Kultus und Theologie: Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule 9783666562839, 3525562837, 9783525562833

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Kultus und Theologie: Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule
 9783666562839, 3525562837, 9783525562833

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V&R

KARSTEN LEHMKÜHLER

Kultus und Theologie Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 76

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Lehmkühler, Karsten: Kultus und Theologie: Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule / Karsten Lehmkühler. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1996 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 76) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-525-56283-7 NE: GT

© 1996 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 1994/95 von der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Reinhard Slenczka, danke ich herzlich für die Begleitung und Förderung in den vergangenen Jahren. In der Ermöglichung der Arbeit am Institut für systematische Theologie, in ständiger Unterstützung des Dissertationsvorhabens sowie in zahlreichen Gesprächen ist er mir ein wirklicher Lehrer geworden. Mein Dank gilt auch Herrn Professor Dr. Otto Merk, der mir schon während der Abfassung der Arbeit und vor allem in seinem differenzierten Zweitgutachten wichtige Hinweise zur Thematik und Literatur gab. Von diesen hat auch die vorliegende überarbeitete Fassung profitiert. Herrn Professor Dr. Wolfhart Pannenberg, DD., DD., DD., und meinem Doktorvater danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie", dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht für die Betreuung des Manuskriptes. Herr Professor Dr. Wolfgang Schoberth hat mir mit der Einrichtung der Disketten in geduldiger und großzügiger Weise weitergeholfen. Für die aufmerksame Lektüre der Arbeit sowie für hilfreiche Hinweise danke ich Herrn Professor Dr. Hans-Christoph Schmitt, Herrn Dr. Roland Gebauer und Herrn Pfarrer Dr. Eckhard Hagedorn. Herr Alf Özen vom Archiv Religionsgeschichtliche Schule in Göttingen unterstützte mich bei der Beschaffung inedierten Materials aus dem Bousset-Nachlaß und gab mir manchen Hinweis zur religionsgeschichtlichen Schule; Herr Dr. Jörg Ulrich half mir beim Auffinden der Kirchenväterzitate. Dank schulde ich auch der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek Göttingen für die Hilfe bei der Einsicht in den Bousset-Nachlaß. Der Studienstiftung des Deutschen Volkes sowie dem Arbeitskreis für evangelikale Theologie bin ich für die Vergabe von Promotionsstipendien zu Dank verpflichtet. Der Zantner-Busch-Stiftung in Erlangen danke ich für den namhaften Druckkostenzuschuß. Viele Freunde haben mich auf meinem Weg begleitet. Stellvertretend nenne ich Ehepaar Kurt und Moni Widmer, die über Jahre hinweg einen Beitrag zur Ermöglichung des Studiums leisteten. Mein besonderer Dank gilt meinen Eltern, meinen Kindern und meiner Frau Cathy. Ihr ist dieses Buch gewidmet. Forchheim, im Januar 1996

Karsten Lehmkühler

5

Inhalt

Einleitung

11

1.

11 11

2.

Fragestellung 1.1 Exegese und Dogmatik 1.2 Der Kultusbegriff in Dogmatik und Exegese; Aufbau der Arbeit 1.3 Textauswahl Die religionsgeschichtliche Schule 2.1 Wer gehört zur religionsgeschichtlichen Schule? 2.2 Zum geistesgeschichtlichen Umfeld der religionsgeschichtlichen Schule 2.3 Religionsgeschichte: Religion und Geschichte 2.3.1 Der Name 2.3.2 Religion und Geschichte

13 16 17 17 21 25 25 26

Erster Teil Kultus: Dogmatische Grundlagen A: Kultus und Religion

35

1.

Einleitung

35

2.

Der Kultus als „objektive Religion" 2.1 Definition 2.2 Unterscheidung von Religion und Theologie, von Kultus und Lehre 2.3 Religion der Masse 2.4 Kultisches Erlebnis

38 38 41 45 46

3.

Der Weg zur „subjektiven Religion": Die Religionspsychologie 3.1 Entstehung, Ziele und Methoden 3.2 Gegenwart des Göttlichen

48 48 51

4.

Erkenntnistheorie und Metaphysik der Religion 4.1 Der Ausgang bei Kant 4.2 Textgrundlage 4.3 Der Neofriesianismus 4.3.1 Textgrundlage, Problemstellung 4.3.2 Erkenntnis aus Erfahrung

53 53 56 58 58 60

7

4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.4 4.4.1 4.4.2

Ideen Art und Geltung des religiösen Apriori Konsequenzen fur den Kultusbegriff Ernst Troeltsch Einleitung: Troeltsch und Bousset im Gespräch Das Hauptproblem: Verbindung von Empirismus und Rationalismus 4.4.3 Die empirische Seite: Affizierung durch Gott 4.4.4 Die rationale Seite: Das religiöse Apriori 4.4.4.1 Definition: Formales Gesetz der Religion 4.4.4.2 Herkunft des Apriori: Sein göttliches Wesen 4.4.4.3 Auffindung des religiösen Apriori 4.4.5 Mystik 4.4.6 Konsequenzen fur den KultusbegrifF

66 72 75 80 80 82 86 90 90 94 97 99 100

B: Kultus und Geschichte

103

1.

Einleitung

103

2.

Der Kultus in Kants Religionsschrift 2.1 Freiheit und Persönlichkeit 2.2 Reine Religion und gottesdienstliche Religion (Kultus)

107 107 108

3.

Der Gegensatz zwischen Kult und Sittlichkeit 3.1 Einleitung 3.2 Bousset 3.3 Gunkel 3.4 Troeltsch

112 112 112 115 118

4.

Geltung 4.1 4.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4

120 120 121 122 122 125 128 130

5.

Historische Methode und Supranaturalismus 5.1 Die Frage nach dem Sein 5.2 Kritik, Analogie, Korrelation 5.3 Korrelation und Individualität 5.4 Supranaturalismus und Wunder 5.5 Heilsgeschichte 5.6 Zusammenfassende Beurteilung

132 132 133 135 138 144 146

6.

Persönlichkeit

152

8

und Entwicklung Einleitung Wertphilosophie Absolutheit des Christentums Die Position Troeltschs Kritik der Auffindung des Maßstabes Kritik der Anwendung der Geltungsfrage „Geltung" des Kultus?

6.1 6.2

Kultus als Handeln des Menschen Der Begriff der Persönlichkeit

7.

Spiritualismus 7.1 Mystik und Spiritualismus 7.2 Moderner Spiritualismus 7.3 Spiritualistische Glaubenslehre

C:

Auswertung in Thesenform: Der Kultus in der Dogmatik der

152 153 158 158 160 164

religionsgeschichtlichen Schule

167

1.

Kultus und Religion

168

2.

Kultus und Geschichte

171

Zweiter Teil Theologie: Exegetische Konsequenzen 1.

Einleitung 1.1 Kultus als Sitz im Leben der Theologie 1.2 Fragestellung der Untersuchung

177 177 177

2.

Geistwirkungen 2.1 Gunkel: Geistwirkungen als Erfahrungen 2.1.1 Erklärungsprinzip oder eigene Erfahrung? 2.1.2 Zweck oder Wesen? 2.2 Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule 2.2.1 Konflikt zwischen Dogmatik und Exegese bei Gunkel 2.2.2 Die Fortfuhrung durch Weinel: Geist als Interpretament 2.2.3 Geistwirkungen als Ekstase 2.2.4 Geistwirkungen als Sittlichkeit 2.3 Exkurs: Geist als Person? 2.4 Exkurs: Ottos Studie zum Heiligen Geist bei Luther

180 180 180 183 186 186 190 194 198 200 203

3.

Der Christuskult: Doxologie und Gebet zu Christus 3.1 Fragestellung 3.2 Anrufung und Anbetung Christi im Neuen Testament 3.3 Gottheit Christi in apostolischer und nachapostolischer Zeit 3.4 Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule 3.4.1 Ausgangspunkt: Gottheit Christi als Prädikation der Gemeinde 3.4.2 Entstehung des Kyrioskultes und Entwicklung der Christologie 3.4.3 Historische Kritik als ontologische Entscheidung 3.4.4 Konsequenz: Ablehnung des Gebetes zu Christus

208 208 208 210 213

4.

Der Christuskult: Die Sakramente 4.1 Einleitung

213 215 228 230 233 233

9

4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4

Das reale Verständnis der Sakramente im Neuen Testament Die Gegenwart Christi im Abendmahl Der Geistempfang in der Taufe Die Kraft des Namens Jesu Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule Die ontologische Frage Die Unmöglichkeit der Stiftung durch Jesus Die Inkongruenzen bei Paulus Herkunft der Sakramentsanschauungen: Zauberglauben und Magie Reformatorischer Kampf gegen die Sakramente Taufe und Abendmahl heute? Kultische Erlösung?

259 265 267 269

Auswertung in Thesenform: Der Kultus in der Exegese der religionsgeschichtlichen Schule 5.1 Einleitung 5.2 Geistwirkungen 5.3 Der Christuskult: Doxologie und Gebet zu Christus 5.4 Der Christuskult: Die Sakramente

273 273 273 275 276

4.3.5 4.3.6 4.3.7 5.

238 238 243 246 250 250 253 256

Dritter Teil Kultus und Theologie: Schlußbemerkungen 1.

Theologie und Ontologie

283

2.

Die historische Frage als ontologische Frage

286

3.

Religion und Moral

288

4.

Kant und Hegel

290

5.

Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule 5.1 Die Unabhängigkeit der Exegese von der Dogmatik 5.2 Die Abhängigkeit der Exegese von der Dogmatik

292 292 293

6.

Die Priorität des Kultus in der Exegese

295

7.

Theologie des Gottesdienstes als trinitarische Theologie

298

Literaturverzeichnis

301

1.

Unveröffentlichte Literatur

301

2.

Veröffentlichte Literatur

301

Personenverzeichnis

10

323

Einleitung

1. Fragestellung

1.1

Exegese und Dogmatik

Exegese und Dogmatik bedingen einander. Die Dogmatik als Entfaltung der christlichen Lehre lebt von den Ergebnissen der Schriftauslegung. Die Exegese ist, soll nicht nur „an die Stelle eines unbekannten Wortes ein bekanntes gesetzt" werden,1 immer auch dogmatische Exegese: Ihr Versuch, die Aussagen des Textes nachzuzeichnen, ist eingebunden in philosophische und theologische Grundentscheidungen.2 Um dogmatische Voraussetzungen der exegetischen Arbeit bemüht sich die vorliegende Untersuchung. Der angezeigte Zusammenhang soll an einem exegetischen Zentralthema einer bedeutenden theologischen Gruppierung untersucht werden: am Begriff des Kultus in den Werken der religionsgeschichtlichen Schule. Religionsgeschichtliche Arbeit an biblischen Texten und dogmatische Theologie - das scheint vereinbar zu sein wie Feuer und Wasser, wie Bewegung und Stillstand oder, um es mit Namen zu sagen, wie Albrecht Ritsehl und seine untreuen Schüler Bousset, Gunkel und Troeltsch. Protest gegen eine „Methode der Lehrbegriffe" in der Theologie des Neuen Testamentes3, Ablehnung einer modernen ethisch-immanenten Auffassung vom „Reich Gottes" der Predigt Jesu4 sowie immer wieder der Hinweis, daß in den Quellen unserer Religion nicht Lehre und Reflexion, sondern eben Frömmigkeit und Erlebnis zu finden seien dies alles läßt die „religionsgeschichtliche Schule" als eine jede Dogmatik verschmähende, sich der „rein" historischen Arbeit hingebende Forschungsgemein1

Hegel, Philosophie der Religion, Bd. 1, 38. Das Adjektiv „dogmatisch" bezeichnet in dieser Untersuchung nicht allein die Bindung an bestimmte theologische Lehrgebäude, sondern ebenso die diese begleitenden oder gar tragenden philosophischen Entscheidungen. Philosophische Grundlagen sind also - wie alle prima prineipia - verstanden als Teil der dogmatischen Theologie (vgl. dazu die Definition des Begriffes „Dogma" bei Slenczka, Entscheidung, 64-73; 272-280). - Zum Verhältnis von Philosophie und Exegese vgl.: Berger, Exegese und Philosophie, 178-194; zum Verhältnis von historischen und systematischen Disziplinen in der Theologie Ebeling, Diskussionsthesen, 448-450. 3 So Wrede, Aufgabe, vgl. besonders 17-25. 4 Weiß, Predigt, vgl. besonders 73-78; 175-178. 2

11

schafl erscheinen. So verstanden, liefert sie also ein weiteres Beispiel fur das Klagelied vom garstigen Graben zwischen historischer und systematischer Theologie. Und doch läßt sich diese Zeichnung der Schule bei näherem Hinsehen nicht halten. Zunächst fällt ins Auge, daß neben den Exegeten auch Ernst Troeltsch zu dieser Gruppe gerechnet wurde und dieser selbst die ihm beigelegte Bezeichnung „Dogmatiker der religionsgeschichtlichen Schule" zumindest aufnehmen konnte.5 Und auch Rudolf Otto kann zum weiteren Kreis der Schule gezählt werden. Darüberhinaus ist auffallend und vielleicht noch wichtiger, daß auch Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule sich Rechenschaft über die dogmatischen Grundlagen ihrer theologischen Arbeit gaben.6 Daß die religionsgeschichtliche Schule auch von ihren theologischen Zeitgenossen durchaus als eine die verschiedenen Disziplinen der Theologie übergreifende Forschungsrichtung verstanden wurde, wird sofort deutlich, wenn man eine bekannte frühe Auseinandersetzung mit der neuen Schule betrachtet: Max Reischles Buch über „Theologie und Religionsgeschichte".7 Reischle erörtert hier die Forderung nach einer religionsgeschichtlichen Methode unter besonderer Berücksichtigung ihrer Auswirkungen in der historischen und in der systematischen Theologie. Im Gegensatz zum eingangs geschilderten Verständnis ist deshalb festzustellen: Die religionsgeschichtliche Schule ist charakterisiert von enger Fühlungnahme zwischen exegetischer und dogmatischer Theologie. Gerade diese gegenseitige Abhängigkeit der theologischen Disziplinen macht ihre Forschung bedeutsam. Zu fragen ist, welche dogmatischen Voraussetzungen ihrer Exegese zugrundeliegen.

5 Troeltsch, Dogmatik, 500. - Zu dieser Aufnahme einer an Troeltsch herangetragenen Etikettierung vgl. Drescher, Troeltsch, 84f; ferner Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 356364, Pfleiderer, Theologie, 48. - Troeltsch hat in seinem berühmten Aufsatz „Ueber historische und dogmatische Methode in der Theologie" das Adjektiv „dogmatisch" negativ zur Bezeichnung einer nicht mehr praktikablen Methode der Theologie besetzt. Deshalb schreibt Pfleiderer, Troeltsch habe die Bezeichnung „Systematiker und Dogmatiker der religionsgeschichtlichen Schule" sich schon deshalb nicht zu eigen gemacht, weil diese Titulierung eine „contradictio in adiecto" darstelle (Pfleiderer, Theologie, 48). Diese von Troeltsch eingeführte Verwendung des Adjektives ist jedoch einseitig, weil es damit nur noch für eine bestimmte Position benutzt werden kann. Bei einem weiteren, jede Grundentscheidung umfassenden Verständnis des Begriffs ist es durchaus richtig, von der Dogmatik oder einem Dogmatiker der religionsgeschichtlichen Schule zu sprechen. Genau dieses weitere Verständnis des Begriffes liegt dann auch zugrunde, wenn Troeltsch das Anliegen gerade der religionsgeschichtlichen Schule als ein dogmatisches kennzeichnen kann (Troeltsch, Dogmatik, 500): „Der Ausdruck „Religionsgeschichtliche Schule" ist in Deutschland oder besser innerhalb der deutschen Theologie geprägt worden, um eine bestimmte Auffassung von den Aufgaben des religiösen Denkens und der dogmatischen Theologie zu bezeichnen." 6

Besonders das Bekenntnis Boussets zur friesschen Philosophie ist hier zu nennen, vgl. Bousset, Kantisch-Friessche. 7 Reischle, Theologie.

12

1.2

Der Kultusbegriff in Dogmatik und Exegese; Aufbau der Arbeit

Aus dieser Aufgabenstellung wird deutlich, daß im folgenden keine nochmalige Nachzeichnung der Geschichte historisch-kritischer Erforschung beider Testamente intendiert ist. Gefragt wird nicht nach der historischen Entwicklung exegetischer Methoden seit der Aufklärung, nach dem Weg, der von so illustren Namen wie Johann Gottfried Eichhorn, Wilhelm Martin L. de Wette und Julius Wellhausen fur die alttestamentliche Forschung, Ferdinand Christian Baur, David Friedrich Strauss, Bruno Bauer und Julius Holtzmann für die Arbeit am Neuen Testament geschmückt ist. Das Problem der Genese und Durchführung der von der religionsgeschichtlichen Schule angewandten Methoden, insbesondere der religionsgeschichtliche Vergleich, die traditionsgeschichtliche Untersuchung sowie die Formgeschichte, steht nicht im Zentrum der Arbeit. Für beide Forschungsbereiche gibt es gute Untersuchungen. 8 Es geht vielmehr um die Frage, inwieweit dogmatische Optionen der religionsgeschichtlichen Schule für ihre exegetische Arbeit von Bedeutung waren. Dabei soll versucht werden, nicht von einer Methode, sondern von einem Leitbegriff der Schule aus die Untersuchung zu fuhren: Der Begriff des „Kultus" spielt in den Arbeiten der religionsgeschichtlichen Schule eine zentrale Rolle. Der Kultus als Sitz im Leben ist - so die religionsgeschichtliche Schule - die Wiege theologischer Gedanken alten und neuen Testamentes. Insbesondere neutestamentliche Christologie, Pneumatologie und Sakramentslehre sind auf ihn zurückzuführen. Für die neutestamentliche Exegese kann Bousset in seinem Hauptwerk „Kyrios Christos" den Ausgang der Forschung beim Kultus als einen zentralen Ansatz seiner Arbeit bezeichnen: „Kyrios Christos ist Jesus von Nazareth im wesentlichen als der im Kultus verehrte Herr seiner Gemeinde. Und von der Praxis des Kultus und des Gemeindegottesdienstes versucht das vorliegende Werk überall seinen Ausgangspunkt zu nehmen und die Entwicklung der Dinge zu verstehen." 9 Doch auch in der alttestamentlichen Exegese rückt der Kultus in das Zentrum des Interesses. Gunkel bestimmt den israelitischen Gottesdienst als Sitz im Leben der Psalmen, sie sind „Kultuslieder". Die Entstehung der Psalmengattungen fällt zum Teil in die „Urzeit Israels", da auch der Kultus in die Anfänge Israels zurückreicht. So lassen sich die Psalmen geradezu nach gottesdienstlichen Situationen einteilen.10 Gunkels Schüler Mowinckel hat diesen Ansatz später zur „kultgeschichtlichen Methode" radikalisiert.11 8

Vgl. neben den exegetischen Methodenbüchern die unten, Anmerkung 18, genannte Literatur zur religionsgeschichtlichen Schule. 9 Bousset, Kyrios Christos, IV. - Wenn nicht ausdrücklich die erste Auflage erwähnt ist, wird im folgenden immer nach der 2. Auflage dieses Werkes zitiert. 10 Gunkel, Psalmen, lOlf, 1 lOf. Vgl. zum Alter der Psalmengattungen auch ders., Einleitung in die Psalmen, 88-94, 415-433, ferner ders., Literatur, 12. 11 Vgl. auch dessen grundlegende Untersuchung zum Kultus (Mowinckel, Religion und Kultus).

13

Hat der Kultus diese zentrale Bedeutung für die Entstehung biblischer Texte, so ist er seinem Wesen nach näher zu beschreiben: Was ist Kultus? Wie ist der Wurzelgrund beschaffen, aus dem wichtigste theologische Gedanken erwachsen? Diese Frage ist fur eine Exegese, die den Kultus als Grund theologischer Aussagen wahrnimmt, von entscheidender Bedeutung. Zu ihrer Beantwortung allerdings ist es nötig, über eine eventuelle religionsphänomenologische Vergleichung verschiedener Kultbräuche hinaus nun auch die dogmatische Frage nach demjenigen, was im Kultus geschieht, zu bedenken. Diese dogmatische Frage nach dem Wesen des Kultus wird im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung an die religionsgeschichtliche Schule gerichtet. Dabei wird deutlich, daß ihre Beantwortung nur möglich ist, indem auf die beiden Begriffe eingegangen wird, die der Schule ihren Namen gaben: Religion und Geschichte. Der Kultus ist die „objektive Seite" der Religion.12 Sein Wesen ist daher nur zu erfassen, indem über das religiöse Verhältnis des Menschen selbst nachgedacht wird. Der Kultus ist als jene „Außenseite" aber auch der Teil der Religion, der als räumlicher und zeitlicher Akt in die Geschichte eingeht. Ferner kreist das kultische Geschehen selbst häufig um einen historisch gegebenen Mittelpunkt. „Kultus" kann daher nur erfaßt werden, indem über Geschichte gehandelt wird. Dementsprechend teilt sich der erste Hauptteil dieser Untersuchung in zwei Kapitel: Zunächst werden Definitionen der Religion in der religionsgeschichtlichen Schule dargestellt und gefragt, inwiefern sie die Aussagen über das Wesen des Kultus beeinflussen (A). Dann wird in einem zweiten Kapitel überprüft, inwiefern die Anschauung vom Wesen der Geschichte den Begriff des Kultus bestimmt (B). Der zweite Hauptteil der Arbeit wendet sich daraufhin den exegetischen Werken der Schule zu. Innerhalb dieser bilden Untersuchungen zum christlichen Kultus einen deutlichen Schwerpunkt der Forschung. In seinem Artikel über die religionsgeschichtliche Schule behandelt Eissfeldt die „wichtigsten der von der R[eligionsgeschichtlichen] Schfule] behandelten Probleme".13 Für den exegetischen Bereich erwähnt Eissfeldt die Untersuchungen über die Geist-Vorstellungen, die eschatologischen Mythen, die Untersuchung der Predigt Jesu und der ihm später übertragenen Prädikate sowie die ausfuhrliche Beschäftigung mit den Sakramenten. Mit diesen Themen sind die wichtigsten exegetischen Monographien erfaßt, daneben stehen natürlich noch eigentliche Kommentarwerke. Der zweite Teil der vorliegenden Untersuchung beschränkt sich auf die genannten Arbeiten zu neutestamentlichen Themen:14 Christologie, Geistvorstellungen 12

Vgl. Bertholet, Kultus, 1365; Mayer, Wesen der Religion, 1949. Eissfeldt, Religionsgeschichtliche Schule, 1901-1904. 14 Dennoch wird auch die Position des Alttestamentlers Gunkel eine nicht unbedeutende Rolle spielen: Seine grundsätzlichen Äußerungen zum Kultus werden schon im ersten Teil der Arbeit Erwähnung finden, während seine Auffassung von den „Geistwirkungen" bei den Propheten zusammen mit seinem Werk über die neutestamentlichen Geisterfahrungen im zweiten Teil behandelt wird. 13

14

sowie Sakramentsanschauungen ließen sich vom Exegeten unmittelbar mit dem christlichen Kultus in Verbindung bringen, indem sie als aus dem Kultus erwachsene theologische Reflexionen gedeutet wurden. Ihre Untersuchungen sind so für die hier zu behandelnde Frage von erhöhtem Interesse.'5 In diesen einschlägigen Studien eruiert die religionsgeschichtliche Schule neutestamentliche Aussagen zum Kultus. Die vorliegende Untersuchung stellt diese Bemühungen der Schule dar. Dabei wird gefragt, ob das - im ersten Hauptteil erhobene - dogmatische Verständnis des Kultus zu den exegetischen Untersuchungen in Beziehung tritt. Ein eventueller Zusammenhang zwischen beiden wäre genauer zu beschreiben: Handelt es sich um die Einzeichnung des eigenen Kultverständnis in die Textaussagen? Oder wird das im Text gefundene Kultverständnis dem eigenen gegenübergestellt und anhand dieses Maßstabes bewertet? Die angestrebte Verbindung beider Hauptteile ist nicht selbstverständlich: Denn es ist nicht von vorneherein anzunehmen, daß alle Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule, die im zweiten Teil der Arbeit zu Wort kommen, auch die zuvor erarbeiteten dogmatischen Positionen teilen. Die idealtypische Verbindung ist allein bei Bousset gegeben: Er hat sich sowohl dogmatisch als auch exegetisch ausfuhrlich geäußert und eine Synthese beider Gebiete gesucht. Ob und inwieweit die thematisierten dogmatischen Positionen bei den Exegeten der Schule in Geltung stehen, muß die Analyse selbst erweisen. Ferner ist auch nicht zu erwarten, daß eine schlüssige Verrechnung möglich wäre, indem jede dogmatische These eine Fortsetzung in der exegetischen Arbeit finden würde. Denkbar ist, daß sich fur dogmatische Entscheidungen keine exegetischen Konsequenzen aufweisen lassen. Auch hier muß die konkrete Durchführung der Untersuchung Klarheit verschaffen.16 Der erste Hauptteil hat sowohl darstellende als auch beurteilende Funktion: Dogmatische Positionen sind zunächst darzustellen. Ihre Beurteilung beschränkt sich im ersten Hauptteil auf eine immanente Überprüfung der Positionen: Gefragt wird nach der Stringenz und Tragkraft der dogmatischen Argumentationen innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule. Der zweite Hauptteil hat ausschließlich darstellende und analytische Funktionen: Exegetische Ergebnisse werden zunächst vorgestellt. Dann wird der mögliche Zusammenhang dieser Ergebnisse mit den dogmatischen Grundlagen untersucht. Beide Hauptteile werden mit Thesen beschlossen, welche die Ausführungen knapp zusammenfassen. Im Schlußteil der Arbeit wird die bisher vorgenommene Analyse und immanente Kritik erweitert, indem nun nach anderen Möglichkeiten dogmatischer Fundierung der Exegese gefragt wird. Dabei dienen nicht die Antworten, wohl aber die Fragen der religionsgeschichtlichen Schule als „Wegweiser" für die

15

Die von Eissfeldt zusätzlich erwähnten Studien zu eschatologischen Mythen werden nicht eigens thematisiert, weil für ihre Fragestellung die Rolle des Kultus als Sitz im Leben nicht zentral ist. 16 Vgl. unten die Einleitung des zweiten Teiles der Untersuchung.

15

theologische Erfassung des christlichen Kultus. Bei diesem Fragen muß das Verhältnis von Exegese und Dogmatik bestimmend bleiben.

1.3 Textauswahl Die Themenstellung bedingt die Auswahl der zu behandelnden Literatur. Im ersten Hauptteil werden diejenigen Publikationen der religionsgeschichtlichen Schule untersucht, die sich dogmatisch mit den Themen „Religion" und „Geschichte" befassen. Es wird sich zeigen, daß neben das Werk Ernst Troeltschs hier eine zweite Gruppe von Texten, die des theologischen Neofriesianismus, zu erörtern ist. Der Neofriesianismus17 wird von Bousset und Otto vertreten. Weil sowohl diese Anlehnung an den Kantschüler Fries als auch die Untersuchungen Troeltschs als theologische Auseinandersetzung mit dem Erbe Kants zu verstehen sind, muß in der Analyse dieser Arbeiten die kantische Philosophie ständig mitbedacht werden. Neben den in den Bereich der systematischen Theologie fallenden Arbeiten der Schule werden auch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zur christlichen Religion herangezogen, sofern sie für die zu behandelnden Fragen wichtig sind. Auch wenn in exegetischen Publikationen Aussagen zur Klärung dogmatischer Positionen gemacht werden, können sie im ersten Teil Erwähnung finden. Der zweite Teil der Arbeit behandelt die von der religionsgeschichtlichen Schule untersuchten christlichen Kultsituationen: Geistwirkungen im Gottesdienst, Anbetung Christi, Taufe und Abendmahl. Zu diesen Themen werden sowohl die einschlägigen exegetischen Monographien als auch Kommentarwerke, Aufsätze und Lexikonartikel herangezogen. Der Untersuchung liegen publizierte Quellen zugrunde. Lediglich für den wichtigsten Vertreter einer Verbindung dogmatischer und exegetischer Arbeit, Bousset, sind auch unveröffentlichte Briefe und Vorlesungen verwertet worden. Diese ergänzen in willkommener Weise seine Ausführungen sowohl zum Neofriesianismus als auch zu seiner Gesamtschau einer Theologie des Neuen Testamentes.

17 Der Begriff des „Neofriesianismus" findet sich in den Texten selbst: bei Bornhausen, Wider den Neofriesianismus, sowie bei Bousset, In Sachen des Neofriesianismus.

16

2. Die religionsgeschichtliche Schule'

2.1

Wer gehört zur religionsgeschichtlichen Schule?

E s ist bekannt, daß der Kreis der zur religionsgeschichtliche Schule zu zählenden T h e o l o g e n nicht eindeutig definiert werden kann. N e b e n einer Kerngruppe gab e s viele gleichgesinnte Kollegen oder Schüler, die fur einen „offenen Rand" dieses Kreises sorgten. 2 Hilfreich für die Eingrenzung des in Frage kommenden Kreises ist der Blick auf die Geschichte der Entstehung der Schule. Gerade in den Anfängen zeigen sich s o w o h l die neuen theologischen Fragen, die zu einer Umorientierung führten, als auch diejenigen Theologen, die fur den Durchbruch eben dieser „Schule" sorgten. Schröder bemerkt zu Recht, daß „die biographische Dimension (...) wesentlich zum Verständnis von Geschichte und Begriff der Religionsgeschichtlichen Schule" beitrage. 3 Wir sind glücklicherweise im Besitz etlicher biographischer Hinweise der Betreffenden selbst. D i e s e Artikel, Nachrufe und vor allem auch Briefwechsel gehören zu den bewegenden Dokumenten theologischer

1

Die einführende Darstellung der religionsgeschichtlichen Schule wird in diesem Abschnitt in gebotener Kürze vorgenommen. In den letzten Jahren sind etliche Arbeiten erschienen, die diese Schule nach Personen, Arbeitsgebieten und Forschungsergebnissen vorstellen. Es seien genannt: Chapman, Religion; Janssen, Theologie fürs Volk; Kahlert, Held, 95-121; Klatt, Religionsgeschichtliche Schule; Lüdemann, Religionsgeschichtliche Schule; ders., Wissenschaftsverständnis; ders., Die Religionsgeschichtliche Schule und ihre Konsequenzen; Lüdemann/Schröder, Dokumentation; Merk, Bibelwissenschaft, 386-390; ders., Biblische Theologie 462f; ders., Biblische Theologie des Neuen Testaments, 245-249; Müller, Judentum, besonders 37-47; ders., Die religionsgeschichtliche Methode; 119-157; Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 300-352; Pleitner, Ende, 95-108; Sänger, Phänomenologie; besonders ausfuhrlich Sinn, Christologie, 5-117. Ferner die Darstellungen bei Kraus, Geschichte, 327-340, sowie bei Kümmel, Das Neue Testament, 310-357. 2 Theologische Differenzen innerhalb der in Frage stehenden Gruppe könnten den Begriff der „Schule" für diese zweifelhaft erscheinen lassen. Sinn hat aber zu Recht darauf hingewiesen, daß „die heute als .Religionsgeschichtliche Schule' bekannte Forschungsrichtung allmählich von der theologischen Wissenschaft ihrer Zeit als relativ geschlossene Gruppe angesehen wurde, sodaß die Summierung unter einen Oberbegriff nur eine konsequente Folge war" (Sinn, Christologie, 6). Der Begriff wird im folgenden beibehalten, selbst wenn genauer, wie Murrmann-Kahl betont, nicht von einer „Schule", sondern von einer „Gruppe" oder von einer „scientific community" zu reden wäre (ders., Heilsgeschichte, 296, 305). 3 Lüdemann/Schröder, Dokumentation, 21. Bei den in den folgenden Fußnoten gegebenen Angaben hinsichtlich der Lebensläufe der Mitglieder der religionsgeschichtlichen Schule wurde auf diese Dokumentation zurückgegriffen.

17

Existenz, zeigen sie doch, wie ihre Verfasser, oftmals in großer wirtschaftlicher oder körperlicher Bedrängnis, um ihre Forschungen gerungen haben." Es war ein Kreis von Freunden, der im Göttingen des Jahres 1890 die Habilitation erstrebte und von den älteren Professoren „die kleine Göttinger Fakultät" genannt wurde. Ernst Troeltsch5 hat die Entstehung dieser Gruppe eng befreundeter Forscher anläßlich eines Nachrufes auf Wilhelm Bousset 6 in sehr persönlicher Art und Weise geschildert.7 Wir erfahren, daß Troeltsch und Bousset schon seit dem gemeinsamen Studienbeginn in Erlangen (1884) sehr engen Kontakt hatten.8 Während die weiteren Stationen Troeltschs Berlin (1885/86), Göttingen (1886-88), wiederum Erlangen (theol. Examen 1888) und München (Vikariat 1888/89) sind, geht Bousset nach Leipzig (1885/86) und schließlich ebenfalls nach Göttingen (1886-88). Nach bestandenem Examen in Lübeck (1888) wendet sich Bousset wieder nach Göttingen, w o er zusammen mit Johannes Weiß9, William Wrede10 und Alfred Rahlfs" die bereits erwähnte „kleine 4 In dieser Arbeit können die besonderen Schicksale der Vertreter der Schule nicht geschildert werden. In den folgenden Anmerkungen wird auf Biographien und Briefwechsel hingewiesen. 5 Ernst Troeltsch, geb. 1865 in Haunstetten bei Augsburg, 1891-1892 Privatdozent f. Kirchen- u. Dogmengeschichte in Göttingen, 1892-94 o. Prof. f. syst. Theol. in Bonn, 18941914 o. Prof. f. syst. Theol. in Heidelberg, 1914-1923 o. Prof. f. Philosophie in Berlin, gest. 1923 in Berlin. Eine weitestgehend vollständige Bibliographie seiner Werke liegt vor: Graf/Ruddies, Ernst Troeltsch Bibliographie. Eine ausführliche Darstellung von Leben und Werk bietet Drescher, Troeltsch; einen kurzen Überblick über Leben und Werk bei Graf/Ruddies, Historismus. Vgl. ferner zu Biographie und Werk Graf (Hg.), Untersuchungen; Köhler, Ernst Troeltsch. Die neuere Sekundärliteratur ist gesammelt bei Graf, TroeltschLiteratur und Graf/Nees, Literatur. Eine Liste der englischen Übersetzungen sowie englischer Troeltsch-Literatur findet sich bei Hogan, The Quest, 304-307. Französische Übersetzungen liegen vor in dem Band: Troeltsch, Religion et Histoire; eine frühe französische Auseinandersetzung mit Troeltsch ist erneut herausgegeben worden: Vermeil, La pensee religieuse. 6 Wilhelm Bousset, geb. 1865 in Lübeck, 1890-96 Privatdozent für neutestamentliche Exegese in Göttingen, 1896-1915 ao. Prof. daselbst, 1915-1920 o. Prof. f. Neues Testament in Gießen, gest. 1920 in Gießen. Darstellung von Leben und Werk sowie Bibliographie in: Verheule, Bousset; eine kurze Darstellung bei Berger, Religionsgeschichte; Merk, Bousset; ferner Schmidt, Bousset. 7 Troeltsch, Göttinger Fakultät. 8 Zur engen Freundschaft zwischen den beiden vgl. besonders: Dinkler-von Schubert, Briefe. Dort finden sich wichtige biographische Ergänzungen, auf die im Folgenden zurückgegriffen wurde. - Vgl. ferner die interessante Dokumentation von Renz, Ernst Troeltsch und Wilhelm Bousset. 9 Johannes Weiß, geb. 1863 in Kiel, 1882-86 Studium der Theologie in Marburg, Berlin und Göttingen, 1886-88 Mitarbeit im theol. Konvikt Breslau, 1888-90 Privatdozent f. neutest. Exegese in Göttingen, 1890-95 ao. Prof. daselbst, 1895-1908 o. Prof. in Marburg, 19081914 o. Prof. in Heidelberg, gest. 1914 in Heidelberg. Weiß war Schwiegersohn von Albrecht Ritschi. Darstellung von Leben und Werk sowie Bibliographie in: Lannert, Wiederentdekkung. 10 William Wrede, geb. 1859 in Bücken (Königreich Hannover), 1877-1881 Studium der Theologie in Leipzig und Göttingen, 1881-82 Privatlehrer, 1882-84 am Predigerseminar in Loccum, 1884-86 Inspektor am Theol. Stift in Göttingen, 1887-89 Pfarramt, 1889-91 Habili-

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Göttinger Fakultät" bildet. Gemeinsam streben sie im Jahr 1 8 9 0 die Habilitation an. 12 Als Troeltsch Ende 1890 wieder nach Göttingen zurückkehrt, um sich ebenfalls zu habilitieren, schließt er sich der „kleinen Fakultät" an. D i e religionsgeschichtliche Schule umfaßte jedoch noch mehr Forscher als diese in Göttingen vereinte Gruppe. Vor allem ein großer N a m e muß hier g e nannt werden, der zu den Führern der B e w e g u n g gehörte, w e n n ihn auch sein W e g bereits 1 8 8 9 v o n Göttingen nach Halle geführt hatte: Hermann Gunkel. 1 3 Gunkel hatte sich nach seinem Studium (in Göttingen und Gießen) 1888 in G ö t tingen habilitieren können. N a c h einem Jahr der Lehrtätigkeit im N e u e n Testament kam es 1 8 8 9 zum U m z u g nach Halle und zur Umhabilitation aufs Alte Testament. 1 4 Gunkel kannte B o u s s e t schon seit dessen Studentenzeit, später verband sie eine „herzliche Kriegskameradschaft". 15 In B o u s s e t s letzten Lebensjahren konnten sie zusammen in Gießen lehren. Gemeinsam gaben sie auch seit 1903 die Reihe „Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und N e u e n Testaments" ( F R L A N T ) heraus. Schon früh ist Gunkel geradezu ein Sprecher der religionsgeschichtlichen Schule geworden, der in zahlreichen Publikationen zur gemeinsamen Forschungsrichtung Stellung nahm. 16 Durch seine Umhabilitation wurde er zugleich der fuhrende Alttestamentler unter den Religionsgeschichtlern der ersten Generation. 17 tationsvorbereitungen in Göttingen, 1891-93 Privatdozent für Neues Testament in Göttingen, 1893-95 ao. Prof. in Breslau, 1895-1906 o. Prof. daselbst, gest. 1906 in Breslau. Eine kurze Vorstellung mit Bibliographie in: Strecker, Wrede. 11 Alfred Rahlfs, geb. 1865 in Linden/Hannover, 1883-1887 Studium der Theologie, Philosophie und der orientalischen Sprachen in Göttingen und Halle, 1888-90 Inspektor des Theol. Stiftes in Göttingen, 1891-1901 Privatdozent für Altes Testament (Hebräische Sprache) in Göttingen, 1901-1919 ao. Prof daselbst, 1919-1933 o. Prof. daselbst, gest. 1935 in Göttingen. Eine Monographie zu Rahlfs steht noch aus. Bibliographie: Hasenfuß, Bibliographie. 12 Mit Ausnahme von Johannes Weiß, der sich bereits 1888 habilitieren konnte und ab 1890 ein Extraordinariat in Göttingen innehatte. 13 Hermann Gunkel, geb. 1862 in Springe bei Hannover, 1881-1885 Theologiestudium in Göttingen und Gießen, 1885-1888 Privatlehrer, 1888-1889 Privatdozent für biblische Theologie und Exegese in Göttingen, 1889-1895 Privatdozent für Altes Testament in Halle, 18951907 ao. Prof. in Berlin, 1907-1920 o. Prof. in Gießen, 1920-1927 o. Prof. in Halle, gest. 1932 in Halle. Leben und Werk sind dargestellt bei Klatt, Gunkel. Dort auch eine Bibliographie der Veröffentlichungen Gunkels ab 1922. Für die Veröffentlichungen bis 1922: Hempel, Hermann Gunkels Bücher. Ferner: Wonneberger, Gunkel. 14 Offensichtlich spielte das Unbehagen über Gunkels Dissertation zu den Geistwirkungen hierbei eine Rolle. Zu den Gründen dieses Vorgangs im einzelnen vgl. von Rabenau, Hermann Gunkel; Schmidt, In meinoriam, 98; Klatt, 40f; Regner, Paulus und Jesus, 149. 15 Vgl. Gunkel, Gedächtnisrede, 149. 16 Vgl. die Belege unten, 2.3.2: „Religion und Geschichte". 17 Allenfalls der Alttestamentler Hugo Greßmann (1877-1927) kann neben Gunkel in der ersten Generation genannt werden. Gunkel selbst sagt von ihm, er sei „in die Arbeit der Religionsgeschichtlichen Schule eingetreten, zu deren vielseitigsten, anregendsten und einflußreichsten Vertretern er gehört hat" (Gunkel, Greßmann, 1454). - Alfred Rahlfs war Spezialist für Hebräisch und die Septuagintaforschung.

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A u c h der e t w a s jüngere Wilhelm Heitmüller 18 , der sich 1902 ebenfalls in Göttingen für das N e u e Testament habilitierte, zählte zur religionsgeschichtlichen Schule. Bereits seit 1898 war er Redaktionsmitglied der v o n B o u s s e t begründeten „Theologischen Rundschau", ab 1901 war er zusammen mit B o u s s e t deren Herausgeber. Zuletzt ist der Mann zu nennen, der in zahlreichen Zeugnissen als der für die eigentlichen A n s t ö ß e Verantwortliche erwähnt wird. E s ist Albert Eichhorn 1 9 , der Älteste im Kreise der religionsgeschichtlichen Schule, der fast überhaupt nicht literarisch, umsomehr aber in vielen Gesprächen auf seine theologischen Freunde gewirkt hat. Gunkel nennt ihn den „Mann, der v o n allen Mitgliedern unseres Kreises als der Erste anerkannt wurde und wird" 20 , und H u g o Greßmann setzt ihm mit seinem B u c h „Albert Eichhorn und die religionsgeschichtliche Schule" ein Denkmal. 21 Zur Abfassung dieses B u c h e s ersuchte er u m Informationen bei den Freunden Eichhorns. D i e Antwortschreiben liegen uns zum Teil noch vor; aus ihnen gewinnt man ein lebendiges Bild sowohl v o n der Person als auch v o n der Wirkung Eichhorns unter seinen theologischen Freunden. 2 2

18 Wilhelm Heitmüller, geb. 1869 in Döteberg bei Hannover, 1888-1892 Studium der Theologie in Greifswald, Marburg, Leipzig und Göttingen, 1893-95 Aufenthalt im Hospiz Loccum, 1896-97 Lehrer, 1897-1900 Inspektor am Theol. Stift in Göttingen, 1902-1908 Privatdozent für Neues Testament in Göttingen, 1908-1920 o. Prof. in Marburg (als Nachfolger von Johannes Weiß), 1920-1924 o. Prof. in Bonn, 1924-1926 o. Prof. in Tübingen (als Nachfolger Schlatters), gest. am 29.1. 1926 in Tübingen. Eine Monographie zu Heitmüller steht noch aus. Rudolf Bultmann schrieb einen Nachruf auf Wilhelm Heitmüller (Bultmann, Nachruf). 19 Albert Eichhorn, geb. 1856 in Garlstorf bei Lüneburg, 1875-1878 Studium der Theologie in Leipzig, Erlangen und Göttingen, 1878-79 Pfarrtätigkeit, 1879-81 Predigerseminar in Loccum, 1881-84 Pfarrer, 1884-86 Voibereitung auf die Licentiatenarbeit, 1886-1888 Privatdozent für Kirchengeschichte in Halle, 1888-1901 ao. Prof. daselbst, 1901-1913 ao. Prof. in Kiel, gest. nach langer schwerer Nervenkrankheit 1926 in Braunschweig. Eine Darstellung des Lebens und Werkes Eichhorns findet sich bei Greßmann, Eichhorn. Weiterhin besitzen wir Eichhorns Habilitationsthesen sowie von seinem schweren Leiden Zeugnis gebende Briefe in der Edition von Ernst Barnikol, Eichhorn. 20 Gunkel, Bewegung, 386. 21 Greßmann, Eichhorn. 22 Vgl. Klatt, Brief; ferner die Briefe von Troeltsch und H. Zimmern über Eichhorn bei Klatt, Gunkel, 22f. - Die oben zitierte Dokumentation von Lüdemann und Schröder führt neben den bereits erwähnten Männern noch Wilhelm Bornemann, Heinrich Hackmann sowie den eingangs angesprochenen Rudolf Otto auf. Bornemann (1858-1946): 1898-1902 Prof. für Kirchengeschichte und Praktische Theologie in Basel, ab 1922 Prof. für prakt. Theol. in Frankfurt a.M. - Hackmann (1864-1935): 1913-1930 o. Prof. f. allgemeine Religionsgeschichte in Amsterdam. - Otto (1869-1937): 1904-1914 ao. Prof. für Religionsphilosophie in Göttingen, 1914-1917 o. Prof. in Breslau, 1917-1929 in Marburg. Otto ist für die Thematik von Bedeutung besonders wegen seiner Beschäftigung mit Fries, die wiederum Bousset inspirierte. Zu Otto vgl. Schütte, Religion und Christentum, dort auch die Bibliographie Ottos sowie Sekundärliteratur. - Der Schule nahe standen auch die Theologen Otto Baumgarten (1858-1934, 1890-94 a.o. Prof. in Jena, 1894-1926 o. Prof. der praktischen Theologie in Kiel) sowie der ältere Otto Pfleiderer (1839-1908, 1871-75 o. Prof der praktischen Theol. in

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2.2 Zum geistesgeschichtlichen Umfeld der religionsgeschichtlichen Schule23 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert sich die Religionswissenschaft als eine neue Disziplin der Wissenschaften.24 Greßmann spricht zu Recht von einer „allgemeine(n) Zeitströmung, die der religionsgeschichtlichen Schule ihren Erfolg bescherte".25 Diese Zeitströmung ist die überall geforderte Hinwendung zum Tatsächlichen, zur „Wirklichkeit", zur empirischen Forschung. Bezeichnend für diese Forderung ist der gerade im Bereich der historischen Wissenschaften aufkommende Begriff der „Wirklichkeitswissenschaft".26 Hatte der deutsche Idealismus noch versucht, Geschichte als Prozeß vollkommen einsichtig und erklärbar zu machen, sie einzuspannen in ein der Vernunft entstammendes System, so wird jetzt die Autorität der „bloßen Tatsachen" vor aller Deutung betont. Dies fuhrt zu einer vertieften Detailforschung in allen historischen Disziplinen und damit zur Ausbildung verschiedenster neuer Einzelwissenschaften.27 Die enorme Anstrengung auf dem Gebiet der historischen Forschung bringt neben einer großen Materialfulle auch Probleme der Deutung mit sich, die Troeltsch und andere unter dem Stichwort des „Historismus" behandeln werden. Für den Theologen stellt sich die Aufgabe, den großen Erkenntniszuwachs auf den Gebieten der Archäologie, „Linguistik, Philologie, Ethnographie, Mythologie und Folklore" aufzunehmen und zu durchforschen.28 Klassische Philologen wie Richard Reitzenstein, Hermann Usener und Ulrich von WilamowitzMoellendorff und Orientalisten wie Paul de Lagarde bewegen mit ihrem Fach-

Jena, 1875-1908 o. Prof. fiir syst. Theol. und Neues Tetament in Berlin). - Die Schule brachte namhafte Schüler hervor, zu denen Mowinckel und Weinel, aber auch Dibelius und Bultmann zählen (vgl. Eissfeldt, Religionsgeschichtliche Schule, 1898f). 23 Als Literaturhinweise seien genannt: Rade, Religionsgeschichte; Rudolph, Religionsgeschichte; Lüdemann/Schröder, Dokumentation, 25-40; Sinn, Christologie, 18-24; Lüdemann, Wissenschaftsverständnis, 78-107. Ferner: Rathje, Welt; Schwöbel, Rade. 24 Vgl. dazu die erhellenden und detaillierten Ausführungen bei Rudolph, Religionsgeschichte, besonders 9-66. Vgl. ferner die gute Einfuhrung bei Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch, Bd. 1, 2-10 (zitiert nach der ersten Auflage). Er erwähnt drei Vorbedingungen fur das Entstehen der Disziplin: die Religionsphilosophie (besonders Hegels!), die Geschichtsphilosophie und die Erschließung großer Materialsammmlungen in Linguistik, Philologie, Ethnographie, Völkerpsychologie, Mythologie, Folklore (vgl. ebd., 3f). Als „erster Urheber" des Baus der Religionswissenschaft wird der Sprach- und Religionsforscher F. Max Müller genannt (ebd., 5). Sein Werk „Introduction to the science of religion" (1873) gilt als wegweisend für die neue Wissenschaft (vgl. ebd.). - Zu Müller vgl. Rudolph, Religionsgeschichte, 12-16; Israel, Müller. 25 Greßmann, Eichhorn, 27. 26 Vgl. Pfleiderer, Theologie, 73. 27 Ernst Troeltsch hat diese Entwicklung deutlich beschrieben, vgl. besonders: ders., Voraussetzungslose Wissenschaft; ders., wissenschaftliche Lage. Vergleiche hierzu Pfleiderer, Theologie, 44. 28 Kraus, Geschichte, 318. Vgl. insgesamt ebd., § 74 (315-320) „Zur Entstehung der Religionswissenschaft". Zur geistes- und wissenschaftgeschichtlichen Einordnung vgl. ferner: Paulsen, Traditionsgeschichtliche Methode, besonders 45-53.

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wissen die Theologen zu einer Aufnahme und Bearbeitung der erweiterten Kenntnisse nichtchristlicher Religionen. In der Schweiz wird im Jahre 1873 der erste Lehrstuhl fur Religionswissenschaft in Genf errichtet, die Niederlande folgen 1877, indem - im Zuge der Umwandlung der kirchlichen theologischen Fakultäten in staatliche Einrichtungen - Amsterdam, Groningen, Leiden und Utrecht religionsgeschichtliche Lehrstühle erhalten.29 In Frankreich entwickelt sich eine rege religionsgeschichtliche Arbeit, die sich unter anderem 1879 in der Gründung des religionsgeschichtlichen Lehrstuhles am College de France niederschlägt.30 In Deutschland wird erst 1910 mit einigem Zögern31 der erste Lehrauftrag für Religionswissenschaft in Berlin vergeben.32 Vorher aber hat bezeichnenderweise schon Wilhelm Bousset in Göttingen eine Vorlesung unter diesem Titel angeboten.33 Das „Archiv fur Religionswissenschaft" (1898-1941) und die Reihe „Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten" (ab 1903) werden zu wichtigen Publikationsorganen für die Beschäftigung mit der neuen Disziplin.34 Auch die Entwicklung der Wissenschaft der Soziologie ist in diesen Zusammenhang zu stellen und in ihrer Wirkung auf die religionsgeschichtliche Schule zu bedenken. Besonders die französische religionsgeschichtliche Forschung vermittelte schon früh „Einsichten in den soziologischen Charakter der Religionen".35 Auf Kult und religiöse Sitte wurde ein besonderes Augenmerk gerichtet, so zum Beispiel in dem großen Werk „Ceremonies et coutumes religieuses de

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Zu diesem Vorgang vgl. Rudolph, Religionsgeschichte, 20f; Rade, 2191f. Vgl. ebd., 30. - 1885 wird aus diesem Lehrstuhl die „Section des Sciences Religieuses" der Ecole Pratique des Hautes Etudes, welche bis heute besteht. Organ der französischen Religionsforschung wird ab 1880 die „Revue de l'histoire des religions" (vgl. ebd., 31). - Ferner ist hier auch auf den nach dem 2. Weltkrieg geschaffenen „Centre de Recherche d'Histoire des Religions" in Straßburg hinzuweisen (vgl. ebd. 32). 31 Besonders Harnack wandte sich gegen die Einrichtung des Lehrstuhles. Vgl. seine Rektoratsrede aus dem Jahre 1901 (Harnack, Aufgabe). 32 Zu diesen Angaben vgl. Lanczkowski, Einführung, 76f. 33 Rade, Religionsgeschichte, 2192: Bousset hielt diese Vorlesung im Wintersemester 1897/98 in Göttingen. Allerdings hat Bousset nicht, wie Rade schreibt, in „Deutschland (...) in einer theologischen Fakultät zuerst (...) RG. [ = Religionsgeschichte] gelesen" (ebd.). Rudolph erwähnt die Lehrtätigkeit des Göttinger Privatdozenten Christian Wilhelm Flügge (1773-1827), der an der theologischen Fakültät bereits 1797 über „Allgemeine und besondere Religionsgeschichte" gelesen hat (Rudolph, Religionsgeschichte, 43). Göttingen hat also hinsichtlich der religionsgeschichtlichen Forschung eine lange Tradition vorzuweisen, zu der auch das Kolleg über „Allgemeine Religionsgeschichte" von W. Geiger im Wintersemester 1902/03 (vgl. ebd., 61) sowie die Gründung der „Religionsgeschichtlichen Kommission" bei der Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften im Jahre 1914 (vgl. ebd., 50) zu rechnen sind. Auch der Verfasser der „Allgemeine(n) kritische(n) Geschichte der Religionen", Christoph Meiners (1747-1810), war Göttinger Gelehrter (vgl. ebd., 41). 34 Erwähnt werden mag hier auch die interessante Zusammenarbeit Reitzensteins, Nordens und Greßmanns mit der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg zu Beginn der Zwanziger-Jahre. Vgl. dazu Kany, Die religionsgeschichtliche Forschung, 43-59. 35 Ebd., 29. 30

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tout les peuples de monde" von B. Picart.36 Innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule hat vornehmlich Ernst Troeltsch, begünstigt durch seine Freundschaft und zeitweilige Hausgemeinschaft mit Max Weber in Heidelberg, die soziologische Frage in seine Überlegungen integriert.37 Dies lag nahe, da auch die Soziologie nach den Lebenszusammenhängen fragt, also nach dem „wirklichen Leben" im Gegensatz zu bloßen Gedankengebilden. Die Frage nach dem Milieu, dem eine geschichtliche Gestalt entstammt, wird in der Theologie erst gestellt, „seitdem der soziale Sinn des modernen Menschen geweckt ist, und auch in dieser Hinsicht ist die religionsgeschichtliche Schule ein notwendiges Produkt unserer Zeit, das ohne Männer wie Taine, Riehl, Naumann, Lamprecht und Wundt nicht existieren würde". 38 Wenn nun noch nach den theologischen Lehrern der Schule zu fragen ist, so muß grundsätzlich bedacht werden, daß sich die Position der religionsgeschichtlichen Schule durch eine Mischung von großer Anerkennung und harter Kritik am Werk der sie prägenden Theologen herausbildet. An erster Stelle ist sicherlich Albrecht Ritsehl zu nennen, dessen Theologie weite Kreise der Studentenschaft in ihren Bann zog. In allgemeiner Weise berichtet schon Ernst Troeltsch von der „Systematik, Strenge des Charaktereinflusses und Liebe zu den reformatorischen Quellenschriften" 39 Ritschis, Eigenschaften, die er seinen Schülern zu vermitteln suchte. Inhaltlich sind aus der Theologie Ritschis die Betonung der Selbständigkeit der Religion sowie auch die Anlehnung an Kant und dessen ethische Beschreibung des Christentums für die Religionsgeschichtler wichtig geworden. Heftige Ablehnung erfuhr jedoch die Beschränkung der theologischen Arbeit auf den biblischen Kanon, verbunden mit dem Postulat, das Urchristentum sei allein durch das Alte Testament zu erklären. Ferner beanstandeten die Religionsgeschichtler bei Ritsehl die durch dogmatische Positionen vorgeprägte Interpretation biblischer Texte und Begriffe. 40 Die historische Arbeit war des weiteren in beispielhafter Weise von Adolf von Harnack geübt worden, der sicherlich ein unfreiwilliger Vater der Religionsgeschichtler genannt werden könnte,41 unfreiwillig, weil es über der Beto36

Amsterdam 1723-28. Der Hinweis auf dieses Werk findet sich bei Rudolph, Religionsgeschichte, 28. Rudolph verweist ferner besonders auf die soziologische Schule E. Dürkheims. - Noch heute hat die religionssoziologische Fragestellung in der französischen Forschung einen hohen Stellenwert, der etwa an der Existenz des „Centre de sociologie comparee des religions en Europe" (gegründet 1969 als „Centre de sociologie du protestantisme") innerhalb der protestantischen Fakultät Straßburgs sichtbar wird (vgl. dazu Vincent/Willaime, Le centre de sociologie). 37 Vgl. Drescher, Troeltsch, 209-215; Graf, Fachmenschenfreundschaft. 38 Greßmann, Eichhorn, 39; Hervorhebung der Namen: K.L.. Auch im folgenden werden Verfassernamen in Zitaten hervorgehoben. - Hervorhebungen in Originaltexten werden grundsätzlich durch Kursivierung wiedergegeben. 39 Troeltsch, Göttinger Fakultät, bei Lüdemann/Schröder, 23. 40 Zu diesen Auseinandersetzungen vgl. den Abschnitt 2.3.2: „Religion und Geschichte". 41 So Rade, Religionsgeschichte, 2191 (Harnack als „unfreiwilliger Schöpfer" der Schule).

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nung des Kultus in der religionsgeschichtlichen Schule zu großen Diffenrenzen kommen sollte.42 Ebenso muß auch Julius Wellhausen, der mit Gunkel über die neue Frage nach dem Ursprünge biblischen Traditionsgutes heftig stritt, im Blick auf seine historische Arbeit am Alten Testament als Vorbild genannt werden.43 Wichtig wurden vor allem noch der Alttestamentier Bernhard Duhm, der die Bedeutung der Religionsgeschichte sowie der Religion als Erfahrung und Erlebnis in seiner Arbeit herausstellte, und der Orientalist Paul Anton de Lagarde, von dem Ernst Troeltsch bekennt, daß „die Weite seines historischen Blikkes, die wesentlich historische und nicht spekulative Erfassung des Religiösen, die starke selbstgewisse Religiosität und die Zusammenschaii des Religiösen mit den Gesamtbedingungen des Lebens, insbesondere den politischen Verhältnissen" ihm in seiner Göttinger Studienzeit „eine ganz außerordentliche, fast erschütternde Anregung gaben".44 In der Abwendung von Ritsehl und angesichts der Herausforderungen der Fülle neuer historischer Forschungsergebnisse entdecken etliche Theologen um die Jahrhundertwende erneut die Theologie Schleiermachers.45 Zeitgenossen sprechen geradezu von einer „Schleiermacher-Renaissance".46 Hielt Ritschis Theologie weder in der Rede vom „Reich Gottes" den Ergebnissen der neutestamentlichen Exegese noch mit der Bestimmung des Christentums als höchster Religion der vergleichenden Religionswissenschaft stand, so versuchten seine Schüler - wie auch andere zeitgenössische Theologen - , in Schleiermachers Ausführungen zur Wissenschaftlichkeit der Theologie sowie in seiner Anbindung der Theologie an das christliche Selbstbewußtsein neue Möglichkeiten der theologischen Arbeit zu finden. Gerade der religionsgeschichtlichen Schule boten sich hier Möglichkeiten der Anknüpfung. Hatte schon Schleiermacher das Gemeindebewußtsein als Grundlage der Glaubenslehre favorisiert und in seinen „Reden" auf den Gottesdienst mit seinen heiligen Handlungen als Ort des Ideenaustausches hingewiesen,47 so wendet sich Troeltsch, der sich immer als ein Schüler Schleiermachers verstand, in seinen Forschungen ganz besonders den

42

Vgl. dazu unten den Abschnitt I, 2.2: „Unterscheidung von Religion und Theologie, von Kultus und Lehre". 43 Für die beiden Letztgenannten vgl. Greßmann, Eichhorn, 26: „Zwei Männer sind hier vor allen anderen zu nennen, denen sie [= die rel.gesch. Schule] gern huldigt als ihren geistigen Ahnherren: Julius Wellhausen und Adolf Harnack. Beide betrachten die Religionsgeschichtler zwar eher als ihre ungeratenen Söhne, aber sie können die Vaterschaft nicht ableugnen." 44 Troeltsch, Zur religiösen Lage, VIII. Der Band ist dem Gedächtnis Paul de Lagardes gewidmet. 45 Zur „Schleiermacher-Renaissance" vgl. den guten Überblick bei Pfleiderer, Theologie, 16ff. 46

So Wendland, Neuere Literatur, 133 (zitiert bei Pfleiderer, Theologie, 16). Schleiermacher, Religion, hier die vierte Rede, 174ff, besonders 177-179, 182 (Seitenzahlen beziehen sich auf die Erstausgabe von 1799). 47

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soziologischen Aspekten der christlichen Religion zu.48 Im Blick auf Troeltsch und andere Systematiker sagt Pfleiderer wohl nicht zu Unrecht, die Schleiermacher-Renaissance stelle „den in gewissen Zügen einheitlichen Versuch dar, auf den Problemdruck zu reagieren, welcher der systematischen Theologie durch die religionsgeschichtliche Forschung entstanden" sei.49 Zu welcher sie besonders auszeichnenden theologischen Position fanden in diesem Umfeld die Vertreter der „religionsgeschichtlichen Schule"? Welches war ihr eigentliches gemeinsames theologisches Anliegen, welches das Recht gibt, von einer „Schule" zu sprechen?

2.3

2.3.1

Religionsgeschichte: Religion und Geschichte

Der Name

Wie kam es zu dem Begriff der „religionsgeschichtlichen Schule", und wie wurde er gefüllt? Carsten Colpe bemerkt, es werde „sich wohl nicht mehr feststellen lassen", wer „diese Bezeichnung zuerst geprägt hat". 50 Dennoch läßt sich die Entstehung des Namens relativ weit zurückverfolgen, wie ein guter Überblick bei Lüdemann/Schröder zeigt.51 Nach den dort zitierten Quellentexten ist der Begriff „religionsgeschichtliche Schule" nicht in polemischer Absicht von A. Jeremias geprägt worden 52 , sondern „stammt also wohl doch von ihren Vertretern selbst und wurde von ihnen spätestens ab 1903 intern gebraucht". 53 Als Beleg wird ein Brief des Bruders Wilhelm Boussets, Hermann Bousset, aus dem Jahre 1903 zitiert. Von „religionsgeschichtlicher Methode" war sogar schon erheblich früher die Rede. 54

48

Zur Berufung Troeltschs auf Schleiermacher vgl. z.B. Glaubenslehre, 130. Dieser und weitere Hinweise bei Wyman Jr., Glaubenslehre, 360f. Vgl. auch Troeltsch, Geschichte und Metaphysik, 30. 49 Pfleiderer, Theologie, 17. 50 Colpe, Die religionsgeschichtliche Schule, 9, (Fußnote 1). 51 Lüdemann/Schröder, Dokumentation, 15-23. Vgl. auch: Ittel, Urchristentum, 16-22. 52 Hempel, Religionsgeschichliche Schule, 991 (zitiert bei Klatt, Gunkel, 25 Fußnote 40). 53 Lüdemann/Schröder, Dokumentation, 17. 54 Klatt (Gunkel, 25) erwähnt als erstes Vorkommen dieser Wendung eine Rezension Hermann Gunkels (ThLZ 1889, 369). Dies muß jedoch ein Irrtum sein, in der betreffenden Rezension des Buches „Die paulinische Angelologie und Dämonologie" von O. Everling beschreibt Gunkel die Methode zwar der Sache nach bereits erstaunlich genau, verwendet den Namen „religionsgeschichtliche Methode" aber noch nicht. Auch K. Müller übernimmt diesen Irrtum (Die religionsgeschichtliche Methode, 163). Immerhin fällt die von Klatt erwähnte Benutzung dieser Bezeichnung durch A. Eichhorn (Klatt, Gunkel, 25 Fußnote 39) in das Jahr 1898, ist damit also immer noch früher als die Rede von der „religionsgeschichtlichen Schule". Für Sinn ist die Bezeichnung mit einiger Wahrscheinlichkeit dennoch eine „Fremdbezeichnung" (Sinn, Christologie, 8). Er erwähnt allerdings die Bemerkung Eichhorns, also des Hauptes der Schule, aus dem Jahre 1898 nicht.

25

2.3.2

Religion und Geschichte

Wichtiger jedoch als die Ursprünge des Namens ist der Inhalt, den die Vertreter der Schule nach seiner Etablierung mit ihm verbanden. Hermann Gunkel, einer der ersten, der den Terminus „religionsgeschichtlich" programmatisch gebrauchte,55 ist auch deijenige, der häufig direkt zum Verständnis der mit diesem Adjektiv bezeichneten Schule Stellung genommen hat.56 In einer grundsätzlichen Begriffsbestimmung zur „religionsgeschichtlichen Bewegung" schreibt Gunkel 1914: „Der Verfasser dieser Skizze hat (...) bereits mehrfach an den verschiedensten Stellen seine Auffassung von der .Religionsgeschichte' niedergelegt und hat dennoch nicht verhindern können, daß man diese Forschungsweise in weitesten Kreisen völlig falsch verstanden hat".57 Worin lag dieses offensichtlich entscheidende und häufige Mißverständnis? Seine Ursache hat es in dem Verständnis des Wortes „Religionsgeschichte". Dieses wurde mit der Wissenschaft der „Allgemeinen Religionsgeschichte" assoziiert. Daraus ergab sich die gängige Meinung, das Hauptanliegen der „religionsgeschichtlichen Schule" läge darin, die Religion des Alten wie des Neuen Testamentes in die außerchristliche Religionsgeschichte einzustellen, von hierher zu erklären und letztlich in diese einzuebnen.58 Demgegenüber betont Gunkel immer wieder, „daß das Wort .Religionsgeschichte', als es in dem neuen Sinne geprägt und zum Leitworte erhoben wurde, eine viel umfassendere Bedeutung besessen hat".59 Die Untersuchung der biblischen Religion im Zusammenhang mit den Zeugnissen anderer Völker derselben Epoche gehörte „als eine unumgängliche Einzelheit", aber „freilich nicht als die Hauptsache" zur religionsgeschichtlichen Betrachtung biblischer Texte!60 Ähnlich formuliert 1914 Hugo Greßmann: „Religionsgeschichte treiben heißt für den Theologen in erster Linie die Geschichte der eigenen Religion verfolgen".61 Was ist die Hauptsache, das Wesentliche bei der neu entstehenden Methode? Entscheidend ist, daß Gunkel zur Erklärung des genuinen Verständnisses von „Religionsgeschichte" dieses Substantiv auflöst in seine zwei Bestandteile „Geschichte" und „Religion". Entscheidend ist weiter, daß er den Begriff der Religion zunächst nur auf die biblische Religion beschränkt wissen will. „Wir dachten, wenn wir von .Religionsgeschichte' sprachen, immer zuerst an die Geschichte der biblischen Religion. Unwillkürlich verbanden wir die beiden großen Worte, die uns als die Leitsterne unseres Lebens erschienen, die Worte

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Vgl. Gunkel, Verständnis. Vgl. besonders: Gunkel, Ziele; ders., Reischle; ders., Verständnis; ders., Religionsgeschichte; ders., Vorwort in: Reden und Aufsätze, V-VII; ders., Bewegung; ders., Gedächtnisrede; ders., Richtungen. 57 Gunkel, Bewegung, 385. 58 Vgl. dazu Müller, Judentum, 40f. 59 Ebd., 386. 60 Gunkel, Reden und Aufsätze, VI. 61 Greßmann, Eichhorn, 30. 56

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,Religion' und .Geschichte'."62 Mit diesen beiden Begriffen scheinen in der Tat die Zentren der Forschung jener Schule wie die Brennpunkte einer Ellipse benannt zu sein.63 Alles kam darauf an, wie diese Begriffe gefüllt, wie sie in Beziehung zueinander gesetzt und wie sie in Auseinandersetzung mit herrschenden theologischen Schulen verwendet werden sollten. Zunächst also geht es um die biblische Religion. Die religionsgeschichtlich orientierten Theologen haben allein sie zum Forschungsgegenstand. Nur insoweit eben diese Religion mit ihrer Umwelt verflochten ist - und das ist in der Tat in hohem Maße der Fall - nur insoweit also rückt die „Geschichte der Religionen" bei der Untersuchung der „Geschichte der biblischen Religion" in den Blick.64 Wie kann dann Gunkel aber von einer umfassenderen Bedeutung des Begriffs „religionsgeschichtlich" sprechen, wenn doch die Konzentration auf die biblische Religion eher als eine Einschränkung des Forschungsinteresses zu werten ist? Um hier zum rechten Verständnis zu kommen, müssen die Aussagen zur „Religion" näher betrachtet werden. Denn dieser Begriff enthält bereits ein Programm, das über eine bloße vergleichende Darstellung verschiedener Religionen hinausgeht und dessen Faszination erst deutlich wird, wenn zugleich die Positionen beschrieben werden, gegen die mit dieser Parole opponiert wird. Religion, lebendige Religion gilt es zu erkennen und nacherlebend im tiefsten zu erfassen, nicht in erster Linie Lehrsätze."65 Mit diesen Worten beschreibt Gunkel rückblickend dasjenige, was ihn und seine Gesinnungsgenossen schon in den Neunziger-Jahren zu neuen Forschungen getrieben hatte. Hier wird eine erste Hauptfront genannt, gegen die sich die neue Schule wandte. Es handelt sich um die bereits erwähnte, von Wrede scharf kritisierte Methode der Lehrbegriffe, oder, wie Gunkel es ausdrückte, um „das dem Protestantismus von der Orthodoxie her im Blute liegende Bestreben, in der Bibel Lehrsätze zu finden".66 Vor allem in der neutestamentlichen Theologie war es üblich, jede Aussage eines Autors nur im Blick auf ihre Einordnung in ein angenommenes Lehrgebäude 62

Gunkel, Bewegung, 386. Hervorhebung im Original. Tatsächlich ist die Auflösung des Adjektivs „religionsgeschichtlich" in die Substantive „Religion" und „Geschichte" im obigen Zitat kein Einzelfall. Ganz ähnlich verfuhr Gunkel schon in seiner Rezension des Buches von M. Reischle (Gunkel, Reischle, 1109). Eine genaue Parallele findet sich auch in seiner Gedächtnisrede auf Wilhelm Bousset: „Die neue Bewegung ist nach dem Schlagworte, das sie gern im Munde führte, (...) die .religionsgeschichtliche Schule' genannt worden. In diesem Worte waren die beiden großen Ideale verbunden, die jene theologische Jugend begeisterten: Religion und Geschichte." (Gedächtnisrede 145, Hervorhebung im Original). Ähnlich auch in: Gunkel, Richtungen, 66. 63

64 Vgl. Gunkel, Reden und Aufsätze, V. So auch in: Richtungen, 66: „Wenn wir also damals .Religionsgeschichte' auf unser Banner schrieben, so dachten wir nicht an eine .Geschichte der Religionen', sondern an eine Geschichte der biblischen Religion. (...) Demnach ergibt sich auch (...), daß uns die Frage nach dem Verhältnis der biblischen zu den übrigen Religionen von Anfang an nur eine unter den anderen gewesen ist." 65 Gunkel, Gedächtnisrede, 145. 66 Gunkel, Gedächtnisrede, 144.

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desselben zu betrachten. 67 Demgegenüber erhob sich der scharfe Protest der jüngeren Generation: In den biblischen Zeugnissen gehe es nicht in erster Linie u m Lehrgebäude, sondern eben um „lebendige Religion", w o b e i Stimmungen, widersprüchliche Gedanken, Zufälligkeiten und Entwicklungen ihr Recht verlangen, v o n einem geordneten, fertigen Lehrsystem also nicht die R e d e sein kann. 68 Der Gegensatz Religion/Lehre wird so ein immer wieder variiertes Thema der religionsgeschichtlichen Schule. Er kann auch durch ähnliche B e griffspaare w i e z u m Beispiel Frömmigkeit/Dogmatik ersetzt werden. Dabei liegt die Sympathie immer bei dem erstgenannten Begriff. Dogmatik und Lehre sind abgeleitete Größen, der Exeget der biblischen Texte aber sucht das Leben, den Quellort aller religiösen Zeugnisse selbst. 69 D a z u gehört auch, w i e nebenbei bemerkt werden darf, eine Frische und Anschaulichkeit des biblischen K o m m e n tars selbst. D i e Trockenheit so vieler rationalistisch geprägter Kommentare w u r d e in der religionsgeschichtlichen Schule abgelöst v o n einer lebendigen, ästhetisch ansprechenden Sprache; und auch die zahlreichen Bemühungen u m die Erreichung der theologischen Laien mögen in dieser B e t o n u n g der ursprünglichen, noch v o n keiner Reflexion entstellten Religion ihren Ursprung haben. 70

67 Als „Muster dieser Gattung" erwähnt Gunkel die „Biblische Theologie" von Bernhard Weiß: „Auch hier das einseitige Betonen des Lehrhaften, Verstandesmäßigen; die Erkenntnis, daß die dogmatische Lehre nur dann verstanden werden kann, wenn man den religiösen Untergrund beachtet, aus dem sie hervorgegangen ist, war diesen Männern nicht recht deutlich." (Gedächtnisrede 144). 68 Vgl. die besonders anschauliche Beschreibung bei Bousset, Methodologie, 10, die neben dem Blick auf das Detail allerdings auch schon die Gesamtschau aus einer Perspektive (!) anmahnt: „Was man in der Methode der Lehrbegriffe auseinandergerissen, das muss eine wirklich geschichtlich-vergleichende, im wahren Sinn religionsgeschichtliche Arbeit wieder zusammenfassen. Bedeutete es in der Malerei einen Fortschritt, dass man, anstatt nach Schablonen zu zeichnen, erst einmal die Dingen sah wie sie waren, sich in jede Einzelheit der Natur und der menschlichen Gestalt hineinversenkte, so war es doch ein weiterer Fortschritt, als man die Perspektive fand, als man komponieren, wirklich einheitliche Bilder schaffen lernte, in welchen nur das Wichtige und Zentrale scharf beleuchtet und bis ins Einzelne ausgeführt, das Unwichtige und im Hintergrund Liegende nur angedeutet, in den Schatten gestellt, mit wenigen Strichen angedeutet wurde." 69 Zur Unterscheidung von Religion und Theologie vgl. ausführlicher unten A 2.2. - Vgl. auch Wrede, Studium, 65 (Hervorhebung im Original): Eine „Gruppe" von Theologen „stellt die Religion im Christentum als das Ursprüngliche und eigentlich Wertvolle in einen Gegensatz gegen die sozusagen abgeleiteten Formen: das Dogma, die Theologie, die Kirche mit ihren Institutionen. Die Religion, die Frömmigkeit will sie aufs Lebendigste erfassen, mit ausgeprägtem Realismus weiß sie sich auch in die seltsamsten Aeußerungen der Frömmigkeit z.B. die ekstatischen hineinzufühlen, dagegen jene andern Größen behandelt sie mit einiger Abneigung". 70 „Aber wer etwa die Kommentare von Baethgen zu den Psalmen oder von Holzinger zur Genesis kennt, wird die Behauptung verstehen, daß eine Reform der Bibelerklärung, bei der aller Nachdruck auf das Verständnis der Religion und besonders der religiösen Personen gelegt wird, gegenwärtig eine der allerdringendsten Aufgaben der Theologie ist." (Gunkel, Bewegung, 391). - Zu den zahlreichen Publikationen der religionsgeschichtlichen Schule, die

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Hierher gehört auch die Kritik an jeder modernistischen Interpretation des biblischen Textes. Die Auseinandersetzung um die richtige Interpretation des von Jesus verkündigten „Reiches Gottes" ist hier eines der eindrücklichsten Beispiele. Johannes Weiß nimmt hier gegen seinen Lehrer und späteren Schwiegervater, gegen Albrecht Ritsehl Stellung.71 Das Reich Gottes ist - so Weiß - keine gegenwärtige sittlich zu fassende, sondern eine eschatologische Größe. Zur Suche nach der lebendigen biblischen Religion gehört das ehrliche Fragen nach dem mit den jeweiligen Begriffen verbundenen Sinn, wie er zur Zeit der Entstehung der Aussagen herrschend war. Jede Interpretation, die nur einer heutigen Dogmatik entgegenkommen soll, ist radikal abzulehnen.72 Von hier aus ist auch eine gewisse Liebe der Religionsgeschichtler zu allem Fremdartigen, ja vielleicht geradezu Schockierendem im biblischen Text zu erklären. Gerade in solchen Erscheinungen verbürgt sich das wahre religiöse Leben, gerade hier zeigt sich aber auch, ob man bereit ist, dieses so darzustellen, wie es sich damals zeigte, oder ob jene Absonderlichkeiten um einer gültigen Dogmatik willen zurechtgebogen werden müssen.73 So ist es auch nicht verwunderlich, daß sich das Interesse der Religionsgeschichtler gerade auf Gebiete bezieht, die dem Menschen der Neuzeit befremdlich erscheinen müssen. Sieht man sich die exegetischen Werke der ersten Stunde an, so fällt die intensive Bearbeitung der Offenbarung mit ihren seltsamen Bildern sowie beispielsweise eine Untersuchung zum „Anti-

an Laien adressiert waren und einen erheblichen Verbreitungsgrad erreichten vgl. Janssen, Popularisierung; ders., Theologie fürs Volk. 71 Vgl. auch Gunkel, Gedächtnisrede, 142: „Allen denjenigen, die zu den Füßen Ritschis gesessen haben, wird es in Erinnerung sein, mit welcher Gewaltsamkeit der große Theologe den neutestamentlichen Text behandelt hat, wie es denn kein Zufall ist, daß die jüngere Schule sich gerade im Gegensatz zu dieser Art Texterklärung entwickelt hat." 72 Johannes Weiß unterscheidet für den Begriff der „religionsgeschichtlichen Methode" einen dreifachen Sprachgebrauch (vgl. Weiß, Heitmüller, 185-189): 1. Ablehnung der dogmatischen Vereinnahmung der Bibel als Sammlung von dicta probantia einer feststehenden Dogmatik; 2. Betonung der lebendigen Religion gegenüner der sekundären Lehre; 3. Heranziehung der zeitgeschichtlichen Quellen, Überprüfung der Analogien in der Geschichte der Religionen. - Schon 1888 hatte Albert Eichhorn in einem Brief an Harnack geschrieben: „Das ist mir nun so erquickend gewesen, daß Sie den - gestatten Sie mir ohne Umschweife die Sache beim rechten Namen zu nennen - also den Ritschl'schen Kunstgriff verschmäht haben, jede Differenz mit dem kirchlichen Bekenntnis zu leugnen. Sie haben offen erklärt, daß wir in der Tat verwerfen müssen, was unsern Vätern heilig gewesen ist" (so bei Barnikol, Eichhorn, 152). 73 Deutlich bringt Gunkel diese Sehnsucht nach dem historischen Sinn bereits in der Rezension des Buches von Everling über die „paulinische Angelologie und Dämonologie" zum Ausdruck (Gunkel, Everling, 369): „Der Verf. ist bestrebt, eine wirklich historische Erkenntnis zu gewinnen und kämpft daher mit Entschiedenheit gegen eine vergeistigende und modernisierende Exegese, welche sich gerade auf diesem Gebiete gegen die seltsamen, das moderne Bewußtsein befremdenden Anschauungen mit allerlei Umbiegungen und Ablassungen zu wehren sucht. Verf. schreckt dabei nicht davor zurück, .Ungeheuerlichkeiten' zu constatieren".

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Christ" ins Auge.74 Aber auch Hauptthemen der christlichen Theologie wie die Frage nach der Christologie, dem Heiligen Geist oder nach den Sakramenten werden untersucht, indem nach den Anschauungen der neutestamentlichen Zeit selbst gefragt und für ein „aufgeklärtes" Ohr abwegige Aussagen nicht gescheut werden.75 Mit dieser Suche nach „Religion" verbindet sich die Kritik einer weiteren Position gegenüber, nämlich der zu einseitig gepflegten Literarkritik. Diese soll keinesfalls abgeschafft werden. Bemängelt wird, daß literarkritische Untersuchungen den meisten Platz in der Exegese beanspruchen.76 Ferner kritisieren die Religionsgeschichtler den sich häufig an literarkritische Arbeit anschließenden Irrtum, mit dem Alter der Quelle sei zugleich das Alter des in ihr verarbeiteten Stoffes geklärt. Demgegenüber betonen sie die Bedeutung des meist wesentlich älteren Traditionsgutes. Auch diese Hinweise hängen eng mit dem eigentlichen Anliegen der Schule, der Erfassung des religiösen Lebens selbst, zusammen. Die Literarkritik darf nicht den Blick verstellen für die eigentliche Entwicklung religiöser Gedanken und Stimmungen. Diese Entwicklung kann nicht durch bloße Quellenscheidung und Datierungsfragen erschlossen werden, da hinter den Quellen eventuell eine lange Tradition sowie viel weiteres Gut, was nicht unmittelbar überliefert worden ist, angenommen werden muß. So zeichnet auch nicht unbedingt ein Autor allein verantwortlich für Inhalte seiner Schrift. Oft verwendet er wesentlich ältere Elemente der Religionsgeschichte.77 Auf diese Unterscheidungen hatte bereits Albert Eichhorn in seiner Abhandlung über das Abendmahl hingewiesen.78 Greßmann bemerkt dazu: „Hier wird die Religionsgeschichte in Gegensatz zur Literarkritik gesetzt. Nun ist gewiß alle Forschung von Texten abhängig und kann darum auch der Textkritik nicht entbehren. Eichhorn wendet sich nur gegen ihre Ausschließlichkeit: Die bloß literarkritische Betrachtung ist nicht imstande, das Werden und Wachsen einer Religion verständlich zu machen. Dazu bedarf es vielmehr einer anderen Fragestellung. Wer die Geschichte einer Religion erkennen will, darf sich nicht damit begnügen, die

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Gunkel, Schöpfung und Chaos; Bousset, W., Antichrist; ders., Offenbarung. Vgl. Bousset, Kyrios Christos; Gunkel, Wirkungen; Eichhorn, Abendmahl. 76 Als Beispiel dient die Bibelübersetzung von Kautzsch: „Wie viel hört man in diesem trotz seiner großen Fehler höchst verdienstvollen Werke von Literarkritik und Textkritik, und wie wenig von dem, was die Laien, die Prediger und Lehrer, für die das Werk doch auch bestimmt ist, mit Recht begehren: von dem Verständnis der Religion!" (Gunkel, Bewegung, 390). 77 Diese Auseinandersetzung um den Zusammenhang zwischen Religionsgeschichte und Literarkritik fand einen Höhepunkt in der Diskussion zwischen Wellhausen und Gunkel, vgl. Wellhausen, Zur apokalyptischen Literatur; Gunkel, Wellhausens. Diese Texte sind zitiert und zusammenfassend dargestellt bei Klatt, Gunkel, 70-74. Vergleiche auch Gunkel, Bewegung, 388-390. 78 Eichhorn, Abendmahl, 15, mit Hinweis auf Umbildungen der Tradition vor der schriftlichen Fixierung. 75

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Geschichte der Texte zu untersuchen, sondern er muß fortfahren, die Geschichte der Stoffe und Ideen zu studieren."79 Der Begriff der Entwicklung leitet bereits über zum zweiten Zentralbegriflf der religionsgeschichtlichen Schule: Religion hat immer eine Geschichte. Wer der lebendigen Religion nachspüren will, der muß sie in ihrer Geschichte aufsuchen, das heißt, er hat die Aufgabe, die Entstehung ihrer Erscheinungen historisch zu erklären: „Und solche Religion soll beschrieben werden nicht als ein Feststehendes, gewissermaßen vom Himmel Gefallenes, schlechthin Uebernatürliches, sondern in ihrer menschlichen Geschichte, in ihrem Wachsen und Werden."80 Auch hier wird mit der eigenen Position zugleich der abgelehnte Gegner bezeichnet: Eine übernatürliche Entstehung biblischer Gedanken kann nicht angenommen werden. Hinter dieser Formulierung steht letztlich die Auseinandersetzung mit der Inspirationslehre.81 Wenn sie auch schon zu Gunkels Zeiten weithin abgelehnt wird, so stehen doch die kanonischen Schriften - gerade auch in der Theologie Ritschis - noch immer in besonderem Interesse. Will man aber eine wirkliche Geschichte der biblischen Religion schreiben, so müssen auch außerkanonische Bücher mit demselben Interesse untersucht werden. Die Grenzen des Kanons verwischen, eine besondere Inspiration nur der für kanonisch gehaltenen Bücher läßt sich - so die religionsgeschichtliche Schule - nicht mehr behaupten. Harnack, der im Blick auf die Dogmengeschichte Forschungen lieferte, die fur die Religionsgeschichtler immer vorbildlich blieben, hatte das Neue Testament noch von seiner Betrachtung ausgenommen. Jetzt aber muß das bei ihm Gelernte, insbesondere das Erspüren von Entwicklungen und Neubildungen unter neuen Einflüssen, auf biblische Texte selbst angewandt werden.82 Besonders zwischen das Alte und das Neue Testament schiebt sich eine Fülle von außerkanonischen Schriften, die für die Erklärung des Neuen Testamentes oft wichtiger sind als alttestamentliche Zeugnisse. Es wird deutlich, daß die Betonung der außerkanonischen Forschungen, die oft als Merkmal der religionsgeschichtlichen Schule Erwähnung findet, kein Selbstzweck ist, sondern eben der Entdeckung der Geschichte der biblischen Religion dienen soll. Denn: „Die religionsgeschichtliche Betrachtung (...) besteht. (...) in dem beständigen Aufachten auf den geschichtlichen Zusammenhang jeder einzelnen religiösen Erscheinung; wir fragen immer wieder: warum ist sie

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Greßmann, Eichhorn, 17. - Mit „Textkritik" ist hier wohl die Literarkritik gemeint. Ebd. 81 Vgl. Gunkel, Gedächtnisrede, 144 (Hervorhebung im Original): Die „Lehre von der Eingebung der Hl. Schrift (...) war es, welche die Forscher so vielfach verhinderte, die Unterschiede der neutestamentlichen Zeit von der gegenwärtigen Frömmigkeit zu sehen und das Urchristentum mit kräftigem Griff mitten in die geschichtliche Entwickelung einzustellen, aus der es entstanden ist." - Zur Auseinandersetzung der religionsgeschichtlichen Schule mit der Inspirationslehre vgl. Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 308. 82 Zum Einfluß sowie zur Kritik an Harnack vgl. Bousset, Religionsgeschichte, 265f. Ferner Troeltsch, Brief an Bousset vom 5.8.1898, (Dinkler-von Schubert, 34); Gunkel, Gedächtnisrede, 146. 80

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gerade an diesem Punkt der Geschichte entstanden und an keinem anderen? w a s musste vorausgehen, daß sie so werden konnte, w i e sie vorliegt? w i e pflegen überhaupt solche Erscheinungen zu werden? S o sind wir erfüllt v o n der begeisternden Ahnung der unendlichen Weite und Fülle der Welt, w o ein Schlag tausend Verbindungen schlägt." 83 Dabei ist die Maxime, „diese Urgeschichte der christlichen Religion" so zu erfassen, „wie sie wirklich g e w e s e n ist"! 84 D a s Leitwort „Geschichte" hat also ganz ähnlich w i e die Parole „Religion" die A u f gabe, die biblischen Aussagen so zu begreifen, fast ist man geneigt zu sagen: zu erfühlen, w i e sie ursprünglich entstanden sind und gemeint waren. B e i d e Leitbegrifie zielen in erster Linie auf das Empirische, Tatsächliche, Wirkliche und opponieren damit g e g e n alle Gedankenkonstrukte. 8 5 Zielen sie so auf eine konkrete Ansiedelung des zu exegesierenden Wortes in einer Entstehungssituation, so rückt in der theologischen Arbeit der Schule der Begriff des Kultus in das Blickfeld.

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Gunkel, Reischle, 1109. Gunkel, Gedächtnisrede, 145. Man wird erinnert an die ähnliche Formulierung Rankes von der Geschichte, die beschreibe, wie es gewesen ist. Gunkel erwähnt ausdrücklich, daß er die großen deutschen Historiker als die Ahnherren der religionsgeschichtlichen Schule betrachtet (Gunkel, Reischle, 1102). 85 Die von der religionsgeschichtlichen Schule entwickelten exegetischen Methoden sind nur auf dem Hintergrund dieser Leitbegriffe zu verstehen Die Sehnsucht nach dem „wirklichen Leben" fuhrt zum Wunsch nach Herleitung der Anschauungen eines Textes wie zum Interesse für seine Entstehungssituation - also zur religionsgeschichtlichen Ableitung wie zur Frage nach dem Sitz im Leben und damit zur formgeschichtlichen Arbeit - In der systematischen Theologie der Schule zeigt sich ebenfalls, daß dem Kult zentrale Bedeutung zukommt. In Troeltschs „Soziallehren" ist es der Kultus der christlichen Gemeinde, der als für Entstehung und Erhaltung christlicher Theologie unentbehrlich dargestellt wird. Sofort im ersten Kapitel der Soziallehren tritt der Kultus ins Zentrum, wenn von der ersten christlichen Gemeinde, welche sich um den Kultus konstituiert, die Rede ist (Troeltsch, Soziallehren, 58f). Troeltschs Ergebnisse, die er am Ende seines Werkes zusammenfaßt, enthalten die zentrale Feststellung, daß die Dogmengeschichte weniger von Gedanken und deren Entwicklung, als vielmehr von der Entwicklung des christlichen Kultus bestimmt ist (ebd., 969). 84

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Erster Teil Kultus: Dogmatische Grundlagen

Α: Kultus und Religion

1. Einleitung „Zugrunde liegt der k[ultgeschichtliche]n M[ethode] ebenso wie der formgeschichtlichen die Erkenntnis, daß die Religion für den Historiker nur in ihren Ausdrucksformen zu erkennen ist, und die andere, daß unter diesen Formen die wichtigsten die sind, die die engste Beziehung zum praktischen religiösen Leben des Kultgläubigen haben".1 Martin Dibelius, Religionsgeschichtler der zweiten Generation, trifft mit dieser Aussage den Angelpunkt des Gedankengangs, der zu einem verstärkten Interesse am Kultus innerhalb der exegetischen Bemühungen fuhrt. Der Religionsgeschichtler will die „lebendige Religion" der alt- und neutestamentlichen Zeit erfassen. Zu diesem Zweck muß er sich an die „objektive Seite"2 dieser Religion, an ihren Kultus halten! Der Kultus ist also die sichtbare, hörbare und fühlbare Außenseite der Religion. Von dieser nicht geschieden, wohl aber unterschieden wird eine Innenseite der Religion, die das Seelenleben des Religiösen betrifft und naturgemäß dem geschichtswissenschaftlichen Zugriff nur schwer zugänglich ist. Fragt man nun nach dem näheren Verständnis des Kultus in der religionsgeschichtlichen Schule, so fallen zunächst deren Aussagen zu jener „objektiven Religion" ins Gewicht. Kultische Phänomene könnten in einer religionsphänomenologischen Darstellung, in einer Phänomenologie des Kultus, dagestellt werden. Der Religionsgeschichtler bleibt hier jedoch nicht stehen, sondern fragt nach dem Zusammenhang des Kultus mit den postulierten psychischen Erscheinungsformen der Religion. Hat er dann Aussagen zur psychischen Realität der Religion gemacht, so folgt sofort die Frage nach der Berechtigung jener seelischen Erlebnisse. Sie fuhrt zur Entwicklung einer Erkenntnistheorie der Religion, in der nach einem apriorischen religiösen Vermögen der Vernunft gefragt wird, und anschließend zur Metaphysik der Religion, wo die wichtigste Frage nach dem Wahrheitsgehalt der Religion gestellt wird. Sowohl die religionspsychologische als auch die erkenntnistheoretische Fragestellung lassen sich also für das Verständnis des Kultus fruchtbar machen:

1

Dibelius, Kultgeschichtliche Methode, 1338. Bertholet, Kultus, 1365. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Mayer, Wesen der Religion, 1949f: „Vielmehr wird die Untersuchung durch die Analyse der objektiven R[eligion] zur Einsicht in die subjektive als die Grundlage der ersteren vordringen müssen". 2

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Jene untersucht die Erlebnisse des Kultteilnehmers, diese fragt, wie solche Erlebnisse im menschlichen Bewußtsein überhaupt Zustandekommen können. „Objektive", also empirisch feststellbare Religion und „subjektive" Religion, also die im menschlichen Bewußtsein zu verortende Seite der Religion, sind in dieser Fragestellung beieinander. Die Geschichtswissenschaft nun versucht, wie dies aus dem Diktum von Dibelius deutlich wird, über die Religion etwas zu erfahren, indem sie deren Außenseite, den Kultus, anhand der einschlägigen Texte untersucht. Die Erkenntnistheorie hingegen muß den umgekehrten Weg gehen: Sie will den Wahrheitsgehalt der Religion ermitteln und muß daher, von ihrer Außenseite ausgehend, nach den erkenntnistheoretisch zu ermittelnden Bedingungen der Möglichkeit solcher Religion fragen. Das vorliegende Kapitel (A) zeichnet diesen Weg nach. Das Schwergewicht der Untersuchung liegt ganz auf der erkenntnistheoretischen Frage, die sich mit dem religiösen Apriori befaßt (4.). Dies entspricht dem Gewicht der Frage innerhalb der systematischen Forschungen der religionsgeschichtlichen Schule: Ihr Bemühen ist vorwiegend darauf gerichtet, die Wahrheitsfrage im Blick auf die Religion zu beantworten. Deshalb wird die erkenntnistheoretische Frage auch zusammen mit der metaphysischen Frage nach der Realität des Göttlichen verhandelt. Diese beiden bedingen einander und gehören also zusammen.3 Bevor diese erkenntnistheoretische und metaphysische Frage gestellt wird, werden in zwei kurzen Abschnitten die religionsphänomenologischen und religionspsychologischen Voraussetzungen in der religionsgeschichtlichen Schule beleuchtet (2.+3.). Die geschichtsphilosophischen Fragen bleiben dem folgenden Kapitel vorbehalten. Die Unterteilung der Thematik in die genannten Teildisziplinen erinnert an Ernst Troeltsch, der als Systematiker die Notwendigkeit einer in verschiedene Teildisziplinen gegliederten Religionsphilosophie gesehen und beschrieben hat. Leider ist es zur Ausführung seines Projektes nie gekommen.4 Sein Programm läßt sich schon in seiner ersten größeren Abhandlung zur „Selbständigkeit der Religion" nachweisen.5 Später hat er es vor allem in seinem Aufsatz „Wesen der Religion und der Religionswissenschaft" dargestellt.6 Demnach beginnt die Religionsphilosophie mit der Religionspsychologie, die die naiven seelischen Regungen nachfühlt und beschreibt. In der anschließenden erkenntnistheoretischen Untersuchung wird nach einem „religiösen Apriori" in der Vernunft gefragt. Troeltsch wünscht sich dann drittens eine Geschichtsphilosophie der Religion, 3

Diese Zusammengehörigkeit hat Troeltsch betont (ebd., 496): „(A)uch eine streng erkenntnistheoretisch angelegte Philosophie wird, wenn sie nicht in Psychologismus und Skepsis stecken bleiben will, in ihren Begriffen der Gültigkeit und der „Vernunft überhaupt" immer die Ansätze zu einer solchen Metaphysik enthalten, bei der nur die Frage ist, wie weit sie führen kann". - Vgl. auch Troeltsch, Glaube, 1443, wo die Rede ist von der „Erkenntnistheorie, welch letztere immer ein Moment der Metaphysik in sich enthält." 4 Zu Troeltschs viergliedriger Religionsphilosophie vgl.: Graf, Religion und Individualität; Becker, Funktion; Drescher, Ernst Troeltsch, 312-335. 5 Vgl. den Aufbau dieses Aufsatzes (Troeltsch, Selbständigkeit). 6 Troeltsch, Wesen der Religion, hier besonders auf den Seiten 492ff.

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die den Nachweis eines teleologischen Entwicklungsgesetzes in der Geschichte der Religion zu erbringen versucht. In einer Metaphysik der Religion schließlich wird die Gottesidee selbst philosophisch zu erhärten gesucht. 7 Eine wichtige Bemerkung zum Verständnis der Religion ist im Vorhergehenden eigentlich schon stets vorausgesetzt: Die Religionsgeschichtler verwenden den Begriff „Religion" selbstverständlich als Oberbegriff, unter den auch das Christentum subsumiert wird. Damit befürworten sie die Ansicht, in der Neuzeit habe die Religionsphilosophie die Theologie in weiten Teilen beerbt und mache nun das Phänomen „Religion" in einer der Vernunft zugänglichen Weise zum Objekt der Forschung. 8 Der Begriff „Religion" - so Bousset in seinem bedeutenden Vortrag über „Geschichte und Religion" - bürgt selbst schon für das Allgemeine, welches damit bezeichnet wird: eine Notwendigkeit des menschlichen Lebens, die unabhängig von aller Geschichte existiert.9 Wenn auch die postulierte Unabhängigkeit der Religion von der Geschichte noch näher zu untersuchen ist, so wird hier jedenfalls klargestellt, daß zwischen Christentum und anderen Religionen keine Scheidewand bestehen kann. Es ist also nicht möglich, im Sinne etwa der lutherischen Orthodoxie zwischen religio falsa und religio vera zu unterscheiden. 10 Es ist also dem christlichen Theologen verwehrt, die neuere Religionswissenschaft zu ignorieren in dem Glauben, das Christentum stünde jenem menschlichen Fragen und Suchen nach Gott als die einzige göttliche Antwort gegenüber. Thesen und Ergebnisse hinsichtlich der Religion und ihrer Geschichte müssen den Theologen beschäftigen, da es um seine eigene Sache geht.

7 Wo aber bleibt in der Gliederung Troeltschs die objektive Religion? Die rein phänomenologische Beschreibung der religiösen Handlungen wäre wohl eher Vorbedingung, nicht Teil einer Religionsphilosophie. Allerdings kann Troeltsch die Behandlung des Kultus zur „völkerpsychologischen" Untersuchung rechnen (Troeltsch, Wesen der Religion, 493): „Die Untersuchung kann weiter eine mehr völkerpsychologische oder eine mehr individualpsychologische Richtung nehmen. In der ersten Richtung treten mehr die gleichartigen Massenerscheinungen, die Gleichförmigkeiten und Gesetze der Formen des Kultus und des mythischen Denkens hervor; man kann hier geradezu eine Formenlehre des religiösen Denkens aufstellen." 8 Pfleiderer läßt die Religionsphilosophie im eigentlichen Sinne mit Kants Religionsschrift beginnen (Theologie, 13). Die Religionsphilosophie übernimmt die Themen, die vorher exklusiv der christlichen Theologie vorbehalten waren. Von nun an muß allgemein bestimmt werden, was „Religion" ist. Auch Schleiennacher geht in seinen Reden nicht vom christlichen Glauben, sondern von der Religion als Provinz im menschlichen Gemüt aus. Erst die dialektische Theologie nach dem ersten Weltkrieg versucht, diesen allgemeinen Begriff der Religion wieder zu überwinden. 9 Bousset, Religion und Geschichte, 24f. 10 Zu der äußerst interessanten Begriffsgeschichte des Terminus „Religion" vgl.: Birkner, Beobachtungen, ferner: Wagner, Religion, hier das erste Kapitel: „Zur Geschichte des Religionsbegriffs", 19—163; Müller, Judentum, Kapitel 1 (19-35); Feil, Religio.

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2. Der Kultus als „objektive Religion"

2.1

Definition

Das Anliegen der religionsgeschichtlichen Schule besteht nicht darin, eine vollständige Phänomenologie des Kultus vorzulegen, in der alle Ausformungen desselben beschrieben und bewertet würden. Dieses Vorgehen bleibt Lexikonartikeln1 bzw. einschlägigen Monographien der klassischen Philologen und Orientalisten vorbehalten.2 Es geht vielmehr darum, Charakteristika und Wesensmerkmale des Kultus zu erfassen und zu beschreiben.

1

Den Religionsgeschichtlern standen hier gute Vorarbeiten zur Verfügung, z.B. die monumentale „Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft" von August F. Pauly, deren neue Bearbeitung durch Georg Wissowa 1890 begonnen wurde. Der Artikel „Kultus" von Friedrich Pfister befindet sich allerdings erst im Band XI aus dem Jahre 1922 (Pfister, Kultus). Er enthält das damalige Wissen in umfassender Form. 2 Es gibt eine Reihe solcher Werke, die von der religionsgeschichtlichen Schule besonders geschätzt und immer wieder benutzt wurden. (Dabei fallt auf, daß etliche dieser Werke in den letzten Jahrzehnten eine Neuauflage erfuhren.) Besondere Bedeutung hatten die Bücher Richard Reitzensteins: Poimandres, Studien zur griechisch-ägyptischen und frühchristlichen Literatur, Leipzig 1904 (Neuauflage Darmstadt 1966); ders., Hellenistische Wundererzählungen, Leipzig 1906; ders., Die hellenistischen Mysterienreligionen, Leipzig 1910; ders., Die Vorgeschichte der christlichen Taufe, 1929. - Andere herangezogene Werke waren: Gustav Anrieh, Das antike Mysterienwesen in seinem Einfluß auf das Christentum, Göttingen 1894 (Neuauflage Hildesheim 1990); Franz Cumont, Textes et monuments figures relatifs aux mysteres de Mithra, Bd. 1: Introduction, Bd. 2: Textes et monuments, Brüssel 1896/99 (vgl. im Deutschen: ders., Die Mysterien des Mithra: ein Beitrag zur Religionsgeschichte der römischen Kaiserzeit, 3. Aufl. 1923 (Neuauflage Darmstadt 1963/81)); Albrecht Dieterich, Eine Mithrasliturgie, Leipzig 1903 (Neuauflage 1966); Hugo Hepding, Attis, seine Mythen und sein Kult, Gießen 1903 (Neuauflage Berlin 1967); Eduard Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Leipzig 1913 (Neuauflage Darmstadt 1956); Erwin Rohde, Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen, 2. Aufl. Freiburg 1898 (9./10. Auflage 1925!, Neuauflage Darmstadt 1991); Hermann Usener, Götternamen. Versuch einer Lehre von der religiösen Begriffsbildung, Bonn 1896; Georg Wobbermin, Religionsgeschichtliche Studien zur Frage der Beeinflussung des Urchristentums durch das antike Mysterienwesen, Berlin 1896. - Ferner sind zu erwähnen die von Albrecht Dieterich und Richard Wünsch herausgegebene Reihe „Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten" (ab 1903) sowie das neugestaltete „Archiv für Religionswissenschaft", das ab 1904 von Albrecht Dieterich, ab 1909 von Richard Wünsch herausgegeben wurde. - Das allseits benutzte Standardwerk war Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte, 2 Bde., 1. Auflage Freiburg 1887/89 (3. Auflage 1905).

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In der ersten Auflage des von religionsgeschichtlich orientierten Theologen herausgegebenen Nachschlagewerkes „Die Religion in Geschichte und Gegenwart" wird das Stichwort „Kultus" nicht eigens behandelt, sondern anderen Artikeln zugeordnet. Gleiches widerfährt dem Zentralbegriff „Religion", der in einer Fülle von Artikeln behandelt wird, vor allem in den Ausführungen zum „Wesen der Religion"3 wie zur „Erscheinungswelt der Religion".4 Im zuletzt genannten Artikel wird der Kultus als eine Erscheinung der Religion untersucht.5 Die Erscheinungen der Religion können eingeteilt werden in heilige Bräuche, heilige Worte (und Texte) sowie heilige Menschen. Der Kultus wird zusammen mit der Magie unter der ersten Gruppe der Bräuche behandelt. Diese heiligen Bräuche bilden zumeist den geschichtlich ersten Ausdruck der Religion und gehen also den Mythen voraus. Während die Magie als eine Auffassung beschrieben wird, nach der unzusammenhängende und unpersönliche Kräfte der Natur durch bestimmte Handlungen eines Einzelnen gebändigt und für eigene Zwecke benutzt werden können, gilt als das Charakteristikum des Kultus der Versuch, auf persönliche Geister oder Götter einzuwirken durch ein ebenso persönliches Verhältnis.6 Dieses tut sich in Verehrung und Anbetung kund. Hinzu kommen als weitere Merkmale eine organisierte Priesterschaft mit sozialer Grundlage sowie ein „kosmisches Moment", das heißt, die jeweilige kultische Handlung ist nicht isoliert, sondern in einem von göttlichen Mächten regierten Weltzusammenhang zu denken. Allerdings muß der Kultus nicht notwendigerweise in Abgrenzung von der Magie beschrieben werden. Pfister kommt in der „Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft" zu folgender weitergefaßten Definition: ,,K[ultus] ist ein Teil der Religion. Unter Religion verstehe ich das in Handlungen (d.h. im K[ultus]) oder in Erzählungen (d.h. im Mythos) oder in künstlerischer Gestaltung (d.h. in der Kunst) oder in begrifflicher Reflexion (d.h. in der Theologie) sich äußernde Verhältnis des Menschen zu einer nach dem Glauben des Menschen in irgendwelchen Wirkungen sich kundtuenden Kraft oder zu solchen Kräften. Demnach ist K[ultus] der Teil der Religion, in welchem sich das Verhältnis zu jenen Kräften in Handlungen äußert, die sich verschiedener Mittel bedienen können. (...) Der Zweck des K[ultus] ist ganz allgemein Einwirken des 3

Mayer, Wesen der Religion, 1949. Lehmann, Erscheinungswelt der Religion, 497. 5 Vgl. zum Folgenden ebd., 498-503. - Die Behandlung des Kullus als Teil der „Phänomenologie der Religion" findet sich schon in der ersten Auflage des Standardwerkes von Chantepie de la Saussaye, dem „Lehrbuch der Religionsgeschichte". Dort bietet er - allerdings nur in der ersten Auflage - einen ausführlichen „Phänomenologische(n) Teil" (Lehrbuch, Bd. 1, 48-170), in dem vorwiegend der Kultus - nach verschiedenen Gesichtspunkten systematisch geordnet - behandelt wird. 6 Vgl. ebd., 502. - Allerdings gibt Lehmann wenig später zu, daß es schwierig sei, „die Grenze zwischen Kultus und Magie aufrecht zu halten". Die Magie lebe nämlich „im allgemeinen unter Kultusformen weiter, teils als Ueberbleibsel der älteren Formen, die von jüngeren Institutionen angeeignet werden, teils als Prinzip vieler kultischen (sie) Vorgänge, die also ihrem Wesen nach immer noch magisch" blieben (ebd., 503). 4

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Menschen auf jene Kräfte. Insbesondere sind vier Zwecke zu unterscheiden, die bei K[ultus]-Handlungen verfolgt werden können: jene Kräfte sich untertänig zu machen, sich mit ihnen zu vereinigen, sie zu verscheuchen, sie herbeizulocken."7 Das im Kultus sich manifestierende Verhältnis zur Gottheit (oder göttlichen Kraft) ist für die religionsphänomenologische Beschreibung des Kultus von grundlegender Bedeutung: Zur Herstellung jenes Verhältnisses sind kultische Akte notwendig. Ohne Kultus keine Gemeinschaft mit dem Göttlichen. Diese Kultakte sind ferner nicht nur notwendige Vorbedingung für dieses Verhältnis, sondern dessen Realisierung selbst: Kultus ist in diesem Falle Gemeinschaft mit dem Göttlichen.8 Allerdings gibt es auch kultische Vorgänge, die Götter oder Kräfte nicht herbeirufen, sondern vertreiben wollen. Auch hier sind aber die Kriterien der Notwendigkeit und der realen Wirkung gegeben, nun allerdings mit negativem Vorzeichen: Die Handlung ist zur Abwehr einer Kraft notwendig, ihre Wirkung ist eine reale·. Der Kult zeigt nicht nur an, sondern bewirkt die Vertreibung böser Mächte. Auf die vom Kultteilnehmer intendierte reale Wirkung des Kultus hat schon Chantepie de la Saussaye hingewiesen. Er wirft Schleiermacher vor, den Kultus zu einseitig als „darstellendes Handeln" beschrieben zu haben und setzt dagegen: „Es ist dem Menschen in der Religion nicht in erster Linie um symbolische Darstellung seiner Ideen und Gefühle zu thun, sondern um Erlangung gewisser Güter, welche er auch durch sein darstellendes Handeln erwerben zu können glaubt."9 In der religionsphänomenologischen Untersuchung treten diese entscheidenden Wesensmerkmale des Kultus deutlich vor Augen, wenn die „(k)ultische(n) Vorgänge" untersucht werden.10 Kulthandlungen intendieren und realisieren Er7 Pfister, Kultus, 2107f. - Pfister geht also nicht von der Unterscheidung zwischen Kultus und Magie aus. Er spricht allgemein von „Kräften", die im kultischen Akt gesucht oder vertrieben werden sollen. Diese Kräfte sind „heilig", sie können von Pfister unter dem Begriff „Orenda" zusammengefaßt werden. Vgl. dazu Pfister, Kultus, 2112f. 8 Vgl. zu beidem Scheel, Sakramente, 209f (Hervorhebungen im Original): „Ohne S[akramente] oder Mysterien (...) konnte die Teilnahme an der Gottheit oder dem religiösen Gut nicht erreicht werden. (...) Kultus (Liturgie) und Priesterschaft, „heilige" Sachen und Personen vermitteln die Gemeinschaft mit der Gottheit. Ohne die Mysterien würde darum die Religion aufhören, Wirklichkeiten anzubieten und mitzuteilen. Erst durch die Mysterien bekommt sie realen Gehalt". 9 Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch, Bd. 1, 50. - Z u Schleiermachers Deutung des Kultus als Darstellungsmittel für die Frömmigkeit vgl. Schleiermacher, Kurze Darstellung, §§ 169, 318, 319. 10 Lehmann, Erscheinungswelt der Religion, 514-527. - Die Darstellung des Phänomens „Kultus" gliedert sich in diesem Artikel in die Unterbereiche „Kultobjekte", „Kultische Vorgänge", „Kultusstätten" sowie „Kultische Zeiten". (Diese Gliederung zeigt große Ähnlichkeit mit dem Vorgehen von Chantepie de la Saussaye, vgl. dessen Gliederung, Lehrbuch, Bd. 1, VII.) Unter den kultischen Vorgängen beschreibt Lehmann vor allem das Phänomen des Opfers, ferner auch festliche, phallische und asketische Kultsitten (vgl. den Überblick ebd., 502). - Pfister führt unter den „Elemente(n) und Formen des K[ultus]" auf: Worte, Körperbewegungen, Zwangsriten, Sakramentale Handlungen, apotropäisch-kathartische Riten und Opfer (vgl. die Übersicht bei Pfister, Kultus, 2106f).

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langung von bestimmten Gütern, Kraftübermittlungen oder Gemeinschaft zwischen Mensch und Gottheit. Dabei kann die Kulthandlung „entweder als menschliche Leistung oder als göttliches Gnadenmittel" verstanden werden." In diesem Zusammenhang sind besonders sakramentale Handlungen zu bedenken. Eine solche Handlung kann ganz allgemein definiert werden als ein „magische(r) oder kultische(r) Akt, der den Menschen in eine innige Beziehung und Verbindung mit dem Göttlichen setzen, der auf irgendeine Weise die heilige Substanz auf den Menschen übertragen, ihn heiligen soll."12 Mögliche Weisen dieser Heiligung sind Berührung, Essen oder Trinken heiliger Substanzen, geschlechtliche Vereinigung, schließlich auch durch die Gottheit bewirkte Wiedergeburt des Kultteilnehmers.13 Auch das kultische Opfer hat reale Wirkungen, unter anderem dient es der „Entsündigung des Menschen", besonders der „Stellvertretung" fur die „Selbsthingabe oder die Bestrafung des Sünders".1'1 Überblickt man diese Phänomene, dann wird deutlich, daß bestimmte Akte des Kultus fur den Kultteilnehmer notwendig heilstiftende Wirkung haben. Heil und Glück des Menschen sind von ihrem Vollzug abhängig. Dieser Vollzug bewirkt selbst die zum Heil nötige Verbindung mit der Gottheit, sei es, daß er von störender Unreinheit befreit, sei es, daß er in irgendeiner Weise zur Gemeinschaft mit der Gottheit, zur Wiedergeburt, zur Vergottung fuhrt. In christlicher Terminologie könnte man von einem sakramentalen Heilsgeschehen sprechen. Für die Untersuchungen der religionsgeschichtlichen Schule sind diese heilstiftenden Kultakte von besonderer Bedeutung, werden doch von ihnen aus Parallelen zu den christlichen Kultformen gezogen.

2.2

Unterscheidung von Religion und Theologie, von Kultus und Lehre

Hans-Joachim Birkner weist darauf hin, daß die „Unterscheidung von Religion und Theologie und die sich darin artikulierende Emanzipation von der autoritativen dogmatischen Definition des Christlichen (...) für die nachaufklärerische Theologie den Charakter fragloser Vorgegebenheit" hat, die „als solche u.U. gar nicht ausdrücklich gewußt zu werden braucht."15 Der Wunsch, durch diese Unterscheidung einer autoritativen Dogmatik zu entgehen, wurde allerdings nicht allgemein geteilt.16 Dennoch wird mit dieser Trennung eine Grundentscheidung 11 12 13 14 15

Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch, Bd. 1, 51. SoPfister, Kultus, 2169. Vgl. ebd. Lehmann, Erscheinungswelt der Religion, 518. Birkner, Beobachtungen, 19. Zu dieser Unterscheidung vgl. auch: Ahlers, Unterschei-

dung. 16 Andere Konzepte, bei denen die christliche Religion durchaus in den orthodoxen dogmatischen Definitionen beschrieben werden konnte, vertraten beispielsweise: Erich Schaeder, Theozentrische Theologie; Hermann Cremer, Wesen des Christentums; Reinhold Seeberg, Grundwahrheiten.

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beschrieben, die weit über die religionsgeschichtliche Schule hinaus in Geltung war und aufgrund ihrer „Vorgegebenheit" selbst zu einer nicht bewußt gemachten dogmatischen Vorentscheidung werden konnte. Als wichtige Zeugen für diese Trennung muß man zunächst Johann Salomo Semler, dann auch Herder und Schleiermacher nennen.17 Bei Semler findet sich die Unterscheidung zwischen bloßer Teilhabe an der christlichen Religion und der Theologie als dem besonderen Fachwissen, 18 bei Herder ist die allen Menschen gemeinsame Religion eine Sache des Gemüts, die von konkreten Lehrmeinungen scharf zu trennen ist,19 und in Schleiermachers Reden schließlich erhält die Religion eine eigene Provinz im Gemüt und ist als Anschauung und Gefühl von jeder Lehre geschieden. Vor diesem Hintergrund war es auch ein weithin geteiltes Anliegen, den christlichen Glauben nicht oder zumindest nicht allein „dogmatisch" durch ein System von Lehrsätzen darzustellen, sondern ihn auf eine Weise zu beschreiben, die jenem der Theologie entgegengesetzten Charakter der Religion näher kommt. Die zahlreichen Versuche des 19. Jahrhunderts, das „Wesen des Christentums" zu bestimmen, müssen in diesem Zusammenhang gesehen werden. Es ist aber von Bedeutung, daß gerade der Verfasser des berühmtesten jener Entwürfe, Adolf von Harnack, 20 die Arbeit der religionsgeschichtlichen Schule scharf kritisierte. Diese scheint demnach mit ihrer Unterscheidung von Religion und Theologie noch etwas anderes als die bloße Absetzung der Lehrmeinung von der Herzensfrömmigkeit oder der Teilhabe an der christlichen Religion im Blick gehabt zu haben. Dieses Andere nun ist der Kultus. Liberale Theologen nahmen die besagte Unterscheidung zum Anlaß, von dogmatischen Definitionen zu AllgemeinbegrifFen wie Sittlichkeit oder Persönlichkeit fortzuschreiten, Begriffe, die dem Wesen der christlichen Religion besser zu entsprechen schienen als dogmatische Definitionen. Die Begründer der religionsgeschichtlichen Schule hingegen suchen die Religion in ihrer ersten Erscheinungsform, im Leben der Gemeinde auf. Gerade im Blick auf die scharfe Kritik Harnacks wird deutlich, daß hier von einem bedeutenden Neuansatz gesprochen werden muß: Adolf Deissmann berichtet von Harnacks Unmut gegenüber einer religionsgeschichtlichen Arbeitsweise, „die von den Höhen der reflektierten Religion der Maßgebenden hinabsteigt in die Niederungen der Volksreligion, wo Riten, Mirakel, Superstitionen, Schwärmerei und Rohheit ihr verdächtiges Wesen treiben. Damit mögen sich die Folkloristen befassen, die Müllkehrer der Historie. Das historisch Triebkräftige und Faßbare in der Geschichte des Christentums sei vielmehr die sublimierte und stilisierte Religion der Führer, als die wild wachsend wuchernde Frömmigkeit der Massen." 21 Auch in der Bewertung des Einflusses der Liturgie auf die Lehrbildung hatte sich Harnack in seiner Dogmenge-

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Vgl. Birkner, Beobachtungen, 11-13. Vgl. Semler, Versuch. Vgl. Herder, Von Religion, vgl. besonders die Definitionen der Begriffe ebd., 140f. von Harnack, Wesen. Deissmann, Lehrstuhl, 8. Zitiert bei Lüdemann, Wissenschaftsverständnis, 105.

schichte ablehnend geäußert. 22 Die Hinwendung der religionsgeschichtlichen Schule zu einer intensiven Untersuchung des Kultus, verbunden mit der Erkenntnis, daß dieser für die Exegese von entscheidender Bedeutung ist, war also ein Neuansatz, der sich nicht auf allgemeine Zustimmung verlassen konnte. 23 Deutlich wird dies auch, wenn man einmal nicht die exegetischen Publikationen der Position Harnacks gegenüberstellt, sondern das große Werk Troeltschs über die „Soziallehren der christlichen Kirchen". Troeltsch selbst wertet dieses Werk als „volle Parallele zu Harnacks Dogmengeschichte". 24 Er verweist in diesem Zusammenhang auf den Einfluß Max Webers, der ihn dazu anregte, auf die Abhängigkeit dogmatischer Aussagen von den jeweiligen soziologischen Verhältnissen zu achten. Für die Dogmengeschichte hieß das aber - an die Adresse Harnacks gerichtet: „Die religiöse Lehre ist der Ausdruck der zunächst im Kultus sich sammelnden und ausströmenden religiösen Lebendigkeit und die Ausbildung des Gedankens, soweit Gedanken überhaupt zu diesem Zwecke nötig waren. Alles Philosophische und rein Dogmatische ist sekundär." 25 Der Religionsgeschichtler will also dem Bereich der „Heilige(n) Bräuche" 26 , der zur Phänomenologie der Religion gehört, besondere Beachtung schenken. Seine Untersuchung der Religion befaßt sich primär mit dem Kultus. Anstelle der Lehre wird zunächst das kultische Leben betrachtet. Dieses erhält den logischen und zeitlichen Primat: Erst war der Kultus da, dann die entwickelte Lehre. Damit ist zugleich eine Wertung verbunden: Der Kultus lebt, ist lebendige Religion, die Theologie dagegen ist Religion in der Erstarrung, ein Produkt der Reflexion, unfähig, die Seele des Frommen zu bewegen. Diesem Konzept entspricht die erwähnte Nachordnung des Mythos hinter den Kultus. Gegenüber einer einseitigen Beachtung von Vorstellungen, wie sie sich in Mythen niederschlagen, wird hier der Kultus als bestimmender Urgrund der Religion erkannt! Auch der Mythos ist als bereits geprägtes Gedankengebilde in der Regel auf eine kultische Praxis zurückzuführen - eine Erkenntnis, die sich nicht nur in der religionsgeschichtlichen Schule, sondern auch in der Altphilologie Gehör verschaffte. 27 Eindeutig nimmt Friedrich Pfister in seinem Artikel 22

v. Harnack, Dogmengeschichte Bd. 1, 806-808: „Die Entstehung des Dogmas und die Liturgie". Die Beigabe findet sich erstmals in der dritten Auflage des Werkes aus dem Jahre 1894. - Zur Zurückhaltung Harnacks gegenüber einer „religionsgeschichtlichen" Methode vgl. ferner die wertvollen Angaben bei Beyschlag, Grundriß, Bd. 1, 41, Fußnote 73. 23 Gesehen wurde die Existenz des Volksglaubens freilich auch in älteren Publikationen, ohne dann aber in dieser Weise für die Exegese fruchtbar gemacht zu werden. Im 1890 in zweiter Auflage erschienenen „Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte" von Friedrich Loofs fand sich bereits ein Paragraph über das „vulgäre Heidentum" (Loofs, Leitfaden, § 14). 24 Troeltsch, Meine Bücher, 11. 25 Troeltsch, Soziallehren, 969. 26 Lehmann, Erscheinungswelt der Religion, 498. 27 Sinn weist zu Recht auf die Bedeutung des Mythos in den Untersuchungen der religionsgeschichtlichen Schule hin (Christologie, S. 3 If). Die Betonung der Übernahme von Mythen in die christliche Religion schließt aber das Wissen um die kultische Verwurzelung derselben nicht aus, sondern ein. Allerdings wird der Zusammenhang nicht immer einseitig in

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zum Kultus zu dieser Frage Stellung: Der „wirklich lebendige Volksglaube" tritt uns „am reinsten im K[ultus] entgegen", da „der K[ultus] viel konservativer als der ewig sich wandelnde Mythos ist. (...) Im allgemeinen darf man den Satz aufstellen, daß der Mythos kaum jemals einen K[ultus] geschaffen hat, dagegen daß umgekehrt überaus häufig der K[ultus] Mythen, insbesondere aitiologische Mythen hervorgerufen hat."28 In diesem Zusammenhang kann in der religionsgeschichtlichen Schule pointiert darauf hingewiesen werden, daß gerade die Darstellung der Geschichte Jesu nicht mythischen Ursprungs, sondern durch Verbindung geschichtlicher Ereignisse mit deren kultischer Verwendung entstanden ist.29 Und später folgert - dieser kurze Hinweis auf die zweite Generation sei hier erlaubt - Rudolf Bultmann: „Die Evangelien sind erweiterte Kultuslegenden".30 Auf diese Zusammenhänge hatte auch der einflußreiche Philologe Hermann Usener hingewiesen. In seinem Aufsatz zur Mythologie, mit dem er den neuen Anlauf des „Archivs für Religionswissenschaft" im Jahre 1904 einleitet, erklärt er bereits auf den ersten Seiten, daß eine wissenschaftliche Bearbeitung der Mythologie eines Volkes nur unter Einbeziehung der Betrachtung des gottesdienstlichen Lebens jenes Volkes gelingen könne.31 Denn im „Gottesdienst zeigt sich das religiöse Leben. Seine Formen stellen gegenüber den beweglicheren Vorstellungen das Feste und Beharrende dar."32

dieser Reihenfolge gesehen, vgl. Troeltsch, Glaube, wo er ausführlich auf den Mythos eingeht. Dieser ist „der in erster Linie von dem Heros selbst geformte Vorstellungsausdruck für das in ihm lebende religiöse Ganze" (ebd. 1440). 28 Pfister, Kultus, 2109. - Vgl. auch Lehmann, Erscheinungswelt der Religion, 498, der darauf hinweist, daß „eben die Mythen, geschweige denn die theologischen Ansichten, sekundäre und spätere Erzeugnisse sind, die oft dazu dienen sollen, einen Kultus oder eine Sitte ätiologisch (...) zu erklären". Lehmann weist auf die hier wegweisende Arbeit von Andrew Lang hin (lang, Custom and Myth). Auch Rudolph, Religionsgeschichte, 17, weist hin auf die These Langs, „daß die Religion zunächst Kult sei und der Mythos erst zu dessen Erklärung und Motivierung diene". 29 Vgl. Schmidt, Stellung, besonders 122. 30 Bultmann, Geschichte, 396. Der weitere Zusammenhang lautet (Hervorhebung im Original): „Der Christus, der verkündigt wird, ist nicht der historische Jesus, sondern der Christus des Glaubens und des Kultes. Im Vordergrund der Christusverkündigung stehen deshalb der Tod und die Auferstehung Jesu Christi als die Heilstatsachen, die im Glauben bekannt und in Taufe und Herrenmahl für den Glauben wirksam werden. Das Christuskerygma ist also Kultuslegende, und die Evangelien sind erweiterte Kultuslegenden". - Vgl. zu diesem Verständnis der Evangelien besonders Bertram, Leidensgeschichte. 31 Usener, Mythologie, 6f. 32 Ebd., 20. Usener sieht das ursprüngliche religiöse Leben als ein ganz und gar vom Kultus durchdrungenes an. Er nimmt so auch an, daß Völkernamen „in der Regel ursprünglich (...) Bezeichnungen von Trägern eines Kultus waren, wie Hellenen, Arkader, Phryger, Berekyntier usw." (Usener, Heilige Handlung, 284).

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2.3

Religion der Masse

Als weiteres Charakteristikum des Kultus gilt seine Zugehörigkeit zur Religion der Masse. Die Aussage, daß der Kultus zur „Volksreligion" und deshalb zur Masse der Frommen gehöre, enthält eine Spitze gegen die Praxis, Exegese wie Dogmengeschichte im wesentlichen auf die Betrachtung der Gedanken einzelner Theologen auszurichten. An die Stelle des einzelnen Theologen tritt die Masse als erster Zeuge für das Wesen der Religion. Auch bei Philologen setzt sich die Erkenntnis durch, daß es sich in der Erforschung des religiösen Gutes der Völker „vor allem um die Erforschung der überall in so augenscheinlich gleichen Formen erkennbaren Unterschicht religiöser Vorstellungen, um die Aufdeckung (...) des uralten, ewigen und gegenwärtigen, allgemeinen ethnischen Untergrundes alles Historischen" handeln müsse.33 Programmatisch lautet deshalb schon der Titel des Erstlingswerkes Gunkels: „Die Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit (...)".34 Der Glaube jener Masse kann als eine „Unterströmung", als ein gar nicht recht bewußtes Erbe dargestellt werden, welches immer Bestand hat, wenn auch die theologischen Ansichten wechseln. Ja, oft gerät es gerade in Umbruchzeiten wieder an die Oberfläche, das Unbewußte verschafft sich erneut in Kultus und Mythus Ausdruck.35 So kann Bousset geradezu von den „unteren Schichten", vom „niederen Glauben" eines Volkes sprechen, der sich durch „höhere Glaubensvorstellungen" niemals ausrotten läßt und in einer Übergangssituation wieder aufsteigt.36 Dabei fehlt nicht der Hinweis, daß die Betrachtung dieses Volksglaubens selbst schon zu einer allgemeinen Religionsgeschichte drängt: Denn während Begriffe und Lehren trennen, sind die Elemente der primitiven Religion wesentlich ähnlicher und verbindender. Prägend wirkte in dieser Betonung des Volksglaubens auch Wredes berühmter Vortrag über die Aufgabe der neutestamentlichen Theologie. Wrede hatte sich hier bereits 1897 gegen die einseitige Betonung der Schriftstellerpersönlichkeiten in der Exegese gewandt und im NT auch das Material gesehen, mit Hilfe dessen das hinter ihm liegende Urchristentum gerade als Durchschnittschristentum nachgezeichnet werden könnte.37 Diese Religion der Masse, die sich gerade im Kultus manifestiert, gilt nun zugleich als das erste, noch nicht durch Reflexion verzerrte Zeugnis der Religion. Nicht das Ausgereifte, Entwickelte, Hohe, sondern das Ungebildete, darum auch Ursprüngliche erhält den Vorzug als Belegmaterial zur Beschreibung der Religion. Der Exeget der religionsgeschichtlichen Schule liebt es, die Religion in ihrer Urgestalt zu „belauschen". Bekannt ist Boussets phantasiereiche Beschrei33

Dieterich, Vorwort, 2. Gunkel, Wirkungen (Titel, Hervorhebung K.L.). 35 Vgl. dazu Sinn, Christologie, 28-30; Bousset, Die Religionsgeschichte, 272f: Es ist zu achten „auf die Unterströmungen im religiösen Leben, auf das, was die Masse bewegte, auf das Unformulierte, auf das nicht bewusst, sondern in Sitte und Kultus unbewusst Festgelegte". 36 Bousset, Religion des Judentums, 336. 3 ' Wrede, Aufgabe, 34-41. 34

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bung des urchristlichen Gottesdienstes, bei der man den Eindruck erhält, der Verfasser stehe staunend an der Schwelle des Versammlungsraumes: „Tagsüber zerstreut, im Beruf des alltäglichen Lebens, in der Vereinzelung, innerhalb einer fremden Welt dem Spott und der Verachtung anheimgegeben, sammelten sie sich des Abends, wohl so oft wie möglich, zur gemeinsamen heiligen Weihemahlzeit. Da erlebten sie die Wunder der Gemeinschaft, die Glut der Begeisterung eines gemeinsamen Glaubens und einer gemeinsamen Hoffnung; da flammte der Geist auf, und umgab sie eine Welt voller Wunder; Propheten und Zungenredner, Visionäre und Ekstatiker beginnen zu reden, Psalmen, Hymnen und vom Geist eingegebene Lieder durchtönen den Raum, die Kräfte brüderlicher Mildtätigkeit werden in ungeahnter Weise wach; ein unerhört neues Leben durchpulst die Schar der Christen. Und über diesem ganzen Gewoge der Begeisterung thront der Herr Jesus als das Haupt seiner Gemeinde, mit seiner Kraft in einer den Atem raubenden Greifbarkeit und Gewißheit unmittelbar gegenwärtig."38 Schon hier drängt sich die (später zu behandelnde) Frage auf, ob die Religionsgeschichtler die Betonung der Bedeutung des Kultus, der Masse und der ursprünglichen, der primitiven Gestalt der Religion auch für eine „Religion der Gegenwart" haben durchhalten können.39

2.4

Kultisches Erlebnis

Die Theologen der religionsgeschichtlichen Schule erkennen deutlich, daß der Gläubige im Vollzug der kultischen Handlung den Kontakt mit der Gottheit erlebt. Ganz eindrücklich weist darauf beispielsweise Gunkel im Vorwort der

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Bousset, Kyrios Christos, 89. Der Begriff des christlichen Kultus ist ferner in der religionsgeschichtlichen Schule nahezu ein Synonym fur den christlichen „Gottesdienst" geworden. So benutzt Paul Drews in seinem RGG-Artikel zum christlichen Gottesdienst den Kultusbegriff äußerst häufig zur Beschreibung eben der gottesdienstlichen Praxis: Drews, Gottesdienst. - In der zweiten Auflage der RGG wird klarer geschieden zwischen einem allgemeinen, religionsgeschichtlichen Gottesdienstbegriff und dem spezifisch christlichen. Bertholet hat das Verhältnis zwischen den Begriffen „Kultus" und „Gottesdienst" für eine religionsgeschichtliche Betrachtungsweise neu bestimmt: Kultus sei der weitere Begriff. Deshalb wird „das gesamte einschlägige religionsgeschichtliche Material unter [dem Stichwort des] Kultus zur Darstellung" gebracht (Bertholet, Gottesdienst, 1326). Allerdings gibt es für den Kultusbegriff dann wiederum nur das Stichwort „Kultus, Religionsgeschichtlich" (Bd.III, Sp. 1365-1373). Dadurch ergibt sich die interessante Konstellation, daß der religionsgeschichtliche Begriff des Gottesdienstes unter „Kultus", der christliche Kultus aber unter „Gottesdienst" behandelt wird. - Die synonyme Verwendung der beiden Begriffe setzt sich zum Teil auch in der heutigen Forschung fort, vgl. Lanczkowski, Gottesdienst, 1-5; ferner Diebner, Gottesdienst, 5: .„Gottesdienst' soll im folgenden im religionswissenschaftlichen Sinne als ,Kult' verstanden werden. ,Kult' wiederum wird definiert als .festgesetzte und geordnete Form des Umgangs mit dem Göttlichen' (MEL 14,435)." 39

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zweiten Auflage seines Erstlingswerkes über die Vorstellungen vom Geist hin:40 Sein Werk richtete sich gegen „Modernisierungen ungeschichtlich denkender und rationalistisch beeinflusster Exegeten, die von den .Wirkungen' des πνεΰμα nichts wissen und den ,Geist' schliesslich zur Phrase verwandeln". Im Blick auf die erste Auflage bemerkt er aber, „dass die pneumatischen Erscheinungen darin mehrfach vom Standpunkt des fremden, hinzukommenden Beobachters beschrieben werden". Jetzt sieht Gunkel, „dass die Ueberzeugung, ein Geist rede oder handle durch den Pneumatiker, kein nachträglicher Schluss eines Anderen, sondern eine unmittelbare Erfahrung des Begeisteten selber ist. so erfährt man jene Erlebnisse, als Wirkungen eines fremden Wesens, einer Macht, die nicht das Ich ist".41 Damit aber ist bereits eine mögliche religionspsychologische Untersuchung angesprochen: Welche Abläufe lassen sich in der Seele des Gläubigen bei der Ausübung seiner Religion feststellen? Und schließlich, schon über die darstellende Arbeit der Religionspsychologie hinausweisend: Kann diesen seelischen Abläufen ein göttliches Sein außerhalb der Seele zugeordnet werden?

40 41

Vgl. dazu Slsnczka, Erkenntnis, 85f. Gunkel, Wirkungen, V-VII.

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3. Der Weg zur „subjektiven Religion": Die Religionspsychologie

3.1

Entstehung, Ziele und Methoden

Die Religionspsychologie besteht als Wissenschaft erst seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, ihre Ausprägung fällt mit der Entstehung der religionsgeschichtlichen Schule zusammen. 1 Französische, amerikanische und

deutsche

Gelehrte treten mit bedeutenden Büchern zur psychologischen Erforschung des Phänomens Religion auf den Plan, so zum Beispiel Raoul de la Grasserie, Theodore Flournoy, Edwin D. Starbuck, William James, Ernst Troeltsch, Wilhelm Wundt, Georg Wobbermin. 2 Die Theologen der religionsgeschichtlichen Schule beschäftigen sich nicht schwerpunktmäßig mit der Religionspsychologie,

sie

beachten aber deren Ergebnisse. Besonders Troeltsch verwertet sie für den eigenen Gedankengang. 3 E s ist für die Untersuchung, die den Kultusbegriff der Religionsgeschichtler durch Analyse ihres Religionsbegriffes erhellen will, deshalb vonnöten, das Feld der religionspsychologischen Arbeit um die Jahrhundertwende in Kürze zu sichten. 4

1 Zum Verständnis der Wissenschaft der Psychologie um die Jahrhundertwende vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Wundt, Psychologie. 2 Raoul de la Grasserie, De la psychologie des religions, 1899; Theodore Flournoy, Les principes de la psychologie religieuse, in: Archives de psychologie, 2 (1902), 33ff; ders., Experimentaluntersuchungen zur Religions-, Unterbewußtseins- und Sprachpsychologie, Bd.l: Beiträge zur Religionspsychologie, Leipzig 1911; Edwin D. Starbuck, The Psychology of Religion, 1899, 2. Aufl. 1902, deutsch (F. Beta): Religionspsychologie: Empirische Entwicklungsstudie religiösen Bewußtseins, Bd. 1, Leipzig 1909; William James, The Varieties of Religious Experience, Edinburgh 1901/02, deutsch (G. Wobbermin): Die religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit. Materialien und Studien zu einer Psychologie und Pathologie des religiösen Lebens, (1907) 4. Auflage Leipzig 1925; Ernst Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft, (1905) 2. Auflage Tübingen 1922; Wilhelm Wundt, Völkerpsychologie: Eine Untersuchung der Entwicklungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte, II. Abt.: Mythos und Religion, 3 Bde., Leipzig 1905-1909; Georg Wobbermin, Die religionspsychologische Methode in Religionswissenschaft und Theologie, Leipzig 1913; ders., Systematische Theologie nach religionspsychologischer Methode, Bd. 1: Die religionspsychologische Methode in Religionswissenschaft und Theologie, (1913) 2.Auflage Leipzig 1925; ders., Religion. Die Methoden der religionspsychologischen Arbeit, Berlin/Wien 1921. 3 Pfleiderer (Theologie, 53) weist darauf hin, daß Troeltsch im von ihm zu verantwortenden „Theologischen Jahresbericht" den Begriff der Religionspsychologie 1896/97 als enzyklopädische Rubrik neu einführt - auch dies ein Indiz für seine Beschäftigung mit der Thematik. 4 Troeltsch nimmt vor allein in zwei Arbeiten zur Religionspsychologie Stellung (Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie; ders., Empirismus und Piatonismus). Beide

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Hinsichtlich der Ziele der religionspsychologischen Arbeit gilt die kurze B e merkung Troeltschs, nach der diese Forschungsweise „das Phänomen in seiner Tatsächlichkeit und sachlichen Eigentümlichkeit zu kennen" sucht. Vorher sei eine Frage nach der Geltung der Religion nicht möglich. 5 E s geht um eine „tunlichst genaue(n) Darstellung dessen, was in der Seele des Menschen vorgeht, w o immer er religiös angeregt ist".6 Die Innenseite der Religion soll also zunächst möglichst genau beschrieben werden, bevor eine andere Wissenschaft nach der Wahrheit dieser Religion fragen wird. Mit diesem Ziel zeigt sich auch die religionspsychologische Forschung als Teil der so geforderten und geschätzten Suche nach Tatsachen, nach Leben, nach empirischen Daten vor aller Deutung und gedanklichen Konstruktion. „Die Religionen sind in allererster Linie reine Tatsachen und spotten aller Theorien"! 7 Wobbermin nennt die „Intention, von der Außenschicht des religiösen] bzw. christlichen Glaubens in seine innerste Tiefenschicht durchzudringen". 8 Dieses grundsätzliche, ein rein empirisch-beschreibendes Vorgehen in Gang setzende Interesse kann jedoch unterschiedlich gefärbt werden. So unterscheidet Wobbermin ein empirische Religionspsychologie, für die die Religion nur ein Spezialgebiet der Anwendung allgemeiner Methoden der Psychologie darstellt, von einer systematischtheologisch orientierten Religionspsychologie, die, von Schleiermacher ausgehend, die Erforschung der psychologischen Abläufe den Grundprinzipien der Dogmatik, so vor allem dem Offenbarungsgedanken, unterordnet. 9 Welches sind die möglichen Methoden zur Erhebung des religionspsychologischen Materials? Starbuck verwandte in Amerika das statistische Fra-

Male jedoch nimmt die Frage nach den Ergebnissen der Religionspsychologie den kleinsten Raum ein, es wird sehr bald die erkenntnistheoretische Frage gestellt. 5 Troeltsch, Wesen der Religion, 492. 6 Mayer, Wesen der Religion, 1953. 7 Troeltsch, Selbständigkeit, 379. 8 Wobbermin, Religionspsychologie, 1922. 9 Vgl. ebd. - Ausgehend von Wobbermin kann Hugo Greßmann die Aufgabe der Religionspsychologie noch enorm erweitern: Sie wird zur Antwort auf die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung der Religionen. Zunächst muß jede einzelne Religion „aus ihrer eigenen Entwicklungsreihe psychologisch verstanden werden". „Die Psychologie wird in der Geistesgeschichte der Menschheit und folglich auch auf dem Gebiete der Religionsgeschichte immer das letzte Wort sprechen" (Greßmann, Albert Eichhorn, 42). Hier soll also die Religionspsychologie nicht nur durch empirische Forschung Material liefern, sondern zugleich die innere Entwicklung einer Religion bzw. der ganzen Religionsgeschichte als logisch und notwendig erweisen. Kann sie eine solche Notwendigkeit innerhalb der Entwicklung nicht zeigen, so deutet dies auf einen Bruch in der Entwicklung, das heißt auf Einflüsse von außen hin (ebd., 43). Es liegt hier allerdings insofern eine Verschiebung des Verständnisses des Forschungsinteresses vor, als Greßmann bereits konkrete Vorstellungen wie beispielsweise den Auferstehungsglauben oder die Fluterzählungen in ihrer Entstehung psychologisch deutlich machen und einen Entwicklungsgang konstruieren möchte. Das erste Interesse der klassischen Religionspsychologie gilt aber dem religiösen Phänomen allgemein; sie sucht „die besondere Form" der religiösen Zustände und ist zunächst gleichgültig gegen Inhalte und Wahrheitsfrage (So Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 11).

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gebogenverfahren, bei dem einschlägige Fragen ausgegeben und die Antworten anschließend ausgewertet und in „Tabellen, Kurven, Diagrammen" zusammengefaßt wurden.10 W. James ging dagegen von schriftlich vorliegenden Selbstdarstellungen großer religiöser Gestalten aus. Dabei hielt er sich besonders an extreme Fälle, um so auf verschiedene Typen der Religiosität schließen zu können. Beide Vorgehensweisen gehören zur „individualpsychologischen Methode",11 die die individuelle Frömmigkeit untersucht. Neben ihr steht die „völkerpsychologische" oder, wie James sich ausdrückte, die „institutionelle Religionspsychologie".12 Sie hat sich mit den in der Geschichte festgelegten Organisationen des religiösen Lebens zu befassen. Diesen zweiten Weg, den man auch den „sozialpsychologischen"13 nennen könnte, schlägt W. Wundt mit seiner Völkerpsychologie ein. Für ihn ist das eigentliche Gebiet der Religionspsychologie das Leben eines Volkes, wobei besonders die Religion der Primitiven Beachtung findet. Denkbar wäre bei einer sozialpsychologischen Untersuchung aber auch die Betrachtung der Höhepunkte einer postulierten religiösen Entwicklung, also etwa die Untersuchung der christlichen Religion auf ihre psychologischen Elemente in Gottesdienst und Überlieferung. Für die Betrachtung nicht der primitiven, sondern der „entwickelten", auf hoher Stufe stehenden Religion ist besonders Wobbermin eingetreten.14 Er entwickelt die sogenannte „transzendentalpsychologische" Forschung, einen dritten Weg, bei dem der Forscher seine eigenen religiösen Motive von allen äußeren Bestandteilen zu reinigen und zu analysieren sucht. Dies kann auch als „Innenschau" oder „Introspektion" bezeichnet werden.15

10

Vgl. Kai weit, Religionspsychologie, 2210. Zu dieser Einteilung vgl. Mayer, Wesen der Religion, 1954. 12 Vgl. Wobbermin, Religionspsychologie, 1923. - James selbst aber will nur die Erfahrungen des religiösen Individuums beschreiben. 13 Kai weit, Religionspsychologie, 2211. 14 Zur Religionsphilosophie Wobbermins vgl. Pfleiderer, Theologie, 74-103; ferner Irle, Theologie als Wissenschaft. 15 Mayer, Wesen der Religion, 1954. - Allerdings läßt Wobbermin dann im „religionspsychologischen Zirkel" zu diesen rein inneren Erfahrungen des Subjektes die Objektivationen der Religion als jene bedingende hinzutreten. Er fordert zunächst die Besinnung darauf, daß das religiöse Verhältnis von zwei Polen, Gott und Mensch, bestimmt wird. Da der religionspsychologischen Forschung Gott aber nicht zugänglich ist, muß sie sich statt an seiner an die „geschichtliche Objektivation der rel. Ueberzeugung halten und demgemäß die stete Aufeinanderbeziehung dieser geschichtlichen Objektivation und der subjektiven, auf eigenpersönliche Erfahrung zurückgehenden rel. Ueberzeugung fordern" (Wobbermin, Religionspsychologie, 1927). Für das Christentum ist diese Objektivation die Heilige Schrift. Wobbermin gelingt es so, von einer nur auf den Menschen und seine Vermögen fixierten Forschung abzurücken und ein Gegenüber des Menschen in der religiösen Erfahrung festzuhalten und in diesem „religionspsychologischen Zirkel" zu beschreiben. Selbstverständlich bleibt dabei die Entscheidung der Wahrheitsfrage aus methodischen Gründen ebenfalls ausgeschlossen. 11

50

3 .2

Gegenwart des Göttlichen

Die religionsgeschichtliche Schule fragt nach Ergebnissen der religionspsychologischen Arbeit. Rudolf Ottos Buch über „Das Heilige" kann seinerseits als eine Darstellung und Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Religionspsychologie verstanden werden. Es ist in seinem ersten Teil (Kp. 1-15) eine beachtliche Zusammenstellung von psychologischen Beobachtungen zum religiösen Erlebnis. Seine Darstellung greift in der ausfuhrlichen Beschreibung des Heiligen als des Numinosen das Zentrum, das „ganz Eigene(n) des religiösen Erlebens" 16 auf. In seiner weiteren Darstellung wird deutlich, daß dieses Numinose das ist, was normalerweise mit dem „Göttlichen" oder mit „Gott" bezeichnet wird. Der Begriff „Gott" wird aber gerade nicht verwendet, sondern durch substantivierte Partizipien wie „tremendum" und „fascinans" oder durch den Begriff des „Numinosen" ersetzt. Die Grunderkenntnis, daß ohne das „a%e»/e/'/j-religiöse(n) Moment(e) des numinosen ,Ganz anderen' (...) gar kein echtes religiöses Gefühl" möglich ist,17 deckt sich, wie Troeltsch richtig bemerkt hat, durchaus mit der empirischen Forschung von James, nach der „das Charakteristische der religiösen Zuständlichkeiten die Empfindung einer Gegenwart des .Göttlichen'" ist. Dieses „kann man zwar durch andere Ausdrücke umschreiben", es bleibt „aber dabei doch immer das spezifisch Göttliche (...) mit den entgegengesetzten Gefühlswirkungen feierlicher Abstandsempfindung und enthusiastischer Erhebung". 18 Dem religiös Erlebenden ist dieses Göttliche eine Realität, „ein Objekt außer mir".19 Die Religionspsychologie kann zeigen, „daß überall, wo Religion vorhanden ist, auch die Überzeugung von ihrer Wahrheit in Kraft steht". 20 Das religiöse Erlebnis kann in verschiedenen Spielarten vorkommen, man mag von Visionen, von Ekstase und von Bekehrung berichten. Immer bleibt die Begegnung mit dem Göttlichen das entscheidende Zentrum der religiösen Erfahrung. Die Erfahrung aber - so Troeltsch - ist immer Erfahrung von einem Objekte. 21 Diese Gegenwart und Wirkung des Göttlichen wird auch im Kultus erlebt. Wieder ist es Hermann Usener, der darauf im Rahmen seiner Untersuchung über die heilige Handlung in der Religion aufmerksam macht. Anhand mehrerer Beispiele zeigt er, daß die „Darstellung des göttlichen Vorgangs (...) eine streng sakramentale Handlung" ist, „durch welche der Gemeinde das gewährleistet werden soll, was in der Handlung andeutungsweise geschieht". 22 Usener zieht in diesem Zusammenhang auch die Parallele zu den christlichen Sakramenten. Diese unterscheiden sich, rein nach der Form betrachtet, in nichts von zauberischen 16 17 18 19 20 21 22

Otto, Das Heilige, 4. Ebd., 37. Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 16. Otto, Das Heilige, 11. Kaiweit, Religionspsychologie, 2213. Troeltsch, Selbständigkeit, 404. Usener, Heilige Handlung, 283.

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Handlungen, wie sie in der Religionsgeschichte in Fülle bekannt sind. „Sakrament ist eine äußere gottesdienstliche Handlung, welcher das Gebet übernatürliche Wirkung verleiht. Durch das Wasser der Taufe werden wir neugeboren als Kinder Gottes, durch das Charisma der Besiegelung empfangen wir den heiligen Geist usw."23 Zusammenfassend kann man sagen: Kultus ist dem Gläubigen nicht nur Zeichen, sondern Anwesenheit und Realität des Bezeichneten! Will die Religionspsychologie das Phänomen „Religion" nur hinsichtlich der menschlichen Seelenabläufe untersuchen, so kann sie als Zielvorgabe noch keine Aufschlüsse über die Entstehung, das Wesen und den Wahrheitsgehalt der Religion setzen. Sie betrachtet ja nur die eine, die menschliche Seite einer vom Religiösen erlebten Begegnung. In einer um ihre Grenzen wissenden Religionspsychologie kann man mit James hinsichtlich der religiösen Erfahrung nur konstatieren: „Es ist, als wenn im menschlichen Bewußtsein die Empfindung von etwas Realem, ein Gefühl von etwas wirklich Vorhandenem, eine Vorstellung von etwas objektiv Existierendem lebte (,) die tiefer und allgemeingültiger ist als irgendeine der einzelnen und besonderen Empfindungen, durch welche nach der Meinung der heutigen Psychologie die Realität bezeugt wird."24 Angesichts dieser deutlichen Beschreibung seelischer Empfindung stellt sich nun dringend die Frage nach dem erfahrenen Objekte, die Frage, ob dieses selbst ein bloßes Erzeugnis der Psyche sein kann oder vielmehr als ein aller Erfahrung vorgängiges Sein zu beschreiben ist. Damit ist zugleich die erste zentrale Frage erreicht, die zur Aufhellung der dogmatischen Erfassung des Kultus an die religionsgeschichtliche Schule zu stellen ist: die Frage nach Erkenntnistheorie und Metaphysik der Religion.

23 24

Otto).

52

Usener, Mythologie, 17. James, Die religiöse Erfahrung, 46; zitiert bei Otto, Das Heilige, 11 (Hervorhebung bei

4. Erkenntnistheorie und Metaphysik der Religion

4.1

Der Ausgang bei Kant

Die Philosophie Immanuel Kants wird zum Referenzpunkt, sobald die Frage nach einer Erkenntnistheorie der Religion durch die religionsgeschichtliche Schule gestellt ist. Die „kopernikanische Wende" der Philosophie hatte zu einer Auffassung menschlicher Erfahrung geführt, welche diese durch im Menschen vorgegebene Anschauungsformen und Kategorien ermöglicht und geformt sein läßt, während über das eigentliche Objekt des denkerischen Begehrens, über den Erkenntnisgegenstand an sich, keinerlei Aussagen gemacht werden können. Auch der die religiösen Erfahrungen untersuchende Theologe mußte sich der Frage nach dem Zustandekommen dieser Erfahrungen stellen und darüber Auskunft geben, ob eine Aussage über das Objekt dieser Erfahrung an sich gemacht werden könne. Die ausführliche Beschäftigung der Religionsgeschichtler mit Kant sowie mit seinen Schülern bis hin zum Neukantianismus verwundert deshalb nicht. Die Religionsgeschichtler, die an den religiösen Erfahrungen interessiert sind, kämpfen an zwei Fronten gegen Kant. Sie beziehen sich sowohl auf dessen Religionsschrift mit ihrer Anbindung der Religion an die Moral als auch auf seine Erkenntniskritik, die Erkenntnisse von Objekten jenseits aller möglichen Erfahrung für unmöglich erklärt. Zunächst wehrt sich die religionsgeschichtliche Schule gegen eine alleinige Einordnung der Religion in die praktische Vernunft mit ihren apriorisch gewußten Pflichten. Sie ist davon überzeugt, daß Religion nicht aus der Moral hervorgeht oder auf diese gegründet werden kann. Das Verhältnis muß vielmehr umgekehrt werden, die Moral muß bereits Religion zum Fundamente haben. Diese „lebendige Religion" muß mehr beinhalten als das eherne Gesetz des kategorischen Imperatives. Religion ist, wie Bousset ausführt, immer auch „persönlicher Verkehr mit der Gottheit".1 Deshalb fordert die religionsgeschichtliche Schule zweitens, die Religion selbst, ohne den Umweg über die praktische Vernunft, als apriorisch in der Vernunft verankert zu erweisen. In dieser erkenntnistheoretischen Untersuchung der Religion muß es um die Frage gehen, ob ein bestimmter Bereich der menschlichen Vernunft für das religiöse Erlebnis zuständig ist. Dabei ist von

1 Bousset, Gottesglaube, 17. - Zur Umkehr des Begründungsverhältnisses von Religion und Moral vgl. auch Bousset in seiner unveröffentlichten Vorlesung über „Jesus von Nazareth": Ausdrücklich gegen Kant wird festgehalten: Jesus predigte das Gute nicht um seiner selbst willen, sondern um Gottes willen (vgl. ebd., 76).

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besonderem Interesse, ob hier - wie in den Erkenntnissen der reinen und praktischen Vernunft bei Kant - apriorische Elemente dieses Erlebnis erst ermöglichen. Daran schließt sich sofort die Frage an, ob auf dem Gebiet des Religiösen überhaupt von Erkenntnissen, von Wissen die Rede sein kann. Ist Gott nur in unserem Bewußtsein als ein notwendiger Gedanke festzustellen, oder kann die Existenz „Gottes an sich" gewußt werden? In der „Kritik der reinen Vernunft" war Kant auf diese Frage bereits eingegangen. Er unterschied im Abschnitt über die „Kritik aller Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft"2 zwei denkbare Weisen, zur Erkenntnis eines „Urwesens", also Gottes, zu gelangen: „Wenn ich unter Theologie die Erkenntnis des Urwesens verstehe, so ist sie entweder die aus bloßer Vernunft (theologia rationalis) oder aus Offenbarung (revelata)."3 Die Theologie aus Offenbarung wird an dieser Stelle lediglich erwähnt, aber des weiteren nicht behandelt. Denn sie will auf Offenbarung beruhen, also aus einer Quelle stammen, die jenseits der menschlichen Vernunft liegt. Kant fragt hier aber lediglich, inwieweit menschliche Vernunft Gott erkennen könne, inwiefern also Theologie aus spekulativen Prinzipien der Vernunft möglich ist. Sein Urteil zu einer solchen Theologie ist vernichtend: „Ich behaupte nun, daß alle Versuche eines bloß spekulativen Gebrauchs der Vernunft in Ansehung der Theologie gänzlich fruchtlos und ihrer inneren Beschaffenheit nach null und nichtig sind; daß aber die Prinzipien ihres Naturgebrauchs ganz und gar auf keine Theologie fuhren, folglich, wenn man nicht moralische Gesetze zum Grunde legt, oder zum Leitfaden braucht, es überall keine Theologie der Vernunft geben könne."4 Da unser Verstand nur beim Gebrauch im Blick auf mögliche Objekte der Erfahrung zu Erkenntnissen in der Lage ist, kann die Anwendung seiner Kategorien über den Bereich möglicher Erfahrung hinaus keine Erkenntnis verbürgen, sondern nur Ideen bereitstellen, über deren Sein außerhalb des Bewußtseins nicht das Mindeste ausgesagt werden kann. In seiner Religionsschrift hat Kant später völlig konsequent gezeigt, wie allein eine Religion - nicht eine Gotteslehre (Theologie)5 - innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft möglich ist: Diese Religion gründet allein auf Sätzen, die der menschlichen Vernunft entstammen, und nimmt das Sein Gottes lediglich als notweniges Postulat in ihr System auf. Ihr

2

Kant, Kritik der reinen Vernunft, 556-563 (= Β 659-670). Ebd., 556 (= Β 659). Vgl. zur Definition des Begriffs „spekulativ": „Eine theoretische Erkenntnis ist spekulativ, wenn sie auf einen Gegenstand, oder solche Begriffe von einem Gegenstande, geht, wozu man in keiner Erfahrung gelangen kann. Sie wird der Naturerkenntnis entgegengesetzt, welche auf keine andere Gegenstände oder Prädikate derselben geht, als die in einer möglichen Erfahrung gegeben werden können." Ebd., 558 (= Β 662f). 4 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 559 (= Β 664). 5 Die Theologie ist nur möglich als theologia revelata, es gibt also nur die Alternative zwischen ihr und einer religio rationalis: „Nicht der Inbegriff gewisser Lehren als göttlicher Offenbarungen (denn der heißt Theologie), sondern der aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote (...) ist Religion." (Kant, Streit der Facultäten, 300f (= A 44f). 3

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Inhalt ist deshalb notwendigerweise moralisch bestimmt: „Religion ist (subjektiv betrachtet) das Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote".6 Die Religionsgeschichtler nun suchen die Religion ebenfalls innerhalb der Vernunft. Eine Berufung auf Offenbarung extra nos wird als Supranaturalismus abgetan. Da aber Religion sich nicht in Moral erschöpfen, sondern ein wie auch immer zu beschreibendes Gottesverhältnis beinhalten soll, muß es hier zum Konflikt mit Kant und dessen ausdrücklicher Ablehnung einer theologia rationalis kommen. Schon in der Einleitung seines Buches über die kantisch-friessche Philosophie definiert Otto die Aufgabe der Religionsphilosophie dahingehend, daß diese zu untersuchen habe, „wie Religion und religiöse Ueberzeugung und religiöses Erleben im vernünftigen Geiste selber entspringt, aus welchen Vermögen und Anlagen desselben sie hervorgeht und welchen Anspruch auf Gültigkeit sie dadurch hat".7 Es geht - so Otto - um die Suche nach dem „spiritus sanctus in corde", einem „eigentümliche(n) in uns selber liegende(n) Prinzip des Wahren, an dem wir messen, und durch das wir entscheiden. (.. .) Dies Prinzip in unserem Geist aufzusuchen, ausfindig zu machen und es ans Licht zu stellen ist aber offenbar die erste Aufgabe aller wirklichen religionsphilosophischen Bemühung".8 Auch für Bousset ist es deutlich, daß das „Wesen der Religion" im menschlichen Bewußtsein gefunden werden muß: Bei der Religion handelt es sich „um eine ewig gültige Bewußtseinstatsache, deren Ort im Gesamtdasein der menschlichen Vernunft aufzuweisen und deren inneres Recht auf diesem Wege zu deduzieren wäre".9 Wenn die Religion schon immer im menschlichen Bewußtsein, also in der Vernunft anzutreffen ist, dann enthält sie - so ist zu vermuten - Elemente a priori, also Bausteine der religiösen Erkenntnis, die vor aller Erfahrung bereitliegen. Eine Kritik der Vernunft, die die Erkenntnisfähigkeit der menschlichen Vernunft auf religiösem Gebiet untersucht, ist deshalb fur Otto die erste Aufgabe einer Religionsphilosophie.10 Auch Boussets und Troeltschs religionsphilosophisches Bemühen kreist um den Versuch, Jenen wesensnotwendigen Bestandteilen alles religiösen Lebens im menschlichen Vernunftganzen ihren allgemeinen Ort zu(zu)weisen"." Dabei spielt auch die Hoffnung eine Rolle, dieses Apriori anschließend als Maßstab zur Beurteilung der Religion in ihrer jeweiligen Erscheinung benutzen zu können. So formuliert Bousset bei der Beschäftigung mit den Lösungsversuchen Troeltschs die bleibende Grundfrage: „(W)ie gelangen wir zur Auffindung und Rechtfertigung der apriorischen und wesensnotwendi-

6 7 8 9 10 11

Kant, Religion, 822 (= Β 229). Otto, Kantisch-Fries'sche, VI. Ebd., 2f. Bousset, Kantisch-Friessche, 435. Vgl. Otto, Kantisch-Fries'sche, VII. Bousset, Kantisch-Friessche, 4 3 3 f.

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gen Elemente aller Religion und damit zu festen Maßstäben für die Erscheinung der einzelnen Religion?"12 „Religion" soll hier also, anders als bei Kant, als Wissen um Gott oder gar als Verkehr mit der Gottheit apriorisch in der menschlichen Vernunft gegeben sein. Dieses Verständnis von Religion fällt unter das kantische Verdikt hinsichtlich der theologia rationalis. Die dieses Verständnis vertretenden Theologen werden zeigen müssen, wie sie trotz des kantischen Urteils von der Unmöglichkeit der Gotteserkenntnis aus spekulativem Vernunftgebrauch eine apriorische Begründung der Religion als Wissen um das Sein Gottes behaupten können. In der nun folgenden Analyse der Texte bezeichnet der Begriff des „Seins" die Selbständigkeit des Erkenntnisgegenstandes, seine aller Vernunfttätigkeit des Menschen vorausgehende und von dieser unabhängige Subsistenz. Die Religionsgeschichtler stellen, so wird sich zeigen, die Frage, ob über das Sein der Gegenstände möglicher Erfahrung mehr gesagt werden kann als über das Sein der Ideen. Daraus erwächst eine zweite Frage: Ist, wie bei Kant, das Sein Gottes nur als regulative Idee anzunehmen, oder kann es durch die Vernunft verifiziert werden?

4.2

Textgrundlage

Nicht alle religionsgeschichtlich orientierten Theologen legen in Publikationen Rechenschaft ab über ihr philosophisches Verständnis der Religion. Exegeten berufen sich auf ihre historische Textanalyse und weisen dem philosophischen Unterbau seinen Platz bei den Systematikern zu. Wenn sie hier und dort, wie im Falle Gunkels, einmal kurz Stellung beziehen, so mit großer Vorsicht und Zurückhaltung.13 Ist man in solchem Falle auf wenige Hinweise innerhalb der exegetischen Publikationen angewiesen, so haben doch besonders drei Vertreter der Schule ausfuhrlicher über ihre philosophische Grundlegung referiert. Zunächst natürlich ist Ernst Troeltsch zu nennen. Ihm zur Seite steht Wilhelm Bousset, der - neben seiner frühen Verehrung fur Carlyle1'1 - seit 1909 besonders seine

12

Ebd., 434. Vgl. Gunkel, Religionsgeschichtliche Bewegung, 385: „Denn der Historiker, der dazu übergeht, über die letzten Prinzipien seiner Arbeit zu sprechen, begibt sich damit auf ein Gebiet, daß ihm selber nicht in dem Maße wie dem Philosophen oder dem Dogmatiker vertraut sein kann: seine Sache ist es nur, die Grundsatze der geschichtlichen Einzelarbeit anzuwenden, und er ist in Gefahr, zu straucheln, wenn er es wagt, sie in mehr systematischer Form darzulegen." 14 Thomas Carlyle, (1795-1881, geboren in der schottischen Grafschaft Dumfries, Theologie· und Mathematikstudium in Edinburgh, Lehrertätigkeit, ab 1828 freier Schriftsteller, 1865 Rektor der Universität Edinburgh) war Vermittler des Werkes Goethes in England. Seine Geschichtsphilosophie, die in seinem 1841 erschienenen Werk „On heroes and herowship" entwickelt wird, fand in Deutschland einiges Echo. - Bousset hat sich bereits um 1890 intensiv mit Carlyle auseinandergesetzt und dessen Philosophie rezipiert. (Vgl. dazu 13

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Hinwendung zur Philosophie des Kantschülers Jakob Friedrich Fries 15 betonte. B o u s s e t konnte sich dabei auf die Arbeit Rudolf Ottos stützen, der der „Kantisch-Fries'sche(n) Religionsphilosophie" ein eigenes B u c h gewidmet hatte. 16 B o u s s e t und Otto bildeten gemeinsam den Kern des sogenannten „ N e o friesianismus" in der Theologie. S o w o h l die Arbeiten Troeltschs zur Erkenntnistheorie der Religion w i e auch die B e m ü h u n g e n Ottos und B o u s s e t s zum Neofriesianismus müssen als L ö sungsversuch für den erwähnten Konflikt mit der kantischen Philosophie verstanden werden. Troeltsch geht dabei andere Wege als B o u s s e t und der N e o friesianismus, und die denkerische Auseinandersetzung der beiden Freunde schlägt sich in den Publikationen zum Thema nieder. S o versucht B o u s s e t in seiner Rezension des B u c h e s Ottos über Fries zugleich die Auseinandersetzung mit Troeltsch zu referieren. U m die unterschiedlichen Positionen zunächst grob zu umreißen, beschreibt er die verschiedenen zeitgenössischen Versuche, an die großen Systeme des deutschen Idealismus anzuknüpfen. D a ß mit dem Idealismus „die festen Grundlagen" gegeben seien, auf denen man einen N e u b a u des „geistigen Gesamtdaseins" stellen müsse, hätten Troeltsch s o w i e B o u s s e t g e meinsam mit vielen Theologen erkannt. Während aber Otto (und mit ihm B o u s -

Bousset, Thomas Carlyle; ferner: Berger, Exegese und Philosophie, 85-126 (Lit!); besonders auch Kahlert, Held, der den Einfluß Carlyles auf Bousset eingehend darzustellen versucht.) 15 Jakob Friedrich Fries, 1773-1843, Sohn eines hermhutischen Theologen, besuchte die Seminare in Niesky und Barby, Bruch mit der Brüdergemeinde und Studium in Leipzig und Jena (1796/97), 1800-1805 Privatdozent fiir Philosophie in Jena, 1805/06 ao. Prof., 1806-16 o. Prof. in Heidelberg, 1816/17 o. Prof der Philosophie in Jena, Verlust des Lehrstuhls wegen Teilnahme am Wartburgfest und Ermordung Kotzebues durch einen Friesschüler, 1824-43 Professor der Physik und Mathematik in Jena, gest. 1843. Fries' Werke liegen in einem Neudruck vor: Gert König/Lutz Geldsetzer (Hg.): Jakob Friedrich Fries, Sämtliche Schriften, Aalen 1967ff. - Aus der Sekundärliteratur zu Fries ist auf das auch den Religionsgeschichtlern schon bekannte zweibändige Werk von Theodor Elsenhans, Fries und Kant, Gießen 1906, hinzuweisen. Die Gedanken Fries' wurden durch seinen Schüler Ernst Friedrich Apelt (1812-59) bekannt, besonders durch dessen Werke „Metaphysik", Leipzig 1857 (Neuausgabe durch R. Otto 1910) sowie „Religionsphilosophie", Leipzig 1860. Sowohl für Fries als auch für Apelt lieferte Glasmacher eine ausführliche Bibliographie der Primär- wie auch der Sekundärliteratur bis in die Gegenwart hinein (Glasmacher, Fries). - Das philosophische Haupt der Neofriesianer war Leonard Nelson (1882-1927). Nelson, seit 1909 Privatdozent, seit 1919 außerordentlicher Professor für Philosophie in Göttingen, stand mit Bousset in freundschaftlichem Gespräch. Bousset äußert sich dankbar über „die Freundschaft, die mich seit dem Winter [1908/09] mit unserm Philosophen Nelson verbindet. Ihm haben wir ja eigentlich unsere philosophischen Grundideen zu verdanken. Ottos Buch wäre nicht geschrieben ohne ihn." (Brief an Paul Wernle vom 6.6.1909, S. 9, UB Göttingen, unveröffentlicht). Nelsons Werk „Über das sogenannte Erkenntnisproblem", Göttingen 1908 (erschienen in der von Nelson seit 1904 herausgegebenen Reihe „Abhandlungen der Friesschen Schule") war grundlegend für die neue Beachtung der friesschen Philosophie. - Scharfe Kritik an der neofriesianischen Philosophie als an einer psychologischen Umdeutung des kantischen Systems hat bereits der junge Cassirer geübt. Vgl. dazu Bast, Einleitung, X-IVX. - Vgl. ferner Bloching, Jakob Friedrich Fries. 16

Otto, Kantisch-Fries'sche.

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set) sich an Namen wie Kant, Schiller und Fries orientiere und damit den „reineren echt-kantischen Kritizismus" wähle, scheine Troeltsch sich trotz der Anknüpfung bei Kant eher an Fichte, Schleiermacher, Hegel und Schelling zu halten.17 Es ist angesichts dieser Differenzen sinnvoll, die Position des Neofriesianismus und die Troeltschs gesondert darzustellen, um Gemeinsamkeiten wie Unterschiede hervortreten zu lassen.

4.3 4.3.1

Der Neofriesianismus

Textgrundlage, Problemstellung

Fries versteht sich als Schüler Kants, der das Werk des Lehrers von entscheidenden Fehlern reinigt und so erst zur rechten Stringenz und Schlagkraft bringt. Die Anknüpfung an Kant liegt dem gesamten friesschen Werk zugrunde. 1805 hatte Fries ein Buch unter dem Titel „Wissen, Glaube und Ahndung" herausgegeben, bevor er 1807 in seinem dreibändigen Hauptwerk sein System in umfassender Form vorlegte.18 In diesen für das friessche System grundlegenden Publikationen wird die Diskussion mit Kant gefuhrt.19 Im Verlauf der sehr emotional geführten theologischen Auseinandersetzung um den Neofriesianismus haben wir es mit einer fortlaufenden Reihe von Werkinterpretationen zu tun: Jakob Friedrich Fries bereits interpretierte Kant. Rudolf Otto will eine möglichst genaue Darstellung der friesschen Philosophie unter besonderer Betonung der Anwendbarkeit derselben in der Theologie geben. Wilhelm Bousset seinerseits rezensiert das Buch Ottos, nicht ohne längere Ausführungen über die Diskussionslage, besonders im Blick auf Ernst Troeltsch, zu geben. Beiden, Otto und Bousset, begegnet der Systematiker Karl Bornhausen20 in zwei Aufsätzen, in welchen wiederum die Positionen der Genannten untersucht und kritisiert werden.21 Bousset antwortet darauf mit einer gehar-

17

Vgl. Bousset, Kantisch-Friessche, 4I9f. Fries, Wissen, Glaube und Ahndung; ders., Neue oder anthropologische Kritik. - Zitiert wird im Folgenden immer nach den Seitenzahlen der Originaldrucke, da auch der Nachdruck diese zusätzlich zu einer eigenen Numerierung bietet. 19 Vgl besonders: In „Wissen, Glaube und Ahndung" das erste Kapitel mit der Überschrift „Wissen, Glaube und Ahnden", 1-77. In der „Neue(n) oder anthropologische(n) Kritik" bietet Fries die explizite Auseinandersetzung mit Kant in der Vorrede zu zweiten Auflage, IX-XXXI. 20 Karl Börnhausen, 1882-1940, 1910-1920 Priv.-Doz. f. syst. Theol. in Marburg, 19201934 o. Prof. in Breslau, 1934-1940 in Frankfurt a.M., Mitherausgeber der ZThK von 1920 1938. Vgl. die Darstellung von Leben und Werk bei Marquardt, Bornhausen. Die Bibliographie dieser Darstellung müßte um Bornhausens „Duplik des Kritikers" (ZThK 21 (1911)) ergänzt werden. 21 Bornhausen, Wider den Neofriesianismus; ders., Das religiöse Apriori. 18

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nischten Verteidigung, worauf sich nochmals Bornhausen zu Wort meldet. 22 Bei diesem Diskussionsgang bestand für die Beteiligten die Gefahr, die Ausgangstexte von Fries und Kant aus den Augen zu verlieren.23 Warum wenden Bousset und Otto sich zur friesschen Philosophie? Bousset beantwortet diese Frage in einem Brief an Paul Wernle24 in einer Weise, die fast bekenntnisartigen Charakter trägt und zeigt, wie viel ihm dieses philosophische Fundament bedeutet, wie erleichtert er eine Lösung der durch Kant vorgelegten Anfragen an die theologia rationalis begrüßt. Er bezeugt zunächst hinsichtlich der friesschen Philosophie, „mit heiliger Freude und Begeisterung dabei" zu sein, in dem Glauben, „daß gerade uns Theologen mit der neuentdeckten Fries'schen Philosophie ein großes Geschenk gemacht ist, für das wir nicht dankbar genug sein können." Es handle sich um eine „Weiterführung über Kant hinaus, auf die ich so instinktiv immer geharrt, nach der ich mich gesehnt habe." 25 Im folgenden faßt Bousset die Vorteile der friesschen Philosophie in einer Aufzählung zusammen: „die Überwindung des fatalen Dualismus in der Kant'schen Philosophie zwischen reiner und praktischer Vernunft; der Nachweis des Rechtes der religiösen Ideen als eines notwendigen und wesenhaften Bestandes der allgemeinen Vernunft; die Loslösung der Religion aus der Abhängigkeit von der Moral, in der sie bei Kant stand, und die Umkehr des Verhältnisses beider Faktoren, so daß die Religion Grundlage der Moral wird; der Nachweis, daß die an sich abstrakten religiösen Ideen gegenständlich greifbar werden auf dem Gebiet der Ahnungen und des Symbolischen im Gefühl (Vermengung von Kant und Schleiermacher). - Über dem allen das energische Festhalten an dem (Kantischen) subjektiven Dualismus der Betrachtungsweise - natürliche Betrachtungsweise und Betrachtung der Wirklichkeit unter Ideen - wodurch der Religion 22

Bousset, In Sachen des Neofriesianismus; Bornhausen, Duplik des Kritikers. - Ferner hat Bousset den von Fries verfaßten Roman „Julius und Evagoras" neu herausgegeben und mit einer Einleitung in dessen Philosophie versehen (Bousset, Einleitung). 23 So wirft Bousset Bornhausen vor, „daß die Beschäftigung B s mit Fries sich auf ein oberflächliches Anlesen beschränkt" habe. Bornhausen habe „in Fries' ,Kritik der Vernunft' geblättert". (Bousset, In Sachen des Neofriesianismus, 141f). 24 Paul Wernle, geb. am 1. Mai 1872 in Zürich, 1897 Privatdozent, 1900 o. Prof. fur NT in Basel, 1901 o. Prof. für Kirchengeschichte. Seit gemeinsamen Studien in Göttingen verband Wernle mit Bousset eine enge Freundschaft. Davon gibt ein umfangreicher Briefwechsel Zeugnis, dessen größter Teil im Bousset-Nachlaß der Universitätsbibliothek Göttingen liegt. Im folgenden wird dieser Briefwechsel zitiert nach der Transkription von Herrn Alf Özen, Archiv Religionsgeschichtliche Schule, Göttingen. Die Seitenangaben beziehen sich auf die Originale. In Absprache mit der Universitätsbibliothek Göttingen plant Herr Özen eine baldige Herausgabe des Briefwechsels. 25 Brief an Wernle vom 6.6.1909, S.4, UB Göttingen (unveröffentlicht). Bei diesem Fortschritt geht es im Wesentlichen um eine neue Erkenntnistheorie: „An Fries' eigener Religionsphilosophie, wie auch an seiner Ethik, habe ich mancherlei auszusetzen. Grundlegend ist für mich nur seine Erkenntnistheorie, und hier glaube ich wirklich den festen Punkt gefunden zu haben, bei dem unsere theologischen Bemühungen um einen festeren Aufriß der Systematik einzusetzen haben." (Brief an P. Wernle vom 19.10.1910, S.2, UB Göttingen, unveröffentlicht).

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ihre volle Überweltlichkeit gewahrt bleibt. Von hier aus die Möglichkeit des unbedingten Festhaltens am theistischen Gottesglauben, an der transzendenten Freiheit, am Ewigkeitsglauben." 26 Am letzten Glied dieser Aufzählung wird deutlich, worum es Bousset in der Aufnahme der friesschen Philosophie letztlich geht: Die drei Ideen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sollen festgehalten werden, und zwar besser und gewisser, als dies bei Kant selbst der Fall ist. Sie sollen als gewisser Besitz der menschlichen Vernunft erwiesen werden. Warum über Kant hinauszugehen ist, machen die ersten drei Elemente der Aufzählung deutlich. Bousset bekämpft den Dualismus zwischen reiner und praktischer Vernunft, weil gerade durch diese Aufteilung die Ideen vermeintlich benachteiligt werden. Bei Kant nämlich werden sie in der Kritik der reinen Vernunft lediglich als „regulative Prinzipien" der Vernunft zugelassen, nicht aber als der Vernunft vorgängiges Sein gedacht. Da man von den Ideen niemals eine Erfahrung in Raum und Zeit machen kann, gibt es über sie keinerlei Wissen. In der praktischen Vernunft werden die Ideen als Postulate eingeführt, die zur logischen Verankerung des kategorischen Imperatives notwendig sind. Bousset aber will für die Ideen dieselbe Gewißheit wie fur die Erkenntnis aus Erfahrung. Ferner will er verhindern, daß die Ideen lediglich zur Abstützung der Ethik benutzt werden. Diese Anliegen sieht er in der friesschen Philosophie durchgeführt. Ferner werden die Ideen, die bei Kant nur postuliert sind, bei Fries „gegenständlich greifbar", nämlich mit der Welt der Erfahrung in Zusammenhang gebracht, indem diese zum Symbol für jene wird. Hier muß Boussets Herz höher schlagen, will er doch gerade als Religionsgeschichtler die Religion nicht nur als Idee, sondern als konkrete Erscheinung, in der sich die Idee manifestiert, beschreiben. Der Neofriesianismus ist überzeugt, mit diesen Grundlagen den kantischen Angriff" auf eine Gotteslehre aus bloßer Vernunft zurückweisen zu können. Im folgenden wird die friessche Lehre in ihrer Fortführung durch die Neofriesianer sowohl hinsichtlich der Erkenntnis aus Erfahrung als auch im Blick auf die Ideenlehre vorgestellt. Anschließend wird nach den Konsequenzen für den Aprioribegriff sowie für die Deutung des Kultus bei den Neofriesianern gefragt. Dabei wird untersucht, inwiefern diese Philosophie Bousset und Otto Kriterien an die Hand gab, um über den Wahrheitsgehalt der kultischen Erfahrung von der Gegenwart Gottes zu urteilen. Ob eine kultische Begegnung zwischen Mensch und Gott oder eine Gotteserkenntnis im Kultus philosophisch für möglich gehalten wird, ist die Frage, die an die Position des Neofriesianismus zu richten ist. 4.3.2

Erkenntnis aus Erfahrung

Fries benennt drei menschliche Vermögen, mit denen über Gegenstände etwas ausgemacht werden kann: Wissen, Glaube und Ahndung. Schon anhand dieser Dreiteilung läßt sich deutlich machen, daß Fries an die kantischen Kritiken anknüpft, und wo die Schlüsselgedanken liegen, die er aufnimmt und zugleich verändert: „Das Wissen wird (...) beschränkt durch den Satz, dass die Sinnenwelt 26

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Ebd., 4f.

nur Erscheinung sei; der Glaube beruht auf der Ueberzeugung: es ist eine Welt der Dinge an sich, (...) die Ahndung endlich gründet sich auf die Ueberzeugung, dass das endliche Seyn die Erscheinung des Ewigen sey, dass uns in der Natur das Ewige selbst erscheine."27 In der Lehre vom Wissen schließt sich Fries der kantischen Grunderkenntnis an, nach der alle unsere Erkenntnis sich nur auf die Erscheinungen der Dinge, nicht aber auf „Dinge an sich" bezieht, also im wesentlichen an die Ergebnisse der transzendentalen Ästhetik sowie der transzendentalen Analytik. In der Lehre vom Glauben setzt sich Fries kritisch mit der kantischen Ideenlehre auseinander, wie dieser sie in der transzendentalen Dialektik dargelegt und in der Kritik der praktischen Vernunft zur Postulatenlehre ausgebaut hat. Die friessche Lehre von der Ahndung schließlich greift die kantische Kritik der Urteilskraft auf. Die Einschränkung des menschlichen Wissens auf den Bereich der Erscheinungen, nicht der Dinge an sich, bleibt die erste wichtige Säule des friesschen Systems. Dennoch wird in der Erörterung dieser Erkenntnis der Sinnenwelt mit Kant gestritten. Hier fallen bereits die Grundentscheidungen, die dann in der Ideenlehre zur fundamentalen Uneinigkeit mit Kant fuhren werden. Symptomatisch für die nachkantischen Auseinandersetzungen beginnt auch die Philosophie Fries' mit der verschärften Frage nach dem „Ding an sich". So setzt Fries in seiner die Ergebnisse seines Systems vorwegnehmenden Schrift über „Wissen, Glaube und Ahndung" sofort mit dem „arme(n) Ding an sich" ein, das - so die weitgehende Meinung - „seinen Process in erster Instanz verloren" habe. Fries dagegen strebt an, die „Sache des Dinges an sich wieder vorzunehmen, und zu versuchen, ob man ihm nicht endlich sein Recht könne wiederfahren lassen". 28 In der Vorrede der zweiten Auflage seiner „Neuen Kritik" kann Fries dann die „Hauptlehre der Kantischen Metaphysik", nämlich den transzendentalen Idealismus, beschreiben als „Kant's wissenschaftliche Rechtfertigung jener alten Platonischen Grundlehre: die Erkenntniß der Sinnenwelt im Raum gewährt nur eine beschränkte menschliche Vorstellung von den Dingen; zu der Vorstellung von den Dingen an sich, vom wahren Wesen der Dinge erhebt er sich nur im reinen Denken durch die Ideen." 29 Man ist nicht wenig erstaunt, Kant als einen Apologeten der platonischen Ideenlehre beschrieben zu sehen, hatte er selbst doch gerade im Anschluß an die Darstellung der Antinomien den Gegensatz zwischen Epikureismus und Piatonismus dargelegt unter ausdrücklicher Betonung, daß ,jeder von beiden" mehr sagt, „als er weiß". 30 Bei Fries hat es den Anschein, als wolle Kant die Erkenntnis aus Erfahrung als vorläufige charakterisieren und ihr die wahre Erkenntnis aus Ideen gegenüberstellen. Kant aber betont nachdrücklich, daß die Kritik der reinen Vernunft „eine Wissenschaft der bloßen Beurteilung der reinen Vernunft, ihrer Quellen und Grenzen" dar-

27 28 29 30

Fries, Wissen, Glaube und Ahndung, 60. Ebd., 3; 7. Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXIII. Kant, Kriük der reinen Vernunft, 447 (= Β 500).

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stellt.31 Er untersucht nicht etwa das Ding an sich noch liefert er eine Rechtfertigung fur die Realität der Ideen, sondern zeigt lediglich, daß die reine menschliche Vernunft aus ihren eigenen Quellen sowohl hinsichtlich des Dinges an sich wie auch im Blick auf eben diese Ideen niemals etwas wissen kann. Es scheint in dieser schon zu Beginn ersichtlichen Verschiebung von einer Wissenschaft, die nur Grenzen der Vernunft aufweist, zu einer Philosophie, die Aussagen über Dinge jenseits der Möglichkeit der Erfahrung macht, der entscheidende Differenzpunkt zu Kant und damit zugleich das Verlockende zu liegen, das Fries für Otto und Bousset so interessant macht. Doch wird dies im Folgenden, vor allem auch in der Untersuchung der friesschen Ideenlehre, zu überprüfen sein. Im Zusammenhang mit der Frage nach Existenz und Wesen des Dinges an sich rückt ein besonderes Problem in den Mittelpunkt. Es handelt sich um den von Bousset und Otto gern erwähnten und kritisierten kantischen „Schluß von der Apriorität auf die (formale) Idealität", nach dem apriorische Erkenntnisse, da in der Vernunft vor aller Erfahrung bereitliegend, keine Gültigkeit für Dinge an sich besäßen. 32 Um die Auseinandersetzung hinsichtlich dieses Schlusses in seiner Bedeutung für die Neofriesianer verstehen zu können, müssen zuerst die einschlägigen Aussagen Kants zu dieser Frage beleuchtet werden. Offensichtlich beziehen sich Otto und Bousset bei der Behandlung dieses „Schlusses von der Apriorität auf die Idealität" zunächst auf die Ausführungen Kants in der transzendentalen Ästhetik. Kant fügt an die Behandlung der Anschauungsformen Raum und Zeit jeweils einen Abschnitt mit „Schlüssen aus diesen Begriffen" an.33 Dort heißt es beispielsweise vom Räume: „Wir behaupten also die empirische Realität des Raumes (in Ansehung aller möglichen äußeren Erfahrung), ob zwar die transzendentale Idealität desselben, d.i. daß er nichts sei, so bald wir die Bedingung der Möglichkeit aller Erfahrung weglassen, und ihn als etwas, was den Dingen an sich selbst zum Grunde liegt, annehmen." Kant will mit dieser Unterscheidung nur daran erinnern, „daß uns die Gegenstände an sich gar nicht bekannt (...), und, was wir äußere Gegenstände nennen, nichts anderes als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit" sind, „deren Form der Raum ist, deren wahres Correlatum aber, d.i. das Ding an sich selbst, dadurch gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann, nach welchem aber auch in der Erfahrung niemals gefragt wird." 34 Ganz entsprechend sind die Aussagen zur „empirischen Realität" sowie zur „transzendentalen Idealität" der Zeit gehalten; es wird festgehalten, daß die Zeit „den Gegenständen an sich selbst (...) weder subsistierend noch inhärierend beigezählt werden kann".35 Es ist bei diesen Ausführungen zu beachten, daß dem Substantiv „Idealität" das Adjektiv „transzendental" vorangestellt ist. Die Idealität der reinen Anschauungsformen wird also im Rahmen 31 32 33 34 35

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Ebd., 62 (= Β 25). Vgl. Otto, Kantisch-Fries'sche, 4f.; Bousset, Kantisch-Friessche, 474. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 75-78; 80-83 (= Β 42-45; 49-53). Ebd., 76,78 (= Β 44, 45). Ebd., 82f (= Β 52).

einer Wissenschaft von den Grenzen der reinen Vernunft behauptet. Transzendentale Idealität des Raumes bedeutet, daß unsere Erkenntnisart hinsichtlich des Raumes dergestalt ist, daß wir diese Anschauungsform a priori in uns tragen, jedoch nur, um sie auf Dinge als Erscheinungen anzuwenden. Über die Beschaffenheit der Dinge an sich ist damit nichts ausgesagt. Hier kann nur geschwiegen werden. Entsprechendes muß dann in der Analytik auch von der Gültigkeit der Kategorien gesagt werden. Die transzendentale Deduktion der Kategorien will klären, „wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können".36 Sie kommt zu dem Ergebnis, daß die Kategorien „nur darum a priori möglich" sind, „weil unser Erkenntnis mit nichts, als Erscheinungen zu tun hat, deren Möglichkeit in uns selbst liegt, deren Verknüpfung und Einheit (in der Vorstellung eines Gegenstandes) bloß in uns angetroffen wird".37 Es ist unsinnig, nach der Gültigkeit der Kategorien flir Dinge an sich zu fragen. Denn diese reinen Verstandesbegriffe sind lediglich in unserer Vernunft bereitliegende Denkformen fur mögliche Erfahrung. In dem berühmten Abschnitt der Analytik, der mit dem Titel „Phaenomena und Noumena" überschrieben ist, faßt Kant diese Erkenntnis in bestechender Form zusammen. So wird von den Grundsätzen des Verstandes, die sich aus der Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen ergeben, festgehalten: Sie „sind bloß Prinzipien der Exposition der Erscheinungen, und der stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben (z.E. den Grundsatz der Kausalität), muß dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen."38 Eine Ontologie aus bloßer Vernunft, also eine Wissenschaft vom Sein der Dinge an sich, ist uns verwehrt. Möglich ist allein die Untersuchung der Art und Weise, wie unser Verstand die Formen der Anschauung und des Denkens bereitstellt, um die Erfahrung von Erscheinungen zu ermöglichen. In der friesschen Schule jedoch wird der Begriff „Idealität" verstanden als eine negative Aussage über das Sein der Dinge an sich. Damit wird eine Frage, die sich bei Kant allein auf die Grenze der Vernunfterkenntnis bezog, zur Frage nach dem Sein uminterpretiert. Wenn diese Interpretation des Begriffs der „Idealität" richtig wäre, dann würde der Schluß von der Apriorität auf die Idealität in der Tat besagen, daß alle apriorische Erkenntnis lediglich Gegenstände erfaßt, denen ein Sein außerhalb der menschlichen Vernunft abgesprochen werden muß. Da aber Bousset und Otto nun gerade die Religion apriorisch erkannt wissen möchten, müssen sie hier heftig protestieren, um nicht gezwungen zu sein, die apriorisch erkannten religiösen Ideen flir nicht seiend zu halten.

36 37 38

Ebd., 126 (= Β 117). Ebd., 182 (= A 130). Ebd., 275 (= Β 303).

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Nun wurde eingangs festgehalten, daß Fries selbst die Gegenstände des Wissens als bloße Erscheinungen wertet. Dennoch übt er an den vorgetragenen kantischen Schlüssen Kritik, eine Kritik, die von Bousset und Otto durch jene Polemik gegen den „Schluß von der Apriorität auf die Idealität" aufgenommen wird. Zunächst bemängelt Fries die Beweisführung Kants in der transzendentalen Ästhetik. Kant hatte im Blick auf die Idealität des Raumes folgende Überlegung angestellt: Die Anschauungsform des Raumes finde ich a priori in mir. Daraus muß aber folgen, daß der Raum keine Eigenschaft der Dinge an sich sein kann. „Denn weder absolute, noch relative Bestimmungen können vor dem Dasein der Dinge, welchen sie zukommen, mithin nicht a priori angeschaut werden."39 Anders ausgedrückt: Entweder ist die räumliche Ausdehnung eine Eigenschaft des Dinges an sich. Dann erkenne ich sie aber nur empirisch, das heißt durch Erfahrung eben dieses Dinges. Oder aber die Anschauungsform des Raumes liegt vor aller Erfahrung in mir und wird erst zum Grund der Möglichkeit einer Erfahrung. Dann aber kann sie nicht als Eigenschaft der Dinge unter Absehung von meiner Erfahrung angenommen werden. Da nun aber Kant eben diese Apriorität der Anschauungsform gezeigt hat, muß auch jener Schluß auf die (transzendentale) Idealität des Raumes vollzogen werden. Fries wendet ein: „Woher wissen wir denn, ob nicht irgend eine dritte höhere Ursache möglich sey, welche die Übereinstimmung zwischen Vorstellung und ihrem Gegenstand bestimmt, indem sie beyde möglich macht? Wäre aber dies, so könnten allerdings die Dinge a priori so angeschaut werden, wie sie an sich sind."40 Fries sieht also - wo Kant nur ein Entweder-Oder postulierte - einen Weg, beides zu behalten: die α priori bereitliegende Anschauungsform sowie die Möglichkeit, daß diese Form zugleich eine Eigenschaft des Dinges an sich sei.41 Kants Beweis für die Idealität der Anschauungsformen falle demnach weg. Fries versteht es also durch diese Annahme, die „Sache des Dinges an sich" zu retten: Apriorische Momente der Erkenntnis verfehlen nicht eo ipso das Ding an sich. Damit ist auch Kongruenz zwischen apriorischen Ideen der Vernunft und dem aller Vernunfterkenntnis vorgängigen Sein nicht ausgeschlossen. Mit dem Begriff einer „höhere(n) Ursache" freilich hat Fries die kritische Methode Kants verlassen. Wenn er eine solche höhere Ursache annimmt, müßte er zugleich einräumen, daß diese Annahme nicht mehr zum „Geschäft" der Vernunftkritik gehört. Denn diese will ja nicht über mögliche höhere Ursachen einer Übereinstimmung von Erkenntnis und Sein spekulieren, sondern vernunftimmanent klären, ob von solcher Übereinstimmung etwas gewußt werden kann. In der Ästhetik Kants führt der Schluß von der Apriorität auf die Idealität zur Erkenntnis, daß die Anschauungsformen Raum und Zeit nicht für Dinge an sich gelten. Gegen dieses Ergebnis hätten auch Fries und seine Schüler nichts einzu39

Ebd., 75 (= Β 42). Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXV. Vgl. ähnlich ders., Wissen, Glaube und Ahndung, 41. 41 Kant selbst hat einen ähnlichen, auf die Kategorien gemünzten Einwand zu widerlegen versucht: Kritik der reinen Vernunft, 158f (= Β 167f). 40

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wenden, w o h l aber g e g e n den Weg, auf dem es erreicht wurde, jenem Schluß v o n der Apriorität auf die Idealität. 42 In der Analytik wird nun v o n Kant ebenso gefolgert, daß die Denkformen der Kategorien auf Dinge an sich nicht angewandt werden können. D a g e g e n protestiert die friessche Schule. D i e Kategorien werden mit Fries aus einer „Grundvorstellung des vernünftigen Geistes v o n der allgemeinen Einheit und Notwendigkeit" deduziert. 43 Besonders bei Otto finden wir hier eindeutige Aussagen. S o ist bei ihm unter der Überschrift „Objektive Gültigkeit der Kategorien" unter anderem zu lesen: „Kant folgert, daß da diese Erkenntnis ganz a priori sei, sie auch nur gelten könne für die subjektive Welt unseres Vorstellens, nicht aber für eine objektive von uns unabhängige Welt des Seins an sich. (...) D i e Kategorien (...) sollen subjektive Formprinzipien sein, wodurch wir für uns ein Weltbild gestalten, das deswegen auf Objektivität nicht Anspruch hat. (...) Wie Fries diesen Fehler verbessert, ist schon gezeigt worden. D e r Schluß v o n der Apriorität auf die Idealität gilt nicht". 44 N a c h einer längeren, v o n Bornhausen nicht zu Unrecht als „dunkle logische Gedankenfolge" 4 5 charakterisierten Passage über die Widerlegung dieses Schlusses kommt Otto zu dem positiven Ergebnis: „Jene .selbstverständlichen' Wahrheiten, die jedes Kind einsieht, jene ersten metaphysischen Gesetze gelten der Vernunft schlechterdings als G e s e t z e fur die objektive Welt selber. Sie sieht in ihnen ein, w a s wirklich so

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Fries will deshalb auch nach Ablehnung des genannten Schlusses den Beweis für die von ihm festgehaltene Idealität des Raumes und der Zeit anders fuhren, indem er ihn allein auf die von Kant vorgetragene Antinomienlehre stützt. Dieser Beweis besage: „Der „Begriff eines Dinges an sich widerspricht der Beschaffenheit der Gegenstände der Erfahrung, diese sind also keine Dinge an sich." (Fries, Wissen, Glaube und Ahndung, 47). Während also bei Kant das Ding an sich ein „Noumenon im negativen Verstände", „ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken" (Kant, Kritik der reinen Vernunft, 277, 282 (= Β 307, 310f)), darstellt, ist der Begriff desselben bei Fries zum Maßstab geworden, an dem die Dinge als Erscheinungen gemessen werden. Damit wird das kantische Anliegen, der Verstand möge sich durch die transzendentale Untersuchung „selbst die Grenzen seines Gebrauchs (...) bestimmen" (ebd., 269 (= Β 297)), hinfällig geworden. Denn gerade die Stelle, wo Kant die Grenze erkennt, wird für Fries zum Ausgangspunkt der Untersuchung. Für Kant kann der Begriff des Dinges an sich nur negativ gebraucht werden. Der Verstand meint, er könne sich von einem vorgestellten Ding an sich auch Begriffe inachen. Dadurch wird er verleitet, „den ganz unbestimmten Begriff von einein Verstandeswesen, als einem Etwas überhaupt außer unserer Sinnlichkeit, für einen bestimmten Begriff von einem Wesen, welches wir durch den Verstand auf einige Art erkennen könnten, zu halten." (ebd., 277 (= Β 307)). Einen solchen positiven Gebrauch des Noumenons aber setzt Fries voraus, wenn er meint: „Ich habe mich nur durch die Theorie des Erkenntnisvermögens auf den Ursprung unserer Ideen vom Unbeschränkten und Vollendeten als dem wahren Wesen der Dinge leiten zu lassen und kann dann die ganze Lehre vom transcendentalen Idealismus weit kürzer als der Erfinder darstellen, durch die Erörterung des Widerspruchs, in welchem die Unvollendbarkeit, Stetigkeit, bloße Verhältnismäßigkeit und Wesenlosigkeit von Raum und Zeit mit den Ideen des Vollendeten stehen." (Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXVIf). 43 44 45

Otto, Kantisch-Fries' sehe, 3 3. Ebd., 36. Bornhausen, Wider den Neofriesianismus, 358.

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ist, und könnte diese Überzeugung nur aufgeben, wenn sie sich selber aufgeben wollte.""6 Otto behauptet hier nicht etwa, die Gültigkeit der Kategorien auch fur die Dinge an sich sei bewiesen. Er formuliert ausdrücklich dahingehend, daß die Kategorien im Urteil der Vernunft als Gesetze für die objektive Welt gelten. Insofern bleibt auch er in der Bewußtseinsimmanenz, es gibt keinen Zugriff auf die Welt der Dinge an sich. Die Gewißheit, trotzdem zu sehen, „was wirklich so ist", wird allein durch das „Selbstvertrauen der Vernunft zu sich selber" hergeleitet,47 einer Vernunft, die Grundvorstellungen über das Wesen der Dinge liefert, aus denen alles weitere deduziert werden kann. Bei diesem Fazit ist nun zu fragen, warum Otto der Beziehung der Kategorien auf Dinge an sich so viel Bedeutung beimißt. Otto selbst gab den Hinweis, daß bei Fries die Kategorien aus einer Grundvorstellung der Vernunft deduziert werden. Damit aber gehören sie bereits zu einem Bereich tieferer Erkenntnis, der in der Ideenlehre verhandelt wird. 4.3.3

Ideen

Die Interpretation der bisher besprochenen friesschen Aussagen durch Otto und Bousset zeigt, warum die Auseinandersetzung über Apriorität und Idealität im Blick auf ein zu konstatierendes religiöses Apriori von Bedeutung ist. Bei Otto zeigt sich gleich in der Einleitung seines Buches, daß der eigentliche Anstoß, den die Neofriesianer an jenem Schluß nehmen, erst bei dessen Anwendung auf die kantische Ideenlehre zu suchen ist: Aus dem „Trugschluß nämlich von der Apriorität einer Erkenntnis auf die Idealität des darin erkannten Gegenstandes" folge „bei Kant die unsichere Haltung seiner schönen Ideenlehre(,) die verwirrende Lehre von der .Dialektik des transzendentalen Scheins', die schiefen und unzulänglichen Versuche, der Ideenlehre durch die .Postulate der praktischen Vernunft' und den .moralischen Beweis' eine nachträgliche Haltung zu verleihen, und sozusagen jene ganze Sackgasse, in die sich bei ihm die Religionsphilosophie verlaufen mußte und hat".48 Es ist hier deutlich, daß die Frage nach jenem Schluß von der Apriorität auf die Idealität zwar schon bei der Behandlung des Wissens aus Erfahrung auftaucht, von den Neofriesianern aber gerade deshalb so betont wird, weil sie im Bereich der Ideenlehre zu Konsequenzen fuhrt, denen widersprochen werden soll. Zu Recht benennen die Neofriesianer die Ideenlehre als den entscheidenden Punkt der friesschen Lehre, von wo aus der Religionsphilosoph sein religiöses Apriori definieren kann. Bousset faßt zusammen: „Will man kurz das Verdienst bezeichnen, das Fries vor allem für die Theologie hat oder haben könnte, so kann man sagen, dass er den Zwiespalt zwischen theoretischer und praktischer Vernunft wieder aufgehoben und

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Otto, Kantisch-Fries'sehe, 37. So z.B. ebd., 36. Ebd., 5.

die religiösen Ideen als notwendigen Bestand der einen und gleichen Vernunft erwiesen hat." 49 Kant hat die Ideen unter dem Stichwort des „transzendentalen Scheins" in der „Kritik der reinen Vernunft" abgehandelt und ihnen keine eigene Erkenntnis, sondern nur eine regulative Funktion fiir den Vernunftgebrauch zugebilligt. In der „Kritik der praktischen Vernunft" erscheinen die Ideen als Postulate der praktischen Vernunft, die erforderlich sind, um das apriorisch geforderte „höchste Gut" denkerisch möglich zu machen. Kant stellt nach der Nennung der drei notwendigen Postulate (Unsterblichkeit, Freiheit, Gott) selbst sofort die Frage, die demjenigen, der die Entlarvung der Ideen als transzendentalen Schein noch im Ohr hat, nun kommen muß, und beantwortet sie: „Wird nun aber unser Erkenntnis auf solche Art durch reine praktische Vernunft wirklich erweitert, und ist das, was für die spekulative transzendent war, in der praktischen immanent? Allerdings, aber nur in praktischer Absicht. Denn wir erkennen zwar dadurch weder unserer Seele Natur, noch die intelligible Welt, noch das höchste Wesen, nach dem, was sie an sich selbst sind, sondern haben nur die Begriffe von ihnen im praktischen Begriffe des höchsten Guts vereinigt".50 Die Erkenntnis der reinen Vernunft erhält also einen „Zuwachs (...), der aber bloß darin besteht, daß jene für sie sonst problematische (bloß denkbare) Begriffe jetzt assertorisch für solche erklärt werden, denen wirkliche Objekte zukommen, weil praktische Vernunft die Existenz derselben zur Möglichkeit ihres (...) Objekts des höchsten Guts unvermeidlich bedarf."51 Der entscheidende Unterschied dieser Erkenntnis aus praktischer Vernunft gegenüber einer empirischen, also auf Erfahrung gegründeten Erkenntnis liegt darin, daß bei jener synthetische Urteile nicht möglich sind. Es wird lediglich postuliert, daß den Begriffen Gott, Freiheit und Unsterblichkeit Objekte entsprechen, daß sie also nicht bloß leere Gedanken sind. Jede weitere Aussage aber ist verwehrt. „Also war es keine Erweiterung der Erkenntnis von gegebenen übersinnlichen Gegenständen, aber doch eine Erweiterung der theoretischen Vernunft und der Erkenntnis derselben in Ansehung des Übersinnlichen überhaupt, so fern als sie genötigt wurde, daß es solche Gegenstände gebe, einzuräumen, ohne sie doch näher bestimmen, mithin dieses Erkenntnis von den Objekten (...) selbst erweitern zu können". 52 Diese Unterscheidung also zwischen den Postulaten der praktischen Vernunft, die nie Gegenstand der Erfahrung werden können, und den durch Erfahrung überprüfbaren Erkenntnissen der theoretischen Vernunft bezeichnet Bousset als den „Zwiespalt", den Fries überwunden habe. Das ungute Gefühl, das Bousset wie Otto bei dieser Unterscheidung offensichtlich befällt, hängt mit der Frage nach der Wahrheit zusammen. Kant wird dahingehend verstanden, daß die Erkenntnisse der reinen Vernunft durch die Möglichkeit der Erfahrung verifi-

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Bousset, Kantisch-Friessche, 472. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 265f (= A 240). Ebd., 267 (= A 242). Ebd., 268 (= A 243f).

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zierbar sind, die Postulate der praktischen Vernunft jedoch eine nur zweckmäßige Hypothese darstellen. Es wird dabei übersehen, daß die Wahrheit der Erkenntnis der reinen Vernunft für Kant nur auf Erscheinungen, nicht auf Dinge an sich geht. Eine Erscheinung aber fehlt eben bei den Postulaten der praktischen Vernunft. Hier ist nun der entscheidende Punkt der Diskussion erreicht, an dem ein weiterer gegen Kant gerichteter Gedanke greift. Neben der geschilderten Kritik am Schluß von der Apriorität auf die Idealität stehen friessche Einwände gegen die Deduktion der Kategorien bei Kant. Auch in dieser Diskussion spielt das „Ding an sich" die zentrale Rolle. Fries vermutet, daß Kant bei der Deduktion der Kategorien voraussetze, „daß der Gegenstand die Vorstellung desselben möglich mache". Dadurch werde dann „objektive Gültigkeit" möglich.53 Kant brauche also für seine Deduktion die Annahme eines auch unabhängig von aller Erfahrung seienden Gegenstandes. Aus der Möglichkeit der Erfahrung eines solchen Gegenstandes suche Kant die Grundsätze des reinen Verstandes zu beweisen. Dieser Beweis sei jedoch unmöglich, da dann die allgemeinen Grundsätze aus der doch immer einzelnen Erfahrung abgeleitet würden.54 Die Erkenntnisse der reinen Vernunft haben bei Kant den Vorzug der möglichen Erfahrung, wodurch sie verifizierbar sind. Dieser Vorzug geht den Ideen ab. Fries und die Neofriesianer scheinen nun diesen Vorteil der möglichen Erfahrung als einen Vorteil hinsichtlich des Seins zu verstehen: Sind die Objekte der reinen Vernunfterkenntnis erfahrbar, dann sind sie. Die Ideen sind nicht erfahr-

53 Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXVII. - Was meint Fries mit „objektiver Gültigkeit", die Kant anstrebe? Welcher Art sind die „Beweise", die Kant für die Grundsätze des reinen Verstandes führen soll? Offensichtlich bezieht Fries sich auf die Aussage Kants, nach der „die objektive Gültigkeit der Kategorien, als Begriffe a priori, darauf beruh(t), daß durch sie allein Erfahrung (der Form des Denkens nach) möglich sei" (Kant, Kritik der reinen Vernunft, 132=B 126). Damit ist allerdings nichts weiter gesagt, als daß Kategorien per definitionem nur dann Kategorien, also a priori bereitliegende Formen des Denkens sein können, wenn sie tatsächlich die Erfahrung, oder genauer, den begrifflichen Anteil an der Erfahrung, erst ermöglichen. Transzendentale Deduktion ist also nichts weiter als „die Erklärung der Art, wie sich Begriffe a priori auf Gegenstände beziehen können" (ebd., 126 =B 117). Bewiesen wird lediglich, daß die in Frage stehenden Begriffe notwendig seien, um Erfahrungen zu ermöglichen. Auch die Grundsätze des Verstandes werden selbstverständlich nur für den Bereich möglicher Erfahrung, also nicht etwa als außerhalb des Bewußtseins gültige Regeln, bewiesen. Dies muß auch Fries bewußt sein, da seine eigene Deduktion der Kategorien aus den Ideen gerade das Neue gegenüber Kant darstellt. Für Fries nämlich geben die Kategorien, da sie aus den Ideen hergeleitet sind, Zeugnis vom Wesen der Dinge selbst. 54

Ebd., 25, auch 20f. Fries kritisiert also, wie schon Jacobi und später die Marburger Kantschule, die Annahme eines Einflusses des Dinges an sich, ein Einfluß, der das Material für die Anschauungen liefere. Dieser wichtige Einwand, die Ablehnung eines Einwirkens des Dinges an sich auf das erfahrende Subjekt, soll im System Fries' und der Neofriesianer die vermeintliche Zerrissenheit des kantischen Systems überwinden, indem erfahrbare Gegenstände den Ideen gegenüber keinen Seinsvorschuß haben.

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bar, also ist ihr Sein ungewiß,55 Dieser vermeintlich kantische Schluß wird abgewiesen durch die Verneinung eines Einflusses der Dinge an sich auf den Erkenntnisvorgang. D i e in Raum und Zeit erkannten Dinge sollen keinen Seinsvorschuß den Ideen gegenüber haben. Der Erkennende bleibt also in jedem Falle in den Grenzen seines Bewußtseins, ein Kontakt mit den Dingen an sich findet nicht statt. Ein Ding an sich kann in jedem Fall, sei es also ein Gegenstand möglicher Erfahrung, sei es das Korrelat der Idee, nur geglaubt werden. Dies fuhrt Bousset zu dem erleichterten Ausspruch: „So stehen denn die Ideen, insofern wir sie tatsächlich als notwendigen Bestandteil unserer menschlichen Vernunft in uns vorfinden - und als solche finden wir sie, in ihrer Realität und Selbstgewissheit nicht schlechter da als die Sinnesempfindungen und die reinen Formen unserer Anschauung und unseres Denkens. Auf allen drei Gebieten menschlichen Geisteslebens bleiben wir ganz und gar in der Bewußtseinsimmanenz; bei allen drei Gebieten bleibt die Frage, ob irgendwie unserer inneren Erfahrung ein Gegenstand entspricht, ob ihnen objektive Realität in diesem Sinne zukommt, ganz und gar allem Beweis entzogen und wird nur beantwortet mit dem Selbstvertrauen der menschlichen Vernunft, dass dem so sei. Alle drei sind gleicherweise Quellen der Gewißheit, resp. gleicherweise einer alles leugnenden Skepsis unterworfen." 56 Für Fries nun gilt nicht die Skepsis, sondern die Gewißheit. Sowohl Ideen als auch D i n g e an sich sind für seiend zu halten. Daß die apriorisch erkannten Ideen wirklich sind, steht fur Fries fest. Er zeigt dies, indem er bei den von Kant vorgeführten Antinomien einsetzt. 57 Während jedoch Kant mit den Beweisen von 55

Wieder zeigt sich hier, daß Fries Kant nicht als einen Ermittler der Grenzen der Vernunft versteht, sondern als einen Philosophen, der Aussagen über das Sein der Dinge an sich macht. Dabei hatte Kant doch gerade den „stolze(n) Name(n) einer Ontologie" (Kritik der reinen Vernunft, 275=B 303) und mit dem Namen auch die Sache vermeiden wollen! Er hat deutlich herausgestellt, daß nicht einmal der Begriff der „Realität" für uns irgendeine Bedeutung hat, wenn wir ihn ohne die Anschauungsform der Zeit denken wollen (ebd., 272=B 300). 56 Bousset, Kantisch-Friessche, 474. - Bornhausen führt in diesem Zusammenhang aus, daß bei Fries und Otto so nicht mehr von einem „religiösen Apriori" als einem von anderen „Apriori" geschiedenen gesprochen werden kann: „Da gibt es keinen Unterschied in der allgemeinen Erkenntnisgrundlage für die einzelnen Vernunftausgestaltungen, da gibt es keinen Primat der praktischen Vernunft (,) da gibt es auch keine spezifisch religiösen Voraussetzungen der Religionsphilosophie, kein religiöses Apriori. Vielmehr ist das Apriori der synthetischen Vernunfteinheit, das in der psychologisch-anthropologischen Einheit und Notwendigkeit durch Selbsterkenntnis aufgedeckt ist, das gleichermaßen gültige Phänomen für alle Verzweigungen des menschlichen Denkens in Wissen, Glauben und Ahndung. Die Religion steht also voll berechtigt, ja sogar beherrschend auf dem allgemeinen Erkenntnisboden und baut ihr spekulatives Gedankensystem mit demselben Rechts- und Wahrheitsanspruch aus wie jede Wissenschaft." Bornhausen, Das religiöse Apriori, 201. 57 Kants „wahre Lehre vom transcendentalen Idealismus ist die Lehre von den Antinomien der Vernunft, dort sind mit großer Ausführlichkeit alle Erörterungen gegeben, durch welche er das Schicksal der Metaphysik für immer entschieden hat. Diese Erörterungen allein müssen dem transcendentalen Idealismus zur Grundlage gegeben werden." Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXVI.

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sich jeweils widersprechenden Aussagen lediglich zu zeigen suchte, daß eine Anwendung der Kategorien auf Dinge an sich die Vernunft in Widersprüche verwickelt, argumentiert Fries in die entgegengesetzte Richtung, indem er von den Ideen aus die Welt der Erscheinungen wertet. Nicht von dem aus, was Kant über die Erfahrung sagt, sind die Ideen zu verstehen, sondern vom innersten und ursprünglichsten Vermögen der Vernunft aus sind alle Erkenntnisse aus Erfahrung zu deuten. Was aber ist dieses Innerste? Die menschliche Vernunft besitzt zunächst ein Selbstvertrauen, nach dem ihre Vorstellungen mit dem Sein der Gegenstände übereinstimmen.58 Dieses Selbstvertrauen ist unbeweisbare Voraussetzung eines jeden Erkenntnisvorgangs. Ferner ruht in der Vernunft ein „Wahrheitsgefuhl", welches entscheidende „metaphysische Grundwahrheiten" zum Bewußtsein bringt.59 Diese Grundwahrheiten postulieren „die nothwendige Einheit im Wesen der Dinge als höchstes Gesetz der Wahrheit, (...) das höchste Gesetz des Guten und (...) die Gesetze der Schönheit".60 Diese drei der Vernunft ureigensten Wahrheiten decken genau die drei Bereiche menschlichen Erkennens ab: die Ontologie, die Ethik und die Aesthetik. Während Kant jeder Frage einen eigenen Bereich der Vernunft zuweist (reine Vernunft, praktische Vernunft, Urteilskraft), findet Fries alle Wahrheiten in der einen, ungeteilten menschlichen Vernunft angelegt. Diese Wahrheiten bilden die sogenannte „transzendentale Wahrheit", die unmittelbar der Vernunft gewiß ist und über die nicht gestritten werden kann. Von ihr unterschieden wird die nur „empirische Wahrheit", die sich auf einen Vergleich des unmittelbar Gewußten mit mittelbaren Erkenntnissen, also auf Erfahrung oder Reflexion beruhenden, bezieht.61 Die empirische Wahrheit ordnet Fries dem „Verstand" zu, während er die unmittelbare Erkenntnis in der „Vernunft" entstehen läßt. Damit ist dann das menschliche Erkennen deutlich in zwei Bereiche geschieden: Unmittelbar und untrüglich erhebt sich die transzendentale Wahrheit in der Vernunft. Diese Wahrheit kann allerdings nicht gewußt, sondern allein geglaubt werden. Die Welt des Wissens ist eine sekundäre, abgeleitete Welt des Verstandes. Sie ist auch die Welt unserer Erfahrung. Wir können mit Hilfe der Reflexion zur Erkenntnis gelangen, daß die Welt in Raum und Zeit nicht das eigentliche Wesen der Dinge vorstellt. Wir können also die Grenzen dieser Erkenntnis wissen. Zum Wesen der Dinge an sich fuhrt uns nur der Glaube, das Besinnen auf die ins Herz geschriebene unmittelbare Gewißheit von der Einheit der Dinge.62 58

Ebd., XXVIIf. Ebd., XXVIII. 60 Fries, Selbstrezension, 16. 61 Vgl. Fries, Neue oder anthropologische Kritik, XXVIIf. 62 „So erbaut sich für Fries über der Welt des reflektierenden Verstandes die ewige Welt der Vernunft mit ihren Ideen, über der Welt des Wissens die Welt des .Glaubens'. Und nur diese letztere ist die Welt ewiger Gewissheit und Wirklichkeit. Das Gebiet des Verstandes ist das der willkürlichen Reflexion, die eben deshalb auch dem Irrtum und der Täuschung unterworfen ist. Die Welt des Glaubens aber ist die der unmittelbaren Gewissheit, die jedem Men59

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Die erste der drei oben genannten transzendentalen Wahrheiten nun, von der Otto auch als von einer „unmittelbaren (an sich dunklen und tiefVerborgenen) Grunderkenntnis der Vernunft von der notwendigen synthetischen Einheit im Wesen der Dinge"63 reden kann, bildet das Fundament zur Gewinnung der Ideen. „In den Ideen spricht sich nur klar und deutlich und mit Bewußtsein aus, was in unmittelbarer Erkenntnis dunkel angelegt ist."64 Die Ideentafel, die Fries dann mit Hilfe der kantischen Kategorientafel deduziert, kann variieren.65 Otto nennt in seiner Darstellung die Ideen des „absoluten Seins", der „Seele", der „Freiheit" sowie der „Gottheit".66 Diese Ideen beruhen also alle direkt auf der unmittelbaren und notwendigen Erkenntnis der Vernunft, auf der vorauszusetzenden „transzendentalen Wahrheit", sie werden von dieser deduziert.67 Wenn aber die Ideen direkt aus der unmittelbaren Vernunfterkenntnis ableitbar sind, dann haben sie teil an der Überlegenheit der transzendentalen Erkenntnis gegenüber aller Reflexion. Hier zeigt sich nochmals deutlich, wie Fries zu einer Kant genau entgegengesetzten Beurteilungsweise der menschlichen Erkenntnis gelangen muß: Die Ideen werden der Ausgangspunkt, von dem aus die Reflexions- und Erfahrungserkenntnis relativiert wird.68 Klar und deutlich sieht und begrüßt dies Wilhelm Bousset: „Bei Kant erscheinen die ,Ideen' ganz am Rande des theologischen Denkens als unsichere problematische Tatsachen, um erst auf dem Gebiet der praktischen Vernunft stabiliert (sie) zu werden. Für Fries sind sie das eigentliche δός μοι ποΰ στώ, von dem aus er die ganze Welt naturhafter Wirklichkeit in Zeit und Raum aus den Angeln hebt."69 Mit Nennung dieser Ideen wird nun auch klar, welchen Platz sie im System der Neofriesianer einnehmen werden: Diese Ideen selbst sind das gesuchte religiöse Α priori!10 sehen ins Herz geschrieben ist, auf die jeder sich nur zu besinnen braucht, und die er hat, auch wenn er sie leugnet, zu der nichts hinzugetan und von der nichts genommen werden kann." Bousset, Kantisch-Friessche, 478. 63 Otto, Kantisch-Fries'sche, 63. 64 Ebd. 65 Vgl. Elsenhans, Fries und Kant, Teil II, 192. 66 Vgl. Otto, Kantisch-Fries'sche, 63ff. 67 Die Vorgehensweise der Deduktion im einzelnen wird hier nicht weiter dargestellt, vgl. dazu Otto, Kantisch-Fries'sche, 63ff. 68 Pfleiderer spricht in diesem Zusammenhang richtig vom „ontologischen Impetus" des „Rekurses auf ein solches basales Intuitionsvermögen der Vernunft" (Theologie, 109). Wie schon des öfteren zeigt sich auch hier, daß die friessche Philosophie nicht die Grenzen der reinen Vernunft im Sinne Kants, sondern die Seinserkenntnis selbst, wenn auch versichert nur durch die menschliche Vernunft, zum Ziele hat. 69 Bousset, Kantisch-Friessche, 477. Auch Elsenhans, Fries und Kant, Bd. 2, 192, bemerkt dazu richtig: „Während bei Kant den Ideen im Gebiete der spekulativen Vernunft objektive Realität abgesprochen und eine solche nur auf dem Boden der praktischen Vernunft zugestanden wird, erhalten sie bei Fries schon als spekulative Ideen Gültigkeit." 70 Vgl. dazu Wendland, Neufriesianismus, 499: Otto und Bousset wollten die Religion gründen „auf die im Menschengeist verborgenen und dort durch Aufsuchung seines Wesens aufweisbaren Vernunftideen des absoluten Seins, der Ewigkeit, der unbedingten Notwendig-

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4.3.4

Art und Geltung des religiösen Apriori

Nachdem Bousset die Welt der unmittelbaren Erkenntnis des Menschen beschrieben hat, fährt er fort: „Das ist es, was Theologie und Religionsphilosophie bei ihrem Suchen nach dem Apriori in der Erscheinung der Religion lernen können."71 Wer also hinter die „Erscheinung der Religion", d.h. hinter die empirisch studierbaren einzelnen Religionen zurückgehen will in der Suche eines ihnen allen gemeinsamen apriorischen Grundbestandes, der wird an die friesschen Ideen verwiesen. Wie nun die kantischen apriorischen Elemente der Erkenntnis nur die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung sind, so soll es sich beim religiösen Apriori nur um „ganz abstrakte Ideen" handeln, „die für sich allein niemals lebendig werden können, die aber aller lebendigen Religion als apriorische Elemente unbewusst oder bewusst - und gewöhnlich unbewusst - zu Grunde liegen."72 So wie die Kategorien längst in Geltung waren, ehe sie von der Philosophie entdeckt wurden, so leben auch die genannten Ideen von der Seele, der Freiheit und der Gottheit zu allen Zeiten in den Religionen. Jetzt aber sind sie durch philosophische Kritik gefunden worden und bieten so den gesuchten „Besitz fester Normen gegenüber aller Empirie". 73 Diese Ideen treten also in einem jeweils unterschiedlichen geschichtlich bedingten Gewand auf. Sie selbst aber sind von der Geschichte unabhängig. Innerhalb der jeweiligen Religion entfalten diese Ideen ihre Wirkung, indem sie den religiösen Menschen zur Tat anspornen und ihn vor allem zur „Ahndung" fuhren, jenem Gefühl, daß die Ideen als das Ewige mit dem Endlichen in Verbindung bringt, indem es in diesem das gebrochene Abbild jener entdeckt.7'' Hinsichtlich dieses religiösen Apriori, der inneren Gewißheit von der Existenz der Seele, der Freiheit und der Gottheit, muß nun aber nochmals die Wahrheitsfrage gestellt werden. Besitzt der Mensch mit dem religiösen Apriori den Schlüssel fur die Welt der Dinge an sich, ist es das Tor, durch das er das Gefängnis seines Bewußtseins verläßt und die Dinge so sieht, wie sie sind? Über die Frage, inwieweit der Neofriesianismus das Gebiet des Bewußtseins verlasse, um Seinsaussagen zu machen, hat Bousset mit Bornhausen heftig gestritten. Bornhausen hatte Ottos Beschreibung der friesschen Philosophie dahingehend interpretiert, daß hier eine Wahrheit proklamiert werde, die auch völlig unabhängig vom Bewußtsein des Menschen existiere. Es werde von Otto „eine Einheit und Notwendigkeit gesucht, die nicht apriorisch nur für die Menschenvernunft gilt, sondern die diese Menschenvernunft wie überhaupt alles Seiende begründet". Damit aber halte „die metaphysische ,Ding an sich'-Spekulation

keit, der Seele und der Gottheit. In diesen metaphysischen Ideen liege das Apriori der Religion." 71 Bousset, Kantisch-Friessche, 478. 72 Ebd., 479. 73 Ebd., 480. 74 Dieser Gedanke nimmt die kantische Kritik der Urteilskraft auf. Er ist im Rahmen dieser Untersuchung nicht weiter zu verfolgen. Vgl. Bousset, Kantisch-Friessche, 481ff.

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(...) ihren Einzug in die Grundlegung der Kantischen Philosophie".75 In der Tat finden sich bei Otto viele Formulierungen, die diese Neigung zu Aussagen über das der Vernunfttätigkeit vorgängige Sein belegen. So ist die Rede von der „objektiven Gültigkeit" sowohl der Kategorien als auch der Ideen.76 Weiter wird behauptet, daß wir in den Erscheinungen „die Dinge und die Wirklichkeit selber" sehen, wenn auch wie durch einen Schleier.77 Und schließlich kann Otto die auf Kant gemünzte Definition des Glaubens - „ein Fürwahrhalten aus Interesse"78 - zurückweisen zugunsten der Aussage, Glauben sei eine dem Wissen überlegene Erkenntnis: „es ist wirklich wahr, was wir glauben."79 Bousset allerdings unterscheidet schon in seiner Rezension des ottoschen Buches klarer und weist darum auch die Vorwürfe Bornhausens entschieden zurück. Er moniert den mystischen Zug in der Theologie seines Freundes Troeltsch und stellt klar: „Aus der Bewusstseinsimmanenz aber fuhrt uns kein Denken irgend welcher Art heraus, dazu hilft nur das Selbstvertrauen zu den tiefsten Grundlagen unseres Wesens".80 Es verhält sich also so: Die Ideen, das religiöse Apriori, ruhen auf der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft. Selbstverständlich ist sich diese Vernunft sicher, mit ihrer apriorischen Erkenntnis das Sein der Dinge an sich zu erfassen. Aber diese Sicherheit ist allein die Selbstsicherheit der Vernunft. Sie versichert sich selbst, daß sie mit ihren Ideen die Wahrheit hat. Deshalb erwidert Bousset auf die Kritik Bornhausens, dieser unterstelle „Otto hier einen falschen Realismus und Empirismus, gegen den er dann mit Entrüstung die Manen Kants beschwör(e)". Falsch ist dieser Realismusvorwurf gegen Otto deshalb, weil sich Fries und Otto bei der Frage nach der Realität außerhalb des Bewußtseins „auf das unmittelbare Selbstbewußtsein der Vernunft" zurückziehen und „diese Frage zugleich aus dem Gebiet der Erkenntnistheorie" herausweisen.81 Bousset unterscheidet also die friessche Vernunftkritik, die rein vernunftimmanent die apriorischen Elemente der Erkenntnis untersucht, von der letzten Überzeugung, daß diese apriorische Erkenntnis wirklich das Sein der Dinge an sich erfaßt. Diese Überzeugung vertritt Fries, daran besteht kein Zweifel. Er beschreibt sie aber als ein Selbstvertrauen der Vernunft. Dieses Selbstvertrauen kann von der Kritik der Vernunft nicht weiter untersucht, sondern nur akzeptiert werden. Daß also die friessche Kritik der Vernunft „auf Ding-an-sich-Erkenntnis tendiere und die Möglichkeit dieser zu beweisen suche, kann nur der behaupten, der die Frage der Ding-an-sich-Erkenntnis und ihre Beantwortung von Seiten Fries' mit dem Hinweis auf das Selbstvertrauen der Vernunft in unklarer Vermischung in das Gebiet der Kritik hineinbezieht. Aber weder Otto noch Fries betrachteten einen 75 76 77 78 79 80 81

Bornhausen, Wider den Neofriesianismus, 352f. Otto, Kantisch-Fries'sehe, 28, 50. Ebd., 59. Ebd., 81. Ebd. Bousset, Kantisch-Friessche, 485f. Bousset, In Sachen des Neofriesianismus, 144.

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etwaigen Beweis fur die objektive Gültigkeit der Daten der menschlichen Vernunft als ein Geschäft der Kritik."82 Wenn Bousset das Verbleiben in der Bewußtseinsimmanenz betont, wird nochmals der vielkritisierte Schluß von der Apriorität auf die Idealität wichtig. Bousset vermutet, daß es vielen Theologen gerade deshalb schwerfalle, die völlige Einschränkung auf das Bewußtsein zu akzeptieren, weil sie (wie Kant) der Ansicht seien, „weil etwas nur im Bewußtsein vorhanden sei, so sei es eben auch nur subjektiv und entspreche keinem Objekt". Dagegen setzt Bousset nun die Widerlegung jenes Schlusses und eröffnet die Möglichkeit, unsere unmittelbare Erkenntnis „als etwas Gegebenes, als Gnade und Gabe" eines „Gesetzgebers)" zu begreifen.83 Hier wird deutlich, daß, obwohl die unmittelbare Erkenntnis des Menschen lediglich innerhalb des Bewußtseins entsteht, wir doch berechtigte Hofihung haben, von Gott mit den richtigen Gaben, also mit Ideen ausgestattet zu sein, die dem Sein entsprechen.84 Sind mit diesen Erklärungen von Bousset die Anfragen Bornhausens an den Neofriesianismus hinreichend beantwortet? Wohl kaum. Bornhausen weist in seiner kurzen „Duplik des Kritikers" nochmals darauf hin, daß Bousset „den tiefen Gegensatz fast ganz (...) vergessen" mache, „der tatsächlich zwischen Fries' und Kants Erkenntnisauffassung besteht."85 Auch ihm gelingt es dann allerdings in den wenigen folgenden Zeilen nicht, diesen Gegensatz prägnant zusammenzufassen. Dieser muß, wie bereits oben dargestellt, in der grundsätzlich unterschiedlichen Richtung des Fragens gesehen werden. Kant ging von der Erfahrung aus und fragte, ob denn synthetische Urteile auch a priori möglich seien. Seine Antwort war flir den Bereich möglicher Erfahrung positiv, für jede Metaphysik allerdings negativ. Damit verwehrte er der menschlichen Vernunft das Recht, über den Bereich möglicher Erfahrung hinaus etwas zu wissen. Fries dagegen beginnt mit der fundamentalen Unterscheidung zwischen unmittelbarer (transzendentaler) und mittelbarer (empirischer) Wahrheit. Die von der Vernunft als wahr gewußten Ideen liefern dann den Maßstab, um den Bereich der möglichen Erfahrung als ein Wissen niederer Ordnung zu entlarven. Während also bei Kant die Ideen ein bloßes Gedankending bleiben, sind sie bei Fries das sichere Fundament zur Beurteilung des Seins. Die Beantwortung der Wahrheitsfrage bleibt zwar - um mit Bousset zu argumentieren - auch auf die Selbstgewißheit 82 Ebd., 152. Vgl die Darstellung bei Paus, Erkenntnisgrund, 74: Die friessche Philosophie beabsichtigt, „den tatsächlich gegebenen Erkenntnisschatz im Bewußtsein analytisch festzustellen und ihn als ein zwar dunkles, so doch als wirklich aufgefaßtes reales .Objekt' durch Reflexion wiederzuerkennen. Die Gültigkeit einer solchen Erkenntnis leuchtet auf im Wahrheitsgefühl." 83 Bousset, Kantisch-Friessche, 485. 84 Der Rekurs auf den Schluß von der Apriorität auf die Idealität zeigt hier deutlich, daß Bousset „ideal" im Sinne von „nicht real außerhalb des Bewußtseins" versteht. Es ist aber zu betonen, daß der Begriff bei Kant allein im Sinne von „nur auf Erscheinungen zu beziehen" gemeint ist. Das heißt, daß von den Dingen an sich wirklich nichts, auch nicht die Verneinung einer Realität, ausgesagt wird. 85 Bornhausen, Duplik des Kritikers, 162.

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der Vernunft angewiesen. Dennoch ist sich hier die Vernunft gewiß, die Wahrheit zu besitzen. Die von Kant verworfene theologia rationalis ist wieder möglich. Bei Kant selbst hingegen ist die Vernunft sich dieser religiösen Ideen nicht gewiß, im Gegenteil, sie entlarvt ihre eigenen Ideen als transzendentalen Schein. 4.3.5

Konsequenzen für den Kultusbegriff

Kann im Kultus die Begegnung Gottes mit dem Menschen, kann Gotteserkenntnis des Menschen stattfinden? Dies war die Ausgangsfrage, mit der an die friessche Philosophie herangetreten wurde. Gewinnen Bousset und Otto philosophische Kriterien, um über den Wahrheitsgehalt dessen zu urteilen, das im Kultus geschehen oder erlebt werden soll? Zunächst ist festzuhalten, daß der Kern jeder Religion, die religiösen Ideen, apriorisch in der Vernunft bereitliegt. Der Kultus als Teil der jeweiligen tatsächlichen Religion kann also diese Grundwahrheit bestenfalls mit Leben füllen, aktualisieren oder ausgestalten. Die Wahrheit wird also im Kultus nicht mitgeteilt, sondern bewußtgemacht. Dieser Grundsatz muß auch angewandt werden auf die Erfahrung des Gläubigen von der Präsenz des Göttlichen im Kultus, wie sie die Religionspsychologie beschrieb. Bousset nimmt hier eindeutig Stellung, wenn er die friessche Philosophie gegen alle „Mystik" ins Feld fuhrt. Die Behauptung der Möglichkeit eines direkten Kontaktes der Seele mit Gott fuhrt nach Bousset hinter „den gesamten kritischen Ertrag der Kant-Friesschen Philosophie" zurück.86 Auch die Mystik im Sinne eines „unmittelbare(n) Eintreten(s) der wesenhaften Gottheit in die Seele" muß mit Fries abgelehnt werden. Warum? Das Ewige ist uns nur gegeben in der unmittelbaren Erkenntnis der Vernunft, eine Beziehung zur raum-zeitlichen Welt können wir herstellen nur durch die „Ahndung", welche in dieser das Abbild jenes Ewigen erblickt. Wir haben Gott nur „in seinen Wirkungen, mittelbar, in den Erscheinungen, mit denen er uns umgibt"; die Religion „lebt von Symbolen und nicht vom adäquaten Wissen, von den Gefühlen des Glaubens und nicht vom Schauen". Als Beleg für diese Verneinung des direkten Kontaktes mit Gott wird sowohl das Bild vom Spiegel aus 1. Kor. 13 als auch Luthers Aussage, „dass wir Gott nur haben vestitus verbo suo", angeführt.87 Mit seiner Kritik an einer im Sinne des Schwärmertums verstandenen Mystik kann sich Bousset sicherlich auf Luther berufen. Allerdings übersieht er, daß Luther, wenn er von der Begegnung mit Gott in seinem Wort sprach, eine wirkliche Begegnung mit Gott, der vom Bewußtsein des Menschen unterschieden ist, im Blick hatte. Diese Begegnung ist wohl an das verbum visibile und an das verbum invisibile gebunden, sprengt aber dennoch die Grenzen der allein im Bewußtsein des Angeredeten vorhandenen Wahrheit. Das Wort ist nicht Symbol, sondern die Gegenwart Gottes selbst, die wirkt, was das Wort verheißt. 86 87

Bousset, Kantisch-Friessche, 485. Ebd., 486, ein Beleg für das Lutherwort wird nicht gegeben.

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Bousset kann Luther hier nicht folgen. Alles, was der Mensch von der Ewigkeit braucht, ist in seiner Vernunft schon da. Der Kultus wird hier nur Symbole zur Vergegenwärtigung des Vernunftbesitzes bereitstellen. Die Erfahrung von der Präsenz des Göttlichen, die die Religionspsychologie als für das religiöse Erlebnis wesentlich herausgestellt hatte, muß also von Bousset entweder als Täuschung bezeichnet oder aber im Sinne eines Angerührtseins von Symbolen der Göttlichkeit, als neues Aufflammen der friesschen „Ahndung" gedeutet werden. Anders ausgedrückt: Das, was mit dem Begriff der Offenbarung bezeichnet wird, also das Eintreten der gerade von aller menschlichen Erkenntnis unterschiedenen Wahrheit Gottes in das Bewußtsein des Menschen, kann es bei Bousset nicht geben. Auch für den Kultus gilt also - um nochmals die kantische Formulierung aufzugreifen - : Nicht theologia revelata, sondern ausschließlich theologia rationalis ist hier möglich. Wernle hat dieses Verbleiben innerhalb der menschlichen Vernunft Bousset vorgeworfen und darauf hingewiesen, daß die friesschen Ideen niemals die lebendige Religion begründen können. Mit Fries „kommen wir keinen Augenblick aus unsrer Vernunft heraus zum wirklichen Gott, der mehr ist als unser Gedanke. (...) Es ist gar nicht Gott, es sind unsre Ideen, (...) die wir fühlen und ahnen."88 Ist dies richtig, fährt Wernle fort, so sind diese Ideen entweder allein „menschliche Gedanken über Gott (. ..), aber keine Bezeugung eines Objektiven, das abgesehen von unsrer kleinen Vernunft feststünde", oder aber „die menschliche Vernunft erfaßt sich selbst als die absolute Vernunft, ihr Denken ist das Denken Gottes selber".89 Beide Ergebnisse hält Wernle fur unhaltbar. Deshalb muß der Obersatz von der Identifizierung der Religion mit jenen Ideen aufgegeben werden. Religion muß eben doch beruhen „auf einem Erleben von einem von außen oder innen auf unsre Vernunft einwirkenden Gott".90 Bousset versucht, diesem Vorwurf mit der Unterscheidung von „wissenschaftliche^) Betrachtungsweise" und „naive(r) und einfache(r) Aussprache" des „Glaubensbedürfhisses"91 zu begegnen: Diese drückt das jeweilige religiöse Erlebnis als unmittelbare Begegnung mit dem Göttlichen aus, jene jedoch dient der „nachträglichen intellektuellen Vergewisserung" des Erlebten.92 Denn die Gewißheit der Berechtigung des religiösen Erlebnisses kann nicht selbst in diesem liegen, sondern nur im Aufweis der „ewigen Ideen des religiösen Lebens"

88 Wernle, Brief an Bousset vom 5.9.1909, S. 8, UB Göttingen (unveröffentlicht). Wernle bemerkt im Eifer dieser Auseinandersetzung, der Gedanke von der Selbstgesetzgebung der Vernunft scheine ihm im Bereich der Religion, „um es grob zu sagen, auf einen Unsinn a priori hinauszulaufen" (ebd.). 89 Ebd., S. 9. 90 Ebd., S. 10. 91 Bousset, Brief an Wernle, ohne Datum (Antwort auf Wernles Brief vom 5.9.1909), S. 5, UB Göttingen (unveröffentlicht). 92 Bousset, Brief an Wernle vom 19.10.1910, S. 3, UB Göttingen (unveröffentlicht).

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als notwendige Vernunftelemente.93 Erst der Aufweis der Ideen verbürgt also die Berechtigung der Religion überhaupt. Gleichzeitig aber zeigt der Rückgang auf die Ideen, daß „religiöse Mystik" unmöglich ist, daß wir Gott nur „im Abglanz seines Wesens, in gebrochenen Strahlen" haben.94 Die intellektuelle Vergewisserung wird so doch zur Depotenzierung der vermeintlichen Begegnung mit Gott. Deutlich wird diese Konsequenz auch bei Rudolf Otto, und zwar erstaunlicherweise in seinem von der Religionspsychologie ausgehenden Werk über das Heilige. Erstaunlicherweise deshalb, weil gerade dieses Werk Ottos die Erfahrung der Gegenwart des Heiligen als des vom religiösen Menschen Unterschiedenen betont. Nachdem „das Heilige" zunächst in verschiedenen Aspekten als im religiösen Erlebnis begegnende Macht geschildert wurde, versucht Otto ab dem sechzehnten Kapitel das Heilige als „Kategorie rein α priori" zu beschreiben.95 Otto schildert das Aufbrechen des Gefühls des Numinosen aus dem „Seelengrund", einem „verborgenen selbständigen Quell von Vörstellungs- und Gefuhls-bildung (,) der unabhängig von Sinneserfahrung im Gemüte selber liegt".96 Dann aber kommt er im zwanzigsten Kapitel zu der für einen religionspsychologisch forschenden Theologen entscheidenden Frage, ob man vom Heiligen nur „Ideen haben oder es als ein Wirkendes, Waltendes, wirkend in Erscheinung Tretendes auch gewahr werden und vernehmen" kann.97 Zur Beantwortung dieser entscheidenden Frage definiert Otto dann ein menschliches Vermögen der „Divination", das ermöglicht, „das Heilige in der Erscheinung echt zu erkennen und anzuerkennen".98 Dieses Vermögen wird in der „dogmatischen Sprache" auch das „testimonium spiritus sancti internum" genannt.99 Es ist „psychologisch zu erörtern", nachdem es schon von Schleiermacher und Fries entdeckt worden ist.100 Diese Kraft der Divination ist eine apriorische Fähigkeit des Menschen, also gerade nicht Wirkung des vom menschlichen Geist unterschiedenen Geistes Gottes. Dies wird deutlich, wenn Otto als Beispiel fur Divination im Urchristentum das Messiasbekenntnis des Petrus anfuhrt. Der Hinweis Jesu auf die Offenbarung des Vaters, die aus diesem Bekenntnis spreche, sei Ausdruck des Staunens Jesu über die Entdeckung'' des Petrus, die sich aus dem Eindruck Jesu in Verbindung mit dem „entgegenkommenden Zeugnis von innen her" ergab. Letzteres aber ist „in Wahrheit gamichts anderes (...) als die notwendige Veranlagung für das Erlebnis des Heiligen(,) nämlich die im Geiste angelegte Kategorie des Heiligen selber als dunkle Erkenntnis a priori". Um dies zu unterstrei93 Bousset, Brief an Wernle ohne Datum (Antwort auf Wernles Brief vom 5.9.1909), S. 8, ÜB Göttingen (unveröffentlicht). 94 Ebd. 95 Otto, Das Heilige, 137. Die Hervorhebung hier und im Folgenden jeweils von Otto. 96 Ebd., 139. 97 Ebd., 172. 98 Ebd., 173. 99 Ebd., 174. 100 Ebd., 175.

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chen, zitiert Otto Luther mit dem Ausspruch: „Nemo audit verbum nisi spiritu intus docente."101 Der Heilige Geist wird hier, ganz gegen die Intention Luthers, mit einer apriorischen Möglichkeit des Menschen identifiziert. Da das entscheidende Moment einer divinatorischen Erkenntnis des Heiligen gerade diese Zuordnung einer ,ßedeutung"102 zu dem in Frage stehenden Objekte ist, schrumpft die Offenbarung zu einer Anwendung apriorischer Erkenntnisse auf zufällige Gelegenheiten. Allerdings will Otto zwischen „Zeichen im echten Sinne" und bloßen „Gelegenheits-ursachen für das religiöse Gefühl (,) sich aus sich selbst zu regen", unterscheiden.103 Das echte Zeichen wird nicht fälschlicherweise als „Heiliges" gedeutet, sondern es findet eine echte „Anamnesis" statt. Aber diese Erinnerung ist eben nur möglich durch die „kategoriale(n) Anlage des Heiligen im Gemüte selber".104 Das Urteil über die Heiligkeit des Begegnenden spricht also ein Vermögen der Vernunft selbst.105 101

Ebd., 187f (Hervorhebung im Original). Das Lutherzitat wird nicht belegt. Ebd., 188. 103 Ebd., 172. 104 Ebd., 189. - Zur Bedeutung einer „kultische(n) anamnesis" (sic) vgl.: Otto, Sakrament, 106f (Hervorhebungen im Original): „Eine Sache ,feiern', sie kultisch ,begehen', heißt nicht bloß: erinnernd auf sie zurückblicken sondern heißt sie gegenwärtig haben, zugleich aber so, daß nicht wir uns etwas vergegenwärtigen sondern so, daß das Objekt der Feier durch sich selbst uns gegenwärtig wird." 105 Offen bliebe noch die Frage, ob das Heilige auch unabhängig von dieser Wertung der Vernunft als Heiliges existiert. Diese Frage ist bei Otto zu bejahen. Allerdings kann er dieses „Objekt außer mir" (Das Heilige, 11) mit seiner Theorie nicht als solches aufweisen, da es eben nur ein gefühltes und als objektives bewertetes Heiliges ist. Auf diese Schwierigkeit hat F. Wagner deutlich hingewiesen (Religion, 311f): „(E)s gelingt ihm [=Otto] nicht, die Behauptung einzulösen, das Numinose sei objektiv, d.h. außer dem fühlenden Subjekt, gegeben; diese Behauptung ist blanke Versicherung. Denn das Numinose ist allein so gegeben, wie es im fühlenden Subjekt zutage tritt. (...) Ist das Numinose bloß so gegeben, wie es vom religiösen Subjekt gefühlt wird, so stehen Otto zunächst einmal keine Argumente zur Verfugung, um den Einwand zu entkräften, das gefühlte Numinose sei bloß ein vom fühlenden Subjekt eingebildetes Numinoses." So hat sich auch schon Bultmann in scharfen Worten gegen die Identifizierung von Numinosem und Gott bei Otto gewandt: „Soll mit dem Numinosen mehr bezeichnet werden als eben das Innewerden des Rätsels unserer Existenz, so ist das Nichthaben zum Haben erklärt und Gott mit dem Teufel verwechselt worden. Im Numinosen wird der Mensch nicht Gottes, sondern seiner selbst inne; und er betrügt sich, wenn er das Unheimliche für Gott ausgibt" (Bultmann, Theologische Enzyklopädie, 81; zitiert bei Lattke, Bultmann, 357). - Nun versucht Pfleiderer (Theologie, 135-139), die „Divination" bei Otto als „vermittelt durch die im Seelengrund sich ereignende Selbstoffenbarung des Numinosen" zu interpretieren (ebd., 136). Obwohl „das religiöse Apriori (...) als produktive Leistung einer nichtsinnlichen Vernunft oder des Geistes bestimmt" werde, „implizier(e) das nicht, daß die religiöse Vernunft bei Otto im Sinne Kants als eine diese nichtsinnlichen Gehalte spontan aus sich selbst heraus hervorbringende gedacht würde" (ebd.). Es ist offensichtlich richtig, daß Otto von der realen Präsenz des Göttlichen im religiösen Erlebnis ausgeht. Insofern ist dieses Heilige nicht die Produktion des Menschen. Dennoch muß festgehalten werden, daß die Erkenntnis des Heiligen als Heiliges, also die Divination, allein möglich ist aufgrund der „kategorialen Anlage des Heiligen im Gemüte selber" (Otto, Das Heilige, 189). Insofern bleibt auch Otto wie Bousset in den Grenzen des menschlichen Bewußtseins: Der Religiöse erkennt, 102

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Auch bei dem Objekte christlicher Divination schlechthin, der Person und dem Werk Jesu Christi, erschließt sich das Göttliche allein durch die Anwendung der dem Menschen zur Verfügung stehenden Maßstäbe. So kann bei der Kontemplation über das Geschehen von Golgatha „nach Maßstäben von innen her (...) die ,Anschauung des Ewigen im Zeitlichen' in reinem Gefühle erwachsen"; der den Tod Jesu Schauende „muß urteilen, das ist gottmäßig, das ist das Heilige." Dieses Urteil ergibt sich „aus reinem unauflöslichem Wahrheitsgefühl", aus „echter Divination als religiöser Intuition".106 Die Anwendung der neofriesianischen Philosophie auf die Beurteilung des kultischen Geschehens führt so zu einer Entwertung des Kultus, da dieser nicht mehr, wie der Kultteilnehmer glauben mag, die Begegnung mit dem Göttlichen ermöglicht, sondern nur vergegenwärtigen kann, was immer schon in der Vernunft bereit liegt. Er wird immer nur Form der ewigen Ideen sein.107 Doch damit nicht genug: Wenn durch die apriorischen Ideen der Vernunft Religion konstituiert wird, so lassen sich diese Ideen, sobald sie durch den Religionsphilosophen deutlich erkannt sind, auch zur Regulierung und Beurteilung der je konkreten Religion anwenden. Diese Aufgabe übernimmt die Theologie der jeweiligen Religion. Christliche Theologie - so Bousset - „hat nach dem Maßstab der ihr von der Religionsphilosophie gegebenen allgemeinen Ideen die besondere Ausgestaltung der Religion kritisch zu prüfen, Auswüchse und Wucherungen vorsichtig abzuschneiden, das Wesenliche (sie!) und Notwendige herauszuarbeiten

was er schon weiß. Otto identifiziert das „entgegenkommende Zeugnis von innen her" mit der „notwendige(n) Veranlagung für das Erlebnis des Heiligen", nämlich mit der „im Geiste angelegte(n) Kategorie des Heiligen selber als dunkle Erkenntnis a priori" (ebd., 187f). Dieses selbst ist der „Geist von Innen" (ebd., 188). Gerade diese Identifizierung des göttlichen Geistes mit den menschlichen Möglichkeiten darf in der Deutung Ottos nicht übersehen werden. - Vgl. zu diesem Problem aber auch die erhellenden Ausführungen von Hessen, Das religiöse Phänomen, 36-38, der von einem persönlichen Gespräch mit Otto berichtet. Demnach habe Otto mit dem Terminus „Kategorie a priori" die „Eigenständigkeit der religiösen Wertsphäre" im Sinne der „illuminatio Dei" Augustins betonen wollen (ebd., 38). Ferner habe Otto in diesem Gespräch von der Korrektur seines „Kantisch-friesschen Ausgangspunkte(s)" gesprochen (ebd.). 106 Otto, Das Heilige, 197. 107 Vgl. Bousset, Brief an Wernle vom 6.6.1909, S. 14, ÜB Göttingen (unveröffentlicht): Das Christentum ist ein „Kultverein, der sich um den Gott-Heros Christus sammelt. Von hier aus ist Gottesdienst, Verfassung, Sakramentswesen zu erfassen. Dann gilt es das ewig Wertvolle, das sich in diesen vergänglichen Formen auswirkt, zu erfassen und darzustellen". - Die Entwertung des Kultischen als Folge der philosophischen Option gilt in dieser Weise besonders für Bousset. Otto dagegen hat sich, vor allem in späteren Arbeiten, dem kultischen Aspekt des Religiösen verstärkt zugewandt. In diesen Arbeiten scheint der Gedanke einer „kulüsche(n) anamnesis" (Sakrament, 107) wie auch einer „effektive(n) Repräsentation" (Reich Gottes und Menschensohn, 242) mehr zu meinen als die bloße Form einer ewigen Vernunftidee. Es wäre zu untersuchen, ob diese Gedanken Ottos mit einer Abwendung vom Friesianismus einhergehen.

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und die religiöse Praxis und Überlieferung bewußt zu regulieren".108 Der Kultus wird also nicht nur seines Offenbarungscharakters entledigt, sondern erfährt anhand des Maßstabes der vernünftigen Ideen regulierende Änderungen.109 Man wird festhalten müssen, daß der gegen Kant unternommene Versuch einer Sicherung der Religion in den apriorischen Ideen der Vernunft nur auf Kosten der Entwertung des Kultus geschehen konnte. Es zeigt sich hier vor allem in der Theologie Boussets eine schmerzliche Aporie. Der Kultus, der doch als das Unreflektierte und darum Ursprüngliche der Religion besondere Beachtung fand, kann nun doch nicht mehr sein als die Form ewiger menschlicher Vernunftwahrheiten. Bousset zahlt diesen Preis, um den Gottesglauben als vernunftnotwendig erweisen zu können. Doch auch dieses Ziel ist nicht erreicht worden. Denn nur die „Selbstgewißheit der Vernunft" ist es ja, aufgrund derer der Idee Gottes ein Sein zugesprochen wird. Diese Gewißheit kann ihrerseits nur postuliert werden. Kants Entlarvung der Ideen als transzendentaler Schein ist nicht überwunden. Denn nach wie vor steht gegen die Berufung der Vernunft auf sich selbst der Nachweis Kants, daß mit der Behauptung des Seins Gottes die Kategorien der Vernunft übertragen werden auf ein Gebiet jenseits aller Erfahrung, damit aber auf ein Feld, das dem Verfugungsrecht der Vernunft entzogen ist.110

4.4 4.4.1

Ernst Troeltsch

Einleitung: Troeltsch und Bousset im Gespräch

„Deine Position ist (die) eines Rationalismus, dem das Historische mehr oder minder zufällige Annäherungen und Beispiele des An-Sich-Wesen und Giltigen ist. (...) Allein einmal geht damit nun doch die Christlichkeit der Religion verloren. Es ist ein vorübergehender Zufall, der die rationalen Wahrheiten mit der Person Jesu verknüpft (...). Das bedeutet den Verzicht auf Anschluss an die kirchliche Vergangenheit, die Herauslösung einer Vernunftsreligion aus dem überkommenen Christentum und den Verlust aller Mittel, Frömmigkeit, Kult, Phantasie und Gefühl am Konkret-persönlichen zu entwickeln und zu beschäftigen. 108 Bousset, Brief an Wernle ohne Datum (Antwort auf Wernles Brief vom 5.9.1909), S. 9, UB Göttingen (unveröffentlicht; Hervorhebungen: K.L.). 109 Vgl. auch Paus, Erkenntnisgrund, 197, im Blick auf Otto: „Die geschichtlich vorkommenden und aufweisbaren Religionsformen werden daraufhin untersucht, wie sie sich in das Schema der Bewußtseinsstruktur eingliedern lassen, und wieweit sie mit dem Apriori in Übereinstimmung gebracht werden können. (...) Der Weg Ottos geht also vom Bewußtsein aus und führt von ihm aus erst zum Phänomen." 110 Vgl. dazu auch die scharfe Kritik Rudolphs an dem Vorgehen Ottos: Rudolph, Religionsgeschichte, 55-60.

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Macht mich schon das sehr bedenklich, so kommt dazu die Fraglichkeit einer solchen Vernunftreligion an und für sich. Speist man sie nicht aus den Eindrükken des konkreten Lebens und verweist man sie auf die Steigerung des Allgemeingiltigen, so endet man bei Formalismen, so bekommt man allgemeine Gesetze an Stelle einer lebendigen Gottheit. Das aber ist eine Verkehrung des Eigentlich-Religiösen." 111 Mit diesen Überlegungen geht Troeltsch auf den Aufsatz Boussets über die kantisch-friessche Philosophie ein. Bousset hatte sich darin deutlich von bisherigen Publikationen Troeltschs zum Thema der Religion abgesetzt. 112 Zwei Hauptbedenken waren es, die Bousset den Ausführungen Troeltschs entgegengestellt hatte. Zunächst kritisierte er das von Troeltsch favorisierte Programm eines „immanenten Rationalismus", der von einem absoluten Rationalismus wohl zu unterscheiden ist. Dieser entspricht der neofriesianischen Position, nach der das religiöse Apriori in der Vernunft allein gefunden und so als Maßstab an alle tatsächlichen, positiven Religionen angelegt werden kann. Der Begriff des immanenten Rationalismus dagegen bezeichnet „den Versuch, aus der Fülle der Erscheinungen, die es gilt möglichst vollständig zu überschauen, allmählich die allgemeingültigen apriorischen Elemente herauszuschälen". 113 Bousset hält dieses Verfahren für unmöglich. Troeltsch antwortet darauf mit der obigen Kritik an der neofriesianischen Lösung, gibt aber zu: „Du hast den springenden Punkt ganz richtig erkannt. Ich bleibe historisch-psychologisch beeinflusst - kann aus dem Historischen nicht heraus, weil ich zu einem entschlossenen inhaltlichen Rationalismus nicht den Mut finde d.h. ihn nicht als den Sachverhalt wirklich entscheidend anerkennen kann." Mit diesem Zug zum Historischen, Individuellen - der ja ein wesentliches Element der religionsgeschichtlichen Schule darstellt - ergibt sich für Troeltsch auch das starke Interesse an der religiösen Erfahrung, an der erlebten Nähe der Gottheit. Dies ist der zweite Punkt, an dem Boussets Kritik einsetzt. „Neuerdings hat gerade Troeltsch sehr stark das mystische Erlebnis in der Religion betont, die unmittelbare Berührung der Seele mit Gott (...). Von hier aus ist er zu der ihn vielfach beschäftigenden Fragestellung gekommen, wie sich von der kritisch-idealistischen Philosophie aus die durchgehende Bewusstseinsimmanenz aufheben und überwinden lasse, d.h. wie man sich das Hineinragen göttlichen Lebens in das menschliche Diesseits denkmässig gegenständlich machen könne. (...) Ich halte die Wege, die hier eingeschlagen werden, nach beiden Seiten hin für bedenklich, sowohl nach der erkenntnistheoretischen wie auch nach der religiösen Seite."114 Bousset entwickelt daraufhin seine von Fries bestimmte Kritik an der Mystik, die oben bereits dargestellt wurde.

111

Brief Troeltschs an Bousset vom 14.12.1909, in: Dinkler-von Schubert, Briefe, 46. Bousset erwähnt die folgenden Arbeiten Troeltschs: Rückblick; Geschichtsphilosophie; Psychologie und Erkenntnistheorie. 113 Bousset, Kantisch-Friessche, 431. 114 Ebd., 484f. 112

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Diese beiden Differenzpunkte werden auch in der folgenden Darstellung der Behandlung der erkenntnistheoretischen Frage durch Troeltsch eine wichtige Rolle spielen. Dabei ist offensichtlich, daß sich hier Religionsphilosophie und Geschichtsphilosophie nicht nur berühren, sondern verschränken und durchdringen. Dies ist für das Werk Troeltschs überhaupt kennzeichnend. Das Schwergewicht liegt jetzt ganz auf der Seite der Religion, während geschichtsphilosophische Fragen im folgenden Kapitel beleuchtet werden. 4.4.2

Das Hauptproblem: Verbindung von Empirismus und Rationalismus

Eine Frage ist es immer wieder, um die das denkerische Ringen Ernst Troeltschs kreist. Es ist die Suche nach der Möglichkeit, konkrete Religion, also empirisch feststellbares religiöses Erleben und apriorisch vorgegebene, als gültig erweisbare religiöse Grundelemente gemeinsam in einer Theorie der Religion zu integrieren. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Versuch der Verbindung apriorischer und empirischer Elemente der Erkenntnis durch Troeltschs Schaffen, nicht allein in seinen religionsphilosophischen Arbeiten, sondern ebenso in seinen geschichtsphilosophischen Studien.115 Es handelt sich bei diesem Problem um zwei sich gegenseitig bedrängende Forderungen, denen Troeltsch beiden glaubt gerecht werden zu müssen. Zum einen muß die Religion dieselbe „Verwirklichungsweise" und „Erzeugungsform" haben wie das ganze übrige geistige Leben.116 Das heißt nichts anderes, als daß sie als Teil des geschichtlichen Ganzen, eingebunden in den kausalen Prozess des kontingenten Geschehens, zu verstehen ist. Andererseits aber erscheint es dem religiösen Bewußtsein „unmöglich, dieses ganze Gebiet lediglich dem Psychologismus zu kausaler Ableitung aus allerhand Schiebungen der psychischen Entwickelung im Zusammenhang mit der Umwelt preiszugeben".1" Zu fordern ist vielmehr für die Religion wie für Ethik, Aesthetik und Erkenntnistheorie das Auffinden eines absoluten Elementes, welches der Kontingenz des Historischen als dessen innerster Kern gegenübersteht. So entsteht der Versuch, „in dem religiösen Bewußtsein das historisch-psychologisch-kausal bedingte und das aus innerer Notwendigkeit schöpfende, produktive und gültige Wahrheit erzeugende Element gleichzeitig

115 Troeltsch hat dies auch mit seiner persönlichen Neigung sowohl zu historischer wie zu systematischer Forschung begründet (ders., Zur Frage, 754). Gleichzeitig aber sieht er in der Frage der Verbindung von geschichtlich-kontingentem Material mit absoluter Gültigkeit das Hauptproblem seiner Zeit, sodaß er von eben dieser Frage eindrücklich sagen kann: „Das allein ist meine Problemstellung, und das ist zugleich, wie ich meine, die Problemstellung der allgemeinen geistigen Situation von heute, die in der Historisierung, Psychologisierung und Relativierung alles Wirklichen ihre Erkenntnistriumphe erlebt, aber eben damit sich den Zugang zu allem Normativen und Objektiven abschneidet und daher von einer steigenden Sehnsucht nach dem Absoluten, und das heißt eben nach Religion, erfüllt ist" (ebd., 755). 116 117

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Troeltsch, Zur Frage, 754f. Ebd., 755.

anzuerkennen, zu unterscheiden und zu verbinden, wie man ein Gleiches auch bei den übrigen Vernunftfunktionen tun muß"." 8 Boussets Lösung, die alles Gewicht auf die apriorische Wahrheit legt und die empirische Realisation nur als Symbol jener Wahrheit deutet, kann Troeltsch nicht zufriedenstellen. Er will das Anliegen der religionsgeschichtlichen Schule durchhalten, das in der Bevorzugung des Konkreten, Empirischen gegenüber aller bloßen Vernunftwahrheit besteht. Allerdings ist die erkenntnistheoretische Untersuchung eo ipso gezwungen, das empirische Material einer Prüfung im Blick auf in der jeweiligen Erfahrung bereits immer enthaltene apriorische Grundkategorien hin zu untersuchen. Deshalb stellt sich die erwähnte Hauptfrage Troeltschs im Sinne einer Verbindung von Empirismus und Rationalismus: „Nur, wenn so beides, der Empirismus und der Rationalismus, die Psychologie und die Erkenntnistheorie, zu seinem Rechte kommt, ist die Religionswissenschaft eine Wissenschaft von der Religion, nicht eine Ersetzung der Religion durch die Wissenschaft und nicht eine Wissenschaft gegen die Religion, auch nicht bloße Beschreibung der Religion ohne Wissenschaft."" 9 Wird aber versucht, die in der Religionspsychologie beschriebenen Erfahrungen sowohl hinsichtlich einer empirisch greifbaren, erfahrbaren Affizierung von außen als auch im Blick auf ein eventuelles religiöses Apriori zu untersuchen, so müssen beide Seiten näher definiert werden: Im Blick auf die von außen kommende Affizierung stellt sich die Frage nach der realen Begegnung mit dem Göttlichen. Auf der anderen Seite muß bestimmt werden, worin denn das religiöse Apriori bestehe, wie es im Erkenntnisprozess mitwirke und, nicht zu vergessen, wie man es denn überhaupt als solches erkennen könne. Entscheidend für die Beschreibung der eigenen Position ist für Troeltsch, wie schon für die Neofriesianer, die Anknüpfung an Immanuel Kant. Troeltsch hat darauf hingewiesen, daß die Religionsphilosophie „noch heute im Prinzip die Wege Kants zu gehen hat".120 Gerade auch in der Verbindung von Empirismus und Rationalismus gilt Kant zunächst als vorbildlich: „Eine solche Synthese des Rationalen und Irrationalen, des Psychologischen und Erkenntnistheoretischen ist nun aber das Grundproblem, das sich die Kantische Lehre gestellt hat, und es 118 Ebd. Die Adjektive „historisch", „psychologisch" und „kausal" sind in diesen Überlegungen Troeltschs oftmals austauschbar, wie schon obige Bindestrichkonstruktion erkennen läßt. Gemeinsam mit den Adjektiven „empirisch", „relativ" und „kontingent" stehen sie für die eine Seite des Problems, für die Tatsächlichkeit in ihrem historischen Gewordensein. Auf der anderen Seite sind die Bezeichnungen „absolut", „notwendig", „normativ", „objektiv" und „apriorisch" zu finden. In ähnlichen Häufungen kann Troeltsch auch das „PsychologischKausal-Tatsächlich-Gegebene(n)" dem „Kritisch-Gültig-Autonom-Notwendigen" gegenüberstellen (Zur Frage, 759). Als philosophische Schulen stehen sich demgemäß „Empirismus" und „Rationalismus" oder „Piatonismus", „Positivismus" und „Idealismus" gegenüber. Es ist der „Gegensatz zwischen Kant und Hume,,, zwischen Comte und Spencer auf der einen sowie Hegel auf der anderen Seite (vgl. Troeltsch, Wesen der Religion, 455f; ferner ders., Empirismus und Piatonismus.) 119 120

Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 53. Ebd., 26.

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ist die Bedeutung Kants, das Problem in diesem Sinne klar und für immer gestellt zu haben."121 Kant nämlich ist „Empiriker (...), indem er Rationalist ist"; er „hatte den gleich starken Sinn fur die empirisch-tatsächlichen, wie fur die rational-begrifflichen Elemente der menschlichen Erkenntnis und konstruierte die Wissenschaft als einen Ausgleich zwischen beiden".122 Weder geht er den Weg des „spekulativen Rationalismus", der aus einem Begriff analytische Folgerungen zieht und diesen Realität verleiht (Neuplatonismus, Hegel), noch gerät er auf den Irrweg des „regressiven Rationalismus", welcher von der Erfahrung auf den Grund derselben schließt und diesem Schluß wiederum Realität verleiht (Aristoteles, kosmologische und teleologische Argumente). Kant geht den dritten, allein möglichen Weg des „formalen, erfahrungsimmanenten Rationalismus", der in der Erfahrung apriorische Elemente konstatiert. Nur letzterer kann in der Frage nach der Geltung des religiösen Erlebnisses Klarheit bringen. 123 Schon der Titel seines berühmten Vortrages von St. Louis, „Psychologie und Erkenntnistheorie in der Religionswissenschaft", weist mit der Erwähnung eben der Erkenntnistheorie darauf hin, daß hier in den von Kant geschaffenen Bahnen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Erfassung der Religion gesucht wird. Nun hat Troeltsch aber in diesem Vortrag auch von der nötigen Modifizierung der kantischen Religionsphilosophie gesprochen. 124 Demnach ist im Blick auf das zu behandelnde Problem nun auch nach der Umformung kantischer Gedanken durch Troeltsch zu fragen. In spannender und bewegender Weise ringt Troeltsch im zitierten Vortrag mit Kant um eine Lösung des nach wie vor problematischen Zusammenhangs zwischen Erfahrung bzw. Empirie und rationaler, apriorischer Vernunftgeltung. Hier fallen die Entscheidungen fur die Definition der Religion wie auch, wie später zu zeigen sein wird, fur das Verständnis der Geschichte. Zunächst muß, sowohl in der Erkenntnis- wie in der Religionstheorie, Kant gegenüber betont werden, daß die Feststellung der apriorischen Elemente selbst empirisch bedingt ist. Damit greift Troeltsch das vieldiskutierte Problem der Grundlagen der Erkenntnistheorie auf und führt die Lösungsversuche in eine Richtung, die auch Fries eingeschlagen hatte. Die Erkenntnistheorie beruht auf einer Beobachtung der Erkenntnis, ferner auf der Willensentscheidung, das empirisch Gegebene als ein vernünftiges Ganzes verstehen zu wollen.125 Auch für die Religionsphilosophie gilt also, daß „die rationale Reduktion der psychologischen Tatsachen der Religion auf in ihnen waltende allgemeine Bewußtseinsgesetze (...) eine beständig neu aus dem Studium der Wirklichkeit aufzunehmende 121

Ebd., 24. Ebd., 25. 123 Zur Unterscheidung der drei Spielarten des Rationalismus vgl. ebd., 21f; ferner: Troeltsch, Wesen der Religion, 479-485. 124 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 29. 125 Vgl. dazu Elsenhans, Fries und Kant, II, 121: „Es ist also tatsächlich so, was manchen Anhängern der Kantischen Erkenntnistheorie als ein Widerspruch erscheint, daß das Apriorische - mindestens zunächst - a posteriori erkannt wird." 122

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Aufgabe" ist. 126 D i e Erkenntnistheorie der Religion ist erst der z w e i t e Schritt nach einer bereits durchgeführten psychologischen Erforschung der Religion, w i e dies bereits in der Abfolge der oben beschriebenen Teilwissenschaften einer Religionsphilosophie deutlich wurde. 127 Troeltsch schließt sich hier an Erkenntnisse der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus an und setzt diese von den Arbeiten der Marburger Schule ab. Hatte der Marburger Cohen dem Denken allein die Produktion des Seins z u g e schrieben, 128 so w i e s Rickert in seinem Aufsatz „Zwei W e g e der Erkenntnistheorie" 129 auf die zu verbindenden Methoden der Erkenntnistheorie und der Transzendentalpsychologie hin. In diesem Sinne will auch Troeltsch „in dem vorgegebenen Wirklichen (dessen Bestehen nicht erst dem D e n k e n zu verdanken ist) das Notwendigkeitselement (...) entdecken (...) und zum Ausgangspunkt der Gültigkeitsfrage (...) machen." 130 D i e Ergebnisse einer solchen „völlig unbefangenen psychologischen Analyse" zeigen dann sehr bald, daß Kants Auffindung apriorischer Elemente der Religion

126 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 32. Daß letzüich die gesamte chrisüiche Glaubenslehre auf der psychologischen Analyse des Glaubens zu beruhen habe, zeigt Troeltsch in seinem RGG-Artikel über „Glaube": Zunächst gilt es, die „Natur des G[lauben]sgedankens im engeren Sinne (...) psychologisch zu analysieren" (Glaube, 1439), dann hängt alles daran, „ob der so psychologisch anschaulich gemachte G[lauben] auch einen eigenartigen und selbständigen Erkenntniswert hat" (ebd., 1441). 127 Diese von Troeltsch vorgenommene Gründung der Erkenntnistheorie der Religion auf die Religionspsychologie hat besonders F. W. Veauthier hervorgehoben. Er bezeichnet diese Zuordnung als den „erkenntnistheoretischen Neuansatz der religionsphilosophischen Position Troeltschs" (Veauthier, Das religiöse Apriori, 48) und weist zugleich auf die Schwierigkeiten dieses Ansatzes hin: Auch die Psychologie benutzt bereits logische Begriffe, die von einer Geltungsphilosophie zu begründen wären. Insofern gerät Troeltsch in die „ambivalente Position eines logisch inversiven Begründungsaufbaus: Das logisch Vorauszusetzende (der Begriff der Gesetzlichkeit) geht der Entdeckung des Phänomens nicht voran, sondern folgt dieser" (ebd., 47). Es ist allerdings gegen Veauthier zu fragen, ob Troeltsch hier nicht zwischen einer selbstverständlich vorauszusetzenden allgemeinen Logik (als Ermöglichung jeden Denkens) und den erst aus der psychologischen Analyse zu gewinnenden Gesetzen der Religion unterschieden hätte. - Zur Religionspsychologie bei Troeltsch vgl. auch Pfleiderer, Theologie, 5358. 128 „Das Sein ruht nicht in sich selbst, sondern das Denken erst läßt es entstehen" (Cohen, Logik, 28; zitiert bei Veauthier, Das religiöse Apriori, 51). Cohen hatte die erkenntnistheoretische Untersuchung streng von jeder psychologischen Forschung geschieden. Denn die apriorischen Elemente des Bewußtseins sind einer solchen Analyse nicht faßbar, ermöglichen im Gegenteil erst eine solche (vgl. Veauthier, Das religiöse Apriori, 61, mit seinem Hinweis auf Cohen, Kants Theorie, 104). 129 Rickert, Zwei Wege. Auf diese Anlehnung an Rickert weist Veauthier hin, Das religiöse Apriori, 49, 62. 130 Veauthier, Das religiöse Apriori, 51. Vgl. ebd.: „Troeltsch legt seinen eigenen kritizistischen Standpunkt als kritisch-formalen Idealismus aus, dem es nicht um Erzeugung des Seins, sondern allein um die Entdeckung und Erfassung des autonomen Gültigkeitsgesetzes geht."

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allein im ethischen Bereich den Realitäten nicht entspricht.131 Das religiöse Apriori kann nicht einfach ein ethisches Apriori sein. Die Synthese von Rationalismus und Empirismus, die Kant in der Erkenntniskritik vorbildlich durchführte, droht in seiner Religionsphilosophie zugunsten einer allein rationalen, apriorischen Wahrheit zu verschwinden. Troeltsch verlangt, in der Religionsphilosophie ebenso konsequent und damit besser als Kant selbst die Synthese zur Durchführung zu bringen. Das religiöse Apriori ist also nicht etwa ein Vernunftglaube, der ohne empirische Religion existieren könnte. Es ist nicht die abstrakte Wahrheit, die es in Kants Überlegungen zur praktischen Vernunft mit dem kategorischen Imperativ zu werden droht. Wie es aber inhaltlich zu bestimmen ist, muß zunächst die genaue Beobachtung der religiösen Erfahrung zeigen. 4.4.3

Die empirische Seite: Affizierung durch Gott

„Daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, daran ist gar kein Zweifel", hatte Kant in der Einleitung der zweiten Auflage der „Kritik der reinen Vernunft" gesagt. 132 Auch alle Religion beruht auf Erfahrung, setzt Troeltsch schon in seiner ersten größeren Arbeit über die Religion hinzu.133 In diesem Zusammenhang konstruiert er für die religiöse Erfahrung ein der kantischen Lehre vermeintlich paralleles Modell: Bei Kant ergäben die Affizierung der Sinne sowie die Seelentätigkeit des Menschen zusammen das Bild der Sinnenwelt. In der Religion ergebe sich in analoger Weise aus der Berührung der Seele durch Gott sowie der durch diese angeregten Seelentätigkeit die Erfahrung der Gottheit. 134 Damit übernimmt Troeltsch zunächst einmal die kantische Unterscheidung einer Welt der Dinge an sich von der menschlichen Erfahrung dieser Welt. Diese Erfahrung ist durch apriorisch im Menschen bereitliegende Anschauungsformen bzw. Kategorien erst ermöglicht. Für die Religion ergeben sich damit genau die beiden Fragen, die sich auf je ein Element dieser zustandekommenden Erfahrung beziehen: Kann über die Realität Gottes an sich etwas ausgesagt werden? Können die apriorischen Elemente der Gotteserfahrung näher lokalisiert und bestimmt werden? Auf diese beiden Gebiete des Forschens hatte sich auch die Kantkritik Boussets bezogen, wenn sie sowohl mit der Gewinnung der apriori-

131

Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 35. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 45 (= Β 1). 133 Troeltsch, Selbständigkeit, 414. 134 Vgl. Troeltsch, Selbständigkeit, 389: Es handelt sich bei der religiösen Erfahrung um „eine volle Analogie mit der sinnlichen Wahrnehmung" (zitiert auch bei Pfleiderer, Theologie, 60). Veauthier weist auf die ebenso zu ziehende Parallele zur Kritik der praktischen Vernunft hin: Die Frage Troeltschs nach dem „religiösen Apriori" stand „in unmittelbarer Entsprechung zu Kants These, wonach Prinzip der Sittlichkeit nur ein ,reines', das heißt unabhängig von empirischen Prinzipien fungierendes, a priori den Willen bestimmendes Gesetz sein könne. Dabei stellte sich die Frage nach der Vernünftigkeit der Religion in Analogie zur Frage nach der Vernünftigkeit der Moral." (Veauthier, Das religiöse Apriori, 45). 132

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sehen Elemente als auch mit den Aussagen zum Sein Gottes bei Kant nicht einverstanden war. Troeltsch geht nicht den Weg des Neofriesianismus, der mit der Bestreitung einer Wirkung des Dinges an sich im Erkenntnisvorgang auch die direkte Wirkung der Gottheit im religiösen Erlebnis meint leugnen zu können. Er ist an jenem Ding an sich, also im Blick auf das religiöse Erlebnis an Gott oder der Gottheit wesentlich interessiert. In seinem frühen Aufsatz zur Selbständigkeit der Religion behandelt er die Frage, ob die Religion als ein Inhalt der menschlichen Psyche eine Selbsttäuschung sei.135 Zunächst werden sowohl die Position Ludwig Feuerbachs als auch zeitgenössische Postulatentheorien zurückgewiesen. Diese Theorien, nach denen wir aufgrund unserer Bedürfnisse Gott postulieren, können die Existenz der wirklichen Religionen nicht zureichend erklären.136 Es ist vielmehr schon nach dem Woher der in Frage stehenden Bedürfnisse zu forschen. Daraufhin entwikkelt Troeltsch seine eigene Anschauung. Die Religion ist Erfahrung von einem in den menschlichen Bedürfnissen mitgesetzten Objekte, die Gottesvorstellung muß eine „unwillkürliche", eine von außen dem Menschen gegebene sein.137 Diese Überlegungen fuhren Troeltsch zur Postulierung einer „ideale(n) Wahrnehmung oder Erfahrung", einer Erfahrung, die auch unter dem Begriff der „Mystik" begriffen werden kann.'38 Mit diesen Überlegungen ist Troeltsch bereits weit über Kant hinausgegangen. Letzterer hatte ja in der Erkenntnistheorie über das Ding an sich keinerlei positive Aussage gemacht. In der Postulatenlehre der praktischen Vernunft war Gott als notwendiges Postulat eingeführt worden, jedoch ebenfalls mit dem deutlichen Hinweis, daß hier kein Zuwachs an positivem Wissen der reinen Vernunft gegeben sei. Die oben geschilderte Parallelität, die zwischen der Gotteserkenntnis und der Erfahrungserkenntnis behauptet wird, wäre für Kant gerade nicht möglich. Hier, wo die Erkenntnis über den Bereich möglicher Erfahrung (im Sinne Kants) hinaus behauptet wird, ist die kantische Philosophie verlassen. Die „Gotteserfahrung" Troeltschs wäre für Kant keine mögliche Erfahrung, da sie die Anschauungsformen Raum und Zeit wie auch die Kategorien sprengen müßte. Eine solche Erfahrung aber ist dem menschlichen Erkenntnisapparat nicht möglich. Troeltsch ist sich dieser Differenz zu Kant bewußt. Von Dilthey bemerkt er, dieser mache den Fehler einer „kantisierenden Grundanschauung (...), insoferne auch bei ihm das Bewußtsein als der Erzeuger der sinnlichen wie der Idealen Welt erscheint, während es doch ganz überwiegend das Erzeugnis

135

Troeltsch, Selbständigkeit, 397ff. Vgl. ebd. 402-406. Auch Ritsehl und Kaftan werden als Vertreter einer Theorie der Postulate erwähnt (408) - schon hier also die Auseinandersetzung mit der neukantischen Theologie. 137 Ebd., 409. 138 Ebd., 413. 136

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der Einwirkung von beiden ist."139 Mehr noch als Kant muß folglich eine neukantianisch orientierte Theologie kritisiert werden, die nun das Subjekt völlig auf sich stellt und damit wahre Religion unmöglich macht .1"0 Mit diesen Formulierungen gerät Troeltsch freilich in die schwere Problematik der Behauptung eines kausalen Einflusses des Dinges an sich - hier also Gottes - beim Erkenntnisvorgang. Diese Frage, die zu dem in der friesschen Schule aufgenommenen „Jacobischen Einwand"141 fuhrt, hier werde die apriorische Kategorie der Kausalität unzulässigerweise auf Dinge an sich angewandt, ist Troeltsch geläufig. Er hilft sich in diesem Aufsatz mit der Rede von einer „geistigen Kausalität", mit der These, die Zeit selbst sei nicht phänomenal, da nicht nur die Dinge, sondern die Anschauung und Erfahrung selbst nur in ihr möglich seien. Troeltsch zieht also aus dem Einwand Jacobis einen anderen Schluß als Bousset: Die behauptete Kausalität wird nicht, da sie mit der Erkenntnistheorie unvereinbar ist, für unmöglich erklärt, sondern die Theorie wird so modifiziert, daß die Behauptung einer solchen Kausalität möglich werden soll.142 Im Vortrag von St. Louis hat sich Troeltsch der Frage der Phänomenalität der Kausalität nochmals gestellt. Sie fuhrt ihn zu einer grundsätzlichen Abrechnung mit dem kantischen Transzendentalismus. Ausgangspunkt ist die kantische Unterscheidung zwischen empirischem und intelligiblem Ich, nach der das empirische Ich ganz in den Bereich der Phänomenalität gehört, also auch ganz den Gesetzen der Kausalität unterliegt, das intelligible Ich jedoch zur Welt der Dinge an sich zu zählen ist, in der die für die Erfahrung aufgestellten Gesetze nicht anwendbar sind, folglich auch Freiheit möglich sein kann. Kant hatte so versucht, die Idee der Freiheit und der Verantwortlichkeit der Person zu retten. 143 Doch, so fragt Troeltsch, ist nicht Freiheit die Möglichkeit der Veränderung, also eine sich in der Zeit realisierende Möglichkeit? Verfällt sie damit nicht wieder dem Bereich der Phänomenalität, da doch die Zeit nur die Anschauungsform

139 Ebd., 416. So muß auch von Kant in wesentlichen Punkten zu Hegel fortgeschritten werden in der Erkenntnis, daß auch die Religionsgeschichte nur verstanden werden kann als „Selbstmitteilung des göttlichen Geistes" (ebd., 80, vgl. 92). 140 Ebd., 8Iff. Es werden Ritsehl, Windelband und Lipsius genannt. 141 Vgl. dazu Bousset, In Sachen des Neofriesianismus, 147f, mit Bezugnahme auf Jacobi, Hume, 307: „Ich frage, wie ist es möglich, die Voraussetzung von Gegenständen, welche Eindrücke auf unsere Sinne machen, und auf diese Weise Vorstellungen erregen, mit einem Lehrbegriff zu vereinigen, der alle Gründe, worauf diese Voraussetzung sich stützt, zunichte machen will?" Jacobi hat diesen Gedanken schon in der Vorrede dieses Werkes entfaltet und so zugleich „eine Einleitung in des Verfassers sämtliche philosophische Schriften" gegeben (ebd., 3). 142 Vgl. ebd., 86fif. 143 Vgl. Kants Ausführungen zur „Auflösung der kosmologischen Ideen von der Totalitat der Ableitung der Weltbegebenheiten aus ihren Ursachen", Kritik der reinen Vernunft, 4 8 8 506 (= Β 560-586); ferner die Zusammenfassung in: Kritik der praktischen Vernunft, 243 (= A 205f).

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des Menschen ist?144 Dieser Konflikt - so Troeltsch - wird nun besonders in der Religionsphilosophie bedeutungsvoll. Denn Religion will gerade nicht einem kausalen Ablauf, also den Gesetzen der phänomenalen Welt unterliegen. Sie will vielmehr „aus dem intelligiblen Ich stammen vermöge eines irgendwie gearteten Zusammenhangs mit der übersinnlichen Welt".145 Auf der Seite aber des die Religion praktizierenden, phänomenalen Ichs müßte diese kausal ableitbar sein. Wie versucht Troeltsch, diesen Konflikt zu lösen? Die These von der Phänomenalität der Zeit muß dahingehend modifiziert werden, daß nicht alles in der Zeit Geschehende zugleich phänomenal sein muß. Die „autonom rationalen Akte" müssen „ihre eigene intelligible Zeitlichkeit besitzen".146 Das intelligible Ich kann mit diesen Akten in den Bereich des Phänomenalen eingreifen. Indem aber diese beiden Welten ineinander verschränkt sein müssen, wird „die Unterbrechung der kausalen Notwendigkeit und das Eingreifen der autonomen Vernunft in diesen Verlauf behauptet!147 Mit dieser Vermittlung zwischen intelligibler und phänomenaler Welt erreicht Troeltsch, daß auch die Religion „eine Tat der Freiheit und ein Geschenk der Gnade sei, eine das natürlich-phänomenale Seelenleben durchbrechende Wirkung des Übersinnlichen und eine die natürliche Motivation aufhebende Tat der freien Hingebung". 148 Diese Abweichung von der kantischen „Lehre von der doppelten Betrachtungsweise" ist Troeltsch gerade deshalb so wichtig, weil verhindert werden muß, daß es „zur Unterwerfung des Erkenntnistheoretischen unter das Psychologische" kommt. 149 Das würde heißen, daß die vom religiösen Apriori behauptete Gegenwart Gottes in der Seele psychologisch als bloßer Bewußtseinsinhalt des Menschen dargestellt würde. Troeltsch dagegen ist am Sein Gottes, welches das Bewußtsein des Menschen erst begründet, interessiert. 150 144

Es ist gegen Troeltsch zu bedenken, ob hier nicht der Freiheit erst in der Reflexion die Zeitlichkeit beigelegt wird. Die Tat der Freiheit ist uns nur als eine zeitliche vorstellbar, ob sie in der Zeit abläuft, ist damit nicht ausgemacht. 145 Psychologie und Erkenntnistheorie, 38. 146 Ebd., 39. 147 Ebd., 40. 148 Psychologie, 41. Diese Aussagen Troeltschs sind um so wichtiger, als gerade er immer wieder im Anschluß an seinen Aufsatz „Über historische und dogmatische Methode in der Theologie" als der Verkünder einer undurchbrechbaren Kausalkette verstanden wird. Zu der Vereinbarkeit seiner Kriterien der Analogie sowie der Korrelation mit obigen Aussagen, vgl. den folgenden Teil „Religion und Geschichte". 149 Troeltsch, Religionsphilosophie, 150. 150 Vgl zum intelligiblen Ich auch Veauthier, Das religiöse Apriori, 51, 56f. Ferner: Troeltsch, Das Historische, 79: Albert Schweitzer habe in seinem Kantbuch (Schweitzer, Die Religionsphilosophie Kants) „mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Freiheitslehre des radikalen Bösen und der Wiedergeburt über die Prinzipien des ursprünglichen Transscendentalismus weit hinausführt, indem sie trotz aller Verwahrungen Kants Veränderung und damit Geschichte im Gebiet des Intelligiblen lehrt, dessen Zeitlosigkeit Kant mit dem Sündenfall und der Wiedergeburt, dessen Einfachheit er mit der als Entwicklung sich darstellenden empirischen Bekehrung trotz aller Versicherungen nicht zu vereinigen mag." Ferner wird festgestellt, daß auch die kantische „Entwickelungslehre in einer unüberwindlichen Spannung

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Troeltsch zeigt, worum es in dieser Behauptung eines Raumes der freien Tat Gottes und des Menschen letztlich geht: Bei Verlust nämlich dieses Raumes bleibt der Religionsphilosophie nur der Monismus und Pantheismus Spinozas, der das Weltgeschehen als Ganzes, die undurchbrochene Kausalkette als das Sein Gottes definieren muß. Jener Pantheismus, der „immerdar ein Ingredienz der modernen Religionsphilosophie geblieben" ist, „liegt ihr in allen Gliedern und lähmt jede Bewegung." Warum? Weil wirkliche Religion „nur lebendig ist, wenn sie aus dem Weltlauf zu dem von ihm verschiedenen Gott sich erheben und aus ihm Kraft zum Widerstand gegen den bloßen Weltlauf schöpfen kann"!151 Damit aber ist Troeltsch wieder bei dem hier in Frage stehenden, entscheidenden Punkt angekommen: der Behauptung der Gegenwart Gottes als ein vom menschlichen Bewußtsein Unterschiedener. Der kantische Kausalitätsbegriff ist aufgebrochen „und auf die Durchbrechung durch hereinwirkende andersartige Kräfte eingerichtet". Gott kann als Grund des religiösen Erlebnisses gedacht werden, ohne damit selbst Teil der phänomenalen Welt zu werden! Besonders der „Marburger Kant-Schule" mit ihrer Reduktion der Religion in eine Vernunftidee ist damit, so Troeltsch, „die Wurzel ausgebrochen".152 4.4.4

Die rationale Seite: Das religiöse Apriori

4.4.4.1 Definition: Formales Gesetz der Religion Die Erkenntnistheorie versteht Troeltsch als Frage nach der Geltung, nach der Gültigkeit der Erkenntnisse vor dem Forum „allgemeingültige(r), dem Denken oder der Vernunft einwohnende(r), Begriffe". Damit aber ist die Erkenntnistheorie ganz dem „Rationalismus" zugewiesen; sie fußt nicht auf Erfahrung, sondern auf „logische und allgemein-begriffliche Untersuchungen".153 Diese Untersuchungen haben auch noch „heute im Prinzip die Wege Kants zu gehen", nach denen die „Wahrheitsgeltung" der Religion „auf dem rationalen, d.h. dem apriorisch-transszendentalen (sie) Gesetzesgehalt" beruht.154 Der Begriff der „Geltung", den Troeltsch in der erkenntnistheoretischen Untersuchung verwendet, weist hin auf die Anbindung der Analyse an die Arbeiten des südwestdeutschen Neukantianismus. Troeltsch kannte zunächst die Werke des Begründers der Wert- und Geltungsphilosophie, Rudolf Hermann Lotze (1817-1881), auf den ihn schon in Erlangen sein Lehrer Gustav Claß hingewiesen hatte: „Lotze aber wurde zunächst der eigentlich bestimmende Geist. (...) zu der Grundidee der Kritik" stehe, da sie nicht zu vereinigen sei „mit dem streng bewusstseins-immanenten Ausgangspunkt der Kritik, mit ihrer Einschränkung der Zeit auf die Phänomenalität und ihrer blossen Parallelisierung der intelligiblen Freiheit und phänomenalen Kausalität" (ebd., 150). 151 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 41f. 152 Ebd., 42. - So wird auch die Religionspsychologie William James" als vorbildlich dargestellt, da sie „das Eintreten qualitativ selbständiger Erfahrungen nicht von vornherein" ausschließt (ebd., 15). 153 Ebd., 18. 154 Ebd., 26f.

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(I)ch habe seine Bücher in jenen grundlegenden Jahren wieder und wieder gelesen."155 Als Troeltsch dann im Laufe seiner Forschungen „auf die Frage des Uebergangs von psychologischen Beschreibungen und Analysen zu kritischen Untersuchungen über Wert und Wahrheitsgehalt, (...) auf die Probleme des Verhältnisses von psychologischer Analyse zu gültigkeitstheoretischer Anerkennung" gestoßen war, kam er „mit Windelband und Paul Hensel über derartige Untersuchungen zu nahem persönlichen Verhältnis" und wurde auch „von Rikkerts scharfer Logik außerordentlich stark hingerissen und gefördert." 156 So wird es für Troeltsch in Anlehnung an die südwestdeutsche Kantschule zur Aufgabe, „die der religiösen Erfahrung zugrundeliegenden Regeln und Gesetze aufzuweisen und so deren Gültigkeit sicherzustellen."157 Diese Aufgabe fuhrt Troeltsch zu einer Untersuchung des für den religiösen Erkenntnisvorgang angenommenen religiösen Apriori. Es ist symptomatisch, daß Troeltsch eine scharfe Definition des Begriffs „religiöses Apriori" unterließ.158 In einer Auseinandersetzung mit Paul Spieß im Jahre 1909, die für die Frage des religiösen Apriori von besonderer Bedeutung ist, redet Troeltsch im Blick auf seine Verwendung des Terminus „Apriori" davon, auf der Suche nach einer Lösung der Auseinandersetzung zwischen Religionswissenschaft und historischer Forschung zu sein, auf einer Suche, die von wesentlichen Schwierigkeiten begleitet ist.159 Die Rede vom „religiösen Apriori" gibt zunächst nur die Richtung einer möglichen Lösung an, ohne bereits nach allen Seiten hin durchdacht oder abgesichert zu sein. Auf den Einwand von Spieß, das Religiöse sei doch so eindeutig gar nicht festzustellen und von anderen Erscheinungen abzugrenzen, erwidert Troeltsch sehr vage: Man wird „doch glauben, daß es der Analyse gelingen müsse, ein allgemeines Charakteristikum des religiösen Bewußtseinsstandes zu finden. Hier kommt alles auf die konkrete Durchführung an, die ich hier nicht geben kann."160

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Troeltsch, Meine Bücher, 5. Ebd., 8f. 157 So Veauthier, Das religiöse Apriori, 43. Veauthier betont die Übereinstimmung zwischen Rickert und Troeltsch gerade im Blick auf eine zu behauptende atheoretische Gültigkeit. Nicht nur der theoretische Wert, sondern auch die Geltung atheoretischer Vernunftelemente müssen in der Geltungstheorie bedacht werden. Für Troeltsch hieß dies, daß unter dem Begriff des Apriori theoretische und atheoretische Gültigkeiten begriffen werden konnten und so auch das atheoretische religiöse Apriori als geltend erwiesen wurde. Vgl. ebd., 55f. - Zur Auseinadersetzung mit der Wertphilosophie vgl. unten, Β 4: „Geltung und Entwicklung". 158 Darauf weist auch Apfelbacher, Frömmigkeit, 133f, hin: „Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Kritiker Troeltschs viel genauer zu wissen vorgeben, was er unter religiösem apriori' versteht, als er selbst, und zu wenig die Intention, der Troeltsch nachgeht, und die Unfertigkeit der theoretischen Ausführungen beachten." 159 Troeltsch, Zur Frage, 756, 759. Die Auseinandersetzung eröffnete Paul Spieß mit seinem Aufsatz „Zur Frage des religiösen apriori". Troeltsch antwortete noch im selben Jahr mit dem Aufsatz unter demselben Titel. 160 Troeltsch, Zur Frage, 761. 156

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Als „Ausgangspunkt fur die Analyse des rationalen Apriori der Religion" kommt die Erkenntnis zu stehen, nach der die „Religion als die besondere Kategorie oder Form psychischer Zuständlichkeiten, die sich aus der mehr oder minder dunklen Präsenz des Göttlichen in der Seele ergibt", zu gelten hat. Sie ist die „Gegenwarts- und Wirklichkeitsempfindung in Bezug auf Übermenschliches und Unendliches".161 Mit diesen Formulierungen ist die Religion zunächst der Umklammerung der Ethik entzogen worden und in einen eigenen Bereich, den der Begegnung des Menschen mit dem Göttlichen, gestellt worden. Gleichzeitig wird mit diesem Zitat sofort deutlich, daß bei Troeltsch Erkenntnistheorie und Metaphysik der Religion miteinander bedacht werden. Denn das religiöse Apriori ist hier zwar nur eine Form, aber eben die Form eines psychischen Zustandes, der durch die Präsenz des Göttlichen in der Seele erst erzeugt wird. Troeltsch bestimmt nun die Tatsache des „Religion-Habens" als „ein Gesetz des normalen Bewußtseins", das „zum Apriori der Vernunft" gehört.162 Damit also wäre das religiöse Apriori die in der Vernunft immer schon vorliegende Kategorie der Religion selbst, die in der konkreten Religion ihren lebendigen Inhalt empfängt. Das religiöse Apriori ist „das Allgemein-Notwendige" der jeweiligen konkreten Religion.163 Es ist also nicht etwa ein Vernunftglauben, der ohne empirische Religion existieren könnte. Es kann, analog zu den Kategorien der reinen Vernunft, immer nur im Zusammengehen mit konkreten göttlichen Affizierungen der Seele das religiöse Erlebnis ermöglichen. So kann nun jede konkrete Religion oder jedes religiöse Erlebnis als jeweilige „Aktualisierung des religiösen Aprioris" gedeutet werden. Wie verschieden die religiösen Erlebnisse auch sein mögen, immer lassen sich „ganz spezifische(n) und bei aller Verschiedenheit wesentlich gleichartige(n) psychische(n) Erlebnissein) und Zustände(n)" herausschälen, welche auf eben diesen notwendigen Teil der religiösen Erfahrung hinweisen. Dieses je gleiche Element ist die Tatsache, daß Jedesmal irgendwie ein persönliches Gegenwartsverhältnis zum Übersinnlichen stattfindet".164 Das religiöse Apriori scheint nach diesen Aussagen also die im Menschen immer schon vorfindliche Form einer möglichen Begegnung mit Gott zu sein, eine formale Notwendigkeit der Vernunft, die im jeweiligen religiösen Erlebnis konkret wird.165 Ganz deutlich wird dieser formale Charakter des Apriori in ei161

Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 35f. Ebd., 43f. 163 Troeltsch, Zur Frage, 757. Vgl auch die Formulierungen im RGG-Artikel über den Glauben, wo der Begriff des religiösen Apriori nicht benutzt wird, der Sache nach aber konstatiert wird: ,,[I]n der psychologischen Unzerstörbarkeit der Religion" kommt „in der Tat ein rationaler apriorischer Gültigkeitszwang zum Ausdruck" (Glaube, 1442). Auch in der Frage nach der von der Moderne geforderten religiösen Autonomie geht es um den Nachweis, daß „die religiöse Wahrheit im Wesen der Vernunft selbst allgeineingültig wie diese selbst angelegt ist und aus der Vernunft als solcher entnommen werden kann" (ebd., 1450). 162

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Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 46. Vgl. auch die Definition des Aprioribegriffs Troeltschs bei Veauthier, nach der „es sich bei dem Apriori um eine die logische Struktur der Erfahrung wiedergebende Gesetzlichkeit 165

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ner Definition, die Troeltsch in einem Brief an W. Herrmann vornahm: Unter der Theorie des religiösen Apriori versteht Troeltsch demnach die Möglichkeit wissenschaftlicher Erfassung religiöser Vorgänge, „insofern man rein formal am Religiösen einen Gültigkeitscharakter aufweist, der zugleich mit allen anderen gültigen Werten organisch verbunden ist (...). Die inhaltliche Ausgestaltung und Entwicklung des so formal charakterisierten religiösen Lebens ist dann eine Frage für sich, die nur von der Geschichte und der Geschichtsphilosophie her beantwortet werden kann."'66 Der Erweis der „Geltung" der Religion ist dabei nicht zu verwechseln mit einem Beweis der Existenz Gottes. Nur „den Beweis der Vernunftnotwendigkeit der religiösen Ideenbildung, nicht den für eine Existenz des religiösen Objektes an sich selbst" kann die erkenntnistheoretische Untersuchung liefern.167 Dies ergibt sich aus der angestrebten Parallelität der Religionsphilosophie mit der Erkenntnistheorie Kants: Das Ding an sich, dem nun Gott entspricht, wird nicht bewiesen. Bewiesen wird, daß die Erfahrung des Dinges an sich, nun also die Gotteserfahrung, erst ermöglicht wird und in ihrer Form abhängig ist von a priori gegebenen Kategorien - im Falle der Gotteserkenntnis also von dem „religiösen Apriori". Die Frage, „wieweit in dem religiösen Zustand selbst Wahrheitserkenntnis enthalten ist", wird beantwortet durch die „erkenntnistheoretische Einsicht in den geltenden, Wahrheit bewirkenden, Gehalt" eben der „religiösen Zuständigkeiten". 168 Daß Gott ist, daß er jenes religiöse Erlebnis bewirkt, dies kann das religiöse Apriori als gültige Wahrheit lediglich postulieren,169 Inwieweit aber kann sich eine solche Verwendung des Begriffes „Apriori" noch auf Kant berufen? Dies ist die Frage, die auch Spieß an Troeltsch richtet. Troeltsch gibt zu, daß der Begriff des Apriori bei Kant zunächst im Blick auf die theoretische Vernunft gebraucht wird. Nun kenne Kant aber nicht nur dieses

handelt, in der die Geltung von Normen und Regeln begründet ist." (Das religiöse Apriori, 54) 166 Brief an W. Herrmann vom 10.3 .1918, Nachlaß W. Herrmann, UB Marburg, HS 691: 499 (Hervorhebungen im Original), zitiert bei Apfelbacher, Frömmigkeit, 138. - Apfelbacher hat in seiner Monographie diese Nachschrift einer Vorlesung Troeltschs über Religionsphilosophie ausgewertet, die sich im Nachlaß von Gertrud von Le Fort findet (vgl. dazu Apfelbacher, Frömmigkeit, 129). Apfelbacher sagt zusammenfassend, auch aus dieser Vorlesung ergebe sich klar, „daß das religiöse Apriori als ,reine Form' zu verstehen" sei (ebd., 136; die zitierte Formulierung „reine Form" stammt von Troeltschs Schüler H. Süskind, Theologie, 53. Vgl. ferner: Troeltsch, Religionspsychologie, 154: „So ist also auch jedenfalls die Religion ein solches Gesetz der Gestaltung, das aus dem Wesen des Bewußtseins hervorgeht". 167 Troeltsch, Wesen der Religion, 494. 168 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 51 (Hervorhebung K.L.). 169 Vgl. dazu auch ebd., 52: „Woher aber dasjenige kommt, das uns in der Einheit der notwendigen Idee eines Göttlichen und einer tatsächlichen Wirkung und Offenbarung entgegentritt, das vermögen wir nicht zu sagen. Dieses Etwas selbst, sein Kommen und Gehen, sein Dasein oder Nicht-Dasein, das bleibt im letzten Grunde das Geheimnis der Religion."

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Apriori der theoretischen Vernunft, sondern ebenso ein Apriori „der ethischen, der religiösen und der teleologisch-ästhetischen Vernunft."170 Damit kann sich Troeltsch nur auf die kantische „Kritik der praktischen Vernunft" sowie die „Kritik der Urteilskraft" beziehen. In der Tat kennt Kant hier apriorische Gesetze der Vernunft, zum einen das moralische Gesetz in der Form des kategorischen Imperativs, zum anderen das Prinzip der Zweckmäßigkeit. Aber mit diesen apriorischen Gesetzen glaubt Kant das apriorische Vermögen der Vernunft umfassend beschrieben zu haben. Es gibt bei ihm kein spezielles Apriori der Religion. Die Untersuchung über die „Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft" ist gerade keine weitere „Kritik" neben den drei erwähnten, sie sucht also kein weiteres Apriori auf, sondern gibt eine inhaltliche, materiale Bestimmung der Vernunftreligion. Dabei geht sie vom moralischen Gesetz der praktischen Vernunft aus. Schon mit der Einfuhrung eines speziellen religiösen Apriori also geht Troeltsch über Kant hinaus. 4.4.4.2 Herkunft des Apriori: Sein göttliches Wesen Zu dieser Differenz tritt ein weiterer wesentlicher Unterschied, den Troeltsch in der Aufnahme der Kritik von Spieß selbst benennt. Troeltsch will mehr wissen als Kant. Er richtet sein Interesse nicht nur auf die Feststellung eines religiösen Apriori, sondern will auch über dessen Zustandekommen eine Aussage machen, er will von der erkenntnistheoretischen Untersuchung zur metaphysischen Deutung gelangen.171 Sein Blick ist gerichtet auf das jeweilige Ich, das jene apriorischen Gesetze der Vernunft erst hervorbringt. Das Interesse gilt dem metaphysischen „Vernunftkern" „hinter dem Ablauf der Seelennatur".172 Warum? Troeltsch 170

Troeltsch, Zur Frage, 757. Veauthier weist darauf hin, daß Troeltsch „den Übergang von der metaphysischen Religionsbetrachtung zur kritizistischen Philosophie als einen weittragenden ,Paradigmenwechsel' innerhalb der Religionsphilosophie" anerkannt habe (Veauthier, Das religiöse Apriori, 44, unter Hinweis auf Troeltsch, GS II, 191f). Es sei „daher auch konsequent, wenn nunmehr an die Stelle der Frage nach dem Daseinscharakter transzendenter, religiöser .Objekte' die Problematik der Wahrheit und Gültigkeit der Religion bzw. der religiösen Erfahrungserkenntnis" trete (ebd., 44). Insofern vermöge „sich Troeltsch zu einem platonisierenden idealistischen Objektivismus nicht zu entschließen", „das Normativ-Gültige" werde „nicht unter der Perspektive des Fürsichbestehens bzw. einer isolierbaren Objektidealität" gesehen (ebd., 54). Diese Beschreibung trifft allenfalls die isolierte erkenntnistheoretische Untersuchung im Modell Troeltschs. Troeltsch legt aber immer Wert darauf, daß von dort zur Metaphysik der Religion fortgeschritten werden müsse. Dann aber spielen platonische Gedanken eine durchaus wichtige Rolle. Veauthier selbst zitiert so auch Troeltsch mit der Aussage: „Die ,Geltungsphilosophie' mußte irgendwie ein Durchgangspunkt zur Metaphysik sein, die erst aus ihr entwickelt werden kann, jenen einseitigen Subjektivismus aber wieder als bloß vorläufige Ansicht der Sache aufheben muß" (Troeltsch, GS IV, 10; zitiert bei Veauthier, Das religiöse Apriori, 46, Fußnote 12). Veauthier kann dann geradezu von der „den eigentlichen Gehalt des Apriori ausmachende(n) Beziehung des absoluten zum endlichen Geist" sprechen (ebd., 57). 171

172 Troeltsch, Zur Frage, 758. Troeltsch ist sich durchaus bewußt, mit dieser Aussage „über Kant nicht unerheblich" hinauszugehen (ebd.).

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will sich nicht mit dem Geschäft der Kritik zufrieden geben. Kritik heißt, die Welt der Erscheinungen auf in ihr enthaltene apriorische Gesetze der Vernunft hin zu untersuchen. Bleibt man hier stehen, so teilt man die Erscheinungen auf in Zufälliges und Notwendiges, in „Psychologisch-Konkretes" und Apriorisch-Gesetzmäßiges. Diese Zerrissenheit der Welt des Erkennens muß wieder in eine „irrationale(n) Einheit des Lebens"173 überfuhrt werden. Fragt man hier weiter nach dem Zustandekommen des apriorischen Gesetzes sowie nach der möglichen Einheit von Apriori und zufälliger Religion, so kommt man unweigerlich „in das Gebiet der Metaphysik, wie das die nachkantische Spekulation aus sehr guten Gründen getan hat und wie das bis heute unumgänglich ist".174 An dieser Stelle der Überlegungen zum religiösen Apriori schwenkt Troeltsch endgültig und eindeutig von der eingangs aufgenommenen kantischen Fragestellung um zu einer idealistischen Antwort, die in den Bahnen Hegels, Schleiermachers und Leibniz' gesucht wird.175 Die Tatsache des unbedingten apriorischen Gesetzes in der Vernunft läßt sich nur zurückfuhren auf „eine handelnde Gegenwart des absoluten Geistes im endlichen, auf ein Handeln des Universums, wie Schleiermacher sagt, in den individuellen Seeleneinheiten". Und auch die erwünschte Einheit der durch die Kritik zerlegten Welt ist nur so denkbar, daß „eine Trennung im göttlichen Lebensprozesse" angenommen werden muß, bei der der durch Naturzusammenhänge bestimmte endliche Geist durch freie Hingabe an den absoluten Geist wieder zur Einheit mit demselben zurückfindet.176 Das religiöse Apriori ist bei Troeltsch also göttlichen Ursprungs! Wenn Troeltsch am Ende seines Vortrages in St. Louis von der Religion als „Offenbarung und Erleuchtung durch die Gegenwart des göttlichen Lebens in der

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Ebd., 762. Ebd., 764. 175 Vgl. seine Hinweise ebd.. - Troeltsch weist allerdings des öfteren daraufhin, daß Kant selber als Platoniker verstanden werden müsse. Seine Lehre habe „eine metaphysische Position zum Hintergrund, eine modifizierte Monadologie" (ebd. 758f). In seinem Aufsatz „Empirismus und Piatonismus in der Religionsphilosophie" gibt er hierfür die Begründung. Der Piatonismus wolle immer das bloß Tatsächliche „durch den Aufweis eines in ihm waltenden (...) „raüonal-notwendigen Begriffselementes" überwinden (Empirismus und Piatonismus, 367). Dieses will auch die Kantische Philosophie (vgl. ebd., 368). Ähnlich argumentiert Troeltsch an anderer Stelle: Die Religion ist bei Kant zwar an die Ethik angeschlossen. Aber „indem das apriori notwendige Gesetz der praktischen Vernunft den endlichen Geist mit der ,Vernunft überhaupt' verknüpft, ist wenigstens indirekt durch die Vermittelung des Moralischen der platonische Typus behauptet." (ebd., 370). Troeltsch versteht hier unter „Platonismus" also die Erklärung der Welt durch vor aller Erfahrung gültige Gesetze der Vernunft. Diese Vernunft erhält dann göttlichen Charakter. Im klassischen Sinne aber behauptet der Piatonismus die Realität der Ideen, ein Gedanke, den Kant in der Kritik der reinen Vernunft deutlich verworfen, d.h. als der Vernunft nicht zugänglich erwiesen hat. 174

176 Doch auch hier gilt, daß es „vermutlich (...) immer unmöglich bleiben" wird, „dieses Ineinander von Natur und Geist (...) wirklich begreiflich zu machen" (Troeltsch, Zur Frage, 764).

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Seele" spricht, einer Offenbarung, die „aus verborgenen Gründen des unbewußten Lebens" hervorwächst, so ist damit das religiöse Apriori bezeichnet.177 Religion ist also für Troeltsch genau wie für Bousset eine „Bewußtseinstatsache".178 Da aber, und hier liegt die Differenz, das menschliche Bewußtsein mit allen apriorischen Notwendigkeiten „endliche Konkretion des kosmischen Bewußtseins überhaupt ist",179 so erhält auch die Religion direkt Teil an diesem göttlichen Bewußtsein. So kann jetzt - erstaunlich deutlich! - das religiöse Apriori über das im vorherigen dargestellte rein formale Gesetz der Religion hinaus wie folgt beschrieben werden: „Diese Bewußtseinsnotwendigkeit oder dieses apriorische Geistesgesetz der Selbstbeziehung auf ein in der Seele gegenwärtiges Absolutes ist der überall identische Kern der religiösen Phänomene trotz aller ihrer äußerlichen Verschiedenheiten, Zufälligkeiten und Trübungen."180 Dieses religiöse Apriori setzt jetzt die Anwesenheit Gottes in der Seele voraus. Damit ist es nicht mehr eine nur formale Kategorie, die inhaltlich erst gefüllt werden müßte (wie beispielsweise der kategorische Imperativ der praktischen Vernunft). Es setzt vielmehr ein Sein Gottes im Bewußtsein des Menschen voraus. Die „Gegenwart Gottes im menschlichen Geiste"181 muß - so Troeltsch - unbedingt behauptet werden.182 Deshalb unterscheidet Troeltsch das religiöse Apriori nun deutlich von den übrigen apriorischen Bewußtseinsgesetzen und setzt sich von der zunächst gegebenen rein formalen Definition jenes Apriori ab: „Während alle anderen Bewußtseinsgesetze, das Denken, der sittliche Wille, die ästhetische Konzeption Formen sind, zeigt die Religion die Realität, aus der diese Normen fließen und in der sie das tragende Wesen haben." Die „Religion" - der Begriff ist hier offensichtlich im Sinne des „religiösen Aprioris" gebraucht - wird so geradezu zum Zentrum der menschlichen Vernunft, indem sie die „Bekleidung aller dieser Ideale mit metaphysischer Realität" ist!183 Mit diesen Ausführungen ist der ursprüngliche kantische Aprioribegriff, der auch für Troeltsch den Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie bildet, völlig auf den Kopf gestellt. Das Apriori ist keine intelligible Größe mehr, die lediglich mit Affizierungen der Sinne verbunden wird. Indem es das Sein schlechthin, das Sein Gottes in der menschlichen Vernunft voraussetzt, verschmilzt es mit die-

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Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 53. Troeltsch, Empirismus und Piatonismus, 370. 179 Ebd. 180 Ebd, 370f (Hervorhebung K.L.). 181 Ebd., 382. 182 Zu diesem Doppelcharakter des religiösen Apriori vgl. Drescher, Problem, 205-207, besonders 205: „Grundschwierigkeit ist, daß das religiöse Apriori einmal rational-formales Gültigkeitsprinzip, zum anderen irrational-materiales Geschichtsprinzip sein soll - eine Schwierigkeit, die bei dem Troetsch'sehen Ansatz und bei dem, was das religiöse Apriori leisten soll, unauflösbar ist." 183 Troeltsch, Religionsphilosophie, 154f. 178

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sem: Religiöses Apriori und Sein Gottes in der menschlichen Vernunft sind letztlich ein und dasselbe. 4.4.4.3 Auffindung des religiösen Apriori Wie wird sich der Religionsphilosoph des religiösen Apriori bewußt? Aus der Vorordnung der Religionspsychologie vor die Erkenntnistheorie der Religion wird ersichtlich, daß das religiöse Apriori nur durch Analyse der empirisch gegebenen Religion erkannt werden kann. Was also selbst apriorische Gültigkeit besitzt, wird doch nur a posteriori erfaßt. So wird die Frage nach Vorhandensein, Gewinnung und Geltung eines sogenannten „religiösen Apriori" von Troeltsch mit der Frage nach der Geschichte verbunden, indem er fragt, wie die Eruierung eines religiösen Apriori aus den jeweiligen religiösen Erscheinungen möglich ist. Bereits im oben zitierten Dialog mit Bousset wurde deutlich, daß Troeltsch den Blick in die konkrete Geschichte für entscheidend hält. Wie aber ist durch Analyse des Tatsächlichen das Apriori herauszuschälen? Diese Frage stellt auch Spieß an Troeltsch.18'1 Dieser gibt „gerne zu, daß das die eigentliche Schwierigkeit des kritischen Problemansatzes ist."185 Generell läßt sich zwar sagen, daß die Feststellung apriorischer Gesetze „eine Selbsterkenntnis der in der Erfahrung enthaltenen Vernunft durch die sie herausziehende Analyse" ist.186 Man wird jedoch in der jeweiligen Analyse nie ganz sicher sein können, „eine von der psychologischen Genese völlig befreite Herausarbeitung des Vernunftgehaltes" geleistet zu haben.187 Man wird ferner nie sicher sein, alle apriorischen Gesetze vollständig aus der Erfahrung herausgelöst zu haben.188 Wie ist es dann aber möglich, von der Gültigkeit des religiösen Apriori zu reden? Die Gültigkeit des in der Analyse gefundenen Apriori beruht letztlich auf einem Werturteil. Der Urteilende hat ein „Evidenzgefuhl", dem zu folgen er sich willentlich entscheiden muß. 189 So kann Troeltsch die Analyse des Apriori schließlich in folgenden Sätzen zusammenfassen. „Hier bleibt praktisch nichts übrig, als auf Grund ernsthafter Vergleichung, Besinnung und Versenkung den übereinstimmenden Zug in diesen Bildungen sich klar zu machen, sich in ihn einzustellen und die einzelnen Bildungen als Approximationen an ein nur in der allgemeinen Richtung, aber nicht im Ergebnis bekanntes Ziel zu denken. Es ist eine Tat des Willens, nicht der beliebigen Willkür, aber einer besonnenen Entscheidung, die es darauf wagt, das Richtige getroffen zu haben und die an der Möglichkeit einer Deutung des Lebens von diesem Ziel aus ihre indirekte Bestätigung hat."190 184

Spieß, Zur Frage, 209. Troeltsch, Zur Frage, 760. 186 Troeltsch, Psychologie, 30 (zitiert auch bei Veauthier, Das religiöse Apriori, 58). 187 Troeltsch, Zur Frage, 760. 188 Vgl. Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 30f. 189 Troeltsch, Zur Frage, 760. Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines Werturteiles zeigt Troeltsch seine Aufnahme der neukantianischen Wertphilosophie, die schon sein Lehrer Ritsehl rezipiert hatte. Vgl. dazu weiter unten, Β 4: „Geltung und Entwicklung". 190 Ebd. Vergleiche auch die ganz ähnlichen Aussagen in Troeltsch, Historismus, 180f: „Das Evidenzgefuhl ist nichts anderes als das Gefühl, das eine solche gelungene Einstellung 185

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Entscheidend ist nun, daß Troeltsch auch dieses persönliche Evidenzgefühl nochmals metaphysisch untermauert und so auch die Gewinnung des Apriori zum Werk Gottes selbst macht: Die Anerkennung der Gültigkeit ist sicherlich „ausschließliche Schöpfung der Entscheidung aus dem persönlichen Wahrheitsgefuhl", sodaß man von „Subjektivismus" reden muß.191 Doch sofort wird hinzugefugt: Dieser Subjektivismus „ist eine Entscheidung zwar durch das Subjekt, aber keineswegs bloß für das Subjekt. Es ist ein Ergrifferiwerden durch eine Gültigkeit, die zwar nur im persönlichen Gefühl sich durchsetzen kann, die aber eine allgemeine innere Notwendigkeit ist (...). Dieser Subjektivismus steht auf einem metaphysischen Hintergrunde (.. .). Es ist der Hintergrund einer lebendigen Bewegung der Vernunft überhaupt, die in immer neuen Schöpfungen hervorbricht und in deren schaffende Zielrichtung die Seele intuitiv sich versetzen kann (...). In letzter Linie führen diese Gedanken in die Nähe des Neuplatonismus, des Meister Eckardt (sie), einer das reale Werden und die reale Persönlichkeit einschließenden Mystik, für die Gott und das Subjekt zwar als real getrennte Größen, aber doch die Subjekte nur als in Gott handelnd, fühlend, denkend erscheinen,"192 So erhofft Troeltsch sich denn auch von diesem als gültig ergriffenen Apriori, daß es die Religion „aus dem Wirrwarr ihrer Verworrenheiten, Verschmelzungen, Einseitigkeiten, Engen, Wucherungen und Verkehrungen immer wieder auf ihren Grundgehalt und auf ihre organischen Beziehungen zur Gesamtheit des Vernunftlebens" hinweise.193 Der apriorische Kern soll also zugleich die jeweilige Prüfung und Reinigung ermöglichen. Das religiöse Apriori dient dazu, „das Notwendigkeitselement in der empirischen Erscheinung, aber ohne Abstreifiing dieser Anschauung überhaupt, festzustellen und von diesem Element aus Verworrenheiten und Einseitigkeiten der psychischen Lage zu berichtigen, ohne sie begleitet (...) In jedem anerkannten Apriori bleibt ein Stück Wagnis und Tat, ein Ergreifen des sich als notwendige Vernunft darbietenden Gedankens durch einen Willen, der es daraufhin wagt, die Erfahrung nach diesem Gedanken zu ordnen und zu beurteilen." Troeltsch kann den Begriff des „Evidenzgefühls" auch ersetzen durch den der „Intuition". Denn in dieser vollzieht sich „der Übergang von der Selbstbeschränkung des theoretischen Denkens zur Metaphysik" (Manuskript zur Religionsphilosophie, 119; zitiert bei Apfelbacher, Frömmigkeit, 151). 191 Troeltsch, Logos und Mythos, 832. Die Rede vom „Apriori" geht in diesen Zeilen über in die Reflexion über die „Gültigkeit" innerhalb der Erscheinungen der Religion. Im Anschluß an die Wertphilosophie scheint Troeltsch beide Begriffe wechselweise zu benutzen. Man beachte, daß das Apriori dabei seine erste Bedeutung als formale Kategorie der Religion erweitert und das empirisch nie zu verifizierende Ziel der religiösen Entwicklung bedeuten kann (vgl. ebd., 830f). 192 Ebd. (Hervorhebungen: K.L.); vgl. auch die deutliche Bemerkung Troeltschs an einem Brief an W. Hernnann: „Allerdings glaube ich, daß jenes Apriori wie alle anderen theoretischen und atheoretischen Aprioris auf einen Zusammenhang der Einzelvernunft mit der Allvernunft hinweisen, wie ihn etwa Hegel ahnte, ohne daß ich diesen Zusammenhang meinerseits zu konstruieren wagte." (Nachlaß W. Herrmann, UB Marburg, HS 691: 499; zitiert bei Apfelbacher, Frömmigkeit, 138.) 193 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 51.

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selbst zu beseitigen."194 Hier geht die Erkenntnistheorie über in eine geschichtsphilosophische Betrachtung der Religion, in der eine ständige Annäherung des geschichtlichen Stromes der Religionen an ein gültiges Ziel erhofft wird. 4.4.5

Mystik

Der kantische Vorwurf des Mystizismus ist Troeltsch in diesem Zusammenhang bekannt, er wird nicht zurückgewiesen, sondern ausdrücklich bestätigt und für den Gedankengang ausgewertet.195 In der Tat gibt es „ohne diesen Mystizismus (...) die wirkliche Religion nicht"; „in den mystischen Erlebnissen" schlägt „der eigentliche Pulsschlag der Religion"!196 Diese mystischen Erscheinungen dürfen nun nicht auf ihren rationalen Kern als die „reine" Religion zurückgeführt werden, wie dies zum Beispiel Schleiermacher versucht, sondern gerade die „Verschmelzung" von apriorischem Gesetz und jeweiliger empirisch verifizierbarer Anregung verbürgt die wahre Mystik, das lebendige religiöse Erlebnis. In der äußeren Erregung findet dabei die „Offenbarung und Selbstmitteilung der Gottheit" statt.197 Mystik beruht also bei Troeltsch weder allein auf dem apriorischen Teil der Gotteserfahrung, noch allein auf dem Wirken der „Gottheit, die im religiösen Erlebnis nahe ist".198 Mystik ist vielmehr genau die angestrebte Verbindung apriorischer Elemente mit äußeren Anregungen, die erhoffte Verbindung von Empirismus und Piatonismus, ist Gotteserfahrung, vermeintlich ganz im Sinne des kantischen Erfahrungsbegriffes. „Der von der Religionspsychologie als wesentlich erkannte Mystizismus muß seinen Platz finden in der Erkenntnistheorie, und er findet ihn als die psychologische Aktualisierung des religiösen Apriori, in der erst jenes Ineinander von Notwendigem, Rationalem, Gesetzlichem und Tatsächlichem, Psychologischem, Besonderen zustande kommt, das die wirkliche Religion charakterisiert."199 Indem so die Religion wissenschaftlich gedeutet wird, erledigt sich also die Ansicht, nach der das religiöse Erlebnis „eine einfache, die Gottheit abbildende Wirkung des Göttlichen auf die Seele sei, während sie in Wahrheit ein komplexes Ineinander von Menschlichem und Göttlichem ist".200 So geraten Troeltschs Ausführungen in seinem Vortrag von St. Louis zu einer Apologie der Mystik, der Erfahrung der Begegnung mit der Gottheit, einer 194

Ebd., 45. Zur Kritik Kants an der Mystik vgl. Kant, Streit der Facultäten, 321-328 (= A 81-94). 196 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 46f, mit Verweis auf einen nicht näher bezeichneten Brief Kants an Jacobi. Vgl. auch Kants Ausführungen zur „Schwärmerei" (Kant, Religion, 846=B 267): „Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn, in welchem wohl gar auch Methode sein kann". 197 Ebd. 198 Ebd., 51. Man beachte die Selbstverständlichkeit, mit der hier von der Nähe Gottes geredet wird. 199 Ebd., 48. 200 Ebd., 53f. 195

99

Mystik jedoch, die erkenntnistheoretisch abgesichert sein soll durch ihren apriorischen Kern. Deutlich wird, daß der Kontakt mit der Gottheit für Troeltsch in der Beschreibung der Religion geradezu von fundamentaler Bedeutung ist, weshalb er auch immer wieder darauf zurückkommt: Im Zusammenklang von Notwendigem und Tatsächlichem in der Religion „ist die geheimnisvolle Pforte geöffnet, nach welcher alle Religionsphilosophie mit heißem Eifer sucht oder die sie mit ebenso heißem Eifer schließt, die Pforte der Einwirkungen des Göttlichen auf den menschlichen Geist, vermöge deren die religiöse Wahrheit göttliches Geschenk und menschliche Hervorbringung zugleich ist".201 In der Zusammenfassung von „notwendige(r) Idee" des Bewußtseins und „Verlebendigung dieser Idee in bestimmten, sie erregenden Erlebnissen und Vorstellungen" „entsteht das Grundphänomen der Religion, die Empfindung der Gegenwart des Göttlichen in konkreten endlichen Ereignissen und Wirklichkeiten".202 Immer wieder wird dieses Zusammentreffen mit neuen Formulierungen beschrieben, es ist die „Einheit der notwendigen Idee eines Göttlichen und einer tatsächlichen Wirkung und Offenbarung";203 die Religion bleibt „lebendiger Verkehr mit der lebendigen Gottheit".204 Diese Begegnung mit der Gottheit wird von Troeltsch dann folgerichtig als Gnade beschrieben, als Ereignis, das dem Menschen widerfährt. Sogar von Hingabe und Bekehrung kann in diesem Zusammenhang die Rede sein, jedoch so, daß diese Wendung zu Gott eben auch Widerfahrnis, Geschenk ist: Es geschieht „auf Grund eines uns ergreifenden göttlich-schöpferischen Lebens".205 4.4.6

Konsequenzen für den Kultusbegriff

Betrachtet man die bisherigen Ausführungen zum Religionsbegriff bei Troeltsch, so könnte man für den Kultusbegriff durchaus andere Konsequenzen erwarten, als sie sich aus der Position des Neofriesianismus ergaben. Da bei diesem das Bewußtsein gleichsam verriegelt und für direkten Zugang zu Gott nicht eingerichtet ist, bleibt auch dem Kultus allein die Rolle des Symbols, der Anregung der bereits in der Vernunft vorfmdlichen Ideen. Troeltsch jedoch proklamiert, daß „die Pforte der Einwirkungen des Göttlichen auf den menschlichen Geist" geöffnet sei,206 ja, daß die Religion „ein Geschenk der Gnade (...), eine das natürlich-phänomenale Seelenleben durchbrechende Wirkung des Übersinnlichen" darstelle.207

201

Ebd., 49. Ebd., 52. 203 Ebd. 204 Ebd., 53. 205 Troeltsch, Glaubenslehre, 324; zitiert bei Apfelbacher, Frömmigkeit, 154. Zur Auseinandersetzung um Apfelbachers die Mystik in den Mittelpunkt stellenden Troeltsch-Deutung s. unten Β 7: „Spiritualismus". 206 Troeltsch, Psychologie und Erkenntnistheorie, 49. 207 Ebd., 41. 202

100

Diese frappierenden Aussagen könnten vermuten lassen, daß nun gerade der Kultus als das Ereignis jener Begegnung Gottes mit dem Menschen beschrieben würde. Er könnte auf die empirische Seite des mystischen Gottesverhältnisses zu stehen kommen, indem dargestellt würde, wie Gott den Menschen gerade im kultischen Ereignis affiziert. Zu dieser Vermutung würde auch das Anliegen Troeltschs passen, der konkreten, erlebten Religion ihren festen Platz in der wissenschaftlichen Analyse zu sichern, ja, von ihr allein in der religionspsychologischen Beobachtung immer wieder auszugehen. Dieses Bemühen müßte gegenüber der Position Boussets zu einer erheblichen Aufwertung des Kultus fuhren. Es bestünde auf dem bisher vorgetragenen philosophischen Fundament die Möglichkeit, Akte des Kultus zu beschreiben, unter deren Vollzug sich jenes „Geschenk der Gnade" ereignet. Bei einer solchen Argumentation hätte Troeltsch sich auch, wie er dies sonst oft getan hat, explizit auf Hegel berufen können. Denn in der hegelschen Philosophie erhält der Kultus eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Religion, er ist „Genuss(e) der Aneignung der Gegenwärtigkeit Gottes".208 Es ist auffällig, daß bei der häufigen Berufung auf Hegel dieser Aspekt seiner Philosophie von Troeltsch nicht berücksichtigt wurde.209 Zwar hat Troeltsch in seinem ersten großen Aufsatz zur Religion den Kultus zurückgeführt auf den jeweiligen Trieb, das religiöse Erlebnis zu wiederholen.210 Auch bei der Beschreibung der naiven Religion erklärt Troeltsch die Notwendigkeit des Kultus und verknüpft den Kultusbegriff mit dem der Offenbarung: „(E)in Kult findet nur da statt, wo diese Mächte von sich aus eine Offenbarung und Kundgebung von sich gegeben haben, die die Verbindung mit ihnen im Kult eröffnet. (...) Nur soweit dieser Offenbarungsglaube und diese kultische Beziehung starke, einfache und unmittelbare Geltung hat, kann von naiver Religion die Rede sein".211 In diesen Überlegungen zum Kultus betrachtet Troeltsch aber allein die Seite des menschlichen Bewußtseins. Er redet von dem religiösen Gedanken der Offenbarung, dem Wunsch des Religiösen, auf Gott im Kultus einzuwirken, oder von dem sozialen Element, das im Kultus jeder Religion eine entscheidende Rolle spielt. Die Frage nach der realen Gegenwart und dem Wirken Gottes im Kultus unterbleibt. Die im folgenden vorzunehmende Untersu208 Hegel, Philosophie der Religion, Bd. II, 214. Vgl. dazu die Bemerkungen unten, III, 4: Kant und Hegel. 209 Troeltschs Verhältis zu Hegel ist ambivalent. Anerkennung zollt er dem Grundgedanken Hegels, die Geschichte sei als Entfaltung der göttlichen Vernunft zu begreifen (vgl. z.B. Troeltsch, Ueber historische, 747). Abgelehnt wird aber die Konstruktion der Religion als menschliche Denkbewegung, als spekulative Theorie. Hier müssen gegenüber Hegel die bloßen Tatsachen wieder zu ihrem Recht kommen (vgl. Troeltsch, Selbständigkeit, 377f). Das Ziel einer Geschichtsphilosophie der Religion ist mit Hegel festzuhalten, der Weg aber wird statt von einer „deduktive(n) Metaphysik des Absoluten" von einer „Metaphysik des Rückschlusses aus den Tatsachen" geprägt sein (Troeltsch, Wesen der Religion, 495). Vgl. ausführlicher den Abschnitt „Die Hegeische Dialektik" in Troeltsch, Historismus, 243-277. 210 Troeltsch, Selbständigkeit, 424. 211 Troeltsch, Wesen der Religion, 464.

101

chung der geschichtsphilosophischen Entscheidungen der religionsgeschichtlichen Schule wird versuchen, für dieses Unterbleiben eine Erklärung zu finden. Eine echte Alternative zur kantischen Beschreibung der Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft wäre bei der möglichen Aufwertung des Kultus allerdings auch erst dann gegeben, wenn die im Kultus vermittelte Gotteserkenntnis hier deutlich als theologia revelata gekennzeichnet würde. Will Troeltsch die kantische moralische Vernunftreligion durch einen Religionsbegriff ersetzen, bei dem von einer Begegnung mit Gott die Rede ist, so muß deutlich werden, ob es sich hier um eine Alternative zu der von Kant als unmöglich bezeichneten theologia rationalis, ob es sich um eine theologia revelata handelt. Fehlt diese deutliche Kennzeichnung, so geraten die Ausführungen über das Sein Gottes in der menschlichen Vernunft in den Verdacht, doch nur auf jenem Trugschluß der Vernunft selbst zu beruhen, die ihre Ideen fur das Sein Gottes selbst ausgibt.212 Troeltsch hat diese Kennzeichnung nicht vorgenommen. Sie war nicht möglich, weil eine Trennung zwischen göttlicher Offenbarung und Schlüssen der Vernunft für ihn nicht denkbar war. Die Gegenwart Gottes als Offenbarendem sollte ja gerade durch das religiöse Apriori, also durch eine Konstante der menschlichen Vernunft, ermöglicht werden. Eine deutliche Scheidung zwischen Gotteserkenntnis aus Vernunft und Gotteserkenntnis aus Offenbarung war auf diesem Fundament nicht möglich.

212

Natürlich kann auch die theologia revelata unter diesen Verdacht gestellt werden. Indem sie sich aber eindeutig als solche bezeichnet, erhebt sie nicht den Anspruch, ihre Gotteserkenntnis durch Vernunftschlüsse einsichtig zu machen. Sie gibt zum mindesten deutlich zu verstehen, daß sie von einer anderen Quelle der Erkenntnis ausgeht. - Vgl. dazu auch den „Vergleich", den Kant im „Streit der Facultäten" zwischen dem biblischen und dem philosophische Theologen vorschlägt, 311 (= A 64): „(W)enn der biblische Theolog aufhören wird, sich der Vernunft zu seinem Behuf zu bedienen, so wird der philosophische auch aufhören, zu Bestätigung seiner Sätze die Bibel zu gebrauchen."

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Β: Kultus und Geschichte

1. Einleitung „Religion" und „Geschichte" sind die von Gunkel hervorgehobenen Leitbegriffe der religionsgeschichtlichen Schule. Beide sind fur das Verständnis des Kultusbegriffes von grundlegender Bedeutung. Im letzten Kapitel ist untersucht worden, inwieweit die Beschreibung des Kultus als „Außenseite" der Religion die Interpretation des kultischen Geschehens beeinflußt. Im folgenden geht es um die Frage, wie sich die Definition der „Geschichte" auf das Verständnis des Kultus auswirkt. Der Kultus ist in doppelter Weise fest an die Geschichte im Sinne von Geschehenem und Geschehendem, also an den Bereich der Kontingenz, gebunden: Zunächst ist er selbst stets geschichtliches Ereignis. Kultus geschieht, er findet statt zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Damit ist er Teil des geschichtlichen Zusammenhanges. Darüberhinaus wird in bestimmten Kultakten auf geschichtliche Ereignisse zurückgewiesen, indem deren Bedeutung fur den Gläubigen der Gegenwart sichtbar wird. So sind beispielsweise die christlichen Sakramente nach dem Zeugnis des Neuen Testamentes wesentlich an die geschichtlichen Ereignisse des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi gebunden und ohne diese sinnlos. Wird im christlichen Gottesdienst zu Jesus Christus gebetet, so wird ebenfalls eine Person angebetet, die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gelebt hat und damit ebenfalls Anteil hat am Fluß der Geschichte. Will der Theologe Rechenschaft ablegen über die Realität des Kultus, will er beschreiben, was im Kultus geschieht, so muß er auch Auskunft geben über das Wesen der Geschichte. Die Religionsphänomenologie beschreibt, wie oben (I, A 2) deutlich wurde, den Kultus als den Versuch des Menschen, auf Kräfte oder Gottheiten einzuwirken. Die Kulthandlung ist für die Herstellung eines Verhältnisses zwischen Mensch und Gottheit notwendig. Gerade sakramentale Kulthandlungen gelten selbst bereits als die Realisierung der Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch, sodaß von heilstiftenden Handlungen geredet werden kann. Da diese Handlungen in Raum und Zeit geschehen, also Teil des geschichtlichen Flusses sind, kann gefolgert werden, daß im Kultus geschichtlichen Ereignissen heilstiftende Wirkung zugeschrieben wird.

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Nun ist zu beobachten, daß der christliche Kultus als geschichtliche Heilsvermittlung in der religionsgeschichtlichen Schule abgelehnt wird. Im vorhergehenden Kapitel war die Liebe der Religionsgeschichtler zur „konkreten Religion" und die Ablehnung theoretischer Lehrgebäude beschrieben worden. Stellen sich aber die Religionsgeschichtler die Frage nach einer heute möglichen Form der Religionsausübung, so zeigen sie eine erstaunliche Abneigung gegen alles „Kultische" und „Dingliche" in der Religion. Während im Blick auf die Erforschung der christlichen Religion gerade die sogenannte „lebendige Religion" mit ihren Kulten und Riten der abstrahierenden „Theologie" positiv gegenübergestellt wurde, wird im Blick auf eine heute vorzunehmende Wertung eine „ethische Persönlichkeitsreligion" der „kultischen Religion" entgegengehalten. Der Kultus als historisches Phänomen gilt also als mögliches Element lebendiger, unverbildeter Religiosität; die Übernahme der an kultische Handlungen geknüpften Erlösungshoffnung wird aber als dem Ideal einer ethischen Persönlichkeitsreligion widersprechendes dinglich-magisches Mißverständnis verworfen.1 Warum wird diese Alternative überhaupt aufgestellt? Warum lassen sich Kultus und Persönlichkeitsreligion nicht zusammendenken? Und warum wird dann gegen jenen und für diese entschieden? Im Blick auf die Abneigung gegen den Kultus spricht Lüdemann von der „Abwehr gegen den zeitgenössischen Katholizismus".2 Ganz ähnlich vermutet auch Klatt, daß das bei Gunkel zu konstatierende „Vorurteil gegen den Kult" „aus protestantischer Tradition" oder aus „protestantischem Ressentiment" zu erklären sei.3 Diese Erklärung allein vermag jedoch das auffallende Phänomen nicht genügend zu erhellen. Auch in den protestantischen Heimatkirchen der Religionsgeschichtler stehen ja die Sakramente als Heilsmittel in Geltung. Der vermeintliche Protest gegen die katholische Kirche ist also zugleich auch gegen die eigene Tradition gerichtet. Die in der religionsgeschichtlichen Schule vorfindliche Abneigung gegen den Kultus muß vielmehr als nur ein Element der grundsätzlichen Ablehnung geschichtlich-kontingenter Größen als Heilsgeschehen begriffen werden. Diese Ablehnung des Kultus und die Betonung der Erlösung zur Persönlichkeit sind zwei Seiten ein und derselben Sache, nämlich der Verneinung der Möglichkeit kontingenten Heilsgeschehens. Eine Kultreligion fällt dieser Verneinung zum Opfer, während eine die Erlösung als Entwicklung zur Persönlichkeit definierende Frömmigkeit davon offensichtlich unberührt bleibt. Daß das eigentliche Motiv der Ablehnung des Kultus die Verneinung kontingenten Heilsgeschehens ist, wird sich auch dadurch zeigen, daß der Kultus und das stellvertretende Strafleiden Christi gemeinsam abgelehnt werden, eine Tatsache, die durch ein etwaiges protestantisches Ressentiment nicht mehr erklärt werden kann. Ganz richtig fuhrt Klatt aus, daß Gunkel, indem er die „im Grunde geschichtsfeindli1

Dieses Phänomen hat Lüdemann (Wissenschaftsverständnis, 93) im Blick, wenn er von einem „doppelten Religionsbegriff' der Schule spricht: Religion werde „als Sittlichkeit und als historisch-psychologisches Phänomen" aufgefaßt (Hervorhebung im Original). 2 Ebd., 101. 3 Klatt, Gunkel, 191, 250.

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che Position" Harnacks bekämpft, „die theologischen Grundsätze der liberalen Theologie nicht verlassen, sondern nur modifiziert" habe.4 Er beschwöre zwar „den Gott der Geschichte", finde aber letztgültige theologische Kriterien dennoch nur im „nicht aus der Geschichtsbetrachtung ableitbare(n) religiöse(n) Empfinden der Persönlichkeit".5 „Hier, auf dem Boden des persönlichen Lebens, findet die direkte Begegnung mit Gott statt. Damit steht Gunkel ganz nahe bei Harnack, der sagen kann: ,das persönliche höhere Leben und die Ethik sind das einzige Gebiet, auf welchem wir Gott zu begegnen vermögen.'" 6 Eine im Grunde immer noch geschichtsfeindlichen Position, so erstaunlich diese Formulierung auf den ersten Blick gerade für diese Schule auch sein mag, läßt sich nicht nur bei Gunkel, sondern in der religionsgeschichtlichen Schule insgesamt beobachten. Sie läßt sich vielleicht am prägnantesten zusammenfassen in dem kantischen Diktum, wonach das „Historische (...) nur zur Illustration, nicht zur Demonstration" dient7 - ein Satz, auf den sowohl Troeltsch als auch Bousset sich positiv beziehen, dieser sogar insofern, als er sich mit Kant und Lessing gegen die Tendenz der „liberalen Theologie" wendet, die Historie etwa in der Leben-Jesu-Forschung - als Grundlage der Religion anzusehen.8 An diesen Befund schließt sich die erste zu erörternde Frage an: Warum kommt die religionsgeschichtliche Schule zu dieser geschichtsfeindlichen Position, warum wird Heilsgeschehen als geschichtlich lokalisierbares Geschehen abgelehnt? Ferner zeigt sich bei näherem Zusehen, daß in dieser kultfeindlichen Position sowie in der Betonung der Persönlichkeit als Ziel der wahren Religion eine große Affinität zu Kant und dessen schroffer Ablehnung eines sich auf kultische Handlungen verlassenden „Religionswahnes"9 besteht. Es ist erstaunlich, daß die Religionsgeschichtler in der Diskussion um das Wesen der Religion Kant vorwerfen, diese einseitig in das Feld der Ethik zu verweisen, aber in der Definition ihrer eigenen gegenwärtigen Religion ebenso einseitig auf die sittliche Persönlichkeit abheben. Es ging bei diesem Vorwurf offensichtlich um den Versuch, die Religion selbst besser als Kant apriorisch in der Vernunft zu verankern und sie nicht allein auf Moral, sondern auf eine wie auch immer geartete Gottesbeziehung oder Gottessuche zu gründen. Aber obwohl die religionsgeschichtliche Schule meint, die Gottesidee mittels des religiösen Apriori als gewissen Bestandteil der Vernunft erwiesen zu haben, bleibt die der Religion von Kant zugewiesene sittliche Bestimmung auch für jene proklamierte sittliche 4 Ebd., 175. Die Modifikation bestellt darin, daß „er Offenbarung nicht mehr einflächig zusanunendenkt mit dem höheren Leben des Menschen schlechthin, sondern mit den Menschen in der Geschichte" (ebd.). Klatt erwähnt jedoch nicht, daß hier eine Wurzel für die Abneigung gegen den Kultus zu suchen ist. 5 Ebd. 6 Ebd. (zitiert aus: Harnack, Evangelium, 158. Hervorhebungen von Klatt). 7 So bei Troeltsch, Historische, 151. 8 Bousset, Bedeutung, 293, 299; ders., Kantisch-Friessche, 432. 9 Kant, Religion, 839 (B 257).

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Erlösungsreligion verbindlich. Die Religionsgeschichtler stehen in der Beschreibung einer gegenwärtigen Religion Kant viel näher, als es ihr Kampf gegen dessen Religionsbegründung vermuten ließe.10 Warum kommt es zu dieser in den Ergebnissen weitgehend an Kant erinnernden Bestimmung der gegenwärtig möglichen Religion? Um diese Fragen zu klären, wird zunächst das Thema des Kultus in Kants Religionsschrift vorgestellt (2.), dann der Konflikt zwischen Kult - als geschichtlichem Heilsgeschehen - und Sittlichkeit - als Ziel der Religion - in der religionsgeschichtlichen Schule an Texten belegt (3.). Schließlich werden die Gründe fur die Entscheidung der Religionsgeschichtler untersucht (4.-7.).

10 In dieser „Hochschätzung der Sittlichkeit flir das theologische Denken" zeigt sich, daß „die Vertreter der späteren Religionsgeschichtlichen Schule (...) systematisch-theologisch genuine Vertreter Ritschlscher Gedanken geblieben" sind (Klatt, Gunkel, 19). Ritschls Konzentrierung der Dogmatik auf die Lehre vom Reich Gottes muß ihrerseits als der Versuch einer theologischen Aufnahme der kantischen Religionsschrift verstanden werden.

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2. Der Kultus in Kants Religionsschrift

2.1

Freiheit und Persönlichkeit

Das Grundproblem der kantischen Religionsschrift ist die Frage, wie denn das gute Prinzip im Menschen über das ebenfalls im Menschen vorfindliche böse Prinzip siegen könne. Das fundamentale Axiom, das dabei aller weiteren Überlegung zu Grunde liegt, ist die Postulierung der menschlichen Freiheit sowie die daran geknüpfte Forderung, den Sieg des guten Prinzips als zurechenbare Tat des Menschen darstellen zu können. Dieses Axiom vom Menschen als „eine(m) vernünftigen, und zugleich der Zurechnung fähigen Wesen(s)"1 ergibt sich aus der Realität des kategorischen Imperatives, weil aus der Existenz desselben zu folgern ist: Du kannst, was du sollst!2 Diese Grundannahme ist zugleich der Inhalt des Begriffes der „Persönlichkeit" (673 = Β 16).3 Persönlichkeit impliziert Fähigkeit zur Zurechnung! Die Anlage zur Persönlichkeit ist allein durch die Existenz des moralischen Gesetzes im Menschen konstituiert. Ja, man muß sogar sagen, daß die „Idee des moralischen Gesetzes (...) mit der davon unzertrennlichen Achtung (...) die Persönlichkeit selbst" ist (675 = Β 19f)! Die Persönlichkeit des Menschen ist das moralische Gesetz in ihm. Der Persönlichkeitsbegriff, der hier an zentraler Stelle in der Religionsschrift erscheint, wird in der „Kritik der praktischen Vernunft" im Abschnitt über die „Triebfedern der reinen praktischen Vernunft" etwas ausfuhrlicher definiert. Die „Pflicht" ist es, der Kant hier geradezu ein hymnisches Loblied dichtet.4 Sie bezieht in ihrer Forderung das menschliche Handeln auf das moralische Gesetz in uns, welches die einzige Triebfeder der praktischen Vernunft ist. In diesem Hymnus auf die - geradezu hypostasierte - Pflicht fragt Kant diese nach ihrem 1 Kant, Religion, 673 ( = Β 16). Im folgenden Text werden die Nachweise aus der Religionsschrift in Klammern in den Text gesetzt. 2 Für diese Folgerung gibt es in der Religionsschrift zahllose Belege, z.B. die Ausführungen zum Ursprung des Bösen im Menschen: Die Handlung des Menschen „muß immer als ein ursprünglicher Gebrauch seiner Willkür beurteilt werden"; „durch keine Ursache in der Welt kann er aufhören, ein frei handelndes Wesen zu sein." „(E)s ist jetzt noch seine Pflicht, sich zu bessern: er muß es also auch können" (690f = Β 42f; Hervorhebung: K.L.). 3 Zur Geschichte des Begriffs der „Persönlichkeit" vgl. Dierse/Lassahn, Persönlichkeit, 345: Das lateinische „personalitas", das im Mittelalter gebildet wird, fungiert als Abstraktum für „Person". Die Person ist jeweils konkret zu fassen. Der neuere Persönlichkeitsbegriff läßt sich zunächst bei Leibniz greifen, bei dein der in der Folgezeit wichtige moralische Aspekt schon in der Definition enthalten ist: Die Persönlichkeit hat „moralische Qualität" und somit auch „die Möglichkeit der Belohnung und Bestrafung". Auf diesen Überlegungen baut Kant seinen von der Person unterschiedenen Begriff der Persönlichkeit auf. " Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 209 ( = A 154).

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Ursprung: „(W)elches ist der deiner würdige Ursprung, und wo findet man die Wurzel deiner edlen Abkunft"?5 Die Antwort fuhrt den Begriff der „Persönlichkeit" ein und unterscheidet diesen ausdrücklich von dem der „Person": „Es ist nichts anderes als die Persönlichkeit, d.i. die Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur". Die Persönlichkeit eines Menschen ist Quelle der Pflicht.6 Denn die Persönlichkeit ist genau dasjenige, welches „den Menschen über sich selbst (als einen Teil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann, und die zugleich die ganze Sinnenwelt, mit ihr das empirisch-bestimmbare Dasein des Menschen in der Zeit (...) unter sich hat."7 Die Persönlichkeit ist also ein „Vermögen" des Menschen, welches allein in der Vernunft seinen Bestand hat und nicht an Raum und Zeit gebunden ist. Dieses Vermögen ist gleichzusetzen mit den „reinen praktischen Gesetzen", welche die Vernunft dem Menschen gibt! Die „Person" hingegen ist der Mensch in seiner Gesamtheit unter Einschluß seiner Existenz in Raum und Zeit. Deshalb ist die Person, „als zur Sinnenwelt gehörig, ihrer eigenen Persönlichkeit unterworfen".8

2.2

Reine Religion und gottesdienstliche Religion (Kultus)

Wie aber kann es nun zu der notwendigen zurechenbaren Tat des Menschen kommen, mit Hilfe derer er das gute Prinzip in sich auf den Thron hebt und so hofft, ein Gott wohlgefälliges Leben zu fuhren? Dies ist die Frage der Religion. Kant gibt die Antwort auf diese Frage im dritten Stück seiner Religionsschrift, das vom „Sieg des guten Prinzips über das Böse (,) und d(er) Gründung eines Reichs Gottes auf Erden" handelt (751 = Β 127). In diesem Abschnitt fuhrt Kant die für alles folgende entscheidende Unterscheidung zwischen dem „reinen Religionsglauben" und dem „historischen Offenbarungs- oder Kirchenglauben" ein (762ff = Β 145ff. Hervorhebung: K.L.). Der reine Religionsglaube kann „allein eine allgemeine Kirche gründen", „weil er ein bloßer Ver5

Ebd. Die zitierte Passage wird auch bei Dierse/Lassahn, Persönlichkeit, 345, sowie bei Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 481 zitiert, jedoch ohne den Zusammenhang zum Pflichtbegriff direkt herzustellen. 7 Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 209f ( = A 154f). 8 Ebd., 210 ( = A 155). Es stellt eine gewisse Schwierigkeit dar, daß bei Kant die Persönlichkeit einerseits als Gesetz, andererseits als Vermögen beschrieben wird. Beide Formulierungen sind in obigen Zitaten belegt. Die Existenz des moralischen Gesetzes schließt offenbar das Vermögen, sich in Freiheit nach demselben zu richten, immer schon ein. - Vgl. auch die Definition bei Scherer, Person, 308: „Sofern die P[erson]" der intelligiblen Welt „zugehört, heißt sie bei Kant auch Persönlichkeit. Sie ist das ,Vermögen' der P[erson], ihr eigentliches Sein-können, dem von der eigenen Vernunft gegebenen Gesetz zu folgen, also sich selbst zu bestimmen. In diesem Kontext fungiert P[erson] fur das ganze, durch beide Welten hindurchreichende Wesen des Menschen, Persönlichkeit fur die Naturtranszendenz der P[erson]; P[erson] ist das eine Subjekt, das den beiden Welten angehört." 6

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nunftglaube ist, der sich jedermann zur Überzeugung mitteilen läßt". Der Offenbarungsglaube, der auch „Geschichtsglaube" (!) heißen kann (802 Anmerkung = Β 205), ist indessen „ein bloß auf Facta gegründeter historischer Glaube", der nur aufgrund der „Schwäche der menschlichen Natur" als Vehikel zur Einübung des ersteren vonnöten ist (762 = Β 145). Beide, reiner Religionsglaube und Offenbarungsglaube fragen danach, „wie Gott verehrt (und gehorcht) sein wolle" (763 = Β 147). Jener kommt zu der von der Vernunft bereitgestellten „reine(n) moralische(n) Gesetzgebung, dadurch der Wille Gottes ursprünglich in unser Herz geschrieben ist" (764 = Β 148), dieser dagegen stellt konkrete „bloß statutarische" Gesetze auf (763 = Β 147). Jener braucht als Quelle seiner moralischen Gesetze allein die Vernunft, dieser bedarf einer offenbarten Schrift zur Beglaubigung (vgl. 767 = Β 152). Jener ist, da nur von der Vernunft abhängig, unabhängig von der Geschichte, dieser dagegen ist, als Offenbarungsglauben, immer ein historischer und damit ein nicht fur jeden zu fordernder Glaube (vgl. 769 = Β 155). Jener lehrt, die Pflicht um ihrer selbst willen zu tun und gerade darin Gott zu dienen, dieser aber - und das ist entscheidend! - behandelt „die Pflicht, so fern sie zugleich göttliches Gebot ist, als Betreibung einer Angelegenheit Gottes, nicht des Menschen" (763 = Β 146f), das heißt, als eine Ehrerweisung, welche Gott brauche und verlange. So kommt es im Kirchenglauben anstelle des eigentlich nötigen „Begriffs einer reinen moralischen Religion" zu dem,.Begriff einer gottesdienstlichen" Religion (ebd., Hervorheb.: K L.)! Damit ist bei Kant der entscheidende Begriff gefallen: Der Offenbarungsglauben ist immer gottesdienstliche Religion, ist „cultus" (766 = Β 151)! Dieser vom Kultus abhängige Glaube wird nun von Kant als unmoralisch qualifiziert, da er behaupte, durch bloße Taten könne der Mensch Gott wohlgefällig werden. Diesem unmoralischen Glauben kann nur der reine Vernunftglaube gegenübergestellt werden. „Der Glaube einer gottesdienstlichen Religion ist dagegen ein Fron- und Lohnglaube (fides mercenaria, servilis), und kann nicht für den seligmachenden angesehen werden, weil er nicht moralisch ist. Denn dieser muß ein freier, auf lauter Herzensgesinnungen gegründeter Glaube (fides ingenua) sein. Der erstere wähnt durch Handlungen (des Kultus), welche (ob zwar mühsam) doch für sich keinen moralischen Wert haben, mithin nur durch Furcht oder Hoffnung abgenötigte Handlungen sind, die auch ein böser Mensch ausüben kann, Gott wohlgefällig zu werden, anstatt daß der letztere dazu eine moralisch gute Gesinnung als notwendig voraussetzt" (778 = Β 168).9 Entscheidend ist hier, daß Kant den Kultus allein als ein vermeintlich Gott dargebrachtes Werk des Menschen verstehen will. Als solchen muß er ihn radikal ablehnen, da dieses Werk aufgrund seiner historischen Abhängigkeit nicht allgemein gefordert werden kann, und da es ferner losgelöst von jeder moralischen Gesinnung, als bloßes Werk, getan werden kann. Diese Deutung des Kultus als menschliches Werk hängt mit Kants Prämisse zusammen, nach der es 9

Unschwer ist hinter diesen Ausführungen - bei aller wesentlichen Umdeutung - noch die reformatorische Unterscheidung; von fides historica und fiducia zu erkennen.

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in der Religion in jedem Fall um die zurechenbare Tat des Menschen zu gehen hat. Denn die „wahre Religion" liegt nicht „im Wissen oder Bekennen dessen, was Gott zu unserer Seligwerdung tue oder getan habe, sondern in dem, was wir tun müssen, um dessen würdig zu werden" (799 = Β 200f).10 Ganz folgerichtig kommt es deshalb im letzten Teil der Religionsschrift zur Unterscheidung zwischen „Dienst (cultus)" und „Afterdienst (cultus spurius)" in der Kirche (821 = Β 228f). Jener ist darauf gerichtet, das Vehikel des Kirchenglaubens immer entbehrlicher zu machen, während dieser den fundamentalen Fehler begeht, dasjenige, „was nur den Wert eines Mittels hat, um dem Willen eines Oberen Genüge zu tun, für dasjenige aus(zu)geben, (...) was uns ihm unmittelbar wohlgefällig macht" (821 = Β 229). Diese sträflich falsche Interpretation des statutarischen Glaubens durch den Afterdiener der Kirche wird dann von Kant als „Religionswahn" bezeichnet (838f = Β 255f). Dieser Religionswahn hält nämlich und dies ist von zentraler Bedeutung - die „Vorstellung einer Sache" für die „Sache selbst": Das „Bewußtsein des Besitzes eines Mittels" zum Zwecke der Verehrung Gottes wird für den Besitz dieses Zweckes selbst gehalten (839 = Β 257).11 Abgesehen davon, daß dieser Kultus als bloßes Werk ohne Moralität abgelehnt wird, spricht gegen ihn auch noch die Überlegung, daß „er sich bloße Naturmittel (nicht moralische) wählt, die zu dem, was nicht Natur ist (d.i. dem sittlich Guten), für sich schlechterdings nichts wirken können" (846f = Β 268). Stand also bisher die fehlende Moralität im Zentrum der Argumentation, so rückt nun auch die Beschaffenheit des Mittels selbst in den Blick. Kant scheut sich nicht, in diesem Zusammenhang vom „Zaubern" zu sprechen als von „einer Kunst, durch ganz natürliche Mittel eine übernatürliche Wirkung zuwege zu bringen" (850 = Β 273). Diese Kunst ist nichts anderes als ein „Fetischmachen" und ein „Fetischdienst" (85 lf = Β 275f). So gelangt Kant schließlich am Ende seiner Religionsschrift ganz folgerichtig zu einer scharfen Ablehnung der christlichen Sakramente als Gnadenmittel. Wer von Gnadenmitteln redet, verwechselt

10 Nicht nur der als Werk verstandene Kultus, sondern auch die moralische Religion meint den Menschen durch eigene Leistung zu Gott zu bringen, jener Unrechter Weise, diese zu Recht. Stellvertretung im Sinne der geschenkten Gnade kann es nicht geben. Die Stellvertretung Christi wird umgedeutet zu einer Stellvertretung der neuen Gesinnung des Menschen, vgl. Religion 729 ( = Β 98f). Deutlich auch im Streit der Fakultäten (308f = A 59): „Gnade" muß als „die in uns liegende unbegreifliche moralische Anlage" gedeutet werden: Dann „ist Gnade nichts anderes als Natur des Menschen". 11 Damit muß, wie im „Streit der Fakultäten" deutlich wird, das an den Kultus wesentlich gebundene Christentum letztlich als Heidentum bezeichnet werden! Denn „Religion ist derjenige Glaube, der das Wesentliche aller Verehrung Gottes in der Moralität des Menschen setzt; Heidentum, der es nicht darin setzt" (Streit der Fakultäten, 316 ( = A 72f). Diese frappierende Äußerung hat eine deutliche Parallele in den Gedanken der religionsgeschichtlichen Schule. Wie die Untersuchung besonders im zweiten Hauptteil noch zeigen wird, gilt auch den Religionsgeschichtlern das Kultische im Christentum als eine Konzession an die heidnische Umwelt.

110

das Zeichen mit dem Bezeichneten, hält das Mittel für den Gottesdienst selbst (vgl. 868 = Β 299). Die Unterscheidung zwischen Religions- und Offenbarungsglauben ist der tragende Pfeiler der kantischen Religionsschrift. Für Kant ist diese Unterscheidung auch zugleich der Schlüssel zur Beschreibung der gesamten Religionsgeschichte: Historisch beschreibbar ist nur der Kirchenglaube. Er kann aber immer mit dem reinen Religionsglauben verglichen werden. Dann ergibt sich eine Geschichte, bei der sich voraussehen läßt, daß sie „nichts, als die Erzählung von dem beständigen Kampf zwischen dem gottesdienstlichen und dem moralischen Religionsglauben sein werde, deren ersteren, als Geschichtsglauben, der Mensch beständig geneigt ist oben anzusetzen, anstatt daß der letztere seinen Anspruch auf den Vorzug, der ihm als allein seelenbessernden Glauben zukommt, nie aufgegeben hat, und ihn endlich gewiß behaupten wird" (788 = Β 184). Wenn also Kant diese Geschichte der Religion überblickt, ist er optimistisch genug, den Sieg des reinen Religionsglaubens vorauszusagen. Diesem Optimismus im Blick auf eine geschichtliche Höherentwicklung entspricht es auch, daß als die beste Zeit der Kirchengeschichte gerade die heutige betrachtet wird. Denn die wahre Absicht des Christentums war es seit seiner Stiftung, „einen reinen Religionsglauben (...) einzuführen". Diese Absicht kann in der jetzigen Zeit am ehesten wieder ans Licht kommen (797 = Β 197f).

111

3. Der Gegensatz zwischen Kult und Sittlichkeit 3.1

Einleitung

Auf das ambivalente Verhältnis der religionsgeschichtlichen Schule zum Kultus weist Lüdemann hin, indem er Boussets Rezension der von Weinel verfaßten Arbeit zu den Wirkungen des Geistes heranzieht.1 Bousset begrüßt Weineis Anliegen, die Geisterfahrungen der christlichen Gemeinde als wirkliche Erfahrungen, nicht als Interpretamente zu beschreiben. Dennoch werfen einige theologische Bemerkungen Boussets „ein Licht auf die Dissonanzen innerhalb der RGS [ = religionsgeschichtlichen Schule]".2 Dieser ordnet nämlich die Geistwirkungen der „absterbende(n) Frömmigkeit des Hellenentums" zu: „Wunder und Orakel, Heilungen, ein atavistischer Geister-und Gespensterglaube, Visionen, Ekstase, wilde Verzückungen, - das sind die Charakteristika der dekadenten Religion des Hellenentums. Hier, und wir fugen hinzu, in der Schätzung des Sakramentalen in der Religion liegt gerade das verbindende Band zwischen der Frömmigkeit des Christentums und der es umgebenden Welt des römischen Kaisertums".3 Lüdemann kommt zu dem Ergebnis, daß die Religionsgeschichtler sich letztlich „in der Relativierung der Bedeutsamkeit des Kultischen und der Rituale für die eigene Theologie und Frömmigkeit einig" gewesen seien.4 Für diesen Befund lassen sich in der Tat zahllose Belege aus verschiedensten Publikationen der religionsgeschichtlichen Schule anfuhren.

3.2

Bousset

Besonders bei Bousset tritt die Abwertung alles Sakramentalen schon in frühen Schriften deutlich hervor. So heißt es in seinem Buch über das Wesen der Religion: „Eine von allem Kultischen und Zeremoniellen, von allem kleinlich Gesetzlichen und Kasuistischen, von allen Neben- und Außendingen gereinigte Moral verbindet sich im Evangelium mit der reinen von allen Nebendingen befreiten Religion."5 Und zur Aufnahme sakramentaler Elemente bei Paulus wird festgestellt: „Diesen Glauben an materielle Mittel in der Religion haben wir auf

1 2 3 4 5

112

Lüdemann, Wissenschaftsverständnis, 95, unter Bezugnahme auf Bousset, Weinel. Lüdemann, ebd. Bousset, Weinel, 763f. Lüdemann, Wissenschaftsverständnis, 100. Bousset, Wesen, 172.

einer niedern (sic) Stufe des religiösen Lebens der Menschheit bereits kennen gelernt (...). Es ist ein Charakteristikum der religiösen Decadence".6 Besonders zum Tragen kommt diese vernichtende Wertung alles Kultischen, wenn Bousset sich zur Religion Jesu selbst äußert. In seinem Jesus-Buch beschreibt er diese mit Pathos und persönlicher Begeisterung. Jesus wird dann zum Begründer einer Religiosität, die verdächtig mit der von Bousset und vielen seiner Zeitgenossen angestrebten sittlichen Religiosität übereinstimmt, er gilt als Verkünder einer „reine(n), geistige(n) Frömmigkeit".7 Diese Frömmigkeit wird sowohl rückwärts gegen den „gefährlichen Gegner, der an die Stelle des Kultus getreten war", nämlich die „gesetzmäßige(n) juristische(n) und kasuistische(n) Verzerrung" der Pharisäer, als auch nach vorne gegen die „dingliche(n), materiellein), geheimnisvolle(n) Mittel", die Sakramente der Gemeinde abgegrenzt: „Und während Jesus so die Frömmigkeit mit leiser und sicherer Hand von ihren alten Formen löste, hat er keine neuen Formen, nichts Dingliches und Sachliches zwischen Gott und seine Jünger gestellt. (...) In unübertroffener Reinheit steht hier das Evangelium Jesu und trägt in sich eine Kraft, die wieder und wieder gegenüber aller Verbildung und Versinnlichung befreiend wirken muß. Jesus brachte seinen Jüngern den geistigen Gott; alles liegt bei ihm im Persönlichen, nichts im Dinglichen und Sachlichen."8 Folgerichtig benennt Bousset dann auch das Evangelium Jesu als die „ethische Erlösungsreligion", ja es „ist in höchstem und vollendetem Sinn Religion und Persönlichkeit." Die „sittlichen Forderungen", die in diesem Evangelium relevant werden, sind „befreit von allem Nebenwerk des Kultischen und Zeremoniellen"; die verkündete Erlösung wird „nicht durch dingliche Mittel", „sondern nur durch den freien Willen des lebendigen Gottes und den Glauben des die Vergebung empfangenden Menschen" erlangt.9 Kühn wird dann auch der Glaube mit der sittlichen Überzeugung gleichgesetzt.10 Diese Zeichnung Jesu ist zu ergänzen durch Boussets Ausführungen in einer Spezialvorlesung unter dem Thema „Jesus von Nazareth", deren Manuskript sich im Bousset-Nachlaß der Universitätsbibliothek Göttingen befindet.11 In „furchtbar ernster Zeit" (1) des Krieges wird Jesus hier in die „Reihe der Propheten" (7) eingestellt, um der Kriegsgeneration Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu geben. Schon die Propheten haben gegen den Kult gepredigt (vgl. 20). Dennoch blieb die israelitische Religion durch kultische Frömmigkeit bestimmt. Besonders die Pharisäer mit ihrer „Buchfrömmigkeit" 6

Ebd., 185 (beide Zitate auch bei Lüdemann, Wissenschaftsverständnis, 101). Bousset, Jesus, 49. - Regner, Paulus und Jesus, 165, spricht im Blick auf Gunkel und Bousset von einem „eklektische(n) Jesuanismus"; vgl. auch ebd., 151 sowie 183: Die religionsgeschichtliche Schule „ließ sich sogar von Jesus nur sagen, was ihr gefiel". 8 Ebd., 49f (Hervorhebung im Original). 9 Ebd., 75 (Hervorhebung im Original). 10 „,Was nicht aus Glauben (der sittlichen Überzeugung) ist, ist Sünde'" (ebd., 63). " Cod. Ms Bousset 152; es handelt sich um 87 meist einseitig beschriebene Blätter. Seitenzahlen im folgenden in Klammern im Text. 7

113

und ihrem „Konservatismus" bestimmen hier die Darstellung (33-35). Jesus aber findet Anschluß an die Botschaft der Propheten, verbindet die Religion mit dem sittlich Guten einer „Personalitätsreligion" (58f): „Gott ist im sittlich Guten" (57). Allem Kultischen wird hier also die Persönlichkeit gegenübergestellt, die durch die Begriffe der Sittlichkeit sowie der Freiheit näher zu bestimmen ist: Der Mensch wird von Jesus gerufen, Persönlichkeit zu werden. Dies geschieht, wenn er sich dem sittlichen Anspruch Jesu beugt, und zwar so, daß er nicht blind einer Kasuistik, sondern sehend und frei seiner neuen Gesinnung folgt. Das Sittliche ist dabei näherhin durch das Doppelgebot der Liebe definiert, die Freiheit ist Freiheit von der Kasuistik und Freiheit zum Handeln gemäß der sittlichen Überzeugung.' 2 Diese negative Einstellung zum Kultus läßt sich auch in Boussets späteren, nach seiner Wendung zum Neofriesianismus verfaßten Werken feststellen, so besonders in seinem Hauptwerk „Kyrios Christos". In diesem beeindruckenden historisch-exegetischen Werk, in welchem stets „von der Praxis des Kultus und des Gemeindegottesdienstes"13 aus ein Verständnis der Quellentexte gesucht wird, zeichnet Bousset die Entwicklung vom ersten Gemeindeglauben bis hin zur Entstehung des Christentums als eines Kultvereins. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Bousset diese Entwicklung insgesamt als eine negative betrachtet. Hin und wieder geht Bousset von der bloßen Beschreibung der vermuteten Entwicklungen unverhofft zu persönlichen Wertungen über. Im achten Kapitel zum Beispiel beschreibt er die „Typen des nachapostolischen Christentums", wobei die Entwicklung hin zu einem „neue(n) Mysterienkult" im Mittelpunkt steht.14 Positiv von dieser Entwicklung abgehoben wird dann Klemens von Rom, bei dem „das kultische sakramentale Element und die mit ihm eng verbundene Kyriosstellung Jesu" zurücktritt und sich ein „viel einfacheres, rationaleres, und, sprechen wir es einmal aus, gesunderes religiöses Leben" erhebt.15 Es zeigt sich hier - so Bousset - der Glaube „an den allmächtigen Schöpfergott, der von aller partikularen Gebundenheit und von allem rituellen Wesen freien geistigen Sittlichkeit, des Glaubens an Verantwortung und Vergeltung nach dem Tode, der Zuversicht auf die sündenvergebende göttliche Barmherzigkeit des Gottesdienstes in Geist und Wahrheit".16 Ganz unabhängig von der Frage, ob die Intention des Klemens mit dieser Umschreibung getroffen ist, fällt auf, daß hier gerade die geschichtlich-kultischen Elemente des christlichen Glaubens, daß Sakramente und Sühnetod Jesu durch die „freie(n) Sittlichkeit" oder die nicht an solche Heilstatsachen gebundene „göttliche(n) Barmherzigkeit" ersetzt werden. Mit der Wertung, daß es sich hier um die „gesündere" 12

Vgl. Bousset, Jesus, 62f. Bousset, Kyrios Christos, IV. 14 Ebd., 289. 15 Ebd. Neben Klemens werden als Zeugen dieser Ausprägung auch der Jakobus- und der Barnabasbrief, der Hirt des Hermas und der 2. Klemensbrief genannt. 16 Ebd., 291. 13

114

Frömmigkeit handle, tut Bousset zugleich kund, daß in diesem kultfreien, die Sittlichkeit betonenden Bereich sein eigenes Herz schlägt. In ähnlicher Weise kann dann bei den Apologeten gelobt werden, daß „der einfache ethische Gehalt des Evangeliums von neuem (...) aufgestrahlt" sei, während getadelt wird, daß „ihre Verkündigung (...) im Zentrum mit einem Widerspruch und einem Irrationalismus behaftet" war, „der mit den Tiefen echter Religion nichts zu tun hat, dem Dogma von dem δεύτερος θεός."17 Dieses Dogma aber wird von den Apologeten gerade aufgrund der kultischen Verehrung Christi in der Gemeinde, in der auch sie verwurzelt waren, beibehalten.

3.3

Gunkel

Auch bei Hermann Gunkel tritt die Abneigung gegen den Kultus auffallend in Erscheinung. Gunkel gilt als derjenige Forscher, der den Kultus als Sitz im Leben alttestamentlicher Texte, vor allem der Psalmen, als erster in den Mittelpunkt des exegetischen Interesses gerückt hat.18 Auch schon in seiner neutestamentlichen Dissertation hatte er die Frage nach den Wirkungen des Geistes als Frage nach dem Gottesdienst verstanden. Mit diesen exegetischen Interessen einher geht nun jedoch, ganz ähnlich wie dies bei Bousset festzustellen war, das persönliche Unbehagen allem Kultischen gegenüber: „Man darf ohne Übertreibung sagen, daß Gunkel den Kult durchaus gegen seinen Willen entdeckt hat, denn er stand diesem Phänomen bis zuletzt fremd gegenüber." 19 Diese Abneigung läßt sich exegetisch schon an der von Gunkel vorgenommenen Konstruktion einer alttestamentlichen Religionsgeschichte erahnen. Die Geschichte der israelitischen Religion wird in die drei großen Epochen der „Völksreligion", der prophetischen Predigt und des „Judentums" eingeteilt.20 Die Volks- oder vorprophetische Religion verband Elemente der altisraelitischen Nomadenreligion mit kanaanäischen Kulten, sie bestand „also aus zwei Elementen, einem urisraelitischen und einem ursprünglich kanaanäischen".21 Gerade in der Gottesverehrung machten sich die fremden Kulte Kanaans bemerkbar: „Die Wohnstätten Jahves waren dieselben, da früher Baal gewohnt hatte. (...) Kanaanäisch waren ferner die Festfeiern." 22 Alte urisraelitische Elemente dagegen waren die Anrufung des Eigennamens Gottes sowie der Gedanke, daß Gott sich in den Erlebnissen des Volkes - später wird man sagen: in seiner Geschichte - offenbart. 23 17

Ebd., 333. Vgl. Klatt, Gunkel, 181f: „Bei der Frage nach dem Sitz im Leben der ältesten religiösen Lyrik in Israel stößt er auf ein Phänomen, das in seiner vollen Bedeutung er ahnungsvoll als erster erkannte (...): es war das Phänomen des Kultus." 19 Ebd., 182. 20 Vgl. Gunkel, Das alte Testament, 65ff. 21 Ebd., 67. 22 Ebd., 68. 23 Vgl. ebd., 69. 18

115

Auffällig ist hier, daß lediglich die namentliche Anrufung Jahves als Kulthandlung der urisraelitischen Religion zuerkannt wird, während kultische Feiern und die Existenz von Kultorten auf das Konto der Baalsreligion gehen. Das eigentlich prägende Vermächtnis Israels scheint schon hier eine werdende Geschichtstheologie zu sein.24 Entschieden wurde der innere Kampf zwischen israelitischen und kanaanäischen Elementen erst in der Zeit der Propheten, die „die alte Jahwereligion aus den Banden der Baalreligion befreit" haben.25 Die Zeit der Propheten ist die „Geburtsstunde des Individuums in Israel", mit ihr „tritt die Persönlichkeit auf'. 26 Diese persönliche Religion der Propheten ist besonders durch die Sittlichkeit bestimmt, die Propheten „haben Religion und Sittlichkeit wie mit einem ehernen Bande zusammengeschmiedet", sie haben verkündet, „dass der wahre Gottesdienst die Sittlichkeit ist: Gerechtigkeit will ich und nicht Opfer!"27 Zu dieser Sittlichkeit gehört auch die Ablehnung des herrschenden Kultus: „Der Gottesdienst des Volkes jener Zeit bestand im Kultus; sie aber haben mit furchtbarer Heftigkeit gegen solchen Gottesdienst gedonnert. Alle die heiligen Orte, Handlungen und Symbole sind in ihren Augen nichts! (...) Es ist die Religion des Geistes und der Wahrheit, die sich so gewaltsam losringt von der antiken Religion der Opfer und der Heiligtümer." In diesem Zusammenhang kann Gunkel es nicht unterlassen, von den Propheten den Bogen zum Evangelium zu schlagen und so zu auffallend ähnlichen Aussagen wie sein Kollege Bousset zu gelangen: „Das Evangelium hat der Veräusserlichung des Pharisäismus gegenüber dieselbe Haltung in verklärter Form wieder eingenommen wie einst die Prophetie gegenüber der Religion ihrer Zeit."28 In der letzten Etappe der israelitischen Religion kommt es, bedingt durch die Exilserfahrung, zu einer „im Gesetzestum erstarrten Religion", welche „die Form der Autorität, der Institution, der Liturgie" hat. Das Judentum stellt sich so als „eine Mischung von Prophetie und Völksreligion" dar, indem das Prophetentum von der Masse der Frommen aufgenommen, aber zugleich im Sinne der Völksreligion verflacht wird.29 Gunkel konstatiert deshalb zwei Entwicklungslinien der israelitischen Religion, welche beide im Judentum nebeneinander herlaufen und sich in die christli24 Gunkel, Literatur, 4-26, beschreibt im Unterschied zum oben zitierten Aufsatz die älteste Literaturgeschichte Israels und schildert dabei die erkennbaren Gattungen des Volkes nach seiner Verschmilzung mit der Urbevölkerung Kanaans. 25 Ebd., 70. 26 Ebd. 27 Ebd., 7 2 , 6 2 . 28 Ebd., 73. - Zu den exegetischen Auswirkungen des idealen Prophetenbildes vgl. die erhellenden Ausführungen bei Müller, Judentum, 125-128. - Die wertende Darstellung vermeintlicher Entwicklungsstränge in der Entwicklung vom Judentum zur christlichen Religion findet sich auch bei dem Systematiker Troeltsch. Vgl. Troeltsch, Propheten, 27, im Blick auf Jesus: „Wie bei ihnen [den Propheten] geht die Forderung an die Innerlichkeit der Gesinnung und gegen die Selbstberuhigung bei Kult und Ritus." 29 Gunkel, Das alte Testament, 75.

116

che Zeit hinein fortsetzen: „(D)ie eine kommt letztlich von der Volksreligion her und legt alles Gewicht auf die Kultusgebote, diese Richtung ist im nachexilischen Gesetz verkörpert und setzt sich in der Schriftgelehrsamkeit und im Pharisäismus fort. Aber auch die prophetische Richtung stirbt nicht aus. Immer wieder gibt es Fromme, die tief empfinden, was reine und wahre Religion ist. Diese Richtung tritt besonders in den Psalmen auf und mündet schliesslich im Evangelium." 30 Es ist kaum nötig hinzuzufügen, daß ,,(w)ir", also die Christenheit des beginnenden 20. Jahrhunderts, selbstverständlich „die dankbaren Erben der Propheten" sind.31 Spürbar wird Gunkels distanziertes Verhältnis zum Kultus auch in seinen Studien zu den Psalmen. Klatt weist auf den wohl „bedeutsamste(n) Punkt" des gunkelschen Psalmenverständnisses hin, welcher darin liegt, daß dieser eine Entwicklung von der „Kultusdichtung" hin zur „geistlichen Lyrik" postuliert. 32 Diese Lyrik ist Teil der „Religion des Geistes und der Wahrheit (...): die Seele steht, befreit von den Kultusformen, vor ihrem Gott." 33 Die Lösung vom Kultus wird als Befreiung, als Erreichen einer höheren Stufe der Frömmigkeit gedeutet. Obwohl also Gunkel seine Deutung der Psalmen als Kultlieder gegen die herrschende Meinung und gegen lauten wissenschaftlichen Protest verteidigte und begründete, 34 blieb doch auch bei ihm das vom Kult gelöste Leben des Frommen in höherer Wertschätzung! Aus diesem Grunde - so Klatt - kommt es auch zur Auseinandersetzung mit seinem Schüler Mowinckel hinsichtlich der kultischen Verwurzelung der sogenannten Thronbesteigungslieder. Gunkel bejaht die These Mowinckels von einer vorexilischen kultischen Thronbesteigungsfeier. Die uns vorliegenden Thronbesteigungslieder aber sind nachexilisch: Sie enthalten ein starkes eschatologisches Element, das erst in der Frömmigkeit der Propheten entstanden sein kann. Es ist nicht möglich, daß dieser starke Glaube an die Zukunft Gottes mit seinem Volk „bereits der ältesten Zeit Israels angehöre und aus dem Kultus stamme". Vielmehr handelt es sich um „eine Errungenschaft des prophetischen Geistes, und prophetische Dichter haben ihn in überlieferte Formen, unter anderem auch in diejenige der Thronbesteigungslieder, eingetragen". 35 Das eigentlich Wertvolle, was Gunkel in diesen Liedern findet, ist gerade nicht auf den kultischen Ursprung der Gattung, sondern auf den von kultischen Fesseln sich befreienden „prophetischen Geist" zurückzuführen. So werden auch diese Kombinationen Gunkels von Klatt aus der „ererbten Antipathie gegen den

30

Ebd. Ebd., 66. Murrmann-Kahl sieht zwar bei Gunkel ebenfalls die „Gefahr einer Identifizierung" des bürgerlichen Individuums mit dem von der Masse geschiedenen Individuum der historischen Exegese, glaubt aber, daß diese Gefahr durch die Methodik, welche ja gerade die Bedeutung der Sitte und der Masse betone, in Schach gehalten werde (Heilsgeschichte, 338). 32 Klatt, Gunkel, 185. 33 Gunkel, Literatur, 38 (zitiert bei Klatt, Gunkel, 185). Hier ist an die Klagelieder des Einzelnen zu denken. 34 Vgl. dazu Klatt, Gunkel, 237ff. 35 Gunkel, Einleitung in die Psalmen, 115 (zitiert bei Klatt, Gunkel, 251). 31

117

Kult und alles, was damit zusammenhängt," erklärt: „Hier gab es ein Dogma, über das der sonst so dogmenfreie Gunkel nicht springen mochte."36

3.4

Troeltsch

Ernst Troeltsch hat zwar die sozialpsychologische Bedeutung des Kultus auch für die Gegenwart betont,37 kommt aber hinsichtlich eines Glaubens an ein im Kultus lokalisiertes Heilsgeschehen zu derselben Wertung wie Bousset und Gunkel.38 Die Religiosität des Christentums ist „nicht auf Kult und Riten, sondern auf eine den Willen bestimmende Gotteserkenntnis (...) gerichtet"; das Christentum bedeutet „Durchbruch der reinen ethischen Religiosität".39 Die „Sakramente als materielle und darum schlechthin sichere Träger und Klammern der kirchlichen Gnade und Wahrheit" sind lediglich Produkt eines nicht mehr nachvollziehbaren Absolutheitsanspruches der christlichen Religion.40 Diese Entwertung des Kultus hat bei Troeltsch grundsätzliche Bedeutung, da sie mit seiner Definition des Christentums zusammenhängt. Darüber gibt in deutlicher Weise seine „Glaubenslehre" Aufschluß. Schon im ersten Paragraphen wird ausgeführt, daß das Christentum „den endgültigen und zusammenfassenden Durchbruch (...) zur Gestaltung einer prinzipiell universalen, ethischen, rein geistigen und Persönlichkeit bildenden Erlösungsreligion" bedeute.41 Besonders die beiden letzten Charakterisierungen zeigen an, daß hier ein Aufstieg von noch dinglich-kultisch gebundenen Glaubensweisen hin zur ethisch-geistigen Erlösung 36

Klatt, Gunkel, 251. Der Kultus ist für Troeltsch unentbehrlich für das Leben einer religiösen Gemeinschaft. Insbesondere das Christentum kann „als Religion nur von einem lebendigen Kultus genährt werden" (Soziallehren, 937). Besonders in seiner Abhandlung über die „Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben" führt Troeltsch aus, daß die „Gemeinschafts- und Kultlosigkeit (...) die eigentliche Krankheit des modernen Christentums und der modernen Religiosität überhaupt" ist (Bedeutung, 25). Denn es „ist ein sozial-psychologisches Gesetz, (...) daß sich aus den tausendfachen Beziehungen überall Gemeinschaftskreise mit Ueber- und Unterordnungen erzeugen, die sämtlich eines konkreten Mittelpunktes bedürfen" (ebd., 27). Die kultische Verehrung Christi ist hier also aus Gründen der Erhaltung der Gemeinschaft vonnöten, sie ist aber „keine begriffliche aus dem Begriff des Heils folgende Notwendigkeit" (ebd., 30)! - Vgl. auch die Äußerungen im Blick auf ein modernes „freies Christentum", welches zum Kultus zurückkehren muß, um überleben zu können: Zukunftsmöglichkeiten, 855-860! - Vgl. kritisch dazu Herrmann, Troeltsch, 236: „Das würde doch heißen: In der christlichen Gemeinde wird das für wirklich gehalten, was man nicht entbehren kann." 38 Ebenfalls wird in Ähnlichkeit zu Bousset und Gunkel die jüdisch-christliche Religionsgeschichte aufgeteilt in negative und positive Stränge: Die Propheten und Jesus kämpfen „gegen das statutarische Gesetz", gegen „die Verkehrung der sittlichen Forderungen in kultische". In der „werdenden Kirche" aber kommt es wieder zur „Vermischung von kultischzeremoniellen Bestimmungen mit moralischen" (Troeltsch, Ethik, 140f). 39 Troeltsch, Glaube, 1438. 40 Troeltsch, Absolutheit, 111. 41 Troeltsch, Glaubenslehre, 2. 37

118

im Christentum gesehen wird. Diese Deutung wird weitergeführt im zweiten Paragraphen der Glaubenslehre, wo Troeltsch die Einwirkungen der Moderne auf die Interpretation des christlichen Glaubens beschreibt. Hier heißt es, daß in der Neuzeit das Historische „nur als Bürgschaft, Anregung und Urbild, aber nicht als kosmischer erlösender Eingriff in Welt und Gott betrachtet werden kann, woraus die Auffassung der Erlösung als der Aneignung eines höheren geistigen Lebens folgt".42 Eine direkte Folge dieser Ablehnung des Heilsgeschehens im einzelnen kontingenten Ereignis ist „die Auflösung des Sakramentalismus, das heißt des Glaubens an die Bindung besonderer geistlicher Wunderwirkungen an sinnliche Mittel und Stiftungen und damit die völlige Verlegung der Religion in Gesinnung und Glaube"!43 Die Konsequenz der Ablehnung jedes an kontingente Ereignisse gebundenen Heilsgeschehens ist ferner eine Erlösungslehre, die Erlösung nur als geistig-sittliche Entwicklung definieren kann und will: Die Erlösung hat zum Ziel „die Vollendung der Person zum Geist und damit zur Einheit mit Gottes Geist", ihre Mittel sind „weder kultische Weihen und Riten noch spekulatives Denken, sondern nur lebendiges Ergriffenwerden von Gottes uns gewiß und freudig machender Liebe".44 An die „Stelle der anthropomorphen Zusammendrängung des göttlichen Tuns auf eine einzelne supranaturale Tat", das stellvertretende Strafleiden Christi, tritt nun „die Anschauung eines beständigen, lebendigen, schöpferischen Erlösungswirkens Gottes".45 Deshalb kann zusammenfassend und in Anlehnung an Schleiermacher gesagt werden, daß Erlösung „kein ein für allemal stattgehabter göttlicher Eingriff, sondern ein immer wieder aufs neue sich vollziehender rein innerlicher Vorgang zwischen Gott und der Seele" ist.46 So geht es Troeltsch um ein „freies Christentum", das auch unter den Bedingungen der Moderne „Zukunftsmöglichkeiten" gerade dadurch besitzt, daß „die alte christliche Grundidee einer wunderbaren Heilung der durch die Sünde tödlich infizierten Menschheit in den Gedanken einer erlösenden Erhebung und Befreiung der Persönlichkeit durch die Gewinnung eines höheren Personlebens aus Gott" verwandelt wird.47 Und so kann Troeltsch dann völlig konsequent unter dem Stichwort der „Erlösung" darlegen, der christliche Glaube unterscheide sich gerade darin vom Buddhismus und Pantheismus, daß er „das Ziel des Menschen in der Freiheit und Persönlichkeit" finden will.48

42

Ebd., 22. Ebd., 23 (Hervorhebung im Original). 44 Ebd., 327. 45 Ebd., 330. 46 Ebd., 356. 47 Troeltsch, Zukunftsmöglichkeiten, 839f. Vgl. ebd., 845: Der „prophetisch-christliche Gottesgedanke" ist dem modernen Denken nur als „Religion des Personalismus" möglich. 48 Troeltsch, Erlösung, 483. 43

119

4. Geltung und Entwicklung

4.1

Einleitung

In der kantischen Religionsschrift zeigte sich, daß die Ablehnung des Kultischen tatsächlich mit der Ablehnung des kontingenten Heilsgeschehens überhaupt zusammengesehen werden muß. „Gottesdienstlicher Glaube" und „Geschichtsglaube" sind Wechselbegriffe (vgl. 788 = Β 184)! Ja, schon in der Einfuhrung der Unterscheidung zwischen Religions- und Kirchenglauben wurde dieser als der „historische(n) (Offenbarungs)-Glauben" vorgestellt, der, auf einzelne historische Facta gegründet, keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann (762 = Β 145).1 Der Kultus wird gerade als historisches, in Raum und Zeit ablaufendes Geschehen gesehen und als solches von jedem etwaigen Heilsgeschehen entleert. Die Frage nach der Geltung spielt in der religionsgeschichtlichen Schule schon in der Diskussion um ein religiöses Apriori eine wichtige Rolle, geht es doch darum, der Religion einen von aller geschichtlichen Relativität geschützten Ort in der Vernunft des Menschen zu sichern. Deutlich steht dieser Begriff auch hinter Troeltschs Ausführungen zur historischen Methode. Wenn bei Troeltsch festgehalten wird, daß überlieferte Ereignisse immer nur einen relativen Grad der Wahrscheinlichkeit besitzen, so ist damit zugleich gesagt, daß auf sie keine absolute Geltung einer Religion für alle Zeit gegründet werden kann. Für diesen Gedankengang wird auch Kant selbst in Anspruch genommen: „Kant und Lessing und alle Männer der modernen Religionsphilosophie, die die heilige Geschichte historisch-kritisch haben behandeln lernen (sie), haben zugleich die notwendige Konsequenz erkannt, dass dann auf eine solche Geschichte sich nicht mehr die Geltung des religiösen Glaubens begründen lasse. Das war nur möglich, solange diese Geschichte durch das Wunder zu einem direkten Hereinragen der übersinnlichen Welt gemacht und aus der wirklichen Geschichte völlig herausgehoben war."2 Schon von dieser Geltungsproblematik her läßt sich sowohl die Ablehnung des kultischen Heilsgeschehens als auch die Betonung einer 1 Allgemeingültig kann ein auf Historie gegründeter Glaube deshalb nicht sein, weil er niemals überall bekannt werden kann, ferner aber, weil Geschichte immer Erfahrung bedeutet, Erfahrung aber niemals sich selbst begründen kann: „Nun hat der historische Glaube (der auf Offenbarung, als Erfahrung gegründet ist) nur partikuläre Gültigkeit, für die nämlich, an welche die Geschichte gelangt ist, worauf er beruht, und enthält, wie alle Erfahrungserkenntnis, nicht das Bewußtsein, daß der geglaubte Gegenstand so und nicht anders sein müsse, sondern nur, daß er so sei, in sich; mithin enthält er zugleich das Bewußtsein seiner Zufälligkeit." (Religion, 777 ( = Β 167)). 2

120

Troeltsch, Historische, 15 If.

ethischen Persönlichkeitsreligion einsichtig machen. Denn während das kontingente kultische Geschehen nach diesen Ausführungen keine absolute Geltung sichern kann, scheint die Persönlichkeit, als eine Größe der Vernunft, der geschichtlichen Relativität entnommen zu sein und so zeitlos in Geltung zu stehen. Die Entwertung der Geschichte fuhrt notwendig zur Aufwertung der von der Geschichte unabhängig zu denkenden Persönlichkeit. Die Frage nach der „Geltung" geschichtlicher Ereignisse muß aufgrund dieser Zentralstellung, welche sie im Ringen um das kultische geschichtliche Ereignis hat, noch näher untersucht werden.

4.2

Wertphilosophie

Die Begriffe der „Geltung" und des „Wertes" gewinnen in der Philosophie des 19. Jahrhunderts besondere Bedeutung.3 Durch Lotze sowie den südwestdeutschen Neukantianismus, besonders durch Rickert, in den Mittelpunkt des philosophischen Nachdenkens gestellt, werden die Termini in der Wissenschaft der Logik und in der Geschichtswissenschaft angewandt.4 Zunächst ist entscheidend, daß der Begriff der „Geltung" sich in der Philosophie Rickerts nicht auf Dinge, Personen oder Ereignisse, sondern auf „Werte" bezieht. Werte sind nicht, sie gelten. Sie haben kein Sein, sie stehen vielmehr in Geltung. Werte beziehen sich allerdings immer auf Seiendes, das durch sie bewertet wird. Die Geltung der Werte ermöglicht Urteile über das Seiende, auf das sie sich beziehen.5 Auf diesen Zusammenhang hat Rickert mit Nachdruck hingewiesen: „Werte sind keine Wirklichkeiten, weder physische noch psychische. Ihr Wesen besteht in ihrer Geltung, nicht in ihrer realen Tatsächlichkeit. Doch sind Werte mit Wirklichkeiten verbunden (...). Der Wert kann erstens an einem Objekte so haften, daß er es dadurch zum Gute macht, und er kann außerdem mit dem Akte eines Subjektes so verknüpft sein, daß dieser dadurch zu einer Wertung wird."6 Der Historiker also kennt gewisse in der Geschichte entscheidenden Werte, die er als in Geltung stehend betrachtet. Rickert nennt diese Werte auch „Kulturwerte", da es sich um solche Werte handelt, die „entweder faktisch allgemein, d.h. von allen, gewertet oder allen Gliedern der Kulturgemeinschaft als gültig wenigstens zugemutet werden." Beispielhaft nennt Rickert „die allgemeinen Werte der Religion, des Staates, des Rechts, der Sitten, der Kunst, der Wissenschaft".7 Ausgerüstet mit diesen geltenden Werten ist es dem Historiker möglich, eine vergangene Zeit in ihrer Einzigartigkeit zu beschreiben. Die Werte nämlich zei3 4

Vgl. auch die Ausführungen zu Troeltschs Apriori-Begriff, oben , I, 4.4.4. Vgl. besonders Rickert, Geschichtsphilosophie; ders., Kulturwissenschaft; ders., Gren-

zen. 5 6

7

Zum Urteil vgl. Rickert, Urteil. Rickert, Kulturwissenschaft, 99 (Hervorhebungen im Original).

Ebd., 11 Of.

121

gen dem Historiker an, welche individuellen Gegebenheiten des unübersehbaren geschichtlichen Materials er hervorzuheben und in ihrer Einzigartigkeit darzustellen hat. Ohne solche die Geschichtsdarstellung leitenden Werte würde die Geschichte nur nach allgemeinen Gesetzen abgesucht, würde also zu einer generalisierenden, das historisch-individuelle gerade ausschließenden Wissenschaft, oder es würde eine wahllose historische Materialsammlung erstellt werden. Woher aber, so muß nun doch die entscheidende Frage lauten, weiß der Historiker, daß die von ihm angewandten Werte zu Recht in Geltung stehen? Woher die Gewißheit, daß die auf Geltung der Werte beruhenden Urteile richtig sind? Rickerts Antwort ist hier wohltuend klar: Der Historiker geht allein von dem Faktum aus, daß die betreffenden Werte in Geltung stehen. Ob sie aber zu Recht gelten, sieht er sich außerstande zu beantworten! „Der .objektive Wert' geht den Historiker, soweit er nur Historiker ist, nichts an". 8 Will der Historiker aber dennoch weiterfragen, so wird er aus dem Gebiet der historischen Forschung heraus an die Geschichtsphilosophie verwiesen. Die Geltungsfrage selbst kann nur durch eine philosophische Deutung der Geschichte beantwortet werden. 9 In der religionsgeschichtlichen Schule wird das Problem der Geltung zur konkreten Frage nach der Geltung des Christentums. Diese geschichtsphilosophische Frage ist auch für eine Wertung des Kultus von Bedeutung, um so mehr, wenn in der religionsgeschichtlichen Schule der kultische Charakter des Christentums herausgearbeitet wird. Kann einer kultischen Erlösungsreligion absolute Geltung zuerkannt werden?

4.3

4.3.1

Absolutheit des Christentums

Die Position Troeltschs

Besonders Troeltsch hat sich angesichts der Relativierung, die von der Kenntnis der allgemeinen Religionsgeschichte ausgehen kann, die Frage nach der „Absolutheit des Christentums" gestellt. Schon im Vorwort des gleichnamigen Werkes stellt Troeltsch die „prinzipielle Frage der normativen Geltung des 8

Ebd., 101 f. Die Benutzung geltender Werte zur Gestaltung seines Materials zählt zu den manchmal unbewußten Voraussetzungen des Historikers. Es zeigt sich, „daß jeder Historiker, besonders, wenn er sich nicht auf Spezialuntersuchungen beschränkt, eine Art Geschichtsphilosophie besitzt, die entscheidend dafür ist, was er für wichtig und was er für unwichtig hält" (Rickert, Geschichtsphilosophie, 105). Besonders eindrücklich zeigt Rickert diese Tatsache an der materialistischen Geschichtsschreibung, die glaubt, sie „konstatiere (...) lediglich Tatsachen, wenn sie überall von dem wirtschaftlichen Leben als der Grundlage ausgeht." Es handelt sich hier um „naive(n) Begriffsrealismus", um „metaphysische(n) Hypostasierungen des Wirtschaftlichen", und es wird verkannt, daß erst durch die Setzung eines absoluten Wertes in Form des „Sieg(es) des Proletariats auf wirtschaftlichem Gebiete", diese Entwicklung konstituiert wird (ebd., 107f). 9

122

Vgl. Rickert, Kulturwissenschaft, 160-164.

Christentums" als die „grundlegende Frage" für die Arbeit einer theologischen Fakultät.10 Ebenfalls im Vorwort dieser Untersuchung stellt Troeltsch den sein ganzes Lebenswerk durchziehenden „Versuch der Gewinnung des Normativen aus der Historie" vor, ein Versuch, dessen Unverträglichkeit mit der kantisch/neukantisehen Philosophie ihm bewußt ist. Troeltsch will beides haben: Mit Rickert ist er darauf bedacht, „das Relative und Individuelle der Historie (...) zu seinem vollen, die Historie unbedingt beherrschenden Rechte" kommen zu lassen, gegen eine neukantische Theologie hofft er, „daß doch auch in diesen relativ individuellen Erscheinungen das Werden geltender und dadurch auf ein gemeinsames Ziel gerichteter Werte nicht ausgeschlossen" werden muß." Während bei Rickert der geltende Wert eine vom Historiker vorgefundene Tatsache ist, mittels derer die Darstellung der Geschichte erst ermöglicht wird, versucht Troeltsch darzulegen, wie Werte sich in einer geschichtlichen Entwicklung erst bilden. Der Historiker ist in der Lage, diese Entwicklung - die eine Entwicklung zum Höheren ist - nachzuzeichnen, zu verstehen und für eine Entscheidung über gegenwärtig zu geltende Werte fruchtbar zu machen. Es gilt, „das Herauswachsen der Richtungen auf absolute Ziele aus dem Relativen" zu erspüren und so zu einer Entscheidung über gültige Werte zu gelangen.12 Diese Entscheidung angesichts der Fülle historisch gewordener Werte aber verlangt nach einem Maßstab der Bewertung. Auch dieser nun soll nach Troeltsch erstaunlicherweise durch Einblick in das historische Material, also nicht von außerhalb der Geschichte, gegeben werden. Er erzeugt sich „im freien Kampfe der Ideen miteinander", er ist „die in der Lebensbewegung selbst durch Ueberschau und Mitleben sich erzeugende Einstellung in die große geschichtliche Hauptrichtung".13 Der „Begriff des Normativen und Allgemeingültigen" ist der „eines gemeinsam vorschwebenden, in der Geschichte jeweils verschieden stark und klar angebahnten, aber immer vorschwebenden Zieles", welches in den geschichtlichen Individualitäten unterschiedlich klar verwirklicht ist, niemals aber eine „absolute Realisation" erfährt.14 Bis hierher meint Troeltsch durch Sichtung des historischen Materials gelangen zu können. Dann allerdings fordert auch er die „metaphysische Wendung", indem nämlich dieses gemeinsame Streben auf ein geahntes Ziel als „eine mit dem geistigen Kern der Wirklichkeit zusammenhängende, vorwärtstreibende übersinnliche Realität" begriffen wird. Dies führt wieder zu dem auch durch die Erfahrung schon partiell bestätigten Entwicklungsgedanken.15 So kann Troeltsch die Aufgaben der Geschichtswissenschaft und der Geschichtsphilosophie so zusammenfassen: Jene ist „eine wissenschaftliche Untersuchung (...), „die nach Vermögen die historische Erfahrungswirklichkeit zu umfassen und aus ihr durch 10 11 12 13 14 15

Troeltsch, Absolutheit, VII. Ebd., XI. Ebd., 47. Ebd., 53. Ebd., 57. Ebd., 58.

123

umsichtige Vergleichung und Ueberlegung die Normen zu gewinnen strebt." Diese dagegen erkennt in der Tatsache vorhandener Normen eine „Bestimmung des menschlichen Geistes" und hofft ferner, die Normen werden schließlich einmünden „in einen letzten einheitlichen Gedanken des absolut Notwendigen und Wertvollen, der als letzter der Geschichte ewig transzendent sein mag, aber doch als Ziel und Ideal vorschwebt".16 Bezogen auf den christlichen Glauben heißt dies, daß diesem aufgrund innergeschichtlicher Überlegungen die Höchstgeltung unter den bisher erschienenen Religionen zugesprochen werden kann, nicht weniger, aber auch nicht mehr, also keine Absolutheit, die jede mögliche zukünftige Überbietung ausschließt.17 Beide Seiten dieser Aussage werden begründet: Die heute aussagbare Höchstgeltung ergibt sich aus der geschichtswissenschaftlichen Beobachtung der religiösen Entwicklung. Es zeigt sich, daß das Christentum als „die stärkste und gesammeltste Offenbarung der personalistischen Religiosität" zu beschreiben ist, ja es erweist sich „nicht bloß als der Höhepunkt, sondern auch als der Konvergenzpunkt aller erkennbaren Entwickelungsrichtungen der Religion"!18 Nicht als kultische Erlösungsreligion, sondern als personalistische Erlösungsreligion erhält das Christentum das Prädikat der relativen Höchstgeltung!19 Auf der anderen Seite kann, da die Geschichte offen ist, von einer „absolutein), wandellose(n) fertige(n) Wahrheit" nicht die Rede sein, ja das Christentum selbst lehrt, daß „das Absolute jenseits der Geschichte" liege!20 So kann Troeltsch in einer Weise, die stark an das Diktum von David Friedrich Strauß21 erinnert, nach welchem sich die Idee nicht in ein Individuum ausschüttet, konstatieren: „Das Absolute in der Geschichte auf absolute Weise an einem einzelnen Punkt haben zu wollen ist ein Wahn, der nicht nur an seiner Undurchfuhrbarkeit scheitert, sondern auch an seinem eigenen Widerspruch gegen das Wesen aller historischen Religiosität".22 Beide Seiten dieser These von der relativen Absolutheit des Christentums sind jedoch philosophisch äußerst anfechtbar.

16

Ebd., 64. Vgl. dazu ebd., 65-74. 18 Ebd., 70,73. 19 In dieser Bewertung des Christentums als eines Gipfels der Religionsgeschichte herrscht in der religionsgeschichtlichen Schule weithin Einigkeit. Vgl. besonders Boussets Ausführungen in seiner Rede über die „Zukunft des Christentums" (Bousset, Wesen, 197— 226), so vor allem ebd., 201: „Ja im Christentum ist nicht nur ein höchster Punkt der Entwicklung gegeben, in ihm scheinen auch alle bisherigen Linien zusammenzulaufen." 20 Ebd., 74. 21 Strauss, Leben Jesu (Bd. 2), 734: „Das ist ja gar nicht die Art, wie die Idee sich realisiert, in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten, und gegen alle anderen zu geizen". 22 Troeltsch, Absolutheit, 80. Deshalb ist auch die orthodoxe Lehre von der Ausschließlichkeit der Person und des Werkes Jesu als Produkt der „Apologetik" zu betrachten (ebd., 81). 17

124

4.3.2

Kritik der Auffindung des Maßstabes

Der Versuch des Erweises einer Höchstgeltung ist heftiger philosophischer Kritik ausgesetzt.23 Beruht die Aussage, daß das Christentum als „personalistische(n) Erlösungsreligion"24 der Konvergenz- und Höhepunkt der religiösen Entwicklung sei, nicht selbst auf dem bereits für den Historiker in Geltung stehenden Wert der „Persönlichkeit" sowie der „Erlösung"? In diesem Sinne hat Niebergall25 an Troeltsch Kritik geübt: „Es ist immer eine Entscheidung des Willens, die uns zur Anerkennung eines Ideals nötigt. (...) Denn die Philosophie - das ist der Mensch selber, wie er die Welt auffaßt. Er holt seine Gedanken und Ideale nicht aus ihr heraus, sondern trägt sie in sie hinein, denn sie sind zuerst in seiner Seele geboren."26 Ganz im Gefolge einer neukantischen Theologie konstatiert Niebergall: „Also die Rede von einer fortschreitenden Offenbarung hat nur einen Sinn, wenn man sie rückschreitend aufzufinden sucht. Vorher muss man mit seinem Werthurteil, mit der Schätzung einer Erscheinung als der Darbietung des höchsten Gutes und der höchsten Wahrheit die Offenbarung festgestellt haben."27 Troeltsch hat diese Kritik akzeptiert, ist aber dennoch bei seiner Hoffnung auf Feststellung gültiger Werte aus der Geschichte geblieben. In der direkten Antwort an Niebergall, dem berühmten Aufsatz über „historische und dogmatische Methode in der Theologie", vertritt er die Überzeugung, daß sich im Blick auf die Bewertung der historischen „Geistestypen" „ein relativ übereinstimmendes Urteil sittlich und religiös ernst denkender Menschen (...) erreichen läßt." Troeltsch gibt zu, diese Überzeugung beruhe „auf dem religiös-ethischen Glauben, daß schließlich in der prinzipiellen Gleichartigkeit der menschlichen Natur auch die Gemeinsamkeit in der Anerkennung höchster Wertmaßstäbe begründet sei und von hier aus sich durchsetzen werde." Dennoch behält er sich die Möglichkeit vor, „zu dem Ergebnis der Schätzung des Christentums als der höchsten sittlichen und religiösen Macht" zu kommen, ohne „dieses Ergebnis (...) vorher schon in der Tasche gehabt zu haben".28 23

Vgl. dazu auch Drescher, Problem, 199f. Ebd. 25 Friedrich Niebergall (1866-1932), 1908 ao. Prof. für prakt. Theol. in Heidelberg, ab 1922 o. Prof. in Marburg. 26 Niebergall, Absolutheit, 54f. 27 Ebd., 65 (Hervorhebung: K.L.). 28 Troeltsch, Ueber historische, 745f. - Große Parallelen sowohl mit diesem Aufsatz wie auch mit der Absolutheitsschrift zeigen Troeltschs Überlegungen angesichts der heftigen Diskussion über Harnacks „Wesen des Christentums". In einem ausführlichen Aufsatz stellt Troeltsch im Jahre 1903 die methodologische Frage, wie denn das „Wesen" einer historischen Erscheinung überhaupt bestimmt werden könne. Ausgehend von dem Vorsatz, dieses Problem allein mittels der „historische(n) Methode" (Troeltsch, Wesen des Christentums, 395) einer Lösung zuzuführen, gelangt er schon hier zu der alles entscheidenden Frage nach einem „Maßstab", der eine kritische Wesensbestimmung erst ermöglicht (ebd., 407). Die Antwort kann nur im Sinne einer „persönliche(n) Entscheidung und innere(n) Ueberführung", eines „persönlich-ethische(n) Urteil(s)" (ebd., 411) gegeben werden! Ja, das „Objektive" in der Geschichte „liegt nicht bereit, (...) sondern es wird jedesmal neu geschaffen" (ebd., 435; Her24

125

Im Grunde muß es bei dieser Beteuerung bleiben; es kann schwerlich erwiesen werden, daß die Schätzung einer personalistischen Erlösungsreligion nicht bereits vor der Untersuchung feststand. Troeltsch steht vor dem nicht zu lösenden Problem, daß die Konstruktion einer sich entwickelnden fortschreitenden Reihe selbst schon einen Maßstab, also einen Wert voraussetzt. Auch hier sind die einschlägigen Hinweise Rickerts deutlich: „Da aber die Geschichte nach der Geltung der Werte nicht zu fragen hat, sondern lediglich darauf Rücksicht nimmt, daß gewisse Werte faktisch gewertet werden, so kann sie auch niemals entscheiden, ob eine Veränderungsreihe ein Fortschritt oder ein Rückschritt ist. Der Begriff des Fortschritts gehört deswegen in die Geschichtsphilosophie, die den ,Sinn' des historischen Geschehens mit Rücksicht auf die darin verkörperten Werte deutet und die Vergangenheit als wertvoll oder wertfeindlich zu richten unternimmt."29 In seinen breiten Ausführungen zum Historismus hat Troeltsch seinen Versuch der Gewinnung eines Entwicklungsbegriffes deutlicher auf eine persönliche Entscheidung abgestellt, ohne jedoch die Hoffnung auf die Erarbeitung der Werte aus dem historischen Material heraus aufzugeben.30 „Maßstäbe zur Beurteilung historischer Dinge"31 entbehren der „Allgemeingültigkeit, Zeitlosigkeit, Absolutheit und Abstraktheit", sie sind immer „individuelle Setzungen".32 Diese Maßstäbe erzeugen sich „spontan" in der Vergleichung geschichtlicher Sinneinheiten und sind bei den unterschiedlichen Denkern auch durchaus verschieden. Ein solcher Maßstab fordert die metaphysische Fundierung, er muß letztlich auf

vorhebung im Original). „Das Objektive erfordert den Mut des Glaubens an seine Objektivität und besteht in solcher immer neuen Tat" (ebd.)! Den Vorwurf des daraus notwendig sich ergebenden Subjektivismus' erkennt Troeltsch ausdrücklich an (436). Er hofft lediglich, diesen mit Hilfe des „gewissenhaftesten und umfassendsten historischen Studium(s)" in Grenzen zu halten (ebd.). 29 Rickert, Kulturwissenschaft, 109f. - Vgl. auch die frühe Auseinandersetzung zwischen Troeltsch und Kaftan (ZThK 6 (1896) und 8 (1898), besonders Kaftans Hinterfragung eines von Troeltsch geforderten entwicklungsgeschichtlichen Idealismus': Kaftan, Erwiederung, 78-82. Auch Max Weber konnte sich dem Modell Troeltschs nicht anschließen. Vgl. dazu Weiß, Troeltsch, Weber, 242: „Es erscheint Weber aus logischen Gründen ganz ausgeschlossen, aus historischen Analysen, auch wenn sie auf Wertbeziehungen beruhen und sich einer individualisierenden und entwicklungsgeschichtlichen Perspektive bedienen, neue, normativ verbindliche Kulturideale zu gewinnen." 30 In diesen Zusammenhang gehört das bekannte Schlußwort des Historismusbandes, demzufolge „Geschichte durch Geschichte (zu) überwinden" ist (Historismus, 772). Dieses vielzitierte Wort stammt allerdings von Rickert, vgl. ders., Grenzen, 2. Auflage Tübingen 1913, 643 ( = 5. Auflage, 736): „(W)ir können (...) die Geschichte nur durch Geschichte überwinden, und das heißt: wir können als Kulturmenschen niemals die Geschichte überhaupt, sondern lediglich eine ihrer besonderen Gestaltungen überwinden wollen." Während Rickert mit dieser Wendung die geschichtliche Relativität jeder menschlichen Sinngebung betont, könnte hinter der Formulierung Troeltschs gerade die Hoffnung stehen, durch die Maßstabfindung ein festes Fundament fur die Gegenwart zu erhalten. 31 Troeltsch, Historismus, 111. 32 Ebd., 166.

126

„die innere B e w e g u n g des göttlichen Geistes im Endlichen" 33 zurückgeführt werden: „Das Denken muß also in irgendeinem geheimen Bunde mit dem Realen stehen". 34 Diese Behauptung ist Sache des Willens und des „metaphysischen Glaubens", sie erfordert einen „Sprung", wie ihn „Kierkegaard (...) mit immer neuer Schärfe behauptete". 35 Zugleich aber will Troeltsch diese Maßstabbildung tief im Empirischen verwurzelt sein lassen, ist ihm die von Rickert betonte Trennung von historischem Material und an diesem anhaftenden Werten ein Rückfall in den „Vernunftrationalismus und Antihistorismus Kants". 36 N a c h w i e vor soll die Aufgabe lauten, „(a)us dem Historisch-Individuellen den Maßstab herauszuarbeiten". 37 Bousset hat gegenüber Troeltsch die radikalere und daher auch einfachere Position. 38 Er stellt diese in offener Auseinandersetzung mit Troeltsch in zwei Vorträgen in den Jahren 1910 und 1912 vor. 39 Der Untertitel des Vortrags über die Bedeutung Jesu enthält die entscheidenden Begriffe der „historischen" und der „rationalen Grundlagen für den Glauben". Bousset versteht diese Begriffe als eine sich ausschließende Alternative: Weil angesichts der modernen Geschichtsforschung historische Grundlagen fur den Glauben unmöglich geworden sind, bleiben uns allein rationale, in unserer Vernunft immer schon angelegte Fundamente des Glaubens. Bousset fordert die völlige Freiheit des Glaubens von den Ergebnissen der historischen Forschung. Seine neofriesianische Philosophie ermöglicht ihm diese Freiheit, indem die Wahrheit der Religion nicht in

33 Ebd., 172f. - Zu unterscheiden sind näherhin eine Maßstabbildung ersten Grades, die nach dem Sinn mehrerer historischer Einheiten fragt, und die Maßstabbildung zweiten Grades, die allein auf einen Sinnabschnitt der Geschichte sich bezieht. Ihnen entspricht der Begriff der universalen Entwicklung bzw. der Einzelentwicklung (ebd., 172-174). 34 Ebd., 183. 35 Ebd., 174f, 178. Vgl. Drescher, Problem, 205: „Es ist also gar nicht die Rickertsche Geschichtsbetrachtung in ihrer Ursprünglichkeit und Reinheit, die diese Erörterungen bestimmt, vielmehr wird Rickerts Geschichtsverständnis von Troeltsch geschichtsmetaphysisch umgedeutet." 36 Ebd., 154 37 Ebd., 164. Vgl. auch das Kapitel „Historie und Wertlehre", ebd., 200-220. - Troeltsch will nicht nur die Wertung durch den Historiker, sondern er will das historische Sein selbst ergründen: Für Rickert ist die „Entwicklung ein Arrangement des Darstellers, der die Tatsachen darstellt und behandelt, als ob sie der Verwirklichung von Werten (...) dienten. Für den Historiker dagegen ist die Entwicklung eine innere Bewegung des Gegenstandes selbst (...). Auch hier verlangt diese Verlegung der Entwicklung in das Gegenständliche (...) in letzter Linie eine metaphysische Deutung." (ebd., 234f). Diese kann nur in der Richtung Hegels und Leibniz' zu suchen sein, in der Behauptung der „Identität der endlichen Geister mit dem unendlichen Geiste" (ebd., 677)! Diese Identität ermöglicht der „Forschung" ein weitgehendes Eindringen „in den wirklichen Realzusammenhang" (ebd., 678). - Seine Differenz zu Rickert faßt Troeltsch treffend zusammen: „Wo ich Reales zu sehen meine, da denken Sie Gültigkeiten oder Werte" (Graf, Briefe, 126). Rickert deutet diese Unterscheidung in seinem Sinne, vgl. ders., Grenzen, XXIX. 38 Vgl. zum Folgenden auch Drescher, Troeltsch, 351-353. 39 Vgl. Bousset, Bedeutung; ders., Religion und Geschichte.

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der Geschichte, sondern in der „Ratio" gesucht und gefunden wird. Die Geschichte selbst kann dann jeweils nur „Symbol" sein, Symbol der Ideen, die in der Vernunft immer schon angelegt waren. Der Fromme wird die Geschichte als Symbol seiner Wahrheit durchforschen, dabei aber wird „das Schwergewicht von geschichtlicher Tatsächlichkeit und Ratio sich zu Gunsten der letzteren allmählich in sein Gegenteil verkehren"; die Vernunft „wird Herr der Geschichte und der Überlieferung".40 Deutlich wird das kantische Diktum vom nur illustrativen Charakter der Geschichte aufgegriffen, wenn es von der Wahrheit heißt, sie ruhe „hinter den Symbolen, in den unverrückbaren gottgegebenen Tiefen menschlicher Vernunft und in den ewigen Werten der Ideen. Das Symbol dient zur Illustration, nicht zur Demonstration."41 Dieses Verständnis der Geschichte kommt einer Entwertung derselben gleich, insofern sie niemals konstitutiven, begründenden, sondern nur illustrativen Charakter haben soll. Wernle warf so zu Recht seinem Freund Bousset eine „immer stärkere Geringschätzung der Geschichte in ihrem Wert für die Religion" vor.42 4.3.3

Kritik der Anwendung der Geltungsfrage

Auch die andere Aussage Troeltschs, die Verneinung der „absoluten Geltung" des Christentums, bedarf der philosophischen Klärung. In dieser Ablehnung stimmen Troeltsch und Bousset überein. Warum kann das Absolute nicht an einem konkreten Punkt der Geschichte erscheinen, oder, um es sofort christologisch zu wenden, sich inkarnieren? Auf das straußsche Diktum ist schon hingewiesen worden. Diese Meinung, daß die Einheit von Gott und Mensch nicht in einer historischen Person sich verwirkliche, ist das entscheidende Kennzeichen einer linkshegelianischen Theologie, die die Person durch einen Prozeß, die Einheit von Gott und Mensch in Christus durch die Entwicklung zur Gott-

40

Bousset, Religion und Geschichte, 9. Bousset, Bedeutung, 17. Allerdings konstruiert Bousset die geschichtliche Reihe dieser Symbole als eine ebenso fortschrittlichen Entwicklung, wie sie bei Troeltsch proklamiert wurde (vgl. sein Buch über das „Wesen der Religion, dargestellt an ihrer Geschichte"). Nur versucht er nicht wie dieser, die Bewertung dieser geschichtlichen Reihe selbst wieder aus der Geschichte zu begründen. 42 Wernle, Brief an Bousset vom 5.9.1909, ÜB Göttingen (unveröffentlicht), S. 3. Bousset beansprucht zwar für sich dennoch eine große Bedeutung der Geschichte. So gebe es „innerhalb der Geschichte (...) Symbole, die alle anderen an Wert überragen und eine an Ewigkeit gränzende (sie!) Giltigkeit" besäßen (Bousset, Brief an Wernle vom 19.10.1910, UB Göttingen (unveröffentlicht), S. 2). Aber dennoch bleibt es bei dem allein illustrativen Charakter. - Diesen Symbolcharakter der Geschichte kann Bousset auch mit „Carlyles Kleiderphilosophie" begründen (ebd.). Berger (Exegese und Philosophie, 91-97) weist darauf hin, daß die Kleiderphilosophie Carlyles, nach der die vergänglichen Formen des Lebens nur Hüllen für ewige Wahrheiten sind, Bousset schon vor dessen Kenntnis der friesschen Philosophie die Gelegenheit bot, geschichtliche Ereignisse als Symbole zu deuten. Vgl. auch den Hinweis Boussets in Jesu Predigt, 75 (zitiert bei Berger, 93). 41

128

Menschheit in der Gattung Mensch ersetzt.43 Die Frage nach der Inkarnation ist jedoch - und das ist nun gerade für die Implikationen hinsichtlich des Kultusbegriffes von Bedeutung - eine ontologische Frage.44 Sie bezieht sich auf das Sein Gottes in Jesus Christus. Die Möglichkeit dieses Seins wird von linkshegelianischer Seite bestritten. Die Frage nach einer Geltung jedoch bezieht sich ja in der Wertphilosophie gerade nicht auf ein Sein, sondern auf Werte. Werte aber sind vom Sein unterschieden, durch sie wird vielmehr eine Wertung des vorhandenen Seins ermöglicht. Diese Unterscheidung ist gerade fur eine geschichtliche Untersuchung, wie Troeltsch sie durchführen möchte, von grundlegender Bedeutung. Rickert hat im Schlußkapitel seines Hauptwerkes nochmals deutlich auf diese Unterscheidung hingewiesen: „Unter den .Werten' verstehen wir nicht die realen Güter, an denen Werte haften, und auch nicht die wirklichen Akte des Wertens oder die Wertungen, die zu Werten Stellung nehmen. (...) Wir meinen vielmehr die unwirklichen, von jeder Realität begrifflich ablösbaren Werte selbst, mit Rücksicht auf welche der Sinn der Kulturgüter besteht, und wir behandeln sie, insofern sie als Werte gelten. Wir dürfen daher das philosophische Problem, fiir das die Geschichte von Bedeutung wird, als das der Wertgeltung oder der Geltung überhaupt bezeichnen, da es nur Werte, nicht Wirklichkeiten sind, von denen man .Geltung' in einer prägnanten Bedeutung des Wortes aussagen kann."45 Geht man von dieser Zuordnung des Verbes „gelten" zu dem Begriff des „Wertes" aus, dann wird die Frage nach der „Geltung des Christentums" unlogisch. Entweder man fragt mit den Linkshegelianern nach der Möglichkeit des Seins Gottes in Christus. Dann aber hat man ein Sein und keine Geltung in Frage gestellt. Oder aber man fragt nach der Geltung desjenigen Wertes, aufgrund dessen das Christentum als absolute Religion gewertet wird. Beide Fragen fuhren aber über die historische Forschung hinaus und verweisen in die Metaphysik der Geschichte. Beide Fragen verbergen sich hinter der Diskussion um die Höchstgeltung des Christentums. Allerdings liegt ihnen ein je unterschiedliches Verständnis des Begriffes „Christentum" zugrunde: In der Auseinandersetzung um das Sein Gottes in Christus wird die normative Christologie, etwa in der Formulierung des Chalcedonense als Zentrum des christlichen Glaubens betrachtet. Ein solches Sein wird bei Troeltsch und in der religionsgeschichtlichen Schule insgemein abgelehnt. Deshalb kann dem so verstandenen Christentum sicher keine 43 Die Einteilung der Hegelschüler „in Analogie zur Sitzordnung des französischen Parlaments" (Mehlhausen, Umschlag, 175) geht auf David Friedrich Strauss selbst zurück. Vgl. Mehlhausen, ebd.: „Zur linken Schulseite mußte fortan deijenige Hegelianer gezählt werden, der die Überzeugung vertrat, daß mit der Aufhebung der religiösen Vorstellung in den Begriff die Frage nach der historischen Faktizität des Vorstellungsgegenstandes zumindest irrelevant werde." 44 Das gilt übrigens genauso für den innerreformatorischen Streit um das finitum capax infmiti der Abendmahlslehre. 45 Rickert, Grenzen, 699 (Hervorhebungen im Original).

129

„absolute Geltung" zugesprochen werden.46 Die Frage nach einem Wert, der die „Höchstgeltung" des Christentums verbürge, läßt dagegen der Interpretation des Begriffs „Christentum" viel Spielraum. Wird darunter die schon erwähnte „personalistische Erlösungsreligion" verstanden, so kann die Suche nach dem begründenden Wert durchaus positiv ausfallen und wenigstens die relative „Höchstgeltung" postuliert werden.

4.4

„Geltung" des Kultus?

Die Implikationen, die das Modells von der Höchstgeltung des Christentums für den Kultusbegriff beinhaltet, liegen nun offen vor Augen: Wird in der religionsgeschichtlichen Schule das Christentum von der christologischen Frage gelöst und unter der Kategorie der „personalistischen Erlösungsreligion" gefaßt, so erscheint es den Religionsgeschichtlern als möglich, dessen heutige „Geltung" zu erweisen, sei es, indem der Maßstab zu dieser Bewertung wiederum der Geschichte entnommen (Troeltsch), sei es, daß er in der Vernunft gefunden werden soll (Bousset). Aber wenn hier positiv von der „Geltung" des Christentums die Rede ist, so wird darunter gerade ein vom Kultischen gelöster Erlösungsglaube verstanden, der durch den Maßstab der „Persönlichkeit" als gültig erwiesen wird. Dieser Erlösungsglaube ist dann nichts anderes als die kantische Vernunftwahrheit in historischem Kleid. Gewiß wollen die Religionsgeschichtler keine abstrakte Vernunftreligion, sondern eine geschichtlich gewordene, gelebte Religion. Indem sie aber dem Christentum die kultische Dimension nehmen, bleibt unter der historischen Bezeichnung tatsächlich nur Vernunftwahrheit übrig. Bousset hat dies deutlich gesehen. Im Vorgriff auf die Untersuchungen des zweiten Teiles der vorliegenden Arbeit muß nun schon hier betont werden, daß gerade die Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule die Bedeutung des Kultus fur die Verfasser des Neuen Testamentes herausstellen. Es muß also konstatiert werden, daß das Christentum, dem die Religionsgeschichtler relative Höchstgeltung beilegen wollen, gar nicht dasjenige ist, fur welches sie sich als Exegeten interessieren, nämlich der im Neuen Testament bezeugte Glaube an Jesus Christus, fur den die kultische Dimension fundamental ist. Dieser Glaube will ja gerade nicht Glaube in den Grenzen der Vernunft sein, er will nicht Vernunftwahrheiten, sondern geschichtliches Heilsgeschehen verkündigen. Versteht man aber unter dem „Christentum" nicht eine Wahrheit oder Lehre, sondern das Ereignis der Menschwerdung Gottes sowie die durch dasselbe begründete Gemeinschaft mit Gott im Kultus, so wird aus der Frage nach der Geltung die Frage nach der Möglichkeit dieses postulierten Geschehens, also 46

Die Ablehnung des Seins Gottes in Christus wie auch des Handelns Gottes im Kultus wird im nächsten Abschnitt (5.), der von der historischen Methode handelt, noch ausfuhrlich untersucht.

130

eine ontologische Frage. Dieses Geschehen kann nicht allgemeingültig sein im Sinne Kants, da es der menschlichen Vernunft nicht allgemein zugänglich ist. Es ist vielmehr offenbartes, verheißenes Geschehen, das verkündet werden muß. Ferner „gilt" dieses Geschehen nicht im Sinne der neukantischen Wertlehre, denn es handelt sich um Sein, nicht um einen unwirklichen, nur geltenden Wert.47 Nach diesem Sein wäre zu fragen, also zu untersuchen, ob dieses Geschehen bewiesen, widerlegt oder von der Vernunft nicht weiter kommentiert werden kann. Überblickt man diese Ergebnisse, so wird deutlich, daß die Frage nach einer „Geltung" in der religionsgeschichtlichen Schule noch nicht zur entscheidenden Klärung hinsichtlich der Bewertung des Kultus fuhrt. Vielmehr wird nach dem Sein des kultischen Geschehens im folgenden näher zu fragen sein.

47

Dieses Sein kann, wie die Wertlehre Rickerts richtig erkennt, nur durch einen Wert gewertet werden, der selbst nicht durch Geschichtswissenschaft eruiert wird. Wenn also, um ein Beispiel zu geben, Paulus in 1. Kor. 10 von der κοινωνία mit Christus spricht, welche im Abendmahl statthat, so redet er von einem realen Geschehen, von einem Sein (vgl. zu dieser Exegese die Ausführungen des zv.eiten Teiles der Arbeit). Die Geltungsfrage ließe sich im Sinne der Wertphilosophie hierauf nicht anwenden.

131

5. Historische Methode und Supranaturalismus 5.1

Die Frage nach dem Sein

Die Argumentation der religionsgeschichtlichen Schule geht über die Geltungsfrage hinaus, indem die Möglichkeit von „Heilstatsachen" überhaupt bestritten wird. Die Geltungsfrage wird zur Frage nach dem Sein. Mit der nun zu behandelnden historischen Methode rückt ein Gebiet in den Blick, in dem ein deutlicher Schritt über Kant hinaus zu verzeichnen ist. Bisher erörterte die Diskussion lediglich die Frage nach Geltung einer historisch gewordenen Religion. Jetzt aber wird gefragt, was denn überhaupt im Gebiet des Historischen sein kann. Die historische Methode im Sinne Troeltschs will nicht nur ein Arbeitsinstrument zur Erforschung von Texten sein, sie gibt vielmehr, indem sie ihre Kriterien für die geschichtliche Arbeit liefert, eine Weltanschauung an die Hand, in welcher über die Möglichkeit von Sein im Gegensatz zu bloßem Bewußtsein entschieden werden soll: „,(R)ein historisch' bedeutet eine ganze Weltanschauung"' Dies wird deutlich, wenn man sich auf die von Troeltsch klassisch zusammengefaßte historische Methode der Exegese besinnt.2 Bevor der Leser überhaupt die methodischen Schritte der historischen Kritik zur Kenntnis nimmt, muß er bereits klar sehen, daß die „moderne Historie (...) eine bestimmte Stellung zum geistigen Leben überhaupt in sich schließt, eine Methode, Vergangenheit und Gegenwart aufzufassen, darstellt und ebendeshalb außerordentliche Konsequenzen in sich enthält."3 Mit dem Stichwort der Geschichte ist, so wird von vornherein klargestellt, eben nicht nur die Handhabung gewisser Methoden1 Troeltsch, Wesen des Christentums, 397. - Dazu deutlich Drescher, Problem, 217-222, besonders 218: „Bei der von Troeltsch vorgenommenen Charakteristik der dogmatischen Methode in ihrem Unterschied zur historischen zeigt sich ebenfalls die Gebundenheit an bestimmte inhaltliche Voraussetzungen und Entscheidungen, so daß der rein formale Gesichtspunkt für die Anwendung der historischen Methode von Troeltsch selber nicht durchgehalten wird und an die Seite rückt." 2 E. Troeltsch, Ueber historische. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß Troeltsch seine in diesem Aufsatz vorgetragene Darstellung der historischen Methode auf Hume und Kant zurückführt. So heißt es in der Arbeit über die kantische Religionsphilosophie aus dem Jahr 1904: Kant „hat in der Weise Humes die Bedingungen eines sicheren historischen Wissens erörtert: die formelle Kritik der Urkunden, die Beurteilung aller Überlieferung nach der Analogie des heute noch vorkommenden psychischen Geschehens und die Herstellung eines alles umfassenden Korrelationszusammenhanges, in dem jedes Einzelne durch die Beziehung zu einem anderen sich erklärt, und der in letzter Linie auf den Zusammenhang der Menschheitsgeschichte hinweist." Historische, 104, Belege 105, Fußnote 1). 3 Ebd., 731.

132

schritte angesprochen, sondern vielmehr eine Weltanschauung, deren Aussagen die ganze Wirklichkeit betreffen.4 Diese Weltanschauung ist „eine völlige Revolution unserer Denkweise", wer „ihr den kleinen Finger gegeben hat, der muß ihr auch die ganze Hand geben."5

5.2

Kritik, Analogie, Korrelation

Das Arbeitsmittel der historischen Methode ist die „Kritik", das heißt das jeweilige Messen eines Wahrscheinlichkeitsgrades des berichteten Ereignisses. Kritik ihrerseits wird ermöglicht durch die Kriterien der „Analogie" sowie der „Wechselwirkung" (Korrelation). Jenes bedeutet die angenommene prinzipielle Gleichartigkeit aller überlieferter Gegenstände und Ereignisse, dieses die Einordnung aller Erscheinungen des geschichtlichen Lebens in einen kausalen Zusammenhang. Bei diesen beiden Kriterien ist folgendes zu bedenken: Die Analogie meint die „Uebereinstimmung mit normalen, gewöhnlichen oder doch mehrfach bezeugten Vorgangsweisen und Zuständen, wie wir sie kennen", sie bedeutet „die prinzipielle Gleichartigkeit alles historischen Geschehens" 6 Analogie ist also ein Erfahrungskriterium, ein Maßstab, den unsere Erfahrung uns bereitstellt. Erfahrung aber ist verstanden als Erfahrung des Gesetzes der Korrelation, als die Feststellung der unbedingten Folge von Ursache und Wirkung im Ablauf der Geschichte. Daraus ergibt sich, daß die Kriterien der Analogie und der Korrelation konvergieren: Wir können gerade demjenigen Geschehen Analogien attestieren, das sich kausal erklären läßt oder von dem man mindestens annehmen muß, daß es eine kausale, das heißt den innerweltlichen Kausalnexus nicht überschreitende Erklärung dafür gibt. Auf diesen Zusammenhang spielt Troeltsch an, wenn er das Kriterium der Korrelation mit dem der Analogie verbindet: „Ist aber diese alles nivellierende Bedeutung der Analogie nur möglich auf Grund der Gemeinsamkeit und Gleichartigkeit des menschlichen Geistes und seiner geschichtlichen Betätigungen überhaupt, so ist damit der dritte historische Grundbegriff gegeben, die Wechselwirkung aller Erscheinungen des geistig-geschichtlichen Lebens".7

4

So erklärt auch Gunkel: „Das Wort , Geschichte' ist heutzutage ein Schlagwort geworden, dem sich jeder unbesehen unterwirft; denn niemand will ,unhistorisch' sein. (...) Wir sprechen mit diesem Worte eine ganze Weltanschauung aus, die uns unsere grossen idealistischen Denker und Dichter erworben haben" (Das alte Testament, 55). 5 Troeltsch, Ueber historische, 734f. Symptomatisch ist auch die Tatsache, daß der Artikel „Glaube" in der ersten Auflage der RGG einen eigenen von Troeltsch verfaßten Teilartikel unter der Überschrift „Glaube und Geschichte" erhielt, worin die Krisis des christlichen Glaubens angesichts des modernen Geschichtsbegriffes eingehend besprochen wurde. 6 Ebd., 732. - Eine ähnliche Beschreibung der nach Analogie und Kausalzusammenhang suchenden historischen Methode gibt Troeltsch in seinen Ausführungen zum „Wesen des Christentums" (Wesen des Christentums, 394-401). 7 Ebd., 733 (Hervorhebung: K.L.).

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Es handelt sich bei näherem Hinsehen nicht um die vielzitierten „drei Kriterien der historischen Kritik", sondern lediglich um ein einziges: Das eigentliche und einzige Kriterium der historischen Kritik ist der durch Erfahrung verbürgte kausale innerweltliche Zusammenhang.8 Dabei , ist besonders zu beachten, daß dieser kausale Zusammenhang metaphysische Realität erhält. Es ist also nicht etwa nur so, wie Rickert als Neukantianer formuliert, daß der Historiker zwar in der Darstellung einer individuellen historischen Entwicklung Kausalzusammenhänge aufzeigen soll, niemals aber ein Kausalgesetz als „metaphysische Realität(en)" postulieren darf. Denn, so Rickert, „(v)on metaphysischen Voraussetzungen (...) hat sich die Methodenlehre frei zu halten, und deshalb darf sie nur von individuellen Kausalverbindungen als empirischen Wirklichkeiten und von Gesetzen als allgemeinen Begriffen sprechen."9 Demgegenüber betont Troeltsch, daß „die historische Methode hervorging aus der metaphysischen Annahme eines Gesamtzusammenhangs des Universums und damit auch der Tätigkeiten des menschlichen Geistes".10 Zwar will Troeltsch an anderer Stelle diesen ursprünglichen Anspruch, mit der Methode das Sein zu erfassen, wieder einschränken mit der Aussage, „metaphysische Fragen und deren Einwirkung auf die historischen Begriffe" würden bei diesem Vorgehen noch nicht berücksichtigt.11 Aber die „Verknüpfung und Rekonstruktion des Geschehens nach den Prinzipien der auf Analogie begründeten Wahrscheinlichkeit"12 ist dennoch so gemeint, daß nicht nur Erfahrung, sondern „Geschehen" mit Hilfe dieses Maßstabes bestimmt wird. Es wird also nicht lediglich festgestellt, daß die menschliche Erfahrung immer das Korrelationsprinzip schon enthält, daß also eine Erfahrung von einem Vorgang außerhalb des Kausalzusammenhanges unmöglich ist. Die Methode intendiert vielmehr, einem solchen Vorgang überhaupt die Möglichkeit des Seins zu bestreiten. Troeltsch hat diese Konsequenz gerade fur das zentrale Thema der christlichen Religion, die Erlösung, deutlich ausgesprochen: Die „orthodoxe Erlösungslehre" ist nicht mehr zu behaupten. „Die Ursachen davon sind das heutige ethische Empfinden und historische Denken, sowie die moderne Metaphysik, die die Kontinuierlichkeit der Weltvorgänge behauptet "13

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Es ist verwirrend, von den drei oder gar vier Prinzipien der historischen Kritik zu reden, die Troeltsch aufgestellt habe (so z.B. Stuhlmacher, Verstehen, 24f). Diese Formulierung setzt die Begriffe „Kritik", „Analogie", „Korrelation" (sowie „religiöse Subjektivität") zu Unrecht auf dieselbe logische Ebene. „Kritik" ist vielmehr die Bezeichnung für das gesamte methodische Vorgehen, „Analogie" und „Wechselwirkung" geben die anzuwendenden Kriterien an, wobei die Analogie durch Erweis der Korrelation sichergestellt wird. Vgl. dazu schon die Ausführungen bei Drescher, Glaube und Vernunft, 80f. 9 Rickert, Geschichtsphilosophie, 72. 10 Troeltsch, Ueber historische, 742. 11 Troeltsch, Wesen des Christentums, 397. 12 Ebd. 13 Troeltsch, Glaubenslehre, 329 (Hervorhebung: K.L.).

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5.3

Korrelation und Individualität

Man mag nun die absolute Geltung des kausalen innerweltlichen Zusammenhanges als Kriterium der von Troeltsch favorisierten historischen Methode bestreiten mit dem Hinweis etwa auf die nie ganz kausal ableitbare „Individualität" geschichtlicher Phänomene sowie auf unableitbare seelische Erlebnisse. 14 Gerade Troeltsch wehrt sich gegen eine nach Art der Naturwissenschaften konstruierte, nur kausale Abläufe konstatierende Psychologie sowie gegen die philosophische Vernachlässigung des Begriffs der Kontingenz. Die „Tatsachen selbst", so Troeltsch, „sind irrational und zufällig. Daß es das oder jenes gibt, ist nicht zu begreifen." 15 So wird unter dem „Begriff der Individualität" jeweils ein konkretes Einzelnes gedacht, das zwar durch mancherlei allgemeine Gesetze beschrieben werden mag, aber immer noch „etwas aus ihnen nicht resultierendes Besonderes und Unwiederholbares hat." 16 Die Überlegungen zur menschlichen Freiheit schließlich fuhren Troeltsch sogar dazu, von der „Gesetzlichkeit der Natur" eine „Elastizität" zu verlangen, die dieser Freiheit erst Raum gibt. Es ist also von „(d)urchbrochene(n) oder „elastische(n)" Gesetze(n) zu sprechen.17 Will Troeltsch allerdings mit der Unableitbarkeit historischer Individualität sowie seelischer Erlebnisse ernstmachen, so fällt zugleich die Unbedingtheit der Korrelationsforderung in der geschichtlichen Forschung. Man kann hier nicht beides haben. 18 Schon hier zeigt das einfache Modell einer historischen Forschung anhand des Analogie- und Korrelationskriteriums Aporien. Wie kommt Troeltsch mit der Spannung zwischen Forderung der Korrelation und Anerkennung nicht ableitbaren Geschehens zurecht? Diese Frage muß durch Untersuchung der jeweiligen Entscheidung über Anerkennung oder Ablehnung postulierter Geschehnisse durch Troeltsch beantwortet werden. Für die von ihm immer betonte und gesuchte geschichtliche Individualität gilt, daß sie nicht vollständig kausal ableitbar ist.19 Nicht das Ereignis selbst,

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Vgl. zu diesem Problem Apfelbachers Auseinandersetzung mit Pannenberg bezüglich der Ausführungen Troeltschs zur historischen Methode, Apfelbacher, Frömmigkeit, 212-219. Apfelbacher vermag die Aporie zwischen Analogieprinzip und Individualität bei Troeltsch nicht zu lösen; die Hinweise auf zu berücksichtigende „Adressaten" (217) der Aufsätze oder auf „irreführende Formulierungen" (219) des Autors überzeugen nicht, da ihre Anwendung schwer überprüfbar ist. 15 Troeltsch, Kontingenz, 773. 16 Ebd., 774. " Ebd., 776. 18 So kommt Troeltsch auch im soeben zitierten Aufsatz zu dem Ergebnis, hier führe Jeder Versuch in letztlich unheilbare Widersprüche, obwohl die Vereinigung immer wieder von neuem versucht werden" müsse (Kontingenz, 778). 19 Troeltsch hat in dieser Hinsicht viel von Rickerts Ausführungen zum Begriff der „historischen Entwicklung" gelernt. Eine historische Entwicklung - so Rickert - ist immer einmalig, also eine „historische Individualität". Deshalb „schließen die Begriffe der historischen Entwicklung und des Gesetzes einander geradezu aus." Dies bedeutet aber nicht, daß innerhalb dieser individuellen Reihe nicht das Kausalgesetz anzuwenden sei: „Auch die Ge-

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wohl aber die Tatsache seiner Unableitbarkeit hat jedoch unendlich viele Analogien! Denn jedes geschichtliche Faktum besitzt diese Individualität. Diese Individualität ist paradoxerweise allgemeingültig. Deshalb wird sie als Teil der Geschichte akzeptiert, obwohl sie dem Prinzip der Korrelation widerspricht.20 Ähnlich verhält es sich mit dem individuellen seelischen Erlebnis. Troeltsch hält, wie in seinen Bemerkungen zur Mystik deutlich wurde, an innerweltlich nicht ableitbaren Eingriffen Gottes ins Seelenleben fest, jedoch - und das ist entscheidend - nur so, daß dieses religiöse Erlebnis wieder ein allgemein-menschliches Phänomen ist, dessen Auftreten in jedem religiösen Bewußtsein beobachtet werden kann. Das unausgesprochene Kriterium ist also hier die prinzipielle Allgemeingültigkeit des Erlebnisses. Zurückgewiesen dagegen werden postulierte Ereignisse, die dieser allgemeinen Individualität entbehren und statt dessen eine exklusive Unableitbarkeit beanspruchen, die nur ihnen zukommt. Darunter fallen berichtete Wunder in der sinnlichen Welt, das Wirken Gottes in genau datierbaren, einmaligen und vor allem ausschließlichen Ereignissen, wie auch nichtsinnliches Geschehen, welches ausschließlich an bestimmte Mittel der empirisch konstatierbaren Wirklichkeit gebunden wird - so vor allem die Sakramente. Ferner ist zu beachten, daß das Kriterium der Analogie auf die Geschichte des menschlichen Geistes angewandt werden soll. Da ihr Kriterium der menschlichen Erfahrung entnommen ist, kann sie sich auch allein auf menschliche Produkte beziehen: „Die historische Methode fuhrt durch Kritik, Analogie und Korrelation ganz von selbst mit unaufhaltsamer Notwendigkeit zur Herstellung eines solchen sich gegenseitig bedingenden Geflechtes von Betätigungen des menschlichen Geistes, die an keinem Punkte isoliert und absolut sind, sondern überall in Verbindung stehen".21 Die Methode liefert also Ergebnisse, die das jeweilige Ereignis in die menschliche Geschichte einordnen und so verständlich machen. Auch hier erhebt sich die Frage des Umgangs mit postulierten göttlichen Betätigungen, die ja nach dieser Definition gar nicht erfaßt würden. Sie ist in obigem Sinne zu beantworten: Gott handelt im Rahmen des korrelativen Geschehens, er hebt dasselbe nicht auf. Zugleich ist göttliches Handeln als unableitbares vorstellbar, insofern es im Rahmen der „allgemeinen Individualität" statt hat. Die sich aus diesen Kriterien ergebenden Konsequenzen nennt Troeltsch in aller Deutlichkeit: Da geschichtliche Tatsachen immer nur als mehr oder wenischichte muß voraussetzen, daß jedes ihrer Objekte die notwendige Wirkung vorangegangener Ereignisse ist, und sie hat daher auch nach dem kausalen Zusammenhang zu forschen." Solche Kausalzusammenhänge in der Geschichtswissenschaft sind dann aber immer „individuelle empirische Wirklichkeiten" und nicht allgemeine Gesetze. (Rickert, Geschichtsphilosophie, 70-72). Vgl. auch Drescher, Troeltsch, 266. 20 Troeltsch spricht von einem (der hegelschen Philosophie zugrundeliegendem) Gedanken „eines Kausalzusammenhanges der Kausal-Ungleichung": „In der Kausal-Ungleichung wird ein Zusammenhang anerkannt, der aber zugleich die Entstehung von etwas Neuem einschließt." (Kontingenz, 775). 21 Ueber historische, 734 (Hervorhebung: K.L.).

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ger wahrscheinlich erwiesen werden können, ist es erstens unmöglich, den Glauben auf einzelne historische Tatsachen zu gründen. Der Glaube könnte so ja niemals gewiß werden. Ferner ist es nicht mehr denkbar, den christlichen Glauben an Ereignisse zu binden, denen sowohl jegliche Analogie als auch der korrelative Zusammenhang fehlen soll. Denn solche Ereignisse können nur als äußerst unwahrscheinlich beurteilt werden.22 Im Blick auf solche analogielose Ereignisse muß eine von Troeltsch hier nicht erwähnte Unterscheidung gemacht werden. Zunächst sind durch das Kriterium der Korrelation Ereignisse in Zweifel gezogen, die schon auf der Ebene des den Sinnen zugänglichen Geschehens analogielos sind, also äußere Wunder wie beispielsweise die Auferstehung eines Toten. Darüberhinaus aber, und das ist entscheidend, ist es ebenso unmöglich, einzelne geschichtliche Ereignisse, die sich durchaus dem korrelativen Fluß einordnen, zugleich für ein analogieloses, übernatürliches den Sinnen nicht zugängliches Geschehen in Anspruch zu nehmen. So ist beispielsweise die Kreuzigung Jesu Christi ein Vorgang, der genügend geschichtliche Analogien besitzt und sich korrelativ erklären läßt.23 Wird aber an dieses historische Datum eine den geschichtlichen Zusammenhang überbietende weil analogielose Sühnetodtheorie geknüpft, so ist dies eine unzulässige Überfrachtung eines einzelnen kontingenten Momentes der Geschichte. Dieser Fall ist in der historischen Kritik nicht vorgesehen, ja, man muß sagen, er ist nicht erlaubt.24 Diese Konsequenzen ergeben fur die Realität des christlichen Kultus ein fatales Bild. Denn wenn im kultischen Akt, also in einem kontingenten, geschichtlichen Ereignis, analogieloses Geschehen stattfinden soll, so ist dies mit der beschriebenen historischen Kritik nicht vereinbar.25 Bezieht sich der kultische Akt ferner auf vergangenes, analogieloses Geschehen, welches als heilstiftend vergegenwärtigt werden soll, so wird auch damit gegen beide von Troeltsch genannten Folgerungen verstoßen: Einzelne geschichtliche Ereignisse erhalten glaubensbegründende Bedeutung und sind zugleich ohne bekannte Analogie, ein korrelativer Zusammenhang ist innergeschichtlich nicht erkennbar. Sowohl im Blick auf vergangenes Geschehen, als auch hinsichtlich des gegenwärtigen kultischen Aktes soll also ein kontingentes Ereignis zugleich ein analogieloses, heil22

Vgl. ebd., 736. Dasselbe gilt übrigens für den größten Teil der Heilsgeschichte. Schon ein Blick auf die Geschichte des Volkes Israel oder auf den Stammbaum Jesu zeigt, daß Heilsgeschichte im biblischen Zeugnis über weite Strecken ein völlig „normales", das heißt in den korrelativen Fluß eingebettetes Geschehen meint, welches aber von Gott in besonderer Weise zum Erreichen seiner Ziele in Anspruch genommen wird. 24 In diesem Sinne äußert Troeltsch sich deutlich in der Glaubenslehre: Das neuzeitliche Denken führt zur „Auflösung des Sakramentalismus, das heißt des Glaubens an die Bindung besonderer geistlicher Wunderwirkungen an sinnliche Mittel und Stiftungen" (Glaubenslehre, 23). 25 „Analogielos" im Sinne Troeltschs ist dabei natürlich nicht die bloße Kulthandlung, sondern das „supranaturale" Geschehen, das mit dieser Handlung verbunden ist - also etwa der Empfang des Heiligen Geistes in der Taufe. 23

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stiftendes Geschehen sein. Dieser Anspruch ist mit dem Geschichtsverständnis Troeltschs, ja mit dem der Religionsgeschichtler insgesamt nicht vereinbar.26

5.4

Supranaturalismus und Wunder

Genau dieser Konflikt ist angesprochen, wenn in der religionsgeschichtlichen Schule der Begriff „Supranaturalismus" in die Diskussion gebracht wird. Erstaunlicherweise wird dieser Begriff sowohl in den Ausführungen der religionsgeschichtlichen Schule wie auch in der Sekundärliteratur häufig benutzt, aber nur selten einer genauen Betrachtung unterzogen.27 Der Terminus ist durchaus nicht immer negativ besetzt.28 In einem grundsätzlichen Sinne sind die Religionsgeschichtler Supranaturalisten! Darauf weist Bousset in der äußert programmatisch verfaßten Rede über die „Mission und die sogenannte religionsgeschichtliche Schule" hin. Bousset wendet sich zunächst entschieden gegen den Vorwurf, die religionsgeschichtliche Schule leugne jede göttliche Offenbarung: „Was wir mit aller Energie behaupten, ist daß in aller wirklichen und lebendigen Religion göttliche Offenbarung sei."29 Abgelehnt allerdings wird „die Annahme eines absoluten Unterschiedes zwischen der spezifischen Offenbarung Gottes in Christo (resp. der Heilsgeschichte des alten und neuen Testaments) und der allgemeinen göttlichen Offenbarung in den Religionen der Völker, und die Behauptung, daß erstere von letzterer nicht bloß graduell, sondern toto genere ver-

26 Es ist nicht möglich, die Ausführungen Troeltschs zum Analogieprinzip zu kennzeichnen als eine singulare Position, die nicht auf andere Theologen der religionsgeschichtlichen Schule zu übertragen sei. Bei aller Unterschiedenheit der einzelnen Positionen war man sich gerade hier einig. Vgl. aus der Fülle der Bemerkungen zu diesem Thema ζ. B.: Eichhorn, Heilige Geschichte, 2027: „Die Wirklichkeit der Religion scheint (...) in Frage gestellt, wenn die Hfeilige] Gfeschichte] den Gesetzen des natürlichen Geschehens und der Psychologie unterstellt wird. Die Antwort kann nur sein: die Wissenschaft in ihrer Strenge und die Religion in ihrer Tiefe gestatten nicht mehr jene äußere Abgrenzung einer H[eiligen] G[eschichte], jene äußere Abgrenzung eines besonderen Wirkens Gottes vom übrigen Geschehen in der Welt (...)." - Gunkel, Das alte Testament, 44: „ Der Glaube der grossen und kleinen Kinder, dass der liebe Gott einmal eine Ausnahme von allem Geschehen gemacht habe, da der Himmel wirklich auseinanderging und Zeichen und Wunder geschahen: (...) dieser Glaube und geschichtliche Anschauung reimen sich nicht; und kein Kompromiss kann zwischen ihnen vermitteln." - Vgl. auch die Ausführungen zur Wunderproblematik bei Bousset, Wesen, 214217. - Von dieser Übereinstimmung gibt ferner der zweite Teil der vorliegenden Arbeit Zeugnis, wenn er den Umgang der Exegeten mit biblischen Berichten über analogieloses Geschehen untersucht. 27

Dieses Phänomen setzt sich bis in die Gegenwart fort. Wer etwas auf sich hält, ist jedenfalls kein Supranaturalist, was immer das auch sei. Eine ausführliche Besprechung der Aussagen Troeltschs zum Problem bietet Apfelbacher, Frömmigkeit, 179-209. 28 Vgl. Steinmann, Supernaturalismus, der den Begriff durchaus positiv aufnimmt, indem er ihn dem des „Naturalismus" gegenüberstellt. 29 Bousset, Mission, 324.

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schieden sei."30 Warum aber wird - so fragt Bousset - dieser Gedanke einer „allgemeinen Gottesoffenbarung" von den Gegnern der religionsgeschichtlichen Schule angegriffen? Bousset vermutet hinter dieser Front die Meinung, „daß wir an Stelle der spezifischen göttlichen Offenbarung eine immanente, gesetzmäßige Welt- und Geistentwicklung setzen wollen, bei der alles aus den jeweilig gegebenen Prämissen als Entwicklung von unten herauf verständlich werden soll, wobei es dann einer frommen Betrachtung überlassen werden darf, dieselbe Entwicklung, ohne daß an ihrem Charakter etwas geändert wird, als von Gott gesetzte Entwickelung anzusehen."31 In dieser Beschreibung verbirgt sich genau das erwähnte Kriterium der Korrelation: Die Offenbarung soll innergeschichtlich, als Teil eines einsichtigen Prozesses erklärt werden. Dabei können nicht einzelne Momente als Handeln Gottes speziell identifiziert werden, sondern nur der Prozess als Ganzes dem Handeln Gottes zugeordnet werden. Bousset qualifiziert diese Offenbarungslehre folgerichtig als „doppelte Betrachtungsweise, die alles Geschehene immanenten gesetzlichen Zusammenhängen unterwirft und doch in dem allen göttliche Offenbarung lebendig werden, sich entfalten und wirken sieht", und faßt sie ebenso richtig unter dem Stichwort des „Monismus" zusammen, eines Monismus freilich, der „wirklich tief und ernsthaft religiös orientiert ist."32 Erstaunlicherweise aber identifiziert Bousset die religionsgeschichtliche Schule nun gerade nicht mit dieser Form des Monismus', wobei er ausdrücklich auf das Einverständnis mit Troeltsch und Otto hinweist. Der „immanente, gesetzmäßige Zusammenhang" herrscht zwar „auf weite(n) Strecken alles Weltgeschehens", aber es bleibt „ein von hier aus prinzipiell unerklärlicher Rest in allem Geschehen", nämlich „alles Individuelle", „alles bestimmte ,Dies'-Sein und ,So'Sein". Ferner ist auch jedes „wirkliche Werden", „eine Entwickelung, ein Aufstieg vom Niederen zum Höheren" letztlich unfaßbar und unerklärlich, ja es liegt im Bereich des „Wunderbaren". 33 An dieser Stelle der Argumentation nun will Bousset auch den Begriff des Supranaturalismus fur die religionsgeschichtliche Betrachtung der Offenbarung heranziehen: „Auf Grund dieser allgemeinen Ueberlegung fassen wir den Mut, dem reinen Monismus der Weltanschauung den Abschied zu geben und wenden uns mit aller Entschiedenheit einer supranaturalistischen, dualistischen Weltanschauung zu. Unseres Erachtens ist dieses gesamte Weltwerden nicht als eine bloß immanente naturhaft gesetzmäßige Entfaltung eines uns gegebenen und bekannten Seins zu begreifen, sondern als ein ständiges Hineinwirken neuer Kräfte aus einer uns gänzlich unerreichbaren und undurchdringbaren, schlechthin wunderbaren Tiefe göttlichen Daseins in diese Welt des uns bekannten gesetzmäßigen Verlaufs des Daseins".34 Ganz besonders sichtbar 30

Ebd. (Hervorhebung im Original). Ebd. 32 Ebd., 325. 33 Ebd. 34 Ebd., 325f. - Im Brief an Wernle vom 30.12.1910 (UB Göttingen, unveröffentlicht) erwähnt Bousset, seine „Anlehnung an Troeltsch" habe ihn in seinem Vortrag über „Mission 31

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werden diese wirkenden göttlichen Kräfte in der „Entfaltung und Entwicklung des menschlichen Geisteslebens", insbesondere in dessen Zentrum, der Religion. Sie ist also das „Mysterium einer Selbsterschließung und Selbstenthüllung Gottes".35 Der Supranaturalismus wird hier also zunächst als positives Gut einem Monismus entgegengehalten. Wo aber liegt der entscheidende Unterschied zwischen beiden? Auch der Monismus kann ja, wie Bousset ausführte, die immanente Entwicklung des Weltgeschehens als von Gott gesetzt denken. Allerdings, so scheint Bousset zu analysieren, greift dieser Gott im monistischen Weltbild niemals direkt in das Geschehen ein. Er steht, wie im Deismus, als Begründer und Erhalter des Weltprozesses hinter der kausal sich entwickelnden Geschichte. Der Supranaturalismus aber geht vom ständigen Handeln Gottes in der Geschichte aus. Allerdings darf dieses Handeln Gottes nun wiederum nicht „nach Art des alten massiven Wunderglaubens" verstanden werden, das heißt, es kann innerhalb der Geschichte nicht eine „spezifische(n) Offenbarung Gottes" von jener allgemeinen unterschieden werden, es darf nicht zu einer „Auseinanderreißung des menschlichen Lebens in zwei disparate Hälften" kommen.36 Hier liegt die entscheidende Einschränkung des Begriffs vor. Supranaturalistisch verstanden werden kann die Geschichte nur als ganzes. Aus der These, die sicher auch von einer supranaturalistischen Position anerkannt würde, daß nämlich Gott ständig in der Geschichte wirkt, wird die Folgerung gezogen, es sei nicht möglich, einzelne geschichtliche Momente als besonderes Handeln Gottes, wohl gar noch gegen die Naturgesetze, zu beschreiben.37 Mit dieser Einschränkung wird nun freilich der positiv aufgenommene Begriff des „Supranaturalismus" soweit entleert, daß eine klare Abgrenzung zum Monismus zwar emphatisch behauptet, aber schwer einsichtig gemacht werden kann. Gott ist fur jedes „So-Sein", fur alles „Individuelle" in der Geschichte verantwortlich. Das muß aber heißen, er offenbart sich an jedem Punkt der Geschichte. Denn jedes zu konstatierende historische Faktum ist konkret und individuell. Der Monist, der Gott nicht in die Geschichte eingehen läßt, und der Supranaturalist, der Gottes Offenbarung an jedem Punkt der Geschichte in und Religionsgeschichte" „in die Bahnen eines falschen Supranaturalismus" gebracht. Dies sei eine „Entgleisung" in seiner Entwicklung (ebd., 3f). Man könnte aus diesem Diktum schließen, daß Bousset auf den Begriff des „Supranaturalismus" später vielleicht doch verzichten wollte. Es könnte aber auch sein, daß er lediglich den Eindruck hatte, mit seinen Ausführungen zu nahe an den „geschichtlichen Supranaturalismus" Troeltschs (ebd., 2f) geraten zu sein, der in der Geschichte das Wirken der Gottheit erkennen und nachvollziehen zu können meint. 35 Bousset, Mission, 326. 36 Ebd., 326f. 37 Dies kann dann auch als „grober Supernaturalismus" bezeichnet werden, wobei nur die äußeren Wunder im Blick sind: „Der Glaube der großen und kleinen Kinder, dass der liebe Gott einmal eine Ausnahme von allem Geschehen gemacht habe (...): eine Eselin sprach, Gottes Finger beschrieb Steintafeln und reichte sie Mose dar, die Sonne ging rückwärts, und vom Schall der Posaunen fielen Stadtmauern ein". Gunkel, Das alte Testament, 62.

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prinzipiell gleicher Weise erblickt, stimmen also überein in der Zurückweisung einer von der Geschichte und insbesondere von der menschlichen Geistesgeschichte unterscheidbaren Offenbarung Gottes.38 Auch Ernst Troeltsch hat den Begriff des „Supranaturalismus" positiv aufzunehmen gesucht. In seiner Abhandlung über „Religionsphilosophie" von 1904 beschreibt er den „Supranaturalismus der Religion" als „die Seele aller wirklichen Religion" und zählt die zu diesem gehörigen Elemente auf: Es handelt sich um die „Überzeugung von einer irgendwie erfolgenden Offenbarung der an sich verborgenen und unfaßbaren Gottheit, der ganze Sinn für das Mysteriöse und Irrationale in der Religion, die Gegenwart unmittelbarer Gotteswirkungen, die von dem gewöhnlichen Lauf des Seelenlebens sich unterscheiden, die Objektivität einer gemeinsamen Gebundenheit an grundlegende Offenbarungen".39 Dieser Supranaturalismus, der mit der Behauptung der von gewöhnlicher Seelentätigkeit unterschiedenen Wirkung Gottes über das Modell Boussets hinauszugehen scheint, wird nun unterteilt in einen abzuweisenden „exklusiven Supranaturalismus" und einen unbedingt zu fordernden „inklusive(n) Supranaturalismus". Jener behauptet ausschließlich die „Göttlichkeit und Übernatürlichkeit der eigenen Religion", während dieser die „Anerkennung der Offenbarung und des Wunders in aller Religion überhaupt" beinhaltet.40 Der inklusive Supranaturalismus beansprucht also, wie dies auch Bousset festhält, die Offenbarung Gottes nicht nur im christlichen Glauben, sondern in jeder Religion. Dabei allerdings muß er „das unbegreifliche Mysterium göttlicher Mitteilung an die Seele" und „die grundlegende Gemeinschaftssammlung durch Inspiration" unbedingt anerkennen, „die supranaturalen Elemente der Religion" müssen „in einer modernen Form wieder zur Geltung kommen".41 38

Kaiweit bringt diese sich aus Boussets Position ergebende Folgerung wie auch ihre Aporie auf den Punkt: Tatsächlich „hat jedes Ding und jedes Ereignis etwas an sich, das es durchaus zu einem einmaligen, durchaus individuellen Gebilde macht, dessen Sosein keineswegs restlos durch die allgemeinen Gesetze bestimmt ist. (...) So ist die gesamte Wirklichkeit von Irrationalem durchzogen", es „ist in aller Wirklichkeit etwas Unberechenbares, und das ist ohne Zweifel etwas, das der religiösen Ueberzeugung vom W[under] entgegenkommt. Tatsächlich ist hiermit nun doch nichts geändert; es stehen sich nach wie vor die beiden Ueberzeugungen gegenüber. Denn das Irrationale fügt sich dem Gesetzmäßigen ein, wird von ihm umfaßt und durchwirkt, das W[under] aber ist, so zu sagen, ein Irrationales höherer Ordnung, da, wo etwas als W[under)tat Gottes erlebt wird, ist der Gedanke an gesetzmäßiges Geschehen für dieses Ereignis überhaupt aufgehoben." (Kaiweit, Wunder, 2158). 39

Troeltsch, Religionsphilosophie, 132f. Ebd., 133. Der „inklusive Supranaturalismus" kann auch als „religiöser" oder als „innerer Supranaturalismus" bezeichnet werden, vgl. Apfelbacher, Frömmigkeit, 191. 41 Ebd., 133f. So hat Troeltsch auch anerkennend das Ergebnis der Studien William James' hervorgehoben, daß nämlich Jede unbefangene und unverbildete religiöse Empfindung einen .piecemeal supernaturalism', d.h. eine vom Weltgesetz unterschiedene und innerhalb desselben lebendig handelnde Macht voraussetzt" (Empirismus, 384). Apfelbacher (Frömmigkeit, 194-200) weist so auch daraufhin, „daß die Unterscheidung zwischen ,religiösem' und ,exklusivem' Supranaturalismus in den Augen Troeltschs eine spezielle Form der allgemeineren Unterscheidung zwischen lebendiger Religion und reflektierender Theologie' (...) ist." 40

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Mit der Forderung einer Anerkennung des „Wundert in aller Religion bringt Troeltsch den entscheidenden Begriff in die Auseinandersetzung. Der Wunderbegriff ist für die Supranaturalisten von grundlegender Bedeutung. Was beinhaltet er? Bedeutet er allein die Durchbrechung des Kausalgesetzes, wie man dies im Gedanken an die Auseinandersetzung um die historische Methode vermuten könnte? Dieses Verständnis, welches sich an den „biblischen und kirchengeschichtlichen Wundererzählungen" orientiert, bezeichnet Troeltsch als eine „sehr äußerliche Auffassung".42 Das „eigentliche und wesentliche Wunder" ist das „Wunder der Bekehrung, Erleuchtung, Wiedergeburt, Entsündigung, Seelenbefriedigung, wie es sich in der Berührung mit der Offenbarung, also mit der Kirche oder mit der Bibel oder mit Personen, die vom Geiste der Offenbarung erfüllt sind, stets von neuem vollzieht"; es ist „das Zentralwunder, die Vergewisserung einer von diesen Trägern ausgehenden göttlichen Kraft, die, in den bloß natürlichen, schwachen, sich selbst überlassenen Menschen eingreifend, ihn in Berührung bringt mit Gott." Nur ein solches Wunder verbürgt dann auch die Wahrheit der darin zugeeigneten Offenbarung, indem „etwas Übermenschliches über den Menschen komm(t)".43 Troeltsch hat in dieser Beschreibung genau die Frage nach dem Kultus getroffen. Er verbindet in dieser Darstellung die „Erleuchtung", „Wiedergeburt" und „Entsündigung" mit den äußeren Mitteln der Kirche, der Bibel oder besonders beauftragter Personen. Mit ihnen aber wird dieses „Zentralwunder" wiederum an einzelne, kontingente Ereignisse innerhalb des geschichtlichen Flusses gebunden. Diese Bindung kann Troeltsch nicht anerkennen.44 Sobald der Begriff des Wunders, dessen Inhalt ja unbedingt festzuhalten ist, an isolierte und damit über andere geschichtliche Momente herausgehobene Ereignisse gebunden wird, kommt es zu jenem exklusiven Wunderbegriff, zu jenem Supranaturalismus der „dogmatischen Methode", den zu geißeln Troeltsch und die religionsgeschichtli-

Dies ist aus der Sicht Troeltschs sicherlich richtig. Allerdings wird die These, daß der exklusive Supranaturalismus nur eine wissenschaftliche, der Reflexion sich verdankende Lehre sei, dadurch zweifelhaft, daß an anderer Stelle gerade die Nähe des exklusiven Supranaturalismus zur naiven religiösen Überzeugung betont wird (Apfelbacher, Frömmigkeit, 208). 42 Ebd., 128. 43 Ebd. Troeltsch liegt mit dieser Betonung des Zentralwunders auf der Linie der Theologie Wilhelm Herrmanns, welcher das innere Wunder der Veränderung durch den Eindruck der Person Jesu als das eigentliche Wunder beschrieb. Vgl. Herrmann, Offenbarung und Wunder, 1908; ferner auch Kaiweit, Wunder, 2157. Auch R. Seeberg formuliert ähnlich, wenn er vom „Wunder der Offenbarung Gottes im Wort" sagt, es sei „das eigentliche Hauptwunder, das zu allen Zeiten geschieht und zu dem sich alle übrigen Wunder verhalten wie Illustrationen oder Bestätigungen." (Seeberg, Wunder, 567). 44 „Der Gegensatz von ,natürlich' und .übernatürlich' (...) ist aufgehoben (...). In aller Religion giebt es .Natürliches' im alten, religiösen Sinne des Wortes, den bloss vorgefundenen Seelenzustand, der durch religiöse Erhebung und That erhöht und überwunden werden soll. In allen giebt es Uebernatürliches, nämlich das Wirken Gottes, das überall aus der blossen Natur emporhebt in ein Reich geistiger und notwendiger Werte und das überall mit Sünde, Trägheit und Irrtum kämpft." (Troeltsch, Wissenschaftliche Lage, 39).

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che Schule insgemein nicht müde werden. In diesem Zusammenhang wird dann der Begriff des „Supranaturalismus" zur Chiffre fur eine durch den Gang der Theologiegeschichte überholte Position einer auf die „Heilstatsachen" einer „Heilsgeschichte" errichteten Theologie. Im Kampf gegen diesen Supranaturalismus wird Kant als Kronzeuge aufgerufen: „Kant ist Gegner jedes Supranaturalismus, der Kundgebungen und Wirkungen Gottes irgendwo anders erkennt und statuiert als in dem übersinnlichen Vermögen der Freiheit und im Sittengesetz selbst."45 Die Passagen der kantischen Religionsschrift, welche von der Möglichkeit einer theologischen Erweisung der Offenbarung sprechen, werden von Troeltsch als „Werk der Diplomatie" gedeutet: Das „asylum ignorantiae fiir die Theologie ist in Wahrheit nur ein Schutzort flir den von der Zensur bedrängten Schriftsteller".46 Ziehe man diesen „Kompromisscharakter"47 der Schrift ab, so bleibe die klare Erkenntnis, daß Kant „ausdrücklich den Supranaturalismus in jeder Gestalt verworfen" habe.48 „An Stelle der historischen Wunder der Heilsgeschichte und an Stelle der psychologischen Wunder der übersinnlichen Erfahrung tritt das erkenntnistheoretische Wunder der Verknüpfung der kausalen Erscheinungswelt mit der Freiheit."49 Diese Deutung der Religionsschrift ist allerdings ein folgenreiches Mißverständnis und zeigt in frappierender Deutlichkeit, wie der Theologe Troeltsch die von Kant gezogenen Grenzen der Vernunft zwar erkennt, aber dennoch überschreitet.50 Der von Kant in äußerster Konsequenz durch alle Kritiken durchge45

Troeltsch, Historische, 86. Ebd. 47 Ebd., 57. 48 Ebd., 86. 49 Ebd., 87. 50 Hermann Noack stellt in seiner Einleitung in die kantische Religionsphilosophie fest: Das „zuerst von E. Troeltsch gefällte Urteil, daß dieses Werk den Charakter einer bloßen Kompromißschrift habe," wäre „übertrieben, sofern man damit Konzessionen an die herrschende Dogmatik meint, die Kant über das mit seiner kritischen Religionsauffassung verträgliche Maß hinaus gemacht habe." (Noack, Einleitung, LUIf). - Deutlich hat Karl Barth die kantische Problemstellung erkannt: „Es ist nur eine Analyse des Problembegriffs: .Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft', wenn Kant seinen ,rein rationalistischen' Standpunkt dahin erklärt, daß von ihm aus die Wirklichkeit einer göttlichen Offenbarung zwar .zugelassen', d.h. als mögliche Antwort auf eine mit Absicht nicht gestellte sondern nur erwähnte Frage dahingestellt, daß aber auch zu behaupten sei, daß solche Offenbarung zu kennen und für wirklich anzunehmen, zur Religion (innerhalb der Grenzen...) nicht notwendig sei" (Barth, Die protestantische Theologie, 250, mit Bezug auf Kant, Religion, 822f = Β 23 If)! „Dieser Problembegriff bewährt sich nun in der Durchführung lückenlos, genau so weit nämlich, als es bloß darum geht, ihn selbst zu entwickeln, d.h. ihn gegen den Begriff einer geoffenbarten positiven Religion, gegen die als bloß historisch gedachte Autorität der Bibel, gegen die als bloß historisch gedachte Instanz eines dem Menschen gegenübertretenden, fleischgewordenen Wortes Gottes abzugrenzen." (Barth, a.a.O., 271). Im Schlußteil dieser Abhandlung zeigt Barth „die materielle Möglichkeit einer biblischen Theologie", die von Kant vielleicht belächelt, aber philosophisch nicht bestritten wurde (ebd., 274-278). 46

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haltene Gedanke von den Grenzen der Vernunft zeigt sich gerade in der Behandlung der von Seiten der Theologen postulierten Offenbarung. Sie kann weder bestritten noch erwiesen werden. Die Vernunft kann hier keine Aussagen machen. Natürlich verwirft Kant den Supranaturalismus, aber unter dem deutlichen Zusatz, daß er hier die Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft beschreibe. Dieser Gedanke läßt sich übrigens genauso im „Streit der Facultäten" nachweisen, sodaß auch von daher die These Troeltschs fraglich wird. Wenn Kant dort dem „biblische(n) Theolog" attestiert, er beweise die Existenz Gottes daraus, „daß er in der Bibel geredet" habe; ferner, in der Schriftauslegung hoffe jener „auf übernatürliche Eröffnung des Verständnisses durch einen in alle Wahrheit leitenden Geist", so wird dies festgestellt, ohne daß die Absicht erkennbar wäre, diesen Glauben des Theologen im weiteren zu widerlegen.51 Im Gegenteil, dem „Inbegriff gewisser Lehren als göttlicher Offenbarungen", der nichts anderes als die „Theologie" ist, wird der Begriff „aller unserer Pflichten überhaupt als göttlicher Gebote", also die „Religion", als eine andere Position gegenübergestellt.52 Von dieser, also von einer Position innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft aus, wird dann die Auseinandersetzung geführt. - Kant hat im vierten Stück seiner Religionsschrift die Begriffe des Rationalisten, des Naturalisten sowie des Supranaturalisten gegenübergestellt und definiert. Hier wird die Grenze, im Bewußtsein derer der Rationalist seine Thesen aufstellt, in Klarheit benannt: „Der Rationalist muß sich, vermöge dieses seines Titels, von selbst schon innerhalb der Schranken der menschlichen Einsicht halten. Daher wird er (...) weder die innere Möglichkeit der Offenbarung überhaupt, noch die Notwendigkeit einer Offenbarung als eines göttlichen Mittels zur Introduktion der wahren Religion bestreiten; denn hierüber kann kein Mensch durch Vernunft etwas ausmachen. "5i Troeltsch hingegen verwechselt die der Vernunft allein möglichen Aussagen mit Thesen, die, über das Vermögen der Vernunft hinausgehend, die Möglichkeit des Seins bestreiten oder belegen sollen.

5.5

Heilsgeschichte

Mit den beiden Begriffen „Heilstatsache" und „Heilsgeschichte" wird nun gründlich abgerechnet. Dabei kommt es zu einer bestimmten, ständig wiederholten Definition der „Heilsgeschichte" oder eines Supranaturalismus', der sich in Anlehnung an „Heilstatsachen" definiert. Als erstes entdecken die Religionsgeschichtler bei einer Theologie der Heilsgeschichte die „Scheidung des historischen Lebens in ein wunderloses, der gewöhnlichen, historisch-kritischen Methode unterliegendes Gebiet und in ein von Wundern durchwirktes und nach

51 52 53

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Kant, Streit, 2 8 5 f ( = Α 16f). Ebd., 3 0 0 f ( = A44f). Ebd., 822f ( = Β 229-232), Hervorhebung: K.L.

besonderen (...) Methoden zu erforschendes Gebiet".54 Dieser „Doppelheit der Geschichte" entspricht eine „Doppelheit im göttlichen Wesen", da Gott einmal als innerhalb gewisser Regeln handelnd, ein anderes Mal aber als eben diese Regeln durchbrechend gedacht werden muß.55 Heilsgeschichte oder „heilige Geschichte" ist immer, wie Albert Eichhorn betont, „von allem andern Geschehen sich scharf abhebende Geschichte". Wesentlich für diese „ist nicht nur der religiöse, mehr noch der ihr beigelegte supranaturale Charakter, dessen klassischer Ausdruck das Wunder ist."56 Der Begriff des Wunders in einer solchen Definition kann zunächst im ersten oben erwähnten Sinne verstanden werden, sodaß eine Heilsgeschichte als eine Geschichte von äußeren Wundern beschrieben werden müßte. Wunder aber, so ist bei näherer Betrachtung deutlich, sind vor allem die Heilstatsachen, welche sich, wie das Beispiel der Kreuzigung Jesu zeigt, dem äußeren Geschehen nach völlig in das korrelative Geschehen einordnen können. Das Wesen der Heilsgeschichte wird dann so beschrieben: „Ihr eigentliches Wesen besteht darin, daß sie die Heilstatsachen beschafft hat. In bestimmten geschichtlichen Tatsachen ist das Heil der Welt fur immer begründet."57 Troeltsch hat diese Heilstatsachen als den entscheidenden Ausgangspunkt der dogmatischen Methode beschrieben und kritisiert. Die „Geschichte" der dogmatischen Methode ist „Heilsgeschichte und Zusammenhang von Heilstatsachen, die als solche nur dem gläubigen Auge erkennbar und beweisbar sind und die gerade die entgegengesetzten Merkmale von den Tatsachen haben, welche die profane kritische Geschichte nach ihren Maßstäben als geschehen betrachten kann." Es ist „eine Geschichte, die gerade durch die Konzentration der notwendigen absoluten Wahrheit an einem Punkte sich von der alle Wahrheiten durch gegenseitige Bedingung relativierenden gewöhnlichen Geschichte unterscheidet. Sie braucht eine offenkundige Auflösung des Zusammenhanges und 54

Troeltsch, Ueber historische, 742. Ebd., 743. 56 Eichhorn, Heilige Geschichte, 2025, 2023. Diese „doppelte Geschichte" kann besonders von Troeltsch geradezu karikierend beschrieben werden: „Es wird die ganze Historie des gewöhnlichen Geschehens den bloßen schwachen und irrtumsfähigen menschlichen Kräften ausgeliefert und ihr die Ueberhistorie des heiligen Wunder- und Offenbarungsbezirkes mit ihrem Abschluß in einer heiligen Wahrheitskodifikation und einem heiligen Kircheninstitut entgegengestellt." (Absolutheit, 111). 57 Eichhorn, Heilige Geschichte, 2026. Eine Theologie, die diese Existenz einer das Heil begründenden Heilsgeschichte betont, kann sich mit vollem Recht auf Paulus berufen: „(F)ür ihn ist die Erlösung gegeben in einem Himmel und Erde umfassenden Drama, das mit der Schöpfung Adams beginnt und mit der Wiederkunft Christi schließt, dessen entscheidende Wendung in Christi Tod und Auferstehung gegeben ist, Tatsachen, die einen übergeschichtlichen Charakter tragen und das Heil beschaffen. Gegen diese Theologie des Paulus, die zugleich die Theologie der „Gemeindeorthodoxie" geblieben ist, hält Eichhorn die moderne Geschichtswissenschaft: Die „äußere Abgrenzung eines besonderen Wirkens Gottes vom übrigen Geschehen in der Welt" ist nicht mehr gestattet. Sie widerspricht zudem auch dem Wesen der Religion selbst, da diese nicht auf äußere Tatsachen gegründet ist, sondern „im Innern der religiösen Menschen" ihren Quell hat (ebd., 2026f). 55

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der Gleichartigkeit mit dieser, weil sie sonst allen Bedingungen dieser, den gegenseitigen Einschränkungen und dem stets veränderlichen Fluß, verfiele."58 Eine Heilstatsache ist demnach durch das Merkmal der Absolutheit charakterisiert. Sie ist einmalig, nicht wiederholbar, innerweltlich nicht ableitbar. Zugleich aber ist sie eben Tatsache, sie geschieht in Raum und Zeit. Deshalb muß die heilsgeschichtlich denkende Theologie als eine „Theologie der Tatsachen" der „modernen Theologie" als „Theologie des Bewußtseins" gegenübergestellt werden.59 Mit Hilfe von Tatsachen soll ein „objektive(r) supranaturale(r) Stützpunkt" gewonnen werden. Diese Heilstatsachen ihrerseits werden durch das „Wunder der Bekehrung" gesichert und bestätigt, welches durch eine „Selbstempfindung des Glaubens" festgestellt wird. Letztlich also, so Troeltsch, sind diese Heilstatsachen als „Postulate von Tatsachen" zu bezeichnen, Postulate des Gläubigen, „die aus der gegenwärtigen Wundererfahrung gefolgert und von der Ueberlieferung bestätigt werden".60

5 .6

Zusammenfassende Beurteilung

Überblickt man die bisher vorgetragenen Beschreibungen von Supranaturalismus, Wunder und Heilstatsache, so läßt sich folgendes zusammenfassend feststellen: „Supranaturalismu5" bedeutet positiv die Annahme des Handelns Gottes im Weltgeschehen. Negativ gewendet stellt er eine unzulässige Aufteilung der Geschichte in gewöhnliches und übernatürliches Geschehen dar. „ Wunder" wird bei Troeltsch positiv verstanden als das Wirken Gottes in der Seele des Menschen. Negativ gewertet werden muß die Wunderanschauung entweder, wenn das Wunder ein übernatürliches Ereignis in der gegenständlichen Welt bezeichnet, oder wenn ein inneres Wunder an einmalige, alles andere ausschließende Mittel gebunden gedacht wird. ,fleilstatsachen" werden nur negativ gewertet, sie sind entweder äußere Wunder mit universaler Bedeutung wie etwa die Auferstehung Jesu,61 oder aber sie sind wie die Kreuzigung Jesu innerweltliche Ereignisse mit übernatürlicher, universaler Bedeutung.62 Heilstatsachen werden durch innere Wunder im negativen Sinne bestätigt. Es fällt auf, daß der Versuch einer positiven Aufnahme der Begriffe „Supranaturalismus" und „Wunder" durch die Abgrenzungen gegen die heilsgeschichtliche Theologie zu weitestgehender Entleerung der Inhalte gezwungen ist. Mit der Definition des Supranaturalismus als einer das Handelns Gottes in der Geschichte behauptenden Anschauung ist zwar der Naturalismus abgelehnt, eine 58

E. Troeltsch, Ueber historische, 741. Ders., Heilstatsachen, 2066. Troeltsch weist in diesem Zusammenhang auf die Erlanger Schule hin. 60 Ebd. 61 Vgl. ebd. 62 Vgl. dazu Troeltsch, Bedeutung, 7. 59

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unterscheidbare Offenbarung Gottes in der Geschichte aber wird nicht ermöglicht. Mit dem WunderbegrifF verhält es sich im Blick auf das religiöse Erlebnis ebenso. Die Möglichkeit eines Handelns Gottes in der Seele wird zwar erhalten, jede Unterscheidung desselben aufgrund der Beziehung auf feststellbare „Mittel" jedoch zurückgewiesen. Gott wird als in der Seele des Einzelnen und auch im Weltgeschehen Handelnder vorgestellt, niemals aber darf ein Punkt des korrelativen Geschehens in Raum und Zeit als ein besonderer, für alle Zeiten bedeutungsvoller Akt der Offenbarung Gottes benannt werden.63 Die Konsequenzen fur den Kultusbegriff sind deutlich: Es kann im Kultus zu einem „inneren Wunder" im Sinne Troeltschs kommen. Es ist aber nicht denkbar, daß dieses Wunder an bestimmte Mittel wie die Sakramente gebunden ist. Ferner ist die Beziehung des Kultus auf Heilstatsachen, wie sie etwa im Abendmahl deutlich wird, nicht mehr begründbar. Versucht man, sich von den philosophischen Entscheidungen, die hinter diesem Umgang mit der Geschichte stehen, ein klares Bild zu machen, so wird folgendes deutlich: Das Prinzip der Korrelation, also der Zusammenhang von Ursache und Wirkung, fungiert hier als Bedingung der Möglichkeit des Seins. Das Korrelationsprinzip ist jedoch ein aus der Erfahrung abgeleiteter und nur für menschliche Erfahrung gültiger Lehrsatz. Mit seiner Anwendung als Kriterium fur die Seinsfrage wird der Bereich des Seins auf den der Erfahrung reduziert, ohne daß für dieses Modell Argumente vorgebracht würden. Deutlich wird dieses Argumentationsdefizit, wenn man diese Position mit der Kants vergleicht, auf die sie sich berufen zu können meint. R. Slenczka hat darauf hingewiesen, daß „Kritik, Analogie und Correlation, die Prinzipien der historischen Methode, (...) in ihrer Herleitung nichts anderes [sind] als die ,Analogien der Erfahrung', wie sie von Kant in der ,Kritik der reinen Vernunft' im zweiten Teil im Rahmen der transzendentalen Logik untersucht werden."64 Damit ist der Ort bezeichnet, an welchem die „Kriterien" Troeltschs in der kantischen Philosophie zu stehen hätten. Die drei kantischen „Analogien der Erfahrung", nämlich 1. der „Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz", 2. der „Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität" und 3. der „Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetze der Wechselwirkung oder Gemeinschaft"65 beziehen sich ausschließlich auf Erfahrungen, das heißt auf in der Zeit erfahrene Ereignisse. Ohne die Dimension der Zeit verlieren sie jeglichen Sinn. Die Zeit aber ist bei Kant eine Anschauungsform, die Erfahrung ermöglicht. Sie kann nicht unbesehen den Dingen an sich zugerechnet werden. Deshalb gilt folgende Definition Kants: „Eine Analogie der Erfahrung wird also nur eine Regel sein, nach welcher aus Wahrnehmungen Einheit der Erfahrung (...) entspringen soll, und als Grundsatz von den Gegenständen (der Erscheinungen) nicht konstitutiv, sondern bloß regulativ 63 Deshalb kann Troeltsch auch pointiert von „der den historischen Charakter erst wirklich aufhebenden äußeren Uebernatürlichkeit" sprechen (Ueber historische, 742). 64 Slenczka, Entscheidung, 89. 65 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 220, 226, 242 ( = Β 224, 232, 256), (zitiert bei Slenczka, a.a.O.).

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gelten." 6 6 Von dieser Definition her ist zu konstatieren, daß für Kant das ganze Gebiet des Historischen, da in der Zeit ablaufend, „Gegenstand der Anschauung" 67 ist. E s ist hier eine Grenze gewahrt zwischen dem Bild, w a s unsere Vernunft sich allein v o n der „historischen Wirklichkeit" zu machen imstande ist, und den Dingen an sich, die jedem Zugriff der Vernunft entzogen bleiben. 68 Bei Troeltsch wird aber in der Anwendung der historischen M e t h o d e gerade diese „Realdistinktion von Sein und Bewußtsein übersprungen", 69 ohne daß dieser Sprung in Auseinandersetzung mit Kant begründet würde. Deutlich zeigte sich dies in den oben dargestellten Überlegungen der Religionsgeschichtler, auch Gott handle in der Geschichte allein nach Maßgabe jener Kriterien. W o Kant gesagt hätte, daß dem Menschen ein Handeln Gottes außerhalb jener Analogien der Erfahrung gänzlich unzugänglich sei, da wird nun die im Sinne des Kausalprinzips zu bestimmende Geschichte als der einzige überhaupt mögliche Rahmen des Handelns Gottes beschrieben. Wo Kant wußte, daß er die Wirklichkeit nur als Erfahrung beschrieb, da wird nun „Geschichte", im Sinne v o n erfahrbarem Geschehen, verstanden als die Wirklichkeit schlechthin. 70 Greifbar wird der Gegensatz gerade an der Frage nach dem Wunder. Bei den Religionsgeschichtlern sind Wunder nur insofern denkbar, als sie mit dem Gesetz der Analogie vereinbar sind. Wunder im engeren Sinn des Wortes, als Durchbrechung des Kausalzusammenhanges, sind nicht möglich. Kant dagegen

66

Kant, ebd., 219 ( = Β 222f), Hervorhebung im Original. Slenczka, Entscheidung, 89. 68 Daß der Grundsatz der Kausalität keine Aussage über das Sein an sich macht, gibt Kant deutlich im Abschnitt über „Phaenomena und Noumena" zu verstehen (Kritik der reinen Vernunft, 275 = Β 303; Hervorhebung: K.L.): „(D)er stolze Name einer Ontologie, welche sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben (z.E. den Grundsatz der Kausalität), muß dem bescheidenen, einer bloßen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen." 69 Slenczka, Entscheidung, 89. 70 Schon 1896 hatte Kaftan darauf hingewiesen, daß Troeltsch einen Zusammenhang zwischen Denken und Sein annehme, der von der Erkenntnistheorie her nicht zu begründen sei. Er attestiert Troeltsch die Nähe zu den Systemen Hegels und Schellings, die aber gerade die Ebene der Erkenntnistheorie verlassen und metaphysische Aussagen machen (Kaftan, Selbständigkeit, 387-389). Troeltsch antwortet darauf mit einem Angriff auf den bei Kaftan vermuteten Supranaturalismus: Troeltsch habe „viel stärker" als Kaftan „den Zwang der historisch-kritischen Methode (...) empfunden, die einmal zugelassen sich keine Grenzen mehr ziehen läßt und am natürlichen Geschehen ausgebildet bei der Anwendung auf Uebernatürliches dieses notwendig in natürliches d.h. allem übrigen analoges auflöst (Troeltsch, Geschichte und Metaphysik, 5; Hervorhebung: K.L.). Es ist erstaunlich, wie klar hier die Intention der angewandten Methode gesehen und schicksalhaft akzeptiert wird! Weil die Methode nur natürliches Sein zuläßt, muß sich der Theologe von Aussagen hinsichtlich übernatürlicher Dinge trennen. Andererseits wird dann auf die von aller Metaphysik freien „Thatsachen" hingewiesen, die durch dieses Vorgehen eruiert wurden: „In erster Linie sind es daher die geschichtlichen Thatsachen, also von aller Metaphysik unabhängige Gründe, die diesen Supranaturalismus unmöglich machen" (ebd.; vgl. auch 8, 25). Gerade die „Thatsachen" sind doch erst durch einen metaphysischen Schiedsspruch bestimmt worden! 67

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bleibt in seiner Behandlung der Wunder seinem Grundansatz völlig treu: „Nehmen wir aber an, daß Gott die Natur auch bisweilen und in besonderen Fällen von dieser ihren Gesetzen abweichen lasse: so haben wir nicht den mindesten Begriff, und können auch nie hoffen, einen von dem Gesetze zu bekommen, nach welchem Gott alsdann bei Veranstaltung einer solchen Begebenheit verfährt (...)• Hier wird nun die Vernunft wie gelähmt, indem sie dadurch in ihrem Geschäfte nach bekannten Gesetzen aufgehalten, durch kein neues aber belehrt wird, auch nie in der Welt davon belehrt zu werden hoffen kann." Weil also der Mensch mit den Wundern „nichts anzufangen weiß, so statuiert er in diesem Falle keine Wunder." Nicht zu statuieren aber heißt dann genauer. Der Mensch „nimmt den Wunderglauben nicht in seine Maximen (weder der theoretischen noch der praktischen Vernunft) auf, ohne doch ihre Möglichkeit oder Wirklichkeit anzufechten."71 Der Wunderglaube ist für Kant moralisch wertlos, von daher kann er bestenfalls als Hilfsmittel zur Einfuhrung der moralischen Religion dienen.72 Nie aber käme es Kant in den Sinn, die Möglichkeit des Seins fur Wunder zu bestreiten. Es ist dies eine Frage, die die Grenzen der Vernunft transzendiert. Nun mag man einwenden, daß der Historiker in diesem kantischen Sinne niemals nach dem Sein an sich fragt. Er ist an Abläufen in der Zeit interessiert, er will wissen, wie diese sich dem damaligen Menschen dargestellt haben. Daß die Zeit eventuell selbst nur eine Anschauungsform des Menschen ist, kann er dabei unberücksichtigt lassen. Dieser Einwand ist zunächst berechtigt. Der Historiker kann durchaus mit dem Kausalgesetz operieren und etwa historische Phänomene kausal erklären. Er kann dann auch durchaus feststellen, daß ein berichtetes Ereignis kausal nicht ableitbar und also in Raum und Zeit nicht erklärbar ist. In diesem Fall aber ist der Historiker nicht in der Lage, Aussagen über Möglichkeit und Unmöglichkeit dieses Geschehens machen. Dann nämlich würde er in der Tat Raum und Zeit als das Sein schlechthin werten. Das Kriterium der Analogie ist wohl hinreichend, um einem berichteten Ereignis Wahrscheinlichkeit zuzusprechen, in keiner Weise aber notwendig, um diesem Ereignis die Möglichkeit des Seins zu bescheinigen,73 71

Kant, Religion, 743-745 ( = Β 119-122); Hervorhebung im Original. Die Religionsschrift fügt an jedes ihrer vier Stücke eine „allgemeine Anmerkung" an, welche die „Parerga" der Religion behandeln: Gnadenwirkungen, Wunder, Geheimnisse und Gnadenmittel (vgl. ebd., 704 ( = Β 63). Bei diesen das „Übernatürliche" betreffenden Themen ließe sich immer zeigen, wie Kant sich der Grenzen der Vernunft bewußt bleibt. Die Parerga werden aus moralisch-praktischen Gründen abgelehnt, nicht etwa, wie in der religionsgeschichtlichen Schule, weil ihr Sein an sich bestritten werden könnte. Dies steht der Vernunft überhaupt nicht zu. 72 Vgl. ebd., 741 ( = B 116f). 73 Die neuere Exegese hat deshalb auch einige bemerkenswerte Versuche unternommen, daß Analogieprinzip Troeltschs zu entschärfen. So fordert Schnelle die „Ergänzung" der Kriterien Troeltschs „durch die Postulate der geschichtlichen Individualität und Offenheit gegenüber dem Wahrheitsanspruch des Textes" (Schriftauslegung, 126), während Stuhlmacher, unter Hinweis auf Untersuchungen von McKnight, Weder, Popper und auch B F. Meyer, die Kriterien Troeltschs „unter einen hermeneutischen Vorbehalt" stellen möchte, den er in

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Die Unterscheidung zwischen Erfahrung und Ding an sich bedeutet ferner, daß ein Wunder niemals „erfahrbar" ist im Sinne Kants. Erfahrung ist immer gebunden an Anschauung und Begriff; erfahren werden nur Phänomena in Raum und Zeit. Das Wesen des Wunders ist nicht erfahrbar. Nach diesen Überlegungen wird deutlich, daß der an eine heilsgeschichtliche Theologie gerichtete Vorwurf Troeltschs, die Heilstatsachen sollten mit einer besonderen dogmatischen Methode untersucht und so von der „normalen" Geschichte getrennt werden, zu Mißverständnissen dieses Ansatzes verfuhrt. Wunder sind weder erfahrbar noch aufweisbar. Sie teilen mit allen anderen Tatsachen das Schicksal, durch historische Berichte bezeugt zu sein. Für den Betrachter zeigt sich entweder lediglich ein völlig in den Kausalzusammenhang einzugliederndes Ereignis wie die Kreuzigung Jesu, oder aber ein „unerklärliches" Phänomen wie die Auferstehung Jesu, dessen Unerklärlichkeit aber jederzeit durch den Hinweis auf mögliche weitere Einblicke in den Kausalzusammenhang eingeholt werden kann. Heilsgeschichtliche Theologie kann sich fur die Behauptung der Existenz von Heilstatsachen deshalb allein auf das Wort Gottes berufen. Damit wird dieses zum eigentlichen „Wunder", zum primum principium, dessen Existenz selbst nicht mehr durch andere Stützen gesichert werden kann. Die Theologie der Heilstatsachen steht und fällt daher mit der Wirkung des Wortes Gottes.74 Deshalb ist die Heilsgeschichte aber nicht die allein gottgewirkte Geschichte, die von aller bloß menschlichen geschieden sei. Daß Gott alle Geschichte lenkt, ist bleibendes Zeugnis der Schrift und der Kirche, übrigens auch der Ausgangspunkt für die Theodizeefrage. Nicht dadurch, daß sie allein Wirken Gottes beinhaltet, ist die Heilstatsache von anderem Geschehen geschieden, sondern dadem Stichwort des „Vernehmens" zusammenfaßt (Verstehen, 244). In ähnlicher Weise verlangt auch Hengel, die historischen Methoden mit Sorgfalt anzuwenden, ohne jedoch analogieloses Geschehen von vornherein auszuschließen (Geschichtsschreibung, 107-113; ferner: ders., Thesen.). Weder weist besonders auf die Überprüfung des benutzten Geschichtsbegriffes hin (Kreuz, 49-119; Problem, 12ff). Vgl. ferner die grundsätzlichen Überlegungen bei Hahn, Probleme. - Bei diesen wichtigen Versuchen ist allerdings zu beachten, daß die Schärfe des absolut verstandenen Analogieprinzips völlig übersehen wird, wenn dieses lediglich durch Hinzufügung weiterer Kriterien entschärft werden soll. Eine solche Einfuhrung eines weiteren Prinzips kann nur im Sinne einer jeweiligen, dann aber sich dem Vorwurf der Willkür aussetzenden, Wahl zwischen den alten und den neu hinzugefügten Kriterien verstanden werden. Statt dessen muß die Anwendung des Analogieprinzips selbst fur die Beantwortung der Seinsfrage ausgeschlossen werden. - Zu recht unterscheidet Pannenberg, Heilsgeschehen, zwischen einer begrenzten und gerade deshalb fruchtbaren Anwendung des Analogieprinzips und einer Instrumentalisierung desselben als „Kriterium der Realität eines in der Überlieferung behaupteten Geschehens" (ebd., 53). Die begrenzte Einsetzung des Analogiekriteriums besteht im je konkreten Aufweis von „Gleichartige(m) im Ungleichartigen" und dient daher lediglich dem Versuch, durch Aufweis der ,je konkrete(n) Begrenztheit des Gemeinsamen (...) das je Besondere der verglichenen Phänomene genauer zu umschreiben" (ebd., 51f). 74

Zu recht klagt deshalb Troeltsch gegenüber Niebergall die konsequente Berufung auf die „biblische(n) Offenbarung" als einzig konsequenten Weg einer „dogmatischen Methode" ein (Troeltsch, Ueber historische, 750).

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durch, daß sie durch das Wort Gottes als Gottes Handeln pro me qualifiziert wird. D i e Verabsolutierung des Geschichtlichen in der religionsgeschichtlichen Schule hingegen steht diesem Ansatz als eine monistische Position gegenüber, also als eine „religiöse Auffassung von Geschichte", bei der „das unterschiedene Sein und Handeln Gottes ununterscheidbar in die Geschichtlichkeit eingeht". 75

75 Slenczka, a.a.O., 89, 87f. - Ganz folgerichtig schreibt deshalb Troeltsch an die Adresse Kaftans: „Die Religionsgeschichte ist der Erlösungsprozeß" (Troeltsch, Geschichte und Metaphysik, 38). Diese Geschichte kann durch eine „Metaphysik der Geschichte" bestimmt werden (ebd., 403)! - G. Beckers Formulierung, nach der bei Troeltsch „(s)chon die allgemeine und nicht nur die Heilsgeschichte (...) eine genuin theologische und religiöse Qualität" erhalte (Subjektivität, 348), müßte dahingehend radikalisiert werden, daß allein die „allgemeine Geschichte" (denn sie ist die einzig seiende) „religiöse Qualität" erhält. - Diese monistische Position scheint sogar Gott selbst unter das Kausalitätsprinzip stellen zu wollen. Denn wie anders sollte der Vorwurf Troeltschs an die dogmatische Methode, diese wolle Gott nicht „in den Zusammenhang eines korrelativen, sich überall gegenseitig bedingenden Wirkens" einschließen, zu deuten sein (Troeltsch, Ueber historische, 743)?

151

6. Persönlichkeit

6.1

Kultus als Handeln des Menschen

Der Kultus als Heilshandeln Gottes ist in der religionsgeschichtlichen Schule nicht mehr denkbar. Die Religionsgeschichtler sind sich zwar darüber im Klaren, daß im neutestamentlichen Zeugnis der Gottesdienst als Handeln Gottes verstanden wird.1 Da aber dieses besondere Handeln Gottes im kontingenten kultischen Geschehen für sie nicht mehr nachvollziehbar ist, können sie selbst, ganz wie Kant,2 den Kultus nur als Handeln des Menschen beschreiben. Damit ist eine entscheidende Weichenstellung vorgenommen. Der christliche Kultus wird auf jeden Fall menschliche Vorstellungen und Bemühungen zum Inhalt haben, eine Bezeugung des Handelns Gottes im Kultus entfällt. Nun könnte der Kultus aber als menschliches Werk durchaus positiv gewertet werden, im Sinne etwa einer pelagianischen Deutung des Christentums. Wenn dies nicht der Fall ist, so müssen neben die Ablehnung des besonderen Handelns Gottes im Kultus noch andere Argumente treten, welche nun auch den Kultus als religiöse Tat des Menschen in Mißkredit bringen. Die Frage der Bedeutung historischer Ereignisse für die jenseits aller Historie zu denkende Beziehung zwischen Gott und Mensch wird also nicht nur an postuliertes Handeln Gottes, sondern auch an jegliche Akte des Menschen gestellt. In diesem Zusammenhang wird nochmals der Begriff der „Persönlichkeit" wichtig.

1

Vgl. dazu ausführlich den zweiten Hauptteil der Untersuchung. Kant verstand den Kultus als Werk des Menschen. Dieser nimmt zu unrecht an, ein solches Werk bewirke auch ohne jede moralische Gesinnung die Gottwohlgefalligkeit des Menschen. Der Kultus wäre demnach Ausdruck einer Werkgerechtigkeit, bei der zudem noch das Werk eine rein äußerliche Handlung - ohne Frage nach der jeweiligen Gesinnung des Handelnden - darstellt. Kant war sich der Tatsache bewußt, daß das Verhältnis des Menschen zu Gott auch noch ganz anders, nämlich unter dem Gesichtspunkt der Gnade gesehen werden könnte. Dies hätte auch ein völlig anderes Licht auf den Kultus geworfen, der dann als Handeln Gottes hätte definiert werden müssen. Doch war ihm diese Darstellung in einer „Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" unmöglich. Die „Gnadenwirkungen" können zwar erhofft, aber nicht gewußt werden, die „Herbeirufung" derselben gehört zu den „Verirrungen einer über ihre Schranken hinausgehenden Vernunft". Denn „eine Gnadenwirkung (...) zu erwarten bedeutet (...), daß das Gute (das moralische) nicht unsere, sondern die Tat eines andern Wesens sein werde, wir also sie durch Nichtstun allein erwerben können, welches sich widerspricht" (704f = Β 63f). Der Glaube an einen „unbedingten Ratschluß Gottes", welcher den heilsnotwendigen Glauben schenkt, bedeutet den „salto mortale der menschlichen Vernunft" (Kant, Religion, 784 = Β 178). 2

152

Der Kultus fällt, so die entscheidende Überlegung, unter das kantische Verdikt einer „bloßen Handlung". Bloße Handlungen aber können im Blick auf das Verhältnis von Gott und Mensch nichts austragen. Sie gehören nach „außen", in den Bereich der historischen Fakten. Gefragt sind hingegen Gesinnungen, welche moralisch wertvolle Taten hervorbringen und begleiten. Diese Gesinnungen gehören nach „innen", in den Bereich der (praktischen) Vernunft und sind der geschichtlichen Relativität enthoben. Gesinnungen aber sind abhängig von der sie jeweils hervorbringenden Persönlichkeit.

6.2

Der Begriff der Persönlichkeit

Die auffallend nachdrückliche Verwendung des Persönlichkeitsbegriffes in der religionsgeschichtlichen Schule muß zunächst nicht durch den expliziten Rückgriff auf Kant, sondern durch die geistes- und sozialgeschichtliche Situation im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert erhellt werden. Darauf haben in jüngerer Zeit Becker und besonders Murrmann-Kahl aufmerksam gemacht.3 Auf die deutliche Unterscheidung zwischen dem mentalitätsgeschichtlich zu erklärenden Begriff der „Persönlichkeit" bei den Religionsgeschichtlern und der kantischen Verwendung dieses Terminus legt Murrmann-Kahl besonderen Wert.4 In der Tat sind gegenüber Kant Unterschiede zu konstatieren. Der Persönlichkeitsbegriff scheint in der religionsgeschichtlichen Schule als Chiffre fur die intendierte Verbindung von Religion und Moral verwendet zu werden. Er entzieht sich einer präzisen Definition und wird auch nicht vom Begriff der Person geschieden.5 Murrmann-Kahl weist darauf hin, daß das Persönlichkeitsideal des 19. Jahrhunderts auf Goethe und Humboldt zurückgeht. Seinen Entstehungsort habe es in der Auseinandersetzung zwischen Bürgertum und Adel. Während dieser die „Repräsentationsfunktion" wahrnahm, berief sich jenes auf seine „innere Bildung". Im goetheschen Persönlichkeitsideal aber sei diese „Dichotomisierung" überwunden: Der gebildete Mensch vereinigt in sich Repräsentation und Leistung. Dieses Ideal wird dann im weiteren - so Murrmann-Kahl - aber doch zu einem besonders im Bildungsbürgertum verbreiteten „Kult": „Elitestatus, neuhumanistisches Bildungsverständnis, historisches Individualitätsaxiom und religiöser Personalismus konvergieren im Kult der Persönlichkeit'. Der individualistische Zugriff auf Geschichte und Religionsgeschichte ist nicht zuletzt das Resultat der Mentalität der Bildungselite".6 In diesem Zusammenhang wird auch auf den großen Einfluß des Heldenkultes Carlyles aufmerksam gemacht.7 3

Becker, Subjektivität; Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 481-491. Vgl. Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 481. 5 So scheint Bousset „Person" und „Persönlichkeit" wechselweise zu benutzen, vgl. z.B. Wesen, 177f. 6 Ebd., 485. 7 Ebd., 484. - Vgl. auch Berger, Exegese und Philosophie, 102-106. 4

153

Diese „mentalitätsgeschichtliche Dimension" der „Beschwörung der .Persönlichkeit'"8 vermag in der Tat die Verwendung des Persönlichkeitsbegriffes in der religionsgeschichtlichen Schule zu erhellen. In der dogmatischen Reflexion ist jedoch darauf hinzuweisen, daß bei aller Umprägung und Instrumentalisierung des Begriffes die mit ihm angezeigte entscheidende Wendung „nach innen" in Opposition zu jeder das kontingente äußere Ereignis betonenden Glaubenslehre gerade in der Konsequenz der kantischen Gedanken liegt. Bei Kant ist die „Persönlichkeit" des Menschen der historischen Relativität nicht unterworfen, da sie sich allein aus den Gesetzen der Vernunft definiert. Diesem Zusammenhang entspricht bei den Religionsgeschichtlern die Tatsache, daß an den Kultus die Frage nach der Geltung geschichtlicher Ereignisse gestellt wird, während andererseits betont wird, daß die sittliche Persönlichkeit jenseits aller historischen Relativität steht. G. Becker hat gezeigt, daß für Troeltsch die Kategorie der „Subjektivität" geradezu den „Epochenindex" der Neuzeit darstellt.9 Auf diesen Begriff muß hier eingegangen werden, da er zugleich auch die Grundlage bildet, um das Ideal der „Persönlichkeit" zu gewinnen. Die Moderne ist beseelt vom „Prinzip des Individualismus", ihre „Formel" lautet: „die Befreiung des Individuums und die Stellung des Individuums auf sich selbst."10 Der Begriff der Subjektivität bezeichnet den entscheidenden und wesentlichen Unterschied zwischen der Neuzeit und dem Mittelalter. Dieser Unterschied wird sowohl im Blick auf die Wahrheitsfrage als auch hinsichtlich der Ethik verdeutlicht: Einer absoluten, kirchlich-supranatural verwalteten Wahrheit steht nun die allein mögliche Wahrheit des Subjektes gegenüber. Wahr ist, was dem Subjekt als wahr gilt. Und ebenso: Gut ist, was dem Subjekt als gut gilt. Dieser Sachverhalt kann auch mit dem Begriff der „Autonomie" bezeichnet werden: „Autonomie meint eine Begründung aller Geltung auf das dem Subjekt innerliche Gesetz, das in gleicher Weise Gesetz des Denkens und des Handelns ist".11 Oder anders gesagt: Das „Subjekt" ist die „begründungstheoretische Letztinstanz".12 Entscheidend für die Frage nach dem Kultus ist, daß Troeltsch dieses Prinzip der Neuzeit nur durch radikale Verneinung des Prinzips des Mittelalters sich verwirklichen läßt.13 Dieses ist gekennzeichnet durch eine (aristotelische) scharfe Trennung zwischen Natur und Übernatur, zwischen Gott und dem von der Erbsünde beherrschten Menschen.

8

Murrmann-Kahl, Heilsgeschichte, 483. Becker, Subjektivität, 7, 180. - Zu dieser allerdings einseitigen Darstellung der Neuzeit vgl. Stuke, Aufklärung. 10 Ebd., 182; die Formel zitiert aus: Troeltsch, Autonomie, 200. 11 Becker, Subjektivität, 187. 12 Ebd., 186. 13 Troeltsch setzt hier die Neuzeit vom Mittelalter ab. Es ist zu fragen, ob die von ihm vorgenommene Unterscheidung der theologischen Positionen von Urchristenheit, Frühkatholizismus und Mittelalter zutreffend sind. 9

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An dem Begriff der Erbsünde kann die gesamte Problematik des Mittelalters verdeutlicht werden.14 Erbsünde steht für den Dualismus von Natur und Übernatur. Sie erfordert eine wunderbare Erlösung durch eine übernatürliche Instanz. Diese Instanz ist die Kirche, ihre Mittel sind die Sakramente: „Außer dem Sakrament ist kein Heil".15 Dieser Kirchenbegriff hat „zur Folge die Depotenzierung der Vernunft auf der einen und die Entrückung Gottes aus der innerlichen Unmittelbarkeit direkten Zugangs in die absolute Transzendenz auf der anderen Seite".16 Genau hier ist die Front bezeichnet, gegen die sich das neuzeitliche Prinzip der „Subjektivität" wendet: Der Dualismus zwischen Natur und Übernatur, zwischen Gott und Mensch wird aufgehoben. „Der Gottesbegriff steht nicht unter der Kategorie der Substanz, die durch abgestufte substanzielle Gnadenmitteilung den Menschen über sich selbst erhebt, sondern in der Kategorie der Persönlichkeit, die durch Offenbarung ihrer Liebesgesinnung gegen den Menschen diesen in seiner eigenen Natur vollendet".17 Es wird also nicht mehr die seinsmäßige Differenz zwischen Gott und Mensch ausgesagt. Dies hat zur Folge, daß „eine sakramental-objektive Vermittlung der Wahrheit überflüssig geworden ist."18 Ist also „die Lehre von der absoluten erbsündigen Verderbung der Menschheit" gefallen, so kann es zur Anerkennung jener nur im Menschen zu findenden geltenden Wahrheit kommen; damit dann auch zu einer „ungeheure(n) Ausbreitung und Intensität des Freiheits- und Persönlichkeitsgedankens".19 Entscheidend ist die Tatsache, daß Troeltsch die neuzeitliche Subjektivität und mit ihr auch die Persönlichkeit via negationis definiert, indem er sie der Autorität der Kirche mit ihrer sakramentalen Heilszueignung gegenüberstellt. Dies bestätigt die These, daß Ablehnung des Kultus als Heilsgeschehen und Wahl einer Religion der Persönlichkeit die beiden Seiten derselben Entscheidung gegen kontingentes Heilsgeschehen sind. Dieser Gedanke wird nun auch so gewendet, daß nicht mehr existieren kann, wovon der Kultus erlösen sollte: Eine Lehre „de peccato originis" ist unmöglich geworden.20 Die Persönlichkeit steht also in der religionsgeschichtlichen Schule allem äußeren Tun als der eigentliche Wert des Menschen gegenüber. In dieser Hinsicht steht sie ganz in der Tradition der kantischen moralischen Religion.21 Das ent14

Vgl. ebd., 210-212. Troeltsch, Soziallehren, 89 (zitiert bei Becker, Subjektivität, 196). 16 Becker, Subjektivität, 202. 11 Troeltsch, Protestantisches Christentum, 468 (zitiert bei Becker, Subjektivität, 213). 18 Becker, Subjektivität, 215. 19 Troeltsch, Protestantismus, 14f; 102 (zitiert bei Becker, Subjektivität, 225f, 227). 20 Die lateinische Fassung deutet an, daß diese Lehre nicht etwa nur wegen der möglichen Vorstellung einer biologischen Vererbung der Sünde abgelehnt wird. Auch eine ursprüngliche Sünde, in der jeder Mensch sich unentrinnbar vorfindet und von der er nur durch übernatürliche Erlösung befreit wird, soll nicht mehr möglich sein. 21 So wird auf Kant auch direkt Bezug genommen: Bousset rühmt „(u)nser an Kants Ethik gebildetes moralisches Empfinden" und findet zudem den „kategorischen Imperativ" zu einem „Leben im Guten" direkt „im Evangelium" (Wesen, 213, 222). 15

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scheidend mit Kant übereinstimmende Motiv liegt gerade darin, daß „Persönlichkeit" einen Weg zum rechten Handeln und damit auch zum rechten Gottesverhältnis des Menschen anzeigt, ein Weg, der nicht durch die bloß äußerliche Tat, sondern durch die Gesinnung, also durch ein Raum und Zeit enthobenes Kriterium definiert wird. „Persönlichkeit" wird zum Programmbegriff, um sich gegen jegliches Verständnis von Religion zu wenden, das das Gottesverhältnis des Menschen wesentlich von Akten in Raum und Zeit abhängig sieht. Ein besonders deutliches Beispiel fur diese negative Definition der Persönlichkeit findet sich in Boussets Schrift über den „Gottesglauben" seiner Zeit. Dort wird im Kapitel über „Gott und die Seele" zunächst festgehalten, daß das Evangelium Jesu Christi „die Religion des gesteigerten religiösen Individualismus" sei.22 Im folgenden bildet das Gegensatzpaar Persönlichkeit/sinnliche Natur die wichtigste und ständig wiederholte Grundlage der Argumentation Boussets, wobei die Bezeichnungen im einzelnen variieren, immer aber denselben Gegensatz bezeichnen: Auf der einen Seite steht der „heilige(n) Wille(n)" des Menschen (22), „das höhere und ewige" Leben (22), „die reiche Welt der Innerlichkeit und des geistigen Eigenlebens" (23), der „Strom persönlichen religiösen Lebens" (23), auf der anderen Seite dagegen die „egoistische Sinnlichkeit" (22) oder „das sinnlich bestimmte und begrenzte Leben" (22).23 Von diesem Gegensatzpaar ausgehend werden nun verschiedene dogmatische Definitionen vorgenommen. Einmal wird Gottes Wirken in einem Analogieschluß nach dem Ideal der menschlichen Persönlichkeit definiert: Gott wirkt wie eine menschliche Persönlichkeit, zwar innerhalb der geltenden Gesetze der Welt, aber dennoch mit freiem Willen (vgl. 31f).24 Sünde ist „Handeln gegen unsre höhere gottgegebene Bestimmung, (...) ist Störung unsres persönlichen Verhältnisses zu Gott" (52). Vor allem aber wird auch die Erlösung, die im Christentum verkündigt wird, ganz von diesem Gegensatz ausgehend beschrieben: „Erlösung im Sinn des Evangeliums heißt frei werden und loskommen von dem natürlichen, sinnlich bestimmten Ich, das in sich selbst den Zielpunkt seines Le22 Bousset, Gottesglaube, 21. Zitatnachweise aus dieser Schrift werden im folgenden Abschnitt in Klammern gegeben. 23 Andere Formulierungen sind „gesteigerte(s) Personleben(s)" (32), „persönliches Einzelleben" (34), „höheres geistiges Streben" (51); „niedere Sinnlichkeit" (30), „niedere(s) sinnliche(s) Sein(s)" (50). Es geht um das „Emporstreben aus dem niederen sinnlichen zum höheren gottgewollten Leben" (52). - Diese dualistischen Aussagen sind durchaus keine Spezialität Boussets, sie finden sich in ganz ähnlicher Form bei Troeltsch, so zum Beispiel in seinem Artikel zum Erlösungsbegriff: „Weltleid und Erbsünde erwachsen aus den Bedingungen der Endlichkeit, aus dem Hervorgehen der Kreatur aus dem Naturleben und aus ihrer anfänglichen Naturverhaftung, aus der sich die Kreatur erst zu Freiheit, Person und Geist emporheben soll. (...) Die Erlösung] ist Emporbildung der Kreatur aus dem gegebenen, tatsächlichen, endlich-selbstsüchtigen und gegensatzreichen Natursein in die Freiheit des Geistes" (Erlösung, 484; Hervorhebungen: K.L.). Die „Persönlichkeit" erscheint „als das Ziel der Welt" (ebd., 483). 24 Auf diesen Analogieschluß weist auch Troeltsch in seiner Glaubenslehre hin, wenn er die „Personalität des Gottesbegriffes" behandelt (Glaubenslehre, 143ff).

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bens und Strebens sieht." (48) Erlösung ist „die Erhebung zu einem höheren Leben." (49) Und schließlich ist auch die Hoffnung auf ein ewiges Leben allein auf „den ewigen Wert und Gehalt dieses höheren persönlichen Lebens" gegründet (57). „Alle sinnlichen Hüllen sollen fallen" (61), „die Geister von den Schlacken" befreit werden (60), damit ein „ewiges, unendliches Reich persönlicher Geister" gebildet wird (61). „Persönlichkeit" ist letztlich also mit „Seele" gleichzusetzen. Darauf deutet auch hin, daß Bousset die Kapitelüberschrift „Gott und die Seele" (16) im Text ersetzt durch „Gott und das einzelne persönliche Leben" (22). Diese Persönlichkeit wird aber in einem zweiten Gedanken über jene negative Definition hinaus auch positiv beschrieben, indem sie mit dem Begriff der Sittlichkeit oder einfach des Guten verbunden wird: „Das sittlich Gute und der Wert des Einzellebens sind zwei Dinge, die unmittelbar zusammengehören" (35).25 Das Gute wird dann näherhin als die christliche (Nächsten-) Liebe beschrieben (40ff). Mit diesen Definitionen weist Bousset deutlich weg von der Ebene des „äußeren", in Raum und Zeit ablaufenden Geschehens, und verlegt das Wesen des christlichen Gottesglaubens ganz auf die Ebene des „inneren", Raum und Zeit enthobenen Lebens. Damit wird selbstverständlich auch der Kultus abgelehnt, insoweit er durch dingliche Mittel auf das Gottesverhältnis Einfluß zu nehmen sucht. Sündenvergebung geschieht „ohne irgendwelche Vermittelung durch Dinge, Sachen und äußere Akte als eine freie persönliche Tat des lebendigen Gottes" (53).26 Bousset beruft sich nun für seine Deutung des christlichen Glaubens explizit auf Kant und deutet damit an, daß die Abwertung äußerlicher Akte und die Aufwertung der Persönlichkeit, wie er sie vorträgt, sich trotz aller Kritik an der Begründung der Religion durch die Moral in Kontinuität mit kantischem Denken weiß. Kant ist es, „der uns lehrte, daß wir in der ganzen Außenwelt der Dinge in Zeit und Raum vergeblich nach einem letzten Halt, nach einem Unbedingten, Ewigen suchen; daß wir dies Unbedingte aber finden, wenn wir in die Tiefe der eigenen Seele schauen und auf das in sich selbst ruhende Gesetz, um das sie kreist". Deshalb ist Kant auch der „Weise(n) des christlichen Zeitalters", der „Philosoph(en) des Protestantismus" (23f).

25

Vgl. Bousset, Gottesglaube, 37f: „Uns Kindern einer neuen Zeit ist es ein geläufiger Gedanke geworden, daß nirgends der Wert, die Stärke und Dauerhaftigkeit des persönlichen Lebens so gegeben und gesichert ist, wie im sittlich Guten und seinen Forderungen." 26 Taufe und Abendmahl sind nicht von Jesus eingesetzt (32).

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7. Spiritualismus

7.1

Mystik und Spiritualismus

Welche Bedeutung hat der Begriff der Geschichte für die Beurteilung des Kultus in der religionsgeschichtlichen Schule? Dies war die Ausgangsfrage des vorliegenden Kapitels. „Die sog. religionsgeschichtliche Schule lenkt völlig zum Spiritualismus zurück und ist daher kirchlich .impotent'." Dieser Satz, der für eine Antwort auf die gestellte Frage die Richtung angeben kann, stammt nicht von einem Kontrahenten der Religionsgeschichtler, sondern von Ernst Troeltsch. 1 Angeschlossen an diese Wertung wird eine Beschreibung der eigenen Arbeit: „Meine eigene Theologie ist sicherlich spiritualistisch, sucht aber eben deswegen dem historischen und dem damit verbundenen kultisch-soziologischen Moment Raum zu schaffen. Die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens sind mir natürlich wohlbekannt" (ebd.). Troeltsch hat in seinen „Soziallehren" die Phänomene der Mystik und des Spiritualismus (sowie das der Sekte) als Komplementärbewegungen neben der Kirche einer gründlichen Untersuchung und Bewertung unterzogen (besonders 794-964). Zunächst zeigt er schon für den mittelalterlichen Katholizismus, daß sich neben dem Kirchen- und dem Sektentypus eine dritte Form gelebter Frömmigkeit herauszubilden beginnt, nämlich „der organisationslose religiöse Individualismus mit der Freigebung sehr verschiedener Stellungnahmen zu dem Wahrheitskerne des Christentums" (424). Die weitere Entwicklung dieses Typus in der protestantischen Kirche zeichnet Troeltsch dann in einem großen, beeindruckenden Bogen, der sich von spirituellen Anfängen beim frühen Luther bis zur religionsgeschichtlichen Schule, von Thomas Münzer bis zur Mystik als „Asyl für die Religiosität wissenschaftlich gebildeter Schichten" (967) oder als „heimliche Religion der Gebildeten" (931) in der Moderne spannt. Vor allem aber bemüht sich Troeltsch, bevor er zu den großen Gestalten der Mystik und des Spiritualismus gelangt, eine allgemeine Beschreibung dieser Frömmigkeit sowie der aus ihr folgenden dogmatischen Entscheidungen zu geben. Hier wird die Mystik zunächst definiert als „das Drängen auf Unmittelbarkeit, Innerlichkeit und Gegenwärtigkeit des religiösen Erlebnisses". Sie ist „Reaktion" auf „Objektivierung des religiösen Lebens in Kulten, Riten, Mythen oder Dogmen". Sie ist aber in einem ersten Stadium durchaus fähig, sich mit Kulten zu verbinden oder neue hervorzubringen. So kann Troeltsch sogar das „christliche Herrenmahl in der Deutung des Paulus" als „eine Schöpfung der Mystik", nämlich der paulini-

1 Troeltsch, Soziallehren, 936 (Anmerkung 504a). Im folgenden stehen die Seitenangaben der Zitate aus diesem Buch in Klammern im Text.

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sehen Mystik bezeichnen (851). Ja, gerade das realistische Abendmahlsverständnis des Paulus sei Frucht seiner tiefsinnigen Mystik, wenn nämlich das Herrenmahl „bei ihm zu einem mystischen Essen und Trinken, einer substanziellen Einigung", und wenn „die Taufe zu einem realen Mitsterben und Mitauferstehen mit dem Christus" werde (852). Von dieser in allen Religionen zu findenden „Mystik im weiteren Sinne" scheidet Troeltsch zunächst die „Mystik im engeren und technischen, religionsphilosophisch zugespitzten Sinne" (853). Diese nun wird „unabhängig von der konkreten Volksreligion, zeitlos und geschichtslos, höchstens unter geschichtlichen Symbolen verhüllt" (855). Sie findet sich schon bei den Gnostikern, aber auch bei der „wissenschaftlichen Theologie der alten Christen", da mit ihrer Hilfe erst die Trinitätslehre definiert sowie die Sakramente religionsphilosophisch erklärt wurden (856f). Sie ermöglicht es, von der „Einwohnung Christi" zu sprechen, von einer „substanzielle(n) Verbindung mit Christus", wodurch erst „die Kluft zwischen Geschichte und Gegenwart, Dogma und religiöser Praxis überwunden" wurde (857). Hier wird deutlich, wie Troeltsch das in der Neuzeit und angesichts des Historismus schier unlösbar erscheinende Problem der Vermittlung geschichtlichen Geschehens mit gegenwärtigem Glauben, wie er also den lessingschen „garstigen Graben" für die alte Kirche in dieser Mystik übersprungen sieht. Mittels dieser Mystik, so Troeltsch, gelingt es der altkirchlichen Theologie, den geschichtlichen Christus gegenwärtig zu machen (vgl. 858)! Die theologische Aussage, der Graben zwischen dem geschichtlichen Erscheinen Christi und der späteren Zeit werde durch die Gegenwart Christi und des Geistes überwunden, wäre ein wichtiger Hinweis für die Problemstellung der religionsgeschichtlichen Schule. Bei Troeltsch bleibt an dieser Stelle, da er hier historisch-darstellend arbeitet, allerdings offen, ob diese Vermittlung sich nur im Bewußtsein des Frommen realisiert, oder ob von der Gegenwart Christi im Gläubigen, von der „Einwohnung" gesprochen werden kann. Eine Antwort darauf geben aber die weiteren Ausführungen Troeltschs. Die so beschriebene religionsphilosophische Mystik geht nun über in die „Christuslehre der Spiritualisten", welche Christus „gerne durch das allgemeinere Prinzip des in Christus verkörperten Logos verdeutlichten" (858). An die Stelle der Einwohnung Christi tritt also nun der „allgemeine kosmische Prozeß der Herabsenkung des Absoluten in die Endlichkeit und Sinnlichkeit". Es entsteht die „Lehre vom Samen und Funken", wobei die geschichtliche Offenbarung nur belebende Funktion hat (ebd.). Dieser Spiritualismus „ist eine Theologie des Heilsbewußtseins, und nicht mehr der bloßen Heilstatsachen" (858f, Hervorhebung. K.L.). Mit dieser Beschreibung markiert Troeltsch einen Unterschied zur altkirchlichen Mystik und zeigt zugleich, wo auch für ihn der Schlüssel für das Vermittlungsproblem liegen muß. Eine Einheit mit Gott oder mit Christus kann nicht an einzelne Heilstatsachen gebunden werden, sie wird allein im religiösen Bewußtsein realisiert, wobei göttlicher und menschlicher Geist nicht zu trennen sind: „Das Verhältnis zwischen dem Geist oder dem gegenwärtigen lebendigen Heils-

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bewußtsein und den Tatsachen der Geschichte und des Kultus wird neu geordnet." (859, Hervorhebung: K.L.). Dabei kommt Troeltsch einer Theologie, die grundlegend vom Wirken des Heiligen Geistes ausgeht, sehr nahe. Immer wieder wird betont, daß das entscheidende Element das „inner(e) Wirken des Geistes" sei: „Der Geist Gottes erkennt in der Schrift und der Kirche nur sich selber wieder (...); für sich allein sind beide tote Buchstaben und Zeremonien" (859). Aber wer ist der Geist Gottes? Im Sinne einer spiritualistischen Theologie ist er immer schon Teil des Menschen, sein Empfang und sein Wirken wird von äußeren Mitteln gelöst.2 Gerade mit einer „Theorie des inneren Lichtes" „wird die Mystik zum Spiritualismus" (862). Dem Spiritualismus nun sind die Sakramente unwichtig geworden. Dies hängt mit seinem Verhältnis zur Geschichte überhaupt zusammen: „Insbesondere der Spiritualismus löscht in seinem Drang nach Unmittelbarkeit in Wahrheit die Geschichte aus und beseitigt damit das Zentrum, um das allein ein christlicher Kult sich sammeln kann." (864) Der Spiritualist lebt vom Wirken des Geistes Gottes, und zwar „des in allen identischen und in allen sich wieder erkennenden Geistes" (864). Auch hier finden sich wieder Formulierungen, die der Gegenwart des Geistes Gottes zutrauen, was eine geschichtliche Vermittlung nicht vermag: Der Spiritualismus „nimmt (...) die zum Dogma erstarrte Geschichte in die lebendige Bewegung und Entwickelung des Geistes zurück" (867f). Wenn dann aber fortgefahren wird, daß der Spiritualismus damit „in den psychologischen Vorgängen selbst die wesentliche Offenbarung und die gegenwärtige Erlösung" sucht, so wird deutlich, daß hier Wirken des Geistes und seelische Erlebnisse des Menschen identifiziert, daß jede Kennzeichnung des Geistes als ein vom Gläubigen unterschiedenes Subjekt aufgehoben wird. Dieser Geist braucht dem Gläubigen nicht im Kultus zu begegnen oder einzuwohnen, es gibt „keine Zueignung des HeilsefFektes durch Kult" (868). Denn „die der mystischen Unmittelbarkeit feindselige Isolierung und Festlegung der christlichen Heilstatsachen" steht „dem Mystiker am meisten im Wege" (871).

7.2

Moderner Spiritualismus

Ganz in diesen antigeschichtlichen und antikultischen Bahnen bewegt sich nun auch der moderne Spiritualismus, den Troeltsch ausfuhrlich beschreibt. In ihm wird „das Historisch-Positive aller Religion überhaupt zum Problem gemacht" (927). Warum? Weil gerade „das moderne Denken unter den Einfluß des Begriffes allgemeiner Weltgesetze und einer durchgängigen Welteinheit kam, hiermit auch Moral, Religion und Kunst als allgemeine Grundgesetze der menschlichen 2 Es entsteht dann bei Troeltsch ein an Hegels Philosophie erinnerndes Bild von der Wirkung des Geistes (ebd, 859): „Der endliche Geist gewinnt (...) im Weltprozeß wirkliche Realität, begeht in seiner selbstsüchtigen Versteifung gegen Gottes Geist wirkliche Sünde und wird durch das im Christentum ihn ergreifende Wirken des göttlichen Geistes zum wahren und gotteinigen Kern der Persönlichkeit erhoben."

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Geistesentfaltung zu betrachten genötigt wurde" (926). Wenn also die religiöse Wahrheit eine allgemeine, von der Historie unabhängige sein soll, dann muß der Spiritualismus die Heilstatsachen symbolisierend auffassen und so „eine Brücke v o n diesem D e n k e n zur Religion und zum Christentum schlagen" (ebd.). Wenn „das Historische (...) zum Symbol, zum Anregungsmittel, zur Veranschaulichung" g e w o r d e n ist, dann hat der Kultus „seine innere Notwendigkeit überhaupt verloren und ist für die Religion bedeutungslos geworden" (932, Hervorhebung. K.L.)! A u f diesem Boden, so betont Troeltsch eindrücklich, steht die neuere wissenschaftliche Theologie, soweit sie Anschluß an den modernen Geist sucht. U n d so heißt es in Wiederholung bereits früher erwähnter spiritualistischer Elemente v o n der modernen Theologie: „Sie ist auf der ganzen Linie die Erneuerung des alten Spiritualismus", sie „ist Theologie des Bewußtseins im Gegensatz zur Theologie der Tatsachen und hat für Jesus nur die Bedeutung der urbildlichen Erregung des frommen Bewußtseins" (934; Hervorhebung: K.L.). 3 Deutlicher kann die Antwort auf die Ausgangsfrage wohl nicht g e g e b e n werden. W o die Geschichte nur illustrativen Charakter für allgemeine Vernunftwahrheiten hat, w o das Sein des Wunders, des kontingenten Heilsereignisses ausgeschlossen ist, da kann auch der Kultus keine konstitutive Bedeutung mehr haben. D i e s e Bedeutungslosigkeit zeigt sich genau in den beiden eingangs auf-

3

Zur Entwertung der Geschichte bei Troeltsch vgl. die Überlegungen bei Drescher, Problem, 212f, 229f. Trutz Rendtorff hat in einem Aufsatz nach der Bedeutung der zitierten Selbsteinschätzung Troeltschs als Vertreters einer spiritualistischen Theologie gefragt (Rendtorff, Theologie). Er deutet diese Selbsteinschätzung jedoch lediglich im Blick auf die Mystik „als Sozialform des modernen Christentums" (ebd., 178). „Impotent" sei diese spiritualistische Theologie „für die soziale Gestaltung des Christentums, für die Neubildung der Soziallehren" (ebd., 179), sie bringe „von sich aus keine andere, alternative Kirche" hervor (ebd., 190). Es bleibt - bis auf einen kurzen Hinweis (ebd., 180) - unerwähnt, daß das ganze Gewicht in Troeltschs Ausführungen auf der „Theologie des Bewußtseins" mit ihrer Ablehnung der Heilstatsachen liegt. „Kirchlich impotent" ist diese Theologie, weil sie aufgrund dieser Ablehnung dem Kultus kein Gewicht mehr beimessen kann, ja, ihn eher als Problem empfinden muß. So bevorzugt Troeltsch den Begriff des „Spiritualismus" vor dem der „Mystik", weil bei jenem „(d)as Persönlich-Individuell-Autonome und das KultlosGedankliche (...) besser zum Ausdruck" komme (so in einer handschriftlichen Notitz zu den Soziallehren, zitiert bei Drescher, Ernst Troeltsch, 401). Beachtet man diesen Kernpunkt des Gedankenganges Troeltschs, so versteht man auch seine unterschiedlichen Aussagen zur mystischen Theologie, die Rendtorff aufzählt (ebd., 185f): Troeltsch ist Spiritualist, indem er die Theologie der Heilstatsachen zugunsten der des Bewußtseins ablehnt. Gleichzeitig ist ihm aber bewußt, daß eine Religionsgemeinschaft ohne Kultus nicht wird bestehen können. Von daher werden negative Äußerungen über eine mystische Theologie, die sich auf eine subjektive Frömmigkeit ohne gemeinschaftsbildende Kraft zurückzieht, verständlich. Troeltsch selber sucht, wie bereits ausgeführt wurde, eine spiritualistische Theologie, die sich gleichwohl um einen kultischen Zentralpunkt sammelt. Vgl. Drescher, Ernst Troeltsch, 391: „Auch aus diesem Blickwinkel sind Troeltschs Bemühungen zu verstehen, Jesus als Mittelpunkt kultischer Verehrung herauszustellen, eben weil er bemerkt, daß hier die Schwierigkeiten des mystischen Typus liegen."

161

gezeigten Bereichen, in denen der Kultus an die Geschichte gebunden ist. Zunächst ist der Kultus selbst geschichtliches Ereignis. Als solches kann er keine wesentliche Bedeutung, bestenfalls eine symbolisierende Funktion haben. Ferner aber wird im christlichen Kultus eine in der Geschichte erschienene Person angebetet. Doch auch diese Person Jesu Christi und alle Daten ihres Lebens fallen unter die Verdikte der spiritualistischen Geschichtsbetrachtung. Dies hat Troeltsch wie vielleicht nur wenige Theologen seiner Zeit gesehen." Der Spiritualismus ist im Urteil Troeltschs Kennzeichen der religionsgeschichtlichen Schule insgesamt. Dies mag zunächst erstaunen, wenn man beispielsweise an Boussets scharfe Zurückweisung der Mystik Troeltschs denkt. Beachtet man aber die von Troeltsch durchgeführte Unterscheidung von Mystik im weiteren Sinne und Spiritualismus, so wird deutlich, daß seine Beurteilung der religionsgeschichtlichen Schule nicht zu unrecht besteht. Der Spiritualismus wurde besonders dadurch charakterisiert, daß er sich von allen geschichtlichen Fundamenten löst und so auch den Kultus für unwichtig hält. Boussets Kritik gegen die Mystik hingegen richtet sich auf die Überzeugung, Gott könne direkt in der Seele erlebt werden. Gegen diese mystische Vereinigung wird, im Gegensatz zu Troeltsch, die friessche Ideenlehre ins Feld gefuhrt. Die spiritualistische Ablehnung jeglicher geschichtlich-kultischer Grundlagen des Heils dagegen wird von Bousset ausdrücklich geteilt. Aus dieser Perspektive kann sich der Spiritualismus der religionsgeschichtlichen Schule sogar zu Recht auf Kant berufen - eine Inanspruchnahme der kantischen Philosophie, die nun nochmals unter dem Begriff des Spiritualismus die oben aufgezeigten Verbindungslinien bestätigt. Im Zuge der Darstellung der 4 Überraschenderweise wird das entscheidende Element dieser Definition des modernen Spiritualismus, nämlich die Ablehnung der Heilstatsachen, in der Diskussion um Apfelbachers Troeltsch-Deutung völlig übersehen. Während die Rezension von Ruddies (Mystische Theologie) nicht einmal die Richtigkeit dieser Deutung, die die Mystik in den Mittelpunkt des Werkes Troeltschs stellt, anerkennen will, verfehlt auch Apfelbacher selbst in seiner Antwort an Ruddies (Apfelbacher, Troeltsch) diesen Kerngedanken. Er weist erstens darauf hin, daß Mystiker durchaus nicht immer von Erleuchtungserlebnissen ausgehen müssen. Zweitens wird belegt, daß die mystische Theologie durchaus Interesse an der Historie haben kann. Was aber das Wesen der Mystik ausmacht, was Troeltsch das Recht gibt, sich in diese Bewegung zu stellen, wird nicht erkannt. Man wird auch schwerlich behaupten können, daß der „theoretische Status" der einschlägigen Aussagen Troeltschs zu diesem Problem „nirgendwo befriedigend ausgeführt ist" (Ruddies, Mystische Theologie, 105). Die zitierten Ausführungen Troeltschs am Ende seiner „Soziallehren" sind deutlich und klar mit ihren zahlreichen Hinweisen auf die Theologie des Bewußtseins, die der Theologie der Heilstatsachen entgegensteht. - Apfelbacher stellt zu Recht eine „Affinität (...) zwischen der .mystischen' und .spiritualistischen' Denktradition einerseits und der historisch-kritischen Geschichtsbetrachtung andererseits" fest (Troeltsch, 126). Diese hat ihren Grund aber weniger in der mystischen „Gelassenheit" (ebd.), sondern in der Freiheit, die eine spiritualistische Theologie im Umgang mit den Heilstatsachen für sich in Anspruch nimmt. Diese können von einer historischen Methode relativiert werden, ohne daß dem Spiritualisten dadurch sein Umgang mit dem Göttlichen genommen würde. - Vgl. zum Thema auch die im Literaturverzeichnis aufgeführten Rezensionen von Wyman Jr. und Witwer.

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modernen Mystik kommt Troeltsch auf den „rein ethisch-theistisch und gar nicht mystisch empfindende(n)" Kant zu sprechen. Obwohl dieser also nicht ein Mystiker genannt werden kann, hat er doch „Religion nur als Geist und Idee" anerkannt und die Heilsgeschichte spiritualistisch entwertet. Ja, Kants „Vergeistigung der Dogmen zu Symbolen ewiger Wahrheiten und immer sich wiederholender Gegenwartsvorgänge ist völlig im Sinne des Spiritualismus."5 Diese Berufung auf Kant wird dadurch ganz erheblich unterstützt, daß Kant selbst den ersten Abschnitt des „Streit(es) der Fakultäten" mit einem Anhang beschließt, der „von einer reinen Mystik der Religion" handelt. Wenn dieser Abschnitt auch nicht aus der Feder Kants, sondern aus dem Brief eines jungen Zeitgenossen namens Willmans stammt, und wenn Kant auch in einer Fußnote seine Zurückhaltung im Blick auf volle Zustimmung mitteilt,6 so ist doch allein die Aufnahme dieses Abschnittes in sein eigenes Werk von einiger Bedeutung. Gegen Ende dieses Abschnittes vergleicht Willmans die kantische Philosophie mit einer „Klasse von Menschen (...), die man Separatisten nennt, die aber sich selbst Mystiker nennen".7 Bei ihnen fand Willmans „fast buchstäblich Ihre [ = Kants] Lehre in Ausübung gebracht". Als erster Vergleichspunkt wird das Fehlen des Gottesdienstes erwähnt: „Es fiel mir auf, daß diese Menschen ganz ohne Gottesdienst lebten; alles verwarfen, was Gottesdienst heißt, und nicht in Erfüllung seiner Pflichten besteht".8 Den Theologen aber, so Willmans, sind „diese Leute ein wahrer Dorn im Auge (...), weil sie ihren Gottesdienst nicht von ihnen unterstützt sehen".9 Überblickt man nun diese Darstellung der spiritualistischen Ansätze der religionsgeschichtlichen Schule, so steht ein Begriff im Räume, um den letztlich die Problematik einer spiritualistischen Geschichtsdeutung immer kreist. Der Begriff des Geistes Gottes. Troeltsch hat eindrücklich dargestellt, wie mittels der Mystik in der alten Kirche der zeitliche Abstand zum Heilsgeschehen in Christus überwunden wird. Während aber damals der im Mystiker wirkende Geist Gottes noch vom Geist des Mystikers zu scheiden war, plädiert Troeltsch als moderner Mystiker fur eine einzige Geistbewegung, die sich in der Geschichte ereignet und die auch den Gläubigen umschließt.10 Gottes Geist und menschliche Geistesgeschichte werden nicht mehr geschieden, weil eine solche Unterscheidung ein kultisches Verständnis des christlichen Glaubens, das heißt die Überzeugung der Verbindung des Geistes mit bestimmten innerweltlichen „Mitteln", voraussetzen würde.

5

Troeltsch, Soziallehren, 927. Kant, Streit, 340 ( = A 115). 7 Ebd., 346 ( = A 125). 8 Ebd. 9 Ebd., 347 ( = A 126f). 10 Schon im Blick auf den Spiritualismus des 16. Jahrhunderts hat Troeltsch bemerkt: „Der rein innerlich und psychologisch gefaßte göttliche Geist geht leise über in die Vernunftanlage des menschlichen." (Tioeltsch, Protestantisches Christentum, 514f). 6

163

7.3

Spiritualistische Glaubenslehre

Ebenso deutlich zieht Troeltsch dann auch die Konsequenzen, die sich aus diesem spiritualistischen Ansatz für den Aufbau und die Durchführung der Dogmatik ergeben. Das Programm dieser Dogmatik hat Troeltsch in seinem Aufsatz über „(d)ie Dogmatik der religionsgeschichtlichen Schule" vorgelegt, während die Durchführung eben dieses Programmes in der posthum herausgegebenen „Glaubenslehre" vorliegt. Der Leser erhält hier ausreichend Aufschluß über Aufgabe, Quellen und Aufbau einer solchen Dogmatik. 11 Der Begriff des „Dogmas" muß ganz in den Bahnen Schleiermachers gedeutet werden. Dogmen sind also nicht an die Norm der Heiligen Schrift gebundene Lehr- und Bekenntnissätze, sondern vielmehr „Glaubensvorstellungen von freier phantasiemäßiger Beweglichkeit", 12 die das jeweilige Gemeindebewußtsein nachzeichnen. Unter Hinweis auf diese Subjektivierung übernimmt Troeltsch auch für seine Dogmatikvorlesung gerne die von Schleiermacher gewählte Bezeichnung der Dogmatik als „Glaubenslehre". 13 Was sind die Aufgaben einer „religionsgeschichtlichen Dogmatik"? Troeltsch nennt deren drei: Erstens ist der geschichtsphilosophische Nachweis der Höchstgeltung des Christentums für unseren Kulturkreis gefordert, zweitens muß das „Wesen des Christentums", sein Prinzip oder seine Grundidee definiert werden, und drittens ist dann die Darlegung dieses Wesens des Christentums im Detail, in einzelnen Sätzen erforderlich. 14 Die Durchführung dieser dritten Aufgabe kann dann auch als „Dogmatik im engeren Sinne"15 beziehungsweise als „Glaubenslehre" 16 bezeichnet werden. Troeltsch unterscheidet also zwischen der zu erstellenden „religionsphilosophischen Prinzipienlehre" und der sich an diese anschließenden eigentlichen Dogmatik. 17 Die Prinzipienlehre erarbeitet den Begriff des „christlichen Prinzips" und führt auch den geschichtsphilosophischen Vergleich durch. Die eigentliche Dogmatik nimmt dann die dritte Aufgabe, die Darstellung der geltenden Lehre im einzelnen wahr. Das christliche Prinzip wird, was nach obigen Ausführungen nicht verwundert, in der Wendung zur „Persönlichkeitsreligion" gefunden. 18 Dieses Prinzip tritt an die Stelle der alten Bibelautorität. Die eigentliche Dogmatik, die dieses Prinzip entfaltet, wird daher auch als ihre Quelle nicht einfach die Bibel, sondern

11 Zur Glaubenslehre bei Troeltsch vgl. auch Birkner, Glaubenslehre; Drescher, Problem, 214f; Fischer, Theologie; Müller, Selbstauflösung; Wyman Jr., Glaubenslehre. 12 Troeltsch, Dogma, 106. 13 Vgl. Troeltsch, Dogmatik, 109. Diese Bezeichnung gab es allerdings schon vor Schleiermacher, vgl. Baumgarten, Glaubenslehre, Spener, Glaubenslehre. 14 Vgl. Troeltsch, Die Dogmatik, 509-513. 15 Ebd., 512. 16 Glaubenslehre, 3. 17 Ebd., 2f. 18 Ebd., 2; besonders auch 71ff, wo der schleiermachersche Begriff der „Formel" für das christliche Prinzip übernommen wird, vgl. dazu auch Fischer, Theologie, 37f.

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ganz im Sinne Schleiermachers das gegenwärtige Bewußtsein der Gemeinde zu nennen haben. Sie enthält deshalb in erster Linie sogenannte „gegenwartsreligiöse Sätze".19 In diesen wird die gegenwärtige Erfahrung der christlichen Religion als Erfahrung der Erlösung beschrieben. Dabei haben historische Gegebenheiten oder Personen keinen Platz als Glaubensobjekte.20 Nun ist aber das gegenwärtige Bewußtsein der Gemeinde selbstverständlich geschichtlich bedingt. Sein historisches Fundament ist in der Person und Predigt Jesu zu finden. Diese selbst ist wiederum vor allem durch die Predigt der Propheten mitbestimmt worden. Im Anschluß an das Auftreten Jesu schließlich entsteht ein bis in die Gegenwart reichender Interpretations- und Weiterbildungsvorgang, der natürlich ebenso das gegenwärtige Bewußtsein prägt. So hat die Glaubenslehre bei der Darstellung des gegenwärtigen Bewußtseins der christlichen Gemeinde die historischen Quellen desselben mit darzustellen. Sie müssen deutlich vom heutigen Verständnis unterschieden, dürfen aber nicht davon abgelöst werden. Dies fuhrt zu einem klaren Aufbau der Glaubenslehre, der nun vom Modell Schleiermachers nicht unerheblich abweicht. Die Glaubenslehre enthält in ihrem ersten Hauptteil „historisch-religiöse", in ihrem zweiten Hauptteil „gegenwartsreligiöse" oder auch „(m)etaphysisch-religiöse" Elemente.21 Die beschriebene Unterscheidung der historischen von den gegenwärtigen Quellen der Glaubenslehre wird so zu deren Haupteinteilungskriterium. Der historische Teil wird von Troeltsch überschrieben: „Jesus Christus als Gegenstand des Glaubens".22 Damit identifiziert Troeltsch die Christologie mit dem historischen Teil der Glaubenslehre, sie hat keinen Platz in der Beschreibung der gegenwärtigen Elemente des Glaubens. Troeltsch betont an dieser Stelle ausdrücklich die theologische Bedeutung dieser Einteilung.23 Die Christologie wird nicht, wie noch bei Schleiermacher und bei Ritsehl, in der Erlösungslehre verhandelt. Diese ist nur insofern mit Jesus Christus verknüpft, wie es das Ganze des christlichen Glaubens ist: Christus ist die historische Grundlage. Die Behandlung und Würdigung seiner Person gehört allein in den historischen Teil einer Glaubenslehre.24 In die Gruppe der in der Gegenwart gültigen Lehrsätze werden dann die Themen Gott, Welt, Seele, Erlösung, religiöse Gemeinschaft sowie Vollendung gestellt.

19

Dogmatik, 513; Glaubenslehre, 72f. „Es liegt auf der Hand, daß eine historisch-kritische Denkweise die Persönlichkeiten und Tatsachen der biblischen Geschichte, insbesondere der Person Jesu, in die Relativitäten des Geschehens und in die Unsicherheiten der Überlieferung hineinzieht und sie dadurch unfähig macht, das eigentliche und unmittelbare Objekt des Glaubens zu sein." (Troeltsch, Dogmatik, 512). 21 Die Dogmatik, 513f; Glaubenslehre, 72. 22 Glaubenslehre, 81. 23 Vgl. ebd., 348. 24 Die Konsequenzen dieser Einteilung im Blick auf die Darstellung der Person und des Werkes Jesu werden im zweiten Teil dieser Arbeit noch wichtig werden. 20

165

Mit diesem Aufbau fuhrt Troeltsch in deutlicher Weise seinen spiritualistischen Ansatz auf dem Gebiet der Dogmatik durch. Seine Dogmatik ist darin wirklich „Dogmatik der religionsgeschichtlichen Schule", daß sie bis in die Gliederung hinein mit der spiritualistischen Ausrichtung ernst macht: Die Geschichte, also insbesondere die geschichtlichen Grundlagen des christlichen Glaubens, ist zwar die Wurzel, mit der auch die gegenwärtige Frömmigkeit noch verbunden ist, sie hat aber keine konstitutive, also das christliche Prinzip tragende Funktion. Im Rückblick dient sie zur Illustration, nicht zur Ermöglichung christlicher Erlösung. „Die Sakramente und der Kultus" 25 werden in einer solchen spiritualistischen Dogmatik allerdings nicht wie die Christologie im historischen Vorspann behandelt, sondern im Hauptteil der gegenwartsreligiösen Sätze. Der Kultus spielt ja fur die Religion der Gegenwart eine nicht zu unterschätzende Rolle als gemeinschaftsstiftendes Element. Aber selbstverständlich ist dieser Kultus kein an sinnliche Mittel gebundenes Heilsgeschehen. Er ist vielmehr „geordnete Predigt und Darbietung der christlichen Gotteserkenntnis", „Selbstdarstellung der hierdurch gesammelten Gemeinde vor Gott". 26 So bietet Troeltsch mit seinem Entwurf ein beeindruckendes Beispiel für die theologischen Folgerungen, die sich aus den dargestellten Grundlagen ergeben.

25 26

166

Glaubenslehre, 374. Ebd.

C: Auswertung in Thesenform: Der Kultus in der Dogmatik der religionsgeschichtlichen Schule

Die Religionsgeschichtler zogen aus, um die lebendige Religion in ihrer Geschichte aufzufinden. Dieses Ziel hatte Gunkel mit mächtigen Worten beschrieben. Doch bei dieser Suche geschieht es, daß ihnen die Religion zu einem Element des Bewußtseins, die Geschichte zur Symbolwelt flir ewige Vernunftwahrheiten zerrinnt. Der sehnsüchtige Drang ins „wirkliche Leben", in die empirische Forschung, in den Glauben der Masse, in Kulte, Riten und Zauberei, die Abneigung gegen alle feststehende Wahrheit, gegen Unveränderlichkeit, gegen bloße Gedankenwahrheit und verstaubte Lehrgebäude, das laute Eintreten für das Historisch-Einmalige, flir alles Individuelle - wo sind diese treibenden Motive geblieben? Sie hatten auf dem dogmatischen Fundament der Religionsgeschichtler sowohl nach der Seite der Religion als auch nach der Seite der Geschichte keine Chance. Zu Beginn dieser Untersuchung ist die außergewöhnliche Schätzung des Kultus in der religionsgeschichtlichen Schule, etwa in Abgrenzung zu Harnack, dargestellt worden: Die Beschäftigung mit dem Kultus zeigt sich als flir die Exegese gar nicht zu unterschätzende Aufgabe. Die Beschreibung der Gedanken einzelner Theologen in der Darstellung der neutestamentlichen Theologie wird zugunsten des wichtigeren Glaubens der Masse zurückgestellt. Als wertvoll gilt nicht die entwickelte Endgestalt, sondern der rohe Ursprung der Religion. Jetzt aber muß konstatiert werden, daß der Kultus als sinnlich-dingliche Erscheinungsform der Religion abgewertet wird, daß die sittliche Persönlichkeit diesem Glauben der Masse höherwertig gegenübersteht, daß also die Entwicklung der Religion von primitiven Formen nach oben fuhrt. Um sich dieses einer gewissen Tragik nicht entbehrende Ergebnis nochmals zu verdeutlichen, wird im folgenden versucht, die bisherige Untersuchung in Thesenform vorzuführen. Die Thesen folgen dabei dem Aufbau der Arbeit. Sie referieren zum größeren Teil lediglich die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Schule. Thesen, die eine Beurteilung und Analyse dieser Ergebnisse zum Inhalt haben, werden kursiv gedruckt.

167

1. Kultus und Religion a) Die Religion läßt sich zergliedern in eine Außenseite und eine Innenseite. Jene besteht aus allen den Sinnen zugänglichen Erscheinungsformen der Religion, diese aus den religiösen Erlebnissen der die Religion praktizierenden Individuen. b) Der Kultus als äußere Erscheinung gehört zur Außenseite der Religion, das im Kultus vermittelte religiöse Erlebnis zur Innenseite der Religion. c) Der Kultus ist erlebte Religion im Gegensatz zu aller theologischen Reflexion. Jener geht dieser also zeitlich und logisch voran. d) Der Kultus ist wesentliches Element der Religion der Masse, er gehört zur „Unterströmung" jeder Religion. e) Wegen seiner Ursprünglichkeit ist der Kultus wertvoller als die Theologie: Der Kultus ist lebendige Religion, Theologie ist Religion in der Erstarrung. f) Der Kultus muß als Fundament und Nährboden der schriftlichen Zeugnisse einer Religion eine zentrale Rolle in der Exegese dieser Texte erhalten. g) Die Religionspsychologie versucht, das im Kultus vermittelte religiöse Erlebnis zu beschreiben. Sie zeigt, daß dem Religiösen der Kultus nicht nur Zeichen, sondern Anwesenheit und Realität des Bezeichneten, also Gegenwart Gottes ist. h) Die Erkenntnistheorie der Religion fragt nach der Wahrheit dieses religiösen Erlebnisses. i) Kant unterscheidet die „ theologia rationalis " von der „ theologia revelata", die Gotteserkenntnis aus bloßer Vernunft von dem geoffenbarten Wissen um Gott. Jene erweist er als unmöglich, da sie das Gebiet der möglichen Erfahrung verläßt, während diese schon von ihrem Anspruch her philosophisch nicht greifbar ist. j) Deshalb ist eine Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft nicht als Gotteserkenntnis, sondern lediglich als „Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote " denkbar.

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k) Die religionsgeschichtliche Schule sucht gegen Kant die vernünftige Religion als Gotteserkenntnis. Diese soll als „religiöses Apriori" in der menschlichen Vernunft immer schon angelegt sein. 1) Für Bousset und Otto (Neofriesiartismus) haben die Ideen der Vernunft (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit) denselben Gewißheitsgrad wie die Erkenntnis aus Erfahrung. m) Diesen Ideen entspricht ein Sein, das nicht etwa wie bei Kant „transzendentaler Schein" ist, sondern der Vernunft als gewiß gilt. Daß den Ideen ein Sein außerhalb des Bewußtseins entspricht, kann die Vernunft vermöge ihres „Wahrheitsgefuhles" behaupten. n) Im religiösen Erlebnis werden die immer schon im Menschen angelegten, also apriorischen Ideen bewußt. Sie sind das gesuchte religiöse Apriori. o) Das religiöse Erlebnis von der Gegenwart Gottes im Kultus muß im Neofriesianismus lediglich als Deutung des Kultteilnehmers beschrieben werden. Denn Gott durchbricht die Bewußtseinsimmanenz des Menschen nicht. p) Theologie ist demzufolge immer Theologie der Vernunft (theologia rationalis), nicht Theologie der Offenbarung (theologia revelata). q) Der Kultus als bloße Form der ewigen Wahrheiten muß am Maßstab der Ideen geprüft und reguliert werden. r) Für Troeltsch ist im religiösen Erlebnis Kontakt mit Gott möglich (Mystik). Gott ist der außerhalb des menschlichen Bewußtseins seiende Grund des religiösen Erlebnisses. s) Das religiöse Apriori ist die im Menschen immer schon vorfindliche Form dieser möglichen Begegnung mit dem Göttlichen. Es verleiht der je konkreten Erfahrung des Göttlichen die Gültigkeit vor der Vernunft. t) Dieses Apriori ist selbst göttlichen Ursprungs, ja es setzt letztlich das Sein Gottes in der menschlichen Vernunft voraus. u) Gefunden wird das religiöse Apriori durch Analyse der religiösen Erfahrung. Dabei ergibt sich ein „Evidenzgefühl", welches die Gültigkeit des erkannten Apriori bestätigt und welches selbst vom Absoluten bewirkt ist. v) Mystik ist Gotteserfahrung, ist Verbindung von göttlicher Affizierung und menschlichem Vernunftgesetz.

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w) Troeltsch wendet diese Ergebnisse nicht dergestalt auf den Kultus cm, daß auch dieser die Begegnung von Gott und Mensch verbürgt. x) Weil Troeltsch das „religiöse Apriori" als eine Konstante der menschlichen Vernunft beschreibt, kann er das dargestellte mystische Gottesverhältnis nicht als theologia revelata von einer theologia rationalis unterscheiden.

170

2. Kultus und Geschichte

a) Der Kultus ist selbst geschichtliches Ereignis und hat geschichtliche Personen oder Ereignisse zu seinem Zentrum. b) Kants Religionsschrift unterscheidet zwischen „reinem Religionsglauben" und „historischem Offenbarungsglauben" oder „gottesdienstlicher Religion". Diese meint, durch kultische Handlungen Gott zu gefallen, während jener den Menschen allein an die immer schon in ihm liegenden Gesetze der praktischen Vernunft verweist. c) Die gottesdienstliche Religion ist Religionswahn und Afterdienst, der reine Religionsglaube ist der wahre Gottesdienst. d) „Gottesdienstlicher Glaube" und „Geschichtsglaube" sind bei Kant Wechselbegriffe. Geschichtliche Offenbarungen, auf die jener sich gründet, können nicht allgemeingültig sein. e) Der Kultus wird in der religionsgeschichtlichen Schule fur eine Religion der Gegenwart als dinglich-magische Frömmigkeit verworfen. Ihm wird das Ideal einer ethischen Persönlichkeitsreligion entgegengehalten. f) Die Entscheidung der religionsgeschichtlichen Schule gegen den Kultus und für die Persönlichkeitsreligion beeinflußt die Darstellung der jüdischchristlichen Religionsgeschichte: Von den Propheten führt eine positive Linie über Jesus zur Persönlichkeitsreligion der Gegenwart, während die Kulte der kanaanäischen Urbevölkerung, der Tempelkult Israels und die Gesetzesreligion der Pharisäer eine negative Entwicklungslinie bilden. g) Troeltsch nimmt das kantische Problem des „Geschichtsglaubens" auf in der Frage nach der absoluten Geltung des Christentums. Er will durch historischen Vergleich die „relative Höchstgeltung" des Christentums erweisen. h) Diese Höchstgeltung des Christentums beruht aber gerade nicht auf dem christlichen Kultus, sondern auf dem im Christentum erfolgten Durchbruch zur Persönlichkeitsreligion. i) Das Postulat der historisch aufweisbaren Höchstgeltung des Christentums gerät in Konflikt mit der Wertlehre Rickerts. Denn die Frage, ob ein Wert zu

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Recht in Geltung steht, ist eine metaphysische Frage und kann nicht durch geschichtliche Forschung beantwortet werden. j) Nur Werte, die selber kein Sein haben, können „gelten ". Im Blick auf den Kultus müßte daher nicht die Geltungs-, sondern die Seinsfrage gestellt werden, da er nicht ein unrealer Wert, sondern ein reales Geschehen sein will. k) Mit Anwendung der historischen Methode stellen die Religionsgeschichtler die ontologische Frage nach der Möglichkeit des Seins. 1) Das eigentliche Kriterium der historischen Kritik ist der durch Erfahrung verbürgte kausale innerweltliche Zusammenhang, der das ganze Sein umschließt. m) Der Begriff der Kontingenz beinhaltet, daß jeder historischen Erscheinung Individualität zukommt. Diese Individualität selbst muß aber wieder allgemeingültig sein. n) Äußere Wunder in Raum und Zeit sowie die Inanspruchnahme kontingenter Ereignisse fur ein Geschehen außerhalb des Kausalzusammenhanges (Sakramente) sind nicht möglich. o) Der Begriff des „Supranaturalismus" wird in der religionsgeschichtlichen Schule zunächst positiv aufgenommen und einem Monismus gegenübergestellt, bei dem Gott nicht ins Weltgeschehen eingreift. Supranaturalismus bedeutet dann die Annahme des Handelns Gottes an jedem Ort des Weltgeschehens. p) Dieser „inklusive Supranaturalismus" (Troeltsch) wird aber scharf von einem „exklusiven Supranaturalismus" getrennt, bei dem eine unzulässige Aufteilung der Geschichte in korrelatives und übernatürliches Geschehen angenommen wird. q) Dieser Aufteilung entspricht das Verständnis des „Wunders", welches positiv das Wirken Gottes in der Seele bedeuten kann (Troeltsch), negativ aber jenes abzulehnende übernatürliche Geschehen in der gegenständlichen Welt bzw. die Bindung übernatürlicher Ereignisse an kontingentes Geschehen bezeichnet. r) Wunder im negativen Sinne sind auch die „Heilstatsachen". Sie sind deshalb abzulehnen. s) Mit dieser Ablehnung der Möglichkeit des Wunders, die auf der Anwendung des aus der Erfahrung stammenden Analogieprinzips beruht, macht die religionsgeschichtliche Schule Aussagen über das Sein, wo doch nur über Er-

172

fahrung geredet werden könnte. Erfahrung und Sein konvergieren; was nicht erfahrbar ist, kann nicht sein. t) Damit trennt sich die religionsgeschichtliche Schule von Kant, der Kausalität und Korrelation als „Analogien der Erfahrung" beschreibt und damit klarstellt, daß diese Gesetze nur im Bereich der Erfahrung Geltung besitzen, nicht aber in der Lage sind, über Sein oder Nichtsein von Wundern zu befinden. u) In Analogie zu Kant verstehen auch die Religionsgeschichtler den Kultus als ein Werk des Menschen, dem die Persönlichkeit als der eigentliche Wert des Menschen gegenübersteht. v) Die Persönlichkeit wird bei den Religionsgeschichtlern hauptsächlich via negationis beschrieben, indem sie allem Sinnlich-Dinglichen gegenübergestellt wird. Positiv definiert wird sie als der Teil des Menschen, der zur freien Entscheidung für das Sittliche in der Lage ist. w) Die Ablehnung des Kultus als Heilsgeschehen und das Eintreten für eine Persönlichkeitsreligion sind beide Folgen der Verneinung der Möglichkeit geschichtlich-kontingenter Größen als Heilsgeschehen. x) Die Theologie der religionsgeschichtlichen Schule wird von Troeltsch als „spiritualistisch" bezeichnet. Während die Mystik der alten Kirche noch die Einwohnung Christi und so die Vermittlung des historischen Heilsgeschehens für den Gläubigen sucht, will der Spiritualismus diese Vermittlung durch eine Theologie des Bewußtseins erreichen, bei der Gottes Geist und menschlicher Geist nicht zu scheiden sind und bei der Heilstatsachen unwichtig werden. y) Der Kultus kann für diese spiritualistische Theologie keine Bedeutung mehr haben, da er, selbst Teil der Geschichte und Geschichtliches verehrend, die unmittelbare, von aller Geschichte bewußt gelöste Vermittlung zwischen Gott und Mensch in der Seele des Frommen nicht zu leisten vermag. z) Diese Entwertung der Geschichte zeigt sich konsequenterweise auch im Aufbau der „Dogmatik der religionsgeschichtlichen Schule" (Troeltsch). Die Christologie wird nicht in der Versöhnungslehre, sondern im ersten Teil der „historisch-religiösen Sätze" behandelt. So wird deutlich, daß die Geschichte des Christus keine für die Gegenwart konstitutive, sondern nur historische und illustrative Bedeutung hat.

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Zweiter Teil Theologie: Exegetische Konsequenzen

1. Einleitung

1.1

Kultus als Sitz im Leben der Theologie

Der Kultus der christlichen Gemeinde ist Basis und Wurzelgrund theologischer Aussagen des Neuen Testamentes. So lautet eine Programmthese der religionsgeschichtlichen Schule. Schon in der frühen Schrift Gunkels über die „Wirkungen des Geistes" tritt die Erfahrung mit dem Geist ganz ins Zentrum der exegetischen Untersuchung. In der vielleicht wichtigsten exegetischen Monographie der Schule, Boussets „Kyrios Christos", wird schon in der Einleitung hingewiesen auf den Versuch, „von der Praxis des Kultus und des Gemeindegottesdienstes (...) überall den Ausgangspunkt zu nehmen und die Entwicklung der Dinge zu verstehen".1 Christlicher Kultus, das heißt in erster Linie Verehrung Jesu Christi im Gottesdienst, oder, wie Bousset sich ausdrückt, „Kyrioskult".2 Neben der Anbetung Christi zeigt sich diese Verehrung vor allem in den Sakramenten: Im Abendmahl steht das stellvertretende Sterben Jesu sowie die Gegenwart des Auferstandenen im Zentrum, die Taufe geschieht auf den Namen Jesu Christi. Neben die Person Christi rückt im Kultus ferner der Geist Gottes. Besonders die zu beobachtenden Geistwirkungen, deren Darstellung und Regelung im Neuen Testament eine wichtige Rolle zukommt, sind wesentlicher Bestandteil des christlichen Gottesdienstes. Die kultische Verehrung Christi sowie die Geist Wirkungen im Gottesdienst sind nun - so die religionsgeschichtliche Schule - ftir alle weitere Theologie grundlegend. Der Kultus hat zeitliche und logische Priorität, alle theologischen Überlegungen der christlichen Gemeinde sind von ihm abhängig und werden von ihm her definiert. Deshalb, so folgert die religionsgeschichtliche Schule, ist die Wiege sowohl der Christologie als auch der Pneumatologie im christlichen Gottesdienst zu lokalisieren!

1.2

Fragestellung der Untersuchung

Das Neue Testament gibt Aufschluß über zentrale Phänomene des christlichen Gottesdienstes, so vor allem über die Taufe, über das Abendmahl und über die Wirkungen des Geistes während der Gemeindeversammlung. Auch die Anru-

1 2

Bousset, Kyrios Christos, IV. Ebd., V.

177

iung Christi läßt sich als wichtiges Element des Gottesdienstes im Neuen Testament nachweisen. Die genannten Phänomene sind von Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule in ausfuhrlichen Studien untersucht worden, bilden doch gerade sie die „lebendige Religion", den Kultus, also das Forschungsgebiet, welches fur die Arbeit der Schule kennzeichnend ist. Diese Untersuchungen sollen im folgenden dargestellt werden. In Erinnerung an die dogmatischen Grenzen, die in der religionsgeschichtlichen Schule um den Kultusbegriff gezogen werden, kann man gespannt sein auf die exegetischen Bemühungen um die neutestamentliche KultTheologie. Werden diese Bemühungen durch die dogmatischen Entscheidungen gelenkt? Folgende Möglichkeiten des Zusammenseins von Dogmatik und Exegese wären denkbar: 1. Es gibt keinen Zusammenhang der Disziplinen. Der Exeget eruiert einen sensus Iitteralis, ein Kultverständnis des jeweiligen Autors neutestamentlicher Texte, ohne diese Darstellung in irgendeiner Weise mit seinen dogmatischen Optionen in Beziehung zu setzen. 2. Die Auslegung der einschlägigen Perikopen ist selbst nachweislich durch ein dogmatisches Vorverständnis des Exegeten geprägt: Der Exeget findet im biblischen Text das, was er selber über den Kultus denkt. 3. Nicht die Auslegung der Texte, wohl aber eine mitgelieferte Beurteilung des biblischen Befundes durch den Exegeten geschieht anhand der vorgegebenen dogmatischen Maßstäbe. In der folgenden Darstellung werden zuerst exegetische Ergebnisse der jeweiligen Arbeiten dargestellt. In einem ersten Schritt soll nachgezeichnet werden, welches neutestamentliche Kultverständnis die Analysen der religionsgeschichtlichen Schule zutage fördern. Gefragt wird also, welchen sensus Iitteralis der Exeget der religionsgeschichtlichen Schule als dem Text zugehörig ermittelt. In einem zweiten Schritt wird daraufhin jeweils das „Urteil der religionsgeschichtlichen Schule" vorgestellt. Darunter sind eventuelle Aussagen zu verstehen, die das neutestamentliche Zeugnis vom Gottesdienst nicht lediglich beschreiben, sondern bereits eine Deutung oder Beurteilung dieses Zeugnisses nach dogmatischen Kriterien vornehmen. Für den Aufweis eines dogmatischen Kriteriums gibt es dabei zwei Möglichkeiten: Entweder der Exeget stellt selbst klar, daß er in seinen Überlegungen an einer bestimmten Stelle nicht mehr die Aussagen des Textes, sondern seine wertende Stellungnahme bietet.3 Oder aber es werden zur Darstellung der Textaussagen selbst Begriffe und Deutungsmuster verwendet, die nachweislich über den Text hinausgehen oder gar dessen eigene Intention verändern. Der Nachweis dieser zweiten Variante einer dogmatisch geprägten Exegese ist schwieriger zu fuhren: Hier kann zunächst nur im Streit der exegetischen Argumente zu erweisen versucht werden, daß die Darstellung der vermeintlichen Textaussagen über den einfachen Wortsinn hinaus-

3

Dabei ist die Richtung dieser Wertung logisch völlig gleichgültig: Auch der Hinweis, die Textausagen zum christlichen Kultus seien richtig und wahr, beruht auf einer dogmatischen Grundentscheidung.

178

geht. Daraufhin kann untersucht werden, ob sich diese Veränderung der Aussagen auf dogmatische Entscheidungen des Exegeten zurückfuhren läßt. Dies wird durch Rückbesinnung auf die im ersten Teil benannten Voraussetzungen möglich. Gelingt der Nachweis, so wird dadurch erklärbar, warum der Exeget zu den bezeichneten über den Text hinausgehenden Deutungen kommen muß.

179

2. Geistwirkungen

2.1

Gunkel: Geistwirkungen als Erfahrungen

Die Beschäftigung mit dem kultischen Erlebnis des Geistes Gottes eröffnete 1888 Hermann Gunkel in seiner Dissertation1 über „(d)ie Wirkungen des heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus". Die Schrift zeigte eine außerordentliche Wirkung und erschien 1899 sowie 1909 in weiteren Auflagen. Neu an der Vorgehensweise Gunkels ist nicht nur die Heranziehung außerbiblischen Materials zur Bestimmung der zur Zeit des Paulus geltenden Anschauungen. Neben dieser traditionsgeschichtlich wichtigen Neuerung stehen vielmehr neue exegetische Erkenntnisse, die das Wesen der bezeugten Geistwirkungen selbst betreffen.2 Man kann sie in drei Thesen zusammenfassen: Erstens steht den biblischen Autoren (des Alten wie des Neuen Testamentes!) bei der Erwähnung des Geistes nicht ein Lehrbegriff, sondern ein reales Sein vor Augen. Zweitens wird dieses Sein nicht durch Tradition oder Reflexion, sondern durch Erfahrung verbürgt. Drittens schließlich ist dieses Sein des Geistes nicht durch eine ethische Wirkung oder durch ein finales Geschichtshandeln, sondern zuallererst durch supranaturale Wirkungen definiert. 2.1.1

Erklärungsprinzip oder eigene Erfahrung?

Wie ein Paukenschlag tönt es zu Beginn des gunkelschen Erstlingswerkes, wenn als exegetische Erkenntnis postuliert wird, daß wir es „in der Urgemeinde garnicht mit einer Lehre vom heiligen Geiste und seinen Wirkungen zu tun" haben. Vielmehr, so Gunkel, handelt es sich „um ganz concrete, allen in die Augen fallende Tatsachen, welche Gegenstand täglicher Erfahrung waren".3 Der Exeget hat zunächst gar nicht die Aufgabe, ein urchristliches Lehrgebäude zu (rekonstruieren. Er hat zur Kenntnis zu nehmen, daß hinter der Rede vom Geist ein konkretes Erlebnis steht. Diesem gilt es nachzuspüren.

1

Die eigentliche der Fakultät vorgelegte Dissertation umfaßte lediglich den ersten Hauptteil der noch im selben Jahr veröffentlichten Abhandlung. Vgl. Klatt, Gunkel, 16. 2 Daß seine Ausführungen nicht theologische Tagesmeinung sind, wird schon an den zahlreichen polemischen Einlassungen Gunkels deutlich. Vor allem beschäftigt er sich mit den beiden jüngeren ihm vorliegenden Monographien zum Thema: Wendt, Begriffe, sowie Gloel, Der Heilige Geist. 3 Gunkel, Wirkungen, 4. Gunkel wendet sich damit gegen Pfleiderer (Paulinismus, 202), der von der „traditionellen Lehre" des Geistempfangs in der Taufe spricht.

180

Mit vielfältigem exegetischem Material belegt Gunkel daraufhin, daß die Erfahrung, die mit der Bezeugung des Geistwirkens zusammengefaßt wird, die Erfahrung von einem Anderen ist: Der Gläubige erfährt eine Macht, die nicht er selbst ist. In der Geisterfahrung ist der Erfahrende durchaus passiv zu denken! Während der Glossolalie beispielsweise ist der Mensch „von einer gewaltigen Macht überfallen, welche ihn völlig in Besitz genommen hat. In solchen Zuständen ist er passiv. Nicht er selbst handelt mehr, sondern ein fremdes, zu seinem selbstständigen (sie) Personleben Hinzukommendes hat sich über ihn gelagert."4 Auch die Offenbarungen des Geistbegabten hat dieser „nicht selbst erzeugt; er ist sich deutlich bewusst, dass sie ihm von aussen, von einem ihm Fremden gegeben sind".5 Daraus folgt eine entscheidende Aussage: Der Geist „darf nach dem N.T. (...) in keiner Weise als Produkt der Gemeinde gedacht werden"! „Der Geist Gottes, welcher der Gemeinde verliehen ist und sich in Zeichen und Wundern offenbart, ist dem Gemeingeist der ersten Christen durchaus nicht gleichzustellen. Der Gemeingeist ist Voraussetzung und Produkt einer Gemeinschaft zugleich. Der heilige Geist Gottes aber wird weder vom Menschen erzeugt noch vom Menschen fortgepflanzt."6 Man muß sich die ganze Brisanz dieser Aussagen vor Augen halten: Sowohl die Deutung des heiligen Geistes durch Schleiermacher7 wie die durch Ritsehl8 wird hier vom Textbefund her abgelehnt! Der Geist Gottes ist vom menschlichen Geist real geschieden. Es ist unmöglich, menschlichen und göttlichen Geist nur dem Grade nach geschieden zu denken. Gerade hier 4

Ebd., 19. Ebd., 21; Hinweis auf Gal. 2,2; 2. Kor. 12,1.4.9; Apg. 7,55; 9,3ff; 13,2. 6 Ebd., 28. 7 Schleiermacher führt den Begriff des „Gemeingeistes" in § 121 der Glaubenslehre als Bezeichnung des heiligen Geistes ein: Jener ist nichts anderes als ein „inner(er) Antrieb(es), im gemeinsamen Mit- und gegenseitigen Aufeinanderwirken immer mehr eines zu werden" (Glaube, II, 248)! Der heilige Geist wird ferner definiert als „die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur in der Form des das Gesamtleben der Gläubigen beseelenden Gemeingeistes" (Glaube, § 123 (II, 259)). Der Geist Gottes kann also nicht unabhängig vom Gläubigen beschrieben werden, er ist vielmehr selbst schon der Modus der Vereinigung Gottes mit dem Menschen. Allerdings kann Schleiennacher auch von der „Einwohnung des Heiligen Geistes" bei der Wiedergeburt sprechen (Glaube, § 124 (II, 264)). - Troeltsch hat sich in einer idealistischen Geschichtsspekulation, die Gottes- und Menschengeist konvergieren läßt, gerade auf Schleiermacher berufen. Dieser entwickele die These, daß „der Geist im allgemein menschlichen Sinne nichts anderes [ist], als was das πνεύμα auch ist, aber er ist das πνεύμα auf einer niedrigeren Potenz" (Troeltsch, Absolutheit, XX; (Hervorhebung im Original); Zitat von Schleiermacher, christliche Sitte, 1843, 303). In seinem SchleiermacherVortrag von 1910 hat Troeltsch den Begriff des Gemeingeistes bei Schleiermacher im streng antisupranaturalistischen Sinne interpretiert: Die Lehre Schleiermachers führt zu einer „Preisgabe aller übernatürlichen Autoritäten und Offenbarungen zugunsten der einzigen Offenbarung, des fortzeugenden Geistes Christi" (Troeltsch, Schleiermacher, 26). 5

8

Ritsehl definiert den heiligen Geist als den „Gemeingeist, in welchem die Glieder der Gemeinde ihre gleiche Gotteserkenntnis und ihre gleichen Antriebe zum Reiche Gottes und zur Gotteskindschaft gewinnen" (Unterricht, § 55 (49)).

181

aber versagt die „moderne Theologie", welche „sich sträubt, den Geist als eine objektiv vorhandene Grösse anzuerkennen. So wird häufig von dem Geiste, welcher in der christlichen Gemeinde lebt, nicht anders gesprochen als von dem .Geiste', welcher auch in einer andern Gemeinschaft vorhanden sein kann. Darnach soll der Geist nur eine .Formbestimmtheit des menschlichen Selbstbewußtseins' sein, eine Gesamtheit von Zwecken, Motiven und Kräften. Wie nun auch die Dogmatik hierüber urteilen mag, jedenfalls ist es Pflicht, des Exegeten, gegen alle Modernisierungen der N.T.lichen Anschauungen zu protestieren".9 Das Neue Testament kennt den heiligen Geist allein als Gabe, als etwas, das von außen dem Menschen zugeeignet wird. Die Bekehrung ist ein „Bruch", ein „Eingreifen eines Uebernatürlichen, Neuen, d.h. des Geistes Gottes". Es gibt zwischen dem alten und dem neuen Leben eines Christen „keine psychologische Vermittelung"!10 Der Geist ist, so muß weiter gefolgert werden, „der urchristlichen Zeit mehr (...) als ein Begriff, eine Abstraktion".11 Auch bei Paulus ist er mehr als lediglich ein Begriff, „den man nur richtig zu definieren braucht, um sich seiner zu bemächtigen." Vielmehr stehen hinter Begriffen „sehr konkrete Anschauungen und tief (sie) innere Erfahrungen", die nachzuempfinden Aufgabe des Theologen ist.12 Nicht „Phrase" ist die Rede vom Geist, sondern Bezeichnung eines Erlebnisses, also ein signum, dem eine res entspricht!13 Im Vorwort zur zweiten Auflage seiner Schrift will Gunkel noch stärker betonen, daß es sich bei den Geistvorstellungen nicht etwa um ein Erklärungsprinzip eines Beobachters, sondern um tatsächliche Erfahrungen des Pneumatikers handelt.14 Er bemängelt, daß „die pneumatischen Erscheinungen (...) mehrfach vom Standpunkt des fremden, hinzukommenden Beobachters beschrieben werden". Es entsteht so der Eindruck, als wäre auch die biblische Rede vom Geist lediglich die Deutung eines Beobachters, der ihm unerklärliche Vorgänge bezeichnen will. Jetzt aber sieht Gunkel, „dass die Ueberzeugung, ein Geist rede oder handle durch den Pneumatiker, kein nachträglicher Schluß eines Anderen, sondern eine unmittelbare Erfahrung des Begeisteten selber ist: so erfährt man jene Erlebnisse, als Wirkungen eines fremden Wesens, einer Macht, die nicht das Ich ist".15 Diese Hinweise sind auf dem Hintergrund des Inhaltes seines Werkes erstaunlich. Offensichtlich ist dem Exegeten des Jahres 1899 der Realismus der Erstlingsschrift noch nicht weitgehend genug! Gunkel macht deutlich, daß seine Erkenntnisse von damals nicht als unreifes Frühwerk verstanden werden sollen, sondern eher noch radikalisiert werden müßten. 9

Gunkel, Wirkungen, 72. Ebd., 75. 11 Ebd., 49. 12 Ebd., 57. 13 Zum Verhältnis von res und signum gerade im Blick auf die biblische Hermeneutik vgl. Slenczka, Entscheidung, 105-107. 14 Vgl. dazu Slenczka, Erkenntnis, 85f. 15 Gunkel, Wirkungen, Vif. 10

182

Diese Gedanken gilt es nun gerade gegenüber einer rein traditionsgeschichtlichen Ableitung des Geistbegriffes festzuhalten. Zwar lassen sich sowohl alttestamentliche als auch hellenistische Anschauungen feststellen, auf die Paulus mit seiner Lehre vom Geist aufbauen konnte. Aber die „Theologie des grossen Apostels ist Ausdruck seiner Erfahrung, nicht seiner Lektüre"! „Paulus glaubt an den göttlichen Geist, weil er ihn erfahren hat".16 Diese Abgrenzung Gunkels von einer rein religionsgeschichtlichen Ableitung des Geistbegriffes mag gerade für einen Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule erstaunen. Sie zeigt umso deutlicher, wie sicher Gunkel im Blick auf den biblischen Befund die reale Erfahrung des Geistes betonen kann. Untermauert wird diese Exegese der neutestamentlichen Geistaussagen bei Gunkel auch durch entsprechende Parallelen im Alten Testament, namentlich in der Beschreibung der Propheten. Moniert wird der „verhängnisvolle(r) Irrtum" Wendts, der die Wirkungen des Geistes im Alten Testament ,„im grossen und ganzen' nicht der wirklichen Geschichte, sondern der Phantasie" beimessen will.17 Gunkel fuhrt die Berichte der Propheten auf wirkliche Erfahrungen zurück. Die Propheten „sind überzeugt, dass die Gedanken, welche sich ihnen aufdrängen, (...) nicht das Produkt ihres eigenen Nachdenkens sein können; und dass der gewaltige Drang, ihre Predigt ins Volk zu tragen, dem sie, auch wenn sie es möchten, nicht widerstehen können, nicht ihr eigener Wille ist."18 2.1.2

Zweck oder Wesen?

Zu dieser grundsätzlichen Betonung der Erfahrung des Geistes gesellt sich nun die Frage nach dessen näherer Bestimmung. Wodurch wird ein Geschehen als Wirkung des Geistes qualifiziert? Gunkel gibt zunächst eine Antwort via negationis. Er verneint die Auffassung, derzufolge eine Geistwirkung an ihrer sichtbaren Übereinstimmung mit dem Ratschluß Gottes erkannt werde. Anhand des Beispiels der Vision des Petrus (Apg. 10,19ff) wird gezeigt, daß das Erlebnis einer Geistwirkung nicht das Erkennen eines göttlichen Zweckes impliziert!19 Petrus erkennt die Wirkung des Geistes, bevor er irgendeinen Zweck des ihm vermittelten Auftrages erkennen kann. Eine Geistwirkung muß also nicht als Mittel zur Erreichung eines göttlichen Zieles aufweisbar sein! Damit ist zugleich eine geschichtsphilosophische Vereinnahmung des Geistbegriffes abgewehrt. Der Geist ist nicht erkennbar mittels „einer religiösen Beurteilung der Geschichte, welche von Gott zu seinen seligen Zielen hingelenkt wird".20 Damit wird eine Exegese abgelehnt, die in Anlehnung an Hegel meint, biblische Aussagen zum 16

Gunkel, Wirkungen, 79. Die Thesen Gunkels werden anhand zahlreicher Belege aus den Paulusbriefen belegt. Eine besondere Rolle spielt das achte Kapitel des Römerbriefes, bei dessen Auslegung Gunkel auf die Unterscheidung von Gottes- und Menschengeist sowie auf das Zeugnis des Geistes Gottes im Menschen insistiert. Vgl. ebd., 60-65 u.ö.. 17 Ebd., 4; Zitierung von Wendt, Begriffe, 35. 18 Gunkel, Wirkungen, 31. 19 Ebd., l l f . 20 Ebd., 12.

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Geist in eine logisch nachvollziehbare, die ganze Geschichte umfassende Geistbewegung einzustellen. Dieser Versuch entspricht nicht der Realität, die zu den biblischen Aussagen gefuhrt hat. Auch die Erbauung der Gemeinde ist kein notwendiges Kennzeichen der Geistwirkung. Denn die Glossolalie ist geistgewirkt, ohne daß sie der Gemeinde in jedem Falle nützlich wäre!21 Auch von hierher wird also nochmals die Rede Ritschis vom „Gemeingeist" zweifelhaft. Eine ethische Definition der Geistwirkungen ist nicht möglich. Deutlich fuhrt Gunkel dies anhand der Untersuchung des Begriffes ζωή vor Augen.22 Was meint Paulus, wenn er von einer geistgewirkten ζωή redet (Rom. 8,10; Gal. 5,25)? Die sittliche Deutung Pfleiderers sowie die von Wendt behauptete Alternative zwischen sittlicher und übernatürlicher Deutung werden zurückgewiesen. „Leben" ist bei Paulus „Heilsgut". Man darf erwarten, daß er mit diesem Begriff „nicht nur ethische Kräfte, sondern zugleich ein jetzt noch unter der Hülle des irdischen Leibes verborgenes, aber reales göttliches Leben meint, welches der Vernichtung durch den Tod seiner Natur nach nicht anheimfallen kann."23 Diese These beweist Gunkel durch die Exegese von Rom 6,4-8 sowie l.Kor. 4,10. Aus dem Passus des Römerbriefes ergibt sich durch Analyse des Futurs συζήσομεν sowie des Kontextes, daß das neue Leben „nicht nur als ein neuer Wandel, sondern zugleich als eine neue Daseinsform zu verstehen" ist. Der zweite Text deutet an, daß fur Paulus „der Besitz dieser ζωή Ίησοΰ (...) eine Realität" ist, „deren Wirksamkeit er an sich täglich erfahren darf]"24 Auch der erneute Vergleich mit den alttestamentlichen Propheten und ihrer Anschauung vom Geist Gottes erhärtet die Ablehnung einer ethischen Bestimmung dieses Geistes. Eine statistische Erhebung der in Frage kommenden Stellen beweist, daß sittlich-religiöse Geistwirkungen nur sehr selten bezeugt werden.25 Auch im Alten Testament wird zwar des öfteren ein göttlicher Zweck zur Erklärung einer Geistwirkung bemüht, „das Herabkommen des Geistes Jahves" selbst aber wird „an ganz anderen Symptomen" erkannt.26 Wie jedoch kann der Geist positiv definiert werden? In der apostolischen Zeit ist der Geist die „übernatürliche Kraft Gottes, welche im Menschen und durch

21

Ebd., Wirkungen, 14. Vgl. ebd., 85-89. 23 Ebd., 85f. Gunkel bezieht sich auf Pfleiderer, Paulinismus, 196ff, hinsichtlich Wendts auf ders., Begriffe, 146f. 24 Gunkel, Wirkungen, 86f. 25 Ebd., 10: „Der Tatbestand ist folgender, - (ich citiere nur Stellen, deren Erklärung mir gesichert zu sein scheint): 4 Stellen in den Propheten, mit sittl.-rel. Geisteswirkungen (Jes. 11,2; 32,15; 28,6; Ez. 36,27); 7 Stellen, wo der Gottesgeist ekstatisch wirkt (Ez. 11,24; 3,12; 8,3; 11,1; 43,5; 3,14; 37,1); an 13 Stellen die eigentl. prophetischen Wirkungen (Jes. 61,1; 63,10 f.; 63,14; 48,16; 59,21; 30,1; 42,1; Sach. 7,12; Hag. 2,5; Joel 3,1 f.; Hos. 9, 7; Micha 3, 8; Ez. 11, 5). Das Verhältnis derjenigen Stellen, welche sittl.-rel. Geisteswirkungen enthalten, zu denen, welche vom Geiste Jahves andere Wirkungen ableiten ist also = 4:20 = 1:5!" 26 Ebd., 16. 22

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den Menschen Wunder wirkt".27 Der Geistbegriff wird hier ganz eng mit dem WunderbegrifF verschränkt! Und zwar handelt es sich dabei um ein Wunder nicht „im Sinne Schleiermachers", sondern „im Sinne des Supernaturalismus"! 28 Wirkung des Geistes, so fuhrt Gunkel aus, „ist also nicht etwa eine Steigerung des in allen Menschen befindlichen Natürlichen, sondern das schlechthin Uebernatürliche und daher Göttliche." Ja, die Definition läßt sich sogar umkehren, indem ein Wunder definiert wird als „das, was der Geist wirkt". 29 Diese Aussage wird von Gunkel anhand zahlreicher Belegstellen fundiert. 30 Er verweist auf die Glossolalie (l.Kor. 14), die Ekstase des Apokalyptikers (Offb. 1,10; 4,2), die Offenbarungen des Paulus (Gal. 2,2; 2.Kor. 12,1), die außergewöhnliche Weisheit (Apg. 6,3; l.Kor. 12,8), die Prophetie (Apg. 11,28; 21, 10ff), den besonders starken Glauben (Mk. 13,11; Apg. 4,13.31) wie auch auf äußere Wunder (l.Kor. 12,9f). Auch die Gabe der Geisterunterscheidung und die Inspiration der heiligen Schriften gehören zu den Wunderwerken des Geistes. Gunkel zieht weitreichende Konsequenzen aus der Vorordnung der Geisterfahrung vor alle Tradition und Reflexion. Gegen Gloel, der die Pneuma-Lehre des Paulus aus alttestamentlicher Tradition ableiten will, wird die Originalität der paulinischen Erfahrung gehalten: „Dem Apostel war sein Leben ein Rätsel, dessen Lösung ihm seine πνεϋμα-Lehre ward; uns ist die πνεΰμα-Lehre des Apostels ein Rätsel, dessen Lösung sein Leben und nur sein Leben sein kann." 3 ' Paulus hat nicht der alttestamentlichen Aussagen bedurft, um zur Anschauung vom Geist zu gelangen. Vielmehr hält Gunkel dafür, „dass hier wirklich die Erfüllung einer A T. liehen Weissagung vorliegt, und zwar eine solche, welche ganz in demselben Sinne eingetroffen ist, in welchem sie ursprünglich gemeint war. Ganz unabhängig von den Propheten hat Paulus erfahren und bekannt, was sie geweissagt hatten. Nach Gloel wäre es doch nur eine von Menschenwitz zurechtgemachte Erfüllung wie II. Reg. 9, 25 f."32 Der Religionsgeschichtler verteidigt hier die Erfüllung alttestamentlicher Verheißungen gegenüber einer Exe-

27

Ebd., 23. Ebd., 11, hier als Frage formuliert, deren Beantwortung im Folgenden eindeutig im Sinne des Supranaturalismus gegeben wird. Bei der Erwähnung der „Wunder im Sinne Schleiermachers" denkt Gunkel wohl an Schleiermacher, Glaube, § 47, wo der Wundeibegriff ausführlich behandelt ist. Schleiermacher fordert hier, „daß wir (...) die Vorstellung des schlechthin Übernatürlichen, weil uns doch in keinem einzelnen Falle etwas als solches erkennbar wäre, und auch nirgend eine solche Anerkennung von uns gefordert wird, fahren lassen" (I, 241). Vgl. auch § 14 Zusatz (I, 98-105), wo die Anerkennung eines Wunders als solches von der Anerkennung des Wundertäters als „Entwicklungspunkt" (100) im Plane Gottes abhängig gemacht wird. Wunder können also immer nur „beziehungsweise" (100) so heißen, da sie nur in Beziehung auf eine als göttliche Offenbarung anerkannte Autorität gewertet werden. 29 Ebd., 21f. 30 Vgl. ebd., 18ff. Die oben folgenden Belegstellen bieten nur eine spärliche Auswahl des von Gunkel herangezogenen Materials. 31 Ebd., 84. 32 Ebd., 83f. 28

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gese, die diesen Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung in menschliche Reflexionen überfuhren will! Bezeichnenderweise beschließt Gunkel sein Erstlingswerk, indem er nochmals auf die von ihm so eindrücklich exegetisch nachgewiesene Definition des Geistes als supranaturale Macht anspielt. Im Blick auf die kirchliche Situation seiner Zeit wird konstatiert: „Von Paulus haben wir wertvolle Hinterlassenschaft. Noch wird das: Komm heiliger Geist, in seinem Sinne gesungen." Dann aber folgt als letzte Bemerkung des Werkes die nachdenkliche, zugleich lapidare Feststellung: „Freilich, wie nur der die πνεϋμα-Lehre des Paulus versteht, der in die Weltanschauung des Supernaturalismus sich hineindenken kann und will, so kann auch nur der über den Geist in vollem Sinne N.T.lich, d.h. hier paulinisch, lehren, der diese Weltanschauung billigt."33

2.2 2.2.1

Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule

Konflikt zwischen Dogmatik und Exegese bei Gunkel

Die Sprache des biblischen Textes muß für Gunkel geradezu gewaltig gewesen sein. Dies wird klar, wenn man obige Ausführungen mit der dogmatischen Ausrichtung des Theologen Gunkel in Beziehung setzt. Klatt bemerkt zu Recht, „daß Sätze des Neuen Testaments ihn [= Gunkel] zu Worten geführt haben, die er ohne diese .Vorlage' sicher nicht gefunden und jedenfalls nicht als seine Meinung freiwillig und ungefragt geäußert hätte."34 Der Konflikt zwischen dogmatischer Position und exegetischen Ergebnissen ist dem Erstlingswerk selbst anzumerken. Zunächst fällt auf, daß Gunkel die unterschiedlichen Aufgaben von Dogmatik und Exegese mehrmals anspricht. Damit gibt er sich selbst den Raum, exegetische Ergebnisse zu verteidigen, die dem Dogmatiker eventuell Mißbehagen verursachen. So wird nach der klaren Definition des Geistes als einer übernatürlichen Erscheinung bemerkt: „Wie wir Modernen aber nach dem Stande unseres Welterkennens solche Erscheinungen beurteilen würden, das gehört nicht in das Gebiet unserer rein historischen Untersuchung."35 Unabhängig von aller Dogmatik ist es die „Pflicht des Exegeten, gegen alle Modernisierungen der N.T.lichen Anschauungen zu protestieren".36 Und dennoch kommt auch Gunkel nicht umhin, die exegetischen Ergebnisse mit seinen eigenen Grundlagen in Beziehung zu setzen. Zunächst steht auch er,

33

Ebd., 101. Klatt, Gunkel, 33. Klatt fährt fort: „Wo Gunkel nämlich als er selbst spricht, da merkt man nichts von einem ,Bruch' im geistigen Leben des Menschen, da gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen dem Geist Gottes und dem Geist des Menschen. (...) Man muß urteilen, daß Gunkel seine Ansätze in den ,Wirkungen' selbst nicht durchgehalten hat, sondern auf der idealistischen Woge weitergeschwommen ist" (ebd., 33f). 35 Gunkel, Wirkungen, 23. 36 Ebd., 72. 34

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gegen seine eigentliche Intention, in der Gefahr, den Geistbegriff wieder zum Interpretament, also zum Ergebnis einer menschlichen Reflexion werden zu lassen. Der Geistbegriff dient dann den neutestamentlichen Zeugen zur Erklärung bestimmter „zunächst unerklärlicher Erscheinungen".37 In seinem bereits erwähnten Vorwort zur zweiten Auflage der Schrift weist Gunkel auf diese Tendenz seiner Arbeit ausdrücklich hin. Noch zu sehr wurde in der ersten Auflage die Bezeugung der Geistwirkungen als eine bloße Erklärung eines Beobachters verstanden. Statt dessen - so Gunkel - hätte von einer „unmittelbare(n) Erfahrung" der „Wirkungen eines fremden Wesens" gesprochen werden müssen.38 Neben diesem Problem der Unterscheidung von eigener Erfahrung und bloßem Interpretament eines beobachteten Geschehens finden sich in der Untersuchung nun auch deutliche dogmatische Wertungen Gunkels. Am Ende des ersten Teiles der Untersuchung wird die „rein historische" Position aufgegeben. Gunkel kommt auf eventuelle Gefahren der Geistwirlcungen zu sprechen: Im Namen des Geistes kann alles mögliche behauptet werden, auch die Bindung des Christentums an die Historie steht in Gefahr. Gunkel sieht die Überwindung dieser Gefahr in der Geschichte des Christentums gegeben durch den „unendlich imponierende^) Eindruck des historischen Jesus". Dieser hat mehr bewirkt als jede „pneumatische Spekulation".39 Den so eindrücklich geschilderten Geistwirkungen wird hier plötzlich die gängige, in der liberalen Theologie verbreitete Theorie vom prägenden Eindruck des historischen Jesus entgegengehalten. Ebenso unvermittelt kommt es in den Ausführungen über die Lehre des Paulus zu einer wertenden Stellungnahme. Die paulinische Lehre, derzufolge das Christenleben in seiner Gesamtheit pneumatisch ist, wird begeistert begrüßt. Sie ist „die herrlichste Verbindung der lebendigsten Anschauung vom Geiste mit dem wertvollsten Inhalte dieser Form",40 Die Geistwirkung, gerade noch so eindringlich als reales Erlebnis beschrieben, wird hier in der Interpretation Gunkels doch zu einer bloßen Anschauungsform eines allein wesentlichen Inhaltes. Der Inhalt aber ist auch dem Menschen der Gegenwart zugänglich, die Form wird abgestreift wie eine zu eng gewordene Haut. Gunkel hält im Blick auf seine Zeit fest: „Die Geistesgaben der apostolischen Zeit sind verschwunden (...). Aber wir können diese wunderbaren Gaben auch entbehren. Denn noch heute erfahren wir täglich andere Geisteswirkungen in unserem Leben. Auch uns ist der Christenmensch ein Wunder Gottes." Ungeklärt bleibt hier der Wunderbegriff des modernen Menschen. Ist es immer noch das Wunder, welches der vom Menschen unterschiedene göttliche Geist bewirkt? Deutlichere Worte findet Gunkel in seinen späteren Ausführungen über „(d)ie geheimen Erfahrungen der Propheten", in welchen er sich zur Geistbegabung

37 38 39 40

Ebd., Ebd., Ebd., Ebd.,

20. VII. 56. 76 (Hervorhebung: K.L.).

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derselben äußert.41 Zunächst fällt auf, daß Gunkel seine Aussagen regelmäßig auf die Bewußtseinsebene der Propheten beschränkt. Häufig fallen Wendungen, die von der Deutung oder Überzeugung des Propheten sprechen, Einschübe wie „ - so ist er selbst und so sind, die an ihn glauben, überzeugt -", 42 sollen eine ständige Distanz zwischen Interpretation des Propheten und heutiger Beurteilung verbürgen. Schon dadurch wird deutlich gemacht, daß die Erfahrung des Geistes als einer göttlichen Macht in den Texten zwar bezeugt wird, daß aber über deren Anerkennung vor dem Forum des modernen Bewußtseins noch zu entscheiden ist. Entspricht der Bezeichnung eine Sache? Besteht die Interpretation des Israelites nach der die Ekstase des Propheten durch Gottes Geist bedingt ist, zu Recht?43 Gunkel betont, „daß diese Beurteilung der Prophetie in der gegenwärtigen Wissenschaft grundsätzlichem und wohlbegründetem Widerspruch begegnet". Warum? Gunkels Begründung ist ebenso lapidar wie folgenreich: „Der moderne Forscher muß versuchen, eine solche Erscheinung psychologisch zu verstehen, das Urteil des Altertums sieht darin ohne weiteres ein göttliches Wunder."44 Der „moderne" Theologe darf nicht mit dem als „Wunder" bezeichneten göttlichen Eingriff rechnen, er „muß" eine innerweltliche, korrelative Erklärung fur diese Wirkungen finden. Dafür kommt in erster Linie die Psychologie in Frage. Damit aber ist nun das gesamte prophetische Zeugnis von der Begegnung mit einem Anderen, der nicht das Ich des Propheten selbst ist, völlig ausgehebelt. Gunkel kann nun nur vom „Selbstbewußtsein der Propheten" reden, von dem „wahrhaft ungeheuere(n) Selbstgefühl" dieser Männer, welches dafür sorgt, daß das ,,,Ich', das nunmehr aus ihm spricht, (...) der Gott selber" ist!45 Mit frappierender Deutlichkeit überführt Gunkel hier die bezeugte Wirkung des Geistes in einen psychologischen Prozess, bei dem das Selbstbewußtsein des Menschen das Ich Gottes erzeugt/ Es kommt also bei den Propheten zu einem „Nebeneinander von Erlebnis und Deutung", indem ein ekstatischer Zustand gemäß der eigenen Erwartungen gedeutet wird.46 Aber damit nicht genug. Wer noch die harsche Kritik Gunkels gegenüber einer ethischen Definition der Geistwirkungen im Ohr hat, der muß nun feststellen, wie die gunkelsche Interpretation der Schriftpropheten und ihres Werkes ganz in diese wohlvertraute Terminologie drängt. Die Erfahrung der Geistwir41

Gunkel schrieb drei einleitende Kapitel zum zweiten Band der Prophetenauslegung in der Kommentarreihe „Schriften des Alten Testaments" (Gunkel, Einleitungen). Das zweite trägt den oben zitierten Titel. 42 Gunkel, Einleitungen, XXIX. 43 Vgl. ebd., XXV: Der Israelit „leitet die Ekstase der Propheten von Jahves ,Geist' ab." Gunkel rückt hier wieder in die Nähe der Interpretation des Geistes als „Phrase", gegen die er sich im Vorwort der 2. Auflage der „Wirkungen" doch so sehr gewandt hatte! 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd., XXVI. - Der Beschränkung auf immanente Erklärungen entsprechend werden auch prophetische Heilungen rationalistisch durch „das unbedingte Zutrauen" der zu Heilenden erklärt (XXVIII).

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kung mag aus der Sicht der Propheten zwar nach wie vor die Erfahrung eines Übernatürlichen sein, in Wahrheit jedoch erleben sie in jenen Stunden die überwältigende Wirkung ihrer eigenen sittlichen Prinzipien: „Das Neue, was bei diesen Männern also geschehen ist, das ist, daß hier der fromme und sittliche Charakter in die Prophetie eintritt. Nicht dies oder jenes Beliebige, was ihnen der Gott immer im Taumel eingeben mag, verkündigen sie, sondern Gottes Orakel ist ihnen das, was sie notwendig denken müssen, wenn sie an ihm nicht irre werden sollen, was ihnen in großen Stunden der Erhebung und Begeisterung aufgegangen ist, was sie aus tiefstem Herzen fordern und begehren, mag auch die niedere Natur in ihnen zittern und weinen."47 So kann Gunkel am Ende seiner Darstellung der prophetischen Erfahrungen nur eine „grobe supernaturalistische Betrachtung" dieser Phänomene ablehnen zugunsten einer Unterscheidung der zeitbedingten Form und des ewigen Inhaltes. „Gottes Offenbarung" zeigt sich nicht in einer übernatürlichen Ergriffenheit durch seinen Geist, sondern „in den großen, bewegten, frommen Personen und in den ewigen Gedanken, deren Träger sie geworden sind."48 Der Konflikt zwischen dogmatischer Ausrichtung des Exegeten und den exegetischen Ergebnissen selber wird hier also so gelöst, daß die - gegen eine liberale Theologie verteidigten! - exegetischen Befunde nur fur das Bewußtsein des biblischen Autors und seiner Gestalten, nicht aber fur den Exegeten in Geltung stehen. Der Prophet des Alten Testaments wie auch der Christ der Urgemeinde erleben die Gegenwart des Geistes Gottes - aber nur in ihrem Bewußtsein. Res und signum fallen auseinander: Die Bezeichnung „Geistwirkung" entspricht nicht der Sache, da es sich nicht um das vom Menschen zu unterscheidende Handeln Gottes, sondern um einen psychologischen Vorgang handelt. Gunkel kann weder die Anschauungen der Propheten noch die des Paulus für eine Lehre vom Heiligen Geist übernehmen, da bei ihm ein vom menschlichen Bewußtsein und menschlicher Geschichte zwar nicht zu trennendes, wohl aber zu unterscheidendes Handeln Gottes nicht möglich ist. Gott kann nicht in einer besonderen Weise, die von seinem allgemeinen Walten in der Geschichte unterschieden ist, zum Menschen reden. Sein Reden darf nicht an bestimmten Punkten der Geschichte lokalisiert werden. Diese unterscheidbaren Heilsmomente sind nicht erlaubt, da sie eine „supranaturalistische" Heilsgeschichte konstituieren würden.49 Das Problem „Offenbarung und Geschichte" darf nicht so gelöst werden, daß wir „bestimmte einzelne Tatsachen oder ganze Gebiete mechanisch aus der ganzen Geschichte herausnehmen und diese eben für gottgewirkt und nicht-menschlich erklären. (...) Überall Gottes Geist, hier minder, dort mehr."50 Im Erstlingswerk hatte Gunkel hinsichtlich der neutestamentlichen Zeit konstatiert, daß die Geistwirkung niemals „eine Steigerung des in allen Menschen 47

Ebd., XXXII (Hervorhebung im Original). Ebd., XXXIV. 49 Es ist Gunkel dabei deutlich, daß er über den Geist nicht „in vollem Sinne N.T.lich, d.h. hier paulinisch, lehren" kann, vgl. Gunkel, Wirkungen, 101. 50 Gunkel, Bewegung, 394, 396. 48

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befindlichen Natürlichen, sondern das schlechthin Uebernatürliche und daher Göttliche" sei. Seine eigene Auffassung aber will, daß, wie Klatt sich ausdrückt, „(i)n, mit und unter aller Geister-Geschichte (...) Gott am Werk" ist. „(D)ieser Geist ist hier wie dort derselbe. Die Bestimmung des irdischen Geistes ist die Vollendung zum absoluten, dem göttlichen Geist. Man muß urteilen, daß Gunkel (...) auf der idealistischen Woge weitergeschwommen ist."51 2.2.2

Die Fortführung durch Weinel: Geist als Interpretament

Dier Ergebnisse der Untersuchung Gunkels waren für die folgenden exegetischen Untersuchungen der religionsgeschichtlichen Schule richtungweisend. Die direkte Fortsetzung der Arbeit Gunkels über die Geistwirkungen schrieb Weinel mit seiner Untersuchung über „(d)ie Wirkungen des Geistes und der Geister im nachapostolischen Zeitalter bis auf Irenäus", eine Arbeit, die Gunkels ausdrückliche Anerkennung fand.52 Weinel stellt schon im Vorwort seiner Arbeit fest, daß „die Pneumatologie der ältesten Christenheit" nur darzustellen ist, indem „zuerst die Erlebnisse selbst" dargestellt werden, „auf denen sich die Lehre vom Geist aufgebaut hat."53 Ebenfalls zeigt sich schon im Vorwort die Spannung zwischen exegetischen Ergebnissen und dogmatischer Position. Weinel versichert, seine Untersuchung sei „rein historisch". In der historischen Forschung jedoch soll sich einerseits die „Ehrfurcht" des Verfassers vor der in den Geistwirkungen sich manifestierenden „weltüberwindenden Kraft" zeigen, andererseits soll deutlich werden, daß dem Verfasser „doch nur ein von dieser Kraft getragener vernünftiger Gottesdienst' dem christlichen Glauben an den Vater im Himmel zu entsprechen" scheine.54 Deutlicher als bei Gunkel zeigt sich in der folgenden Durchführung der Umgang mit dem Konflikt zwischen Exegese und Dogmatik: Die exegetischen Ergebnisse werden oftmals sofort mit einer modernen Deutung

51 Klatt, Gunkel, 34. Klatt fügt hinzu, Gunkel habe „seine Ansätze in den ,Wirkungen' selbst nicht durchgehalten". Es zeigte sich aber, wie oben angedeutet, in der Erstlingsschrift selbst schon hier und da der Versuch des Exegeten, sich von den beschriebenen Anschauungen zu distanzieren. Allerdings wird dieses Anliegen durch die klare exegetische Untersuchung, die sich kämpferisch für das Anliegen des Textes selbst stark macht, ganz in den Hintergrung gerückt. - Zur Prophetendeutung Gunkels fragt Klatt, ob dieser „schließlich nicht doch Stehengeblieben ist bei einer Interpretation, die man romantisch, rationalistisch und typisch liberal zugleich nennen könnte. Romantisch, weil sie über das Ekstatische die Kategorie des Geheimnisvollen in den Offenbarungsbegriff einbringt; rationalistisch, weil sie dies Geheimnisvolle dann doch wieder psychologisch zu verstehen sucht; liberal schließlich, weil ihr Hauptinteresse trotz exegetischer Erkenntnis der Mittelpunktfunktion der prophetischen Weissagung einseitig auf die Religiosität und Sittlichkeit der prophetischen Persönlichkeiten und ihrer Verkündigung gerichtet ist." (ebd., 207). 52 53 54

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Vgl. Gunkel, Wirkungen, V, XI. Weinel, Wirkungen, VII. Ebd., VIII.

verknüpft, die das biblische Zeugnis vom Wirken des Geistes in einen psychologischen Vorgang auflöst.55 In einem ersten Teil der Arbeit ist Weinel besonders an der Bedeutung der Geistwirkungen interessiert. Er findet diese in dem fur die Gemeinde zentralen „Beweis des Geistes und der Kraft", der den Sieg der Christen über alle bösen Geister sicher verbürgt. Das Christentum verfugt über „eine eigentümliche Stimmung des Friedens und der Freude, der Kraft und der Gewißheit".56 In dieser Kraft ist es möglich, im Kampf der Religionen als Sieger zu bestehen. Doch - so lautet die entscheidende Frage - „(w)oher nahm das Christentum diese Kraft? Die Christen selbst antworten uns: es ist der heilige Geist, der Geist Gottes, der sie wirkt. "57 Die Christen fuhren also ihre überwindende Kraft auf den Geist Gottes zurück. Dieser selbst ist ihnen von Christus gegeben worden. Weinel löst diese Aussagen sofort psychologisch auf: „Der Historiker muss mit denselben, nachdem er sie ihrer dogmatischen Form entkleidet hat, vollkommen übereinstimmen. Es ist der Eindruck der Person Jesu gewesen, der zuerst wieder Menschen den Mut gab, die Heilungen und Kraftthaten, wie alles, was er that, auf die Fülle des Geistes in ihm zurückzufuhren und zum ersten Male wieder seit langer Zeit von einem Menschen der Gegenwart die innigste Beziehung zu Gott auszusagen. Und nachdem einmal ein Jünger das synthetische Urteil: Du bist Christus, gewagt hatte, welches Jesus selbst nur als eine Offenbarung Gottes sowohl bei sich selbst (Mc 1 11) als auch bei Petrus (Mt 16 17) verstehen konnte, waren aus dem Prädikate durch lauter analytische Urteile alle Sätze der Christologie abzuleiten. Jenes erste Urteil aber beruhte allein auf dem Eindrucke der Person des .Heilandes'."58 Der Übergang von exegetischen Ergebnissen zur Deutung derselben durch den Exegeten ist hier sehr gut zu beobachten. Die neutestamentlichen Texte bezeugen die „Offenbarung Gottes", welche Christus als den Messias erweist. An die Stelle dieser Offenbarung tritt bei Weinel ein „synthetisches Urteil" der Jünger, also die Hinzufügung eines Prädikates, das der Person Jesu nicht notwendigerweise schon zukommt. Dieses Urteil selbst ist durch den „Eindruck" Jesu bewirkt, ist also psychologisch motiviert. Dieser Eindruck tritt an die Stelle des von Jesus verliehenen Geistes. Damit ist das Zeugnis vom Wirken des Geistes in Jesus und in seinen Jüngern aufgelöst in einen psychologischen Vorgang sowie ein interpretierendes Urteil, die sich beide allein in der Seele oder Vernunft des Menschen lokalisieren lassen. Im folgenden versteht Weinel es vortrefflich, vom Neuen Testament her den Geistbesitz als das Fundament des Christentums aufzuweisen. Nicht nur die 55 Slenczka (Erkenntnis, 86f) weist darauf hin, daß auch die späteren Untersuchungen zum Thema wie die von Volz (Geist) oder die von Leisegang (Pneuma Hagion) bei dieser Grundentscheidung bleiben: Der Geistbegriff ist Erklärungsprinzip, bei Leisegang sogar Kennzeichen hellenistischer Überfremdung der evangelischen Überlieferung. 56 Weinel, Wirkungen, 28. 57 Ebd., 29, Hervorhebung im Original. 58 Ebd., 29f, Hervorhebungen im Original.

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Wirkungen des Geistes in der Gemeinde, sondern auch die Weissagungen des Alten Testamentes sowie die Auferstehung Jesu gelten dem Neuen Testament als durch den Geist bewirkt. Zusammenfassend kann gesagt werden: „Auf der Thaisache, dass der Geist über sie ausgegossen ist, beruht die Glaubensgewissheit der jungen Gemeinde."59 Diese „Thatsache" jedoch ist wiederum nur auf der Interpretationsebene der Gemeinde zu finden, eine Ebene, die mit den Begriffen „Bewusstsein", „Gefühl" und „Stimmung" abgesteckt wird.60 Es wird ferner erkannt, daß der „Beweis des Geistes und der Kraft" nicht primär in Weissagung, Auferstehung Jesu und den Geistwirkungen, sondern in der „Wiedergeburt" selbst zu suchen ist. Diese aber wird bei Weinel zu einer sittlichen Erneuerung.61 In einem zweiten Teil des Werkes werden die Geistwirkungen näherhin beschrieben. Diese Vorgänge auf dem „motorischen" sowie dem „sensorischen Gebiet des leiblich-geistigen Lebens"62 werden klar dargestellt, ebenso deutlich aber auch dem Leser psychologisch verständlich gemacht. Die in der Zungenrede gesprochenen Sätze sind „aus dem Bewußtsein des menschlichen Subjektes entnommen", oder stammen gar aus dem „unterdrückten Bewußtsein"!63 Es handelt sich bei diesem geistgewirkten Sprechen ganz allgemein „um gewisse Gruppen psychischer Vorgänge, die in jeder Zeit und in jeder Religion ganz gleichartig auftreten können."64 Im Blick auf Heilungen und Wunder kann dann in ähnlich rationalistischer Deutung von „psychischer Beeinflussung" geredet werden, mit Hilfe derer „Epilepsie" oder „Hysterie" geheilt werden können.65 Das geistgewirkte Hören und Sehen wird unter dem Stichwort der „Illusion" untersucht, während geistgewirkte Anregung des Geschmacks- und Geruchsinns, von der die Offenbarung (10,10), die Petrusoffenbarung66 oder auch Euseb67 berichten, mit hypnotischen Erfahrungen in Verbindung gebracht werden, welche zeigen, „dass derartiges auf dem abnormen Gebiete menschlichen Seelenlebens nicht unerhört ist".68 Und schließlich macht Weinel auch den Geist-

59

Ebd., 32, Hervorhebung im Original. Vgl. ebd., 48f: „Aus dem Bewusstsein des Besitzes der Himmelsgüter in ihrem Unterpfand, dem heiligen Geiste, aus dem Gefühl, die Kräfte des kommenden Aeons geschmeckt zu haben, erwächst als die Grundstimmung der Christen jener Zeit eine starke, unüberwindliche Freude, welche als besonderes Merkmal des Geistbesitzes empfunden wird." (Hervorhebungen: K.L.). 61 Vgl. ebd., 60-62. 62 Ebd., 71. 63 Ebd., 72. Hätte Weinel Sigmund Freud gelesen, wäre hier wohl vom „Unterbewußtsein" die Rede gewesen. 64 Ebd., 95. 65 Ebd., 110. 66 Apoc. Petr. 7ff, 15ff, ed. Erwin Preuschen, 84, 20-31; 85, 6-17. 67 Euseb, h.e. V, 1,35 (= II/l, GCS 9,1, ed. Eduard Schwartz, 414,27 - 416,10). 68 Weinel, Wirkungen, 198. 60

192

empfang in der Taufe mit poetischen Worten als einen psychologischen Vorgang im Täufling anschaulich.69 So ist das Werk Weineis zwar eine systematische Erfassung der berichteten Geistwirkungen der ältesten Christenheit, bei der diese Erscheinungen als wirkliche Erlebnisse beschrieben werden. Die Deutung derselben jedoch lenkt ganz in rationalistische Denkmuster zurück. Die Erklärung der Geistwirkungen als Interpretament fur psychologische Vorgänge wird in der religionsgeschichtlichen Schule durchweg aufgenommen und weitergeführt. Bousset hat besonders eindringlich darauf hingewiesen, daß die Wirkungen des Geistes zur „gottesdienstlichen Erfahrung der Gemeinde" gehören.™ Die Pneumatologie des Paulus ihrerseits baut auf diesen gottesdienstlichen Erfahrungen auf und unterzieht die populäre Anschauung der Gemeinde einer „großartige(n) Umarbeitung", indem sie das ganze Leben des Christen als Wirkung des Geistes beschreibt.71 Diese paulinische Pneumatologie wird - so Bousset - bei Paulus in eine „schroff supranaturale Gesamtanschauung" eingestellt.72 Das gottesdienstliche Geisterlebnis wie auch das geistgewirkte Leben des Gläubigen sind nicht durch die menschlichen Möglichkeiten des Christen, sondern allein durch das von außen begegnende Handeln des göttlichen Geistes zustande gekommen. „(M)an würde den Apostel nicht recht verstehen, wenn man seine Pneuma-Lehre als einen Bestandteil seiner Psychologie oder Anthropologie ansprechen würde. Streng genommen kann man gar nicht vom Pneuma als einem psychologischen Besitzstand des Menschen im Sinne des Paulus reden."73 Wenn jedoch der Exeget der paulinischen Briefe versucht, die beschriebenen gottesdienstlichen Geistwirkungen ohne besonderes Einwirken Gottes als innerweltliches Phänomen zu begreifen, dann werden ihm alle Aussagen über den Geist Gottes zu einer nur interpretierenden Pneumatologie. Deren Aussagen über den Geist als handelndes Subjekt entspricht kein reales Sein, sie sind Inter69

Vgl. ebd., 211: „Und nun steht er am Ufer des Flusses, umgeben von denen, die seine Brüder werden sollen in Leben und Tod. Der Morgen dämmert. Noch ruhen die Schatten über der Heimat, nur fern im Osten kündet die erste Röte die nahende Sonne. Jetzt steigt er hinab in den Fluß. In feierlichem Bekenntnis weiht er sich, seinen Leib und seine Seele, dem neuen Gott, dem Einen, dem Schöpfer des Alls, und seinem Sohn, dem Gekreuzigten, und dem heiligen Geist. Da fühlt auch er, wie die Schatten der Dunkelheit aus seinem Herzen scheiden, da sinkt die Nacht der Unwissenheit und Bosheit der Heidengötter ins Nichts, und in seinem Herzen ist Christus aufgegangen (...). Ein .Erleuchteter' steigt aus dem Wasser empor. Alles sieht er in neuem Lichte (...). .Erleuchtung' nennt man dieses Bad; es ist aber noch mehr: er fühlt es, es ist etwas in ihm gestorben; er ist eine neue Kreatur (,) ein Wieder-Geborener: „Nicht ich lebe, sondern Christus lebt in mir". 70 Bousset, Kyrios Christos, 110. Vgl ebd., 111: „(D)ie Wirkungen des Geistes werden im wesentlichen lebendig und kommen zur Erfahrung in der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde." 71 Ebd., 110. 72 Ebd., 120. 73 Ebd., 120f.

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pretament fur Abläufe im Bewußtsein des Gläubigen. Wohl ist die paulinische Pneumatologie - entsprechend dem Grundansatz der religionsgeschichtlichen Schule - im kultischen Erlebnis verwurzelt. Da aber die gottesdienstlichen Geistwirkungen nur als immanentes, psychologisches Geschehen erklärbar sind, wurzelt sie nicht in einem realen Handeln des Geistes, sondern in der Begeisterung der Gemeinde. Gebunden an diese dogmatische Entscheidung muß der Exeget die kultische Erfahrung vom Wirken des Geistes, von der auszugehen sein spezifisches Anliegen war, auflösen in ein innerweltliches Ereignis und dessen theologischer Deutung. Indem das reale gottesdienstliche Wirken des vom Menschen unterschiedenen göttlichen Geistes verneint wird, werden nicht nur die populären Anschauungen der neutestamentlichen Zeit, sondern auch die Pneumatologie des Paulus des göttlichen Subjektes beraubt.74 Pneumatologie muß erklärt werden als Interpretation innerweltlichen Geschehens. Diese Interpretation läßt sich dann als Theologoumenon beschreiben, dessen Begriff und Ausgestaltung vom Gedankengut der Umwelt abhängig ist. Bousset leistet dies in einem eigenen Abschnitt unter der Überschrift „Herkunft der Pneuma-Lehre", 75 in dem er auf Philo, den hermetischen Schriftkreis und die christliche Gnosis als mögliche Vorstufen paulinischer Anschauung hinweist. Das Fazit dieser Überlegungen lautet: „Paulus folgte (...) in der dualistisch-supranaturalen Ausgestaltung der Erlösungslehre einer Zeitstimmung, die damals bereits viele Geister ergriffen hatte." 76 2.2.3

Geistwirkungen als Ekstase

Glücklicherweise liegen uns aus der religionsgeschichtlichen Schule zwei Kommentare des ersten Korintherbriefes vor, der mit seinen Ausführungen zu dem Pneumatiker (2, 10-16), besonders aber mit der ausführlichen Behandlung der Geistwirkungen innerhalb der Gemeinde (Kp. 12 u. 14) für das vorliegende Thema von größtem Interesse ist.77 Es handelt sich um den Kommentar von Johannes Weiß, ein Teilband des „Kritisch-exegetischen Kommentar(s) über das Neue Testament", sowie um Boussets Auslegung innerhalb des „Göttinger Bibelwerkes", dessen neutestamentlicher Teil unter dem Titel „Die Schriften des

74

Eine solche Pneumatologie wird durch den Entzug ihrer Grundlagen zugleich negativ beurteilt: Sie ist eine zeitgebundene dogmatische Beschreibung, die sich im übrigen vom Evangelium Jesu unterscheidet: Jesus hat keine Pneumatologie. Vgl. Bousset, Kyrios Christos, 129; Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 39. 75 Ebd., 129-134. 76 Ebd., 134. 77 Schon der Altphilologe Reitzenstein hatte in seiner vielzitierten Untersuchung zu den „hellenistischen Mysterienreligionen" sich in einer Beilage ausführlich zum Thema „Paulus als Pneumatiker" geäußert und dabei hauptsächlich den 1. Korintherbrief herangezogen, vgl. Reitzenstein, Mysterienreligionen, 185-244; ferner ebd., 47-62.

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Neuen Testaments neu übersetzt und fur die Gegenwart erklärt" herausgegeben wurde.78 Die Exegese der angegebenen Passagen des ersten Korintherbriefes bewegt sich ebenfalls in den Bahnen, die Gunkel vorgegeben hat, indem die Geistwirkungen als wirkliche Erfahrungen beschrieben werden. Allerdings konzentriert sich die Beschreibung derselben immer stärker auf den Begriff der Ekstase, ein Begriff, der in der Erstlingsschrift Gunkels noch überhaupt nicht vorkam. Gunkel war dem Ideal einer „rein historischen" Beschreibung recht nahe gekommen, indem er lediglich beobachtete, was der Text an Erfahrungen zu erkennen gab. Diese Erfahrungen wurden als Beanspruchung des Pneumatikers durch eine andere Macht, als supranaturales Eingreifen eines Anderen beschrieben. Eine Deutung dieser exegetischen Ergebnisse unterblieb, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Schon in den Untersuchungen zu den Propheten hatte Gunkel diese beobachtende Haltung aufgegeben und mit psychologischen Kategorien operiert. In der neutestamentlichen Exegese wird dieser Weg nun weiter beschritten. Die Geistwirkungen werden nicht lediglich aus dem Text ermittelt und als damalige Erfahrung vorgestellt, sondern mit dem Begriff der Ekstase verbunden. Dieser Begriff allerdings zwingt nicht notwendigerweise dazu, das Geschehen rein innerweltlich zu erklären. Er beschreibt ja zunächst nur einen Zustand des Menschen, wobei offenbleibt, ob das Auftreten desselben innerweltlich oder durch das übernatürliche Wirken Gottes erklärt wird. Wenn aber die Ekstase mit den Geistwirkungen gleichgesetzt wird, ist zumindest die Gefahr einer rein immanenten Erklärung der berichteten Vorgänge vorhanden, da unter diesem Begriff viele analoge Erscheinungen des Seelenlebens zusammenfaßt werden. Weiß bietet zu l .Kor. 14,14 einen eigenen Exkurs über den Begriff der Ekstase.79 Paulus unterscheidet hier zwischen seinem eigenen, an der Zungenrede nicht beteiligten ,,νοϋς" und dem „πνεύμα μου". Was kann mit diesem gemeint sein? Weiß verwirft eine „modern-vermittelnde Deutung", nach der hier „das menschliche Geistesleben gemeint sei, aber durchdrungen und geheiligt durch den göttlichen Geist".80 Denn das menschliche Ich ist ja gerade durch den νοϋς bezeichnet. Vielmehr muß hier die „klare(n) supranaturale(n) Denkweise des Urchristentums" in Anschlag gebracht werden, derzufolge „das göttl. πνεϋμα dem menschlichen immer als eine in ihn hineingekommene fremde Macht gegenübersteht (Rom 8,16), die zwar das ganze natürliche Leben beherrschen, treiben, auf neue Ziele lenken kann, aber es doch nicht völlig sich assimiliert". Deshalb kann „το πνεϋμά μου (...) nur den Anteil bezeichnen, den der Einzelne an dem göttlichen πνεϋμα hat".81 Zur Abstützung dieser Exegese wird folgerichtig auch auf Rom. 8,15ff verwiesen. Auch dort ist das „Zeugnis des Geistes" gerade deshalb beweiskräftig, weil es nicht mit dem menschlichen Geist iden-

78 79 80 81

Vgl. dazu Janssen, Popularisierung, 125-132. Weiß, Korintherbrief, 327-329. Ebd., 327. Ebd., 327f.

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tisch ist! Die „Ekstase" ist hier also im Sinne der Textaussagen Bezeichnung für einen Zustand, der durch das Handeln des Geistes selbst hervorgerufen wird.82 Weiß konstatiert hier nur die Aussagen des Textes, ohne eigene Deutungen oder Wertungen anzuschließen. Völlig anders jedoch wird in einem weiteren Exkurs zur Ekstase gewichtet, den Weiß in seinem Kommentar zur Offenbarung vorlegt.83 In Kp. 1,10 berichtet der Verfasser, er geriet „in Geist" - so die genaue, von Weiß erwähnte Übersetzung. Dieser Ausspruch wird zum Anlaß genommen, über die Ekstase zu handeln. Wieder wird also ein Vorgang, der im Text dem Geist zugeschrieben wird, mit dem Begriff der Ekstase zu klären gesucht. Dieser Begriff wird nun aber ausschließlich anhand psychologischer Kategorien erläutert. Die medizinische Deutung der Ekstase als „krankhafter Zustand" wird „im allgemeinen" anerkannt, führt aber in der Beurteilung besonders intensiv erlebender Menschen zu Verkürzungen. Als Beispiel werden Goethe und Dickens herangezogen, die beide über eigene außergewöhnliche Erscheinungen zu berichten wissen. In einem Analogieschluß erkennt daraufhin Weiß auch den Menschen des Altertums die Möglichkeit zu, daß „das, was ihr Herz bewegt und ihren Geist erfüllt, auch ihren Sinnen in greifbar deutlicher Weise erscheint".84 Für das in Kp. 1,1 Off berichtete Erlebnis des Johannes kann also gefolgert werden: „Wenn dem Johannes der Herr erscheint, so kann sich nur der gleichgiltige und kalte Beobachter mit der Konstatierung eines Hirngespinstes begnügen; für uns gilt es, die Stimmung der Liebe, Sehnsucht und Treue nachzuempfinden, aus der diese Vision entstand, und wir werden uns freuen dürfen, das dem Ringenden und Fragenden durch die Eigenart seiner Natur eine Antwort zuteil ward, die ihn beseligte und mit der er vielen seiner Zeitgenossen eine Hilfe und ein Trost werden konnte."8S Das Selbstzeugnis des Johannes kann hier nur so vor einer Beurteilung als Abnormalität geschützt werden, indem - gegen seine Intention - die Vision auf eigene Stimmungen und Veranlagungen zurückgeführt wird. Dessen eigene Darstellung vom Handeln des Geistes ordnet Weiß daraufhin den „Vorstellungen und Erwägungen" zu, „mit denen die Alten sich solche Erlebnisse zurechtlegten und zu erklären suchten".86 Anders gesagt, die Beschreibung des Johannes gehört bereits zur Pneumatologie, zur Theologie, die sich auf den religiösen Erlebnissen erbaut, sie ist Deutung, der kein Sein außerhalb des Bewußtseins entspricht. Ebenso deutlich und eindeutig redet Weiß in seinem großen Werk über das Urchristentum davon, daß der „urchristliche Gedankengang" vom Empfang des Geistes „nun in Wahrheit nur der theologische Ausdruck für ein religiöses Erleben, für eine Gemütsverfassung" sei. Diese Gemütsverfassung ist „das eigent82

In diesem Sinne gebraucht Paulus sogar selbst diesen Wortstamm in 2.Kor. 5,13, vgl. ebd., 328. 83 Weiß/Heitmüller, Offenbarung, 239f. 84 Ebd., 239. 85 Ebd., (Hervorhebungen: K.L.). 86 Ebd.

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lieh Wesentliche am Urchristentum"!87 Während die Texte also als das Wesentliche gerade die Einwohnung des Geistes als eines vom Menschen unterschiedenen Subjektes herausstreichen, wird dem Exegeten eine „ Gemütsverfassung" zur tragenden Saide des Urchristentums. Ganz folgerichtig ist dann der Glaube nicht auf den Geist zurückzufuhren, sondern als ein „über das graue Einerlei des Tages sich hinweghebendes Glücks- und Sicherheitsgefuhl" zu beschreiben.88 Die Geist Wirkungen sind die Erklärung der Gemeinde fur wunderbare Geschehnisse in ihrer Mitte. Weiß selbst aber, wenn er auch „einen mit wissenschaftlichen Mitteln nicht faßbaren Faktor in die Rechnung einstellen" will, erklärt die beschriebenen Wirkungen „nicht aus einer übernatürlichen Inspiration, sondern daraus, daß eine schon vorhandene innere Glut der Empfindung und verhaltene Erregung des Gemüts wie in einer Explosion in hellen Flammen ausbrach."89 Wieder also wird die Geistwirkung in einen psychologischen Vorgang verwandelt, ein Geschehen, das „den im letzten Grunde unerklärbaren Aufwallungen in der Geschichte der Menschheit" zuzurechnen ist. Bousset erklärt ebenfalls die Geistwirkungen mit dem Begriff der Ekstase. Zum einleitenden Abschnitt von 1. Kor. 12 wird bemerkt, Paulus wolle hier von „in der Gemeinde Gottes wirksamen Äußerungen eines höhern ekstatischen Lebens" handeln.90 Diese Gleichstellung von Geistwirkung und Ekstase geht soweit, daß Bousset mit einer identifizierenden Apposition von den „außerordentlichen Leistungen, zu denen der Geist, die Ekstase den Menschen befähigt", sprechen kann 9' Auch die Tatsache, daß der Geist im Herzen des Gläubigen „Abba, lieber Vater" ruft, kann nur im Sinne des ekstatischen Gebetsrufes verstanden werden.92 Ähnlich wie Weiß in seiner Auslegung der Offenbarung, identifiziert Bousset die Ekstase stellenweise deutlich mit lediglich natürlichen Möglichkeiten der menschlichen Seele. Die Zungenrede, mit der sich nach Kp. 14,4 der Redner lediglich selbst erbaut, gilt Bousset als „Stimmungserguß" des Redners, auch von der „natürliche(n) ekstatische(n) Veranlagung" des Paulus ist die Rede.93 Wenn Paulus aber diese Erscheinungen auf den Geist zurückfuhrt, so folgt er damit lediglich der „herrschende(n) Auffassung der ersten christlichen Gemeinden". Daß der Geist das Wunderbare wirkt, gehört zu den „Vorstellungen des neutestamentlichen Zeitalters".94 Diese „Vorstellungen" treten also in 87

Weiß, Urchristentum, 29 (Hervorhebung im Original). Ebd., 30. 89 Ebd., 31. 90 Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 134. 91 Ebd., 140. 92 Bousset, Galater, 63. 93 Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 144. 94 Ebd., 147f. - Im Bousset-Nachlaß der ÜB Göttingen befindet sich die unveröffentlichte Vorlesung über „Neutestamentliche Theologie" (Signatur: Cod Ms Bousset 153). Sie umfaßt zwei Teile, deren beidseitig beschriebenen Blätter im ersten Teil bis Blatt 119, im zweiten Teil neu beginnend bis Blatt 158 numeriert werden. (Zum Teil werden zusätzliche Seiten eingefügt, deren Nummern durch kleine lateinische Buchstaben ergänzt werden. Bei Zitierung (immer aus dem ersten Teil der Vorlesung) wird im folgenden die Blattnummer angege88

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Konkurrenz zur Auffassung des Exegeten, der die genannten Vorgänge ja innerweltlich zu erklären versucht hatte. Wenn Bousset einerseits natürliche Erklärungen für die „Geistwirkungen" einführt, andererseits deren übernatürliche Entstehung als zeitbedingte Vorstellung beschreibt, so muß gefolgert werden, daß diese Vorstellung durch die innerweltliche Erklärung abzulösen ist: Der Exeget stellt nicht nur Aussagen des Textes dar, sondern entscheidet sich gegen sie. 2.2.4

Geistwirkungen als Sittlichkeit

Bousset und auch Weiß stellen nun der beschriebenen ekstatischen Frömmigkeit der Gemeinde die Theologie des Paulus positiv gegenüber, indem sie deren „sittliche" Akzente hervorheben. Nach Bousset können wir uns „das von den Geistes-Besitzern getragene gottesdienstliche Leben kaum fremdartig und wild genug denken. Es wird vielfach ein tolles, ekstatisches Treiben gewesen sein."95 Demgegenüber steht die „sittlich-persönliche Leistung des Paulus in ihrer Größe" vor uns. Denn obwohl dieser mitten in der „ekstatischen Frömmigkeit" steht, „überwindet er sie", indem er die „sittlichen Faktoren (...) Gemeinschaftssinn und Ordnung in den Wirrwarr dieser aufgeregten Frömmigkeit" hineinstellt. Ja, Paulus dreht die ursprüngliche Anschauung von der Wirkung des Geistes um, indem nun das Übernatürliche nicht mehr das Außergewöhnliche, sondern das „Alltägliche(n)", nämlich „das Sittliche" ist! „Das Sittliche, tief genug erfaßt, wird das absolut Wunderbare, die höchste und beste Wirkung des Geistes Gottes."96 Weiß redet weniger euphorisch von der „ethische(n) Persönlichkeit des Paulus" und fuhrt zu l.Kor. 14,22 aus: „Hier bahnt sich eine neue Auffassung

ben. Auflösungen von Abkürzungen werden in eckigen Klammern gegeben.) In dieser Vorlesung setzt Bousset die Anschauungen der palästinischen Gemeinde von denen der „paulinischen Gemeinden" ab. Ausgehend von den Jesusworten in Lk. 12,10.12 par. versucht er zu zeigen, daß ursprünglich der Geistbegriff zu den Begriffen des „Propheten" und des „Märtyrers" zu stellen ist. Das „Erlebnis d[es] Geistes" fand „i[n] d[er] Verfolgung, im Verhältnis Märtyrium-Prophetie" seinen Platz. „Jeder Prophet = Märtyrer" (ebd., 102d). Jesus wird in den synoptischen Evangelien in der Regel nicht als Ekstatiker geschildert, „(s)eltene Ausnahmen" wie z.B. in Lk. 4,1.14 werden in das Gebiet der „späteren Legenden" verwiesen. So wird in der Gemeinde, die dieses Bild Jesu tradierte, die Ekstase ebenfalls nicht im Zentrum gestanden haben (ebd., 102c). Für die palästinensische Urgemeinde sind „Geist und Martyrium identische Begriffe" (ebd., 102d). - Erst in den „paulinische(n) Gemeinden" kommt es zur „völlige(n) Veränderung des Bildes (?)" (ebd.), indem nun die in l.Kor. 12 und 14 beschriebenen Wunderwirkungen Platz greifen. 95 Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 148. Die Schilderung fahrt fort: „Propheten standen auf und redeten von der geheimnisvollen Zukunft und sagten den Anwesenden ihre geheimen Gedanken. Während der eine noch redete, sprang der andre vom Geist ergriffen auf, dann sprachen zwei oder drei durcheinander. Nur mit sich selbst beschäftigt, lallten die ekstatischen Zungenredner ihre unverständlichen Töne. Kranke wurden in die Gemeinde gebracht und Wundertäter versuchten ihre Heilkraft an ihnen in inbrünstigem Gebet, Dämonen wurden aus den Besessenen ausgetrieben usw." 96 Ebd., 148f.

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des Pneumatischen an; statt der animistischen Vorstellung des Einwohnens eines fremden Geistes in fremdem Hause taucht hier die Anschauung auf, daß Gottesgeist und Menschenwille sich zu einer gesammelten Kraft verbinden und verschmelzen können."97 Diese Unterscheidung zwischen urchristlicher und paulinischer Auffassung geht auf die Untersuchung Gunkels zurück. Gunkel hatte darauf hingewiesen, daß dem Paulus nicht einzelne Wunder, sondern das ganze Christenleben die Wirkung des Geistes Gottes ist. Dabei war aber völlig klar, daß dieses Christenleben in seiner Gesamtheit ein Wunder ist, also von jemandem bestimmt wird, der nicht das Ich des Christen selbst ist. Auch für Paulus ist „der Geist eine schlechthin übernatürliche, göttliche Macht".98 Die Charismen haben zwar für Paulus „einen göttlichen Zweck, die οικοδομή der Gemeinde". „Aber", so fugte Gunkel in aller Deutlichkeit hinzu, „es ist sehr wohl zu beachten, dass der Begriff einer Geisteswirkung bei Paulo durch die Erwägung über den Zweck derselben nicht alteriert wird. Er hat nach wie vor an denselben Symptomen, wie seine Gemeinde, den pneumatischen Ursprung einer Erscheinung festgestellt." Die Erwähnung eines Zweckes ist also „nicht ein der Erfahrung abgewonnenes Urteil, sondern eine an die Pneumatiker gestellte Forderung; d.h. - um ein modernes Schema anzulegen, kein analytisches, sondern ein synthetisches Urteil".99 Die von Bousset als „sittlich" bezeichneten Komponenten der paulinischen Lehre vom Geist sind also nach Gunkel im Begriff des Geistes nicht schon mitgedacht, sondern werden durch Urteil hinzugefugt. Dem Begriff innewohnend dagegen ist der übernatürliche Charakter der Geistwirkung. Wenn also, um es deutlich zu sagen, „Paulus behauptet, dass der ganze Wandel des Christen eine Wirkung des göttlichen Geistes sei, so behauptet er damit, dass in dem Christenleben eine solche Macht sich offenbare, welche göttlich, d.h. schlechthin übernatürlich, aus den Kräften eines Menschen, aus diesem Aeon schlechthin unerklärbar sei"!100 An diese von Gunkel vorgenommene Unterscheidung zwischen Urgemeinde und Paulus knüpfen Weiß und Bousset an.101 Bousset weiß im neutestamentlichen Sinne von der „überweltliche(n) Kraft des Geistes" zu reden.102 Wenn er aber das Neue der paulinischen Frömmigkeit mit dem Begriff der „Sittlichkeit" bezeichnet, dann verwendet er ein Wort, das in der religionsgeschichtlichen

97 Weiß, Korinther, 341. Vgl. auch die Bemerkungen in der Besprechung des Dramas von Björnson „Über die Kraft": „(E)s ist hier von einem, der den Geist des Urchristentums selber besaß, ausgesprochen, daß der Enthusiasmus nicht die Hauptsache in der Religion ist." (Weiß, Kraft, 46f). Enthusiasmus nämlich gehört „zu den Dingen am Christentum, die der Entwicklung unterworfen sind." (ebd., 51). 98 Gunkel, Wirkungen, 60. 99 Ebd., 68. 100 Ebd., 73, Hervorhebung im Original. 101 Weiß beruft sich auf Gunkel in: Urchristentum, 491; Bousset in: Der erste Brief an die Korinther, 149. 102 Bousset, Galater, 70.

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Schule zur Kennzeichnung der Persönlichkeitsreligion der Moderne verwandt wird. Nun fugt Bousset aber ausdrücklich hinzu, daß für Paulus dieses Sittliche „das absolut Wunderbare, die höchste und beste Wirkung des Geistes Gottes" sei.103 Aus den einschlägigen Ausführungen in „Kyrios Christos" geht ebenfalls hervor, daß sich Bousset über den supranaturalen Charakter der paulinischen Geistlehre ganz im Klaren ist.104 Lediglich die wertende Beschreibung des Exegeten, es handle sich bei Paulus um „eine neue Welt von reineren Gedanken", in welcher „die alten Anschauungen nicht „verworfen und abgetan", aber „von innen heraus überwunden und geläutert" werden, deutet an, daß hier exegetische Ergebnisse mit dem für den Exegeten in Geltung stehenden Wert einer sittlichen, übernatürliche Eingriffe gerade ausschließenden Religion gedeutet werden. Dem entspricht auch, daß Bousset die neue Definition der Geistwirkungen bei Paulus als eine „vollständige Umwandlung der Anschauungen vom Geist" bezeichnet, während bei Gunkel der Akzent noch auf der Identität des Begriffes einer Geistwirkung als supranaturalem Ereignis lag.105

2.3

Exkurs: Geist als Person?

Als ein Theologoumenon erscheint schließlich ebenfalls die Rede vom Geist als Person. Die Religionsgeschichtler finden in der Regel im Neuen Testament eine Vorstellung vom Geist, die diesen eher als göttliche Kraft denn als Person beschreibt. Dennoch finden die Exegeten auch etliche Stellen, an denen der Geist personal zu agieren scheint. Zu 1 Kor. 2,4, also der ersten Erwähnung des Geistes im Korintherbrief, bemerkt Weiß, daß die Genitive σοφίας und πνεύματος „als subjektive zu fassen" sind und fährt fort: „σοφία und πνεϋμα werden hier fast personifiziert gedacht".106 Wenn der Geist selbst überfuhrt, so überlegt Weiß, muß er personhaft gedacht sein! Für diese Wirkung des Geistes wird auch die Parallele in l.Thess. 1,5 herangezogen. Bei dieser Stelle allerdings kann sich Weiß einer Umschreibung nicht enthalten, die die personale Wirkung des Geistes als bloßes Interpretament deutet: „Die ,Begeisterung' - wie wir leise abschwächend sagen - der Apostel ist auf die Leser übergesprungen, der Geist

103

Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 149. Bousset, Kyrios Christos, 120-124. 105 Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 149. Vgl. auch die Beschreibung der paulinischen Anschauung als „völlige μ,ετάβασις εις άλλο γένος" (Kyrios Christos, 112). - Vgl. ferner die Bemerkungen von Wrede (Paulus, 65), der bei Paulus eine Annäherung an die „modernein) Auffassung" findet, derzufolge „der heilige Geist als sittliche Kraft im Herzen des Menschen das Gute erzeugt". Aber Wrede markiert auch deutlich den Differenzpunkt: Die „psychologische Vorstellungsweise", nach der „der Geist die innerste Persönlichkeit durchdringt und mit ihr eins wird", kenne Paulus nicht. Für ihn behalte der Geist „immer den Charakter einer übernatürlich-naturhaften Größe, die wie etwas Fremdes im irdischen Menschen waltet." 106 Weiß, Korintherbrief, 49. 104

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G o t t e s hat sie ergriffen." 107 Der Exeget deutet hier das v o n Paulus beschriebene Wirken des Geistes als menschliche Begeisterung. Interessant sind fur diese Fragestellung vor allem jene Stellen, die v o n einer Einwohnung des Geistes im Gläubigen ausgehen. In der exegetischen Arbeit stößt Weiß auf das Phänomen, daß im N e u e n Testament sowohl v o n einer Einw o h n u n g Christi als auch von der des Geistes gesprochen werden kann. D i e s führt ihn in der Auslegung von l.Kor. 2,16 zu der Gleichung: ,,πνεϋμα θεοϋ = πνεύμα Χρίστου = Χριστός"! 108 Dieselbe Gleichung wiederholt er in der Behandlung v o n Kp. 12,13 und verweist fur die Identität von Christus und dem Geist auf 2.Kor. 3,17 s o w i e Rom. 8,9f. 109 Heißt aber diese Gleichsetzung soviel, daß der Geist genau w i e der erhöhte Christus als Person zu fassen ist? Weiß gibt zwei mögliche Erklärungen fur die B e z e u g u n g der Einwohnung des Geistes. Zunächst verweist er auf den animistischen Ursprung einer solchen Geist-Lehre. 1 1 0 Wenn Paulus von Einwohnung rede, so denke er an ein Wesen, das „ n e b e n dem menschlichen Geiste hausend gedacht wird (Rom. 8,16; l.Kor. 14,14): der Christ beherbergt ein Doppel-wesen in sich". Dabei fällt die Gespaltenheit auf, die der Theologie des Paulus hier zugemutet wird. E s schlage näm107

Ebd., 50. Ebd., 69. 109 Ebd., 303. Besonders zu vergleichen sind auch die Ausführungen zur „ChristusMystik" des Paulus (Weiß, Urchristentum, 355ff). Unter Verweis auf 2.Kor. 3,17 wird gesagt: „Was von Christus gilt, gilt auch vom Geiste und umgekehrt. Zu Grunde liegt die Vorstellung, daß Christus und der Geist irgendwie identisch sind" (ebd., 356). Ähnlich auch Heitmüller in der Einleitung zum Johannesevangelium: „Denn im Grunde ist der Geist nichts anderes als Jesus Christus selbst" (ders., Johannes-Evangelium, 19). - So formuliert Heitmüller auch in der Auslegung der Abschiedsreden Jesu: „Wenn der Geist, der ,Paraklet\ kommt, sehen sie Jesus; im Geist kommt Jesus selbst. Denn - wir sehen hier die Spuren des großen Heiden-Apostels 2.Kor. 3,17 - der Geist ist ja im Grunde Jesus Christus selbst" (ebd., 152; zu Joh. 14,20). Ja, in der Exegese der Abschiedsreden entfaltet sich geradezu eine trinitarische Theologie: Dem Jünger Jesu wird „die Einwohnung des Vaters und des Sohnes verheißen (...): sie vollzieht sich im Kommen des Geistes" (ebd.; zu Joh. 14,23). Die Jünger haben „vermöge dieser Vereinigung mit dem Geist und Jesus Christus eine unmittelbare Berührung auch mit Gott (...). Dann also redet der durch den Geist in ihnen wirkende Christus unmittelbar, gerade heraus, über den Vater." (ebd., 161; zu Joh. 16,25). - Trotz dieser deutlichen Beschreibung trinitarischer Zusammenhänge, die sich in den Abschiedsreden andeuten, wendet sich Weiß in einer Rezension gegen eine Untersuchung Goguels, derzufolge der Geist für Johannes im Zentrum des Interesses stehe. Weiß kann in diesem Zusammenhange sagen: „Wenn in den bekannten Stellen der Abschiedsreden das Kommen Christi zu den Gläubigen und das Einwohnen Gottes in ihnen in unmittelbarer Nähe der Weissagung des Parakleten steht, so ist zu beachten, dass diese beiden Gedankenreihen neben einander stehen, und dass der Evangelist nicht versucht oder nicht vermocht hat, sie in der Weise, wie unser Verf. es darstellt, in einander zu arbeiten. So stark die Allegorie vom Weinstock und den Reben an die paulinische Christusmystik erinnert und so zweifellos sie von ihr abhängig ist, so ist die Besonderheit des Johannes eben darin zu sehen, dass er auf das verbindende Element des Geistes verzichten konnte." (Weiß, Goguel, 517). Es fällt schwer, dieses Urteil mit der von Weiß vorgetragenen Exegese der Abschiedsreden in Übereinstimmung zu bringen. 108

110

Weiß, Korintherbrief, 326, 341; ders., Urchristentum 327, 357, 359, 491.

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lieh in diesen Formulierungen „die uralte animistische Vorstellung durch, die sonst durch das abstrakte Denken des Paulus in Banden gehalten wird", es handle sich also um eine „Doppelheit der Vorstellung".111 Die andere Möglichkeit der Erklärung wendet die obige Gleichung so, daß nicht der Geist wie Christus Person ist, sondern Christus in einer mystischen Frömmigkeit wie der Geist entpersönlicht zu denken ist.112 Mit anderen Worten: Gerade dann wird der Geist dem Christus gleichgesetzt, wenn Paulus in mystischer Weise Christus zu einem entpersönlichten Allwesen macht. Aus der Gleichsetzung von Christus und dem Geist kann also nicht die Personalität des Geistes gefolgert werden, da diese Gleichsetzung auf einen mystischen Gedankenkreis beschränkt bleibt. Wie aber belegt Weiß, daß Paulus bei der Rede vom in den Gläubigen wohnenden Christus an einen entpersönlichten Herrn denkt? Wenn Christus - so die Antwort - zugleich in mehreren Menschen wohnen soll, so ist dieser Gedanke „nur möglich unter der Voraussetzung, daß - wenigstens in dem Augenblicke, wo die Formeln gedacht und ausgesprochen werden - die festen Umrisse der Persönlichkeit sich erweicht und aufgelöst haben und die Vorstellung eines gestaltlosen, unpersönlichen, alldurchdringenden Wesens an die Stelle getreten ist". Wo immer es in der Religionsgeschichte um mystische Vereinigung geht, „da erleidet die Vorstellung und der Begriff von Gott den Zwang der Entpersönlichung". 113 Christus in den Gläubigen und zugleich die Gläubigen der Leib Christi - das ist „nur möglich, indem - wenigstens im Denken, wenn auch nicht für das Gefühl - die festen Umrisse der Gestalt des himmlischen Herrn sich lösen und er mit dem Element des die Christen umflutenden und in sie einströmenden Geistes eins wird".114 Zusätzliche Unterstützung gibt Weiß dieser These durch den Hinweis auf Kol. 1,16b.17, wo Christus ebenfalls als ein „Kraftprinzip" zu denken und gerade deshalb als mit dem Geist Gottes identisch zu betrachten sei.115 Bei genauer Betrachtung dieser Argumentation wird deutlich, daß die behauptete Entpersönlichung Christi gar nicht in den untersuchten Textstellen gefunden, sondern durch eine Überlegung des Exegeten erst eingetragen wird. Das Axiom, auf dem die Überlegung beruht, besagt, daß fur den neutestamentlichen Autor eine Person nicht in mehreren anderen Personen zugleich sein kann. Diese 111 Weiß, Urchristentum, 327. Schon Reitzenstein (Mysterienreligionen, 50) hatte in seiner Beschreibung der hellenistischen Vorstellungen von dem durch Einwohnung des Geistes entstehenden „Doppelwesen" gesprochen. 112 Weiß, Korintherbrief, 303; ders., Urchristentum, 357. 113 Weiß, Urchristentum, 357. 114 Weiß, Christus, 50. 115 Weiß, Urchristentum, 357, vgl. ders., Christus, 4 7 ^ 9 . - Vgl. ferner die gründliche Studie von Weiß zur Formel „εν Χριστώ Ίησοϋ" wo Weiß von ,jene(r) eigentümliche(n), in ihrer Wichtigkeit garnicht zu überschätzende(n) Identifizierung von Christus und πνεϋμα (2.Kor. 3,17)" spricht und fortfährt: „Diese Gleichsetzung des erhöhten κύριος mit dem doch irgendwie sachlich-unpersönlich gedachten göttlichen πνεϋμα hat nun aber die unvermeidliche Folge, daß hierbei die persönliche Vorstellung vom κύριος durch jene unpersönliche hier und da überwuchert sind (sie)." (Weiß, Paulinische Probleme II, 10).

202

Überlegung kennen die Texte selbst nicht, im Gegenteil: Gerade an den Stellen, die von der Einwohnung des Geistes reden, scheint dieser am deutlichsten personal zu agieren. Römer 8 ist hierfür das markanteste Beispiel.116 Nicht für den biblischen Autor, sondern fur den Exegeten des 20. Jahrhunderts besteht hier eine gedankliche Unmöglichkeit. Beide Versuche einer Erklärung der „Einwohnung des Geistes" beschreiben das Zeugnis vom Wirken des Geistes als ein durch Tradition bestimmtes Gedankengebilde. Würde sich diese Erklärung allein auf die begriffliche Fassung der bezeugten Geistwirkungen beziehen, so wäre dagegen nichts einzuwenden. Hinter der Überführung der Geistwirkung in einen interpretierenden theologischen Begriff steht hier aber die Verneinung der Realität des personalen Geistes selbst. Wenn der Geist Gottes verstanden wird als die Begeisterung der Gemeinde, dann kann auch die Einwohnung des Geistes nicht mehr Inbesitznahme des Lebens durch ein anderes Subjekt sein. Die einschlägigen Aussagen des Neuen Testamentes sind dann Interpretamente, die in ihrer Begrifflichkeit den Traditionen der Umwelt folgen. Interpretamente aber setzen Gegebenheiten voraus, die interpretiert werden. Deshalb sucht auch Weiß hinter der Rede von der Einwohnung des Geistes Erlebnisse des Paulus, die ihn zu diesen Formulierungen brachten. Diese Erlebnisse sind Stimmungen und Empfindungen der Abhängigkeit von Christus. Für diese Abhängigkeit sind die „mystischen" Aussagen „im Grunde nur der allergesteigertste Ausdruck"117 - also signa, deren res im Bewußtsein des Gläubigen aufzusuchen ist.118

2.4

Exkurs: Ottos Studie zum Heiligen Geist bei Luther

Mit seiner „historisch-dogmatischen" Untersuchung unternimmt Otto den Versuch einer neuen Luther-Exegese." 9 Da die Problemlage dieser Dissertation Parallelen zur neutestamentlichen Exegese aufweist, wird hier ein kurzer Überblick über die Kernaussagen des Buches gegeben.

116

Die Argumentation beinhaltet die Ablehnung der Allgegenwart Christi (Ubiquität). Es wird nicht bedacht, daß dasselbe Argument auf Gott im allgemeinen anzuwenden wäre, daß also ein allgegenwärtiger Gott kein personaler Gott wäre. 117 Weiß, Urchristentum, 359. 1,8 Im übrigen verleitet schon die Interpretation der einschlägigen Aussagen als „mystische Rede" zu einem Verständnis der Einwohnung als punktuelles, in der mystischen Versenkung erreichtes Erlebnis. Bei Paulus ist die Einwohnung Christi oder des Geistes ein dauerhafter Zustand. Für die umgekehrte Formulierung, der Gläubige sei „in Christus", hat dies Weiß selber herausgearbeitet. Er weist eine einseitige mystisch-ekstatische Deutung zurück und verweist auf Rom. 8,9.10, wo „das .Christ sein' und .Christus in euch'" wechselt, „als ob beides ganz gleichgewichtig wäre" (Urchristentum, 361). 119 Otto, Anschauung. Im folgenden werden die Seitenzahlen der Zitate aus diesem Buch in Klammern in den Text gesetzt.

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Otto stellt an Luther die entscheidende Frage nach dem Zustandekommen des neuen Lebens eines Christen. Entsteht es „(i)m Zusammenhange empirischer klarer psychologischer Verursachung, oder im Dunkel und Rätsel rein supranaturaler Wunderwirkung?" (20) Diese Alternative zwischen einem supranaturalen oder einem psychologischen Verständnis des Geistes beherrscht den gesamten Gedankengang des Buches. Daß das neue Leben nur durch den Geist Gottes gewirkt werden kann, ist für Luther selbstverständlich. Ist dieser Geist aber, so fragt Otto weiter, als göttliche Person, die vom Gläubigen unterschieden werden muß, oder als Begriff für einen Vorgang im Bewußtsein des Gläubigen zu verstehen? Um diese Frage zu klären, untersucht Otto zunächst das Verhältnis von Geist und Glaube in der Theologie Luthers. Was bedeutet der Begriff „Glaube"? Otto versucht, ihn von Luthers Suche nach der Gerechtigkeit her zu begreifen. Glaube ist dasjenige, wodurch wir die Gerechtigkeit vor Gott erlangen. Gerechtigkeit aber ist - so fährt Otto fort „die rechtschaffene, der weltlichen und ungöttlichen entgegengesetzte Gesinnung", ist „gute(r) Wille" (30). Der Glaube führt also zu einem neuen Willen, zu einem .„Einhellig werden' mit Gott und Christo" (33). Diese willentliche Übereinstimmung mit Christus beschreibt Luther als „adhaerere Christo", sie geschieht „per fidem" (34). Daß nun „dieses Eins und ,ein Küche' sein mit Christo eine Wesensgemeinschaft im überethischen Sinne" bedeutet, wird von Otto zwar zugegeben, aber als Spitzensatz gedeutet, dessen Basis der Gedanke an eine bloße Hinwendung des menschlichen Geistes zu Christus ist (34). Diese Hinwendung ist der Glaube. Grundlegend ist nun, daß in Ottos Interpretation der Glaube psychologisch verstanden wird: Er ist die Bezeichnung für die „psychologischen Anlasse" (sie) der neuen „Gefühle, Motive und Zwecke" des Christenlebens. Es ist also dieser als psychologische Bewegung beschriebene Glaube, welcher das neue Leben eines Christenmenschen hervorbringt. In dieser Bedeutung tritt der Glaube aber - so die entscheidende Überlegung - selbst an die Stelle des Geistes. Nicht der Geist, sondern der Glaube bewirkt die Entstehung der neuen Gesinnung. Er ist für diese Erlebnisse der Umwandlung zum neuen Leben „so durchaus der zureichende Grund, dass in Bezug auf sie für eine zweite ausserpsychologische Kausalität nirgens eine Lücke zu finden ist (38, Hervorhebung: K.L.)! Zur Untermauerung verweist Otto darauf, daß in Luthers Sprache der Glaube „alle Prädikate des Geistes" erhält (38).120 Ja, auch das Schreien des Geistes im Herzen der Gläubigen (Rom. 8,15.26) ist für Luther „in Wahrheit das Rufen des eigenen zagenden Herzens", selbst wenn Luther in einer äußerlichen Weise noch an der „Vorstellung eines einsprechenden Zweiten" festhält (39).121 Die Wirkungen 120

Dieser Gedankengang fuhrt dahin, daß Otto in der Rede vom testimonium spiritus saneti internum den Genitiv als einen objectivus auffaßt (39): „Nicht ein besonderes Zeugen des Geistes macht uns gewiss, dass wir in der Gnade sind; sondern dass wir glauben, lässt uns schließen und macht uns gewiss, dass wir den Geist haben müssen." 121 Die ganze Lutherdarstellung basiert also auf der Annahme, Luther „empfinde(t)" den „Unterschied zwischen seiner Vorstellung vom wirkenden Glauben und der traditionellen

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dieses als psychologischen Vorgang beschreibbaren Glaubens werden bei Luther „gleichsam vorher fertig gedacht und hypostasiert", so können sie dann „inhaltlich den Begriff, spiritus sanctus' ausfüllen" (40)! Durch die psychologische Beschreibung des Glaubens, die letztlich zur Ersetzung des Geistes durch diesen Glauben fuhrt, ist aber noch nicht einsichtig geworden, weshalb Luther den Glauben doch regelmäßig als Gabe aufweist, als Geschenk des Geistes. Dieses Problem ist Thema eines weiteren Teiles der Untersuchung, dem Otto die Überschrift „Geist und Wort" zuordnet (45ff). „Aber woher der Glaube?" (45) Otto verweist zunächst auf die in lutherischer Theologie vertrauten „Mittel" des Geistes, insbesondere auf die Verkündigung des Evangeliums, auf das „Wort". Auch dieses Mittel der Verkündigung ist in seiner psychologischen Wirkung zu begreifen. Wenn Luther vom Wort redet, welches den Glauben wirkt, so hat er einen „Vorgang klarster und stringentester psychologischer Motivation" vor Augen, „der als ganzer und in seinen Teilen seine genauen Parallelen im seelischen Leben überhaupt hat" (49). Otto ist also allein an dem Vorgang interessiert, den die Wortverkündigung in der Seele des Hörers auslöst. Er glaubt, im Sinne Luthers diese Wirkung rein psychologisch, ohne irgendwelche die Seelenlehre sprengende Kategorien verstehen zu müssen. Die „Entstehung des Glaubens aus dem Worte" ist tatsächlich ein „genauer Nexus psychologischer Ursachen" (58)! Bei dieser Definition ist zu beachten, daß Otto nicht folgert, der Geist bediene sich psychologischer Vorgänge, um zu seinem Ziel zu kommen. Es geht ihm vielmehr darum, die Kategorie des Geistes ganz in den psychologischen Vorgang aufzulösen: Der Geist ist Chiffre für die Wirkung, die die Botschaft im Hörer auslöst! Nicht erhält das Wort durch den Geist göttliche Qualität, sondern der Geist wird durch Identifizierung mit dem Wort auf die menschliche, innerweltliche Ebene gezogen. Im eigentlichen Sinne ist das Wort hier nicht mehr „Mittel" des Geistes. Es ist selbst an die Stelle des Geistes getreten.122 „Luthers ,ηοη nisi in spiritu' und dessen Synonyme" besagen nichts, „was nicht im Bereiche des Empirischen liegt" (83).123 vom Walten des Geistes (...) nicht" (41). Der Exeget Luthers versteht diesen besser als er sich selbst, indem er zwischen bloßen Begriffen seiner Theologie (signa) und den eigentlich intendierten Inhalten (res) zu unterscheiden vermag. 122 Hinter diesen Überlegungen steht letztlich wiederum die dogmatische Frage, inwiefern historische Ereignisse für ein transzendentes, kausal nicht ableitbares Geschehen in Anspruch genommen werden können. Otto zieht die Parallele zu christologischen Fragen und fordert eine Christologie, bei der „ein und dieselbe Person Mensch ist, (...) und als ebenderselbe Ausdruck und Anrede des ewigen Gottes selber". Unter ontologischer Perspektive ist Christus allein Mensch. Seine Göttlichkeit kann nur als „Ausdruck und Anrede", nicht als Sein verstanden werden. Diese „Christologie rein reformatorischen Fundamentes" ist also „von der der communicatio idiomatum ebensoweit verschieden (...), wie sie leicht in ihre Vorstellungen und Formulierungen hineingleitet" (68). So ist auch das Wort Gottes dem Sein nach nur menschliches Wort; seine Wirkungen aber müssen als Gottes Anrede bezeichnet werden. 123 Otto begründet seine Thesen durch den Verweis auf Luthers Auseinandersetzung mit Bullinger (vgl. 65f). Luther wehrt sich gegen eine „metaphysische Distinction" zwischen der

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So kann Otto zusammenfassend eine „Kette der Verursachung alles geistlichen Erlebens und Geschehens" darstellen. Diese führt von der in Christus erschienenen Gnade Gottes über die Verkündigung der Kirche zum Glauben im Herzen der Christen. Die Glieder dieser Kette „stellen selber den eigentlichen selbständigen und zureichenden Kausalnexus dar, lassen keinen Einschub zu, und schliessen falsche Halbierungen und Kompromisse, sowie unklare, .durch, in, mit' aus. Den Platz völlig ausfüllend treten sie an die Stelle von , spiritus sanctus', ersetzen ihn in der empirischen Betrachtungsweise gänzlich und scheiden ihn nach seiner traditionellen Bedeutung als überpsychologische Ursache der nova vita oder als jenseitigen Koeffizienten diesseitiger Ursachen ab." (95) Otto will den gesamten ordo salutis, der in der Pneumatologie verhandelt wird, als psychologisches Verhältnis zwischen zwei Personen, zwischen Gott und Mensch verstehen. Göttlichen Ursprungs ist dieses Geschehen nur insoweit, als man den Kausalablauf in seiner Gesamtheit als Wirken Gottes versteht. „Luther zwängt nicht die göttliche Kausalität an einer Stelle oder an mehreren in den Kausalnexus hinein. Sondern es ist ihm über das Ganze desselben eine doppelte Betrachtungsweise möglich. Eben das, was sich für sein begriffliches Denken in genauesten empirischen Zusammenhängen entfaltet, kann ihm für sein religiöses Bewusstsein ganz der gleichen Länge nach göttliches Wirken sein, und umgekehrt." (102) Hinter diesen Formulierungen verbirgt sich die Unterscheidung von allgemeinem und exklusivem Supranaturalismus. Die Geschichte als ganzes kann als Wirken Gottes verstanden werden. Einzelne Geschehnisse jedoch besonders mit dem Handeln Gottes oder seines Geistes zu befrachten, ist unmöglich. Deshalb kann es auch keine Mittel des Geistes mehr geben, anhand derer sein Wirken lokalisierbar wäre. Mittel nämlich sind Dinge oder Geschehnisse in Raum und Zeit. Diese können nicht Träger eines übernatürlichen Wirkens sein. Die Frage, ob diese Lutherinterpretation der Intention der Quellentexte angemessen ist, hat Prenter in seiner Arbeit „Spiritus Creator" entschieden verneint.124 Die Analyse Ottos muß als Eintragung eigener dogmatischer Entscheidungen in die Interpretation historischer Texte betrachtet werden. Es wird deutlich, wie auf dem Fundament einer Theologie des Bewußtseins, welche jegliche

menschlichen Predigt und dem Wirken des Geistes. Vielmehr sei es Gott selber, der predige! Otto folgert aus dieser Identität von Geistwirkung und Verkündigung die Auflösung des personalen Handelns des Geistes in einen psychologischen Vorgang. Luther aber erklärt umgekehrt den Vorgang der menschlichen Predigt als personales Handeln des Geistes. Durch die Abgrenzung Bullinger gegenüber will Luther vermeiden, daß der Geist außerhalb der Mittel gesucht wird. Die Person des Geistes soll damit nicht in die Mittel aufgelöst, sondern als distinkte Person bezeugt werden. Denn gerade die abgelehnte Trennung des Geistes von den Mitteln bedeutet ja die Möglichkeit, alles und jedes zum „Geist" werden zu lassen. 124 Vgl. Prenter, Spiritus Creator, 1; ferner 301 (Fußnote 1). Vgl. zu der Auseinandersetzung Prenters mit Otto auch Slenczka, Erkenntnis, 75f, 87.

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Heilstatsachen ausschließt, das vom Geschichtslauf unterschiedene Handeln des Geistes unmöglich wird.125

125 Die etwas abschätzige Bemerkung, die Otto in „Das Heilige", 123, Anmerkung 1, über seine „Anfänger-Schrift" macht, kann nicht im Sinne einer Revozierung der grundsätzlichen den Geist betreffenden Ansichten gewertet werden. In seiner Monographie zur friesschen Philosophie (Kantisch-Fries'sche, 25) wiederholt Otto seine Lutherdeutung unter Verweis auf seine Dissertation. Dieser Hinweis ist auch in der 2. Auflage von 1921 erhalten geblieben. Vgl. dazu ferner Otto, Rationale Theologie, 219f, wo Otto sich ausdrücklich auf seine Erstlingsschrift bezieht und ihre Ergebnisse in Anwendung bringt.

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3. Der Christuskult: Doxologie und Gebet zu Christus 3.1

Fragestellung

Neben den Geistwirkungen rückt vor allem der Christuskult in das Interesse der religionsgeschichtlichen Schule. An ihm besonders müßte sich die Grundthese erweisen lassen, daß die christliche Theologie im Kultus ihre Wurzeln hat. Es ist das Verdienst Boussets, die „Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenäus"1 gerade unter dieser Fragestellung dargestellt zu haben. Sein Werk „Kyrios Christos" ist der beeindruckende Versuch, den Glauben an Jesus Christus aus der kultischen Verehrung Jesu Christi zu erklären. Wie ein roter Faden zieht sich dieser Gedanke durch das ganze Werk, wie ein Leitmotiv steht der „Christuskult" im Mittelpunkt der Untersuchung, die einen großen Bogen von den Anfängen der palästinischen Urgemeinde bis zur Theologie des Irenäus schlägt. Sofort zu Beginn des Vorwortes der Untersuchung stellt Bousset fest: „Kyrios Christos ist Jesus von Nazareth im wesentlichen als der im Kultus verehrte Herr seiner Gemeinde."2 Deshalb muß auch eine Untersuchung des Christusglaubens der Gemeinde versuchen, „von der Praxis des Kultus und des Gemeindegottesdienstes (...) überall den Ausgangspunkt zu nehmen und die Entwicklung der Dinge zu verstehen".3 Bousset muß also zuerst fragen, welches die wesentlichen Elemente des Gemeindegottesdienstes der ersten Jahrhunderte sind. Dann ist deren eventuelle Bedeutung für theologische Aussagen der jungen Christenheit zu beschreiben.

3.2

Anrufung und Anbetung Christi im Neuen Testament

Bousset setzt in seiner Analyse der Bezeichnung Jesu als „κύριος" mit der Anrufung Christi im Gottesdienst ein: In l.Kor. 1,2 bezeichnet Paulus die Christen als „επικαλούμενοι το δνομα του κυρίου ημών Ίησοΰ Χρίστου".4 Bousset erklärt: „Das ist das Charakteristikum der Christen überhaupt, daß sie den Namen des Herrn anrufen. Es handelt sich hier auch nicht um das persönliche Verhältnis des einzelnen zu dem erhöhten Christus, sondern um die Gemeinde, die in ihrem 1

Bousset, Kyrios Christos, Untertitel. Ebd., IV. 3 Ebd. Vgl. auch die in gleiche Richtung weisenden Aussagen Troeltschs (Bedeutung, 44): „Die Notwendigkeit der Gemeinschaft und des Kultus haben die Zentralstellung der Christuspersönlichkeit geschaffen. Sie bewirken auch dauernd diese Zentralstellung." 4 In l.Kor. 1,2 steht der Dativ. Die obige Nominativform findet sich bei Bousset, Kyrios Christos, 84f. 2

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Gottesdienst diese Anrufung des Namens vollzieht. Vor allem deutet (...) die Betonung des Namens auf den gemeinsamen Kultus der Christen." 5 Christen sind also wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie gemeinsam den Namen Jesu, ihres Herrn, anrufen. Diese Anrufung Christi wird - so legt Bousset dar - , problemlos mit der alttestamentlichen Anrufung Jahwes als des Herrn gleichgesetzt. Denn der Name „Kyrios" fur Jesus „hat sich im Zeitalter des Paulus schon derart festgesetzt, daß man die bekannte Joelstelle: jeder, der den Namen des Herrn (Jahves!) anruft, wird gerettet werden' (3,5) ganz unbefangen auf die Christengemeinde anwandte. ,Es ist derselbe Herr flir alle, reich für alle, die ihn anrufen', sagt Paulus unmittelbar vor jenem Zitat (Rö. 10,12). Es ist flir ihn selbstverständlich, daß der κύριος in diesem Zusammenhang der Herr Christus ist."6 Diese kultische Anrufung des Namens Jesu muß noch nicht ein Gebet im engeren Sinne bedeuten. Bousset zählt die Gelegenheiten auf, bei denen es zur kultischen Anrufung Christi kommt: das Bekenntnis und die Taufe, das Abendmahl, das Gebet im Namen Jesu, eventuell Doxologien unter Nennung des Jesusnamens, ferner die Exorzismen oder die in l .Kor. 5,4f erwähnte Übereignung eines Blutschänders an den Satan.7 Aus diesem Gebrauch wird ersichtlich, daß der Name Jesu „das gewaltige Kultmittel" ist, „durch das die Anwesenheit seiner Kraft verbürgt wird". 8 Bousset weist darauf hin, daß das Gemeindegebet „in der Regel seine unmittelbare Beziehung auf Gott" behalte. 9 Das „formulierte, feierliche Gemeindegebet" war wohl „im allgemeinen an Gott gerichtet", so wurde „hier wenigstens (...) die Grenzscheide zwischen Gott und Christus gewahrt". 10 Die neutestamentlichen Erwähnungen des direkten Gebetes zu Christus werden aber eingehend von Bousset studiert. Es ist festzustellen, daß neben dem Gebet „im Namen Jesu" „so ziemlich von Anfang an das Gebet unmittelbar zu Jesus" steht. 5

Ebd., 85 (Hervorhebung im Original). Ebd., unter Verweis auf Rom. 10,13; Apg. 2,21. Für die Verwendung der Formel buχαλ&σΰσι τό όνομα τοϋ κυρίου werden genannt: 2.Tim. 2,22; Apg. 9,14.21; 22,16. - Johannes Weiß (Christologie, 1718) erwähnt fur die Deutung des alttestamentlichen „Kyrios" auf Christus noch 1. Kor. 1,31; 2,16. - Schon in seinem Artikel „Heidenchristentum" hat Bousset zahlreiche Schriftbelege für die Anrufung Jesu im Gottesdienst beigezogen. In der hellenistischen Gemeinde entstünden das Gebet „im Namen Jesu", das unmittelbare Gebet zu Jesus, enthusiastische „Psalmen und Hymnen" sowie Doxologien, die insbesondere Christus als den Herren preisen (vgl. ebd., 1939; 1949f.). 7 Vgl. Bousset, Kyrios Christos, 85-87. 8 Ebd., 87. - Zu Rom 10,13 und den Folgerungen für den christlichen Gottesdienst vgl. Bousset, Heidenchristentum, 1950; ferner: ders., Kyrios Christos, 85ff. - Zur Bedeutung des Namens Jesu für das Leben der Gemeinde Christi vgl. auch die zahlreichen Wendungen in der Apostelgeschichte, dazu Bousset, Kyrios Christos, 224f. Für den umfassenden Überblick über die kultische Verwendung des Namens Jesu vgl. ebd., 77-91; 101-110; 148-154, 224f. Zur Bedeutung des Namens Jesu bei Taufe und Abendmahl vgl. ferner unten, Abschnitt 4.: „Der Christuskult: Die Sakramente". 9 Ebd., 1949; vgl. ders., Kyrios Christos, 86. 10 Ders., Kyrios Christos, 86. 6

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Bousset verweist hier auf die Anbetung des Kyrios in Apg. 1,24, ferner auf die gut bezeugte Anrufung Jesu in den „Privatgebeten", wie sie sich in 2.Kor. 12,8 oder auch in Joh. 14,13f findet.11 Bousset trifft sich hier mit den deutlichen Worten seines Kollegen Johannes Weiß. Dieser konstatiert in seinen Ausführungen zur Christologie, es könne „kein Zweifel" darüber bestehen, daß die Christen, die das „Abba Vater" beten, „auch zu Christus im eigentlichen Sinne des Wortes ,gebetet' haben, nicht nur in huldigender Anbetung, sondern auch in der Form der Bitte".12 Weiß erwähnt hier auch noch das Gebet des Stephanus (Apg. 7,60). Auch das „kurze ekstatische Anrufen und Anschreien des Namens Jesu" sowie der an Jesus gerichtete Maranatha-Ruf belegen die Tatsache, daß die Gemeinde sich direkt an Jesus als ihren Herrn wendet.13 Ferner finden sich im Neuen Testament etliche Hymnen, die Christus besingen.14 Im Blick auf diese Hymnen verweist Bousset mehrfach auf die nachapostolische Beschreibung der Christen durch Plinius: „Sie singen Christus als ihrem Gotte Lieder."15 Auch der Christushymnus aus Phil. 2,6ff ist hier zu nennen, von dem Weiß sagt: „Christus tritt geradezu an die Stelle des allmächtigen Gottes."16 Neben den Hymnus auf Christus tritt die Doxologie, die - ursprünglich zur Ehre Gottes gesprochen nun Christus zum Zentrum haben kann. Sie ist im Neuen Testament eindrücklich bezeugt.17

3.3

Gottheit Christi in apostolischer und nachapostolischer Zeit

Paulus nennt Christus den „Sohn Gottes", den „υίος του θεου \ 18 Er hat, „wenn er von dem Sohne Gottes redet, den gegenwärtigen erhöhten Herrn vor Augen, den die Christen im Kultus verehren."19 Wer darf im Kultus verehrt werden? Die

11 Ders., Heidenchristentum, 1949. Bousset will allerdings auch hier wieder relativieren: Zu Apg. 1,24 wird bemerkt, es handle sich hier um eine Sache, „die den Herrn speziell betrifft" (Kyrios Christos, 86), und im Blick auf 2.Kor. 12,8 wird betont, daß hier nicht προσευχεσδαί (sic!) oder δώτθαι, sondern παρακαλβν stehe. 12 Weiß, Christologie, 1717. 13 Bousset, Heidenchristentum, 1950, mit Verweis auf l.Kor.12,3; l.Kor. 16,23. 14 Vgl. die Aufzählung ebd., 1939: l.Tim. 3,16; Offb. 4,11; 5,9.12.14; 7,12; 14,3; 15,3 sowie eventuell „die Psalmen im Anfang des Luk-Ev.". Etwas später wird auch Offb. 7,10 hinzugezählt (ebd., 1950). 15 Vgl. ders., Heidenchristentum, 1939, 1950; ders., Kyrios Christos, 235 (hier die lat. Fassung: „carmenque Christo quasi deo dicere secum invicem"), 247. Vgl. Plinius, Epistularum Libri Decern, 10. Buch, 96,7 (= Ed. Kasten, 642). 16 Weiß, Christologie, 1718. 17 Vgl. Bousset, Heidenchristentum, 1950. Es werden genannt: l.Petr. 4,11; Hebr. 13,21 (mit Fragezeichen); 2,Petr. 3,18; 2.Tim. 4,18. 18 Bousset läßt offen, ob Paulus mit dieser Bezeichnung einen älteren messianischen Titel aufgreift, oder ob es sich um eine paulinische Neuschöpfung handelt, vgl. ebd., 151. 19 Ebd., 153.

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Antwort kann nur lauten: „Was man aber im Kultus verehrt, muß ganz und unbedingt auf Gottes Seite stehen." Oder anders ausgedrückt: Das „Dogma von der Gottheit Christi" ist „auf dem Marsch". 20 Bousset versucht allerdings zu zeigen, daß man bei Paulus noch nicht von einer „Gottheit Christi" reden dürfe und verweist dazu auf Stellen wie 1 Kor. 11,3 oder 15,25ff, wo von der Unterordnung Christi unter den Vater die Rede ist.21 Was aber Paulus noch nicht ausspricht, wird dem „massive(n) Gemeindeglaubein)" selbstverständlich werden: „Er wird das große Mysterium von der Gottheit Christi bewußt aussprechen und in das Zentrum der christlichen Religion rücken. Denn er hat es unbewußt bereits in Kult und Praxis." 22 Auch in den johanneischen Schriften wird Jesus zumeist der υίος τοϋ θεοϋ genannt. Christus ist hier der „überweltliche Gottessohn". 23 Dabei schwingt im Gebrauch dieses Titels wiederum der „kultische Gesichtspunkt" mit: Im Gegensatz zur Synagoge wird die „kultische Gleichstellung des Sohnes mit dem Vater", also eine „Verdoppelung des Objektes des christlichen Kultus", verteidigt. 24 Wenn „das Johannes-Evangelium dem Thomas das Bekenntniswort ,mein Herr und mein Gott' in den Mund legt (20,28)", dann liegt dies ganz auf der Linie der Entwicklung, die, vorangetrieben durch die kultische Verehrung, vom der Verehrung des „Kyrios" zur Behauptung der Gottheit Christi fuhrt. 25 Was sich bereits in apostolischer Zeit deutlich anbahnt, wird noch wesentlich stärker in der nachapostolischen Zeit betont: Jesus Christus ist Gott. Und ebenso deutlich wird diese Aussage an den Kultus zurückgebunden. Es erstaunt nicht, „daß wir bereits in den Ausläufern der nt.liehen Literatur dem vollen Bekenntnis zur Gottheit Christi begegnen". 26 Bousset beschreibt das Christentum der nachapostolischen Zeit als einen „Kultverein, der seine Bestimmtheit durch den Namen (des Herrn Jesus) erhält."27 Innerhalb dieses Christuskultus nimmt 20

Ebd., 154. Zu der dieser These widersprechenden Aussage des Paulus in Rom. 9,5 sagt Bousset lediglich, es „sollte allgemein zugestanden werden", „daß Paulus eine Doxologie auf Christus als den b ών επί πάντων θεός nicht zuzutrauen sei" (Kyrios Christos, 154). Zur Analyse dieser Wertung Boussets vgl. den folgenden Abschnitt 3.4.2: „Entstehung des Christuskultes und Entwicklung der Christologie". 22 Ebd. Vgl. ders., Heidenchristentum, 1950: „Aus der Praxis der Frömmigkeit entwickelt sich die Theorie und das Dogma. Wir können von hier aus leicht verstehen, wie sich in der Gemeinde- und Massen-Frömmigkeit das Bekenntnis zu der Gottheit Christi bilden mußte. Ließ man im Kultus durch Hymnengesang (...) Christus gottgleiche Ehre zuteil werden, so lag das naive Bekenntnis zur Gottheit Christi nicht fern." 23 Bousset, Kyrios Christos, 156. 24 Ebd., 157. 25 Ebd., 246. 26 Ders., Heidenchristentum, 1951. Es werden genannt: Joh. 1,18 (in Handschriften); 20,28; l.Joh. 5,20; 2.Petr. 1,1; Tit. 2,13; Gal. 2,20 (in Handschriften); l.Tim. 3,16 (in Handschriften); ferner 2.Clem. 1; Apostellehre 10,6. - Weiß (Christologie, 17321) erwähnt auch 2.Tim. 1,10, wo von der „Epiphanie unseres Heilandes" die Rede ist, eine Formulierung, die für Weiß auf die „Inkarnation eines Gottes" hindeutet. 27 Bousset, Kyrios Christos, 225. 21

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wiederum das Gebet eine Zentralstellung ein, es steht „im Mittelpunkt des christlichen Gottesdienstes".28 Während das „offizielle Gemeindegebet" an Gott gerichtet bleibt,29 hat es sich der „massive und naive Gemeindeglaube (...) doch nicht nehmen lassen, zu Christus zu beten."30 Ferner findet sich wiederum im Gottesdienst das Gebet im Namen Jesu, die „direkte Doxologie auf Christus" sowie vor allem die sich auf Christus konzentrierende „gottesdienstliche Hymnologie".31 Folgerichtig verweist Bousset in diesem Zusammenhang auch auf die christologischen Auseinandersetzungen in der alten Kirche. Paulus von Samosata entfernt - so berichtet Euseb - als Leugner der Gottheit Christi die Christushymnen aus der Kirche.32 „Die gefährlichste Waffe" des Athanasius im Streit mit Arius „war diese, daß er die kultische Verehrung eines Untergottes (...) als Heidentum brandmarkte."33 Zahlreiche weitere Belege werden von Bousset ins Feld gefuhrt, die mit großer Deutlichkeit zeigen, daß die christliche Gemeinde gerade mit der Anbetung Christi auch dessen Gottheit bezeugt: Schon der Hebräerbrief bezieht Dtn 32,43 auf die Anbetung des wiederkommenden Christus. Überhaupt spielt die Vokabel προσκυναν in der Argumentation eine wichtige Rolle, so beispielsweise im Martyrium des Polycarp,34 und vor allem im Dialog des Justin. Dieser betont in der Auseinandersetzung mit dem an ihn gerichteten Vorwurf der Blasphemie immer wieder, daß Christus anzubeten (προσκυνητές) sei. Bousset faßt zusammen: „Gottheit und Anbetung gehören für Justin zusammen."35

28

Ebd., 233. Bousset (ebd.) verweist hier auf das bei Klemens überlieferte römische Gebet, auf die Abendmahlsgebete der Didache sowie auf Justins Beschreibung des Gottesdienstes. 30 Ebd., mit Verweis auf die apokryphen Apostelgeschichten. - Es bleibt bei Bousset offen, wie diese Trennung vorgestellt werden soll: Wo anders als im „offiziellen" Gottesdienst soll sich dieser „naive" Gemeindeglaube Ausdruck verschafft haben? 31 Ebd., 234. Neben den oben schon erwähnten neutestamentlichen Belegen werden hinsichtlich Doxologie und Hymnus genannt (ebd., 234f): Kol. 3,16 (späte Handschriften); Eph. 5,19; Offb. 19,6-8 (Hochzeit des Lammes); Mart. Polyc. 14,1 (= ed. Herbert Musurillo, 12, 18-25); 21 (= ed. Herbert Musurillo, 18, 4-8), 22,3 (= ed. Herbert Musurillo, 18, 18-24); Act. Paul, et Thecl. 42 (= ed. Ricardus A. Lipsius, 268, 1-7); Mart. Perp. et Felic. 1,4 (= ed. Herbert Musurillo, 106, 13-16), 21,11 (= ed. Herbert Musurillo, 130, 18-25); 1. Clem. 50,7 (= ed. Annie Jaubert, 182). 32 Vgl. Bousset, Kyrios Christos, 247, Verweis auf Euseb, h e. VII 30,10 (= II/2, GCS 9,2, ed. Eduard Schwartz, 710, 9-15). 33 Bousset, Kyrios Christos, Verweis auf Athanasius, Orat. III c. Arian. 16 (= MPG 26, 356 A). - Bousset (ebd., 247 und 235) nennt ferner den „Verfasser des kleinen Labyrinthes" und verweist dazu auf Euseb, H.E. V 28,4f (= II/l, GCS, ed. Eduard Schwartz, 500, 17-24). 34 Mart. Polyc. 17,2 (= ed. Herbert Musurillo, 14, 27 - 16,3): „τούτον μεν γαρ υίον οντά τοϋ -θεοϋ προσκυνοϋμεν", zitiert bei Bousset, Kyrios Christos, 249. 35 Bousset, Kyrios Christos, 251. Ebd. 25 lf wird ein reiches Material aus dem Dialog Justins vorgeführt, wo Jesus der Würdetitel des θεί>ς προσκυνητής beigelegt wird; vgl. z.B. Justin, Dial. 126, 1, (= ed. Edgar J. Goodspeed, 246). 29

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3.4 3.4.1

Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule

Ausgangspunkt: Gottheit Christi als Prädikation der Gemeinde

Mit großer Klarheit arbeitet Bousset den Zusammenhang zwischen der gottesdienstlichen Anbetung Christi und der Bezeugung der Gottheit Christi heraus.36 Dabei aber - und das ist von entscheidender Bedeutung - stellt Bousset die Argumentation der Kirchenväter auf den Kopf. Hatten jene mit der Anbetung Christi dessen Gottheit zu erweisen gesucht, so will Bousset zeigen, daß die Anbetung Christi zum bloßen Postulat der Gottheit Christi fuhren mußte. Die Väter verstanden die Anbetung Christi als Folge seiner Gottheit, für Bousset ist das Postulat der Gottheit Christi Folge seiner Anbetung im Kultus. In der altkirchlichen Auseinandersetzung ging es um die Seinsfrage, Bousset hingegen untersucht die Entstehung von Bewußtseinsinhalten der Gläubigen.37 Schon die Verehrung Christi als „Kyrios" mußte - so Bousset - dazu fuhren, daß Jesus nun „auch das Objekt des christlichen Glaubens" wurde.38 Erst in der „hellenistische(n) Gemeinde" vollzog sich die „Entwicklung (...), durch die aus dem zukünftigen Messias Jesus der als Kyrios seiner Gemeinde gegenwärtige Kultheros wurde. Hier erst ist mit dem neuen Titel auch der neue Sachverhalt gegeben."39 Diese Ausführungen scheinen anzudeuten, daß Bousset die kultische Verehrung Jesu als Folge eines sich notwendig vollziehenden menschlichen Deutungsaktes versteht, bei dem durch Übernahme bestimmter Bezeichnungen der damit bezeichneten Person neue Wesensmerkmale zugesprochen werden: Weil Christus „Kyrios" genannt wird, deshalb muß er Objekt des Glaubens werden.40 Allerdings kann der Vorgang auch dahingehend beschrieben

36 Bousset (Kyrios Christos, 90) verweist auf Deissmann als seinen Vorgänger, der darauf hingewiesen habe, „daß die Christologie des Urchristentums und der alten Kirche vom Christuskult her begriffen werden müsse", und nennt als Beleg Deissmann, Licht vom Osten, 295. 37 Vgl. auch die Aussagen von Weiß, Christologie, 1739f: Die Rede von der Gottheit Christi ist Prädikation, die allein dazu dient, „den überwältigenden Eindruck der Person Jesu in gemeinverständlicher aber zugleich absoluter und unüberbietbarer Weise zum Ausdruck zu bringen". „Man suchte nach Prädikaten, welche aussagten, daß das Ideal und die höchsten religiösen Güter in ihm enthalten seien. Dein antiken Menschen bot sich hierfür immer wieder das Prädikat der Gottheit dar." 38 Bousset, Kyrios Christos, 102. 39 Ebd., 90. Ganz ähnlich ebd., 84: „Mit dem Wort ist auch eine neue Sache, ein neues eigenartiges Verhältnis der Gemeinde zu ihrem κύριος gegeben." 40 Vgl. dazu auch die deutliche Formulierung bei Heitmüller, Problem, 335: „Durch diesen Namen ,Herr' war Jesus ohne weiteres in eine göttliche Stellung gerückt. Unvermeidlich war damit der Kultus, die göttliche Verehrung in irgendeiner, wenn auch nur keimhaften, Weise verbunden." - Die These von der Formung paulinischer Theologie durch Übername hellenistischer Begriffe wurde besonders von Reitzenstein vertreten. Vgl. ders., Mysterienreligionen, 257f: „Auch wenn wir glauben, daß Paulus dieser religiösen Literatur nichts entnommen hat als die Sprache, einzelne Bilder und wohl auch Begriffe, bedeutet das in Wahrheit schon unendlich viel. Wirken doch Wort und Bild, selbständig geworden, weiter, neue

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werden, daß die junge Christenheit aus dem hellenistischen Milieu „fiir die beherrschende Stellung Jesu im Gottesdienst die zusammenfassende Formel κύριος herübergenommen" habe.41 Bousset scheint sich die Entwicklung also so vorzustellen, daß Entstehung der kultischen Verehrung Christi und Verwendung des Kyriostitels beide auf das hellenistische Milieu zurückgehen, sich gegenseitig bedingen und fördern. Vor allem ist diese Entwicklung hin zur kultischen Verehrung Christi für Bousset zunächst ein unbewußter Vorgang: „Derartige Vorgänge vollziehen sich im Unbewußten, in der unkontrollierbaren Tiefe der Gesamtpsyche einer Gemeinde; das gab sich von selbst, es lag gleichsam in der Luft, daß die ersten hellenistischen Christengemeinden ihrem Kultheros den Titel κύριος gaben." 42 Aber mit fortschreitender Reflexion drängt das kultische Geschehen dazu, Christus nun auch als Gott zu benennen; der mit dem Kyriostitel einhergehende Christuskult mit der Anrufung Christi im Gottesdienst zeitigt nun seinerseits Konsequenzen in der christlichen Lehre: „(A)us der Verehrung des Kyrios" wächst so „in der ältesten Christenheit allmählich und mit innerer Notwendigkeit die Vergottung Jesu heraus. Aus dem Kyrios wird der θεός Ίησοϋς Χριστός." 43 Weil Jesus kultisch verehrt wird, wird er zum Gott erklärt. Deutlich und klar beschreibt Bousset diesen Vorgang: „Hat der Herr Jesus einmal eine solche Stellung im Kultus der Christen bekommen, (...) dann muß er auch Gott sein. Das ist allgemeines und volkstümliches Empfinden. Nur (einem) Gotte singt man beim Gottesdienst Hymnen. (...) Der herrliche und hochheilige Name, dessen Kraft man in der Taufe herabruft, um den man sich in der Eucharistie sammelt, ohne den kein gottesdienstliches Gebet und keine Doxologie möglich ist, zu dem man in den weitesten Kreisen selbst betet, den man bekennt, fur den man kämpft, leidet und stirbt, - das muß der Name Gottes sein, unbeschadet aller berghohen Schwierigkeiten und Paradoxien, in die man sich dadurch verwickelt. Darin steckt auch ein Stück monotheistischen Empfindens; Gott allein soll man anbeten und verehren." 44 Die Bewertung des Bekenntnisses zur Gottheit Christi als bloße Prädikation der Gemeinde ergibt sich bei Bousset aus den dogmatischen Prämissen, von Vorstellungen weckend, Folgerungen und Rechtfertigungen erzwingend und neue Begriffe allmählich erschaffend." 41 Bousset, Kyrios Christos, 99. 42 Ebd.; vgl. dazu ebd., 90: „Was hier vorliegt, ist aufgebrochen aus der Tiefe eines Gemeindebewußtseins, das sich im gemeinsamen Kultus ausprägt und zur Darstellung kommt." Vgl. ferner ebd., 235: „Hier vollzieht sich ganz im Unbewußten ein bedeutsamer und folgenschwerer Vorgang." 43 Ebd., 246. 44 Ebd., 247. Vgl. auch die klare Absage an Althaus, der die „deutliche erkenntnismäßige Einschätzung Jesu als eines göttlichen Wesens" als Bedingung einer kultischer Verehrung genannt hatte (Althaus, Unser Herr Jesus, 526). Bousset behauptet dagegen, „daß die Vergottung der Person Jesu nicht mit der klaren Erkenntnis und der theologisch reflektierten Formel, sondern mit der gottesdienstlichen Praxis und dem instinktiven Enthusiasmus des Massenglaubens einsetzt." (Bousset, Jesus der Herr, 88f, Fußnote 1).

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denen er ausgeht. D a ß die Gottheit Christi dem Kultus w i e auch aller Reflexion vorausgehe, ist für B o u s s e t nicht denkbar. D i e s wird in dem exegetischen Werk „Kyrios Christos" angedeutet: D a s „Dogma von dem δεύτερος θεός" kann flir B o u s s e t „mit den Tiefen echter Religion nichts zu tun" haben; es ist nur - sei es hinderlicher, sei es notwendiger - Bewußtseinsinhalt auf dem W e g zur „Erfassung der Religion bezw. des Christentums als einer ewigen und allgemeingültigen Notwendigkeit der menschlichen Seele". 45 Wie sind die dogmatischen Grundlagen, die B o u s s e t und die religionsgeschichtliche Schule insgemein zu dieser Einschätzung christologischer Aussagen fuhren, näher zu beschreiben? Zur Beantwortung dieser Frage wird die Diskussion um die Entstehung des Christuskultes vorgeführt und gefragt, inwieweit diese Auseinandersetzung bereits auf dogmatische Entscheidungen hinweist. 3.4.2

Entstehung

des Kyrioskultes

und Entwicklung

der

Christologie

D i e Frage nach der Entwicklung der Christologie, nicht zuletzt angeregt durch die Arbeiten der religionsgeschichtlichen Schule, war ein zentrales Thema neutestamentlicher Forschung um die Jahrhundertwende. 46 Viele der einschlägigen Probleme wurden unter dem Thema „Jesus und Paulus" zusammengefaßt und beschrieben. 47 D a s Hauptproblem, dem Neutestamentier jeglicher Schule sich stellen mußten, war die Frage, ob und wie weit die paulinische Christologie und Soteriologie als die rechtmäßige Entfaltung des Evangeliums Jesu Christi ver45 Ebd., 333. Vgl. ebd., 102f, wo Bousset von der „Belastung und Komplizierung des einfachen Gottesglaubens durch die Einführung der kultischen Verehrung des Kyrios Christos" redet. Ähnlich deutliche Worte findet Bousset im Artikel über das Heidenchristentum: „Wir können, wenn wir zurückschauen, diesen Christusglauben doch im letzten Grunde nur fur die äußere, zeitlich bedingte Hülle des ewigen Gehaltes der neuen Religion ansehen. Diese Beziehung des Kultus auf die Person Jesu von Nazareth, diese vollständige Vergottung Christi, dieser massive Glaube an den neuen Gott waren doch nur möglich in einer Umwelt, in der man den starken Instinkt für den Monotheismus noch nicht besaß und in dieser unklaren Nebeneinanderstellung von Gott Vater und Sohn nur deshalb keinerlei Schwierigkeiten empfand, weil noch polytheistische Stimmungen nachwirkten." (Heidenchristentum, 1952). - In einem Brief an Wernle (vom 19.10.1910) findet Bousset noch deutlichere Worte: „Man soll sich nur einmal allen Ernstes vor solche Aussprüche stellen wie: „des ewigen Vaters einig Kind jetzt man in der Krippe find" - oder „den aller Weltkreis nie beschloß, der liegt jetzt in Marien Schoß" - „fragst Du, wer der ist, er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott" - und soll sich fragen, ob diese Christologie uns nicht im innersten fremd ist." (ebd., S.l). Bei Herrmann findet Bousset „eine Identifizierung von Gott und Jesus oder doch wenigstens eine Aneinanderrückung, die mir unerträglich ist" (ebd., S.3). 46 Einen guten Überblick über die Forschungslage innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule gibt neuerdings Sinn, Christologie, 39-67. Er weist daraufhin, daß Wrede 1897 bereits „die Untersuchung des historischen Verhältnisses zwischen Jesus und Paulus als eine ,unerläßliche Aufgabe' der Darstellung für die Zukunft fordert" und kann so von dem „von Wrede gestellte(n) theologische(n) Problem des Ursprungs der Christologie" reden (Sinn, Christologie, 52; 60; unter Verweis auf Wrede, Aufgabe, 142). 47 Vgl. dazu Regner, Paulus und Jesus, besonders 103-205. Regner erläutert für dieses Thema besonders die Rolle der Schriften de Lagardes.

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standen werden konnten. In Forschungsberichten wurde in der „Theologischen Rundschau" über die Fülle der Literatur berichtet.48 Die neutestamentliche Theologie hatte insbesondere darüber nachzudenken, wie es im christlichen Gottesdienst zur Anbetung Christi gekommen ist. Um die Jahrhundertwende waren einige Spezialuntersuchungen zum christlichen Gebet erschienen.49 Für die Anbetung Christi zeigten sich hier ganz unterschiedliche Herleitungen. Schon 1843 hatte Friedrich Lücke behauptet, die Anrufung Christi gehe auf den Befehl Christi zurück, die Gebete der Jünger seien mit einer auf den Mittler verweisenden Formel zu versehen.50 Der Versuch, die Anbetung Christi in irgendeiner Weise auf die göttliche Person Jesu selbst zurückzufuhren, findet in der Folgezeit Vertreter wie Alfred Seeberg, Theodor Zahn, Wilhelm Lütgert und Alfred Juncker. Nachdem Seeberg betont hatte, daß die Gottheit Christi aus der bei Paulus gut bezeugten Anbetung Christi zu erweisen sei," wies Zahn in einer exegetischen Studie darauf hin, daß die Anbetung Christi von Anfang an in der christlichen Gemeinde geübt worden sein müsse: „Ist diese Stellung der Gemeinde zu ihrem Herrn überhaupt das Ergebnis einer Entwicklung, so kann es nur eine solche sein, welche am Pfingstfest bereits wesentlich abgeschlossen war."52 Das Gebet zu Christus müsse mit dem „Selbstzeugnis Jesu" und mit der an dieses Zeugnis erinnernden Wirkung des Geistes erklärt werden.53 Lütgert betonte, die Anbetung Jesu sei von diesem zwar nicht gefordert worden, sie entspreche aber gleichwohl seinem Willen.54 Ferner suchte er zu zeigen, daß die Anbetung Jesu nicht dem ersten Gebot widerspreche: „Der Gekreuzigte wird nur darum angebetet, weil Gott in ihm ist. Diese Anbetung wird ohne weiteres zur Anbetung Gottes."55 Juncker betonte zunächst, Jesus habe die Anbetung seiner Person nicht gefordert. Allerdings gelte genauso, daß er „sie 48

Diese stammen aus der Feder des Neutestamentiers Eberhard Vischer (Jesus und Paulus; ders., Paulus). 49 Vgl. dazu aus dem Forschungsüberblick bei Gebauer, Gebet, 11-23. 50 Lücke, invocatione, 6f; dargestellt bei Gebauer, Gebet, 10. 51 Seeberg, Anbetung, 1; Hinweis bei Gebauer, Gebet, 240 (Fußnote 49). 52 Zahn, Anbetung, 35. Ausgehend von der paulinischen Bezeugung einer Anrufung Christi in l.Kor. 1,2 und Rom. 10,12 betont Zahn, daß gerade die zuletzt genannte Stelle deutlich die Einheit von Judenchristen und Heidenchristen betone: „Es ist hier (unter den Bekennern Christi) kein Unterschied zwischen Jude und Grieche" (ebd., 13). Was für Paulus 27 Jahre nach dem Tode Jesu feststeht, gilt in gleicher Weise für die ersten Gemeinden Palästinas. Pointiert kann es deshalb heißen (ebd., 34f): „Unsere geschichtliche Betrachtung hat es mit der ersten Generation zu tun, vor allem mit der jüdischen Christenheit Palästinas und ihren Häuptern, mit einem Jakobus, dem Bruder des Herrn, einem Petrus, einem Johannes. (...) Es könnte auch nicht an deutlichen Spuren eines Gegensatzes in der Würdigung der Person Jesu innerhalb des Neuen Testaments fehlen, wenn in bezug hierauf eine in Gegensätzen sich fortbewegende Entwicklung stattgefunden hätte." Zahn verweist ferner auf 2.Kor. 11,4; Phil. 1,15-18 und Kol. 4,11, wo betont wird, der Apostel predige keinen anderen Jesus als die judenchristlichen Lehrer (vgl. ebd., 35). 53 54 55

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Vgl. ebd., 42; 35f. Vgl. Lütgert, Anbetung, 51-57. Ebd., 65 (zitiert auch bei Gebauer, Gebet, 240 (Fußnote 49)).

durch seine gesamte Wirksamkeit, zu der natürlich auch seine Reden, zumal sein Selbstzeugnis gehören, in seinem Jüngerkreise in 's Leben gerufen und zwar was für uns in diesem Zusammenhange die Hauptsache ist - offenbar wissentlich ins Leben gerufen" habe.56 Eine andere Meinung vertraten die Arbeiten von Paul Christ, Paul Chapuis und Eduard Freiherr von der Goltz. Christ verneinte die Tatsache eines Gebetes zu Christus in der Urgemeinde, da sich eine solche Anbetung erst für das zweite Jahrhundert nachweisen ließe.57 Auch Chapuis lehnte nicht nur eine Verursachung der Anbetung Christi im Selbstzeugnis Jesu, sondern auch ein Gebet zu Christus bei Paulus ab. Dieser habe Jesus nicht als Gott, sondern als Geschöpf betrachtet, welches nicht angebetet, wohl aber im Sinne eines Bekenntnisses angerufen werden konnte.58 Erst die spätere Entwicklung fordere die Gottheit und damit auch die Anbetung Christi. Von der Goltz schließlich fand bei Paulus keine direkte Anbetung Christi, obwohl dieser nicht eine Subordination Christi gelehrt habe.59 An dieser Diskussionslage wird deutlich, daß die Frage nach der Entstehung der Anbetung Christi nicht von der nach seiner Gottheit gelöst werden konnte. Dabei ging es nicht nur um die historische Frage, ob bereits die Urgemeinde die Gottheit Christi bekannt habe. Im Räume stand ebenso die dogmatische Frage, ob Christus wirklich Sohn Gottes war und deshalb die Anbetung seiner Person bei den Jüngern selbst bewirken konnte. Ein Theologe, der die Gottheit Christi nicht ausschloß, konnte die Anbetung Christi erklären aus dem Selbstzeugnis, dem Wirken und der Auferstehung Jesu. Ferner konnte auf die Wirkung des Geistes Gottes, der zur Erkenntnis Christi fuhrt, verwiesen werden.60 Die Christologie war dann Ergebnis einer Entwicklung im Sinne einer rechtmäßigen Entfaltung dessen, was mit der Person des Gottessohnes tatsächlich gegeben war.61 Die Entwicklung hin zu den christologischen Definitionen wurde als ein der Sache angemessener Weg zur Beschreibung des Seins Christi gedeutet.62 56

Juncker, Gebet, 32 (Hervorhebung im Original); vgl. auch ders., Jesu Stellung, 23. Vgl. Christ, Lehre, 28, 39; dieser Hinweis bei Gebauer, Gebet, 238 (Fußnote 32). 58 Chapuis, Anbetung, 47f, 55. 59 Vgl. von der Goltz, Gebet, 97-100, dieser Hinweis bei Gebauer, Gebet, 18f. Vgl. ebd., 2 4 l f (Fußnote 58): „Goltz beschreitet hier einen Mittelweg in der Diskussion um die Anbetung Christi. Während sie von einer Seite aufgrund der Subordination abgelehnt (Chapuis, Christ) und von anderer Seite von der Gottheit Christi her befürwortet wird (Seeberg, Zahn, Lütgert (...)), läßt Goltz Paulus die Subordination auflieben (...) und trotzdem keine eigentliche Anbetung Christi vollziehen." 60 Dazu konnte auf l.Kor. 12,3 und auf l.Joh. 4,2f verwiesen werden. 61 Vgl. dazu Verheule, Bousset, 165: „Für die orthodoxe Forschung war der Christusglaube mit Jesu Verkündigung und Auferstehung von selbst gegeben." Verheule verweist auf Feine, für den „die Entstehung des Christusglaubens nichts Rätselhaftes, schwer Erklärbares" ist, „sondern die naturgemäße Entwicklung, welche nach der Vollendung Jesu eintreten mußte" (Feine, Theologie, 179, zitiert bei Verheule, Bousset, 165f). Ferner nennt er die Auffassung Seebergs, der vom „Evangelium quadraginta dierum" spricht: Jesus habe zwischen Auferstehung und Himmelfahrt seinen Jüngern „die triadische Formel, die Überzeugung von 57

217

Wenn andererseits der Theologe davon ausging, daß der Anbetung Christi nicht die reale Gottheit Christi und deren geistgewirkte Erkenntnis zugrunde lag, mußte er das Entstehen des Christuskultes als eine immanente Entwicklung des Gemeindebewußtseins deutlich machen. Die Rede von der Gottheit Jesu stellte sich dann lediglich als Endgestalt einer theologischen Reflexionsbewegung dar, bei der es sich nur um Bewußtseinsinhalte handelte, denen ein Sein nicht entsprach. Die Entwicklung der Christologie wurde hier verstanden als theologische FeA/entwicklung, das christologische Dogma wurde zum Ballast, der nur durch Rückgang auf das Evangelium Jesu als solcher entlarvt und überwunden werden konnte.63 Für die religionsgeschichtliche Schule kommt nur die zweite Möglichkeit in Betracht. Die sich entwickelnde Christologie wird als Theologenkonstrukt verworfen, während das Selbstbewußtsein Jesu als Basis der christlichen Religion gesichert wird: Das „Selbstzeugnis Jesu" „zwingt uns" dazu, nicht mehr von der Gottheit Christi zu reden. „Unser Glaube hängt nicht an der Überzeugung von der übermenschlichen andersartigen Wesenheit des Erlösergottes, sondern an dem irdischen Personenleben unseres Herrn".64 Die wichtigsten Thesen hinsichtlich dieser Entwicklung seien kurz skizziert:65 Heitmüller stellt in seinen Ausführungen „(z)um Problem Paulus und Jesus" fur die Entstehung der christlichen Theologie eine „Entwicklungsreihe" vor, welche „lautet: Jesus-Urgemeinde-hellenistisches Christentum-Paulus".66 Zunächst steht das Messiasbewußtsein Jesu selbst zur Diskussion. Wrede hatte schon 1901 mit seinem genauso berühmten wie bekämpften Werk über „(d)as Messiasgeheimnis Christi Gottheit, d(en) Gedanke(n) der Weltmission, das Bekenntnis zum Namen Christi, die Taufe auf Christus resp. auf die Trias" anvertraut: „Nicht alttestamentliche und nicht jüdische Ideen sind das, es sind vielmehr Gedanken und Anregungen, die von Christus ausgingen" (Seeberg, Dogmengeschichte, 62f, zitiert bei Verheule, Bousset, 166). 62 Vgl. z.B. Althaus zum Unterschied zwischen Jesu Selbstbewußtsein und der Christologie und unter Verweis auf Kählers Unterscheidung zwischen historischem Jesus und biblischem Christus: „Nicht was Jesus in seinen Erdentagen von sich gesagt hat, ist das Entscheidende. Kann er nicht größer gewesen sein als sein Selbstbewußtsein?" (Althaus, Unser Herr Jesus, 442; vgl. dazu auch Verheule, Bousset, 178f). - Für eine heutige Position hinsichtlich der Geschichte des Dogmas vgl. ferner die Ersetzung des Konzeptes „Entwicklungsgeschichte" durch den Nachweis einer „Entscheidungsgeschichte" bei Beyschlag (Grundriß, Bd. 11,1, 2; vgl. Bd. I, 4). 63 Besonders eindrücklich zeigt diese Option die oben zitierte Studie von Chapuis. Die Theologie des Athanasius wird als doketisch zurückgewiesen (Chapuis, Anbetung, 70), fur Chapuis selbst bleibt das Bekenntnis (ebd., 79): „Christus non adorandus, Christus sequendus - es giebt kein schöneres Ave als dieses." 64 Bousset, Wesen, 21 lf. 65 Für die Darstellung der Thesen innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule vgl. auch Regner, Paulus und Jesus, 147-188; für die Behandlung des Problems vor und außerhalb der Schule vgl. ebd., 133-147. 66 Heitmüller, Problem, 330. Mit diesem Aufsatz und seiner Trennung von Urgemeinde und hellenistischem Christentum ist „für die Behandlung des vorpaulinischen Christentums eine neue Phase erreicht" (Sinn, Christologie, 59).

218

in den Evangelien" die These aufgestellt, die bei Markus berichtete „Selbstverhüllung des Messias" 67 wie auch die Leidensankündigungen seien nicht historischer Bericht, sondern Ausdruck einer Gemeindeanschauung. Die Gemeinde, die Jesus bereits als Messias verehrt, läßt ihn in der evangelischen Geschichte das Verbot der Messiasverkündigung aussprechen, um so die Diskrepanz zwischen Selbstbewußtsein Jesu und Gemeindeglauben zu verwischen. Diese Deutung ist allerdings in der religionsgeschichtlichen Schule selbst umstritten. Bousset lehnt sie zunächst ab und behauptet das Messiasbewußtsein Jesu, nähert sich aber später in dieser Frage der Position Wredes an.68 Besonders wichtig flir die Frage nach dem Christuskult wird das Verhältnis der nächsten Glieder dieser Entwicklung, Urgemeinde und hellenistisches Christentum. Heitmüller und vor allem Bousset sehen einen tiefen Einschnitt in der Entwicklung des christlichen Gottesdienstes zu dem Zeitpunkt, als der christliche Glaube hellenistisch geprägtes Gebiet erreicht und heidenchristliche Gemeinden gegründet werden. 69 Erst auf hellenistischem Gebiet sei der eigentliche Christuskult entstanden. Die palästinensische Urgemeide hingegen habe zwar in Jesus den Messias und dann auch den „Menschensohn" gesehen, anstelle einer kultischen Verehrung dieses Herrn aber noch die eschatologische Hoffnung auf die in Kürze bevorstehende Wiederkunft des Messias gehegt. Erst in der hellenistischen Gemeinde komme es dann auch zu dem Bekenntnis zum „Kyrios Christos", der ehemals erwartete Menschensohn werde nun der gegenwärtige, im Kultus zu verehrende Herr.70 Das Paulusbild schließlich war bereits durch Wredes Paulusbuch 1904 als das eines zweiten Religionsstifters neben Jesus gezeichnet worden. 71 Die Frage nach der Entstehung der paulinischen Christologie wurde in der religionsgeschichtlichen Schule mit der Übertragung bereits vorliegender Anschauungen auf die Gestalt Jesu erklärt. Mythische Vorstellungen von einem „himmlischen Christus" sind „auf Jesum übertragen worden", weil all dies „schon vor ihm Christo gehörte; und das ist, so behaupten wir, das Geheimnis der neutestamentlichen Christologie überhaupt." 72 Nach der „Entdeckung" des hellenistischen Christentums gilt

67

Wrede, Messiasgeheimnis, 22. Vgl. dazu den Überblick bei Verheule, Bousset, 171-182. 69 Vgl. Heitmüller, Problem; ders., Jesus und Paulus; Bousset, Kyrios Christos, 75-104; ders., Jesus der Herr. 70 Auf das Konto der hellenistischen Umwelt gehen dann auch der „Sakramentsglaube", die „Christusmystik" sowie „Enthusiasmus" und „Pneumatologie", vgl. Heitmüller, Problem, 336. Auch das Problem der Geistwirkungen, das oben behandelt wurde, ist also für Heitmüller ein Phänomen der hellenistischen Gemeinde. 71 Vgl. Wrede, Paulus, 104. 72 Gunkel, Verständnis, 93. Gunkel verweist auf Wernle, Anfänge, S.329: „was Paulus von Jesus aussagte, das war im Grund ein Mythus, ein Drama, zu dem Jesus den Namen hergab". - Ganz ähnliche Aussagen auch bei Weiß, Christologie. Vgl. zu Weiß ferner die weiteren Belege bei Sinn, Christologie, 49, Fußnote 105. - Ähnlich auch Bousset, Der erste Brief an die Korinther, 112f; zu Boussets Ausformung dieser These vgl. Sinn, a.a.O., 48. 68

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Paulus bei Heitmüller und Bousset als durch die heidenchristliche Gemeinde geprägt und deren Theologie fort- und umbildend. Für die Frage nach der Entstehung des Christuskultes wird also in dieser Reihe besonders der Übergang von der palästinensischen zur hellenistischen Gemeinde diskutiert. Ist der Christuskult tatsächlich erst durch die Begegnung mit hellenistischer Religionswelt entstanden? Boussets Anliegen ist ein doppeltes: Zunächst sucht er zu beweisen, daß der Christuskult tatsächlich durch hellenistischen Einfluß entstanden ist. Ferner versucht er zu zeigen, daß theologische Aussagen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte in eben diesem Christuskult ihre Wurzeln haben. Beide Thesen zusammen lassen dann den Schluß zu, daß die aus dem Kultus erwachsenen theologischen Aussagen Folge einer Entwicklung sind, der Entwicklung des Christentums von seinen Ursprüngen bei Jesus und der Urgemeinde bis hin zur hellenistisch geprägten Gemeinde. Deutlich wird diese Herleitung des Christuskultes aus dem Hellenismus an der Darstellung des christlichen Gottesdienstes, die Bousset in seinem Artikel über das „Heidenchristentum" gegeben hat. Von Anfang an werden hier „zwei Elemente" des Gottesdienstes unterschieden, nämlich zunächst dessen „inniger Zusammenhang mit dem jüdischen synagogalen Gottesdienst", und dann dessen „enthusiastische(s) und (...) sakramentale(s) Element".73 Aus dem Zusammenhang mit der Synagoge lassen sich das „Fehlen des blutigen Opferkultus", die „Schriftverlesung" mit „Auslegung oder Predigt" sowie das „Gebet" ableiten.74 Nun wird hier von Bousset das Gebet zu Christus noch nicht genannt. Zu den überkommenen judenchristlichen Gebetsformen zählt generell die Praxis des öffentlichen und freien Gebetes während des Gottesdienstes, aber auch feste Formen wie das Vaterunser.75 Die Anbetung Christi gehört zur zweiten Gruppe der hellenistischen Elemente des Gottesdienstes und wird von Bousset unter der Kategorie der „Psalmen und Hymnen" erwähnt.76 Auch die „enthusiastischen Bestandteile", Zungenreden, Krankenheilungen, Exorzismen und Prophetie gehören hierher, ganz besonders aber die mit dem Namen Jesu verbundenen „sakramentalen Besonderheiten des christlichen Gottesdienstes", Taufe und Abendmahl.77 „(N)amentlich mit Taufe und Abendmahl rückt das Christentum in die Reihe der Mysterienreligionen der ausgehenden Antike ein."78 Gegen die Herleitung des Christuskultes aus hellenistischem Gedankengut richtet sich die heftige Kritik von Wernle und Althaus79, auf welche Bousset und 73

Bousset, Heidenchristentum, 1936, 1938. Ebd., 1936, 1938. 75 Ebd., 1938. 76 Ebd., 1939. 77 Ebd., 1939f. 78 Ebd., 1942. 79 Vgl. Althaus, Unser Herr Jesus; Wernle, Jesus und Paulus. - Auch Johannes Weiß hatte unter Verweis auf die Maranatha-Formel die Kyrios-Verehrung bereits in der palästinensischen Urgemeinde lokalisiert und stand also hier gegen die Thesen Boussets und Heitmüllers (Weiß, Christus, 24f; erwähnt bei Bousset, Kyrios Christos, 90). 74

220

Heitmüller wiederum Antwort geben. 80 Dabei geht es Wernle und Althaus nicht etwa darum, die Existenz und Bedeutung der hellenistischen Gemeinden zu bestreiten. Diese haben fur die paulinische Theologie durchaus ihre Bedeutung und sind auf ihre spezielle Ausprägung hin zu untersuchen. 81 Strittig ist vielmehr gerade die Frage des Christuskultes. Der Angelpunkt der Auseinandersetzung ist der Versuch von Wernle und Althaus, die Verehrung Christi auch für die palästinensische Gemeinde zu erweisen. Dazu werden unter anderem die urchristliche Verwendung des 110. Psalmes und die Maranatha-Formel aus 1. Kor. 16,22 ins Feld geführt. Bousset kann jedoch mit einigem Erfolg diese Einwände entkräften. 82 Anders verhält es sich mit dem Einwand seiner Opponenten, die Anrufung Jesu lasse sich besonders hinsichtlich des Exorzismus in der palästinensischen Urgemeinde nachweisen. Althaus verweist auf die auch von Bousset als altes Gut bezeichneten Kp. 3 und 4 der Acta, w o sich „das δνομα Jesu sehr häufig (3,6.16; 4,10.12.17.30)" findet, und fragt, ob „man sich diesen Gebrauch des Namens Jesu anders denken" solle, „als daß Jesus selber angerufen wurde". 83 Ferner fuhrt er Mt. 7,22, Mk. 9,38, Lk. 9,49; 10,17 ins Feld, also Stellen, die vor allem die Austreibung der bösen Geister im Namen Jesu bezeugen. Damit fällt für Althaus „der Unterschied zwischen der palästinensischen Christologie und dem antiochenischen Christuskulte an dem entscheidenden Punkte dahin. (...) Wir haben den ,Christuskult' in annähernd demselben Sinne wie er sich später auf hellenistischem Boden findet." 84 N o c h deutlicher wendet Wernle diese B e l e g e gegen Boussets Konzept, wenn er auf dessen eigene Definition des

80

Bousset, Jesus der Herr; ferner die zweite Auflage von Kyrios Christos; Heitmüller, Jesus und Paulus. 81 Vgl. dazu zusammenfassend Meiser, Althaus, 41: „Die Distanz zwischen ihrer (= der palästinischen Urgemeinde, K.L.) und der hellenistischen Christologie liege in der Verschiedenheit der Ausformung des Glaubens an Jesus, nicht aber in der Frage nach dem Recht zu solchem Glauben überhaupt." 82 Zu Ps. 110 vgl.: Wernle, Jesus und Paulus, 19-22; vorsichtiger Althaus, Unser Herr Jesus, 534-537; Bousset, Jesus der Herr, 15-17; ders., Kyrios Christos, 78 (Fußnote 7). Zur Maranatha-Formel bzw. zu Althaus' Versuch, die Verehrung Jesu im Titel „Maran" zu finden, vgl.: Wernle, a.a.O., 20f; Althaus, a.a.O., 517-521; Bousset, Jesus der Herr, 17-23; ders., Kyrios Christos, 82-84; vgl. ferner Heitmüller, Jesus und Paulus, 176, ders., Maranatha, 136: „Auch für die Christuslehre der aramäischen Gemeinden ist er [= der MaranathaRuf, K.L.] lehrreich: danach haben diese Jesus als den ,Herrn' angerufen und eine göttliche Verehrung Jesu gekannt. Diesen Schluß wird man vorsichtigerweise allerdings nur für die Gemeinden von Antiochia und Damaskus ziehen." - Althaus hat sich von Bousset zwar nicht überzeugen lassen, konzediert aber, daß es sich bei Bousset „in d(er) Tat" um „wichtige Einwände" handle. (So in einer Randbemerkung in seinem Handexemplar von Boussets „Jesus der Herr" (Althaus, Handexemplar, 21). Die Buchstaben in Klammern sind Ergänzungen der Buchstaben, die durch Beschneiden des Exemplars verloren gegangen sind. - Zu diesem Exemplar des Erlanger neutestamentlichen Seminars wie auch zu den exegetischen Argumenten im Detail vgl. die Ausführungen und Zitate bei Meiser, Althaus, 41-50). 83 Althaus, Unser Herr Jesus, 528. 84 Ebd., 528f.

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Kultus hinweist: „Denn darum allein kann es sich nach den Ausführungen Boussets wie Heitmüllers handeln: wo der Name Jesu zitiert wird, da wird er herbeigerufen, wie man die Götter herbeiruft zum Gewinn ihrer Kraft. In der Sprache Heitmüllers und Boussets ist das Kuli und nichts anderes."85 Beide nennen schließlich auch noch die Taufe auf den Namen Jesu, deren Ursprung erst im hellenistischen Milieu zu suchen ihnen sehr waghalsig erscheint.86 Bousset wie auch Heitmüller versuchen, in ihren Repliken diesen Argumenten entgegenzukommen. Heitmüller weist auf „auf eine der wichtigsten Differenzen meiner Anschauung von der meines Freundes Bousset" hin.87 Der Abstand zwischen Paulus und der Urgemeinde dürfe nicht so groß gezeichnet werden, wie Bousset dies tue. Die Sakramente, bei deren Spendung der Name Jesu die entscheidende Rolle spielt, sind für Heitmüller wohl doch schon in der Urgemeinde zu lokalisieren.88 Er will sie aber nicht als Argument für eine kultische Verehrung Jesu in Palästina gelten lassen. Seine eigenen Ausführungen über Taufe und Abendmahl im Urchristentum „beweisen doch nur, daß die ältesten christlichen Kreise eine Art Vergegenwärtigung Jesu des Messias kannten und erlebten: also Ansätze, die sich unter günstigen Umständen zu einem Kult entwickeln konnten, aber nicht Kult. Vom Kult darf doch wohl erst gesprochen werden, wo man zu Jesus beten kann."89 Heitmüller ist daran gelegen, zwischen Keim und Pflanze zu unterscheiden: Der Kyriostitel ist das hellenistische „Gewand für etwas, das keimhaft schon in der Urgemeinde vorhanden oder angebahnt war: nur würde die Urgemeinde von sich aus nicht zu diesem Gewände gegriffen haben."90 Die Unterscheidung zwischen sakramentaler Vergegenwärtigung und Anbetung sowie die Entscheidung, diese als Kultus, jene aber nur als Keim desselben anzusehen, gibt Heitmüller die Möglichkeit, den sakramentalen Gebrauch des Jesusnamens in der palästinensischen Gemeinde nicht unter der Kategorie des Kultus einzuordnen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch bei Bousset machen. Dieser bestätigt die Bedeutung des Namens Jesu bei Exorzismen in der palästinensischen Urgemeinde,91 versucht allerdings ebenfalls, diesen Gebrauch lediglich als Vorstufe für einen Kultus zu beschreiben: „Mir liegt es fern, mich gegen die Beobachtung gleitender Übergänge auf diesem Gebiet zu wehren; im Gegenteil, sie machen mir diese Entwicklung verständlicher. Aber ich bleibe bei der Behauptung, daß hier doch eine ungeheuer wichtige und folgenschwere Entwick85

Wernle, Jesus und Paulus, 25, Hervorhebungen im Original. Althaus, Unser Herr Jesus, 529; Wernle, Jesus und Paulus, 25f, unter Berufung auf Heitmüllers Respektierung der Taufe als urgemeindliches Phänomen. 87 Heitmüller, Jesus und Paulus, 175. 88 Vgl. ebd., 176f, im Blick auf sein Buch „Taufe und Abendmahl im Urchristentum". 89 Heitmüller, Jesus und Paulus, 176f, Hervorhebung im Original. 90 Ebd., 177. 91 Die Sakramente können laut Bousset in der bei Paulus begegnenden Form nicht in Palästina praktiziert worden sein, vgl. ders., Jesus der Herr, 25f, ferner ders., Kyrios Christos, 91. 86

222

lung stattgefunden hat, von der sich in der palästinensischen Gemeinde eben nur die ersten Ansätze zeigen."92 Wie wird diese erneute Beteuerung erhärtet? Bousset verweist auf die Bedeutung von Engelnamen im Henochbuch und bei den Essenern, wie auch auf den Namen, den der Menschensohn im Henochbuch erhält. Die Nennung des Namens Jesu lasse sich also „im Rahmen jüdischer transzendenter Messianologie und Angelologie begreifen". Diese Verwendung aber „bedeutet doch nicht eigentlich Kultus".93 Vor allem aber fuhrt er gegen einen in Palästina als gegenwärtigen Herrn verehrten Christus die eschatologische Grundstimmung des synoptischen Quellenmaterials ins Feld, mit der die kultische Verehrung des Erwarteten nicht vereinbar sei.94 In einem eigens eingefugten Abschnitt der 2. Auflage von „Kyrios Christos" gesteht Bousset im Blick auf den Exorzismus in der palästinensischen Gemeinde sogar eine „gewisse Gegenwart seines [= Jesu; K.L.] δνομα und eine gewisse kultische Beziehung" zu.95 Auch hier handelt es sich aber nur um „gewisse Ansätze" zu der „Entwicklung", welche in der hellenistischen Gemeinde stattgefunden hat.96 In der Darstellung der heidenchristlichen Gemeinde selbst wird dann aber dasselbe Phänomen des Exorzismus ohne Bedenken als Kultus qualifiziert: „Bei all diesen Vorgängen, dem Wunder und den Dämonenaustreibungen in Jesu Namen, haben wir es wieder in erster Linie mit dem christlichen Kult und der Ausgestaltung des Gottesdienstes zu tun. (...) In der Gemeinschaft vollziehen die Christen die stärksten Wunder im Namen und in der Kraft des Herrn Jesu. Und diese Wunder charakterisieren wiederum den Gottesdienst der ersten Christen."97 Dieser Befund zeigt das Bemühen Boussets, den Christuskult nach Möglichkeit als späte Entwicklungsstufe zu charakterisieren, selbst wenn das exegetische Material in eine andere Richtung weisen könnte. Auf diese Intention deutet auch der Schluß seiner Entgegnung auf Wernle hin. Die „eigentliche Hauptsache", an der ihm „viel liegt", ist die Aussage, daß es sich bei der postulierten Entwicklung „tatsächlich um gleitende Übergänge" handelt, um „das allmähliche Einströmen eines neuen Elementes, um eine Entwicklung, die in keinem einzelnen Punkt greiflar wird und doch schließlich zu einer μετάβασις εις αλλο 92

Bousset, Jesus der Herr, 24f, Hervorhebung im Original. Ebd., 25. 94 Vgl. ebd., 25, 27f. 95 Bousset, Kyrios Christos, 91. 96 Ebd., 90. - Den Exorzismus im Namen Jesu hatte Bousset in der ersten Auflage von Kyrios Christos lediglich als kultisches Geschehen der heidenchristlichen Urgemeinde beschrieben (Kyrios Christos, 1. Auflage, 104f). Wohl aufgrund der Kritik Wernles fugte er in der zweiten Auflage den zitierten Abschnitt ein (Kyrios Christos, 2. Auflage, 90f). Er ist deutlich von dem Anliegen geprägt, Taufe und Abendmahl als Gemeinschaft mit dem Kyrios für die Zeit der Urgemeinde auszuschließen. Die Gegenwart des Namens Jesu bei der Dämonenaustreibung wird zwar zögernd zugegeben, aber doch deutlich relativiert, um sie von dem hellenistischen Christentum abzusetzen. 93

97

Bousset, Kyrios Christos, 88.

223

γένος f ü h r t e Daß für diesen qualitativen Sprung die entscheidenden Belege gerade fehlen, scheint auch Bousset zu spüren. Im Blick auf die zwischen Juden und Christen vorhandenen Streitigkeiten um die Gottheit Christi, wie sie im Johannesevangelium zu finden seien, stellt er fest, daß hier „das Ungeheuere der Entwicklung mit Händen zu greifen" sei. Dann folgt die Äußerung: „(U)nd wenn sonst innerhalb des Christentums selbst die äußern Zeugnisse für diese fehlen, so mag man das für merkwürdig und rätselhaft halten. Daran aber, daß sie tatsächlich stattgefunden, kann kein Zweifel sein."99 Der große qualitative Unterschied zwischen der palästinensischen Ausgangssituation und der hellenistischen Weiterentwicklung kann letztlich nur beteuert werden. So schreibt auch Althaus in einer Randbemerkung zum einschlägigen Kapitel in „Jesus der Herr": „M.E. hat B. das Große, Neue, das inhaltlich aufgetreten sein soll, (n)icht aufgewiesen ",0° Es läßt sich angesichts dieses Befundes wahrscheinlich machen, daß die Charakterisierung des Christuskultes als sekundäre (weil von fremden Einflüssen erst ins Leben gerufene) Entwicklungsstufe durch den Exegeten leitende dogmatische Prämissen bedingt ist. Die Beobachtung, daß eine Entwicklung zum Kyrioskult in den exegetischen Befünd erst eingezeichnet wird, läßt vermuten, daß das Verständnis der Anbetung Christi als Endprodukt einer Entwicklung des Gemeindebewußtseins bereits Pate gestanden hat. Durch dieses Verständnis

98

Bousset, Jesus der Herr, 88 (Hervorhebung: K.L.). Ebd., 91. 100 Althaus, Handexemplar, S.30, Hervorhebung im Original (Buchstabe in Klammern ist Ergänzung). - Daß das Konzept der Entwicklung seine eigenen Gesetze entfaltet, läßt sich auch an der weiteren Darstellung Boussets deutlich machen. Nicht nur der Kultus selbst, sondern auch die auf ihn gründende Theologie entwickelt sich geschichtlich. Der Entwicklungsgedanke verlangt, daß Paulus noch nicht direkt von der Gottheit Christi redet, sondern erst auf dem Wege zu dieser Prädikation sich befindet. Zu der dieser These widersprechenden Formulierung des Paulus in Rom. 9,5 kann Bousset dann nur bemerken, es „sollte allgemein zugestanden werden", „daß Paulus eine Doxologie auf Christus als den b ών επί πάντων βεός nicht zuzutrauen sei" (Bousset, Kyrios Christos, 154). Auch Weiß kann diese Lobpreisung, „die man nur auf Christus beziehen kann", lediglich durch eine „Textverderbnis" erklären. Denn daß „der Text ihm hier ein Prädikat gibt, das ihn vollkommen an Gottes Stelle treten läßt - ohne Andeutung einer Unterordnung - , das ist nicht denkbar" (Weiß, Christologie, 1718). - Auch sehr frühe außerbiblische Zeugnisse gedanklicher Erfassung der Gottheit Christi, wie sie in den Fragmenten des Kleinasiaten Melito (gestorben gegen Ende des zweiten Jahrhunderts) vorliegen, können bei Bousset noch keine reflektierte Theologie sein. Sie gehören vielmehr zu der „heißen Atmosphäre eines enthusiastischen, im gemeinsamen Gottesdienst, in Hymnus und Lied sich auslebenden Glaubens" (Bousset, Kyrios Christos, 254). Bousset fuhrt dem Leser vor, wie Melito in seinen Hymnen bereits von den beiden Naturen Christi redet, von der paradoxen Einheit Gottes mit dem Menschen in Christo. Bousset will „hinter dem allen keine Theologie witter(n)", sondern er sieht „mit Erstaunen, wie hier die von dem Kultus und der Liturgie her bestimmte, vor keinen Unmöglichkeiten zurückschreckende Denkweise naiver Gläubigkeit die Entwicklung von Jahrhunderten vorwegnimmt" (ebd., 154). 99

224

wurde es fur Bousset möglich, das Phänomen der Anbetung Christi zurückzufuhren auf immanente, das Gemeindebewußtsein bewegende Ursachen. Die innerhalb des Kausalnexus verbleibende Erklärung kommt der Ablehnung des Kultus als Heilsgeschehen entgegen. Im Schlußwort seiner Entgegnung auf Wernles Ausführungen deutet Bousset dies an. Er erinnert hier an die Frömmigkeit der Propheten, die sich bei Jesus wiederfinden lasse. Aus den Studien des ersten Teiles der vorliegenden Arbeit ist diese Linie schon bekannt.101 Sie wird einer negativ zu wertenden Entwicklungslinie entgegengehalten, die von einer kultischen Volksreligion zu den Pharisäern fuhrt. Bousset gibt nun in seiner Antwort an Wernle zu verstehen, daß für ihn auch gerade der Christuskult auf diese negative Seite gestellt werden muß: Zu zeigen ist nämlich, „wie innerhalb jener hellenistischen Formen, in Kyrioskult und Christusmystik, in Sakrament und halbgnostischem Supranaturalismus, sich die über die Antike siegende Religion durchsetzte, d.h. doch schließlich die klassische Religion des Alten Testaments, der Propheten und Psalmisten mit ihrem krönenden und befreienden Abschluß in Jesus von Nazareth." 102 Paulus steht zwar mit seinem Christuskult auf dem hellenistischen Boden. Aber überall dort, „wo er sich wieder deutlich von diesem abhebt", „reicht" er „Jesus die Hand". 103 Bousset gibt also in der Konsequenz dieser Gedanken Jesus und der palästinensischen Urgemeinde den Vorzug vor dem Christentum der hellenistischen Gemeinden und des Paulus. Bei Jesus, dem „Gipfelpunkt und d(er) klassische(n) Zusammenfassung alttestamentlicher Frömmigkeit der Propheten und Psalmisten" stehen wir „auf einem ganz anderen Boden". 104 Die Alternative zwischen sittlicher und kultischer Religion, bei der diese verworfen und jene gewählt wird, findet sich also unter der Form der Jesus-Paulus-Problematik überraschend deutlich wieder. Besonders eindrücklich ist dies auch in der wredeschen Paulusdarstellung zu beobachten. Durch Gegenüberstellung von Zitaten will Wrede den außerordentlichen Abstand zwischen Jesus und Paulus deutlich machen.105 Dieses Vorgehen führt ihn zu dem Ergebnis, daß bei Jesus „alles auf die Persönlichkeit des Einzelnen" ziele, indem gefordert wird, „daß der Mensch seine Seele ganz und ungeteilt Gott und seinem Willen hingebe". Paulus dagegen betont „eine geschichtlich-übergeschichtliche Gottestat oder ein Gefüge von Gottestaten, die der ganzen Menschheit ein fertiges Heil mitteilen". „Rein menschlich-sittliche Maßstäbe zur Beurteilung der Frömmigkeit, wie sie Jesus handhabt, kann es deshalb für Paulus gar nicht geben."106 Paulus hat in der Geschichte des Christentums „den stärkeren - nicht den besseren - Einfluß geübt". Aufgrund dieser Wertung kann

101 102 103 104 105 106

S.o., ι, B3. Bousset, Jesus der Herr, 93f. Ebd., 94. Ebd., 94f. Wrede, Paulus, 93. Ebd., 93-95.

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die klare Alternative „Jesus oder Paulus" fur Wrede allein zugunsten Jesu ausfallen: „Als Ganzer gehört Paulus durchaus der kirchlichen Orthodoxie". 107 Die Behauptung der μετάβασις εις ά λ λ ο γένος, die zwischen der palästinischen Urgemeinde und den hellenistischen Gemeinden stattgefunden habe, erlaubt es, neben dem Christentum als kultischer Erlösungsreligion eine ursprünglichere Form des christlichen Glaubens zu behaupten, in deren Frömmigkeit sich der Exeget selbst eher einstellen kann. D i e aus dogmatischen Gründen abgelehnte Christologie und Soteriologie wird zu einer späteren Form christlicher Gedanken, der eine ursprünglichere ethische Frömmigkeit Jesu und der Gemeinde in Palästina als Ideal entgegengestellt werden kann. 108 D i e These Boussets, der Kyrioskult sei erst auf hellenistischem Gebiet entstanden, ist allerdings nur eine Möglichkeit, um diesen Zusammenhang deutlich zu machen. Johannes Weiß beispielsweise kann zumindest die Verwendung des Kyriostitels schon auf dem B o d e n Palästinas lokalisieren, ohne daß er dadurch das Konzept der Christologie als Theologumenon aufgeben würde. 1 0 9 D i e aus

107

Ebd., 104-106. - Dieses Phänomen läßt sich nicht allein bei Bousset und Wrede beobachten. Bei Heinrich Weinel findet sich die Unterscheidung zwischen der „ästhetischen Erlösungsreligion" und der „sittlichen Religion". Die sittliche Religion kann sowohl bei Jesus als auch bei Paulus nachgewiesen werden. Bei diesem müssen dann allerdings „Sakramente und Gesetzesreligion" als Rückfall in eine überwundene Stufe der ästhetischen Religion'" gedeutet werden (so Sinn, Christologie, 46, unter Hinweis auf Weinel, Theologie, 323-337; vgl. den Überblick zu Weinel, ebd., 44-46). Interessant ist bei diesem Konzept die von Sinn richtig beschriebene Anbindung an Schleiermachers Unterscheidung zwischen „teleologischer" und ästhetischer" Frömmigkeit (vgl. Schleiermacher, Glaube, Bd.l, 61f): „Die Differenzierung impliziert bei Schleiermacher wie bei Weinel eine Option für die sittliche Religion und mithin ein theologisches Werturteil" (Sinn, a.a.O., 45). - Johannes Weiß kennt im Urchristentum den Typus der „Christus-Religion" sowie die „Religion der Nachfolge". „Weiß möchte zwar auch den ersten Typus geduldet wissen, macht aber keinen Hehl daraus, daß er sich ,mit der Mehrheit der neueren Theologen (...) zu der zweiten Anschauung bekenn(t)'" (Sinn, a.a.O., 50, unter Zitierung von Weiß, Paulus, 5). 108 Zu recht bemerkt Regner, Paulus und Jesus, 182, im Blick auf die Paulusdarstellung bei Wrede: „Wrede setzt das unbestrittene Recht einer gewissen liberalen Normaldogmatik voraus. Durch Paulus läßt sie sich jedenfalls nicht bestreiten; Sie setzt ihn ins Unrecht." Wrede glaube „offenbar, die christliche Modernität stehe im Einklang mit Jesus". - Interessant ist die Aufnahme der Scheidung zwischen palästinensischer und hellenistischer Gemeinde bei Bultmann, Ethische und mystische Religion. In starker Anlehnung an Bousset wird der Kyrioskult fur die palästinensische Gemeinde verneint (ebd., 33). Das „palästinensische Urchristentum" wird als „ethische Religion", das „hellenistische Christentum" dagegen als „mystisch-kultische Religion" beschrieben (ebd., 35f; im Original hervorgehoben). Neu bei Bultmann ist aber im folgenden die Betonung der Notwendigkeit eines Kultes für beide Typen. Außerdem kritisiert er die in der liberalen Theologie übliche „Verwechslung eines religiös gefärbten Moralismus mit ethischer Religion" (ebd., 44; im Original hervorgehoben). 109 Weiß, Christus, 24f; (erwähnt bei Bousset, Kyrios, 90). Vgl. dazu Verheule, Bousset, 198. Vgl. ferner Weiß, Christologie, 1716, mit der Berufung auf die Maranatha-Formel. Allerdings zeichnet sich die boussetsche Differenzierung auch in Weiß' Untersuchung des Urchristentums ab, vgl. dazu Sinn, Christologie, 49, mit Hinweis auf Weiß, Urchristentum, 119. - Zum Verständnis der Christologie als Vorgang einer auf den Menschen Jesus bezogene

226

obiger Analyse sich ergebende Folgerung, Bousset habe sich bei der Darstellung der Entstehung des Christuskultes v o n dogmatischen Vorentscheidungen leiten lassen, ist im Detail nicht auf andere Darstellungen innerhalb der religionsgeschichtlichen Schule übertragbar. Generell jedoch läßt sich sagen, daß die Anbetung Christi nicht auf seine Gottheit, sondern auf ungeklärte Vorgänge im Gemeindebewußtsein zurückgeführt wird. Aus dieser Anbetung entwickelt sich die Christologie als ein Theologumenon, dem eine Urform Jesuanischer Frömmigkeit" kontrapunktisch gegenübersteht. D i e historische Durchführung dieser These kann dann sehr unterschiedlich ausfallen. Immer aber wird der Exeget der religionsgeschichtlichen Schule eine immanente Entwicklung zeichnen, bei der v o n der ethischen Religion Jesu zu der bloßen Vorstellung einer kultischen Erlösung durch ein göttliches Wesen und zur kultischen Verehrung desselben fortgeschritten wird. 110

Prädikation vgl. nochmals Weiß, Christologie, 1739f: „Der Gesamteindruck war, daß das Urchristentum bereitliegende Formen und Begriffe benutzt hat, um den überwältigenden Eindruck der Person Jesu in gemeinverständlicher aber zugleich absoluter Weise zum Ausdruck zu bringen. Man suchte nach Prädikaten, welche aussagten, daß das Ideal und die höchsten religiösen Güter in ihm enthalten seien. Dem antiken Menschen bot sich hierfür immer wieder das Prädikat der Gottheit dar. In verschiedenen Formen hat man es auf Jesus übertragen." Vgl. ferner die weiteren Belege bei Sinn, Christologie, 49, Fußnote 105. - Sinn beschreibt die Position von Weiß als ein „Konzept, das am stärksten von allen bisher vorgelegten die historische Kontinuität zwischen Jesus und Paulus betont", oder als „das Konzept eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses" „von der Jüngerschaft zum Christuskult" (a.a.O., 65; 49). Anders als Bousset will er den Schnitt zwischen diesen beiden Polen nicht so scharf ziehen. Dennoch, darauf weist Sinn richtig hin, ist auch für ihn die Anbetung Christi der entscheidende Einschnitt: „Der Augenblick, wo der erste Christ sein Gebet zu dem erhöhten Christus emporgeschickt hat, ist die Geburtsstunde deijenigen Religion, die bis heute vielen Christen als das wahre und einzig berechtigte Christentum erscheint." (Weiß, Christus, 25; zitiert bei Sinn, a.a.O., 49, Fußnote 108). Vgl. auch die einleitenden Bemerkungen der Paulus-Studie: „Es kann doch nicht geleugnet werden, daß der Glaube des Paulus wenigstens in einem Punkte ein fundamental anderer ist, als die Religion Jesu: Für Paulus ist Jesus selbst Gegenstand nicht nur des Glaubens, sondern religiöser Verehrung (...). Ich sehe hier einen Sprung, den keine theologische Kunst heilen kann" (Weiß, Paulus und Jesus, 3; zitiert bei Sinn, a.a.O., 65). 110 Nur angemerkt sei an dieser Stelle, daß Boussets Thesen zur Entstehung der Christologie die exegetische Wissenschaft bis in die Gegenwart beschäftigen. Auf die Weiterführung seiner Gedanken bei Bultmann, Conzelmann und Kümmel hat Verheule (Bousset, 231-233) hingewiesen. Vgl. auch besonders Bultmanns Geleitwort zur 5. Auflage von Boussets „Kyrios Christos" (Bultmann, Geleitwort). - Carsten Colpe unternimmt eine historische Destruktion des postulierten „gnostischen Erlösermythus" (Colpe, Die religionsgeschichtliche Schule). Martin Hengel zeigt in ausführlichen Quellenstudien, daß der Titel „Sohn Gottes" nicht hellenistische Neubildung ist, sondern auf jüdischen Sprachgebrauch zurückgeht (Hengel, Sohn Gottes). In weiter ausholenden Studien stellt er die Unterscheidung von palästinensischem und hellenistischem Christentum überhaupt in Frage (ders., Judentum und Hellenismus; ders., Hellenization). Maßvolle Kritik am zuletzt genannten Werk übt Nikolaus Walter (Walter, Hengel). Hurtado, New Testament Christology, reflektiert kritisch Boussets Aussagen zum palästinischen und hellenistischen Christentum wie zum Gebrauch des Kyrios-Titels.

227

Diese Zeichnung einer geschichtlichen Bewußtseinsentwicklung entspricht nun auch ganz dem Konzept der christlichen Glaubenslehre, wie es von Troeltsch vorgestellt wurde.111 Diese Christologie kann nur in einem Vorspann „historisch-religiöser" Sätze ihren Platz bekommen, bevor die Glaubenslehre ihr eigentliches Prinzip, die „gegenwarts-religiösen" Sätze als Entfaltung der Persönlichkeitsreligion vorträgt. Exegese und Dogmatik können also an ihrem wichtigsten Schnittpunkt, in der Frage der Christologie, Kohärenz für sich beanspruchen. 3.4.3

Historische Kritik als ontologische Entscheidung

Hinter der Ablehnung der Gottheit Christi steht die grundsätzliche Entscheidung für das geschlossene Weltbild der von Troeltsch beschriebenen historischen Kritik. Sie läßt sowohl die Inkarnation des Gottessohnes wie die Behauptung der persönlichen Gegenwart eines Auferstandenen nicht zu. Der Glaube an eine Person, die Gott und Mensch zugleich ist, wäre Glaube an einen Mythos, dessen Realisierung in Raum und Zeit als ein analogieloses Geschehen an den Gesetzen der historischen Geschichtsforschung scheitert. So glaubt Bousset, die Gottheit Christi aufgrund des Analogiekriteriums der historischen Forschung ablehnen zu müssen. Als methodische Vorgabe in der Untersuchung der evangelischen Geschichte gilt, bei Versagen historischer Erklärungen der Texte den Inhalt derselben den „Wucherungen der Legende" zuzuordnen.112 Zu diesem Gebiet muß dann auch die Zeichnung Jesu als eines „wunderbare(n) Gottessohn(es)" gerechnet werden.113 Auf diesen Zusammenhang zwischen historischer Kritik und Ablehnung der Gottheit Christi hat besonders Troeltsch hingewiesen. Seine Ausführungen über die „Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben" beginnt er mit einer deutlichen Bemerkung, die sich gegen das christologische Dogma wendet: Allein die Frage nach der Bedeutung historischer Elemente für den Glauben stellt „dem altkirchlichen Christentum des Dogmas vom Gottmenschen, der Kirchenund Sakramentsstiftung durch Christus und der Gott versöhnenden Erlösungswirkung seines Heilswerkes" einen „einfachen Totenschein(s)" aus.114 Diese Frage hat nämlich allein Sinn, wenn das Christentum nicht mehr verstanden wird als eine Reihe wunderbarer Heilsereignisse, als ein „von Christus, dem Gottmenschen, gestiftete(r) Wunderzusammenhang". Ein solcher Glaube ist ein „die Geschichte vergöttlichende(r)" Glaube. Der moderne Mensch aber sucht einen Glauben, der nicht notwendig „der Berufung auf eine geschichtliche Tatsache" bedarf: ein Christentum, welches „religiöse Idee" oder „religiöses Prinzip" ist.115 111

Vgl. oben, I, Β 7.3. Bousset, Jesus, 25. 113 Vgl. Bousset, Was wissen wir, 54f. 114 Troeltsch, Bedeutung, 5. 115 Ebd., 6-8. Vgl. auch 17f: Das zu behandelnde Problem ist „sinnlos für denjenigen, dem die Uebermenschlichkeit Christi feststeht und der nur die Aufgabe sieht, sie gegen die 112

228

Im folgenden zeichnet Troeltsch das Bild eines solchen Glaubens, dem Jesus nicht mehr übernatürlicher Gottmensch und Erlöser, sondern lediglich Kultmittelpunkt einer vom christlichen Prinzip erfüllten Gemeinde ist. Wäre in der historischen Person Jesu Gott selbst in einer übernatürlichen Weise zugegen, so würde damit ein einzelnes geschichtliches Ereignis zum Fundament des Glaubens. Die Relativierung alles Historischen durch die Kritik läßt eine solche Gründung auf einzelne Personen oder Ereignisse nicht mehr zu. Sie fordert vielmehr, das Wesentliche des christlichen Glaubens als Prinzip oder Idee zu beschreiben. Troeltsch hat diese Gedanken schon 1898 in einer Kontroverse mit Kaftan in aller Deutlichkeit ausgesprochen. 116 Er unterscheidet hier zwischen der Person Jesu und dem christlichen Prinzip und gibt zu verstehen, daß die „Bezeichnung des Christentums als Prinzip (...) die notwendige Folge der antisupranaturalistischen Auffassung von der Geschichte überhaupt und von der des Christentums insbesondere" ist. Dabei darf die Person Jesu eine besondere Bedeutung behalten. „Nur eines ist allerdings ausgeschlossen, die Anschauung des altkirchlichen Supranaturalismus, der (...) das Christentum in die absolut übernatürliche Offenbarungs- und Heilstat der menschgewordenen Gottheit selbst zusammenzieht (...). Eine solche Lehre von der Person, die in ihrer Personeinheit und ihrer persönlichen Tat die eigentliche und reine Gotteswirkung als die große einmalige Gottestat konzentriert, ist die notwendige Folge einer streng supranaturalistischen Geschichtsanschauung".' 17 Die altkirchliche Christologie ist - so Troeltsch - nur denkbar im Rahmen einer supranaturalistischen Weltanschauung. Zusammen mit dieser wird sie also in der Theologie der Moderne verworfen. So stellt Troeltsch schließlich in seinen Gedanken über die „Zukunftsmöglichkeiten des Christentums" fest, die historische Kritik habe das „kirchliche Glaubensbild, welches Evangelium und Christusdogma zeichnen", „vermenschlicht". Die „Zentralstellung und die Vergöttlichung Jesu" sind „unmöglich gemacht", und „auf einen vermenschlichten Jesus" lassen sich die „kirchlichen Christusprädikate" nicht mehr übertragen. 118 „Von einer kosmischen Stellung und Bedeutung Jesu, wie es der Sinn des kirchlichen Inkarnations- und Erlösungsdogmas ist, kann also nicht die Rede sein."119 Übrig bleibt für die Person Jesu wiederum vor allem ihre kultische Bedeutung: Sie ist das „Haupt der Ge-

von der Hoffart der Vernunft Geblendeten zu verteidigen". Es hat „Sinn nur für denjenigen, dem die evangelische Geschichte ein Gegenstand vorbehaltloser historischer Kritik und Untersuchung ist und dem zugleich das Christentum die Erlösung durch die immer neue persönliche Glaubenserkenntnis Gottes ist". 116 Vgl. Troeltsch, Geschichte und Metaphysik, 55ff. 117 Ebd., 64. 118 Troeltsch, Zukunftsmöglichkeiten, 846. 119 Ebd., 848.

229

meinde, (...) in dessen Vergegenwärtigung als der Offenbarung und des Symbols G o t t e s sich der eigentlich christliche Kultus vor allem vollzieht." 120 D i e Ablehnung der Gottheit Christi folgt also aus den Vorgaben der historischen Kritik. Wie nun im ersten Teil dieser Arbeit deutlich wurde, stellt diese Kritik an die Stelle einer auf Heilstatsachen beruhenden Erlösungsreligion die v o n der Historie unabhängige Persönlichkeitsreligion. A u c h diese wird nun ihrerseits zum Argument, mit Hilfe dessen die Gottheit Christi abgelehnt wird. Eine nach Sittlichkeit strebende Persönlichkeitsreligion wird mit Aufgabe des D o g m a s v o n der Erbsünde auch den Erlösungsgedanken modifizieren: Sie redet nicht mehr davon, daß der Erlöser „absolut anders sei als wir, er v o n oben, wir v o n unten". 121 Gerade deshalb wird auch die R e d e „von der ,Gottheit' Christi" verworfen und durch die Schilderung der Inhalte der Predigt Jesu ersetzt. 122 Für B o u s s e t wird die R e d e von Jesus als Sohn Gottes schließlich zum Symbol, das für den Kultus der jungen Christenheit unentbehrlich war. In der Gegenwart aber kann Jesus als bloße Darstellung der religiösen Wahrheiten der Vernunft verstanden werden. 1 2 3 3.4.4

Konsequenz:

A blehnung

des Gebetes

zu

Christus

Wird das Zeugnis von der Gottheit Christi lediglich als ein T h e o l o g u m e n o n verstanden, dann müßte dies die Ablehnung des Gebetes zu Christus zur F o l g e

120 EM., 851. Zur Christologie Troeltschs vgl. besonders: S. Coakley, Christologie; dies.,: Christ, hier vor allem das vierte Kapitel (103-135): „Troeltsch and the Cumulative Case' against Incarnational Christology". 121 Bousset, Wesen, 211. 122 Ebd. Vgl. dazu auch Troeltsch, Glaubenslehre, 22: Einfluß auf das Christentum der Neuzeit hat „die Wandlung in der Schätzung des Historischen, das nur als Bürgschaft, Anregung und Urbild, aber nicht als kosmischer erlösender Eingriff in Welt und Gott betrachtet werden kann, woraus die Auffassung der Erlösung als der Aneignung eines höheren geistigen Lebens folgt". 123 Vgl. Bousset, Heidenchristentum, 1953: Die „Hülle des Christusglaubens" war „für die junge Religion notwendig. Der Glaube an den Gott, der Mensch geworden (...) gab ihr von Anfang an allen Schwung und alle Gewalt. Der Kultus wäre ohne diesen Glauben arm und ohne Reiz geblieben, durch ihn erhielt er seine anschaulichen Symbole (...). Für eine reine monotheistische Persönlichkeitsreligion war die Zeit noch lange nicht reif." - Schon in einem Brief an Wernle hatte Bousset die Grundaussagen seines Artikels dargestellt und deutlich zwischen der vergänglichen Form des Kultus und seines ewigen Gehaltes geschieden: „Augenblicklich schreibe ich an einem Artikel über Heidenchristentum für das Lexikon. Die Entwicklung des Christuskultus und des Christusglaubens kommt dabei in den Mittelpunkt. (...) Das Christentum zunächst ein Kultverein der sich um den Gott-Heros Christus sammelt. Von hier aus ist Gottesdienst, Verfassung, Sakramentwesen zu erfassen. Dann gilt es das ewig Wertvolle, das sich in diesen vergänglichen Formen auswirkt, zu erfassen und darzustellen, geistiger monotheistischer Gottesglaube, das neue Leben nach seiner individualistischen und sozialen Seite, die Überweltlichkeit, die Hoffnung u.s.w." (Brief vom 6.6.1909, UB Göttingen (unveröffentlicht), S. 13f. - Vgl. ferner ders., Bedeutung, 17, zur Bedeutung Jesu als Symbol, welches die hinter diesem liegende Wahrheit illustriert.

230

haben. Diese Konsequenz ist in der religionsgeschichtlichen Schule gezogen worden.' 24 1895 äußert sich Johannes Weiß in seiner Abhandlung über die Nachfolge Christi zum Problem der Anbetung Christi. Zunächst stellt er die wichtige Frage nach der Liturgie des christlichen Gottesdienstes: „Ist es denn wirklich gar so schwer, in der Festversammlung der Gemeinde einzustimmen in das ,Lob sei Dir ο Christe' oder in das ,Christe erbarme Dich'?" Weiß will an diesen Gebetsrufen im Sinne von Möglichkeiten der Andacht festhalten. Dennoch fährt er fort: „Zu tief ist uns das Bild dessen ins Herz geschrieben, der sich selbst im Gebet vor seinem Vater gebeugt hat (...). Zu mächtig hat uns diese Vorstellung ergriffen, als daß wir uns den Erhöhten anders denken könnten, als an der Spitze der vollendeten Gläubigen vor Gottes Thron anbetend. Zu ihm zu beten widerstrebt uns, weil seine Gestalt uns zu deutlich auf den Vater hinweist, zu dem er uns eben fuhren will. Das erscheint uns als die eigentliche Probe unserer Jüngerschaft, daß wir diesem Winke folgen und mit ihm uns vor dem lebendigen Gott beugen." 125 Um Boussets Stellung zu dieser Frage ist in der „Christlichen Welt" gestritten worden. Dabei ging es gerade um den Zusammenhang zwischen Anbetung Christi im Gottesdienst und dem Glauben an seine Gottheit. Hermann Crome, Pastor in Celle, richtet 1905 an den Herausgeber der Christlichen Welt, Martin Rade, die dringende Frage, ob denn „eine Gemeinde, deren kirchliche Glieder noch zu Jesu beten, stillschweigend dulden müsse(n), daß ihre Gebete von ihrer Kanzel herab durch Schüler Weineis und Boussets als Götzendienst verurteilt" würden. 126 Denn die „radikal-modernen" Theologen „können ehrlicherweise nicht mehr zu Christo beten, ja sie müßten eigentlich die Anbetung Jesu genau so als Götzendienst verurteilen, wie Luther und die ganze evangelische Kirche die Anbetung der Heiligen verurteilt".127 Bousset verwahrt sich gegen diesen Vorwurf, allerdings lediglich deshalb, weil er „ein derartiges Aburteilen über die Frömmigkeit Anderer", eventuell „gar öffentlich von der Kanzel herab" weit von 124 Dabei geht es zunächst um die Frage, ob ein Kontakt mit Christus überhaupt möglich ist. Für Troeltsch ist deutlich, daß „ein wirklich persönlicher Verkehr" mit der Person Jesu ,ja gar nicht möglich ist" (Troeltsch, Bedeutung, 30). - Etwas platter äußert sich Arnold Meyer in dem religonsgeschichtlichen Volksbuch „Was uns Jesus heute ist" (S.28): „Aber sollen wir denn gar keinen Verkehr mit Jesus haben? Soll er für uns tot sein oder getrennt durch Schranken, die das Jenseits von dem Diesseits trennt? Ein Verkehr mit dem Jenseits bleibt immer phantastisch; gesund und echt ist für uns Menschen immer nur, solange wir auf Erden sind, ein Verkehr auf dieser Erde. (...) Wenn wir also mit Jesus verkehren wollen, so muß es ein Verkehr auf Erden sein, also mit dem, was er auf Erden zurückgelassen, mit dem, was er der Menschheit gegeben hat, mit dem, was er uns heute fortwirkend ist. Und wie verkehren wir mit ihm? Dadurch, daß wir die von ihm herstammende Liebes- und Glaubensfreudigkeit, die Zuversicht zu Gott, das Gefühl fur Menschenwürde und sittliche Reinheit (...) in uns aufnehmen und im Leben betätigen." 125 126 127

Weiß, Nachfolge, 157f. Crome, Gemeinsames, 244. Ebd., 246.

231

sich weist.128 In der Sache selbst aber räumt Bousset ein, Crome habe „aus meinen Schriften richtig herausgelesen (...), daß mir persönlich für mein Glaubens leben ein Gebet zu Jesus im strengen Sinn des Wortes - nicht etwa ein geistiges Reden mit Jesus - eine Unmöglichkeit sei".129

128 129

232

Bousset, Verwahrung, 291. Ebd., 290. Vgl. zu dieser Stelle auch Verheule, Bousset, 39.

4. Der Christuskult: Die Sakramente

4.1

Einleitung

Die christlichen Sakramente ziehen in ganz besonderer Weise das Interesse der religionsgeschichtlichen Schule auf sich. In seinem Forschungsbericht aus dem Jahre 1904 weist Bousset daraufhin, daß die Frage nach den Sakramenten das religionsgeschichtliche Forschungsgebiet par exellence ist.1 Dabei kann er sich bereits auf den Anstoß dieser Forschungen durch das „Haupt" der Schule, Albert Eichhorn, berufen. Dieser hatte sich 1898 in einem Vortrag der Abendmahlsproblematik gewidmet und damit ein Betätigungsfeld neutestamentlicher Exegese betreten, das inhaltlich der Suche nach dem Konkreten, nach den Lebensformen der Religion, nach dem Kultus entsprach. Auf diesen Inhalt hatte Eichhorn dann auch eine neue, von ihm als „religionsgeschichtliche" bezeichnete Fragestellung angewandt, welche nicht mehr historische Fakten hinter den Berichten zu suchen unternimmt, sondern den Text durch die Gemeindetheologie sowie durch religionsgeschichtliche Traditionsströme zu erklären versuchte. 2 Ferner kann Bousset an Gunkel erinnern, der 1903 in seiner programmatischen Schrift „Zum religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments" die Tauflehre des Paulus einer religionsgeschichtlichen Vergleichung unterzog. 3 Im selben Jahr erschienen auch die wegweisenden Arbeiten Heitmüllers zur neutestamentlichen Wendung „Im Namen Jesu" sowie zu „Taufe und Abendmahl bei Paulus". 4 Heitmüller gilt in der Folgezeit als Spezialist in den Fragen der Sakramente, ihm werden die großen Artikel zu den Sakramenten wie zum „Namenglauben" in der RGG anvertraut. 5 Auch ein religionsgeschichtliches Volksbuch zur Sakramentsfrage wird von Heitmüller verfaßt. 6 Neben diesen Spezialuntersuchen finden die Sakramente in Gesamtdarstellungen urchristlicher

1 Bousset, Religionsgeschichte, 315, erläutert, „dass wenn irgendwie so auf dem Gebiet des Sakraments und seiner Geschichte die Notwendigkeit und Fruchtbarkeit religionsgeschichtlicher Forschung deutlich werden kann. Das Sakrament und seine Geschichte ist rocher de bronce religionsgeschichtlicher Forschung." 2 Vgl. Eichhorn, Abendmahl, 7. 3 Vgl. Gunkel, Verständnis, 83-85. 4 Heitmüller, Im Namen Jesu; ders., Taufe und Abendmahl bei Paulus. Die zuletzt genannte Arbeit geht auf einen Vortrag vor dem Wissenschaftlichen Predigerverein in Hannover und Braunschweig zurück, vgl. ebd., 3. 5 Heitmüller, Abendmahl; ders., Namenglauben; ders., Taufe. - Die RGG-Artikel zu Taufe und Abendmahl sind teilweise wortgleich mit der Arbeit „Taufe und Abendmahl im Urchristentum". 6 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum.

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Theologie, in Kommentaren und auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen des christlichen Glaubens Erwähnung.7 Zunächst stellt sich für die Untersuchung die Frage, wie sich die Diskussion der theologischen Zeitgenossen hinsichtlich der Sakramente gestaltete. Hier liegen sowohl für das Abendmahl aus auch für die Taufe einschlägige Forschungsberichte der Zeit um 1900 vor. Zu fragen ist, wie die Exegeten den Wortlaut der einschlägigen Texte deuten: Gehen die neutestamentlichen Abendmahlstexte von einer symbolischen oder realen Gegenwart Christi aus? Sind Taufe und Abendmahl lediglich verdeutlichende Zeichen oder wirkkräftiges Heilshandeln? Hermann Schultz hatte 1886 eine zusammenfassende Darstellung der Untersuchungen zum Abendmahl aus dem 19. Jahrhundert gegeben.8 In den Neunziger-Jahren kam es zu einer neuen, intensiven Debatte über die Frage des Abendmahles, deren Ertrag in Berichten von Gräfe und Schaefer gesichert wurde.9 Die wichtigsten Beiträge dieser Auseinandersetzung wurden von Harnack, Zahn, Jülicher und Spitta geliefert.10 In diesen Untersuchungen ging es zu einem großen Teil um die historische Frage nach der Einsetzung des Herrenmahles durch Jesus sowie um die in einer Gemeindefeier zu verwendenden Elemente. Daneben spielte aber auch die Frage nach der ursprünglichen Bedeutung des Herrenmahles sowohl bei Jesus selbst als auch in der paulinischen Theologie eine Rolle. Für das Verständnis Jesu werden verschiedene Deutungen angegeben. Bei Spitta findet sich der Hinweis auf ein eschatologisches Endmahl, auf welches Jesus habe hindeuten wollen. Jülicher hält die Szene für ein bloßes Abschiedsmahl, bei dem Jesus auf seinen nahe bevorstehenden Tod hinweist und dadurch auch sein eigenes Herz erleichtert. Harnack, der die Diskussion auslöste, hält dafür, 7

Vgl. z.B. Bousset, Kyrios Christos, 107f; 127-129; Weiß, Urchristentum, 493-510; ders., Korintherbrief, 257f; 277-294; Bousset, Wesen, 189, 199; ders., Jesus, 49f. 8 Schultz, Lehre. - Hermann Schultz (1836-1903), 1861 Privatdozent in Göttingen, ab 1864 o. Professor in Basel, Straßburg, Heidelberg und Göttingen, die exegetische, systematische und praktische Theologie vertretend. Als Systematiker und Alttestamentler übte Schultz in Göttingen einen nicht geringen Einiluß auf die sich formierende religionsgeschichtliche Schule aus. Er war der Schwiegervater von William Wrede (vgl. dazu Lüdemann/Schröder, Religionsgeschichtliche Schule, 29). - In seinem Forschungsbericht unterscheidet Schultz zwischen einer Betrachtung des Herrenmahles als Wunder, als mystischen Vorgang sowie als rein geschichtliches Phänomen, wobei die wichtigsten Vertreter jeder Anschauung genannt werden. Schultz selbst fordert die geschichtliche Betrachtung, bei der „auf dem Wege eines geistig verständlichen Vorgangs eine Thatsache der Vergangenheit mit ihrer Bedeutung und Wirkung in unserem Innern lebendig wird" (ebd., 2f). 9 Gräfe, Forschungen; Schaefer, Herrenmahl. - Eduard Gräfe (1855-1922), 1884 Privatdozent fur Neues Testament in Berlin, ab 1886 Professor in Halle, Kiel und Bonn. Sein genannter Vortrag löste auf einem Bonner theologischen Ferienkurs heftige Erregung in kirchlichen Kreisen aus (vgl. Meyer, Ferienkurse, 858f). - Über Rudolf Schaefer, Licentiat der Theologie und Pfarrer in Cöslin (?), konnten keine weiteren Angaben gefunden werden. 10 Harnack, Brot und Wasser; Zahn, Brot und Wein; Jülicher, Geschichte; Spitta, Tradition. - Schaefer bespricht ferner noch folgende Werke, die in die Debatte eingreifen: Haupt, Form; Brandt, Geschichte; Gräfe, Forschungen; Schultzen, Abendmahl; Hoffmann, Abendmahlsgedanken. Weitere Literatur ist aufgelistet bei Schaefer, Herrenmahl, 13-15.

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daß Jesus die Nahrung überhaupt durch seine Handlung am letzten Abend heiligen wollte. Damit seien die Jünger aufgefordert, das natürliche Leben zu erhalten und Kraft für das geistige Leben zu sammeln.11 Niemals aber wird das τούτό εοτιν der Einsetzungsworte im Sinne einer wie auch immer näher zu verstehenden Realpräsenz ausgelegt, sondern als bildliche oder symbolische Redeweise gefaßt. 12 Für das paulinische Abendmahlsverständnis werden die Begriffe „Totenmahl" (Spitta) oder „Freudenmahl" (Jülicher) ins Spiel gebracht. Abgelehnt wird für paulinische Theologie ein reales Anwesen von Leib und Blut Christi in den Elementen. 13 Schaefer selbst möchte in seiner exegetischen Untersuchung, die sich seinem Forschungsbericht anschließt, zum lutherischen Verständnis des Abendmahles zurückfinden. Der Begriff der κοινωνία in l.Kor. 10,16 wird unter Zurückweisung der mystischen Deutung bei Pfleiderer wie der parabolischen Deutung Jülichers als eine reale Gemeinschaft mit (dem verklärten) Leib und Blut Christi gefaßt. 14 Doch auch gängige Kommentare der Zeit weisen in eine andere Richtung. Im meyerschen „Kritisch-exegetischen Kommentar" will Meyer zwar das εστίν aus l .Kor. 10,16 nicht als ein „significat" auffassen, da es sich um die „Copula des Seins" handelt. 15 Dann aber unterscheidet Meyer zwischen einer „irgendwie reellein), wohl gar materielle(n)" und einer „innerliche(n), im Glaubensbewusstsein vor sich gehende(n) Verbindung des Essenden und Trinkenden mit dem Leibe und Blute Christi im Abendmahl".16 Für Meyer ist aufgrund der Einsetzungsworte in l.Kor. ll,24f nur diese Deutung auf ein innerliches Geschehen möglich. Denn sonst müßte schon bei der Einsetzung des Abendmahles durch Jesus an die reale Austeilung seines Leibes gedacht werden. Die Rede von einem „Ineinander des Leibes Christi und des Brodes" wird zurückgewiesen zugunsten einer Anschauung, die Essen und Trinken als „Medium der tief innerlichen wirklichen und lebendigen κοινωνία" begreift. 17 Das έστιν aus Kp. 11,24 ist also „als die Copula des symbolischen Seins zu fassen geboten" 18 .

11 Vgl. die Darstellungen bei Schaefer, Herrenmahl, 5, 17, 20f, 41—43. - Zahn geht auf die Intention Jesu nicht ein. 12 Am weistesten geht noch Hoflfmann, der Brot und Wein als „Repräsentanten" der Lebenskraft Jesu auffaßt, sodaß durch deren Genuß die Kraft der Persönlichkeit Jesu aufgenommen wird, vgl. dazu Schaefer, Herrenmahl, 37f. 13 Vgl. die Zusammenfassung ebd., 43f. M Vgl. ebd., 342-348. Schaefer setzt sich hier mit der Exegese des Erlangers von Hofmann auseinander. - Über eine symbolische Deutung hinaus weist auch der Artikel zum Abendmahl, den Cremer für die RE verfaßt hat (Cremer, Abendmahl). 15 Meyer, Handbuch, 263. - Die 6. Auflage ist zwar von Heinrici neu bearbeitet, doch finden sich die hier zitierten Aussagen auch schon in früheren Auflagen. 16 Ebd. 17 Ebd., 265. 18 Ebd., 303; vgl. 310 die ausdrückliche Zurückweisung der lutherischen Argumentation zu Kp. 11,27, das Objekt, an dem man sich vergeht, müsse gegenwärtig sein.

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Im „Hand-Commentar" hat Schmiedel sich ebenfalls für eine symbolische Deutung der paulinischen Aussagen entschieden. In l.Kor. 10,16 kommen Blut und Leib „lediglich als Gegenstände der Verehrung in Betracht, durch deren Genuss man sich zu der in ihnen sich darstellenden Religion bekennt". Das εστίν in Vers 16 „ist sachlich ohne Frage zwar nicht = .bedeutet', wohl aber = .bewirkt'". 19 Auch Vers 17 verkündigt nicht „eine realere Art des Genusses" als die bei einer in Kp. 11,24 geschilderten Gedächtnisfeier anzunehmende. 20 Dort aber ist εστίν „unweigerlich = bedeutet, da an Mittheilung des irdischen oder des verklärten Leibes Jesu nur bei Ignorierung der Thatsache, dass Jesus noch leiblich gegenwärtig war, gedacht werden kann".21 Die Elemente des Herrenmahles sind bei Paulus auch aufgrund von 11,26 als „symbolische Erinnerungszeichen" zu verstehen, „vor denen man um der durch sie ausgedrückten Sache willen Ehrfurcht haben muss wie anderwärts z.B. vor einem obrigkeitlichen Siegel".22 Philipp Bachmann allerdings hat in seiner Auslegung des 1. Korintherbriefes innnerhalb des Zahnschen Kommentarwerkes die Aussagen des Paulus in Kp. 10 und 11 auf eine reale im Abendmahl sich realisierende Gemeinschaft mit Leib und Blut Christi hin ausgelegt. 23 Anders gestaltet sich das Bild der exegetischen Aussagen zur neutestamentlichen Tauflehre. Sowohl eine „positive", „orthodoxe" Exegese als auch namhafte Vertreter des „liberalen" Lagers attestieren Paulus die Rede von der effektiven Taufgnade, also ein TaufVerständnis, das über die Deutung der Taufe als Symbol hinausgeht. Allerdings gibt es auch hier andere Stimmen. Der Kieler Professor für praktische Theologie, RendtorfF, beschreibt in seinem Forschungsbericht aus dem Jahre 1905 die „bisher namentlich in liberal-theologischen Kreisen, wie Heitmüller betont, und zwar hier aus dogmatischen Gründen, weit verbreitete, zugleich aber, wenn auch unter mancherlei Schwankungen, von Männern, wie B. Weiß, H. Cremer, Th. Zahn aus philologischer Gewissenhaftigkeit vertretene Anschauung, daß die Taufe bei Paulus Symbol sei und nur Symbol".24 Für das liberale Lager werden von RendtorfF die Untersuchungen von Ehlers und

19

Schmiedel, Korinther, 151. Ebd. 21 Ebd., 164. 22 Ebd., 165. - Als eine frühe Auseinandersetzung mit Heitmüllers Ausführungen vgl. auch die Studie von Andersen, Abendmahl, in der gegen Heitmüller der Begriff des „σώμα" in den Stifitungsworten als „geistige(r) Leib" gefaßt wird (ζ. B. ebd., 12). - F. Dibelius, der in seiner Untersuchung über das Abendmahl sich gegen die Untersuchungen Heitmüllers wendet, will zwar eine sakramentale Wirkung festhalten, die lutherische Auslegung als Realpräsenz des Leibes Christi aber als „wunderhafte Deutung" ausscheiden, denn „die Bildlichkeit der Zeichen und die Wirksamkeit des Sakraments schließen sich nicht aus" (Dibelius, Abendmahl, 12 lf). - Vgl. ferner den geschichtlichen Überblick über die Entwicklung der Abendmahlsfrage in: Goetz, Abendmahlsfrage. 23 Vgl. Bachmann, Korinther, 345f (zum Koinonia-Begriff in 10,16), 378f (zum schuldig werden an Leib und Blut Christi in 11,27). 24 Rendtorff, Taufe, 7. 20

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Teichmann als besonders prägnante Beispiele vorgeführt. 25 E s könnte hier ebenso gut das Standardwerk Weizsäckers über das „apostolische Zeitalter" genannt werden, in dem die Taufe als „sinnbildliche Handlung" beschrieben wird, welche einen bereits geschehenen Vorgang ausdrückt. 26 Die genannten Namen allerdings, die für eine „positive" Theologie stehen, werden von Rendtorff zu U n recht als Vertreter der symbolischen Deutung erwähnt. Sie stehen vielmehr für den breiten exegetischen Konsens, der besagt, daß bei Paulus deutlich ein in der Taufe geschehendes reales Heilshandeln Gottes bezeugt wird. 21 Neben B. Weiß, Cremer und Zahn tritt beispielsweise auch der ganz anders ausgerichtete Holtzmann. Im Blick auf Rom. 6,3f bezeichnet er die Taufe als „Taufe in den Tod, geheimnisvolle Gemeinschaft mit dem begrabenen und auferstandenen Christus abbildend und mit sich führend". 28 Auch Paul Althaus (d. Ä.) hat in einer M o n o graphie die „Heilsbedeutung der Taufe" herausgestrichen. 29 Neben dieser exegetischen Position, die die Taufe bei Paulus nicht nur als Symbol, sondern als reales Heilshandeln versteht, findet sich allerdings auch der Versuch, ein reales Geschehen zwar anzuerkennen, aber als psychischen Vorgang im Täufling zu interpretieren. Für diesen Versuch steht der Verfasser des zitierten Berichtes, Rendtorff selbst. Die paulinischen Taufaussagen sollen „nach den Gesetzen einer religiösen Psychologie" betrachtet werden, indem versucht wird, das berichtete Taufgeschehen nachzuerleben. 30 Rendtorff erläutert darauf-

25

Ebd.. Fußnote 1. Dort wird zitiert: Ehlers, Das Neue Testament, S. 19: „Die Taufe als das Sinnbild der Wiedergeburt war der feierliche Akt, durch welchen der Täufling in die christliche Gemeinde aufgenommen wurde." - Ferner der Hinweis auf Teichmann, Taufe, 365, wo das Verhältnis von Glaube und Taufe als das von „innere(m) Erlebnis" und „äußerer Darstellung" beschrieben werde. 26 Weizsäcker, Zeitalter, 552. 27 Vgl.: B. Weiß, Römer, 265-267; ders., Theologie, 324-332, besonders 325, Fußnote 2: Aus Pauli Aussagen in Rom 6,1-3 folgt, „daß bei ihm das neue Leben des Christen sich nicht durch einen psychologischen Prozeß aus dem Rechtfertigungsbewußtsein heraus entwickelt, und sodann, daß es sich in der Taufe nicht bloß um eine symbolische Versicherung der Rechtfertigung handeln kann, sondern mit ihr noch etwas anderes gegeben sein muß, wodurch eine prinzipielle Erneuerung im Menschen faktisch vollzogen ist". - Cremer, Taufe, passim, besonders 30: Ist die Taufe kein „Bad der Wiedergeburt", „so ist sie überhaupt keine Taufe, keine Abwaschung von Sünden: kein Begräbnis mit Christo, keine Auferweckung mit ihm - dann ist sie nichts". - Zahn, Römer, 294-302, besonders 302: „Eine wirkliche Erneuerung, eine παλινγενεσία (sic), wie PI Tt 3,5 es nennt, hat der Christ gleichwohl erlebt, weil er durch die Taufe nicht nur mit dem gestorbenen Christus in eine ideale, sondern auch mit dem auferstandenen Christus in eine reale Gemeinschaft versetzt ist." - Vgl. ferner auch Lipsius im Hand-Commentar, der ebenfalls die Taufe als symbolische und real wirkende Handlung beschreibt (Lipsius, Römer, 129f). 28 Holtzmann, Theologie, 179. 29 Althaus, Heilsbedeutung, vgl. z.B. ebd., 27 (Hervorhebung im Original): „Was die neutestamentliche Verkündigung zu ihrem realen Objekte hat, das eignet die von dem Inhalte jener Verkündigung getragene Taufhandlung den εθνη realiter zu; was der äußerliche Vorgang veranschaulicht, das wird in und mit diesem Vorgang thatsächlich vermittelt." 30 Rendtorff, Taufe, 29 (im Original gesperrt).

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hin das Wesen der Taufe als „Bekenntnisakt, in dem die vollzogene Selbstentscheidung zu feierlichem Ausdruck kam", als „objektive Besiegelung des eigenen Heilserlebnisses". 31 In der Taufe wird der bereits Gläubige gewiß, er erfährt sich „mit einem Schlage als von Sünde und Schuld gereinigt". 32 Vor allem ist die Taufe „Glaubenserlebnis", indem der Glaube „als die subjektive, ethische causa medians gedacht ist". Zwar symbolisiert die Taufe nicht nur, sondern vermittelt göttliche Gaben, „aber diese Vermittlung ist psychologisch, nicht magisch, sie ist religiös-ethisch, nicht naturhaft sinnlich gedacht". 33 Überblickt man in diesem Kontext die Untersuchungen der religionsgeschichtlichen Schule zur Sakramentslehre, so fällt zuerst auf, wie radikal hier den Verfassern des neuen Testamentes ein reales, ja magisches Sakramentsverständnis attestiert wird. Um so deutlicher hebt sich anschließend das Sakramentsverständnis der Exegeten selbst von diesem Befund ab. Darauf hat eindrücklich Rendtorff in seinem Bericht hingewiesen, indem er die Exegese Heitmüllers von der früheren Forschung, die zu ähnlichen Ergebnissen kam, wiederum abhebt: „Die eigentümliche Konstellation der neuesten exegetischen Phase liegt darin, daß im Gegensatz zu solcher dogmatischen Verschränkung der Exegese man auch bei einer dem Sakramentsglauben durchaus abgeneigten religiösen Grundstimmung sich doch historisch gebunden weiß, ihn bei Paulus anzuerkennen. So hat neben Gunkel und Holtzmann besonders Heitmüller, ein Theolog, der ausgesprochener Maßen den Sakramentsgedanken aus der religiösen Gedankenwelt und Praxis der Theologie wie der Gemeinde zu eliminieren trachtet, doch eben diesen Gedanken mit einer der liberal theologischen Exegese gegenüber geradezu grausamen Unerbittlichkeit als paulinisch festgestellt." 34

4.2

4.2.1

Das reale Verständnis der Sakramente im Neuen Testament

Die Gegenwart Christi im Abendmahl

Albert Eichhorn gibt der Forschung in seinem Vortrag alle wesentlichen Fragen bereits vor. Zunächst fragt er, ob denn die neutestamentlichen Berichte von der Einsetzung des Abendmahles als Darstellung einer „erste(n) Gründonnerstagsfeier" zu verstehen seien.35 In der historisch-kritischen Exegese wird, wie Eichhorn kritisch feststellt, diese Annahme abgelehnt. Stellt man sich die historische Situation des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern vor, so erscheint es un31

Ebd., 31 (im Original gesperrt). Ebd., 32. 33 Ebd., 35-37. - Vgl. noch die Position Feines: Deutlich wird die Taufe bei Paulus als „die Vermittlerin realer objektiver Wirkungen" bezeichnet, anderseits aber betont, wie viel Paulus getan habe, „um die Pneumalehre in die höhere Sphäre des Religiös-Ethischen zu heben". „(A)uf diese Seite gehört seine Anschauung von der Wirkung der Taufe" (Feine, Taufe, 400f). 34 Rendtorff, Taufe, 15. 35 Eichhorn, Abendmahl, 7. 32

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möglich, daß Jesus hier bereits eine sakramentale Mahlzeit einsetzen wollte, bei der sein Leib und Blut gereicht werden. Der historisch-kritische Exeget versucht also, die Berichte als „Geschichtserzählungen" zu nehmen, „die mehr oder weniger genau den wirklichen Vorgang wiedergeben, und die durch Vergleichung zu rektifiziren sind, bis man die älteste Ueberlieferung und damit den wirklichen geschichtlichen Vorgang erreicht hat".36 Neben der unreflektierten Gleichsetzung von ältester Überlieferung und wirklichem Vorgang kritisiert Eichhorn die ganze Blickrichtung dieses exegetischen Unternehmens: Nicht nach einem herauszuschälenden historischen Ereignis ist zu fragen, sondern danach, wie die ersten Leser der betreffenden Abschnitte diese verstehen mußten. Diese Frage stellen, heißt bereits die „religionsgeschichtliche Methode" anzuwenden.37 Sie richtet den Blick nicht auf dem Text zugrundeliegende historische Ereignisse, sondern auf die Situation der Gemeinde, für die der Text verfaßt wurde. Die christlichen Leser der synoptischen Evangelien wie des ersten Korintherbriefes mußten die Berichte vom letzten Mahl Jesu aber zwangsläufig als Einsetzung des sakramentalen Mahles verstehen, welches sie bereits zu feiern gewöhnt waren. „Denn das Abendmahl war ja schon eine längst bestehende christliche Feier, das Zentrum des christlichen Kultus."38 Der „gegenwärtige Text" sowohl der Synoptiker wie auch des Paulus geben kein Recht, den Text anders als einen Bericht von der Einsetzung des Abendmahles zu verstehen, es ist unmöglich zu vermuten, „daß Jesus ich weiß nicht was gesagt oder gemeint hat, nur nicht die Einsetzung des Abendmahls".39 Sollten die Berichte Zeugnis von einem historischen Vorgang sein, so müßte eine symbolische Deutung der Handlung und der Worte Jesu angenommen werden. Eichhorn betont aber, daß die Berichte keinen Hinweis auf einen solchen symbolischen Chrarakter der Handlung geben.40 Das Brechen des Brotes und Trinken des Weines seien keine Symbole, sondern lediglich Handlungen des Hausvaters, um die gemeinsame Mahlzeit zu ermöglichen. Allerdings könnte die Einbindung der Handlung in die Passahmahlzeit darauf hindeuten, daß Jesus diese für überholt erklären will und statt dessen auf seinen eigenen Opfertod als neues Bundesopfer hinweist. Dann allerdings, so Eichhorn, läßt sich die Notwendigkeit einer besonderen Abendmahlfeier fur die Gemeinde nicht einsichtig machen: Wenn die Passahmahlzeit abgetan ist, so genügt es, im christliche Kultus des Opfertodes Christi zu gedenken.41 Aber das Abendmahl sowohl der synoptischen wie der paulinischen Darstellung will eben mehr sein als ein Gedenken! Im Blick auf 1. Kor. 10,16 stellt Eichhorn fest: „Pauli Meinung ist, daß im Abendmahl Leib und Blut Christi genossen wird." Für ihn „ist das Abendmahl ein Kultusakt, ein nicht profanes Essen und Trinken des Leibes und Blutes Christi in irgend einer supranaturalen 36 37 38 39 40 41

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 8; 7. Vgl. ebd., 2lf. Vgl. ebd., 22.

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Weise".42 Dazu wird auch auf die noch deutlicheren Formulierungen in Joh. 6 verwiesen, die vom Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi reden. Im Johannesevangelium, wo die „Dogmatisierung des Christusbildes (...) am weitesten fortgeschritten" ist, findet sich auch die Meinung vom realen Genuß Christi im Abendmahl am klarsten ausgedrückt, noch dazu in den Mund Jesu gelegt. Selbst wenn man diese Worte allegorisch umdeuten will (eventuell unter Hinweis auf Joh. 6,63), so weisen sie doch immer noch auf einen „entsprechenden Sprachgebrauch im Kultus" hin.43 Die Gemeinde, so muß man zusammenfassen, genießt im Abendmahl in supranaturaler Weise Christi Leib und Blut, und dieses Bewußtsein hat sämtliche neutestamentlichen Berichte der Einsetzungshandlung gestaltet.44 Angesichts dieses Befundes erhebt sich die Frage, wie es zu der Anschauung vom realen Genuß des Leibes und Blutes Christi kommen konnte. Eichhorn hat hier keine Erklärung zur Hand, er vermutet, „daß ein supranaturales Essen einer himmlischen Speise im Kultus, die das ewige Leben giebt, damals nicht befremdet hat".45 Wenn nämlich eine solches Essen bekannt war, dann läßt sich die Abendmahlslehre erklären als Ergebnis eines Übertragungsvorgangs, bei dem eine bisher bekannte übernatürliche Substanz durch Leib und Blut Christi ersetzt wurde. Da aber das Alte Testament ein solches sakramentales Essen nicht kennt, muß die Vorstellung im gnostischen Milieu zu suchen sein. Eichhorn kann einen Erfolg dieser Suche nicht behaupten. Er konstatiert gegen Ende seiner Ausführungen, daß der Bruch zwischen einer wie auch immer gearteten Handlung Jesu am Abend des Passahfestes und der Mahlfeier der ersten Gemeinde für ihn ein unerklärliches Rätsel bleibt.46 Heitmüller knüpft mit seinen Fragen, Methoden und Ergebnissen an die Arbeit Eichhorns an. In der provozierenden Einleitung seines Vortrages von 1903 radikalisiert er die Frage Martin Kählers nach der Berechtigung des reformatorischen Sakramentsverständnisses zu der Frage nach dem Recht der biblischen Schätzung der Sakramente. Kähler muß es sich gefallen lassen, daß seine Darstellung des Abendmahles von einem Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule auf ihre Schriftgemäßheit hin befragt wird.47 In Heitmüllers Untersuchung soll es um die Erhebung des biblischen Sakramentsverständnisses gehen. Anschließend kann dann nach Übereinstimmung und Differenz des biblischen mit dem reformatorischen Verständnis sowie nach heute möglichen Positionen gefragt werden. Zur Beantwortung der Frage nach dem paulinischen Abendmahlsverständnis exegesiert Heitmüller die einschlägigen Aussagen in l.Kor. 10 und 11. Dabei 42 43 44 45 46 47

tel.

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Ebd., 22f. Vgl. dort auch die Absicherung der These gegen verschiedene Einwände. Ebd., 24. Vgl. das Fazit Eichhorns, ebd., 25. Ebd., 29. Ebd., 30. Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 5-7; Kähler, Sakramente, Unterti-

erhalten die Bemerkungen des 10. Kapitels höheres Gewicht. Hier nämlich redet - so Heitmüller - Paulus im Zusammenhang anderer Gedankengänge unbefangen über das Abendmahl, während er im 11. Kapitel „ex professo" theologische Gedanken zum Thema äußert und daher die eigentliche, vorthematische Anschauung in der Gefahr steht, übermalt zu werden.48 Schon in der ersten Hälfte des 10. Kapitels wird mit der Erwähnung des Mannas wie des Wassers aus dem Felsen auf das Herrenmahl angespielt. Es ist deshalb zu vermuten, daß die Prädikate, die diesen alttestamentlichen Vorbildern von Paulus zugeordnet werden, auch fur die Elemente des Herrenmahles gelten sollen. Das Manna wird als πνευματικόν βρώμα, das Wasser als πνευματικόν πόμα bezeichnet, ferner wird der Felsen mit Christus identifiziert. Daraus kann für das Herrenmahl geschlossen werden, daß es sich hier wie damals um „Speise und Trank von Pneuma-Ursprung und Pneuma-Wirkung, - supranaturale Speise und Trank" handelt, ferner, daß im Herrenmahl Christus selbst gereicht wird.49 Diese Auslegung wird nun durch die zweite Hälfte des Kapitels bestätigt. Brot und Wein bewirken die κοινωνία του σώματος bzw. του αίματος του Χρίστου, womit nach Heitmüller

letztlich die κοινωνία του Χρίστου gemeint ist. Der Vergleich mit den heidnischen Opfermahlzeiten läßt auch Schlüsse über die Bedeutung dieser Formulierungen zu. Die Gemeinschaft mit den Dämonen wurde „im höchsten Masse konkret" gedacht: „Mit dem genossenen Opferfleisch ziehen die Dämonen in den Genießenden ein und nehmen von ihm Besitz". Es ist anzunehmen, daß auch Paulus diese Auffassung kannte und jedenfalls die „Communio mit den Göttern, denen man opferte, als eine durchaus enge und reale angesehen" hat. Auch die κοινονία mit Christus müßte demnach „als eine durchaus reale, enge Berührung zu begreifen" sein.50 Wenn nun im 11. Kapitel, der „theologischen" Darstellung des Paulus, der Akzent auf dem Mahl als Gedächtnis und Verkündigung liegt, so findet sich doch bereits in den Versen 27 und 29 wieder die Auffassung, „wonach im Herrenmahl Leib und Blut des Herrn wirklich irgendwie mitgeteilt werden".51 Als Grundanschauung des Paulus kann also festgehalten werden, daß das Herrenmahl „engste Verbindung mit dem erhöhten Christus" bewirkt. Es „ist supranaturale Speise und Trank, es ist eine Speisung mit Christus". Es kann geschlossen werden, daß im Herrenmahl ein Sakrament vorliegt, indem „der Genuß von Brot und Kelch das wirksame Agens fur die erwartete Wirkung ist".52 Ja, wenn man die Parallele zu den Opferkulten ernstnimmt, dann muß man sogar die Wirkung „ex opere operato" annehmen, da ja eine Gemeinschaft mit den Dämonen sich auch durch bloße Teilnahme am Mahl einstellen soll. Der Glaube wird zwar von Paulus für den rechten Empfang des Herrenmahles vorausgesetzt, jedoch nicht so, daß dadurch „die Wirkung des Sakraments psycholo48 49 50 51 53

Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 23. Ebd., 24f. Ebd., 27; Hervorhebung im Original. Ebd., 30. Ebd., 33.

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gisch-ethisch - in unserem Sinne - vermittelt würde." Heitmüller schiebt also mit diesen Ausführungen jeder Exegese einen Riegel vor, die mittels eines psychologisch verstandenen Glaubensbegriffes die reale Wirkung der Teilnahme am Herrenmahl von den Elementen abziehen und einer im Menschen befindlichen Qualität zuordnen möchte. Auch wenn der Glaube für eine „segensvolle Wirkung" nötig ist, auch wenn Gott als der Handelnde gedacht ist, so bleibt doch der „sakramentale Charakter" der Handlung, indem „durch äußere sinnliche Handlungen und Dinge religiöse Güter und Wirkungen vermittelt und gewirkt werden."53 Auch Bousset betont die neutestamentliche Anschauung von der realen Gemeinschaft mit Christus im Abendmahl. Neben den Ausführungen in „Kyrios Christos" sind für diese Frage besonders die Vorlesungen „Neutestamentliche Theologie" und „Religionsgeschichte des Neuen Testaments" von Bedeutung.54 Ausdrücklich wird darin auf Heitmüllers Publikationen zum Abendmahl hingewiesen.55 Bousset vermutet, daß die verbreitete Auffassung von der durch eine gemeinsame Mahlzeit verbürgten Gemeinschaft zunächst auf das Verhältnis der Jünger zu Christus übertragen wurde. Im Abendmahl kommt es zu einer solchen mit Christus einigenden Mahlzeit.56 Diese Vorstellung liegt bei Paulus vor: Pauli Worte von der Koinonia mit Leib und Blut des Herrn bezeichnen „nicht nur e[ine] geistige, sondern eine dfurch] d[ie] Speise vermittelte (...) geist-leibliche Gemeinschaft".57 Das Abendmahl wird „wunderbare Speise und Trank",

53 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 69; dieselbe Definition des „sakramentalen Charakters" auch in: ders., Abendmahl, 42. - Daß das Abendmahl neben der realen Gemeinschaft mit Christus auch die Verkündigung des Sühnetodes Christi ist (l.Kor. 11,26), gilt der religionsgeschichtlichen Schule als ein zum Sakrament hinzutretendes Theologumenon, daß hilft, das Rätsel seines Todes zu erklären. Besonders Eichhorn hat in seinem Abendmahlsvortrag deshalb die Einsetzungsberichte nicht nur als Darstellung einer „ersten Gründonnerstagsfeier" (Eichhorn, Abendmahl, 7), sondern auch als „erste Karfreitagsbetrachtung" (ebd., 9) verstanden: „Die Abendmahlsworte bieten die Deutung des Todes Christi als eines Opfers, wie sie sich in der christlichen Gemeinde ausgebildet hat." (ebd., 17). Heitmüller hält diesen Verkündigungscharakter für eine „theologisierende Deutung" des Paulus (Heitmüller, Abendmahl, 42) und schenkt diesem Aspekt des Herrenmahles nur wenig Beachtung. Das Herrenmahl der ersten Christen war „eine Gedächtnisfeier, aber nicht eine Feier des Todes Jesu" (ebd., 38, Hervorhebung im Original). 54 Die Manuskripte beider Vorlesungen befinden sich im Bousset-Nachlaß der UB Göttingen. Die Vorlesung „Neutestamentliche Religionsgeschichte" (Signatur: Cod Ms Bousset 155) umfaßt 163 beidseitig beschriebene Blätter. Sie wird nach den Blattnummern zitiert, Auflösungen von Abkürzungen werden in eckigen Klammern gegeben. - Eine umfassende Entzifferung (der Text wurde von Bousset selbst zum Teil bearbeitet, korrigiert, erweitert), Datierung und Analyse dieses Materials steht noch aus. 55 Bousset, Neutestamentliche Theologie, 102a. 56 Vgl. ebd., 102c; vgl. ähnlich ders., Neutestamentliche Religionsgeschichte, 58. 57 Bousset, Neutestamentliche Religionsgeschichte, 58; vgl. auch ders., Neutestamentliche Theologie, 102b. - Zur Illustration führt Bousset - wie häufig in seinen Vorlesungen zahlreiche Zeugnisse der frühen Kirche an, die dieses Verständnis des neutestamentlichen Textes belegen. So geraten die Ausführungen eher zu einer reichen Darstellung der Theologie

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„Gemeinschaft mit dem erhöhten Herrn", wobei zum rechten Verständnis dieser Gemeinschaft auf die „Mystik d[es] Paulus" in l.Kor. 6,14f verwiesen wird.58 In Joh. 6,52ff finden wir dann bereits eine „massivere und krassere Vorstellung", nämlich die vom „Essen u[nd] Trinken d[es] Blutes u[nd] Fleisches d[es] Menschensohnes". 59 Diese sakramentale Gabe wird vom Menschensohn selbst bewirkt, um Gemeinschaft mit ihm und ewiges Leben zu vermitteln. Gleichzeitig wird dabei der Geist als im Sakrament wirkender für Johannes wichtig. 60 Johannes Weiß schließlich versucht, die reale Deutung der sakramentalen Gabe bei Paulus zu relativieren, ohne sie jedoch grundsätzlich in Abrede zu stellen. Gerade im Blick auf l .Kor. 11,27 ist auch ihm deutlich, daß durch das Herrenmahl nicht nur die Erinnerung an Jesus bei den Gläubigen wachgehalten wird, sondern „Leib und Blut des Herrn unmittelbar unter ihnen gegenwärtig" sind.61 Allerdings ist gerade der Gedanke der physischen Folgen eines unwürdigen Genusses bei Paulus eine verbliebener „ganz antiker, fast primitiver, jedenfalls unterchristlicher Zug", der neben dem eigentlichen Interesse des Paulus unvermittelt stehen bleibt und also „nur das Symptom der eigentlich religiösen Deutung des Mahles bei Paulus" ist.62 4.2.2

Der Geistempfang in der Taufe

Zur Untersuchung der paulinischen Tauftheologie geht Heitmüller von Rom. 6 als dem wohl wichtigsten Text zur Frage aus. Die Taufe ist ein βαπτισθήναι εις Χριστόν Ίησοϋν, wobei die Frage zu klären ist, inwieweit es sich hier um eine reale Wirkung oder nur um eine Bedeutung handelt.63 Ausschließen möchte Heitmüller jedenfalls sowohl den lutherischen Gedanken einer ,jurisdiktionelle(n) Übertragung" des Werkes Jesu auf den Täufling wie auch eine ethische Auslegung der Taufe, indem das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus als ein „Abtöten der Sünde und ein Leben der Gerechtigkeit" zu verstehen sei. der alten Kirche denn zu einer exegetischen Abhandlung. Bousset hat dabei ein besonderes Interesse für die Epiklesen der alten Kirche und das in ihnen sichtbare Verständnis des Herrenmahles entwickelt. Vgl. dazu die ausfuhrlichen Hinweise: Bousset, Neutestamentliche Religionsgeschichte, 55f; 58; ferner ein ebenfalls in der UB Göttingen vorhandenes Manuskript unter dem Titel „Zur Geschichte der Eucharistie" (Signatur: 4° Theol. 326,4), in welchem Bousset verschiedene Epiklesen miteinander vergleicht. 58 Bousset, Neutestamentliche Theologie, 102c. 59 Bousset, Neutestamentliche Religionsgeschichte, 59. 60 Vgl. Bousset, Kyrios Christos, 232. Bousset legt Joh. 6,63 auf „die Wirksamkeit des Geistes im Sakrament" hin aus (ebd., 163, Fußnote 2). 61 Weiß, Korintherbrief, 289. 62 Weiß, Urchristentum, 508f. - Diese religiöse Deutung läßt sich nicht sicher eruieren, es ist aber wahrscheinlich, „daß Paulus in dem Nacherleben oder Durchleben des Todes Christi zugleich eine Bekräftigung jener Kreuzesgemeinschaft erblickt, die ja einen Grundton christlicher Frömmigkeit bilden soll. Wer im Brot und Wein zu Leib und Blut Christi in eine Gemeinschaft tritt, der wird damit aufs neue in jenes Mitsterben hineingezogen, das er in der Taufe erlebt hat, er fühlt aufs neue das ,ich bin mit Christus gekreuzigt'." (ebd., 509). 63 Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 9.

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Nein, der Wortlaut fordert in der Tat, „unter allen Umständen (...) an einen durchaus realen Vorgang zu denken": an eine „mystische, eine physisch-hyperphysische Vereinigung mit Christus", bei der real am Sterben und Auferstehen Christi teilgenommen wird!64 „Es ist eine völlige Neuschöpfung, eine Wiedergeburt, die der Täufling erlebt".65 Dieser Befund kann durch weitere Aussagen des Apostels belegt werden.66 In Kol. 2,1 lf ist die Taufe ebenfalls das Begrabenwerden und Auferweckt-werden mit Christus. In Gal. 3,26f wird das Sein εν Χριστώ Ίησοϋ auf die Taufe zurückgeführt. Damit wird ein zentrales Thema des Apostels, das Sein in Christus, mit der Taufe in Verbindung gebracht. Auf eine weitere, den Befund ergänzende und bestärkende Spur fuhrt die Aussage in l.Kor. 12,13, nach der durch die Taufe „das corpus mysticum Christi" konstituiert wird. Dies geschieht, indem durch die Taufe der Geist Gottes mitgeteilt wird, eine Aussage, die sich ähnlich auch in 1 .Kor. 6,11 findet.67 Die Mitteilung des Geistes hat zur Folge, daß der Christ von einem Ungerechten zu einem Gerechten, Gereinigten wird (l.Kor. 6,11). Das heißt auch, daß er der Macht des Teufels entrissen worden ist (Kol. 1,13).68 Heitmüller kann also die der Taufe zugesprochenen Wirkungen aufzählen: „reale innige Verbindung mit Christus, Christus anziehen, mit ihm sterben und auferstehen, Einverleibung in das corpus mysticum Christi, Mitteilung des Geistes, Weihung für Gott, Befreiung von den Mächten der Finsternis, Abwaschung des Schmutzes der Sünde".69 Aufgrund dieses Befundes muß Heitmüller die „namentlich in liberalen theologischen Kreisen weit verbreitete Anschauung" „auf das energischste bestreiten", derzufolge „die Taufe bei Paulus Symbol sei und nur Symbol sein könne". Es muß vielmehr gelten: „(D)ie Taufe war für Paulus sakramentale Handlung, eine Handlung, die nicht ex opere operands, sondern ex opere operato (im ei-

64 Ebd., 9f. - Heitmüller wendet sich gegen den Versuch von Althaus (Althaus, Heilsbedeutung), Rom. 6, Iff im Sinne einer jurisdiktionellen Übertragung auszulegen (Heitmüller, Im Namen Jesu, 319, Fußnote 1). Die Taufe „bewirkt" etwas, sie schafft eine „neue Naturgrundlage" (ebd., 319f). 65 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 10. 66 Vgl. ebd., lOff. 67 Ebd., 11. 68 Vgl. ebd., 12f. In dieser Stelle ist die Taufe nicht erwähnt. Heitmüller weist aber auf die Aoriste hin, die an einen „einmaligen Akt der Vergangenheit" erinnern, mit dem nur die Taufe gemeint sein kann (ebd., 12). Dieser Vorgang ist auch mit der άπέκδυσις τοϋ σώματος τής σαρκός in Kol. 2,11 angesprochen, da die σάρξ und das σώμα „das Herrschaftsgebiet dieser geistigen Mächte ist" (vgl. ebd., 13f). 69 Ebd., 14. Eine wohlgeordnete Aufzählung der Taufwirkungen findet sich bei Bousset, Neutestametliche Religionsgeschichte, 47-53, jeweils mit ausführlichen Belegen: 1. „Hauptwirkung d[er] Taufe" ist die „Sündenvergebung" (47); 2. Mitteilung des Geistes (48); 3. Die „Namensnennung" ist „Siegel" und bewirkt „Verpflichtung" dem Genannten gegenüber wie auch „Schutz" vor den „bösen Dämonen", deshalb auch „Exorzismus" (49); 4. „Taufe ist Wiedergeburt" (49); 5. „Taufe als Erleuchtung" (φωτισμός) (51).

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gentlich katholischen Sinne) wirkt." Die Taufe ist „Agens der betr. Wirkungen".70 In diesem Zusammenhang sieht sich Heitmüller genötigt, das gängige Bild von Paulus als dem „Vertreter einer durchaus innerlichen, geistigen Religiosität" zu relativieren. Nochmals verweist er dazu auf „die beiden Brennpunkte der paulinischen Frömmigkeit", dem Geistbesitz und dem Sein in Christo.71 Heitmüller skizziert hier die paulinische Geistlehre mit Strichen, die stark an das Erstlingswerk Gunkels über die Geist Wirkungen erinnern. Das Pneuma ist „eine schlechthin supranaturale transcendente Größe, im schroffen Gegensatz zu dem Wesen und Sein des Menschen". Zwar kommt es zu einer E i n h e i t des Pneumas „mit dem Ich des Christen", doch nicht - und das ist entscheidend - „auf dem Wege psychologischer Entwicklung', indem der Geist lediglich „zu einem in unserm Sinn psychologisch-vermittelten Bewußtseinsinhalt würde. Im Gegenteil: „Man wird - nach der vorwiegenden Vorstellungsweise - ein πνευματικός auf dem Wege einer Katastrophe, einer Revolution; es ist ein Geschehnis, Widerfahrnis transcendentaler Art."72 Deshalb muß auch zum Verhältnis des Geistes zur christlichen Ethik ein klärendes Wort gesprochen werden. Gewiß hat Paulus den Geist „zum Prinzip gleichmäßigen, ruhigen Christenlebens gemacht". Dennoch wäre es „nicht weniger als eine Kastrierung des paulinischen Geistbegriffs, wenn wir das Wesen des Geistes darauf beschränken wollten". „(I)n erster Linie" ist der Geist „übernatürliche göttliche Kraft".73 Heitmüller geht noch einen Schritt weiter, indem er vermutet, daß der Geist bei Paulus „substanziell" gedacht, daß heißt „von Haus aus eine physische Größe" ist.74 Darauf weist nach Heitmüller die Vorstellung hin, nach der der Geist im Leibe des Gläubigen wohnt. Auch die Übertragung der Heiligkeit von gläubigen Eltern auf ihre Kinder (1. Kor. 7,14) weise in diese Richtung. Schließlich sei es auch „vulgär-christliche(n) Ansicht, daß der Geist durch Anhauchen, durch Handauflegung oder durch Schweißtücher von einem Menschen auf den anderen übergeleitet werden kann."75 Auch der zweite Brennpunkt paulinischer Theologie, das durch die Taufe gegebene Sein in Christus, darf nicht ausschließlich ethisch-persönlich verstanden werden, will man nicht eine „bleichsüchtige Karrikatur dieser paulinischen Vör70

Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 14f. Dazu wird auch auf die Taufe fur Verstorbene (1.Kor. 15,29) verwiesen (ebd., 150. 71 Ebd., 16f. 72 Ebd., 18, Hervorhebungen im Original. - Ein Vertreter der religionsgeschichtlichen Schule findet hier zur Beschreibung der neutestamentlichen Lehre von der Wiedergeburt Formulierungen, die der dialektischen Theologie alle Ehre gemacht hätten! Vgl. auch ders., Taufe, 1092: „Es ist überhaupt nicht eine Leistung des Getauften gemeint, sondern etwas Erlebtes, etwas das über ihn gekommen ist." 73 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 18f, Hervorhebungen im Original. 74 Ebd., 19. Damit liegt hier ein sehr eingeschränkter Gebrauch des Substanzbegriffes bei Heitmüller vor, indem Substanz mit Materie gleichgesetzt wird; vgl. dazu den Abschnitt 4.3.1: „Die ontologische Frage". 75 Ebd., 19f.

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Stellung" zeichnen. Vielmehr ist dieses Sein „eine mystische, keineswegs nur ethisch zu denkende Verbindung mit dem erhöhten Christus, der das πνεΰμα ist. Sie ist so eng und zugleich physisch-hyperphysisch, daß der mit Chr. Verbundene den Tod und die Auferstehung des Chr. realiter miterlebt." Das σώμα της αμαρτίας wird real vernichtet, es kommt zu einer „physisch-hyperphysische(n) Neuschöpfung des ganzen Seins".76 Hinsichtlich der Rolle des Glaubens beim Taufsakrament muß, ebenso wie beim Abendmahl, betont werden, daß dieser zwar vorausgesetzt ist, nicht aber die Wirkung des Sakraments psychologisierend zu einem bloß innerseelischen Vorgang macht.77 Allerdings versucht Heitmüller, mittels des Glaubensbegriffes zwischen „Sakrament" und „Sakramentsmagie" zu unterscheiden: Denn da Paulus nur an die Taufe bereits gläubig Gewordener dachte, ist der Taufakt nicht reine Magie wie beispielsweise bei der Taufe für Verstorbene (1. Kor. 15,29), sondern ein wirkkräftger Akt an einer glaubenden Person.78 4.2.3

Die Kraft des Namens Jesu

Taufe und Abendmahl sind beide dem Christuskult zuzuordnen. Bei der Taufe wird dies besonders deutlich, indem auf den Namen Christi getauft wird. Dieses Phänomen ist von Heitmüller in einer Monographie ausführlich dargestellt worden.79 Die Arbeit gliedert sich in einen sprachgeschichtlichen und einen religionsgeschichtlichen Teil. Die sprachliche Untersuchung belegt mit reichem Material die Notwendigkeit der Unterscheidung der Formeln βαπτίζαν εν bzw. επί τω ονόματι τίνος und βαπτίζειν εις το δνομά τίνος.80 Um zu einer Definition ihrer Bedeutungen zu ge-

76

Ebd., 20. - Vgl. auch Weiß, Urchristentum, 500: Die Formulierung σύμφυτοι γεγόναμεν τω όμοιώματι τοϋ θανάτου in Rom 6,5 „besagt nun in der Tat, daß durch den Vollzug der Taufe die mystische Einigung herbeigeführt ist, weil diese die ,Nachbildung seines Todes' ist". Allerdings dann auch hier bei Weiß wieder die Abschwächung (ebd., 501): Es „kann nicht geleugnet werden, daß die mystisch-sakramentale Ausdeutung der Taufe bei Paulus vorhanden ist - er findet sie vor - , daß sie aber für die Erlösungsmystik nicht die entscheidende Rolle spielt, wie man es häufig annimmt (...). Man erkennt deutlich, wie hier eine Richtung der hellenistischen Frömmigkeit in die seine eben nur hineinragt, ohne geradezu fundamental für sie zu sein." 77 Vgl. ebd., 22. 78 Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 19; ders., Taufe, 1093. 79 Heitmüller, Im Namen Jesu. 80 Die sprachgeschichtliche Untersuchung Heitmüllers wendet sich mit der genauen Analyse der Formeln zunächst gegen die These, diese Formeln nur aufgrund von Semitismen zu erklären (vgl. ebd., 1-8, bes. 4), zweitens gegen die weit verbreitete „kautschukartig(e)" Exegese seiner Zeit, die als Grundbedeutung der Formeln sehr schnell ,jussu et auctoritate", also Formulierungen wie „im Auftrage" oder „auf Befehl" angeben, vgl. ebd., 17. - Das Vorkommen der Formeln verteilt sich wie folgt auf die Schriften des Neuen Testamentes (vgl. ebd., 9): εν τω ονόματι nur in Apg. 10,48; επι τω ονόματι nur in Apg. 2,38 (nach Sinaiticus und Alexandrinus); εις τό όνομα in Mt. 28,19; Apg. 8,16; 19,5; l.Kor. 1,13.15. - Zur Zusammenfassung der Formeln, die εν und farl verwenden, vgl. ebd., 1 lf.

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langen, wird nach einem eventuellen hebräischen Äquivalent, nach Vorkommen der Formeln in der Septuagina, in den Apokryphen und Pseudepigraphen sowie im Profangriechischen gefragt. Dabei ergibt sich folgendes Bild: Die erste Wendung bezeichnet lediglich die Tatsache, daß beim Taufvollzug der Name Christi genannt wird.81 Die zweite Wendung, die die Präposition εις enthält, spricht einen wesentlich tieferen Gedanken aus. „εις το δνομά τίνος als Bestimmung des Verbums (oder Satzes) war eine in der hellenistischen Weltsprache sehr geläufige Formel, (. . .) sie bezeichnet die Zueignung an eine Person, die Herstellung des Verhältnisses der Zugehörigkeit".82 Dementsprechend bedeutet auch die bei Paulus verwendete Formulierung βαπτίζαν εις το δνομά τίνος Jemanden taufen in, unter den Namen eines andern, jem. einem andern zu eigen, zur Zugehörigkeit zu ihm, taufen".83 Während also die erstgenannte Formel einen Vorgang beschreibt, gibt die zweite den Zweck der Handlung an. Auch bei dieser Formel ist allerdings die Nennung des Namens beim Taufakt mit eingeschlossen.84 Wie aber kann die Zueignung an Christus durch die Nennung des Namens Jesu vollzogen werden? Auf diese Frage versucht die religionsgeschichtliche Untersuchung zu antworten, indem sie die Namensnennung bei der Taufe einstellt in den weiteren Rahmen der religiösen Verwendung des Namens, nicht nur im Blick auf das Neue Testament und die alte Kirche, sondern auch auf das „allgemeine Milieu", zu dem dieser Brauch zu gehören scheint.85 Im Blick auf die einschlägigen neutestamentlichen Stellen kommt Heitmüller zu deutlichen Ergebnissen: Besonders in der Apostelgeschichte zeigt ein reiches Material, daß „der Name selbst, als Formel gebraucht, von der AG. als δύναμις (4,7), als das wirksame Agens gedacht ist".86 Darauf weist auch die Aufforderung zur Ölsalbung unter der Nennung des Namens Jesu in Jak. 5,14 hin.87 Besonders die synoptischen Evangelien bestätigen diese Tendenz. Stellen wie Mk. 9,38.39; Lk. 9,49; 10,17; Mt. 7,22 machen - so Heitmüller - deutlich, daß „(n)ur der Name, der ausgesprochene, angerufene Name Jesu, aber auch der Name selber, als Formel, (...) nach dieser Vorstellung das Instrument der Wunder der Apostel" war.88 Der Name Jesu ist nach Heitmüller aber nicht nur als 81 Ebd., 88. Vgl. dort: βαπτίζεσΦαι εν bzw. επί wäre zu übersetzen mit „getauft werden, sich taufen lassen unter, bei Nennung des Namens Jesu Christi". - Der Exeget darf nicht vorschnell den Namen nur als sprachlichen Stellvertreter für das Heil in Christo verstehen, sondern muß sein Augenmerk auf die tatsächliche Nennung dieses Namens richten! So gegen Althaus, Heilsbedeutung, 115, vgl. Heitmüller, a.a.O., 76. 82 Ebd., 109. 83 Ebd., 116. 84 Vgl. die Zusammenfassung der Ergebnisse, ebd., 127. - Die Nennung, so betont Heitmüller, ist nicht als Gebet, sondern als Ausrufen des Namens zu verstehen (ebd.). 85 Vgl. ebd., 128-131, Zitat S.130. Zur Herleitung der neutestamentlichen Anschauung s. unten 4.3.4. 86 Ebd., 232. Als Belegstellen für den Gebrauch des Namens Jesu in der Apg. nennt Heitmüller: 3,6.16; 4,7.10.12.30; 16,18; 19,13 (ebd.). 87 Vgl. ebd., 233. 88 Ebd., 235, Hervorhebungen im Original.

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Agens einer Wirkung verstanden, sondern auch als eine Art schützendes „Amulett". Darauf weisen besonders Ausführungen der Offenbarung Johannes hin. Der auf die Stirn geschriebene Name (14,1 in Zusammenhang mit 7,3 und 9,4!) bezeichnet die Träger nicht nur als „Eigentum des Lammes", sondern schützt und bewahrt sie „vor den Mächten des Verderbens".89 Für die Anschauung des Apostels Paulus verweist Heitmüller auf den Christushymnus von Phil. 2.90 Die Verse 10 und 11 dieses Kapitels können zumindest so gedeutet werden, daß „bei der Nennung des Namens Jesu, ,beim Namen Jesu', die Kniee aller Wesen (freiwillig oder unfreiwillig) sich beugen müssen". 91 Damit würde Paulus hier dem Namen Jesu ebenfalls magische Kräfte beimessen. Noch weiter zurück kommt der Exeget eventuell mit den als sehr alt bewerteten synoptischen Hinweisen auf Dämonenaustreibungen im Namen Jesu (Mt. 7,22 sowie Mk. 9,38f (Lk. 9,49)). Ja, bei Annahme der Geschichtlichkeit des in diesen Stellen erwähnten Vorgehens kann selbst die Billigung desselben durch Jesus nicht ausgeschlossen werden. Denn Jesus teilte den Dämonenglauben seiner Zeit. 92 Zusammenfassend kann von einem „Glaube(n) an die magische Wirkungskraft des Namens Jesu"93 gesprochen werden, der wahrscheinlich sogar „gleichzeitig mit der messianischen Gemeinde überhaupt" ensteht. Dabei ist nochmals zu betonen, daß die Nennung des Namens Jesu „nicht eine leere, inhaltlose Form" ist. Vielmehr gilt: „ Der Name selbst ist wunderkräftige δύναμις."94 Deshalb konstatiert Heitmüller, das Nennen dieses Namens sei als „Sakrament" oder als „Sakramentale" der alten Christen zu bezeichnen.95 Nachdem die neutestamentlichen Aussagen zum Gebrauch des Jesusnamens überhaupt Gegenstand der Untersuchung waren, kann nun die Taufe auf den Namen Jesu nochmals gesondert betrachtet werden. Aus dem bisher Gesagten läßt sich wahrscheinlich machen, daß die Nennung des Namens Jesu bei der

89 Ebd., 234. Weitere Stellen zum Namenglauben in der Offenbarung (vgl. ebd.): 2,17; 3,12; 19,12.16. 90 Neben dieser Stelle werden auch noch Aussagen zum Gebet im Namen Jesu behandelt: Kol. 3,17; Eph. 5,20; (1. Kor. 5,4), vgl. dazu ebd., 236; 257-265. 91 Ebd. 92 Vgl. ebd., 241. - Im Anschluß an die bezeugten Exorzismen im Namen Jesu läßt sich noch eine weitere Anschauung von der Wirkung dieses Namens fur die alte Kirche erheben: Zur negativen Seite der Entdämonisierung gehört die positive der Begeistung, der Einwohnung des göttlichen πνεύμα. Es erscheint Heitmüller wahrscheinlich, „dass dem Nennen, Anrufen des Jesus-Namens bei diesen eminent pneumatischen Erscheinungen (...) letztlich der Gedanke zugrunde lag, dass man dadurch ,begeistet', der Geist Jesu dadurch herabgezogen werde (ebd., 247). Heitmüller gibt als Belege hier interessante Hinweise auf altkirchliche Epiklesen-Gebete, die den weihenden Charakter des Namens Jesu belegen: Das Element, über dem der Name Jesu genannt ist, ist nicht mehr das schlichte Element, sondern geheiligtes und wirkkräftiges Mittel der Gnade (vgl. ebd., 244-246). 93 94 95

248

Ebd., 236. Ebd., 242. Ebd., 248.

Taufe nur einen Spezialfall dieses christlichen Ritus darstellt. Das bedeutet: „(D)ie feierliche Nennung des Namens Jesu bei der Taufe ist nicht nur eine sinnbildliche Form, etwa, beispielshalber, für das Bekenntnis zur Messianität Jesu, sondern ist mit realen, mystischen geheimnisvollen Wirkungen verbunden gedacht; die Wirkungen aber müssen mutatis mutandis ähnliche sein wie die, die sonst dem Gebrauch dieses Namens zugeschrieben werden: reale Besitzergreifung durch die Macht, die durch den Jesu-Namen bezeichnet ist, Versiegelung, innige Verbindung mit dem Träger des Namens, Vertreibung aller feindlichen Mächte, Weihung und Begeistung." 96 Diese These läßt sich nicht nur für die nachapostolische Zeit und - besonders materialreich - für die beginnende katholische Kirche, sondern auch im Blick auf den neutestamentlichen Befund nachweisen. Die Kardinalstelle für die Bedeutung des Namens Jesu bei der Taufe ist 1 Kor. 6,11, wo auf das reale Taufgeschehen hingewiesen wird. Die Wirkungen der Taufe, άπολούσασθαι, άγιασθηναι, δικαιωθήνοα werden auf zwei wirkkräftige Mittel zurückgeführt: auf den „Namen des Herrn Jesu Christi" und auf den „Geist unseres Gottes". 97 Im Rückgriff auf die sprachgeschichtliche Untersuchung Heitmüllers läßt sich sagen, daß die Wendung εν τω ονόματι hier tatsächlich die Nennung des Namens Christi über dem Täufling ausdrücken will. Durch diese Nennung, so folgert Heitmüller, werden die genannten Wirkungen erzielt. Es zeigt sich, daß alles, was oben über die realen Wirkungen der Taufe ausgesagt wurde, sich auch als Wirkung speziell der Nennung des Namens Jesu Christi beim Taufakt verstehen läßt. Dies gilt sogar für die „mystische Verbindung mit Christus", die für Paulus „wichtigste Wirkung der Taufe", wird auch von der Namensnennung erwartet, ebenso die Mitteilung des Geistes.98 Taufwirkung und Wirkung der Namensnennung konvergieren, ein Vorgang, der sich auch dadurch erklären läßt, daß, „da der Name einmal seine feste und begründete Stelle bei der Taufe hatte, nun auch andere nicht unmittelbar mit ihm zusammenhängende Wirkungen der Ceremonie ihm als einem integrierenden Bestandteil des Ganzen zugeschrieben werden". 99 Als Vermutung läßt sich aussprechen, daß - mit Ausnahme des Gedankens einer mystischen Vereinigung mit Christus sowie einer Teilhabe an seinem Tod und 96

Ebd., 268; im Original gesperrt gedruckt. - Vgl. auch die Studie Heitmüllers zur altkirchlichen Bezeichnung der Taufe als σφραγίς, in der er wahrscheinlich zu machen sucht, daß diese Bezeichnung auf die Namensnennung bei der Taufe zurückzuführen ist (Heitmüller, ΣΦΡΑΓΙΣ, besonders S. 58). 97 Die Präposition 'ev ist hier instrumental zu verstehen, vgl. l.Kor. 12,13. Vgl. dazu Heitmüller, Im Namen Jesu, 74-76; 327-329. Heitmüller wendet sich gegen die Exegese von Meyer/Heinrici und Wittichen, die dieses 'rv zu einem subjektiven Faktor des zu Taufenden machen wollen, indem etwa auf den Glauben des Täuflings an Christus hingewiesen wird (vgl. Heitmüller, a.a.O., 75; wohl mit Bezug auf Meyer, Handbuch, 156; Wittichen, Name, 284). 98 Als Beleg für die paulinische Anschauung, derzufolge die Namensnennung zum Eigentum Jesu mache, wird l.Kor. 1,12 angeführt (ebd., 328) - ein vom Kontext her doch wohl zweifelhafter Beleg. 99 Ebd., 329.

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seiner Auferstehung - die paulinische Auffassung auch gemeinchristliches Gut darstellt: „Auch für das Urchristentum wird die feierliche Verwertung des Namens Jesu bei der Taufe die Bedeutung der Zueignung an Jesus; weiterhin des Exorzismus und der Weihe (Begeistung) gehabt haben."100

4.3 4.3.1

Das Urteil der religionsgeschichtlichen Schule

Die ontologische Frage

Die Frage nach der Gegenwart Christi im Abendmahl wie die nach der Einwohnung des Geistes in der Taufe verweisen auf tiefe ontologische Probleme. Davon gibt schon ein Blick in die dogmatische Tradition zu beiden Lehrstücken Zeugnis. Wie kann das Sein Christi in den Elementen des Herrenmahles, wie kann die Einwohnung einer Person in die des Gläubigen gedacht werden? Die religionsgeschichtliche Schule ist zunächst bemüht, die ontologischen Implikationen der neutestamentlichen Texte selbst zu erfassen. Auf der exegetischen Ebene hat Heitmüller die deutliche Erkenntnis vorgelegt, daß im Neuen Testament die Sakramente eine reale Wirkung haben, indem sie nicht etwa nur das Bewußtsein des Kultteilnehmers verändern, sondern Veränderungen auf der Ebene des Seins zur Folge haben. Darauf wird in unterschiedlichen Formulierungen immer wieder hingewiesen: Durch die Taufe wird „eine neue Naturgrundlage" geschaffen,101 das in der Taufe gegebene Pneuma ist eine „physischhyperphysische Substanz",102 auch die Verbindung mit Christus ist nicht nur als „innerliche, geistige", sondern als „physisch-hyperphysisch(e)"103 oder als ein „mystisch-naturhaftes" Verhältnis104 zu denken. Die Wiedergeburt ist nicht etwa eine Erneuerung „ethisch-religiöser Art, sondern die Versetzung in eine neue, überirdische Daseinsform" .105 Die hier verwendeten Begriffe werden von Heitmüller allerdings nicht klar definiert. Zunächst wehren sie eine nur psychologische Deutung der Sakramentswirkung entschieden ab. Indem Heitmüller auf eine Veränderung auf der Seinsebene hinweist, deutet er also einen ontologischen Sachverhalt an. Was aber ist „Sein" oder „Substanz"? Offensichtlich teilt Heitmüller das Sein ein in 100 Ebd., 331. - Johannes Weiß hat die Studien Heitmüllers zum Namenglauben positiv in seiner Darstellung des Urchristentums aufgegriffen (vgl. Weiß, Urchristentum, 497). Offen ist ihm aber die Frage, inwieweit Paulus sich dem „magisch-zauberhafte(n) Element" der „volkstümlichen Auffassung" angeschlossen hat (ebd.). Weiß vermutet schließlich, es werde „bei Paulus in diesen Dingen ein gewisses Schwanken zwischen sakramentaler und symbolischer Denkweise zuzugestehen sein" (ebd., 498f). Vgl. ferner seine Rezension des Werkes Heitmüllers in der Theologischen Rundschau 1904 (Weiß, Heitmüller). 101 Heitmüller, Im Namen Jesu, 319. 102 Ebd., 326. 103 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 20. 104 Heitmüller, Im Namen Jesu, 326. 105 Heitmüller, Wiedergeburt, 2009 (Hervorhebung: K.L.).

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Natur und Geist. Natur scheint die den Sinnen zugängliche Wirklichkeit zu bezeichnen, während das Gebiet des Geistigen mit dem Begriff der Ethik zusammengestellt wird. So heißt es zur Charakterisierung der paulinischen Anschauung vom neuen Leben in Christus: „Naturhaftes und Ethisches gehn ohne deutliche Grenzen in einander über. Wo aber das der Fall ist, da ist der natürliche Boden, der eigentliche Nährboden fur die Mystik des Sakraments, dessen Charakteristikum die Vermengung des geistig-persönlichen und des natürlichsinnlichen Gebiets ist."106 Das Sakrament wirkt „naturartig". 107 Für diese naturhafte sinnliche Seite kann dann sogar der Begriff der Substanz gewählt werden, wobei „Substanz" als Synonym für „Materie" verstanden ist: Der Geist, so Heitmüller, wird bei Paulus nicht gedacht „ohne eine substantielle Grundlage". Er fährt fort: „Ich gebrauche das Wort substanziell' nur mit einer gewissen Scheu; es ist zu grob und massiv für das, was es bezeichnen soll. Aber doch läßt sich das, was gemeint ist, nicht anders ausdrücken." 108 Einiges Gewicht legt Heitmüller auf die „physische" Grundlage der neutestamentlichen Begriffe: Paulus kann sich den Geist nicht ohne „immateriell-materielle Grundlage" vorstellen; er ist „substanziell" gedacht und „von Haus aus eine physische Größe". 109 Es ist hier die Frage zu stellen, ob die ontologischen Aussagen des neuen Testamentes, die eine neuschaffende Wirkung der Sakramente bezeugen, nicht zu unrecht mit physischen, materiellen Kategorien erklärt werden. Die einfache Einteilung des Seins in Natur und Geist fuhrt dazu, daß die im Text bezeugte Seinsveränderung nun als physischer Vorgang aufgefaßt wird, ohne daß diese Identifizierung am Text selbst begründet würde. Es wäre exegetisch zu untersuchen, ob die paulinischen Beschreibungen des neuen Seins in Christo, der Einwohnung Christi oder des Geistes, zwar einen „substantiellen", nicht aber einen „physischen" Vorgang beschreiben wollen. Das Adjektiv „substantiell" bezeichnet dann lediglich die Tatsache, daß hier etwas beschrieben wird, was in sich selbst Bestand hat und aller Reflektion vorausgeht. 110 Ob eine nähere (regional-)ontologische Bestimmung des von Paulus beschriebenen Vorgangs exegetisch überhaupt möglich ist, wäre dann noch offen. Neben dieser Frage nach der richtigen Erfassung ontologischer Sachverhalte im Neuen Testament steht die grundsätzliche Infragestellung jeglichen sakramentalen Geschehens. Auf den Zusammenhang zwischen Historisierung des Denkens und Ablehnung jeden Sakramentes hat Troeltsch aufmerksam gemacht. 106

Heitmüller, Im Namen Jesu, 326. Ebd. 108 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 19. - Vgl. auch Bousset, Kyrios Christos, 127, wo er von der „wunderlichen Mischung von geistiger und naturhafter Betrachtung" bei Paulus redet. 109 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 19. 110 Der Begriff der „Substanz" wäre dann fundamentalontologisch gebraucht (subsistere = in sich selbst Bestand haben), nicht, wie bei Heitmüller, zur Bezeichnung lediglich eines bestimmten Gebietes des Seins (Substanz als Materie). 107

251

Dabei ist der neutestamentliche Befund auch für Troeltsch deutlich. Das urchristliche reale Verständnis der Sakramente ordnet er in die frühe Form der Mystik ein, bei der Bindung an Heilstatsachen noch neben einer Spiritualisierung des Heilsgeschehens möglich waren. Das Herrenmahl wird bei Paulus „zu einem mystischen Essen und Trinken, einer substanziellen Einigung", die Taufe wird „zu einem realen Mitsterben und Mitauferstehen mit dem Christus". Christus wird so für Paulus „eine reale Lebenssphäre übersinnlicher Art", der Gläubige wird „zu einem neuen pneumatischen Wesen".111 Zu Beginn seiner Glaubenslehre nun weist Troeltsch darauf hin, daß zu den neuzeitlichen Einflüssen auf das Christentum auch „die Auflösung des Sakramentalismus" zu rechnen ist. Sakramentalismus ist der „Glaube(ns) an die Bindung besonderer geistlicher Wunderwirkungen an sinnliche Mittel und Stiftungen". Zu fordern ist in der Neuzeit aber „die völlige Verlegung der Religion in Gesinnung und Glaube, woraus dann ein erheblich verändertes Verständnis der Sakramente folgt". 112 Deshalb wird „unsere Stellung zum Sakramentswesen (...) ganz instinktiv zu einer ablehnenden"; „ein Herausreißen physischer Dinge aus ihrem Zusammenhang (...) ist uns heute nicht mehr möglich".113 Dieses Diktum bezieht sich wieder einmal auf das Postulat eines geschlossenen Weltzusammenhanges, der für supranaturale Überfrachtung kontingenter Entitäten keinen Raum läßt. Deshalb ist ein „freies Christentum" zu fordern, in dem eine wunderbare Erlösung ersetzt wird durch die „Erhebung und Befreiung der Persönlichkeit durch die Gewinnung eines höheren Personlebens aus Gott". 114 Die dogmatische Konsequenz zieht Troeltsch in seinen knappen Ausführungen zu den Gnadenmitteln: Das einzige Gnadenmittel in der protestantischen Kirche ist das Wort; in den beiden Sakramenten findet es lediglich „eine äußerlich-sinnliche Darstellung". Für den Glauben der Gegenwart aber kann J e d e s Erlebnis, das die Fähigkeit religiöser Erregung und Belebung von sich ausgehen läßt", zum Gna-

111

Troeltsch, Soziallehren, 852. Troeltsch, Glaubenslehre, 23. - Die Loslösung von diesem Sakramentalismus wird nicht erst dem modernen Spiritualismus zugeschrieben, sondern auf Luther selbst zurückgeführt. In seiner Untersuchung „Protestantisches Christentum und Kirche in der Neuzeit" sucht Troeltsch Luther zu verstehen als Zerstörer des katholischen Sakramentsverständnisses. An die Stelle objektiver Materialisierungen Gottes trete die persönliche Heilsaneignung (vgl. Troeltsch, Protestantisches Christentum, 456f; dazu die Ausführungen bei Drescher, Troeltsch, 23 5f)· So kann dann in der Glaubenslehre gesagt werden, im Protestantismus sei „der Sakramentsbegriff völlig ausgetilgt oder auszutilgen" (Troeltsch, Glaubenslehre, 375). Auf die Problematik dieser Lutherdeutung kann hier nur hingewiesen werden: Für Luther ist tatsächlich die Aneignung der sakramentalen Heilsgabe nur dem Glauben verheißen: „Gleubstu ßo hastu" (Taufe, 192); „Glaub nur/ ßo hastu das sacrament schon genossen" (Leichnams Christi, 197, unter Zitierung Augustins). Dabei ist aber vorausgesetzt, daß dem Glauben ein Objekt bereits vorausliegt, ihm vorgegeben ist. Der Streit Luthers mit Zwingli um das rechte Abendmahlsverständnis macht dies besonders deutlich. Vgl. dazu N. Slenczka, Realpräsenz, 561-580, besonders 576f. 112

113 114

252

Ebd., 35. Troeltsch, Zukunftsmöglichkeiten, 840.

denmittel werden.115 Damit wird das Gnadenmittel zum Auslöser psychologischer Vorgänge im Gläubigen, seine Wirkung ist auf eben diese Vorgänge beschränkt. 4.3.2

Die Unmöglichkeit der Stiftung durch Jesus

Steht diese grundsätzliche Verneinung der Sakramente als Heilsgeschehen fest, dann kann gefragt werden, wie die Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule mit dem dargestellten neutestamentlichen Befund weiterhin umgehen. Zunächst steht die berechtigte Frage im Raum, ob das eruierte paulinische Sakramentsverständnis sich auf eine Stiftung der Sakramente durch Jesus selbst berufen kann. Die Antwort der Exegeten ist hier durchweg negativ.116 Heitmüller ist in breiten Ausführungen der Frage nach den Vorgängen am Abend vor der Kreuzigung Jesu nachgegangen.117 Zunächst wird die These Eichhorns aufgegriffen, nach der wir es in den einschlägigen Berichten von der Einsetzung des Abendmahles zu tun haben mit „Spiegelungen (...) der Art, wie das Herrenmahl in der Zeit und in den Kreisen, da sie niedergeschrieben wurden, gefeiert, gewürdigt und verstanden wurde, bezw. werden sollte".118 Begründet wird diese These mit der Art der synoptischen Evangelien, welche die Überlieferung bieten, die bereits „unter dem Einfluß des auch sich entwickelnden Glaubens und der sich entwickelnden Theologie der Gemeinde und einzelner" gestanden hat und weiterhin steht. Deshalb gilt auch von den Abendmahlsberichten, daß sie ,zunächst die in den jeweiligen Kreisen herrschende Praxis und Anschauung vom heiligen Mahl widerspiegeln und durch ihre Darstellung sanktionieren".119 Ähnliches gilt aber nun auch fur die paulinische Fassung von l.Kor. ll,25ff. Schon der Kontext zeigt, so Heitmüller, daß die Schilderung hier „im Dienst einer bestimmten Absicht" steht.120 Ja, gerade wenn Paulus mit dem Hinweis, seine Botschaft vom Herrn empfangen zu haben, eventuell auf eine direkte Offenbarung anspielt, kann - so Heitmüller - der Exeget folgern, daß Paulus diese offenbarte „Einsicht im Bericht geltend macht und gegebenenfalls kein Bedenken getragen haben wird, den Wortlaut des Berichts zu ändern und

1,5

Troeltsch, Gnadenmittel, 1476. Die Ausführungen des Systematikers Otto zur Einsetzung des Herrenmahles sind anders ausgerichtet. Er wendet sich gegen die Behauptung, der Bericht sei Ergebnis einer sich von Jesus entfernenden Gemeindetheologie. Die Gemeinde greift lediglich auf, was schon Jesus mit dieser Handlung intendierte: Er wollte „eine Gemeinschaft, seine Gemeinschaft schaffen" (Otto, Sakrament, III). Zugleich ist die Handlung des Brotbrechens bereits für Jesus „mehr als bloße Voraussage" seines Todes, „sie ist Anteilgabe an der Kraft des Repräsentierten, nämlich an der Sühn-kraft des gebrochenen Christus" (Otto, Reich Gottes und Menschensohn, 243). 117 Heitmüller, Abendmahl, 20-37; ders., Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 1-10. 118 Heitmüller, Abendmahl, 22. 119 Ebd., 22f, Hervorhebung im Original. 120 Ebd., 23. 116

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so zu gestalten, daß der ihm feststehende Sinn klar heraustrat".121 Die Differenzen des paulinischen Textes zu dem der Synoptiker scheinen Heitmüller diese Ansicht zu bestätigen. Er geht davon aus, daß der Apostel „in seinem Bericht zunächst nur sein Verständnis von Art und Bedeutung des Herrenmahls" vorträgt.122 Dennoch wagt Heitmüller den Versuch einer Rekonstruktion der Ereignisse am Abend vor der Kreuzigung. „Erst mit Hilfe der Kritik dringen wir zur geschichtlichen Wirklichkeit vor."123 Bevor die Kritik im einzelnen ihr Handwerk beginnt, wird zuerst die Gattung der in Frage stehenden Berichte bestimmt: In den Abendmahlsberichten haben wir „einen hieros logos vor uns, eine Kulterzählung, einen ätiologischen Kultbericht zur Erklärung einer in der Gemeinde gängigen Kulthandlung".124 Diese These steht schon zu Beginn der kritischen Arbeit fest, sie ist nichts anderes als eine Weiterfuhrung der Aussagen Eichhorns: Die Entscheidung, den Text als Spiegelung einer Gemeindesituation zu verstehen, fuhrt zur Festlegung seiner Gattung.125 Die kritische Untersuchung der Berichte geht nun vor allem vergleichend vor. Beim Brotwort wird die paulinische Fassung, die die Worte το ΰπερ υμών enthält, als sekundär beschrieben. Denn die kürzere Form bei Markus und Matthäus gilt als ursprünglich, nicht nur weil die kürzere Lesart meist als ursprünglich zu gelten hat, sondern auch deshalb, weil wir mit diesem deutenden Zusatz „mitten in der Theologie der Urgemeinde, bezw. des Paulus" stehen.126 Die Überlegungen sind deutlich zirkulär: Der Unterschied zwischen dem historischen Ereignis und der paulinischen Deutung wird aufgezeigt, indem er selbst als Kriterium der Quellenbeurteilung herangezogen wird. Der paulinische „Zusatz" liegt auf einer bestimmten „Stufe der Entwicklung der Gemeindeanschauung", und gerade „sein Zusammenhang mit der Gemeinde-Theologie zwingt uns, Zweifel daran zu erheben, daß Jesus ihn gesprochen hat."127 Ähnliches gilt vom Kelchwort. Ob es ein solches überhaupt gab, wird zunächst aufgrund der Probleme des Lukastextes in Frage gestellt. Nimmt man ein Kelchwort an, so wird es auf die Aussage „Das ist mein Blut", eventuell mit dem Zusatz „des Bundes", zu reduzieren sein.128 Der Sinn dieser Handlung Jesu wird dann mittels psychologischer Argumentation zu ermitteln gesucht, nun in auffallender Freiheit der exegetischen Speku121 122 123 124 125

Ebd., 24. Ebd., Hervorhebungen im Original. Ebd., 23. Ebd., 25. Der Begriff der „Gattung" taucht hier noch nicht auf, die Sache ist aber deutlich gese-

hen. 126

Vgl. ebd., 28. - Der längere Lukas-Text wird aufgrund des Fehlens im Codex Bezae Cantabrigiensis ausgeschieden. Diese Entscheidung über einen besonders wichtigen Fall der „Western non-interpolations" ist bis heute umstritten, vgl. den Kommentar bei Metzger, Commentary, 173-177. 127 Heitmüller, Abendmahl, 29. 128 Ebd., 31f.

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lation: „Glücklicherweise können wir die innere Situation und Stimmung Jesu an diesem Abend wenigstens in ihren Grundzügen erkennen."129 Heitmüller versucht daraufhin, das Abendmahl als Verbrüderungsmahl zu deuten. Dabei repräsentiere der Leib Jesus „selbst, seine Persönlichkeit, alles was dieser leibhaftige Mensch an religiösem Gut und Erleben bedeutete und garantierte". Das Brotwort muß dann etwa so interpretiert werden: „So wie ich euch allen dies eine Brot gebe und ihr alle von dem einen Brot esset zum Zeichen und zur Begründung enger Gemeinschaft, so gebe ich euch meinen Leib, d. h. mich selbst, und so sollt ihr mich in euch aufnehmen als das Mittel innigster Verbrüderung und Gemeinschaft."130 Die Spendung des Kelches vertieft diese Verbrüderung zum Gedanken der Blutsbruderschaft. „Mich gebe ich euch und sollt ihr nehmen als das Blut, das euch zu Blutsbrüdern macht." Oder mit Beziehung auf seinen bereits geahnten Tod: „Mich als den Getöteten gebe ich euch als Kitt eurer Gemeinschaft."'31 Eine Wiederholung dieser Handlung war durch Jesus nicht intendiert. Denn der paulinische Zusatz „das tut zu meinem Gedächtnis" fehlt bei den Synoptikern, obwohl doch auch diese sicherlich die Szene so auffaßten, als habe Jesus die Wiederholung gewollt. Wenn sie also die Aufforderung Jesu nicht mitteilen, so kennen sie diese nicht. Die Entstehung der Version des Paulus läßt sich hingegen gut erklären aus der Tendenz der Gemeinde, „ihre Einrichtungen und Anschauungen durch Worte zu legitimieren, die man Jesus in den Mund legte".132 Noch einfacher ist die Einschätzung hinsichtlich der Einsetzung der Taufe durch Jesus. Der Markustext gehört in den längeren Markusschluß, dem die Ursprünglichkeit abgesprochen wird. Der matthäische Taufbefehl aber wird unter Berufung auf den Forscherkonsens ausgeschieden: „Aber es ist nun ein weithin anerkanntes Ergebnis der historischen Kritik, daß dies zum jüngsten Sondergut des Matthäus gehörige Wort, dessen Inhalt mit sicheren Daten des Lebens Jesu und des apostolischen Zeitalters (universalistische Mission, trinitarische Formel!) im Widerspruch steht, nicht als Jesus-Wort gelten kann."133 Der Taufbefehl gilt vielmehr als Mittel zur Sanktionierung der bereits bestehenden Heidenmission. Hätte Paulus einen solchen Taufbefehl Jesu gekannt, so hätte er sich darauf berufen.134 Jesus hat die Taufe also nicht eingesetzt. Wenn er es doch getan hätte, dann jedenfalls nicht im Sinne der Verleihung des Geistes. Denn „(d)ie Pneumatologie war der Lehre Jesu fremd".135 Heitmüller konstatiert darum die „eigentümliche Erscheinung", daß „(i)n der Gemeinde der Jesusgläubigen (...) 129

Ebd., 32. Ebd., 35. 131 Ebd., 36. Ähnlich Bousset, Neutestamentliche Theologie, 102b: „Jesus (...?) m[it] s[einen] Jüngern trinkend und essend Blutsbruderschaft über Grab und Tod hinaus". 132 Ebd., 28. 133 Heitmüller, Taufe, 1086. 134 Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 2f. 135 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 39. 130

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früh, vielleicht von Anfang an, die T(aufe) geübt" wird, „ohne daß sie von Jesus angeordnet worden wäre". 136 Diese exegetischen Ergebnisse hinsichtlich der Einsetzung beider Sakramente lassen sich gut in das Jesusbild der religionsgeschichtlichen Schule einordnen. Schon im ersten Teil der vorliegenden Arbeit war gezeigt worden, wie der postulierte Gegensatz zwischen Kult und Sittlichkeit in der Darstellung der Person und der Lehre Jesu zum Zuge kam.137 Jesus gilt als der Verkünder einer rein ethischen Religion, die dingliche Mittel zwischen Gott und Mensch nicht kennt. Diese Zeichnung Jesu kommt nun auch in der exegetischen Behandlung der Sakramente nochmals zur Sprache. Heitmüller stellt in seinem Vortrag von 1903 die Frage nach dem Zusammenhang der paulinischen Sakramentsanschauung mit der Verkündigung Jesu. Wenn Heitmüller auch nicht völlig ausschließen will, daß Jesus mit seinen Worten beim letzten Mahl sakramentale Anschauungen verband, so hält er dies doch für unwahrscheinlich. Denn „(i)n der nüchternen, schlichten, einfachen Predigt vom kommenden Reich, vom Gericht, von dem heiligen, die Sünde vergebenden Vatergott, von dem ,unendlichen Wert der Menschenseele', in der stahlharten Verkündigung von der Gerechtigkeit des Gottesreiches findet sich keine Silbe von der Geistesmystik und Christusmystik der Taufe und des Herrenmahls. Nicht nur das: die ganze Stimmung, die über der Predigt Jesu liegt, ihre ganze Art ist eine andere als die der Sakramentsreligion. Mit einem Wort: das religiöse Grundverhältnis, wie es in der Predigt Jesu klar und deutlich hervortritt, ist als ein schlechthin ethisch-persönliches zu denken."138 Als Jesus am letzten Abend Brot und vielleicht auch den Wein reichte, da meinte er „eine rein persönliche, geistig-ethische Gemeinschaft mit ihm".139 Das Ideal der ethischen Persönlichkeitsreligion wird hier in der Gestalt des historischen Jesus gesucht und gefunden. 4.3.3

Die Inkongruenzen bei Paulus

Was von Jesus zu sagen war, gilt von Paulus nur sehr bedingt. Heitmüller zeigte eindrücklich, daß ein Paulusbild, welches den Apostel lediglich als Verkünder einer ethischen Religion zeichnet, keinen Anhalt an den neutestamentlichen Texten hat. Dennoch will Heitmüller nun Paulus auch nicht allein im sakramental-kultischen Milieu angesiedelt wissen. Denn Paulus gilt andererseits als der Theologe, welcher dem Glauben die „zentrale(n) Stellung" gegeben und damit „der rein geistigen, persönlichen Auffassung des religiösen Verhältnisses" Bahn

136

Heitmüller, Taufe, 1087. Vgl. oben, I, Β 3. 138 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 38f. Mit der Apostrophierung der Worte „unendlichen Wert der Menschenseele" zeigt Heitmüller deutlich seine Anlehnung an die harnacksche Zeichnung der Predigt Jesu an, vgl. Harnack, Wesen, 38. Hier wird deutlich, wie sehr die religionsgeschichtliche Schule inhaltlich doch der liberalen Schule harnackscher Prägung verhaftet bleibt. Vgl. dazu (mit Bezug auf Gunkel) Klatt, Gunkel, 175. 139 Heitmüller, Abendmahl, 51. 137

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gebrochen hat.140 Die „rein geistige(n) und ethische(n) Erfassung des religiösen Verhältnisses" lag eben „in der Verkündigung Jesu und auch bei Paulus in der Hauptsache" vor.14' Nimmt man beide Seiten zusammen, so kann man nur von einer „Inkongruenz" in der Anschauung des Apostels sprechen.142 Der „Apostel des Glaubens" kann alles, was er dem Sakrament zuspricht, auch, ja sogar vorwiegend, dem Glauben zuteilen. Wenn aber der Glaube das Sein in Christus „bedingt", dann „haben streng genommen äußere Handlungen keinen Raum". Das sakramentale Element bleibt „Fremdkörper".' 43 So konstatiert Heitmüller bei Paulus eine „unklare Vermengung des Naturhaften und des Geistig-Persönlichen"144 und erklärt diese Mischung aus dem Charakter der Kulthandlungen: In diesen bleiben oft noch Vorstellungen lebendig, „die mit der allgemeinen Höhe der betr. Religionsstufe nicht mehr im Einklang stehen".145 Mit diesem Versuch der Vermittlung innerhalb des Paulusbildes verliert die Darstellung Heitmüllers jedoch an Stringenz, da sie die eigenen Aussagen stark relativieren oder gar zurücknehmen muß. Paulus darf jetzt über diese eigentlich tief unter seinem Niveau liegenden Anschauungen nur ganz anfanglich reflektiert haben, im wesentlichen muß auch er den Kultus lediglich erlebt haben.146 Und alles, was Heitmüller so eindrücklich über die - in ihren Brennpunkten ganz wesentlich mit dem Sakrament verbundene - Theologie des Paulus sagte, darf nun doch nur am Rande dieses Gedankengebäudes zu stehen kommen. 147 Dies fuhrt zu dem um Versöhnung der Gegensätze bemühten Hinweis, „daß, so gewiß auch die Sakramentsmystik im engsten Zusammenhang mit zentralen Punkten seiner Frömmigkeit und Gedanken steht, so gewiß des Apostels vorwiegendes Interesse und die eigentümliche Kraft seiner Verkündigung nicht in ihr gelegen haben".148 Pneuma und Christus, deren supranaturale Einwohnung nach paulinischen Verständnis Heitmüller beschrieben hatte, sind nun „in erster Linie (...) doch (...) sittliche Größen und bewirken eine Umgestaltung des sittlich-religiösen Lebens". 149

140

Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 23. Ebd., 36. 142 Ebd., 23. 143 Heitmüller, Abendmahl, 47. 144 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 21. 145 Ebd., 37. 146 Vgl. ebd. 147 Für Paulus steht „die Gemeinschaft mit Christus in geistig-ethischem Sinn durchaus im Vordergrunde", die „sakramentalen Elemente" liegen dagegen „an der Peripherie"! (Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 82). 148 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 37. 149 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 26. Vgl. auch ders., Wiedergeburt, 2014: Die „siegreiche Kraft des Geistes Jesu und des jüdischen Erbes des Apostels" zeigt sich in der „Versittlichung des hier vorliegenden Vorstellungskreises". - Diese Spannungen im von Heitmüller gezeichneten Bild der paulinischen Sakramentslehre spiegeln sich deutlich wieder in einem Streit, in den Heitmüller mit von Dobschütz geriet. Dieser hatte in einem Aufsatz die Ausführungen Heitmüllers zu den Sakramenten dargestellt (von Dobschütz, Sa141

257

Solche Beteuerungen dienen letzlich dazu, den Wert der paulinischen Theologie zu retten. Dies kann aber nicht über seine Sakramentsanschauung geleistet werden, da sie in den abzulehnenden Bereich des Kultischen fällt. Nun kann aber Heitmüller gerade das „ethische" Element in der paulinischen Sakramentslehre als das höherwertige erklären und damit Paulus über die hellenistische Tradition stellen. Alles, was vorher über die reale Sakramentsauffassung Pauli gesagt wurde, muß nun bloße Form, bloßes Bild für den darin verborgenen ethischen Kern werden: „In der hellenistischen Mystik dagegen hatte (...) die Wiedergeburt und der ganze zu ihr gehörige Vorstellungskreis von Haus aus keinerlei ethische Bedeutung. Die Form des religiösen Erlebens, die Bilder sind dieselben, auch vom Inhalt ist manches herübergekommen - aber verschieden ist eben die Höhenlage, in der sie bei Paulus und dort auftreten. Unter Pauli Händen und dem Einfluß des Geistes Jesu ist aus dem, was seine Wurzel im Hellenismus hat, doch etwas ganz anderes geworden."150 Die ethische Umgestaltung der Gemeindeanschauungen sowie ein psychologisch verstandener Glaubensbegriff werden zum Zentrum paulinischer Theologie. So können die sakramentalen Elemente als noch verbliebene kultische Eierschalen gedeutet werden, die an einer sich zur wahren Religion erhebenden Anschauung kleben: Es muß „bei dem allgemeinen Urteil bleiben, daß die sakramentale Auffassung der Grundrichtung der paulinischen Theologie widerspricht und eine Vermischung mit fremdartiger, der Höhe des Evangeliums nicht entsprechender Religiosität bedeutet".151 Bousset hat versucht, diese sittlich-geistige Grundrichtung paulinischer Theologie am klassischen Tauftext in Rom 6 nachzuweisen. Paulus knüpfe hier zwar an das Verständnis der Taufe als „Initiationsakt", als „Sterben und Wiederaufleben" an. Deutlich werde aber, wie er Jenes kultische Erlebnis, das eben nur in der Stimmung als Mysterium erfaßt wurde, aus seiner dumpfen Gebundenheit befreit, ins Persönliche umbiegt, geistig-sittlich ausdeutet und erweitert".152 Um diese These nachzuweisen, versucht Bousset, eine Spannung im Text selbst aufkrament) und dabei besonders auf dessen naturhaft-sinnlicher Auffassung insistiert. Heitmüller versucht in seiner Antwort (Heitmüller, Sakrament) eine Verteidigung, indem er seine Ausführungen sowohl vom katholischen wie rein magischen Verständnis abgrenzt: Er habe „mit aller Energie und Deutlichkeit erklärt, daß aller Nachdruck und alles Interesse bei Paulus auf der rein geistigen, ethisch persönlichen Erfassung des religiösen Verhältnisses ruhen" (ebd., 461). Rendtorff weist jedoch anhand der Publikationen Heitmüllers selbst die Brüchigkeit dieser Verteidigung nach (vgl. Rendtorff, Taufe, 16f). 150 Ebd. Ähnlich Bousset, Kyrios Christos, 140: Im Vergleich mit hellenistischer Sakramentsfrömmigkeit zeige sich „die ungleich größere sittlich-religiöse Kraft und die geistige Originalität des Apostels": Während jene Frömmigkeit lediglich „Befreiung von der Welt der Vergänglichkeit" sowie „Unsterblichkeit (αφθαρσία) und ewiges Leben" suche, gehe es für Paulus um den „Gedanke(n) an die Befreiung von Sünde und Schuld". Das aber heißt: „Durch allen Mysterienglauben und mysteriöse Spekulation hindurch meldet sich das Ethos des Evangeliums zum Wort." 151 Heitmüller, Abendmahl, 48. 152 Bousset, Kyrios Christos, 107.

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zuzeigen. Die „Bilder" vom „Getauftwerden in den Tod Christi, von einem Mitbegrabenwerden des Christen in der Taufe" seien „im engen Anschluß an den Taufritus" konzipiert, also vom Kult her bestimmt. Ab Vers 5 aber beherrsche nicht mehr der Taufritus, sondern die „Kreuzesmystik" des Apostels den Gedankengang. Diese „hat genau genommen mit dem Sakrament der Taufe nichts mehr zu tun", es sind vielmehr „neue, unerhörte Phantasien, die nun aus der Seele des Apostels aufsteigen".153 Durch diese Ausführungen wird die vermutete Spannung allerdings nicht aufgezeigt, sondern lediglich beteuert. In ähnlicher Weise staunt Bousset über den „mystische(n) Klang" in Gal. 3,26f, wo die „Sohnschaft durch das Wunder des Sakraments und die sakramentale Verbundenheit mit Christus" verkündet werde, während doch sonst der Brief von „rein geistigen Gedanken des Apostels von Glaube und Gottessohnschaft" bestimmt sei.154 4.3.4

Herkunft der Sakramentsanschauungen: Zauberglauben und Magie

Woher stammt die paulinische Lehre von den Sakramenten? Heitmüller ist dieser Frage anhand religionsgeschichtlichen Vergleichsmaterials nachgegangen. Dabei sind die Hinweise für die Taufe und das Abendmahl eher kurz gehalten, während zur Untersuchung der Herkunft des Namenglaubens eine ausfuhrliche Monographie Heitmüllers vorliegt.155 Grundsätzlich gilt für die Behandlung aller Themen, daß der neutestamentliche Befund durch außerbiblische Texte verständlich gemacht werden soll. Dies wird möglich, wenn sich biblische Vorstellungen als einzelne Arme eines größeren religionsgeschichtlichen Stromes erweisen lassen können.156 Für die Taufe wird, abgesehen vom Namenglauben, auf das Element des Wassers verwiesen. Zunächst kann hier natürlich an die große Bedeutung der jüdischen, speziell auch essenischen Waschungen und Tauchbäder erinnert werden.157 Tägliche Waschungen dienten der Beseitigung von kultischer Unreinheit. Tauchbäder zu besonderen Anlässen gab es bei den Essenern, so etwa bei der Aufnahme in den Orden. Ferner ist auf die Proselytentaufe wie auch auf die in

153

Ebd., 108. Ebd. - Auf die Position von Weiß ist schon hingewiesen worden. Für ihn stehen überkommene primitive Anschauungen und höherstehende religiöse Deutungen bei Paulus unvermittelt nebeneinander, vgl. Weiß, Urchristentum, 496: „Ganz gewiß drängen die tiefsten und originalsten religiösen Gedanken des Paulus, wie sie namentlich in der Rechtfertigungslehre enthalten sind, vor allem weist der neue Gottesbegriff in eine Richtung, die von allem Sakraments-Wesen weit abliegt. Historisch aber ist Paulus doch auch durch starke Wurzeln mit dem antiken Boden verbunden, aus dem die Sakraments-Religionen hervorgehen, und ganze Gebiete seines religiösen Denkens sind von der sakramentalen Betrachtung nicht zu trennen." 155 Heitmüller, Im Namen Jesu. 156 Bousset, Neutestamentliche Theologie, 99b, ordnet die Sakramente ein unter dem Begriff des „religiöse(n) Atavismus". 157 Vgl. dazu Heitmüller, Taufe, 1087f. 154

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ihrer Bedeutung allerdings nicht sicher definierbare Taufe des Johannes hinzuweisen. Diese jüdischen Phänomene sind nun aber - so Heitmüller - einzustellen in einen weiteren Vorstellungskreis. Es handelt sich um die „primitiven Vorstellungen" von der „Unreinheit" wie von den Wirkungen des Wassers. Unreinheit ist vergleichbar einem „Fluidum", welches am Kontakt mit der Gottheit und ihrem Kult hindert. Das Wasser, besonders das fließende Wasser gilt in der semitischen Religion als in Verbindung mit der Gottheit stehend und vermag deshalb die religiöse Unreinheit abzuwaschen.158 Als Ursprungsland dieser Vorstellungen wird Babylonien genannt, ohne daß jedoch diese Spur weiter verfolgt wird.159 Auch die Taufe als „Wiedergeburt" sowie die Vorstellung vom Sterben und Auferstehen mit Christus finden ihre Entsprechungen in außerbiblischen Vorstellungen. „Wiedergeburt" erscheint im Neuen Testament als „sterben und auferstehen" oder als „von Gott gezeugt werden". Sie wird meist „mit der Taufe verbunden", „charakterisiert den Anfang des Christenlebens als eine schöpferische Tat Gottes" und ist vor allem „nicht etwa nur eine Umkehr oder Erneuerung des religiös-sittlichen Lebens, sondern eine den ganzen Menschen umfassende Neuschöpfung, eine Versetzung in eine höhere Daseinsweise oder doch die sichere Gewähr derselben".160 Im hellenistischen Synkretismus gibt es hier viele Parallelen. Heitmüller weist besonders auf die Mysterien des Attis, der Isis und des Mithra sowie auf die hermetische Mystik hin.161 Aber auch in „primitiven Religionen" sei die Vorstellung einer Wiedergeburt weit verbreitet.162 In den hellenistischen Mysterien besteht 158 EM., 1088; ders., Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 6-10. Es werden hier im Einzelnen keine Belege geboten, sondern verwiesen auf: Smith, Die Religion der Semiten, 129ff. Ferner wird an die Geschichte von Naeman (2.Kön. 5,8ff) und an die Heilungen im Teich Bethesda (Joh. 5,4) erinnert. Dann folgen christliche Belege der nachapostolischen Zeit: Horn. Clem. XI, 22 (= ια 22, GCS 42, 165, 13-24); Recogn. Clem. VIII, 26 (= GCS 51, 232, 7-28); Tertullian, De Bapt. 111,4 (= CChr.SL 1, 279, 22-25). 159 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 10. - Vgl. auch ders., Im Namen Jesu, 272: „(W)ir müssen die christl. Taufanfänge hineinstellen in den grossen Taufstrom, der, in Babylonien entsprungen, sich in das Ostjordanland und seine religiösen Gemeinschaften und ins Judentum ergossen hat, wie wir andererseits für die spätere Entwicklung die Reinigungs- und Sühnriten des griechisch-römischen Heidentums heranziehen müssen." 160 Heitmüller, Wiedergeburt, 2010. 161 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 23. Heitmüller verweist auf Sekundärliteratur: Jacoby, Mysterienreligionen; Hepding, Attis; Cumont, Mysterien, Reitzenstein, Poimandres. 162 Mit Verweis auf Frazer, The golden bough II, 342flf (? evtl. gemeint VII,2, 225ff?); Schurtz, Alterklassen; Frobenius, Masken; Dieterich, Mithrasliturgie; weitere Belege siehe Heitmüller, Wiedergeburt, 201 lf. In den primitiven Religionen ging es dabei beispielsweise um den „Eintritt in den Stamm oder den Geheimbund", der „als eine Neugeburt, ein Sterben des alten und Wiedererstehen eines neuen Wesens" erlebt wurde. Oder es handelte sich um „Vereinigung mit den Geistern, den Ahnengeistern oder den Stammesgeistern" (Heitmüller, Wiedergeburt, 2011).

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die Wiedergeburt des Mysten „in einer mystisch-enthusiastischen Vereinigung mit der betr. Gottheit, (...) kurz in der Vergottung". 163 Dabei spielen verschiedene Riten, meist auch Taufen und Waschungen, eine Rolle. Allerdings gibt es auch Formen der Mystik, bei denen die Wiedergeburt ohne Riten erfolgt. Ferner weisen die Kulte des Attis wie der Osiris auf das Schicksal der Kultgottheit zurück: Dem Mysten wird dasselbe Schicksal zuteil.164 Für Heitmüller ist die mittelbare Abhängigkeit des Paulus von diesem Gedankenkreis evident, sie „bedarf keines Beweises". 165 Schon die Geburtsstadt des Paulus, Tarsus, war ein Mittelpunkt hellenistischer Kultur, ferner könnten auch die Heidenmission des Apostels und die heidenchristlichen Gemeinden, in denen er zuhause war, Einfluß in dieser Richtung gehabt haben. Auch die neutestamentlichen Ausagen zum Abendmahl lassen sich in eine weiten religionsgeschichtlichen Kontext einstellen. In seinem Vortrag von 1903 hatte Heitmüller, freilich ohne direkte Abhängigkeiten postulieren zu wollen, auf vergleichbare Riten bei den Azteken in Mexiko, auf die orgiastischen Feiern des thrakischen Dionysos und auf die Opfersitte eines Beduinenstammes auf dem Sinai hingewiesen. 166 Diese Riten und das Abendmahl gehören „in die gleiche religionsgeschichtliche Kategorie", da „(h)ier wie dort (...) derselbe religiöse Trieb" wirkt, die Suche nämlich nach der „denkbar engste(n) Verbindung mit der betr. Gottheit". 167 Sowohl das engste Gemeinschaft der Teilnehmer stiftende gemeinsame Mahl wie auch das mit der Gottheit einende Essen eines heiligen Opfertieres sind bekannte orientalische Vorstellungen. Die Vorstellung vom Essen der Gottheit selbst ist eigentlich nur „für sehr frühe Stufen der Entwicklung" zu erkennen und wurde beizeiten von der anderen abgelöst, derzufolge „das Leben des Opfertieres mit dem der Gottheit verwandt sei". Die Vergleiche zeigen, daß nun im Herrenmahl, „auf der höchsten Entwicklungsstufe der Religion", eine ganz alte Vorstellung „wieder zum Durchbruch" gelangt, nämlich die des Essens der Gottheit. 168 Als vergleichbare Erscheinung wird ferner besonders das Mahl der Mithrasdiener ins Feld geführt. 169 Zur Beantwortung der Frage 163

Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 23. Ebd., 24. - Inzwischen sind diese Ausführungen durch die Studie von Colpe (Die religionsgeschichtliche Schule) relativiert worden. 165 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 24. 166 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 40-42. 167 Ebd., 42f. - Bousset, Neutestamentliche Theologie, 99b, zieht sogar das „Zeitalter des Kannibalismus" als Erklärung heran: ,,d[en] gefallenen] Krieger isst man, um sich seine Kraft anzueignen". 168 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 46, 48. Vgl. auch ebd., 49: „(A)us den untersten Tiefen des grossen Stromes der Volks-oder Menschheitsreligion steigt, auf eine im einzelnen für uns unerklärbare Weise, ein Stück primitiven, konkreten religiösen Empfindens und Vorstellens an die Oberfläche, dringt bis auf die im Christentum erreichte höchste Stufe der Frömmigkeit und Mystik, der uralte Gedanke der Vereinigung mit der Gottheit durch Essen und Trinken." 169 Vgl. ebd., 44-53; zum Mithrasmahl wird auf Cumont, Textes, I, 175f; 320f verwiesen. Heitmüller erwähnt weiter, daß Justin das Mithrasmahl als dämonische Nachäffung des Her164

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nach den konkreten Möglichkeiten der Vermittlung dieser Anschauungen verweist Heitmüller mit Vorbehalt auf essenische Mahlzeiten und auf die Mithrasverehrung in Tarsus, dann jedoch allgemeiner auf die „Luft", in der das Christentum lebte, und die, „wenn Sie den Ausdruck gestatten wollen, mit Mysterien-Bazillen geschwängert war".170 In einer späteren Publikation fugt Heitmüller noch eine weitere Erklärung hinzu: Das zur Zeit der Urgemeinde weitverbreitete Vereinswesen, in dem kultische Mahlzeiten ebenfalls eine wichtige Rolle spielten, so zum Beispiel auch Gedächtnismahle fur Verstorbene.171 Im Blick auf den Namenglauben untersucht Heitmüller zunächst die Bedeutung des Namens im Judentum.172 Er kommt zu dem Ergebnis, daß für die jüdische „Namen-Philosophie" der Name Gottes „einerseits in engster mystischer Beziehung zu dem Wesen Gottes" steht, sodaß er an dessen Wesen und Macht partizipiert. Andererseits „hat er in gewissem Sinn selbständige Stellung und Bedeutung neben Gott; er ist eine Art Hypostase neben ihm, ein Doppelgänger Gottes".173 Indem man den Namen Gottes nennt, kommt man in engste Berührung mit Gott selbst, das Aussprechen des Namens ist Waffe im Kampf mit bösen Mächten.174 Die jüdischen Vorstellungen werden von Heitmüller eingestellt in einen „international(en)" Kontext:175 Dieser Vorstellungskreis läßt sich bei den alten Ägyptern, in Grönland, in Indien, bei den Lappen, im Iran, im alten Arabien, bei den nordamerikanischen Indianern, bei den Malayen und Papuas, in Afrika wie in Tibet finden.176 Deshalb kann geschlossen werden, daß auch der jüdische Glaube an die Kraft des Namens in diesen weiten Strom gehört.177

renmahles verstand, vgl. ebd., 47, unter Verweis auf Justin, Apol. I, 66 (= KDGQ 1, 56,2957,17). - Für den Gedanken des Essens der Gottheit verweist Heitmüller auf folgende Fundstellen: Frazer, The Golden Bough, II, 318ff; Oldenberg, Religion, 328f.; Gruppe, Mythologie, 729ff; Dieterich, Mithrasliturgie, lOOf; Wiedemann, Toten, 18. 170 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 52. 171 Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 70f. In diesem Buch auch noch weitere Belege für religionsgeschichtliche Parallelen zum Abendmahl, vgl. Fußnoten 23-27 (S.84). - Der Hinweis auf einen Totenkult auch bei Bousset, Neutestamentliche Theologie, 102a. 172 Heitmüller, Im Namen Jesu, 132-197. Heitmüller stützt seine Untersuchungen vor allem auf rabbinische Texte, will den dort nachgewiesenen Glauben aber auch für das Judentum der neutestamentlichen Zeit postulieren, da ja auf dem „Gebiet des Aberglaubens und der Zauberei" die Vorstellungen sehr konstant blieben. Daß „die wichtigsten Vorstellungen der Zauberei (...) zu allen Zeiten und (...) bei allen Völkern im wesentlichen die gleichen" sind: „das bedarf keines Beweises." (ebd., 147). Heitmüller gelangt aber auch mit Belegen beispielsweise von Josephus oder aus dem Henochbuch und dem Gebet des Manasse in neutestamentliche Zeit zurück (vgl. ebd., 149-153). 173

Ebd., 154. Vgl. ebd., 154f. 175 Ebd., 160. 176 Vgl. ebd., 161-164. 177 Ebd., 164: „In diesen Anschauungen vom Wesen des Namens überhaupt, die international für alle Völker (speziell auf primitiver Kulturstufe) sind, ist auch der jüdische Glaube an den göttlichen Namen letztlich begründet." 174

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Zu diesem international verbreiteten Gedankenkreis gehört auch die Vorstellung, eine Gottheit durch Nennen ihres Namens zwingen zu können. Heitmüller will Spuren dieses Denkens auch im biblischen mm DSZQ tnp finden.178 Mit dieser Anschauung wiederum hängt zusammen, daß der Name dem Gläubigen als Waffe zur Verfugung steht, dieser zieht durch das Aussprechen die Macht der Gottheit auf sich selbst. Der Name wird zum schützenden Siegel. Heitmüller erinnert an die häufige alttestamentliche Redewendung bs mm Dtö top], diese Nennung des Jahwenamens über dem Volk, dem Tempel in Jerusalem oder der Bundeslade symbolisiert nicht nur, sondern begründet zugleich die Zugehörigkeit zu Jahwe.179 Namenglaube und Namenszauber werden schließlich von Heitmüller auch als weitverbreitetes Phänomen im synkretistischen Heidentum der griechischrömischen Zeit nachgewiesen.180 Es ergibt sich anhand zahlreicher Quellenbelege dasselbe Bild: Durch den göttlichen Namen werden Gegenstände geweiht, das heißt mit der Gottheit verbunden und mit ihren Kräften erfüllt. Durch Nennung des Namens erwirbt der Gläubige Gewalt über tieferstehende feindliche Mächte.181 Am Ende der „mühsamen Wanderung" durch die Quellentexte hält Heitmüller als „sicheres Ergebnis" fest, „dass die Verwendung des Namens Jesu bzw. des dreifachen Namens bei der Taufe von Anfang an, soweit wir die Anfänge der Taufe überhaupt historisch erkennen können, ihren Mutterboden in dem Vorstellungskreise des uralten Namenglaubens hatte. Die internationale primitive Anschauung und Wertung des Namens, besonders heiliger Namen, (...) ist es, die auch bei der christl. Taufe ihren Tribut erhebt."182 In der nun sich stellenden grundsätzlichen Frage nach der Berechtigung dieser Parallelisierung christlicher Glaubensinhalte mit heidnischen Vorstellungen setzt sich Heitmüller dem Streit mit Irenäus aus. Er weist darauf hin, daß dieser die heidnischen Anrufungen von Götter- und Engelnamen der christlichen Anrufung Jesu konträr gegenüberstellt: „Nec invocationibus angelicis facit (ecclesia) aliquid nec incantationibus nec reliqua prava curiositate: sed munde et pure et manifeste orationes dirigentes (dirigens) ad dominum qui omnia fecit et nomen domini nostri Jesu Christi invocans, ... Si itaque et nunc nomen domini nostri Jesu Christi beneficia praestat et curat firmissime et vere omnes ubique credentes in eum, sed non Simonis neque Menandri neque Carpocratis nec alterius cuiuscunque".183 Daß die Kirche in der Anrufung Jesu den wahren Gottesdienst findet, die heidnischen Götteranrufungen aber als dämonische Magie brand178

Ebd., 168. Ebd., 171f. 180 Vgl. besonders ebd.. 197-217, mit zahlreichen Nachweisen. 181 Vgl. ebd., 211. 182 Ebd., 332. 183 Irenäus, Adv. Haer. II, 32,5 (= SC 294, 342, 114-123); zitiert bei Heitmüller, Im Namen Jesu, 230f (dort mit Sperrungen und unter der falschen Angabe II, 32, 3); vgl. auch ebd., 252-257. 179

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markt, erklärt Heitmüller als eine typische „Täuschung", „die sich aus der Stellung einer neuen und zur Herrschaft gelangenden Religion gegenüber einer älteren Form (...) ergiebt".184 Für die Tatsache, daß in Wirklichkeit dasselbe Phänomen vorliege, bedürfe es im Blick auf die Analogien zwischen beiden Seiten keines Beweises mehr. Wer den heidnischen Namenglauben als „Magie und Aberglaube" bezeichne, müsse dieselben Begriffe auch zur Kennzeichnung des christlichen Glaubens „an den Jesus-Namen" verwenden.185 Ist diese Einordnung der christlichen Sakramente und der Anrufung Jesu in den Bereich des Aberglaubens aus den Texten selbst gewonnen? Die Analogie zwischen christlicher Nennung des Namens Jesu und heidnischen Dämonenanrufungen ist den Kirchenvätern selbst nur zu gut bekannt. Auch besondere Wirkungen, die sich an heidnische Bräuche anschließen können, werden nicht geleugnet. Heitmüller weist zu Recht darauf hin, daß heidnische Wunder in der alten Kirche als „Blendwerk der Dämonen" betrachtet werden.186 Es geht in diesem Streit also nicht um übernatürliche Kraft auf der einen, völlige Kraftlosigkeit auf der anderen Seite. Es geht vielmehr um die Unterscheidung zwischen wahrem und falschem Gott, zwischen Gott und Götze. Diese Unterscheidung unter Hinweis auf die Analogie der Bräuche aufzuheben vermag nur eine Betrachtungsweise, für die sich diese Entscheidungsfrage gar nicht stellt. Aus dem Blickwinkel des vergleichenden Religionswissenschaftlers kann selbstverständlich die Ähnlichkeit der Vorgänge festgestellt werden. Über die existenzielle Frage, welcher Name denn nun anzurufen oder zu nennen sei, oder, um mit Apg. 4,12 zu sprechen, in welchem Namen das Heil liegt, ist damit noch gar nichts ausgemacht, auch ist die Frage durch den religionswissenschaftlichen Vergleich nicht ad absurdum gefuhrt worden. Für Heitmüller ist schon vor der exegetischen Untersuchung deutlich, daß jeglicher Namenglaube in das Gebiet des Aberglaubens fällt. Bei der Nennung eines Namens, beispielsweise bei der Taufe, geschieht nichts, was über eine psychologische Wirkung dieses Ritus hinausgehen würde. Unter dieser Voraussetzung ist es verständlich, daß der Unterschied zwischen der Nennung des Namens Jesu über dem Täufling und heidnischen Namensnennungen, die ebenfalls Übereignungen an Gottheiten bewirken sollen, eingeebnet wird. Was für den Namenglauben gilt, ist auch von Taufe und Abendmahl zu sagen. Es handelt sich um religiöse Riten, die keine anderen als psychologische Wirkungen hervorrufen. Die Einordnung der christlichen Sakramente in den Bereich der Magie läßt sich so zurückfuhren auf die beiden oben benannten Voraussetzungen:187 In der Exegese werden die das neue Sein des Christen betreffenden Aussagen als physisch-naturhafte Vorstellungen aufgefaßt. Dogmatisch steht fest, daß es reale sakramentale Wirkungen, an sinnliche Elemente gebundenes Heilshandeln Got-

184 185 186 187

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Ebd., 253. Ebd., 254. Ebd., 253. Vgl. oben den Abschnitt 4.3.1: „Die ontologische Frage".

tes nicht geben kann. Die Aussage, daß Paulus von einer Veränderung des Seins des Gläubigen rede, verwandelt sich unter den Händen einer auf Erfahrungskriterien reduzierten Ontologie des Exegeten zur Feststellung einer magischen Anschauung. Das durch die Taufe vermittelte neue Sein in Christus und der Christus präsens im Abendmahl haben in dieser Ontologie keinen Platz. Die neutestamentlichen Aussagen beschreiben, so muß dann gefolgert werden, in Wahrheit kein Sein, sondern geben Zeugnis vom Bewußtsein ihrer Verfasser. Nur in diesem Bewußtsein kann von einem neuen Sein, vom Christus präsens gesprochen werden: Der Schätzung der Sakramente zugrunde liegt „eine mystisch-naturhafte Auffassung des religiösen Verhältnisses, in psychologischer Hinsicht eine primitive animistisch-spiritistische Vorstellungsweise".188 4.3.5

Reformatorischer Kampf gegen die Sakramente

Wird die paulinische Sakramentsauffassung erkannt als ein religionsgeschichtliches Traditionsgut, das wesentlich von magischen Gedanken gespeist wird, so stellt sich die Frage nach der „Christlichkeit" dieser Auffassungen, die Frage nach dem möglichen Umgang mit ihnen in der Geschichte und Gegenwart der christlichen Kirche. Heitmüller hat diese Frage gestellt und eine Antwort gegeben. Die Entwicklung der Sakramentsanschauung im Verlauf der Kirchengeschichte wird als ein Kampf des Evangeliums Jesu mit den fremden sakramentalen Elementen geschildert.189 Im Rückblick über diese Entwicklung begreift der Theologe die Notwendigkeit dieser Geschichte, auch die Notwendigkeit ihrer Irrwege, und kann seine eigene Theologie als Endpunkt dieser Entwicklung verstehen. Zur Zeit des Paulus war die Welt für das reine Evangelium noch nicht reif. Die Welt, die Paulus „zu gewinnen hatte, konnte die rein geistige Auffassung des Evangeliums, wie sie seinem religiösen Genius am meisten entsprach, noch 188 Ebd., 36. - Die kirchliche Tradition hat von anderen dogmatischen Voraussetzungen aus die Kraft des Namens Jesu begrifflich zu fassen gesucht: „Nomen Dei est Deus ipse, ut inter homines nominatur, h.e. agnoscitur et celebratur." (Calov, Biblia, 231 (Auslegung zu Mt. 6,9f)). Dazu ist besonders auf Luthers Ausführungen zur Wirkung des Namens Gottes hinzuweisen, die er in der Auslegung von Gal. 2,16 geäußert hat (vgl. WA 2, 490; zitiert bei Slenczka, Gemeinschaft, 45 (vgl. dort 42-46)). In der Vater-unser Auslegung Luthers von 1519 wird die Heiligung auf die Wirkung des bei der Taufe genannten Namens Christi im Gläubigen zurückgeführt (vgl. dazu WA 2, 87; zitiert bei Slenczka, Herzensgemeinschaft, 67). Vgl. ferner den Streit um die „Göttlichkeit des Namens", der in den Jahren 1911-1913 in der orthodoxen Kirche im Zusammenhang mit dem „Jesus-Gebet" eine große Rolle spielte; dazu Slenczka, Herzensgemeinschaft. 189 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 54: „Man könnte und müsste die Geschichte dieser beiden Sakramente im Christentum schreiben als die Geschichte eines unausgesetzten Kampfes des Evangeliums mit diesen Grössen, die in der Hauptsache auf einem andern Boden gewachsen sind, oder besser als die Geschichte des unermüdlichen, auch nicht erfolglosen Versuches des Evangeliums, diese ihm fremden Elemente zu durchdringen, zu sublimieren, zu christianisieren."

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nicht ertragen; sie bedurfte des Reizes und des Zaubers der Mysterien und Sakramente".190 Der „Kern" bedurfte einer zeitgemäßen „Schale".191 So setzte sich diese Entwicklung auch in der frühen katholischen Kirche fort. Die Behauptung, das paulinische Sakramentsverständis gehe von der Wirkung des Sakraments „ex opere operato (im eigentlich katholischen Sinne)"192 aus, deutet an, daß Heitmüller in der katholischen Sakramentslehre eine Fortfuhrung der paulinischen Anschauungen erblickt. Während die hellenistischen Elemente durch die ethische Ausrichtung der paulinischen Anschauung sogar noch in Grenzen gehalten wurden, entpuppten sie sich in der späteren Entwicklung als große Gefahr für die christliche Kirche.193 Wie aber verhält es sich mit der Kirche der Reformation, vor allem mit Luther selbst? Heitmüller versteht Luther als einen Reformator der paulinischen Tauflehre! Zwar ist ihm Luthers „hartnäckige(r) Starrsinn"194 bekannt, mit dem er auf dem „ist" der Einsetzungsworte bestand, ihm steht vor Augen, daß der Reformator „noch tief in die katholischen Sakramentsvorstellungen verstrickt ist".195 Dennoch ist nicht dieses Verharren, sondern das Neue Paulus gegenüber entscheidend. Heitmüller stellt die These auf, daß Luther die Berechtigung der paulinischen Sakramentsanschauung fur die Kirche seiner Zeit verneint habe.196 Als das Zentrum der lutherischen Anschauung wird die These vorgestellt, „die Sakramente seien nichts anderes als das göttliche Wort, als das Evangelium". Nach Luther seien diese Gnadenmittel lediglich dazu da, Glauben zu wecken. Diese Position bedeute „tatsächlich eine Verurteilung der paulinischen Sakramentsauflfassung", bei der nicht Glauben geweckt, sondern „die göttliche Gnade bzw. ihre Gnadengaben" vermittelt werden.197 Die lutherische Lehre verläßt also zu Recht „die paulinische und die auch im übrigen neuen Testament vorherrschende Anschauung von den Sakramenten, d.h. die Anschauung der Quelle und Norm evangelischer Lehre".198 Die Aus190

Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 36. Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 82. Der Kern der Anschauungen ist „heilig", nämlich „die Sehnsucht nach sicherster Gewißheit von der Gottheit, nach unmittelbarster Vereinigung mit göttlichen Wesen und göttlichen Kräften"; die Schale der Sakramentsauffassung aber „entspricht nicht der Höhe des Evangeliums" (ebd.). 192 Heitmüller, Abendmahl, 15. 193 Vgl. Heitmüller, Taufe und Abendmahl im Urchristentum, 26, ferner die Ausführungen zum Abendmahl in der nachapostolischen Zeit, ebd., 76-81. 194 Ebd., 56. 195 Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 55, Fußnote 1. 196 Vgl. ebd. 197 Ebd. - Heitmüller steht hier in Übereinstimmung mit Troeltsch, der in der Glaubenslehre definiert (Glaubenslehre, 374; Hervorhebung im Original): „Auf dem Boden des Protestantismus kann nun, wie in der prinzipiellen Sakramentslehre von allen Reformatoren erklärt worden ist, das Sakrament als Gnadenmittel nur insofern in Betracht kommen, als es dasselbe vermittelt wie das Wort und es vermittelt als eine besondere Form des Wortes als Verbutn visible. Alles, was in diesen beiden Sakramenten über eine besondere Form der Wortdarbietung hinausgeht, gehört daher nicht der Bestimmung als Gnadenmittel an". 198 Ebd., 56. 191

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gangsfrage des Vortrages von Heitmüller, ob denn die biblische Schätzung der Sakramente zu Recht bestehe, ist damit unter Berufung auf Luther negativ beschieden. Luther wird zum Vorbereiter der Aufgabe des Schriftprinzipes zugunsten anderer Auffassungen, die dem reinen Evangelium Jesu entsprechen wollen.199 4.3.6

Taufe und Α bendmahl heute ?

Wie soll sich angesichts dieses Befundes der evangelische Christ heute zu den Sakramenten stellen? Diese Frage mußte gerade für die religionsgeschichtliche Schule von Bedeutung sein, hatte sie doch immer ein besonderes Auge für die Auswirkungen der Theologie im Leben der Kirche. Eine Abschaffung der Sakramente kommt für die Religionsgeschichtler nicht in Frage. Der Respekt vor dem Ritus, vor allem aber auch der Glaube an dessen einigende, symbolische Kraft, stehen einem solchen Ansinnen entgegen.200 Allerdings wird ein evangelisches Sakramentsverständnis nicht mehr zur paulinischen Auffassung zurückkehren können, sondern muß sich „in der Richtung halten und fortentwickeln (...), die in genialer Weise Luther uns gewiesen hat".201 Wie kann dies im einzelnen aussehen? Die exegetischen Arbeiten der religionsgeschichtlichen Schule geben über das Genannte hinaus keine weiteren Hinweise. Die Auffassung Troeltschs, derzufolge die Gnadenmittel ganz allgemein Auslöser für seelische Vorgänge sind, ist oben genannt worden. Um in der Frage nach der gegenwärtigen Stellung der Sakramente weiterzukommen, hilft das Studium der einschlägigen dogmatischen Artikel in der RGG, die von dem Züricher Theologen A. Meyer verfaßt sind.202 199

Vilmos Vajta hat in seiner Untersuchung zur „Theologie des Gottesdienstes bei Luther" auf Aussagen Holls und anderer Theologen hingewiesen, denen zufolge die Theologie Luthers eine Unterordnung des Sakramentes unter das Wort suche oder gar die Befreiung des Gottesdienstes vom Kultus fordere (Vajta, Theologie, 25f). Demgegenüber hält Vajta, auch im Anschluß an Prenters Untersuchungen, fur das Verständnis Luthers fest (ebd., 26, Hervorhebungen im Original): „Der höchste Gottesdienst des Glaubens ist keineswegs unvereinbar mit den ,äußeren Dingen' des Kultus. Diese sind vielmehr als Offenbarungsmittel Gottes aufzufassen, die ohne Aufruhr gegen das Handeln Gottes selbst nicht beseitigt werden können. Meint man mit Kultus einen menschlichen Versuch, sich gegenüber Gott zu behaupten, so bedeutet Luthers Werk natürlich eine ,Entkultung' eines so verstandenen falschen Gottesdienstes." Der Kultus ist „eine Ordnung Gottes selbst, denn Gott handelt im Äusseren, während die Gedanken einer .Aufhebung' des Kultus, einer ,Entkultung' und eines ,unkultischen Gottesdienstes' eher mit einer Luther fremden spiritualistischen Gottesgemeinschaft zusammengehören." 200 Vgl. schon HeitmüIIers Bemerkung, es sei verständlich, daß die Jünger mit der Wiederholung der Handlung Jesu begonnen haben. „(O)hne weiteres ist klar, daß es einen guten, tiefen Sinn hat, wenn noch heute eine Gemeindefeier sich an sie anschließt." (Heitmüller, Abendmahl, 37). 201 Ebd. 202 Meyer, Abendmahl, ders., Taufe. - Meyer , Arnold, geb. 1861 in Wesel, 1892 Privatdozent in Bonn, 1904 ord. Prof. für Neues Testament und Praktische Theologie in Zürich,

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Zu Beginn der Ausführungen zum Abendmahl wird festgestellt, daß fur den heutigen Gebrauch ein „Rückfall ins Zauberwesen" unbedingt zu vermeiden sei. Mit Verweis auf den (von Troeltsch verfaßten) Artikel über die Gnadenmittel wird betont, daß das Abendmahl nur „sichtbares Wort" sein darf.203 Im folgenden unternimmt Meyer den interessanten Versuch, die neutestamentlichen Hauptinhalte des Herrenmahles aufzugreifen, sie aber so umzuinterpretieren, daß die Wirkung des Sakraments nicht mehr als supranaturale, sondern als psychologisch-immanente zu begreifen ist.204 Das Ziel dieses Sakraments liegt dann nicht in einer realen Gemeinschaft mit Christus, sondern in einem ethischen Appell. Das Abendmahl ist zunächst „Tisch des Herrn", das heißt „eine Einladung", „uns mit Jesu Jüngern aus aller Zeit und Welt an Jesu Tisch zu setzen und daran zu denken, daß er einst unter uns Menschen weilte, mit uns verkehrte und Menschen unserer Art in seine innige Gemeinschaft zog".20S Die Gemeinschaft mit Christus reduziert sich also auf das Gedenken an Christus. Zweitens ist das Herrenmahl auch „(s)ichtbares Zeichen und Unterpfand", welches bedeutet, daß uns hier durch den leiblichen Genuß die „Gewißheit der Nähe und Gnade Gottes (...) besonders eingeprägt" wird.206 Drittens kann das Abendmahl unter dem Aspekt der „Aneignung Christi" gesehen werden. Hier wird der Konflikt der heutigen Anschauung mit der paulinischen besonders deutlich. „(I)n sittlichreligiöser Wahrhaftigkeit" kann dieses Lehrstück nur so gedeutet werden, „daß wir Jesu Art und Lebensrichtung uns immer wieder aneignen, seine Glaubensund Liebeskraft in uns aufnehmen", ja auch ist gemeint, Christi „Opferwilligkeit in sich aufnehmen und das ganze Leben willig in den Dienst Gottes, der tapferen helfenden und tragenden Liebe stellen".207 Schließlich wird im Abendmahl ,jedesmal ein neuer Bund geschlossen", ein Bund freilich, der „nicht auf blutiger Sühne, noch auf mystischer Vereinigung himmlischer und irdischer Substanzen beruht". Es geht lediglich darum, daß der Gläubige sich Gott „wieder aufs neue hingibt und ernstlich angelobt".208 Auch hinsichtlich der Taufe muß Jede magische Auflassung" bekämpft werden, „selbst wenn sie sich auf die Bibel beruft". Die Taufe kann, wenn sie als gest. 1934. Meyer schrieb etliche Artikel in der RGG, ferner das religionsgeschichtliche Volksbuch „Was uns Jesus heute ist" (Meyer, Jesus) und eine Untersuchung in der Reihe der Lebensfragen (Meyer, Christentum). 203 Meyer, Abendmahl, 79. 204 Vgl. ebd.: „Das Geheimnis solcher Feier bleibt genügend gewahrt, wenn man anerkennt, wie geheimnisvoll auch bei ganz natürlicher Vermittlung sich der Einfluß von Person zu Person vollzieht, so daß sogar eine bloße Gedächtnisfeier des Wunderbaren im Menschen genug ausrichten könnte." 205 Ebd., 79f. 206 Ebd. 207 Ebd. 208 Ebd., 80f. - Vgl. auch Baumgartens religionsgeschichtliches Volksbuch über die „Abendmahlsnot", in dem er Vorschläge für ein neues Verständnis und eine neue Form des Abendmahlsgottesdienstes macht, in der Hoffnung, dem schwindenden Interesse an dieser Handlung begegnen zu können (Baumgarten, Abendmahlsnot).

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Erwachsenentaufe durchgeführt wird, die „Seelenbewegung" des Täuflings unter dem „Sinnbild des Abgewaschenwerdens und des Neuerstehens" in ernster Weise darstellen. Ferner wird dem Täufling zugesichert, daß er einen gnädigen Gott habe.209 In diesem Sinne der Zusicherung kann auch die Kindertaufe durchgeführt werden. Die „wahrste und lebendigste" Auffassung der Taufe geht dahin, sie als „Weihegebet" zu verstehen, bei dem die Eltern ihr Kind Gott weihen.210 Meyer erwägt schließlich sogar, den „Bann des Getauftwerdenmüssens und der drei Namen (...) aus Gründen der sittlichen Wahrheit unserer Religion zu bekämpfen". Da mit Verschwinden dieser „fromme(n) Sitte" aber nur „Leere, Willkür oder phantastische unkräftige Neuerung" aufkommen würden, ist dieses Ansinnen dann doch zurückzuweisen.211 4.3.7

Kultische Erlösung?

Aufgrund der bisher vorgestellten Argumentationsstränge der religonsgeschichtlichen Schule kann nun nochmals ausdrücklich die Frage nach der im Christentum vermittelten Erlösung gestellt werden. Wie ist diese zu denkerisch zu erfassen, wie vollzieht sie sich? Eine Satisfaktionslehre, nach der der Tod Christi durch seinen stellvertretenden Charakter die Erlösung der Welt verbürgt, ist nicht mehr nachvollziehbar. Einschlägige Aussagen des Neuen Testamentes beschreiben lediglich das jeweilige Gemeindebewußtsein mit seiner Bindung an magische Erlösungsvorstellungen. Dies gilt besonders für die neutestamentliche Beschreibung des Abendmahles als Erinnerung an den stellvertretenden Tod Christi. Sowohl das „für viele vergossen" des markinisch/matthäischen Kelchwortes wie auch das „für euch" des im 1. Korintherbrief gebotenen Brotwortes gelten als durch die Gemeindedogmatik bedingte Erweiterungen eines eventuell ursprünglichen Jesuswortes. 212 209

Meyer, Taufe, 1105. Ebd., 1106. 211 Ebd., 1107. - Zu diesem Umgang mit der Taufe vgl. auch eine interessante Bemerkung, die Bousset in einem Brief an Wernle fallen läßt: Bousset beschreibt seinem Freund die Persönlichkeit des Göttinger Philosophen Nelson und erwähnt (in einer sonst sehr positiven Schilderung) dessen „schroffe(n) Unduldsamkeit gegenüber dem historisch Gewordenen". Bousset fährt fort: „Da kann ich nun wieder helfen und fordern. - Augenblicklich arbeite ich z.B. an ihm daraufhin, daß er seinen eben zur Welt gekommenen Jungen taufen läßt, lerne daher von neuem die Kluft ermessen, die den modernen Menschen auch bei starkem und intensivem Interesse für Religion von der Kirche und ihren Formen trennt." (Bousset, Brief an Wernle vom 6.6.1909, UB Göttingen (unveröffentlicht), S. 10. 210

2,2

Vgl. Heitmüller, Abendmahl, 31: „Endlich aber muß stutzig machen, daß das Kelchwort sowohl in der Fassung des Paulus wie der des Mrk und Mtth einen durchaus theologischen Charakter trägt. Es deutet so wie es vorliegt den Tod Jesu als ein Bundesopfer und macht sich damit als eine Erzeugung der Gemeindetheologie, vielleicht paulinischer Theologie, verdächtig". Vgl. zum paulinischen Brotwort ebd., 28f: Der Zusatz enthält eine „Deutung" des Todes Jesu: „der erfolgt zu Gunsten der Seinen. Damit stehen wir mitten in der Theologie der Urgemeinde, bezw. des Paulus." Von der Enttäuschung über den Tod Jesu über den Auferstehungsglauben führte die Entwicklung zum Verständnis des Todes Jesu „als ei-

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Darauf hatte schon Eichhorn hingewiesen, indem er die neutestamentlichen Berichte als „erste Karfreitagsbetrachtung" bezeichnete.213 Auch die Zueignung dieser Erlösung durch die Sakramente muß, wie oben deutlich wurde, von der religionsgeschichtlichen Schule abgelehnt werden. Wie aber kann Erlösung dann in neuer Weise beschrieben werden? Um eine in der „Neuzeit" mögliche Definition der christlichen Erlösungslehre hat sich Troeltsch bemüht. Er versteht „die Erlösungsidee als Höhepunkt der Entwicklung der Religion".214 Denn je entwickelter die Religion, umso ausgeprägter auch das Empfinden für den Unterschied zwischen Gott als dem „Inbegriff alles Guten und Vollkommenen", dem „Inbegriff aller wahren und ewigen Realität" und der Welt des Menschen. Dieses Empfinden der höheren Religion bringt die Erlösungssehnsucht mit sich. Das Christentum bietet eine Erlösungsidee neben vielen anderen. Bei ihm allein allerdings ist die Erlösunghoffnung verbunden mit dem „religiöse(n) Problem der Persönlichkeit"; das „Ziel des Menschen" wird „in der Freiheit und Persönlichkeit" gefunden.215 Diese Erlösungsidee hat in der Geschichte des Christentums verschiedene Formen angenommen, die von Troeltsch skizziert werden. Noch der Protestantismus betont die stellvertretende Erlösungstat Christi. Ein solches stellvertretendes Strafleiden ist jedoch dem „modern religiöse(n) Denken" „ethisch unerträglich und angesichts des menschlich geschichtlichen Verständnisses Jesu unhaltbar".216 Vor allem aber kann ein erlösender Eingriff Gottes in das vom Menschen verdorbene Weltgeschehen nicht gedacht werden, und zwar wegen der „Unermeßlichkeit des Weltprozesses", der „Immanenz Gottes im Weltleben" sowie der „Kontinuierlichkeit des Weltlebens".217 Hinter diesen Formulierungen verbirgt sich das stets vorausgesetzte Prinzip des Kausalzusammenhanges. Dabei macht Troeltsch nun nochmals deutlich, daß es sich bei diesem Prinzip um eine metaphysische Grundentscheidung handelt, eine Entscheidung, die ein übernatürliches einmaliges Erlösungshandeln Gottes in Christus unmöglich macht: Die „unter dem Schutze der Bibelautorität konstruierte orthodoxe Erlösungslehre, das heißt die Lehre von einem einmaligen, im Strafleiden Jesu vollzogenen Erlösungsakt, der in der Erlösung der einzelnen ne(r) für das Heil notwendige(n) Tatsache, als Sühne für die Sünde, als Besiegelung des neuen Bundes, als Opfer für die Jünger: da war der Schrecken des Kreuzes überwunden. (...) Auf dieser Stufe der Entwicklung der Gemeindeanschauung liegt der Zusatz ,der für euch'. Grade sein Zusammenhang mit der Gemeinde-Theologie zwingt uns, Zweifel daran zu erheben, daß Jesus ihn gesprochen hat." 213 Eichhorn, Abendmahl, 9. 214 Troeltsch, Erlösung, 481. 215 Ebd., 482f. 216 Ebd., 484. Hierher gehört auch die Ablehnung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium: Gott ist nur heilige Liebe! Vgl. ebd., 312f. Ferner steht hinter dieser ethischen Unerträglichkeit auch die Ablehnung der Erbsündenlehre wie die Zurückweisung des Gedankens einer objektiven Schuld. Dieser würde - so Troeltsch - über Gott ein Weltgesetz errichten. Schuld ist Schuldgefühl, Gott selber klagt keine Schuld ein (vgl. ebd., 307f). 217 Ebd.

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Seelen und durch den Glauben zugeeignet wurde", ist „nicht zu behaupten". „Die Ursachen davon sind das heutige ethische Empfinden und historische Denken, sowie die moderne Metaphysik, die die Kontinuierlichkeit der Weltvorgänge behauptet. Danach kann die Erlösung keine einfache, einmalige Durchbrechung der Weltordnung an einem Punkte sein, so wenig wie die Sünde eine von Gott nicht gewollte Weltzerstörung sein kann, sondern mit der Sünde muß die Erlösung in der Entfaltung des göttlichen Lebens gewollt sein und kontinuierlich mit der Weltentwicklung sich vollziehen. Sie kann daher nicht ein einmaliges Wunder sein, das an einem Ort und Zeitpunkt sich vollzieht und dann bloß angeeignet werden soll. Sie muß vielmehr eine Gesamterhebung des göttlichen Geistes in der menschlichen Geschichte sein und bedeutet als christliche Erlösung die Vollendung der erlösenden Kräfte."218 Es ist hier sehr deutlich, wie aufgrund einer Beschränkung der Möglichkeit des Seins (auf die Erfahrung der Korrelation) eine moderne Erlösungslehre entwickelt wird, die ohne übernatürlichen Eingriff Gottes auskommt und stattdessen eine Höherentwicklung von naturhaftem Wesen zur Persönlichkeit setzt. „Die Erlösung] ist Emporbildung der Kreatur aus dem gegebenen, tatsächlichen, endlich-selbstsüchtigen und gegensatzreichen Natursein in die Freiheit des Geistes".219 Deutlich wird auch, daß diese Erlösung als Emporbildung der Natur dann in Kategorien der Philosophie Hegels beschrieben wird, wobei allerdings die Bedeutung des Kultus für Hegel von Troeltsch ausgeblendet wird. Die Erlösung ist „die Rückkehr des schaffenden göttlichen Willens zu sich selbst"; Sünde und Leid werden zu notwendigen Stufen der Entwicklung.220 Letztlich muß dieser Erlösungsbegriff auf den der Erkenntnis reduziert werden. „Die Erlösung besteht in der Erkenntnis Gottes und ihrer (sie) Wirkungen".221 Diese Erkenntnis kommt als „Erwerb der Geschichte" auf uns zu, ist zugleich aber bei jedem Aufleuchten im Bewußtsein eines Menschen eine Tat der Gnade Gottes, also Geschenk.222 Die Wiedergeburt als Hingabe an diese Gnade kann dann als „Überwindung der bloßen Seelennatur mit ihrem natürlich eudämonistischen und am einzelnen haftenden Lebenslauf' gedeutet werden, während der Glaube definiert wird als „die feste Ergreifung der Erkenntnis und

218

Troeltsch, Glaubenslehre, 329 (Hervorhebung von „moderne Metaphysik": K.L.; andere Hervorhebungen im Original). Wenig später heißt es von der Erlösung (ebd., 330): „Sie kann nicht die Wirkung eines einzelnen Menschen auf Gott sein, keine Umstimmung und Versöhnung des göttlichen Zornes durch ein stellvertretendes Strafleiden, keine einmalige Offenbarung und Mitteilung autoritativer Erkenntnis, keine Stiftung einer erlösenden kultischen Anstalt. Sie muß vielmehr der vom Zentrum der Lebenserhöhung in Christo ausgehende Zusammenhang innerer Vorgänge sein, die sich stets von neuem wiederholen." 219 Troeltsch, Erlösung, 484. 220 Ebd. - Zu einer an Hegel orientierten Erlösungslehre vgl. den Paragraphen 25 der Glaubenslehre, unter der Überschrift „Entwicklung und Erlösung" (ebd., 332). 221 Ebd., 338. 222 Ebd., 339.

271

dann die auf eigenes Verdienst verzichtende Hingabe an den Gotteswillen". Dieser Glaube ist „höchste Tat der Freiheit".223 Mit wünschenswerter Deutlichkeit wird dieses Konzept von Erlösung dann von Troeltsch selbst zusammengefaßt: „Indem die Erlösung hier eine rein ethisch-geistig-persönliche wird und alle Reste magischer Gnadenwirkung ausgeschieden sind, ist der Erlösungsbegriff auf den der Offenbarung reduziert, aber zugleich der Begriff der Offenbarung als Lebensmitteilung und Lebenserschließung gefaßt."224 Im ersten Teil dieser zusammenfassenden Definition wird mit der Ablehnung einer „magischen Gnadenwirkung" jegliches historisches Heilshandeln wie auch jegliche kultisch-sakramentale Vermittlung der Erlösung zurückgewiesen. Indem Erlösung als Offenbarung gefaßt wird, ist eine reale Neuschaffung zugunsten einer Änderung des Bewußtsseins abgewehrt. Der Nachsatz allerdings soll diese Umwandlung der traditionellen Erlösungslehre vor dem moralistischen Mißverständnis schützen. Offenbarung ist nicht die Mitteilung von Lehren und Regeln. Was mit der „Lebensmitteilung" gemeint sein könnte, umschreibt Troeltsch etwas unklar mit der Rede von einer „Denken, Wollen und Gefühl ergreifende(n) Erschließung substanziellen Lebens mit ihren dynamisch-persönlichen Wirkungen der Geistübertragung", wobei er sich im Gefolge Schleiermachers weiß.225 Offensichtlich geht es Troeltsch darum, seine von allem supranaturalen Ballast befreite Erlösungslehre nun nicht im rein menschlichen Appell versanden zu lassen, sondern sie dennoch als Prozess Gottes, als göttliche Zueignung an den Menschen auffassen zu können. Hilfreich ist dabei der Geistbegriff, durch den Gott, Christus und die gegenwärtige Erlösung verbunden werden sollen. „Der Geist Christi ist so die beseelende und treibende Kraft der Gemeinde, ein Prinzip der fortwährenden Ausbreitung und Vertiefung der christlichen Gotteserkenntnis. (...) Im Geiste ist Christus ein Gottes Erlösung zur Erfahrung bringendes Prinzip (,..)."226 Sowohl der Geist als auch der Christus praesens sind hier nicht Personen, sondern das Prinzip christlicher Gotteserkenntnis geworden. Der Mystiker Troeltsch versucht, Erlösung als Geschehen zwischen Gott und der menschlichen Seele zu fassen, ohne doch den unmöglich gewordenen Weg über Heilstatsache und Kultus gehen zu müssen. Erlösung als Erkenntnis, Erkenntnis als Vermittlung eines göttlichen Prinzipes scheint hier der einzig gangbare Weg zu sein. Die Geschichte als Ganzes wird so zu einer Erlösungsveranstaltung Gottes, ja zur „Selbsterlösung Gottes".227

223 224 225 226 227

272

Ebd., Ebd., Ebd. Ebd., Ebd.,

341. 342 (Hervorhebung im Original). 347. 334.

5. Auswertung in Thesenform: Der Kultus in der Exegese der religionsgeschichtlichen Schule

Die religionsgeschichtliche Schule gelangte mit ihrer Exegese zu für die damalige Gesprächslage radikalen und neuen Ergebnissen. Durch die Konzentrierung auf den Kultus als Sitz im Leben biblischer Texte brachte sie diese ganz neu zum Sprechen, ohne daß sie zu Abstützung eines bereits feststehenden dogmatischen Systems herhalten mußten. Dennoch konnte die Schule ihre eigenen dogmatischen Prämissen nicht von der exegetischen Arbeit fernhalten, sei es, daß in der Textauslegung selbst eine Uminterpretierung der Inhalte gemäß der eigenen Dogmatik stattfand, sei es, daß der exegetische Befund vom Exegeten als bloßer Bewußtseinsinhalt ohne wirkliches Korrelat im Sein gekennzeichnet wurde. Auch dieser zweite Teil der vorliegenden Untersuchung soll nochmals in seinen Ergebnissen thesenartig vorgeführt werden, wobei die Thesen dem Aufbau der Untersuchung folgen. Sie referieren zum größeren Teil lediglich die Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Schule. Thesen, die eine Beurteilung und Analyse dieser Ergebnisse zum Inhalt haben, werden kursiv gedruckt.

5.1

Einleitung

a) Der Kultus der christlichen Gemeinde ist der Wurzelgrund theologischer Aussagen des Neuen Testamentes, insbesondere christologischer und pneumatologischer Aussagen.

5.2

Geistwirkungen

a) Gunkel legt dar, daß den neutestamentlichen Autoren bei der Rede vom Geist nicht ein Lehrbegriff, sondern eine reale Erfahrung vor Augen steht. b) Das Sein des Geistes wird bei Paulus nicht aufgrund von Reflexion oder Tradition, sondern aufgrund von Erfahrung behauptet. c) Diese Erfahrung ist Erfahrung eines Anderen, der nicht Ich ist. d) Die Wirkungen des Geistes können nicht anhand ihrer ethischen Dignität oder aufgrund eines erkennbaren Zieles, sondern nur durch ihr supranaturales Wesen als solche erkannt werden.

273

e) Auch die Propheten des Alten Testamentes erleben Geistwirkungen als supranaturales Widerfahrnis. f) Gegenwärtige Wissenschaft kann aber solches analogieloses Geschehen nicht anerkennen: Die Geistwirkungen werden von den Begeisteten als supranaturale erfahren, sind aber in Wahrheit psychologische Vorgänge, bei denen das Ich des Menschen den „Anderen" selbst erzeugt. g) Diese „Geistwirkungen" sind im Urteil des Exegeten nun doch durch ethische Dignität gekennzeichnet. Der Prophet erhebt sich in ihnen zu einer sittlich höherstehenden Stufe der Frömmigkeit. h) Auch bei Weinel ist der Begriff der Geistwirkung lediglich Interpretament fur psychologische oder sogar pathologische Befunde. Geistwirkungen in der Urgemeinde werden im Neuen Testament als wirkliche Erlebnisse bezeugt, vom Exegeten aber als Bewußtseinsvorgänge entlarvt. i) Spuranaturale Geistwirkungen, so kann zusammenfassend gesagt werden, müssen grundsätzlich in psychologische Vorgänge aufgelöst werden. j) Bousset und Weiß beschreiben die Geistwirkungen als ekstatische Zustände. Die Ekstase ist vom biblischen Befund her als Handeln Gottes am Menschen gedeutet; der Exeget jedoch versteht sie als immanentes psychologisches Phänomen. k) Die Anschauungen des Apostels Paulus hinsichtlich der Geistwirkungen werden als sittliche Erneuerung begriffen. Der Apostel versteht es, die ursprüngliche auf ekstatische Erscheinungen fixierte Anschauung in die Bahnen einer christlichen Sittlichkeit zu lenken. 1) Auch das sich im Neuen Testament andeutende Verständnis des Geistes als Person wird in ein Theologumenon der Gemeinde aufgelöst. m) Die Formulierung des Paulus „ö δε κύριος το πνεϋμά εστίν" (2.Kor. 3,17) wird nicht durch Personifizierung des Geistes, sondern durch Entpersönlichung Christi erklärt. n) Ottos Studie zum heiligen Geist bei Luther versucht, fur Luther ein rein immanentes, psychologisches Geistverständnis nachzuweisen.

274

5.3

Der Christuskult: Doxologie und Gebet zu Christus

a) Das Neue Testament nennt als Kennzeichen der Christen die Tatsache, daß sie den Herrn Christus anrufen (1. Kor. 1,2; Rom. 10,12f). b) Zu dieser Anrufung gehören kurze Gebetsrufe, Hymnen und Doxologien wie auch Bittgebete, die sich direkt an Jesus wenden. c) Da nur Gott angebetet werden kann, mußte nun - so folgert die religionsgeschichtliche Schule - der angebetete Herr Jesus als Gott bezeichnet werden. Die paulinische Rede vom „Sohn Gottes" wird als ein erstes Zeugnis dieser Vergottung Jesu gewertet. d) Johannes setzt diese Entwicklung fort. Die kultische Verehrung des überweltlichen Gottessohnes wird der Synagoge gegenüber verteidigt. e) In der nachapostolischen Zeit wird das Dogma von der Gottheit Christi nun vollends ausgesprochen. Wiederum verweisen die Quellentexte zur Begründung dieses Bekenntnisses auf die Anbetung Christi im Gottesdienst. f) Die religionsgeschichtliche Schule dreht die altkirchliche Argumentation um: Nicht die Gottheit Christi muß zur Anbetung durch die Gemeinde fuhren, sondern die Anbetung Christi muß die Gemeinde zur Vergottung seiner Person fuhren. g) Die Frage nach der Entstehung des Gebetes zu Christus stellte die neutestamentliche Exegese vor die Entscheidung, ob auf die das Gebet begründende Gottheit Christi verwiesen und also geantwortet werden konnte: Weil Christus sich als Gott erwies, wurde er angebetet. h) Verneinte der Exeget die Gottheit Christi, so mußte die Anbetung Christi durch einen natürlichen, immanenten Entwicklungsprozess, als Stufen eines sich entwickelnden Prädikationsgeschehens erklärt werden. i) Die Erklärung der Anbetung Christi präjudiziert die Beschreibung der Entwicklung christologischer Aussagen des Neuen Testaments: Bei der ersten Position ist diese Entwicklung die rechtmäßige Entfaltung dessen, was mit der Person des Gottessohnes tatsächlich gegeben war. Bei der zweiten Position ist sie eine theologische Reflexionsbewegung, die Bewußtseinsinhalte produziert, denen ein Sein nicht entspricht. j) Die religionsgeschichtliche Schule entscheidet sich fur die Ablehnung der Gottheit Christi. Sie geht davon aus, daß die Bezeugung der Gottheit Christi im Gegensatz zu Person und Verkündigung des irdischen Jesus steht.

275

k) Bousset versucht nachzuweisen, daß der Kyrioskult erst in der hellenistischen Gemeinde entstandenen ist. Die palästinische Urgemeinde kenne nur das Warten auf den wiederkommenden Jesus, nicht die Gegenwart des erhöhten Kyrios. 1) Der für die palästinische Gemeinde anzunehmende Exorzismus im Namen Jesu darf deshalb kein Kyrioskult, sondern nur erster Ansatz einer Entwicklung zum Kult hin sein. m) Obwohl sich diese These in der exegetischen Auseinandersetzung als äußerst anfechtbar erweist, will Bousset an ihr festhalten. Die Beobachtung, daß eine Entwicklung zum Kyrioskult in den exegetischen Befund erst eingezeichnet wird, läßt vermuten, daß das Verständnis der Anbetung Christi als Endprodukt einer Entwicklung bereits Pate gestanden hat. n) Die exegetische Darstellung eines Gegensatzes zwischen Jesus und Paulus wird beeinßußt von der dogmatischen Unterscheidung zwischen sittlicher und kultischer Religion. o) Als dogmatische Prämisse, die dieser Entscheidung der religionsgeschichtlichen Schule zugrundeliegt, muß die „historische Kritik", das heißt die Begrenzung der Möglichkeit historischen Geschehens durch das Kriterium der Korrelation, genannt werden. Diese läßt sowohl die Behauptung der Gottheit Christi als auch die Behauptung der persönlichen Gegenwart eines Auferstandenen nicht zu. p) Die Ablehnung der Gottheit Christi fuhrt in der religionsgeschichtlichen Schule folgerichtig zu einer Ablehnung des Gebetes zu Christus.

5.4

Der Christuskult: Die Sakramente

a) Eichhorn stellt in einer frühen Untersuchung fest: Religionsgeschichtliche Methode heißt für die Exegese der Berichte von der Einsetzung des Herrenmahles, daß nicht nach dem historischen Faktum, sondern nach der Situation der Gemeinde, für die der Bericht geschrieben wurde, zu fragen ist. b) Die Einsetzungsberichte schildern die Einsetzung eines kultischen Geschehens, daß in der Gemeinde bereits geübt wird. c) Dieses Geschehen wird als ein reales Genießen des Leibes und Blutes Christi geschildert.

276

d) Heitmüller untermauert diese These durch die Exegese von l.Kor. 10: Das Abendmahl ist Koinonia mit Christus, es bewirkt nicht lediglich psychologisch vermittelte, sondern reale Gemeinschaft mit Christus. e) Durch dingliche Mittel wird also ein religiöses Gut vermittelt. Dies geschieht ex opere operato. f) Das paulinische TaufVerständnis nach Rom. 6 redet nicht von einer jurisdiktionellen Übertragung des Werkes Jesu noch von einer ethischen Erneuerung des Täuflings, sondern von einer realen „physisch-hyperphysischen" Verbindung des Täuflings mit Christus. g) Die Taufe ist ebenso Einwohnung des Geistes Gottes. Diese Einwohnung ist ein katastrophisches Ereignis, das ohne Zutun des Täuflings sich ereignet. h) Der Glaube ist für den Empfang beider Sakramente vorausgesetzt, nicht aber so, daß diese dadurch zu lediglich innerseelischen Abläufen würden. i) Die Formel „taufen auf den Namen Jesu" gibt den Zweck der Taufhandlung an: Zueignung des Täuflings an Jesus. j) Dabei ist der ausgesprochene Name als wirksames Agens gedacht, im Sinne einer wirkkräftigen Sakramentale. Durch Nennung des Namens Jesu ergreift dieser Macht über den Täufling, es kommt zur Versiegelung, Weihung, zu inniger Gemeinschaft mit dem Träger des Namens. k) Dieser Name kann auch als ein real schützendes „Amulett" verstanden werden (z.B. Offb. 14,1). 1) Letztlich können alle Wirkungen, die der Taufe zugeschrieben werden, auch der Namensnennung über dem Täufling zugeschrieben werden. m) Heitmüller versteht die ontologischen Aussagen des neuen Testamentes, die eine neuschaffende Wirkung der Sakramente bezeugen, als Beschreibungen eines physischen, materiellen Vorganges, ohne daß er diese Identifizierung am Text selbst begründen würde. n) Aufgrund der ontologischen Entscheidung der religionsgeschichtlichen Schule, derzufolge analogieloses Geschehen nicht sein kann, muß jegliches im Neuen Testament bezeugte sakramentale Geschehen für unmöglich erklärt werden.

277

ο) Die Sakramente sind nicht von Jesus eingesetzt worden - eine These, die allerdings nur zirkulär abgestützt werden kann: Das Kriterium der „ Gemeindetheologie " dient dazu, Jesus die Einsetzung der Sakramente abzusprechen. p) So kann das Ideal einer rein persönlichen ethischen Religion Jesu aufrecht erhalten werden. q) Die Theologie des Paulus wird bei Heitmüller einerseits wesentlich durch die sakramental vermittelten Brennpunkte des Geistempfanges und der Einwohnung Christi bestimmt, andererseits dürfen diese Gedanken doch nur am Rande einer sonst geistig-ethischen Religion zu stehen kommen. r) Allein die „ethische" Umgestaltung sakramentaler Anschauungen durch Paulus steht dann für den Wert seiner Theologie. s) Alle sakramentalen Anschauungen des neuen Testamentes lassen sich auf in der Religionsgeschichte weit verbreitete magische Gedankenkreise zurückfuhren. t) Für die Taufe ist an die kultische Bedeutung des Wassers zu erinnern, das Abendmahl findet zahlreiche Parallelen in heidnischen Opfer- und Vergottungsriten, der Namenglaube ist international verbreitet. u) Die Analogie der Erscheinungen muß auch zum gleichen Urteil fuhren: Die Sakramente beruhen auf Aberglauben. v) Dieses Urteil Heitmüllers trägt allerdings nur für eine vergleichende religionswissenschaftliche Betrachtung: Die Frage nach Gott oder Götze, nach wahrem und falschem Glauben ist damit weder beantwortet noch ad absurdum geführt. w) Die Einordnung der christlichen Sakramente in den Bereich der Magie läßt sich zurückfuhren auf zwei Voraussetzungen: In der Exegese werden die das neue Sein des Christen betreffenden Aussagen als physisch-naturhafte Vorstellungen aufgefaßt. Dogmatisch steht fest, daß es reale sakramentale Wirkungen, an sinnliche Elemente gebundenes Heilshandeln Gottes nicht geben kann. x) Die Aussage, daß Paulus von einer Veränderung des Seins des Gläubigen rede, verwandelt sich unter den Händen einer auf Erfahrungskriterien reduzierten Ontologie des Exegeten zur Feststellung einer magischen Anschauung. y) Die Entwicklung der Sakramentsanschauung im Verlauf der Kirchengeschichte wird als ein Kampf des Evangeliums Jesu mit den fremden sakramentalen Elementen geschildert.

278

ζ) Zur Zeit des Paulus war eine sakramentale Anschauung noch nötig. Luther hat sie gegen das Schriftzeugnis überwunden und kehrt, wenigstens zum Teil, zur gesunden Religion Jesu zurück. aa) Die heutige Kirche hat diesen Weg weiter zu gehen. Die Sakramente können als guter kirchlicher Brauch weiter geübt werden, ihre Wirkung ist rein psychologischer Natur. Als solche sind sie in der Kirche zu würdigen. bb) Aufgrund einer ontologischen Grundentscheidung kann die im Christentum vermittelte Erlösung weder als durch das einmalige Sühneopfer Christi bewirkt noch als durch die Sakramente zugeeignet verstanden werden. cc) Die neutestamentlichen Aussagen zum Sühnetod Christi, wie sie sich besonders auch in den Abendmahlsberichten finden, müssen deshalb lediglich als Deutungsversuche der Gemeinde für den Tod Christi verstanden werden. dd) Christliche Erlösung wird bei Troeltsch zu einer Gesamtbewegung der Geschichte, bei der Gott dem Menschen Erkenntnis seiner selbst schenkt und ihn so zur Erhebung aus naturhaftem Dasein zu geistig-persönlichem Leben bewegt.

279

Dritter Teil Kultus und Theologie: Schlußbemerkungen

Exegese und Dogmaciic bedingen einander. Die vorliegende Arbeit versuchte, eine Seite dieses Verhältnisses in den Arbeiten der religionsgeschichtlichen Schule zu untersuchen. Wurde zuerst nach den Inhalten der Begriffe „Religion" und „Geschichte" und ihrem Einfluß auf das Verständnis des Kultus gefragt, so ging es anschließend um die Frage, ob diese Voraussetzungen den exegetischen Umgang mit neutestamentlichen Aussagen zum Kultus prägen. Die Stationen dieses Weges sollen nun zusammenfassend beurteilt werden.

1. Theologie und Ontotogie Redet der Theo-loge über Gott, so redet er über das Sein Gottes. Diese Ebene der Seinsaussagen ist sorgsam zu scheiden von einer anderen Ebene der Rede, auf der darüber Auskunft gegeben wird, inwieweit das Sein Gottes der menschlichen Vernunft erkennbar ist. Auf jener Ebene redet der Theologe assertorisch von Gott. Auf der zweiten Ebene wird die Frage nach der Möglichkeit der Erfassung Gottes im Bewußtsein des Menschen thematisiert. Kant hatte diese Bereiche sorgsam geschieden. Auf der ersten Ebene wird bei Kant geschwiegen, weil die menschliche Vernunft über das Sein Gottes keine Aussagen machen kann. Allerdings gibt Kant den Hinweis, daß der Theologe für sich hier ein besonderes, durch bloße Vernunft nicht zugängliches Gebiet der Offenbarung beanspruche. Wenn es aber auf der zweiten Ebene um die Frage geht, welche Tatsachen der Mensch denn festzustellen in der Lage ist, so wird er von Kant allein auf sein Bewußtsein gewiesen: Der Mensch erkennt nur, indem er in seiner Vernunft bereitliegende Anschauungsformen und Kategorien auf eine Affizierung der Sinne anwendet. Gerade weil Erkenntnis auf die Ebene der Erfahrung, der Erscheinungen beschränkt wird, wird das Sein dem Urteil der menschlichen Vernunft entzogen. Das gibt Kant die Freiheit, in der praktischen Vernunft das Sein Gottes zu postulieren, obwohl es nicht erkannt werden kann. Kant hat so den Scheideweg zwischen theologia rationalis und theologia revelationis vor Augen gestellt. Die theologia rationalis war ihm unmöglich, die theologia revelationis überließ er den Theologen. Er selbst hat sich fur eine Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft entschieden, in der das Postulat Gottes lediglich aufgenommen und die Religion so eine „Erkenntnis aller Pflichten als göttlicher Gebote" genannt werden kann.1 Die religionsgeschichtliche Schule wollte Kant hier nicht folgen. Die Erkenntnis Gottes selbst mußte bereits im Bewußtsein des Menschen angelegt sein, sei es als Idee (Neofriesianismus), sei es als spiritualistisch verwirklichte Einheit von göttlichem und menschlichem Geist (Troeltsch). Insofern galt von 1

Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 261 (= A 233); vgl. ders., Religion, 301 (= A

45).

283

der Existenz Gottes, daß sie möglich ist, weil sie von der menschlichen Vernunft erkannt wird. Theologie war theologia rationalis. Die Vorwürfe Kants an eine solche Theologie aus Vernunft konnten dabei aber nicht entkräftet werden. Im Neofriesianismus zog die Vernunft sich auf ihre Selbstgewißheit zurück, während im spiritualistischen Modell Troeltschs Sein Gottes und Bewußtsein des Menschen konvergierten. Für die Theologie stellt sich angesichts dieser Versuche erneut die Frage, ob die theologia rationalis nicht vielmehr mit Kant als ein Überschreiten der Grenzen der menschlichen Vernunft und damit als ein unmögliches Unterfangen beurteilt werden muß. Im Streit zwischen Kant und der religionsgeschichtlichen Schule ergibt sich dann ein differenziertes Bild: Hinsichtlich der Religion ist mit der religionsgeschichtlichen Schule festzuhalten, daß es in der Religion nicht lediglich um Moral, sondern um ein Gottesverhältnis geht. Gegen die religionsgeschichtliche Schule aber ist zu fordern, daß Offenbarung als Gabe, die nicht ihrerseits schon in der Vernunft bereitliegt, denkerisch möglich wird. Der Theologe müßte also Kant gegenüber aufs neue festhalten, daß Gott sich von außerhalb unserer selbst offenbart hat, er müßte den von Kant gesehenen Weg der theologia revelationis eindeutig für sein Reden von Gott in Anspruch nehmen. Was aber heißt theologia revelationis? In der Terminologie Kants kann damit nur die biblische Theologie gemeint sein, also die Theologie, die ihre assertorischen Aussagen aus dem Wort Gottes als der Offenbarung Gottes begründet: „Daß ein Gott sei, beweiset der biblische Theolog daraus, daß er in der Bibel geredet hat".2 Diese vom Theologen nicht selbst wieder beweisbare Grundlage der Theologie war für Kant vom Standpunkt der Philosophie aus lediglich als Vehikel zur Einführung des moralischen Vernunftglaubens zu akzeptieren. Der Theologe aber hätte nun gerade diesen Weg der Philosophie gegenüber zu verantworten: Der Streit zwischen theologia revelata und theologia rationalis ist ein Streit um die Heilige Schrift als Offenbarung. Vom Wort Gottes aus dürfte der Theologe ontologische Aussagen nicht scheuen. Er täte dies in dem Wissen, Aussagen über ein Gebiet zu machen, das jenseits der Grenzen menschlicher Erkenntnismöglichkeiten liegt. Dieses Ausgehen von der Offenbarung hätte also entscheidende Bedeutung für das Verhältnis von Theologie und Ontologie. Es müßte dazu führen, daß „nicht die Ontologie als geschichtliche Ausprägung menschlichen Denkens eine Voraussetzung der Theologie" wäre, sondern „umgekehrt die Theologie (...) die Voraussetzung der Ontologie" darstellte.3 Wenn die theologia rationalis durch die theologia revelata ersetzt wird, kann auch der Kultus mehr sein als die bloße Form ewiger Vernunftwahrheiten. Nur so ist ein Verständnis des Kultus zu haben, das dem Anspruch des Kultus gerecht wird, dem Anspruch nämlich, Begegnung mit dem Göttlichen zu sein. In

2

Kant, Streit der Facultäten, 285 (= A 16). Slenczka, Gemeinschaft, 29. - Verwiesen sei hier auch auf die finnische Lutherforschung, die die ontologischen Aussagen der lutherischen Theologie herausarbeitet. Vgl. dazu den Band „Luther und Ontologie", hg. v. Anja Ghiselli u.a., Helsinki/Erlangen 1993. 3

284

der Theologie der religionsgeschichtlichen Schule jedoch bleibt der Kultus zwangsläufig bloße Verdeutlichung oder Symbol dessen, was in der Vernunft bereits angelegt ist.

285

2. Die historische Frage als ontologische Frage Es ist daraufhingewiesen worden, daß die dogmatische Frage nach dem Kultgeschehen ein ontologisches Problem impliziert: In Frage steht, ob das im biblischen Text bezeugte Handeln Gottes im Kultus wirklich statthat. Ist der wirkende Geist als ein vom Begeisteten Unterschiedener anwesend? Ist Christus im Abendmahl zugegen? Wird in der Taufe der Geist verliehen und der Täufling zu einer neuen Kreatur? Ist Christus als Herr anwesend und ansprechbar? Die religionsgeschichtliche Schule meint, diese Fragen mit dem Hinweis auf das moderne Verständnis von Geschichte erledigen zu können. Wenn dem so ist, dann muß mit aller Deutlichkeit festgehalten werden, daß diese historische Fragestellung nichts anderes ist als eine ontologische Fragestellung. Das Erfahrungskriterium der Korrelation fungiert hier als die Bedingung der Möglichkeit des Seins. Was dieses Kriterium nicht erfüllt, kann nicht sein. Es verhält sich tatsächlich so, daß man hier mit Hilfe einer „historischen" Methode ontologische Sachfragen meint entscheiden zu können. Dieses ontologische Konzept der „historischen Methode" ist nun allerdings, vorsichtig formuliert, defizitär. Dies ist im Vergleich mit dem kantischen Modell deutlich geworden: Die kantische Scheidung zwischen Sein und Bewußtsein könnte man pointiert so formulieren: Auf der Ebene des Seins ist alles möglich, aber nichts erkennbar. Auf der Ebene des Bewußtseins wird alles erkannt, aber nichts ist. In der religionsgeschichtlichen Schule werden beide Ebenen nicht mehr geschieden. Die Untersuchung der Erfahrung soll bereits das Sein verbürgen. Deshalb ist auf der Ebene des Seins dann nicht mehr, wie bei Kant, alles möglich, aber nichts erkennbar, sondern nur möglich, was erkannt wird. Alles, was vielleicht bezeugt, aber nicht erkannt werden kann, gehört deshalb in die Ebene des Bewußtseins, dem kein Sein entspricht. Das Wunder wird nach Kant niemals erfahren, sein Sein wird aber weder bezeugt noch bestritten. In der religionsgeschichtlichen Schule wird, weil ein Wunder nicht erfahrbar ist, auch sein Sein bestritten. Wunder kann es deshalb nur im irregeleiteten frommen Bewußtsein geben. Diese Position mag erstaunen, gingen die Religionsgeschichtler doch in ihrer Problemstellung gerade von der kantischen Philosophie aus. Wie aber gezeigt wurde, vollzogen sie den entscheidenden Schritt über Kant hinaus, indem sie von Aussagen über die Erfahrung zu solchen über das Sein fortschreiten wollten. Im Neofriesianismus zeigte sich dies schon daran, daß zwar Raum und Zeit bloße Anschauungsformen blieben, die Kategorien und Ideen aber als von der Erfahrung unabhängige Wahrheit erfaßt wurden. Damit war der Weg frei, auch in der Geschichtswissenschaft die Kategorie der Kausalität als Richter über Sein und Nichtsein anzuwenden.

286

Es ist jedoch nicht einsehbar, warum - gegen Kant - menschliche Erfahrung zum Maßstab der Entscheidung der Seinsfrage erhoben werden sollte. Es werden für dieses Ansinnen keine Argumente vorgetragen. Ferner steht der Verfechter dieser Ontologie vor dem Dilemma, entweder auch Gott unter das Kausalitätsprinzip stellen zu müssen, oder aber seine Ontologie selbst als eine lediglich regional gültige Ontologie zu definieren. Entscheidet sich der Theologe fur die erste Möglichkeit, so stellt er Gott unter die Gesetze seiner Erfahrung, macht Gott zum Teil der erfahrbaren Welt.' Geht er den anderen Weg und schließt das Sein Gottes selbst von dem Kriterium der Korrelation aus, so fällt der an eine „dogmatische Methode" gerichtete Vorwurf eines Zerreißens der Wirklichkeit in zwei Bereiche an eine solche Theologie selbst zurück. Es gibt zwei Bereiche des Seins, die unvereinbar nebeneinander gedacht werden müssen. Gott selbst mag in seinem Sein unbeschränkt sein und keinem Erfahrungsgesetz unterliegen. Die Gleichsetzung von Erfahrung und Sein in der historischen Methode fuhrt in der Exegese aber zum Schiedsspruch über sein Heilshandeln an der Welt: Dieses vollzieht sich lediglich so, wie die menschliche Erfahrung es vorgibt. Die Theologie hat angesichts dieser Schwierigkeiten die Vorstellung einer ontologisch intrumentalisierbaren historischen Methode zu verabschieden. Im Blick auf die Geschichte muß die Möglichkeit eines Seins, das den Analogien der Erfahrung nicht entspricht, offengehalten werden. Das Verständnis der Möglichkeit des Seins wird so von den Fesseln der Erfahrungskriterien befreit. Möglich ist auch, was nicht erfahrbar ist. Wenn dieses analogielose Sein allerdings nicht erfahrbar ist, so bedeutet das die Verabschiedung der Vorstellung, als könne die Theologie auf den Ergebnissen einer Religionspsychologie erbaut werden. Nicht religiöse Erfahrung, sondern das Wort Gottes der Heiligen Schrift ist der Erkenntnisgrund flir die Behauptung jenes Seins, das die Gesetze der Erfahrung sprengt. Unter dieser Prämisse kann auch der Kultus beschrieben werden als ein kontingentes Heilsgeschehen, das nicht erfahrbar im Sinne Kants, aber dennoch wirklich ist. Heilsgeschehen muß nicht auf Akte innerhalb des menschlichen Bewußtseins beschränkt bleiben. Handeln Gottes im kontingenten Geschehen des Kultus ist nicht durch religiöse Erfahrungen aufweisbar, ebensowenig aber durch einen ontologischen Schiedsspruch fur unmöglich zu erklären. Diese Folgerung hat nun nicht zu unterschätzende Auswirkungen für das Verhältnis von Religion und Moral.

1 Tatsächlich scheint Troeltsch diese Möglichkeit anzudeuten, wenn er der dogmatischen Methode vorhält, sie wolle Gott nicht „in den Zusammenhang eines korrelativen, sich überall gegenseitig bedingenden Wirkens" einschließen (Troeltsch, Ueber historische, 743)!

287

3. Religion und Moral

Daß die religionsgeschichtliche Schule gegen die kantische Eingliederung der Religion in die Ethik protestiert, ist direkte Folge ihrer Suche nach der „lebendigen Religion". Daß sie schließlich die christliche Religion dennoch als „ethische Persönlichkeitsreligion" definiert, folgt aus ihrer Ablehnung historischkontingenter Heilstatsachen. Die Frage ist durchaus berechtigt, wie sich denn die Religion der Religionsgeschichtler von der in der kantischen Religionsschrift beschriebenen Vernunftreligion eigentlich unterscheide. Die Religionsgeschichtler würden als Antwort den von ihnen betonten Gottvaterglauben Jesu und die Gewißheit der Sündenvergebung nennen, vor allem aber auf die Umkehr des Verhältnisses von Religion und Moral verweisen. Doch auch Kant kennt die Hoffnung auf den göttlichen „Urteilsspruch aus Gnade" 1 , hat also den Gedanken der Vergebung in sein System zu integrieren versucht. Das Verhältnis von Religion und Moral ist allerdings tatsächlich bei Kant ein anderes. In der Vorrede der Religionsschrift erläutert er, daß die Gottesidee „aus der Moral hervor"gehe und „nicht die Grundlage derselben" darstelle.2 Bousset und Troeltsch hingegen wollen zunächst das Wissen um Gott sichern, sei es als gewisse Idee der Vernunft, sei es als mystisches Einswerden mit Gott im Bewußtsein. Steht dieses Wissen um Gott fest, dann baut sich auf ihm die christliche Erlösungsreligion auf, welche die Erlösung durch sittliche Erhebung zu Gott erwartet. 3 Was aber kann diese Umkehr leisten? Sie vermag die Religion nicht wirklich aus der ethischen Umklammerung zu lösen. Das Gottesverhältnis bleibt ein durch Leistung des Menschen bestimmtes Verhältnis: Der Appell, Persönlichkeit zu werden, ersetzt den Appell des kategorischen Imperatives. Kant hat sogar die konsequentere Position, weil bei ihm nur der wahrhaft moralisch handelt, der das Gute um des moralischen Gesetzes selbst willen tut, ohne an irgendwelche Folgen zu denken. Dem entspricht die Tatsache, daß das moralische Gesetz in sich selbst ruht und nicht etwa aus einer Gottesidee deduziert wird. Bei den Religionsgeschichtlern besteht durch die Fundierung der Moral in der Gottesidee die Gefahr, das Gute nur um eines Zweckes willen zu tun, nämlich um Gott zu gefallen und die Seligkeit zu erlangen. Dies wäre nach Kant gerade kein autonomes moralisches, sondern heteronomes unmoralisches Handeln. 4 1 Kant, Religion, 731 (= Β 101). Der erste Abschnitt des zweiten Stückes der Religionsschrift ist nichts anderes als Kants Versuch, die Christologie darzustellen als Element der bloßen Vernunftreligion. 2 Ebd., 651 (= Β VIII). 3 Vgl Troeltsch, Erlösung; ders., Glaubenslehre, viertes Kapitel (3261Ϊ). Zum Erlösungsbegriff vgl. die Ausführungen oben, II, 4.3.7 „Kultische Erlösung?". 4 Vgl. dazu mit Belegen Slenczka, Entscheidung, 170f.

288

Eine wirkliche Befreiung der Religion vom moralischen Appell wäre nur möglich, wenn jene nicht als Tun des Menschen, sondern als göttliches Heilsgeschehen definiert würde. Auch der Kultus wäre dann nicht bloße Leistung des Menschen, sondern Handeln Gottes am Menschen. Da die religionsgeschichtliche Schule aber ein solches kontingentes Heilsgeschehen nicht zuläßt, muß auch ihre Religion eine moralische sein. Sie vermag weder, den Kultus anders als bloße Form der religiösen Idee zu fassen, noch ist es ihr möglich, die christliche Religion anders als mit Hilfe der Moral zu beschreiben. Mit diesem Verständnis des Kultus jedoch nimmt die religionsgeschichtliche Schule einen Hiatus zwischen Heiliger Schrift und kirchlicher Praxis in Kauf, der an Tiefe kaum zu überbieten ist. Sie ruft zu einem Verständnis des Gottesdienstes auf, welches bewußt den Boden des Neuen Testamentes verläßt. Besonders an Heitmüllers Forderung, den reformatorischen Kampf gegen die paulinische Sakramentslehre zu kämpfen, ist diese Entscheidung deutlich geworden. Gegen die Schriftaussagen über das gottesdienstliche Geschehen soll sich die Gemeinde Jesu Christi in geläutertem Verständnis ihres Glaubens versammeln; nicht die an den Gottesdienst geküpften Verheißungen der Schrift, sondern das vom Exegeten ermittelte „Evangelium Jesu" soll das gottesdienstliche Geschehen bestimmen, indem daran erinnert und mit seiner Hilfe an den Gottesdienstteilnehmer ein moralischer Appell gerichtet wird. Für den Ausleger der Schrift, der von der Realität neutestamentlicher Aussagen zum Gottesdienst ausginge, wären hier Schrift und Gottesdienst beieinander, der Gottesdienst wäre in seiner Gestaltung an der Schrift auszurichten und lebte von den Verheißungen der Schrift.

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4. Kant und Hegel Die religionsgeschichtliche Schule folgte Kant nicht im Blick auf die menschlichen Möglichkeiten der Erkennbarkeit Gottes, wohl aber in seiner Option für eine Religion in den Grenzen der bloßen Vernunft. Wenn nun in dieser Vernunftreligion über das Sein Gottes gewisse Aussagen gemacht werden können, die Vernunft also mehr weiß, als ihr bei Kant zugesprochen wurde, dann wird diese Vernunftreligion zu einer mystischen Theologie (Troeltsch) oder zu einer Gotteslehre, für die das menschliche Gottesbewußtsein und das Sein Gottes kongruent sind (Bousset). Troeltsch wendet sich in seiner Suche nach einem geschichtlichen Verständnis des Christentums zu hegelschen Gedanken. Er folgt Hegel in einer Geschichtstheologie, die Geschichte als Entwicklung des Geistes begreift. Er folgt Hegel auch in der Durchbrechung der von Kant postulierten Grenzen der menschlichen Vernunft, indem Seinsaussagen über Gott möglich werden.' Troeltsch folgt Hegel nicht in dessen Intention, auf der Grundlage der biblischen Offenbarung mit dieser Geschichtsphilosophie tatsächlich die Ausgestaltung einer Trinitätstheologie zu betreiben.2 Dadurch wird, was sich bei Hegel als Explikation der biblischen Offenbarung verstehen läßt, zu einer Pneumatologie ohne Geist, zu einem geschichtlichen Wissen um Gott ohne Offenbarung.3 Angesichts des „Streites" zwischen Kant und Hegel wäre für die Theologie genau die umgekehrte Entscheidung möglich gewesen. M t Kant hätte die Unerkennbarkeit Gottes für die menschliche Vernunft behauptet werden können, 1 In der Einleitung seiner Religionsphilosophie wendet sich Hegel scharf gegen eine kantisierende Theologie, welche stolz ist auf den philosphischen Nachweis der Unerkennbarkeit Gottes. Gegenüber dieser „Vernunftreligion" behauptet Hegel die Erkennbarkeit Gottes als des dreieinigen. Seine Religionsphilosophie ist also der „Vernunftreligion" „entgegengesetzt", während sie der am Credo, also an konkreten Aussagen über den dreieinigen Gott orientierten „positiven Theologie" „unendlich näher steht" (Hegel, Philosophie der Religion, Bd. I, 43). Diese Überlegungen richten sich nicht gegen die kantische Kritik der reinen Vernunft selbst, wohl aber gegen den aus dieser abgeleiteten Schluß, jede Erkennbarkeit Gottes zu bestreiten: Die „Kantische Kritik der reinen Vernunft" hat die Kategorien als Formen des Endlichen „angefochten und auf ihre Weise das Resultat gehabt (...), daß man durch diese Kategorien nur Erscheinungen erkennen könne. In der Religion aber hat man es nicht mit den Erscheinungen, sondern mit dem absoluten Inhalte zu tun." (ebd., 59). 2 Vgl. ebd., 41: „Gott ist aber nur als Geist zu fassen, und dies ist kein leeres Wort, keine oberflächliche Bestimmung. Soll er uns aber als Geist kein leeres Wort sein, so muß er als dreieiniger Gott gefaßt werden; dies ist dasjenige, wodurch die Natur des Geistes expliziert wird." (Hervorhebung im Original). 3 Vgl. die Kritik Bultmanns an Troeltsch und der liberalen Theologie, hier handle es sich um „Geschichtspantheismus" (Bultmann, Die liberale Theologie, 5-9).

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mit Hegel dagegen eine theologia revelationis als trinitarische Theologie entfaltet werden können: Im Blick auf menschliches Erkenntnisvermögen hätte man mit Kant, im Blick auf die Gegenwart und Offenbarung des dreieinigen Gottes mit Hegel argumentieren können. Dabei hätte eine Entfaltung der trinitarischen Gotteslehre deutlich als theologia revelationis im Sinne dieser auch von Kant offen gehaltenen Möglichkeit gekennzeichnet werden müssen. Von daher wäre ein ganz neues Licht auf die Frage nach dem Kultus gefallen. Die von Kant durchgeführte Geißelung des Kultus als bloße Werkgerechtigkeit oder als Formsache hätte sich durchaus auf den Propheten Arnos oder auch auf Luther berufen können. Diese Kultkritik wäre aber deutlich von einer Mißachtung des Kultus zu scheiden gewesen, die auf eine Verneinung von Heilszueignung durch kontingentes Geschehen beruht. Der Kultus nicht als rechtfertigendes Handeln des Menschen, wohl aber als rettendes Handeln Gottes am Menschen hätte hier gegen die Kultkritik Kants ins Feld geführt werden können. 4

4

In diesem Sinne erscheint der Kultus auch in der hegelschen Religionsphilosophie, in welcher er eine Schlüsselstellung für die Explikation des Wesens der Religion innehat (vgl. die grundsätzlichen Ausführungen im 1. Teil der Religionsphilosophie: Hegel, Philosophie der Religion, Bd. I, 226-278). „(D)er Kultus wäre eigentlich vernichtet, wenn die subjektive Seite als das Ganze gefaßt würde (...). Erst wenn die Religion wirklich Verhältnis ist, den Unterschied des Bewußtseins enthält, dann ist der Kultus als Aufhebung des Entzweiten wirklich gestaltet und lebendiger Prozeß." (ebd., 231). Während wir nun in der „unmittelbaren Religion" den Kultus behaftet finden mit einer „Menge von Ceremonien - Aberglauben wie wir es mit Recht nennen" (Hegel, Religionsphilosophie, 241, Hervorhebung im Original), ist in der christlichen Gemeinde, wo der Geist Gottes wohnt (vgl. ebd., 662fl), mit dem Abendmahl ein kultisches Geschehen gegeben, in dem die Einheit zwischen Gott und Mensch sinnlich erfahren wird (ebd., 695, 697): „Hiemit ist es in der Weise eines äusserlichen Objects, daß das Göttliche GEGESSEN UND GETRUNKEN WIRD - ein Symbol desselben nicht nur, - sondern sinnlicher Genuß als solcher - unmittelbare Gewißheit - so muß diß Sinnliche selbst gelten, werdend zum Göttlichen / sich darein verwandelnd - die GÖTTLICHE SUBSTANZ selbst - Beydes in Einem" (Kursiva: im Text unterstrichen; Kapitälchen: im Text mehrmals unterstrichen, spitze Klammem: Ergänzungen Hegels). In den Kollegnachschriften, die Lasson bietet, finden sich noch genauere Analysen Hegels zur lutherischen Abendmahlslehre. Hier wird festgehalten, daß die „Transsubstanziation" „nur erst im Genuß" und „nur erst auf geistige Weise" vor sich gehe (Philosophie der Religion, Bd. II, 214). Wie Hegel die manducatio oralis auch im einzelnen gefaßt haben mag, fest steht, daß der Kultus ihm „Genuss(e) der Aneignung der Gegenwärtigkeit Gottes" ist (ebd.).

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5. Dogmatik und Exegese in der religionsgeschichtlichen Schule 5.1

Die Unabhängigkeit der Exegese von der Dogmatik

Ist die Exegese der religionsgeschichtlichen Schule durch dogmatische Optionen der Exegeten bestimmt? Zunächst ist auf diese Leitfrage in bestimmter Hinsicht mit einem deutlichen Nein zu antworten. Die Religionsgeschichtler gehören zum letzten Schülerkreis um Albrecht Ritschi. Sie trennen sich von seiner Theologie gerade deshalb, weil sein Umgang mit biblischen Texten ihnen gewollt, ja erzwungen erscheint. Nicht als Stützen einer bereits feststehenden Dogmatik, sondern als Zeugnisse von Religion und Frömmigkeit ihrer Zeit sind biblische Texte zu lesen. Das intensive Interesse an der Religion selbst ist es dann auch, was die Religionsgeschichtler nun ihrerseits - zunächst - davor bewahrt, dogmatische Überzeugungen in den Text einzutragen. Davon geben ihre Untersuchungen der neutestamentlichen Kulttheologie Aufschluß. Mit großer Deutlichkeit, mit geradezu radikalen Formulierungen wird im Neuen Testament ein supranaturales Verständnis des Gottesdienstes festgestellt. Im Gottesdienst ist Gott wirkend zugegen. Der Geist Gottes ist der ganz Andere, der vom Gläubigen Besitz ergreift, Christus ist der im Gottesdienst anzubetende Sohn Gottes, Taufe und Abendmahl sind wirkkräftige Sakramente, die mit Christus verbinden und das Heil vermitteln, die Wiedergeburt ist eine seinsmäßige Neuschöpfung des Menschen. Diese Ergebnisse werden als Textbefund festgehalten mit dem deutlichen Bewußtsein, daß sie der eigenen Dogmatik fundamental widersprechen. Der Widerspruch wird nicht verdeckt, sondern in aller Schärfe dargelegt. Das fuhrt so weit, daß an Vertreter der „positiven Theologie" die Frage der Schriftgemäßheit ihrer Auslegungen gerichtet wird und daß fur eine heutige Theologie ausdrücklich das Verlassen der Schriftaussagen als einzig möglicher Weg gefordert wird.1 Dieses Verfahren hebt sich erfrischend ab von vermittlungstheologischen Versuchen, die modernes Christentum und orthodoxe Lehre zu verbinden suchen.2 1

Vgl. Heitmüllers Anfrage an Kahler (Heitmüller, Taufe und Abendmahl bei Paulus, 5 7) sowie den Schluß seiner Ausführungen zu den Sakramenten bei Paulus, wo er den Kampf des Evangeliums gegen das paulinische Sakramentsverständnis einklagt (ebd., 54—56). 2 Troeltsch hat die Aporien solcher Versuche deutlich gesehen. So geißelt er die Ausführungen Niebergalls zur Absolutheit des Christentums (Troeltsch, Ueber historische, 750, mit Bezug auf Niebergall, Absolutheit): „Ja die Intention, in der biblischen Offenbarung den durch sich selbst und von vornherein feststehenden, alle Geschichtsbetrachtung erst von sich aus normierenden Ausgangspunkt festzustellen, diese so emphatisch betonte Intention wird

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5.2

Die Abhängigkeit der Exegese von der Dogmatik

Eben diese bewußte Distanzierung vom Textbefund als einer heute unmöglichen Position fuhrt nun aber doch zu einer Beeinflussung der Exegese durch die dogmatische Entscheidung. Was zunächst geradezu die Befreiung der Exegese von dogmatischer Vereinnahmung bedeutete, legt der Textauslegung neue Ketten an. a) Wenn die textimmanente Erklärung des christlichen Kultus der Dogmatik des Exegeten erklärtermaßen zuwiderläuft, so sieht er sich seinerseits gezwungen, eine neue Deutung des christlichen Kultus vorzunehmen. Der Exeget bleibt also nicht bei der Aufgabe, das dem Text zugrundeliegende Verständnis des Gottesdienstes darzustellen. Dieses Verständnis wird vielmehr in einem ontologischen Schiedsspruch für unmöglich erklärt. Der Exeget ist so geradezu gezwungen, seinerseits neue Lösungen zur Erklärung des in den Texten berichteten oder bezeugten Geschehens anzubieten: Die Geistwirkungen sind nicht, wie der Text sagt, Wirkungen des göttlichen Geistes, sondern psychologische Vorgänge im Gläubigen.3 Das Gebet zu Christus ist nicht begründet in der Gottheit Christi, sondern die bloße Postulierung der Gottheit Christi ist begründet in seiner Anbetung. Die Sakramente sind nicht die reale Verbindung mit Christus, sondern magische Zauberriten. Wiedergeburt als Veränderung des Seins ist bloße Vorstellung, Erlösung ist Erhebung durch Erkenntnis.4 b) Es geht aber nicht nur um diesen Schiedsspruch des Exegeten und die daran geknüpfte Umdeutung der berichteten Kultgeschehnisse. Indem vielmehr das bezeugte kultische Geschehen für unmöglich erklärt wird, erhebt sich die Frage, wie die Verfasser der Texte überhaupt zur Postulierung desselben kommen konnten. Eine Antwort ermöglicht die Aufstellung von Hypothesen, die diese neutestamentlichen Texte als ein Entwicklungsprodukt der Gemeindedogmatik erst verständlich machen sollen. Die Entwicklung, die zu den neutestamentlichen Anschauungen gefiihrt haben soll, ersetzt dann das Sein, das eben diesen Anschauungen nicht mehr zugrunde liegen darf. Dabei besteht immer Gefahr, dem Text selbst wieder Gewalt anzutun. Die boussetsche Ablehnung eines Kyrioskultes in der palästinischen Urgemeinde, die nur unter Abwertung der fur Palästina wahrscheinlichen Exorzismen im Namen eben dieses Herrn möglich wurde, ist hierfür ein Beispiel. Die dogmatische Entscheidung gegen die Gottheit Jesu führt in diesem Fall zu einer Analyse der Texte, bei der etwaige Ent-

beständig gekreuzt durch das entgegengesetzte Verfahren, von der allgemeinen Geschichte auszugehen und sie daraufhin abzusuchen, ob sich in ihr nicht etwelche dem menschlichen Bedürfnis entsprechende absolute Werte finden." 3 Vgl. dazu auch die Kritik Bultmanns an Bousset (Paulus-Forschung, 49): „Letztlich ist also das neue pneumatische Sein im Gefühlsleben vorfindlich!" 4 Die religionsgeschichtliche Schule votiert damit aufgrund dogmatischer Bindungen für Lehrgebilde, die an die von der alten Kirche bekämpften Häresien der Arianer und Pneumatomachen sowie an die Gnosis anknüpfen.

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Wicklungen nicht beobachtet, sondern als Erklärung des Exegeten behauptet werden.5 c) Schließlich fuhrt die dogmatische Entscheidung gegen eine kultische Religion und für eine Religion der Persönlichkeit dann, trotz der oben dargestellten Ergebnisse, zu Einzeichnungen dieses Programmes in den biblischen Text selbst. Der Jesus der synoptischen Evangelien wird zum Urbild genau dieser gesuchten Persönlichkeitsreligion, dem die Sakramente wie der Gedanke des stellvertretenden Strafleidens nicht nur unbekannt, sondern zutiefst zuwider sind. Paulus vertritt zwar eine schroffe Sakramentstheologie, gleichzeitig aber kann dieselbe doch nur am Rande eines ansonsten doch schon geistig-ethischen Verständnisses der christlichen Religion stehen. Und in den Texten Iäßt sich dann die positive kultlose Linie von den Propheten zu Jesus sowie die negative Linie einer kultischen Religion vom Volksglauben Israels zu den Pharisäern finden.

5

Zu diesem von Schlatter betonten Unterschied zwischen Beobachten und Erklären, vgl. unten, Abschnitt 6: „Die Priorität des Kultus in der Exegese".

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6. Die Priorität des Kultus in der Exegese Die ontologischen Implikationen der von Troeltsch beschriebenen „historischen Methode" sind auch für die heutige formgeschichtliche Arbeit, die unmittelbar aus der religionsgeschichtlichen Schule erwachsen ist, sowie für die an diese anschließende redaktionskritische Untersuchung neu zu bedenken. Die Erkenntnis, daß die Theologie ihre Wurzeln im christlichen Gottesdienst hat, teilt die religionsgeschichtliche Schule mit der alten Kirche. Darauf hat Bousset hingewiesen. Es ist aber deutlich geworden, daß aufgrund der dogmatischen Optionen das kultische Geschehen nun nicht mehr als das Sein verstanden wird, in dem theologische Aussagen zu Recht gründen, sondern als ein Bewußtseinsinhalt, der sich in theologischen Reflexionen über sich selbst Klarheit verschafft. Die neutestamentlichen Aussagen zum Kultus sind Theologie, eine Theologie, die auf dem Kultus aufbaut und in ihm verwurzelt ist, eine Theologie, die diesen Kultus aber aus Sicht des Exegeten falsch gedeutet hat und aufgrund zeitgeschichtlicher Vorstellungsmuster auch falsch deuten mußte. Für den Exegeten der religionsgeschichtlichen Schule fallen also das tatsachliche kultische Geschehen und die neutestamentliche Bezeugung des Heilshandelns Gottes im Kultus auseinander. Die dogmatische Prämisse des Exegeten, der Kultus könne kein Heilsgeschehen sein, bleibt in Geltung, da die neutestamentlichen Aussagen als Theologie nur das Bewußtsein ihrer Verfasser, nicht aber das Sein des Kultus beschreiben. Die Exegese muß sich darüber Rechenschaft ablegen, ob sie bei der Suche nach dem Sitz im Leben theologischer Aussagen dem Modell Boussets oder jenen Aussagen der Kirchenväter folgen möchte. Oder sollte es tatsächlich möglich sein, zwischen beiden Optionen hindurchzugehen mit dem Anspruch, Gemeindetheologie zu eruieren, ohne über deren Beziehung auf ein Sein urteilen zu wollen? Bei einer historischen Kritik mittels des im Sinne Troeltschs angewandten Analogiekriteriums ist dies nicht möglich: Es beinhaltet bereits eo ipso die Verneinung der Wahrheit aller neutestamentlicher Aussagen, die das kultische Heilshandeln bezeugen. Die religionsgeschichtliche Schule fuhrt der Gegenwart hier eine sachlich gebotene Konsequenz vor, indem sie die historische Methode auch zur Ablehnung jeder sakramentalen Heilsgabe ins Feld führt. Wer hingegen „historische Methode" nicht als diesen konsequenten Schiedsspruch über das Sein verstanden wissen wollte, der müßte ihr Wesen ganz anders als Troeltsch darstellen. Das wäre denkbar, faßte der Exeget seine Arbeit nun tatsächlich als eine rein beschreibende auf. Er hätte sich jeglichen Urteils über eine der theologischen Formulierung zugrundeliegende Wirklichkeit zu enthalten. Die Entscheidungsfrage über eben diese Wirklichkeit würde er dann gänzlich in andere Hände legen, wahrscheinlich in die des Dogmatikers. Heutige

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Exegese scheint weitgehend von diesem Selbstverständnis auszugehen, die Seinsfrage, die der religionsgeschichtlichen Schule noch deutlich vor Augen stand und die zu beantworten man sich nicht scheute, wird meist nicht mehr gestellt. Dadurch stehen form- und redaktionskritische Arbeit in der Gefahr, zum Selbstläufer zu werden, die exegetische Arbeit droht sich selbst als bloße Geschichtswissenschaft zu definieren und damit theologisch zu entmündigen. Wäre aber wenigstens diese Selbstbeschränkung auf eine philologische und historische Analyse der Texte durchgehalten, so könnte die so verstandene Exegese sich als ein erster Schritt der Arbeit am Neuen Testament in das Geföge theologischer Arbeit einfügen. Nun wird aber die historische Darstellung häufig doch als implizite Entscheidung der Seinsfrage verstanden. Denn wenn der Exeget, in der Tradition der religionsgeschichtlichen Schule stehend, neutestamentliche „Theologumena" als Produkt eines Bedürfnisses der Gemeinde aufweist, ist es anschließend nur schwer möglich, diesen Theologumena das sie fundierende Sein nicht abzusprechen.1 Denkbar ist demgegenüber eine Exegese, die von vornherein mit der Realität des kultischen Heilsgeschehens rechnet. Ihr wäre es möglich, die von der religionsgeschichtlichen Schule behauptete Priorität des Kultus vor der Theologie so zu entfalten, daß die Realität des kultischen Heilsgeschehens selbst die neutestamentlichen Aussagen begründet: Weil der Kultus Heilshandeln Gottes ist, deshalb explizieren aus dem Kultus kommende und auf ihn verweisende Aussagen dieses Geschehen. Weil Jesus als wahrhafter Gott im Kultus gegenwärtig ist, wird er im Gottesdienst angebetet und als Gott bezeichnet. Sein des Kultus und die neutestamentliche Rede vom Kultus fallen hier nicht auseinander. Die Erkenntnis von der Priorität des Kultus vor der Theologie wird dann im Sinne der von Bousset angeführten Kirchenväter theologisch fruchtbar gemacht. Diese Exegese ginge davon aus, daß die neutestamentlichen Texte mit ihrer Bezeugung des Sohnes Gottes, der Geistwirkungen wie der sakramentalen Gaben selbst schon durch das Sein des dreieinigen Gottes getragen werden. Auch diese Exegese würde in der nötigen historischen Untersuchung biblischer Aussagen Entwicklungen in der Beschreibung des Heilshandelns Gottes, Aufnahme von 1

Vgl. Schlatters Mahnung, Wissenschaft sei „erstens Sehen und zweitens Sehen und drittens Sehen und immer und immer wieder Sehen" (Schlatter, Atheistische Methoden, 142). Dieses Sehen impliziert die Forderung, die Exegese zunächst als Beobachten, nicht aber als Erklären des Zustandekommens der Texte zu verstehen (vgl. ebd., 149). Im Vollzug dieses Beobachtens, so Schlatter, bleiben aber Erklärungen über Entstehung der untersuchten Überzeugungen doch nicht aus (vgl. Schlatter, Theologie, 223). Weil nun auf diesem Gebiet „die Grenze zwischen der Beobachtung und den Vermutungen schwankend wird", muß besonders auf „eine nüchterne, auf die Tatsachen gerichtete Beobachtung von solchen Werdeprozessen" geachtet werden (ebd., 225f). Deshalb mahnt Schlatter im Blick auf Theorien der Ableitung neutestamentlicher Aussagen zu großer Zurückhaltung (ebd., 230): „Die Ehre der neutestamentlichen Wissenschaft beruht nicht darauf, daß sie alles weiß, sondern darauf, daß sie das sieht, was die Zeugen sichtbar machen, und da schweigt, wo ihr Zeugnis schweigt." Zu den religionsgeschichtlichen Ableitungen vgl. ebd., 231f. - Vgl. ferner die kritischen Überlegungen zum religionsgeschichtlichen Vergleich bei Sänger, Phänomenologie.

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Traditionen oder Übernahmen v o n Begriffen und Gedanken feststellen können. Sie würde aber durch diesen Befund nicht dazu gezwungen, das bezeugte Sein selbst als Produkt des Gemeindebewußtseins zu entlarven. Entwicklung des D o g m a s verstünde sie als Entwicklung des δρος πίστεως, der Grenze, die um das offenbarte Sein Gottes in Christo w i e um den geistgewirkten ordo salutis g e z o gen wird. 2

2 Vgl. Slenczka, Entscheidung, 70. - Hiermit zusammen hängt die Erkenntnis von der „Wechselwirkung von Liturgie und Dogma" (Wainwright, Gottesdienst, 90): „In einem grundlegenden und elementaren Bereich, wie in dem Bekenntnis ,Jesus ist der Herr', stimmen lex orandi und lex credendi völlig überein." (ebd.). - Auf die Fundierung der dogmatischen Aussagen im Gottesdienst haben auch die Untersuchungen von Kretschmar (Studien) und Pelikan (Tradition) hingewiesen, vgl. z.B. ders., Tradition, 11: „To interpret the development of doctrine in the ancient church, it is necessary to pay primary attention to the condition and growth of the church's faith and worship, to its exegesis of the Bible, and to its defense of the tradition against heresy".

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7. Theologie des Gottesdienstes als trinitarische Theologie

Das Kultusproblem entpuppt sich letztlich als ein christologisches wie auch pneumatologisches Problem. Das Verdikt gegen eine kultische Erlösung fällt auf die Inhalte der Christologie und der Pneumatologie selbst zurück. Es ist gezeigt worden, daß deshalb in der religionsgeschichtlichen Schule die Christologie wie die Pneumatologie als Bezeugung des Eingehens Gottes in Raum und Zeit ausfallen. Die Inkarnation wird unmöglich. Jesus Christus ist lediglich Mensch, entweder Symbol für eine Vernunftreligion (Bousset), oder als historische Gründergestalt ein notwendiger Kultmittelpunkt (Troeltsch).1 Der göttliche Geist ist ein sich in der Geistesgeschichte fortsetzendes Prinzip, vermeintliche Geistwirkungen sind psychologische Vorgänge. Mit einer trinitarischen Theologie wäre es möglich, Anliegen der religionsgeschichtlichen Schule aufzunehmen und in eine ganz andere Richtung hin zu entfalten. Dies kann an zwei Hauptgedanken der religionsgeschichtlichen Schule verdeutlicht werden:

1. Die „ lebendige Religion " ist keine Moral, sondern ein Gottesverhältnis. Dieses Gottesverhältnis aber ist Heilgeschehen, das dem Gläubigen von außerhalb seiner selbst zugeeignet wird als Gabe des Geistes. Die Zueignung ist an äußere Mittel, an Wort und Sakrament, gebunden. Der „fröhliche Wechsel" zwischen Christus und dem Gläubigen als dessen wirkliche Neuschaffung ist keine eigene Leistung. Sie ist Veränderung des Seins des Gläubigen, die im Geschehen der Begegnung Gottes mit dem Menschen statt hat. Diese Begegnung ist Gottesdienst, der damit nicht verdienstheischendes menschliches Werk, sondern Heilshandeln Gottes in Raum und Zeit ist.

1

Beide Surrogate einer Christologie werden von Albert Schweitzer scharf kritisiert. Damit wird gezeigt, daß diese Konzepte eine Christologie völlig überflüssig werden lassen (Schweitzer, Geschichte, 524): „Wenn der Sinn der Religion der ist, daß sie uns aus der Welt erlöst, indem sie uns dem Geschehen gegenüber frei macht, inwiefern wird dann ein Mensch, nach dem was Troeltsch und Bousset sagen, durch Jesus noch mehr erlöst, als er es durch seine rationale Religiosität, in der [seil.: er] sich zur Freiheit von Schicksal und Kausalität und zu einer höheren Vorstellung vom Wirken erhebt, ohnehin schon ist?" - Ebenso wird das Problem der Unterscheidung von Sein und Bewußtsein im Zusammenhang mit dem Symbolbegriff Boussets klar erkannt (ebd.): Der Symbolbegriff sei mit einem Charakter behaftet, der „eine wissentlich erfundene, mit Ästhetik übertünchte Wirklichkeit" bezeichne. Dies aber sei Zeichen der Dekadenz (ebd., Fußnote 20): „Für die Teilnehmer an den alten Naturkulten war das, was vom Gotte und seinem Schicksal erzählt wurde, Wirklichkeit. In den Mysterienreligionen ist diese Naivität nicht mehr vorhanden. Der Mythus ist nicht mehr Geschichte, sondern wird nur dafür ausgegeben. Der Serapiskult ist sogar eine bewußte Erfindung."

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2. Der Gottesdienst ist Sitz im Leben der Theologie. Der Christus praesens selbst aber ist das Wesen des christlichen Gottesdienstes, und nur deshalb geht dieser der Theologie als ihr Seinsgrund voraus. Gottesdienst ist nicht „menschliche Reaktion, die menschliche Antwort auf das Gottesverhältnis (...). Vielmehr ist da, wo Gott es mit uns zu tun haben will (nämlich als offenbarter Gott), auch der Gottesdienst gegeben. Offenbarung und Gottesdienst sind sachlich ein und dieselbe Realität: die Gemeinschaft von Gott und Mensch unter irdischen Bedingungen."2 Eine solche Theologie, die mit der Inkarnation sowie mit dem Handeln Gottes unter sinnlichen Mitteln rechnet, wird eine Theologie des Gottesdienstes sein. Sie wird dies in dem Maße sein, in dem sie trinitarische Theologie ist. Darauf hat in einem programmatischen Aufsatz Peter Brunner hingewiesen. Wer Gott nur in der „geschlossene(n) Immanenz"3 sucht, der muß das gottesdienstliche Geschehen in Predigt, Gebet, Bekenntnis und Sakrament als ein innerweltliches Phänomen darstellen." Demgegenüber betont eine Theologie des Gottesdienstes: „Eine Grundfunktion des Gottesdienstes besteht in der durch Wort und Sakrament sich ereignenden pneumatischen Gegenwärtigsetzung des Jesusgeschehens in seinem Heilsgehalt und in der Vermittlung der realen persönlichen Teilhabe an diesem Heilsgeschehen"5 Diese Vermittlung des Heilswerkes Jesu Christi geschieht durch den Heiligen Geist, sodaß der „soteriologische Gehalt des Gottesdienstes (...) aufs engste zusammen(hängt) mit seinem Ursprung in der pfingstlichen Ausgießung des heiligen Geistes und mit der Präsenz dieses Geistes in seinem Vollzug".6 Der Gottesdienst ist also selbst in seinem Wesen der Sprung über den lessingschen Graben, indem die historische Distanz zur Offenbarung in Christus durch die Gegenwart des Geistes in Wort und Sakrament überwunden wird.1 Man kann dieses neutestamentliche Verständnis des 2 Vajta, Theologie, 24 (im Blick auf Luthers Verständnis des Gottesdienstes). - Der Neutestamentier Ernst Lohmeyer hat in seiner Untersuchung „Kultus und Evangelium" darauf hingewiesen, daß Jesus in der Darstellung der vier Evangelien nicht den Kultus überhaupt auflösen, sondern den falschen Gottesdienst durch den rechten ersetzen will. Seine Untersuchung mündet ein in die Darstellung der „Mahlfeier der ,galiläischen' Urgemeinde", die „tägliche Mahlzeit, Liebesmahl und eschatologische Feier der Gegenwart des Herrn und der Gemeinsamkeit der ,Brüder'" ist: „Mit ihr ist jetzt der Anfang eines neuen, eines christlichen Kultus gelegt, der alle bisherigen Kulte aus seiner eschatologischen Heiligkeit übersieht und überwindet" (Lohmeyer, Kultus, 128). 3 Brunner, Theologie, 167. - Vgl. zu Brunners Theologie des Gottesdienstes seine ausfuhrliche Darstellung, die er für den ersten Band von „Leiturgia" geschrieben hat (Brunner, Lehre). 4 Vgl. die Darstellung einer solchen Theologie ebd., 166-171. 5 Ebd., 182, Hervorhebung im Original. - Vgl. auch die wichtigen Ausführungen von Wainwright zur trinitarischen Struktur des Gottesdienstes, unter Verweis auf Eph. 2, 18 als „Typos des eucharistischen Gottesdienstes" (Wainwright, Gottesdienst, 88). 6 Ebd., 179. 7 Vgl. auch Brunners Aussagen zur durch die Sakramente vermittelte Koinonia mit Christus und seinem Heil (ebd., 181, Hervorhebungen: K.L.): „Das, was wir Gottesdienst nennen, hat sein Fundament in der Taufe. Was in der Taufe grundlegend geschehen ist, er-

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Gottesdienstes mit Brunner als „radikale Eschatologisierung des Gottesdienstes" bezeichnen, weil durch die Gegenwart des Geistes die endzeitliche Anbetung des dreieinigen Gottes möglich wird: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten." 8

eignet sich in seinem Wesen immer wieder neu im Gottesdienst der Gemeinde der Getauften. Dieser Gottesdienst ist gleichsam die kontinuierliche Fortsetzung des in der Taufe grundlegend geschehenen Werkes des heiligen Geistes; demnach geschieht im Gottesdienst die kontinuierliche Gegenwärtigsetzung des Jesusgeschehens in seinem Heilsgehalt und die reale Übermittlung der Teilhabe an diesem Heilsgeschehen, das in Jesu Kreuz und Auferstehung konzentriert ist." 8 Joh. 4,24, vgl. Brunner, Theologie, 183.

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Literaturverzeichnis

Die in der Arbeit verwendeten Kurztitel sind durch Kursivdruck hervorgehoben; Abkürzungen für Werke der Kirchenväter sind in Klammern angeführt.

1. Unveröffentlichte Literatur

Althaus, Paul: Randbemerkungen im Handexemplar. Bousset, W., Jesus der Herr, Göttingen 1916, neutestamentliches Seminar Erlangen, Signatur P20, 352. Bousset, Wilhelm: Brief an Paul Wernle vom 6.6.1909, UB Göttingen. - Brief an Paul Wernle, ohne Datum (Antwort auf Wernles Brief vom 5 .9.1909), UB Göttingen. - Brief an Paul Wemle vom 19 .10.1910, UB Göttingen. - Brief an Paul Wernle vom 30.12.1910, UB Göttingen. - Jesus von Nazareth, UB Göttingen, (Signatur Cod Ms Bousset 152). - Neutestamentliche Religionsgeschichte, UB Göttingen (Signatur Cod Ms Bousset 155). - Neutestamentliche Theologie, UB Göttingen (Signatur Cod Ms Bousset 153). - Zur Geschichte der Eucharistie, UB Göttingen (Signatur: 4° Theol. 326,4). Wernle, Paul: Brief an Wilhelm Bousset vom 5 .9.1909, UB Göttingen.

2. Veröffentlichte Literatur

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Anrieh, Gustav: Das antike Mysterienwesen in seinem Einfluß auf das Christentum, Göttingen 1894 (Neuauflage Hildesheim 1990). Apelt, Ernst Friedrich: Metaphysik, Leipzig 1857 (Neuausgabe von R. Otto, Halle 1910). - Religionsphilosophie, Leipzig 1860. Apfelbacher, Karl-Ernst: Emst Troeltsch und die Mystik. Anmerkungen anläßlich der Rezension von Hartmut Ruddies, in: Mitteilungen der Ernst-Troeltsch-Gesellschaft III, Augsburg 1984, 116-132. - Frömmigkeit und Wissenschaft. Ernst Troeltsch und sein theologisches Programm, (BÖT 18), München/Paderborn/Wien, 1978. Athanasius: Oratio III contra Arianos, MPG 26, 322-468 (Orat. III c. Arian.). Bachmann, Philipp: Der erste Brief des Paulus an die Korinther (KNT VII), Leipzig 1905. Barnikol, Ernst: Albert Eichhorn (1856-1926). Sein „Lebenslauf', seine Thesen 1886, seine Abendmahlsthese 1898 und seine Leidensbriefe an seinen Schüler Erich Franz (1913/1919) nebst seinen Bekenntnissen über heilige Geschichte und Evangelium, über Orthodoxie und Liberalismus, in: WZ(H).GS IX/1, Halle 1960, 141-152. Barth, Karl: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, 4. Auflage Zürich 1981. Bast, Rainer Α.: Einleitung, in: Ernst Cassirer, Erkenntnis, Begriff, Kultur, hg. v. R.A. Bast, Hamburg 1993, VII-L. Baumgarten, Otto: Die Abendmahlsnot. Ein Kapitel aus der deutschen Kirchengeschichte der Gegenwart (RVIV/15), Tübingen 1911. Baumgarten, Siegmund J.: Evangelische Glaubenslehre. Vorrede und historische Einleitung, Bd. 1-3, Halle 1759/60. Becker, Gerhold: Die Funktion der Religionsphilosophie in Troeltschs Theorie des Christentums, in: Protestantismus und Neuzeit (Troeltsch-Studien 3), hg. v. Friedrich W. Graf / Horst Renz, Gütersloh 1984, 240-256. - Neuzeitliche Subjektivität und Religiosität. Die religionsphilosophische Bedeutung von Heraufkunft und Wesen der Neuzeit im Denken von Ernst Troeltsch, Regensburg 1982. Berger, Klaus: Exegese und Philosophie, Stuttgart 1986. - Nationalsoziale Religionsgeschichte. Wihelm Bousset (1865-1920), in: Profile des neuzeitlichen Protestantismus, hg. von Friedrich W. Graf, Bd. 2,2, Gütersloh 1993, 279-294. Bertholet, Alfred: Art. Gottesdienst·. I. Religionsgeschichtlich., RGG Bd. 2, 2. Auflage, Tübingen 1928, 1325f. - Art. Kultus, Religionsgeschichtlich, in: RGG Bd. 3, 2. Auflage Tübingen 1929, 1365-1373. Bertram, Georg: Die Leidensgeschichte Jesu und der Christuskult, Göttingen 1922. Beyschlag, Karlmann: Grundriß der Dogmengeschichte. Band I: Gott und Welt, 2. Auflage Darmstadt 1987; Band 11,1: Gott und Mensch, Darmstadt 1991. Birkner, Hans-Joachim: Beobachtungen und Erwägungen zum Religionsbegriff in der neueren protestantischen Theologie, in: Fides et communicatio. Festschrift für Martin Doerne zum 70. Geburtstag, hg. v. Dietrich Rössler / Gottfried Voigt / Friedrich Wintzer, Göttingen 1970, 9-20.

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