Ökumenische Solidarität mit christlichen und jüdischen Verfolgten: Die CIMADE in Vichy-Frankreich 1940-1944 9783666557415, 3525557418, 9783525557419

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Ökumenische Solidarität mit christlichen und jüdischen Verfolgten: Die CIMADE in Vichy-Frankreich 1940-1944
 9783666557415, 3525557418, 9783525557419

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Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze

Reihe B: Darstellungen Band 41

Vandenhoeck & Ruprecht

Uta Gerdes

Ökumenische Solidarität mit christlichen und jüdischen Verfolgten Die CIMADE in Vichy-Frankreich 1940–1944

Vandenhoeck & Ruprecht

Redaktionelle Betreuung dieses Bandes: Carsten Nicolaisen

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-55741-8

© 2005, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Satzspiegel, Nörten-Hardenberg Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 1 Französischer Protestantismus und ökumenische Bewegung in Solidarität mit Flüchtlingen unter dem Regime von Vichy . . . . 31 1.1 Die politische Situation in Südfrankreich von 1940 bis 1944 . 1.1.1 Vichy – Kollaboration, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus . 1.1.2 Vichy und die Flüchtlinge: Ausgrenzung durch Internierung . . 1.1.3 Französinnen unter Vichy . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der französische Protestantismus . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Eine religiöse Minderheit in Frankreich . . . . . . . . . . 1.2.2 Jugendorganisationen im französischen Protestantismus . . . 1.3 Die ökumenische Bewegung . . . . . . . . . . . . . . .

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1.3.1 Die Entwicklung einer Kirchengemeinschaft im Europa der Zwischenkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 1.3.2 Die Flüchtlingshilfe des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Kapitel 2 Die Cimade – Junge Protestantinnen und Protestanten helfen Vertriebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.1 Reaktion auf interne Migration: Die Gründung der Cimade im Herbst 1939 . . . . . . . . . . . . 2.2 Madeleine Barot und die Cimade seit August 1940: Ein Hilfswerk für verfolgte Christen und Juden . 2.3 Die Cimade – eine Widerstandsbewegung? . . . . 2.4 Die Cimade – eine Frauenbewegung? . . . . . .

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Kapitel 3 An den Orten staatlicher Ausgrenzung: Die Internierungslager von Vichy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1 Die Cimade in Gurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.1.1 Vorgeschichte, Lage und Aufbau von Gurs . . . . . . . . . 86

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Inhalt 3.1.2 Die Anfänge der Cimade in Gurs im Winter 1940/41 . . . . 3.1.3 Unterstützung durch das ökumenische Flüchtlingssekretariat . 3.1.4 Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Aumônerie Protestante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.2 Ausweitung der Arbeit in Kooperation mit der christlichen Jugendökumene im Frühjahr und Sommer 1941 . . . . . . . 3.2.1 Toulouse und Marseille und der YWCA . . . . . . . . . 3.2.1.1 Das „Foyer féminin“ in Toulouse . . . . . . . . . 3.2.1.2 Das „Foyer Marie Durand“ in Marseille und die Zusammenarbeit mit Les Milles und den Internierungszentren Bompard, Terminus des Ports und Levant . . . . . . . . . 3.2.2 Rivesaltes und Gurs und die YMCA . . . . . . 3.2.2.1 Die Cimade im Familienlager Rivesaltes . . 3.2.2.2 Die Cimade in Gurs seit Sommer 1941 . .

. . . . . . . . . . . . 3.3 Die Cimade in den Funktionslagern seit Winter 1941/42 3.3.1 Das Frauenlager in Rieucros und in Brens . . . . . . . 3.3.2 Das „Hospital-Lager“ in Récébédou und in Nexon . . . 3.4 Die Zusammenarbeit mit anderen Hilfswerken . . . . . 3.4.1 Das Nîmes-Komitee . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Lagerinterne Kooperation . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 4 Eine Kultur der Solidarität: Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4.1 Die Besucherinnen und Besucher der Cimade-Foyers

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4.1.1 Vertriebene aus Deutschland und anderen europäischen Ländern 117 4.1.2 Ein Engagement nur für Christinnen und Christen? . . . . . 119

4.2 Kampf gegen Hunger und Kälte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Kulturelle Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die Lagerbibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Der Gegenwart entfliehen: Konzerte . . . . . . . . . . . 4.3.3 Erwachsenenbildung im Lager: Vorträge und Kurse . . . . . 4.4 Internierte im Team . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Eine ökumenische Gemeinde hinter dem Stacheldraht . . . . 4.5.1 Unter dem Dach der reformierten Kirche . . . . . . . . . 4.2.1 „Ökumenische Mahlzeiten“ und Kleiderverteilung . . . . 4.2.2 Der Freudenbergsche Paketdienst . . . . . . . . . . 4.2.2.1 Die „Colis suisse“ des Schweizer Arbeiterhilfswerkes 4.2.2.2 Die „Colis portugais“ der Unitarier in Lissabon . 4.2.3 Die Zusammenarbeit mit den Quäkern . . . . . . . .

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Inhalt 4.5.1.1 Ökumenisches Zusammenleben: Gemeindeorganisation und Gottesdienste . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1.2 „Sammlung um das Wort“: Die Bedeutung der Bibel . 4.5.1.3 Weihnachten und Ostern im Lager . . . . . . . . 4.5.2 Gegen patriarchale Weiblichkeitsbilder leben . . . . . . . 4.5.2.1 Predigt und Abendmahlsspende durch Frauen . . . 4.5.2.2 Als Gemeindehelferin und Pastorin in der Cimade . 4.5.2.3 Die Teamarbeit der Cimade als Emanzipationskonzept

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4.6 Offener Dialog oder Judenmission? Zum Zusammenleben von Christen und Juden in den Internierungslagern . . . . . . .

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4.6.1 Interreligiöse Begegnung von christlichen und jüdischen Frauen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6.2 Taufunterricht für Juden und Jüdinnen . . . . . . . . . .

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4.7 Die Ambivalenz des Sozialen: Kooperation oder Konfrontation mit Vichy . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 5 An der Grenze zur Illegalität – Solidarität mit Flüchtlingen in Heimen und Aufnahmezentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.1 Humanitäre Ansätze in der Internierungspolitik von Vichy? . 5.2 Die Heime der Cimade . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Konzeption und Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . 5.2.1.1 Modelle: Die Häuser anderer Hilfsorganisationen . . . 5.2.1.2 Der Finanzierungsplan des ökumenischen Flüchtlingssekretariates . . . . . . . . . . . . 5.2.1.3 Das erste Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon . 5.2.1.4 Die Gründung weiterer Häuser in St.-Etienne-du-Grès und Vabre . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Das Coteau Fleuri in Le Chambon-sur-Lignon . . . . . . 5.2.2.1 „Eine Zentrale des Guten“ – Leben im Coteau . . . 5.2.2.2 Ein Haus nur für protestantische Internierte? . . . . 5.2.3 Bedrohung durch Deportation . . . . . . . . . . . . 5.2.3.1 Die Häuser als Ausgangspunkt für Rettungsaktionen . 5.2.3.2 Verortung in protestantischen Regionen . . . . . .

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. . . . . . . 5.3 Die Cimade in den kleineren Internierungslagern . . . . . .

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Kapitel 6 Die Deportationen aus der Südzone – Impetus zum Widerstand

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6.1 Der Beginn der Deportationen im Sommer 1942 . . . . . .

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6.1.1 Die Hilfswerke während der Selektionen in den Internierungslagern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Die Reaktionen der Kirchen . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

6.2 Von der partiellen Kooperation zum Widerstand im Untergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Christliche Jugendarbeit zur Gewissensschärfung . . . . . . 6.2.2 Die Thesen von Pomeyrol als Ausdruck christlicher Widerstandsethik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Die Note jointe als Ausdruck christlicher Widerstandsethik . . 6.2.4 Die Sonderethik des Widerstandes seit August 1942 – eine doppelte Grenzüberschreitung . . . . . . . . . . .

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Kapitel 7 Grenzüberschreitungen – Die Fluchthilfe der Cimade . . . . . .

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7.1 Fluchthilfe über die Pyrenäen . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Fluchthilfe über die Alpen . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Schweizer Flüchtlingspolitik . . . . . . . . . . . . . 7.2.1.1 August 1942 – Die Schweiz schließt die Grenzen . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dokument 1: Die Thesen von Pomeyrol . . . . . . . . . . Dokument 2: Beigefügte Erklärung (Note jointe) zum Antrag auf Anerkennung des protestantischen Jugendrates (Conseil Protestant de la Jeunesse) . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Personenregister/Biografische Angaben . . . . . . . . . .

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7.2.1.2 Verhandlungen mit Bern für eine Zulassung von Flüchtlingen: das Listensystem der „Non-Refoulables“ 7.2.2 Die Organisation der Fluchthilfe . . . . . . . . . . . 7.2.2.1 Vorbereitungen: Codierte Informationen, gefälschte Papiere und Relaisstationen . . . . . . . . . . 7.2.2.2 Risikoreiches Engagement . . . . . . . . . . . 7.2.2.3 Der Reisedienst des ökumenischen Flüchtlingssekretariates und der Cimade . . . . . . . . . . 7.2.3 Die Fluchthelferinnen und -helfer und die Fluchtrouten . . 7.2.3.1 Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Cimade . . 7.2.3.2 Ökumenische Solidarität in Pfarrhäusern und Abteien an der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3.3 Die Routen: Hochsavoyen – Genf – die Grenze zur Nordschweiz . . . . . . . . . . . . . . . .

7.3

Widerstand als Rettung der „Opfer unter dem Rad“

Zusammenfassung und Ausblick

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In Erinnerung an Leonore Siegele-Wenschkewitz (1944–1999)

Vorwort Vorwort

Vorwort

Von dem Flüchtlingshilfswerk Cimade und seiner Generalsekretärin Madeleine Barot habe ich erstmals im Februar 1995 in einem von Leonore Siegele-Wenschkewitz geleiteten Seminar zur Kirchlichen Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin erfahren. Sie hatte Madeleine Barot als eine Frau herausgestellt, die mit ihrer Arbeit in der Zeit des Nationalsozialismus Signale gegen internationalen Chauvinismus und Rassismus gesetzt habe und ihre Kooperation mit der Flüchtlingshilfe der Genfer Ökumene unter Dr. Adolf Freudenberg hervorgehoben.1 Leonore SiegeleWenschkewitz eröffnete mir damit den Zugang zu einem Forschungsfeld von weit reichender Bedeutung. Hier fand ich drei für mich wesentliche Schwerpunkte verknüpft: die allgemeine und kirchliche zeitgeschichtliche Erforschung und Hinterfragung der Epoche des Nationalsozialismus, die systematisch-theologische wie historische Frage nach dem Verhältnis von Judentum und Christentum und die Geschichte von Frauen, die in das historische Bewusstsein von Kirchen und Gesellschaft zurückzuholen sind. Zugleich war mir in diesem Semester eine Wissenschaftlerin begegnet, deren Arbeiten sich durch analytische Schärfe und große Prägnanz auszeichnen, deren differenzierte Bewertungen auf kritischer und genauer Quellenarbeit basieren und die ihre Forschungsergebnisse als begeisternde akademische Lehrerin weiterzugeben vermochte. Siegele-Wenschkewitz’ wissenschaftliche Biografie und Bibliografie zeichnet sie als eine Historikerin aus, die sich unbequemen Fragestellungen nie entzogen hat und deren Anliegen es war, Mitverantwortung und Schuld von Christen und Christinnen am Holocaust zu benennen und aufzuarbeiten.2 Gleichzeitig ging es ihr darum, ungerechte und patriarchalische Strukturen in Kirche und Gesellschaft bewusst zu machen und aufzuarbeiten. Sie hat auf die langjährigen und schon in den 1930er Jahren einsetzenden Bemühungen von Frauen für ein gerechteres Geschlechterverhältnis in der ökumenischen Bewegung aufmerksam gemacht, um damit deren histori1 Vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79. 2 Vgl. zu Leben und Werk H. DÜRINGER/K. WEINTZ, Siegele-Wenschkewitz. Der Band dokumentiert die Ansprachen anlässlich der Verleihung des Edith-Stein-Preises im Oktober 1999 und des Trauergottesdienstes im Januar 2000 und enthält verschiedene nachgelassene Schriften von Leonore Siegele-Wenschkewitz, einen umfassenden Lebenslauf sowie ein Verzeichnis ihrer Veröffentlichungen.

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Vorwort

sches Erbe als eine Wurzel heutiger feministischer Theologie zu erschließen. Leonore Siegele-Wenschkewitz ist im Dezember 1999 nach schwerer Krankheit gestorben. Sie hat den Abschluss meiner von ihr angeregten und betreuten Arbeit nicht mehr erlebt. Sie hat mich von den ersten Anfängen an über vier Jahre hinweg mit ihren hermeneutischen Grundsätzen, ihrem Wissen und ihrem präzisen Urteil begleitet, ermutigt und gefördert. Ich bin dankbar dafür, dass ich ihr begegnen durfte und dass sie das Vertrauen auf eine fruchtbare wissenschaftliche Zusammenarbeit in mich gesetzt hat. Ich habe diese Betreuung fortgesetzt gefunden bei Herrn Professor Dr. Jörg Thierfelder. Ihm gilt mein großer Dank dafür, die Begleitung meiner Arbeit noch im fortgeschrittenen Stadium übernommen zu haben. Mit Leonore Siegele-Wenschkewitz verbindet ihn, dass beide unabhängig voneinander die Cimade im Jahre 1995 in das Bewusstsein deutscher Kirchengeschichtsschreibung und Kirchlicher Zeitgeschichte zurückgebracht haben. Während Siegele-Wenschkewitz an die Cimade in ihrer Bedeutung als Frauenorganisation erinnert hat, in der im Widerstand gegen Rassismus traditionelle Rollenvorstellungen überwunden wurden, hat Thierfelder in Zusammenarbeit mit Eberhard Röhm aufgezeigt, dass es vor allem evangelische Christen und Christinnen aus Deutschland gewesen sind, denen sich die Cimade im Verein mit den ökumenischen Institutionen in Genf in einer Zeit größter Not und Bedrängnis öffnete.3 Professor Dr. Friedrich-Wilhelm Marquardt hat mich schließlich nicht nur in meiner Studienzeit an der Freien Universität Berlin nachhaltig geprägt, sondern auch das Entstehen der Dissertation mit kritischem Interesse und Wohlwollen verfolgt und unterstützt. Ihm verdanke ich meine Verwurzelung in einer systematischen Theologie, die vom jüdisch-christlichen Dialog und der Auseinandersetzung mit der Lehre Karl Barths bestimmt ist. Von seinen frühen Veröffentlichungen bis hin zur siebenbändigen Dogmatik, deren letzter Teil 1997 erschienen ist, hat Marquardt neue Wege für ein theologisches Denken nach Auschwitz beschritten. Für seine Promotionsschrift über Israel und das Judentum im Denken Barths wurde ihm 1968 die erste Buber-Rosenzweig-Medaille der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit verliehen.4 Friedrich-Wilhelm Marquardt ist im Mai 2002 unerwartet verstorben. Professor Dr. Michael Weinrich hat an seiner statt die Begutachtung übernommen, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Dank für die große Hilfe und Unterstützung im Verlauf meiner Forschungen gilt auch André Lemière am Archiv der Cimade in Paris und Jacques Poujol von der Société de l’Histoire du Protestantisme Français in 3 Vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 228–254. 4 F.-W. MARQUARDT, Entdeckung; DERS., Utopie.

Vorwort

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Paris. Finanzielle Förderung erhielt ich durch ein Stipendium der Kommission zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen an der Freien Universität Berlin, wofür ich dieser Institution danke. Ebenso bedanke ich mich bei der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte für die freundliche Aufnahme in ihre Reihe „Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte“. Für die umfassende, hilfreiche und verständnisvolle Unterstützung bis zur Drucklegung der Arbeit danke ich insbesondere Herrn Professor Dr. Carsten Nicolaisen. Die vorliegende Untersuchung wurde im November 2002 im Fach Evangelische Theologie am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin zur Begutachtung vorglegt; die Disputation fand im Mai 2003 statt. Mehrere Zeitzeuginnen haben ihre Erinnerungen an die Jahre zwischen 1940 und 1944 mit mir geteilt. Sie standen der Cimade nahe, haben in Internierungslagern und im Untergrund gearbeitet oder konnten aus einer privaten Perspektive über die Arbeit von Adolf Freudenberg in Genf berichten. Laurette Alexis-Monet, Dorothée Casalis, Jutta Frost-Freudenberg, Jacqueline Laurier, Blanche de Montmollin Heusch und Janine Philibert sind mir mit Herzlichkeit, Offenheit und Anteilnahme entgegen gekommen. Einige dieser Frauen engagieren sich trotz ihres hohen Alters noch immer aktiv gegen rechtsextreme und fremdenfeindliche Tendenzen in der heutigen französischen Gesellschaft und setzen damit ein Wirken fort, das sie bereits als junge Frauen ausgezeichnet hat. Aus den vielen Gesprächen ist mir ein Moment besonders in Erinnerung geblieben. In Paris hatte ich eine alte Dame aufgesucht, die aufgrund jüdischer Vorfahren ebenfalls zu den Verfolgten zählte und im Herbst 1942 als Cimade-Mitarbeiterin in die Schweiz fliehen musste. Ich verbrachte mit ihr einen sehr bewegenden Nachmittag. Am Ende dieser Begegnung sagte sie, dass für sie dieses Treffen mit mir, einer Deutschen, im Zeichen einer Versöhnung trotz der leidvollen Vergangenheit stehe. 75.000 Menschen sind allein aus Frankreich dem erbarmungslosen Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer gefallen, nicht allein Franzosen, sondern auch Emigranten und Emigrantinnen sowie Vertriebene, die hier vom Holocaust eingeholt wurden. Ein Forschungsvorhaben über eine Organisation, die in dieser Zeit verfolgten und tödlich bedrohten Christen und Juden beigestanden hat, berührt damit einen besonders schmerzlichen Abschnitt deutsch-französischer Geschichte. Es waren Deutsche, die jene Verbrechen organisiert und durchgeführt haben, oder die schweigend daneben standen und es geschehen ließen. Im Gegensatz zu denen, die meinen, wir hätten uns dieser Vergangenheit in zu großem Maße zugewendet, ist heute leider zu konstatieren, dass Aufarbeitung, Erinnerung und mahnendes Gedenken noch viel zu wenig Fuß in unserer Gesellschaft gefasst haben. Der Rassismus, der die ideologische Grundlage für die monströse

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Vorwort

Ermordung von Millionen Menschen geliefert hat, wirkt offenbar noch immer ungebrochen. Es ist sehr bitter, dass Menschen anderer Hautfarbe im Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur unter größter Angst leben können und vom Tode bedroht sind und dass Juden und Jüdinnen sich einem offenen Antisemitismus ausgesetzt sehen müssen. Vielleicht ist es auch deswegen ein Anliegen, an die Geschichte von jungen Erwachsenen in einer anderen Zeit zu erinnern, die sich mutig und bereitwillig gegen Fremdenhass und Judenfeindschaft gestellt haben. Walsrode, im April 2004

Einleitung Einleitung

Einleitung

Der Widerstand von Menschen, die unter der nationalsozialistischen Herrschaft den Opfern des Rassismus Hilfe geleistet haben, ist in Deutschland lange Zeit nicht gewürdigt worden. Allein oder in kleinen Gruppen haben Frauen und Männer den Bedrängten in Hitlers Europa beigestanden und versucht, sie vor der Verfolgung und Vernichtung zu bewahren. Das durch die Verfilmung von Steven Spielberg weltweit bekannt gewordene Schicksal von Oskar Schindler und seiner Frau Emilia ist nur ein Beispiel für viele Helferinnen und Helfer, die sich mutig gegen Terror und Unterdrückung gestellt haben. Diese Retter haben in das öffentliche Gedächtnis kaum Aufnahme gefunden, und auch die geschichtswissenschaftliche Widerstandsforschung hat sich diesem Bereich im Spektrum oppositionellen Handelns erst spät angenommen.1 Seit etwa einem Jahrzehnt mehren sich die Studien über die couragierten Aktionen der „unbesungenen Helden“. Sie sollen damit für unsere kollektive Erinnerung zurückgewonnen werden als heute noch wichtige und lehrreiche Vorbilder zivilen Ungehorsams und Aufbegehrens gegen ein gesellschaftliches Klima, das von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus bestimmt ist.2 Auch Christen und Christinnen haben Solidarität mit den Opfern totalitärer Staatsgewalt bewiesen und sich oft unter Einsatz ihres Leben um die Rettung von Verfolgten bemüht. Doch selbst innerhalb der Kirchen waren die Taten von Menschen wie Heinrich Grüber, Hermann Maas oder Katharina Staritz über lange Jahre nur wenigen bekannt. Sie haben in Berlin, Heidelberg und Breslau denjenigen unerschrocken Hilfe geleistet, die als Christen und Christinnen jüdischer Herkunft im Deutschland der 1930er und 1940er Jahre aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurden und auch innerhalb der Kirchen kaum noch Aufnahme und Unterstützung erwarten konnten. Vielen christlichen und jüdischen Verfolgten gelang mit der Hilfe des „Büro Pfarrer Grüber“ die Flucht ins rettende Ausland.3 1 Vgl. grundlegend P. STEINBACH, ‚Unbesungene Helden‘; W. BENZ/J. WETZEL, Möglichkeiten. 2 Vgl. u. a. M. PALDIEL, Path; DERS., Gerechte; E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“; E. SILVER, Helden, sowie W. BENZ/J. WETZEL, Solidarität und Hilfe (4 Bände). Der Terminus „unbesungene Helden“ geht auf den Titel einer der ersten Veröffentlichungen zu diesem Thema von K. E. GROSSMANN zurück. 3 Vgl. zur Einrichtung des „Büro Pfarrer Grüber“ E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden –

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Einleitung

Sowohl Heinrich Grüber als auch Katharina Staritz wurden als Folge ihres Engagements verhaftet und in Konzentrationslager verbracht. Während sich die kirchliche Zeitgeschichtsforschung den Taten dieser in Deutschland wirkenden Retter allmählich geöffnet hat, ist bisher kaum der Versuch unternommen worden, über nationale und konfessionelle Grenzen hinweg nach vergleichbarer christlicher Opposition in anderen Ländern des nationalsozialistischen Herrschaftsgebietes zu fragen.4 Joachim Mehlhausen hat bereits 1995 mit Blick auf die theologisch-ethische Motivierung dieses Widerstandes ein breites und noch aufzuarbeitendes Aufgabenfeld kirchlicher Zeitgeschichte entfaltet.5 Gleiches gilt für die Aktivitäten von Frauen innerhalb des konfessionellen Widerstandes in den deutsch besetzten Gebieten, ihre Handlungsmöglichkeiten und Funktionen wurden bisher kaum thematisiert.6 Die vorliegende Arbeit will diesen Fragen am Beispiel von Christinnen und Christen in Südfrankreich nachgehen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht eine junge Organisation, die christlichen Widerstand als gelebte Solidarität mit Verfolgten ausgeübt hat. Das Comité Inter-Mouvements auprès des Evacués wurde 1939 von protestantischen Jugendorganisationen der Reformierten Kirche in Frankreich gegründet, um den aus dem Grenzgebiet evakuierten Elsässern beizustehen. Bald nur noch bekannt unter der Abkürzung CIMADE unterstützte das Hilfswerk, das mehrheitlich von Frauen aufgebaut und entwickelt worden ist, von 1940 bis 1944 die Opfer antisemitischer und fremdenfeindlicher Verfolgung in Vichy-Frankreich und leistete Fluchthilfe in die Schweiz. Die Cimade soll als Teil christlicher Widerstandsgeschichte erinnert werden. Aufgrund der vielfältigen Berührungspunkte mit der allgemeinen wie der kirchlichen Zeitgeschichte ergibt sich ein interdisziplinär anzulegendes Forschungsfeld. Die Faktoren, die die Rettungsmöglichkeiten dieser Organisation bestimmt haben, würden nur unzureichend erfasst, wenn etwa die speziellen Bedingungen ihrer Arbeit unter einer rechtsautoritären Regierung wie dem Regime von Vichy, dessen ideologische Ausrichtung sowie Kollaboration mit den deutschen Okkupanten außer Acht blieben. Ebenso kann die Cimade nicht losgelöst von der Geschichte der ökumenischen Bewegung in der Kriegszeit betrachtet werden. Die Zentralen der ökumenischen Weltjugendverbände wie der Christlichen Vereine Junger Männer und Junger Frauen (CVJM und CVJF) oder des Christlichen StudentenChristen – Deutsche, Bd. 2/II, S. 258ff.; H. LUDWIG, Opfer. Zu Maas E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 2/I, S. 127ff. Zu Staritz vgl. H. ERHART, Theologinnen; H. ERHART/I. MESEBERG-HAUBOLD/D. MEYER, Katharina Staritz. 4 Gleiches gilt für die außerdeutschen nationalen Widerstandsbewegungen überhaupt. A. MEYER, Besatzung, S. 10, spricht von „Ignoranz“ und fordert Anerkennung ihrer Opfer und Motive im öffentlichen Bewusstsein der Bundesrepublik. 5 Vgl. J. MEHLHAUSEN, Widerstand, S. 29. 6 Vgl. B. KUNDRUS, Frauen, S. 490.

Einleitung

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weltbundes (CSW) und der (seit 1939 im Aufbau befindliche) Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf haben die Solidaritäts- und Rettungsarbeit der Cimade von der Schweiz aus begleitet.7 Für die Entwicklung der Cimade ist diese ökumenische Komponente als ein wesentliches Moment herauszustellen. Gleiches gilt für die Verortung innerhalb der reformierten Kirchengeschichte Frankreichs. Bestanden Verbindungen zwischen der Cimade und den leitenden Kirchengremien der Reformierten Kirche und des protestantischen Kirchenbundes, von denen das Hilfswerk im Zusammenspiel mit den staatlichen Behörden profitieren konnte? Welche Rolle spielten sozial- und mentalitätsgeschichtliche Faktoren, die den französischen Protestantismus calvinistischer Prägung auszeichnen? Insbesondere die kollektive Erinnerung an die eigene Verfolgungsgeschichte als hugenottische Minderheit im katholischen Frankreich hat die Christinnen und Christen zur Hilfe für die Unterdrückten veranlasst. Diesem möglichen Movens für oppositionelles Handeln ist für die Mitglieder der Cimade nachzugehen. Grundsätzlich leitendes Forschungsinteresse ist es schließlich, die Geschichte der Cimade als Geschichte von Frauen wiederzugewinnen, die in der Zeit der Faschismen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus eingeschritten sind. Obwohl ihnen die Ausübung staatsbürgerlicher Rechte verwehrt war – das Frauenwahlrecht wurde in Frankreich erst 1945 eingeführt –, übernahmen sie im Engagement für die Verfolgten in kritischer Auseinandersetzung mit einem autoritärem Regime politische Verantwortung. Eine spezifisch feministische Motivation für ihr Handeln – etwa in der Frage nach der eigenen Geschlechtsidentität in Abgrenzung vom reaktionären Frauenbild Vichys – lässt sich auf der Grundlage der vorhandenen Quellen nicht bestimmen und reflektieren. Aber es ist danach zu fragen, inwieweit in der Zusammenarbeit mit den männlichen Mitgliedern eine Loslösung von traditionellen Rollenmustern geschah, die hin zu einer Veränderung des Geschlechterverhältnisses nach dem Zweiten Weltkrieg führen konnte. Dies gilt ganz besonders, als die Cimade wesentlich von einer Frau geprägt wurde, deren gesamtes Leben vom Engagement für ein gerechteres Geschlechterverhältnis und vom Kampf gegen Rassismus bestimmt gewesen ist. Madeleine Barot (1909–1995) war gerade 31 Jahre alt, als sie die Leitung der Cimade übernahm. Die Entwicklung der Organisation hin zu einem Rettungshilfswerk gründet vor allem auf ihrem umsichtigen und tatkräftigen Handeln und auf ihren Führungsqualitäten. Als Generalsekre7 Grundlegend zur Bedeutung der christlichen Jugendorganisationen für die Entwicklung der Ökumene noch immer R. ROUSE, Seiten; zum Christlichen Studentenweltbund P. POTTER/T. WIESER, Seeking and Serving. Einführend in die Geschichte des ÖRK zur Zeit des Nationalsozialismus das Standardwerk von A. BOYENS, Kirchenkampf 1933–1939 u. DERS., Kirchenkampf 1939–1945.

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tärin stand sie von 1940 bis 1953 an der Spitze der Cimade, sie übernahm dann die Leitung des Frauenreferates im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Die vorliegende Arbeit fragt nach möglichen Zusammenhängen zwischen diesen beiden Wirkungsfeldern der Ökumenikerin. Hat Madeleine Barot die praktischen Erfahrungen aus der Cimade-Zeit aufgenommen, als sie in den 1950er und 1960er Jahren versuchte, Konzepte für ein gerechteres Geschlechterverhältnis in Kirchen und Gesellschaft durchzusetzen? Lassen sich diese Konzepte zur Analyse und Reflexion der Geschlechterbeziehungen innerhalb der Cimade heranziehen?8 Mit der Einschreibung der Cimade in die Gruppe der sog. ‚unbesungenen Helden‘ und Heldinnen wird keine Verklärung ihrer Geschichte verfolgt.9 Intendiert ist nicht eine Heroisierung im Stile der frühen Erinnerungsschriften, sondern eine kritische Rekonstruktion ihres Handelns als christlicher Gruppe im Kontext gesellschaftlich-politischer Wirkungsgeschichte. An den verschiedenen Tätigkeitsbereichen und damit auch Entwicklungsphasen, die die Cimade von 1940 bis 1944 durchlaufen hat, lässt sich aufzeigen, wie Christinnen und Christen auf der Grundlage ihres Bekenntnisses versucht haben, gegenüber einer tyrannischen Herrschaft Menschenrechte in Geltung zu bringen. Die Vorgeschichte der Organisation mit ihrer Gründung im Winter 1939 und ihrem Engagement für die seit Kriegsbeginn ins Innere Frankreichs evakuierten Elsässer wird einführend entfaltet. Die der Chronologie des Cimade-Engagements folgende Darstellung fährt sodann fort mit dem Sommer 1940, in dem unter dem Einfluss von Madeleine Barot eine neue Zielbestimmung vorgenommen wurde, die als erster Paradigmenwechsel in der Geschichte des Hilfswerkes bezeichnet werden kann. Mit dem Ende der Dritten Republik und damit unter den Bedingungen des rechtsautoritären Regimes von Vichy beginnt die Cimade, sich den Opfern dieses Regimes in den Internierungslagern zuzuwenden. Diese Lager dienten in der gesamten Südzone dazu, ausländische Juden und Jüdinnen – Flüchtlinge und Vertriebene des Nazi-Regimes – willkürlich entsprechend der antijüdischen Ausnahmegesetzgebung Vichys zu isolieren. Seit Mitte der 1980er Jahre rekonstruieren Historiker und Historikerinnen Aufbau, Organisation und Verwaltung dieses Lagersystems und erinnern an Leben und Sterben der Menschen, die hinter dem Stacheldraht unter erbärmlichen Umständen mit Krankheit und Hunger zu kämpfen hatten. Inzwischen ist diese ohne Druck der deutschen Besatzungsbehörden vorgenommene Internierung 8 Zu Madeleine Barot vgl. folgende biografische Darstellungen: J. BEAUMONT, Barot; A. JACQUES, Barot; W. SIMPFENDÖRFER, Barot. Grundlegend vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79. 9 Vor einem Missverständnis dieser Terminologie warnen auch P. STEINBACH, ‚Unbesungene Helden‘, S. 189 u. 197; W. BENZ/J. WETZEL, Möglichkeiten, S. 14f.

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zehntausender Menschen als ein zentrales Moment für die fremdenfeindliche und antisemitische Ideologie Vichys erkannt und beschrieben worden.10 Die erste Phase der Cimade vom Sommer 1940 bis zum Sommer 1942 war davon bestimmt, diese Ausgrenzung aufzubrechen, sich Zugang zu den Internierungslagern zu verschaffen und als protestantische Organisation mit den Internierten gemeinsam hinter dem Stacheldraht zu leben. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der umfassenden ökumenischen Vernetzung der Cimade: Nur aufgrund ihrer internationalen Einbindung ist es gelungen, in kurzer Zeit in mehreren Lagern Sozialstationen aufzubauen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die psychisch und physisch zermürbende Arbeit zu gewinnen und die Gelder für die vielfältigen Dienste zu sichern. Die Bedeutung des ökumenischen Flüchtlingssekretariates in Genf unter der Leitung des aus Deutschland emigrierten Pfarrers der Bekennenden Kirche, Dr. Adolf Freudenberg (1894–1977), soll dabei genauso herausgestellt werden wie die Kooperation mit den Weltverbänden der Jugendökumene wie den CVJM und den CVJF.11 Ein eigener Abschnitt rekonstruiert die Planung eigener Häuser der Cimade seit Herbst 1941, in die Internierte mit staatlicher Genehmigung verlegt werden konnten. Auf diese Weise wurde im späten Frühjahr 1942 in dem Ort Le Chambon-surLignon inmitten einer traditionell protestantischen Widerstandsregion am Rande des Massif Central ein erstes Heim gegründet, dem bald weitere folgten.12 Hier liegt ein Augenmerk der Untersuchung auf der engen Zusammenarbeit mit Adolf Freudenberg und der Genfer Ökumene, die trotz größter Belastungen die Finanzierung dieser Häuser gewährleistete. Unter den extremen Bedingungen der Internierung kam es zu Kontakten zwischen Christen und Juden, die für einige Protestantinnen und Protestanten in den Lagergemeinden die erste Begegnung mit gelebtem jüdischen Glauben darstellten. Ich möchte mit der Analyse ihrer bemerkenswerten Berichte über gemeinschaftliche Feiern zu jüdischen und christlichen Festtagen, über interreligiöse Bibelarbeiten und Diskussionsrunden an ein Zusammenleben erinnern, das als jüdisch-christlicher Dialog im Schatten der Shoah bezeichnet werden kann. Es lässt sich aufzeigen, dass diese Erlebnisse die Christinnen und Christen zur biblisch-theologischen Reflexion über das 10 Vgl. C. LAHARIE, Gurs; A. GRYNBERG, Camps; D. PESCHANSKI, Vichy; C. EGGERS, L’internement. Vgl. auf deutscher Seite auch die von der literaturwissenschaftlichen Exilforschung ausgehenden Monographien: G. MITTAG, Verdammte; DIES., „Das Ende sind wir“; M. GILZMER, Fraueninternierungslager, sowie die auf breiter Quellenlage basierende historische Arbeit von D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung. 11 Vgl. zu Freudenberg die Aufsatzsammlung, die als vorzügliche Einführung in verschiedene Facetten seines Wirkens für die Ökumene und den Dialog zwischen Juden und Christen zu empfehlen ist: M. STÖHR/K. WÜRMELL, Juden, Christen und die Ökumene. 12 Zur protestantischen Widerstandsgeschichte von Le Chambon-sur-Lignon und anderer Dörfer vgl. LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON.

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Verhältnis zwischen Judentum und Christentum angeregt haben. Die Kehrseiten dürfen jedoch nicht ausgeblendet werden: Dass jüdische Internierte in den christlichen Lagergemeinden der Cimade getauft wurden, stieß auf entschiedene Kritik der französischen Rabbiner. Die Umstände, unter denen sich tausende Juden und Jüdinnen in Europa unter dem Druck der Verfolgung zum Glaubenswechsel entschlossen, sind vielfältig. Im Deutschland der 1930er Jahre bewog die zunehmende rechtliche und gesellschaftliche Ausgrenzung viele zu diesem Schritt. Nicht nur in nationalsozialistischen Hetzblättern, sondern auch in Veröffentlichungen der Deutschen Christen wurden Pfarrer, die Juden in die Kirche aufnahmen, denunziert und geschmäht. Ein Eintreten für die Judenmission bedeutete unter diesen Umständen ein mutiges Bekenntnis gegen die rassistische und antisemitische Ideologie. Die Konversionen in den südfranzösischen Internierungslagern waren indes nur möglich aufgrund der Arbeit von christlich motivierten Hilfsorganisationen hinter dem Stacheldraht und berührten einen sehr sensiblen Bereich in der Interaktion zwischen christlichen Helfern und jüdischen Verfolgten. Evangelische und katholische Organisationen in der Lagerarbeit sahen sich von jüdischer Seite der Frage ausgesetzt, ob sie die Situation von Menschen ausnützten, die sich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit aus Staat und Gesellschaft ausgeschlossen, gedemütigt und drangsaliert sahen. Gemeinhin lässt es die Quellenlage kaum zu, die Perspektive der Konvertiten einzunehmen und ihre Motive zu ermitteln. Es ist daher besonders herauszustellen, dass Erinnerungsberichte und Briefe der konvertierten Gemeindeglieder überliefert sind, die über ihre Gefühle und Beweggründe für den Glaubenswechsel Auskunft geben können.13 Neben diesen neuen Mitgliedern versammelten sich in den kleinen christlichen Gemeinschaften lutherische und anglikanische Protestanten, Katholiken und Orthodoxe. Da Vichy bereits im Oktober 1941 die rassistischen Definitionen der Nürnberger Gesetze übernommen hatte, wurden die Christen mit jüdischen Vorfahren als „Nichtarier“ bezeichnet. Es stellte indes eine Negierung ihres besonderen Schicksales dar, wenn sie auch von der heutigen Historiographie unter ihre jüdischen Leidensgenossen subsumiert würden. Christen und Christinnen jüdischer Herkunft hatten bereits in Deutschland zwischen allen Stühlen gesessen und abgesehen von wenigen Ausnahmen bei ihren Kirchen keine Unterstützung erfahren. Auch bei den stark bedrängten jüdischen Hilfsorganisationen konnten sie nicht auf Auf13 Vgl. insgesamt R. HILBERG, Täter, S. 168ff.; S. ZEITOUN, Ces enfants, S. 189ff. Einen besonderen Fall stellten jüdische Kinder dar, die in katholischen Einrichtungen, in erster Linie in Internaten, versteckt wurden und dort unter dem Einfluss der neuen Umgebung zum Christentum übertraten. Manche erfuhren erst Jahre nach dem Krieg von ihren jüdischen Wurzeln. In sehr eindrücklicher Weise berichtet davon der israelische Historiker Saul Friedländer, der als Junge in einem katholischen Internat in Frankreich Aufnahme gefunden hatte (S. FRIEDLÄNDER, Erinnerung).

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nahme hoffen. Erst in jüngster Zeit wird an diese Menschen verstärkt erinnert und ihrer als „verlassenen Kindern der Kirche“ gedacht.14 Viele von ihnen wurden wie ihre jüdischen Leidensgenossen im Herbst 1940 Opfer der sog. Oktober-Deportation, in deren Folge mehrere tausend Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft aus Südwestdeutschland nach Vichy-Frankreich zwangsverwiesen wurden. Meine Forschungen sind auch geleitet von dem Interesse am Schicksal dieser christlichen Vertriebenen in Vichy-Frankreich und ihres bitteren Weges im Exil. Im deutsch-französischen Kontext will ich die Cimade hier als eine Organisation in die gemeinschaftliche Erinnerung einschreiben, die mit ihrer Arbeit dazu beigetragen hat, dass sich diese Mitglieder der ökumenisch ausgerichteten Lagergemeinden unter den leidvollen Erfahrungen der Internierung als Christen angenommen und in der reformierten Kirche beheimatet fühlten. Frauen haben in kleinen Gruppen die Präsenz der Cimade in den Lagern Vichys gegen staatliche Widerstände durchgesetzt und gestaltet und den Internierten damit unter den demütigenden Bedingungen der Barackenhaft Hoffnung gegeben. Das Leitungskomitee versuchte jedoch auch, männliche Mitarbeiter zu gewinnen. Die Dokumente aus der Aufbauphase bezeugen, dass mit dem Sommer 1941 Männer in die Lagerteams aufgenommen wurden. Die ersten zwei Jahre im Wirken der Cimade sind daher nicht nur als Frauengeschichte wiederzugewinnen, sondern ebenso unter der Perspektive des Geschlechterverhältnisses, der Beziehungen zwischen Männern und Frauen, zu analysieren.15 Leitend ist die Fragestellung nach der in der Cimade praktizierten Teamarbeit, die von Madeleine Barot in der Nachkriegszeit in besonderem Maße als innovativ charakterisiert wurde. Gelang hier tatsächlich eine gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen? Wurde Frauen die Chance eröffnet, etwa im Aufbau der kleinen Lagergemeinden gegen tradierte Weiblichkeitsbilder zu leben und mit der Wahrnehmung von Seelsorge und Wortverkündigung männlich dominierte Arbeitsfelder zu besetzen? Gelang hier ein Modell, das der gängigen geschlechtsspezifischen und hierarchisch organisierten Arbeitsteilung in der Kirche entgegengesetzt werden konnte und über die Kriegszeit hinaus gewirkt hat? Schließlich sind generell die moralischen Implikationen der Arbeit einer Hilfsorganisation unter den Bedingungen eines rechtsautoritären Regimes in Betracht zu ziehen. Die Historikerin Anne Grynberg, die Anfang der 1990er Jahre die erste umfassende Studie zum System der Internierungs14 Vgl. die auf vier Bände angelegte Reihe E. RÖHM/J. THIERFELDER: „Juden – Christen – Deutsche“; U. BÜTTNER/ M. GRESCHAT, Kinder; A. VULETIC, Christen jüdischer Herkunft. 15 Vgl. zur Begriffsbestimmung K. HAUSEN/H. WUNDER, Einleitung, S. 11; ausführlich G. BOCK, Geschichte, S. 379f.; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79.

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lager unter Vichy herausgegeben hat, hat die Arbeit nichtstaatlicher Sozialorganisationen kritisch hinterfragt; Hélène Eck hat aus frauengeschichtlicher Perspektive die Sozialarbeit unter Vichy als speziell weibliches Tätigkeitsfeld dargestellt und ebenfalls auf diese „Ambivalenz des Sozialen“ hingewiesen.16 Um in diesen Lagern helfen zu können, war Kooperation mit dem Unrechtsstaat notwendig. Haben die humanitären Hilfswerke das staatlich verursachte Elend der Internierung mit ihren Mitteln gemildert und damit Vichy geholfen, seine Position gegenüber dem demokratischen Ausland zu verbessern? Inwieweit konnte sich die Cimade auf dieses Dilemma humanitärer Arbeit einlassen, ohne sich zu kompromittieren, aber auch, ohne die Bedürfnisse der zu einem entwürdigenden Leben gezwungenen Internierten zu missachten? In diesem Zusammenhang soll die Arbeit der Organisation von 1940 bis 1942 als staatlich toleriertes Engagement unter bedingter Kooperation mit Vichy charakterisiert werden. Der Sommer 1942 ist als entscheidender zweiter Wendepunkt in der Arbeit der Organisation herauszustellen. Mit dieser Zäsur setzt eine zweite Phase ein, in der die Cimade nicht mehr nur diakonische Sozialarbeit für die Internierten in den verbliebenen Internierungszentren leistete, sondern zusätzlich begann, aktive Fluchthilfe aufzubauen. Die Abfahrt der Deportationszüge aus den südfranzösischen Internierungslagern via Drancy bei Paris nach Auschwitz ist als das entscheidende Moment herauszustellen, das für die Mitglieder der Cimade unbedingten christlichen Gehorsam gegenüber der Obrigkeit unmöglich machte und den Gang in die Illegalität nach sich zog. Ein Schwerpunkt der Darstellung liegt auf der Rekonstruktion der schmerzlichen Ereignisse im Sommer 1942 und der Verstrickung der Hilfsorganisationen in die auch in den südfranzösischen Lagern durchgeführten Selektionen. Mit diesem Zeitpunkt sind die Internierungslager Vichys als „Vorzimmer von Auschwitz“ in das nationalsozialistische Vernichtungssystem einzuordnen.17 Für die Kollaboration Vichys und die Organisation von Verfolgung und Abtransport der Juden und Jüdinnen aus Frankreich durch den deutschen Besatzungsapparat, in erster Linie die Pariser Außenstelle des Reichssicherheitshauptamtes, stellen die Monographien von Michael R. Marrus und Robert O. Paxton sowie von Serge 16 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 194ff.; H. ECK, Französinnen, S. 233ff.; das Zitat S. 233. Im Unterschied zu der in der Bundesrepublik von A. EBBINGHAUS (Opfer) u. a. angestoßenen Debatte um staatliche Fürsorgerinnen und ihre Funktion in der Umsetzung der als sexistisch und rassistisch definierten nationalsozialistischen Sozialpolitik fokussieren die französischen Forscherinnen auf den nichtstaatlichen Sozialdiensten, die beispielsweise auch im Konflikt mit staatlichen Fürsorgeeinrichtungen ein soziales Netz für die Familien der kriegsgefangenen Männer aufbauten oder sich aus humanitären Beweggründen heraus in den Internierungslagern engagierten. Vgl. zur Einordnung der deutschen Diskussion B. KUNDRUS, Frauen, S. 484ff.; 491ff. 17 Vgl. D. PESCHANSKI, Vichy, S. 94ff.

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Klarsfeld noch immer grundlegende und unverzichtbare Standardwerke dar.18 Die Cimade nutzte ihre internationalen Verbindungen mit Genf, um unter dem Deckmantel eines staatlich anerkannten Hilfswerkes eine geheime Fluchtkette in die Schweiz aufzubauen, die bis zum Sommer 1944 benutzt wurde. Es lässt sich ein mit großer Umsicht entwickeltes Fluchthilfenetz nachzeichnen, das aus dem Inneren Frankreichs über mehrere Relaisstationen bis in die Alpenregionen führte und je aufgrund aktueller Entwicklungen – genannt sei nur die Totalbesetzung Frankreichs durch die Deutschen im November 1942 – Änderungen erfuhr. Auf kleinen Wegen haben vor allem Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Cimade insgesamt mehrere hundert Verfolgte über die Berggrenzen geführt. Ihre meist unbekannten Schicksale können anhand verschiedener Dossiers und Listen, die in Genf bzw. bei der Cimade geführt wurden, nachgezeichnet werden. Möglich war die Organisation und Durchführung dieser Fluchthilfe nur durch die Unterstützung des ökumenischen Flüchtlingssekretariates. Es ist ein Ziel dieser Arbeit, Adolf Freudenbergs konspirative und enge Kooperation mit Madeleine Barot auf der Grundlage neuer Quellen zu beleuchten. Die Auswertung der Archivalien des Flüchtlingssekretariates soll zeigen, dass es in erster Linie seinem Wirken zuzuschreiben ist, wenn Kirchen und Ökumene bei der Schweizer Regierung ein Bleiberecht für die Flüchtlinge der Cimade erstreiten konnten. Dieser Aspekt erscheint umso wichtiger, als Freudenberg trotz seiner beachtlichen Verdienste um die Flüchtlinge im Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu Madeleine Barot kaum in das kollektive Gedächtnis der Ökumene eingegangen ist.19 Auch in der protestantischen Kirchengeschichtsforschung in Frankreich steht er allenfalls im Hintergrund. Angesichts der jüngst viel diskutierten Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg und ihrer restriktiven Behandlung und Rückweisung der Flüchtlinge aus Frankreich gilt es daher, seine besondere Leistung für das Rettungswerk der Cimade hervorzuheben.20 Geschlecht als historische Kategorie ist auch für die Analyse der von Frauen und Männern gemeinsam ausgeübten Fluchthilfe vom Sommer 1942 bis zum Sommer 1944 aufzunehmen. Frauen im Widerstand haben nicht nur in der deutschen Forschung über lange Zeit ein Schattendasein geführt, obwohl sie in der kommunistischen und sozialdemokratischen Opposition eine Rolle für die Wiederherstellung von Kontakten spielten, in regimekritischen Gesprächszirkeln ihre innere Unabhängigkeit von der nationalso18 Vgl. M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Juifs; S. KLARSFELD, Vichy–Auschwitz; DERS., Le calendrier. 19 Vgl. K. RAISER, Rettet sie doch!, S. 12. 20 Vgl. einführend J. PICARD, Juden; J. STADELMANN, Umgang; H. KOCHER, Menschlichkeit.

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zialistischen Weltanschauung demonstrierten, in den Widerstandskreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 eingebunden waren, in der Berliner Rosenstraße offen gegen die Deportation ihrer jüdischen Ehemänner protestierten oder Untergrundnetze aufbauten, um Juden und Jüdinnen zu verstecken.21 Christinnen haben im konfessionellen Widerstand als Ehefrauen, Mitarbeiterinnen und Theologinnen am Kampf der Bekennenden Kirche (BK) teilgenommen, haben wie die Pfarrfrau Agnes Wendland Juden im Pfarrhaus versteckt, haben sich wie Margarete Grüber gemeinsam mit ihrem Mann Heinrich oder wie Helene Jacobs für Verfolgte eingesetzt, waren wie die Vikarin Sieghild Jungklaus auf sog. „illegalen“ Pfarrstellen in BK-Gemeinden tätig, lebten wie Katharina Staritz oder die BK-Mitarbeiterin Hildegard Hannemann in ihren Gemeinden solidarisch mit Christinnen und Christen jüdischer Herkunft.22 Sie gingen, wie Helene Jacobs und Katharina Staritz, das Risiko von Verhaftungen ein und mussten damit rechnen, mit Gefängnis bestraft und in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überführt zu werden. Auch in Frankreich hat die Geschichtsschreibung dem oppositionellen Handeln von Frauen lange kaum Beachtung geschenkt. Indem sie z. B. als Verbindungsagentinnen zwischen einzelnen Widerstandsgruppen wirkten oder ihre Häuser als Versteck für alliierte Soldaten zur Verfügung stellten, leisteten sie wesentliche Mitarbeit in der Résistance.23 In anderen Organisationen wie dem jüdischen Kinderhilfswerk (Oeuvre de secours aux enfants) oder den jüdischen Pfadfindern waren Frauen am Aufbau von Fluchtnetzen beteiligt, um die bedrohten Kinder ins neutrale Ausland zu schleusen.24 Für den Widerstand der Cimade im Engagement für die Verfolgten ergeben sich in diesem Zusammenhang mehrere Fragestellungen. Heranzuziehen sind zunächst verschiedene sozialpsychologische Studien, die einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Moralität von Retterinnen und Rettern behaupten. Es ist zu untersuchen, wie Frauen traditionelle Geschlechtsrollenmuster und kulturell und sozial geprägte 21 Vgl. einführend B. KUNDRUS, Frauen, S. 489ff.; C. WICKERT, Dissens; DIES., Diktatur; G. SZEPANSKY, Frauen leisten Widerstand; D. VON MEDING, Mit dem Mut des Herzens; N. STOLTZFUSS, Widerstand. Im Mittelpunkt eines Gesprächszirkels stand die Pädagogin und bekennende Christin Elisabeth von Thadden (1890–1944); vgl. M. RIEMENSCHNEIDER/J. THIERFELDER, von Thadden. Aufgrund einer Denunziation wurde sie neben weiteren Mitgliedern des Kreises verhaftet und hingerichtet. Als eindrückliches autobiografisches Zeugnis für die Rettung von Juden im Berliner Untergrund vgl. R. ANDREAS-FRIEDRICH, Schattenmann. 22 Vgl. die Sammlung von Erinnerungszeugnissen von W. SEE/R. WECKERLING, Frauen im Kirchenkampf; B. SCHRÖDER/G. NÜTZEL, Schwestern. Zu Staritz vgl. die Literatur in Anm. 3; vgl. außerdem I. MESEBERG-HAUBOLD, Widerspruch. 23 Vgl. H. ECK, Französinnen, S. 248ff.; H. R. KEDWARD, Maquis; M. L. ROSSITER, Le rôle, S. 53f.; M. C. WEITZ, Sisters, S. 215ff.; F. HERVE, „Wir fühlten uns frei.“ 24 Vgl. S. ZEITOUN, L’Oeuvre; L. LAZARE, Résistance.

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Erwartungen an weibliches Verhalten ausgenutzt haben, um unter den Augen von Besatzungstruppen agieren zu können. Von Interesse ist zudem, wie sich die in der Cimade praktizierte Teamarbeit in dieser zweiten Phase des Engagements gestaltet hat. Gelang auch im Untergrund ein gleichberechtigtes Miteinander oder müssen die Frauen der Cimade in dieser Phase als „Kampfgefährtinnen im Schatten der Männer“ charakterisiert werden?25 Schließlich steht die Frage nach einer möglichen christlich-theologischen Prägung dieser Retterinnen und Retter im Mittelpunkt. Leonore SiegeleWenschkewitz hat Kategorien entwickelt, mit denen Einstellungen und Änderungen in der Identitätssuche und Identitätsfindung von Christinnen und Christen in der Zeit des Nationalsozialismus aufgezeigt werden können. Mit Hilfe dieser Kategorien soll untersucht werden, ob ein moralischtheologischer Impetus die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Cimade zu ihrem Widerstandshandeln bewegt hat.26 So ist zu bedenken, was sie als Mitglieder einer staatlich tolerierten Hilfsorganisation dazu herausgefordert hat, im Angesicht der Deportationen den Schritt von der Legalität in die Illegalität zu wagen, sich also bewusst gegen die Staatsgewalt zu stellen und risikoreiche Aktionen auf sich zu nehmen, die Verhaftungen, Verhöre und Gefängnisstrafen nach sich ziehen konnten. Die vorliegende Untersuchung geht von der Beobachtung aus, dass die Frauen und Männer der Cimade sämtlich Mitglieder der protestantischen Jugendorganisationen gewesen sind und als Teilnehmer von Seminaren und Tagungen z. B. des französischen Christlichen Studentenbundes in die Diskussion über christliches Widerstandsrecht unter den politischen Bedingungen des Totalitarismus eingebunden waren. Auf diesen Veranstaltungen versammelten sich Laien und Laiinnen, um sich auszutauschen über Form und Bedeutung bekennenden Christseins unter den besonderen politischen Umständen ihrer Zeit. Eine Durchsicht der Vereinszeitschriften zeigt trotz der stets wachen staatlichen Zensur kritische Beiträge, deren Offenheit vielleicht auch Ausdruck der besonderen Tradition des calvinistischen Widerstandsrechtes seit dem 16. Jahrhundert ist. Schriften Karl Barths, die in der Südzone verboten waren und heimlich verbreitet werden mussten, stießen auf großes Interesse.27 In Erweiterung dieses Themas ist auch zu erwägen, inwieweit die jungen Erwachsenen aus der Begegnung mit Barths Mitstreitern, wie dem Schweizer Alttestamentler Wilhelm Vischer, oder mit seinen Schülern und Schülerinnen, wie dem späteren Theologieprofessor und Be25 Vgl. F. HERVE, „Wir fühlten uns frei“, S. 79ff.; einführend H. ECK, Französinnen, S. 248ff.; E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 239ff.; C. GILLIGAN, Stimme; A. REITH, Strom. 26 Vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Ethik, S. 165ff. 27 Vgl. einführend zur Legitimation christlichen Widerstandes im reformierten Christentum J. MEHLHAUSEN, Widerstand, S. 22ff.; zur Bedeutung Barths in der französischen protestantischen Kirche während der 1930er und 1940er Jahre P. BOLLE, L’influence du Barthisme.

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freiungstheologen Georges Casalis, dem ersten Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen Willem A. Visser ’t Hooft oder der Ökumenikerin Suzanne de Diétrich Hinweise auf ein verantwortliches Handeln gewannen, als in ihrem Land Demokratie und Menschenrechte missachtet wurden. In den Mittelpunkt meiner Betrachtungen will ich in diesem Zusammenhang zwei Schriften stellen: Zum einen die 1941 verfassten „Thesen von Pomeyrol“, ein durch die Barmer Theologische Erklärung der Bekennenden Kirche in Deutschland angeregtes Manifest, zum anderen die als Note jointe bezeichnete Deklaration der protestantischen Jugendorganisationen vom September desselben Jahres, die an das Erziehungsministerium in Vichy gerichtet war. Beide Texte sind meines Erachtens als programmatische Grundsatzerklärungen des christlichen Widerstandes in Südfrankreich zu deuten, die Aufschluss über die ethisch-theologische Orientierung geben können. Insgesamt ist es Ziel dieser Arbeit, das oppositionelle Handeln junger Christinnen und Christen in der Cimade als politischen Widerstand wiederzugewinnen. Sie begriffen das Handeln ihrer Regierung Minderheiten gegenüber als Verletzung von Menschenrechten und wandten sich dagegen, indem sie zunächst den Opfern solidarisch beistanden und sodann versuchten, sie unter Einsatz ihres Lebens zu retten. Damit traten sie auf der Grundlage ihres Glaubens aktiv für die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse ein. Die Quellenlage ist für eine wissenschaftliche Bearbeitung des Themas günstig, da nicht nur auf publizierte Erinnerungsschriften, sondern auch auf zeitgenössische Quellen rekurriert werden kann. Aus der Vielfalt der biografischen Zeugnisse hervorgehoben sei eine Sammlung von Berichten ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einiger Schützlinge der Cimade, die erstmals in den 1960er Jahren von Violette Mouchon und Jeanne Merle d’Aubigné unter dem Titel „Les Clandestins de Dieu“ herausgegeben und seitdem mehrfach erweitert bzw. durch andere Veröffentlichungen ergänzt worden sind.28 Sie können nur ausgewählte Bereiche aus

28 J. MERLE D’AUBIGNÉ/V. MOUCHON, Les Clandestins de Dieu. 1989 erschien unter demselben Titel in Paris eine überarbeitete Neuauflage dieser Sammlung. Merle d’Aubigné war Mitarbeiterin im Internierungslager Gurs, Mouchon stand der Cimade von 1940 bis 1944 als Präsidentin vor. Für den französischen Begriff „clandestins“ existiert in diesem Kontext kein exaktes deutsches Äquivalent. Als „clandestinité“ („Heimlichkeit“) wird der Widerstand im Untergrund zwischen 1940 und 1944 allgemein bezeichnet. „Les Clandestins de Dieu“ wären dann als „Die Untergrundkämpfer Gottes“ zu fassen. Vgl. als Lebenserinnerung die Biografie von E. SCHMIDT, Dieu. Schmidt, die erste Frau, die in der Reformierten Kirche Frankreichs zur Pastorin ordiniert worden ist, war für die Cimade ebenfalls im Internierungslager Gurs tätig. Unveröffentlichte Erinnerungszeugnisse finden sich zudem im CIMADE-ARCHIV PARIS (Ordner Violette Mouchon) und im AN PARIS, 72 AJ 287 (Erinnerungen von J. Merle d’Aubigne und André Morel).

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dem Engagement dieser oder jener Mitarbeiterin aufzeigen und haben aufgrund ihrer Kürze eher einen Überblickscharakter. Aber sie werfen individuelle und sehr persönliche Schlaglichter auf das Leben in den Lagern oder die gefahrvollen Rettungsaktionen an der Grenze. Auf die besonderen Schwierigkeiten der Erinnerungsliteratur als historischer Quellengattung ist verschiedentlich aufmerksam gemacht worden.29 Diese Zeugnisse sind post factum entstanden und als autobiografische Darstellungen immer schon interpretierte Vergangenheit. Die beachtliche Validität der Erinnerungssammlung „Les Clandestins de Dieu“ erweist sich jedoch im Vergleich mit den erhaltenen zeitgenössischen Quellen. Die Verfasserinnen und Verfasser haben es zudem auf sich genommen, schmerzliche Erlebnisse nicht zu verdrängen, sondern sie zu vergegenwärtigen und ihre Leser daran teilhaben zu lassen. Ein aufgrund seiner Einfühlsamkeit und Reflexionstiefe besonders hervorzuhebendes Beispiel für diese Art der Memoirenliteratur stellen die Erinnerungen von Laurette Alexis-Monet dar, die sich für die Cimade 1942 und 1943 in den Internierungslagern Récébédou und Nexon engagiert und Internierte zu den Todeszügen nach Drancy und Auschwitz begleitet hat.30 Obwohl Adolf Freudenberg sich um eine Übersetzung von „Les Clandestins de Dieu“ bemüht hat, erreichte diese mit zusätzlichen Beiträgen versehene Ausgabe unter dem Obertitel „Rettet sie doch!“ Ende der 1960er Jahre in Deutschland nur einen kleinen Kreis von Interessierten. Auch die veränderte Neuauflage von 1985 wurde nur von wenigen zur Kenntnis genommen.31 Diese vier französischen und deutschen Editionen eröffnen einen ersten und wichtigen Zugriff auf die Geschichte der Cimade. Als Erinnerungsschriften von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch von ehemaligen Verfolgten sind sie für die kritische historische Würdigung aufzunehmen. Hinzu treten weitere autobiografische Schriften und Aufsätze von Zeitzeugen, die seit den 1970er Jahren für kirchenhistorische Tagungen in Frankreich verfasst wurden und damit an der Grenze zwischen Traditionsquellen und historischer Reflexion einzuordnen sind.32 Zusätzlich existiert ein umfangreiches, wenn auch sehr disparates Quellenspektrum aus der Besatzungszeit in Pariser wie Genfer Archiven. Für 29 Vgl. W. BENZ/J. WETZEL, Möglichkeiten, S. 17; J. E. YOUNG, Beschreiben des Holocaust, S. 56ff. Young geht auf Arbeiten israelischer Historiker der Gedenkstätte Yad Vashem ein, die Erinnerungszeugnisse zu Widerstand und Shoah reflektieren. 30 L. ALEXIS-MONET, Les miradors. Das Werk wurde mit dem Prix de la mémoire de la Shoah ausgezeichnet. 31 A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!. Die durch Kürzungen sowie Ergänzungen bislang unbekannter Erinnerungen veränderte Neuauflage wurde 1985 unter dem Titel „Befreie, die zum Tode geschleppt werden. Ökumene durch geschlossene Grenzen 1939–1945“ veröffentlicht, versehen mit einem Vorwort von Helmut Gollwitzer, dem Schwiegersohn Freudenbergs. 32 Vgl. als Beispiele M. BAROT, Camps d’internement; DIES., Organisations internationales.

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die Genese dieser Arbeit konnten eine Reihe bislang unbekannter Bestände erschlossen werden. Hierzu zählen auf Seiten des Archives des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf (AÖRK) Dokumente der christlichen Jugendökumene, vor allem des Christlichen Studentenweltbundes und des Comité Inter-Mouvements (CIM), der Dachorganisation der protestantischen Jugendwerke in Frankreich. Durch die enge Verbindung des CSW und des CIM mit der Cimade in der Kriegszeit sind hier eine Reihe von Quellen archiviert, die es erstmals erlauben, ein genaueres Licht auf Entstehung und Entwicklung der Cimade zu werfen.33 Weitere Bestände geben im AÖRK Auskunft über die Arbeit des ökumenischen Flüchtlingssekretariates während des Zweiten Weltkrieges. Ihre Ordnung und Verzeichnung war Ende der 1990er Jahre geplant, jedoch noch nicht vorgenommen worden. Zu Hunderten sind hier die Dossiers einzelner Flüchtlinge aufbewahrt, deren Biografien über die Hilfe durch die Cimade in Frankreich, die Organisation und Durchführung der Flucht und die Aufnahme in der Schweiz Auskunft geben.34 Eine Auswertung dieser Handakten zeigt auf, wie Barot und Freudenberg die Untergrundarbeit organisiert und den Fluchtverkehr über die französisch-schweizerische Grenze vorbereitet haben. Gemeinsam mit seiner Frau Elsa hat sich Freudenberg dabei auch privat für die Verfolgten eingesetzt. So lässt sich einzelnen Briefen entnehmen, dass die Wohnung der Familie Freudenberg in Genf für Flüchtlinge über Monate ein sicherer Hafen in bedrohlicher Zeit gewesen ist. Die Geschichte des Protestantismus in Frankreich ist institutionell verankert mit der in Paris ansässigen Société de l’Histoire du Protestantisme Français (SHPF) und ihrer vorzüglichen Bibliothek. Die französische Kirchengeschichtsforschung thematisiert seit mehr als zwei Jahrzehnten verstärkt die Rolle der protestantischen Kirchen und Organisationen in Vichy-Frankreich. So initiierte die SHPF Mitte der 1980er Jahre ein umfassendes Projekt, in dessen Verlauf eine Vielzahl von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen – unter ihnen auch Cimade-Mitglieder – in ganz Frankreich befragt und Dokumente aus Privatarchiven recherchiert wurden. Diese Studien bildeten die Basis für eine 1992 in Paris durchgeführte Tagung, auf der die Ergebnisse eines ersten Jahrzehntes Forschungsarbeit gebündelt und bilanziert wurden.35 Der hierbei leitende Kirchenhistoriker Jacques Poujol stand mir während meiner Forschungstätigkeit in Paris seit 1996 33 Dies ist um so mehr hervorzuheben, als in Frankreich kaum Archivalien der protestantischen Jugendorganisationen erhalten sind. Zugrunde gelegt wurden die Bestände AÖRK GENF: 213.11.7.17 bis 213.11.7.19. 34 Hier werden sie unter der Bezeichnung „Freudenberg-Akten“ geführt. 35 LES PROTESTANTS FRANÇAIS. Vgl. außerdem als Gesamtschau zum protestantischen und katholischen Christentum W. D. HALLS, Politics; É. FOUILLOUX, Chrétiens français.

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nicht nur hilfreich zur Seite, sondern verschaffte mir auch den Kontakt zu dem kleinen Archiv der Cimade, das sich am Sitz der heute noch in Paris tätigen Organisation befindet.36 Quellenbestände, die etwa aus den Sekretariaten der Cimade in Nîmes und Valence erwachsen sein könnten, liegen hier nicht vor. In den Wirren der Befreiung 1944/45 und des Umzuges des Hilfswerkes nach Paris sind viele Dokumente verloren gegangen, anderes ist später durch Brand zerstört worden. Madeleine Barot hat jedoch ihrerseits noch den Boden für eine umfassende Rekonstruktion der Anfangszeit der Cimade bereitet, indem sie eine Vielzahl von Quellen aus ihrem persönlichen Besitz gesichtet und geordnet sowie Mitte der 1990er Jahre dem Archiv der Cimade übergeben hat.37 Auf der Grundlage dieser Berichte, Protokolle, Korrespondenzen und Rechnungsbilanzen aus den Jahren 1940 bis 1942 lässt sich ein wesentlich differenzierteres Bild über die Tätigkeit der Cimade in den Internierungslagern zeichnen, als es die Erinnerungsschriften bisher erlaubt haben. Vor allem die große Zahl von Briefen, in denen die Mitglieder der einzelnen Lagerteams offen und vertrauensvoll ihrer „Patronne“ den Lageralltag beschreiben oder, wie in dem schlimmen Hungerwinter 1941/42, verzweifelt um zusätzliche Unterstützung für ihre Schützlinge bitten, stellen eindrucksvolle Quellen dar. Die Auswertung dieser handschriftlich und meist in großer Eile verfassten Schreiben ist jedoch mühevoll. Eine systematische Ablage hat in den Kriegszeiten nicht stattgefunden, es finden sich daher keine vollständigen Abläufe. Für die historiographische Betrachtung muss folglich ein Mosaik aus einer Vielzahl von Stücken zusammengesetzt werden. Die Bezeugung für das Engagement in den Internierungslagern brach im Cimade-Archiv auffallenderweise mit dem Deportationssommer 1942 ab. Es ließ sich hier zu Beginn meiner Nachforschungen nicht eine Quelle identifizieren, die in die zweite Phase des Hilfswerkes datiert werden konnte. Auch wenn die illegale Arbeit während der Besatzungszeit mit einem Minimum an Schriftverkehr ablaufen musste, um weder bei den Polizeiorganen Vichys noch bei den Einheiten der SS Aufmerksamkeit zu erregen, so hätten doch zumindest von der weiter fortgeführten offiziellen Tätigkeit in den verbliebenen Internierungszentren Schriftwechsel bleiben müssen. Diese unbefriedigende Quellensituation wandelte sich im Herbst 1997, als in den Kellern des Cimade-Gebäudes durch Zufall mehrere Säcke 36 Als Ökumenischer Hilfsdienst in Frankreich bemüht sich die Cimade um politische Flüchtlinge und Asylsuchende und unterstützt Entwicklungshilfeprojekte in mehreren Ländern weltweit. 37 Madeleine Barot starb im Dezember 1995 im Alter von 86 Jahren. Zu der bereits geplanten Begegnung der Verfasserin mit dieser bis ins hohe Alter regen und interessierten Zeitzeugin ist es leider nicht mehr gekommen.

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mit Akten gefunden wurden. Die Herkunft ließ sich nicht eruieren, auch eine Abfolge war kaum zu erkennen, aber es handelte sich ausschließlich um Dokumente der zweiten Phase des Hilfswerkes zwischen 1942 und 1944. Dank der umfassenden Unterstützung durch den Archivleiter André Lemière konnte ich auch diese Archivalien sichten und für die Rekonstruktion der Untergrundarbeit erschließen. Sie mussten als „unverzeichneter Bestand“ in die vorliegende Darstellung aufgenommen werden. Zusätzlich zu den größeren Beständen im AÖRK sowie im Archiv der Cimade und den Sammlungen der SHPF trat eine Reihe weiterer Archive. Das Archiv des französischen Kirchenbundes, der Fédération Protestante, dokumentiert das Zusammenspiel der Cimade mit der Reformierten Kirche. Im Pariser Nationalarchiv konnte ich Erinnerungszeugnisse einzelner Cimade-Mitglieder wie der Sozialhelferin Jeanne Merle d’Aubigné oder des jungen Pastors André Morel ausfindig machen. Schließlich erlaubten es die vorzüglichen Quellenbestände des Centre de Documentation Juive Contemporaine, die Cimade in ihrem Verhältnis zu den jüdischen Flüchtlingshilfen bzw. den anderen Hilfsorganisationen in den Lagern genauer zu beleuchten.

Französischer Protestantismus und ökumenische Bewegung

KAPITEL 1 Französischer Protestantismus und ökumenische Bewegung in Solidarität mit Flüchtlingen unter dem Regime von Vichy

Die politische Situation in Südfrankreich 1940 bis 1944

1.1 Die politische Situation in Südfrankreich von 1940 bis 1944 1.1.1 Vichy – Kollaboration, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus Mit dem 22. Juni 1940 begannen in Frankreich die années noires, die dunklen Jahre unter dem Regime von Vichy und der deutschen Besatzung. Trotz des wochenlangen Widerstandes der französischen Streitkräfte gegen die deutschen Truppen musste die Regierung an diesem Tag um den Waffenstillstand bitten. Damit hatte Frankreich den Krieg mit dem Erbfeind verloren und auf dem westeuropäischen Kontinent existierte keine Demokratie mehr, die der nationalsozialistischen Aggression noch Einhalt gebieten konnte. Die Republik, die seit 1870 bestimmend für die Verfassung von Staat und Gesellschaft in Frankreich gewesen war, wich nun einem Regime, das seinen Weg im neuen Europa in Zusammenarbeit mit den deutschen Machthabern suchen wollte. Zwar wurde die rasche Niederlage im Kampf gegen Deutschland auch von rechten und antiparlamentarischen Politikern als eine nationale Katastrophe und große Schande empfunden. Eine Alternative zur Annäherung an das siegreiche Deutschland erkannten sie jedoch nicht. Zugleich sahen diese rechtskonservativen Kräfte nun den Zeitpunkt gekommen, die bestehende Demokratie abzulösen und eine autoritäre Staatsform zu etablieren, die Frankreich zu neuer Größe führen sollte.1 Die Demontage der Republik konnte um so rascher durchgeführt werden, als in der Gesellschaft kaum mehr eine Basis für ihre Verteidigung zu finden war. Seit Bestehen der Republik war es nicht gelungen, eine 1 Vgl. als grundlegende Gesamtdarstellungen: E. JÄCKEL, Frankreich; W. LOTH, Geschichte Frankreichs; M. O. BARUCH, Vichy-Régime; außerdem die Sammelveröffentlichung von D. PESCHANSKI, Vichy.

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wirksame Integration des bürgerlichen Lagers sowie der sozialistischen und kommunistischen Fraktionen zu erreichen. Die Gegensätze zwischen der Arbeiterschaft, den Beschäftigten im landwirtschaftlichen Bereich, Angestellten und Beamten sowie Industriellen und Bankiers waren unverändert groß. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise, die Frankreich erst in den 1930er Jahren nachhaltig erfasst hatte, und das Aufkommen faschistischer Bewegungen hatten die politische Instabilität noch verstärkt und Reformversuche unmöglich gemacht.2 In der umfassenden Krise des Sommers 1940 gab es somit wenig Vorbehalte, als eine starke Führungspersönlichkeit der zutiefst verunsicherten Gesellschaft neues Vertrauen und Garantien für die Zukunft zu bieten schien, auch wenn dafür demokratische Institutionen aufgegeben werden sollten. Der 84jährige Henri Philippe Pétain (1856–1951), der noch im Mai als erfolgreicher Stratege des ersten Weltkrieges in die Regierung aufgenommen worden war, vermittelte nicht nur weiten Teilen der Bevölkerung diese Zuversicht. Die 1936 gewählte Nationalversammlung gab am 10. Juli 1940 Marschall Pétain mit einer deutlichen Mehrheit den Auftrag zur Neuordnung der Verfassung und leitete damit selbst die Aufhebung der parlamentarischen Demokratie ein. Nur eine Woche später erklärte sich Pétain in autokratischer Manier zum Chef des neuen Etat Français, des „Französischen Staates“ und verschaffte sich mit der Kontrolle über Gesetzgebung und Rechtsprechung eine uneingeschränkte Machtfülle. Die III. Republik war zu Ende gegangen.3 Die Bezeichnung Etat Français täuschte jedoch darüber hinweg, dass die Maßnahmen des Regimes nicht im ganzen Staatsgebiet umgesetzt werden konnten. In einer einschneidenden Bestimmung sah der Waffenstillstandsvertrag die Teilung Frankreichs in mehrere Zonen vor. Einige Departements wurden annektiert und der Norden des Landes mit den wichtigen Industriezentren unterstand den deutschen Besatzungsbehörden in Paris. Allein südlich einer scharf bewachten Demarkationslinie von den Pyrenäen über Dôle und Tours bis auf die Höhe des Jura bei Genf durfte eine französische Regierungsgewalt ausgeübt werden. Nur theoretisch besaß die Regierung die Oberhoheit auch über die besetzte Nordzone. Charakteristisch für die eingeschränkte Souveränität war die Wahl des Regierungssitzes in der politisch unbedeutenden kleinen Kurstadt Vichy am Rande des Zentralmassivs. Das Regime von Vichy versuchte dennoch, eine möglichst vorteilhafte Position an der Seite der Deutschen einzunehmen und auszubauen. Zum Chef des Kabinetts hatte Pétain den rechtskonservativen Politiker Pierre Laval (1883–1945) ernannt, der im Juni und Juli 1940 die Entmachtung 2 Vgl. W. LOTH, Geschichte Frankreichs, S. 74ff.; S. 88ff.; S. 114. 3 Vgl. W. LOTH, Geschichte Frankreichs, S. 114; R. REMOND, Frankreich, S. 320ff.

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des Parlamentes entscheidend beeinflusst hatte und in den ersten Monaten des Regimes sowie in der Phase ab Frühjahr 1942 die Politik von Vichy maßgeblich mitbestimmen sollte. Pétain und Laval waren sich darin einig, dass Frankreich als Partner Deutschlands eine Rolle im nationalsozialistisch beherrschten Europa spielen sollte. Sie hofften, durch ihre Kollaboration mit den neuen Machthabern eine gewisse Unabhängigkeit bewahren zu können, um nach dem Sieg Deutschlands mit diesem europaweit eine neue rechte Ordnung durchzusetzen. Es gelang jedoch weder Laval noch der vom Februar 1941 bis zum April 1942 tätigen Regierung mit Admiral François Darlan im Gegenzug für die Unterstützung vor allem im wirtschaftlichen Bereich Zugeständnisse von der deutschen Seite zu erlangen.4 Es ist das Verdienst des amerikanischen Historikers Robert O. Paxton neben anderen Wissenschaftlern wie Eberhard Jäckel die Kollaborationspolitik von Vichy zwischen 1940 und 1942 anhand neuer Archivmaterialien als eine genuin französische Initiative herausgestellt zu haben, die nicht auf die deutschen Besatzungsbehörden zurückgeführt werden kann. Seit der „Schild-und-Schwert“-Theorie der 1950er Jahre, nach deren Interpretation Pétain als Beschützer der Franzosen im Inneren Frankreichs auftrat, während Charles de Gaulle von außen die Rettung brachte und der Zäsur zwischen einem „guten Vichy“ unter Pétain bis 1942 und einem „schlechten“ unter Laval bis 1944 hat die zeitgeschichtliche Historiographie damit um 1970 eine entscheidende Wende vollzogen.5 Seitdem ist die antijüdische und fremdenfeindliche Politik des Regimes und seine freiwillige Mitarbeit bei der Endlösung durch die Arbeiten von Paxton und Michael Marrus sowie von Serge Klarsfeld zu einer zentralen Frage der Geschichtsschreibung über Vichy geworden. Der Wille zum Ausschluss von Minderheiten wurde als ein konstitutives Merkmal von Vichy erkannt, das seit Sommer 1940, folglich von Beginn an, seine Politik bestimmte.6 An diesen Maßnahmen von Entrechtung, Diskriminierung und Verfolgung entzündete sich jedenfalls bei einer Minderheit der Bevölkerung 4 Vgl. W. LOTH, Geschichte Frankreichs S. 119ff.; D. PESCHANSKI, Vichy, S. 23ff.; G. HIRSCHFELD, Einführung, S. 7–22; R. THALMANN, Gleichschaltung, S. 16ff. Loth zufolge lieferte Frankreich über 40 % aller Einkünfte aus den besetzten Gebieten Europas nach Deutschland. Im Rahmen des Service du travail obligatoire (STO) wurden junge Männer zum Arbeitsdienst nach Deutschland verpflichtet, sie machten schließlich ein Drittel aller männlichen Fremdarbeiter im Deutschen Reich aus. Frauen entgingen aufgrund des Protestes der Kirchen bei Pétain dieser Verpflichtung, mussten jedoch innerhalb Frankreichs in Fabriken arbeiten und wurden schließlich durch die Besatzungsmacht auch zwangseingezogen und nach Deutschland verbracht (vgl. H. ECK, Französinnen, S. 240). 5 Vgl. E. JÄCKEL, Frankreich; R. O. PAXTON, Vichy France. Die Interpretationen der 1950er Jahre wurden bestimmt durch die Arbeiten von R. ARON (v. a. Histoire de Vichy). Vgl. insgesamt den historiographischen Überblick bei D. PESCHANSKI, Vichy, S. 9–16, v. a. S. 10. 6 Vgl. R. POZNANSKI, Vichy, S. 57–76.

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ein ziviler Ungehorsam, der bis zu risikoreichen Widerstandsaktionen gehen konnte. Diese Politik, ihre ideologische Vorbereitung und Umsetzung soll daher im folgenden stärker im Mittelpunkt stehen. Die rechtskonservativen Kräfte in Vichy, die wie Laval schon in den 1930er Jahren versucht hatten, die Republik in eine autoritäre Richtung umzuformen, waren überzeugt davon, dass der moderne Individualismus, der dramatische Geburtenrückgang und der Verfall von Moral und Sitten entscheidend für die Schwächung Frankreichs und die bittere Niederlage gewesen waren. Durch die Freizügigkeit, die Glaubenslosigkeit und den Materialismus unter der III. Republik sei der Einzelne aus seinen natürlichen Zusammenhängen gerissen worden, wie sie mit den traditionellen Werten „Arbeit, Familie und Vaterland“ bestanden hätten. Um Frankreich wieder aufzurichten, galt es nach Meinung Pétains und seiner Ideologen, in einer „nationalen Revolution“ das alte Gleichgewicht wieder herzustellen.7 Verschiedene Gruppen wurden für den Niedergang Frankreichs verantwortlich gemacht. Zu ihnen zählten neben Freimaurern und Kommunisten, die sich nun massiver Verfolgung ausgesetzt sahen, vor allem Ausländer und Juden. Eine moralische Erneuerung sei, so lehrten die Vordenker der „nationalen Revolution“, nur zu erreichen, wenn diese Elemente aus der französischen Gesellschaft ausgeschlossen würden. Hier wirkte sich eine fremdenfeindliche und antisemitische Ideologie aus, die in der rechtsextremen und faschistischen Action française seit dem Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet worden war. Deren Agitation war schon in den 1930er Jahren in Politik und Gesellschaft nicht folgenlos gewesen, und das Weltbild der Action française sollte nun in der rechtskonservativen „nationalen Revolution“ realisiert werden.8 So waren die Initiatoren der judenfeindlichen und xenophoben Gesetzgebung Vichys Vertreter der Action française oder standen ihr zumindest nahe. Sie legten in den sog. Judenstatuten vom 3. Oktober 1940 und vom 2. Juni 1941 den Grund für die Diskriminierung und Entwürdigung von Franzosen und Französinnen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft. Mit einer rassistischen Definition, die noch über die Festlegungen der deutschen Besatzungsbehörden hinausging, wurde diesen die seit der Französischen Revolution währende Gleichberechtigung abgesprochen. Juden wurden aus öffentlichen Positionen, dem Beamtentum und dem Kulturbereich ausgeschlossen, der Zugang zu den Hochschulen für sie mit einem Numerus Clausus belegt.9 Gegen die Flüchtlinge aus dem Ausland, die im Vertrauen auf Asyl in das republikanische Frankreich gekommen waren, 7 Vgl. H. ROUSSO, Révolution nationale; F. MUEL-DREYFUS, l’éternel féminin, S. 32ff. 8 Vgl. EBD., S. 46; D. PESCHANSKI, Vichy, S. 20f. 9 Vgl. zu den Statuten M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Vichy, S. 17–33; S. KLARSFELD, Statuts; R. THALMANN, ‚mise au pas‘, S. 600; D. PESCHANSKI, Vichy, S. 147ff.

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richtete sich eine Reihe von fremdenfeindlichen Bestimmungen, die ihre Internierung in primitiven Barackenlagern zu einem reinen Willkürakt machte.10 Ab Sommer 1942 sahen sich die ausländischen Juden und Jüdinnen einer neuen, weitaus schwereren Bedrohung ausgesetzt. Seit dem Frühjahr waren die Deutschen damit beschäftigt, ihre Pläne zur Vernichtung der europäischen Judenheit auch in Frankreich zu verwirklichen. Vichy befand sich auf dem Höhepunkt der bedenkenlosen Kollaboration, als Laval und Pétain im Juni 1942 auf Druck der Besatzungsbehörden in Paris der Auslieferung der sog. staatenlosen Juden und Jüdinnen aus der unbesetzten Zone zustimmten. Der erste Deportationszug überquerte die Demarkationslinie am 7. August 1942. Das Ziel dieser Züge war das Sammellager Drancy bei Paris, und die Verfolgten traten von dort wenig später den Weg nach Auschwitz an. Der Unwille in der Bevölkerung angesichts der Szenen, die sich an den Bahnhöfen in Pau, Toulouse und anderen südfranzösischen Städten abspielten, und der Protest einiger kirchlicher Repräsentanten hinderte die Deutschen zumindest daran, den Deportationsplan in der gewünschten Geschwindigkeit durchzuführen. Ein entschiedenes Eintreten der Regierung von Vichy auch für die nichtfranzösischen Juden hätte jedoch vermutlich zumindest für einen Teil von ihnen die Rettung bedeutet.11 Die Hoffnung auf der französischen Seite, durch Willfährigkeit bei der Umsetzung der Deportationspläne von den Deutschen etwa eine Erleichterung der Waffenstillstandsbedingungen und eine größere Unabhängigkeit zu erlangen, erfüllte sich nicht. Pétain und Laval mussten im Gegenteil mit ansehen, wie am 11. November 1942 auch die gesamte Südzone von deutschen und italienischen Truppen besetzt wurde.12 Den Anlass gaben militärtaktische Überlegungen der deutschen Heeresführung, denn die alliierte Landung in Nordafrika war erfolgt und machte aus nationalsozialistischer Sicht eine Sicherung der französischen Mittelmeerküste notwendig. Formal blieb zwar die Souveränität Vichys erhalten, da die Deutschen auf die französische Verwaltungs- und Regierungsarbeit angewiesen waren. Eine durchgreifende Besatzung war aufgrund des eklatanten Personal- und Truppenmangels im dritten Kriegsjahr kaum zu leisten. Jedoch unterstand das Regime fortan einer direkteren Kontrolle durch die Besatzungsbehörden. So konnten Einheiten der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) nun auch in der Südzone ihre uneingeschränkte Vollmacht nutzen, um – 10 Eine umfassende Darstellung zur Geschichte der Internierungslager, jedoch mit Blick auf die jüdischen Internierten, bietet bisher allein A. GRYNBERG, Camps (vgl. dort S. 91ff.); außerdem M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Vichy, S. 157ff. 11 Vgl. insgesamt S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 328f.; R. HILBERG, Vernichtung, S. 641–701. 12 Die Demarkationslinie wurde offiziell am 1.3.1943 aufgehoben.

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zu Beginn noch mit Hilfe der französischen Polizei – Razzien auf Juden und Jüdinnen durchzuführen sowie Regimegegner zu verfolgen. Auch französische Staatsangehörige blieben bei der antisemitischen Verfolgung nicht mehr verschont.13 Wirksame Hilfe für die von Deportation bedrohten Menschen konnte nur noch aus dem Untergrund geleistet werden, und hier kam es zu einer beispielhaften Zusammenarbeit von jüdischen und den wenigen christlichen Organisationen, die sich dieser Aufgabe annahmen. In der letzten Phase des Regimes, in der die Deutschen stärkeren Einfluss auf Vichy nahmen und der Etat français sich zunehmend zu einem faschistoiden Polizeistaat entwickelte, war das solidarische Engagement für die Verfolgten mit immer größeren Gefahren verbunden. Die deutschen SS-Verbände wurden schon seit Anfang 1943 in ihren Aktionen von einer französischen Miliz unterstützt, deren Anführer Joseph Darnand den Rang eines SS-Sturmbannführers innehatte. Im September 1943 besetzten deutsche Truppen auch die bisher von den Italienern kontrollierte Zone der südostfranzösischen Alpendepartements.14 Die Hilfsorganisationen mussten sich auf diese veränderte Situation einstellen, Fluchthilfeaktionen über die Schweizer Grenze waren nun mit noch größerer Umsicht zu planen und durchzuführen. Mehrere der jüdischen und christlichen Fluchthelferinnen und -helfer haben ihren wagemutigen Einsatz mit dem Leben bezahlt: Sie wurden mit ihren Schützlingen an der Grenze verhaftet, erschossen oder deportiert. Zugleich mit der Faschisierung des Regimes nahm der innerfranzösische Widerstand immer mehr zu. Anfang 1943 vereinigten sich die verschiedenen großen Widerstandsgruppen in der Südzone unter Führung von Jean Moulin, dem Vertreter de Gaulles in Frankreich, zu den Mouvements Unis de Résistance, am 27. Mai 1943 wurde schließlich in Paris der Conseil national de la Résistance gegründet, der die Widerstandsbewegungen der Nord- und der Südzone zusammenschloss. Die Résistance versuchte zunächst vor allem durch Sabotageakte den Lauf des Regimes und der Besatzung zu stören und Informationen über die Besatzungstruppen nach außen zu übermitteln. Nach der Landung der Alliierten am 6. Juni 1944 an der Küste der Normandie und am 15. August in Südfrankreich nahmen auch die militärisch ausgebildeten Widerstandstruppen der Résistance, die Forces Françaises de l’Intérieur, den Kampf in den Departements auf und erreichten so die vorzeitige Befreiung einiger Regionen.15 13 Vgl. insgesamt M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Vichy, S. 278ff.; zu den Razzien EBD., S. 282. Zum Vorgehen der SS- und Polizeiführung in der Südzone vgl. A. MEYER, Besatzung. 14 Vgl. M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Vichy, S. 290ff.; zur Kollaboration der Vichy-Miliz EBD., S. 307f.; vgl. auch D. PESCHANSKI, S. 32ff.; M. O. BARUCH, Vichy-Régime, S. 164f. 15 Vgl. W. LOTH, Geschichte Frankreichs, S. 122ff.; R. REMOND, Frankreich, S. 381f.; M. O. BARUCH, Vichy-Régime, S. 157ff.; 166f.; M. BAUDOT, Résistance.

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Am 17. August 1944 verließ der letzte von insgesamt 79 Deportationszügen aus Frankreich Drancy in Richtung Buchenwald. Knapp 80.000 Menschen waren auf diese Weise in den Tod gefahren, drei Viertel der in Frankreich lebenden Juden und Jüdinnen hatten überlebt.16

1.1.2 Vichy und die Flüchtlinge: Ausgrenzung durch Internierung Im Sommer 1940 befanden sich noch zehntausende ausländische Flüchtlinge im Süden Frankreichs. Diese Emigrantinnen und Emigranten waren vor der Diskriminierung und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus oder den Repressionen in Francos Spanien geflohen. Die Gewissheit eines sicheren Asyls im republikanischen Frankreich war jedoch nur von kurzer Dauer. Hatte sich ihre Position als nunmehr „feindliche Ausländer“ schon mit dem französischen Kriegseintritt verschlechtert, so unterstanden sie mit der Etablierung von Vichy im Juni 1940 abermals einem rechtsextremen Regime, das sich von demokratischen Prinzipien der Gleichheit und Freiheit und damit auch der Achtung der Menschenwürde losgesagt hatte. Sehr schnell reagierte Vichy mit gesetzlichen Maßnahmen auf die Lage der Vertriebenen und Migranten. Schon am 22. Juli 1940 wurden Revisionskommissionen eingesetzt, die die seit 1927 ausgesprochenen Einbürgerungen überprüfen sollten und die betroffenen Menschen damit wieder zu rechtlosen Ausländern erklären konnten. In den folgenden Wochen zeigte sich, dass die neue Regierung danach trachtete, die „unerwünschten“ Fremden in besonderer Weise zu kontrollieren und zu drangsalieren. Seit dem 3. September 1940 war jeder Ausländer, der nach Ansicht des Regimes eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte, in besondere Lager einzuweisen. Jüdische Flüchtlinge sahen sich mit dem Gesetz vom 4. Oktober 1940 einer doppelten Diskriminierung ausgesetzt, denn sie konnten fortan ohne besondere Verdachtsmomente interniert werden. Eine solche Verfügung drohte den Fremden in den französischen Städten und Dörfern auch, wenn sie nicht mehr für ihren Lebensunterhalt aufkommen konnten. Die Entscheidung über die Einweisungen lag allein bei den Präfekten der einzelnen Departements.17 Das Fundament für das Internierungssystem von Vichy ist jedoch bereits in der III. Republik gelegt worden. Schon im November 1938 war die Einrichtung von Lagern zur strengen Überwachung von Ausländern ge16 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 320ff. Vgl. ausführlich zu den Deportationen aus Südfrankreich Kapitel 6.1 (unten S. 207ff.). 17 Zum gesetzlichen Rahmen und den Motiven für die Internierung vgl. C. LAHARIE, S. 186 u. 191; A. GRYNBERG, Camps, S. 91ff.; D. PESCHANSKI, Vichy, S. 61.

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setzlich möglich gemacht worden. Große Sammellager vornehmlich an den Mittelmeerstränden nahmen ab Frühjahr über 200.000 Menschen auf, die nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges in das Nachbarland geflohen waren. Nach dem Kriegsausbruch im September 1939 kam es zur massenhaften Internierung von Emigrantinnen und Emigranten aus Mitteleuropa, die mit dem Ausbruch des Krieges in Frankreich als Staatsangehörige einer feindlichen Macht betrachtet wurden.18 Die Kollaborateure von Vichy hatten daher nach 1944 formal durchaus Recht mit der Behauptung, die Internierungslager von der III. Republik übernommen zu haben.19 Sie unterließen es jedoch, darauf hinzuweisen, dass die Pervertierung des Systems, seine Ausgestaltung von wenigen großen Lagern zu einer Vielzahl von Internierungsorten und seine Verwandlung zum „Vorzimmer“ von Auschwitz erst nach der Ablösung der Republik erfolgten. Die veränderte Einstellung zur Internierungspolitik nach dem Waffenstillstand zeigt sich auch an der Tatsache, dass seit November 1940 nicht mehr das Verteidigungsministerium die Zuständigkeit über die Lager hatte, sondern diese nun dem Innenressort unterstellt wurden.20 Die Internierung war damit nicht mehr verbunden mit dem Ausnahmezustand des Verteidigungsfalles, sondern wurde zu einem integrativen Teil des politischen Systems. Im Innenministerium wurde zunächst ein „Beauftragter“ für die Internierungslager eingesetzt. Erst im September 1941 kam es zur Gründung einer eigenen Abteilung, der „Generalinspektion der Lager“ (Inspection générale des camps). Zu ihrem Leiter wurde der ehemalige Präfekt André Jean-Faure ernannt.21 Innerhalb der Departements lag die oberste Weisungsbefugnis für alle Belange der Internierungslager in den Händen der jeweiligen Präfekten.22 Triebfeder für die Ausweitung der Internierung war die Ideologie der „nationalen Revolution“. Die unablässige propagandistische Forderung nach dem Ausschluss der ‚Anderen‘, der Fremden und Juden, aus der französischen Gesellschaft fand ihren sichtbaren Ausdruck in dem System der Internierungslager. Dabei ist die Bezeichnung der einzelnen Barackenquartiere in den Lagern als îlots, im Wortsinn „kleine Inseln“, entlarvend. In der Tat isolierte man die ‚Unerwünschten‘ hinter dem Stacheldraht wie in Strafkolonien, und nur wenige Mitglieder der französischen Gesellschaft machten sich die Mühe, die Situation dieser Diskriminierten und Ausgeschlossenen wahrzunehmen. Mit Recht wird daher in der jüngsten fran18 Vgl. B. VORMEIER, Flüchtlinge, S. 217f.; R. THALMANN, Exil, S. 9 u. 13. 19 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 81. 20 EBD., S. 114. 21 EBD., S. 235ff. Darüber hinaus existieren bisher keine Einzelstudien zur Funktion und Verantwortlichkeit der Vichy-Behörden für die Internierungsorte. 22 EBD., S. 114ff.

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zösischen Zeitgeschichtsschreibung die Existenz der Internierungslager als symbolhaft für die von Vichy betriebene Ausgrenzung bezeichnet.23 Somit ging die französische Internierungspolitik in keiner Weise auf Forderungen des Waffenstillstandsvertrages oder Anweisungen der deutschen Besatzungsbehörden in Paris zurück. Es lag nicht in der Absicht der führenden Nationalsozialisten, den Staat von Vichy im Sinne der nationalsozialistischen antisemitischen Ideologie umzubilden. Ihnen war, jedenfalls bis zum Jahr 1942 und dem Beginn der Vernichtungspolitik, wesentlich an der kriegswichtigen wirtschaftlichen Ausbeutung Frankreichs gelegen. Für die antijüdische Politik der Nationalsozialisten bis 1941, die das Konzept einer forcierten Auswanderung verfolgte, spielte die französische Südzone allenfalls eine Rolle als ein bevorzugtes Abschiebegebiet für Juden aus Deutschland und den besetzten oder annektierten Gebieten.24 Das bekannteste Beispiel für eine derartige Zwangsvertreibung ist die unter der Bezeichnung „Oktober-Deportation“ in die Geschichte eingegangene Aktion der Gauleiter Robert Wagner und Joseph Bürckel, in deren Folge im Herbst 1940 etwa 7.650 Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft aus Baden, der Pfalz und dem Saargebiet über die Demarkationslinie in die unbesetzte Zone verschleppt wurden.25 Der Protest der französischen Behörden bei der Waffenstillstandskommission gegen die ihnen „aufgezwungenen“ Juden hatte keinen Erfolg. Die Deportierten aus Mannheim, Karlsruhe, Heidelberg, Freiburg oder Saarbrücken, die ohne jede Vorbereitung am frühen Morgen aus ihren Wohnungen geholt worden waren, fanden sich nach einer mehrtägigen Fahrt hinter dem Stacheldraht von französischen Internierungslagern wieder. Sie erlebten nun den totalen Zusammenbruch ihrer bürgerlichen Existenz und mussten die Entwürdigung und Demütigung des Barackenlebens ertragen.26 Gegen Ende des Jahres 1940 lebten etwa 35.000 Menschen, Opfer der Oktober-Deportation, ehemalige Spanienkämpfer und Emigranten aus der Vorkriegszeit in den Internierungslagern von Vichy-Frankreich.27 Durch die Berichte in der zeitgenössischen Auslandspresse wurden vor allem die qualvollen Bedingungen in dem Lager von Gurs am Rande der Pyrenäen über die Grenzen Frankreichs bekannt. Allein im Winter 1940/41 mussten etwa 1.300 Menschen auf dem Lagerfriedhof bestattet werden. Aber auch an den anderen Internierungsorten wie dem Familienlager Rivesaltes, den „Hospital-Lagern“ Récébédou und Noé bei Toulouse, dem Frauenstrafla23 Vgl. D. PESCHANSKI, Vichy, S. 66. 24 Vgl. R. O. PAXTON, persécution, S. 611f. 25 Vgl. J. TOURY, Entstehungsgeschichte. Vgl. zur Institution der Gauleiter allgemein P. HÜTTENBERGER, Gauleiter. 26 Vgl. die umfassende Sammlung von Berichten Überlebender in: OKTOBERDEPORTATION. 27 Die Zahl nach C. EGGERS, L’internement, S. 61.

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ger Rieucros oder dem Auswandererlager Les Milles bei Aix-en-Provence hofften die Internierten vergebens auf eine angemessene und menschenwürdige Behandlung. Daher erstaunt es nicht, wenn die offiziellen Bezeichnungen für die Internierungslager als „Beherbergungsstätte“ oder „Hospitallager“ von den Insassen als eine Verhöhnung empfunden wurden. Eine Gleichsetzung der französischen Internierungslager mit den Konzentrationslagern unter nationalsozialistischer Herrschaft, vollends mit den Vernichtungslagern im deutsch besetzten Osten, verbietet sich jedoch.28 Die deutschen Konzentrationslager stellten ein Terrormittel zur Herrschaftsdurchsetzung dar, das von einer politischen Polizei organisiert und gehandhabt wurde.29 In den französischen Lagern sahen sich die Internierten dagegen zwar einer Entwürdigung ihrer Persönlichkeit ausgesetzt. Statt durch brutale Arbeit vernichtet zu werden, litten sie in Gurs jedoch eher unter der aufgezwungenen Tatenlosigkeit. Die Torturen aufgrund von Hunger und Kälte, die Ungezieferplagen und die völlig unzureichende medizinische Versorgung waren eher eine Folge der unfähigen und oberflächlichen Administration als eine Konsequenz einer menschenverachtenden Ideologie. Zudem ließ sich das Regime durchaus von Kritik aus dem demokratischen Ausland beeinflussen und akzeptierte die Versuche von jüdischen, christlichen und ausländischen Hilfswerken, die Lebensumstände in den Lagern zu erleichtern. Dennoch ist hervorzuheben, dass für die Emigranten und Deportierten die in Gurs, Rivesaltes und anderen Lagern verbrachten Jahre mit furchtbaren Erfahrungen verbunden waren. Die Zeit schlimmster Bedrohung und Angst sollte jedoch erst mit den Deportationen Richtung Osten im Sommer 1942 einsetzen. Mit der Beschreibung der großen und durch die Exilliteratur auch in Deutschland bekannteren Lager wie Gurs und Les Milles ist das System der Internierung unter Vichy jedoch nur unzulänglich erfasst. Vor allem durch die Einweisung der männlichen Internierten in Zwangsarbeiterkolonnen (Groupes de Travailleurs Etranger, GTE) sank die Zahl der Lagerinsassen bis zum Sommer 1942 um zwei Drittel. Da in die GTE auch noch in Freiheit lebende Migranten eingegliedert wurden, waren schon im Juli 1941 60.000 Männer Opfer dieser Internierung, die Schwerstarbeit in Fabriken, der Forst- und Landwirtschaft und dem Bergbau bedeutete und oft mit noch schlechteren Lebensverhältnissen als in den Lagern verbunden war.30 28 Als eine Ausnahme ist allein das Straflager für Männer in Le Vernet im Departement Arriège herauszuheben; vgl. W. THALHEIM, „Le Dachau français“. 29 Vgl. E. KOGON, SS-Staat, S. 29ff.; W. SOFSKY, Konzentrationslager; K. ORTH, Konzentrationslager. Vgl. dagegen G. BADIA, Camps répressifs. Badia bezeichnete im Beginn der geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung der französischen Internierungsmaßnahmen die Lagerlandschaft in Südfrankreich provokativ als ein „univers concentrationaire“. 30 Vgl. C. EGGERS, L’internement, S. 18–42.

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Neben dieser Verlegung in die Zwangsarbeiterkolonnen bemühte sich die Generalinspektion der Lager schon ab Ende 1941 darum, die „großen“ Lager aufzulösen und kleinere Internierungszentren einzurichten. Dadurch sollte auch bezweckt werden, die katastrophalen Lebensbedingungen zu bessern, da zu hoffen war, dass sich die Unterbringung und Versorgung kleinerer Gruppen von wenigen Hundert Menschen auf befriedigendere Weise bewerkstelligen ließe. Die Einrichtung und Verwaltung der neuen Zentren geschah unter der Federführung des Service social des Etrangers (SSE), dem „Sozialamt für Ausländer“. Vor Kälte und Hunger waren die Migranten jedoch auch in den kleinen Zentren nicht geschützt. Mit der zunehmend kritischen Ernährungssituation in der französischen Bevölkerung wurde auch ihre Versorgung immer schwieriger. Zudem galten sie trotz großzügigerer Behandlung nach wie vor als Internierte und standen unter Bewachung. Vor allem jedoch konnten die verbliebenen jüdischen Insassen auch aus den kleinen Internierungsorten immer noch nach Drancy und weiter in den Osten Europas deportiert werden.31 Wichtig für das Schicksal der Lagerinsassen war daher die Art und Weise, wie die Hilfswerke auf die Änderungen in der Internierungspolitik von Vichy reagierten. Auf einer schmalen Gratwanderung zwischen Legalität und Illegalität brachten es jüdische und christliche Organisationen in der Folge zuwege, nicht nur die so wichtige materielle und seelische Unterstützung zu liefern, sondern zumindest einige Menschenleben vor der Deportation zu retten.

1.1.3 Französinnen unter Vichy Auffallend viele Frauen setzten sich in der christlichen Flüchtlingshilfe für die Internierten in den Lagern ein und gingen ab 1942 in den Untergrund, um illegale Rettungsaktionen durchzuführen. Wie gestaltete sich jedoch die staatliche Frauenpolitik von Vichy, vor deren Hintergrund sich diese Französinnen für ein solches Engagement entschieden hatten? Welchen Platz sollten die Frauen in der Gesellschaft der „nationalen Revolution“ einnehmen und wie sah ihre alltägliche Lebenswirklichkeit aus?32 Zahlreiche Propagandaschriften demonstrieren, dass Vichy die vorrangige Bestimmung der Frau in der Mutterschaft gesehen hat. Die sinkenden Geburtenraten der 1930er Jahre waren vom Regime als ein Grund für das Desaster des Juni 1940 ausgemacht worden. Frauen hatten nun die Auf31 Vgl. zu den Aufnahmezentren des SSE C. EGGERS, L’internement, S. 43–49; A. GRYNCamps, S. 280ff. 32 Einen umfassenden Überblick zu dem Thema ‚Frauen unter Vichy‘ bietet H. ECK, Französinnen. BERG,

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gabe, dem demografischen Niedergang Frankreichs entgegenzuwirken und für eine starke Nation zu sorgen. Um eine Steigerung der Natalität zu erreichen, wurden u. a. Scheidungen gesetzlich fast unmöglich gemacht und Abtreibungshilfe mit dem Tode bestraft. Jüngste Forschungen zur Frauengeschichte unter Vichy haben den Zusammenhang dieses biologistischen Konzeptes mit der Ausgrenzungspolitik gegenüber Fremden sowie Juden und Jüdinnen betont. Beide verfolgten in ideologischer Hinsicht dasselbe Ziel: die Wiederherstellung eines exklusiven und starken Franzosentums.33 Nach Ansicht der Ideologen der „nationalen Revolution“ konnte die Frau allein in der Familie ihrer Pflicht für die Wiederaufrichtung des Landes nachkommen. Die kinderlose und unverheiratete Frau, die ihre Erfüllung im Berufsleben suchen wollte und nach Emanzipation strebte, verweigerte sich ihrer ‚natürlichen‘ Aufgabe und schadete in ihrem schrankenlosen Egoismus der Nation. Die Familie wurde als die Keimzelle des Staates betrachtet und ihrem Wohl und Gedeihen musste die Frau alle ihre Kräfte zuwenden. Ihr Beitrag zum Staatswesen bestand in der Sorge um den Ehemann und in der Erziehung der Kinder. Dieser Zuschreibung zur privaten Sphäre korrespondierte in der Anfangsphase des Regimes eine Reihe von Gesetzen, mit denen Frauen aus dem öffentlichen Erwerbsleben ausgeschlossen werden sollten. So wurde die Anstellung von verheirateten Frauen im Staatsdienst schon im Oktober 1940 verboten, jüngere unverheiratete Angestellte und Beamtinnen sollten dazu angehalten werden, sich einen Ehemann zu suchen. Frauen, die älter als 50 Jahre waren, mussten sich aus dem Berufsleben zurückziehen. Nur die Lage auf dem Arbeitsmarkt zwang die Regierung ab Herbst 1942 dazu, von diesem Gesetz abzugehen. Allein die Heiratsaufforderung an junge Frauen blieb gesetzlich festgeschrieben.34 Als berufliche Aufgabe der Frau förderte der Staat einzig eine Betätigung in der Sozialarbeit, dem traditionell weiblichen Arbeitsfeld. Dabei wurde der eingeschlagene Kurs in der Frauen- und Familienpolitik keineswegs verlassen: In erster Linie ältere, ledige Frauen sollten in Nachahmung der Mütter und Ehefrauen ihre weiblichen Tugenden der Selbsthingabe und Nächstenliebe für Gesellschaft und Vaterland verwirklichen. Wie die verheirateten Mütter im Inneren sollten die Sozialarbeiterinnen von außen für die Wiederherstellung und den Zusammenhalt der Familien, der Garanten der staatlichen Ordnung sorgen und sich in diesem Sinne ihrer „symbolischen Mutterschaft“, so eine staatliche Publikation von 1942, hingeben.35 Die Lebenswirklichkeit der Französinnen unter Vichy war dagegen vor 33 Vgl. M. POLLARD, Women, S. 38f.; zum Zusammenhang mit der Ausgrenzungspolitik ausführlich F. MUEL-DREYFUS, l’éternel féminin, S. 105–115. 34 Vgl. M. BORDEAUX, Femmes, S. 140ff.; außerdem M. POLLARD, travail féminin. 35 Vgl. vor allem F. MUEL-DREYFUS, l’éternel féminin, S. 213 (EBD. auch das Zitat); H. ECK, Französinnen, S. 233f.

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allem durch die Entbehrungen aufgrund von Krieg und Besatzung geprägt. Viele Frauen mussten in der Tat ihre Kraft ganz auf ihre Familien konzentrieren, denn fast eine Million Männer befanden sich bis Kriegsende in den deutschen Gefangenenlagern. Angesichts der immer gravierenderen Lebensmittelknappheit war es keine leichte Aufgabe, die tägliche Versorgung zu gewährleisten. Die wachsende Unzufriedenheit mit dieser Situation entlud sich daher ab 1942 auch in Demonstrationen von Hausfrauen, die von Kommunistinnen organisiert wurden. Über diesen zivilen Ungehorsam hinaus gingen dagegen Solidaritätsaktionen für Regimegegner und Juden, wenn z. B. Mitarbeiterinnen in kommunalen Behörden falsche Papiere ausstellten.36 Frauen als Widerstandskämpferinnen wurden in der Historiographie der Résistance lange vernachlässigt, obwohl sie sich nicht weniger Gefahren aussetzten und mit ihren Aktionen das Risiko von Verhaftung, Gefängnis, Folter und Deportation ebenso auf sich nahmen wie die Männer. Erst in jüngster Zeit wird die zentrale Rolle, die Frauen als Verbindungsagentinnen der einzelnen Netze und in der Aufnahme von verfolgten Mitgliedern der Résistance spielten, in den Vordergrund gerückt. Sie begleiteten alliierte Soldaten von einem Versteck zum nächsten, um sie aus Frankreich zu schleusen und vor der Kriegsgefangenschaft zu bewahren. Sie waren, wenn auch in geringer Zahl, Mitglieder bewaffneter Gruppen oder leiteten selbst Untergrundorganisationen.37 Sie engagierten sich in der ‚Résistance intellectuelle‘, indem sie wie Renée Bédarida für das christliche Untergrundblatt Cahiers du Témoignage Chrétien die Verteilung der fertig gestellten Exemplare übernahmen oder wie Charlotte Delbo für die Lettres françaises Texte verfassten und redigierten.38 Innerhalb des jüdischen Widerstandes versuchten sie das Überleben der jüdischen Gemeinschaft zu sichern und wie die OSE-Mitarbeiterin Marianne Cohn bedrohte Kinder ins Ausland zu bringen.39 Auch Widerstandskämpferinnen entgingen nicht der Verfolgung, für viele endete ihr mutiges Engagement in den deutschen Konzentrationsund Vernichtungslagern wie Ravensbrück oder Auschwitz.40 Die Frauen im protestantischen Widerstand der Cimade machten vor diesem Hintergrund nur eine kleine Minderheit aus. Sie kämpften in erster Linie für die Rettung von Menschenleben und arbeiteten dabei auch zusammen mit jüdischen wie katholischen Organisationen. Inwieweit sie den 36 EBD., S. 235, 242f., 246f. 37 Vgl. H. ECK, Französinnen, S. 248ff.; außerdem H. R. KEDWARD, maquis; M. L. ROSSITER, Le rôle, S. 53f.; M. C. WEITZ, Sisters, S. 215ff. 38 Vgl. EBD., S. 181ff.; C. DELBO, Trilogie, S. 497ff. 39 Vgl. S. ZEITOUN, Oeuvre, S. 169ff. 40 Vgl. R. FRÖBE/C. FÜLLBERG-STOLBERG, Résistance, S. 197ff.; außerdem die sehr bewegenden Erinnerungen von C. DELBO an ihre zweijährige Lagerzeit in Auschwitz (DIES.; Trilogie).

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Rollenerwartungen des Regimes entgegenkamen oder aber diese sogar nutzten, um ihre illegalen Aktionen durchführen zu können, wird zu klären sein. Der französische Protestantismus

1.2 Der französische Protestantismus 1.2.1 Eine religiöse Minderheit in Frankreich Am Ende des Zweiten Weltkrieges bekannten sich 800.000 Gläubige in Frankreich zum Protestantismus. Sie machten damit weniger als 2 % der Bevölkerung aus. Etwa ein Viertel von ihnen lebte im lutherisch geprägten Elsass, der einzigen Region in Frankreich, die aufgrund ihrer historischen Entwicklung eine protestantische Volkskirche ausgebildet hatte.41 Die überwiegende Mehrheit der evangelischen Christinnen und Christen in Frankreich entstammte jedoch der reformierten Tradition. Sie hatten seit dem 19. Jahrhundert mit insgesamt etwa 400.000 Mitgliedern drei unterschiedliche Gliedkirchen geformt, die sich 1938 zur Reformierten Kirche von Frankreich (Eglise Réformée de France, ERF) zusammenschlossen. Ein presbyterial-synodales System kennzeichnete die Verfassung der ERF: die Gemeinden wurden von einem Konsistorium geleitet, das aus 12 Ältesten und dem Pastor gebildet wurde. Die regionalen und die nationalen Synoden waren für die Fragen der Stellenbesetzung und Lehrentscheidungen zuständig. Traditionell bestanden enge Kontakte zwischen den reformierten Kirchen in Frankreich und dem Schweizer Protestantismus; noch im 20. Jahrhundert war diese historische Verbindung lebendig. Schweizer Pastoren wie Roland de Pury (1907–1979) wirkten zwischen 1940 und 1944 in französischen Gemeinden, Theologiestudierende wie die Cimade-Mitglieder André Dumas und Janine Veil suchten die theologischen Fakultäten in der Schweiz zu einem weiterführenden Studium auf. Von besonderer Bedeutung war diese konfessionelle Solidarität in Zeiten der Verfolgung. Sowohl im 16. als auch gegen Ende des 17. Jahrhunderts suchte sich eine Vielzahl französischer Glaubensflüchtlinge über Hochsavoyen, den Genfer See oder den Jura in die Schweiz zu retten, und es war diese Tradition, die die reformierte Kirche zwischen 1942 und 1944 wieder aufnahm, als sie die heimlichen Grenzpassagen zur Rettung verfolgter Flüchtlinge, Protestanten wie Juden, auf ebendiesen Fluchtwegen unterstützte. Die Unterdrückung, der der französische Protestantismus über lange Zeit ausgesetzt war, hatte tief gehende Wirkungen auf seine Identität. Madeleine Barot sprach von den „Narben“, die diese Geschichte der hugenottischen Ver41 Vgl. F. HARTWEG, Protestantismus.

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folgung hinterlassen hat.42 Im kollektiven Gedächtnis hatte und hat diese Erinnerung einen besonderen Platz, der das widerstehende Handeln in der Gegenwart der 1940er Jahre motivierte. In dieser Erinnerungskultur war das Beispiel von Frauen und Männern, die sich in der Geschichte des französischen Protestantismus als Glaubenszeugen einen Namen gemacht hatten, von besonderer Wichtigkeit. Angehörige des Hauses von Navarra in den Pyrenäen spielten hier in der Zeit von Reformation und Gegenreformation eine Rolle. Während der blutigen Verfolgung der Reformierten und der sich anschließenden erbitterten militärischen Auseinandersetzung in den Religionskriegen zwischen Katholiken und Protestanten hatten Frauen vom Hofe in Navarra wie Margarete von Navarra (1492–1549) oder ihre Tochter Johanna d’Albret (1528–1572) Flüchtlingen Schutz gewährt und waren aktiv für das reformierte Bekenntnis eingetreten. Dieser Familie entstammte auch der französische König Heinrich IV. (1553–1610), unter dem mit dem Edikt von Nantes 1598 für die Protestanten eine knapp hundert Jahre währende friedvolle Phase von Anerkennung und gewisser Gleichberechtigung eingeleitet wurde.43 Noch nachhaltiger prägten den französischen Protestantismus jedoch die Repressionen, denen die evangelischen Gläubigen im Absolutismus unter Ludwig XIV. ausgesetzt waren. Im Zuge einer neuen Religionspolitik, die auf eine einheitliche Nationalkirche abzielte, wurde 1685 das Toleranzedikt von Nantes aufgehoben; die protestantischen Gläubigen wurden gezwungen, zum Katholizismus zu konvertieren. Protestantische Kultausübung war nur noch im Untergrund möglich, Gottesdienste wurden in unzugänglichen Gegenden wie dem Bergmassiv der Cevennen, in Wäldern und Höhlen gefeiert. Ludwig XIV. ließ alle reformierten Kirchen zerstören und stellte Auswanderungsversuche unter schwere Strafe. Die Erinnerung an die Frauen und Männer, die trotz jahrzehntelanger Kerkerhaft oder Sklavenarbeit auf den Galeeren dem staatlichen Druck auf ‚Bekehrung‘ zum Katholizismus widerstanden, ist im französischen Protestantismus bis heute lebendig. Hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang die Hugenottin Marie Durand, die mit einigen Leidensgenossinnen von 1738 bis 1768 in der Festung Tour de Constance in Aigues-Mortes in der Provence eingekerkert war. Ebenso sind die Erfahrungen von Flucht und Exil im kollektiven Gedächtnis verankert, denn mehreren Hunderttausend Hugenotten gelang es, sich in den kommenden Jahren über das Meer oder die Westalpen ins Ausland zu retten.44 Die solidarische Haltung zu den Emigranten und Exilierten im Frankreich der 1940er Jahre war auch durch dieses Erbe bestimmt. 42 Zu den Fluchtwegen im 17. Jahrhundert vgl. R. SCHEURER, Hugenottenflüchtlinge; vgl. auch Barots Ausführungen in: M. BAROT, camps d’internement, S. 294. 43 Vgl. I. MIECK, Frühe Neuzeit, S. 135f.; A. GREWE, Margarete von Navarra. 44 Vgl. I. MIECK, Frühe Neuzeit, S. 197f. Vgl. auch P. JOUTARD, 1685, S. 11–25.

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Der französische Protestantismus konnte somit in seiner Geschichte im Gegensatz zu den Glaubensschwestern und -brüdern in den deutschen Staaten kaum auf den nachhaltigen Schutz des Landesherrn vertrauen. Während sich vor allem in Preußen ein enges Verhältnis von Thron und Altar entwickelt hatte, in dessen Tradition die Kirche im Zeitalter von liberalem Aufbruch und Bürgerrevolution als Hüterin restaurativer Tendenzen auftrat, war für den Protestantismus in Frankreich die Bekenntnisfreiheit wesentlich mit dem Aufbruch der demokratischen Bewegung verbunden. Erst mit der Französischen Revolution und der Erklärung der Menschenrechte konnte eine religiöse Minderheit in Frankreich ohne Furcht vor Verfolgung offen zu ihrem Glauben stehen. Die Protestanten waren daher vor allem demokratischen Regierungen als Garanten dieser Toleranz sehr zugetan. Um der katholischen Vorherrschaft zu begegnen, wurde selbst der unter der III. Republik seit 1871 geförderte Laizismus begrüßt, und Protestanten waren auf der Regierungsebene an der Vorbereitung des Gesetzes beteiligt, das 1905 die Trennung von Kirchen und Staat verfügte. In der nun folgenden Zeit der Reorganisation schlossen sich die verschiedenen reformierten und lutherischen evangelischen Kirchen 1909 in einem protestantischen Kirchenbund, der Fédération protestante, zusammen. Besondere Konturen erhielt der Kirchenbund zwischen 1929 und 1961 unter seinem reformierten Präsidenten Pastor Marc Boegner (1881–1970). Boegner ist als eine der prägenden Gestalten der französischen Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts zu betrachten. 1938 wurde er zum Präsidenten der neu vereinigten Reformierten Kirche Frankreichs gewählt und leitete in dieser Funktion wie auch als Präsident des Kirchenbundes den französischen Protestantismus in der Zeit von Krieg und Besatzung.45 Seit Beginn der 1930er Jahre hatten die evangelischen Christinnen und Christen in Frankreich die Entfaltung der nationalsozialistischen Herrschaft im Nachbarland mit kritischer Aufmerksamkeit verfolgt. Kirchliche und theologische Zeitschriften informierten über den deutschen „Kirchenkampf“ und die Ereignisse wurden in den Gemeinden diskutiert. Ein Widerstandspotenzial wurde dabei vor allem in Kreisen gelegt, die sich von der Theologie Karl Barths und der Bekennenden Kirche prägen ließen oder sich dem religiösen Sozialismus zurechneten. Der Theologe Pierre Maury hatte seit 1933 durch seine Übersetzungen die Schriften Barths in Frankreich einem breiteren Publikum bekannt gemacht. Die Periodika Foi et Vie und Hic et Nunc machten vor diesem theologischen Hintergrund ebenso auf die Gefahren des Nationalsozialismus aufmerksam wie das 45 Vgl. M. LIENHARD, Frankreich, S. 380ff.; F. HARTWEG, Protestantismus, S. 151. Angaben zu Boegner bei J. D. FISCHER, Boegner, S. 279–287; R. MEHL, Boegner, S. 113ff.; P. BOLLE, Boegner.

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Publikationsorgan des religiösen Sozialismus in Frankreich Le christianisme social.46 Dennoch entwickelte auch der französische Protestantismus in der ersten Phase des Regimes keine Widerstandshaltung. Die rasche Niederlage im Kampf gegen das Deutsche Reich im Sommer 1940 war auch für die meisten protestantischen Christinnen und Christen schockierend, und wie die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung blickten sie zutiefst verunsichert und verzweifelt in die Zukunft ihres Landes. Sie sahen in Pétain einen Anker in der Haltlosigkeit, und die positiven Gefühle gegenüber dieser Integrationsfigur hielten lange an.47 Nur wenige Stimmen mahnten wie der Pastor Roland de Pury in Lyon zur Wachsamkeit gegenüber dem Staat oder kritisierten wie Karl Barth den Rückzug der französischen Protestanten in private Frömmigkeit.48 Dr. Willem A. Visser ’t Hooft, der Generalsekretär des im Aufbau befindlichen Ökumenischen Rates der Kirchen mit Sitz in Genf, bemerkte daher 1941 kritisch, dass es zu einem öffentlichen Bekenntnis der protestantischen Kirchen gegen die nationalsozialistischen Besatzer und gegen das Regime von Vichy im Gegensatz zu den Kirchen in den Niederlanden oder in Norwegen bisher nicht gekommen sei.49 Auf der Ebene der Kirchenleitung vertraute Boegner darauf, durch seine Beziehungen zur Regierung von Vichy und sein Verhältnis zu Pétain Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Zwar kritisierte er daher im Auftrag des Nationalrates (Conseil national) der ERF in persönlichen Briefen an Pétain und in Gesprächen mit Regierungsmitgliedern die antisemitische Gesetzgebung. Einen offiziellen und öffentlichen Protest des protestantischen Kirchenbundes oder anderer evangelischer Institutionen gab es aber zunächst nicht. Vor diesem Hintergrund ist besonders hervorzuheben, dass der französische Kirchenbund und die Reformierte Kirche die Not der Flüchtlinge und Vertriebenen unter Vichy von Beginn an wahrnahmen und sich aktiv für diese Migrantinnen und Migranten einsetzten. Schon 1938 war mit Unterstützung ökumenischer Organisationen in Genf ein Flüchtlingskomitee gegründet worden, das sich seit Herbst 1940 als Aumônerie Protestante Pour les Etrangers en France unter dem Pfarrer Pierre-Charles Toureille den Sorgen der oft in Elend lebenden Exilierten in Kleinstädten und Dörfern der Südzone widmete.50 Aber auch die Cimade fand mit ihrer Arbeit für 46 Vgl. P. BOLLE, Barthisme; P. CABANEL, christianisme social. 47 Vgl. P. BOLLE, mouvements, S. 162ff.; F. BOULET, l’opinion protestante, S. 418ff. 48 Vgl. P. BOLLE, voix protestants. Barth richtete sich im Oktober 1940 mit einem Brief an die protestantischen Gemeinden in Frankreich, der jedoch nur noch unter der Hand verbreitet werden konnte (vgl. den Text in: K. BARTH, Schweizer Stimme, S. 152f.). 49 Vgl. P. BOLLE, Texte, S. 186. 50 Vgl. P. BOLLE, réfugiés allemands et autrichiens, S. 61–65; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 178ff.; S. 239. Toureille war bereits in den 1930er

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die „Unerwünschten“ der „nationalen Revolution“ in den Internierungslagern großen Rückhalt bei Marc Boegner als Präsidenten des Kirchenbundes und der ERF. Mit der Verschärfung der antijüdischen Maßnahmen ab Sommer 1941 und den Versuchen des Staates, die konfessionellen Jugendorganisationen zu vereinnahmen, trat die repressive und antiliberale Ausrichtung des Regimes immer deutlicher zu Tage. Das Vertrauen, das der Protestantismus Vichy vor allem in der Person des verehrten Marschalls Pétain entgegengebracht hatte, schwand zunehmend. In den ‚Thesen von Pomeyrol‘ formulierten daher kritische Laien und Theologen, 11 Männer und 3 Frauen, im September 1941 ihre Bedenken gegenüber einem Regime, das die Menschenrechte mit Füßen trat und sich durch Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus auszeichnete.51 Als Vichy im August 1942 dazu überging, Juden und Jüdinnen nicht mehr nur zu diskriminieren, sondern sie den Deutschen auszuliefern, mobilisierte dies viele Protestanten zu oppositionellen Aktionen. Dies galt nicht nur für die repräsentativen Gremien wie den Nationalrat der Reformierten Kirche, der sich am 22. September 1942 in einer Erklärung an die Gläubigen öffentlich scharf gegen die Deportationen aussprach52, sondern auch für die protestantische Bevölkerung. Regionen mit mehreren protestantischen Gemeinden wie die Cevennen oder das Plateau Vivarais-Lignon mit dem Dorf Chambon-sur-Lignon wurden zu Widerstandsgebieten, in denen verfolgte Juden und Jüdinnen Aufnahme fanden und bei Razzien versteckt wurden. Und nicht selten handelte es sich bei dem Unterschlupf in den Waldgebieten um einen alten Zufluchtsort, den die Hugenotten schon im 17. Jahrhundert auf der Flucht vor staatlicher Repression benutzt hatten.53

1.2.2 Jugendorganisationen im französischen Protestantismus Die Jahre zwischen 1939 und 1945 werden in der Forschung als die Hochphase in der Geschichte der konfessionellen Jugendorganisationen bezeichnet.54 Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die großen laizistischen und Jahren als Erster Sekretär für Frankreich in der ökumenischen Jugendkommission und als Generalsekretär für Frankreich im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen aktives Mitglied der Ökumene (vgl. P. BOLLE, Toureille; H. DAM, Weltbund, S. 279; 363). 51 Vgl. P. BOLLE, Thèses (die Thesen selbst sind EBD., S. 172–174 dokumentiert). 52 Vgl. P. BOLLE, Les protestants et leurs églises, S. 188 u. 195. 53 Vgl. P. HALLIE, Dass nicht unschuldig Blut vergossen werde; zum Beginn der wissenschaftlichen Aufarbeitung den Sammelband LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON. 54 Vgl. G. CHOLVY, Mouvements de jeunesse chrétiens, S. 85–89.

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christlichen Jugendorganisationen einen Aufschwung erlebt, auf den die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen wie politische Parteien, Gewerkschaften und Kirchen mit der Erweiterung ihrer Jugendarbeit reagierten. Das Regime von Vichy sah in den säkularen wie den konfessionellen Jugendorganisationen das erste Instrument zur Durchsetzung der „nationalen Revolution“. Sie sollten „nach dem Willen des Marschalls aus der französischen Jugend eine nationale Jugend machen, die dazu entschlossen ist, in Frankreich für einen starken Staat . . . einzutreten“.55 Obwohl von staatlicher Seite verschiedene neue petainistische Jugendorganisationen, wie z. B. die Compagnons de France und die Chantiers de la Jeunesse gegründet wurden, kam es nicht zu einer totalitären Erfassung der französischen Jugend in einer Einheitsbewegung ähnlich der Hitlerjugend. Der repressive Charakter der Jugendpolitik unter Vichy zeigte sich jedoch in dem frühzeitigen Verbot jeglicher Jugendarbeit der politischen Linken.56 Die christlichen Organisationen mussten die Nähe zu Vichy suchen: Sie waren abhängig von der Anerkennung durch das neugegründete Sécrétariat nationale à la jeunesse, das dem Erziehungsministerium unterstellt war, denn nur dann konnten sie auf weitere finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates hoffen und ihre Arbeit relativ ungehindert fortsetzen.57 Die weitaus meisten Vertreterinnen und Vertreter der christlichen Jugend beim Generalsekretariat in Vichy entstammten den katholischen Organisationen. Entsprechend der gesellschaftlichen Repräsentanz des Katholizismus organisierten die katholischen Jugendorganisationen ungleich mehr Mitglieder als die protestantischen. Schätzungen gehen von etwa einer Million aus, die sich neben den Pfadfinderbünden der katholischen Landjugend (Jeunesse agricole chrétienne, JAC), der Arbeiterjugend (Jeunesse ouvrière chrétienne, JOC), den katholischen Studierenden (Jeunesse étudiante chrétienne, JEC) und weiteren Vereinigungen angeschlossen hatten.58 Ihr Dachverband war die 1886 gegründete Action catholique de la jeunesse française (ACJF). Die protestantische Kirchengeschichtsforschung hat sich bisher vor allem der christlichen Jugendarbeit in der Südzone zugewendet. Da die autonomen konfessionellen Jugendorganisationen in der Nordzone von den deutschen Besatzungsbehörden verboten worden waren, konnten sie nur im 55 Rundschreiben des Generalsekretariats für die Jugend im Erziehungsministerium vom 29.8.1942 (SHPF PARIS, DT Mouv, Übersetzung U. G.; Hervorhebung im Original). 56 Zu den Compagnons und den Chantiers vgl. P. GIOLITTO, Jeunesse, S. 514; EBD. S. 496f. zum Verbot von Jugendorganisationen. 57 Vgl. B. COMTE, Les organisations de jeunesse, S. 410f.; 416. 58 Vgl. W. D. HALLS, Politics, S. 287ff. Die statistischen Angaben differieren, so spricht Halls 1981 von mehr als zwei Millionen Mitgliedern der Jugendorganisationen (vgl. DERS., Youth, S. 148).

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Süden relativ unbehelligt weiter existieren. Diese Situation änderte sich auch nach dem Fall der Demarkationslinie im März 1943 kaum, denn die protestantische Jugendarbeit konnte im Norden nach wie vor allenfalls unter dem Dach der Kirchengemeinden durchgeführt werden.59 Die fünf protestantischen Jugendverbände umfassten in der Südzone im Sommer 1940 ungefähr 25.000 Jugendliche und junge Erwachsene.60 Die Christlichen Vereine Junger Männer (Unions Chrétiennes de Jeunes Gens, UCJG) und die Christlichen Vereine Junger Frauen (Unions Chrétiennes de Jeunes Filles, UCJF) blickten zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine längere Tradition zurück. Die UCJG waren schon 1855 entstanden, 1894 hatten verschiedene Aktivistinnen einer christlichen Frauen- und Mädchenarbeit die UCJF gegründet. Beide Vereinigungen engagierten sich während des Ersten Weltkrieges in der karitativen Arbeit für Verwundete, Kriegsgefangene und Soldatenfamilien. Als die von England kommende Pfadfinderbewegung seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch Frankreich erfasste, bildeten sich in den UCJG und in den UCJF Untergruppen, die bald die Gründung eigenständiger Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbünde zur Folge hatten. Die Eclaireurs Unionistes (E. U.) gingen 1911 auf diese Weise aus den UCJG hervor. Sie betonten die Differenzen zu den laizistischen und anderen konfessionellen Pfadfinderverbänden.61 Die protestantischen Pfadfinderinnen schlossen sich dagegen mit ihren ‚neutralen‘ und jüdischen Schwesterverbänden zusammen und bezeichneten sich als protestantischen Zweig (Eclaireuses Unionistes) der Fédération Française des Eclaireuses (FFE). Ihr erster Nationalkongress fand 1920 in Lyon statt.62 Die Verbindung zu den Mutterverbänden der UCJG und UCJF war noch in den 1940er Jahren sehr eng. Oft gehörten die Leiterinnen und Leiter in Personalunion beiden Organisationen an und Doppelmitgliedschaften waren nicht selten. Etwa 12.500 junge Menschen waren 1940 in den beiden protestantischen Pfadfinderbünden engagiert, die UCJG zählten 4.000 bis 6.000, die UCJF 4.000 bis 5.000 Mitglieder. Von den Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern höherer Schulen hatten sich 1.500 bis 2.000 im Christlichen Studentenbund, der Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants (FFACE), auch Fédé genannt, zusammengefunden. Dieser französische Zweig der World Student Christian Federation (WSCF) war 1898 in Paris gegründet worden und hatte in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts rasch an Bedeutung gewonnen. Das internationale Foyer in Paris war ständiger Treffpunkt von Studierenden aus aller Welt, und die aktuellen Themen wie der Wunsch nach einer weltweiten Einheit der Kirchen oder 59 60 61 62

Vgl. P. BOLLE, mouvements, S. 167; G. CASALIS, La jeunesse, S. 110. Diese und die folgenden statistischen Angaben EBD., S. 107. Vgl. A.-J. MENDEL, mouvements de jeunesse, S. 186f.; A. BAUBEROT, scoutisme, S. 387f. Vgl. A.-S. FAULLIMMEL, Scoutisme féminin, S. 449ff.

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der aufkommende Nazismus wurden hier in den 1930er Jahren engagiert diskutiert.63 Angesichts der unbefriedigenden Quellenlage zu den einzelnen Jugendverbänden lassen sich nur lückenhafte Angaben zur Organisation und Besetzung ihrer Führungsspitzen machen. Demnach leitete der junge Pastor Georges Casalis (1917–1989) die FFACE als Generalsekretär von 1940 bis 1943 unter der Präsidentschaft von Charles Westphal, bevor er in dieser Funktion von seinem Kollegen André Dumas abgelöst wurde. Neben ihnen waren unter anderen Denise Duflo, Claire Jullien und Henri Hatzfeld in leitenden Positionen tätig. Bei den Pfadfindern wurde die Arbeit in der Verbandsspitze vermutlich vor allem von Jean Gastambide als Commissaire national der E. U. und André-Jean Mendel als deren Generalsekretär bestimmt. Mitglieder des leitenden Comité national der Pfadfinderinnen waren Renée Sainte-Claire Deville, Violette Mouchon (1893–1985) und Marguerite Walther (bis zu ihrem Tod 1942), vermutlich auch Antoinette Butte und Georgette Siegrist sowie ab September 1941 Madeleine Barot.64 Präsident der UCJG in der Südzone war 1940 Jean Beigbeder. Die Zusammenarbeit mit den anderen Jugendorganisationen gestaltete sich nicht problemlos, denn Beigbeder war zumindest in der ersten Phase des Regimes überzeugter Pétainist. Unter Albert Gaillard als Nationalsekretär waren die UCJG jedoch ab Sommer 1942 wie die Schwesterorganisationen an risikoreichen Untergrundaktionen beteiligt. Mehrere ihrer Mitglieder wurden deportiert und starben in deutschen Konzentrationslagern.65 Zur Geschichte der UCJF zwischen 1940 und 1944 liegen keine Einzelstudien vor, obwohl sie in Aufnahme ihrer Tradition aus dem Ersten Weltkrieg wesentliche Betreuungsarbeit für Flüchtlinge geleistet haben. Mit Sicherheit lässt sich feststellen, dass die Leitungsaufgaben in der Südzone hauptsächlich von Nicole de Ferron, Erika Brücker, Marie Bouniol und Blanche Momméja übernommen wurden, während die Präsidentin Jane Pannier im Paris der besetzten Nordzone blieb.66 Eine genauere Zuweisung zu einzelnen Funktionen kann jedoch nicht erfolgen. Jede der fünf protestantischen Jugendorganisationen in Frankreich stand mit ihrem Weltbund in Verbindung. Für die UCJG war dies der 1855 63 Vgl. H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 68f.; A. JACQUES, Madeleine Barot, S. 6f. Vgl. auch G. CASALIS, La jeunesse; D. CASALIS, „Fédé“. Über die weltweite Entwicklung des Bundes in den 1920er und 1930er Jahren informieren P. POTTER/T. WIESER, Seeking and Serving, S. 92–135. 64 Protokolle der Sitzungen des Comité Inter-Mouvements vom 18./19.9.1940 sowie des Comité National vom 20. und 21.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 65 Vgl. A. GAILLARD, Les Unions Chrétiennes, S. 240f.; S. 246f. 66 Vgl. die Berichte der einzelnen Jugendverbände im Protokoll des Comité Inter-Mouvements vom 18./19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5).

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gegründete Weltbund der Christlichen Vereine Junger Männer (Young Men Christian Association, YMCA), für die UCJF der Weltbund der Christlichen Vereine Weiblicher Jugend (Young Women Christian Association, YWCA) von 1893. Die WSCF als die Weltvertretung der Studentenbünde in den verschiedenen Ländern wurde 1895 ins Leben gerufen. Alle drei Weltbünde hatten ihren Sitz in Genf, folglich in unmittelbarer Nähe zur französischen Südzone und konnten so auch während des Krieges und der Besatzung die Arbeit ihrer französischen Glieder unterstützen.67 Von besonderer Bedeutung war dabei, dass zwei Mitglieder der französischen Jugendorganisationen Funktionen bei den Weltverbänden in Genf innehatten: Suzanne de Diétrich (1891–1981) war als Beauftragte für ökumenische Beziehungen und liturgische Fragen im Christlichen Weltstudentenbund tätig und leitete in der Kriegszeit die Geschäftsstelle der WSCF in Genf. Charles Guillon (1883–1965) arbeitete als beigeordneter Generalsekretär in der Abteilung für Kriegsgefangenenhilfe der YMCA.68 Beide waren wesentliche Initiatoren und Förderer der Flüchtlingsarbeit, mit der sich die protestantischen Jugendorganisationen den entwurzelten und vertriebenen Menschen in Frankreich zuwandten. Das Weltbüro der Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbewegung befand sich dagegen in London und ein Kontakt mit den Verbänden in Südfrankreich war während der Besatzungszeit kaum zu realisieren. Auch wenn im Sinne einer Unterscheidung von den katholischen Organisationen diese Jugendverbände bisher als protestantisch bezeichnet wurden, so ist doch hervorzuheben, dass sie von ihrem Verständnis her offen gegenüber allen Bekenntnissen waren und ihren ökumenischen Charakter entschieden betonten. So kamen z. B. 23 % der E. U.-Mitglieder 1941 aus dem Katholizismus oder dem Judentum oder bezeichneten sich sogar als nicht gläubig.69 Um diese Interkonfessionalität und Offenheit zu bewahren, hielten sich die Verbände traditionell in größerer Distanz zu den evangelischen Kirchen. Erst unter Vichy kam es zu einer stärkeren Kooperation, denn die Kirchenleitungen konnten den Jugendverbänden einen nachhaltigeren Schutz vor staatlichen Übergriffen verschaffen. Das 1937 gegründete Comité Inter-Mouvements (CIM) als gemeinschaftliches Vertretungsorgan der fünf Gruppen diskutierte daher ausführlich das Verhältnis vor allem 67 Vgl. A.-J. MENDEL, Mouvements, S. 186. In der Regel garantierten jedoch während der Kriegszeit nur beigeordnete Generalsekretäre und -sekretärinnen eine Permanenz in Genf. 68 Zu Suzanne de Diétrich vgl. die Biografie von H.-R. WEBER, Diétrich; zu Charles Guillon vgl. P. BOLLE, Guillon, S. 42–53. Guillon hatte schon Ende der 1920er Jahre leitende Funktionen im Sekretariat der YMCA in Genf übernommen und die ökumenische Bewegung mit geprägt. Er war Pastor und Bürgermeister in Le Chambon-sur-Lignon, wollte aber unter dem Regime von Vichy keine politischen Funktionen ausüben und reichte im Sommer 1940 seinen Rücktritt ein, um daraufhin verstärkt wieder in Genf tätig zu werden. 69 Vgl. A.-J. MENDEL, Mouvements, S. 185.

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zur ERF und arbeitete eng mit Marc Boegner zusammen. Mit Violette Mouchon als Präsidentin, Georges Casalis als Vizepräsident sowie Madeleine Barot und Georgette Siegrist als Generalsekretärinnen wurde das CIM in der ersten Phase des Regimes bis zum September 1941 das Sprachrohr der fünf Jugendorganisationen.70 Das autoritäre Regime von Vichy, das seinen repressiven Charakter von Beginn an zu erkennen gab, veranlasste die Jugendverbände frühzeitig Stellung zu beziehen gegenüber einem Staat, der elementare Rechte auf Menschenwürde und Gleichbehandlung nicht mehr gewährleisten wollte. Auf Freizeiten und Tagungen in den Schulferien und der vorlesungsfreien Zeit versuchten sie, ihren Mitgliedern dieses kritische Bewusstsein zu vermitteln. Dabei hatte das Bibelstudium, das seit der ‚Wiederentdeckung der Bibel‘ in den 1930er Jahren großes Gewicht bekommen hatte, einen besonderen Stellenwert. Die Mitgliederzeitschriften veröffentlichten regelmäßig Lesepläne, Kommentare und Auslegungen einzelner Bibelabschnitte. Der politische Charakter dieser Bibelarbeiten veranlasste die Zensoren in Vichy oft zu Eingriffen. Ihrem biblisch und theologisch ungeschulten Blick entgingen jedoch durchaus wesentliche Passagen. So konnte z. B. die antisemitische Gesetzgebung vom 3. und 4. Oktober 1940 in der Correspondance Fédérative, der Zeitschrift der FFACE, in einer Auslegung des 2. Timotheus-Briefes offen kritisiert werden.71 Bestrebungen Vichys nach einer Beschneidung der Autonomie der Jugendorganisationen begegnete das CIM entschieden und ohne sich durch die finanzielle Abhängigkeit korrumpieren zu lassen. Zwar musste es sich im Juli 1941 dazu bereit finden, sich aufzulösen und ein stärker zentralisierendes Vertretungsorgan der fünf Verbände zu gründen, den „Protestantischen Jugendrat“ (Conseil Protestant de la Jeunesse, CPJ). Damit antwortete das CIM auf die Pläne der Regierung, die Zahl der staatlich anerkannten Jugendverbände in Vichy zu beschränken und im Austausch für die staatlichen Subventionen eine strengere Kontrolle durch das Jugendsekretariat auszuüben.72 Madeleine Barot übernahm wiederum die Position der Generalsekretärin. Indem Marc Boegner zum Präsidenten des CPJ gewählt wurde, stellten sich die Jugendorganisationen indes ausdrück70 Auf der CIM-Sitzung vom 18./19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) erfolgte die Ernennung von Barot und Siegrist, auf der Sitzung vom 10.11.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) von Mouchon und Casalis. Entgegen den bisherigen Angaben in der Sekundärliteratur (zuletzt A.-J. MENDEL, Mouvements, S. 203; P. BOLLE, Mouvements, S. 166) übernahm Boegner erst im Herbst 1941 die Präsidentschaft. 71 CORRESPONDANCE FEDERATIVE Nr. 2, Dezember 1940, S. 14; vgl. hierzu ausführlich Kapitel 6.2.2 (unten S. 232ff.). Vgl. generell zur Bedeutung der Bibelstudien in den Jugendorganisationen A.-J. MENDEL, Mouvements, S. 187f. 72 Sitzungsprotokoll des CIM vom 8.7.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Zu den Absichten der Regierung vgl. B. COMTE, Les organisations de jeunesse, S. 417.

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lich in den kirchlichen Rahmen und suchten auf diese Weise Schutz vor der staatlichen Einflussnahme.73 Zugleich machte das CIM aber sehr deutlich, bis zu welcher Grenze es in der Zusammenarbeit mit dem staatlichen Jugendsekretariat gehen konnte und wollte. In einer dem Antrag auf Zulassung beigefügten Erklärung, der note nointe, die von George Casalis verfasst worden war, erläuterten die Jugendorganisationen ihre wesentlichen Vorbehalte gegenüber den staatlich propagierten Erziehungszielen. Sie bekannten sich zum französischen Erbe und zur besonderen Berufung Frankreichs in der Geschichte, wehrten sich indessen zugleich gegen jeden Chauvinismus und traten entschieden gegen die Förderung von Fremdenfeindlichkeit auf.74 Trotz dieser sehr kritischen Erklärung geben weder die vorhandenen Quellen noch die Berichte der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen einen Hinweis auf Vorbehalte des Staates. Der CPJ und damit die in ihm zusammengeschlossenen Jugendorganisationen wurden vom Jugendsekretariat am 16. September 1941 anerkannt.75 Es sollte sich bald zeigen, dass der CPJ seine Erklärung in der Tat als eine Verpflichtung betrachtete. Als die konfessionellen Jugendwerke von Vichy im Dezember 1941 gezwungen werden sollten, ihre Mitglieder jüdischer und ausländischer Herkunft auszuschließen, legte der protestantische Jugendrat Protest ein.76 Die Anwendung eines Arierparagraphen kam für die Jugendorganisationen des französischen Protestantismus nicht in Frage. Ebenso weigerten sie sich, der Fremdenfeindlichkeit noch weiteren Vorschub zu leisten. Anders als in Deutschland, wo sich die christlichen Jugendorganisationen wie die CVJM oder der Christliche Studentenbund auch aufgrund ihrer Proteste gegen die Einführung des Arierparagraphen in ihren Organisationen bis 1938 auflösen mussten, führte dieser Widerstand gegen die ideologischen Vorgaben in den vier Jahren des Regimes von Vichy nicht zu einem Verbot etwa des französischen Christlichen 73 Sitzungsprotokoll des CPJ vom 28.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Vgl. auch G. CASALIS, La jeunesse protestante, S. 110. Die Forschungsliteratur ging bisher irrtümlich vom 24.7.1940 als Gründungsdatum für den CPJ aus, vermutlich zurückgehend auf einen Bericht Boegners von 1945 (vgl.: LES EGLISES PROTESTANTES, S. 13). Das Projekt eines CPJ wurde in der Tat in dieser Zeit diskutiert, das CIM entschied sich jedoch im September 1940 dagegen, um sich die kirchliche Unabhängigkeit und ökumenische Offenheit zu bewahren, vgl. das Protokoll vom 18./19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 74 Typoskript der Erklärung (AÖRK GENF: 213.11.7.18). Die CORRESPONDANCE FEDERATIVE veröffentliche die Note in ihrer Ausgabe vom November/Dezember 1941, der „Internationale Christliche Presse- und Informationsdienst“ des vorläufigen ÖRK in Genf in seiner Nummer 35 vom Oktober 1941. In Auszügen und ohne Angabe des Fundortes wird der Text bei G. CASALIS, La jeunesse protestante, S. 112 und bei A.-J. MENDEL, Mouvements, S. 203f. zitiert; vgl. auch P. BOLLE, Mouvements, S. 166. 75 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, November/Dezember 1941, S. 53. 76 Protokoll der CPJ-Sitzung vom 12.12.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18).

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Studentenbundes oder der UCJG.77 Viele junge Erwachsene aus Deutschland und anderen Ländern, die vor dem Nazismus geflohen waren, erlebten daher auf den Tagungen der im CPJ zusammengeschlossenen Organisationen Französinnen und Franzosen, die die Tradition Frankreichs als Mutterland der Menschenrechte nicht verleugnen wollten.78 In den Rahmen dieser kritischen Haltung gegenüber dem Obrigkeitsstaat von Vichy ist auch die Entscheidung der fünf Jugendverbände einzuordnen, ihrem gemeinsamen Aktionskomitee Cimade seit Sommer 1940 eben die Solidaritätsarbeit mit Fremden, mit jüdisch definierten Christen und Christinnen und mit Juden in der Internierung aufzutragen und den Weg der Cimade in den Untergrund ab Sommer 1942 mitzugehen. Die ökumenische Bewegung

1.3 Die ökumenische Bewegung Die protestantischen Jugendverbände in der Südzone hätten ihr Engagement für die unter Vichy internierten Emigranten und Emigrantinnen kaum so effizient durchführen können, wenn sie nicht in nachhaltiger Weise auch von den in Genf ansässigen ökumenischen Organisationen unterstützt worden wären. Zunächst soll daher eine knappe Einführung in die Geschichte ihrer Formierung und Kooperation erfolgen, wobei der Beitrag der ökumenischen Weltjugendorganisationen besonders herausgehoben wird, um dann auf die institutionelle Verankerung der ökumenischen Flüchtlingshilfe in Genf einzugehen.

1.3.1 Die Entwicklung einer Kirchengemeinschaft im Europa der Zwischenkriegszeit In der Missionsbewegung, den christlichen Jugendvereinigungen, vornehmlich dem YMCA und anderen Zusammenschlüssen lässt sich schon im 19. Jahrhundert ein Bedürfnis nach Vereinigung der in eine Vielzahl von Konfessionen gespaltenen Christenheit erkennen. In einer Reihe großer ökumenischer Bewegungen nahm diese Idee vor dem Ersten Weltkrieg konkretere Gestalt an, erste Aktivitäten für ein gemeinschaftliches Vertretungsorgan der Kirchen können auf das Jahr 1919 datiert werden. Die 77 Vgl. zur Situation in Deutschland K. KUPISCH, Studenten, S. 192–211; DERS., CVJM; C. HILPERT-FRÖHLICH, Studentinnen- und Akademikerinnenbewegung, S. 169f. 78 Nach dem Protokoll der FFACE vom 7./8.10.1942 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/3) kamen bei manchen Freizeiten zwei Drittel der Teilnehmenden aus dem Ausland. Denise Duflo berichtete im Juni 1942 von vielen Polinnen, die am Studentinnenlager teilgenommen hätten (AÖRK GENF: 213.11.7.17/6).

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Koinonia der Völker, die sich in der Gründung des Völkerbundes ausdrückte, sollte von einer Koinonia der Kirchen begleitet werden. Federführend waren in der Folge Vertreter der Bewegungen Praktisches Christentum sowie Glaube und Kirchenverfassung, auf deren Weltkonferenzen von Stockholm 1925 und Lausanne 1927 der Gedanke eines Rates der Kirchen weiter diskutiert wurde. Grundlegende Initiativen gingen jedoch auch vom Internationalen Missionsrat und vom Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen aus.79 Repräsentanten des Weltbundes der YMCA und der WSCF nahmen bereits 1933 an den ersten inoffiziellen Beratungen der genannten Organisationen teil und gehörten wie die YWCA zu maßgeblichen Förderern des Einheitsgedankens. Die Jugendorganisationen konnten als Laboratorien für die Realisierung ökumenischen Zusammenlebens dienen, da sie unabhängig von den Kirchen arbeiteten und auf konfessionelle Zwänge wenig Rücksicht nehmen mussten. Viele der später im Ökumenischen Rat maßgeblich wirkenden Frauen und Männer erhielten hier ihre Prägung.80 Wie groß das Bedürfnis nach einer Einheit der Kirchen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen war, zeigte sich vom 24. Juli bis zum 2. August 1939 in Amsterdam: Auf der ersten christlichen Weltjugendkonferenz versammelten sich über 1500 junge Frauen und Männer aus etwa 70 Ländern. Präsident war Willem A. Visser ’t Hooft, der bis zum Jahr 1938 Generalsekretär des Studentenweltbundes gewesen war. Dieser Verband sowie die YWCA und YMCA hatten großen Anteil an der Vorbereitung der Konferenz.81 In Amsterdam wurde unter jungen Menschen der verschiedenen Nationalitäten und Konfessionen eine Verbindung geschaffen, die über den Zweiten Weltkrieg hinaus Bestand haben sollte. „Der Krieg kam“, erinnerte sich Madeleine Barot, „und dennoch konnte uns erstaunlicherweise nichts wirklich trennen. Amsterdam hat uns erhalten und hat uns daran gehindert, uns während dieser fünf schrecklichen Jahre lähmen zu lassen.“ Die Geschichte der Cimade in der Kriegszeit lässt sich auch einschreiben in die hier begründete internationale christliche Solidarität: Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Weltjugendkonferenz konnten sich als französische Flüchtlingshelferin und deutscher Emigrant wenige Monate später in den Internierungslagern von Vichy wieder treffen.82 79 Vgl. W. A. VISSER ’T HOOFT, Ursprung; R. FRIELING, Weg, S. 45–63ff.; H. DAM, Weltbund. 80 Vgl. R. ROUSE, Seiten, S. 258f. 81 Vgl. R. ROUSE, Seiten, S. 271f.; W. A. VISSER ’T HOOFT, Welt, S. 126. 82 Das Zitat aus dem Beitrag von Madeleine Barot zum Erinnerungsbuch von Teilnehmenden an Amsterdam 1939 „We remember Amsterdam: 1939–1979“, document polycopié, Genf 1979 (CIMADE-ARCHIV PARIS). Beispiele für die Hilfe der französischen jungen Christen für die Glaubensschwestern und -brüder aus dem Ausland finden sich außerdem EBD. (Karton Cimade historique 1939–1950, Ordner Aides à recherches familles 1939–45).

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Mit dem wachsenden Einfluss rechter und linker Ideologien in der Zwischenkriegszeit wurde das Verhältnis von Kirche und Staat in den 1930er Jahren zu einem wesentlichen Thema der Ökumene.83 Unter dem Eindruck des Ringens der Bekennenden Kirche in Deutschland, das von Teilen der ökumenischen Bewegung unterstützt wurde, zeigte sich immer schärfer, dass auch die einzelnen Christen dazu aufgerufen waren, ihre Verantwortung als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger wahrzunehmen. Entgegen einer klerikalen Akzentuierung im Streben nach einer Kircheneinheit kam damit die Bedeutung der christlichen Gemeinde neu in den Blick. Vor allem der schottische Ökumeniker Joseph H. Oldham hatte die Wichtigkeit der „Öffentlichkeitsverantwortung der Kirche“ und der „Mobilisierung der Laienkräfte“ für eine Neuorientierung auf dem Weg zu einer Einheit der Kirchen erkannt und sie 1937 in die Konferenz der Bewegung Praktisches Christentum in Oxford eingebracht.84 Im folgenden Jahr bildeten die Bewegungen Praktisches Christentum und Glaube und Kirchenverfassung in Utrecht einen gemeinsamen Ausschuss, der sich auf die wesentlichen Elemente der Verfassung des neuen Organs einigte. Die Forderung nach einer stärkeren Laienvertretung fand hier ihre Berücksichtigung. Dem „Ökumenischen Rat der Kirchen“ sollten kirchenregimentliche Rechte nicht zugestanden werden, er konnte jedoch Konferenzen einberufen und damit inhaltlich auf die weltweite Entwicklung der Kirchen Einfluss nehmen. In der Arbeit des Rates war besonderes Gewicht auf die Studien- und Forschungsabteilung zu legen. Schließlich kam der Ausschuss überein, das christologische Bekenntnis als gemeinsame Basis aller beitretenden Kirchen festzuschreiben. Während in den Vorberatungen auch auf die Notwendigkeit einer Vertretung von Frauen eingegangen worden war, wurden sie in der nun vorgeschlagenen Verfassung nicht mehr explizit erwähnt. Offenbar waren Frauen an den vorbereitenden Gesprächen für den Weltrat nicht beteiligt gewesen, obwohl durchaus Abgeordnete der YMCA und Männer der WSCF hinzugezogen worden waren. Vertreterinnen des Studentenweltbundes wie Suzanne de Diétrich oder Henriette Visser ’t Hooft, die wie ihr Mann im WSCF wirkte und bereits 1934 in eine patriarchatskritische Kontroverse mit Karl Barth eingetreten war, konnten daher ihre Erfahrungen nicht in die Planung mit einbringen.85 Gleiches galt für Repräsentantinnen des YWCA, die von 1928 bis 1931 eigens eine Studienkommission gebildet hatten, um die Frage einer Einheit der Kirchen zu bearbeiten. Immerhin hatten die drei Jugendorganisationen in den 1930er Jahren ein 83 84 85 Vgl.

Vgl. R. FRIELING, Weg, S. 52, 60. Vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1933–1939, S. 139ff. u. 157. Vgl. H. ERHART/L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ/A. ENGELMANN, Anfragen, S. 525; 530ff. außerdem L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 82.

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gemeinsames Gremium zur Diskussion der ökumenischen Aufgaben gegründet, und es ist wahrscheinlich, dass die Frauen hier ihre Belange in die Gespräche mit den Männern des Studentenbundes und der YMCA einbrachten und Denkprozesse anregten.86 In der Aufbauphase des Weltrates ab 1939 verfolgten die ersten Ökumenikerinnen weiterhin ihre Forderung nach einer gleichberechtigten Zusammenarbeit von Frauen und Männern. Sie bereiteten damit einen Prozess vor, der seinen Beginn auf der Weltkonferenz von 1948 mit der Gründung einer Kommission für „Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche“ finden sollte.87 Im Herbst 1939 hatten mehr als hundert Kirchen positiv auf das Einladungsschreiben geantwortet, das von dem gemeinsamen Ausschuss der ökumenischen Bewegungen versandt worden war. Bis zur Einberufung einer Gründungsvollversammlung sollte ein „vorläufiger Ausschuss des im Aufbau begriffenen Weltrats der Kirchen“ die Arbeit übernehmen. Zum Vorsitzenden dieses Gremiums wurde der Erzbischof von York, William Temple, bestimmt. Marc Boegner, Erzbischof Germanos Strenopoulos vom griechisch-orthodoxen Patriarchat von Konstantinopel und Dr. John R. Mott waren seine Stellvertreter. Bedingt durch den Ausbruch des Krieges konnte die Gründungsphase des ÖRK jedoch erst nach einem Jahrzehnt auf der ersten Vollversammlung in Amsterdam 1948 abgeschlossen werden. Dennoch gelang es einer kleinen Gruppe von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, auch in dieser Zeit des Weltkrieges und trotz der geringen finanziellen und personellen Ausstattung dem Ökumenischen Rat „im Aufbau“ einen Platz im kirchlichen Leben zu verschaffen. Zum einzigen vollamtlichen Generalsekretär des vorläufigen Ausschusses war der 38jährige Visser ’t Hooft gewählt worden, der durch seine langjährige Arbeit als Vorsitzender des WSCF viele Erfahrungen in der Ökumene gesammelt hatte. Er entschied sich, trotz der auch für die Schweiz bedrohlichen Kriegsentwicklung mit seinem kleinen Stab in Genf zu bleiben, um die Verbindung zum kontinentalen Europa halten zu können.88 Da auch die etablierten ökumenischen Organisationen der christlichen Jugendarbeit und der internationalen Freundschaftsarbeit der Kirchen ihre Vertretungen in Genf beibehielten, lag eine Zusammenarbeit mit diesen in der Flüchtlingsarbeit versierten Verbänden nahe.89 86 Vgl. R. ROUSE, Seiten, S. 267 u. 270. 87 Die erste Sitzung der Kommission fand vom 6. bis 10.3.1950 statt (vgl. das Protokoll im AÖRK GENF: Departement on the Cooperation of Men and Women in Church and Society. History of the Commission [1946–1954]). Vgl. außerdem L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79f. 88 Vgl. W. VISSER ’T HOOFT, Welt, S. 153; A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 17ff.; 78ff. Weitere Generalsekretäre waren William Paton für Großbritannien, Asien, Afrika und Australien sowie Henry Smith Leiper für Nordamerika. 89 Vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 22 und 40.

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1.3.2 Die Flüchtlingshilfe des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf Der vorläufige Ausschuss des ÖRK hatte mit Visser ’t Hooft die Lage der Flüchtlinge in Europa als ein vorrangiges Arbeitsfeld der Kirchengemeinschaft bestimmt. Schon 1936 war ein International Christian Committee for German Refugees gegründet worden, das wesentlich auf die Vorbereitung des deutschen Emigranten und Ökumenikers Dr. Friedrich SiegmundSchultze und des Franzosen Pastor Henry-Louis Henriod, beide Mitglieder des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen, sowie von Prof. Dr. Adolf Keller, dem Leiter der Europäischen Zentralstelle für Kirchliche Hilfsaktionen, zurückging. Die Arbeit dieses Komitees sollte nun in Form einer eigenen Flüchtlingsabteilung in den Weltrat der Kirchen eingegliedert werden.90 Vor allem der englische Bischof George Bell drängte im Januar 1939 darauf, ein koordinierendes Flüchtlingssekretariat einzurichten, zu dessen Leiter schließlich der deutsche Pfarrer Dr. Adolf Freudenberg (1894–1977) bestimmt wurde. Ende März 1939 nahm er seine Tätigkeit als ökumenischer Flüchtlingssekretär zunächst im Londoner BloomsburyHouse auf und setzte sie ab September 1939 in Genf fort.91 Freudenberg war in besonderem Maße sensibel für die Nöte der Menschen, die ihre Heimat hatten verlassen müssen, um in einem fremden Land Zuflucht zu finden, denn er zählte selbst mit seiner Familie zu denjenigen, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigriert waren. Aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Frau Elsa Freudenberg geb. Liefmann galt Adolf im nationalsozialistischen Sprachgebrauch als „nichtarisch versippt“.92 Der promovierte Jurist und Legationsrat im Auswärtigen Amt schied daher Ostern 1935 freiwillig aus dem Dienst aus, bevor er dazu gezwungen werden konnte und begann unter dem Eindruck des Kampfes der Bekennenden Kirche und der Freundschaft mit Martin Niemöller in Berlin Theologie zu studieren. Nach dem Examen vor einem Prüfungsausschuss der Bekennenden Kirche wurde er Anfang 1939 in Ber90 Vgl. zur Vorgeschichte der Flüchtlingsabteilung E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 2/I, S. 119f.; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 74ff. sowie den „Bericht des Oekumenischen Ausschusses für Flüchtlingshilfe, Januar 1942“, S. 3 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). Zu Siegmund-Schultze vgl. S. GROTEFELD, Siegmund-Schultze; zu Henriod H. DAM, Weltbund, S. 259 u. 371ff. 91 Zu Bells Initiativen in der Flüchtlingsarbeit vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1933–1939, S. 33–39; 76f. Vgl. insgesamt H. LUDWIG, Christen, S. 69f.; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/I, S. 268ff.; in einem knappen Überblick auch S. HERMLE, Evangelische Kirche, S. 38f. Zum Bloomsbury-House, dem Sitz von christlichen und jüdischen Hilfsorganisationen vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/I, S. 276ff. 92 Vgl. EBD., S. 356f.

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lin-Dahlem ordiniert. Kurze Zeit später erfolgte die Ernennung zum Flüchtlingssekretär und die Ausreise der Freudenbergs und ihrer Kinder nach England. Im Bewusstsein ihres eigenen Exils, in dem ihnen die schlimmsten Erfahrungen erspart geblieben waren, setzte sich das Ehepaar in den folgenden Jahren aus einer identifikatorischen Einstellung heraus unermüdlich für die Vertriebenen ein.93 Die wichtigste Aufgabe Freudenbergs im ökumenischen Flüchtlingssekretariat bestand zunächst darin, die Emigration von Christinnen und Christen jüdischer Herkunft aus dem nationalsozialistischen Deutschland zu ermöglichen. Hierzu unterstützte er das „Büro Pfarrer Grüber“ in Berlin, das in Zusammenarbeit mit der Bekennenden Kirche seit 1938 ein Netz von Beratungsstellen für „nichtarische“ Christen im Reichsgebiet aufgezogen hatte. Dieser Zusammenarbeit wurde mit der Verhaftung Heinrich Grübers im Dezember 1940 und seines Stellvertreters Werner Sylten im Februar 1941 ein Ende gesetzt.94 Dagegen erhielt nun die Hilfe für die protestantischen Organisationen in Frankreich in der Arbeit des Flüchtlingssekretariates ein immer stärkeres Gewicht. 1941 gingen zwei Drittel des Gesamtetats (54.926 von 81.114 Schweizer Franken) nach Westeuropa, um vor allem die Solidaritätsaktionen der Aumônerie Protestante und der Cimade zu unterstützen. Daneben war angesichts der militärischen Lage außerhalb der Schweiz allein noch ein sehr eingeschränktes Engagement für „judenchristliche“ Gemeinden in Italien und Shanghai möglich und bis 1942 ein kleiner Paketdienst nach Theresienstadt und ins Warschauer Ghetto.95 Die institutionelle Verankerung fand das Flüchtlingssekretariat in einem Comité oecuménique pour les Réfugiés (Ökumenischer Ausschuss für Flüchtlingshilfe), dem zunächst nur Visser ’t Hooft, Keller und Henriod ange93 So schrieb Freudenberg in einem Brief vom 28.9.1942 an einen in die Schweiz geflüchteten Emigranten und früheren Kommilitonen der Rechtswissenschaften: „Sie sehen, dass wir gnädig geführt worden sind und dass der Dienst, den ich zu leisten suche, auf dem Hintergrund einer großen persönlichen Dankbarkeit geschehen kann“ (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R). Vgl. insgesamt E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/I, S. 270ff. 94 Vgl. den Bericht des Ökumenischen Ausschusses für Flüchtlingshilfe, Januar 1942, S. 4 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945), außerdem H. LUDWIG, Christen, S. 71f. Freudenberg bemühte sich beispielsweise um die Ausreisebegehren der Mitarbeiterin der Bekennenden Kirche, Charlotte Friedenthal sowie von Eva Bildt, der Verlobten Helmut Gollwitzers und auch der Stieftochter des Schriftstellers Jochen Klepper (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence). Während Grüber 1943 wieder freikommen konnte, wurde Sylten nach eineinhalbjähriger Haft im Konzentrationslager Dachau in einer „Euthanasie“-Anstalt ermordet (vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 304f.) 95 Vgl. A. FREUDENBERG, Fünf Jahre. Angaben zum Etat EBD., S. 49f. Vgl. auch A. BOYENS, World Council, S. 455f.

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hörten und als dessen Sekretär Freudenberg fungierte. In dieser Zusammensetzung bestand der Ausschuss bereits im Januar 1941.96 Die weiteren Ernennungen von Mitgliedern sind symptomatisch für die Ausweitung der Arbeit des Flüchtlingsausschusses. So machte das zunehmende Engagement in der Schweiz die Teilnahme eines Vertreters des Schweizer Kirchenbundes in der Person von Hans Schädelin wünschenswert. Pastor Alphons Koechlin (1885–1965), Vorsitzender des Kirchenkreises der Stadt Basel und späterer Präsident des Schweizerischen Kirchenbundes, hatte aufgrund zu großer Beanspruchung der Ernennung als Ausschussmitglied nicht entsprechen mögen. Er stand jedoch als langjähriges Mitglied der Bewegung Praktisches Christentum und wichtiger Schweizer Förderer der ökumenischen Flüchtlingsarbeit dem Flüchtlingssekretär während der Kriegszeit stets zur Seite. Seine umfassende Korrespondenz mit Freudenberg zeigt auf, wie wichtig diesem Koechlins Beratung gewesen ist.97 Freundschaftliche Zusammenarbeit verband Freudenberg auch mit dem Kreuzritter-Dienst in Bern unter Dr. Gertrud Kurz (1890–1972) und dem Schweizer Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland mit seinem Flüchtlingspfarrer Paul Vogt. Beide waren sehr gut informiert über die Frankreich-Arbeit des ökumenischen Sekretariates und beide nahmen an Sitzungen des Flüchtlingsausschusses teil. Sie sorgten zwar vor allem für die Flüchtlinge, die sich von Frankreich in die Schweiz hatten retten können, waren aber immer bemüht, die unablässige finanzielle Not der französischen Hilfswerke im Verein mit Freudenberg zu lindern.98 Über medizinische Hilfe konnte im Ausschuss mit Dr. Alec Cramer vom Internationalen Roten Kreuz beraten werden. Für Fragen der Finanzierung war die Zusammenarbeit mit Charles Guillon vom Weltbund der YMCA, Nils Ehrenström als Verbindungsmann des schwedischen Spendenkomitees und F. Marc Sauter als Mitarbeiter der Internationalen Protestantischen Darlehensgenossenschaft (Association Protestante Internationale de Prêts, APIDEP) wichtig. Erklärter Zweck des 96 Freudenberg an Toureille vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). Dagegen H. LUDWIG, Christen, S. 71, der den Ausschuss auf 1942 datiert. Vgl. auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 159. SiegmundSchultze und Keller waren kaum in die Arbeit des Sekretariates eingebunden. Zu ersterem vgl. S. GROTEFELD, Siegmund-Schultze, S. 251–256. 97 Briefwechsel Freudenbergs mit Koechlin (AÖRK: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). Vgl. auch A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 31 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 30); E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 168. Zu Koechlins Leben und Werk vgl. H. D’ESPINE, Koechlin. 98 Korrespondenz Freudenbergs mit Kurz und Vogt (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K und T–V), neben vielen anderen: Gertrud Kurz an Freudenberg vom 28.3.1941, Freudenberg an Kurz vom 15.8.1942, Freudenberg an Vogt vom 19.3.1943. Vgl. außerdem P. VOGT, Flüchtlingshilfe, S. 317–333; WEGE DES FRIEDENS; A. A. HÄSLER, Boot, S. 299ff.; E. BUSCH, Lebenslauf, S. 304f.; DERS., Unter dem Bogen, S. 317ff.; H. KOCHER, Protestantismus, S. 34 u. 37f.; DERS., Menschlichkeit, S. 110ff. u. 133ff.

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Flüchtlingsausschusses, der nur als provisorisches Gremium für die Kriegszeit verstanden werden wollte, war die Überwachung des Flüchtlingssekretariates und die Koordination mit anderen Flüchtlingsorganisationen.99 Das Emergency Committee of Christian Organisations (ECCO), das bei Kriegsausbruch im Herbst 1939 gegründet worden war, ermöglichte dem Flüchtlingssekretariat in einem breiteren Rahmen die Zusammenarbeit mit den drei christlichen Weltjugendbewegungen, dem Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen und der Europäischen Zentralstelle für Kirchliche Hilfsaktionen. Hier wurde über die bedrückende Situation von Juden und ‚Judenchristen‘ in Deutschland berichtet und Informationen aus erster Hand über die Ghettos in Krakau und Warschau ausgetauscht. Thema waren jedoch z. B. auch die kriegsbedingten Internierungsmaßnahmen in den USA und Kanada, die deutsche, italienische und japanische Staatsangehörige betrafen.100 Die Bedeutung dieses Komitees für die Organisation der Frankreich-Arbeit war wesentlich, denn Freudenberg, Visser ’t Hooft und Henriod kamen hier zusammen mit intimen Kennerinnen und Kennern der Situation in der Südzone wie Suzanne de Diétrich vom Christlichen Studentenweltbund, Evelyn C. Fox, Mitglied des Genfer Weltkomitees der YWCA und Charles Guillon, Tracy Strong jr. und Donald Lowrie als Vertretern der YMCA. Alle Verbände waren an der Flüchtlingshilfe in Frankreich in hohem Maße beteiligt und ihre Mitglieder unternahmen bis zum Herbst 1942 und der Totalbesetzung mehrere Reisen nach Südfrankreich, auf denen sie die Internierungslager besuchten und Maßnahmen koordinierten. Gleiches galt für die Unitarier und Quäker, deren Organisationen ebenfalls wichtige humanitäre Arbeit in Vichy-Frankreich leisteten und die ihre Erfahrungen in das ECCO-Komitee einbrachten. Fragen zur Finanzierung der Flüchtlingsarbeit konnten mit Marc Sauter diskutiert werden, mehrere Male nahm zu diesem Zweck auch das Ehepaar Hugo und Elsa Cedergren vom schwedischen YMCA/YWCA an den Sitzungen teil. Die Überlegungen zum weiteren Vorgehen in Frankreich nahmen bald einen so großen Umfang an, dass im November 1941 die Einrichtung eines Unterkomitees beschlossen wurde, dem alle relevanten Organisationen angehörten.101 99 Protokoll der Sitzung vom 14.10.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner Comité oecuménique pour les Réfugiés). Ehrenström war wie Freudenberg Mitglied des Stabes des vorläufigen ÖRK und dort tätig für die ökumenische Studienarbeit. 100 Vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 22f.; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 159ff.; H. DAM, Weltbund. Acht Protokolle von ECCOSitzungen haben sich erhalten: Oktober und Dezember 1941, Januar, Februar und November 1942, Januar, März und November 1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 101 Memorandum von D. A. Davis vom YMCA an Freudenberg vom 20.11.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner Comité oecuménique pour les Réfugiés).

Die ökumenische Bewegung

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Mit den im Flüchtlingsausschuss und im ECCO kooperierenden Einrichtungen ist indessen die Zahl der Organisationen, mit denen Freudenberg zusammenarbeitete, noch nicht erschöpft. Er ließ keine Möglichkeit außer Acht, um die Situation der Flüchtlinge so effizient wie nur möglich zu verbessern und ließ sich nicht davon abbringen, Hilfsangebote anzunehmen, auch wenn sie über den engeren Rahmen der ökumenischen und kirchlichen Organisationen hinausgingen.102 So arbeitete er zusammen mit dem Hilfswerk Pfenninger-Bodmer, dem Verein für die Evangelischen im Osten und der „Auskunftsstelle für Flüchtlinge“, die von religiös-sozialen Kreisen um die Familie Ragaz, in erster Linie Christine Ragaz, getragen wurde. Sie alle halfen dem Ökumene-Referat mit kleinen und großen Geldund Sachspenden unaufhörlich, die Arbeit in Frankreich zu ermöglichen.103 Beziehungen bestanden auch zu dem von dem Schweizer Rodolpho Olgiati geleiteten Hilfswerk für Kinder, dem Secours Suisse aux Enfants, der ursprünglich im bürgerkriegsgeplagten Spanien gearbeitet hatte und sich dann den Kindern in südfranzösischen Internierungslagern zuwandte.104 Für die lebenswichtige Versendung von Lebensmittelpaketen führte Freudenberg zudem eine ausgedehnte Korrespondenz mit Regina Kägi-Fuchsmann vom sozialistischen Schweizer Arbeiterhilfswerk und mit der Zentrale der Unitarier in Lissabon.105 Zudem legte Freudenberg in dieser Zeit das Fundament für seine späteren Initiativen für den jüdisch-christlichen Dialog im Nachkriegsdeutschland. Seit November 1940 befand er sich in engem Kontakt mit Gerhart M. Riegner, dem Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses in Genf. Beide arbeiteten nicht nur zusammen, um der freien Welt die Nachricht über die Massenvernichtung der europäischen Juden durch die Nazis mitzuteilen, sondern tauschten in diesem Zusammenhang auch wichtige Informationen über die Situation in den beiden französischen Zonen aus.106 102 Vgl. K. RAISER, Rettet sie doch!, S. 13. Vorbehalte gegenüber einer solchen Ausweitung der Arbeit äußerte Koechlin in der Anfangsphase des Sekretariates (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). 103 Korrespondenz Freudenbergs mit Pfenninger-Bodmer und Ragaz (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence H, J–K und R). Vgl. zum Ragazschen Hilfswerk auch A. A. HÄSLER, Boot, S. 128ff.; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 128ff. 104 Vgl. dazu Freudenberg an Koechlin vom 20.2.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). Seit Ende 1941 arbeitete die Schweizer Kinderhilfe mit dem Schweizerischen Roten Kreuz zusammen. Vgl. die Erinnerungen von F. BOHNY-REITER, Vorhof der Vernichtung. 105 Korrespondenz Freudenbergs zum Paketdienst (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Suisse, Colis Portugais). Vgl. auch R. KÄGI-FUCHSMANN, Mein Leben, S. 207ff. 106 Vgl. G. M. RIEGNER, Am Anfang, S. 20–33; DERS., Niemals verzweifeln, S. 172f.; A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 26f. (= in: DERS., Befreie . . ., S. 24). Zu Freudenbergs Bedeutung für die Entwicklung des jüdisch-christlichen Gespräches nach Auschwitz vgl. u. a. M. STÖHR, Meines Bruders Hüter; S. HERMLE, Wo ist dein Bruder?

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Außerdem bestand vor allem in den Jahren 1943 und 1944 eine Verbindung Freudenbergs mit dem Oeuvre de secours aux enfants (OSE), dem jüdischen Kinderhilfswerk, das versuchte, jüdische Kinder aus französischen Heimen über die Schweizer Grenze zu retten.107 Mit nur einer Mitarbeiterin, der Sekretärin Suzanne Roulet, bewältigte Freudenberg daher ein erstaunliches Arbeitsvolumen.108 Zusätzlich zu der Vielzahl von Sitzungen, den Vortragsreisen und den Bemühungen um das Kontaktnetz mit den anderen Hilfsorganisationen war auch eine umfangreiche Korrespondenz zu bewältigen, denn täglich wandten sich Emigranten aus der Schweiz und Frankreich mit oft verzweifelten Bitten und Fragen an das Flüchtlingssekretariat. Unter sehr beengten Verhältnissen gewährleisteten Freudenberg und Roulet in der Dachmansarde des Einfamilienhauses in der Genfer Avenue de Champel, in dem der ÖRK im Aufbau seine erste Bleibe gefunden hatten, den Ablauf der Arbeit. Die materielle Ausstattung war derart dürftig, dass von Zeit zu Zeit engagierte Hilfskräfte, meist junge Theologen, ihre eigene Schreibmaschine mitbringen mussten.109 Trotz dieser Einschränkungen verhalf das Flüchtlingssekretariat dem im Aufbau befindlichen ÖRK zu seiner wichtigsten Ausstrahlung in der Kriegszeit, indem es auf die Not der Verfolgten und Bedrängten reagierte.110

107 Vgl. zur Arbeit von OSE in der Schweiz J. PICARD, Die Schweiz und die Juden, S. 439f. 108 Freudenberg an Koechlin vom 20.2.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K); Suzanne Roulet an eine Emigrantin vom 15.7. und 12.10.1943 (EBD., Correspondence L). Die Aufstellungen für den Haushaltsplan übernahm die Schatzmeisterin des Vorläufigen ÖRK, Anahide Nercessian. 109 Freudenberg an Thurneysen vom 3.9.1942 über die Einstellung des Theologie-Studenten Hans Schaffert in das Flüchtlingssekretariat (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V). 110 Vgl. R. FRIELING, Weg, S. 70.

Junge Protestantinnen und Protestanten helfen Vertriebenen

KAPITEL 2 Die Cimade – Junge Protestantinnen und Protestanten helfen Vertriebenen Die Gründung der Cimade 1939

2.1 Reaktion auf interne Migration: Die Gründung der Cimade im Herbst 1939 An ihrem 40jährigen Jubiläum erinnerte die Cimade an die Umstände ihrer Entstehung im Herbst 1939.1 Anlass für die Gründung der Organisation war die Sorge um die Bewohnerinnen und Bewohner des Elsass gewesen, die zu dieser Zeit dringend Hilfe benötigten. Sie hatten infolge der Kriegserklärung an das Deutsche Reich im September 1939 ihre grenznahen Städte und Dörfer verlassen müssen und waren in innerfranzösische Departements verbracht worden. Die Integration an den neuen Wohnorten in der Dordogne, dem Limousin oder der Vienne gestaltete sich jedoch schwierig. Den kommunalen Behörden war keine Zeit gegeben worden, sich auf die Beherbergung und Versorgung von tausenden Menschen einzustellen. Sie lebten daher monatelang auf Strohlagern in Turnhallen und Gemeindesälen oder waren bei Privatleuten einquartiert. Im alltäglichen Miteinander zeigten weder die einheimische Bevölkerung noch die Evakuierten Verständnis für die Schwierigkeiten und Sorgen der Gegenseite. Die in ihrer Mehrheit protestantischen Elsässer fanden sich in traditionellen katholischen Provinzen wieder, die im Vergleich zum industriell weiter entwickelten Osten und Norden Frankreichs recht rückständig waren. Ohnehin verbittert über die erzwungene Entwurzelung, äußerten die entfremdeten Menschen rasch ihren Unmut über die einfache Lebensweise in den Gastkommunen. Im Gegenzug bezeichneten die französischen Landesgenossen die Neuankömmlinge als anmaßend und arrogant, aufgrund ihrer elsässischen Sprache wurden sie meist als „Boches“ diffamiert.2 1 Vgl. CIMADE-INFORMATION, Nr. 10 (1980), S. 3f. 2 Vgl. G. U. A. VALLOTTON, Au jour le jour, S. 41 und 54. Die Schwestern Vallotton, die ab 1940 für die Cimade arbeiteten, verfassten ein gemeinsames Tagebuch, in dem sie über ihr Engagement für Vertriebene und Flüchtlinge berichten.

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Junge Protestantinnen und Protestanten helfen Vertriebenen

Das Schicksal der Vertriebenen entging wachsamen Beobachterinnen aus Kirche und Ökumene nicht. Vor allem Suzanne de Diétrich, die durch ihre im Elsass verbrachte Kindheit und Jugend dieser Gegend und ihren Menschen besonders verbunden war, sah sich in Genf zum Handeln veranlasst. Sie gab den Verantwortlichen der protestantischen Jugendverbände in Frankreich die erste Anregung zu einem solidarischen Engagement für die evakuierten Mitbürgerinnen und Mitbürger und forderte das CIM auf seiner Sitzung am 18. Oktober 1939 zu einer konzertierten Aktion auf. Suzanne de Diétrich beließ es jedoch nicht bei dieser Anregung, sondern machte sich persönlich ein Bild über die Lebensverhältnisse der Elsässer.3 Nach ihrer Inspektionsreise wurde ein Hilfskomitee gegründet, dessen erste Sitzung noch unter dem Namen Association d’entr’aide et de service Unioniste bereits am 27. Oktober 1939 stattfand. Auf dieser Versammlung stellte de Diétrich ihre Konzeption für die Hilfsarbeit vor, in der soziale Fürsorge mit der Verbreitung des Evangeliums bei der Jugend verbunden werden sollte. Die Organisation legte von Beginn an besonderen Wert auf ein humanitäres Engagement, das die Menschen, denen diese Zuwendung galt, nicht zu willenlosen Objekten der Wohltätigkeit degradierte, sondern sie als gleichberechtigt wahrnahm. Der Ausspruch „nicht für, sondern mit“ den Vertriebenen, Emigranten und Asylsuchenden leben, umschrieb in knappen Worten das Arbeitsethos der jungen Protestantinnen.4 Es sollte Rücksicht genommen werden auf die „berechtigten Empfindlichkeiten der Elsässer“ und die Mitarbeiterinnen sollten „als Freunde, und nicht als Helfer“ kommen.5 Auch der schließlich Ende Dezember gefundene Name für das neue Hilfskomitee trug dieser Auffassung Rechnung.6 Das aus den Jugend-„Bewegungen“ gebildete Comité Inter-Mouvements wollte bei den Evakuierten, „auprès des Evacués“, wirken, solidarisch ihnen nahe sein, anstatt sie durch karitative Fürsorge ihre abhängige Situation noch stärker fühlen zu lassen. Sehr schnell bürgerte sich für das Comité Inter-Mouvements auprès des Evacués die Abkürzung Cimade ein, die auch in den Statuten verwendet wird. Die Organisation legte am 3. April 1940 diese Statuten bei der Präfektur in Paris vor und ließ sich in das Amtsblatt, den Journal Officiel, eintragen.7 3 CIM-Protokoll vom 18.10.1939 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4). Vgl. auch H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 152f.; M. BAROT, Organisations internationales, S. 218f. 4 Gespräch der Verfasserin mit Dorothée Casalis am 28.9.1996. 5 Protokoll der „Association d’entr’aide et de service Unioniste“ vom 24.11.1939 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4; Übersetzung U. G., Hervorhebung im Original). 6 Bericht von Suzanne de Diétrich über die Cimade-Sitzung vom 23.12.1939: „Ce Comité a pris définitivement ce jour-là le titre de Comité Inter-Mouvements auprès des Evacués (CIMADE)“ (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4). 7 Cimade. Statuts (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Comités coordination Cimade 1939–1990, conseils Cimade).

Die Gründung der Cimade 1939

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Das Komitee der Cimade setzte sich zusammen aus je zwei Delegierten der fünf protestantischen Jugendorganisationen in Frankreich, mithin den UCJG und UCJF, den Verbänden der Pfadfinderinnen und Pfadfinder und der FFACE. Hinzu kamen qua ihres Amtes je eine Vertreterin oder ein Vertreter der Genfer Weltbünde der YWCA, der YMCA und des Christlichen Studentenweltbundes, außerdem ein Verantwortlicher der Fédération Protestante. Dieses Komitee erwählte aus seinen Mitgliedern jährlich einen dreiköpfigen geschäftsführenden Ausschuss mit der Präsidentin, der Schriftführerin und dem Schatzmeister. Außerdem bestimmte es die Generalsekretärin und ihre Stellvertreterinnen. Sie übten ihre Funktionen nicht ehrenamtlich aus, sondern wurden wie die übrigen Funktionäre der Jugendorganisationen mit einem monatlichen Gehalt von 2.500 französischen Francs fest angestellt. Im Einverständnis mit diesen leitenden Kräften sollten die einzelnen Teams gebildet und in ihre Einsatzgebiete gesendet werden.8 In der ersten Arbeitsphase bis zum Sommer 1940 wurde die Cimade wesentlich von Mitgliedern der UCJF und der Pfadfinderinnen getragen. Die Nationalkommissarin der Pfadfinderinnen Violette Mouchon wurde als die erste Schriftführerin des Hilfskomitees benannt. Die ebenfalls bei den Pfadfinderinnen und den UCJF beheimatete Georgette Siegrist übernahm die Funktion der Generalsekretärin. Jane Pannier, die bereits den UCJF vorstand, übernahm zusätzlich die Präsidentschaft der Cimade.9 In Genf engagierte sich neben Suzanne de Diétrich als Vertreterin des Christlichen Studentenweltbundes bald auch Charles Guillon als beigeordneter Sekretär des Weltbundes der YMCA für die Cimade. Er war wie sie regelmäßiges Mitglied der Sitzungen und unternahm im Januar 1940 in Gemeinschaft mit Georgette Siegrist eine weitere große Inspektionsreise.10 Von großer Bedeutung für die Arbeit der Cimade war außerdem die Amerikanerin Evelyn C. Fox, die den Weltverband der YWCA repräsentierte. Sie nahm in dieser Funktion ebenfalls häufig an den Cimade-Sitzungen teil. Ihr Sachwissen war gefragt, denn die YWCA gewährleistete schon seit Beginn 1939 eine Arbeit für immigrierte Flüchtlingsfrauen und -mädchen in Frankreich, die später von der Cimade ausgeführt wurde. Außerdem übernahm die YWCA das Gehalt für die Generalsekretärin der Cimade. Das erste Team mit vier Frauen sollte nach dem 24. November 1940 in die Dordogne aufbrechen. Sie waren mit einem Auto ausgerüstet, um die sehr verstreut lebenden Elsässer besuchen zu können, und hatten die Auf8 EBD. 9 Protokoll der „Association d’entr’aide et de service Unioniste“ vom 24.11.1939 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4). 10 „Rapport sur le travail entrepris par les mouvements de jeunesse chrétienne de France parmi les évacués d’Alsace et de Lorraine“ von Suzanne de Diétrich, 21.1.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4).

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gabe, daneben auch Möglichkeiten zur Gründung von Tagesstätten, sog. Foyers, zu erkunden. Bereits zwei Monate später brachte Suzanne de Diétrich ihre Befriedigung darüber zum Ausdruck, wie gut die Arbeit der Teams bei den Evakuierten aufgenommen worden war, und warb für eine Ausweitung des Engagements.11 Suzanne de Diétrich hatte darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Evakuierungsaktion aus den grenznahen Regionen um einen Fall von interner Migration handelte. „Das Problem gehört zu einer besonderen Kategorie, weil diese Bevölkerungen auf ihrem eigenen Boden, und damit unter der moralischen Verantwortlichkeit der französischen Regierung bleiben.“12 Sie vermied es daher auch, von „Flüchtlingen“ zu sprechen, sondern verwendete durchgehend die Bezeichnung „evakuierte Zivilisten“. Ihre weitsichtige Analyse der Situation zeigt auf, dass Bemühungen um eine Integration dieser evakuierten Französinnen und Franzosen an ihren neuen Wohnorten zu den staatlichen Aufgaben gehörten. Kirchliches Handeln könnte hier den Staat zumindest zum Teil aus seiner Verantwortlichkeit entlassen. Sie sah dennoch einen Anlass zu einer verantwortlichen Aktion der Kirchen und der Jugendorganisationen gegeben, weil es sich bei dieser Entwurzelung auch um eine Frage von konfessioneller Entfremdung handelte, um die Solidarität mit protestantischen Christen, die sich als Migrantinnen und Migranten auch von ihrer Kirche im Stich gelassen fühlten. Die Reaktionen der Evakuierten auf die Besuche der Cimade-Mitarbeiterinnen bestätigen dies: „Endlich jemand, der sich an uns erinnert! Seit wir hier sind, ist niemand gekommen . . . Stellen Sie sich vor, selbst das Reformationsfest ist vorbeigegangen, ohne dass es einen Gottesdienst gegeben hat – das ist eine Schande!‘“13 Schon die Geschichte ihrer Gründung zeigt den wesentlichen Zusammenhang der Cimade mit den Organisationen der Ökumene in Genf. Die Cimade war ein Kind der französischen protestantischen Jugendbewegungen, aber die Genfer Jugendökumene stellte die Geburtshelferin dar. Mit Suzanne de Diétrich gab eine Sekretärin des Christlichen Studentenweltbundes die grundlegende Anregung, zugleich wurde der Aufbau der Arbeit mit getragen von Charles Guillon als einem Mitglied des Weltbüros der YMCA. Die Weltorganisation der YWCA gewährleistete eine finanzielle Unterstützung und war in der Person von Evelyn C. Fox sehr interessiert an der weiteren Entwicklung.14 Die bedrückende Lage der Christinnen und Christen aus dem Elsass war damit als ein Problem erkannt worden, das 11 EBD. Vgl. auch H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 153. 12 Bericht von Suzanne de Diétrich: „French evacuated civilians“, vom 7.11.1939 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4). 13 „Rapport sur le travail entrepris . . .“ vom 21.1.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/4). 14 Zu Fragen der Finanzierung vgl. M. BAROT, organisations internationales, S. 219.

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nicht staatlichen Regulierungsmaßnahmen überlassen werden sollte, mit dem aber auch die protestantischen Kirchen Frankreichs nicht allein gelassen werden konnten. Eine internationale ökumenische Solidarität war gefragt. Durch die Genfer Partizipation bildete sich schließlich von Beginn an ein Vertrauensverhältnis heraus, das von besonderer Bedeutung werden sollte, als die Cimade ihr Konzept umwandelte und sich nicht mehr den Opfern interner Migration zuwandte, sondern ihr Engagement neu definierte. Madeleine Barot und die Cimade 1940

2.2 Madeleine Barot und die Cimade seit August 1940: Ein Hilfswerk für verfolgte Christen und Juden Bereits im Sommer 1940 stand die Cimade vor der Frage, ob sie sich auflösen oder ein neues Aufgabenfeld erschließen sollte.15 Ein Engagement bei den Evakuierten wurde in den Kriegswochen des Mai und Juni zunehmend schwieriger, auf den Straßen drängten sich die Flüchtlinge auf der Flucht vor den deutschen Truppen in den noch freien Süden und die Benzinknappheit machte es fast unmöglich, Besuchsdienste mit Personenwagen durchzuführen. Zudem entschieden sich viele Menschen aus dem Elsass dazu, ihre Heimatregionen wieder aufzusuchen, auch wenn sie dort nun unter nationalsozialistischer Herrschaft leben mussten. Andere hatten sich in den zugewiesenen Departements integriert und brauchten keine Hilfe mehr.16 Die Cimade, die gemeinsam mit den anderen protestantischen Jugendorganisationen ein Büro in der südfranzösischen Stadt Nîmes in der unbesetzten Zone eröffnet hatte, diskutierte in dieser Zeit zwei Konzepte für eine Neuorientierung. Georgette Siegrist wollte eine Internatsschule für die elsässischen Kinder und Jugendlichen gründen, die im unbesetzten Frankreich zurückblieben, um hier ihre Ausbildung fortzusetzen. Außerdem sollte sich die Cimade nach ihrer Vorstellung an einem Zentrum für die Elsässer in Lyon beteiligen. Damit wollte sie trotz der geänderten Umstände an der bisherigen Ausrichtung der Arbeit festhalten. Zugleich jedoch wurde die Cimade auf ein anderes Problem aufmerksam gemacht, mit dem sie ihren Aktionskreis wesentlich erweitern würde. Protestantische Gemeinden im Umkreis des Internierungslager Gurs bei Navarrenx am Rande der Pyrenäen hatten Marc Boegner, den Präsidenten der Fédération protestante, auf die schlimmen Bedingungen aufmerksam gemacht, unter denen die 15 Brief von Violette Mouchon an Suzanne de Diétrich vom 5.8.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18). 16 Vgl. M. BAROT, Camps d’internement, S. 294.

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Ausländerinnen und Ausländer dort leben mussten. Die Existenz der Internierungslager war den kirchlichen Autoritäten seit Monaten bekannt und Boegner hatte des öfteren in Einzelfällen interveniert und sich z. B. im Mai 1940 für Magdalene Forell, die Frau des vom französischen Kirchenbund zum Flüchtlingspfarrer ernannten deutschen Emigranten Friedrich Forell, in Gurs eingesetzt.17 Ein planvolles Engagement hatte es jedoch von protestantischer Seite in den Lagern bisher nicht gegeben, und es zeigte sich nun, dass die umwohnenden Pfarrer mit der zusätzlichen Betreuungsarbeit überfordert waren. Auf der Sitzung am 15. August 1940 beschloss die Cimade, eine Inspektionsreise durch die Lager durchführen zu lassen. Hiermit wurde eine neue Mitarbeiterin beauftragt, die gerade 31jährige Madeleine Barot.18 Den Mitgliedern des Komitees war sie keine Unbekannte. Sie hatte sich während ihres Studiums der Geschichte und Archäologie an der Sorbonne mit großem Einsatz an den Aktivitäten der FFACE beteiligt und sich bereits hier in sozialer Arbeit engagiert. Ihre Mitarbeit an der Vorbereitung und Durchführung der ökumenischen Weltjugendkonferenz in Amsterdam 1939 ergab sich aus dieser Tätigkeit. Zu diesem Zeitpunkt lebte Madeleine Barot bereits seit vier Jahren in Rom, denn nach ihrer Graduierung 1934 hatte sie eine Stelle als Archivarin und Bibliothekarin an der dortigen Ecole Française angenommen. Als die junge Französin nach dem Kriegseintritt Italiens an der Seite von Hitlerdeutschland im Mai 1940 wie ihre Landsleute nach Frankreich zurückkehren musste, suchte sie in den Wirren von Krieg und Waffenstillstand eine neue Beschäftigung und wurde von Boegner auf die Cimade aufmerksam gemacht.19 Das große Vertrauen, das ihr vom Leitungskomitee entgegengebracht wurde, zeigte sich auch darin, dass sie unverzüglich zur beigeordneten Generalsekretärin ernannt wurde und Georgette Siegrist in ihrer Arbeit entlasten sollte. Die Zustände in den Internierungslagern berührten Madeleine Barot tief. Schon bei der nächsten Sitzung der Cimade im September 1940 konnte sie von vorbereitenden Gesprächen mit den Lagerleitern berichten, die durchaus gewillt seien, Mitarbeiterinnen der Cimade in die Lager zu lassen. Mit einer erstaunlichen Tatkraft und großer Umsicht baute Madeleine Barot dieses Arbeitsfeld in den nächsten Monaten aus. „Im Moment ist ihr ganzes Herz auf der Seite der Lager“, schrieb Violette Mouchon im 17 Brief vom 31.5.1940 an Pastor Delpech in Sauvterre-de-Béarn bei Gurs (ARCHIV DER FEDERATION PROTESTANTE PARIS: Korrespondenz Marc Boegner 1940), vgl. dort weitere Eingaben Boegners. Vgl. zu den Forells auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 183. 18 Protokoll der CIM-Sitzung vom 18. u. 19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 19 Zur Biografie Madeleine Barots vgl. A. M. SCHÄFER/P. MAURY, Barot; UNE PRISE DE CONSCIENCE des problèmes politiques et sociaux: la Cimade; W. SIMPFENDÖRFER, Spurensuche; A. JACQUES, Barot; P. BOLLE, Barot.

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Februar 1941, und jede andere Arbeit müsse dafür warten.20 Auch Angebote von renommierten Bibliotheken, die es Madeleine Barot erlaubt hätten, ihre in Rom begonnene Laufbahn fortzusetzen, schlug sie aus, um den Entwurzelten weiter zur Seite stehen zu können.21 Sie überwand die Widerstände bei den Behörden, war ständig auf der Suche nach Mitarbeiterinnen, die sich der psychischen und physischen Belastung eines Lebens mit den Internierten aussetzen mochten und hatte bis zum Sommer 1942 nicht nur die Cimade in sechs Lagern installiert, sondern auch weitere hoffnungsvolle Projekte initiiert. Im Rückblick kann die Cimade daher mit gutem Grund von einem doppelten Gründungsdatum ausgehen: Im Herbst 1939 hatte sie sich für die Evakuierten formiert, im Sommer 1940 stand dagegen mit den Flüchtlingen in den Lagern eine wesentlich andere Gruppe im Blickfeld der jungen Organisation.22 Denn während die protestantischen Elsässer als Franzosen auf ihre Rechte in der Republik hatten vertrauen können, begab sich die Cimade mit ihrem Engagement für die Internierten in einen gänzlich neuen politischen Kontext. Seit dem Waffenstillstand und der Ausrufung des Etat Français durch Pétain im Juli 1940 hatte das demokratische System keinen Bestand mehr. Dagegen richtete sich ein autoritäres Regime ein, das mit seiner „nationalen Revolution“ Fremde und Juden als die inneren Feinde Frankreichs ausgemacht hatte. Indem sich die Cimade unter Madeleine Barot gerade dieser verfolgten Menschen annahm, durchlief sie in der Tat einen Paradigmenwechsel. Sie wandte sich nun einer Gruppe zu, die unter einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit, an der steigenden Ausländerfeindlichkeit und dem Antisemitismus des Regimes litt und reagierte damit auf die geänderten Verhältnisse in Staat und Gesellschaft. Die Cimade demonstrierte Solidarität mit den Ausgegrenzten und stellte sich damit auch gegen Vichy, das diese Menschen entrechtete und entwürdigte. Zunächst galt die Hilfe der Cimade den deutschen Christinnen und Christen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Opfer des NS-Antisemitismus geworden waren und nach den Gesetzen von Vichy als Juden und Jüdinnen galten. Damit wurde die Cimade auch zu einem nicht unwichtigen Teil deutsch-französischer Kirchengeschichte. Die Solidarität angesichts staatlicher Diffamierung und Entrechtung, die die sog. Judenchristen bei den Kirchen im Deutschen Reich in den 1930er Jahren weitestgehend vermisst hatten, erfuhren sie in der französischen Internierung mit der Zuwendung durch den französischen Kirchenbund und die von ihm un20 Mouchon an de Diétrich vom 1.2.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18). 21 Brief von Barot an de Diétrich o. D. (Ende Dezember 1940) (SHPF PARIS: DT Die 2): Sie könne an der Sorbonne eine Stelle antreten. 22 CIMADE-INFORMATION, Nr. 10 (1980), S. 3: „1939– 1940. Deux dates. Double naissance de la CIMADE, aux heures sombres de la guerre et de la résistance . . . .“

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terstützten protestantischen Jugendorganisationen. Ab Sommer 1942 bedeutete dieser Beistand für die meisten von ihnen die Rettung vor der Deportation in die Vernichtungslager. Es sollte jedoch noch Monate dauern, bis sich der Umbruch in der Cimade-Arbeit dauerhaft durchgesetzt hatte. Das Leitungskomitee hatte im September 1940 sowohl den Vorschlägen von Madeleine Barot für eine Arbeit in den Lagern zugestimmt als auch Georgette Siegrist darin ermutigt, an dem Einsatz für die Elsässer festzuhalten. Beide Frauen verfolgten im Winter 1940/1941 ihre Projekte, und die Mitarbeiterinnen litten unter der mangelhaften Arbeitsorganisation und der ungeklärten Zukunftsperspektive.23 Siegrist hatte die Cimade in ihrer ersten Phase maßgeblich bestimmt und sah in dem Engagement ihrer neuen Kollegin, Madeleine Barot, eine Konkurrenz für ihre Tätigkeit. Von einer Kooperation der beiden, wie sie das Cimade-Komitee im August 1940 beschlossen hatte, konnte jedenfalls keine Rede sein. Zudem gab es auch zwischen Georgette Siegrist und der neuen Cimade-Präsidentin, Violette Mouchon, keine befriedigende Zusammenarbeit.24 Die drei Frauen in den Führungspositionen der Cimade konnten sich jedoch schließlich einigen. Entscheidend war in dieser Situation die Hilfe von Suzanne de Diétrich aus Genf. Durch ihre Mitarbeit im Emergency Committee of Christian organisations (ECCO) und ihre Kooperation mit dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat war sie über die Situation in den Internierungslagern informiert. Sie warnte Georgette Siegrist schon im Januar 1941 eindrücklich davor, Zeit und Kräfte für andere Projekte zu vergeben: „. . . wir haben schon größte Schwierigkeiten, um Teammitarbeiterinnen für die Internierungslager zu finden. Es scheint mir, dass das die Aufgabe ist, die wir unverzüglich angehen müssen.“25 Da der Flüchtlingssekretär Adolf Freudenberg keine Einreiseerlaubnis nach Frankreich erhielt, empfing Suzanne de Diétrich gemeinsam mit Visser ’t Hooft im März 1941 im französischen Grenzort Annemasse die Berichte von Madeleine Barot über Gurs und gewann aus diesem Gespräch einen ausgezeichneten Eindruck von dem Engagement. Suzanne de Diétrich und Violette Mouchon waren sich darin einig, dass alle andere Arbeit dafür zurückstehen müsse, „denn die Lager erfordern ein 23 de Diétrich an Mouchon vom 5.5.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5); Mouchon an Barot vom 22.6.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–45, Heft Camps internement SE Généralités 1940– 1944); de Diétrich an Siegrist vom 19.2.1941; Siegrist an Evelyn C. Fox vom 17.3.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/3). 24 „Es ist wirklich schwierig, sie zu verstehen und mit ihr zusammenzuarbeiten“, schrieb Mouchon am 28.5.1941 an de Diétrich (AÖRK GENF: 213.11.7.18). Da Jane Pannier in der besetzten Nordzone geblieben war, hatte Mouchon im Sommer 1940 die Präsidentschaft der Cimade übernommen. 25 de Diétrich an Siegrist vom 19.2.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/3).

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sofortiges und wirksames Handeln . . . . Es wäre schade, eine Tür zu schließen, die nicht ohne Schwierigkeiten geöffnet worden ist.“26 Suzanne de Diétrich warb von Genf aus für eine ruhige Gesprächskultur der drei Frauen, in der die Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden sollten. Eine Unterredung mit Violette Mouchon und Madeleine Barot bewog Georgette Siegrist im Mai 1941 darin, aus der Cimade auszuscheiden.27 Die Entscheidung der protestantischen Jugendverbände, die Cimade durch ihr Leitungskomitee auf eine breite, internationale Basis zu stellen, bewährte sich für die Organisation während ihrer Tätigkeit unter dem Regime von Vichy. Nicht nur bestärkten die Genfer Vertreterinnen die Cimade in der Zuwendung zu den Opfern eines staatlichen Rassismus und Antisemitismus, sondern sie leiteten in dieser Phase auch die Zusammenarbeit mit dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat ein. Freudenberg erfuhr erst im Oktober 1940 von der Existenz der Cimade, die er zunächst irrtümlich für eine Gründung der YWCA hielt. Das Flüchtlingssekretariat sollte aber in den folgenden Jahren zur entscheidenden Kooperationsstelle für die Cimade in Genf werden, die ihr nicht nur im Engagement in den Internierungslagern half, sondern vor allem von Bedeutung wurde, als es darum ging, Menschen durch die Fluchthilfe in die Schweiz vor dem Holocaust zu retten. Ebenso wichtig war die Bindung an den französischen Kirchenbund, der die Arbeit der Jugendorganisation durch einen Vertreter im Cimade-Komitee unterstützte. Indem Boegner als der wichtigste Repräsentant der französischen reformierten Kirche in der Öffentlichkeit diese Funktion wahrnahm, verschaffte er der Cimade auch eine gewisse Protektion gegenüber dem Regime und signalisierte das nachhaltige Interesse der Kirche an der Arbeit für die Flüchtlinge und Vertriebenen in Südfrankreich. Als ein Komitee der protestantischen Jugendverbände engagierte die Cimade ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hauptsächlich aus ihren Gründungsorganisationen. Während die Tätigkeit in der Anfangsphase in erster Linie von jungen Frauen aus den Verbänden der Pfadfinderinnen und den UCJF bestimmt wurde, forderte Violette Mouchon im August 1940 eine personelle Erneuerung. Sie wünschte eine stärkere Beteiligung von Studierenden aus der FFACE und wollte auch Männer für die Arbeit verpflichten.28 In der Folge wurde vor allem während der Ferienfreizeiten 26 de Diétrich an Mouchon vom 11.2.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/2). 27 de Diétrich an Mouchon vom 5.5.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5); Mouchon an de Diétrich vom 28.5.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18); de Diétrich an Siegrist vom 5.5.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/3). Siegrist gründete daraufhin mit Unterstützung der YWCA eine landwirtschaftliche Frauenschule im Departement Drôme (CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Juli 1942). Sie blieb jedoch der Cimade-Arbeit verbunden, indem sie auf Tagungen der Jugendverbände für die Mitarbeit warb. 28 Mouchon an de Diétrich vom 5.8.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18).

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der protestantischen Jugendarbeit für neue Kräfte geworben, wie z. B. auf einer CPJ-Tagung zum Jahreswechsel 1942/1943, auf der Jeanne Tendil von ihrem Leben als Cimadearbeiterin im Lager von Brens berichtete. Georgette Siegrist forderte die Mitglieder einer Tagung des französischen Christlichen Studentenbundes im Frühjahr 1941 zu einem Engagement in Gurs auf und erzählte von den elenden Verhältnissen, unter denen die Internierten leben mussten.29 Für die 79 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von 1940 bis 1944 nachweislich in der Cimade beschäftigt wurden, lässt sich eine Zuordnung zu einzelnen Jugendorganisationen nur mit Vorbehalt machen, da die Quellenlage sehr disparat ist. Jedoch ist sicher, dass nur sehr wenige den UCJG angehörten. Für mindestens zwanzig der Cimade-Frauen und -Männer kann die Zugehörigkeit zur FFACE belegt werden. Desgleichen lässt sich für wenigstens acht Frauen und fünf Männern eine Mitgliedschaft in den Bewegungen der Pfadfinderinnen und Pfadfinder nachweisen. Auch den UCJF entstammten sicherlich weit mehr als die zehn Frauen, für die entsprechende Quellenbelege angegeben werden können.30 Studierende nahmen in der Cimade einen hohen Anteil ein, da viele von ihnen sich für die Zeit der Semesterferien zur Verfügung stellen konnten, um den langjährigen Teammitgliedern im Sommer eine Ruhephase zu ermöglichen. Anschaulich schildert Laurette Alexis-Monet, wie sie auf einer Freizeit des Studentenbundes zu Ostern 1942 in den französischen Alpen zum ersten Mal über die Internierungslager informiert wurde: „Pastor Casalis erzählte uns von den Projekten für den Sommer. Die Cimade war in den Internierungslagern der Südzone zugegen und leistete dort Hilfe, aber die Mitarbeiter brauchten ein wenig Erholung: Wer wollte sie im August vertreten? Es war seltsam: Niemand hatte bisher zu uns über diese Lager gesprochen, von deren Existenz wir in dem schönen Tal von Queyras durch Casalis erfuhren, während die Dorfglocken läuteten. War es in diesem Rahmen möglich, sich die beschworene Wirklichkeit vorzustellen? Ich weiß es nicht. Aber ich sagte ‚Ja, ich, im August‘ . . . . Ich war verfügbar.“31

Laurette Monet blieb über diese Sommermonate hinaus bis Juni 1943 im Dienst der Cimade und war mit 19 Jahren eine der jüngsten Frauen in den Teams. Das Geburtsdatum lässt sich nur bei 16 der 61 Cimade-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter mit Sicherheit ermitteln, ihre Korrespon29 CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Nr. 3–4, Jan.–Feb. 1943, S. 141. An die eindringliche Werbung von Siegrist erinnert sich die ehemalige Cimade-Mitarbeiterin Jacqueline JourdanLaurier (schriftliche Mitteilung an die Verfasserin vom 28.7.1996). 30 Vgl. die Biogramme der Cimade-Mitarbeiterinnen im Personenregister, die aus einer Vielzahl von Berichten, Briefen und Artikeln in den Zeitschriften der Jugendverbände zusammengestellt wurden. Einige Mitglieder gehörten gleichzeitig zwei oder drei Jugendorganisationen an. 31 L. ALEXIS-MONET, Les Miradors, S. 24f. (Übersetzung U. G.).

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denz zeigt jedoch, dass die Mehrheit noch nicht 30 Jahre alt war. Sie entstammten einem bürgerlichen Milieu und waren noch stark in ihre Familien eingebunden, in mehreren Fällen zeigten sich die Eltern der jungen Menschen besorgt über das nicht ungefährliche Engagement in den Lagern. Nur sehr wenige von ihnen waren bereits verheiratet. Viele befanden sich noch in der Ausbildung oder hatten diese gerade abgeschlossen, wie André Morel, der im Anschluss an sein Vikariat 1941/42 in Gurs Mitglied des Cimade-Teams war.32 Seine Kollegin Elisabeth Schmidt, die erste Pastorin in der reformierten Kirche Frankreichs, hatte dagegen schon eine Pfarrstelle in den Cevennen innegehabt, bevor sie mit 33 Jahren 1941 die Flüchtlingsgemeinde in Gurs betreute. Die 1923 geborene Suzanne Loiseau-Chevalley hatte während ihres Jura-Studiums als Rechtsberaterin für französische Juden in Marseille gearbeitet, bevor sie zur Cimade kam und in der Bergwelt Hochsavoyens mehrere Monate lang Fluchtpassagen durchführte.33 Nur wenige Frauen waren wesentlich älter: Jeanne Merle d’Aubigné, die einzige ausgebildete Sozialarbeiterin mit staatlichem Examen bei der Cimade, begann im Dezember 1940 mit 51 Jahren ihre Arbeit in Gurs, Jeanne Sénat, die vor ihrem Eintritt in die Cimade eine Tagesstätte der UCJF geleitet hatte, zählte im Sommer 1942 57 Jahre.34 Alle Frauen und Männer in den Teams erhielten ein monatliches Gehalt von 1.200 französischen Francs, unabhängig davon, ob sie wie Jeanne Merle d’Aubigné bereits seit zwei Jahren in Gurs tätig waren oder wie die Studentin Anne-Marie Roehrich nur für einige Zeit in den Semesterferien in Récébédou arbeiteten.35 Die Fluchthelferinnen und Fluchthelfer, die sich zwischen 1942 und 1944 an der Grenze einsetzten oder die Verfolgten auf der risikoreichen Bahnreise in die Alpendepartements begleiteten, mussten zusätzlich die Reisespesen für sich und ihre Schützlinge ersetzt bekommen. Obwohl die Cimade damit über ein sehr junges und nicht großes Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterspektrum verfügte, leistete sie in den vier Jahren unter dem Regime von Vichy und der deutschen Besatzung doch 32 Bericht von André Morel über seinen Aufenthalt in Gurs vom 20.5.1987 (CIMADE-ARPARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–44, Heft Gurs). 33 Vgl. die Autobiografie von E. SCHMIDT, Dieu, dort das Kapitel über ihren Aufenthalt in Gurs, S. 59–79. Zu Loiseau-Chevalley vgl. ihr Zeugnis in LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 299–303. 34 Für Merle d’Aubigné vgl. P. BOLLE, Merle d’Aubigné, Jeanne. Die Angaben zu Jeanne Sénat nach einem Brief ihres jungen Teamkollegen Jacques Saussine in Récébédou an seine Familie vom 1.8.1942 (Privatarchiv, der Verfasserin freundlicherweise zugänglich gemacht durch Laurette Alexis-Monet). 35 Dieser Verdienst ist an der unteren Grenze der damaligen Lohnskala einzuordnen (vgl. D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung, S. 214). CHIV

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Erstaunliches, was sicherlich auch den Qualitäten Barots in der Personalführung zu verdanken war. Sie brachte den oft kaum 20jährigen Frauen und Männern Vertrauen entgegen und verlangte ein hohes Maß an Eigeninitiative und Entscheidungsfindung, erwartete jedoch auch, dass ihren oft diktatorischen Anordnungen Folge geleistet wurde. Nicht ohne Grund wurde sie in der Cimade die „Patronne“ genannt. Die Cimade – eine Widerstandsbewegung?

2.3 Die Cimade – eine Widerstandsbewegung? Die jungen Frauen und Männer, die ein Engagement bei der Cimade wahrnahmen, wiesen sich durch ein besonderes Verantwortungsbewusstsein gegenüber der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung unter Vichy aus. Sie sahen in den Folgen der Internierungspolitik von Vichy einen Anlass zum Handeln und entschlossen sich, ihre Ausbildung für Monate oder Jahre zu unterbrechen und sich von Familien und Freunden zu trennen, um den Ausgegrenzten Hilfe und Unterstützung zu bringen. Angesichts der harten Bedingungen in den Lagern gingen sie mit ihrer Entscheidung für ein Leben in den Baracken hohe persönliche Risiken ein und setzten sich an der schweizerischen Grenze gefährlicher Verfolgung durch französische Polizei und Gestapo aus.36 Um die Aktivitäten dieser Christinnen und Christen jedoch als ein oppositionelles Handeln gegen den Staat einzuordnen, müssen verschiedene Fragen reflektiert werden. Dies gilt sowohl für die Phase der Cimade bis zum Sommer 1942, d. h. ihrer in den Internierungslagern praktizierten Solidarität mit den entrechteten Emigrantinnen und Emigranten, als auch für die illegale Untergrundarbeit vom August 1942 bis zur Befreiung von den deutschen Besatzern und dem Ende des französischen Kollaborationsregimes im Sommer 1944. In der Forschung bisher herausgestellte kritische Punkte zur Leistung der Hilfswerke in den Lagern und zur Definition von Widerstand als ein Eintreten für die Opfer autoritärer Regime sind in Anwendung auf die Geschichte der Cimade zu diskutieren. Sie werden hier einleitend kurz vorgestellt. Im Anschluss ist auf den Ansatz einzugehen, der den folgenden Interpretationen zugrunde liegen soll. Vor allem die französische Historikerin Anne Grynberg hat auf die Ambivalenz der Sozialarbeit in den französischen Lagern unter dem Regime von Vichy aufmerksam gemacht. Zwar wäre die Schreckensbilanz der französischen Internierung ohne die Hilfe der humanitären Organisationen weit schlimmer ausgefallen. Dennoch hätten sich die Hilfswerke kompromittiert, indem sie mit ihrer Arbeit in den Lagern die Unzulänglichkeiten 36 Vgl. A. KASPI, Juifs, S. 362.

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der staatlichen Verwaltung verschleierten. Die Hilfswerke hätten die großen Linien der staatlichen Politik aufmerksamer verfolgen und ihre Aktionen daraufhin abstellen müssen.37 Auch für die Cimade ist im Zusammenhang mit ihrem Engagement in den Lagern zu diskutieren, inwieweit sie sich in eine bedenkliche Nähe zur Regierung gebracht hat. Hat sie die von Peter Steinbach beschriebene „Gratwanderung zwischen Konfrontation und Kooperation“38 überstanden oder hat sie sich zu weit an das Regime von Vichy angepasst? Hat sie die Mitarbeit in den Lagern bewusst und mit kritischer Aufmerksamkeit durchgeführt, um gegen Diskriminierung und Entrechtung einzutreten? Diesen Fragen wird nachzugehen sein. Hinweise zur Einordnung der Cimade als christliche und kirchlich anerkannte Gruppierung unter dem Regime von Vichy kann die von Dietrich Bonhoeffer schon 1933 umrissene Widerstandstypologie geben. Er ging von drei Möglichkeiten kirchlichen Verhaltens gegenüber dem Staat aus. Demzufolge hatte die Kirche zunächst die Aufgabe, den Staat nach der Legitimität seines Handelns zu befragen und ihn in die Verantwortung zu nehmen. Sie war zweitens „den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde zugehören.“ In letzter Konsequenz musste aber auch sie für einen Widerstand eintreten, der sich den Umsturz eines Unrechtsstaates zum Ziel gesetzt hatte.39 Dieses Programm weist sich u. a. dadurch aus, dass es die Solidarität mit den Leidtragenden und Verfolgten als wichtige und eigenständige Widerstandsmöglichkeit der Kirchen hervorhebt. Die Cimade hat mit ihrem Engagement in den Internierungslagern eben Bonhoeffers Forderung erfüllt, „die Opfer unter dem Rad zu verbinden“, und sie hat sich darin, wie er es von der Kirche erwartet hatte, nicht auf Hilfeleistung an Christinnen und Christen beschränkt. Jedoch wird festzustellen sein, dass die Cimade zwar in der Phase ab Sommer 1942 noch über dieses Engagement hinausging, dass sie aber den von Bonhoeffer genannten dritten Weg kirchlichen Handelns, nämlich „dem Rad selbst in die Speichen zu fallen“ und damit das Ende des Regimes zu ermöglichen, nicht für sich in Anspruch nahm. Der Quellenbefund zeigt auf, dass die Cimade bewusst nicht beabsichtigte, mit Untergrundaktionen den Lauf des Regimes und der Besatzungsbehörden zu stoppen und damit die alliierten Befreiungsbemühungen aus dem Inneren Frankreichs heraus zu unterstützen. Die an der deutschen Opposition unter dem Nationalsozialismus entwickelte Forschung hat erst in jüngster Zeit, Peter Steinbach zufolge „fast zu spät“, damit begonnen 37 Vgl. A. GRYNBERG, Nîmes-Komitee; DIES., Camps, S. 194ff.; DIES., Aide et soutien, S. 166f. 38 Vgl. P. STEINBACH, Europa, S. 26. 39 Vgl. D. BONHOEFFER, Kirche vor der Judenfrage (in: DERS., Berlin 1932–1933), S. 353f.; vgl. auch L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Evangelische Kirche, S. 408.

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auf diese Weise abgegrenzte Aktivitäten als widerstehende Aktionen wahrzunehmen und einzuordnen.40 In der Zeitgeschichte und kirchlichen Zeitgeschichte nimmt die Mehrheit der Historiker und Historikerinnen eine Wertung vor, in der Handlungen, die den Umsturz des Regimes zum Ziel haben, die qualitative Spitze einnehmen. Sie werden als der eigentlich politische Widerstand bezeichnet.41 Zwar ist seit Mitte der 1970er Jahre die Ausrichtung der Forschung auf den mutigen Widerstand der konservativ-bürgerlichen und sozialdemokratischen Eliten um die Gruppe des 20. Juli 1944 durch die von Martin Broszat und anderen durchgeführte alltagsgeschichtliche Untersuchung zu Widerstand und Verfolgung in Bayern während der NS-Zeit hinterfragt worden. Broszat brachte in diesem Zusammenhang den Begriff der „Resistenz“ in die Diskussion ein, um auch kleinere und kleinste Formen widerstehenden Verhaltens in der Gesellschaft zu würdigen.42 Die Identifikation der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft mit dem am 20. Juli 1944 versuchten Tyrannenmord scheint es jedoch immer noch kaum zu erlauben, Widerstand in der Form von Solidarität mit Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma sowie weiteren Opfern nationalsozialistischer Verfolgung angemessen zu werten.43 So gibt es in der deutschen Erinnerungskultur kein öffentliches Gedenken mit breiter Wirksamkeit, das den von Yad Vashem zu „Gerechten unter den Völkern“ ernannten Helferinnen und Helfern des Judentums nicht nur in Nazi-Deutschland, sondern auch in den besetzten Ländern gewidmet wäre. Ähnlich lag das Hauptaugenmerk der Widerstandsforschung in Frankreich auf den politischen Aktionen der größeren Oppositionsbewegungen wie Combat, FrancTireur und Libération, die sich 1943 in den Mouvements Unis de Résistance (MUR) zusammenfanden und gemeinhin als die Résistance bezeichnet werden. Sie beabsichtigten mit ihrem Untergrundkampf den Umsturz des Systems von Vichy und die Befreiung von den deutschen Unterdrückern und versuchten nur am Rande, durch Sabotageaktionen Internierte aus den Lagern zu befreien oder etwa Deportationszüge zu stoppen und damit direkt den Opfern zu helfen.44 Madeleine Barot und Violette Mouchon 40 Vgl. P. STEINBACH, ‚Unbesungene Helden‘, S. 196. 41 Vgl. u. a. die Zusammenfassung kirchengeschichtlicher Positionen durch G. v. NORDEN, Kooperation, S. 227–239 sowie D. PEUKERT, Working-Class Resistance, S. 36f. 42 Vgl. H. MOMMSEN, Widerstand und Dissens, S. 107–118; M. BROSZAT, Historical Typology. 43 Stellvertretend für viele sei das Beispiel der Theologin und Breslauer Gemeindevikarin Katharina Staritz genannt (vgl. H. ERHART, Theologinnen, S. 182). 44 Vgl. M. BAUDOT, Résistance; F.-G. DREYFUS, Résistance. Seit den 1980er Jahren hat sich der Schwerpunkt der zeitgeschichtlichen Forschung in Frankreich von der Résistance auf die Geschichte der Juden und Jüdinnen unter Vichy und dem Besatzungsregime verlagert (vgl. R. POZNANSKI, Vichy; A. GISINGER, Vel’d’Hiv’). Erst in diesem Kontext wird verstärkt Hilfeleistung und Rettung für Verfolgte thematisiert.

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grenzten die Cimade entschieden von der Résistance ab und vertraten ein gewaltloses christliches Oppositionskonzept, in dem die Rettung der Opfer vor dem Holocaust zentral war. Kann auch eine Form der Opposition als politischer Widerstand benannt werden, in der die diskriminierende Minderheitenpolitik des Staates von einer christlichen Gruppe kritisch als Unrechtshandeln erkannt wird, woraufhin diese sich mit ihrem aktiven Bekenntnis zu den Bedrohten entschieden gegen das Regime wendet? Im Laufe der Arbeit soll diskutiert werden, ob risikoreicher Widerstand, der die Rettung der „Opfer unter dem Rad“ beabsichtigt und risikoreicher Widerstand, der „dem Rad selbst in die Speichen“ fallen will, durch eine Hierarchisierung angemessen erfasst werden können. Die hier aufgeführten Problemanzeigen zur Widerstandsgeschichte der Cimade können nicht reflektiert werden, ohne auch die theologische und politische Motivation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beachten. Ein Analysemodell von Leonore Siegele-Wenschkewitz bietet sich als Grundlage dazu an, das Widerstehende am Handeln der Frauen und Männer in der Cimade zu bestimmen. Ihr zufolge ist es „erst der moralischethische Impetus . . ., der die volle historische Realität uns aufschließt und zugleich eine angemessene Rezeption des theologischen wie spirituellen Erbes derer eröffnet, für die ihr Glaube zur Widerstandskraft geworden ist“. Sie schlägt vor, unter Verwendung der Kategorien von Verträglichkeit und Unverträglichkeit das Selbstverständnis kirchlicher Gruppierungen und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus zu bestimmen.45 Anhand dieser Kategorien soll das Engagement der Cimade als ein oppositionelles Handeln beschrieben werden, das sich prozesshaft entwickelte. Während die willkürliche Internierung von Minderheiten in der ersten Phase des Regimes bis zum Beginn des Jahres 1941 noch nicht als unberechtigte Maßnahme des Staates verstanden wurde, lässt sich unter dem Einfluss der täglich erlebten menschenverachtenden Zustände bald eine rasch zunehmende Distanz der Cimade zur Regierung in Vichy aufzeigen. Die hier vorgenommene Ausgrenzung von Andersgläubigen und Fremden war mit ihrem Verständnis von einem Rechtsstaat nicht mehr vereinbar. Jedoch wollte die Cimade möglichst nicht ihre Tätigkeit in den Lagern durch offenes Protestverhalten beeinträchtigen und brachte sich dadurch in die von Grynberg benannte Ambivalenz. Als Funktionäre und Funktionärinnen der Jugendverbände beobachteten die Verantwortlichen der Cimade indessen gleichzeitig aufmerksam die Entwicklung in Vichy und setzten sich kritisch mit den Maßnahmen des Regimes auseinander. Die Thesen von Pomeyrol und die Grundsatzerklärung der Jugendorganisationen aus dem Spätsommer 1941 wurden von Mitgliedern der Cimade 45 Vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Ethik, das Zitat S. 165f.; zum Weiteren EBD., S. 167f.

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mit verfasst und zeigen die ablehnende Position gegenüber der fremdenfeindlichen und antisemitischen Politik des Regimes auf.46 Die auf diese Weise bezeichnete Grenze christlichen Gehorsams gegenüber dem Staat von Vichy war für die Cimade im Sommer 1942 erreicht. Die unbarmherzige Menschenjagd, die Selektionen und Deportationen in den Osten waren ihrer Überzeugung nach Kennzeichen eines Unrechtsstaates. Nur noch mit illegalen Aktionen konnte nun Männern, Frauen und Kindern, denen der Abtransport drohte, geholfen werden. Jedoch verfügte die Cimade allein aufgrund ihrer bisherigen staatlich tolerierten Arbeit über eine organisatorische Basis, die es ihr ermöglichte, die Rettung von mehreren hundert Menschen in die Schweiz durchzuführen. Sie stellte sich mit ihrem christlich motivierten Engagement für die Opfer neben die Résistance, die sich mit militärischen Mitteln für die Befreiung einsetzte. Es wird aufzuzeigen sein, dass nach Auffassung der leitenden Mitglieder der Cimade kein qualitativer Unterschied zwischen diesen Aufgaben des Widerstandes bestand. Auffallenderweise wird auch der jüdische Widerstand in Frankreich in zweifacher Weise definiert: „Juden vor der Vernichtung zu retten und mit den Waffen in der Hand gegen die deutschen Truppen zu kämpfen, das waren im jüdischen Widerstand zwei Seiten ein und desselben Kampfes. Das militärische Engagement ließ sich nicht von der Verpflichtung trennen, . . . das Mordunternehmen Hitlers zu vereiteln“.47 Die Cimade – eine Frauenbewegung?

2.4 Die Cimade – eine Frauenbewegung? Mit dem Begriff „Frauenbewegung“ wird eine große Bandbreite mehr oder weniger organisierter Zusammenschlüsse von Frauen bezeichnet, die sich seit Ende des 18. Jahrhunderts vor allem in Begleitung von politischen Protestbewegungen und Revolutionen gebildet haben, um für die Rechte von Frauen zu streiten. Die erste Frauenbewegung, die in Europa vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Einfluss gewonnen hatte, endete in der Epoche der Faschismen. Mit dem studentischen Aufbruch in den 1960er Jahren und den neueren sozialen Bewegungen für Frieden und Umwelt entstand auch die neue Frauenbewegung, welche nicht nur die gesellschaftliche Ungleichheit bekämpfen will, sondern der es darüber hinaus um die „Wiedergewinnung der eigenen Identität“ von Frauen geht.48 46 Vgl. zu diesen Grundsatzschriften einführend Kapitel 1.2.1 und 1.2.2 (oben S. 48 u. 53ff.) sowie vertiefend Kapitel 6.2.2 und 6.2.3 (unten S. 232ff. u. 241ff.). 47 L. LAZARE, Résistance, S. 297 (Übersetzung U. G.). 48 Vgl. insgesamt G. SCHARFFENORTH, Frauenbewegung; H. SCHRÖDER, Frauenbewegung;

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Die Frauenbewegung zeichnete und zeichnet sich durch eine Vielfalt von Positionen aus, die auf unterschiedliche theoretische Konzepte und politische Richtungen zurückzuführen sind. Ebenso wurden nicht immer dieselben Wege zur Umsetzung der Programme eingeschlagen. Gemeinsam ist jedoch den Frauen der ersten und zweiten Frauenbewegung die Erfahrung von Benachteiligung und Unterdrückung durch die patriarchal organisierte Gesellschaft, die Benennung dieses Zustandes als eines ungerechten Herrschaftsverhältnisses von Männern über Frauen und das Engagement für eine gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter. Die Infragestellung patriarchaler Herrschaftsverhältnisse und die Kritik am Androzentrismus in den etablierten gesellschaftlichen und kirchlichen Institutionen hat auch Christinnen bewegt. Sie schlossen sich in Deutschland um 1900 zu konfessionellen Frauenverbänden zusammen und organisierten sich in Frankreich für soziale Reformen, bewegten sich jedoch mit ihren Zielen in beiden Ländern im Rahmen der eher konservativen bürgerlichen Frauenbewegung.49 Daneben boten die internationalen christlichen Jugendorganisationen wie die YWCA und die Pfadfinderinnenbewegung soziale Freiräume an, in denen Mädchen und junge Frauen in gemeinschaftlichen Aktionen außerhalb des Elternhauses ein Selbstbewusstsein entwickeln und Führungsqualitäten entdecken konnten.50 In den gemischtgeschlechtlichen Gruppen der WSCF lernten sie, sich an höheren Schulen und Universitäten in theologischen und politischen Diskussionen mit Männern zu behaupten.51 Frauen aus diesen Verbänden der Jugendökumene wie Henriette Visser ’t Hooft kritisierten in den 1930er Jahren die patriarchale Theologie und brachten sich in die Gründungsdebatten für den Weltrat der Kirchen ein.52 Schließlich wurde mit der Öffnung der evangelisch-theologischen Fakultäten für Frauen in Deutschland wie in der protestantischen Minderheit Frankreichs die Einrichtung neuer kirchlicher C. KOEPCKE, Frauenbewegung; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ/L. SCHOTTROFF, Feministische Theologie, das Zitat EBD., S. 1285. Einen umfassenden Überblick zur ersten Frauenbewegung in Deutschland bietet außerdem U. GERHARD, Unerhört. 49 Vgl. zu den konfessionellen Frauenverbänden U. GERHARD, Unerhört, S. 201ff.; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 70 u. 72, dort auch weitere Literatur. Hinweise zur Situation in Frankreich gibt J. BAUBEROT, Die protestantische Frau, S. 232ff. 50 Zur Bedeutung solcher Freiräume für Frauen vgl. G. LERNER, Entstehung, S. 264 u. 277. Vgl. auch A. K. HAMMAR, Solidarität, S. 181. Mit Bezug auf den französischen YWCA vgl. G. POUJOL, Les Unions Chrétiennes de Jeunes Filles, S. 354f. sowie zu den Pfadfinderinnen A.-S. FAULLIMMEL, Scoutisme féminin, S. 471ff. 51 Vgl. die Berichte bei H.-R. WEBER, de Diétrich, S. 74ff.; A. JACQUES, Barot, S. 6. In Deutschland hatten sich die Studierenden getrennt organisiert; vgl. zur „Deutschen christlichen Vereinigung studierender Frauen“ C. HILPERT-FRÖHLICH, Studentinnen- und Akademikerinnenbewegung, zur „Deutschen christlichen Studentenvereinigung“ K. KUPISCH, Studenten. 52 S. o. Kapitel 1.3.1 (S. 55ff.).

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Berufsfelder für Frauen und speziell die Frage ihrer Zulassung zum geistlichen Amt diskutiert.53 Lässt sich die Cimade in diesen Aufbruch von Frauen in der Kirche einordnen? Ein Zusammenhang ist zunächst dadurch gegeben, dass die Christinnen, die sich im Herbst 1939 zusammengeschlossen hatten, um die Cimade zu gründen, aus eben diesen ökumenischen Jugendorganisationen stammten, die für die Schaffung gerechter Geschlechterverhältnisse gewirkt haben. Schon allein dadurch, dass sich Frauen selbstbestimmt organisierten und die programmatische Ausrichtung und Führung ihrer Organisation hier zunächst ausschließlich bestimmten, um in der Öffentlichkeit aktiv für die Menschenrechte von Minderheiten einzutreten, stellten sie das traditionelle weibliche Rollenverständnis infrage. Obwohl sie kaum Zeit hatten, in einem gedanklichen Austausch die Erfahrung von Frauenunterdrückung in der patriarchalen Kirche oder etwa sogar die antifeministische Ideologie und Politik des neuen Regimes zu reflektieren – die Situation in den Lagern und die Frage auf das Recht zum Widerstand standen hier im Vordergrund – lassen sich den Quellen dennoch Hinweise entnehmen, die zeigen, dass von der Cimade ein befreiender Impuls für Frauen ausgegangen ist. Diese These ruht zunächst auf Beobachtungen zu dem von der Cimade praktizierten Umgang mit Frauenarbeit, der sich deutlich von den sonst in kirchlichen und christlichen Institutionen üblichen Praktiken unterscheidet. So erhielten alle Mitarbeiterinnen auch ohne eine entsprechende Ausbildung eine feste Anstellung und ein Gehalt. Das Konzept einer ökonomischen Ausbeutung von Frauen durch ehrenamtliche Hilfstätigkeiten wurde somit in keiner Phase der Geschichte der Cimade verfolgt. Die Cimade unterstützte theologisch qualifizierte Frauen, die in dem noch sehr jungen und in der französischen reformierten Kirche kaum anerkannten Beruf der Gemeindehelferin54 versuchten, Fuß zu fassen, und verpflichtete mit Elisabeth Schmidt die erste Pfarrerin der ERF für ein seelsorgerliches Engagement in Gurs. Die nicht ordinierten Frauen ließen sich in allen Internierungslagern nicht allein auf sozialkaritative Dienste festlegen, sondern predigten in den Lagergottesdiensten und spendeten das Abendmahl. Sie setzten mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben der Verkündigung und Sakramentenverwaltung ein Zeichen gegen die traditionelle geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Kirche.55 Schließlich brachen die Frauen mit 53 Vgl. für Deutschland C. DRAPE-MÜLLER, Frauen; „DARUM WAGT ES, SCHWESTERN . . .“; zur Fragestellung in Frankreich vgl. E. SCHMIDT, Dieu; J.-P. WILLAIME, Femmes. Vgl. insgesamt zu diesem Absatz L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 69f. 54 Vgl. zur Entstehung des Berufes Gemeindehelferin in Deutschland in den 1920er Jahren A. WITT, Frauenberufe, S. 52f.; zur Situation in Frankreich vgl. J.-P. WILLAIME, Femmes. 55 Vgl. zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in der Kirche C. RAUPACH, Schwestern, S. 10.

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ihrem Handeln im Untergrund und der aktiven Fluchthilfe an den Grenzen zur Schweiz vollends mit den überkommenen Weiblichkeitsbildern. Mit ihrem Handeln verorteten sie sich in der hugenottischen Geschichte und bezogen sich auch auf weibliche Vorbilder aus der protestantischen Verfolgungsgeschichte der Frühen Neuzeit, die, wie z. B. die Glaubenszeugin Marie Durand aus dem 18. Jahrhundert, identitätsstiftend für Frauen im Widerstand wirken konnten. Hat Madeleine Barot die Cimade dahingehend beeinflusst, dass mit dem Engagement für Flüchtlinge auch ein Anspruch auf Änderung der Geschlechterverhältnisse verbunden wurde? Der Feminismus war unbestreitbarer Teil des Lebensprogrammes von Madeleine Barot.56 Sie gab 1953 mit 44 Jahren ihre Führungsposition als Generalsekretärin bei der Cimade auf, um beim ÖRK in Genf bis 1966 die „Abteilung zur Zusammenarbeit von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft“ zu leiten und sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter in der Institution Kirche einzusetzen. So forderte sie seit Beginn ihrer Arbeit in Genf, dass die Gesamtheit der Begabungen von Frauen im Raum der Kirche ernst genommen werden müsse. Frauen, die „immer die aktiveren und treueren Mitglieder der Kirchen“ gewesen seien, sollten auch als Repräsentantinnen in den Kirchenleitungen ihre Fähigkeiten einbringen können.57 Sie sollten die Möglichkeit zur Ordination erhalten und ebenso wie die männlichen Pastoren das Amt von Verkündigung und Sakramentenverwaltung ausüben können.58 Die Ausbildung von Frauen und ihre Arbeitsverhältnisse sollten überdacht werden.59 Es lässt sich durchaus behaupten, dass viele dieser Anliegen wie die Einbindung in Führungspositionen oder der Zugang zu bisher nur den Männern vorbehaltenen Arbeits- und Berufsfeldern auf die Erfahrungen in der Cimade zurückgehen und hier bereits verfolgt worden sind. Schließlich war es Madeleine Barot für eine Änderung des herrschenden patriarchalen Modells in der Kirche wichtig, auch die Männer dafür in Verantwortung zu nehmen. Der ÖRK sollte auf eine Einheit als Leib Christi nicht nur in der internationalen Kirchengemeinschaft hinarbeiten, sondern diese biblische Vision auch gegen die bisher übliche Unterwerfung der Frauen unter die „paternalistische und hierarchische Ordnung“ durch eine neue Qualität der Beziehungen zwischen Männern und Frauen reali56 Anlässlich seiner Rede zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Madeleine Barot an der Pariser evangelisch-theologischen Faculté Libre 1988 fasste der Dekan Laurent Gagnebin dieses Lebensprogramm treffend mit den drei Begriffen Antirassismus, Ökumene und Feminismus zusammen (vgl. DOCTORATS HONORIS CAUSA, S. 343f.). 57 Vortrag „Women in the Churches“ vom 9.9.1957, S. 2 u. 7, das Zitat S. 2 (AÖRK GENF: Departement on the Cooperation of Men and Women in Church and Society. Ordner Madeleine Barot. Speeches and Articles 1954–1966; Übersetzung U. G.). 58 EBD., S. 6. 59 EBD., S. 3.

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Junge Protestantinnen und Protestanten helfen Vertriebenen

sieren.60 Als ein Beispiel für diesen Anspruch auf geänderte Geschlechterbeziehungen in der Kirche verwies Barot in einem Vortrag vom 13. Juni 1958 auf die in der Cimade während der Kriegszeit gemachten Erfahrungen: Hier hatten Frauen und Männer in den Teams, den sog. Equipes, gemeinsam versucht, Solidarität in den Internierungslagern zu leben.61 Die Aufnahme von Männern in die Cimade war von Violette Mouchon schon im Sommer 1940 eingefordert worden.62 Sie realisierte sich aber erst im darauffolgenden Jahr mit den ersten Studenten aus der FFACE, die sich im Juli und August 1941 den Gruppen der Cimade-Mitarbeiterinnen in den Lagern Rivesaltes und Gurs anschlossen. An den von den Frauen durchgeführten Grenzpassagen beteiligten sich ab 1943 auch Männer aus der Pfadfinderbewegung. Da keine Mitgliederdateien oder Personalakten existieren, kann das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis in der Cimade nur aufgrund einer breit gestreuten Quellenlage aus Protokollen, Briefen, Artikeln und Berichten erhoben werden. Auf dieser Basis lassen sich unter den 79 identifizierten Cimade-Mitgliedern 27 Männer benennen, die bis zum Sommer 1944 und dem Ende der deutschen Besatzung für kürzere oder längere Zeit der Cimade angehört haben.63 Im Rückblick stellte Madeleine Barot 1958 fest, dass sich mit der Aufnahme der Männer in die Cimade durch die gemeinschaftliche Arbeit in den Teams Chancen zur Erprobung von Geschlechterkooperation ergeben hätten, die dem herrschenden System in Kirche und Gesellschaft etwas Neues gegenübersetzten: „Die Männer mussten davon überzeugt werden, dass sie auf die traditionelle individuell oder hierarchisch bestimmte Arbeitsweise verzichten könnten. Dies war die Gelegenheit, die traditionellen Strukturen der Kirchen infrage zu stellen und zu versuchen, die Begabungen der Jüngeren, der Laien, der Frauen, die die Kirchen nicht immer zu nutzen wissen, zur Geltung zu bringen . . . . Schließlich musste ein weiterer Schritt auf dem gemeinschaftlichen Weg getan werden: Es war zu erproben, ob Männer und Frauen nutzbringend im Team zusammenarbeiten konnten. Es war zu entdecken, ob die gegenseitige Ergänzung der Geschlechter und ihr Reichtum auf die besonderen Aufgaben von Ehe und Familie begrenzt sein sollte – oder ebenso in anderen Bereichen angewendet werden konnte.“64

60 EBD. S. 2f.; das Zitat S. 6 (Übersetzung U. G.). 61 Vortrag „Expériences oecuméniques concrètes“ vom 13.6.1958 (AÖRK GENF: Departement on the Cooperation of Men and Women in Church and Society. Ordner Madeleine Barot. Speeches and Articles 1954–1966). 62 Brief von Mouchon an de Diétrich vom 5.8.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18). 63 Vgl. die biografischen Angaben im Anhang. 64 Vortrag „Expériences oecuméniques concrètes“ vom 13.6.1958, S. 6 (vgl. oben Anm. 61). (Übersetzung U. G.; Auslassung im Original).

Die Cimade – eine Frauenbewegung?

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Madeleine Barot machte mit diesen Worten deutlich, dass sie mit den gängigen Machtstrukturen in der Kirche brechen wollte, die hierarchisch und patriarchal organisiert waren und auf gleichberechtigte Kooperation keinen Wert legten. Frauen hatten in diesen Strukturen keinen oder fast keinen Raum, ihre Fähigkeiten lagen brach. Sie wies darauf hin, dass die Frage der Geschlechterbeziehungen nicht allein auf die Ehe beschränkt werden dürfe und kritisierte damit die Zuordnung der Frau zum privaten Bereich der Ehe und Familie. Das Cimade-Modell stellte nach Ansicht der ehemaligen Generalsekretärin einen emanzipatorischen Gegenentwurf dar, in dem das von Barot 1957 beschriebene Bild der Kirche als Leib Christi, dessen Glieder gleichberechtigt zusammenwirkten, in die Realität umgesetzt werden konnte. Sie forderte nun, dass auch in den Kirchen Neuland betreten und die die Frauen einengenden „Traditionen, überholte Vorstellungen und soziale Konventionen“ aufgegeben würden.65 Die Briefe und Berichte, die die Mitglieder der Cimade-Teams zwischen 1940 und 1944 geschrieben bzw. im Rückblick verfasst haben, sind auch daraufhin zu prüfen, wie dieses 1957 formulierte Konzept der Geschlechterbeziehungen in der Praxis der Besatzungszeit aufgenommen worden ist, ob Zustimmung oder Widerspruch geäußert wurde. Es ist zu untersuchen, wie sich unter den verschärften Bedingungen des Widerstandes in der Untergrundarbeit die Geschlechterbeziehungen gestaltet haben. In Erweiterung der Fragestellung wird es nicht nur um das Verhältnis zwischen Frauen und Männern gehen, sondern auch um Beziehungen unter den Frauen, um ihre Konflikte aufgrund von Machtverteilung und Kompetenzenabgrenzung.66 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Cimade nicht in dem Sinne als Teil der Frauenbewegung charakterisiert werden kann, dass sie programmatisch zur Befreiung von Frauen aus dem Patriarchat angetreten wäre und sich mit dieser Intention organisiert hätte. In einer Zeit übersteigerten Nationalismus in Frankreich ging es diesen französischen Christinnen darum, Menschenrechte für Minderheiten in ihrem Land, für politische Flüchtlinge, Asylsuchende und Vertriebene einzuklagen und mit ihnen solidarisch zu leben. Die Quellen zeigen jedoch, dass sie mit ihrem Engagement auch gegen gesellschaftlich und kirchlich tradierte Weiblichkeitsbilder lebten, sich nicht zu untergeordneten Objekten gesellschaftlichen und kirchlichen Handelns machen lassen wollten, sondern in der Zusammenarbeit mit den Männern eine gerechte Beziehung der Geschlechter gesucht haben. 65 EBD. Zur Verwendung des paulinischen Bildes für die Umsetzung einer neuen Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Ökumene vgl. auch L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 80. 66 Vgl. zur Frage der Geschlechterbeziehungen in der Geschichtswissenschaft mit Blick auf die Beziehungen auch innerhalb der Geschlechter G. BOCK, Geschichte, S. 379.

Die Internierungslager von Vichy

KAPITEL 3 An den Orten staatlicher Ausgrenzung: Die Internierungslager von Vichy Die Etablierung der Cimade in einer Reihe von Internierungslagern Vichys hat sich über einen Zeitraum von anderthalb Jahren hingezogen. Anhand einer Vorstellung der einzelnen Lager und Orte lässt sich die Ausweitung dieser Arbeit beschreiben: seit Herbst 1940 das Engagement in Gurs, gefolgt von den städtischen Foyers in Toulouse und Marseille im späten Frühjahr 1941, dem Beginn der Tätigkeit im Familienlager Rivesaltes im Juli 1941, in dem Frauenlager Rieucros im Dezember 1941 und schließlich im Februar 1942 in dem „Hospital-Lager“ Récébédou. Dieser chronologisch strukturierte Überblick ist nicht darauf angelegt, die Arbeit der Cimade in diesen Lagern im Detail vorzustellen und zu reflektieren. Besondere Aspekte sollen jedoch hier bereits thematisiert werden, da die jeweilige Funktionalisierung der Lager durch Vichy zu punktuellen Differenzierungen im Wirken der einzelnen Cimade-Teams geführt hat. Außerdem ist aufzuzeigen, dass die Cimade nicht nur von den Organisationen der Ökumene Unterstützung erhielt, sondern mit ihrem Engagement auch innerhalb der Südzone in eine Vielzahl von Hilfswerken und Institutionen eingebunden war. Die Cimade in Gurs

3.1 Die Cimade in Gurs 3.1.1 Vorgeschichte, Lage und Aufbau von Gurs Innerhalb weniger Wochen wurde im Frühjahr 1939 auf dem Gelände der kleinen Gemeinde Gurs mitten in der historischen Region des Béarn von der französischen Regierung ein Lager für Flüchtlinge aus Spanien errichtet. Bereits im Mai drängten sich hier auf der Fläche von etwa einem Quadratkilometer 18.000 Menschen, meist Angehörige der Internationalen Brigaden und der republikanischen Armee, die nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges zu Tausenden in Frankreich Zuflucht gesucht hatten.1 Der 1 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 40 u. S. 49. Vgl. auch die Karte „Tätigkeitsbereiche der Cimade in der Südzone“ (auf dem vorderen Vorsatz).

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nächste Bahnanschluss lag 13 km entfernt in dem Städtchen Oloron-Sainte-Marie, von dort waren es nochmals 30 km bis in die Departementshauptstadt Pau, dem Sitz der Präfektur.2 Die Häftlinge, denen sich seit Ausbruch des Krieges weitere deutsche Internierte hatten anschließen müssen, waren jedoch von der Außenwelt durch den Stacheldrahtverhau abgeschlossen, und der Blick hinaus zeigte ihnen nur die prächtige Bergkette der Pyrenäen. Diese Isolierung verschärfte sich noch, als Gurs nach dem Juni 1940 von der Regierung in Vichy übernommen wurde. Das Areal des Lagers erstreckte sich über eine Länge von zwei Kilometern und eine Breite von 400 Metern entlang der Route Nationale 636. Für Neuankömmlinge wurde der erste Eindruck durch scheinbar endlose Reihen von Baracken bestimmt, die sich links und rechts der zentralen Lagerstraße entlangzogen. Selbst wer wie die Cimade-Mitarbeiterin Elisabeth Schmidt auf dieses Bild vorbereitet worden war, war schockiert durch den „Geruch nach Latrinen, Fäulnis, Wanzen und Tod“, der über dem ganzen Lager lag.3 Es gab 328 Baracken, von denen je etwa 25 zu einem Block, dem sog. Ilôt, zusammengefasst waren. Die 13 Ilôts waren ihrerseits wieder mit Stacheldraht umzäunt und „beherbergten“ bei voller Belegung je 1.200 bis 1.500 Menschen.4 Eine menschenwürdige Existenz war unter diesen Bedingungen nicht möglich. Mehr als 2,4 m2 Raum konnten die Internierten in den fensterlosen Baracken nicht für sich beanspruchen, das reichte gerade, um den Strohsack und das wenige an verbliebenen Habseligkeiten unterbringen zu können. Weitere Einrichtungsgegenstände wie Stühle, Tische oder auch nur Bettgestelle gab es zunächst nicht. Ungeziefer und die allgegenwärtigen Ratten machten den Aufenthalt in den Baracken zusätzlich zu einer Qual.5 Darüber hinaus waren die Internierten bei ungünstiger Wetterlage gezwungen, in der Enge dieser Behausungen auszuharren. Aufgrund des schweren lehmigen Bodens verwandelte sich das Gelände bei den häufigen Regenfällen in dieser niederschlagsreichen Region in eine knietiefe Schlammwüste, die eine Fortbewegung von Baracke zu Baracke, den Transport der Essenskübel oder den Gang zu den Aborten vor allem für Ältere fast unmöglich machte.

2 Vgl. C. LAHARIE, Gurs, S. 167. Mit seiner Monographie legte Laharie 1985 die erste umfassende Untersuchung über ein französisches Internierungslager vor, die auf einer grundlegenden Erarbeitung der Akten der Lagerleitung beruht. Als Erinnerungsbericht vgl. auch K. SCHATZ, Gurs, S. 105. 3 E. SCHMIDT, Dieu, S. 59 (Übersetzung U. G.). 4 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 30. 5 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 50 sowie den Erinnerungsbericht von Martha Besag, „24 Bilder aus dem Leben einer Deportierten“, S. 1ff. (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Suisse et pays divers, Alphabetical Correspondence A–B [Réfugiés]).

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Die Internierungslager von Vichy

Seit der Einweisung der aus Baden und der Pfalz deportierten Juden und Jüdinnen machten indessen die 60- bis 90jährigen mehr als ein Viertel der Lagerinsassen aus, weitere 43 % waren über 40 Jahre.6 Doch nicht nur die Altersstruktur hatte sich seit der Einrichtung des Lagers im Mai 1939 wesentlich verändert. Von der anfänglichen Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Spanien befanden sich im Herbst 1940 nur noch einige hundert Angehörige der in Gurs ansässigen Zwangsarbeiterkolonne im Lager. Im Ilôt M hatten sich etwa 900 Emigrantinnen eingerichtet, die vor allem aus Deutschland und Österreich kamen und größtenteils als sog. feindliche Ausländerinnen während der deutschen Offensive im Westen interniert und dann nach Gurs verlegt worden waren.7 Sie stellten indessen im Oktober 1940 gegenüber den fast 11.000 jüdischen Neuankömmlingen aus Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg, Pforzheim oder Konstanz sowie aus anderen französischen Lagern nur eine Minderheit dar.8 Mit über 93 % jüdischen Internierten konnte Gurs nun als sichtbarer Ausdruck der antisemitischen Gesetzgebung des neuen Regimes gelten.

3.1.2 Die Anfänge der Cimade in Gurs im Winter 1940/41 Die Entscheidung der protestantischen Jugendorganisationen für ein Engagement bei den Zivilinternierten in Gurs war bereits im September 1940 gefallen.9 Für eine Frauen-Organisation wie die Cimade lag es zu diesem Zeitpunkt nahe, sich den 900 Emigrantinnen aus Deutschland und Österreich zuzuwenden und damit Solidarität mit den Geschlechtsgenossinnen in Gurs auszudrücken.10 Die Ankunft der Deportierten aus Baden und der Pfalz in Südfrankreich kam auch für sie überraschend und stellte die Arbeit unter veränderte Vorzeichen. Statt knapp tausend internierter Frauen und Angehörigen der spanischen Arbeiterkolonne befanden sich nun mehr als 10.000 im Lager: Alte, Kranke und Behinderte, Familien mit kleinen Kindern, die alle plötzlich und brutal aus ihren Lebenszusammenhängen gerissen und nun unter furchtbarsten Bedingungen untergebracht worden waren. Unter ihnen lebten mehrere hundert Christinnen und Christen.11 6 Vgl. C. LAHARIE, Gurs, S. 183. 7 EBD., S. 179. Zu diesen Frauen zählte auch Hanna Schramm, deren eindrücklicher Bericht 1977 veröffentlicht wurde (H. SCHRAMM, Menschen). 8 Vgl. C. LAHARIE, Gurs, S. 168. Direkt aus Südwestdeutschland kamen 6.538 der neuen Internierten, 3.870 aus dem Lager Saint-Cyprien, etwa weitere 500 aus anderen Lagern. 9 Protokolle der CIM-Sitzung vom 18./19.9.1940 und der sich anschließenden CimadeSitzung vom 19.9. in Nîmes (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 10 Protokoll der CIM-Sitzung vom 18./19.9.1940 (AÖRK GENF: EBD.). 11 Die Zahlen schwanken zwischen 200 und 800.

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Der Vorstand der Cimade war sich daher auf seiner Sitzung am 16. November 1940 darin einig, dass die schleppenden Vorbereitungen für eine Tätigkeit in Gurs dringend vorangetrieben werden müssten.12 Der Grund für die Verzögerungen lag zunächst darin, dass sich die Suche nach geeigneten und bereitwilligen Mitarbeiterinnen lange hinzog. Mit Suzanne Aillet und Jeanne Bertsch fanden sich schließlich im Dezember zwei Frauen, die Madeleine Barot bei den Besuchen im Lager unterstützen konnten. Alle drei erhielten jedoch jeweils nur eine Erlaubnis zum Tagesaufenthalt in Gurs und mussten am Abend ins 7 km entfernte Navarrenx zurückkehren. Der Wunsch nach einer ständigen Präsenz und einer eigenen Baracke im Lager blieb zunächst verwehrt, obwohl die Präfektur in Pau am 16. November 1940 die Ermächtigung für eine Arbeit von drei assistantes sociales erteilt und Barot aus ihren ersten vorbereitenden Besuchen bei der Lagerleitung den Eindruck gewonnen hatte, dass eine permanente Einrichtung möglich gemacht werden könnte.13 In einer kritischen Analyse während der Sitzung des Cimade-Komitees am 25. Januar 1941 machte sie den Wechsel der Zuständigkeiten von den militärischen Autoritäten hin zum Innenministerium für die neuen Widerstände verantwortlich. Die Arbeitserlaubnis bestehe zwar, aber die Cimade müsse sich nun den sehr strengen Bedingungen der Internierung unterwerfen, und vor allem der neue Direktor des Lagers wolle einem Wohnsitz der Cimade-Frauen im Lager nicht zustimmen.14 Die Hartnäckigkeit, mit der dieses Projekt dennoch weiterverfolgt wurde, weist darauf hin, wie wichtig es der Cimade war, sich möglichst ganz in die Situation der Internierten zu begeben und damit den von der Gesellschaft Ausgeschlossenen ein Zeichen der Verbundenheit zu setzen.15 Nach einer Intervention von Donald Lowrie, dem in Frankreich arbeitenden Sekretär der Genfer YMCA und Präsidenten des Koordinationskomitees der Hilfswerke in der Südzone, wurde der Cimade am 27. Dezember 1940 endlich eine ehemalige Baracke der Wachmannschaften am Ende des Lagers, wenn auch außerhalb der Internierten-Ilôts, zugewiesen.16 Insgesamt zeigt sich hier deutlich, dass der Zugang zu den Lagern für die Cimade unbedingt von der Erlaubnis der Behörden abhängig war. Das hohe Maß an Eigeninitiative und Beharrlichkeit, das nötig gewesen 12 Anwesend war auch Suzanne de Diétrich (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 13 Das Datum für die Erteilung der Arbeitserlaubnis nennt A. GRYNBERG, Aide et soutien, S. 165. 14 Protokoll der Sitzung des Leitungskomitees der Cimade vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 15 H. SCHRAMM hebt in ihren Erinnerungen die Bedeutung eines solchen Engagements für die Internierten hervor: „Wir fühlten uns nicht mehr wie auf einer verlorenen und vergessenen Insel, wir fassten wieder Mut, denn nun kümmerte man sich um uns . . ..“ (Menschen, S. 106). 16 Protokoll der Sitzung des Leitungskomitees vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11. 7.18/5).

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ist, um ein Bleiberecht zu erhalten, hat in der Erinnerung Madeleine Barots die Auseinandersetzung mit den Autoritäten ganz verdrängt. Ihre 1969 und später aufgestellte Behauptung, dass die Cimade ohne Wissen der Behörden in die Lager eingedrungen sei und in der Folge aufgrund ihrer Unentbehrlichkeit nicht mehr ausgewiesen werden konnte, lässt sich auf der Quellenbasis der Protokolle des Leitungskomitees nicht halten.17 In der neuen Baracke waren die beiden Teammitglieder in zwei kleinen Kammern untergebracht, außerdem gab es eine Kochstelle, einen Raum für die Leihbücherei und einen Verschlag für Kleidung. Der mit einem kleinen Ofen beheizbare Hauptsaal bot Platz für Veranstaltungen, Vorträge, Gottesdienste und Bibelarbeiten.18 Zum Mittelpunkt dieses Foyers sollte für knapp zwei Jahre die 1889 geborene Sozialfürsorgerin Jeanne Merle d’Aubigné werden, die Anfang Januar 1941 ihre Arbeit für die Cimade in Gurs aufnahm. Bis zum Sommer 1941 hatte sie in Gemeinschaft mit Suzanne Aillet ein breites kulturelles und seelsorgerliches Angebot für die Internierten aufgebaut, das bis zum November 1941 mit der Pastorin Elisabeth Schmidt und dann bis zum September 1942 mit dem jungen Theologen André Morel weiterentwickelt wurde.19

3.1.3 Unterstützung durch das ökumenische Flüchtlingssekretariat in Genf Als eine junge Organisation ohne wesentliche finanzielle Mittel war die Cimade in der Flüchtlingsarbeit auf vielfältige Förderung angewiesen, die über das hinausging, was die Jugendverbände an Unterstützung leisten konnten. Es erwies sich nun als vorausschauend, dass das CIM sein Aktionsorgan Cimade von Beginn an auf eine breite internationale Basis gestellt hatte, indem auch die Vertreter und Vertreterinnen der ökumenischen Weltverbände der christlichen Jugend in das Leitungskomitee eingebunden worden waren. Im Herbst 1940 vermittelten sie den Kontakt zum Flüchtlingssekretariat des ÖRK unter Adolf Freudenberg. Vermutlich waren die ECCO-Sitzungen der Ort, an dem der Flüchtlingssekretär durch die YWCA, die YMCA und die WSCF über die Arbeit der protestantischen Jugend in Frankreich informiert wurde. Gemeinsam beschlossen diese im ECCO zusammengeschlossenen Organisationen schon sehr früh, vermut17 Vgl. M. BAROT, Bereitschaft, S. 79 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 64) oder ihr 1986 der SHPF gegebenes Interview, S. 8 (SHPF PARIS: DT Bar.) 18 Vgl. die Beschreibung von J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 89 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 75). 19 Zu den Teammitarbeitern und -mitarbeiterinnen vgl. die biografischen Angaben im Anhang.

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lich im Herbst oder Winter 1940, der Cimade so weit wie möglich finanzielle Mittel für die Arbeit in der Südzone anzuvertrauen.20 Zwar war Freudenberg bereits über die Flüchtlingsseelsorge des französischen Kirchenbundes in das Engagement für die Internierten involviert. Aber seine Korrespondenz mit dem Leiter dieser Aumônerie Protestante Pour les Etrangers en France, Pierre C. Toureille, im Herbst und Winter 1940/41 zeigt deutlich, wie sehr dem ökumenischen Flüchtlingssekretär an einer Kontaktstelle mit ständiger Präsenz im Lager gelegen war. Freudenberg erkundigte sich in diesen Monaten wiederholt bei Toureille danach, ob die Cimade sich bereits etablieren konnte und lobte nach der Einrichtung des ersten Teams, mit welcher Energie die Arbeit angegangen werde.21 Vor allem konnte nun die Kontaktaufnahme mit den Internierten wesentlich verbessert werden. Freudenberg wurde seit Beginn der Oktoberdeportation mit Anfragen aus Deutschland und Briefen aus Gurs selbst überhäuft, da ein direkter Briefwechsel zwischen dem Reich und der unbesetzten Südzone Frankreichs nicht möglich war. Vor allem Bekannte und Verwandte der evangelischen Christinnen und Christen jüdischer Abstammung in Gurs wandten sich in täglichen Bitten nach Genf, um etwas über das Schicksal der Deportierten zu erfahren und nach Versorgungsmöglichkeiten zu fragen.22 Die Cimade-Mitarbeiterinnen konnten nun nach den Vermissten forschen, Nachrichten übermitteln und Listen mit dringend benötigten Gebrauchsgegenständen und Kleidung anlegen, die Freudenberg zugesandt wurden. Sie füllten damit eine Lücke, die weder der Flüchtlingsseelsorger Toureille noch der Pfarrer der benachbarten Gemeinde, Charles Cadier, mit ihren aufopferungsvollen Bemühungen für die Internierten in Gurs hatten schließen können.23 Freudenberg war besonders deutlich, wie wichtig angesichts der bitteren Not in Gurs eine ständige tröstliche Gegenwart der jungen Christinnen im Lager sein konnte, da auch enge Verwandte seiner Frau Elsa Freudenberg, geb. Liefmann aus Freiburg, in das Lager deportiert worden waren. Die Berichte der drei Geschwister Robert, 20 Dies ergibt sich aus einer Zusammenfassung, die Suzanne de Diétrich auf einer ECCOSitzung im Oktober 1941 über das bisherige Verhältnis des Emergency-Committees zur Cimade gegeben hat (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). Frühere ECCO-Protokolle sind nicht erhalten. 21 Freudenberg an Toureille vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). Vgl. zu Toureille außerdem E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 239ff. Die vollständige Bezeichnung für die Aumônerie differiert in den Quellen und geht hier auf den bis Mitte 1942 von Toureille verwendeten Briefkopf zurück (dann: Aumônerie des Protestants Etrangers en France). 22 Zu den Anfragen aus Deutschland vgl. die Briefe Freudenbergs an Toureille vom 18.11.1940 und vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). 23 Vgl. zu Cadier E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 246f. Aufgrund seiner Aktivitäten für die Internierten wurden Cadier im März 1941 weitere Aufenthalte im Lager untersagt.

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Martha und Else Liefmann verdeutlichten, welche Hölle Gurs gerade für ältere Leute darstellte und wie sehr eine Forcierung aller Hilfsmaßnahmen notwendig war.24 Das ökumenische Flüchtlingssekretariat leistete der Cimade Hilfe durch finanzielle Zuwendungen, durch Lebensmittel- und Kleiderpakete und durch die Vermittlung der dringend benötigten deutschsprachigen Bücher, Bibeln und Kirchenliederhefte. Um das im Januar bezogene Foyer überhaupt mit Möbeln ausstatten zu können, erhielt die Cimade 5.000 französische Francs, der Unterhalt der Baracke wurde durch den Weltkirchenrat in der Folge mit monatlich 3.000 Francs gewährleistet.25 Als die Mitarbeiterinnen im Laufe des Jahres 1941 in weitere Lager Eingang fanden, unterstützte Freudenberg auch diese Arbeit, so dass vom ÖRK bereits Ende 1941 monatlich 28.000 französische Francs (entsprachen zu diesem Zeitpunkt 800 Schweizer Franken) für die Arbeit der Cimade aufgewendet werden konnten.26

3.1.4 Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit der Aumônerie Protestante Obwohl die Cimade formal eine kirchlich unabhängige Organisation war, stand sie wie das CIM bzw. der CPJ unter dem Schutz der Fédération Protestante und ihres Präsidenten Marc Boegner und hatte damit einen herausgehobenen Fürsprecher gegenüber den Behörden in Vichy.27 Die ökumenischen Institutionen in Genf und der französische Kirchenbund waren sich daher darin einig, dass die evangelischen Kirchen in Frankreich mit zwei Instrumenten auf die Flüchtlingsnot in ihrem Land reagieren sollten: zum einen durch die Aumônerie Protestante, zum anderen durch die Cimade. Sowohl Toureille als auch Barot waren als Repräsentant und Repräsentantin der beiden Organisationen durch die Fédération Protestante autorisiert worden, die Kirche bei den Flüchtlingen in den Lagern zu vertreten.28 Aus einer 24 Vgl. D. FREUDENBERG-HÜBNER/E. R. WIEHN, Abgeschoben, sowie den Erinnerungsbericht der beiden Schwestern Martha und Else LIEFMANN, Helle Lichter; vgl. außerdem E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 213ff. 25 Protokolle der Cimade-Sitzungen vom 25.1. und 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7. 18/5). 26 Bericht des ökumenischen Ausschusses für Flüchtlingshilfe vom Januar 1942, S. 10 (AÖRK GENF: Karton B 2). 27 Vgl. u. a. M. BOEGNER, Leben, S. 195. Er besuchte z. B. in seiner Eigenschaft als Nationalrat Gurs im April 1941 und nahm dabei die Arbeit der Cimade unter seinen Schutz (Cimade-Protokoll vom 22.4.1941, AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 28 Vgl. neben vielen anderen Quellen das Protokoll der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). Barot erhielt die Ermächtigung am 22.4.1941, so das Cimade-Protokoll vom selben Tage (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5).

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Vielzahl von Quellen wird jedoch deutlich, dass Toureille eine Arbeit der protestantischen Jugendorganisationen, die nicht von ihm geleitet wurde, kaum akzeptieren wollte, auch wenn dies eine Erleichterung in seinem ohnehin schon umfassenden Engagement bedeutete. Toureille kümmerte sich neben den Internierten auch um die Emigranten und Emigrantinnen, die den Lagern hatten entgehen können, aber in großer Armut in der Südzone lebten. Sie erhielten Post, bekamen Besuche und wurden mit kleinen, aber lebenswichtigen Geldzuwendungen und materiellen Beihilfen unterstützt. Das Werk von Toureille, das einer weit verstreuten Flüchtlingsgemeinde mit 5.000 Mitgliedern zugute kam, wurde gegen Ende des Jahres 1941 mit monatlich 50.000 französischen Francs vom Flüchtlingssekretariat in Genf gefördert.29 Obgleich Toureille damit bereits ein gewaltiges Arbeitspensum zu erfüllen hatte, wollte er auch die Kontrolle über die protestantischen Foyers der Cimade in den Lagern übernehmen. Er verlangte im Herbst und Winter 1940/41 wiederholt von Freudenberg, keinesfalls direkt mit Madeleine Barot und den anderen Cimade-Mitarbeiterinnen zu korrespondieren. Sämtliche Anfragen sollten über die Aumônerie mit Sitz in Lunel im Departement Hérault vermittelt werden, die nach der Vorstellung Toureilles auch die zentrale Verteilstelle für die Lebensmittel- und Kleiderpakete, für Bücher und Bibeln sein sollte. Von hier sollten auch die aus Genf kommenden Finanzbeihilfen für die Lagerarbeit ausgegeben werden.30 Die Entwicklung in den kommenden Monaten zeigte jedoch, dass die Zusammenarbeit der Aumônerie mit der Cimade sowie auch mit dem Flüchtlingssekretariat nicht zufrieden stellend war. In den Lagern klagten die Mitarbeiterinnen über die nur verspätet eintreffenden Geldsendungen der Flüchtlingsseelsorge, zugesagte Besuche fanden nicht statt. Sehr offen äußerte sich Madeleine Barot gegenüber Suzanne de Diétrich: „Nachdem er (Toureille, U. G.) uns in Gurs sechs Wochen völlig allein gelassen hat, kritisiert er nun die Initiativen, die wir unternommen haben – und gefährdet damit unser Verhältnis zum Lagerleiter.“31 In Genf beschwerte sich Visser 29 Von Toureilles „bedrängender Arbeitsfülle“ berichtete Freudenberg an Koechlin am 19.2.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence K). Zu den finanziellen Unterstützungen vgl. die Gesprächsnotiz von Freudenberg vom 7.10.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0088). Der Flüchtlingsbericht vom Januar 1941, S. 8, nennt die Summe von monatlich 45.000 Francs (AÖRK GENF: Karton B 2). Vgl. zum Wirken Toureilles außerdem A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 109f.; E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 239–243; A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 30, 35f. (= in: DERS., Befreie . . ., S. 29, 34f.). 30 Toureille an Freudenberg (o. D.; vor Weihnachten 1940); Freudenberg an Toureille vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0088). 31 Barot an de Diétrich vom 29.3.1941 (SHPF PARIS: DT Die 2; Übersetzung U. G.). Über das Ausbleiben der finanziellen Zuwendungen beschwerten sich z. B. Merle d’Aubigné

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’t Hooft als eines der drei Mitglieder des ökumenischen Flüchtlingskomitees beim Präsidenten des französischen Kirchenbundes über die Behandlung ihres Sekretärs: „Wir haben den Eindruck, dass er (Toureille, U. G.) kaum auf die geduldigen Bemühungen unseres Kollegen F. (Freudenberg, U. G.) reagiert, dem an einem ernsthaften und herzlichen Verhältnis gelegen ist.“32 Die Schwierigkeiten zwischen Freudenberg und Toureille rührten möglicherweise auch daher, dass der Flüchtlingsseelsorger der Zusammenarbeit mit einem Deutschen vielleicht nicht vorbehaltlos gegenüberstand. Zwar äußerte er keine direkte Kritik, beobachtete jedoch z. B. die Korrespondenz Freudenbergs mit Bekannten der Gurs-Insassen in Deutschland mit großem Misstrauen.33 Hier spielte vermutlich auch hinein, dass Toureille in dieser frühen Phase des Regimes noch stärker von einem deutsch-französischen Gegensatz ausging und die Internierten in erster Linie als Angehörige des nationalsozialistischen Deutschlands ansah und nicht als deren Opfer begriff. Im Herbst 1940 hielt er daher eine Internierung aus französischer Sicht noch für wünschenswert: „Hier besteht ein Aspekt der nationalen Sicherheit: Einige dieser Neuankömmlinge (d. h. die OktoberDeportierten, U. G.) sind noch zu sehr von der dort erhaltenen Erziehung geprägt. Ihnen fehlt es an Takt im Blick auf Frankreich und die Franzosen.“ Dass er sich mit dieser Einschätzung dem Flüchtlingssekretär Freudenberg kaum verständlich machen konnte, war Toureille durchaus bewusst, und er hoffte auf die Vermittlung von Henriod.34 Einen Lösungsansatz boten ausführliche Gespräche der Mitglieder des ökumenischen Flüchtlingskomitees mit Boegner und Toureille im Oktober 1941, als letzterer sich wegen einer gemeinsamen Vortragsreise mit Freudenberg für die Spendenwerbung in der Schweiz aufhielt. Empfohlen wurde die Gründung eines Leitungskomitees für die Aumônerie, das die Kontoführung überwachen und regelmäßig Berichte nach Genf senden sollte. Jedoch erst nach nachhaltigen Protestbriefen von Visser ’t Hooft an Boegam 6.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945) und Elisabeth Schmidt am 13.11.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). Vgl. hierzu auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 249f., wobei zu beachten ist, dass die Cimade in Gurs unter der Bezeichnung Assistance Protestante arbeitete: hier handelt es sich nicht um zwei unterschiedliche Einrichtungen. 32 Brief von Visser ’t Hooft an Boegner vom 25.3.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0011/2, Boegner, Marc and Cimade, 1938–46; Übersetzung U. G.). 33 Freudenberg an Toureille vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). 34 Toureille an Henriod (o. D.; vor Weihnachten 1940) (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080; Übersetzung U. G.). Diese Einschätzung hinderte ihn nicht an unermüdlicher Hilfe und sein Einsatz wird in einer Vielzahl von Erinnerungsberichten ehemaliger Internierter gelobt (vgl. z. B. M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 30).

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ner als den Präsidenten der Fédération Protestante und weiteren bitteren Klagen seitens Toureilles über die Cimade kam es im Frühjahr 1942 zur Einsetzung dieses Gremiums.35 Um die Abstimmung zwischen den beiden innerfranzösischen Flüchtlingsorganisationen zu verbessern, nahm ein Mitglied der Cimade an den Sitzungen des Komitees teil.36 Zugleich bewirkte Freudenberg, dass die Cimade nun direkt über die Überweisungen aus Genf verfügen und die konfliktträchtige Abhängigkeit von der Aumônerie damit beendet werden konnte. Gegenüber Toureille wurde dies mit einem erhöhten Spendenaufkommen aus Schweden begründet, das die Cimade nun in die Lage versetze, selbst für die Ausgaben in den Lagern aufzukommen und die Finanzlage der Aumônerie damit zu entspannen.37 So wurden die Empfindlichkeiten des Flüchtlingsseelsorgers nicht gekränkt und ein Reibungspunkt in der Kooperation der beiden Werke beseitigt. Die nun seit anderthalb Jahren schwelenden Konflikte waren durch diese Änderungen weitgehend bereinigt worden. Bis zum Sommer 1944 lässt sich das Verhältnis zwischen der Aumônerie und dem Genfer Flüchtlingssekretariat sowie der Cimade als zwar distanziert, aber doch befriedigend beschreiben. Angesichts der schweren Aufgaben für die Flüchtlingshilfe nach dem Beginn der Deportationen aus Südfrankreich in die Vernichtungslager waren noch bestehende Differenzen offenbar zurückgestellt worden.38

35 Vgl. die Zusammenfassung Freudenbergs von den Besprechungen in Genf im Oktober 1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0088), außerdem den sehr ausführlichen Brief von Visser ’t Hooft an Boegner vom 2.12.1941 (EBD., General Correspondence 42.0011/2, Boegner, Marc and Cimade, 1938–46). 36 Diese heikle Mission übte mit diplomatischem Geschick André Dumas aus, junger Pastor und Teammitglied in Rivesaltes (vgl. das Protokoll der zweiten Sitzung vom 18.4.42; AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080 sowie den Bericht von Dumas an Barot vom 19.4.1942 im CIMADE ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945). 37 Freudenberg an Toureille vom 4.6.1942 (AÖRK GENF: Suisse – 1944, Alphabetical Correspondence Toureille) sowie das Protokoll der Sitzung des Leitungskomitees der Aumônerie vom 13.6.1942 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080). Einen ähnlichen Vorschlag zur Umstrukturierung hatte Suzanne de Diétrich bereits auf der Cimade-Vorstandssitzung vom 29.9.1941 gemacht (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 38 Nach dem Krieg wurde die Flüchtlingsseelsorge in die Cimade eingegliedert; vgl. einen Brief Freudenbergs an Barot vom 31.12.1945 (AÖRK GENF: 1945 A. Correspondence Aumônerie-Cimade, France).

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3.2 Ausweitung der Arbeit in Kooperation mit der christlichen Jugendökumene im Frühjahr und Sommer 1941 3.2.1 Toulouse und Marseille und die YWCA Mit ihrem Engagement in Toulouse und Marseille bewegte sich die Cimade in einem Arbeitsfeld, das nur mittelbar mit dem Internierungssystem in Verbindung stand. Sie hatte hier Einrichtungen übernommen, die durch die YWCA gegründet oder angeregt worden waren. Aber auch an diesen Orten setzten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für Flüchtlinge ein, die unter der fremdenfeindlichen Politik des Regimes litten. 3.2.1.1 Das „Foyer Féminin“ in Toulouse Der amerikanische Zweig der YWCA hatte sich schon gegen Ende des Ersten Weltkrieges in Frankreich engagiert und den Aufbau einer Frauenund Mädchenarbeit gefördert.39 Das Flüchtlingsdrama nach dem französischen Zusammenbruch im Sommer 1940 bewog die amerikanische Weltbundsekretärin der YWCA Evelyn C. Fox dazu, diese Tradition wieder aufzunehmen. Sie gründete unter Absprache mit der U.C. J. F.-Präsidentin Jane Pannier in der überfüllten Stadt Toulouse eine Tagesstätte für Flüchtlingsfrauen aus Belgien und Nordfrankreich.40 Bereits im Januar 1941 sollte die Cimade die Verantwortung für das Foyer übernehmen. Die städtischen Behörden hatten die Satzung der zuständigen Organisation verlangt und Fox fürchtete vermutlich, die Arbeit unter dem Vorzeichen einer ausländischen Einrichtung nicht fortsetzen zu können.41 Als Genfer Vertreterin der YWCA hatte sie den Aufbau der Cimade begleitet und es lag daher nahe, dieser französischen Organisation nun die Einrichtung in der Rue de la Trinité anzuvertrauen. Das Foyer fügte sich in das Cimade-Konzept eines Engagements für ausländische Flüchtlinge ein, da es Angehörigen aller Nationen offen stand und nicht nur von französischen Kriegsvertriebenen besucht wurde.42 Allerdings be39 Vgl. G. POUJOL, Les Unions Chrétiennes de Jeunes Filles, S. 350. 40 Vgl. die Berichte im World’s YWCA Monthly vom September und Oktober 1940 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Historique de l’institution). Fox hatte ebenso ein gut besuchtes YWCA-Foyer in dem Lager für französische und später ausländische Flüchtlinge in Récébédou am Rande von Toulouse initiiert. Diese Einrichtung musste im April 1941 schließen, nachdem Récébédou in ein sog. „Hospital-Lager“ umgewandelt worden war (vgl. zur Geschichte von Récébédou E. MALO, Récébédou). 41 Protokoll der Cimade-Sitzung vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) 42 Vgl. das Tagebuch der Schwestern G. U. A. VALLOTTON, Au jour le jour, S. 135f.; außerdem den Bericht der schwedischen YWCA-Präsidentin Elsa Cedergren von einer Besuchsreise in der Südzone im Mai 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: YMCA/YWCA).

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stand die Cimade auf einer deutlicheren Akzentuierung der „religiösen Arbeit“ – also der Gottesdienste und Bibelstunden für die Gäste –, als es bisher geschehen war. Da der Weltbund der YWCA auch weiterhin die Finanzierung übernehmen wollte, hatte das Komitee darüber hinaus keine Bedenken, das Angebot zu akzeptieren.43 Die Tagesstätte wurde von der etwa siebzigjährigen Madeleine Weber, einem elsässischen Mitglied der YWCA, geleitet. Ihr standen mit Annie Vallotton und J. Bulté zwei Frauen zur Seite, letztere wurde im Juni 1941 von Gritou Vallotton abgelöst. Die beiden Schwestern Vallotton blieben bis zur Schließung der Tagesstätte im Sommer 1942 in Toulouse und berichteten der Cimade ausführlich über die geleistete Arbeit. Mit Hilfe des Secours National (der staatlichen Sozialfürsorge) konnte an den Vormittagen eine Anzahl von Frauen beschäftigt werden, die an einigen Nähmaschinen aus dem bereitgestellten Material (z. B. Mehlsäcken) Kleidungsstücke fertigten. Nachmittags war das Foyer einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich: Es wurden Sprachkurse für Englisch, Spanisch, Deutsch und Französisch abgehalten, es gab Konzerte und Vorträge, außerdem konnten Bücher aus der kleinen Bibliothek ausgeliehen werden.44 Für Menschen, die als ausländische Flüchtlinge in Toulouse in beständiger Unsicherheit und Angst vor der Internierung lebten, stellte die Tagesstätte ein wichtiges Refugium dar. „Sie kommen ins Foyer“, schrieb Annie Vallotton in ihr Tagebuch, „damit wir sie nach Tränen und Nervenzusammenbrüchen moralisch wieder aufrichten, denn sie wissen aus Erfahrung, dass es besser ist zu sterben, als in ein Lager zu kommen“.45 Im ersten Halbjahr 1942 wurden viele Flüchtlinge von den Behörden aufgefordert, die Stadt zu verlassen und sich an zugewiesene Aufenthaltsorte auf dem Land in „résidence forcée“ zu begeben. Jüdische Emigranten kamen bald kaum mehr in die Einrichtung.46 Die Schwestern Vallotton diskutierten daher mit Madeleine Barot die weitere Zukunft des Foyers.47 Für eine Beendigung der Arbeit sprach dabei auch die Befürchtung, dass das Ladenlokal in der Rue de la Trinité bereits Verdacht bei staatlichen Stellen erweckt haben könnte: Annie und Gritou Vallotton standen seit Januar 1942 der Widerstandsbewegung „Combat“ nahe, hatten die gleichnamige Untergrundzeitschrift verteilt und zwei flüchtige englische Fall-

43 Protokoll der Komitee-Sitzung vom 22.4.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 44 Bericht von Annie Vallotton vom Juli 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1944, Heft Camps d’internement 1940–44); vgl. außerdem G. U. A. VALLOTTON, Au jour le jour, S. 133 u.167. 45 Viele Hinweise EBD., das Zitat EBD., S. 169 (Übersetzung U. G.). 46 Ob sie die Tagesstätte aus Angst vor Verhaftung mieden oder die Stadt verlassen hatten, bleibt unklar (vgl. EBD., S. 215f.). 47 EBD., S. 199 u. 207.

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schirmspringer in der Tagesstätte beherbergt.48 Sie verließen Toulouse Ende Juli, das Foyer wurde endgültig Mitte Oktober 1942 aufgelöst.49

3.2.1.2 Das „Foyer Marie Durand_“ in Marseille und die Zusammenarbeit mit Les Milles und den Internierungszentren Bompard, Terminus des Ports und Levant Die Tätigkeit der Cimade in Marseille stand in Zusammenhang mit einem besonderen Kapitel der Ausländerpolitik unter Vichy: der weiteren Emigration von Flüchtlingen. Theoretisch erlaubte die Regierung noch bis Mitte bzw. Ende 1942 die Ausreise aus Frankreich. Sie bewegte sich auch damit im Rahmen ihrer ideologischen Prämisse, die sog. Unerwünschten aus der französischen Gesellschaft auszuschließen. Eine internationale jüdische Organisation, die HICEM, wurde von Vichy damit beauftragt, den Antragstellern in der Vorbereitung der nötigen Dokumente beizustehen.50 Gleichzeitig stellten jedoch die französischen Behörden eine Vielzahl bürokratischer Hindernisse auf. Da es außerdem zunehmend schwieriger wurde, Einreisegenehmigungen in die Länder der freien Welt zu erlangen und mitten im Seekrieg einen Platz in der zivilen Schifffahrt zu bekommen, erreichten nur wenige ein rettendes Exil in Übersee. Nach den Angaben der HICEM konnten von den etwa 80.000 in der Südzone lebenden Emigranten knapp 6.500 Personen auf diese legale Weise das Land verlassen.51 Wer aufgrund von Verwandten oder Bürgen in Übersee irgendeine Aussicht auf Emigration hatte, musste eine Aufenthaltserlaubnis für das Departement Bouches-du-Rhône bei der Präfektur in Marseille beantragen, denn nur dort wurden die Ausreisevisa erteilt und die Schiffsplätze ausgegeben, dort befanden sich auch die Konsulate der Überseeländer, wie etwa von Mexiko und den USA.52 Die Stadt war daher überfüllt mit Flüchtlingen, die sich verzweifelt bemühten, bei den verschiedenen Behörden und Auslandsvertretungen ihre Ausreisepapiere zu vervollständigen. Anna Seghers, die 1940 als Emigrantin in Marseille lebte, zeichnet in ihrem Roman 48 Über diese Aktivitäten berichten sie EBD. S. 201ff.; 210f.; 215. 49 Die Schließung geschah im Einverständnis mit Fox, die im September 1942 den Mitarbeiterinnen unter Amélie Parker nochmals ihren Dank aussprach (CIMADE-ARCHIV PARIS: YMCA/YWCA). 50 Die HICEM bestand 1940 aus zwei Organisationen, der amerikanischen Hebrew Aid and Sheltering Service sowie der englischen Jewish Colonisation Association (vgl. A. COHEN, Persécutions, S. 105). Die HICEM versuchte außerdem für mittellos gewordene Emigranten die teuren Schiffspassagen zu bezahlen. 51 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 151; A. COHEN, Persécutions, S. 105. 52 Vgl. zur Visavergabe K. LABERNEDE, Widerstand, S. 447; D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung, S. 195ff. u. 201ff.; zu den Schiffsplätzen M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Juifs, S. 155.

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„Transit“ ein getreues Bild von der durch Angst, Unruhe und enttäuschten Hoffnungen geprägten Atmosphäre unter den vielen Fremden in Marseille. Für die in der Südzone internierten Flüchtlinge waren Ausreisebemühungen ungleich schwieriger als für diejenigen Emigranten und Emigrantinnen, die mit den ihnen noch verbliebenen finanziellen Mitteln an zugewiesenen Aufenthaltsorten in bestimmten Departements lebten. Die HICEM hatte immerhin in Gurs eine Filiale einrichten können, um bei der Beschaffung der Papiere behilflich zu sein und die Korrespondenz mit Behörden und Konsulaten zu übernehmen.53 Bestand die Chance auf eine Ausreise, so konnten diese Internierten in eines der sog. Transitlager im Departement Bouches-du-Rhône verlegt werden, um die Vorbereitungen abzuschließen und auf die Einschiffung zu warten. Männer wurden seit November 1940 in das große Lager Les Milles bei Aix-en-Provence eingewiesen, Frauen mussten sich in den ehemaligen Hotels Terminus des Ports, Bompard und Levant in Marseille aufhalten.54 Sie erhielten die Erlaubnis zu Tagesaufenthalten in Marseille bzw. durften sich von den Hotels entfernen, um auf den betreffenden Ämtern vorzusprechen. Insgesamt gelang es jedoch nur wenigen hundert internierten Flüchtlingen, Frankreich auf diesem Weg zu verlassen. Viele blieben bis zum Sommer 1942 in den Transitlagern und erlebten hier die Selektion und den Abtransport nach Drancy und in die Vernichtungslager, andere hatten nach dem Scheitern ihrer Auswanderungspläne schon vorher in die innerfranzösischen Lager zurückkehren müssen.55 Die Cimade beabsichtigte mit ihrem Engagement in Marseille, den vielen Flüchtlingen ein „Asyl“ und einen „Ort der Ruhe und des Friedens“ anzubieten.56 Evelyn C. Fox hatte im April 1941 die erste dringliche Empfehlung zur Gründung einer Tagesstätte in der überfüllten Stadt gegeben 53 Im Cimade-Archiv finden sich noch die Emigrationsakten einiger internierter Protestantinnen, die von dem HICEM-Deputierten in Gurs, Siegfried Plastereck, angelegt worden waren (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Zur HICEM in Gurs vgl. auch C. LAHARIE, Gurs, S. 225. 54 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 147; C. EGGERS, L’internement, S. 13f.; A. FONTAINE, Camp d’Etrangers, S. 120ff. Für seine sehr engagierte Arbeit konnte Fontaine in den 1980er Jahren eine beachtliche Anzahl von Zeitzeugen und -zeuginnen ausfindig machen und befragen, in seiner Darstellung fehlt jedoch leider ein kritischer Umgang mit dieser Quellengattung. Eine umfassende und auf breiter Quellenbasis erarbeitete Geschichte des Lagers Les Milles liegt seit 1999 von D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung, vor. 55 Vgl. A. FONTAINE, Camp d’Etrangers, S. 223; K. LABERNEDE, Widerstand, S. 447; D. OBERSCHERNITZKI, Hoffnung, S. 205ff. zu den ausgereisten Internierten von Les Milles im Jahr 1941, zu internierten Frauen EBD., S. 270ff. 56 Bericht über die Eröffnungsveranstaltung des Foyers (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille; Übersetzung U. G.).

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und das Projekt wurde auch vom Koordinationskomitee der Hilfswerke sehr begrüßt.57 Die Finanzierung gewährleistete wie schon in Toulouse die YWCA.58 Mit Hilfe der reformierten Kirchengemeinde konnten die beiden Cimade-Mitarbeiterinnen Suzette Trellis und Lisette Nègre schließlich einige Räume in der Rue Delille im Zentrum von Marseille anmieten. Am 28. Juli 1941 wurde das Foyer Marie Durand in Anwesenheit von Repräsentanten der Unitarier, der YMCA und anderer Hilfsorganisationen durch Madeleine Barot feierlich eröffnet. Sie wies in ihrer Rede auch auf die Namensgebung hin, indem sie die Bedeutung der Hugenottin Marie Durand aus dem 18. Jahrhundert für das Widerstandsbewusstsein des reformierten Protestantismus in Frankreich herausstellte: „Marie Durand stellt in der Tat für uns Protestanten eine Tradition des Mutes dar, des Widerstandes gegen alle Anfechtungen des Glauben und eine Hoffnung, die auf unserem Glauben und unserer christlichen Arbeit gründet“.59 Mit dem Namen Marie Durand wird im französischen Protestantismus an eine Frau erinnert, die mit anderen Leidensgenossinnen 38 Jahre lang, von 1738 bis 1768, in der sog. Tour Constance in dem kleinen Ort Aigues-Mortes in der Provence in Festungshaft gehalten wurde, da sie sich weigerte, zum katholischen Glauben überzutreten. Das heute noch erkennbare Wort „resister“, das Marie Durand in den Steinboden des Gefängnisturmes ritzte, symbolisierte vor allem den Willen zur Identitätswahrung einer kleinen religiösen Minderheit gegenüber staatlicher Repression. Suzette Trellis und Lisette Nègre, die die Namenswahl getroffen hatten, signalisierten daher bereits mit dieser Bezeichnung den Gesamtzusammenhang, in den sie sich mit ihrer Arbeit für entrechtete Menschen einordnen wollten. Gleichzeitig ging es ihnen ausdrücklich darum, sich auf eine Frau als Glaubenszeugin beziehen zu können. Sie stellten sich daher mit ihrem Handeln für die Verfolgten bewusst in eine weibliche Tradition des Widerstandes.60 Schon nach wenigen Wochen fanden sich täglich etwa 60 Besucherinnen und Besucher in der Tagesstätte ein.61 Vor allem die in den Transitlagern internierten Menschen, denen zur Erledigung ihrer Angelegenheiten ein Ausgang für Marseille gewährt wurde, nutzten gerne die Möglichkeiten, die das Foyer ihnen bot. Allein die warme und freundliche Atmosphäre 57 Cimade-Protokoll vom 22.4.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 58 Fox an den Schatzmeister der Cimade vom 26.2.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financières]). 59 Vgl. oben Anm. 56. 60 Brief von Suzette Trellis an Barot vom 16.6.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille). Zu Marie Durand vgl. H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 38ff. 61 Nach den Angaben von Lisette Nègre kann die ganze Wohnung nicht mehr als 100 bis 110 m2 umfasst haben (Brief vom 20.11.1941, CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille).

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und die Ausstattung mit Möbeln, Sesseln und kleinen Lesetischen mit Lampen war anziehend, da sie sich wesentlich von der gedrängten Fülle in den heruntergekommenen Hotels Bompard und Terminus und den Internierungsbedingungen in der ehemaligen Ziegelei in Les Milles unterschied. Wie in allen Cimade-Foyers gab es eine kleine Bibliothek, ausländische Zeitschriften wurden ausgelegt und mehrere Sprachkurse für Englisch und Französisch angeboten. Einige Gäste gaben Konzerte, wie die aus Gurs nach Marseille überführte Pianistin Ida Jauffron-Frank aus Mannheim.62 Ebenso wichtig wie dieses kulturelle Programm war für die Internierten ein ganz anderes Angebot: Sie konnten in der Tagesstätte Einrichtungen zum Waschen und vor allem zum Nähen und Bügeln nutzen.63 Damit war es möglich, die Kleidung instand zu setzen, die nach einem langen Lageraufenthalt oft kaum mehr einen Gang zu den ausländischen oder französischen Behörden erlaubte. Das Cimade-Team mit Lisette Nègre und Suzette Trellis, seit Oktober 1941 mit Nègre und Jeanne Sénat, gewährleistete nicht nur eine Präsenz im Foyer, sondern war auch darüber hinaus aktiv. Die Mitarbeiterinnen begleiteten Flüchtlinge, die Schwierigkeiten mit der französischen Sprache hatten, auf die Behörden und suchten selbst die Internierungszentren in Marseille auf, um für die Frauen tätig zu werden, die keine Ausgangserlaubnis erhielten. Da sich das Foyer ohnehin bald als zu beengt erwies, drang das Cimade-Komitee schon Ende September 1941 darauf, eine Dependance nahe des Hotels Bompard einzurichten, in dem sich allein 400 Frauen befanden.64 Im Gegensatz zum Männerlager existieren kaum Untersuchungen über die Transitzentren für Frauen, die administrativ der Lagerleitung in Les Milles unterstanden. Nach den Berichten der Zeitzeuginnen befanden sich alle Gebäude in sehr schlechtem Zustand, das Wasser lief von den Wänden, die sanitären Anlagen waren veraltet, oft nicht funktionsfähig und völlig unzureichend für die ständig überfüllten Hotels, in denen sich bis zu acht Frauen ein Zimmer teilen mussten.65 Das Hotel Bompard verfügte immerhin 62 Erinnerungen von Jauffron-Frank, S. 38 (STA MANNHEIM: 364,1–44); vgl. auch G. MITVerdammte, S. 282f. Jauffron-Frank war in einem der genannten Hotels interniert und wurde im Juli 1942 zum Bedauern der Cimade-Mitarbeiterinnen wieder nach Gurs verbracht (Nègre an Barot vom 29.7.1942, CIMADE-ARCHIV PARIS [vgl. Anm. 61]). 63 Ausführlich beschreibt Sénat das Foyer und seine Aktivitäten in einem handschriftlichen Bericht (CIMADE-ARCHIV PARIS: „Mes souvenirs Cimade. Novembre 1939 à Mai 1945“, o. D.; Teil II: Marseille). 64 Cimade-Protokoll vom 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Nach dem Bericht von Sénat wurde eine solche Dependance in einem Nebenraum der reformierten Kirche von Eudamme eingerichtet. 65 Vgl. A. FONTAINE, Camp d’Etrangers, S. 120ff. Trude Rothschild, die einige Zeit im Bompard verbringen musste, beschrieb die Zustände in einem Gedicht vom Oktober 1941 TAG,

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über einen Garten, in dem die Kinder spielen konnten, im Levant blieb ihnen nur das Treppenhaus. Neben der Cimade versuchten mehrere Hilfswerke wie etwa die Quäker, das jüdische Kinderhilfswerk OSE (Œuvre de secours aux enfants) und das Rote Kreuz, die Lage der internierten Frauen zu erleichtern und z. B. zusätzliche Lebensmittellieferungen zu gewährleisten, die für die Cimade durch das ökumenische Flüchtlingssekretariat organisiert und bezahlt wurden. Es wurden jedoch auch Internierte aus Les Milles, die sich zu Tagesaufenthalten in Marseille befanden, in das Leben des Foyers eingebunden. In dem Transitlager für Männer hatte sich eine sehr rege kleine protestantische Gemeinde zusammengefunden, die durch Toureille und die in Marseille ansässigen YMCA gefördert wurde und die von sich aus den Kontakt zum Foyer Marie Durand gesucht hatte. Eine der Hauptstützen war der internierte deutsche Journalist Dr. Hans Fraenkel, der wie in Les Milles so auch im Foyer Marie Durand in den Gottesdiensten predigte und Vorträge über die Geschichte der ökumenischen Bewegung hielt.66 Die Mitarbeiterinnen des Foyers standen außerdem in Verbindung mit dem reformierten Pastor Henri Manen aus Aix-en-Provence, in dessen Gemeinde die Männer von Les Milles anlässlich der sonntäglichen Ausgänge offene Aufnahme gefunden hatten.67 Diese Kooperation sollte vor allem im Sommer 1942 wichtig werden, als es während der Deportationen aus den Transitlagern darum ging, zumindest noch einige Menschenleben zu retten. Im Juni 1942 verbot die Regierung von Vichy die Auswanderung von ausländischen Internierten aus der Südzone. Infolge der Razzien, Selektionen und Deportationen von jüdischen Flüchtlingen in den folgenden Monaten kamen kaum mehr Besucher in das Foyer, das schließlich im September 1942 geschlossen wurde.68

3.2.2 Rivesaltes und Gurs und die YMCA Die Kooperation der Cimade mit den in Frankreich tätigen Mitgliedern des Weltbundes der YMCA war von Beginn an von Bedeutung für die Etablierung der jungen Organisation in der Flüchtlingsarbeit. Im Gegensatz (in: OKTOBERDEPORTATION 1940, S. 179). Zum Hotel Bompard vgl. auch D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung, S. 273f. 66 Bericht „Le Camp des Milles et les Protestants“ von Fraenkel, 27.10.1941 (SHPF PARIS: DVP 119), in einem Auszug zitiert bei A. FONTAINE, Internierung, S. 283ff. 67 EBD. und Brief von Manen an Barot (o. D.; Poststempel 18.9.1942) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Manen, Fédé prot., Boegner]). 68 Fox an Barot vom 28.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Comités, conseil, approches politiques, échanges COE, YMCA]).

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zur YWCA konnte die YMCA ihr Engagement in der Südzone über ein eigenes Büro in Marseille steuern und somit effizienter tätig werden, als es von der Genfer Zentrale aus möglich gewesen wäre. Der Weltbundsekretär Donald Lowrie spielte eine führende Rolle in der Koordination der verschiedenen jüdischen und christlichen Hilfsorganisationen in der Südzone und vermochte, wie es sich mit seiner Fürsprache für die Cimade in Gurs bereits erwiesen hatte, gegenüber den Behörden mit einer gewissen Autorität als Fürsprecher auftreten.

3.2.2.1 Die Cimade im Familienlager Rivesaltes Auf Lowries Anregung hin befasste sich das Cimade-Komitee schon im Januar 1941 mit einem möglichen Engagement im neu gegründeten Internierungslager Rivesaltes nahe der südfranzösischen Stadt Perpignan an der Mittelmeerküste.69 Das Innenministerium verfolgte das Ziel, hier auf ehemaligem Militärgelände ein sog. Modelllager für Familien mit einer „Stadt der Kinder“ einzurichten, das Kritikern als positives Beispiel für die Internierungsbedingungen in der Südzone vorgeführt werden sollte. Bereits im Januar 1941 waren die ersten neuen Insassen nach Rivesaltes überführt worden.70 Im April befanden sich bereits 4.600 Menschen auf dem Gelände, unter ihnen sehr viele Flüchtlinge aus Spanien und Mitteleuropa sowie mehrere hundert sog. Zigeuner, die als Folge der rassistischen Behandlung durch die Vichy-Regierung in das Lager eingewiesen worden waren.71 Bis zum Herbst 1941 stieg die Zahl der hier internierten Kinder auf über tausend.72 Allein schon die klimatischen Bedingungen mussten das Projekt jedoch zum Scheitern verurteilen. In der Region war der ausgewählte Standort auch als „Sahara des Südens“ bekannt: Das Lager lag auf einem steinigen Plateau, das der sommerlichen großen Hitze schutzlos ausgesetzt war und kaum Vegetation aufwies. Auch die Wasserversorgung wurde sehr schnell 69 Cimade-Protokoll vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 70 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 202ff.; C. EGGERS, L’internement, S. 11. Zu Rivesaltes, dem größten Lager neben Gurs, liegen bisher keine Einzelstudien vor. Eindrückliche Erinnerungsberichte von Mitarbeiterinnen der Hilfswerke sind in jüngster Zeit auch in deutschen Übersetzungen ediert worden, vgl. F. BOHNY-REITER, Vorhof der Vernichtung; V. SAMUEL, Die Kinder retten. Vivette Samuel war eine Mitarbeiterin von OSE. 71 Nach einem Bericht von Dr. Alec Cramer, der als Abgeordneter des internationalen Roten Kreuzes die französischen Internierungslager besuchte, befanden sich im November 1941 1.280 Spanier, 2.734 Deutsche, 467 Polen und 324 „Zigeuner“ in Rivesaltes (CIMADEARCHIV PARIS: Comité de Coordination et d’Assistance dans les Camps d’internés du S. O.). Letztere wurden im Juli 1942 in das eigens errichtete Lager Saliers bei Arles überwiesen (vgl. dazu F. BERTRAND/J. GRANDJONC, „Zigeunerlager“). 72 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 203; F. BOHNY-REITER, Vernichtung, S. 56f.

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zu einem Problem. Zudem traten oft so starke Winde auf, dass selbst Erwachsene sich kaum auf den Beinen halten konnten und die Kinder vom Sturm gegen die Barackenwände gedrückt wurden.73 Die von den Hilfswerken eingesetzten Ärzte verfassten bald alarmierende Berichte über das Auftreten von Lungenentzündung, Tuberkulose und Malaria.74 Für Familien, die von Gurs nach Rivesaltes verlegt worden waren, trat daher die erhoffte Erleichterung nicht ein. Zusätzlich zu den schweren äußeren Bedingungen unterlag das Lager noch einer wesentlich härteren internen Verwaltung, die die Insassen offenbar häufig ungerechtfertigt hart maßregelte.75 Jüdische Internierte waren in Rivesaltes besonderer Diskriminierung ausgesetzt. Sie wurden auf Anweisung des Lagerleiters im April 1941 im Ilôt B konzentriert, vorgeblich, um gemeinsam das Pessachfest feiern zu können. Dieses Ilôt zeichnete sich jedoch durch eine besonders schlechte Ausstattung aus, Strom war noch nicht installiert, die Liegestätten von Ungeziefer verseucht. Um eine tägliche zusätzliche Milchration zu bekommen, mussten die ohnehin geschwächten jüdischen Kinder nun einen weiten Weg auf sich nehmen.76 Wie im ganzen Lager, so galt auch für das Ilôt B, dass etwaige Verbesserungen und Erleichterungen in der Situation der Internierten nur durch die Hilfsorganisationen erwirkt werden konnten. Für Rivesaltes verpflichtete die Cimade Spanisch und Deutsch sprechende Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die für die verschiedenen Nationalitäten im Lager zuständig sein sollten. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fand sich im Oktober 1941 ein Team zusammen, das den harten Lebensbedingungen standhalten und sich auf die vielfältigen kulturellen und nationalen Prägungen einstellen konnte.77 So war Françoise Rennes in erster Linie für spanische Internierte im Männerilôt K und im Frauenilôt F zuständig. In beiden Barackenblocks hatte die Cimade ein Foyer eingerichtet, in dem Sprachunterricht organisiert worden war, Naturwissenschaften und Literatur gelehrt wurden. Zur Verbesserung der Situation der spanischen Frauen nach einer Befreiung aus dem Lager gab es auch Alphabetisierungskurse.78 André Dumas und Elisabeth Perdrizet wandten sich den deutschsprachigen Internierten im Foyer der Cimade im Ilôt B zu, unter denen sich viele Protestanten jüdischer Herkunft befanden.79 Auch 73 Vgl. EBD., S. 62. 74 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 34ff. 75 Vgl. den Erinnerungsbericht des aus Mannheim nach Südfrankreich deportierten O. Althausen in: OKTOBERDEPORTATION, S. 356ff. 76 Vgl. EBD. und J. WEILL, Contribution, S. 31; A. GRYNBERG, Camps, S. 204f. 77 Protokoll der Cimade-Sitzung vom 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 78 Dies beschreibt Perdrizet in einem Artikel, der in der schweizerischen Zeitung Gazette de Lausanne am 7.7.1942 veröffentlicht wurde (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). 79 Cimade-Protokoll vom 29.7.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) und Brief von Perdrizet

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wenn mit den Foyers vielleicht nicht mehr als einige hundert Internierte erreicht wurden, so gab es nun doch für diese „einen warmen und angenehmen Ort, an dem man sich treffen und eine lange entbehrte geistige und intellektuelle Atmosphäre“ wiederfinden konnte.80 Daneben bemühten sich die Teammitglieder, auf die Kinder und Jugendlichen zuzugehen. Während der Secours Suisse aux Enfants für alle Kinder im Lager zusätzliche Nahrung austeilen konnte und in seinen Foyers Spielstätten eingerichtet hatte, entstanden unter der Ägide der Cimade bald Pfadfindergruppen für Jungen und Mädchen, in die bis zu hundert Kinder unterschiedlicher Altersstufen integriert waren. Françoise Rennes, André Dumas und Elisabeth Perdrizet vermittelten Kontakte zu den französischen Pfadfindergruppen, die im CPJ organisiert waren und zu Partnerverbänden in der Schweiz. Diese übernahmen Patenschaften für ihre Altersgenossen im Lager und tauschten mit ihnen Briefe aus, sandten Vereinszeitschriften und Nahrungs- und Kleiderpakete. Außerdem konnte das Cimade-Team mit der Erlaubnis der Lagerleitung die kleinen Pfadfinderinnen und Pfadfinder an den Wochenenden auf kurze Ausflüge in die Umgebung mitnehmen.81 Im Sommer 1942 erreichten Perdrizet und Dumas von André JeanFaure, dem Leiter der „Inspection générale des camps“ beim Innenministerium, die Erlaubnis für eine längere Abwesenheit einiger Kinder vom Lager. Sie nahmen in dieser Zeit an den Freizeiten der französischen Pfadfinder- und Pfadfinderinnenbewegung teil.82 Auf diese Weise ermöglichte die Cimade es bis zu 60 Jungen und Mädchen, Rivesaltes für einen dreiwöchigen Aufenthalt in den Bergen zu verlassen.83 Die Kinder und Jugendlichen, die seit Jahren nur das Leben in den Baracken mit Kälte, Hunger und Trostlosigkeit kannten, kamen auf diese Weise mit einem Alltag in Kontakt, der selbst für die größeren eine ferne Erinnerung war. Von Beginn an war die Unterstützung der Cimade durch die YMCA sehr wichtig. Rivesaltes war das einzige Lager, in dem die YMCA öffentlich an Barot vom 6.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). 80 Perdrizet in ihrem Zeitungsartikel vom 7.7.1942 (vgl. Anm. 78). 81 Rennes an de Diétrich vom 29.4.1942 (SHPF PARIS: DT Die 2). Die Pfadfinderinnen von Basel schickten 1942 mehrmals Pakete an die Schwestergruppe in Rivesaltes, vgl. die Briefe vom 3.3. und 24.9.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Suisse). J. WEILL, Contribution, S. 135 zufolge geschah dies in Zusammenarbeit mit OSE. 82 Artikel von Perdrizet (vgl. Anm. 78); Perdrizet an Barot vom Sommer 1942 (28. Juni oder Juli); Dumas an Barot vom 7.9.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). 83 Die Zahlenangabe nach einem undatierten Tätigkeitsbericht (vermutlich Ende 1943) der Cimade: „Aperçu du travail de la Cimade“, S. 4 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940–1944). Dumas spricht in seinem Brief vom 7.9.1941 von 14 Pfadfinderinnen (vgl. oben Anm. 82).

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in Zusammenarbeit mit der Cimade auftrat. Gegenüber den anderen Hilfswerken beschrieben die beiden Organisationen im Dezember 1941 ihre Kooperation, indem sie die YMCA als die „Kutsche“ und die Cimade als den „Kutscher“ bezeichneten.84 Die YMCA hatte seit Beginn des Engagements in Rivesaltes für die finanzielle und materielle Ausstattung gesorgt und übernahm seit Dezember 1941 auch die Gehälter für die drei Teammitglieder Perdrizet, Dumas und Rennes.85 Außerdem besuchten Mitarbeiter der YMCA aus Marseille regelmäßig das Lager und waren als Ansprechpartner für das Cimade-Team von großer Bedeutung. Der junge Amerikaner Tracy Strong jr. hatte schon die Studierenden des ersten Teams im Sommer 1941 begleitet und führte auch die nachfolgenden Helfer und Helferinnen in die Arbeit ein.86 Obwohl Lowrie die „großartige Zusammenarbeit“ zwischen der Cimade und der YMCA in Rivesaltes lobte, lassen sich auch Spannungen zwischen den beiden Organisationen feststellen. Die ökumenische Ausrichtung und Offenheit gegenüber allen Konfessionen, der sich die Cimade verschrieben hatte, bedeutete für die YMCA den Verzicht auf jegliches kirchliche Engagement in den Lagern und eine Beschränkung auf Sozialarbeit. Lowrie sprach sich dagegen aus, dass die Gottesdienste der Cimade in Rivesaltes unter dem Namen der YMCA und in dem gemeinsam geführten Foyer gefeiert wurden und drückte damit seine Skepsis gegenüber diesem Bereich in der Arbeit des Hilfswerkes aus. Zwar hinderte er die Cimade nicht daran, in Rivesaltes Gottesdienste durchzuführen, verlangte jedoch, dass diese in anderen Baracken stattfänden.87 Unter diesen Bedingungen unterstützte die YMCA die Cimade in Rivesaltes bis zur Auflösung der Barackenstadt im November 1942.

84 Präsentation der Cimade auf der Konferenz der Hilfswerke in Rivesaltes am 10.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam). Vgl. auch das Memorandum von Suzanne de Diétrich über die Flüchtlingsarbeit in Frankreich (AÖRK GENF: 213.11.7.19/2). 85 Finanzbericht von Rennes an Barot vom 3.11.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes) sowie Brief von Lowrie an Barot vom 28.11.1941 (EBD., Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940–1944). Hinzu kam noch eine Unterstützung durch das ökumenische Flüchtlingssekretariat von monatlich 2.000 Francs. 86 Lowrie an Barot vom 28.11.1941 (EBD.) und Strong an Barot vom 18.7.1941 (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Récébédou). Im Herbst 1942 kam noch Annie Vallotton für einige Wochen nach Rivesaltes (vgl. G. u. A. VALLOTTON, Au jour le jour, S. 221–228). 87 Lowrie an Barot vom 28.11.1941 (vgl. Anm. 85). Diese Differenz ist auch dem Bericht der Cimade auf der Konferenz der Hilfswerke in Rivesaltes am 10.12.1941 zu entnehmen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes).

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3.2.2.2 Die Cimade in Gurs seit Sommer 1941 In Gurs war die Arbeit der protestantischen Jugendorganisationen schon bald durch materielle Hilfe der YMCA mit ermöglicht worden. Nach Absprache mit dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat schickte die Abteilung der Kriegsgefangenenhilfe der YMCA in Genf Bücherkisten mit weltlicher Literatur nach Gurs und spendete Schallplatten und Musikinstrumente. Diese Kooperation intensivierte sich im Frühsommer 1942, als YMCA und Cimade ein zweites Foyer in Gurs gründen konnten, um die angesichts des regen Zuspruches überfüllte erste Baracke zu entlasten. Aber auch hier sah die Cimade ihr Engagement in ähnlicher Weise wie in Rivesaltes durch die YMCA infrage gestellt, als Lowrie sich wieder entschieden gegen eine Vermischung von Sozialarbeit und „religiöser“ Arbeit aussprach.88 Mit der bedrohlichen Entwicklung, die die antijüdische Politik Vichys im Sommer 1942 nehmen sollte, wurden diese Differenzen bald bedeutungslos. Nur wenige Tage nach der Einweihung des zweiten Cimade-Foyers in Gurs setzten die Deportationen nach Drancy ein und stellten die Arbeit im Lager unter ein neues Vorzeichen. Nach der Ausweisung von Jeanne Merle d’Aubigné, vorgeblich aufgrund des Schmuggelns von Interniertenpost, und dem Ausscheiden von André Morel gewährleisteten JeanJacques Faure als Abgeordneter des YMCA und nach ihm die langjährige Cimade-Mitarbeiterin Jeanne Tendil die Präsenz der Cimade in Gurs bis zur vorläufigen Schließung des Lagers im Oktober 1943.89 Die Cimade in den Funktionslagern 1941/42

3.3 Die Cimade in den Funktionslagern seit Winter 1941/42 3.3.1 Das Frauenlager in Rieucros und in Brens Rieucros bei Mende im Departement Lozère war das erste Internierungszentrum, das Anfang 1939 im Zuge einer deutlich verschärften Flüchtlingspolitik der demokratischen Regierung eingerichtet wurde.90 Mit der Aus88 Lowrie an Barot vom 7.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). Unter anderem untersagte er es dem jungen André Morel, der seit Herbst 1941 Jeanne Merle d’Aubigné in Gurs begleitete, seine Kammertür in der neuen Baracke mit der Bezeichnung „Pastor“ zu versehen. 89 Verschiedene Briefe und Berichte von Faure an Barot und Lowrie sowie von Tendil an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Finanzbericht des YMCA für Gurs, Oktober 1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: YMCA/YWCA). Protokoll der ECCO-Sitzung vom 18.11.1942 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 90 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 34f.

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weitung der Internierungsmaßnahmen nach dem Ausbruch des Krieges im September 1939 entstand hier ein spezielles Fraueninternierungslager, das auch unter dem Regime von Vichy beibehalten wurde. Im Februar 1942 verlegten die Behörden das gesamte Lager nach Brens bei Gaillac im Departement Tarn in der Region um Toulouse. Im Unterschied zu Gurs und Rivesaltes wurde das Fraueninternierungslager in Rieucros und Brens als Camp répressif bezeichnet: Hier sollten Frauen eingewiesen werden, die nach Auffassung der Regierung „als verdächtig unter einem nationalen Gesichtspunkt oder als gefährlich für die öffentliche Ordnung“ einzustufen waren.91 Zu ihnen zählten z. B. deutsche und andere ausländische Emigrantinnen, die sich in Paris weiterhin im kommunistischen oder sozialistischen Milieu engagiert hatten und oft unter einem Vorwand interniert worden waren. Sie versuchten, sich den Aufenthalt im Lager durch solidarischen Zusammenhalt zu erleichtern und begriffen sich als „Familie“ der „Politischen“.92 Spanierinnen und Polinnen stellten neben den Deutschen zwei weitere größere Nationalitätengruppen. Auffallend war zudem die Internierung einer ständig wachsenden Gruppe von Französinnen, die z. T. ebenfalls als Kommunistinnen ins Lager verbracht worden waren.93 Unter Vichy waren jedoch nicht mehr nur politische Motive maßgebend für eine Internierung von Frauen in Rieucros und Brens. So hatte die Frauenpolitik des neuen Regimes im Gefolge der „nationalen Revolution“ mit ihrer Forderung nach einer moralischen Wiederaufrichtung Frankreichs auch zu einer verschärften Diskriminierung von Prostituierten geführt, die ab 1942 in zunehmender Zahl in das camp répressif eingewiesen wurden.94 Insgesamt waren niemals mehr als einige hundert Frauen interniert, so dass von einem kleineren Lager zu sprechen ist. Zum Zeitpunkt der Verlegung in das Departement Tarn im Februar 1942 befanden sich beispielsweise nur 320 Frauen in Rieucros.95 Der Altersdurchschnitt war niedrig, so sollen 60 % der Internierten weniger als 40 Jahre gezählt haben.96 Dieser im Vergleich zu anderen Lagern auffallende Befund ist nicht allein auf die mit ihren Müttern internierten spanischen Kinder zurückzuführen, sondern 91 Im Vergleich zu dem Camp répressif für Männer in Le Vernet waren die Internierungsbedingungen in Rieucros erträglicher. Deutsche Internierte in Le Vernet zogen dagegen Parallelen zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern der 1930er Jahre wie z. B. Dachau (vgl. W. THALHEIM, „Le Dachau français“). Le Vernet war das einzige Vichy-Lager, in dem sich die Hilfswerke nicht dauerhaft etablieren konnten (vgl. G. BADIA, Camps). 92 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 70 und die Monographie der Berliner Germanistin M. GILZMER, Fraueninternierungslager, S. 58. 93 EBD., S. 48; 59ff. 94 EBD., S. 48f. 95 EBD., S. 47. 96 Vgl. D. FABRE, Camps, S. 78 ohne Angaben von Quellen.

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erklärt sich vor allem dadurch, dass meist jüngere Frauen in den 1930er Jahren den Weg in die Emigration gewagt hatten und sich nun in Rieucros wiederfanden. Dem Vorstand der Cimade hatte Madeleine Barot bereits im September 1940 ein Engagement in Rieucros vorgeschlagen. Nicht nur die Ausrichtung auf Frauen, sondern auch die besondere Atmosphäre im Lager bestärkten sie in der Überzeugung, dass eine Präsenz der Cimade in Rieucros unbedingt notwendig sei.97 „Der Gedanke an diese 300 Frauen, die seit September 1939 nur auf sich bezogen leben, lässt mir keine Ruhe. Ich habe dort gerade zwei in dieser Hinsicht bezeichnende Tage verbracht: nur Intellektuelle, sehr offen gegenüber allen Initiativen und Diskussionen.“98 Barot war hier Bekannten aus dem internationalen Foyer des Studentenweltbundes in Paris wieder begegnet, und es war vermutlich ein ähnlich von Gedankenaustausch und Auseinandersetzung geprägtes Milieu, das sie in Rieucros vorfand. Obwohl es im Lager auch eine Gruppe evangelischer Christinnen gab, die die Präsenz einer protestantischen Organisation offiziell gerechtfertigt hätte, gelang es der Cimade erst im November 1941, mit Jeanne Tendil eine Mitarbeiterin in Rieucros zu etablieren.99 Mehrere Monate hatte das Leitungskomitee nach wiederholten Eingaben in Vichy auf eine Reaktion der Behörden gewartet. Dass dem Vorhaben trotz der Fürsprache durch Lowrie staatlicherseits so spät stattgegeben wurde, kann auf die Einordnung des Lagers als camp répressif zurückgeführt werden.100 Dann jedoch wurde das Foyer rasch zu einem regulären Bestandteil des Lagerlebens, und einer Mitübersiedlung nach Brens wurden keine Hindernisse in den Weg gelegt.101 Kennzeichnend für das Engagement war nach den Erinnerungen der jungen Juristin Suzanne Chevalley ein besonders vertrautes Verhältnis zu den internierten Frauen, das sicher durch den geringen Al97 Protokoll vom 19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) 98 Barot an de Diétrich vom 29.3. o. J. [1941] (SHPF PARIS: DT Die 2, Übersetzung U. G.). 99 Laut einer Liste von Toureille über protestantische Internierte in den Lagern o. D. (Frühjahr 1942) wurden im Frauenlager 30 Protestantinnen gezählt (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Suisse). Freudenberg wurde am 26.11.1941 durch Tracy Strong jr. über das jüngste Engagement der Cimade informiert (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten. Alphabetical Correspondence F). 100 Violette Mouchon an de Diétrich vom 28.5.1941 und die Vorstandsprotokolle vom 10.6., 9.7. und 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Lowrie schrieb als Vorsitzender des Koordinationskomitees der Hilfswerke am 4.6.1941 eine Empfehlung an Fourcade, den Leiter der Sûreté nationale im Innenministerium (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rieucros). 101 Ob die Mitarbeiterinnen, wie M. GILZMER, Fraueninternierungslager, S. 193 vermutet, einen mäßigenden Einfluss auf das vorher subversive Kulturprogramm der „Politischen“ im Lager ausübten, wird zu diskutieren sein (vgl. unten Kapitel 4.7, S. 167f.).

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tersunterschied begünstigt worden war.102 Suzanne Chevalley hatte im Juni 1942 das Foyer übernommen, musste jedoch aufgrund ihres Engagements für die Frauen in der Deportationszeit das Lager wieder verlassen. Bis zur Auflösung von Brens Anfang Juni 1944 lebte Antoinette Bonnal als Vertreterin der Cimade im Lager.103

3.3.2 Das „Hospital-Lager“ in Récébédou und in Nexon Die Umwandlung des Lagers Récébédou in ein sog. Hospitallager gehört zu den Maßnahmen, mit denen die Vichy-Regierung im Winter 1940/41 versuchte, auf die ausländische Kritik an den Internierungsbedingungen in der französischen Südzone zu reagieren. Während Familien nach Rivesaltes verlegt wurden, sollten zwei Lager in Noé und Récébédou am Rande von Toulouse für die vielen Alten und Kranken eingerichtet werden, die nach den Plänen Vichys hier eine besondere medizinische Behandlung und Pflege bekommen würden, die ihnen an anderen Internierungsorten versagt blieb.104 Wie in Rivesaltes wurden jedoch auch die Pläne für ein Hospitallager in Récébédou zu keiner Zeit von den Behörden mit Nachdruck verfolgt und erfolgreich umgesetzt. So waren im Dezember 1941 für 1.400 kranke und schwache Internierte nur zwei Ärzte zuständig. Die medizinische Ausstattung war völlig unzureichend für eine auch nur annähernd angemessene Versorgung, und auch die Verpflegung gestaltete sich keineswegs vorteilhafter als in Gurs oder Rivesaltes. Zeitgenössische Beobachter wie der französische Rabbiner René S. Kapel betonten daher zurecht, dass Noé und Récébédou die amtliche Bezeichnung „Hospital-Lager“ nicht verdienten.105 Es waren wiederum die jüdischen, christlichen und sonstigen privaten Hilfswerke, die auf die unzumutbaren Bedingungen für Kranke und Alte hinwiesen und versuchten Abhilfe zu schaffen. Ein solches Engagement war für die Behörden auch von Vorteil: Ohne selbst Verantwortung wahrnehmen zu müssen, konnten sie gegenüber der Außenwelt auf Fortschritte zugunsten der Internierten verweisen.106 Daher erklärt sich, dass die YWCA 102 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Brens, S. 141ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 133ff.). Einen Hinweis auf die Zuverlässigkeit des Berichtes geben Briefe aus dem Jahr 1942, die Einzelheiten bestätigen. 103 Vgl. G. BADIA, Camps, S. 307ff., sowie die Briefe von Bonnal an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Brens). 104 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 210f.; E. MALO, Récébédou, S. 78. 105 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 211; R. S. KAPEL, Rabbin, S. 51ff.; E. MALO, Récébédou, S. 81. 106 Vgl. E. MALO, Récébédou, S. 82f.

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im September 1941 gebeten wurde, ein Foyer in Récébédou wiederzueröffnen, das auf Druck der Lagerleitung erst im April 1941 hatte geschlossen werden müssen. Die Cimade wollte diese Arbeit gerne übernehmen, denn die Erfahrungen der YWCA hatten gezeigt, wie wichtig eine solche Zufluchtsstätte im Lager war.107 Erst im April 1942 fanden sich jedoch zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die eine Tätigkeit der Cimade in Récébédou möglich machten. Unter Jeanne Sénat hatte das hier tätige Team mit Anne-Marie Roehrich im Frühjahr sowie Jacques Saussine und Laurette Monet in der Sommerzeit jedoch kaum Zeit, ein Angebot mit Konzerten, Sprachkursen, einer Bibliothek etc. zu organisieren. Schon im August setzten auch aus Récébédou die Deportationen ein, und Internierte wie Teammitglieder sahen sich mit einer weit schlimmeren Wirklichkeit konfrontiert, als der ohnehin schon belastende Alltag im Lager bisher geboten hatte.108 Als Récébédou auf Beschluss des Innenministeriums am 1. Oktober 1942 aufgelöst und das Lager nach Nexon im Departement Haute-Vienne verlegt wurde, befanden sich neben wenigen anderen noch 324 spanische und 425 jüdische Internierte verschiedener Nationalitäten im Lager.109 Die Cimade durfte sich auch in dem neuen Lager etablieren, die Umzugsvorbereitungen waren jedoch überschattet durch den plötzlichen Tod Jacques Saussines am 27. September 1942.110 Er starb an an einer durch den Lagerarzt zunächst fälschlich als Typhus diagnostizierten Blinddarmentzündung. Zwar war der Cimade-Mitarbeiter noch in ein städtisches Krankenhaus verlegt worden, für ihn kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die schlechte medizinische Versorgung sollte sich auch im Lager Nexon nicht bessern. Als Hospitallager hatte Nexon nur noch wenige Monate Bestand. Einige Internierte überlebten den harten Winter nicht, andere mussten im März 1943 die Deportationszüge besteigen. Die noch verbliebenen Insassen wurden in kleinere Zentren wie z. B. Masseube verlegt, so dass das Lager im April 1943 vakant war.111 Während Jeanne Sénat in Masseube ein neues 107 Protokoll des Cimade-Vorstandes vom 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5) und Tätigkeitsbericht des YWCA-Foyers in Récébédou (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Récébédou). Warum die Einrichtung am 2.4.1941, also nach der Umwandlung zum Hospitallager, auf behördliche Anweisung plötzlich schließen musste, bleibt unklar. 108 Vgl. die bewegenden Berichte in L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 37ff. 109 Vgl. E. MALO, Récébédou, S. 90. 110 Vgl. L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 59–62. Saussine war der Neffe von Pierre C. Toureille, dem Leiter der Aumônerie Protestante; vgl. das Kondolenzschreiben Freudenbergs an Toureille vom 8.10.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Toureille). 111 Vgl. L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 85, S. 146 sowie zu den Deportationen aus Nexon EBD., S. 151f. und den Bericht von Jeanne Sénat (CIMADE-ARCHIV PARIS: „Mes souvenirs Cimade. Novembre 1939 à Mai 1945“, o. D.; Teil IV: „Camp de Nexon“).

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Foyer aufbaute, blieb Laurette Monet in Nexon, um sich für die nun hier eingewiesenen französischen und ausländischen Oppositionellen zu engagieren.112 Monet musste sich jedoch bald von der etwa 30jährigen Pfadfinderin Marie-Louise Brintet ablösen lassen, denn für sie wurde der Aufenthalt im Lager zu gefährlich, nachdem sie zwei deutschen Internierten zur Flucht verholfen hatte.113 Die Zusammenarbeit mit anderen Hilfswerken

3.4 Die Zusammenarbeit mit anderen Hilfswerken 3.4.1 Das Nîmes-Komitee Die Cimade war nur eine kleine Organisation unter einer Vielzahl von Hilfswerken, die seit Sommer 1940 versuchten, für die Männer, Frauen und Kinder hinter dem Stacheldraht tätig zu werden. Als erste hatte sich die jüdische Kultusgemeinschaft in Frankreich für die internierten Glaubensschwestern und -brüder eingesetzt. Schon im Juli 1940 wandten sich mehrere französische Rabbiner nach Besuchen in den Lagern an nationale und internationale jüdische Hilfsorganisationen und gründeten eine zentrale Kommission jüdischer Hilfswerke, die eng mit dem schon seit 1933 bestehenden jüdischen Flüchtlingskomitee (Comité d’aide aux réfugiés, CAR) zusammenarbeitete. Hier trafen sich z. B. das amerikanische Joint Distribution Committee114, das Kinderhilfswerk Oeuvre de secours aux enfants (OSE)115 und die Auswanderungshilfe HICEM.116 Neben den Organisationen jüdischer Provenienz gab es weitere humanitäre und christliche Werke wie die der Quäker und der Unitarier, das Rote Kreuz oder die YMCA, die Hilfe in die Lager bringen wollten und dies z. T. schon für die Internierten der III. Republik getan hatten.117 Um noch effizienter für eine Verbesserung der Internierungsbedingungen eintreten zu können, hielten die Werke es jedoch für ratsam, die vielfältigen Aktivitäten abzustimmen und gegenüber der Regierung von Vichy unter gemeinsamer Absprache vorzugehen. Auf Betreiben von Lowrie, dem Vertreter der YMCA, und mit Unterstützung von Boegner versammelten sich die verschiedenen jüdischen, christlichen und humanitären Organisationen 112 Monet an Barot vom 2. u. 11.4.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Nexon). 113 Vgl. L. ALEXIS-MONET, Ausbruch, S. 167–174 und den Bericht Brintets (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique). 114 Zur Geschichte des Joint vgl. Y. BAUER, My Brother’s Keeper. 115 Zur Arbeit des OSE in Frankreich vgl. S. ZEITOUN, L’Oeuvre. 116 Vgl. insgesamt A. GRYNBERG, Aide et soutien, S. 164. 117 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 194. Die YMCA hatten sich mit Charles Guillon schon im Januar 1940 in Gurs engagiert (EBD., S. 76).

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nationaler und internationaler Ausrichtung seit 20. November 1940 in einem Koordinationskomitee für die Hilfsarbeit in den Lagern (Comité de coordination pour l’assistance dans les camps). Nach seinem Tagungsort in Nîmes erhielt dieses Gremium bald den Namen Comité de Nîmes.118 Bis zum Sommer 1942 bemühten sich die mehr als 20 hier zusammengeschlossenen Institutionen mit erheblichen finanziellen Mitteln und mit Eingaben bei den zuständigen Behörden u. a. durch eine zusätzliche Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidern und Medikamenten, die Situation der Internierten zu erleichtern. Mehrere Vereine hatten wie die Cimade Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in den Lagern, die Missstände und aktuelle Verschlechterungen signalisieren konnten. Fachleute wurden entsandt, die z. B. die Zahl der hungerkranken und vom Tode bedrohten Menschen erfassten, um eine besondere Pflege für sie in die Wege zu leiten. Der Vertreter des jüdischen Kinderhilfswerks OSE im Nîmes-Komitee, Dr. Joseph Weill, hat diese vielfältigen Hilfsmaßnahmen 1946 in einem umfassenden Bericht niedergelegt und die Arbeit der sechs Unterkommissionen dokumentiert.119 Er hat jedoch auch als erster Kritik geäußert an der Vorgehensweise des Komitees und seiner kaum reflektierten Zusammenarbeit mit der Regierung, d. h. insbesondere der Inspection générale des camps unter André Jean-Faure, Anfragen, die von der Historikerin Anne Grynberg aufgenommen worden sind.120 Im Rückblick Madeleine Barots stehen jedoch die positiven Auswirkungen des Komitees auf die Arbeit der Cimade im Vordergrund.121 Die Cimade war wie die Aumônerie Protestante von Beginn an Mitglied im Nîmes-Komitee gewesen, die Anregung dazu ging offenbar von Charles Guillon aus.122 Für eine junge und personell nur gering besetzte Organisation, die über keinerlei Erfahrung mit einem Engagement für Internierte in staatlichen Lagern verfügte, bot die Zusammenarbeit mit den etablierten 118 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 104ff.; A. GRYNBERG, Camps, S. 194ff.; DIES., NîmesKomitee, S. 474ff. 119 Vgl. J. WEILL, Contribution, vor allem ab S. 107. 120 Vgl. EBD., S. 177f.; A. GRYNBERG, Nîmes-Komitee, S. 480. Als staatliche Vertreter nahmen sowohl André Jean-Faure als auch Gilbert Lesage vom Service Social des Etrangers mehrfach an den Sitzungen teil und waren über deren Inhalt informiert. 121 Vgl. ihre 1982 (La CIMADE et les camps d’internement de la zone Sud, S. 299f.) und 1994 (La Cimade et le rôle des organisations internationales de jeunesse, S. 222f.) veröffentlichten Tagungsbeiträge. Dass das Komitee den Rahmen für den Austausch von staatskritischen Informationen und Geldern gegeben hat, lässt sich mit den vorhandenen Quellen nicht verifizieren. Gleiches gilt für die Darstellung des Comité de Nîmes als Treffpunkt von Genfer und französischen Vertretern und Vertreterinnen der Hilfswerke (M. BAROT, Camps d’internement, S. 299). Soweit nachvollziehbar, waren alle Teilnehmenden längerfristig in der Südzone tätig. 122 Toureille an Freudenberg vom 25.11.1940 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0088), Protokoll des Cimade-Vorstandes vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5).

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Hilfswerken Vorteile, die von Madeleine Barot sehr wohl wahrgenommen wurden: „Außerdem hat noch das Koordinationskomitee getagt, das für mich wie immer sehr interessant und lehrreich gewesen ist. Dass ich die verschiedenen Organisationen mit ihrem Sachverstand während ihrer Arbeit beobachten kann, ist sicherlich ein großes Glück. Die Cimade, und ich vor allem, werden hier wie das jüngste Kind behandelt, das Ratschläge und Ermunterung erhält.“123 Nach dem Bericht Weills war die Cimade Mitglied in den Unterkommissionen zum Bereich Bildung (éducation, gemeinsam mit der YMCA, der OSE und den Unitariern) und zum Bereich Entlassung (libération, gemeinsam mit CAR und HICEM).124 Hier wie auf den Sitzungen des Nîmes-Komitees selbst konnte sie Kontakte zu Repräsentanten humanitärer, katholischer und vor allem jüdischer Organisationen knüpfen, durch die gegenseitiges Vertrauen geschaffen wurde, das nicht nur für die Kooperation in den Lagern z. B. mit Quäkern und Unitariern von Bedeutung sein sollte.125 So erhielt Madeleine Barot durch die Berichte des Abbé Glasberg im Nîmes-Komitee wichtige Anregungen, um auch in der Cimade die Idee einer Verlegung von Internierten in Heime der Hilfswerke umzusetzen und konnte seit Sommer 1942 im Untergrund mit Vertreterinnen von OSE für die Rettung von Verfolgten in die Schweiz zusammenarbeiten. Wenige Monate nach dem Einsetzen der Deportationen musste das Nîmes-Komitee seine Arbeit einstellen. Die jüdischen französischen Werke im Komitee waren mit der sich verschärfenden antijüdischen Gesetzgebung schon seit Ende des Jahres 1941 unter zunehmende Bedrängnis geraten. Sie hatten sich bis zum Sommer 1942 in die auf Druck von Vichy gegründete Union générale des Israélites de France (UGIF) eingliedern müssen, in der sämtliche Organisationen jüdischen Lebens zentralisiert wurden. Nach der Besetzung der Südzone durch die Deutschen im November 1942 befanden auch sie sich in großer Gefahr.126 Die ausländischen Organisationen wie die Unitarier, der Joint und das amerikanische Rote Kreuz mussten 123 Barot an de Diétrich vom 29.3.1941 (SHPF PARIS: DT Die 2; Übersetzung U. G.). 124 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 116 u. 128ff. Quellen oder Berichte der Cimade geben hierzu keine Auskunft. Im Mai 1942 wurde die thematische Zuordnung der Kommissionen geringfügig verändert (CDJC PARIS: CCXIII–93). 125 Vgl. M. BAROT, Camps d’internement, S. 299f. 126 Zur Eingliederung der Wohlfahrtsorganisationen in die UGIF vgl. R. I. COHEN, Burden, S. 113ff. Mehrere hochrangige Repräsentanten flohen in die Schweiz, u. a. auch der zitierte Joseph Weill. Raymond-Raoul Lambert, der Vertreter von CAR im Nîmes-Komitee, blieb in Frankreich. Er übernahm ab 1942 die Leitung von UGIF in der Südzone und versuchte, einen offiziellen Rahmen für illegale Arbeit der Hilfswerke zu geben. Im August 1943 wurde Lambert auf Befehl der Gestapo mit seiner Frau und ihren vier Kindern inhaftiert und über Drancy in die deutschen Vernichtungslager deportiert (vgl. EBD., S. 121 u. 129).

Die Zusammenarbeit mit anderen Hilfswerken

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mit diesem Zeitpunkt das Land verlassen, so dass das Komitee spätestens seit März 1943 kaum mehr arbeitsfähig war.127

3.4.2 Lagerinterne Kooperation Auch innerhalb der Lager waren mehrere Organisationen tätig. Im Rückblick auf Gurs konnte André Morel geradezu von einem „Ilôt der Hilfswerke“ sprechen, in dem sich u. a. die Baracken der Cimade und des Secours Suisse aux Enfants befanden.128 Zu ihnen stießen im Laufe des Jahres 1941 auch die OSE sowie der Service Sociale d’Aide aux Emigrés (SSAE) und eine katholische Gruppe unter Leitung eines katholischen Geistlichen, der vermutlich aus dem Ort Gurs stammte. Weitere Unterstützung kam von der Organisation Reconstruction-Travail (ORT), die in Gurs Werkstätten für die Internierten einrichtete und dem Emigrationshilfswerk HICEM mit seinen Vertretern.129 Die Frage einer lagerinternen Kooperation stellte sich daher bald. Ein gemeinsames Vorgehen war förderlich, um Aufgaben sinnvoll nach den Möglichkeiten eines jeden Werkes zu verteilen, in Eingaben nachdrücklich bei den Lagerleitungen aufzutreten und sich in der Verteilung der von außen kommenden Hilfe jüdischer Organisationen, der Quäker, Unitarier und des Internationalen Roten Kreuzes abzusprechen. Daher bildeten sich schon früh innerhalb der größeren Lager Koordinationskomitees, in die auch die Selbsthilfeorganisationen der Internierten eingebunden werden konnten. In Gurs waren hier im Frühsommer 1941 vereinigt das Comité central d’assistance (CCA), eine Wohlfahrtsvereinigung der Internierten, die von dem sehr geschätzten deutschen Rabbiner Leo Ansbacher gegründet worden war, der Secours Suisse mit Schwester Elsbeth Kasser, OSE, die Cimade mit Jeanne Merle d’Aubigné und Suzanne Aillet und das Team des SSAE mit Ninon Hait und Elisabeth Hirsch, außerdem zwei Mitglieder einer katholischen Gruppe. In dieser recht frühen Phase ging es darum, Zuständigkeitsbereiche wie die medizinische Versorgung (OSE), die Betreuung der internierten Kinder (Secours Suisse) oder ein kulturell und intellektuell ansprechendes Angebot für die Erwachsenen (Cimade) 127 Protokoll des Nîmes-Komitee vom 25.11.1942 (CDJC PARIS: CCXIX–28) und vom 18.2.1943 (CDJC PARIS: CCXVIII–102). 128 Zeugnis Morels vom 20.5.1987 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 129 Vgl. C. LAHARIE, Gurs, S. 350f. (seine Darstellung über die Etablierung der Cimade in Gurs gibt den damaligen Kenntnisstand wieder), außerdem den Bericht Merle d’Aubignés über die Versammlungen des „Comité de Coordination local“ von Mai bis November 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs).

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Die Internierungslager von Vichy

zuzuweisen. Bei der Lagerleitung hatte das Komitee u. a. erreicht, dass die Kinder die Erlaubnis für Spaziergänge unter Bewachung außerhalb des Lager erhielten und dass in jedem Ilôt wenigstens eine Baracke ganztägig beheizt werden konnte.130 Aus Rivesaltes informiert ein für die Lagerleitung bestimmter Bericht des internen Koordinationskomitees über die vielfältigen, sehr differenziert vorgetragenen Proteste und Reformvorschläge, die u. a. auf die mangelhafte Versorgung mit Lebensmitteln, insbesondere die Milchrationen für die Kinder, die Ausstattung mit Decken und mit Heizmaterialien wie Holz eingehen.131 Es gelang den Hilfswerken infolge der lagerinternen Koordination daher durchaus, ihre Arbeit effektiver zu gestalten und mit größerem Erfolg für eine bessere Behandlung der Internierten einzutreten. Wirksam war diese Zusammenarbeit jedoch nur bis zum Einsetzen der Deportationen. Ab diesem Zeitpunkt änderte sich die Situation, da die großen Lager zugunsten kleinerer Internierungszentren aufgelöst wurden und die überwiegende Zahl der Hilfsorganisationen nach der Besetzung der Südzone durch die Deutschen ihre Tätigkeit einstellen musste: Ausländischen und jüdischen Werken war eine Arbeit bei den Internierten nicht mehr möglich. Nach einem Bericht des ECCO vom November 1943 waren in den Lagern neben der Cimade und den Quäkern nur noch das französische Rote Kreuz und der Secours National tätig.132 Es stellte sich nun die Frage einer Zusammenarbeit mit diesen zuletzt in den Kreis der Werke eingetretenen Organisationen, die der Regierung von Vichy wesentlich näher standen als die bisherigen Einrichtungen.

130 Bericht Merle d’Aubignés (vgl. Anm. 129). Zum CCA vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 217f. und den Erinnerungsbericht Ansbachers in: OKTOBERDEPORTATION 1940, S. 429–438, S. 436f. Ansbacher kam aus dem Lager St. Cyprien nach Gurs. Zu den beiden katholischen Mitgliedern, die in der Quelle mit L. Breuer und mit Goldberg benannt werden, lassen sich keine weiteren Angaben finden. 131 „Resolutions du Comité Coordination des oeuvres privées du camp de Rivesaltes, prises à la Réunion du 23 Janvier 1942“ (SHPF PARIS: DT Cam). Die Treffen des Komitees werden verschiedentlich in den Briefen des Cimade-Teams erwähnt. 132 ECCO-Protokoll vom 15.11.1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945).

Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

KAPITEL 4 Eine Kultur der Solidarität: Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern avancierten als Foyers zum Mittelpunkt ihres Engagements. Zeugnisse von Internierten zeigen, dass diese Zentren als lichterfüllte Gegenorte für die „Höhlenbewohner“ der Lager interpretiert werden können.1 Hier fanden sie „inmitten von Schlamm und unter den elendigen Existenzbedingungen Bücher, Blumen, Musik, Unterhaltung und Fröhlichkeit, kurz eine menschliche Atmosphäre“.2 Das Engagement der Cimade in den Foyers umfasste mit der materiellen Hilfe, der kulturellen und der religiös motivierten Arbeit im wesentlichen drei Betätigungsfelder, die vorgestellt und reflektiert werden sollen. Die Besucherinnen und Besucher der Cimade-Foyers

4.1 Die Besucherinnen und Besucher der Cimade-Foyers 4.1.1 Vertriebene aus Deutschland und anderen europäischen Ländern In ihren Tätigkeitsberichten wiesen Cimade und Flüchtlingssekretariat gern auf die internationale Ausrichtung der Lagergemeinden hin, in denen sich Menschen aus über vierzehn Ländern treffen würden.3 Allerdings erlauben nur gelegentliche Hinweise aus den Lagern Rückschlüsse auf die Herkunftsländer der Besucherinnen und Besucher. Angesichts 1 Als „‚Höhlenbewohner‘ der finsteren, unwirtlichen Schlafbaracken“ bezeichnet sich ein im Bericht des Flüchtlingssekretariates vom Januar 1942 (Anhang S. 12) zitierter Lagerinsasse aus Gurs (AÖRK GENF: Karton B 2). 2 Zitat aus dem Brief einer Internierten von 1944 (zu identifizieren als Charlotte Wolff) im Bericht „Notes sur la Cimade“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Prisons et Camps d’internement, Collaborateurs). 3 Madeleine Barot an Alice Fauchier vom 30. Oktober 1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]); der Januarbericht des Flüchtlingsausschusses von 1942 spricht auf S. 11 u. 13 sogar von 30 Nationalitäten (AÖRK GENF: Karton B 2), diese Zahl lässt sich anhand der vorhandenen Quellen nicht nachvollziehen.

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

von Not und Elend war es zu keiner Zeit ein Anliegen der Cimade, etwa umfassende statistische Angaben einzuholen. Briefe und Erinnerungen bezeugen gleichwohl die Präsenz von Lagerinsassen aus Spanien und Internierten aus osteuropäischen Ländern in den Foyers. In der Mehrheit war die Arbeit der Cimade jedoch durch Internierte geprägt, die aus Deutschland stammten. So konnte sich in jedem Team wenigstens ein Mitglied auf Deutsch verständigen, um ein solidarisches Miteinander nicht schon an der Sprachbarriere scheitern zu lassen.4 Predigten wurden auf Deutsch gehalten und die Mehrzahl der Bücher in den Bibliotheken waren deutsche Veröffentlichungen. Manche der deutschsprachigen Foyerbesucher hatten wie die Berlinerin Ursula Flatow oder der Österreicher Friedrich Weil schon in den 1930er Jahren Asyl in Frankreich gesucht oder waren als Mitglieder der Internationalen Brigaden nach dem Ende des spanischen Bürgerkrieges in das Land gekommen.5 Viele waren jedoch infolge der Oktober-Deportation Opfer französischer Internierung geworden, zu ihnen zählten z. B. die aus Mannheim kommende Maria Krehbiel-Darmstädter oder die Freiburger Lehrerin Lili Reckendorf.6 Die spanischen Internierten, die die Foyers aufsuchten, lebten mehrheitlich als Flüchtlinge vor dem Franco-Regime in der Südzone. Der Umfang dieser Gruppe kann ebensowenig bestimmt werden wie für die Internierten aus Osteuropa. In das Foyer von Rivesaltes kamen sie immerhin so zahlreich, dass die Cimade eine spanisch sprechende Mitarbeiterin engagierte. Auch für Nexon berichtet Laurette Monet von engen Kontakten zu den spanischen Lagerinsassen wie z. B. dem Republikaner Gil Esteban.7 Ebenso sind nicht nur in Nexon, sondern auch in Brens, Rivesaltes und Gurs Beziehungen zu Internierten aus der Tschechoslowakei, aus Polen, Ungarn und der Sowjetunion bezeugt. Dieser Vielfalt der Nationalitäten korrespondierte eine Vielfalt von Bekenntnissen, die vom orthodoxen und liberalen Judentum über verschiedene, hauptsächlich protestantische und orthodoxe christliche Kirchen bis zu Atheisten reichte.

4 Cimade-Protokoll vom 19.9.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 5 Vgl. zu Flatow ein Interview in: H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 187ff.; zu Weil einen Brief an Freudenberg vom 22.11.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). 6 Vgl. M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 92 sowie einen Brief Lili Reckendorfs vom Juli 1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Suisse–1944, Alphabetical Correspondence R–S). 7 Vgl. L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 117ff.; 131; 144ff.

Die Besucherinnen und Besucher der Cimade-Foyers

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4.1.2 Ein Engagement nur für Christinnen und Christen? Christinnen und Christen machten unter den Insassen der Lager in der Südzone nur eine sehr kleine Minderheit aus. In Gurs beispielsweise, dem einzigen Lager, für das eine grundlegende Auswertung der Interniertenakten vorgenommen worden ist, bekannten sich nur 6,4 % der insgesamt 17.864 Insassen nicht zum Judentum.8 Die Cimade richtete sich mit ihrem religiös motivierten Angebot, mit Gottesdiensten und kirchlichen Festen zunächst vor allem an ihre Glaubensgenossen und konnte so christliche Gemeinden schaffen, deren ökumenische Ausstrahlung immer wieder betont wurde. Zu den Lutheranern aus Deutschland gesellten sich hier Anglikaner, Baptisten und Reformierte, jedoch auch Griechisch- und RussischOrthodoxe. Über die Größe dieser Gemeinschaften, die sich zudem wie die Zahl der Lagerinsassen überhaupt fortwährend änderte, liegen kaum sichere Angaben vor. Im Winter 1940/41 wurden nach Cimade-Angaben in Gurs 800 Protestanten gezählt.9 Toureille zufolge war ihre Zahl etwa im Frühjahr 1942 auf 180 gesunken, während die Gemeinden in Rivesaltes zu diesem Zeitpunkt 80, in Brens 30 und in Récébédou 35 Mitglieder umfassten.10 Angesichts der begrenzten finanziellen Mittel vermochte die Cimade eine Unterstützung mit Kleidern und Lebensmitteln hauptsächlich nur der protestantischen Minorität zukommen zu lassen. Auch das ökumenische Flüchtlingssekretariat in Genf verstand sich in erster Linie als zuständig für protestantische Internierte und die kleine Splittergruppe orthodoxer Vertriebener.11 Hilfsgesuche von jüdischen Internierten, die sich in zunehmender Zahl an den ÖRK wandten, leitete Freudenberg an jüdische Organisationen weiter.12 Da selbst die Sendungen für die christlichen Lager8 Ausgehend von der Gesamtzahl der Internierten vom Oktober 1940 bis zum 1. 11.1943, nach C. LAHARIE, Gurs, S. 186. 9 Protokoll der Cimade-Sitzung vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Statistische Belege lassen sich für diese Angabe nicht finden. Nach C. LAHARIE, Gurs, S. 182f. umfasste die Gesamtzahl der Insassen in Gurs am 1.1.1941 11.825 Personen. 10 Die Angaben nach einer undatierten Liste Toureilles (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis suisse, Colis portugais, Toureille), die frühestens im März 1942 nach der Etablierung der Cimade in Brens entstanden sein kann. Die Zahl für Gurs entspricht in etwa den Informationen eines Schweizer Zeitungsberichtes, er nennt für Ostern 1942 175 Gemeindeglieder, darunter 18 Russisch-Orthodoxe (Kirchenbote für das reformierte Volk des Aargau, Juli 1942, Nr. 7, 52. Jahrgang [AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence H]). Der Bericht geht sehr wahrscheinlich auf Angaben Freudenbergs zurück. 11 Vgl. auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 250. 12 So z. B. ein Hilfsgesuch zweier jüdischer Schwestern aus Gurs an die „Aide aux réfugiés du camp de Gurs“ unter Armand Brunschvig in Genf am 4.6.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence [S], B Organisations). Gegen die Häufung solcher Bitten wandte sich Freudenberg in einem von A. GRYNBERG, Camps, S. 377 zitierten Brief

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

insassen aufgrund des rückläufigen Spendenaufkommens von Zeit zu Zeit gekürzt werden mussten, war eine solche Aufgabenteilung notwendig. Weder der ÖRK noch die Cimade handhabten diese Regelung indessen sehr strikt. Die Cimade verstand sich als prinzipiell offen gegenüber allen Internierten und einer umfassenden Ökumene und Universalität verpflichtet, die keine Unterschiede zwischen den Bekenntnissen machen wollte. „Wir wollen auch weiterhin die Prinzipien der Ökumene und der Universalität vertreten, auf die unsere Jugendorganisationen so stolz sind und die sie immer ausgezeichnet haben“.13 Soweit wie möglich, richtete sie sich mit ihren kulturellen Veranstaltungen an das gesamte Lager. Jeder und jede konnte die Bibliotheken nutzen und Konzerte, Lesungen und Vorträge besuchen. An den sog. „Ökumenischen Mahlzeiten“, die mit Hilfe des Flüchtlingssekretariates für besonders geschwächte Internierte in Gurs eingerichtet worden waren, nahmen neben 110 Mitgliedern der evangelischen Gemeinde auch einunddreißig Nichtprotestanten teil.14 Rabbiner René S. Kapel, der sich seit dem Waffenstillstand für die Glaubensgenossen in den Lagern der Südzone einsetzte, konnte der Cimade im Februar 1941 bestätigen, dass sie sich zwar „besonders den protestantischen Internierten in Gurs zuwendet, dabei jedoch die Pflicht der Nächstenliebe gegenüber den Internierten, die anderen Konfessionen angehören, nicht vergisst.“15 Ab Sommer 1942 wurden jüdische Internierte noch stärker in die Arbeit der Cimade eingeschlossen. Eine entschiedene Ausweitung der Tätigkeit über die protestantischen Kreise hinaus war nun auch notwendig, weil die jüdischen Organisationen kaum mehr in den Lagern arbeiten konnten.16 Für die in den Lagern inhaftierten christlichen Deutschen jüdischer Herkunft war das Engagement der Cimade insbesondere ein Zeichen kirchlicher und ökumenischer Solidarität. Vertreibung, Deportation und Internierung in Frankreich waren für diese Menschen neue Tiefpunkte gesellschaftlicher Ausgrenzung und Entrechtung, die sie gemeinsam mit Juden und Jüdinnen unter nationalsozialistischer Herrschaft hatten erleben müssen.17 Wie in den an die jüdische Commission des Camps in der Südzone schon im Juli 1941 (vgl. auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 250). 13 Madeleine Barot in einem Vortrag über die Arbeit der Cimade am 4.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand), vgl. auch ihren Brief vom Februar 1941 (EBD.: Unverzeichneter Bestand [Comités, conseils, approches politiques et méthodologiques du travail dans les camps]). 14 Tätigkeitsbericht der Assistance Protestante vom 29.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 15 Bericht Kapels über die Situation in Gurs (CDJC PARIS: CCXIX–39; Übersetzung U. G.). Zu Kapel vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 173ff.; auch R. S. KAPEL, Rabbin. 16 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 15.11.1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 17 Vgl. U. BÜTTNER, Protestanten. Vgl. auch R. HILBERG, Täter, S. 168ff.

Die Besucherinnen und Besucher der Cimade-Foyers

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Ghettos und Konzentrationslagern der Nationalsozialisten in Warschau und Theresienstadt bildete sich nun am Rande der großen Lager in Südfrankreich eine kleine christliche Gemeinde, deren Mitglieder jüdischer Herkunft waren.18 In Gurs ließen etwa 300 Internierte als Vermerk „bekennt sich nicht zur jüdischen Konfession“ eintragen, obwohl sie entsprechend der rassistischen Definition Vichys in der Lagerkartei als Juden geführt wurden.19 Zu ihnen zählten neben Maria Krehbiel-Darmstädter, Bertha Lenel, Dr. Leopold Perels, den mit Elsa Freudenberg verwandten Geschwistern Liefmann oder Lili Reckendorf viele Mitglieder der Cimade-Gemeinde.20 Für sie war die Benennung als Juden „eine Fremdbezeichnung, die für den Fremdbestimmten sprachlich einer Privation, faktisch einem Raub gleichkommen kann“.21 Die wenigen erhaltenen Zeugnisse zeigen, dass ihnen die im Lager erlebte jüdische Religionsausübung kaum oder gar nicht vertraut war und die Bezeichnung Judenchristen sie in ihrer christlichen Identität radikal in Frage stellen würde.22 Indem die Frauen und Männer der protestantischen Jugendorganisationen in den Lagern gemeinsam mit den Internierten Gottesdienstgemeinden bildeten, handelten sie aktiv gegen die Separierung der Christen jüdischer Herkunft aus der kirchlichen Gemeinschaft. Den Christen aus Deutschland, die in den vergangenen Jahren unter der zunehmenden Isolation gelitten hatten, war diese Solidarität ein Zeichen dafür, mit welcher Selbstlosigkeit die ERF sie als Glieder der Kirche „adoptiert“ hatte.23 Das Werk einzelner Mitglieder der Bekennenden Kirche, die sich wie Marga Meusel, Hermann Maas, Katharina Staritz oder Heinrich Grüber für die ‚Judenchristen‘ eingesetzt hatten, wurde mit diesem Engagement der Cimade in Frankreich fortgesetzt.

18 Zu Christen im Warschauer Ghetto vgl. H.-J. BARKENINGS, Spuren, S. 111ff. Weitere aufschlussreiche Hinweise zur Tätigkeit des ökumenischen Flüchtlingshilfesekretariates für die Christen im Warschauer Ghetto finden sich auch in der Korrespondenz Freudenbergs (Briefe an Vischer vom 16.6.1942 und an das Unitarian Service Committee vom 26.5.1942 [AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V und Colis]). 19 Vgl. C. LAHARIE, Gurs, S. 186. 20 Vgl. zu der Krankenschwester Bertha Lenel ihren Bericht „Extrait d’une lettre d’une interné du camp de Gurs“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs); zu Leopold Perels, einem Onkel von Friedrich Justus Perels, dem Justitiar der altpreußischen Bekennenden Kirche, vgl. Freudenberg an Noel H. Field vom 9.9.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence F). 21 R. KOSELLECK, Semantik, S. 213. 22 Nur sehr selten finden sich Zeugnisse, die auf eine christlich-jüdische Identität hinweisen: So vermisste Margot Wicki-Schwarzfeld in Gurs die von zu Hause vertraute ‚Weihnukka‘-Feier, in der sich Elemente des christlichen Weihnachten und des jüdischen Chanukka gemischt hatten (vgl. OKTOBERDEPORTATION, S. 533). 23 Dies bezeugt z. B. Bertha Lenel (Bericht o. D.; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs).

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern Kamp f gegen Hunger und Kä lte

4.2 Kampf gegen Hunger und Kälte 4.2.1 „Ökumenische Mahlzeiten“ und Kleiderverteilung Die mangelhafte Versorgung machte von Beginn an den Hunger zu einer der größten Qualen für die Internierten.24 Offiziell sollten zwar täglich pro Person 11,50 französische Francs für die Ernährung aufgewendet werden, doch die Lagerverwaltungen schöpften diesen Betrag nicht voll aus. Nach den Erkenntnissen des Nîmes-Komitees wurden nicht einmal die staatlichen Mindestrationierungen für die Insassen der Internierungslager eingehalten. Sie erhielten fast ausschließlich dünne Gemüsesuppen auf der Basis von Kohl oder Rüben, selten Hülsenfrüchte, sehr wenig Fett sowie eine tägliche Ration Brot von etwa 250 g, deren Verteilung zu einem der wichtigsten Augenblicke im Tagesablauf wurde.25 Im Januar 1942 wurden in Rivesaltes für 350 Internierte an einem Tag 12 Kilo Linsen berechnet, das waren pro Person gerade 34 Gramm.26 Der Hunger wurde so sehr schnell zur ernsten Bedrohung für die Internierten. Schwäche und Ohnmachtsanfälle waren nur ein erstes Zeichen für den allgemeinen körperlichen Verfall und viele Internierte litten bald an Hungerödemen: „Gesichter und Bäuche schwollen an, während Arme und Beine knochendürr blieben“.27 In der kalten Jahreszeit eskalierte diese Situation. Aus den Cimade-Foyers in Rivesaltes erhielt Madeleine Barot im Winter 1941/42 beunruhigende Briefe über die starke Kälte und den frostigen Wind, unter denen die ausgehungerten Insassen zusätzlich litten. Es seien bereits viele Todesfälle zu beklagen, und Dumas, Perdrizet und Rennes baten dringend um neue Vorräte für Zusatzspeisungen sowie um Heizmaterial.28 Im Februar 1942 hatte sich die Todesrate in den Lagern bereits verdreifacht, da die völlig unterernährten Menschen kaum mehr Widerstandskräfte besaßen. Viele waren schon so hungerkrank, dass jede Hilfe für sie zu spät kam.29 Der Flüchtlingsausschuss in Genf versuchte daher, zumindest das Geld für dringend benötigte Lebensmittel in den größeren Lagern aufzubringen. In Gurs konnten damit zweimal wöchentlich an 141 besonders geschwächte 24 Vgl. als eines von vielen Beispielen die eindrückliche Schilderung von Berty Friesländer-Bloch, Chanuka und Weihnachten in Gurs (zitiert in: P. SAUER, Bürger, S. 273). 25 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 151ff. 26 Bericht für Hugo Cedergren, den Leiter des schwedischen Hilfskomitees, vom 27.1.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 27 J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 92 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 79). 28 Briefe von André Dumas (24.10.1941 u. 2.2.1942) und Elisabeth Perdrizet (Januar 1942) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). Vgl. auch die Schilderung der Situation in Nexon im Winter 1942/43 in L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 82ff. 29 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 151ff.

Kampf gegen Hunger und Kälte

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Inhaftierte Sardinen in Öl, Obst und Zucker ausgegeben werden. Aufgrund der Finanzierung durch den Weltrat der Kirchen wurden diese Zuwendungen als „ökumenische Mahlzeiten“ bezeichnet. Außerdem hatte das Team mit Jeanne Merle d’Aubigné eine zweite Liste aufgestellt und versuchte, mit regelmäßigen Einladungen denen zu helfen, die auf eine besondere Diät angewiesen waren.30 Freudenberg konnte diese Ausgaben nur aufgrund besonderer Spenden ermöglichen. So erlaubten es z. B. die 300 Schweizer Franken einer Christin aus Basel, die sehr bedürftigen russisch-orthodoxen Emigranten im Foyer von Rivesaltes mit einer täglichen Suppenmahlzeit zu versorgen.31 Immer konnte jedoch nur einer bedrückend kleinen Zahl von Menschen geholfen werden und trotz der unermüdlichen Spendenaufrufe des ökumenischen Ausschusses war die Not zu groß, um den vielen lebensnotwendigen Bedürfnissen allein in der protestantischen Gemeinde gerecht zu werden. Daneben wurde auch die Kleiderfrage zu einem Problem. Schon im Herbst 1940 hatte Freudenberg gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin Suzanne Roulet lange Listen der benötigten Kleidungsstücke anlegen müssen, denn kaum jemand der Oktoberdeportierten war für die Bedingungen eines Lebens in zugigen, schlecht geheizten Baracken ausreichend vorbereitet. Je länger sich die Internierung hinzog, um so drängender wurden die Bitten an die Teams in den einzelnen Lagern um Unterwäsche, Hosen, Röcke oder Pullover. Viele Internierte gingen in Lumpen oder hüllten sich auch tagsüber in ihre Decken. Im Juni 1942 fehlten in Gurs selbst Holzschuhe und Espandrillos für diejenigen, die in die Transitlager verlegt werden sollten, und Jeanne Merle d’Aubigné ließ fragen, ob sie die Frauen barfuß nach Marseille schicken solle.32 Da eine Ausfuhr von Textilien aus der Schweiz schon seit Ende 1940 verboten war, bekam die individuelle Hilfe aus den Gemeinden der französischen reformierten Kirchen und den Jugendorganisationen in Form von Kleidern und Wollsachen immer größere Bedeutung. Außerdem erhielt die Cimade auf Veranlassung des ECCOMitgliedes Dr. Alec Cramer größere finanzielle Beihilfen durch das Internationale Rote Kreuz. Trotzdem reichten die Vorräte nie aus, um den 30 Undatierter Bericht von Jeanne Merle d’Aubigné über ihre Arbeit in Gurs (AN PARIS: 72 AJ 287); Bericht des Teams aus Gurs vom 29.10.1941 (vgl. oben Anm. 14); Bericht des Flüchtlingssekretariates vom Januar 1942, S. 10 (AÖRK GENF: Karton B 2). 31 Freudenberg an Toureille vom 23.12.1941 über eine monatliche Spende von 2.500 französischen Francs für die „repas oecuméniques“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs); Freudenberg an Frau Mahler in Basel vom 24.3.1942, Dank für Spende von 300 Schweizer Franken (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, General Correspondence M). 32 Merle d’Aubigné an Claire Jullien (Vertreterin Barots im Juni 1942) vom 23.6.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). Wie schon des öfteren hatte Merle d’Aubigné soweit wie möglich aus ihrem eigenen Besitz ausgeholfen.

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

vielen berechtigten Ansprüchen gerecht zu werden, und die Cimade-Mitglieder verzweifelten oft daran, angesichts des Elends nur geringe Hilfe leisten zu können. „In der Baracke der Alten haben sich alle hingelegt und die Decken bis zum Kinn gezogen, sie zittern und weinen vor Kälte . . . . Eine hatte schon letzte Woche einen erfrorenen Fuß, nun ist auch der andere Fuß erfroren, und der erste ist völlig verfault. Ich habe alle Wollsachen zusammengesucht, die ich noch habe. Man hat mir einige Pakete geschickt, aber es ist viel zu wenig.“33

4.2.2 Der Freudenbergsche Paketdienst Um die Hungersnot der Internierten zu lindern, versuchte das Flüchtlingssekretariat seit November 1940 vor allem, Lebensmittelpakete zu senden. Ein solches Paket stillte nicht nur den bohrenden Hunger, sondern hatte auch eine seelisch stabilisierende Wirkung für die Internierten, die sich von der Außenwelt im Stich gelassen fühlten. Gerade für Menschen, die von Bekannten und Verwandten keine Unterstützung mehr erhalten konnten, waren diese Sendungen, wie André Dumas erkannt hatte, „ein psychologischer Trost“.34 Auch Maria Krehbiel betonte die „moralischen Werte“ dieser Pakete „gerade . . . wenn man kurz vorher hat gemeint, vergehen zu müssen in Verlassenheit. Wie oft kommt solcher Gruß in eine Stunde, die äußerst ist. Äußerst für das Weiter-Leben.“35 Freudenberg verwandte daher sehr viel Mühe und Zeit darauf, trotz der kriegsbedingten Beschränkungen einen regelmäßigen Paketdienst zu gewährleisten. In den ersten Monaten konnten mehr als tausend Pakete mit Hilfe der in Genf ansässigen jüdischen Organisation Aide aux réfugiés du camp de Gurs in die Lager versendet werden. Sie musste jedoch im Juli 1941 ihre Tätigkeit einstellen, da die Export- und Geldtransferbestimmungen von der Berner Regierung wesentlich verschärft wurden.36 Nach einem kurzen Zwischenspiel mit kommerziellen Exportfirmen boten sich als neue Partner das Schweizer Arbeiterhilfswerk und der Paketdienst der Unitarier in Lissabon an, mit denen Freudenberg schon früher Kontakt aufgenom33 Laurette Monet aus Nexon vom 29.12.1942, in: L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 85ff. (Übersetzung U. G.). Vgl. auch Merle d’Aubigné an Barot vom 1.5. u. 29.10.1941 (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Zur Arbeit Alec Cramers in Frankreich vgl. J.-C. FAVEZ, Warum schwieg das Rote Kreuz?, S. 316ff. 34 Dumas an Freudenberg vom 14.4.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Portugais). 35 Brief vom 16.4.1942 (in: M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 187). 36 Armand Brunschvig an Freudenberg vom 11.6.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg Akten, A–B, [S] B [Organisations]).

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men hatte. Die Colis, die durch diese beiden Hilfswerke in die Lager gelangten, halfen bis ins Jahr 1944 vielen Menschen.

4.2.2.1 Die „Colis suisse“ des Schweizer Arbeiterhilfswerkes Um Kindern aus verarmten Familien Erholungs- und Kuraufenthalte zu ermöglichen, hatte die Schweizer sozialdemokratische Partei zu Beginn der 1930er Jahre ein Arbeiterhilfswerk gegründet. Für die Leitung konnte die diplomierte Pädagogin Regina Kägi-Fuchsmann gewonnen werden und unter ihrer Ägide wurde eine Organisation aufgebaut, die ihren Aktionsradius sehr bald ausweitete. Das Hilfswerk machte es sich zur Aufgabe, „überall helfend ein(zu)greifen, wo die Demokratie, die Freiheit in Gefahr stand“, und die europäischen Krisenherde in den 1930er Jahren boten ausreichenden Anlass, um sich für Notleidende zu engagieren.37 So wurden seit 1936 in Zusammenarbeit mit den Quäkern und weiteren Hilfswerken Lebensmittel für Familien und Kinder nach Spanien geliefert. Als diese Menschen nach dem Ende des Bürgerkrieges über die Pyrenäen strömten, setzte sich das Arbeiterhilfswerk auch in Frankreich für die Flüchtlinge ein.38 Der Plan, einen großangelegten Versand von Nahrungsmittelpaketen aufzuziehen, entstand im Sommer 1940 nach einem Besuch Regina Kägi-Fuchsmanns in den Internierungslagern der französischen Südzone. Da ein Export aus der Schweiz unmöglich war, gründete das Hilfswerk zunächst eine Filiale in Toulouse, von der aus französische Mitarbeiter den mühevollen Einkauf der Lebensmittel (zum Teil auf dem Schwarzen Markt), die Verpackung und den Versand durchführten. Einzelpersonen oder Institutionen in der Schweiz bestellten beim Arbeiterhilfswerk Colis Suisse für Internierte in Frankreich Pakete und konnten diese damit trotz der strengen Schweizer Ausfuhrbestimmungen versorgen. Durch einen Aufschlag von 10 % auf diese Bestellungen wurden schließlich Zuwendungen für diejenigen Bedürftigen finanziert, denen Verwandte, Bekannte oder andere humanitäre Organisationen nicht mehr zur Hilfe kommen konnten.39 Für das ökumenische Flüchtlingssekretariat war diese Möglichkeit von großer Wichtigkeit, denn eine Vielzahl von Internierten konnte nun mit Lebensmitteln versorgt werden. Ein regelmäßiger Kontakt Freudenbergs mit Regina Kägi-Fuchsmann ist seit Juni 1941 überliefert. Monatlich sandte er nun Listen zur Zentrale des Arbeitshilfswerk in Zürich, die zunächst 60, im September 1941 bereits 100, im Mai 1942 dann 175 Empfänger37 Vgl. die Autobiografie von R. KÄGI-FUCHSMANN, Mein Leben, S. 135; H. WICHERS, Schweiz, S. 131 u. 133. 38 Vgl. R. KÄGI-FUCHSMANN, Mein Leben, S. 136ff. u. 194. 39 EBD., S. 208ff. Vgl. auch J. PICARD, Hilfe, S. 263f.

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adressen umfassten. Der ökumenischen Flüchtlingshilfe wurden die Bestellungen zu einem Sonderpreis von acht Schweizer Franken verrechnet, und sie bekam dazu eine gewisse Anzahl von Gratissendungen eingeräumt.40 Im Durchschnitt ließ Freudenberg monatlich Waren im Wert von 1.000 Schweizer Franken verschicken. Die Pakete beinhalteten hauptsächlich sog. „Suppenmehle“, eine Art Instantsuppe mit Fleisch und Fettzusatz, die mit heißem Wasser bereitet werden konnte, Datteln, Sesamkonfekt, sehr selten auch Ölsardinen.41 Eine große Hilfe für die Cimade waren darüber hinaus größere Lebensmittelsendungen wie z. B. 100 Kilogramm Erbsen im Sommer 1942, die an den Kochstellen der einzelnen Lager-Foyers oder in den Küchen der Tagesstätten in Toulouse und Marseille verarbeitet wurden.42 Trotz dieser wichtigen humanitären Hilfe erregte das Arbeiterhilfswerk in Vichy den Verdacht der Polizei. Wie Madeleine Barot auf der ECCOSitzung im Februar 1942 berichtete, vermuteten die französischen Behörden hinter der Bezeichnung Arbeiterhilfswerk eine Organisation mit kommunistischen Tendenzen und kritisierten auch die Einkäufe auf dem Schwarzen Markt.43 Trotz dieser Verdächtigungen gab es jedoch keine Behinderungen für die Arbeit des Colis Suisse und eine Kooperation mit der Cimade lässt sich bis weit ins Jahr 1943 nachweisen.

4.2.2.2 Die „Colis portugais“ der Unitarier in Lissabon Die Religionsgemeinschaft der Unitarier aus den USA gründete im Mai 1940 ein Unitarian Service Committee (USC), mit dem sie nach dem Beispiel der Quäker humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in Europa leisten und bedrohten Intellektuellen und Politikern zur Emigration oder Flucht verhelfen wollten. Die Zentrale des Komitees richtete sich im Juni 1940 mit einem kleinen Mitarbeiterstab in Lissabon ein. Da das Engagement in der französischen Südzone von Beginn an einen wichtigen Schwerpunkt in der Arbeit bildete, gab es bald auch in Marseille einen Stützpunkt. Dieses Büro wurde von Herta und Noel H. Field geleitet, die sich seit Anfang 1941 um eine Verbesserung der Bedingungen in den Internierungslagern bemühten und durch die Mitarbeit im Nîmes-Komitee mit der Cimade bekannt waren.44 40 Kägi-Fuchsmann an Freudenberg vom 6.8.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Suisse). 41 EBD. 42 Barot an Freudenberg vom 12.5.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Suisse); Barot an die „Direction du Colis Suisse“ in Toulouse vom 26.7.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [dossiers non nommés]). 43 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 12.2.1942 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 44 Vgl. G. DIFIGLIA, Roots, S. 11ff.

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In Lissabon zog das USC unter der Leitung von Dr. Charles R. Joy einen Paketdienst auf, bei dem Freudenberg bereits im Januar 1941 Lebensmittelsendungen bestellte.45 Obwohl von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten auftraten, weil einige Pakete ihre Adressaten nicht erreichten, entschied sich der Flüchtlingsausschuss dazu, den USC ab Juni 1941 regelmäßig zu beauftragen. Ausschlaggebend war vermutlich, dass die portugiesischen Päckchen wesentlich häufiger als die Colis suisse ölhaltige Fischkonserven enthielten und daher angesichts der nahezu fettlosen Ernährung in den Lagern von den Internierten stärker gewünscht wurden.46 Nach einer umfangreichen und ständig aktualisierten Adressenliste wurden nun im Namen des Comité oecuménique pour les réfugiés zunächst in zehntägigem Rhythmus, später zweimal im Monat, 500 gr-Pakete in die Südzone verschickt.47 Bis zum März 1942 war die Zahl der auf diese Weise versorgten Menschen bereits auf 159 angestiegen.48 Dabei bemühte sich Freudenberg bis ins Einzelne, auf die ihm nach Genf gemeldeten persönlichen Bedürfnisse der Internierten einzugehen. So vermerkte er zu einer Paketbestellung für eine Insassin in Récébédou: „Diese Dame ist sehr alt und hat ein Magenleiden, sie hätte vor allem gerne Lebensmittel wie Haferflocken, Grieß, Reis, Honig oder Marmelade, Kondensierte Milch, Ovomaltine.“49 Zunehmende Exportbeschränkungen für Lebensmittel, die Verknappung an Büchsenblech für die Konservendosen und die Teuerung schränkten jedoch auch diese Möglichkeiten immer mehr ein. Obwohl die Zahl der Adressen nach dem Einsetzen der Deportationen bereits gesunken war, musste Freudenberg schließlich im September 1943 die Zusammenarbeit mit dem Paketdienst des USC mit Bedauern unterbrechen: Die angespannte finanzielle Situation des ökumenischen Flüchtlingsausschusses erlaubte diese Hilfe nicht mehr.50

45 Freudenberg an das Unitarian Service Committee vom 16.5.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Portugais). Die vom USC nach Genf gesendeten Antwortkarten der Empfänger, auf denen der Erhalt eines Paketes nach Lissabon gemeldet wurde, bezeugen zu Hunderten diesen umfangreichen Dienst an Internierten und Flüchtlingen (EBD.). 46 Freudenberg an das Unitarian Service Committee vom 3.2.1942 (EBD.). 47 Freudenberg an das Unitarian Service Committee vom 16.5.1941 (EBD.). 48 Adressenliste vom 12.3.1942 (EBD.). 49 Freudenberg an das Unitarian Service Committee vom 27.2.1942 (EBD., Übersetzung U. G.; Lebensmittelangaben im Original auf Deutsch). 50 Freudenberg an Noel H. Field vom 29.9.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence Suisse J–K).

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4.2.3 Die Zusammenarbeit mit den Quäkern Mit ihrem humanitären Engagement brachten die Quäker in den 1930er und 1940er Jahren einer großen Zahl von Flüchtlingen und Verfolgten in Deutschland und anderen Ländern Hilfe und suchten dazu auch die Kooperation mit verschiedenen Organisationen.51 So hatte z. B. das „Büro Pfarrer Grüber“ eng mit der Hilfsstelle der Quäker in Berlin zusammengearbeitet, um rassistisch verfolgten Menschen die Emigration zu ermöglichen.52 Auch zwischen der Cimade und den Quäkern in Vichy-Frankreich kam es bald zu Kontakten und gemeinschaftlicher Arbeit im Interesse der Internierten. Das American friends service committee, die humanitäre Organisation der amerikanischen Quäker, hatte schon im Mai 1940 damit begonnen, in Südfrankreich ein Hilfsnetz aufzubauen. Das Komitee richtete seine Zentrale in Marseille und eine Dependance in Toulouse ein und kümmerte sich in den überfüllten Städten um französische und ausländische Flüchtlingskinder. Unter der Leitung der dänischen Quäkerin Helga Holbek (1897–1983) konnten aufgrund internationaler Verbindungen umfangreiche Lebensmittellieferungen möglich gemacht werden, mit denen allein in Toulouse täglich 4.000 Kinder versorgt wurden.53 Die Quäker verfügten daher bereits über Warenlager und Transportfahrzeuge, als sie im Herbst 1940 von den katastrophalen Zuständen in den Internierungslagern erfuhren. In den kommenden Monaten und Jahren leisteten Helga Holbek und ihre Mitstreiter einen beachtlichen Beitrag zur Unterstützung für die unterernährten und hungerkranken Insassen. Wöchentlich wurden z. B. Lastwagen nach Gurs entsendet, um die Lebensmittel für die „Quäkersuppe“ in das Lager zu schaffen. Bei der Verteilung war das Service Committee auf die Zusammenarbeit mit den lagerinternen Hilfsorganisationen angewiesen, da es sich häufig nur zum Abladen der Waren auf dem Gelände aufhalten durfte. Eine Gruppe, die sich aus internierten Ärzten, wie dem protestantischen Mediziner Dr. Heinrich Mayer, und Mitarbeiterinnen der Hilfswerke zusammensetzte, wählte unter der Lagerbevölkerung diejenigen aus, die täglich eine der 1.200 Portionen „Quäkersuppe“ bekommen sollten.54 51 Vgl. zum Engagement der Quäker in Frankreich den Überblick bei S. AMMERSCHUBERT, Juden, S. 102ff. 1947 erhielten amerikanische und englische Quäker-Komitees für ihre Leistungen den Friedensnobelpreis (EBD., S. 102). 52 Vgl. H. LUDWIG, Opfer, S. 178ff. 53 Artikel „Miss Helga Holbek, quaker dans Toulouse en guerre“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Toulouse); vgl. auch J. WEILL, Contribution, S. 89f.; A. GRYNBERG, Camps, S. 216f.; C. BOCHATON, Secours quaker, S. 190. 54 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 94ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . .,

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In Gurs wie in Brens half die Cimade, die Zubereitung der Lebensmittel in den Küchen der Lager-Ilôts und die Verteilung der Suppe zu überwachen.55 Wohl auch aufgrund der Zusammenarbeit im Nîmes-Komitee bestand zu Helga Holbek ein engeres Verhältnis, und die Quäkerin übernachtete im Cimade-Foyer, wenn sie von Zeit zu Zeit eine Aufenthaltserlaubnis für Gurs erhielt. Gemeinschaftlich versuchten Jeanne Merle d’Aubigné und Helga Holbek zudem, Verbesserungen für die Internierten zu erreichen. Im Februar 1942 sprachen sie persönlich bei André Jean-Faure, dem Leiter der Überwachungskommission für die Lager in Vichy vor, forderten die Einrichtung einer besonderen Quäkerküche und einer Speisebaracke und protestierten gegen die Verzögerungstaktik der Lagerverwaltung in dieser Angelegenheit. Jeanne Merle d’Aubigné hoffte, durch dieses Projekt gerade in dem harten Lagerwinter 1941/42 Menschenleben vor dem Verhungern retten zu können.56 Die Anstrengungen des ökumenischen Flüchtlingssekretariates für Speisungen in den Lagern, für die Paketsendungen in Kooperation mit dem Schweizer Arbeiterhilfswerk und mit dem Unitarian Service Committee und die Unterstützung durch die Quäker reichten dennoch nicht aus, um auch nur den Besuchern der Cimade-Foyers eine dauerhafte Hilfe zu ermöglichen. Manches Mal konnten die Teammitglieder Madeleine Barot nur noch dringend darum bitten, sich von außen für die Befreiung besonders bedrohter Internierter einzusetzen, wohl wissend, dass eine solche ‚Liberierung‘ nur schwer durchzusetzen war.57

S. 80ff.) und den Tätigkeitsbericht der Assistance Protestante in Gurs vom 29.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 55 Für die Quäkerspeisungen in Brens vgl. die Namenslisten für das dortige „Goûter Quaker“ (CIMADE-ARCHIV: Unverzeichneter Bestand [Quakers]) und den Brief einer Teammitarbeiterin an Barot vom 6.2.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Brens). 56 Eine ausführliche Schilderung gibt Merle d’Aubigné in ihrem Brief an Barot vom 19.2.1942 (EBD., Heft Gurs), wohl auch um die entstandenen Kosten für Fahrt und Unterbringung und die Abwesenheit vom Lager zu rechtfertigen. Vgl. auch J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 95 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 81f.). Der in Vichy aufgesuchte Verantwortliche wird dort jedoch irrtümlich mit General L. Salut angegeben. 57 Merle d’Aubigné intervenierte in diesem Sinne am 23.2.1942 für den sehr geschwächten Dr. Leopold Perels (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Zu Perels vgl. oben Anm. 20.

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern Kulturelle Arbeit

4.3 Kulturelle Arbeit Das kulturelle Engagement hatte für die Häftlinge unter den demütigenden und lebensbedrohenden Bedingungen der Internierung eine besondere Bedeutung. Es sollte ihnen helfen, trotz der unwürdigen Behandlung hinter dem Stacheldraht ihre Menschenwürde zu bewahren. „Restaurer la dignité de ces gens“, stand daher als leitendes Prinzip nicht nur für das CimadeTeam in Rivesaltes im Vordergrund der Arbeit.58 Wenn dieses Aufleben von Kunst und Wissenschaft im Folgenden nachvollzogen wird, muss jedoch der Kontext von „Hunger und Durst, Krankheit und Tod, Gestank und Enge, Angst und Verzweiflung als Entstehungsbedingungen für Kultur“ bewusst bleiben.59 Indem Initiatoren und Mitwirkende von Leihbibliotheken, Lesungen, Vorträgen und Konzerten Zeichen gegen wachsende Verzweiflung und gegen eine zunehmende Selbstaufgabe der Lagerinsassen setzten, haben sie geistigen Widerstand gegen die von der Vichy-Regierung diktierte Behandlung der Entrechteten geleistet.

4.3.1 Die Lagerbibliotheken Bücher waren für viele Internierte ein wichtiges Mittel, um der alltäglichen Trostlosigkeit des Barackenlebens zumindest für einige Zeit entgehen zu können. „Ich habe solches Verlangen nach einem guten Buch“, schrieb eine Internierte aus Gurs im Januar 1941, „bin hierin an die beste Gesellschaft gewöhnt. Es würde mir das Leben wieder wertvoller machen.“60 Von Beginn an versuchte die Cimade daher, durch die Bereitstellung von Bibliotheken den Aufenthalt in den Lagern erträglicher zu gestalten.61 Obwohl sie in den Erinnerungszeugnissen von Internierten des öfteren als YMCA-Bibliotheken bezeichnet werden, gingen die Büchersammlungen in den Foyers der Cimade nur zu einem Teil auf die Sendungen des Weltbundes der Christlichen Vereine Junger Männer zurück. In Genf gab es zwischen Freudenberg und der Abteilung für Kriegsgefangenenhilfe der YMCA eine Absprache, wonach sich das Flüchtlingssekretariat um geistliche Literatur, um Bibeln, Neue Testamente, Kommentare und 58 Papier des Cimade-Teams von Rivesaltes für die lagerinterne Konferenz der Hilfswerke vom 10.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam). 59 Dies betont T. RAHE bezüglich deutscher Konzentrationslager (Kulturelle Aktivitäten, S. 111f.). 60 Elisabeth Katz aus Gurs o. D. (24.1.1941) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs: Dossiers Individuels, K–Z]). 61 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 259; für die Bibliothek in Gurs vgl. G. MITTAG, Verdammte, S. 112f. Zur Funktion von Büchersammlungen in einem nationalsozialistischen Lager vgl. T. SEELA, Lagerbücherei.

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Liederbücher bemühte, während der YMCA-Vertreter J. H. Jungkunst für die weltliche Literatur sorgte. Entsprechende Bitten aus den Lagern leitete Freudenberg an Jungkunst weiter. Bedeutende Unterstützung erhielten ÖRK und YMCA durch das schweizerische Hilfswerk Pfenninger-Bodmer, das über Jahre hinweg immer wieder große Sammlungen von Bibeln, aber auch anderer Literatur kostenlos nach Frankreich schicken ließ.62 Während Bibelsendungen aus der Schweiz die Grenze meist ohne Zeitverlust passierten, wurden Kisten mit weltlichen Büchern durch Zoll und Zensur manchmal wochenlang aufgehalten. Die Zensur begutachtete v. a. Zeitungen (darunter die Weltwoche und die Gazette de Lausanne) sehr kritisch und verweigerte im Falle der Neuen Zürcher Zeitung trotz wiederholter Versuche die Weitersendung in die Lager.63 Diese Printmedien waren jedoch für die Internierten besonders wichtig, um in ihrer Isolation Zugang zu aktuellen Informationen, wie z. B. neuere Nachrichten vom Kriegsverlauf zu bekommen.64 Mit dieser ökumenischen Hilfe und mit Spenden aus den reformierten Gemeinden in Frankreich konnte die Cimade in allen Lagern und den städtischen Foyers Bibliotheken einrichten. Verwaltung und Leitung unterstanden Internierten, so z. B. dem Berliner Regisseur Paul Haag in Récébédou und Nexon, der Künstlerin Marcelle Morducévitch in Rivesaltes oder Richard Zeller in Gurs.65 Zeller verfasste im Oktober 1941 einen ausführlichen Bericht über die Bibliothek in Gurs. Demzufolge konnte die Cimade zu diesem Zeitpunkt 3.350 Bücher bereitstellen, darunter 1.888 deutsche, 948 französische, 497 englische und 39 spanische Bände. Nicht alle waren jedoch zum Verleih in der Baracke der Assistance Protestante bestimmt. Neben dieser „Zentralbibliothek“ gab es in jedem der belegten elf Ilôts weitere kleine Sammlungen mit etwa 110 Exemplaren, die in gewissen Abständen ausgetauscht wurden. Richard Zeller bemühte sich, in die Ilôts vor allem Bücher mit „unterhaltendem Inhalt“ zu geben, so z. B. „bis auf wenige alle Kriminalromane und leichtere Lektüre wie die Bücher des Ullstein-Verlages“. In der Zentralbibliothek waren dagegen vor allem 62 Korrespondenz Hilfswerk Pfenninger-Bodmer mit Freudenberg (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence H). 63 Korrespondenz Freudenbergs mit Jungkunst (EBD., Alphabetical Correspondence J–K). Außerdem Freudenberg an Toureille vom 29.10.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, 1942, Colis suisse, Toureille). 64 Bibliotheksleitung aus Gurs an Tracy Strong vom 5.2.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). 65 Zu Paul Haag (geb. 1885, deportiert am 4.3.1943 nach Maidanek) vgl. Freudenberg in einem Brief an das Justiz- und Polizeidepartement in Bern vom Juli 1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence L) sowie L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 103ff. Zu der vor dem französischen Exil in Berlin lebenden Russin Marcelle Morducévitch vgl. den Brief von Cécile Banyai aus Zürich an Freudenberg vom 28.2.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence M).

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Bücher zu entleihen, die weniger für Zerstreuung gedacht waren. Dazu gehörte eine „interessante Auswahl deutscher Klassiker“, außerdem eine „sehr reiche theologische Abteilung“ und eine „Reihe von geschichtlichen, kunstgeschichtlichen, philosophischen und wissenschaftlichen Werken“. Die Bibliotheksleitung hatte erkannt, dass „man heute unter den Verhältnissen, unter denen wir leben müssen . . . unwillkürlich auf höhere Dinge gelenkt wird, so dass wir hoffen, evtl. in dieser Hinsicht eine Anregung geben zu können.“66 Zugleich unterstützte die Bibliothek von Gurs den Aufbau eines ähnlichen Angebotes in Rivesaltes und sandte Kisten mit Kinderbüchern. Jungkunst hatte auf Anfrage von Madeleine Barot zudem einige hundert Bücher französischer und deutscher Literatur nach Rivesaltes schicken lassen, so dass hier drei Monate nach Einrichtung des ersten Foyers immerhin bereits 500 Bände zugänglich waren.67 Mit ihren umfangreichen Bücherangeboten hat die Cimade daher den christlichen wie jüdischen Internierten eine geistige Atmosphäre geboten, die viele lange vermisst hatten und für sie zu einer wichtigen Hilfe wurde, um die Jahre der Lagerhaft zu überstehen.68

4.3.2 Der Gegenwart entfliehen: Konzerte In Gurs wie auch in Récébédou hatte sich schon vor der Etablierung der Assistance protestante in einigen Ilôts ein musikalisches und kulturelles Leben entwickelt. Vor allem in den großen Lagern wurden jedoch erst durch die Präsenz der Cimade und die Hilfe der YMCA in breitem Rahmen Aufführungen ermöglicht, die eine wichtige Bedeutung bekamen. Die Konzerte halfen sowohl den Lagerinsassen als auch den Mitarbeiterinnen der Hilfswerke, zumindest für kurze Zeit den traurigen Lageralltag zu vergessen und „weit weg zu fliehen aus der elenden hässlichen Gegenwart“69. Eine solche tröstliche Flucht beschrieb Maria Krehbiel in einem Brief vom 11. April 1941: 66 Bericht Richard Zellers über die Bibliothek in Gurs vom 15.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Auch die Dependancen in den Ilôts unterstanden Verwaltern, zu ihnen zählte vermutlich der Schauspieler und Sänger Ernst Busch (vgl. H. SCHRAMM, Menschen, S. 105). 67 EBD. und Brief von Jungkunst an Merle d’Aubigné vom 20.7.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–45, Heft Camps d’internement 1940–1944). 68 Vgl. auch F. BOULET, Juifs, S. 342f. 69 Bericht des Cimade-Foyers in Gurs vom Dezember 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs; Übersetzung U. G.).

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„Wir haben gestern ein tiefes, schönes musikal(isches) Erlebnis gehabt. Und während des großen Beethovensatzes Op. 18 bin ich im Geiste gewandelt durch’s alte Haus. Jedes Zimmer, die Treppe, Souterrain und Garten hab ich aufgesucht . . . und war völlig daheim.“70

Als Interpreten und Solisten klassischer Kompositionen wie zeitgenössischer und im Lager verfasster Kabarett- und Revuemusik fungierten Internierte: hochrangige Orchestermusiker, Solistinnen und Solisten, die an verschiedenen Kultureinrichtungen wie der Berliner Staatsoper oder der Wiener Philharmonie tätig gewesen waren.71 In Gurs war es bis Ostern 1942 vor allem der aus Karlsruhe stammende Dirigent und Pianist Hans Ebbecke, der ein anspruchsvolles musikalisches Angebot organisierte. Unter Mitarbeit seiner Frau Anni Ebbecke, des Violinisten Fritz Brunner, des Baritons Albert Peters, der Pianistin Margot Rauch und weiteren Musikern und Musikerinnen konnte im zweiten Halbjahr 1941 eine Reihe größerer Konzerte gegeben werden, in denen u. a. Werke von Händel, Haydn, Johann Sebastian Bach, Mozart, Schubert und Debussy gespielt wurden. Da es nicht möglich war, ein ganzes Orchester zusammenzustellen, wurden hauptsächlich kammermusikalische Werke dargeboten, so z. B. im Oktober 1941 der Liederzyklus „Die Winterreise“ mit Peters als Gesangsinterpret und Ebbecke am Klavier. Darüber hinaus richtete Ebbecke Symphonien von Beethoven und Brahms für Klavier zu vier Händen ein.72 Auch in Rivesaltes hatten sich Internierte bald zusammengefunden, um das Angebot an Geigen und Celli sowie das Klavier im Cimade-Foyer zu nutzen. Françoise Rennes berichtet im November 1941 von einem ersten „sehr schönen Konzert“ im Ilôt B, das „ganz enorm gefallen“ habe.73 Die finanziellen Mittel für den Kauf oder die Leihgebühren der Instrumente wurden der Cimade wiederum durch die Abteilung der Kriegsgefangenenhilfe der YMCA zur Verfügung gestellt und durch J. H. Jungkunst vergeben. Die Mitarbeiterinnen in den Lagern mussten den Kontakt mit Musikalienhandlungen aufnehmen, einen Preisvergleich vornehmen und sich auch um die Noten, um Saiten und Kolophonium bemühen.74 Die Instrumente, Noten und Partituren wurden katalogisiert und dann an die Internierten ausgeliehen. Auf diese Weise konnten nicht nur im Cimade-

70 M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 58; vgl. auch E. SCHMIDT, Dieu, S. 69. 71 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 99; H. SCHRAMM, Menschen, S. 122; G. MITTAG, Verdammte, S. 113f. 72 EBD. und Tätigkeitsbericht vom 10.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 73 Rennes an Barot vom 3.11.1941 (EBD., Heft Rivesaltes; Übersetzung U. G.). 74 Merle d’Aubigné an die Musikalienhandlung Maison Pétron in Pau vom 13.3.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]).

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern

Foyer, sondern auch in den Kulturbaracken einzelner Ilôts Konzerte gegeben werden.75 Großer Beliebtheit erfreuten sich auch die sog. Schallplattenkonzerte. In mehreren Lagern gehörten zur Ausstattung des Foyers ein Grammophon und bis zu hundert Schallplatten. Gerade für die Internierten, die zu schwach waren, um das Foyer aufzusuchen oder in Gurs nicht die Erlaubnis bekamen, ihr Ilôt zu verlassen, war das regelmäßige Kommen von Mitgliedern des Teams wichtig, die in den Kulturbaracken oder Krankenstationen für eine bis anderthalb Stunden Musik von Schallplatten spielten.76 In den kleineren Lagern ersetzte diese Möglichkeit die Darbietungen von ausgebildeten Künstlern. So konnte Laurette Monet in Nexon nicht nur klassische Werke wie die achte Symphonie von Beethoven oder die Unvollendete Symphonie von Schubert zu Gehör bringen, sondern auch die spanischen Internierten mit Kompositionen aus ihrer Heimat erfreuen. Monet beschrieb Ende Dezember 1942, wie wichtig dieses Angebot war: „Unser neuer Schallplattenspieler, den wir zu Weihnachten für das Foyer bekommen haben, spielt die Ouvertüre des Coriolan, und unsere Leute hören mit so großer Freude zu – ich auch: ein wenig Musik nach so vielen Wochen, in denen ich keine Möglichkeit hatte, eine Note zu hören. . . . Das macht hier soviel Sinn: unser Foyer hält trotz allem ein geistiges Leben im Lager aufrecht – und das ist genau das, was wir ausmachen: Das Rote Kreuz und die Quäker geben zu essen, und wir bleiben die lebendige Bestätigung, dass es noch etwas anderes gibt als einen armen gemarterten und elenden Körper. Ich versichere Dir, mehr als alles andere brauchen sie diese Dinge.“77

4.3.3 Erwachsenenbildung im Lager: Vorträge und Kurse Innerhalb des Nîmes-Komitee hatte sich die Unterkommission zu Fragen der Erziehung zum Ziel gesetzt, in den Lagern nicht nur Kindergärten und Schulen einzurichten, sondern sich auch um ein Bildungsangebot für Erwachsene zu bemühen. Während OSE und Secours Suisse sich um Kinder und Jugendliche kümmerten, war die Cimade in erster Linie für die Erwachsenen zuständig.78 Manchmal konnten die Teams dazu Initiativen von Internierten aufgreifen, sie entwickelten aber auch eigenständige Programme oder regten Besucher und Besucherinnen der Foyers zu Darbietungen 75 Vgl. H. SCHRAMM, Menschen, S. 121ff. 76 Liste der Schallplattenkonzerte in Gurs im April und Mai 1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [YMCA/YWCA à partir de 1940]). 77 L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 147, Brief vom 29.12.1942 (Übersetzung U. G.). 78 Vgl. zur Unterkommission J. WEILL, Contribution, S. 127. Bei den im hier abgedruckten Dokument dem YMCA zugewiesenen Tätigkeiten handelt es sich durchweg um ein Engagement der Cimade.

Kulturelle Arbeit

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an. Auf diese Weise schufen sie eine intellektuelle Atmosphäre, in der die sonst alles beherrschenden Gedanken um Hunger, Krankheit und Ungeziefer, Sorge um Angehörige und die Angst vor der weiteren Zukunft für eine Zeit lang in den Hintergrund treten konnten. Sprachkurse machten einen Teil dieses Angebotes in Rivesaltes und in Brens aus. Motivierend war nicht nur der Wunsch nach einer besseren Verständigung im Lager oder größeren Sicherheit im Umgang mit den Behörden, sondern auch die Hoffnung auf eine Emigration nach Nordoder Südamerika. So erfreuten sich vor allem Englisch, aber auch Spanisch und Französisch großer Beliebtheit und die internierten Lehrer und Lehrerinnen boten Kurse für Anfänger wie Fortgeschrittene an.79 Die in Rivesaltes eingerichteten Alphabetisierungskurse verfolgten dagegen das Ziel, den spanischen Frauen die gesellschaftliche Integration nach der Befreiung zu erleichtern. Zudem erklärten sich Internierte des öfteren zu Vorträgen über vielfältige Themen allgemeinen Interesses bereit, um auf diese Weise die Zeit im Lager sinnvoll zu gestalten. So umfasste das Programm in Brens Veranstaltungen in Chemie und Gesundheitslehre, in Astronomie, deutscher Kunstgeschichte, Literaturgeschichte Spaniens oder französischer Folklore.80 Auch in Rivesaltes und Les Milles sowie dem Foyer Marie Durand nahmen Wissenschaften und Literatur großen Raum ein. In Récébédou und Nexon begeisterte Paul Haag mit seinen Rezitationen aus Werken von Goethe, Rilke und Heine das Lagerpublikum. An anderen Tagen fand im Foyer eine Diskussionsreihe zu „Nachkriegsfragen“ statt, in der vor allem wirtschaftspolitische Fragen thematisiert wurden.81 In Gurs hielt Elisabeth Schmidt literarische Zirkel über französische Dichter ab, in denen z. B. Paul Verlaine, Charles Péguy und François Mauriac vorgestellt wurden.82 Sowohl die Sprachkurse als auch die kulturellen Veranstaltungen wurden jedoch von den Lagerverwaltungen auf regimekritische Äußerungen und Inhalte hin überwacht, offener Protest konnte hier kaum gefahrlos geäußert werden.83 In den Lagern mit größeren christlichen Gruppen behandelten die Vorträge auch religiöse und kirchliche Fragen der Gegenwart und Vergangen79 Vgl. zu Rivesaltes den Bericht über die Aktivitäten der Erziehungskommission im Nîmes-Komitee (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Comités Coordination Cimade 1939–1950); zu Brens den Brief der dortigen Mitarbeiterin an Barot vom 6.2.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Brens]), außerdem M. GILZMER, Fraueninternierungslager, S. 191f. 80 EBD. 81 Bericht von Fraenkel über Les Milles vom 27.10.1942 (SHPF PARIS: DVP 119); zu Nexon vgl. L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 106, 143. 82 So E. SCHMIDT in ihrem Erinnerungsband (Dieu, S. 70). 83 Vgl. M. GILZMER, Fraueninternierungslager, S. 192; E. SCHMIDT, Dieu, S. 70.

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heit. Mehrfach stand die ökumenische Bewegung im Mittelpunkt des Interesses dieser interkonfessionellen Gemeinden, die lutherische, anglikanische, reformierte und russisch-orthodoxe Christinnen und Christen vereinigten.84 Große Rückwirkung hatte die Cimade-Freizeit vom Januar 1942 in den französischen Alpen, auf der sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den verschiedenen Foyers erstmals zu einem Erholungs- und Besinnungsaufenthalt zusammengefunden hatten. Visser ’t Hooft und Suzanne de Diétrich hatten auf diesem Treffen die Genfer ökumenischen Institutionen repräsentiert und mit den Mitgliedern der Cimade schwerpunktmäßig Fragen der Ökumene und der jüdisch-christlichen Begegnung bedacht.85 Sowohl in Rivesaltes als auch in Gurs wurden nach dem Ende der Freizeit diese Diskussionen in die Zusammenkünfte der Foyers hinein getragen: „Es waren sowohl Nichtprotestanten als auch Leute von der Gemeinde anwesend“, berichtete Jeanne Merle d’Aubigné über diesen Abend, „und alle schienen sich sehr für die behandelten Themen zu interessieren, einige waren davon sogar sehr bewegt.“86 Daneben wollten die in Gurs internierten Christinnen und Christen, in ihrer Mehrzahl Lutheraner, über die Geschichte des französischen Protestantismus informiert werden. Auf ihre Veranlassung hin gestalteten Jeanne Merle d’Aubigné und Suzanne Aillet mehrere Abende, in denen sie über die Religionskriege in der Gegenreformation und über die Verfolgung der Hugenotten im Zeitalter des Absolutismus berichteten. Ein Quartett begleitete die Veranstaltung mit Kammermusik aus dem 16. Jahrhundert, die von einem internierten Musikwissenschaftler kommentiert wurde. Im Herbst 1941 nahm Elisabeth Schmidt diese Themenreihe wieder auf und setzte den Schwerpunkt auf die Region um Gurs, d. h. das Herkunftsland der Glaubenszeuginnen Margarete und Johanna d’Albret, die im 16. Jahrhundert am Hof von Navarra einen Zufluchtsort für verfolgte Protestanten geschaffen hatten.87 Dass sich die Identität des französischen Protestantismus im kollektiven Gedenken an die Zeiten von Unterdrückung und 84 So z. B. in Les Milles und im Foyer Marie Durand; vgl. den Bericht von Fraenkel (SHPF PARIS: DVP 119). 85 Überblick über das Programm der Freizeit von Violette Mouchon (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II); von diesen Tagen berichtet außerdem de Diétrich an Robert C. Mackie am 23.1.1942 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/4). 86 Merle d’Aubigné an Barot vom 19.1.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs; Übersetzung U. G.; kursiv Hervorgehobenes im Original in Deutsch); außerdem André Dumas an Barot vom 21.1.1942 (EBD., Heft Rivesaltes). 87 Bericht über Konferenzen und Konzerte in der Baracke der Assistance Protestante in Gurs vom April bis Dezember 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs); Merle d’Aubigné an Barot vom 7.5.1941 (EBD.); E. SCHMIDT, Dieu, S. 69f. Zur Bedeutung von Margarete von Navarra und ihrer Tochter Johanna vgl. A. GREWE, Navarra, S. 31ff.

Internierte im Team

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Repression durch die Obrigkeit wesentlich ausdrückt, wurde damit auch in den Lagern zum Ausdruck gebracht.88 Indem die Mitglieder der Cimade die Internierten in diese Erinnerungskultur einbezogen, verdeutlichten sie ihnen, dass die Vergegenwärtigung der eigenen Verfolgungsgeschichte sie zum Eintreten für die Opfer staatlicher Gewalt in der Gegenwart motivierte. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse der in die Schweiz geretteten Cimade-Flüchtlinge betonen diese Solidarität und wissen sie in den historischen Kontext des französischen Calvinismus einzuordnen.89 Internierte im Team

4.4 Internierte im Team Indem Internierte mit Vorträgen, musikalischen Darbietungen und Lesungen in das Kulturangebot einbezogen wurden, ja dieses in seiner Vielfalt erst ermöglichten, machte die Cimade ihr Arbeitsethos „nicht für, sondern mit“ den Entrechteten zu leben und zu arbeiten, wahr.90 Dieses Prinzip wurde auch innerhalb der Teams zur Geltung gebracht. Sie öffneten sich gegenüber Internierten, die sich von der Atmosphäre in den Foyers angezogen fühlten und sich an der Arbeit beteiligen wollten. Die von den internierten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen übernommenen Funktionen umfassten ein breites Spektrum. Sie leiteten wie Morducévitch und Haag die Bibliotheken, unterstützten den alltäglichen Ablauf der Foyer-Arbeit wie Friedrich Weil in Récébédou, waren wie Hannah Zweig in Rivesaltes und Lili Reckendorf in Gurs als Lehrerinnen tätig oder übernahmen wie Käthe Sussmann im Foyer Marie Durand und Alfred Seckel in Gurs die umfangreiche Korrespondenz.91 Für Jeanne Merle d’Aubigné ersetzten die Helferinnen und Helfer weitere externe Cimade-Mitglieder, denn mit Seckel, mit Richard Zeller als Bibliotheksverwalter, Liane Röhl für die Küche und Karl Thielbeer sowie Richard Möring als Verwalter des Kleiderfonds hatte sich in Gurs ein umfangreiches Team gebil88 Vgl. zum reformierten Geschichtsverständnis F. BOULET, L’évolution, S. 433f. 89 Vgl. z. B. den von Bertha Lenel stammenden Bericht (o. D.) „Extrait d’une lettre d’une internée du camp de Gurs“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs), in dem sie u. a. mit Stolz die direkte Abstammung Jeanne Merle d’Aubignés von Théodore Agrippa d’Aubigné (1552–1630), dem religiös-politischen Schriftsteller und Berater Heinrichs IV., hervorhob. 90 Vgl. oben Kapitel 2.1, S. 66. 91 Vgl. zu Morducévitch und Haag Anm. 65. Über Hannah Zweig berichtete ihre Schwester an Freudenberg vom 10.10.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). Weil schrieb an Freudenberg nach seiner Flucht in die Schweiz am 22.11.1943 (EBD.); vgl. auch den Bericht von Jeanne Sénat (CIMADE-ARCHIV PARIS). Über Sussmann informiert u. a. ein Brief von Lisette Nègre an Barot vom 20.11.1941 (CIMADEARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Marseille]).

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det.92 Die Männer und Frauen waren so gut eingespielt, dass sie selbst bei Abwesenheit der ‚hauptamtlich‘ Wirkenden etwa während der Freizeit im Januar 1942 kurzfristig das Foyer übernehmen konnten. Hinzu kamen noch weitere Internierte, die einzelne Aufgaben übernommen hatten, wie z. B. Hans Ebbecke, der die Gottesdienste musikalisch begleitete oder wie die junge Berlinerin Ursula Flatow, die für Botengänge im Lager zuständig war.93 Im September 1941 beschloss der Vorstand der Cimade, den internierten Kollegen in allen Lagern ihre Hilfe zu honorieren und ihnen zumindest ein Taschengeld zu zahlen. Außerdem sollten sie in die Verpflegung der Cimade-Teams mit einbezogen werden.94 Für Jeanne Merle d’Aubigné war dies ein Grund, möglichst viele Lagerinsassen in die Gruppe aufzunehmen, um sie durch die Speisungen zu unterstützen. „Unsere Mittagessen entwickelten sich zu einem unserer wichtigsten Hilfsmittel. Wir versorgten unsere Sekretäre, Hilfen und Verwalter, deren Zahl ständig stieg. So wurde unser Team immer größer und zählte zu manchen Zeiten zwanzig bis fünfundzwanzig Personen.“95

Auf diese Weise konnten Menschen, die durch Verfolgung, Vertreibung und Internierung erschütternde Einschnitte in ihre Biografie erleben mussten, zumindest wieder eigenverantwortliche Aufgaben übernehmen. Ihre tätige Eingliederung in die Teams trug dazu bei, ihnen nicht nur physisch, sondern vor allem psychisch zu helfen, gesellschaftliche Ausgrenzung und demütigende Internierung zu überstehen.

92 Bericht von André Morel vom 20.5.1987 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Die Angaben werden in verschiedenen Briefen aus dem Lager bestätigt, so z. B. Merle d’Aubigné an Barot vom 6.10.1941 und Möring an Barot vom 12.10.1942 (EBD.). 93 Über die Gottesdienstgestaltung durch Ebbecke berichtet Merle d’Aubigné u. a. am 6.10.1941 (EBD.). Ursula Flatow spricht von ihrer Mitarbeit im Cimade-Team von Gurs in: H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 191. 94 Cimade-Protokoll vom 29.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Vgl. für Gurs den Brief Merle d’Aubignés vom 6.10.1941 (wie Anm. 92), für ein entsprechendes Vorgehen in Récébédou einen Brief von Jeanne Sénat vom 18.4.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Récébédou). 95 Erinnerungen von J. Merle d’Aubigné (AN PARIS: 72/AJ/287); vgl. auch J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 96 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 82f.). Im Oktober 1941 wurden mittags zehn und abends sieben Personen zusätzlich verköstigt; vgl. den Kassenbericht aus Gurs vom 29.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Auch in Rivesaltes berichtet Perdrizet Ende November 1941 von Speisungen für die Mitarbeiter (EBD., Heft Rivesaltes).

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Ökumenische Gemeinde hinter dem Stacheldraht

Ökumenische Gemeinde hinter dem Stacheldraht

4.5 Eine ökumenische Gemeinde hinter dem Stacheldraht In den Lagern von Vichy kam dem religiösen Leben ein hoher Stellenwert zu. Hier schöpften viele Internierte trotz ihrer hoffnungslosen Lage Kraft für das tägliche Leben. Die jüdischen Hilfskomitees bemühten sich unter großen Schwierigkeiten, eine Religionspraxis im Lager zu ermöglichen, indem sie bei den Lagerleitungen für koschere Küchen kämpften, in den französischen jüdischen Gemeinden um Spenden von Thorarollen, Gebetsbüchern und Talmudim baten oder zu Pessach Exemplare der Pessachhaggada und ungesäuertes Brot in die Lager lieferten.96 Für die internierten Christinnen und Christen hatten die kleinen protestantischen Gemeinden große Anziehungskraft. In den Cimade-Foyers als Orten von Gottesdiensten, Bibelarbeiten und kirchlichen Festen erfuhren sie Trost und seelische Stärkung.

4.5.1 Unter dem Dach der reformierten Kirche 4.5.1.1 Ökumenisches Zusammenleben: Gemeindeorganisation und Gottesdienste In mehreren Lagern hatten sich die protestantischen Internierten bereits zu Gemeinschaften zusammengefunden, bevor die Cimade eine Ermächtigung für ihre Arbeit bekommen hatte. So hatten Christinnen in Rieucros Bibelstunden organisiert, und in Gurs war eine Gemeindeverfassung nach reformiertem Vorbild entstanden, in der sich Vertreter und Vertreterinnen in einem Gemeinderat zusammenfanden. In ihren Ilôts waren sie als Verantwortliche, Responsables, seelsorgerlich tätig, besuchten die protestantischen Bewohner und verteilten Pakete und Liebesgaben.97 Auch in Rivesaltes hatte sich unter der Leitung des aus Polen stammenden Dr. Rodolphe Stress ein evangelisches Zusammenleben mit Gottesdiensten und Religionsunterricht im kleinerem Rahmen etabliert.98 Indem sich die Cimade in diese Strukturen einfügte, konnte sie besonders schnell ein wirksames Engagement entfalten.99 Die Responsables waren den Teammitgliedern vor allem 96 Vgl. A. COHEN, Persécutions, S. 136f. 97 Vgl. die Berichte über ihre Arbeit als Responsable: M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 30 u. 39; über die seelsorgerliche Tätigkeit unter den Internierten berichtet EBD., S. 118, auch Martha Besag (Zeugnis vom 18.9.1946). 98 Toureille an Freudenberg vom 19.6.1941 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0088); Stress an das Unitarian Service Committee vom 19.6.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Colis Portugais). 99 Cimade-Komitee, Protokoll vom 25.1.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5); de Diétrich an Robert Mackie vom 11.3.1941 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/3).

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in den großen Lagern eine große Hilfe, um die so wichtigen Barackenbesuche in allen Ilôts durchzuführen und in einzelnen Gesprächen mit den Internierten Trost und Ermutigung zu geben. Für die sich in Genf formierende ökumenische Bewegung setzten diese Lagergemeinden aufgrund ihrer interkonfessionellen Zusammensetzung ein besonderes Zeichen für den ökumenischen Gedanken. Erstmals wurde hier im Zusammenleben von Menschen verschiedener Kirchenzugehörigkeit die „Wirklichkeit der ökumenischen Gemeinde“ sichtbar.100 Die versammelten Konfessionen fanden sich wie selbstverständlich und ohne theologische Zwänge zu bedenken, zu gemeinsamem Gottesdienst und Abendmahl zusammen.101 Es war die Solidarität der reformierten Kirche in Frankreich, die mit ihrer Zuwendung zu den Verfolgten diese Ökumene möglich werden ließ, und die reformierte Liturgie prägte in ihrer „äußersten Einfachheit“ die Gottesdienste.102 Die wöchentlich stattfindenden Feiern waren außerordentlich gut besucht, obwohl nur für wenige Sitzmöglichkeiten vorhanden waren und das lange Stehen für die geschwächten Internierten eine große Anstrengung bedeutete.103 Dennoch füllten sich die Gottesdiensträume in den Foyers von Gurs und Rivesaltes, Brens und Nexon, und die Zeugnisse verdeutlichen, wie wichtig die Verkündigung des Wortes Gottes als ein Hoffnungszeichen gegen Angst und Verlassenheit gewesen ist.104 Auch das Abendmahl bekam in den Lagern eine ganz neue und eigene Bedeutung. Das Brot musste mühsam vom Munde abgespart werden und wurde meist in dem einfachen Blechnapf gereicht, der Teil des alltäglichen Gebrauchsgutes jedes Lagerinsassen war. In Gurs war dabei hugenottische Geschichte symbolhaft Gegenwart: Abendmahl wurde mit Abendmahlsgeräten gefeiert, die von einer Cevennen-Gemeinde gestiftet worden waren und schon im 18. Jahrhundert den illegalen Gottesdiensten verfolgter Calvinisten in den einsamen Berggegenden gedient hatten.105 Nun erfüllten sie ihre Funktion wieder in einer Gemeinde, die staatlicher Repression ausgesetzt war. Auch in ihrer kirchlichen Gemeindearbeit ließ sich die Cimade von dem Grundsatz leiten, den mit ihrer Exil- und Lagererfahrung doppelt Ent100 Bericht des Flüchtingssekretariates vom Januar 1942 (AÖRK GENF: Karton B 2). 101 Barot an Alice Fauchier vom 30.10.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]). 102 M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 50 (7.3.1941). 103 Vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 66; J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 98 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 84). 104 Vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 66; L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 139 u. 152; M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 64; Martha Besag, 24 Bilder aus dem Leben einer Internierten, S. 3 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence A–B). 105 Es handelte sich um die ehemalige Gemeinde von Elisabeth Schmidt; vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 66, sowie den Bericht von André Morel vom 20.5.1987 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs).

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fremdeten vertraute Orte zu schaffen. Auffallend ist in allen Foyers ein nachhaltiges Bemühen darum, die Internierten möglichst nicht auch noch aus ihrer eigenen Sprache zu vertreiben und ihnen zumindest hier ein Stück Heimat wiederzugeben. So wurden in Rivesaltes dreisprachige Gottesdienste in Französisch, Spanisch und Deutsch abgehalten, um für die größeren Nationalitäten-Gruppen im Cimade-Foyer verständlich zu sein.106 Die Cimade-Mitglieder in Gurs machten es sich zur Regel, ihre Predigten und Andachten auf Deutsch zu halten: „Alfred (Seckel, U. G.) will mir meine Predigt in gutes Deutsch übersetzen“, berichtete André Morel im Dezember 1941 aus Gurs, „damit sich unsere Leute trotz meiner Schwierigkeiten mit der Aussprache noch mehr wie bei sich zu Hause fühlen.“107 Zum gleichen Zweck bat er Freudenberg um deutschsprachige Liturgien für die Feier des Abendmahles. Die Gottesdienstordnungen der deutsch-schweizerischen Kirchen hielten auf diese Weise Einzug in den Internierungslagern Südfrankreichs. Mit fortschreitender Entwicklung dieser ökumenischen Flüchtlingsgemeinden wurde darüber hinaus nach neuen liturgischen Formen gesucht, die von allen akzeptiert werden konnten.108 Wie wichtig die kulturellen und geistigen Werte als Ausdruck eigener Identität unter den entwürdigenden Bedingungen der Internierung waren, zeigt auch die in manchen Lagern intensiv gepflegte Kirchenmusik. Allein in Gurs versammelten sich nach einem Bericht von Suzanne de Diétrich dreihundert Leute, als die Gründung eines Chores angekündigt wurde, und die Gottesdienste unterschieden sich auch aufgrund der Mitwirkung namhafter Interpreten bald kaum mehr von geistlichen Konzerten.109 Private Spender aus der Schweiz wie Eduard Thurneysen förderten diese Arbeit mit einer Anzahl von deutschsprachigen Lied- und Choralsätzen, darunter z. B. die Schlusspassage aus der Johannespassion von Johann Sebastian Bach. Außerdem gelang es Freudenberg, durch den Schweizer Kirchenbund günstig mehrere hundert Probeexemplare des neuen evangelischen Gesangbuches in die Südzone zu schicken.110 Die Bedeutung dieser

106 EBD. 107 Morel an Barot vom 17.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs; Übersetzung U. G.); vgl. auch J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 100. 108 Barot an Alice Fauchier vom 30.10.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]). Details zum Inhalt dieser ökumenischen Liturgien liegen leider nicht vor. 109 De Diétrich an Robert C. Mackie vom 11.3.1941 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/3). Zum Gemeindechor in Rivesaltes vgl. den Bericht des Teams vom 10.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam). 110 Freudenberg an Koechlin vom 12.5.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K); Freudenberg an Thurneysen vom 4.7.1942 (EBD., Alphabetical Correspondence T–V).

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Sendungen für Menschen, die in Lumpen gehen mussten, unter Ungeziefer litten und die wenigen Brotreste mühsam vor den Ratten versteckten, wird bei Maria Krehbiel deutlich: Sie verglich die Lieder des schweizerischen Gesangbuches mit Rüstungen, die „kräftig machen in Wort und Melodie“ und damit vor Verzweiflung schützten.111

4.5.1.2 „Sammlung um das Wort“: Die Bedeutung der Bibel Das biblische Wort nahm bei reformierten Christinnen und Christen eine zentrale Rolle ein. In der Verfolgungszeit war die reformierte Bibel verboten und musste über Jahrhunderte sorgsam gehütet und versteckt werden. Sie konnte nur in aller Heimlichkeit zur Glaubensstärkung und als Zeichen des Widerstandes gegen katholische Zwangskonversionen gelesen werden. Nach der erneuten Tolerierung des Protestantismus Ende des 18. Jahrhunderts erhielt die Zürcher Bibel wieder ihren Platz im öffentlichen Gottesdienst wie im alltäglichen Leben. So waren seitdem die Zimmerwände in den Häusern der Cevennen mit biblischen Versen bemalt, um das Wort Gottes ständig gegenwärtig zu haben.112 Die jungen Frauen und Männer des französischen Protestantismus nahmen diese Tradition mit in die Lager. In den Teams fanden jeden Morgen Bibelmeditationen statt, die eine wichtige Kraftquelle darstellten, um einen weiteren Tag mit den Besuchen bei hungerkranken Menschen, mit dem Trostspenden für Verzweifelte überstehen zu können.113 Die Gottesdienstbaracken in Gurs, in Rivesaltes und Récébédou wurden mit Bibelworten beschrieben und bemalt. In der biblischen Botschaft fanden auch Mitglieder der Lagergemeinden den nötigen Zuspruch, um unter den aufgezwungenen Bedingungen leben zu können und die Hoffnung auf eine Zukunft in Freiheit zu bewahren.114 Friedrich Weil, der eine lange Internierungszeit in Gurs, Récébédou, Nexon und Masseube überlebt hatte, schrieb nach seiner Flucht in die Schweiz an Freudenberg: „Die Losungen habe ich auch erhalten; wissen Sie, dass ich aus ihnen seit 3 Jahren immer wieder Kraft und Mut schöpfe, dass ich mir einen Tagesbeginn ohne diese einzig wahren Worte nicht vorstellen kann“.115 Um diesen Bedürfnissen nachzukommen, 111 M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 255. 112 Vgl. F. BOULET, Juifs, S. 338ff.; DERS., Les montagnes françaises, S. 243f.; L. ALEXISMONET, Les miradors, S. 60. 113 EBD., S. 60f.; außerdem Suzanne Aillet an Barot vom 21.8.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton C. R. activités des camps SO 1939–45, Ordner Camps d’internement 1940–1944). 114 Vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 66; J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 98 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 84); L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 119. 115 Weil vom 5.2.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z).

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sandte Freudenberg mit Unterstützung der Ökumenischen Kommission zur Pastoration der Kriegsgefangenen, der American Bible Society und des Hilfswerkes Pfenninger-Bodmer zwischen 1940 und 1944 Hunderte von Luther- und Zürcher Bibeln, Neuen Testamenten, Sonderdrucken von Psalmen und Evangelien und andere geistliche Literatur in die Südzone.116 Er konnte mit Recht feststellen, dass sich das Wort in den Lagergemeinden „als tragende Kraft“, als „wirkliche geistliche Einheit“ erwies.117 Diese Sammlung der Gemeinden um das Wort erschöpfte sich nicht in einem Hinhören und Aufnehmen, sondern umfasste auch ein intensives Studium der Bibeltexte. Spender und Spenderinnen in der Schweiz wurden daher auch um deutschsprachige Kommentare, Texterklärungen und griechische Testamente gebeten. Mitglieder der Flüchtlingsgemeinden erteilten Hebräischunterricht.118 Ebenso fand eine Auseinandersetzung mit theologischer Literatur statt. Bücher von Pierre Maury, von Emil Brunner und Karl Barth wurden verlangt. Die gemeinsamen Bibelarbeiten waren überall von äußerst ernsthaftem Interesse geprägt, die Begegnung mit dem Wort geschah existenziell. Laurette Monet war überrascht über den großen Zuspruch bei ihrer ersten Bibelarbeit über den Beginn des Matthäus-Evangeliums. „Eine alte Frau von 65 Jahren sagte mir am nächsten Morgen: ‚Ich habe diese Nacht kaum geschlafen. Noch bis um vier Uhr am Morgen musste ich an Ihre Worte denken. Das ist eine neue Welt für mich.‘“119. Die ausgewählten Textstellen wurden dem Ersten wie dem Neuen Testament entnommen, so fand z. B. in Rivesaltes eine Bibelarbeit in drei Sprachen über Hiob statt, Esther wurde in Les Milles gelesen und in Gurs eine vierwöchige Reihe zur Bergpredigt durchgeführt.120 Die Cimade-Mitglieder konnten dabei auf die Erfahrungen zurückgreifen, die sie im kritischen Umgang mit der Bibel in den Jugendorganisationen erworben hatten. Eine besondere Prägung erhielt das Bibelstudium in den Internierungslagern durch seinen interreligiösen Charakter. Laurette Monet nennt Juden und Christen, die sich neben atheistischen Kommunisten aktiv an den 116 Vgl. oben Anm. 62 u. 63 und A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 35 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 34). 117 Bericht des Flüchtlingssekretariates vom Januar 1942, S. 13 (AÖRK GENF: Karton B 2). 118 Aufruf des ökumenischen Ausschusses für Flüchtlingshilfe zur Bücherspende (AÖRK: Freudenberg-Akten, General Correspondence X–Z). Zum Hebräischunterricht vgl. Freudenberg an Bertha Hohermuth vom 30.12.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R). Vgl. auch den Bericht des Flüchtlingssekretariates vom Januar 1942, Anhang, S. 12 (AÖRK GENF: Karton B 2). 119 L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 50 (Übersetzung U. G.); vgl. auch DIES., Die „Neue Kirche“, S. 165. 120 Bericht des Teams aus Rivesaltes vom Oktober 1941; Bericht des Teams aus Gurs vom Dezember 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs, Heft Rivesaltes); Bericht von Hans Fraenkel aus Les Milles (SHPF PARIS: DVP 119).

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Diskussionen über biblische Texte beteiligten.121 Der Besuch eines Rabbiners in Brens regte Jüdinnen und Christinnen im Lager dazu an, Abschnitte der Hebräischen Bibel und des Zweiten Testamentes miteinander zu vergleichen.122 In Gurs kamen mitinternierte Rabbiner zu den Bibelstudien in das Cimade-Foyer und „vermittelten uns einen Einblick in ihre Auffassung der Texte“.123 Differenzierte Aussagen über den Inhalt dieser Begegnungen lassen sich auf der Basis der vorhandenen Quellen leider nicht machen. Immerhin bleibt aber der gemeinsame Austausch über die Offenbarungszeugnisse als ein Ereignis jüdisch-christlichen Dialoges im ‚Vorzimmer von Auschwitz‘ festzuhalten.

4.5.1.3 Weihnachten und Ostern im Lager Jüdische wie christliche Hilfskomitees bemühten sich mit großem Engagement um die Ausgestaltung der religiösen Feste. Sie wussten, mit welchen hohen Emotionen diese Zeiten besetzt waren und wie wichtig es war, die Internierten nicht zu enttäuschen. Während das Lagerleben mit seiner großen jüdischen Majorität im Jahresablauf hauptsächlich durch Rosch Haschana und Yom Kippur, Chanukka und Purim, Pessach und Schawuot geprägt wurde, haben in den protestantischen Lagergemeinden vor allem die Weihnachtsfeste großen Niederschlag in Briefen und Berichten gefunden.124 Die Cimade-Mitglieder wollten, dass für die in Entrechtung und Unterdrückung lebenden Menschen Weihnachten zu einer Zeit von Trost und Stärkung werde. Heimweh und Trauer sollten in der Erinnerung an das Leben vor der Flucht und Vertreibung vor allem in diesen Tagen nicht aufkommen. Laurette Monet schrieb im Advent 1942 anlässlich ihrer Pläne für die kommenden Festtage: „Wenn wir es fertig bringen, ihnen allen die Weihnachtsfreude zu bringen . . ., dann wäre das großartig. Es muss so sein, dass dieses Weihnachten im Lager ein wahres Weihnachten wird, das Licht, das im Finstern scheint“125. Auch für André Dumas, Elisabeth Perdrizet und Françoise Rennes in Rivesaltes war es wichtig, die Weihnachtstage zu einer ganz besonderen Zeit werden zu lassen. „Das Weihnachten von Bethlehem mit dem kleinen Kind, das von den Menschen vergessen wurde, ist gerade allen denen sehr nahe, die sich in den Lagern 121 Vgl. L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 151. 122 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Brens, S. 146 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 138). 123 J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 97 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 84). 124 Vgl. zur jüdischen Festkultur in den Internierungslagern A. COHEN, Persécutions, S. 136f.; A. GRYNBERG, Camps, S. 264ff. Über Gestalt und Bedeutung dieser Feste informiert S. P. DE VRIES, Jüdische Riten. 125 Brief vom 5.12.1942, in: L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 140 (Übersetzung U. G.).

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vom Rest der Welt vergessen fühlen . . . Ein wahres Weihnachten muss trotz des ganzen bestehenden Elends fröhlich sein.“126

Von Genf aus unterstützte Freudenberg mit großem Nachdruck die Bemühungen der Teams. Er versuchte dabei auch, auf Irritationen des Flüchtlingspfarrers Pierre C. Toureille einzugehen, die aufgrund des unterschiedlichen Stellenwertes des Weihnachtsfestes für Deutsche und Franzosen 1940 in Gurs aufgetreten waren. Toureille hatte sich über die Wünsche der deutschen Internierten beschwert. Im Dezember schrieb Freudenberg an den Leiter der Aumônerie Protestante: „Haben Sie Geduld mit meinen Landesgenossen. Ich wusste von vorneherein, welche Bedeutung die Feier von Weihnachten für meine Landesgenossen hat und dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, um sie moralisch zu stärken. Es gibt einen deutschen Enthusiasmus um Weihnachten, der anderen kaum verständlich zu machen ist“127.

Es ist durchaus möglich, dass die mit Weihnachten verbundenen Gefühle und Hoffnungen bei den christlichen Internierten angesichts der bitteren Lebensumstände besonders ausgeprägt waren. Den Cimade-Teams gelang es, die Elemente einer bürgerlichen Weihnachtsfeier mit der Versammlung um den Weihnachtsbaum, einer Bescherung, gemeinsamen Essen und Festgottesdiensten in den Lagern zu realisieren. André Morel berichtete Ende 1941 mit Stolz, die Gäste hätten ohne große Bitterkeit an vergangene Feste zurückgedacht und die Feierlichkeiten im Foyer mit den Worten „wie bei uns“ gelobt.128 Wie wichtig dies für die gesellschaftlich Ausgestoßenen war, zeigt der Dank einer Besucherin des Foyer Marie Durand in Marseille an Jeanne Sénat und Lisette Nègre „für die Weihnachtsfeier in Ihrem gastlichen Heim . . . Es ist mir so tröstlich, zu wissen, dass es noch Menschen gibt, die sich in vorbildlicher Art unserer, der Heimatlosen, annehmen mit (der) Versicherung, dass wir nicht vergessen werden“.129 Um die innere geistige Gemeinschaft zu betonen, sollten die Weihnachts126 Bericht des Teams in Rivesaltes „Noël 1941 vécu à Rivesaltes“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes; Übersetzung U. G.). 127 Freudenberg vom 12.12.1940 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 420080, Übersetzung U. G.). Zur Bedeutung von Weihnachten im deutschen Bürgertum vgl. I. WEBER-KELLERMANN, Familie, S. 300ff. 128 Bericht an Toureille vom 31.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs; Zitat im Original Deutsch). 129 Brief aus dem Frauensammellager Hôtel Terminus vom 30.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Marseille, Marie Durand, Hôtel Bompard, St. Cyprien]; Original in deutscher Schrift und Sprache).

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feiern 1941 in allen Lagern einem ähnlichen Programm folgen. Madeleine Barot bat Freudenberg, entsprechende Broschüren, eine Abendmahlsliturgie und einen passenden Predigttext auszusuchen.130 Auf diese Weise versammelten sich die Flüchtlingsgemeinden in den verschiedenen CimadeFoyers um die Messiasverheißung aus Jesaja 9. In Rivesaltes legte das Team in der Predigt besonders auf die Gewalt- und Herrschaftskritik in Vers 5 Gewicht, diese Worte sollten den Internierten in ihrer Situation „Trost und Kraft“ geben.131 Sie versuchten damit die Hoffnung zu vermitteln, dass auch die staatliche Willkür und Repression, unter der die Lagerinsassen zu leiden hatten, überwunden werden würde. Chancen einer interreligiösen Begegnung konnten wahrgenommen werden, wenn jüdischer und christlicher Festkalender Übereinstimmungen zeigten. Die Weihnachtstage von 1940 fielen in die achttägige Festzeit von Chanukka, ein Jahr später schlossen sie sich an das jüdische Lichterfest an.132 Auch wenn Chanukka nicht zu den hohen jüdischen Festtagen gehört, so hatte es doch aufgrund seiner Vergegenwärtigung eines erfolgreichen jüdischen Befreiungskampfes gegen eine Besatzungsmacht in den Lagern große Bedeutung.133 Die Vorbereitungen zu Chanukka und Weihnachten geschahen in gegenseitiger Hilfe und Solidarität, Einladungen zu den jeweiligen Feiern wurden ausgesprochen. Freudenberg konnte daher mit Recht das Zusammenleben zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften mit den Begriffen „Gleichklang“ und „Nähe“ beschreiben.134 1941 wurde diese Verbundenheit vielleicht am deutlichsten in den Kerzen symbolisiert, die der Rabbiner Kapel der Cimade für den Weihnachtsbaum des Foyers stiften konnte.135 Das christliche Weihnachten erhielt so seinen Glanz vom Lichterfest Chanukka. Die übrigen Feste im Kirchenjahr finden in den Briefen und Berichten der Teams oder den Zeugnissen von Internierten kaum Erwähnung. Den130 Freudenberg an Barot vom 3.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). Freudenberg sandte außerdem eine Weihnachtspredigt Helmut Gollwitzers von 1938, die in den Lagern verlesen werden sollte. 131 Bericht des Teams in Rivesaltes „Noël 1941 vécu à Rivesaltes“ (vgl. Anm. 126; Übersetzung U. G.). Vgl. auch einen Artikel in der Zeitschrift der Pfadfinderbewegung L’Equipe, Nr. 87, Dezember 1944, S. 250ff.: „Noël dans un Camp: Cimade“. 132 Vgl. den Kalender im Indexband der Jewish Encyclopedia, S. 119f. 133 Dieser Aufstand begann 167 v. u. Z. unter Judas Makkabi gegen die syrische Besatzungsmacht, die aus Jerusalem vertrieben werden konnte. Die feierliche Reinigung und Wiedereinweihung des Tempels, der zu einem Zeusheiligtum verwandelt worden war, war nur durch ein Wunder in kurzer Zeit möglich gewesen. Die Lichter, die nacheinander an den acht Tagen von Chanukka angezündet werden, erinnern daran. 134 A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 33 (= in: „Rettet sie doch!“ S. 34). 135 Merle d’Aubigné an Barot vom 13.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs).

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noch wird deutlich, dass die Cimade-Teams versuchten, auch den Ostertagen einen festlichen Rahmen zu geben. Aus Genf kamen 1941 Geldzuwendungen, um den Gemeindegliedern eine zusätzliche Mahlzeit bieten zu können und kleine Geschenke zu verteilen.136 Im Foyer Marie Durand plante das Team 1942 ein gemeinsames Essen, Konzerte und einen Festgottesdienst.137 Sehr eindrücklich wurde diese Passions- und Osterzeit von der Gemeinde in Gurs erlebt. „Alte Choräle und Instrumentalmusik schufen eine besondere Atmosphäre. Jedes Wort des Passionsberichtes fand eine bisher unbekannte Resonanz. Vielleicht ließen die Leiden des Einzelnen ihn das unendliche Leiden des Christus besser verstehen.“ Indem jedoch die Cimade die urchristliche Tradition von Erwachsenentaufen in der Osternacht 1942 wieder aufnahm, begab sie sich in einen Konflikt mit der jüdischen Gemeinde, denn unter den Täuflingen befanden sich mehrere jüdische Frauen.138

4.5.2 Gegen patriarchale Weiblichkeitsbilder leben 4.5.2.1 Predigt und Abendmahlsspende durch Frauen Neue Wege beschritten die Frauen der Cimade, indem sie innerhalb der Lagergemeinden Funktionen einnahmen, die im kirchlichen Raum traditionell von Männern besetzt worden waren. Einigen Pastoren wurde der Zutritt zu den Lagern verwehrt, andere konnten regelmäßige Besuche an diesen abgeschiedenen Orten zeitlich kaum ermöglichen. Daher war die Ausübung pfarramtlicher Aufgaben für die Mitarbeiterinnen eine Notwendigkeit, um den Internierten Gottesdienste und Abendmahlsfeiern zu bieten und seelsorgerlich für sie tätig werden zu können. Sie erfüllten diese Aufgaben ungeachtet dessen, dass die Kirche sie in der überwiegenden Mehrheit als theologische Laiinnen betrachtete, und sie wurden in ihren neuen Funktionen von den Lagergemeinden akzeptiert. Laurette Monet war in Nexon bewegt von der Art und Weise, in der ihre Predigten von den Zuhörenden aufgenommen wurden. Auch Jeanne Sénat und Lisette Nègre bekamen in Marseille viel Anerkennung für ihre „starken und wahren Worte“ in den Andachten.139 In dem Internierungszentrum Masseube be136 M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 59 (16.4.1941). 137 Lisette Nègre an Barot vom 31.3.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille). 138 Bericht im Kirchenboten für das reformierte Volk des Aargau, Juli 1942, Nr. 7, 52. Jahrgang (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten; Alphabetical Correspondence H), das Zitat EBD. Zur weiteren Diskussion vgl. unten Kapitel 4.6.2, S. 159ff. 139 L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 143 u. 152. Ludwig Zellmann an das Foyer Marie Durand vom 25.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Marseille, Marie Durand, Hôtel Bompard, St. Cyprien]; Original in deutscher Schrift und Sprache).

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reitete Jacqueline Jourdan mit ihrer Kollegin Jacqueline Haeffele die Predigten vor und las die Liturgie.140 In Gurs hielt Jeanne Merle d’Aubigné sonntägliche Gottesdienste und ließ sich ihre Texte von Lili Reckendorf ins Deutsche übersetzen.141 Das Interesse an Theologie und die gemeinschaftliche Auseinandersetzung um die christliche Verantwortung in der Gegenwart war den meisten Mitarbeiterinnen der Cimade durch ihr Engagement in den protestantischen Jugendorganisationen zu einem Anliegen geworden. Intensive Bibelarbeiten und die Diskussion theologischer Fragen waren unverzichtbarer Bestandteil der vielen Freizeiten, die von den Pfadfindern, den UCJF und UCJG sowie dem Studentenbund veranstaltet wurden. Namhafte Theologen und Theologinnen sowie Kirchenleute wie Roland de Pury, Willem A. Visser ’t Hooft, Suzanne de Diétrich oder Wilhelm Vischer waren Gäste auf diesen Freizeiten und vermittelten ihr Wissen in Seminaren. Das hier erworbene Instrumentarium und die hier diskutierten Fragen waren für Frauen wie Suzanne Aillet, Laurette Monet oder Jacqueline Jourdan eine Basis für die im Lager gehaltenen Predigten und Andachten. Dabei ist ihre Verortung in der Theologie der Bekennenden Kirche herauszustellen. Für Jacqueline Jourdan waren vor allem Schriften Karl Barths wichtig in ihrem Engagement, und sie bezeichnet die Barmer Theologische Erklärung, die sie durch Georges Casalis auf den Freizeiten des Studentenbundes kennen gelernt hatte, als eine Grundlage ihrer Arbeit mit den Verfolgten. Sie gibt damit ein Beispiel dafür, wie diese Thesen über Deutschland hinaus zu widerstehendem Verhalten motiviert haben.142 Laurette Monet las auch im Lager Texte Barths und versuchte, ihre Kenntnisse im Griechischen zu erweitern.143 Mit ihren Auslegungen, die sich auf die aktuelle Theologie stützten, erregte sie unter den Internierten großes Aufsehen, und sie wurde scherzhaft als Vertreterin der „neuen Kirche“ apostrophiert.144 Diese Erfahrungen waren den Frauen jedoch allein möglich aufgrund der besonderen Situation ihres Engagements an Orten und für Menschen, die für Pastoren nicht immer zugänglich waren. Nur unter diesen einschränkenden Bedingungen war ihre Tätigkeit in einem von Männern do140 Schriftliche Mitteilung von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan, an die Verfasserin vom 12.7.1996. 141 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 97 u. 100 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 83 u. 87). 142 Mitteilung von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan (vgl. Anm. 140). Zur BTE im Zusammenhang mit der deutschen Widerstandsgeschichte vgl. G. VAN NORDEN, Barmer Theologische Erklärung. 143 Brief vom 21.1.1943 (in: L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 149). 144 Brief vom 20.11.1942 (EBD., S. 143f.) In gekürzter Version auch in: L. ALEXIS-MONET, Die „Neue Kirche“, S. 162f.

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minierten Bereich für die kirchliche Hierarchie akzeptabel.145 So erhielt z. B. die Studentin Laurette Monet von der Pastoralkommission der reformierten Kirche die „Délégation pastorale“, einen Amtsauftrag für das Osterfest 1943 im Lager Nexon und konnte daraufhin mit den Internierten das Abendmahl feiern.146 Indem die Frauen Gottesdienste leiteten, predigten und Sakramente spendeten, stellten sie die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Kirche in Frage und verstärkten die bereits in den 1930er Jahren begonnene Diskussion um ein neues Rollenverständnis von Frauen in der Kirche.147 Ihre Aktivitäten in den Lagern förderten damit weitergehende Reflexionen über neue kirchliche Frauenberufe.

4.5.2.2 Als Gemeindehelferin und Pastorin in der Cimade Der Beruf der Gemeindehelferin entstand als Reaktion auf die einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Die wachsende Bevölkerung machte eine umfassendere seelsorgerliche und soziale Betreuung erforderlich als sie das Pfarramt bisher ermöglichen konnte.148 Nach dem Ersten Weltkrieg wurden daher in der Schweiz wie in Deutschland Institute gegründet, in denen junge Frauen durch eine theologische und sozialwissenschaftliche Ausbildung auf eine professionelle Tätigkeit in Kirchengemeinden vorbereitet wurden.149 Das Institut des ministères féminins in Genf wurde auch von französischen Protestantinnen aufgesucht, die sich für diese Möglichkeit entschieden hatten. Mit dem Begriff ministère wurde im französischen Sprachgebrauch von Beginn an der Amtscharakter des neuen Frauenberufes hervorgehoben, während die Bezeichnung assistante de paroisse (Gemeindehelferin), die ohnehin über die hohe Qualität der Ausbildung hinwegtäuscht, kaum gebräuchlich war. Die Studentinnen mussten Veranstaltungen an der theologischen Fakultät belegen, die etwa die Hälfte des pfarramtlichen Theolo145 Vgl. auch C. RAUPACH, Schwestern, S. 12. Als Beispiel für die Situation in Deutschland vgl. die ganz andersartigen Beschlüsse der Bekenntnissynode der Ev. Kirche der Altpreußischen Union von 1942 (D. HERBRECHT, „Vikarinnenausschuss“, S. 356f.). Nach diesen Bestimmungen wurde selbst Theologinnen die Verkündigung erst zugestanden, wenn männliche Laien für eine Predigt nicht zu Verfügung standen. 146 Dokument vom 17.4.1943, ausgestellt von der Commission du Ministère pastoral, gezeichnet von Charles Westphal (Privatarchiv, der Verfasserin freundlicherweise zugänglich gemacht durch Laurette Alexis-Monet). 147 Vgl. dazu z. B. die Debatte mit Marc Boegner auf der CIM-Sitzung vom 23.4.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 148 Vgl. H. KÖHLER, Notwendigkeiten, S. 60f. 149 Vgl. A. WITT, Entwicklung, S. 52f.; F. LICHTENBERG, ‚Helferinnen‘. Zur Schweizer Ausbildungsstätte vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 26f.

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giestudiums umfassten, hinzu kamen weitere Kurse und Praktika.150 1942 wurde dann auch in Frankreich eine entsprechende Schule gegründet.151 Die Cimade war an der Entwicklung und Förderung dieser Perspektive für Frauen im kirchlichen Raum intensiv beteiligt. Mehrere der CimadeMitarbeiterinnen hatten sich für eine Ausbildung als Gemeindehelferin entschieden oder diese bereits absolviert. Françoise Rennes übernahm in Rivesaltes mit Gottesdiensten und Predigten sowie Bibelarbeiten in spanischer Sprache ganz selbstverständlich auch Aufgaben der Verkündigung, die ihr bei einem Berufsstart in einer ‚normalen‘ Gemeinde vermutlich nicht zugefallen wären. Schülerinnen der französischen Ecole des ministères féminins arbeiteten in den Internierungslagern wie z. B. Marguerite Bonneau, die im Sommer 1943 in Gurs tätig war.152 Verschiedene Frauen ließen sich durch ihr Engagement in der Cimade zu diesem Beruf anregen, so Janine Veil, die im Sommer 1942 im Foyer Marie Durand gearbeitet hatte und dann das Ausbildungsinstitut in Genf aufsuchte oder Jacqueline Jourdan, die mit diesem Ziel nach Montpellier ging.153 Darüber hinaus wurde das neue Berufsfeld in der Cimade diskutiert und war Thema auf der Mitarbeiter- und Mitarbeiterinnen-Freizeit im Januar 1944, zu der auch die Leiterin der Ausbildungsstätte für das ministère féminin eingeladen war.154 Diese theoretischen und praktischen Erfahrungen konnte Madeleine Barot durch ihre Gremienarbeit in die aktuelle innerkirchliche Debatte einbringen. Als Mitglied der Studienkommission der ERF für das ministère féminin trug sie seit März 1944 zu einer Öffnung gegenüber dem neuen Berufsfeld bei. Welche Widerstände die Etablierung professioneller Frauenarbeit im kirchlichen Raum hervorrufen konnte, zeigt die Tatsache, dass selbst ihre Ernennung als „einzige Frau und Laiin“ in diesen Kreis „für einige beunruhigte Pastoren eine Revolution darstellte“.155 Frauen, die nach dem Pfarramt strebten, hatten es aufgrund der mino150 Schreiben des Institut des ministères féminins in Genf an de Diétrich vom 9.9.1942 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/4). Vgl. auch E. SCHMIDT, Dieu, S. 26f.; J.-P. WILLAIME, Femmes, S. 39, geht auf die Ministères féminins nur kurz ein. 151 Nach einer Stellungnahme der Commission d’étude des Ministères Féminins für den Conseil National der ERF zunächst mit elf Auszubildenden, im Herbst 1943 kamen weitere 16 hinzu; die Schule bildete auch Diakonissen aus (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Ressources humaines, 1939–1945]). 152 Bonneau an Barot vom 28.9. o. J. (1943) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). 153 Mitteilungen an die Verfasserin von Janine Philibert-Veil vom 18.9.1996 und von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan, vom 12.7.1996. 154 Hinweise von Violette Mouchon zum Tagungsprogramm (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon I); Barot an Suzette Trellis vom 28.1.1944 (EBD.: Unverzeichneter Bestand [Télégrammes. Q . . . Z]). 155 Barot an de Diétrich vom 23.3.1944 (SHPF PARIS: DT Die 2). Weibliches Mitglied der Kommission war diesem Brief zufolge auch die UCJF-Präsidentin Jane Pannier.

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ritären Situation des französischen Protestantismus schwerer als ihre Kolleginnen in den Kirchen Deutschlands. Ihre Zahl war in den 1930er Jahren noch so verschwindend gering, dass der Gedanke an die Gründung von Verbänden zur gemeinsamen Interessenvertretung abwegig war. Sie mussten meist auf sich gestellt um Anerkennung in der Kirche kämpfen. Die erste Frau, die sich auf diesen einsamen Weg begeben hatte, war die Theologin Elisabeth Schmidt. Sie konnte zwar nach Abschluss ihres Studiums schon 1935 als „candidate au ministère“, Anwärterin für das Pfarramt, eine kleine Berggemeinde in den Cevennen übernehmen. Die üblicherweise einjährige Probezeit endete in ihrem Fall jedoch erst nach 14 Jahren. 1949 war die ERF endlich dazu bereit, Elisabeth Schmidt zu ihrer ersten Pastorin zu ordinieren.156 Als Madeleine Barot sie im Juli 1941 bat, eine Tätigkeit in Gurs aufzunehmen, war Elisabeth Schmidt dazu unverzüglich bereit.157 Als Pastorin wurde sie dem Team und der Lagergemeinde in Gurs vorgestellt und in die Arbeit eingeführt.158 Ihr Engagement fand zwar ein abruptes Ende, als sie im November 1941 sehr schwer an Typhus erkrankte. Während der vorangegangenen Monate hatte sie aber nicht nur mit Veranstaltungen über literarische und kirchenhistorische Themen zum Leben im Foyer beigetragen, sondern war auch als Seelsorgerin und Predigerin tätig gewesen.159 Während sie in ihrer Cevennen-Gemeinde kaum den Eindruck gehabt hatte, als Inhaberin des Pfarramtes betrachtet zu werden, fühlte sich Elisabeth Schmidt in Gurs als Pastorin anerkannt. Diese Erfahrung zeigte ihr, dass sie mit ihrer Berufswahl gegen gesellschaftlich festgeschriebene Normen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, allenfalls bei denen Akzeptanz finden konnte, die selbst aus der Gesellschaft verstoßen worden waren: „Die in unserer ‚Kirche von Gurs‘ versammelten Protestanten waren in den Traditionen ihrer Heimatländer und ihrer Kirche aufgewachsen und erzogen worden; aber sie befanden sich nicht mehr in dieser Welt. In der apokalyptischen Situation eines Lagers hatte keine besondere Tradition mehr Gewicht und selbst das Pastorenamt konnte paradoxerweise in diesem Gefängnis mit großer Freiheit von einer Frau ausgeübt werden.“160 156 Vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 30f. u. 118ff. Die Synode machte 1949 jedoch deutlich, dass es sich hier um einen Einzelfall ohne Präzedenzwirkung handeln sollte. Das Zölibat war für Schmidt verpflichtend. Erst 1966 wurden in der französischen reformierten Kirche Frauen den Männern im Pfarramt gleichgestellt (vgl. EBD., S. 177). 157 Vgl. E. SCHMIDT, Dieu, S. 55ff. 158 Protokoll des Cimade-Vorstandes vom 10.6.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Für die Gemeinde in Gurs vgl. M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 82. 159 Vgl. die Briefe Schmidts an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 160 E. SCHMIDT, Dieu, S. 72f. (Übersetzung U. G.).

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Erst unter den besonderen Bedingungen der Internierung war die im Alltag ständig erlebte Diskriminierung in einem männlich dominierten Berufsfeld aufgehoben. In dieser mit Schrecken besetzten Gegenwelt hinter dem Stacheldraht konnte Schmidt daher eine größere ‚Freiheit‘ empfinden als während ihrer Tätigkeit in der ‚freien‘ Welt, in der sie in den überkommenen Rollenvorstellungen gefangen war. Dennoch wurden ihr, vielleicht in dem Maße, in dem die ‚normale‘ Welt mit dem Foyer Einzug ins Lager halten konnte, auch wieder Vorurteile entgegengebracht. So kritisierten die internierten Mitarbeiter im CimadeTeam, dass sie „nicht weiblich genug“ sei und sprachen mit diesem gegenüber gebildeten Frauen üblichem Sexismus vermutlich auch einen Vorbehalt gegen ihre Ausübung eines traditionell männlich definierten Amtes aus.161 Und während sich André Morel solidarisch mit seiner Berufskollegin zeigte, bestand zwischen Jeanne Merle d’Aubigné und Elisabeth Schmidt ein sehr gespanntes Verhältnis, das von seiten der älteren in dem Wunsch gipfelte, Schmidt möge endlich ihr genre pasteur, ihre pastorale Art abstreifen, dann könnten alle Schwierigkeiten gelöst werden.162 4.5.2.3 Die Teamarbeit der Cimade als Emanzipationskonzept Für Madeleine Barot war es zuallererst eine Frage „der physischen und noch mehr der seelischen Widerstandskraft angesichts der überwältigenden Aufgaben“, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht allein in die Lager entsendet wurden.163 Ohne die Gemeinschaft im Team war ein Tag kaum zu überstehen, an dem sich die Todesfälle aufgrund von Hunger und Kälte häuften und an dem die Frauen und Männer der Cimade angesichts der geringen Hilfsmöglichkeiten oft mutlos wurden. Vorträgen aus den 1950er Jahren ist jedoch zu entnehmen, dass diese Arbeitsweise im Team für Madeleine Barot noch weitergehende Bedeutung hatte. Gruppenleiter wurden in keinem Team bestimmt, sondern die Cimade-Mitglieder, die sich zufällig in einem Lager zusammenfanden, mussten gemeinsam ihr Vorgehen abstimmen, Arbeitsfelder aufteilen und über die weitere Entwicklung beraten. Damit ging die Cimade neue Wege in der Zusammenarbeit, die sich von den traditionellen hierarchischen Strukturen klar unterschieden. Madeleine Barot hat darin, wie bereits ausgeführt, ein Konzept zur Emanzipation erkannt.164 In diesem partnerschaft161 Morel an Barot vom 20.11.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Récébédou, Übersetzung U. G.). 162 Merle d’Aubigné an Barot vom 6.10.1941 (EBD., Heft Gurs). 163 M. BAROT, Bereitschaft, S. 81 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 66). 164 Vgl. oben Kapitel 2.4, S. 80ff..

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lichen System sollten weder ein bestimmtes Geschlecht, noch Alter oder Bildung einen Anspruch auf Führungspositionen begründen können. Auf die Frage nach den Beziehungen zwischen den Frauen als den wesentlichen Gestalterinnen der Cimade-Arbeit geben die Briefe nur gelegentlich Auskunft.165 In ihnen standen Berichte über das Leben im Foyer und organisatorische Fragen etwa nach neuen Lebensmittel- oder Kleiderlieferungen im Vordergrund. Die Kooperation im Team wurde im wesentlichen dann thematisiert, wenn es Konflikte gab. Immerhin wurde aus diesen Krisensituationen heraus das Konzept der Teamarbeit insgesamt positiv beurteilt. Françoise Rennes fühlte sich trotz der Abgeschlossenheit des Lagers aufgrund des Lebens in der Gruppe nicht isoliert, und Jeanne Merle d’Aubigné lobte die „offenen und freien Beziehungen“ unter den Mitarbeiterinnen der Cimade, die sich grundlegend von ihren bisherigen Arbeitsverhältnissen in wesentlich von Frauen bestimmten Hilfswerken unterschieden.166 Gleichzeitig hat es indessen in der Zusammenarbeit unter den Frauen erhebliche Schwierigkeiten gegeben. So konnten weder Elisabeth Perdrizet und Françoise Rennes in Rivesaltes noch Jeanne Merle d’Aubigné und Elisabeth Schmidt in Gurs spannungsfrei im Lageralltag wirken, und ähnliche Probleme traten auch zwischen Laurette Monet und Jeanne Sénat in Nexon auf. Hier zeigte sich, dass die Teamarbeit neben ihrer entlastenden Funktion auch neue Spannungen erzeugen konnte. Wenn sich die Teammitglieder sympathisch waren, war das Miteinander hilfreich. In Situationen hingegen, in denen sehr unterschiedliche Persönlichkeiten wie Perdrizet oder Rennes auf einer gleichberechtigten Basis harmonisieren sollten, entlud sich der psychische Stress innerhalb des Teams, anstatt hier aufgefangen zu werden.167 Besonders schwierig wurde diese Arbeitsweise für Frauen wie Merle d’Aubigné und Schmidt, die sich als Sozialarbeiterin und Pastorin in ganz unterschiedlichen Berufen eine Position erarbeitet und Autorität erworben hatten, was vermutlich grundlegend zu ihrer Konkurrenzbeziehung beigetragen hat.168 Mit der Aufnahme von Männern seit Sommer 1941 kann das Teamkonzept auch hinsichtlich der Beziehungen zwischen den Geschlechtern untersucht werden. Auskünfte geben Quellen für Gurs und Rivesaltes sowie für den Sommer 1942 auch für Récébédou, wo jeweils ein männliches Cimade-Mitglied mit einer oder mehreren Frauen ein Team gebildet hat.

165 Vgl. zur Anwendung der historischen Kategorie Geschlecht auf die Beziehungen zwischen Frauen G. BOCK, Geschichte, S. 379. 166 Françoise Rennes an Barot vom 3.11.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes); Merle d’Aubigné an Barot vom 29.10.1941 (EBD., Heft Gurs). 167 Vgl. zu diesem Konflikt André Dumas an Barot vom 21.1.1942 (EBD., Heft Rivesaltes). 168 Brief von André Morel an Barot vom 20.11.1941 (EBD., Heft Gurs).

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Obwohl die Männer über die FFACE den Weg in die Cimade gefunden hatten und aus den studentischen Kreisen die Zusammenarbeit mit gleichaltrigen Frauen kannten, mussten sie „davon überzeugt werden, dass sie auf die traditionelle individuell oder hierarchisch bestimmte Arbeitsweise verzichten könnten“169. Auffallenderweise waren es die Männer, welche die Autorität Madeleine Barots einforderten, als es zu den oben beschriebenen Konflikten in den Teams von Gurs und Rivesaltes kam. Zum Teil versuchten sie sogar mit Verweis auf eine „doppelte Qualität als Mann und Pastor“, in eine herausgehobene Führungsposition eingesetzt zu werden.170 Reaktionen Madeleine Barots haben sich nicht erhalten. Ihre Ausführungen aus den 1950er Jahren zeigen jedoch, dass sie gerade gegen solche Kritik die Möglichkeiten für gleichberechtigte Zusammenarbeit weiter erproben und durchsetzen wollte. Eine Hierarchisierung auf der Basis der Geschlechterdifferenz hat sich daher in den Cimade-Teams zu keinem Zeitpunkt durchgesetzt. Insgesamt erwies sich die Teamarbeit als wegweisendes Konzept, das auch nach dem Ende Vichys und des Zweiten Weltkrieges ein besonderes Charakteristikum der Organisation blieb. Madeleine Barot hat dies, wie beschrieben, als einen befreienden Gegenentwurf zu den herrschenden paternalistischen und hierarchischen Ordnungen in der Kirche bezeichnet.171 Männer und Frauen sollten für eine Änderung des Geschlechterverhältnisses gewonnen werden. Sie sollten gemeinsam dahin wirken, dass das Bild von Kirche als Leib Christi, in dem alle Glieder gleichberechtigt zusammenwirken, in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann. Tatsächlich lässt sich aufzeigen, dass sich weibliche wie männliche ehemalige Mitglieder der Cimade in der Nachkriegszeit in diesem Sinne engagiert haben. So waren Claire Jullien und Charles Westphal als Delegierte der ERF für die 1949 eingesetzte ÖRK-Kommission „Stellung und Arbeit der Frau in der Kirche“ benannt worden.172 André Dumas hat mit dem ÖRK-Departement zur Kooperation von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft unter Madeleine Barot zusammengearbeitet und Artikel für die gesellschaftliche und kirchliche Gleichstellung der Geschlechter verfasst. Für die Anfang der 1950er Jahre in Frankreich gegründete protestantische Frauenorganisation Jeunes Femmes berichtete er von den Projekten der Kommission und stellte das Buch von Kathleen Bliss vor, die eine Umfrage bei mehr als 169 Zitiert aus Madeleine Barots Vortrag „Expériences oecuméniques concrètes“ vom Juni 1958, S. 6 (AÖRK GENF: Departement on the Cooperation of Men and Women in Church and Society, Ordner Madeleine Barot. Speeches and Articles 1954–1966; Übersetzung U. G.). 170 Vgl. oben Anm. 167 u. 168. 171 Vgl. oben Kapitel 2.4, S. 84ff. 172 Vgl. den Überblick über die von der Frauenabteilung organisierten Tagungen bei A. J. VAN DER BENT, Women, S. 3; S. HERZEL, Voice, S. 66f.; 131f. Westphal hatte als Präsident der FFACE während der Kriegszeit dem Leitungskomitee der Cimade angehört.

Ökumenische Gemeinde hinter dem Stacheldraht

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einhundert Kirchen über „Dienst und Stellung von Frauen in den Kirchen“ ausgewertet und analysiert hatte.173 Auch für Marie-Louise Brintet, André Blanchet und Yves Lacaze lässt sich eine Zusammenarbeit mit den Jeunes Femmes aufzeigen.174 Diese Vereinigung war als weiterführende Organisation der UCJF für Frauen entstanden, die sich mit wachsendem Alter von der Arbeit der Christlichen Vereine Junger Mädchen und Frauen nicht mehr angesprochen fühlten, aber in der Phase von Familie und Beruf das starke Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung und Neubestimmung ihrer Rolle als Frauen in der Nachkriegswelt hatten. Die theoretische Arbeit der Jeunes Femmes geschah auf einem hohen Niveau. Ein Artikel von Francine Dumas in der Verbandszeitung aus dem Jahr 1952 berichtet über gemeinsame Studien der Schöpfungslehre Karl Barths in den Bänden III,1 und III,4 der Kirchlichen Dogmatik, außerdem wurden Charlotte von Kirschbaums Veröffentlichung „A la découverte de la femme“ und „Le deuxième sexe“ von Simone de Beauvoir gelesen und diskutiert.175 Mit ihrer Arbeit, die in den 1980er Jahren in die feministisch-theologische Gruppe von Orsay mündete, stellen die Jeunes Femmes eine wichtige Traditionslinie heutiger feministischer Theologie in Frankreich dar.176 Dass Frauen und Männer der Cimade mit ihrem Engagement in verschiedenen Organisationen nach dem Zweiten Weltkrieg einen Anspruch auf geänderte Geschlechterbeziehungen erhoben, ist auch auf ihre gemeinsamen Erfahrungen in der Cimade-Arbeit zurückzuführen.

173 Vgl. die Übersetzung seines Artikels aus der Verbandszeitschrift Jeunes Femmes vom April 1953 unter dem Titel „Two ecumenical studies on woman in the church“ (AÖRK GENF: Department on the Cooperation of Men and Women in Church and Society, Heft History of the Commission and of the Department). 174 Vgl. Jeunes Femmes, Juli–Aug. 1952, S. 24 sowie Nr. 47–48, 1959, S. 69, Nr. 62, 1963. Möglicherweise hindert die Namensänderung infolge von Verheiratung die Identifizierung weiterer Frauen. 175 Vgl. Jeunes Femmes, Ausgabe April–Juni 1952, S. 6f. Bei dem Titel Kirschbaums handelt es sich vermutlich um die Übersetzung ihres 1949 in Zürich erschienen Buches „Die wirkliche Frau“. Kirschbaum war eine enge Mitarbeiterin Barths und wesentlich an der Kirchlichen Dogmatik beteiligt (vgl. R. KÖBLER, Schattenarbeit). Vgl. auch H. ERHART/L. SIEGELEWENSCHKEWITZ, Stufenleiter, S. 144ff. u. Anm. 8. 176 Vgl. M.-T. VAN LUNEN CHENU, Feministische Theologie, S. 87f.; Hinweise auf die Entstehung der Organisation gibt auch J.-P. WILLAIME, Femmes, S. 37f. Die Jeunes Femmes hatten wie die Cimade in den 1950er Jahren ihren Sitz in der Rue Blanche in Paris.

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Die Baracken der Cimade in den Internierungslagern Zum Zusammenleben von Christen und Juden

4.6 Offener Dialog oder Judenmission? Zum Zusammenleben von Christen und Juden in den Internierungslagern 4.6.1 Interreligiöse Begegnung von christlichen und jüdischen Frauen und Männern Vielfältige Zeugnisse berichten über die Kontakte der christlichen Gemeinde mit Juden und Jüdinnen in den Lagern. Nicht nur für die Mitglieder der Cimade, sondern auch für viele protestantische Internierte war es oft der erste Kontakt mit dem Judentum, und es kam hier zu Begegnungen, die außerhalb der Lagerwelt in dieser Zeit beispiellos war. Mit den Bibelarbeiten, den religiösen Festen und der Wahrnehmung der unterschiedlichen Alltagsgestaltung entstand ein interreligiöser Austausch, der vermutlich auch ein Charakteristikum ‚judenchristlicher‘ Gemeinden in nationalsozialistischen Konzentrationsorten wie z. B. im Warschauer Ghetto und in Theresienstadt gewesen ist.177 Christinnen in Rivesaltes, Gurs und Nexon entdeckten, welche Glaubenskraft die jüdischen Internierten trotz ihrer trostlosen Situation ausstrahlten. „Diese Gemeinschaft ist erstaunlich und bemerkenswert: Alle sind solidarisch, solidarisch in der Bewahrung der Gebräuche, . . . in der gegenseitigen Hilfe, solidarisch auch in ihrem großen Leiden und im Exil“, schrieb Françoise Rennes kurz nach ihrer Ankunft in Rivesaltes.178 Der französische jüdische Gemeindebund hatte frühzeitig erkannt, welche Bedeutung die Aufrechterhaltung eines religiösen Lebens als geistige Widerstandshaltung gegen die Trostlosigkeit und Verzweiflung in einem von Hunger, Krankheit und Tod geprägten Gefangenenlager hatte. Sie unterstützten nachdrücklich internierte Rabbiner, damit Gottesdienste in den Lagern stattfinden konnten.179 Im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in denen die jüdische Religionsausübung verboten war und besondere Repressionen bis hin zu Mordaktionen von der SS bevorzugt an jüdischen Feiertagen durchgeführt wurden, förderten die meisten französischen Behörden das kultische Leben in den Lagern. Anlässlich der Feste gab es beispielsweise Anweisungen, die diszi-

177 Vgl. R. HILBERG, Täter, S. 168ff.; zur christlichen Gemeinde im Warschauer Ghetto H.-J. BARKENINGS, Spuren, S. 111ff.; zu Theresienstadt A. GOLDSCHMIDT, Geschichte. Vgl. auch Kapitel 4.1.2 (oben S. 119ff.). 178 Rennes an de Diétrich vom 13.10.1941 (SHPF PARIS: DT Die 2); vgl. auch den Bericht von E. SCHMIDT, Dieu, S. 71. 179 Vgl. R. S. KAPEL, Rabbin, S. 45; A. GRYNBERG, Camps, S. 264. So wurde z. B. dem neu eingerichteten Lager Masseube im Frühjahr 1943 durch französische Rabbiner eine SeferTorah gestiftet (CDJC PARIS: CCXVIII–18a).

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plinarischen Auflagen zu lockern, damit größere Versammlungen ermöglicht werden konnten.180 Zeugnisse der Cimade-Mitglieder anlässlich des christlichen Weihnachten und des jüdischen Chanukka wiesen bereits darauf hin, dass vor allem diese aus dem Lageralltag herausgehobenen Zeiten Anlass zu Kontakten boten. Vor allem die Bedeutung der Herbstmonate im jüdischen Festjahr prägte sich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Cimade ein. So kam das Team in Rivesaltes dem Wunsch des Lagerrabbiners nach und schloss das protestantische Foyer im Ilôt B anlässlich der jüdischen Neujahrsfeiern im September 1941. Der größte Saal in der Baracke wurde für diese Tage wie vermutlich auch für Yom Kippur und das Laubhüttenfest in eine zusätzliche Synagoge umgewandelt.181 Zu den dabei stattfindenden Gottesdiensten waren die Mitarbeiterinnen des Foyers ebenso willkommen wie zu den Chanukka-Feiern im darauffolgenden Dezember. Der Rabbiner habe bei seiner Einladung „wahrhaft ökumenische Worte“ gefunden, berichtete André Morel in Gurs, und Elisabeth Perdrizet schrieb zur selben Zeit aus Rivesaltes: „Mit den Weihnachtsfeiern und dem jüdischen Fest von Chanukka ist bei uns ein wahres Aufleben zu verzeichnen, . . . Konzerte und Weihnachtsbaumfeiern folgen einander ohne Pause, gestern haben wir den ganzen Tag das israelitische Fest gefeiert“.182 Auch in den Baracken war dieses friedvolle Miteinander zu verspüren. Else Liefmann lernte im Lager die Bedeutung von Chanukka für Widerstand und Befreiung des jüdischen Volkes kennen. Sie machte im Rückblick auf ihre Lagerzeit deutlich, dass von beiden Festen Zeichen gemeinsamer Hoffnung ausgingen: „Die Chanukkalichter sind ein Symbol für die Errettung aus der Gefahr und den dunklen Tagen der Knechtschaft vor weit über zweitausend Jahren. So brannten denn in den armseligen Baracken in Gurs an diesen Dezemberabenden die christlichen und die jüdischen Lichter einträchtig nebeneinander und erhellten mit ihrem Schein so manches verzagende Herz.“183

Es ist indessen auffallend, dass sich für Begegnungen zur Pessach- oder Osterzeit keine Hinweise finden lassen. Ob sich dieser Befund auf die 180 Vgl. zur Situation in den deutschen Konzentrationslagern T. RAHE, Jüdische Religiösität, sowie DERS., „Höre Israel“; für die Haltung der französischen Behörden A. GRYNBERG, Camps, S. 265. Eine Ausnahme stellte die repressive Lagerleitung in Rivesaltes dar. 181 Tracy Strong an Barot vom 15.9.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes); Rennes an de Diétrich vom 13.10.1941 (SHPF PARIS: DT Die 2). 182 Perdrizet an Barot vom 18.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes); Morel an Barot vom 17.12.1941 (EBD., Heft Gurs). Übersetzungen U. G. 183 Vgl. M. u. E. LIEFMANN, Helle Lichter, S. 57. Zu Weihnachten und Chanukka in den Baracken vgl. auch das Zeugnis einer ehemaligen Internierten in: AUS NOT UND RETTUNG, S. 70.

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disparate Quellenlage zurückführen lässt und aus diesem Grunde Zeugnisse über solcherlei Kontakte fehlen, lässt sich nicht mehr erheben. Möglicherweise haben sich beide Seiten an diesen besonders sensiblen Festtagen, die im jüdisch-christlichen Verhältnis über Jahrhunderte durch besonders grausame Ausschreitungen der Christen sowie große Pogromängste der jüdischen Gemeinden geprägt gewesen waren, Zurückhaltung auferlegt. In dem Zusammenleben mit Juden und Jüdinnen lernten die protestantischen Insassen auch, welche Bedeutung der Shabbat hatte und welche Ausstrahlung von diesem wöchentlichen Ruhetag ausgehen konnte. „Diese Freitagabendfeiern hatten für mich etwas Ergreifendes“, erinnert sich Martha Liefmann. „Ich verstand die Worte nicht, aber das Singen der schönen hebräischen Lieder, und vor allem die Andacht und die Freude auf allen Gesichtern waren schön im Grau der Tage . . . Da mir der jüdische Kultus ganz neu war, habe ich vieles mir Unbekannte gesehen und gelernt, und das Sabbatlied, dessen Melodie ich leise mitzusingen pflegte, ist mir noch heute im Gedächtnis.“184

Als Protestantin half Martha Liefmann den jüdischen Gefährtinnen zudem, das Ruhegebot einzuhalten, indem sie das Licht löschte oder Briefe öffnete. Auf der anderen Seite konnten die protestantischen Barackenbewohnerinnen jedoch auch erstmals erkennen, was es bedeutete, als kleine Minorität in einer Mehrheitsgesellschaft mit anderen religiösen Gebräuchen zu leben. So freute sich eine Internierte nach dem Verlassen von Gurs vor allem über die wiedergefundene Sonntagsruhe, die sie an diesem jüdischen Alltag während ihres Lagerlebens nicht hatte erwarten können.185 In besonderer Weise bezeugen die Shabbaterlebnisse von Laurette Monet in Nexon die Nähe zwischen Juden und Christen im Lager. Sie hatte beobachtet, wie die betagte Frau Marx an jedem Samstag von ihrem Sohn Siegfried ihre Shabbatfreude bereitet bekam. Er las ihr aus angeblichen Briefen der älteren Söhne vor, die befreit seien und sich von den USA aus um ihre Emigration bemühten. Laurette Monet wusste jedoch, dass diese zwei Brüder bereits die Deportationszüge hatten besteigen müssen: „Später erklärte mir Siegfried: Am Samstag ist Sabbat und an diesem Tag musste ihr Herz von Frieden erfüllt sein.“ Als Siegfried Marx im Februar 1943 selbst auf der Deportationsliste stand, trug er der christlichen CimadeMitarbeiterin auf, diese Fiktion weiterhin aufrechtzuerhalten. Eine Fotografie des Sohnes am Deportationszug sollte der Mutter als Beweis für 184 Ihr Bericht in M. u. E. LIEFMANN, Helle Lichter, S. 66. Vgl. auch die Shabbat-Schilderung von J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 112 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 99). 185 Brief von Lili Reckendorf aus dem Cimade-Heim Coteau Fleuri vom Juli 1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R).

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seine Reise in die Freiheit dienen und Laurette Monet wurde auf diese Weise zu einer Shabbat-Dienerin im Schatten der Shoah.186 Aus diesen Zeugnissen wird deutlich, dass in den Internierungslagern ein Miteinanderleben von jüdischen und christlichen Menschen verschiedener Nationalitäten möglich war, das von gegenseitiger Achtung und von Offenheit gegenüber dem anderen Glauben geprägt gewesen ist. Adolf Freudenberg sah im Rückblick 1969 hier das in Psalm 133 gelobte „einträchtige Beieinanderwohnen“ verwirklicht und stellte die ökumenische Dimension dieser Begegnung zwischen Synagoge und Kirche heraus.187

4.6.2 Taufunterricht für Juden und Jüdinnen Allerdings geriet die Cimade in einen Konflikt, als sie sich nicht auf einen offenen Dialog beschränken wollte, sondern sich als Evangelisationsbewegung auch an Juden und Jüdinnen wandte. Bereits in den im April 1940 im französischen Amtsblatt veröffentlichten Statuten hatte die Cimade Evangelisation als ein Ziel ihres sozialen Engagements beschrieben. Sie handelte daher gemäß ihrem Selbstverständnis, als sie die christliche Botschaft nicht nur den Lagerinsassen verkündete, die als Kommunisten und Atheisten dem Glauben an einen Gott fern standen, sondern auch gegenüber jüdischen Inhaftierten. Noch auf der Sitzung des Cimade-Vorstandes im Juli 1942 wurden die Möglichkeiten für eine Judenmission thematisiert. Im Protokoll wurde vermerkt, dass es „unabdingbar ist, die Methoden der Evangelisation vor allem gegenüber den Juden zu überdenken“. Zu diesem Zweck wurde auf der Versammlung vorgeschlagen, in Kontakt zu katholischen oder ausländischen Organisationen zu treten, die sich „auf die Evangelisation von Juden spezialisiert haben“.188 Die vorhandenen Quellen jüdischer wie christlicher Provenienz, die dieses empfindliche Thema dokumentieren, beziehen sich nahezu ausschließ186 L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 112ff. (Übersetzung U. G.). Ein Siegfried Marx, geb. 1898 in Mosbach, verließ das Pariser Sammellager Drancy am 4.3.1943 mit dem Transport Nr. 50 in Richtung des Vernichtungslagers Maidanek (vgl. B. VORMEIER, Deportierungen, S. 91). 187 Vgl. A. FREUDENBERG, Im freien Genf, S. 58 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 60). Zur Ökumene als Gemeinschaft von Judentum und Christentum vgl. auch F.-W. MARQUARDT, Hermeneutik, S. 150. Marquardt macht darauf aufmerksam, dass Ökumene ohne die Juden unvollständig, ja theologisch gesehen noch gar nicht konstituiert sei. 188 Handschriftliches Protokoll der Vorstandssitzung vom 1.7.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Conseil, . . . approches politiques, échanges COE, YMCA], Übersetzung U. G.). Zu den Statuten vgl. die Sammlung „Cimade. Statuts“ (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Comités coordination Cimade 1939–1990, conseils Cimade).

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lich auf Gurs. Hier fand seit April 1941 eine wöchentliche Unterweisung von Katechumenen statt, die durch Pastoren erteilt wurde. Den Erinnerungen von Jeanne Merle d’Aubigné zufolge war dieser Kurs auf Wunsch der Aspiranten eingerichtet worden.189 Das würde bedeuten, dass die Cimade auf Bitten der späteren Konvertiten reagierte und nicht aus eigener Veranlassung zum Taufunterricht einlud. Nach den Briefen Maria Krehbiels, die für diesen Kreis bis zum Dezember 1941 als Dolmetscherin tätig war, umfasste der Unterricht im wesentlichen ein grundlegendes Bibelstudium, das mit dem Ersten Testament einsetzte und im Oktober 1941 bei den Propheten angelangt war.190 Acht Teilnehmende dieses Kurses sprachen in einem Gottesdienst am Ostersamstag 1942 in Gurs das Glaubensbekenntnis und ließen sich taufen.191 Zu ihnen zählten die aus Baden-Baden deportierte Martha Besag geb. Wolff mit zweien ihrer erwachsenen Töchter sowie ihrer Mutter Anna Wolff und die aus Berlin stammende Ursula Flatow.192 Nach Ostern wurde der Katechumenenunterricht bis zum Sommer 1942 mit neun neuen Mitgliedern fortgesetzt.193 Die Konvertiten sind in der Eigenständigkeit und Ernsthaftigkeit ihrer Entscheidung für den Übertritt zu einer anderen Glaubensgemeinschaft ernst zu nehmen. Die wenigen Zeugnisse, die sich von den Täuflingen erhalten haben, sprechen davon, dass dieser Schritt den Betreffenden geholfen hat, die Zeit der Internierung zu ertragen und trotz ihrer demütigenden Situation als gesellschaftlich Ausgestoßene einen neuen Lebenssinn zu finden. „Am Karfreitag 1942 schließlich, nachdem ich zweieinhalb Jahre in Gurs war, ließ ich mich von Pastor Rennes taufen“, berichtet Ursula Flatow. „Das war für mich etwas ganz Schönes, Großartiges. Ich weiß

189 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Gurs. La faim, S. 70. Dieser vom Taufunterricht der Cimade handelnde Abschnitt findet sich nicht in der von A. FREUDENBERG edierten deutschen Ausgabe der Erinnerungssammlung von 1969 bzw. der Neuausgabe von 1985. 190 Vgl. M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 60, 65 u. 93 (22.4.; 22.5. und 2.10.1941). 191 Artikel aus dem Kirchenboten für das reformierte Volk des Aargau Nr. 7/52 vom Juli 1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten. Alphabetical Correspondence H). Am Palmsonntag wurden außerdem zwei Neugeborene getauft, über die Bekenntniszugehörigkeit der Eltern liegen keine Hinweise vor. Keine Belege lassen sich zu protestantischen Taufen finden, die nach der Erinnerung von Ruth Lambert, einer Sozialarbeiterin des OSE, am Karfreitag 1941 stattgefunden hätten (vgl. dazu A. GRYNBERG, Camps, S. 268). Die Zahl von zehn Taufen gibt auch ein Arbeitsbericht der Cimade von Ende 1944 an, der sich insgesamt durch genaue Detailkenntnis ausweist („Parlons de la CIMADE“, S. 2, CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique 1939–1950, Ordner Cimade, orientations et programmes d’action 1939–1980). 192 Zu den Besags vgl. M. KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Briefe, S. 175 (26.3.1942); zu Flatow EBD., S. 181 (Ostermontag 1942) und Flatows Bericht in: H. MALINOWSKI-KRUM, Thesen, S. 191f. 193 Vgl. Kirchenbote für das reformierte Volk des Aargau Nr. 7/52 vom Juli 1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten. Alphabetical Correspondence H).

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noch, dass ich eine Karte an meine Eltern schrieb: ‚Nun habe ich die Kraft, auf Euch zu warten‘.“194 Eine andere Konvertitin schilderte ihre Empfindungen bald nach Ostern 1942 in einem Brief an Verwandte in ähnlicher Weise: „Es ist schwer, Euch den Eindruck dieses Tages zu beschreiben. Das Erlebte lässt sich nicht in Worte fassen. Ich kann nur sagen, dass ein ruhiges Glück und eine tiefe Zufriedenheit unser ganzes Wesen erfüllten.“195 Dass das Team in Gurs hier einen höchst sensiblen Bereich der interreligiösen Koexistenz im Lager betreten hatte, wurde indes bald an den Reaktionen von jüdischer Seite deutlich. Dem Bericht Jeanne Merle d’Aubignés zufolge suchte ein französischer Rabbiner im Sommer 1942 in eigener Person André Morel auf und bat ihn, Abstand von einer christlichen Unterweisung jüdischer Konversionsaspiranten zu nehmen. Nach der Erinnerung der Cimade-Mitarbeiterin bezog sich dieser hohe Geistliche dabei auf die Lagerinsassen, die sich durch einen Übertritt zum Christentum Schutz vor weiterer Verfolgung und einem drohenden Abtransport in den Osten erhofften. „Er flehte Morel nahezu an, niemanden mehr für die sagte, dass es nicht anständig sei, auf diese Weise von zu profitieren: Konversionen dieser Art hätten nichts die Juden in Gegensatz zu ihrem Gesetz bringen und Glaubensgenossen kompromittieren.“196

Taufe vorzubereiten. Er der Aufregung im Lager Ernsthaftes, sie würden sie vor den Augen ihrer

Zusätzlich zu diesem Erinnerungsbericht liegt ein Protokollauszug einer Sitzung jüdischer Geistlicher in der Flüchtlings- und Interniertenseelsorge vom 7. und 8. Juli 1942 vor. Auf dieser Sitzung äußerte der Rabbiner Kapel deutliche Kritik an den durch die Cimade vollzogenen Taufen. Er habe bei den Behörden („autorités“, gemeint war vielleicht die Lagerleitung) und bei dem Pastoren Protest eingelegt. Es sei nicht hinnehmbar, Menschen 194 Zitiert aus einem Interview mit Flatow in: H. MALINOWSKI-KRUM, Thesen, S. 191f. Die Eltern Flatows überlebten die Besatzungszeit in der Nordzone. Jacques Rennes konnte als protestantischer Pastor der Pyrenäengemeinde Sauveterre-de-Béarn in unregelmäßigen Abständen Gurs besuchen. 195 Der Brief wird zitiert in dem Artikel im Kirchenboten für das reformierte Volk des Aargau (vgl. Anm. 191). Der anonym zitierte Auszug stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von Martha Besag, da drei Generationen einer Familie erwähnt werden, die die Taufe angenommen hätten. Martha Besag war gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren Töchtern Trude, Ida, Hilde und Lotte in Gurs interniert, die Familie hatte sich, wie aus verschiedenen Erinnerungszeugnissen deutlich wird, eng an die protestantische Gemeinde angeschlossen (vgl. den ausführlichen Bericht von Besag unter dem Titel „24 Bilder aus dem Leben einer Internierten“ im AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence A–B). 196 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Gurs. La faim, S. 70 (vgl. dazu auch oben Anm. 189). Vgl. auch A. GRYNBERG, Camps, S. 268. Zum Übertritt von Juden zum Christentum in der nationalsozialistischen Verfolgungszeit vgl. auch R. HILBERG, Täter, S. 169f.

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zu konvertieren, die interniert sind. Die Frage werde auch Pastor Boegner vorgelegt werden.197 Tatsächlich erzählt Jeanne Merle d’Aubigné auch in ihrem Bericht von einem Gespräch zwischen Morel und Boegner. Mit Hilfe des zitierten Protokolls kann die Darstellung von Merle d’Aubigné zeitlich genauer eingeordnet werden. Die Rabbinerkonferenz hebt nicht ab auf drohende Deportationen, die Anfang Juli 1942, also vor den großen Razzien in der Nordzone und dem brutalen Menschentreiben in Paris vermutlich noch nicht den Lageralltag bestimmt haben, sondern verweist allgemein auf die besondere Situation von Menschen in der Internierung. Den Rabbinern ging es offenbar um eine grundsätzliche Kritik am Vorgehen der Cimade, und sie wollten ihr entschiedenes Unbehagen auch dem ranghöchsten Vertreter der protestantischen Kirchen mitteilen. Wie ist es zu bewerten, dass die Cimade Jüdinnen und Juden den Übertritt zum Christentum ermöglicht hat? Ist eine Beurteilung überhaupt möglich, die nicht über die Beweggründe der verschiedenen Parteien hinweggeht und die sie in ihren Entscheidungen ernst nimmt? Die von jüdischer Seite geäußerte Kritik gibt einen Hinweis darauf, dass das Vorgehen der Cimade als ein Ausfluss jener christlichen Dominanzkultur gesehen werden konnte, die über Jahrhunderte Juden unter Zwang oder freiwillig zum Glaubenswechsel gebracht hat. Der jüdischen Gemeinde gelten sie als verloren. Auf der anderen Seite ist anzuerkennen, dass Menschen auf ihrem individuellen Lebensweg in einer bestimmten geschichtlichen Situation die Entscheidung treffen, ihre bisherige Gemeinschaft zu verlassen. Die zitierten Quellen zeigen auf, welche Bedeutung dieser Schritt für Martha Besag wie für Ursula Flatow gehabt hat. Schließlich muss die Cimade als die Organisation betrachtet werden, die dieses ermöglicht hat. Hätten ihr in ihrer Situation andere Möglichkeiten offen gestanden? Lässt sich erklären, warum sie solche Möglichkeiten nicht für sich akzeptieren konnte? Es ist hervorzuheben, dass sich die Cimade Zurückhaltung im Blick auf Nichtchristen auferlegt hat und darauf bestand, dass sich die Aspiranten in einer wöchentlichen Unterweisung offenbar über ein Jahr auf die Taufe vorbereiteten. Konversionen sollten nur durchgeführt werden, wenn auf seiten der Katechumenen eine tiefe und echte Überzeugung vorlag.198 Im Vordergrund der Cimade-Arbeit stand das soziale Engagement, eine Teilnahme an den kirchlichen Veranstaltungen der protestantischen Gemeinde war in keiner Weise verpflichtend, und das Angebot an kulturellen Aktivitäten, den Lesungen, Konzerten, der Bücherei galt allen Lagerinsassen, 197 Protokoll einer Sitzung jüdischer Geistlicher in der Flüchtlings- und Interniertenseelsorge vom 7. u. 8.7.1942 (CDJC PARIS: CCXIX–5). Bei dem Pastor handelte es sich vermutlich um André Morel. 198 Diese Bedingung wird in verschiedenen Erinnerungsberichten hervorgehoben (vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Gurs. La faim, S. 70; E. SCHMIDT, Dieu, S. 73).

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ohne dass das Team mit diesem Angebot missionarische Absichten verbunden hätte. Diese absichtslose Hilfe wurde von der politischen Internierten Hanna Schramm in ihren Erinnerungen besonders hervorgehoben.199 Mit ihrer Betreuung taufwilliger Juden und Christen jüdischer Herkunft erinnert die Cimade an die Judenmissionsgesellschaften im nationalsozialistischen Deutschland, die bis Mitte der 1930er Jahre eine Zufluchtsstätte für verfolgte Christen jüdischer Herkunft darstellten. Im 19. Jahrhundert gegründet, zeichneten sich diese Gesellschaften durch eine große Nähe zum Judentum aus und konnten bereits auf eine lange Tradition sozialer Fürsorge zurückblicken. Dennoch sind wichtige Unterschiede hervorzuheben. Wer sich von christlicher Seite im Reichsgebiet Konversionswilligen öffnete und Taufen durchführte, sah sich massiver Schmähung und Verfolgung etwa durch nationalsozialistische Pressekampagnen ausgesetzt. Innerhalb der deutschen evangelischen Kirchen hatten die Deutschen Christen schon vor 1933 eine entschiedene Position gegen Judentaufen bezogen. Ihre Gründe bezogen sie aus dem nationalsozialistischen Rassismus. Dementsprechend musste ihrer Auffassung nach die deutsche Kirche vor dem fremden jüdischen Volk bewahrt werden.200 Wer in dieser Situation den Mut fand, Juden mit der Taufe in die christliche Gemeinschaft aufzunehmen, gab damit ein deutliches und mutiges Signal gegen staatlichen Antisemitismus wie gegen antisemitische Strömungen innerhalb der Kirche. Für das Frankreich des Vichy-Regimes liegen bisher keine Hinweise auf staatliche oder kirchliche radikale und rassistisch begründete Abwehr jüdischer Konversionen zum Christentum vor. Es gab keine einflussreiche regimetreue Gruppierung vergleichbar den Deutschen Christen, die sich dem Übertritt von Juden zum Christentum aus rasseideologischen Gründen entgegengestellt hätte. Eine Mission unter Juden und Jüdinnen stand hier unter einem anderen Vorzeichen und konnte von den jüdischen Institutionen wie der zitierten Rabbinerkonferenz mit Recht als Antijudaismus empfunden werden. Die Rabbiner wiesen mit ihrer Kritik vor allem auf die besonderen Bedingungen der Lagerinsassen hin und wollten es nicht hinnehmen, „dass Menschen konvertiert werden, die interniert sind“.201 Damit deuteten sie an, dass die Cimade die besondere Situation von Menschen, die Entrechtung und Verfolgung unter besonders extremen Bedingungen erlebten, ausnütze, um sie zum Christentum zu bekehren. Diese Einwände sind zu bedenken. Die Anerkennung der Juden und Jüdinnen als Gottesvolk, das biblische Zeugnis von der Unauflöslichkeit des Bundes Gottes 199 Vgl. H. SCHRAMM, Menschen, S. 104f. 200 Zu den Judenmissionsgesellschaften vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 1/I, S. 281ff.; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Judenfrage, S. 302f. 201 Vgl. Anm. 197.

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mit Israel werden bestritten, wenn Christen missionarische Absichten mit ihrem Zugehen auf Israel verbinden. In den Thesen von Pomeyrol hatten auch Cimade-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter diese Treue Gottes zu seinem Volk zum Ausdruck gebracht und sich dazu bekannt. Zwar kann eingewendet werden, dass die christlichen Kirchen sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg und unter dem Eindruck der Shoah in einem langwierigen und heute noch nicht abgeschlossenen Lernprozess von der Judenmission zu lösen versuchten und versuchen.202 Dennoch zeigt die von der Rabbinerkonferenz 1942 mit Zustimmung aufgenommene Haltung des katholischen Abbé Glasberg auf, dass der Cimade in ihrer Zeit andere Wege offen gestanden hätten. Glasberg hatte Taufaspiranten auf die Zeit nach einer Befreiung aus dem Lager verwiesen, den Mitgliedern seines Hilfswerkes Missionierungsversuche in Gurs untersagt und jüdischen Angaben zufolge übereifrige katholische Mitarbeiter aus Gurs abgezogen.203 Warum hat die Cimade diese Möglichkeit für sich nicht wahrgenommen? Hier muss Bezug genommen werden auf den größeren geschichtlichen Zusammenhang der Bedeutung von Evangelisation und Mission in den ökumenischen Weltjugendorganisationen der 1930er und 1940er Jahre. In Frankreich hatte das CIM noch 1936 ein eigenes Gremium für Missionsarbeit an Jugendlichen geschaffen, die Commission Missionnaire des Jeunes (CMJ). Auch in der im September 1941 abgegebenen Erklärung der fünf Jugendorganisationen war die „Evangelisation der französischen Jugend“ als vorrangiges gemeinsames Ziel beschrieben worden.204 Vor diesem Hintergrund erklärt sich das eingangs genannte Selbstverständnis der Cimade als Evangelisationsbewegung. Die Frage, ob eine christlich motivierte Sozialarbeit mit einem religiösem Engagement verbunden werden durfte, wurde allerdings bereits in dieser Zeit intensiv diskutiert und war selbst innerhalb des WSCF strittig. Die Cimade hatte bereits Kritik durch Donald Lowrie von der YMCA erfahren, der seine Skepsis gegenüber der christ202 Vgl. zu diesem Prozess H. KREMERS, Judenmission; P. G. ARING, Judenmission. Vgl. in jüngster Zeit die Versuche des „Evangeliumsdienstes für Israel“ zur Mission unter aus Russland nach Deutschland eingewanderten Juden und die Proteste der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 1999 gegen diese Bekehrungsversuche (epd–Mitteilung „Ein ‚Nein zur Judenmission‘“[Junge Kirche 60, 1999, S. 235], sowie die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag „Nein zur Judenmission!“ [Ebd., S. 317]). 203 Vgl. H. SCHRAMM, Menschen, S. 136. Glasberg stammte aus der Ukraine und war, vermutlich als Kind, selbst vom Judentum zum Christentum konvertiert (vgl. L. LAZARE, L’abbé Glasberg, S. 19ff.). Vgl. außerdem das in Anm. 197 angegebene Protokoll der Rabbinerkonferenz. 204 Vgl. A.-J. MENDEL, Les mouvements, S. 188; außerdem ein Versammlungsprotokoll des CMJ vom 16.11.1940 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). Die im September 1941 abgegebene Erklärung (note jointe) ist abgedruckt in: CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Nov./Dez. 1941, S. 53–57 (vgl. die Übersetzung im Anhang, unten S. 312).

Zum Zusammenleben von Christen und Juden

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lichen Gemeindearbeit in Rivesaltes und in Gurs geäußert hatte. In dieser Diskussion stand die Cimade nach der Auffassung von Suzanne de Diétrich exemplarisch für ein Konzept der „positiven Neutralität“. Die Ökumenikerin verstand darunter ein Engagement, das nicht im Geist des Proselytismus in einem engen und exklusiven Sinn stattfindet. Materielle und kulturelle Hilfe sollte allen zugute kommen und dabei kein Druck auf diejenigen ausgeübt werden, die sich an den „religiösen Aktivitäten“ nicht beteiligen wollten. Offen wollte die Cimade jedoch gegenüber Konversionsgesuchen sein, die einer wirklichen und tiefen Überzeugung entsprächen und einen langwährenden Taufunterricht auf sich nehmen wollten.205 Ein soziales Engagement im Sinne der katholischen Glasberg-Gruppe, das sich jeglichen missionarischen Anspruches enthielt, wurde von Suzanne de Diétrich dagegen als „negative Neutralität“ bezeichnet. Indessen zeigen Quellenhinweise, dass die Cimade in dieser Zeit bereits in einen theologischen Reflexionsprozess hinsichtlich dieses Problems eingetreten war. Für ein Komitee der französischen Jugendorganisationen ist dies kaum überraschend, denn das Verhältnis zum Judentum wurde auf deren Tagungen wiederholt diskutiert und biblisch erarbeitet. Im Frühjahr 1942 war dazu beispielsweise der Theologe Wilhelm Vischer eingeladen worden.206 André Dumas und Madeleine Barot hatten die Thesen von Pomeyrol zum Verhältnis von Kirche und Staat im September 1941 debattiert und mitverabschiedet, in denen Israel als das auserwählte Volk Gottes anerkannt und als ständiger Zeuge des Geheimnisses seiner Treue bezeichnet worden war.207 So nahm auch auf dem Treffen der Teammitglieder im Januar 1942 in den französischen Alpen die Arbeit über neutestamentliche Schlüsselstellen zum jüdisch-christlichen Verhältnis breiten Raum ein. An mehreren Vormittagen diskutierten die Männer und Frauen der Cimade unter der Anleitung von Suzanne de Diétrich über Abschnitte aus den Kapiteln 1 und 2 des 1. Korintherbriefes sowie über den locus classicus der paulinischen Israellehre in den Kapiteln 9, 10 und 11 des Römerbriefes.208 Suzanne de Diétrich hatte diese Abschnitte offenbar unter 205 Vgl. dazu einen ausführlichen Brief von de Diétrich an Harry Johansson in Schweden vom 1.9.1943 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/4). Diese absichtslose Hilfe hat auch die ‚politische‘ Internierte Hanna Schramm in ihren Erinnerungen an die Cimade hervorgehoben (vgl. H. SCHRAMM, Menschen, S. 104f.). Vgl. auch J. MERLE D’AUBGINE, Gurs. La Faim, S. 71; E. SCHMIDT, Dieu, S. 73). 206 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 6.2.1 (unten S. 226ff.). Ebd. auch zur Bedeutung von Wilhelm Vischer und Suzanne de Diétrich in diesem Reflexionsprozess. 207 Vgl. die Auslegungen zur siebten These unten S. 237f. 208 Dem Tagungsprogramm (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II) zufolge wurden die Abschnitte 1. Kor 1, 17–25 und 1. Kor 2, 6–3,9 thematisiert, außerdem in drei weiteren Sitzungen Röm 9, 1–29, Röm 9,30–10,20 sowie Röm 11. Vgl. auch H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 172. Aus dem Briefwechsel der Teams mit Madeleine Barot lässt

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bewusstem Bezug auf die Erfahrungen der Cimade in den Lagern ausgewählt und berichtet von „very interesting discussions on the approach to the Jews and on the approach to the communists“.209 Leider liegen keine detaillierteren Berichte über die Auseinandersetzung vor, die sich z. B. an 1. Kor 1,17 entzündet haben könnte („denn Christus hat mich nicht gesandt, zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen“). Das hier Bedachte war den Teilnehmenden allerdings so wichtig, dass sie es nach ihrer Rückkehr in die Lager in die Diskussionen mit jüdischen wie christlichen Besucherinnen und Besuchern der Foyers einbrachten.210 Zu einer grundsätzlichen Abkehr der Cimade von der Judenmission führten diese Reflexionen jedoch erst in der Nachkriegszeit. Als Fazit ist herauszustellen, dass die Missionierung an Juden und Jüdinnen zu keiner Zeit und in keinem Lager das eigentliche Handlungsmovens für die Cimade gewesen ist. Entscheidend war für sie die Absicht, den leidenden und entrechteten Menschen in den Lagern ohne Ansehen ihres Bekenntnisses solidarisch zur Seite zu stehen und ihnen möglichst ihre Würde und Selbstachtung wiederzugeben. Die gegenseitige Achtung und Nähe in der Begegnung mit Juden und Jüdinnen hielt sie jedoch auch nicht davon ab, sich gegenüber denjenigen zu öffnen, die als Konversionswillige die protestantischen Gemeinden in den Lagern aufsuchten. Kooperation oder Kon frontation mit Vichy?

4.7 Die Ambivalenz des Sozialen: Kooperation oder Konfrontation mit Vichy? Die Rekonstruktion des Engagements der Cimade in den Internierungslagern hat gezeigt, wie wichtig diese Solidarität für die dort eingesperrten Menschen gewesen ist. Durch die substanzielle Unterstützung mit Lebensmitteln, durch Bücher, Musik, Predigten und Gemeindearbeit leistete sie faktisch Lebens- und Überlebenshilfe für die Opfer staatlichen Unrechts. Um diese Hilfe möglich zu machen, musste die junge Organisation jedoch die Kooperation mit dem Staat suchen. Das bedeutete, dass sie sich staatlicher Kontrolle und Überwachung unterstellen musste, um ihre Sozialarbeit zu realisieren. Dies erweisen die Quellen nicht nur für die Etablierung der Teams, die oft mühsam errungen werden musste. Auch jeder einzelne Besuch von Madeleine Barot in einem Lager war nur mit einem sich entnehmen, dass bis auf wenige Ausnahmen alle Cimade-Mitglieder zu dem Treffen in Grangettes angereist waren. 209 De Diétrich an Robert C. Mackie vom 23.1.1942 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/4). 210 Dumas an Barot vom 21.1.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes); vgl. auch Merle d’Aubigné an Barot vom 19.1.1942 (EBD., Heft Gurs).

Kooperation oder Konfrontation mit Vichy?

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Berechtigungsschein, einem Laissez-Passer möglich und für jedes Mitglied, das zu einem Team hinzustoßen wollte, musste die Zustimmung der Präfektur für ein Engagement hinter dem Stacheldraht eingeholt werden.211 Wie alle Organisationen im Comité de Nîmes verfasste auch die Cimade regelmäßig Berichte über ihre Arbeit mit den Internierten, die den Behörden in Vichy abzuliefern waren.212 Diese Überwachung bezog sich selbst auf kleinere Details wie z. B. das Programm der Weihnachtsfeiern, das der Lagerleitung vorgelegt werden musste.213 Die Cimade war von der Beachtung dieser Grenzen abhängig, wollte sie den Internierten weiterhin Hilfe bringen. Einzelne Beispiele hatten bereits gezeigt, wie sensibel der Staat auf unerwünschtes Verhalten von Hilfsorganisationen und Einzelpersonen reagierte. So war schon im März 1941 dem protestantischen Pastor Cadier der Zugang zum Lager Gurs verweigert worden, weil er angeblich Briefe von Internierten hinausgeschmuggelt hatte.214 Der Leiter des OSE-Teams in Rivesaltes war im Oktober 1941 aus dem Lager ausgeschlossen worden, ihm wurde Fluchthilfe vorgeworfen.215 Wie weit konnte die Cimade jedoch in ihrer Kooperation gehen? Zu welchem Zeitpunkt war ihr Anliegen, den Unterdrückten zu helfen, durch die notwendige Anpassung an den Staat so weit korrumpiert, dass sie sich mit ihrer Sozialarbeit wie die übrigen im Nîmes-Komitee zusammengeschlossenen Hilfswerke letztlich als eine das Regime unterstützende Organisation präsentierte? Nach den Erinnerungen von Madeleine Barot mussten sich die Mitglieder der Cimade bereits damals fragen lassen, ob die Organisation nicht „die Politik von Vichy akzeptieren und erleichtern würde, indem wir versuchten, die Internierung für die Internierten ein wenig angenehmer zu gestalten.“216 Die Forschungen von Mechtild Gilzmer zeigen, dass diese Zusammenarbeit nicht nur dazu missbraucht werden konnte, den Staat von seiner Verantwortung für unhaltbare Zustände in der Internierung zu entlasten. Sie vergleicht kulturelle Aktivitäten der in-

211 Vgl. z. B. einen Laissez-Passer der Präfektur des Departements Haute-Garonne für Barot für einen Tagesbesuch in Récébédou vom 10.10.1941 (EBD., Heft Récébédou) oder das Faksimile der Ermächtigung für Laurette Monet zum Aufenthalt im Lager (L. ALEXISMONET, Les miradors, S. 32). 212 Protokoll des Nîmes-Komitee vom 23. Mai 1941 (SHPF PARIS: DT Cam); Lowrie an Barot vom 4.11.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Comités Coordination Cimade 1939–1990). 213 Morel an Barot vom 17.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 214 Vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 246f. 215 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 148. 216 M. BAROT, Ethique, S. 348. Vgl. zur Fragestellung auch A. GRYNBERG, Nîmes-Komitee; DIES., Camps, S. 194ff.; H. ECK, Französinnen, S. 234ff. sowie Kapitel 2.3 (oben S. 76ff.).

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ternierten Frauen in Brens vor der offiziellen Einrichtung eines Foyers, das von Cimade und dem Roten Kreuz geführt wurde, mit den dann von der Lagerleitung unterstützten Veranstaltungen der Hilfswerke. Das vorher zu Tage getretene kritische Potenzial gerade politisch links orientierter Lagerinsassinnen hätte sich nun nicht mehr entfalten können.217 Andererseits lassen sich Hinweise finden, denen zufolge die Cimade sich ihrer Abhängigkeit bewusst war und diese kritisch gesehen hat. So wurde im März 1942 die zunehmende „Etatisation“, die Verstaatlichung der Hilfsarbeit in den Lagern, moniert. Das Leitungskomitee hatte gegenüber der in Brens und anderen kleineren Lagern erzwungenen Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz große Vorbehalte, denn dieses Hilfswerk wurde als der Regierung nahestehend wahrgenommen.218 Die Äußerungen im Cimade-Vorstand machen deutlich, dass die Kooperation mit dem Staat zumindest in Frage gestellt worden ist. Jedoch blieb das Engagement bis zum Sommer 1942 an legale Hilfsmaßnahmen gebunden und erst neue Höhepunkte des staatlichen Antisemitismus und der staatlichen Fremdenfeindlichkeit ließen die Cimade darüber hinausgehen. Dabei war das Verhältnis der Cimade zum Staat nicht von Beginn an durch innere Distanzierung geprägt.219 Madeleine Barot beschreibt, wie eng ihre Verbindung zu Mitgliedern der Regierung 1940 und noch 1941 gewesen ist. Sie war sehr gut bekannt mit dem Erziehungsminister Jérome Carcopino, der in den 1930er Jahren wie Barot in Rom tätig gewesen war, übernachtete in seinem Haus, wenn sie der Hauptstadt als Vertreterin der CIM einen Besuch abstattete und erzählte ganz selbstverständlich von ihren Aktivitäten für die Internierten: „Ich hatte noch keine ‚Widerstandshaltung gegen Vichy‘ eingenommen. Wir wollten nur, dass die Sache läuft und dass sich das allgemeine Durcheinander ein wenig legt.“220 Ab Mitte 1941 mehren sich jedoch die Zeugnisse, denen zufolge sich die Cimade-Mitglieder zunehmend als Vertreter und Vertreterinnen eines anderen Frankreichs verstanden. Sie artikulierten Gefühle von Scham und Schande im Anblick dessen, was Vichy den Menschen antut, die im Vertrauen auf die lange französische Asyltradition die Grenzen überschritten hatten oder als Zwangsausgewiesene ins Land gekommen waren. „Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ansehen Frankreichs bei diesen Leuten, die sicher keine Kriminellen sind, vielleicht für mehr als eine Generation zerstört ist“, äußerte das Cimade-Team in Rivesaltes im Dezember 1941 vor den Hilfswerken des Lagers. Die Mitglieder wiesen 217 Vgl. M. GILZMER, Fraueninternierungslager, S. 191. 218 Protokoll der Vorstandssitzung vom 14.3.1942 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 219 Vergleichbar der Haltung des Protestantismus in der ersten Phase des Regimes insgesamt (vgl. F. BOULET, L’évolution, S. 418ff.). 220 Interview mit Madeleine Barot vom 10.1.1986, Blatt 10 (SHPF PARIS: DT Bar).

Kooperation oder Konfrontation mit Vichy?

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darauf hin, dass die von Vichy offiziell geführte Bezeichnung Rivesaltes als Centre d’hébergement angesichts der brutalen Bedingungen im Lager als ein Euphemismus bezeichnet werden müsste.221 Auch in Gurs ging es Elisabeth Schmidt darum, mit ihrem Engagement gegenüber den Internierten „das wahre Frankreich“ von Menschlichkeit und Freiheit zu vertreten.222 Ihre Arbeit in den Internierungslagern verstanden sie nicht als systemkonforme Hilfe, sondern als Ausdruck der Solidarität gegenüber den Opfern eines Staatshandelns. Gleichzeitig bildeten die Tagungen und Freizeiten der Jugendorganisationen die Plattform für eine theoretische Auseinandersetzung mit der staatlichen Politik. Die Programme und Berichte zeigen, dass dabei biblische Reflexion mit Informationen und Diskussionen aktueller politischer Fragen verbunden wurde, darunter vor allem die Haltung gegenüber Fremden und Juden und Jüdinnen.223 Einen Höhepunkt erreichte diese Befragung des Staates auf die Rechtmäßigkeit seines Handelns hin in der Erklärung der Jugendorganisationen vom September 1941. In dieser dem Generalsekretariat für die Jugend im Erziehungsministerium in Vichy überreichten Note jointe präzisierte die CIM, die Mutterorganisation der Cimade, inhaltlich die Bedingungen für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Staat und ihre Umwandlung in einen Conseil Protestant de la Jeunesse und verwahrte sich damit gegen staatliche Vereinnahmungsversuche.224 Deutlich nahmen die Jugendorganisationen hier Stellung gegen Rassismus und Chauvinismus. Ihre Mitglieder sollten lernen, „das Fremde zu verstehen und zu lieben und sich als verantwortliche Glieder der großen menschlichen Gemeinschaft zu verstehen, in der alle Familien, jede in der ihr eigenen Art, zur Harmonie und zum Frieden beitragen müssen. Indem die Organisationen des CPJ in diesem Sinne arbeiten, widersetzen sie sich entschieden allen Versuchen, der Jugend eine Einheitskultur zu geben, die im Dienste eines totalitären Nationalismus steht, der alles verweigert, ausschließt oder hasst, was dem französischen Volk fremd ist. Der berechtigte Stolz, der französischen Nation anzugehören, darf nicht maßlos auf Kosten anderer übertrieben werden.“225

Angesichts der Tatsache, dass die Cimade als das Aktionskomitee der CIM verstanden wurde, dass dieselben Frauen und Männer die Leitungsgremien 221 Bericht vom 10.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam). 222 E. SCHMIDT, Dieu, S. 62 u. 70. 223 Vgl. Berichte in der CORRESPONDANCE FEDERATIVE über eine Reihe in Lyon (Nr. 4, April 1941, S. 45) sowie Tagungsprogramme vom September 1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.19/3 u./4). Vgl. dazu insgesamt auch Kapitel 6.2.1 (unten S. 226ff.). 224 Vgl. zum Entstehungskontext der Erklärung Kapitel 1.2.2 (oben S. 53ff.). 225 Note jointe à la demande d’Agrément du Conseil Protestant de la Jeunesse, S. 2 (AÖRK GENF: 213.11.7.18).

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von CIM und Cimade besetzten, können diese Aussagen als Reaktion auf die Arbeit in den Lagern verstanden werden. Im September 1941 war die Cimade bereits seit einem dreiviertel Jahr in Gurs tätig, kannte das Elend in Récébédou und Rieucros, die furchtbaren Bedingungen in Rivesaltes und erlebte täglich die inhumane Behandlung von Ausländern. Diese Internierungslager waren das sichtbare Symbol für ihren systematischen Ausschluss aus Staat und Gesellschaft, der in der Erklärung angeprangert wird und für den erbarmungslosen Hass, mit dem dieses Unrechtsregime alles verfolgte, was es als fremd und unfranzösisch definiert hatte. Die Erklärung setzt gegen diesen Ausschluss ein humanitäres Ideal, „die volle Humanität, die jeden Menschen umgeben muss, der das Evangelium hört“ und gegen diesen Hass ausdrücklich die Liebe zu jedem Fremden, dem sie als Mitglied der internationalen Gemeinschaft begegnen wollen.226 Die Präsenz der Jugendorganisationen in den Lagern ist als Ausdruck dieser Haltung zu interpretieren. Diese Solidarität mit den Opfern konnten die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Cimade jedoch nur ausüben, wenn sie mit dem Regime zusammenarbeiteten, das für die Entrechtung verantwortlich war. Die Veröffentlichung einer Erklärung, die explizite Ideologiekritik gerade an einer menschenverachtenden Politik beinhaltete, zeigt bereits die Grenze für diese Kooperation auf. Denn obwohl die Jugendorganisationen zunächst Konsequenzen für das Engagement der Cimade befürchtet hatten, ließen sie sich von dieser Stellungnahme gegen die „fremdenfeindliche, antisemitische und ‚kollaborationistische‘ Tendenz in Regierungskreisen“ nicht abhalten.227 Die Cimade reagierte zudem mit großer Aufmerksamkeit auf Änderungen in der Internierungspolitik von Vichy. Auf diese Weise war es ihr ab Frühsommer 1942 möglich, nicht nur in den Lagern auf humanitäre Weise zu wirken, sondern zugleich Internierte in neu gegründete Heime zu überführen und sie damit aus den unerträglichen Existenzbedingungen zu befreien. Sie bewegte sich innerhalb eines staatlich tolerierten Rahmens, ließ sich jedoch nicht zur unreflektierten Konformität verführen. Die Rekonstruktion ihres Einsatzes für die Gründung eigener Aufnahmestätten wird zeigen, wie die kritische Beobachtung und Analyse der staatlichen Leitlinien in der Behandlung von Juden und Jüdinnen, von Ausländerinnen und Ausländern schließlich dazu führten, die Legalität dieser Prinzipien in Frage zu stellen.

226 EBD. 227 Madeleine Barot auf der ECCO-Sitzung in Genf am 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945).

Solidaritätmit Flüchtl ingen

KAPITEL 5 An der Grenze zur Illegalität – Solidarität mit Flüchtlingen in Heimen und Aufnahmezentren

Das Internierungssystem Vichys vom Sommer 1942 bis zur Befreiung im Sommer 1944 stand bisher nicht im Zentrum der Forschung. Die meisten Darstellungen enden mit dem Beginn der ersten Deportationswelle im August 1942 und verfolgen die weitere Entwicklung nicht mehr.1 Doch obwohl sich die großen Internierungslager wie Rivesaltes, Gurs oder Récébédou allmählich leerten und allein im Sommer 1942 mehr als 3.900 Insassen über Drancy in die Vernichtungslager deportiert wurden, befanden sich auch nach diesem Datum noch tausende von Menschen in staatlicher Internierung. Den überwiegenden Anteil bildeten Männer, die weiterhin in den Lagern gesichtet und in Zwangsarbeiterkolonnen (GTE) eingegliedert wurden. Die verbliebenen Lagerinsassen wurden in der Mehrheit in sog. Aufnahmezentren eingewiesen, die bis zum Herbst 1943 die Internierungslager ablösten. Zugleich erhielten die privaten Hilfswerke die Möglichkeit, eigene Heime einzurichten und Eingaben für die Verlegung von Internierten zu machen. Diese Möglichkeit kam jedoch nur einem kleinen Teil der Internierten zugute, und weder in den GTE noch in den staatlichen Aufnahmezentren oder den Heimen waren die Menschen vor weiterer Verfolgung und Deportation geschützt. Humanitä re Ansätze in der Internierungspolitik von Vichy?

5.1 Humanitäre Ansätze in der Internierungspolitik von Vichy? Im September 1941 wurde der ehemalige Präfekt André Jean-Faure zum Leiter der neu gegründeten Generalinspektion der Lager im Innenministerium ernannt. Er suchte die Zusammenarbeit mit dem Nîmes-Komitee, und die in den Lagern wirkenden Organisationen bemerkten bald, dass unter Jean-Faure offenbar veränderte Direktiven in der Internierungspolitik wirksam werden sollten.2 Nach einem Bericht von Madeleine Barot vor dem 1 Umfassend bisher nur C. EGGERS, L’internement. 2 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 235ff.; DIES.; Nîmes-Komitee, S. 479f.

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Solidarität mit Flüchtlingen

ECCO-Komitee in Genf im Dezember 1941 plante er unter anderem, die Lager aufzulösen und eine größere Anzahl kleinerer und daher leichter zu versorgender Internierungszentren einzurichten. Gedacht war an etwa 30 bis 40 Lager, die jeweils 300 bis 500 Personen aufnehmen sollten. Die neuen Zentren sollten aus Backstein-Baracken bestehen und mit individuellen Schlafräumen ausgestattet werden, so dass eine angemessenere Unterbringung ermöglicht werden konnte. Auch hoffte Jean-Faure, dass sich die angespannte Verpflegungssituation bei einer geringeren Anzahl von Lagerinsassen verbessern würde. Daneben sollten Flüchtlinge in die Obhut von Hilfsorganisationen entlassen werden, wenn diese die finanziellen Garantien dafür aufbrachten. Mit diesen Maßnahmen wollte der Leiter der neuen Generalinspektion Madeleine Barot zufolge dem „Skandal“ in den bestehenden Lagern entgegenwirken.3 Diese Absichtserklärung wurde von Barot als Ausdruck einer „humaneren“ Einstellung Jean-Faures gegenüber den Internierten verstanden, die sich von der „antisemitischen und fremdenfeindlichen“ Haltung der Sûreté Nationale abgrenze.4 Dennoch beobachteten die Vertreter und Vertreterinnen der protestantischen Hilfswerke sehr aufmerksam die Pläne von André Jean-Faure und äußerten in Genf ihre Skepsis gegenüber der Einrichtung neuer Internierungszentren. Barot befürchtete, dass die Gründung von Cimade-Foyers an einer Vielzahl von Orten aufgrund der finanziellen und personellen Engpässe sehr erschwert werden würde. Auch Toureille, der im Januar 1942 zu einer ECCO-Sitzung nach Genf gekommen war, vermutete, dass die Regierung sich durch die Dezentralisierung der Internierten vom Einfluss der karitativen Organisationen in den wenigen großen Lagern zu befreien suchte. Für die Hilfswerke mit ihren personellen und finanziellen Möglichkeiten wäre es wesentlich schwieriger, an einer Vielzahl von Internierungsorten eine Präsenz zu gewährleisten. Ebensowenig ließ er sich über die politischen Hintergründe, die das Innenministerium zu diesem Kurswechsel in der Internierungspolitik veranlasst hatten, hinwegtäuschen. „Propaganda und andere recht schmerzliche Unannehmlichkeiten“ hätten dazu geführt, dass in Vichy nun die Auflösung der großen Lager verfolgt würde.5 Damit wies Toureille darauf hin, dass die intendierten Erleichterungen nicht auf einen ideologischen Wandel Vichys in der Behandlung von Ausländern und Juden zurückgingen, sondern ihren

3 Vortrag von Madeleine Barot auf der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945; Übersetzung U. G.). 4 EBD. Vgl. zur Sûreté Nationale in Bezug auf die Internierungslager A. GRYNBERG, Camps, S. 125ff. 5 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 und vom 27.1.1942 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945; Übersetzung U. G.). Vgl. auch die Andeutung im Bericht des Flüchtlingssekretariates vom Januar 1942, S. 8 (AÖRK GENF: Karton B 2).

Die Heime der Cimade

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Grund in dem schlechten Bild hatten, das in der ausländischen Presse von den Internierungsbedingungen in der Südzone gezeichnet wurde. Dass diese Interpretationen der protestantischen Hilfswerke zutrafen, zeigt auch ein von Anne Grynberg zitierter vertraulicher Bericht eines Beauftragten von Jean-Faure, der mit Verweis auf das internationale Ansehen Frankreichs nach dem Krieg für eine Umgestaltung der Lager plädierte.6 Barot und Toureille konnten vor dem ECCO-Komitee in Genf offen zur Internierungspolitik Stellung nehmen, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Kritik der Vichy-Regierung zur Kenntnis gelangen könnte. Mögliche Beeinträchtigungen für die weitere Arbeit der Cimade in den staatlichen Lagern waren folglich nicht zu erwarten. Ihre Berichte zeigen, mit welcher Aufmerksamkeit sie die neue Entwicklung beobachtet und analysiert haben. Madeleine Barot zog hieraus die Konsequenz, das Engagement der Cimade beträchtlich auszuweiten. Sie wollte die staatlicherseits eröffnete Möglichkeit nutzen und trotz der höchst schwierigen finanziellen Situation eigene Häuser für die Internierten einrichten. Gleichzeitig aber sollte die Arbeit in den Lagern sowie zumindest in einigen der geplanten kleineren Internierungszentren fortgesetzt werden. Die Heime der Cimade

5.2 Die Heime der Cimade Mit dem Heimprojekt bewegte sich die Cimade noch im Rahmen staatlich tolerierter Sozialarbeit. Sie konnte sich dabei die Erfahrungen anderer Hilfswerke mit Heimgründungen zunutze machen. Die Realisierung der Cimade-Häuser in Chambon-sur-Lignon und an zwei weiteren Orten wurde jedoch nur durch ein umfassendes Netz internationaler ökumenischer Förderung ermöglicht. Während es auf diese Weise zunächst gelang, wenigstens einigen Internierten einen weiteren Aufenthalt in den lebensfeindlichen Lagern zu ersparen, bekamen die Heime nach dem Einsetzen der Deportationen eine ungeahnte neue Bedeutung. Sie entwickelten sich zu Rettungsstationen auf dem Weg in die Freiheit.

5.2.1 Konzeption und Verwirklichung 5.2.1.1 Modelle: Die Häuser anderer Hilfsorganisationen Als Madeleine Barot im Spätherbst 1941 mit der Planung eines ersten Hauses begann, konnte sie sich bereits an den Projekten anderer karitativer Organisationen orientieren. Die Kinderhilfsorganisationen Secours Suisse 6 Vgl. A. GRYNBERG, Nîmes-Komitee, S. 480.

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Solidarität mit Flüchtlingen

und OSE hatten schon zu Beginn des Jahres 1941 auf eine Verlegung von Kindern und Jugendlichen aus den Internierungslagern gedrungen und mit einer Reihe von Heimgründungen Erfolg gehabt.7 Zu Skeletten abgemagerte Säuglinge wurden hier vor dem Hungertod bewahrt. Die Mütter und Väter mussten jedoch in den Lagern bleiben und die Trennung von ihren Kindern zu deren Wohl auf Monate und Jahre ertragen.8 Beispielhaft für die Cimade waren zudem die Bemühungen der Europäischen Studentenhilfe (Fonds Européen de Secours aux Etudiants [FESE]) und der Gruppe um Abbé Alexandre Glasberg, die sich an erwachsene Internierte richten wollten.9 Beide waren im Sommer des Jahres 1941 mit dem Plan an die Regierung herangetreten, Heime für Lagerinsassen zu gründen. FESE unterstützte als ein Komitee des Christlichen Studentenweltbundes ausländische Studierende, die in den besetzten Ländern unter Kriegsgefangenschaft oder Internierung zu leiden hatten. Der Rechtswissenschaftler Professor Alfred Légal, der FESE in der Südzone leitete, berichtete vor dem Nîmes-Komitee erstmals im Oktober 1941 von dem Versuch, internierte Kommilitonen in eine bessere Umgebung zu bringen.10 Im Januar 1942 konnte das Heim Les Roches in Le Chambon-sur-Lignon im Departement Haute-Loire eröffnet werden, das von einzelnen Persönlichkeiten in der Schweiz wie dem aus Deutschland geflohenen Theologen und Ökumeniker Friedrich Siegmund-Schultze, aber auch vom Flüchtlingssekretariat des ÖRK unterstützt wurde.11 Weitere Versuche wurden von einer Gruppe um den katholischen Geistlichen Alexandre Glasberg aus Lyon unternommen. Die meisten Mitglieder seines Teams waren als Sozialarbeiterinnen und -arbeiter in Gurs tätig und entwickelten zu Beginn des Sommers 1941 die Idee, sog. Centres d’accueil zu gründen, die je 50 bis 60 Personen aus den Lagern aufnehmen sollten. Wie Abbé Glasberg am 3. Dezember 1941 vor dem Nîmes-Komitee referierte, gelang es nur mit nachhaltiger Unterstützung des Erzbischofs Kardinal Gerlier, in Vichy die Zustimmung zu diesem Projekt zu bekommen. 7 Vgl. A. BOHNY, Secours Suisse, S. 193ff.; zu OSE die Darstellung von S. ZEITOUN, L’Oeuvre, S. 117ff. 8 Vgl. die Tagebucheinträge aus Rivesaltes von F. BOHNY-REITER, Vernichtung, S. 47, 91f. sowie die Erinnerungen der OSE-Mitarbeiterin V. SAMUEL, Kinder, S. 81ff. 9 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). Manuskript für einen Vortrag Barots vor dem ECCO-Komitee in Genf, datiert auf den 4.12.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 10 Protokoll des Comité de Nîmes vom 8.10.1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1939–1945, Ordner Comités Coordination Cimade 1939–1990). Vgl. zur Entstehung von FESE H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 174; P. POTTER/T. WIESER, Seeking and Serving, S. 141. 11 Brief Freudenbergs an Guillon vom 2.12.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence G); vgl. auch S. GROTEFELD, Siegmund-Schultze, S. 255. Nach F. BOULET (Eléments statistiques, S. 290) waren in Les Roches 35 Studenten untergebracht.

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Die Finanzierung sah vor, zu einem Drittel Internierte aufzunehmen, die über Geldmittel verfügten, und mit deren Pensionszahlungen die Kosten für die übrigen mittellosen Bewohner zu finanzieren.12 Ein erstes Haus für Internierte aus Gurs wurde im Dezember 1941 in dem Ort Chansaye-LaPoule in der Nähe von Lyon eröffnet, im Frühjahr und Sommer 1942 konnte Glasberg drei weitere Heime einrichten: bei St.-Thomas-en-Royans im Departement Drôme sowie in den Departements Hautes-Alpes und Gers.13 Madeleine Barot wollte sich nach dem Beispiel von FESE auf die Suche nach einem leer stehenden Hotel oder einer Pension begeben und sich um einen Geldfonds für die laufenden Kosten bemühen. Nach ihrer Berechnung waren für ein Haus mit etwa 100 Betten inklusive Miete, Unterhalt und Versorgung der Heimgäste 500.000 französische Francs für sechs Monate zu veranschlagen.14 Vermutlich ist auch die Standortwahl von dem FESEBeispiel beeinflusst worden, denn das Haus der Cimade wurde schließlich ebenfalls in Le Chambon-sur-Lignon eingerichtet. Die Erfahrungen der Gruppe um Abbé Glasberg waren dagegen von Interesse, da sie sich wie die Cimade nicht bestimmten Gruppen wie Kindern oder Studierenden, sondern allgemein den Internierten in den Lagern zuwenden wollte.15 Um für deren Verlegung eine Zustimmung zu erlangen, bedurfte es vor den Behörden des Innenministeriums einer anderen Argumentation als der Forderung nach einer kindgerechten Umgebung oder nach einer Möglichkeit für ausländische Studierende, unter Bereitstellung einer wissenschaftlichen Bibliothek universitätsexterne Studien betreiben zu können. Dass die Glasberg-Gruppe einen Präzedenzfall geschaffen hatte, hat der Cimade in ihren Verhandlungen mit dem Innenministerium vermutlich geholfen. 5.2.1.2 Der Finanzierungsplan des ökumenischen Flüchtlingssekretariates Die im ECCO zusammengeschlossenen Organisationen hatten sofort erfasst, welche Chancen das neue Projekt bot, um Internierte aus den 12 Vgl. den Bericht Glasbergs vor dem Nîmes-Komitee am 3.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam) und A. GRYNBERG, Camps, S. 283; C. EGGERS, L’internement, S. 54. 13 EBD., S. 56. 14 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 500.000 französische Francs entsprachen zu diesem Zeitpunkt etwa 15.000 Schweizer Franken. 15 Aufgrund der Nähe zum Studentenheim Les Roches wird in der Literatur häufig angenommen, dass auch im Cimade-Heim hauptsächlich junge Internierte aufgenommen worden seien (vgl. F. BOULET, Montagnes françaises, S. 350). Zu den Bewohnern des CimadeHeimes zählten jedoch den erhaltenen Namenslisten (mit Angaben über Alter, Familienstand, Beruf, Nationalität, Religionszugehörigkeit, dem letzten Wohnort in Frankreich sowie besonderen Bemerkungen) zufolge hauptsächlich ältere Lagerinsassen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon).

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Lagern zu retten. Auf der Sitzung vom 5. Dezember 1941 sprachen sich sowohl Visser ’t Hooft für den ÖRK als auch Suzanne de Diétrich für den Studentenweltbund für eine Billigung des Planes aus. Madeleine Barot wurde ermutigt, die Vorbereitungen weiter voranzutreiben. Für die nun noch umfassendere Frankreich-Arbeit gründete sich in Genf ein ECCO-Unterkomitee.16 Bereits zwei Monate später konnte in Genf ein Finanzierungskonzept verabschiedet werden, das der Cimade die entscheidende Förderung bringen sollte. Dieser Beschluss wurde im Ausschuss des ökumenischen Flüchtlingssekretariates gefasst, und die Protokolle und Begleitschreiben weisen daraufhin, dass Freudenberg maßgeblich den Plan für die Beschaffung der Gelder entwickelt hatte. An der Sitzung am 11. Februar 1942 nahmen neben Visser ’t Hooft, Henriod und Freudenberg erstmals auch Marc Boegner und Charles Guillon teil; für die Diskussion des Hausprojektes waren außerdem Marc Sauter von der Evangelischen Kreditgenossenschaft (APIDEP) und Madeleine Barot eingeladen worden. Aus dem Bericht der Generalsekretärin wird deutlich, in welchem Maße die Behörden des Innenministeriums in Vichy die Heimgründungen der Hilfswerke kontrollierten. So waren beispielsweise die Zusagen von Jean-Faure als dem Leiter der Generaldirektion der Lager und von Fourcade, dem Leiter der Sûreté Nationale notwendig, damit die Cimade ihren Plan verwirklichen konnte. Diese Zusagen waren an eine grundlegende Bedingung geknüpft: Der Leiter der Generaldirektion verlangte die Bürgschaft einer kirchlichen Organisation für mindestens sechs Monate, um den Bestand des Hauses zu sichern. Außerdem hatte er Madeleine Barot dringend geraten, vorerst keinen Anspruch auf die staatliche Unterstützung von 11,50 Francs zu erheben, die theoretisch jedem Internierten zustand. Es lässt sich daher nicht von der Hand weisen, dass die Verlegung von Lagerinsassen in die Heime der Hilfswerke für den Staat auch eine Möglichkeit darstellte, Kosten für die Unterbringung zu sparen, dennoch aber die Verfügungsgewalt über die Heimbewohner zu behalten, die offiziell weiterhin als Internierte galten. Die Hilfswerke waren in dieser Situation erpressbar, denn sie waren vom Wohlwollen der Regierung abhängig, wollten sie überhaupt die Erlaubnis zur Gründung von Heimen und zur Verlegung von Internierten in eine menschenwürdigere Umgebung erhalten. Der extreme Hungerwinter 1941/42 mit der Steigerung der Todesrate in den Lagern machte rasche Maßnahmen erforderlich. Madeleine Barot wies daher im Abschluss ihres Berichtes 16 Protokoll der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). Das Unterkomitee wird erstmals auf der ECCO-Sitzung vom 12.2.1942 erwähnt, Sitzungsprotokolle des Unterkomitees liegen vor vom 15.7.1942, 7.1.1943 und 28.5.1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945).

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auf der ECCO-Sitzung darauf hin, dass eine Regelung der Finanzierung nun dringend anzugehen sei.17 Die internationale ökumenische Basis, auf die die Cimade gestellt war, aber auch die Hilfe durch den protestantischen Kirchenbund in Frankreich erwiesen sich nun als besonders förderlich zur Umsetzung dieser lebensrettenden Initiative. Marc Boegner erklärte sich als Präsident der Fédération Protestante dazu bereit, die finanziellen Garantien für das Heim der Cimade gegenüber den Behörden zu übernehmen, die Zahlungen sollten jedoch durch die ausländischen kirchlichen Organisationen gedeckt werden. Der Ausschuss entschied sich daher für einen Finanzierungsplan, der vom Flüchtlingssekretariat ausgearbeitet und ausgehandelt worden war. Die Summe von 15.000 Schweizer Franken als Etat für die ersten sechs Monate des Heimes sollte durch eine Kreditnahme der Fédération Protestante bei der APIDEP ermöglicht werden. Ein auf dieser Basis von Freudenberg entworfener und von Visser ’t Hooft und Koechlin als Vertretern des ÖRK unterschriebener Kreditantrag an Marc Sauter sah einen Zinssatz von vier Prozent und eine Rückzahlungsfrist von höchstens fünf Jahren vor.18 Das ökumenische Flüchtlingssekretariat verpflichtete sich dazu, ein Drittel der Summe für Zinsen und Schuldentilgung aufzubringen. Freudenberg hoffte, dass ein weiterhin hohes Spendenaufkommen in der Schweiz dies ermöglichen würde. Außerdem hatte das nationale ECCO-Komitee in Schweden seine Unterstützung für das Cimade-Heim zugesagt und Freudenberg wollte das schwedische ECCO-Mitglied Hugo Cedergren bitten, weitere 10.000 Schweizer Franken der Kreditrückzahlung zu übernehmen.19 Das schwedische ECCO operierte über die Organisation Hjälp Krigets Offer!, die bereits seit Januar 1941 mit dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat in Kontakt stand und mit vielen Spenden die Frankreicharbeit unterstützt hatte.20 Die Präsidentschaft über das Komitee hatte der schwedische Erzbischof Erling Eidem übernommen, ein Förderer der ökumenischen Bewegung. Generalsekretär von Hjälp Krigets Offer! war Hugo Cedergren. Als schwedisches YMCA-Mitglied verfügte er über gute Verbindungen zu den ökumenischen Vertretungen in Genf und reiste, solange 17 Protokoll der Sitzung des ökumenischen Flüchtlingssekretariates vom 11.2.1942 (SHPF PARIS: DT C. O. R.). 18 EBD. und Brief vom 17.2.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence A–B). 19 Sitzungsprotokoll des ökumenischen Flüchtlingssekretariates vom 11.2.1942 (SHPF PARIS: DT C. O. R.) sowie ein diese Sitzung vorbereitender Bericht über das „Home de la CIMADE pour les réfugiés protestants au Chambon“ vom 10.2.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). 20 Vgl. die umfangreiche Korrespondenz Freudenbergs mit Hugo Cedergren, u. a. die Briefe vom 16.1.1941 und 3.4.1941 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E).

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der Kriegsverlauf dies zuließ, des öfteren in die Schweiz. Seine Frau Elsa Cedergren, geborene Prinzessin Bernadotte und damit Mitglied des schwedischen Königshauses, war die Präsidentin des schwedischen YWCA und hatte in dieser Funktion im Mai 1941 und im Februar 1942 die CimadeFoyers in den Lagern der Südzone und in Toulouse sowie Marseille besucht und sich damit ein Bild über die Internierungsbedingungen gemacht.21 Sie nutzte ihre Erfahrungen, um in Interviews im Rundfunk und in der Presse Schwedens für Spendensammelaktionen von Hjälp Krigets Offer! zu werben.22 Durch die unermüdliche Arbeit des schwedischen ECCO wurde über Jahre hinaus ein beachtlicher Spendenfonds erbracht, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass Internierte die Lager verlassen konnten. Allein zwischen 26. März und 30. November 1942 überwies Cedergren schwedische Kronen im Wert von 35.673 Schweizer Franken nach Genf.23 Auch das ökumenische Flüchtlingssekretariat konnte seinen Teil der finanziellen Garantie nur aufgrund der großen Unterstützung durch die Schweizer Bevölkerung leisten. Freudenberg hoffte im Februar 1942, „dass das Heim der CIMADE auch in kirchlichen Kreisen der Schweiz freundliche Aufnahme finden und uns Spenden zuführen wird“.24 Wie schon für die bisherige Frankreicharbeit musste der Flüchtlingssekretär auf Vortragsreisen um Spenden werben. Eine Reihe von Kirchengemeinden sammelte zudem in eigens gewidmeten Kollekten für die Flüchtlingshilfe des ÖRK.25 Dennoch stellte die Abhängigkeit von Spendengeldern ein Risiko dar, das vor allem Alphons Koechlin große Sorge bereitete. Er hatte als einzig in der Schweiz weilendes Mitglied der ÖRK-Leitung neben Generalsekretär Visser ’t Hooft dem Kreditantrag seine Zustimmung erteilt und wies in diesem Zusammenhang auf die hohe Belastung hin, die mit dem Projekt eingegangen würde. „Ich nehme . . . solche Garantien nicht leicht, wie sie in diesem Brief enthalten sind und muss dazu ausdrücklich folgendes bemerken. Dr. Visser ’t Hooft und ich sind nicht ermächtigt, Namens des Oekumenischen Rates eine solche Garantie zu übernehmen und wir werden sie auch nicht durch Mittel des Oekumenischen Rates einlösen können. Es wird sich somit darum handeln müssen, dass der Flüchtlingsausschuss aus den ihm zugehenden Geldern diese Summe aufbringt. Das sollte sobald als möglich geschehen, denn wir haben die Zukunft 21 Vgl. ihren ausführlichen Bericht vom Frühjahr 1941 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [YMCA/YWCA]) sowie einen Brief von Suzanne de Diétrich an Robert C. Mackie vom 23.2.1942 (AÖRK GENF: 213.11.1.4/4). 22 Cedergren an Freudenberg vom 14.4.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 23 Auflistung vom 29.1.1943 (EBD.). 24 Brief an Koechlin vom 17.2.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). 25 Vgl. dazu mehrfache Hinweise in der Korrespondenz Freudenbergs mit Koechlin (EBD.).

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nicht in den Händen und wissen nicht, wieviel wir in 2 bis 3 Jahren noch kollektieren können.“26

Die Befürchtungen Koechlins gründeten darauf, dass die Spendenbereitschaft innerhalb der Schweiz mit Fortdauer des Krieges und den wachsenden Belastungen bereits gesunken war und die häufigen Aufrufe zur Hilfe für Flüchtlinge nicht mehr so hohe Resonanz erhielten. Die Gelder, die für die ökumenische Flüchtlingshilfe aufgebracht wurden, machten nur einen kleinen Teil des gesamten Spendenaufkommens aus, das von einer Vielzahl privater und vor allem jüdischer Organisationen zum Wohle von Flüchtlingen gesammelt wurde.27 Der Entschluss des ökumenischen Flüchtlingssekretariates für eine Finanzierung des Cimade-Projektes stellte daher einen mutigen und nicht einfachen Schritt dar, der trotz der finanziellen Schwierigkeiten unternommen wurde, um den Internierten durch eine Heimgründung zu helfen. Ohne die Bereitschaft vieler einzelner Menschen zur Solidarität mit Opfern von Rassismus und Gewalt in der Südzone Frankreichs hätte dieses Vorhaben nicht verwirklicht werden können. Schon am 6. März 1942, also nur zwei Wochen nach dem Kreditantrag an die APIDEP, konnte Freudenberg nach Schweden berichten, dass die Auszahlung von 15.000 Schweizer Franken entsprechend 525.700 französischen Francs an die Fédération Protestante erfolgt sei. Die finanzielle Basis des Cimade-Heimes war damit gesichert, und die jungen Frauen und Männer konnten sich an die Umsetzung des Planes begeben.

5.2.1.3 Das erste Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon Mit der Gemeinde Le Chambon-sur-Lignon im Vivarais, einem Hochplateau am Ostrand des Zentralmassivs, hatte die Cimade einen Ort ausgewählt, an dem fremde Menschen auf wenig Abwehr stoßen würden. Die protestantisch geprägte Bergregion hatte schon in den 1930er Jahren Flüchtlinge aufgenommen, und mehrere Hilfswerke hatten wie FESE Heime in Le Chambon eingerichtet.28 Für das Flüchtlingssekretariat und die Cimade war auch entscheidend, dass Charles Guillon, der als YMCA-Vertreter im Cimade-Vorstand saß, bis zum Sommer 1940 Bürgermeister von Le Chambon gewesen war.29 Die schriftliche Erlaubnis, die die Cimade26 Koechlin an Freudenberg vom 18.2.1942 (EBD.). 27 Vgl. zum Spendenaufkommen in der Schweiz J. PICARD, Juden, S. 378ff. 28 Vgl. insgesamt M. FABREGUET, Réfugiés, S. 129–150, zum Vivarais als Zufluchtsregion vgl. ausführlicher Kapitel 5.2.3.2 (unten S. 195ff.). 29 Vgl. den Genfer Bericht über das „Home de la Cimade pour les réfugiés protestants au Chambon“ vom 10.2.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940– 1945, Ordner Chambon-sur-Lignon) sowie P. BOLLE, Guillon.

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Präsidentin Violette Mouchon von der Präfektur des Departements Haute-Loire für die Gründung eines Heimes in Chambon erhielt, zeigt auf, dass die Anfrage von Guillon ausgegangen war und nimmt auf die von ihm gegebenen Zusicherungen Bezug. Es ist durchaus möglich, dass sich der Cimade-Vorstand bewusst für Guillon als Antragsteller entschieden hat, da er als ehemaliger Kommunalpolitiker dieser Region als Garant für das Projekt einer noch jungen und unerfahrenen Hilfsorganisation auftreten konnte.30 Bei den weiteren Vorbereitungen wurde Madeleine Barot von Claire Jullien, einem leitenden Mitglied der FFACE, unterstützt. Schon am 14. März berichtete sie, dass die Suche nach einem geeigneten Haus mit etwa hundert Betten in der Umgebung von Chambon Erfolg gehabt habe. In dem kleinen Weiler Les Tavas hatte Jullien im Auftrag der Cimade zunächst auf sechs Monate die Familienpension Coteau Fleuri (Blumenhügel) angemietet. Die Miete betrug monatlich 5.700 französische Francs.31 Zum Haus gehörte außerdem ein größeres Stück Land, so dass Gemüsegärten angelegt werden konnten, um das Ernährungsproblem zumindest zu einem Teil durch Selbstversorgung zu lösen.32 Bis die ersten größeren Gruppen aus Gurs und Rivesaltes die Lager verlassen konnten, vergingen indessen weitere vier Monate, denn die notwendigen Eingaben und Vorsprachen bei den Behörden erforderten sehr viel Zeit.33 Die Mitglieder der Hilfsorganisationen wussten, dass mit dem Transfer der Internierten in die Heime keine Befreiung verbunden war. Abbé Glasberg hatte schon im Januar 1942 vor dem Nîmes-Komitee darauf hingewiesen, dass die Heimgäste von der Sûreté Nationale als „lediglich verlegt“ betrachtet wurden.34 Für die Generaldirektion waren die Häuser der Hilfswerke Teile des Internierungssystems, und der Staat behielt die volle Verfügungsgewalt über die Hausbewohner, deren Bewachung von der örtlichen Polizei gewährleistet werden sollte.35 Immerhin aber konnten sie 30 Schriftliche Ermächtigung der Präfektur vom 18.3.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Poaste Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon); die mündliche Zusage lag bereits Anfang Februar vor. F. BOULET, Montagnes françaises, S. 350, irrt daher, wenn er als Gründungsdatum für das Coteau den Dezember 1941 angibt. 31 Kostenaufstellung für das Heim in Le Chambon (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). Nach F. BOULET, Montagnes françaises, S. 351 erhielt das Coteau im Herbst 1942 nach einem Besuch von André Jean-Faure, dem Generalinspekteur der Internierungslager, eine Sammellebensmittelkarte, um sich auf dem Markt von Yssingeaux versorgen zu können. 32 Protokoll der Cimade-Sitzung vom 14.3.1942 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 33 Vgl. dazu auch den Bericht der Glasberg-Gruppe („Rapport de la Direction des Centres d’Accueil“) vor dem Nîmes-Komitee am 3.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam). 34 Bericht von Abbé Glasberg in der Unterkommission Libération des Nîmes-Komitee vom 14.1.1942 (SHPF PARIS: DT Cam; Übersetzung U. G.). 35 Vgl. zur Bewachung C. EGGERS, L’internement, S. 54f.

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sich innerhalb der kommunalen Gemeinden frei bewegen und mussten Krankheit und Hunger nicht mehr fürchten. Eine Verortung am „Rande des Systems“ staatlicher Internierung, wie sie der Historiker Christian Eggers vorgenommen hat, beschreibt daher zutreffend den Platz der Heime unter Vichy.36 Die von den Teams vorgeschlagenen Internierten mussten zunächst von der Präfektur genehmigt werden, die für das neue Heim zuständig war, für Chambon war dies in Le Puy, der Hauptstadt des Departements Haute-Loire.37 Daraufhin hatte sich die Cimade an die für das jeweilige Lager zuständige Präfektur zu wenden, d. h. Pau für die Internierten von Gurs, Perpignan für Rivesaltes, Toulouse für Récébédou und Albi für Brens. Es kam vor, dass die Behörden weitere Informationen zu den einzelnen Internierten verlangten und den Ablauf damit zusätzlich verzögerten.38 Die Lagerleitungen erhielten danach die Listen zurück und nahmen eine Sichtung und medizinische Untersuchung der bewilligten Internierten vor.39 Daraufhin mussten die Unterlagen nochmals zur Billigung bei der Inspection générale des camps in Vichy vorgelegt werden, bevor die Lagerleitungen endlich die Gruppen für die Abreise zusammenstellen konnten.40 Dieser langwierige und zeitraubende Vorgang lässt vermuten, dass die Generaldirektion an einer raschen Verlegung der Lagerinsassen nicht interessiert war, obwohl sich die Nachrichten über die Ernährungssituation ständig verschlechterten. Die betroffenen Internierten sowie die Cimade-Mitarbeiter warteten mit großer Ungeduld monatelang auf die abschließenden Bescheide und ein Ende des jahrelangen Barackenlebens. Vor allem das Team aus Rivesaltes schrieb drängende Briefe an Madeleine Barot, denn in diesem Lager häuften sich die Sichtungen der männlichen Internierten für eine Überstellung in die Zwangsarbeiterkolonnen (GTE). Die Cimade-Mitarbeiter wollten die für Chambon eingeschriebenen Männer möglichst vor der schweren Zwangsarbeit bewahren.41 Die Cimade versuchte, durch persönliche Gespräche mit Jean-Faure als dem Leiter der Generaldirektion für die Internierungslager den Prozess zu 36 EBD., S. 52 (Übersetzung U. G.). 37 Merle d’Aubigné an Barot vom 6.2.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs); Barot an Perdrizet und Dumas vom 22.4.1942 (EBD., Heft Rivesaltes). 38 Jeanne Tendil an Barot vom 8.6.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon); Dumas an Barot vom 22.5. und 1.6.1942 (EBD., Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). 39 Barot an Jullien, vermutlich vom 13.6.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). 40 Merle d’Aubigné an Jullien vom 4.6.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs). 41 Perdrizet an Barot vom 11.5.1942 (EBD., Heft Rivesaltes). Vgl. zur Einrichtung der GTE oben Kapitel 1.1.2 (S. 40).

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beschleunigen. Madeleine Barot verfolgte wachsam die Entwicklung auf der Regierungsebene und bedachte mögliche Einflüsse auf die Arbeit der Cimade. Als im April 1942 Pierre Laval als entschiedener Verfechter einer kollaborationistischen Politik an die Spitze des Kabinettes trat, machte Barot diese Änderung auch verantwortlich für die „bedenkliche Verzögerung“ in der Bearbeitung der Dossiers durch die Behörden.42 Demnach befürchtete sie Schwierigkeiten aufgrund der hohen Zahl von Ausländern jüdischer Herkunft, die in das Heim kommen sollten. Barot rechnete folglich mit einer noch verstärkten antisemitischen Haltung der neuen Regierung und mit einem Rückschlag für ihr Projekt, das gerade den rassistisch Verfolgten zugute kommen sollte. Sie war daher erleichtert, als eine Unterredung von Claire Jullien mit Jean-Faure in dieser Hinsicht keine besonderen Schwierigkeiten ergeben hatte.43 Am 7. Juli 1942 kamen die ersten 40 Flüchtlinge aus Gurs und Rivesaltes in Le Chambon an, weitere 20 wurden noch erwartet. Am 26. Juli schreibt Madeleine Barot, das Coteau Fleuri sei nun „voll belegt mit 70 Personen von 3 Monaten bis zu 86 Jahren“. Damit konnte das erste von insgesamt drei Häusern der Cimade seinen Betrieb aufnehmen. Bis zum Ende der Besetzung im Sommer 1944 haben hier vermutlich bis zu 170 Menschen Aufnahme gefunden.44

5.2.1.4 Die Gründung weiterer Häuser in St.-Etienne-du-Grès und Vabre Angesichts der zahlreichen Bitten von Internierten um Aufnahme in das Coteau Fleuri lag eine Ausweitung des Projektes nahe. Die Auswahl unter den Interessenten war den Teams sehr schwer gefallen, und bis zum Juni 1942 hatten sich allein in Gurs bereits mehr als zweihundert Leute in 42 Barot an Freudenberg vom 12.5.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence, Colis Portugais; Übersetzung U. G.). Vgl. zur Wiedereinsetzung Lavals im April 1942 auch S. KLARSBERG, Vichy-Auschwitz, S. 50f. 43 Barot an Jullien, vermutlich vom 13.6.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). 44 Exakte statistische Angaben sind kaum zu erheben, da die Fluktuation im Heim hoch war. Das Protokoll des ECCO-Subcommittees nennt am 15.7.1942 60 Flüchtlinge für das Coteau Fleuri, von denen vermutlich 30 später in die Schweiz geflohen sind. Der zitierte Brief von Barot vom 26.7.1942 war an de Diétrich adressiert (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Documents retenues 1966–1969]). Am 15.11.1943 wird die Zahl von 110 Heiminsassen protokolliert (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945), für die jedoch keine weiteren Nachweise vorliegen. Spätere Angaben finden sich nicht. Eine kleine Vorgruppe mit wenigen Männern hatte bereits im Mai das Haus bezogen, um die Räumlichkeiten und Gemüsegärten vorzubereiten; vgl. die Briefe der Cimade-Mitarbeiterin Simone Vermeil aus Chambon an Barot vom Mai und Juni 1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon).

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Wartelisten für weitere Häuser eingeschrieben.45 Die sich weiter verschlechternde Ernährungslage und die dramatischen Gewichtsverluste unter den Internierten bewogen Madeleine Barot dazu, die internationalen Organisationen in Genf um weitere Unterstützung zu bitten. „Sie hält es deshalb für ihre unabweisbare Pflicht“, schrieb Freudenberg Anfang Juli 1942 an Hugo Cedergren, „noch mehr Menschen so rasch wie möglich dazu zu (ver)helfen, in bessere Lebensbedingungen zu kommen“.46 Schon am 15. Juli 1942 beschloss das ECCO-Komitee in Genf daher, die Pläne für die Einrichtung weiterer Häuser aufgrund der alarmierenden Nachrichten aus den Lagern zu fördern. Die Cimade wurde aufgefordert, die langwierigen Vorbereitungen unverzüglich in Angriff zu nehmen, um möglichst ohne großen Zeitverlust die Verlegung weiterer Internierter zu erreichen. Aufgrund der Erfahrungen mit dem Coteau Fleuri wurde nun an die Gründung mehrerer kleiner Heime für 20 bis 30 Personen in verschiedenen Departements gedacht. Vor allem die allgemeine Nahrungsmittelknappheit, unter der auch die französische Bevölkerung litt, machte es kaum möglich, für eine höhere Belegzahl eine ausreichende Verpflegung zu gewährleisten.47 Außerdem sollten die Heime nun je einem Internierungslager zugeordnet werden und im selben Departement liegen, um die mühsamen Verhandlungen mit verschiedenen Präfekturen zu vermeiden und den bürokratischen Prozess damit zu verkürzen. Für vier solcher Heime kalkulierte Madeleine Barot im Juli 1942 ein Jahresbudget von etwa 1,5 Millionen französischen Francs oder 40–45.000 Schweizer Franken.48 Die Finanzierung dieser Häuser sollte wiederum durch einen Kredit der APIDEP ermöglicht werden, der sich dieses Mal auf die doppelte Summe, nämlich 30.000 Schweizer Franken belaufen sollte. Die Bedenken Koechlins aufgrund der hohen Belastung für den Ökumenischen Rat der Kirchen veranlassten Freudenberg, mit Marc Sauter vier Raten zu je 7.500 Franken zu vereinbaren, die erst nach der vollständigen Rückzahlung der vorhergehenden Tranche überwiesen werden sollten.49 Auf diese Weise ging die Verschuldung zu keinem Zeitpunkt über ein vertretbares Maß hinaus. Dennoch wurde auch diese Anleihe nur möglich durch die Unterstützung des Hjälp Krigets Offer! in Schweden, das wie das Flüchtlingssekretariat in der Schweiz zu weiteren Spenden aufrief. 45 Protokoll des ECCO-Subcommittees vom 15.7.1942 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 46 Brief vom 3.7.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 47 EBD. 48 „Report of Mlle Barot“ (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 49 Freudenberg an Koechlin vom 21.7.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K); Vertragsentwurf (EBD., Alphabetical Correspondence A–B).

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Madeleine Barot wurde sofort tätig. Schon am 1. August 1942 konnte sie über ein Haus berichten, dass die Cimade-Mitarbeiterin Geneviève Pittet im Departement Bouches-du-Rhône besichtigt hatte. Es sollte Insassen aus Les Milles und den Sammellagern in Marseille aufnehmen. Das Heim, genannt Mas du Diable, lag in der kleinen Gemeinde St.-Etienne-du-Grès bei Tarascon in der Nähe des protestantischen Rüstheimes Pomeyrol.50 Als die Cimade mit den Vorbereitungen für dieses Heim begann, setzte für die Mehrheit der Internierten in den Lagern und ihre Leidensgenossen in den Dörfern und Städten der unbesetzten Zone eine Zeit schlimmster Bedrohung und Angst ein. Die Regierung in Vichy hatte sich dem Druck der Besatzungsbehörden gebeugt, und im August 1942 wurde auch der französische Süden in die deutschen Pläne zur Vernichtung der europäischen Juden einbezogen. Die Heimgründungen wurden nun überschattet durch die Szenen, die sich während der Razzien im gesamten Land, der Selektionen und Deportationen in den Lagern abspielten. Die Auswirkungen auf die Heiminsassen jüdischer Herkunft war Anfang August 1942 ungewiss. Zumindest aber bedeutete ein Aufenthalt hier noch einen Aufschub vor der Verfolgung.51 Von daher erhielten die Häuser eine noch größere Bedeutung und die von der Deportation bedrohten Lagerinsassen warteten dringend auf einen Transfer.52 Für die Umsetzung ihres zweiten Projektes bekam Madeleine Barot nun Unterstützung durch Henri Manen, der sich als Pastor in Aix-en-Provence unermüdlich für die protestantischen Internierten in Les Milles einsetzte.53 Obwohl die Zustimmung der Polizeidirektion des Departements Bouchesdu-Rhône schon am 10. September vorlag, nahmen die Prüfungen durch die Behörden wieder mehrere Wochen in Anspruch. Erst am 5. November konnten elf Männer aus Les Milles und zwei Frauen aus Sammellagern in Marseille in das Heim einziehen.54 Ihr Aufenthalt im Mas du Diable sollte 50 Brief an Antoinette Butte, die Leiterin des Hauses in Pomeyrol, vom 1.8.1942 (CIMAPARIS: Unverzeichneter Bestand [Marseille, Marie Durand, Hôtel Bompard, St. Cyprien]). 51 Freudenberg an Cedergren vom 15.8.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E); Freudenberg an Koechlin vom 15.8.1942 (EBD., J–K). 52 Vgl. den Brief von Gertrud Heinsheimer aus Les Milles an Barot vom 19.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Les Milles). 53 Manen an Barot vom 28.10.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Manen, Fédération protestante, Boegner]). Zu Manen in Les Milles vgl. auch D. OBSCHERNITZKI, Hoffnung, S. 226f. 54 Barot an den Bürgermeister von St.-Etienne-du-Grès vom 10.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand); Manen an Barot vom 5.11.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Manen, Fédération Protestante, Boegner]); Dankbrief der neuen Heimbewohner an Barot vom 10.11.1942 mit elf Unterschriften (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). DE-ARCHIV

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jedoch nur von kurzer Dauer sein. Noch vor der geplanten offiziellen Eröffnung am 5. Dezember 1942 in Anwesenheit von Marc Boegner mussten die Bewohner das Haus über Nacht verlassen und wurden von der Cimade in zwei Gruppen in das Departement Lozère gebracht.55 Die genauen Umstände dieser Flucht lassen sich mit den vorhandenen Quellen nicht eruieren. Sie stand jedoch vermutlich im Zusammenhang mit der Besetzung der Südzone durch die Deutschen am 11. November 1942. Juden und Jüdinnen, die in den Departements an der Mittelmeerküste lebten, sahen sich nun besonderer Verfolgung ausgesetzt. Da die deutsche Führung hier eine Invasion der Alliierten fürchtete, mussten Juden die küstennahen Regionen verlassen. Nach den Plänen, die die SS der VichyPolizei unter René Bousquet im Dezember 1942 vorstellte, sollten sie in innerfranzösischen Departements konzentriert werden, um von dort in die Vernichtungslager verbracht zu werden. Ebenso bedroht waren deutsche Emigranten, die Repressionen aufgrund ihres politischen Widerstandes gegen das Dritte Reich zu befürchten hatten.56 Möglicherweise ging daher die Bedrohung für die Insassen des Cimade-Heimes von den deutschen Besatzern aus, und vielleicht sollten sie mit ihrer Flucht einer zwangsweise durchgeführten Räumung des Hauses zuvorkommen.57 Es finden sich nur wenige Hinweise auf eine Nachfolgeeinrichtung. Freudenberg informiert im Februar 1943 über ein Heim, das den aufgegebenen Mas du Diable ersetze und nun von 16 Personen bewohnt werde. Im darauffolgenden November nennt Madeleine Barot eine Cimade-Niederlassung im Departement Lozère, bei der es sich um dieses Haus gehandelt haben könnte.58 Vermied die Cimade genauere Informationen, um die sich nun illegal im Lozère aufhaltenden Flüchtlinge zu schützen? Dieses Departement umfasste einen Teil der Cevennen mit protestantisch geprägten Gemeinden, die während der Besatzungszeit einer Reihe von Verfolgten Zuflucht gewährt haben.59 Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die ehemaligen Bewohner des Mas du Diable hier Aufnahme fanden. Für ein drittes Haus im Departement Tarn begann die Cimade die Vor55 Jahresbericht des Flüchtlingssekretariates für 1942 (SHPF PARIS: DT C. O. R.); Erinnerungsbericht von Amélie Parker (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). 56 Vgl. insgesamt M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Juifs, S. 280f.; A. MEYER, Besatzung, S. 115ff. 57 Entscheidend war dabei vermutlich die bedrohliche Nähe zu Marseille, wo seit Ende November zunächst Wehrmachts- und dann SS-Einheiten stationiert wurden (vgl. EBD.). Einen Zusammenhang mit der Besetzung der Südzone stellt auch Freudenberg in seinen Jahresberichten von 1942 und 1943 her. 58 Freudenberg an Cedergren vom 10.2.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E); Barot während der ECCO-Sitzung vom 15.11.1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945). 59 Vgl. den Sammelband CEVENNES, TERRE DE REFUGE.

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bereitungen im Oktober 1942, nachdem Hugo Cedergren hierfür weitere Geldmittel in Aussicht gestellt hatte.60 Im November 1942 erhielt Madeleine Barot von Vichy die Erlaubnis zur Eröffnung dieses Heimes in dem kleinen Dorf Vabre in der Nähe von Castres, das für Internierte aus dem Camp repressif von Brens bestimmt sein sollte.61 Vermutlich machten die Behörden allerdings größere Schwierigkeiten, einem Transfer dieser Internierten zuzustimmen, da das Repressionslager strengeren Bestimmungen unterlag als die Lager Gurs oder Rivesaltes. Nachdem im Sommer 1943 zunächst spanische Kinder in dem Heim untergebracht worden waren, kamen erst im Oktober 1943 Frauen aus Brens sowie Insassen aus dem „Hospitallager“ Noé nach Vabre. Nach den Erinnerungen von Amélie Parker, der Heimleiterin, entstand eine Gemeinschaft von etwa 30 deutschen, spanischen und russischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Sie wurden unterstützt durch die protestantische Gemeinde des Dorfes unter Pastor Robert Cook.62 Im Rückblick wird deutlich, dass sich von den drei Häusern der Cimade allein das zuerst gegründete Coteau Fleuri zu einer längerfristigen Einrichtung entwickelte, deren Geschichte aus einem verhältnismäßig reichen Quellenbefund rekonstruiert werden kann. Die Schwierigkeiten mit der Umsetzung weiterer Projekte lassen sich auf den Beginn der Deportationen und die deutsche Besetzung der Südzone zurückführen. Dennoch konnten vermutlich mindestens vierzig weitere Internierte von den neuen Heimen profitieren. Gemeinsam mit den insgesamt vielleicht 170 Bewohnern des Coteau Fleuri kamen die Häuser der Cimade damit etwa 200 bis 220 Menschen zugute.63

5.2.2 Das Coteau Fleuri in Le Chambon-sur-Lignon 5.2.2.1 „Eine Zentrale des Guten“ – Leben im Coteau Für die neuen Bewohnerinnen und Bewohner des Coteau Fleuri stellte die Reise aus den Lagern nach Le Chambon oft seit Jahren den ersten Kontakt mit der Außenwelt dar. Ihre Berichte demonstrieren nachdrücklich die 60 Freudenberg an Koechlin vom 27.10.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). 61 Bericht Barots im Nîmes-Komitee am 25.11.1942 (CDJC PARIS: CCXIX–28). 62 Madeleine Barot an Lucy Fontayne vom 11.10.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Mouvements de Jeunesse). Barot an Pastor Verier in Toulouse vom 2.9.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Doubles Q–Z. Télégrammes]); Erinnerungsbericht von Amélie Parker (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). Cook wurde 1991 durch Yad Vashem als Gerechter der Völker geehrt (SHPF PARIS: DT Coo). Zu Vabre vgl. auch F. BOULET, Montagnes françaises, S. 360. 63 Im März 1942 lag die Gesamtzahl der Insassen in Internierungslagern und Aufnahmezentren noch bei 6.744 (vgl. C. EGGERS, L’internement, S. 64).

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entbehrungsreiche Isolation, in die sie gezwungen worden waren. So musste Martha Besag das Treppensteigen nach der langen Lagerexistenz zu ebener Erde neu erlernen.64 Lili Reckendorf erlebte die Höhe und Helle der Bahnhofsgebäude in Pau nach der Dunkelheit und dem Schmutz der Baracken in Gurs als etwas Bemerkenswertes. Sie begeisterte sich an den lang entbehrten Fensterscheiben und den lichterfüllten Häusern in den Städten, hatte aber auch Angst vor dem Leben außerhalb des Lagers: „Ich habe gemeint, man käme sich in dieser ungewohnten Welt ganz vorsintflutlich vor. Aber man tut, wie wenn man es nie anders gehabt hätte.“65 Der Aufenthalt im Coteau Fleuri in der idyllischen Bergwelt des Vivarais erschien den Heiminsassen nach einem jahrelang durchlebten Albtraum wie ein Paradies. „Frei im Wald zu gehen und Beeren zu pflücken, was das für uns bedeutete, kann wohl niemand verstehen, der nicht fast zwei Jahre lang . . . mehr vegetiert als gelebt hat“, schrieb eine der Töchter von Martha Besag im Rückblick.66 Endlich allein oder zu zweit in Zimmern zu wohnen und nicht mehr unablässig 70 bis 80 Augenpaaren in der Baracke ausgesetzt zu sein, Kleidung in Kommoden und Schränke einräumen zu können, statt aus Koffern und Bündeln zu leben, sich in einem Spiegel zu betrachten und in einem hellen Speisesaal an gedeckten Tischen Mahlzeiten mit Fleisch, Kartoffeln und Obst einzunehmen statt mit dem Blechnapf auf einer Strohschütte zu hocken, waren lange vermisste Wohltaten.67 Hinsichtlich des Zusammenhaltes unter den Hausgenossen gab es mindestens in der Anfangszeit des Coteau kaum Schwierigkeiten. Die ersten Gruppen waren sich bereits aus den Cimade-Foyers in Rivesaltes und Gurs bekannt und die Überlebenden hielten auch nach der Flucht in die Schweiz und dem Ende des Krieges Verbindung miteinander.68 „Ich glaube kaum, dass die ehemaligen Coteau Fleuri- und Maison des Roches-Leute jemals zueinander ganz gleichgültig werden“, schrieb ein ehemaliger Bewohner nach der Befreiung Frankreichs an die Freudenbergs. „Es hat sich eine Art Internationale herausgebildet, deren weit auseinander gestreuten Mitglieder immer gierig Nachrichten voneinander aufnehmen werden.“69 Auch Suzanne Loiseau-Chevalley, die im Sommer und Herbst 1943 im Coteau tätig 64 Bericht Martha Besags „24 Bilder aus dem Leben einer Internierten“ von 1944, S. 5 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence A–B). 65 Lili Reckendorf in einem Brief aus dem Coteau Fleuri vom 22.7.1942 (EBD., Alphabetical Correspondence R). 66 H. Ü.; Chambon-sur-Lignon, S. 122. 67 Berichte von Lili Reckendorf und Martha Besag (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R sowie A–B). 68 Brief von Lili Meyer an Barot vom 28.12.1945 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement). 69 Brief an Elsa und Adolf Freudenberg vom 11.8.1944 (AÖRK GENF GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R).

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war, erinnert sich an ein reiches gemeinschaftliches Leben. Die Hausbibliothek wurde durch Adolf Freudenberg mit deutschen Büchern versorgt, Vorträge und Kurse konnten besucht werden, und christliche und jüdische Feste wurden im Speisesaal des Hauses gefeiert.70 Andere Zeugnisse geben indes auch Hinweise auf Spannungen. Die Schwester Bertha Lenel gehörte zu den ersten Internierten aus Gurs und lebte vom Juli 1942 bis zum Frühjahr 1944 im Coteau. Sie berichtete Freudenberg von Missstimmungen.71 André Dumas führte die Schwierigkeiten im Rückblick 1945 auch darauf zurück, dass die Bewohner der fortgesetzten „Lageratmosphäre“ müde seien, die sie die vergangenen Jahre erlebt hatten.72 Es ist nachzuvollziehen, dass das Zusammenleben dutzender Erwachsener in einem Haus mit einer dementsprechend eingeschränkten Privatsphäre auf die Dauer nicht befriedigend für Menschen gewesen ist, die endlich in ein selbstbestimmtes Leben zurückkehren wollten und durch die Vertreibung und den langen Lageraufenthalt traumatisiert waren. Hinzu kam nach dem Einsetzen der Deportationen die Angst vor Razzien durch die französische Polizei, Miliz oder Gestapo, die als unablässige Bedrohung über dem Alltag lag. Das Haus stand unter ständiger Alarmbereitschaft und diese Ungewissheit war für ein entspanntes Miteinander im Coteau kaum förderlich. Zudem änderte sich ständig die Zusammensetzung. Einzelne Bewohner wurden heimlich von Cimade-Mitarbeiterinnen abgeholt, um über die Grenze gebracht zu werden, Neuzugänge aus den Lagern mussten sich in das ungewohnte Leben hineinfinden. Dumas zufolge fühlten sich die ehemaligen Internierten darüber hinaus von den Cimade-Mitarbeitern bevormundet: Es war offenbar nicht gelungen, eine Gemeinschaft auf gleichberechtigter Basis zu schaffen.73 Die häufigen Wechsel in der Heimleitung kamen als weiteres Problem hinzu. In der Anfangsphase vom Juni 1942 bis zum Frühjahr 1943 hatte die Cimade Hubert Meyer angestellt. Meyer, der Madeleine Barot zufolge mit 26 Jahren noch sehr jung für ein solches Amt war, erhielt in den ersten Wochen Unterstützung durch die Pastorin Elisabeth Schmidt und ihren Kollegen Marc Donadille.74 Einige Cimade-Mitglieder, die im Juli 1942 die 70 Vgl. LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 301 (Zeugnis von S. Loiseau-Chevalley). Zur Hausbücherei vgl. einen Brief Freudenbergs an K. Lehmann vom Juli 1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V). 71 Brief an Freudenberg vom 28.8.1944 (EBD., Alphabetical Correspondence L). 72 Dumas an Barot vom 15.8.1945 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Ligno; Übersetzung U. G.). Ähnliche Probleme werden auch aus den Heimen der Glasberg-Gruppe berichtet (vgl. F. BOULET, Montagnes françaises, S. 301). 73 Dumas an Barot vom 15.8.1945 (vgl. Anm. 72). 74 Barot an de Diétrich vom 26.7.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Documents retenues 1966–1969]).

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ersten Gruppen aus Rivesaltes und Gurs nach Chambon gebracht hatten, äußerten Bedenken hinsichtlich Meyers Umgang mit den neuen Heimgästen.75 Mit der Zeit entwickelte sich jedoch ein gutes Verhältnis, denn die Bewohner des Coteau bedauerten es, als Meyer, vermutlich im März 1943, das Haus verließ, um die Leitung des Studentenheimes Les Roches zu übernehmen.76 An seine Stelle trat der Pastor Raoul Lhermet, dem für die Hauswirtschaft das Ehepaar Plô zur Seite stand. Wie schon Hubert Meyer vor ihm, leistete er den Hausgenossen während der Razzien engagierte und rettende Hilfe.77 Aus Angaben von Elisabeth Perdrizet lässt sich schließen, dass Lhermet bis zum September 1943 im Haus blieb, im Anschluss daran übernahm die Cimade-Mitarbeiterin Suzanne Chevalley für einige Zeit als Interimsdirektorin das Coteau.78 Erst ab Dezember 1943 gelang es, mit Jeanne Sénat wieder eine längerfristige Hausleitung zu etablieren.79

5.2.2.2 Ein Haus nur für protestantische Internierte? Im Gegensatz zu den Häusern von Abbé Glasberg war die Auswahl für die Heime der Cimade in stärkerem Maße von konfessionellen Gesichtspunkten geprägt. Sowohl das Flüchtlingssekretariat des ÖRK in Genf und die im ECCO zusammengeschlossenen Organisationen als auch die Cimade wollten in erster Linie protestantische Internierte in das Haus aufnehmen.80 Madeleine Barot dachte dabei jedoch bereits im Dezember 1941 vor allem an diejenigen Mitglieder der Lagergemeinden, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft besonders von staatlicher Verfolgung bedroht waren. Für die „non-Aryan Protestants“ sollte zuerst die Verlegung in das Cimade-Heim beantragt werden, dann konnten andere Lagerinsassen folgen.81 Die Cima75 Barot an Claire Jullien vom 16.7.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). 76 Brief der Coteau-Bewohner mit 33 Unterschriften an Barot vom 15.3.1943 (EBD.), darunter Hilde Hillebrand und ihr Mann, die gemeinsam mit Meyer in das FESE-Haus Les Roches wechselten (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Equipiers, communication]). Meyer wurde dort im Sommer von Daniel Trocmé abgelöst. 77 Lhermet an Barot vom 16.4. und 15.6.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). Vgl. zu den Verfolgungen ausführlich Kapitel 5.2.3.1 (unten S. 192ff.). 78 Vgl. LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 301. Zu den Angaben von Perdrizet vgl. ihren Brief an Barot o. D. (vermutlich Januar 1943) von einem Inspektionsbesuch im Coteau Fleuri (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-surLignon). 79 Brief von Jeanne Sénat an Barot vom 19.12.1943 (EBD.). 80 Bericht Barots auf der ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945); Freudenberg an Paul Vogt vom 30.10.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V). 81 ECCO-Sitzung vom 5.12.1941 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945).

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de beobachtete demnach mit Sorge die sich verschärfende antisemitische Haltung der Vichy-Regierung. Indem Madeleine Barot zunächst den sog. Judenchristen die Möglichkeit eröffnen wollte, der unmittelbaren staatlichen Verfügungsgewalt in den Lagern zu entkommen, machte sie deutlich, dass sie eine besondere Gefährdung dieser Menschen im Gegensatz zu den Internierten nichtjüdischer Herkunft befürchtete. Sie demonstrierte damit ihre Wachsamkeit und Sensibilität gegenüber einer sich steigernden rassistischen Politik des Regimes. In der Umsetzung des Konzeptes war die Zugehörigkeit zum Protestantismus kein exklusives Kriterium für die Aufnahme in das Coteau. Die Cimade-Mitarbeiterinnen in den Lagern stellten Namen von denjenigen zusammen, die ihnen aus dem täglichen Miteinander im Foyer bekannt und vertraut waren, unter ihnen Christen wie Juden. Nach einem Bericht vom Juli 1942 waren von den 60 Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses 35 Protestanten, 14 Juden, 7 Katholiken und 4 Orthodoxe. 70 % dieser Gemeinschaft, d. h. vermutlich 42 Menschen, wurden von der Cimade als „nichtarisch“ bezeichnet, so dass davon auszugehen ist, dass sich neben den 14 jüdischen Mitgliedern 28 Christinnen und Christen jüdischer Herkunft im Sommer 1942 im Coteau befanden.82 Zu ihnen zählten z. B. die Lehrerinnen Lili Reckendorf und Lili Meyer, der Mediziner Heinrich Mayer und die Krankenschwester Bertha Lenel. Aus der Sicht der Präfektur-Behörden wurden sie entsprechend der Definition der Judenstatute Vichys ausnahmslos als Juden bezeichnet. So wurde 1992 auf der Grundlage von Quellen aus dem Departement-Archiv Haute-Loire eine Liste mit den Namen von mehr als 140 ausländischen Juden zusammengestellt, die sich angeblich zwischen 1940 und 1944 in Tence und Le Chambon-sur-Lignon aufgehalten hätten.83 Die Dokumente aus dem Cimade-Archiv erlauben es jedoch, unter ihnen mit Sicherheit mindestens 17 evangelische und katholische Christen zu identifizieren, die im Coteau gelebt haben.84 Bei Versuchen zur statistischen Erhebung der jüdischen Flüchtlinge in den französischen Bergen sollte im Umgang mit den Quellen der Departement-Behörden die in der rassistischen Ge82 Die Zahlenangaben nach dem Protokoll des ECCO-Subcommittee vom 15.7.1942 (EBD.). 83 Vgl. die „Liste des Juifs étrangers à Tence et au Chambon-sur-Lignon entre 1940 et 1944“ (in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 614f.). 84 Dabei handelt es sich um Martha Besag und ihre Töchter Hilde und Ida, Hermann Darmstädter, Lore Dreyfuss, Emil und Kurt Eisner, Ursula Flatow, Hilde Hillebrand, Hildegard Leffmann, Bertha Lenel, Heinrich Mayer, Lili Meyer, Arthur Nagelstein, Ludwig Nethe, Lili Reckendorf, Robert Schwarz. Insgesamt lassen sich durch einen Vergleich der publizierten Liste mit den Cimade-Quellen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon) 33 Bewohner des Coteau identifizieren, andere Namen jüdischer Coteau-Bewohner fehlen.

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setzgebung Vichys gesetzte Definition jüdisch-nichtjüdisch bedacht werden. Wird diese Dichotomie unbefragt übernommen, so wird Christinnen und Christen jüdischer Herkunft ihre Identität als Protestanten oder Katholiken abgesprochen.85 Hier kann auf Reinhart Koselleck verwiesen werden, der vor der „suggestiven Eigenkraft politischer Gegenbegriffe“ gewarnt hat. „Besonders antithetisch gehandhabte Begriffe sind geeignet, die Vielfalt tatsächlicher Beziehungen und Abschichtungen zwischen verschiedenen Gruppen so zu überformen, dass die Betroffenen . . . vergewaltigt werden . . .“86 Die Cimade beabsichtigte zwar mit der Gründung der Häuser vor allem die Rettung der Internierten aus den Lagern, wollte aber auch ihre Ziele als Evangelisationsbewegung weiter verfolgen. Noch 1944 ließen sich zwei der Heimbewohner taufen. Ein Cimade-Mitarbeiter bezeichnete es in einem Brief vom August 1945 sogar als einen Misserfolg, dass von der christlichen Gemeinschaft im Haus nicht eine stärkere Überzeugungskraft ausgegangen sei.87 Jüdische Flüchtlingsseelsorger äußerten dagegen schon frühzeitig ihre Kritik. Ein Rabbiner, der im Juli 1942 die Häuser des Secours Suisse, von FESE und der Cimade in Le Chambon aufgesucht hatte, berichtete, er habe etwa die Hälfte der angeblich vierzehn jüdischen Bewohner treffen können und stellte fest, dass sich eine gewisse Zahl von Konvertiten sowie von jüdischen Glaubensgenossen, die diesen Schritt vollziehen wollten, im Coteau Fleuri aufhielten. Erstaunen äußerte er angesichts der Tatsache, dass ein Haus mit etwa 60 Gästen von zwei Pastoren betreut wurde (vermutlich hat Elisabeth Schmidt zu dieser Zeit ihren Nachfolger Marc Donadille in die Arbeit eingeführt).88 Der Bericht vermerkt abschließend, dass Bekehrungsversuche offensichtlich ein Ziel der Einrichtung darstellten. Den Quellen lässt sich nicht entnehmen, ob diese Kritik gegenüber den Verantwortlichen der Cimade ausgesprochen wurde. Angesichts der Bedeutung, die das Coteau Fleuri nach dem Juli 1942 und mit dem Einsetzen der Deportationen als Ausgangspunkt für Fluchtaktionen von Christen jüdischer Herkunft und Juden bekam, traten die Spannungen hinsichtlich einer Evangelisierungsarbeit im Haus vermutlich in den Hintergrund.

85 Vgl. auch U. BÜTTNER, Protestanten, S. 18. 86 R. KOSELLECK, Gegenbegriffe, S. 214f. 87 Vgl. den Brief von D. an Barot vom 15.8.1945 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). Von den Konversionen 1944 berichtet Jeanne Sénat (CIMADE-ARCHIV PARIS: Heft „Mes souvenirs Cimade“, Abschnitt: Le Coteau Fleuri). 88 Bericht der jüdischen Aumônerie Générale vom Juli 1942 (CDJC PARIS: CCXIX–6).

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5.2.3 Bedrohung durch Deportation Bereits vierzehn Tage nach dem Einzug der ersten Heimgäste in das Coteau befanden sich in der gesamten Südzone alle diejenigen in größter Gefahr, die durch die Vichy-Regierung nach dem Statut vom Juni 1941 als jüdisch definiert worden waren und damit nun unter das Vernichtungsprogramm der Deutschen fielen. Laval und Pétain hatten ihrer Deportation zugestimmt, und Verhandlungen zwischen den Vertretern des Reichssicherheitshauptamtes in Paris und dem Chef der Vichy-Polizei hatten ihre Festnahme durch französische Polizei und ihren Abtransport in die Sammellager bei Paris möglich gemacht. Die erste Deportationswelle aus der noch unbesetzten Zone endete am 22. Oktober 1942, und ihr fielen nicht nur Internierte aus den Lagern zum Opfer, sondern auch Juden und Jüdinnen, die bei groß angelegten Razzien in den Departements festgenommen worden waren.89

5.2.3.1 Die Häuser als Ausgangspunkt für Rettungsaktionen Die Vertreter und Vertreterinnen der Hilfswerke waren sich im Klaren darüber, dass auch die Aufnahmehäuser von Abbé Glasberg, der Cimade, OSE und anderen Organisationen als Internierungszentren zu gelten hatten und die hier untergebrachten Menschen von der neuen Entwicklung bedroht waren.90 Schon Ende August 1942 machten Durchsuchungen und Festnahmen in einer Reihe von Häusern die Gefährdung der Einrichtungen mehr als deutlich. Diese Aktionen waren vermutlich alle Teil der großen Razzia vom 26. bis 28. August 1942, die auf Befehl von Bousquet in der Südzone durchgeführt worden war. 5.885 Juden und „Nichtarier“ wurden nach dem Ende dieser Menschenjagd nach Drancy verbracht und ab Anfang September 1942 nach Auschwitz deportiert. Weder die Säuglingsstationen der OSE noch die Kinderheime des Secours Suisse blieben verschont.91 Vermutlich beziehen sich auch die Berichte über Verschleppungen aus dem Glasberg-Haus in Le Pont-de-Manne-en-Royans auf dieses Datum. Hier hatten 89 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 173 und insgesamt ausführlich Kapitel 6.1 (unten S. 207ff.). 90 Barot in einem Brief vom 1.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon); vgl. auch die Äußerungen Glasbergs auf der Sitzung des Nîmes-Komitee vom 14.1.1942 (SHPF PARIS: DT Cam). 91 Vgl. insgesamt S. KLARSFELD, Vichy–Auschwitz, S. 150f. und 158f.; zu den OSE- und Secours Suisse-Heimen S. ZEITOUN, L’Oeuvre, S. 130; F. BOHNY-REITER, Vernichtung, S. 116f.

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mehrere Mitglieder der Cimade-Gemeinde aus Gurs Aufnahme gefunden, so z. B. Hans und Anni Ebbecke und das Ehepaar Peters. Sie konnten sich mit knapper Not vor einer Verhaftung retten.92 Im Coteau Fleuri hatte schon am 14. August ein Besuch eines Inspektors stattgefunden. Madeleine Barot informierte daraufhin Marc Boegner und bat ihn wenige Tage später, beim Präfekten des Haute-Loire für das Cimade-Heim zu intervenieren.93 Als die Gendarmerie von Fay-sur-Lignon im Zuge der Großrazzia am 26. August im Coteau erschien, befanden sich die 26 gesuchten Menschen, unter ihnen z. B. die Familie Besag, nicht mehr dort. Der Historiker Jacques Poujol vermutet, dass eine Benachrichtigung über die bevorstehende Razzia von einem Mitglied der Departement-Präfektur ausgegangen sein muss, so dass das Coteau Fleuri und Les Roches gewarnt werden konnten.94 Die Bedrohung durch Razzien riss auch nach dem Sommer 1942 nicht ab. Verschiedentlich war z. B. das Studentenhaus Les Roches Ziel von Durchsuchungen. Im Juni 1943 umstellte die Gestapo das Haus und ließ 19 jüdische und nichtjüdische Hausbewohner in Gefängnisse, Konzentrationslager und Vernichtungslager deportieren.95 Aber auch die Pensionsgäste im Coteau lebten in ständiger Ungewissheit und Angst. So musste Hubert Meyer vermutlich im Februar 1943 alarmierende Nachrichten an Madeleine Barot senden: Am frühen Morgen war die Police spéciale von Puy im Coteau erschienen und hatte einen Heimbewohner, Herrn Wolfradt, festgenommen. Insgesamt waren aus Chambon etwa ein Dutzend Männer nach Puy verbracht worden und sollten dort der Sichtungskommission vorgeführt werden.96

92 Merle d’Aubigné begleitete die Gruppe aus Gurs nach Pont-de-Manne Anfang Mai 1942; vgl. ihren Brief an Barot vom 9.5.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). Vgl. zu der Razzia den Bericht von E. C. FABRE, Pont-de-Manne, S. 180ff. (der Beitrag fehlt in der Neuausgabe von 1986), ungekürzt in: J. MERLE D’AUBIGNE/V. MOUCHON, Les Clandestins de Dieu, S. 154ff. 93 Vgl. F. BOULET, Etrangers, S. 338; P. BOEGNER, Carnets, S. 192. 94 Vgl. J. POUJOL, Victimes, S. 640; F. BOULET, Etrangers, S. 339; F. BOULET, Montagnes françaises, S. 352f. und den Bericht über die Hausdurchsuchung von M. DONADILLE, Der „Coteau Fleuri“, S. 119ff. Vgl. ausführlicher hierzu und zur Flucht der Hausbewohner Kapitel 5.2.3.2 (unten S. 195ff.). 95 Vgl. J. POUJOL, Victimes, S. 643f. 96 Hubert Meyer an Barot, vermutlich vom 25.2. (o. J.; 1943), die handschriftliche Datierung ist nicht mit Sicherheit zu erschließen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon); Verhaftungsaktionen haben in der Region am 25.2.1943 stattgefunden (vgl. F. BOULET, Quelques éléments, S. 296; J. POUJOL, Victimes, S. 641); außerdem war Meyer im Februar 1944 nicht mehr Leiter des Coteaus. Der Brief wurde Madeleine Barot von Françoise Rennes überbracht und nicht dem Postweg anvertraut. Über die unterschiedlichen französischen Polizeieinheiten, so auch die Funktionen der Police spéciale, informiert B. KASTEN, „Gute Franzosen“, S. 41ff.

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Aus dem Brief lässt sich schließen, dass die Durchsuchungen das Heim nicht mehr unvorbereitet trafen, denn Meyer fragte danach, ob die übrigen bedrohten Coteau-Bewohner, vor allem Frau Wolfradt, nun die Verstecke aufsuchen sollten. Nach der Razzia im August wurden demnach von der Cimade generalstabsmäßig Pläne ausgearbeitet, die im Falle einer Bedrohung wirksam werden sollten. Nachdem Lhermet im April 1943 die Heimleitung übernommen hatte, stellte Violette Mouchon mit ihm einen ähnlichen Plan auf, der in Zusammenarbeit mit den Chamboner Pastoren André Trocmé und Edouard Theis entwickelt wurde.97 Spätestens ab Spätsommer 1943 hatte die Hausgemeinschaft zusätzlich einen Wachdienst organisiert, der verdächtige Bewegungen auf der Zufahrtsstraße melden und auch in der Nacht Warnung geben sollte.98 Die Bedeutung des Cimade-Heimes als Ausgangspunkt der Fluchthilfe bestand somit in einer ersten Stufe darin, dass die Juden und Jüdinnen oder Christen jüdischer Herkunft möglichst vor Verhaftungsaktionen Zufluchtsorte in der Umgebung aufsuchten und daher während der Razzien nicht angetroffen wurden. Damit konnten die Schützlinge der Cimade in den Heimen vorläufig vor einer weiteren Bedrohung bewahrt werden. Eine endgültige Rettung war jedoch nur durch die Flucht aus der Südzone in die Schweiz oder nach Spanien möglich.99 Der Entschluss aber, die Verfolgten nicht zu einem Opfer der Razzien werden zu lassen, stellte einen ersten und wesentlichen Schritt dar, um sie überhaupt dem Zugriff eines Unrechtsregimes entziehen zu können. Es ging nun nicht mehr nur darum, ihnen nach jahrelangem Barackenleben, Unterernährung und Entbehrungen Erholung an Körper und Seele zu ermöglichen, sondern angesichts der weit unheilvolleren Bedrohung gezielt Hilfe zu leisten. In der Planung für die neuen Häuser hob Freudenberg diesen Aspekt unmissverständlich hervor und betonte, dass sich „von den Heimen aus die noch möglichen Rettungsaktionen am leichtesten durchführen“ ließen. Dies war der Cimade jedoch nur möglich, weil sie sich als staatlich anerkanntes Hilfswerk mit Mitarbeiterinnen, Mitarbeitern, Büros und Finanzierung eine legale Infrastruktur geschaffen hatte, die ab 1942 auch für die Organisation der Untergrundarbeit genutzt werde konnte und dafür unabdingbar war. Durch diese „taktische Zusammenarbeit“ mit dem Staat konnte erst die Basis für Widerstandshandeln gelegt werden. Die Mitglieder der Cimade wurden damit zu „legalen Illegalen“.100 97 Lhermet vermutlich an Barot o. D.; vierseitiger Brief mit der Ortsangabe Coteau Fleuri (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 98 Vgl. LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 302 (S. Loiseau-Chevalley); den Wachdienst bezeugt auch Jeanne Sénat in ihrem Bericht (CIMADE-ARCHIV PARIS: Heft „Mes souvenirs Cimade“, Abschnitt: Le Coteau Fleuri). 99 Vgl. unten Kapitel 7 (S. 247–292). 100 Vgl. zum Freudenberg-Zitat einen Auszug aus einem Brief Freudenbergs an Cedergren

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Mit dem Sommer 1942 überschritt die Cimade daher erstmals den Rahmen eines staatlich tolerierten Engagements für Flüchtlinge und Vertriebene und bewegte sich mit ihrer Arbeit in den Häusern an der Grenze zur Illegalität. Ihr Handeln bekam damit eine neue Qualität. Sie hatte erkannt, dass sie unter den Bedingungen einer Kooperation mit Vichy nicht mehr solidarisch für die von Deportation bedrohten Menschen tätig sein konnte. Die erbarmungslose Jagd auf die „Unerwünschten“ auch in den Heimen der Cimade und ihre Verschleppung und Auslieferung unter unwürdigsten Bedingungen waren für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht mehr tragbar. Indem sie die Verfolgten versteckten, verließen sie den Weg eines allein staatskonformen Handelns, der das Engagement in den Lagern und in den Heimen bisher bestimmt hatte und nahmen das Recht und die Pflicht zum Widerstand gegen staatliches Unrecht in Anspruch. Diese Arbeit im Untergrund unter Beibehaltung der legalen Fassade war jedoch nur durch die breite Unterstützung der Bevölkerung möglich.

5.2.3.2 Verortung in protestantischen Regionen Für die Heime der Cimade waren absichtlich Standorte in Regionen ausgesucht worden, die durch einen vergleichsweise hohen protestantischen Bevölkerungsanteil geprägt waren. Die Verantwortlichen erhofften sich in dieser Umgebung einen „moralischen Rückhalt“ der Einheimischen für die ausländischen Heimbewohner.101 Dies lässt sich für Pomeyrol im Bouchesdu-Rhône wie für Vabre im Departement Tarn nachweisen, und kann vor allem für das Vivarais-Lignon auch auf der Grundlage neuerer Forschungsergebnisse dargestellt werden. So wurde in Vabre im Tarn vielen bedrohten Juden und Jüdinnen Hilfe geleistet, die Dorfgemeinschaft unter der Leitung des Pastors Robert Cook und seiner Frau Jacqueline Marchand setzte sich kollektiv für die Verfolgten ein und suchte z. B. gemeinsam mit den protestantischen Jugendorganisationen Verstecke.102 Die Cimade konnte daher damit rechnen, dass ein vom 8.1.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–45, Heft Camps d’internement 1940– 1944). Vgl. zum Zusammenspiel von Kooperation und Widerstand J. SEMELIN, Ohne Waffen, S. 65f.; die Zitate EBD. 101 Protokoll des ECCO-Unterkomitees vom 15.7.1942 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner ECCO 1939–1945; Übersetzung U. G.). Zur protestantischen Bevölkerungsdichte in Frankreich vgl. die Karte bei M. LIENHARD, Frankreich, nach S. 380. 102 Vgl. den Bericht über die Ehrung Cooks im Oktober 1991 durch Yad Vashem (SHPF PARIS: DT Coo); zur Bedeutung Vabres als Widerstandsdorf außerdem F. BOULET, Montagnes françaises, S. 360 u. 372. Vgl. außerdem die mit hoher Sensibilität reflektierten Erinnerungen von Monique Köpke, die in den dreißiger Jahren mit ihren Eltern von Berlin

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Heim mit Internierten in diesem Dorf günstige Aufnahme finden würde. Die Heimleiterin Amélie Parker erinnert sich an den erfahrenen Beistand, „die immer brüderliche und wirksame Hilfe durch Pastor Cook und viele Freunde aus der Gemeinde, besonders Mademoiselle Gatumel“103. Der Mas du Diable bei dem Städtchen St. Etienne im Departement Bouches-du-Rhône lag nicht weit entfernt von dem protestantischen Rüstzeitenheim in Pomeyrol. Dieses befand sich seit 1937 im Besitz der Association des Pasteurs de France, die dort ein Haus für die Schwestern der 1923 von Wilfred Monod gegründeten religiösen Gemeinschaft Tier-Ordre des Veilleurs eingerichtet hatte. Maßgebliche Vertreterin war Antoinette Butte (1898–1986), die gemeinsam mit Violette Mouchon und anderen Frauen die Jugendorganisation der protestantischen Pfadfinderinnen in Frankreich aufgebaut hat.104 Von 1940 bis 1944 diente Pomeyrol wiederholt als Tagungshaus für die protestantischen Jugendorganisationen, so für die Pfadfinderinnen und die FFACE oder für die Freizeiten des CPJ, aber auch für Pastoralkonferenzen und Treffen anderer kirchlicher Gruppen. Bis zur Besetzung der Südzone durch die Deutschen waren häufig Vertreterinnen und Vertreter der Genfer Ökumene wie Willem A. Visser ’t Hooft oder Suzanne de Diétrich in Pomeyrol zu Gast. Madeleine Barot hoffte auf die Mitarbeit der Frauen von Pomeyrol, um den Hausbewohnern des Mas du Diable das Einleben zu erleichtern. Sie bat Antoinette Butte schon Anfang August 1942, als Seelsorgerin des Hauses tätig zu sein und den Leuten „ein bißchen ‚Gemeinde‘_“ zu gestalten. Es genüge nicht, sie aus den Lagern herauszuholen, man müsse den ehemaligen Internierten helfen, sich an ein normales Leben zu gewöhnen und sie müssten Unterstützung in der Umgebung finden.105 Obwohl das Heim nur eine kurze Zeit existierte, zeigen die Dankschreiben der Bewohner, dass diese Vorstellung von Barot hatte verwirklicht werden können und die ehemaligen Internierten Aufnahme in die Gemeinschaft von Pomeyrol fanden.106 Le Chambon-sur-Lignon und das Plateau Vivarais-Lignon als Rettungsinsel für Verfolgte unter dem Nazi-Regime wurde erstmals in den 1970er nach Paris emigrierte und aufgrund der Hilfe der jüdischen Pfadfinderorganisation überlebt hat, während ihre Eltern 1942 von Le Vernet bzw. Gurs deportiert wurden und in den Vernichtungslagern starben. Sie war in einem Heim in Vabre untergebracht und berichtet von der Unterstützung durch protestantische Pfadfinderinnen sowie durch die Gemeinde und den Pfarrer von Vabre (M. KÖPKE, Nachtzug nach Paris, S. 333ff.). 103 Bericht von Amélie Parker (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II; Übersetzung U. G.). 104 Vgl. A.-S. FAULLIMMEL, Scoutisme féminin, S. 486f. 105 Barot an Antoinette Butte vom 1.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Marseille, Marie Durand, Hôtel Bompard, St. Cyprien]; Übersetzung U. G.; kursiv Gesetztes im Original in deutscher Sprache). 106 Brief der Heimbewohner des Mas du Diable vom 10.11.1942 an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand).

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und 1980er Jahren durch Ehrungen von Yad Vashem, durch Gedenkveranstaltungen und Veröffentlichungen einer größeren Öffentlichkeit bekannt.107 Die Erinnerung an die damaligen Ereignisse war jedoch auch durch mythenhafte Züge geprägt. Erst allmählich setzte eine wissenschaftliche Aufarbeitung auf der Basis eines grundlegenden Quellenstudiums ein. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit wurden erstmals 1990 auf einem Kolloquium in Chambon präsentiert, das die Grundlage für die weitere Forschung bildet.108 Die Bedingungen für eine Aufnahme von Fremden und Vertriebenen waren im Vivarais-Lignon günstig: Die abgelegene und kaum durch Straßen erschlossene Bergregion, die in den harten Wintern oft lange von der Außenwelt isoliert war, blickte auf eine alte Zufluchtstradition zurück, die schon zur Zeit der Verfolgungen der reformierten Christen im 16. Jahrhundert und unter Ludwig XIV. wirksam gewesen war. Chambon-sur-Lignon, eine von 17 Gemeinden auf dem Plateau, war zu 95 % protestantisch, insgesamt belief sich der Anteil der Protestanten an der Bevölkerung in dieser Region auf 38 %, eine angesichts des Minderheitenstatus der evangelischen Christinnen und Christen von weniger als zwei Prozent in ganz Frankreich hohe Zahl.109 Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Region mit ihren kurzen, aber schönen Sommern und dem alpinen Klima als Sommerfrische entdeckt. Zunächst kamen erholungsbedürftige Kinder aus städtischen Ballungsräumen, denen durch christliche Organisationen Aufenthalte auf Bauernhöfen, später auch in Ferienheimen finanziert wurden. Der Fremdenverkehr bekam in den 1920er und 1930er Jahren eine immer höhere Bedeutung, so existierten beispielsweise 1939 allein in Le Chambon neun Hotels und 38 Pensionen. In den dunklen Jahren seit 1940 lebte die Tradition des Vivarais-Lignon als Zufluchtsstätte wieder auf. Die französischen Protestanten wandten sich in Erinnerung an die eigene Verfolgungsgeschichte den Juden und Jüdinnen als der nun bedrohten religiösen Minderheit zu. Diese Entwicklung wurde durch mentalitätsgeschichtliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Gruppen, die antiklerikale Einstellung, das elitäre Selbstverständnis aufgrund der Minoritätensituation und die Vertretung demokratischer und republikanischer Ideale noch begünstigt.110 Dabei war die existierende touristische Infrastruktur nicht ohne Bedeutung. So konnten Hilfswerke wie 107 Vgl. z. B. P. HALLIE, Le Chambon. 108 Vgl. LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON; S. AMMERSCHUBERT, Juden, S. 109ff.; F. BOULET, Montagnes françaises, S. 54ff. et al. 109 Vgl. hierzu und zum folgenden M. FABREGUET, Réfugiés. 110 Vgl. F. BOULET, Juifs et Protestants, S. 351ff.; F. BOULET, Montagnes françaises, S. 340f. Zur Bedeutung der touristischen Infrastruktur EBD., S. 361f.

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die Cimade Unterbringungsmöglichkeiten für eine größere Zahl von Menschen durch Anmietung von Pensionen schaffen. Aber auch privat fanden Emigranten in Gastzimmern und auf Bauernhöfen Unterkunft. Nach den Forschungen und Berechnungen von François Boulet haben zwischen 1941 und 1944 500 bis 900 jüdische Flüchtlinge auf dem Plateau gelebt.111 Für die Verbindungen zu den Hilfswerken und Rettungszirkeln spielten in Chambon-sur-Lignon die örtlichen Pastoren André Trocmé und Edouard Theis eine zentrale Rolle und das Pfarrhaus von Magda Trocmé war für die Flüchtlinge eine wichtige Anlaufstelle. Wie bedeutend die Gründung eines Cimade-Heimes gerade in dieser Region war, zeigte sich bereits wenige Wochen nach der Ankunft der ersten neuen Heimgäste aus Gurs und Rivesaltes. Nur durch die Hilfsbereitschaft der Einheimischen war es der Cimade möglich, die 26 bedrohten Einwohnerinnen und Einwohner vor der akuten Gefahr während der Großrazzia im August und September 1942 zu retten. Eine Tochter von Martha Besag berichtet über die vielen verschiedenen Fluchtstationen, die erste Nacht in der Scheune eines Bauernhauses, Verstecke am Berghang unter Farnkraut, in einem weiteren Wirtschaftsgebäude, einer alten Villa und schließlich in einem abgelegenen und leer stehenden Landhaus. Überall wurden sie, die Fremden und Verfolgten, wie selbstverständlich mit Freundlichkeit und Wärme von den Besitzern aufgenommen und versorgt. „Wenn nicht die ganze Bevölkerung in der Gegend von Le Chambon einschließlich vieler Gendarmen auf unserer Seite gestanden hätte, wären wir ganz sicher nicht lebend herausgekommen. Als wir einen unserer Helfer fragten, wieso sie sich . . . so selbstlos für uns einsetzten, antwortete er: ‚Früher waren wir verfolgt, und jetzt seid ihr es. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir euch helfen.‘ Er meinte damit die Zeit der Hugenottenverfolgungen, die in der Erinnerung der Menschen dort sehr lebendig geblieben ist.“112

Auch andere Coteau-Bewohnerinnen wie Lili Reckendorf oder Bertha Lenel konnten diese kollektive Erinnerung ihrer Helfer an die eigene Geschichte von Verfolgung und Repression als das Movens für die Unterstützung benennen, die sie auf dem Plateau bis zu ihrer Flucht in die Schweiz gefunden hatten. Dennoch überrascht es, dass die Behörden offenbar nicht nach den Coteau-Heiminsassen fahndeten. Obwohl mit Sicherheit über die Jahre mindestens 23 Flüchtlinge, vermutlich aber eine weit höhere Zahl, das Haus verlassen hatten, finden sich keine Hinweise auf durchgreifende Maßnahmen von seiten der Obrigkeit.113 Verschiedene Erinnerungszeugen 111 Vgl. F. BOULET, Quelques éléments, S. 297ff. 112 H. Ü., Chambon-sur-Lignon, S. 123ff.; das Zitat S. 126. 113 Auf einer vom Flüchtlingssekretariat erstellten Liste der in der Schweiz angekommenen

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berichten sogar, dass die Fluchtaktionen von der regionalen Gendarmerie begünstigt worden seien. Madeleine Barot zufolge hätten sich die Polizisten auf der vom Coteau aus gut zu überschauenden Straße bewusst langsam genähert und damit den Gesuchten die Möglichkeit zum Aufsuchen der Verstecke gegeben, bevor sie das Haus überhaupt erreicht hatten.114 Einen Hinweis auf direkte Kooperation zwischen der Cimade und der Gendarmerie zum Wohl der Flüchtlinge gibt ein ausführlicher Brief von Elisabeth Perdrizet, der möglicherweise im Januar 1944 während eines Besuchs im Coteau verfasst worden ist. Anlass war vermutlich eine Razzia auf Bewohner des Hauses, die Zwangsarbeitsdienst leisten oder in die Organisation Todt eingegliedert werden sollten. Perdrizet berichtet von einem längeren Gespräch mit „dem Brigadier“, in dem dieser der Cimade geraten habe, die gesuchten Männer aus der Region verschwinden zu lassen, ihr weiterer Aufenthalt hier sei gefährlich.115 Weitere Angaben macht Perdrizet zu ihrem Gesprächspartner nicht, ihre Schilderungen verdeutlichen jedoch, in welchem Maß die Gendarmerie mit dazu beitrug, dass Auslieferungen von bedrohten Emigranten an die deutsche Besatzungsmacht verhindert wurden.116 Neben der Gendarmerie waren jedoch auch noch andere Vertreter von Polizeieinheiten in Chambon tätig. Mehrere Berichte erwähnen einen Polizeiinspektor namens Praly, der Informationen über Widerstandskämpfer und Flüchtlinge sammelte und Festnahmen durchführen ließ, darunter z. B. diejenige im Coteau Fleuri im Februar 1943.117 Während Praly allseits gefürchtet war und am 6. August 1943 einem Attentat von Mitgliedern der Résistance zum Opfer fiel, verfolgte der neu eingesetzte Inspektor offenbar Flüchtlinge lassen sich 23 Namen Coteau-Bewohnerinnen oder -Bewohnern zuordnen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–45, Heft Camps d’internement 1940–1944). 114 Vgl. M. BAROT, Bereitschaft, S. 68f. Auch S. Loiseau-Chevalley bezeugt für den Sommer und Herbst 1943, dass sich die Gendarmen „einige Male“ langsam genähert hätten (in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 302). Von einem guten Verhältnis zur Polizei berichtet auch Jeanne Sénat (CIMADE-ARCHIV: Heft „Mes souvenirs Cimade“, Abschnitt: Le Coteau Fleuri). 115 Perdrizet an Barot o. D. (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon; Übersetzung U. G.). Der Brief erwähnt Jeanne Sénat als Leiterin des Coteau und führt die Ausgaben des Hauses bis Dezember 1943 auf, er kann daher frühestens auf den Januar 1944 datiert werden. Sénat musste den hier gemachten Angaben Perdrizets zufolge über die Entflohenen eine Erklärung vor einer GTE abgeben, außerdem wird eine von den „Deutschen“ geforderte Erhebung unter den Flüchtlingen genannt, die auch nichtjüdische Frauen und Männer betreffen sollte. 116 Darauf weist allgemein für das Departement Haute-Loire auch F. BOULET, Etrangers, S. 344 hin. 117 So die Festnahmen vom 25.2.1943 (vgl. J. POUJOL, Victimes, S. 641), über die Meyer an Barot berichtete. Vgl. zu Praly auch F. BOULET, Montagnes françaises, S. 364. Demnach war Praly ein Vertreter der Police nationale und eigens nach Chambon beordert, um das Coteau und Les Roches zu überwachen.

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keine harte Linie. So berichtete Madeleine Barot nach einer Razzia Ende August 1943 vorsichtig, dass die Aufregung zwar groß gewesen sei. In Chambon aber habe ihnen „der Nachfolger von Praly für die vorgesehene Verteilung Zeit gelassen“. Damit deutete sie an, dass die bedrohten Heimbewohner die vorbereiteten Verstecke aufsuchen konnten.118 Trotz dieser Hinweise auf eine wohlwollende Haltung seitens der Polizeikräfte lebten die Heiminsassen unter ständiger Spannung.119 Sie mussten auf Besuche und Nachforschungen der Gendarmerie vorbereitet sein, damit die bedrohten Flüchtlinge sich verstecken konnten. Darüber hinaus wurde die Region auch von Razzien des deutschen Sicherheitsdienstes und der kollaborierenden Vichy-Miliz heimgesucht. So hatte eine deutsche Einheit im Juni 1943 in Les Roches 19 Bewohner festgenommen, der Heimleiter wurde in Maidanek ermordet. Das Coteau Fleuri lag nur wenige Kilometer vom Studentenheim entfernt, und dieses Eingreifen der Gestapo hat sicher zur Erhöhung des Unsicherheitsgefühls in der Umgebung beigetragen.120 Allein mit dem wohlwollenden Verhalten der Bevölkerung und der französischen Polizei lässt sich indes nicht erklären, wie sich das Vivarais-Lignon zu einer rettenden Insel entwickeln konnte. François Boulet schreibt unter vorsichtiger Abwägung der vorliegenden Quellen Robert Bach, dem Präfekten des Departement Haute-Loire, eine zentrale Rolle als Beschützer der Region zu.121 Der Präfekt ist demnach zwar als überzeugter Pétainist zu charakterisieren, war jedoch kein eifriger Verfechter der Révolution nationale. Bach äußerte in seinen Berichten beträchtliches Interesse für den protestantischen Landstrich in der Haute-Loire und stattete der Gegend mehrfach Besuche ab. Er setzte sich für die Freilassung der Chamboner Pastoren Trocmé und Theis sowie des Schuldirektors Darcissac ein, die am 13. Februar 1943 auf Befehl des Innenministeriums festgenommen und bis zum 15. März interniert worden waren. Im Oktober 1942 sprach er sich gegen die Einrichtung einer permanenten Polizeistation in Le Cham118 „Au Chambon, le successeur de Praly nous a fait prendre à temps le dispositif de dispersion“; Barot an Charles Guillon vom 1.9.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). Wie üblich bei Barots Untergrundnachrichten an Guillon lautete die Anrede „Cher Oncle Charles“ und war unterschrieben mit „Monette“, dem Code-Namen Madeleine Barots seit April 1943. 119 Vgl. den Bericht von Sénat (CIMADE-ARCHIV PARIS: Heft „Mes souvenirs Cimade“, Abschnitt: Le Coteau Fleuri). 120 Vgl. zur Einordnung der Verhaftungsaktion J. POUJOL, Victimes, S. 645; F. BOULET, Etrangers, S. 341. Poujol und Boulet charakterisieren die deutsche Einheit als Gestapo, vermutlich handelte es sich um Einheiten der Dienststelle des SD in Clermont-Ferrand (vgl. J. POUJOL, Victimes, S. 644). Zum Einsatz von SD und Sicherheitspolizei in der Südzone vgl. B. KASTEN, Gestapo in Frankreich, S. 370ff. 121 Vgl. zum Folgenden F. BOULET, Etrangers, S. 335ff.; DERS., Montagnes françaises, S. 352ff.

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bon aus, die eine umfassendere Bewachung zur Folge gehabt hätte. Und es ist möglicherweise auf ihn zurückzuführen, dass die betroffenen Häuser in Chambon-sur-Lignon schon am 24. August 1942 über die bevorstehende große Razzia informiert waren und die Gendarmen weder in Les Roches noch im Coteau die gesuchten Menschen festnehmen konnten. Boulet vermutet, dass Hinweise auf die internationale Unterstützung der Häuser Einfluss auf die Haltung des Präfekten gehabt haben könnten. André Trocmé hatte am 16. August – mit nicht ganz zutreffenden Angaben – darauf aufmerksam gemacht, dass es sich beim Coteau um eine Gründung der schwedischen Königsfamilie handele (damit bezog er sich auf die Unterstützung durch die YWCA-Repräsentantin Elsa Cedergren als Mitglied des schwedischen Königshauses) und Les Roches mit Geldern aus der Schweiz und den USA gefördert werde.122 Marc Boegner entsprach am 20. August dem Wunsch Madeleine Barots nach einer Intervention für das Cimade-Heim beim Präfekten. Er hob in seinem Brief hervor, dass die Einrichtung unter dem Schutz der Fédération Protestante stehe und betonte, dass die beschlossene Auslieferung jüdischer und konvertierter christlicher Flüchtlinge an Deutschland im neutralen Ausland beträchtliche Aufregung erzeugt hätte: „Vor allem muss ich Ihnen das schmerzliche Erstaunen in Schweden wie in der Schweiz über die Ausweisungsmaßnahmen zur Kenntnis bringen, die die Pensionäre des Coteau Fleuri betreffen. Eine Nichte des Königs von Schweden, Frau Cedergren, geborene Prinzessin Bernadotte, interessiert sich persönlich für dieses Haus. Sie hat dafür unter den höchsten Persönlichkeiten der schwedischen Gesellschaft zahlreiche Beiträge gesammelt. Sehr großzügige Freunde Frankreichs in der Schweiz fühlen sich ebenso betroffen. Es scheint mir unabdingbar, dass die Regierung ihre Aufmerksamkeit auf dieses nachhaltige Aufsehen über die jüngst getroffenen Beschlüsse richtet.“123

Dass sich Robert Bach, der Ende der 1930er Jahre als Mitglied des Außenministeriums ein Amt beim Völkerbund in Genf innehatte, von den Vorhaltungen Trocmés und Boegners bewegen ließ, ist möglich, auch wenn endgültige Beweise für diese These fehlen. Dabei wird es auch nicht ohne Bedeutung gewesen sein, dass sich mit Marc Boegner der höchste Repräsentant der protestantischen Kirchen beim Präfekten für die Flüchtlinge im Coteau Fleuri einsetzte. Boegner war aufgrund der engen Kooperation zwischen dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat, dem Hjälp Krigets Offer! und dem französischen Kirchenbund über das Coteau detailliert in122 Dieser Brief wird zitiert bei F. BOULET, Etrangers, S. 338. Zum Ehepaar Hugo und Elsa Cedergren und ihrer Arbeit für das Cimade-Heim vgl. Kapitel 5.2.1.2 (oben S. 177f.). 123 Boegner an den Präfekten des Haute-Loire vom 20.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon; Übersetzung U. G.).

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formiert und konnte die ranghohe Fürsprache durch Elsa Cedergren herausstellen. Für die Cimade hätte sich damit bewiesen, welche Wichtigkeit ihrer nationalen und internationalen Vernetzung durch die im ECCO zusammengeschlossenen Organisationen zugekommen ist. Dass die Verhaftung und Abschiebung von Heimgästen des Coteaus auf entschiedene Kritik von höchsten Kreisen im Ausland gestoßen wäre, hat vermutlich zum Schutz vor der Deportation beigetragen. Die Cimade in den kleineren Internierungszentren

5.3 Die Cimade in den kleineren Internierungszentren Bisher liegen kaum Studien über die kleineren Internierungszentren vor, in die seit Anfang 1942 Insassen der großen Lager verlegt wurden.124 Diese neuen Zentren bestanden hauptsächlich aus zwei Formen: den sog. Centres de résidence assignée (angewiesene Aufenthaltsorte) und den Einrichtungen des Service Social des Etrangers (SSE). Die Cimade versuchte auch an diesen Zentren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu platzieren und den Internierten zur Seite zu stehen. Centres de résidence assignée wurden häufig in größeren Hotels eingerichtet, die in der Kriegs- und Besatzungszeit aufgrund der fehlenden Urlaubsgäste leer standen. Den Besitzern halfen die Zahlungen für die Einquartierung von Flüchtlingen, um über die wirtschaftlich unsicheren Zeiten hinwegzukommen. Insgesamt sollen in der Südzone etwa dreißig Centres de résidence assignée bestanden haben.125 So wurden Internierte aus Gurs zunächst in Kurorte an der Pyrenäengrenze verlegt. Jeanne Merle d’Aubigné begleitete einen diesen Transporte und richtete im Oktober 1942 in Eaux-Bonnes unter großen Schwierigkeiten ein Cimade-Foyer in einem verlassenen Kasino ein. Nachdem jüdische Flüchtlinge auch die Regionen an der Grenze zu Spanien nach der Besetzung der Südzone durch die Deutschen nicht mehr bewohnen durften, wurden diese Internierten in mehrere Centres de résidence assignée im Departement Creuse an der innerfranzösischen Demarkationslinie eingewiesen. Merle d’Aubigné zufolge handelte es sich dabei um etwa 3.000 Personen, die nun in dem Ort Naillat und umgebenden Dörfern untergebracht werden sollten. Nach den Erin124 Eine umfassendere Darstellung bietet bisher nur C. EGGERS, L’internement, S. 43ff. Vgl. aber auch A. GRYNBERG, Camps, S. 280ff.; F. BOULET, Montagnes françaises, S. 295ff. 125 Vgl. C. EGGERS, L’internement, S. 51 sowie zur Bedeutung für Hoteliers F. BOULET, Montagnes françaises, S. 295ff. u. 325. Für einzelne Internierte mit schlechtem Gesundheitszustand, die eine entsprechende finanzielle Bürgschaft nachweisen konnten, war eine zeitweise Verlegung in Pensionen bereits vor dem Herbst 1942 möglich, dies galt z. B. für Maria Krehbiel-Darmstädter und die Geschwister Liefmann. Zu den Liefmanns vgl. E. RÖHM/ J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 215ff.

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nerungen der Cimade-Mitarbeiterin hatte der zuständige Polizeikommissar in Eaux-Bonnes diesen Transfer zum Schutz der von Deportation bedrohten Menschen bewusst in ein Departement geleitet, dessen Präfekt für seine Widerstandshaltung bekannt war und mit Bedacht eine sehr abgelegene Gegend für die Einquartierung auswählte.126 Sollte dies zutreffen, so könnte hier ein weiteres Beispiel der Cimade für die Mitarbeit von Polizei und Präfektur zur Rettung von Juden und Jüdinnen angeführt werden. Daneben waren es die Zentren des Service Social des Etrangers unter Gilbert Lesage, die die großen Lager ablösten und in der Phase zwischen 1942 und 1944 zu wichtigen staatlichen Internierungsorten wurden. Sie waren seit September 1941 zunächst für invalide GTE-Mitglieder oder Familien der Männer eingerichtet worden, die sich in den Zwangsarbeiterkolonnen befanden.127 Spätestens seit 1943 wurden die Bestimmungen der SSE-Zentren jedoch deutlich ausgeweitet und auch andere Internierte hier aufgenommen. Eggers zufolge erhielt der SSE im Juli 1943 die Zuständigkeit für alle Internierungsorte, und die Organisation änderte ihren Namen in Contrôle Social des Etrangers.128 In den einzelnen Einrichtungen des SSE stieg die Zahl der Insassen nie über dreihundert, so dass Verwaltung und Versorgung dieser Lager einfacher zu handhaben waren. Jeanne Sénat berichtet von der Umwandlung des Internierungslagers Masseube etwa im Juni 1943 in ein SSE-Zentrum. Sie erinnert sich daran, dass das Wachpersonal auf wenige Mitglieder reduziert wurde, die Lagerinsassen wohlwollender behandelt wurden und die Ernährung sich verbesserte.129 Beispielhaft wird hier deutlich, dass sich die Lebensbedingungen in den SSE-Zentren von den vormaligen Internierungslagern abhoben. Sie waren in der Mehrheit ebenfalls in Hotels oder kleineren alten Schlössern untergebracht und nur wenige bestanden noch wie Masseube oder La Meyze aus Barackenlagern, die nicht mit Stacheldraht eingezäunt waren.130 126 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 111 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 98f.). Jüngere Leute aus dem Internierungszentrum Eaux-Bonnes waren vor der Verlegung in die Creuse über die Pyrenäen nach Spanien geflohen. Über die Probleme des Foyers vgl. ihren Brief an Barot vom 8.11.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). 127 Vgl. C. EGGERS, L’internement, S. 43ff. 128 Studien zur Geschichte der Generalinspektion der Lager unter Jean-Faure gerade im Vergleich zu der offenbar konkurrierenden Institution des SSE fehlen. Im Folgenden wird die Bezeichnung Service Social des Etrangers beibehalten. 129 Bericht Jeanne Sénat „Mes souvenirs Cimade“, Teil: „Masseube 1943“ (CIMADE-ARCHIV PARIS), Bericht von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan, die vom Juli bis zum September 1943 in Masseube tätig gewesen ist (Privatarchiv von Jacqueline Laurier, freundlicherweise zugänglich gemacht am 12.7.1996). 130 Vgl. zu La Meyze einen Brief von Barot an Micheline Alvares vom 13.12.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Gestion, financière); vgl. insgesamt C. EGGERS, L’internement, S. 47; A. GRYNBERG, Camps, S. 282.

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Sowohl die Centres de résidence assignée als auch die SSE-Zentren sind daher Beispiele für die Versuche der Vichy-Regierung, „gute Lager“ zu schaffen und es nicht zu den skandalösen Verhältnissen kommen zu lassen, die in den ersten zwei Jahren des Regimes die vielfältige Kritik der inund ausländischen Hilfswerke hervorgerufen hatten. Mit Recht weist jedoch Christian Eggers daraufhin, dass sie dieselbe Funktion erfüllten wie schon die großen Internierungslager. Sie fungierten als Mittel zum staatlich beabsichtigten Ausschluss und zur Isolation unerwünschter Menschen, und die Insassen dieser Zentren waren nicht vor den Deportationsmaßnahmen geschützt, die nach dem Sommer 1942 noch erfolgen sollten.131 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Cimade waren in einer Reihe von SSE-Zentren tätig, so in Châteauneuf, Combronde und Neybouzat im Departement Puy-de-Dôme, in Masseube, Séreilhac und La Meyze im Departement Haute Vienne, in Douadic im Departement Indre und in Château-le-Roc. Abgesehen von wenigen Frauen wie Jeanne Sénat in Masseube und Jeanne Merle d’Aubigné, die von Naillat nach Douadic gekommen war, handelte es sich bei ihnen meist um neu angeworbene, noch sehr junge Studierende, die die größeren Internierungslager wie Rivesaltes und Récébédou nicht mehr aus eigener Anschauung kannten. Sie übernahmen jedoch von dort Materialien, so gelangten z. B. Bücherkisten, Gesangbücher und Bibeln aus Gurs nach Masseube, vom Foyer Marie Durand in Marseille nach Douadic und von Nexon nach La Meyze.132 Die erhaltenen Berichte von Marie-Louise Brintet über Masseube und von Colette de Conninck über La Meyze weisen darauf hin, dass sich das Angebot in den Foyers nicht wesentlich von dem bisherigen Engagement der Cimade unterschied.133 Allerdings kümmerten sich die Cimade-Mitglieder nun meistens um mehrere Zentren in einer Region gleichzeitig und besuchten die Insassen wöchentlich, ohne in den Lagern zu wohnen. Ihre Tätigkeit war jedoch um so wichtiger geworden, als die Cimade oft als einzige Hilfsorganisation in den Internierungszentren zugelassen war und mit der Verteilung von materiellen und finanziellen Zuwendungen von jüdischen und sonstigen nichtstaatlichen Institutionen beauftragt wurde.134 131 Vgl. C. EGGERS, L’internement, S. 49 u. 52. Dies deutet auch der Bericht „Parlons de la Cimade“ an, der nach der Befreiung im Sommer 1944 verfasst wurde (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique 1939–1950, Ordner Orientations et programmes d’action 1939–1980). 132 Barot an Toureille vom 31.10.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Comités, conseil, approches politiques]). 133 Typoskript der Erinnerungen Brintets ohne Überschrift (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique); Bericht von de Conninck (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). 134 Barot an Evelyn C. Fox vom 30.1.1943 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5); lobende Erwähnung findet das Foyer unter Jeanne Sénat in dem Bericht eines Flüchtlingsrabbiners über Masseube (CDJC PARIS: CXVIII–18a).

Die Cimade in den kleineren Internierungszentren

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Aber wie in den Internierungslagern war auch die Tätigkeit der Cimade in den neuen Zentren nur unter enger Kooperation mit staatlichen Stellen, und das hieß vor allem mit dem Service Social des Etrangers und seinem Leiter, möglich. Gilbert Lesage informierte die Zentren ausführlich über die protestantische Hilfsorganisation, die Intentionen ihrer Arbeit und ihre Aufgaben im Lager.135 Er wies auf die konfessionelle Ausrichtung der Cimade hin, beschrieb ihre Arbeitsweise und machte darauf aufmerksam, dass ihre Mitglieder in keinem Fall Funktionen des Personals der Zentren übernehmen dürften. Sie sollten im Lager ein intellektuelles und künstlerisches Leben ermöglichen, Unterhaltung z. B. durch die Einrichtung einer Bibliothek bieten und für die Protestanten kirchliche Aktivitäten organisieren. Lesage zeigt sich hier sehr gut informiert über die Cimade und bestrebt, sie weitestgehend in ihrem Engagement für die SSE-Zentren zu unterstützen. Die wenigen erhaltenen Quellen weisen darauf hin, dass Elisabeth Perdrizet, die seit Mitte 1942 Madeleine Barot als Reisesekretärin unterstützte, für die Verhandlungen mit Lesage in Vichy zuständig war. Sie machte sich Notizen über die Anfragen der Cimade-Mitarbeiterinnen über Kleidungszuwendungen, Verbesserungen in der Verpflegungszuteilung für die Internierten und die Kritik an der Aufnahme der Cimade durch die Lagerleiter.136 Möglicherweise ist der oben zitierte Brief von Lesage eine Reaktion auf ein Gespräch mit Elisabeth Perdrizet, das diesen Punkt betroffen haben könnte. Eine Beurteilung des Verhältnisses der Cimade zum SSE und seinem Leiter ist auf Grundlage der wenigen Quellen schwierig. So wurden von Lesage auch Untergrundaktionen zur Rettung von bedrohten Juden und Jüdinnen unterstützt, wofür er von Yad Vashem als Gerechter der Völker geehrt worden ist.137 Vermutlich hat indes Madeleine Barot den SSE eher als die staatstragende Institution eingeordnet, als die er sich mit der Ansiedlung bei der Vichy-Regierung und Integration in das Internierungssystem präsentiert hat. Der Quäker Lesage wollte sich zwar von humanitären Richtlinien leiten lassen, begab sich jedoch letztlich durch seine Einbindung in die Internierungspolitik Vichys in eine kompromittierende Situation, die von der Cimade-Generalsekretärin als problematisch betrachtet wurde.138 So weigerten sich Madeleine Barot und Elisabeth Perdrizet in der lang135 Schreiben von Lesage an die regionalen Abgeordneten des SSE und Leiter der Zentren o. D.; „objet: Oeuvre la Cimade“ (CDJC PARIS: DCLXXXII–1, Fond Lesage). Der Brief kann frühestens im Juli 1943 verfasst worden sein, da als Briefkopf bereits der Contrôle Social des Etrangers genannt wird. 136 Briefe von Brintet an Barot vom 24.9. und 18.11.1943 aus La Meyze mit angehefteten handschriftlichen Notizen, die Perdrizet zuzuordnen sind (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Nexon. Equipiers]). 137 Vgl. L. LAZARE, Livre des Justes, S. 62ff.; 248. 138 Vgl. die Einschätzung von L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 199f.

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Solidarität mit Flüchtlingen

wierigen Gründungsphase des Cimade-Hauses in Vabre entschieden, die Hilfe des SSE für dieses Projekt in Anspruch zu nehmen.139 Sie waren demnach überzeugt davon, dass die Schützlinge der Cimade nur in einem von ihr geleiteten und verwalteten Heim eine rettende Zuflucht finden konnten, während der Aufenthalt in einem SSE-Zentrum eine Fortsetzung der staatlichen Internierung unter humaneren Bedingungen war. Eine Zusammenarbeit mit dem SSE kam nur infrage, um den Menschen in dessen Zentren weiterhin zur Seite stehen zu können.

139 Briefe von Jeanne Tendil an Barot aus Gurs vom 30.4. und 12.5.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). Tendil hatte das Projekt dem SSE-Beauftragten in ihrer Region vorgestellt und war deswegen von Perdrizet sehr kritisiert worden.

Die Deportationen aus der Südzone

KAPITEL 6 Die Deportationen aus der Südzone – Impetus zum Widerstand Und tief gebückt werden zu dir kommen die Söhne deiner Bedrücker und alle, die dich geschmäht, werden dir zu Füßen fallen und dich nennen „Stadt des Herrn“, „Zion des Heiligen Israels“. Jes 60,14 Predigttext des Rabbiners René S. Kapel in Gurs zu Shabbat am 29.8.42 Der Beginn der Depo rtationen im Sommer 1942

6.1 Der Beginn der Deportationen im Sommer 1942 Im Sommer 1942 begann eine neue Phase antisemitischer Verfolgung in Vichy-Frankreich. Bisher hatte die größte Bedrohung für Emigranten, die noch aus eigenen Mitteln in den Städten und Dörfern der Südzone lebten, in der Einweisung in eines der Lager bestanden. Die Internierten mussten ihrerseits die psychische Entwürdigung eines Barackenlebens aushalten und versuchen, trotz der Mangelversorgung, der Unterernährung und den Hungerkrankheiten zu überleben. Seit Anfang August 1942 sahen sich die Juden und Jüdinnen jedoch einer neuen, weit tödlicheren Bedrohung ausgesetzt, die die bis dahin erlittenen Diskriminierungen in den Schatten stellte. In einer neuen Spirale antisemitischer Gewalt machten sich die Kollaborationspolitiker von Vichy nun zu Erfüllungsgehilfen des nationalsozialistischen Vernichtungsplanes. In den folgenden zwei Jahren sollten bis zum August 1944 mehr als zwanzigtausend Menschen aus der Südzone in die Hände der deutschen Besatzungsmacht ausgeliefert werden. Die Deportationszüge fuhren über die Demarkationsgrenze zu den Durchgangslagern bei Paris, in erster Linie Drancy, von dem aus meist wenige Tage später die Transporte mit dem Ziel Auschwitz oder Maidanek zusammengestellt wurden. Wer einmal in Drancy angekommen war, hatte kaum eine Chance, den Todeslagern in Osteuropa zu entgehen.

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Die Deportationen aus der Südzone

Die administrativen Grundlagen für die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in Europa waren im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz erarbeitet worden. In den folgenden Monaten setzten die Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) in den besetzten Ländern Westeuropas in Zusammenarbeit mit ihrer obersten Dienststelle in Berlin die Kontingente fest, die aus den Niederlanden, Belgien und Frankreich in die Vernichtungslager verbracht werden sollten. Die deutschen Besatzungsbehörden in Paris bemühten sich nun mit großem Eifer darum, Massendeportationen aus der besetzten und unbesetzten Zone vorzubereiten. Da weder die Militärverwaltung noch die Beamten des RSHA in Frankreich über ausreichende Kräfte für die Verhaftung und den Abtransport von zehntausenden Menschen verfügten, waren sie von der Zusammenarbeit mit der Regierung in Vichy abhängig. Nach einigen Vorgesprächen wurden die entscheidenden Verhandlungen im Frühsommer 1942 zwischen der Pariser Abteilung des RSHA und der Generaldirektion der französischen Polizei in Vichy geführt. Zum Leiter der Dienststelle des Sicherheitshauptamtes wurde im April 1942 der Höhere SS- und Polizeiführer Carl Oberg ernannt, sein Mitarbeiter Helmut Knochen war der Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Frankreich. Judenreferent war bis Ende Juli 1942 Theodor Dannecker, an seine Stelle trat dann Heinz Röthke.1 Verhandlungsführer auf der französischen Seite war René Bousquet, Staatssekretär im Innenministerium und Leiter der Vichy-Polizei. Er erhielt seine Instruktionen von dem seit April 1942 wieder eingesetzten Regierungschef und Innenminister Pierre Laval persönlich. Laval und Pétain unterrichteten ihrerseits den wöchentlich zusammentretenden Ministerrat in Vichy über die vereinbarten Beschlüsse.2 Nachdem sich Laval noch im Juni geweigert hatte, Deportationen von französischem Boden zuzustimmen, führten die Verhandlungen letztlich zu einem für die Deutschen zumindest teilweise erfolgreichen Abkommen. Die französische Polizei sollte Festnahmen ausländischer und staatenloser Juden und Jüdinnen in der besetzten wie in der unbesetzten Zone durchführen, dafür bekam Bousquet das Versprechen, eine verstärkte Polizeihoheit in der besetzten Zone ausüben und damit französische Hoheitsrechte auch im Norden wieder wahrnehmen zu können. Als Laval diese Ergebnisse am 4. Juli 1942 im Ministerrat vorstellte, bezeichnete er die jüdischen Ausländer als „Abschaum“. Gegen ihre Auslieferung hatte der 1 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy–Auschwitz, S. 46ff.; R. HILBERG, Vernichtung, S. 646; U. HERBERT, Militärverwaltung, S. 176 u. 204f.; A. MEYER, Besatzung, S. 35f. u. 39f.; B. KASTEN, „Gute Franzosen“, S. 27f. Röthke wurde in der Leitung des Judenreferates seit Juni 1943 unterstützt von Alois Brunner (vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 241f.). Zu Dannecker vgl. auch die Biografie von C. STEUR, Theodor Dannecker. 2 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 90ff.; A. MEYER, Besatzung, S. 39ff.

Der Beginn der Deportationen im Sommer 1942

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Ministerpräsident nichts einzuwenden, während er Juden und Jüdinnen französischer Nationalität schützen wollte.3 Damit war die Grundlage für die Durchführung umfangreicher Razzien in beiden Zonen gegeben. Am 16. und 17. Juli 1942 nahm die französische Polizei in Paris eine große Verhaftungsaktion vor. Mehr als 12.000 Menschen wurden unter solch qualvollen Bedingungen in das Radsportstadion Vélodrome d’Hiver eingesperrt, dass mit dem Begriff Vél d’Hiv bis heute die gesamte willfährige Mitarbeit Vichys an den Vorbereitungen der Shoah assoziiert wird.4 Die Männer, Frauen und Kinder sollten die Deportationszüge füllen, die bis zum Ende des Monats aus der besetzten Zone nach Auschwitz fuhren. In der Südzone setzen die Verfolgungen Anfang August 1942 ein. Sie betrafen zunächst die Internierungslager, denn hier hatte die Polizei unmittelbaren Zugriff auf die Insassen. Die Lagerleiter von Gurs, Récébédou, Noé, Le Vernet, Rivesaltes und Les Milles wurden in geheimen Telegrammen über die bevorstehenden Maßnahmen informiert. Bis zum 13. August hatten bereits 3.431 Internierte zusammengedrängt in Viehwaggons die Demarkationslinie passiert und wurden nach Drancy verbracht. Gleichzeitig begann die Polizeidirektion mit der Vorbereitung einer großen Razzia in den Städten und Dörfern der Südzone, die vom 26. bis zum 28. August stattfinden sollte.5 Bis zum 22. Oktober 1942 wurden Serge Klarsfeld zufolge aus der Südzone vermutlich etwa 10.500 Menschen in die Vernichtungslager deportiert.6 Nach den Angaben Lucien Lazares kamen nahezu 4.000 aus den Internierungslagern und etwa 1.900 aus den Zwangsarbeiterkolonnen (GTE). Etwa 5.900 Menschen waren im Zuge der großen Razzia festgenommen worden.7 Insgesamt wurden 1942 aus ganz Frankreich 42.000 Juden deportiert. 1943 kamen etwa 17.000 Männer, Frauen und Kinder hinzu, darunter 6.630 aus der Südzone. Zunehmend waren nun auch Juden und Jüdinnen französischer Nationalität betroffen. Bis zur Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 wurden noch einmal 15.000 Menschen nach Auschwitz verbracht, davon kamen etwa 7.300 aus der Südzone. Von den etwa 75.000 aus Frankreich in die Vernichtungslager deportierten Männern, Frauen und Kindern, darunter etwa 24.000 Franzosen, überlebten nur 2.564 den Holocaust.8 3 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 90ff. 4 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 127. Die Erinnerungen einer jüdischen Zeitzeugin an die Menschenjagd in Paris sind in einer deutschen Ausgabe erschienen (A. MULLER, Razzia). 5 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 142f.; M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Juifs, S. 240f. (vgl. Kapitel 5.2.3, oben S. 192ff.). 6 Vgl. S. KLARSFELD, Le calendrier, S. 1108f. Die Zahl bezieht sich auf die Deportationszüge nach Auschwitz. Vgl. auch L. LAZARE, Résistance, S. 173; G. GOBITZ, Déportations, S. 282. 7 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 173. 8 Vgl. S. KLARSFELD, Le calendrier, S. 1108ff. Vgl. auch J. WETZEL, Frankreich, S. 124ff.

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Die Deportationen aus der Südzone

6.1.1 Die Hilfswerke während der Selektionen in den Internierungslagern Gerüchte über Deportationen nach Polen kursierten in den Lagern seit Ende Juli 1942. In Les Milles hatten die Insassen durch Radio London Nachrichten über die bevorstehenden Maßnahmen erhalten.9 Auch aus Gurs berichtete Jeanne Merle d’Aubigné über die wachsende Furcht vor „Transporten in die Ferne“.10 Die Ängste unter den Internierten steigerten sich noch, als etwa zur gleichen Zeit in allen Lagern neue Polizeikräfte erschienen und die Bewachung verstärkt wurde.11 Ab 3. August begannen die eigentlichen Vorbereitungen für die erste Deportationswelle. Abgeordnete der Lagerleitung kamen in die einzelnen Barackenquartiere und riefen anhand der vorliegenden Listen diejenigen namentlich auf, die mit diesem Konvoi abtransportiert werden sollten.12 „Wir standen in Reih und Glied, warteten auf den eigenen Buchstaben, bei mir ging es vorüber. Die Gesichter waren versteinert. Wir merkten noch nicht einmal, dass man nur Juden aufrief . . . Dann zogen die einzelnen Gruppen der anderen Ilôts an uns vorbei, es war ein schreckliches Bild. Alte, Junge, Kranke; halbe Skelette schleppte man mit, sie konnten kaum ihr Gepäck tragen.“13

Die Aufgerufenen mussten ihre Baracken verlassen und wurden bis zur Abfahrt in einem besonders scharf bewachten Abschnitt des Lagers isoliert. Wer war betroffen? Für die Deportationen war das Judenstatut Vichys vom 2. Juni 1941 maßgeblich, demzufolge als Jude definiert wurde, wer drei jüdische Großelternteile besaß. Unter diese Bestimmung fielen auch Ehepaare, wenn beide Partner von je zwei jüdischen Großeltern abstammten.14 Die Namenslisten wurden von den Präfekturen in Zusammenarbeit 9 Vgl. A. FONTAINE u. a., Deportationen, S. 375. 10 Merle d’Aubigné an Barot vom 1.8.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Equipiers Gurs]; Übersetzung U. G.). Vgl. auch die Erinnerungen von Heini Walfisch in: H. SCHRAMM, Menschen, S. 140. 11 Vgl. A. FONTAINE u. a., Deportationen, S. 375; J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 104 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 91); L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 52, A. DUMAS, Menschensieb, S. 123 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 111). Vgl. insgesamt A. GRYNBERG, Camps, S. 297 u. 299; S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 137. Eingesetzt wurden Angehörige der Gardes mobiles, der Gendarmerie nationale und der Groupes mobiles de la Réserve. Über die unterschiedlichen Polizeieinheiten informiert B. KASTEN, „Gute Franzosen“, S. 49ff. 12 Vgl. die Schilderung von L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 107f. Vgl. auch J. MERLE D’AUBIGNE, (vgl. Anm. 11); insgesamt A. GRYNBERG, Camps, S. 298. 13 Erinnerungszeugnis von Louis Degen an die erste Deportation von Gurs, in: H. SCHRAMM, Menschen, S. 139f. 14 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 85.

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mit den Lagerverwaltungen erstellt.15 Nach diesen Listen wurde der Umfang eines Transportes festgesetzt. Eine Streichung war nur noch möglich, wenn eines der von der Polizeidirektion aufgestellten Ausnahmekriterien geltend gemacht werden konnte. Eine Reihe solcher Bestimmungen war erstmals am 4. August 1942 veröffentlicht worden.16 Ausgenommen waren zu diesem Zeitpunkt beispielsweise noch schwangere Frauen, Kinder unter siebzehn Jahren ohne Begleitung ihrer Eltern oder Emigranten, die sich durch besondere Leistungen für Frankreich verdient gemacht hatten. Auch für Internierte, die innerhalb der Hilfsorganisationen Aufgaben in den Lagern übernommen hatten, bestand eine Rettungsmöglichkeit.17 Aber schon für die große Razzia Ende August wurden diese Bestimmungen stark eingeschränkt. Bousquet fürchtete offenbar, die von den Deutschen geforderten Deportationszahlen nicht erfüllen zu können. Ausgenommen waren nun noch alte Menschen über sechzig Jahre, Eltern mit Kindern unter zwei Jahren, Kranke, die nicht transportiert werden konnten und Angehörige von französischen Staatsbürgern.18 Um die Anerkennung der Ausnahmekriterien musste in jedem Einzelfall mit den Vertretern der Behörden in den Lagern gekämpft werden. Sie hatten sich vom Deportationsfieber der Besatzungsmacht in Paris anstecken lassen und bemühten sich verbissen, die ihnen von den Präfekturen vorgegebenen Quoten zu erfüllen. Mit „großer Trauer im Herzen“ schrieb Jeanne Merle d’Aubigné nach den ersten Deportationen aus Gurs an Barot: „1.600 Personen sind abgefahren, darunter viele Alte, Blinde, Kranke, usw. Unter den Protestanten sind es 12, davon 8 Katechumenen . . . Nun gilt es zu retten, was noch zu retten ist.“19 In den Lagern entstand nun ein erbitterter Kampf darum, die Ausnahmekategorien zur Geltung zu bringen. Lagerleitung und Präfektur setzten Sichtungskommissionen ein, die sog. Commissions de criblages. Nur hier konnten die zur Deportation bestimmten Internierten noch Gründe für eine Verschonung vorbringen. Die Hilfswerke traten bis zuletzt als Vermittler für die Bedrohten ein und kämpften in der hektischen und angsterfüllten Atmosphäre um deren Anerkennung als Exemptés, als Ausgenommene. Sie fungierten damit gleichsam als Rechtsanwälte für Menschen, die aufgrund ihres jüdischen Glaubens oder ihrer jüdischen Herkunft einer 15 Vgl. den Bericht Lowries vom 10.8.1942, abgedruckt in: Z. SZAJKOWSKI, Gazetteer, S. 120. 16 Vgl. A. FONTAINE u. a., Deportationen, S. 373; A. GRYNBERG, Camps, S. 302. Die bei A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 216f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 175f.) wiedergegebene Liste wurde irrtümlich auf den 1.8.1942 datiert. 17 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 304. 18 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 150. 19 Brief vom 11.8.1942 aus Gurs (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]; Übersetzung U. G.).

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höchst ungewissen, sicher aber bedrohlichen Zukunft entgegenfahren sollten.20 In Brens half Suzanne Chevalley ihre juristische Ausbildung bei den Verhandlungen für die Sonderfälle, die hier nicht innerhalb des Lagers, sondern bei der Präfektur in Albi durchgeführt wurden.21 Auch Jeanne Merle d’Aubigné versuchte mehrmals, sich für Internierte aus Gurs einzusetzen und diese noch aus dem Konzentrations-Ilôt zu befreien.22 Eine Schlüsselfunktion kam seit Ende August 1942 den Hilfswerken in Rivesaltes zu, da nun auch Internierte aus Gurs und anderen Lagern zunächst hierher verbracht wurden, um die Sichtungskommission zu durchlaufen.23 Eindrücklich schildert ein Mitglied des Cimade-Teams in Rivesaltes seine Bitten für einen ungarischen Internierten, der im Ersten Weltkrieg auf Seiten Frankreichs gekämpft hatte und bereits abgewiesen worden war. „‚Sie wissen genau, woran wir sind‘“, zitiert dieser Bericht den Leiter der Sichtungskommission. „‚Wir brauchen 200 Namen, davon habe ich nun 150 und unter den 100 Neuen, die ich noch befragen muss, berufen sich bestimmt mehr als 60 auf die Ausnahmekategorien. Ich kann auf die bereits geprüften Fälle nicht zurückkommen‘ . . . Ich verließ den Kommissar ohne Hoffnung. K. F. erwartete mich draußen. Er verstand. Vielleicht könnte er diese Nacht fliehen, aber ich bezweifle es, er ist zu alt, um schnell zu laufen. ‚Gehen Sie‘, sagte er, indem er mir die Hand schüttelte, ‚ich habe Frankreich dennoch geliebt.‘“24

Um die verzweifelte Arbeit der Teams zu unterstützen, versuchte Marc Boegner auf höherer Ebene persönlich bei René Bousquet für die Einhaltung der Ausnahmebestimmungen zu intervenieren.25 Der Präsident der Fédération Protestante hielt in diesen Sommerwochen des Jahres 1942 regelmäßig Kontakt mit Madeleine Barot und war durch die Cimade-Mitarbeiterinnen wie Elisabeth Perdrizet in Rivesaltes oder Suzanne Chevalley in Brens über die Ereignisse in den Lagern unterrichtet.26 Wenn sich Internierte aus anderen Lagern an ihn wendeten, dann leitete er sie an die 20 Vgl. A. DUMAS, Menschensieb, S. 125 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 113f.) sowie sein Zeugnis für die Société de l’Histoire du Protestantisme français (SHPF PARIS: DT Dum). 21 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 142 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 134). 22 Merle d’Aubigné an Barot aus Gurs vom 9.9.1942 (CIMADE-ARCHIV: Unverzeichneter Bestand) sowie DIES., Gurs S. 106, 109f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 93 u. 96f.). 23 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 164. 24 Anonymer Bericht mit dem Titel „L’ Eté 1942“ im Monatsblatt der FFACE Le Semeur, Nr. 6–7, April–Mai 1945, S. 15–21, S. 18f. (Übersetzung U. G.); der Autor war möglicherweise André Dumas. 25 Vgl. P. BOEGNER, Carnets, S. 202ff. (Tagebucheintrag vom 11. September 1942). 26 EBD., S. 191ff. (Tagebucheinträge vom 5., 12., 19., 20., 25., 26. und 27.8.; 2., 4. und 9.9.1942).

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Cimade weiter. So bat z. B. Dr. Charlotte Herzfeld um Vermittlung für ihren im Sammellager Saint-Sulpice internierten Mann Erwin, der jüdischer Herkunft war. Das aus Deutschland emigrierte Ehepaar gehörte Ende der 1930er Jahre zu den engen Mitarbeitern des Flüchtlingspfarrers Friedrich Forell in Paris, der sich 1940 noch in letzter Minute nach Übersee hatte retten können. Erwin Herzfeld war unter Forell als Sekretär des ökumenischen Komitees der christlichen Kirchen für christliche „nichtarische“ Flüchtlinge unter dem Vorsitz von Boegner tätig gewesen. „Mein Mann hat die Sichtungskommission in St. Sulpice bisher noch nicht durchlaufen“, schrieb Charlotte Herzfeld am 31. August 1942 an Madeleine Barot, „aber ein Mitglied der Kommission hat mir bereits mitgeteilt, dass das Argument der Mischehe nicht zählt. Ich müsste Französin sein, es reicht nicht, dass ich Arierin bin . . . Ich bitte Sie von ganzem Herzen, helfen Sie uns!“27

In den ruhigeren Phasen zwischen den einzelnen Deportationswellen war es von größter Wichtigkeit, die Überführungen in die Heime der Cimade voranzutreiben. So gelang es Barot beispielsweise, vor der Schließung von Rivesaltes im November 1942 elf Internierte in das Coteau Fleuri einweisen zu lassen und sie damit einer unmittelbaren Bedrohung zu entziehen.28 Innerhalb der Südzone begann nun eine fieberhafte Suche nach schriftlichen Zeugnissen jeglicher Art, die eine der Ausnahmebestimmungen geltend machen konnten. Die Internierten warteten verzweifelt auf angeforderte Telegramme und Postsendungen, um sich noch vor dem Abtransport zu retten. Das Cimade-Büro in Nîmes bemühte sich um Taufnachweise, die die „arische“ Abstammung von Internierten belegen konnten.29 Vermutlich bekam auch ein Dokumentendienst des Genfer Flüchtlingssekretariates nun eine lebensrettende Bedeutung. Schon seit Monaten versuchte Freudenberg als eine Art Auslandsvertretung der protestantischen Hilfswerke in Frankreich Bescheinigungen, insbesondere Auszüge aus Kirchenregistern z. B. aus Berlin oder aus Ostpreußen zu besorgen und nach Südfrankreich zu senden.30 Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch diese Papiere den Betroffenen vor den Sichtungskommissionen geholfen haben. 27 Charlotte Herzfeld an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand; Übersetzung U. G.). Erwin Herzfeld war als Anwalt am Berufungsgericht in Dresden tätig gewesen. Zu Forell vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. 3/II, S. 174ff. 28 Vgl. das Protokoll der Sitzung des Nîmes-Komitees vom 25.11.1942 (CDJC PARIS: CCXIX-28). 29 Barot an Dumas in Rivesaltes vom 18.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). 30 Freudenberg an den International Migration Service vom 24.2.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R–S); Freudenberg an die Aumônerie protestante vom 18.6. und 27.7.1942 (AÖRK GENF: WCC, General Correspondence 42.0080).

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Als Beispiel für die ungeahnte Bedeutung, die Dokumente in dieser Situation bekommen hatten, soll der Fall eines Ehepaares aus Les Milles geschildert werden, das von Pastor Henri Manen betreut wurde. Gertrud und Franz Heinsheimer waren mit der Oktoberdeportation im Oktober 1940 aus Karlsruhe nach Südfrankreich gekommen und zunächst gemeinsam in Gurs, später im Hotel Terminus in Marseille bzw. in Les Milles interniert worden. Im August 1942 konnte sie nur noch ein Nachweis vor der Deportation bewahren, der die Mitgliedschaft ihres ebenfalls nach Frankreich emigrierten Sohnes in der Fremdenlegion bestätigte. „Ich gehe und frage die Eltern, ob sie nicht einen vor kurzem abgeschickten Brief von ihrem Sohn hätten“, schrieb Henri Manen im September 1942. „Leider nicht! Sie haben alles verbrannt; sie wollten ja nicht, dass in ihren Papieren etwas gefunden werde, das dem Sohn schaden könnte. Sie besinnt sich schließlich, dass vielleicht doch eine Präsenzbescheinigung der Legion da sein könnte, die sie versehentlich nicht verbrannt haben. Mit zittrigen Händen wühlen sie fieberhaft in ihren Paketen und entdecken schließlich das rettende Papier.“31

Erst nach verschiedenen Vorstößen gelang Manen die Anerkennung dieses Dokumentes und das Ehepaar konnte in der letzten Minute aus dem abfahrbereiten Zug herausgeholt werden. Große Erleichterung und Dankbarkeit sprechen aus den Worten, mit denen sich Gertrud Heinsheimer am 19. August 1942 aus Les Milles an Madeleine Barot wandte, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für ihre Aufnahme in das Coteau Fleuri zu erkundigen. „Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen heute in deutscher Sprache schreibe, aber mir fehlt noch die äußere und innere Ruhe zur Abfassung eines französischen Briefes . . . Seit 12.8. bin ich an der Seite meines lieben Mannes im Camp und wir haben aufregende Stunden zusammen erlebt, denn wir waren beide bereits zur großen Reise verladen . . . Gott hat aber ein Wunder getan und uns vor dem Schwersten bewahrt. Mehr denn je fühlten wir, wie treu die Protestanten Frankreichs sich ihrer im Unglück lebenden Glaubensgenossen annehmen.“32

Die erhaltenen Zeugnisse lassen den Eindruck entstehen, dass sich jüdische, christliche und andere humanitäre Organisationen bevorzugt für die Inter-

31 H. MANEN, Tiefe, S. 399. Franz Heinsheimer war bis 1933 Gerichtspräsident in Karlsruhe; vgl. seine im Sommer 1942 handgeschriebenen Angaben bei den Unterlagen Manens (SHPF PARIS: DVP 119). 32 Brief Gertrud Heinsheimers aus Les Milles (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Les Milles]; Abkürzungen wurden aufgelöst), in dem sie auf eine baldige Aufnahme in das Coteau Fleuri hoffte. Der Sohn der Heinsheimers fiel in Tunesien im März 1943; vgl. einen Brief Franz Heinsheimers an Manen vom 28.1.1945 aus Riedholz/Schweiz (SHPF PARIS: DVP 119).

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nierten verwendet haben, die ihnen besonders nahe standen.33 Es ist jedoch fraglich, ob aus den Erinnerungszeugnissen der Helfer die Realität dieser Wochen und Monate adäquat rekonstruiert werden kann. Möglicherweise haben sich die Rettungsversuche für Menschen, die nach einer jahrelangen Zusammenarbeit oft zu Freundinnen und Freunden der Mitarbeiter der Hilfswerke geworden waren, besonders eingeprägt, während das Engagement für Fremde in der Erinnerung weniger Raum gefunden hat. Auch die Frauen und Männer der Cimade berichten ausführlich über ihre Aktionen für die bedrohten Mitglieder der Teams wie z. B. den jüdischen Gärtner Walter Cohn, der sich um den Gemüseanbau vor der Cimade-Baracke gekümmert hatte oder die Katholikin Charlotte Wolff, die bereits zum Abtransport nach Rivesaltes verbracht worden war.34 Es finden sich aber auch Hinweise auf Rettungsaktionen für kaum bekannte Opfer.35 Und selbst wenn sich die Hilfswerke besonders den nahe stehenden Internierten zugewendet haben sollten, so ist doch fraglich, ob ihnen diese Haltung aus heutiger Sicht zum Vorwurf gemacht werden darf.36 War eine objektive Auswahl aus der Vielzahl von Fällen, die es vor den Sichtungskommissionen zu verteidigen galt, in diesen traumatischen Wochen überhaupt möglich? Dennoch begaben sich die Hilfswerke mit ihrem Engagement für die Bedrohten in ein moralisches Dilemma.37 Lagerleitungen und Polizeivertretern ging es vorrangig darum, die vorgeschriebene Zahl für einen Deportationszug nicht zu unterschreiten. Um die geforderte Größe der Konvois zu erreichen, mussten oft im letzten Moment noch andere Internierte den Platz der „Exemptés“ einnehmen, und auch die Ausgenommenen schwebten oft noch bis zur Abfahrt der Züge in Ungewissheit über ihr Schicksal.38 Durch die Weigerung der Verantwortlichen, Transporte gerin33 Vgl. A. GRYNBERG, Camps, S. 304. 34 Merle d’Aubigné an Barot für Walter Cohn aus Gurs vom 9.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). Die Cimade-Mitarbeiterin hatte auch Donald Lowrie um eine Intervention für Cohn gebeten; vgl. Lowries Brief vom 11.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [YMCA/YWCA]); außerdem J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 106 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 93f.). Zu Wolff EBD., S. 109f. (= in: Befreie . . ., S. 96f.) und Merle d’Aubigné an Barot vom 17.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs, Equipiers]). 35 So in dem Bericht „L’ Eté 1942“ (vgl. oben Anm. 24), S. 15–21, S. 18f. oder bei J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 107 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 94). 36 Eine solche kritische Position bezieht R. I. COHEN, Burden, S. 120; DERS., Jews, S. 338ff. 37 Vgl. dazu insgesamt A. GRYNBERG, Camps, S. 304; L. LAZARE, Résistance, S. 207. 38 Vgl. J. WEILL, Contribution, S. 198f. Einer solchen Aktion fiel in Les Milles Kurt Grelling zum Opfer, ehemaliger Professor an der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin; vgl. einen Brief Freudenbergs an S. Ferrière vom 29.9.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R–S). Vgl. auch die Erinnerungen des mit knapper Not geretteten Rabbiners Georg Vadnai in: S. SCHMITT/E. M. LANDAU, Lager, S. 229–239.

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geren Umfangs abfahren zu lassen, bekamen die Rettungsversuche eine über das albtraumhafte Geschehen noch hinausgehende Tragik. Die Vertreter und Vertreterinnen der Hilfswerke wurden zu Mittätern an der Erfüllungspolitik, wenn für diejenigen, die sie mühsam bewahrt hatten, andere die Deportationszüge besteigen mussten. Die Erinnerungen von André Dumas beschreiben diese Gewissensbelastung: „Wir liefen jeden Augenblick Gefahr, objektiv zu Komplizen einer Selektion zu werden.“39 Die Frauen und Männer der Cimade suchten nach dem Abschluss der Sichtungskommissionen die Nähe der zur Deportation Verurteilten, um ihnen wenigstens noch bis zur Abfahrt beizustehen. So konnte Jeanne Merle d’Aubigné in Gurs Anfang August 1942 die letzte Nacht vor dem Abtransport in dem Isolationsgebäude verbringen: „Da saßen sie, auf der Erde oder auf ihren ärmlichen Bündeln, niedergeschlagen, zusammengesunken, regungslos. Sie schienen jede Kraft und Ausdrucksmöglichkeit verloren zu haben . . . Ich suchte nach bekannten Gesichtern. Viele waren in wenigen Stunden unkenntlich geworden.“40

In Brens entschloss sich Suzanne Chevalley dazu, die internierten Frauen, von denen viele ihr zu Freundinnen geworden waren, auch am Deportationsbahnhof nicht allein zu lassen. Sie stieg mit in den Zug und konnte zumindest bis zur Demarkationsgrenze bei denen bleiben, die nun den Deutschen ausgeliefert werden sollten.41 In Récébédou mussten die alten, geschwächten und verängstigten Insassen vor ihrer Abfahrt noch den Marsch zum weit entfernt liegenden Bahnhof überstehen. Laurette Monet und Jacques Saussine trugen Bündel und Koffer und versuchten gemeinsam mit den Helferinnen des Secours Suisse wenigstens durch Worte noch ein wenig Trost zu geben, „aber es war entsetzlich wenig, was wir inmitten dieser grenzenlosen Verzweiflung noch tun konnten“42. Es blieb ihnen nur, dutzende rasch dahingekritzelte Botschaften der Insassen des Isolationsilôts, die sie aus dem Lager geschmuggelt hatten, auf den Weg zu bringen, 39 A. DUMAS, Criblages, S. 101–108, S. 105 (Übersetzung U. G.); vgl. auch A. DUMAS, Menschensieb, S. 126 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 114). 40 J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 105 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 92). Vgl. auch ihren Brief an Barot vom 1.9.1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gurs. Equipiers]). 41 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Brens, S. 144f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 137f.). 42 Bericht von Blanche de Montmollin, Mitarbeiterin des Secours Suisse, verfasst im November 1942, veröffentlicht in: L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 37–51, S. 48ff. (Übersetzung U. G.). Die Vertreter und Vertreterinnen beider Hilfswerke standen in Récébédou in freundschaftlichem Kontakt zueinander. De Montmollin übermittelte Freudenberg nach ihrer Rückkehr in die Schweiz 1943 die Briefe Laurette Monets aus Nexon (mündliche Mitteilung von Blanche de Montmollin Heusch an die Verfasserin am 12.1.1997), die in den Erinnerungssammlungen abgedruckt sind.

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um den Deportierten damit zumindest einen letzten Gruß an ihre Familien, an Verwandte und Bekannte ermöglicht zu haben. Für Laurette Monet sind diese kleinen Nachrichten, die in ihnen enthaltenen stummen Schreie und traurigen Abschiedswünsche die schlimmste Erinnerung an die Deportationswochen in Récébédou.43 Was die Internierten tatsächlich am Ziel der Reise im Osten Europas erwartete, war ihnen nicht bekannt. Im Sommer 1942 gelangten zwar die ersten Nachrichten über die Vernichtungspläne der Deutschen in die Schweiz, fanden bei den entscheidenden Stellen im neutralen Ausland jedoch kaum Glauben.44 Die Menschen in den südfranzösischen Internierungslagern waren sich indes darüber im Klaren, dass sie bei einer Rückführung und Auslieferung an die nationalsozialistische Herrschaftsgewalt Schlimmstes zu befürchten hatten. Größte Angst und Verzweiflung breiteten sich daher aus, wenn neue Transporte vorbereitet wurden, und in allen Lagern häuften sich die Selbstmordversuche.45 Erfolglos blieben alle Versuche der Cimade, im Verein mit dem Genfer Flüchtlingssekretariat Informationen über die Deportierten zu bekommen und diesen doch noch zur Hilfe zu kommen. Ida Besag, zu Ostern 1942 mit ihrer Familie in der protestantischen Lagergemeinde von Gurs zum Christentum konvertiert, wurde mit 24 Jahren in der Nacht vom 13. zum 14. September aus Rivesaltes deportiert.46 Während Mutter, Großmutter und zwei Schwestern sich mit Hilfe der Cimade in die Schweiz retten konnten, musste Ida Besag als eine von vielen Besucherinnen und Besuchern der Cimade-Foyers die Fahrt nach Drancy antreten. Sie kam mit dem Transport Nr. 33 vom 16. September 1942 nach Auschwitz. Von den 1.003 Opfern dieses Transportes wurden 856 Männer, Frauen und Kinder sofort nach Ankunft des Zuges vergast.47

43 Vgl. EBD., S. 57f. 44 Bekannt sind die Aufklärungsbemühungen von Vertretern des Jüdischen Weltkongresses, vor allem Gerhart M. Riegners, in die auch der vorläufige ÖRK mit Visser ’t Hooft und Freudenberg eingebunden war (vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 119ff. u. S. 125f.; G. M. RIEGNER, Anfang; DERS.; Niemals verzweifeln, S. 172ff.; G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“, S. 195ff.). 45 Vgl. die Erinnerungszeugnisse bei H. SCHRAMM, Menschen. 46 Freudenberg an den International Migration Service in Genf vom 26.10.1942 mit der Bitte um Nachforschungen zu Ida Besag, Kurt Grelling und anderen ihm von der Cimade angegebenen Personen (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence R–S). 47 Vgl. die von B. VORMEIER (Deportierungen, S. 64 u. 70) erstellten Namenslisten der aus Frankreich deportierten deutschen Juden und Christen jüdischer Herkunft.

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6.1.2 Die Reaktionen der Kirchen Sowohl die katholischen Bischöfe als auch die Kirchenführung der protestantischen Minorität wurden frühzeitig durch die konfessionellen Hilfswerke über die Vorgänge informiert und erhoben Einspruch gegen die Auslieferung tausender Menschen. Marc Boegner als Präsident der Fédération Protestante und Kardinal Gerlier, Primas von Frankreich und Erzbischof von Lyon wandten sich in diesem Sinne am 19. und 20. August 1942 in zwei Briefen an Pétain.48 Gleichzeitig setzten die öffentlichen Proteste weiterer ranghoher Kleriker ein. Am 23. August wurde der aufsehenerregende Hirtenbrief von Monsignore Saliège, dem Erzbischof von Toulouse, von den Kanzeln verlesen.49 Es folgten weitere Schreiben von Monsignore Théas, dem Bischof von Montauban, von Gerlier, von Monsignore Delay, dem Erzbischof von Marseille und anderen katholischen Würdenträgern. Am 22. September richtete der Conseil National der ERF eine Botschaft an die Gläubigen, die am 4. Oktober in den Gottesdiensten zu Gehör gebracht werden sollte.50 Serge Klarsfeld zeigt auf, dass sich die französischen Behörden mit Verweis auf diese Opposition aus Kirchenkreisen im Herbst 1942 einer weiteren reibungslosen Mitarbeit entzogen und damit das deutsche Deportationsprogramm zumindest vorerst ins Stocken bringen konnten.51 Die Regierung konnte sich auch aufgrund der ausgesprochenen Kirchennähe Vichys eine Nichtachtung dieser auf breiter Front ausgedrückten Oppositionshaltung des Klerus nicht erlauben. Die katholischen und protestantischen Kirchenführer hatten auf diese Weise deutlich gemacht, welche Wirkung ein von den Kirchen als intakten gesellschaftlichen Institutionen ausgehender Protest innerhalb eines rechten Regimes haben konnte.52 Ohne ihr Einstehen wäre die Zahl der ermordeten Opfer noch höher gewesen. An der Kirchenbasis wurde mit der Gründung des Untergrundblattes Témoignage Chrétien (Christliches Zeugnis) schon Ende 1941 ein Zeichen für interkonfessionelle Zusammenarbeit in der Opposition gegen Vichy gesetzt. Maßgeblicher Initiator der Zeitung war der Jesuitenpater Chail48 Vgl. F. DELPECH, Persécution, S. 167f.; S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 154; W. D. HALLS, Politics, S. 117f.; der Text von Boegners Brief bei P. BOLLE, Les protestants et leurs églises, S. 193f. 49 Vgl. u. a. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 15 5. 50 Vgl. P. BOLLE, Les protestants et leurs églises, S. 188; der Text der Botschaft EBD., S. 195, in deutscher Übersetzung in Auszügen auch bei M. BOEGNER, Kampf, S. 60–76, S. 73f. 51 Vgl. S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 165ff., außerdem M. R. MARRUS, French Churches, S. 317ff. 52 Vergleichbar ist die Wirkung der Protestaktionen der Kirchen gegen das nationalsozialistische „Euthanasie“-Programm in Deutschland.

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let, unterstützt von weiteren Katholiken wie dem Pater Fessard und Pater de Lubac, bald jedoch auch von Protestanten wie dem aus der Schweiz stammenden Lyoner Pastor Roland de Pury. Dieser versorgte Chaillet z. B. mit Nachrichten aus dem Büro des ÖRK in Genf, die ihm durch Visser ’t Hooft übermittelt wurden.53 In den Ausgaben von Témoignage Chrétien der ersten Jahreshälfte 1942 (Titel: „Les racistes peints par eux-mêmes“, „Antisémites“ und „Droits de l’Homme et du Chrétien“) zeigten die Verfasser in Auseinandersetzung mit antisemitischen Veröffentlichungen aus Deutschland die Gefahren des Rassismus auf. Sie machten deutlich, dass Antisemitismus und Christentum unvereinbar sind.54 An der Verteilung dieser brisanten Untergrundzeitschrift wirkten neben katholischen Studierenden auch Mitglieder der Cimade wie André Dumas und André Morel mit.55 Aus der Gruppe um Témoignage Chrétien entstand in der Zusammenarbeit mit anderen Vereinigungen Ende 1941 in Lyon ein Hilfskomitee mit dem Namen Amitié Chrétienne (Christliche Freundschaft). Stellvertretend für die katholischen Vertreter seien Pater Chaillet und Jean-Marie Soutou genannt, sie wurden nachhaltig unterstützt durch Germaine Ribière, einer Studentin aus der JEC. Auch die Gruppe um Abbé Glasberg, dessen Pfarrstelle in Lyon lag, war hier vertreten. Auf protestantischer Seite gehörten neben anderen Roland de Pury und Gilbert Beaujolin zur Amitié Chrétienne, Beaujolin gilt als einer der Initiatoren dieses ökumenischen Zusammenschlusses. Das Komitee suchte von Beginn an die enge Anbindung an jüdische Organisationen, vor allem an das jüdische Konsistorium, das ebenfalls seinen Sitz in Lyon hatte. Von dieser Seite erhielt Amitié chrétienne auch finanzielle Unterstützung. Durch Madeleine Barot war die Cimade mit der Amitié chrétienne verbunden. Die Schirmherrschaft hatten Marc Boegner und Kardinal Gerlier gemeinsam übernommen.56 Sicher stellte das Sekretariat des Komitees in Lyon eine Plattform dar, auf der ein gemeinschaftliches Vorgehen von Katholiken und Protestanten in der Deportationszeit abgestimmt werden konnte. So berichtet Madeleine Barot Mitte August über eine Unterredung mit Soutou, auf der die Vorgehensweise für

53 Vgl. zur protestantischen Beteiligung R. BEDARIDA, Armes de l’Esprit, S. 292ff.; außerdem insgesamt F. u. R. BEDARIDA, Résistance spirituelle; R. BEDARIDA, Widerstand; DIES., L’entente. 54 Vgl. R. BEDARIDA, Armes de l’Esprit, S. 111ff.; W. D. HALLS, Politics, S. 114f. 55 Vgl. R. BEDARIDA, Armes de l’Esprit, S. 293, Anm. 5. 56 Vgl. F. DELPECH, Persécution, S. 162ff.; R. BEDARIDA, Armes de l’Esprit, S. 128ff.; W. D. HALLS, Politics, S. 136ff. Für spätere Zeit liegen auch Hinweise für eine Unterstützung durch den Schweizer Israelitischen Gemeindebund vor, die durch Freudenberg vermittelt wurde; vgl. einen Brief Freudenbergs an Saly Mayer vom 21.4.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence M).

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die beiden Protestbriefe von Boegner und Gerlier vom 19. und 20. August diskutiert wurde.57 Bekannt ist die Aktion, in deren Verlauf das jüdische Kinderhilfswerk OSE gemeinsam mit der Amitié Chrétienne und anderen Organisationen nach der großen Razzia Ende August 1942 mehr als einhundert Kinder sowie viele Erwachsene aus dem Sammellager Vénissieux, einem Vorort von Lyon, rettete.58 Sie beriefen sich dabei auf eine eigentlich nicht mehr gültige Ausnahmebestimmung, derzufolge unbegleitete Kinder unter 17 Jahren in der Südzone bleiben durften. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überredeten die Eltern, ihre Töchter und Söhne der Obhut von OSE und Amitié Chrétienne zu überlassen und sie damit vor der Deportation zu bewahren. „Madeleine Barot hat mir erzählt, was sie in Lyon, vor allem im Lager von Vénissieux erleben musste“, schrieb Boegner am 2. September in sein Tagebuch. „Abbé Glasberg und Pater Chaillet kämpften gemeinsam mit ihr Tag und Nacht. Szenen unendlicher Traurigkeit, als die Eltern sich von ihren Kindern trennten, die den Hilfswerken anvertraut wurden“. Neben der Generalsekretärin haben vermutlich keine weiteren Mitglieder der Cimade an dieser Aktion teilgenommen.59 Die Kinder wurden von der OSE und Amitié Chrétienne in katholischen Einrichtungen und Kinderheimen untergebracht. Als der Regionalpräfekt auf Druck Lavals wenige Tage später die Auslieferung der Kinder forderte, weigerte sich Erzbischof Gerlier entschieden. Pater Chaillet wurde aus Lyon ausgewiesen und unter Arrest gestellt und Abbé Glasberg, ohnehin aufgrund seiner jüdischen Herkunft gefährdet, verließ Lyon Ende 1942 und versteckte sich. Nur eine Woche nach den Ereignissen in Vénissieux nutzte die ERF ihre jährlich stattfindende Versammlung in dem kleinen Dorf Mialet in den Cevennen, um für die Verfolgten tätig zu werden. Mialet ist ein Gedenkort an die Jahrzehnte der hugenottischen Unterdrückung im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Museum erinnert dort an die „Kirche der Wüste“ (Eglise du désert) und den Widerstandskampf der Camisarden. Seit dem Jahr 1911 kommen hier bis heute an jedem ersten Sonntag im September mehrere tausend Protestanten zusammen, um beim Musée du Désert ihrer Geschichte als verfolgte Minderheit zu gedenken. Sie feiern unter freiem Himmel gemeinsam Gottesdienst und Abendmahl wie es ihre Glaubensvorfahren als verbotene Religionsgemeinschaft im 18. Jahrhundert heimlich 57 Barot an Boegner aus Lyon mit der Datierung Freitag, der 14. (14.8.1942) (CIMADEARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Comités, Conseil . . .; approches politiques, échanges COE, YMCA]). 58 Vgl. A. COHEN, Persécutions, S. 296f.; ausführlicher L. LAZARE, Résistance, S. 208ff. 59 Das Zitat bei P. BOEGNER, Carnets, S. 196f. (Übersetzung U. G.); vgl. ebenfalls M. BOEGNER, Leben, S. 200; M. BAROT, Camps d’internement, S. 302. Auch André Dumas war seinen Erinnerungen zufolge in der zweiten Augusthälfte in Sammellagern in der Umgebung Lyons tätig (SHPF PARIS: Dt Dum), er nennt Vénissieux jedoch nicht namentlich.

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in den unzugänglichen Berggegenden der Cevennen getan hatten. Auch am 6. September 1942, wenige Tage nach der großen Razzia in der Südzone und nachdem schon seit Wochen die Deportationszüge in die besetzte Zone rollten, versammelten sich hier mehr als 4.000 reformierte Christinnen und Christen. Marc Boegner hielt eine Ansprache und rief mit seiner Predigt über den barmherzigen Samariter zur tätigen Solidarität mit den leidenden Juden und Jüdinnen auf.60 Yosef Hayim Yerushalmi hat darauf hingewiesen, wie wirksam im Vergleich zur Erinnerung durch die Historiographie die kollektive Erinnerung im Ritual für das Gruppengedächtnis ist. Das Geschichtsverständnis der reformierten christlichen Minderheit weist hier durchaus Ähnlichkeiten mit jüdischem Gedenken auf.61 Schon in der Vorbereitung auf den Erinnerungssonntag im September 1942 war in der Identifikation der Protestanten mit der verfolgten jüdischen Minderheit die Gegenwart calvinistischer Vergangenheit spürbar geworden. So wie zweihundert Jahre zuvor die Hugenotten in der abgeschiedenen Bergwelt Schutz vor Verfolgung gesucht hatten, so wurden nun Juden und Jüdinnen in den Dörfern der Cevennen versteckt. Dabei spielte die Cimade sehr wahrscheinlich eine Schlüsselrolle. Geneviève Priacel-Pittet, die seit Juni 1942 im Cimade-Büro in Nîmes tätig war, beschreibt im Rückblick, dass die Cimade die Autos und Busse nutzte, die die Gemeindeglieder von Nîmes an diesem Sonntag in die Cevennen brachten, um auf diese Weise auch bedrohte Juden aus der Stadt zu bringen.62 Möglicherweise handelte es sich dabei um Menschen, die bereits seit der großen Razzia versteckt worden waren, für die ein weiterer Aufenthalt in Nîmes jedoch zu gefährlich wurde. Auch Janine Philibert-Veil, im Sommer 1942 für wenige Wochen Mitarbeiterin im Foyer Marie Durand in Marseille, erinnert sich daran, dass sie auf Bitten von Madeleine Barot am Konvoi zum Musée du Désert teilnahm und Verfolgte in Verstecke begleitete. Ihr zufolge hatte die Generalsekretärin das Unternehmen geplant und organisiert.63 Mit den Aktionen in Vénissieux und in Mialet hatte die Cimade im Vergleich zum Engagement in den Lagern einen qualitativen Sprung getan. Es ging nun nicht mehr darum, innerhalb des vom Staat gesetzten Rahmen vor den Sichtungskommissionen und mit Wissen um den zweifelhaften Ausgang um dieses oder jenes Leben zu kämpfen. Die Bewah60 Vgl. P. BOEGNER, Carnets, S. 250; P. CABANEL, Musée du Désert, S. 250–253; H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 67ff.; F. BOULET, L’opinion protestante, S. 433f.; DERS., Montagnes françaises, S. 347ff.; A. COHEN, Persécutions, S. 430. 61 Vgl. Y. H. YERUSHALMI, Zachor, S. 28. 62 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Passages, S. 116 (der Abschnitt erscheint nicht in der deutschsprachigen Ausgabe). Vgl. zu den Ereignissen auch H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 67ff.; P. CABANEL, Musée du Désert, S. 250ff.; dort S. 234 das Zeugnis eines jüdischen Flüchtlings, dessen Familie mit diesem Konvoi gerettet worden war. 63 Gespräch von Janine Philibert-Veil mit der Verfasserin am 15.9.1996.

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rung der Bewohner und Bewohnerinnen des Coteau Fleuri vor der Razzia am 25. August 1942, die Rettung von Kindern aus dem Sammellager Vénissieux und ihr Verstecken in Heimen am 29. August, das Verbergen von Juden aus Nîmes in den Cevennen am 6. September waren erste illegale Aktionen der Cimade, die sich gegen Maßnahmen eines Staates richteten, der von Christen und Christinnen nicht mehr als gerecht bezeichnet werden konnte. Sie bilden den Anfang einer zwei Jahre währenden Aktivität im Untergrund mit dem Ziel, soviele Menschen wie möglich vor der antijüdischen Verfolgung durch Vichy und durch die deutsche Besatzungsmacht zu retten. Von der partiellen Ko operation zum Widerstand

6.2 Von der partiellen Kooperation zum Widerstand im Untergrund Der Schock über die Deportationen, die albtraumartigen Szenen, die sich vor den Sichtungskommissionen und an den Bahnhöfen abspielten, machten den Sommer 1942 für die Cimade in mehr als einer Hinsicht zu einer krisenhaften Zeit. Die Erinnerungszeugnisse künden davon, dass die Teammitglieder sich zunehmend unwohl in der Rolle fühlten, die sie in den Internierungslagern übernehmen sollten.64 Beteiligten nicht auch sie sich faktisch an den Selektionen, wenn sie sich für bestimmte Menschen einsetzten und sie vorläufig retteten, andere aber abfahren mussten? Durften sie es unterstützen, dass Eltern ihre Kinder entrissen wurden, die sie vermutlich nie wiedersehen würden? Konnten sie zusehen, wenn Alte, Kranke und Schwache abtransportiert wurden, wenn andere sich aus Verzweiflung das Leben nahmen? Diese Fragen leiteten eine entscheidende Wende im Engagement der Cimade ein. Bisher hatten sich die Frauen und Männer damit begnügt, in Ausschöpfung der staatlich vorgegebenen Möglichkeiten die ‚Opfer unter dem Rad‘ zu verbinden, indem sie Sozialstationen in den Internierungslagern aufbauten und sich bemühten, den unmenschlichen Existenzbedingungen entgegenzuwirken. Nun mussten sie diesen legalen Rahmen durchbrechen, wenn sie den Menschen in Gurs und anderswo wirksame Hilfe leisten wollten. Die Cimade begab sich nun erstmals in die aktive Opposition gegen Vichy. Ihr Aktionsradius weitete sich deutlich aus und beschränkte sich nicht mehr auf den Katalog staatskonformer Maßnahmen. Für den September 1942 sind die ersten Fälle aktiver Fluchthilfe ins neutrale Ausland belegt. Zu ihnen zählte z. B. Freudenbergs Verwandte Else Lief64 Vgl. A. DUMAS, Menschensieb, S. 126ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 114ff.); M. BAROT, Camps d’internement, S. 301f.

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mann, die am 22. September nach einer strapaziösen Kammwanderung in den Walliser Alpen schweizerischen Boden erreichte. Die jungen Frauen und Männer, ihnen voran Madeleine Barot, wagten im Sommer 1942 den Schritt in den Untergrund, ohne sich gleichzeitig in gemeinsamer Reflexion über die neue Qualität ihres Handelns gegen den Staat zu vergewissern. Sie ergaben sich für sie in nahezu selbstverständlicher Folge aus den miterlebten Grausamkeiten in den Wochen und Monaten des Sommers 1942. Auf den vielen Reisen in überfüllten Zügen mit verängstigten Flüchtlingen, die an die Schweizer Grenze geschleust werden sollten, auf den heimlichen Passagen in der Nacht durch oft unwegsames Gelände in ständiger Furcht vor Patrouillen war keine Zeit, über etwaige theologische oder sonstige ideelle Grundlagen dieses Handelns zu reflektieren. Angesichts des Leids und angesichts der wachsenden Bedrohung musste jede Stunde damit ausgefüllt werden, Hilfe zu leisten. „Nichts von alledem war ausdrücklich entschieden worden oder überhaupt vorgesehen“, beschrieb Madeleine Barot im Rückblick gegen Ende der 1960er Jahre diese Entwicklung, „es gab einfach keine andere Lösung“.65 Dennoch können Momente herausgestellt werden, welche die in der Erinnerung der Mitarbeiterinnen geradezu selbstverständliche Entwicklung der Cimade zu einer Widerstandsorganisation mit bestimmt haben. Sozialwissenschaftliche Studien über die Motive von Menschen, die während des Holocaust in Europa Juden retteten, heben als ein Erklärungsmuster die Bedeutung von Kollektiven hervor, die sich gemeinschaftlich in Rettungsunternehmen engagierten. In den meisten Fällen hatten diese Gruppen schon vor Ausbruch des Krieges bestanden und konnten die gefahrvolle Arbeit im Vertrauen auf alte Bindungen aufbauen und durchführen.66 Auch für die Untergrundarbeit der Cimade ist dieses soziologische Moment zu betonen. Es sei in diesem Zusammenhang nochmals daran erinnert, dass die zunächst in dem Comité Inter-Mouvements (CIM), dann ab September 1941 im Conseil Protestant de la Jeunesse (CPJ) zusammengeschlossenen fünf Jugendorganisationen die Cimade als ihr „Aktionskomitee“ verstanden 65 M. BAROT, Bereitschaft, S. 83 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 69). 66 Vgl. D. P. GUSHEE, Righteousness, S. 381, 386f. Vgl. auch J. SEMELIN, Ohne Waffen, S. 218, der auf die Bedeutung von Netzen der sozialen Solidarität für Rettungsaktionen von Juden während des Holocaust hinweist und dabei als ein Beispiel die protestantische Flüchtlingshilfe in Südfrankreich nennt. Ähnlich E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 213ff.; die zugleich die „religiöse“ Motivation der Cimade-Mitglieder betont (dazu EBD., S. 178f.); sie irrt allerdings, wenn sie die Cimade als Organisation charakterisiert, die in erster Linie Kinder gerettet hätte. S. P. u. P. M. OLINER, Altruistic Personality, haben in ihrer Studie altruistische Persönlichkeitsstrukturen als wesentliche Voraussetzung für Solidarität und Hilfe herausgestellt. Beide Erklärungsmuster sind für das Handeln der Helfer und Helferinnen der Cimade in Betracht zu ziehen.

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haben.67 Das Leitungskomitee von CIM und Cimade war in Personalunion besetzt und die Männer und Frauen in der Cimade entstammten den fünf protestantischen Jugendverbänden. Die überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder gehörte einer der fünf Jugendorganisationen an und hatte über die protestantische Jugendarbeit den Weg zur Cimade gefunden.68 Nur durch den starken Zusammenhalt innerhalb des CPJ und dadurch auch in der Cimade war es möglich, ein umfangreiches Rettungsnetzwerk zu etablieren und einer großen Zahl von Verfolgten zur Hilfe zu kommen. Lassen sich differierende geschlechtsspezifische Motivationen und Handlungsweisen bei den Männern und Frauen der Cimade feststellen? Eva Fogelman geht in ihrer Darstellung über Lebensretter im Holocaust ausführlich auf sozialpsychologische Untersuchungen ein, die einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Motivation bei Hilfsaktionen behaupten.69 Demnach seien für Frauen Empathie und Fürsorge als Handlungsantrieb zu benennen, während Männer eher aufgrund einer rationalen Vorstellung von Gerechtigkeit agierten. Für die Bewertung solcher Zuschreibungen noch immer einflussreich ist ein Analysemuster des Psychologen Lawrence Kohlberg, der in den 1960er Jahren ein sechsphasiges Stufenmodell zur moralischen Entwicklung des Menschen beschrieben hat. Er ordnet ein beziehungsorientiertes Verhalten, in dem Verantwortung und Rücksichtnahme auf andere im Mittelpunkt stehen, einem mittleren Entwicklungsstadium moralischer Argumentation zu. Auf einer höheren Ebene moralischen Urteilsvermögens handelten die Individuen, die gegebene Rechtssysteme in Frage stellen und unabhängig moralische Werte definieren, welche abstrakten Prinzipien von Gerechtigkeit unterliegen.70 Gegen eine solche abwertende Einstufung beziehungsorientierter Normen richten sich die Forschungen der Sozialwissenschaftlerin Carol Gilligan. Auch sie will zwischen männlicher und weiblicher Moralität differenzieren, plädiert jedoch dafür, die jeweils leitenden Prinzipien von Fürsorge auf der einen und Gerechtigkeit auf der anderen Seite nicht hierarchisch zu ordnen, sondern gleichrangig zu behandeln. Im Vergleich mit einer Moral des Rechtes liefere die Moral der Verantwortung einen alternativen Reifebegriff.71 Fogelman hebt hervor, dass erstmals durch Gilligan der Versuch unternommen wurde, die Frauen zugeschriebenen Eigenschaften der Empathie und Hingabe moralisch aufzuwerten. Sie kann jedoch die dabei zu

67 Vgl. das Protokoll der CIM-Sitzung vom 31.3.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 68 Vgl. dazu Kapitel 2.2 (oben S. 73ff.). 69 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 239ff.; dazu auch A. REITH, Strom, S. 78ff. 70 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 239ff.; A. REITH, Strom, S. 78ff.; L. MONTADA, Entwicklung, S. 750ff. 71 Vgl. C. GILLIGAN, Stimme, S. 27ff.; 33; 93f.

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Grunde gelegten geschlechtsspezifischen Unterschiede für ihre Forschungen nicht bestätigen und stellt fest, dass „der Zusammenhang zwischen Geschlecht und Reflexionsweise . . . nicht so ausgeprägt“ sei, wie Gilligans Analyse nahelege.72 Auch für die Cimade lässt sich eine solche Zuschreibung nicht erweisen. Die Briefe und Berichte aus den Lagern zeigen während der Internierungszeit und in den Deportationswochen die emotionale Empfänglichkeit der männlichen Mitglieder für das Leid der Lagerinsassen und damit ihre beziehungsorientierte Zuwendung ebenso wie für die Frauen. Auf der anderen Seite waren die Mitarbeiterinnen nicht festgelegt auf ein weiblich definiertes sozial-karitatives Verhaltensmuster als „besorgtes Pflegepersonal“, sondern sie haben sich ebenfalls in gefahrvolle Situationen begeben, risikoreiche Fluchtpassagen durchgeführt und sich im Engagement für die Flüchtlinge der Gefahr von Verletzungen, Verhaftungen und Gefängnisaufenthalten ausgesetzt.73 Gleiches gilt für die von Kohlberg beschriebenen sog. höheren Entwicklungsstadien moralischer Argumentation, die nicht nur für die männliche Geschlechtsrolle charakteristisch sind. In der Cimade erkannten Frauen wie Männer den Konflikt zwischen dem vereinbarten positiven Recht und den Menschenrechten unter dem Regime von Vichy und apostrophierten sich als Vertreterinnen und Vertreter eines ‚anderen Frankreichs‘, das dem gegenwärtigen Staat entgegengesetzt werden sollte.74 Über den Gruppenzusammenhang in den protestantischen Jugendverbänden wurde den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Cimade ein gemeinsames Wertesystem vermittelt, demzufolge sie nach den Kriterien von Eva Fogelman als religiös-moralisch motivierte Retter und Retterinnen zu bezeichnen sind. Dieses Wertesystem soll in den folgenden Abschnitten analysiert werden.75 Denn obwohl Barot es rückblickend mit Bezug auf die Situation im Sommer 1942 bedauert hat, dass „wir nichts grundsätzlich bedenken konnten und mehr durch die Umstände als durch eine reife Entscheidung vorangetrieben wurden“, lässt sich doch innerhalb der Jugendorganisationen über einen längeren Zeitraum eine Auseinandersetzung 72 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 239ff. (nach C. GILLIGAN, Stimme); ähnlich A. REITH, Strom, S. 78. Eine kritische Darstellung von Gilligans Weiblichkeitsmodell bei A. BIELER, Konstruktionen, S. 25f.; 30. Bieler warnt davor, Weiblichkeit durch Eigenschaften und Handlungsweisen zu definieren, die sich aus der mütterlichen Reproduktionsarbeit ableiten lassen, da dabei fremdbestimmte Bilder und partikulare Erfahrungen zu universalen Werten von Frausein erklärt würden. 73 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 239 sowie A. DUMAS, Menschensieb, S. 123–128 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 111ff.); zu den Fluchthelferinnen und -helfern vgl. Kapitel 7.2.2 und 7.2.3 (unten S. 260ff. u. 273ff.). 74 Vgl. z. B. den Bericht des Lagerteams von Rivesaltes vom 10.12.1941 (SHPF PARIS: DT Cam) sowie E. SCHMIDT, Dieu, S. 62 u. 70. 75 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 178f.

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mit christlich-theologischen Inhalten aufzeigen, die den Cimade-Mitgliedern zwischen 1940 und 1943 eine Orientierung in ihrem Handeln geben konnte und auch Ausdruck in ethischen Programmschriften gefunden hat.76

6.2.1 Christliche Jugendarbeit zur Gewissensschärfung Die protestantischen Jugendorganisationen in Frankreich sahen bereits in den 1930er Jahren die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Fragen als eine wichtige Aufgabe in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen an. Die Entwicklungen im Nachbarland Deutschland und die davon ausgehenden Gefahren für Europa wurden mit großer Anteilnahme und Sorge betrachtet.77 Aufgrund der engen ökumenischen Kooperation mit jungen Christinnen und Christen in anderen Ländern, wie sie sich beispielhaft in der großen Weltjugendkonferenz 1939 ausgedrückt hatte, waren sich die in der CIM zusammengeschlossenen französischen Verbände der UCJG und UCJF, der Pfadfinder und Pfadfinderinnen und des Studentenbundes der großen Gefahr bewusst, die von den totalitären Ideologien und insbesondere dem Nationalsozialismus ausgingen. Die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat wurde zu einem aktuellen und zentralen Thema, und die Auseinandersetzung um verantwortliches Handeln von Christinnen und Christen in einem Staatswesen bestimmte auch nach der Machtübernahme durch das Regime von Vichy die Freizeiten und Tagungen der Jugendorganisationen. Eine wichtige Quellengrundlage stellt die Zeitschrift des christlichen Studentenbundes in der Südzone dar, die in Anklang an den Namen der Vereinigung (Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants) und dessen gebräuchliche Abkürzung „Fédé“ die Bezeichnung Correspondance Fédérative erhielt.78 Neben einzelnen Artikeln und Bibelarbeiten sind es hier vor allem die vielfältigen Tagungsberichte am Ende der monatlichen Ausgaben, die Auskunft über die inhaltlichen Schwerpunkte, über Referenten und Diskussionsleiter geben. Sowohl an diesen Treffen als auch an den Veranstaltungen der sog. Post-Fédé, also den Altmitgliedern des Studentenbundes, haben Frauen und Männer der Cimade teilgenommen. Da eine Reihe von Zusammenkünften als gemeinschaftliche Freizeiten der in 76 Vgl. das Zitat in: M. BAROT, Ethique, S. 349 (Übersetzung U. G.). 77 Vgl. z. B. die Diskussionen über die Ergebnisse der Münchner Konferenz auf der CIM-Versammlung vom 21.10.1938, an der neben anderen Suzanne de Diétrich, Violette Mouchon, Georgette Siegrist und Claire Jullien teilnahmen (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5). 78 Die Correspondance Fédérative trat für die Zeit der Teilung und Besetzung Frankreichs in der Südzone an Stelle des Semeur. Verantwortlicher Redakteur war Georges Casalis. Eine lückenhafte Sammlung der Jahrgänge 1940–1944 findet sich in der SHPF PARIS.

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der CIM bzw. dann im CPJ zusammengeschlossenen Verbände organisiert waren, können diese Quellen auch als Belege für die inhaltliche Arbeit der christlichen Vereine junger Leute und der Pfadfinder und Pfadfinderinnen herangezogen werden. Welche theologischen Einflüsse haben diese Auseinandersetzungen hauptsächlich bestimmt? Eine wesentliche Grundlage stellten Veröffentlichungen von Theologen dar, die den Kampf der Bekennenden Kirche in Deutschland theoretisch vorbereitet und begleitet hatten. Dass die Jugendorganisationen, in erster Linie die FFACE, vor allem Schriften Karl Barths rezipierten, der durch die Übersetzungen von Pierre Maury in Frankreich bekannt geworden war, ist in der kirchengeschichtlichen Forschung communis opinio.79 Unter der Zensur von Vichy konnte ein Bezug auf ihn in Printmedien wie der Correspondance Fédérative nicht erfolgen, so dass nicht nachgewiesen werden kann, ob Texte Barths etwa den Studientagen zugrunde lagen und bei den Auseinandersetzungen eine Rolle spielten. Doch haben Barths Schüler mit Sicherheit als Multiplikatoren gewirkt. Visser ’t Hooft nahm beispielsweise auch nach seinem Wechsel vom Christlichen Studentenweltbund in das Generalsekretariat des ÖRK an Tagungen der FFACE und des CIM in der Südzone teil. Casalis hatte in den 1930er Jahren in Basel studiert und war der Initiator des zweiten Briefes von Barth an den französischen Protestantismus von 1940, in dem dieser nachdrücklich zum Widerstand aufrief. Es ist davon auszugehen, dass Casalis nicht nur die Barmer Bekenntniserklärung in der französischen Übersetzung heimlich verbreitete, sondern auch Barths Veröffentlichungen zum Verhältnis von Kirche und Staat in die Freizeiten eingebracht hat. Auch andere Pfarrer und Theologen wie Théodor Preiss oder Roland de Pury haben Barths Theologie weitergetragen. Die ehemalige Cimade-Mitarbeiterin Jacqueline Laurier erinnert sich daran, dass das intellektuelle Klima in der Fédé insgesamt stark vom „barthisme“ geprägt gewesen sei und eine Reihe von verantwortlichen Leitern in diesem Sinne ihre inhaltliche Arbeit gestaltet hätten.80 Ein Einfluss auf die französischen Jugendorganisationen kann auch für den Alttestamentler Wilhelm Vischer (1898–1989) nachgewiesen werden. Vischer war in der Anfangsphase des Kirchenkampfes in Deutschland von Bedeutung und hatte vor allem auf eine Erneuerung des Verhältnisses von Kirche und Israel hingewirkt. Neben Dietrich Bonhoeffer und anderen gehörte Vischer 1933 zu den Mitverfassern des Entwurfes für das sog. „Betheler Bekenntnis“, in dem er in dem Abschnitt „Die Kirche und die Juden“ an die heilsgeschichtliche Bedeutung Israels erinnerte und entschie79 Vgl. grundlegend P. BOLLE, L’influence du barthisme. 80 Schriftliche Mitteilung von Jacqueline Laurier (geb. Jourdan) an die Verfasserin vom 12.7.1996.

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den die kirchliche Solidarität mit den Judenchristen forderte.81 Der aus der Schweiz stammende Vischer hatte seit 1928 eine Dozentur für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule Bethel inne, wurde jedoch schon 1933 aufgrund von Intrigen nationalsozialistisch eingestellter Kreise aus diesem Amt entlassen und ging in sein Heimatland zurück. In Basel versuchten Vischer und Barth mit ihrer Israeltheologie die theoretische Grundlage für die Arbeit des Hilfswerkes der Bekennenden Kirche in der Schweiz unter der Leitung des Flüchtlingspfarrers Paul Vogt zu geben. Exemplarisch ist das „Memorandum zur Judenfrage“ vom Oktober 1938 zu nennen, das unter dem Titel „Das Heil kommt von den Juden“ auch in oppositionellen Kreisen in Deutschland rezipiert wurde.82 Die Plattform für die Vermittlung ihrer Auffassung von der Bedeutung der Juden für die Christen wurden die Hilfswerkstagungen, die jährlich in dem Züricher Vorort Wipkingen stattfanden.83 An diesen Zusammenkünften nahmen auch Visser ’t Hooft und Freudenberg teil. Von der Schweiz aus wurde Vischer mindestens einmal zu einer Tagung der französischen Jugendorganisationen eingeladen. Im Mai und Juni 1942 nahm er an einer für die Dauer von sechs Wochen konzipierten Freizeit für Gruppenleiter und Führungsmitglieder teil, an der auch Madeleine Barot mitwirkte.84 Es ist in diesem Zusammenhang durchaus möglich, von einer inneren Verwandtschaft zwischen dem Hilfswerk unter Paul Vogt und der Cimade unter Madeleine Barot zu sprechen. Beide bemühten sich, das Leid von Christen und Christinnen jüdischer Herkunft, die von der rassistischen Verfolgung betroffen waren, im Exil zu mildern. Sie wurden beide von der ökumenischen Flüchtlingsabteilung Freudenbergs unterstützt, Vogt war als Mitglied des Ausschusses über die Entwicklungen in der protestantischen Flüchtlingshilfe in Frankreich informiert. In der Schweiz sorgte er häufig für Flüchtlinge, die vor ihrer heimlichen Ausreise aus der Südzone Schützlinge der Cimade gewesen waren und von ihr über die Grenze gebracht worden waren. In Gurs kümmerte sich das Cimade-Team um die jüdischen Eltern des promovierten Theologen Kurt Emmerich, der selber erst in der Emig81 Vgl. zur Textgeschichte D. BONHOEFFER, Berlin 1932–1933, S. 362ff. u. 503 (der Abschnitt „Die Kirche und die Juden“ EBD. S. 402ff.); außerdem auch E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. I, S. 194ff. Eine kritische Position zur Israeltheologie Vischers bezieht E. W. STEGEMANN, Unverständnis eines Wohlmeinenden. 82 Vgl. E. RÖHM/J. THIERFELDER, Juden – Christen – Deutsche, Bd. I, S. 195; E. BUSCH, Unter dem Bogen, S. 320. Grundlegend zu Barths Israeltheologie F.-W. MARQUARDT, Entdeckung, dort S. 72ff. zu systematisch-theologischen Übereinstimmungen und Unterschieden zwischen Barth und Vischer. 83 Vgl. die ausführliche Darstellung bei E. BUSCH, Unter dem Bogen, S. 320ff. 84 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Juli 1942, S. 587. Vischer übernahm nach dem Krieg eine Professur an der protestantisch-theologischen Fakultät in Montpellier (vgl. E. BUSCH, Lebenslauf, S. 364; A. DUMAS, Vischer).

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ration zum Christentum übergetreten war und als Mitarbeiter Barths die dogmatische Linie für die Hilfswerksarbeit mit entwickelte.85 Obwohl die Wipkinger Tagungen für das Hilfswerk, an denen hauptsächlich Theologen teilnahmen, auf einer wissenschaftlich ungleich qualifizierteren Ebene durchgeführt wurden als die Laien-Treffen der Jugendorganisationen, die der Cimade ihre theologische Grundlage gegeben haben, kann doch beider Arbeit als praktischer Ausdruck von dogmatischen und ethischen Grunderkenntnissen betrachtet werden, die durch Barth und Vischer vermittelt wurden. Wichtige Impulse gingen auf den Tagungen der französischen Jugendorganisationen auch von Suzanne de Diétrich aus. Sie stand während ihres gesamten Engagements in der Führungsebene des Christlichen Studentenweltbundes in sehr engem Dialog mit der Bibel und war, obwohl Laientheologin, eine ausgezeichnete Bibelwissenschaftlerin.86 Für ihre Arbeit nahm sie zwar Ergebnisse der historischen Kritik auf, ihr ging es aber vor allem um das gesprochene Wort, um die Botschaft der Bibel und nicht um die Frage der Textentstehung. Dafür öffnete sie sich auch anderen Methoden biblischer Auslegung. So hatte sie beispielsweise schon zu Beginn der 1940er Jahre das „biblische ABC“ des niederländischen Theologen Kornelis Heiko Miskotte in ihre Arbeit aufgenommen. Miskotte hatte die Lehren von Martin Buber und Franz Rosenzweig für christliche Bibelwissenschaft fruchtbar gemacht.87 Für ihre Bibelarbeiten entwickelte Suzanne de Diétrich eine Methode des gemeinschaftlichen Zuganges, die sie 1942 in ihrem Buch „Rediscovering the Bible“ beschrieb und in der sie darauf abhob, dass Bibelarbeit in der Verantwortung der ganzen Gemeinde stehe und „nicht Sache eines einzigen Mannes – des Pfarrers“ sei88. De Diétrich kam es in ihrer Arbeit darauf an, die biblischen Leseerlebnisse an die aktuellen politischen Ereignisse anzuknüpfen. In der Zeit der Totalitarismen besaß das biblische Wort für sie Kraft als Zeichen gegen antichristliches Handeln in einer zunehmend chaotischer und bedrohlicher werdenden Welt.89 Madeleine Barot hat zudem hervorgehoben, dass Suzanne de 85 Vgl. E. BUSCH, Unter dem Bogen, S. 362f. Freudenberg bat Barot auch im Namen Barths in zwei Briefen vom 1. und 29.7.1942, für Moritz Emmerich und seine Frau zu sorgen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 86 Suzanne de Diétrich absolvierte noch vor dem Ersten Weltkrieg als eine der ersten Frauen ein Studium der Ingenieurwissenschaften in Lausanne (vgl. H.-R. WEBER, Suzanne de Diétrich, S. 51ff.). 87 Vgl. S. DE DIETRICH, Wiederentdeckung, S 10f. Das lange vergriffene „Biblische ABC“ in der deutschen Übersetzung erschien 1997 in einer Neuauflage des Erev-Rav-Verlages. Vgl. zu Miskotte auch F.-W. MARQUARDT, Bericht, S. 172. 88 1942 erschien die englische Version „Rediscovering the Bible“, 1945 die erweiterte französische Ausgabe „Renouveau Biblique“. Das Zitat folgt der deutschen Edition von 1948: „Die Wiederentdeckung der Bibel“, S. 11. 89 Vgl. S. DE DIETRICH, Le dessein, S. 13 (in der deutschen Ausgabe betitelt mit „Was Gott mit uns vorhat“, S. 25). Vgl. insgesamt auch H.-R. Weber, Suzanne de Diétrich, S. 167ff.

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Diétrich den Teams der Cimade durch ihre Bibelarbeiten geholfen habe, die Begegnung mit dem Judentum theologisch zu durchdenken.90 Den Jugendorganisationen war es auf ihren Tagungen ein Anliegen, in gemeinschaftlicher exegetischer Auseinandersetzung über biblische Texte eine Orientierungshilfe für die politischen und sozialen Fragen der Gegenwart zu vermitteln. Durch die kurzen Berichte über Freizeiten, die in den folgenden vier Jahren in der Correspondance Fédérative abgedruckt wurden, zieht sich wie ein roter Faden der Aufruf, sich als Christen und Christinnen aktiv am politischen Geschehen der Gegenwart zu beteiligen und aus einem biblisch begründeten Verantwortungsbewusstsein heraus Stellung zu nehmen. Es ist auffallend, dass dabei die Politik Vichys gegenüber Juden und Jüdinnen wiederholt als ein Bereich thematisiert wurde, der auch Christen in ihrem Verhältnis zum Staat wesentlich angeht. Die Ausgrenzungsmaßnahmen gegenüber Juden und Ausländern wurden, wie z. B. auf einem Treffen der FFACE in Lyon im April 1941, diskutiert und gleichzeitig in Bibelarbeiten das Verhältnis von Kirche und Israel bedacht.91 Wilhelm Vischer hielt auf der Sechs-Wochen-Freizeit vom Mai und Juni 1942 eine zwölfteilige Studienreihe über die Kapitel Röm 9 bis 11 ab, die großes Aufsehen erregte.92 In einem Predigttyposkript für die Cimade zum Himmelfahrtsfest machte Vischer deutlich, dass „durch Gottes Treue das Reich des Christus bis zu seiner Vollendung in entscheidender Weise an die Juden gebunden (bleibt). Sie sind das auserwählte Werkzeug der Politik Gottes.“93 Von einem Studium der Kapitel Röm 9 bis 11 erhofften sich die Leiter und Leiterinnen der Jugendverbände derart oft eine Wegweisung zur Begegnung mit dem Judentum und seiner Bedeutung für die Kirche, dass bei der Vorbereitung neuer Tagungen im Herbst 1942 eine andere Bibelstelle gewünscht wurde.94 Mit der zunehmenden Radikalisierung des staatlichen Antisemitismus verstärkte sich noch das Bedürfnis, in gemeinsamem Nachdenken über die Bibel ihr kritisches Potenzial zu entdecken. So zeigten sich die Mitglieder eines Kongresses der Post-Fédération mit dem Thema „Göttliches Recht 90 Vgl. das Interview mit Madeleine Barot, UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 120. 91 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, April 1941, S. 44ff. Der Bericht wurde von dem späteren Cimade-Mitarbeiter Yves Lacaze verfasst. 92 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Juli 1942, S. 587. Vgl. auch einen Brief Freudenbergs an Vischer vom 19.8.1942, der die Sechs-Wochen-Tagung erwähnt (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V). Die Familien Freudenberg und Vischer hatten die Sommerferien 1942 gemeinsam im schweizerischen Champex verbracht. 93 Undatierte Predigt Vischers zu Himmelfahrt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Echanges Cimade, COE, YMCA]). EBD. findet sich auch eine Pfingstpredigt Freudenbergs, die an die Gemeinden in den Internierungslagern gerichtet ist. 94 Protokoll der Sitzung des CPJ vom 10.10.1942 (SHPF PARIS: DT Mouv). Vgl. insgesamt zur Bedeutung der Freizeiten auch P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 174ff.

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– Naturrecht“ im September 1942 „bestürzt über die jüngsten Ausnahmemaßnahmen gegen ein Volk, das die Bibel als ‚von Gott auserwählt‘ bezeugt. Dieses Leiden hat alle unsere Versammlungen, alle Studien . . . beherrscht“. Weiter wurden in dem Tagungsbericht die Deportationen als „eine Revolte des Menschen und des Staates gegen das Recht Gottes“ bezeichnet95. Die Teilnehmer an einer CPJ-Freizeit zum Jahreswechsel 1942/43, unter ihnen Jean Gastambide, Claire Jullien, Jeanne Tendil und Violette Mouchon, entdeckten „eine erstaunliche Aktualität“ in einer Studie über das Buch Daniel. Sie beschrieben Nebukadnezar als „totalitären und rassistischen Herrscher“ und erkannten im Verhalten von Daniel und seinen Begleitern einen Hinweis darauf, dass eine Unterwerfung unter einen solchen Souverän nicht vertretbar sei, wenn man damit gleichzeitig Gott untreu werde.96 Den Zensoren war die Brisanz dieser Sätze offenbar entgangen. Mit der Übertragung des bei Daniel kritisierten Herrschaftsmechanismus wurden die antisemitischen und repressiven Regime der Gegenwart angeprangert und letztlich mit dem Hinweis auf Gehorsamsverweigerung zum Widerstand gegen die weltliche Obrigkeit aufgerufen. Oftmals waren Informationen über die Tätigkeit der Cimade Bestandteil der Freizeiten. So wurde zu Ostern 1943 eine mehrtägige Arbeitsreihe mit einer Einheit über die Beteiligung von Christen an der politischen Arbeit abgeschlossen. Dabei sollten dem Tagungsbericht zufolge u. a. Informationen von Madeleine Barot über die Cimade „konkrete Bedingungen aufzeigen, in die sich unser politisches Engagement in der gegenwärtigen Zeit einfügen kann“97. Indem die Jugendorganisationen eine verantwortliche Mitarbeit im Staat als eine Hinwendung zu den Ausgegrenzten und Entrechteten in den Internierungslagern auffassten, machten sie deutlich, mit welch kritischer Distanz sie die Politik Vichys gegenüber Minderheiten beobachteten. Politisches Engagement bedeutete hier auch, den Staat auf seine Unrechtsmaßnahmen aufmerksam zu machen und an einem Korrektiv mitzuwirken. Beispielhaft soll zum Abschluss auf eine Bibelstudie vom November 1940 hingewiesen werden, die als wegweisend für die Arbeit der Jugendorganisationen unter dem Regime von Vichy gelten kann. Knapp vier Wochen nachdem die Regierung im Judenstatut vom 3. Oktober und in den Maßnahmen vom 4. Oktober die Diskriminierung französischer wie ausländischer Juden und Jüdinnen beschlossen hatte, eröffnete die Correspondance Fédérative mit einer Arbeit von Denise Daniel-Latune über Esther (Kap. 3, 12–16 und 4, 1–17).98 Kein anderes biblisches Buch thematisiert in solcher 95 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Jan./Febr. 1943, S. 132 (Übersetzung U. G.). 96 Vgl. EBD., S. 139. 97 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Mai 1943, S. 345f. 98 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Nov. 1940, S. 3–7. Im zweiten Teil der Studie werden Röm 8, 28–39 und 1. Joh 5,1–6 exegesiert. Auch Vischer eröffnete seine Antritts-

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Weise den antisemitischen Vernichtungswillen eines Staates wie diese Erzählung über das Leiden von Juden und Jüdinnen unter König Xerxes in Persien. Die ausgewählten Verse umfassen den staatlichen Befehl zur Ausrottung sowie den Bericht darüber, wie Esther sich zum Widerstand entschied, um ihr Volk, das „auserwählte Volk“, wie die Exegetin betont, zu retten. Fast scheint es, als hätte Daniel-Latune geahnt, dass die gerade eingeführten Maßnahmen nur eine erste Stufe in einer antisemitischen Gewaltspirale darstellen würden, die zwei Jahre später in der staatlich betriebenen Auslieferung in den Tod enden sollte. Ihr geht es nun darum, aus dem Beispiel des Widerstandes Esthers Lehren für das Verhalten von Christen und Kirchen in der Gegenwart zu ziehen. Dabei verfällt sie nicht in den antijüdischen Topos und präsentiert die Kirche als neues Israel, das an Stelle des Judentums als das erwählte Volk Gottes zu betrachten sei. Mit sehr zentralen Begriffen zeigt Daniel-Latune wesentliche Linien des Verhältnisses von Kirche und Staat auf und umreißt in wenigen Sätzen eine Staatsethik, die so bis zum Ende der Besatzung gültig sein konnte. Demnach seien Christen zwar zum Dienst am Staat verpflichtet, müssten sich jedoch immer in Erinnerung rufen, dass der Dienst gegenüber Gott für sie an erster Stelle stehe. Wenn der Staat die Freiheit der Kirche bedrohe und die Kirche hindere, das Evangelium zu verkündigen, dann könnten sich Christen einer solchen Staatsform nicht als zugehörig betrachten.99 Indem als Beispiel für diesen von Gott geforderten Gehorsam ein biblisches Zeugnis gewählt wurde, in dem Gottes Volk selbst in seiner Existenz bedroht ist, ruft Daniel-Latune implizit auch zur Kritik am Antisemitismus Vichys auf. So wie Esther sollen auch die Christen in Frankreich nicht schweigen, damit „den Juden . . . Hilfe und Befreiung zuteil werde“.

6.2.2 Die Thesen von Pomeyrol als Ausdruck christlicher Widerstandsethik Die Thesen von Pomeyrol sollen hier aufgenommen werden als programmatischer Ausdruck von Überlegungen zum Verhältnis von Kirche und Staat in kritischen Kreisen des reformierten Protestantismus in Frankreich, in die auch Vertreter und Vertreterinnen der Jugendorganisationen eingevorlesung für einen Lehrauftrag in Basel 1937 mit dem Buch Esther (vgl. E. BUSCH, Unter dem Bogen, S. 320). 99 CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Nov. 1940, S. 5. Damit bezieht sie sich möglicherweise auf die Argumentation Barths von 1938 (K. BARTH, Rechtfertigung und Recht, S. 20f.; S. 40f.). Der Aufsatz wurde noch 1938 von Pierre Maury ins Französische übersetzt und unter dem Titel „Justification divine et justice humaine“ in einer Schriftenreihe von Foi et Vie herausgegeben (vgl. P. BOLLE, L’influence du barthisme, S. 570, Anm. 30).

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bunden waren. Sie waren das Ergebnis eines informellen Treffens von sechzehn reformierten Christinnen und Christen in dem Tagungshaus von Pomeyrol in der Nähe von Tarascon am 16. und 17. September 1941, ebendort, wo die Cimade etwa ein Jahr später ein Heim für Internierte aus Les Milles eröffnen sollte. Unter ihnen befanden sich der Wirtschaftswissenschaftler und Widerständler René Courtin, der Lyoner Pastor Roland de Pury, der sich in seinen Predigten seit Juni 1940 gegen das Regime gewendet hatte, Henri Clavier, Theologe aus Montpellier sowie weitere Pastoren aus der Südzone, unter ihnen Henri Eberhard aus Dieulefit und Jean Cadier aus Montpellier. Außerdem waren mit Georges Casalis, Jean Gastambide und Madeleine Barot Mitglieder aus dem CIM als Dachorganisation der Jugendverbände vertreten. Aus Genf waren Willem A. Visser ’t Hooft und Suzanne de Diétrich angereist. Nach den Erinnerungen von Teilnehmern, die von dem Kirchenhistoriker Pierre Bolle in den 1970er Jahren befragt worden sind, war die Begegnung von Visser ’t Hooft und Barot initiiert worden. Für den Generalsekretär des ÖRK war der Wunsch leitend gewesen, auch in Frankreich die Entstehung einer Bekennenden Kirche nach dem Vorbild der besetzten Niederlande und Norwegens in die Wege zu leiten. Madeleine Barot erinnerte sich, eine Wegweisung für die Cimade erhofft zu haben, die ihre Arbeit in Gurs und Rivesaltes nun etabliert hatte und sich zu weiteren Lagern Zugang verschaffen wollte. Diese Sozialarbeit bedurfte ihrer Meinung nach einer grundlegenden theologischen Reflexion und Rechtfertigung gegenüber der Kirche.100 Der Text, den die Gruppe von Pomeyrol als Ergebnis ihrer Zusammenkunft verabschiedet hat, ist in der äußeren Form, d. h. der Gliederung in mehrere Thesen mit vorangestellten Bibelstellen, an die Barmer Theologische Erklärung von 1934 angelehnt.101 Die erste These kann als Leitsatz für das ganze Dokument betrachtet werden und bezeugt die absolute Souveränität von Jesus Christus über Kirche und Welt. Die Ordnung, in der die Welt regiert wird, muss Gottes Willen entsprechen. Die Thesen zwei bis fünf gehen in grundsätzlicher Weise auf das Verhältnis von Kirche und Staat ein. Sie zeigen auf, dass die dem Staat geschuldete Unterordnung im Gehorsam vor Gott ihre Grenze hat. Die abschließenden drei Thesen nennen wesentliche Konfliktbereiche, in denen Christen sich durch die Regierungsmaßnahmen Vichys in ihrer Loyalität zur irdischen Obrigkeit in Frage gestellt sehen konnten.102 Einzelne Aspekte der Thesen sollen im folgenden aufgezeigt werden. 100 Vgl. insgesamt P. BOLLE, Thèses, S. 182ff. sowie DERS., mouvements de jeunesse, S. 169ff.; zu Barot vgl. A. JACQUES, Madeleine Barot, S. 32. 101 Vgl. P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 171. 102 Vgl. die acht Thesen im Anhang, Dokument 1 (unten S. 310f.; Übersetzung U. G.).

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Auffallend ist zunächst, dass es der Gruppe von Pomeyrol von Beginn an darauf ankommt, dass Kirche und Christen sich gegenüber dem Staat verantwortlich zeigen. Sie sind dazu aufgerufen, „immer dann die aktuelle Lage (zu) beurteilen, in der sich Staat und Volk befinden, wenn die Gebote Gottes . . . in Frage gestellt werden“ (These 2). Bereits mit dieser Forderung wird ein entschiedener Protest gegen jeden Rückzug von Gläubigen ins Private, gegen eine Art innerer Emigration vieler Christinnen und Christen erhoben, die mit dieser resignativen Haltung auf die Niederlage und die Etablierung des Regimes reagiert hatten. Ein „Entfliehen aus jenem anderen, dem politischen Bereich“ hatte Barth bereits 1938 als ein Verhalten moniert, mit dem Christen wie Kirche sich ihrer Verantwortung für einen Rechtsstaat bzw. für die Wiederherstellung rechtsstaatlicher Zustände entziehen.103 Die Männer und Frauen in Pomeyrol forderten dazu auf, alle Maßnahmen der Obrigkeit in Auseinandersetzung mit der politischen und staatlichen Entwicklung zu beobachten, einer ständigen Kritik zu unterziehen und damit ihrem Wächteramt nachzukommen. Im aktuellen Falle konnte dies beispielsweise bedeuten, über die antisemitische und fremdenfeindliche Gesetzgebung informiert zu sein und ihre Auswirkungen auf die solchermaßen Ausgegrenzten im gesellschaftlichen Alltag und in der Isolation der Lager wahrzunehmen. Wenn sich aus der Prüfung ergibt, dass die staatliche Ordnung nicht mehr im Einklang mit Gottes Geboten steht, so muss die Kirche oder einzelne ihrer Glieder, so bestimmt es These drei, diesen Missstand in der Predigt öffentlich machen und gegenüber den Machthabern eine Änderung einfordern. Die Thesen vier und fünf können in einen Zusammenhang gesetzt werden, denn in beiden geht es darum, dem Staat Macht zuzusprechen, diese aber gleichzeitig einzuschränken. So erscheint nun zwar der Begriff der staatlichen „autorité“, der Gewalt, als ein Schlüsselwort für eine staatsethische Betrachtung. Sie wird jedoch sofort relativiert durch den Begriff limité, Grenze. Durch diese Zusammenstellung wird von Beginn an hervorgehoben, dass keine staatliche Obrigkeit schrankenlos Herrschaft ausüben darf. Ihre Gewalt ist immer durch die Forderung Gottes „nach Wahrheit und Gerechtigkeit“ (de vérité et de justice) begrenzt. Damit werden die Schlüsselworte herausgestellt, die Christen und Christinnen einen Maßstab zur Beurteilung staatlichen Handelns an die Hand geben. Mutiert der Staat

Zugrunde liegt die textkritische Edition von P. BOLLE, Texte, S. 172ff. In deutschsprachiger Fassung wurden die Thesen von Pomeyrol bisher zweimal veröffentlicht (vgl. H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 73–88; W. SCHERFFIG, These, S. 296–299). Während MalinowskiKrum sich auf die Forschung Bolles bezieht, macht Scherffig keine Quellenangaben. Daher lässt sich nicht klären, woher der bei ihm edierte, in der sonstigen Forschung unbekannte Einleitungsabschnitt zu den Thesen stammt. 103 Vgl. K. BARTH, Rechtfertigung und Recht, S. 45; vgl. auch EBD., S. 21.

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zum Unrechtsstaat, hat die Gerechtigkeit in ihm keinen Ort mehr, so ist die Kirche aufgerufen, diese Gerechtigkeit einzuklagen. Während diese Forderung mit dem Bibelzitat Spr 14,34 („Gerechtigkeit erhöht ein Volk; aber die Sünde ist der Leute Verderben“) nochmals eingeschärft wird, ist mit dem Zitat aus dem 1. Timotheusbrief vielleicht ein unausgesprochener Bezug auf Barths Schrift „Rechtfertigung und Recht“ gegeben. Die in 1. Tim 2,1–4 ausgesprochene Aufforderung zur Fürbitte für den Staat ist der Angelpunkt seiner dortigen Argumentation, derzufolge der Staat von Gott eingesetzt wird, um ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit zu garantieren, damit die Kirche ihrer Pflicht der Predigt von der Rechtfertigung nachkommen kann.104 Fürbitte für die Machthaber ist demnach auch und gerade in einem Unrechtsstaat zu leisten, damit er wieder zu einem Rechtsstaat werde und der Kirche damit den Raum zur Verkündigung des Evangeliums verschafft. Erst nachdem solchermaßen die Grenzen staatlicher Gewalt definiert worden sind, kann die Kirche die Staatsmacht als eine gottgewollte Einrichtung für das Allgemeinwohl anerkennen (These fünf). In einem Gemeinwesen, das durch Gerechtigkeit und Wahrheit bestimmt ist, sollen Christen als „citoyens“, als „Staatsbürger“ verantwortlich mitarbeiten. Als zentraler Begriff wird nun der „Gehorsam“ in den Diskurs eingeführt. So wie die Kirche den Staat an Wahrheit und Gerechtigkeit „erinnert“ (rappelle), so „erinnert“ sie nun ihre Glieder an den Gehorsam, den jeder Christ dem Staat schuldig ist. Die Gruppe von Pomeyrol war allerdings darum bemüht, erneut die Bedingtheit dieses Gehorsams zu unterstreichen. Zwar geht Röm 13,1–4 als Locus classicus neutestamentlicher Staatsethik der These voraus. Die Furcht vor einer Fehlinterpretation dieser Bibelstelle als Forderung nach einer staatskonformen Einordnung von Christinnen und Christen und einer unbedingten Loyalität zur Obrigkeit ist jedoch offenbar so groß, dass im Gegensatz dazu die Bedeutung des ebenfalls vorangestellten Apg 5,29 („Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“) weitaus stärker hervorgehoben wird. Der Gehorsam, den Christen dem Staat schulden, ist unlösbar gebunden an den Gehorsam gegenüber Gott. Ihm gehört der absolute Gehorsam, demgegenüber der dem Staat geschuldete Gehorsam zwar angeordnet (ordonné), gleichzeitig aber auch untergeordnet (subordonné) ist. Anordnung und Unterordnung bedingen sich hier gegenseitig. Damit wurde verdeutlicht, dass Christen unrechtmäßiges Handeln des Staates nicht durch unreflektierte Hinnahme und Anpassung mit unterstützen dürfen, sondern im Gegenteil in einem solchen Moment gehorsame und systemkonforme Mitarbeit verweigern müssen. Die geforderte Kooperation darf nicht dazu führen, dass sich Christen mit 104 Vgl. EBD., S. 30f.

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dem Staatswesen identifizieren und damit die für Kritik nötige Distanz aufgeben. Der abschließende Satz der These erinnert nochmals daran, dass das Wort Gottes das entscheidende Prüfinstrument ist, an dem sich die Rechtmäßigkeit eines Gehorsams erweisen muss, der einer irdischen Obrigkeit geleistet wird. Er steht unter der Kontrolle von Gottes Gebot und ist nur legitim, wenn diese Obrigkeit die Forderung nach Wahrheit und Gerechtigkeit erfüllt. Röm 13 darf folglich nach dem Verständnis der in Pomeyrol versammelten reformierten Christinnen und Christen nur in Verbindung mit Apg 5,29 eine Bedeutung für die christliche Staatsethik bekommen. Die Gruppe von Pomeyrol steht damit in der Tradition reformierter Theologie, wie sie in Frankreich schon in der Frühen Neuzeit im Zusammenhang mit dem Kampf gegen staatliche Unterdrückung formuliert wurde. Johannes Calvin mit Passagen zum Widerstandsrecht in der Institutio christianae religionis (1542) und Theodor Beza in seiner Schrift Du droit des magistrats (1574) haben dazu beigetragen, Widerstand gegen die Obrigkeit theologisch zu legitimieren. Möglicherweise war auch das von Karl Barth 1938 neu ausgelegte Schottische Bekenntnis (1560) von John Knox für einige Mitglieder der Gruppe von Pomeyrol von Bedeutung.105 Während die im Luthertum vorherrschende Zwei-Reiche-Lehre Christen und Kirchen in Deutschland eine kritischen Haltung gegenüber dem Staat im 20. Jahrhundert sehr erschwert und mitunter unmöglich gemacht hat, konnten die Protestanten in Frankreich ein Widerstandsrecht aus ihrer theologischen Ethik heraus entfalten.106 Auf welche Weise sich der Missbrauch politischer Macht äußern kann, wird in These sechs am Beispiel der Rechtswahrung aufgezeigt. Der Staat hat für eine Rechtsordnung, ein régime de droit zu sorgen, das jedem Bürger wesentliche libertés, Freiheitsrechte garantiert. Damit charakterisiert die Gruppe von Pomeyrol den Rechtsstaat als das politische System, für das sich eine Kirche einsetzen muss. In ihm darf es keine staatlichen Übergriffe und Gewaltmaßnahmen geben, die sich ohne rechtsstaatliche Grundlage gegen einzelne oder Gruppen richten. Ausdrücklich ausgeschlossen werden „alle unrechte Diskriminierung und alle systematische Überwachung und Willkür“ als unvereinbar mit den politischen Grundrechten. Indem mit dieser Forderung insbesondere „Justiz und Polizei“ angesprochen werden, hebt die Gruppe von Pomeyrol diejenigen Bereiche innenpolitischer Ordnung hervor, die am ehesten anfällig für eine Missachtung der Grundfreiheiten sind und die Entwicklung hin zum repressiven Zwangsstaat einleiten können. 105 Vgl. insgesamt E. WOLF, Widerstandsrecht; J. MEHLHAUSEN, Widerstand. 106 Vgl. EBD., S. 21ff.; 27ff.; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Kirchen, S. 408; G. VAN NORDEN, Widerstand, S. 119.

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Der Eingangssatz der These kann jedoch nicht als Plädoyer für ein uneingeschränkt kritisches Verhalten von Christen und Kirchen in ihrem Verhältnis zum Staat kommentiert werden. Dem Staat wird hier das Recht auf „bestimmte Ausnahmemaßnahmen“, auf certaines mesures d’exception zur Aufrechterhaltung des Allgemeinwohls konzediert, ohne dass diese Aussage weiter expliziert wird. Konnte mit einem solchen Zugeständnis z. B. die Internierung von Ausländern legitimiert werden? Jedenfalls weisen die Worte auf eine heterogene Zusammensetzung der Gruppe von Pomeyrol hin. Pierre Bolle nennt vor allem Henri Eberhard als jemanden, der ähnlich wie Boegner in der ersten Phase des Regimes dem Pétainisme zuneigte und den Marschall zu diesem Zeitpunkt noch als Hoffnungsträger für die Zukunft Frankreichs betrachtete.107 Es ist davon auszugehen, dass die Frage eines Ungehorsams gegenüber dem Staat in Pomeyrol durchaus auch kontrovers diskutiert wurde. Ob die Formulierung im Beginn der These auf ein Minderheitenvotum zurückzuführen und insofern als Kompromiss zu bezeichnen ist oder ob die Gruppe in ihrer Mehrheit im September 1941 davon überzeugt war, dem Staat diese Freiheit lassen zu können, muss dahingestellt bleiben. Möglicherweise wäre der Text ein Jahr später unter dem Eindruck der Ereignisse im Deportationssommer 1942 entschiedener formuliert worden. Mit der siebten These wird das Verhältnis zwischen Kirche und Israel als Teil christlicher Staatsethik betrachtet. „Gegründet auf die Bibel erkennt die Kirche in Israel das Volk, das Gott auserwählt hat, um der Welt einen Retter zu senden und um in der Mitte der Völker einen ständigen Zeugen des Geheimnisses seiner Treue zu haben.“ Als Konsequenz aus diesem Satz erhebt die Gruppe von Pomeyrol „feierlichen Protest“ (une protestation solennelle) gegen jegliche gesetzgeberische Maßnahme, die „die Juden aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließt“. Damit wird der kirchlichen Opposition gegen staatlichen Antisemitismus eine theologisch wesentlich andere Qualität gegeben als einer Widerstandshaltung gegen andere Unrechtsmaßnahmen der Obrigkeit. Es ginge demnach hier nicht um eine Solidarität mit Opfern eines Staatshandelns, die sich gegen die Missachtung von Wahrheit und Gerechtigkeit und die Verletzung von Menschenwürde richtet. Stattdessen hebt die Gruppe von Pomeyrol hervor, dass die Kirche dann vor allem ihre Stimme erheben muss, wenn es Israel ist, das von irdischer Obrigkeit verfolgt wird. Die Kirche geht das Schicksal aller Verletzten und Gedemütigten an, sie ist aber in besonderer Weise betroffen, wenn Juden und Jüdinnen diskriminiert werden. Hier wird auf der Basis 107 Vgl. P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 164f. Dies hinderte Eberhard ab Sommer 1942 nicht an einem entschiedenen Eintreten für die Verfolgten. Viele Juden und Jüdinnen fanden in der Deportationszeit in dem kleinen Ort Dieulefit Zuflucht und wurden auf diese Weise vor der Vernichtung gerettet.

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von Röm 11 eine theologische Erkenntnis formuliert, die Barth und Vischer seit Ende der 1930er Jahre als theoretische Basis der Arbeit des Schweizer Hilfswerks für die BK in Deutschland entwickelt und herausgestellt hatten. Es ist die unlösbare Verbundenheit mit Israel im Glauben, die die Kirche dazu verpflichtet, für verfolgte Juden einzutreten. Jede gegen das Volk Israel gerichtete Aggression stellt auch die Kirche in ihrem Wesen in Frage, weil ein solcher Angriff sie, wie Barth formuliert „an der Wurzel trifft“.108 Denn jeder Angriff auf Juden meint letztlich auch Jesus Christus als Teil dieses Gottesvolkes, ist gleichbedeutend mit einer Verfolgung des Erlösers der Völker, als den ihn die siebte These bekennt. Jean Cadier hatte diesen Zusammenhang bereits in einer Bibelauslegung für die Correspondance Fédérative im Dezember 1940, also neun Monate vor seiner Teilnahme am Treffen von Pomeyrol, herausgestellt. Sie soll hier als Beispiel einer inhaltlichen Vorarbeit für die siebte These betrachtet werden. In einer Exegese von 2. Tim 1 belegte er am Beispiel von Paulus die Verbundenheit der Kirche mit Israel und verdeutlichte damit, warum die Kirche von der aktuellen antisemitischen Gesetzgebung mitbetroffen war. Cadier hob hervor, dass sich Paulus als Christ seiner Verwurzelung im Judentum sehr bewusst war und seine Herkunft aus der jüdischen Gemeinde von Tarsus, seine Erziehung im Judentum, seine Zugehörigkeit zur Gruppe der Pharisäer auch nach dem Damaskuserlebnis nicht verleugnet hat. Er lebte seinen christlichen Glauben nicht gegen seine Abstammung, gegen Eltern und Großeltern, sondern aus dieser Gemeinschaft heraus. Cadier bezog diese Erkenntnis nun auf den aktuellen Antisemitismus Vichys und zeigte auf, dass diese Maßnahmen die Kirche in ihrem Verhältnis zu Israel, zum Judentum angehen. Er stellte heraus, dass Paulus selbst „von einem statut juif als aller erster betroffen“ wäre. Damit zitierte er die wenige Wochen zuvor erlassenen antijüdischen Gesetze und machte deutlich, dass auch die ersten Vertreter christlicher Gemeinden, d. h. die Anfänge der Kirche, mit diesen Maßnahmen ausgegrenzt und entrechtet worden wären. Vermutlich hatte Cadier diese Botschaft noch weit entschiedener vertreten, denn das Zitat ist der kleine Rest eines ursprünglich 108 Vgl. E. BUSCH, Unter dem Bogen, S. 320ff.; 330ff. Die Israellehre Karl Barths, deren Voraussetzungen er bereits in den 1920er Jahren als biblische Denkhaltung bestimmt hat und die über mehrere Wendungen hinweg 1942, zur Zeit der schlimmsten Judenverfolgung, in der Erwählungslehre im Band II/2 der Kirchlichen Dogmatik umfassend entwickelt wurde, kann hier leider nur mit diesen sehr knappen Kommentaren angesprochen werden (vgl. dazu grundlegend F.-W. MARQUARDT, Entdeckung des Judentums). Barths besondere Leistung, nämlich die theologische Qualifizierung des nachbiblischen Judentums, ist nicht von den bestürzenden Zeitereignissen der 1930er Jahre in Deutschland zu lösen, ja von ihnen angestoßen worden. Der Korrespondenz von Suzanne de Diétrich ist zu entnehmen, dass Repräsentantinnen der französischen Jugendorganisationen im Frühjahr 1942 ein Seminar mit Barth initiieren wollten, das jedoch nicht mehr zustande kam.

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längeren Satzes, der offenbar von der Zensur beanstandet und daraufhin im Druckbild geschwärzt worden war.109 Pierre Bolle hat hervorgehoben, dass der im September in Pomeyrol formulierte Protest gegen das Judenstatut vom vorangegangenen Juni zu diesem Zeitpunkt einzigartig war.110 Dennoch und trotz der eindrücklichen biblisch-dogmatischen Fundierung kam es auch hier nicht zu einer eindeutigen Stellungnahme. Indem im zweiten Satz der These in Bezug auf Juden und Jüdinnen von einem „Problem“ die Rede ist, das vom Staat „gelöst“ werden müsse, werden zumindest indirekt staatliche Maßnahmen gegenüber Juden akzeptiert. Welche Tatbestände hier zu einem Problem erklärt werden, wird nicht dargelegt. Sollte es sich um die immigrierten ausländischen Juden und Jüdinnen handeln, die in Frankreich Schutz vor weiterer Verfolgung gesucht hatten? Auch Marc Boegner hatte in seinem Protestbrief an Pétain zum ersten Judenstatut vom Oktober 1940 dem Staat für diesen Punkt einen Handlungsbedarf zugestanden.111 Ähnlich hatte sich selbst eine Cimade-Mitarbeiterin in einem persönlichen Schreiben an das Staatsoberhaupt vom Januar 1941 geäußert. Zwar sprach sie sich entschieden gegen die entrechtenden Maßnahmen für französische Juden aus und sprach von einer großen Schande für Frankreich. Aber auch sie räumte ein, dass aufgrund der verstärkten Einwanderung von Ausländern ein „Judenproblem“ entstanden sei.112 Vermutlich ist die Einschränkung in der Formulierung der siebten These auf Meinungen innerhalb der Gruppe von Pomeyrol zurückzuführen, die bei allem entschiedenen Protest gegen die antisemitischen Maßnahmen Vichys im September 1941 noch Verständnis für die Haltung des Staates aufbringen konnten. Möglicherweise war der vorliegende Text daher das Ergebnis eines Kompromisses. Dafür spricht auch, dass der inkriminierte Satz in einem der von Pierre Bolle recherchierten Quellenexemplare fehlt.113 Wie die siebte, so thematisiert auch die abschließende achte These die Frage staatskirchlicher Beziehungen in Bezug auf die Gegenwart des Jahres 1941 und die Existenz von Kirche unter dem Regime von Vichy. Hier geht die Gruppe von Pomeyrol auf die besondere Situation eines nicht mehr souveränen Staates unter einer fremden Besatzung ein. Auch unter diesen Bedingungen gilt, dass sich die Kirche in die politischen Belange einmischen muss und die Regierung nach ihrem rechtmäßigen Handeln unter einer fremden Macht und im Verhältnis zu den Okkupanten befragen muss. Die 109 Vgl. CORRESPONDANCE FEDERATIVE, Dezember 1940, S. 14. 110 Vgl. P. BOLLE, Thèses, S. 190. Es folgten die Cahiers de témoignage chrétien, die sich im November 1941 gegen die antijüdische Gesetzgebung aussprachen. 111 Vgl. P. BOLLE, Thèses, S. 190. 112 Brief vom 21.1.1941 (AN PARIS: AJ/38/67). Vgl. auch A. COHEN, Persécutions, S. 214f. 113 Vgl. P. BOLLE, Texte, S. 174, Anm. 13.

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„unvermeidbare Unterwerfung unter den Sieger“ sollte nicht als „ein Akt freier Zustimmung“ missverstanden werden. Damit werden die Kollaborationspolitik Vichys und das Streben nach Anerkennung als Juniorpartner des nationalsozialistischen Deutschlands im Kern bestritten und auf die Abhängigkeit ganz Frankreichs von der Besatzungsmacht hingewiesen. Im zweiten Teil der These wird schließlich der „Widerstand gegen jeden totalitären und gottlosen Einfluss“ von seiten der Kirche als eine „geistliche Notwendigkeit“ bezeichnet. Bolle vermutet, dass der Brief Barths an die Protestanten in Frankreich vom Oktober 1940 als Vorlage für diese Sätze gedient hat. Barth hatte darauf hingewiesen, dass der von Vichy eingegangene Waffenstillstand nur einen provisorischen Charakter haben könne, dass der Krieg für die Kirche „geistlich“ weitergehen müsse. Einen Stillhaltefrieden dürfe es auch nach dieser Niederlage nicht geben.114 Die Gruppe von Pomeyrol zeigte mit dem Verweis auf Mt 5,37 („Eure Rede sei Ja, Ja, Nein, Nein, was darüber ist, das ist vom Bösen“), dass sich niemand mehr den anstehenden Konflikten durch eine abwartende und passive Haltung entziehen konnte, ohne sich mitschuldig zu machen. Widerstand gegen „totalitäre Einflüsse“ meinte eine Opposition gegen alle Maßnahmen, die aufgrund des totalen Herrschaftsanspruch eines Staates zur Unterwerfung und Vereinnahmung der Gesellschaft führen konnten. Bei Gefahr für Leib und Leben, das wurde durch die ausgewählten Bibelstellen aus dem Buch Daniel und dem Brief an die Hebräer hervorgehoben, musste versucht werden, die Tyrannei abzulösen und rechtsstaatliche Zustände wiederherzustellen, denn: „Ihr habt im Kampf gegen die Sünde noch nicht bis aufs Blut widerstanden“ (Heb 12,4). Die Wirkungsgeschichte dieses Textes in der Zeit von Vichy wurde unterschiedlich beurteilt. Es ist immerhin auffallend, dass die Thesen Mitte der 1970er Jahre durch Pierre Bolle ‚wiederentdeckt‘ werden mussten und demnach bis zu der Zeit, in der die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung der reformierten Kirchengeschichte unter Vichy einsetzte, im kollektiven Gedächtnis des französischen Protestantismus nicht verankert waren. Ihre Verfasser waren eine informelle Gruppe, die nicht etwa einen offiziellen Auftrag von der Kirche erhalten hatte. Andererseits konnte Bolle nachweisen, dass die Thesen bis ins Jahr 1942 auf einer Reihe von Regionalsynoden und auch vom Conseil National der ERF beraten worden sind und z. T. auch zur Verlesung von den Kanzeln bestimmt wurden.115 Ebenso wurden sie im Juni 1942 in der Correspondance Fédérative veröffentlicht und auf den Zusammentreffen der FFACE verbreitet und diskutiert.116 114 Vgl. K. BARTH, Schweizer Stimme, S. 155; P. BOLLE, Thèses, S. 190. 115 Vgl. P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 172f. 116 Vgl. die Zeugnisse von Pierre Bolle und Dorothée Casalis in: LES PROTESTANTS FRANÇAIS, S. 292f.

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Ähnliches kann für die Tagungen vermutet werden, die vom CPJ gemeinsam für alle fünf Jugendorganisationen ausgetragen wurden. Auch für Madeleine Barot steht es außer Frage, in ihren Vorträgen, auf Freizeiten und Begegnungen in der Arbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen nach dem September 1941 von diesem Text beeinflusst worden zu sein.117

6.2.3 Die Note jointe als Ausdruck christlicher Widerstandsethik Es ist Bolle darin zuzustimmen, dass die Thesen von Pomeyrol am Beginn des geistigen Widerstandes standen und als „die Quelle der Aktion und Reflexion der Jugendorganisationen“ aufzufassen sind118. Allerdings ist auch die bereits zitierte Note jointe zum Vertrag des CPJ mit dem Jugendsekretariat Vichys als eine Programmschrift herauszustellen, die den Jugendorganisationen und damit auch der Cimade eine Orientierung auf dem Weg in den Widerstand gegeben hat.119 Sie wurde einige Wochen vor dem Treffen von Pomeyrol vermutlich im August 1941 von Georges Casalis verfasst und gibt daher zu einem früheren Zeitpunkt und expliziter als die knapp formulierten Thesen über die Prinzipien der Jugendorganisationen in ihrem Verhältnis zum Staat Ausdruck.120 Sie hat darüber hinaus als Beispiel für eine vertragliche Vereinbarung zwischen dem Staat und einer christlichen, der Kirche nahe stehenden Organisation zu gelten und besaß auch damit eine grundsätzlich andere Qualität als die Thesen von Pomeyrol. Die Note jointe gliedert sich, daran sei nochmals erinnert, in fünf Unterpunkte, die am Beispiel verschiedener Bereiche grundsätzlichen Überzeugungen Ausdruck geben, von denen die protestantischen Jugendverbände eine Zusammenarbeit mit dem Staat abhängig machen wollten. Ein wichtiger inhaltlicher Unterschied zu den Thesen von Pomeyrol ist im Bekenntnis zu den „Etrangers“, den Fremden und Ausländern auszumachen, die in der Note jointe besondere Erwähnung im Abschnitt zur kulturellen Bildung finden. Indem die Jugendorganisationen hier „Humanität“ als das oberste Ziel ihres Bildungsverständnisses bestimmen, plädieren sie für eine Erziehung zur „vollen Menschlichkeit“, durch die sich jeder auszeichnen müsse, der im Sinne des Evangeliums leben will. Diese 117 Vgl. das Zeugnis Barots EBD., S. 292. 118 Vgl. P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 174 (Übersetzung U. G.). 119 Vgl. Kapitel 1.2.2 und 4.7 (oben S. 53ff. u. 169f.) sowie die Übersetzung der Note jointe im Anhang, S. 311ff. 120 Vgl. zur Verfasserschaft das Sitzungsprotokoll des CPJ vom 28.9.1941 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5), in dem sich Beigbeder moniert, an der Redaktion der Note nicht beteiligt worden zu sein. Als Autor des Textes wird hier allein Casalis genannt, nicht auch Gastambide (vgl. dagegen P. BOLLE, mouvements de jeunesse, S. 166).

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Bildung wird als „national“ in dem Sinne definiert, dass der Stolz auf das eigene Land und das besondere historische Erbe Frankreichs in keiner Weise ausgeschlossen sein soll. Damit verbunden ist jedoch auch eine „internationale“ Ausrichtung mit einem entschiedenen Votum gegen jeden Chauvinismus als eine übersteigerte Vaterlandsliebe, die sich gegen alles Nichtfranzösische richtet. Die Jugendlichen sollen sich als verantwortliche Mitglieder der großen menschlichen Gemeinschaft begreifen, in der alle zur Harmonie und zum Frieden beitragen sollen. Damit wird ausdrücklich gegen einen totalitären Nationalismus Stellung genommen, der „systematisch alles ausschließt und hasst, was dem französischen Volk fremd ist“. Diese Präzisierungen lassen erkennen, dass das französische Erbe, auf das sich die protestantischen Jugendorganisationen beziehen wollen, in der Tradition der französischen Revolution von 1789 und der Erklärung der Menschenrechte begründet liegt. Indem sie zudem gerade in ihrer historischen Situation, in der Krieg und Gewalt die internationalen Beziehungen überschatteten und die Forderung nach Völkerverständigung als reine Utopie erscheinen musste, die Erziehung zu „Frieden und Harmonie“ als besonders wichtiges Element der Jugendarbeit bestimmten, wurde die Notwendigkeit eines zukünftigen friedlichen Zusammenlebens der Nationen betont und der Krieg als ein Zustand herausgestellt, den es zu überwinden galt. Vor allem aber sollte die Liebe zum eigenen Volk nicht mit Geringschätzung und Verachtung fremder Menschen und Völker einhergehen. Der neue CPJ sprach sich damit auch gegen die nationalsozialistische Rassenlehre mit ihrer Einteilung der Menschheit in höher- und minderwertige Völker aus. Dagegen werden Liebe und Verständnis gegenüber dem Fremden als Erziehungsziel formuliert und damit unausgesprochen auch an das Gebot aus Lev 19,34 zur Fremdlingsliebe erinnert. In einem Land, das zum Exil hunderttausender Totalitarismusflüchtlinge geworden war und in dem diese heimatlosen Ausländer und Ausländerinnen seit Beginn des Regimes von Vichy als unfranzösisch und hassenswert definiert und systematisch in Lagern aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden waren, konnte dies nur ein Bekenntnis zu den entrechteten Minderheiten im Staat bedeuten. Dass Christen und Kirchen in ihrem Verhältnis zum Staat aus der biblischen Botschaft heraus verpflichtet sind, sich für diejenigen einzusetzen, die als Asylsuchende keine staatsbürgerlichen Rechte genießen und auf staatlichen Schutz nicht vertrauen dürfen, kommt in der Note jointe mit ihrem Bekenntnis zur Fremdenliebe deutlicher zum Ausdruck als in den Thesen von Pomeyrol. Andererseits fehlt in diesem Text ein Bezug auf die Juden und Jüdinnen als Opfer von staatlicher Verfolgung. Dies erklärt sich möglicherweise dadurch, dass die Note jointe dem Generalsekretariat von Vichy vorgelegt werden sollte und mit ihrer Kritik an übersteigertem Nationalismus ohnehin schon sehr mutig formuliert worden war.

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Die biblische Staatslehre, auf die auch die Thesen von Pomeyrol Bezug nehmen, wird in der Note jointe im vierten Abschnitt über die staatsbürgerliche Erziehung ausgelegt. Hier wird präzisiert, dass der Staat von Gott eingerichtet wurde, um unter den sündigen Menschen eine Ordnung zu erhalten, in der sein Wort verkündigt werden kann. Aus dieser Konsequenz heraus ist jeder Christ zum loyalen Gehorsam gegenüber dem Staat verpflichtet. Auf dieser Grundlage ruht die staatsbürgerliche Erziehung, die die Jugendorganisationen ihren Mitgliedern geben wollen. Sie beinhaltet „Respekt“ gegenüber dem Staat und seinem Staatschef und eine Vorbereitung auf das Engagement als Staatsbürger. Indem die Jugendorganisationen den eher neutralen Begriff Respekt wählten, um der Beziehung zu Pétain Ausdruck zu geben, verwahrten sie sich gegen den staatlicherseits auch von den christlichen Verbänden geforderten Führerkult, die Leistung eines Treueides für Pétain als Staatsoberhaupt und eine besondere Verehrung, die ihm von der französischen Jugend entgegengebracht werden sollte.121 Ihre Mitglieder sollten es lediglich „normal und notwendig finden“, sich politisch und verantwortlich im Dienst für den Etat Français zu engagieren. Die Note jointe hebt jedoch gleichzeitig mit Nachdruck hervor, dass die Mitarbeit im Staat keine rückhaltlose Identifizierung mit demselben zur Folge haben dürfe. „Dennoch lehrt uns die Bibel, dass der Gehorsam gegenüber dem Staat im Gehorsam gegen Gott seine Grenze . . . hat. Die Verbände des CPJ lehren ihre Mitglieder, dass der Gehorsam gegenüber einem menschlichen Herrn dem Gehorsam gegenüber dem Einzigen Herrn des Himmels und der Erde nicht vorgezogen werden darf. Wenn es einen Konflikt zwischen der Staatsordnung und der Ordnung Gottes gibt, ist es besser, wenn ein Christ alles riskiert und erleidet, als seinen Herrn zu verraten.“

Die Thesen von Pomeyrol und die Note jointe sind daher gleichermaßen in ihrer Bedeutung für den Weg protestantischer junger Christinnen und Christen in den Widerstand herauszustellen.

6.2.4 Die Sonderethik des Widerstandes seit August 1942 – eine doppelte Grenzüberschreitung Madeleine Barot hatte die Grundentscheidung des Sommers 1942 für den Weg in den Untergrund als eine notwendige Konsequenz aus den Ereignissen bezeichnet, für welche die Mitglieder der Cimade in diesen Monaten 121 Vgl. zur Diskussion um den geforderten Treueid das Protokoll der CIM-Sitzung vom 24.1.1941 (SHPF PARIS: DT Mouv).

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Zeuge geworden waren. Sie hatten bereits in den Jahren zuvor Entrechtung wahrgenommen und darauf mit ihrer Sozialarbeit in den Internierungslagern reagiert.122 Die Maßnahmen des Staates wurden nun jedoch als so unerträglich erlebt, dass sich die Christinnen und Christen nicht mehr zur Konformität bereitfinden konnten. Die Erlebnisse in diesem Sommer, die große Verzweiflung, die allerorten in den Lagern herrschte, der erbitterte Kampf darum, Menschen vor der Deportation zu bewahren, die Todesangst der Betroffenen vor einer Auslieferung in die Hände der deutschen Machthaber und die devote Zusammenarbeit der Vichy-Bürokratie zur Erfüllung von Ablieferungsquoten, waren für sie der „moralisch-ethische Impetus“ für eine Neubestimmung ihres christlichen Engagements.123 Es war für die jungen Frauen und Männer meist bürgerlicher und mittelständischer Herkunft keine einfache Entscheidung, sich in offene Opposition dem Staat gegenüber zu begeben. Es galt, das positive Rechtssystem in Frage zu stellen und zu neuen ethischen Kategorien zu finden. Sie mussten den Schritt von den anerkannten legalen Normen in die Illegalität vollziehen und sich zu Aktionen bereit finden, die nach ihrem bisherigen Verständnis als kriminell einzuordnen waren. Suzanne Loiseau-Chevalley berichtet beispielsweise davon, wie schwer es ihr fiel, ihre erste strafbare Handlung zu begehen, die lediglich darin bestand, für zwei befreundete Internierte in Brens einen Brief aus dem Lager zu schmuggeln. Obwohl sie später unter großen Gefahren über Monate hinweg verfolgte Menschen mit falschen Papieren versorgte und über die Grenze schleuste, sich also im strafrechtlichen Sinn weit schwerer schuldig machte, hatte sie dieser erste Schritt in die Illegalität die meiste Überwindung gekostet.124 Ihr Zeugnis kann als Beispiel für den von Joachim Mehlhausen benannten Gewissenskonflikt gelten, in den Menschen geraten konnten, die sich für den Widerstand entschieden hatten. Sie mussten sich für einen „Bruch der Legalität im Namen einer wie auch immer begründeten – aber für höherrangig gehaltenen – Legitimität“ bereitfinden.125 Madeleine Barot umschrieb diese Konfliktlage, als sie 1982 von einem „beängstigenden Dilemma“ sprach, das entstand, als die Cimade-Mitglieder die akzeptierten Normen und die traditionelle Moral verlassen mussten, eigenhändig Personalpapiere fälschten, die Verfolgten in die Alpenregion schleusten und auf schmalen Pfaden über die Grenze in die Schweiz brachten. Für die Männer und Frauen war damit eine doppelte Grenzüberschreitung verbunden. Es galt nicht nur Hilfe zu leisten beim Überwinden des Stacheldrahts zwischen 122 „Stets präsente Sensibilität gegenüber inhumanem gesellschaftlichen Verhalten“ als eine Voraussetzung für Widerstand nennt G. VAN NORDEN, Patriotismus, S. 73. 123 Vgl. L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Ethik, S. 165f. 124 S. LOISEAU-CHEVALLEY, Brens, S. 142f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 135). 125 Vgl. J. MEHLHAUSEN, Widerstand, S. 17.

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Frankreich und der Schweiz, sondern sich damit auch dazu bereit zu finden, die Grenze zwischen Legalität und Illegalität zu überschreiten und verantwortliches Handeln als christliche Staatsbürger neu zu legitimieren. Die in der protestantischen Jugendarbeit erarbeiteten Positionen über die Frage eines rechten Verhaltens gegenüber dem Staat und die Bedeutung Israels für die Kirche, die in den Thesen von Pomeyrol und der Note Jointe programmatisch Ausdruck gefunden haben, konnten der Cimade in den inneren Konflikten über die Richtigkeit des eingeschlagenen Weges eine ethische Orientierung geben. Mit Georges Casalis, Jean Gastambide und Madeleine Barot hatten drei Mitglieder aus dem Leitungskomitee der Cimade persönlich an dem Zusammentreffen in Pomeyrol teilgenommen. Andere wie Denise Duflo oder Claire Jullien waren bei dem Treffen der Post-Fédé in Pomeyrol am 18. September 1941 zugegen, auf der die Thesen erörtert worden waren. Als Mitglieder der CIM hatten sie die Note jointe verfasst oder diskutiert und als Grundlage für ihre Beziehung zum staatlichen Jugendsekretariat anerkannt. Schwieriger ist es, eine Wirkung auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Cimade nachzuweisen, die nicht der Leitungsebene angehörten. Hier lässt sich allerdings vermuten, dass die Tagungsarbeit der Jugendorganisationen, die Veröffentlichung in der Correspondance Fédérative oder die Gespräche auf den Freizeiten der Cimade ihnen halfen, in ihrer Entscheidung für den Widerstand, für den Gang in die Illegalität eine ethischtheologische Vergewisserung zu finden. So ist es beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass die Thesen von Pomeyrol auf der Cimade-Freizeit im Januar 1942 diskutiert wurden, auf der mit Madeleine Barot, Suzanne de Diétrich und Willem A. Visser ’t Hooft immerhin drei Mitglieder aus Pomeyrol vertreten waren.126 Madeleine Barot ist sich zumindest sicher, dass vor allem der Text der Gruppe von Pomeyrol eine Bedeutung gehabt habe und betont entschieden eine direkte Wirkung der Thesen: „Wenn wir mit einer Gruppe von Juden in einer Familie oder einer Gemeinde ankamen, um sie dort zu verstecken, sprachen wir von Lebensmittelkarten und Ausweisen und nicht so sehr von den Thesen von Pomeyrol oder von der Regierung. Aber besonders diese Thesen haben uns geführt und sehr beeinflusst.“127

Auch Violette Mouchon wies schon bald nach Kriegsende darauf hin, wie wichtig es der Cimade-Führung war, ihren Mitgliedern zu helfen, mit den moralischen Zweifeln an ihrer Gewissensentscheidung umzugehen. Auf den 126 Vgl. die Angaben bei Violette Mouchon (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). 127 Vgl. das Interview mit Madeleine Barot UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 121 (Übersetzung U. G.).

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Freizeiten der Cimade versuchte sie, die Legitimität dieser Aktionen für die an Leib und Leben bedrohten Juden im Angesicht eines Staates aufzuzeigen, der seine Macht unrechtmäßig missbrauchte. Sie bemühte sich, den jungen Mitarbeitern „die Forderungen des christlichen Glaubens aufzuzeigen und sie in der Treue zum Bekenntnis zu bestärken“.128 Hier konnten die Frauen und Männer erkennen, dass sie das Recht und sogar die Pflicht besaßen, sich gegen einen Staat zu wenden, der die Menschenwürde mit Füßen trat, der Männer, Frauen, Kinder und alte Menschen zusammentrieb, unter Todesangst in Viehwaggons drängte und an eine Macht auslieferte, die bereits mehrfach deren völlige Vernichtung gefordert hatte. Diesem Staat musste die Rechtmäßigkeit seiner Handlungen abgesprochen werden, weil sie der Forderung nach einer Regierung in Wahrheit und Gerechtigkeit nicht entsprachen. Ein loyales Verhalten von Christinnen und Christen konnte nun nicht mehr darin bestehen, den Gesetzen und Verordnungen dieser Obrigkeit zu gehorchen, die willentlich mit der Besatzungsmacht kollaborierte, um verbrecherische Maßnahmen gegen Minderheiten zu exekutieren: „Je mehr sich die Lage verschlechterte, desto weniger konnten wir die Legalität respektieren.“129 Als christlich legitimes und notwendiges Verhalten erkannten sie nun ein Handeln, das sich in der Solidarität mit den Opfern ausdrückte. Indem sie in Vollzug ihres Bekenntnisses zum politischen Widerstand im Untergrund dazu übergingen, verfolgte und bedrohte Juden und Jüdinnen zu verstecken und zu retten, nahm die Cimade-Leitung auch Bezug auf das besondere Verhältnis von Kirche und Israel. „Wir wussten“, formulierte Madeleine Barot 1983, „dass wir die antijüdischen Gesetze nicht nur aus humanitären, sondern auch aus theologischen Gründen nicht akzeptieren konnten“.130 Violette Mouchon hat in ihren Betrachtungen zum Widerstand der Cimade 1945 dieses Handeln als Ausdruck und Vollzug christlichen Zeugnisses definiert: „Ein Glaubenszeuge betrachtet die Menschenwürde als unantastbar und sieht den unschätzbaren Wert eines jeden Menschenlebens, daher ist er dazu verpflichtet, sich gegen die Willkürherrschaft von Gewaltregimen zu stellen, die Menschen erniedrigen, und er ist dazu verpflichtet, bedrohte Menschenleben zu retten.“131

128 Vgl. V. MOUCHON, Résistance; Übersetzung U. G. (die protestantische Wochenzeitschrift Réforme, in der der Artikel abgedruckt ist, findet sich in den Sammlungen der SHPF PARIS). 129 Vgl. M. BAROT, Bereitschaft, S. 86 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 71). 130 Vgl. das Interview mit Madeleine Barot UNE PRISE DE CONSCIENCE. 131 V. MOUCHON, Résistance.

Die Fluchthilfe der Cimade

KAPITEL 7 Grenzüberschreitungen – Die Fluchthilfe der Cimade

Eine endgültige Rettung für die von der Deportation bedrohten Verfolgten war seit Sommer 1942 nur noch durch die Flucht ins neutrale Ausland möglich. Da sie in der Mehrzahl aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse, fehlender finanzieller Mittel und Informationen kaum in der Lage waren, eine solche Möglichkeit selbstständig wahrzunehmen, entwickelte sich die Fluchthilfe vom Sommer 1942 bis zur Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 zum wichtigsten Tätigkeitsgebiet der Cimade. Der Fluchtweg über die Pyrenäen hatte dabei kaum Bedeutung, hauptsächlich suchten die Helferinnen und Helfer die ihnen anvertrauten Menschen in die Schweiz zu schleusen. Hier machte die restriktive Asylpolitik der Schweiz besondere Vorbereitungen für die Aufnahme der Flüchtlinge nötig, in deren Folge sich die Zusammenarbeit zwischen Madeleine Barot und der Cimade sowie Adolf Freudenberg und dem Flüchtlingssekretariat des ÖRK noch intensivierte. Die Rekonstruktion der umfangreichen Fluchthilfe mit der Organisation der Fluchtwege bis zur Grenze sowie der sich anschließenden Passagen in die Schweiz zeigt auf, welche Risiken die Frauen und Männer der Cimade eingingen, um sich der Erfüllung des Deportationsprogrammes durch Vichy entgegenzustellen. Fluchthilfe über die Pyrenäen

7.1 Fluchthilfe über die Pyrenäen Fluchtversuche von Emigranten oder Angehörigen des Widerstandes über die Pyrenäen nach Spanien können für die gesamte Zeit des Vichy-Regimes nachgewiesen werden.1 Wer sich über diese Grenze retten konnte, musste nicht befürchten, wieder nach Frankreich ausgewiesen zu werden und konnte die Flucht über Portugal nach Nordafrika und Übersee fortsetzen. 1 Vgl. insgesamt auch zum Folgenden die umfassende Darstellung von P. VON ZUR MÜHFluchtweg, S. 34–54; mit neueren Quellen A. KASPI, Juifs, S. 354f.; B. ROTHER, Spanien, S. 137ff.; außerdem E. EYCHENNE, Portes.

LEN,

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Die Fluchthilfe der Cimade

Neben kommerziellen Passeuren, für die finanzielle Motive entscheidend waren, arbeiteten auch politische und humanitäre Gruppen an der Grenze. Bekannt geworden ist das amerikanische Hilfskomitee von Varian Fry in Marseille, das mit dem Ehepaar Lisa und Johannes Fittko kooperierte und 1940 sowie 1941 deutsche Intellektuelle wie Heinrich Mann und Walter Benjamin nach Spanien brachte.2 Jüdische Organisationen wie die Eclaireurs Israélites de France oder OSE geleiteten Menschen auf kleinen Bergpfaden und in tagelangen Märschen über die Grenze.3 Auch nachdem die Deutschen nach der Besetzung der Südzone im November 1942 die Bewachung und Kontrolle der Pyrenäenregion wesentlich verschärften, nahmen die Fluchtversuche vor allem jüdischer Verfolgter nicht ab. Einzelne Internierte, die aus den Lagern hatten fliehen können, retteten sich auf diesem Wege vor dem Abtransport nach Drancy.4 Die Cimade hat keine Passagen nach Spanien durchgeführt. Madeleine Barot begründete dies später mit fehlenden Kontakten zum spanischen Protestantismus.5 Die Organisation der Fluchthilfe in die Schweiz wurde der Cimade dagegen durch die Verbindungen zu den ökumenischen Institutionen in Genf wesentlich erleichtert. Sie konnte sich zudem darauf verlassen, dass den Flüchtlingen nach gelungener Passage auf der anderen Seite der Grenze weitere Unterstützung zukommen würde. Dennoch wählten manche Schützlinge der Cimade auch den Weg nach Spanien, um sich drohender Deportation zu entziehen. So verschwanden im November 1942 in Eaux-Bonnes jüngere Leute, darunter auch Mitarbeiter des Cimade-Foyers von Jeanne Merle d’Aubigné, in Richtung der etwa 30 Kilometer entfernt liegenden Grenze.6 In einem anderen Pyrenäendorf in der Nähe von Gurs war die gesamte protestantische Gemeinde in die Fluchthilfe über die Berge involviert.7 Studenten der evangelischen Theologie von der Fakultät in Montpellier hatten eine Passage in der Nähe von Foix bei dem Dorf Aulus-les-Bains eingerichtet, über die Franzosen nach Spanien geschleust wurden, die sich dem Widerstand in Nordafrika anschließen wollten. Möglicherweise war hieran auch Jacques Soulier 2 Vgl. die Erinnerungen von V. FRY, Auslieferung; L. FITTKO, Weg. Im Mai und Juni 1940 gehörte Lisa Fittko zu den in Gurs internierten deutschen Emigrantinnen aus Paris. Als sie im Herbst 1941 nach einer Fluchtmöglichkeit für ihre inhaftierten Eltern suchte, wandte sie sich auch an die Cimade (vgl. EBD., S. 238), von der sie als einer „protestantischen Gruppe“ mit Helfern in mehreren Lagern spricht. Vgl. auch A. KLEIN, Fluchthilfe. 3 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 307f.; K. LABERNEDE, Widerstand, S. 456. 4 So z. B. der Rabbiner Leo Ansbacher mit seiner Frau im Winter 1942 aus Gurs (vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 244). 5 Zeugnis vom 10.1.1986, S. 19 (SHPF PARIS: DT Bar). 6 Vgl. J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 111 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 98). 7 Vgl. das Zeugnis von Jacques Rennes vom 3.6.1985 (SHPF PARIS: DP 239).

Fluchthilfe über die Alpen

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beteiligt, der sich als Mitarbeiter der Cimade im Sommer 1942 in Rivesaltes engagiert hatte.8 Fluchthilfe über die Alpen

7.2 Fluchthilfe über die Alpen 7.2.1 Schweizer Flüchtlingspolitik Eine öffentliche Debatte über die Schweizer Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus entzündete sich Mitte der 1990er Jahre an der Frage einer weitgehenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit den deutschen Machthabern. Im Zentrum stand das sog. Raubgold, – Werte, die die Schweizer Nationalbank zwischen 1939 und 1945 von der Reichsbank aufgekauft hatte und die zum Teil aus dem Vermögen der besetzten Länder, zum Teil aus jüdischem Besitz stammten. Erstmals wurde die viel beschworene Schweizer Neutralität als Mythos entschleiert. In diesem Zusammenhang geriet auch die Flüchtlingspolitik der Schweiz während des Zweiten Weltkrieges in den Mittelpunkt des Interesses. Vor allem die restriktive Behandlung der Einreisebegehren und die Ausweisung tausender Asylsuchender nach dem Sommer 1942 wurden kritisiert. Seitdem hat eine Reihe von Autoren wie André Lasserre, Jacques Picard, Gaston Haas und Jürg Stadelmann unter verschiedenen Gesichtspunkten die Maßnahmen der Eidgenössischen Regierung gegenüber den Emigranten genauer untersucht und aufgearbeitet. Bis dahin hatte sich allein eine Darstellung des Journalisten Alfred A. Häsler vom Ende der 1960er Jahre mit der Schweizer Flüchtlingspolitik auseinandergesetzt. In einer umfassenden und auf breiter Quellenbasis angelegten Monographie hat Hermann Kocher 1996 die Reaktionen des Schweizer Protestantismus auf die Flüchtlingsnot überzeugend dargelegt.9 In den 1930er Jahren war die Schweiz wie Frankreich aufgrund ihrer Tradition als neutrales und demokratisches Asylland das Ziel vieler Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland und den annektierten und besetzten Gebieten. Zwischen 1933 und 1945 fanden hier knapp 300.000 Menschen Aufnahme, unter ihnen etwa 30.000 Juden.10 In einer ersten Flüchtlingswelle suchten 8 Vgl. die Erinnerungen von A. BONIFAS, Häftling, S. 20ff. sowie seinen Bericht vom 31.10.1985 (SHPF PARIS: DP 40). Bonifas, leitendes Mitglied der UCJG, wurde beim Versuch, die Pyrenäen zu passieren, von deutschen Grenzwachen festgenommen und deportiert. Vgl. zu Soulier einen Brief von Suzanne de Diétrich an FESE vom 13.12.1944 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/3). 9 A. A. HÄSLER, Boot; A. LASSERRE, Frontières; J. PICARD, Juden; DERS., Hilfe; G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“; J. STADELMANN, Umgang; H. KOCHER, Menschlichkeit. Eine wichtige Grundlage ist für alle Arbeiten der im Auftrag der Schweizer Bundesregierung in den 1950er Jahren verfasste Bericht von C. LUDWIG, Flüchtlingspolitik. 10 Vgl. J. PICARD, Hilfe, S. 237.

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ab 1933 Politiker, Künstler und Literaten aus Deutschland Exil in der Schweiz, Juden und Jüdinnen flohen vor der anbrechenden antisemitischen Verfolgung in das Nachbarland. Zu einem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen kam es nach dem deutschen Einmarsch in Österreich im März 1938. Dieses Mal reagierte die Regierung in Bern mit einer rigiden Beschränkung der Einreisemöglichkeiten und schloss im August 1938 erstmals die Grenzen.11 Gleichzeitig regte das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement während binationaler Visaverhandlungen in Berlin die besondere Kennzeichnung von deutschen Reisepässen an, deren Inhaber nach der Definition der Nürnberger Gesetze von 1935 Juden waren.12 Ab Oktober 1938 verloren alte Pässe ihre Gültigkeit und wurden durch neue ersetzt, die mit einem J-Stempel versehen waren.13 Juden und Jüdinnen sollte mit Hilfe dieser Stigmatisierung bereits an der Grenze zur Schweiz die Einreise verweigert werden. Mit dem Ausbruch des Krieges verschärfte sich die ohnehin schwierige Situation der Flüchtlinge in der Schweiz. Ein Bundesratsbeschluss machte seit Oktober 1939 die Ausweisung von illegal eingereisten Asylsuchenden möglich. Für die sich im Lande aufhaltenden Emigranten und Emigrantinnen wurden seit Anfang 1940 Arbeitslager eingerichtet, in denen Männer und Frauen getrennt interniert waren, während Kinder und alte Menschen in Heimen untergebracht werden sollten.14 Die Phase schärfster Abwehrmaßnahmen des Justiz- und Polizeidepartements unter Bundesrat Eduard von Steiger gegen die Hilfesuchenden an den Grenzen begann im August 1942. Erst 1944 sollte es zu deutlichen Änderungen in der Asylpolitik und zu Einreiseerleichterungen kommen.

7.2.1.1 August 1942 – Die Schweiz schließt die Grenzen Nachrichten über die Geschehnisse in der französischen Nord- und Südzone vom Sommer 1942, über die unerbittliche Jagd auf Menschen, ihre Konzentrierung in Internierungslagern und ihren Abtransport unter erniedrigenden Bedingungen gelangten rasch in die Schweiz. Schon bald kamen auch erste Informationen über vermehrte Fluchtversuche an der französisch-schweizerischen Grenze. Verzweifelt versuchten die Verfolgten seit 11 Vgl. A. LASSERRE, Frontières, S. 52ff. 12 Vgl. zur antisemitischen und fremdenfeindlichen Grundhaltung des Justiz- und Polizeidepartements auch S. MÄCHLER, Kampf. Das Justiz- und Polizeidepartement ist einem bundesdeutschen Ministerium vergleichbar, der diesem Departement voranstehende Bundesrat bildet gemeinsam mit sechs weiteren Bundesräten die Schweizer Regierung. 13 Vgl. G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“, Kapitel 2. 14 EBD., S. 117. Die Schweizer Internierungspolitik ist Thema der Arbeit von A. LASSERRE, Frontières, der dafür vor allem staatliche Quellen ausgewertet hat (für die Anfänge vgl. EBD., S. 61ff.).

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dem Einsetzen der Deportationen in Frankreich auf heimlichen Bergwegen ein vermeintlich rettendes Asyl zu erreichen. Das Justiz- und Polizeidepartement in Bern reagierte schnell auf diese neue Fluchtwelle. Schon am 4. August beschloss der Bundesrat nach einem Vortrag Dr. Heinrich Rothmunds, dem Leiter der Polizeiabteilung, Rückweisungen von sog. illegal eingereisten Flüchtlingen direkt an der Grenze vornehmen zu lassen, auch wenn für diese „Gefahr für Leib und Leben bestehe“. Am 13. August ergingen entsprechende Weisungen von Rothmund an die kantonalen Polizeidirektionen und Polizeikommandos. Während Emigranten aus politischen Gründen oder Deserteure fortan noch aufgenommen werden sollten, waren Juden und Jüdinnen abzulehnen. Eine Verfolgung aus „Rassegründen“, daran hatte Rothmund ausdrücklich erinnert, durfte nicht als politische Verfolgung anerkannt werden.15 Mit diesem 13. August 1942 wurde eine Entwicklung in der Schweizer Asylpolitik eingeleitet, die bis in das Jahr 1944 das Schicksal von Flüchtlingen bestimmen sollte. Das Schweizer Bundesarchiv hat seinen bisherigen Ermittlungen zufolge für den Zeitraum vom August 1942 bis zum Mai 1945 die Zahl von 23.000 Rückweisungen belegen können.16 Hinzu kommt eine nicht schätzbare, mit Sicherheit aber ebenfalls sehr hoch liegende Zahl von Flüchtlingen, die aufgrund von Informationen über die rigide Behandlung durch die Schweiz diesen Fluchtweg nicht zu nehmen wagten. Rothmund hatte den eidgenössischen Gesandten Walter Otto Stucki in der Südzone noch Ende September 1942 angewiesen, Vichy um eine Bekanntmachung der Schweizer Einreiserestriktionen in den Internierungslagern zu bitten.17 Wer nach der Rückweisung aus der Schweiz auf französischem Boden von den Grenzorganen festgenommen wurde, wurde meist in eines der Internierungslager verbracht und musste damit rechnen, deportiert zu werden. „Wir haben nach einer sehr anstrengenden Reise die Schweiz erreicht und wurden abgeschoben“, schrieben Elli und Jan Friedländer im September 1942 aus der Haft an eine französische Bekannte. 15 Vgl. A. A. HÄSLER, Boot, S. 88ff.; J. PICARD, Juden, S. 415ff.; G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“, S. 126f.; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 185ff.; J. STADELMANN, Umgang, S. 81f. u. 108ff. 16 Vgl. EBD., S. 108ff. u. 377. Vom Januar 1940 bis zum Juli 1942 wurden etwa 1.400 Menschen an der Grenze zurückgewiesen. Hinzu kommen noch die negativ beschiedenen Anträge auf Einreise, die Stadelmann für den Zeitraum von 1938 bis 1945 mit 14.000 angibt. Der Historiker Jean-François Bergier hat als Leiter der von der Schweizer Bundesregierung eingesetzten Kommission zur Aufklärung der Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkrieges der Öffentlichkeit im Dezember 1999 den 350seitigen Abschlussbericht (DIE SCHWEIZ, Schlussbericht) vorgestellt, in dem nochmals festgestellt wird, dass die Schweiz tausende von Menschenleben hätte retten können (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11./12.12.1999). Mitglied der Kommission war auch der israelische Historiker Saul Friedländer. Der Bericht spricht von über 20.000 Ausgewiesenen (vgl. EBD., S. 120). 17 Vgl. G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“, S. 132, Anm. 278.

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„Wir erwarten nun unsere Überführung ins Lager von Rivesaltes, wo man in der Ihnen wohl bekannten Art und Weise über unser Schicksal entscheiden wird. Wir haben keine Worte, um Ihnen unser Elend und unsere Verzweiflung zu beschreiben . . . Es ist nicht das Lager, vor dem wir uns fürchten. Sie wissen das.“18

Das Ehepaar Friedländer musste am 5. Oktober 1942 einen der Transportzüge nach Drancy besteigen und wurde in Auschwitz ermordet. Berichte über die Szenen, die sich an den Grenzen abspielten, wenn erschöpfte und verletzte Menschen abgefangen und unerbittlich an Ort und Stelle über die Bergpfade zurückgeschickt oder, schlimmer noch, zu den französischen und deutschen Grenzstationen gebracht und dort ausgeliefert wurden, erreichten bald die Schweizer Öffentlichkeit und trafen nur in rechtskonservativen Kreisen auf Zustimmung. In breiten Teilen der Bevölkerung regte sich Widerspruch und selbst Privatpersonen wandten sich mit Briefen an die Berner Regierung, um ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Vertreter der sozialdemokratischen und der linksliberalen Partei sowie der Schweizer Liga für Menschenrechte sprachen sich gegen die Rückweisungen aus.19 Proteste gingen auch vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) und vom Schweizer Evangelischen Kirchenbund aus. Der SIG hatte bisher versucht, auf dem Gebiet der Flüchtlingspolitik in einem guten Einvernehmen mit der Regierung zu arbeiten. Nachdem Rothmund am 20. August die Verschärfungen in der Flüchtlingspolitik auf einer Sitzung des Gemeindebundes verteidigt und sich offenbar allen Einwänden gegenüber unzugänglich gezeigt hatte, beschloss das Komitee, von seiner bisherigen Haltung abzugehen und mit gezielten Interventionen die Öffentlichkeit über die skandalösen Zustände zu informieren.20 Auf protestantischer Seite nahm Alphons Koechlin als Präsident des Kirchenbundes den Kontakt mit Rothmund und von Steiger auf. Verschiedene Pfarrer und Theologen hatten ihn Mitte August gebeten, im Namen des Kirchenbundes Schritte bei der Bundesregierung zu unternehmen. Nun wandte sich Koechlin in einer persönlichen Unterredung mit Rothmund und in schriftlichen Eingaben entschieden gegen die Schließung der Grenzen. Dabei konnte er sich auf Berichte beziehen, die Freudenberg ihm über die Vorgänge in Frankreich hatte zukommen lassen.21 18 Vgl. S. FRIEDLÄNDER, Erinnerung, S. 94. Elli und Jan Friedländer waren die Eltern des Historikers Saul Friedländer. Sie hatten es nicht gewagt, ihren zehnjährigen Sohn mit auf die Flucht zu nehmen und ihn in der Südzone in einem katholischen Internat versteckt. 19 Vgl. A. A. HÄSLER, Boot, S. 106ff.; G. HAAS, „Wenn man gewusst hätte . . .“, S. 128f. 20 Vgl. J. PICARD, Juden, S. 416ff. 21 Vgl. die ausführliche Dokumentation und Reflexion der Ereignisse bei H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 209ff. Freudenberg informierte Koechlin am 15.8.1942 über die Geschehnisse in Frankreich (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K).

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Zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen von christlichen und jüdischen Vertretern kam es, als der liberale Nationalrat Oeri den Empfang von Abgeordneten der Hilfswerke bei von Steiger durchsetzen konnte. Von christlicher Seite kam Gertrud Kurz aus Bern, die sich als Leiterin des Kreuzritterdienstes unermüdlich für die Belange der Flüchtlinge einsetzte und den Kontakt zu den politischen Instanzen nicht scheute. Gemeinsam mit dem jüdischen Bankier Paul Dreyfus de Günzburg sprach sie am 23. August 1942 bei Eduard von Steiger vor, um in einer mehrstündigen Unterredung ihre entschiedenen Bedenken gegen die Politik des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vorzutragen. Dabei argumentierte sie mit Nachrichten über das Schicksal der Deportierten in den osteuropäischen Lagern und hob hervor, dass den Abgewiesenen der sichere Tod drohe. Auch Gertrud Kurz hatte wie Koechlin Mitte August von Freudenberg ausführliche Informationen erhalten, die sie für ihre Verbindungen mit den Regierungsstellen nutzen sollte.22 Freudenberg dienten dazu vermutlich nicht nur die Hinweise, die er von Gerhard M. Riegner, dem Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses, über die Vorgänge in den Vernichtungslagern im Osten erhalten hatte, sondern er konnte sich auch auf Berichte von Cimade-Mitarbeiterinnen über den Ablauf der Deportationen in Südfrankreich stützen.23 Sie leisteten damit einen wichtigen Beitrag zur Publikmachung dieser Vorgänge im demokratischen Ausland und zur Unterstützung der dortigen Hilfsarbeit. Kurzzeitig gelang es aufgrund der verschiedenen Proteste gewisse Lockerungen in den Rückweisungsmaßnahmen zu erreichen. Eine kleine Zahl von Menschen, unter ihnen Charlotte Friedenthal, Mitarbeiterin der Bekennenden Kirche aus Berlin, konnte in dieser Zeit durch die Bemühungen der Widerstandsgruppe um Wilhelm Canaris beim Amt Ausland/ Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht und durch das Engagement von Alphons Koechlin und Karl Barth aus Deutschland in die Schweiz gerettet werden.24 Schon Ende Dezember 1942 wurden die Bestimmungen jedoch wieder mit neuer Härte in Kraft gesetzt. Es waren nun Ausweisungen aus einem zehn bis zwölf Kilometer breiten Grenzstreifen möglich, womit das gesamte Stadtgebiet von Genf als Ziel mehrerer Fluchtrouten aus der fran22 Vgl. zu dieser Unterredung aus jüdischer Sicht J. PICARD, Juden, S. 418; aus protestantischer Sicht H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 214f.; außerdem den Brief von Freudenberg an Gertrud Kurz vom 15.8.1942 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). 23 Vgl. zur Zusammenarbeit Freudenbergs mit Riegner A. BOYENS, World Council of Churches, S. 459f.; G. M. RIEGNER, Am Anfang war die Tat, S. 23ff. 24 Die Aktion ist unter dem Namen „Unternehmen Sieben“ bekannt geworden; vgl. H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 233f., der vor allem die Rettungsgeschichte von Charlotte Friedenthal rekonstruiert hat, und W. MEYER, Unternehmen Sieben.

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zösischen Südzone inbegriffen war. Außerdem wurde den an der Grenze aufgegriffenen Flüchtlingen die Kontaktaufnahme mit Verwandten, Bekannten oder Angehörigen der Hilfsorganisationen untersagt.25 Den Vertretern protestantischer Kirchen gelang es über den Dezember 1942 hinaus lediglich, ein längerfristiges Projekt zur begrenzten Aufnahme von Flüchtlingen beim Justiz- und Polizeidepartement durchzusetzen und auszuweiten. Dabei spielte die Cimade in Zusammenarbeit mit Adolf Freudenberg eine entscheidende Rolle.

7.2.1.2 Verhandlungen mit Bern für eine Zulassung von Flüchtlingen: das Listensystem der „Non-Refoulables“ Die Bemühungen von Vertretern des im Aufbau befindlichen ÖRK und des Schweizer Ev. Kirchenbundes um eine Aufnahme von Asylsuchenden in die Schweiz fanden erstmals Anfang der 1970er Jahre durch Armin Boyens Eingang in eine kirchengeschichtliche Darstellung. Die Rekonstruktion der Ereignisse durch Boyens basiert in erster Linie auf der Autobiografie von Marc Boegner und den Erinnerungen von Adolf Freudenberg und Madeleine Barot.26 Auch die französische kirchengeschichtliche Forschung bezog sich in der Folgezeit auf diese Quellen. Eine differenziertere Sicht der Ereignisse konnte Hermann Kocher im Rahmen seiner Arbeit zur protestantischen Flüchtlingshilfe vorlegen, für die er bisher unbekannte Dokumente aus dem Schweizer Bundesarchiv und dem Archiv des Ökumenischen Rates ausgewertet hat.27 Diese Forschungsergebnisse lassen sich jedoch aufgrund von Quellenfunden in den Archiven der Cimade und des ÖRK neu akzentuieren. Maßgeblich beteiligt am Zustandekommen eines Abkommens mit den Berner Behörden waren im September 1942 Henry-Louis Henriod, Alphons Koechlin und Marc Boegner, während sich Adolf Freudenberg, vielleicht aufgrund seiner Situation als deutscher Emigrant in der Schweiz, zunächst im Hintergrund hielt. Wie Kocher aufgezeigt hat, wagte Henriod am 13. September 1942 einen ersten Vorstoß bei Rothmund und bat ihn, eine Liste mit Flüchtlingen einreichen zu können, die von Frankreich aus in die Schweiz kommen wollten. Diese sollten nicht zurückgewiesen werden und wurden daher in der Folge als Non-Refoulables bezeichnet, ein Begriff, der in die Forschung Eingang gefunden hat. Die Liste der Non-Refoulables sollte einem Antwortbrief Rothmunds zufolge von Verantwortlichen der französischen Action protestante in den 25 Vgl. H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 240; A. LASSERRE, Frontières, S. 178f. 26 Vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf und Ökumene 1939–1945, S. 120f. 27 Vgl. H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 235ff.

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verschiedenen französischen Internierungslagern zusammengestellt werden.28 Für eine Betrachtung des Engagements Henriods in der Flüchtlingsfrage darf seine Mitarbeit in der Flüchtlingshilfe des ÖRK indes nicht unerwähnt bleiben. Er war sowohl Mitglied des ökumenischen Flüchtlingsausschusses als auch des Emergency Committee (ECCO) und hatte an allen Beratungen zur Entwicklung der protestantischen Flüchtlingsarbeit in Frankreich bezüglich der Arbeit in den Internierungslagern, der Zwangsarbeiterkolonnen, die von Toureille betreut wurden, und der Heimgründungen der Cimade teilgenommen. Obwohl hierzu keine Hinweise vorliegen, ist möglicherweise von diesen Kreisen ökumenischer Flüchtlingshilfe die Anregung zum Vorsprechen bei Rothmund ausgegangen. Dafür spricht etwa, dass Freudenberg selbst nach diesem ersten Schritt Henriods um ein weiteres Fortkommen der Angelegenheit bemüht war. „Es müßte nun dafür gesorgt werden“, schrieb er am 27. September 1942, „dass unsere entsprechenden Mitteilungen von Bern aus schnell und sicher und mit klaren Instruktionen an die Grenzstellen gelangen“.29 Das Feld war daher bereits vorbereitet, als Marc Boegner Ende September 1942 zu einem Treffen des vorläufigen Ausschusses des ÖRK in die Schweiz kam. Er nutzte diesen Aufenthalt, um als Präsident des französischen Kirchenbundes und der Reformierten Kirche in Frankreich beim Justiz- und Polizeidepartement für die Aufnahme von Flüchtlingen zu intervenieren. Am 28. September kam es zu einem Gespräch von Boegner und Koechlin, den beiden ranghöchsten Repräsentanten des Protestantismus in Frankreich und in der Schweiz, mit Bundesrat von Steiger. Offenbar führte diese Unterredung zu einem positiven Ergebnis, denn schon am 30. September oder am 1. Oktober konnte Boegner in weitere Verhandlungen mit Rothmund treten, die er in seinem Tagebuch mit Befriedigung kommentierte. „Wir haben mit ihm eine Vorgehensweise festgelegt, derzufolge trotz der offiziellen Schließung der Grenze die Aufnahme von politischen Flüchtlingen und von Personen, für die sich katholische, protestantische und jüdische Organisationen verbürgen, garantiert ist. Dieses Ergebnis ist beachtlich.“30 28 Vgl. EBD., S. 237. Hinter der „Action protestante“ vermutet Kocher zu Recht die Cimade, es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Henriod mit diesem Sammelbegriff zugleich auch die Aumônerie Protestante bezeichnen wollte. 29 Freudenberg an Koechlin (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). Zur Arbeit Henriods vgl. auch H. DAM, Weltbund, S. 373ff. Unter anderem hatte Henriod im Mai 1941 auf einer Reise durch die Südzone Gurs und Les Milles besucht. 30 Vgl. P. BOEGNER, Carnets, S. 207, Eintrag von Montag, dem 28.9.1942, das Zitat in einem Eintrag von Donnerstag, dem 1.10.1942, S. 208 (Übersetzung U. G.). Vgl. auch H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 236, der die 1992 veröffentlichten Tagebücher Boegners für seine Darstellung nicht verwendet hat.

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Damit war ein für die Fluchthilfe der Cimade entscheidender Konsens erreicht worden. Es ist allerdings hervorzuheben, dass Boegner und Rothmund bei ihrem Treffen nur die Rahmenbedingungen der Übereinkunft festgelegt haben. Die Verantwortlichen der Hilfswerke, die an der Zusammenkunft auf höherer Ebene nicht teilgenommen hatten, mussten nun dieses lockere Vertragswerk in mühsamer Kleinarbeit zur Verwirklichung bringen. Nach den Erinnerungen Boegners war auf den Unterredungen Ende September 1942 Henriod als Vermittler zwischen den Kirchen und dem Polizeidepartement bestimmt worden.31 Der Korrespondenz Freudenbergs ist jedoch zu entnehmen, dass die Rolle des ökumenischen Flüchtlingssekretärs bei den Verhandlungen mit Bern deutlicher herausgestellt werden muss, als es bisher in der Forschung der Fall gewesen ist. Freudenbergs Büro war die Schaltstelle zwischen den aus Frankreich einlaufenden Informationen über neu aufzunehmende Verfolgte und den Regierungsbehörden in Bern. Die Angaben zu den Flüchtlingen erhielt Freudenberg in erster Linie von der Cimade und von der Aumônerie Protestante in Frankreich, aber auch von Organisationen, die sich in der Schweiz um Asylsuchende bemühten, wie z. B. der Genfer Dependance des jüdischen Kinderhilfswerkes OSE, der Aide aux émigrés unter der Leitung von Bertha Hohermuth oder der jüdischen Flüchtlingshilfe in Zürich.32 Während Freudenberg und Madeleine Barot die erste umfassende Liste vom 12. November 1942 anlässlich eines Besuches der Generalsekretärin in Genf noch gemeinsam zusammenstellen konnten, war das Flüchtlingssekretariat nach der Besetzung der Südzone durch die Deutschen und Italiener auf die über Untergrundkanäle einlaufenden Informationen angewiesen.33 Sie umfassten mindestens den Vor- und Zunamen der betreffenden Personen, zusätzlich das Alter oder das Geburtsdatum, Familienstand und Staatsangehörigkeit, in manchen Fällen auch den Beruf.34 Wöchentlich, zeitweise nahezu täglich 31 Vgl. M. BOEGNER, Leben, S. 206; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 236. 32 Vgl. ein Blatt mit Freudenbergs Kommentaren zur Liste vom März 1943, „Commentaires à la liste de mars 1943“ (CIMADE-ARCHIV: Unverzeichneter Bestand); Freudenbergs Nachricht Nr. 136 von 1944 an Barot zur Zusammenarbeit mit der OSE (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). EBD. auch zur jüdischen Flüchtlingshilfe. 33 Flüchtlingssekretariat an Evelyn C. Fox vom 16.11.1942 (AÖRK GENF: FreudenbergAkten, Alphabetical Correspondence F). Eine vorläufige Liste war am 28.10. übermittelt worden. Nach H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 236, hat Walter Otto Stucki, der Schweizer Gesandte in Vichy, die Fluchthilfe der Cimade im Oktober 1942 unterstützt. Hinweise darauf finden sich weder in den Quellen des AÖRK GENF noch im CIMADE-ARCHIV PARIS. 34 Exemplare der Listen vom März 1943, vom 20.5., 11.9., 26.10. und 9.12.1943 sowie vom 13.1., 4.3., 4.5. und 15.8.1944 im AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E. Einzelne Namen sind handschriftlich mit kurzen Anmerkungen versehen. Exemplare der Listen finden sich auch im Schweizer Bundesarchiv (vgl. H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 237, Anm. 279).

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erreichten diese Angaben das Flüchtlingssekretariat, das seinerseits Bern um die Aufnahme der neuen Fälle in den Kreis der „Non-Refoulables“ bitten musste. Die Liste war daher oftmals zu revidieren, wobei keine Fehler unterlaufen durften. Schon kleine orthographische Ungenauigkeiten in der Schreibweise der Namen oder ein ungenaues Alter konnten an der Grenze zur Refoulierung führen, wenn die Angaben der Flüchtlinge keine exakte Identifikation mit der Liste erlaubten.35 Im Abstand von jeweils einigen Monaten bis zuletzt einigen Wochen wurden überarbeitete Exemplare herausgegeben, die sich ständig erweiterten und im Sommer 1944 mehr als tausend Namen enthielten. Damit hatte sich aus der anfänglichen Übereinkunft von Boegner und Rothmund, bei der man von einer einmaligen Zahl von deutlich unter hundert Namen ausgegangen war, ein System entwickelt, das eine wesentlich größere Gruppe von Verfolgten vor einer Abschiebung aus der Schweiz bewahren sollte. Diese Ausweitung war in dem ursprünglichen Abkommen jedoch nicht vorgesehen. Die Quellen lassen darauf schließen, dass die Etablierung des Systems gegen die Widerstände bei den Schweizer Behörden allein der beharrlichen Arbeit Freudenbergs zu verdanken ist. Schon die Ende Januar 1943 vorgelegte neue Liste wurde, wie bereits Kocher nachweisen konnte, vom Polizeidepartement missfallend kommentiert. Sie enthalte zu viele Namen und gebe nicht bei allen Personen deren besondere Beziehung zur Kirche an. Pfarrer Erwin Schloss vom „Kirchlichen Hilfskomitee in Bern“, der die Übermittlung für Freudenberg übernommen hatte, sah aufgrund dieser Reaktionen keine Chancen für eine weitere Zukunft des Listensystems.36 An der Korrespondenz der folgenden Wochen und Monate kann jedoch gezeigt werden, dass sich Freudenberg mit der ablehnenden Haltung des Polizeidepartements nicht zufrieden geben wollte und weitere Verhandlungen mit den Berner Behörden geführt hat. Er verließ sich dabei nicht auf eine Vermittlung Henriods oder anderer Vertreter des Schweizer Kirchenbundes, sondern reiste persönlich in die Bundeshauptstadt. Am 24. Februar 1943 konnte er Madeleine Barot über die Ergebnisse dieses Gespräches berichten. „Der Vertreter von Dr. R. (Rothmund, U. G.), welcher noch immer krank ist, sagte mir, dass die Ausdehnung unserer Listen nicht dem Geist des Vertrages entspräche, den sie mit Onkel Marc (Boegner, U. G.) geschlossen hätten. Man hätte damals an eine Liste mit 30 bis 40 wichtigen Persönlichkeiten gedacht. Ich habe alle unsere Argumente vorgebracht, um ihn zu überzeugen, indem ich ihm sagte, dass es unmöglich ist, dermaßen beschränkte Listen zu erstellen, dass Ihre Verpflichtungen immer umfassender würden etc. etc. Schließlich hat 35 Freudenberg an Henriod vom 24.11.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence H). 36 Vgl. H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 238.

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er die neue Liste angenommen, um sie durch sein Büro prüfen zu lassen. Er versprach, mir so schnell wie möglich eine Antwort zukommen zu lassen.“37

Dieses Vorgehen Freudenbergs hatte Erfolg. Ende März 1943 ließ das Polizeidepartement ein neues und erweitertes Exemplar mit den Namen der Non-Refoulables an die Grenzorgane verteilen, in das alle Fälle Eingang gefunden hatten, die dem Flüchtlingssekretariat seit November 1942 gemeldet worden waren.38 In ähnlicher Weise setzte sich das Zusammenspiel über Monate fort. Der Strom von Flüchtlingen, für die ein weiterer Aufenthalt in Frankreich lebensgefährlich war, riss nicht ab und die Cimade trat unentwegt mit neuen Bitten an Freudenberg heran. Freudenberg setzte sich in Bern für deren Aufnahme in die Listen ein und führte bei neu auftretenden Schwierigkeiten in der Verständigung über das Listensystem auch persönlich Unterredungen mit Rothmund.39 Das Polizeidepartement überprüfte die neuen Angaben und sandte die bearbeiteten Exemplare für Korrekturen an das Flüchtlingssekretariat, bevor die „bereinigte“ Liste ausgegeben wurde.40 Freudenberg beließ es indes nicht allein bei den Verbindungen zum Justiz- und Polizeidepartement. Aufgrund der Akten des Flüchtlingssekretariates in den Jahren 1943 und 1944 lassen sich auch regelmäßige Kontakte zum Polizeioffizier des Genfer Territorialkreises nachweisen. Da nahezu alle Fluchtwege der Cimade in diesem Kanton endeten, kam ihm eine Schlüsselfunktion in der Behandlung der angekommenen Flüchtlinge zu.41 Offenbar wandte sich Freudenberg bevorzugt an diese Stelle, wenn sich Schützlinge der Cimade in Frankreich bereits auf den Weg gemacht hatten, die aufgrund von Missverständnissen oder der schleppenden Arbeit der Berner Fremdenpolizei noch nicht auf der Liste aufgeführt waren, dennoch aber nicht abgewiesen werden sollten.42 Ebenso versuchte er auf diesem 37 Freudenberg an Barot vom 24.2.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand; Übersetzung U. G.). Bei dem Gesprächspartner handelte es sich vermutlich um Rothmunds Mitarbeiter Dr. Robert Jezler, der im weiteren Verlauf des Briefes namentlich genannt wird. Zu Jezler vgl. auch S. MÄCHLER, Kampf, S. 383 u. 401ff. 38 Freudenberg an Barot vom 29.4.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand; Übersetzung U. G.). 39 Freudenberg an Koechlin vom 12.7.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence J–K). Codierter Brief Freudenbergs an Barot mit der Nr. 62 vom Herbst 1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 40 Rothmund an Freudenberg vom 21.6.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E [Refoulés]). Das dabei erwähnte Aide-Mémoire wurde von Freudenberg geschrieben, vgl. dagegen H. KOCHER, Menschlichkeit, Anm. 273, der aufgrund der französischen Sprache Henriod als Verfasser vermutet. Das Flüchtlingssekretariat korrespondierte jedoch auch mit deutschsprachigen Partnern überwiegend auf Französisch. 41 Vgl. zur Funktion der Polizeioffiziere der Territorialkreise für die Behandlung der Flüchtlinge J. STADELMANN, Umgang, S. 99f. 42 Briefe an das „Arrondissement territorial“ in Genf vom 2.6., 13.9. und 7.12.1943 sowie

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Wege, Refoulierungen von Insassen der Genfer Aufnahmelager zu verhindern. Solche Ausweisungen waren offenbar vor allem in dem Lager Cropettes nicht selten und selbst Menschen, die auf der Liste der Non-Refoulables standen, waren davor nicht gefeit, wenn der geringste Zweifel an der Identitätsübereinstimmung mit dem Namen auf der Liste bestand.43 Zusammenfassend ist nochmals die zentrale Rolle hervorzuheben, die Adolf Freudenberg als Flüchtlingssekretär beim ÖRK in der Einrichtung des Listensystems der Non-Refoulables gespielt hat. Er erreichte im Februar und im Juli 1943 durch persönliche Verhandlungen mit den Vertretern des Polizeidepartements in Bern, dass die von Henriod und Boegner im September 1942 geöffnete Tür für die Flüchtlinge aus Frankreich nicht geschlossen wurde, sondern sich noch weiter auftat. Er etablierte die Zusammenarbeit mit der Genfer Fremdenpolizei, um durch einen Einspruch bei dieser Instanz bürokratische Wege zu verkürzen und Menschen zu retten. Um wieviele Flüchtlinge hat es sich gehandelt? Bisher konnte ihre Zahl auf Basis der Erinnerungen von Boegner oder Visser ’t Hooft nur vage mit „mehreren Hundert“ angegeben werden.44 Im Archiv der Cimade befindet sich jedoch eine Liste des ökumenischen Flüchtlingssekretariates, die vermutlich auf den April 1944 zu datieren ist und nun eine Präzisierung erlaubt. Demnach hatten bis zu diesem Zeitpunkt bereits 448 aus Frankreich geflohene Männer, Frauen und Kinder aufgrund des Systems der „Non-Refoulables“ Aufnahme in der Schweiz finden können.45 Im Vergleich zu den 75.000 Holocaust-Opfern aus Frankreich und den über 20.000 Refoulierten aus der Schweiz erscheint diese Zahl gering. Doch wenigstens diese Menschen konnten durch das Engagement der protestantischen Kirchen und die Zusammenarbeit des ÖRK und der Cimade einer drohenden Deportation in die Vernichtungslager entgehen und ein Asyl finden. Mit der Rettung eines jeden von ihnen wurden die Nationalsozialisten an einer noch umfassenderen Umsetzung ihres antisemitischen Tötungs- und Vernichtungsprogrammes gehindert.

vom 9.3. und 31.3.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 43 Freudenberg an Henriod vom 24.11.1943 (EBD., Alphabetical Correspondence H). In diesen Fällen bat Freudenberg Henriod um Protest bei den Bundesbehörden. Vielleicht wollte er es vermeiden, als Deutscher im neutralen Ausland das Verhalten der Lagerleitungen in der Schweiz zu kritisieren. 44 Vgl. A. BOYENS, Kirchenkampf 1939–1945, S. 121; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 238. 45 Diese „Liste des arrivés“ nennt namentlich über fünf Seiten die angekommenen Flüchtlinge, handschriftlich ist vermerkt, dass sich darunter mindestens 30 Kinder, 127 Frauen und 263 Männer befanden (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940– 1944).

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7.2.2 Die Organisation der Fluchthilfe Eine legale Ausreise aus der Südzone war denjenigen nicht mehr möglich, die nach den Kriterien Vichys an die deutsche Besatzungsmacht ausgeliefert werden sollten. Seit Juli 1942 existierte für die Insassen der Internierungslager, Zentren und Heime der privaten Hilfswerke ein Emigrationsverbot, die Beantragung von Visa hatte nur noch in Ausnahmefällen eine Aussicht auf Erfolg. Für die meisten Schützlinge der Cimade bestand allein in der Flucht in die benachbarte Schweiz und damit in dem illegalen Grenzübertritt noch eine Aussicht auf Rettung. Die Fluchtrouten nahmen ihren Anfang in den Bergen im Departement Hochsavoyen oder im Französischen Jura und hatten als Ziel den Kanton Genf und die Schweizer Ufer des Genfer Sees. Im Gegensatz zu den tagelangen Passagen an der Pyrenäengrenze waren diese Wege in kürzerer Zeit zu bewältigen. Zudem erleichterten sich die Fluchtbedingungen in den Alpendepartements ab November 1942. Mit dem Einrücken der Achsenmächte in die Südzone kamen die französischen Alpen unter italienische Besatzung. Das Deportationsprogramm der Deutschen wurde von den verbündeten Italienern nicht unterstützt, was sich unter anderem darin ausdrückte, dass Razzien auf Juden und Jüdinnen in dieser Region kaum Erfolg hatten.46 Die Hilfsorganisationen intensivierten daher ihre Anstrengungen, um in heimlichen Fluchtpassagen verfolgte Kinder und Erwachsene über die Berge zu bringen. Die Gefahr von Festnahmen durch die französische Gendarmerie oder italienische Posten bestand zwar auch in dieser Zeit, dennoch hatten die Konvois weit höhere Chancen, das rettende Asyl zu erreichen, als nach der Übernahme der Region durch deutsche Truppen im Anschluss an die italienische Kapitulation im September 1943.47 Die Passagen, die von der Cimade durchgeführt wurden, waren nur eine unter mehreren Möglichkeiten, in die Schweiz zu kommen. Einzelne, meist jüngere Flüchtlinge versuchten auf eigene Faust, die Berge zu überqueren. Andere vertrauten sich kommerziellen Passeuren an, die bis zu 5.000 französische Francs für ihre Begleitung verlangten. Das umfangreichste Fluchtsystem wurde von der Hilfsorganisation OSE eingerichtet. Die Verantwortlichen dieses Hilfswerkes versuchten seit Herbst 1942 die Kinder aus den OSE-Heimen in die Schweiz zu schleusen. Dazu wurde ein weit verzweigtes Netz von Fluchtstationen eingerichtet. Die eigentlichen Passagen begannen meist in der Alpenstadt Annemasse. Kinder unter sechzehn Jahren mussten auf der Schweizer Seite keine Rückweisung fürchten, so dass ihre Aufnahme gesichert war, wenn sie einmal 46 Vgl. M. R. MARRUS/R. O. PAXTON, Juifs, S. 292f.; S. KLARSFELD, Vichy-Auschwitz, S. 194ff. 47 Vgl. A. KASPI, Juifs, S. 360f.; S. ZEITOUN, Oeuvre, S. 171.

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die Grenze überwunden hatten. Bis zum Sommer 1944 konnte OSE mehr als tausend Kinder in die Schweiz retten. Mehrere Fluchthelferinnen mussten ihr Engagement jedoch mit dem Leben bezahlen, als nach der Totalbesatzung die Überwachung der Grenze durch deutsche Einheiten verstärkt wurde.48

7.2.2.1 Vorbereitungen: Codierte Informationen, gefälschte Papiere und Relaisstationen In der Vorbereitung der Cimade-Passagen gingen die Verantwortlichen mit großer Besonnenheit vor. Da die Entwicklung Vichys zum Polizeistaat immer offenkundiger wurde und auch die Gestapo nach dem November 1942 in der deutsch besetzten Südzone offen gegen Regimegegner wie gegen Juden und Jüdinnen operieren konnte, mussten die Hilfswerke mögliche Verdachtsmomente auf eine Untergrundtätigkeit gering halten. Schon der für die Listen der Non-Refoulables nötige Informationsaustausch mit dem Flüchtlingssekretariat in Genf durfte nicht offen geführt werden. Die Korrespondenz über Flüchtlinge, die heimlich die Südzone verlassen wollten, sollte nicht dem staatlichen Postweg anvertraut und damit der Zensur und Überwachung Vichys ausgesetzt werden. Freudenberg warnte entsprechend auch wiederholt seine Briefpartner und -partnerinnen in der Schweiz, denen der Grenzübertritt bereits geglückt war und die nun eigenständig Kontakt mit Angehörigen und Freunden in der Südzone suchten. Er bat sie, mit ihrer Korrespondenz sehr vorsichtig zu sein, sich auf das Nötigste zu beschränken und vor allem keine Namen zu nennen.49 Das sich hier ausdrückende Misstrauen der Cimade und des Flüchtlingssekretariates vor den Möglichkeiten eines Polizeistaates war nicht übertrieben. So wurden beispielsweise im September 1942 Telegramme zwischen dem Cimade-Büro in Nîmes und dem Foyer in Rivesaltes abgefangen und ihr Inhalt notiert.50 Gleiches galt für Briefe und Telefongespräche von Marc Boegner mit der Cimade. Die Überwachungsbehörde des Departement Gard konnte am 21. Oktober 1942 ein Gespräch zwischen Violette Mouchon in der Cimade-Zentrale in Nîmes mit einem Anschluss 48 Vgl. S. ZEITOUN, Oeuvre, S. 169ff.; A. KASPI, Juifs, S. 361f. Die Fluchthelferin Mila Racine starb in Ravensbrück, Marianne Cohn wurde von der Gestapo noch in Annemasse ermordet, Nicole Salon-Weil und Raissa Gorlin wurden nach Auschwitz deportiert. 49 Vgl. beispielsweise einen Brief Freudenbergs an Frau Wichser vom 2.3.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z) sowie an Herrn A. Jacker vom 18.2.1944 (EBD. I–J). 50 Telegramm Nr. 1471 vom 25.9.1942 (AN PARIS: 38/AJ/261); vgl. hierzu und zum folgenden auch J. POUJOL, Quelques lettres, S. 166f., der Quellen in Departementarchiven ausgewertet hat.

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in Genf abhören.51 Der Inhalt der sehr vorsichtig geführten Unterredung lässt darauf schließen, dass es sich dabei um Adolf Freudenberg gehandelt hat und die Non-Refoulables Gegenstand des Anrufes waren. Freudenberg ging daher mit Recht schon früh dazu über, Botschaften mit der Cimade und der Aumônerie nur noch über nichtöffentliche Wege austauschen zu lassen. Verteilt auf zahlreiche Aktenordner haben sich im Archiv des ÖRK die Durchschläge der aus Genf abgehenden Nachrichten erhalten, einzelne Briefe finden sich auch im Archiv der Cimade. An ihnen lässt sich ablesen, wie Freudenberg und Barot allmählich ein differenziertes System der Geheimhaltung entwickelten, um die Risiken für die Flüchtlinge, ihre Passeure und die betroffenen Organisationen möglichst gering zu halten. In einer ersten Phase seit Beginn des Jahres 1943 wurden die Nachrichten so verfasst, dass weder auf den Absender noch auf den Adressaten Rückschlüsse möglich waren. Freudenberg richtete die Briefe an „Monette“, den Codenamen von Madeleine Barot, oder auch nur an die „chère amie“ und unterschrieb selbst lediglich mit „Emile“, der französischen Form seines zweiten Vornamens. Weder die Cimade mit ihrem Sitz in Nîmes noch das Flüchtlingssekretariat wurden benannt. Für Informationen an die Aumônerie Protestante verwendete Freudenberg den Vornamen von Pierre Toureille. Sollten diese Sendungen abgefangen werden, konnten die Spuren kaum bis zu den protestantischen Hilfswerken verfolgt werden. Spätestens seit Ende April 1943 wurden die Nachrichten nicht mehr datiert, sondern nur noch fortlaufend nummeriert. Am 15. Dezember 1943 gelangte die Nummer 96 von Genf aus in die Südzone.52 Die Zählung setzte mit dem Jahresbeginn neu ein und erreichte am 24. Juli 1944 die Nummer 247.53 Außerdem benutzten Barot und Freudenberg ein Code-System, um in ihren Botschaften alle Hinweise auf eine geplante Flucht von verfolgten Juden und Christen in die Schweiz zu vermeiden. Grundlage dieses Systems waren die Listen mit den Non-Refoulables, die auf beiden Seiten vorlagen.

51 Zitiert EBD., S. 167 nach Akten im Archiv des Departement Gard. 52 Freudenberg an Barot („Chère Amie“) unter der Nr. 96 mit der Nachricht über die Ankunft der Flüchtlinge Oswald und Emma Zienau, handschriftlich datiert auf den 15.12.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). Die codierten Nachrichten sind den alphabetisch geordneten Dossiers der Flüchtlinge zugeordnet, die jeweils die gesamte Korrespondenz zu dem einzelnen Fall mit Hilfsgesuchen, Eingaben von Bekannten, Interventionen in Bern sowie persönlichen Briefen der Emigrierten nach der geglückten Flucht in die Schweiz enthalten. Zum Teil wurden diese Dossiers über Jahre geführt und beinhalten auch die Briefwechsel während der Internierungszeit in Gurs oder anderen Lagern. 53 Freudenberg an „Chère Amie“ unter der Nr. 44/247 mit der Bitte um Informationen zu Herrn Litzmonowitz, handschriftlich datiert auf den 24.7.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z).

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Zur Tarnung wurden die Briefe zwischen der Cimade und dem Flüchtlingssekretariat als ein Schriftwechsel über Büchersendungen zwischen verschiedenen Bibliotheken geführt. Zu Beginn, etwa Mitte 1943, versuchten Barot und Freudenberg noch, nur mit den Listennummern zu operieren. So schrieb Freudenberg im Mai 1943 an „Monette“: „Gut angekommen sind mit der Post die Lieferungen Nr. 11, 27, 63, 92, 145. Unsere bücherliebenden Freunde erwarten mit Ungeduld die Nr. 164, 179.“54 Da es dabei aber wiederholt zu Verwechslungen kam, wurden schließlich auch die Namen der Flüchtlinge aufgeführt. Ein Name entsprach dabei dem Autor eines Buches, Familien wurden als mehrbändige Veröffentlichungen vermerkt. Als „Zentralbibliothek“ fungierte das Berner Polizeidepartement, mit der „Bibliothek in unserer Stadt“ bezeichnete Freudenberg das Genfer Flüchtlingssekretariat. Auf diese Weise wurde um weitere Angaben zu einzelnen Personen gebeten, über die Verhandlungen mit Bern informiert, das Signal zum Grenzübertritt gegeben oder die Ankunft von Flüchtlingen in der Schweiz nach Frankreich gemeldet. Es war daher eine menschliche Wanderbibliothek, die durch die Cimade und das Flüchtlingssekretariat in Bewegung gesetzt wurde, um von Frankreich aus in die Schweiz zu gelangen und dort Asylschutz zu erhalten. Den erhaltenen Quellen lässt sich nicht entnehmen, ob die Idee zu diesem System auf Madeleine Barot, auf Adolf Freudenberg oder andere Eingeweihte wie z. B. Charles Guillon zurückzuführen ist. Es ist allerdings auffallend, dass Bücher im Widerstand auf dem Plateau Vivarais-Lignon eine hohe symbolische Bedeutung hatten. François Boulet hat herausgearbeitet, dass auch hier seit 1943 ein Büchercode dazu diente, um Nachrichten über verfolgte Juden und Jüdinnen auszutauschen, die als „alte Testamente“, als „deutsche“ oder „holländische“ Bücher in den protestantischen Gemeinden Aufnahme finden sollten.55 Das von der Cimade im Grenzverkehr mit Freudenberg praktizierte System ist daher in diesen Zusammenhang einzuordnen und als Teil der von Boulet beschriebenen „résistance spirituelle livresque“, des geistigen Bücherwiderstandes im französischen Protestantismus zu begreifen. Die Übermittlung der Botschaften zwischen Genf und den Cimade-Büros geschah in enger Zusammenarbeit mit dem Weltbundsekretariat der YMCA. Freudenberg übergab seine Nachrichten regelmäßig an Charles Guillon oder dessen Sekretärin Mademoiselle Perriraz und versah sie mit entsprechenden Anweisungen, in denen er nochmals darauf hinwies, die Briefe nur persönlich zu übermitteln und meist um eine rasche Erledigung 54 Freudenberg an Barot unter der Nr. 5, der Durchschlag ist handschriftlich datiert auf den 19.5.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand; Übersetzung U. G.). 55 Vgl. F. BOULET, Juifs et Protestants, S. 341f. (Übersetzung U. G.); DERS., Montagnes françaises, S. 243ff. u. 346f.

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bat.56 Welche Kanäle Guillon für diese Kurierdienste benutzte, lässt sich nicht genau eruieren. Vielleicht handelte es sich unter anderem um Mitglieder des YMCA-Büros, die mit besonderen Ausweisen öfter die Grenze nach Genf passieren und auf diesem Wege sowohl Nachrichten als auch Geld hinausschmuggeln konnten.57 Jedenfalls wurde Freudenberg gebeten, für seine Briefe nur sehr dünnes Papier und auch nur dünne Umschläge zu verwenden. „Das würde uns die Sache sehr erleichtern“, schrieb Guillon Anfang April 1943, „und die Gefahr für den Mitarbeiter erheblich verringern, der sich dieser Post annimmt.“58 Umgekehrt gelangten auch Nachrichten der Cimade zunächst an das Sekretariat der YMCA und wurden von hier an Freudenberg weitergeleitet.59 Wie schon für die Überweisung der Gelder an die Cimade und die Aumônerie Protestante nahm Guillon auf diese Weise ebenfalls im Untergrundverkehr zwischen der ökumenischen Flüchtlingshilfe in Genf und den protestantischen Hilfswerken in der Südzone eine wichtige Schaltstelle ein. Zwischen dem Deutschen Freudenberg und dem Franzosen Guillon entstand während dieser Zusammenarbeit eine Freundschaft, die über die Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 hinaus andauerte.60 Die Cimade musste nun ihrerseits Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um ihre Schützlinge für die Reise von den Verstecken im Landesinneren bis in das Grenzgebiet abzusichern. Zunächst waren falsche Papiere herzustellen, denn die Emigranten besaßen nur für die ihnen angewiesenen Wohnorte eine Aufenthaltsgenehmigung. Für die zu erwartenden Kontrollen in den Zügen, Bahnhöfen und Städten waren französische Identitätspapiere notwendig, um die Flucht nicht schon hier scheitern zu lassen. Viele Flüchtlinge erhielten elsässische Dokumente, damit sie bei einer Kontrolle nicht durch einen deutschen Akzent und mangelhafte Französischkenntnisse auffielen.61 Die Anfertigung neuer Personaldokumente war in 56 Freudenberg an Perriraz vom 18.8.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence G). Ebendort zahlreiche weitere Aufträge. 57 Vgl. den Bericht in A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 37 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 36f.), der möglicherweise auf Guillons Mitarbeiterin Perriraz anspielt. 58 Guillon an Freudenberg vom 2.4.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence G; Übersetzung U. G.). Vgl. zur Arbeit Guillons für die protestantische Fluchthilfe aus Frankreich auch F. BOULET, Montagnes françaises, S. 369. Das dort beschriebene Fluchthilfenetz von Rivesaltes über Chambon in die Schweiz, das die Aufmerksamkeit der Vichy-Behörden (speziell des Commissariat général aux questions juives) erweckt hatte, stand den vorliegenden Quellen zufolge vermutlich nicht oder nur am Rande in Verbindung mit der Cimade. 59 Guillon an Freudenberg vom 6.8.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence G). 60 Vgl. die herzlichen Worte Guillons an Freudenberg vom 28.8.1944 (EBD.). 61 Vgl. die Erinnerungen von E. LIEFMANN, Helle Lichter, S. 96 und S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 153 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 146).

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allen Organisationen, die wie die Cimade in der Fluchthilfe arbeiteten, die Regel. Manche hatten dazu regelrechte Manufakturen eingerichtet, die mehrere Mitarbeiter umfassten.62 Hinweise auf eine Kooperation der Cimade etwa mit der Fälscherwerkstatt der Amitié chrétienne gibt es jedoch nicht. Möglicherweise bestand jedoch ein Zusammenhang mit einer entsprechenden Einrichtung in Chambon-sur-Lignon. Innerhalb der Cimade wurden die neuen Personaldokumente und Lebensmittelkarten in den Sekretariaten der Organisation in Nîmes, ab Frühjahr 1943 vermutlich auch in Valence hergestellt. Ausführlich beschreibt Geneviève Pittet, wie sie im Büro mit Hilfe von Kartoffeln und Korken falsche Stempel fabrizierte. Als Vorlage dienten Originale von Gemeindeämtern. Unbeschriebene Ausweisformulare konnten in kleinen Läden erworben werden, wobei die Cimade-Frauen jedoch vorsichtig auftreten mussten und niemals eine größere Anzahl kaufen konnten.63 Auch für die nötigen Passbilder wurde gesorgt. Eine Tochter von Martha Besag erinnert sich, wie der Ortspfarrer in ihr Versteck in der Nähe von Chambon kam, um sie für die neuen Papiere zu photographieren.64 Alle Beteiligten wussten indes auch um die Brisanz eines solchen Fälschungslabors. Mit der zunehmenden Faschisierung Vichys wuchs bei den Mitarbeiterinnen im Cimade-Sekretariat die Furcht vor Hausdurchsuchungen vor allem durch die Gestapo. Des öfteren wurden daher Stempel und kompromittierende Papiere vorsichtshalber außer Reichweite gebracht.65 Da die Reise bis zur Grenze meist länger als einen Tag dauerte, reichte es nicht aus, die Flüchtlinge mit neuen Identitäten zu versehen. Die Cimade musste auch für sichere Relaisstationen sorgen, in denen eine gefahrlose Übernachtung möglich war. Die Familie Besag gelangte Ende September 1942 mit einem Möbelwagen von Chambon nach St. Etienne. Nach einer Übernachtung in einem Privatquartier ging es weiter mit dem Zug nach Lyon, wo sie am Bahnhof von Madeleine Barot empfangen wurden. „Sie drückt uns unsere Fahrkarten in die Hand und wir erreichen gerade noch den Zug nach Annemasse. . . . In Annemasse werden aus dem Abteil neben uns ein paar Leute herausgeholt, aber wir gelangen unbehelligt zur Sperre, zeigen 62 Vgl. L. LAZARE, Résistance, S. 184ff.; S. ZEITOUN, Oeuvre, S. 164; O. ROSOWSKY, Papiers; R. BEDARIDA, Les Armes, S. 131ff.; F. DELPECH, Persécution, S. 178; J. ROVAN, Résistance, S. 146f. 63 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 136f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 128). Von falschen Stempeln und Papieren im Cimade-Büro berichtet auch Jeanne Merle d’Aubigné (AN PARIS: 72 AJ 287). 64 Vgl. H. Ü., Chambon-sur-Lignon, S. 125, zu den Fotos für die Papiere auch einen undatierten Brief des Coteau-Leiters Lhermet an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 65 Berichte von Merle d’Aubigné (EBD.) und Marie-Louise Brintet (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique).

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mit einem Herzklopfen unsere Ausweise und kommen unbeanstandet durch. . . . Zehn Tage müssen wir in Thonon noch warten, dann gelingt die Flucht in einer sternklaren, dunklen Nacht, ohne Weg hoch über den Genfer See entlang . . .“66

Für andere Flüchtlinge waren Zwischenaufenthalte in Unterkünften in Lyon oder in Valence organisiert. Dazu zählten z. B. das Pfarrhaus von Roland de Pury oder die Wohnung von Georges und Dorothée Casalis in Lyon, sodann auch die Büros der Cimade selbst zunächst in Nîmes für Flüchtlinge aus dem Süden und später in Valence. „Im Sekretariat versorgten wir die Reisenden mit einer kleinen Mahlzeit und baten in einer kleinen Andacht Gott um seinen Schutz . . . Über abgeschiedene Straßen, leise und in kleinen Gruppen erreichten wir den Bahnhof und den Bahnsteig und versuchten dabei, die deutschen Wachen zu umgehen.“67

In der Grenzregion war Annecy der wesentliche Ausgangspunkt für die weitere Fluchtorganisation. Katholische und protestantische Pfarrhäuser, Abteien und andere Einrichtungen in der Umgebung öffneten sich, so dass die Schützlinge für einige Tage unterkommen konnten, bevor sie den Fluchthelferinnen und -helfern für die Passage über die Grenze anvertraut wurden.68

7.2.2.2 Risikoreiches Engagement Die Furcht der Cimade und des Flüchtlingssekretariates vor einer Gefährdung ihrer Fluchthilfe ist zu verstehen vor dem Hintergrund der insgesamt bedrohlicher werdenden Situation für die verschiedenen Widerstandsgruppen in Frankreich. Das Regime verschärfte im Verein mit dem Sicherheitsdienst und der Gestapo, die seit November 1942 in der Südzone offen operieren konnten, die Verfolgung der Regimegegner und -gegnerinnen. Für die verschiedenen Kreise der Résistance, die sich Ende Mai unter Jean Moulin in einem Nationalen Widerstandsrat zusammengefunden hatten, wurde die Lage zunehmend gefährlicher. Jean Moulin wurde im Juni von der Gestapo verhaftet, gefoltert und ermordet. Auch die christliche Op66 Vgl. H. Ü., Chambon-sur-Lignon, S. 125f. Das Umzugsunternehmen wird auch bezeugt bei G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 136 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 127). 67 Erinnerungsbericht „Parlons de la Cimade“, datiert auf Ende 1944 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique 1939–1950, Ordner Cimade orientation et programmes d’action 1939–1980; Übersetzung U. G.). Ein Brief Barots an Evelyn C. Fox vom 30. Januar 1943 informiert über die neue Funktion des Büros in Nîmes als Aufnahmezentrum für Flüchtlinge auf der Durchreise (AÖRK GENF: 213.11.7.18). Vgl. zum Büro in Valence auch die Darstellung von G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 139f. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 131). 68 Vgl. dazu ausführlich Kapitel 7.2.3.2 (unten S. 280ff.).

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position blieb nicht verschont. Ende Januar 1943 erschien die Gestapo im Büro der Amitié Chrétienne in Lyon und nahm alle Anwesenden zu Verhören mit. Die Organisation musste daraufhin ihre offiziellen Aktivitäten einstellen.69 Einen Monat später wurden die Chamboner Pastoren Theis und Trocmé sowie der Schulleiter Darcissac von französischer Polizei festgenommen, in Lyon folgte Ende Mai 1943 Pastor Roland de Pury. Sie wurden zwar nach einigen Wochen oder Monaten wieder freigelassen, dennoch war deutlich, dass alle Beteiligten in der Untergrundarbeit nun mit erhöhter Vorsicht operieren mussten. Für Georges Casalis und seine junge Familie, die in der Aufnahme von Flüchtlingen eng mit de Pury zusammengearbeitet hatten, war ein weiterer Aufenthalt in Lyon zu gefährlich. Er übernahm im Sommer 1943 eine Landgemeinde und beendete seine Amtszeit als Generalsekretär der FFACE. Madeleine Barot reagierte bereits im Frühjahr 1943 auf die zunehmende Gefährdung mit der Eröffnung eines weiteren Sekretariates in der Stadt Valence im Departement Drôme.70 Valence lag noch in der italienischen Zone und war als Station auf den Fluchtwegen nach Hochsavoyen vorteilhafter als das im Süden gelegene Nîmes. Es war bekannt, dass Juden und Jüdinnen in dieser Region wesentlich „humaner“ behandelt wurden als in den deutsch besetzten Gebieten.71 Vor allem hatte die Cimade den Eindruck bekommen, dass sich das Büro in Nîmes als Zentrale für die Untergrundtätigkeiten nicht mehr eignete. Nîmes sei zu „ungesund“ geworden, schrieb Madeleine Barot im April 1943 an Suzanne de Diétrich.72 Offenbar wurde die verstärkte Präsenz deutscher Einheiten in Nîmes als eine akute Bedrohung empfunden. „Als ich im November 1942 zum Sekretariat der Cimade in Nîmes kam“, erinnerte sich Jeanne Merle d’Aubigné, „fand ich Clairette (Menegoz, U. G.) und Michèle (Jouck, U. G.) ganz aufgeregt vor. Die Juden, die die untere Wohnung bewohnten, waren von der Gestapo festgenommen worden und diese hatte sich in dem leeren Appartement eingerichtet. Die Dokumente, die ich mitgebracht hatte, wurden mit anderen in eine undurchlässige Tasche gepackt und im Wasserkasten des WC versteckt.“ In dieser Situation haben die Cimade-Frauen im Umgang mit den deutschen Polizeieinheiten unter dem Schutz von gängigen Geschlechtsstereotypen agiert, um die verdächtigen Unterlagen aus dem Haus zu schaffen: 69 Vgl. A. COHEN, Persécutions, S. 446f.; S. ZEITOUN, Ces enfants, S. 188. Vgl. zur Gründung von Amitié Chrétienne und der Zusammenarbeit mit Madeleine Barot Kapitel 6.1.2 (oben S. 219ff.). Zur Festnahme Moulins vgl. F.-G. DREYFUS, Résistance, S. 259ff. 70 Über das neue Cimade-Büro berichtete Freudenberg Cedergren am 14.5.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E). 71 Protokoll der Sitzung des ökumenischen Flüchtlingsausschusses vom 17.3.1943 (AÖRK GENF: Karton B 2, Ordner Comité oecuménique pour les Réfugiés). 72 Barot an de Diétrich vom 1.4.1943 (SHPF PARIS: DT Die 2; Übersetzung U. G.).

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„Clairette füllte ihre Schulmappe mit allen kompromittierenden Papieren und tat die Stempel und andere ebenso verräterische Dinge in einen Beutel, darauf wanderte sie in all ihrer Unbefangenheit an den Wachen vorbei, die auf der Treppe standen. Man hielt sie für eine Schülerin, die zum Unterricht ging“.73

Studien über Frauen im französischen Widerstand heben hervor, dass im Kontakt der Untergrundkämpferinnen mit der deutschen Besatzung eine kulturell bedingte Konnotation von Weiblichkeit mit Hilfsbedürftigkeit und Unbedarftheit durchaus von Vorteil sein konnte. Beispielsweise berichtet eine Verbindungsagentin der Résistance davon, dass sie unter den Augen der deutschen Besatzungsbehörden ohne größere Gefahr handeln konnte, weil sie durch ihre Frisur und Kleidung dem typischen Bild eines ‚braven Mädchens‘ entsprach. „Unbestreitbar hat die Résistance“, so die Historikerin Hélène Eck, „die Weiblichkeit und ihre mutmaßliche Unschuld, Fragilität und Unwissenheit, die sie vom ‚starken Geschlecht‘ unterscheiden, als Tarnung benutzt . . . .“74 Cimade-Frauen haben sich im Büro der Organisation in Nîmes diese Wirkung weiblicher Rollenbilder zunutze gemacht. In Valence konnte sich die Cimade zumindest bis zur Kapitulation Italiens und der Besetzung dieser Zone durch deutsche Truppen am 8. September 1943 freier bewegen. Geneviève Pittet zufolge entwickelte sich das neue Büro der Cimade, das wie in Nîmes zugleich die Zentrale des CPJ war, zu einer „Gangsterhöhle“, in der Informationen ausgetauscht wurden und jederzeit Hilfe zu bekommen war.75 Doch schon bald wurde die allgemeine Situation als so bedrohlich empfunden, dass sich die Cimade im Juli 1943 entschloss, die Fluchtpassagen zunächst einige Zeit auszusetzen. Freudenberg erfuhr am 24. Juli 1943, dass die Organisation „für zwei Monate in Ferien gegangen“ sei, „d. h. ihre Tätigkeit eingestellt“ hat.76 Mitbestimmend für diese Entscheidung waren möglicherweise auch neue Repressionsmaßnahmen in der Umgebung des Coteau Fleuri gewesen. In dem nahe gelegenen Studentenheim Les Roches hatte die Gestapo am 29. Juni 1943 19 Heimbewohner verhaftet, die meisten von ihnen wurden in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Zudem war Lyon nach den gegen die Pastoren gerichteten Maßnahmen als Relaisstation nicht mehr sicher, nachdem sowohl Roland de Pury als auch Georges Casalis die Stadt hatten verlassen müssen. 73 Beide Zitate aus einem Bericht von Merle d’Aubigné (AN PARIS: 72 AJ 287). 74 Vgl. H. ECK, Französinnen, S. 250f.; das vorangehende Beispiel EBD.; ähnlich M. C. WEITZ, Sisters, S. 56f.; E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 244f. B. KUNDRUS, Frauen, S. 490, führt einen ähnlichen Schutzmechanismus für weibliche Mitglieder der SwingBewegung in Deutschland gegenüber der Gestapo an. 75 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 140 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 131). 76 Guillon informiert diesbezüglich Freudenberg am 24.7.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence G). Vgl. auch Freudenberg an Gertrud Kurz vom 28.7.1943 (EBD.: Alphabetical Correspondence J–K).

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Wie wichtig eine gewisse Zurückhaltung in diesen Wochen war, bestätigte sich bereits wenige Tage später, als die protestantische Flüchtlingshilfe direkt ins Visier der deutschen Besatzungsmacht geriet. Nach den Informationen des Flüchtlingssekretärs war deutsche Polizei bei der Zentrale der Aumônerie Protestante in Lunel in der Nähe von Nîmes erschienen und hatte eine Durchsuchung durchgeführt. Erneut sandte Freudenberg ernste Warnungen an Flüchtlinge in der Schweiz. „Nur rasch die Nachricht, dass in Lunel sehr wichtiges Material von der Gestapo beschlagnahmt wurde. Die Korrespondenz mit dieser Stelle muss daher sofort abgestoppt werden . . . Die Nervosität der Gestapo wird immer größer, und es besteht jetzt die Gefahr, noch alles vor Toresschluss zu kompromittieren.“77

Das Flüchtlingssekretariat schränkte den schriftlichen Verkehr mit Toureille ein, und es ist davon auszugehen, dass vor allem ein Austausch über die Listen der Non-Refoulables mit der Aumônerie nun vermieden wurde78. Offenbar konnten immerhin aus den beschlagnahmten Unterlagen keine Rückschlüsse auf eine Zusammenarbeit mit der Cimade auf dem Gebiet der illegalen Fluchthilfe in die Schweiz gezogen werden. Damit hatte sich die große Vorsicht der beteiligten Organisationen im Umgang mit den schriftlichen Äußerungen bewährt. Die Cimade nahm schließlich die Fluchtpassagen im Herbst 1943 trotz der verschärften Überwachung der Grenze nach dem Einzug der Deutschen in die Alpenregion wieder auf. Als wichtigster Schutzmechanismus der Cimade ist jedoch ihr „doppeltes Spiel“ herauszustellen. Durch die Weiterführung der Arbeit in den Internierungslagern und den Zentren des SSE besaß sie einen legalen Aktionsrahmen als staatlich anerkannte karitative Organisation. Nur unter diesem Schutzmantel konnten sich das Leitungskomitee und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zugleich dafür einsetzen, Juden und Christen den Verfolgungsabsichten eben dieses Staates zu entziehen. Die administrativen Einrichtungen in Nîmes und Valence, die für den Aufbau eines umfassenden Rettungsnetzwerkes nötig waren, organisierten offiziell die Sozialarbeit in den Internierungszentren. Vermutlich war die Untergrundtätigkeit der Cimade noch nicht einmal allen Mitgliedern bekannt. Das Engagement war darauf ausgerichtet, nicht etwa durch risikoreiche Aktionen in den 77 Freudenberg an Paul Pollatschek vom 9.8.1943 (EBD., Alphabetical Correspondence O–P). Die Frau von Herrn Pollatschek befand sich noch in der Südzone, ihre Flucht mit der Cimade sollte vorbereitet werden. Vgl. auch die Briefe an Charles Guillon vom 10.8.1943 (EBD.: Alphabetical Correspondence G) und an Franz Heinsheimer vom 19.9.1943 (EBD.: Alphabetical Correspondence H). Die nächstgelegene Kommandantur der Sicherheitspolizei des RSHA befand sich in Montpellier (vgl. B. KASTEN, „Gute Franzosen“, S. 247). 78 Freudenberg an Paul Vogt vom 28.9.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence T–V).

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staatlichen Lagern und Zentren genauere Nachforschungen zu provozieren, die eine Auflösung der Organisation hätten nach sich ziehen können. Daher hat die Cimade kaum illegale Befreiungen aus den Lagern durchgeführt, sondern versucht, Verlegungen in die Heime durchzusetzen und von diesem weniger exponierten Terrain die Fluchtpassagen in die Schweiz zu unternehmen. Es war wohl aus diesem Grund, dass Madeleine Barot von der Aktion einer Mitarbeiterin, die im Frühjahr 1943 in Nexon zwei Häftlingen zur Flucht verhalf, nicht angetan war, obwohl in diesem Einzelfall Menschenleben gerettet werden konnten.79 Eine Kompromittierung der legalen Arbeit konnte das Gesamtwerk der Cimade auf der offiziellen kooperativen wie der inoffiziellen oppositionellen Ebene gefährden.

7.2.2.3 Der Reisedienst des ökumenischen Flüchtlingssekretariates und der Cimade Die Kurierverbindung zwischen der Cimade und dem Flüchtlingssekretariat wurde nicht nur dazu benutzt, um Informationen für die Listen der NonRefoulables weiterzuleiten. Die meisten Flüchtlinge, die sich in die Schweiz retten konnten, hatten ihnen nahe stehende Menschen in der Südzone zurücklassen müssen. Sie wandten sich mit ihren Sorgen um Angehörige und Freunde an Freudenberg. Eine Vielzahl von Anfragen Freudenbergs an Madeleine Barot bezog sich darauf, dass diese Menschen in ihren Privatquartieren, Pensionen oder Verstecken aufgesucht werden sollten, um ihnen in Isolation und Verängstigung angesichts der Repressionen beizustehen. In einigen Fällen konnte Freudenberg damit rechnen, dass die Betreffenden der Cimade noch aus der Arbeit in den Internierungslagern bekannt waren. „Liebe Freundin, Sie, und ich denke vor allem Elisabeth (Perdrizet, U. G.), erinnern sich sicher an die Familie Müllner, deren Vater in Rivesaltes starb, während der Sohn in Les Roches untergebracht war und sich nun seit einiger Zeit bei uns befindet . . . er möchte, dass man seine Mutter, seinen Onkel und seine Tante unterstützt . . . Der Sohn hat den Eindruck, dass seine Verwandten verfolgt werden und dass man ihnen zur Hilfe kommen muss.“80

Aber auch andere Organisationen wandten sich an das ökumenische Flüchtlingssekretariat, um Nachrichten über Schützlinge aus der Südzone 79 Vgl. den Brief von Barot an Madame Dumas in Montpellier vom 26.4.1944 (CIMADEARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Suisse, passages]). Vgl. zum Zusammenspiel von Kooperation und Widerstand auch J. SEMELIN, Ohne Waffen, S. 65f. 80 Freudenberg an Barot unter der Nr. 73 o. D.; Oktober oder November 1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence M; Übersetzung U. G.).

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zu erhalten. Die Leiterin eines Schweizer Flüchtlingslagers in Morgins erhielt von Gertrud Kurz die Adresse Freudenbergs und bat um Informationen über die in Frankreich verbliebene Mutter der jungen Trude Hacker.81 In anderen Fällen arbeitete die Jüdische Flüchtlingshilfe in Zürich mit Freudenberg zusammen.82 Anfragen übernahm er auch von der Frankreichhilfe der Religiös-Sozialen, für die Christine Ragaz zuständig war.83 Die umfangreiche Korrespondenz, die hunderte von Briefen umfasst, bezeugt, dass das Flüchtlingssekretariat aufgrund der Reisetätigkeit der Cimade-Mitarbeiterinnen in der gesamten Südzone vielen Menschen in der Schweiz beruhigende Nachrichten übermitteln konnte. Oft wurden auch Colis Suisse verteilt, um zumindest die materielle Situation zu verbessern.84 Das Wissen um den Beistand für die Verwandten war für die Flüchtlinge in der Schweiz um so wichtiger, als es sich oft um das letzte Mitglied von ganzen Familien handelte, die bereits Opfer der Deportation geworden waren.85 Gelegentlich musste Freudenberg jedoch auch traurige Nachrichten weitervermitteln, so wenn Angehörige in französischen Krankenhäusern verstorben oder zuletzt doch noch verhaftet und nach Drancy abtransportiert worden waren.86 Aufgrund dieser Gefahren wurde die Cimade daher auch oft gebeten, die Sicherheit der Verfolgten zu prüfen und zu entscheiden, ob eine Flucht in die Schweiz vorbereitet werden sollte.87 Die Cimade übernahm mit diesem wichtigen Reise- und Informationsdienst ein weiteres Arbeitsgebiet, das neben dem Engagement in den verbliebenen Internierungszentren, den Heimen sowie der Fluchthilfe an der Grenze zu leisten war. Oft waren wiederholte Besuche notwendig, weil Menschen im Versteck lebten und nicht wagten, Unbekannten ihre Sorgen 81 Lagerleiterin Gertrud Fehrmann an Freudenberg vom 31.3.1944; Freudenberg an Trude Hacker vom 27.7.1944 und 5.2.1945; Freudenberg an Barot unter der Nr. 115/44 und 223/44 (EBD., Alphabetical Correspondence H). 82 Freudenberg an Barot vom 12.1.1944, handschriftlich vermerkt „Für d. Flüchtlingshilfe“ und weitere Briefe, Dankschreiben der Jüdischen Flüchtlingshilfe an Freudenberg vom 12.4.1944 (EBD., Alphabetical Correspondence X–Z). 83 Nachricht Freudenbergs an Charles Cadier in Oloron, vermittelt durch Barot vom 22.2.1944 (EBD., Alphabetical Correspondence I–J). 84 Vgl. z. B. Freudenberg an Barot unter der Nr. 115/1944 (EBD., Alphabetical Correspondence H). 85 So waren der Vater und zwei Brüder der Familie von Trude Hacker bereits deportiert worden. 86 Vgl. beispielsweise den Brief Freudenbergs an Hugo Schriesheimer im Schweizer Arbeitslager Bonstetten über den Tod seiner Mutter in Pontacq (Basses Pyrénées) vom 23.2.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence Si–Sch) sowie an Trude Hacker über die Verhaftung ihrer Mutter Therese Hacker vom 2.8.1945 (EBD., Alphabetical Correspondence H). Der Informationsdienst wurde noch weit über die Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 fortgeführt. 87 So beispielsweise die Nachricht Freudenbergs an Barot über die Eltern und den Bruder von Frau Hindlesz, Nr. 165/ 1944 vom 12.5.1944 (EBD., Alphabetical Correspondence H).

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mitzuteilen.88 Das Reisen war unter den Besatzungsbedingungen nicht einfach, Züge fuhren nicht regelmäßig, waren immer überfüllt und wurden häufig kontrolliert. Nur wenige Hotels hatten geöffnet, so dass es oft schwierig war, ein Zimmer für Übernachtungen zu finden. Freudenberg betonte in einem Bericht vom Juni 1943 zurecht die ermüdenden Umstände, unter denen die jungen Frauen arbeiten mussten. „Verspätete Ankünfte, Gespräche, die oft zwischen ein Uhr und drei Uhr am Morgen stattfinden, Abfahrt zu früher Stunde, um rechtzeitig zu einem anderen Treffen da zu sein. Alarmierende Telefonanrufe, die weitere Gefahr melden, erneut überstürzte Abreisen . . . Schwere Entscheidungen müssen in wenigen Minuten getroffen werden . . . Entspannung ist so gut wie niemals möglich.“89

Der Reisedienst wurde in erster Linie von den Mitarbeiterinnen übernommen, die in den Zentralen in Nîmes und Valence beschäftigt waren. Vor allem Elisabeth Perdrizet, die nach der Auflösung von Rivesaltes in das Cimade-Büro gewechselt war, avancierte zur Reisesekretärin und entlastete damit Madeleine Barot in einer wichtigen Aufgabe.90 Angesichts ihres kleinen Stammes von Mitarbeiterinnen war die Cimade mit der großen Zahl von Anfragen gleichwohl ständig überfordert. Mehrfach musste Freudenberg seine Briefpartner in der Schweiz um Geduld bitten, „da unsere Freunde beinahe in der Arbeit ertrinken“91. „Sie haben Recht“, schrieb er im Herbst 1943 an Madeleine Barot, „wir tragen Ihnen mit den Flüchtlingsgesuchen viel Arbeit auf. Aber was sollen wir tun? Man kann sich die Angst der Leute in den Lagern hier vorstellen, die sich Sorgen um die Ihren machen, die bei Ihnen geblieben sind.“92 Freudenberg versuchte, die Arbeitslast für die Cimade zu mindern, indem er Fälle zur Betreuung jüdischer Kinder an die OSE weiterleitete. Das jüdische Kinderhilfswerk war auch in Genf aktiv und sorgte für Kinder, die auf der OSE-Linie aus der Südzone in die Schweiz geschleust wurden.93 Einige Mitarbeiter hatten wie Dr. Joseph Weill selbst nach dem Beginn der Deportationen in die Schweiz fliehen müssen. Weill kannte die Cimade und Madeleine Barot gut aus dem gemeinsamen Engagement in den Internierungslagern und im 88 Freudenberg an Markus Hirsch in Zürich betreffend Frau Lewin und deren Kind in Limoges vom 5.1.1944 (EBD., Alphabetical Correspondence H). 89 Vertraulicher Bericht des ökumenischen Flüchtlingssekretariates vom Juni 1943 (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940–1944; Übersetzung U. G.). 90 Barot unter dem Codenamen Monette Benoît an Evelyn C. Fox in Genf vom 18.10.1943 (AÖRK GENF: 213.11.7.18/6). 91 Freudenberg an Herrn Kanner vom 17.7.1943 betreffend dessen Schwester in Gurs (AÖRK GENF: FREUDENBERG-AKTEN, Alphabetical Correspondence J–K). 92 Brief Nr. 62 von 1943 (nach dem 14.10.1943) an Barot (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand; Übersetzung U. G.). 93 Vgl. J. PICARD, Juden, S. 439f.

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Nîmes-Komitee und stand nun in Kontakt mit Freudenberg für gemeinsame Absprachen in der Fluchthilfe.94 Adolf Freudenberg und Madeleine Barot hatten somit ein System entwickelt, das aufgrund seiner Codierung als Bibliothekspost die Verfolgten, die an der Flucht beteiligten Helferinnen und Helfer und die im Hintergrund arbeitenden Organisationen in der Vorbereitung und der Durchführung der Passagen nicht gefährdete. Gefälschte Papiere und sichere Relaisstationen boten den Flüchtlingen einen gewissen Schutz auf dem Weg in die Grenzgebiete. Die Vorsichtsmaßnahmen in der Fluchtorganisation waren auch ausreichend, um die Cimade vor einer direkten Verfolgung zu bewahren, als die französische Polizei und die Gestapo im Sommer 1943 verstärkt gegen protestantische Widerstandskreise vorgingen. Außerdem gelang es, einen Reise- und Nachrichtendienst aufzubauen, der weiteren Verfolgten in der Südzone und ihren Angehörigen in der Schweiz zugute kam. Der Informationsfluss für Untergrundnachrichten konnte durch die Mitarbeit von Charles Guillon und der YMCA in Genf bis zum Ende der Besatzung möglich gemacht werden und bildete die Grundlage für die Rettung vieler Menschen.

7.2.3 Die Fluchthelferinnen und -helfer und die Fluchtrouten 7.2.3.1 Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder der Cimade Die risikoreiche Arbeit an der Grenze selbst hat zwischen 1942 und 1944, abgesehen von wenigen Briefen, kaum Niederschlag in schriftlichen Quellen gefunden. Verschiedene Erinnerungszeugnisse erlauben es jedoch, einzelne Fluchthelferinnen und Fluchthelfer zu benennen und ihr Engagement zumindest annähernd zu datieren. Soweit nachvollziehbar, gehörten sie in ihrer Mehrheit den Organisationen der Eclaireurs und Eclaireuses an. Die aus der weiblichen Pfadfinderorganisation kommende Cimade-Mitarbeiterin Geneviève Pittet begann im September 1942 damit, die Möglichkeit für Passagen zu erkunden, wobei sie sich zunächst an kommerzielle Führer hielt. Erst als dies zu unsicher geworden war, organisierte Pittet kleine Teams mit einem oder zwei Mitarbeitern, die Flüchtlinge auf ausgekundschafteten Wegen über die Berge brachten.95 Zeitweise waren hier in Hochsavoyen an der Grenze zum schweizerischen Wallis im Herbst 1942 94 Briefe Freudenbergs an Joseph Weill vom 31.5.1943, 7.3.; 5.4.und 16.6.1944, an Barot unter der Nr. 136/44 vom 21.4.1944. Am 12.1., 16.1. und 10.5.1944 bekam Weill durch Freudenberg Botschaften von Barot übermittelt (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). 95 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 135–140 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 127–132).

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auch Pastoren tätig, die mit der Cimade zusammengearbeitet hatten, so mehrmals André Morel, der das Cimade-Foyer in Gurs verlassen hatte, Emile C. Fabre, der sich um Cimade-Schützlinge im Glasberg-Haus in Le Pont-de-Manne gekümmert hatte sowie wenigstens einmal auch Georges Casalis, der FFACE-Sekretär aus Lyon.96 Morel hatte für die Durchführung seiner Passagen Kontakte zu Louis Audemard, dem Leiter der protestantischen Pfadfinder in dem kleinen Dorf Chedde westlich von Chamonix aufgebaut. Auch Pittet arbeitete mit mehreren Pfadfindern zusammen, die sie jedoch nicht namentlich nennt.97 Einer von ihnen lässt sich aufgrund der erhaltenen Korrespondenz als Robert Patte identifizieren. Unter dem Pfadfindernamen Pitche führte er gemeinsam mit Pittet Passagen durch und wurde mindestens einmal im März 1943 wegen illegalen Grenzübertritts von einem französischen Gericht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Vermutlich im Sommer 1943 wechselte Patte zur Résistance und verließ die Cimade.98 Geneviève Pittet beendigte Ende 1943 die aktive Fluchthilfe an der Schweizer Grenze und ging über die Pyrenäen und Spanien nach Nordafrika, wo sie sich ebenfalls dem französischen Widerstand anschloss. Gleichzeitig mit Geneviève Pittet war im Herbst und Winter 1942 eine weitere Organisatorin im Grenzgebiet für die Fluchthilfe der Cimade zuständig. Es handelte sich um Mireille Philip, die Frau des sozialistischen Politikers André Philip, der von Charles de Gaulle nach London gerufen und 1942 in die Exilregierung aufgenommen worden war.99 Mireille Philip hatte für die Cimade die Aufgabe übernommen, die Flüchtlinge in der Grenzregion zu verbergen, bis sie die Passage antreten konnten. Mehrere Briefpartner Freudenbergs in der Schweiz erinnern sich daran, zu Beginn ihrer Flucht in den französischen Alpen von Madame Philip an den Bahnhof von Annecy gebracht worden zu sein.100 Gleichzeitig war Philip in 96 Die Erinnerungen der drei Pastoren in: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 178ff.; 183ff.; 202ff. 97 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 137 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 129). 98 Über Festnahme und Prozess berichten Geneviève Pittet unter ihrem Pfadfinderinnennamen Tatchou an Barot vom 9.3.1943 und Robert Patte persönlich unter dem Namen Pitche an Barot vom 29.3.1943 (CIMADE-ARCHIV: Unverzeichneter Bestand). Über die Schwierigkeiten von Patte und seinen Eintritt in die Résistance berichtet Freudenberg an Ernst Lapp in einem Schweizer Aufnahmelager vom 22.9.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence L). Lapp war von Patte in die Schweiz geschleust worden, vgl. seinen Brief an Freudenberg vom 21.9.1943 (EBD.). 99 Vgl. J. POUJOL, Philip. Vgl. zu André Philip auch L. PHILIP, André Philip. 100 Walter Freund an Freudenberg vom 9.8.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence F), Hannah Zweig an Freudenberg vom 29.8.1943 (EBD., Alphabetical Correspondence X–Z), Freudenberg an Jakob Lewin vom 27.8.1943 (EBD., Alphabetical Correspondence L), Ernst Lapp an Freudenberg vom 21.9.1943 (EBD.). Vgl. den kurzen Bericht von Mireille Philipp, in: A. FREUDENBERG, Rettet, S. 158f. (= in: DERS., Befreie . . ., S. 152f.).

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Chambon selbst für die Flüchtlinge tätig und übermittelte z. B. die falschen Papiere für die Heimbewohner des Coteau Fleuri.101 Pierre Piton beschreibt im Rückblick, wie er als junger Pfadfinder im Herbst 1942 von Mireille Philip damit beauftragt wurde, verfolgte jüdische Bewohner aus dem Chamboner Internat Collège Cévenole zu verstecken. Er begleitete dann im Verlauf von vermutlich einigen Monaten etwa sechzig Menschen in das Departement Haute-Savoie und ermöglichte ihnen dort die Flucht über die Grenze. Unter ihnen waren Franz und Gertrud Heinsheimer, die nach ihrer Rettung aus dem Deportationszug in Les Milles über Rivesaltes ins Coteau Fleuri gekommen waren und mit der Hilfe Pitons in die Schweiz gelangen konnten.102 Mireille Philip gibt an, die Cimade im Januar 1943 verlassen zu haben. Ihre Arbeit für ein Untergrundnetz der Résistance ließ sich nicht mit der Fluchthilfe vereinbaren. Kurz zuvor hatte sie noch Suzanne Chevalley in die Organisation und den Ablauf der Passagen eingeführt. Chevalley war Cimade-Mitarbeiterin in Brens gewesen und hatte das Lager aufgrund ihres Engagements für die internierten Frauen während der Deportationen verlassen müssen. In den folgenden zwölf Monaten half sie Flüchtlingen, die Grenze im scharf bewachten Gebiet nördlich der Stadt Genf zu überwinden.103 Unter den ersten war beispielsweise Hannah Zweig, die in einem der Cimade-Foyers von Rivesaltes als Lehrerin tätig gewesen war und in den Erinnerungszeugnissen des öfteren als eine Verwandte von Stefan Zweig bezeichnet wird.104 Einem Typoskript von Marie-Louise Brintet, das auf das Jahr 1945 datiert ist, können Hinweise auf die letzte Phase der Fluchthilfe vom Januar bis zum Sommer 1944 entnommen werden.105 Brintet war aus dem SSEZentrum La Meyze an die Grenze gekommen, um die Nachfolge von Geneviève Pittet anzutreten. Sie führte in eigener Person gemeinsam mit Pfadfindern Passagen durch und erzählt von den Gefahren, die die ver101 Undatierter Brief von Raoul Lhermet an Barot (nach April 1943, dem Dienstantritt Lhermets im Coteau), in dem er Mireille Philip im Zusammenhang mit der Passherstellung erwähnt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand). 102 Vgl. P. PITON, Filières, und einen Brief von Franz Heinsheimer an Pastor Henri Manen vom 28.1.1945 aus Riedholz/Schweiz (SHPF PARIS: DVP 119). Vgl. zum Ehepaar Heinsheimer Kapitel 6.1.1 (oben S. 214). 103 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 152–158 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 146–152) und ihr Zeugnis in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 300ff. 104 EBD., S. 301. Hannah Zweig schrieb Freudenberg am 31.1.1943 aus dem Genfer Aufnahmelager Bout du Monde über ihre geglückte Flucht (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence X–Z). Ihre nach Schweden emigrierte Schwester hatte sich schon zuvor bei Freudenberg für sie verwendet, eine Verwandtschaft mit Stefan Zweig wird in der Korrespondenz jedoch nicht erwähnt. 105 Erinnerungen Brintets (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique). Vgl. auch O. MUNOS, Passages, S. 54 u. 69.

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schiedenen Teams in der Durchführung der Fluchtwege durchzustehen hatten. Daran beteiligt waren Brintets Aufzeichnungen zufolge Claude Krebs, Claude Schropff, genannt Jules, Pierre Galland, Jean Michon und Pierre Amiens. Für einige Wochen kam es in dieser Periode auch zu Grenzgängen mit der Cimade-Sekretärin Clairette Menegoz und dem Chamboner Pastor Edouard Theis, der schließlich selbst in der Schweiz blieb.106 Ein vermutlich von Claude Krebs stammender Artikel in dem Monatsblatt L’Equipe der Pfadfinderbewegung beschreibt wenige Monate nach der Befreiung die Bedingungen, unter denen die Passagen durchgeführt wurden. „An der Grenze zogen sich zwei bis drei Meter hohe Stacheldrahtzäune durch die Landschaft . . . auf allen Seiten hielten die Deutschen Wache, verborgene Türme, Patrouillen, auf den Wegen leise Autos, die man zu spät sieht und aus denen drei oder vier gut bewaffnete Grenzposten springen und das Schlimmste: die Hunde.“107

An die Jagd mit Hunden auf Flüchtlinge und ihre Passeure erinnern sich auch Marie-Louise Brintet und Geneviève Priacel-Pittet.108 Die Männer und Frauen der Cimade, die sich für die Fluchthilfe an der Grenze bereit erklärt hatten, nahmen mit diesem Engagement Lebensgefahr auf sich. Sie mussten ihre Arbeit unter der unablässigen Angst ausüben, entdeckt zu werden und trugen dazu die Verantwortung für die ihnen anvertrauten Flüchtlinge. Jede Passage bedeutete erneut eine hohe seelische Belastung für die Helferinnen und Helfer, die unter einer beständigen Anspannung agieren mussten. Zusätzlich war gerade am Grenzabschnitt um Genf die Verletzungsgefahr sehr hoch. So blieb Madeleine Barot, die ebenfalls des öfteren die Grenze illegal passieren musste, um an wichtigen Besprechungen mit dem ECCO-Komitee und dem Flüchtlingssekretariat teilnehmen zu können, im November 1943 am Stacheldraht hängen und trug eine tiefe Beinwunde davon. Suzanne Chevalley verletzte sich im Januar 1944 am Stacheldraht.109 Aber auch Festnahmen auf den Wegen an 106 Pierre Galland wird als Passeur auch von P. PITON, Filières, S. 263 genannt. Außerdem liegt ein vermutlich mit „Rollandt“ unterzeichneter handschriftlicher Brief eines nicht näher identifizierten Grenzmitarbeiters der Cimade an Barot vom 7.3.1945 vor, in dem „MarieLouise“, „Jules“ und „Claude“ erwähnt werden (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940– 1944). Vgl. zu Theis auch S. AMMERSCHUBERT, Juden, S. 113. 107 Der Artikel trägt die Überschrift „Passeurs d’hommes“ und ist mit „Claude“ gezeichnet (L’Equipe, Nr. 87, Dezember 1944, S. 265f.). Ein Erinnerungszeugnis von Krebs findet sich auch bei O. MUNOS, Passages, S. 54. 108 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 140 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 132); Erinnerungen Brintets (vgl. Anm. 105). 109 Vgl. A. JACQUES, Barot, S. 42f. Der Vorfall ereignete sich im November 1943, als auch das Ehepaar Cedergren in Genf war. Freudenberg und Visser ’t Hooft bemühten sich bei

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der Grenze selbst oder während der Kontrollen auf den Bahnhöfen waren keine Seltenheit. Der Fall von André Morel, der sich im Oktober 1942 vor Gericht verantworten musste, ist noch als Ausnahme zu betrachten. Er hatte persönlich Alarm geschlagen, nachdem zwei Flüchtlinge während einer von ihm durchgeführten Passage zu Tode gekommen waren und musste sich daraufhin vor der Justiz verantworten.110 Geneviève Pittet wurde dagegen im Dezember 1942 nach einer Grenzpassage von einer Patrouille festgenommen und in einem Prozess zu anderthalb Monaten Gefängnis verurteilt.111 Ihrem Mitarbeiter Robert Patte erging es im darauffolgenden März kaum anders. Grenzposten griffen ihn während der Passage mit einem Ehepaar Stranders im Moment des Grenzübertritts auf. Während sich der Mann bereits auf der anderen Seite des Stacheldrahts befand, konnte Frau Stranders nicht mehr rechtzeitig hinüberkommen und wurde gemeinsam mit dem Pfadfinder verhaftet. Auch Robert Patte wurde vor Gericht gestellt und zu einem Monat Gefängnis und 1.200 französischen Francs Geldstrafe für die Grenzüberschreitung verurteilt. Obwohl er zudem noch ein Exemplar der Liste der Non-Refoulables bei sich gehabt hatte, hatte dies offenbar keine nachteiligen Konsequenzen für die Cimade112. Ähnliche Erlebnisse mit Festnahmen, Verhören und Gefängnisaufenthalten hatten auch Suzanne Chevalley im Januar 1943, Pierre Piton im März 1943 sowie Claude Krebs und Jean Michon im Mai 1944.113 Soweit es den Erinnerungen zu entnehmen ist, kamen die Teams der Cimade jedoch nur mit französischen oder, bis zum September 1943, italienischen Grenzeinheiten in Konflikt und erfuhren daher eine vergleichsweise milde Behandlung. Sie entgingen damit dem Schicksal anderer Grenzhelferinnen der Fremdenpolizei um eine Verlängerung von Barots einwöchiger Aufenthaltsgenehmigung, damit diese die Wunde ausheilen konnte (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence C–E, Refoulés). Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 158 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 151). 110 Vgl. A. MOREL, Hauptzeuge, S. 186 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 157). 111 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 138 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 130). Die Zeit im Gefängnis verbrachte sie aufgrund eines leichten Bruchs mit einem eingegipsten Bein (EBD.) und trug aufgrund der fehlenden medizinischen Betreuung einen chronischen Schaden davon (Mitteilung von Janine Philibert-Veil, einer Freundin von Priacel-Pittet, an die Verfasserin vom 15.9.1996). 112 Pittet an Barot vom 9.3.1943 mit einer Beschreibung über die Vorfälle an der Grenze (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]); Robert Patte unter dem Namen Pitche an Barot vom 29.3.1943 (EBD.). Das Ehepaar Stranders ist auf der Liste der Angekommenen verzeichnet, offenbar konnte Frau Stranders befreit und zu einem späteren Zeitpunkt über die Grenze gebracht werden. 113 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 154ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 147ff.); P. PITON, Filières, S. 268ff.; Erinnerungen Brintets (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique). Das Datum seiner Gefangennahme nennt Piton auf einer Zeichnung des Geländes bei Collonge-sur-Salève und des Weges über die Grenze (EBD., Unverzeichneter Bestand [Equipiers, communication]).

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wie Marianne Cohn und Mila Racine von OSE, die von deutschen Patrouillen aufgegriffen, gefoltert, erschossen oder deportiert wurden. Das Zusammenwirken von Frauen und Männern im Untergrund war grundsätzlich von größerer Gleichberechtigung geprägt als das Verhältnis zwischen den Geschlechtern unter den ‚normalen‘ Arbeitsbedingungen der Vorkriegswelt. Unter den besonderen Erfahrungen des Widerstandes, den Fälschungen von Ausweispapieren, der Durchführung von Sabotageaktionen oder der Fluchthilfe traten die traditionellen Rollenvorstellungen zurück und verloren gegenüber der neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit an Gewicht. Widerstandskämpferinnen der Résistance sprechen sogar im Rückblick von einer „neuen Gesellschaft“, „in der jeder über seine volle menschliche Würde verfügte und dem anderen gleich war.“114 Dennoch sind in der bewaffneten Résistance auch geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen zu beobachten, die auf althergebrachte Rollenbilder zurückgeführt werden können. So waren Frauen für die Maquis häufig als Bindeglieder zur Bevölkerung bzw. zwischen den einzelnen Kampfgruppen tätig und schufen in dieser Position das nötige soziale Umfeld für die im Versteck lebenden Untergrundkämpfer. Sie wurden jedoch selten im direkten Kampf eingesetzt und waren darüber hinaus kaum in Leitungsfunktionen vertreten. Obwohl sich ihre Widerstandsarbeit ebenso gefahrvoll gestaltete, stand in der Historiographie zur Résistance und in der kollektiven Erinnerung in Frankreich über lange Jahre das Engagement der Männer mit der Waffe in der Hand im Vordergrund.115 Welche Beobachtungen lassen sich beschreiben, wenn die Perspektive der Geschlechterdifferenz auf das Rettungsnetzwerk der Cimade angewendet wird? Generell ist zunächst festzuhalten, dass die Erinnerungszeugnisse, die die Grundlage für die Rekonstruktion der Rettungsarbeit darstellen konnten, für eine umfassende strukturelle Analyse der Geschlechterbeziehungen nicht ausreichend sind. Es lassen sich den erhaltenen Artikeln und Briefen sowie den Berichten von Madeleine Barot, Geneviève Priacel-Pittet, Suzanne Chevalley, Marie-Louise Brintet, von Emile C. Fabre, André Morel und Georges Casalis jedoch zumindest Hinweise entnehmen, die ein hierarchisch konstruiertes Verhältnis ausschließen. Eine geschlechtsbezogene Arbeitsteilung, die den Frauen untergeordnete, vermeintlich ungefährlichere Funktionen zuschrieb, hat es in der Cimade offenbar nicht gegeben. Frauen wie Männer haben alleine und gemeinsam die risikoreichen Rettungsaktionen durchgeführt und waren der beständig drohenden Kon114 Vgl. H. ECK, Französinnen, S. 251 (das Zitat EBD.); F. HERVE, „Wir fühlten uns frei“, S. 41; C. WICKERT, Dissens, S. 143; E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 244; L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 79. 115 Vgl. H. R. KEDWARD, In search of the maquis; H. ECK, Französinnen, S. 251; F. HERVE, „Wir fühlten uns frei“, S. 17ff. u. 46f.

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frontation mit französischen wie deutschen Polizeieinheiten ausgesetzt. Zwar handelte es sich im Kontext des Cimade-Widerstandes als Rettung von Verfolgten nicht darum, Frauen etwa den Untergrundkampf mit der Waffe zu versagen. Aber auch hier wäre entsprechend den gesellschaftlich geprägten Geschlechterrollen etwa eine Zuweisung der Pfadfinderinnen zu einer Arbeit im Hintergrund denkbar gewesen, während allein die jungen Männer in der offenen Fluchthilfe tätig geworden wären. Für eine solche Trennung können aber aus den genannten Quellen keine Belege angeführt werden. Im Gegenteil, die erhaltenen Berichte lassen die beträchtliche Verantwortung erkennen, die Frauen wie Geneviève Pittet oder MarieLouise Brintet zusätzlich für die Organisation der Fluchthilfe übernommen haben. Sie erkundeten im Vorfeld die Wege, stellten die jeweiligen Helfergruppen zusammen und machten neue Routen ausfindig, wenn sich die bisher genutzten Passagen als zu gefährlich erwiesen. Dass das von Madeleine Barot favorisierte Teamkonzept auch hier den Durchbruch traditioneller Rollenmuster unterstützt hat, lässt sich auf der vorhandenen Quellenbasis nur vermuten. Für die beteiligten Frauen und Männer war jedoch sicherlich von Bedeutung, dass sie sich nicht erst zum Zweck der Rettungsaktionen zusammengefunden hatten, sondern als Mitglieder der ökumenischen Jugendorganisationen innerhalb eines Netzwerkes agierten, das bereits vor der Besatzungszeit bestanden hatte. Junge Frauen hatten in der Organisation der Pfadfinderinnen (FFE) ein selbstbestimmtes Handeln gegen die gesellschaftlich akzeptierten Normen für ‚weibliches‘ Verhalten erprobt und gegen männliche Kritik durchgesetzt.116 Die Kooperation im Untergrund konnte auf diesen Erfahrungen aufbauen.

116 Vgl. dazu auch Kapitel 2.4 (oben S. 81) und G. LERNER, Entstehung, S. 277ff. Lerner hat auf die große Bedeutung sozialer Freiräume für die Entwicklung eines feministischen Bewusstseins hingewiesen und die Bedeutung von Netzwerken hervorgehoben, in denen außerhalb von privaten Zusammenhängen Kommunikation unter Frauen, aber auch zwischen Frauen und Männern möglich ist. Vgl. zu den Pfadfinderinnen A.-S. FAULLIMMEL, Scoutisme féminin, S. 472ff. Sie betont, dass beispielsweise hauswirtschaftliche Fähigkeiten einen sehr geringen Raum in den Programmen der Pfadfinderinnen eingenommen haben, im Vordergrund stand die Organisation von Freizeiten mit Zeltlagern sowie sportlichen Aktivitäten und die Ausbildung von Führungsteams. Ob Mädchen wie Jungen solche „camps“ in der freien Natur durchführen durften, wurde von einigen männlichen Pfadfindern im gemeinsamen Monatsblatt beider Jugendorganisationen noch 1942 in Frage gestellt. Die Pfadfinderinnen verteidigten sich in dieser Diskussion gegen den Vorwurf, aufgrund ihrer FreizeitErfahrungen ungeeignet für gute Haushaltsführung in einer späteren Ehe zu sein (vgl. L’Equipe Nr. 62, Mai 1942).

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7.2.3.2 Ökumenische Solidarität in Pfarrhäusern und Abteien an der Grenze Im grenznahen Bereich zur Schweiz existierte ein ganzes Netz von katholischen und protestantischen Einrichtungen, die die Fluchthilfe unterstützten. Die verschiedenen Organisationen nutzten diese Pfarrhäuser, Abteien und Konvente für die Durchführung von Passagen. Dabei handelte es sich oft um Stützpunkte, die auch von der Cimade angelaufen wurden. Zu einer Drehscheibe entwickelte sich die Stadt Annecy am gleichnamigen See in den französischen Voralpen. Aufgrund ihrer Lage bot sie sich als letzter Etappenstützpunkt für die aus der ganzen Südzone kommenden Flüchtlinge an. Hier war der katholische Geistliche Abbé Camille Folliet Ansprechpartner für mehrere Fluchthelferinnen. Er arbeitete mit Rolande Birgy und Colette Dufournet von der katholischen Arbeiterjugend (JOC) und mit Vertretern der katholischen Landjugend (JAC) im Grenzgebiet zusammen und vermittelte die Warteorte in Klöstern in der Umgebung von Annecy.117 Sowohl Geneviève Pittet als auch Mireille Philip hielten engen Kontakt mit Abbé Folliet. Die Cimade konnte auf diese Weise die verfolgten Frauen bis zum Antritt ihrer Fluchtpassage in der Frauenabtei Chavanod unterbringen, während die Männer zu den Zisterziensern von Tamié kamen.118 Mehrere Flüchtlinge, die sich in die Schweiz retten konnten, erinnerten sich an die herzliche Aufnahme, die sie bei den Ordensleuten gefunden hatten. So schrieb Freudenberg schon im Januar 1943 an den besorgten Verwandten einer Emigrantin: „Ich traf gestern die Dame, die mit Ihrer Schwester und anderen in einem Frauenkloster bei Annecy seit 2 Monaten versteckt war. Die Ordensschwestern seien rührend. Poliz. Störungen hatten sich nicht ergeben. Die Schwestern mussten Ihre Schwester wegen Frauenblutungen ins Hospital, vermutl. Annecy einliefern, wo sie wohl jetzt noch liegt. Infolge dieser Erkrankung war sie leider zur Flucht nicht fähig. Da aber immer wieder neue Grüppchen aus diesem Kreis in Bewegung gesetzt werden, hoffe ich, dass Ihre Schwester bald kommt, zumal ihr Zustand nicht besorgniserregend zu sein scheint.“119

117 Vgl. den Bericht „Ma vie pour la tienne“ von Alain Perrot, René Nodot und Jean-François Pierrier (SHPF PARIS: BR 96–1) sowie den Bericht von Mireille Philip, in: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 158 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 152f.). 118 Vgl. die Zeugnisse von G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 135 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 127); Mireille Philip, in: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 158f. (= in: DERS., Befreie . . ., S. 152f.); A. MOREL, Hauptzeuge, S. 154 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 183). Vgl. auch die Fluchterinnerungen von Ursula Flatow in: H. MALINOWSKI-KRUM, Frankreich, S. 194. 119 Freudenberg an Herrn Mannheimer vom 4.1.1943 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence M); vgl. auch Freudenberg an Frau Wichser vom 2.3.1943 betreffend ihr Patenkind Inge Schragenheim, das im Januar 1943 an der Schweizer Grenze

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Bei dem genannten Krankenhaus handelte es sich vermutlich um das Hospital von Annecy, in dem der Seelsorger Abbé Baud für Flüchtlinge Betten zur Verfügung stellte und so zugleich für eine ungefährliche Unterbringung und angemessene Behandlung sorgte.120 Kurzfristige Verstecke fanden die Cimade-Mitarbeiterinnen auch in der Wohnung des Vaters von Abbé Folliet oder in der Pfarrei von Bout-du-Lac am südlichen Ende des Sees von Annecy.121 Auf protestantischer Seite leistete Pastor Paul Chapal in Annecy entscheidende Hilfe. Madeleine Barot hielt sich zeitweise bei ihm auf, um die Arbeit an der Grenze zu koordinieren. Das Pfarrhaus von Chapal war eine Anlaufstelle für die Passeure der Cimade, Flüchtlinge wurden dort versorgt und ihr Gepäck untergebracht.122 Aber auch an anderen Orten im Grenzgebiet öffneten sich katholische und protestantische Pfarrhäuser für die Flüchtlinge. In der ersten Zeit der Grenzarbeit im Herbst 1942, als die Passagen noch über die Berge bei Chamonix geführt wurden, waren es die protestantische Gemeinde in Argentière und die katholische Pfarrei des Curé Berger in Chedde, die den Cimade-Teams und ihren Schützlingen beistanden.123 Verfolgte, die am Genfer See über die Schweizer Grenze gebracht werden sollten, fanden Unterschlupf im Pfarrhaus von Henri Westphal in Thonon-les-Bains.124 Für widerstehendes Handeln als Rettung von Verfolgten hatte die private Sphäre von Haus und Familie große Bedeutung. Frauen, die im besetzten Frankreich Regimegegnern und alliierten Soldaten auf der Flucht Unterschlupf gewährten oder Juden und Jüdinnen in ihren Familien versteckten, setzten sich hoher nervlicher Belastung aus und nahmen große Gefahren auf sich. Die Hausfrauen mussten trotz der Rationierung weitere Lebensmittel organisieren und etwa beständig Sorge tragen, dass verdächtige Anzeichen für zusätzliche Bewohner des Haushaltes nicht nach außen zurückgewiesen worden war und sich nun bis zum neuen Versuch beim „Abbé von Annecy“ aufhielt (EBD., Alphabetical Correspondence X–Z). Eine andere Emigrantin berichtet in Paul Vogts Erinnerungssammlung AUS NOT UND RETTUNG, S. 72 über ihren Aufenthalt im Kloster und die gemeinsame Weihnachtsfeier mit den Schwestern des Konvents. 120 Vgl. den Bericht „Ma vie pour la tienne“ von Alain Perrot, René Nodot und Jean-François Pierrier (SHPF PARIS: BR 96–1). 121 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 139. 122 Barot an de Diétrich vom April 1943 (SHPF PARIS: Dt Die 2). Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 135; A. MOREL, Hauptzeuge, S. 183 (= in: A. FREUDENBERG. Befreie . . ., S. 127, 154); P. PITON, Filières, S. 269; S. Loiseau-Chevalley, in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 300. Außerdem einen Brief Walter Oppenheims aus einem Schweizer Flüchtlingslager an Freudenberg vom 20.8.1944 (AÖRK GENF: Freudenberg-Akten, Alphabetical Correspondence O–P). 123 Vgl. die Erinnerungen von Annie Ebbecke an ihre Fluchtpassage in: FLÜCHTLINGE HABEN DAS WORT, S. 195. 124 Vgl. G. PRIACEL-PRITTET, Grenze, S. 137 (Anm.) (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 129 [Anm.]).

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drangen.125 Leider schweigen sich die erhaltenen Erinnerungszeugnisse über die Rolle der Frauen in den häuslichen Milieus im Rettungsnetz der Cimade nahezu gänzlich aus. Weder zu etwaigen Haushälterinnen in den katholischen Pfarrheimen noch zu den Frauen in den Pastoraten von Henri Westphal in Thonon oder Paul Chapal in Annecy lassen sich Hinweise finden. Obwohl davon auszugehen ist, dass sie die Hauptlast für die Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge trugen, werden sie in den Erinnerungsberichten nicht einmal namentlich genannt.126 Indem sie ihre Häuser öffneten, gewährleisteten Frauen sichere Aufenthaltsorte für Flüchtlinge vor dem Beginn der eigentlichen Grenzpassagen in den Bergen. Das Rettungswerk der Cimade vermochte hier auf eine Basis zurückzugreifen, ohne die kaum über zwei Jahre hinweg bedrohten Menschen die Flucht hätte ermöglicht werden können. Große Bedeutung in der Organisation der Fluchtwege kam zwei katholischen Geistlichen in Gemeinden in unmittelbarer Nähe zur Grenze bei der Stadt Genf zu.127 Das Haus des Curé Jean Rosay aus dem kleinen Dorf Douvaine war Tag und Nacht für Flüchtlinge und Widerstandskämpfer geöffnet, Mitglieder der katholischen Jugendorganisation aus Douvaine halfen dabei, neue Passagen zu erkunden, wenn die alten zu gefährlich geworden waren.128 Hier bekamen Grenzgängerinnen wie Suzanne Chevalley Ratschläge und wertvolle Hinweise über die Wege bis zu der scharf bewachten Grenze. Die Flüchtlinge, die sie begleiteten, konnten sich im Hof des Pfarrhauses erholen. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von verfolgten Menschen, die in die Schweiz gerettet werden sollten. Die Fluchtpassage über Douvaine wurde auch von der OSE und anderen Fluchthilfeorganisationen genutzt. Abbé Rosay setzte sich mit seinem kompromisslosen Engagement wie andere Geistliche in der Region großer Gefahr aus. Er wurde am 10. Februar 1944 von den Deutschen verhaftet und deportiert und starb im April 1945 in Bergen-Belsen.129 Ähnlich wie in Douvaine war auch die Pfarrei von Collonge-sur-Salève ein wichtiger Ausgangspunkt für die Fluchtpassagen der Cimade. Pierre 125 Vgl. E. FOGELMAN, „Wir waren keine Helden“, S. 244; M. L. ROSSITER, Le rôle, S. 54f. 126 Zu Chapal vgl. den Bericht von A. MOREL, Hauptzeuge, S. 183 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 154); zur Familie Westphal G. PRIACEL-PRITTET, Grenze (vgl. oben Anm. 124). An die großen Anspannungen in einem solchen ‚offenen‘ Haus erinnert sich auch Dorothée Casalis (im Gespräch mit der Verfasserin im September 1996); über die Aufnahme von Cimade-Flüchtlingen in Casalis’ Lyoner Wohnung vgl. den Bericht von G. CASALIS, Rand, S. 200ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 161ff.). Zu den Relaisstationen in Lyon vgl. Kapitel 7.2.2.1 (oben S. 266). 127 Vgl. A. KASPI, Juifs, S. 358f.; C. MOLETTE, Prêtres, S. 83. 128 Vgl. den Bericht „Ma vie pour la tienne“ von Alain Perrot, René Nodot und Jean-François Pierrier (SHPF PARIS: BR 96–1) sowie C. MOLETTE, Prêtres, S. 83. 129 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 153 u. 156 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 146f. u. 150) sowie den Ausstellungskatalog CHEMINS DE PASSAGE, S. 33.

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Piton beschreibt in seinem Erinnerungszeugnis, wie Abbé Marius Jolivet regelmäßig am Abend der geplanten Passage die Straße unterhalb des Pfarrhauses kontrollierte und nach dem Durchmarsch der Patrouille das Zeichen zum Aufbruch gab. Piton nutzte dann die 20minütigen Abstände zwischen den Runden der Wachmannschaften, um mit den Flüchtlingen bis an den Stacheldraht zu gelangen und ihnen hinüberzuhelfen.130 Der Bereitschaft dieser katholischen Kirchenmänner, protestantischen Pastoren, Pfarrfrauen und Mitglieder von Gemeinden, sich der Not von Menschen zu öffnen, ist es zu verdanken, dass die Cimade an der Genfer Stadtgrenze eine Vielzahl von Flüchtlingen in die Schweiz geleiten konnte. Die Erinnerungen der Fluchthelferinnen verdeutlichen jedoch auch, dass die stete Gefährdung große Flexibilität erforderte. Es galt, die jeweiligen Risiken abzuschätzen. Wenn die bisher bekannten Passagen aufgrund von schärferer Bewachung oder Festnahmen nicht mehr begehbar waren, waren die Frauen und Männer gezwungen, neues Terrain und neue Fluchtwege zu erkunden und die entsprechenden Kontakte zu knüpfen.

7.2.3.3 Die Routen: Hochsavoyen – Genf – die Grenze zur Nordschweiz Für ihre Fluchtpassagen waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Cimade in drei unterschiedlichen Gebieten in Grenzregionen zur Schweiz tätig. Dabei kam dem Gelände um Genf und den Genfer See, d. h. der Grenze zu den Schweizer Kantonen Genf und Waadt besondere Bedeutung zu. Die hier organisierten Passagen waren am längsten in Gebrauch. In der Anfangszeit der Fluchthilfe, d. h. vom September bis zum Wintereinbruch 1942, wurden jedoch auch Flüchtlinge auf Hochgebirgswegen des Departements Hochsavoyen über die Grenze ins schweizerische Wallis geschleust. Erst in der letzten Phase der Fluchthilfe zwischen Januar und Juni 1944 wurden sehr wahrscheinlich auch Routen auf der Höhe von Montbéliard zur nordschweizerischen Grenze erkundet und für die Fluchthilfe genutzt.131 Die ersten Passagen fanden im September und Oktober 1942 im Umfeld von Chamonix und Argentière in den Bergmassiven nordwestlich des Mont Blanc statt. Im Unterschied zu den anderen Grenzgebieten sind die Passagen in dieser Gegend durch mehrere Erinnerungszeugnisse sowohl von 130 Vgl. EBD, S. 44; P. PITON, Filières, S. 267; ferner das Zeugnis von Hilde Hillebrand vom 23.1.1989 über ihre Flucht mit Piton im Jahr 1943 nach der Razzia auf das Studentenheim Les Roches (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Equipiers, Communication]). EBD. auch eine undatierte Zeichnung Pitons über das Gelände bei Collonge-surSalève und den Fluchtweg. 131 Vgl. zu den Fluchtwegen die Überblickskarte zur Arbeit der Cimade (auf dem vorderen Vorsatz).

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Cimade-Helfern als auch von Flüchtlingen dokumentiert, so dass eine Rekonstruktion auf breiterer Quellenbasis möglich ist. Demnach wurden zwei Routen genutzt. Die eine hatte ihren Beginn in Argentière auf 1.253 Metern Höhe und führte oberhalb des Arve-Tals zum Pass auf dem Col de Balme mit 2.321 Metern. Wer hier die Grenze unbemerkt überschreiten konnte, unternahm den Abstieg über Le Chatelard in das Schweizer Dorf Trient. Auf dieser Passage versuchten Annie und Hans Ebbecke gemeinsam mit Dr. Heinrich Mayer und Arthur Nagelstein im September 1942 den Weg in die Schweiz zu finden. Sie waren sich alle aus der gemeinsamen Internierungszeit und dem Cimade-Foyer in Gurs bekannt und gehörten zu denjenigen, die in das Glasberg-Haus in Pont-de-Manne bzw. in das Coteau Fleuri aufgenommen worden waren. Seit der großen Razzia in der Südzone Ende August 1942 lebten sie im Versteck. Annie Ebbecke berichtet eindringlich über die strapaziöse Wanderung mit einem bezahlten Führer zum Col de Balme. Der Führer verließ sie am Grenzübergang und nur aufgrund der Hilfe französischer Zöllner gelang es nach einigen Irrwegen, den Übergang in die Schweiz zu finden. Die Gruppe konnte erleichtert und glücklich in einem kleinen Berghotel unterkommen und ihre Ankunft nach Genf telegraphieren. Zu dieser Zeit im September 1942 existierte jedoch noch nicht das Listensystem der Non-Refoulables. Die Flüchtlinge wurden am folgenden Tag von der Polizei wieder ausgewiesen, mit einem Wagen zum Fuß des Col de Balme gefahren und mussten sich auf den ermüdenden und gefährlichen Rückmarsch über die Grenze begeben.132 Nur bei diesen ersten Passagen nutzte Geneviève Pittet kommerzielle Passeure, die ihr empfohlen worden waren. Sie sollten ihren Erinnerungen zufolge Flüchtlinge für 500 französische Francs pro Person über die Grenze geleiten. Die Arbeit mit diesen Bergführern bewährte sich jedoch nicht, es ist von schlechter Behandlung und Erpressung der Flüchtlinge die Rede. Möglicherweise sprachen auch die finanziellen Engpässe gegen eine Fortführung dieses Systems. Die Cimade ging jedenfalls schon früh dazu über, die weitere Fluchthilfe mit eigenen Leuten durchzuführen.133 Die zweite Route in dieser Region führte von dem kleinen Dörfchen Chedde im Arve-Tal etwa 20 Kilometer westlich von Chamonix über den Mont Buet zur Grenze. André Morel erinnert sich, die Hinweise und Informationen für diesen Weg durch Louis Audemard, den Leiter der protestantischen Pfadfindergruppe in Chedde, bekommen zu haben, der selbst Mitglieder des englischen Geheimdienstes in die Schweiz schleuste. Die Flüchtlinge konnten vor dem Aufstieg im Hause der Familie Lasserre 132 Vgl. Annie Ebbecke in: FLÜCHTLINGE HABEN DAS WORT, S. 195–198. Die Episode wird auch bei J. WERNER, Hakenkreuz, S. 358 erwähnt, allerdings ohne die Cimade als Fluchthilfeorganisation zu nennen. 133 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 136 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 127).

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in Chatelard bei Servoz übernachten.134 Die Strecke war zwar nicht sehr streng bewacht, bedeutete jedoch eine mindestens zehnstündige, beschwerliche Wanderung hinauf in das Bergmassiv, am Gebirgsbach Diosaz entlang und schließlich auf dem Grat hinauf zum Gipfel des Mont Buet. Die schlecht ausgerüsteten und infolge jahrelanger Unterernährung ohnehin geschwächten Flüchtlinge mussten daher alle Kräfte zusammennehmen, um das rettende Ziel zu erreichen.135 Möglicherweise gelangte auch Elsa Freudenbergs Tante Else Liefmann Mitte September 1942 auf diesem Weg in die Schweiz.136 Zu einem tragischen Zwischenfall kam es, als André Morel unter schlechten Wetterbedingungen ein Ehepaar zur Grenze bringen wollte und die beiden unterhalb des Mont Buet vor Erschöpfung aufgaben. Morel blieb nichts anderes übrig, als eine Rettungsmannschaft aus dem nächsten Ort im Tal zu holen. Als der Cimade-Mitarbeiter mit einer Gruppe von Einheimischen wieder aufstieg, konnten die Flüchtlinge nur noch tot geborgen werden, Morel musste sich vor Gericht verantworten.137 Die beschwerliche Strecke und auch der einsetzende Schneefall bewogen die Cimade, nach diesem Ereignis die Route aufzugeben. Schon im Oktober 1942 wurde damit begonnen, Passagen direkt an den Genfer See zu verlagern. Hier waren keine anstrengenden Bergtouren zu unternehmen, die Grenze zwischen den kleinen französischen Dörfern und dem Stadtrand von Genf war allerdings sehr gut gesichert. Oft mehrere Meter hohe Stacheldrahtverhaue versperrten den Weg und mussten überwunden werden. Es galt, den häufigen Grenzpatrouillen zu entgehen und in der Nähe der Zoll- und Grenzstationen möglichst keinen Verdacht zu erregen. Für die in Douvaine beginnenden Routen fuhren die Flüchtlinge mit dem Zug von Annecy in das Genf vorgelagerte französische Grenzstädtchen Annemasse. Es folgte ein 18 Kilometer langer Fußmarsch ins nördlich in der Nähe des Seeufers gelegene Douvaine. Die Pfarrei bot sich als Ausgangspunkt für mehrere Übergangsmöglichkeiten an, so z. B. bei Veigy oder bei Hermance. Dazu mussten jedoch längere Wege im offenen Gelände zurückgelegt werden, was die Gefahr vergrößerte. Mehrfach traf beispielsweise Suzanne Chevalley in dieser Gegend auf Gendarmen und Zöllner und musste mit ihren Schützlingen Verhöre überstehen. Mindestens 134 Vgl. E. C. FABRE, Erkennen, S. 181. Auch das Ehepaar Ebbecke war vor und nach seiner erfolglosen Passage über den Col de Balme bei Familie Lasserre untergebracht. 135 Vgl. die Berichte von A. MOREL, Hauptzeuge, S. 183ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 154ff.); G. CASALIS, Rand, S. 203 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 164f.); E. C. FABRE, Erkennen, S. 180ff. 136 Vgl. ihren Bericht in: M. u E. LIEFMANN, Helle Lichter, S. 126ff. sowie die Rekonstruktion der Passage mit Auszügen aus dem Tagebuch von Elsa Freudenberg in: D. FREUDENBERG-HÜBNER/E. R. WIEHN, Abgeschoben, S. 207ff. Dort wird Geneviève Priacel-Pittet irrtümlich als Mann identifiziert. 137 Vgl. den Bericht von A. MOREL, Hauptzeuge.

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in zwei Fällen konnten die Flüchtlinge nur aufgrund der wohlwollenden Haltung von französischen Polizisten doch noch wohlbehalten zur Grenze gelangen.138 Das südlich von Annemasse gelegene Collonge-sur-Salève lag dagegen näher an der Grenze und konnte mit dem Bus direkt von Annecy aus angefahren werden. Nach den Erinnerungen von Pierre Piton war mindestens ein Busfahrer in die Unternehmungen eingeweiht und hielt direkt vor dem Zugang zur Pfarrei von Abbé Rosay. Waren die Flüchtenden bis zum Stacheldraht gelangt, wurden sie von Piton über den Verhau gehoben oder schlängelten sich darunter hindurch.139 Nicht genau zu verorten ist ein weiterer Übergang, der von der Cimade seit Februar 1943 genutzt wurde. Er lag südlich von Annemasse unterhalb des Mont Salève, möglicherweise am Grenzverlauf östlich von St. Julien-en-Genevois. Es handelte sich dabei um einen kleinen Friedhof, dessen Mauer parallel zu einem kleinen Fluss verlief, der an dieser Stelle die Grenze bildete. Zwischen der Mauer und dem Fluss war ein hoher Zaun errichtet worden, der von Grenzpatrouillen bewacht wurde. Die Flüchtlinge wurden von der Cimade als Trauernde verkleidet zu dem Friedhof geleitet und warteten bei einem Grab, bis die Passage gewagt werden konnte.140 Im Spätsommer 1943 verschärfte sich die Bewachung an der Grenze bei Annemasse so sehr, dass die Cimade das Risiko in diesem Gebiet nicht mehr tragen mochte. Es wurden nun neue Übergänge nach Genf an der nordwestlichen Grenze des Kantons gesucht.141 Diese Region gehörte bereits zur Nordzone und war daher für die Cimade erst zugänglich, seit die Besatzungsbehörden im März 1943 die Bestimmungen zum Überschreiten der Demarkationslinie gelockert hatten. Vermutlich korrespondierte diese Zeit der Neuorientierung in der Fluchthilfe mit der zweimonatigen Unterbrechung der Passagen, die Freudenberg Ende Juli 1943 gemeldet wurde.142 Im französischen Jura wurde Geneviève Priacel-Pittet zufolge in der Wohnung einer kommunistischen Familie in St. Claude eine Befehlszentrale eingerichtet. Die Grenzübergänge suchte die Cimade in dieser Zeit in der Gegend von Les Rousses. Marie-Louise Brintet nutzte 1944 für ihre Passagen das Gelände bei dem Ort Gex. Genauere Angaben zu dem betreffenden Grenzabschnitt finden sich bei ihr nicht, möglicherweise handelt es sich um die Umgebung von Divonne, das auch von Madeleine Barot 138 Vgl. S. LOISEAU-CHEVALLEY, Mädchen, S. 153 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 146f.). 139 Vgl. P. PITON, Filières, S. 267f. und das Zeugnis von Hilde Hillebrand (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Equipiers, Communications]). 140 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 138 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 130) sowie die Erinnerungen von Madeleine Barot an diesen Übergang bei A. JACQUES, Barot, S. 42. 141 Vgl. G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 140 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 132). 142 Vgl. Kapitelabschnitt 7.2.2.2 (oben S. 268f.).

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als ein Passageort beschrieben wird.143 Alle drei Zeitzeuginnen schildern ein sehr weitläufiges und vor allem einsames Gelände mit vielen Wäldern, in denen bei Gefahr ein Versteck gesucht werden konnte. Die Fluchthilfe-Teams mussten jedoch gemeinsam mit ihren Schützlingen viele Kilometer zurücklegen, um die eigentliche Grenze zu erreichen. Beispielhaft für die Strapazen ist das Zeugnis der ehemaligen Sekretärin der Jüdischen Gemeinde in Karlsruhe, Else Kotkowski, die noch Anfang Juni 1944 mit Hilfe der Cimade ihre Flucht aus dem Internierungszentrum La Meyze Richtung Schweizer Grenze antrat.144 Zwei Pfadfinder holten sie in Valence ab und brachten sie mit der Bahn in den Jura. „Zwei Stationen vor Endstation bekam ich einen Wink, und ich stieg hinter ihnen aus. Sie erklärten mir, die Grenzen seien unsicher und sie müssten Umwege suchen. Sonnenschein und Gewitterregen wechselten dauernd ab. Wir waren vollkommen durchnässt. Ich hatte nur eine Handtasche dabei. Es ging durch Wälder und Felder, über große Wiesen, geduckt, dass man nicht gesehen wurde, durch kleine Bäche und dauernd bergauf, Stunden um Stunden, und wenn ich nicht mehr konnte, riefen mir meine ‚Vorläufer‘ zu: ‚Nur noch fünf Minuten!‘ Unzählige fünf Minuten waren das.“145

Als im Februar 1944 nach Geneviève Pittet auch Suzanne Chevalley aufgrund ihrer zunehmenden Gefährdung die Arbeit an der Grenze einstellen musste, war Marie-Louise Brintet vermutlich allein für die Organisation der Passagen bis zur Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 zuständig. Sie erinnert sich daran, aufgrund der zunehmenden Risiken im Jura einen weiteren Bezirk für Fluchthilfe ausfindig gemacht zu haben. Erstmals verließ die Cimade nun die Region um Genf und den Genfer See und versuchte, auf der Höhe von Montbéliard im Department Doubs und im Territoire de Belfort Übergänge zur Nordschweiz zu suchen. Dazu knüpfte Brintet Kontakte mit Schmugglern in dieser Gegend, die ihr von Pastoren vermittelt worden sein sollen. Pfadfinder wie Claude Krebs und Jean Michon führten nun Fluchtpassagen von den grenznahen Orten Delle oder Maîche aus.146 Die heimlichen Passagen über die Berge wurden von den Mitgliedern der Cimade kaum als ein reizvolles Abenteuer empfunden. Sehr schnell 143 Erinnerungen Brintets (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique); zu den Erinnerungen von Barot vgl. A. JACQUES, Barot, S. 43. 144 Vgl. J. WERNER, Hakenkreuz, S. 360. Der Verfasser nennt die „Action protestante“ als die Organisation, die Else Kotkowski zur Seite stand. Aus der Beschreibung der Fluchtumstände lässt sich mit Sicherheit schließen, dass es sich dabei um die Cimade handelte. Auch war allein die Cimade als protestantische Organisation in dieser Zeit in La Meyze tätig. 145 Zeugnis von Else Kotkowski (Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST/27), zitiert nach J. WERNER, Hakenkreuz, S. 360. 146 Erinnerungen von Brintets (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique); vgl. auch O. MUNOS, Passages, S. 56. Hinweise in anderen Quellenzeugnissen für Fluchthilfe in diesem Gebiet finden sich nicht.

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wich der „Spaß, die Besatzungsmacht gefoppt zu haben“ einer unentwegten Anspannung.147 In diesem aufreibenden Leben mit der Angst vor den Grenzwachen, Verletzungen am Stacheldraht, Festnahmen und Gefängnisaufenthalten war eine physische und vor allem psychische Erschöpfung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Grenze keine Seltenheit. So blieb Claude Krebs beispielsweise Ende des Jahres 1943 einige Zeit in Genf, um sich bei Suzanne de Diétrich von den Anstrengungen zu erholen.148 Der Pastor Jacques Delpech aus einem Dorf in der Nähe von Gurs, der im April 1943 aufgrund seiner Aktivitäten für spanische Flüchtlinge selbst in die Schweiz fliehen musste, äußerte sich in einem Brief an Barot besorgt über den ständigen Druck, der auf Geneviève Pittet und Robert Patte lastete.149 Gleichzeitig war den Fluchthelfern die bestehende Differenz zu den Flüchtlingen trotz der gemeinsam durchgestandenen Gefahren präsent. „Es war ja so viel leichter, an unserem und nicht an ihrem Platz zu stehen, an diesem unserem Platz, den wir uns selbst ausgesucht hatten“, schreibt Mireille Philip im Rückblick auf ihre Fluchthilfe.150 Georges Casalis schildert seine Gefühle nach einer Passage mit zwei jüdischen Emigranten ähnlich: „Sie müssen weiter ihr Leben als Entwurzelte führen, ich dagegen kehre zu den Meinen, meinem Haus und meinem Beruf zurück. Habe ich eigentlich mehr getan, als mich für einige Stunden zu zerstreuen und mich als Wohltäter auszugeben?“151 Hinzu kam noch, dass die Begegnungen zwischen den Fluchthelferinnen und den Verfolgten meist anonym blieben. Fremde Menschen wurden ihnen an den Bahnhöfen von Annecy, Chamonix und Annemasse anvertraut und während der Passagen, die von den Frauen und Männern der Cimade über die Jahre durchgeführt wurden, blieb keine Zeit, um eine persönliche Beziehung aufzubauen und eine mehr als oberflächliche Erinnerung an einzelne Verfolgte zu behalten. Diese Tatsache war vor allem bedrückend, wenn ein ähnlicher Beistand für Freunde und Angehörige, die von der Verschleppung bedroht waren, nicht ermöglicht werden konnte. So wandte sich Geneviève Pittet im März 1943 mit der Bitte an Barot, sich für die in Drancy internierte Mutter ihres Freundes, 147 Das Zitat aus dem Zeugnis von G. CASALIS, Rand, S. 203 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 164). 148 Vgl. einen Brief Barots an Simone Clavel vom 9.12.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Suisse, passages]). 149 Delpech an Barot vom 19.4.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C. R. activités des camps SO 1939–45, Heft Camps d’internement 1940–1944). 150 Mireille Philip in: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 159 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 153). 151 Das Zeugnis von G. CASALIS im französischen Original in: Les clandestins de dieu, S. 194 (Übersetzung U. G.). Auch in: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 203 (= in: DERS., Befreie . . ., S. 164f.).

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sie spricht von ihrer „zukünftigen Schwiegermutter“, einzusetzen. Sie war gerade über deren Einlieferung in das Pariser Durchgangslager informiert worden, wusste jedoch, dass eine erfolgreiche Hilfe kaum mehr möglich war. „Um offen zu sein: ich erwarte mir nicht viel davon, und das Ganze bedrängt mich sehr. Ich helfe aktiv Leuten, die nichts von mir wissen und die mir völlig unbekannt sind und bin dennoch nicht in der Lage, denen, die mir nahe sind, beizustehen.“152 „Opfer unter dem Ra d“

7.3 Widerstand als Rettung der „Opfer unter dem Rad“ Die Cimade hatte sich nicht zum Ziel gesetzt, mit Untergrundaktionen den Lauf des Regimes und der Besatzungsbehörden aufzuhalten und damit aus dem Inneren heraus an der Befreiung Frankreichs mitzuarbeiten. Wenn daher der Umsturz einer verbrecherischen Regierung in der Forschung als die qualitative Spitze und als eigentlich politischer Widerstand im Unterschied zu anderen Formen oppositionellen Verhaltens charakterisiert wurde, so ließen sich die Aktivitäten der Cimade hier nicht einordnen. Als Teil der Résistance, jenem Zusammenschluss der innerfranzösischen Widerstandsgruppen, die zunächst mit Sabotageaktionen einzelner lokaler Zusammenschlüsse, der Maquis, zuletzt auch mit militärischen Verbänden gegen das Besatzungsregime und die Kollaborateure kämpfte, wollte die Cimade nach dem Willen von Madeleine Barot und Violette Mouchon prinzipiell nicht angesehen werden. Die Stellungnahmen der Generalsekretärin und der Präsidentin der Cimade sollen im Folgenden dieses Selbstverständnis beleuchten.153 152 Pittet an Barot vom 9.3.1943 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Gestion, financière]; Übersetzung U. G.). 153 Violette Mouchon war von 1940 bis vermutlich Anfang 1944 Präsidentin der Cimade, dieses Amt ging dann auf Marc Boegner über, während Mouchon als weitere Generalsekretärin neben Madeleine Barot die Cimade leitete; vgl. einen Brief von Barot an Simone Clavel vom 30.3.1944 mit Gehaltsangaben für die neue Position von Mouchon (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Suisse, passages]). Mit der Beschränkung auf Zeugnisse dieser beiden Frauen wird die offizielle Sichtweise der Organisation entsprechend dem Selbstverständnis der die Cimade-Arbeit maßgeblich bestimmenden Führungspersönlichkeiten dargestellt. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass einzelne Cimade-Mitglieder anderer Auffassung waren, dies lässt sich den vorhandenen Quellen jedoch kaum entnehmen. Insgesamt ist zu bedenken, dass schriftliche Darlegungen zur ideellen Positionierung schon allein aufgrund der Vorsichtsmaßnahmen für die Untergrundarbeit während der Kriegszeit nicht erfolgen konnten und auch für die Aufbaujahre nach 1944/45 kaum zu finden sind. Die Darstellung muss daher auf spätere Stellungnahmen Madeleine Barots aus den 1960er bzw. beginnenden 1980er Jahren rekurrieren. Die Thesen von Violette Mouchon in dem

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Zwar kam es vor allem in der Endphase der Besatzungszeit im Jahr 1944 auch zur punktuellen Zusammenarbeit einzelner Teams mit Widerstandsgruppen in den Lagern und an der Grenze, prinzipiell aber setzte sich die Cimade entschieden von der Résistance ab.154 Violette Mouchon begründete dies in einem Artikel vom Juni 1945 mit dem Wunsch nach einem gewaltfreien Engagement. „Die Cimade musste sich gegen die Polizei wenden, als das Leben von Juden bedroht war, und musste sich, um sie zu retten, zur Verstellung und zur Aktion im Untergrund bereitfinden. Auf diesem Gebiet begegnete sie der Résistance. Aber sie hat sich geweigert, bis zur direkten Gewaltanwendung zu gehen und hat ihren Mitarbeitern das Tragen von Waffen stets verboten.“155

Barot und Mouchon zufolge ging es nicht nur darum, den Mitgliedern durch das Verbot einen gewissen Schutz zu verleihen, indem sich diese im Falle einer Verhaftung nicht von vornherein durch Waffenbesitz verdächtig machten. Die Cimade sah im Prinzip des zivilen Widerstandes als Widerstand ohne Waffen einen fundamentalen Unterschied zu dem, was die Résistance als Möglichkeiten oppositionellen Handelns ansah.156 Nach der Ansicht der Cimade-Leiterinnen ließ sich der bewaffnete Kampf nicht mit dem christlichen Zeugnis legitimieren. Sie trennten damit die Grundvorstellungen, die sie zum Handeln gegen das Regime veranlassten von den Beweggründen der Résistance. „Diese hatte vor allem ein nationales Motiv und verfolgte als Zweck die Befreiung des Landes“, schrieb Mouchon 1945. Im Gegensatz dazu war die Motivation der Cimade mit den Worten Barots als „wesentlich christlich“ (essentiellement chrétienne) aufzufassen. Aus diesem Grund wollten sie nicht als eine besondere Untergruppe der Résistance betrachtet werden.157 Artikel der Zeitschrift Réforme aus dem Jahr 1945 stellen einen besonderen Fund dar, an dem sich eine inhaltliche Übereinstimmung mit den Zeugnissen Barots aus späterer Zeit aufzeigen lässt. 154 Vgl. den Bericht von J. MERLE D’AUBIGNE, Lager Gurs, S. 115ff. (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 103ff.) über die Kooperation mit den regionalen Maquis in den Internierungszentren Naillat und Douadic sowie G. PRIACEL-PITTET, Grenze, S. 138 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 129) über die Unterstützung der Résistance für die Fluchthilfe an der Grenze. 155 V. MOUCHON, Résistance (Übersetzung U. G.). Über das Waffenverbot berichtet ebenfalls M. BAROT, Bereitschaft, S. 86 (= in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 72) und in: UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 121. 156 Vgl. zur Definition des zivilen Widerstandes als eines waffenlosen Kampfes J. SEMELIN, Ohne Waffen, S. 18. 157 M. Barot in: UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 121; V. MOUCHON, Résistance. Als ein nationales Motiv ist dagegen auch der bei verschiedenen Cimade-Mitgliedern in Briefen und Berichten aus den Lagern zum Vorschein kommende Patriotismus zu bezeichnen. Sie verstanden sich als Vertreter des „anderen Frankreichs“ und bezogen sich damit auf die nationale Identität Frankreichs als Heimatland der Menschenrechte (vgl. Kapitel 4.7, oben S. 168f.). Zur Bedeutung patriotischer Werte im Widerstand vgl. J. SEMELIN, Ohne Waffen, S. 115ff.

„Opfer unter dem Rad“

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Doch nicht nur das Movens, sondern auch die Zielvorstellung der Cimade wurde von Barot und Mouchon im Unterschied zur Résistance als eine wesentlich andere aufgefasst. „Ich war dagegen“, sagte Barot in ihrem Rückblick 1983, „dass einige Teammitglieder, die sehr aktiv für die Cimade arbeiteten, sich gleichzeitig in einen Maquis begaben. Noch andere wollten uns in eines der Netzwerke der Résistance eingliedern. Ich war der Meinung, dass wir so viele Juden wie möglich retten mussten und dass wir, um diese besondere Aufgabe möglichst wirkungsvoll zu erfüllen, unsere Kräfte nicht zerstreuen durften“.

Mouchon nannte es 1945 eine wesentliche Forderung Gottes, sich für jeden Menschen einzusetzen, dessen Leben durch ein Gewaltregime bedroht werde. Nach diesem Grundsatz habe die Cimade gehandelt.158 Damit bezeichnen Mouchon und Barot als besonderes Kennzeichen ihres Handelns gegen Vichy und gegen die deutschen Besatzer die Solidarität mit den bedrohten christlichen und jüdischen Opfern. Sie wandten sich damit gegen die Verbrechen, die von den Deutschen begangen und von der französischen Regierung zumindest im Anfang unterstützt wurden. Gegen die Bedrängnisse der Verfolgten wollten sie im Vollzug ihres Bekenntnisses aus dem Glauben heraus aktiv handeln. Wie Madeleine Barot hervorhob, hatte die Résistance eine andere Bestimmung zu erfüllen. Sie wollte sich den Besatzern entgegenstellen, nach der Bonhoefferschen Metaphorik „dem Rad in die Speichen greifen“ und auf die Befreiung des besetzten Landes und Wiederherstellung der nationalen Unabhängigkeit hinarbeiten. Nur mittelbar ging es dabei um ein Engagement für die Opfer der Gewaltherrschaft, denn erst mit einer einmal erfolgreichen Entmachtung und damit dem Ende der Totalitarismen wären diese vor dem Schlimmsten bewahrt worden. Für die Menschen, die vor einer Befreiung Frankreichs in den Osten abtransportiert werden sollten, brachte dieses Engagement keine Rettung. Madeleine Barot hat beide Ziele als Beweggründe für oppositionelles Handeln nicht hierarchisch betrachtet, sondern als gleich wichtig für den Aufstand anerkannt. Ihrer Auffassung nach hatte die Résistance als nationale Widerstandsbewegung eine andere Rolle zu spielen wie die Cimade als eine christlich motivierte Widerstandsgruppe. Beide wurden nicht gegeneinander aufgerechnet. In der Tat lässt sich fragen, warum das Handeln von Menschen, die Juden und andere Verfolgte des NaziRegimes unter Einsatz ihres Lebens versteckt oder ihnen zur Flucht verholfen haben, noch in der Forschung Mitte der 1980er Jahre nur als Nonkonformität definiert und damit auch be- und abgewertet wurde, während der Versuch zum Tyrannenmord als eigentlich politischer Widerstand das Prädikat einer totalen Negierung des Nationalsozialismus 158 Barot in: UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 121; V. MOUCHON, Résistance.

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Die Fluchthilfe der Cimade

erhielt.159 Mittlerweile hat sich die Zeitgeschichtswissenschaft der Erforschung dieser „unbesungenen Helden“ und Heldinnen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern zugewendet und versucht, ihnen einen angemessenen Platz im Spektrum des Widerstandes zuzuweisen.160 Peter Steinbach hat in diesem Zusammenhang aufgezeigt, dass das Widerstandshandeln Einzelner im Eintreten für Verfolgte aufgrund der Fokussierung auf den Widerstand der Eliten des 20. Juli aus dem Blick geraten und in seiner „potentiellen systemkritischen Sprengkraft“ nicht ausreichend gewürdigt worden ist.161 Gleiches gilt, wenn für das europäische Ausland vor allem der Widerstand ins Auge genommen wird, der sich mit Attentaten, Sabotagehandlungen und paramilitärischen Aktionen gegen die Besatzungsmacht richtete und für eine nationale Befreiung eingesetzt hat. Oppositionelles Handeln als Einsatz für verfolgte Juden und Jüdinnen und andere Opfer des Nationalsozialismus und der mit ihm kollaborierenden politischen Kräfte gerät auch hier aus dem Blick. Mit diesem Handeln jedoch haben sich Menschen in Deutschland wie in den besetzten Ländern der Erfüllung eines monströsen und mörderischen Vernichtungsprogrammes entgegengestellt, in dem sich der Charakter des Nationalsozialismus in seiner unmenschlichsten Form ausdrückte. Politischer Widerstand kann nicht nur dadurch definiert werden, dass die Regimegegner in die Speichen des Rades greifen und es dadurch zum Halten bringen. Politischen Widerstand gegen Besatzer wie kollaboratorische Regierungen haben auch diejenigen geleistet, die verhinderten, dass das Rad über eine noch größere Anzahl von Menschen hinwegrollen und damit deren Leben zerstören konnte. Indem sie die Missachtung von Menschenwürde nicht hingenommen und sich gegen die Bestreitung des Lebensrechtes ganzer Gruppen gewendet haben, bezogen sie zugleich Position gegen politische Ordnungsvorstellungen, die diese Werte in totalitärer und brutaler Weise negieren. Christinnen und Christen, die sich aus ihrem Bekenntnis heraus für ein solches Handeln entschieden, haben damit die Schwelle zum politischen Widerstand überschritten.162

159 So P. STEINBACH noch 1986 in: Widerstand als Thema der Zeitgeschichte, S. 57f. 160 Wegweisend P. STEINBACH, ‚Unbesungene Helden‘; vgl. auch die Bände der Forschungsreihe des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung (W. BENZ u. a., Solidarität und Hilfe). K. E. GROSSMANN, auf den dieser Terminus zur Bezeichnung der Helfer von Verfolgten zurückgeht, ist mit seiner Veröffentlichung aus dem Jahr 1957 zudem der erste, der versucht hat, in Deutschland an das Widerstandshandeln der Cimade gegen die nationalsozialistischen Mordpläne zu erinnern (Die unbesungenen Helden, S. 235f.). 161 Vgl. P. STEINBACH, ‚Unbesungene Helden‘; S. 191. 162 Vgl. E. BETHGE, Zwischen Bekenntnis und Widerstand, S. 293.

Zusammenfassung Zusammenfassungund und Ausblick Ausblick

Zusammenfassung und Ausblick

Die vorliegende Arbeit hatte sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte einer protestantischen Jugendorganisation im Europa des Nationalsozialismus kritisch zu rekonstruieren, die sich unter dem Schatten der Shoah den Opfern von Gewaltherrschaft zugewendet hat. Mit der Cimade in VichyFrankreich sollte im Kontext gesellschaftlich-politischer Wirkungsgeschichte ein Blick eröffnet werden auf Opposition von Christinnen und Christen in einem von Deutschland abhängigen Regime. Zugleich verfolgte diese Darstellung die Aufgabe, an die Entstehung und Entwicklung eines Hilfswerkes zu erinnern, das wesentlich von Frauen vorangetrieben wurde: Ihre Aktivitäten zur Zeit der Faschismen sind in die Kirchengeschichte einzuschreiben und im Hinblick auf die Beziehung zwischen den Geschlechtern zu reflektieren. Dabei sollte ihr gemeinsames Handeln für die Rettung von Verfolgten vor dem Holocaust auch auf seine ethisch-theologische Motivierung hin befragt werden. Schließlich ging es darum, diese mutigen Aktionen in den politischen Widerstand einzuordnen und nach ihrer Bedeutung im Vergleich mit dem bewaffneten Kampf der nationalen Befreiungsbewegungen – in Frankreich der Résistance – bzw. dem Widerstand in Form des Tyrannenmordes zu fragen. Auf der Grundlage neuer Quellenbestände Pariser wie Genfer Provenienz konnte ich ein differenziertes Bild von der Entstehung und Entwicklung der Cimade zeichnen. Als ein Schwerpunkt ist die Verortung innerhalb der protestantischen Jugendarbeit in Frankreich herauszustellen, die hauptsächlich von fünf ökumenisch orientierten Organisationen getragen wurde. Es ließen sich organisatorische, personelle und ideelle Verbindungen zu den CVJM und den CVJF, den Pfadfinderinnen und Pfadfindern sowie dem Christlichen Studentenbund aufzeigen, die die Cimade von ihren Anfängen an bestimmt haben. Sie ist in ihrer Zuwendung zu entrechteten und ausgegrenzten Juden und Ausländern nun als aktiver Ausdruck einer kritischen Haltung zu beschreiben, die diese Jugendverbände gegenüber dem Rassismus und Chauvinismus des Regimes von Vichy eingenommen hatten. An Profil gewonnen hat ebenso die enge Verbindung der Cimade zu den drei in Genf ansässigen Weltverbänden der Jugendökumene. So hatten grundsätzlich Delegierte der Weltverbände der CVJM, CVJF und des CSW im Leitungskomitee der Cimade Sitz und Stimme. Mit Charles Guillon, Evelyn C. Fox und Suzanne de Diétrich gehörten namhafte Repräsentanten und

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Repräsentantinnen dieser Organisationen zu den engen Förderern der Cimade. Gleiches galt für Willem A. Visser ’t Hooft, ehemals führender Vertreter des Studentenweltbundes, der im Herbst 1939 zum Generalsekretär des entstehenden Weltrates der Kirchen ernannt worden war. Dass die französischen Jugendorganisationen die Cimade einem Führungsgremium auf internationaler Basis unterstellt haben, ist daher als bemerkenswert weitsichtige Entscheidung zu beschreiben. Damit wurde die Cimade schon frühzeitig in ein grenzüberschreitendes Netz ökumenischer Solidarität eingebunden, in dem den genannten Verbänden der Genfer Ökumene eine herausragende Rolle zukam. Zudem war es möglich, den Aufbau des Hilfswerkes nicht nur von der Leitungsebene her zu erschließen, sondern auch einen Einblick in die Personalstruktur an der Basis zu gewinnen. Trotz der Herkunft und Selbstbezeichnung der Cimade hat die Organisation davon Abstand genommen, Jugendliche mit einem physisch und psychisch belastenden Aufgabenkreis zu beauftragen. Es waren in erster Linie junge Erwachsene zwischen zwanzig und dreißig Jahren, die sich aus der protestantischen Jugendarbeit heraus zu diesem humanitären Handeln verpflichtet fühlten. Insgesamt konnte ich für die Zeit zwischen dem August 1940 und dem Juni 1944 knapp 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifizieren, 52 Frauen und 27 Männer. Der Zeitraum ihres Engagements differierte erheblich von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren. Eine soziologische Einordnung kann nur mit Behutsamkeit vorgenommen werden, da nicht für alle Mitglieder Hinweise vorliegen. Die vorhandenen Quellen lassen jedoch auf ein bürgerliches und gebildetes Milieu schließen, das in Deutschland etwa dem der studentischen Widerstandsgruppe Weiße Rose vergleichbar sein könnte. Trotz der außerordentlich vielschichtigen und disparaten Quellenlage ist es gelungen, einen differenzierten Überblick über die Mitglieder zu erstellen. Die biografischen Angaben im Anhang dieser Darstellung fassen die unterschiedlichen Orte ihrer Tätigkeit in den Internierungslagern der Südzone, den Heimen in Le Chambon-sur-Lignon, in Pomeyrol oder in Vabre, der Fluchthilfe an der Schweizer Grenze und der Administration in den beiden Sekretariaten in Nîmes und Valence zusammen. Die eingangs dieser Arbeit aufgeführten zwei Wendepunkte zur Periodisierung der Cimade-Geschichte haben sich im Verlauf der Darstellung bestätigt. Mit dem Sommer 1940 sowie nochmals mit dem Sommer 1942 wurden jeweils neue Phasen in ihrem Wirken eröffnet. Dabei war die Anfangszeit des Hilfswerks, die durch das Engagement für die zu Kriegsbeginn 1939 ins Innere Frankreichs evakuierten Elsässer bestimmt gewesen ist, nur einleitend Thema. Vor diesem Hintergrund konnte ich jedoch die von der Cimade mit dem August 1940, d. h. mit der Etablierung des autoritären Regimes von Vichy, vorgenommene Neuorientierung ihrer Tätigkeit als einen Paradigmenwechsel deuten. Die Organisation antwortete

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auf die geänderten Verhältnisse in Staat und Gesellschaft, indem sie sich nun nicht mehr französischen Staatsangehörigen zuwandte, sondern sich der entrechteten und bedrohten Ausländer und Juden annahm. Bei diesen handelte es sich hauptsächlich um Emigrantinnen und Emigranten aus Deutschland und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern, die in den 1930er Jahren vor der Diskriminierung und Verfolgung unter dem Nationalsozialismus nach Frankreich geflohen waren. Ihnen, die von der Ideologie der „nationalen Revolution“ Vichys als die inneren Feinde Frankreichs ausgemacht worden waren und in Internierungslagern wie Gurs, Rivesaltes, Récébédou oder Rieucros isoliert wurden, galt nun die Solidarität der Cimade. Anhand der mit Suzanne de Diétrich, der Vertreterin des Christlichen Studentenweltbundes in Genf, geführten Korrespondenz ließ sich erschließen, dass diese inhaltliche Neubestimmung keineswegs geradlinig verlief, sondern gegen Unsicherheiten in der Führungsebene der Cimade durchgesetzt werden musste. Dabei wurde dieser Umbruch hauptsächlich durch die in dieser Zeit der Organisation beigetretenen Generalsekretärin Madeleine Barot initiiert und vorangetrieben. Mit ihrer Tatkraft und ihrem kritischen Bewusstsein für die politischen Implikationen christlichen Handelns in einem autoritären Regime sollte sie die Cimade in den folgenden vier Jahren in beachtlicher Weise prägen. Mit planvoller Vorbereitung gelang es ihr zunächst, staatliche Widerstände zu überwinden und über mehrere Monate hinweg Sozialarbeit in einer Reihe von Lagern und in zwei städtischen Einrichtungen aufzubauen. Grundsätzliches Prinzip war dabei, Hilfe nicht nur von außen zu bringen, sondern am Ort präsent zu sein und damit das Leben der Internierten zu teilen. Als besonderes Quellenzeugnis sind in diesem Zusammenhang die zahlreichen Briefe hervorzuheben, die die Teammitarbeiter und -mitarbeiterinnen an Madeleine Barot geschrieben haben oder die von Lagerinsassen erhalten sind. Sie geben ein eindrückliches Bild von den entbehrungsreichen und bitteren Erfahrungen der Internierten. Die Cimade hat in dieser Phase versucht, der menschenunwürdigen Behandlung in den Lagern und der katastrophalen Mangelversorgung entgegenzuwirken. Anhand der vielfältigen Dokumente und Erinnerungsberichte konnten mit der Lebensmittel- und Kleiderhilfe, den Initiativen für das kulturelle Leben im Lager und der christlichen Gemeindearbeit drei Bereiche ihres Engagements konkretisiert werden. Zugleich ist deutlich geworden, auf welche Weise verschiedene Gruppen der Genfer Ökumene, sei es der Weltverband der CVJF mit den Foyers in Toulouse und Marseille oder der CVJM in Gurs und Rivesaltes, an dieser Solidaritätsarbeit beteiligt gewesen sind. Für den entstehenden Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf war in dieser Phase erstmals die bedeutende Rolle des Sekretariates für Flüchtlingshilfe unter Leitung des aus Deutschland emigrierten Pfarrers Dr. Adolf Freudenberg zu beleuchten. Dabei hat die Korrespondenz der Cimade mit der Genfer Dienststelle

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Freudenbergs in der Anfangszeit erwiesen, dass das Verhältnis zum zweiten Standbein protestantischer Flüchtlingshilfe in Frankreich, der Aumônerie Protestante unter dem Flüchtlingsseelsorger Pierre C. Toureille, als nicht unproblematisch bezeichnet werden muss. Hier kam es erst nach einer Intervention durch Visser ’t Hooft als dem Vorgesetzten Freudenbergs und dem französischen Kirchenbund-Präsidenten Marc Boegner zu einer Einigung. Es war ein Ziel der vorliegenden Arbeit, Freudenbergs Rolle als ökumenischer Flüchtlingssekretär im Zusammenspiel mit Madeleine Barot und der Cimade auf der Grundlage bislang unbekannter Quellenmaterialien zu erhellen und neu zu bewerten. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Freudenberg seit Herbst 1940 kaum etwas unversucht ließ, um der Cimade umfassendere Hilfe für die Internierten zu ermöglichen und deren Situation zumindest zu erleichtern. Anhand der umfangreichen Korrespondenzen, die er als Leiter des Flüchtlingssekretariates mit Einzelpersonen wie verschiedenen Institutionen geführt hat, ließ sich aufzeigen, wie z. B. mit der Kleiderverteilung an die nach langem Lageraufenthalt oft nur noch in Lumpen gehenden Internierten und mit „Ökumenischen Mahlzeiten“, mit der Organisation von Büchersendungen, Bibeln, Gesangbüchern und Predigten lebens- und seelenrettende Unterstützung geleistet werden konnte. Beispielhaft sei hingewiesen auf die Organisation eines regelmäßigen monatlichen Paketdienstes in die Internierungslager, mit dem Freudenberg trotz der kriegsbedingten Beschränkungen im Postverkehr Lebensmittelsendungen an schließlich über tausend Internierte ermöglichen konnte. Er nahm dazu auch Kontakte mit Organisationen außerhalb der Ökumene wie dem sozialdemokratischen Schweizer Arbeiterhilfswerk oder dem Service Committee der Unitarier in Portugal auf. Ich habe an Briefen von Internierten wie Cimade-Mitarbeitern aufgezeigt, wie wichtig gerade diese Solidarität auch aufgrund der moralischen Stärkung gewesen ist: Ein Paket zu bekommen, bedeutete, noch eine Verbindung zur Außenwelt jenseits des Lager zu besitzen. Mit großen Anstrengungen konnte das Flüchtlingssekretariat auf diese Weise die Cimade bis in das Jahr 1943 fördern. An den Tätigkeitsberichten aus verschiedenen Lagern ließ sich aufzeigen, dass die Cimade in erster Linie für protestantische und orthodoxe Vertriebene zuständig war. Sie sah sich jedoch zu dieser Begrenzung vor allem aufgrund ihrer beschränkten Mittel für die so wichtige materielle Hilfe gegen Hunger und Kälte gezwungen. Grundsätzlich wollte das Hilfswerk möglichst keine Unterschiede zwischen den Bekenntnissen machen und begründete dies mit dem leitenden Prinzip einer umfassenden Ökumene. So hatte die Cimade in Gurs in Absprache mit den anderen im Lager tätigen Organisationen die Aufgabe übernommen, ein kulturell und intellektuell ansprechendes Angebot für Erwachsene zu organisieren und dies mit Bibliotheken, durch beeindruckende Konzertreihen und Vortragsaben-

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de umgesetzt. Für ihre Offenheit auch gegenüber den jüdischen Internierten erhielt die Cimade noch 1941 ausdrückliches Lob vom französischen Flüchtlingsrabbiner René S. Kapel. Gemeinsam mit den protestantischen, orthodoxen und wenigen katholischen Internierten gestalteten die Cimade-Mitglieder kleine Lagergemeinden, deren besonderes Merkmal die ökumenische Ausrichtung gewesen ist. Ungeachtet der konfessionellen Differenzen ermöglichten die Teams mit gemeinsamen Gottesdiensten und Abendmahlsfeiern, dem Bibelstudium und der Pflege des Kirchengesanges ein reiches kirchliches Leben, das den Internierten in ihrer verzweifelten Situation Ermutigung und Stärkung bedeutete. Da sich die Gemeinden in der Mehrheit aus deutschen Lagerinsassen zusammensetzten, war es das Bestreben der Cimade, ihnen vertraute Orte zu schaffen. Das Deutsche ist daher als Gemeindesprache zu bezeichnen und die Teammitglieder bemühten sich unter tatkräftiger Unterstützung Freudenbergs um deutsche Liturgien, Bibeln und Gesangbücher, die aus der Schweiz gesandt wurden. Ich habe diese Gemeindearbeit als Ausdruck der Verbundenheit mit Christinnen und Christen kommentiert, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Deutschland vertrieben worden waren und auch unter den rassistischen Kategorien des Regimes von Vichy als Juden galten. Anhand der Zeugnisse dieser Internierten wie den Geschwistern Else und Martha Liefmann oder der Freiburger Lehrerin Lili Reckendorf ließ sich besonders eindrucksvoll aufzeigen, dass ihnen jüdische Religionsausübung kaum oder gar nicht vertraut war und die Bezeichnung ‚Judenchristen‘ sie in ihrer Identität negierte. Während diese Christinnen und Christen von ihren Kirchen in Deutschland in den 1930er Jahren zunehmend isoliert worden waren, erlebten sie die Aufnahme durch die Cimade als einer Organisation des französischen Protestantismus als ein besonderes Zeichen kirchlicher Solidarität. Als die Cimade im September 1989 an der Gedenkstätte in Gurs ihr fünfzigjähriges Bestehen feierte, dankte Jean Kahn als Repräsentant der jüdischen Gemeinden Frankreichs der Organisation dafür, sich den internierten Juden und Jüdinnen in einer Zeit tiefster Verzweiflung zugewendet zu haben.1 Ich habe die Briefe und Berichte der Cimade-Mitglieder wie der christlichen Internierten auf die Begegnung mit der jüdischen Mehrheitsgemeinde hinter dem Stacheldraht hin befragt und anhand eines reichen Spektrums von Zeugnissen aufzeigen können, dass diese Lagerzeit als ein bemerkenswertes Beispiel interreligiösen Dialoges zu gelten hat. Hier kam es zu einem vorurteilsfreien Gespräch über die Hebräische Bibel wie über das Neue Testament, Einladungen zu Rosch Haschana und Yom

1 Vgl. die Grußadresse von Jean Kahn als Präsident des Conseil représentatif des institutions juives de France, in: ENSEMBLE Nr. 46 (November 1989), S. 11.

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Kippur wurden ausgesprochen, Weihnachten und Chanukka gemeinsam begangen. Christinnen waren wie Laurette Monet in Nexon oder Martha Liefmann in Gurs als Shabbatdienerinnen an der Gestaltung des jüdischen Ruhetages beteiligt und ließen sich vom besonderen Glanz dieser Zeit anrühren. Ihre z. T. lange nach dem Krieg verfassten Erinnerungen zeigen auf, wie bewegend diese Erlebnisse für sie noch Jahre später gewesen sind. Mit dem Konflikt um den Taufunterricht der Cimade und die Konversionen von Juden und Jüdinnen in den Lagern sollten in der vorliegenden Arbeit jedoch auch Spannungen im christlich-jüdischen Verhältnis thematisiert werden. Neben einer Rekonstruktion der Geschehnisse anhand von Quellen christlicher wie jüdischer Provenienz stand die Frage nach den Beweggründen der verschiedenen beteiligten Kreise im Mittelpunkt. So ließ sich an den Zeugnissen von konvertierten Frauen aufzeigen, dass dieser Übertritt zu einer neuen Glaubensgemeinschaft von großer seelisch stärkender Bedeutung für sie gewesen ist und mit innerer Überzeugung vorgenommen wurde. Andererseits musste das Handeln der Cimade von Seiten der jüdischen Gemeinde als Beispiel christlicher Dominanzkultur wahrgenommen werden. Der Flüchtlingsrabbiner kritisierte, dass die Cimade unter den Bedingungen der Internierung einen Katechumenenunterricht für Juden und Jüdinnen durchführte, während im katholisch geprägten Hilfswerk des Abbé Alexandre Glasberg zu gleicher Zeit jegliche Missionierungsversuche untersagt waren. Um die Haltung der Cimade zunächst im Rückblick einzuordnen, war an ihre Zusammenhänge mit den ökumenischen Weltjugendorganisationen CVJM, CVJF und CSW zu erinnern. Neben der sozialethischen Orientierung zählten Evangelisation und Mission seit dem 19. Jahrhundert zu den Zielen dieser Verbände. So hatte die ökumenische Jugendarbeit in Frankreich in den 1930er Jahren einen Missionsrat gegründet, dem Mitglieder aller fünf Einrichtungen, d. h. auch der Pfadfinder und Pfadfinderinnen, angehörten. Das Selbstverständnis der Cimade als Evangelisationsbewegung rührt aus ihrer Einbindung in diese Jugendökumene und wurde bereits in den Statuten der Organisation vom April 1940 zum Ausdruck gebracht. Es stellt m. E. ein besonders bedeutsames Moment dar, dass sich für die Mitglieder der Cimade spätestens seit Sommer 1941 ein theologischer Reflexionsprozess nachweisen lässt, in dessen Folge die Missionierung von Juden und Jüdinnen hinterfragt wurde. Hier wurde eine Entwicklung eingeleitet, die nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer entschiedenen Abkehr der Organisation von der Judenmission geführt hat. Für die Arbeit in den Lagern ist im Fazit herauszustellen, dass für die Cimade Missionierung kein eigentlicher Handlungsantrieb gewesen ist. Sie wollte in Solidarität mit den Leidenden hinter dem Stacheldraht leben. Ihre Hilfsleistungen wurden nicht von einer Beteiligung der jüdischen Internierten an „religiösen Aktivitäten“ der christlichen Gemeinde abhängig gemacht. Offen war die Cimade aber gegenüber denjenigen, die von sich aus

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einen einjährigen Taufunterricht auf sich nehmen und aufgrund einer tiefen und wirklichen Gewissheit konvertieren wollten. Insgesamt handelte es sich bei der Tätigkeit in den Lagern bis zum Sommer 1942 noch um ein systemimmanentes Handeln gegen staatliche Ungerechtigkeit. Die Cimade leistete diese Arbeit in Kooperation mit dem Staat, wurde von ihm als Hilfsorganisation anerkannt und hat in dieser Phase mit anderen nichtstaatlichen Einrichtungen dazu beigetragen, die Situation in den Lagern zu verbessern, ohne sich offen gegen die Internierung zu wenden. Ihr Engagement ist daher zunächst ambivalent zu beurteilen. Einerseits hätte es das Leid für die hier Eingesperrten noch vermehrt, wenn die Cimade sich nicht, wie andere Organisationen auch, zur humanitären Hilfe bereit gefunden hätte. Andererseits unterstützte sie die Internierungspolitik Vichys, indem sie die Lager humaner gestaltete, gleichzeitig aber den Staat selbst für die herrschenden Zustände nicht in die Verantwortung nahm. Dem willkürlichen Ausschluss von Menschen aus der Gesellschaft aufgrund einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Ideologie wurde dadurch nicht grundsätzlich entgegen gewirkt. Die Cimade befand sich in einem moralischen Dilemma, das auch heute noch humanitär motivierte Sozialarbeit nichtstaatlicher Organisationen kennzeichnet. Wer Opfern von Menschenrechtsverletzungen kurzfristig beistehen will, muss sich für Verhandlungen mit Unrechtsregimen entscheiden und damit rechnen, dass die Hilfe auch ethisch bedenkliche Konsequenzen haben kann. Allerdings ließ sich nachweisen, dass das Leitungskomitee der Cimade diesen Konflikt um eine politisch und ethisch verantwortbare Tätigkeit frühzeitig erkannt hat. Entsprechend wurde die Kooperation des Hilfswerkes mit dem Regime von kritischen Stellungnahmen zur Entwicklung Vichys begleitet. Ich habe hier einen Zusammenhang hergestellt mit der im September 1941 dem Erziehungsministerium in Vichy überreichten Erklärung der fünf ökumenischen Jugendorganisationen, die ich als Stellungnahme gegen staatlichen Rassismus und Chauvinismus interpretiert habe. Auch aus den erhaltenen Zeugnissen der Cimade-Mitglieder ist zu schließen, dass sie ihr Engagement nicht als systemkonformes Handeln, sondern als Ausdruck der Solidarität mit den entrechteten und ausgegrenzten Ausländern aufgefasst haben. Bei ihren Beratungen mit den ökumenischen Institutionen im freien Genf betrieb Madeleine Barot offen Ideologiekritik, indem sie explizit die Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus Vichys anprangerte. All dies zeigt m. E., dass die Cimade sich in der ersten Phase ihres Engagements in den Internierungslagern bis zum Sommer 1942 zwar innerhalb eines staatlich tolerierten Rahmens bewegt hat. Sie ließ sich jedoch nicht kompromittieren, sondern hat ihre Ziele unter Reflexion der Bedingungen von Sozialarbeit in einem repressiven Regime verfolgt. In diesem Zusammenhang muss das Projekt der Heimgründungen als

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eine politisch weitsichtige Entscheidung Madeleine Barots interpretiert werden. Es ließ sich belegen, dass sie die Veränderungen in der Internierungspolitik Vichys im Verlauf des Jahres 1941 aufmerksam beobachtet und die Entwicklung der Tätigkeitsbereiche darauf abgestellt hat. Unter anderem hatte Vichy im Herbst 1941 den nichtstaatlichen Hilfsorganisationen die Möglichkeit eröffnet, Heime für Internierte einzurichten. Damit verfolgte der Staat die Absicht, gegenüber der ausländischen Pressekritik auf eine Verbesserung der Unterbringung verweisen zu können, ohne finanzielle Mittel dafür aufbringen zu müssen. Madeleine Barot hat diesen Weg trotz des sehr begrenzten Finanzrahmens der Cimade beharrlich verfolgt. Sie hatte erkannt, dass die Heime zwar offiziell unter Bewachung stehen sollten, sich aber faktisch am Rand des Internierungssystems von Vichy befanden. Barot sah hier eine Möglichkeit, vor allem die „nichtarischen“ Internierten einem direkten Zugriff durch die Staatsmacht zu entziehen. Damit offenbarte sie ihre Sorge um eine besondere Gefährdung dieser Menschen im Gegensatz zu den Lagerinsassen nichtjüdischer Herkunft und zeigte sich wachsam gegenüber dem eskalierenden Rassismus Vichys. Nur weil es der Cimade in mühevoller Auseinandersetzung mit den Behörden gelungen war, sie in einen Bereich wesentlich zurückhaltenderer Kontrolle durch den Staat zu verlegen, konnten diese Insassen noch auf Rettungsmöglichkeiten hoffen, als im Sommer 1942 eine neue, weit bedrohlichere Spirale antisemitischer Gewalt erreicht wurde. Die Schlüsselfunktion der Heime als Scharniere auf dem Weg in die Freiheit ist daher unbedingt herauszustellen. Hilfe für Internierte wurde hier unter Beachtung politischer Implikationen betrieben. Mit der Rekonstruktion des Gründungsprozesses lässt sich nun auch die erhebliche Unterstützung hervorheben, die Madeleine Barot in Genf für ihr neues Projekt erfahren hat. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, mit welcher Hartnäckigkeit Freudenberg die Finanzierung der Heime auch gegen Bedenken innerhalb der Ökumene durchgesetzt hat. Ihm war die wichtige Funktion dieser Einrichtungen als Sprungbrett in die Schweiz bewusst, und er hat aus diesem Grund gegenüber dem Ökumenischen Ausschuss für Flüchtlingshilfe eine längerfristige Verschuldung durch eine umfangreiche Kreditaufnahme gerechtfertigt. Gleichzeitig wurde ein internationales Solidaritätsnetz geknüpft, das mit Sammelaktionen durch Freudenberg selbst in der Schweiz sowie durch das dem CVJM und CVJF nahestehende Ehepaar Hugo und Elsa Cedergren in Schweden einen beachtlichen Fonds zur Rückzahlung der Darlehen erbrachte. Ohne diese Solidarität vieler einzelner Menschen im freien Europa wäre es zur Einrichtung der Cimade-Häuser und damit zur Rettung vieler Lagerinsassen nicht gekommen. Die Frage nach einem moralisch-theologischen Impetus, der den Cimade-Mitgliedern ihren Weg in den Widerstand eröffnet hat, ist im Zusam-

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menhang mit den Geschehnissen im Sommer 1942 als der zweiten einschneidenden Zäsur im Wirken der Organisation zu beantworten. Dabei sollte mit einem Analysemodell von Leonore Siegele-Wenschkewitz unter Verwendung der Kategorien von Kompatibilität und Inkompatibilität nach dem Selbstverständnis der Cimade in ihrem Verhältnis zum Staat gefragt werden. In diesem Sinne unverträglich waren für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die Erlebnisse in den August- und Septemberwochen 1942 mit der großen Verzweiflung in den Lagern, dem erbitterten Kampf um die Ausnahme wenigstens einiger Opfer vor der Verschleppung und Auslieferung, der Todesangst der Internierten vor dem Abtransport mit einem ungewissen Ziel. Für sie war damit die Grenze christlichen Gehorsams gegenüber dem Staat von Vichy erreicht. Sie verließen nun erstmals den Rahmen des staatlich tolerierten Engagements, indem sie die erbarmungslose Jagd auf die Schützlinge in den Cimade-Heimen nicht passiv hinnahmen, sondern sie zunächst versteckten und ihnen dann Rettungspassagen in die Schweiz eröffneten. Diesen Weg in den Widerstand habe ich als eine doppelte Grenzüberschreitung charakterisiert: Es galt nicht nur, den Stacheldraht zur rettenden Schweiz zu überwinden, sondern ebenso die Grenze zwischen Legalität und Illegalität zu überschreiten und Handeln im Widerstand gegen die Normen des Staates zu legitimieren. Hier trat im Konflikt mit dem positiven Rechtssystem in der Tat die Sonderethik des Widerstandes in Kraft. Die Frage nach der theologischen Motivierung, die für die Mitglieder der Cimade das Recht auf Widerstand begründet hat, stellte einen der Schwerpunkte dieser Arbeit dar. Damit sollte ein bisher kaum bearbeiteter und doch wesentlicher Aspekt christlicher Widerstandsgeschichte im nationalsozialistisch besetzten Europa verfolgt werden. Als institutionelle Verankerung einer solcher theologischen Auseinandersetzung der Cimade-Mitglieder konnten die Tagungen und Konferenzen der protestantischen Jugendorganisationen in Frankreich bestimmt werden, die ausgehend vom französischen Christlichen Studentenbund wesentlich durch die Theologie Karl Barths geprägt waren. Die jungen Erwachsenen gewannen hier aus der Begegnung mit Barths Mitstreitern, wie dem Schweizer Alttestamentler Wilhelm Vischer, oder mit seinen Schülern und Schülerinnen, wie dem späteren Theologieprofessor und Befreiungstheologen Georges Casalis, der Ökumenikerin Suzanne de Diétrich oder Willem A. Visser ’t Hooft Hinweise auf ein verantwortliches Handeln, als in ihrem Land Demokratie und Menschenrechte missachtet wurden. Dabei haben sich vor allem die Printmedien der Jugendorganisationen in der Auswertung als spannend und ertragreich erwiesen. Eine Vielzahl exegetischer Arbeiten zum Ersten wie zum Zweiten Testament, die in den Zeitschriften der Jugendorganisationen veröffentlicht wurden, nahm Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche in der Gegenwart und prangerte bereits in der Anfangs-

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phase des Regimes den staatlichen Antisemitismus an, da mit ihm eine Revolte gegen Gottes Recht begangen würde. Schon die Auswahl der biblischen Texte wie den Römerbrief mit den Kapiteln 9–11 als klassischen Ort der Israellehre oder den Büchern Esther und Daniel mit ihrer Kritik an Judenverfolgung und gottloser Tyrannei zeigt die Linie dieser Interpretation an. Zentrale Bedeutung kommt jedoch den Thesen von Pomeyrol und der als Note jointe bezeichneten Grundsatzerklärung der Jugendorganisationen vom Sommer 1941 als programmatischen Schriften zu. Sie haben sich als Kernstücke der theologischen Reflexion um angemessene Reaktion auf einen eklatanten Missbrauch politischer Macht erwiesen. Ihre Analyse zeigt auf, wie Christinnen und Christen Maßstäbe zur Beurteilung der Obrigkeit an die Hand gegeben wurden. Wenn sich das Staatswesen zu einem Unrechtsstaat wandelt und die Gerechtigkeit in ihm keinen Ort mehr findet, müssen die Glieder der Kirche diese Gerechtigkeit einklagen. Aus reformierter Tradition heraus betonten sowohl die Thesen von Pomeyrol als auch die Note jointe die Vorrangstellung göttlichen Gehorsams vor aller irdischen Gewalt, erstere machten zudem Widerstand gegen den staatlichen Antisemitismus auch am Bekenntnis zu Israel fest, dem die Kirche in besonderer Weise verbunden sei. An den Zeugnissen von leitenden Mitgliedern ließ sich aufzeigen, dass diese Schriften auch der Cimade eine ethisch-theologische Orientierung gegeben und für sie das Recht und die Pflicht zum Widerstand aus dem Glauben heraus begründet haben. Die umfangreichen und bislang in der Forschung kaum zur Kenntnis genommenen Aktengänge, die das Genfer ökumenische Flüchtlingssekretariat über das Schicksal eines jeden Cimade-Flüchtlings geführt hat, ermöglichten es, die umfassende Organisation dieses Widerstandes zu rekonstruieren. Herausgestellt habe ich die große Besonnenheit und Umsicht, mit der von der französischen wie der schweizerischen Seite die Vorbereitung der Grenzpassagen angegangen wurde. Aufgrund der immer schärferen Überwachung durch den Polizeistaat barg jede Art von Untergrundtätigkeit große Gefahren in sich, Verdachtsmomente mussten möglichst gering gehalten werden. Barot und Freudenberg vermieden daher einen offenen Informationsaustausch, sondern nutzten für ihren Postverkehr Untergrundkanäle des CVJM, die über Charles Guillon vermittelt wurden. Sie versandten Nachrichten über Flüchtlinge ausschließlich in codierter Form und hatten dazu ein differenziertes System der Geheimhaltung entwickelt, in dem es vordergründig um einen Schriftwechsel zwischen verschiedenen Bibliotheken zwecks eines Bücherversandes ging. Auf diese Weise übermittelte Barot weitere Angaben zu Flüchtlingen, Freudenberg gab das Signal zum Grenzübertritt oder berichtete von einer geglückten Ankunft eines „Buches“ in der Genfer „Bibliothek“. Ich habe dieses System als menschliche Wanderbibliothek bezeichnet und einen Zusammenhang mit dem protestantischen Widerstand auf dem Plateau Vivarais-Lignon

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hergestellt, in dem mit einem ähnlichen Code gearbeitet wurde und Bücher eine hohe symbolische Bedeutung hatten. Um die innerfranzösische Reise der Flüchtlinge bis zur Alpengrenze vorzubereiten, musste die Cimade weitere Vorsorge treffen und etwa französische Identitätspapiere fälschen sowie sich um sichere Relaisstationen bemühen, auf denen die Verfolgten während der meist mehrtägigen Fahrt Unterkunft finden konnten. Dass diese Maßnahmen nicht grundlos getroffen worden waren, erwies sich, als mit dem Jahr 1943 die Bedrohung für die christliche Opposition immer offensichtlicher wurde und französische Polizei und Gestapo verstärkt gegen protestantische Widerstandskreise vorgingen. Madeleine Barot reagierte darauf unter anderem mit der Gründung eines weiteren Cimade-Büros in Valence in der italienisch besetzten Zone und setzte schließlich sogar im Sommer 1943 die Fluchthilfe der Cimade für zwei Monate aus. Innerhalb der Entwicklung zu einem Rettungsnetzwerk ist jedoch das „doppelte Spiel“ der Cimade als wichtigster Schutzmechanismus für Mitglieder wie Flüchtlinge zu bestimmen. Indem sie bis zum Ende des Regimes ihr Engagement in den Internierungszentren und Heimen fortsetzte, war sie offiziell weiterhin als staatlich anerkannte Organisation tätig. Sie verfügte damit nicht nur über die entsprechenden administrativen Einrichtungen, Mitarbeiter und Finanzmittel, um ein weit gespanntes Rettungswerk überhaupt durchführen zu können. Die unverdächtige legale Arbeit in Kooperation mit dem Staat stellte darüber hinaus einen Deckmantel dar, unter dem auf der inoffiziellen oppositionellen Ebene operiert werden konnte. Eine umfassende Darstellung der Rettungsaktionen für die Schützlinge der Cimade musste auch auf die Bemühungen eingehen, die von Seiten der Kirchen unternommen wurden, um eine Rückweisung nach Frankreich zu verhindern. Der 2002 veröffentlichte Forschungsbericht der Schweizer Bundesregierung weist nach, dass mehr als 20.000 Asylsuchende seit August 1942 von diesem Refoulement in die Hände Vichys respektive der deutschen Besatzung betroffen waren. Hier konnte ich den Part Freudenbergs im Rahmen der Verhandlungen um die Non-Refoulables auf der Grundlage neuer Quellen beleuchten. Bei den Non-Refoulables handelte es sich um diejenigen Flüchtlinge aus Frankreich, die seit Herbst 1942 aufgrund einer speziell ausgehandelten Vereinbarung mit den Ministerialbehörden in Bern auf einer Aufnahme durch die Schweiz vertrauen konnten. Meine Arbeit weist nach, dass bei dem Treffen des französischen Kirchenbund-Präsidenten Marc Boegner mit Dr. Heinrich Rothmund, dem Leiter der Polizeiabteilung im Justiz- und Polizeidepartement Ende September 1942 nur lockere Rahmenbedingungen für dieses Verfahren festgelegt worden waren, die von den Hilfswerken, in erster Linie dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat, in mühevoller Arbeit umgesetzt werden mussten. Dabei ist Freudenbergs Rolle in den Verhandlungen mit Bern in den folgenden zwei Jahren deutlich hervorzuheben. Sein Büro fungierte in enger Kooperation

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mit der Cimade als Schaltstelle für die Vorbereitung der Fluchtpassagen sowie als Nachrichtenzentrale für Verwandte von Geretteten, die in der Südzone zurückgeblieben waren. Es ist hauptsächlich auf Freudenbergs Beharrlichkeit zurückzuführen, wenn die Absprachen um die Non-Refoulables, die im Herbst 1942 nur für dreißig bis vierzig Flüchtlinge gelten sollten, bis zum Sommer 1944 auf über tausend Namen ausgeweitet werden konnten. Anhand der Korrespondenzen des Flüchtlingssekretariates ließ sich aufzeigen, dass er sich von der ablehnenden Haltung in Bern nicht entmutigen ließ und persönlich bei Rothmund diese Zunahme durchgesetzt hat. Dadurch konnten allein bis zum April 1944 nach einer geglückten Flucht aus Frankreich 448 Männer, Frauen und Kinder Aufnahme in der Schweiz finden. Durch die segensreiche Zusammenarbeit der Cimade und des Flüchtlingssekretariates sind sie der drohenden Deportation in die Vernichtungslager entgangen. Neben der Genfer Ökumene war für die Cimade jedoch in allen Phasen ihrer Tätigkeit auch die Protektion durch die französische Reformierte Kirche und den protestantischen Kirchenbund von Bedeutung. Die aus der französischen Jugendarbeit kommenden Archivalien verweisen in diesem Zusammenhang vor allem auf die Doppelfunktion von Marc Boegner, der als Präsident beider Institutionen nicht nur eine prägende Gestalt französischer Kirchengeschichte darstellt. Boegner war zudem ein Förderer des ökumenischen Gedankens und wurde 1939 zu einem der stellvertretenden Vorsitzenden des Weltrates der Kirchen im Aufbau ernannt. Indem die Cimade ihn als Vertreter der Fédération protestante zum Mitglied ihres Leitungskomitees ernannt hatte, konnte er dem Hilfswerk einen gewissen Schutz vor staatlichen Übergriffen verschaffen und die Kooperation mit den ökumenischen Einrichtungen zugunsten der Arbeit für Flüchtlinge und Vertriebene verstärken. Die Unterstützung durch Marc Boegner war für die Cimade von großer Bedeutung für die Durchführung ihrer Projekte. Vermutlich wurde durch ihn im Sommer 1940 das Interesse der Organisation auf die Zustände in den Lagern gelenkt, er warb gleichzeitig die junge Madeleine Barot nach ihrer Rückkehr aus Italien für ein Engagement in dem Hilfswerk. Auch in der Phase der Heimgründungen leistete Boegner einen wichtigen Beitrag, indem er namens des Kirchenbundes gegenüber der Generaldirektion der Lager in Vichy für die Finanzierung bürgte. An einem bislang unbekannten Briefdokument ließ sich nachweisen, wie Boegner seine hohe Position in der Öffentlichkeit genutzt hat, um die Flüchtlinge im Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon-sur-Lignon vor den Deportationen im August 1942 zu schützen. Schließlich hat er in Zusammenarbeit mit anderen Vertretern der Ökumene im September 1942 die Grundlage dafür geschaffen, dass die Flüchtlinge der Cimade im Nachbarland Aufnahme fanden und nicht über die Grenze zurückgewiesen wurden. Seine enge Verbindung zur Cimade fand daher eine folgerichtige

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Fortsetzung als er 1944 in Nachfolge von Violette Mouchon zum Präsidenten der Hilfsorganisation ernannt wurde. Neben der Bindung an die Führungsgremien der protestantischen Kirchen stellte jedoch auch die Vernetzung des Hilfswerkes mit Gemeinden an der Basis eine zukunftsweisende Entscheidung dar. So ließ sich aufzeigen, dass die Cimade ihre Heime gezielt in den wenigen protestantisch geprägten Regionen Südfrankreichs eingerichtet hat, da sie dort auf die Unterstützung und wohlwollende Aufnahme der Fremden durch die umwohnende Bevölkerung hoffen konnte. In den Cevennen wie auf dem Plateau Vivarais-Lignon erhielt diese Sympathie ab Sommer 1942 für die Verfolgten lebensrettenden Charakter. Dass die große Hilfsbereitschaft der Einheimischen auf dem kollektiven Gedächtnis an die eigene Geschichte von Repression und Verfolgung durch den Staat gründete, hat ihre Spuren noch in den Berichten der Cimade-Flüchtlinge nach ihrer Rettung in die Schweiz hinterlassen. Ihnen war deutlich, dass mit der Zuwendung der reformierten Gemeinden zu den Juden und Christen jüdischer Herkunft eine Zufluchtstradition fortgesetzt wurde, die während der hugenottischen Verfolgungen im 16. und im 18. Jahrhundert gegründet worden war. Die Briefe und Berichte aus den Lagern weisen nach, dass diese interkonfessionell geprägte Begegnung der meist lutherischen Inhaftierten mit den reformierten Christen in Frankreich und ihrer Tradition bereits die dortigen kleinen Gemeinden geprägt hat. So hatten Lagerinsassen in Gurs 1941 eine Vortragsreihe angeregt, die die französischen Religionskriege im Zeitalter der Gegenreformation sowie die Verfolgung der Hugenotten unter dem Absolutismus zum Thema gehabt hatte. Einige Monate später war diese Reihe fortgesetzt worden mit Schwerpunkt auf die Pyrenäenregion Navarra als Herkunftsland des Königs Heinrich IV. und der Glaubenszeuginnen Margarete und Johanna d’Albret, die hier im 16. Jahrhundert einen Zufluchtsort für verfolgte Protestanten geschaffen hatten. Auch mit der Namengebung Marie Durand für das Cimade-Foyer in Marseille erinnerten die Mitarbeiterinnen an eine Frauengestalt aus der Verfolgungszeit des 18. Jahrhunderts, die hohe Symbolkraft für den protestantischen Widerstand besaß. Sie vergegenwärtigten damit die eigene Verfolgungsgeschichte als Movens zum Eintreten für die aktuellen Opfer staatlicher Unterdrückung im zwanzigsten Jahrhundert. Schließlich wurde mit der vorliegenden Darstellung der Versuch unternommen, die Aktionen der sog. ‚unbesungenen Heldinnen und Helden‘ als politischen Widerstand zu werten. Leitende Fragestellung war, ob auch oppositionelles Handeln, das sich den Opfern eines Gewaltregimes zuwendet, als politischer Widerstand zu definieren ist, oder ob dieses Prädikat nur der Opposition zuerkannt werden kann, die sich den Umsturz des Unrechtsstaates zum Ziel gesetzt hat. Ich habe aufgezeigt, dass die Cimade im Prinzip des zivilen Widerstands als eines Widerstands ohne Waffen

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entscheidende Differenzen zu Methoden und Zielen der Résistance gesehen hat. Während die Résistance die Befreiung Frankreichs von einer brutalen Besatzungsmacht und einem kollaboratorischen Regime angestrebt hat, wollte die Cimade sich aktiv um die Menschen bemühen, die durch eben diese Gewaltherrschaft mit dem Tode bedroht wurden. Die Résistance hat sich dagegen nur mittelbar für die Opfer eingesetzt, ihr eigentliches Motiv war die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Frankreichs. Diese Darstellung plädiert dafür, die systemkritische Kraft eines Widerstandes anzuerkennen, der die Rettung von Menschen vor politischer Gewalt zum Ziel hat. Die Frauen und wenigen Männer der Cimade haben sich bewusst und unter Gefährdung des eigenen Lebens dem Vernichtungswillen der Nationalsozialisten entgegengestellt und damit Position gegen politische Ordnungsvorstellungen bezogen, die Menschenwürde und Lebensrecht mit Füßen treten. Sie haben sich damit aus ihrem christlichen Zeugnis heraus für die Wiederherstellung einer gerechten Staatsordnung eingesetzt. Die Cimade ist einzuordnen in den Aufbruch von Frauen in Kirche und Gesellschaft und stellt ein sehr spannendes Stück Geschlechtergeschichte dar. Frauen haben sich hier während des Zweiten Weltkrieges selbstbestimmt organisiert und sind aktiv gegen die Verletzung von Menschenrechten aufgetreten. Als Christinnen haben sie sich mit der Theologie auseinandergesetzt, die den Kirchenkampf bestimmt hat und sie haben sich in ihrem Handeln als widerstehende Gläubige davon leiten lassen. Sie hielten in den Lagern Andachten und Predigten ab und feierten das Abendmahl. Mit Seelsorge und Verkündigung nahmen sie als Laiinnen Funktionen wahr, die traditionell von Männern besetzt wurden. Mitarbeiterinnen wie Laurette Monet und Marie-Luise Brintet wurden durch ihr Wirken in der Cimade dazu angeregt, nach 1944 ein für Frauen noch immer ungewöhnliches Theologiestudium aufzunehmen. Es ließ sich nachweisen, dass die Cimade diese Erfahrungen nicht auf die besonderen Bedingungen von Krieg und Okkupation beschränken wollte, sondern die sich hier eröffnenden Perspektiven für Frauen über die Besatzungszeit hinaus gefördert hat. Madeleine Barot konnte mit Elisabeth Schmidt eine der ersten Pfarrvikarinnen der Reformierten Kirche Frankreichs in die Arbeit einbinden. Daneben suchte sie die Kooperation mit dem neu eingerichteten Ausbildungsinstitut für Gemeindehelferinnen und eröffnete für diese assistantes de paroisse erste Tätigkeitsbereiche in der Cimade. Diese Beispiele eines theologisch qualifizierten Wirkens von Frauen nutzte die Generalsekretärin, um sich in der innerkirchlichen Debatte als Mitglied einer Studienkommission seit 1944 für die Etablierung bzw. Öffnung neuer Berufsfelder für Frauen in der Kirche einzusetzen. Die Frage der Frauenordination war eines der Sachgebiete, denen sich Madeleine Barot zwischen 1954 bis 1966 als Vorsitzende der ÖRK-Abteilung „Zusammenarbeit von Männern und Frauen in Kirche und Gesell-

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schaft“ gewidmet hat. Eine quellenkritische Aufarbeitung der Geschichte dieses Departements und der von ihm ausgegangenen Wirkungen und Impulse ist leider noch ein Desiderat, obwohl dieser Bereich als „wichtiger Nährboden für die Entwicklung feministischer Theologie im protestantischen Kontext“ bezeichnet werden kann und im Archiv des ÖRK vielversprechende Quellen auszuwerten sind2. Ich habe aufgezeigt, wie Madeleine Barot die Beobachtungen aus der Cimade-Arbeit für die programmatische Ausgestaltung der Frauenarbeit beim ÖRK fruchtbar gemacht hat. Die Kooperation der Frauen und Männer in den Cimade-Teams während der Besatzungszeit in Frankreich galt ihr als ein Beispiel dafür, dass es gelingen konnte, durch neue Formen gleichberechtigter Zusammenarbeit auch zu einem neuen und gerechteren Modell der Geschlechterbeziehungen zu kommen. Das konkrete gemeinsame Wirken von Frauen und Männern in den Teams von Gurs, Rivesaltes und Récébédou hatte gezeigt, dass es möglich war, eine egalitäre Arbeitsform zu etablieren und auch in konfliktträchtigen Situationen auf die Herausbildung hierarchischer Strukturen zu verzichten. Die in der Cimade arbeitenden jungen Pastoren lernten, sich in diese Teams einzugliedern, ohne auf einer Führungsposition zu bestehen. Für die Arbeit im Rettungsnetzwerk der Cimade seit Sommer 1942 lässt sich gleichfalls keine geschlechtsbezogene Differenzierung feststellen, die etwa entsprechend den traditionell geprägten Weiblichkeitsbildern den jungen Frauen der Cimade eine ungefährlichere Position im Hintergrund zugeschrieben hätte, während die männlichen Pfadfinder die risikoreiche Fluchthilfe an der Grenze übernommen hätten. Frauen führten unter Lebensgefahr die Grenzpassagen durch, erlitten Festnahmen, Verhöre und Gefängnisaufenthalte, stellten neue Teams zusammen und erkundeten weitere Fluchtrouten. Auch im Untergrund handelten sie daher nicht im Schatten der Männer, sondern agierten eigenständig und verantwortungsvoll, alleine und in Kooperation mit männlichen Mitgliedern der Cimade im Engagement für die Verfolgten. Schließlich ließ sich an Quellen aus der Nachkriegszeit darstellen, dass die in der Cimade während des Zweiten Weltkrieges gemachten Erfahrungen von Frauen wie Männern zu einer nachhaltigen Loslösung von traditionellen Rollenmustern geführt haben. Männliche wie weibliche ehemalige Mitglieder der Cimade haben sich in den 1950er und 1960er Jahren in Konferenzen, Projekten und Kommissionen engagiert, die das Geschlechterverhältnis sowohl im Rahmen der französischen Reformierten Kirche als auch im internationalen Zusammenhang der Ökumene thematisierten und reflektierten. Daneben bestanden personelle Verbindungen der Cimade mit der Anfang der 1950er Jahre in Frankreich gegründeten protestanti2 Das Zitat bei L. SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Genus-Kategorie, S. 83.

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schen Frauenorganisation Jeunes Femmes, die für Madeleine Barot eine innerfranzösische Multiplikatorin für die beim ÖRK entwickelten Studien und Modelle dargestellt hat und als eine der Wurzeln feministischer Theologie in Frankreich anzusehen ist. Einen besonderen Aspekt im Wirken der Jeunes Femmes stellen ihren Bemühungen um Annäherung und Verständnis zwischen dem französischen und dem deutschen Protestantismus nach dem Zweiten Weltkrieg dar. Während die Aktivitäten des französisch-deutschen Bruderrates mit der treibenden Kraft des französischen Militärseelsorgers Marcel Sturm und Martin Niemöllers in jüngster Zeit verschiedentlich thematisiert worden sind3, blieben entsprechende Bemühungen der christlichen Schwestern im Glauben bislang unbekannt. Die Jeunes Femmes haben, auch angeregt durch Madeleine Barot, die Begegnung mit Gruppen der „Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland“ gesucht und diese in den 1960er Jahren zu einer ständigen Einrichtung entwickelt. Wie sehr diese Zusammenkünfte auch von dem Willen geprägt waren, sich in gemeinsamer Aussprache der jüngeren Vergangenheit zu stellen, sich mit dem Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, über Schuld und Verantwortung zu sprechen und über gemeinsame Trauerarbeit zur Versöhnung zu kommen, machen die erhaltenen Berichte deutlich.4 Mit ihrer Arbeit als christliche Menschenrechtsbewegung während der Zeit des Nationalsozialismus hat die Cimade in mehrfacher Hinsicht Akzente gesetzt, die die Inhalte und Ziele der internationalen Kirchengemeinschaft bis heute prägen. Neben dem Engagement für veränderte und gerechtere Geschlechterbeziehungen in Kirche und Gesellschaft sind mit der rückhaltlosen Förderung der Cimade durch das erste ökumenische Flüchtlingssekretariat die Anfänge eines Arbeitsbereiches zu verzeichnen, der leider selbst zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts an Aktualität nichts eingebüßt hat. Der Auftrag des heutigen Referates für Flüchtlingsarbeit und Migration besteht noch immer darin, Christinnen und Christen und ihre Kirchen zur aktiven Solidarität mit Millionen Flüchtlingen welt3 Vgl. M. GRESCHAT, Widerstand, S. 149ff.; J. THIERFELDER/M. LOSCH, Marcel Sturm; D. HEIMERL, Bruderrat. 4 Vgl. B. de MONTMOLLIN HEUSCH, Equipe Jeunes Femmes; außerdem DIES.: Barot (Verf. dankt Blanche de Montmollin Heusch für die freundliche Überlassung des Manuskripts). Die Cimade hatte bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit Kontakte mit Deutschland gepflegt und sich mit Zentren für Studierende in Mainz und Ludwigshafen sowie mit einem Heim für Flüchtlinge in Ostberlin am Wiederaufbau beteiligt. Sie wollte damit daran mitwirken, dass sich „zwischen Frankreich und Deutschland andere Beziehungen als die militärischen zwischen Besatzern und Besetzten entwickeln“ konnten, vgl. den Bericht „Notes sur la Cimade“ von 1952, S. 9 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Kasten Camps et postes Cimade 1940–1945, Ordner Prisons et camps d’internement, Collaborateurs; Übersetzung U. G.), außerdem das Interview mit Madeleine Barot (UNE PRISE DE CONSCIENCE, S. 122); A. JACQUES, Barot, S. 51; J. BEAUMONT, Barot, S. 306; K. ANSCHÜTZ, Befreiung, S. 250f.; M. CHEVALLIER, Présence.

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weit aufzurufen. So wurde zuletzt das Jahr 1997 zum „Ökumenischen Jahr der Solidarität mit den Entwurzelten“ erklärt, um damit in einer Zeit wachsender Fremdenfeindlichkeit und zunehmender Einschränkung von Asylrechten die Dringlichkeit eines Dienstes der Kirchen für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Arbeitsmigranten bewusst zu machen. Die Ursprünge dieses Engagements, die ich als eine ökumenische Netzwerkarbeit im Widerstand gegen Rassismus und Antisemitismus in der unmenschlichsten Epoche der europäischen Geschichte dargestellt und charakterisiert habe, stellen ein wichtiges Kapitel deutsch-französischer wie ökumenischer Kirchengeschichte dar. Als ein ökumenischer Hilfsdienst der Kirchen steht die Cimade noch heute in der Tradition ihrer Anfänge unter dem Regime von Vichy. Mit der Aufnahme und Begleitung von Asylsuchenden, der Solidarität mit ausländischen Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und der Unterstützung von Projekten in den sog. Entwicklungsländern wollen die Mitglieder für eine gerechtere Gesellschaft weltweit eintreten. Dies beinhaltet auch eine entschiedene Kritik an der Asylpolitik der westeuropäischen Demokratien und ein entschlossenes Auftreten gegen rechtsradikale und offen rassistische Kräfte in Europa. Die Cimade hat daher stets die Verbindung von sozialer Aktion und politischer Analyse gesucht, um nicht nur die Folgen von Entrechtung an den Opfern zu kurieren, sondern auch die Wurzeln gesellschaftlichen und staatlichen Unrechts zu benennen und zu bekämpfen. Dieses verantwortliche Handeln von Christinnen und Christen ist ein Hoffnungszeichen für eine Veränderung der Welt.

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Dokument 1: Die Thesen von Pomeyrol Aus: P. Bolle, Texte, S. 174–176.1 Am 16. und 17. September [1941] versammelten sich einige Pastoren und Gläubige, um gemeinsam zu klären, was die Kirche heute der Welt zu sagen hat. Sie verfassten die folgenden Thesen. Sie legen sie der Reformierten Kirche von Frankreich vor und empfehlen den Pastoralkonventen, den Presbyterien und Synoden, diese Thesen zu prüfen. Sie bitten Gott um die Gnade, unseren Glauben zu bekennen. Madeleine Barot, Jean Cadier, Georges Casalis, Paul Conord, Pierre Courthial, René Courtin, Jacques Deransart, Suzanne de Diétrich, Pierre Gagnier, Jean Gastambide, Roland de Pury, André de Robert. 1. Phil 2,9–11; Kol 1,15–19 – Es gibt nur einen einzigen Herrn der Kirche und der Welt, Jesus Christ, Retter und König. Die Kirche verkündet allen Menschen das Königtum dieses Retters. Im besonderen belehrt sie die Welt über die Art und Weise, nach der hier gemäß Gottes Willen regiert werden soll. 2. Jer 1,4–9; Ez 3,17; Dan 9,4–19; Apg 4,24–31; 1. Petr 4,17 – Die Kirche muss als Gemeinde immer dann die aktuelle Lage beurteilen, in der sich Staat oder Volk befinden, wenn die Gebote Gottes (die der Grund allen gemeinschaftlichen Lebens sind) in Frage gestellt werden. Sie weiß jedoch auch, dass Gott bestimmte Menschen ausersehen hat, um die Kirche an diese Aufgabe zu erinnern oder sie an ihrer Stelle zu übernehmen. Indem die Kirche diese Urteile fällt, vergisst sie nicht, dass sie selbst unter dem Urteil Gottes steht. Sie bereut ihren Verrat und ihr Schweigen. 3. Dieses Amt der Kirche für die Welt findet normalerweise seinen Ausdruck in der Predigt von Gottes Wort. Es kann aber durch Beschlüsse und Verlautbarungen der Synoden und anderer kirchlicher Körperschaften oder, wenn nötig, durch Interventionen bei der verantwortlichen Obrigkeit des Landes ausgeübt werden. 1 Die Übersetzung (U. G.) folgt der französischen textkritischen Edition Bolles. Nur zwölf der sechzehn Teilnehmer unterschrieben den Text. Henri Eberhard und Henri Clavier mussten vor dem Ende des Treffens abreisen, André Vermeil und Visser ’t Hooft haben nicht unterschrieben, da sie nicht die französische Staatsbürgerschaft besaßen (vgl. P. BOLLE, Thèses, S. 185).

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4. Sprüche 14,34; 1. Tim 2,1–4; 1. Petr 2,13–14 – Die Botschaft der Kirche an die Welt gründet sich auf die biblischen Worte über das Zusammenleben der Menschen, insbesondere auf die Zehn Gebote und die Lehre über den Staat, seine Gewalt und seine Grenzen. Die Kirche erinnert also Staat und Gesellschaft an Wahrheit und Gerechtigkeit und damit an Werte, die Gott von jeder Gemeinschaft einfordert. 5. Apg 4,12; Apg 5,29; Röm 13,1–4 – Die Kirche erkennt die Gewalt des Staates als gottgewollte Obrigkeit zum Wohle der Gemeinschaft an. Sie fordert ihre Glieder auf, treu ihren Aufgaben als Bürgern nachzukommen und erinnert daran, dass jeder Christ dem Staat Gehorsam schuldig ist. Dieser Gehorsam ist jedoch abhängig von jenem unbedingten Gehorsam, der allein Gott zu leisten ist und muss ihm untergeordnet werden. Das Wort Gottes gebietet und kontrolliert allen Gehorsam, der Menschen geleistet wird. 6. 2. Chr 19,6–7; Pred 5,8–9; Am 5,15.24; Röm 13,4 – Wiewohl die Kirche anerkennt, dass zur Aufrechterhaltung des Gemeinwohls bestimmte Ausnahmemaßnahmen nötig sein können, erinnert sie daran, dass die Aufgabe des Staates darin bestehe, jedem Bürger eine Rechtsordnung zuzusichern, in der die wesentlichen Freiheiten garantiert sind und vor allem im Bereich der Justiz und Polizei alle unrechte Diskriminierung und alle systematische Denunziation und Willkür ausgeschlossen sind. 7. Röm 11,1–36 – Gegründet auf die Bibel erkennt die Kirche in Israel das Volk, das Gott auserwählt hat, um der Welt einen Retter zu senden und um in der Mitte der Völker einen ständigen Zeugen für das Geheimnis seiner Treue zu haben. Aus diesem Grunde erhebt sie, obwohl sie einsieht, dass sich der Staat einem Problem gegenüber befindet, das er lösen muss, feierlichen Protest gegen jedes Statut, das die Juden aus der menschlichen Gemeinschaft ausschließt. 8. Ez 28,2–9; Dan 3; Mt 5,37; Hebr 12,4 – Die Kirche wendet sich gegen alle zweideutigen Erklärungen und bekräftigt, dass man die unvermeidbare Unterwerfung unter den Sieger nicht als einen Akt freier Zustimmung darstellen kann. Während sie alle materiellen Konsequenzen der Niederlage mit trägt, betrachtet sie den Widerstand gegen jeden totalitären und gottlosen Einfluss als eine geistige Notwendigkeit.

Dokument 2: Beigefügte Erklärung (Note jointe) zum Antrag auf Anerkennung des protestantischen Jugendrates (Conseil Protestant de la Jeunesse) Aus: Correspondance Fédérative, Nov./Dez. 1941, S. 53–57.2 Die folgenden fünf Jugendorganisationen haben sich in einem Protestantischen Jugendrat zusammengeschlossen, um gemeinsame Aktionen durchführen zu können: 2 Übersetzung U. G. Der Text wurde um den Punkt 2 (berufliche Orientierung) des Bildungsprogrammes gekürzt. Kursiv Gesetztes ist im Original ebenso hervorgehoben.

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Eclaireurs Unionistes de France Eclaireuses Unionistes de France (konfessionelle Abteilung der Fédération Française des Eclaireuses) Unions Chrétiennes de Jeunes Filles Unions Chrétiennes de Jeunes Gens Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants Das wichtigste gemeinsame Ziel dieser fünf Organisationen ist die Evangelisation der französischen Jugend nach dem Geist der reformatorischen Kirchen. Ihre jugendlichen Mitglieder sollen Jesus Christus entsprechend der biblischen Offenbarung als ihren Retter anerkennen. Da sich diese Botschaft an alle Menschen ungeachtet ihrer Rasse oder Herkunft richtet, kann keine Gruppe von Jugendlichen willentlich aus einer dieser Organisationen ausgeschlossen werden. Gleichzeitig sind sie notwendigerweise missionarisch ausgerichtet. Durch ihre Herkunft und in ihrem Geist sind sie eng verbunden mit den reformatorischen Kirchen, wollen sich aber in den Dienst der ganzen französischen Jugend unabhängig ihres Bekenntnisses stellen. Die Organisationen des CPJ verfehlten ernstlich die Mission, die sie von Gott erhalten haben, würden sie ihre Aufgabe allein als eine geistliche verstehen. Der Gott der Bibel ist ein menschgewordener Gott, keiner der Bereiche des menschlichen Lebens entgeht seiner Herrschaft. Daher bestimmen die Organisationen in den anschließenden Punkten näher das Bildungsprogramm, das sie seit zahlreichen Jahren verfolgen. 1. Sportliche Erziehung und Gesundheitspflege Die Organisationen des CPJ fühlen sich für diese Erziehung besonders verantwortlich. Dennoch müssen Organisationen mit christlicher Basis an diesem Punkt betonen, dass die sportliche Erziehung in keinem Fall eine Verherrlichung des Körpers und einen Kraftkult zum Ziel haben darf. Da jüngst blutige Beispiele gezeigt haben, wohin solche Fehler führen können, stellen die Organisationen des CPJ fest, dass der Körper ein Instrument bleiben muss, das zwar nicht vernachlässigt werden darf, aber auch nicht über Gebühr Bedeutung bekommen sollte. 2. Berufliche Orientierung [. . .] 3. Kulturelle Unterweisung Umfassende Humanität, die jeden Menschen auszeichnen muss, der das Evangelium gehört hat, äußert sich in einem ständigen und tiefgreifendem Kontakt mit seiner Epoche. Daher ist die kulturelle Unterweisung, die jungen Menschen oft unvollverständig vermittelt wird, eine notwendige Aufgabe der Jugendorganisationen. Entsprechend den Kreisen, in denen sie stattfindet, umfasst diese Unterweisung verschiedene Aspekte: Sie ist regional ausgerichtet und macht den Jugendlichen bewusst, was für sie die Zugehörigkeit zu dieser Provinz, jenem Dorf ausmachen kann, sie zeigt die Bedeutung eines historischen Ereignisses oder eines großen Menschen auf, der in ihrer Provinz geboren wurde. Sie ist national ausgerichtet und vermittelt den Jugendlichen Respekt und Stolz auf die Tradition ihres Vaterlandes. Sie lässt sie das Versprechen und den An-

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spruch des französischen Erbes begreifen, sie lässt sie leben in der Gesellschaft großer Menschen, die durch alle Zeiten hindurch zur Ehre Frankreichs gewirkt haben und macht ihnen die besondere Berufung Frankreichs in seiner Geschichte bekannt. Sie ist international ausgerichtet und lehrt die Jugendlichen das Fremde zu verstehen und zu lieben und sich als verantwortliche Glieder der großen menschlichen Gemeinschaft zu verstehen, in der alle Familien, jede in der ihr eigenen Art, zur Harmonie und zum Frieden beitragen müssen. Indem die Organisationen des CPJ in diesem Sinne arbeiten, widersetzen sie sich entschieden allen Versuchen, der Jugend eine Einheitskultur zu geben, die im Dienste eines totalitären Nationalismus steht, der alles verweigert, ausschließt oder hasst, was dem französischen Volk fremd ist. Der berechtigte Stolz, der französischen Nation anzugehören, darf nicht maßlos auf Kosten anderer übertrieben werden. 4. Die staatsbürgerliche Erziehung Die biblische Offenbarung lehrt, dass der Staat von Gott eingerichtet wurde, damit eine Ordnung besteht, in der das Wort Gottes an die sündigen Menschen verkündigt werden kann. Daher muss jeder Christ in treuem Gehorsam zu dem Staat stehen, dessen Bürger er ist. Es ist eben diese notwendige Treue, die durch die staatsbürgerliche Erziehung in den Verbänden des CPJ vermittelt wird. Sie vermitteln ihren Mitgliedern Respekt gegenüber dem Staat sowie dem Staatschef und den Wunsch, mit allen Kräften für die Befreiung und den Wiederaufbau des Landes zu arbeiten. Da der Staat auf das Engagement der Bürger in seinem Dienst Wert legt, bereiten die Verbände des CPJ ihre Mitglieder darauf vor, diese Funktionen mit Weisheit und Ehrlichkeit auszuüben. Sie lehren sie, soweit es möglich ist, im Rahmen der Einrichtungen des Landes zu leben und ihre Funktionsweise und ihren Sinn zu kennen. Im Gegensatz zu veralteten Einstellungen halten sie es für wünschenswert, dass ihre fortgeschrittenen Mitglieder es in ihrer Mehrheit als normal und notwendig erachten, sich in verantwortlicher Weise für den Dienst am Französischen Staat3 einzusetzen. Dennoch lehrt uns die Bibel, dass der Gehorsam gegenüber dem Staat im Gehorsam gegen Gott seine Grenze und zugleich seinen Beweggrund hat. Die Verbände des CPJ lehren ihre Mitglieder, dass der Gehorsam gegenüber einem menschlichen Herrn dem Gehorsam gegenüber dem Einzigen Herrn des Himmels und der Erde nicht vorgezogen werden kann. Wenn es einen Konflikt zwischen der Staatsordnung und der Ordnung Gottes gibt, ist es besser, wenn ein Christ alles riskiert und alles erleidet als seinen Herrn zu verraten. Konkret bedeutet dies die formelle Zurückweisung aller totalitären Ideologien, die sich ohnehin mit der französischen Tradition nicht vereinbaren lassen. Hieraus ergibt sich auch, dass junge Menschen gegen jede Beeinflussung durch diese Ideologien geschützt werden sollen. Das besiegte Frankreich findet nur dann sein Heil, wenn es sich selbst treu bleibt.

3 „Etat Français“ = offizielle Bezeichnung des französischen Staates in der Zeit Vichys.

QuellenQuellenund undLiteraturverzeichnis Literaturverzeichnis

Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Unveröffentlichte Quellen a) archivalische Quellen: Archiv des Ökumenischen Rates der Kirchen, Genf (AÖRK GENF): WCC General Correspondence WSCF – Christlicher Studentenweltbund Freudenberg-Akten Departement on the Cooperation of Men and Woman in Church and Society Archiv des Jüdischen Weltkongresses, Genf: Correspondence Switzerland, 1940–1965, Zion. Org., World Council of Churches Wartime Reports France I Stadtarchiv Mannheim: 364,1–44; D 9: Erinnerungen Ida Jauffron-Frank Archiv und Sammlungen der Société de l’Histoire du Protestantisme français, Paris (SHPF PARIS): DT Bar, Cad, Cam, C. O. R., Coo, Die 1, Die 2, Dum, Lac, Leb, Mau, Mouv, Nam, Nod 1, Per, Pit, Pou 3, Tri: Interviews mit Zeitzeugen der Geschichte des Protestantismus während des Zweiten Weltkrieges DP 40, 73, 99, 175, 239 und DVP 119: Interviews mit Pastoren und Pastorenwitwen als Zeitzeugen der Geschichte des Protestantismus während des Zweiten Weltkrieges BR 84–11, 92.2, 96–1: Broschüren SP. 343/B: Correspondance Fédérative Cimade-Archiv, Paris: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945 Karton Cimade historique 1939–1950 Ordner Violette Mouchon I und II Unverzeichneter Bestand Centre de Documentation Juive Contemporaine, Paris (CDJC PARIS): CCI, CII, CCXIII, CCXVIII, CCXIX, CCXX, CCXVIIDCXXXII, CCCLXVI, DCCCXCIX, DCLXXXII-1, DLXXV, XCVI

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Archives Nationales, Paris (AN PARIS): 27/AJ/287 38/AJ/67, 38/AJ/229, 38/AJ/261, 38/AJ/262, 38/AJ/295 72/AJ/72, 72/AJ/73, 72/AJ/280, 72/AJ/284, 72/AJ/287, 72/AJ289 Archiv der Fédération Protestante, Paris: Lettres M. Boegner 1940 Lettres M. Boegner 1943–44 b) mündliche und schriftliche Auskünfte: Alexis-Monet, Laurette: Gespräch am 13. Juli 1996 Casalis-Thurneysen, Dorothée: Gespräch im September 1996 Frost-Freudenberg, Jutta: Gespräch im September 1997 Laurier, Jacqueline: Schriftliche Mitteilung vom 12. Juli 1996 Maury, Jacques: Gespräch im Dezember 1997 Montmollin Heusch, Blanche de: Gespräch am 12. Januar 1997 Philibert-Veil, Janine: Gespräch am 15. September 1996 Riegner, Gerhart M.: Gespräch im Januar 1997

II. Veröffentlichte Quellen und Darstellungen ALBRECHT, Paul: Zur Entwicklung des sozialen Denkens und Handelns in der Ökumene. In: Fey, Harold E. (Hg.): Geschichte der ökumenischen Bewegung 1948–1968. Für die deutsche Ausgabe bearb. v. Günther Gaßmann. Göttingen 1974, S. 309–343. ALEXIS-MONET, Laurette: Die „Neue Kirche“ der jungen „Assistante Protestante“ im Lager Nexon. In: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 160–166. ALEXIS-MONET, Laurette: Ein Ausbruch aus dem Haftlager Nexon. In: A. FREUDENBERG, Rettet sie doch!, S. 167–174. ALEXIS-MONET, Laurette: Les miradors de Vichy. Paris 1994. ALTWEGG, Jürg: Die langen Schatten von Vichy. Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten. München, Wien 1998. AMMERSCHUBERT, Silke: Juden in Frankreich – Verfolgung und Rettung 1940–1944. In: Benz, Wolfgang/Wetzel, Juliane (Hg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit. Regionalstudien 2: Ukraine, Frankreich, Böhmen und Mähren, Österreich, Lettland, Litauen, Estland (Solidarität und Hilfe. Rettungsversuche für Juden vor der Verfolgung und Vernichtung unter nationalsozialistischer Herrschaft. 2). Berlin 1998, S. 83–135. ANSCHÜTZ, Kurt: „Die Befreiung musste von außen kommen . . .“ Daten und Fragen zu Georges Casalis’ Entwicklung zwischen 1917 und 1945. In: Gniewoß, Ute u. a. (Hg.): Störenfriedels Zeddelkasten. Geschenkpapiere zum 60. Geburtstag von Friedrich-Wilhelm Marquardt. Berlin 1991, S. 238–260.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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in Europa. Zeitgeschichtliche Erinnerungen und Studien (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus. 1). Konstanz 1995, S. 123–137. WICKERT, Christl (Hg.): Frauen gegen die Diktatur – Widerstand und Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland. Berlin 1995. WICKERT, Christl: Frauen zwischen Dissens und Widerstand. In: Benz, Wolfgang/Pehle, Walter H. (Hg.): Lexikon des deutschen Widerstandes. Frankfurt/M. 1999, S. 140–155 (Erstausgabe 1994). WIESEL, Elie: Hoffnung, Verzweiflung und Erinnerung. Nobelvorlesung am 11. Dezember 1986 in der Universität Oslo. In: Ders. Gesang der Toten. Erinnerungen und Zeugnis. Freiburg 1987, S. 182–191. WILLAIME, Jean-Paul: L’accès des femmes au pastorat et la sécularisation du rôle du clerc dans le protestantisme. In: ASSR Bd. 95 (Juli–Sept.) 1996, S. 29–45. WITT, Almut: Zur Entwicklung kirchlicher Frauenberufe Ende des 19. Jahrhunderts. In: „Darum wagt es, Schwestern“. Zur Geschichte evangelischer Theologinnen in Deutschland. Hg. vom Frauenforschungsprojekt zur Geschichte der Theologinnen (Göttingen) (Historisch-Theologische Studien zum 19. und 20. Jahrhundert. 7). Neukirchen-Vluyn 1994, S. 41–68. WOLF, Ernst: Art. Widerstandsrecht. In: RGG, 3. Auflage. Bd. 6. Tübingen 1962, Sp. 1681–1692. YERUSHALMI, Hayim Yosef: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis. Berlin 1988 (amerikanische Erstausgabe 1982). YOUNG, James E.: Beschreiben des Holocaust. Darstellung und Folgen der Interpretation. Frankfurt/M. 1992. ZEICHEN – Mitteilungen der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienst. Nr. 4/1989. ZEITOUN, Sabine: Accueil d’enfants juifs de l’ Oeuvre de Secours aux Enfants (OSE) par le Plateau Vivarais-Lignon. In: Le Plateau Vivarais-Lignon. Accueil et Résistance, 1939–1944. Actes du Colloque du Chambon-sur-Lignon publiés sous la direction de Pierre Bolle. Société d’Histoire de la Montagne 1992, S. 221–226. ZEITOUN, Sabine: Ces enfants qu’il fallait sauver. Paris 1989. ZEITOUN, Sabine: L’Oeuvre de Secours aux Enfants (OSE) sous l’Occupation en France. Paris 1990. ZONE DER UNGEWISSHEIT. Hg. von Jacques Grandjonc und Theresia Grundtner. Hamburg 1993 (frz. Erstausgabe Aix-en-Provence 1990).

Abkürzungen Abkürzungen

Abkürzungen

AC ACJF AD AKIZ AN AÖRK APIDEP BK BSHPF CAR CCA CDJC CIM CIMADE CMJ COE CPJ CSW CVJF CVJM DEK Dept. ECCO ERF ESRF EU ev. FESE FFACE FFDJF FFE frz. FUACE GTE

Amitié Chrétienne Association catholique de la jeunesse française Archives départementales Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte Archives nationales Archiv des Ökumenischen Rates der Kirchen Association Protestante Internationale de Prêt Bekennende Kirche Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme Français Comité d’aide aux réfugiés Comité central d’assistance Centre de Documentation Juive Contemporaine Comité Inter-Mouvements (Dachgremium der fünf Jugendorganisationen im französischen Protestantismus bis 1941) Comité Inter-Mouvements auprès des Evacués Commission Missionaire des Jeunes Conseil oecuménique des églises (= ÖRK, WCC) Conseil Protestant de la Jeunesse (Dachgremium der fünf Jugendorganisationen im französischen Protestantismus ab 1941) Christlicher Studentenweltbund (= FUACE, WSCF) Christliche Vereine Junger Frauen (= UCJF, YWCA) Christliche Vereine Junger Männer (= UCJG, YMCA) Deutsche Evangelische Kirche Departement Emergency Committee of Christian Organisations Eglise Réformée de France European Student Relief Fund (= FESE) Eclaireurs Unionistes (Pfadfinder) evangelisch Fonds Européen de Secours aux Etudiants (= ESRF) Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants Fils et Filles des déportés juifs français (Organisation der Söhne und Töchter der deportierten französischen Juden) Fédération Française des Eclaireuses (Pfadfinderinnen) französisch Fédération Universelle des Associations Chrétiennes d’Etudiants (= CSW, WSCF) Groupes de Travailleurs Etrangers

Abkürzungen HICEM

JAC JEC JOC kath. ms. ÖRK ORT OSE ref. RSHA SD SHPF SIG SSAE SSE STO UCJF UCJG UGIF USC WCC WSCF YMCA YWCA

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ursprünglich ein Zusammenschluss folgender Organisationen: HIAS (Hebrew Immigrant Aid and Sheltering Society), JCA (Jewish Colonization Association) und EMIGDIRECT (Emigrationsdirektion, Berlin) Jeunesse agricole chrétienne Jeunesse étudiante chrétienne Jeunesse ouvrière chrétienne katholisch maschinenschriftlich Ökumenischer Rat der Kirchen (= COE, WCC) Organisation Ravitaillement-Travail OEuvre de Secours aux enfants reformiert reformiert Reichssicherheitshauptamt Sicherheitsdienst Archiv und Sammlungen der Société de l’Histoire du Protestantisme français Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund Service Social d’Aide aux Emigrés Service Social des Etrangers Service du travail obligatoire Unions Chrétiennes de Jeunes Filles (= CVJF, YWCA) Unions Chrétiennes de Jeunes Gens (= CVJM, YMCA) Union Générale des Israélites de France Unitarian Service Committee World Council of Churches (= ÖRK, COE) World Student Christian Federation (= CSW, FUACE) Young Men Christian Association (= CVJM, UCJG) Young Women Christian Association (= CVJF, UCJF)

Personenregister/Biografi Personenregister/BiografischeA sche Angaben ngaben

Personenregister/Biografische Angaben

Die Namen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Cimade sind mit einem * versehen; zu ihren biografischen Angaben sei Folgendes bemerkt: Die Identifizierung basiert hauptsächlich auf einer Vielzahl von Briefen, Berichten, Protokollen aus dem Archiv der Cimade oder dem Archiv des ÖRK sowie auf Erinnerungszeugnissen, da eigentliche Personalakten über die Mitglieder der Cimade nicht geführt wurden oder nicht erhalten sind. Für sie werden daher im Personenregister auch archivalische und veröffentlichte Quellen aufgeführt; bei den bekannteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finden sich biografische Angaben auch im Textteil. Das Verzeichnis enthält ebenso Mitglieder der Cimade, die im Text nicht namentlich erwähnt werden. Viele von ihnen haben ab 1943 in den kleineren Internierungszentren oder als Fluchthelfer gearbeitet, darüber hinaus ist kaum etwas über sie bekannt. Vollständige Lebensläufe sind nur für diejenigen Cimade-Mitglieder (Barot, Dumas, Merle d’Aubigné, Schmidt) zugänglich, die in das biografische „Dictionnaire du Monde Religieux dans la France contemporaine“ aufgenommen wurden. Eine Unterstützung für die Identifizierung weiterer Personen bietet das Verzeichnis von Protestantinnen und Protestanten im Anhang des Tagungsbandes „Les protestants français pendant la Seconde Guerre mondiale“. Aber auch hier sind nicht alle Personen aufgeführt, die aufgrund der Auswertung der Archivalien in Paris und Genf als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Cimade zwischen 1940 und 1944 nachgewiesen werden können. Aufgrund der disparaten Quellenlage ist nicht auszuschließen, dass die Auflistung lückenhaft ist. Aufgenommen wurden Frauen und Männer, die zwischen 1940 und 1944 kürzere oder längere Zeit hauptamtlich für die Cimade gearbeitet haben, d. h. die nachweislich Gehalt bekamen und sozialversichert wurden bzw. für die dieses anzunehmen ist. Nicht einbezogen wurden Frauen, die nur während der Zeit zwischen Herbst 1939 und Juli 1940, d. h. in der ersten Phase der Hilfswerkarbeit, für die Cimade tätig waren. Alle Frauen werden unter dem Nachnamen aufgeführt, unter dem sie bei der Cimade tätig gewesen sind. Soweit bekannt, sind spätere Namensänderungen infolge von Verheiratung in Klammern beigefügt, ebenfalls in Klammern erfolgen Pfadfinder- und Decknamen aus der Untergrundarbeit. Nur für 16 der hier aufgeführten Cimade-Mitglieder kann ein Geburtsdatum angegeben werden; Sterbedaten sind nahezu gänzlich unbekannt. Nur in wenigen Fällen erfolgen Angaben zur Lebensgeschichte nach 1944. AGRIPPA D’AUBIGNE, Théodore 137 geb. 1552, gest. 1630, religiös-politischer Autor und Berater des französischen Königs Heinrichs IV. *AILLET, Suzanne (verh. Rennes) 89f., 115, 136, 142, 148 Mitarbeiterin der Cimade in Gurs vom November 1940 bis zu ihrer Heirat im Sommer 1941, zog dann nach Paris. Mitglied der FFACE, engagierte sich in-

Personenregister/Biografische Angaben

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nerhalb der Reformierten Kirche für die Einführung der Laienpredigt (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs; SHPF PARIS: DP 239; AÖRK GENF: 213.11.7.19/2). ALVARES, Micheline 203 Briefpartnerin Madeleine Barots in der Südzone. *AMIENS, Pierre 276 Mitglied eines Fluchthilfeteams an der Schweizer Grenze 1943 und/oder 1944 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Erinnerungsmanuskript von Brintet). ANSBACHER, Jehuda Leo 115f., 248 geb. 1907, Rabbiner, Studium in Frankfurt und Berlin, 1933 Emigration nach Belgien, Mai 1942 Verhaftung und Ausweisung in das Lager St. Cyprien bei Perpignan, vom 31.10.1940 bis Ende 1942 in Gurs interniert, Engagement für Lagerinsassen, nach Einsetzen der Deportationen Flucht nach Spanien mit seiner Frau, 1944 Ausreise nach Israel. AUDEMARD, Louis 274, 284 Leiter der protestantischen Pfadfindergruppe in Chedde (Dept. Hochsavoyen), leistete Fluchthilfe in die Schweiz. BACH, Robert 200f. Präfekt des Dept. Haute-Loire, setzte sich in der Zufluchtsregion des Plateau Vivarais-Lignon für Protestanten ein. BANYAI, Cécile 131 Korrespondenzpartnerin Freudenbergs. BAROT, Madeleine (Decknamen: Monette Bertrand, Monette Benoît) 17f., 21, 23, 28f., 44, 51, 53, 56, 69–73, 76, 78, 81, 83ff., 89f., 92f., 95, 97, 100ff., 105ff., 109f., 112ff., 117, 120, 122ff., 126, 129, 132f., 135–138, 140ff., 146f., 150–154, 157, 165–168, 170–176, 180–194, 196, 199ff., 203–206, 210– 216, 219ff., 223, 225, 228–231, 233, 241, 243–248, 254, 256ff., 262f., 265ff., 270–279, 281, 286, 288–291, 295f., 299f., 302ff., 306ff. geb. 1909, gest. 1995; 1927–1934 Studium der Geschichte, Archiv- und Bibliothekswissenschaften an der Sorbonne, Praktikum an der Bibliothèque Nationale, 1935 bis 1940 Archivarin und Bibliothekarin an der Ecole française in Rom. Juni 1940 Rückkehr nach Frankreich und Beginn der Tätigkeit als Generalsekretärin bei der Cimade. Freundschaftlicher Kontakt mit Freudenberg noch lange nach Kriegsende. Nach 1945 weitere Begleitung der Cimade, seit 1953 Vorsitzende der Abteilung für die Zusammenarbeit von Männern und Frauen in Kirche und Gesellschaft im ÖRK, später der Abteilung für Erziehung und Entwicklung. 1961 Ehrendoktorwürde der Chamberlain University (USA), 1968 der EWA Universität von Seoul, 1989 der protestantischen Fakultät für Theologie in Paris. 1945 Widerstandsmedaille der niederländischen Regierung, 1970 Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland; 1988 von Yad Vashem zur Gerechten der Völker ernannt. BARTH, Karl 25, 46f, 57, 143, 148, 155, 227ff., 232, 234ff, 238, 240, 253, 301 geb. 1886, gest. 1968, Schweizer Theologe, 1921 Prof. für reformierte Theologie in Göttingen, 1925 in Münster, 1930 in Bonn. 1935 wegen der Verweigerung des Beamteneids auf Hitler entlassen, bis 1962 Prof. in Basel.

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Personenregister/Biografische Angaben

BAUD 281 Kath. Geistlicher, Krankenhausseelsorger im Hospital in Annecy (Dept. Hochsavoyen), Unterstützung für Flüchtlinge auf dem Weg in die Schweiz. BEAUJOLIN, Gilbert 219 Ende 1941 Mitbegründer des Hilfskomitees Amitié Chrétienne in Lyon. BEIGBEDER, Jean 51, 241 Präsident der UCJG (Unions Chrétiennes de Jeunes Gens) in der Südzone. BELL, George Kennedy Allan 59 geb. 1883, gest. 1958, seit 1929 Bischof von Chichester, führendes Mitglied im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen und im Ökumenischen Rat für Praktisches Christentum, dann im ÖRK, engagierte sich nachhaltig für jüdische und christliche Flüchtlinge jüdischer Herkunft aus Deutschland. BERGER 281 Kath. Geistlicher in Chedde; sein Pfarrhaus war Station für die Cimade-Passagen in die Schweiz im Herbst und Winter 1942. *BERTSCH, Jeanne 89 Elsässerin, 1939/1940 Cimade-Mitglied im Poitou, November und Dezember 1940 Aufbau der Cimade-Arbeit in Gurs (SHPF PARIS: DT Bar; CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II.) BESAG, Hilde 161, 190 geb. 1921 in Baden-Baden, Tochter von Martha Besag, Zwillingsschwester von Lotte Besag, Oktober 1940 Deportation aus Baden-Baden nach Gurs, Juli 1942 im Cimade-Heim Coteau Fleuri, Flucht in die Schweiz, dort als Haushaltshilfe bei Karl Barth tätig, Empfehlung Barths für ein Studium im Institut für das Ministère Féminin (Gemeindehelferin) in Genf. BESAG, Ida 161, 190, 217 geb. 1918, Tochter von Martha Besag, Oktober 1940 aus Baden-Baden nach Gurs deportiert, September 1942 nach Auschwitz deportiert. BESAG, Lotte 161 geb. 1921 in Baden-Baden, Tochter von Martha Besag, Zwillingsschwester von Hilde Besag, Oktober 1940 Deportation nach Gurs, Juli 1942 im Cimade-Heim Le Coteau Fleuri, mit Mutter und einer Schwester Flucht in die Schweiz. BESAG, Martha, geb. Wolff 87, 139f., 160ff., 187, 190, 193, 198, 265 geb. 1891, gest. 1963, Oktober 1940 mit vier Töchtern und ihrer Mutter Anna Wolff aus Baden-Baden nach Gurs deportiert, Ostern 1942 in der Cimade-Baracke getauft, Juli 1942 im Cimade-Heim Le Coteau Fleuri, dann Flucht in die Schweiz. BESAG, Trude 161 geb. 1916, Tochter von Martha Besag, Zeichnerin (Freudenberg wollte 1944 ein Bilderheft mit Erinnerungen aus Gurs veröffentlichen), versuchte aus Südfrankreich zu emigrieren. BEZA, Theodor 236 geb. 1519, gest. 1605, reformierter Theologe französischer Herkunft, Mitarbeiter und Nachfolger Calvins bei der Verbreitung der Reformation im schweizerischen Genf und in Westeuropa. BILDT, Eva 60 Tochter des Schauspielers Paul Bildt, sog. „nichtarische“ Abstammung, 1940

Personenregister/Biografische Angaben

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Verlobung mit H. Gollwitzer, nahm sich beim Einmarsch der Sowjetarmee das Leben. BIRGY, Rolande 280 Mitglied der kath. Arbeiterjugend JOC (Jeunesse ouvrière chrétienne), leistete in Zusammenarbeit mit Abbé Camille Folliet Fluchthilfe im Grenzgebiet zur Schweiz. *BLANCHET, André 155 Mitarbeiter der Cimade im Internierungszentrum Combronde im Dept. Puy de Dôme 1943 und/oder 1944. Student der ev. Theologie. In den 1950er Jahren Kontakt mit der protestantischen Frauenorganisation „Jeunes Femmes“ (CIMADEARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II; LES PROTESTANTS FRANÇAIS, S. 225; Jeunes Femmes, Nr. 47/48, 1959, S. 69.) BLISS, Kathleen 154 Englische anglikanische Theologin, nach 1946 erste Leiterin des Komitees Leben und Arbeit der Frauen in der Kirche im ÖRK. BOEGNER, Marc 46ff., 53, 58, 69f., 73, 92, 94f., 112, 149, 162, 176f., 185, 193, 201, 212, 218–221, 237, 239, 254–257, 261, 289, 296, 303f. geb. 1881, gest. 1970, 1918–1954 Pfr. in Passy, 1929–1962 Präsident der Fédération Protestante de France und 1938–1950 des Conseil National der Reformierten Kirche von Frankreich, 1939 stellv. Vorsitzender des vorläufigen Ausschusses des im Aufbau befindlichen ÖRK. September 1940 bis März 1943 in Nîmes, dann wieder in Paris. Häufige Reisen nach Vichy. Übernahm 1944 die Präsidentschaft der Cimade von Violette Mouchon. 1948 bis 1954 einer der sechs Präsidenten des ÖRK. Mitglied der Académie française. BONHOEFFER, Dietrich 77, 227, 291 geb. 1906, gest. 1945, seit 1931 europäischer Jugendsekretär im Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen, seit 1934 beratendes Mitglied des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum, seit 1935 Leiter des Predigerseminars der BK in Finkenwalde (Pommern), Mitglied der Widerstandsbewegung um Admiral Canaris (Amt Ausland/Abwehr), 5. 4. 1943 Verhaftung, 9. 4. 1945 gehängt. BONIFAS, Aimé 249 Leitendes Mitglied der Unions Chrétiennes de Jeunes Gens in der Südzone. *BONNAL, Antoinette (geb. Dentan) 110 geb. 1921, 1933–1944 Mitarbeiterin der Cimade in Brens, bemühte sich um die Verlegung von Internierten in das Cimade-Heim in Vabre (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Mouvements de Jeunesse [Brief Barots vom 26. 1. 1944] sowie Unverzeichneter Bestand [Protokoll einer Cimade-Sitzung vom 30. 6. 1943, zwei Briefe Bonnals]). *BONNEAU, Marguerite 150 1943 Studentin an der Schule der Ministères féminins. August und September 1943 Arbeit für die Cimade in Gurs gemeinsam mit Claudie Collin (CIMADEARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Gurs. Equipiers). *BOUCOIRAN, Anita Neue Mitarbeiterin der Cimade im SSE-Zentrum La Meyze (Informationsbrief von Madeleine Barot an Pierre C. Toureille vom 2. 9. 1943, in: CIMADE-ARCHIV

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Personenregister/Biografische Angaben

PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). BOUNIOL, Marie 51 Leitendes Mitglied der Christlichen Vereine Junger Frauen in der Südzone (Unions Chrétiennes de Jeunes Femmes, UCJF). *BOURGUET, Jacqueline Kurzfristige Mitarbeit im Foyer Marie Durand im Sommer 1942 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Foyer de Marseille, Correspondance]). BOUSQUET, René 185, 208, 211f. geb. 1909, gest. 1993, Rechtsanwalt, Dezember 1940 Präfekt des Dept. Marne, April 1942 Generalsekretär der Polizei unter der zweiten Regierung Laval. BREUER, L. 116 Kath. Mitglied der lagerinternen Koordinationsgruppe für Hilfsarbeit in Gurs. *BRINTET, Marie-Louise 112, 155, 204f., 265, 275–279, 286f., 306 geb. 1910; seit Mai 1943 Mitarbeiterin der Cimade im Foyer von Nexon, dann in den kleineren Einrichtungen des SSE (La Meyze, Château-le-Roc), seit Herbst 1943 Organisation von Fluchtpassagen an der Schweizer Grenze. Beantragte im Spätsommer 1944 ein ÖRK-Stipendium für ein Studium der Theologie (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [ms. Bericht Brintets]; EBD.: Unverzeichneter Bestand Ordner Equipiers. Nexon; AÖRK GENF: 213.11.7.17/3.) BRÜCKER, Erika 51 Leitendes Mitglied der Christlichen Vereine Junger Frauen in der Südzone (Unions Chrétiennes de Jeunes Femmes, UCJF). BRUNNER, Alois 208 geb. 1912, organisierte 1941/42 die Deportation der österreichischen Juden, von Juli 1943 bis August 1944 Leiter eines Sonderkommandos der Gestapo in Frankreich, war dann verantwortlich für die Deportation slowakischer Juden, wurde 1954 in Paris in Abwesenheit zum Tode verurteilt und floh in den Nahen Osten. BRUNNER, Fritz 133 geb. 1890, Violinist an der Wiener Philharmonie, 1938 nach Belgien emigriert, seit Ende Oktober 1940 in Gurs. BRUNSCHVIG, Armand 119, 124 Korrespondenzpartner Freudenbergs. BÜRCKEL, Joseph geb. 1895, gest. 1944 (Selbstmord), Reichsstatthalter, Gauleiter der Rheinpfalz, seit August 1940 Chef der Zivilverwaltung in Lothringen. BULTE, J. 97 In der ersten Jahreshälfte 1941 Mitarbeiterin der Cimade in der Tagesstätte in Toulouse. BUSCH, Ernst 132 geb. 1900, gest. 1980, deutscher Schauspieler und Sänger (politische Protestlieder), 1933 in die Niederlande emigriert, kämpfte während des Spanischen Bürgerkrieges für die Internationalen Brigaden, seit Ende Oktober 1940 in Gurs, dort zentrale Rolle im kulturellen Lagerleben. Ende 1942 Flucht, Verhaftung und Auslieferung an die Gestapo. Nach 1950 Engagement beim „Berliner Ensemble“.

Personenregister/Biografische Angaben

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BUTTE, Antoinette 51, 184, 196 Leiterin des ev. Rüstzeitenheimes von Pomeyrol, bemühte sich dort um Heiminsassen der Cimade. CADIER, Charles 91, 167, 271 Pfarrer der Société centrale évangélique in Oloron-Sainte-Marie nahe Gurs, 1938 bis März 1941 Geistlicher für spanische Internierte. CADIER, Jean 233, 238 geb. 1898, gest. 1982, Pastor in Montpellier-La Chapelle, Präsident des Conseil régional der Reformierten Kirche von Frankreich für den Bereich CévennesLanguedoc, Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol. CALVIN, Jean 236 geb. 1509, gest. 1564, französisch-schweizerischer Reformator. CANARIS, Wilhelm 253 geb. 1887, gest. 1945, 1935 Chef der Abwehrabteilung des Kriegsministeriums (seit März 1938 des Amtes Ausland/Abwehr beim Oberkommando der Wehrmacht), Kontakte zum militärischen Widerstand, Juli 1944 verhaftet, 9. 4. 1945 gehängt. CARCOPINO, Jérôme 168 geb. 1881, gest. 1970, Minister für Bildung und Jugend in der Vichy-Regierung. CASALIS, Dorothée 66, 240, 266, 282 Tochter des Schweizer Theologen Eduard Thurneysen, mit ihrem Mann Georges Casalis im christlichen Studentenbund in der Südzone engagiert, unterstützte die Fluchthilfe der Cimade. CASALIS, Georges 26, 51, 53f., 74, 148, 226f., 233, 241, 245, 266ff., 274, 278, 288, 301 geb. 1917, gest. 1989, 1935–1937 Studium in Paris und 1937–1939 in Basel (bei Karl Barth). Generalsekretär der FFACE (Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants) von 1940 bis 1943 mit Sitz in Lyon, Mitglied des Cimade-Leitungskomitees, Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol, unterstützte die Fluchthilfe der Cimade. 1943–1945 Pastor in Montcoutant (Deux-Sèvres), 1945–1950 beim Alliierten Kontrollrat in Berlin zuständig für religiöse Fragen, 1950–1961 Pastor in Basel. Prof. für Praktische Theologie an der protestantischen Fakultät von Paris bis zu seinem Ruhestand 1982. Seit den 1970er Jahren nachhaltig engagiert in der Befreiungsbewegung Südamerikas. CAZANAVE, Jacques (genannt Ourson) Im Winter 1943/44 und im Frühjahr 1944 Fluchthelfer der Cimade (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [ms. Bericht Brintets] und Ordner Violette Mouchon II). CEDERGREN, Elsa 62, 96, 178, 201f., 276, 300 geb. 1893, als geborene Prinzessin Bernadotte Mitglied des schwedischen Königshauses, Präsidentin des CVJF in Schweden, 1941 und 1942 Reisen in die Internierungslager in der französischen Südzone, Initiatorin von Spendensammelaktionen für die Kriegsopfer (Vereinigung Hjälp Krigets Offer!), enge Zusammenarbeit mit den ökumenischen Organisationen der Flüchtlingshilfe in Genf (ECCO). CEDERGREN, Hugo 62, 122, 177, 183–186, 194, 201, 267, 276, 300 geb. 1891, gest. 1971, Generalsekretär der schwedischen Vereinigung ökumeni-

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Personenregister/Biografische Angaben

scher Organisationen zur Flüchtlingshilfe Hjälp Krigets Offer!, führendes Mitglied des CVJM in Schweden, enge Zusammenarbeit mit den ökumenischen Organisationen der Flüchtlingshilfe in Genf (ECCO). CHAILLET, Pierre 218ff. geb. 1900, gest. 1972, Jesuitenpater, Mitbegründer der christlichen Untergrundzeitschrift Témoignage Chrétien in der Südzone, initiierte die aus Katholiken und Protestanten gebildete christliche Widerstandsgruppe Amitié Chrétienne; 1981 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. CHAPAL, Paul 281f. Pastor in Annecy, sein Pfarrhaus war eine Fluchtstation für Verfolgte auf dem Weg in die Schweiz; 1992 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. *CHEVALLEY, Suzanne (verh. Loiseau-Chevalley) 75, 109f., 187ff., 199, 212, 216, 244, 275–278, 282, 285, 287 geb. 1923 (vermutlich); Jurastudentin in Marseille, Mitglied der FFACE. Verteilte heimlich den zweiten Brief Karl Barths an die Protestanten in Frankreich vom Oktober 1940, der in der Südzone nicht öffentlich publiziert werden durfte. 1941 Mitarbeit in einer Rechtshilfeorganisation, die Juden dabei half, ihren Besitz vor drohenden „Arisierungen“ zu bewahren. Im Januar 1942 Teilnahme an einer Freizeit der FFACE in Grangettes, daraufhin Wechsel zur Cimade. Mitglied des Teams im Frauenlager Brens. Aufgrund ihrer Hilfe für internierte Frauen und Kinder während der Deportationszeit Ausweisung aus dem Lager. Ende 1942 Fluchthilfe in den Pyrenäen. Januar 1943 bis Februar 1944 Fluchthelferin der Cimade in die Schweiz. Gleichzeitig mit diesem Engagement von Februar bis Juni 1943 als Cimade-Mitarbeiterin im Internierungszentrum von Naillat, von Juli bis Dezember 1943 als Interimshausleiterin im Cimade-Heim Coteau Fleuri in Chambon-sur-Lignon. Nach Februar 1944 Wechsel zur bewaffneten Résistance (Erinnerungszeugnisse in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 166ff. sowie in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 120, 299–303; SHPF PARIS: BR 84–11, DT NOD 1; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambonsur-Lignon; EBD.: Unverzeichneter Bestand [Brens]). *CLAVEL, Pierre 1941 vermutlich 25 Jahre alt, leitendes Mitglied der Pfadfinder in Nîmes, Schatzmeister der Cimade vermutlich bis mindestens Sommer 1943. (Erinnerungszeugnis in: LES PROTESTANTS FRANÇAIS, S. 291; CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Comités, Conseils [handschriftliches Protokoll einer Cimade-Sitzung vom 30. 6. 1943, Diskussion über einen neuen Schatzmeister, da „Monsieur Clavel eine so große Arbeit nicht mehr alleine bewältigen kann“; Übersetzung U. G.]). *CLAVEL, Simone 288f. 1943 und 1944 Sekretärin im Büro der Cimade in Nîmes (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Suisse [passages]; [Briefe von Barot vom 9. 12. 1943 u. 30. 3. 1944]). CLAVIER, Henri 233 geb. 1892, gest. 1987, 1925 Prof. für Neues Testament in Montpellier, 1938 in Straßburg. COHN, Marianne 43, 261, 278 geb. 1922, gest. 1944, emigrierte mit ihrer Familie in den 1930er Jahren aus

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Mannheim über Spanien nach Frankreich, führte seit 1943 im Auftrag der OSE Fluchtpassagen für Kinder in die Schweiz durch, Ende Mai 1944 von deutschen Zöllnern mit einer Kindergruppe aufgegriffen und verhaftet, Vergewaltigung und Folterung im Gestapo-Gefängnis von Annemasse, wenige Tage vor der Befreiung im September 1944 ermordet. COHN, Walter 215 Internierung in Gurs, jüdisches Mitglied des Cimade-Teams, Rettungsversuch vor der Deportation im Sommer 1942. *COLLIN, Claudie August und September 1943 Mitarbeiterin der Cimade in Gurs, Ende 1943 und 1944 im Internierungszentrum La Meyze. Gründete an beiden Internierungsorten Pfadfindergruppen für internierte Kinder. Nach Kriegsende plante sie, ein Studium aufzunehmen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II; EBD.: Unverzeichneter Bestand, Ordner Gurs. Equipiers u. Gestion, financière; AÖRK GENF: 213.11.7.18/3). *CONNINCK, Colette de 204 1943 und 1944 Mitarbeiterin der Cimade im Internierungszentrum La Meyze. Nach ihrem Bericht vom 21. 2. 1945 gab sie in dieser Zeit drei jungen Jüdinnen Katecheten-Unterricht und stand mit ihnen in freundschaftlichem Kontakt über Juni 1944 hinaus. Sie war Mitglied der FFACE und noch in der Nachkriegszeit für die Cimade tätig (CORRESPONDANCE FEDERATIVE Nr. 9, Juli/August 1940; CIMADE-ARCHIV PARIS: Erinnerungszeugnis vom Februar 1945 [Ordner Violette Mouchon II]). COOK, Robert 186, 195f. Pastor in Vabre (Dept. Tarn), unterstützte Flüchtlinge und Widerstandskämpfer, u. a. auch das Heim der Cimade in Vabre; 1991 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. COURTIN, René 233 geb. 1900, gest. 1964, Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler, Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol, Mitglied der Widerstandsgruppe Liberté, dann Combat, nach der Befreiung Mitglied der Provisorischen Regierung unter de Gaulle. CRAMER, Alec 61, 103, 123f. Mitglied des Komitees des Internationalen Roten Kreuzes, im Ökumenischen Ausschuss für Flüchtlingshilfe für medizinische Hilfe zuständig, mehrere Besuche in den Internierungslagern der Südzone. DANIEL-LATUNE, Denise 231f. Mitglied der Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants, kritisierte 1940 die antisemitische Gesetzgebung Vichys. DANNECKER, Theodor 208 geb. 1913, gest. 1945 (Selbstmord), Rechtsanwalt in München, SS-Hauptsturmführer, sog. „Judenberater“ Adolf Eichmanns in der SD-Abteilung Juden, seit Frühsommer 1940 Leiter des Judenreferats in der Pariser Außenstelle des RSHA, im Juli 1942 abgelöst durch Heinz Röthke. DARCISSAC, Roger 200, 267 Schulleiter in Le Chambon, Februar 1943 Festnahme und Internierung mit den Pastoren Trocmé und Theis, dann frei gelassen; 1988 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt.

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DARLAN, François 33 geb. 1881, gest. 1942, Admiral, Februar 1941 bis April 1942 Ministerpräsident des État Français von Vichy, ermordet von Anhängern de Gaulles. DARMSTÄDTER, Hermann 190 geb. 1890, Amtsgerichtsrat im Saargebiet, 1935 entlassen, Oktober 1940 nach Gurs deportiert, Juli 1942 Aufnahme in das Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, Januar 1943 Flucht in die Schweiz, Rückkehr nach Deutschland, 1955 Pensionierung als Amtsgerichtsrat in Saarbrücken. DARNAND, Joseph 36 geb. 1897, gest. 1945, Generalsekretär für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Vichy-Frankreich, Leiter der Anfang 1943 gegründeten faschistischen Milizen im Range eines SS-Sturmbannführers. DEGEN, Louis 210 Internierter in Gurs. DELAY, Jean 218 geb. 1879, gest. 1966, 1937–1948 Bischof von Marseille, im Sommer 1942 beteiligt am Protest gegen die Deportationen, 1948–1956 Erzbischof von Marseille. DELBO, Charlotte 43 geb. 1913, gest. 1985, Mitglied der Résistance intellectuelle in Paris, März 1942 Verhaftung, Januar 1943 Deportation nach Auschwitz. DELPECH, Jacques 70, 288 Pastor, Aktivitäten für Flüchtlinge an der spanischen Grenze. DERANSART, Jacques geb. 1910, gest. 1985, Pastor in Saint-Etienne, half Juden, Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol, September 1943 Flucht in die Schweiz. DEVILLE SAINT-CLAIRE, Renée 51 geb. 1887, gest. 1968, Mitbegründerin der Pfadfinderinnenbewegung in Frankreich. DIETRICH, Suzanne de 26, 51f., 57, 62, 66–69, 71ff., 84, 89, 91, 93, 95, 105f., 109, 114, 136, 139, 141, 148, 150, 156f., 165f., 174, 176, 178, 182, 188, 196, 226, 229f., 233, 238, 245, 249, 267, 281, 288, 293, 295, 301 geb. 1891, gest. 1981, Vertreterin des Christlichen Studentenweltbundes in Genf, initiierte im Herbst 1939 die Gründung der Cimade, Mitglied im Leitungskomitee der Cimade, Mitverfasserin der Thesen von Pomeyrol. *DOMERQ, Amy Vermutlich seit November 1943 Mitarbeiterin der Cimade im Internierungszentrum von Châteauneuf-les-Bains (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Suisse [passages]; Brief Barots vom 6. 11. 1943). DONADILLE, Marc 188, 191 Pastor, betreute im Sommer 1942 die Heimbewohner im Coteau Fleuri in Le Chambon; 1981 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. DREYFUSS, Lore 190 geb. 1906, im Oktober 1940 mit ihrem Vater aus Mannheim nach Gurs deportiert, seit März 1941 in Récébédou (der Vater starb im Lager), dort getauft, Juli 1942 im Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, Flucht in die Schweiz.

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DREYFUS DE GÜNZBURG, Paul 253 Mitinhaber einer traditionsreichen jüdischen Privatbank in der Schweiz. *DUFLO, Denise 51, 55, 245 Führungsmitglied der FFACE in der Südzone neben G. Casalis, im Sommer 1943 zugleich Mitglied des Leitungsausschusses der Cimade, um Barot zu entlasten (ARCHIV DER FEDERATION PROTESTANTE PARIS: Brief Marc Boegners vom 16. 7. 1943). DUFOURNET, Colette 280 Mitglied der kath. Arbeiterjugend JOC (Jeunesse ouvrière chrétienne), leistete Fluchthilfe im Grenzgebiet zur Schweiz. *DUMAS, André 44, 51, 95, 104ff., 122, 124, 136, 144, 153f., 165f., 181, 188, 212f., 216, 219f. geb. 1918, gest. 1996, Spätsommer 1941 bis vermutlich Oktober 1942 Mitarbeiter der Cimade in Rivesaltes. Verließ nach Auflösung des Lagers Anfang November 1942 die Cimade und ging in die Schweiz, um bei Karl Barth in Basel sein Theologiestudium fortzusetzen. Im Sommer 1943 übernahm er das Generalsekretariat der FFACE von Georges Casalis. 1949–1956 Pastor in Pau, 1956–1961 Studentenpfarrer in Straßburg, später Professor für Ethik an der protestantischen Fakultät von Paris, 1973–1975 Dekan. 1956–1961 Mitglied der Abteilung zur Zusammenarbeit von Frauen und Männern in Kirche und Gesellschaft beim ÖRK. DUMAS, Francine 155 Mitarbeiterin des Anfang der 1950er Jahre gegründeten protestantischen Frauenbundes Jeunes Femmes. DUMAS, Madame 270 Briefpartnerin Madeleine Barots in der Südzone. *DUNTZ, Michel Nach den Angaben von Violette Mouchon Fluchthelfer der Cimade gemeinsam mit Claude Krebs und Jacques Cazanave (Deckname: Ourson). (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). DURAND, Marie 45, 83, 100, 102, 135ff., 145, 147, 150, 204, 221, 305 gest. 1770, Hugenottin aus den Cevennen, verweigerte nach dem Widerruf des Toleranzediktes von Nantes durch Ludwig XIV. die Konversion zum Katholizismus, 1730–1768 mit anderen Glaubenszeuginnen in der Tour de Constance in Aigues-Mortes in der Provence eingekerkert. EBBECKE, Anni, geb. Blum 133, 193, 281, 284f. geb. 1908, 1935 mit ihrem nichtjüdischen Mann Hans nach Belgien emigriert, seit Oktober 1940 in Gurs interniert, beteiligt am kulturellen Leben im Lager, im Mai 1942 im Glasberg-Haus Le Pont-de-Manne-en-Royans, im September 1942 erster Fluchtversuch in die Schweiz, Refoulement, 1943 zweiter erfolgreicher Grenzübergang mit der Cimade. EBBECKE, Hans 133, 138, 193, 284f. geb. 1911, gest. 1946, Dirigent und Pianist aus Karlsruhe, 1935 mit seiner jüdischen Frau Anni nach Belgien emigriert, seit Oktober 1940 in Gurs, an zahlreichen Konzerten in der Cimade-Baracke beteiligt, seit Mai 1943 mit seiner Frau im Glasberg-Haus Le Pont-de-Manne-en-Royans, im September 1942 ers-

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ter Fluchtversuch in die Schweiz, Refoulement, 1943 zweiter erfolgreicher Grenzübergang mit der Cimade. EBERHARD, Henri 233, 237 geb. 1898, gest. 1973, Pastor in Dieulefit, dann in Lyon. Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol, Mitglied der Résistance. EHRENSTRÖM, Nils 61f. geb. 1903, gest. 1984, schwedischer Theologe, 1930 Mitarbeiter der Forschungsabteilung, 1934 des vorläufigen Ausschusses des ÖRK, 1946–1954 Direktor der Studienabteilung des ÖRK, 1955–1969 Prof. für Ökumenik in Boston. EIDEM, Erling 177 geb. 1880, gest. 1972, 1928 Prof. für Neues Testament in Lund, 1931–1950 Erzbischof von Uppsala, 1948–1950 einer der Präsidenten des ÖRK. EISNER, Emil und Kurt 190 Christen jüdischer Herkunft, seit Oktober 1940 Internierung in Gurs, seit Juli 1942 im Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon. EMMERICH, Kurt 228 gest. 1968, Rechtsanwalt, Emigration zunächst nach Paris, ließ sich dort taufen, 1936 bis 1939 Studium der evangelischen Theologie in Basel bei Karl Barth, 1939 mit seiner Frau Gertrud nach England, College-Dozent. Mit seiner Schrift „Die Juden“ (1939 herausgegeben von Barth) prägte er die Arbeit des Hilfswerkes der BK in der Schweiz. War nach 1945 wieder Rechtsanwalt in Karlsruhe. EMMERICH, Moritz und Frau 229 Eltern von Kurt Emmerich, jüdischen Glaubens, deportiert nach Gurs. ESTEBAN, Gil 118 Spanischer Internierter in Nexon. FABRE, Emile C. 274, 278 Pastor in Romans (Dept. Drôme), dann in Lille, nahm Juden auf und führte Fluchtpassagen in die Schweiz durch, redigierte für die Cimade die amerikanische Ausgabe von „Les Clandestins de Dieu“. FAUCHIER, Alice 117, 140f. Korrespondenzpartnerin Madeleine Barots. *FAVRE, Jean Jacques 107 Im Winter 1942/43 Mitarbeiter der Cimade in Gurs. War neben den internierten Mitarbeitern das einzige externe Mitglied des Cimade-Teams in Gurs in dieser Zeit, abgeordnet von der Dependance des Weltbundes der YMCA in Marseille, im Frühjahr 1943 von Jeanne Tendil abgelöst (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Gurs. Equipiers). FEHRMANN, Gertrud 271 1944 Leiterin eines Schweizer Flüchtlingslagers. FERRIERE, S. 215 Korrespondenzpartner Freudenbergs. FERRON, Nicole de 51 Leitendes Mitglied der Christlichen Vereine Junger Frauen (Unions Chrétiennes de Jeunes Femmes, UCJF) in der Südzone. FESSARD, Gaston 219 Kath. Geistlicher, Mitarbeiter der christlichen Untergrundzeitschrift Témoignage Chrétien.

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FIELD, Herta und Noel H. 121, 126f. (Noel H.: geb. 1904, gest. 1970) Amerik. Unitarier, in der frz. Südzone tätig für das Unitarian Service Committee mit Sitz in Lissabon. FLATOW, Ursula 118, 138, 160ff., 190, 280 geb. 1914, in den 1930er Jahren mit ihren Eltern zunächst nach Prag, dann nach Paris emigriert, 1940 als „feindliche Ausländerin“ in Gurs interniert, Juli 1942 im Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, floh dann in die Schweiz. FITTKO, Lisa 248 geb. 1909, 1940 als „feindliche Ausländerin“ in Gurs interniert, organisierte dann gemeinsam mit ihrem Mann Johannes für das amerikanische Emergency Rescue Committee mit Sitz in Marseille Fluchtpassagen über die Pyrenäen, lebte 2004 in Chikago. FOLLIET, Camille 280f. geb. 1907, gest. 1945, kath. Geistlicher, unterstützte in Annecy die Arbeit der Fluchthilfeorganisationen; 1990 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. *FONTAYNE, Lucy 99, 186 Sorgte im Sommer 1943 für die spanischen Kinder im Cimade-Heim in Vabre, Ende des Jahres im Cimade-Heim Coteau Fleuri, hier vor allem für die Hausverwaltung zuständig (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht von Jeanne Sénat]; EBD.: Unverzeichneter Bestand, Ordner Chambon-sur-Lignon [Briefe von Fontayne]; Ordner Mouvements de Jeunesse 1939–1945 [Brief Barots vom 11. 10. 1943]). FORELL, Friedrich 70, 213 geb. 1888, gest. 1968, ev. Sozialpfarrer in Schlesien, wegen seiner jüdischen Herkunft Ende 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzt, 1938 Emigration nach Schweden, dann Paris, dort Flüchtlingspfarrer für „nichtarische“ Christen, mit Hilfe des im Aufbau befindlichen ÖRK, v. a. durch Visser ’t Hooft, gelang Forell gemeinsam mit seiner Frau Magdalene, die zwischenzeitlich in Gurs interniert gewesen war, nach großen Schwierigkeiten im Herbst 1940 aus der frz. Südzone die Ausreise via Spanien und Portugal in die USA. FORELL, Magdalene 70 Emigration gemeinsam mit ihrem Mann Friedrich Forell 1938 über Schweden nach Frankreich, dort ebenfalls tätig in der Arbeit für Flüchtlinge, im Mai 1940 Internierung in Gurs, nach vielen Schwierigkeiten im Herbst 1940 Ausreise in die USA. FOURCADE 109 Leiter der Sûreté nationale im Innenministerium in Vichy. FOX, Evelyn C. 62, 67f., 72, 96, 98ff., 102, 204, 256, 266, 272, 293 Amerikanerin, führendes Mitglied der YWCA (Young Women Christian Association, Weltverband der CVJF) in Genf, in dieser Funktion bis 1942 wiederholt in der frz. Südzone. FRAENKEL, Hans 102, 135f., 143 geb. 1888, Christ jüdischer Herkunft, Journalist und Publizist, emigrierte 1938 (aus Italien) nach Frankreich, Internierung in Les Milles, dort am Aufbau der protestantischen Gemeinde beteiligt, stand über H. Manen in Kontakt mit Freudenberg.

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FRANCO BAHAMONDE, Francisco 37 geb. 1892, gest. 1975, spanischer General und Politiker, im September 1936 Chef der sog. nationalen spanischen Regierung, 1939–1975 Diktator. FREUDENBERG, Adolf Emil 19, 23, 27f., 59–64, 72f., 87, 91–95, 111, 113, 118f., 121–127, 130f., 137, 139–143, 145ff., 158f., 174, 176–180, 182–189, 194, 213, 215ff., 219, 222, 228ff., 247, 252–259, 261–264, 267–277, 280f., 286, 295ff., 300, 302ff. geb. 1894, gest. 1977, Jurist und Theologe, seit 1924 im Auswärtigen Dienst (Kulturreferent der Deutschen Botschaft in Rom, dann tätig in der Personalabteilung des Auswärtigen Amtes in Berlin), 1935 ausgeschieden wegen der jüdischen Abstammung seiner Frau, Studium der evangelischen Theologie in Bethel, Berlin und Basel, Februar 1939 Ordination in Berlin, März bis August 1939 als Flüchtlingssekretär der Ökumene tätig in London, seit Kriegsausbruch in Genf Aufbau der ökumenischen Flüchtlingshilfe, September 1947 Pfarramt in Bad Vilbel (Hessen-Nassau) auf dem dann sog. Heilsberg, Neubau einer Gemeinde von Flüchtlingen und Vertriebenen aus Ostpreußen und Schlesien, nachhaltiges Engagement im Aufbau des christlich-jüdischen Dialoges (1952 Arbeitskreis Kirche und Israel, 1961 Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag). FREUDENBERG, Elsa, geb. Liefmann 28, 59, 91, 121, 187, 285 geb. 1897, gest. 1988, Medizinerin, 1920 Heirat mit Adolf Freudenberg, fünf Kinder. Die Familie Freudenberg nahm wiederholt für längere Zeiträume Schützlinge der Cimade, die sich in die Schweiz retten konnten, in ihrer Wohnung auf. FREUND, Walter 274 Internierung in Les Milles, Flucht mit der Cimade in die Schweiz. FRIEDENTHAL, Charlotte 60, 253 geb. 1892, gest. 1973, Mitglied der BK, seit 1934 Mitarbeiterin von Marga Meusel beim Ev. Bezirkswohlfahrtsamt Berlin-Zehlendorf, dann von Superintendent Martin Albertz, engagierte sich für ev. Christen jüdischer Herkunft, gehörte selber zum Kreis der Betroffenen, konnte sich 1942 durch die Bemühungen der Widerstandsgruppe um Canaris (Amt Ausland/Abwehr) sowie von Karl Barth und Alphons Koechlin in die Schweiz retten. FRIEDLÄNDER, Elly und Jan 251f. Eltern des israelischen Historikers Saul Friedländer, 1939 aus Prag nach Frankreich emigriert, 1942 nach Auschwitz deportiert. FRY, Varian 248 geb. 1907, gest. 1967, amerikanischer Journalist, August 1940 bis August 1941 Leiter des in den USA auf Anregung von Erika Mann gegründeten Emergency Rescue Committee in Marseille, das von den Nationalsozialisten verfolgten Schriftstellern, Künstlern und Politikern zur Flucht verhalf. GAILLARD, Albert 51 Nationalsekretär der Christlichen Vereine Junger Männer (Unions Chrétiennes de Jeunes Gens, UCJG) in der Südzone. *GALLAND, Pierre 276 Im Winter 1942/43 Fluchthelfer der Cimade, im Winter 1943/44 und/oder später Mitglied der Grenzteams von Marie-Louise Brintet (Erinnerungszeugnis

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von Pierre Piton in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 263f.; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht von Marie-Louise Brintet]). GASTAMBIDE, Jean 51, 231, 233, 241, 245 Pastor, Commissaire nationale der Eclaireurs Unionistes (protestantische Pfadfinder), Mitglied des Cimade-Leitungskomitees, Mitverfasser der Thesen von Pomeyrol. GATUMEL 196 Mitarbeiterin der protestantischen Gemeinde im Widerstandsdorf Vabre. GAULLE, Charles de 33, 36, 274 geb. 1890, gest. 1970, französischer General und Politiker, rief im Juni 1940 von London aus zur Fortführung des Widerstandes auf, Anführer des Komitees der Nationalen Befreiung, galt seit Juni 1943 als Chef der französischen Exilregierung, seit Mai 1944 der Provisorischen Regierung der Französischen Republik, 1945/46 Ministerpräsident, 1958–1969 erster Präsident der 5. Republik. GERLIER, Pierre-Marie, Dr. jur. 174, 218ff. geb. 1880, gest. 1965, 1937 Erzbischof von Lyon, Kardinal und Primas von Frankreich, unterstützte die Gründung von Heimen für Internierte durch die Glasberg-Gruppe, gemeinsam mit Marc Boegner Schirmherrschaft über das Hilfskomitee Amitié Chrétienne, protestierte im August 1942 gegen die Deportationen aus der Südzone. GLASBERG, Alexandre 114, 164, 174f., 180, 188f., 192, 219f., 284, 298 geb. 1902, gest. 1981, kath. Geistlicher jüdischer Herkunft, als Kind mit seiner Familie aus der Ukraine nach Frankreich eingewandert, erlangte als Beauftragter Kardinal Gerliers für Flüchtlingsarbeit Zugang zum Internierungslager Gurs und engagierte sich aktiv für die Verlegung von Lagerinsassen in Heime, schloss sich Ende 1942 der Résistance an. GOLDBERG 116 Kath. Mitglied der lagerinternen Koordinationsgruppe für Hilfsarbeit in Gurs. GOLLWITZER, Helmut, 27, 60, 146 geb. 1908, gest. 1993, Mitglied der BK in Berlin-Dahlem, 1937 faktisch Nachfolger von Martin Niemöller, 1951 Heirat mit Brigitte Freudenberg (Tochter von Adolf Freudenberg), 1950–1957 Prof. für Systematische Theologie in Bonn, 1957–1975 in Berlin (Freie Universität), 1961 Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag. *GONTHIEZ, Lucie Sommer 1941 Mitglied des ersten Teams von Studierenden in Rivesaltes, im Sommer 1943 vermutlich Ferienvertretung in Brens (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes [Briefe von Gonthiez]). GORLIN, Raissa 261 Fluchthelferin für OSE an der Schweizer Grenze, wurde nach Auschwitz deportiert. GRELLING, Kurt 215, 217 Prof. für Mathematik in Berlin, Mitglied der protestantischen Gemeinde in Les Milles, im Sommer 1942 deportiert. GRÜBER, Heinrich 15f., 60, 121, 128 geb. 1891, gest. 1975, Mitglied der BK, gründete 1938 das Büro „Pfarrer

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Grüber“ als zentrale Hilfsstelle für „nichtarische“ Christen, die über Vertrauensstellen in verschiedenen Landeskirchen verfügte, Anfang 1941 Auflösung des Büros in Berlin durch die Gestapo, Inhaftierung Grübers in den KZ Sachsenhausen und Dachau, Juni 1943 Entlassung. GRÜBER, Margarete 24 geb. 1899, Mitglied der BK, mit ihrem Mann H. Grüber tätig in der Hilfe für verfolgte „nichtarische“ Christen. GUILLON, Charles 52, 61f., 67f., 112f., 174, 176, 179f., 200, 263f., 268f., 273, 293, 302 geb. 1889, gest. 1965, 1921 Pastor in Le Chambon, seit 1931 dort Bürgermeister, Mitglied des Weltsekretariates des CVJM in Genf, seit 1927 in dieser Funktion wiederholte Reisen in mehr als siebzig Länder, nahm an den großen ökumenischen Konferenzen der 1930er Jahre teil, trat im Juli 1940 aufgrund seiner Widerstandshaltung gegen Vichy von seinem Amt als Bürgermeister zurück und war in den folgenden Jahren für die Kriegsgefangenenhilfe des CVJM in Genf zuständig, organisierte den Post- und Geldtransfer zwischen Freudenberg und der Cimade im Untergrund. HAAG, Paul 131, 135, 137 Regisseur aus Berlin, interniert in Gurs und Récébédou, beteiligt am kulturellen Leben im Lager. HACKER, Trude 271 Deutsche Emigrantin in Frankreich, Flucht aus der Südzone in die Schweiz. HACKER, Therese 271 In Frankreich verbliebene Mutter von Trude Hacker, noch kurz vor der Befreiung deportiert. *HAEFFELE, Jacqueline 148 Im Sommer 1943 Mitarbeiterin in Masseube, sprach deutsch und konnte sich deshalb vor allem den aus Deutschland kommenden Internierten zuwenden (schriftliche Mitteilung von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan, vom 9. 8. 1996 an die Verfasserin; CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). HAIT, Ninon 115 geb. 1911, Sozialarbeiterin des Service Social d’Aide aux Emigrés in Gurs. HANNEMANN, Hildegard 24 Mitarbeiterin der BK. HATZFELD, Henri 51 Führendes Mitglied der Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants in der Südzone. HEINRICH IV. 45, 137, 305 geb. 1553, gest. 1610, Sohn von Johanna von Albret, seit 1581 Führer der Hugenotten, 1593 nach seiner Konversion zum Katholizismus zum französischen König gekrönt, erließ 1598 das die Hugenotten tolerierende Edikt von Nantes. HEINSHEIMER, Franz 214, 269, 275 geb. 1879, gest. 1959, Landgerichtsdirektor, im Oktober 1940 mit seiner Frau Gertrud aus Karlsruhe nach Gurs deportiert, März 1941 ins Lager Récébédou, dann Les Milles; da die Möglichkeit für ein USA-Visum gegeben war, konnte er mit seiner Frau aufgrund der Intervention von Pastor H. Manen im Sommer

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1942 noch aus dem Deportationszug gerettet werden, Herbst 1942 im CimadeHeim in Pomeyrol, 1943 Flucht in die Schweiz. HEINSHEIMER, Gertrud, geb. West 184, 241, 275 geb. 1885, gest. 1962, im Oktober 1940 mit ihrem Mann Franz aus Karlsruhe nach Gurs deportiert, März 1941 ins Lager Récébédou, Mai 1941 nach Marseille (vermutlich eines der Frauensammellager) verlegt, da aufgrund von USA-Visen eine Emigration nach Übersee möglich schien, im Sommer 1942 Rettung aus dem Deportationszug, dann Aufnahme in das Cimade-Heim in Pomeyrol, 1943 Flucht in die Schweiz. HENRIOD, Henry-Louis 59f., 62, 94, 176, 254–259 geb. 1887, gest. 1970, Schweizer Theologe, 1920 Generalsekretär des Weltbundes für Internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, 1936 Mitbegründer des Internationalen Hilfskomitees für deutsche Flüchtlinge, 1938 Mitinitiator der Flüchtlingshilfe des im Aufbau befindlichen ÖRK, in der Folge Mitglied des ökumenischen Flüchtlingsausschusses. HERZFELD, Charlotte, Dr. 213 Emigrantin in Frankreich, gehörte mit ihrem Mann Erwin Ende der 1930er Jahre zu den engen Mitarbeitern im Hilfskomitee für protestantische Flüchtlinge des Flüchtlingspfarrers F. Forell in Paris. HERZFELD, Erwin 213 Anwalt am Berufungsgericht in Dresden, aufgrund seiner jüdischen Herkunft in den 1930er Jahren gemeinsam mit seiner Frau Charlotte Emigration, enger Mitarbeiter des Flüchtlingspfarrers F. Forell in Paris, im Sommer 1942 im Sammellager Saint-Sulpice in der Südzone. HILLEBRAND, Hilde 189f., 283, 286 Internierung gemeinsam mit ihrem Mann in Gurs, im Juli 1942 Verlegung ins Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, vermutlich im März 1943 Wechsel in das Studentenheim Les Roches. HINDLESZ, Frau 271 HIRSCH, Elisabeth 115 Mitarbeiterin des Service Social d’Aide aux Emigrés (SSAE) in Gurs. HIRSCH, Markus 272 Schweizer Briefpartner Freudenbergs. HOHERMUTH, Bertha 143, 256 Leiterin der Aide aux émigrés, einer Hilfsorganisation für Flüchtlinge in der Schweiz. HOLBEK, Helga 128f. Dänische Quäkerin, bemühte sich in der Südzone um die Internierten, Mitglied des Nîmes-Komitees. *HUGON, Yvonne Sommer 1941 Mitglied des ersten Cimade-Teams mit Studierenden in Rivesaltes (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). *JACOB, Jacqueline 1943 und/oder 1944 Mitarbeiterin der Cimade im Internierungszentrum Sereilhac (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II).

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JACOBS, Heinrich und Helene 24 Mitglieder der Berlin-Dahlemer BK-Gemeinde, aktiv für verfolgte Juden und Christen. JACKER, A. 261 Emigrant in Frankreich, Flucht in die Schweiz. JAUFFRON-FRANK, Ida 101 geb. 1891, gest. 1982, Pianistin, Oktober 1940 Deportation von Mannheim nach Südfrankreich, Internierung in Gurs und anderen Lagern, darunter auch in Marseille. JEAN-FAURE, André 38, 105, 113, 129, 171ff., 176, 180, 182, 203 Ehemaliger Präfekt, seit September 1941 durch das Innenministerium in Vichy zum Leiter der Inspection générale des camps ernannt. JEZLER, Robert 258 Mitarbeiter von H. Rothmund im Schweizer Justiz- und Polizeidepartement. JOHANNA VON ALBRET 45, 136, 395 geb. 1528, gest. 1572, Tochter von Margarete von Navarra, Mutter Heinrichs IV., seit 1556 Calvinistin, führte 1562 in Navarra die Reformation ein und unterstützte die Hugenotten. JOHANNSSON, Harry 165 Schwedisches Mitglied des Christlichen Studentenweltbundes. JOLIVET, Marius 283 geb. 1906, gest. 1964, kath. Geistlicher, unterstützte Fluchthilfeorganisationen an der Stadtgrenze zu Genf; 1987 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. *JOUK, Michèle 267 Vermutlich seit 1942 bis 1944 Sekretärin in den Büros der Cimade. Möglicherweise im April 1943 Wechsel nach Valence, während in Nîmes Simone Clavel als Sekretärin die Arbeit übernahm. (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II; AN PARIS: 72/AJ/287.) *JOURDAN, Jacqueline (verh. Laurier) 74, 148, 150, 203, 227 geb. 1922, von Juli bis September 1943 Mitarbeiterin in Masseube unter Jeanne Sénat. Hier befanden sich vor allem über sechzigjährige Internierte, die aufgrund ihres Alters bisher der Deportation entgangen waren, aber nach der jahrelangen Internierung psychisch und physisch litten. Jourdan hörte die Geschichten über zerstörte Biografien, teilte die Trauer über deportierte Familienmitglieder. Sie war Mitglied der FFACE, besuchte mehrfach Freizeiten und verfasste Tagungsberichte für die CORRESPONDANCE FEDERATIVE. Im August 1942 war sie während einer Sommerfreizeit unter der Leitung von Suzanne de Diétrich und Marguerite Bonne an einer Aktion für ausländische jüdische Studierende beteiligt, die aufgrund von Informationen des FFACE-Büros unter George Casalis in Lyon über die Razzien in Verstecke in die Berge begleitet wurden (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II; schriftliche Mitteilung von Jacqueline Laurier, geb. Jourdan an die Verfasserin vom 9. 8. 1996). JOY, Charles R. 127 geb. 1885, gest. 1978, Leiter des Paketdienstes in der Zentrale der Unitarier (Unitarian Service Committee) in Lissabon.

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*JULLIEN, Claire 51, 123, 154, 180ff., 189, 226, 231, 245 Hatte eine der Leitungsfunktionen der FFACE in der Südzone inne. Seit März 1942 unterstützte sie zusätzlich Madeleine Barot in der Führung der Cimade, ohne aber damit eine offizielle Stelle in dieser Organisation einnehmen zu wollen. Im Juli 1942 reiste sie an Stelle von Barot für Unterredungen mit Charles Guillon nach Genf und thematisierte hier ihre Sorgen über die weitere Finanzierung der Cimade (AÖRK GENF: 213.11.7.18; Fonds Suzanne de Diétrich, Korrespondenz M [de Diétrich an Robert C. Mackie vom 23. 1. 1942]; EBD.: Freudenberg-Akten, Correspondence G (Guillon an Freudenberg vom 10. 8. 1942]. JUNGKLAUS, Sieghild 24 geb. 1915, Mitglied der BK, 1939 „illegales“ theologisches Examen bei der BK, Vikarin bei Berliner BK-Pfarrern, Anfang 1942 zweites Examen, 1944 Ordination. JUNGKUNST, J. H. 131ff. Mitarbeiter des YMCA-Weltbüros in Genf, in Zusammenarbeit mit Freudenberg verantwortlich für Büchersendungen mit „weltlicher“ Literatur in die Internierungslager Südfrankreichs. KÄGI-FUCHSMANN, Regina 63, 125f. geb. 1889, gest. 1971, Leiterin des Arbeiterhilfswerks der sozialdemokratischen Partei in der Schweiz, engagierte sich zunächst für Opfer des Spanischen Bürgerkrieges, gründete dann einen Paketdienst für Notleidende in Südfrankreich. KAHN, Jean 297 1989 Präsident des Conseil représentatif des institutions juives de France. KANNER 272 Internierter in Gurs, Flucht in die Schweiz. KAPEL, René S. 110, 120, 146, 161, 207, 297 Flüchtlingsrabbiner in Frankreich, wiederholte Besuche in den Internierungslagern, Mitglied des Nîmes-Komitees. KASSER, Elsbeth 115 geb. 1910, Schweizer Krankenschwester, Dezember 1940 bis Dezember 1943 in Gurs für den Secours Suisse (Schweizer Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder) tätig (unterbrochen durch schwere Krankheit und Erholung in der Schweiz), von den Internierten als „Engel von Gurs“ bezeichnet. KATZ, Elisabeth 130 Internierte in Gurs. KELLER, Adolf 59ff. geb. 1872, gest. 1963, 1920–1940 erster Sekretär des Schweizer Ev. Kirchenbundes, 1922 Gründer und bis 1945 Leiter der Europäischen Zentralstelle für Kirchliche Hilfsaktionen, Mitglied des 1936 gegründeten International Christian Committee für German Refugees, 1938 Mitinitiator der Flüchtlingsabteilung des im Aufbau befindlichen ÖRK. KIRSCHBAUM, Charlotte von 155 geb. 1899, gest. 1975, seit 1929 enge Mitarbeiterin Karl Barths, veröffentlichte 1949 eine anthropologisch-theologische Studie unter dem Titel „Die wirkliche Frau“. KLEPPER, Jochen 60 geb. 1903, gest. 1942, deutscher ev. Schriftsteller, versuchte für seine Stiefkinder

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jüdischer Herkunft die Ausreise zu erwirken, was jedoch nur der älteren Tochter gelang. Beging nach vergeblichem weiteren Bemühen mit Frau und Stieftochter in Berlin Selbstmord. *KLOSSOVSKY, Pierre Den Aufzeichnungen von Violette Mouchon zufolge 1943 und/oder 1944 Mitarbeiter der Cimade im Internierungszentrum von Neybouzat (Dept. Puy-deDôme) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). KNOCHEN, Helmut 208 geb. 1910, Anglist, seit 1937 im Reichssicherheitshauptamt, Mai 1940 bis September 1944 Kommandeur der Sicherheitspolizei in Frankreich mit Dienststelle in Paris, 1954 in Paris zum Tode verurteilt, 1962 entlassen. KNOX, John 236 geb. 1505 (vermutlich), gest. 1572, calvinistischer Reformator in Schottland. KOECHLIN, Alphons 61, 63f., 93, 141, 177ff., 183, 186, 252–255, 258 geb. 1885, gest. 1965, Schweizer Theologe, 1933 Vorsitzender des Kirchenrates der Stadt Basel und bis 1954 Präsident des Schweizer Ev. Kirchenbundes, seit 1925 Mitglied der Ökumenischen Bewegung für Praktisches Christentum. KÖPKE, Monique 195 geb. 1925, 1933 mit ihren Eltern von Berlin nach Paris emigriert, die Eltern wurden 1942 nach Auschwitz deportiert, 1942 Flucht mit der jüdischen Pfadfinderorganisation in die Schweiz. KOTKOWSKI, Else 287 gest. 1982, letzte Sekretärin der jüdischen Gemeinde in Karlsruhe, Oktober 1940 Deportation nach Gurs, im Sommer 1942 aufgrund ihres sozialen Engagements im Lager von Deportationen zunächst zurückgestellt, Herbst 1943 Verlegung nach La Meyze, Juni 1944 Flucht in die Schweiz. *KREBS, Claude 276f., 287f. 1943 Mitarbeiter der Cimade in Séreilhac, wo er Pfadfindergruppen für die Kinder des Lagers gründete, wechselte dann, vermutlich Ende 1943 oder Anfang 1944, in ein Fluchthilfe-Team unter Marie-Louise Brintet (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht Brintets]; Pfadfinderzeitschrift L’Equipe, Dezember 1944, O. MUNOS, Passages, S. 54, 69.) KREHBIEL-DARMSTÄDTER, Maria 118, 121, 124, 132, 142, 160, 202 geb. 1892, entstammte einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie in Mannheim, 1921 Taufe, Mitglied der von der Anthroposophie Rudolf Steiners geprägten Christengemeinschaft, Oktober 1940 Deportation nach Gurs, dort als Responsable für die Cimade tätig, Ende Dezember 1941 krankheitsbedingte Verlegung in ein Dorf bei Lyon, im Dezember 1942 misslang ein Fluchtversuch, Verhaftung und Deportation in das Sammellager Drancy, Februar 1943 Deportation nach Auschwitz. KURZ, Gertrud 61, 253, 268, 271 geb. 1890, gest. 1972, Leiterin des Kreuzritterdienstes in Bern, engagierte sich unermüdlich für Asylsuchende in der Schweiz, Zusammenarbeit mit der ökumenischen Flüchtlingshilfe in Genf. *LACAZE, Yves 155, 230 geb. 1919; Leiter der FFACE-Gruppe in Lyon, arbeitete in Lyon eng mit Pastor R. de Pury zusammen, war in der Rhône-Region verantwortlich für die Vertei-

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lung der christlichen Untergrundzeitschrift Cahier du Témoignage Chrétien. Im Sommer 1941 Mitglied des ersten Cimade-Teams in Rivesaltes. Lacazes Vater wurde im Juni 1943 zusammen mit Jean Moulin von den Deutschen festgenommen, im Januar 1944 in Paris befreit. Lacaze selber schloss sich der RésistanceGruppe Combat an und ging nach Nordafrika. In den 1950er Jahren Zusammenarbeit mit der protestantischen Frauenorganisation Jeunes Femmes (SHPF PARIS: DT Lac; Jeunes Femmes, Nr. 89–90, September–Oktober 1956, S. 11). LAMBERT, Raymond-Raoul 114 geb. 1894, gest. 1943, Vertreter von CAR (Comité d’aide aux réfugiés) im NîmesKomitee, leitete ab 1942 die von Vichy eingerichtete Zwangsorganisation für jüdische Organisationen (UGIF, Union Générale des Israélites de France) in der Südzone, im August 1943 auf Befehl der Gestapo verhaftet und mit seiner Frau und ihren vier Kindern nach Auschwitz deportiert. LAMBERT, Ruth 160 Sozialarbeiterin des jüdischen Kinderhilfswerks (OSE) in Gurs. LAPP, Ernst 274 Flüchtling in der Südzone, Passage mit der Cimade in die Schweiz LASSERRE, Familie 284f. Unterstützte die Fluchtarbeit der Cimade in den Savoyer Alpen. *LAURENÇON, Geneviève Vermutlich seit 1944 Mitarbeiterin der Cimade in Combronde, arbeitete hauptsächlich mit spanischen Kindern (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon I [mit einem Erinnerungszeugnis von Laurençon]). LAVAL, Pierre 32–35, 182, 192, 208, 220 geb. 1881, gest. 1945, 1931/32 und 1935/36 frz. Ministerpräsident, Juli bis Dezember 1940 Stellvertreter Pétains, April 1942 auf deutschen Druck Wiedereinsetzung in das Amt des Regierungschefs, 1944 nach Deutschland verschleppt, 1945 von amerikanischen Truppen verhaftet und an Frankreich ausgeliefert, in Paris als Kollaborateur zum Tode verurteilt und hingerichtet. LEFFMANN, Hildegard 190 Christin jüdischer Herkunft vermutlich aus Deutschland, interniert in der Südzone, dann verlegt in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon. LEGAL, Alfred 174 Rechtswissenschaftler in Montpellier, Mitglied des Nîmes-Komitees, Leiter des Fonds européen de secours aux étudiants (FESE) in der Südzone. *LEGOT, Elise Möglicherweise bis zum Oktober 1943 Sekretärin im Büro der Cimade in Valence (AÖRK GENF: 213.11.7.18/6 [Brief Barots an Evelyn C. Fox, Okt. 1943]). LEHMANN, Kurt 189 Flüchtling in der Südzone, Hausbewohner des Cimade-Heimes in Le Chambonsur-Lignon. LEIPER, Henry Smith 58 geb. 1891, gest. 1975, amerikanischer Theologe, 1933 Exekutivsekretär der amerikanischen Sektion von Life and Work. LENEL, Bertha 121, 137, 188, 190, 198 Krankenschwester, Oktober 1940 Deportation nach Gurs, Juli 1942 Verlegung

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in das Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, Frühjahr 1944 Flucht in die Schweiz. *LE PLATTENIER oder L’EPLATTERNIER, Charles Mitarbeiter der Cimade als Ferienvertretung im Sommer 1942 in Rivesaltes (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes [Brief Barots vom 18. 9. 1942]). LESAGE, Gilbert 113, 205 gest. 1989, Quäker, Leiter des von Vichy eingerichteten Service Social des Etrangers; 1985 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. LEWIN, Jakob 274 Flucht mit der Cimade in die Schweiz. LEWIN 272 Flüchtlinge (Mutter und Kind) in der Südzone (Limoges). *LHERMET, Raoul 189, 195, 275 Pastor, vermutlich April 1942 bis August 1943 Leiter des Cimade-Heimes in Le Chambon-sur-Lignon, Kontakt mit kath. Institutionen, um dort Heimgäste verstecken zu können. 1985 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Chambon-sur-Lignon [Briefe Lhermets an Barot]). LIEFMANN, Else, Dr. Dr. 92, 121, 157, 202, 222, 285, 297 geb. 1881, gest. 1970, Christin jüdischer Herkunft, Tante von Adolf Freudenbergs Frau Elsa, promovierte Kinderärztin an der Universitätsklinik Freiburg und Pädagogin, 1919–1922 Stadtverordnete in Freiburg, wo sie mit ihren Geschwistern Martha und Robert lebte, Oktober 1940 Deportation mit Bruder und Schwester nach Gurs, dort als Ärztin tätig, Mitglied der protestantischen Gemeinde im Lager, nach wiederholten Eingaben krankheitsbedingt im März 1941 in ein Hotel in Morlaas nahe Pau verlegt, Dezember 1941 Überführung in das protestantisch geprägte Dieulefit (Dept. Drôme), September 1942 Flucht in die Schweiz. LIEFMANN, Martha 92, 121, 158, 202, 297f. geb. 1876, gest. 1952, Christin jüdischer Herkunft, Tante von Adolf Freudenbergs Frau Elsa, führte den Haushalt der drei Geschwister Liefmann in Freiburg, Oktober 1940 mit Bruder und Schwester nach Gurs deportiert, Mitglied der protestantischen Gemeinde im Lager, nach wiederholten Eingaben im März 1941 in ein Hotel in Morlaas nahe Pau verlegt, April 1941 Einreisebewilligung und Einreise in die Schweiz. LIEFMANN, Robert 92, 121, 202 geb. 1875, gest. 1941, Christ jüdischer Herkunft, Onkel von Adolf Freudenbergs Frau Elsa, Oktober 1940 mit seinen Schwestern nach Gurs deportiert, Mitglied der protestantischen Gemeinde im Lager, nach wiederholten Eingaben im März 1941 sehr geschwächt in ein Hotel in Morlaas nahe Pau verlegt, noch im selber Monat aufgrund der Entbehrungen der Lagerhaft in Morlaas verstorben. LITZMONOWITZ 262 Flüchtling in Südfrankreich, 1944 betreut von der Cimade. LOISEAU-CHEVALLEY, Suzanne siehe S. Chevalley.

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LOWRIE, Donald A. 62, 89, 103, 106f., 109, 112, 164, 167, 211, 215 Amerikaner, als Vertreter des CVJM in Frankreich, Mitglied des Nîmes-Komitees, unterstützte die Cimade. LUBAC, Henri de 219 geb. 1896, gest. 1991, kath. Geistlicher, seit 1929 Prof. für Theologie am Institut Catholique in Lyon, Mitarbeiter der christlichen Untergrundzeitschrift Témoignage Chrétien, 1983 Ernennung zum Kardinal. LUDWIG XIV. 45, 197 geb. 1638, gest. 1715, 1643–1715 frz. König („Sonnenkönig“). MAAS, Hermann 15, 121 geb. 1877, gest. 1970, 1915–1945 ev. Stadtpfarrer in Heidelberg, seit 1914 Mitglied im Weltbund für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, enge Verbindung zum Judentum, setzte sich nach 1933 zunehmend für Christen jüdischer Herkunft ein, Leiter der Vertrauensstelle des „Büro Pfarrer Grüber“ in Heidelberg. 1946–1965 Kreisdekan von Nordbaden. MACKIE, Robert C. 136, 139, 141, 166, 178 Schotte, 1938 Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbundes, ging 1940 mit seiner Familie von Genf aus nach Toronto, um dort für die Kriegszeit ein zweites und von den Kriegshandlungen nicht bedrohtes Weltsekretariat des CSW zu eröffnen, übernahm 1948 die Leitung des Ökumenischen Flüchtlingsdienstes. MAHLER 123 Schweizer Christin, unterstützte die Bemühungen des Genfer ökumenischen Flüchtlingssekretariates für Südfrankreich mit Spenden. MANEN, Henri 102, 184, 214, 275 Pastor in Aix-en-Provence, Seelsorger im Lager Les Milles, unterstützte die Cimade bei der Heimgründung in Pomeyrol sowie in der Fluchthilfe. MANNHEIMER 280 Korrespondenzpartner Freudenbergs. MARCHAND, Jacqueline 195 Organisierte gemeinsam mit ihrem Mann, dem Pfarrer Robert Cook, Hilfe für jüdische Flüchtlinge in Vabre (Dept. Tarn). MARGARETE VON NAVARRA 45, 136, 305 geb. 1492, gest. 1549, Mutter von Johanna von Albret, unterstützte am Hof von Navarra reformierte Glaubensflüchtlinge. MARX, Siegfried 158f. geb. 1898, Jude, mit seiner Mutter interniert in Récébédou, zuvor Gurs, in Récébédou enger Kontakt zur Cimade-Baracke, von dort im Februar 1943 nach Drancy, im März 1943 vermutlich ins KZ Majdanek deportiert. *MAURY, Jacques Sohn von Pierre Maury, studierte Theologie in Montpellier und war Mitglied der FFACE. Im Sommer 1942 für wenige Wochen in Rivesaltes tätig, versuchte er gemeinsam mit seinem Cousin André Dumas Internierte vor der Deportation zu bewahren. In den 1980er Jahren übernahm er die Präsidentschaft der Cimade (SHPF PARIS: DT Mau; Gespräch mit der Verfasserin im Dezember 1997). MAURY, Pierre 46, 143, 227, 232 geb. 1890, gest. 1956, Theologe, Vater von Jacques Maury, Freund von Karl

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Barth, verbreitete Barths Theologie in Frankreich, 1934 Pfarrer in Paris, Präsident des Nationalen Rates der Reformierten Kirche von Frankreich. MAYER, Heinrich 332 Mediziner, interniert in Gurs, dort als Arzt tätig, Mitglied der protestantischen Gemeinde, verlegt in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon, im September 1942 Flucht mit bezahlten Passeuren in die Schweiz, Refoulement, ein zweiter Fluchtversuch glückte. MAYER, Saly 219 geb. 1882, gest. 1950, 1936–1943 Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, Schweizer Vertreter der im JOINT vereinigten amerikanischen Hilfsorganisationen, engagierte sich u. a. 1944 nachhaltig für die Rettung ungarischer Juden. MENDEL, André-Jean 51 Generalsekretär der protestantischen Pfadfinder in der Südzone (Eclaireurs Unionistes). *MENEGOZ, Claire oder Clairette 267f., 276 Mitglied des Verbandes der Pfadfinderinnen aus Limoges. Nach den Angaben von Violette Mouchon war sie von 1942 bis 1944 im Sekretariat der Cimade tätig. Unter Marie-Louise Brintet leistete sie Fluchthilfe in die Schweiz. Sie war eine gute Bekannte von Pastor Albert Chaudier in Limoges, der zu einem Netz der Résistance gehörte und beispielsweise eine Cimade-Mitarbeiterin in der Fluchthilfe aus dem Lager Nexon unterstützt hatte (A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 128; CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Violette Mouchon II, Dossiers individuels, K–Z [Brief von Chaudier an Menegoz]). *MERLE D’AUBIGNE, Jeanne 26, 30, 75, 90, 93, 107, 115f., 123f., 129, 132f., 136ff., 146, 148, 152f., 160ff., 166, 181, 193, 202, 204, 210ff., 215f., 248, 265, 267f. geb. 1889, gest. 1975, entstammte einer alten hugenottischen Familie, beruflich tätig als staatlich geprüfte Sozialfürsorgerin. Vom Jahreswechsel 1940/41 bis Oktober 1942 Cimade-Mitglied in Gurs. Sie hatte offenbar eine sehr bestimmende, aber auch mütterliche Ausstrahlung und wurde im Lager mit dem Spitznamen „Mamie“ gerufen. Am 9. 10. 1942 erhielt sie die Aufforderung von der Lagerleitung, Gurs unverzüglich zu verlassen. Als angeblicher Grund wurde der Schmuggel von Post von Internierten angegeben. Barot vermutete einen Racheakt des am 15. 8. 1942 eingesetzten neuen Lagerleiters aufgrund der Kritik durch die Cimade-Mitarbeiterin. J. Merle d’Aubigné übernahm nun das Foyer in dem Internierungszentrum in Eaux-Bonnes, dann in Naillat und Douadic (H. SCHRAMM, Menschen; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Gurs [Briefe]; EBD.: Unverzeichneter Bestand [Bericht über Ausweisung aus dem Lager Gurs vom November 1942]; ihr Name wurde in der Bilderläuterung zu dem bei A. JACQUES, Barot, nach S. 40 wiedergegebenen Foto mit dem von Jeanne Tendil vertauscht). MEUSEL, Marga 121 geb. 1897, gest. 1953, Leiterin des Ev. Bezirkswohlfahrtsamtes Berlin-Zehlendorf, Mitglied der BK, plante seit 1934 gemeinsam mit ihrer Freundin Charlotte Friedenthal die Errichtung einer „Hilfsstelle für christliche Nichtarier“ und ver-

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fasste zu diesem Zweck eine Denkschrift für die dritte Bekenntnissynode der DEK 1935 in Augsburg. *MEYER, Hubert 188f., 193f., 199 geb. 1918 (vermutlich), Juni 1942 bis März 1943 erster Leiter des Cimade-Heimes Coteau Fleuri, übernahm von März 1943 bis Juni 1943 die Direktion des nur wenige Kilometer entfernt liegenden Studentenheimes Les Roches. 1989 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand,Ordner Equipiers, communication [Zeugnis der ehemaligen Gurs-Internierten Hilde Hillebrand, die gemeinsam mit ihrem Mann Meyer vom Coteau Fleuri nach Les Roches folgte)]; EBD.: Ordner Chambon-sur-Lignon [Briefe Meyers an Barot]). MEYER, Lili 187, 190 geb. 1880 oder 1881, Lehrerin, vermutlich im Oktober 1940 nach Gurs deportiert, Mitglied der protestantischen Lagergemeinde, Juli 1942 Verlegung in das Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon, März 1944 Flucht mit der Cimade in die Schweiz. *MICHON, Jean 276f., 287 1943 und/oder 1944 Fluchthelfer der Cimade an der Grenze zur Schweiz unter Marie-Louise Brintet (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht Brintets]). MÖRING, Richard 137f. Internierter in Gurs, verwaltete den Kleiderfonds der Cimade-Baracke. MOMMEJA, Blanche 51 Leitendes Mitglied der Christlichen Vereine Junger Frauen (Unions Chrétiennes de Jeunes Femmes, UCJF) in der Südzone *MONET, Laurette (verh. Alexis-Monet) 27, 74f., 111f., 118, 124, 134, 143f., 147ff., 153, 158f., 167, 216f., 298, 306 geb. 1923, Studentin der Neueren Philologie, seit Sommer 1942 Cimade-Mitglied in Récébédou, später in Nexon. Ihre Briefe aus Nexon vom Winter 1942/43 wurden von der Schweizer Freundin B. de Montmollin unter einem Pseudonym an Freudenberg weitergeleitet und von diesem in verschiedenen Berichten als wichtige Quelle für das Lagerleben genutzt. L. Monet nahm dann ein Theologiestudium auf und versuchte im Mai 1944 mit Hilfe von Freudenberg ein Visum für einen Studienaufenthalt in Basel zu bekommen. Das dafür nötige Gutachten wurde von Karl Barth verfasst. Ihre Darstellung über Récébédou und Nexon wurde 1996 von der Fondation du judaïsme français mit dem Preis „Mémoire de la Shoah“ ausgezeichnet (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Equipiers. Nexon [verschiedene Briefe Monets an Barot]; AÖRK GENF: Karton B 2, Comité Oecuménique pour les Réfugiés 1939–1944 [Bericht des ökumenischen Ausschusses für Flüchtlingshilfe vom Dezember 1943]; EBD.: Freudenberg-Akten, General Correspondence M [Brief Freudenbergs mit Hinweis auf Barths Gutachten]; L. ALEXIS-MONET, Les miradors; Gespräch mit der Verfasserin im Juli 1996). MONOD, Wilfred 196 geb. 1867, gest. 1943, Pastor der Reformierten Kirche Frankreichs, 1909 zugleich Prof. für Praktische Theologie an der freien protestantischen Fakultät

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Paris, 1912 Präsident der Union der Églises Réformées de France, gründete 1923 den Tiers-Ordre des Veilleur. MONTMOLLIN, Blanche de (verh. Montmollin Heusch) 216, 308 Schweizerin, Mitarbeiterin des Secours Suisse in Récébédou, enge Zusammenarbeit mit dem Cimade-Foyer, stand nach ihrer Rückkehr in die Schweiz 1943 auch in Kontakt mit Freudenberg. MORDUCEVITCH, Marcelle 131, 137 Internierte in Rivesaltes, leitete dort die Bücherei im Cimade-Foyer. *MOREL, André 26, 30, 75, 90, 107, 115, 138, 140f., 145, 152f., 157, 161f., 167, 219, 274, 277f., 284f. Herbst 1941 Abschluss des Vikariates im Dept. Lozère, wollte sich vor der Übernahme einer eigenen Gemeinde in den Internierungslagern engagieren, November 1941 bis Sommer 1942 Mitarbeiter der Cimade in Gurs, Freistellung durch die Reformierte Kirche. Im Herbst 1942 Fluchthilfe in die Schweiz. Übernahm Mitte November 1942 eine Pfarrstelle im Dept. Ardèche, arbeitete mit der Résistance zusammen und versteckte politische und jüdische Flüchtlinge. Yad Vashem ehrte ihn 1990 als Gerechten der Völker (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Hefte Récébédou und Gurs; A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 154ff. [Zeugnis über Fluchthilfe]; AN PARIS: 72 AJ 287 [mehrseitiges Erinnerungszeugnis Morels vom 13. 9. 1946]). MOTT, John R. 58 geb. 1865, gest. 1955, amerikanischer methodistischer Theologe, gründete 1895 den Christlichen Studentenweltbund, 1921 Präsident des Internationalen Missionsrates, 1915–1928 Generalsekretär des YMCA. *MOUCHON, Violette 26, 51, 53, 67, 69–73, 78, 84, 109, 136, 150, 165, 180, 186, 104, 196, 204, 226, 231, 245f., 261, 289ff., 305 geb. 1893, gest. 1985, schon mit Beginn des Ersten Weltkrieges leitende Funktionen in den Christlichen Vereinen Junger Frauen, eine der Mitbegründerinnen der protestantischen Sektion der Pfadfinderinnen. In den 1920er Jahren setzte sie sich für die Schaffung eines jüdischen Zweiges innerhalb des Verbandes der Pfadfinderinnen ein. Im Herbst 1939 an der Gründung der Cimade beteiligt (vermutlich war sie persönlich motiviert, da ihr Vater aus dem Elsass stammte). 1940–1944 Übernahme der Präsidentschaft der Cimade. Noch vor der Befreiung Frankreichs verzichtete sie auf ein weiteres Engagement in der Bewegung der Pfadfinderinnen und widmete sich als weitere Generalsekretärin (neben M. Barot) ganz der Cimade. Begleitete die Cimade in der Nachkriegszeit. MOULIN, Jean 36, 266f. geb. 1899, gest. 1943, ehemaliger Präfekt, 1942 als Vertreter de Gaulles in Frankreich tätig, um eine Vereinigung der verschiedenen Widerstandsgruppen herbeizuführen, im Mai 1943 einen Monat nach Bildung des nationalen Widerstandsrates verhaftet, Folterung durch den Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie. *MÜHLETHALER (?), Germaine Schreibweise des Namens nach A. FONTAINE, Camp d’Etrangers, S. 151; „Muhlthaler“ (CIMADE-ARCHIV PARIS, Ordner Violette Mouchon II); „Mühlenthaler“ (LES PROTESTANTS FRANÇAIS, S. 689). Nach den undatierten, jedenfalls aber nach

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dem Krieg zusammengestellten Angaben von Violette Mouchon war G. Mühlethaler Leiterin des Foyer Marie Durand in Marseille (mit Lisette Nègre). Sie habe ab September 1942, also nachdem das Foyer offiziell geschlossen und die Möbel eingelagert worden waren, eine „Permanence“ eingerichtet. In der Korrespondenz des Foyer-Teams mit Barot bis zum Sommer 1942 erscheint sie nicht, und sie ist auch später nicht nachzuweisen. Es ist dennoch nicht auszuschließen, dass Mühlethaler für eine Übergangszeit eine Anlaufstelle für noch in der Stadt verbliebene Flüchtlinge angeboten hat. André Fontaine konnte noch in den 1980er Jahren ein Interview mit ihr führen, in dem sie erzählte, dass sie Marc Boegner beeinflusst habe, für eine bessere Organisation der Hilfswerke für die Rettungsaktionen einzutreten und bei der Schweizer Regierung zu intervenieren (A. FONTAINE, Camp d’Etrangers, S. 151). Germaine Mühlethaler hat Juden vor der Deportation gerettet und wurde bereits 1967 von Yad Vashem als Gerechte der Völker geehrt. MÜLLNER (Familie) 270 Interniert in Gurs, dann vermutlich in Rivesaltes, der Vater starb in Rivesaltes, der Sohn wurde in das Studentenheim Les Roches verlegt, floh dann in die Schweiz; Mutter, Onkel und Tante verblieben in der Südzone. NAGELSTEIN, Arthur 190, 284 Vermutlich im Oktober 1940 nach Gurs deportiert, Juli 1942 Verlegung in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon, September 1942 gemeinsam mit dem Ehepaar Ebbecke erster Fluchtversuch in die Schweiz, Refoulement, 1943 zweiter erfolgreicher Grenzübergang mit der Cimade. *NEGRE, Lisette 101f., 137, 145, 147 Seit Herbst 1939 Mitglied der Cimade, seit Juli 1941 tätig im Foyer Marie Durand in Marseille, im Oktober 1941 in Vertretung von Barot Teilnahme an einer Sitzung des Nîmes-Komitees. Im Frühjahr 1942 musste sie aus gesundheitlichen Gründen ihr Engagement bei der Cimade ruhen lassen. Nègre stand in Kontakt mit Suzanne de Diétrich und gehörte der Post-Fédé an, der Vereinigung graduierter Mitglieder der FFACE. Im September 1941 nahm sie an der Tagung der Post-Fédé in Pomeyrol teil, auf der die Thesen von Pomeyrol diskutiert wurden. Gleichzeitig war sie Mitglied der Pfadfinderinnenbewegung (CIMADEARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille [Briefe Nègres an 1941]; EBD.: Unverzeichneter Bestand, Ordner Violette Mouchon II; AÖRK GENF: 213.11.7.18/3 [Suzanne de Diétrich]). NETHE, Ludwig 190 Christ jüdischer Herkunft, interniert in Gurs, im Juli 1942 Verlegung in das Cimade-Heim Coteau Fleuri in Le Chambon. NIEMÖLLER, Martin, 59, 308 geb. 1892, gest. 1984, 1931 Pfr. In Berlin-Dahlem, Mitglied der BK, 1937 verhaftet, 1938–1945 in verschiedenen KZ. 1947–1964 Kirchenpräsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. OBERG, Carl 208 geb. 1897, gest. 1966, Höherer SS- und Polizeiführer, seit April 1942 Militärbefehlshaber und Inhaber der gesamten Polizeigewalt der Sicherheitspolizei/SD im besetzten Frankreich, verantwortlich für die Deportation von 75.000 frz.

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Juden in deutsche Vernichtungslager, 1954 wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt, 1965 von de Gaulle begnadigt. OERI, Albert 253 geb. 1875, gest. 1950, Studium der Altphilologie, Redakteur, Schweizer Nationalrat der Liberalen, 1947 Alterspräsident des Nationalrats. OLDHAM, Joseph H. 57 geb. 1874, gest. 1969, führender britischer Ökumeniker, 1921–1928 Generalsekretär des Internationalen Missionsrates, 1934–1938 Vorsitzender der Research Commission of the Universal Christian Council for Life and Work, 1942–1947 Leiter des Christian Frontier Council. OLGIATI, Rodolpho 63 geb. 1905, gest. 1986, Mathematikprofessor, seit 1935 Leitung des Internationalen Zivildienstes, 1940 bis 1943 Zentralsekretär der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für kriegsgeschädigte Kinder (Secours Suisse aux Enfants). OPPENHEIM, Walter 281 Internierter in der Südzone, Flucht in die Schweiz. PANNIER, Jane 51, 67, 72, 96, 150 Während der Kriegszeit Präsidentin der Christlichen Vereine Junger Frauen (Unions Chrétiennes de Jeunes Filles, UCJF) in Frankreich. *PARKER, Amélie 98, 185f., 196 Oktober und November 1942 Leiterin des Heimes Mas du Diable im Dept. Bouches-du-Rhône. Im ersten Halbjahr 1943 vermutlich gewährleistete sie die Arbeit im Foyer des Frauenlagers Brens. Ab Sommer 1943 leitete sie das Haus der Cimade in Vabre (Dept. Tarn) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Comités, Conseil . . ., approches politiques, échanges COE, YMCA; Ordner Violette Mouchon II [Bericht Parkers über Vabre]). PATON, William 58 geb. 1886, gest. 1943, englischer Presbyterianer, 1927 bis 1943 Sekretär des Internationalen Missionrates, beigeordneter Generalsekretär des vorläufigen Ausschusses des ÖRK. *PATTE, Robert (genannt Pitche) 274, 277, 288 1943, möglicherweise auch schon 1942 Fluchthelfer an der Schweizer Grenze in Zusammenarbeit mit Geneviève Pittet. Mitglied der Pfadfinder. Verschiedentlich erwähnt in der Korrespondenz Freudenbergs und auch genannt im Bericht von Brintet (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique). (*)PELOUX, Isabelle Den Angaben Barots zufolge eine protestantische Oberschwester, Mitglied eines Cimade-Teams in den Lagern. Nach dem Bericht von J. Sénat über Récébédou war Peloux jedoch als Angestellte des Roten Kreuzes im Lager tätig und arbeitete nur in dieser Funktion mit der Cimade zusammen (M. BAROT, organisations internationales, S. 225; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht Sénats]). *PERDRIZET, Elisabeth 104ff., 122, 138, 144, 153, 157, 181, 189, 199, 205f., 212, 270, 272 Oktober 1941 bis Herbst 1942 ständige Mitarbeiterin im Team von Rivesaltes. Sie hatte bereits den Aufbau der Foyers im Sommer 1941 begleitet. Über die schlimmen Zustände im Lager verfasste sie einen Artikel, der am 17. 7. 1942

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möglicherweise durch Vermittlung von Freudenberg in der Gazette de Lausanne veröffentlicht wurde und in dem sie kritisch die Arbeit der Cimade reflektierte. Nach dem Einsetzen der Deportationen versuchte sie gemeinsam mit Tracy Strong bei Donald Lowrie, dem amerikanischen Vertreter des YMCA in der Südzone, für weitere Interventionen zu plädieren. Nach der Auflösung von Rivesaltes im November 1942 wechselte sie ins Büro der Cimade und unterstützte als Reisesekretärin Barot bei der Organisation der Arbeit. Vor ihrem Engagement bei der Cimade hatte sie vermutlich keine Verbindung zu den protestantischen Jugendverbänden in Frankreich (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes [Briefe Perdrizets]; EBD.: Unverzeichneter Bestand [Artikel in der Gazette de Lausanne]; P. BOEGNER, Carnets, S. 201f. [Eintrag vom 9. 9. 1942; „Elisabeth P.“ ist als E. Perdrizet zu identifizieren]). PERELS, Leopold 121, 129 geb. 1875, gest. 1954, Prof. in Heidelberg, Christ jüdischer Herkunft, 1933 Entzug der Lehrbefugnis, Oktober 1940 nach Gurs deportiert, Mitglied der protestantischen Lagergemeinde. Nach dem Hungerwinter 1942 sehr geschwächt, befand er sich 1943 unter der Obhut von Merle d’Aubigné im Dept. Creuse, vermutlich im SSE-Zentrum Naillat. Lebte nach 1945 in Périgueux. *PERRIER, France Vermutlich im Sommer 1941 am Aufbau der Cimade-Arbeit in Rivesaltes beteiligt, besonders bemüht um spanische Jugendliche. Zu Madeleine Barot stand sie offenbar in engerer Beziehung, denn sie war eine der wenigen, die in den Briefen das vertrauliche „Du“ verwandte. Nach den Angaben von Violette Mouchon war Perrier 1943 und/oder 1944 Mitarbeiterin im Internierungszentrum Châteauneuf-les-Bains (Dept. Puy-de-Dôme) (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand [Brief Perriers an Barot vom 3. 12. 1941]; EBD.: Ordner Violette Mouchon II). PERRIRAZ 263f. Mitarbeiterin des YMCA in Genf unter C. Guillon. PETAIN, Henri Philippe 32–35, 47f., 51, 71, 192, 200, 208, 218, 239, 243 geb. 1856, gest. 1951, im Ersten Weltkrieg Oberbefehlshaber, wurde nach der Verteidigung von Verdun zum Nationalhelden, 1934 Kriegsminister, März 1939 Botschafter in Madrid, 10. 7. 1940 Wahl zum Chef des État Français durch die Nationalversammlung in Vichy, stellte sich am 24. 4. 1945 den frz. Behörden, am 15. 8. 1945 zum Tode verurteilt, aus Altersgründen zu Festungshaft begnadigt. PETERS, Albert 133 Bariton oder Tenor an einer Berliner Oper, gemeinsam mit seiner Frau in Gurs interniert, beteiligt am kulturellen Leben des Lagers, im Mai 1942 Verlegung des Ehepaares in das Glasberg-Heim in Le Pont de Manne-en-Royans, sie entgingen hier der Razzia im Sommer 1942. A. Peters wird nach E. C. FABRE später „doch noch umgebracht“. *PHILIBERT, Michel geb. 1921, verstarb zu Beginn der 1990er Jahre; seit Oktober 1943 Mitarbeiter der Cimade in den kleineren Internierungszentren Châteauneuf-les-Bains, Douadic und Neybouzat. War auch in der Nachkriegszeit für die Cimade tätig und

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heiratete die Cimade-Mitarbeiterin Janine Veil (M. BAROT, organisations internationales, S. 225; CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Suisse, passages [Brief Barots an Clavel vom 8. 12. 1943]; EBD.: Ordner Violette Mouchon II; Gespräch von Janine Philibert mit der Verfasserin im September 1996). *PHILIP, Mireille 274f., 280, 288 Ehefrau des sozialistischen Politikers und Widerständlers André Philip, der nach der Machtübernahme durch das Regime von Vichy zu de Gaulle nach London geflohen war. M. Philip blieb in Südfrankreich und organisierte mit der Cimade bis zum Januar 1943 auf dem Plateau Vivarais-Lignon sowie an der Schweizer Grenze Fluchthilfe für bedrohte Juden und Jüdinnen. Sie wechselte dann zu einer Gruppe der Résistance, hat aber der erhaltenen Korrespondenz der Coteau-Fleuri-Leiter zufolge auch nach diesem Termin noch Passagen für Schützlinge der Cimade in die Wege geleitet. Von Yad Vashem 1976 als Gerechte der Völker geehrt (Zeugnis Philips in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 152f.; Zeugnis Pitons in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 262ff.; AÖRK GENF: A. Freudenberg, General Correspondence; CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Chambon-sur-Lignon). (*)PITON, Pierre 275, 277, 283, 286 Im Herbst 1942 17 Jahre alt; leistete unter Mireille Philip Fluchthilfe, organisierte Verstecke in Chambon und führte selbstständig Passagen mit Flüchtlingen bis in die Alpenregion sowie im zweiten Abschnitt bis an die Grenze durch. Obwohl er auch Schützlinge der Cimade begleitete und durch Philip in die Fluchtarbeit der Cimade eingebunden war, betrachtete er sich selbst nicht als Mitglied der Jugendorganisation. Yad Vashem ehrte ihn 1989 als Gerechten der Völker (sein Zeugnis in: LE PLATEAU VIVARAIS-LIGNON, S. 262ff.). *PITTET, Geneviève (genannt Tatchou, verh. Priacel-Pittet) 184, 221, 265, 268, 273–280, 284–289 geb. 1918 (vermutlich), entstammte der Jugendorganisation der protestantischen Pfadfinderinnen und ist erstmalig als Mitarbeiterin im Büro der Cimade in Nîmes im Sommer 1942 bezeugt. Von ihrer Freundin J. Veil wird sie als eine sportliche junge Frau geschildert. G. Pittet war an der Fluchthilfe in Nîmes beteiligt und organisierte daraufhin die ersten Fluchtpassagen in Hochsavoyen an der Schweizer Grenze, später bei Annecy, Annemasse, Evian-les-Bains und Thonon-lesBains. Sie arbeitete eng mit Pfarrer P. Chapal und mit Abbé C. Folliet in Annecy zusammen, später auch mit Pfarrer H. Westphal in Thonon-les-Bains und dem Curé von Douvaine. Im Dezember 1943 verließ sie die Cimade und trat in die bewaffneten Verbände der Résistance ein. Yad Vashem ehrte sie als Gerechte der Völker (ihre Erinnerungen in: A. FREUDENBERG, Befreie . . ., S. 127ff.; CIMADEARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner gestion, financière [Brief an Barot über Fluchthilfe vom 9. 3. 1943]; Gespräch von Janine Veil mit der Verfasserin im September 1996). PLASTERECK, Siegfried 99 Internierter in Gurs, dort als Vertreter der Emigrationsorganisation HICEM tätig. POLLATSCHEK, Paul 269 Vermutlich 1943 Flucht aus der Südzone in die Schweiz.

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PRALY, Léopold 199f. gest. 1943 im Alter von ca. 24 Jahren, Inspektor der Police nationale in Le Chambon-sur-Lignon, dort vermutlich zur Überwachung des Cimade-Heimes bzw. des Heimes Les Roches eingesetzt. PREISS, Théodor 227 geb. 1910, gest. 1949, Pastor, aktiv in der Fédération Française des Associations Chrétiennes d’Etudiants, Mitglied der Résistance im Dept. Tarn. PURY, Roland de 44, 47, 148, 219, 227, 233, 266ff. geb. 1907, gest. 1979, Schweizer, 1929–1932 Studium der Theologie in Paris, 1932–1933 in Bonn bei Karl Barth, Mitbegründer der französischen Zeitschrift für dialektische Theologie „Hic et Nunc“, 1934 Pastor in Moncoutant (Dept. Deux Sèvres), 1938 in Lyon, rief bereits im Juli 1940 zum geistigen Widerstand auf, Mitglied der Amitié chrétienne, unterstützte Témoignage Chrétien, sein Pfarrhaus war Versteck für jüdische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer, Mitarbeit in der Résistance, im Mai 1943 Verhaftung durch die Gestapo, fünf Monate Gefängnishaft. RACINE, Mila 261, 278 geb. 1923, gest. 1944 oder 1945, Fluchthelferin für OSE an der Schweizer Grenze, Verhaftung und Deportation nach Ravensbrück. RAGAZ, Christine 63 Verantwortlich für das Flüchtlingshilfswerk der Religiös-Sozialen Bewegung in der Schweiz (die sog. „Auskunftsstelle für Flüchtlinge“). RAUCH, Margot 133 geb. 1902, gest. in den 1980er Jahren, Internierte in Gurs, als Pianistin beteiligt an kulturellen Veranstaltungen in der Cimade-Baracke. *RAYNAUD, Yvonne Nach den Erinnerungen von Violette Mouchon 1943 und/oder 1944 Mitarbeiterin der Cimade im Internierungszentrum von Combronde. (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Violette Mouchon II). RECKENDORF, Lili 118, 121, 137, 148, 158, 187, 190, 198, 297 Lehrerin, Oktober 1940 aus Freiburg nach Gurs deportiert, gab dort in der Cimade-Baracke Kurse, Juli 1942 Verlegung in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon, Flucht in die Schweiz. *REINAUD, Jacques Am 10.6.1941 auf der Sitzung des Cimade-Komitees in Nîmes zum Schatzmeister ernannt (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5 [Protokoll der Komitee-Sitzung]). *RENNES, Françoise 104ff, 122, 133, 144, 150, 153, 156f., 193 Ausbildung für das Ministère féminin (Gemeindehelferin), Herbst 1941 bis Sommer 1942 Mitarbeiterin im Team der Cimade in Rivesaltes. Sie entstammte vermutlich einer grenznahen Pyrenäenregion, sprach spanisch und war vor allem für die spanischen Internierten zuständig. Mit Dumas bereits aus der protestantischen Jugendarbeit bekannt, wo sie vermutlich sowohl Mitglied der FFACE wie auch der Pfadfinderinnen gewesen ist, verfasste sie für die PfadfinderinnenZeitschrift Abeille Artikel. Nach der Auflösung von Rivesaltes im Oktober 1942 war sie in der gesamten Südzone für die spanischen Internierten tätig und erhielt im Februar 1943 die Ermächtigung der Vichy-Regierung, in dieser Funktion sämtliche Lager betreten zu dürfen (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et

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Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes [Briefe Rennes]; AÖRK GENF: 213.11.7.17/3; 213.11.7.18/5). RENNES, Jacques 160f., 248 Betreute die protestantische Gemeinde in Gurs 1941 und 1942. RIBIERE, Germaine 219 Katholikin, aktives Mitglied der kath. Studentenvereinigung Jeunesse étudiante chrétienne (JEC), Mitarbeiterin des Hilfskomitees Amitié Chrétienne. RIEGNER, Gerhart M., Dr. 63, 217, 253 geb. 1911, gest. 2001, Generalsekretär des Jüdischen Weltkongresses in Genf, seit 1940 enge Zusammenarbeit mit Freudenberg, mit dem gemeinsam er versuchte, die freie Welt über die als „Endlösung“ getarnte Massenvernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen zu informieren. RÖHL, Liane 137 Internierte in Gurs, Mitglied des Cimade-Teams, leitete die Küche in der CimadeBaracke. *ROEHRICH, Anne-Marie 75, 111 Mitglied der FFACE, stand in brieflichem Austausch mit Suzanne de Diétrich. Sie vertrat in den Osterferien 1942 Jeanne Sénat im Internierungslager Récébédou (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht Sénats]; AÖRK GENF: 213.11.7.18/3). *ROLLAND (?) Nach einem mit dem Namen Rolland oder Rollandt unterschriebenen handschriftlichen Brief an Madeleine Barot vom März 1945 hat der Unterzeichner, ein Mitglied der Pfadfinderorganisation, gemeinsam mit Marie-Louise Brintet und Claude Krebs Fluchthilfe an der Grenze geleistet hat (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner C.R. activités des camps SO 1939–1945, Heft Camps d’internement 1940–1944). ROSAY, Jean 282, 286 gest. 1945, 1926 Pfarrer, Curé der Pfarrei von Douvaine in unmittelbarer Nähe zur Grenze bei Genf, wichtiger Ausgangspunkt für Fluchtpassagen in die Schweiz, Verhaftung am 10. 2. 1944, KZ-Haft in Auschwitz, Birkenau, GroßRosen, Nordhausen, Bergen-Belsen, dort zu Ostern 1945 umgekommen. RÖTHKE, Heinz 208 Ende Juli 1942 Nachfolger Danneckers als Judenreferent des RSHA in Frankreich. ROTHMUND, Heinrich, Dr. 251f., 254–258, 303 geb. 1888, gest. 1961, Chef der Polizeiabteilung im Schweizer Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement von 1919 bis 1954. ROTHSCHILD, Trude 101 Oktober 1940 Deportation von Konstanz nach Südfrankreich, Internierung in Gurs, 1942 Verlegung nach Marseille, März 1942 Ausreise in die USA. ROULET, Suzanne 64, 123 Sekretärin Freudenbergs im Flüchtlingssekretariat des ÖRK in Genf. *SABATIER, Marc Mitarbeiter der Cimade in Rivesaltes, vermutlich im September und Oktober 1942 bis zur Auflösung des Lagers (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et

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Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). SALIEGE, Jules Gérard 218 geb. 1870, gest. 1956, Erzbischof von Toulouse, protestierte am 23. 8. 1942 in einem Hirtenbrief gegen die Deportationen. *SALOMON, Lena Sekretärin der Cimade im Büro von Valence (Brief Barots vom Oktober 1943 an Evelyn C. Fox [AÖRK GENF: 213.11.7.18/6]). SALON-WEIL, Nicole 261 geb. 1915, gest. 1943, Fluchthelferin für OSE an der Schweizer Grenze, im Oktober 1943 verhaftet und nach Auschwitz deportiert, ging mit drei Waisenkindern in die Gaskammer. SAMUEL, Vivette 103 geb. 1919, Kind russisch-jüdischer Eltern, Studium der Philosophie an der Sorbonne, seit 1941 Mitarbeiterin des jüdischen Kinderhilfswerks OSE. *SAUSSINE, Jacques 75, 111, 216 geb. 1920 (vermutlich), gest. 1942, Neffe des Flüchtlingsgeistlichen Pierre C. Toureille und Student der Theologie in Montpellier, im Sommer 1942 Cimade-Mitarbeiter in Récébédou, starb Ende September 1942 in einem Krankenhaus in der Nähe von Récébédou an den Folgen einer durch den Lagerarzt fehldiagnostizierten und daher falsch therapierten Blinddarmentzündung. Er war Mitglied der FFACE, die in der Correspondance Fédérative im November 1942 einen Nachruf veröffentlichte, ein Nachruf erschien ebenso in dem ökumenischen Untergrundblatt Cahier du Témoignage Chrétien (L. ALEXIS-MONET, Les miradors, S. 59ff.; Privatarchiv von Laurette Alexis-Monet [Briefe Saussines an seine Familie]). SAUTER, F. Marc 61f., 176f., 183 Vertreter der Internationalen Protestantischen Darlehensgenossenschaft (APIDEP) im Ökumenischen Ausschuss für Flüchtlingshilfe in Genf. SCHÄDELIN, Hans 61 Vertreter des Schweizer Ev. Kirchenbundes im Ökumenischen Ausschuss für Flüchtlingshilfe in Genf. *SCHAFFERT, Hans 64 Theologiestudent aus der Schweiz, Juli bis vermutlich Oktober 1942 in Nachfolge von André Morel in Gurs tätig. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz assistierte er Freudenberg im Flüchtlingsreferat des im Aufbau befindlichen ÖRK in Genf und arbeitete später auch für den Flüchtlingspfarrer des Hilfswerks der BK in der Schweiz, Paul Vogt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner YMCA/YWCA und Gurs; H. KOCHER, Menschlichkeit, S. 239). SCHINDLER, Emilia und Oskar 15 Deutsches Kaufmannsehepaar, übernahm 1939 in Krakau eine jüdische Fabrik, reklamierte von der SS Hunderte von Juden als Arbeitskräfte und bewahrte sie so vor der Deportation. SCHLOSS, Erwin 257 Schweizer Pfarrer, Mitarbeiter des Kirchlichen Hilfskomitees in Bern.

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Personenregister/Biografische Angaben

*SCHMIDT, Elisabeth 26, 75, 82, 87, 90, 94, 135f., 140, 151ff., 169, 188, 191, 306 geb. 1908, gest. 1986, 1935–1941 Pfarrvikarin in einer Cevennen-Gemeinde, ging im Juli 1941 auf Bitten von Barot nach Gurs, erkrankte schwer während einer im Lager grassierenden Typhusepidemie und wurde im Dezember 1941 von André Morel abgelöst. Im Juli 1942 war sie als Pastorin mehrere Wochen im Heim der Cimade in Le Chambon-sur-Lignon tätig, wurde am 20. 10. 1949 als erste Frau in der reformierten Kirche Frankreichs zur Pfarrerin ordiniert, jedoch zur Ehelosigkeit verpflichtet. Ab 1958 verbrachte sie mehrere Jahre in Algerien und setzte sich während des Unabhängigkeitskrieges auch für die muslimische Bevölkerung ein. Sie war bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1972 in mehreren Gemeinden tätig (E. SCHMIDT, Dieu; CIMADE-ARCHIV PARIS: Ordner Gurs [Briefe an Barot]). SCHRAGENHEIM, Inge 280 1943 Flucht aus der Südzone in die Schweiz. SCHRAMM, Hanna 88, 163, 165 In den 1930er Jahren Emigration nach Frankreich, Mai 1940 Internierung in Gurs als sog. „feindliche Ausländerin“, vermutlich im November 1941 Verlegung in ein Heim des Abbé Glasberg. SCHRIESHEIMER, Hugo 271 Flüchtling im Schweizer Arbeitslager Bonstetten. *SCHROPFF, Claude (genannt Jules) 276 Mitglied eines Fluchthilfeteams im Jura und an der Grenze zur Nordschweiz (Montbéliard) Ende 1943 oder/und 1944 (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Cimade historique [Bericht Brintets]). SCHWARZ, Robert 190 Christ jüdischer Herkunft, vermutlich aus Deutschland, interniert in der Südzone, dann verlegt in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon. SECKEL, Alfred 137, 141 geb. 1909, gest. 1979, Christ jüdischer Abstammung, in den 1930er Jahren aus Deutschland nach Frankreich emigriert, dort vermutlich Mitglied der Fremdenlegion, nach seiner Demobilisierung Internierung in Gurs, als Mitglied des Cimade-Teams u. a. für die umfangreiche Korrespondenz zuständig, konnte im Januar 1942 das Lager verlassen und heiratete Charlotte van der Molen. *SENAT, Jeanne 75, 101, 111, 137f., 145, 147, 153, 189, 191, 194, 199, 203f. geb. 1885 oder 1886, seit Herbst bei der Cimade, vorher Leiterin eines Foyers der U.C.J.F. Cimade-Mitarbeiterin im Foyer Marie Durand, seit Februar 1942 in Récébédou, seit Oktober 1942 in Nexon, seit März 1943 im Internierungszentrum Masseube. Zum Jahreswechsel 1943/44 Leiterin des Cimade-Heimes in Le Chambon-sur-Lignon (Privatarchiv Laurette Alexis-Monet: Brief Saussines vom 1. 8. 1942; CIMADE-ARCHIV PARIS: handschriftliches Manuskript der Erinnerungen Sénats). SIEGMUND-SCHULTZE, Friedrich 59, 61, 174 geb. 1885, gest. 1969, Theologe und Sozialpädagoge in Berlin, Mitbegründer des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, Sekretär der Bewegung für Praktisches Christentum, versuchte seit 1933 ein internationales ökumenisches Netzwerk für Emigranten zu schaffen, wurde jedoch aufgrund seiner Hilfe für Juden von der Gestapo zur Ausreise in die Schweiz gezwungen.

Personenregister/Biografische Angaben

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*SIEGRIST, Georgette 51, 53, 67, 69f., 70, 72ff., 226 geb. 1897, Mitglied der UCJF und Mitbegründerin der protestantischen Pfadfinderinnen-Organisation während des Ersten Weltkrieges. Herbst 1939 bis Frühjahr 1941 (seit August 1940 gemeinsam mit Madeleine Barot) Generalsekretärin der Cimade; verließ im Juni 1941 die Cimade und gründete eine Hauswirtschaftsschule für junge Frauen (AÖRK GENF: 213.11.7.18/5; A.-S. FAULLIMMEL, Scoutisme féminin, S. 490f.; CORRESPONDANCE FEDERATIVE Juli 1942; Schriftliche Mitteilung an die Verfasserin von Jacqueline Laurier Juli 1996). SMITH LEIPER, Henry 58 Beigeordneter Generalsekretär des vorläufigen Ausschusses des ÖRK. *SOULIER, Jacques 248f. geb. 1922, im Sommer 1942 während der Deportationszeit Mitarbeiter der Cimade in Rivesaltes, führte Fluchtpassagen über die Pyrenäen nach Spanien durch. Er war Mitglied der FFACE und stand in Kontakt mit Suzanne de Diétrich. Möglicherweise hat er auch Passagen in die Schweiz organisiert (AÖRK GENF: 213.11.7.18/3; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Rivesaltes). SOUTOU, Jean-Marie 219 Kath. Mitarbeiter im Hilfskomitee Amitié Chrétienne in Lyon. *SPINDLER, Yvette Im Sommer 1941 für einige Wochen Mitarbeiterin im ehemaligen YWCA-Foyer der Cimade in Toulouse (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Toulouse). STARITZ, Katharina 15f., 24, 78, 121 geb. 1903, gest. 1953, seit 1932 Stadtvikarin in Breslau, Engagement für ev. Christen jüdischer Herkunft, wandte sich aktiv gegen deren Ausgrenzung, Leiterin der Vertrauensstelle des Büros „Pfarrer Grüber“, April 1942 Verhaftung durch die Gestapo, Juni 1942 bis Mai 1943 Haft im Frauen-KZ Ravensbrück. STEIGER, Eduard von 250, 252f., 255 geb. 1881, gest. 1962, 1940 Schweizer Bundesrat, Leiter des Justiz- und Polizeidepartement, 1945–51 Bundespräsident. STRANDERS, Ehepaar 277 Flucht in die Schweiz mit Hilfe der Cimade. STRESS, Rodolphe 139 Internierter aus Polen, organisierte evangelische Gottesdienste in Rivesaltes. STRENOPOULOS, Germanos 58 geb. 1872, gest. 1951, 1912 (Titular-)Metropolit von Seleukia, 1922 Erzbischof von Thyateria mit Sitz in London und Exarch des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel für West- und Zentraleuropa, einer der bedeutendsten orthodoxen Ökumeniker im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. STRONG jr., Tracy 62, 106, 109, 181, 206, 231 Amerikaner, als Mitglied des YMCA in Marseille tätig, unterstützte die Cimade in Rivesaltes. STUCKI, Walter Otto 251, 256 geb. 1888, gest. 1963, 1938 Schweizer Gesandter in Paris, 1940–44 Chef der

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Personenregister/Biografische Angaben

Schweizer Mission bei der Vichy-Regierung, 1946–54 Delegierter des Schweizer Bundesrats für politische Spezialmissionen. STURM, Marcel 308 geb. 1905, gest. 1950, 1929–1939 Pfr. in Huningen/Elsass, 1940 deutsche Kriegsgefangenschaft und Flucht nach Algier, 1942 Leiter der protestantischen Militärseelsorge bei den frz. Truppen in Algerien, 1944 oberster Militärseelsorger für protestantische Kriegsgefangene und 1945 für die frz. Besatzungsarmee in Deutschland und Österreich, 1945 Leiter der Aumônerie protestante. SUSSMANN, Käthe 137 Internierung vermutlich zunächst in Gurs, dann Überführung in ein Frauensammellager in Marseille, als Mitglied des Cimade-Teams verantwortlich für die Korrespondenz im Foyer Marie Durand. SYLTEN, Werner 60 geb. 1893, gest. 1942, 1938 Leiter der Vertrauensstelle des Büro „Pfarrer Grüber“ in Gotha, seit November 1939 in Berlin. Nach Grübers Verhaftung Ende 1940 musste Sylten das Berliner Büro auflösen, im Februar 1941 wurde er ebenfalls von der Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau eingewiesen. TEMPLE, William, Dr. 58 geb. 1881, gest. 1944, englischer anglikanischer Theologe, 1929 Erzbischof von York, 1942 von Canterbury, seit 1927 führender Vertreter der ökumenischen Bewegung. *TENDIL, Jeanne 74, 107f., 181, 206, 231 1941–1942 Mitarbeiterin der Cimade in dem Frauenstraflager Rieucros, dann bis mindestens Februar 1943 in Brens, Frühjahr und Frühsommer 1943 für die Cimade in Gurs, wo sich nur noch wenige hundert Internierte befanden. Als die letzten Lagerinsassen im Oktober 1943 in andere Internierungszentren verbracht wurden, organisierte Tendil bis Anfang Dezember die Auflösung des Foyers. (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Gurs. Equipiers [Briefe Tendils von 1943]; C. LAHARIE, Gurs, S. 350, 355 [ihr Name wurde in der Bilderläuterung zu dem bei A. JACQUES, Barot, nach S. 40 wiedergegebenen Foto mit dem von Merle d’Aubigné vertauscht]). THADDEN, Elisabeth v. 24 geb. 1890, gest. 1944, Pädagogin, gründete in den 1920er Jahren bei Heidelberg ein Mädchen-Internat, das ganzheitliche und christlich-ethische Erziehungsziele verfolgte. Nach der Verstaatlichung des Internates zog sie nach Berlin. Aufgrund von Gesprächen in ihrer „Teegesellschaft“ wurde sie wegen angeblicher „Wehrkraftzersetzung“ und „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ im Januar 1944 verhaftet und im September 1944 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. THEAS, Pierre-Marie 218 geb. 1894, gest. 1977, Bischof von Montauban, protestierte im Sommer 1942 gegen die Deportationen aus der Südzone. THEIS, Edouard 323 Pastor, Leiter des Collège Cévenol in Le Chambon-sur-Lignon, 1943 gemeinsam mit A. Trocmé und dem R. Darcissac festgenommen und interniert, nach einigen Monaten freigelassen, war mindestens an einer Fluchtpassage der Cimade beteiligt und blieb schließlich aufgrund seiner Gefährdung in der Schweiz.

Personenregister/Biografische Angaben

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THIELBEER, Karl Internierter in Gurs, als Mitglied des Cimade-Teams für die Organisation im Foyer zuständig. THURNEYSEN, Eduard, Dr. 64, 141 geb. 1888, gest. 1974, Schweizer Theologe, seit 1929 Prof. in Basel, Vater von Dorothée Casalis, spendete für die christliche Gemeinde in Gurs. TOUREILLE, Pierre-Charles, Dr. 47f., 61, 91–95, 109, 111, 113, 119, 123, 131, 139, 145, 172f., 204, 255, 262, 269, 296 geb. 1902, gest. 1976, Studium der Evangelischen Theologie in Montpellier und Straßburg, 1920–1924 Studienaufenthalt in Prag, 1924 Pastor, tätig in der ökumenischen Bewegung, Mitglied der ökumenischen Jugendkommission, Generalsekretär des Weltbundes für Freundschaftsarbeit der Kirchen für Frankreich, im Oktober 1940 mit der Aumônerie Protestante Pour les Etrangers en France beauftragt, Zusammenarbeit mit Freudenberg und der Cimade, 1945–1966 in den USA; 1979 von Yad Vashem zum Gerechten der Völker ernannt. *TRELLIS, Suzette 100f., 150 Herbst 1939 Mitarbeiterin der Cimade, zunächst tätig im YWCA-Foyer in Récébédou, das im April 1941 auf behördliche Anordnung schließen musste. 1941 im Foyer Marie Durand, blieb bis November 1941 als Cimade-Mitarbeiterin in Marseille und verließ zu diesem Zeitpunkt die Cimade, um in die Nordzone zu gehen. Nach einem Brief von de Diétrich vom 3. 10. 1944 wurde sie von den deutschen Besatzungsbehörden verhaftet und deportiert. Ein Artikel in der Wochenzeitschrift Réforme vom 16. 6. 1945 berichtet von einer Suzanne Treillis, die von der Gestapo im März 1944 gefangen genommen und am 1. Juli nach Saarbrücken und Ravensbrück deportiert wurde, wo sie infolge der schweren Zwangsarbeit im Februar 1945 starb. Ob es sich um Suzette Trellis gehandelt hat und die Schreibweise des Namens auf einem Übermittlungsfehler beruht, muss dahingestellt bleiben (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Marseille, Foyer Marie-Durand; AÖRK GENF: 213.11.7.18 [Brief von de Diétrich]). TROCME, André 194, 198, 20f., 267 geb. 1901, gest. 1971, Pastor in Le Chambon-sur-Lignon, treibende Kraft für die Entwicklung des Plateau Vivarais zu einer Zufluchtsinsel für Juden, August 1943 bis Juni 1944 im Untergrund; von Yad Vashem 1971 zum Gerechten der Völker ernannt. TROCME, Daniel 189 gest. 1944, seit September 1941 Leiter des Studentenhauses Les Roches, nach der Razzia am 29. Juni 1943 gemeinsam mit Heiminsassen deportiert, am 2. April 1944 im KZ Majdanek umgebracht. TROCME, Magda 198 geb. 1901, gest. 1996, Literaturwissenschaftlerin, mit ihrem Mann André beteiligt an der Schaffung einer Zufluchtsstätte für jüdische Verfolgte auf dem Plateau Vivarais; 1971 von Yad Vashem zur Gerechten der Völker ernannt. VADNAI, Georg 215 Oberrabbiner, Ende 1942 verhaftet (beteiligt an der Fälschung von Ausweisen), Internierung zunächst in Le Vernet, dann in Gurs.

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Personenregister/Biografische Angaben

*VALLOTTON, Annie und Marguerite (Gritou) 65, 97, 106 Töchter des Schriftstellers Benjamin Vallotton, engagierten sich gemeinsam im Winter 1939/40 in der Region um Limoges für die evakuierten Elsässer. November 1940 bis Sommer 1942 Mitarbeiterinnen im YWCA-Foyer in Toulouse, das 1941 von der Cimade übernommen wurde. Engagement im Internierungslager Récébédou. Nach der Schließung des Foyers vom 20. Oktober bis Ende November 1942 Anschluss an das Cimade-Team in Rivesaltes. Annie V. beschrieb eindringlich den alltäglichen Kampf gegen die Ratten und den Hunger, die Brutalität der Deportationen und schließlich die Auflösung des Lagers. Marguerite V. half im November 1942 kurzzeitig J. Merle d’Aubigné im CimadeFoyer in Eaux-Bonnes (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Hefte Gurs u. Toulouse [Briefe A. Vallottons]; G. u. A. VALLOTTON, Au jour le jour). *VEIL, Janine (verh. Philibert) 44, 150, 221, 277 geb. 1920, Mitglied der Pfadfinderinnen. Zunächst tätig für das Rote Kreuz, Sommer 1942 für einige Wochen Mitarbeiterin im Foyer Marie Durand in Marseille. Auf einer Jugendfreizeit der UCJF wurde sie Anfang August über die Deportationen informiert und begleitete bedrohte jüdische Teilnehmerinnen in Verstecke. Auf Anraten von M. Barot verließ sie jedoch die Südzone, da sie selber aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren von der Deportation bedroht war. Sie wohnte zunächst bei S. de Diétrich und studierte in Genf bis zur Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 Theologie. In dieser Zeit stand sie in Kontakt mit der Familie Freudenberg und war mit Brigitte Freudenberg befreundet. Ihre Eltern und zwei ihrer Geschwister konnten mit Hilfe der Cimade und des ökumenischen Flüchtlingssekretariates in die Schweiz fliehen. In der Nachkriegszeit arbeitete Veil für die Cimade in den ausgebombten Städten Nordfrankreichs, wobei sie ihren späteren Mann kennen lernte (Gespräch mit der Verfasserin im September 1997). *VERMEIL, Simone 182 Mai und Juni 1942 Mitarbeiterin der Cimade in der Vorbereitungsphase des Cimade-Heimes in Le Chambon-sur-Lignon, bereitete mit den ersten neun Internierten aus Gurs und Rivesaltes Räumlichkeiten und Gemüsegärten für die Eröffnung des Hauses vor (SHPF PARIS: DT Mouv; CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Chambon-sur-Lignon). VIERIER 186 In der Besatzungszeit Pastor der Reformierten Kirche in Toulouse. VISCHER, Wilhelm 25, 148, 165, 227–231, 238, 301 geb. 1898, gest. 1989, Schweizer Theologe, 1928–1933 Prof. für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule in Bethel, 1933 aus dem Amt getrieben, Rückkehr nach Basel. Unterstützte gemeinsam mit Karl Barth das Schweizerische Ev. Hilfswerk für die BK in Deutschland und setzte sich für Christen jüdischer Herkunft ein. Nahm 1942 als Dozent an Studientagen der protestantischen Jugendorganisationen in der französischen Südzone teil. 1947–1989 Prof. für Altes Testament an der Fakultät für protestantische Theologie in Montpellier. VISSER ’T HOOFT, Henriette, geb. Boddaert 57, 81 1924 Heirat mit W. A. Visser ’t Hooft, siedelte ebenfalls nach Genf über und begleitete die Arbeit ihres Mannes in der Ökumene, kritisierte 1934 in einem Briefwechsel mit Karl Barth die patriarchalisch geordnete Kirche.

Personenregister/Biografische Angaben

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VISSER ’T HOOFT, Willem Adolf 26, 47, 56, 58ff., 62, 72, 94f., 136, 148, 176ff., 196, 217, 219, 227f., 233, 245, 259, 276, 294, 296, 301 geb. 1900, gest. 1985, niederländischer Theologe, seit 1924 im Weltsekretariat des CVJM in Genf, seit 1931 Generalsekretär des Christlichen Studentenweltbundes in Genf, vielfältige Kontakte zur französischen Jugendökumene, 1938 Generalsekretär des vorläufigen Ausschusses des ÖRK, förderte den Aufbau des Flüchtlingssekretariates als eines entscheidenden Schwerpunktes ökumenischer Arbeit während der Kriegszeit, bis zum Sommer 1942 verschiedene Reisen in die Südzone, Initiator der Thesen von Pomeyrol, bis 1966 Generalsekretär des ÖRK. VOGT, Paul, Dr. 61, 189, 228, 269, 281 geb. 1900, gest. 1984, Schweizer Pfarrer, 1938 Gründer und Leiter des Schweizerischen Ev. Hilfswerks für die BK in Deutschland, leistete umfassende Hilfe für jüdische Flüchtlinge und für christliche Flüchtlinge jüdischer Herkunft in der Schweiz, Zusammenarbeit mit dem ökumenischen Flüchtlingssekretariat in Genf. *VUILLET, Diane Sommer 1943 (bis 28. September) Mitarbeiterin der Cimade im Internierungszentrum La Meyze (CIMADE-ARCHIV PARIS: Unverzeichneter Bestand, Ordner Gestion, financière [Brief Boucoirans vom 14. 9. 1943]). WAGNER, Robert 39 geb. 1895, gest. 1946, 1933 Reichsstatthalter und NS-Gauleiter von Baden, seit 1940 Gauleiter von Baden-Elsass und Chef der Zivilverwaltung im Elsass, Herbst 1940 Initiator der Deportation von Juden aus Südwestdeutschland in das unbesetzte Frankreich (sog. Oktober-Deportation). Nach Kriegsende von der amerikanischen Militärpolizei verhaftet, an Frankreich ausgeliefert, 1946 zum Tode verurteilt und erschossen. WALFISCH, Heini 210 Internierter in Gurs. WALTHER, Marguerite 51 geb. 1882, gest. 1942, Mitbegründerin der Pfadfinderinnen-Bewegung in Frankreich, starb 1942 in Folge einer Typhusinfektion auf einer Tunesienreise. *WEBER, Madeleine 97 Elsässerin und Mitglied der U.C.J.F. Seit Herbst 1939 Mitarbeiterin der Cimade, zunächst für ihre aus dem Elsass evakuierten Landsleute, dann von Oktober 1940 bis September 1942 als Leiterin des YWCA-, resp. Cimade-Foyers in Toulouse. Nach dem Zeugnis der Schwestern Vallotton war sie im November 1940 bereits siebzig Jahre alt (CIMADE-ARCHIV PARIS: Karton Camps et Postes Cimade 1940–1945, Ordner Camps d’internement S. O. 1940–1945, Heft Toulouse; A. u. G. VALLOTTON, Au jour le jour, S. 133.) WEIL, Friedrich 118, 137, 142 Katholik, nach der Annexion Österreichs Emigration nach Frankreich, Internierung in Gurs, dann verlegt nach Récébédou, Nexon und Masseube, unterstützte die Foyer-Arbeit in Récébédou, Aufnahme in das Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon, von dort Flucht in die Schweiz. WEILL, Joseph, Dr. 113f., 272f. geb. 1902, gest. 1988, Arzt, Repräsentant des jüdischen Kinderhilfswerks OSE (Oeuvre de Secours aux Enfants) im Nîmes-Komitee, übernahm die medizinische Betreuung deportierter Jüdinnen und Juden in Gurs und Rivesaltes, floh nach

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Personenregister/Biografische Angaben

Einsetzen der Deportationen 1943 in die Schweiz und organisierte von dort die Hilfswerksarbeit, Zusammenarbeit mit der Cimade in der Fluchthilfe. 1945 Rückkehr nach Paris, 1947 nach Straßburg, Präsident des „Consistoire de BasRhin“, vielfältige Tätigkeit für das jüdische Leben im Elsass. WENDLAND, Agnes 24 Pfarrfrau in Berlin, verheiratet mit dem Kirchenhistoriker und Pfarrer Walter Wendland, versteckte ein jüdisches Geschwisterpaar im Pfarrhaus. WESTPHAL, Charles, 51, 149, 154 geb. 1896, gest. 1972, Anfang der 1940er Jahre Präsident des Christlichen Studentenbundes in Frankreich, Delegierter der ERF für die 1949 eingesetzte ÖRK-Kommission „Stellung und Arbeit der Frau in der Kirche“, 1961–1970 Präsident des Französischen Protestantischen Kirchenbundes. WESTPHAL, Henri 281f. Pastor in Thonon-les-Bains am Genfer See, öffnete sein Pfarrhaus für Flüchtlinge auf dem Weg in die Schweiz. WICHSER 261 Briefpartnerin Freudenbergs in der Schweiz. WICKI-SCHWARZFELD, Margot 121 Oktober 1940 als Kind mit Schwester, Eltern und Großmutter Deportation nach Südfrankreich, Internierung in Gurs und Rivesaltes, November 1941 Verlegung in ein Kinderheim des Secours Suisse aux Enfants in den Savoyen, August 1942 Rückführung nach Rivesaltes, die Kinderschwester Friedel Bohny-Reiter rettete sie und ihre Schwester vor der Deportation in die Vernichtungslager durch ihr entschiedenes Auftreten vor der Sichtungskommission, der Vater wird nach Auschwitz deportiert. WOLFF, Anna, geb. Metzger 160 geb. 1868, gest. 1945, Mutter von Martha Besag, Oktober 1940 nach Gurs deportiert, ließ sich Ostern 1942 mit Tochter und Enkeltöchtern taufen, seit Sommer 1942 im Cimade-Heim in Le Chambon-sur-Lignon, Spätsommer 1943 Flucht in die Schweiz. WOLFF, Charlotte 117, 215 Katholikin, Internierung in Gurs, Mitglied des Cimade-Teams, von J. Merle d’Aubigné im Sommer 1942 vor der Deportation bewahrt. WOLFRADT, Ehepaar 193f. Internierte im Heim der Cimade in Le Chambon-sur-Lignon. ZELLER, Richard 131f., 137 Internierter in Gurs, Mitglied des Cimade-Teams, leitete die Bibliothek des Foyers. ZELLMANN, Ludwig 147 Internierter in einem Lager in der Südzone, Verlegung nach Marseille zur Vorbereitung einer Ausreise. ZIENAU, Emma und Oskar 262 Ende 1943 Flucht mit der Cimade in die Schweiz. ZWEIG, Hannah 137, 274f. Internierte in Gurs, dann nach Rivesaltes verlegt, gab im dortigen Cimade-Foyer Kurse, Flucht in die Schweiz.