Richtungsänderung ergab sich in erster Linie dadurch, daß der Wissenschaftsrat zusammen mit dem Berliner Senat 1963 der Kommission eine umfassendere und dauerhafte Förderung und Finanzierung in Aussicht stellte, wenn der landesgeschichtliche Rahmen überschritten würde26. Der Tendenzwechsel wurde in zwei harmlos klingenden knappen Satzungsänderungen geradezu versteckt: Die Berliner Historische Kommission wandelte sich zur Historischen Kommission zu Berlin, und sie förderte und veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere [Hervorhebung durch den Verf., K.N.] zur Geschichte Berlins und seines Umlandes. Herzfeld spielte Schlesinger gegenüber das Gewicht der Satzungsänderungen herunter, indem er dazu anmerkte, 25 NL WS, Nr. 46. 26 NL WS, Nr. 43.

304 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

daß wir zwar grundlegend eine landesgeschichtliche Kommission bleiben, daß aber durch die Eigenart des Berliner Bodens diese landesgeschichtliche Arbeit sehr stark mit der allgemeinen Geschichte verflochten ist – ich erinnere ... an die für uns so wichtige und unumgängliche Problematik der preußischen Geschichte oder auch an die Verflechtung der modernen Berliner Geschichte mit weiten Bereichen der allgemeinen Geschichte.

Schlesinger spürte deutlich, daß nicht bloß ein Name, sondern die Inhalte – und folgerichtig auch das Personal, d.h. der Mitgliederbestand der Kommission – erheblich geändert werden sollten, und schloß seine Antwort in hinreichender Deutlichkeit mit der Zusicherung: Soweit die Kommission auch weiterhin landesgeschichtliche Ziele verfolgt, stehe ich wie bisher zur Verfügung, wobei hervorzuheben ist, daß dies unter erschwerten Umständen der Fall sein wird, denn das Personal wird von den anderen Aufgaben sehr in Anspruch genommen sein.27

Geradezu folgerichtig vollzog Schlesinger seinen Rückzug aus der Kommission in Raten, wobei neben den inhaltlichen Differenzen sein Weggang aus Berlin und die unrealisierbare Leitung eines Berliner wissenschaftlichen Großunternehmens von Marburg aus eine Rolle spielten. Er trat zunächst vom stellvertretenden Vorsitz zurück, gab dann die Herausgeberschaft an der brandenburgischen Geschichte ab. Ohne die Berechtigung anderer Kommissionsvorhaben leugnen zu wollen, bedauerte er das Zurücktreten der Landesgeschichte, so daß in den frühen 1970er Jahren von ihr nur noch das Atlasunternehmen, die stockende Geschichte der Mark Brandenburg und das nur mühsam vorwärtsschreitende Ortsnamenbuch übriggeblieben waren28. Am Ende zog er sogar das nahezu vollendete Manuskript seines eigenen verfassungsgeschichtlichen Kapitels zum Handbuch zurück, als er 1974 nach heftigen personellen Querelen und wegen seiner Kritik am Finanzgebaren aus der Kommission austrat. Seine Nachfolger in der Herausgeberschaft des Handbuches zeigten sich außerstande, die Autoren zur termingerechten Ablieferung ihrer zugesagten Beiträge zu veranlassen. So ist Schlesingers Kernstück, die großzügig geplante Geschichte Berlins und Brandenburgs, Torso geblieben, sie ist nicht über den von Herzfeld herausgegebenen dritten Band zum 19. und 20. Jahrhundert hinausgekommen. Das 1959 angekündigte Brandenburgische Ortsnamenbuch blieb vollständig stecken, die hier vorgesehene Aufgabe wurde in der DDR geleistet, allein der Geschichtliche Handatlas wurde in ansehnlichen Umfang vor allem mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft verwirklicht. Ausgerechnet in Berlin ist Schlesinger mit 27 Hans Herzfeld an WS, 8.1.1963; WS an Hans Herzfeld, 14.1.1963. Ebd. 28 Wolfgang Fritze an WS, 14.3.1973; WS an Wolfgang Fritze, 20.3.1973, in: NL WS, Nr. 63.



Neuorganisation der ost(mittel)deutschen Landesgeschichtsforschung 

 305

seinem landesgeschichtlichen Programm für Berlin und Brandenburg gescheitert, weil die Interessen der dominierenden Neuzeithistoriker und der Geldgeber die nationalen und internationalen Themen bevorzugten, weil Schlesinger selbst von Marburg aus die Richtung nicht mehr maßgeblich bestimmen konnte – und vielleicht auch nicht mehr wollte – und weil an seiner Stelle die Anhänger der landesgeschichtlichen Ausrichtung über keinen Vertreter mit herausragender wissenschaftlicher Autorität verfügten und sich nicht mehr durchzusetzen vermochten. Die angestrebte moderne Gesamtdarstellung der brandenburgischen Landesgeschichte stand, kennzeichnend für die Reichweite von Schlesingers Forschungsplanung, nicht allein da. Er verfolgte seit den späten 1950er Jahren gleichartige Handbücher noch für mehrere andere Länder der DDR, „zusammenfassende Landesgeschichten“29, und zwar für Thüringen, für Sachsen und für SachsenAnhalt. Die überschauende Gesamtdarstellung rückte er aus äußeren wie aus inneren Gründen in den Vordergrund der landesgeschichtlichen Arbeit der unter seinem Einfluß stehenden Wissenschaftsgremien. Die Überblicke mußten notwendigerweise in erster Linie oder gar ausschließlich den erreichten Forschungsstand zusammenfassen, basierten also neben den gedruckten Quellen auf der vorliegenden Literatur und benötigten kaum die Auswertung der schwer oder überhaupt nicht für westliche Benutzer zugänglichen Staatsarchive der DDR. Und sie waren geeignet, der ganz einseitigen, „parteilichen“ Geschichtsdarstellung der DDR in umfassender Weise eine objektivere Untersuchung entgegenzustellen. Schlesinger legte größten Wert darauf, eine Vielzahl von historischen Gesichtspunkten bzw. eine Vielzahl von historischen Sachgebieten in die Übersicht einzubeziehen. Daher waren die Handbücher von vornherein als Gemeinschaftswerke mit einer größeren Anzahl von Autoren geplant. In diesem Punkt offenbarte sich dann in der Praxis die zentrale Schwierigkeit, denn es stellte sich heraus, daß in der Bundesrepublik geeignete und einsatzbereite Fachleute für die vorgesehene Vielzahl der Sachgebiete und Räume nur in begrenzter Anzahl zur Verfügung standen. Als Schlesinger seit 1964 in mehreren Besprechung mit Mitgliedern des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland seine Planungen für eine Geschichte Sachsens von den Anfängen bis 1945 bzw. für eine Geschichte der preußischen Provinz Sachsen von 1815 bis 1945 entwickelte, gedachte er, mit der gezielten Arbeit an diesen Vorhaben erst zu beginnen, wenn der Abschluß und die Veröffentlichung der Geschichte Thüringens und der Mark Brandenburg gesichert seien30. Die brandenburgische Landesgeschichte scheiterte endgültig in der Mitte der 70er Jahre. Die thüringische Landesgeschichte wurde als einziges 29 WS an Herbert Ludat, 7.7.1958, in: NL WS, Nr. 71. 30 NL WS, Nr. 47.

306 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

der von Schlesinger angestoßenen mitteldeutschen Handbuchunternehmen nach 25 Jahren dank der Energie des Hauptherausgebers Hans Patze 1984 vollendet, dieser trieb die Autoren unermüdlich vorwärts und gelangte mit geringfügigen Lücken, gemessen an der ursprünglichen Planung, ans Ziel31. Weil in der Bundesrepublik nicht genügend Fachleute der mitteldeutschen Landesgeschichte bereitstanden, verliefen unter diesen Bedingungen die Absichten für die Geschichte Sachsens und Sachsen-Anhalts im Sande, kamen letztlich über Vorüberlegungen und Vorentwürfe nicht hinaus.

III. Forschungen und Forschungskonzeptionen zur III. ost(mittel)deutschen Landesgeschichte und III. zur deutschen Ostbewegung Forschungen und Forschungskonzeptionen

Die bisherigen Betrachtungen zu Schlesingers wissenschaftsorganisatorischen Bemühungen haben bereits beiläufig sein Verständnis von Landesgeschichte und von der Gestaltung landesgeschichtlicher Forschungen berührt. Aus seinen vielfältigen konzeptionellen Überlegungen32 greifen wir im Folgenden diejenigen heraus, mit denen er die Eigenart oder – um ein von ihm nur sehr zurückhaltend gebrauchtes Wort zu verwenden – die „Struktur“ des deutschen Ostens und in diesem Zusammenhang die Bedeutung und die Wirkung der deutschen Ostbewegung bzw. Ostsiedlung zu umkreisen gesucht hat. Auch wenn er von der Geschichte des mitteldeutschen Ostens ausgegangen ist, hat er doch zielgerichtet seinen Blick auf die Gesamtheit der deutschen Länder und Territorien zur Erkenntnis ihres räumlichen Gefüges ausgeweitet, so daß hier zunächst der von ihm gewählte größere Rahmen angedeutet werden muß, in den er seine ost(mittel)deutschen Beiträge eingefügt hat. Schlesingers Beitrag über „Die deutschen Territorien“ in Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte33 beschreibt sein zentrales Anliegen mit dem Satz: „Der eigentliche Gegenstand dieses

31 Neitmann, Landesgeschichtsforschung im Exil (wie Anm. 13). 32 Vgl. hier nur die Hinweise bei Werner, Zwischen politischer Begrenzung (wie Anm. 10), S. 338–340. 33 Schlesinger teilte sich den vom Handbuch-Herausgeber Herbert Grundmann erbetenen landesgeschichtlichen Beitrag mit dem Marburger Historiker Friedrich Uhlhorn in der Weise, daß er die allgemeine Einleitung und die Territorien des Ostens übernahm und Uhlhorn die Territorien des Westens darstellte. Vgl. WS an Herbert Grundmann, 7.4.1953, in: NL WS, Nr. 65.



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 307

Abschnitts des Handbuchs ist die innere Gliederung des Gesamtraumes“34. In der langen Forschungsdiskussion über die leitenden Kriterien zum Entwurf einer solchen inneren Gliederung wandte sich Schlesinger, für einen Kötzschke-Schüler geradezu selbstverständlich, dagegen, die politische Gliederung des Reiches in Territorien zum ausschlaggebenden Gesichtspunkt zu erheben. Daher hielt er die 27 „Historischen Räume“, wie sie der Territorien-Ploetz, ausgehend vornehmlich von der politischen, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Territorien, in einer gesamtdeutschen Sicht gebildet hatte, für unzulänglich, da die politische Gliederung des Reiches in Territorien in verschiedenen Epochen ganz unterschiedlich ausgesehen habe; insbesondere würden aber dadurch Gesichtspunkte der Geographie, der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Bevölkerungsund Siedlungsgeschichte vernachlässigt, wenn man nach den die Einheit eines Raumes konstituierenden Elemente frage35. Schlesinger bevorzugte stattdessen, von „geschichtlichen (oder historischen) Landschaften“ zu sprechen, um alle Bedingungen und Erscheinungen menschlicher Kultur in regionaler Ausprägung in den Blick zu bekommen und um die mögliche Vielzahl der einen Raum prägenden Kräfte – die Politik, die Wirtschaft, die Natur, das Stammestum, das gemeinsame geschichtliche Schicksal mit seinem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit – von vornherein in die Betrachtung einzubeziehen. Er gestand zu, daß die Vielfalt der möglichen Betrachtungsweisen „eine gültige Gliederung des deutschen Gesamtraumes in regionale Geschichtsräume“ wegen der unvermeidlichen Überschneidungen wohl unwahrscheinlich und undurchführbar mache und auch andere Gliederungsprinzipien als die von ihm angewandten mit guten Gründen vertretbar seien36. Unabhängig von den Debatten um größere oder kleinere Einzelräume hob Schlesinger vor allem „eine Grundtatsache der deutschen Landesgeschichte“37 nachdrücklich hervor, „die grundlegende Großgliederung, im Gange der Siedlung

34 F. Uhlhorn, W. Schlesinger, Die deutschen Territorien, in: B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 2, hg. v. H. Grundmann, 8. Aufl. 1955, S. 437–617; 9. Aufl. 1970, auch selbst. 1973, das Zitat in dieser Ausgabe, S. 12. – Der angeführte Satz ist erst in die erheblich neugefaßte Einleitung des Handbuchabschnittes in der 9. Auflage von 1970 eingefügt worden, trifft aber ohne Einschränkungen schon die Intentionen der ansonsten nahezu völlig unverändert wiederabgedruckten Darstellung von 1955. 35 WS, Rez.: Geschichte der deutschen Länder. „Territorien-Ploetz“, 1. Bd.: Die Territorien bis zum Ende des alten Reiches, hg. v. Georg Wilhelm Sante u. A.G. Ploetz-Verlag, 1964, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 101 (1965), S. 262–266, insbes. S. 263f. Ähnlich in: Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 12f. 36 WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 14f., Zitat S. 15 (Aufl. 1970/73). 37 WS, Rez. Territorien-Ploetz (wie Anm. 35), S. 264.

308 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

begründet“, die zwischen „,altdeutschem‘ Westen und ,kolonialem‘ Osten“38. 1955 begründet er die Aufteilung des Handbuchkapitels über die deutschen Territorien in die zwei Abschnitte „Der Westen“ und „Der Osten“ folgendermaßen: Der Unterschied [sc. zwischen dem Osten und dem Westen Deutschlands] ist ... ein in verschiedenem geschichtlichen Schicksal begründeter ,struktureller‘ Unterschied, als dessen Grundtatsache die Überschichtung einer im Westen Deutschlands nicht vorhandenen slavischen Vorbevölkerung durch Deutsche zu gelten hat. In den Formen und in der Verfassung der ländlichen und städtischen Siedlungen, im Stammesgefüge, in der Rechtsbildung, im Ständewesen, in der Wirtschafts- und Arbeitsverfassung, in der Art und Größe seiner Territorien hebt sich der deutschen Osten vom deutschen Westen ab39.

Der hier in seinem sachlichen Kern beschriebene Vorgang wird sechs Jahre später, 1961, unter Wiederholung des zentralen sachlichen Elementes prägnant auf den Begriff gebracht, durch eine einprägsame Formel noch deutlicher ins historische Bewußtsein gehoben: Die Slawen des deutschen Ostens ... sind im deutschen Volke aufgegangen, und zwar als vollwertige Bestandteile. ... Dieser höchst merkwürdige, noch lange nicht genügend erforschte, sich über Jahrhunderte erstreckende friedliche Prozeß der Umvolkung ... ist es, der als die Grundtatsache der geschichtlichen Struktur des deutschen Ostens zu gelten hat. Neben die Germania Romana im Westen und Süden tritt damit eine Germania Slavica im Osten40.

Schlesinger bezieht sich auf eine Begriffsbildung des Germanisten Theodor Frings von 1932, in seiner etwas von Frings abweichenden Interpretation bezeichnet die Germania Romana das ehedem von den Römern besetzte und der provinzialrömischen Kultur erschlossene und dadurch strukturell bestimmte Gebiet. Der durch die Ostsiedlungsbewegung gewonnene Raum unterscheidet sich in seiner Struktur so deutlich von Altdeutschland, daß es gerechtfertigt erscheint, ihn der Germania Romana als Germania Slavica gegenüberzustellen. Was dazwischen liegt, hätte dann als Germania Germanica ... zu gelten41. 38 WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 15 (Aufl. 1970/73). 39 WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 534 (Aufl. 1955). – Der Gedanke wird von Schlesinger bereits 1953, wenn auch nicht in so prägnanter Weise, angedeutet, vgl. WS, Verfassungsgeschichte und Landesgeschichte, in: Ders., Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. II: Städte und Territorien, 1963, S. 9–41, 254–261, hier S. 26 (zuerst 1953). 40 WS, West und Ost in der deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, in: WS, Beiträge, Bd. II (wie Anm. 39), S. 233–253, 269, hier S. 237 (zuerst 1961). – Vgl. auch WS, Stand (wie Anm. 6), S. 143f. 41 Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 23, 26f. (Zitat) (Aufl. 1970/73). – Vgl. noch die Bemerkung zur Aubinschen Aufsatzsammlung, WS, Rez. Hermann Aubin, Grundlagen und



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 309

Als Eigentümlichkeit des deutschen Ostens hebt Schlesinger hervor42, daß er im Gegensatz zu der primär in den Stämmen greifbaren Personalität der deutschen Mitte unter der starken Einwirkung des territorialen Prinzips östlicher, westslawischer Herkunft stand. Im Osten entwickelte sich der großflächige Territorialstaat in Berührung und Auseinandersetzung mit den westslawischen Herrschaftsbildungen früher und kräftiger aus als im Westen. In Folge der Territorialisierung war das Ständewesen gegenüber der westdeutschen Vielfalt stark vereinfacht; so verschmelzen etwa deutsche und slawische Bauern ursprünglich verschiedener Rechtsstellung zu einer homogenen Masse, und wie beim Adel entwickelten sich die Unterschiede nicht auf Grund personaler Prinzipien, sondern auf Grund der Besitzgröße. In der Weichbildverfassung entstanden durch die Verbindung des östlichen Burgbezirks mit der westlichen Stadt im Rechtssinne neue, über geschlossene Flächen sich erstreckende Gerichts- und Verwaltungsbezirke. In den weiten Räumen des Osten wurden Freiheiten wie die Befreiung von ungemessenen Abgaben und Diensten, Befreiung von herrschaftlichen Eingriffen in die genossenschaftlichen Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften, freie Urteilsfindung durch Gerichtsgemeinde oder Schöffen, freie Erbleihe, Freiheit des Handelsverkehrs, Marktfreiheit, freies Stadtrecht, ausgebaut, so daß im Spätmittelalter der Verfassung des deutschen Ostens im Vergleich mit der des Westens der Zug zu größerer Freiheit und Stadt und Land innewohnte. Die verglichen mit den komplizierten und unregelmäßigen westlichen Grundrissen rationaleren Gestaltungen der ländlichen und städtischen Siedlungsformen im Osten stehen symbolhaft für die dortige größere Rationalität und Einfachheit der Verfassung und

Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie, 1965, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 667–671, hier S. 670. – Es ist bezeichnend für den oberflächlichen, teilweise geradezu verzerrenden historiographischen Rückblick von F. Backhaus, „Das größte Siedelwerk des deutschen Volkes“. Zur Erforschung der Germania Slavica in Deutschland, in: Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Eine Bestandsaufnahme aktueller Forschungen zur Germania Slavica, hrsg. v. C. Lübke (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 5), 1998, S. 17–29, daß er eingangs seines Aufsatzes den einschneidenden Perspektivenwechsel der deutschen Mediävistik rühmt, der durch den die historischen Besonderheiten der Gebiete östlich von Elbe und Saale seit einigen Jahren [!] charakterisierenden Begriff der Germania Slavica angezeigt werde, aber Schlesingers Urheberschaft an dem Begriff und dessen Betonung der damit verknüpften Sache überhaupt nicht erwähnt. Zu weiteren Kritik an Backhaus’ Schlesinger-Interpretation vgl. unten Anm. 64. – Sehr viel erhellender zu Ursprung und Absichten der Begriffsprägung Germania Slavica und des dazugehörigen Begriffsfeldes: W. Schich, „Germania Slavica“ – die ehemalige interdisziplinäre Arbeitsgruppe am FriedrichMeinecke-Institut der Freien Universität Berlin, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 48 (2002), S. 269–297, hier S. 272–275. 42 Zum Folgenden vgl. WS, West und Ost (wie Anm. 40).

310 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Raumordnung, was Schlesinger durchaus als Zeichen überlegener Organisationsformen wertet. Die angedeuteten Beispiele veranschaulichen, daß nach Schlesingers Auffassung der deutsche Osten in seiner strukturellen Eigenart, in seiner Verfassung durch die hoch- und spätmittelalterlichen Besiedlungsvorgänge und die damit untrennbar verbundenen deutsch-slawischen Verschmelzungsprozesse geprägt wurde43. Dienen ihm diese Gesichtspunkte einerseits dazu, den deutschen Gesamtraum wie angedeutet in drei Großeinheiten, in Germania Romana, Germanica und Slavica, zu gliedern, so benutzt er sie andererseits dazu, innerhalb der Germania Slavica wiederum eine Binnendifferenzierung vorzunehmen. Nach Zeitstellung, Art und Intensität dieses für die ältere Zeit noch wenig erforschten [deutsch-slawischen] Ausgleichs gliedert sich der deutsche Osten in geschichtliche Landschaften verschiedenen Gepräges44.

Schlesinger unterscheidet fünf „Großlandschaften“ nach ihrem geschichtlichen Schicksal und ihren Verfassungsstrukturen45: den Südosten, Böhmen und Mähren, die mittelelbischen Lande, Schlesien und den Nordosten, und zwar entsprechend dem Zeitraum und der Art ihrer politischen Einverleibung ins fränkisch-deutsche Reich und entsprechend der Durchführung der deutschen Siedlung und der Art und Intensität der Eindeutschung der seßhaft gebliebenen slawischen Bevölkerung. Die ostdeutschen Territorien entstanden eigentlich in Zusammenhang mit einem aus verschiedenen Motiven gespeisten Besiedlungsvorgang, mit dem Vorschieben der deutschen Volksgrenze unter Einschmelzung slawischer Bevölkerung. Zur zeitlichen und sachlichen Achse der Darstellung wird im Hinblick auf dieses Ergebnis die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert gemacht, indem die in den frühmittelalterlichen Jahrhunderten durch die slawische Westausbreitung und die anschließende fränkisch-deutsche Ostbewegung geschaffenen Voraussetzungen den Charakter der jetzt nachdrücklich einsetzenden Vorgänge der Ostsiedlung und der Territorialisierung bestimmten. Stichwortartig seien hier zur Verdeutlichung die prägenden Erscheinungen der einzelnen Großlandschaften beschrieben: 1. der Südosten: schon seit fränkischer Zeit dem Reich fest eingegliedert, früh von Bayern aus in den Ostalpen und an der Donau besiedelt und eingedeutscht, mit dem babenbergischen Herrschaftsraum als Kern; 2. Böhmen (und Mähren): frühzeitig christianisiert – 43 Vgl. zum Folgenden seine Darstellung „Der Osten“ im Abschnitt „Die deutschen Territorien“ von Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte (wie Anm. 34), 8. Aufl., S. 532–617; 9. Aufl. (Ausgabe von 1973), S. 203–358. 44 WS, Die deutschen Territorien, S. 538 (Aufl. 1955). 45 Vgl. insbes. ebd., S. 544. – Ferner zugespitzt in: WS, West und Ost (wie Anm. 40), S. 252f.



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 311

zum Vergleich: noch im selben Jahrhundert wie die Sachsen –, im Kern stets slawisch geblieben, unter slawischem Fürstenhaus und mit der Mehrzahl slawischer Bevölkerung, seit ottonischer Zeit dem Reich unter Bewahrung starker Selbständigkeit der einheimischen Herrscher endgültig eingegliedert und unter deren maßgeblicher Förderung in den Randgebieten vor allem seit dem 13. Jahrhundert deutsch besiedelt; 3. die mittelelbischen Lande: ebenfalls seit ottonischer Herrschaft dauernd unter deutscher Herrschaft, aber als Markengebiet zunächst mit deutscher Herrenschicht und Verfassung und einer breiten slawischen Unterschicht, dann mit dem Höhepunkt der deutschen Siedlung bereits im 12. Jahrhundert, „gleichsam das Versuchsfeld für die Erprobung von Verfassungsformen, die dann im ferneren Osten zur Wirkung kamen“46; 4. Schlesien: ursprünglich Zankapfel zwischen Böhmen und Polen, seit dem 13. Jahrhundert auf friedliche Weise unter einheimischen slawischen Fürsten der deutschen Siedlung erschlossen und erst im 14. Jahrhundert auf dem Umweg über den Anschluß an Böhmen auf Dauer reichszugehörig; 5. der Nordosten: zunächst entlang der Ostsee und landeinwärts eine von slavischen bzw. baltischen Völkern bewohnte Landschaft mit kleineren vom Reich fast oder völlig unabhängigen Herrschaftsbildungen, nach einem ersten mißglückten Anlauf im 10. Jahrhundert in seinen verschiedenen Teilräumen von West nach Ost fortschreitend erst in staufischer und nachstaufischer Zeit deutscher Herrschaft und Siedlung zugefallen, zuzeiten hart umkämpft, auch zwischen deutschen und polnischen Ausdehnungsbestrebungen, aber trotzdem stellenweise einheimisches Fürstentum bewahrend, trotz jahrhundetelanger erbitterter Kämpfe in der Frühzeit sind ... die Elb- und Ostseeslaven schließlich nicht vom Deutschtum, genauer zwischen Deutschtum und Polentum ,erdrückt‘ worden, sondern sie sind in einem friedlichen Prozeß als vollwertiger Bestandteil im deutschen Volke aufgegangen47;

schließlich sind Teile des Nordostens geprägt von den Hansestädten der Küste und dem eigentümlichen Deutschordensstaat. Die Herausbildung der Germania Slavica im Rahmen eines deutsch-slawischen Ausgleichsprozesses hat Schlesinger für „seine“ Landschaft, für die mittelbischen Lande, wiederholt in Spezialstudien mit unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten detailliert analysiert. Er hat dabei den Bogen geschlagen von den frühmittelalterlichen Verfassungsverhältnissen der slawischen Stämme über die früh- und hochmittelalterliche deutsche Eroberung und Missionierung bis hin zur hoch- und spätmittelalterlichen deutschen Besiedlung und deutsch-slawischen 46 WS, West und Ost (wie Anm. 40), S. 252. 47 WS, Die deutschen Territorien, S. 602 (Aufl. 1955).

312 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Verschmelzung. Erarbeitet hat er seine Erkenntnisse neben der Berücksichtigung archäologischer Befunde und Ergebnisse vor allem durch eindringliche und sorgfältige Urkundeninterpretationen. Die Beschäftigung mit den deutschslawischen Beziehungen setzte schon in seiner wissenschaftlichen Frühphase ein. Einen Vergleich der deutschen Markenverfassung mit den Verfassungszuständen des Landes in vordeutscher Zeit führt er in seiner Habilitationsschrift von 1941 durch, um zu klären, ob und inwieweit die fränkischen bzw. deutschen Eroberer vorhandene slawische Einrichtungen übernahmen und fortbildeten oder zerstörten und durch neue ersetzten. Er erwähnt hierbei die breite Zone der germanisch-slawischen Mischung bzw. die deutsch-slawische Berührungszone an der Saale, erwähnt die fränkische Ansiedlung von Slawen; „das Bewußtsein des völkischen Gegensatzes darf man in dieser Zeit in seiner Bedeutung keineswegs überschätzen“, „Slawen und Deutsche lebten keineswegs immer in der Erbfeindschaft, die ihnen gewöhnlich zugeschrieben wird“. Die Nachwirkungen slawischer Einrichtung in der politischen Verfassung der Marken schätzt Schlesinger bei grundsätzlicher Anerkennung der „Mischung deutscher und slawischer Elemente“ eher gering ein, denn die Deutschen ... waren die Herren im Lande und zudem die Träger einer weit überlegenen Kultur. So erklärt es sich, daß zwar in der niederen Sphäre des täglichen Lebens und im Namengut slawische Wörter, Einrichtungen und Bräuche erhalten blieben, daß aber in der Region des Staates deutsche Einrichtungen sich völlig durchsetzten48.

Nicht an allen der hier geäußerten Auffassungen hat Schlesinger in späterer Zeit festgehalten49, vor allem hat er die hier angesprochenen und kursorisch behandelten deutsch-slawischen Beziehungsfelder in den Nachkriegsjahrzehnten erheblich vertieft und ausgeweitet. Er suchte dabei die Eigenarten, die das Verfassungsleben der slawischen Stämme vor der deutschen Eroberung und Missionierung prägten, zu scheiden von den politischen, rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Elementen, die die Deutschen ins Land brachten und mit denen sie dieses umbauten, und suchte zu ermitteln, ob und in welcher Weise slawische 48 WS, Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 4), S. 209–243, Zitate S. 217, 218, 240. – Vgl. seine spätere Darstellung der slawischen Frühgeschichte in Thüringen in seinem Beitrag zum ersten Band der von ihm mitherausgegebenen „Geschichte Thüringens“, WS, Das Frühmittelalter, in: Geschichte Thüringens, hrsg. v. H. Patze u. W. Schlesinger, 1. Bd., 1968, S. 317–380, 429–435, hier S. 377–380, 435. 49 Vgl. zur erörterten Ableitung der Withasen aus nordgermanischem Einfluß auf die slawische staatliche Verfassung einerseits WS, Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 4), S. 228–230, andererseits WS, Die Verfassung der Sorben, in: Ders., Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, 1961, S. 7–47, 471, hier S. 27 Anm. 137 (zuerst 1960).



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 313

Einrichtungen von den Deutschen aufgegriffen und weitergebildet wurden. Daß die slawischen Verhältnisse vielfach nur aus späteren Quellen abzuleiten sind, zwang zu methodischer Vorsicht, etwa zur Erörterung der Frage, ob diese uns erkennbaren Formen der Sozialverfassung an slawischen Einrichtungen der vordeutschen Zeit anknüpfen, oder ob umgekehrt deutsche Einrichtungen lediglich slawisch benannt worden sind50.

Die frühmittelalterliche Ausgangslage schildert sein Aufsatz über „Die Verfassung der Sorben“, indem er die politische und Sozialverfassung der Sorben vor der fränkisch-deutschen Eroberung, ihre Gliederung in Kleinstämme, Siedlerverbände und Burgbezirke, ihre Scheidung in Fürsten, Herrenstand, unfreie Zeidler und Fischer und minderfreie Bauern aufhellt51. Eingehend untersucht er in Zusammenhang mit seiner sächsischen Kirchengeschichte die im Sorbenland, d.h. in den Diözesen Meißen, Merseburg, Naumburg-Zeitz und Magdeburg, bestehende (Nieder)Kirchenverfassung, und zwar in Auseinandersetzung mit den Thesen des Rechtshistorikers Heinrich Felix Schmid. Während Schmid vom einheimisch slawischen Charakter der Kirchenverfassung auf westslawischem Boden und von einem besonderen slawischen Eigenkirchenrecht ausgeht, tritt Schlesinger in diffizilen Betrachtungen zur Burgwardverfassung, zur Pfarrkirche, zur Zehntentrichtung, zur Kirchenbaulast und zur Ausstattung der Pfarrkirchen für den deutschen Charakter bzw. die deutsche Herkunft der sorbenländischen Kirchenverfassung ein, in dem Sinne, daß seine verschiedenen Rechtselemente Gepflogenheiten Altdeutschlands entstammten. Die eigenkirchenrechtlichen Elemente sind nach ihm aus dem deutschen Eigenkirchenwesen ableitbar, und die von Altdeutschland abweichende Ausstattung der Pfarrkirchen wurde unter Berücksichtigung der Eigentümlichkeiten slawischer Wirtschaftsweise vorgenommen. Die deutschen Gründer, Herren und Geistlichen der Kirchen suchten mit den ihnen aus der Missionierung im ostfränkisch-deutschen Reich vertrauten Methoden gegen die passive Resistenz der slawischen Bevölkerung den neuen Glauben im Lande zu verankern. Die Kirche des Sorbenlandes ist, soweit nationale Momente sich im kirchlichen Wesen des Mittelalters ausprägen, deutsch, sie ist Missionskirche, die sich in ihrer Gestaltung den Zuständen, die sie vorfand, stellenweise angepaßt hat, wie dies bei jeder Missionskirche der Fall ist, ohne daß dies ihrem von Haus aus deutschen Charakter den geringsten Eintrag tat.

50 WS, Verfassung der Sorben (wie Anm. 49), S. 30. 51 WS, Verfassung der Sorben (wie Anm. 49).

314 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Schlesinger betont nachdrücklich, daß er mit seiner These nicht die Kulturüberlegenheit der Deutschen über die Slawen unter Beweis stellen will, stattdessen haben geographische Lage und die allgemeine mittelalterliche Kulturbewegung dazu geführt, daß die westslawischen Völker durch deutsche Vermittlung der abendländischen Kulturgemeinschaft auch auf dem Gebiete der Kirchenverfassung eingefügt worden sind52. In seiner Untersuchung der bäuerlichen Gemeindebildung in den mittelelbischen Landen geht Schlesinger von der Dorfverfassung der Sorben aus, von der „villa“ als unterstem Siedel- und Agrarverband der unter deutscher Herrschaft stehenden Sorben, der nach seiner Einschätzung gewisse undeutliche Ansätze zur Gemeindebildung erkennen läßt. Von der Dorfverfassung des slawisch besiedelten Landes hebt er dann diejenige der frühzeitig nach dem Vorbild des angrenzenden Altdeutschland organisierten Orte und diejenige der erst in der Hochzeit der Ostsiedlung angelegten Dörfer ab. Letzteren wurden Freiheiten und Rechte gewährt, die in Altdeutschland nicht durchgängig üblich gewesen waren, die dadurch ausgebildete Dorfgemeinde war dann ein auf umfassende Ordnung des täglichen bäuerlichen Lebens gerichteter dauerhafter, genossenschaftlicher, rechtsfähiger, ortsgebundener Verband53. In seinen weitausholenden Betrachtungen zur Gerichtsverfassung des Markengebietes östlich der Saale vom 10. bis zum 13. Jahrhundert berührt Schlesinger im Hinblick auf die vielfachen Standesgerichte den deutsch-slawischen Ausgleich, der sich sowohl in der ministerialischen Schicht als auch im Bauernstand beispielsweise durch sozialen Aufstieg von Slawen wie der Supane und Withasen vollzogen hat. Er behandelt u.a. die Herkunft des vor der deutschen Kolonisation bestehenden Burggrafengerichtes, das für die minderfreie Landbevölkerung des Markengebiets zuständig war; er plädiert für seinen deutschen Ursprung wegen seiner aus dem Westen stammenden charakteristischen Elemente, auch wenn die von den Deutschen eingesetzten Schöffen, die Supane, Senioren und Eldesten durchaus Slawen sein konnten54. Schlesingers resümierender vergleichender Überblick über die wettinische und askanische Ostsiedlung in den Marken Meißen und Brandenburg zeigt die

52 WS, Die deutsche Kirche im Sorbenland und die Kirchenverfassung auf westslawischem Boden, in: Ders., Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 48), S. 133–157, 472f., bes. S. 156 (zuerst 1952). – Ders., Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Bd. I (Mitteldeutsche Forschungen 27/I), 1962, S. 285–288 (Zitat S. 288), 343–348, bes. S. 343. 53 WS, Bäuerliche Gemeindebildung in den mittelelbischen Landen im Zeitalter der deutschen Ostsiedlung, in: Ders., Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 49), S. 212–274. 54 WS, Zur Gerichtsverfassung des Markengebiets östlich der Saale im Zeitalter der deutschen Ostsiedlung, in: Ders., Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 49), S. 48–132, 471f., bes. S. 76–82, 92–104 (zuerst 1953).



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 315

Akzente, auf die er besonderen Wert legt55. Er geht den Spuren der slawischen Beteiligung an den Besiedlungsmaßnahmen nach und hebt zusammenfassend hervor, daß der Landesausbau nicht nur von deutschen Neusiedlern, sondern auch von den einheimischen Slawen getragen wurde, auch wenn er die Zahl der beteiligten Slawen nicht überschätzen will. Denn schließlich wurde die heimischen Bevölkerung von den eingewanderten Deutschen aufgesogen, entstanden in Obersachsen ebenso wie in Brandenburg deutsche Neustämme. Zur Erklärung dieses Ergebnisses analysiert Schlesinger den Umbau der Wirtschafts- und Dorfverfassung, da dieser den großen Ausgleichsprozeß zwischen Deutschen und Slawen überhaupt erst ermöglichte. Obwohl sich Schlesinger in seinen eigenen Spezialforschungen auf die mittelelbischen Lande konzentriert hat, erschien ihm für den Gesamtvorgang der deutschen Ostbewegung Böhmen von ausschlaggebender Bedeutung zu sein, wie er Herbert Grundmann im Dezember 1953 schrieb, als er die Ausarbeitung seines territorialgeschichtlichen Beitrages zu Gebhardts Handbuch anpackte. Im Zentrum der Landesgeschichte Ostdeutschlands steht m[einer] M[einung] nach Böhmen. Es ist das eigentliche Schicksalsland des deutschen Ostens und muß dementsprechend ausführlich behandelt werden56.

Er spielte damit auf dessen eigentümliche Stellung im Rahmen der deutschen Ostbewegung an57. Böhmen wuchs seit dem 10. Jahrhundert – im Gegensatz zu seinem slawischen Nachbarn Polen – in den deutschen Reichsverband hinein, mit einer aus der engen Verbindung zum deutschen Königtum abgeleiteten absoluten Sonderstellung und mit Bewahrung nahezu völliger Selbständigkeit nach innen. Die böhmischen Herrscher riefen – wie die polnischen Fürsten – seit dem 12. Jahrhundert deutsche Siedler ins Land, diese wanderten vor allem in eine 55 WS, Die mittelalterliche Ostsiedlung im Herrschaftsraum der Wettiner und Askanier, in: Deutsche Ostsiedlung in Mittelalter und Neuzeit (Studien zum Deutschtum im Osten 8), 1971, S. 44–64. 56 WS an Herbert Grundmann, 2.12.1953, in: NL Schlesinger, Nr. 65 (Briefdurchschlag; Briefausfertigung in: NL Herbert Grundmann, Universitätsarchiv Leipzig, Film Nr. 21, AufnahmeNr. 1302–1303). – Im Handbuchbeitrag heißt es dann: „... noch mehr durch die Tatsache, daß hier ein dauerhafter Ausgleich zwischen Slawen und Deutschen nicht gelang, ist Böhmen das eigentliche Schicksalsland des deutschen Ostens geworden.“ WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 560 (Aufl. 1955). 57 Zum Folgenden vgl. WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 559–568 (Aufl. 1955). – Ders., Die böhmischen Länder in der Geschichte der deutschen Ostbewegung, in: Zwischen Frankfurt und Prag. Vorträge der wissenschaftlichen Tagung des Collegium Carolinum in Frank­ furt/M. am 7. und 8. Juni 1962, hrsg. v. Collegium Carolinum. Forschungsstelle für die böhmischen Länder, 1963, S. 25–50.

316 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

breite, vorher wenig oder gar nicht besiedelte Zone entlang den Randgebirgen ein und überwogen zunächst in den meisten Städten. Die Deutschen brachten die westeuropäische Freiheit im deutschen Gewande, mit verschiedenartigen Freiheiten, die dann auch auf die tschechischen Bewohner in den Städten übertragen wurden. Im Zusammenleben und in der Auseinandersetzung mit den Deutschen gelangten die Tschechen zu einem Verständnis ihrer selbst, das sie zu großen Leistungen befähigte und Böhmens Herrscher zu Königen und Kaisern des Reiches aufsteigen ließ. Während sich in anderen Zonen der deutschen Ostbewegung ein Ausgleichsprozeß automatisch, ohne bewußte Zielsetzung, in diesem oder in jenem Sinne vollzog – in Pommern und Schlesien wurde die slawische Bevölkerung mit ihren Fürsten und Adligen den eingewanderten Deutschen assimiliert, genau umgekehrt verlief die Entwicklung im Kerngebiet des polnischen Staates –, lebten Deutsche und Tschechen in geschlossenen Siedelgebieten nebeneinander, zwischen ihnen trat kein ethnischer Ausgleich ein, ein Anzeichen für die innere Kraft, die beiden Gruppen innewohnte. Die Bildung eines deutschen „Neustammes“ wurde durch die geographische Lage der deutschen Siedelgebiete verhindert, die Deutschen nahmen vielmehr am böhmischen Landesbewußtsein teil. Der Dualismus der beiden Volkstümer blieb auf Dauer bestehen und bildete dann den Nährboden für die Nationalitätenkämpfe des 19. und 20. Jahrhunderts mit ihrem hochgezüchteten militanten Nationalismus. Schlesingers historische Einordnung der deutschen Ostbewegung, die er 1957 in seinem Aufsatz „Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung“ in einer großzügigen, weitgespannten Überschau vorgelegt hat58, beschränkt sich nicht auf den deutschen Osten und seine Großlandschaften, er bezieht wegen ihrer weiterreichenden Wirkungen die östlichen Nachbarräume und Nachbarvölker in seine Betrachtungen ein. Mit den einheimischen, keineswegs kulturlosen slawischen bzw. baltischen Völkern hatten die Deutschen sich auseinanderzusetzen, als sie nach Osten vordrangen, „und die Geschichte dieser Auseinandersetzung ist für Jahrhunderte der eigentliche Inhalt der Geschichte des deutschen Ostens gewesen“. Die „Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft von Deutschen und Slawen, die zur Schicksalsgemeinschaft geworden ist“59, führte zu zwei grundlegenden Ergebnissen, zur Bildung eines deutschen Ostens und zur Bildung eines östlichen Mitteleuropa. Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung war Ausdehnung der politischen Herrschaft, sie war Mission, sie war Siedlung, und sie war Ausbreitung westlicher Verfassungs-, Rechts- und Wirtschaftsformen 58 Zum folgenden vgl. WS, Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung, in: Historische Zeitschrift 183 (1957), S. 517–542, wiederholt in: Ders., Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm.), S. 447–469, 488 (danach hier zitiert). 59 Ebd., S. 450f.



Forschungen und Forschungskonzeptionen 

 317

in deutschem Gewande nach dem Osten. Den Ausdruck Kolonisation lehnt Schlesinger ab, da die Deutschen sich mit einer einheimischen, keineswegs kulturlosen, nirgends ausgerotteten Bevölkerung auseinanderzusetzen hatte und insbesondere die Leitung des Vorganges nicht im Mutterland, sondern bei den Kräften in den jeweiligen Landschaften, bei den deutschen oder slawischen Fürsten und bei dem einheimischen oder zugewanderten Adel, lag60. Zwei Fragestellungen rücken für Schlesinger in den Mittelpunkt. Zum einen: Warum und wie ist in einem Teil des Gesamtraumes die slawische Bevölkerung in einem langen Ausgleichs- und Einschmelzungsprozeß vom Deutschtum aufgesogen worden und in einem anderen Teil nicht? Zum anderen: Auf welche kulturelle Gegebenheiten stießen die einwandernden Deutschen in den slawischen Ländern, wie verhielten sich die mitgebrachten westeuropäischen Formen des Landesausbaues zu den vorgefundenen einheimischen? Zur Beantwortung der ersten Frage61 verweist Schlesinger auf die letztlich ausschlaggebende Rolle des deutschen Bauernstandes. Entstand eine breite deutsche Bauernschicht durch Ansiedlung von Zuwanderern, entwickelte sie auch die Kraft, sich in einem langen Prozeß die einheimische slawische Bevölkerung, mit der sie zusammenwohnte und zusammenwirtschaftete, anzugleichen und schließlich einzuschmelzen. Die Stämme der Obotriten und Lutizen, der Pomeranen und Sorben, die schlesischen Stämme, die baltischen Prußen und die Alpenslawen gingen unter solchen Voraussetzungen im Deutschtum auf und trugen dadurch zur Bildung deutscher Neustämme bei. Deutsche Städte bzw. deutsches Bürgertum, das in nicht-deutscher Umgebung auf sich allein gestellt war, vermochte dem Staatswesen seinen Charakter nicht aufzuprägen und auch im allgemeinen auf Dauer nicht zu halten, wurde selbst assimiliert. An dieser Stelle hebt Schlesinger die Bedeutung der mittelalterlichen Ostsiedlung für die deutsche Geschichte insgesamt mit zwei Grundtatsachen hervor. Dadurch, daß in ihrem Gefolge die großen Landesstaaten im Osten entstanden, verlagerte sich der Schwerpunkt Deutschlands spätestens seit dem Beginn des 14. Jahrhunderts für etwa ein halbes Jahrtausend in den Osten. Dieser an sich bekannten, vielfach beachteten Tatsache stellt er eine andere, gerade in de Zwischenkriegszeit unerörtert gebliebene Tatsache mit sehr großem Nachdruck zur Seite: Im Verlaufe

60 Zur Diskussion um den Begriff Kolonisation vgl. auch: WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 539 (Aufl. 1955). – Ders., Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung und die deutsche Ostforschung, in: Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung. Referate und Aussprachen der wissenschaftlichen Jahrestagung des Johann-Gottfried-Herder-Forschungsrates vom 7. bis 9. März 1963, 1964, S. 7–46; wiederabgedruckt in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 46 (1997), S. 427–457 (danach im Folgenden zitiert), hier S. 451. 61 Vgl. dazu ferner WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 534f. (Aufl. 1955).

318 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

und als Folge der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung ging in beträchtlichem Umfange Bevölkerung slawischer und auch baltischer Herkunft im deutschen Volk auf. Die Stämme der Elb- und Ostseeslawen wurden zwar zwischen Deutschland und Polen politisch, aber nicht in ihrer Bevölkerungssubstanz aufgerieben. „In dieser Begegnung vom Deutschtum und Slawentum ... ist der deutsche Osten das geworden, was er war“62. An den deutschen Osten schloß sich, geschaffen ebenfalls zu einem nicht geringen Teil durch das Ergebnis der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung, das östliche Mitteleuropa an. Deutsche Siedler wurden von einheimischen Fürsten zur Steigerung ihrer Macht ins Land gerufen, sie brachten die ihnen aus Innerdeutschland vertrauten Formen des Landesausbaues mit ihren wirtschaftlichen, rechtlichen und sozialen Elementen mit. Die Stadt im Rechtssinne wurde nach Böhmen und Polen verpflanzt ebenso wie das deutsche Recht, das die deutschen Siedler mitbrachten, im Osten weiterbildeten und das dann von der Volkszugehörigkeit gelöst und auf einheimische Bürger, Bergleute und Bauern übertragen wurde; die Rechtsstellung und damit zugleich die Lebensformen breiter Bevölkerungsschichten wurden dadurch planmäßig geändert. Allerdings stießen die Deutschen nicht auf ein kulturelles Vakuum, die Stadt mit dem freiheitlichen westlichen Stadtrecht – um nur ein Beispiel zu nennen – baute durchaus auf einem „vorkolonialen“ westslawischen Städtewesen auf. Die Kulturträgerthese – d.h. die Deutschen hätten den kulturellen Fortschritt nach Ostmitteleuropa gebracht – verwirft Schlesinger unter Hinweis auf ein europäisches, südwestlich-nordöstliches Kulturgefälle, durch das den Deutschen das antik-christliche Kulturerbe vermittelt worden sei63. Er faßt das Ergebnis der mittelalterlichen Ostbewegung in den Sätzen zusammen: Sie unterwarf die Völker des östlichen Mitteleuropa einem kulturellen Beschleunigungsprozeß, der sie in verstärktem

62 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 466. – An der Ablehnung seines ehemaligen Mitarbeiters Wolfgang Fritzes scheiterte Schlesingers Absicht, in der Mitteldeutschen Forschungsstelle nach deren Errichtung von diesem einen Aufgabenbereich „Die Slawen im Gebiet der SBZ, Siedlung, Verfassung, Wirtschaft, Zusammenleben mit den Deutschen und vor allem die schließliche Eindeutschung“ bearbeiten zu lassen. Vgl. WS an Wolfgang Fritze, 3.1.1964, in: NL WS, Nr. 63. 63 Vgl. Schlesingers Formulierung von 1955: „Das deutsche Element gewann in der Folgezeit weitgehend die Oberhand. Entscheidend hierfür war der kulturelle Vorsprung des europäischen Südens und Westens, wo in der Begegnung der Germanen mit der christlichen Antike die abendländische Kultur des Mittelalters entstanden war, vor dem Nordosten, dem Wohngebiet der dem Christentum und damit dieser Kultur sehr viel später gewonnenen Slawen. Gleichsam eine Phasenverschiebung zeichnet sich ab, wie sie auch zwischen Gallien und dem rechtsrheinischen Deutschland erkennbar ist. Ein dauerndes Zurückbleiben bedeutete dies weder hier noch dort“. WS, Die deutschen Territorien (wie Anm. 34), S. 539 (Aufl. 1955).



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 319

Maße an den europäischen Westen heranzog und sie so endgültig zu integrierenden Bestandteilen des Abendlandes machte64.

IV. „Ostmitteleuropaforschung“ statt IV. „zeitbedingter deutscher Ostforschung“: IV. der Dialog der deutschen mit den polnischen IV. und tschechischen Historiographien „Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“

Schlesingers Beurteilung der deutschen Ostbewegung und Ostsiedlung erschließt sich gerade im Rahmen einer historiographischen Betrachtung erst in vollem Umfange, wenn man sie in die allgemeine Forschungslage zum Zeitpunkt ihrer Abfassung hineinstellt und ihre damaligen Kontrahenten einbezieht. Sein 1957 veröffentlichter, eben referierter Aufsatz „Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung“ sucht jenseits der gelehrten Einzelforschungen den historischen Vorgang insgesamt in den Blick zu nehmen und grundsätzlich in seiner Bedeutung zu klären, und er zieht damit die allgemeinen Schlußfolgerungen aus seinem Handbuch-Beitrag von 1955 über die östlichen 64 Vgl. auch seine Aussage von 1970: „Sehr viel stärker als vor dreißig Jahren ist uns heute zudem bewußt, daß der landschaftlich gegliederte deutsche Gesamtraum wiederum nur ein Teil eines geschichtlichen Kraftfeldes ist, das, wenn wir es als Europa bezeichnen, auch für die Frühzeit nicht an der Elbe-Saale-Linie enden kann, sondern das gesamte Westslaventum einschließt, und zwar so einschließt, daß der Standort des Betrachters nicht allzu weit westlich gewählt werden darf“. WS, Stand (wie Anm. 6), S. 145. – Backhaus (wie Anm. 41), S. 25, beurteilt Schlesingers Aufsatz von 1957 folgendermaßen: „Schlesingers Revision ging 1957 noch nicht allzu weit: Inhaltlich hielt er an dem Begriff einer deutschen Ostbewegung fest, er reinigte ihn nur von gewissen nationalistischen Übersteigerungen, betonte die vernachlässigte Rolle der Slawen und definierte den nationalen Begriffsinhalt im Rahmen der Abendideologie der fünfziger Jahre neu. Eine wirklich grundlegende Neubestimmung folgte erst 1970 (1975) in dem einleitenden Beitrag [Schlesingers] zu den Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises über ,Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte‘“. Abgesehen von der plakativen und eher politischen als wissenschaftlichen Deutung des Aufsatzes (mit einer verfehlten Zuordnung Schlesingers zur Abendlandideologie, vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Schlesinger und Manfred Hellmann vom 31.12.1956, 7.1.1957, 8.1.1957, in: NL WS, Nr. 67, jetzt kurz referiert bei Nagel, Im Schatten [wie Anm. 1], S. 193f., abgedruckt unten Quellenanhang 1.a-c) übersieht Backhaus gänzlich, daß alle wesentlichen Elemente von Schlesingers Neuinterpretation der Ostbewegung bereits in seinen Arbeiten der 1950er und frühen 1960er Jahre voll ausgeprägt sind und sein Reichenau-Vortrag von 1970 darauf mit eher geringfügigen Ergänzungen aufbaut. Die „wirklich grundlegenden Neubestimmung“ erfolgte eben, was historiographisch einen entscheidenden Unterschied für die Beurteilung der Nachkriegszeit ausmacht, bei Schlesinger bereits in der Mitte der fünfziger Jahre.

320 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

deutschen Territorien, der nicht bloß Landesgeschichten additiv aneinanderreiht, sondern im Kern seiner Gedankenführung um die Ursachen und Wirkungen von slawischer Westbewegung und deutscher Ostbewegung kreist. Schlesingers drückte das zentrale Anliegen seines Aufsatzes in einem Brief an Manfred Hellmann vom Januar 1957 folgendermaßen aus: „Mir geht es in erster Linie um die Erkenntnis dessen, was die mittelalterliche deutsche Ostbewegung für das gesamte Deutschland und für Europa bedeutet“65. Implizit und explizit wendet er sich in dem Artikel von 1957 sowie in seinem Vortrag von 1963 „Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung und die deutsche Ostforschung“66 gegen die maßgeblichen Interpretationsmuster und die leitenden Fragestellungen, unter denen die sog. deutsche Ostforschung in der Zwischenkriegszeit und noch darüber hinaus in ihrer Auseinandersetzung mit den nationalen Historiographien der ostmitteleuropäischen Staaten das deutsch-slawische Verhältnis in Ostdeutschland und in Ostmitteleuropa behandelt hat. In zurückhaltender, aber deutlicher Weise formuliert er 1957 Ansatzpunkt und Zielrichtung seiner Überlegungen folgendermaßen: Die deutsche Forschung ... wird bereit sein müssen, unter dem Eindruck der großen Wende, an der wir auf allen Gebieten stehen, auch das überkommene Bild von der Geschichte des deutschen Ostens und insonderheit der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung einer Prüfung zu unterziehen ... Sie wird, um bittere Erfahrungen reicher, nicht von vornherein ablehnen dürfen, in manchem oder auch in vielem umzudenken, in der klaren Erkenntnis, daß die Übertreibungen und Einseitigkeiten des Volkstumskampfes nach dem ersten Weltkrieg und vollends der nationalsozialistischen Zeit einer gründlichen und bewußten, nicht nur unausgesprochenen Revision bedürfen67.

1963 wiederholt, vertieft und erweitert er die Grundzüge seiner Auffassung, spitzt sie aber im Ton und in der Sache erheblich zu, so daß die Auseinandersetzung mit anderen, insbesondere den älteren Positionen der deutschen Ostforschung und seine eigenen wissenschaftlichen Interpretationen und Ziele noch deutlicher sichtbar werden68.

65 WS an Manfred Hellmann, 7.1.1957, in: NL WS, Nr. 67, abgedruckt unten Quellenanhang 1.b. 66 Vgl. oben Anm. 60. 67 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 449. 68 Vgl. auch Nagel, Im Schatten (wie Anm. 1), S. 131–136. Nachdrücklich zu bestreiten ist allerdings ihre Auffassung, Schlesinger habe mit seinem Vortrag in dem seit Ende der fünfziger Jahre einsetzenden innenpolitischen Klimawandel in der Bundesrepublik einer wissenschaftlichen Bestandsaufnahme nicht mehr aus dem Wege gehen können (S. 131). Schlesinger legte hier bereits in den fünfziger Jahren entwickelten Auffassungen in pointierter Form vor und beförderte damit selbst den geschichtswissenschaftlichen Wandel.



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 321

Schlesingers harte Kritik setzt an der Analyse der allgemeinpolitischen und wissenschaftspolitischen Lage nach 1918 an, unter deren maßgeblichem Einfluß die Ostforschung ihre Untersuchungen anstellte und ihre Thesen entwickelte. Und sie geht dann dazu über, die vom Politischen bestimmten wissenschaftlichen Grundannahmen in ihrer Einseitigkeit offenzulegen und die Grundzüge einer eigenen Konzeption dagegenzustellen. Es ist, ohne daß das damals noch ungewöhnliche Wort gebraucht wird, ein Stück Ideologiekritik, das Schlesinger hier liefert. Nach 1918 waren die geschichtswissenschaftlichen Zielsetzungen beider Seiten, der deutschen ebenso wie der tschechischen oder polnischen Historiker, durch politische Gegenwartsfragen bestimmt, die einen wollten Revision, die anderen Sicherung des Erworbenen, die einen Autonomie der deutschen Minderheiten in den neugeschaffenen Nationalstaaten, die anderen straffe staatliche Zusammenfassung. Wer diese Ziele wie damals alle Beteiligten historisch begründen wollte, stieß unweigerlich auf die mittelalterliche Ostbewegung und ihre Sachfragen, denn sie hatte die nationalen Verhältnisse geschaffen, an denen sich jetzt die aktuellen Kämpfe entzündeten. In dieser Situation empfing die deutsche Ostforschung – ebenso wie die ihr entgegengestellte polnische Westforschung – ihre Antrieb im wesentlichen vom Politischen her. Schlesinger ist weit davon entfernt, wegen dieser Ausgangslage alle damals erreichten Ergebnisse der Ostforschung in Bauch und Bogen verwerfen zu wollen, er erkennt durchaus an, daß sie ernste, saubere, jeder sachlichen Kritik standhaltende Forschungsarbeit geleistet hat. Aber er hält ihr den von ihr eingenommenen Ausgangspunkt und die daraus entspringenden Folgerungen vor. Er wirft ihr nämlich vor, „daß sie ihren Standpunkt einseitig gewählt hatte: sie betrachtete die Dinge nur von Deutschland her, die notwendige Ergänzung hatte man der anderen Seite überlassen“. Er belegt seine Einschätzung bewußt mit einem Zitat seines Lehrers Kötzschke aus dessen Vorwort von 1937 zu seiner „Geschichte der Ostdeutschen Kolonisation“: „Nur die geschichtliche Darstellung der deutschen Siedlung im Osten selbst ist Aufgabe und Gegenstand dieser Schrift“. Schlesinger urteilt darüber, daß die Einseitigkeit ... der deutschen Forschung bewußt war. Eine Folgerung wurde aber aus den Einsichten, die solchen Äußerungen zugrunde liegen müssen, nicht gezogen, und so konnte es ganz folgerichtig nicht zu einer eigentlichen Ostmitteleuropaforschung kommen69.

Zur Festschrift für Albert Brackmann „Deutsche Ostforschung“ von 1942/43 bemerkt er: Es geht nicht um Ostmitteleuropa allgemein, sondern es geht um die Deutschen und ihre Leistung in diesem Raume ... Die Ostvölker erscheinen ... gleichsam nur als Objekte der 69 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 439.

322 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Kolonisation. ... Es ist nicht Ostmitteleuropaforschung, die dargeboten wird, sondern eben zeitbedingte deutsche Ostforschung70.

Er erkennt zwar die deutschen Forschungsleistungen der Zwischenkriegszeit an, hält ihr aber umso nachdrücklicher die von ihr bewußt oder unbewußt beachteten Grenzen vor: „Nur wird man aus den Arbeiten dieser Forschungsrichtung ... nicht den Gesamtcharakter des bearbeiteten Gebiets zu bestimmen sich unterfangen dürfen“71. Diese Gedanken trug Schlesinger im März 1963 den Mitgliedern des Johann Gottfried Herder – Forschungsrates und des Johann Gottfried Herder – Instituts auf dessen Jahrestagung vor und weckte damit einigen Widerspruch, waren die von ihm so deutlich kritisierten Forschungspositionen gerade in deren Reihen und von ihren maßgeblichen Historikern, mit Hermann Aubin72 an der Spitze, vertreten worden73. Schlesingers Vertrauter Wolfgang Fritze kommentierte die Marburger Debatte mit der trefflichen Bemerkung: Daß Sie bei ihrem Marburger Vortrag einen schweren Stand gehabt haben, will ich wohl glauben. Sie haben ja auf das Zentrum der Brackmann-Aubinschen Arbeit geschossen. ... Ihre Forderung, an die Stelle einer suspekten sogen. Ostforschung eine OstmitteleuropaForschung zu setzen, trifft ins Schwarze. Das ist genau das, was wir brauchen; prägnanter hätte man es schlechterdings nicht formulieren können74. 70 Ebd., S. 435. 71 WS, Zur Problematik der Erforschung der deutschen Ostsiedlung, in: Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte, hrsg. v. WS u. Herbert Ludat (Vorträge und Forschungen 18), 1975, S. 11–30, hier S. 19. 72 E. Mühle, Für Volk und deutschen Osten. Der Historiker Hermann Aubin und die deutsche Ostforschung (Schriften des Bundesarchivs 65), 2005; vgl. dazu aber die Rezension von C. Tilitzki, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 52 (2006), S. 377–380. 73 Zu den ersten Nachkriegsdiskussionen um die Fortführung der deutschen Ostforschung in den im Forschungsrat und Institut vereinigten Wissenschaftlerkreisen bis hin zu Schlesingers Vortrag von 1963 vgl. E. Mühle, ,Ostforschung‘. Beobachtungen zu Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 46 (1997), S. 317–350, hier S. 336–345. – Wie sehr sich Aubin durch Schlesingers Urteile übdr die deutsche Ostforschung der Zwischenkriegszeit getroffen fühlte, gibt seine Bemerkung in der Diskussion zu erkennen: „Wir können jetzt nicht in ein Scherbengericht über die vergangene Zeit eintreten“. Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 150. 74 Wolfgang Fritze an WS, 27.4.1963, in: NL WS, Nr. 63, abgedruckt unten Quellenanhang 5.a. – Vgl. noch Fritzes eigene scharfe Kritik an Brackmanns Auffassungen, insbesondere an dessen Übernahme der Kulturträgertheorie, der sich Schlesinger anschloß. Wolfgang Fritze an WS, 24.7.1969 u. 31.7.1969, WS an Wolfgang Fritze, 12.8.1969; ebd. – Beachte ferner Ludats Reaktion auf Schlesingers Vortrag, Herbert Ludat an WS, 12.3.1963, WS an Herbert Ludat, 26.3.1963, Herbert Ludat an WS, 16.4.1963 u. 9.5.1963; ebd. – Zu den Positionen Aubins und v.a. Brackmanns vgl. G. Althoff, Die Beurteilung der mittelalterlichen Ostpolitik als Paradigma für zeitgebundene



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 323

Die Revision der deutschen Ostforschung aus der Zwischenkriegszeit hatte Schlesinger selbst schon Mitte der 50er Jahre als dringende Notwendigkeit empfunden. Als er seinen Gebhardt-Beitrag erarbeitete, schrieb er Grundmann im April 1954 zu seinem Anliegen: Die gesamte nach 1918 erschienene Literatur ist irgendwie einseitig. Sie werden bemerken, daß ich mich um einen objektiven Standpunkt bemüht habe. ... Grundsätzlich ist zu sagen, daß eine Kenntnis der Geschichte der slawischen Frühzeit für die deutsche Geschichte unerläßlich ist. ... Lange habe ich mir überlegt, ob ich die Frühzeit zusammenfassend behandeln oder auf die einzelnen Territorien verteilen soll, doch scheint mir der erste Weg der richtigere zu sein75.

Als er sich etwa zur selben Zeit gutachtlich über den ostdeutschen Landeshistoriker und Ostmitteleuropahistoriker Herbert Ludat äußerte, rühmte er besonders dessen Bemühungen um die Überwindung der deutsch-slawischen Wissenschaftskontroversen der Zwischenkriegszeit und gab dabei indirekt seine eigene gleichartige Auffassung zu erkennen. Überhaupt gehört L[udat] zu denjenigen Gelehrten einer jüngeren Generation, die in Abkehr von der polemischen und apologetischen Tendenz deutscher Ostforschung zwischen den beiden Weltkriegen, wie sie in den Jahren des Volkstumskampfes gewiß nicht ohne Grund das Feld beherrschte, neue Wege der nach wie vor nötigen Auseinandersetzung zwischen deutscher und slawischer Forschung suchen und weniger das Trennende als das Verbindende herausstellen.

Nachdrücklich hob er Ludats „wie ein Signal“ wirkenden, „bahnbrechend[en]“ Aufsatz „Die Slawen und das Mittelalter“ von 1952 hervor, da darin „die oft nicht genügend gewürdigte Leistung der slawischen Völker für die Ausformung des abendländischen Mittelalters“ klar herausgestellt worden sei76. Im Januar 1957 schilderte er seine Lage gegenüber seinen wissenschaftlichen Kontrahenten im Umkreis des Johann Gottfried Herder – Instituts gegenüber Manfred Hellmann folgendermaßen: Wenn Sie das Gefühl haben, daß gegen die Richtung eines bestimmten Instituts polemisiert wird, so liegt dies daran, dass die Richtung dieses Instituts in der wissenschaftlichen Erörterung viele Jahre lang ganz einseitig hervorgetreten ist und eben teilweise auch heute noch hervortritt. Dann fällt es natürlich auf, wenn plötzlich einmal andere Meinungen geäußert werden. ... Mir ist ... nicht erinnerlich, dass jemand einmal expressis verbis von Geschichtsbewertung, in: Die Deutschen und ihr Mittelalter. Themen und Funktionen moderner Geschichtsbilder vom Mittelalter, hrsg. v. G. Althoff, 1992, S. 147–164, 210–217, hier S. 152–161. 75 WS an Herbert Grundmann, 10.4.1954, in: NL WS, Nr. 65. 76 NL WS, Nr. 71.

324 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

jener anderen Richtung abgerückt wäre ... Ein ausdrückliches Abrücken scheint mir aber nötig zu sein77.

In welcher Weise Schlesinger abrückte und wo er sich selbst neu aufstellte, ist hoffentlich durch meine vorhergehenden Ausführungen schon deutlich geworden. Beispielhaft seien hier noch weitere seiner Kritikpunkte an der älteren Forschung angeführt. „Festzuhalten ist, dass man sich nach dem Nachweis deutscher Zuwanderung über Verbleib und Schicksal der slawischen Bevölkerung wenig Gedanken machte“78. Vor diesem Hintergrund wirkt die oben zitierte Bemerkung über die strukturelle Eigenart des deutschen Ostens79 wie eine Replik, weil sie den slawischen Anteil an der deutschen Geschichte und an der Bildung des deutschen Volkes so nachdrücklich hervorhebt. Schlesinger verwarf die in der Zwischenkriegszeit zur Abwehr polnischer Ansprüche bevorzugte Einordnung der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung als „Wiederbesiedlung“ ostdeutschen Volksbodens, da die Begriff deutsch und germanisch vermengt würden; ein deutsches Volk entstand frühestens im 9. Jahrhundert, als die Slawen östlich von Elbe und Saale längst schon ansässig geworden waren80. Er legte besonderen Wert darauf, Eigenart und Leistung der Slawen im Rahmen der hochmittelalterlichen Siedlungsbewegung gebührend zu würdigen, weil er darin die Voraussetzung für die Wiederaufnahme einer sachlichen wissenschaftlichen Diskussionen mit den ostmitteleuropäischen Ländern sah. Den Wiederabdruck von Kötzschkes Aufsät-

77 WS an Hellmann, 7.1.1957 (wie Anm. 65). Hellmann hatte in seinem voraufgegangenen Schreiben vom 31.12.1956 nach seiner Lektüre von Schlesingers Vortragsmanuskript bemerkt, dessen Polemik richte sich u.a. „gegen die restaurativen Bestrebungen gewisser in einem bestimmten Marburger Institut zentralisierter ,Unbelehrbarer‘. ... Das Schwergewicht [sc. in Schlesingers Kritik] liegt ganz offensichtlich bei den Angriffen auf die restaurativen ,Ostlandreiter‘ (wie ich sie nennen möchte).“ Siehe unten Quellenanhang 1.a-b. – Vgl. auch Schlesingers Replik auf Papritz’ Verteidigung der deutschen Ostforschung in der Diskussion über seinen Marburger Vortrag von 1963: „Wenn ich vielleicht etwas schroff pointiert habe, dann deshalb, weil dies [sc. das von ihm herausgestellte Ideal historischer Forschung] offensichtlich manchmal nicht angestrebt ist“. Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 157. 78 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 437. 79 Vgl. Anm. 39. 80 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 451. – Vgl. Ders., Mittelalterliche deutsche Ost­ bewegung (wie Anm. 60), S. 436. – 1963 kritisierte Schlesinger, daß die 1961 erschienene dritte Auflage der „Geschichte Schlesiens“ immer noch wie in der ersten Auflage von 1938 für die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung den Ausdruck „Wiederbesiedlung“ gebrauche. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12 (1963), S. 461f. – In seiner Habilitationsschrift von 1941 hatte Schlesinger selbst in Bezug auf das mittelelbische Sorbenland davon gesprochen, daß „durch lange Jahrhunderte germanisch besiedeltes Gebiet dem Deutschtum wiedergewonnen“ worden sei; WS, Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 4), S. 209f.



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 325

zen zu Deutschen und Slawen im mitteldeutschen Osten begründete er damit, daß Kötzschkes wissenschaftliches Interesse und Sorgfalt gleichermaßen den Deutschen und Slawen gegolten hätten und er bei aller berechtigten Betonung der wirtschaftlichen und rechtlichen Überlegenheit der deutschen Siedler die Leistung der heimischen slawischen Bevölkerung nicht geleugnet habe. Hier sind fruchtbare Ansätze zu einer Überwindung jener politisch begründeten Spannungen erkennbar, welche die wissenschaftlichen Beziehungen der Deutschen zu ihren östlichen Nachbarn auf das schwerste belastet haben.81

Mit besonderem Nachdruck plädierte Schlesinger grundsätzlich dafür, die deutsche Ostsiedlung nicht isoliert, allein vom Standort deutscher Volksgeschichte aus, darzustellen, sondern die slawische Bevölkerung, die sie antraf und die an ihr mitwirkte, gleichberechtigt in die Debatte einzubeziehen und somit den zweiseitigen Charakter des Gesamtvorganges hervorzuheben: Die Untersuchung sollte nicht nur dem gelten, was die zuwandernden Deutschen mitbrachten, sondern auch dem, was sie vorfanden. ... Nur so werden wir den Anteil auch heimischer Kräfte am Landesausbau richtig bemessen können, und nur so werden wir auch das geschichtliche Phänomen in den Griff bekommen, das mir im Rahmen der deutschen Geschichte das wichtigste Ergebnis der deutschen Ostsiedlung zu sein scheint, die Bildung der sogenannten deutschen Neustämme nämlich, die das Resultat eines Ausgleichsprozesses sind82.

Als Schlesinger 1957 mit Ludat die Konzeption für ein Regestenwerk zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation erwog, bevorzugte er unter den inhaltlichen Auswahlkriterien die Einstellung auf das Zusammenleben der deutschen mit den slawischen Völkern, dazu mit den Balten und Ungarn, und auf den Ausgleich, der in weiten Gebieten schließlich eingetreten ist. ... im Vordergrunde stünde die Eindeutschung der Slawen im deutschen Osten und die Slawisierung der Deutschen im östlichen Mitteleuropa. ... Vor allen Dingen müsste die slawische Seite mit berücksichtigt werden, d.h. alle Nachrichten über Slawen in den Urkunden müssen gesammelt werden. ... Man müsste das ganze nach der sozialgeschichtlichen Seite hin akzentuieren, also die sozialen Gruppen ins Auge fassen ...83.

Allerdings war er sich in der durch seine maßgebliche Beteiligung geänderten Forschungslage der Gefahr bewußt, den slawischen Anteil am hochmittelalter81 WS, Vorwort, in: R. Kötzschke, Deutsche und Slaven im mitteldeutschen Osten. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. v. WS, 1961, S. VII–XII, Zitat S. XI. 82 WS, Problematik (wie Anm. 71), S. 22. 83 WS an Herbert Ludat, 23.7.1957, in: NL WS, Nr. 71, abgedruckt unten Quellenanhang 2.

326 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

lichen Landesausbau zu überschätzen. „Es gilt, das Maß dieser slavischen Beteiligung festzustellen und nicht das Pendel im Gegensatz zu bisherigen Annahmen nun ins andere Extrem ausschlagen zu lassen“84. Er war davon überzeugt, daß es ein vorkoloniales westslawisches Städtewesen gegeben hatte, vergleichbar den Burgstädten der Frühzeit zwischen Rhein und Elbe, hielt aber andererseits daran fest, daß das freiheitliche westliche Stadtrecht und damit also die Stadt im Rechtssinne von Deutschland nach Böhmen und Polen verpflanzt worden war. Allerdings betonte er, daß dieses Stadtrecht nicht in Deutschland entstanden, also nicht „deutsches Stadtrecht“ sei, sondern wohl einem freiheitlichen fränkischen Siedlerrecht entsprungen und überall in Europa zum Zuge gekommen sei85. Energisch und wiederholt wies er die Behauptung von der mangelnden staatsbildenden Kraft der Westslawen zurück, indem er das im Kern slawisch gebliebene Böhmen dagegen hielt: den mächtigsten Landesstaat im Reich, mit der frühesten und durchgreifendsten Ausbildung des geschlossenen Flächenstaates, mit einem frühen transpersonalen Symbol der Krone86. Er hob hervor, daß Böhmen, Polen, Ungarn nicht unter äußerem, d.h. deutschen, Druck, sondern gemäß dem Willen der einheimischen Fürsten und Adligen das Christentum angenommen und sich damit freiwillig in das politische System des mittelalterlichen Europa eingegliedert hätten87. Seine einzelnen Argumentationen vereinigen sich in dem Zielpunkt, den aktiven, eigenständigen und eigenwertigen Anteil der slawischen Völker an der europäischen Geschichte hervorzuheben und sie von der Rolle bloß passiver Empfänger höherer deutscher Kulturwerte zu befreien. Auch wenn Schlesinger deutliche, ja zuweilen harsche Kritik in erster Linie an der älteren deutschen Ostforschung übte, in der Überzeugung, wie er es einmal ausdrückte, daß „wir Deutsche ... gewiß allen Anlaß [haben], vor unserer eigenen Tür zu kehren“88, zögerte er nicht, ostmitteleuropäischen Historikern zu widersprechen, wenn ihre Auffassungen nach seiner Einschätzung nicht als sachgemäß und unparteiisch einzustufen waren. Er war sich darüber im klaren, daß polnische und tschechische Ängste um den Fortbestand der politischen Neuordnung von 1945 ihr Urteil über das geschichtliche Verhältnis zu den Deutschen und auch zur deutschen Ostbewegung weitgehend bestimmten89. Er war zwar 84 WS, Stand (wie Anm. 6), S. 152 (eine Publikation von 1970!). 85 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 460f. – Ders., Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 449f. 86 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 454. – Ders., West und Ost (wie Anm. 40), S. 244–247. – Ders., Die Böhmische Länder (wie Anm. 57), S. 37f., 40. 87 WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 456. – Ders., Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 448f. 88 Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 427. 89 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 446–448.



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 327

bereit, über Ausmaß und Bedeutung des deutschen Anteils am hochmittelalterlichen Landesausbau zu streiten, aber nicht bereit hinzunehmen, daß dieser Anteil gänzlich verschwiegen wurde. Am meisten fühlte er sich getroffen, wenn er die Überzeugung gewann, daß der Gesprächspartner aus außerwissenschaftlichen, politischen Erwägungen heraus allgemein anerkannte Grundsätze geschichtswissenschaftlicher Methodik verließ. Als der polnische Mediävist Gerard Labuda Schlesingers und Helmut Beumanns Urkundenstudien zur Ostpolitik Kaiser Ottos III.90 einer eingehenden Kritik unterzog, erbosten ihn nicht so sehr dessen abweichenden inhaltlichen Deutungen, und er nahm es auch recht gelassen hin, daß Labuda aus seinen historischen Darlegungen zu politischen Planungen des späten 10. Jahrhunderts die Rechtfertigung eines Verlangens nach Änderung der Oder-Neiße-Grenze herauszulesen glaubte. Aber er war entsetzt darüber, daß sein Kontrahent seiner Interpretation den urkundenkritischen Grundsatz zugrunde gelegt hatte, man müsse die inneren Merkmale einer Urkunde über die äußeren stellen – damit war allerdings eine Grundregel der europäischen Diplomatik seit Theodor von Sickel (1861), der Vorzug der äußeren Merkmale vor den inneren bei der kritischen Behandlung einer Urkunde, in ihr Gegenteil verkehrt worden war91. „Es spricht nicht mehr allein das Ressentiment, sondern es werden die Grundsätze unserer Wissenschaft bewusst verlassen“, bemerkte Schlesinger brieflich dazu und rechtfertigte seinen deutlichen Widerspruch damit, „dass eine fruchtbare Auseinandersetzung, ja eine Auseinandersetzung überhaupt, auf diesem Boden nicht möglich ist“. Er stellte aber im selben Atemzug ein positives Beispiel dagegen. Wie ganz anders eine solche Auseinandersetzung verlaufen könnte, zeigt etwa der Aufsatz von Fr[antišek] Graus über die sogenannte germanische Treue (Historica I)92, der m.E. eben-

90 WS u. H. Beumann, Urkundenstudien zur deutschen Ostpolitik unter Otto III., in: Archiv für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde 1 (1955), S. 132–256, wiederabgedruckt in: WS, Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 48), S. 306–412, dazu Bemerkungen und Zusätze von 1961 ebd., S. 479–487. 91 Vgl. Schlesingers gedruckte Kritik an Labudas Stellungnahme, in: Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 48), S. 480. – Ferner WS, in: Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 447. – Zu Labudas allgemeinen Beurteilungen der deutschen Ostforschung vgl. W. Borodziej, „Ostforschung“ aus der Sicht der polnischen Geschichtsschreibung, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 46 (1997), S. 405–426, hier S. 413, 420f., 423. 92 Gemeint ist: F. Graus, Über die sogenannte germanische Treue, in: Historica 1 (1959), S. 71– 121. – Schlesinger reagierte auf Graus’ Thesen in seinem Aufsatz: Randbemerkungen zu drei Auf­ sätzen über Sippe, Gefolgschaft und Treue, in: Ders., Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. I: Germanen, Franken, Deutsche, 1963, S. 286–334, hier S. 316– 334. – Zu dieser bedeutsamen, außerhalb des Themas dieses Aufsatzes liegenden Kontroverse vgl. Nagel, Im Schatten (wie Anm. 1), S. 127–130, deren Darstellung allerdings erheblich darunter

328 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

falls zu ganz falschen Ergebnissen kommt und in dem das tschechische Ressentiment sehr deutlich ist, in dem aber doch der methodische Boden strenger Wissenschaft niemals verlassen wird93.

Schlesinger begrüßte die Konzeption des (exil-)polnischen Historikers Oskar Halecki über die räumliche Gliederung der europäischen Geschichte, die den Kontinent in vier Teile gliederte und dabei ein deutsches Mitteleuropa von einem nichtdeutschen, slawisch geprägten Mitteleuropa unterschied. Er nahm es nicht hin, daß die beiden Geschichtsräume inhaltlich in der Weise gefüllt wurden, daß hier eine (westeuropäische und westslawische) Welt der Freiheit und des Friedens einer (deutschen und russischen) Welt der Unterdrückung und der Aggression gegenübergestellt wurden. Aber er begnügte sich nicht mit der bloßen Zurückweisung vieler unsachgemäßer und parteiischer Schiefheiten, sondern fragte nach den Ursachen einer solchen Einstellung in bitteren politischen Erfahrungen, setzte also auch hier, wenn man es so ausdrücken will, zur Ideologiekritik an, jedoch nicht um die andere Darstellung abzuwerten, sondern um Verständnis für deren Einseitigkeit zu gewinnen und diese zur Überprüfung der eigenen Auffassungen zu nutzen94. Die vorrangige kritische Auseinandersetzung mit der eigenen deutschen historiographischen Tradition und die dazugehörige Einbeziehung und Berücksichtigung der anderen nationalen, slawischen historiographischen Traditionen wollte er zur Überwindung der Kontroversen nach 1918 miteinander verbinden: Wir werden zunächst vor unserer eigenen Tür zu kehren haben, wir werden aber auch, und dies gilt insbesondere für die Gegenwart, auf die Stellungnahme der andern achten müssen95. leidet, daß sie sich nur auf den Briefwechsel zwischen Schlesinger und Graus stützt und durch die Außerachtlassung der wissenschaftlichen Aufsätze mit ihren Argumenten die Debatte allzu sehr verkürzt; wissenschaftsgeschichtlich aussagekräftiger die diesbezüglichen Erörterungen von P. Moraw, Kontinuität und später Wandel: Bemerkungen zur deutschen und deutschsprachigen Mediävistik 1945–1970/75, in: Die deutschsprachige Mediävistik (wie Anm. 1), S. 103–138, hier S. 130–132. Zu Graus vgl. P. Moraw, Heimat und Methode. Zur Erinnerung an František Graus, in: Historische Zeitschrift 251 (1990), S. 283–290. 93 WS an Wolfgang Fritze, 19.1.1962, in: NL WS, Nr. 63, abgedruckt unten Quellenanhang 3.b. 94 Rez. von Oskar Halecki, Grenzraum des Abendlandes, Salzburg 1957, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 424–428, bes. S. 427. – Vgl. ferner WS, West und Ost (wie Anm. 40), S. 236. – Schlesinger hoffte, mit diesen Bemerkungen in der Auseinandersetzung mit ostmitteleuropäischen Historikern den rechten Ton getroffen zu haben, vgl. WS an Wolfgang Fritze, 19.1.1962, in: NL WS, Nr. 63, abgedruckt unten Quellenanhang 3.b. – Vgl. auch Schlesingers gleichartige Bemerkungen zur vorherrschenden tschechischen Geschichtsauffassung über den Sinn der tschechischen Geschichte, WS, Die Böhmischen Länder (wie Anm. 57), S. 30. 95 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 429.



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 329

Schlesinger legte in der Konsequenz dieses Gedankenganges größten Wert darauf, nach den geradezu leidenschaftlichen wissenschaftlichen Kontroversen der Zwischenkriegszeit, die nach 1945 im Osten wie im Westen noch kräftig nachwirkten, mit den ostmitteleuropäischen Historikern wieder in ein wissenschaftliches Fachgespräch, das nicht unter dem Diktat der Politik stand, einzutreten. Grundsätzlich sah er die deutsche und zugleich europäische Aufgabe darin, wie er schon 1952 schrieb, den Wall des Mißtrauens und des Mißverstehens, den Jahrhunderte zwischen dem deutschenVolk und den westslawischen Völkern aufgehäuft haben, endlich zu durchbrechen96.

Ein deutsch-slawischer Dialog setzte freilich voraus, daß sich die deutschen Historiker, wie er mahnend vermerkte, wenigstens einen Einblick in die in der polnischen und tschechischen Literatur vertretenen Ansichten etwa zur Landesgeschichte Ostdeutschlands verschafften und sie nicht einfach ignorierten. Daher kritisierte er 1953 die von Peter Rassow herausgegebene Deutsche Geschichte dafür, daß sie „ganz in alten Bahnen“ die Literatur dieser slawischen Historiographien nicht zitiert habe, nicht einmal deren in westlichen Sprachen vorliegende Übersetzungen97. Auch wenn Labuda seinen Aufsatz über die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung in manchen Punkten 1958 abgelehnt und dabei den deutschen Einfluß auf die Entwicklung Ostmitteleuropas herabzumindern gesucht hatte98, gab Schlesinger 1961 die Hoffnung nicht auf, daß mit den polnischen und tschechischen Kollegen über viele Fragen eine Verständigung möglich sein wird, auch wenn zunächst die Abwehr der zur Diskussion gestellten Gedankengänge zu überwiegen scheint99.

Um so erfreuter war er, als sich ihm in den Arbeiten des schon erwähnten František Graus dazu ein erfolgversprechender Ansatz bot. Nachdrücklich befürwortete er 96 WS, Die deutsche Kirche (wie Anm. 52), S. 157. 97 WS an Herbert Grundmann, 2.12.1953, in: NL WS, Nr. 65. – Vgl. noch ders. an dens., 16.4.1955, ebd.; Herbert Ludat an WS, 17.6.1955, in: NL WS, Nr. 71. 98 Vgl. zu den damaligen östlichen Reaktionen auf diesen Aufsatz Schlesingers H. Jablonowski, Die mittelalterliche Ostsiedlung in der östlichen Literatur. Bemerkungen zu einigen Erwiderungen auf Walter Schlesingers Abhandlung über „Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung“, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 305–310, bes. S. 308–310 (zu Labuda). 99 WS, Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 48), S. 488. – Mit diesem Satz suchte Schlesinger u.a. zu dem andernorts wegen eines anderen Themas von ihm deutlich kritisierten Labuda, indem er sich jeglicher Kritik an dessen Bemerkungen enthielt, „eine Brücke zu schlagen“. WS an Wolfgang Fritze, 19.1.1962, in: NL WS, Nr. 63, abgedruckt unten Quellenanhang 3.b.

330 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

im Dezember 1962 die Veröffentlichung von dessen Gießener Vortrag über deutsche und slavische Verfassungsgeschichte in der Historischen Zeitschrift, da sein Beitrag zu einem der wichtigsten Probleme, die die Gegenwart der Wissenschaft stelle, der Frage nach der Stellung ethnischer Einheiten im historischen Prozeß, die Auseinandersetzung lohne. Weder eine marxistisch-leninistische Geschichtsdogmatik noch eine nationalistische Auffassung stünden hinter seinen Ausführungen. „Ich halte es für dringend erforderlich, daß wir mit der tschechischen Mittelalter-Forschung ins Gespräch kommen“100. Dank der Verbindungen Herbert Ludats nach Prag und unter Schlesingers konzeptioneller Mitwirkung kam wenige Monate später, im April 1963, bei Marburg eine wissenschaftliche Arbeitstagung mit sechs Vorträgen tschechischer und fünf Vorträgen deutscher Historiker über „Siedlung und Verfassung Böhmens in der Frühzeit“ zustande101. Schlesinger hatte im Vorfeld die Diskussion mit tschechischen Historikern nachdrücklich befürwortet, auch wenn, wie er spekulierte, manche politische Stellen ein solches Gespräch nicht sehr gern sehen könnten. Ich meine, daß wir auf solche Dinge noch nie Rücksicht genommen haben, nicht Rücksicht nehmen dürfen und auch in diesem Falle nicht Rücksicht nehmen sollen.

Denn „das Gespräch ... im engsten Kreise ...“, so lautete seine entscheidende Begründung, „soll den Anfang machen, die gegenwärtige Situation überwinden, die ein Gespräch zwischen Deutschen und Tschechen überhaupt nicht aufkommen läßt“102. Von dem Ergebnis war er in einer Weise angetan, die er zuvor wohl selbst nicht angenommen hatte. Vom Verlauf bin ich auf das äußerste befriedigt. Es gab keinen Mißklang, die Referate waren alle völlig sachgemäß, man hätte glauben können, es handele sich um ein Treffen deutscher Kollegen von zwei verschiedenen Universitäten103.

Von den unter den angedeuteten Prämissen angebahnten wissenschaftlichen Kontakten und von Inhalt und Stil der dadurch eröffneten wissenschaftlichen Debatte führte der Weg auf Grund von Schlesingers Initiative schließlich zu drei 100 WS an Walter Kienast, 3.12.1962, in: NL WS, Nr. 69, abgedruckt unten Quellenanhang 4.b. – Zum Vorgang vgl. auch Nagel, Im Schatten (wie Anm. 1), S. 130f. 101 Vgl. das Rundschreiben Herbert Ludats an WS (u.a.), 17.9.1962, in: NL WS, Nr. 71, mit der Bemerkung: „Das Hauptziel der Veranstaltung ist ein Gedankenaustausch und Sich-Kennenlernen zwischen uns und den tschechischen Historikern“. Ebd. das Tagungsprogramm. 102 WS an Theodor Mayer, 19.11.1962, in: NL WS, Nr. 17, abgedruckt unten Quellenanhang 4.a; vgl. auch Mayers Antwort vom 21.11.1962, ebd. 103 WS an Wolfgang Fritze, 29.4.1963, in: NL WS, Nr. 63. – Zu Schlesingers Einschätzung von Ludats Rolle vgl. WS an Herbert Ludat, 15.4.1970, in: NL WS, Nr. 71.



„Ostmitteleuropaforschung“ statt „zeitbedingter deutscher Ostforschung“ 

 331

großen Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte auf der Reichenau 1970–1972. Zum ersten Mal wurde auf ihnen die deutsche Ostsiedlung als Problem der europäischen Geschichte diskutiert, wurde sie in einen weitgefaßten Rahmen mit Siedelbewegungen und mit dem Landesausbau in anderen europäischen Landschaften gestellt und mit ihnen verglichen. Und zum ersten Mal wurde sie in einem internationalen Kreise von Fachleuten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, darunter polnische, tschechische und ungarische Historiker, eingehend diskutiert, nicht immer einvernehmlich, sondern auch zuweilen kontrovers, aber nicht mehr konfrontativ wie in der aus dem Bewußtsein weichenden Zwischenkriegszeit104. In diesen ReichenauTagungen kulminierten Schlesingers langdauernde Anstrengungen um eine Neubewertung der deutschen Ostbewegung und Ostsiedlung. An dem Tagungsband hat die neuere Forschung bis zu unserer eigenen Gegenwart in erheblichem Maße ihre Orientierung gewonnen, wobei ihre Schlußfolgerungen durch den Rückbezug auf Schlesingers Positionen durchaus eine kritische Debatte vertragen könnten. Doch damit ist schon ein anderes Thema angesprochen, von dem hier nicht mehr weiter gehandelt werden soll, da an dieser Stelle die von Schlesinger seit den 50er Jahren gelegten Grundlagen betrachtet werden.

104 Zu dem aus den Tagungen hervorgegangenen Sammelband „Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters als Problem der europäischen Geschichte“ (vgl. oben Anm. 71) vgl. die wichtige Besprechung von Hans K. Schulze, Die deutsche Ostsiedlung des Mittelalters. Bilanz und Aufgaben, in: Zeitschrift für Ostforschung 26 (1977), S. 453–466, wiederabgedruckt in: Ders., Siedlung, Wirtschaft und Verfassung im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 5), 2006, S. 1–19, die den Ertrag, aber auch deutlich die Grenzen einer „europäischen Schau“ des Themas anspricht. – Sehr bedenkenswerte, nicht immer überzeugende, aber zu Unrecht gänzlich übergangene Kritik an dem Fortgang der wissenschaftlichen Diskussion um die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung nach dem Ostsiedlungsband von 1975 äußerte Hans Rothe, Gibt es einen deutschen Osten?, in: Helmstedt – Magdeburg – Wittenberg. Historische und sprachliche Studien zum mitteldeutschen Raum, hrsg. v. Roderich Schmidt (Veröffentlichungen des Ostfälischen Instituts der Deuregio Ostfalen, Bd. 2), 1997, S. 41–70. – Vgl. ferner meine eigenen Bemerkungen in: Klaus Neitmann, Walter Schlesinger und die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung. Fragestellungen, Kontroversen, Wirkungen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 60 (2010), S. 264–275, hier S. 273–275.

332 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

IV. Schluß IV. Das Ergebnis: Antriebe und Bedeutung IV. der Forderung nach einer geschichtsIV. wissenschaftlichen Ostmitteleuropaforschung Werfen wir einen Blick zurück auf unseren bisherigen Gang durch Schlesingers wissenschaftliches Werk. Schlesinger war in der Schule Rudolf Kötzschkes aufgewachsen, hatte mit Studien zur Landesgeschichte des mitteldeutschen Ostens begonnen und dabei mit den Untersuchungen zur sächsisch-thüringischen Geschichte des frühen und hohen Mittelalters den Bogen zur Reichsgeschichte geschlagen, hatte gefordert und beispielhaft gezeigt, wie die Verfassungsgeschichte des Reiches aufbauen müsse auf einer geschichtlichen Landeskunde seiner verschiedenartigen Landschaften. Der Zusammenbruch von 1945 und seine politischen Konsequenzen im Osten Deutschlands entzog seinem landesgeschichtlichen Ansatz und überhaupt der bisherigen landesgeschichtlichen Forschung die organisatorische und personelle Grundlage, indem die SED mit ihrer Wissenschaftspolitik letztlich nur noch eine marxistisch gewendete Regionalgeschichte zuließ. Schlesinger hat sich damit nicht einfach abgefunden, sondern er hat die Lücke, die dadurch entstanden war, im Westen Deutschlands durch den Aufbau neuer wissenschaftlicher Organisationsformen wenigstens teilweise zu schließen gesucht. Die Gründung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland und der Berliner Historischen Kommission dienten dazu, die im Westen befindlichen und interessierten Fachleute dazu zu bewegen, mit vereinten Anstrengungen die landesgeschichtliche Forschung für die mitteldeutsche Lande zwischen Ostsee und Erzgebirge fortzuführen. Das wichtigste Einzelvorhaben war dabei wegen seines Anspruches auf eine umfassende Darstellung einer historischen Landschaft die für die einzelnen Länder der SBZ geplanten mehrbändigen Handbücher. Die Erfolge sind offensichtlich, wenn man sich die lange Reihe der in den „Mitteldeutschen Forschungen“ veröffentlichten Untersuchungen anschaut. Die Grenzen sind ebenfalls unverkennbar, wenn man daneben die unvollendeten oder abgebrochenen Projekte und den allmählichen Schwund des einsatzfähigen wissenschaftlichen Personals betrachtet. Die mitteldeutsche Landesgeschichtsforschung als wichtige wissenschaftliche Aufgabe an die nächste oder gar übernächste Generation in Westdeutschland weiterzugeben, gelang allenfalls in sehr beschränktem Maße. Der seit den späten 60er Jahren in der Bundesrepublik einsetzende Stimmungswandel ließ die mittel- und ostdeutschen Länder und ihre Geschichte immer mehr aus dem allgemeinen Bewußtsein gerade der Jüngeren verschwinden –



Schluß 

 333

der dadurch eingetretene Verkürzung der deutschen Geschichte sind sich damals die wenigsten klar geworden. Schlesingers Antriebskraft erschöpfte sich nicht in der Neuorganisation der mitteldeutschen Landesgeschichtsforschung unter gewandelten politischen Ver­ hältnissen. Er suchte auch mit Nachdruck einer neuen Konzeption in der ostdeutschen Landesgeschichte und darüber hinaus in der ostmitteleuropäischen Geschichte Bahn zu brechen. Er setzte dabei an einem für seine Zeit zentralen Punkt sowohl des deutschen Geschichtsbildes als auch des Geschichtsbildes der ostmitteleuropäischen Völker an, an der deutschen Ostbewegung und Ostsiedlung. Denn sie hatten die (gemischt)nationalen Verhältnisse geschaffen, die in den Nationalitätenkämpfen seit dem 19. Jahrhundert politisch und – in der Konsequenz – wissenschaftlich so heftig umstritten waren, beide Seiten suchten ihre politischen Ansprüche historisch zu legitimieren. Aus diesem Bannkreis des Nationalismus wollte Schlesinger ausbrechen, wollte die antagonistischen Deutungsmuster von slawischer Demokratie, Freiheit und Frieden versus germanisch-deutsches Herrentum, Gewalt und Unterdrückung einerseits, germanisch-deutsche Kulturhöhe versus slawisches kulturelles Vakuum andererseits hinter sich lassen. Den dazu erforderlichen Gesinnungswandel gedachte er „mit einer unerbittlichen Prüfung unser selbst“ einzuleiten105, die für ihn bzw. für die deutsche Seite vorrangig darin bestand, den vorherrschenden Blickwinkel der deutschen Ostforschung grundsätzlich in Frage zu stellen. Er hielt es für einseitig, ausschließlich die deutschen Leistungen im Rahmen der Ostsiedlung in die Perspektive einzubeziehen, die Slawen hingegen nur als Objekte der deutschen Kulturträger zu behandeln. Er legte demgegenüber größten Wert darauf, die slawischen Stämme und Völker als eigenständige, als aktive Kräfte innerhalb der mittelalterlichen Siedlungs- und Kulturbewegungen mit eigenen wirksamen Verfassungselementen herauszustellen. Bezeichnenderweise kritisierte er 1964 eine Tagungskonzeption des Herder-Forschungsrates, weil darin nur von kultureller Überschichtung, Durchdringung und Beeinflussung in Ostmitteleuropa, also von den deutschen Handelnden, aber nicht von eigenständiger slawischer Aneignung und Anverwandlung, beispielsweise von den eigenen polnischen kirchenpolitischen Entscheidungen des 10. Jahrhunderts, gesprochen wurde106. Die besondere Eigenart des deutschen Ostens sah er in der deutsch-slawischen Begegnung, darin, daß die Gebiete östlich von Elbe und Saale durch die Einschmelzung slawischer Stämme in das deutsche Volk und durch die Umstände dieses Prozesses in ihrer Verfassungswirklichkeit, in ihren rechtlichen, sozialen, 105 WS, Böhmische Länder (wie Anm. 57), S. 49f., Zitat S. 50. – Vgl. auch WS, Geschichtliche Stellung (wie Anm. 58), S. 467. 106 WS an Günther Grundmann, 27.4.1964; NL WS, Nr. 20, abgedruckt unten Quellenanhang 6.

334 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

wirtschaftlichen und kirchlichen Lebensformen, geprägt worden waren107. Es folgt aus der Herausstellung dieses slawischen Anteils, daß er im Rahmen der landesgeschichtlichen Dreiteilung des deutschen Geschichtsraumes neben dem römischen und dem freien Germanien nicht mehr wie 1941 „das östliche Kolonialland“ stellte108, sondern daß er seine neue Interpretation durch die Begriffsfindung „Germania Slavica“ nachhaltig akzentuierte. Er neigte nicht dazu, in einer bloßen Umkehrung der voraufgegangenen Forschungstendenz den slawischen Anteil an der Gestaltung Ostdeutschlands zu überhöhen, sondern prüfte in sorgfältigem Quellenstudium, inwiefern die slawischen Stämme in einzelnen Bereichen tätig am hochmittelalterlichen Landesausbau – das Wort im weitesten Sinne ausgelegt – mitgewirkt und inwiefern die deutschen Einwanderer im Rahmen einer Siedelbewegung und unter Berücksichtigung der vorgefundenen einheimischen Bevölkerung grundlegend neue Verfassungselemente geschaffen hatten. Aber jenseits der mit den verschiedenartigen Sachkomplexen verbundenen Detailfragen legte Schlesinger vorrangig Wert darauf, vor dem Hintergrund der vorhergehenden volksgeschichtlichen Betrachtungsweise zu verdeutlichen, daß das deutsche Volk östlich von Elbe und Saale beachtliche slawische Bevölkerungsgruppen in sich aufgenommen hatte und die dortigen Länder durch die deutsch-slawischen Ausgleichsprozesse geprägt waren. Ostdeutsche Landesgeschichte in überzeugender Form zu schreiben, war nur noch möglich, wenn man von einem vorhandenen slawischen Eigengewicht ausging und es nicht zugunsten der deutschen Initiativen verleugnete. Auf der Grundlage solchen Sichtweisen, die sich von der traditionellen deutschen Ostforschung abhoben, wünschte Schlesinger mit den ostmitteleuropäischen Historiographien, vorrangig mit den hauptsächlich betroffenen tschechischen und polnischen Historikern, in eine wissenschaftliche Diskussion einzutreten. Sie sollte, eingedenk der kritisch reflektierten Erfahrung der wissenschaftlichen Konfrontation zwischen 1918 und 1945, zunächst dadurch ermöglicht werden, daß die älteren Auffassungen über die jeweiligen, ganz einseitig herausgestellten „nationalen Kulturleistungen“ grundsätzlich revidiert wurden. Diesem Zweck diente die europäische Ausweitung des Geschichtsbildes, d.h. es sollte nicht mehr auf den eigenen nationalen Horizont beschränkt bleiben und historische Vorgänge allein innerhalb des eigenen nationalen oder allenfalls eines bi-nationalen Rahmens würdigen, sondern sie mit gleichen oder 107 „Wir meinen, den Blättern der Geschichte entnehmen zu können, daß auch Deutschland Anteil an Ostmitteleuropa hat, und zwar seitdem es ein deutsches Volk gibt, dem nicht geringe Bestandteile slawischer Herkunft im Laufe der Jh.e zuwuchsen.“ Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 427. 108 WS, Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 4), S. 6.



Schluß 

 335

ähnlichen Erscheinungen in anderen europäischen Ländern vergleichen und sie dadurch ihres rein nationalen Charakters entkleiden109. Die deutsch-slawische Kontroverse um ein deutsch-slawisches Kulturgefälle konnte dadurch zumindest abgeschwächt werden, daß nicht nur deutsche und polnische bzw. tschechische Verhältnisse gegenübergestellt, sondern die dortigen Kulturphänomene mit denjenigen in west- und südeuropäischen Regionen in Beziehung gesetzt wurden. Deutsche „Kulturhöhe“ relativierte sich schnell, wenn man den Blick nach Süden und Südosten richtete, auf die in noch ganz anderer Weise von Antike und Christentum durchdrungenen romanischen Länder. Die Abwendung von der „deutschen Ostforschung“ und stattdessen die Hinwendung zur „Ostmitteleuropaforschung“ forderte Schlesinger programmatisch, weil dadurch der Wechsel der Blickpunkte auf den Begriff gebracht wurde: weg von einer Forschungsrichtung, die das deutsche Wirken im Osten in den Mittelpunkt rückte, und hin zu einer Forschungsrichtung, die das Zusammenleben von gleichwertigen Deutschen und Slawen in einem gemeinsamen Geschichtsraum zu untersuchen gedachte. Zur Überwindung der alten Debatten erschien es Schlesinger zudem unverzichtbar, daß die jüngeren, neueren Auffassungen ihren Antrieb und ihre Perspektiven nicht mehr wie zuvor von politischen Gegenwartserwartungen erhalten sollten. Er lehnte es nachdrücklich ab, politische Forderungen und Wünsche der Gegenwart mit historischen Argumenten zu unterstützen, vor allem auf Grund der Beobachung, daß die deutsche Ostforschung vor 1933, nach 1933 und teilweise auch noch nach 1945 ihre Fragestellungen von politischen Absichten habe beeinflussen oder gar bestimmen lassen. Er rang geradezu mit wiederholter Überprüfung seines eigenen Standpunktes darum, sich nicht bewußt oder auch nur unbewußt von politischen Wunschbildern (ver)führen zu lassen. So bekannte er 1963 beispielhaft in unüberhörbarer Anspielung auf damals gerade in Vertriebenenkreisen noch bestehende bundesdeutsche Hoffnungen: „Gewiß gibt es ein historisches Heimatrecht der Völker, aber eben, weil es historisch ist, kann es im Verlaufe des historischen Prozesses verloren und verspielt werden“110. Denn daß das historische Ergebnis der deutschen Ostbewegung durch die Vertreibungen von 1945 zunichte geworden war, hielt er für unumkehrbar111. In seiner Kontroverse mit dem polnischen Historiker Labuda

109 „Der Zug zur Niederlegung der nationalen Schranken auch in der Geschichtswissenschaft ist in der Gegenwart unverkennbar, und dies ist gut so. Ich bin der letzte, der erneuter nationaler Abkapselung das Wort reden möchte“. WS, Theodor Mayer und der Konstanzer Arbeitskreis, in: Theodor Mayer und der Konstanzer Arbeitskreis. Theodor Mayer zum 80. Geburtstag, o.J. [1963], S. 9–29, hier S. 25. 110 WS, Deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 446f., 456f., Zitat S. 456. 111 WS, Böhmische Länder (wie Anm. 57), S. 50.

336 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

verwarf er 1961 ausdrücklich ins Mittelalter zurückreichende Begründungen für Grenzziehungen der Gegenwart und hoffte darauf, daß dieser ebenfalls seine wissenschaftlichen Forschungen nicht mit den Fragen der gegenwärtigen und künftigen deutsch-polnischen Grenzziehung verknüpfen werde112. Nach seiner selbstkritischen Analyse der Ostforschung vor 1945 war er jeglicher historischen Legitimierung politischer Entscheidungen der eigenen Gegenwart abhold113. Solche Gedankengänge einer „apolitischen Auffassung der Aufgaben ... der geschichtswissenschaftlichen Ostmitteleuropaforschung“114 in einer Hochphase des kalten Krieges zwischen Ost und West trugen dazu bei, im wissenschaftlichen Bereich den eisernen Vorhang zu durchlöchern und in eine wissenschaftlich fruchtbare Debatte unter neuen Fragestellungen einzutreten. Das sichtbarste Ergebnis im Bereich von Schlesingers Schwerpunktthema Ostbewegung ist der

112 WS, in: Mitteldeutsche Beiträge (wie Anm. 48), S. 480. 113 Kategorisch formulierte Schlesinger 1975: „Politische Ansprüche, die ihrem Wesen nach die Folge von Machtentscheidungen sind, lassen sich historisch weder begründen noch widerlegen, sondern allenfalls verstehen. Wer diesem Satze nicht zustimmt, ist, so meine ich, bei der Diskussion unseres Themas [sc. der deutschen Ostsiedlung] fehl am Platze.“ WS, Problematik (wie Anm. 71), S. 16. – In der Diskussion über seinen Marburger Vortrag von 1963 (siehe oben S. 60) hatte ein Vertreter der von der Zwischenkriegszeit geprägten älteren Generation (Schier) die politische Aufgabe der Ostforschung noch einmal nachdrücklich betont, indem er darauf hinwies, „das[s] die entscheidende Schlacht um die deutschen Ostgrenzen noch geschlagen wird. Jeder voreilige Verzicht oder auch nur jeder Zweifel an der Legitimität des deutschen Rechtsanspruches auf unsere in 700jähriger Arbeit erworbenen Ostgebiete mit rein deutscher Bevölkerung schwächt die deutsche Position, ohne eine Gegenleistung von der anderen Seite zur Folge zu haben“. Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 104–107, hier S. 106. – Zeiten- und Generationenwechsel in der Historiographie werden angezeigt, wenn ein prominenter deutscher Mittelalterhistoriker der deutschen Mediävistik kürzlich vorgab, „in Europa anzukommen und damit ihrer Gegenwart ein Stück neuer historischer Legitimation bereitzustellen“. B. Schneidmüller, Von der deutschen Verfassungsgeschichte zur Geschichte politischer Ordnungen und Identitäten im europäischen Mittelalter, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), S. 486–500, hier S. 500. Die in diesem Artikel über den Verfassungshistoriker Schlesinger gefällten Urteile bedürfen durchaus der Kritik. Daß solche Legitimationsappelle zu merkwürdigen Urteilen in der historiographischen Praxis führen, verdeutlicht die Kritik P. Neumeisters, vgl. seine Rez. von: Zwischen Kathedrale und Welt, 2005, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands S. 413–417, hier S. 414f. 114 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 457. – Schlesinger konnte sich in diesem Postulat bestätigt fühlen, als ihm Johannes Papritz in der Marburger Debatte von 1963 entgegenhielt, die Nord- und Ostdeutsche Forschungsgemeinschaft und die Publikationsstelle hätten wissenschaftliche Veröffentlichungen nur unterbunden, „um politischen Missbrauch auszuschliessen“; Schlesinger sah darin zu Recht Fälle politischer Zensur. Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 148, 158; zu seinem Verständnis von „apolitischer Wissenschaft“ auch ebd., S. 48f.



Schluß 

 337

von ihm herausgegebene Band des Konstanzer Arbeitskreises, der zu Recht nach seinem Erscheinen große Aufmerksamkeit gefunden hat. Es bleibt am Ende noch nach den inneren Antrieben zu fragen, die Schlesinger zu den skizzierten Konzeptionen, zu dem Interpretationsmodell der Germania Slavica gebracht haben. Denn er war mit ihnen in seiner wissenschaftlichen Ausbildung nicht groß geworden, er hatte durchaus, wie er später freimütig eingestand, die von seinem Lehrer Kötzschke vertretenen Meinungen der deutschen Ostforschung geteilt. „Wenn ich sie heute kritisch beurteile, gilt die Kritik zugleich mir selbst, ... Wir saßen alle damals in einem Boot, und erst später begannen sich die Wege zu teilen“115. Schlesingers Neuorientierung ist in den Quellen, in den brieflichen Zeugnissen ebenso wie in seinen wissenschaftlichen Werken, seit den frühen 1950er Jahren greifbar. Sie ist, liest man aufmerksam verschiedene seiner Bekundungen, erwachsen unter dem unmittelbaren Eindruck des Nationalsozialismus und des II. Weltkrieges, genauer gesagt, sie ist erwachsen aus der geistigen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ostpolitik gegenüber den Völker Ostmittel- und Osteuropas. In der Sicht Schlesingers – und anderer Historikerkollegen aus seinem näheren und weiteren Umfeld wie Wolfgang Fritze116, Herbert Ludat117 und Manfred Hellmann118 – war notwendigerweise der Bruch mit wissenschaftlichen Traditionen, die aus dem Geist der Nationalitätenkampfe erwachsen waren und dann zumindest in die Nähe des Nationalsozialismus geführt hatten, 115 Ebd., S. 430. 116 Zu Fritzes Bemühungen um die Erforschung der Germania Slavica vgl. die eingehende Darstellung von Schich, „Germania Slavica“ (wie Anm. 41). – Der umfangreiche im NL WS überlieferte Briefwechsel zwischen Schlesinger und Fritze ist für die hier behandelte wissenschaftsgeschichtliche Problematik sehr aufschlußreich und verdient noch eine eingehendere Auswertung. 117 K. Zernack, „Europa ostwärts der Elbe“. Zum Lebenswerk Herbert Ludats (1910–1993), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 44 (1996), S. 1–13. – Ders., Herbert Ludat (1910–1993), in: Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landes- und Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 16; zugleich: Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Bd. 4), Berlin-Brandenburg 2013, S. 164– 173. – Ders., „Deutschland und der Osten“ als Problem der historischen Forschung in Berlin, in: Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen, hrsg. v. Reimar Hansen u. Wolfgang Ribbe (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 82), 1992, S. 571–593, hier S. 589–593 zur geschichtswissenschaftlichen Konzeption Ludats, Schlesingers und Fritzes für eine Ostmitteleuropaforschung und zu ihrer Absetzung von der deutschen Ostforschung im Stil Aubins. – Siehe auch Anm. 119. 118 Nagel, Im Schatten (wie Anm. 1), S. 135, beurteilt Ludat und Hellmann mit anderen als „pragmatisch denkende Köpfe“. Was die Vokabel „Pragmatismus“ in Zusammenhang mit den Bemühungen der Genannten um eine grundsätzliche Neuorientierung der deutschen Ostmitteleuropaforschung ausdrücken soll, bleibt unklar.

338 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

zu vollziehen, war ein völlig neuer Anfang mit einer neuen Ostmitteleuropaforschung zu setzen, die mit der alten Ostforschung nicht erst nach 1933, sondern auch der vorhergehenden Zeit brach, da ihr Konzept weitgehend politisch bestimmt gewesen war119. Als 1961 von der Historischen Kommission für Schlesien der zuerst 1938 erschienene erste Band der „Geschichte Schlesiens“ weitgehend unverändert nachgedruckt wurde, rezensierte Schlesinger die Neuauflage „nur mit gemischten Gefühlen“, da das Vorwort eine Umarbeitung mangels eines äußeren Anlasses nicht für notwendig erklärt hatte. Danach hätten der 2. Weltkrieg und seine Folgen, hätten Auschwitz und Hiroshima keinerlei Änderung unseres Geschichtsbildes bewirkt, die deutschen Forschung hätte in 20 Jahren nichts irgendwie Bemerkenswertes zur Geschichte des schlesischen Mittelalters zu sagen gehabt und die Leistungen der polnischen Forschung in dieser Zeit könnte man einfach ignorieren, ohne sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ich teile diesen Standpunkt nicht ...120.

Einen tiefen Einblick in die Beweggründe der wissenschaftlichen Bemühungen gewährt ein Briefwechsel zwischen Schlesinger und seinem ehemaligen Berliner Assistenten Wolfgang Fritze vom Januar 1962, als dieser Schlesingers Verständnis für die erwähnte Kritik Labudas zu erwecken suchte mit der Betrachtung: Nach allem, was geschehen ist, können wir einfach nicht erwarten, daß die Polen nun uns ohne Weiteres Glauben schenken. ... Nicht nur, daß die Polen durch uns in einer Weise haben leiden müssen, die nur der ermessen kann, der das alles selbst hat mitansehen und sich dabei seines Deutschtums bis in den Grund seiner Seele hat schämen müssen, sie sind durch uns auch in ihrem nationalen Selbstgefühl in einer fast unheilbaren Weise verletzt worden.

Schlesingers stimmte Fritzes Ansicht über die Grundlagen des deutsch-polnischen Verhältnisses uneingeschränkt zu und fügte an: Den Polen sind Dinge zugemutet worden, die uns noch heute die Schamröte ins Gesicht treiben, und es ist klar, dass sie nicht ohne weiteres darüber hinwegkommen. Die Vergangenheit kommt aus der Zukunft auf uns zu. ... Dass ich stets bemüht sein werde, den alten Schutt der Zwischenkriegszeit aus dem polnisch-deutschen Verhältnis wegräumen zu helfen, dürfen Sie mir glauben121.

119 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 444. 120 Rezension von: Geschichte Schlesiens, hrsg. v. d. Historischen Kommission für Schlesien, Bd. 1: Von der Urzeit bis zum Jahre 1526, Stuttgart 3. Aufl. 1961, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12 (1963), S. 461f., Zitat S. 461. 121 Fritze an Schlesinger, 8.1.1962; Schlesinger an Fritze, 19.1.1962, in: NL WS, Nr. 63, abgedruckt unten im Quellenanhang 3.a-b. – Vgl. auch Schlesingers Bemerkung zur nationalsozialistischen Ostpolitik, Böhmische Länder (wie Anm. 57), S. 48.



Schluß 

 339

An die Mitglieder des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates appellierte er im März 1963 nachhaltig: Was in der nationalsozialistischen Zeit unseren östlichen Nachbarvölkern angetan worden ist, sollte niemals vergessen oder aus dem Bewußtsein verdrängt werden; es bilde den schaurigen Hintergrund auch der heutigen wissenschaftlichen Diskussion. Gerade wer mit der volksgeschichtlichen Betrachtungsweise Ernst macht, kann die Geschehnisse der Kriegsjahre im Osten noch weniger aus dem Verlaufe der deutschen Geschichte ausklammern als jeder andere122.

Ein letztes Zitat aus einem Brief Schlesingers an Hermann Aubin mag noch einmal seinen Erfahrungshintergrund, aus dem seine Überlegungen erwachsen sind, erhellen: Wenn ich gelegentlich andere Auffassungen gehabt habe als Sie, so liegt es im Wesen geschichtswissenschaftlicher Forschung, daß verschiedene Forscher zu verschiedenen Ergebnissen kommen können. Wenn ich mich aber genötigt sah, in einer grundsätzlichen Frage, nämlich in der Beurteilung der deutschen Ostforschung zwischen den beiden Weltkriegen, während jener Tagung im Herder-Institut Dinge auszusprechen, die Sie, um es milde zu sagen, als unangebracht betrachten mußten, so wollen Sie dies bitte als die Folge einer tiefen geistigen Erschütterung ansehen, der meine Generation nun einmal ausgesetzt war, sofern sie den Krieg überlebt hat, einer Erschütterung, die zu einem gewissen wissenschaftlichen Radikalismus geführt hat, zu dem ich mich nach wie vor bekennen muß; der heiße Eisen anzufassen sich nicht scheut und der allein der Wahrheit die Ehre geben möchte123.

Eine jüngst erschienene Gießener Habilitationsschrift behandelt die „Mittelalterforschung in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1970“ unter dem Obertitel „Im 122 WS, Mittelalterliche deutsche Ostbewegung (wie Anm. 60), S. 442. 123 WS an Hermann Aubin, 22.12.1965, in: NL WS, Nr. 57. – Aubin erwiderte dazu: „Aber wer kann sich wundern, daß Männer, die einander in anderen Grundlagen ihres Denkens und ihrer Gesinnungen sonst nahestehen, aus den unerhörten Erschütterungen, die unserem Volke in unserer Lebenszeit auferlegt worden sind, in den Folgerungen über die daraus zu ziehenden Erfahrungen zu abweichenden, selbst entgegengesetzten Ergebnissen kommen?“ Aubin an WS, 14.1.1966, ebd. – Nagels Kommentar zu dieser ebenfalls von ihr zitierten Briefstelle Schlesingers (Nagel, Im Schatten [wie Anm. 1], S. 136: „Schlesinger stilisiert seine Bilanz der Ostforschung zu einer Abrechnung ohne Verluste ... Schließlich ist seine Rechtfertigung auch von Zügen des Selbstmitleids nicht frei, was nur auf den ersten Blick nicht zur heroischen Attitüde passen will ...“) überzeugt mit ihren psychologisierenden Annahmen wenig, weil sie die tiefe wissenschaftliche Auseinandersetzung mit vorgefundenen Deutungsmustern, die die deutsche Katastrophe bei Schlesinger nach sich gezogen hat, offenkundig nicht ganz ernst zu nehmen vermag. Wie sehr Schlesinger innerlich um die Kritik der an der Ostforschung seiner Lehrergeneration gerungen hat und wie er sich um seines historischen Ethos willen zu ihr durchgerungen und bekannt hat, verdeutlicht auch seine Schlußbemerkung in der Marburger Diskussion. Deutsche und europäische Siedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 158.

340 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Schatten des Dritten Reichs“124 und weist darin Schlesinger einen prominenten Platz zu. Mir scheint das gewählte Bild allenfalls zur Hälfte zuzutreffen. Für Schlesinger bzw. für seine mittel- und ostdeutsche Landesgeschichte war die deutsche Ostforschung wegen ihrer Verbindung mit den Nationalitätenkämpfen und dem Nationalsozialismus der lange Schatten, aus dem er mit seinen konzeptionellen Neuansätzen herauszutreten trachtete. Schlesingers Äußerungen zeugen eindrucksvoll davon, daß er sich nach dem Zweiten Weltkrieg eindringlich mit der nationalsozialistischen Ostpolitik gegenüber den slawischen Völkern, mit den heftigen Nationalitätenkämpfen in Ostmitteleuropa und mit den von ihnen gespeisten wissenschaftlichen Kontroversen auseinandergesetzt und zur Überwindung der dadurch zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn eingerissenen tiefen Gräben einen deutlichen, ja radikalen Neuanfang für erforderlich hielt. Er fuhr nach 1945 nicht einfach dort fort, wo andere 1933 aufgehört hatten, er suchte überhaupt die alten Streitplätze vor 1945 zu verlassen, indem er die deutsch-slawische Geschichte in Ost(mittel)deutschland und in Ostmitteleuropa mit neuen Fragestellungen und mit neuen Themen neu zu erfassen und zu deuten suchte. Ich will nicht mit meinem Urteil zurückhalten – in bewußter Entgegensetzung zu den in der aktuellen Forschung zur westdeutschen Historiographie in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten dominierenden Urteilen –, daß ihm dies nach meiner Auffassung gelungen ist. Die Germania Slavica ist ein Interpretationsrahmen, der von Schlesinger in Diskussionen mit Fritze und Ludat in den 1950er Jahren entwickelt worden ist und in dessen Bahnen sich die Forschung zur hochmittelalterlichen Ostsiedlung bis auf den heutigen Tag bewegt – auch wenn manche ihrer heutigen Vertreter anscheinend die Ursprünge ihrer Forschungsrichtung vergessen zu haben scheinen125. Die Behandlung der Ostsiedlung im Rahmen einer Ostmitteleuropaforschung ist zugleich ein Teilstück aus der europäischen Ausweitung der deutschen Mediävistik, die Schlesinger neben der landesgeschichtlichen Vertiefung immer wieder angemahnt und insbesondere in den Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte verwirklicht hat. In dem hier behandelten Sachkomplex steht Schlesingers wissenschaftliche Arbeit nicht für die Kontinuität wissenschaftlicher Traditionen über das Jahr 1945 hinaus, sondern für deren deutliche Revision, für eine Revision und einen Wandel, die er in den 1950er Jahren herbeiführte und die in den Grundbegriffen und in den Themenstellungen die Paradigmen der vorherigen deutschen Ostforschung hinter sich ließ. Lothar Gall hat kürzlich in seinen Betrachtungen zur „Elitenkontinuität in Wirtschaft und Wissenschaft“ nach 1945 die grundsätzliche Frage aufgeworfen, 124 Nagel, Im Schatten (wie Anm. 1). 125 Vgl. oben Anm. 41. – Vgl. auch die bei Schich, „Germania Slavica“ (wie Anm. 41), S. 272 Anm. 12, zusammengestellte Literatur.



Schluß 

 341

ob das Maß der personellen Elitenkontinuität bzw. -diskontinuität über den Charakter des Neuanfangs, des bewußten und faktisch durchgesetzten Bruchs mit der Vergangenheit entscheidet oder ob nicht vielmehr der innere Wandel der an der Vergangenheit aktiv Beteiligten und in sie Verwickelten, die nun wieder an führender Stelle an dem Neuaufbau mitwirkten, diesen Neuaufbau und diesen Bruch viel tiefergehender und definitiver hat werden lassen, gerade weil sie als direkte Betroffene die Konsequenzen aus ihren eigenen Erfahrungen sehr entscheiden, ja radikal gezogen haben126.

Im wissenschaftlichen Bereich hat Gall am Beispiel des Königsberger und Kölner Neuzeithistorikers Theodor Schieder nachdrücklich für die zweite Interpretation plädiert: Vor allem ... ging er [sc. Schieder] entschlossen alle jene Fragen an, die sich für den Historiker und zwar für den unmittelbar mitlebenden und beteiligten Historiker aus den Erfahrungen der zurückliegenden zwölf Jahre ergaben und aus dem, was direkt oder indirekt auf diese Zeit hingeführt hatte, sozusagen ihren Wurzelgrund bildete. Dies ... stellte die bisherigen Anschauungen und Betrachtungsweisen und die von ihnen bestimmten historischen Traditionen nachdrücklich auf den Prüfstand und führte Schritt für Schritt zu einer tiefgehenden Veränderung der Perspektiven wie der Grundkategorien127.

Dieses Urteil läßt sich auf den Mittelalter- und Landeshistoriker Walter Schlesinger vorbehaltlos übertragen. Die Teilung Deutschland und Europas nach 1945 erschütterte in ihren wissenschaftspolitischen Folgen Schlesingers Fach, die (ostmittel)deutsche Landesgeschichtsforschung, in ihren Grundfesten. Er bemühte sich in der Folgezeit nicht nur darum, sie in der veränderten Lage in der Bundesrepublik organisatorisch auf neue Grundlagen zu stellen. Vor allem setzte er sich mit ihren bisherigen maßgeblichen Forschungskonzeptionen sehr kritisch auseinander und suchte hier neuen geschichtswissenschaftlichen Leitlinien den Weg zu bahnen, ohne damit erneut der Gefahr einer Bedienung aktueller politischer Erwartungen zu erliegen. Im Gegenteil: In der Hochzeit der politischen Konfrontation zwischen Osten und West wünschte er mit seinen wissenschaftlichen Erörterungen das wissenschaftliche Gespräch mit ostmitteleuropäischen Historiographien über ein Stück gemeinsamer Geschichte zu eröffnen, fern von politischen Legitimationsbedürfnissen. Walter Schlesinger fügt sich mit seinem 126 L. Gall, Elitenkontinuität in Wirtschaft und Wissenschaft: Hindernis oder Bedingung für den Neuanfang nach 1945? Hermann Josef Abs und Theodor Schieder, in: Historische Zeitschrift 279 (2004), S. 659–676, hier S. 675. – Vgl. jetzt noch L. Gall, 150 Jahre Historische Zeitschrift, in: 150 Jahre Geschichtsforschung im Spiegel der Historischen Zeitschrift (= Historische Zeitschrift 289/1), 2009, S. 1–23, hier S. 10–16 zu Theodor Schieder mit einer tief eindringenden, dessen historiographische Schlußfolgerungen aus der geistigen Verarbeitung des Nationalsozialismus und der Katastrophe von 1945 eindringlich charakterisierenden Darstellung. 127 Gall, Elitenkontinutität (wie Anm. 126), S. 668.

342 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

Werk ein in eine Reihe deutscher Historiker, die nach 1945 ihre Erfahrungen in und mit dem Dritten Reich und ihre Auseinandersetzung mit dem „bürgerlichen Nationalismus“ ihrer Lehrer-Generation128 zu einer grundlegenden Revision wissenschaftlich produktiv genutzt und damit auf ihrem Felde zur geistigen Grundlegung der jungen Bundesrepublik beigetragen haben129.

Quellenanhang130 1.a. Manfred Hellmann an WS: nimmt kritisch Stellung zu WS’s Aufsatz „Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung“. 1956 Dezember 31. – NL WS, Nr. 67. Sie haben von mir verlangt, ich sollte Ihren Aufsatz131 kritisch lesen. […] Sie versuchen, der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung einen neuen Sinn, einen ihr angemessenen Platz im deutschen Geschichtsbewußtsein anzuweisen. Wenn ich recht sehe, richtet sich Ihre Polemik gegen zwei Tendenzen: einmal die kommunistische in der eigenen Zone und die chauvinistische in Polen und der Tschechei, zum anderen gegen die restaurativen Bestrebungen gewisser in einem

128 Vgl. Schlesingers deutliche Kritik an seinem eigenen Lehrer Kötzschke, WS, Zum hundertsten Geburtstag (wie Anm. 2), S. 86. 129 Das Problem von Kontinuität und Wandel eines Historikers nach 1945 wird für Schlesingers berühmten mediävistischen Generationsgefährten Hermann Heimpel mit Fragen, die grundsätzlichen Charakter haben, erörtert von H. Boockmann, Versuch über Hermann Heimpel, in: Historische Zeitschrift 251 (1990), S. 265–282, hier S. 271–274. – Für ein vergleichbares anderes Beispiel vgl. K. Neitmann, Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien in Göttingen nach 1945, in: Nordost-Archiv N.F. 7 (1998), S. 11–32; in diesem Band unten S. 521–542. 130 Der Quellenanhang will die Darstellung von Schlesingers historiographischen Problemstellungen durch eine sehr kleine Auswahl aus seinen in seinem Nachlaß vorhandenen reichhaltigen wissenschaftlichen Korrespondenzen ergänzen, verdeutlichen und vertiefen. Ausgewählt sind Briefauszüge, die sich auf die im Text dargestellten wissenschaftlichen Themen und Veröffentlichungen beziehen und zu derem besseren Verständnis beitragen. Auf den Abdruck der vollständigen Briefwortlaute wurde wegen der darin vorkommenden vielfältigen anderen, thematisch wegführenden Gegenstände verzichtet, die Auszüge jedoch möglichst ohne Kürzung wiedergegeben. Zum besseren Verständnis der Sachdiskussionen sind auch Äußerungen von Schlesingers Korrespondenzpartnern berücksichtigt worden. Auf eine eingehendere Sachkommentierung wird verzichtet. Offensichtliche, durchgängig geringfügige Schreibversehen der Vorlagen sind stillschweigend beseitigt worden. 131 WS, Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung (siehe oben Anm. 58).



Quellenanhang 

 343

bestimmten Marburger Institut132 zentralisierter „Unbelehrbarer“. Als dritten Gegner haben Sie, freilich, soweit ich sehe, nur in einigen kurzen Bemerkungen S. 25/26 jene Kreise angesprochen, die vom Osten möglichst nichts wissen wollen und ihn als etwas Minderwertiges ansehen133. Das Gewicht dieser Polemik scheint mir […] nicht ganz gerecht verteilt. Das Schwergewicht liegt ganz offensichtlich bei den Angriffen auf die restaurativen „Ostlandreiter“ (wie ich sie nennen möchte). Freilich werden auch die poln. bzw. tschech. Geschichtsverfälscher angesprochen, aber doch um einige Grade nachsichtiger. Sie haben zwar auch Toynbee als Stimme des Westens apostrophiert, aber ich vermisse jene Typen vom Schlage Buchheim, Rantzau134 etc., jene „Abendländer“ um die famose „Abendländische Akademie“ mit dem Fürsten Waldburg-Zeil an der Spitze, die sich auf der Reichenau zu versammeln pflegen und möglichst alle Ostdeutschen und Ostmitteleuropäer als nicht existent betrachten möchten – hier scheinen mir die viel ernsteren Gefahren zu sitzen, gegen die ein gewisses Marburger Institut, in dem zudem keineswegs, wie Sie wissen, Übereinstimmung herrscht, als geradezu harmlos erscheint. In diesen vorwiegend am Rhein und im Südwesten sich in allerlei Kreisen, Gruppen, Cliquen zusammenfindenden „karolingischen“ Deutschen sehe ich in erster Linie die „Feinde“, die es anzugreifen und zu bekämpfen gilt! Ihnen muß klargemacht werden, daß es weder ein Deutschland noch ein deutsches Volk gäbe, in dem sie ihr Unwesen treiben könnten, wenn es eben keinen deutschen Osten gegeben hätte. Es mögen meine nahezu 8 Jahre in dieser äußersten Südwestecke135 sein, die mich Ihnen das schreiben lassen, jenes geheime und so schwer greifbare Intrigieren und Totschweigen […].

1.b. WS an Manfred Hellmann: erläutert die Absichten und Hintergründe seines Aufsatzes „Die geschichtliche Stellung …“. 1957 Januar 7. – Ebd. Lieber Herr Hellmann, lassen Sie mich Ihnen herzlich für Ihre beiden Briefe136 danken, insbesondere für die ausführliche Stellungnahme zu meinem Vortrag. Ich glaube nicht, daß sich unsere Ansichten so weit voneinander entfernen, wie Ihnen dies wohl erschienen 132 Johann Gottfried Herder – Institut, Marburg. 133 S. 467 des Abdrucks von 1961. 134 Karl Buchheim (1889–1982), Johann Albrecht von Rantzau (* 1900); vgl. die knappen Bemerkungen zu beiden bei Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, 1993 (zuerst 1989) (die Belege im Personenregister, S. 358, 363, dazu die Angaben im biographischen Anhang S. 315, 326). 135 Hellmann war damals als Assistent bzw. Dozent an der Universität Freiburg i. Br. tätig. 136 Briefe Hellmanns vom 31. 12. 1956 und 2. 1. 1957.

344 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

ist. Auch mir geht es in erster Linie um die Erkenntnis dessen, was die mittelalterliche deutsche Ostbewegung für das gesamte Deutschland und für Europa bedeutet, und ich meine, daß ich dies auch ausgesprochen habe. Ihre Thesen kann ich Wort für Wort unterschreiben. Ich glaube, daß Sie in meinem Vortrag zu viel Polemik vermutet haben, die gar nicht drin ist. Ich habe ja im Eingang Polemik auch ausdrücklich abgelehnt. Wenn Sie das Gefühl haben, daß gegen die Richtung eines bestimmten Instituts polemisiert wird, so liegt dies daran, daß die Richtung dieses Instituts in der wissenschaftlichen Erörterung viele Jahre lang ganz einseitig hervorgetreten ist und eben teilweise auch heute noch hervortritt. Dann fällt es natürlich auf, wenn plötzlich einmal andere Meinungen geäußert werden. Sie schreiben, daß alle vernünftigen Leute heute die Richtung vertreten, die in meinem Vortrag angedeutet wird. Dies mag sein und ist sehr erfreulich. Mir ist aber nicht erinnerlich, daß jemand einmal expressis verbis von jener anderen Richtung abgerückt wäre, es sei denn, daß man gleich das Kind mit dem Bade ausschüttete, wogegen man sich ja dann auch wieder wenden muß. Ein ausdrückliches Abrücken scheint mir aber nötig zu sein. Mir liegt als ein Kulturdokument besonderer Art ein Heft des Brandenburgischen Jahrbuchs (nr. 4) vor, das bereits umbrochen war, mit den Korrekturen der Publikationsstelle137. Johannes Schultze138 hat mir den Kommentar dazu geliefert und auch die Leute genannt, die sich dabei betätigt haben. Ein Aufsatz von Teuchert über die slavischen Lehnwörter in den ostdeutschen Dialekten ist dem Rotstift überhaupt zum Opfer gefallen, und von „Staat“ durfte in keinem Falle gesprochen werden, auch bei den Polen nicht. Das Ganze hat sich im Jahre 1934 und 35 abgespielt. Ich glaube nicht, daß die Kreise, die Sie in Ihrem Briefe als besonders gefährlich ansprechen, in der Lage sind, sich in dieser Weise zu betätigen. Wohl aber weiß ich, daß ein Sammelreferat über neues Schrifttum zum Hussitismus in der Zeitschrift für Ostforschung nicht aufgenommen werden soll, weil einer der Herausgeber wider-

137 Brandenburgische Jahrbücher. Schriftenreihe für Natur- und Landschaftsschutz, Geschichtsforschung, Archivwesen, Boden- und Baudenkmalpflege, Volkskunde, Heimatmuseen, hrsg. v. Landeshauptmann der Provinz Brandenburg, [Bd.] 4. Aus der Frühzeit der Mark, bearb. v. Johannes Schultze, 1936 (mit Beiträgen von Martin Schultze, Herbert Ludat, Richard Moderhack, Johannes Schultze, A. Suhle, Gottfried Wentz zur Geschichte des späteren Brandenburg von der Völkerwanderung bis zum 12. Jahrhundert). – Zur Beteiligung der „Publikationsstelle BerlinDahlem“ vgl. einen dazu aus ihrer Aktenüberlieferung stammenden, im Bundesarchiv in Berlin verwahrten Band von 1937 (Archivsignatur: R 153, Nr. 1512), s. Publikationsstelle Berlin-Dahlem 1931–1945. Bestand R 153, bearb. v. Irmtraut Eder-Stein unter Mitwirkung von Kristin Hartisch (Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs, Bd. 92), 2003, S. 242. 138 Gerd Heinrich, Johannes Schultze (1881–1976). Lebensweg und Werk eines brandenburgischen Landeshistorikers, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 26 (1977), S. 452–467.



Quellenanhang 

 345

spricht. Die Methoden sind eben die gleichen geblieben. Sehr lieb wäre es mir, wenn Sie mir gelegentlich einmal Näheres über die Tätigkeit jener „Karolinger“ mitteilen könnten. Vor allem käme es darauf an, die Auswirkung in der wissenschaftlichen Literatur festzunageln. Sie ist für mich vorerst nur darin erkennbar, daß gewisse Leute gewisse Dinge nicht sagen. Dagegen kann man schwer etwas machen, und andererseits wird man sagen dürfen, daß diejenigen, die die Dinge beim rechten Namen nennen, heute ja keineswegs zum Schweigen verurteilt sind. Die Ostforschung genießt wirklich weitgehende Unterstützung. […]

1.c. Manfred Hellmann an WS: beschreibt seine Erfahrungen mit der vom Johann Gottfried Herder – Institut vertretenen Forschungsrichtung. 1957 Januar 8. – Ebd. […] Im Gespräch hat mich Ludat nun allerdings an Verschiedenes erinnert, was mich dazu zwingt, meine Einwände gegen Ihre Polemik betr. eines gewissen Instituts und seiner Leitung zu revidieren und z.T. abzuschwächen. Ich bin im Besitz von Randbemerkungen des Präsidenten des Herder-Forschungsrates139 zu einem – von Keyser140 erbetenen – Aufsatz von mir über die innere Entwicklung im Memelgebiet zwischen 1920 und 1939 (eine erweiterte Fassung eines Beitrages für das Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums, der nicht mehr erschienen ist), die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen, denn ich hatte versucht, die Schuld am Memelkonflikt, soweit er die innere Situation im Gebiet selbst betrifft, auch auf deutscher Seite zu suchen, nicht nur den Litauern aufzubürden, die ja sicherlich ein gerüttelt Maß an dieser Schuld haben. Der Aufsatz sollte von mir umgearbeitet werden, es hat einen sehr heftigen Briefwechsel mit Schlenger141 gegeben (übrigens einem der „politischen Wissenschaftler“ par excellence!), ich habe ihn zurückgezogen und bis heute nicht drucken lassen. Dieses Erlebnis ist nicht das einzige, aber ich habe den Eindruck, daß diese Richtung im Grunde ohne Nachwuchs ist – die Jugend macht nicht mehr mit, ich sehe 139 Hermann Aubin (1885–1969). 140 Erich Keyser (1893–1968), damals Direktor des Johann Gottfried Herder – Instituts in Marburg. Vgl. Hermann Aubin, Zu den Schriften Erich Keysers, in: Studien zur Geschichte des Preussenlandes. Festschrift für Erich Keyser zu seinem 70. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, hrsg. v. Ernst Bahr, 1963, S. 1–11. 141 Herbert Schlenger (1904–1968), Geograph, von 1952 bis 1968 Mitherausgeber und Schriftleiter der „Zeitschrift für Ostforschung“ (Jgg. 1–17). Vgl. Ludwig Petry, Nachruf Herbert Schlenger (geb. 10. 4. 1904 in Neumittelwalde, gest. 3. 12. 1968 in Kiel), in: Zeitschrift für Ostforschung 18 (1969), S. 1–14, bes. S. 6f., 10. – Willi Oberkrome. Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 101), 1993, S. 144f.

346 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

es an meinen Schülern Kuhl und Küchler, deren Kritik an Schärfe uns alle ganz wesentlich übertraf. Denn unsere in die wissenschaftliche Arbeit hineinwachsende Jugend ist ja gänzlich frei von den Ressentiments und Komplexen, die sich in den Jahrzehnten des Nationalitätenkampfes gebildet haben. Man müßte sie schon geradezu ummodeln, um ihr ebenfalls diese Vorurteile beizubringen. Das wird nicht gelingen. […].

2. WS an Herbert Ludat: schildert denkbare unterschiedliche Konzeptionen eines geplanten Regestenwerkes zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation und des deutsch-slawischen Ausgleichs. 1957 Juli 23. – NL WS, Nr. 71. […] Wegen des Gesamtplanes habe ich mir nun noch einmal Gedanken gemacht. Man kann ein Regestenwerk zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation so anlegen, daß man Kolonisation im landläufigen Sinne fasst. Man kommt dann auf die eigentlichen Siedlungsvorgänge und zu einem Werke, das in der kleinen Sammlung von Kötzschke142 sein Vorbild hätte. Man kann weiterhin ostdeutsche Kolonisation gleichsetzen mit deutscher Ostbewegung im Mittelalter. Dann wären allerdings die Vorgänge der Eroberung und der Mission mit einzubeziehen, auch noch allgemeinere Dinge der west-östlichen Kulturbewegung, Ihnen brauche ich das nicht weiter zu erläutern. Man kann schliesslich drittens abstellen auf das Zusammenleben der deutschen mit den slawischen Völkern, dazu mit den Balten und Ungarn, und auf den Ausgleich, der in weiten Gebieten schliesslich eingetreten ist. Mit anderen Worten: im Vordergrunde stünde die Eindeutschung der Slawen im deutschen Osten und die Slawisierung der Deutschen im östlichen Mitteleuropa. Man würde dabei alle Vorgänge der Kolonisation erfassen müssen, aber auch einiges darüber hinaus. Vor allen Dingen müsste die slawische Seite mit berücksichtigt werden, d.h. alle Nachrichten über Slawen in den Urkunden müssen gesammelt werden. Dies wäre ja zugleich eine Ergänzung zu dem Unternehmen. Man müsste das ganze nach der sozialgeschichtlichen Seite hin akzentuieren, also die sozialen Gruppen ins Auge fassen, ihre Benennung, ihre Rechtsstellung, ihre Abgaben und sonstigen Leistungen, sowohl die kirchlichen wie die weltlichen, auch ihre Herrschaftsrechte, soweit bei einzelnen Gruppen vorhanden. Wie stehen sie in der Gerichtsverfassung, wie in der Agrarverfassung, wie in Handel und Gewerben, wie in der Verwaltung? Der deutsch-slawische Ausgleich hat sich vollzogen zunächst im Rahmen des blossen Zusammenwohnens und Zusammenwirtschaftens, er hat sich dann vollzogen im Rahmen von Herrschaft 142 Rudolf Kötzschke, Quellen zur Geschichte der Ostdeutschen Kolonisation im 12. bis 14. Jahrhundert, 2. Aufl. 1931.



Quellenanhang 

 347

und Gemeinde, im Rahmen der Kirche und schließlich im Rahmen des Staates. Sie sehen, all das ist noch ziemlich unausgegoren, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie auch einmal darüber nachdenken würden. […].

3.a. Wolfgang Fritze an WS: erörtert anläßlich des Disputes WS’s mit G. Labuda die historisch bedingte Problematik einer deutsch-polnischen Verständigung. 1962 Januar 8. – NL WS, Nr. 63. […] Für Ihr Buch143 möchte ich mich nicht nur bedanken, sondern Sie auch herzlichst zu ihm beglückwünschen. Die gewählte Form eines unveränderten Abdruckes der einzelnen Arbeiten mit im Anhang angefügten ergänzenden Bemerkungen halte ich für sehr glücklich. Geschmerzt hat mich, wenn ich das offen sagen darf, der stellenweise recht scharfe Ton Ihrer Auseinandersetzung mit Labuda144. Sie haben sich verletzt gefühlt, weil L. Ihnen Motive unterschoben hat, die Sie nicht hatten. Sie dürfen aber nicht vergessen, daß wir seit 40 Jahren beinahe die ersten sind, die an Fragen der deutsch-polnischen Auseinandersetzung in der Geschichte ohne politische Hintergedanken herangehen. Nach allem, was geschehen ist, können wir einfach nicht erwarten, daß die Polen nun uns ohne Weiteres Glauben schenken. Die Ressentiments sitzen zu tief. Nicht nur, daß die Polen durch uns in einer Weise haben leiden müssen, die nur der ermessen kann, der das alles selbst hat mitansehen und sich dabei seines Deutschtums bis in den Grund seiner Seele hat schämen müssen, sie sind durch uns auch in ihrem nationalen Selbstgefühl in einer fast unheilbaren Weise verletzt worden. Wenn überhaupt noch etwas, dann kann nur Geduld hier helfen, verstehende Geduld, die im Bewußtsein des Geschehenen auch Unrecht erträgt. Das Prinzip des Zurückschlagens reißt die Gräben nur noch tiefer auf, die Gräben zwischen zwei Völkern, die wohl gegeneinander sterben, aber nur miteinander leben können. Es wird nötig sein, in beiden Völkern kleine Zellen zu bilden von Gutwilligen, von Menschen, die bereit sind, die eigene Vorstellung vom anderen Volke zu „entzerren“, in der dämonischen Fratze wieder das menschliche Antlitz zu sehen. Mir wird immer klar, daß Frieden zwischen den Völkern nur Jesus von Nazareth stiften kann, denn nur in ihm ist die Wahrheit. Wie eh und je wird es auch heute immer nur wenige geben, die sich ihr zu öffnen vermögen, die in Demut das Gericht der Wahrheit über die eigene Person annehmen und dadurch bereit werden, dem Nächsten verstehend zu verzeihen. […]. 143 WS, Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters (siehe oben Anm. 49). 144 Ebd., S. 479–487.

348 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

3.b. WS an Wolfgang Fritze: erläutert die Gründe für seinen wissenschaftlichen Disput mit G. Labuda und seine Kritik an dessen methodischen Positionen. 1962 Januar 19. – Ebd. […] Nun zu den anderen Ausführungen Ihrer Briefe. Voranstellen möchte ich, dass ich Ihre Ansicht über die Grundlagen des deutsch-polnischen Verhältnisses völlig teile. Den Polen sind Dinge zugemutet worden, die uns noch heute die Schamröte ins Gesicht treiben, und es ist klar, dass sie nicht ohne weiteres darüber hinwegkommen. Die Vergangenheit kommt aus der Zukunft auf uns zu. Sie haben auch völlig recht, wenn Sie sagen, dass der Ton meiner Auseinandersetzung mit Labuda scharf ist. Warum es der Fall sein musste, werde ich Ihnen gleich begründen. Nicht recht haben sie jedoch meiner Ansicht nach mit dem Rückgriff auf das Zitat von Vasmer145. Es gibt nicht nur eine Geschichtswissenschaft in Deutschland, sondern es gibt eine deutsche Geschichtswissenschaft. In der Philologie mag dies anders ein, ich will dies hier nicht untersuchen; ich frage mich immerhin, ob Jacob Grimm in Frankreich möglich gewesen wäre. In der Geschichtswissenschaft hängt diese „Nationalisierung“, wenn Sie wollen, offenbar mit dem „gentilen“ Prinzip zusammen, das Ihnen ja genügend bekannt ist. Als Träger des geschichtlichen Prozesses gelten seit mehr als einem Jahrtausend die Völker, und demzufolge hat auch die Geschichtswissenschaft als denkende Betrachtung vergangener Wirklichkeit, die ja zumeist in erster Linie auf das eigene Volk gerichtet war, was völlig legitim ist, bei den verschiedenen Völkern eine verschiedene Färbung angenommen. Ob sich dies in Zukunft ändern wird, lässt sich noch nicht übersehen, es ist vielleicht nicht unwahrscheinlich. Es ist möglich, dass unsere Ansichten über den geschichtlichen Prozess und seine Träger sich von Grund auf ändern und dass der hauptsächliche Gegenstand geschichtlicher Betrachtung ein anderer wird. Daraus würde alles weitere hervorgehen. Aber bei den Polen ist diese Änderung bisher ganz gewiss noch nicht eingetreten. Es gibt nach wie vor eine polnische Geschichtswissenschaft, die spezifisch polnisch ist, und demgemäss auch eine polnische Geschichtsforschung. Daran ist nichts auszusetzen. Ihre Existenz hat sie aber leider in dem vorliegenden Falle damit erwiesen, dass sie die für die polnische Frühgeschichte gerade im Hinblick auf das bevorstehende Staatsjubiläum bedeutungsvollen Ausführungen Beumanns (von mir selbst will ich nicht reden)146, die an einem 145 Max Vasmer (1886–1962), Slavist und Sprachwissenschaftler, zuletzt, seit 1949, an der Freien Universität Berlin tätig. Vgl. Wolfgang H. Fritze, Max Vasmer †, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 11 (1962), S. 526–528. 146 Gemeint ist der Aufsatz von WS u. Helmut Beumann: Urkundenstudien zur deutschen Ostpolitik unter Otto III. (siehe oben Anm. 90).



Quellenanhang 

 349

Grundpfeiler der in Polen üblichen Anschauungen rüttelten, bisher konsequent und einmütig totgeschwiegen hat. Auch Labuda geht auf Beumann nicht ein. Ich betrachte ihn keineswegs als Exponenten der polnischen Forschung, wie Sie meinen, sondern die an den beiden von Ihnen beanstandeten Stellen erhobenen Vorwürfe gelten ausdrücklich der polnischen Forschung als solcher. Herr Labuda hat mir nicht falsche Beweggründe unterschoben, wenigstens expressis verbis, dies möchte ich ausdrücklich hervorheben. Es handelt sich auch nicht darum, dass ich böse darüber wäre, dass er meine Ansichten für falsch hält. Sie werden bemerkt haben, dass der Zusatz zu dem Aufsatz über die deutsche Ostbewegung sich jeglicher Kritik an den Bemerkungen Labudas dazu enthält und eine Brücke zu schlagen sucht147. Hier handelt es sich um Meinungsverschiedenheiten, und wenn ich seine Meinung auch nicht teile, so kann ich sie aus den oben angeführten Gründen doch verstehen. Bei der anderen Auseinandersetzung handelt es sich um etwas ganz anderes, nämlich um die Methode. Labuda hat in die Diskussion nicht nur seine eigenen ausserwissenschaftlichen Gesichtspunkte, nämlich die heutige polnische Westgrenze, hineingebracht, was seine Sache ist, aber doch wohl erwähnt werden muss, sondern er hat aus eben diesen ausserwissenschaftlichen Gründen unsere Ausführungen ungenau, unrichtig, teilweise sogar direkt entstellt und vor allem unvollständig wiedergegeben und bekämpft nicht sie selbst, sondern eine Konstruktion, die er sich willkürlich zurechtgemacht hat und die er infolgedessen leicht widerlegen kann. Er reisst Einzelprobleme willkürlich aus dem Zusammenhang heraus, den er seinen Leser verschweigt, ohne den aber die Einzelargumente gar nicht verständlich sind. Wenn er uns nicht nur „fehlerhafte“, was immer passieren kann, sondern „ungenügende“ Interpretation vorwirft und dann verkündet, man müsse die inneren Merkmale einer Urkunde über die äusseren stellen, so ist dies ein Verhalten, auf das eine deutliche Antwort einfach notwendig ist. Es spricht nicht mehr allein das Ressentiment, sondern es werden die Grundsätze unserer Wissenschaft bewusst verlassen, aus Gründen, die auf der Hand liegen. Ich halte Herrn Labuda nicht für so dumm, dass er selbst glaubt, was er schreibt. Es muss deutlich gemacht werden, dass eine fruchtbare Auseinandersetzung, ja eine Auseinandersetzung überhaupt, auf diesem Boden nicht möglich ist. Ich meine, dass man hier den Anfängen wehren muss, da sonst die Gefahr besteht, dass auch in Zukunft ähnliche Argumentationen sich wiederholen, wenn sie jetzt ohne deutlichen Widerspruch hingenommen werden. Wie ganz anders eine solche Auseinandersetzung verlaufen könnte, zeigt etwa der Aufsatz von Fr. Graus über die sogenannte germanische Treue (Historica I)148, der m.E. ebenfalls zu ganz falschen Ergebnissen kommt und in dem das tsche147 Gemeint ist der oben bei Anm. 99 zitierte Satz Schlesingers. 148 Siehe oben Anm. 92.

350 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

chische Ressentiment sehr deutlich ist149, in dem aber doch der methodische Boden strenger Wissenschaft niemals verlassen wird. Hier ist in der Auseinandersetzung in der Tat ein anderer Ton am Platze. Ich hoffe, dass ich ihn auch in der Besprechung über Halecki getroffen habe, die Sie beim Jahrbuch einsehen können150. Ich habe Ihnen so deutlich geantwortet, wie Sie es von mir gewöhnt sind und bedaure es nur, dass wir diese Dinge nicht wie früher mündlich erörtern können. Das wäre viel besser, es würde nicht nur die Verständigung erleichtern, sondern auch weiterführen. Dass ich stets bemüht sein werde, den alten Schutt der Zwischenkriegszeit aus dem polnisch-deutschen Verhältnis wegräumen zu helfen, dürfen Sie mir glauben, Sie tun es ja auch. […].

4.a. WS an Theodor Mayer: befürwortet eine Tagung deutscher und tschechischer Historiker über die frühmittelalterliche Siedlungsgeschichte Böhmens zur Ingangsetzung eines deutsch-tschechischen Dialoges. 1962 November 19. – NL WS, Nr. 17. […] Dann habe ich noch eine Bitte. Herr Schwarz sagte mir, daß Sie ihm abgeraten hätten, sich an einer Diskussion mit tschechischen Historikern, darunter F. Graus, zu beteiligen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Schwarz Sie richtig verstanden hat. Natürlich weiß man, daß Graus Kommunist ist, aber das gilt für Poulik auch, und er hat trotzdem auf der Reichenau gesprochen, wie ich meine nicht ohne reiche Belehrung für uns151. Das Gespräch soll im engsten Kreise stattfinden, höchstens ein Dutzend Teilnehmer, es wird nach außen keinerlei Wirkung haben. Aber es soll den Anfang machen, die gegenwärtige Situation überwinden, die ein Gespräch zwischen Deutschen und Tschechen überhaupt nicht aufkommen läßt. Selbstverständlich wird man unseren Standpunkt sehr konsequent gegen die tschechischen Ansichten verteidigen müssen. Gerade deshalb ist die Teilnahme von Herrn Schwarz unbedingt nötig, der die Quellen sehr viel besser kennt als alle anderen, sofern es sich um siedlungsgeschichtliche Fragen handelt, und diese sollen im Mittelpunkt stehen („Siedlung und Verfassung bis zur Entstehung des premyslidischen Gesamtstaats“). Sie würden der

149 Zur Erläuterung vgl. Schlesingers Bemerkungen in seinem Aufsatz: Randbemerkungen (wie Anm. 92), S. 316f. mit Anm. 92. 150 Siehe oben Anm. 94. 151 Prof. Dr. J. Poulik hielt auf der Reichenau-Tagung vom 24.–27. 3. 1958 zum Rahmenthema „Byzanz und das Abendland“ einen Vortrag über „Die neuesten Entdeckungen aus der Zeit der Großmährischen Reiches in Südmähren“, vgl. Theodor Mayer und der Konstanzer Arbeitskreis (wie Anm. 109), S. 45.



Quellenanhang 

 351

Sache einen großen Dienst tun können, wenn Sie Herrn Schwarz seine Bedenken ausreden könnten, die vielleicht auch darauf gerichtet sind, daß manche politische Stellen ein solches Gespräch nicht sehr gern sehen könnten. Ich meine, daß wir auf solche Dinge noch nie Rücksicht genommen haben, nicht Rücksicht nehmen dürfen und auch in diesem Falle nicht Rücksicht nehmen sollen. Außerdem glaube ich nicht daran, daß solche Bedenken überhaupt bestehen. […]152.

4.b. WS an Walter Kienast: befürwortet den Abdruck des anregenden, das zentrale Problem der europäischen Nationen behandelnden Aufsatzes von František Graus in der „Historischen Zeitschrift“. 1962 Dezember 3. – NL WS, Nr. 69. Lieber Herr Kienast, den Aufsatz von Graus153, den Sie mir am Freitag gaben, habe ich mit großem Interesse, wie ich sagen muß, gelesen. Ich halte es für zweckmäßig, wenn ich Ihnen meine Ansicht schriftlich mitteile. Sie können von diesem Briefe selbstverständlich den Gebrauch machen, der Ihnen nötig erscheint. Ich sehe keinen Grund, weshalb der Aufsatz nicht in der HZ gedruckt werden sollte. Er enthält ohne Zweifel Gedanken, die nicht nur neu, sondern auch interessant sind und, wie ich glaube, wenigstens zum Teil völlig richtig sind. Anregend und fruchtbar für eine künftige Diskussion sind sie auf jeden Fall. Daß nicht alles stichhaltig ist, ist klar, aber ist dies bei anderen in der HZ erscheinenden Aufsätzen anders? Graus schüttet, wie auch in anderen Veröffentlichungen, das Kind mit dem Bade aus. Aber wenn man gegen die herrschende Meinung opponiert, ist man leicht in Gefahr, dies zu tun, und ich möchte es ihm daher nicht übel nehmen. Die Grundthese, daß man verfassungsgeschichtliche Erscheinungen nicht einfach als „germanisch“ oder „slawisch“ klassifizieren könne, ist

152 Theodor Mayer antwortete am 21. November 1962 u.a.: „Was Ihnen Schwarz wegen des Treffens mit den Tschechen erzählt hat, stimmt allerdings nicht ganz. Ich habe ihm nicht abgeraten, sondern nur meine Bedenken geäußert. Sie richten sich im wesentlichen gegen Prof. Graus – Prag. Graus hat beim internationalen Historikerkongreß in Rom Deutschland schwer angegriffen, so daß Aubin und auch Fr. Kempf erwiderten. Auf dem Stockholmer Kongreß hat er die deutsche Wissenschaft wieder angegriffen. Diese beiden Vorgänge sind in den gedruckten Protokollen zu lesen. Das war mein persönliches Bedenken. Daß irgendeine Stelle, hoch oder nieder, sich zu diesen Besprechungen geäußert hat, ist mir nicht bekannt, ich habe von niemand etwas in diesem Sinne gehört. Ob Her Graus Kommunist ist oder nicht, ist mir gleichgiltig, er muß es wohl sein oder wenigstens so tun, als wenn er es wäre“. 153 František Graus, Deutsche und slawische Verfassungsgeschichte?, in: Historische Zeitschrift 197 (1963), S. 265–317.

352 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

von den Ansichten des neuen Buchs von Wenskus154 gar nicht sehr weit entfernt. Was über die Kolonisation gesagt wird, trifft sich zum Teil mit meinen eigenen Ansichten. Sicherlich formuliert Graus teilweise zu extrem, aber das Problem, das er in Angriff genommen hat, ist eines der wichtigsten überhaupt, die uns in der Gegenwart gestellt sind: er sucht eine Antwort auf die Frage nach der Stellung ethnischer Einheiten im historischen Prozeß. Ein Jahrtausend lang haben sie geradezu als seine Träger gegolten, und noch heute sprechen wir unbefangen von deutscher, englischer, polnischer Geschichte. Das war nicht immer so, in der Antike ganz gewiss nicht. Gilt es heute noch? Wenn nein, warum nicht? Ist „Europa“ eine Größe, die an die Stelle der ethnischen Einheiten treten kann? Wird es nicht gerade durch das Vorhandensein seiner Großvölker erst konstituiert? Die aber nicht eigentlich ethnische, sondern historische Größen sind? Man könnte diese Fragen noch lange fortsetzen. Der Aufsatz von Graus scheint mir ein wichtiger Beitrag zu dem ganzen Komplex zu sein. Man merkt nirgends, daß eine marxistisch-leninistische Geschichtsdogmatik hinter seinen Ausführungen stehe. Er ist ihr wohl auch gar nicht verpflichtet, obwohl er meint, er sei Kommunist. Deutlich ist, daß er nicht Nationalist ist. Tschechen und Polen werden genau so angegriffen wie die Deutschen. Ich halte es für dringend erforderlich, daß wir mit der tschechischen Mittelalter-Forschung ins Gespräch kommen. Ein Anfang ist gemacht, und eine Fortsetzung ist geplant. Sie würde sehr erleichtert werden, wenn Herr Graus in der HZ ohne irgend welche Auflagen zu Worte käme. Gewisse Komplexe würden dadurch wohl ausgeräumt werden. Daß ich nicht zu denjenigen gehöre, die alles, was aus Polen oder der Tschechoslowakei kommt, als Evangelium betrachte, ist Ihnen bekannt. In diesem Falle aber scheint mir, daß es sich um einen Beitrag handelt, der die Auseinandersetzung lohnt. Sein Wert wird noch erhöht werden, wenn Anmerkungen hinzukommen, wie dies wohl doch beabsichtigt ist. […].155 154 Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, 1961. – Vgl. ferner Wenskus’ Kurzbeitrag zur Marburger Tagung von 1963: Ethnosoziologische Bemerkungen zur deutschen Ostbewegung, in: Deutsche und europäische Ostsiedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 92–99. 155 In seinem Antwortschreiben vom 10. 12. 1962 berichtete Kienast Schlesinger davon, daß Theodor Schieder, der (Haupt)Herausgeber der HZ, „insofern Hemmungen (hat), als eben Aufsätze in der HZ besonders beachtet werden und er befürchtet, dass der Grausaufsatz von den interessierten Kreisen erheblich ausgeschlachtet wird, wie es früher in ähnlichen Fällen der Fall war. Er will also eine Vorbemerkung zu dem Aufsatz machen, dass er als Unterlage einer Diskussion gebracht wird und die Redaktion hoffe, dass sich weitere Stimmen zu den angeschnittenen Fragen erheben werden“. Siehe noch Schlesingers darauf reagierendes Schreiben vom 17. 12. 1962. – Der Aufsatz erschien mit der redaktionellen Vorbemerkung: „Die Schriftleitung der HZ stellt folgenden Vortrag zur Diskussion, der zuerst vor einem deutschen Zuhörerkreis an der Universität Gießen gehalten wurde“ (S. 265).



Quellenanhang 

 353

5.a. Wolfgang Fritze an WS: nimmt zu WS’s Vortrag „Die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung und die deutsche Ostforschung“ Stellung und diskutiert die volksgeschichtliche Betrachtungsweise der Ostsiedlung. 1963 April 27. – NL WS, Nr. 63. […] Daß Sie bei Ihrem Marburger Vortrag156 einen schweren Stand gehabt haben, will ich wohl glauben. Sie haben ja auf das Zentrum der Brackmann-Aubinschen Arbeit geschossen. Daß ich mich dabei in jedem Punkte hinter Sie stelle, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ihre Forderung, an die Stelle einer suspekten sogen. Ostforschung eine Ostmitteleuropa-Forschung zu setzen, trifft ins Schwarze. Das ist genau das, was wir brauchen; prägnanter hätte man es schlechterdings nicht formulieren können. Nicht ganz stimme ich Ihrer Skepsis gegenüber einer volksgeschichtlichen Betrachtung der deutschen Ostsiedlung zu. Wenn man unter volksgeschichtlicher Betrachtung die historische Darstellung und Beurteilung eines Vorganges unter dem Gesichtspunkt seiner Bedeutung für die Geschichte des eigenen Volkes versteht, so meine ich, daß ein solcher Gesichtspunkt insofern angemessen ist, als die Völker nun einmal tatsächlich Träger der europäischen Geschichte sind. Schief wird die Darstellung m.E. erst, wenn sie sich auf diesen einen Gesichtspunkt beschränkt, wie es bei uns und ebenso bei unseren östlichen Nachbarn der Fall war und weitgehend noch ist, wie Sie dargelegt haben. Noch fauler wird es, wenn volksgeschichtliche Betrachtung bedeutet, daß man dem historischen Vorgang volkspolitische Motive unterschiebt, die zwar in der eigenen Zeit, nicht aber in der betrachteten wirksam waren. Da ist aber bei uns doch wohl nur ausnahmsweise der Fall gewesen. Dagegen erscheint es mir angemessen, den Vorgang der deutschen Ostsiedlung auch unter dem Gesichtspunkt der ethnischen Auseinandersetzungen zu betrachten. Denn wenn ich recht sehe, ist es eine Eigentümlichkeit der deutschen Ostsiedlung, daß sie in ein vorhandenes Kulturland ein neues Bevölkerungselement hineingebracht hat, das einerseits Träger höher entwickelter Wirtschaftsund Gesellschaftsformen war, andererseits aber auch einem fremden Volkstum angehörte. Der soziale Gegensatz wurde überlagert und verschärft durch den ethnischen und umgekehrt. Vom Standpunkt der einheimischen Gesellschaft aus betrachtet, stellten sich die durch die deutsche Ostsiedlung ausgelösten Vorgänge als eine Revolution von oben dar, als deren Werkzeug sich eine fremde Volksgruppe zur Verfügung stellte. Der ethnische Kontrast ist anscheinend auch dem deutschen Element zu deutlichem Bewußtsein gekommen , in inniger Durchdringung mit dem Bewußtsein kultureller Ueberlegenheit. Das scheinen die von Maschke, Zatschek, Meynen u.a. gesammelten Quellenzeugnisse zu ergeben. […].

156 WS, Die mittelalterliche deutsche Ostbewegung (siehe oben Anm. 60).

354 

 Eine wissenschaftliche Antwort auf die Herausforderung des geteilten Deutschland

5.b. WS an Wolfgang Fritze: skizziert seine Einschätzung der volksgeschichtlichen Betrachtungsweise für die mittelalterliche deutsche Ostbewegung. 1963 Mai 20. – Ebd. […] Was den Marburger Vortrag betrifft, so bin ich einem Mißverständnis zum Opfer gefallen – wahrscheinlich, weil ich mich nicht deutlich ausgedrückt habe: selbstverständlich bin auch ich der Ansicht, daß man die mittelalterliche deutsche Ostbewegung im Rahmen der deutschen Volksgeschichte betrachten muß. In der Auseinandersetzung mit Graus habe ich aber immerhin gesagt, er halte Völker und Stämme für romantische Phantome, während sie eine Verfassungswirklichkeit seien. Das ist doch eigentlich deutlich. Wogegen ich mich wende, ist die Meinung, erst Herr Boehm habe das eigenständige Volk entdeckt157. Dagegen ist durchaus anzuerkennen, daß zwischen den beiden Weltkriegen allerlei für eine volksgeschichtliche Betrachtungsweise getan worden ist.

6. WS an Günther Grundmann: kritisiert Konzeption und Durchführung der Tagung „Erscheinungen kultureller Überschichtung, Durchdringung und Beeinflussung in Ostmitteleuropa“ des Johann Gottfried Herder – Forschungsrates. 1964 April 27. – NL WS, Nr. 20. Sehr verehrter Herr Präsident,158 erlauben Sie mir, daß ich nochmals auf die soeben zu Ende gegangene Tagung des Herder Forschungsrates159 zurückkomme. Ich habe das Bedürfnis, Ihnen für Ihren Schlußvortrag160 zu danken, der als einziger der ganzen Tagung die Problematik des Generalthemas wirklich in den Mittelpunkt gestellt hat. Sie sprachen nicht nur von Überschichtung, Durchdringung und Beeinflussung, sondern auch, obwohl diese Kategorien nicht expressis verbis auftauchten, von Aneignung und Anverwandlung, und so hätte es in allen Vorträgen sein sollen. Kann diese Aneignung deutlicher zum Ausdruck kommen, als wenn heute in Polen mittelalterliche Stadtbilder, die in ihrem Ursprung deutsch sind, wiederhergestellt werden, 157 Max Hildebert Boehm, Das eigenständige Volk, 1932. – Vgl. auch Schlesingers Aussage in der Diskussion zu seinem Marburger Vortrag: „… dass ich … für meine Person an dieser volksgeschichtlichen Betrachtungsweise festhalten möchte“. Deutsche und europäische Siedlungsbewegung (wie Anm. 60), S. 155. 158 Grundmann war damals Präsident des Johann Gottfried Herder – Forschungsrates. 159 Wissenschaftliche Tagung des Johann Gottfried Herder – Forschungsrates „Erscheinungen kultureller Überschichtung, Durchdringung und Beeinflussung in Ostmitteleuropa“, Marburg, 23.–25. April 1964. 160 Günther Grundmann: Neuzeitliche Architektur im polnisch-schlesischen Grenzraum.



Quellenanhang 

 355

sozusagen ohne Rücksicht auf Verluste? Ferner: bei allem politischen Druck von außen während der letzten 25 Jahre wurde über die Abwehr des Östlichen und die Hinwendung zum Westlichen in der Kunst in Polen selbst entschieden, dies wurde deutlich. Nicht deutlich wurde es z.B. in dem kirchengeschichtlichen Vortrag161, der doch auch den Raum der Diözesen Breslau und Krakau (und in gewisser Weise auch Olmütz) zwischen Ost und West darstellen wollte und sollte. Es wird richtig sein, daß der Einfluss des von Byzanz her bestimmten mährischen Christentums vielfach weit überschätzt worden ist. Aber es ist festzuhalten, daß die Gründung der beiden Bistümer Breslau und Krakau im Zusammenhang mit dem Akte von Gnesen, also unter westlichem Einfluß, nicht besser zu begründen ist als jene andere Hypothese. Sie sind im Jahre 1000 da, mehr wissen wir nicht; auf die Entstehung eines Mainzer Suffragan-Bistums in Mähren (Olmütz?), das schon 976 bezeugt ist, ist der Referent gar nicht erst eingegangen. In Wirklichkeit wurde auch über diese Dinge im Lande selbst entschieden, wie es in Kiew unbestreitbar ist und übrigens auch hinsichtlich der Aufnahme oder Ablehnung der slawischen Liturgie in Mähren gewesen sein dürfte; hier hat offensichtlich Svatopluk die Entscheidung gefällt. Bei den Bistümern Krakau, Breslau und Kolberg fällt auf, daß sie alle in den eben erst durch Mieszka dem polnischen Staate angegliederten, noch umstrittenen Gebieten liegen. Liegt es nicht nahe, in ihrer Errichtung die Antwort des päpstlichen Stuhls auf die Übereignung Polens im Umfange einer diese Gebiete einbeziehenden Grenzbeschreibung durch das berühmtem Dagome Iudex, also eine Art Grenzgarantie zu sehen, erzielt in direkten Verhandlungen zwischen Polen und Rom, also auch in diesem Falle mit Entscheidung im Lande selbst? Aber ich will Sie nicht mit diesen Ihnen fern liegenden Dingen langweilen, die ich nur zur Illustration meines Anliegens benutze. Die Vernachlässigung solcher Gesichtspunkte scheint mir allerdings bezeichnend zu sein. Selbst der so vorzügliche Vortrag von Herrn Kuhn162 – niemand kann seine Qualität höher einschätzen als ich – hörte im Grunde dort auf, wo er hätte beginnen sollen, nämlich bei der Wirkung der Siedlungsvorgänge auf die Struktur des in Betracht bezogenen Raumes und seiner Bevölkerung. Sicherlich ist es allgemein bekannt, daß später in Schlesien deutsch und in Kleinpolen polnisch gesprochen wurde (vom Gebiet des Lachischen, von dem ich durch Herrn Jilek erfuhr, sehe ich ab), aber wie es in diesen einmal zweisprachig gewesenen Gebieten zu dieser verschiedenen Lösung kam, ist doch das eigentliche Problem. […].

161 Bernhard Stasiewski: Missionierung und kirchliche Organisation. 162 Walter Kuhn: Die mittelalterliche Ostsiedlung in Schlesien und ihre Auswirkung in Kleinpolen.

Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands: Walter Schlesinger und Hans Patze1 I. Teil Hans Patze: thüringischer Landesarchivar – gesamtdeutscher Landeshistoriker – Erforscher der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaften I. Einleitung  357 II. Lebens- und Berufsweg  361 1. Archivar in den thüringischen Landesarchiven Altenburg und Gotha  361 2. Universitätshistoriker in Marburg, Gießen und Göttingen  393 3. Wissenschaftsorganisator in der deutschen Landesgeschichtsforschung  398 III. Das wissenschaftliche Werk  415 1. Historische Hilfswissenschaften  416 2. Thüringen  420 3. Deutscher Orden  436 4. Hoch- und spätmittelalterliche Landesherrschaft  439 IV. Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung  465 Quellenanhang  479

I. Einleitung Die deutsche Landesgeschichtsforschung, die in der Zwischenkriegszeit überall in den deutschen Landschaften in methodischer, inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht einen beachtlichen Aufschwung genommen hatte, entwickelte sich nach 1945 in den beiden deutschen Staaten in entgegengesetzten Richtungen weiter. Es ist offensichtlich, daß die wissenschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen abhingen. Im Westen begünstigte das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland den weiteren Ausbau der Landesgeschichte in universitären und außeruniversitären Aus: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 47 (2001), S. 193–300.

358 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Einrichtungen, da die einzelnen Länder, auch wenn sie größtenteils in den ersten Nachkriegsjahren neu gebildet worden waren, im Sinne ihrer eigenen Identitätsstiftung oder -bewahrung die Erforschung ihrer Geschichte bzw. der Geschichte der in ihnen aufgegangenen historischen Territorien und Räume großzügig förderten. Die Deutsche Demokratische Republik gab spätestens mit der Aufhebung der Länder und ihrer Ersetzung durch ahistorische Bezirke 1952 deutlich zu erkennen, daß ihr für den Staatsaufbau maßgeblicher demokratischer Zentralismus föderalistische Strukturen und Eigenheiten restlos zu beseitigen trachtete. Es war nur folgerichtig, daß unter einem solchen politischen Ansatz die Landesgeschichtsforschung, die allein durch ihre Beschäftigung mit „überwundenen“ historischen Einheiten der Staatsideologie im Wege stand, in ihrer Betätigung erheblich eingeschränkt wurde. Sie litt in der SBZ/DDR von vornherein darunter, daß wesentliche organisatorische Träger nach 1945 zu bestehen aufgehört hatten. Die Geschichtsvereine wurden wie alle anderen althergebrachten Vereine eines bürgerlichen Gesellschaftslebens gar nicht erst wieder zugelassen, die Historischen Kommissionen wurden, von einer einzigen Ausnahme abgesehen, nicht wiederbelebt, und landesgeschichtliche Institute an den Universitäten und außerhalb der Universitäten hatten um ihre Existenzberechtigung zu kämpfen. Sie wurden teilweise mit Mühen dadurch gerechtfertigt, daß die marxistische Geschichtsauffassung unter dem Leitbegriff der „Regionalgeschichte“ methodisch und inhaltlich Einzug in die Landesgeschichtsforschung hielt bzw. diese ihr unterworfen wurde. Es bedarf keiner ausdrücklichen Betonung, daß die Praxis der Landes- bzw. Regionalgeschichtsschreibung in der DDR dem heutigen Betrachter durchaus ein vielgestaltiges Bild zeigt. Auch wenn ihre Arbeitsmöglichkeiten, verglichen mit der Bundesrepublik, sehr stark eingeengt waren, sind trotz der ideologischen Vorgaben und Schwerpunktsetzungen wissenschaftlich qualitätvolle und ertragreiche Forschungen geleistet worden. Für zwei Länder, Sachsen und Brandenburg, haben unmittelbar nach der „Wende“ zwei sehr aktive Landesgeschichtsforscher aus eigener Beteiligung und intimer Kenntnis eindringliche Beiträge über den Gang der Wissenschaft in ihrem jeweiligen Bereich vorgelegt, die mit ihren Informationen und Einschätzungen dem historiographischen Interessenten wertvolle Hilfestellungen bieten1. Aus einer landesgeschichtlichen Tagung in Greifswald, die in einer umfassenden Überschau den gegenwärtigen Stand von Forschung und Organisation der Landesgeschichte im wiedervereinigten Deutschland vor1 Karlheinz Blaschke: Die Landesgeschichte in der DDR – ein Rückblick, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 126 (1990), S. 243–261 (Entgegen dem Titel werden ausschließlich die Verhältnisse in Sachsen behandelt.). – Lieselott Enders: Brandenburgische Landesgeschichte in der DDR, in: ebd. 127 (1991), S. 305–327.



Einleitung 

 359

stellte, ging auch eine überblicksartige wissenschaftsgeschichtliche Darstellung unter starker Berücksichtigung der Entwicklung in der DDR hervor2. Weitergehende Erkenntnisse werden vornehmlich zu gewinnen sein, wenn über die bisherigen, auf Erfahrungsberichte und gedruckte Literatur gestützten Darlegungen hinaus die ungedruckte Aktenüberlieferung Beteiligter, beteiligter Personen wie beteiligter Institutionen, herangezogen wird, gewährt sie doch erst die wünschenswerte tieferen Einblicke in wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Erwägungen und Entscheidungen. Der Rückblick auf die Landesgeschichtsforschung für Mecklenburg, (Vor-) Pommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen in den Jahrzehnten zwischen 1945 und 1990 bliebe freilich unvollständig, wenn man sich nur auf die in der DDR entstandenen Untersuchungen beschränkte. Denn in der Bundesrepublik beschäftigte sich ebenfalls eine ansehnliche Zahl von Gelehrten mit der Landesgeschichte der genannten Gebiete, unter ihnen vorrangig solche Personen, die aus diesen Ländern stammten und/oder die sich in ihren wissenschaftlichen Anfängen vor oder nach 1945 noch in diesen Ländern selbst ihrer Geschichte verschrieben hatten. Dieser Personenkreis, der unter dem Druck der (wissenschafts)politischen Umstände früher oder später die DDR verlassen hatte, bemühte sich darum, die in den Heimatregionen politischen und wissenschaftlichen Restriktionen unterliegende und zumindest teilweise ganz zum Erliegen gekommene Forschung in der Bundesrepublik mit den dort gegebenen Möglichkeiten fortzuführen. Der dafür gewählte Ausdruck „Exilforschung“ trifft den Sachverhalt durchaus, denn die aus dem einen Teilstaat geflohenen und vertriebenen Forscher haben vom anderen Teilstaat aus die Landesgeschichtsforschung für die Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge weiterhin gepflegt. Unter welchen Bedingungen, mit welchen Schwierigkeiten und welchen Ergebnissen sie ihre Arbeit betrieben wurde, soll im Mittelpunkt der nachfolgenden Studien stehen. Deren Ziel ist es dabei nicht, einen umfassenden Überblick zu gewähren, sondern das angedeutete Thema soll am Beispiel zweier Historiker, die in unterschiedlicher, aber nachdrücklicher Weise ihre Anstrengungen auf Mitteldeutschland konzentriert haben, am Beispiel von Walter Schlesinger und Hans Patze, 2 Werner Buchholz: Vergleichende Landesgeschichte und Konzepte der Regionalgeschichte von Karl Lamprecht bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1990, in: ders. (Hrsg.): Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven. Paderborn, München, Wien, Zürich 1998, S. 11–60, bes. S. 21–25, 27–36, 42–47. – In jüngster Vergangenheit hat für eine einzelne Landesgeschichtsforschung eine umfassende wie eindringliche, im Urteil abgewogene Gesamtdarstellung geliefert Winfried Müller: Landes- und Regionalgeschichte in Sachsen 1945–1989. Ein Beitrag zur Geschichte der Geschichtswissenschaften in der DDR, in: Enno Bünz (Hrsg.): 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen. Leipzig 2012, S. 345–447 (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 38).

360 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

durch detaillierte, neben den literarischen Äußerungen vornehmlich auf ungedruckte Nachlaßüberlieferungen gestützte Untersuchungen verfolgt werden. Die vorgesehenen beiden Teile des Aufsatzes sind jeweils auf eine Person bezogen, sie unterscheiden sich dabei in ihrem Charakter. Der erste, in diesem Band des Jahrbuches für Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands enthaltene Teil ist dem 1995 verstorbenen Hans Patze gewidmet, er nimmt Züge eines Nachrufes3 an, wobei Lebensweg und wissenschaftliche Arbeiten in einer Ausführlichkeit beschrieben werden, die sich durch das überindividuelle Erkenntnisinteresse rechtfertigt. Patze hat seine berufliche Laufbahn nach dem II. Weltkrieg im thüringischen Archivdienst begonnen; er hat ein knappes Jahrzehnt zwischen 1947 und 1956 in den Staatsarchiven Altenburg und Gotha archivwissenschaftliche und landeshistorische Studien betrieben, bis ihn die zunehmende Politisierung und Ideologisierung der Geschichtswissenschaft zur Flucht aus der DDR veranlaßten. Er gehört also zu der ansehnlichen Gruppe von Archivaren, die sich den von der SED diktierten Arbeitsbedingungen durch die „Übersiedlung“ in die Bundesrepublik entzog. Die Quellen erlauben es, seinem archivarischen Einsatz und den damit verbundenen Aufgaben und Problemen sowie seiner persönlichen Entscheidungsfindung im einzelnen nachzugeben, wobei sich in seinem individuellen Lebensweg ein Stück Archivgeschichte der SBZ und der frühen DDR widerspiegelt. Auf den verschiedenen Stationen seiner späteren Universitätslaufbahn, in 3 Vgl. die bislang veröffentlichten Nachrufe und Würdigungen: Peter Johanek: Hans Patze (1919–1995) in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 131 (1995), S. 333–341. – Ders.: Hans Patze (1919–1995), in: Ausgewählte Aufsätze von Hans Patze, hrsg. v. Peter Johanek, Ernst Schubert u. Matthias Werner. Stuttgart 2002, S. XI–XVIII (= Vorträge und Forschungen, 50). – Klaus Neitmann: Hans Patze, in: Preußenland 35 (1997) S. 27–31. – Werner Paravicini: Hans Patze 1919– 1995, in: Mitteilungen der Residenzen–Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 5 (1995), Nr. 2, S. 5–8. – Herbert Reyer: Prof. Dr. Hans Patze zum Gedenken, in: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim 65 (1995), S. 493–498. – Heinrich Schmidt: Hans Patze 1919–1995, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 68 (1996), S. 461–465. – Hans K. Schulze: Gedenken an Hans Patze (1919–1995), in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 47 (1997), S. 287–293, auch in: Wiprecht. Beiträge zur Geschichte des Osterlandes im Hochmittelalter. Beucha 1998, S. 11–17 (ebd. S. 19–25: Gerhard Streich: Schriftenverzeichnis Hans Patze); leicht verändert u.d.T.: Erinnerungen an Hans Patze, in: Roderich Schmidt (Hrsg.): Helmstedt – Magdeburg – Wittenberg. Historische und sprachliche Studien zum mitteldeutschen Raum. Bielefeld 1997, S. 91–96. – Brigitte Streich: Prof. Dr. Hans Patze 1919–1995, in: Mitteilungen der Geschichts- und Altertumsforschenden Gesellschaft des Osterlandes 16,2 (1995), S. 73f. – Als biographische Skizze und Vorstudie dieses Aufsatzes versteht sich Klaus Neitmann: Hans Patze (1919–1995). Archivar im Staatsarchiv Altenburg 1947–1949, Leiter der Staatsarchive Altenburg 1949–1952 und Gotha 1952–1956, in: Lebensbilder Thüringer Archivare, hrsg. vom Vorstand des Thüringer Archivarverbandes. O. O. 2001, S. 198–207. – Das wissenschaftliche Werk ist bibliographisch vollständig zusammenstellt: Schriftenverzeichnis Hans Patze, bearb. v. Gerhard Streich, in: Auswählte Aufsätze von Hans Patze (s.o.), S. 843–856.



Lebens- und Berufsweg 

 361

Marburg, Gießen und Göttingen, hat Patze einerseits die Beschäftigung mit seiner wissenschaftlichen Heimat, der thüringischen Landesgeschichte, aufrechterhalten und fortgeführt, andererseits sich der Landesgeschichte an seinen neuen Wirkungsstätten im Westen Deutschlands, vor allem derjenigen Niedersachsens, zugewandt und darüber hinaus für seinen thematischen Schwerpunkt, der Entstehung und Entwicklung der mittelalterlichen Landesherrschaft, seinen Blick auf das gesamte Alte Reich ausgeweitet. Seine historischen Forschungen und seine wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit lassen markante Tendenzen in der Landesgeschichtsforschung der Bundesrepublik, zumal in ihrer Bezugnahme auf die ehemaligen Länder der DDR, zwischen den 50er und 80er Jahren erkennen. Der zweite, in einem späteren Band des Jahrbuches folgende Teil über den 1984 verstorbenen Walter Schlesinger wird seine wissenschaftsorganisatorischen Aktivitäten und seine konzeptionellen Grundüberlegungen für eine „ostmitteldeutsche“ Landesgeschichte darstellen4.

II. Lebens- und Berufsweg 1. Archivar in den thüringischen Landesarchiven Altenburg 1. und Gotha Bernhard Hans Patze wurde am 20. Oktober 1919 als einziges Kind des Kaufmanns Otto Bernhard Patze und seiner Ehefrau Anna Frieda geb. Vetter in Pegau in Sachsen (s. Leipzig) geboren5. Nach dem Besuch der heimatlichen Volksschule von Ostern 1926 bis Ostern 1930 wechselte er auf das Reform-Realgymnasium Leipzig-Lindenau über, an dem er Ostern 1938 das Abiturzeugnis erhielt. Neben dem Schulbesuch stand immer die Hilfe im elterlichen Geschäft, dessen Nöte er so in der Weltwirtschaftskrise unmittelbar erlebte, ebenso wie er in seiner lokalen 4 Der Artikel hätte in der vorliegenden Form nicht geschrieben werden können, wenn ich nicht in der Ermittlung und Benutzung einschlägiger Archivalien an zwei Stellen weit über das übliche Normalmaß hinaus unterstützt worden wäre, in der Mitteldeutschen Forschungsstelle des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde in Marburg durch Michael Gockel und im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar durch Volker Wahl. Tatkräftige kollegiale Hilfestellung habe ich ferner in den Thüringischen Landesarchiven Altenburg und Gotha durch Joachim Emig und Jens Uwe Wandel erfahren. Ihnen allen sei hier für ihr Entgegenkommen herzlichst gedankt. 5 Die Angaben über Patzes Lebenslauf und seine archivarische Tätigkeit bis zum Verlassen der DDR 1956 beruhen, soweit nicht anders angegeben, auf seiner im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar verwahrten Personalakte.

362 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Umgebung zum ersten Mal die Politik und ihre Auswirkungen in den Massen von Arbeitslosen und in den Straßenschlachten zwischen Rechts und Links im Arbeitervorort Lindenau während der Endphase der Weimarer Republik erfuhr6. Nachdem er vom 20. April bis zum 31. Oktober 1938 die Arbeitsdienstpflicht erfüllt hatte, wurde er am 30. November 1938 zur Wehrmacht eingezogen. Hitlers Expansionspolitik führte ihn im Frühjahr 1939 zunächst im Rahmen der Besetzung der Rest-Tschechei nach Prag; das Erlebnis von Hradschin, Veitsdom, Wenzelskapelle und Karlstein war so beeindruckend, daß davon eine lebenslange, wissenschaftlich produktive Vorliebe für die goldene Stadt an der Moldau und für ihren großen Förderer Kaiser Karl IV. übrigblieb7. Nach dem Einsatz im Polenfeldzug erlitt er während des Frankreichfeldzuges, am 6. Juni 1940, am Bois-Mont Dieu westlich Sedan eine handflächengroße Granatsplitterzerreißung der linken Brustwand und Lunge. Zunächst transportunfähig, wurde er im Juli 1940 vom Feldflughafen Charleville-Mezières nach Frankfurt am Main geflogen und im dortigen Hospital zum Heiligen Geist, das als Lazarett diente, 16 Monate lang behandelt; während dieser Zeit wurde er zum Unteroffizier befördert. Am 10. November 1941 wurde er als „völlig untauglich“ aus dem Wehrdienst entlassen. Bereits während seiner Lazarettbehandlung nahm Patze im Sommersemester 1941 das Studium der Fächer Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte und Latein an der Universität Frankfurt/Main auf, das ihm in materieller Hinsicht seine Rente und die Befreiung von den Studiengebühren ermöglichten, während seine Eltern es nicht hätten bezahlen können. Im Stadtarchiv übte er sich in der Lektüre und Transkription mittelalterlicher Urkunden. Nach der Entlassung aus dem Wehrdienst setzte er sein Studium im Wintersemester 1941/42 an der Universität Jena8 fort, da er die kleine Universitätsstadt an der Saale für weniger gefährdet hielt als Leipzig, das im Hinblick auf seine Heimatstadt eigentlich näher gelegen hätte. Zu seinem maßgeblichen Lehrer entwickelte sich der Direktor der Thüringischen Staatsarchive Willy Flach9, der dort nebenamtlich seit 1940 als 6 Rückblick und Dank am 20. X. 1984, [Privatdruck, Göttingen 1984]; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 833–841, hier S. 835. 7 Rückblick (wie Anm. 6), S. 836. 8 Zur Universitätshistorie in Jena vor und nach 1945 vgl. Matthias Werner: Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hrsg.): Identität und Geschichte . Weimar 1997, S. 9–26, bes. S. 12–18. 9 Volker Wahl: Willy Flach (1903–1958). Archivar im Staatsarchiv Weimar 1931–1934; Direktor der Staatsarchive 1934–1958, zugleich des Goethe- und Schiller-Archivs Weimar 1954–1958, in: Lebensbilder (wie Anm. 3), S. 72–87. – Ders.: Thüringer Archivar, Landeshistoriker und Goetheforscher. Willy Flach (1903–1958) – Ein Lebensbild, in: Willy Flach (1903–1958).Beiträge zum Archivwesen, zur thüringischen Landesgeschichte und zur Goetheforschung, hrsg. v. Volker Wahl, Stuttgart 2003, S. 10–55 (= Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven, 9).



Lebens- und Berufsweg 

 363

Lehrbeauftragter, seit 1942 als Honorarprofessor lehrte. Wegen der angestrebten archivarischen Ausbildung widmete sich Patze nachdrücklich den historischen Hilfswissenschaften. Flach stellte ihm das Thema der Dissertation „Die Zollpolitik der thüringischen Staaten 1815–1833“. Als am 12. Februar 1945 der erste schwere Bombenangriff die Jenaer Innenstadt traf und das Griesbachsche Haus, in dem Friedrich Schiller 1789 seine berühmte Antrittsvorlesung „Was heißt und zu welchem Ende studiert man Universalgeschichte?“ gehalten hatte, zertrümmerte, erschien Patze „dieser Einschlag in das Denkmal deutschen Geschichtsdenkens als ein Menetekel für den beschlossenen Untergang des Reiches und das Ende seiner Geschichte“10. Unmittelbar darauf wurde er trotz seiner schweren Verwundung zum 15. Februar 1945 erneut zur Wehrmacht mit dem Einsatzort Frankfurt am Main – nicht an eine Stadt an der Ostfront! – einberufen. Da die weitere Zukunft völlig ungewiß war, legte er zwei Tage später, durch seine intensive Arbeit in den Semesterferien gut gerüstet, noch die mündliche Doktorprüfung ab. Die folgenden Wochen in der zerbombten Mainmetropole hat er Jahrzehnte später höchst anschaulich geschildert: die Alltagsumstände einer militärisch kaum einsatzfähigen Genesungskompanie, die nervenanspannende Erwartung auf die heranrückenden Westalliierten, die alles beherrschende Absicht, nach den fünf Jahre lang überstandenen Fährnissen des Krieges nicht noch von den letzten Artillerielagen oder dem letzten Gewehrschuß getroffen zu werden, entschlossen, bei erster bester Gelegenheit, ausgestattet mit fremdsprachigen Lehrbüchern für erhoffte spätere Dolmetscherdienst, zur anderen Seite überzulaufen11. Am 29. März 1945 geriet Patze in der Kaserne des I.R. 81 an der Friedberger Landstraße in amerikanische Gefangenschaft – mit dem Gefühl der Befreiung von der Diktatur, der er seit dem Röhm-Putsch und seit Kriegsausbruch skeptisch gegenübergestanden hatte, und der Hoffnung auf einen demokratischen Staat. Zunächst wurde er in ein amerikanisches Gefangenenlager nach Cherbourg gebracht, das dann im Sommer 1945 in französischen Gewahrsam übergeben und nach Le Mans verlegt wurde. Soweit möglich, nutzte er die Zeit in der Gefangenschaft zur Lektüre französischer historischer Quellen und Literatur. Am 31. Mai 1946 wurde er in Bad Kreuznach nach Detmold entlassen, das er zusammen mit einem dort tatsächlich ansässigen Kameraden aus der Gefangenschaft als Heimatadresse angegeben hatte, da die Franzosen keinen Gefangenen in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands freiließen. Abgeschnitten von genaueren 10 Hans Patze: Kriegsende in Frankfurt am Main. Persönliche Erinnerungen, in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst 61 (1987), S. 365–374, hier S. 366; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 823–832. 11 Ders.: Kriegsende (wie Anm. 10).

364 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Informationen über die Verhältnisse in seiner Heimat, überdrüssig der Abhängigkeit von den Eltern, unwillig, als Gehilfe in das väterliche Geschäft einzutreten, sehnte er sich „nach dem üblen Durcheinander und Nacheinander von Krieg, Gefangenschaft und zweifelhaftem Frieden ... nach einem gewissen Gleichmaß des Lebens“, hoffte auf den baldigen Abschluß seines Studiums und seiner Dissertation und wünschte sich den Eintritt in die Archivlaufbahn, erkundigte sich bei Flach mit einem zwischen Zweifel und Zuversicht schwankenden Tonfall nach den Anstellungsmöglichkeiten in Thüringen und Sachsen12. Nach einer zweimonatigen Arbeit als Volontär im Lippischen Staatsarchiv in Detmold13 kehrte er schließlich in den elterlichen Pegauer Haushalt zurück. Nachdem Patze im Februar 1947 in Jena unter abschließender Betreuung von Hans Haußherr zum Dr. phil. promoviert worden war und damit die Voraussetzung für die archivarische Berufsausbildung erfüllt hatte, betrieb Flach unter Hinweis auf den bestehenden Mangel an ausgebildeten wissenschaftlichen Archivaren seine Einstellung gegenüber dem Thüringer Ministerium für Volksbildung, unter Orientierung an den in der „Ordnung der Ausbildung und Prüfung der wissenschaftlichen Archivbeamten“ vom 5. November 1928 niedergelegten Grundsätzen14. Patze sei „ein sehr befähigter und sehr fleißiger Mensch mit einem gediegenen Wissen und einem ununterbrochenen Streben und Arbeits12 Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar, NL Willy Flach, Akte betr. Korrespondenz Flach/Patze, hier: Patze an Flach, 21. 6. 1946. Die im Folgenden benutzten Briefe aus dem Briefwechsel Patze/ Flach entstammen alle dieser Quelle, die daher nicht ständig wiederholt wird. 13 Die Atmosphäre des lippischen Kleinstaates und seines Staatsarchivs hat Patze in seinem Nachruf auf den damaligen Staatsarchivdirektor: Erich Kittel zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 111 (1975), S. 241–244, mit verständnisvoller, den Proportionen des Gegenstandes angemessener Ironie angedeutet mit dem für die Nachkriegsgeneration bezeichnenden Satz: „Wenn man ihn [sc. Kittel], in Haltung und Umgang quasi Inkarnation des unbestechlichen preußischen Beamten, morgens pünktlich auf die Minute durch den Benutzersaal und das Zimmer seines Mitarbeiters Sundergeld in sein Dienstzimmer schreiten sah, konnte man hoffen, daß solche Pflichtstrenge, tausendfältig praktiziert, das geschlagene Land wieder hochbringen wollte“ (ebd., S. 241f.). 14 Zur Entwicklung des thüringischen Archivwesens seit 1920, die hier nicht näher dargestellt werden kann, vgl. den knappen, aber instruktiven Überblick von Volker Wahl: Das staatliche Archivwesen Thüringens seit 1920, in: 44. Thüringischer Archivtag Erfurt 1995. Vorträge der Fachtagung Archive und Landesgeschichte, hrsg. v. Vorstand des Thüringer Archivarverbandes. Weimar 1996, S. 55–83. Zur Archivausbildung in Thüringen und zu Flachs diesbezüglichen Vorstellungen vgl. Volker Wahl (Bearb.): „Auf jedem Fall soll die Qualität des Archivarstandes gewahrt werden“. Eine Denkschrift von 1948 zur künftigen Ausbildung des wissenschaftlichen Archivarnachwuchses in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Friedrich Beck, Wolfgang Hempel, Eckart Henning (Hrsg.): Archivistica docet. Beiträge zur Archivwissenschaft und ihres interdisziplinären Umfeldes. Potsdam 1999, S. 583–599 (= Potsdamer Studien, 9). Patze war der letzte thüringische Archivar, der noch nach der Ordnung von 1928 ausgebildet wurde, bevor 1950 mit



Lebens- und Berufsweg 

 365

eifer“. Nach dem radikalen politischen Umbruch von 1945 verlangte der Staatsdienst freilich nicht nur den Nachweis wissenschaftlicher Qualitäten, sondern auch politischer Zuverlässigkeit. Zu den von Patze beizubringenden Unterlagen zählten eine Bescheinigung des Antifa-Blockes seiner Heimatstadt über seine politische Unbedenklichkeit und eine Anzahl Zeugnisse politisch unbelasteter antifaschistischer Kräfte, die belegten, daß er nie aktivistisch tätig gewesen sei. Flach berief sich für seinen Antrag zudem auf das Gesetz zur Durchführung der Direktive 24 für Jugendliche, die nach dem 1. Januar 1919 geboren worden waren, vom 17. Februar 1947 (GS. S. 25)15 und auf einen Erlaß des Personalamtes beim Ministerium des Innern vom 15. März 1947, wonach die Jugendlichen der Jahrgänge 1919 und jünger, die durch dieses Gesetz als gleichberechtigte Staatsbürger anerkannt wurden, entsprechend ihrer Befähigung und ihren Leistungen in der öffentlichen Verwaltung zuzulassen seien. „Eigentlich kann nun also nichts schief gehen, wenn alles nach den geltenden Gesetzen und Vorschriften behandelt wird“, machte er Patze Mut. Das Ministerium stimmte mit Verfügung vom 7. Mai 1947 seiner Einstellung als Archivreferendar beim Thüringischen Staatsarchiv Weimar mit Wirkung vom 1. Mai 1947 zu. Da der Rat der Stadt Weimar eine Zuzugsgenehmigung wegen der außerordentlich angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt ablehnte, sah sich Flach veranlaßt, Patze zur Dienstleistung an das Thüringische Staatsarchiv Altenburg abzuordnen, wo er seinen Dienst am 28. Mai aufnahm. Das „aus der Not der Zeit geborene Verfahren“ (Flach) für die theoretische Ausbildung sah so aus, daß in 14tägigen Abständen Flach für zwei bis drei Tage nach Altenburg fuhr und umgekehrt Patze ihn für die gleiche Zeit in Weimar aufsuchte und Patzes Arbeitsergebnisse und -aufgaben dabei besprochen wurden. Schon bald nach seinem Eintritt stellte Flach ihm das Thema für die wissenschaftliche Hausarbeit: „Recht und Verfassung der Städte des ehemaligen Landes Sachsen-Altenburg“. Er wollte damit erreichen, daß sich Patze an einem bestimmten Beispiel ganz intensiv und vielseitig in die archivalische Überlieferung staatlicher und städtischer Provenienz einarbeitete. Die Aufgabe entstammte dem Arbeitsprogramm der von Flach dem neuerrichteten „Institut für Archivwissenschaft“ in Potsdam die Ausbildung für die gesamte DDR auf eine neue Grundlage gestellt wurde (Ebd. S. 586, Anm. 16). 15 Flach hatte, sobald er durch eine Zeitungsmeldung von der Initiative der SED im Landtag erfahren hatte, „alle Jugendlichen, die nach dem 1. Januar 1919 geboren wurden, von den einschneidenden Gesetzen für ehemalige Mitglieder der NSDAP auszunehmen“, Patze mitgeteilt, daß seine Aussichten auf den Eintritt in die Archivlaufbahn „ganz nahe an die 100 % herangekommen“ seien. „Es besteht kein Zweifel, da es sich um einen SED-Antrag handelt, daß dieser Gesetz wird. ... Sobald das Gesetz vorliegt, werde ich beim Landesamt beantragen, Sie einzustellen. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, daß Sie dann kommen, wenn ich gehen muß“ (Flach an Patze, 23.1.1947).

366 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

geleiteten Thüringischen Historischen Kommission von 193716. Er beklagte, daß die Forschungen zur städtischen Rechts- und Verfassungsgeschichte sich bislang zu einseitig auf das Mittelalter erstreckt und die Fortführung der dort begonnenen Entwicklungslinien bis in die Neuzeit unterlassen hätten. Als Vorarbeit für den umfassenden Plan, sämtliche thüringischen Stadtrechte aus Mittelalter und Neuzeit zu bearbeiten und zu veröffentlichen, beauftragte er daher seinen Referendar damit, die Stadtrechte der ehemals Sachsen-Altenburgischen Städte festzustellen und ihre Entwicklung jeweils von den Anfängen bis zur Gegenwart zu verfolgen, „um damit zugleich einen Beitrag zur Geschichte demokratischer Einrichtungen der Vergangenheit zu leisten“, wie er in seinem Bericht an das Ministerium hinzufügte. In der Archivpraxis lernte Patze in Altenburg alle einschlägigen Aufgaben wie Aktenausscheidung, Repertorisierung von Archivalien, Regestierung von Urkunden, Beratung der Benutzer, Erteilung von schriftlichen Auskünften, Erstattung von Gutachten, Aufbau von Archivausstellungen und Bearbeitung wissenschaftlicher Fragen kennen, in einer Breite und einer Intensität, die man heutzutage beim Studium der damaligen Ausbildungsunterlagen staunend wahrnimmt. Die wöchentlichen oder zweiwöchentlichen Arbeitsberichte, die er Flach erstattete, lassen den Eifer, ja die Leidenschaft erahnen, mit der er sich in die archivalische Überlieferung stürzte und sie nach archivischen und geschichtswissenschaftlichen Gesichtspunkten bearbeitete. Denn neben der Erschließung der Bestände stand gleichrangig die historische Auswertung, beides unterstützt durch ein intensives Literaturstudium. Otto Brunners Buch „Land und Herrschaft“, das er für seine stadtgeschichtliche Arbeit benutzte, veranlaßte ihn zu der Bemerkung: Meiner Meinung nach hat er die grundlegenden Erkenntnisse, die er sich auf den ersten vierhundert Seiten über den Charakter des ma. ‚Staates‘ erarbeitet hat, für das – schon rein umfänglich – schwache Kapitel über die Städte nur zu einigen – im Verhältnis zu den scharfsinnigen Beobachtungen, die vorausgehen – oberflächlichen Bemerkungen ausgewertet.

Nach gesundheitlichen Beeinträchtigungen warnte ihn Flach: „Überspannen Sie Ihre Kräfte nicht. Glauben Sie nicht, daß Sie es mir in der Nachtarbeit nachtun müssen.“ Im Juni 1948 bat Patze, noch mitten in der Arbeit über die Stadtrechte stehend, um Aufschub der Prüfung. „Es liegt mir wirklich alles dran, etwas unostzonliches auf die Beine zu stellen. Es soll doch hier wenigstens noch eine Behörde geben, wo man auf alte Weise seine Laufbahn macht.“ Schließlich

16 Konrad Marwinski: Historische Kommissionen in Thüringen – Anspruch und Leistungen 1896–1996, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte und Landeskunde 21 (1997/1998), S. 79–91, bes. S. 85 ff.



Lebens- und Berufsweg 

 367

schloß er seinen Vorbereitungsdienst nach drei am 3.–5. Februar 1949 geschriebenen Klausuren (Bearbeitung eines unter Beteiligung Goethes entstandenen Aktenstückes – Flachs Beschäftigung mit der Edition von „Goethes Amtlichen Schriften“ stand im Hintergrund –, je einer lateinischen und deutschen Urkunde und einer auf Archivalien zum Bauernkrieg bezogenen Anfrage) am 14. Februar 1949 mit der mündlichen Prüfung ab, die in Weimar von Flach in Hilfswissenschaften und Rechts- und Wirtschaftsgeschichte und von Helmut Kretzschmar, dem Direktor des Sächsischen Landeshauptarchivs in Dresden, in Archivkunde und deutscher Territorialgeschichte abgenommen wurde. Das Gesamtergebnis lautete: „mit Auszeichnung bestanden“. Flach schätzte Patze als „eine weit über dem Durchschnitt stehende Kraft“ ein, die mit gediegenen Kenntnissen einen klaren wissenschaftlich kritischen Blick verbindet. Seine Hauptstärke liegt im Mittelalter, was aber nicht ausschließt, daß er auch in der Neuzeit recht gut Bescheid weiß.

Unmittelbar nach der Prüfung, am 15. Februar 1949, beantragte Flach beim Ministerium, Patze als Staatsarchivrat planmäßig anzustellen, da es, wie er später erklärte, in der gesamten Ostzone nur ganz wenige wissenschaftlich ausgebildete Archivare gebe und von den neun in den thüringischen Staatsarchiven vorhandenen Planstellen nur einige mit ausgebildeten Fachkräften, die übrigen mit wissenschaftlichen Hilfskräften besetzt seien. Die Personalabteilung des Volksbildungsministeriums interessierte sich freilich mehr für die politische Haltung des vorgeschlagenen Kandidaten. Im Hinblick auf die zu erwartende diesbezügliche Überprüfung hatte Patze bereits in seinem Lebenslauf vom 7. März 1949 dargelegt, daß er im Juni 1934 als einer der letzten Schüler seiner Klasse der HJ beigetreten sei, ohne dann in ihr einen Dienstgrad oder Amt bekleidet zu haben, und daß er nach Arbeits- und Wehrdienst im Oktober 1941 als Anwärter eine provisorische Mitgliedskarte der NSDAP erhalten habe; wiederholte Aufforderungen, in den NS-Studentenbund oder in den mit ihm verbundenen Studentenring einzutreten, habe er abgelehnt. Das Volksbildungsministerium dachte freilich mehr an die Nachkriegszeit, als es sich wegen Patzes planmäßiger Anstellung an den Kreisvorstand Altenburg der SED wandte: Wir bitten Euch um eine Beurteilung und fügen hinzu, daß seiner Einstellung als Referendar auf Grund der Jugendamnestie zugestimmt worden ist, wobei auf einige Bescheinigungen des Kreisvorstandes der SED Jena, der ihn positiv beurteilt, verwiesen wird. Es käme uns darauf an zu erfahren, ob sich P. inzwischen in Altenburg im demokratischen Sinne bewährt hat.

368 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Das Ministerium erfuhr dann von einem Konflikt zwischen dem Erfurter SEDMitglied Friedrich Kaminsky und dem Altenburger Archivverwalter Grünert17. Kaminsky glaubte, in seinen Archivforschungen zur Revolution 1848/49 von Grünert durch Verschweigung von einschlägigen Archivalien und Literatur behindert worden zu sein, und hatte daher den Altenburger Kreisvorstand der SED aufgefordert, Grünert „im Zuge der von der ZKK gestarteten Aktion der Säuberung der Büros ... wegen Sabotage sozialistischer Archivbenutzer“ mit untergeordneten Archivarbeiten zu betrauen und durch einen „fortschrittlichen Archiv­ leiter“ zu ersetzen. Als ein Beauftragter des Altenburger SED-Kreissekretariats Grünert ohne Nennung seines Auftraggebers zur Rechtfertigung aufforderte, stellte sich Patze vor diesen, lehnte „in entschiedenem Tone“ eine Beantwortung der gestellten Fragen ab und verwies an den Direktor der Thüringischen Staatsarchive und den Referenten im Volksbildungsministerium. Auch von anderer Seite erhielt das Ministerium die Auskunft, daß „Patze mit Vorsicht zu genießen“ sei. Die Hauptabteilung Personal und Schulung des Thüringischen Ministeriums des Innern wollte schließlich die Genehmigung zu planmäßigen Anstellung, wie Flach aus der Personalabteilung des Volksbildungsministeriums erfuhr, im Hinblick auf „die nicht genügende demokratische Bewährung von Dr. Patze“ „noch nicht“ erteilen. „Es lägen aus Altenburg über ihn sehr ungünstige Auskünfte vor“, neben der Behandlung Kaminskys seien auch noch andere Dinge vorgekommen, die so gelagert seien, daß man nun in Altenburg über Dr. Patze Bescheid wisse und daß man dort nicht verstehen würde, wenn er jetzt fest angestellt würde.

Das Ministerium gab Flach, der sich nachdrücklich für einen Schützling wegen seiner wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit einsetzte, allerdings zu verstehen, daß der jetzige Bescheid nicht eine grundsätzliche, sondern nur eine befristete Ablehnung bedeute. Man wolle noch ein halbes Jahr warten, wünschte sich in der Zwischenzeit „Zeugnisse über die demokratische Bewährung“, wobei man auch an die „Mitarbeit etwa im Kulturbund, im FDGB, in der Volkshochschule“ dachte; „es sei darunter keineswegs ausschließlich der Eintritt in eine Partei zu verstehen“. Patze meldete sich daraufhin im Juli 1949 beim FDGB an, da er sich, wie er Flach schrieb, „der Gegenseite nicht versperren“ wolle, „nur um Prinzipien zu reiten oder Festigkeitsproben anzustellen.“ Flach und Patze waren davon überzeugt, daß der für die Staatsarchive zuständige Ministerial-

17 Dazu vgl. neben den Unterlagen in der Personalakte Patze auch die Überlieferung im Staatsarchiv Altenburg, Verwaltungsarchiv, Nr. 52 a. – Joachim Emig: Walter Grünert (1889–1980). Archivar im Staatsarchiv Altenburg 1929–1964, in: Lebensbilder (wie Anm. 3), S. 91–95.



Lebens- und Berufsweg 

 369

referent Oberregierungsrat Wilhelm Senff, der Leiter der Abteilung Wissenschaft im Volksbildungsministerium, von Patze durch seinen persönlichen Eindruck, den er von ihm anläßlich der Prüfung gewonnen hatte, eingenommen war und sich wirkungsvoll für seine Anstellung einsetzte; Patze wollte ihm „für sein absolut korrektes und partei-ungebundenes Verhalten“ danken.18 Wohl unter Senffs Einfluß verzichtete das Ministerium schließlich auf seinen Einspruch, und am 31. August 1949 unterzeichneten Flach und Patze den rückwirkend für den 15. Februar 1949 inkraftgesetzten Dienstvertrag. Patze wurde darin „mit der Wahrnehmung der archivarischen und wissenschaftlichen Tätigkeit, die einem Archiv­ rat obliegt“, im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg beauftragt, im einzelnen mit der Ordnung und Verzeichnung schwieriger älterer Bestände, mit Aktenaussonderungen bei Behörden und mit der Aufarbeitung von Urkundenbeständen für die wissenschaftliche Forschung. Patzes knapp drei Jahre in Altenburg waren in archivischer Hinsicht u. a. mit der Regestierung der Urkundenbestände des Landesarchivs, mit der Ordnung und Verzeichnung eines großen Gutsarchivs, mit Aktenübernahmen aus lokalen Behörden und von kommunalen und nicht-staatlichen Beständen ausgefüllt. Aus aufgelösten Amtsgerichten waren Justizüberlieferungen ins Landesarchiv zu überführen, enteignete Gutsarchive wie die von Altenberga und Posterstein galt es zu sichern. Patzes größte Verzeichnungsarbeit für Altenburg war einem solchen Guts- und Familienarchiv, dem der Familie von Seckendorff, gewidmet, die aus dem Zeitraum 1330–1944 stammende, in ziemlicher Unordnung vorgefundene Überlieferung im Umfang von ca. 2000 Archivalieneinheiten wurde zwischen 1947 und 1951 von ihm erschlossen. Beratungen und Schulungen mit Betriebsarchivaren und Einrichtung von Betriebsarchiven gehörten ebenfalls zu den Aufgaben des Landesarchivars19. Als wissenschaftliche Forschungsarbeit übertrug Flach Patze auf dessen Initiative hin die Bearbeitung des Altenburger Urkundenbuches, ein weiteres Vorhaben aus dem alten Programm der Thüringischen Historischen Kommission, dessen Notwendigkeit Patze selbst durch seine eigene Arbeit über die Altenburger Städte und durch die gleichzeitigen Forschungen des ehemaligen Leipziger Mediävisten Walter Schlesinger über die Anfänge der Stadt Altenburg erkannt hatte und dessen Inangriffnahme Schlesinger entgegen Flachs ursprünglichen Bedenken nachdrücklich befürwortet hatte20. Nachdem Patze im 18 Patze an Flach, 5.7.1949; Flach an Patze 12. 7. 1949. 19 Vgl. Thür. StA Altenburg, Verwaltungsarchiv, Nr. 110, 111; Patze an Flach, 11.6.1951. 20 Vgl. Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Abt. Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands, Marburg, NL Walter Schlesinger, Nr. 74, enth. u.a. Korrespondenz Schlesinger/Patze, hier Patze an Schlesinger, 7.12.1951. Der Briefwechsel Schlesinger/Patze wird im Folgenden nach dieser Quelle zitiert.

370 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

März 1949 mit der Sammlung von Urkundenabschriften begonnen hatte, vollendete er das Werk für den Zeitraum 976–1350 in erstaunlich kurzer Zeit, bis zum Frühjahr 1952. Patze setzte seine Quellenerfassung und -bearbeitung noch für die Zeit 1351–1507 fort, indem er, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur im Landesarchiv und Staatsarchiv Altenburg vorhandene Urkundenüberlieferungen abschrieb, mit wissenschaftlichem Apparat und mit Siegelbeschreibungen versah, alles freilich ohne abschließende Kollationierung21. Der Abschluß des Altenburger Urkundenbuches veranlaßte Flach dazu, entsprechend einem schon seit längerer Zeit gehegten Gedanken22 Patze zum 1. Juli 1952 unter Aufrechterhaltung der Archivleitung in Altenburg23 an das Landesarchiv Gotha zu versetzen, das seit Ende 1946 keinen wissenschaftlichen Leiter am Orte mehr gehabt hatte, und ihn dort mit neuen wissenschaftlichen Aufgaben zu betreuen. In Gotha kümmerte er sich um die Übernahme und Bearbeitung der Archivbestände der ehemals preußischen Gebiete, also des Regierungsbezirks Erfurt, die zu einer Abteilung „Landesarchiv Erfurt“ ausgebaut werden sollten. Die Verzettelung des in mehreren Stufen übernommenen großen, ungeordneten Bestandes der Regierung Erfurt beanspruchte die Archivkräfte mehrere Jahre. Große Mengen an Archivgut strömten in diesen Jahren in die Gothaer Archivmagazine, insbesondere aus aufgelösten Behörden wie ehemaligen Amtsgerichten und Kreisverwaltungen. Die teilweise in Tonnen geschätzten Massen an Grund- und Flurbüchern, Grund- und Hypothekenakten waren zu ordnen24. Zuständigkeitsprobleme zwischen Archiven und Bibliotheken erörterte Patze recht ergebnislos mit der Landesbibliothek Gotha. Sie lehnte seine Forderung ab, aus ihrer Handschriftenabteilung dem Landesarchiv solches Schriftgut zu überlassen, das, wie der Schriftwechsel des Herzogs Bernhard von Sachsen Weimar oder die für die Goethe-Forschung bedeutsamen Fourierbücher, trotz der literarischen Ausbeutungsmöglichkeiten im amtlichen Geschäftsgang erwachsen sei25. Für die geplanten Bestandsübersichten der thüringischen Staatsarchive, die nach vorgegebenen Grundsätzen nach behördengeschichtlichen Vorbemerkungen die einzelnen Bestände in Listenform mit Angabe der Bandzahlen aufführen sollten, unter 21 Das Ms. ist im Thür. Staatsarchiv Altenburg vorhanden. 22 Patze an Flach 16.4.1952, Patze an Landesarchiv Gotha, 16.5.1952 (Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Az. 3000-PA 14). 23 Die Leitung von Altenburg mußte Patze allerdings nach wenigen Monaten abgeben, als das dortige Landesarchiv wegen der Zuordnung der Region zum Bezirk Leipzig zum 1.9.1952 dem Sächsischen Landeshauptarchiv in Dresden unterstellt wurde. 24 Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Statistik, Jahresberichte usw. 1938–1962. 25 Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Zugänge von hierher gehörigen Archivalien aus anderen Archiven und Behörden, 1950–1960, Az. 13/I Nr. 3, hier Schreiben von Patze an Flach v. 19.12.1952, 3. und 24.2.1954, 22.3.1954.



Lebens- und Berufsweg 

 371

denen Patze Altenburg und Gotha bearbeitete und im Entwurf fertiggestellte26, hatte er zahlreiche, wegen völlig unzutreffender Bestandsbezeichnungen schwierige Provenienzbestimmungen vorzunehmen. In diesem Rahmen entstand auch eine ausführliche, die Verhältnisse des 17. bis frühen 20. Jahrhunderts auf Grund umfangreicheren Aktenstudiums schildernde Archivgeschichte von Altenburg und Gotha. Im Mittelpunkt der Nachforschungen standen hier die Übernahme, Verzeichnung und Ordnung von Urkunden und Akten in den zahlreichen Behördenarchiven, vornehmlich von landesherrlichen Zentralbehörden, aber auch von Unterbehörden, sowie die seit dem 19. Jahrhundert wiederholt vorgeschlagenen Pläne zur Zentralisierung der Archivbestände und deren Trennung von den Altregistraturen der Behörden, die erst nach 1920, nach dem Ende der monarchischen Einzelstaaten, mit der Bildung der Staatsarchive in Altenburg und Gotha verwirklicht wurden27. Viel Zeit und Kraft verwandte Patze auf die fachliche Betreuung und Anleitung der neu geschaffenen Wissenschafts-, Verwaltungs- und Wirtschaftsarchive. Die dort liegenden Schriftgutberge galt es zu bewerten. In örtlichen archivischen Arbeitskreisen (in Eisenach und Gotha) suchte er mit Besprechungen und Referaten zur Qualifizierung des archivisch und historisch ungeschulten Personals beizutragen, wobei er Möglichkeiten und Grenzen seiner Bemühungen einsichtig bedachte. Er hielt es für verfehlt, den Teilnehmern solcher Arbeitskreise, u.a. Wirtschafts- und Verwaltungsarchivaren, einen allgemeinen Fundus von archiva-

26 Die im Februar 1954 begonnene Gothaer Bestandsübersicht war im Juni 1955 abgeschlossen, die Altenburger Übersicht wurde vornehmlich in der nachfolgenden Zeit bearbeitet und erst nach Patzes Flucht in den Westen vollendet. Vgl. Patze an Flach, 1.6.1955, in: Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Allg. Schriftwechsel mit dem Direktor der Thür. Staatsarchive und anderen Archiven, 1940–1962. Ebd. ein größerer Schriftwechsel zwischen Patze und dem Landesarchiv Altenburg, v.a. dessen Archivverwalter Grünert, vom Juni 1955 bis zum April 1956 zu den Angaben der Altenburger Bestandsübersicht. Vgl. auch: Patze an Flach, 4.4.1956, 2.12.1956. – Ferner: Patze an Grünert, [ca. 26.6.1956], 1.1.1958 (Thür. Staatsarchiv Altenburg, NL Grünert, Nr. 45). – Als sich die Drucklegung der Bestandsübersichten erheblich verzögerte, war Patze auf Grund seiner persönlichen Situation enttäuscht, wie er Grünert am 10.3.1959 schrieb: „Ich hatte mich, offen gestanden, gefreut, etwas rein archivisches gedruckt zu sehen, das aus gemeinsamer Arbeit mit den Altenburger und Gothaer Kollegen hervorgegangen war. Das wäre für mich ein schöner und runder Abschluß meiner Archivtätigkeit gewesen“ (ebd.). – Zur schließlich gedruckten und veröffentlichten Fassung vgl. Patze an Grünert, 12.4.1962 (ebd.). 27 Hans Patze: Zur Geschichte des Landesarchive Altenburg und Gotha, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 15 (1966), S. 105–138. – Patze entschloß sich zur nachträglichen Veröffentlichung seines Manuskriptes von 1954, da die nach seinem Weggang aus Thüringen schließlich von Ulrich Heß bearbeiteten und 1960/61 publizierten Bestandsübersichten die Archivgeschichte entgegen der ursprünglichen Planung hatten stark zurücktreten lassen (ebd., S. 105, Anm. 1). – Vgl. auch Patze an Schlesinger, 26.5.1955.

372 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

rischem Wissen zu vermitteln, da die Menge und Qualität der von ihnen verwalteten Archivalien zu bescheiden waren, und empfahl stattdessen, ihnen die notwendigsten Handgriffe und Fertigkeiten für ihre Arbeit zu zeigen und durch die Behandlung unterschiedlichster Gegenstände das Interesse sowohl für archivpraktische Fragen als auch für historische Fragen, für das historische Geschehen zu wecken und wach zu halten. Thematisch dachte er für die regelmäßigen Zusammenkünfte u. a. an Quellen der Wirtschaft in staatlichen und Stadtarchiven, an Hinweise zur Erarbeitung einer Betriebsgeschichte, an kaufmännische Buchführung, innerbetriebliche Rechnungsführung und das dabei anfallende Schriftgut, an die Auswertung eines Betriebsarchivs für die Geschichte der Arbeiterbewegung28. Ähnliche Probleme wie bei den Wirtschaftsarchiven ergaben sich bei den gemäß einer Verordnung der Staatlichen Archivverwaltung von 1951 einzurichtenden Kreisarchiven. Die thüringischen Landesarchivare begleiteten mit vielen Besuchen, Besichtigungen und Beratungen vor Ort den Prozeß der Kreisarchivbildung, der von vielerlei Unzulänglichkeiten geprägt war. Patzes Berichte über die archivischen Verhältnisse bei den Kreisräten Gotha, Heiligenstadt, Langensalza, Mühlhausen, Nordhausen, Sömmerda, Sondershausen und Worbis schildern die überall auftretenden strukturellen Schwierigkeiten der neuen Kreisarchive: Sie waren nicht mit ausgebildetem Fachpersonal besetzt, sondern mit Kräften, die ihre Arbeitsschwerpunkte anderswo, z. B. auf dem Standesamt, hatten und nicht genügend Zeit für die archivischen Belange aufzubringen vermochten, gelegentlich dafür auch kein Interesse zeigten. Und interessiertere und geeignetere Kräfte waren mehrfach nach kürzerer Zeit von ihrer archivarischen Tätigkeit wieder abgezogen worden, so daß ihre erfolgreichen Arbeitsansätze nicht weitergeführt wurden. Die Erfassung, Ordnung und Verzeichnung des Verwaltungsschriftgutes steckte noch in den Anfängen, die Übernahme und Erschließung der gemeindlichen Archivbestände waren nur teilweise eingeleitet worden. Geeignete Archivräumlichkeiten waren nur selten vorhanden. Die verantwortlichen Funktionäre der Kreisräte standen allenthalben den Archivfragen gleichgültig und verständnislos gegenüber, bestenfalls behinderten sie die archivischen Bestrebungen nicht, förderten sie aber auch nicht. Patzes Schlußfolgerungen für das Kreisarchiv Gotha können cum grano salis für das gesamte damalige Kreisarchivwesens Thüringens verallgemeinert worden:

28 Patze an den Direktor des Landeshauptarchivs Weimar, 30.10.1953 (Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Az. 5300-01, Bl. 46). Vgl. auch Patzes Bemerkungen zu Wirtschaftsund Verwaltungsarchivaren im Nachruf auf Flach (wie unten Anm. 70), S. 351.



Lebens- und Berufsweg 

 373

Es muß dafür Sorge getragen werden, daß ein mit Neigung und Vorkenntnissen ausgestatteter Sachbearbeiter mit dem Aufbau des Kreisarchivs beauftragt wird. Als zweites ist die Lösung der Raumfrage als wichtig anzusehen. Erst wenn dieses Problem gelöst ist, kann mit dem Einholen weiterer Gemeindearchive fortgefahren und das Verwaltungsarchiv des Kreises in den vorgeschriebenen Stand gesetzt werden.29

Auf die Fortsetzung von Patzes urkundlichen und hilfswissenschaftlichen Forschungen legte Flach auch an der neuen Arbeitsstätte Gotha besonderen Wert. Ein am 1. März 1954 zwischen beiden abgeschlossener Einzelvertrag sah insbesondere Forschungen zur Kritik der mittelalterlichen Urkunden und Quellen vor und sicherte Patze die Unterstützung bei der Beschaffung wissenschaftlicher Literatur, die außerhalb der DDR erschienen war, im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten und Kontingente und ferner die Unterstützung von Archivreisen zu bestimmten wissenschaftlichen Forschungszwecken. „Eine Unterstützung erfolgt ebenfalls in bezug auf die Teilnahme an bestimmten wissenschaftlichen Tagungen außerhalb der Deutschen Demokratischen Republik.“ Nach dem Abschluß des Altenburger Urkundenbuches und nach der Regestierung von Urkundenbeständen der Klöster Reinhardsbrunn und Georgenthal nahm sich Patze als nächstes großes Editionsvorhaben das bereits 1951 einmal von ihm erwogene „Urkundenbuch des Hochstiftes Naumburg“ vor, das im Anschluß an den 1925 erschienenen, den Zeitraum bis 1207 umfassenden Band entsprechend einer älteren Arbeitsplanung bis zum Jahre 1304 fortgesetzt werden sollte. Die von dem ersten Bearbeiter Felix Rosenfeld hinterlassene Materialsammlung einschließ29 Nach einem „Bericht über den Stand des Archivwesens bei den Organen der Staatsverwaltung im Bereich der Archivinspektion Thüringen (November/Dezember 1953)“ (Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Az. 5300-01, Bl. 107 ff., bes. Bl. 113–122, Zitat Bl. 114). Vgl. noch Patzes Bemerkung zum Personalproblem in einem Bericht an Flach vom 16.10.1953: Die wachsende Zahl von Klagen über die fachfremde Besetzung von Archivstellen könne „die Staatliche Archivverwaltung vielleicht doch einmal zu energischen Maßnahmen gegen die Kreisräte, Kreissekretäre, Regionalleiter veranlassen ..., die durch ihre autoritären Maßnahmen den Aufbau von Verwaltungsarchiven immer wieder hintertreiben“. Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Betriebs- und Verwaltungsarchive, 1951–1963. Der Band enthält zahlreiche Berichte Patzes über Besichtigungen von Betriebs- und Kreisarchiven und Freigaben von Kassationen. – Zu den neuen Aufgaben der thüringischen Landesarchivverwaltung und der thüringischen Staatsarchive im Bereich der Wirtschafts- und Kommunalarchive, die Patze hier in konkreten Einzelfällen zu bewältigen hatte und die aus der neuen, seit 1949/50 geschaffenen DDR-Archiv­ organisation erwachsen waren, vgl. die zeitgenössische Beschreibung Flachs: Die Aufgaben der Landesarchivverwaltung, in: Flach: Beiträge (wie Anm. 9), S. 93–108, hier S. 98–105 (zuerst 1952). – Das thüringische Archivwesen der Nachkriegszeit unter Flachs Leitung stellt in den größeren Zusammenhang des staatlichen Archivwesens der DDR in seiner „bürgerlichen“ Phase: Hermann Schreyer: Das staatliche Archivwesen der DDR. Ein Überblick. Düsseldorf 2008, S. 7–79 (= Schriften des Bundesarchivs, 70).

374 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

lich der Druckfahnen von 222 Urkunden bis 1257 übernahm Patze im Dezember 1954 aus dem Staatsarchiv Magdeburg. Zur Erleichterung seiner Arbeit ließ er die handschriftlichen Vorarbeiten in ein Typoskript übertragen und mehrere hundert Fotos von Urkunden und Siegeln anfertigen. Er überprüfte die vorliegenden Texte durch Autopsie und korrigierte zum Teil erhebliche Fehler, ersetzte Regesten durch Vollabdrucke, vervollständigte das Material durch Archivrecherchen und ergänzte Siegelbeschreibungen. Von März bis Mai 1956, also unmittelbar vor seiner Flucht aus der DDR, sowie im September 1956 schrieb er über 80 Urkunden erstmals oder neu ab, 200 weitere Urkunden waren zum Teil umfangreich überarbeitet worden. Freilich war das Urkundenbuch damit von einer Fertigstellung noch weit entfernt. Immerhin hatte Patze kurz vor seiner Flucht geglaubt, das Manuskript durch die mit Hochdruck betriebene Kopierung und Kollationierung der Urkunden so weit zu fördern, daß er wegen der weitgehend abgeschlossenen Materialsammlung künftig von den DDR-Archiven unabhängig bleiben würde. Er versicherte damals Schlesinger, daß er sich über das Naumburger Urkundenbuch hinaus nicht in der Bearbeitung von Privaturkundenbüchern verfangen werde, das sei eine zu wenig beanspruchende Sache der Routine. Wohl entgegen seinen ursprünglichen Erwartungen hat er unter den Umständen seiner akademischen Laufbahn die Edition nicht weiter betreiben können, gab allerdings mit gelegentlichen Anläufen die Absicht zu ihrer Vollendung nicht auf, und auch nach seiner Erkrankung 1985 galten ihr seine besorgten Überlegungen. Nach seinem Tode ist es dem Einsatz seiner Witwe Carmen Patze, die sich diesem Wunsch ihres Mannes verpflichtet fühlte, und des Vorsitzenden der Historischen Kommission für Sachsen-Anhalt Hans K. Schulze zu verdanken gewesen, daß Josef Dolle die geleisteten Forschungen hat zusammenfassen, ergänzen und nach relativ kurzer Zeit ein umfangreiches Urkundenbuch mit 853 Nummern aus den Jahren 1207 bis 1304 vorlegen können30. Unter Patzes Editionsarbeiten der 50er Jahre verdient noch die geplante Ausgabe des Saalfelder Stadtrechtes aus dem 13./14. Jahrhundert Erwähnung, ein seit Ende 1949 mehr aus Pflicht denn aus Neigung verfolgtes Projekt, das Flachs Aufmerksamkeit wegen der alten Kommissionsplanung für die thürin30 Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg, Teil 2 (1207–1304), hrsg. v. Hans K. Schulze. Auf der Grundlage der Vorarbeiten v. Felix Rosenfeld und Walter Möllenberg bearb. v. Hans Patze u. Josef Dolle. Köln, Weimar, Wien 2000 (= Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts, 2) – Zur Geschichte der Edition vgl. ebd. S. IX–XIII. – Patze an Flach 6.8.1951, 24.8.1951, 18.9.1952, 4.4.1956. – Patze an Schlesinger, 30.6.1952; Schlesinger an Patze, 6.11.1952; Patze an Schlesinger, 19.12.1954; 23.1.1956; [1956 vor April 1]. – In seinem Brief an Schlesinger vom 26.12.1974 begründete Patze seinen Wunsch zur Vollendung des Urkundenbuches u.a. mit der Überlegung: „Außerdem ist jede Quelle, die über Mitteldeutschland veröffentlicht wird, wichtig, denn wir haben dort für das MA in dieser Hinsicht nichts mehr zu erwarten“.



Lebens- und Berufsweg 

 375

gischen Stadtrechte anzog. Patze wünschte sich zwecks einer breiten Auswertbarkeit der Quelle neben einer Übersetzung für die Einleitung nicht nur eine historische und rechtshistorische Erörterung, sondern auch eine sprachwissenschaftliche Untersuchung, etwa zum Dialekt, einschließlich eines Wörterverzeichnisses, aber die von ihm angesprochenen Germanisten Ludwig Erich Schmitt und Peter von Polenz versagten sich letztlich seinen Werbungen. Als Patze im Frühjahr 1956 seine Textabschrift abschließend kollationierte, wollte er seine Ausgabe bis Ende des Jahres druckfertig machen31, aber der wenig später erfolgende Einschnitt seiner Lebensverhältnisse verhinderte die Realisierung seiner Absichten. Seine späteren Aufgabenschwerpunkte ließen es nicht mehr zu der ursprünglich beabsichtigten umfassend erläuterten Ausgabe kommen, so daß schließlich 1985 nur seine Textabschrift mit knappster Kommentierung in einer von Heinz Stoob mit Patzes Unterstützung veranstalteten Quellensammlung zur Stadtgeschichte Mittel- und Niederdeutschlands veröffentlicht worden ist32. Unter den umfangreichen wissenschaftlichen Aktivitäten der Altenburger und Gothaer Jahre soll schließlich nicht vergessen werden, daß Patze in führenden geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften sowohl der Bundesrepublik als auch der DDR eine lebhafte, vor harscher Kritik nicht zurückschreckende Rezensionstätigkeit über Werke aus dem Bereich seiner damaligen Arbeitsschwerpunkte entwickelte33. Überhaupt war, wie in diesem Zusammenhang anzufügen 31 Patze an Flach, 1.11.1949; Flach an den Rat der Stadt Saalfeld, 17.11.1949; Patze an Flach 17.2.1950, 8.3.1950; Patze an Schlesinger, 30.6.1952, 18.8.1953; Schlesinger an Patze, 23.4.1954; Patze an Polenz, 23.2.1956 (Abschrift an Schlesinger mit Nachsatz). 32 Urkunden zur Geschichte des Städtewesens in Mittel- und Niederdeutschland bis 1350, bearb. v. Heinz Stoob, Friedrich Bernward Fahlbusch, Wolfgang Hölscher, in Verbindung mit Hans Patze und Heinz Quirin hrsg. v. Heinz Stoob. Köln, Wien 1985, hier Nr. 160 S. 170–196 (Edition) und S. 349 f. (Erläuterung) (= Städteforschung, Reihe C: Quellen, 1), dazu der Hinweis S. XXVII. – Vgl. auch Patzes Erwähnungen in der Rez. von: Friedrich Wilhelm Oediger (Bearb.): Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, 1. Bd. 313–1099, Bonn 1954–1961, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1963), S. 327 f., hier S. 328, und in: Die Rechtsquellen der Städte im ehemaligen Herzogtum Sachsen-Altenburg, bearb. v. Hans Patze. Köln, Wien 1976 (= Mitteldeutsche Forschungen, 79), S. IX. 33 Rez. J. Rothe: Essener Rechtsbuch, bearb. v. P. Roudi. Weimar 1950, in: Deutsche Literaturzeitung 74 (1953), Sp. 31–33. – Rez. Friedel Peeck: Die Reinhardsbrunner Briefsammlung. Weimar 1952, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 90 (1953), S. 292. – Rez. Carl Niedner: Das Patro­zinium der Augustiner-Chorherren-Stiftskirche St. Thomae zu Leipzig. Leipzig 1952, in: ebd., S. 346. – Rez. Walter Schlesinger: Die Anfänge der Stadt Chemnitz und anderer mitteldeutscher Städte. Weimar 1952, in: Deutsches Archiv 10 (1954), S. 568–569. – Rez. Friedrich Lorenz Schmidt: Geschichte der Stadt Zeulenroda im Thüringischen Vogtland. Weimar 1953, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 41 (1954), S. 172–173. – Rez. Fritz Wiegand: Das Stadtarchiv Erfurt und seine Bestände. Weimar 1953, in: ebd., S. 159–160 und in: Archivmitteilungen

376 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

ist, Patze damals nachhaltig darum bemüht, sich wissenschaftliche Neuerscheinungen zu beschaffen, um so lebendigen Kontakt zur aktuellen Forschungsentwicklung zu halten. Schlesinger versorgte ihn leihweise mit den neuesten Werken wie etwa Karl Bosls Reichsministerialität; Patze kümmerte sich, etwa wenn er in Urlaubszeiten „aus der Diaspora“ nach (West-)Berlin, „das Fenster der Zone“, fuhr, freilich nicht nur um die mediävistische Fachliteratur34 in der Freien Universität, sondern suchte auch wenigstens Einsicht zu nehmen in die Neuerscheinungen zur jüngsten deutschen Geschichte, wie etwa Paul Schmidt, „Statist auf politischer Bühne“, oder Generalsmemoiren35. Wilhelm Berges, Walter Schlesinger und Herbert Helbig hatten ein offenes Haus für Kollegen, die noch in der DDR verblieben waren und sich, erleichtert, wenn sie die Kontrollen hinter sich hatten, im Meinecke-Institut einige Stunden sowohl von ihrer inneren Last zu befreien als auch durch wissenschaftliche Gespräche und Einsicht von Fachliteratur den Anschluß an die Forschung zu halten versuchten36.

Scharf kritisierte Patze westdeutsche Verleger, die ihrer Verpflichtung zur Ablieferung eines Belegexemplars an die Deutsche Bücherei in Leipzig nicht mehr nachkamen und damit den Wissenschaftlern in der DDR den Zugang zu den Neuerscheinungen nahmen, und er verlangte dagegen eine Intervention des Historiker­ verbandes37.

(1954), S. 59; Rez. d. 2. Aufl. von 1962, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1963), S. 334f. – Rez. Alfred Stange, A. Fries: Idee und Gestalt des Naumburger Westchores. Weimar 1955, in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 210 (1956), S. 206–210. – Siehe auch: Patze an Schlesinger 20.2.1951, betr. Rezension von: Goethes amtliche Schriften, hrsg. v. Willy Flach, 1. Bd., Teil I. Weimar 1950, bestimmt für „Universitas“; Patze an Schlesinger, 17.5.1951, betr. Rezension von Helmut Beumann: Widukind von Korvei. Weimar 1950. 34 Friedrich Heers damals vielbeachtete Darstellungen zur Stauferzeit behagten ihm nicht: „Eine Parallelsetzung wie der Kampf gegen die lombardischen Städte und Bismarcks Beschießung von Paris sollte einem so geistreichen Mann nicht unterlaufen. Die Meriten sind reichlich stark unter dem Gesichtspunkt der Europa-Idee des Jahres 1950 und eines verlorenen Krieges verteilt.“ (Patze an Schlesinger, 18.8.1953). 35 Patze an Schlesinger, 17.5.1951, 29.7.1951, 13.1.1952 (daraus das erste Zitat), 19.9.1952 (daraus das zweite Zitat). Vgl. auch: Hans Patze: Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger 1965–1979, hrsg. v. dems. u. Fred Schwind. Sigmaringen 1987, S. IX–XXVIII (= Vorträge und Forschungen, 34), hier S. XI. 36 Patze: Erinnerungen an Walter Schlesinger (wie Anm. 35), S. XIIIf. – Vgl. Knut Schulz: Herbert Helbig. Werk und Werdegang, in: Bünz (Hrsg.): 100 Jahre Landesgeschichte (wie Anm. 2), S. 285–316, hier S. 309–311. 37 Patze an Schlesinger, 19.9.1951; Schlesinger an Patze, 6.11.1952. – Vgl. auch zu Patzes „Betteleien“ bei westdeutschen Kollegen um die Zusendung westlicher Neuerscheinungen sein Schreiben an Flach v. 4.10.1953.



Lebens- und Berufsweg 

 377

Solche Komplikationen verblaßten ein wenig, wenn es um die Drucklegung der eigenen Werke ging; sie bereitete, wie Patze in der ersten Hälfte der 50er Jahre erfahren mußte, erhebliche Schwierigkeiten, finanzieller und auch politischer Natur. Für seine Dissertation fand er sich schließlich entgegen ersten Hoffnungen damit ab, daß Mittel für den Druck der gesamten Arbeit sich nicht beschaffen ließen38; er war froh darüber, daß sich Hermann Aubin als Herausgeber der Vierteljahrschrift für Wirtschafts- und Sozialgeschichte dazu bereiterklärte, eine Zusammenfassung in die Zeitschrift aufzunehmen, für die er seine Dissertationsfassung nochmals auf ihre sachliche Zuverlässigkeit genau überprüfte, ohne sich dadurch zu merklichen Änderungen veranlaßt zu sehen; schließlich bangte er darum, daß die Zeitschrift mangels Geld ihr Erscheinen werde einstellen können39. Die Veröffentlichung von „Recht und Verfassung thüringischer Städte“ suchte Schlesinger zu erreichen, indem er in einer ersten Überlegung Friedrich Schneider für eine Aufnahme in die von diesem herausgegebene, lizensierte Schriftenreihe zu interessieren trachtete und dann durch Vermittlung Fritz Rörigs als Lektor für die Wissenschaftliche Kommission des „Kulturellen Beirates für das Verlagswesen“ ein rühmendes Gutachten verfaßte; er hob hervor, daß Patze eine methodisch vorbildliche Arbeit über die Geschichte der für das deutsche gesellschaftliche Leben seit dem Spätmittelalter so bedeutsamen kleinen Städte aus dem in der stadtgeschichtlichen Forschung ungebührlich vernachlässigten Mitteldeutschland vorgelegt habe. Das von dem Lektor zu benutzende Formblatt enthielt auch die Frage: „Welcher Wert wird dem Werke insbes. als Mittel zur politischen und sittlichen Erneuerung des Volkes beigemessen?“ Empfängerorientiert antwortete Schlesinger: Die Besinnung auf den jahrhundertelangen Kampf um die städtische demokratische Freiheit wird geeignet sein, ihren Besitz als Verpflichtung zu betrachten und zu ihrer Weiterbildung anzuspornen.

Schlesinger Einsatz blieb vergeblich, der Kulturelle Beirat lehnte gegenüber der Verlagsbuchhandlung Gustav Fischer am 14. Dezember 1950 unter Berufung auf seinen Lektor [!] die Erteilung der Druckgenehmigung „in der vorliegenden Form“ ab: Die Arbeit steht noch im Bann gewisser partikularistischer und nationalistischer Anschauungen. Daher ist auch die Einstellung der Ostkolonisation, zur Slavensiedlung und zur Beurteilung der Tätigkeit der Landesherren nicht richtig. Hier ist eine grundlegende Überarbeitung notwendig. 38 Patze an Flach, 5.7.1949; Flach an Patze, 12.7.1949. 39 Patze an Flach, 17.1.1952; Patze an Schlesinger, 29.7.1951, 13.1.1952, 26.2.1952, 31.3.1952, 9.5.1952.

378 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Zur Bitte des Beirates, ihm die Stellungnahme des Autors zu diesen Vorschlägen zu übermitteln, bemerkte Patze gegenüber Schlesinger nur: „Ich habe natürlich jede Stellungnahme unterlassen.“40 Flach gab sich auf Dauer durch den ablehnenden Bescheid der Zensur nicht geschlagen, sondern ergriff knapp drei Jahre später eine neue Initiative zur Veröffentlichung in der von ihm selbst gegründeten und herausgegebenen Schriftenreihe der thüringischen Staatsarchive. Um die Drucklegung nicht erneut zu gefährden, zeigte sich Patze bereit, möglichen politischen Einwänden durch geänderte Formulierungen entgegenzukommen, ohne allerdings dadurch in die Substanz seiner Darlegungen einzugreifen. Wenn der Zensor dies oder das nicht vertragen kann, will ich mich im Ausdruck etwas anders fassen, die Sache darf nicht beeinträchtigt werden. Den Terminus ‚Ostkolonisation‘, der das letztemal Anstoß erregt hatte, habe ich beseitigt.

Um den Vorwurf der Partikularismus zu begegnen, gab Patze zu bedenken, ob man nicht im Titel auf die Erwähnung Thüringens verzichten und die Bezugnahme auf eine jahrhundertelange historische Einheit durch einen unverfänglicheren geographischen Begriff ersetzen solle: „Quellen und Untersuchungen zum mitteldeutschen Städtewesen“ oder „Untersuchungen über Recht und Verfassung mitteldeutscher Städte“41. Die Außerachtlassung Thüringens unterblieb dann doch, in Absprache mit dem Böhlau-Verlag in Weimar wurde der Titel endgültig im August 1954 festgelegt auf „Recht und Verfassung thüringischer Städte“. Flach hatte zuvor der Studie in einem Gutachten nachgerühmt, daß durch die Auswahl der Städte „alle Typen der städtischen Entwicklung von der Reichsstadt über die landesherrliche und grundherrliche Stadt bis zur modernen Industriesiedlung“ behandelt würden. Als Patze im Mai 1955 das erste Exemplar des Buches erhielt, dankte er Flach dafür, daß Sie das MS damals wieder hervorgezogen haben, nachdem wir bei der Zensur uns bereits einen Korb geholt hatten. Nun ist – wider mein Erwarten – aus dem Ganzen, das seinerzeit, als Sie mir das freundliche Prüfungsultimatum stellten, in großer Hast zusammengeschrieben wurde, fast noch so etwas wie ein Buch geworden42.

40 Patze an Flach, 25.6.1949; Flach an Patze, 1.7.1949, 12.7.1949; Schlesinger an Flach, 1.2.1950, in: NL Schlesinger, Akte betr. Korrespondenz Schlesinger/Flach; Patze an Flach, 12.3.1951; Flach an Patze, 17.3.1951; Patze an Schlesinger, 12.3.1951 (mit Anlage: Kultureller Beirat für das Verlagswesen an Verlagsbuchhandlung Gustav Fischer, 14.12.1950), daraus die beiden letzten Zitate; Schlesinger an Patze, 21.3.1951 (mit Anlage: Schlesingers Gutachten für den Kulturellen Beirat; daraus das erste Zitat). 41 Patze an Flach, 29.10.1953, in: NL Flach, Akte betr. Thüringische Archivstudien VI, 1953–1956. 42 Gutachten Flachs vom 21.12.1953; Flach an Patze, 23.8.1954; Patze an Flach, 13.5.1955 (alles ebd.).



Lebens- und Berufsweg 

 379

Der umfängliche Quellenteil wurde aus Mangel an finanziellen Mitteln im wesentlichen fallengelassen und auf knappe Fundregesten beschränkt, Flach hoffte darauf, daß die Quellen bei besserer Gelegenheit noch in ausführlicherer Form veröffentlicht werden könnten43. Sein Wunsch blieb nicht unerfüllt, wenn auch unter gänzlich anderen Voraussetzungen als damals gedacht. Anfang der 70er Jahre entschloß sich Patze zur Publikation seiner vollständigen Quellensammlung in der Reihe der „Mitteldeutschen Forschungen“, nachdem er hatte beobachten müssen, daß die Publikation von Quellen zur Geschichte des Mittel­ alters und der frühen Neuzeit in der DDR fast vollkommen stagnierte; unter solchen Gegebenheiten hielt er es für erforderlich, jede Möglichkeit zu nutzen, den Quellenstoff über die mitteldeutschen Landschaften zu vermehren, zumal seine eigene Darstellung natürlich die Überlieferung in keiner Weise erschöpfend ausgewertet hatte44. Das Ringen um die Drucklegung des Altenburger Urkundenbuches in der Schriftenreihe der Thüringischen Historischen Kommission zog sich nicht ganz so lang hin, nachdem Patze und Flach das Manuskript im Juni 1952 dem Verlag Gustav Fischer in Jena übergeben hatten. Flach hob in einem Gutachten für das Amt für Literatur und Verlagswesen, dem der Verlag das Werk zur Prüfung vorzulegen hatte, hervor, daß nicht nur die Urkunden in hervorragender Weise veröffentlicht, sondern auch mit der zwar oft erhobenen aber wenig beachteten Forderung Ernst gemacht [ist], daß ein Urkundenbuch den zu veröffentlichen Stoff auch nach allen quellenkritischen Gesichtspunkten zu bearbeiten hat.

Das Amt erteilte innerhalb weniger Wochen die Druckgenehmigung mit der Auflage, die Korrekturfahnen vor dem Ausdruck vorzulegen. Aber dann erwies sich die Finanzierung als besonders schwierig; etliche Versuche, bei der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, beim Akademie-Verlag, beim Kulturfonds des Ministerpräsidenten der DDR, bei der Hauptabteilung Archivwesen im Ministerium des Innern der DDR, beim Rat des Bezirkes Weimar scheiterten; der Rat der Stadt Altenburg lehnte einen Druckkostenbeitrag ab, „da es sich um eine rein fachwissenschaftliche Schrift handelt“45. Bessere Perspektiven eröffneten sich im Sommer 1953, als das Staatssekretariat für Hochschulwesen auf ein Gesuch 43 Patze an Flach, 13.11.1953 (ebd.). 44 Rechtsquellen (wie Anm. 32); zu den Motiven der verspäteten Veröffentlichung vgl. das Vorwort, S. IX. 45 Thür. Hauptstaatsarchiv Weimar, Bestand Thüring. Historische Kommission, IV 28 (Akte betr. Altenburger UB): Flach an Verlag Gustav Fischer, 10.7.1952 (daraus das erste Zitat); Verlag Gustav Fischer an Flach, 11.8.1952; Hauptabteilung Archivwesen an Archivinspektion Thüringen,

380 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Flachs freundlich reagierte. Der Leiter der Abteilung Hochschullehrbücher, wissenschaftliche Publikationen und Lehrmittel, Dr. Müller, stellte Flach nach einer gerade erst verfolgten grundsätzlichen Debatte über die Subventionierung von wissenschaftlichen Publikationen vorbehaltlich einer Entscheidung des Staatssekretärs seine Hilfe in Aussicht. Nach erneuter Vorsprache Flachs teilte Müller ihm schließlich am 10. Dezember 1953 mit, daß ein Druckkostenzuschuß in Höhe von 18.000 DM für das Altenburger Urkundenbuch genehmigt sei. Ich hoffe, daß mit dem Erscheinen des wichtigen Quellenwerkes ein neuer Beweis für alle Fachkollegen in ganz Deutschland erbracht ist, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hervorragende wissenschaftliche Arbeiten gebührend fördert46.

Mit dieser Zusage konnte die Drucklegung eingeleitet werden, freilich trat nach der Überweisung von 11.980,– DM durch das Staatssekretariat im letzten Augenblick die Komplikation auf, daß der Geldgeber die Publikation auf Grund haushaltsrechtlicher Vorschriften nicht in der gedachten Form hätte finanzieren dürfen und so die Auszahlung des letzten Drittels der bewilligten Summe unterblieb. Die Lücke schloß Flach dann in Absprache mit dem Verlag in der Weise, daß dieser die Restkosten selber trug und dafür den Erlös aus den verkauften Exemplaren vollständig einbehielt, während dieser früher zu einem Teil an die Kommission zurückgeflossen war und ihr zur Finanzierung weiterer landesgeschichtlicher Arbeiten gedient hatte. Die daraus entspringenden Konsequenzen unterstrich Flach mit mahnendem Unterton in seinem Schreiben an Müller vom 5. März 1955. Eine Förderung landesgeschichtlicher Arbeiten durch die Thüringische Historische Kommission ist damit nicht mehr möglich. Wir stehen damit am Ende einer Entwicklung und am Beginn einer Umorganisation der landesgeschichtlichen Arbeit, von der wir hoffen wollen,

24.9.1952; Stadtrat Altenburg an Flach, 3.11.1952 (daraus das zweite Zitat); Aktenvermerk Flach vom 15.12.1952. – Patze an Schlesinger, 9.5.1952, 30.6.1952, 13.9.1952, 28.2.1953, 2.5.1953. 46 Staatssekretär für Hochschulwesen an Flach, 11.8.1953; Flach an Patze, 21.8.1953 (NL Flach); Flach an Patze 14.12.1953 (darin das Zitat aus dem Schreiben Müllers an Flach v. 10.12.1953), aus der in der vorherigen Anm. angeführten Akte der Thür. Historischen Kommission. – Begründung und Zeitpunkt der Bewilligung lassen vermuten, daß sie aus dem neuen Kurs des Staatssekretariats für Hochschulwesen nach dem 17. Juni 1953 abgeleitet wurde: Staatssekretär Gerhard Harig hatte auf einer Rektorenkonferenz am 1. Juli 1953 gefordert, „einen freien wissenschaftlichen Meinungsaustausch zu fördern, die Verbindung der Wissenschaftler ganz Deutschlands zu pflegen“; zu den diesem Ziel dienenden Maßnahmen gehörte u. a. „das Recht auf die Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten bei Verlagen der DDR oder der Bundesrepublik“. Vgl. Anke Huschmer: Die Juni-Krise des Jahres 1953 und das Staatssekretariat für Hochschulwesen, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 42 (1994), S. 169–184, hier S. 180.



Lebens- und Berufsweg 

 381

dass sie in der Lage ist, landesgeschichtliche Arbeiten gleichen Umfanges und wissenschaftlichen Wertes herauszubringen wie die alten historischen Landeskommissionen47.

Auf den bisherigen Seiten sind zwei Namen bereits wiederholt genannt worden, die von Willy Flach und von Walter Schlesinger. Flach und Platze vereinte in ihrer grundsätzlichen Berufsauffassung und in ihrer Berufspraxis die Überzeugung, daß der Archivar sich geschichtswissenschaftlich und landesgeschichtlich zu betätigen habe. „Mit Ihnen steht und fällt die wissenschaftliche thüringische Geschichtsforschung und die, die sie unter Ihrer Leitung und Förderung treiben“: Dieser Geburtstagsglückwunsch vom Januar 1951 war keine bloße Floskel, sondern widerspiegelte recht genau die fachwissenschaftliche Lage ebenso wie das verbindende Ethos, das auch aufscheint, wenn Patze nach dem Erscheinen von Flachs Edition der Amtlichen Schriften Goethes den vorgesetzten Behörden wünschte, „nun endlich einmal zu begreifen, daß Archive wissenschaftliche Institute sind und bestenfalls in zweiter Linie Verwaltungsbehörden“48. Patzes Verhältnis zu seinem Vorgesetzten Flach war durchaus nicht frei von Spannungen, er rieb sich mehrfach an dessen wissenschaftlichen und dienstlichen Vorgaben. Flachs erste Kritik des Altenburger Urkundenbuches empfand Patze ganz überwiegend als „Schulmeisterei“: „Das Lehrer-Schüler-Verhältnis muss die Selbständigkeit der Person gedeihen lassen.“ Flachs Behördenleitung hielt Patze zuweilen für autoritär, seine Anforderungen zeitweise für überzogen, aber er stellte sich darauf ein, mit Höflichkeit und Bestimmtheit in der Sache seine eigenen Vorstellungen vorzutragen. Aller Einwände und Auseinandersetzungen zum Trotz befürchtete Patze niemals eine dauerhafte Verstimmung oder gar einen Bruch. „Auf die vergangenen acht Jahre zurückschauend“, bemerkte er Flach gegenüber 1950,

47 Flach an Dr. Müller, Staatssekretariat für Hochschulwesen, 5.3.1955 (aus der in Anm. 45 angeführten Akte der Thür. Historischen Kommission). – Patze an Schlesinger, 3.1.1955. – Zu Flachs damaliger Einschätzung der Landesgeschichtsforschung in der DDR und der Historischen Kommissionen vgl. seine wenig später gedruckte Übersichtsdarstellung: Entwicklung, Stand und Aufgaben der landesgeschichtlichen Forschung in Thüringen, in: Flach: Beiträge (wie Anm. 9), S. 214–253, hier S. 243f., 246 (zuerst 1956); ferner zur Problematik in historischer Rückschau: Wahl: Thüringer Archivar (wie Anm. 9), S. 48–52. Für die Entwicklung der Landesgeschichtsforschung in der frühen DDR ist bezeichnend, daß die von Flach 1956 hoffnungsvoll begrüßte Kommission für deutsche Landesgeschichte bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin bis Ende der 1950er Jahre über erste Anläufe nicht hinauskam, bis sie endgültig Anfang der 1960er Jahre durch die eindeutig marxistische Regionalgeschichte abgelöst wurde. Eine nähere Untersuchung dieser Kommission ist wünschenswert. 48 Patze an Flach, 16.1.1951; dgl. 15.2.1951, vgl. auch Landesarchiv Gotha an Flach, 31.12.1952 (im NL Flach, Akte betr. Korrespondenz Flach/Patze).

382 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

sehe ich jedoch, daß unser – Ihr und mein – Urteilen und Verhalten in verschiedenen Situationen immer weitgehend übereinstimmten. Daß dabei nicht das Verhältnis des Vorgesetzten, sondern eine gewisse menschliche Gleichartigkeit ausschlaggebend war, scheint mir sicher zu sein49.

Er achtete uneingeschränkt Flachs herausragende Leistungen in der Leitung des thüringischen Archivwesens und auf vielen wissenschaftlichen Gebieten, und er schätzte vor allem seine unbedingte Zuverlässigkeit gegenüber seinen Mitarbeitern und seine Abwehr politischer Zumutungen: „Acht Jahre sich mit einem Minimum an Konzessionen zur Wehr zu setzen, erfordert starke Nerven“50. Den thüringischen Archivdienst unter Flach zu verlassen und, wie ihm von höherer Stelle vorgeschlagen, an die neugegründete Archivschule in Potsdam zu gehen, zog er nicht einmal in Erwägung, da er sich selbst nicht für „lebensmüde“ hielt51. Patzes im thüringischen Archivdienst entstandene hilfswissenschaftliche und landesgeschichtliche Arbeiten verdanken ihren äußeren Anstoß und ihre wissenschaftliche Anregung dem intensiven Gedankenaustausch mit Walter Schlesinger52. Patze hatte Schlesinger 1948 persönlich kennengelernt, als dieser zu seinen Studien über die Frühzeit des mitteldeutschen Städtewesens wiederholt Urkunden im Landesarchiv Altenburg einsah und seine Forschungsergebnisse vor der Altenburger „Arbeitsgemeinschaft für Heimatforschung“ vortrug, vor einem zahlreichen Publikum, das einmal etwas anderes hören wollte, „als das übliche zermürbende politisch-ideologische Einerlei“53. Patze war sich des 49 Patze an Schlesinger, 7.12.1951 (daraus das erste Zitat), 26.2.1952, 31.3.1952, 30.6.1952, 28.3. 1953, 16.4.1954; Schlesinger an Patze, 23.4.1954. – Patze an Flach, 28.5.1950 (daraus das zweite Zitat). 50 Patze an Schlesinger, 17.4.1954. – Im Rückblick von 1984 heißt es über Flach: „Er lebte uns in schwierigen Situationen Zuverlässigkeit und Standhaftigkeit vor.“ Rückblick (wie Anm. 6), S. 834. – Zu Flachs wissenschaftspolitischen Auseinandersetzungen mit Vertretern des SEDKurses an Hand eines instruktiven Beispiels vgl. Volker Wahl: Im Dienste gesamtdeutscher Archivarbeit und Literaturforschung. Willy Flachs Direktorat im Goethe- und Schiller-Archiv Weimar 1954 bis 1958, in: Archivistica docet (wie Anm. 14), S. 205–244; vgl. ferner in diesem Zusammenhang die aufschlußreiche Beurteilung Flachs aus SED-Sicht bei Schreyer: Das staatliche Archivwesen (wie Anm. 29), S. 128. 51 Patze an Flach, 17.1.1952. 52 Vgl. Hans Patze: Zur Chemnitzer Fälschung auf Friedrich II. zu 1226 April 30 Parma, in: Forschungen aus mitteldeutschen Archiven. Zum 60. Geburtstag von H. Kretzschmar. Berlin 1953, S. 7–33 (= Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung, 3), hier S. 7 Anm. 1; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 375–398. – Ders.: Zur Geschichte des Pleißengaues im 12. Jahrhundert auf Grund eines Zehntverzeichnisses des Klosters Bosau (bei Zeitz) von 1181/1214, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 90 (1953), S. 78–108, hier S. 78f. Anm. 4; dazu Patze an Schlesinger, 9.5.1952. 53 Patze: Erinnerungen an Walter Schlesinger (wie Anm. 35), S. XI.



Lebens- und Berufsweg 

 383

Wertes dieser Verbindung bewußt, bereits im Juli 1951 dankte er Schlesinger dafür, „daß Sie das Wagnis auf sich genommen haben, auf das unbekannte Pferd aus der Provinz zu setzen“54. Schlesingers Arbeiten schätzte er wegen ihrer gelungenen Verbindung von Landesgeschichte und allgemeiner Geschichte, ihm imponierte, wie Sie auch bei Ihrer Städteforschung vom landesgeschichtlichen Ausgangspunkt das Feld geweitet und damit gezeigt haben, daß der Landeshistoriker wohl keine verlorene Seele ist, wie mancher trotz Kötzschkes, Stengels u. a. rühmlicher Beispiele vielleicht immer noch denken mag.55

Schlesinger hat auf Patzes beruflichen und wissenschaftlichen Weg, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, maßgeblichen Einfluß genommen, ihr gegenseitiges Verhältnis entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer engen, vertrauensvollen Gemeinschaft. Im Oktober 1954 empfahl Schlesinger Theodor Mayer nachdrücklich, Patze zu nächsten Reichenau-Tagung einzuladen. Den Nutzen sah er insbesondere „in der Aufnahme der Verbindung zu den wenigen jungen Historikern in der Sowjetzone, die noch im alten Sinne arbeiten“56. Schlesinger bahnte Patze früh den Weg zu einer aufblühenden neuen Stätte der damaligen mediävistischen Forschung, die in Patzes späteren Aktivitäten noch eine große Rolle spielen sollte. Im April und September 1955 und im April 1956 nahm Patze mit Flachs Genehmigung an Tagungen des Städtischen Instituts für Landschaftsgeschichte des Bodenseegebietes, des späteren Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, auf der Reichenau teil57. In seinen „Erinnerungen an Walter Schlesinger“58, in denen Patze auf Grund jahrzehntelanger Verbundenheit Schlesingers Lebensweg, seine wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit und sein wissenschaftliches Werk schildert, hat er dem verstorbenen Freund eine eindringliche und nachdenkliche Charakteristik gewidmet, die die wissenschaftliche Persönlichkeit Schlesingers mit behutsamen Strichen nachzeichnet und die, ähnlich wie Patzes noch zu erwähnende Darstellung Flachs, in der Gattung Nachrufe einen Ehrenplatz verdient. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine unvergeßliche, scharfprofilierte Gelehrtenpersönlichkeit mit einem aus protestantischen Geiste erwachsenen Pflichtgefühl ohnegleichen.59 54 Patze an Schlesinger, 29.7.1951. 55 Patze an Schlesinger, 3.1.1955. 56 Schlesinger an Mayer, 25.10.1954 (in: NL Schlesinger, Nr. 72). 57 Schlesinger an Patze, 12.3.1955; Patze an Flach, 30.3.1955. 58 Siehe Anm. 35. 59 Ebd., S. XXVIII. – Die von Patze verfaßten, in ansehnlicher Zahl vorliegenden Nachrufe vereinigen die aussagekräftige Charakteristik der Person mit der treffenden Würdigung des wissenschaftlichen Werkes, als Beispiel: Percy Ernst Schramm zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche

384 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Im Briefwechsel zwischen Patze und Schlesinger stößt man im Frühjahr 1953 zum ersten Mal auf Patzes Habilitationspläne; er habe Flach eröffnet, so schrieb er am 2. Mai dieses Jahres, daß er sich mit einer Untersuchung über die Reinhardsbrunner Fälschungen habilitieren wolle, dieser habe ihm aber wegen eigener Beschäftigung mit Reinhardsbrunn eine zusammenfassende Studie über die mittelalterlichen Fälschungen vorgeschlagen. An dem Thema reizte Patze die Verbindung von Diplomatik und Geistesgeschichte; er dachte daran, auf der Grundlage der vorhandenen Literatur das Problem der mittelalterlichen Fälschung als Ganzes, ohne Rücksicht auf das Einzelstück, zu erfassen; „es würde ... methodisch vielleicht auf eine Synthese der Arbeiten von Fichtenau und Schaller hinauslaufen.“ Besonders die Weite des Themas reizte ihn, „vor allem sehe ich eine Möglichkeit, die Enge des landesgeschichtlichen Gesichtskreises einmal zu sprengen und ein Spiel auf allen Tasten des Klaviers zu versuchen.“ Schlesinger reagierte zunächst zurückhaltend, dann ablehnend. Er bezweifelte, daß Patze von Gotha aus auf Grund seines notgedrungen auf die DDR zu beschränkenden Materials die angestrebten Erkenntnisziele über die „Psychologie der Fälschungen“ werde erreichen können, er riet überhaupt von einem hilfswissenschaftlichen Thema wegen der geringen Zahl hilfswissenschaftlicher Lehrstühle ab und empfahl statt dessen eine Habilitation für mittlere und neuere Geschichte und historische Hilfswissenschaften mit einem allgemeineren Thema, etwa mit einer von Beumanns Widukind angeregten Studie über Thietmar von Merseburg. Patze ließ zunächst von seiner Idee nicht los, zog Spurien aus mehreren MGH-Bänden heraus, um sich ein Bild über die Durchführbarkeit seines Vorhabens zu verschaffen, sammelte erreichbares Material von angeblichen Originalurkunden, u. a. den Leipziger Stadtbrief60, beherzigte aber dann nach weiteren Erörterungen mit Wilhelm Berges, der in die Überlegungen eingeschlossen war, Schlesingers Rat, das Stoffgebiet zu wechseln. Am 3. November 1954 schrieb er Schlesinger, er neige stark zu dem thüringischen Thema ... Eben die Arbeit von Hömberg scheint doch zu zeigen, daß ein landesgeschichtliches Thema solcher Art nur mit weitester Sicht in die Runde bearbeitet werden kann, sollen nicht schiefe Folgerungen gezogen werden.

Am 19. Dezember 1954 war er entschlossen, das thüringische Thema zu bearbeiten, „und zwar von der politischen Seite her.“ Mit der Entscheidung für „Thüringen im Hochmittelalter“, wie die Untersuchung damals bezeichnet wurde, war der Grundstein gelegt zur späteren „Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen“. Landesgeschichte 107 (1971), S. 210f.; Theodor Mayer zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 109 (1973), S. 350–353. 60 Patze an den Leipziger Stadtarchivar E. Müller, 5.4.1954, in: NL Flach, Akte betr. Korrespondenz Flach/Patze.



Lebens- und Berufsweg 

 385

Während Patze im Frühjahr 1955 die letzten Korrekturen des Altenburger Urkundenbuches las, begann er zugleich mit der Exzerpierung für „Thüringen 1050– 1250“. „Meine Frau und ich sind allabendlich an der Habil. Schr. vereint“, heißt es am 26. August 1955. Im November 1955 waren 15 Seiten ins Reine geschrieben, ca. 50 Seiten waren entworfen, darunter Ausführungen über die Reinhardsbrunner Fälschungen mit ihrer großen Bedeutung für die Entstehung der Landesherrschaft. Im Januar 1956 umfaßte die Reinschrift bereits 100 Seiten, im Februar 1956 hielt Patze in Eisenach einen Vortrag über Herkunft und Anfänge der Ludowinger, ohne damals zu ahnen, daß in gleichzeitigen Untersuchungen C. Cramer in Marburg zu diesbezüglich übereinstimmenden Ergebnissen gelangen sollte.61 Patzes Habilitationsabsicht warf unweigerlich früher oder später die Frage nach seiner Zukunft in beruflicher und, noch grundsätzlicher, in „staatlicher“ Hinsicht auf; sie mußte die bereits bestehende innerliche Entfernung von der DDR bzw. ihrer Staatspartei SED existenziell zuspitzen. Distanz zur Politik der SED hatte Patze seit jeher gewahrt, sie widersprach mit ihren Voraussetzungen und Zielen all seinen „bürgerlichen“ Auffassungen über ein staatliches Gemeinwesen. Als Ende 1950 das Altenburger Archiv in Gefahr stand, Räume an die Parteischule zu verlieren, hing, wie Patze damals meinte, der Erfolg der energischen archivarischen Gegenmaßnahmen davon ab, „wie weit rechtsgültige Verträge geachtet werden“62. Es kennzeichnete die staatliche Politik gegenüber kleinen Selbständigen, daß Finanzprüfer zwar einige Tage die Geschäfte seiner Mutter kontrolliert und ihr erhebliche Nerven abverlangt hatten, wie Patze im Juni 1951 bemerkte, daß sie aber ansonsten weder in Konsumvereine noch in volkseigene Betriebe gingen63. Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialpolitik der SED, gekennzeichnet durch Entzug der Renten, Erhöhung der Preise, Entzug der Lebensmittelkarten bei gleichzeitigem völligen Zusammenbruch der Wirtschaft, ziele, wie er im April 1953 aus West-Berlin, dem „gelobten Land“, schrieb, auf „die physische Vernichtung ganzer Bevölkerungsschichten“. „Im übrigen steigt uns jetzt die seelische und die materielle Not zum Halse. Der Bolschewismus wirft jede Maske ab und geht zur reinen Sklavenhalterei über.“ Unter dem Eindruck dieser Verhältnisse warf er für sich die Frage auf: „Sollen wir fliehen? 61 Patze an Schlesinger, 2.5.1953; Schlesinger an Patze, 7.5.1953; Patze an Schlesinger, 11.5.1953; Schlesinger an Patze, 4.6.1953; Patze an Schlesinger, 18.8.1953; Schlesinger an Patze, 23.4.1954; Patze an Schlesinger, 3.11.1954; Schlesinger an Patze, 17.1.1955; Patze an Schlesinger, 12.3.1954 [! – der Brief gehört, wie sich an inhaltlichen Angaben, v. a. aus der Erwähnung des Todes Adolf Diestelkamps, ergibt, ins Jahr 1955]; dgl., 26.8.1955, 12.11.1955; dgl., 22.1.1956. Vgl. auch Hans Patze: Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen. Köln, Graz 1962 (= Mitteldeutsche Forschungen, 22/I), hier S. 143, Anm. 1. 62 Patze an Schlesinger, 22.12.1950. 63 Patze an Flach, 11.6.1951.

386 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

In irgendeinem Winkel der Welt müssen wir uns diesem System stellen, denn es wird uns immer verfolgen.“64 Der „Ideologisierung“ konnte man sich nicht durch den Rückzug in irgend­ eine Nische entziehen, sie war ständig im beruflichen Alltag gegenwärtig, insbesondere wenn man im öffentlichen Dienst beschäftigt war. Der politischen „Belehrung“ diente damals die staatlicherseits verordnete „innerbetriebliche Schulung“, deren Gegenstand Themen der Politik, v. a. der DDR-Verfassung und -Verwaltung und ihres großen Vorbildes, der Sowjetunion und Stalins, des „großen Führers zum Weltfrieden“, waren. Seit dem Februar 1950 hatten die Altenburger Archivmitarbeiter an einer vom Landratsamt Altenburg organisierten, zumeist wöchentlich stattfindenden Schulung teilzunehmen. Patze protokollierte am 24. Mai 1950 ein Referat über die Verfassung der UdSSR: Es ging aus von dem Unterschied zwischen formaler Demokratie, in der die demokratischen Rechte des Volkes nur auf dem Papier stehen, und realer Demokratie, die die Gleichheit aller Bürger, also auch die Gleichheit des Besitzes, zur Voraussetzung hat, und gipfelte erwartungsgemäß in der Aussage: Mit einer wirklichen Demokratie haben wir es allein in der S. U. zu tun. ... Das Wesen einer wahren Demokratie (S. U.) besteht darin, daß dem Volk die tatsächliche Teilnahme an der Lenkung des Staates gesichert, die wirkliche Gleichberechtigung aller Menschen ohne Unterschied der Rasse, des Standes und des Geschlechts hergestellt und das Recht auf Arbeit, Erholung usw. garantiert ist.65

Der politische Druck auf die staatlichen Archive und Archivare wurde 1955 dadurch erhöht, daß die Staatliche Archivverwaltung in Auswertung der Beschlüsse der 21. Tagung des Zentralkomitees der SED mit Wirkung vom 1. Januar 1955 die Wiedereinführung der Staatspolitischen Schulung verfügte, an der sich sämtliche Angestellte zu beteiligen hatten. Die jeweiligen Themen der durchschnittlich alle 14 Tage stattfindenden Schulung waren von der Archivverwaltung vorgegeben und von ihr in Anleitungen inhaltlich ausführlich beschrieben. Der Schulungsleiter betonte etwa am 21. Mai 1955 laut dem von Patze mitunterzeichneten Protokoll, daß die besseren Möglichkeiten, die der sozialistischen Wirtschaftsform gegenüber der kapitalistischen immanent sind, auch voll ausgenutzt werden. Notwendig ist eine beharrliche Erziehungs- und Überzeugungsarbeit, die Verbesserung der Kontrolle und die Überwindung der defätistischen Theorie der Allgewalt objektiver Schwierigkeiten. Gestützt auf die Kraft der Arbeiterklasse werden wir die schwierigsten Aufgaben lösen.66 64 Patze an Schlesinger, 17.4.1953. 65 Thür. Staatsarchiv Altenburg, Verwaltungsarchiv, Nr. 52 a. 66 Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Staatspolitische Schulung, 1955–1957.



Lebens- und Berufsweg 

 387

Mit größter Sorge betrachtete Patze die Umgestaltung der wissenschaftlichen Ausbildung an den Universitäten. Bei den studentischen Praktikanten, die er in Altenburg und Gotha zu betreuen hatte, stellte er bedenkliche Mängel in der Kenntnis der historischen Methode und der notwendigen Hilfsmittel fest; verursacht wurde diese Unkenntnis nach seiner Auffassung, wie er am 21. Juli 1953 Flach in einer Praktikumsbeurteilung in unüberbietbarer Deutlichkeit schrieb, durch die vom Staatssekretariat für Hochschulwesen auf rein mechanische Lern­ arbeit abgestellte Ausbildung, durch die sog. Lehrpläne und die seit mehreren Jahren betriebene Rückbildung der Universität von der Lehr- und Forschungsstätte auf die dogmatisch gebundene reine Lehranstalt mittelalterlich-scholastischen Typs. (Interessant ist in diesem Zusammenhang z. B. die von Studenten im Hist. Seminar Leipzig geübte Technik des ,Zitatestechens‘, über die mir im vorigen Jahr berichtet wurde.)67

Ein Jahr später erwiderten Praktikanten aus der Universität Jena Patze auf seinen Vorschlag, für die Diplomarbeit eine hilfswissenschaftliche Untersuchung anzufertigen, daß ein solches Thema von der Studiengruppe, der die Themen zur Stellungnahme vorgelegt werden müßten, kaum gebilligt werden dürfte, da es nicht gegenwartsbezogen und ohne politischen Gehalt sei. Es scheint uns höchst bedenklich, wenn Studenten in der Lage sind, durch bestimmte Beeinflussungen Wissenschaftszweige, von denen sie wahrscheinlich nur eine höchst oberflächliche Vorstellung haben, mehr oder minder lahmzulegen und den fachlichen Nachwuchs für die Archive zu gefährden68.

Als der erste und einzige Kongreß der Archivare der DDR im Mai 1952 in Weimar stattfand, konnte Patze in den Vorträgen die gegensätzlichen Auffassungen zwischen „bürgerlicher“ und „marxistischer“ Geschichtswissenschaft in aller Deutlichkeit vernehmen. Während Willy Flach sich eindrucksvoll zum wissenschaftlichen Auftrag des Archivars bekannte und die Notwendigkeit von Quellenpublikationen und quellenfundierten Forschungen nachdrücklich unterstrich, propagierte der Hallenser Historiker Leo Stern69 in dreistündiger Rede in einer 67 Patze an den Direktor des Thüringischen Landeshauptarchivs, 21.7.1953 (Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, AZ. 3000-7/8 Nr. 13). 68 Ebd. 69  Vgl. jetzt ausführlich Mario Keßler: Exilerfahrung in Wissenschaft und Politik. Remigrierte Historiker in der frühen DDR. Köln, Weimar, Wien 2001, S. 260–290 (= Zeithistorische Studien, 18). Sterns Vortrag: Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung, in: Archivarbeit und Geschichtsforschung. Vorträge und Referate, gehalten auf dem Kongreß der Archivare der Deutschen Demokratischen Republik in Weimar 1952. Berlin 1952, S. 24–54 (= Schriftenreihe des Instituts für Archivwissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik, 2).

388 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

„makaberen Stimmung“ den historischen Materialismus zur künftig allein geduldeten Geschichtsauffassung in der DDR. Die Anwesenden mochten darüber ins Grübeln kommen, ob Flachs Position und der althergebrachten wissenschaftlichen Geschichtsforschung in Thüringen noch ein eigener Spielraum verbleiben würde70. Die erwähnten Habilitationspläne liefen darauf hinaus, daß Patze mittelfristig unter günstigen Umständen das Archiv verlassen und in die Universität oder ggf. eine andere Forschungseinrichtung überwechseln wollte. In den Monaten um die Jahreswende 1954/55 gewann er selbst Klarheit darüber, daß mich der Geschäftsgang eines Archivs mit seiner bloß aufbereitenden Tätigkeit, die immer dort zu enden hat, wo andere erst beginnen, auf die Dauer nicht ausreichend versorgt.71

Der dauerhafte Verbleib an einem Ort wie Gotha mit seiner begrenzten wissenschaftlichen Infrastruktur hätte die Gefahr heraufbeschworen, entweder den Anschluß an die Forschung zu verlieren oder zugunsten der Lokalgeschichte zu resignieren72. Daß Patze mit seinen wissenschaftlichen Überzeugungen, wie er sie methodisch und inhaltlich in seinen Arbeiten offenbart hatte, die Pforten einer DDR-Universität geöffnet werden würden, war mehr als zweifelhaft. Schlesinger machte sich daher schon 1955 seine Gedanken über eine Habilitation in der Bundesrepublik, scheute aber noch vor der letzten Konsequenz zurück, wie aus seinem Schreiben aus Berlin an Heinrich Büttner in Marburg vom 6. Dezember 1955 hervorgeht: 70 Vgl. Patzes Bemerkungen, in: Willy Flach zum Gedächtnis, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 8 (1959), S. 349–363, hier S. 359; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 807–821; – ders., in: Geschichte Thüringens, Bd. VI (wie unten Anm. 108), S. 276. – Flachs Vortrag: Die Aufgaben der Landesarchivverwaltung, in: Archivarbeit und Geschichtsforschung (wie Anm. 69), S. 72–90, wiederabgedruckt in: Flach. Beiträge (wie Anm. 9), S. 93–108, bes. S. 107. Der Gegensatz zwischen Stern und Flach offenbarte sich insbesondere an der gegensätzlichen Beurteilung Leopold von Rankes, der von Stern in mehrfachen Invektiven rigoros abgewertet, von Flach hingegen zum Vorbild archivalischen Quellenstudiums erhoben wurde. – Zum Weimarer Archivkongreß (siehe den Tagungsband [wie Anm. 69]) vgl. jetzt: Volker Wahl: Der Kongreß der Archivare der Deutschen Demokratischen Republik 1952 in Weimar, in: Klaus Oldenhage/Hermann Schreyer/Wolfram Werner (Hrsg.): Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg. Düsseldorf 2000, S. 115–141 (= Schriften des Bundesarchivs, 57). Ebd. S. 134–141 ist abgedruckt der scharfsinnige Bericht Walter Schlesingers über seine Beobachtungen zum Archivkongreß und darüber hinaus zur Lage der Archive und der Geschichtswissenschaft in der DDR. 71 Patze an Schlesinger, 12.3.19[5]. 72 Patze an die Kolleginnen u. Kollegen des Landesarchivs Gotha, 29.5.1956, siehe Quellenanhang Nr. 2.



Lebens- und Berufsweg 

 389

Eine Habilitation in Berlin ist nur dann möglich, wenn Herr Patze nicht nach Gotha zurückkehrt. Es wäre, so beurteile ich von hier aus die Lage, geradezu ein Verbrechen, ihm das zuzumuten. Dann kann er sich aber auch in Marburg habilitieren, und man braucht nicht den Widerstand der hiesigen Fakultät zu überwinden.73

Im November 1951 hatte Patze zu Schlesinger, als dieser von Glauchau nach Marburg mit Genehmigung der DDR-Behörden übersiedelte, bemerkt: „Wie steht es um den Auszug aus dem gelobten Land? Stehlen Sie sich, bitte, nicht lautlos davon.“74 Fünf Jahre später sah er sich in ähnlicher, ja verschärfter Lage, denn sie ließ jetzt für ihn, seine Frau und seinen dreijährigen Sohn nur noch die Flucht aus der DDR zu75. Patze hielt mit seinen wissenschaftlichen Auffassungen von Geschichte, insbesondere von der ihm besonders vertrauten mittelalterlichen Geschichte, in der DDR seine Habilitation, den Wechsel aus dem Archiv an eine Universität und eine dauerhafte Tätigkeit dort für ausgeschlossen, da die SED eindeutig vorgegeben hatte, das Geschichtsbild ausschließlich nach den Grundsätzen des historischen Materialismus zu zeichnen. Die Staatspolitische Schulung für den 26. November 1955 war unter das Thema gestellt Die politische und fachliche Bedeutung der von der Sowjetunion übergebenen deutschen Archivmaterialien, im Zusammenhang mit dem Beschusse des ZK der SED vom 5.7.1955 über die Verbesserung der Forschung und Lehre in der Geschichtswissenschaft der DDR76.

Die eingehende Darlegung des Beschlusses gegenüber den Mitarbeitern des Landes­archivs Gotha gab Gelegenheit, die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR und in Westdeutschland zu vergleichen und die Methode der marxistisch-leninistischen Geschichtsschreibung den bürgerlichen Theorien in der Periode des Imperialismus gegenüberzustellen,

73 Schlesinger an Heinrich Büttner, 6.12.1955, in: NL Schlesinger, Nr. 59. 74 Patze an Schlesinger, 7.11.1951. 75 Die nachfolgenden Betrachtungen über die Ursachen von Patzes Fluchtplänen beruhen u.a. auf seinen beiden unten im Quellenanhang abgedruckten „Abschiedsbriefen“ vom Mai 1956 an Flach und seine Kollegen im Landesarchiv Gotha. 76 Der Beschluß wurde durch seine auszugsweise Veröffentlichung in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3 (1955), S. 507–527, gerade in Fachkreisen allgemein bekanntgemacht. Zur Bedeutung des Beschlusses vgl. jetzt Buchholtz: Vergleichende Landesgeschichte (wie Anm. 2), S. 21, 23. Zu seiner Einordnung in die grundlegenden Bedingungen der geschichtswissenschaftlichen Arbeit in der DDR vgl. Werner Conze: Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945. Bedingungen und Ergebnisse, in: Ders.: Gesellschaft – Staat – Nation. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. Ulrich Engelhardt, Reinhart Koselleck u. Wolfgang Schieder. Stuttgart 1992, S. 21–43, hier S. 23–29 (= Industrielle Welt, 52).

390 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

und die Schulung „schloß mit der Herausarbeitung der ideologischen Hauptaufgaben der Geschichtswissenschaft gemäß dem Beschluß des ZK der SED“77. Diese zwingende Vorgabe hätte Patze zuerst in innere Konflikte über einzugehende oder nicht (mehr) einzugehende Zugeständnisse an die marxistische Doktrin gestürzt und dann den öffentlich auftretenden Universitätslehrer in einen unvermeidlichen Konflikt mit den staatlichen Instanzen geführt. Zudem war ihm bewußt, daß die Kaderpolitik der SED mit ihren sozialen Selektionskriterien einen Mann, der als Sohn eines kleinen selbständigen Kaufmanns aus dem zu „überwindenden“ Bürgertum stammte, ihn schon allein deswegen immer beiseite schieben würde. Und im Konfliktfalle mit dem Staat auf das gute eigene „Recht“ zu vertrauen, wäre unter den Maximen der DDR, die das Recht ausschließlich politischen Opportunitätserwägungen unterworfen hatte, von vornherein eine Illusion gewesen. Patze faßte seinen grundsätzlichen Entschluß zum Verlassen der DDR vor Weihnachten 1955, beschäftigte sich dann im Frühjahr 1956 mit der Frage des geeigneten Zeitpunktes und der Modalitäten. Die unüberwindbare Diskrepanz zwischen der offiziellen Propaganda und der eigenen Erfahrung und Einschätzung wird ihm in aller Deutlichkeit bewußt geworden sein, als die Staatspolitische Schulung des Landesarchivs Gotha am 7. und 14. April 1956 die „Flucht in den Westen“ behandelte: Der Referent betonte, daß die Bevölkerungsbewegung über die Zonengrenze ein Ausdruck des verschärften Klassenkampfes ist. Der Klassenfeind versucht durch Abwerbung von Arbeitskräften, die Position der DDR zu schwächen. Aufgabe der Staatsfunktionäre ist es, den Massen die hinterlistigen Machenschaften des Klassenfeindes geduldig zu erläutern und andererseits die großen Perspektiven der DDR aufzuzeigen. Westflucht muß heute nach einer Feststellung des 25. Plenums des ZK als eine gegen den Frieden gerichtete Handlung betrachtet werden. ... Hauptursache der Abwanderung ist jedoch verstärkte Agententätigkeit. Der gesamte Staatsapparat muß in den Kampf gegen die Abwanderung einbezogen werden. Die Haus- und Straßenvertrauensleute haben hierbei eine wichtige Aufgabe zu erfüllen78.

Patze nutzte einen Urlaub dazu, mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn „das Gebiet der DDR ohne Beachtung der polizeilichen Meldevorschriften am 21.5.1956 77 Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Akte betr. Staatspolitische Schulung. – Das mit den damals üblichen Formeln versehene Geleitwort des Chefredakteurs Heinze zum Heimatkalender der Kreise Altenburg und Schmölln 1958 beinhaltete nach Patzes Eindruck nicht mehr als „diese seit leider 12 Jahren traditionelle Geisterbeschwörung ... Ich mußte, als ich das las, an das Vorwort des Bischofs Gregor v. Tours in seiner Frankengeschichte denken, wo er sich von den Arianern distanziert, aber das war vor 1400 Jahren, als das dunkle Mittelalter eben begann. Für Herrn Heinze dauert diese Geistesart noch an.“ (Patze an Grünert, 1.1.1958; NL Grünert, Nr. 45). 78 Thür. StA Gotha, Altregistratur, Akte betr. Staatspolitische Schulung, 1955–1957.



Lebens- und Berufsweg 

 391

[zu] verlassen“79, also in die Bundesrepublik zu fliehen; er flog von West-Berlin nach Hannover und reiste nach Marburg, wo er sich an der dortigen Universität zu habilitieren gedachte80. Die Flucht war bis in die letzten Details hinein genau geplant und vorbereitet worden. Im nachhinein bemerkte Patze: „Es war ein bis auf den letzten Handschlag ausgeklügelter Auszug, an dessen minutiösen Ablauf ein preuß. Generalstabschef seine Freude gehabt hätte.“81 Die Personalakte des thüringischen Archivars Hans Patze schließt mit einer Bleistiftnotiz auf der Rückseite des Blattes mit einem Schreiben über die Reichenau-Reise im April 1956: „Ab 1.7.56 republikflüchtig!“ Seinem Chef Flach und seinen Kolleginnen und Kollegen im Landesarchiv Gotha begründete Patze seine Handlungsweise in Briefen, der in ihrer schlichten Eindringlichkeit einen vollständigen Abdruck im Quellenanhang dieses Aufsatzes verdienen82. Flach, der bereits vor der Flucht von Patze über seine Absicht unterrichtet worden war, hatte dessen Darlegung ruhig aufgenommen und nur darum gebeten, ich möchte ihm nicht den Kummer machen und von einer Reise nach Westdeutschland nicht zurückkehren, denn zu diesen Reisen muß er ja die Versicherung meiner Zuverlässig­ keit geben.

Patze hatte die Jahre im Altenburger und Gothaer Archivdienst gerne verbracht, weil er mit seinen Kollegen auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens eine echte menschliche Gemeinschaft gebildet hatte.

79 Rat der Stadt Gotha, Abt. Finanz-Verwaltung des staatlichen Eigentums, an Landesarchiv Gotha, 20.3.1959, Thür. StA Gotha, Altregistratur, AZ. 3000 – PA 14. 80 Patze an Schlesinger, 21.3.1956 (darin: „Von meiner Frau hörte ich, daß unsere Abreise nur noch insgesamt erfolgen kann. Als Neuerung ist eingeführt worden, daß den Familienangehörigen von Flüchtlingen der ordentliche Personalausweis entzogen und ihnen ein Behelfsausweis mit Vermerk: ‚Angehöriger von DDR-Flüchtlingen‘ ausgestellt wird. Die Angehörigen kommen dann gar nicht mehr an Berlin heran. Das Verfahren ist also auf Sippenhaftung abgestellt. Auch Kinder können nicht nachgebracht werden.“); desgl. [vor 1956 April 1]; Patze an Flach, 19.8.1956. – Seinem ehemaligen Mitarbeiter Grünert in Altenburg schrieb er zu seiner Flucht: „Mein Schritt wird Sie nicht allzu sehr überrascht haben, da Sie meine Auffassung von den unabdingbaren Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit kannten“ (NL Grünert, Nr. 45 [ca. 26.6.1956]). 81 Patze an Schlesinger, 5.6.1956. 82 Zum Vergleich siehe die Darlegungen eines später, 1960, in einer anderen Lage in den Westen geflohenen Weimarer Archivars, der damit auf den Aufbau eines „sozialistischen“ Archiv­ wesens unter dem damaligen neuen Leiter der Staatlichen Archivverwaltung, Karl Schirdewan, reagierte: Gregor Richter: Schicksalhafte Konstellationen und laufbahnrechtliche Hürden beim beruflichen Neubeginn nach der Flucht aus der DDR, in: Archiv und Geschichte (wie Anm. 70), S. 142–156, hier S. 143–145.

392 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Daß ich mich, weil von bestimmter Seite permanentes Mißtrauen in alle menschlichen Beziehungen getragen wird, aus diesem Kreis des Vertrauens herausziehen mußte, war an meinem Weggang das Unangenehmste. ... Es ist bedauerlich, daß seit 1933 immerzu Deutsche vor Deutschen fliehen, nur weil sie anderer Rasse oder anderer Meinung sind.83

Patze dankte aus Marburg Schlesinger, mit dem er seinen Schritt eingehend erörtert hatte, dafür, daß er ihn und seine Familie „auf diese menschenwürdigere Bühne gesetzt“ habe.84 Die DDR lag hinter Patze, sein Lebensabschnitt in den thüringischen Staatsarchiven unter Leitung von Willy Flach war abgeschlossen, seine Zukunft sollte er in einer erfolgreichen Universitätslaufbahn finden. Die Brücken hinter sich hat er nicht abgerissen, er hielt die Verbindung zu seinen archivarischen und historischen Fachkollegen in der DDR aufrecht, führte mit einigen von ihnen, unter denen hier nur Hans Eberhardt, Flachs Mitarbeiter und Nachfolger im Landeshauptarchiv Weimar, genannt sei, eine intensive Korrespondenz, und er besuchte immer wieder seine thüringisch-sächsische Heimat und hielt den Kontakt mit der Landschaft, deren Geschichte weiterhin ein erheblicher Teil seiner wissenschaftlichen Kraft gelten sollte, so aufrecht. Der Freitod Flachs im März 1958 hat ihn tief getroffen, in seinem Nachruf, der zwischen den Zeilen seine innere Bewegung verrät und der durch die Erfassung der Persönlichkeit und durch die Interpretation der unaufhebbaren sachlichen Gegensätze tief in Person und Gegenstand eindringt, hat Patze seinem vormaligen Chef ein würdiges Denkmal gesetzt und darin insbesondere die Problematik eines wissenschaftlicher Objektivität und quellenfundierter Geschichtsforschung verpflichteten Mannes in einer politisierten und ideologisierten Wissenschaftslandschaft herausgestellt. Flach hatte lange Zeit noch geglaubt, durch immer höher gesteigerte Sachleistungen die von ihm nicht zu erfüllenden politischen Forderungen ausgleichen zu können, aber die unaufhaltsame Politisierung von Verwaltung und Wissenschaft stellte die ihm als einer hervorragenden Fachkraft zugestandene Immunität immer mehr in Frage. Willy Flach ... sah sich von einem Staate materiell gefördert und äußerlich geehrt, der seine geistigen Grundlagen aufs schärfste bekämpfte. ... Pflichtbewußtsein, Treue zum Amt, Werk und Mitarbeitern einerseits und die Ablehnung der geistigen Umwelt andererseits gerieten in Willy Flach in einem tragischen Widerstreit. ... Durch Anlage und Auffassungen geriet der Historiker Willy Flach in einen Gegensatz zu den Mächten seiner Zeit, aus dem er sich nur lösen konnte, indem er selbst Zeugnis für diese Zeit wurde.85 83 Patze an Schlesinger, [vor 1956 April 1] (daraus das erste Zitat); Quellenanhang, Nr. 2 (daraus das zweite Zitat). 84 Patze an Schlesinger, 5.6.1956. 85 Patze: Willy Flach (wie Anm. 70), Zitate S. 361, 363. – Die außergewöhnliche Länge des Nachrufes begründete Patze damit, daß er meinte, „das unter schwierigen Umständen von allen



Lebens- und Berufsweg 

 393

2. Universitätshistoriker in Marburg, Gießen und Göttingen Schlesingers Vorsorge gewährleistete, daß Patze nach seiner Flucht in die Bundesrepublik ohne spürbare Unterbrechung seine wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen vermochte. Schlesinger, damals an der Freien Universität Berlin, und Heinrich Büttner, der in Marburg die mittelalterliche Geschichte vertrat und der auf Patze und seine Forschungen schon in den voraufgegangenen Jahren aufmerksam geworden war86, beantragten sogleich nach Patzes Ankunft in Marburg, Anfang Juni 1956, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Stipendium zur Bearbeitung des Themas „Thüringen und das Reich im Hochmittelalter“, also zur Fortführung und Vollendung des Habilitationsprojektes87. Vorübergehend wurde Patze vom Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde für Arbeiten an einzelnen Karten des Historischen Atlas von Hessen eingesetzt88. Die rasche Bewilligung des Habilitationsstipendiums setzte ihn dann in die Lage, konzentriert seine Untersuchung weiterzuführen und abzuschließen, in deren Mittelpunkt neben der politischen Geschichte vornehmlich die Verfassungsgeschichte der ludowingischen Landgrafschaft in Thüringen und Hessen rückte89. Bereits im November 1957 wurde die Habilitationsschrift der Philosophischen Fakultät der Philipps-Universität Marburg eingereicht, mit dem Habilitationsvortrag über den Christburger Vertrag von 1249 wurde im April 1958 das Habilitationsverfahren abgeschlossen. Die um einige Abschnitte noch erweiterte, fast 700 Seiten umfassende Habilitationsschrift erschien schließlich 1962 in der von Schlesinger mitherausgegebenen Reihe der „Mitteldeutschen Forschungen“ unter dem zutreffenderen Titel „Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen“, I. Teil. Für den Kollegen Geleistete einmal zur Kenntnis bringen zu müssen“ (Patze an Grünert, 10.3.1959; NL Grünert, Nr. 45). – Bemerkenswerte Hinweise auf die damalige Lage von Wissenschaftlern in der SBZ/DDR enthält auch Patzes aus eigenem Erleben angereicherter Nachruf auf einen Leipziger Kunsthistoriker: Herbst Küas zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 120 (1984), S. 497–503. 86 Nach Büttners Tod hat Patze im Auftrage des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, in dem Büttner nachhaltig mitgewirkt hatte, dessen Aufsätze zu einem seiner thematischen Arbeitsschwerpunkte herausgegeben, u. d. T.: Schwaben und Schweiz im frühen und hohen Mittelalter. Gesammelte Aufsätze von Heinrich Büttner. Sigmaringen 1972 (= Vorträge und Forschungen, 15), und Büttners Persönlichkeit und wissenschaftliche Leistung mit ihren charakteristischen methodischen und inhaltlichen Eigenarten einprägsam und tief eindringend gewürdigt: Heinrich Büttner zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 107 (1971), S. 206–209. 87 Gutachten Schlesingers vom 29.5.1956; Patze an Schlesinger, 5.6.1956. 88 Patze an Willy und Helene Flach, 19.8.1956. 89 Vgl. Patze an DFG, 28.6.1957; Büttner an DFG, 5.7.1957 (NL Schlesinger, Akte betr. Korrespondenz Schlesinger/Patze).

394 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

II. Teil war vorgesehen, nach ähnlichen Gesichtspunkten die übrigen Herrschaften in Thüringen – Dynasten wie die Pfalzgrafen von Sachsen, die Grafen von Schwarzburg, von Weimar-Orlamünde, von Ilfeld, Scharzfels und Honstein, von Beichlingen, von Henneberg, von Klettenberg, von Tonna-Gleichen, die Vögte von Weida, Gera und Plauen, die Herren von Lobdeburg, schließlich das Erzstift Mainz – zu analysieren, damit für eine alte Stammeslandschaft ein geschlossenes Bild von den graduell sehr verschiedenen Herrschaftstypen entstand. Patze griff 1958 nach Abschluß des Habilitationsverfahrens Schlesingers Anregung zu dem II. Teil auf, freilich „ohne rechten Glauben an die Erfüllung dieser Zusage“. Eine vergleichbar dichte und ausführliche Darstellung der nicht-ludowingischen Herrschaften in Thüringen hat er tatsächlich wegen seiner neuen Schwerpunkte nicht mehr vorgelegt, allerdings hat er sie in dem von ihm verfaßten Band der politischen, Rechts- und Verfassungsgeschichte Thüringens im hohen und späten Mittelalter in gekürzter Form beschrieben, so daß sein damaliges Versprechen, wie er Schlesinger 1973 schrieb, doch einigermaßen eingelöst worden sei90. Nach der Habilitation erhielt Patze in Marburg eine Dozentur für mittelalterliche Geschichte und mittel- und ostdeutsche Landesgeschichte. Die fünf Marburger Dozentenjahre waren wissenschaftlich dadurch geprägt, daß einerseits mit der Ingangsetzung des als Sammelwerk angelegten Handbuches „Geschichte Thüringens“, mit dem „Handbuch der historischen Stätten: Thüringen“ und Spezialuntersuchungen das altvertraute Arbeitsfeld weiter gepflegt wurde, andererseits aber neue Themenfelder erschlossen wurden, da Patze sich bewußt vorgenommen hatte, sich nicht dauerhaft auch nur schwerpunktmäßig auf die thüringische Landesgeschichte zu beschränken. Er vertiefte seine Beschäftigung mit dem Deutschen Orden, aus dessen Bereich bereits sein Habilitationsvortrag gestammt hatte; die intensive Auseinandersetzung mit diesem Gegenstand, über den er damals eine zweistündige, zum ersten Mal im Wintersemester 1958/59 gehaltene Vorlesung ausarbeitete, war in allen nachfolgenden Untersuchungen zur mittelalterlichen deutschen Landesherrschaft zu spüren. Und er ließ mit ersten Beiträgen schon erkennen, daß er sich nicht auf ein oder zwei historische Landschaften konzentrieren, sondern die Erforschung des mittelalterlichen Reiches durch die Untersuchung der Verhältnisse in zahlreichen Regionen vorantreiben wollte. Nachdem er im Sommersemester 1960 Schlesingers freigewordenen Lehrstuhl für Verfassungsgeschichte an der Freien Universität Berlin vertreten hatte und nach Hömbergs Tod für den Lehrstuhl für westfälische Landesgeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster erwogen worden war, nahm er schließlich 1963 den Ruf auf den neugeschaffenen landesgeschichtlichen Lehr90 Entstehung der Landesherrschaft (wie Anm. 61), S. XV; Patze an Schlesinger, 26.8.1973 (daraus das Zitat); Geschichte Thüringens (wie unten Anm. 108), Bd. II/1, S. 390.



Lebens- und Berufsweg 

 395

stuhl an der Justus-Liebig-Universität Gießen an. Er gab mit einigen Marburger Kollegen das Hessische Jahrbuch für Landesgeschichte heraus91, bildete aber keinen Forschungsschwerpunkt in der hessischen Landesgeschichte heraus, zumal ihn in diesen Jahren noch die eingeleiteten thüringischen Handbuchunternehmungen stark beanspruchten. In welche Richtung seine Gedanken gingen, zeigte seine Gießener Antrittsvorlesung von 1964 über „Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich“ und die erste von ihm angeregte Tagung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte 1967/68 über „Verfassungsgeschichtliche Probleme des Reiches im 14. Jahrhundert“: Er strebte danach, die auf eine spezielle Landschaft bezogene landesgeschichtliche Forschung aus ihrer Isolierung herauszuheben, dadurch, daß er in einer grundsätzlichen sachthematischen Fragestellung eine Vielzahl von landschaftsbezogenen Spezialuntersuchungen aneinanderreihte und damit einen Eindruck, wenn nicht einen Überblick über die Vielgestaltigkeit des hoch- und spätmittelalterlichen Reiches ermöglichte. In seinem Dekanat der Philosophischen Fakultät 1967/68 war er in heftige Konflikte über die Hochschulgesetzgebung des Landes Hessen und mit den revoltierenden Studenten verwickelt. Mit Verständnislosigkeit beobachtete er Hochschulpolitiker, die glaubten, die radikalen Elemente unter der Studentenschaft durch Gewährung der Drittelparität an der Universität besänftigen zu können, damit aber nur „unter dem Druck der akademischen Straße“ das universitäre Leistungsprinzip gefährdeten. Als Wissenschaftler einer Generation, „der der Elfenbeinturm in den Ängsten des letzten Krieges, wenn wir überhaupt je in einem solchen gesessen hätten, restlos zerschlagen worden“ war, mußte er erleben, daß Studenten über die gewaltsame Erzwingung einer öffentlichen Gremiensitzung abstimmten, ohne zu merken, „wohin ihr Rechtsbewußtsein gerutscht ist, wenn sie sich bereit finden, über die Ausführung einer kriminellen Handlung angeblich demokratisch abzustimmen“. Er beschwor die Verantwortlichen, nichts unversucht zu lassen und keine Unpopularität zu scheuen, damit die deutsche Universität als eine Anstalt, in der allein wissenschaftliche Leistung das Ziel aller Bemühungen sein kann, erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird92.

Derartige Erfahrungen führten Patze damals nicht nur in den „Bund Freiheit der Wissenschaft“, sondern bestärkten ihn nachhaltig in seiner nüchternen skeptischen „Zurückhaltung gegenüber allem, was sich als Fortschritt ausgibt“, er 91 Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1963) bis 19 (1969), Schriftleitung mit Friedrich Uhlhorn, Karl Ernst Demandt, Walter Heinemeyer. 92 Patze an den Oberbürgermeister von Fulda Alfred Dregger, o. D. [1969], Durchschrift im NL Schlesinger, Akte betr. Korrespondenz Schlesinger/Patze.

396 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

sah sich auf der Seite der beharrenden Kräfte, deren es bedarf, „damit der Lauf der Geschichte nicht wieder aus dem Gleise gerät“93. In seinen ersten Göttinger Jahren mußte er mehrfach erleben, daß linksradikale Studenten mit pseudodemokratischem Gehabe seine Lehrveranstaltungen sprengten94. Er stellte nicht in Abrede, daß manche seiner Professorenkollegen ihre Lehrverpflichtungen nicht sehr ernst nahmen, und suchte durch sein eigenes Verhalten, durch seine ständige Anwesenheit und Ansprechbarkeit im Seminar, durch das unmittelbare Gespräch mit den Studenten über ihre fachlichen und persönlichen Sorgen die universitas magistrorum et scholarium in einem kleinen Institut zu verwirklichen. „Wir können die Universität nur in Ordnung bringen, wenn wir den Studenten durch wissenschaftlich und persönlich zuverlässiges Verhalten wieder Vertrauen geben“95. Eine ansehnliche Zahl von Doktoranden spricht dafür, daß sein Werben um den wissenschaftlichen Nachwuchs nicht erfolglos war, und es kennzeichnet seine Persönlichkeit, daß er auch nach ihrer Promotion sich nachdrücklich um ihr berufliches Fortkommen kümmerte. 1969 wechselte Patze, wie gerade schon angedeutet, von Gießen an die Georg-August-Universität Göttingen über, er trat hier auf dem Lehrstuhl für niedersächsische Landesgeschichte und in der Leitung des Instituts für historische Landesforschung die Nachfolge von Georg Schnath an96, in gewisser Weise das Gegenbild zu Patze insofern, als er durch seine Konzentration auf die Geschichte seiner niedersächsischen Heimat und durch seine jahrzehntelange Tätigkeit als Direktor des (Haupt-)Staatsarchivs Hannover und Lehrstuhlinhaber für niedersächsische Landesgeschichte in Göttingen geradezu als Inkarnation der niedersächsischen Landesgeschichtsforschung betrachtet werden konnte. Patze hat sich nicht bemüht, Schnath nachzueifern, das wäre ihm, dem „Landfremden“, dem die Verwurzelung im Lande und der Aufstieg im Lande fehlten, auch nicht gelungen. Aber er hat seine niedersächsische Aufgabe ernst genommen, er hat die niedersächsische Landesgeschichte nicht hinter seinen anderen Aktivitäten 93 Rückblick (wie Anm. 76), S. 837. 94 Vgl. die Beschreibung im Schreiben Patzes an Schlesinger, 2. 2. 1971. – Der Vf. dieser Seiten erinnert sich noch lebhaft daran, wie Patzes Vorlesung über den Deutschen Orden 1976 während eines „aktiven Streiks“ im regulären Hörsaal verhindert wurde, indem ein Kommandotrupp die Zugangstür versperrte; eine Störergruppe folgte Patze und wenigen Hörern, die sich mit ihm in sein Dienstzimmer zurückzogen, und suchte die gerade noch rechtzeitig verschlossene Dienstzimmertür einzudrücken und durch tosendes Gejohle auf dem Flur den unbekümmert dozierenden Patze unverständlich zu machen. 95 Rückblick (wie Anm. 6), S. 841; Patze an Schlesinger, 24. 4. 1975 (daraus das Zitat). 96 Vgl. Patzes Geleitwort zu der kleinen, Georg Schnath zum 80. Geburtstag gewidmeten Vortragsfolge: Aspekte des europäischen Absolutismus. Vorträge aus Anlaß des 80. Geburtstages von Georg Schnath, hrsg. v. H.P. Hildesheim 1979, S. VI–VIII.



Lebens- und Berufsweg 

 397

zurücktreten oder gar verschwinden lassen. Mit kritischem Seitenblick auf den landesgeschichtlichen Lehrstuhl in Münster legte er größten Wert darauf, mit der Tat zu belegen, daß er die zentrale Aufgabe des Lehrstuhls mit dem ganzen Einsatz seiner Person zu erfüllen gedachte. Patze hat sich nach seinem Eintritt in Göttingen sofort mit allem Nachdruck in das ihm unvertraute Gebiet eingearbeitet und sowohl mit eigenen Forschungen als auch durch zahlreiche von ihm angeregte Schülerarbeiten die Erforschung der (nieder)sächsischen Geschichte vornehmlich im hohen und späten Mittelalter gefördert, so „daß es mir“, wie er später bemerkte, „mindestens zu einem gewissen Grade gelungen ist, mich in Niedersachsen wissenschaftlich heimisch zu machen“97. Das Institut für historische Landesforschung mit einem kleinen Personalstamm, mit wenigen studentischen Hilfskräften und wissenschaftlichen Mitarbeitern, war dank seiner Anregungen eine produktive Arbeitsstätte, in aller Stille blühte seine Schriftenreihe mit etlichen Veröffentlichungen auf, unter den längerfristigen Vorhaben verdient die von Patze in Gang gesetzte vollständige Neubearbeitung des Historischen Handatlas für Niedersachsen Erwähnung. Vor allem ist hier sein Handbuchprojekt zu erwähnen. Als er 1971 ebenfalls in der Nachfolge Georg Schnaths zum Vorsitzenden der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen gewählt wurde, stellte er zugleich seinen Plan zu einer vierbändigen „Geschichte Niedersachsens“ vor, den er 15 Jahr lang unermüdlich voranzutreiben suchte, mindestens mit beachtlichen Teilerfolgen. Nachdem die Emeritierung Patze zum Ende des Wintersemesters 1985/85 von seinen Lehrverpflichtungen an der Universität befreit hatte, hoffte er, mancher organisatorischer Aufgaben ledig, die für das Alter geplanten wissenschaftlichen Vorhaben, insbesondere die Residenzenforschungen, nachdrücklich vorantrei­ben zu können. Die Verwirklichung dieses Wunsches blieb ihm versagt. Im Dezember 1985 trat wohl in Folge seiner Überarbeitung ein Herzstillstand ein, aus dem eine dauerhafte Schädigung des Kurzzeitgedächtnisses nachblieb. Patze sah sich zum Rückzug aus der Wissenschaft, aus seinen Ämtern und vor allem zum Verzicht auf wissenschaftliche Arbeit gezwungen. In den folgenden Jahren führten ihn viele Reisen gemeinsam mit seiner Frau Carmen nach Italien, Frankreich, Österreich, Norwegen. Die Kontakte zu seinen ehemaligen Doktoranden und Doktorandinnen blieben aufrechterhalten, eine denkwürdige Feier vereinte diesen Kreis anläßlich seines 70. Geburtstages im Herbst 1989. Am 19. Mai 1995 ist Hans Patze in Göttingen verstorben.

97 Rückblick (wie Anm. 6), S. 833.

398 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

3. Wissenschaftsorganisator in der deutschen 3. Landesgeschichtsforschung Wenn wir uns nach der Betrachtung von Patzes universitärer Laufbahn jetzt seinen wissenschaftlichen Leistungen zuwenden, so sollen zunächst seine wissenschaftsorganisatorischen Tätigkeiten in verschiedenen außeruniversitären Vereinen und Arbeitskreisen behandelt werden, denn von ihnen sind nachhaltige Impulse für die deutsche Landesgeschichtsforschung ausgegangen. In zeitlicher und sachlicher Hinsicht steht am Anfang der Herausgeberexistenz Patzes die „Geschichte Thüringens“, die ihn über 25 Jahre, vom Abschluß der Habilitation bis an die Schwelle der Emeritierung, begleitete. Auch hierfür ging die Initiative ursprünglich von Schlesinger aus, er plante, für alle (historischen) Länder der DDR mehrbändige Landesgeschichten entsprechend dem Stand der Forschung bearbeiten zu lassen und damit die in der DDR nicht mehr mögliche freie landesgeschichtliche Forschung in der Bundesrepublik fortzusetzen98. Bereits im Jahre 1952 hatte er Flach vorgeschlagen, unter dessen Herausgeberschaft und freier Wahl seines Beitrages „als Gemeinschaftswerk eine Geschichte Thüringens auf die Beine zu stellen, in ähnlicher Weise wie die von Aubin herausgegebene Geschichte Schlesiens“, aber Flach hatte abgewunken. Patze ließ sich von Schlesingers Idee anstecken; nachdem er sich mit seinem Habilitationsprojekt 1954 der hochmittelalterlichen Geschichte Thüringens zugewandt hatte, gedachte er, aus einer gerafften Fassung den Mittelpunkt des ersten Bandes einer thüringischen Geschichte zu machen99. Schlesingers Plan gewann erst konkrete Gestalt, als Patze nach dem Abschluß seiner Habilitation freie Hand bekam und in die Lage versetzt war, neben der Autorität Schlesingers als Mitherausgeber und Redakteur das Gemeinschaftswerk zu tragen und voranzutreiben. Den organisatorischen, personellen und finanziellen Rückhalt bot der maßgeblich auf Schlesingers Aktivitäten zurückgehende „Wissenschaftliche Arbeitskreis für Mitteldeutschland“, in dem vornehmlich aus der DDR geflohene Historiker, Germanisten, Slawisten und andere Wissenschaftler die landeskundliche Forschungen zu den mitteldeutschen Landschaften fortführten und den das Gesamtdeutsche Ministerium förderte100. 98 H. P.: Landesgeschichte, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. v. d. Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1980, Stuttgart 1981, S. 15–40 (1. Teil) bzw. Jahrbuch … 1981. Stuttgart 1982, S. 11–33 (2. Teil), hier S. 27; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 21–80. 99 Schlesinger an Patze, 7. 5. 1953; Patze an Schlesinger, 12. 3. 195[5]. 100 Dazu detaillierter Michael Gockel: Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“ und der „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 64 (1993), S. 223–232.



Lebens- und Berufsweg 

 399

Zur selben Zeit, in der Schlesinger in Berlin in der Gründungsphase der Historischen Kommission zu Berlin eine dreibändige Geschichte Berlins und Brandenburgs auf den Weg brachte, schlug er dem Arbeitskreis auf dessen Gießener Jahresversammlung im Mai 1958 vor, eine bislang fehlende Landesgeschichte Thüringens in Gang zu setzen; entsprechend seinem Vorschlag wurde Patze mit der Leitung beauftragt und in den Arbeitskreis kooptiert. Er übernahm es, eine Konzeption und eine Gliederung zu entwerfen. Auf der nachfolgenden Jahresversammlung im Mai 1959 stellte er den „Plan einer thüringischen Geschichte“ vor, damit war endgültig der Startschuß gegeben101. Patzes Gesamtplanung für eine Geschichte Thüringens zielte nicht nur auf eine breit angelegte Darstellung, sondern auch auf eine umfassende landesgeschichtliche Bibliographie, in ideeller Anknüpfung an ein von der Thüringischen Historischen Kommission 1937 in Gang gesetztes Projekt. Er versprach sich von der gleichzeitigen Bearbeitung Vorteile für beide Seiten, für die Darstellung insofern, als ihre Autoren dadurch ein Hilfsmittel zur Erfassung der einschlägigen Literatur erhielten, für die Bibliographie insofern, als sie von den Handbuchverfassern mit den Kenntnissen ihrer Spezialgebiete überprüft und ggf. ergänzt werden konnte. Obwohl eine große Schwierigkeit darin bestand, daß für das Vorhaben die thüringischen Bibliotheken mit ihrem jahrzehnte- oder gar jahrhundertelang gesammelten landesgeschichtlichen Schrifttum nicht benutzt werden konnten, ließ Patze nicht von seiner Absicht ab, denn er ging davon aus, daß in Thüringen selbst nach der Einstellung aller größeren landesgeschichtlichen Vorhaben eine solche bibliographische Arbeit nicht geleistet werden würde. Im August 1958 begann er die ersten Titel auszuwählen und zu verzeichnen. Für die Titelsammlung und Titelaufnahme standen ihm in den folgenden Jahren überwiegend drei studentische Hilfskräfte mit ungewöhnlicher Ausdauer zur Verfügung, Helga Hammerstein, Margarete Roßner und insbesondere Winfried Leist. Etliche Handbuchautoren korrigierten und vervollständigten die vorläufigen Titelzusammenstellungen und erfüllten damit Patzes diesbezügliche Hoffnungen. Die unmögliche Benutzung der thüringischen Bibliotheken wurde wenigstens teilweise dadurch ausgeglichen, daß die Bestände der Landesbibliothek Coburg mit ihrer reichhaltigen Sammlung von Coburgica intensiv ausgewertet wurden. Der Verifikation zahlreicher Titelaufnahmen dienten die Kontakte zur Patzes altvertrauten thüringischen Bekannten, deren „selbstlose Hilfe“ er im Vorwort der Bibliographie ausdrücklich erwähnte; seine Korrespondenzen aus der ersten Hälfte der 60er Jahren mit Hans Eberhard und Waldemar Grünert sind gefüllt mit Nachfragen zu 101 Protokolle der Jahresversammlung in der Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde, Abt. Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands, Marburg. – Patze an Schlesinger, 9. 8. 1958.

400 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

vielen im Westen nicht greifbaren Titeln. Selbstverständlich legte Patze auch selber Hand an, stieg zur Auffindung von Titeln in die Bibliotheksmagazine hinab, traf insbesondere die letzte Auswahl aus dem vorliegenden Material. Denn er legte berechtigtermaßen den Akzent nicht auf bibliographische Vollständigkeit, sondern strebte von vornherein eine Auswahlbibliographie mit einer Zusammenstellung der wissenschaftlich wertvollen, primäres Material verarbeitenden landesgeschichtlichen Forschungen an, geleitet von der Überzeugung: Eine landesgeschichtliche Bibliographie muß unseres Erachtens dem Benutzer, der allgemeingeschichtliche Gesichtspunkte verfolgt, eine so weit begrenzte Anzahl von Titeln bieten, daß er nicht im Unwesentlichen erstickt und bei der Ermittlung brauchbarer Titel verzweifelt, zum anderen soll auch dem Heimatforscher, der sich mit kleinen und kleinsten Objekten befaßt, gedient werden.

Für die Gliederung legte er zur Erleichterung vergleichender landesgeschichtlicher Arbeit das von den meisten landesgeschichtlichen Bibliographien verwandte Muster der vorzüglichen „Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen“ Ernst Wermkes zugrunde, das die Breite des historischen Lebens von der historischen Landeskunde, der Volkskunde über die politische Geschichte, die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, der Geschichte der geistigen Kultur bis hin zum größten Schwerpunkt Ortsgeschichte und zur Kirchen-, Bevölkerungs- und Familiengeschichte bibliographisch dokumentierte. Der Benutzbarkeit des Materials dienten neben der Gliederung das Verfasserregister und vor allem das Sachregister, das nicht nur die Stichworte des Titels verwertete, sondern wegen deren häufiger Unzulänglichkeit auf Grund inhaltlicher Analysen neu gebildete Schlagworte vergab. Patze war sich wegen der selbst gesetzten zeitlichen Schranken und der objektiven sachlichen Grenzen der Unvollkommenheiten seiner Bemühungen bewußt: Unser Anliegen war es allein, dem Historiker ein Hilfsmittel für seine Arbeit an die Hand zu geben, nicht aber, bibliothekarische Millimeterarbeit zu leisten ... Vom Benutzer darf erhofft werden, daß er sich an dem Zusammenwirken von Umsicht, Sachkenntnis, Irrtum und Stumpfsinn, auf das sich der Bearbeiter einer Bibliographie einläßt, dadurch beteiligt, daß er das ganze Kapitel ihn interessierender Titel durchsieht und das Sachregister zusätzlich zu Rate zieht.

1965/66 lag das Ergebnis in Gestalt des über 14.000 Titel enthaltenden ersten Halbbandes und des die Register von ca. 230 Seiten umfassenden zweiten Halbbandes vor102. 102 Bibliographie zur thüringischen Geschichte. Unter Mitwirkung von Helga Hammerstein, Margarete Roßner u. Winfried Leist bearb. v. H.P., Erster Halbband: Titel. Köln, Graz 1965; Zweiter



Lebens- und Berufsweg 

 401

Für die Darstellung der „Geschichte Thüringens“103 bereitete, wie nicht anders zu erwarten, die Auswahl der Mitarbeiter besondere Probleme, da das Reservoir der verfügbaren und einsatzbereiten fachkundigen Kräfte begrenzt war und die politischen Rahmenbedingungen die Heranziehung geeigneter Mitarbeiter zusätzlich erschwerten. Verständlicherweise rekrutierte sich der Kern der Verfasserschaft aus Personen, die aus dem Lande selber stammten und/oder auf Grund ihrer bisherigen Forschungen mit seiner Geschichte vertraut waren. Schlesinger legte Wert darauf, darüber hinaus weitere angesehene Gelehrte für die Mitarbeit zu gewinnen. Er dachte dabei in der Gründungsphase an Heinrich Büttner, er ebenso wie Patze suchten ihn zur Übernahme des Abschnittes Kirchengeschichte im Hoch- und Spätmittelalter und zur Mitarbeit in der Redaktion zu bewegen. Ersteres lehnte Büttner sogleich ab, da er sich in die Materie erst mit einem erheblichen Arbeitsaufwand einarbeiten müsse, zu letzterem erklärte er seine Bereitschaft. Schlesinger war auch damit zufrieden, denn „es darf nicht der Eindruck erweckt werden, daß es sich sozusagen um ein Flüchtlingsunternehmen handelt“104. Letztlich sind Büttners Absichtserklärung keine Taten gefolgt, er hat für die Geschichte Thüringens keine Rolle gespielt. Immerhin konnten aus der Bundesrepublik einige Autoren gewonnen werden, die sich darauf einließen, sich für ihr Fachgebiet speziell mit den thüringischen Verhältnissen zu befassen. Trotz aller Bemühungen der Herausgeber blieben zwei Vorhaben des ursprünglichen Programms unerfüllt: Für die Kapitel „Verfassung und Recht in der Neuzeit“ und „Wirtschafts- und Sozialgeschichte in der Neuzeit“ konnte ein geeigneter Autor nicht gefunden werden, bzw. der verpflichtete Autor lieferte kein Manuskript; die Lücken wurden durch Hinweise auf diese Sachgebiete in den zeitlich entsprechenden Darstellungen der politischen Geschichte wenigstens teilweise geschlossen105. Daß die Vollendung des Werkes sich so lange, bis 1984, hinauszögerte, lag in den Arbeitsbedingungen der meisten Verfasser begründet: Bei Übernahme des Auftrages standen sie in sie stark beanspruchenden dienstlichen Verpflichtungen, die mit Thüringen gar nichts zu tun hatten, so daß die möglichst Halbband: Register. Ebd. 1966 (= Mitteldeutsche Forschungen, 32/I–II). – Auf Grund dieser Leistung steuerte Patze später den Abschnitt über die thüringische landesgeschichtliche Literatur für die Neuauflage des Dahlmann-Waitz bei: Landesgeschichte: Thüringen. Bearbeitungsschluß 1960, mit Nachträgen bis 1982, in: Dahlmann-Waitz. Quellenkunde der deutschen Geschichte. Bibliographie der Quellen und der Literatur zur deutschen Geschichte, 10. Aufl., hrsg. v. Hermann Heimpel und Herbert Geuß, Bd. 3, Abschnitt 58 bis 120. Stuttgart 1984, Abschnitt 120/1–593. 103 Ich begnüge mich hier mit einigen Hinweisen, eine ausführliche Analyse des Gesamtwerks enthält mein Aufsatz: Landesgeschichtsforschung im Exil. Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger, in diesem Band unten S. 483–520. 104 Patze an Schlesinger, 9. 6. 1959; Schlesinger an Patze, 29. 6. 1959. 105 Vgl. Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. VI, S. VIII–IX.

402 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

gleichzeitige Arbeit der Autoren ausgeschlossen war106. Bezeichnenderweise haben etwa Friedrich Facius107 und Wolfgang Huschke ihre umfangreichen Darstellungen zur politischen Geschichte der Neuzeit im wesentlichen erst in ihrem Ruhestand verfaßt. Patzes Planung von 1959 sah drei Bände vor, Band 1 für das Mittelalter, die Bände 2 und 3 für die Neuzeit, dabei sollte Band 2 Politik und Verfassung der thüringischen Staaten von der Reformation bis 1945 behandeln, während die einzelnen historischen Sachgebiete, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Kulturgeschichte in ihren verschiedenen Verzweigungen, in Band 3 zusammengefaßt waren. Am Ende lagen sechs gezählte, tatsächlich infolge der Bildung von Teilbänden neun Bände vor108. Die Vermehrung ergab sich aus äußeren wie aus inneren Gründen. Die ursprüngliche inhaltliche Systematik wurde durchbrochen, um vorgelegte Manuskripte nicht allzu viele Jahre wegen eines säumigen Beiträgers auf den Druck warten und damit in ihrem Forschungsstand veralten zu lassen; daher schritt man zur Bildung von Teilbänden. Und die Beiträge fielen umfangreicher aus als einst vereinbart. Gerade die späteren Bände zur neuzeitlichen politischen Geschichte haben den ursprünglich vorgesehenen Umfang beachtlich überschritten, mit Patzes Duldung, da er feststellen mußte, daß die Kenntnisse über die Geschichte des Landes in der DDR (aber auch in der Bundesrepublik) immer mehr zurückgingen. So erhielt das Handbuch stärker als ursprünglich beabsichtigt „die Funktion eines mit Daten befrachteten Nachschlagewerkes“109. Im Laufe der Zeit wandelte sich, wie hier noch im Zusammenhang mit der Umfangerweiterung angefügt werden soll, die Darstellungsweise, die „Geschichte Thüringens“ fiel „wissenschaftlicher“ aus, als ursprünglich seitens der Herausgeber beabsichtigt war, weil die Darstellung des Gegenstandes unausweichlich gewisse Kenntnisse des Lesers voraussetzte. Aus der Lektüre des siedlungsgeschichtlichen Beitrages von Werner Emmerich zog Patze gegenüber Schlesinger den Schluß:

106 Vgl. ebd., S. VIII. 107 Vgl. Patzes Nachruf: Friedrich Facius zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1983), S. 173–175. 108 Geschichte Thüringens, hrsg. v. H. P. u. Walter Schlesinger, Bd. I–VI. Köln, Graz 1967–1984 (= Mitteldeutsche Forschungen, 48/I–VI); enth. Bd. I: Grundlagen und frühes Mittelalter, 1968. Bd. II/1–2: Hohes und spätes Mittelalter, 1973–1974. Bd. III: Das Zeitalter des Humanismus und der Reformation, 1967. Bd. IV: Kirche und Kultur in der Neuzeit, 1972. Bd. V/1/1–2, V/2: Politische Geschichte in der Neuzeit, 1978–1984. Bd. VI: Kunstgeschichte und Numismatik in der Neuzeit, 1979. 109 Landesgeschichte, 2. Teil (wie oben Anm. 98), S. 27.



Lebens- und Berufsweg 

 403

Ich glaube, wir müssen uns für das ganze Werk von unserer ursprünglichen Absicht, ein ‚Volksbuch‘ zu bieten, trennen. … Obwohl Emmerich einen guten Stil schreibt und sich immer klar ausdrückt, bedarf es einer starken Vorstellungskraft und sicherer Kenntnis siedlungsgeschichtlicher Erscheinungen, wenn man das Dargebotene in bestimmte Vorstellungen umsetzen will110.

Daß die „Geschichte Thüringens“ nach einem Vierteljahrhundert in einer respektgebietenden Qualität vollendet wurde, ist, so muß man es in aller Deutlichkeit sagen, allein der unablässigen Energie Patzes zu verdanken. An sich stand das Vorhaben, so wäre man versucht zu urteilen, auf unsicheren Füßen, da ihm ein fester institutioneller Rückhalt mit einem fest angestellten Mitarbeiterstab fehlte. Aber während die gleichzeitig eingeleitete Geschichte Berlins und Brandenburgs trotz des großen Apparates der Historischen Kommission zu Berlin scheiterte und ein einbändiges Fragment blieb, kam Patze durch seinen persönlichen Einsatz zum Ziel, worauf er mit dem Seitenblick auf das Berliner Projekt zu Recht stolz war. Mit einer Mischung aus diplomatischer Geschmeidigkeit und bohrender Hartnäckigkeit vermochte er die Autoren voranzutreiben bis zur Vollendung der Manuskripte, wenn auch zuweilen mit reichlicher Nervenanspannung. Patze selbst lieferte nicht nur einen ganzen Band zu seinem Forschungsschwerpunkt hohes und spätes Mittelalter fast ganz allein, äußerstenfalls sprang er auch mit der eigenen Feder ein an unvertrauten Stellen, wenn gar kein Autor gefunden werden konnte oder ein Autor zur Vollendung eines Bandes entlastet werden sollte; so steuerte er Kapitel zur mittelalterlichen Rechtsgeschichte und zu den Reichsstädten Mühlhausen und Nordhausen sowie dem Albertinischen Thüringen in der Neuzeit bei111. Schlesinger war sich der Bedeutung von Patzes unverzichtbarer Konsequenz in der Durchführung wissenschaftlicher Projekte sehr bewußt, wenn er ihm anläßlich seines 50. Geburtstages schrieb: Ich habe in meinem Leben vieles geplant und wenig durchführen können. Wenn ich aber einen Plan mit Ihnen gemeinsam gefaßt habe, dann wurde er auch durchgeführt, z. B. die Geschichte Thüringens. Ich weiß, daß Sie bei der Herausgabe das Zehnfache an Arbeit auf sich genommen haben als ich, obwohl unsere Namen gleichberechtigt auf den Titelblatt stehen112.

Den thüringischen Geschichtsfreunden stellte Patze neben der Bibliographie und der Handbuch-Darstellung noch ein drittes unentbehrliches Hilfsmittel zur Verfügung. Ursprünglich begegnete er den Planungen des Verlegers Klemm vom Alfred Kröner Verlag und Schlesingers, das Handbuch der historischen Stätten 110 Patze an Schlesinger, 9. 5. 1967. 111 Vgl. die Bemerkung in Bd. II/1, S. 447 und seine Beiträge in Bd. V/1/1, S. 589–615. 112 Schlesinger an Patze, 17. 10. 1969.

404 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Deutschlands auf die ehemaligen Länder der DDR auszudehnen, mit Bedenken, da er einen Mangel an Mitarbeitern befürchtete, wenn er auch die Funktion für die Erhaltung eine gesamtdeutschen Geschichtsbildes durchaus einsah. Nur zögernd erklärte er sich 1959 dazu bereit, den Band „Thüringen“ herauszugeben, unter der Voraussetzung, daß in der Reihe der mitteldeutschen Bände der von Schlesinger betreute Band Sachsen vorangehen sollte und ihm im Hinblick auf die Geschichte Thüringens und die thüringische Bibliographie spürbarer zeitlicher Aufschub gewährt würde113. Die Entwicklung gab seinen Einwänden recht. Die Mitarbeit von Gelehrten aus der DDR erwies sich als schwierig, aber damals noch nicht als gänzlich unmöglich114. Von den Anfang der 60er Jahre vorgesehenen zehn Mitarbeitern aus der DDR blieben schließlich vier übrig, vornehmlich Kommunalund Kirchenarchivare, die freilich insgesamt nicht viele Artikel lieferten. Ebensowenig wirkten alle angesprochenen westdeutschen Forscher mit. Wenn die Mitarbeiterliste am Ende scheinbar ansehnliche 20 Personen enthielt, täuschte sie darüber hinweg, daß die meisten von ihnen nur wenige Artikel verfaßten. Neben Patze sind vornehmlich der Göttinger Gymnasiallehrer Wolfgang Gresky, Pfarrer Waldemar Küther aus Cappel bei Marburg, Patzes ehemaliger Weimarer, dann ebenfalls in den Westen geflüchteter Archivkollege Wolfgang Huschke und Patzes Gießener Schülerin Wilfriede Hartung zu erwähnen, Gerhard Mildenberger be arbeitete für zahlreiche Orte die Ur- und Frühgeschichte. Aber die Hauptlast der Bearbeitung ruhte auf dem Herausgeber Patze, er verfaßte 156 Artikel zumeist allein, nur in wenigen Fällen noch abschnittsweise von anderen unterstützt; hinzugezählt werden müssen noch 50 Artikel anderer Autoren, an denen er mitgewirkt hat, und schließlich darf seine über 50seitige „geschichtliche Einführung“, ein Überblick über die Geschichte Thüringens von der Ur- und Frühgeschichte bis zum 20. Jahrhundert, nicht vergessen werden. Patzes Arbeitsanteil ist so groß, daß man nur mit Einschränkungen von einem Sammelwerk sprechen möchte, die Herausgeberleistung rückt ungewollt die anderen in den Schatten, 113 Alfred Kröner Verlag an Patze, 27. 10. 1959 (NL Schlesinger, Akte betr. Korrespondenz Schlesinger/Patze). – Patze an Schlesinger 27. 5. 1960. 114 Grünert hatte, von Patze um die Beschreibung von 17 Orten des ehem. Herzogtums Sachsen-Altenburg gebeten, gewisse Bedenken, als staatlicher Angestellter der DDR ohne vorherige Erlaubnis seiner vorgesetzten Dienststelle an einem von einem „Republikflüchtling“ herausgegebenen westlichen Unternehmen mitzuwirken. Horst Schlechte, der befragte Direktor des Landeshauptarchivs Dresden, ließ ihm ausrichten, daß keine Einwände dagegen bestünden, wenn er außerhalb der Dienstzeit an dem „rein wissenschaftlichen Unternehmen, das überhaupt nur durch Zusammenarbeit von Ost und West verwirklicht werden kann“, mitarbeite. Grünert sagte dann Patze gegenüber aus Zeitmangel seine Mitwirkung ab. Grünert an Sächsisches Landeshauptarchiv, 18. 3. 1961; Sächs. LHA an Grünert, 4. 4. 1961; Grünert an Patze, 15. 4. 1961 (Thüring. Staatsarchiv Altenburg, NL Grünert, Nr. 45).



Lebens- und Berufsweg 

 405

denn ohne die unermüdliche Bereitschaft zur Übernahme bzw. Ergänzung von Artikeln, deren Bogen von kleinsten Lokalitäten bis zu den großen Städten des Landes gespannt war, hätte der Abschluß nie erreicht werden können. An Hans Eberhardt, der Patze durch die sorgfältige Durchsicht der Druckfahnen mit etlichen Korrekturen unterstützt hatte, schrieb Patze nach dem Erscheinen des Bandes: Natürlich würde man manches haben anders machen können. Immerhin haben wir jetzt für Thüringen wenigstens einen kleinen Ersatz für das fehlende Ortslexikon. Wenn sie meine Artikel lesen, so wollen Sie bitte Nachsicht üben, denn mein Anteil am Band hat nach Zählung durch den Verlag am Ende 292 Seiten zuzüglich der Register betragen. Der Verleger hat Zweifel, daß ich die Register selbst gemacht hätte. So sehr sind die akademischen Bräuche verwildert, daß einem das schon niemand mehr glaubt115.

Patzes Ortsartikel zeigen eine ganz individuelle Gestaltung, für die größeren Orte wachsen sie zu kleinen Monographien aus, in denen zwar handbuchgemäß eine Vielzahl von Fakten aus etlichen Jahrhunderten ausgebreitet wird, aber die lokalen Ereignisse durch die Einbeziehung in die allgemeine Geschichte in ihrer tieferen Bedeutung dargestellt werden. Patze hat zumeist die mittelalterlichen Jahrhunderte einschließlich der Reformationszeit in besonderer Ausführlichkeit behandelt, während die nachfolgende Zeit, v. a. das 19. und 20. Jahrhundert, häufiger sehr knapp abgehandelt wurde; trotz des geringen Platzes gelingt es ihm dabei, wissenschaftliche Diskussionen über komplizierte Sachverhalte anzudeuten, wie überhaupt manche Beiträge nicht bloß die vorhandene Literatur ausschreiben, sondern die eigenständige Durchsicht und Auswertung der Quellen, gerade der hoch- und spätmittelalterlichen Urkunden, verraten. Die stadtgeschichtlichen Artikel, die naturgemäß umfangreicher ausfallen und ggf. einige oder gar etliche Seiten umfassen, zeigen Patzes Interessenschwerpunkte: die Zustände der hochmittelalterlichen Stadtordnung, die Entwicklung der Verfassungsordnung und ihrer einzelnen Organe, die wirtschaftlichen Grundlagen der bürgerschaftlichen Existenz, die markanten Bauwerke in ihren Entstehungszusammenhängen und mit ihren kunsthistorischen Eigenarten. Patze legt größten Wert darauf, die Bauund Kunstdenkmäler in die Geschichte der Stadt einzuordnen: Wir haben uns dem Prinzip einer gesamthistorischen Betrachtung, das die Kunstgeschichte nach einem jahrhundertelangen stilkritischen Alleingang wieder auf ihren Ursprung zurückführt, auch von der Geschichte her um einen Schritt genähert und sind über die bloße Erwähnung zu kurzen Baugeschichten bedeutender Baudenkmäler übergegangen116. 115 Patze an Hans Eberhardt, 15. 10. 1968 (Kopie im Besitz des Vfs.). 116 Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Bd. 9: Thüringen, hrsg. von H. P. Stuttgart 1968 (= Kröners Taschenausgabe, 313), hier S. XI. – Zum Handbuch der Historischen Stätten,

406 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Besondere Erwähnung verdienen die Beiträge über Altenburg, Gotha, Heiligen­ stadt, Meiningen, Mühlhausen, Saalfeld, Schleusingen, Schmalkalden, Schmölln; als wahre Kabinettstückchen offenbaren sich die Artikel zu Eisenach und Erfurt – mit 20 Seiten überhaupt der umfangreichste Einzelartikel –, da hier wesentliche Phänomene der städtischen Historie mit eindringlichen Interpretationen vorgestellt werden. Klöster und Burgen erfahren eine lehrreiche Analyse ihrer Gründungsumstände, der mit ihrer Anlage verfolgten Zwecke und ihrer Ausstrahlungskraft. Dabei nutzt Patze bei diesen Orten wie auch schon bei manchen Städten die Gelegenheit dazu, adlige Herrschaftsbildungen zu beschreiben und den Stellenwert des jeweiligen Ortes im politischen Kräftespiel dabei zu charakterisieren. Hingewiesen sei besonders auf die Artikel zu den Klöstern Georgenthal, Ichtershausen, Reinhardsbrunn, Veßra sowie zu den großen Burganlagen Henneberg, Kyffhäuser, Wartburg. In vielen knappen eingeschobenen Interpretationen und Beurteilungen bemerkt man die auf breiten Grundlagen beruhende Kennerschaft Patzes, zitiert sei hier nur seine an unvermuteter Stelle gefundene Bemerkung über den Mediävisten Paul Fridolin Kehr, die assoziativ an den Artikelverfasser denken läßt: „Seine eigenwillige Persönlichkeit, die ebenso rastlos zu arbeiten wie pausenlos zu organisieren verstand, hat einem halben Jahrhundert deutscher Mediävistik, soweit sie Diplomatik war, das Gepräge gegeben“117. Patzes „geschichtliche Einführung“ konzentriert sich stark auf die politische Geschichte Thüringens, neben der knappen Analysen der politischen Problemlagen stößt man zuweilen auf treffliche Personencharakteristiken, etwa: Johann Friedrich118 war keine großartige Figur, den ihm gestellten unmöglichen Aufgaben nicht gewachsen, aber er war unermüdlich. Goethe lebte in Weimar in einem Wechsel von Heiterkeit und Pflicht. Der Dichter, dessen Gestalten sich gegen die Last der Unfreiheit stellten, suchte hier selbst die Bewährung im tätigen Leben119.

Nach seinem Wechsel von Gießen nach Göttingen faßte Patze – wagemutig, ist man versucht zu sagen – sogleich ein neues großes Gemeinschaftswerk ins Auge, ein Handbuch der niedersächsischen Geschichte, das nach derselben Konzeption wie die Geschichte Thüringens aufgebaut werden sollte. Bereits 1969 ermutigte ihn Carl Haase, der damalige Direktor des Hauptstaatsarchivs Hannover Bd. 11: Provinz Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Berent Schwineköper. Stuttgart 2. Aufl. 1987, hat Patze zwei Artikel beigesteuert: Freyburg an der Unstrut (S. 125–127), Tilleda (S. 464–467). 117 Ebd., S. 461, in dem Artikel über Kehrs Geburtsort Waltershausen. 118 Kurfürst von Sachsen 1532–1547/54. 119 Ebd., S. XLVIII, LX.



Lebens- und Berufsweg 

 407

und Leiter der niedersächsischen Archivverwaltung, zur Inangriffnahme des Unternehmens. Der damals vorgebrachte Einwand, eine solche umfassende Darstellung sei verfrüht, man müsse erst weitere Spezialuntersuchungen abwarten, vermochte ihn nicht zu überzeugen, er sah darin nur „Zaghaftigkeit“ angesichts der verstreuten neuen Erkenntnisse und der nie erreichbaren Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten120. Dank seines Einsatzes gelang es ihm, zwei umfassende Bände des Handbuches herauszugeben121. Die „Geschichte Niedersachsens“ bereitete dem Herausgeber Patze dieselben personellen Probleme, die ihn schon bei der „Geschichte Thüringen“ beschäftigt hatten: Einzelne Beiträger verzögerten über die Maßen die Abgabe der von ihnen zugesagten Artikel, ober sie zogen sich gar gänzlich von der versprochenen Mitarbeit zurück und verhinderten so um so mehr eine termingerechte Fertigstellung eines ganzen Bandes. Nichts kennzeichnet besser Patzes Einsatz für sein Handbuch, als daß er wiederum selbst eine solchermaßen aufgetretene Lücke zu schließen trachtete. Als der für die mittelalterliche Kirchengeschichte vorgesehene Bearbeiter kurzfristig seinen Auftrag zurückgab, entschloß sich Patze, um die Fertigstellung des Bandes nicht durch die Suche nach einem neuen Verfasser allzu lange hinauszuschieben, selbst den Beitrag über die frühmittelalterliche Christianisierung Sachsens zu schreiben und sich damit auf ein ihm bislang recht unvertrautes Gebiet zu wagen. Das Ergebnis stellt seiner Fähigkeit, sich rasch in neue Forschungsgebiete einzuarbeiten und sie mit eigenständigem Urteil darzustellen, das beste Zeugnis aus122. Die Wirkung seiner Persönlichkeit erkennt man daran, daß nach seinem Ausscheiden die Fortführung des Werkes erheblich ins Stocken geriet und erst in den letzten Jahren zwei weitere Bände nachgefolgt sind. Wenn wir uns jetzt den übergreifenden Aufgaben Patzes innerhalb der gesamten deutschen Landesgeschichtsforschung zuwenden, so sind hier zunächst die „Blätter für deutsche Landesgeschichte“ zu erwähnen. 14 Jahrgänge der Zeitschrift hat er von 1971 bis 1984 im Auftrage des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine herausgegeben und dafür gesorgt, daß dieses zentrale Publikationsorgan durch die erhebliche Ausweitung seines Umfanges in umfassender Weise über die aktuellen Forschungsstände in den einzelnen deutschen Geschichtsregionen berichtete. Besonderen Wert hat Patze auf die

120 Vgl. Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 121), Bd. 1, S. X. 121 Geschichte Niedersachsens, hrsg. v. H. P., 1. Bd.: Grundlagen und frühes Mittelalter. Hildesheim 1977, 2. Aufl. 1985; 3. Bd., Teil 2: Kirche und Kultur von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hildesheim 1983 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, 36). 122 Mission und Kirchenorganisation in karolingischer Zeit, in: Geschichte Niedersachsens, Bd. 1 (wie Anm. 121), S. 653–712; zu den Entstehungsumständen des Beitrages vgl. ebd., S. 670.

408 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Sammelberichte gelegt, in denen die Literatur für einzelne Landschaften bzw. für einzelne die Landesgeschichte besonders berührende Sachgebiete kritisch vorgestellt wird, denn nur auf diese Weise wird es dem Interessenten ermöglicht, in der zunehmenden Flut der Neuerscheinungen die Übersicht zu bewahren123. Als Höhepunkt seiner Redakteurstätigkeit wird Patze den gewichtigen Sammelband empfunden haben, in dem 1978 anläßlich des 600. Todestages Karls IV. 34 Autoren dem Wirken des Kaisers in einzelnen Regionen des Reiches nachgingen und insbesondere seine Beziehungen zu einzelnen Fürsten und Territorien untersuchten, so daß die unterschiedlichen Möglichkeiten und Grenzen der kaiserlichen Politik im Machtgefüge des Reiches plastisch hervortreten124. Für seine regionenübergreifenden landesgeschichtlichen Erkenntnisinteressen fand Patze den wichtigsten organisatorischen Rückhalt in dem von Theodor Mayer gegründeten und maßgeblich von Walter Schlesinger inspirierten Kreis hochrangiger deutscher Mediävisten, dem später so genannten „Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte“125. Dank Schlesingers Vermittlung hatte er bereits im Jahre 1955, noch von Gotha aus, zum ersten Mal an dessen halbjährlichen Tagungen teilgenommen, wie bereits erwähnt126. Als junger Privatdozent hielt er im Oktober 1958 und im März 1960 im Rahmen der Tagungen zur Landgemeinde und zu Problemen des 12. Jahrhunderts seine ersten beiden Referate aus seinem damaligen Schwerpunkt, der mittel- und ostdeutschen Landesgeschichte, über die Landgemeinde im Deutschordensland und Herzogtum Preußen sowie über die Politik Friedrich Barbarossas in den östlichen Grenzregionen des Reiches127. 1966 wurde er schließlich als ordentliches Mitglied in den Arbeitskreis kooptiert. In seiner zupackenden Art bemühte sich Patze sogleich darum, nach voraufgegangenen unglücklich verlaufenden Reichenau-Tagungen mit seinen eigenen Vorstellungen neue überzeugende Anregungen zu geben; die von ihm vorgeschlagene Tagung über „Verfassungsgeschichtliche Probleme des Reiches im 14. Jahrhundert“ zielte auch darauf ab, den Arbeitskreis, der zuvor fast ausschließlich früh- und hochmittelalterliche Themen zum Gegenstand gemacht hatte, auf das Spätmittelalter hin123 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 11f., 16. 124 Kaiser Karl IV. 1316–1378. Forschungen über Kaiser und Reich, Neustadt/Aisch o.J. (= Sonderdruck aus: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114, 1978). 125 Zu dessen hier im einzelnen nicht weiter zu verfolgender Geschichte vgl. Johannes Fried (Hrsg.): Vierzig Jahre Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Sigmaringen 1991, darin insbes. Johannes Fried: Konstanz und der Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (1951–1991), S. 11–28. 126 Vgl. oben S. 383. 127 Theodor Mayer und der Konstanzer Arbeitskreis. Theodor Mayer zum 80. Geburtstag. Konstanz o.J. [1963], S. 47, 49. Zu den beiden umfangreichen Aufsätzen, die aus den Verträgen erwuchsen, vgl. unten S. 437f., 463f.



Lebens- und Berufsweg 

 409

zulenken. „Mir liegt nur daran, zu meinem bescheidenen Teile mitzuwirken, daß die Reichenau wieder etwas Facon bekommt.“128 Die aus drei Reichenau-Tagungen 1967/68 erwachsene, zweibändige Veröffentlichung „Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert“ beinhaltete neben Untersuchungen zu systematischen verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten wie etwa dem Geschäftsschriftgut, dem Lehnrecht, den Pfandschaften, der Kirche, dem Wirtschafts-, Münz- und Finanzwesen vor allem zahlreiche Studien zur Territorienbildung und zu territorialstaatlichen Verfassungsordnungen in einer Vielzahl von Geschichtslandschaften im Norden, Osten, Westen und Süden des alten Reiches; der Band fand damals starke Beachtung in der Forschung129. In der Folgezeit führten Patzes Initiativen zu vier weiteren ReichenauTagungen, auf denen er eine Vielzahl von vorzüglichen Sachkennern zu Referaten über die von ihm aufgeworfenen Themen „anzuwerben“ vermochte. 1972/73 standen die Burgen in ihrer rechts- und verfassungsgeschichtlichen Bedeutung auf der Tagesordnung130. 1978/79 wurde die Grundherrschaft im späten Mittelalter zur Diskussion gestellt131. Patzes Interesse an der hoch- und spätmittelalterlichen Landesgeschichtsschreibung führte zu drei Herbsttagungen des Arbeitskreises in den Jahren 1980–1982132. Am Ende der Tagungsreihe stehen die „Fürstlichen Residenzen im spätmittelalterlichen Europa“ von 1984/85, deren Drucklegung nach Patzes Erkrankung – wenige Monate nach der zweiten Herbsttagung – Werner Paravicini mit Göttinger Hilfskräften besorgte133. Patzes letzte Tagungsplanung für die Reichenau galt „Problemen des Niederkirchenwesens im Mittelalter“. Er hatte erste Referenten für das Thema geworben, als ihn seine schwere Erkrankung aus der Bahn warf, so daß die beabsichtigte weite regionale Umschau wie überhaupt der ausgreifende Zugriff ohne seine zupackende Art nur noch in Bruchstücken auf der Herbsttagung 1987 der Reichenau verwirklicht werden konnten134; die erwogene Publikation kam anschließend nicht zustande. 128 Patze an Schlesinger, 25.3.1966, mit Anlagen: Patze an Theodor Mayer 16. und 25.3. 1966. 129 Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert, hrsg. v. H. P., I–II. Sigmaringen 1970–1971 (= Vorträge und Forschungen, 13–14). 130 Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung, hrsg. v. H. P., Bd. I–II. Sigmaringen 1976 (= Vorträge und Forschungen, 19/I–II). 131 Die Grundherrschaft im späten Mittelalter, hrsg. v. H. P., Bd. 1–2. Sigmaringen 1983 (= Vorträge und Forschungen, 27/I–II). 132 Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im späten Mittelalter, hrsg. v. H. P. Sigmaringen 1987 (= Vorträge und Forschungen, 36). 133 Fürstliche Residenzen im spätmittelalterlichen Europa, hrsg. v. H. P. u. Werner Paravicini. Sigmaringen 1991 (=Vorträge und Forschungen, 36). 134 Vierzig Jahre Konstanzer Arbeitskreis (wie Anm. 125), S. 60. – Zur Bedeutung Patzes für den Konstanzer Arbeitskreis vgl. die knappen, aber trefflichen, meine folgenden Betrachtungen berührenden Bemerkungen von Peter Moraw: Kontinuität und später Wandel: Bemerkungen zur

410 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Durch die dichte Tagungsfolge ist Patze nach dem Rückzug von Theodor Meyer aus dem Arbeitskreis zu dessen größten Initiator und Organisator in den beiden Jahrzehnten zwischen 1965 und 1985 geworden, kein anderes Mitglied des Arbeitskreises hat während und nach seiner aktiven Zeit ein auch nur annähernd vergleichbares Tagungsergebnis vorgelegt. Patzes Bemühungen waren in zeitlicher Hinsicht auf das späte Mittelalter ausgerichtet; auch wenn die Vorhaben durch früh- und hochmittelalterliche Themen angereichert wurden, so lag das Schwergewicht doch eindeutig auf dem 13.–15. Jahrhundert, entsprechend seinem Wunsch, dieser Epoche gerade auch wegen ihrer Quellenfülle und den damit eröffneten Erkenntnismöglichkeiten den angemessenen breiteren Raum in der Mediävistik zu gewähren, nachdem die voraufgegangenen Generationen, etwa die Theodor Mayers oder Walter Schlesingers, ihre Energien vorwiegend dem Früh- und Hochmittelalter zugewandt hatten. In sachlicher Hinsicht waren die Themen inspiriert vor allem von Patzes Erkenntnisinteressen an den wesentlichen Elementen der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaft. Sie war in unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichem Maße geprägt von Burgen, von Residenzen, von einer eigenen Historiographie. Patze hat damit wichtige verfassungsgeschichtliche Gesichtspunkte, die sich ihm in seinen eigenen Untersuchungen für Thüringen und für Niedersachsen ergeben hatten, durch die Beiträge der zahlreichen von ihm gewonnenen Fachkollegen auf ihre Aussagekraft in den Landschaften des deutschen Sprachraumes und gelegentlich darüber hinaus in angrenzenden europäischen Ländern überprüfen lassen. In methodischer Hinsicht beruhten seine Tagungen auf dem Ansatz, „das in einzelnen Landschaften erarbeitete Material in thematischen Schichten zu vergleichen und zu einigermaßen geschlossenen Profilen zusammenzufügen“. Eine derartig verstandene vergleichende Landesgeschichte strebte im Idealfall an, ausgewählte Sachthemen durch alle deutsche Landschaften zu behandeln und damit die Forschungsergebnisse zu einzelnen Landschaften aus ihrer „Vereinsamung“ zu reißen135. Das Verfahren war im Arbeitskreis zum ersten Mal vor Patzes Eintritt am Beispiel der Landgemeindeverfassung erprobt worden; er hat es also nicht „erfunden“, aber er hat es durch seine Nachhaltigkeit und seinen Umfang zur Blüte gebracht. Freilich ist die Kritik nicht gänzlich unberechtigt,

deutschen und deutschsprachigen Mediävistik 1945–1970/75, in: Die deutschsprachige Mediävistik im 20. Jahrhundert, hrsg. v. Peter Moraw u. Rudolf Schieffer. Ostfildern 2005, S. 103–138, hier S. 135 (= Vorträge und Forschungen, 52). 135 H. P.: Probleme der Landesgeschichte in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in: Bayerisch-schwäbische Landesgeschichte an der Universität Augsburg 1975–1977, hrsg. v. Pankraz Fried. Sigmaringen 1979, S. 14f., Zitat S. 14 (= Augsburger Beiträge zur Landesgeschichte Bayerisch-Schwabens, 1); wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 1–20.



Lebens- und Berufsweg 

 411

daß die in der Forschungs- und Tagungspraxis wohl unvermeidbare unterschiedliche inhaltliche, zeitliche und methodische Gestaltung von Beiträgen zu einer Vielzahl von Landschaften die Herausarbeitung von überregionalen Gemeinsamkeiten und allgemeinen Grundzügen erschwert136. Die Beschreibung von Patzes Verbindung mit dem Konstanzer Arbeitskreis bliebe unvollständig, wenn man nicht die unvergleichliche Atmosphäre der Reichenau-Tagungen erwähnte: Geist und Heiterkeit unter dem versammelten Kollegenkreise ohne professorale Förmlichkeit. In der von ihm mit herausgegebenen Festschrift für den ihm seit gemeinsamen Archivarszeiten eng verbundenen Berent Schwineköper hat er mit der ihm eigenen leichten Ironie eine Aussage getroffen, die nicht nur auf Schwineköper, sondern auch auf ihn selbst zutraf: Dem Historiker, der von der Phantasie weder geschützt ist noch vor ihr bewahrt sein sollte, ist kaum vorstellbar, daß die frommen Männer, denen die Reichenau ihren Ruhm in der Welt des Mittelalters und – heute – in der Wissenschaft vom Mittelalter, Pirmin, Hermann der Lahme und die zahllosen Mönche, verdankt, nicht auch ein klein wenig von dem erfaßt worden sein sollten, was unseren Freund und seine Weggenossen immer wieder an das Münster von Mittelzell zieht: die Belebung des Geistes durch die Reben in dieser heiteren, durch die Jahrhunderte unvergleichbaren Landschaft. Das ist für ihn und – durch ihn – für uns ein Teil seines Lebens geworden137.

Im Rahmen seiner weitgespannten Untersuchungen zur hoch- und spätmittelalterlichen territorialen Herrschaftsübung gedachte Patze, ein wesentliches 136 Peter Moraw hat sich in einer bedeutsamen Besprechung des von Patze herausgegebenen Sammelbandes über den deutschen Territorialstaat im 14. Jahrhundert grundsätzlich zur Tagungsorganisation geäußert und bei aller Anerkennung der Fülle von Informationen und Einsichten kritisiert, daß die Einzelbeiträge stärker von unterschiedlichen Aspekten ausgingen und weiter auseinanderfielen, als dies die Vielgestalt deutscher Landesgeschichte erforderlich mache; man solle daher besser von vornherein um Behandlung vorweg angegebener Hauptpunkte bitten oder das methodische Experiment mit einem zuvor entworfenen und dann vom Konkreten her zu korrigierenden Gesamtmodell der Reichsverfassung angehen (Peter Moraw: Fragen der deutschen Verfassungsgeschichte im späten Mittelalter. Bericht über ausgewählte Neuerscheinungen der Jahre 1969 bis 1974, in: Ders., Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, hrsg. v. Rainer Christoph Schwinges. Sigmaringen 1995, S. 11–46, hier S. 26–32, bes. S. 27f. [zuerst 1977]). Ohne die Befürwortung einer präzisen, zugespitzten Themenstellung in Frage stellen zu wollen, scheint mir die tagungsorganisatorische Operation mit einer Modellvorstellung in Gefahr zu stehen, die einzelnen Referenten den Status von Belegen für oder gegen einer vorgegebene These zuzuweisen und ihren eigengewichtigen Ansatz zu mindern. Vgl. auch die Bemerkungen von Alfred Haverkamp in seiner Zusammenfassung der Grundherrschaftstagung (Grundherrschaft [wie Anm. 131], Bd. 2, S. 321). 137 In: Festschrift für Berent Schwineköper. Zu seinem siebzigsten Geburtstag, hrsg. v. Helmut Maurer und H. P. Sigmaringen 1982, S. 4.

412 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Element, das er, jedenfalls für den Bereich der deutschen Territorien, überhaupt erst ins allgemeine Bewußtsein in der Mediävistik gehoben hatte, mit Hilfe der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, zu deren Mitglied er 1975 gewählt worden war, zu erforschen. Nachdem seine Habilitationsschrift knappe Hinweise auf die herausgehobene Stellung der Wartburg unter den landgräflichen Burgen enthalten hatte, problematisierte er in seinen um 1970 niedergeschriebenen verfassungsgeschichtlichen Studien zu den welfischen und thüringischen Territorien ausführlicher deren Residenzorte und hielt auf einer Linzer stadtgeschichtlichen Tagung 1971 einen programmatischen Vortrag zu spätmittelalterlichen landesherrlichen Residenzen, in dem er über bekannte Beispiele wie Prag und Wien hinaus vor allem eine Vielzahl von verschiedenartigen Merkmalen der Residenzbildung aus etlichen Territorien zusammentrug. Ihm schwebte damals eine von ihm allein zu verfassende Monographie vor, die das vom Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte betreute Repertorium der deutschen Königspfalzen auf der Ebene der Territorialstaaten ergänzen und deren jeweilige individuelle Entwicklung unter Betonung ihrer Verfassungsverhältnisse und ihrer einen oder mehreren Residenzstädte aneinanderreichen sollte138. In den folgenden Jahren setzte er seine Materialsammlung fort, erkannte dabei aber, daß das anspruchsvolle Ziel mit einer Vielzahl von zu behandelnden Objekten von ihm allein nicht zu erreichen war. Inhaltlich schwebte ihm vor zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen eine Burg und eine Stadt den Rang einer Residenz gewinnen konnten, und durch die weitgefaßte Auswahl eine vergleichende Verfassungsgeschichte der deutschen Landesherrschaften anzubahnen. „Gezeigt werden soll, wie die Reiseherrschaft der Fürsten an festen Punkten, an denen künftig lokal nicht oder kaum mehr verrückbare Behörden und der Hof sich niederließen, zur Ruhe kam“. Aus dieser besonderen Fragestellung sollte das Bild von Verfassung, Wirtschaft und Kultur in den Territorien des spätmittelalterlichen Reiches gezeichnet und im Gegensatz zu den zentralistischen Monarchien Frankreichs und Englands schärfer konturiert werden139. Statt eines einzigen, das gesamte Reich umspannenden Werkes plante er jetzt eine Vielzahl von Monographien, in denen jeweils ein Territorium und seine Residenz(en) darzustellen waren, und zwar, um die Vergleichbarkeit der Studien zu erleichtern, nach einem von ihm zusammen mit seinem Mitarbeiter Gerhard Streich entwickelten, ein wenig vom Pfalzenrepertorium inspirierten Bearbeitungsschema. Im ersten, allgemeinen Teil sollte die territoriale und Verfassungsentwicklung einschließlich der fürstlichen Itinerare und Aufenthaltsorte geschildert werden, der zweite, spezielle 138 Vgl. Patze an Schlesinger, 18.10.1974. 139 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 22.



Lebens- und Berufsweg 

 413

Teil widmete sich einzelnen Residenzorten mit ihrer historisch-geographischen und siedlungsgeschichtlichen Beschreibung, vor allem aber mit einer Untersuchung ihrer Topographie und des Verhältnisses von Fürst, Hofgesellschaft und Residenzstadt140. Seit Anfang der 80er Jahre suchte Patze fleißig Mitarbeiter für sein Vorhaben zu gewinnen, er sprach ehemalige Schüler an, er gewann aus seiner letzten Göttinger Schülergeneration mehrere Doktoranden für Residenzthemen, er überzeugte bekannte und befreundete Kollegen oder deren Schüler von den Erkenntnismöglichkeiten des Themas und vereinigte so eine größere Schar von Interessenten, abgesehen von mehreren Referenten auf einer Jahrestagung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland, zu ersten Arbeitsbesprechungen auf der Reichenau141. Denn den Konstanzer Arbeitskreis vermochte er ebenfalls für seine Zwecke einzuspannen. Ihm lag daran, die Gesichtspunkte für die Analyse der im Vordergrund stehenden Reichsterritorien zu überprüfen und zu erweitern durch die Einbeziehung von vergleichbaren nichtköniglichen Residenzen in anderen west-, süd- und ostmitteleuropäischen Ländern, also den auf Deutschland konzentrierten Blick durch eine auf Europa ausgedehnte Perspektive zu schärfen. So behandelten zwei Reichenau-Tagungen 1984 und 1985 eine Reihe von Residenzbildungen aus einem Kranz von Ländern um den deutschen Kern des Reiches, aus Frankreich, Italien, Böhmen, Schlesien und Ungarn142. Gleichzeitig erreichte Patze, daß die Göttinger Akademie der Wissenschaften, als deren Präsident damals sein mediävistischer Fachkollege Josef Fleckenstein wirkte, im Januar 1985 beschloß, eine Residenzen-Kommission zur „Entstehung der landesherrlichen Residenzen im spätmittelalterlichen Reich“ einzusetzen. Sie sollte den erforderlichen organisatorischen Rückhalt gewähren, damit Patze und seine Göttinger Helfer die Koordination der abgesprochenen Einzelprojekte wirkungsvoll wahrzunehmen vermochten. In diesem Augenblick, in dem das Unternehmen dank der unablässigen Energie seines Kopfes Schwung gewonnen hatte, fiel der Initiator durch seine schwere Erkrankung aus. Es ist der Initiative befreundeter Fachkollegen zu ver140 H. P. und Gerhard Streich: Die landesherrlichen Residenzen im spätmittelalterlichen Deutschen Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 118 (1982), S. 205–220; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 789–805. 141 Der Bericht von Patzes damaligem Mitarbeiter Karl-Heinz Ahrens: Die Entstehung der landesherrlichen Residenzen im spätmittelalterlichen deutschen Reich. Ein Projekt der Göttinger Akademie der Wissenschaften, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1984. München u. a. 1985, S. 29–36, gibt einen ein wenig optimistisch gefärbten Überblick über den Stand der Planungen und Erwartungen Mitte der 80er Jahre. 142 Siehe oben Anm. 133.

414 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

danken, daß die Residenzen-Kommission nicht mangels Interesse auseinanderfiel, sondern mit einer ersten Tagung in Göttingen 1986 zu „Inhaltlichen, methodischen und terminologischen Problemen der Residenzenforschung“ und 1990 mit dem ersten, Patze zum 70. Geburtstag gewidmeten Band ihrer Schriftenreihe „Residenzenforschung“ sich der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellte143. Zuerst Peter Johanek, später nachdrücklich Werner Paravicini haben als Vorsitzende der Kommission dafür gesorgt, daß das Residenzenthema nicht nach Patzes krankheitsbedingtem Ausscheiden wieder von der Tagesordnung verschwand, sondern vor allem mit im zweijährigen Abstand stattfindenden großen Tagungen unter ständiger Behandlung deutscher wie europäischer Fälle vorangetrieben wurde. Auch unter dem Einfluß Peter Moraws144 hat sich freilich gegenüber Patzes ursprünglichen Vorstellungen der inhaltliche Schwerpunkt verschoben: Stand für Patze der Residenzort mit seiner Topographie, mit seiner lokalen Verknüpfung von Landesherr, Hof und Behörden im Mittelpunkt, so bevorzugte die Residenzen-Kommission später den Hof, die höfische Gesellschaft als Personenverband. Die ursprünglich geplanten Monographien über einzelne Residenzorte sind, abgesehen von einigen hier auszusiedelnden Dissertationen, nicht weiter verfolgt worden, stattdessen wurde ein mehrbändiges „dynastisch-topographisches Handbuch“ unter dem Titel „Fürstliche Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich“ erarbeitet. Die Residenzenund Hofforschung hat sich, ausgehend von Patzes Anschub, inzwischen mit ihren Symposien, ihrer Schriftenreihe und den ergänzenden „Mitteilungen“ als überaus kräftiger Sprößling erwiesen145.

143 Vorträge und Forschungen zur Residenzenfragen, hrsg. v. Peter Johanek. Sigmaringen 1990 (= Residenzenforschung, 1). Vgl. insbes. Johaneks Vorwort, S. 9f. 144 Peter Moraw: Was war eine Residenz im Deutschen Spätmittelalter?, in: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991), S. 461–468 [zugleich Rezension des in der vorigen Anm. zitierten Titels]. – Vgl. zur teilweisen Umorientierung der Residenzen-Kommission die Bemerkung bei Werner Paravicini: Peter Moraw 1935–2013, in: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften N.F. 2 (2013), S. 11–22, hier S. 11. 145 Residenzenforschung, Bd. 1–25. Sigmaringen bzw. Ostfildern 1990–2011; Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Jg. 1–20. Kiel 1990– 2010 (mit regelmäßigen Berichten über den aktuellen Arbeitsstand), dazu: Sonderhefte 1–13, Kiel 1995–2010. – Zur ersten Übersicht vgl.: 25 Jahre Residenzen-Kommission 1985–2010. Eine Bibliographie, zusammengestellt von Jan Hirschbiegel. Kiel 2010 (Mitteilungen der ResidenzenKommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Sonderheft 13).



Das wissenschaftliche Werk 

 415

III. Das wissenschaftliche Werk146 Die folgenden Seiten sollen Patzes umfangreiches wissenschaftliches Werk im Rahmen der deutschen landesgeschichtlichen Forschung zwischen 1945 und 1990 in Erinnerung rufen, mit einer begrenzten Zielstellung. Es geht nicht darum, die Ergebnisse seiner Untersuchungen zu den verschiedenen von ihm aufgegriffenen Themen in den Gang der jeweiligen Spezialforschung einzuordnen und dadurch in ihrem Erkenntniswert kritisch zu würdigen oder gar zu bilanzieren. Ein solcher auf Patze konzentrierter Forschungsbericht liefe vorrangig auf eine Analyse der wechselnden Forschungssituationen und Forschungsstände hinaus. Statt dessen ist hier beabsichtigt, die Aufmerksamkeit auf die individuelle Forscherpersönlichkeit Patze zu lenken und dazu vornehmlich die inneren Zusammenhänge seiner wissenschaftlichen Arbeiten aufzudecken, die scheinbar sehr vielgestaltigen und unterschiedlichen Antrieben folgen, aber in Wirklichkeit, wenn man genauer hinschaut, nur ganz wenigen Themen mit einer Vielzahl von Variationen gewidmet sind, ja, mit nur leichter Übertreibung könnte man behaupten, daß Patzes wissenschaftliches Lebenswerk um ein einziges Thema kreist. Unsere Darlegungen werden sich in einer Art werkimmanenter Interpretation darum bemühen, die von Patze behandelten Themen mit seinen Kernaussagen zu referieren, die von ihm aufgeworfenen Fragestellungen und die dazu gefundenen Antworten zu beschreiben und auf die methodische Vorgehensweise in der Analyse der Inhalte hinzuweisen. Es ist beabsichtigt, auf diese Weise die thematischen Schwerpunkte herauszuarbeiten und die inhaltliche Geschlossenheit seiner Forschungsvorhaben zu verdeutlichen. Es versteht sich von selbst, daß die vorgenommene Gliederung seiner Arbeiten Überschneidungen zwischen einzelnen Sachgebieten nicht ausschließt. Auf ihre vorrangige Zuordnung zu einzelnen Landesgeschichten ist, abgesehen vor allem vom Kernbereich Thüringen, verzichtet worden, statt dessen sind die bestimmten Regionen gewidmeten Untersuchungen vornehmlich unter den systematischen Forschungsfeldern eingeordnet worden, um diese besser zu erkennen. Eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung von Patzes Werk in die Entwicklung der deutschen Landesgeschichtsforschung im 20. Jahrhundert soll im zweiten Teil dieses Aufsatzes im Zusammenhang mit der Analyse der gleichgerichteten Forschungsbestrebungen Schlesingers versucht werden. 146 Zur Vereinfachung des Anmerkungsapparates werden Seitenzahlen aus den besprochenen Veröffentlichungen für wörtliche Zitate in den Haupttext eingefügt. Das Bezugswerk ist immer aus dem Zusammenhang ersichtlich. – Ein erheblicher Teil von Patzes Aufsätzen ist wieder abgedruckt worden in: Ausgewählte Aufsätze von Hans Patze (wie Anm. 3). – Die in diesem Aufsatz enthaltenen Zitate aus seinen Publikationen folgen fast ausnahmslos den Erstveröffentlichungsorten.

416 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

1. Historische Hilfswissenschaften Patze war von Flach die hilfswissenschaftliche Methode vermittelt und von Schlesinger mit verfassungsgeschichtlichen Fragestellungen vertraut gemacht worden. Durch die Zusammenführung beider Forschungsansätze ist es ihm gelungen, ein editorisches Meisterwerk vorzulegen, wie man ohne Umschweife sein „Altenburger Urkundenbuch 976–1350“ bewerten kann147. Die Quellenauswahl beruht auf einer überlegten Kombination des archivischen Fondsprinzips mit dem territorialen Betreffprinzip, d. h. die zugrunde gelegten Urkundenbestände der in Altenburg ansässigen Institutionen – vor allem das Augustinerchorherrenstift St. Marien auf dem Berge vor Altenburg und das Deutschordenshaus St. Johannis, daneben die Burggrafen von Altenburg, der Rat der Stadt Altenburg, das Franziskanerkloster, das Nonnenkloster St. Mariä Magdalena – mit dem Ein- und Auslauf ihrer Kanzleien (437 Stücke) sind wegen des jeweils begrenzten Umfanges und ihrer gegenseitigen Verflechtung in chronologischer Folge aneinandergereiht und um solche in Form von Zweckregesten dargebotene Betreffstücke ergänzt, die auf wichtige, im Urkundenbuch im Vordergrund stehende Sachverhalte eingehen, vorrangig um die das Vorkommen der Burggrafen bezeugende und um die von den deutschen Königen und Kaisern in Altenburg ausgestellten Urkunden (176 Stücke). Von den insgesamt 654 Nummern werden 190 erstmals abgedruckt, aber auch die abermalige Wiedergabe bringt durch die Zusammenfügung bislang verstreuten Materials und dessen nach gleichen Grundsätzen erfolgte Bearbeitung zahlreiche Verbesserungen. Seine Hauptaufgabe sieht der Editor Patze in der genauen Wiedergabe und der erschöpfenden hilfswissenschaftlichen Bearbeitung jedes Stückes. Sein hilfswissenschaftlicher Spürsinn wird dabei dadurch herausgefordert, daß er die Behauptung J. F. Böhmers, Altenburg habe so viele unechte oder verunechtete Urkunden wie keine andere Kirche im Reich, durch seine gründliche Prüfung der äußeren und der inneren Urkundenmerkmale detailliert belegt; er weist im Schwerpunkt seiner 160seitigen Einleitung 31 Fälschungen aus zwei großen Fälschungskomplexen des Bergerklosters nach, von denen zuvor 23 nicht erkannt worden sind. Nach der Darlegung der Überlieferungs147 Altenburger Urkundenbuch 976–1350, bearb. v. H. P., Jena 1955 (= Veröffentlichungen der Thüringischen Historischen Kommission, V). – Grundsätzliche Bemerkungen zu Urkundenbüchern enthält Patzes längere Besprechung von Edmund E. Stengel (Bearb.): Urkundenbuch des Klosters Fulda, 1. Bd., 2. Teil 1956, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 92 (1956), S. 476–479, mit dem bezeichnenden Urteil: „St. führt uns meisterhaft und ein für allemal beispielgebend vor, wie sich absolute Kenntnis der allgemeinen Geschichte des Zeitraumes, völlige Beherrschung der Hilfswissenschaften und subtile landesgeschichtliche Methoden zu einer Einheit fügen müssen, um eines solchen Gegenstandes Herr zu werden.“ (S. 477).



Das wissenschaftliche Werk 

 417

lage und -geschichte148 werden zunächst die beiden in Altenburg ohne gegenseitige Beeinflussung seit ca. 1200 bzw. ca. 1240 bestehenden Schreiberschulen, die des Bergerklosters und des Deutschordenshauses, in sorgfältiger paläographischer Analyse der voneinander geschiedenen Schreiberhände dargestellt, belegt wird dadurch u. a. der große, im Falle des Klosters überwältigende Anteil der Empfängerausfertigungen und damit der unentwickelte Stand des Kanzleiwesens benachbarter Herren wie der Markgrafen von Meißen und der Bischöfe von Naumburg im 13. Jahrhundert. Die methodisch einfallsreiche Urkundenkritik149 kommt insbesondere durch die Analyse des Wortschatzes, ungewöhnlicher Wörter und Wortverbindungen, sowie der Stilregeln, des Satzrhythmus und der Lautmalereien der Fälschungen, also unter Abkehr von der althergebrachten diplomatischen Methode des Formelvergleichs, zum Ziel. Der kühlen Analyse ist dabei die innere Freude anzumerken, die der Diplomatiker Patze empfindet, wenn er dem Fälscher, der in seiner geschickten Art durch die von ihm bevorzugten Transsumptfälschungen gefälschte Transsumpte der äußeren Kritik entziehen wollte, auf die Schliche kommt: Seine geistreichen Täuschungsmanöver lassen ihn zu einer anziehenden Gestalt werden. ... Nur ein wirklich kluger Kopf, der Wort und Sache vollkommen beherrschte, konnte dieses System, in dem Wahrheit und Lüge geschickt verschlungen sind, konzipieren. Der Fälscher ragt als einzige imponierende Persönlichkeit des Altenburger Stiftes bis in unsere Zeit! (S. 16*, 132*).

Die inhaltliche Bestandsaufnahme trennt echte von unechten Urkunden, schält ggf. echte Urkundenbestandteile heraus und erörtert dabei notwendigerweise unter verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten die Motive der Fälschungen. Der Fälscher wollte etwa zeigen, daß sein Stift von Anfang an die Blutgerichtsbarkeit hatte ausüben dürfen, daß es seinen Propst frei wählen durfte,

148 Die biographische Studie über Mereau (Der Jenaer Universitätsbibliothekar und Professor jur. Friedrich Ernst Carl Mereau (1765–1825), in: Festschrift für Rudolf Herrmann zum 75. Geburtstag, Typoskript [1950], S. 177–207 – benutzt wurde das Exemplar des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar) verdankt ihre Entstehung den überlieferungsgeschichtlichen Nachforschungen, da Mereau u. a. Diplomatik an der Universität Jena lehrte, dafür ca. 200 Pergamenturkunden aus dem Altenburger Archiv auslieh, sie aber nicht wieder zurückgab, so daß sie nahezu für die nachfolgende Forschung verlorengegangen wären. 149 Der vornehmlich auf Altenburger und Gothaer Urkunden gestützte Artikel über Archivalienkonservierung (Vom Anteil des Archivars an der Archivalienkonservierung, in: Archivmitteilungen [3] 1953, S. 11–14) will den Konservator davor warnen, in bester Absicht eine Urkunde oder eine Handschrift so zu restaurieren, daß wichtige Kriterien für die Echtheit der Urkunde beeinträchtigt werden, und verlangt daher eine gründliche archivarische Bearbeitung und Echtheitsuntersuchung vor der Konservierung.

418 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

daß dieser in den inkorporierten Kirchen nach Belieben geistliche oder weltliche Rektoren einsetzen und sich damit gegen den Bischof bzw. den Archidiakon und den Patronatsherrn das Patronatsrecht sichern durfte, daß die klösterliche Vogtei nicht feudalisiert werden durfte und daß dem Kloster Fischrecht und Fischzehnten zuständen. Zeitpunkt und Anlaß der Fälschungsaktionen werden bestimmt; mit der bedeutendsten bereitete sich das Bergerkloster 1286/87 darauf vor, daß seine in der kaiserlosen Zeit stillschweigend ausgedehnten Rechte durch das erwartete Eingreifen seines königlichen Vogtes Rudolf von Habsburg verbindlich bestätigt werden sollten. Zusammenfassend betont Patze, daß die im Bergerkloster hergestellten Urkundenfälschungen bei aller lokalen Zwecksetzung „Randerscheinungen bedeutender Wandlungen im Verfassungsgefüge des Reiches“ sind. Es konnte seine Lage, die es während des Interregnums in den ungeklärten Machtverhältnissen des verpfändeten Pleißenlandes wesentlich verbessert hatte, durch eine Fälschungsgruppe rechtlich stabilisieren. Die dem Stift von Rudolf von Habsburg erteilte Bestätigung aller seiner Besitzungen und Rechte ist das wichtigste Zeugnis der vom König im Pleißenland betriebenen Restitutionspolitik. Das Diplom betont nachdrücklich die Unmittelbarkeit dieser Kirche zum Reiche und verbietet insbesondere die Feudalisierung der Vogtei“ (S. 154*).

Eine zweite Fälschungsgruppe aus der Mitte des 14. Jahrhunderts entspringt der nach dem wettinischen Sieg 1307 grundlegend veränderten Situation, als das Stift gegenüber dem sich verfestigenden Territorialstaat der Wettiner sich vor allem wirtschaftlich zu behaupten suchte. Insgesamt widerspiegelt die im Urkundenbuch zusammengetragene Überlieferung vornehmlich das historische Schicksal der Altenburger Landschaft von der Bildung des Reichslandes Pleißen unter Friedrich Barbarossa bis zu dessen endgültigem Übergang an das wettinische Territorialfürstentum unter Ludwig dem Bayern einschließlich der Entwicklung der Altenburger Bürgergemeinde zu einer autonomen Körperschaft. Zu gleichen und ähnlichen verfassungsgeschichtlichen Schlußfolgerungen wie für Altenburg kommt Patze noch in der diplomatischen Analyse einer angeblich von Kaiser Friedrich II. 1226 für die Benediktinerabtei Chemnitz ausgestellten Urkunde150. Wie die scharfsinnige Scheidung der echten und gefälschten Substanz dieses auf ca. 1347 angesetzten Falsifikates ergibt, sollte es verhindern, daß entscheidende Rechte, die das Kloster vom Reich herleitete wie die Vogtei und das Bergrecht in seinem regionalen Umfeld, den endgültig seit 1329 im Pleißenland herrschenden neuen wettinischen Landesherren anheimfielen; Ein150 Zur Chemnitzer Fälschung (wie Anm. 52).



Das wissenschaftliche Werk 

 419

griffe der Wettiner wollte man durch eine konkrete Abgrenzung und königliche Bestätigung der klösterlichen Rechte, also durch die königliche Schutzherrschaft besser abwehren können. Eines der außergewöhnlichsten Stücke des Altenburger Urkundenbuches, das um 1200 entstandenen Zehntverzeichnis des Klosters Bosau (bei Zeitz), das zu den sehr seltenen registerförmigen Aufzeichnungen zum älteren kirchlichen Zehntwesen gehört, hat Patze ausführlich untersucht und ausgewertet, indem er nach der Analyse der Entstehungszeit auf der Grundlage seiner Angaben die phasenweise deutsche und deutsch-slawische Besiedlung des Pleißengaues im 12. Jahrhundert, die Organisation der königlichen Eigenwirtschaft auf dem Altenburger Königshof und den umliegenden Unterhöfen und die Art und Weise der Zehntleistung schildert151. Der Frage von Echt und Falsch geht Patze noch in der diplomatischen Analyse zweier Stadtrechtsurkunden nach152, einem besonders schwierigen Problem, weil das Formular der vorliegenden Einzelstücke mit eigenartigen Beurkundungen sehr verschieden ist. Der Stadtbrief Markgraf Ottos des Reichen für Leipzig von 1156/70 wird nach Analyse des Siegels, der Schrift und des Diktates mit hoher Wahrscheinlichkeit für gefälscht gehalten, das Motiv der Fälschung von ca.1215/16 in der Sicherung städtischer Rechte gegenüber Markgraf Dietrich den Bedrängten gesehen. Das von Markgraf Albrecht dem Entarteten 1283 gewährte Eisenacher Stadtrecht wird trotz seiner ungewöhnlichen Beurkundungsformen für echt erklärt und auf Grund stilistischer und inhaltlicher Analyse in drei Entstehungs­ stufen zergliedert. Auf den vorübergehend erwogenen Gedanken153, das mittelalterliche Fälscherwesen in seinen allgemeinen Voraussetzungen aufzuklären, ist Patze später nicht wieder zurückgekommen, er hat nur noch in der großen Diskussion auf dem Duisburger Historikertag 1962 über mittelalterliche Fälschungen eine deutliche Gegenposition zu Horst Fuhrmann bezogen, der in seinen Überlegungen zum mittelalterlichen Wahrheitsbegriff den Antrieb des Fälschers darin glaubte erkennen zu können, daß er mit seinem Werk die Heilsordnung Gottes habe verbessern oder wiederherstellen wollen. Patze stimmte zwar zu, daß manche Täter meinten, nur ihr gutes Recht mit dem notwendigen Schriftbeweis zu sichern, aber er wies nachdrücklich darauf hin, daß das Mittelalter immer wieder Urkundenfälschungen unter schwere Strafen gestellt, mit seinen Möglichkeiten, darunter auch heute noch gängigen Echtheitskriterien, aufzudecken gesucht hat und dabei häufig nur an intellektuellem Unvermögen und Mangel an technischer Aus151 Zur Geschichte des Pleißengaues (wie Anm. 52). 152 Zur Kritik zweier mitteldeutscher Stadtrechtsurkunden. I. Leipzig 1156/70. II. Eisenach 1283, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 92 (1956), S. 142–161. 153 Vgl. oben S. 384.

420 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

rüstung gescheitert ist. Patze ist davon überzeugt, daß Fälscher sich ihrer Absicht zur Täuschung voll bewußt waren, und vermag bei ihnen keinen anderen Wahrheitsbegriff zu finden154.

2. Thüringen Patzes Habilitationsschrift „Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen“155 untersucht in ihrem Kern den Werdegang der territorialen Herrschaftsbildung der Ludowinger in Thüringen und Hessen von den Anfängen des Herrschaftsaufbaues in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts über die verschiedenen Formen des Herrschaftsausbaues im 12. und der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts bis zum Aussterben des Geschlechtes 1247, in einer zeitlich weitausgreifenden Darstellung, da der einleitende Rückgriff auf die voraufgegangene thüringische Entwicklung seit dem Untergang des Thüringerreiches 531 die Vorstufen und damit zugleich die Eigenart der mit dem Investiturstreit einsetzenden Landesherrschaft schärfer konturieren soll, und in einer sachlich weit ausgreifenden Darstellung, da sowohl die politische als auch die Verfassungsgeschichte auf breiter Quellenund Literaturgrundlage behandelt wird. Die starke Betonung der politischen Geschichte, die in der umfangreichen Literatur zur hochmittelalterlichen Landesherrschaft mit ihrer Konzentration auf maßgebliche Verfassungselemente auffällt, begründet Patze damit, daß die politischen Handlungen der einzelnen Landesherren überhaupt erst im Laufe von mehreren Generationen die ludowingische Territorialherrschaft geschaffen haben, indem es von ihren politischen Maßnahmen abhing, inwieweit sie sich verfassungsrechtliche Elemente für ihre Landesherrschaft zunutze machten. Für Patze besteht das Novum des hochmittelalterlichen Landesstaates darin, daß er sich über die „alte siedlungsräumliche Gliederung des Landes als neue, aus politischen Willenshandlungen hervorgegangene Fläche legt“ (S. 13). Nachdrücklich hebt er hervor, daß die politischen Fähigkeiten der Persönlichkeiten darüber entschieden, ob sie sich im Spiel der Kräfte zu behaupten und aus dem anvertrauten oder ererbten Gut etwas zu 154 Vgl. Horst Fuhrmann: Die Fälschungen im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 197 (1963), S. 529–554; dazu Diskussionsbeitrag von Hans Patze, in: ebd., S. 568–573; Horst Fuhrmann: Schlußwort, in: ebd., S. 580–601; Hans Patze: Nachwort, in: ebd., S. 601. 155 Siehe oben Anm. 61. – Zur Bedeutung und Wirkung des Werkes aus heutiger Sicht vgl. Matthias Werner: Thüringen im Mittelalter. Ergebnisse – Aufgaben – Perspektiven, in: Ders. (Hrsg.): Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen. Köln, Weimar, Wien 2005, S. 275–341, hier S. 315–317 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 13): „… von Patze in grandiosem Wurf entworfene Modell hochmittelalterlicher adeliger Herrschafts- und ‚Staatsbildung‘ …“ (S. 316).



Das wissenschaftliche Werk 

 421

machen verstanden; geradezu programmatisch legt er Gewicht darauf, „daß die politische Leistung ein wesentliches Mittel zur Ausbildung der Landesherrschaft war und im weiteren Verlauf unserer Untersuchung die nötige Beachtung verdient“ (S. 126, vgl. auch S. 142). Anders ausgedrückt: „Herrschaft ist nicht nur Übung der Gewere an Land, sondern schließt in hohem Grade politische Aktion in sich, sie hat einen dynamischen Charakter“ (S. 558). Patze ist sich dabei bewußt, daß der politische Wille des einzelnen durchaus von allgemeinen Rahmenbedingungen eingeschränkt wird, denn die Herrschaftsbildung hängt nicht nur von der Wirksamkeit verfassungsrechtlicher Institutionen und ihrer Anwendung durch ihre Träger ab, sondern auch von den Möglichkeiten, welche die politische Umwelt zuläßt (S. 41).

Der Stamm der Thüringer war nach 531 jahrhundertelang nach außen und im Innern als politische Größe ausgeschaltet. Die fränkischen und liudolfingischen Könige brachten ihre Gewalt im Lande nachhaltig zur Wirkung, sie begabten im Rahmen der Missionierung geistliche Institutionen wie etwa die Klöster Fulda und Hersfeld mit großen Grundherrschaften, deren Streulage allerdings in späteren Zeiten ihre Zusammenfassung zu leidlich geschlossener Fläche und damit ihre Territorienbildung – ausgenommen im Falle des Erzstiftes Mainz – verhinderte. Unter den weltlichen Gewalten ragten die Ekkehardinger zwischen 950 und 1050 hervor, gestützt auf ihre Allodien, ihren Burgenbau, ihre Dienstmannen, die ihnen als Amtsbereich übertragene Mark; allerdings ist festzustellen, „daß das Gebäude einer solchen frühen Herrschaftsbildung ... aus vergleichsweise wenig Steinen besteht und umso stärker durch die Persönlichkeit ihres Trägers zusammengehalten wird“ (S. 120). Erst die Wirren des Investiturstreites, in dem die deutschen Fürsten durch den Papst von ihrem Eid gegen den König entbunden wurden und die dadurch ausgelösten Denkprozesse den charismatischen Charakter des Königtums in Frage stellten, brachte einen Ludwig den Springer nach oben, er verhöhnte den häretischen Kaiser Heinrich IV., dem er nicht mehr zu gehorchen habe. Der erste Ludowinger übte seine gräflichen Rechte kraft eigenen Rechts und adliger Abkunft, er wurde abseits der besitzrechtlich vergebenen und herrschaftlich erfaßten Räume auf dem Siedlungsboden des Thüringer Waldes seßhaft, sein Sohn mehrte dann durch eine erfolgreiche Heiratspolitik den Familienbesitz. Die Reinhardsbrunner Fälschungen „liefern ... gewissermaßen ein Idealbild eines kleinen Territoriums“ (S. 166), indem an ihnen die für die Begründung einer Landesherrschaft erforderlichen Elemente abzulesen sind: die Rodung, durch die ein geschlossenes, nach außen hin abgegrenztes Territorium mit Herrschaft über Land und Leuten entstand, so daß die Ludowinger nicht bloß wie andere thüringische Geschlechter eine Vereinigung verstreuter Rechte

422 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

in ihre Hand bekamen; der Burgenbau, der zum Schutz der Rodung ohne königliche Erlaubnis betrieben wurde; die Klostergründung, die für die Dotation einen beachtlichen Besitz voraussetzte, aber mit dem erreichten päpstlichen Schutz den Stifter vor den Übergriffen anliegender Dynasten sicherte; die Familientradition, die mit der behaupteten Abkunft von Karl dem Großen Anteil am Königsheil und damit Gleichberechtigung mit dem Königtum zu erlangen suchte; die Urkunden, die zur Begründung dauerhaften Rechts benötigt wurden. Die Mittel der Herrschaftsbildung waren teilweise altbekannt, wurden mit neuen Inhalten gefüllt, um andere erweitert, von der Verfügungsgewalt des Königs unabhängig gemacht, und sie wurden „– dies ist das entscheidende – auf engem Raum konzentriert ... So konnte außerhalb des Altsiedellandes in kurzer Zeit die Keimzelle eines Landesstaates entstehen“ (S. 178). Lothar III. anerkannte mit der Erhebung Ludwigs I. zum Landgrafen dessen tatsächliche übergräfliche Stellung, dessen ordnende Gewalt im thüringischen Raum; die Landgrafenwürde war dabei ein Kompromiß zwischen der vizeköniglichen Machtfülle eines Herzogs und den Rechten eines normalen Grafen. „Die Erhebung hatte mehr politischen als rechtlichen Wert, sie war eine Handreichung, aus der tatkräftige Männer Nutzen schlagen konnten“ (S. 550). Der weitere Aufstieg der Landgrafen vollzog sich in enger Anlehnung an das staufische Königshaus. Ludwig II. hat in einem bemerkenswerten Selbstzeugnis davon gesprochen, daß Fortuna und Virtus, die Gunst der Geschicke wie die Fähigkeit zur Herrschaftsausübung, das Geschlecht unter die hervorragendsten Fürsten des Reiches gestellt habe und daß Fähigkeit und Eifer des Herrschers zum Nutzen der Reichsgeschäfte einzusetzen seien. „Der Territorialstaat steht in seinem fruchtbarsten Augenblick. Er ist die von hoher sittlicher Verpflichtung getragene, auf das Reich gerichtete Ordnung der Reichsteile“ (S. 220). Die Anbindung an wichtige Kraftlinien staufischer Politik von Süden nach Norden verstrickte die Ludowinger in den erfolgreich ausgefochtenen Streit mit Heinrich den Löwen, am Ende hatte Ludwig III. die Landgrafschaft zur Vormacht im mitteldeutschen Raum zwischen Saale und Lahn entwickelt. Im Parteienstreit des Thronstreites hat Hermann I. in skrupelloser Weise durch mehrfachen Parteiwechsel die Gegner für seine territorialpolitischen Ziele auszunutzen versucht. Die letzten Jahrzehnte der Ludowinger beherrschten Konflikte im Westen mit dem Erzstift Mainz, im Osten mit der Mark Meißen, mit entsprechend den jeweiligen politischen Lagen wechselnden Schwerpunkten suchten sie einerseits die Verbindung zwischen Ober- und Niederhessen und die Verbindung des Ganzen mit Thüringen herzustellen, andererseits die Eventualbelehnung mit der Markgrafschaft Meißen zu erreichen und darüber hinaus in östlichere Regionen vorzustoßen. Den Abschluß erster zweiseitiger Verträge zwischen den Landgrafen und



Das wissenschaftliche Werk 

 423

benachbarten Territorialherren in den 1230er Jahren wertete Patze als Zeichen, daß der Landesstaat „komplett“ war, da seine Träger so handelten, als hätten sie einen Staat zu vertreten. ... Der Abschluß eines solchen Übereinkommens ist nur möglich, wenn hinter den Partnern organisierte rechtliche Gebilde stehen, die die Abmachungen zu garantieren vermögen (S. 277).

Daß die ludowingische Landgrafschaft Thüringen nach dem Tode Heinrich Raspes als Ganzes an den neuen Herrn überging, bewies die inzwischen gewonnene innere rechtliche Stabilität, die nicht mehr aufzulösen war. Der Landesstaat „hatte einen eigenen Wert erlangt. Seine Träger bemaßen die Zweckmäßigkeit ihrer politischen Handlungen am Gewinn, den sie ihrem Staat brachten“ (S. 298). Patze geht in seiner Beurteilung des ludowingischen Aufstieges davon aus, daß „der politische Erfolg zum guten Teil auf der gleichzeitig fortschreitenden verfassungsrechtlichen Vervollkommnung des Territoriums beruht“ (S. 178). Für die Zeit zwischen 1130 und 1247 analysiert er daher ausführlich in einem gesonderten Abschnitt seiner Darstellung die zentralen Verfassungselemente des Herrschaftsaufbaues. Der Herrschaftsbereich der Landgrafen setzte sich aus Besitzstücken verschiedener Herkunft zusammen, aus Allodien, vor allem aus Lehen, insbesondere des Erzstiftes Mainz, die zwar praktisch kaum vom Lehnsherren eingezogen, aber doch die politische Handlungsfreiheit einengen konnten. Patze wertet es als enorme politische Leistung, daß diese heterogenen Elemente zu einer Einheit verbunden wurden, denn trotz der rechtlichen Differenzierung und der Besitzstreuung bestand im Landesherrn das Bewußtsein, über ein abgegrenztes Gebiet zu herrschen und nicht nur ein loses Bündel von Rechten in der Hand zu haben. In Thüringen, in geringerem Maße in Hessen stützten sich die Ludowinger auf eine dichte Ministerialenschar, ohne die ihre Herrschaftsbildung nicht gelungen wäre. Es war ebenfalls ihre politische Leistung, daß sie einen relativ großen Personenkreis durch die Pflicht zur Dienstleistung rechtlich an sich fesselten, dessen Einsatz von ihren politischen Entschlüssen abhing, und daß in den zahlreichen Dörfern mit Ministerialensitzen die öffentliche Gewalt dem Bauern unmittelbar und dauernd sichtbar gemacht wurde. Da die edelfreien und gräflichen Geschlechter, nach der Entwicklung eigener Herrschaften strebend, sich nicht in völlige vasallitische Abhängigkeit von den Landgrafen begaben, hätten diese ohne die Ministerialen ihr Territorium überhaupt nicht „staatlich“ durchdringen können. Ein wichtiges Mittel der Herrschaftsbildung waren bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts die Kirchenvogteien, die Ludowinger erbauten teilweise rücksichtslos in eigenkirchenrechtlicher Auffassung als Vögte auf Klosterimmunitäten Burgen und Städte und entnahmen das dafür erforderliche Material den klösterlichen Wäldern. Außerdem bedienten sie sich der Inschutz-

424 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

nahme von Klöstern, sie beanspruchten, alle in ihrem Herrschaftsbereich liegenden Kirchen und Kirchengüter einschließlich des in das eigene Herrschaftsgebiet eingesprengten fremden Eigen unter Schutz und Schirm zu stellen, woraus Herrschaft entstehen konnte. Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ergänzten die Ludowinger das System ihrer Burgen durch eine Anzahl Stadtgründungen. Die Anlage der neuen Siedlungsgebilde entsprang vielfach dem Bestreben, eine Kette von gut befestigten Plätzen aufzubauen. Eine Planmäßigkeit in der Verteilung der Städte ist klarer in Hessen als in Thüringen wahrzunehmen. Die Städte sind in Anlehnung an die landesherrliche Burg entstanden, der in ihrem Grundrissen erkennbare topographische Schematismus muß vom Stadtherren angeordnet worden sein, und die Bevölkerung ist planmäßig in die neuen Großsiedlungen gelockt oder gepreßt worden. Sie wurden zunächst üblicherweise in den Verband der Villikation eingeordnet, die Gerichtsbarkeit wurde von einem für die Stadt und den umliegenden Landbezirk tätigen landesherrlichen Beamten wahrgenommen. Die bürgerlichen Elemente setzten sich frühzeitig nur in den größeren Städten durch, wo eine breitere Schicht von Handwerkern und Kaufleuten aus ihrer Berufserfahrung sowohl die Voraussetzungen für eine Verwaltungstätigkeit als auch das Bedürfnis nach einem höheren Grad von Freiheit mitbrachte. Unter den landgräflichen Städten ragt Eisenach mit der Wartburg hervor, einer nicht mehr allein nach fortifikatorischen, sondern auch nach architektonischen Grundsätzen gestalteten Anlage, in der man im Bewußtsein der Erblichkeit der eigenen Lehen wohnte und repräsentierte: „Wer seine Burg mit Skulpturen schmückte, die bisher nur an Kirchen und Pfalzen zu finden waren, handelte, als verkörpere er Institutionen, die an Dauer und Unantastbarkeit Kirche und Königtum gleichkämen“ (S. 414). Durch die nachhaltige Förderung der Städte wünschten die Landesherren deren wirtschaftliche und finanzielle Kraft zu heben und diese für die eigenen territorialpolitischen Zwecke auszunutzen. Im Bereich der Gerichtsbarkeit zeichnete sich das Landgericht Mittelhausen, dessen Vorsitz der Landgraf führte, aus; es war der eigentliche Inhalt des landgräflichen Amtes, da hier auch Parteien außerhalb des landgräflichen Territoriums zum Rechtsstreit oder -geschäft erschienen. Die Verwaltung von Gerichten, Steuern und Zöllen lag in der Hand von „Beamten“, einer zweiten Schicht, die sich die Landesherren neben den Ministerialen schufen, die nicht rittermäßig lebte und nicht die für den Ritterdienst übliche Entlohnung, das Lehen, erhielt, jederzeit absetzbar war und keinen Anspruch auf das Amt hatte. Aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammen die ersten Hinweise auf eine landesherrliche Kanzlei, eine der ersten überhaupt in der Reihe der Laienfürsten, dabei machten sich die Ludowinger für ihre Kanzleibedürfnisse die Fertigkeiten der Benediktiner von Reinhardsbrunn zunutze. Wenn die Landgrafen sich selbst der bis dahin der kaiserlichen Kanzlei und den geistlichen Institutionen vorbehaltenen Urkundenausstellung bemäch-



Das wissenschaftliche Werk 

 425

tigten, setzte dies ein Bewußtsein zur rechtlich-politischen Organisation voraus. Die seit dem 12. Jahrhundert auftretenden Wappen, Siegel und Münzen repräsentierten nach außen hin den landesherrlichen Herrschaftsanspruch. In seiner Zusammenfassung setzt sich Patze mit der an südostdeutschen Ländern entwickelten Lehre Otto Brunners von der Entstehung der Landesherrschaft auseinander und lehnt dessen Auffassung ab, das gleiche Recht der landbebauenden Leute als Voraussetzung oder gar als Ursache des Territorialstaates anzusehen. Ein Gebiet gleichen Rechts kann von politischen Stoßrichtungen, die etwa durch den Lauf von Straßen bestimmt sind, durchkreuzt werden, oder Gemeinschaften gleichen oder verschiedenen Rechts können wieder zu Herrschaften zusammengefaßt werden. Da die von Leuten gleichen Rechts bewohnte Fläche nicht den primär vorhandenen Raum des künftigen Landesstaates darstellt, sondern dieser aus zu Recht verliehenen und allodialen Bestandteilen, möglicherweise auch aus Erwerbungen oder Rückerwerbungen zu rechter Gewalt, drittens aber auch unter Machtanwendungen gegen das gute Recht Dritter zusammengebracht worden ist, verdient der Vorgang territorialstaatlicher Flächenbildung größte Beachtung (S. 558).

Für die Entstehung der Landesherrschaft hebt Patze zwei einander ergänzende Gesichtspunkte besonders hervor. Zum einen hat der Landesherr ihrer Herkunft nach ungleiche Besitzstücke durch die Summierung alter und neuer Elemente adliger Herrschaftsbildung, durch Burgen, Ministeriale, Vogteien, Gerichte, Steuern, Zölle, Lehenswesen, Beamte, Kanzlei, zusammengefügt. „Wieweit dieser Vorgang im einzelnen Falle gedeiht, ist eben sosehr eine Frage des politischen Geschicks wie des persönlichen Schicksals“ (S. 559). Zum anderen wurden herrschaftliche Elemente nicht nur vereinigt, sondern in hohem Maße weiterentwickelt. Ein System von Burgen wurde angestrebt, die Dienstmannen möglichst gleichmäßig über das Territorium verteilt, das Gericht durch seine Umwandlung zum Blutgericht in seiner Wirksamkeit gesteigert, neue Flächen des Landes durch Rodung und Siedlung erschlossen, die Stadt war Träger einer neuen Wirtschaftsform und ergiebigste Finanzquelle des Stadtherrn. Die alten und neuen Elemente teilte der Landesherr nicht wieder anderen zu und schwächte sie damit ab, sondern er verwaltete und handelte unmittelbar mit den ihm untergebenen Beamten. Die Rechtfertigung seiner Herrschaft bezog er daraus, daß er wirkungsvoll mit der von der Kirche ausgebildeten schriftlichen Verwaltungspraxis Frieden und Recht zu sichern verstand. Die Eigenart von Patzes Darstellung liegt vor allem darin, daß er die Entstehung der Landesherrschaft nicht aus einzelnen Rechtsinstituten ableitet, sondern daß er in den politischen Handlungen und in der politischen Befähigung einzelner Persönlichkeiten im Umgang mit alten und

426 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

neuen Verfassungselementen seit dem Umbruch des Investiturstreites die Ursachen des ludowingischen Erfolges erkennt. Der von Patze fast allein beigesteuerte Band zur „Geschichte Thüringens“, der in zwei Kapiteln die „politische“ wie die „Verfassungs- und Rechtsgeschichte Thüringens im hohen und späten Mittelalter“ beschreibt156, berührt sich aufs engste mit seiner Habilitationsschrift, er ist in gewisser Weise deren Fortsetzung insofern, als er mit demselben methodischen Ansatz und denselben inhaltlichen Schwerpunktsetzungen den Gestaltwandel adliger Herrschaft zwischen 900 und 1500 in den Mittelpunkt seiner Darstellung rückt, also in den Jahrhunderten, in denen sie sich von ihren frühen, undeutlichen Konturen in den schriftlichen Quellen zum klar erkennbaren, verwalteten Territorialstaat entwickelte. Dieser Vorgang ist in erster Linie ein Prozeß politischen Handelns und politischer Entscheidung; er fand in rechtlichen Zuständen statt, wurde von ihnen ausgelöst und veränderte sie (S. 383).

Patzes Beitrag beruht in einem für ein Handbuch ganz erstaunlichem Maße trotz Heranziehung der einschlägigen landesgeschichtlichen Literatur auf unmittelbarer Quellenauswertung, er gewinnt seine Erkenntnisse vor allem aus der umfassenden Durchsicht und Interpretation der gedruckt vorliegenden Quelleneditionen. Wegen der Zunahme der Quellen und der damit gegebenen Einsicht in vorher verschlossene Bereiche des geschichtlichen Lebens werden das 13.–15. Jahrhundert intensiver behandelt als die hochmittelalterlichen Jahrhunderte, die Zeit der wettinischen Vorherrschaft in Thüringen von 1247 bis zur Leipziger Teilung 1485 nimmt den größten Raum ein. Neben den Ludowingern und den Wettinern werden, gewissermaßen in Ergänzung der Habilitationsschrift, auch die nichtwettinischen Herrschaften geschildert. Patzes Darstellung gewinnt Spannung und Reiz vor allem durch die Gegenüberstellung und den Vergleich der landgräflichen und der anderen Herrschaften im Lande, durch die Beschreibung sowohl ihres wechselvollen politischen und militärischen Ringens miteinander als auch ihrer jeweiligen verfassungsrechtlichen Ausgestaltung und der sich daraus ergebenden politischen Konsequenzen. Denn das mittelalterliche Thüringen ist seit dem Aufkommen der Ludowinger gekennzeichnet durch eine vorherrschende Gewalt, aber daneben hatten die kleinen Territorien, die sich mit dieser unentwegt auseinanderzusetzen hatten, 156 Geschichte Thüringens, 2. Bd., 1. Teil : Hohes und spätes Mittelalter. Köln, Wien 1974 (S. 310–330 von Wolfgang Heß). – Als „eine unverzichtbare Grundlage“ auch der gegenwärtigen Forschungen wertet Werner: Thüringen im Mittelalter (wie Anm. 155), S. 327 Anm. 186 (ähnlich S. 328 Anm. 193), Patzes Handbuchbeitrag insbesondere zur spätmittelalterlichen Geschichte Thüringens.



Das wissenschaftliche Werk 

 427

noch ihre eigene Geschichte, die bestimmt war durch die genealogische Kontinuität adliger Herrschaft wie die damit in Zusammenhang stehende Interessen­ politik. Die Grafen, Vögte und Herren lehnten sich an das Königtum an, da dieses allein in der Lage war, ihre Selbständigkeit gegenüber dem größten Territorial­ staat zu bewahren, und dieses seinerseits auf die Gewinnung aktiver Helfer für seine Belange angewiesen war; das Beispiel Bertholds VII. von Henneberg offenbart eine verläßliche, mit Opfern verbundene, aber für die eigene Grafschaft vorteilhafte Politik im Dienste Ludwigs des Bayern, an einer zentralen Stelle von dessen Bestrebungen, sein Königtum aus dem engen Bereich der wittelsbachischen Länder heraus nach Brandenburg auszudehnen und so einen Vorrang im ganzen Reich zu erreichen. Überhaupt beherzigt Patze die Einsicht, daß territorialpolitische Vorgänge sich aus der Einwirkung größerer auswärtiger Mächte in den thüringischen Raum ableiten und daher deren treibende Motive in die Erörterung einzubeziehen sind. Diese Beobachtungsgabe führt vielleicht zu den trefflichsten Einsichten für die Zeit Karls IV. Der böhmische König und römische Kaiser, der in der Goldenen Bulle endlich die freie Wahl des Königs rechtlich gesichert hatte, sann darauf, wie sein – sagen wir – fast perfektes Königswahlgesetz von seinem Schöpfer dadurch in seiner juristischen Zielsetzung hintergangen werden konnte, wenn er die Personen nach Belieben austauschte, die durch das Gesetz agieren sollten. Daß der politisch begabteste Kaiser des Spätmittelalters zu seinem menschlich größten Irrtum, dem Verkennen seines unfähigen Sohnes ansetzte, daß er Papst und Fürsten belastete, Bischöfe von Stuhl zu Stuhl drängte, um dieses Wenzels willen, das wirkte alles in das enge Feld unseres Berichts hinein, weil der Mann, der diese Goldene Bulle zu praktizieren, im Sinne des Kaisers brauchbar und im Sinne des Reiches und Gemeinwohls stumpf zu machen hatte, der Erzbischof von Mainz und Stadtherr von Erfurt war (S. 107).

Die herausragende Rolle Erfurts für das Erzstift Mainz ergibt sich daraus, daß die Erzbischöfe in Zeiten politischer und militärischer Bedrohung in der thüringischen Metropole mit ihrer unverzichtbaren wirtschaftlichen und finanziellen Kraft eine Zuflucht fanden und hier die Beruhigung der Lage abwarteten. Der Erregungspunkt für die Beteiligung an der politischen Geschichte Thüringens liegt in Mainz und den dort gefaßten diözesanpolitischen Entscheidungen – vornehmlich den Schismen – oder in der Reichspolitik der Erzbischöfe“ (S. 209).

Die Untersuchungen der Verfassungsordnung gehen immer wieder von der Suche nach den wesentlichen Bausteinen der adligen Herrschaftsbildung aus, auf Grund der Erkenntnis, „daß hochmittelalterliche Herrschaft – von Ausnahmen abgesehen – nur durch Zusammenfügung von verschiedenen Elementen auf-

428 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

zubauen war“ (S. 202), und verfolgen an Hand von verschiedenartigen Einzelphänomenen die Umgestaltung und die „Vertiefung“ der Herrschaftsweise dadurch, daß führende Köpfe allmählich versuchten, mit Gesetzen und Mandaten zu regieren und mit geschriebenem Recht zu verwalten. Am Anfang, im 11. Jahrhundert, standen, bei den Ludowingern „mit einem der besten Beispiele einer Rodungsherrschaft im Reiche überhaupt“ (S. 215), ebenso wie bei anderen Geschlechtern, Waldweiler, Burgenbau und Stiftung eines Reformklosters „als gleichsam spiegelbildliche Maßnahmen der Herrschaftsgründung“ (S. 148). Die kleinen Adelsfamilien arbeiteten mit denselben Methoden wie die großen, aber auf Dauer erwies sich ihre wirtschaftliche und damit auch ihre finanzielle Grundlage als zu schwach, so daß sie im Zeichen der zunehmenden Kommerzialisierung von Herrschaftsrechten ständig in Gefahr standen, wegen ihrer Geldnot von den Wettinern aufgekauft zu werden; wenn eine Familienlinie mit der neuen Macht Geld nicht zurechtkam, zogen die letzten Angehörigen einen auskömmlichen, von Sorgen um die Herrschaft freien Lebensabend bei guter Rente vor. Die Auflösung von Herrschaften lief mit jener im späten Mittelalter überall zu beobachtenden Gesetzmäßigkeit weiter. Ihre Komponenten waren zu stark reduzierte Gebietsflächen und folglich zu geringe Einnahmen an Bargeld, bei gleichbleibenden Lebensansprüchen und Kapitalaufnahmen zu überhöhten Zinssätzen (S. 175).

In dem Bereinigungsprozeß zwischen fest institutionalisierten, großräumigen Landesherren konnten zwar kleine Landesherren noch die zwischen Grund- und Landesherrschaft stehengebliebenen beerben, aber sie waren nicht stark genug, um Reichsfürsten wie die Wettiner in Gefahr zu bringen. Denn deren Schulden, die sie ebenfalls wie ihre Konkurrenten machten, gefährdeten nicht ihre Existenz, da ihre Substanz an einzelnen Einkünften und verpfändbaren, Einkünfte erbringenden Objekten so groß war, daß sie plötzlichen Kapitalbedarf durch Verpfändung decken konnten. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts wurde die Mobilisierung des Territoriums, die Kapitalisierung seiner Herrschaftsrechte energisch unterbunden. Der Landfriede von 1338 beinhaltete die Überzeugung des Landgrafen von seiner autonomen Friedensgewalt, davon, daß nur ein straff regierter Fürstenstaat, in dem sich alle Gewalten ihm unterordneten, dem Lande den Frieden sichern könne. Aus der Gesetzgebung des 15. Jahrhunderts spricht eine konsequent durchdachte Auffassung von den Schutzpflichten des Fürsten für seine Untertanen und ihre Rechte, der aus verschiedenen Herrschaftselementen zusammengesetzte Herrschaftsbereich hatte sich in einen geschlossenen Untertanenverband verwandelt. Die Landesordnung Wilhelms des Tapferen suchte zu gewährleisten, daß



Das wissenschaftliche Werk 

 429

der Untertan in einer überschaubaren, vor allem wirtschaftlich effektiven Rechtsordnung lebte; man wird sagen können, daß hier erstmals in Thüringen der Landesstaat als ein rechtliches, wirtschaftliches und soziales Gebilde in seinen vielfältigen kausalen Verknüpfungen begriffen wurde. Die seit Friedrichs des Ernsthaften Landfrieden von 1338 deutlich wahrnehmbaren Entwicklung von der hochmittelalterlichen Landesherrschaft weg auf den vom fürstlichen Willen verwalteten Staat hin hatte einen entscheidenden Punkt erreicht (S. 273).

Auch wenn Politik und Verfassung der großen und kleinen adligen Landesherrschaften im Vordergrund von Patzes Geschichtsdarstellung stehen, so bezieht er doch gerade in seinen verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Partien, die zumindest in Teilen zum ersten Mal überhaupt eine quellengestützte Schilderung bieten, die Lebensordnung der anderen Stände ein. Die umfangreichen Kapitel über die Verfassung der Städte (einschließlich der Stadtrechtsaufzeichnungen) und der Landgemeinden, über die Rechtsstellung der Juden und über die einzelnen Rechtsgebiete beschreiben die rechtlich geordneten Lebenskreise von Bürgern und Bauern in ihrem jeweiligen sozialen und wirtschaftlichen Umfeld. Die Ausführungen zur größten thüringischen Stadt belegen noch einmal Patzes Fähigkeit, die grundsätzlichen Existenzbedingungen eines Gemeinwesens herauszustellen, aus denen sich das Verhalten der Personen und Parteien in konkreten Situationen ableitet: „Daß Erfurt sich von Stadtherren weitgehend unabhängig gemacht hatte, brachte der Stadt die Gefahren der Selbstbehauptung nach außen und die daraus folgenden inneren Konflikte“ (S. 332). Patzes Werk, das gerade in der politischen Ereignisgeschichte in der Tradition der Geschichtserzählung steht, gewinnt zusätzlichen Reiz durch die ein­gestreuten Personenbeschreibungen, die Handlungsweise von für den historischen Ablauf bedeutenden Persönlichkeiten fordert seine Charakterisierungskunst heraus, die durch die Einbeziehung vergleichbarer historischer Fälle an Hintergrund gewinnt, wie etwa in der Bemerkung zu Albrecht dem Entarteten: Ähnliches an menschlicher Unverfrorenheit findet man, wenn man zurückgeht, im hohen Adel erst wieder zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen, unter den letzten westfränkischen Karolingern und im England Heinrichs II. und seiner Söhne, aber dort mit den Zügen gewalttätiger Großartigkeit (S. 50).

Oder zu Herzog Wilhelm III: „Er war in Stimmungen befangen, eng und ohne Kraft zu kühler Distanz, wie sie das Herrschen und Regieren erfordert“ (S. 139). Überhaupt gewinnt die Interpretation dadurch Tiefgang, daß durch den Einsatz eines reichen historischen Erfahrungsschatzes die konkreten Einzelvorgänge auf grundsätzliche Konstellationen, auf allgemeine menschliche Verhaltensweisen,

430 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

auf Umstände und Bedingungen politischer Handlungen zurückgeführt werden; die Urteile beziehen ihre Überzeugungskraft nicht aus bloßer Abstraktion, son­dern aus der Anschauungskraft historischer Empirie. Die Einsicht, daß Teilung der Herrschaft dem Gemeinwohl schade, war vorhanden, es bestand aber die Gefahr, daß diese Erkenntnis von der Dynamik der einzelnen Persönlichkeit, die zur Mitherrschaft drängte, überwunden wurde (S. 223). Der Reichtum der Stadt [Erfurt] in ihren Mauern und in ihrem Territorium zog ihre Gegner magnetisch an, lockte die Feinde, zwang den Rat auf den Weg der großen Politik (S. 337).

Patzes bedeutendster Beitrag zur thüringischen und deutschen Stadtgeschichtsforschung157 analysiert die verfassungs- und rechtsgeschichtliche Entwicklung der zehn thüringischen Städte – Altenburg, Eisenberg, Gößnitz, Kahla, Lucka, Meuselwitz, Orlamünde, Ronneburg, Schmölln, Stadtroda –, die von 1603 bis 1672 und von 1826 bis 1918 im Herzogtum Sachsen-Altenburg vereinigt waren. Ihre Anfänge sind zwar auf verschiedene Stadtherren zurückzuführen, und unter ihnen durchlaufen sie bis Ende des 14. Jahrhunderts fast alle eine gesonderte Entwicklung, aber dann münden ihre getrennten Wege infolge der Ausbildung des wettinischen Territorialstaates in gemeinsame Lebensbedingungen. Patzes Studie hebt sich aus der reichen stadtgeschichtlichen Literatur durch zwei prägende Eigenarten hervor. Zum einen hat er sich nicht im Gegensatz zur älteren Forschung auf die Ursprungs- und Frühgeschichte seiner Städte und damit auf die Wurzeln ihrer verfassungsgeschichtlichen Sonderart beschränkt, sondern er hat ihre Weiterentwicklung „als verfassungsrechtliche und soziale Gebilde eigener Prägung“ im spätmittelalterlichen und reformatorischen Landesstaat des 14.– 16. Jahrhunderts, im absolutistischen Verwaltungsstaat des 17./18. Jahrhunderts und im bürgerlich-konstitutionellen Staat des 19. Jahrhunderts, bis hin zur sachsen-altenburgischen Städteordnung von 1897 und zur Gründung des Freistaates Thüringen 1920, nachgezeichnet und dabei eindrucksvoll die Nachwirkung ihrer mittelalterlichen Verfassungsgrundlagen herausgearbeitet, bis sie durch die modernen Gemeindeordnungen „als eine verfassungsrechtliche Institution gleichsam eingeebnet“ wurden (S. 2). Zum anderen hat er mit seinen Objekten die Blickrichtung verschoben von den großen, vom König, Bischöfen, weltlichen Territorialherren oder bürgerlichen Genossenschaften geprägten Städten auf die Gruppe kleiner landes- und grundherrlicher Städte, die die Masse städtischer Bildungen ausmachen. Die Untersuchung geht in der Weise vor, daß die zehn Städte zunächst nacheinander monographisch nach einheitlichen Gesichtspunkten, ihren hoch- oder spätmittelalterlichen Anfängen, ihrer Verfassungsordnung, 157 Recht und Verfassung thüringischer Städte. Weimar 1955 (= Thüringische Archivstudien, 6).



Das wissenschaftliche Werk 

 431

ihrem materiellen Stadtrecht, ihren wirtschaftlichen Rechten, im gesamten Zeitraum der Entwicklung behandelt werden und dann ergänzend zu dieser vertikalen Betrachtungsweise einige Querschnitte in der Zusammenfassung gelegt werden, die mit ihrem weiten Horizont die individuellen Fälle in den Rahmen der thüringischen und der deutschen Stadtentwicklung einordnet. Die Entstehungsphase, für deren Erkenntnis das topographische Erscheinungsbild analysiert wird, ist durch die Zweiheit von Burg und Stadt gekennzeichnet, da die Burg den handeltreibenden Kaufleuten militärischen Schutz vor räuberischen Angriffen gewährt, diese aber darüber hinaus einer günstigen Lage unmittelbar an einer verkehrsreichen Straße bedürfen. Indem der Burgherr den Markt der Kaufleute aus seinem Landgerichtsbezirk heraustrennt und zu einem Immunitätsbezirk macht, ist eigentlich die Stadtgründung schon vollzogen. Denn zwei Eigenschaften erscheinen für die Stadtwerdung als unabdingbar, wirtschaftlich der Betrieb von Handel und Handwerk, rechtlich die Bildung eines eigenen Gerichtsbezirkes, mit der der Aufbau einer städtischen Verwaltung und die Abgrenzung des städtischen Friedensbezirkes durch Mauerbau engstens verbunden sind. Topographisch gehören die Städte mit ihrer Doppelanlage, bezeichnend überhaupt für den thüringisch-sächsischen Bereich, einem Mischtyp zwischen den gewachsenen Städten des Altsiedellandes mit ihrem unregelmäßigen Grundriß und den ostdeutschen Plangründungen an; neben der Altstadt ist für die zunehmende Bevölkerung mit der Neustadt eine ganze neue Anlage mit rechteckigem Markt und rechtwinklig verlaufenden Straßen angelegt worden158. Den pleißnischen Reichsstädten, die die Staufer als wesentliches Mittel ihrer Reichslandpolitik gefördert hatten, sind die Stadtgründungen der Wettiner und zahlreicher kleiner Dynasten gefolgt, die sich von ihnen aus ihr Territorium aufbauten, im 13. und 14. Jahrhundert entstand überhaupt die größte Zahl der thüringischen Kleinstädte. Zwischen ihrer gewerblichen Produk-

158 Ausgehend von einem zufälligen archivalischen Fund in einem klösterlichen Zinsregister und in Auseinandersetzung mit der älteren Literatur wandte Patze die Methode der vergleichenden Verfassungstopographie, die an der Führung und den Namen der Straßen und Plätze in Verbindung mit schriftlichen Zeugnissen und durch kontrollierte Vergleiche mit anderen Städten Schlüsse auf die städtische Frühgeschichte zu ziehen sucht, auf das hochmittelalterliche Gotha des 12./13. Jahrhunderts an und legte dar, daß die Stadt in zwei Stufen entstanden ist, daß sie ursprünglich mit dem Mittelpunkt um den (Alten) Markt, Rathaus und Kaufhaus nur den Teil westlich der Querstraße erstreckte und daß an diese Altstadt östlich davon, eine Neustadt mit Neumarkt, eigener Kirche und neu orientierten, zweckmäßigerem Straßennetz angebaut wurde. Gotha gehört also auch der städtetopographischen Übergangszone an. (Die topographische Entwicklung der Stadt Gotha im Mittelalter, in: Der Friedenstein. Monatsblätter des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Kreisverband Gotha, Jg. 1955, S. 1–10; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze [wie Anm. 3], S. 399–408).

432 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

tion und der landwirtschaftlichen des Landes hat sich ein von den Landesherren durch Schiede gewahrtes wirtschaftliches Gleichgewicht herausgebildet. Im Bereich des materiellen Rechtes wurden die verliehenen Statuten in der Regel durch eigenes Willkürrecht erweitert, zu bedeutenderen Kodifikationen kam es allerdings auch in der herausragendsten Stadt, Altenburg, nicht. Die Reichsstadt Altenburg bildete als erste in der Mitte des 13. Jahrhunderts die Ratsverfassung aus, die anderen Städte folgten erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts nach. Im 15. Jahrhundert erreichten die Bürgerschaften gegen selbstherrliches Ratsregiment, daß ihre Vertreter den Räten beigegeben wurden. Die wettinischen Landesherren verpflichteten die Städte zunächst nur zur Heerfahrtpflicht und zu außerordentlichen Steuern, dann erließen sie im 15. Jahrhundert mit den Landesordnungen erstmalig Gesetze für die Gesamtheit der Landesbewohner, die sich mit fast allen Zweigen des öffentlichen Lebens wie mit Privatverhältnissen des einzelnen beschäftigten, ohne freilich den Städten den Spielraum zur Entfaltung ihrer Autonomie zu nehmen. Erst seit dem späteren 16. Jahrhundert griffen die Landesherren rücksichtsloser in das innere Leben der Städte ein, schränkten ihre bisherige Rechtsfreiheit zur Herstellung von allgemeiner Rechtsgleichheit ein und unterstellten sie stärker ihrer Aufsicht, so daß die städtische Gerichtsbarkeit hauptsächlich nur noch das von ihnen gesetzte einheitliche Landesrecht vollzog. Aber selbst das Grundgesetz für das Herzogtum Sachsen-Altenburg von 1831, das das erstarrte oligarchische Ratsregiment beseitigte, bewahrte mit wirtschaftlichen und Verwaltungssonderrechten noch wesentliche Kennzeichen der mittelalterlichen Stadt. Neben seinen großen und umfassenden Darstellungen zur Geschichte Thüringens im hohen und späten Mittelalter hat Patze dem Land nur wenige Spezialuntersuchungen gewidmet. Zu erwähnen ist hier vorrangig seine glänzende Analyse des ältesten Rechtsbuches der Reichsstadt Mühlhausen159. In der folgerichtig aufgebauten Untersuchung geht er aus von der Verfassungsentwicklung des Ortes von fränkischer Zeit bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts und ihren sie tragenden Gruppen fränkische Königsfreie, Reichsministerialität und Stadtbürgertum, klärt dann den weitgehend systematischen Aufbau und die inneren Zusammenhänge des Reichsrechtsbuches mit dem Nebeneinander von ministerialisch geprägtem Schultheißengericht und dem hier geübten Landfriedensrecht der Salier- und Stauferzeit, von Heimbürgengericht und seinem Recht der bäuerlichen Landgemeinde sowie von Marktgericht und seinem Recht der Kaufmannsbürger und sucht schließlich aus der dargelegten Rechtswelt, also aus dem unterschied159 Zum ältesten Rechtsbuch der Reichsstadt Mühlhausen/Th. aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 9/10 (1960/61), S. 59–126; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 409–471.



Das wissenschaftliche Werk 

 433

lichen Umfang der Rechtskenntnisse und ihrer Anordnung, aus Aufbau und Gehalt des Rechtsbuches auf den Verfasser oder wenigstens die Rechtsvorstellungen eines bestimmten Personenkreises zu schließen; dabei macht er sehr wahrscheinlich, daß der als Gerichtsherr in Pfaffenrode bei Mühlhausen nachweisbare Reichsministeriale Heinricus scolaris das Werk in den 1220er Jahren verfaßt hat und somit im Mühlhäuser Reichsrechtsbuch ein denkwürdiges Zeugnis für die Bildungsbestrebungen des Adels der Zeit und der literarischen Ausbreitung der deutschen Sprache in Thüringen um 1200 vorliegt. Wenn wir nach einem Personenkreis, dem die Rechtswertordnung Reichslandfriedensrecht – Dorfrecht – Marktrecht gemäß sein könnte, Umschau halten, so bleiben nur die zahlreichen Reichsministerialen und Ritter der Reichsburg Mühlhausen, ... so bleibt gewiß, daß wir im MRb das umfangreichste Zeugnis für das Rechtsbewußtsein der staufischen Reichsministerialität besitzen, das uns erkennen läßt, wie die knappen Weisungen der Reichslandfrieden der Staufer in die Rechtspraxis umgesetzt worden sind (S. 107).

Unter den der Geschichte Thüringens gewidmeten Untersuchungen ist schließlich Patzes Dissertation über „Die Zollpolitik der thüringischen Staaten von 1815 bis 1833“160 noch anzufügen, sein auf der Auswertung der thüringischen Akten und der vornehmlich im Zollvereinswerk gedruckten Quellen beruhender Erstling, der durch sein aus dem 19. Jahrhundert stammenden Thema aus seinem nachfolgenden mediävistischen Hauptwerk herausfällt und insofern isoliert dasteht, aber in einem Punkt schon einen durchgängigen Interessenschwerpunkt erkennen läßt. Das Werk beschäftigt sich, wie schon der Titel zutreffend angibt, mit der Politik der thüringischen Staaten in der Frage der Herbeiführung einer deutschen Zolleinheit, es behandelt die diesbezüglichen diplomatischen Verhandlungen, Schachzüge und Aktionen der Fürsten und leitenden Staatsbeamten, die in ihren Zielen und in ihren Methoden, ihrer Vorgehensweise scharf, aber trefflich charakterisiert werden161. Die Arbeit ist also keine Wirtschaftsgeschichte Thüringens in den zwei Jahrzehnten nach dem Wiener Kongreß, auch wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse und Interessen einzelner Regionen und Städte behandelt werden. Patze ist sich durchaus bewußt gewesen, daß die Entschlüsse der Regierungen von den Forderungen der Wirtschaft bestimmt waren, daß „die wirtschaftlichen Antriebe ... überall hinter der Turbulenz der diplomatischen Aktionen“ standen. Aber er 160 Diss. phil. Mschr. Jena 1945. – Zusammenfassung in: Vierteljahrshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1953, S. 28–58. 161 Vgl. seine briefliche Bemerkung: „Es lag mir daran, nicht, wie Thimme, einen Tatsachenextrakt zu geben, sondern vor allem die Menschen mit zu sehen. Auch ihre elende Kleinlichkeit, für die ich vielleicht manchmal ein hartes Wort riskiere, ist doch versöhnend; denn sie macht die Fülle des Lebens nur noch bunter.“ (Patze an Flach, 28.1.1947).

434 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

wies nachdrücklich darauf hin, daß sich nicht alles von der Wirtschaft herleitete, daß andere – fiskalische, politische, dynastische – Erwägungen mitspielten oder gar in den Vordergrund traten, „zuvörderst und zuletzt ... galt es, die heilige Souveränität ungeschmälert zu erhalten“ (S. 32f.). Auch wenn die Nachzeichnung der diplomatischen Wendungen ermüden mag, so tritt doch die Bedeutung der thüringischen Staaten mit ihrem Anteil an verkehrspolitisch wichtigen Straßen, die Bedeutung des wirtschaftlichen wenig aktiven Raumes mit wichtigen passivverbindenden Funktionen im Spiel der Kräfte hervor. Patze hegt keinerlei Sympathie für die Politik der Einzelstaaten, sie erwiesen sich mit ihrem partikularstaatlichen Egoismus außerstande, den in ihren Köpfen lebenden Gedanken einer mitteldeutschen Wirtschaftseinheit und seinem Kernstück, den freien Handel innerhalb Thüringens, zu verwirklichen, und schwankten in dem bevorzugten Anschluß an das eine oder andere, von Sachsen, von Bayern, von Hannover oder eben von Preußen dominierten Zollsystem. Preußen setzte sich gegen den Mitteldeutschen Handelsverein durch, weil es einzelne Staaten unter eigenen finanziellen Opfern durch verkehrs- und zollpolitische Zugeständnisse aus dem Handelsverein herauszubrechen vermochte und die anderen durch Zollverträge mit außerthüringischen Staaten unter enormen Druck setzte. Der preußischen Leistung zollt Patze unberührt von thüringischen Landespatriotismus uneingeschränkten Respekt. In einem esssayistisch getönten Kapitel des letzten Bandes der „Geschichte Thüringens“162 ist Patze der Frage nachgegangen: Was prägt „Thüringen“? Seine Darlegungen beinhalten im Kern eine Auseinandersetzung mit der kulturmorphologischen Betrachtungsweise, an Hand Thüringens bezweifelt er nachdrücklich ihre Überzeugungskraft in der Bestimmung von Kulturräumen. Alle Arten von künstlerischen Äußerungen sind nicht zur Abgrenzung eines geschichtlichen Raumes heranzuziehen, denn künstlerische Werke können unabhängig von geographischen oder „Stammes“-Gegebenheiten hervorgebracht werden, es gibt keine künstlerischen und wissenschaftlichen Werte und Einsichten, die selbständig für einen Raum Thüringen wirksam waren. Ebensowenig kann durch die Zusammenfassung ausgewählter volkskundlicher Erscheinungen ein stammesmäßig geprägtes Kulturgebiet abgegrenzt, geschweige denn ein thüringischer Volkscharakter beschrieben werden. Anstatt nach objektiven Kriterien eines Kulturraumes zu suchen und ein dem Menschen immanentes „Thüringisches“ aufzudecken, legt Patze den Akzent auf das subjektive Bewußtsein der ortsansässigen Bevölkerung und denkt über die ihr Heimatbewußtsein bestimmenden maßgeblichen Faktoren nach, also über die Anhaltspunkte „für die Bewah162 Land, Volk und Geschichte, in: Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. VI, S. 197–233, 265–269.



Das wissenschaftliche Werk 

 435

rung einer historisch-landschaftlichen Tradition, hier des historischen Begriffs ‚Thüringen‘“ (S. 227) bzw. über das, „was den Menschen Thüringens ein Selbstverständnis als Thüringer gibt“ (S. 229). Ihn beschäftigen damit die im Laufe der Zeit gleichbleibenden wie wechselnden Erfahrungs- und Erinnerungswerte, die einen naturlandschaftlichen und historischen Begriff „Thüringen“ ausmachen. Unter diesem leitenden Gesichtspunkt hebt er hervor die in sich geschlossene Beckenlandschaft, die in unmittelbarer Beobachtung die Vorstellung der Bevölkerung von der Naturlandschaft Thüringen geformt hat, die Sprache vor allem der bodenständigen Landbevölkerung, die mit einer Mehrzahl gesprochener und vom Gesprächspartner gehörter Eigenarten das Bewußtsein einer „Stammeseigenart“ mitbewirkt hat; unter den historischen Umständen berührt er den Stamm der Thüringer, der trotz seiner Unterwerfung 531 nicht aus der siedlungsgünstigen Beckenlandschaft von benachbarten Stämmen verdrängt worden ist; die Kirche mit ihrem geistlichen, verwaltungsorganisatorischen und kirchenrechtlichen Bezugspunkt Erfurt, deren Organisation, relativ gut mit der Naturlandschaft des Beckens übereinstimmend, den Traditionsraum Thüringen im Kontrast zu den angrenzenden Bistümern herausgehoben hat; die Wirtschaft, die jahrhundertelang von einem charakteristischen landwirtschaftlichen Rohprodukt, der Färbepflanze Waid, mit weitreichenden Folgen für den wirtschaftlichen, finanziellen, politischen und wissenschaftlichen Aufstieg der Stadt Erfurt und ihrer Ausstrahlung ins Land belebt worden ist. Obwohl die geographisch geschlossene Beckenlandschaft wegen zahlreicher miteinander konkurrierender Dynasten nie in die Hand einer einzigen Herrschaft geraten ist, haben im politischen Bereich wirkungsvolle Erscheinungen wie etwa die spätmittelalterlichen Landfriedensverträge die verschiedenen Kräfte des Landes wenigstens lose zusammengefaßt und damit den Begriff Thüringen erneut betont. Aus tradierten Erfahrungen ebenso wie aus der Aufnahme neuer Elemente, aus dem Gefühl von eigener Geschichte und eigenen Lebensumständen, die sich von den Eigentümlichkeiten und Traditionsbewußtsein anderer Landschaften abheben, speisen sich Vorstellung und Heimatgefühl von „Thüringen“ in den Augen des Landesbewohners, „die Konstanz einer entscheidenden Mehrzahl von Lebenserscheinungen prägt sein Bewußtsein vom Land“ (S. 229). In einer beispielhaften Konkretion formuliert Patze als Antwort auf seine Ausgangsfrage: Unter Auslassung aller anderen denkbaren Faktoren macht für einen in Erfurt sitzenden Bürger, dem überliefert ist, daß seine Vorfahren als Thüringer bezeichnet wurden, die Zuordnung von Waidfeldern zu der fünfschiffigen Marienkirche auf dem Erfurter Domhügel ‚Thüringen‘ aus (S. 210).

436 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Über die Zukunft des historischen Begriffs Thüringen wagt sich Patze Ende der 70er Jahre verständlicherweise nur sehr zurückhaltend zu äußern, er hält es durchaus für möglich, daß er durch neue Verwaltungs- und wirtschaftliche Organisationsformen als geschichtliche Größe ausgelöscht wird, zumal unter den Bedingungen einer fluktuierenden heimatlosen Industriebevölkerung, weist aber auch auf die für viele in der Gegenwart überraschende Beharrlichkeit historischer Kräfte hin.

3. Deutscher Orden Die Untersuchung über den Frieden von Christburg 1249163, den der päpstliche Legat Jakob von Lüttich zwischen dem Deutschen Orden und den aufständischen Prußen vermittelte, in Patzes Augen „eine singuläre Quelle der deutschen, wenn nicht der europäischen Rechtsgeschichte des Hochmittelalters“ (S. 484), behandelt, indem die detailliert analysierte Vertragsurkunde mit weiten Ausblicken in ihre politische Vor- und Nachgeschichte und in die päpstlichen und kaiserlichen Auffassungen von christlicher Mission in Ostmitteleuropa hineingestellt wird, zentrale politische und missionarische Probleme aus den ersten Jahrzehnten der Prußenbekehrung. Der Christburger Vertrag will mit seinen Regelungen die Frage beantworten, „in welche staatlichen Formen das Dasein der mit dem Schwerte unterworfenen Preußen künftig gefaßt werden sollte“ (S. 429), er sucht das den adligen Ordensangehörigen vertraute herrschaftliche Prinzip, wie es ihnen die Goldbulle von Rimini mit einer unabhängigen Herrschaft neben der Bekehrung der Heiden zugestanden hatte, mit den von der Kirche seit der Reform geforderten Grundsätzen persönlicher Freiheit zu verbinden. Denn während der deutsche Adel, der Träger des weltlichen Schwertes, in Versuchung stand, in der durch den Heidenkampf errichteten Herrschaft die unterworfenen Heiden als Personen minderen Rechtes zu betrachten und den an sich üblichen mittelalterlichen Rechtsabfall zu ihren Ungunsten zu verstärken, war die Kurie bestrebt, den Neubekehrten in Preußen und in Livland Freiheit im doppelten Sinne zu gewähren, die Freiheit der Kinder Gottes von der Sünde und die Freiheit einer Entbindung von herrschaftlicher Bedrückung, sollte der Getaufte doch rechtlich und wirtschaftlich eher besser dastehen denn der Heide. Der von einem ausgezeichneten Diplomaten der Kurie ausgehandelte Vertrag hätte die Lücke, die nach der Gold163 Der Frieden von Christburg vom Jahre 1249, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 7 (1958), S. 39–91, Wiederabdruck in: Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, hrsg. v. Helmut Beumann. Darmstadt 1963, S. 417–483, mit „Nachwort 1962“, in: ebd., S. 484f. (= Wege der Forschung, 7).



Das wissenschaftliche Werk 

 437

bulle von Rimini für den Landesherrn und der Kulmer Handfeste für die deutschen Neusiedler hinsichtlich des Rechtsstatus der getauften Preußen bestand, als „dritte große Verfassungsurkunde des Ordenslandes“ mit dem Grundsatz „Freiheit durch Taufe“ gefüllt (S. 448), wäre er nicht durch den erneuten Abfall der Prußen vom christlichen Glauben 1260 außer Kraft gesetzt worden. Daß die Kurie den Prußen die zuvor nur rechtlich unverbindlich propagierte Freiheit durch umfassenden zweiseitigen Vertrag schriftlich zusicherte, war nach Patze durch die Not der Stunde verursacht, durch die päpstliche Absicht, den Deutschen Orden zur Abwehr der Prußen und seine Nachbarländer bedrohenden Mongolengefahr einzusetzen164; insofern ist das Vertragssystem von 1248/49 für Patze „ein Modellfall für das Wirken der Kurie aus der Höhe ihrer Machtentfaltung in der Mitte des 13. Jahrhunderts“, „ein Ausschnitt aus dem Spiel von Politik und Recht, mit dem der große Kanonist Innocenz IV. das Abendland zu leiten suchte“ (S. 483). „Die deutsche bäuerliche Gemeinde im Ordensstaat Preußen“ ist von Patze auf der Grundlage umfangreicher Urkundenstudien untersucht worden, vornehmlich unter dem Gesichtspunkt, welche rechtlichen Beziehungen die Mitglieder des dörflichen Siedlerverbandes als Genossenschaft verknüpften. Hervorgehoben aus der Gemeinde ist der Schulze, der bei der Dorfgründung als Lokator und später als Richter des Landesherrn wirkt, der für die dem Orden zu erbringenden militärischen und Verwaltungsleistungen wirtschaftlich und rechtlich besser als seine bäuerlichen Genossen ausgestattet, also mit größeren Rechten und Pflichten versehen wird, zwischen Orden und Bauern steht, ohne Beamter des einen oder Vertreter der anderen zu sein. Die bäuerliche Gemeinde des deutschen Zinsdorfes bildet eine rechtlich verbundene Gemeinschaft, eine vertragsfähige Körperschaft, ihre genossenschaftliche Selbstbestimmung äußert sich in der Tätigkeit des Dorfgerichtes, in der Regelung der Allmende und der Flurverfassung, in der Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten. Im Zentrum von Patzes Aufmerksamkeit steht die Einfügung dieser sich selbst verwaltenden Bauerngemeinde in den Ordensstaat mit seinen herrschaftlich denkenden adligen Ordensbrüdern. Der Orden erfaßt durch die Handfesten, die den Landesherrn mit den Dorfgemeinden durch beide Teile verpflichtendes Recht verbinden, rechtlich den Schulzen und die Gesamtheit der Dorfgenossen, so daß Administrationseinheit das Dorf, nicht der einzelne Bauer ist, denn das Zusammenleben der Dorfgenossen als Dorfgemeinde ordnet der Orden aus Interesselosigkeit nicht. Den Mut und die Risikobereitschaft der einwandernden Siedler belohnt er mit der Gewährung eines größeren Maßes an Freiheit, verglichen mit den Verhältnissen des Altsiedel164 Mit dieser Deutung der Ursachen des Vertragsschlusses stieß Patze auf den Widerspruch Kurt Forstreuters. Vgl. Patzes Nachwort von 1962.

438 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

landes. Nach Patzes Auffassung entstand so ein Gemeinwesen mit einer Ausgeglichenheit von herrschaftlichem und genossenschaftlichem Prinzip. Seine gedankenreichen Interpretationen lassen in ihren Formulierungen deutlich erkennen, daß das behandelte Spezialthema Patze eigentlich durch die daran ablesbare, aus der Siedlungssituation bedingte planmäßige Staatsgründung fasziniert hat. Als eine wesentliche Errungenschaft ist es zu werten, wenn der Orden seinen Staat auf eine genormte Gemeindeverfassung aufbaute, in deren Institutionen sich Herrschaft und Genossenschaft die Waage hielten. England und Frankreich ... besitzen nichts, was den Handfestenbüchern des Deutschen Ordens vergleichbar ist. Jede dieser Handfesten wandelt eine Siedlereinheit rechtlich zu einer Gemeinde. Dieser Staat ist bewußt aus – für mittelalterliche Verhältnisse – weitgehend homogenen Bauerngemeinden aufgebaut worden, eine setzt sich an die andere wie Wabe an Wabe (S. 198).

Die Analyse der Verhältnisse im Ordensland Preußen gewinnt ihre Anziehungskraft dadurch, daß die dortige deutsche Bauerngemeinde auf die verfassungsrechtliche, durch Goldene Bulle von Rimini und Kulmer Handfeste gekennzeichnete Ausgangslage der Ordensherrschaft zurückgeführt wird, daß sie mit anderen gemeindlichen Sonderbildungen des Ordenslandes ebenso wie mit dem Verhältnis von dörflicher und städtisches Siedlung im Altsiedelland konfrontiert und verglichen wird, daß nach Vorbildern ihres freiheitlichen Siedlerrechts ebenso wie rechtsgenetisch nach andernorts zu anderen Zeiten unter Siedlungsbedingungen entstandenen ähnlichen Rechtsgrundsätzen gesucht wird165. Seine in zahlreichen Aufsätzen spürbare intensive Beschäftigung mit der preußischen Deutschordensgeschichte und eine wiederholt vorgetragene Vorlesung zu diesem Thema ließen Patze schließlich den Beitrag über den „Deutschordensstaat Preußen 1226–1466“ in Theodor Schieders Handbuch der europäischen Geschichte übernehmen, der trotz seiner Knappheit durch seine eingestreuten problemorientierten Interpretationen in der Ordensliteratur ein eigenes Gewicht behauptet. Mehrfach behandelt Patze das konfliktträchtige Verhältnis zwischen Ordensherrschaft und christlicher Mission, also der preußischen Herrschaftsgründung durch adlige Ritter einerseits, der gewaltlosen und der Schwertmissionierung andererseits. Heutigen Kritikern des Deutschen Ordens diesseits und jenseits der deutschen Grenzen schreibt Patze die Bemerkung ins Stammbuch:

165 Die deutsche bäuerliche Gemeinde im Ordensstaat Preußen, in: Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen, Bd. II. Konstanz, Stuttgart 1964, S. 149–200 (= Vorträge und Forschungen, 8). – Vgl. zu Patzes Aufsatz die ausführliche kritische Erörterung von Heinz Quirin in seiner Rezension des Reichenau-Tagungsbandes, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 101 (1965), S. 287–299, hier S. 296f.



Das wissenschaftliche Werk 

 439

Manche Untersuchung zielt noch immer darauf ab, ‚schuldhaftes‘ Verhalten allein auf Seiten des Ordens nachzuweisen, wobei vielfach übersehen wird, daß der Adel, auch der unter einer Ordensregel stehende, überall in Europa nach seinen, uns heute fremden Rechts- und Moralvorstellungen lebte.

Im Rahmen der Darstellung der inneren Verhältnisse des Ordenslandes wird der Besiedlung breiter Raum gewidmet, auch hier scheut Patze im Hinblick auf den Orden herabsetzende publizistische Äußerungen166 vor klaren Urteilen nicht zurück: Hier (sc. im Ordensland) hat er (sc. der siedelnde deutsche Bauer) unter der rationalen Leitung des Ordens mit Preußen, später auch Polen, Kuren und Litauern eine kulturelle Leistung vollbracht, die in der Dimension und Geschlossenheit das übertrifft, was in anderen Landschaften des Ostens und des übrigen Europa während des Mittelalters an Landesausbau zustande gebracht wurde (S. 481)167.

4. Hoch- und spätmittelalterliche Landesherrschaft Zu einer kleinen, für den akademischen Unterricht bestimmten Quellensammlung, die Urkunden und andere Dokumente zur Entstehung der Landesherrschaft unter verfassungsrechtlich-exemplarischen Gesichtspunkten aus möglichst vielen Territorien ausgewählt hatte, bemerkt Patze einleitend: „Die Entstehung jedes Landesstaates ist ein individueller Prozeß, gekennzeichnet durch Verzichte des Königtums und Initiativen der Landesherren.“ Zu den vielfältigen Initiativen des Adels gehörten etwa Rodung und Siedlung, die so geschaffenen Herrschaftskerne sind durch Kauf von Burgen, Land und Gerichten systematisch erweitert worden. Andere Stücke zeigen die landesherrliche Fürsorge, die durch die immer feinere Organisation der Verwaltung, des Gerichtswesens, der Finanzen, mit der Ausbildung eines Beamtenstandes, der Förderung des Handels, den Anfängen einer sozialen Fürsorge die Landesherrschaft zum Territorialstaat entwickelt hat.168 166 Vgl. Patzes im NL Schlesinger, Akte betr. Korrespondenz Schlesinger/Patze, dokumentierte briefliche Auseinandersetzung mit dem katholischen Publizisten Hans Kühner-Wolfskehl von 1967, die zu einem Streitgespräch der beiden im Hörfunkprogramm des Hessischen Rundfunks führte. – Zur damaligen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kühner-Wolfskehl unter Bezugnahme auf die Rundfunkdiskussion vgl.: Geschichte des Deutschen Ordens in neuer Sicht? Kritische Betrachtungen zu einer Rundfunksendung, in: Preußenland 6 (1968), Sonderheft, S. S 1 – S 19. 167 Der Deutschordensstaat Preußen 1226–1466, in: Theodor Schieder (Hrsg.): Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 2, hrsg. v. Ferdinand Seibt. Stuttgart 1987, S. 468–489. 168 Quellen zur Entstehung der Landesherrschaft. Eingeleitet und zusammengestellt v. H.P. Göttingen 1969, S. 7 (= Historische Texte/Mittelalter, 13).

440 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Die Darlegung, die hier zu den Grundsätzen der Quellenauswahl vorgetragen wird, kennzeichnet überhaupt Patzes Beschäftigung mit der hoch- und spätmittelalterlichen Landesherrschaft. Wenn er auch von bestimmten Territorien, vorrangig in Thüringen, (Ober-)Sachsen und Niedersachsen, ausgegangen ist, so hat er doch nach seiner großen Darstellung über die Ludowinger in Thüringen nicht schwerpunktmäßig die Entwicklung der Landesherrschaft in einem bestimmten Territorium oder historischen Raum untersucht, sondern er hat unter Einbeziehung einer Vielzahl von Beispielen aus dem gesamten Bereich des Deutschen Reiches nach den Elementen und Eigenheiten der territorialen Herrschaftsbildung gefragt, ihn bewegten vorrangig die im Laufe der Zeit wechselnden verfassungsrechtlichen Phänomene, in denen sich der adlige Herrschaftsaufbau dokumentierte. „Der Grad der ‚Verstaatung‘ der Herrschaft äußert sich offensichtlich zu verschiedenen Zeiten jeweils in anderen Phänomenen“169. Seine Spezialuntersuchungen konzentrieren sich auf „das Instrumentarium der Herrschafts­ übung“170, sie beschäftigen sich mit den ursprünglichen hochmittelalterlichen Mitteln der Territorialbildung und in größerem Maße noch mit den vielfältigeren spätmittelalterlichen Methoden, die die Herrschaftsordnung durch verschiedenartige Verwaltungsinstrumente ergänzten und verdichteten171. Patze legt so folgerichtig das Schwergewicht auf die Initiativen des Adels, er geht von dessen Handeln aus, entgegen dem vorherrschenden Ansatz der allgemeinen Mediävistik, der in der Vergangenheit (ebenso wie auch teilweise noch heute) vielfach durch die Perspektive des Königtums bestimmt war, vorrangig von seiner Auseinandersetzung mit den Landesherren, von den ihnen dabei gemachten Zugeständnissen und den dabei erlitten Machteinbußen handelte. Man macht sich keiner Übertreibung schuldig, wenn man urteilt, daß der Gestaltwandel von der hoch- zur spätmittelalterlichen Landesherrschaft das Thema Patzes gewesen ist. Sein beherrschendes Interesse galt nicht mehr wie das vieler seiner Vorgänger einzelnen die Landesherrschaft begründenden Rechtsinstituten, sondern der gesamten Vielfalt ihrer Regierungsweise. In dieser inhaltlichen Erweiterung einer alten Forschungstradition, in ihrer kontinuierlichen 169 Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (wie Anm. 129), I, S. 9–64, hier S. 15. 170 Die Bildung der landesherrlichen Residenzen im Reich während des 14. Jahrhunderts, in: Stadt und Stadtherr im 14. Jahrhundert. Entwicklungen und Funktionen, hrsg. v. Wilhelm Rausch. Linz/Donau 1972, S. 1–54, hier S. 6 (= Beiträge zur Geschichte der Städte Mitteleuropas, 2); wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 729–788. 171 Vgl. die Bemerkung zur Zeit Karls IV.: „Die Landesherren beanspruchten seit den Reichsgesetzen Kaiser Friedrichs II. jene nahezu autonomen Herrschaftsrechte, die sie inzwischen administrativ auszufüllen begonnen hatten“ (Blätter für deutsche Landesgeschichte 116, 1980, S. 63).



Das wissenschaftliche Werk 

 441

Weiterführung und Ergänzung, weniger in umwälzenden methodischen Neuerungen oder herausfordernden Neubewertungen liegt sein Verdient. Der Entstehung der Landesherrschaft in ihrer Frühphase, dem Investiturstreit, und ihren näheren Umständen ist Patze beispielhaft in einer eindringlichen Studie über Wiprecht von Groitzsch und seine Gründungen, die Stadt und das Kloster Pegau, nachgegangen172. Das Thema hat ihn, abgesehen vom Bezug auf seine Heimatstadt, dadurch gereizt, daß er neben den sachlichen Elementen einer Adelsherrschaft eine Persönlichkeit mit individuellen Zügen als unentbehrliche Triebkraft der Entwicklung in den Mittelpunkt zu rücken vermochte. Die Forschung hat Grafschaftsrechte, Burgen, Allode, Rodungen, Wildbänne, Vogteien und andere Verfassungselemente als Grundlagen der hochmittelalterlichen Herrschaftsbildung erkannt. Wir müssen an unserem Beispiel festhalten, das die Voraussetzungen für eine solche Herrschaft, in der die ‚klassischen‘ Elemente vertreten sind, politischer Unternehmungsgeist, Mut, Umsicht und Ausdauer sind, eben die eindeutig politisch-militärische Leistung (S. 28f.).

Die detaillierte Analyse des Wirkens Wiprechts und seiner Motive wird durch eine günstige, eng mit dem Thema verknüpfte Quellenlage ermöglicht: Die aus dem 12. Jahrhundert stammenden Pegauer Annalen verfolgen wie andere Werke aus der Historiographie der Reformklöster die Absicht, neben der durch die Aufnahme von Urkunden gestützten Darlegung der wichtigsten Rechtstitel des Klosters vornehmlich das Leben und die Taten ihres der Reform ergebenen Stifters für Kirche und Welt zu rühmen, so daß in einer solchen Klostergeschichte sich für den heutigen Mediävisten ein vortreffliches Bild hochmittelalterlicher Herrschaftsbildung abzeichnet. Wiprecht, der in seinen Anfängen in seinem Besitz Groitzsch auf den Widerstand lokaler Adliger gestoßen war, diente dann Kaiser Heinrich IV. in dessen Kämpfen mit dem Papst und feindlichen deutschen Fürsten, insbesondere als sein Vermittler zu Herzog und König Wratislaw von Böhmen, mit dem Ziel, sich als Entlohnung für seine Leistungen eine eigene Herrschaft aufzubauen. Er stiftete das Kloster Pegau, über dessen klösterliche Immunität er die Erbvogtei ausübte, zeichnete es am Tage seiner Weihe 1096 durch ein „Kronenopfer“ aus, indem seine Gemahlin Judith, die Tochter des Böhmenkönigs, Krone und königliche Gewänder, ähnlich wie es Könige taten, auf dem Altar niederlegte, und sorgte durch die Berufung des aus Corvey stammenden Abtes Windolf, in dem sich, charakteristisch für das späte 11. Jahrhundert, Frömmigkeit, Arbeit und Recht in wechselseitiger Verklammerung vereinten, für sein weiteres Gedei172 Die Pegauer Annalen, die Königserhebung Wratislaws von Böhmen und die Anfänge der Stadt Pegau, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12 (1963), S. 1–62; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 319–374.

442 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

hen. Das Kloster erinnerte später mit Grabmal und Fresken an seinen frommen Stifter, das Grabmal für seine Gemahlin ist eines der frühesten Stiftergrabmäler in Deutschland überhaupt. Die Siedlung Pegau wurde von ca. 1090 bis um 1200 in vier Etappen, ausgehend von der Ingangsetzung eines Marktverkehrs, zu einer Stadt mit einer Kaufmannsgemeinde entwickelt. Um 1200 mußte sich Abt Siegfried von Röcken unter Zuhilfenahme des Papstes und des kirchlichen Rechtes mannhaft der Wettiner erwehren, die auf dem Weg über die Vogtei die klösterliche Freiheit zugunsten ihrer landesherrlichen Gewalt einzuschränken suchten. Die Mittel zum Aufbau und Ausbau des Territoriums haben sich im Übergang vom hohen zum späten Mittelalter erheblich verändert, wie Patze immer wieder nachdrücklich betont, eindrucksvoll an Hand eines einzigen Territoriums in seinem 1971 veröffentlichten, fast 100seitigen Aufsatz über „Die welfischen Territorien im 14. Jahrhundert“173, seinem unübersehbaren Einstieg in die mittelalterliche Landesgeschichte Niedersachsens. Er rückt darin die verfassungspolitische Stellung der welfischen Herzogtümer von Braunschweig-Lüneburg innerhalb des Reiches und die verfassungspolitischen Beziehungen der Herzöge zu den beiden wichtigsten Ständen ihrer Herrschaften, dem Adel sowie den großen Handelsstädten und ihrem Bürgertum, in den Mittelpunkt. Patze greift zunächst auf die spätmittelalterliche Ausgangslage der welfischen Familie zurück, den Sturz Heinrichs des Löwen und die politische Behauptung seiner Nachkommen dank ihrer hochrangigen Heiraten, ihrer reichen Allode, ihres hohen politischen Ansehens, ihrer Beibehaltung des Herzogstitels; all das machte es schließlich notwendig, ihren Länderkomplex 1235 als ein Fürstentum in die Lehnspyramide des Reiches einzufügen. Eine aktive Territorialpolitik vermehrte das welfische Herrschaftsgebiet beachtlich, die Ersetzung des welfischen Löwen durch das Sachsenroß in Siegel und Wappen seit den 1360er Jahren, ein Protest gegen die Goldene Bulle, betonte die besondere Stellung im Raum des alten Herzogtums Sachsen, vermochte jedoch die Abspaltung des sich immer stärker als Besonderheit verstehenden Westfalen nicht zu verhindern. Patze betrachtet die zentralen Elemente der Verfassungswirklichkeit: die fürstlichen Residenzen in den vom Bürgertum geprägten Kaufmannsstädten, die wegen der Konflikte zwischen adliger Landesherrschaft und bürgerlicher Welt mit dem Rückzug auf zumeist unbedeutende Residenzburgen aufgegeben werden mußten; die Kanzlei und ihre neuen schriftlichen Verwaltungsbehelfe wie Lehnskopiare und lokale Rechnungen; die Pfandgeschäfte, die dem Landesherren rasch größere Beträge verschafften und ihn zugleich um die gleichmäßig fließenden Geldquellen brachten; die Burgen, die auf der unteren Ebene als Kristallisationspunkte der Vogteien dienten und die als Mittelpunkt einer Großvogtei dem Hof hinreichende Einkünfte zu sichern hatten; 173 In: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (wie Anm. 129), II, S. 7–99.



Das wissenschaftliche Werk 

 443

den Adel, aus dessen Reihen einzelne Mitglieder als Inhaber der Hofämter und als herzogliche Räte den größten und dauerhaftesten Einfluß ausübten, und die Städte, die mit den Mitteln ihrer Geldwirtschaft ihre Selbstverwaltung ausdehnten. Als Kaiser Karl IV. eine rechtlich umstrittene Erbfolgeregelung innerhalb des Welfenhauses zu einer Machtverschiebung im Niederelbegebiet zugunsten der ihm eng verbundenen Herzöge von Sachsen-Wittenberg zu nutzen trachtete, vermochten die Welfen ihr Territorium vor allem dank der Finanzkraft der großen Städte im Lüneburger Erbfolgekrieg (1370–1388) zu behaupten. Dafür präsentierte ihnen das maßgebliche Lüneburg die Rechnung in Gestalt der sog. Lüneburger Sate von 1392, „das komplizierteste System sich gegenseitig stützender Rechtssicherheit, das in diesem Jahrhundert in einem Wurf geschaffen worden ist“ (S. 83), um eine beständige Friedensordnung zu schaffen und um die Rechtssuche durch Fehde durch ein schriftliches Sühneverfahren zu ersetzen. Das sich stützende Gefüge der vier Urkunden spiegelt die idealen Ziele des Bürgertums am Ende des 14. Jahrhunderts, seine Vorstellungen von einer Herrschaft der Ordnung und Rechtssicherheit wider und setzt sie gegen die adlige Fehde- und Rechtsauffassung ab. In diesem Urkunden stellt sich die Fähigkeit des hansischen Bürgertums, seine Vorstellung von einem befriedeten Staat – und nicht nur einer Stadt – in ein rechtliches System zu bringen, am deutlichsten dar (S. 89).

In allgemeiner Form, unter Heranziehung von Beispielen aus vielen Territorien des Reiches, analysiert Patze „Die Herrschaftspraxis der deutschen Landesherren während des späten Mittelalters“, indem er wesentliche Verwaltungsinstrumente auf der zentralen und lokalen Ebene, die mit verschiedenartigsten neugeschaffenen schriftlichen Aufzeichnungen operierende Arbeitsmethode der Verwaltungsbeamten und ihre darin aufscheinende psychologische Wahrnehmung ihrer Umwelt schildert. Die landesherrlichen Kanzleien mit ihrem aus Stiftskirchen rekrutierten Personal hielten in urbarialen Aufzeichnungen und Lehnsbüchern die Ansprüche auf Güter und Rechte zu deren wirksamer Kontrolle schriftlich fest. Die Verfügungsgewalt über Burgen sicherte die Beherrschung des Territoriums, zwischen ihnen reiste der Landesherr mit kleinem Gefolge zwar noch immer hin und her, aber er konzentrierte sich mit seinem Hof, dessen Leben durch fiskalisch bedingte Hofordnungen geregelt wurde, und mit den entsprechenden Behörden auf allenfalls zwei oder drei besonders ausgestattete Burgen oder auf Städte mit ihren reichen Warenangeboten und Geldschöpfungsmöglichkeiten. Ein zur Belehrung des jungen Landesherren gedachter Fürstenspiegel wie die „Chronik der Grafen von der Mark“ des Levold von Northof knüpfte an den Tugendkatalog des christlichen Herrschers an und konkretisierte ihn mit Ausführungen zu seinen Dienern, Ämtern, Burgen, Geldmitteln und der Teilbarkeit des Landes an den Gegebenheiten des Territorialstaates. Der Einsatz von Boten

444 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

und Gesandten sowie ihre schriftliche Berichterstattung, die Dienstreisen der Herrscher und ihrer Beamten dienten der Informationsbeschaffung zur Vorbereitung politischer Entscheidungen. Landfriedensbündnisse und Gesetzgebung suchten die rechtliche Geschlossenheit des Territoriums zu befördern. Aus der losen Reihung zahlreicher Aspekte der Verwaltungspraxis schlußfolgert Patze: Im Gehalt und in der inneren Entwicklung neuer Schriftguttypen sind zahlreiche Ansätze für eine in die Zukunft weisende Umgestaltung des Staates vorhanden, aber ein geschlossenes Verwaltungssystem, das insbesondere die Beziehungen zwischen einer Regierung und den Unterbehörden kontinuierlich gestaltet, ist noch nicht ausgebildet174.

Besondere Bedeutung mißt Patze der Ausbreitung der Schriftlichkeit in den deutschen Landesstaaten auf neue, bislang von mündlicher Kommunikation geprägte Bereiche menschlicher Beziehungen bei, ihn beschäftigt dabei, welche Elemente der Herrschaftstätigkeit im Vordergrund standen; es soll gezeigt werden, welcher Mittel man sich bedient, um die Probleme zu meistern, welche die Herrschaftsübung in einer sozial veränderten Welt stellt.175

Die im 13. und vor allem im 14. Jahrhundert aufkommenden neuen Formen der Mitteilung rechtlicher und administrativer Sachverhalte, die terminologisch nicht mehr mit den Kategorien der hochmittelalterlichen Diplomatik wie Urkunde, Brief, Gesetz, sondern unter dem umfassenderen Begriff des Geschäftsschriftgutes erfaßt werden, werfen die Frage nach ihrer Aussagekraft für die Verfassung des Landesherrschaften auf, insbesondere die Frage, ob Veränderungen im Verfassungsgefüge die Entstehung neuer Quellentypen verursachen. Eine statistische Auswertung von Geschäftsschriftgut verschiedener Territorien des 14. Jahrhunderts läßt als deren prägende Elemente Geld, Lehen, Burgen und allerlei kurzfristige Verträge, die das Gebiet mit allen zur Verfügung sehenden Rechtsmitteln zu sichern suchen, hervortreten. Dabei klaffte ein auffallender Widerspruch zwischen der hochentwickelten Vertragstechnik, ihrem System verwickelter Rechtsverbindlichkeiten und der mangelnden Übersicht über die

174 Die Herrschaftspraxis der deutschen Landesherren während des späten Mittelalters, in: Histoire comparée de l’administration (IVe–XVIIIe siècles). Actes du XIVe colloque historique franco-allemand Tours, 27 mars – 1er avril 1977, … publiés par Werner Paravicini et Karl Ferdinand Werner. Zürich, München 1980, S. 363–391 (= Beihefte der Francia, 9), hier S. 391; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 81–108. 175 Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 14. Jahrhundert, in: Der deutsche Territorialstaat im 14. Jahrhundert (wie Anm. 129), I, S. 9–64, hier S. 12.



Das wissenschaftliche Werk 

 445

vertraglich festgelegten finanziellen und rechtlichen Verbindlichkeiten, dem Versagen bei einfachen Verwaltungsleistungen. Der für das 14. Jahrhundert charakteristische Verwaltungsbehelf war das Amtsbuch in seinen vielfältigen, wenn auch noch nicht durch eine übersichtliche Systematik gebändigten Spielarten – Urbar, Lehnsaufzeichnung, Urkundenregister, Kopiar, Rechnung, Gerichtsprotokoll –, einerseits bestens dafür geeignet, eingegangene Rechtsverbindlichkeiten oder geschehene Geschäfte nachzuschlagen, andererseits ohne die Möglichkeit, eine Eintragung in einem erneuten Geschäftsgang wieder aufzugreifen, und damit Zeugnis dafür, daß Herrschaft und Verwaltung nur begrenzt dynamisch und rationell verstanden und geplant wurden. Die Aktenbildung steckte noch in den Anfängen, die Kanzleien bildeten noch kaum Geschäftsvorgänge aus Ein-, Innenund Auslauf zu einer Akte aus, mühsam suchte man nach Ansätzen zu Sachakten, um sich durch verwickelte Vorgänge der großen Politik hindurchzufinden. Urbare lassen mit ihren vollständigen, zunehmend stärker differenzentierten Besitz- und Einkünfteverzeichnissen die Herrschaft als beherrschte, begrenzte Fläche erkennen, ein herausragendes Schriftstück wie das Landbuch der Mark Brandenburg Kaiser Karls IV. mit seinem Soll-Haushalt erfaßt das Dorf in seinem Einkommenswert, ja sogar gegebenfalls einzelne Dorfbewohner, nirgendwo anders war bis dahin der Staat so weit in die untere Sphäre realisiert worden wie hier. Die erst seit dem 14. Jahrhundert umfänglich und systematisch geführten Lehensbücher waren vielfach der erste Versuch, Rechtsansprüche und Rechtsverpflichtungen zentral zu erfassen, Herrschaftsbereiche schriftlich zu fixieren und zugleich topographisch zu festigen. Urkundenregister belegen mit ihrer Unterscheidung einer Vielzahl von Schrifttumsgruppen die zunehmende Differenzierung der rechtlichen Gestalt der Herrschaft, sie sind beispielsweise darauf zurückzuführen, daß man durch ein Register der Pfandschaften versucht, der rechtlichen Verwirrung, die sich aus der Finanztechnik des Pfandwesens ergab, Herr zu werden. Mit dem Codex Balduineus und seiner lückenlosen Sammlung von Rechtstiteln wollte sich Erzbischof Balduin von Trier in die Lage versetzen, durch die Verlesung von Urkunden aus seinem Reiseexemplar dem gewalttätigen Streit um das Recht den Boden zu entziehen, „hier sollte dem fehdebereiten Adligen das Schwert mit dem Buchstaben des ‚Rechtsstaates‘ entwunden werden“ (S. 47). Die Ablösung des teueren Pergamentes durch Papier, die Einführung der kursiven Geschäftsschrift, der Gebrauch der Volkssprache haben, indem sie die für Geschäfte des Alltags erforderliche Schnelligkeit unter Ausschaltung aufwendiger Umsetzungsprozesse gewährleisteten, den Weg zur Verwaltung gebahnt. Die Untersuchung über Grundherrschaft und Fehde176 behandelt die Folgen von Fehdehandlungen auf die wirtschaftliche Situation kirchlicher und welt176 Grundherrschaft und Fehde, in: Die Grundherrschaft (wie Anm. 131), I, S. 263–292.

446 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

licher Grundherrschaften, sollten doch die im Fehderecht wurzelnden Gewalttätigkeiten den Gegner wirtschaftlich schwächen, und hebt die seit dem späteren 13. Jahrhundert zunehmenden Schadensverzeichnisse und Schadensrechnungen hervor. Im Rahmen von Schiedsgerichtsverfahren als Beweisstück der geschädigten Partei entstanden, belegen sie die verbesserte Verwaltungstätigkeit geistlicher und weltlicher Institutionen, die materielle Verluste, auch die geringsten Schäden, die ein klösterlicher oder adeliger Hintersasse erleidet, genau erfaßt, da die Geldwirtschaft alles wirtschaftliche Denken durchdrungen hat. So zeigen die landesherrlichen Schadensrechnungen die Verfeinerung des Territorialstaates an, „in ihnen spiegelt sich das Interesse der Landesherren in erster Linie am wirtschaftlichen Potential der Hintersassen, aber auch an ihrer menschlichen Existenz“ (S. 286). Die Verschriftlichung bewegt Patze auch im Bereich der Stadtwerdung, für die Gründung und frühe Entwicklung der Städte geht er der Frage nach, wann und aus welchen Gründen der Übergang vom mündlichen Gebrauch des Rechtes zur schriftlichen Fixierung erfolgte177. Die ältesten Stadtrechte des 12./13. Jahrhunderts verknüpften in der Narratio den genauen Bericht über die topographische Festlegung und bauliche Konstituierung der Stadt mit der schriftlichen Fixierung des damit geschaffenen Rechtszustandes. Damit die künftige Stadtgemeinde und ihre Bügerschaft nicht Gefahr liefen, daß ihre Bodenrechte angefochten wurden, waren sie vor allem bestrebt, ihre Grundbesitztitel urkundlich zu sichern, ihren Lebensraum an alt oder neu und dicht besiedelten Plätzen in ein weitgehend oder vollständig durch Rechtstitel aufgeteiltes Land unanfechtbar einzupassen. Die urkundlich genau festgehaltene Ausstattung mit Land und damit die bodenrechtliche Absicherung der Bürger charakterisiert die Stadtgründungsurkunden des Ostens, die vom Stadtherrn gewährte urkundliche Garantie des Besitzrechtes der Stadtgemeinde am Grund und Boden war Voraussetzung für deren Existenzfähigkeit; das Stadtrecht wird hier „als ein dingliches Recht verliehen, das an dem zur Constructio der Stadt gehörigen Boden haftet“ (S. 196). Da eine Marktgemeinde zur Zeit der Stadtanlegung nicht übersehen konnte, welche Rechtssätze sie zur Regelung all ihrer Beziehungen bedurfte, verlieh ihr der Stadtherr das Recht einer renommierten älteren Stadt; die zeitliche Nähe von Stadtgründung und Mitteilung des vollständigen Rechts der Mutterstadt ist im Neusiedelland häufiger zu beobachten als im Altsiedelland. Der im Gründungsprivileg gegebene Hinweis auf das Recht einer Mutterstadt war freilich nur ein unzureichender Behelf für die Lösung interner Rechtsprobleme, die Lücken füllte die schriftlich aufgezeichnete statuarische Willkür. Die Wahrnehmung der städtischen Freiheiten erforderte 177 Stadtgründung und Stadtrecht, in: Recht und Schrift im Mittelalter, hrsg. v. Peter Classen. Sigmaringen 1977, S. 163–196 (= Vorträge und Forschungen, 23).



Das wissenschaftliche Werk 

 447

dann eine schriftliche Verwaltung, die in den verschiedenen städtischen Amtsbüchern dokumentiert ist. Daß eine Herrschaft in nachstaufischer Zeit nicht mehr durch Landesausbau aus dem Nichts geschaffen, sondern nur noch durch Krieg und Fehde und vornehmlich durch den Einsatz von Geld verändert werden konnte, belegt Patze nachdrücklich am Beispiel Erzbischofs Gerhards II. von Mainz und seines Verhältnisses zu König Adolf von Nassau178. Er schlägt dabei einen weitgespannten Bogen von den Kreditaufnahmen des Erzbischofs bei großen italienischen Bankhäusern bis hin zu verfassungsrechtlichen Zugeständnissen an seine Städte, kommt es ihm doch darauf an, „den Austausch der großen politischen Ereignisse mit der kleinen Welt einer Stadt, ihrer Verfassung, auch dem menschlichen Gebaren ihrer Bürger aufzuzeigen“ (S. 139f.). Gerhard war gezwungen, seine Promotion und Konsekration mit Anleihen bei großen Bankhäusern in Florenz, Siena, Lucca zu finanzieren; mit ihren Rückforderungen im Nacken, also zur Abtragung seiner Schulden bei der römischen Kurie, erkaufte er sich finanzielle Unterstützung von Erfurt und Heiligenstadt durch erhebliche Zugeständnisse an die städtische Freiheit. Sein territorialpolitisches Ringen mit Adolf von Nassau verlangte, um kleine Herrschaften aufkaufen oder kleine Burgmannen in seinen Dienst nehmen zu können, die Beschaffung immer neuer Gelder, die nur zum Teil und nur in einem System beständiger Aushilfen aus dem eigenen Territorium erwirtschaftet werden konnten und die daher auch durch Wechsel italienischer Banken gedeckt werden mußten, und drohte ihn durch Überschätzung seiner finanziellen Möglichkeiten in ein unkontrollierbares finanzielles Defizit hineinzutreiben. Das Geld scheint eine in diesem Umfange bis dahin unbekannte Macht darzustellen, und die Menschen ... vermochten trotz der relativ hoch entwickelten Banktechnik der Italiener offenbar noch nicht, das neue Mittel der Politik zu meistern (S. 139f.).

Am Beispiel zahlreicher kleiner Landesherrschaften vornehmlich des 14. Jahrhunderts verdeutlicht Patze, wie manche adlige Landesherren mit ihren von Fehde, Erbschaften und Landesteilungen geprägten Rechtsgewohnheiten und Herrschaftsauffassungen sich nicht auf die Erfordernisse der Geldwirtschaft umzustellen vermochten, das Gleichgewicht zwischen verfügbarem Kapital und Lebensanspruch durch überhöhte Verschuldung störten und schließlich ihre herrschaftliche Existenz aufgaben, indem sie sich statt der anstrengenden

178 Erzbischof Gerhard II. von Mainz und König Adolf von Nassau. Territorialpolitik und Finanzen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1963), S. 83–140; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 473–527.

448 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Regierung durch Abmachungen mit ihren übermächtigen Nachbarn ein bequemes Rentnerdasein mit ausreichender Versorgung, gepaart mit den Vorzügen städtisch-bürgerlichen Lebens, sicherten, statt wie im 11. und 12. Jahrhundert das ewige Heil durch Eintritt in ein Reformkloster zu suchen.179 Die von Patze konzipierte Tagung des Konstanzer Arbeitskreises über die Burgen im deutschen Sprachraum legt den Schwerpunkt auf die Burgen als Herrschaftsinstrument des Königs und des Adels im hohen und späten Mittelalter und hebt sich damit von archäologisch und kunsthistorisch bestimmten burgenkundlichen Forschungsansätzen ab.180 Während die fränkischen Burgen vornehmlich in Grenzgebieten oder in gefährdeten Landschaften des Reiches errichtet wurden und Schutzfunktionen dienten, tritt im 11. Jahrhundert in der Entwicklung des Burgenbaues und der Burgenverfassung eine tiefe Zäsur ein: Die vom Adel erbauten Höhenburgen wurden zum ideellen, rechtlichen, namengebenden Mittelpunkt der Sippe, von diesem schwer einnehmbaren Punkt aus übte er Herrschaft über die Leute im Tal aus, sicherte er seine Rechte. Die Landesherren grenzten ihr Territorium, ihre Flächenherrschaft, durch Burgen nach außen ab und waren zugleich bestrebt, ihr alleiniges Befestigungsrecht gegenüber dem Adel durchzusetzen, zwangen ihn unter Umständen dazu, unrechtmäßig erbaute Burgen abzubrechen oder vertraglich, etwa durch Einräumung des Öffnungsrechtes, ihrer Landeshoheit einzuordnen. Anstelle der früher üblichen Klöster und Gerichtsstätten wurden Burgen für die Ausstellung von Urkunden bevorzugt, überhaupt war sie der Ort adligen Lebens und adliger Kultur. Durch ihre besonderen Aufgaben wirkte die Burg für Laien und Kirche gleichermaßen, etwa im Bereich des Landfriedens und des Kirchenrechtes, rechtsbildend. Grundsätzlich betont Patze, „daß Wehranlagen nur in einer herrschaftlichen Ordnung eine Funktion haben, daß sie nur in einem Rechtsgefüge möglich sind und sich nur in Rechtsbindungen erhalten können“ (Bd. II, S. 423). Die rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Burgen hat Patze am Beispiel Niedersachsens, vornehmlich der welfischen Territorien und der Bistümer des 13.–15. Jahrhunderts, an Hand der Rechtsbücher und vor allem 179 Landesherrliche „Pensionäre“, in: Historische Forschungen für Walter Schlesinger, hrsg. v. Helmut Beumann. Köln, Wien 1974, S. 272–309; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 285–318. 180 Die Burgen im deutschen Sprachraum (wie Anm. 130), darin die Zusammenfassung von H.P.: Burgen in Verfassung und Recht des deutschen Sprachraumes, Bd. II, S. 421–441; vgl. auch: Burgen in Verfassung und Recht im deutschen Sprachraum während des hohen und späten Mittelalters. Drei Tagungen der Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland 1974, hrsg. v. der Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart 1974, S. 104–107.



Das wissenschaftliche Werk 

 449

unter Auswertung der urkundlichen Überlieferung eindringlich untersucht.181 Er hat sich von der Beobachtung leiten lassen, daß die Zweckbestimmung und die architektonische Eigenart des Befestigungsbauwerkes Burg in ungewöhnlichem Maße die Rechtsbildung angeregt haben, auch wenn ein Burgrecht als geschlossenes Standesrecht des Adels nie kodifiziert worden ist, und hat sich konzentriert auf die verschiedenartigen rechtlichen Wirkungen, die von der Burg unmittelbar ausgegangen sind, also im einzelnen auf Befestigungsrecht, Burgmannenrecht, Burgbauverträge, Verpfändungsrecht, Öffnungsrecht, Dienstverträge, Burglehen-, Burg- und Amtsverleihungen, Burgfrieden und die Stellung der Burgen im Kirchenrecht. Sein besonderes Augenmerk gilt den rechtlichen Bereichen, in denen sich Sachenrecht, Verfassungsrecht und Territorialpolitik begegnen, so daß die Verwendbarkeit der Burgen für die äußere und innere Gestaltung des Territoriums im Mittelpunkt der Analysen steht. Die Welfen suchten etwa mit dem Anspruch auf ihr Befestigungsregal den Bau neuer, ja die kleinste bauliche Veränderung vorhandener Adelsburgen genau zu überwachen, sicherten ihre Landesherrschaft an ihren Rändern durch eine Kette von eigenen Burgen oder ggf. den Abbruch feindlicher Burgen und gaben ihr damit eine geschlossenere, rechtlich verdichtete Gestalt. Ebenso benutzten sie die Burgen als größtes Vermögensobjekt, über das sie verfügen konnten, und machten von ihrer Verpfändung zum Zwecke der Kapitalbeschaffung in umfangreichem Maße Gebrauch. Bischöfe und Domkapitel achteten mit größter rechtlicher Sorgfalt in komplizierten Verträgen darauf, daß ihnen ihre Burgen und deren einzelne Gebäudeteile nicht vom Laien­ adel, den sie für deren Bewahrung brauchten, entfremdet wurden. Die Beschäftigung mit den Burgen eines Territoriums lenkte Patzes Aufmerksamkeit auf die besonders hervorgehobenen, auf die Residenzen. Deren Herausbildung verdeutlicht er durch die Aneinanderreihung einer Vielzahl von Momenten, wobei für ihn im Mittelpunkt das durchaus nicht spannungsfreie Verhältnis zwischen dem Territorialfürsten und dem städtischen Bürgertum steht182. Die adligen Landesherren reisten im 11. und 12. Jahrhundert wie der König durch 181 Rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung der Burgen in Niedersachsen, in: Die Burgen im deutschen Sprachraum (wie Anm. 130), Bd. I, S. 515–564. 182 Die Bildung der landesherrlichen Residenzen (wie Anm. 170). – Vgl. ergänzend: Die landesherrlichen Residenzen (wie Anm. 140). – Die Zusammenfassung der Reichenau-Tagung über die fürstlichen Residenzen im spätmittelalterlichen Europa läßt die konkreten Schwerpunkte des Patzeschen Forschungsprogramms erkennen, wenn man nach den essentiellen Merkmalen von Residenzen mit Aufgaben der Herrschaftsübung fragt: die Bindung der Residenz an die Stadt, der Einsatz des Stadtbürgertums, die Häufung von Kirchen in der Stadt, die architektonische Ausgestaltung des Schlosses und der Stadt, die verwaltungsorganisatorische Leistungsfähigkeit von Hof und Behörden (H. P. u. Werner Paravicini, Zusammenfassung, in: Fürstliche Residenzen [wie Anm. 133], S. 463–488).

450 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

ihr Land, um durch ihr persönliches Erscheinen ihre Herrschaft zur Geltung zu bringen, sie bevorzugten für ihre Aufenthalte neben ihren Eigenklöstern die Höhenburgen, deren beherrschendes Bauelement der der Verteidigung ebenso wie Wohnzwecken dienende Turm war. Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts hoben sich aus den zahlreichen einfachen Turmburgen einzelne Burgen von sorgfältiger architektonischer Gestaltung heraus, die vom Landesherren, seiner Familie und seinem Gefolge zunehmend bevorzugt wurden; am Ende des Mittelalters war die Burg, die nach fortifikatorischer Zweckmäßigkeit angelegt war, durch den Schloßbau, der ausschließlich dem Wohnkomfort und der Repräsentation diente, abgelöst. Das Braunschweig Heinrichs des Löwen zeichnete sich durch charakterische Elemente einer sich lokal allmählich verfestigenden Herrschaft aus, durch die Wohnpfalz mit Pfalzkapelle sowie das Stift St. Blasius mit dem Ausmaß einer Domkirche, der Pflanzstätte der Hofgeistlichkeit und der Kanzlei, schließlich den bronzenen Löwen als landesherrliches Symbol: Die Häufung von qualitätsvollen architektonischen und anderen künstlerischen, ortsgebundenen Denkmälern fixierte die Hauptstadt an diesen Platz und machte mit der Siedlung der Bürger die Hauptstadt, noch nicht ein Apparat von Behörden (S. 9).

Frühe Beispiele wie die Wartburg, die Burg Weißensee und die Neuenburg bei Freyburg aus der Landgrafschaft Thüringen zeigen bereits den engen Bezug der landesherrlichen Burgen zur Stadt und zu den Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Bürgergemeinde. Die Städte übten seit dem 13. Jahrhundert durch ihre Wirtschaft, ihre bürgerliche Kultur mit ihrem Angebot an Luxusgütern ihre Anziehungskraft auf die Fürsten aus, aber zugleich führten die zuweilen nicht zu überwindenden Spannungen zwischen adlig-fürstlichen Herrschaftsbestrebungen und bürgerlichem Verlangen nach Freiheit und Selbstverwaltung dazu, daß die Landesherren sich aus den wirtschaftskräftigsten Städten zurückzogen und sich eine andere Burganlage zur neuen Residenz wählten, bezeichnenderweise aber im Einzugsbereich der alten. In zahlreichen Bischofsstädten drängte die Bürgerschaft den Bischof als geistlichen Territorialherrn vom Platz der Kathedralkirche ab, so daß neben den Platz der kirchlichen Tradition ein Ort mit den für die weltliche Herrschaftsausübung notwendigen Behörden trat, eine neue bischöfliche Residenz in möglichster Nähe der alten Bischofsstadt angelegt wurde. Die Landesherrn privilegierten die Bürger ihrer Residenzstädte in außerordentlichem Maße, beanspruchten aber gleichzeitig ebenfalls in höherem Maße als bei andern Orten deren Kapital in Form von Anleihen und Steuern, so daß sie vielfach bei ihnen hoch verschuldet waren, und sie zogen, wegen ihrer unzureichenden eigenen Erfahrung im Umgang mit Geld, die kapitalkräftigen Bürger als Rent- oder Kammermeister in ihre eigene Verwaltung hinein. „Daß der Hofstaat mit Besitz in der



Das wissenschaftliche Werk 

 451

unter der Hauptburg liegenden Stadt verankert wird, trägt dazu bei, daß aus der Verbindung von Wohnschloß und Stadt sich die Residenz entwickelt“ (S. 22). Prag und Wien zeigen im 14. Jahrhundert in besonders prägnanter Weise typische spätmittelalterliche Residenzelemente. Karl IV. hat, wohl beeindruckt von seinen jugendlichen Erfahrungen in Paris und Avignon, den Orten, die „sowohl topographisch-architektonisch als auch administrativ den Typ der Hauptstadt am ausgeprägtesten verkörperte(n)“ (S. 27), Prag vom traditionellen Vorort Böhmens durch absichtsvoll miteinander verknüpfte bauliche, topographische und institutionelle Umwandlungen zum sittlichen Vorbild für alle böhmischen Städte, wie er einmal bemerkte, fortentwickelt, indem er das Bistum zum Erzbistum erheben ließ, den Grundstein zum neuen Veitsdom legte, die Königsburg auf dem Hradschin ausbaute, die Universität gründete, die Neustadt anlegte und in Kontaktnähe zur Hauptstadt mit der Burg Karlstein einen Ort der Meditation wie der Staatsheiligkeit schuf. Auch Rudolf IV. srebte für seine Residenz Wien den Bischofssitz an, wenn er sich auch schließlich mit einer Kollegiatkirche begnügen mußte. Aus dem Stephansdom, als dessen „Gründer“ er sich verehren ließ, wollte er eine dem Rang der Dynastie angemessene Grabkirche, eine sichtbare Stätte des Ahnenkultes machen, und die umsichtig geplante Errichtung der Bildungsstätte Universität sollte Wien in eine Reihe neben Rom und Paris stellen. Als zentralen Gesichtspunkt der Residenzbildung, also des Problems, „wie eine Reiseherrschaft zur Ruhe kommt und eine feste Residenz einrichten wird“, sieht Patze an, daß zwar die Fürsten mit Dienstreisen oder Aufenthalten auf landschaftlich bevorzugten Burgen oder Jagdschlössern ihre Reisetätigkeit nicht gänzlich einstellten, daß aber ihre entstehenden Verwaltungsorgane mit ihren schriftlichen Behelfen ihnen nicht mehr folgten, sondern ortsfest blieben, denn „der Landesherr herrschte am Ende des Spätmittelalters nicht mehr durch seine Person, sondern er regierte und verwaltete durch seine Behörden“183. Die Wahl eines Platzes zum dauerhaften Aufenthalt des Herrschers hat, wie Patze andernorts an Hand des Prager Beispiels konkret belegt, Konsequenzen für dessen topographische Entwicklung, architektonisches Erscheinungsbild und soziales Gefüge. Auf der Grundlage der von Tomek aufbereiteten Prager Stadtbücher untersucht er den Grundbesitz der Hofgesellschaft Karls IV. und Wenzels in den vier Prager Stadtgemeinden und stellt heraus, daß deren Angehörige nicht mehr im System der königlichen Grundherrschaft lebten, sondern daß adlige und bürgerliche Hofdiener, gefördert durch die steigenden materiellen Bedürfnisse des Hofes und die zunehmende Zahl der Dienstleistungen, geballt und gehäuft in der Prager Altstadt, der reichsten der Prager Städte, und in der vom Domkapitel bzw. Domherren geprägten Gemeinde Hradschin über Grundbesitz verfügten, 183 Die landesherrlichen Residenzen (wie Anm. 140), S. 209–211, Zitat S. 211.

452 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

ohne daß allerdings die Verbindung von Hofgesellschaft und Bürgertum im 14. Jahrhundert politische Auswirkungen gehabt hätte. Einzelnen seiner Politik und Verwaltung besonders verbundenen Reichsfürsten schenkte Karl Häuser oder Höfe in seiner Hauptstadt, so daß sie so umso leichter in seiner Nähe weilen und ständigen Kontakt zu seinem Hof halten konnten.184 Die üblicherweise von ihm beachteten Grenzen der mittelalterlichen Landesgeschichte überschritt Patze, nur durch einen äußeren Anlaß, das Rahmenthema der dem Goethe- und Carl-August-Forscher und Mitarbeiter der „Geschichte Thüringens“ Hans Tümmler gewidmeten Festschrift, dazu bewogen, als er das durch die Abwesenheit des barocken Herrschers kennzeichnete Hofleben des Kurfürstentums Hannovers im 18. Jahrhundert anschaulich schilderte. Auch nach der Abreise Georgs I. nach Englnad 1714 spielte der Hofstaat seine Rolle unverändert weiter, wurde der Hofbetrieb allenfalls mit geringen Einschränkungen aufrecht erhalten, aber es ließ sich an mancherlei Punkten auf Dauer nicht verbergen, „daß eine Residenz ohne Herrscher, ohne Gebrauch ihrer Gebäude und ihres Inventars abstarb“ (S. 123), „daß ein barocker Hof ohne den Herrscher ein toter Körper blieb“ (S. 122), denn die „Apparatur“ des adligen Hofstaates „mußte vibrieren, sonst verlor sie ihren Sinn“ (S. 129)185. Patze hat sich in mehreren umfangreichen und weitgespannten Studien mit der Entwicklung der Landesgeschichtsschreibung in Deutschland befaßt, mit zwei thematischen Schwerpunkten, einerseits mit der Historiographie in Thüringen von den hochmittelalterlichen Anfängen bis zu seiner eigenen Gegenwart, andererseits mit der Historiographie in zahlreichen Ländern und Territorien des mittelalterlichen Deutschen Reiches. Seine diesbezüglichen Untersuchungen erhalten ihre Eigenart dadurch, daß die Geschichtsschreibung nicht so sehr unter den wissenschaftsinternen Gesichtspunkten der Quellenkritik betrachtet, sondern nach ihrer Aussagekraft für die Eigentümlichkeit der Landesherrschaft bzw. des Territorialstaates befragt wird. Vorrangig beschäftigen sich seine Analysen mit dem Interesse der Autoren verschiedener Epochen an der Geschichte eines Landes, also mit dem entscheidenden Antrieb, sich Wissen von der Vergangenheit eines Landes verschaffen zu wollen, und erst in zweiter Linie mit der Methode der Erforschung als Begleiterscheinung dieses Hauptmomentes und damit mit dem Grad ihrer „Wissenschaftlichkeit“. Infolgedessen wird nicht wie in der positivistischen Mediävistik des 19. und 20. Jahrhunderts der Quellenwert für 184 Die Hofgesellschaft Kaiser Karls IV. und König Wenzels in Prag, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114 (1978), S. 733–773. 185 Zwischen London und Hannover. Bemerkungen zum Hofleben in Hannover während des 18. Jahrhunderts, in: Peter Berglar (Hrsg.): Staat und Gesellschaft im Zeitalter Goethes. Festschrift für Hans Tümmler zu seinem 70. Geburtstag. Köln, Wien 1977, S. 95–129.



Das wissenschaftliche Werk 

 453

die Erkenntnis der Faktizität analysiert, sondern gefragt wird nach den historiographischen Absichten, danach, inwieweit die Geschichtsschreiber ihre Umwelt im weitesten Sinne des Wortes in ihr Werk aufnehmen, nicht nur politische und militärische Ereignisse schildern, sondern auch verfassungsrechtliche, soziale und wirtschaftliche Gegebenheiten akzeptieren oder abweisen, ggf. unter keinen Sammelbegriff zu fassen vermögen. So rückt in den Mittelpunkt der Forschung das Bewußtsein einer Institution, einer Korporation „von einem eigenen denkwürdigen und aufzeichnenswerten Schicksal“, das freilich einer bestimmten Voraussetzung bedurfte: Nur eine Gruppe mit eigenem Rechtsstatus konnte nach einer gewissen Entwicklung ‚publizistisch‘ und schließlich auch historiographisch Geltung erlangen186.

Unter solchen Leitgedanken kommt der Frage nach den Entstehungsbedingungen und -umständen der Historiographie entscheidender Rang zu, aus ihrer Beantwortung ergeben sich bemerkenswerte Einsichten in die Verfaßtheit des Landesstaates. Den Zusammenhang zwischen Geschichtsschreibung und Verfassungsgeschichte wollte Patze aufklären, indem er problematisierte, wie der mittelalterliche (und auch der neuzeitliche187) Landesstaat mit seinen Verfassungsinstitutionen in das Blickfeld und den Horizont der Historiographen geriet und beschrieben wurde. Es war für ihn auffällig, daß im frühen und hohen Mittelalter „nahezu alle Geschichte des Adels in der Historiographie des Königtums und der Kirche enthalten“ ist, wovon sich das Spätmittelalter mit einer neuen Eigentümlichkeit abhebt: „Erst seit dem 13. Jahrhundert ... gewinnt Adelsherrschaft auch rechtlich so viel eigene Gestalt, daß sie im Rahmen der allgemein zunehmenden Schriftlichkeit Gegenstand der Geschichtsschreibung werden kann.“188 Wir gehen zunächst auf Patzes Darstellung der „Landesgeschichtsschreibung in Thüringen“ ein189.

186 Geschichtsschreibung (wie Anm. 132), S. 831, 836. 187 An dieser Stelle kann nicht näher ausgeführt werden, daß auch Patzes ausführliche Darstellung der neuzeitlichen thüringischen Landesgeschichtsschreibung immer wieder deren Rolle innerhalb des Territorialstaates mit ihren inhaltlichen Schwerpunktsetzungen und methodischem Instrumentarium bzw. methodischen Differenzierungen herausstellt. 188 Zusammenfassungen der Tagungen Oktober 1980 und Oktober 1982, in: Geschichtsschreibung (wie Anm. 132), S. 821–838, hier S. 822f. – Patzes Zusammenfassung der Tagungsergebnisse läßt seine eigenen, der Tagungskonzeption zugrunde liegenden Erkenntnisinteressen deutlich erkennen. 189 Landesgeschichtsschreibung in Thüringen, in: Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. I, S. 1–47, 381–390, erweitert in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 16/17 (1968), S. 95–168. – Auch wenn beide Fassungen weitgehend identisch sind, unterscheiden

454 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Die Anfänge einer thüringischen Landesgeschichtsschreibung können erst dort zu fassen sein, wo im Hochmittelalter das Land Thüringen bzw. die Landgrafschaft Thüringen als Objekt der historiographischen Darstellung sichtbar wird. Dem Prozeß der verfassungsrechtlichen und historiographischen Verselbständigung eines Landes, der ... in Thüringen besonders gut zu erkennen ist, wollen wir in den folgenden Ausführungen unsere Aufmerksamkeit zuwenden (S. 97).

Anders formuliert: Patze untersucht die historiographischen Werke darauf hin, ob und ggf. wie sie die Geschichte des Landes bzw. der Landgrafschaft Thüringen als eigenes, eigenständiges Stoffgebiet von der allgemeinen (Welt- und Reichs-) Geschichte aussondern und zu einem eigenständigen Gegenstand konstituieren. Dabei offenbaren sich entsprechend der jeweiligen politischen, sozialen und geistigen Ausgangslage unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten. Von den drei herausragenden Stätten mittelalterlicher Geschichtsschreibung, Erfurt, Reinhardsbrunn und Eisenach, zeichnete sich Erfurt durch eine allmähliche Konzentrierung von der Welt- und Reichsgeschichte auf das Geschehen in Thüringen und besonders in der eigenen Stadt aus. Die Benediktiner von St. Peter bevorzugten in ihren Werken seit dem Investiturstreit die Welt- und Reichsgeschichte, bezogen seit dem 13. Jahrhundert Thüringen auf Grund der steigenden Unterrichtungsmöglichkeiten stärker ein, ohne den Landgrafen durch Werturteil oder Quantität des über sie mitgeteilten Stoffes besonders verbunden zu sein, wahrten also eine unabhängige historische Sicht. Die Bettelmönche schieden in ihren historischen Werken den reichhaltigen landes- und lokalgeschichtlichen Quellenstoff wegen ihrer Verfassung, nämlich der überregionalen Wanderschaft der Franziskaner und Dominikaer, und wegen ihrer seelsorgerischen Absichten, nämlich einen historischen Beispielvorrat für die Predigt bereitzustellen, weitestgehend aus ihrem Horizont aus. Die Bursfelder Kongregation veranlaßte im späten 15. Jahrhundert den Benediktiner Nikolaus von Siegen dazu, durch den Rückblick auf die ruhmreiche Ordensgeschichte die Kräfte der Erneuerung für die Wiederbelebung von Disziplin und Spannkraft zu wecken. Dabei ging er von der allgemeinen Ordensgeschichte aus, verengte seinen Blickwinkel im Fortgang der Darstellung auf Thüringen und seine Klöster und Kirchen, so daß dieser jüngeren Reformbewegung die erste Kirchengeschichte des Landes zu verdanken ist. Das erzbischöfliche Erfurt war die Voraussetzung dafür, daß der Reformgedanke das Werk beherrschte und nicht vom Schatten des Landesherren verdrängt wurde. Die Mönche des ludowingischen Hausklosters Reinhardsbrunn haben hingegen die Landgrafen und damit eine der großen Dynastenfamilien, die das hochsie sich nicht nur durch den Umfang, sondern durch manche unterschiedlich formulierte Gedanken, so daß der Benutzer beide heranziehen sollte. Zitiert wird nach der Jahrbuch-Fassung.



Das wissenschaftliche Werk 

 455

mittelalterliche Reich prägten, zum zentralen Gegenstand ihrer Historiographie gemacht. Reinhardsbrunn belegt, daß Reformkloster und Stifterfamilie für einen ganz bestimmten Stand der Herrschaftsbildung und Geschichtsschreibung aneinander gekoppelt waren; die Reinhardsbrunner Chronik ist die erste Dynastengeschichte, ein aus vielen Bestandteilen geformtes historiographisches Denkmal der Landgrafen. Ihr politischer Rang im Lande zeigt sich auch daran, daß kein anderes thüringisches Adelsgeschlecht die Historiographen so sehr inspiriert hat wie sie. Reichsgeschichte und landgräfliche, thüringische Geschichte des staufischen Zeitalters fesselten den Autor auf Grund der Beteiligung der Landgrafen an der staufischen Politik gleichermaßen, so daß die drei Komplexe Kloster – Stifterfamilie – Kaiser miteinander verklammert erscheinen. In Bertholds Lebensgeschichte Ludwigs IV., dem besten Werk ludowingischer Geschichtsschreibung, entsteht eine scharf beobachtete Welt der auf Städte, Burgen, Adlige und Ministeriale gegründeten und von dem staufer- und reichstreuen „pius lantgravius“ gelenkten Landesherrschaft. Im letzten Teil der Chronik wird der landesgeschichtliche Ausschnitt des Berichtes aufrechterhalten, aber schwächer und uneinheitlicher, da es dem Kompilator an bedeutenden Vorlagen und Informationen mangelt. Die Wettiner hatten nicht die engen persönlichen Bindungen an das Kloster wie die Ludowinger, so daß die Möglichkeit zu unmittelbarer, umfassender Unterrichtung nachließ und der Horizont des Berichterstatters nicht mehr weit über die eigene klösterliche Welt hinausragte. Das Reformkloster verlor seine Funktion als geistiger Mittelpunkt der Landesherrschaft, nachdem das Band, das Geschichtsschreiber und Informanten, d. h. den Fürsten und seine engsten Ratgeber, verbunden hatte, zertrennt worden war. Der Kompilator hat ein wesentliches Verdienst, daß Vorstellung und Bewußtsein von der Dynastie, zugleich aber auch von dem Land Thüringen an weitere Generationen von Geschichtsschreibern weitergegeben worden sind. Der unmittelbare Kontakt mit der Stifterfamilie, mit den Institutionen und der Politik ihrer Herrschaft haben das historiographische Bild geprägt, abgegrenzt, die Vorstellung vom Lande Thüringen mit bewahren helfen; letztlich ist der historische Horizont von Generationen von Schulkindern bis in die Gegenwart damals mit abgesteckt worden (S. 113/116).

Das Spätmittelalter führt eine neue Entwicklungsstufe der Landesherrschaft und der Geschichtsschreibung herauf. Die Landgrafen waren von der Burg beim Stifterkloster hinüber in die Stadt gezogen, von den Städten aus mit ihren Bürgern und ihrer Geldwirtschaft wurde fortan das Land regiert. Geschichtsschreiber des in diesem bürgerlichen Milieu lebenden Landesherrn wurden die neuen sozialen Schichten der Stadt, herausragend unter ihnen Johannes Rothe, Stadtschreiber in der landesherrlichen Residenz Eisenach, halb Theologe, halb Jurist mit einer noch von der Kirche vermittelten Bildung, aber als Weltgeistlicher in den Dienst

456 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

des Landesherren und der Stadt tretend. Rothe beschrieb die Geschichte des Landes und der Dynastie für die Eisenacher Bürgerschaft wie für die Fürstenfamilie und ihre lokalen Amtsträger, dabei verengte er den Blick von der Weltchronik auf die thüringische Landesgeschichte und den thüringischen Landesstaat – unter besonderer Berücksichtigung Eisenachs und der Welt seiner Bürger –, während die Reichsgeschichte – bezeichnend für seine Gewichtsverteilung – ganz in den Hintergrund trat. Rothes repräsentative städtische Geschichtsschreibung ließ den heiligen Ludwig keine Wunder mehr tun, sondern setzte ihn in seine, des Verfassers, bürgerliche Gegenwart und deren Wertungen hinein. Mit dem gleichen Erkenntnisinteresse, mit dem Patze an die Geschichtsschreibung in einer einzelnen Landschaft des Reiches, Thüringens, herangetreten ist, hat er sich in einem Aufsatz, der in seinem Umfang einem Büchlein gleichzusetzen ist, der hochmittelalterlichen Geschichtsschreibung im gesamten Deutschen Reich zugewandt190. Er will „eine Art Literaturgeschichte eines verfassungsgeschichtlichen Phänomens“ (1965, S. 122), der Landesherrschaft, versuchen, die von der Einsicht ausgeht, daß der nichtkönigliche Adel spätestens seit dem 11. Jahrhundert zum immer deutlicher werdenden Gegenstand erzählender Quellen wird und daß sich dieses Objekt zu einem eigenen historiographischen Genus, einer Frühform territorialer Geschichtsschreibung, verselbständigte. Es will also aufzeigen, wie sich Fürsten-, Dynasten-, territoriale Geschichtswerke, bis ins 19. Jahrhundert der Kern der Landesgeschichtsschreibung, herausbilden, weil er von einem verfassungsgeschichtlichen Erkenntnisgewinn überzeugt ist, wenn man die mittelalterliche Landesherrschaft einmal mit den Augen der Zeitgenossen betrachtet bzw. ihrem Bewußtsein oder ihrem Selbstverständnis davon nachgeht. Die Wirklichkeit, die den Zeitgenossen als vorwaltende Wirklichkeit bewußt geworden ist, muß auch für uns Vorrang besitzen. Deshalb kann kein Zirkelschluß vorliegen, wenn wir die direkten Aussagen der Zeitgenossen über Elemente dessen, was wir als Landesherrschaft bezeichnen, als Zeugnis ihrer Existenz nehmen (1964, S. 43). Ausgelöst wurde dieser Versuch durch die Auffassung, daß man einmal nicht in der üblichen eklektischen Methode unserer Forschung das Phänomen der ‚Landesherrschaft‘ untersuchen und aus Tausenden von Überlieferungspartikeln ein Bild einer solchen Landesherrschaft zeichnen solle, sondern daß man festellen solle, wo den Geschichtsschreibern der Zeit diese verfassungs- und sozialgeschichtliche Erscheinung so wichtig wird, daß sie über sie zu schreiben beginnen (1965, S. 122).

190 Adel und Stifterchronik. Frühformen territorialer Geschichtsschreibung im hochmittelalterlichen Reich, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 100 (1964), S. 8–81, 101 (1965), S. 67–128; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 109–249.



Das wissenschaftliche Werk 

 457

Gemäß seinem maßgeblichen inhaltlichen Gesichtspunkt, der Behandlung des Dynastenadels, faßt er historiographische Werke unterschiedlicher Struktur unter dem Begriff „Stifterchronik“ zusammen, da deren Inhalt teils in begrenztem Umfang, teils ausschließlich die adlige Stifterfamilie einer Kirche zum Gegenstand hat191. Die frühesten Ansätze zu einer Adels- und Dynastengeschichte findet Patze in historiographischen Zeugnissen, die die Personenfolge, die Dynastie, die zum Träger von Herrschaft geworden ist, in genealogischen Listen erfaßten. Erste derartige Genealogien, jedoch noch keine ausführlichen Aufzeichnungen, verdankten ihre Entstehung im 10. Jahrhundert der lothringischen Frühreform des Gerard von Brogne und ihres Gedenkens an den wichtigsten Beschützer ihrer Klöster, die Grafen von Flandern. Der maßgebliche Wandel für die Geschichtsschreibung wird durch die Klosterreform des 11. Jahrhunderts und ihre rechtlichen Anforderungen an den erblichen Vogt, d.h. die Dynastenfamilie, zwecks seiner Heraushaltung aus dem Kloster herbeigeführt. Als Wirkung des Hirsauer Privilegs und der ihm nachgebildeten Formulare wurden rechtliche Gegebenheiten durch schriftliche Beweismittel fixiert, und daher nahm die Historiographie der neuen Adelsklöster, um die Rechtmäßigkeit von deren Existenz darzulegen, zunehmend Urkunden wörtlich oder in freierer Überarbeitung auf und verbesserte damit ihre quellenmäßige Fundierung; in den besten Fällen wurde nach der Materialsammlung unter Anwendung heuristischer Prinzipien in einem zweiten synthetischen Arbeitsvorgang das Geschichtsbild aufgebaut, so daß, methodisch betrachtet, durchaus eine wissenschaftliche Absicht unterstellt werden darf. Charakteristisch ist für die deutschen Reformklöster die Verbindung von rechtlichem und historischem Schriftgut, von urkundlichen Zeugnissen und historiographischen Aufzeichnungen, mit dem Zweck, die Rechtskreise von Adel und Kirche voneinander abzugrenzen. So schwankten die Darstellungen zwischen Recht und Historiographie, zwischen der Absicht des Rechtsbeweises und dem Verlangen der alltäglichen Verwaltung nach Rechtssicherheit mit dem Übergewicht juristischer Zeugnisse einerseits und der Tendenz zum historischen Bericht mit der selbständigen Verarbeitung der verwendeten Urkunden und einer flüssigen Darstellung. Da die Klöster in großer Zahl von Untervasallen in oder bei ihren Stammburgen gegründet worden waren, wurde, als man die Geschichte dieser Gründungen zu schreiben begann, auch die Stifterfamilie, die kraft der Erbvogtei die weltliche Herrschaft über das Kloster ausübte, berücksichtigt. Der Ausgangspunkt der geschichtlichen Betrachtungen der Autoren war so zwar das eigene Kloster, und die Hirsauer Reform durfte, wenn sie in ihrer geistigen Haltung konsequent 191 Zur Begriffsdefinition vgl. ebd. 1964, S. 31, 79.

458 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

sein wollte, in ihren historiographischen Aufzeichnungen dem Stifter und der der Stifterfamilie keinen Platz gewähren, mußte Kloster- und bzw. „Kirchengeschichte“ bleiben. Aber im Gegensatz zur mater Hirsau nahm in der Geschichtsschreibung zahlreicher von Patze betrachteter mittel- und norddeutscher ebenso wie süddeutscher Klöster und Stifte die Geschichte der Stifterfamilie, einzelner Persönlichkeiten oder ganzer Sippen, ihres Verhaltens gegenüber dem Hauskloster, aber auch ihrer Taten außerhalb des Klosters einen mehr oder minder breiten Raum ein. U. U. verdrängt die Dynastengeschichte die Geschichte des Klosters weitgehend; Fragen der Reform füllen den Autor nicht mehr aus, sie traten zurück hinter den Aufgaben der Politik und der Herrschaftsausübung, so daß aus der zunächst vorherrschenden Klostergeschichte die frühe Landeschronistik erwuchs. Der historiographische Typ offenbart damit, ob die Reform eines ihrer wichtigsten Ziele, die weitgehende Befreiung von der Dynastenfamilie, überhaupt erreicht hat. Zahlreiche Chroniken belegen, daß Realien der Herrschaftsübung wie Siedlung, Arbeit und Recht, aus denen territoriale Herrschaften aufgebaut werden, mit solcher Eindruckskraft vorhanden sind, daß sie von den Annalisten registriert wurden, anders ausgedrückt: Absicht und Fähigkeit waren bei ihnen vorhanden, mit scharfer Beobachtungsgabe, psychologischem Einfühlungsvermögen und Abstraktionskraft rechtliche und wirtschaftliche Situationen lebendig zu erfassen und zu beurteilen. Die allgemeine Tendenz der herausragenden Stifterchroniken beruht nicht nur darauf, daß die Geschichtsschreibung der Klöster die für sie schicksalbestimmende Dynastenfamilie zum Gegenstand ihrer Bemühungen macht, sondern auch in der Beachtung, Betrachtung und Beschreibung der für mitteilenswert gehaltenen Wirklichkeit. Diese uns in zunehmendem Maße vermittelte Welt rechtlicher und landschaftlicher Wirklichkeit ist das Objekt moderner Landes- und Verfassungsgeschichte (1964, S. 62).

Die zweite von Patze den Stifterchroniken zugezählten Gruppe umfaßt Geschichtswerke, in denen die Ausgangsposition, die Geschichte der geistlichen Stiftung, überhaupt aufgegeben ist und die adlige Familie mit ihrer Herrschaft sich zum alleinigen Gegenstand der Darstellung verselbständigt hat. Sie sind zumeist von den Eigenkirchen der Familie angehörenden Geistlichen geschrieben worden. Die frühesten Beispiele entstammen wiederum der Grafschaft Flandern, etwa die Aufzeichnungen Galberts von Brügge über Karl von Flandern, in denen dessen an pax und iustitia orientierte Herrschaftsführung und Herrschaftsideal mit der Einhaltung der ständischen und der Landfriedensordnung, der Bekämpfung der adlige Fehde und der Förderung der davon in Mitleidenschaft gezogenen Bauern gemäß den Forderungen christlicher Ethik und der Gottesfriedensbewegung in aller Klarheit dargestellt werden. Lambert von Ardres beleuchtet in seiner Geschichte der Grafen von Guines bei Calais detailliert die Herrschafts-



Das wissenschaftliche Werk 

 459

übung einer adligen Familie mit ihrem Mikrokosmos von Verfassung und Verwaltung bis zu besitzrechtlichen Verhältnissen, Stadtgründung und kultivierender Arbeit, einschließlich des geistigen Porträts des Grafen, der Frieden, Recht und Ordnung durch seine Regierung stiftet. Gislebert von Mons analysiert eindringlich in seiner Chronik das politische Geschehen unter rechtlichen Gesichtspunkten, er hebt unermüdlich die unanfechtbaren Rechtsgrundsätze für den Bestand des Hennegaues hervor und zeigt in seinem Kernstück, der Bildung der Markgrafschaft Namur, seine Einsicht in die Verflechtung juristischer Argumente mit politischen Beweggründen. Aus dem engeren Reichsgebiet zeichnet sich zuerst im Bereich der Welfen eine von der klösterlichen Geschichtsschreibung unabhängige Haushistoriographie ab; die geistlichen Verfasser entstammen teilweise schon nicht mehr dem Hauskloster, sondern halten sich am Hofe des Stifters auf, ihre Ausführungen über die Landesherrschaft, ihre Institutionen und ihre Politik bleiben allerdings in Faktenfülle und Qualität der Beobachtung hinter den eben genannten Autoren zurück. Patzes Überblick umfaßt das gesamte nordalpine Deutsche Reich, seine nordwestlichen Randgebiete, Nord- und Mitteldeutschland ebenso wie Süddeutschland werden landschaftsweise mit zahlreichen, mehr oder minder ausführlichen betrachteten Geschichtswerken einbezogen, wobei ihm in der Erörterung der Darstellungsweise von Autoren wie Ortlieb von Zwiefalten, dem Verfasser der Zwettler „Bärenhaut“, Lambert von Adres und Gislebert von Mons kleine Kabinettstückchen gelingen. Seine Umschau in allen für seinen Themenbericht hervorgetretenen Regionen des Reiches hebt einerseits immer wieder die Individualität des einzelnen Verfassers hervor, sein größeres oder geringes Vermögen in der Erfassung, Beschreibung und Deutung seiner Gegenstandes, andererseits gewinnt er durch die Zusammenstellung umfassenden Materials die Maßstäbe für den Typus der Stifterchronik und den Grad seiner jeweiligen Verwirklichung, und vor allem ist er dadurch in die Lage versetzt, in der (unausgesprochenen) Perspektive einer vergleichenden Landesgeschichte verschiedene Landschaften miteinander zu kontrastieren. Patze hebt abschließend besonders hervor, daß die Werke, in denen adlige Familien oder überhaupt adlige Herrschaft dargestellt werden, in der Mitte des Reiches sowohl an Zahl als auch an Qualität denen Flanderns und Brabants, Landschaften mit Berührung zum französisch-normannischen Kulturbereich, nachstehen, und zur Erklärung weist er darauf hin, daß der Adel dieser Landschaften mit Berührung zum französisch-normannischen Kulturbereich den ritterlichen Lebensstil in besonderer Intensität lebte, im Einklang mit der werdenden bürgerlichen Welt, in deren geistigem Milieu und in deren Wirklichkeitssinn Galberts, Lamberts und Gisleberts Geschichtsschreibung zum guten Teil wurzelte. Die adlige Herrschaftspraxis in den zentralen Gebieten des Reiches war verglichen damit unentwickelter, geschultes Rechtsdenken ebenso

460 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

wie die bürgerlich-städtische Welt waren in ihrer Historiographie noch nicht zu verspüren. Die Eigenart der spätmittelalterlichen Landesgeschichtsschreibung offenbart sich deutlich, wenn man ihre von ihren Mäzenen veranlaßten Werke mit den hochmittelalterlichen Stifterchroniken vergleicht192: Die immer weiter fortschreitende Vervollkommnung des Fürstenstaates weckt in den Herrschern das Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit und das Verlangen, deren historische Wurzeln aufdecken zu lassen. In den Stifterchroniken des Hochmittelalters war der Klostergründer oder der Vogt gewissermaßen nur eine geduldete Person, in den hier betrachteten Werken steht der Landesherr – auch die Kirchen – im Mittelpunkt, ja er ist Auftraggeber (S. 370).

Die Fürsten selbst regten Werke an, die ihr Territorium und seine Dynastie zum Gegenstand hatten, mit unterschiedlichen Absichten, etwa, um die Nachkommen über Herkunft und historische Leistung der Vorfahren und der Familie zu unterrichten und damit ihrer ideellen Selbstbestätigung zu dienen, etwa um historische Bildung zu vermitteln, da zur Regierung eines Landes die Kenntnis seiner Geschichte benötigt wurde, etwa um die Existenz eines Landesstaates rechtlich zu begründen; so wollte die Braunschweigische Reimchronik mit einer bemerkenswerten verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Präzision aufzeigen, daß die Welfen als folgerichtiges Ergebnis eines langen historischen Prozesses auf rechtlich und genealogisch (d. h. erbrechtlich) einwandfreie Weise zu ihrem Besitz, dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg des Jahres 1235, gelangt waren und rechtlich unanfechtbar dastanden193. Am Ende des Mittelalters war die Geschichtsschreibung, die nicht mehr von Geistlichen aus den einer Dynastie eng verbundenen Stiften oder Klöstern, sondern von Laien aus der Hofgesellschaft verfaßt wurde, ein unerläßlicher Teil der Hofkultur deutscher Landesherren. Der Blick über die Grenzen verdeutlicht noch einmal die Besonderheit der Historiographie im Reich. Während sich in Frankreich seit Abt Suger von St. Denis eine Geschichtsschreibung entwickelte, die das zentralistische Königtum in ihren Mittelpunkt stellte, fehlte im Reich wegen seines Wahlkönigtums und wechselnder Königsgeschlechter ein lokaler Ansatzpunkt für eine fortlaufende Beschreibung der Kaiser und Könige, statt dessen geht ein herausragender Historiograph wie 192 Mäzene der Landesgeschichtsschreibung im späten Mittelalter, in: Geschichtsschreibung (wie Anm. 132), S. 331–370. 193 H.P. u. Karl-Heinz Ahrens: Die Begründung des Herzogtums Braunschweig im Jahre 1235 und die „Braunschweigische Reimchronik“, in: Vom Reichsfürstenstande, hrsg. v. Walter Heine­ meyer. Köln, Ulm 1987, S. 67–89; auch in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 122 (1986), S. 67–89; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 587–608.



Das wissenschaftliche Werk 

 461

Johannes Rothe von der „Weltchronik“, wenn auch nicht bruchlos, zur thüringischen Dynastien- und Landesgeschichte über, unter Vernachlässigung der Reichsgeschichte, und lieferte damit ein Spiegelbild der spätmittelalterlichen Reichsverfassung. Einzelne Gedankengänge des großen Aufsatzes über Stifterchroniken hat Patze später weiterverfolgt und vertieft. Wiederum an Hand einer Fülle von Beispielen aus dem gesamten Reich hat er den Rechtsakt der Gründung von Klöstern in seinem Verhältnis zur Geschichtsschreibung über diese Institution untersucht194. Die großen merowingischen und karolingischen Klöster haben keine Klosterchroniken, also in ihnen entstandene historiographische Aufzeichnungen, die sich mit ihnen selbst beschäftigen, hervorgebracht, da das Geschehen im Reich wegen der engen Kontakte zum König und die Heiligenlegende oder die Geschichte der Translation des Klosterheiligen im Vordergrund standen. Seit der Reform des 11. Jahrhunderts, die die Klöster und ihr kontemplatives geistliches Leben durch die Urkunde gegen die Anfechtungen der weltlichen Mächte sichern wollte, nimmt in den Klosterprivilegien die Zahl der rechtserheblichen Angaben und die Fülle historischer Mitteilungen zu, Urkunden zeigen stark narrative oder protokollähnliche Züge an, weil sie in einer Zeit zunehmender schriftlicher Rechtsbeweise nachträglich nicht vorhandene oder verlorengegangene Beweismittel ersetzen sollten. Die Absicht, die rechtliche Unanfechtbarkeit der Stiftung zu demonstrieren, berührte sich mit historischem Interesse, verschiedene Stränge einer rechtlichen und chronikalischen Überlieferung von unterschiedlicher Beweiskraft wie Originalurkunde, Traditionscodex und in Annalen eingefügte Urkundenabschriften verbanden sich miteinander. Nach einer in der Regel jahrhundertelang gesicherten klösterlichen Existenz betonten die spätmittelalterlichen Gründungsnarrationen ohne die vorher erkennbare klare Absicht der rechtsbeweisenden Funktion vorrangig die beispielhafte Frömmigkeit der Stifter und der Stifterfamilie als erbauliche Vorbilder für den Konvent. Die Schriftlichkeit verlangende klösterliche Rechtssicherung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts behandelt Patze am Beispiel der Zisterze Walkenried am Harz195. Den Zweck eines in der Geschichte der Reichsministerialität außerordentlichen Zeugnisses, eines ca. 1240 entstandenen Weistums über Güterübertragungen

194 Klostergründung und Klosterchronik, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 113 (1977), S. 89–121; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 251–284. 195 Zur Rechtsgeschichte des Klosters Walkenried, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 112 (1976), S. 58–86; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 529–561. – Vgl. auch die Bemerkung zur rechtlichen Bedeutung kleiner Klöster in der Rez. von Friedrich Schunder (Hrsg.): Die oberhessischen Klöster. Regesten und Urkunden, 1. Bd. Marburg 1961, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 13 (1963), S. 330–332, hier S. 331.

462 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

im Reichsdorf Othstedt an das Kloster, sieht er darin, daß die darin enthaltene vollständige Genealogie der reichsministerialischen Stifter und die Aufzählung all ihrer Güterauflassungen und Verzichtsleistungen seit ca. 1100 Walkenried gegenüber den in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts zahlreichen verspäteten Anfechtungen seines Besitzkomplexes durch die Erben, also durch jüngere Familienmitglieder, schützen sollte. Die Darstellung von Patzes historiographischen Forschungen bliebe unvollständig, wenn sie nicht ausdrücklich darauf hinwiese, daß er sich gerade in seinem Einsatz für die Geschichte Thüringens an die jahrhundertelange Tradition der thüringischen Landesgeschichtsschreibung gebunden fühlte und als deren mit den Möglichkeiten der eigenen Zeit arbeitender Fortsetzer empfand. Sein Rückblick auf die Landesgeschichtsschreibung in Thüringen bezweckt, wie er in den ersten Sätzen schreibt, den Leser „durch die Kenntnis der Vorläufer die Maßstäbe für die Beurteilung des hier vorgelegten letzten Gliedes der Kette an die Hand zu geben.“196 Patzes Konzentration auf adlige Herrschaftsbildung und ihre einzelnen Elemente legte es nahezu unausweichlich nahe, deren Auswirkungen auf das Königtum und das Verfassungsgefüge des Reiches in die Erörterung einzubeziehen. Die Formen des Miteinander und Gegeneinander von König und Adel bzw. adligen Landesherren rücken dabei in den Vordergrund, anders ausgedrückt, die Art und Weise ihres politischen und administrativen Umganges. Sein einziger dem Frühmittelalter gewidmeter Aufsatz, der den zentralen Begriff „iustitia“ in Nithards „Vier Bücher Geschichten“ und damit dessen Stilisierungskunst analysiert, arbeitet heraus, daß Karl der Kahle entgegen der Herrschaftsübung seines Vaters und Großvaters den Adel in die Verantwortung für wichtige politische Entscheidungen einbezog, indem er ihn an der Findung und Wahrung der „iustitia“ beteiligte und so unter Einsatz von „misericordia“ die „pax“ zu erreichen suchte197. Eindringlich und einfallsreich, mit einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber thesenartigen Zuspitzungen und entsprechenden Wortprägungen und einem realistischen Gespür für den hochmittelalterlichen Regierungsalltag untersucht Patze für das staufische Zeitalter und insbesondere für Friedrich Barbarossa die verschiedenartige Mitwirkung der Fürsten an der Herrschaft des Königs und betont, daß Barbarossa unter den Bedingungen der an seine persönliche Gegenwart geknüpften Reiseherrschaft und des durch die eindringende Geldwirtschaft in Frage gestellten lehnrechtlichen Treueprinzips auf den Ausgleich mit ihnen angewiesen war, da er über keine administrativen und personellen Instrumente 196 Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. I, S. 1. 197 Iustitia bei Nithard, in: Festschrift für Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag am 19. September 1971, 3. Bd. Göttingen 1972, S. 147–165.



Das wissenschaftliche Werk 

 463

wie Beamtenapparat und Schriftlichkeit verfügte, die aus verschiedenen Besitztiteln, Institutionen und Rechte zu einem Organismus verflochtenen und rechtlich verfestigten Landesherrschaften nach eigenem Willen einzuziehen, zu zerlegen und so in eine neue „Staatsform“ umzugestalten. Unter Hinweis auf die in den Zeugenreihen der Königsurkunden zahlreich vertretenen Neugrafen des 12. Jahrhunderts und das politische Gewicht des Hochadels relativiert er den Rang der Reichsministerialität und hält Karl Bosl vor, holzschnittartig die neuen Elemente staufischer Staatlichkeit überbewertet zu haben; „die zahlreichen Dynasten, die zwischen den Reichsländern sitzen und noch in ihnen selbst mit Rechten und Besitzungen vertreten sind, werden von der ‚Dynamik staufischer Staatsplanung‘ verdrängt“. Nachdrücklich wirft er die für den Verfassungszustand des Reiches zentrale Frage auf, ob den geistlichen und Laienfürsten der Aufbau des eigenen Herrschaftsbereiches als eine lohnendere Aufgabe und Pflicht erschien als die Teilnahme am Umritt des Königs durch das Reich oder an den von ihm verlangten Italienzügen198. An Hand eines regional begrenzten Personenkreises, der Reichsfürsten in den östlichen Territorien des Reiches, beschreibt Patze eingehender den politischen Umgang Friedrich Barbarossas mit bedeutenden Territorialherrschern und die dabei gegebenen Möglichkeiten und Grenzen der königlichen Wirksamkeit. Er schildert, wie Barbarossa in Anknüpfung an die Ansätze seines Vorgängers Konrad III. zwischen 1154 und 1158 durch die Lösung der welfisch-staufischbabenbergischen Frage und der mit ihr verzahnten Streitigkeiten um das Stader, Winzenburger und Plötzkauer Erbe ein System aufbaute, das einerseits die Energie Heinrichs des Löwen im Interesse des Reiches auf ein Feld uneingeschränkter Betätigung an der Ostsee und im Obotritenland ablenkte, andererseits durch die Forderung von Landesstaaten, die das sächsische Herzogtum umgaben, das politische Gleichgewicht aufrechterhielt. Der Staufer beließ den Löwen freilich nicht nur unter der Kontrolle Hartwigs von Bremen und Wichmanns von Magdeburg, Männer, die dem König unbedingt ergeben waren, dadurch die Einwirkungsmöglichkeiten des universalen Papsttums auf die geistlichen Reichsfürsten einschränkten und mit ihrer straff verwalteteten Territorialwirtschaft sich zur besten Stütze des Reiches entwickelten. Darüber hinaus schaltete sich Barbarossa selbst durch die Erwerbung und den Ausbau königlicher Besitztümer im Norden und Osten ein. „Da sich die Reichesfürsten dauernd beargwöhnten und überwachten, war es dem Staufer möglich, eine Richterstellung einzunehmen und zur gegebenen Zeit die Gerechtigkeit zum Heile des Reiches zu lenken“ 198 Herrschaft und Territorium, in: Die Zeit der Staufer. Geschichte – Kunst – Kultur, Bd. III. Stuttgart 1977, S. 35–49. – Friedrich Barbarossa und die deutschen Fürsten, in: ebd., Bd. V. Stuttgart 1979, S. 35–75; das Zitat ebd. S. 75.

464 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

(S. 373). Das politische System von 1154/58, „das Prinzip der Regierung durch die zweite Hand“ (S. 392), durch Heinrich den Löwen im Nordosten und durch Heinrich Jasomirgott im Südosten, brach 1176 mit der Gefolgschaftsverweigerung des Löwen zusammen. In verfassungsgeschichtlicher Hinsicht hebt Patze hervor, daß Ostpolitik im 12. Jahrhundert nicht mehr bloß wie in ottonischer Zeit in Kriegsund Unterwerfungszügen gegen die Slawen bestehen konnte. Die alten Marken des Reiches wurden in territoriale Flächenstaaten umgewandelt, von Männern mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, von ebenso beharrlichen wie unternehmenden Persönlichkeiten, die sich ihrem Land mit dem durch bäuerliche Siedlung und Städtegründung betriebenen Landesausbau enger verbanden als die ottonischen Markgrafen durch ihre Tributerhebung. Man muß sich immer wieder vergegenwärtigen, daß die Reichsfürsten nicht nach dem Osten gezogen sind, weil sie dort die Zukunft des deutschen Volkes sahen, sondern weil sie dort, gestützt auf den Zuzug deutscher Siedler, die größte Gelegenheit zur Herrschaftsbildung neuen Stiles erkannten. Sie konnten mit größerem Erfolg und z. T. mit gänzlich neuen Mitteln den gleichen Zielen und Machtbildungen nachstreben, wie ihresgleichen im Westen, im Süden oder in der Mitte des Reiches (S. 407)199.

Patzes besondere Vorliebe unter den Herrscherpersönlichkeiten des Mittelalters, Kaiser Karl IV., hat ihn durch die Verbindung von Frömmigkeit und Rationalität angezogen: „In ihm durchdrang sich ein tiefer Glaube mit dem Blick für die reale Welt in einer Intensität, wie sie für seine fürstlichen Zeitgenossen ohne Beispiel war“ (S. 72).200 Der Glauben an Gott und die vorsichtige Erforschung seiner Absichten müssen den einsichtigen Herrscher leiten, von Gott her kann der Kaiser den Weg in die reale Welt finden. Als Reflex auf seinen Vater, den Zeittyp des schweifenden Ritters, brachte Karl das Königreich Böhmen mit unglaublicher Beharrlichkeit wie mit neuen, von seinen französischen Erfahrungen gespeisten Ideen, etwa dem Ausbau Prags zum Herrschaftsmittelpunkt mit ortsfesten, verschriftlichen Verwaltungssystemen, wieder hoch. Mit schriftlichen, klar gefaßten Rechtsnormen, die die hochmittelalterliche Consuetudo der Königswahl festschrieben und so jede zwiespältige Königswahl auszuschließen trachteten, sollte verhindert werden, daß das Reich in dauernden Kämpfen versank. Für einen hochentwickelten Verwaltungsapparat wie in England oder Frankreich mit Akten und einem großen Beraterstab reichten Karls verfügbare Mittel im Reich nicht aus; aus seiner 199 Kaiser Friedrich Barbarossa und der Osten, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 11 (1962), S. 13–74, erweitert in: Probleme des 12. Jahrhunderts. Konstanz, Stuttgart 1968, S. 337–408 (= Vorträge und Forschungen, 12). 200 Karl IV. Kaiser im Spätmittelalter, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 116 (1980), S. 57–75; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 609–627.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 465

Erkenntnis in dessen historisch gewachsenen Entwicklungsstand, der eine zentralistische Herrschaft durch Gebot ausschloß, trieb er eine von hoher Intelligenz, Temperament und abgeklärtem Urteilsvermögen gekennzeichnete Politik als Mög­lichkeit verschiedener durchdachter Kombinationen mit einer größeren Zahl Kräfte. „Die Fähigkeit, sich auf Überkommenes einzustellen, dieses unauffällig nach eigenen Vorstellungen zu verändern, das war seine große Begabung“ (S. 74f.). Mit einer spürbaren Bewunderung spricht Patze davon, daß Karl für zeittypische Elemente wie die in sich versenkende Frömmigkeit und die Klarheit in der Beschreibung der realen Welt die aufs höchste geschärfte Aufnahmefähigkeit einer hochbegabten Persönlichkeit besessen habe, daß er in einer Epoche, in der Könige nach der Opportunität des laisierten Staates Entscheidungen gegen die Kurie gefällt hätten, von tiefer religiöser Hingabe und einer hingebenden, mitunter verzehrenden Frömmigkeit individueller Prägung erfüllt gewesen sei201.

IV. Patze und die deutsche IV. Landesgeschichtsforschung

Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung

Patze ist ein deutscher Landeshistoriker eigener Prägung gewesen. Im Gegensatz zu vielen Fachkollegen bezweifelte er, daß es eine spezielle landesgeschichtliche, von der historischen abzugrenzende Methode gebe. Nicht das methodische Vorgehen, sondern die Größenordnung des Gegenstandes begründe den Unterschied zwischen der allgemeinen Geschichte und der Landesgeschichte: Diese befasse sich mit den kleinsten rechtlichen und sozialen Einheiten der Volksordnung auf der Grundlage dafür geeigneter Quellenkategorien und Fragestellungen.202 Es verstand sich für ihn von selbst, daß die vergleichende landesgeschichtliche Forschung in Deutschland mit derjenigen in der Schweiz und vor allem in Österreich entsprechend dem historischen Prozeß bis zum 19. Jahrhundert, entsprechend den politischen, rechtlichen, vor allem siedlungsmäßigen Gemeinsamkeiten eng

201 ,Salomon sedebit super solium meum‘. Die Konsistorialrede Papst Clemens’ VI. anläßlich der Wahl Karls IV., in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 114, 1978, S. 1–37, hier S. 36f. Der Aufsatz analysiert vornehmlich drei Reden predigtartigen Charakters, die anläßlich der Wahl Karls zum deutschen König und nach seinem Tode von den Prager Erzbischöfen und dem Papst gehalten worden sind und in denen das Ideal des christlichen Herrschers mit scholastischer Kunst und Gelehrsamkeit gezeichnet wird – umso stärker betont Patze in seinen Schlußbemerkungen, daß Aussagen von Zeitgenossen und „eigene Bekenntnisse von unverwechselbarer Einprägsamkeit“ das Bild einer individuellen, glaubhaften Frömmigkeit zeigen (ebd. S. 37). 202 Landesgeschichte (wie Anm. 98), 1. Teil, S. 15–17.

466 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

zusammenarbeiten müsse.203 Seine großen Tagungen des Konstanzer Arbeitskreises suchten daher im Überblick Beiträge aus dem gesamten historischen deutschen Siedlungsgebiet bzw. Sprachraum zu gewinnen. Durch den Blick auf die großen Ereignisse der deutschen und europäischen Geschichte wollte er der Verengung des Horizontes auf den einer Landschaft vorbeugen, für die Beurteilung regionaler Phänomene wie für die Entwicklung neuer Fragestellungen bedurfte gerade der Landeshistoriker nach seiner Überzeugung eines aus der Kenntnis vieler Landschafen gespeisten Erfahrungsschatzes. So hat sich Patze nicht zu dem Typ von Landeshistoriker entwickelt, der im allgemeinen in Deutschland, auch unter den Inhabern landesgeschichtlicher Lehrstühle, vorherrscht, der seine Erkenntniskraft an die Geschichte einer einzigen Landschaft und ihrer Details setzt, sondern er bemühte sich, für die speziellen Landesgeschichten die Einsichten in die allgemeinen deutschen und außerdeutschen Sachprobleme nutzbar zu machen. Der Rückblick auf Patzes wissenschaftliche und wissenschaftsorganisatorische Schwerpunkte zeigt sogleich, daß er seine Arbeitskraft in erheblichem Ausmaße in Handbuch-Unternehmungen, zuerst die „Geschichte Thüringens“, dann die „Geschichte Niedersachsens“, investiert hat. Das ist kein Zufall etwa karrierebedingter Natur, sondern darin ist eine zentrale Erkenntnis von den Aufgaben des Fachhistorikers enthalten. Er hat sich mehrfach dagegen gewandt, daß der Historiker seine Leistungsfähigkeit nur in der Entwicklung neuer Fragestellungen und neuer Methoden an immer kleineren und enger begrenzten Gegenständen unter Beweis stellt. „Die Meisterschaft nur im Detail darf zu allerletzt Ziel des Historikers sein.“ Seiner Auffassung nach sollte sich der Historiker immer wieder seines eigentlichen Auftrags, der Geschichtsschreibung, erinnern, will er nicht der Gefahr erliegen, über dem Reiz, der vom spekulativen Umgang mit Quellen und Methoden ausgeht, das Interesse am Menschen, der Gegenstand der Geschichte ist, zu verlieren.204

Unbeirrt tritt Patze für den Geschichtsbericht über zurückliegende Ereignisse und Zustände ein, im konkreten Fall mit dichter, faktengesättigter Schilderung der verschlungenen Wege hoch- und spätmittelalterlicher Politik, da er zwischen der tief eindringenden Analyse eines historischen Mikrokosmos und der Reflexion über den Sinn der Geschichte seine eigene Existenzberechtigung hat.205 Unter den unterschiedlichen denkbaren Formen der Geschichtsschreibung bevorzugte

203 Ebd., S. 27. 204 Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 121), Bd. 1, S. VII. 205 Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. II/I, S. 383.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 467

er das Handbuch, einerseits aus wissenschaftsinternen Gründen, weil sich in solch ausführlichen Zusammenfassungen die Wissenschaft Rechenschaft über den letzten Stand ihrer Erkenntnisse ablegt, zudem im Falle des landesgeschichtlichen Handbuches dessen Ergebnisse dann in Werke allgemeinerer Thematik berücksichtigt werden können, andererseits aus wissenschaftsexternen Gründen, weil ein interessiertes Laienpublikum vorrangig durch eine zusammenfassende Darstellung angesprochen und sein geschichtlicher Sinn geweckt und vertieft wird. Aus dieser Bestimmung leitete er auch ab, daß die Verfasser von HandbuchBeiträgen durch möglichste Klarheit der Sprache und durch Anschaulichkeit sich ihren Lesern verständlich machen und dadurch deren Anteilnahme am Gegenstand gewinnen sollten. Das Handbuch war nach seiner Auffassung nicht „der Ort neuer methodischer Experimente“, seine Darstellung sollte nicht von einem „Eifer zur Aktualität von Fragestellungen und Methoden“, die in Einzeluntersuchungen berechtigt seien, erfüllt werden, sondern der „Ort einer wissenschaftlichen und historiographischen Abklärung“.206 Die beiden von Patze herausgegebenen Handbücher folgten in ihrer thematischen Anlage der maßgeblichen Überzeugung, daß Landesgeschichte der in einem bestimmten Raum sich im Wechselspiel von natürlichen Gegebenheiten und gestaltender Kraft des Menschen vollziehende geschichtliche Prozeß ist, der den Naturraum zu einem Geschichtsraum macht. ... Landesnatur, Sprache, Vor- und Frühgeschichte des Menschen und vor allem seine Siedlungstätigkeit sind als Grundlagen des geschichtlichen Geschehens zu betrachten.207

Dieser Ansatz hatte unmittelbar zur Folge, daß nicht Territorialgeschichte im engeren Sinne mit dem Schwerpunkt auf der politischen und Verfassungsgeschichte betrieben wurde, sondern daß darüber hinaus auch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die Geschichte des geistigen und künstlerischen Lebens, überhaupt alle Gebiete der Kulturgeschichte und Siedlungsgeschichte als Grundlage für alles Weitere erfaßt wurden. Diese Konzeption von Landesgeschichte in einem umfassenden siedlungs- und kulturgeschichtlichen Sinne stammt unverkennbar aus dem Leipziger Institut Rudolf Kötzschkes, und Patze bezieht sich in seinem kurzen Rundblick über die vorliegenden landesgeschichtlichen Hand-

206 Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 121), Bd. 1, S. XI–XII. 207 Geschichte Thüringens (wie Anm. 108) Bd. 1, S. VIII. Anderswo formuliert Patze: „Das Verhältnis des siedelnden und arbeitenden Menschen zum Land zu erforschen, ist die Hauptaufgabe der Landesgeschichte. Sie erkundet in erster Linie den Alltag der Geschichte, nicht oder doch zunächst nicht das Haupt- und Staatsereignis“ (Probleme der Landesgeschichte [wie Anm. 135], S. 13). Vgl. auch die kritische Bemerkung zur Siedlungshistorie geographischer Prägung, Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 19.

468 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

bücher ausdrücklich auf die für seine eigenen Unternehmungen vorbildhafte „Sächsische Geschichte“ Kötzschkes und Kretzschmars mit ihrer Absicht, „das Leben des geschichtlichen Menschen in der von ihm gestalteten Kulturlandschaft durch alle frühgeschichtlichen und geschichtlichen Epochen zu verfolgen.“208 Der damit verbundenen Problematiken war sich Patze durchaus bewußt. Eine breitere und wissenschaftlich kritische und anspruchsvolle Darstellung des Geschehens führt notwendigerweise zu einem Sammelwerk zahlreicher sachkundiger Autoren. Der Herausgeber steht vor der schwierigen, eigentlich breitesten Sachverstand erfordernden Aufgabe zu entscheiden, wieviel Raum er den einzelnen Verfassern zuteilen darf, um ein ausgewogenes Werk zu erreichen, er hat aber nur begrenzte Möglichkeiten, den meist sehr selbständigen Autoren Vorgaben auf den Weg zu geben, so daß die Gefahr der Verselbständigung der einzelnen Spezialgebiete wächst, statt ihrer Verklammerung zu einem einheitlichen Werk der komplexe geschichtliche Prozeß aufgelöst wird209. Die Anknüpfung an die Fragestellungen der Leipziger Schule Rudolf Kötzschkes ist freilich begleitet von einer gehörigen Portion Skepsis gegenüber der Kulturraumforschung, wie sie von Hermann Aubin und Theodor Frings entwickelt worden war. Patze kritisiert an ihren maßgeblichen Werken wie dem „Raum Westfalen“ oder den „Kulturräumen im mitteldeutschen Osten“, daß die Verfasser die Kulturräume nicht, wie es methodisch erforderlich gewesen wäre, aus dem jeweiligen von ihren behandelten Gegenstand begründet haben – so beschreibt Kötzschke einfach die Geschichte, die sich in dem von Ebert abgegrenzten geographischen Raum abgespielt hat, ohne diesen Raum erneut aus der Geschichte zu bestimmen – und daß ein „Raum Westfalen“ für alle Gebiete des geschichtlichen Lebens aus der Geschichte Westfalens konstruiert wird210. Nachdrücklich hebt Patze hervor, daß die „Geschichte Thüringens“ nicht als Geschichte eines Kulturraumes konzipiert ist, sondern „daß wir auf einer territorialen Größe ‚Thüringen‘ die Skala geschichtlicher Erscheinungsformen dargestellt haben, welche die Kulturraumforschung verwendet, um Kulturräume zu bestimmen“. Sein Handbuch geht somit einerseits letztlich von Thüringen im Umfang des Landes 1920/45 einschließlich des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt aus, andererseits behandelt es auch solche Äußerungen des geschichtlichen Menschen, die über dieses Territorium hinausreichen211. Seine Auseinandersetzung mit der Kulturraumforschung hat Patze, bezeichnend für seine Wissenschaftsauffassung, weniger auf der theoretischen Ebene 208 Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 121), S. IX. 209 Landesgeschiche, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 25f. 210 Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. VI, S. 265. 211 Ebd., S. 197f., Zitat S. 198.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 469

und mehr am konkreten Beispiel geführt. Seine „Geschichte des Gießener Raumes von der Völkerwandung bis zum 17. Jahrhundert“212 will mit landesgeschichtlichen Methoden zeigen, ob Gießen Mittelpunkt eines Raumes ist, wie dieser zu begrenzen ist und wo andere historische Raumeinheiten beginnen, und zugleich will sie darlegen, wie, wo und wann der Mensch sich der Landschaft eingefügt oder über sie hinweggesetzt und sie umgestaltet hat. Die frühmittelalterliche fränkische Kleinsiedellandschaft um den kirchlichen und herrschaftlichen Mittelpunkt Großenlinden mit Familien des fränkischen Reichsadels und einer ganzen Anzahl reicher Grundherren entwickelte sich auf guten ertragreichen Böden, während die große Beckenlandschaft der Lahn von ständiger Siedlung nicht erfaßt war; der Platz des künftigen Gießen ist ein „Zwischen“-Raum zwischen verschiedenen Siedlungskammern. Seit dem 11. Jahrhundert schossen überall kleine Adelsherrschaften aus dem Boden, Wälder wurden gerodet, der Schwerpunkt der Landschaft verschob sich in die sumpfige Talaue der Lahn, in die dort angelegte kleine Siedlung Gießen, mit einem im Straßenverlauf erkennbaren deutlichen Bezug der Burg-Stadtsiedlung auf die Stammburg des zunächst dort ansässigen Grafengeschlechtes, denn die städtische Spätgründung hatte nahezu ausschließlich als strategischer Punkt für die hessischen Landgrafen Bedeutung; die fehlenden natürlichen Voraussetzungen erklären die mangelnde Wirtschaftskraft und die wohl daraus abzuleitende architektonische Bedeutungslosigkeit des Ortes. Wenn man den Blick nun endlich auf den Punkt Gießen selbst lenkt, so kann man exemplarisch erkennen, wie eine fortschreitende Siedlungstechnik und neue Elemente der Herrschaftsübung den Menschen in den Stand setzten, einen der menschlichen Siedlung widerstrebenden Naturraum zu kultivieren (S. 86).

In Patzes Augen belegt das Gießener Beispiel, daß die Methode der Kulturraumforschung in ihrer Anwendung auf kleine Räume einigermaßen sichere Ergebnisse erwarten läßt, daß aber nur bestimmte Faktoren sich zur Abgrenzung eines historischen Raumes eignen und in verschiedenen Bereichen geschichtlichen Lebens kein solcher zu erkennen ist. Obwohl Patze nach der Vorgehensweise der Kulturraumforschung das Aufgabenfeld der Historie weit absteckte, so sah er doch ihren Kern entgegen allen einflußreichen und weitverbreiteten Strömungen der Geschichtswissenschaft in der Politik, ohne sie allerdings zur alleinigen Erkenntnisquelle über den historischen

212 In: Gießen und seine Landschaft in Vergangenheit und Gegenwart, hrsg. v. Günter Neumann. Gießen 1970, S. 65–108.

470 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Menschen erheben zu wollen213. Seine Bevorzugung der politischen Geschichte zeigt sich vorrangig in seinen konkreten Untersuchungen. In seinem großzügigen Überblick über die „Welfen in der mittelalterlichen Geschichte Europas“214 rückt er die Politik der Familie bzw. der wichtigsten Familienangehörigen, vorrangig Heinrichs des Löwen und Ottos IV., in den Mittelpunkt. Ihn beschäftigt, wie die handelnden Persönlichkeiten entsprechend ihren persönlichen Eigenarten Politik betrieben, wie sich aus ihren Maßnahmen politische Konstellationen aufbauten und wie sie auf unvermutete neue Situationen reagierten, wie sie mit Argumenten das adligen Selbstbewußtseins, der geistlichen Einstellung oder des Kirchenrechts ihre Position begründeten und durchzusetzen suchten. Patze bewahrt sich ein nüchternes Urteil über die politischen Zwecke der Handelnden und warnt vor einer moralischen Überhöhung215. Seine Darlegungen über „Die Wittelsbacher in der mittelalterlichen Politik Europas“216, die das Wirken der wittelsbachischen Herrscher in Bayern, im Deutschen Reich und in benachbarten Ländern mit dem Schwerpunkt auf Ludwig dem Bayern verfolgen, konzentrieren sich sehr stark auf die politische Pragmatik, auf die politischen Handlungen, ihre Motive und Folgen; sie gewinnen ihr Profil dadurch, daß die handelnden Politiker in ihren charakteristischen Eigenarten knapp, aber trefflich beschrieben werden – so Ludwig der Bayer und Karl IV. in der Gegenüberstellung – , daß die grundsätzlichen politischen Lagen, aus denen heraus die beteiligten ihre Entscheidungen fällten, analysiert werden – so die wechselnde Stellung der Luxemburger und insbesondere Balduins von Trier –, daß die politischen Kategorien, mit denen die Personen für ihre einzelnen Maßnahmen operierten, herausgearbeitet werden – so insbesondere das nachdrücklich aus den Quellen belegte dynastische Denken und dynastische Kombinationen als Grundlage politischer Überlegungen217 –, daß geopolitische, verfassungspolitische und verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und Konsequenzen der konkreten Politik erörtert werden – so in der

213 Vgl. Geschichte Thüringens (wie Anm. 108), Bd. II/1, S. 383. 214 In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 117 (1981), S. 139–166; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 675–702. 215 Vgl. seine kritischen Bemerkungen zu den Inozenz III. gewidmeten Studien Tillmanns und Kempfs (ebd. S. 156 Anm. 89, S. 158 Anm. 93). 216 In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 44 (1981), S. 33–79; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 629–673. 217 „Auch englische Wolle und flandrische Tuchmacher waren politische Kategorien, aber noch nicht so gewichtige, daß sie die dynastische Politik dieser Epoche von ihren Zielen hätten abbringen können. Eheschlüsse zu politischen Zwecken wurden von Hofdamen bis zur Peinlichkeit sorgfältig vorbereitet, weil Kindersegen Macht, Unfruchtbarkeit Niedergang oder verheerende Erbfolgekriege zur Folge haben konnten. Adel, Bürger und Bauern folgten denselben erbrechtlichen Überlegungen“ (ebd., S. 78).



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 471

Stellung des Pfalzgrafen Otto von Wittelsbach in der Mitte des 12. Jahrhunderts oder in den Auswirkungen der Maßnahmen Ludwigs des Bayern auf das „römische“ bzw. „deutsche“ Kaisertum und dessen „nationale“ Grundlegung218. Sein Leben lang hat sich Patze dagegen gewehrt, daß die Geschichte, daß der geschichtliche Mensch einseitig von einem einzigen Blickwinkel aus betrachtet wurde. Er rieb sich immer wieder an den Ansprüchen einer umfassenden, die Geschichtswissenschaft vereinnahmenden Sozialwissenschaft bzw. an der wiederholt geforderten Dominanz der Sozialgeschichte – bzw. an der in der Mediävistik von Karl Bosl propagierten Gesellschaftsgeschichte – innerhalb der Geschichtswissenschaft. Er begrüßte durchaus die von der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ausgehenden Anstöße für die Landesgeschichte, kritisierte aber, daß sich die Vertreter der sozial- und wirtschaftsgeschichtlich akzentuierten, ja dominierten Forschungsrichtung „allein als Repräsentanten einer modernen ‚Landesgeschichte‘ betrachten“, und wunderte sich darüber, daß nach der ausgiebigen von Otto Brunner ausgelösten Diskussion um eine epochengemäße Begriffssprache sozialwissenschaftliche Termini wie „das Schlüsselwort der deutschen Geschichtsforschung der Nachkriegszeit: ‚Gesellschaft‘“ und andere oft ungeprüft benutzt wurden219. Er machte sich darüber lustig, daß manche Historiker die französische Annales-Schule „als eine Art Prüfstein moderner Fragestellung, Gesinnung und historiographischer Wahrhaftigkeit betrachten zu müssen glauben“220. Die geradezu dogmatische Bevorzugung von sozialen und wirtschaftlichen Zuständen, von sozialen „Schichten“, von Strukturen übersah nach seiner Auffassung, daß sie nur ein Teil des Bildes erfaßten und nicht der Verantwortung für die Erkundung des gesamten historischen Menschen gerecht würden. Die eigene Lebenserfahrung belehrt ihn darüber, daß man den Menschen der Vergangenheit in ihren schicksalhaften Verstrickungen nicht nahe kommt, wenn „man sich allein mit ihrer sozialen Lage beschäftigt und der Vergangenheit ihre Unterlassungen ankreidet“221. Ob Strukturen zur wirksamen Entfaltung gelangen, so betont er, hängt vom einzelnen, von einzelnen Willen und 218 Vgl. noch den dritten, umständehalber recht summarischen Überblick über die Geschichte einer deutschen Dynastie: Die Wettiner in der Geschichte des Reiches und Europas, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 31 (1986), S. 315–336; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 703–727. 219 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 24. 220 Ebd., S. 27. – Die monokausale Erklärung verfassungsrechtlicher Sachverhalte aus sozialen Zustände traf seinen ironischen Wiederspruch, knapp bemerkte er 1979 zum vorherrschenden Trend: „Wie man sich einst vordringlich mit Gefolgschaft, Wike, Königsfreien usw. befaßte, so geht es jetzt kaum ohne einen Tribut an die ,Unterschichten‘ ab“ (Friedrich Barbarossa [wie Anm. 198], S. 61). 221 Rückblick (wie Anm. 6), S. 840.

472 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Entscheidungsmöglichkeiten ab, letzten Endes bewegen Bewußtsein und Psyche des Menschen, die allein mit sozialen und wirtschaftlichen Kategorien und Fragestellungen unserer eigenen Gegenwart nicht zu erfassen und zu verstehen sind, die Strukturen. Er kritisiert die etwa von den französischen „Annalisten“ geforderte Zurückdrängung der Ereignisgeschichte, denn „in der kausal dargestellten Ereignisgeschichte offenbarte sich auch die gern beschworene Evolution des humanen Menschen.“222 Es erscheint ihm unmöglich, „etwa politische, Verfassungs-, Siedlungs-, Wirtschafts-, Kirchen- und Kunstgeschichte nur als eine Evolution von sozialen Strukturveränderungen zu begreifen“. Er wehrt sich gegen eine daraus abgeleitete Verteilung der historiographischen Gewichte, da dann die Auswahl des erwähnenswerten Stoffes allzu sehr in Abhängigkeit von gegenwarts- und damit zeitbedingten Wertungen gerät. Er hält dagegen, daß die jeweilige schriftliche Überlieferung einer Epoche mit ihren Blickwinkeln und ihren Schwerpunkten vom heutigen Historiker maßgeblich einbezogen werden muß. Es ist kein Zufall, ob historisches Geschehen in die schriftliche Aussage drängt oder für die Nachwelt stumm bleibt. Der Historiker hat zu berücksichtigen, was die Zeitgenossen aussagen wollten oder konnten.223

In der Diskussion über Aufgaben und Schwerpunkte der deutschen Landesgeschichtsforschung hielt er gegen alle Anforderungen der Kulturraumforschung und der Sozialhistoriker unbeirrt daran fest, daß die Geschichte der Territorien in ihren Epochen ihren Platz behaupten muß, in denen die Territorien Ordnungsgewalten des Alten Reiches waren. Es geht nicht an, daß ein Spezifikum der deutschen Geschichte, das eine Unzahl von Zeugnissen hinterlassen hat, aus wissenschaftssystematischen Gründen, die derzeit vorwalten, vernachlässigt wird. Insbesondere darf es nicht dahin kommen, daß in einer Art Schulstreit die Landesgeschichte in eine ‚moderne‘ – und gar einzig noch mögliche – und eine antiquierte eingeteilt wird, die zudem in den Verdacht gerät, der alten fürstlichen Hausgeschichte zu folgen.224

In der Konsequenz solcher Überlegungen empörte sich Patze darüber, daß zeitgenössische Geschichtsbilder ganze Flächen des Geschehens abdeckten, indem sie etwa Studenten und Lehrern wegen angeblicher gesellschaftlicher Irrelevanz nicht mehr vermittelten, „daß über anderthalb Jahrtausende Menschen über nichts anderes vergleichbar tief nachgedacht und viel geschrieben haben wie

222 Probleme der Landesgeschichte (wie Anm. 135), S. 19–21, Zitat S. 21. 223 Geschichte Niedersachsens (wie Anm. 121), Bd. 1, S. XI–XII. 224 Geschichte Thüringen (wie Anm. 108), Bd. VI, S. 266.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 473

über Gott, die Kirche und ihr Verhältnis zu dieser Welt und zum Jenseits“225. Sein Zorn richtete sich dagegen, daß insbesondere Kirche und Glauben in ihrer historischen Erforschung auf ihre sozialen und wirtschaftlichen Funktionen verengt würden, daß Historiker in der christlichen Religion letztlich nichts anderes als ein Instrument zur Niederhaltung von Bauern und Bürgern in der Hand des Adels sehen wollten. Ironisch spitzte er seine Kritik in dem Satz zu: „In Lehrveranstaltungen mancher Universitäten schrumpft die Kirchengeschichte zu einer Wirtschaftsgeschichte mittelalterlicher Klöster zusammen.“226 Es kennzeichnet Patzes Wissenschaftsverständnis, das er solchen Thesen nicht mit methodischen Erörterungen, sondern mit dem Bezug auf reichhaltige Quellenaussagen entgegengetreten ist. Sein Aufsatz über „Bürgertum und Frömmigkeit im mittelalterlichen Braunschweig“ berührt noch heute durch die Art und Weise, wie er die gegenseitige Verflechtung von Recht, Wirtschaft und Glauben in einer bürgerlichen Stadtgemeinde beschreibt. Es kommt ihm darauf an zu zeigen, daß mittelalterliche Bürger mit den ihnen eigenen Wirtschafts- und Verfassungsformen die Kirche in ihrer Art geprägt und ihrer Frömmigkeit eigene Ausdrucksformen verliehen haben. Die äußeren Bedingungen des Zusammenlebens der Pfarrkinder, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten, ihr höherer Bildungstand, ihr Freiheits- und Selbstverwaltungsanspruch boten die Möglichkeit, den Aufbau der Kirchenverfassung ... zu verändern, wenn auch nicht völlig umzugestalten, eben nicht im Sinne einer Materialisierung in der geistlich-theologischen Substanz auszuhöhlen, sondern gerade zu intensivieren (S. 14).

Pfarrerwahl, Pfarrkirchenbau, Ablaßerwerb, Vermögensverwaltung, Stiftungen, Spitäler, Bruderschaften, Kalande, Beginenkonvente belegen in vielfachen Varia­ tionen das „Wechselspiel von Steigerung der materiellen Möglichkeiten und Entfaltung der Frömmigkeit“ (S. 18). Die Bürgerstadt bediente sich dabei der effektiven Organisations- und Verwaltungsformen, die sie ausgebildet hatte, ihre kenntnisreichen Bürger wandten die Technik der Geldwirtschaft mit Perfektion im geistlichen Bereich an, aber die verschiedenartigen Formen der Kapitalisierung des geistlichen Lebens wurzelten in einer echten Gläubigkeit. In ähnlicher Weise ist Patzes Darstellung der Christianisierung Sachsens in karolingischer Zeit anzumerken, daß er nicht nur die einschlägige Literatur, insbesondere die bahnbrechenden Forschungen Karl Haucks, ausgewertet und zusammengefaßt, sondern sich durch die Lektüre der Quellen einen eigenen Ein225 Bürgertum und Frömmigkeit im mittelalterlichen Braunschweig, in: Braunschweigisches Jahrbuch 58 (1977), S. 9–30, hier S. 10; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze (wie Anm. 3), S. 563–585. 226 Ebd., S. 9 Anm. 1, S. 10.

474 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

druck von ihrer Aussagekraft verschafft und beeindruckende Quellenzeugnisse in seinen Text eingefügt hat. Dabei warnt er, charakteristisch für seine Quellen­ interpretation, nachdrücklich vor einer Hyperkritik urkundlicher und erzählender Quellen, man könne schwerlich „an eine im Aufbau begriffene Kirchenorganisation ... die philologisch-kanonistische Elle eines mit Handbüchern versehenen Historiker des 20. Jhs. anlegen“, sondern müsse die teilweise völlig verschwommenen Vorstellungen der damaligen Verfasser und ihre realen Schwierigkeiten in der Darstellung des Gegenstandes berücksichtigen227. Patzes Übersicht führt die verschiedenen aufeinander folgenden Phasen der Missionierung vor: das Wirken der Missionare ohne und mit fränkischer Hilfe, die Betreuung bestimmter Missionsgebiete oder Räume Sachsens durch eine Art Patenschaft außersächsischer Bistümer, schließlich die förmliche Etablierung von Bistümern und damit der Übergang von der vagierenden Mission in eine institutionalisierte Kirche. Mit tiefem Verständnis für die Erwartungen und Befürchtungen der Beteiligten, der Missionare ebenso wie der Missionierten, beleuchtet er die Umstände der Mission und die Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit, wie etwa ihre Unterstützung durch die fränkische Staatsmacht, die für die Hörer bis zur Unkenntlichkeit übereinandergeschobenen Gedankenreihe, einerseits das Bild des leidenden, erlösenden Friedenskönigs, andererseits die Aufforderung zur Kapitulation vor dem Frankenkönig um des Christenkönigs willen, damit verbunden die schlichte Verdrängung der alten Wissens- und Glaubenskomplexe, die Ausrichtung der sozialen Ordnung auf die Kirche und die Kirchgemeinde, die Berührung der Laienschaft mit Klöstern und Stiften. Man kann wohl sagen, daß die Unterweisung zunächst ganz auf die Vermittlung der christlichen Morallehre angelegt war. Hier lag der Kern des ganzen Bekehrungswerks und letztlich, wenn es derlei gibt, die Rechtfertigung und der historische Erfolg von Karls Sachsenkriegen (S. 705f.).

Die eindringlichen Ausführungen über die Frömmigkeit verdeutlichen mit markanten Quellenbelegen die durch die einsetzenden regelmäßigen geistlichen Versorgungen gewährleistete Verchristlichung der Bevölkerung. Die Entwicklung der Landesgeschichtsforschung in der DDR hat Patze, wie nach seinem wissenschaftlichen Werdegang nicht anders zu erwarten, immer mit größter Aufmerksamkeit verfolgt und ist dabei gerade wegen der Außerachtlassung unliebsamer Bereiche und der Dogmatisierung eines Faktors vor deutlichen Worten nicht zurückgeschreckt. Er war sich darüber im klaren, daß der marxi227 Mission und Kirchenorganisation (wie Anm. 122), hier S. 689, Anm. 111 (in Auseinandersetzung mit Drögereit), ähnlich ebd. S. 688, Anm. 106.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 475

stische Staat bewußt die landesgeschichtliche Forschung bzw. ihre Institutionen weitgehend zum Erliegen gebracht hatte, weil er bemüht war, „jeden Zusammenhang mit der föderalistischen Vergangenheit der deutschen Geschichte und ihren adeligen Trägern zu löschen, ja diese Erinnerung gar nicht erst aufkommen zu lassen“.228 – „Allein diesen föderalistischen Geschichtseinheiten ... nachzugehen, hieß, sie im Bewußtsein wachzuhalten, mochte der Historiker zu ihnen politisch stehen, wie er wollte.“ Der Staat förderte nachhaltig nur ganz bestimmte Forschungsfelder wie die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, den Bauernkrieg, die Geschichte der Arbeiterbewegung. Aber, bemerkte er auch sehr kritisch zu anderen westdeutschen Beobachtern der DDR-Geschichtswissenschaft in den 70er und 80er Jahren, ganze Themenfelder, die schlechthin tot sind, werden von westdeutschen Historikern überhaupt nicht vermißt. Ihnen entgeht, daß in der DDR wohl gelegentlich ein kluges Buch von Müller-Mertens oder Töpfer erscheint, daß aber Mittelalter-Forschung und Landesgeschichte nicht mehr stattfinden.229

Der Blick in das „Jahrbuch für Regionalgeschichte“, das „landesgeschichtliche Organ“ der DDR, und seine Literaturberichte über die DDR-Regionalgeschichte zeigte sogleich, daß nur bestimmte Themenfelder wie Stadtgeschichte, Arbeiterbewegung, Namenkunde und Denkmalpflege beackert, das Mittelalter und die Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert aber gemieden wurden230. Mit Sorge mußte er zur Kenntnis nehmen, daß die Geschichtskenntnisse über mitteldeutsche Landschaften in der Bundesrepublik immer mehr abnahmen und manche Journalisten

228 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 12. 229 Landesgeschichte, 1. Teil (wie Anm. 98), S. 17–19, Zitate S. 18f. Das hier angeführte Beispiel einer derartigen westdeutschen Literatur ließe sich durch zahlreiche andere aus den 80er Jahren, nach Erscheinen von Patzes Artikel, ergänzen, vgl. nur: Peter Sonnet: Heimat und Sozialismus. Zur Regionalgeschichtsschreibung in der DDR, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), S. 121–135. – Peter Steinbach: Territorial- oder Regionalgeschichte: Wege der modernen Landesgeschichte. Ein Vergleich der „Blätter für deutsche Landesgeschichte“ und des „Jahrbuches für Regionalgeschichte“ in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 528–540, erwähnt beiläufig die Vernachlässigung des Mittelalters in der Regionalgeschichtsschreibung der DDR, ohne sie auch nur ansatzweise zu problematisieren, nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, daß er erkennbar eine Landesgeschichte bevorzugt, die sich in Abkehr von den historiographischen Traditionen der Kulturraumforschung und Siedlungsgeschichte an den Leitbildern der Sozial- und Gesellschaftsgeschichte orientiert und die Untersuchungsregionen sozial- und wirtschaftsgeschichtlich bestimmen will. 230 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 12.

476 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

über Stätten in der DDR wie über Plätze eines fernen Landes (reden und schreiben) und nicht über Orte, die bis vor 35 Jahren einer gemeinsamen Geschichte angehörten und noch immer eine Volksgeschichte teilen.231

Patze hat auf Grund seiner reichen wissenschaftsorganisatorischen Erfahrungen mit großer Sorge und zunehmender Kritik begleitet, daß sich seit den 60er Jahren, als ein reicher Geldstrom in die Wissenschaft zu fließen begann, eine neuer Wissenschaftsstil entwickelte. Er vermochte sich nur noch ironisch darüber zu äußern, daß 20 Jahre nach Inangriffnahme des neuen „Förstemann“, eines Ortsnamenverzeichnisses, ein großer Mitarbeiterstab noch keine Lieferung vorgelegt hatte. Die Inauguratoren planen das Großvorhaben, kontrollieren es gelegentlich, leisten aber – im Gegensatz zu älteren Unternehmungen etwa der klassischen Altertumswissenschaften – nicht mehr die Hauptarbeit und drohen so den Sinn für das Verhältnis von Investition zu wissenschaftlichem Ertrag zu verlieren. Zudem ist zu berücksichtigen, ob der für die Verwirklichung notwendige Schwung einer anregenden Persönlichkeit auf Dauer erhalten bleibt. Patze meint, daß seit der Mitte der 50er Jahre zu viele langfristige (landes)geschichtliche Großunternehmen nacheinander in Gang gebracht worden sind, denn sie kommen nur schleppend voran oder müssen gar eingestellt werden, da nicht genügend hochqualifizierte Arbeitskräfte zu ihrer gleichzeitigen Bewältigung zur Verfügung stehen. Patze legt auch besonderen Wert darauf, daß einzelne Wissenschaftlicher ihre eigenen Ideen verfolgen und verwirklichen und sich nicht nur in eine endlose Kette von Teamarbeiten einbinden lassen wollen232. Er steht den Großunternehmen wegen ihres Zuges zur Starrheit und zum Perfektionismus reserviert gegenüber und plädiert für eine bewegliche Förderung spontaner Forschung233. Ende der siebziger Jahre beklagt er, „daß sich die Geschichtswissenschaft allgemein und die Landesgeschichte in Deutschland in einem Zustand hoffnungsloser Überorganisation befinden“. Er meint damit die zunehmende Tendenz, immer neue landesgeschichtliche Zeitschriften und neue Schriftenreihen herauszugeben, anstelle der Nutzung vorhandener Institutionen aus neuen Fragestellung sogleich die Gründung neuer Institutionen und Arbeitskreise abzuleiten, immer mehr das Tagungswesen auszubauen, da dadurch die letzt-

231 Landesgeschichte, 1. Teil (wie Anm. 98), S. 33. 232 Landesgeschichte, 1. Teil, S. 31–34. – Dem skeptisch beurteilten Geldsegen hielt Patze einmal beiläufig die Beobachtung über die Wirkung des Konstanzer Arbeitskreises auf wissenschaftliche Nachwuchskräfte entgegen: „Der Grundsatz Fortbildung durch Forschung bei geringstem materiellen Aufwand ist von Theodor Meyer beispielhaft exerziert worden.“ (Blätter für deutsche Landesgeschichte 109 [1973], S. 351). 233 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 31.



Patze und die deutsche Landesgeschichtsforschung 

 477

lich immer begrenzten Mittel und das zu schmale Personalreservoir entgegen den Interessen der Geschichtswissenschaft und des Geschichtsbewußtseins weiter zersplittert werden und zugleich die wissenschaftliche Betriebsamkeit, ja Hektik die Sorgfalt des Nachdenkens gefährde. Manchem ist es völlig entfallen, daß man die gern beschworenen Forschungen auch ohne EDV und einen Stab von Hilfsarbeitern, sondern in vielen Fällen auf einem weißen Bogen Papier betreiben kann, den man mit guten Einfällen füllt.234

Für die niedersächsische Landesgeschichte befürwortet Patze die Dreiheit von Universitätsinstitut, Historischer Kommission und Geschichtsvereinen. Er ist nicht unglücklich darüber, daß die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen auf Grund der verfügbaren Haushaltsmittel keinen festen Mitarbeiterstab hat, erwartet stattdessen gerade von den Archivaren und Bibliothekaren, daß sie sich über ihre dienstlichen Verpflichtungen hinaus an wissenschaftlichen Vorhaben beteiligen. Und er verlangt gerade im Bereich der Landesgeschichte von den wissenschaftlichen Organisationen, die Verbindung zu den Geschichtsvereinen aufrechtzuerhalten, denn diese tragen Geschichtskenntnisse in Laienkreise hinein und erhalten nach seiner wiederholt geäußerten Auffassung durch das Echo, das die Fachwissenschaft in ihnen findet, das Geschichtsbewußtsein des Volkes235. Er muß mit Bedauern feststellen, daß wertvolle Träger landesgeschichtlicher Arbeit in der Vergangenheit, historisch interessierte Laien, unter ihnen Akademiker ohne geschichtswissenschaftliche Ausbildung, vor allem auch die Studienräte, verschwunden sind, warnt aber davor, die Kluft zwischen Autoren und Lesern so zu vergrößern, daß sich in der Landesgeschichte nur noch beamtete Spezialisten auskennten; „dann verliert das historische Bemühen überhaupt seinen Sinn und wird zur bloßen methodischen Artistik mit den Quellen“. Daher legt er so viel Wert auf die Geschichtsvereine, da sie viel landes- und lokalgeschichtliche Kenntnisse bewahren236. Patzes Geschichtsforschung ist durch eine ausgesprochene Quellennähe geprägt, er legte immer wieder größten Wert darauf, in seinen Arbeiten nicht den Kontakt zur Quelle zu verlieren. Die von ihm berichtete Aussage Schlesingers, „Man muß nur Quellen lesen, und man wird immer Neues finden“, fand seine ungeteilte Zustimmung und war aus seinem Munde von seinen Schülern wieder234 Probleme der Landesgeschichte (wie Anm. 135), S. 23f. (das erste Zitat ebd. S. 23); Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 14–16, 32 (das zweite Zitat). 235 75 Jahre Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 57 (1985), S. 281–286. – Vgl. auch Probleme der Landesgeschichte (wie Anm. 135), S. 24–26. 236 Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 98), S. 30.

478 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

holt zu hören. Er kritisierte ältere Kollegen, weil sie in großflächigen Zusammen­ fassungen wegen Aufgabe der Quellennähe Erkenntnisse eher vergröbert als präzisiert hätten237. Man wird in der Hervorhebung des Quellenbezugs nicht die Lösung aller Erkenntnisprobleme der Geschichtswissenschaft sehen wollen, was auch Patze bewußt war238, noch die Schwächen einer solchen Sicht leugnen wollen, die gerade auch in Patzes historiogaphischer Praxis sich bemerkbar machen. Den negativen Seiten einer gewissen Tendenz zum Positivismus ist er in Folge einer nicht ausreichend zugespitzten Fragestellung und einer eher assoziativen Gedankenführung nicht immer entgangen. Es lag ihm nicht, seinen Beobachtungen an den Quellen durch einen scharf umrissenen Begriff, durch neue Begriffsprägungen Glanz zu verleihen, geschweige denn, mit theoretisch entwickelten Modellvorstellungen an den geschichtlichen Stoff heranzugehen, wie es dem eine knappe Generation jüngeren Peter Moraw in seinen Untersuchungen und Darstellungen zum Spätmittelalter so eindrucksvoll gelingen sollte. Mag man damit Grenzen seiner Geschichtsforschung benennen, so sollte man sich gerade in der derzeitigen Situation der Geschichtswissenschaft, in der sich mancherorts inhaltliche Beliebigkeit mit empirieferner Abstraktion und leeren Worthülsen paart, an die von Patze betonte unabdingbare Quellennähe erinnern. Als eine jüngere Generation um 1970 mehr aus moralischem als aus wissenschaftlichem Impetus heraus andersgesinnte ältere Mediävisten des Positivismus und der unzulänglichen Verarbeitung der politischen Wandlungen des 20. Jahrhunderts für die geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen zieh, formulierte Patze in seinem Nachruf auf Theodor Mayer und dessen Bedeutung für den Konstanzer Arbeitskreis mit nachdenklichen Formulierungen sein eigenes wissenschaftliches Credo: Geschichtswissenschaft hat nur einem Leitstrahl, nämlich den vorhandenen Zeugnissen und ihrer von den Zeitgenossen gewollten Gewichtigkeit zu folgen. In der ganzen Breite des Bandes der hinterlassenen Quellen neu Probleme zu sehen und möglichst zu lösen, wird die Aufgabe des Konstanzer Arbeitskreises auch in Zukunft sein. In den Quellennähe folgt er dem wichtigsten methodischen Grundsatz seines Gründers.239

„Mein Lebensgang weist keinerlei Besonderheiten auf, er ist nur typisch für meinen Jahrgang“240. Man wird Patzes Bemerkung anläßlich seines 65. Geburtstages Recht geben, wenn man bedenkt, unter welchen niederdrückenden äußeren 237 Erinnerungen an Walter Schlesinger (wie Anm. 58), S. XXVI. 238 Rückblick (wie Anm. 6), S. 839f. 239 Blätter für deutsche Landesgeschichte 109 (1973), S. 353. – Vgl. demgegenüber die Einordnung des Werkes Peter Moraws bei Paravicini (wie Anm. 144). 240 Rückblick (wie Anm. 6), S. 835.



Quellenanhang 

 479

Bedingungen er sein Studium absolvierte und seine berufliche Laufbahn einschlug. Auf diese generationstypische Erfahrung hat Patze mit einer Arbeitsleistung geantwortet, die sich aus einem tief verwurzelten Ethos der Pflichterfüllung, aus im elterlichen Hause vorgelebten und übernommenen Tugenden ableitet, aus dem, dessen es gerade in den kargen Nachkriegszeiten bedurfte, um das geschlagene, geteilte und drangsalisierte Land auch im wissenschaftlichen Raum wiederaufzurichten. Der Rückblick auf sein wissenschaftliches Lebenswerk macht wieder einmal die Bedeutung der individuellen Persönlichkeit bewußt: Mit bescheidenen Mitteln, aber mit seiner ganzen bewundernswerten Energie hat Patze durch seine eigenen Forschungen und durch die von ihm angeregten und vorangetriebenen Sammelwerke eine Leistung vorgelegt, die mit dem Ergebnissen aufwendiger Forschungsapparate ohne weiteres zu konkurrieren vermag. Er wird ein Markstein in der deutschen Landesgeschichtsforschung des 20. Jahrhunderts bleiben.

Quellenanhang 1. Hans Patze an Willy Flach: erläutert die Gründe für seine Übersiedlung aus der DDR in die Bundesrepublik. Marburg, 29. Mai 1956 Maschinengeschr. Abschriften im NL Schlesinger, unter Korrespondenz Schlesinger – Patze (hier mit Datum 28. Mai 1956), sowie im NL Flach, unter Korrespondenz Flach/Patze. Sehr verehrter Herr Professor! Es ist mir schmerzlich, Ihnen mitteilen zu müssen, daß ich von meinem Urlaub nicht in die DDR zurückkehren werde. Ich bin mit meiner Familie in die Bundesrepublik übergesiedelt und beabsichtige, mich an der Universität Marburg zu habilitieren. Sie wissen, daß meine Neigung seit geraumer Zeit auf eine ausschließlich wissenschaftliche Tätigkeit hingeht. Nachdem der Aufruf des ZK der SED zur Förderung der Geschichtswissenschaft vom vorigen Jahre keine Zweifel gelassen hat, daß das Bild der deutschen Geschichte künftig nur nach den Grundsätzen des historischen Materialismus wird gezeichnet werden können, habe ich keine Möglichkeit gesehen, mich an einer Universität der DDR zu habilitieren und dort eine Tätigkeit von Dauer zu entfalten. Die Auseinandersetzung mit der materialistischen Geschichtsauffassung, die ich auf Grund meiner bisher gewonnenen Einsichten insbesondere in die mittelalterliche Geschichte nicht als ausreichend zur Deutung historischer Abläufe anzusehen vermag, würde mich, was bisher schon

480 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

der Fall war, in schwere innere und, wenn ich die Geschichte lehrend zu vertreten hätte, wohl auch äussere Konflikte bringen. Es ist unverkennbar, daß die personelle Auswahl im öffentlichen Dienst der DDR mit zunehmender Schärfe nach Gesichtspunkten der sozialen Herkunft vorgenommen wird. Das haben die neuesten Erhebungen über die soziale und politische Vergangenheit nicht nur der Befragten, sondern auch ihrer Verwandten und Anverwandten gezeigt. Ich hätte beständig zu befürchten, daß mir aus meiner und meiner Frau sozialen Herkunft Nachteile erwachsen könnten. Fasse ich dies mit bestimmten Beobachtungen über die Situation an den Universitäten der DDR und dem jetzt erneut formuliertem Grundsatz, daß in der DDR das Recht keine Konstante, sondern eine von der „gesellschaftlichen Entwicklung“ abhängige Größe sei, [zusammen], so ergibt sich, schon wenn ich allein die materiellen Gegebenheiten ins Auge fassen würde, ein Unsicherheitsfaktor, unter den ich die Zukunft meiner Familie und meine eigene nicht zu stellen vermag. Ich bedaure es sehr, daß die enge Verbundenheit, die seit anderthalb Jahrzehnten zwischen Ihnen und mir wissenschaftlich und menschlich gewaltet hat, auf so abrupte Art gelöst werden muß, habe allerdings, nachdem ich die Verfahrensweise der Umsiedlungsämter seit geraumer Zeit verfolgt habe, keine andere Möglichkeit gesehen. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen für die Einwirkungen, die Sie durch Lehre und berufliche Förderung auf meinen Entwicklungsgang genommen haben, auch bei dieser Gelegenheit herzlich zu danken, und ich kann nur hoffen, daß ich die unter Ihrer Leitung gewonnenen Erfahrungen weiter fruchtbar machen kann. Abschließend darf ich noch die Zuversicht haben, daß mein Nachfolger zu den Mitarbeitern des LA. Gotha ein ebenso enges Verhältnis finden möchte, wie es bestanden und – so scheint es wenigstens – zum Nutzen des Archivs sich bewährt hat. Ich denke an die Jahre in Gotha gern zurück; denn wir bildeten eine enge Gemeinschaft, aus der ich mich nur schwer gelöst habe. Obwohl ich über die geistigen, rechtlichen und materiellen Voraussetzungen wissenschaftlicher Arbeit grundsätzlich anderer Auffassung bin, liegt es nicht in meiner Absicht, den Konnex nach der DDR aufzuheben. Wenn es geschehen sollte, wird es nicht von meiner Seite geschehen. Ich darf Sie bitten, mich den Herren Kollegen und Mitarbeitern des LHA. Weimar zu empfehlen, und bin mit besten Grüßen Ihr dankbar ergebener gez. H. Patze



Quellenanhang 

 481

2. Hans Patze an die Kolleginnen und Kollegen des Landesarchivs Gotha: teilt seinen Weggang aus dem Landesarchiv Gotha mit und legt dessen Ursachen dar. Marburg, 29. Mai 1956 Thür. Staatsarchiv Gotha, Altregistratur, Az. 3000 PA 14. – Handschriftl. Ausfertigung. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie werden sich vielleicht bereits gewundert haben, daß ich, nachdem mich während meiner ersten Urlaubswoche täglich im Archiv erschienen war, seither ausgeblieben bin. Ich werde nicht mehr zurückkehren. Dies zu schreiben fällt mir schwer, ebenso schwer, wie es für mich war, mich am Pfingstsonnabend [Mai 19] unter vorgegebener Arglosigkeit von Ihnen zu verabschieden. Warum diese Härte sein mußte, brauche ich nicht zu erläutern. Möglicherweise haben Sie geahnt, daß ich nicht immer im Archivdienst bleiben würde. Trotzdem, es war ursprünglich nicht meine Absicht, zur Universität überzuwechseln. Das hat sich, wie es ja sein soll, von selbst ergeben. Nicht zuletzt hat mich die praktische Arbeit davon überzeugt, daß es auf die Dauer ein Übermaß von Aufwand erfordert, in einem Ort wie Gotha den Anschluß an die Forschung nicht zu verlieren. Es wäre am Ende nichts anderes geblieben, als zugunsten der Lokalgeschichte zu resignieren – oder das Wagnis einer Habilitation einzugehen. Daß ich mich nicht an einer Univ. der DDR würde habilitieren können, oder daß dies, wenn es schon gelungen wäre, früher oder später zu Schwierigkeiten hätte führen müssen, ist klar, nachdem der hist. Materialismus zur allein gültigen Grundlage des künftigen Geschichtsbildes erklärt worden ist. Diesen und andere Gründe, die mir den dauernden Aufenthalt in der DDR wie vielen anderen unmöglich gemacht haben, habe ich Herrn Prof. Flach dargelegt. Meine Mutter wird am 1. und 2. Juni unsere Wohnung räumen. Ich darf Sie bitten, die in meinem Arbeitszimmer in dem schmalen Wandregal, oberste Fächer, befindlichen Bücher der Handbücherei, der Landesbibliothek und das LHA. Weimar abzuholen. Mein Dienstausweis und der Schlüssel des Archivs liegen in meinem Schreibtisch in der Schublade, linke Ecke. Auch diese bitte ich zu entnehmen. Alle für das NUB [Naumburger Urkundenbuch] benutzten Urkunden habe ich am Pfingstsonntag zurückgebracht. In meinem Besitz befindet sich, wenn die angegebenen Gegenstände entnommen sind, nichts mehr, was dem LA. Gotha gehört. Die begonnenen MS. der UB von Reinhardsbrunn und Georgenthal können verwahrt oder vernichtet werden. Das MS des zweiten Bandes des AUB [Altenburger Urkundenbuches] kann nach Altenburg gegeben oder vernichtet werden; es ist jedenfalls mit Vorbehalt zu benutzen, da die Stücke nicht kollationiert worden sind. Dasselbe gilt, wie man ohne weiteres sieht, von dem UB von Georgenthal und R[einhardsbrunn].

482 

 Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands

Ich verabschiede mich nun von Ihnen. Es dürfte Ihnen nicht schwierig gewesen sein zu spüren, daß ich gern mit Ihnen zusammengearbeitet habe. Wenn wir einmal anderer Meinung waren, dann hatte jeder so viel Takt, sich vom Streitpunkt zurückzuziehen oder seine Ansicht aus der Perspektive des anderen nochmals zu überprüfen. Das Wichtigste, was uns verband, war Vertrauen. Ohne dies wird eine menschliche Gemeinschaft nicht existieren können. Daß ich mich, weil von bestimmter Seite permanentes Mißtrauen in alle menschlichen Beziehungen getragen wird, aus diesem Kreis des Vertrauens herausziehen mußte, war an meinem Weggang das Unangenehmste. Daß mein Nachfolger einen Zugang zu Ihren Nöten und Freuden finden möchte, wie ich ihn gesucht habe, ist mein aufrichtiger Wunsch. Ich denke gern an die vier Jahre in Gotha zurück, da wir unter schwierigsten Bedingungen eine echte Gemeinschaft gebildet haben. Haben Sie recht herzlichen Dank für alle Freundlichkeit und Beständigkeit, die Sie mir erwiesen haben. Es ist bedauerlich, daß seit 1933 immerzu Deutsche vor Deutschen fliehen, nur weil sie anderer Rasse oder anderer Meinung sind. Alle guten Wünsche, leben Sie wohl! Ihr Hans Patze.

Landesgeschichtsforschung im Exil Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger Landesgeschichtsforschung im Exil

Die nach 1945 eingetretene politische Teilung Deutschlands hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche Geschichtswissenschaft im allgemeinen und auf die deutsche Landesgeschichtsforschung im besonderen. In der DDR wurde in mehreren Stufen eine auf der marxistischen Geschichtslehre aufbauende und von ihren Dogmen ausgehende Geschichtswissenschaft entwickelt und durchgesetzt, die mit ihrer Theorie und Praxis die sogenannte bürgerliche Geschichtswissenschaft in Methodik und Inhalten vollständig zu überwinden strebte. Die überkommene Landesgeschichte, die nach dem I. Weltkrieg durch die Auswertung unbeachteter Archivbestände, die Anwendung innovativer methodischer Grundsätze und die Entwicklung neuer Fragestellungen sowie begünstigt durch verschiedene politische Rahmenbedingungen einen geradezu fulminanten Aufschwung genommen hatte1, litt nach dem Ende des II. Weltkrieges unter den organisatorischen Umwälzungen und inhaltlichen Umwertungen in einem streng zentralistisch strukturierten Staatswesen erheblich stärker als andere Zweige der Historie, da sie allein durch ihre Beschäftigung mit föderalistischen Traditionen der deutschen Geschichte unter Partikularismus–Verdacht gestellt werden konnte, und vermochte nur als marxistisch gewendete Regionalgeschichte auf Teilgebieten fortzubestehen2. Die „bürgerliche“ Landesgeschichtsforschung hörte allmählich in den 50er Jahren in der DDR zu bestehen auf, da ihre Lebensbedingungen beschnitten und beseitigt wurden. Ihre Anhänger konnten ihre Arbeitsergebnisse nur noch in geringen Teilen oder gar nicht mehr in der DDR publizieren, Nachwuchskräfte wurden nicht mehr herangebildet oder erhielten keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr, so daß sich derartig gesonnene Wissenschaftler in zahlreichen Fällen schließlich zur Flucht in den Westen, in die Bundesrepublik,

1 Ernst Pitz, Neue Methoden und Betrachtungsweisen in der landesgeschichtlichen Forschung nach 1918, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 124 (1988) S. 483–506. 2 Werner Buchholz, Vergleichende Landesgeschichte und Konzepte der Regionalgeschichte von Karl Lamprecht bis zur Wiedervereinigung im Jahre 1990, in: Landesgeschichte in Deutschland. Bestandsaufnahme – Analyse – Perspektiven, hg. von dems., Paderborn u. a. 1998, S. 11– 60, hier S. 21–25, 27–36. Aus: Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, hrsg. v. Matthias Werner (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, 13), Köln, Weimar, Wien 2005, S. 235–272).

484 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

gedrängt sahen, um Wissenschaft weiterhin nach den von ihnen vertretenen und für richtig gehaltenen Grundsätzen betreiben zu können. Auf diese Weise wurde auch die thüringische Landesgeschichtsforschung gespalten. Neben die diesbezüglichen Bemühungen in Thüringen selbst, die unvermeidlich unter marxistischen Vorzeichen standen, ohne allerdings immer mit marxistischen Inhalten gefüllt zu sein, traten andersartige Anstrengungen im westdeutschen „Exil“. Damit war eine für landesgeschichtliche Forschung außerordentliche Situation eingetreten, ist sie doch üblicherweise stärker als andere Sparten der Geschichtswissenschaft auf die Verankerung im Lande selbst angewiesen, auf die oftmals aus dem Land stammenden und dort aufgewachsenen Forscher und auf die seine kulturelle Überlieferung verwahrenden und betreuenden Forschungsstätten und deren Mitarbeiter, die auf der Grundlage der dort befindlichen unterschiedlichsten Quellen die Forschung zu beleben suchen. Die Tätigkeit der westdeutschen Exilanten soll im folgenden nicht in einem allgemeinen Überblick beschrieben werden, sondern meine Bemerkungen konzentrieren sich auf das wesentlichste Werk, das sie in den Teilungsjahrzehnten zwischen 1945 und 1990 zur thüringischen Landesgeschichte veröffentlicht haben, auf die von Hans Patze und Walter Schlesinger 1958/59 konzipierte und zwischen 1967 und 1984 herausgegebene „Geschichte Thüringens“, eines der großen Handbuch­ unternehmungen der bundesrepublikanischen Landeshistorie seit den 50er Jahren. Die „Geschichte Thüringens“ verdeutlicht in konkreter Anschaulichkeit die Bedingungen, unter denen Landesgeschichtsforschung im Westen betrieben werden konnte, genauer ausgedrückt, sie illustriert die Aufgaben, die sich die Initiatoren in der von ihnen analysierten wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Lage stellten, und die Schwierigkeiten, die sie für die Vollendung ihres Werkes vorfanden und zu überwinden hatten, kurz gesagt, die Leistungen und die Grenzen einer landesgeschichtlichen Thüringen-Forschung im westdeutschen Exil. Mehr als es bei historiographischen Untersuchungen gängig ist, werde ich dabei vorrangig auf die organisatorischen und personellen Gegebenheiten des Unternehmens eingehen, ohne damit die Inhalte gänzlich vernachlässigen zu wollen, aber erst die Einbeziehung dieser in den Vorworten allenfalls angedeuteten Voraussetzungen ermöglicht seine umfassendere Würdigung. Am Anfang der „Geschichte Thüringens“ steht der Mittelalter- und Verfassungshistoriker Walter Schlesinger3, steht seine Reaktion auf die Zurückdrän3 Hans Patze, Erinnerungen an Walter Schlesinger, in: Ausgewählte Aufsätze von Walter Schlesinger, hg. von Hans Patze/Fred Schwind (= Vorträge und Forschungen 34), Sigmaringen 1987, S. IX–XXVIII; Hans K. Schulze, Walter Schlesinger 28.4.1908–10.6.1984, in Zeitschrift für Ostforschung 33 (1984) S. 227–243, wiederabgedruckt unter dem Titel: Zum Gedenken an Walter Schlesinger 28.4.1908–10.6.1984, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 65 (1994) S. 9–26.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 485

gung und Verdrängung der Landesgeschichtsforschung in der SBZ und frühen DDR. Schlesinger stammte aus der Leipziger Schule Rudolf Kötzschkes, begann seine wissenschaftliche Laufbahn mit Untersuchungen zur hochmittelalterlichen sächsischen Landesgeschichte und gab in seinen weiteren, grundsätzlichen verfassungsgeschichtlichen Problemen gewidmeten Untersuchungen seinen landes­ geschichtlichen Bezug nicht auf, wie etwa seine 1941 veröffentlichte Habilitationsschrift über „Die Entstehung der Landesherrschaft“ zeigt, die die prinzipielle Problematik am mitteldeutschen Raum, vornehmlich an der früh- und hochmittelalterlichen Entwicklung Thüringens, verdeutlicht. Nachdem er seinen Leipziger Lehrstuhl 1945 wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP verloren hatte, befaßte er sich vorrangig mit der Erarbeitung einer die Zeit bis 1300 umfassenden Kirchengeschichte Sachsens, hielt engen Kontakt zu seinen mediävistischen und landesgeschichtlichen Fachgenossen an den Universitäten und Archiven der DDR, beobachtete vor wie insbesondere auch nach seiner Übersiedlung nach Marburg im November 1951, die im Kern durch die Aufgabe der Kötzschkeschen, der Landesgeschichte gewidmeten Forschungstradition an der Universität Leipzig ausgelöst war4, die Entwicklung der Geschichtswissenschaft in der DDR, ihre „Sowjetisierung“5. Seine verschiedenen, an das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen bzw. den dortigen Regierungs- und Ministerialrat Friedrich von Zahn gerichteten Denkschriften aus den frühen 50er Jahren beschreiben präzise die Lage der Landeshistorie in der DDR: Es fehlte an Publikationsmöglichkeiten, Monographien erschienen nur spärlich, allgemeinhistorische oder landesgeschichtliche Zeitschriften wurden überhaupt nicht herausgebracht. Druckfertige Manuskripte hatten die hohe Hürde der Zensurbehörden, des „Kulturellen Beirates“ bzw. des Ausschusses für das Verlagswesen, zu nehmen, und hier bestand mehr für Darstellungen als für Quellenpublikationen die Gefahr, daß politisch und ideologisch motivierte, den Autoren unzumutbare Auflagen die Drucklegung verhinderten. „Es kommt hinzu“– so schrieb Schlesinger in seinem Bericht vom 27. Juni 1952 an das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen über seine Teilnahme am Kongreß der Archivare der DDR im Mai 1952 in Weimar6 –, 4 Michael Gockel, Die Übersiedlung Walter Schlesingers nach Marburg im Jahre 1951, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 72 (2001) S. 215–253, schildert sehr eindringlich Schlesingers Lage in den ersten Nachkriegsjahren. 5 Zum folgenden vgl. Michael Gockel, Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“ und der „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 64 (1993) S. 223–232, hier S. 225–227, und die gleich anzuführende Denkschrift Schlesingers vom 27.6.1952. 6 Vollständig veröffentlicht bei Volker Wahl, Der Kongreß der Archivare der Deutschen Demo­ kratischen Republik 1952 in Weimar, in: Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlen­berg, hg. von Klaus Oldenhage/Hermann Schreyer/Wolfram Werner (=Schriften des Bundes-

486 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

daß bestimmte historische Sachgebiete überhaupt nicht mehr objektiv bearbeitet werden können oder doch unerwünscht sind, so z. B. alles, was mit der ostdeutschen Kolonisation zusammenhängt, Fragen der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, soweit sie nicht die Geschichte der Arbeiterbewegung betreffen, geschichtliche Landeskunde und Landesgeschichte im engeren Sinne.

Damals dachte Schlesinger noch vorrangig daran, die in der DDR im alten Sinne tätigen Historiker durch Erleichterung ihrer Forschungs- und Publikationsmöglichkeiten im beschränkten möglichen Rahmen zu unterstützten, indem ihnen die neueren und neuesten wissenschaftlichen Neuerscheinungen zugesandt werden sollten, indem in zu subventionierenden westdeutschen geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften in der DDR entstandene Arbeiten veröffentlicht werden sollten, indem mit Beihilfen und Stipendien die DDR betreffende laufende oder anzustrebende Untersuchungen unterstützt werden sollten. „Es erscheint dringend geboten“ – so Schlesinger in seiner gerade erwähnten Denkschrift7 –, die offensichtlich vernachlässigten Sachgebiete von Westdeutschland aus zu pflegen, so weit dies möglich ist, d. h. entsprechende Arbeiten anzuregen und im Gange befindliche finanziell zu unterstützen. […] Man sollte versuchen, in möglichst zahlreichen Fällen über die Zonengrenze hinweg zu wissenschaftlicher Zusammenarbeit zu kommen. […] Durch solche Zusammenarbeit scheint mir die zunehmende Isolierung der Wissenschaft der Sowjetzone am besten verhindert werden zu können, eine Isolierung, die schließlich zur Sowjetisierung und damit zum Untergang führen muß.

Ein halbes Jahr später schlug Schlesinger unter dem Eindruck der jüngsten wissenschaftlichen Entwicklungen in der DDR weitergehende Konsequenzen vor. Mit der Aufhebung der Länder seien auch die bestehenden Historischen Kommissionen in Wegfall gekommen, also die bislang wichtigsten organisatorischen Träger der landesgeschichtlichen Forschung. Nach seiner Auffassung konnten sich geeignete Gegenmaßnahmen nicht mehr darauf beschränken, die Forschung in der Sowjetzone zu stützen, sondern es muß ins Auge gefaßt werden, in Westdeutschland fortzusetzen, was in der Sowjetzone aufhören muß. – Das heißt also, daß für die wissenschaftlichen Arbeiten über die Ostzone ähnliche Maßnahmen getroffen werden müssen, wie für die Gebiete östlich der Oder-Neißearchivs 57), Düsseldorf 2000, S. 115–141, hier S. 134–141, das Zitat S. 141. – Die Beiträge des Kongresses wurden veröffentlicht in dem Sammelband: Archivarbeit und Geschichtsforschung. Vorträge und Referate, gehalten auf dem Kongreß der Archivare der Deutschen Demokratischen Republik in Weimar 1952 (= Schriftenreihe des Instituts für Archivwissenschaft der Deutschen Demokratischen Republik 2), Berlin 1952. 7 Wahl, Kongreß (wie Anm. 6), S. 141.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 487

Linie, wobei allerdings der Aufbau eines besonderen Instituts nicht ratsam ist, sondern eine sehr viel lockere Form gefunden werden muß8.

Nachdem Schlesinger sich der politischen und finanziellen Unterstützung des Gesamtdeutschen Ministeriums versichert hatte, wurde auf seine Anregung hin im Juli 1953 der „Wissenschaftliche Arbeitskreis für Mitteldeutschland“ ins Leben gerufen, eine lockere Vereinigung von Historikern, Archivaren, Kunsthistorikern, Geographen, Vor- und Frühgeschichtlern, Volkskundlern sowie Literatur- und Sprachwissenschaftlern, die, zumeist aus Mitteldeutschland stammend und in ihrem Arbeitsgebiet über Mitteldeutschland tätig, sich zum Ziel setzten, auf verschiedenen Wissenschaftszweigen die Erforschung der Länder zwischen Ostsee und Erzgebirge weiterzuführen und fortzuentwickeln, insbesondere auf den Gebieten, auf denen die wissenschaftlichen Institutionen in der DDR kaum oder gar nicht mehr wirkten, so daß die Landesgeschichte den inhaltlichen Schwerpunkt der Aktivitäten des Arbeitskreises in den nachfolgenden Jahrzehnten abgab. Die Ergebnisse der vom Arbeitskreis bzw. seinen Mitgliedern durchgeführten oder geförderten Forschungen wurden ab 1954 in einer eigenen Schriftenreihe, den „Mitteldeutschen Forschungen“, veröffentlicht, die Schlesinger zusammen mit dem Germanisten Ludwig Erich Schmitt und dem Slawisten Reinhold Olesch herausgab und für die das Ministerium die erforderlichen Druckkostenzuschüsse regelmäßig bereitstellte. Die Grundlagen für die von Westdeutschland aus betriebenen Forschungen konnten dadurch verbessert werden, daß Schlesinger 1960 die Einrichtung einer mit zwei Wissenschaftler-Stellen ausgestatteten „Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands“ als besonderer Abteilung am „Hessischen Landesamt für geschichtliche Landeskunde“ in Marburg erreichte9. Abgesehen von eigenen wissenschaftlichen Untersuchungen der Mitarbeiter und der von ihnen geförderten und betreuten Untersuchungen anderer, wurde die Infrastruktur für die geplanten Forschungsund Lehraufgaben wesentlich dadurch verbessert, daß eine leistungsfähige landeskundliche und landesgeschichtliche Spezialbibliothek für das Gebiet der gesamten DDR aufgebaut wurde. Mit all diesen organisatorischen Maßnahmen waren tragfähige Voraussetzungen für das Anliegen der Initiatoren geschaffen, „eine wissenschaftliche Tradition, […] die abzureißen droht, fortzusetzen“10. 8 Zitiert nach Gockel, Anfänge (wie Anm. 5), S. 226. 9 Vgl. dazu Gockel, Anfänge (wie Anm.5), S. 227–229. 10 Schreiben Patzes an Eberhard Schmieder vom 29.11.1959; Patze an Wilhelm Flitner, 8.2.1960. – Der den nachfolgenden Ausführungen maßgeblich zugrunde gelegte (Teil-)Nachlaß von Hans Patze im Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar enthält seine im Zusammenhang mit seiner Mitwirkung im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Mitteldeutschland entstandenen Korre-

488 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Unter den inhaltlichen Initiativen, die Schlesinger zur Fortführung der mitteldeutschen Landesgeschichtsforschung ergriff, verdienen in unserem Zusammenhang seine Handbuch-Planungen ausdrückliche Erwähnung. Um eine größere Breitenwirkung der landesgeschichtlichen Forschung unter einem gebildeten Laienpublikum zu erreichen und zugleich die Forschung selbst vor den Gefahren ausschließlicher Spezialisierung zu bewahren, dachte er daran, die Geschichte einzelner historischer Länder jeweils durch ein mehrbändiges, verständlich geschriebenes Handbuch darstellen zu lassen, das sowohl durch eine überlegte Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes die großen Linien herauszuarbeiten als auch durch den Grad der Ausführlichkeit die zahlreichen von der Landesgeschichtsforschung einbezogenen Sachgebiete aufzunehmen erlaubte und so im Ergebnis eine ganz neue Grundlage für die nachfolgende Forschung schuf. Als Fernziel schwebte ihm die handbuchmäßige Darstellung aller historischen Länder vor, die zwischen 1945 und 1952 in der SBZ/DDR bestanden11. spondenzen, schwerpunktmäßig seinen Briefwechsel mit den Autorinnen und Autoren der „Geschichte Thüringens“. Da die Briefe alphabetisch nach Patzes Korrespondenzpartnern geordnet sind, lassen sie sich mit Angabe seines Briefpartners und des Datums auch ohne Angabe einer Archivsignatur, die wegen der unabgeschlossenen Verzeichnung noch nicht vergeben ist, leicht auffinden. – Die andauernde Beobachtung der wissenschaftlichen Produktion in der DDR bestätigte immer wieder die Notwendigkeit der eigenen Anstrengungen. 1958 betonte Schlesinger den Mangel sowohl an organisatorischen Voraussetzungen als auch an inhaltlichem Interesse an der Landesgeschichte: „An den Universitäten wird keine Landesgeschichte betrieben, die histo­rischen Vereine sind zerstört, die Wissenschaftler der SBZ dürfen nicht mehr oder nur unter Schwierigkeiten im Westen publizieren – woraus bereits ein wissenschaftliches Vakuum wie in den Ostblockstaaten zu entstehen im Begriff ist. Es sei höchste Zeit, daß von unserer Seite etwas auf dem Gebiet der Landesgeschichte getan werde. […] Der deutsche Territorialstaat gehöre nicht zum ‚Kulturerbe‘, da er auch nicht fortschrittlich gewesen sei, sondern ein Rückschritt. Nachgeblieben sei Heimatgeschichte plus Geschichte der Arbeiterbewegung. Das Zwischenglied fehle, doch könne sich dies plötzlich ändern“ (Protokoll der Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 22. und 23. Mai 1958 in Gießen [Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde]). 1967 urteilte Patze auf Grund seiner Kontakte: „Große Gebiete des geschichtlichen Geschehens sind auch weiterhin aus der wissenschaftlichen Arbeit ausgeklammert. Kollegen, die noch vor wenigen Jahren mit Publikationen an die Öffentlichkeit getreten sind, haben ihre Arbeit nahezu ganz eingestellt, weil sie im Laufe von zwei Jahrzehnten der fortgesetzten politischen Beeinträchtigung ihrer Tätigkeit müde geworden sind“ (Patze an Flitner, 18.8.1967). 11 Patze an Hermann Rudolph /Frankfurter Allgemeine Zeitung), 25.1.1979 (im Nachlaß Patze [wie Anm. 10] unter: Frankfurter Allgemeine Zeitung/Hermann Rudolph). – Hans Patze, Landesgeschichte (2. Teil), in: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Berichtsjahr 1981, hg. von der Arbeitsgemeinschaft außeruniversitärer historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1982, S. 27; wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze von Hans Patze, hg. von Peter Johanek/Ernst Schubert/Matthias Werner (= Vorträge und Forschungen 50), Stuttgart 2002, S. 72.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 489

Konkrete Planungen und Konzeptionen hat Schlesinger selbst in drei Fällen aufgestellt. Um die Landesgeschichte Brandenburgs und Berlins bemühte er sich im Rahmen der 1959 wesentlich auf seine Initiative hin gegründeten Historischen Kommission zu Berlin. Sie sollte nach seiner Vorstellung in ihre Arbeitsaufgaben als eines der wichtigsten Vorhaben ein dreibändiges Handbuch zur Geschichte der Region aufnehmen, und entsprechend seinem Vorschlag wurde eine inhaltliche Konzeption für Mittelalter, Frühe Neuzeit und 19./20. Jahrhundert angenommen. Das Gesamtwerk ist nicht zustande gekommen, erschienen ist 1968 nur der dem 19. und 20. Jahrhundert gewidmete Band, dessen wesentliche Schwäche trotz eines überzeugenden weitgefächerten thematischen Ansatzes darin besteht, daß in den Beiträgen Berlin allzu sehr über die Provinz Brandenburg dominiert. Von den für die früheren Jahrhunderte vorgesehenen Bänden sind nur einzelne Beiträge vollendet worden, die schließlich gesondert veröffentlicht wurden, als das Scheitern der Gesamtplanung offensichtlich wurde. Schlesingers Weggang von Berlin und Johannes Schultzes „Geschichte der Mark Brandenburg“ wirkten sich bereits nachteilig aus, aber den entscheidenden Ausschlag gab schließlich, daß sich die Berliner Kommission entgegen Schlesingers ursprünglicher Schwerpunktsetzung von der Landesgeschichte immer weiter entfernte – worauf er mit seinem eigenen Austritt reagierte – und ihre wesentlichen Aufgaben auf das Feld der nationalen und internationalen Geschichte verlagerte12, so daß für die Betreuung des landesgeschichtlichen Handbuches keine vorantreibende Person übrigblieb. Über eine Vorbereitungsphase sind Schlesingers Überlegungen für eine neue Gesamtdarstellung der Geschichte Sachsens, die das Werk Kötzschkes und Kretzschmars von 1935 ersetzen sollte, letztlich nicht hinausgekommen13. Er beschäftigte sich in Zusammenhang mit seiner Herausgebertätigkeit für den Band Sachsen des Handbuches der historischen Stätten Deutschlands intensiv mit einer Konzeption und führte 1964 mit einem kleinen Kreis potentieller Mit-

12 Es ist bezeichnend, wie 1984 in seinem Festvortrag zum 25jährigen Jubiläum der Historischen Kommission zu Berlin Otto Büsch, Historikervereinigung und Forschungsinstitution. Fünfundzwanzig Jahre Historische Kommission zu Berlin. Zur Geschichte eines hauptstadt- und weltstadtorientierten Zentrums historischer Forschung in Deutschland, in: Beiträge zur Organisation der historischen Forschung in Deutschland aus Anlaß des fünfundzwanzigjährigen Bestehens der Historischen Kommission zu Berlin am 3. Februar 1984, Berlin/New York 1984, S. 1– 45, die Zurückdrängung des landesgeschichtlichen Schwerpunktes zugunsten von Themen der preußisch-deutschen, europäischen und Universalgeschichte geradezu feiert, vollzog sich doch darin für ihn die Wendung der Kommission „zu einer in ihren Aufgaben universell ausgerichteten […] Institution der Geschichtswissenschaft“ (S. 35) bzw. zu „einer auf Internationalität und wenigstens tendenzielle Universalität ausgerichteten Institutionalisierung des wissenschaftlichen Austausches“ (S. 20). 13 Vgl. Gockel, Anfänge (wie Anm. 5), S. 230.

490 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

arbeiter ein „Kolloquium über Möglichkeiten und Zweckmäßigkeit einer mehrbändigen Geschichte Sachsens“ in der Marburger Forschungsstelle durch. Er nahm schließlich von dem Vorhaben wieder Abstand, als sich herausstellte, daß es an einer ausreichenden Anzahl geeigneter Fachkräfte fehlte – das Problem wird uns bei der „Geschichte Thüringens“ wieder begegnen. Auch die Mitte der 60er Jahre im Arbeitskreis angestellten Überlegungen, eine handbuchartige Geschichte der preußischen Provinz Sachsen zwischen 1815 und 1945 zu verfassen, haben nicht zu greifbaren Ergebnissen geführt14. Die „Geschichte Thüringens“ verdankt ihre Entstehung den hier angedeuteten größeren Zusammenhängen, aber im Gegensatz zu den angesprochenen anderen Projekten ist sie über das Planungsstadium und über Teilergebnisse hinausgekommen und vollendet worden15, auch wenn sich die beteiligten Herausgeber dessen nicht immer sicher waren, so daß die Ursachen für den erreichten Erfolg zu behandeln sind. Die ideelle Urheberschaft ist wiederum Walter Schlesinger zuzuschreiben; sein Gedanke geht auf die frühen 50er Jahre zurück, auf eine Zeit, in der er noch hoffte, durch die Zusammenarbeit mit den in der DDR wirkenden „bürgerlichen“ Landeshistorikern, durch mit ihnen durchzuführende gemeinsame wissenschaftliche Vorhaben über die Zonengrenze hinweg ihrer zunehmenden Isolierung begegnen zu können. 1952 schlug er Willy Flach, dem Direktor des Thüringischen Landeshauptarchivs Weimar und Vorsitzenden der freilich nur noch auf dem Papier bestehenden Thüringischen Historischen Kommission, vor, „als Gemeinschaftswerk eine Geschichte Thüringens auf die Beine zu stellen, in ähnlicher Weise wie die von Aubin herausgegebene Geschichte Schlesiens“, und trug Flach die Herausgeberschaft und die freie Wahl von dessen Beitrag an, doch dieser winkte ab16. 14 Protokoll der Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 3. und 4.Juni 1965 in Gießen; Protokoll der Jahresversammlung am 26. und 27. Mai 1966 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). – Schlesinger an Patze, 31.1.1967 (Rundschreiben). 15 Geschichte Thüringens, hg. von Hans Patze/Walter Schlesinger, 6 Bände (= Mitteldeutsche Forschungen 48/1–6), Köln/Graz 1967–1984; 1: Grundlagen und frühes Mittelalter, 1968; 2/1–2: Hohes und spätes Mittelalter, 1973–1974; 3: Das Zeitalter des Humanismus und der Reformation, 1967; 4: Kirche und Kultur in der Neuzeit, 1972; 5/1/1–2, 5/2: Politische Geschichte in der Neuzeit, 1978–1984; 6: Kunstgeschichte und Numismatik in der Neuzeit, 1978. 16 Schlesinger an Patze, 7.5.1953. – Volker Wahl, Willy Flach (1903–1958), in: Lebensbilder Thüringer Archivare, hg. vom Vorstand des Thüringer Archivarverbandes, o. O. 2001, S. 72–87, dazu weitere ebd. angeführte Arbeiten von Volker Wahl, zusammengefaßt in der umfassenden biographischen Gesamtdarstellung: Volker Wahl, Thüringer Archivar, Landeshistoriker und Goetheforscher. Willy Flach (1903–1958) – Ein Lebensbild, in: Willy Flach (1903–1958). Beiträge zum Archiv­ wesen, zur thüringischen Landesgeschichte und zur Goetheforschung, hrsg. v. Volker Wahl (= Veröffentlichungen aus thüringischen Staatsarchiven 9), Stuttgart 2003, S. 10–55.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 491

Entscheidend für das Geschick von Schlesingers Idee wurde seine Bekanntschaft mit einem jungen thüringischen Archivar, mit dem er seit ihrer ersten Begegnung im Landesarchiv Altenburg 1948 in engeren wissenschaftlichen Kontakt getreten war und dessen hilfswissenschaftliche und landeshistorische Arbeiten er mit zahlreichen Anregungen begleitete und in Richtung verfassungsgeschichtlicher Fragestellungen lenkte. Als Hans Patze17 1954 in Gotha die Forschungen für seine spätere Habilitationsschrift über das von Schlesinger inspirierte Thema „Thüringen und das Reich 1050–1250“ aufnahm, bot er seinem Mentor an, eine geraffte Fassung seiner Untersuchung für den mittelalterlichen Band des Handbuches bereitzustellen. Die Absicht der aufstrebenden wissenschaftlichen Nachwuchskraft wurde tatsächlich verwirklicht, wenn auch unter anderen Umständen, als die Beteiligten damals geglaubt haben werden. Denn Patze floh im Mai 1956 in den Westen, als er nach dem SED-Geschichtsbeschluß von 1955 mit der Verpflichtung der Historie auf die marxistische Geschichtslehre für sich in der DDR keine wissenschaftliche Zukunft mehr sah; gefördert von Schlesinger, habilitierte er sich im April 1958 bei Heinrich Büttner in Marburg mit der Schrift über „Die Entstehung der Landesherrschaft in Thüringen“ und erhielt dort anschließend eine Privatdozentur für mittelalterliche Geschichte und mittel- und ostdeutsche Landesgeschichte. Schlesinger ergriff die Gunst der Stunde, daß sein „Schüler“ Patze – in einem weitgefaßten Verständnis wird man ihn so bezeichnen können – jetzt freie Hand für die Organisation und Betreibung eines wissenschaftlichen Großunternehmens hatte. Im Mai 1958 schlug er auf der Gießener Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland vor, eine bislang fehlende Landesgeschichte Thüringens in Gang zu setzen, und entsprechend seiner Anregung wurde Patze mit der Leitung des Projektes sowie mit dem Entwurf einer Konzeption und einer Gliederung beauftragt und in den Arbeitskreis kooptiert18. Auf der nachfolgenden Jahrestagung im Mai 1959 stellte Patze den „Plan einer thüringischen Geschichte“ vor, auf dessen Grundlage die Arbeit in den nachfolgenden zweieinhalb Jahrzehnten geleistet wurde19. 17 Klaus Neitmann, Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands: Walter Schlesinger und Hans Patze. I. Teil: Hans Patze: Thüringischer Landesarchivar – Gesamtdeutscher Landeshistoriker – Erforscher der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaften, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 47 (2001) S. 193–300, in diesem Band S. 357–482. – Ders., Hans Patze (1919–1995), in: Lebensbilder (wie Anm. 16) S. 198–207. 18 Protokoll der Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 22. und 23. Mai 1958 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). 19 Protokoll der Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 14. und 15. Mai 1959 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde).

492 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Auch oder vielleicht gerade im Rückblick von fast viereinhalb Jahrzehnten wird man die damals entwickelte Planung wegen ihres umfassenden Ansatzes als wagemutig bezeichnen dürfen. Denn das eigentliche Handbuch, eine dreibändige Darstellung, sollte zugleich ergänzt werden durch ein für die Forschungsarbeit förderliches, wenn nicht gar unentbehrliches Hilfsmittel, eine Bibliographie zur thüringischen Geschichte, und durch ein Handbuch der historischen Stätten, das mit seinen zahlreichen Ortsartikeln einen kleinen Ersatz für das fehlende Historische Ortslexikon bot20. Die Bibliographie sollte einerseits die Erarbeitung der Darstellung erleichtern, indem sie den Autoren ein Hilfsmittel zur Erfassung der einschlägigen Literatur an die Hand gab, andererseits konnte sie selbst von den Spezialkenntnissen der Autoren profitieren und gegebenenfalls korrigiert und ergänzt werden. Sie war nicht auf Vollständigkeit, sondern sinnvollerweise als Auswahlbibliographie angelegt; die wissenschaftlich wertvollen, primäres Material verarbeitenden landesgeschichtlichen Untersuchungen wurden zusammengestellt, damit sowohl der Allgemeinhistoriker nicht im Unwesentlichen erstickte als auch der Heimatforscher in seiner Beschäftigung mit kleinen und kleinsten Objekten bedient wurde. Die Gliederung läßt zugleich in Entsprechung zur Darstellung den methodischen landesgeschichtlichen Ansatz erkennen, indem die Breite des historischen Lebens von der historischen Landeskunde, der Volkskunde über die politische Geschichte, die Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die Geschichte der geistigen Kultur bis hin zum größten Schwerpunkt Ortsgeschichte und zur Kirchen-, Bevölkerungs- und Familiengeschichte bibliographisch dokumentiert wurde. Die von Patze im wesentlichen mit drei studentischen Hilfskräften geleistete Arbeit lag 1965/66 in zwei Bänden vor, in dem ersten über 14.000 Titel enthaltenden Halbband und in dem das Verfasser- und Sachregister enthaltenden zweiten Halbband im Umfang von ca. 230 Seiten. Der Thüringen-Band des Handbuchs der Historischen Stätten Deutschlands folgte 1968. Die dominierenden stadtgeschichtlichen Artikel verraten wohlüberlegte Schwerpunktsetzungen, etwa die Zustände der hochmittelalterlichen Stadtordnung, die Entwicklung der Stadtverfassung und ihrer einzelnen Organe, die wirtschaftlichen Grundlagen der bürgerschaftlichen Existenz, die markanten Bauwerke in ihren Entstehungszusammenhängen und mit ihren kunsthistorischen Eigenarten. Überhaupt wird durchgängig der Stellenwert des jeweiligen Ortes im politischen Kräftespiel und für adlige und bürgerliche Herrschaftsbildung charakterisiert. Patzes Handbuch-Planung von 1959 sah vor, mit einem weiten Bogenschlag sowohl Politik, Recht und Verfassung der Landesherrschaften und Staaten als 20 Zum folgenden vgl. ausführlicher Neitmann, Landesgeschichtsforschung (wie Anm. 17), S. 229f., 233–235.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 493

auch eine Vielzahl von historischen Sachgebieten, von der Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis hin zur Kirchen- und Kulturgeschichte in drei Bänden zu erfassen; Band 1 war für die Grundlagen und das Mittelalter, zwei Bände für die Neuzeit vorbehalten, von denen Band 2 die politische Geschichte und Band 3 die einzelnen Sachgebiete behandeln sollte. Der breitgefächerte Ansatz hatte organisatorisch zur Folge, daß er nicht durch eine Einzelleistung, sondern nur in Form eines Sammelwerkes aus der Zusammenarbeit, aus den Beiträgen zahlreicher Gelehrter bewältigt werden konnte. Zur zentralen Aufgabe der Herausgeber gehörte daher neben der Vorgabe des Gliederungsschemas die Gewinnung von kompetenten Autoren. Patze und Schlesinger waren sich dabei von vornherein bewußt, daß sie für die Realisierung ihres umfassenden Programms nicht aus einem reichlichen personellen Reservoir thüringischer Landeshistoriker schöpfen konnten, sondern daß die Zahl der sachkundigen und bereitwilligen Kollegen sehr begrenzt war. Sowohl der Umfang des Werkes als auch die Vielzahl der Stoffgebiete, die in einer modernen Landesgeschichte zu vereinigen sind, machen die Bearbeitung durch einen Verfasser unmöglich. Wir sind zur Verwirklichung unsers Vorhabens auf die Hilfe einer größeren Anzahl von Fachgenossen und Sachkennern angewiesen. […] Der Kreis derer, die unter den gegebenen Verhältnissen an einem solchen Werk mitarbeiten können, ist klein21.

Das angestrebte Ergebnis hing maßgeblich davon ab, ob es den Herausgebern gelingen würde, aus der überschaubaren Gruppe von Wissenschaftlern, die in der Tradition der thüringischen Landesgeschichtsforschung standen oder sich dafür begeistern ließen, für alle vorgesehenen Sachgebiete geeignete Fachleute zu werben und von ihnen gehaltvolle Beiträge zu erhalten, oder ob sie sich notgedrungen darauf einlassen mußten, ihre hohen Maßstäbe in quantitativer wie in qualitativer Hinsicht zu reduzieren. Im folgenden will ich zunächst ausführlicher auf diesen Punkt eingehen, bevor ich mich näher mit der inhaltlichen Konzeption befasse, weil manche historiographischen Interpretationen allzu einseitig bei der Analyse von Methoden und Inhalten historischer Werke verweilen und die personellen Voraussetzungen von Gemeinschaftsunternehmungen allzu sehr vernachlässigen. Gerade bei der „Geschichte Thüringens“ lassen sich die vorhandenen erheblichen Schwierigkeiten in der Realisierung trefflich kennzeichnen, wenn man sich den eingesetzten Fachkräften zuwendet. 21 Patze an Flitner, 8.2.1960 (Sperrung in der Vorlage); genauso Patze an Schmieder, 29.11.1959. – Die organisatorischen wie die methodischen Schwierigkeiten einer als Sammelwerk konzipierten Landesgeschichte bringt Patze auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen knapp, aber treffend auf den Punkt in seinem Aufsatz: Landesgeschichte (wie Anm. 11), S. 25f. (wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze [wie Anm. 11], S. 70f.).

494 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Der Kreis der hier nur auswahlweise zu nennenden Autoren läßt sich, wenn man von den jeweiligen fachwissenschaftlichen Voraussetzungen für ihre Einbeziehung ausgeht, entsprechend der Ursache und dem Grad ihrer Affinität zum Thema in verschiedene Schichten mit geringerer oder größerer Entfernung vom Kreismittelpunkt aufgliedern. Die Kernmannschaft stammte aus der Leipziger landesgeschichtlichen Schule Rudolf Kötzschkes. Man könnte den Sachverhalt auch so ausdrücken, daß die Kinder und Enkelkinder des großen Leipziger Historikers den inhaltlichen Rahmen vorgegeben, die inhaltlichen Akzente gesetzt und markante Punkte selbst bearbeitet haben. Ihnen sind der konzeptionelle Zugriff und vor allem die Darstellung der Grundlagen und des Mittelalters zu verdanken. An der Spitze steht der geistige Initiator und Mitherausgeber Walter Schlesinger, ein Kötzschke-Schüler, der Thüringen unter verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkten in seiner Habilitationsschrift von 1941 behandelt hatte, jetzt im Handbuch unter thematischer Erweiterung seine damaligen Fragestellungen wiederaufgriff und „Das Frühmittelalter“ behandelte. Zwei weitere Kötzschke-Schüler schließen sich an. Werner Emmerich verfaßte ein für die Gesamtkonzeption zentrales Kapitel über „Die siedlungsgeschichtlichen Grundlagen“, in dem er die Entwicklung der Besiedlung, der Orts- und Flurformen, der Besitzgrößen und der Anbauzonen, sodann, in regressiver Methode vom 19. Jahrhundert bis zu den vorfränkischen Verhältnissen zurückschreitend, das neuzeitliche Siedlungsbild, die hochmittelalterliche Waldrodung und Riedkolonisation, den karolingischen und frühottonenzeitlichen Landesausbau, die slawische und vorfränkische Siedlung analysierte. Emmerichs Darstellung ist sicherlich eines der besten Kapitel des gesamten Werkes; Patze urteilte aus einigem zeitlichen Abstand und in Kenntnis der Forschungslage: Es gibt für keine deutsche Landschaft eine vergleichbare Darstellung, die geographische Aspekte, Siedlungsformen und historische Kräfte so verschmilzt, wie es Herrn Emmerich gelungen ist22.

22 Patze an Hermann Rudolph (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 25.1.1979. – Zu Emmerich vgl. jetzt: Carsten Schreiber, „Ostkolonisation“ in Theorie und Praxis. Der Landes- und Siedlungshistoriker SS-Obersturmführer Professor Dr. Werner Emmerich (1908–1968), in: 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen, hrsg. v. Enno Bünz (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 38), Leipzig 2012, S. 197–224, der sich freilich sehr stark auf Emmerichs akademischen und politischen Lebensweg konzentriert, seine wissenschaftlichen Arbeiten nur nachrangig behandelt und die zeitgenössischen wissenschaftlichen Forschungsdebatten nicht immer angemessen beurteilt. – Zu dem gleich zu nennenden Herbert Helbig vgl. Knut Schulz, Herbert Helbig. Werk und Werdegang, in: ebd., S. 285–316.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 495

Herbert Helbig, durch Dissertation, Habilitationsschrift und Quelleneditionen mit den siedlungs-, stände- und wirtschaftsgeschichtlichen Verhältnissen der wettinischen Lande bestens vertraut, steuerte den Überblick über „Wirtschaft und Gesellschaft im Mittelalter“ bei. Der Kötzschke-Schule, wenn auch nicht in strengem akademischen Wortsinne, so doch ihrem Umfeld bzw. ihrer Schlesingerschen Fortentwicklung wird man zunächst den Mitherausgeber Patze zuordnen dürfen, dessen Band über die „Politische Geschichte im hohen und späten Mittelalter“ und die „Verfassungs- und Rechtsgeschichte im hohen und späten Mittelalter“ durch Schlesingers Verbindung von Verfassungs- und Landesgeschichte stringent ausgerichtet und durch die Frage nach den verschiedenartigen, mit den politischen Bestrebungen wechselnden Verfassungselementen territorialer Herrschaftsbildung geprägt ist. An dieser Stelle soll auch der damals junge, ebenfalls aus dem thüringischen Altenburg gebürtige Schlesinger-Schüler und Assistent Hans K. Schulze eingereiht werden, der in einem umfangreichen Artikel „Die Kirche im Hoch- und Spätmittelalter“ behandelte, vornehmlich unter kirchenorganisatorischen und frömmigkeitsgeschichtlichen Gesichtspunkten. Die genannten Forscher, allesamt Mediävisten, stammten aus Sachsen oder Thüringen, waren an den dortigen Universitäten ausgebildet worden und hatten ihre berufliche Laufbahn zumeist an dortigen Forschungsinstitutionen mit Untersuchungen zur thüringischen und/oder sächsischen Landesgeschichte begonnen, bevor sie früher oder später unter dem politischen Druck der SED-Diktatur in den Westen gingen. Diese Voraussetzungen gelten cum grano salis auch für Wolfgang Huschke, Hans Tümmler und Friedrich Facius, die drei Autoren der umfangreichen, insgesamt zwei Bände umfassenden Darstellung der politischen Geschichte der Neuzeit. Sie waren durch ihre langjährige Tätigkeit in und für Thüringen und durch ihre umfangreichen auf Thüringen bezogenen wissenschaftlichen Forschungen, ohne von einer bestimmten akademischen Schule inhaltlich geprägt oder ihren Fragestellungen besonders verpflichtet zu sein, zur Mitarbeit am Handbuch geradezu prädestiniert. Zwei von ihnen waren ebenso wie Patze Archivare, Mitarbeiter von Willy Flach in der Verwaltung der thüringischen Staatsarchive gewesen, nämlich einerseits Friedrich Facius23, der in den 30er Jahren mit Untersuchungen zur absolutistischen Zeit in Thüringen hervorgetreten, aber nach soldatischem Einsatz 1945 im Hinblick auf die sowjetische Besetzung und ihre zu erwartenden Folgen erst gar nicht nach Thüringen zurückgekehrt war, der dann entgegen den ersten Planungen nicht das 17./18. Jahrhundert, sondern die Zeit von 1828–1945 darstellte, und andererseits Wolfgang Huschke, der in den 23 Hans Patze, Friedrich Facius zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 119 (1983) S. 173–175. – Dieter Marek, Friedrich Facius (1907–1983), in: Lebensbilder (wie Anm. 16), S. 65–71.

496 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

50er Jahren im Weimarer Archiv tätig gewesen, schwerpunktmäßig mit genealogischen und sozialgeschichtlichen Forschungen hervorgetreten war und 1960 Thüringen in Richtung Westen verlassen hatte, der die politische Geschichte von der Teilung 1572 bis zur beginnenden Carl-August-Zeit behandelte. Hans Tümmler hatte nach seiner Promotion an der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Gymnasiallehrerlaufbahn eingeschlagen und war im Schuldienst, vornehmlich in Essen, verblieben, hatte aber daneben immer seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt, Goethe und seinen Weimarer (Groß)Herzog Carl August, mit großen Quelleneditionen und dazugehörigen Untersuchungen gepflegt. Auch Irmgard Höß ist hier anzufügen, die den geistes- und bildungsgeschichtlich orientierten Beitrag über „Humanismus und Reformation“ lieferte; sie hatte ihre akademische Karriere mit der Promotion in Jena begonnen, mit der Habilitation zu einem reformationsgeschichtlichen Thema und der mediävistischen Lehrtätigkeit am dortigen Historischen Institut fortgesetzt, bevor sie diese Wirkungsstätte Ende der 50er Jahre unter dem Druck marxistischer Historiker verlassen mußte24. Als seit 1959 Autoren für das Handbuch gewonnen wurden, war die wissenschaftliche Abschottung der DDR gegen den Westen längst eingeleitet, und die Mitglieder des Wissenschaftlichen Arbeitskreises wußten von zahlreichen in der DDR wirkenden Gelehrten zu berichten, denen aus der Publizierung in Westdeutschland Schwierigkeiten und berufliche Nachteile bis hin zu Entlassung und Pensionierung erwachsen waren25. So gingen die Herausgeber davon aus, daß unter den gegebenen Umständen im allgemeinen mit Mitarbeitern aus der DDR nicht gerechnet werden konnte. Als Patze mehrere geeignete Autoren in Weimar, Erfurt und Jena für den Abschnitt über die neuzeitliche Kunstgeschichte empfohlen wurden, hielt er derartige Anfragen nicht für aussichtsreich. Gerade wir, die wir selbst aus der SBZ kommen, sollten uns erinnern, welchen inneren Konflikten sich jemand aussetzt, der unter den noch um so viel verschärften Umständen an einem in der Bundesrepublik erscheinenden Sammelwerk über ein Land der SBZ mitarbeitet26. 24 Matthias Werner, Stationen Jenaer Geschichtswissenschaft, in: Identität und Geschichte, hg. von dems. (=Jenaer Beiträge zur Geschichte 1), Weimar 1997, S. 9–26, hier S. 17f. 25 Vgl. z. B. das Protokoll des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 22. und 23. Mai 1958 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). 26 Vgl. Heinz Ladendorf an Patze, 15.4.1963; Patze an Ladendorf, 2.5.1963 (daraus das Zitat). – Auf der Suche nach einem geeigneten Bearbeiter für die neuzeitliche Wirtschaftsgeschichte bemerkte Patze im April 1963: „In Frage käme vielleicht Herr Dr. Kühnert in Rudolstadt, der beste Sachkenner der Thüringischen Glasindustrie, doch hat er mir für ein anderes Sammelwerk bereits einmal ganz klar gesagt, daß er es nicht mehr riskiert, an Werken mitzuarbeiten, die in Westdeutschland erscheinen.“ Patze an Schmieder, 18.4.1963.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 497

Aber die Verbindungen waren doch noch nicht gänzlich unterbunden worden, so daß der Gedanke, in der DDR kompetente Mitarbeiter zu werben, nicht in jedem Einzelfall von vornherein aufgegeben zu werden brauchte, auch wenn mancher ausgezeichnete Fachmann verschlossen blieb oder sich versagte (bzw. sich versagen mußte)27. So haben insgesamt drei DDR-Autoren an der 27 Vgl. Gregor Richters Seufzer: „Wie einfach wäre es doch, wenn Herr Heß aus Weimar an dem großen Werk mitarbeiten könnte“ (Richter an Patze, 30.5.1967). Vgl. Volker Wahl, Ulrich Heß (1921–1984), in: Lebensbilder (wie Anm. 16), S. 110–117. Ulrich Heß, Archivar im Staatsarchiv Gotha, erarbeitete seit 1967 für die damals von der Universität Jena geplante Überblicksdarstellung der thüringischen Geschichte (vgl. dazu: Joachim Bauer, Von der „bürgerlichen Landesgeschichte“ zur „marxistischen Regionalgeschichte“. Die Jenaer Entwürfe zur „Geschichte Thüringens“ von 1965 und 1981, in: Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen, hrsg. v. Matthias Werner [= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe 13], Köln/Weimar/Wien 2005, S. 219–233, hier S. 220–228) das Kapitel über Thüringen zwischen 1871 und 1914, das er nach dem Scheitern des Gemeinschaftswerkes auf breiter archivalischer Grundlage und unter erheblicher Erweiterung des Umfanges zur Monographie ausgestaltete; sie wurde, nachdem „eine kurzfristige Entscheidung über die Aufnahme in die Schriftenreihe des Staatsarchivs Weimar nicht zu erlangen war“ (!), erst nach seinem Tod von Volker Wahl ab 1985 für den Druck vorbereitet und 1991 veröffentlicht. Das Werk bezeugt die Erkenntnismöglichkeiten, die sich aus der umfassenden Auswertung der Heß (aber eben nicht seinem westdeutschen „Konkurrenten“ Friedrich Facius) zugänglichen archivalischen Überlieferungen ergeben. Vgl. Ulrich Hess, Geschichte Thüringens 1866 bis 1914, hg. von Volker Wahl, Weimar 1991; zur Vorgeschichte der Publikation vgl. das Vorwort Wahls, S. 7–9, das Zitat ebd. S. 8. – Zwischen August 1959 und Juni 1963 versuchte Patze in mehreren Anläufen, den Kunsthistoriker Edgar Lehmann, damals Leiter der Arbeitsstelle für Kunstgeschichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu (Ost-)Berlin, für die Übernahme des Kapitels „Die künstlerische Kultur im Mittelalter“ zu bewegen, und Lehmann stellte trotz wiederholten Verweises auf seine begrenzten zeitlichen Möglichkeiten seine Mitwirkung in Aussicht, ohne allerdings eine feste Zusage abzugeben. Erst im Mai 1963 erteilte er Patze endgültig eine Absage, da sich seine geplante essayartige Darstellung nicht verwirklichen lasse und andere lange zurückliegende Arbeitsvorhaben endlich vollendet werden müßten. Patze hatte zwischenzeitlich selbst die Realisierungsmöglichkeiten bezweifelt; einige Monate nach dem Berliner Mauerbau stellte er Lehmann verklausuliert die Frage nach möglichen politischen Hürden: „Allerdings ist unter den gegebenen Verhältnissen leider die Frage nicht zu umgehen, ob Sie Ihr Kapitel überhaupt liefern können. Ich bin sicher, daß Sie die Wirklichkeiten des Daseins so nüchtern beurteilen, um mir die Frage nicht zu verargen“ (Patze an Lehmann, 9.11.1961). Lehmanns eben wiedergegebene Begründung seiner Absage überzeugte ihn nicht uneingeschränkt, denn er hielt es „nicht für ausgeschlossen, daß er die Mitarbeit an einem westdeutschen Werk unter den verschärften politischen Verhältnissen nicht mehr für möglich hält“ (Patze an Kurt Degen, 27.5.1963). – Vgl. den Briefwechsel Patze/Lehmann, insbes. Patze an Lehmann, 9.8.1959; desgl., 24.8.1959; desgl., 9.11.1961; Lehmann an Patze, 15.11.1961; Patze an Lehmann, 23.11.1961; Lehmann an Patze, 8.2.1963; Patze an Lehmann, 19.2.1963; desgl., 17.5.1963; Patze an Lehmann, 5.6.1963. – Als der für Lehmann eingesprungene Kurt Degen sein Manuskript im Herbst 1966 abschloß, sagte ihm Lehmann dessen Durchsicht zu. Vgl. Degen an Patze, 24.10.1966. – Als der Kirchenhistoriker Erich Beyreuther in der zweiten Jahreshälfte 1959 seinen Beitrag über die neuzeitliche Kirchen-

498 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

„Geschichte Thüringens“ mitgewirkt, aber eben nur ausnahmsweise und unter besonders begünstigenden Umständen, die näher angesprochen werden sollen. Als Patze für das sprachgeschichtliche Kapitel nicht mehr damit rechnete, daß der Marburger Germanist Ludwig Erich Schmitt seine Zusage einhalten werde, wandte er sich im Juli 1963 an den Jenaer Sprachwissenschaftler Heinz Rosenkranz, der ihm wegen seiner Arbeiten an einer thüringischen Dialektgeographie empfohlen worden war, denn „ein sprachgeschichtliches Kapitel darf in einer modernen Landesgeschichte, und zumal in einer thüringischen, nicht fehlen.“ Rosenkranz erklärte sogleich seine persönliche Bereitschaft zur Mitarbeit, vorbehaltlich der Zustimmung seiner vorgesetzten Dienststelle, des Instituts für deutsche Sprache und Literatur der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, bzw. seiner dortigen Vorgesetzten, der Professoren Frings und Erben. Patze stellte in seiner Antwort knapp, aber in unmißverständlicher Andeutung heraus: „Dazu darf ich aus naheliegenden Gründen bemerken, daß die Thüringische Geschichte 1945 enden wird. Sie wird auch in den neuzeitlichen Kapiteln in jeder Weise integer sein.“ Nach heftigem Widerspruch in seiner Jenaer Dienststelle erhielt Rosenkranz in Berlin problemlos das Einverständnis zuerst von Frings, dann von Erben als geschäftsführendem Leiter des Instituts28. Nachdem Patze die Aussichten auf ein Manuskript Schmitts immer skeptischer beurteilt hatte, bat er Rosenkranz im März 1964 endgültig, die Arbeit an dem Kapitel „Sprachgeschichte“ aufzunehmen. Rosenkranz’ nachfolgende zuversichtliche Arbeitsberichte veranlaßten ihn zu der freudigen Ermunterung: Man muß das Eisen schmieden, solange es warm ist! Ich hatte den Eindruck, daß die Thüringische Sprachgeschichte sich unter Ihrer Hand stark zu erwärmen begann. Die einzige Absicht meines heutigen Schreibens besteht darin, den Temperaturanstieg durch freundlichen Zuspruch weiter zu befördern.

Bereits im Oktober 1964 lag der erbetene Text vor, der den Herausgeber zu der Bemerkung veranlaßte: „So schnell und geräuschlos haben wir noch kein Manuskript unter Dach und Fach gebracht“29. geschichte zusagte, wirkte er noch an der Universität Leipzig, von der er jedoch wegen zunehmend unerträglicher Bespitzelung im Juli 1960 über Berlin nach München flüchtete, wo er dann seinen Aufsatz verfaßte. Vgl. Patze an Beyreuther, 25.8.1959; desgl., 20.12.1959; Beyreuther an Patze, 20.7.1960; desgl. 8.1.1961; desgl., 15.12.1961. 28 Patze an Rosenkranz, 11.7.1963; Rosenkranz an Patze, 1.9.1963; Patze an Rosenkranz, 4.10.1963 (daraus die beiden Zitate); Rosenkranz an Patze, 13.10.1963; Patze an Rosenkranz, 28.10.1963. 29 Patze an Rosenkranz, 23.3.1964; Rosenkranz an Patze, 4.4.1964; Patze an Rosenkranz, 23.7.1964 (daraus das erste Zitat); Rosenkranz an Patze, 7.10.1964; Patze an Rosenkranz, 13.10.1964 (daraus das zweite Zitat). – Vgl. auch Patze an Anneliese Bach, 17.8.1964.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 499

Die lange Verzögerung der Drucklegung seines Beitrages rief bei Rosenkranz unter gewandelten wissenschaftspolitischen Verhältnissen zunehmende Besorgnis hervor. Im März 1967 teilte er Patze mit: Der ‚große Theodor‘ ist recht ungnädig auf’s Altenteil gesetzt und Erben ist nicht mehr hier, meine jetzigen Vorgesetzten aber sind in der gegenwärtigen Situation recht ängstlich, und ich muß damit rechnen, daß man mir das Ansinnen stellt, meinen Beitrag zurückzuziehen30.

Ein knappes Jahr später erschien die Lage in Rosenkranz’ Einschätzung noch dramatischer. Der Wechsel der Institutsleitung nach der „Republikflucht“ von Erben und dem Ausscheiden von Frings sowie die verschärften Bestimmungen für Veröffentlichungen im Ausland veranlaßten ihn Anfang 1968 zu einer Rücksprache mit seiner Institutsleitung, in der er sich darauf berief, daß das Handbuch nach Patzes Aussage von 1963 die Darstellung die Zeit nach 1945 ausklammern und jede Polemik gegen die DDR vermeiden wolle. Während seine Zusage 1963 der damaligen wissenschaftspolitischen Konzeption des Instituts entsprochen habe, so schrieb er Patze am 31. Januar 1968, habe die zunehmende Spannung im Verhältnis der beiden deutschen Staaten dazu geführt, daß mir heute die Genehmigung zur Teilnahme an einer derartigen Gemeinschaftsarbeit kaum noch erteilt werden würde. Nur in Anbetracht der Tatsache, daß es sich hier um eine alte Verpflichtung handelt und sich die Arbeit bereits im Stadium der Drucklegung befindet, kann ich heute meine eingegangene Verpflichtung Ihnen gegenüber noch einhalten. Unabdingbare Forderung meiner Beteiligung muß es allerdings sein, daß die Gesamtveröffentlichung – so etwa im Vorwort – keine diffamierenden Äußerungen gegenüber der DDR enthält.

Patze reagierte zu Rosenkranz’ Stützung umgehend mit seiner wiederholten Versicherung, „daß die Thüringische Geschichte zeitlich 1945 abbricht und keinerlei gegen die DDR gerichtete Äußerungen enthalten wird“, und suchte ihm gewissermaßen als Beweisstück der Argumentation den eingeleiteten Umbruch vorzeitig zuzuleiten31. Rosenkranz’ Beitrag ist ohne weitere Hemmnisse wenig später im ersten Band der „Geschichte Thüringens“ erschienen.

30 Rosenkranz an Patze, 25.3.1967 (daraus das Zitat); Patze an Rosenkranz, 6.4.1967; Rosenkranz an Patze, 20.4.1967. 31 Rosenkranz an Patze, 31.1.1968 (daraus seine Zitate); Patze an Rosenkranz, 6.2.1968 (daraus das letzte Zitat); Patze an Schlesinger, 6.2.1968; Rosenkranz an Patze, 13.9.1969. – Vermerkt sei hier noch, daß Rosenkranz über Buchbesprechungen, um die ihn Patze für westdeutsche Zeitschriften ersuchte, nicht selbst entscheiden durfte, sondern erst eine ausdrückliche Genehmigung seiner Dienststelle einzuholen hatte. Rosenkranz an Patze, 25.3.1967; desgl., 9.7.1968. – Patze legte größten Wert darauf, Verhältnisse nach 1945 nicht in den Beiträgen berühren zu

500 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Auf Erich Kleineidam, der als katholischer Priester, Theologe und Philosoph außerhalb der staatlichen Wissenschaftsdoktrin sowie als Professor der Theologischen Hochschule Erfurt außerhalb der staatlichen Wissenschaftsinstitutionen stand, waren die Herausgeber 1965 durch seine Geschichte der Universität Erfurt aufmerksam geworden. Sie einigten sich mit ihm auf einen Beitrag über die Geschichte der Wissenschaften im mittelalterlichen Erfurt. Als Kleineidam mitgeteilt hatte, daß auf Grund eines Schreibens des Büros für Urheberrechte in (Ost-) Berlin darüber eine vertragliche Vereinbarung abgeschlossen werden müsse, und dann diesem den Vertragsentwurf des Böhlau Verlages in Köln vor der Unterzeichnung zur Genehmigung vorlegte, rätselten die Herausgeber darüber, „ob es bei dem Ansinnen des Büros nur um die finanzielle Seite geht – was denkbar wäre – oder auch um die Frage der zensorischen Genehmigung“; sie hielten es jedenfalls für möglich, „daß ihm die Mitarbeit einfach verboten wird“. Nach der rasch erteilten Erlaubnis konnten sie sich davon überzeugen, daß die Beteiligung des Büros durch die Modalitäten für die Transferierung des Honorars ausgelöst worden war32. Als Ende der 70er Jahre Huschke mit seiner politischen Geschichte Thüringens in der frühen Neuzeit nur mühsam vorankam, sprang als einer der Helfer für kleine Kapitel auf Patzes Bitten hin Hans Eberhardt ein33, der Nachfolger Willy Flachs als Direktor des Landeshauptarchivs Weimar, Patze wohlbekannt aus ihrer gemeinsamen Zeit im thüringischen Archivdienst unter Flach. Er war bereits 1959/60 für die Bearbeitung der hoch- und spätmittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte erwogen worden34, was sich dann nicht verwirklichen ließ, hatte aber Patzes Vorhaben immer wieder auf andere Weise etwa durch zahlreiche Ergänzungen zu seiner Bibliographie oder die kritische Lektüre seines Handbuch-Beitrages tatkräftig unterstützt. Eberhardt verfaßte innerhalb kürzester Zeit im April 1980 zwölf Manuskriptseiten über die Schwarzburger zwischen 1572

lassen, um die Versendung der Bände in die DDR nicht zu gefährden, und strich u. U. angreifbare Formulierungen aus den Manuskripten. Vgl. Patze an Ingeborg Weber-Kellermann, 5.7.1971. 32 Patze an Kleineidam, 25.10.1965, in: Nachlaß Walter Schlesinger (Hessisches Landesamt für geschichtliche Landeskunde, Abt. Forschungsstelle für geschichtliche Landeskunde Mitteldeutschlands, Marburg), Nr. 48; Patze an Schlesinger, 8.12.1971 (daraus das erste Zitat); desgl., 31.1.1972; Schlesinger an Patze, 2.2.1972 (daraus das zweite Zitat); Kleineidam an Patze, 25.2.1972; desgl., 14.4.1972. 33 Matthias Werner, Nachruf auf Hans Eberhardt, in Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte 54 (2000) S. 7–13; Volker Wahl, Hans Eberhardt (1908–1999), in: Lebensbilder (wie Anm. 16), S. 47–54. 34 Patze an Eberhardt, 18.12.1959; Protokoll der Jahresversammlung des wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland am 2. und 3. Juni 1960 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde).



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 501

und 1770, hielt es selbst, obwohl damals schon längst in Ruhestand, nach einiger Überlegung im Juni 1981 nicht für ratsam, offen nach außen hin in Erscheinung zu treten35, so daß sein Beitrag ohne Verfasserangabe gedruckt wurde. Ebenso wie die Mitwirkung von Fachkennern aus der DDR unter der SEDAuflage extrem eingeschränkter Veröffentlichungsmöglichkeiten in westlichen Publikationen von vornherein auf Ausnahmen begrenzt war, blieb die Mitwirkung von Wissenschaftlern aus Westdeutschland, mit landsmannschaftlich wie fachwissenschaftlich ausgeprägt westdeutscher Herkunft – zu denen ich hier in diesem Gedankengang unsere „Exilanten“ mitteldeutscher Herkunft nicht rechne –, auf Einzelfälle beschränkt, aus ganz anderen Gründen. Auf „westdeutsche“ Beteiligung am Handbuch hatte Schlesinger in dessen Planungsphase größten Wert gelegt, mit einer Überlegung, die er kurz und knapp im Juni 1959 in dem Satz zusammenfaßte: „Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, daß es sich sozusagen um ein Flüchtlingsunternehmen handelt.“ Den gesamtdeutschen Anspruch des Vorhabens gedachte er dadurch zu unterstreichen, daß nicht nur in den Westen geflohene mitteldeutsche Forscher, sondern auch westdeutsche Wissenschaftler ohne bisherigen näheren Bezug zum Thema für die Bearbeitung eines Abschnittes der thüringischen Geschichte gewonnen werden sollten. Schlesinger wollte damals den ihm im Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte enger verbundenen Marburger Mediävisten Heinrich Büttner, der mit beachtlichen landesgeschichtlichen Studien zum Elsaß und zur Schweiz im Hochmittelalter hervorgetreten war36, einbeziehen – „Herr Büttner“, so fügte er unmittelbar an seine eben zitierte Absicht an, „scheint mir westdeutsch genug, um diesen Eindruck nicht aufkommen zu lassen“ –, für die Übernahme des Abschnittes Kirchengeschichte im Hoch- und Spätmittelalter anwerben oder wenigstens zur Mitarbeit in der Redaktion bewegen. Einen eigenen Beitrag lehnte Büttner ab, da er sich in die ihm fremde Materie erst mit einem erheblichen Arbeitsaufwand einarbeiten müsse, zu Redaktionsarbeiten erklärte er sich bereit37. Aber aus seiner damaligen Zusage ist in der Folge keine tatsächliche Mitwirkung erwachsen, er ist bald wieder aus den Überlegungen der Herausgeber verschwunden. In seiner Reaktion enthüllt sich das Kernproblem: Kaum ein westdeutscher Forscher war bereit, sich 35 Eberhardt an Patze, 5.1.1980; Patze an Eberhardt, 13.1.1980; Eberhardt an Patze, 14.4.1980; desgl., 5.5.1980; Patze an Eberhardt, 8.5.1980; Eberhardt an Patze, 29.5.1981; desgl., 2.6.1981; Patze an Eberhardt, 19.6.1981. 36 Vgl. Schwaben und Schweiz im frühen und hohen Mittelalter. Gesammelte Aufsätze von Heinrich Büttner, hg. von Hans Patze (=Vorträge und Forschungen 13), Sigmaringen 1972; Heinrich Büttner, Geschichte des Elsaß, hg. von Traute Endemann, Sigmaringen 1991. – Hans Patze, Heinrich Büttner zum Gedächtnis, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 107 (1971) S. 206– 209. 37 Patze an Schlesinger, 9.6.1959; Schlesinger an Patze, 29.6.1959 (daraus die Zitate).

502 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

neben seinen bisherigen Arbeitsschwerpunkten auf eine ihm unvertraute Landesgeschichte einzulassen, mit einigem Aufwand und ohne sichtbaren äußeren Gewinn. Betrachtet man das westdeutsche Engagement insgesamt, so kommt man um ein zwiespältiges Urteil kaum herum. Auf der einen Seite ist es den Herausgebern gelungen, Mitarbeiter zu verpflichten, die in ihren wissenschaftlichen Forschungen Thüringen zuvor wenig oder gar nicht wegen andersartiger beruflicher Schwerpunkte behandelt hatten und auch nicht dem angesprochenen weiteren Umfeld der Kötzschke-Schule angehörten. Ihre Mitwirkung wurde dabei zuweilen emotional dadurch befördert, daß sie wenigstens in Thüringen aufgewachsen waren und dadurch eine innere Beziehung zum Land besaßen. Der Braunschweiger Bezirks-, spätere niedersächsische Landeskonservator Hans-Herbert Möller, in Thüringen geboren, mit Studium in Jena in den ersten Nachkriegsjahren u. a. bei Friedrich Schneider und Karl Griewank, hervorgetreten mit einer Monographie über den thüringischen Barock-Architekten Gottfried Heinrich Krohne, stimmte, ohne lange zu zögern, trotz seiner beruflichen Hauptaufgabe in der niedersächsischen Denkmalpflege der Anfrage zu, das Kapitel Kunstgeschichte in der Neuzeit zu übernehmen38. Seine starke Beanspruchung durch die denkmalpflegerische Arbeit rückte dann die Termine für die Fertigstellung des Manuskriptes immer wieder hinaus und ließ ihn sogar zeitweise an den Verzicht auf die Aufgabe denken, aber er lieferte schließlich, immer wieder von Patzes Ermunterungen und Ermahnungen bedrängt, im Frühjahr 1977, ein Jahrzehnt nach seiner Zusage, eine umfangreiche Darstellung ab39. Der Kölner Germanist Bernhard Sowinski bekundete, sein Interesse an der neuzeitlichen Literaturgeschichte Thüringens sei „zunächst weitgehend heimatkundlicher Natur“ – begründet durch seine Geburt in Eisleben, sein Studium in Halle und einige damals entstandene sprachwissenschaftliche Arbeiten zur Mansfelder Mundart –, und bot seine Mitarbeit an, obwohl ihn der nachherige Berufsweg in der Bundesrepublik auf ganz andere germanistische Felder ohne irgendeine Beziehung zu Thüringen geführt hatte40. Diese individuellen Beobachtungen sind durchaus symptomatisch für ein grundsätzliches Problem. Die Zusage zur erbetenen Übernahme eines Kapitels 38 Möller an Patze, 19.9.1967; desgl., 1.10.1967; Patze an Möller, 26.10.1967; Möller an Patze, 5.11.1967; Patze an Schlesinger, 13.11.1967. 39 Vgl. den Schriftwechsel Patze/Möller, insbes. Möller an Patze, 8.12.1968; desgl. 9.8.1969; Patze an Möller, 18.8.1969, Möller an Patze, 29.4.1972; Patze an Möller, 17.11.1973; Möller an Patze, 29.11.1973; Patze an Möller, 9.9.1975; Möller an Patze 26.1.1976; Möller an Patze, 18.3.1977; Patze an Möller, 12.4.1977; Möller an Patze, 28.4.1977. 40 Sowinski an Herbert Wolf (den Verfasser des Beitrages über die mittelalterliche Literaturgeschichte in der „Geschichte Thüringens“) vom 11.2.1969, im Nachlaß Patze (wie Anm. 10) unter der Korrespondenz Patze/Sowinski.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 503

wurde entweder in mehreren Fällen erst gar nicht erteilt oder nach einer kleineren oder größeren Anzahl von Jahren widerrufen, weil der Bearbeiter in seiner westdeutschen universitären oder akademischen Forschungsstätte dienstlich mit gänzlich anderen Aufgaben belastet war und die Befassung mit dem thüringischen Thema allein seiner freiwilligen Bereitschaft überlassen blieb. So hing es von seinem Einsatzwillen und seiner Prioritätensetzung ab, ob früher oder später druckfähige Manuskripte vorgelegt wurden oder nicht. Manche Bearbeiter gaben den von ihnen angenommenen Auftrag erst nach Jahren ohne irgendein oder ohne bemerkenswertes Ergebnis zurück. Die Würzburger Germanistin Anneliese Bach erklärte sich im Januar 1960 dazu bereit, das Kapitel über die neuere Literaturgeschichte zu übernehmen, kündigte in den folgenden Jahren etliche Male an, ihr Manuskript etwa innerhalb der nächsten drei bis sechs Monate fertigzustellen, im August 1964 mit dem Hinweis, daß das Material bereits zusammengestellt und geordnet sei und nur noch der Auswertung und Formulierung harre. Aber im August 1965 trat sie unvermittelt zurück, wegen anderer Publikationsverpflichtungen und wegen der methodischen Schwierigkeiten der Aufgabe; mindestens ein halbes Jahr zusammenhängend und ausschließlich an dem Thema zu arbeiten wie erforderlich, sei ihr unter den beruflichen Belastungen an ihrer Universität nicht möglich. Als mageres Zeugnis ihrer Bemühungen übergab sie dem Herausgeber Karteikarten mit der Verzeichnung von Lebensdaten und sonstigen Angaben zu thüringischen Dichtern. Da mehrere Versuche Patzes zur Gewinnung eines weiteren Autors zur teilweisen Entlastung Bachs fehlgeschlagen waren, stand er für diesen Abschnitt nach einem halben Jahrzehnt wieder am Anfang41. Die Autorensuche für die beiden kunstgeschichtlichen Kapitel erstreckte sich über Jahre, und die personellen Erörterungen brachten ernsthaft oder auch eher spielerisch immer wieder neue Namen ins Spiel, ohne daß eine verbindliche Zusage erteilt oder gar Manuskripte bzw. Manuskriptteile vorgelegt worden wären. Da der zuerst für die mittelalterliche Kunstgeschichte vorgesehene Edgar Lehmann aus Ost-Berlin zögerte, schlug er selbst eine andere Bearbeiterin, Lottlisa Behling in München, vor, die die angetragene Aufgabe aber sogleich ablehnte, da sie durch den neuübernommenen Lehrstuhl an der Münchener Universität und laufende Forschungsvorhaben bereits ausreichend beansprucht werde. Der von ihr erwogene Bearbeiter ebenso wie andere in den Korrespondenzen auftauchende Namen belegen letztlich nur die verbreitete Verlegenheit, wenn die Frage nach kompetenten und bereitwilligen Autoren gestellt wurde, und Patze 41 Patze an Bach, 26.12.1959; Bach an Patze, 15.1.1960; Margarete Kupper (Mitarbeiterin Bachs an der Universität Würzburg) an Patze, 8.4.1963; Patze an Bach, 7.10.1963; Bach an Patze, 15.10.1963; Patze an Bach, 30.10.1963; Kupper an Patze, 4.8.1964; Patze an Bach, 17.8.1964; Kupper an Patze, 18.9.1964; Bach an Patze, 5.5.1965; desgl., 11.8.1965; Patze an Bach, 10.9.1965.

504 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

konnte sich schließlich glücklich schätzen, daß er nach Lehmanns endgültiger Absage im Mai 1963 mit dem Darmstädter Kunsthistoriker und Museologen Kurt Degen einen zuverlässigen Bearbeiter gewann42. Der Marburger, frühere Leipziger Sprachwissenschaftler Ludwig Erich Schmitt, der das sprachgeschichtliche Kapitel übernommen hatte, die Fertigstellung aber auf Nachfragen immer wieder hinausschob, ließ die Herausgeber durch sein Verhalten allmählich vermuten, daß sie den zugesagten Beitrag trotz der aufrechterhaltenen Zusage nie erhalten würden43. Zu einem unvorhersehbaren Fiasko entwickelte sich der geplante Abschnitt über die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit. Patze wandte sich zuerst an den Berliner Privatdozenten Eberhard Schmieder, mit der Begründung, „auch die jüngere Generation wieder auf die Geschichte dieser Landschaft hinzulenken und zur Forschung anzuregen“, und erhielt im Dezember 1959 dessen Zusage. Freilich vermochte Schmieder sie nicht einzuhalten, wie er Patze auf dessen Nachfrage hin im April 1963 eingestand, da er dafür wegen seiner hauptamtlichen Tätigkeit im Berliner Schuldienst kaum Zeit aufwenden könne. Patze schien aus seiner Verlegenheit befreit zu werden, als ihm kurze Zeit später der Marburger Wirtschaftshistoriker Bog seinen jungen Doktoranden Ottfried Dascher empfahl und dessen Betreuung zusicherte44. Aber die Bereitschaft des damaligen Nachwuchshistorikers mit wirtschaftsgeschichtlichem Schwerpunkt, jedoch ohne jeglichen Thüringen-Bezug, führte in ca. fünfzehn Jahren zu keinerlei verwertbaren Ergebnissen, auch nicht in Gestalt eines Teilmanuskriptes, bedingt einerseits durch den methodischen Skrupel, auf der Grundlage unzureichender wissenschaftlicher Vorarbeiten und angesichts der unzugänglichen Archivalien eine überzeugende Gesamtdarstellung verfassen zu können, andererseits durch die hauptberuflichen archivarischen Aufgaben in Marburg und Dortmund, die nicht 42 Patze an Lehmann, 8.9.1960; Behling an Patze, 12.9.1960; Patze an Lehmann, 25.9.1960; Patze an Behling, 10.10.1960; Patze an Lehmann, 3.11.1960; Patze an Degen, 27.5.1963; desgl. 5.6.1963; Patze an Lehmann, 5.6.1963; Lehmann an Patze, 10.6.1963; Degen an Patze, 11.10.1963; Patze an Degen, 28.10.1963; Degen an Patze, 13.12.1964; Patze an Schlesinger, 31.10.1966. – Der Kölner Kunsthistoriker Heinz Ladendorf zog nach vier Jahren seine Zusage für das Kapitel über die neuzeitliche Kunstgeschichte zurück, vgl. Ladendorf an Patze, 6.11.1961; desgl. 15.4.1963; Patze an Ladendorf, 2.5.1963. 43 Vgl. die Ausführungen oben S. 498 zu Heinz Rosenkranz, insbes. Patze an Rosenkranz, 11.7.1963; desgl., 4.10.1963; desgl., 28.10.1963; desgl., 23.3.1964; desgl., 13.10.1964. – Günter Bellmann, Nachruf auf Ludwig Erich Schmitt, in: Helmstedt – Magdeburg – Wittenberg. Historische und sprachliche Studien zum mitteldeutschen Raum, hrsg. v. Roderich Schmidt (= Veröffentlichungen des Ostfälischen Instituts der Deuregio Ostfalen 2), Bielefeld 1997, S. 71–76. 44 Patze an Schmieder, 29.11.1959 (daraus das Zitat); Schmieder an Patze, 20.12.1959; Patze an Schmieder, 11.3.1963; Schmieder an Patze, 8.4.1963; Patze an Schmieder, 18.4.1963; desgl., 27.7.1963.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 505

mehr die Zeit und Kraft zu einer konzentrierten Beschäftigung mit den thüringischen Verhältnissen finden ließen. Als die anderen für den Band 5 vorgesehenen Manuskripte wuchsen und sich der Vollendung näherten, nahmen Patzes Ermahnungen an Dringlichkeit zu, da er im Hinblick auf die Schwerpunkte der DDRHistorie wie auch unabhängig von der DDR-Kritik glaubte, den Ausfall gerade dieses Kapitels und damit die unzulängliche Berücksichtigung der Wirtschaftsund Sozialgeschichte in dem vielbändigen Gesamtwerk ohne dessen schwerwiegende Schädigung kaum verantworten zu können. Aber er fand sich schließlich notgedrungen und mit einer gewissen Gelassenheit mit dieser „böse(n) Lücke“ ab und suchte dadurch, daß er die Bearbeiter der politischen Geschichte in der Neuzeit zu wirtschaftsgeschichtlichen Ergänzungen aufforderte, wenigstens einen kleinen, wenn auch nur als „Feigenblatt“ empfundenen Ausgleich zu schaffen45. Interesse an der thüringischen Geschichte zu wecken oder aufrechtzuerhalten, war, wie die skizzierten Beispiele belegen, von vornherein für die Herausgeber ein schwieriges Unterfangen und wurde mit fortschreitender Zeit immer problematischer. Es gaben die in Aussicht genommene Mitarbeit auch Personen auf, die an sich gute Voraussetzungen mitzubringen schienen, wie etwa der keine Ausnahme darstellende Gregor Richter. Er hatte seine Laufbahn im thüringischen Archivdienst noch unter Willy Flach begonnen und hatte nach seiner Flucht in den Westen seine an der Universität Jena entstandene Dissertation über ein frühneuzeitliches thüringisches Thema in den „Mitteldeutschen Forschungen“ veröffentlicht46. 1965 erklärte er sich bereit, die politische Geschichte zwischen 1572 und 1775 zu behandeln, aber nach den ersten intensiveren Vorarbeiten stellte er fest, daß ihm die umfangreichen dienstlichen und außerdienstlichen Verpflichtungen im Archivwesen und in der Landesgeschichtsforschung seiner neuen 45 Dascher an Patze, 5.2.1970; Patze an Dascher, 11.1.1971; desgl., 1.6.1971; desgl.,23.4.1972; desgl. 8.1.1973; Dascher an Patze, 23.3.1973; Patze an Dascher, 3.1.1974; desgl. 19.5.1975; desgl. 29.7.1975; Patze an Schlesinger, 29.7.1975; Dascher an Patze, 8.8.1975; Patze an Dascher, 11.8.1975; Schlesinger an Dascher, 12.8.1975 (abschriftlich unter Schriftwechsel Patze/Dascher); Patze an Schlesinger, 18.1.1976; Schlesinger an Patze, 29.1.1976; Dascher an Patze, 13.2.1976; Patze an Dascher 15.4.1977 (daraus das zweite Zitat); desgl., 11.4.1978 (daraus das erste Zitat); desgl., 20.7.1978; Patze an Schlesinger, 23.9.1978; Dascher an Patze, 13.6.1979; Patze an Dascher, 14.6.1979; Patze an Eberhardt, 8.5.1980. 46 Gregor Richter, Schicksalhafte Konstellationen und laufbahnrechtliche Hürden beim beruf­ lichen Neubeginn nach der Flucht aus der DDR, in: Archiv und Geschichte (wie Anm. 6), S. 142– 156. – Ders., Die ernestinischen Landesordnungen und ihre Vorläufer von 1446 und 1482 (= Mitteldeutsche Forschungen 34), Köln/Graz 1964. – Vgl. die Nachrufe von Wilfried Schöntag, Gregor Vinzenz Richter†, in: Der Archivar 56 (2003) S. 177–180, hier S. 177f., und von Volker Wahl, Zum Tod des „Thüringer Archivars“ Gregor Richter (1927–2002) – Worte der Erinnerung, in: Archive in Thüringen. Mitteilungsblatt 1/2003, S. 18–21, hier S. 18f.

506 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Heimat Baden-Württemberg nicht mehr den erforderlichen Freiraum für die Abfassung seiner Darstellung ließen, so daß er sich 1967 zurückzog47. Bezeichnenderweise haben Autoren wie Friedrich Facius oder Wolfgang Huschke sich erst mit großem Nachdruck ihren umfangreichen Beiträgen gewidmet, als ihnen der Eintritt in den Ruhestand die Last ihres bisherigen ganz westdeutsch geprägten dienstlichen Aufgabenfeldes von den Schultern genommen hatte und der so gewonnene Freiraum ihnen die Konzentration auf das thüringische Vorhaben wesentlich erleichterte48. Die skizzierten äußeren Rahmenbedingungen, der kleine interessierte und kompetente Personenkreis und seine fast ausschließlich neben- und ehrenamtliche Beschäftigung mit der thüringischen Geschichte, erklären zum einen die langen Verzögerungen bei der Fertigstellung des Gesamtwerkes, zum anderen die trotz aller Bemühungen um Autorengewinnung nicht geschlossenen Lücken des ursprünglichen Programmes und schließlich auch die Durchbrechung der ursprünglich vorgesehenen inhaltlichen Systematik. Im stürmischen Elan der Gründungsphase, beflügelt vom festen Glauben an das vorgenommene Ziel, dachten die Herausgeber an die schnelle Vollendung, rechneten mit der baldigen Vorlage der Manuskripte innerhalb der folgenden zwei bis drei Jahre. Schon im Herbst 1961 sollten nach den Erwägungen der Anfangszeit die Manuskripte vorliegen49, und im November 1961 bekundete Patze, der erste Halbband des ersten Bandes solle Ende 1962 in Druck gehen und möglichst anschließend der zweite oder dritte Band gedruckt werden50. Aus zwei bis drei Jahren wurden am Ende mehr als 25 Jahre, von dem Entschluß zum Vorhaben 1958 bis zur Veröffentlichung des letzten Teilbandes 1984. Die ersten Beiträge lagen zwar sehr rasch vor, schon 1960 und 1961, aber sie verteilten sich auf alle drei geplanten Bände51, so daß noch viel Zeit verging, bis die vorhandenen Lücken eines Bandes bzw. Teilbandes mit der Abgabe des letzten vorgesehenen Artikels geschlossen wurden. Die Verzögerungen rührten vornehmlich daher, daß einzelne Autoren, bedingt durch anderweitige Verpflichtungen, wesentlich länger als geplant an ihren 47 Gregor Richter an Patze, 28.3.1965; Richter an Hans Tümmler, 9.11.1965 (Abschrift im Briefwechsel Patze/Richter); Patze an Richter, 12.11.1965; Richter an Patze, 7.12.1966; desgl., 30.5.1967; desgl., 5.9.1967; Patze an Richter, 23.10.1967. 48 Vgl. Schlesinger an Huschke, 3.7.1975; Huschke an Schlesinger, 14.7.1975; Schlesinger an Huschke, 17.7.1975 (abschriftlich unter Schriftwechsel Patze/Schlesinger im Nachlaß Patze [wie Anm. 10]). 49 Patze an Bach, 21.1.1960. – Protokoll der Jahresversammlung des Wissenschaftlichen Arbeits­ kreises für Mitteldeutschland am 2. und 3. Juni 1960 in Gießen (Dienstregistratur des Hessischen Landesamtes für geschichtliche Landeskunde). 50 Patze an Ladendorf, 9.11.1961. 51 Vgl. etwa Patze an Ladendorf, 30.10.1961.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 507

Manuskripten saßen, daß geworbene Autoren, wie schon erwähnt, teilweise erst nach Jahren ihren Auftrag ohne irgendein Teilergebnis zurückgaben und daß die Gewinnung neuer Mitarbeiter erst nach mancherlei Anläufen und einigem Zeitverlust gelang. Drohende Ausfälle suchte ausnahmsweise der Herausgeber Patze dadurch auszugleichen, daß er etwa die mittelalterliche Rechtsgeschichte, ermüdet von der jahrelangen vergeblichen Suche nach einem bereitwilligen, leistungsfähigen Rechtshistoriker, selbst abhandelte, auch wenn er damit, wie er freimütig einräumte, nur einen unvollkommenen Abriß der von der Forschung stark vernachlässigten Materie vorlegte; er zog es vor, „lieber das Risiko des Irrtums und der Kritik einzugehen, als eine vollständige Lücke im Gesamtwerk stehen zu lassen“52. Oder er sprang nochmals mit einem kleineren Beitrag über die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen in der frühen Neuzeit ein, als Huschke die politische Geschichte Thüringens im 16.–18. Jahrhundert nur sehr schleppend vorantrieb und die Beendigung des Gesamtwerkes immer weiter hinauszuschieben drohte. Andererseits mußte sich der Herausgeber Patze von seinem Mitherausgeber Schlesinger vorhalten lassen, seine wiederholten Auffor­ derungen an Mitarbeiter zum beschleunigten Abschluß eines umfangmäßig be­grenzten Manuskriptes klängen wenig überzeugend, wenn er selbst sein eige­nes Manuskript noch gar nicht begonnen habe oder es schließlich auszuufern drohe53. Schließlich blieben zwei neuzeitliche Kapitel des Programms von 1959 in der damals gedachten Form ungeschrieben, die Rechts- und Verfassungsgeschichte sowie die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Der Mangel wurde zwar dadurch eingeschränkt, daß Verfassungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsverhältnisse in den Kapiteln der politischen Geschichte einbezogen wurden, aber doch nicht in systematischer Betrachtung und unausweichlich unter Außerachtlassung mancher Gegenstände wie beispielsweise der Verfassung der Stadt- und Dorfgemeinden54. Daß inhaltlich zusammengehörige und einander ergänzende Beiträge wegen der Bearbeiterschwierigkeiten zeitlich nicht parallel, sondern vielfach nacheinander geschrieben wurden, veranlaßte die Herausgeber notgedrungen dazu, 52 Geschichte Thüringens 2/1 (wie Anm. 15), S. 447. – Als Patze trotz jahrelanger Nachfragen immer noch nicht den sehr kleinen Beitrag über die Entstehung des hochmittelalterlichen Städte­wesens von Wolfgang Heß erhalten hatte, fügte er seiner diesbezüglichen Klage die Bemerkung an: „Wenn er [sc. Heß] es eben nicht tut, mache ich es selbst. Es wird dann sicher nicht so gut, aber wir haben es dann wenigstens“. Patze an Schlesinger, 13.11.1967. Heß lieferte schließlich Jahre später innerhalb kürzester Zeit sein Manuskript ab, als er nach der Vorlage der Darstellung Patzes zur hoch- und spätmittelalterlichen politischen und Verfassungsgeschichte von Schlesinger nachhaltig unter Druck gesetzt werden konnte. Vgl. Schlesinger an Patze, 27.3.1973. 53 Schlesinger an Patze, 22.3.1971. 54 Patze in: Geschichte Thüringens 6 (wie Anm. 15), S. VIIIf.

508 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

gerade in der Veröffentlichung der neuzeitlichen Beiträge von der ursprünglichen Planung der Bände abzugehen und Teilbände eher nach aktueller Manuskriptlage herauszubringen, da sie ansonsten befürchten mußten, daß die Autoren nach jahrelangem Warten ihre Arbeiten zurückziehen oder anderswo selbständig veröffentlichen könnten oder daß das Warten auf den letzten Beitrag den Abschluß des Gesamtwerkes immer weiter verzögern und vielleicht sogar in Frage stellen könnte. Unter dem Druck solcher äußerer Umstände wurde zuerst 1965 beschlossen, die beiden vorliegenden reformationsgeschichtlichen Beiträge gesondert zu veröffentlichen, da insbesondere Irmgard Höß wegen der intensiven reformationsgeschichtlichen Forschungsdiskussion auf baldige Publikation drängte und mit dem Druck einer Zeitschriftenfassung drohte55. Ein Jahrfünft später fiel der vorgesehene, in sich stimmige Band über die Kulturgeschichte in der Neuzeit regelrecht in verschiedene Teile auseinander. Als 1970 mehrere Aufsätze schon jahrelang, teilweise fast ein Jahrzehnt lang vorlagen, andere aber erst begonnen und erst Jahre später fertiggestellt werden sollten, rangen sich Patze und Schlesinger widerwillig zur Zerlegung des kulturgeschichtlichen Teiles in zwei Halbbände und damit zur „weiteren Zerstückelung unseres ursprünglichen Planes“ durch, denn so schlecht diese Lösung wäre, wir wären aber doch einen Schritt weiter. Wenn Sie solche Sammelwerke überschauen, sind sie entweder endlos hingezogen worden oder überhaupt stecken geblieben. Ein kleiner Tribut an die äußere Form scheint mir, so unangenehm er mir ist, immerhin doch vertretbar56.

So ist insbesondere der sechste Band mit seinen drei inhaltlich unverbundenen Artikeln, zur Kunstgeschichte, zur Geldgeschichte und zur historischen Landschaft Thüringens, ein aus solchen Verlegenheiten entstandenes Konglomerat57. Wenn wir nach den ausführlicheren Bemerkungen über die Autoren zu der von ihnen vorgelegten Darstellung und ihren Inhalten übergehen, soll einleitend angedeutet werden, daß die Darstellungsweise „wissenschaftlicher“ ausfiel, als es ursprünglich seitens der Herausgeber beabsichtigt war, weil die Beschreibung des Gegenstandes unausweichlich gewisse Kenntnisse des Lesers voraussetzte. Schlesinger fand den siedlungsgeschichtlichen Beitrag Emmerichs „ausgezeichnet, er wird, wissenschaftlich gesehen, vielleicht der beste des ganzen Werkes 55 Höß an Schlesinger, 18.12.1964 (Nachlaß Schlesinger [wie Anm. 32], Nr. 48); Patze an Degen, 17.3.1965; Protokoll der Besprechung vom 22./23. Oktober 1965 in Marburg, dazu Patze an Böhlau Verlag, 25.10.1967 (beides im Nachlaß Schlesinger [wie Anm. 32], Nr. 48). 56 Patze an Schlesinger, 8.5.1970 (daraus das Zitat); Schlesinger an Patze, 13.5.1970. 57 Zu den Umständen, aus denen sich Aufteilung und Inhalte der Bände 5 und 6 ergaben, vgl. Patze an Möller, 6.9.1977.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 509

sein. Stellenweise ist er zu gelehrt“. Dagegen wandte Patze grundsätzlich und wohl nicht zu Unrecht ein: Seine [sc. Emmerichs] Ausführungen wird nur derjenige richtig zu würdigen wissen und auch verstehen, dem diese Dinge geläufig sind. Ich glaube, wir müssen uns für das ganze Werk von unserer ursprünglichen Absicht, ein ‚Volksbuch‘ zu bieten, trennen. Das gilt nicht nur für das Kapitel von Herrn Emmerich. Obwohl Herr Emmerich einen guten Stil schreibt und sich immer klar ausdrückt, bedarf es einer starken Vorstellungskraft und sicherer Kenntnis siedlungsgeschichtlicher Erscheinungen, wenn man das Dargebotene in bestimmte Vorstellungen umsetzen will. Das läßt sich aber, glaube ich, nicht anders machen58.

In anderer Hinsicht wich die Darstellungsweise teilweise ebenfalls von den Erwartungen der Herausgeber ab. Die Kapitel zur politischen Geschichte der Neuzeit uferten umfangmäßig gegenüber den zunächst vorgegebenen Ansätzen aus, weil sie die Vorgänge statt in straffer Konzentration breiter ausladend mit großer Faktendichte schilderten, so daß das Handbuch insgesamt stärker als zuvor beabsichtigt auch die Funktion eines mit Daten befrachteten Nachschlagewerkes erhielt; Patze suchte zwar den Autoren gegenüber solchen Tendenzen entgegenzuwirken, aber er nahm sie schließlich wegen der spürbar schwindenden landesgeschichtlichen Kenntnisse diesseits wie jenseits der Grenze hin59. Es ist im Rahmen unseres Aufsatzes weder möglich noch sinnvoll, die einzelnen Beiträge oder auch nur eine Auswahl von ihnen in ihrem Ansatz, in ihrem Ertrag und in ihrer Bedeutung für die Wissenschaft zu würdigen. In einem derart umfassenden Sammelwerk unterscheiden sich die Artikel naturgemäß in ihrer Art und in ihrem Wert. Die Herausgeber sahen sich außerstande, ausgewiesene, eigenständige und zuweilen auch eigenwillige Fachkollegen einer straffen Anleitung zu unterwerfen, zumal sie selbst nicht über alle Themenfelder der thüringischen Landesgeschichte mit gleicher Kompetenz urteilen konnten, so daß sie sich wiederholt mit der Frage auseinandersetzen mußten, ob sie die ihnen vorgelegten Manuskripte unverändert annehmen oder auf eine Überarbeitung drängen oder gar vollständig ablehnen sollten. Die deutliche Überschreitung des vorgegebenen Umfanges war noch das geringste Problem. Als der in Jena promovierte und als Lehrer tätige, später jahrzehntelang an der Hamburger Universität wirkende bedeutende Pädagoge Wilhelm Flitner fast zehn Jahre nach seiner Zusage seine Darstellung über Wissenschaft und Schulwesen im neuzeitlichen Thüringen ablieferte, war es entgegen seinen ursprünglichen Absichten zu einem

58 Schlesinger an Patze, 5.5.1967; Patze an Schlesinger, 8.5.1967. 59 Patze, Landesgeschichte (wie Anm. 11), S. 27 (wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze [wie Anm. 11], S. 73.

510 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

kleinen Buch angeschwollen, so daß er selbst den Herausgebern gewichtige Streichungen anheimstellte. Diese verzichteten jedoch nach eingehender Lektüre wegen der Qualität seines Beitrages auf Kürzungen, erfüllte er doch geradezu das angestrebte Ideal in der Verknüpfung von Landes- und Allgemeiner Geschichte. Patze erkannte in Flitners Kapitel „eine schlechthin nicht zu übertreffende Verbindung von allgemeinen Urteilen zur Geistes- und Bildungsgeschichte mit der Kenntnis des thüringischen Details“ und war bei Abschluß des Gesamtwerkes davon überzeugt, daß es einen „Glanzpunkt“ darstelle60. Mehrfach waren die Herausgeber in der wesentlich unangenehmeren Lage, entscheiden zu müssen, ob sie ein vorgelegtes Manuskript mit erheblichen inhaltlichen Mängeln annehmen oder zurückweisen sollten. Sie haben beide Wege beschritten. Von Pfarrer Martin Hannappel und seinem Beitrag zur mittelalterlichen Kirchengeschichte trennten sie sich nach der Vorlage der ersten Entwürfe, da ihnen darin die „Spannung zwischen der kleinteiligen Faktenregistrierung und allgemein-historischen Darlegungen“ nicht ausgeglichen erschien und sie von diesem Autor nicht mehr mit einem wissenschaftlich fundierten und zugleich plastisch gestalteten Text rechneten61. Nur mit Bedenken nahmen sie das Kapitel Volkskunde von Ingeborg Weber-Kellermann auch nach einer erbetenen Umarbeitung der ersten vorgelegten Manuskriptfassung an, da sie befürchteten, mit weiteren Änderungswünschen die Rückgabe des Auftrages zu provozieren62. Die Nöte der Herausgeber werden vielleicht am deutlichsten durch das Kapitel über die neuzeitliche Literaturgeschichte offenbart. Nachdem die ursprüngliche Bearbeiterin Anneliese Bach wie schon erwähnt63 ihren Auftrag nach fünf Jahren zurückgegeben hatte, fand sich schließlich knapp vier Jahre später ein interessierter Autor, Bernhard Sowinski. Nach seiner Zusage vom Februar 196964 verfaßte er innerhalb kurzer Zeit ein Manuskript, im Sommer 1971 lag es vor. Es war umfangreicher ausgefallen, als dem Herausgeber Patze lieb war, so daß er einige Streichungen vornahm, gegenüber einem widerwilligen Sowinski, der die Zurück-

60 Flitner an Patze, 20.12.1969; desgl., 12.3.1970; Patze an Flitner, 10.3.1970; desgl.,29.6.1970 (daraus das erste Zitat); Flitner an Patze, 2.3.1971; Patze an Flitner, 3.10.1972; Flitner an Patze, 11.1.1973; Patze an Flitner, 21.8.1984 (daraus das zweite Zitat). 61 Nachlaß Schlesinger (wie Anm. 32), Nr. 48. 62 Patze an Hermann Rudolph (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 25.1.1979. – Die Autorin selbst gab ihr 1961 angefertigtes Manuskript trotz Überarbeitung 1970 nur mit Bedenken zum Druck frei, da sich ihre wissenschaftlichen Positionen im vergangenen Jahrzehnt stark in Richtung „Entmythologisierung“ gewandelt hätten. Vgl. Weber-Kellermann an Patze, 1.8.1970. 63 Vgl. oben S. 503 mit Anm. 41. 64 Vgl. oben S. 502 mit Anm. 40; Patze an Sowinski, 20.2.1969; Sowinski an Patze, 26.2.1969; Wolf an Sowinski, 1.4.1969.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 511

ziehung seiner Darstellung erwog65. Deren inhaltliche Bewertung warf freilich noch größere Probleme auf. Der Verfasser selbst war mit seinem Werk nicht recht zufrieden: „Im ganzen ist es manchmal ohnehin nur eine Aufzählung von Titeln geworden, die ich einigermaßen in Gruppen einzuordnen und ein wenig zeitgeschichtlich zu kommentieren suchte“. Der Mitherausgeber Schlesinger war nach der Lektüre geradezu entsetzt: Über die Zusammenstellung von Namen, Daten und Titeln kommt der Verfasser kaum hinaus. […] Der Beitrag wird möglicherweise unser ganzes Unternehmen kompromittieren, falls er etwa einem gescheiten Journalisten von der FAZ in die Hand fallen sollte.

Damit war die Lage eingetreten, die Patze Schlesinger gegenüber bei anderer Gelegenheit einmal in das Bild kleidete: „Wir stehen hier wieder einmal am Scheidewege: Entweder wir schlucken das Manuskript oder wir verzichten auf den Abschnitt“.66 Trotz ihrer schwerwiegenden Bedenken entschieden sich die Herausgeber für den Abdruck dieser „Notlösung“, da sie glaubten, ansonsten überhaupt auf das für das Gesamtwerk wichtige Kapitel verzichten zu müssen. Denn nach ihren Erfahrungen mit jahrelanger vergeblicher Autorensuche gingen sie davon aus, daß renommierte Literaturwissenschaftler sich nicht mit Schriftstellern dritter oder vierter Wahl, die im Mittelpunkt einer landesgeschichtlich orientierten Beschreibung standen, befassen würden, sie vielmehr froh sein konnten, überhaupt von einem kurzfristig eingesprungenen Autor unterstützt worden und damit dem angestrebten Abschluß wieder einen Schritt nähergekommen zu sein67. Man wird sich dem Urteil schwerlich verschließen können, daß ein allzu rigoroser Maßstab wegen des schmalen Personalreservoirs die Vollendung des Gesamtwerkes vermutlich in Frage gestellt hätte. Statt hier dessen Einzelbeiträge näher zu analysieren, wollen wir das Augenmerk auf die von den Herausgebern zu verantwortende Auswahl der behandelten historischen Sachgebiete richten, weil sich auf diese Weise der historiographische Standort des Handbuches am besten bestimmen läßt. 65 Patze an Sowinski, 10.9.1970; Sowinski an Patze, 6.8.1971; Patze an Sowinski, 30.8.1971; Sowinski an Patze, 14.9.1971; desgl., 15.9.1971; Patze an Schlesinger, 15.11.1971; Patze an Kleineidam, 5.3.1974. 66 Sowinski an Patze, 4.9.1971 (daraus das erste Zitat); Schlesinger an Patze, 14.3.1972 (daraus das zweite Zitat); Patze an Schlesinger, 6.1.1975 (daraus das dritte Zitat). – Vgl. auch Sowinski an Patze, 28.2.1972; desgl. 11.8.1972. 67 Patze an Hermann Rudolph (Frankfurter Allgemeine Zeitung), 25.1.1979, mit der aufschlußreichen Bemerkung Patzes: „Leider hat er [sc. Sowinski] gerade das, was ich ihm immer suggeriert habe, nicht getan, nämlich eine Literaturgeschichte mit sozialem Hintergrund zu schreiben. Soviel man gegen diese in jüngster Zeit überzogene Fragestellung vorbringen kann, hier im landesgeschichtlichen Rahmen wäre sie möglich gewesen.“ – Vgl. auch Patze an Flitner, 16.4.1969.

512 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Die „Geschichte Thüringens“ knüpft insofern an die spätestens in der Zwischenkriegszeit einsetzende Umwandlung der Landesgeschichte an, als sie sich bewußt nicht als Territorial- und Dynastiegeschichte versteht. Die Ausführungen über die einzelnen Territorien, die sie begründenden und ausgestaltenden Adelsdynastien und ihre Landesherren und Landesfürsten nehmen zwar im Rahmen der politischen, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte breiten Raum ein – die Orientierung einer Epoche der politischen Geschichte an eine fürstliche Persönlichkeit, an Carl August von Weimar, und damit deren exzeptionelle Heraushebung aus dem zeitlichen Ablauf sind allerdings von Hans Tümmler den Herausgebern entgegen der ursprünglichen Konzeption aufgedrängt worden68 –, und der territorialgeschichtliche Schwerpunkt ist gegen Versuche zu seiner Abwertung dadurch gerechtfertigt worden, daß Territorien jahrhundertelang Ordnungsgewalten des Alten Reiches waren und eine Unzahl von Zeugnissen hinterlassen haben69. Und gegen die seit den späten 60er Jahren immer lauter werdenden Rufe nach der „historischen Sozialwissenschaft“ haben die Herausgeber den besonderen Rang der politischen Geschichte verteidigt, haben die eingehende Beschäftigung mit dem politischen Handeln und politischen Entscheidungen innerhalb von rechtlichen Zuständen damit begründet, daß die Erforschung der politischen Kräfte und ihres Wirkens auch einen wesentlichen Teil zur Aufhellung der gesamten Landesgeschichte beitrage70. Aber weder beschränkt noch konzentriert sich die „Geschichte Thüringens“ auf politische, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, die Herausgeber haben sich deutlich etwa von der derartigen Schwerpunktsetzung in Karl Demandts „Geschichte Hessens“ abgesetzt71. Sie haben von vornherein mehr als die Hälfte des Werkes der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Kirchengeschichte und vor allem der Kulturgeschichte im weiteren Sinne mit ihren einzelnen Verzweigungen vorbehalten. Bildungs-, Wissenschafts- und Geistesgeschichte, Literatur-, Kunst-, Musik- und Theatergeschichte werden in etlichen Kapiteln breit dargestellt, teilweise erheblich umfangreicher, als es die Planung vorgesehen hatte. Auf eine Kritik an den Proportionen einzelner Beiträge bemerkte Patze einmal grundsätzlich:

68 Facius an Patze, 1.7.1971; Patze an Schlesinger, 16.9.1973. 69 Hans Patze, Land, Volk und Geschichte, in: Geschichte Thüringens 6 (wie Anm. 15), S. 197– 233, 265–269, hier S. 266. 70 Patze in: Geschichte Thüringens 2/1 (wie Anm. 15), S. 383. 71 Als Schlesinger Patzes Darstellung der hoch- und spätmittelalterlichen Geschichte studiert hatte, urteilte er: „Der große Abschnitt über Verfassungs- und Rechtsgeschichte dürfte auch Herrn Demandt davon überzeugen, daß man mit der politischen Geschichte allein nicht auskommt“ (Schlesinger an Patze, 12.12.1974, Nachlaß Schlesinger [wie Anm. 32], Nr. 74).



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 513

Wir dürfen nicht übersehen, daß auch in einer modernen Landesgeschichte die politische und die Verfassungsgeschichte immer noch den Vorrang haben müssen. Keine Geschichte einer deutschen Landschaft enthält soviel Kulturgeschichte wie unser Werk72.

Eingeleitet wird das Werk durch mehrere „Grundlagen“-Kapitel, in denen die Landesnatur, die Vor- und Frühgeschichte des Menschen, seine Sprache und seine Siedlungstätigkeit eingehend beschrieben werden. Die Auswahl und Berücksichtigung dieser Sachgebiete sind begründet durch die Überzeugung, daß Landesgeschichte der in einem bestimmten Raum sich im Wechselspiel von natürlichen Gegebenheiten und gestaltender Kraft des Menschen vollziehende geschichtliche Prozeß ist, der den Naturraum zu einem Geschichtsraum macht,

wie es in der Einleitung der Herausgeber zu Band 1 heißt73. Die Formulierung verrät unschwer ihre Herkunft aus Fragestellungen, die Rudolf Kötzschke und seine Leipziger Schule für Sachsen und den mitteldeutschen Osten und Hermann Aubin für das Rheinland und Westfalen entwickelt haben74. Sie kreisen um die Bestimmung und Abgrenzung einer Geschichtslandschaft, eines vom Menschen im geschichtlichen Geschehen geformten Kulturraumes, um die Ermittlung und Charakterisierung der Faktoren, die einen Kulturraum ausmachen und prägen. Die „Geschichte Thüringens“ zielt zwar nicht auf eine kulturmorphologische Betrachtungsweise ab, sie will also nicht das von Ebert, Frings, Kötzschke und anderen 1936 herausgegebene Werk „Kulturräume und Kulturströmungen im Mitteldeutschen Osten“ speziell für Thüringen fortsetzen. Aber sie übernimmt mit der eingehenden Thematisierung von Geographie, Sprache, Siedlung sowie von Kultur in ihren verschiedenartigen Schattierungen die Skala geschichtlicher Erscheinungen, die dort zur Identifizierung eines Kulturraumes herangezogen worden sind. Man könnte zugespitzt feststellen, daß die „Geschichte Thüringens“ die historischen Stoffgebiete ausgewählt und behandelt hat, die die Kulturraumforschung als maßgebliche Kriterien in den Vordergrund ihrer Bemühungen gerückt hat, und zwar für einen Raum „Thüringen“, der bewußt oder unbewußt im wesentlichen von der territorialpolitischen Geschichte her gedacht wird und sich im Kern mit dem Gebiet des Landes Thüringen zwischen 1920 und 1945 zuzüglich des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt deckt, unabhängig davon, 72 Patze an Kleineidam, 5.3.1974, als Antwort auf Kleineidams Kritik (Kleineidam an Patze, 17.12.1973), der die Proportionen der einzelnen Beiträge im Teilband 2/2 bemängelte und sich mehr Platz für seine Darstellung der mittelalterlichen Geschichte in Erfurt gewünscht hätte. 73 Geschichte Thüringens 1 (wie Anm. 15), S. VIII. 74 Vgl. Pitz, Methoden (wie Anm. 1), S. 487–489, 491–493, 495f. – Alois Gerlich, Geschichtliche Landeskunde des Mittelalters. Genese und Probleme, Darmstadt 1986, S. 77–90.

514 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

ob die untersuchten menschlichen Lebensäußerungen ungefähr an dessen Grenzen endeten oder erst in ganz anderen Bereichen von eindeutig anderen Erscheinungen abgelöst wurden75. So nachhaltig die „Geschichte Thüringens“ in ihrer Stoffauswahl von der Kulturraumforschung der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts angeregt worden ist, so nachdrücklich distanziert sie sich auf Grund ihrer empirischen Ergebnisse in einzelnen historischen Teilgebieten von deren Kernannahmen. Man könnte thesenartig davon sprechen, daß sie mit ihren Einwänden und Vorbehalten die Kulturraumforschung zu Ende führt und von ihren Erkenntnissen aus den Blick auf eine neue Ebene historischer Fragestellungen mit anderen Ansätzen freigibt. Patze bemängelt in seiner Schlußbetrachtung76 zunächst grundsätzlich, daß ein Kulturraum nicht immer erneut aus dem jeweiligen speziellen Gegenstand, über den man handelt, begründet, sondern statt dessen in seiner alle Gebiete geschichtlichen Lebens umfassenden Existenz schlichtweg vorausgesetzt wird. Darüber hinaus weist er am konkreten Beispiel der künstlerischen und wissenschaftlichen Zeugnisse und Äußerungen die Annahme zurück, daß diese eine Kulturlandschaft Thüringen maßgeblich abgrenzen könnten, da sie in ihrer Unabhängigkeit von geographischen Landschaften und Territorien keine selbständig für einen Raum Thüringen wirksamen Werte darstellen. Anstatt nach objektiven Kriterien einer Geschichtslandschaft zu suchen und ein dem Menschen immanentes „Thüringisches“ aufzudecken, setzt Patze den Akzent auf die das subjektive Heimatbewußtsein der ortsansässigen Bevölkerung bestimmenden maßgeblichen Faktoren, also auf die Anhaltspunkte „für die Bewahrung einer historisch-landschaftlichen Tradition, hier des historischen Begriffs ‚Thüringen‘, bzw. auf das, was den Menschen Thüringens ein Selbstverständnis als Thüringer gibt“77. So verschiebt sich die Aufmerksamkeit auf die im Laufe der Zeit gleichbleibenden wie wechselnden menschlichen Erfahrungs- und Erinnerungswerte, die einen naturlandschaftlichen und historischen Begriff „Thüringen“ ausmachen. Aus tradierten Erfahrungen ebenso wie aus der Aufnahme neuer Elemente, aus dem Gefühl von eigener Geschichte und eigenen Lebensumständen, die sich von Eigentümlichkeiten und Traditionsbewußtsein anderer Landschaften abheben, speisen sich Vorstellung und Heimatbewußtsein von „Thüringen“ in den Augen des Landesbewohners, „die Konstanz einer entscheidenden Mehrzahl von Lebenserscheinungen prägt sein Bewußtsein vom Land“78. Die Annahme von ermittelbaren objektiven Kriterien für die Bestimmung einer Geschichts75 Hans Patze, Land, Volk und Geschichte (wie Anm. 69), S. 197f. 76 Ebd., S. 197–233. 77 Ebd., S. 227, 229. 78 Ebd., S. 229.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 515

landschaft, die dem Stammes- oder Landesangehörigen gewissermaßen von Anfang an innewohnen, wird damit verworfen, der Historiker soll statt dessen nach den Lebenserfahrungen und Lebensumständen langfristiger Wirkung suchen, aus denen subjektive menschliche Einsicht eine räumliche historische Einheit formen. In diesem Sinne will etwa der das Handbuch einleitende Rückblick auf die Landesgeschichtsschreibung in Thüringen79 verdeutlichen, wie sich aus allgemeinem historischen Interesse ein geschichtlich fundiertes regionales Bewußtsein herausbildete. Patze ließ sein Vorwort zum letzten, sechsten Band der „Geschichte Thüringens“ mit dem nüchternen, untergründig zwischen Stolz und Resignation oszillierenden Satz enden: Die Herausgeber haben mit dem Abschluß des Werkes ihren vor 25 Jahren gefaßten Entschluß, die Beschäftigung mit der Geschichte mitteldeutscher Landschaften in der Bundesrepublik Deutschland fortzusetzen, für Thüringen im Rahmen des Möglichen verwirklicht80.

Über die Möglichkeiten und die Zukunft einer mitteldeutschen Landesgeschichts­ forschung in der Bundesrepublik dachte er bereits seit den 60er Jahren recht skeptisch, da die verfügbaren fachkundigen Personen für eine Vielzahl landschafts­ übergreifender, gesamtdeutscher geschichtswissenschaftlicher Forschungsvorhaben bei weitem nicht mehr ausreichten. 1968 wies er in seiner negativen Reaktion auf die Bitte um Mitarbeit an der „Neuen Deutschen Biographie“ darauf hin, daß es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, in die großen wissenschaftlichen Unternehmen Mitteldeutschland wie bisher einzubeziehen. Jedenfalls können das nicht weiterhin die wenigen aus Mitteldeutschland gekommenen Historiker besorgen. […] Die Handvoll Leute, die zur Verfügung steht, ist völlig überlastet. Außerdem hat sie, so sehr sie sich verpflichtet fühlt, natürlich auch einmal das Bedürfnis, zum Teil sogar die Pflicht, sich in ihrem neuen Wirkungskreis zu betätigen81.

Ähnlich äußerte er 1985, daß es wegen der immer geringer werdenden Zahl der Sachkundigen aus Mitteldeutschland

79 Hans Patze, Landesgeschichtsschreibung in Thüringen, in: Geschichte Thüringens 1 (wie Anm. 15), S. 1–47. 80 Geschichte Thüringens 6 (wie Anm. 15), S. X. – Vgl. auch Patze an Flitner, 21.8.1984: „Wenn wir auch gegenüber der ursprünglichen Planung im Aufbau mancherlei Konzessionen an den Zwang der Umstände haben machen müssen, so sind wir doch froh, daß das Werk noch zu einem befriedigenden Ende gekommen ist.“ 81 Patze an Hans-Jürgen Rieckenberg (Neue Deutsche Biographie), 17.1.1968.

516 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

nicht möglich ist, die zahlreichen Sammelwerke, die auf verschiedenen historischen Gebieten herausgebracht werden, für das ganze Deutschland zu bearbeiten, als seien die geeigneten Kräfte noch gleichmäßig verteilt82.

Beide Male erwähnte er auch das Problem des geringen wissenschaftlichen Nachwuchses, der wenigen Doktoranden mit mitteldeutschen Themen, der wenigen Personen, die sich dafür längere Zeit festlegten. Manche Unzulänglichkeiten der „Geschichte Thüringens“ erklären sich aus der damit angedeuteten schwachen personellen Basis. Die Zahl der aus Mitteldeutschland stammenden, in der thüringischen Landesgeschichte bewanderten Wissenschaftler war in der Bundesrepublik gering, und ihre dortige Hauptaufgabe war nicht Thüringen gewidmet. Auch erbrachte die Interessentenwerbung unter den alteingesessenen Westdeutschen nur begrenzte Erfolge, da sich für Nachwuchskräfte mit dem thüringischen Thema keine größeren Perspektiven verknüpften. Die schwache wissenschaftsorganisatorische Grundlage wird besonders be­wußt, wenn man die „Geschichte Thüringens“ mit dem etwa gleichzeitig begonnenen, früher beendeten, noch umfangreicheren Handbuch der bayerischen Geschichte vergleicht. Dieses wissenschaftliche Großunternehmen vermochte sich auf einen um das Mehrfache größeren landesgeschichtlichen, an vielen bayerischen Universitäten und Forschungsstätten verankerten, hauptamtlich der bayerischen Landesgeschichte gewidmeten Mitarbeiterkreis zu stützen, so daß die Leistung Max Spindlers, des „Dirigenten […] mit der erfolgreichsten Stabführung“, wie ihn Patze einmal bezeichnet hat83, von überaus günstigen Rahmenbedingungen profitiert hat. Die geradezu enormen personellen landesgeschichtlichen Kapazitäten in Bayern lassen sich noch dadurch unterstreichen, daß das Handbuch im Kern von einer einzigen landesgeschichtlichen Schule, der Spindlerschen, vorgelegt worden und die konkurrierende Schule von Karl Bosl weitgehend außer Betracht geblieben ist.

82 Patze an Klaus Stopp, 10.1.1985. – Vgl. die gleichartige nachträgliche Einschätzung der Forschungslage in der alten Bundesrepublik bei Matthias Werner, Thüringen im Mittelalter. Ergebnisse – Aufgaben – Perspektiven, in: Im Spannungsfeld (wie Anm. 27), S. 275–341, hier S. 295–297. 83 Patze, Landesgeschichte, 2. Teil (wie Anm. 11), S. 28 (wiederabgedruckt in: Ausgewählte Aufsätze [wie Anm. 11], S. 74). – Zur Geschichte und historiographischen Einordnung des Spindlerschen Handbuches vgl. Wolfgang Neugebauer, Forschung und Synthese. Das Handbuch der bayerischen Geschichte im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 70 (2007), S. 11–32, mit aufschlußreichen Bemerkungen zu wissenschaftspolitischen Voraussetzungen und geschichtswissenschaftlichen Konzeptionen verschiedener landesgeschichtlicher Handbuchunternehmungen der Nachkriegszeit, auch zur „Geschichte Thüringens“ (S. 26–28).



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 517

Zieht man den Vergleich, so wundert man sich eher, daß die umfangmäßig zweitgrößte landesgeschichtliche Handbuchdarstellung aus der Bundesrepublik, eben die „Geschichte Thüringens“, überhaupt zustande gekommen ist. Zwei Gesichtspunkte scheinen mir das Gelingen erklären zu können. Zum einen: Das Handbuchprojekt wurde Ende der 50er Jahre eingeleitet, zu einer Zeit, als in Westdeutschland, vor allem bedingt durch die Flucht aus der DDR, eine nicht überreichliche, aber ansehnliche Zahl von Wissenschaftlern mit umfassenden Kenntnissen und Erfahrungen in der thüringischen Landesgeschichtsforschung zur Verfügung stand. Mit ihnen als Kern und mit den hinzugewonnenen westdeutschen Fachleuten wurde tatsächlich der breite thematische Ansatz, der neben der politischen und Verfassungsgeschichte die verschiedenen kulturgeschichtlichen Sachgebiete berücksichtigte, in die Tat umgesetzt, zwar mit einigen Abstrichen, aber auch mit erheblichen Erweiterungen. 15 oder 20 Jahre später hätte man den notwendigen großen Kreis von Fachleuten aus verschiedenen historischen Fachbereichen nicht mehr versammeln können, denn die Weitergabe der Aufgabe an die nächste Generation ist mangels Nachwuchses nicht gelungen – in meinen Augen ein Zeichen dafür, daß in der Bundesrepublik auf der politischen wie auf der wissenschaftlichen Ebene seit den späten 60er Jahren das Interesse an der DDR im allgemeinen wie an der Geschichte ihrer Landschaften im besonderen rapide abgenommen hatte. Zum anderen: Die Vollendung der „Geschichte Thüringens“ wäre ohne den unermüdlichen Einsatz Hans Patzes nicht denkbar gewesen. Ohne Schlesinger wäre die Handbucharbeit erst gar nicht in Gang gesetzt worden, seine Idee, die mitteldeutschen Landesgeschichten in Handbuchform darzustellen, hat 1958 zu den Planungen für die „Geschichte Thüringens“ wie für die Geschichte BerlinBrandenburgs geführt. Letztere ist Torso geblieben, obwohl hinter ihr die Historische Kommission zu Berlin mit einem durch Bund, Land und anderen Drittmittelgebern reichlich geförderten Apparat stand, aber die Schwerpunkte der Kommissionsarbeit wurden nach dem Weggang Schlesingers aus Berlin je länger, desto mehr von der Landesgeschichte bewußt auf andere Felder verlagert. Nicht zu Unrecht empfand Patze einen gewissen Stolz, wenn er sein Handbuchprojekt mit dem Berliner verglich. „Ich verberge Ihnen nicht“, schrieb er Schlesinger im April 1977, als der Satz des fünften Bandes eingeleitet wurde, daß es mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllt, die von der personell reich ausgestatteten Berliner Historischen Kommission begonnene ‚Geschichte der Mark Brandenburg‘ mit meinem Einmannbetrieb um eine ganze Länge überholt zu haben84.

84 Patze an Schlesinger, 27.4.1977. – Zur Beurteilung und Einordnung von Patzes Leistung sind auch die zweimal mit großem Aufwand in den 1960er und 1980er Jahren begonnenen und

518 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Die mühsamen redaktionellen Arbeiten leistete der Herausgeber Patze selber, von der Vereinheitlichung und Ergänzung der Anmerkungsapparate über die Auswahl und Erläuterung der Bebilderung bis zur Anfertigung der Register einschließlich der zugehörigen Identifizierungen85. Sein Schriftwechsel zur „Geschichte Thüringens“ zeigt in seinem Umgang mit den Autoren seine variantenreiche Psychologie, die von diplomatischer Gewandtheit, gutem Zureden, wiederholter Aufmunterung bis hin zu harscher Kritik reichte. Er wurde nicht müde, die Autoren anzustacheln, sie mit guten Worten oder mit Hinweisen auf vorliegende Manuskripte oder gesetzte Beiträge86 zur Weiterarbeit zu bewegen, zögernde und zweifelnde Mitarbeiter zu überreden oder von der Aufgabe eingegangener Verpflichtungen abzuhalten87. Ihn plagte auf Grund der zuweilen entmutigenden Erfahrungen mit Autoren ständig die Sorge, der große Anlauf könne mit einem Torso enden. Deshalb suchte er darauf zu achten, daß, wie er bei Vorlage des Umbruches des ersten erscheinenden Bandes schrieb, „wir nicht den Atem verlieren. Beispiele, daß solche Sammelwerke nach einem Anfangserfolg dann einschlafen, gibt es genug“88. Ohne seinen Antrieb wäre das Unternehmen früher oder später versandet. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, bietet die „Geschichte Thüringens“ ein Beispiel dafür, daß jenseits aller Institutionen und Strukturen ohne die Kraft der Persönlichkeit herausragende wissenschaftliche Leistungen, gerade auch im Bereich großer Gemeinschaftsunternehmungen, nicht zustande kommen können. Und zu den beeindruckendsten Werken der deutschen Landesgeschichtsforschung des 20. Jahrhunderts möchte man die „Geschichte Thüringens“ uneingeschränkt zählen, auf Grund ihrer Darstellung des Forschungsertrages von Generationen ebenso wie auf Grund ihrer historiographischen Stellung in der deutschen Geschichtswissenschaft. Die „Geschichte Thüringens“ ist die wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Antwort des westdeutschen Exils auf die Unterdrückung und Beseitigung der Landesgeschichte als eines eigenständigen Zweiges der Geschichtswisin beiden Fällen gescheiterten Bemühungen der marxistischen Regionalgeschichtsschreibung an der Universität Jena – der die „Geschichte Thüringens“ Patzes und Schlesingers als zu überwindender „Gegner“ erschien – um eine thüringische Geschichte anzuführen, vgl. dazu Bauer (wie Anm. 27), bes. S. 230, 232. 85 Vgl. nur Patze an Degen, 14.12.1972. 86 Vgl. Patzes Bemerkung: Es muß den Autoren, sobald Herr Gottwald [der Leiter des Böhlau-Verlages, der die „Geschichte Thüringens“ herausbrachte] „irgend bereit ist, ein Quantum Druckfahnen ins Haus geschickt werden können, sonst zerflattert uns das ganze Unternehmen noch unter der Hand“ (Patze an Schlesinger, 15.3.1971). – Vgl. auch Patze an Beyreuther, 26.7.1962. 87 Vgl. beispielsweise Flitner an Patze, 11.11.1966; Patze an Flitner, 15.11.1966; Flitner an Patze, 5.7.1967; Patze an Flitner, 18.8.1967; desgl., 11.12.1967. 88 Patze an Richter, 15.11.1966. – Vgl. auch Patze an Dascher, 15.11.1967; Patze an Möller, 12.12.1968.



Landesgeschichtsforschung im Exil 

 519

senschaft in der SBZ/DDR nach 1945. Als die SED mit ihren marxistischen und zentralistischen Vorstellungen die Erinnerung an jahrhundertealte Territorien und Länder auszulöschen suchte, entschlossen sich bürgerliche Landeshistoriker, die vor der rigiden Durchsetzung dieser ideologischen Wissenschaftspolitik in den Westen geflüchtet waren, die brachliegenden landesgeschichtlichen Forschungsfelder von Westdeutschland aus weiterhin zu pflegen und so wissenschaftspolitisch zu verhindern, daß die föderalistischen Herrschaftsbildungen in der deutschen bzw. mitteldeutschen Geschichte an den Rand oder gar außerhalb des historisch-politischen Bewußtsein rückten und daß die gesamtdeutsche Geschichte durch die Vernachlässigung und Übergehung der mitteldeutschen Landesgeschichte spürbar verkürzt wurde. Die Initiatoren des thüringischen Handbuches hofften nach ihrem Lebensweg geradezu selbstverständlich auf die Wiedervereinigung Deutschlands, auch noch in Zeiten, in denen „fortschrittliche“ Historiker unter Berufung auf den in der deutschen Geschichte dominierenden Föderalismus in merkwürdiger geschichtswissenschaftlicher Logik die deutsche Zweistaatlichkeit rechtfertigten. Solchen damals sehr verbreiteten Stimmungen hielt Patze 1982 im letzten Band des Werkes mit dem abschließenden Satz seines Vorwortes die Überzeugung entgegen: Herausgeber und Autoren der ‚Geschichte Thüringens‘ leitet die gleiche beharrliche Zuversicht, die Goethe am 23. Oktober 1828 gegenüber Eckermann zum Ausdruck brachte: ‚Mir ist nicht bange …, daß Deutschland nicht eins werde‘89.

Aus diesen politischen Erwartungen von Herausgebern und Autoren, aus der politischen Förderung ihres Vorhabens durch das Gesamtdeutsche bzw. Innerdeutsche Ministerium kann freilich nicht der kurzatmige Schluß gezogen werden, die „Geschichte Thüringens“ sei eine Art historische Legitimationsschrift für westdeutsche Wiedervereinigungspolitik gewesen oder habe dem „Revanchismus“ der Landsmannschaft Thüringen gedient, wie ein DDR-Rezensent unterstellte90. Sie ist ein mit wissenschaftlicher Akribie und Methodik erarbeitetes wissenschaftliches Werk und folgt einer Konzeption, die Schlesinger für die Tätigkeit des wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland insgesamt einmal folgendermaßen umschrieben hat: 89 Geschichte Thüringens 5/1/1 (wie Anm. 15), S. VIII. 90 Vgl. Patze an Rosenkranz, 12.8.1969; Rosenkranz an Patze, 27.8.1969. – Nach Patzes Eindruck ergaben sich die Spannungen zwischen Mitgliedern des Arbeitskreises und der Landsmannschaft aus unterschiedlichen Qualitätsanforderungen an wissenschaftliche Arbeiten. Vgl. Patze an Flitner, 18.8.1967. Vgl. ferner Patze an Hartmut Gerstenhauer (Erster Sprecher der Landsmannschaft Thüringen), 9.1.1967 (Abschrift in der Korrespondenz Patze/Schlesinger im Nachlaß Schlesinger [wie Anm. 32], Nr. 74); Friedrich Henning an Patze, 1.12.1968; Patze an Henning, 5.12.1968 (ebd.).

520 

 Landesgeschichtsforschung im Exil

Ich bin der Meinung, daß auf lange Sicht die politische Wirkung der Arbeit unseres Arbeitskreises gerade dann am größten sein wird, wenn wir uns jeglicher Vermischung von Wissenschaft und Politik enthalten. Mit unseren politischen Überzeugungen hat dies nichts zu tun. Es ist aber auch nicht nur eine taktische Frage, sondern ich glaube, daß sich meine Sicht der Dinge aus dem Wesen der Wissenschaft selbst begründen läßt91.

Die „Geschichte Thüringens“ verdankt ihre Entstehung, den Antrieb zu ihrer Erarbeitung einer bestimmten (wissenschafts-)politischen Lage. Ihre Herausgeber zogen aus der Analyse der SED-Geschichtspolitik die Schlußfolgerung, daß sie nicht unter deren Diktat ein wesentliches Stück deutscher Landesgeschichtsforschung aufgeben, sondern es aus eigenen Kräften heraus fortführen sollten. Daß sie die in der gegebenen geschichtswissenschaftlichen und politischen Konstellation enthaltene Herausforderung erkannt, angenommen und mit langem Atem trotz ungünstiger Rahmenbedingungen zu einem wissenschaftlich herausragenden Werk produktiv genutzt haben, macht die „Geschichte Thüringens“ zu dem wohl bemerkenswertesten Zeugnis deutscher „Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschland“92.

91 Zitiert nach Gockel, Übersiedlung (wie Anm. 4), S. 253. 92 Vgl. Anm. 17.

Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien in Göttingen nach 1945 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

Am 23. Februar 1946 begründete Hellmuth Weiss, Historiker und Bibliothekar, letzter Präsident der Deutschen Kulturselbstverwaltung in Estland, aus seinem damaligen Wohnort Potsdam seinem Freunde Reinhard Wittram, a.o. und o. Professor für Geschichte am Herder-Institut in Riga und an der Reichsuniversität Posen, nun in Göttingen, die lange Verzögerung seines ersten Briefes nach der deutschen Kapitulation mit folgender Überlegung: Alles das, was zwischen unserem letzten Zusammentreffen und heute geschehen ist, bildet ein gewaltiges Hemmnis und lähmt die Entschlußkraft. Die wenigen Worte und Gedanken, welche ein Brief vermitteln kann, scheinen so unzureichend, um eine Brücke über den Abgrund zu schlagen, der das heute von dem gestern trennt.1

Im Mai 1954 leitete Wittram seinen Aufsatz über „Das Reich als Vergangenheit. Gedanken zum Problem der historischen Kontinuität“ mit der Bemerkung ein: Nach dem Zusammenbruch begann zugleich mit der leidenschaftlichen Kritik am Vergangenen überall im bürgerlichen Deutschland die Anknüpfung an überlieferte Lebensformen und Denkweisen. Der Umbruch war freilich so tief, daß nichts einfach fortgesetzt, nichts ungeprüft übernommen werden kann.2

Die unterschiedlichen Stimmungslagen, die aus diesen wenigen Zeilen sprechen, sind nicht nur charakteristisch für das Empfinden der unmittelbaren Nachkriegszeit bzw. der Konsolidierungsphase der Bundesrepublik in den 50er Jahren, sie 1 Schreiben von Hellmuth Weiss an Reinhard Wittram v. 23.2.1946. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStAPK), Berlin-Dahlem, I. HA Rep. 224 B, Baltische Historische Kommission (BHK), betr. Schriftwechsel von Reinhard Wittram mit Hellmuth Weiss, 1946–1973. – Als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen dienen neben gedruckten Veröffentlichungen die Akten der Baltischen Historischen Kommission, die das Geheime Staatsarchiv seit 1992 als Depositum verwahrt und die der Verfasser gegenwärtig ordnet und verzeichnet. Da die archivalischen Erschließungsarbeiten noch nicht abgeschlossen und infolgedessen noch keine endgültigen Signaturen vergeben sind, werden hier, um die spätere Wiederauffindung der herangezogenen Quellen zu ermöglichen, die (vorläufigen) Aktentitel der benutzten Einheiten wiedergegeben. 2 Reinhard Wittram, Das Reich als Vergangenheit. Gedanken zum Problem der historischen Kontinuität, in: Ders., Das Nationale als europäisches Problem. Beiträge zur Geschichte des Nationalitätsprinzips vornehmlich im 19. Jahrhundert. Göttingen 1954, S. 95–108 u. 223f., hier S. 95. Aus: Nordost-Archiv N.F. 7 (1998), H. 1, S. 11–32.

522 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

kennzeichnen auch durch die verwendeten Begriffe – Abgrund und Umbruch einerseits, Anknüpfung an Überlieferung andererseits – das sachliche Problem, dem sich die Deutschen damals gegenübergestellt sahen: Inwieweit ließ sich nach dem beispiellosen politischen und moralischen Zusammenbruch Deutschlands Kontinuität wahren, inwieweit war Wandel geboten und unausweichlich? Jeder nachdenkliche deutsche Historiker stand vor der Aufgabe, die bisherigen historiographischen Traditionen in methodischer und inhaltlicher Hinsicht auf ihre Überzeugungskraft hin zu überprüfen.3 Den deutschbaltischen Historikern stellte sich die allgemeine Situation freilich in besonderer Radikalität dar, denn das äußere Dach, unter dem sie ihre Forschungen über Generationen hinweg betrieben hatten, war durch die Ereignisse von 1939 und 1945 vollständig zerborsten, und ihre geistigen Überlieferungen waren von den Nationalitätenkämpfen des späten 19. und des 20. Jahrhunderts sowie von der nationalsozialistischen Ideologie nicht unberührt geblieben. Für den rückschauenden Betrachter ist es daher von eigenem Reiz zu untersuchen, wie die führenden Köpfe, die im wesentlichen der in den 20er Jahren ins wissenschaftliche Leben eingetretenen Generation angehörten, auf die Situation von 1945 reagierten und sie verarbeiteten. Allerdings mochten im Sommer 1945 die aktiven Wissenschaftler, die den Krieg überlebt hatten – und dieser hatte die Reihen der ohnehin kleinen Gruppe gerade unter der jungen Generation stark gelichtet –, daran zweifeln, daß baltische historische Studien in Deutschland überhaupt noch eine Zukunft haben könnten, so radikal war die Existenz der aus dem Warthegau geflüchteten baltischen Deutschen in Frage gestellt.4 Abgesehen von den Alltagssorgen, die um die Bewältigung von Hunger und Kälte kreisten, war das Gefühl anhaltender politischer Unsicherheit verbreitet. Die deutschbaltischen Historiker fanden sich zwar fast ausnahmslos in den westlichen Besatzungszonen wieder, aber einen 3 Vgl. dazu im allgemeinen Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945. München 1989, Tb. München 1993 (Beihefte der Historischen Zeitschrift. N.F. 10). 4 Zum Folgenden vgl. Reinhard Wittram, Der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien nach 1945. Ms. [1972]. GStAPK, I. HA Rep. 224 B. – Zu den im 19. Jahrhundert entstandenen, bis 1939 bestehenden historischen Vereinigungen vgl. Hellmuth Weiss, Die historischen Gesellschaften, in: Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung, hrsg. v. Georg von Rauch. Köln/ Wien 1986 (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart. 20), S. 121–139. Zur Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde zu Riga vgl. Peter Wörster, Einige Bemerkungen zur Arbeit der Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde in Riga, in: Das Dommuseum in Riga – Ein Haus für Wissenschaft und Kultur. Marburg 2001, S. 30–36; Margit Romang, Die Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde der russischen Ostseeprovinzen zu Riga, in: Vereinskultur und Zivilgesellschaft in Nordosteuropa. Regionale Spezifik und europäische Zusammenhänge, hrsg. v. Jörg Hackmann. Wien/Köln/Weimar 2012 (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte. 20), S. 203–223. Eine eingehende Untersuchung dieser wissenschaftlich gewichtigsten historischen Gesellschaft des Baltikums ist wünschens- und lohnenswert.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 523

Zugriff der Sowjetrussen hielt man nicht für ausgeschlossen, ebensowenig wie man der vorbehaltlosen Gültigkeit der vom untergegangenen Reich verliehenen deutschen Staatsangehörigkeit vertraute. Verdunkelt war für die meisten die Aussicht auf wissenschaftliche Weiterarbeit, ja überhaupt die berufliche Fortexistenz: Man kam als Büroangestellter, als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter, als Heizer unter. Wissenschaftliche Institutionen, die sich vorrangig oder beiläufig der Geschichte der baltischen Lande gewidmet hätten, bestanden nicht mehr. Die historischen Gesellschaften und Vereine, die seit den Zeiten der Romantik die landesgeschichtliche Forschung der Deutschbalten getragen hatten, unter ihnen als die vornehmste und bedeutendste die „Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde zu Riga“, waren anläßlich der Umsiedlung 1939 aufgelöst worden, und der in Posen geplante neue Mittelpunkt geschichtlicher Forschung, vornehmlich die Sammelstelle für baltisches Kulturgut, war durch den Kriegsverlauf hinfällig geworden. Unter den bescheidensten Bedingungen setzen im Herbst 1946 die Bemühungen um die organisatorische und inhaltliche Wiederbelebung der historischen Studien ein,5 in Göttingen, da die maßgeblich vorantreibenden Personen mittlerweile Lehrbefugnisse an der Georgia Augusta erhalten hatten: Leonid Arbusow,6 der herausragende Mediävist und unermüdliche Quellenforscher, Kurt Stavenhagen,7 der historisch orientierte und interessierte Philosoph, und Reinhard Wittram,8 der Neuzeithistoriker, der sich bereits in jungen Jahren durch seine zahlreichen Darstellungen übergreifender wie richtungsweisender Natur eine Führungsposition unter den deutschbaltischen Historikern erworben hatte. Am Sonnabend, dem 26. Oktober 1946, fand in Arbusows Göttinger Pensionszimmer 5 Vgl. zum Folgenden neben Wittram, Wiederbeginn (wie Anm. 4), noch Georg von Rauch, Die deutschbaltische Geschichtsschreibung nach 1945, in: Geschichte der deutschbaltischen Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 399–435, hier S. 399–402. 6 Vgl. Deutschbaltisches biographisches Lexikon 1710–1960, hrsg. v. Wilhelm Lenz. Köln/ Wien 1970, S. 16f. Unter den Nachrufen hervorzuheben ist die eindringliche Erinnerung an Person und Werk von Reinhard Wittram, in: Zeitschrift für Ostforschung 1 (1952), S. 109–114. Vgl. jetzt die breit angelegte Würdigung: Leonid Arbusow (1882–1951) und die Erforschung des mittelalterlichen Livland, hrsg. v. Ilgvars Misāns u. Klaus Neitmann, Köln/Weimar/Wien 2014 (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte. 24), hier: Teil I: Leonid Arbusow und sein historiographisches Erbe, S. 19–161, u.a.: Klaus Neitmann, Das wissenschaftliche Lebenswerk Leonid Arbusows. Themen und Methoden seiner Forschungen zur Geschichte Livlands, S. 19–77. 7 Lexikon (wie Anm. 6), S. 760; Paul Kaegbein, Wilhelm Lenz, Fünfzig Jahre baltische Geschichtsforschung 1947–1996. Die Baltische Historische Kommission und die Baltischen Historikertreffen in Göttingen. Veröffentlichungen, Vorträge, Mitglieder. Köln 1997, S. 166. 8 Vgl. Zusammenstellung von biographischen Nachweisen bei Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 199. Hervorzuheben ist der Nachruf von Gert von Pistohlkors, in: Zeitschrift für Ostforschung 22 (1973), S. 698–703.

524 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

die erste wissenschaftliche Besprechung der erreichbaren Forscher statt. Der baltische Historikerkreis, der hieraus hervorging, führte ein Jahr später, am 25. und 26. September 1947, in den Räumen des Göttinger Historischen Seminars die erste inhaltliche Veranstaltung mit einem wissenschaftlichen Programm durch. Am Beginn der kleinen Vortragsfolge stand Arbusow mit dem Thema „Liturgie und Geschichtsschreibung bei Otto von Freising und Heinrich von Lettland“,9 am Schluß Wittram mit dem Referat über den „Geist und die Wirkung der ‚Livländischen Antwort‘“,10 womit, wohl unbeabsichtigt, Kontinuität und Wandel der deutschbaltischen Geschichtsforschung zum Ausdruck kamen. Arbusow setzte seine langjährigen Forschungen um die kritische Neuedition der Chronik Heinrichs von Lettland fort; ihr erfolgreicher Abschluß durch Albert Bauer 1955, vielleicht die bedeutendste Publikation der Baltischen Historischen Kommission in den ersten fünfzehn Nachkriegsjahren,11 war also „die Frucht eines noch in heimatlichen Boden gepflanzten Baumes“.12 Wittram nutzte die Interpretation eines der berühmtesten Werke eines deutschbaltischen Historikers zu einer verständnisvollen, aber deutlichen Kritik an maßgeblichen Tendenzen der bisherigen deutschbaltischen Historiographie. Auf dem 4. Baltischen Historikertreffen im September 1951 erhielt der lockere wissenschaftliche Zusammenschluß eine festere organisatorische Gestalt, indem sich der Historikerkreis in Analogie zu entsprechenden wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland die Form einer landesgeschichtlichen Kommission gab. Von vornherein und auf Dauer pflegte die Baltische Historische Kommission den Kontakt zum 1950 gegründeten Johann Gottfried Herder-Forschungsrat und zum Johann Gottfried Herder-Institut in Marburg, ja, der Forschungsrat war sogar eigentlich die Voraussetzung für die Konstituierung der Kommission gewesen, da er als gelehrte Vereinigung deren Initiatoren die Bürgschaft bot, daß mit den von ihm vermittelten Beihilfen keinerlei politische Auflagen oder politische Erwartungen verknüpft werden würden. Einen eher distanzierten Kontakt hielt die Kommission zur Deutschbaltischen Landsmannschaft, denn den Gedanken, 9 Vgl. Leonid Arbusow, Liturgie und Geschichtsschreibung im Mittelalter. Bonn 1951. 10 Vgl. Reinhard Wittram, Carl Schirrens „Livländische Antwort“ (1869), in: Ders., Das Nationale (wie Anm. 2), S. 161–182 u. 233–236. 11 Heinrichs Livländische Chronik. 2. Aufl., bearb. v. Leonid Arbusow (†) u. Albert Bauer. Hannover 1955 (Scriptores rerum Germanicarum in usum scholarum editi). – Vgl. ferner Albert Bauers lat.-dt. Ausgabe: Heinrich von Lettland, Livländische Chronik, neu übersetzt v. Albert Bauer. Darmstadt 1959 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. 24). 12 Reinhard Wittram, Zur Orientierung über Forschungsstand und Problemstellungen der baltischen geschichtswissenschaftlichen Arbeit. Ms. [1960], S. 8. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 13. Baltisches Historikertreffen 1960.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 525

deren damaligen Vorsitzenden Georg von Manteuffel-Szoege als Mitglied aufzunehmen, verwarf man noch in der Gründungsphase, da man aufgrund eines konkreten Beispiels dadurch politische Einflußnahmeversuche auf die eigenen Veröffentlichungen befürchtete.13 Für die Auswahl der Mitglieder gab im September 1951 den Ausschlag, daß, wie Hellmuth Weiss ausführte, „eine Baltische Historische Kommission in sich möglichst die Tradition aller baltischen geschichtlichen und landeskundlichen Institute und Gesellschaften vereinigen müsse“. So wurden vorrangig die ehemaligen Vorstandsmitglieder der wissenschaftlichen Gesellschaften berücksichtigt, Reinhard Wittram wurde zum Ersten Vorsitzenden gewählt und nahm diese Funktion bis zu seinem Tode im Mai 1973 wahr.14 Mit der Konstituierung der Baltischen Historischen Kommission unter dem Dach des Johann Gottfried Herder-Forschungsrates war 1951 in wissenschaftsorganisatorischer Hinsicht die unmittelbare Nachkriegszeit beendet, denn damit waren die grundlegenden äußeren Bedingungen geschaffen, unter denen sich in den nachfolgenden Jahrzehnten, im Kern bis auf den heutigen Tag, die Forschungsarbeit an der baltischen Geschichte vollzogen hat und vollzieht. Es war, zahlenmäßig betrachtet, eine sehr kleine Gruppe; im Tätigkeitsbericht des Historikerkreises vom September 1950 heißt es: Insgesamt zählt die deutsch-baltische Flüchtlingschaft rund 25 wissenschaftlich ausgebil­ dete Historiker; dazu kommen noch mehrere anerkannte Genealogen. Von den 25 Geschichts­ wissenschaftlern sind 9 wieder in wissenschaftlichen Berufen tätig; außerdem haben noch 3 oder 4 die Möglichkeit, zeitweilig etwa auf ihren Fachgebieten zu arbeiten. Die übrigen sind teils arbeitslos, teils in nicht wissenschaftlichen Berufen tätig. Die meisten leben noch unter den drückenden, manche unter unwürdigen Bedingungen reiner Flüchtlingsexistenzen.“15

Forschungsbeihilfen, die vornehmlich der Herder-Forschungsrat der Kommission zur Verfügung stellte, ermöglichten die Durchführung mehrerer Forschungsvorhaben und sicherten zugleich dem Forscher für einen befristeten Zeitraum eine materielle Existenzgrundlage. Die Vollendung der Edition Heinrichs von Lettland nach Arbusows Tode 1951 verdankte die Kommission dem Umstand, daß die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf ihren Antrag hin dem stellen-

13 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Auseinandersetzung mit dem Vorsitzenden der DeutschBaltischen Landsmannschaft Georg Baron Manteuffel-Szoege um die Darstellung von Jürgen von Hehn, „Die baltischen Lande. Geschichte und Schicksal der baltischen Deutschen“, 1951–1952. 14 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Protokolle der Mitgliederversammlungen der BHK, 1951– 1972, hier: Protokoll der Mitgliederversammlung auf dem 4. Baltischen Historikertreffen 1951. 15 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Tätigkeit des baltischen Historikerkreises, 1950/51.

526 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

losen Albert Bauer,16 einem engen Mitarbeiter Arbusows aus ihrer gemeinsamen Rigaer Zeit, ein mehrjähriges Stipendium gewährte.17 Der wirtschaftliche Aufstieg der jungen Bundesrepublik verschaffte allmählich im Laufe der 50er Jahre den deutschbaltischen Historikern dauerhafte berufliche Anstellungen, freilich nicht auf dem Gebiet der baltischen Geschichte, denn dafür gab es in keiner Forschungsinstitution hauptamtliche Stellen. „Die aktiven und leistungsfähigen Kräfte“, stellte Wittram 1957 fest, „sind in die Arbeitswelt der Bundesrepublik eingegliedert worden und haben die Möglichkeit verloren, Sonderaufträge für Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Ostgeschichte entgegenzunehmen.“18 Für fast alle Kommissionsmitglieder entwickelten sich ihre geschichtswissenschaftlichen Forschungen zu Feierabend- und Wochenendbeschäftigungen, zu einer nebenberuflichen und ehrenamtlichen Tätigkeit, der eine angemessene äußere Honorierung versagt blieb. Umso erstaunlicher stellt sich unter diesen Bedingungen die wissenschaftliche Produktivität der Kommission mit ihren bedeutenden Publikationen dar. Betrachtet man näher die Vorträge, die auf den 15 Historikertreffen zwischen 1947 und dem Anfang der 60er Jahre gehalten wurden,19 und beschäftigt sich intensiver mit der dafür geleisteten wissenschaftlichen Arbeit, so überwiegen die gelehrten Detailforschungen zu einem breiten Themenspektrum: Zeitlich reichen sie von den Verhältnissen der Eroberungsepoche Livlands um 1200, über die sich Paul Johansen mehrfach äußerte,20 bis zur Umsiedlung der Deutschbalten 1939 und der Einverleibung der baltischen Staaten in die Sowjetunion 1940, die Reinhard Wittram und Hellmuth Weiss analysierten.21 Sachlich wird ein ebenso weiter Bogen geschlagen von Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte über die Diplomatiegeschichte bis hin zur Geistes- und Kulturgeschichte, soziale und nationale Großgruppen werden ebenso behandelt wie einzelne Persönlich16 Lexikon (wie Anm. 6), S. 31f.; Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 96; Nachruf von Paul Johansen, in: Zeitschrift für Ostforschung 11 (1962), S. 476–478. 17 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Edition der Livlandchronik des Heinrichs von Lettland durch Albert Bauer, 1951–1955. 18 Reinhard Wittram, Tätigkeitsbericht [der BHK] 1957. Ms. [1957], S. 3. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 10. Baltisches Historikertreffen 1957. 19 Eine detaillierte Zusammenstellung der 1947–1996 auf den Baltischen Historikertreffen gehaltenen Vorträge mit bibliographischen Nachweis der Publikationsorte bei Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 35–80. 20 Die Gründung Revals (1949); Städtewesen um die Ostsee in vorhansischer Zeit (1950); Das Minderwertigkeitsgefühl als sozialer Faktor im mittelalterlichen Livland (1954); Über die sog. Aufsegelung Livlands durch Bremer Kaufleute (1960). Nachweis bei Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 35f., 39 u. 43. 21 Reinhard Wittram, Der Struktur- und Substanzwandel der deutschbaltischen Volksgruppen im letzten Jahrzehnt vor der Umsiedlung als Forschungsproblem; Hellmuth Weiss, Die Entwicklung des Deutschtums in Estland (1959). Vgl. Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 42.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 527

keiten in biographischen Skizzen charakterisiert. Es fällt aber auf, daß das wissenschaftliche Spezialistentum, das für die Erschließung und Durchdringung der Überlieferung unentbehrlich ist, ständig begleitet wurde von der Diskussion grundsätzlicher Fragen, die sich der baltischen Geschichtsforschung stellten. Vorrangig war es Reinhard Wittram, der mit eigenen Referaten oder seinen Eröffnungsansprachen immer wieder den jeweiligen Standort der Kommissionsarbeit mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten, ihren methodischen Ansätzen und den verwendeten Wertmaßstäben eindringlich erörterte. Darüber hinaus trug er mit seinen Anregungen dafür Sorge, daß derartige Reflexionen über „Sinn und Aufgabe baltischer Geschichtsforschung heute“, wie eine kleine Vortragsfolge auf dem Historikertreffen im Juli 1952 überschrieben war,22 auch von anderen Referenten angestellt wurden. Dahinter stand seine als Notwendigkeit empfundene Absicht, für die Behandlung der baltischen Geschichte aus dem „Stil der Mythologisierung“, wie er das einmal nannte,23 herauszukommen. Damit war gemeint, daß grundlegende Interpretationsansätze und Interpretationsmuster der älteren deutschbaltischen Geschichtsforschung auf ihre Stichhaltigkeit überprüft wurden, indem man solche historiographischen Traditionen auf ihren zeit- und situationsgebundenen Hintergrund hin untersuchte und gegebenenfalls sinnstiftende Darstellungen übergreifender Zusammenhänge in ihrer Fragwürdigkeit enthüllte. Die Kritik entzündete sich ebenso an den einflußreichen Werken berühmter Historiker wie an herausragenden Einzelthemen, sie erfaßte dabei in Ausschnitten die gesamte deutschbaltische Geschichtswissenschaft seit Carl Schirren im allgemeinen und zudem die historische Arbeit von Wittrams eigener Generation zwischen 1933 und 1945 im besonderen und untersuchte vor allem die Bedeutung des modernen Nationalismus für das jeweilige Geschichtsbild. Arved von Taube wies 1952 darauf hin, daß die deutschbaltische Geschichtswissenschaft durch den Grundton der Abwehr, der Apologie geprägt worden sei, da sie ihre vornehmste Aufgabe in der Verteidigung der historischen Rechtsstellung der Deutschbalten gegen die Bedrohung von außen gesehen habe, und er stellte gewisse Einseitigkeiten dieser Abwehrhaltung bei der Beurteilung des Gegners fest.24 In einer perspektivenreichen Analyse von Carl Schirrens „Livländischer Antwort“, vielleicht des berühmtesten und bekanntesten Werkes eines deutschbaltischen Historikers, arbeitete Wittram heraus, daß Schirren mehr, als es der erste Anschein mit dem Beharren auf dem ständischen Recht erweckte, in 22 Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 38. 23 Reinhard Wittram an Hellmuth Weiss vom 1.12.1951. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Schriftwechsel von Reinhard Wittram mit Hellmuth Weiss, 1946–1973. 24 Arved Baron Taube, Vom Sinn der Beschäftigung mit baltischer Geschichte in heutiger Zeit, in: Baltische Briefe 5 (1952), Nr. 8/9 , S. 8.

528 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

der Welt der neuen nationalen Gefühle zu Hause war. Schirren habe durch seinen Bezug auf den nationalen Träger des Landesrechts die Deutschen Livlands in ihrem Abwehrkampf gegen die Russifizierung und überhaupt in ihrem Landesbewußtsein national isoliert, und er habe durch seine herausfordernde Ablehnung und Verachtung alles Russischen ein einseitiges Rußlandbild geschaffen.25 „Es geht m.E. auch nicht, Schirren nur als Konservativen zu sehen, der für das Recht kämpfte – er war auch ein Hasser und hat manchen Ansprüchen des ‚Volkstums‘ (…) Pate gestanden.“26 Nach Taubes Interpretation war die Heroisierung Johann Reinhold von Patkuls, des ständischen Widersachers König Karls XII. von Schweden, aus dem Gefühl erwachsen, vor der Geschichte vermöchten nur die Gemeinschaften zu bestehen, für die ihre Glieder bereit seien, sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einzusetzen. Diese Einstellung habe dann zur Herausbildung des kämpferischen, auf Abwehr gerichteten politisch-historischen Bewußtseins der baltisch-deutschen Bildungsschicht geführt und den Willen zur Erhaltung der provinziellen Autonomie und der nationalen Eigenständigkeit gestärkt, zugleich aber auch verhärtet und zu einer geistigen Isolierung der politisch orientierten baltisch-deutschen Geschichtsschreibung beigetragen.27 Wittram war sich im klaren darüber, daß die nationalpolitischen Sichtweisen, wie sie Schirren in der Verteidigung des historischen Landes- und Standesrechts mehreren Generationen von baltischen Deutschen eingeprägt hatte, unter veränderten Umständen in eine nationalideologische Deutung der baltischen Geschichte umzuschlagen gedroht hatte.28 Nach 1918 gerieten die deutschbaltischen Historiker in den selbständigen Staaten Estland und Lettland zunehmend dadurch in die Defensive, daß sich eigenständige estnische bzw. lettische Geschichtswissenschaften entwickelten. Deren Forschungen drehten sich um das Schicksal des eigenen Volkes und dessen ungebrochene Kontinuität unter wechselnden Herrschaften; die anderen Völker wurden danach beurteilt, inwieweit sie die Entwicklung des eigenen behindert oder gefördert hatten, und den deutschen Anteil an der Landesgeschichte suchten sie herunterzuspielen und 25 Wittram, Livländische Antwort (wie Anm. 2), insbes. S. 177–181. – An Wittrams Analyse knüpft an und führt sie weiter: Michael Garleff, Russen und Russland bei Carl Schirren und sein Einfluss auf das Russlandbild der Deutschbalten, in: Carl Schirren als Gelehrter im Spannungsfeld von Wissenschaft und politischer Publizistik. Dreizehn Beiträge zum 22. Deutschbaltischen Seminar 2010, hrsg. v. Michael Garleff. Lüneburg 2013 (Baltische Seminare. 20), S. 121–141. 26 Vgl. Anm. 23. 27 Arved Frhr. von Taube, Von ständischer Libertät zu nationaler Selbstbehauptung. Johann Reinhold Patkul im baltisch-deutschen Geschichtsbild (1707–1957), in: Zeitschrift für Ostforschung 6 (1957), S. 481–510. 28 Reinhard Wittram, Die moderne Geschichtsforschung und die baltische Tradition, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 15 (1968), S. 47–59, hier S. 49f.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 529

beiseite zu schieben. Die Deutschbalten reagierten darauf mit der volksgeschichtlichen Betrachtungsweise, für die die historische Gestalt und Struktur des deutschen Volkskörpers im Rahmen der baltischen Landesgeschichte im Vordergrund stand.29 Wittram verleugnete auch nach 1945 die Erkenntnisfortschritte dieses Ansatzes nicht, da mit der Konzentration auf Bevölkerungsverschiebungen, Siedlungsvorgänge, Nationalitätenwandel und geistesgeschichtliche Vorgänge unbekannte Seiten des historischen Prozesses beleuchtet worden seien. Aber er stellte darüber hinaus deutlich heraus, daß im allgemeinen Horizont dieses Geschichtsverständnisses „die Verbindung der deutschen Landesbewohner mit Deutschland und deutschen Machtideen als schlechthin sinngebend“ angesehen worden war.30 Von hier aus lag es für viele Angehörige der damals jungen Generation, unter denen Wittram an erster Stelle stand, nahe, die eigenen Erwartungen mit nationalsozialistischen Vorstellungen zu harmonisieren, als der Machtanstieg Deutschlands nach 1933 im Auslandsdeutschtum Hoffnungen auf eine Neuordnung Ostmitteleuropas unter deutscher Führung weckte. Mit der Kraft seines Wortes und seiner Feder hat sich Wittram damals hinter die „Bewegung“ gestellt.

29 Einen guten Überblick über die volksgeschichtlich orientierte Forschung der Zwischenkriegszeit gibt aus seiner damaligen Perspektive Reinhard Wittram, Die deutsche Geschichtsforschung in den baltischen Landen. Wandlungen, Ergebnisse, Aufgaben, in: Deutsche Ostforschung. Ergebnisse und Aufgabe seit dem ersten Weltkrieg, hrsg. v. Hermann Aubin, Otto Brunner, Wolfgang Kohte u. Johannes Papritz. Bd. 2. Leipzig 1943 (Deutschland und der Osten. 21), S. 447– 460. – Aus der Zeit nach 1945 vgl. Wittrams knappe, aber inhaltsreiche historiographische Bemerkungen in: Baltische Historische Kommission, in: Zeitschrift für Ostforschung 3 (1954), S. 250–253, hier S. 250f.; ders., Kulturpolitische Funktionen des Historikers. Ms. [1955], S. 1ff. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Allgemeine Korrespondenz 1954–1955. – Mehrere neue Untersuchungen zur deutschbaltischen, estnischen und lettischen Historiographie zwischen 1919 und 1940 in den beiden Sammelwerken: Die Universitäten Dorpat/Tartu, Riga und Wilna/Vilnius 1579–1979. Beiträge zu ihrer Geschichte und ihrer Wirkung im Grenzbereich zwischen West und Ost, hrsg. v. Gert v. Pistohlkors, Toivo U. Raun, Paul Kaegbein. Köln/Wien 1987 (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte. 9); Zwischen Konfrontation und Kompromiß. Oldenburger Symposium: „Interethnische Beziehungen in Ostmitteleuropa als historiographisches Problem der 1930er/1940er Jahre“, hrsg. v. Michael Garleff. München 1995 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte. 8). – Allgemein: Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918–1945. Göttingen 1993 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. 101). Die Ausführungen zu Wittram leiden allerdings darunter, daß die Lage der deutschbaltischen Historiographie in den neuentstandenen Nationalstaaten Estland und Lettland nicht thematisiert wird, so daß ein sehr verkürztes Bild entsteht. 30 Reinhard Wittram, Geschichtswissenschaft und geschichtliche Wahrheit, in: Baltische Briefe 5 (1952), Nr. 8/9 , S. 7; ders., Ms. betr. die deutsch-baltische Geschichtsschreibung im 20. Jh. [1959]. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 12. Baltisches Historikertreffen 1959; ders., Moderne Geschichtsforschung (wie Anm. 28), S. 49 (Zitat).

530 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

In dem auf den Juni 1934 datierten Vorwort seiner Schrift „Meinungskämpfe im baltischen Deutschtum während der Reformepoche des 19. Jahrhunderts“ lesen wir: Um einen neuen Ansatz unserer baltischen Geschichtsauffassung zu ringen, ein neues gültiges Geschichtsbild zu gewinnen, ist eine Aufgabe geworden, der wir uns nicht entziehen dürfen, wenn wir die Wissenschaft dem Leben verpflichtet wissen. (…) Je gewissenhafter wir der Wahrheitspflicht des Historikers Genüge zu leisten suchen, je strenger wir gegen uns sind, desto unbefangener werden wir uns unsere Aufgabe nicht nur von den Bedürfnissen der Wissenschaft, sondern auch von den Forderungen unserer geschichtlichen Stunde leiten lassen dürfen.31

Es ist hier nicht der Ort, die von der Sicht und von den Erfahrungen des Auslandsdeutschen, des Deutschbalten geprägte Stellungnahme Wittrams zu den deutschen politischen Entwicklungen mit ihren sich grundsätzlich wandelnden Konstellationen zwischen 1928 und 1945 im einzelnen zu beschreiben und zu analysieren.32 Erwähnt sei nur noch, daß er nach dem 22. Juni 1941 an „die Erfüllung (…) der kühnsten Sehnsucht, die je hinter unserer wissenschaftlichen Arbeit stand“, glaubte:

31 Reinhard Wittram, Meinungskämpfe im baltischen Deutschtum während der Reformepoche des 19. Jahrhunderts. Riga 1934, S. VIIIf. 32 Wittrams Haltung zum Nationalsozialismus wird mit vielen Zitaten dargelegt bei Hans-Erich Volkmann, Von Johannes Haller zu Reinhard Wittram. Deutschbaltische Historiker und der Nationalsozialismus, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 45 (1997), S. 21–46, besonders S. 30–33 u. 44f. Allerdings reicht es für ein vertieftes Verständnis nicht aus, mit einer Sammlung von ein wenig einseitig ausgewählten Belegen die Übereinstimmung mit der NS-Ideologie beweisen zu wollen, ohne auf die wesentlichen Voraussetzungen im politischen und historischen Denken Wittrams näher einzugehen. Daß die volksgeschichtliche, d.h. auf das Deutschtum bezogene Betrachtungsweise die landesgeschichtliche, d.h. auf die baltischen Lande und damit auf die Letten und Esten bezogene Betrachtungsweise nicht gänzlich verdrängen dürfe, war ihm immer klar und ist ihm nicht erst 1943 aufgegangen (gegen Volkmann, S. 32). Ohne Berücksichtigung der historiographischen Gesamtlage in den Nationalstaaten Estland und Lettland muß die Betrachtung der „Volksgeschichte“ bei Wittram und anderen notwendigerweise sehr verkürzt und einseitig ausfallen. Das Bild wird schließlich dadurch verzerrt, daß zwar „rassebiologische“ Bekenntnisse Wittrams aneinandergereiht werden (ebenda, S. 31f.), aber ihr Stellenwert und ihre Bedeutung im Rahmen des gesamten damaligen historiographischen Schaffens Wittrams, nicht nur in seinen programmatischen Bekundungen, sondern auch in seinen konkreten Einzeluntersuchungen, gar nicht erörtert werden. – Ebensowenig kann ich mich vielen Urteilen der jüngst erschienenen umfangreichen Untersuchung von Błażej Białkowski, Utopie einer besseren Tyrannis. Deutsche Historiker an der Reichsuniversität Posen (1941–1945). Paderborn/München/ Wien/Zürich 2011 (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart), in deren Mittelpunkt Wittram steht, anschließen. Eine detaillierte Auseinandersetzung behalte ich mir für die in Anm. 71 angekündigte Studie vor. – Verständnis und Kritik verbindet anregend miteinander: Gert von Pistohlkors, Reinhard Wittram in Riga 1925–1939. Versuch einer Annäherung, in: Jahrbuch des baltischen Deutschtums 2013, Lüneburg 2012, S. 122–155.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 531

(…) ist unser Volk überall im Osten an die Arbeit gegangen, um seinen geschichtlichen Auftrag zu erfüllen. (…) Er umfaßt die alten Randgebiete des Reiches und reicht weit über sie hinaus, er ist so groß, daß unser Volk darin die Erfüllung jener geschichtlichen Verheißungen finden wird, die aus der wechselvollen Tragik seiner Ostgeschichte hervorleuchten. (…) das Land [sc. Livland] (…) die nordöstlichste Mark des Reiches (…) ist (…) mit seinen Völkern in den Schutz des Reiches, in den Sinnzusammenhang der deutschen Ostaufgabe zurückgekehrt.33

Nach 1945 erkannte Wittram, daß gerade die Denkkategorie des „historischen Auftrages“, den er für die Deutschen und das Deutsche Reich aus ihrer geschichtlichen Stellung im Osten Europas abgeleitet hatte, zum Einfallstor für die das historische Denken leitende Ideologie geworden war. Im Rückblick von 1959 beschrieb er die historisch-politische Empfindungswelt, unter deren Voraussetzungen er 1939 seine Gesamtdarstellung „Geschichte der baltischen Deutschen“ veröffentlichte, folgendermaßen: Was viele von uns damals in seinem Bann hielt, war eine die Wirklichkeit transzendierende Hoffnung – die Vorstellung, daß die vielen Ansätze weitreichender Wirksamkeit des deutschen Volkes im Osten nicht abgestorbene und abgebrochene Zweige, sondern keimkräftige Wurzeln seien, daß über dieser ganzen unvollendeten Geschichte die Verheißung künftiger Vollendung ruhe. War dieses einmal vorgegeben, so ging das historische Denken in bestimmten Bahnen. Dann konnte auch die Geschichte der anderen Völker im Blickfeld bleiben, erschien freilich providentiell dem deutschen Schicksal zugeordnet. So konnte auch die übergreifende Landesgeschichte nicht eine Rückkehr zum vornationalen Geschichtsbild bedeuten, sondern war in ihren wertenden Bezügen von nationalpolitischen Vorstellungen durchwirkt.34

Ähnlich hatte er sich 1954 geäußert: Deutsche Forschung – der Verfasser schließt sich selbst nicht aus – deutete die Spuren deutschen Wirkens im ganzen Osten als Zeichen einer geschichtlichen Verheißung, deren Erfüllung erst mit der Wiedergewinnung einer machtpolitisch gestützten Verantwortung des Reiches gegeben sein werde. In all diesen Fällen gaben politische Gesichtspunkte der Gegenwart vergangenen Zuständen und Vorgängen das Profil. Wir werden heute zugeben müssen, daß mehr als einmal politische Wunschbilder und Willensantriebe die Synthese bewirkten.35

Wittram gestand sich nach 1945 ein, daß „eine gewisse Nähe zu geschichtsmythologischen Vorstellungen“ die deutschbaltische geschichtswissenschaft33 Aus dem Vorwort zu: Reinhard Wittram, Rückkehr ins Reich. Vorträge und Aufsätze aus den Jahren 1939/40. Posen 1942, S. 6. 34 Wittram, Ms. betr. die deutsch-baltische Geschichtsschreibung im 20. Jh. (wie Anm. 30). 35 Reinhard Wittram, Über Maßstäbe und Urteile in der Geschichtsschreibung Ostmitteleuropas, in: Ders., Das Nationale (wie Anm. 2), S. 51–75 u. 218ff., hier S. 61.

532 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

liche Forschung in ihrer Wirkung isoliert hatte. „Unsere Geltung beschränkte sich auf Deutschland und war oft nur noch politisch begründet.“36 Die Katastrophe von 1945 schuf insofern eine völlig neue Ausgangslage, als nach dem endgültigen Verlust der Heimat ein wesentlicher Antrieb der deutschbaltischen Forschung, der mit historischen Mitteln geführte Nachweis des deutschen Lebensrechtes in den baltischen Landen, entfallen war. Die Baltische Historische Kommission hat sich diese Situation in ihrer wichtigsten Grundsatzdebatte auf dem 5. Historikertreffen 1952 mit aller Deutlichkeit bewußt gemacht37 und daraus für ihre wissenschaftspolitischen Bemühungen eine zentrale Konsequenz gezogen. Nach den damaligen Worten von Werner Conze hatten die Deutschen in Ostmitteleuropa „ihre Streusiedlungslage einer politischen und gesellschaftlichen Verfassung verdankt, die für immer vergangen ist“. Dränge sich nicht, so seine rhetorische Frage, da „eine Wiederherstellung der alten Wohnorte und Siedlung indiskutabel“ sei, für die Gegenwart ein neuer Antrieb der Forschung auf: das Suchen der Gemeinsamkeit mit den Nachbarvölkern des Ostens, mit denen wir de facto heute trotz aller überlieferten und bis heute noch gesteigerten Feindschaften bereits in einer gemeinsamen Bindung stehen?38

Aus dieser Erkenntnis heraus bemühte sich die Kommission von Anfang an intensiv darum, die wissenschaftliche Diskussion mit Vertretern der estnischen und der lettischen Geschichtswissenschaft in Gang zu bringen und „wissenschaftliche Gespräche über Einzelfragen aus der baltischen Geschichte zwischen Historikern der verschiedenen Nationalitäten in die Wege zu leiten“ (so der Kommissionsbeschluß 1954),39 in der Absicht zu erreichen, daß alle beteiligten Forscher in ihren historischen Arbeiten an die gleichen strengen Maßstäbe einer rational nachprüfbaren Fundierung und Urteilsbildung gebunden würden.40 Dabei 36 Wittram, Kulturpolitische Funktionen (wie Anm. 29), S. 2f. 37 Die Bedeutung der damals geführten Debatte und der ihr zugrundegelegten Referate Witt­ rams, Conzes und Taubes für die geistige Ausrichtung der nachfolgenden Einzelforschungen der Baltischen Historischen Kommission sowie die andauernde Geltung der damaligen Kerngedanken hat Gert von Pistohlkors wiederholt zu Recht betont. Vgl. Gert von Pistohlkors, Die Stellung der Deutschen in der Geschichte der Esten, Letten und Litauer, in: Nordost-Archiv N.F. I (1992), S. 89–122, hier S. 108ff.; ders., Baltische Geschichtsforschung in Deutschland. Ergebnisse und Perspektiven, in: Ders., Vom Geist der Autonomie. Aufsätze zur baltischen Geschichte, hrsg. v. Michael Garleff. Köln 1995, S. 143–157, hier S. 155f.; Baltische Länder, hrsg. v. dems. Berlin 1994 (Deutsche Geschichte im Osten Europas), S. 21f. 38 Werner Conze, Kann es heute eine lebendige Geschichte des Deutschtums in Ostmitteleuropa geben, in: Baltische Briefe 5 (1952), Nr. 8/9 , S. 8. 39 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 7. Baltisches Historikertreffen 1954. 40 Wittram, Kulturpolitische Funktionen (wie Anm. 29), S. 6.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 533

kamen angesichts des Eisernen Vorhanges in Europa in den 50er und 60er Jahren nur Exilanten als Gesprächspartner in Betracht, die nach 1944 vornehmlich in Deutschland, Schweden und Dänemark mit großem Einsatz ihre Forschungen zur Geschichte ihrer Heimat und ihres Volkes fortführten. Seit 1954 nahmen in fast ununterbrochener Folge estnische und lettische Fachkollegen mit eigenen Vorträgen an den Historikertreffen teil, Diplomaten, Juristen, Historiker und Archivare. Erwähnt seien an dieser Stelle nur Georg Vīgrabs mit seinen Studien zur Außenpolitik der 1930er Jahre und Arnold Soom mit seinen Untersuchungen zur Handelsgeschichte des 17. Jahrhunderts.41 Die Bedeutung dieses Vorganges wird man erst angemessen würdigen können, wenn man berücksichtigt, daß in der Vergangenheit, sowohl vor dem Ersten Weltkrieg42 als auch erneut in den 1930er Jahren,43 die Historiker der einzelnen Nationalitäten immer getrennt getagt hatten und etwa 1937 die deutschbaltischen Historiker auf dem großen Historikerkongreß in Riga von lettischer Seite absichtlich aus den Reihen der Referenten ausgeschlossen worden waren.44 Die 1959 neugeschaffene Einrichtung der korrespondierenden Mitgliedschaft, die man vornehmlich estnischen und lettischen Wissenschaftlern antrug, wurde dazu genutzt, die Verbundenheit in der gemeinsamen Arbeit an der baltischen Geschichte äußerlich anzuerkennen. Mehrere korrespondierende Mitglieder haben einmal oder mehrfach auf den Historikertreffen referiert, so Evald Blumfeldt, Arnold Soom, Nikolaus Walters, Otto Alexander Webermann.45 Eine weitere wichtige Möglichkeit zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit suchte die Kommission seit 1953 zu nutzen, indem sie die Herausgabe eines nationenübergreifenden Sammelwerkes übernahm. Der Gedanke zu einer Baltischen Kirchengeschichte war in kirchlichen Kreisen entstanden, auf einer Zusammenkunft von Vertretern der estnischen, lettischen, litauischen und deutschbaltischen Heimatkirchen in Bethel; man strebte dabei an, „eine Kirchengeschichte so darzustellen, dass sie in allen beteiligten Sprachen erscheinen und von allen als ihre Kirchengeschichte angesehen werden kann“. Wittram übernahm es, diesen 41 Vgl. Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 39f. (Vīgrabs), 41 u. 43 (Soom). 42 Reinhard Wittram, Der I. Baltische Historikertag im April 1908 in Riga und seine Problematik, in: Ostdeutsche Wissenschaft 5 (1958), S. 400–421, insbes. S. 405 u. 407–410. 43 Indrek Jürjo, Die Versammlung deutscher Historiker in Reval/Tallinn am 10. und 11. April 1933 – Ergebnis und Wirkungen, in: Zwischen Konfrontation (wie Anm. 29), S. 171–183. 44 Vgl. den Kongreßband: Pirmā Baltijas vēsturnieku konference. Rīga, 16.–20. VIII 1937 (Die erste Baltische Historiker-Konferenz. Riga, 16.–20. August 1937). Rīga 1938; Jürgen von Hehn, Die deutschbaltische Geschichtsschreibung 1918–1939/45 in Lettland, in: Deutschbaltische Geschichtsschreibung (wie Anm. 4), S. 371–398, hier S. 388f. 45 Vgl. die Zusammenstellung der korrespondierenden Mitglieder der BHK bei Kaegbein, Lenz, Fünfzig Jahre (wie Anm. 7), S. 183f.

534 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

Plan in die Tat umzusetzen; er legte dabei großen Wert darauf, für die Geschichte der baltischen Landeskirchen allen an dieser beteiligten Nationalitäten Gelegenheit zur Mitarbeit zu geben, so daß das Ergebnis allen Gliedern der Landeskirche unabhängig von ihrer Nationalität als eine angemessene und gerechte Darstellung erscheinen konnte.46 Die Umsetzung der Planung zeigte, daß damals derartigen Absichten noch Grenzen gesetzt waren. Die erwünschte umfangreiche Hinzuziehung lettischer und estnischer Autoren gelang mangels geeigneter Kräfte nicht, so daß schließlich den 16 deutschen Autoren nur zwei estnische zur Seite traten, lettische also ganz fehlten. Vor allem brachen in einer ausführlichen Rezension des lettischen, in Uppsala wirkenden Kirchenhistorikers H. Biezais47 die alten lettisch-deutschbaltischen Konfliktpunkte der Zwischenkriegszeit mit den alten Argumentationsmustern wieder auf, wenn Biezais zu dem sog. Rigaer Domkirchenproblem von 1931 schrieb: Als nun die lettische Regierung 1931 durch ein Gesetz die Rechte der Deutschen begrenzte, so daß sie die Domkirche nur zu einem Drittel benutzen durften, kann man da wirklich von einem moralischen Verbrechen sprechen, wenn man nicht den Staat selbst als ein Verbrechen ansehen will? (…) Es ist bekannt, daß die deutsche Minderheit eine offen illoyale Minderheit war, (…) trotzdem nutzten sie die kirchlichen und kulturellen Freiheiten aus wie keine andere Minderheit in Europa (mit Ausnahme der Deutschen in Estland).

Wittram hatte nicht Unrecht, wenn er in seiner Replik darauf hinwies, „wie stark sich alte Geschichtsvorstellungen in einzelnen Exilgruppen konserviert“ hätten, statt alte nationalistische Frontstellungen unter universelleren Gesichtspunkten neu einzuordnen.48 Trotz einer derartigen Stimme war aus Sicht der Baltischen Historischen Kommission nicht zu verkennen, daß sich die wissenschaftliche Kontroverse gerade mit den lettischen Historikern, die in den 30er Jahren unter der autoritären Diktatur von Ulmanis in schärfster Form geführt worden war,49 46 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Baltische Kirchengeschichte, 1953–1956. 47 Haralds Biezais, in: Kyrkohistorisk Årsskrift (März 1957). Deutsche Übersetzung der schwedischsprachigen Rezension in: GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Kontroverse um die Besprechung des Werkes „Baltische Kirchengeschichte“ durch H. Biezais. 48 Reinhard Wittram in seiner Stellungnahme zur Rezension von Biezais, vorgetragen in seinem Tätigkeitsbericht 1957 auf dem 10. Baltischen Historikertreffen 1957 (wie Anm. 18), S. 5f. 49 Diese aufschlußreiche Kontroverse harrt noch einer eindringlichen Untersuchung. Vgl. vorläufig als Überblick Hehn, Geschichtsschreibung (wie Anm. 44), S. 388–396. Unzureichend der sehr knappe Beitrag von Inesis Feldmanis, Die lettische Historiographie, in: Zwischen Konfrontation (wie Anm. 29), S. 133–138. Dagegen jetzt von herausragender, grundsätzlicher Bedeutung: Ilgvars Misāns, Leonid Arbusow und die lettische Geschichtsschreibung, in: Leonid Arbusow (wie Anm. 6), S. 79–108.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 535

im Ton und im Inhalt zunehmend versachlichte. Als Wittram 1960 über Forschungsstand und Problemstellungen der baltischen geschichtswissenschaftlichen Arbeit orientierte, äußerte er sich ausführlicher zu Arveds Švābe, der die nationallettische Polemik gegen die deutschbaltische Geschichtsforschung mit angeführt hatte und „im gewissen Sinne repräsentativ für die enge Verbindung von Wissenschaft und Politik, die das öffentliche Leben der Republik Lettland weithin bestimmte“, gewesen war, und er wies dabei voller Anerkennung auf dessen 1958 erschienene „Geschichte Lettlands 1800–1914“ hin, die auch die deutschbaltische Literatur verarbeitet habe und sowohl in ihrer Materialfülle als auch in ihrem Bemühen um Objektivität Švābes ältere Arbeiten überrage.50 Die Kritik, die die Kommission an traditionellen nationalistischen Geschichtsbildern von Letten und Esten übte, konnte freilich größere Überzeugungskraft nur entfalten, wenn die deutschen Historiker selber ihre hergebrachten Deutungen und Wertungen der Vergangenheit überprüften und alte Kontroversen durch die Entwicklung neuer intensiver Fragestellungen überwanden. Wittram stellte der Kommission die Aufgabe, einen neuen wissenschaftlichen Standort zu gewinnen, „der uns die Möglichkeit gibt, der an Widersprüchen und Spannungen reichen historischen Problematik unseres Vielvölkerlandes von innen her methodisch und inhaltlich gerecht zu werden“.51 Seine Arbeits- und Tätigkeitsberichte als Kommissionsvorsitzender sind immer wieder durchsetzt von methodischen Erörterungen. Sie dienen vornehmlich dazu, sich die Gefahren einer nationalideologischen Geschichtsinterpretation, der die deutsche Forschung und er selbst vor 1945 nicht entgangen waren, zu vergegenwärtigen und ihnen durch eine kritische Reflexion der historischen Arbeitsweise und Wertungsmaßstäbe zu begegnen. Deute man Geschichte von den Funktionen der Völker und Menschengruppen her, liege unter dem Stichwort der „Aufgabe“, der „Mission“, der „Leistung“, des historischen Erfüllungssolls eine ideologische Fehlinterpretation nahe, indem das Wesentlichste, das Leben selbst, die Gegebenheit des Daseins in seiner Formenfülle zu kurz komme, eine Formenfülle, die man als Fluch und Segen auslegen könne, jedenfalls aber zu verstehen trachten müsse.52 Man verfalle einer 50 Wittram, Zur Orientierung (wie Anm. 12), S. 5f. 51 GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. Allgemeine Korrespondenz 1952–1954. 52 Wittram, Zur Orientierung (wie Anm. 12), S. 11. Deutlich erkennt man in diesen Formulierungen die Selbstkritik an Grundmustern des eigenen historischen Denkens vor 1945. Vgl. oben, Anm. 33. Vgl. noch Wittram, Das Reich (wie Anm. 2), S. 106f.; ders., Rückblick auf den Strukturwandel der deutsch-baltischen Volksgruppen im letzten Jahrzehnt vor der Umsiedlung, in: Festschrift Percy Ernst Schramm zu seinem siebzigsten Geburtstag (…), hrsg. v. Peter Classen u. Peter Scheibert. Bd. 2. Wiesbaden 1964, S. 231–250, hier S. 248. – Wenn Eduard Mühle, ‚Ostforschung‘. Beobachtungen zum Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen

536 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

ideologischen Betrachtung, wenn man einen historischen Sinnzusammenhang absolut setze und den Blick für seinen immer nur relativen und zeitbedingten Charakter verschließe. Unter diesen leitenden Überlegungen analysierte Wittram zentrale Elemente der älteren deutschbaltischen Geschichtsauffassung wie die Thesen über die deutschen Kulturträger oder die Vormauer-Stellung gegen den Osten, indem er ihre historischen Bezugspunkte offenlegte, zugleich aber nachdrücklich ihre geradezu zeitlose Allgemeingültigkeit bestritt und zurückwies. Zur Abwehr solcher Deutungsmuster wiederholte er mehrfach, daß die Forschung sich intensiv um jede Einzelheit zu kümmern habe und daß sie in der Beschreibung von Zusammenhängen die des jeweils Gleichzeitigen vor denen des aufeinander Folgenden bevorzugen solle.53 Einerseits verdiene das Faktische, auch das geringste Detail, die angestrengte Aufmerksamkeit des Forschers; am Beispiel des estnischen Historikers Arnold Soom wurde der dauerhafte Erkenntnisfortschritt verdeutlicht, den der historische Positivismus hier mit seiner streng auf die sozialen und ökonomischen Phänomene gerichteten Methode erreichte.54 Andererseits empfahl Wittram, eine geschichtliche Erscheinung, wenn man sie aus ihrer Isolierung befreien und in historische Zusammenhänge einfügen wolle, in der Fülle des gleichzeitigen geschichtlichen Daseins einzuordnen, da nur dann ein Maßstab gewonnen werden könne, der den Dingen und Personen gerecht werde.55 Schließlich warnte er vor den historischen Konditional- und Irrealthesen mit ihrer Neigung, sich nach dem eigenen gesetzten Ausgangspunkt ein Stück aus dem vergangenen Ereigniszusammenhang fortzudenken und für den Rest einen Paradigmas, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 46 (1997), S. 317–350, hier S. 320 mit Anm. 6, Wittrams Auseinandersetzung mit der politischen Funktionalisierung der ‚Ostforschung‘ ausschließlich unter Hinweis auf zwei Stellen in dessen „Maßstäbe“-Aufsatz (s. Anm. 35) den „selbstkritischen Anläufen“ zurechnet, die „vorsichtig an der Oberfläche“ blieben, übersieht er die tiefgreifende, aus zahlreichen Aufsätzen erkennbare Intensität von Wittrams Traditionskritik, von der in diesem Aufsatz nur einiges angedeutet werden kann. Wittrams „Strukturwandel“ (wie oben zitiert), der Aufsatz, der die Anfälligkeit der Deutschbalten und insbesondere der deutschbaltischen Intellektuellen wie der Theologen und Historiker für die NS-Ideologie untersucht, ist in der Weite des Gesichtsfeldes, in der Eindringlichkeit der Fragestellung und in der Abgewogenheit des Urteils jüngeren Arbeiten, deren Eifer sich in der Suche nach Zitaten mit NS-Gehalt zu erschöpfen scheint, immer noch deutlich überlegen. Niemand, der gerade diesen Aufsatz studiert, wird den tiefen, ja bohrenden Ernst, mit dem Wittram dem Problem nachgegangen ist, leugnen können. Man beachte insbesondere seine einleitenden Bemerkungen (S. 232f.) und den als Selbstbekenntnis zu verstehenden Satz: „Wer am Leben blieb, kann dankbar sein, wenn er selbst noch etwas tun kann, um die falschen Leuchtfeuer durch richtigere zu ersetzen“ (S. 248). 53 Wittram, Über Maßstäbe (wie Anm. 35), S. 51–60; ders., Geschichtswissenschaft (wie Anm. 30). 54 Wittram, Wiederbeginn (wie Anm. 4). 55 Wittram, Über Maßstäbe (wie Anm. 35), S. 64f.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 537

unglücklichen oder segensreichen Fortgang der Dinge auszudenken. Bekannte Beispiele aus der baltischen Geschichtsschreibung: deutscherseits – ohne die deutsche Eroberung wären die baltischen Völker im Russentum aufgegangen, umgekehrt – Letten und Esten hätten das Glück ungebrochener Eigenständigkeit genossen, wenn ihnen damals die deutsche Eroberung erspart geblieben wäre. Wittram wies derartige Spiele mit dem Ungeschehenen zurück und beharrte aus Respekt vor dem Faktum für die Betrachtung des Vergangenen auf der Frage, warum es so und nicht anders geschehen sein mag.56 Das inhaltliche Programm der ersten 15 Historikertreffen war trotz aller thematischen Fülle und Bandbreite bevorzugt nationalitäten- und sozialgeschichtlichen Fragestellungen gewidmet. Im Vordergrund standen die Verhältnisse und Beziehungen der Völker des baltischen Raumes zueinander, die Voraussetzungen und Bedingungen, unter denen sie miteinander verkehrten und lebten. Dabei wurden sowohl nationale und soziale Gruppen berücksichtigt als auch im Bereich der biographischen Studien solche Personen untersucht, in denen sich verschiedene Sprach- und Kulturkreise schnitten. Beispielhaft seien hier wegen ihrer herausragenden Qualität die Forschungen von Paul Johansen genannt, der in Fortführung seiner Vorkriegsarbeiten,57 jetzt von Heinz von zur Mühlen tatkräftig unterstützt, von unterschiedlichen Ansätzen aus dem Zusammenleben von „Deutsch“ und „Undeutsch“ nachging. Auf dem Historikertreffen von 1954 löste sein Vortrag über „Das Minderwertigkeitsgefühl als sozialer Faktor im mittelalterlichen Livland“ lange Diskussion aus. Nach seiner Auffassung hatte in den Angehörigen der lettischen und estnischen Stämme neben dem Bewußtsein der militärischen Unterlegenheit vor allem auch eine ihnen von deutscher Seite widerfahrene Unterbewertung ein ihre Tatkraft lähmendes Minderwertigkeitsgefühl erzeugt und sie – etwa im Gegensatz zu dem Schicksal der Finnen – daran gehindert, sich einen Platz in der höheren Gesellschaftsordnung zu erobern.58 56 Ebenda, S. 72ff. 57 Vgl. Heinz von zur Mühlen, Deutsch und Undeutsch als historiographisches Problem, in: Zwischen Konfrontation (wie Anm. 29), S. 185–195, hier S. 188 u. 191–195. Zum damaligen kulturpolitischen Selbstverständnis Johansens, eines geborenen Auslandsdänen, seine Bemerkungen im Brief an Fritz Rörig vom 23.10.1939, geschrieben unter dem Eindruck der bevorstehenden Umsiedlung: „Meine Rolle als Vermittler zwischen Deutsch und Estnisch ist auch ausgespielt.“ GStAPK, I. HA Rep. 92 NL Albert Brackmann Nr. 83. 58 Tagungsbericht mit ausführlichem Protokoll der Diskussion zu Johansens Vortrag in: GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 7. Baltisches Historikertreffen 1954. – Johansen beharrte gegenüber den zahlreichen Einwänden auf seiner Auffassung, „daß im mittelalterlichen Livland ein Minderwertigkeitskomplex (…) bei den undeutschen Schichten vorhanden war. (…) Den Beweis für die Existenz einer solchen Haltung erblicke er in der sozialen Veränderung und in dem dabei sich deutlich abzeichnenden Gefühl der undeutschen Schichten, ihr Volkstum reiche für dieses oder jenes nicht aus, ein Gefühl, das nicht zuletzt gerade damit eng zusammenhänge, daß das natio-

538 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

Auf der Tagung von 1957 hielt Johansen seinen vom damaligen Berichterstatter als beinahe „sensationell“ empfundenen Vortrag über „Herkunft und Umwelt des Chronisten Balthasar Rüssow“, in dem er zum ersten Mal den Nachweis über Rüssows estnische Herkunft führte und von da her seine sozialpolitische Einstellung und seine Mentalität sowie seinen Bildungsgang und seinen gesellschaftlichen Aufstieg erläuterte. Es sei bedeutsam, daß dem Lande im Chronisten Heinrich, dem deutschen Lettenpriester, und in Balthasar Rüssow zwei Rufer und Mahner entstanden seien, die ihre Stimme auch für die nichtdeutsche Bevölkerung erhoben.59 Johansens Detailforschungen zeigten am konkreten Objekt, daß eine rein volksgeschichtliche Betrachtungsweise die vergangene Wirklichkeit nicht umfassend zu erfassen vermochte. Wittram unterstrich mehrfach nachdrücklich und anerkennend, daß sich das Schwergewicht der baltischen historischen Studien auf den Bereich der Sozialgeschichte verlagerte. Er begrüßte es ausdrücklich, daß der Strukturwandel der sozialen Körper, der das natürliche Leben der Völker verändert habe, mit erhöhter Aufmerksamkeit untersucht werde. In sozialgeschichtlichen Fragestellungen erblickte er die Kraft, „die nationalen Verschiedenheiten nicht aufzuheben (…), wohl aber tiefer aufzuhellen und uns als ein Stück

nale Bewußtsein der undeutschen Schichten erhalten blieb“. Ebenda. Gedruckt wurde der Vortrag später unter dem Titel: Nationale Vorurteile und Minderwertigkeitsgefühle als sozialer Faktor im mittelalterlichen Livland, in: Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner. Göttingen 1963, S. 88–115. 59 Vgl. den Tagungsbericht von Arved Baron Taube, Das X. Baltische Historikertreffen, in: Baltische Briefe 10 (1957), Nr. 7 , S. 7f., hier S. 8. – Johansen hat seinen Vortrag nicht veröffentlicht, er arbeitete damals an einer umfassenden Monographie über Balthasar Rüssow, die er jedoch vor seinem Tode 1965 nicht mehr abzuschließen vermochte. Seine umfangreichen Vorarbeiten hat jüngst Heinz von zur Mühlen mit einigen von ihm stammenden Ergänzungen herausgegeben: Paul Johansen, Balthasar Rüssow als Humanist und Geschichtsschreiber. Aus dem Nachlaß ergänzt u. hrsg. v. Heinz von zur Mühlen. Köln/Weimar/Wien 1996 (Quellen und Studien zur baltischen Geschichte. 14); hier, S. 245f., Johansens eben wiedergegebenes Urteil in ausführlicher Fassung: „Mir scheint, daß sich darin eine gewissermaßen tiefere ausgleichende Gerechtigkeit verbirgt, daß die Stimme der Vergangenheit Livlands zu uns nicht aus den herrschenden Kreisen der Oberschicht klingt, sondern, daß zwei Rufer und Mahner aufgestanden sind, die auch von den Nöten und Sorgen der arbeitenden Unterschicht, von ihren Leiden und Freuden berichten und sich berufen fühlen als Vormünder dieser unterdrückten Schicht. Daß einer von diesen zwei darüber hinaus dieser unterdrückten, arbeitenden Schicht entstammte, freut und beruhigt uns. Denn das erscheint wie eine Anordnung einer höheren Gewalt, daß ungeachtet der damaligen sozialen Hindernisse und Vorurteile einem hochbegabten Manne aus der Unterschicht der Aufstieg möglich war, daß er seine Stimme erheben konnte, die heute noch eindringlich und klar zu unseren Ohren gelangt“ – Ebenda, S. 127f., Anm. 60, die wissenschaftliche Diskussion um Johansens Herkunftsthese.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 539

unserer Menschlichkeit bewußt zu machen, das uns nicht zu trennen braucht“.60 Suchte er so durch die Verschiebung von nationalen zu sozialen Gesichtspunkten Brücken zur lettischen und estnischen Geschichtsforschung zu schlagen, so betonte er im selben Zusammenhang das grundsätzliche methodische Erkenntnisproblem: Die Völker und ihre Lebensregungen waren und blieben ihm hohe Kategorien der Forschung, aber es waren eben nicht die einzigen Forschungskategorien. Die Nationalität hatte in unterschiedlichen Epochen einen unterschiedlichen Stellenwert; eine ständisch geordnete Welt, wie es die baltische bis ins späte 19. Jahrhundert hinein gewesen war, könne man nicht mit dem volksgeschichtlichen Schlüssel aufschließen.61 In dieselbe Richtung gingen die grundsätzlichen Überlegungen von Werner Conze zur Geschichte des Deutschtums in Ostmitteleuropa, indem er herausstellte, daß die Stellung des Deutschtums im Vielvölkerraum Ostmitteleuropa an die vorindustrielle Gesellschaftsform, an einen Zustand relativer ständischer Stabilität in der entfalteten Agrargesellschaft Ostmitteleuropas gebunden gewesen sei. Das deutsche Volk biete daher in diesem Raum für das späte 19. und das 20. Jahrhundert „einen einmaligen bedeutsamen Forschungsgegenstand des Hereinragens ständisch gebundener Sozialstruktur in die Bewegung des letzten Jahrhunderts“; damit erwecke seine Geschichte ein „über die Deutschen hinausgehendes Interesse sowohl individuell-historisch wie vergleichend soziologisch“.62 Fragt man nach einem die Geister auf den Historikertreffen bewegenden zentralen Thema, so möchte man unter Verwendung eines Buchtitels Wittrams aus dem Jahre 195463 mit der Kurzformel antworten: „Das Nationale als europäisches Problem in seiner baltischen Ausprägung“. Die Nationalitätenverhältnisse im Baltikum, die Beziehungen der Völker zueinander in ihrer historischen Vielfalt und in ihrem historischen Wandel zu untersuchen, empfanden Wittram und die Baltische Historische Kommission damals als ihre Hauptaufgabe. Es kam ihnen darauf an, anhand des baltischen Beispiels das gemeineuropäische Problem zu analysieren, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Formen verschiedene Nationalitäten in einem bestimmten Raum miteinander gelebt haben und leben. Ihr Denken kreiste vor dem speziellen Hintergrund ihrer ostmitteleuropäischen Erfahrungen letztlich um die Frage nach der vergangenen und zukünftigen europäischen Völkerordnung. Wie die Nationen mit wechselndem Bedeutungsinhalt des Nationalen in ständischer Sozialordnung und in der modernen 60 So Wittram in seiner Eröffnungsansprache auf dem 7. Baltischen Historikertreffen 1954. GStAPK, I. HA Rep. 224 B, betr. 7. Baltisches Historikertreffen 1954. 61 Wittram, Ms. betr. die deutsch-baltische Geschichtsschreibung im 20. Jh. (wie Anm. 30), S. 14. 62 Conze, Kann es heute (wie Anm. 38), S. 8. 63 Wittram, Das Nationale (wie Anm. 2).

540 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

Massengesellschaft als historische Einheiten miteinander umgingen, wie die Übersteigerung des eigenen nationalen Machtanspruchs im 19. und 20. Jahrhundert ein gedeihliches Zusammenleben der Nationen zerstörte und wie eine neue gesamteuropäische Ordnung mit den Nationen dem Kontinent Einheit und Freiheit bringen könne – das waren die die Geister bewegenden Themen. „Daß es Nationen gibt, ist historisch das Europäische an Europa“ – ausgehend von dieser Einsicht Hermann Heimpels64 erörterte Wittram in eindringlichen Skizzen mit einem skeptischen, aber nicht hoffnungslosen Unterton die Frage, wie nach der beispiellosen Katastrophe, in die der moderne Nationalismus Deutschland und Europa geführt hatte, „das Nationale in einem vereinigten Europa fortleben und fruchtbar sein kann“.65 Er war sich dabei ohne Einschränkung darüber im klaren, daß die deutschbaltische Historie eines neuen Ansatzes und neuer Fragestellungen bedurfte, wenn sie zu diesem Ziel einen ertragreichen Beitrag liefern wollte. Seine Anregungen liefen darauf hinaus, das Nationale nicht zu leugnen, aber in seiner Bedeutung als aufschlüsselnde Forschungskategorie zu relativieren, indem er eine sozialgeschichtliche Analyse der nationalen Körper empfahl und zudem die anthropologische Dimension der Historie in die Erinnerung zurückrief: „Die Geschichtswissenschaft verfehlt ihr Amt, wenn sie nicht darauf achtgibt, daß in aller Geschichte der Mensch steht, ‚wie er war und ist und immer sein wird‘.“66 Mit Entschiedenheit wandte er sich dagegen, die Vergangenheit vom Standpunkt der eigenen Nation aus im Sinne einer nationalen Leistungsschau zu betrachten, wie es vielfach auf deutscher Seite wie in gleicher Weise auf seiten der östlichen Nachbarn geschehen war; statt dessen plädierte er dafür, die Einheit Europas in seiner nationalen Vielheit herauszustellen:

64 Hermann Heimpel, Der Mensch in seiner Gegenwart. Göttingen 1954, S. 173. 65 Wittram, Das Nationale (wie Anm. 2), S. 8. Vgl. auch Wittrams Aufsatz: Die nationale Vielfalt als Problem der Einheit Europas, in: Das Nationale (wie Anm. 2), S. 9–32, insbes. S. 24–29, mit dem Bekenntnis, „daß die geschichtlichen Güter des Nationalen zum geistig-seelischen Besitz des Europäers gehören, den wir zu achten haben – so wenig das kommende Europa es wird ertragen und dulden können, daß aus der nationalen Zusammengehörigkeit oder aus der Suggestion historischer Bilder Machtpläne abgeleitet werden“ (S. 28). Ferner Wittram, Über Maßstäbe (wie Anm. 35), S. 75; ders., Wandlungen des Nationalitätenprinzips, in: Ders., Das Nationale (wie Anm. 2), S. 76–94 u. 221ff., hier S. 93f. – Vgl. auch Volkmann, Von Johannes Haller (wie Anm. 32), S. 45. Freilich müßten Volkmanns knappe Bemerkungen zu Wittrams Selbstkritik nach 1945 insofern ergänzt werden, als Wittram aufgrund seiner Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Erfahrung seine Traditionskritik sehr viel weiter faßte und zentrale Aussagen der älteren deutschbaltischen Historiographen methodisch und inhaltlich in Frage stellte. 66 Wittram, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 30). Vgl. auch Wittrams skeptische Bemerkungen von 1952 über die Aufgabe und Integrationskraft des Nationalismus in der eigenen Gegenwart nach 1945, in: Ders., Das Nationale (wie Anm. 2), S. 49.



Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien 

 541

Es hieße auf steinigen Boden säen, wollte man den Streit um den nationalen Anteil an der neuzeitlichen Gestaltung Ostmitteleuropas wieder und wieder aufrühren. Der Streit wird in dem Maße an Interesse verlieren, wie das europäische Erbe sich uns nicht als eine Versammlung schroff gegeneinander abgegrenzter Nationalkulturen, sondern als ein durch viele große nationale Muster und Farben ausgezeichnetes unzertrennlich dichtes Gewebe darstellt.67

In meinen Ausführungen war aus äußeren Gründen kaum die Rede von den fruchtbaren wissenschaftlichen Einzelforschungen zu verschiedensten Epochen der baltischen Geschichte vom hohen Mittelalter bis zur Gegenwart, die die Baltische Historische Kommission und ihre Mitglieder in großer Zahl und in dichter Folge unter Wittrams Vorsitz veröffentlichten.68 Stattdessen wurde die ausführliche und intensive Debatte um historische Grundsatzfragen inhaltlicher und methodischer Art beleuchtet. Sie stand in der Anfangsphase der Kommission ausgesprochen und unausgesprochen unter der Absicht, inhaltlich und methodisch neue Wege zu beschreiten, um die alten nationalen und nationalistischen Kontroversen der Zwischenkriegszeit aufzubrechen und zu überwinden. Auch aus dem Abstand von zwei Generationen wird man nicht verkennen können, mit welchem tiefen Ernst und mit welcher großen Eindringlichkeit dieses Ziel angestrebt wurde. Ebensowenig wird man leugnen können, daß aus der vornehmlich von Wittram angeregten und geführten geschichtswissenschaftlichen Diskussion über Maßstäbe, Methoden und Inhalte historischer Baltikumsforschung, die aus der geistigen Verarbeitung der deutschen Katastrophe 1945 resultierte, ein gewandeltes Geschichtsbild entstand, das sich stark von seinen Vorläufern vor 1945 abhebt. Am Anfang der deutschbaltischen historischen Studien nach der Umwälzung von 1945 stand die Erkenntnis, daß die nationale Romantik an ihr Ende gekommen und der nationalpolitische Impuls der Geschichtsschreibung erschöpft sei.69

Was damit gemeint war, schrieb Arved von Taube bereits 1952 konkreter: Er forderte dazu auf, „daß wir die Erinnerung daran wachhalten und das Bewußtsein festigen, daß die baltischen Länder Teil Europas sind“, mit der Folge, „daß wir unsere Untersuchungen nicht nur auf die geschichtlichen Leistungen der Deutschen beschränken“. Daraus ergab sich für ihn eine notwendige Klarstellung:

67 Wittram, Über Maßstäbe (wie Anm. 35), S. 59. 68 Einen umfassenden Überblick vermittelt Rauch, Geschichtsschreibung nach 1945 (wie Anm. 5), S. 405–434. 69 Wittram, Wiederbeginn (wie Anm. 4).

542 

 Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien

Sehen wir in den deutschbaltischen Ländern nicht ein ‚verlorenes deutsches Ostgebiet‘, sondern ein ‚abgetrenntes Stück Europas‘, verzichten wir darauf, auf dieses Land Ansprüche zu erheben als auf einen ehemaligen ‚deutschen Siedlungsraum‘, und beschränken wir uns darauf, zu fordern, daß den dort beheimateten Menschen und Völkern die Freiheit und das Recht der Selbstbestimmung wiedergegeben wird.70

Das 50. Baltische Historikertreffen ist überschrieben „Das Baltikum in Europa“. Wir können damit 1997 anknüpfen an die programmatischen Ausführungen von Wittram, Arved von Taube und anderen Mitgliedern der Baltischen Historischen Kommission. Sie haben nach 1945 eine neue Grundlage deutscher historischer Baltikumstudien gelegt, die sich auf Dauer als tragfähig erwiesen hat und auf der wir Heutigen immer noch stehen. Ihnen unseren Respekt und unsere Anerkennung zu bezeugen, 50 Jahre nach dem ersten Historikertreffen in Göttingen 1947, gebietet die historische Gerechtigkeit.71

70 Taube, Sinn (wie Anm. 24). 71 Der Verfasser beabsichtigt, in absehbarer Zukunft das vorstehend skizzierte Themenfeld mit umfangreicher zeitlicher und sachlicher Erweiterung in einer kleinen Monographie darzustellen.

Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015) Das Schriftenverzeichnis ist gegliedert nach selbstständigen Publikationen, Aufsätzen und Mizellen sowie Herausgeberschaften. Rezensionen sind nicht berücksichtigt, abgesehen von vier Rezensionsaufsätzen. Die Zeichen „“ geben an, dass die fraglichen Zeitschriften bzw. Schriftenreihen noch fortgesetzt werden. Klaus Neitmann wird „K.N.“ abgekürzt. Die in diesem Band wiederabgedruckten Aufsätze sind fett-kursiv gesetzt. Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014)

I. Selbstständige Publikationen Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1449. Studien zur Diplomatie eines spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaates (Neue Forschungen zur brandenburgpreußischen Geschichte, Bd. 6), Köln, Wien 1986, 692 S. Der Hochmeister des Deutschen Ordens in Preußen – ein Residenzherrscher unterwegs. Unter­suchungen zu den Hochmeisteritineraren im 14. und 15. Jahrhundert (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Bd. 30), Köln, Wien 1990, 161 S. K.N., Kathrin Schröder, Kärstin Weirauch: „Ist Zierde des Landes gewest“. Lübben (Spreewald) im Spiegel archivalischer Quellen (Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. II), Berlin 2006, 296 S.

II. Aufsätze und Miszellen Zur Revindikationspolitik des Deutschen Ordens nach Tannenberg. Die Auseinandersetzung zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen um die Ratifizierung des Friedens­ vertrages vom Melno-See 1422/23, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 31, 1983, S. 50–80. Brester Friede [1435], in: Ostdeutsche Gedenktage 1985. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1984, S. 237–243. Berufung des Deutschen Ordens in das Burzenland [1211], in: Ostdeutsche Gedenktage 1986. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1985, S. 201–204. Plan einer Universitätsgründung in Kulm [1386], ebd., S. 213–215. Polnisch-litauische Union [1386], ebd., S. 215–220. I. Thorner Friede [1411], ebd., S. 220–224. Politik und Kriegführung des Hochmeisters Paul von Rusdorf 1422/23, in: Zeitschrift für Ostforschung 34, 1985, S. 330–378. Die preußischen Stände und die Außenpolitik des Deutschen Ordens vom I. Thorner Frieden bis zum Abfall des Preußischen Bundes (1411–1454). Formen und Wege ständischer Einflußnahme, in: Ordensherrschaft, Stände und Stadtpolitik. Zur Entwicklung des Preußenlandes im 14. und 15. Jahrhundert, hrsg. v. Udo Arnold (Schriftenreihe NordostArchiv, H. 25), Lüneburg 1985, S. 27–79.

544 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Gründung von Elbing [1237], in: Ostdeutsche Gedenktage 1987. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1986, S. 211–214. Verzicht Böhmens und Polens auf Pommerellen zugunsten des Deutschen Ordens [1337], ebd., S. 225–229. Belehnung des Deutschen Ordens mit Litauen [1337], Ebd., S. 229–233. Schiedsspruch König Sigismunds zu Ofen [1412], ebd., S. 242–246. Jagdbriefe im diplomatischen Verkehr des Deutschen Ordens mit Polen-Litauen um 1400, in: Preußenland 24, 1986, S. 25–33. Absetzung des Deutschordens-Hochmeisters Heinrich von Plauen [1413], in: Ostdeutsche Gedenktage 1988. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1987, S. 198–205. Der Grenzstreit zwischen dem Deutschen Orden und Polen um die Mühle von Leibitsch und die Drewenz, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens, Nr. 10, hrsg. v. Bernhart Jähnig und Peter Letkemann, Münster 1987, S. 111–137. Papst und Kaiser in den Staatsverträgen des Deutschen Ordens in Preußen 1230–1466, in: Archiv für Diplomatik 33, 1987, S. 293–321. Ostpreußische Güterurkunden des 14. bis 16. Jahrhunderts aus Mülverstedts „Grünem Privilegienbuch“, in: Preußenland 26, 1988, S. 21–38. Ludwig von Landsee. Ein Gebietiger des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jh. Beobachtungen zur Außenpolitik des Ordens,in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 36, 1988, S. 161–190. Päpstlicher Prozeß gegen den Deutschen Orden um den Besitz Pommerellens und des Kulmerlandes [1339], in: Ostdeutsche Gedenktage 1989. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1988, S. 212–216. Art. von Landsee, Ludwig, in: Altpreußische Biographie, Bd. IV, Lieferung 2, Marburg 1989, S. 1242. Gründung des Preußischen Bundes [1440], in: Ostdeutsche Gedenktage 1990. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1989, S. 246–250. Was ist eine Residenz? Methodische Überlegungen zur Erforschung der spätmittelalterlichen Residenzbildung, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 61, 1989, S. 1–38; auch in: Vorträge und Forschungen zur Residenzfrage, hrsg. v. Peter Johanek (Residenzforschung, Bd. 1), Sigmaringen 1990, S. 11–43. Die Politischen Testamente der Hohenzollern. Bemerkungen zu ihrer Neuedition, in: Preußenland 27, 1989, Nr. 3, S. 37–45. Zu den Handfestensammlungen des Deutschen Ordens in Preußen. Eine Untersuchung des Ordensfolianten 95, in: Archiv für Diplomatik 36, 1990, S. 187–220. Art. Johann Wolthus von Herse, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, Lieferung 3, München 1990, Sp. 513–514. II. Thorner Friede [1466], in: Ostdeutsche Gedenktage 1991. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1990, S. 243–246; auch in: Deutschland und seine Nachbarn. Forum für Kultur und Politik, Heft 3, 1990, S. 42–44. Wahl Konrads von Erlichshausen zum Hochmeister des Deutschen Ordens [1441], in: Ostdeutsche Gedenktage 1991. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1990, S. 240–242. Unterwerfung Rigas durch den Deutschen Orden [1491], Ebd., S. 246–248. Der Nachlaß Heinrich Laakmann im J. G. Herder-Institut Marburg, in: Zeitschrift für Ostforschung 39, 1990, S. 418–422.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 545

Die Handfesten des Deutschen Ordens in Preußen, in: Altpreußische Geschlechterkunde N. F. 38. Jg., Bd. 20, 1990, S. 391–402. Handfesten des Hochmeisters Michael Küchmeister im Ordensfolianten 95 aus den Jahren 1417 bis 1420, in: Altpreußische Geschlechterkunde N. F. 38, Jg., Bd. 20, 1990, S. 403–430. Der Deutsche Orden und die Anfänge des ersten Hohenzollern in der Mark Brandenburg. Eine kommentierte Quellenedition, in: Dona Brandenburgica. Festschrift für Werner Vogel zum 60. Geburtstag = Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 41, 1990, S. 108–140. XLIII. Baltisches Historikertreffen vom 8. bis 10. Juni 1990 in Göttingen, in: Baltische Briefe 43. Jg., Nr. 7 (501), Juli 1990, S. 9–13 [mit Gert von Pistohlkors]. Um die Einheit Livlands. Der Griff des Ordensmeisters Bernd von der Borch nach dem Erzstift Riga um 1480, in: Deutsche im Nordosten Europas, hg. v. Hans Rothe (Studien zum Deutschtum im Osten, H. 22), Köln, Wien 1991, S. 109–137. Colloquia Torunensia Historica. Anmerkungen zu den Tagungsbänden, in: Zeitschrift für Ostforschung 40, 1991, S. 554–561. XLIV. Baltisches Historikertreffen vom 24. bis 26. Mai 1991 in Göttingen, in: Baltische Briefe 44. Jg., Nr. 7/8 (513/514), Juli/August 1991, S. 9–12 [mit Gert von Pistohlkors]. Erster Prußen-Aufstand gegen den Deutschen Orden [1242], in: Ostdeutsche Gedenktage 1992. Persönlichkeiten und Historische Ereignisse, Bonn 1991, S. 194–197. Neuredaktion der Statuten des Deutschen Ordens [1442], ebd., S. 201–205. Bündnis zwischen dem Deutschen Orden in Preußen und Moskau [1517], ebd., S. 205–208. Die Außenpolitik des Deutschen Ordens zwischen preußischen Ständen und Polen-Litauen (1411–1454), in: Westpreußen-Jahrbuch 42, 1992, Münster 1991, S. 49–64. Die „Hauptstädte“ des Ordenslandes Preußen und ihre Versammlungstage. Zur politischen Organisation und Repräsentation der preußischen Städte unter der Landesherrschaft des Deutschen Ordens, in: Zeitschrift für historische Forschung 19, 1992, S. 125–158. Die Landesordnungen des Deutschen Ordens in Preußen im Spannungsfeld zwischen Landesherrschaft und Ständen, in: Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern, hrsg. v. Hartmut Boockmann unter Mitarbeit v. Elisabeth MüllerLuckner (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 16), München 1992, S. 59–81. Die Pfandverträge des Deutschen Ordens in Preußen, in: Zeitschrift für Ostforschung 41, 1992, S. 1–67. Art. Meinhard, Bischof von Üxküll, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 6, Lieferung 3, Zürich, München 1992, Sp. 474. Verweser – Markgrafen – Kurfürsten. Die Mark Brandenburg unter der Herrschaft der frühen Hohenzollern, in: Brandenburg – Rheinland – Westfalen. Historische Dokumente einer wechselseitigen Beziehung, Düsseldorf, Potsdam 1993, S. 21–24. Die Residenzen des livländischen Ordensmeisters in Riga und Wenden im 15. Jahrhundert, in: Stadt und Orden. Das Verhältnis des Deutschen Ordens zu den Städten in Livland, Preußen und im Deutschen Reich, hrsg. v. Udo Arnold (Quellen u. Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, Bd. 44 = Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens, Bd. 4), Marburg 1993, S. 59–93. Thorner Quellen zur Geschichte Preußens im 15. Jahrhundert, in: Preußenland 31, 1993, S. 39–51. Das Brandenburgische Landeshauptarchiv – Aufgaben und Perspektiven in Gegenwart und Zukunft, in: Brandenburgische Archive 1, 1993, S. 5–7. Brandenburg als Kernland, Provinz und Erbe Preußens – Historische Betrachtungen zum Verhältnis Brandenburg-Preußen, in: Protokolle: Brandenburg – Preußens Erbe? Von der

546 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Mark zum Land Brandenburg. Rechtliche, historische und politische Aspekte im Lichte der deutschen Einigung, hrsg. v. d. Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung und d. Friedrich-Ebert-Stiftung, Landesbüro Brandenburg, Postdam 1994, S. 16–25. Personalnachrichten [betr. Gebhard Falk und Hans-Joachim Schreckenbach], in: Brandenburgische Archive 3, 1994, S. 15–16. Absetzung des Ordensmeisters von Livland Johann Waldhaus von Herse [1471], in: Ostdeutsche Gedenktage 1996. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1995, S. 285–288. Ein mutmaßliches Kopiar des livländischen Deutschen Ordens aus dem späten 15. Jahrhundert im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv, in: Preußenland 33, 1995, S. 8–20. Deutsche und „Undeutsche“ in Preußenland: die Politik des Deutschen Ordens gegenüber den Prußen, in: Tausend Jahre Nachbarschaft. Die Völker des baltischen Raumes und die Deutschen, hrsg. v. Wilfried Schlau, München 1995, S. 46–57. Personalnachrichten aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv [betr. Joachim Schölzel u. Rudolf Knaack], in: Brandenburgische Archive 5, 1995, S. 13–14. Abteilungen Bornim des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, in: Brandenburgische Archive 6, 1995, S. 20–21. XLVIII. Baltisches Historikertreffen vom 9. bis 11. Juni 1995 in Göttingen, in: Baltische Briefe 48. Jg., Nr. 7/8 (561/562), Juli/August 1995, S. 11–15 [mit Gert von Pistohlkors]. Christliche Unterweisung von Deutschen und Prußen im Ordensland Preußen, in: WestpreußenJahrbuch 46, 1996, S. 57–71. Die Hohenzollern-Testamente und die brandenburgischen Landesteilungen im 15. und 16. Jahrhundert, in: Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Festschrift für Lieselott Enders zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Friedrich Beck u. K.N., (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 34), Weimar 1997, S. 107–123. Hans Patze. * 20. Oktober 1919, + 19. Mai 1995, in: Preußenland 35, 1997, S. 27–31. Grußadresse an Friedrich Beck [mit Klaus Heß] und: Lieselott Enders 70 Jahre alt, in: Brandenburgische Archive 9, 1997, S. 1 f., 16 f. 1. Brandenburgischer Archivtag – Einführung, in: Brandenburgische Archive 10, 1997, S. 2. Der Deutsche Orden und die Revaler Bischofserhebungen im 14. und 15. Jahrhundert, in: Reval. Handel und Wandel vom 13. bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. v. Norbert Angermann u. Wilhelm Lenz (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Bd. 8), Lüneburg 1997, S. 43–86. Friede von Sallinwerder zwischen dem Deutschen Orden und Litauen [1398], in: Ostdeutsche Gedenktage 1998. Persönlichkeiten und Historische Ereignisse, Bonn 1997, S. 331–335. Die Publikation von Staatsverträgen und Landesordnungen im Deutschordensland Preußen, in: Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und in der Renaissance, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann in Verbindung mit Ivan Hlaváček, Paderborn, München, Wien, Zürich 1998, S. 113–124. Die Revolution von 1848/49 in Brandenburg – Gedanken zu einem historischen Jubiläum, in: Brandenburgische Archive 11, 1998, S. 20f.; auch in: Evangelische Kirche in BerlinBrandenburg, Archivbericht Nr. 11, o.O.u.D. [Berlin 1998], S. 81–84. Bruiningk, Hermann von, Historiker und Archivar, in: Ostdeutsche Gedenktage 1999. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1998, S. 209–215. Hein, Max, Historiker, Archivar, ebd., S. 282–286. Friede von Christburg zwischen dem Deutschen Orden und den Prußen [1249], ebd., S. 337–344.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 547

Geschichte und Zukunft des Liv-, est- und kurländischen Urkundenbuches, in: Stand, Aufgaben und Perspektiven territorialer Urkundenbücher im östlichen Mitteleuropa, hrsg. v. Winfried Irgang u. Norbert Kersken (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung, Bd. 6), Marburg 1998, S. 107–121. Reinhard Wittram und der Wiederbeginn der baltischen historischen Studien in Göttingen nach 1945, in: Nordost-Archiv N.F. 7 (1998), H. 1, S. 11–32. Das Jahr 1848 in der Provinz Brandenburg – Themen und Phasen der revolutionären Auseinandersetzungen, in: Zwischen Königtum und Volkssouveränität. Die Revolution von 1848/49 in Brandenburg, hrsg. v. Manfred Görtemaker, Kristina Hübener, K.N., Kärstin Weirauch (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Sonderband), Frankfurt am Main usw. 1999, S. 61–78. Die Archivierung von geschlossenen Grundbüchern und Grundakten im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, in: Der Archivar 52, 1999, S. 103–110. Vorwort, [zu:] Inventar zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in den staatlichen Archiven der Bundesrepublik Deutschland, Reihe B: Überlieferungen der Flächenstaaten, Bd. 4: Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Überlieferung aus der preußischen Provinz Brandenburg, bearb. v. Lorenz Friedrich Beck in Verbindung mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, München 1999, S. V–VII. Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Einleitung, in: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der neuen Bundesländer, Bd. 3: Staatliche Archive der Länder Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt, bearb. v. Anke Boeck, Hans Czihak, Andreas Grape, Antje Herfurth, Dorit Kirstein, Christine Klose, Jana Lehmann, Fritz Wächter, München 1999, S. 127–129. Zentralarchive in der Berlin-Potsdamer Archivlandschaft – Ein Überblick über ihre Geschichte vom hohen Mittelalter bis in die 1950er Jahre, in: Brandenburgische Archive 14, 1999, S. 2–8. Wahl Ludwigs von Erlichshausen zum Hochmeister des Deutschen Ordens [1450], in: Ostdeutsche Gedenktage 2000. Persönlichkeiten und historische Ereignisse, Bonn 1999, S. 319–326. Brandenburgisches Landeshauptarchiv und brandenburgische Landesgeschichtsforschung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45, 1999, S. 407–427. Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, in: Im Dienste von Verwaltung, Archivwissenschaft und brandenburgischer Landesgeschichte. 50 Jahre Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Beiträge der Festveranstaltung vom 23. Juni 1999, hrsg. v. K. N. (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 8), Frankfurt am Main usw. 2000, S. 37–51. Zwischen Scylla und Charybdis: Das Brandenburgische Landeshauptarchiv unter den Anforderungen von Wissenschaft und Verwaltung in zehn Jahren deutscher Einheit, in: Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg, hrsg. v. Klaus Oldenhage, Hermann Schreyer, Wolfram Werner (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 57), Düsseldorf 2000, S. 203–223. Zur Finanzierung von auswärtigen Gesandtschaften des Ordenslandes Preußen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, in: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Eine europäische Region in ihren geschichtlichen Bezügen. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag gewidmet von den Mitgliedern der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, hrsg. v. Bernhart Jähnig u. Georg Michels (Einzelschriften der

548 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, Bd. 20), Lüneburg 2000, S. 37–50. Art. Plettenberg, Wolter v., in: Neue Deutsche Biographie, hrsg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 20, Berlin 2001, S. 535–536. Archivtheorie und Archivpraxis: Das Provenienzprinzip in der Geschichte des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, in: Brandenburgische Archive 17/18, 2001, S. 3–6. Editionsprinzipien und Editionsprobleme des „Liv-, Est- und Kurländischen Urkundenbuches“ in Vergangenheit und Gegenwart, in: Edition deutschsprachiger Quellen aus dem Ostseeraum (14.–16. Jahrhundert), hrsg. v. Matthias Thumser, Janusz Tandecki u. Dieter Heckmann, Toruń 2001, S. 259–280. [Lebensbilder nach Diözesen] Reval, [enth. Art. zu den Bischöfen: Wesselin, Thorkill, Thrugot, Johannes, Johannes Tristevere, Heinrich, Olav von Roskilde, Ludwig von Münster, Johannes Rekeling, Dietrich Tolke, Johannes Ochmann, Arnold Stoltevoet, Heinrich Üxküll], in: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448. Ein biographisches Lexikon, hrsg. v. Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb, Berlin 2001, S. 637–642. Rat und Ratsgebietiger Wolters von Plettenberg. Beobachtungen zum Regierungs- und Verwaltungsstil des Ordensmeisters, in: Wolter von Plettenberg und das mittelalterliche Livland, hrsg. v. Norbert Angermann u. Ilgvars Misāns (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Bd. 7), Lüneburg 2001, S. 85–111. Hans Patze (1919–1995). Archivar im Staatsarchiv Altenburg 1947–1949; Leiter der Staatsarchive Altenburg 1949–1952 und Gotha 1952–1956, in: Lebensbilder Thüringer Archivare, hrsg. v. Vorstand des Thüringer Archivarverbandes, Rudolstadt 2001, S. 198–207. Landesgeschichtsforschung im Zeichen der Teilung Deutschlands: Walter Schlesinger und Hans Patze. I. Teil: Hans Patze: thüringischer Landesarchivar – gesamtdeutscher Landeshistoriker – Erforscher der mittelalterlichen deutschen Landesherrschaften, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 47, 2001, S. 193–300. Vom Archivführer bis zur Quellenedition – Formen der Auswertung von Archivgut, in: Brandenburgische Archive 19, 2002, S. 8–14. Handfestenbücher und Handfestenerneuerungen des Deutschen Ordens im 15. Jahrhundert, in: Preußenland 40, 2002, S. 44–74. Zum Geleit, in: Fürsorge und Wohlfahrtspflege in Brandenburg (1800–1952). Ein sachthematisches Quelleninventar aus dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, dem Bundesarchiv und dem Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, hrsg. v. Margot Beck in Zusammenarbeit mit Ulrike Kohl, Mathias Meissner u. Wolfgang Rose (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte des Landes Brandenburg, Bd. 2), Berlin 2002, S. 11–12. [10 Art. in:] Brandenburgisches Biographisches Lexikon – BBL –, hrsg. v. Friedrich Beck u. Eckhart Henning (Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. VI), Potsdam 2002, betr.: Joachim I., S. 197–198; Joachim II., S. 198–199; Joachim Friedrich, S. 199; Johann (Hans), S. 201–202; Johann Georg, S. 204; Johann Sigismund, S. 205; Klinkenborg, Melle, S. 225–226; Koser, Reinhold, S. 234–235; Lüdicke, Reinhard, S. 263–264; Riedel, Adolf Friedrich Johann, S. 330–331. Friedrich Becks wissenschaftliches Lebenswerk. Eine Einführung, in: Friedrich Beck, Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1956–2000. Beiträge zur thüringischen und brandenburgischen Landesgeschichte und zu den historischen Hilfswissenschaften, hrsg. v. K. N. (Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam, Bd. 4), Potsdam 2003, S. 9–25.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 549

Überlegungen zur archivischen Erschließung von spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Amtsbuchüberlieferungen, in: Archive und Forschung. Referate des 73. Deutschen Archivtags 2002 in Trier, hrsg. vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Redaktion: Robert Kretzschmar (Der Archivar, Beiband 8), Siegburg 2003, S. 71–90. Vom Umgang des Archivars mit älteren Beeskower Urkunden, in: Kreiskalender Oder-Spree 2004, hrsg. v. Kultur- und Sportamt Landkreis Oder-Spree, o.O. u.J. [Beeskow 2003], S. 23–30. [5 Art. in:] Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch, hrsg. v. Werner Paravicini, bearb. v. Jan Hirschbiegel u. Jörg Wettlaufer, Teilband 1: Dynastien und Höfe, Teilband 2: Residenzen (Residenzenforschung, Bd. 15.I), Ostfildern 2003, betr.: Bischöfe von Reval, Teilband 1, S. 604f.; Borkholm, Teilband 2, S. 64; Fegefeuer, ebd. S. 187; Reval, ebd., S. 481–483 ; Wenden, ebd., S. 618–621. Bistum Reval, in: Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation, hrsg. v. Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb u. Helmut Flachenecker, Freiburg i.Br. 2003, S. 614–622. Das Gedächtnis des Landes Brandenburg – seit kurzem in Potsdam-Bornim, Zum Windmühlenberg, enth. u.a.: Ansprache von Dr. Klaus Neitmann, Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, anlässlich der Übergabe des neuen Magazingebäudes, in: Brandenburgische Archive 22, 2003, S. 11–13. Die Handfestenregister der Deutschordenshochmeister und ihre Regestierung, in: Quellenvielfalt und editorische Methoden, hrsg. v. Matthias Thumser u. Janusz Tandecki unter Mitarbeit von Antje Thumser (Publikationen des deutsch-polnischen Gesprächskreises für Quellenedition, Bd. 2), Toruń 2003, S. 217–232. Anstelle einer Einführung: Randbemerkungen zum Verhältnis von brandenburgischer Landesgeschichte und Medizingeschichte, in: Angelika Grimmberger, Jens Fehlauer (Hrsg.), Architektur und Psychiatrie im Wandel. Beiträge zum Martin-Gropius-Bau der Landesklinik Eberswalde (Schriftenreihe zur Medizin-Geschichte des Landes Brandenburg, Bd. 5), Berlin 2004, S. 11–14. Die Spätzeit des Deutschen Ordens in Livland im Spiegel der „Livländischen Güterurkunden“, in: Bernhart Jähnig, Klaus Militzer (Hrsg.), Aus der Geschichte Alt-Livlands. Festschrift für Heinz von zur Mühlen zum 90. Geburtstag (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Bd. 12), Münster 2004, S. 185–237. Im Dienste der Erforschung und Darstellung brandenburgischer Landesgeschichte. Rückblicke und Ausblicke auf die Arbeit der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 55, 2004 = Collectanea Brandenburgensia. Festschrift für Eckart Henning zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Felix Escher, Berlin 2004, S. 261–285. Ein rätselhaftes Danziger Stadtbuch des 15. Jahrhunderts. Textedition mit Bemerkungen zur Entstehungsgeschichte, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 19, 2004, S. 29–67. Die bischöfliche Residenz Ziesar – oder: Wie sich der Bischof von seiner Kathedralstadt Brandenburg trennte, in: Wege in die Himmelsstadt. Bischof – Glaube – Herrschaft 800–1550, hrsg. v. Clemens Bergstedt u. Heinz-Dieter Heimann (Veröffentlichungen des Museums für brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters, Bd. 2), Berlin 2005, S. 128–144. Die Hauptsparkasse der Niederlausitz (1824–1945) – ein bemerkenswertes Stück niederlausitzischer Sparkassen-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, in: Lübbener Heimatkalender 2006, Lübben 2005, S. 52–64.

550 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Zum Geleit, in: Sieghart Graf von Arnim, Friedrich Wilhelm Graf von Arnim (1739–1801). Zwischen Tradition und Fortschritt in Gartenbau und Forstwirtschaft (Aus dem Deutschen Adels-Archiv N.F., Bd. 8), Limburg an der Lahn 2005, S. 9–12. Landesgeschichtsforschung im Exil. Die „Geschichte Thüringens“ von Hans Patze und Walter Schlesinger, in: Matthias Werner (Hrsg.), Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, Bd. 13), Köln, Weimar, Wien 2005, S. 235–272. Geschichtsvereine und Historische Kommissionen als Organisationsformen der Landesgeschichtsforschung, dargestellt am Beispiel der preußischen Provinz Brandenburg, in: Wolfgang Neugebauer (Hrsg.), Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 8), Berlin 2006, S. 115–181. Die Handfesten der Hochmeister Ludwig von Erlichshausen und Heinrich Reuß von Plauen (1450–1470), in: Muzeum Zamkowe w Malborku, Kancelaria Wielkich Mistrzów i Polska Kancelaria Królewska w XV Wieku. Materiały z międzynarodowej konferencji naukowe Malbork 2–3 IX 2004, pod redakcją Janusza Trupindy, Malbork 2006, S. 211–248. Die Kulturverwaltung und Kulturpolitik der Provinz Brandenburg und die Begründung der brandenburgischen Provinzialarchäologie, in: Miscellanea Archaeologica III, Berlin und Brandenburg. Geschichte der archäologischen Forschung, hrsg. v. Jörg Haspel u. Wilfried Menghin (Beiträge zur Denkmalpflege in Berlin, Bd. 22), Petersberg 2006, S. 179–189. Der Aufstieg Lübbens zum Herrschaftsmittelpunkt des Markgraftums Niederlausitz (14.–17. Jahrhundert), in: Im Schatten mächtiger Nachbarn. Politik, Wirtschaft und Kultur der Niederlausitz zwischen Böhmen, Sachsen und Brandenburg-Preußen, hrsg. v. K. N. (Brandenburgische Historische Studien, Bd. IV; zugl. Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. III), Berlin 2006, S. 73–109. Brandenburgische Orts- und Landesgeschichte und brandenburgische Geschichtsvereine. Organisation und Leistungen der Landesgeschichtsforschung im Rückblick und Ausblick, in: Der erste „Tag der brandenburgischen Orts- und Landesgeschichte“. Dokumentation der Tagung vom 6. November 2005 in Potsdam und Leitfaden für Ortschronisten in Brandenburg, hrsg. v. K. N. (Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. IX; zugleich Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. III), Potsdam, 2006, S. 7–19. Die Ermittlung von stadtgeschichtlichen Quellen in staatlichen Archiven, dargestellt am Beispiel der Archivalien des Brandenburgischen Landeshauptarchivs über die Stadt Lychen (Uckermark). Hinweise zu sachthematischen Quellensammlungen zur brandenburgischen Ortsgeschichte, ebd., S. 89–95. Arbeitsinstrumente der hochmeisterlichen Kanzlei: Handfestenregister des 15. Jahrhunderts, in: Preußens erstes Provinzialarchiv. Zur Erinnerung an die Gründung des Staatsarchivs Königsberg vor 200 Jahren, hrsg. v. Bernhart Jähnig u. Jürgen Kloosterhuis (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, Bd. 20), Marburg 2006, S. 123–184. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2005], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 57, 2006, S. 294–297. Zum Geleit, in: Archivführer zur Geschichte Ostbrandenburgs bis 1945, bearb. v. Christian Gahlbeck in Verbindung mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Bd. 31), München 2007, S. XXIX–XXXIV.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 551

Art. Lübben, Wilhelmiter; Art. Schivelbein, Kartäuser, in: Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, 2 Bde., hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann, K.N., Winfried Schich mit Martin Bauch, Ellen Franke, Christian Gahlbeck, Christian Popp, Peter Riedel (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 14), Berlin-Brandenburg 2007, Bd. II, S. 843–849, 1073–1085. Das „Schaufenster“ des Brandenburgischen Landeshauptarchivs im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte – eine Kooperation von Kultureinrichtungen zur Präsentation von Archivalien aus der brandenburgischen Landesgeschichte, in: Brandenburgische Archive 24, 2007, S. 57–60. Um Einheit oder Zerfall der Mark Brandenburg im 14. Jahrhundert: die denkwürdige Geschichte vom raschen Aufstieg und tiefen Fall des „falschen“ Woldemar, in: Brandenburgische Archive 24, 2007, S. 61–64. Vom Nutzen des Archivs für die Historie und das Leben. Der Beitrag des Brandenburgischen Landeshauptarchivs zur brandenburgischen Zeitgeschichtsforschung, in: Brandenburgische Archive 24, 2007, S. 68–74. Ein Betrüger auf dem Stuhl der Markgrafen von Brandenburg? Aufstieg und Fall des „falschen“ Woldemar, in: Brandenburg. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Natur, Nr. II 2007, S. 39–42. Ein Schatzkästlein der Archivwissenschaft und der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung: 50 Bände „Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs“, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung e.V. 108, 2007, S. 44–51. Die westfälische „Nation“ und Livland im späten Mittelalter. Das klevisch-märkische Adelsgeschlecht von Strünkede und die Ritterschaft der Grafschaft Mark in ihren Beziehungen zum Deutschen Orden in Livland, in: Westfalen und das Baltikum 1200 bis 2000 (Kataloge des Emschertal-Museums, Bd. 90), hrsg. von der Stadt Herne, [Herne] 2007, S. 51–58 [mit Sonja Neitmann]. Das Bildprogramm im Wappensaal (Huldigungssaal) des Lübbener Schlosses und seine Bedeutung, in: Lübbener Heimatkalender 2008, Lübben 2007, S. 42–55. Einblicke in das kirchliche und geistliche Leben der niederlausitzischen Immediatstadt Lübben im späten Mittelalter, in: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 66, 2007, S. 13–42. Von der „Residenz“ des fürstlichen Stellvertreters zum „hauptstädtischen“ Regierungssitz. Der Aufstieg der Stadt Lübben zum politischen Mittelpunkt des Markgraftums Niederlausitz (14.–17. Jahrhundert), in: Rezidence a správní sídla v zemích České koruny ve 14.–17. století. Korunní země v dějinách českěho státu III. Sborník příspěvků z mezinárodního kolokvia konaněho ve dnech 29.–31. března 2006 v Clam-Gallasově paláci v Praze, edd. Lenka Bobková, Jana Konvičná (Opera Facultatis philosophicae Universitatis Carolinae Pragensis, vol. IV), Praha 2007, S. 461–478. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2006], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 58, 2007, S. 271–274. Geleitwort, in: Brandenburg an der Havel. Lexikon zur Stadtgeschichte, hrsg. v. Udo Geiseler u. Klaus Heß (Einzelveröffentlichung der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. XIII), Berlin 2008, S. 7–12. Der Brandenburgische Provinzialverband und „Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg“, in: Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Zum 200. Geburtstag von Ferdinand von Quast 1807–1877. Erster preußischer Konservator der Kunstdenkmäler. Symposium zu Ehren des 200. Geburtstags

552 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

von Ferdinand von Quast am 22. und 23. Juni 2007 in Neuruppin und Radensleben, veranstaltet vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum und der Fontanestadt Neuruppin (Arbeitshefte des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums, Nr. 18, 2007, Berlin 2008, S. 72–80. Willy Hoppe, die brandenburgische Landesgeschichtsforschung und der Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine in der NS-Zeit, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 141/142, 2005/2006 [erschienen 2008], S. 19–60. Eine wissenschaftliche Antwort auf die politische Herausforderung des geteilten Deutschlands und Europas: Walter Schlesinger, die ost(mittel)deutsche Landesgeschichte und die deutsche Ostforschung, ebd., S. 475–518; erweitert in: Enno Bünz (Hrsg.), 100 Jahre Landesgeschichte (1906–2006). Leipziger Leistungen, Verwicklungen und Wirkungen (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, Bd. 38), Leipzig 2012, S. 225–283. Weltliche Ordnung und kirchliches Leben im spätmittelalterlichen Angermünde, in: Brandenburgische Archive 25, 2008, S. 52–61. Weltliche Ordnung und kirchliches Leben im Spiegel eines städtischen Urkundenbestandes: Pritzwalk im Spätmittelalter, in: 750 Jahre Pritzwalk. Stadtwerdung und Stadtentwicklung in der Prignitz im Wandel der Jahrhunderte (Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz 8, 2008; zugl. Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. XIV), Perleberg 2008, S. 55–94. Fürst und Räte vor der Herausforderung „guter Ökonomie und Haushaltung“. Aufbau und Unterhaltung der Hof- und Landesverwaltung des erzbischöflich rigischen Koadjutors Markgraf Wilhelm von Brandenburg 1529–1539, in: Hofwirtschaft. Ein ökonomischer Blick auf Hof und Residenz in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. 10. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, veranstaltet in Zusammenarbeit mit den Schleswig-Holsteinischen Landesmuseen Schloß Gottorf, dem Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig, dem Historischen Seminar der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel und dem Deutschen Historischen Institut Paris, Gottorf/ Schleswig, 23.–26. September 2006, hrsg. v. Gerhard Fouquet, Jan Hirschbiegel u. Werner Paravicini (Residenzenforschung, Bd. 21), Ostfildern 2008, S. 77–121. Literarische Hilfsmittel der ortsgeschichtlichen Forschung in Brandenburg, in: Tag der Barnimer Orts- und Heimatgeschichte am 15. November 2008 in Eberswalde. Tagungsbericht, hrsg. v. Verein für Heimatkunde zu Eberswalde e.V. und Kreisarchiv Barnim, Eberswalde 2008, S. 8–23. Die Auswahl von Residenzorten. Methodische Bemerkungen zur spätmittelalterlichen geistlichen Residenzbildung, in: Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschlands, hrsg. v. K.N. u. Heinz-Dieter Heimann (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 2; zugl. Veröffentlichungen des Museums für Brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters, Bd. 3), Berlin 2009, S. 41–88. Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschlands. Fragestellung – Ergebnisse – Perspektiven, ebd., S. 357–386. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2007], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 59, 2008, S. 296–298. „Aktenkundig: ‚Jude!’ Nationalsozialistische Judenverfolgung in Brandenburg. Vertreibung – Ermordung – Erinnerung. Ansprache zur Ausstellungseröffnung, in: Brandenburgische Archive 26, 2009, S. 53–55.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 553

„Die Uckermark“, „Die Prignitz“ und „Die Altmark“: Lieselott Enders’ kurmärkische Landschaftsgeschichten, ebd., S. 59–62. Bistum Reval/Tallinn um 1500, in: Atlas zur Kirche in Geschichte und Gegenwart. Heiliges Römisches Reich – Deutschsprachige Länder, hrsg. v. Erwin Gatz in Zusammenarbeit mit Rainald Becker, Clemens Brodkorb u. Helmut Flachenecker, Regensburg 2009, S. 124. Prenzlau im Zeitalter der Reformation und der Konfessionskämpfe (1500 bis 1648), in: Geschichte der Stadt Prenzlau, hrsg. v. K. N. u. Winfried Schich (Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. XVI), Horb am Neckar 2009, S. 98–139. Das ständische Urkundenarchiv und die landständische Verfassung des Markgraftums Niederlausitz, in: Jörg Ludwig/Peter Wiegend (Redaktion), Lausitzer Archivlandschaften. Beiträge der wissenschaftlichen Tagung zum 75-jährigen Jubiläum des Staatsfilialarchivs Bautzen (Veröffentlichungen des Sächsischen Staatsarchivs, Reihe A: Archivverzeichnisse, Editionen und Fachbeiträge, Bd. 13), Halle/Saale 2009, S. 77–107. Ein unbekannter Entwurf Max Lehmanns von 1884 zur Einführung des Provenienzprinzips in den preußischen Staatsarchiven, in: Archivalische Zeitschrift 91, 2009, S. 59–108. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2008], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 60, 2009, S. 286–288. Randbemerkungen zur brandenburgischen Stadtgeschichtsschreibung. Anlässlich des Erscheinens der „Geschichte der Stadt Prenzlau“, in: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V. 111, 2010, S. 12–20. Vom archivischen Wert der Ortschronisten und Regionalhistoriker. Gedanken zur Klientelpolitik brandenburgischer Landes- und Kommunalarchive, in: Brandenburgische Archive 27, 2010, S. 3–7. Rudolf Schierenberg und sein unveröffentlichtes Preußenbuch. Eine historiographische Neuerwerbung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, ebd., S. 26–30. Rudolf Knaack zum 80. Geburtstag, ebd., S. 77–79. Adolph Friedrich Riedel, der Codex diplomaticus Brandenburgensis und der Verein für Geschichte der Mark Brandenburg. Aufgabenstellungen, Organisationsformen und Antriebskräfte der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung 1830 bis 1848, in: Krise, Reformen – und Kultur. Preußen vor und nach der Katastrophe von 1806, hrsg. v. Bärbel Holtz (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte N.F., Beiheft 11), Berlin 2010, S. 249–298. Entstehung und Entwicklung der Landesherrschaft im hohen und späten Mittelalter, in: Friedrich Beck, Manfred Görtemaker, Kristina Hübener, Klaus Neitmann (Hrsg.), Brandenburg. Neues altes Land. Geschichte und Gegenwart (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 15), Berlin-Brandenburg 2010, S. 15–33. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2009], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 61, 2010, S. 320–323. Kirche und Welt im spätmittelalterlichen Lübben. Geistliches Leben und Frömmigkeit von Klerus und Bürgerschaft in einer niederlausitzischen Immediatstadt, in: Lenka Bobková a kol., Ceská koruna na rozcestí. K dejinám Horní a Dolní Luzice a Dolního Slezska na prelomu stredoveku a raného novoveku (1437–1526) [Die Böhmische Krone am Scheideweg. Zur Geschichte der Ober- und Niederlausitz sowie Niederschlesiens im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit (1437–1526)] (Edice Tempora et Memoria), Praha 2010, S. 212–239; wiederabgedruckt in: Niederlausitzer Studien 38 (2012), S. 18–37.

554 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Walter Schlesinger und die mittelalterliche deutsche Ostsiedlung. Fragestellungen, Kontroversen, Wirkungen, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 60, 2010 [erschienen 2012], S. 264–275. Otwarcie wystawy „Landsberg/Warthe – Gorzów Wielkopolski: jedno miasto – wspólna historia“ w Gorzowie Wlkp. 15 wresnia 2010 [Eröffnung der Ausstellung „Landsberg/Warthe – Gorzów Wielkopolski: zwei Namen – eine Geschichte“ in Gorzów Wlkp. am 15. September 2010], in: Nadwarczianski Rocznik Historyczno-Archiwalny 18, 2011, S. 475–477. Vom Nebeneinander zum Miteinander: die grenzüberschreitende Zusammenarbeit des Brandenburgischen Landeshauptarchivs und des polnischen Staatsarchivs in Gorzów Wielkopolski (Landsberg/Warthe), in: Brandenburgische Archive 28, 2011, S. 46–50. Personalnachricht: Joachim Schölzel zum 80. Geburtstag, ebd., S. 98f. Hermann von Bruiningk (1849–1927). Livländischer Landesarchivar und Landeshistoriker, in: Geisteswissenschaften und Publizistik im Baltikum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Norbert Angermann, Wilhelm Lenz u. Konrad Maier (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Bd. 17; Baltische Biographische Forschungen, Bd. 1), Berlin 2011, S. 337–356. Zum Geleit, in: Angermünder Heimatkalender 2012, Angermünde o.J. [2011], S. 3–7. Kurfürst, Bischof, Rat und Bürgerschaft im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Angermünde (15. bis 17. Jahrhundert) oder: Vom Umgang des Archivars mit Angermünder Pergamenturkunden, ebd., S. 64–83. Johann Lohmüllers evangelische Geschichte Livlands. Überlieferung – Quellen – Darstellungsweise – Intention, in: Geschichtsschreibung im mittelalterlichen Livland, hrsg. v. Matthias Thumser (Schriften der Baltischen Historischen Kommission, Bd. 18), Berlin 2011, S. 155–200. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2010], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 62, 2011, S. 324–327. Lieselott Enders in memoriam. Das archiv- und geschichtswissenschaftliche Werk im Rückblick und im Ausblick. Einführung, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 57, 2011, S. 221–224. Archivarische Kärrnerarbeit und ihre landesgeschichtliche Frucht: das Historische Ortslexikon für Brandenburg, ebd., S. 235–251. [Rezension von:] Almut Bues, Die Apologien Herzog Albrechts (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, Bd. 20), Wiesbaden 2009, in: Editionen in der Kritik IV, 2011 (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft, Bd. 9), S. 210–223. Vom „ewigen Frieden“. Die Kunst des Friedensschlusses zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen 1398–1435, in: Tannenberg – Grunwald – Žalgiris 1410: Krieg und Frieden im späten Mittelalter, hrsg. v. Werner Paravicini, Rimvydas Petrauskas u. Grischa Vercamer (Deutsches Historisches Institut Warschau, Quellen und Studien, Bd. 26), Wiesbaden 2012, S. 201–209. Friedrich in der Mark – eine Spurensuche. Ansprache zur Eröffnung der „Schaufenster“ des Brandenburgischen Landeshauptarchivs zu Friedrich dem Großen anlässlich seines 300. Geburtstages im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam am 16. Februar 2012, in: Brandenburgische Archive 29, 2012, S. 25f. Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Zur Erinnerung an Lieselott Enders (1927–2009), ebd., S. 42. Ständisches Archivwesen: Aufstieg und Fall der deutsch-baltischen Ritterschaftsarchive (ca. 1880–1920), in: Die Archive Estlands im europäischen Kontext. Vorträge der Konferenz



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 555

im Tallinner Stadtarchiv vom 15. bis zum 16. September 2005 / Estonian Archives in the European Context. Papers of the conference in the Tallinn City Archives on September 15–16, 2005, hrsg. v. / edited by Lea Köiv u. Peep Pillak, Tallinn 2012, S. 15–73. Laienwelt und Kirche im spätmittelalterlichen Beeskow, in: Ekkehard Krüger u. Dirk Schumann (Hrsg.), Bürgerstolz und Seelenheil. Geschichte, Architektur und Ausstattung der Beeskower Marienkirche (Studien zur Backsteinarchitektur, Bd. 5), Berlin 2012, S. 41–73. Historische Kommissionen und Vereine zur brandenburgischen Landesgeschichte in der NS-Zeit: die Beispiele Willy Hoppe und Johannes Schultze, in: Eberswalder Jahrbuch für Heimat-, Kultur- und Naturgeschichte 2012, Eberswalde 2012, S. 12–18. Rudolf Schmidt und der Nationalsozialismus: Beobachtungen und Schlussfolgerungen, ebd., S. 40–43. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2011], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 63, 2012, S. 361–364. Der Forschungspreis des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine: Ergebnisse der ersten Preisverleihungen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 148, 2012, S. 297–311. Georg Wilhelm von Raumer (1800–1856). Preußischer Staatsarchivar und brandenburgischer Landeshistoriker. – Melle Klinkenborg (1872–1930). Preußischer Staatsarchivar und Historiker Brandenburg-Preußens. – Willy Hoppe (1884–1960). Brandenburgischer Landeshistoriker, Bibliothekar, in: Friedrich Beck, K.N. (Hrsg.), Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Landeshistoriker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landesund Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 16; zugleich Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Bd. 4), Berlin-Brandenburg 2013, S. 40–49, 72–80, 108–119. Ständetum und Regionalismus als Grundthema der niederlausitzischen Geschichte: König Wladislaw II. bestätigt die Privilegien der niederlausitzischen Stände, 1507 Februar 1, in: Brandenburgische Archive 30, 2013, S. 40–45. Preußische Geschichtswissenschaft während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Spiegel der „Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte“, in: Das Thema „Preußen“ in Wissenschaft und Wissenschaftspolitik vor und nach 1945, hrsg. v. Hans-Christof Kraus (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte N.F., Beiheft 12), Berlin 2013, S. 31–100. Mittelsmann zwischen Kieler Universität und Preußischem Kultusministerium. Die Korrespondenz Carl Schirrens mit Friedrich Althoff, in: Carl Schirren als Gelehrter im Spannungsfeld von Wissenschaft und politischer Publizistik. Dreizehn Beiträge zum 22. Baltischen Seminar 2010, hrsg. v. Michael Garleff (Baltische Seminare, Bd. 20), Lüneburg 2013, S. 177–206. (Heinz-Dieter Heimann, K.N., Uwe Tresp:) Konturen einer Integrationslandschaft. Die Niederund Oberlausitz im Wandel grenzüberschreitender Verflechtungen, in: Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft, Bd. I: Mittelalter (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 11), Berlin 2013, S. 9–35. Zum Geleit, in: Mitteilungen des Uckermärkischen Geschichtsvereins zu Prenzlau 20, 2013, S. 7–11. Die „Freiheiten“ der niederlausitzischen Stände. Probleme und Kämpfe um das ständische Selbstverständnis und die verfassungsrechtliche Traditionsbildung des Markgraftums

556 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Niederlausitz in der Krone Böhmen (1370–1635), in: Terra. Ducatus. Marchionatus. Regio. Die Bildung und Entwicklung der Regionen im Rahmen der Krone des Königreiches Böhmen, hrsg. v. Lenka Bobková u. Jana Fantysová-Matejková (Die Kronländer in der Geschichte des böhmischen Staates, Bd. VI), Praha 2013, S. 144–170. Dialektik von Christianisierung und Entdeckung des ‚Heidentums‘ oder kirchliche Nacharbeit im Deutschordensland Preußen? [Rezension von:] Michael Brauer: Die Entdeckung des ‚Heidentums‘ in Preußen. Die Prußen in den Reformdiskursen des Spätmittelalters und der Reformation (Europa im Mittelalter – Abhandlungen und Beiträge zur historischen Komparatistik, Bd. 17), Berlin 2011, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 59, 2013, S. 147–155. Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2012], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 64, 2013, S. 277-280. Das wissenschaftliche Lebenswerk Leonid Arbusows. Themen und Methoden seiner Forschungen zur Geschichte Livlands, in: Leonid Arbusow (1882–1951) und die Erforschung des mittelalterlichen Livland, hrsg. v. Ilgvars Misāns u. K. N. (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte, Bd. 24), Köln, Weimar, Wien 2014, S. 19–77. Der Deutsche Orden und die polnisch-litauische Union: vom Heidenkampf zum Mächtespiel in Ostmitteleuropa, in: 9. Deutsch-polnischer Kommunalpolitischer Kongress der Landsmannschaft Ostpreußen. 1000 Jahre deutsch-polnische Nachbarshaft. Gegensätze und Gemeinsamkeiten, o.O. u. o.J. [Hamburg 2014], S. 65–79. (Heinz-Dieter Heimann, K.N.) Alle Wege führen nach Doberlug-Kirchhain, in: Die Nieder- und Oberlausitz im Bild historischer Karten, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann u. K.N. (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 15), Berlin 2014, S. 7–13; vgl. auch den umgearbeiteten Auszug: K.N.: „Tiefe Sandmeere … niedliche Städgen … tätige Bewohner“. Doberlug-Kirchhain und die Niederlausitz im Bild historischer Karten, in: Brandenburgische Archive 31, 2014, S. 37–42. Perlebergs reformatorische Wandlung: sein evangelisches Kirchenleben im 16. Jahrhundert, in: Stadt Perleberg (Hrsg.), Auf den Spuren des mittelalterlichen Perleberg, Berlin 2014, S. 49–56. Zum Geleit, in: Baldur Martin, Klaus-Peter Meißner, Klaus Froh (Hrsg.), Werder (Havel). 700 Jahre Ortsgeschichte, Bd. I: Der Ursprung der Stadt, Potsdam o.J. [2014], S. 9f. „der wahren, hohen Bestimmung ihrer Ständischen Existenz“. Ständewesen und Regionalismus im Markgraftum Niederlausitz in sächsischer Zeit (1635–1815), in: Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft (Erste Brandenburgische Landesausstellung Schloss Doberlug 2014), hrsg. v. Frank Göse, Winfried Müller, Kurt Winkler, Anne-Katrin Ziesak für das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, Dresden 2014, S. 418–427. Von der Herstellung und Sicherung des „ewigen Friedens“. Der II. Thorner Friede von 1466 im Rahmen der Landfriedensvereinbarungen und Friedensschlüsse des Deutschen Ordens in Preußen mit seinen Nachbarmächten im 15. Jahrhundert, in: Mario Müller, Karl-Heinz Spieß, Uwe Tresp (Hrsg.), Erbeinungen und Erbverbrüderungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Generationsübergreifende Verträge und Strategien im europäischen Vergleich (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 17), Berlin 2014, S. 173–210. [Rezension von:] Regesten zu den Briefregistern des Deutschen Ordens: die Ordensfolianten 2a, 2aa und Zusatzmaterial, hrsg. u. bearb. v. Sebastian Kubon u. Jürgen Sarnowsky (Beihefte zum Preußischen Urkundenbuch, Bd. 1), Göttingen 2012, in: Editionen in der Kritik VII, 2014 (Berliner Beiträge zur Editionswissenschaft, Bd. 14), S. 112–124.



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 557

Brandenburgische Historische Kommission e.V. [Tätigkeitsbericht für das Jahr 2013], in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 65, 2014, S. 314-317. Huldigung und Privilegienbestätigung. Die Ausbildung der landständischen Verfassung der Neumark unter der Herrschaft des Deutschen Ordens und der frühen Hohenzollern, in: K.N. (Hrsg.), Landesherr, Adel und Städte in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neumark (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 14), Berlin 2015, S. 245–317. – Vgl. die Zusammenfassung unter dem Titel: Ritterschaft und Städte der Neumark im Ringen mit dem Deutschen Orden um ihre Rechte und Privilegien, in: Brandenburgkurier 28. Jg., Nr. 2, Juni 2014, S. 2–4. Einführung [zu dem Abschnitt: Berlin – Brandenburg – Preußen. Zum Gedenken an den Landeshistoriker Gerd Heinrich (1931–2012)], in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 60, 2014, S. 131f. Landesgeschichte und Kirchengeschichte. Gerd Heinrich und die Arbeitsgemeinschaft für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte, ebd., S. 171–186. Geleitwort, in: Erlebt. Erzählt. Erinnert. 100 Jahre Erster Weltkrieg und seine Auswirkungen auf die Uckermark, hrsg. v. Jürgen Theil, Uckermärkischer Geschichtsverein zu Prenzlau e.V. (Schülerarbeiten zur Regionalgeschichte, Heft 7/2015), o.O. 2015, S. 4f. Die Historischen Kommissionen der preußischen Provinzen Brandenburg und Pommern 1911/25– 1945: Antriebe – Rahmenbedingungen – Wirkungen, in: Die Historische Kommission für Pommern 1911–2011. Bilanz und Ausblick, hrsg. v. Nils Jörn (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte, Bd. 47), Köln, Weimar, Wien 2015 [im Druck]. Provinzialarchiv innerhalb oder außerhalb des Zentralarchivs? Das „Staatsarchiv für die Provinz Brandenburg und die Reichshauptstadt Berlin“ zwischen Alltagsanforderungen und Zukunftsvisionen in der Weimarer Republik und der NS-Zeit, in: Archivarbeit im und für den Nationalsozialismus. Die preußischen Staatsarchive vor und nach dem Machtwechsel von 1933, hrsg. v. Sven Kriese (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, Beiheft 12), Berlin 2015, S. 165–190. Übereignung des Herrschaftsarchivs Plattenburg-Wilsnack an das Brandenburgische Landeshauptarchiv, in: Brandenburgische Archive 32, 2015, S. 70–76.

III. Herausgeberschaft Preußenland. Mitteilungen der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung und aus den Archiven der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Jg. 26, 1988 – Jg. 47, 2009. Jg. 26, 1988 – Jg. 33, 1995 Schriftleitung gemeinsam mit Stefan Hartmann, Jg. 34, 1996 – Jg. 47, 2009 gemeinsam mit Dieter Heckmann. Brandenburgische Archive. Mitteilungen aus dem Archivwesen des Landes Brandenburg Nr. 1, 1993 – . Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Bd. 30–34 hrsg. gemeinsam mit Friedrich Beck, Weimar 1994–1997, Bd. 35 – , Weimar bzw. Potsdam bzw. Berlin 1997–2014. Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Bd. 1–3, Potsdam 1994–1996; Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs. Bd. 4–, Frankfurt am Main usw. 1996–2014.

558 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

Brandenburgische Landesgeschichte und Archivwissenschaft. Festschrift für Lieselott Enders zum 70. Geburtstag, hrsg. v. Friedrich Beck und K. N. (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 34), Weimar 1997. (Verantwortlich mit Nobert Angermann für:) Nordost-Archiv. Zeitschrift für Regionalgeschichte, N.F. 7, 1998, Heft 1: Von regionaler zu nationaler Identität. Beiträge zur Geschichte der Deutschen, Letten und Esten vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, darin: Editorial (S. 5–9, gemeinsam mit Norbert Angermann). Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Bd. 1–, hrsg. im Auftrag des Brandenburgischen Landeshauptarchivs und der Historischen Kommission zu Berlin von K.N. und Wolfgang Ribbe (bzw. [Bd. 13] Uwe Schaper bzw. Bd. 14] Michael Wildt), Potsdam bzw. Berlin 1998–2015. Zwischen Königtum und Volkssouveränität. Die Revolution von 1848/49 in Brandenburg, hrsg. v. Manfred Görtemaker, Kristina Hübener, K.N., Kärstin Weirauch (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Sonderband), Frankfurt am Main, Berlin, New York, Paris, Wien 1999. Brandenburgische Landesgeschichte heute, hrsg. v. Lieselott Enders u. K.N. (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 4), Potsdam 1999. Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Zeitschrift für vergleichende und preußische Landesgeschichte. Im Auftrage der Historischen Kommission zu Berlin [bis Bd. 54, 2008: und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs] hrsg. v. K.N. und Wolfgang Neugebauer (und: [Bd. 55, 2009 Michael Scholz] bzw. [ab Bd. 56, 2010] Uwe Schaper und [ab Bd. 60, 2014] Michael Wildt, Bd. 45, 1999 – . Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. I–, Berlin, Bonn, Potsdam usw., 2000–2015. Im Dienste von Verwaltung, Archivwissenschaft und brandenburgischer Landesgeschichte. 50 Jahre Brandenburgisches Landeshauptarchiv. Beiträge der Festveranstaltung vom 23. Juni 1999 (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 8), Frankfurt am Main usw. 2000. Die Herkunft der Brandenburger. Sozial- und mentalitätsgeschichtliche Beiträge zur Bevölkerung Brandenburgs vom hohen Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, hrsg. v. K.N. und Jürgen Theil unter Mitwirkung von Olaf Gründel (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 9), Potsdam 2001. Das brandenburgische Städtewesen im Übergang zur Moderne. Stadtbürgertum, kommunale Selbstverwaltung und Standortfaktoren vom preußischen Absolutismus bis zur Weimarer Republik (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 43), Berlin 2001. Kurzübersicht über die Archivbestände der Kreise, Städte und Gemeinden im Land Brandenburg. Im Auftrage des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Landesverband Brandenburg hrsg. v. Uwe Schaper in Verbindung mit Martina Aurich, Brigitta Heine, Klaus Heß, Steffen Kober u. K. N. (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 10), Frankfurt am Main usw. 2001. Aus der brandenburgischen Archivalienkunde. Festschrift zum 50jährigen Jubiläum des Brandenburgischen Landeshauptarchivs (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 40), Berlin 2003. Archive und Herrschaft. Referate des 72. Deutschen Archivtages 2001 in Cottbus, veranstaltet vom VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Redaktion: Jens Murken in Verbindung mit Wolfgang Kramer, K.N. [für Sektion III: Verlagert, vernichtet, geteilt,



Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2014) 

 559

gesichert, zurückgeführt – Archivbestände unter den politischen und juristischen Folgen von Krieg und Herrschaftswechseln], Günther Rohdenburg, Volker Schockenhoff, Ulrich S. Soénius, Gabriele Viertel, Reimer Witt (Der Archivar. Mitteilungsblatt für deutsches Archivwesen, Beiband 7), Siegburg 2002. Friedrich Beck, Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1956–2000. Beiträge zur thüringischen und brandenburgischen Landesgeschichte und zu den historischen Hilfswissenschaften (Schriftenreihe des Wilhelm-Fraenger-Instituts Potsdam, Bd. 4), Potsdam 2003. – Selbstanzeige in: Brandenburgische Archive 22, 2003, S. 14. Die Ballei Brandenburg des Johanniterordens. Findbuch zum Bestand Rep. 9 B des Brandenburgischen Landeshauptarchivs (Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 18), Frankfurt am Main usw. 2006. Im Schatten mächtiger Nachbarn. Politik, Wirtschaft und Kultur der Niederlausitz zwischen Böhmen, Sachsen und Brandenburg-Preußen (Brandenburgische Historische Studien, Bd. IV; zugl. Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. III), Berlin 2006, enth.: Vorwort (S. 7–13), Zur Einführung: Betrachtungen zu einer eigenständigen historischen Landschaft im Schatten mächtiger Nachbarn (S. 15–29). Der erste „Tag der brandenburgischen Orts- und Landesgeschichte“. Dokumentation der Tagung vom 6. November 2005 in Potsdam und Leitfaden für Ortschronisten in Brandenburg (Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. IX; zugleich Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. III), Potsdam 2006. Brandenburgisches Klosterbuch. Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, 2 Bde., hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann, K. N., Winfried Schich mit Martin Bauch, Ellen Franke, Christian Gahlbeck, Christian Popp, Peter Riedel (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 14), Berlin-Brandenburg 2007. Brandenburgs Mittelstand. Auf dem langen Weg von der Industrialisierung zur Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts, in Verbindung mit der Industrie- und Handelskammer Cottbus u. dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv hrsg. v. Günter Bayerl u. K. N. (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 33; zugl. Einzelveröffentlichungen der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V., Bd. XV), Münster, New York, München, Berlin 2008. Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte. Im Auftrage der Brandenburgischen Historischen Kommission e.V. und des Brandenburgischen Landeshauptarchivs hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann u. K.N., Bd. 2–, Berlin 2009–2014. Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschlands, hrsg. v. K. N. u. Heinz-Dieter Heimann (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 2; zugl. Veröffentlichungen des Museums für Brandenburgische Kirchen- und Kulturgeschichte des Mittelalters, Bd. 3), Berlin 2009. Geschichte der Stadt Prenzlau. Im Auftrag der Stadt Prenzlau hrsg. v. K. N. u. Winfried Schich (Einzelveröffentlichung der Brandenburgischen Historischen Kommission, Bd. XVI. In Verbindung mit dem Brandenburgischen Landeshauptarchiv), Horb am Neckar 2009. Blätter für deutsche Landesgeschichte. Im Auftrage des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine hrsg. v. K. N. in Verbindung mit Enno Bünz, Beate Dorfey, Ferdinand Kramer, Robert Kretzschmar, Winfried Müller u. Arnd Reitemeier, Bd. 145/146 (2009/10) – . Wie die Mark entstand. 850 Jahre Mark Brandenburg. Fachtagung unter der Schirmherrschaft von Gunter Fritsch, Präsident des Landtages Brandenburg, vom 20. bis 22. Juni 2007

560 

 Schriftenverzeichnis Klaus Neitmann (1983–2015)

in Brandenburg an der Havel, veranstaltet durch das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologische Landesmuseum, das Brandenburgische Landeshauptarchiv, die Brandenburgische Historische Kommission e.V., die Stadt Brandenburg an der Havel und den Historischen Verein Brandenburg (Havel) e.V. (Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg, 11; Einzel-Veröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, IX), hrsg. v. Joachim Müller, K. N. und Franz Schopper, Wünsdorf 2009. Friedrich Beck, Manfred Görtemaker, Kristina Hübener, K. N. (Hrsg.), Brandenburg. Neues altes Land. Geschichte und Gegenwart (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 15), BerlinBrandenburg 2010. Preußenland. Neue Folge. Jahrbuch der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesgeschichtsforschung und der Copernicus-Vereinigung für Geschichte und Landeskunde Westpreußens sowie Mitteilungen aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Schriftleitung: Dieter Heckmann, Astrid Kaim-Bartels, Sebastian Kinder, K. N., Sven Tode, Jg. 1, 2010 – . Was Papst und Kaiser durch ihr Wort beschützen. Das Zisterzienserkloster Dobrilugk in mittelalterlichen Urkunden und Siegeln, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann u. K. N., bearb. v. Sascha Bütow (Einzelveröffentlichung des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. XIII), Potsdam 2011. Friedrich Beck, K. N. (Hrsg.), Lebensbilder brandenburgischer Archivare und Historiker. Landes-, Kommunal- und Kirchenarchivare, Landes-, Regional- und Kirchenhistoriker, Archäologen, Historische Geografen, Landes- und Volkskundler des 19. und 20. Jahrhunderts (Brandenburgische Historische Studien, Bd. 16; zugl.: Veröffentlichungen des Landesverbandes Brandenburg des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., Bd. 4), Berlin-Brandenburg 2013. Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft, Bd. I: Mittelalter, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann, K. N. u. Uwe Tresp (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 11), Berlin 2013; Bd. II: Frühe Neuzeit, hrsg. v. dens. (Studien …, Bd. 12), Berlin 2014; Bd. III: Frühes 19. Jahrhundert, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann, K.N. u. Thomas Brechenmacher (Studien …, Bd. 13), Berlin 2014. Preußen und Livland im Zeichen der Reformation, hrsg. v. Arno Mentzel-Reuters u. K. N. (Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, Bd. 28), Osnabrück 2014. Demontagen in der Sowjetischen Besatzungszone und in Berlin 1945 bis 1948. Sachthematisches Archivinventar, hrsg. v. K. N. u. Jochen Laufer, bearb. v. Klaus Jochen Arnold (Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 61), Berlin 2014. Leonid Arbusow (1882–1951) und die Erforschung des mittelalterlichen Livland, hrsg. v. Ilgvars Misāns u. K. N. (Quellen und Studien zur Baltischen Geschichte, Bd. 24), Köln, Weimar, Wien 2014. Die Nieder- und Oberlausitz im Bild historischer Karten, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann u. K. N., bearb. v. Sascha Bütow u. Benjamin Schwuchow (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte, Bd. 15), Berlin 2014. Landesherr, Adel und Städte in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Neumark (Bibliothek der Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Bd. 14), Berlin 2015, enth.: Vorwort (S. 7–9); Zur Einführung: der ständische Regionalismus der brandenburgischen Neumark (S. 11–32).

Nachwort Nachwort Daß die Beschäftigung mit der Geschichte der Geschichtswissenschaft und des Archivwesens einmal zu meinen Forschungsschwerpunkten gehören sollte, habe ich mir als junger Historiker und Archivar nicht ausgemalt und lag lange Zeit jenseits meines Forschungshorizontes. In ihm dominierten, ausgehend von meiner Dissertation über „Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230– 1449“ (erschienen 1986), die Untersuchungen zum Deutschen Orden in Preußen und in Livland sowie seit meinem Eintritt ins Brandenburgische Landeshauptarchiv 1993 in allmählich zunehmendem Maße diejenigen zur Mark Brandenburg und zum Markgraftum Niederlausitz. Aber die Begeisterung für die Geschichte der Historiographie und das Gespür für ihre Leitfragen, Themen und Konzeptionen im Laufe der Epochen und Generationen waren früh erwacht, in ersten Ansätzen schon im Gymnasiasten der späteren 1960er Jahre, dessen Leidenschaft für Geschichte insbesondere durch die von Golo Mann und Alfred Heuß herausgegebene „Propyläen Weltgeschichte“ und durch die aus betont lutherischer und nationalkonservativer Sicht geschriebenen Werke Gerhard Ritters geweckt und gefördert worden waren. So waren der historiographische Wandel in der Zeitenfolge und seine Ursachen nicht ganz zufällig wesentlicher Gegenstand des Gespräches, das der Göttinger Student in seinem Erstsemester, dem Wintersemester 1974/75, mit dem frisch habilitierten Privatdozenten Dr. Hartmut Boockmann wegen seiner beantragten Aufnahme in die Studienstiftung des deutschen Volkes führte. Das Studium hielt das Interesse aufrecht, etwa durch die Hinweise von Richard Nürnberger darauf, wie denn die großen Historiker zu ihren leitenden Fragestellungen gekommen seien, oder durch Lehrveranstaltungen zu Hauptwerken der alten und modernen Historiographie, unter denen das Hauptseminar mit Alfred Heuß über Thukydides’ Darstellung der Sizilischen Expedition der Athener mir wegen des interpretatorischen Scharfsinns des Dozenten und seines Ringens um die Erkenntnis von Thukydides’ untergründigen Auffassungen unvergeßlich geblieben ist. Von der Neigung zur Historiographie zu ihrer konzentrierten Erforschung weiter zu schreiten, bedurfte dann freilich äußerer Anstöße. Der archivarische Berufsweg hatte mich im Anschluß an den schon im Studium gesetzten Schwerpunkt weiter in die deutsche Landesgeschichte hineingeführt, und es lag daher nahe, einmal in ausgewählten Beispielen Leben und Werk von Historikern nachzugehen, die in den von mir bevorzugten Landesgeschichten tätig gewesen waren und mich wegen ihrer nachwirkenden Leistungen reizten. So wurde ich von der Baltischen Historischen Kommission als deren Vorstandsmitglied beauftragt, anläßlich des 50. Baltischen Historikertreffens in Göttingen im Jahr 1998 den Festvortrag über Reinhard Wittram, den ersten jahrzehntelangen Vorsitzenden der

562 

 Nachwort

Kommission, und den Wiederbeginn der baltischen historischen Studien nach 1945, nach beispiellosen Umwälzungen und Untergängen, zu halten. So fühlte ich mich dazu verpflichtet, nach dem Tode meines Göttinger Doktorvaters Hans Patze seinen Lebensweg, in dem die politischen und wissenschaftspolitischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts in Deutschland tiefe Spuren hinterlassen hatten und dessen historische Arbeit von der deutschen Teilung und ihren wissenschaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Folgen geprägt worden war, auf der Grundlage umfangreicher Archivstudien zu erhellen und die allzu leicht hinter dem gedruckten Werk verschwindenden Umstände seiner Entstehung zu beleuchten. Die eigene Tätigkeit als Direktor des Brandenburgischen Landeshauptarchivs und die Mitwirkung in der Historischen Kommission zu Berlin, der Preußischen Historischen Kommission und dem Gesamtverein der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine gaben dann mehrfach dazu Gelegenheit, sich der Geschichte des brandenburgischen Archivwesens und der brandenburgischen Landesgeschichtsforschung in kleineren und größeren Studien zuzuwenden. So hat sich anfänglich ohne bewußten Antrieb, später mit wohlüberlegter Absicht in den vergangenen gut 15 Jahren die Geschichte der deutschen Landesgeschichtsforschung in ausgewählten Bereichen zu einem meiner bevor­zugten Interessengebiete entwickelt. Im Mittelpunkt stehen dabei die brandenburgisch(-preußische), die mitteldeutsche und deutschbaltische Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts mit einzelnen herausragenden Vertretern und mit ihren bestimmenden Organisationen. Die Befassung mit der Historiographie hat in Deutschland in den letzten Jahrzehnten merklich zugenommen, wie an einer Vielzahl von Büchern und Aufsätzen abzulesen ist. In meinen eigenen Studien habe ich mit meinen Ansätzen, Fragen, Methoden und Urteilen meinen eigenen Weg zu gehen gesucht. Für einen Archivar versteht es sich von selbst, daß er sich nicht mit den gedruckten Quellen begnügt, sondern ungedruckte Archivalien heranzieht, zumal die äußeren Voraussetzungen der fachhistorischen Arbeit, die inneren Antriebe zur Abfassung historischer Untersuchungen und Darstellungen und die mit ihnen verfolgten Absichten allein aus den Drucken nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen sind; wie sehr das eindringliche Verständnis der Historiographie darüber hinaus auf weitere ertragreiche Zeugnisse angewiesen ist, belegen eindrucksvoll allein die mittlerweile zahlreichen Editionen von Historikerbriefen und Historikerbriefwechseln. In den deutschen Veröffentlichungen scheint derzeit die Tendenz zu überwiegen, die politischen Implikationen der Geschichtswissenschaft und ihrer Arbeiten herauszustellen und ihre Abhängigkeit von politischen Leitbildern und Ideologien zu betonen. Ohne die Bedeutung dieses Ansatzes leugnen zu wollen, halte ich es trotzdem für verfehlt, die Aufmerksamkeit allzu sehr auf diesen Punkt zu konzentrieren und darüber die jeweiligen wis-



Nachwort 

 563

senschaftlichen Eigenarten der Verfasser, ihre Methoden und ihre Themen, die Qualität ihrer Forschung, deren Leistungen und Grenzen übermäßig zu vernachlässigen. Man verkürzt die Geschichte der Geschichtswissenschaft ungebührlich, wenn man sie in ihrer (angeblichen) politischen Funktion aufgehen läßt. Alfred Heuß, der im vergangenen Jahrhundert einige der gewichtigsten wissenschaftsgeschichtlichen Analysen vorgelegt und dessen Buch über „Theodor Mommsen und das 19. Jahrhundert“ mich stärkstens beeindruckt hat, mahnte zu Recht schon vor über 60 Jahren die Orientierung der historiographischen Untersuchungen „an der Leistungshöhe des geschichtswissenschaftlichen Bemühens“ und an der „inneren Form der Forschung und ihr begriffliches Rüstzeug“ an. Der Blick auf die angebliche oder tatsächliche Ideologisierung der Geschichtswissenschaft erfaßt seit geraumer Zeit scharf die Historikerschaft und ihr Verhalten in den politischen Umbrüchen und Diktaturen des 20. Jahrhunderts, besonders während des Dritten Reiches und in der Nachkriegszeit, mit Urteilen, die zuweilen mehr über den hohen moralischen Anspruch ihrer Verfasser als über die genauen Inhalte und Tätigkeiten einer Geschichtswissenschaft unter den jeweils vorwaltenden Rahmenbedingungen verraten. Um das Verhalten von Landeshistorikern vor wie nach 1945 kreisen daher einige der hier vorgelegten Untersuchungen, angeleitet von dem Eindruck, daß es in einer gelegentlich allzu erregten Debatte darauf ankommt, gerade ein oder zwei Generationen, die die politischen Wechselfälle in Deutschland mit Bewußtsein und in voller Wirksamkeit erlebt zu haben, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wie sie etwa Thomas Nipperdey für die „Generation der Großväter“ wiederholt eingefordert hat. Schließlich ist die Organisation der landesgeschichtlichen Forschung zu berücksichtigen, hängen ihre Ergebnisse nicht nur von der Tatkraft und dem Ideenreichtum des einzelnen Historikers, sondern auch von der Gestaltung des seit dem 19. Jahrhundert expandierenden wissenschaftlichen Großbetriebes und seinen Verfahrensweisen ab. Die Leser werden erkennen, daß die hier abgedruckten Beiträge um wenige Schwerpunkte kreisen, sich inhaltlich eng berühren und gegenseitig ergänzen. Zu besonderem Dank bin ich den beiden mir seit langem eng verbundenen Herausgebern, Hans-Christof Kraus und Uwe Schaper, dafür verpflichtet, daß sie mir mit dem mich gänzlich überraschenden Vorschlag, eine ausgewählte Sammlung meiner historiographischen Studien anläßlich meines 60. Geburtstages herauszubringen, Gelegenheit geben, die Ergebnisse des von mir stark beackerten Feldes in der Zusammenschau darzubieten. Die in diesen Band aufgenommenen Aufsätze sind für den Abdruck noch einmal durchgesehen und in Einzelheiten in geringerem oder stärkerem Umfang durch die Anführung jüngerer Literatur und durch die Ergänzung einzelner Gedankengänge erweitert worden, ohne daß die Grundaussagen dadurch verändert worden wären. Die Ergänzungen mögen davon zeugen, daß hier keine endgültigen und abgeschlossenen Ergebnisse des

564 

 Nachwort

Verfassers vorgelegt werden, sondern daß er noch mitten im Fluß seiner eigenen Studien steht und die Thematik in der Zukunft fortzuführen gedenkt – und vielleicht eines fernen Tages mit der Vorlage einer Geschichte der brandenburgischen Landesgeschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert abschließt. Klaus Neitmann