Kulturpolitik und Theater: Die kontinentalen Imperien in Europa im Vergleich 9783205792048, 9783205788027, 9783486712117

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Kulturpolitik und Theater: Die kontinentalen Imperien in Europa im Vergleich
 9783205792048, 9783205788027, 9783486712117

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Philipp Ther (Hg.) Kulturpolitik und Theater Die kontinentalen Imperien in Europa im Vergleich

Die Gesellschaft der Oper Musikkultur europäischer Metropolen im 19. und 20. Jahrhundert Band 10 Wissenschaftlicher Beirat und Herausgeber der Buchreihe: Philipp Ther, Universität Wien (geschäftsführend) Moritz Csáky, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien Heinz-Gerhard Haupt, Europäisches Hochschulinstitut Florenz und Universität Bielefeld Sven Oliver Müller, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin Michael Walter, Universität Graz Michael Werner, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris

Philipp Ther (Hg.)

Kulturpolitik und Theater Die kontinentalen Imperien in Europa im Vergleich

Oldenbourg · Böhlau · 2012

Gedruckt mit der Unterstützung durch   : Europäisches Hochschulinstitut Florenz

MA 7, Kulturabteilung der Stadt Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78802-7 (Böhlau Verlag) ISBN 978-3-486-71211-7 (Oldenbourg)

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i­ nsbesondere die der ­Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von A ­ bbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ä­ hnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau-verlag.com Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Umschlaggestaltung: neuwirth+steinborn, www.nest.at Umschlagabbildung: © Wien Museum Druck : Prime Rate Kft., 1044 Budapest

Inhaltsverzeichnis

Philipp Ther Einführung in die Kulturpolitik der kontinentalen Imperien . . . . . . . .

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I. Anfänge und Grundlagen der Kulturpolitik Franz Leander Fillafer Imperium oder Kulturstaat  ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Elisabeth Großegger Kulturpolitik und Theater in der Reichshauptstadt Wien. Die frühe und die verspätete kulturpolitische Mission des k.k. Hofburgund Nationaltheaters.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 55

Richard Wortman Cultural Metamorphoses of Imperial Myth under Catherine the Great and Nicholas I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hartwin Spenkuch Preußen als Kulturstaat – Begriff, realhistorische Ausprägung und Akteure (1815–1914) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Adam Mestyan Cultural Policy in the Late Ottoman Empire  ? The Palace and the Public Theatres in 19th Century Istanbul. . . . . . . .

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II. Fallstudien zur Kulturpolitik András Gergely Kulturpolitik und Nationsbildung in Ungarn unter besonderen Berücksichtigung der Theater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6 Inhaltsverzeichnis

Jutta Toelle „Zielpunkt  : Austro-Italiens moralische Hegemonie“. Die Kulturpolitik Erzherzog Ferdinand Maximilians und das Ende der habsburgischen Herrschaft in Lombardo-Venetien, 1857–1859 . . . . . . . . . . . . . . . .

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Jiří Štaif Die drei Ebenen der Kulturpolitik der böhmischen Stände vor 1848  : Theater, Museum und die Patriotisch-ökonomische Gesellschaft in Prag . 191 Isabel Röskau-Rydel Staatliche Kulturpolitik und bürgerliches Engagement im österreichischen Galizien von 1772 bis Mitte des 19. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ostap Sereda Imperial cultural policy and provincial politics in the Russian “South-Western province”  : The Kyiv City Theater, 1856–1866 . . . . . .

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Birgit Kuch Der Transfer imperialer Praktiken nach Georgien  : Oper und Ethnografie in Tiflis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alina Hinc Die Kulturpolitik gegenüber dem deutschen und dem polnischen Theater in Posen in den Jahren 1793–1918.. . . . .

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Oksana Sarkisova Soviet Cultural Policy in Musical Theatre and Cinema, 1917–1938. . . .

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Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung in die Kulturpolitik der kontinentalen Imperien

In den westlichen Wohlfahrtsstaaten gehört die Kulturpolitik zu den Kernbereichen staatlicher Aufgaben. Auch Diktaturen wie die ehemalige Sowjetunion haben eine sehr aktive Kulturpolitik betrieben, um die gesellschaftliche Integration zu stärken und die eigene Herrschaft zu legitimieren. Dieser offenbar universelle Stellenwert der Kultur in modernen politischen Systemen hat zur Entstehung eines akademisches Feldes beigetragen, das im Englischen als „cultural policy studies“ bezeichnet wird.1 Diese – wörtlich übersetzt – „Kulturpolitikstudien“ beruhen auf einem überwiegend präsentistischen Zugang. Es geht meist um die gegenwärtige Kulturpolitik der heutigen Nationalstaaten, die dadurch en passant als normales Endprodukt der modernen Geschichte betrachtet werden. Dieser Fokus ist vor allem mit Blick auf die Anwendungsebene einleuchtend, etwa in Studiengängen zum Kulturmanagement. Der vorliegende Sammelband behandelt die Geschichte der Kulturpolitik, wobei die Diversität der „cultural policy studies“ eine Beschränkung dieses weiten Forschungsfeldes auf abgrenzbare Teilgebiete nahelegt. Es geht im Folgenden vorwiegend um die staatlichen Versuche, kulturelle Institutionen zu gründen, zu reformieren und zu kontrollieren und auf diesem Weg Einfluss auf die kulturelle Produktion und vor allem die gesellschaftliche Rezeption zu neh1 Vgl. zu diesem Forschungsfeld Angela Scullion/Beatriz Garcia, What is Cultural Policy Research, in  : International Journal of Cultural Policy 11 (2005), 113–127. Kurze Überblicke bieten Simon Mundy, Cultural Policy  : A Short Guide, Strasbourg  : Council of Europe Publishing 2000  ; Max Fuchs, Kulturpolitik als gesellschaftliche Aufgabe. Eine Einführung in Theorie, Geschichte, Praxis, Opladen  : Westdeutscher Verlag 1998. Vgl. zu den Cultural Policy Studies auch Sarah Zalfen, Staats-Opern  ? Der Wandel von Staatlichkeit und die Opernkrisen in Berlin, London und Paris am Ende des 20. Jahrhunderts, Wien  : Böhlau/Oldenbourg 2011, 31–40 (es handelt sich dabei um Band 7 der Buchreihe, in der auch dieser Sammelband erscheint). Vgl. zu diesem Forschungsfeld in Österreich u.a. das von Heft „Kulturpolitik und Demokratie“ der Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaften (2006/3) unter http  ://www.oezp.at/getMagazine.php  ? id=12 (Klick vom 27.9.2011). Jüngst erschienen ist Michael Wimmer Kultur und Demokratie – Eine systematische Darstellung der Kulturpolitik in Österreich, Innsbruck  : Studienverlag 2011.

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men. Seit dem späten 18. Jahrhundert war Kulturpolitik immer auch Gesellschaftspolitik. Dies bedingt für diesen Band einen Schwerpunkt auf die innerstaatliche Ebene und nicht auf die auswärtige Kulturpolitik. Außerdem folgt daraus, dass der jeweilige Staat als Ausgangspunkt dient und die regionale oder lokale Ausprägung von Kulturpolitik im Anschluss daran betrachtet wird. Gesellschaftliche Akteure der Kulturpolitik werden in den einzelnen Beiträgen ebenfalls berücksichtigt, primär aber in ihren Bezügen zur staatlichen Kulturpolitik. Den in Europa dominanten staatlichen Kontext für das Handlungsfeld der Kulturpolitik bildeten bis 1918 nicht Nationalstaaten, sondern die Imperien. Das gilt insbesondere für das mittlere und östliche Europa, wo der imperiale Rahmen länger bestimmend blieb, auf dem Gebiet der Sowjetunion sogar bis 1991. Dem vorliegenden Band liegt die These zugrunde, das gerade die Imperien die Anfänge der Kulturpolitik und deren weitere Entwicklung prägten. Das hatte spezifische Gründe  : Aufgrund ihrer Heterogenität und ihrer fehlenden demokratischen Legitimation mussten die Imperien ihre Herrschaft auf andere Weise absichern als die späteren Nationalstaaten. Lange Zeit dienten dazu Verweise auf eine gottgewollte Ordnung, auf die Anciennität und Macht der jeweiligen Dynastien, notfalls der Einsatz von militärischer Gewalt. Infolge der Aufklärung bedurfte es einer anderen, zunehmend säkularen Herrschaftslegitimation. Die europäischen Reiche, die im Mittelalter auf einem religiös fundierten Heilsversprechen basiert hatten,2 eigneten sich eine „mission civilatrice“ an. Diese Zivilisierungsmission, die im deutschsprachigen Raum und östlich davon meist im Gewand des Kulturbegriffs formuliert wurde, entwickelte sich im Zuge der Aufklärung zu einem wichtigen Bestandteil imperialer Selbstvergewisserung, Machtlegitimation und Repräsentation. Die kulturelle Mission hatte zu jenen Zeiten, als das Osmanische Reich noch vor den Toren Wiens stand und an Polen und das Russische Reich angrenzte, eine religiöse und stark nach außen gerichtete Dimension. Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verlagerte sich die mission civilatrice der Imperien auf die eigene Gesellschaft und damit die 2 Vgl. zum Reichsbegriff u.a. Georg Schmidt, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806, München  : Beck 1999  ; sowie zu dessen Wirkung auf die deutsche Nationalbewegung Dieter Langewiesche, Nation, Nationalismus, Nationalstaat in Deutschland und Europa, München  : Beck 2000, 85.



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Kultur. Die absolutistisch regierten Staaten folgten damit den Konzepten der Aufklärer, deren Denken gerade in als rückständig geltenden Imperien – man denke an die Rolle Voltaires für Russland – großen Einfluss besaß.3 Auch wenn kulturelle Institutionen, Genres und Events ursprünglich einen Machtanspruch symbolisierten, konnte Kultur außerdem zu einem Substitut für verlorenen politischen Einfluss werden, so etwa im Habsburgerreich nach den Niederlagen von 1859/66.4 Ein dritter Grund für die Konzentration des vorliegenden Bandes auf Imperien liegt in der anfänglich gering ausgeprägten Kulturpolitik der modernen Nationalstaaten. Die Anhänger der Nationalbewegungen im mittleren und östlichen Europa benutzten aufgrund des imperialen Rahmens, in dem sie agierten, kulturelle Institutionen und Genres für die Mobilisierung der Nation. Paradigmatisch stehen dafür die deutschen und tschechischen Gesangsvereine, die zahlreichen „Matica“ zur Unterstützung literarischer Aktivitäten oder die gesellschaftlichen Initiativen zur Errichtung von „Nationaltheatern“ vom Baltikum bis nach Südosteuropa.5 Zur „kulturellen Nationsbildung“ gab es wenig Alternativen, da die Nationalbewegungen in den Imperien abgesehen von den erst später invozierten Titularnationen ohne einen eigenen Staat und vor allem ohne ein fest abgegrenztes Territorium agieren mussten.6 Führende romantische Nationalisten – der Terminus ist hier im Einklang mit der englischen Wissenschaftssprache als wertneutral zu betrachten – wie Giuseppe Mazzini, Richard 3 Vgl. zum Briefwechsel zwischen Voltaire und Katharina der Großen Larry Wolff, Inventing Eastern Europe  : The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford  : Stanford UP 1994, 195–234. 4 Vgl. bezogen auf die Reichshauptstadt und deren Selbstverständnis als „Musikstadt“ Martina Nussbaumer, Musikstadt Wien  : Die Konstruktion eines Images, Freiburg  : Rombach 2007. Vgl. in einem weiteren Rahmen Moritz Csáky, Das Gedächtnis der Städte. Kulturelle Verflechtungen – Wien und die urbanen Milieus in Zentraleuropa, Wien  : Böhlau, 2010. Vgl. aus kunsthistorischer Sicht Werner Telesko, Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien  : Böhlau 2006  ; Ders., Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts, Wien  : Böhlau 2008. 5 Vgl. dazu Miroslav Hroch, Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen  : Vandenhoeck&Ruprecht 2005, 171–200. 6 Vgl. zur „kulturellen Nationsbildung“ Langewiesche, Nation, Nationalismus, 82–102  ; Philipp Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien  : Oldenbourg 2006, 45–55.

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Wagner oder Joachim Lelewel erhofften sich von der Nationalstaatsbildung eine Stärkung der eigenen Kultur. Die Imperien und ihre Kulturpolitik wurden in der Zeit des Vormärz als Antipoden nationaler Kultur aufgebaut – ein bekanntes Beispiel dafür ist die Schlussszene in den Meistersingern von Nürnberg, in der Richard Wagner den Fürsten wie in mehreren seiner Schriften vorwarf, nur „wälsche“ Kunst nach Deutschland gebracht zu haben.7 Als sich dann im mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Nationalstaaten formierten, hatten diese jedoch andere Prioritäten als die Kultur. Ein Beispiel dafür ist Italien, das die Subventionen für die Theater in den ehemaligen Residenzstädten der aufgelösten Fürstentümer zusammenstrich, weil es die Bühne letztlich für eine kommerzielle Angelegenheit hielt.8 Auch das Deutsche Reich von 1871 überließ kulturelle Angelegenheiten weitgehend den Einzelstaaten, obwohl es sich gegenüber seinen polnischen Gebieten als „Kulturträger“ verstand. Umfangreicher waren die kulturpolitischen Aktivitäten von Nationalstaaten, die auf keiner breiten und verfestigten Nationalbewegung beruhten (wie z.B. Bulgarien nach 1878) oder die sich in einem konfliktreichen Umfeld behaupten mussten (wie sämtliche 1918 gegründeten Nationalstaaten). Aber diese „jungen“ Nationalstaaten verfügten meist nur über begrenzte materielle Ressourcen zur Umsetzung einer kulturpolitischen Agenda. Die kontinentalen Imperien verstärkten dagegen im 19. Jahrhundert ihre kulturpolitischen Aktivitäten. Sie förderten Theater, Akademien, Museen und andere öffentliche Einrichtungen gerade deshalb, weil sie ihren inneren Zusammenhalt und ihre Macht stärken wollten. Zugleich gab es eine auf die Frühe Neuzeit und vor allem den Barock zurückgehende Tradition staatlicher und dynastischer Repräsentation.9 Die Imperien verfügten mithin über einen reichhaltigen Fundus für ihre Kulturpolitik. Die Nationalstaaten übernahmen später häufig die entsprechenden Institutionen, Artefakte und Ideen – etwa in den nahtlos als Staatsopern weitergeführten Hofopern. 7 Vgl. zu Wagners Nationalismus Hannu Salmi, Imagined Germany. Richard Wagner’s National Utopia, Frankfurt a.M.: P. Lang, 1999. 8 Vgl. Jutta Toelle, Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900, Kassel  : Bärenreiter 2007. 9 Maßgeblich wird dies behandelt in Karl Vocelka, Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat, Wien  : Ueberreuther 2001.



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Unabhängig von der Frage der Verortung in einem imperialen und damit zugleich monarchischen Kontext entwickelte sich die Kulturpolitik zwischen 1750 und 1850 zu einem eigenen Diskurs- und Handlungsfeld. Das bedeutet, dass es sich dabei um ein modernes Phänomen handelt, dessen Kern in der gesellschaftspolitischen Funktionalisierung von Kultur liegt. Die Bildungspolitik bzw. konkreter die Schul- und Hochschulpolitik erlebte in der Sattelzeit ebenfalls einen großen Aufschwung und stand in engem Zusammenhang mit der Kulturpolitik.10 Die Verbindung lag darin, dass die aufgeklärten Monarchen das Theater und andere öffentliche Kulturinstitutionen wie Museen, Akademien oder Konservatorien ebenfalls als Einrichtungen zur Förderung der Bildung betrachteten. Doch die Funktion des Theaters erschöpfte sich nicht in der Erziehung und Erbauung seines Publikums. Das Bühnenleben war vom Zuspruch der Zuschauer abhängig – bekanntlich gab es eine Schul-, aber keine Bühnenpflicht. Die Einstellungen und der Geschmack der Staatsbürger spielten demnach eine wichtige Rolle, die Bühnenreformen, die wie fast alle Reformen in den Imperien „von oben“ kamen, bedurften der gesellschaftlichen Akzeptanz. Eine derart unmittelbare Rückkopplung zu den Bürgern – man könnte von einem partizipatorischen Element sprechen – fehlte in anderen Bereichen der Politik. Außerdem diente das Theater der politischen und gesellschaftlichen Repräsentation und war Treffpunkt der sich formierenden modernen Öffentlichkeit. Dass die Differenzierung der Kulturpolitik von der viel besser erforschten Bildungspolitik ein längerer Prozess war, lässt sich anhand der Quellen erkennen. Eine als solche benannte Kulturpolitik findet sich in den amtlichen Namen von Institutionen etwa ab dem mittleren Drittel des 19. Jahrhunderts. Man sollte sich demnach vor einer anachronistischen Betrachtung und Benennung hüten. Das gilt auch für den Begriff des „Kulturstaats“, der für das Habsburgerreich identitätsstiftend werden sollte und auf dessen Basis die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften seit 2007 ein groß angelegtes Forschungs-

10 Vgl. hier zu Österreich Peter Stachel, Das österreichische Bildungssystem zwischen 1749 und 1918, in  : Karl Acham (Hg.), Geschichte der österreichischen Humanwissenschaften, Bd.1  : Historischer Kontext, wissenschaftssoziologische Befunde und methodologische Voraussetzungen, Wien  : Passagen 1999, 115–146 (dort Hinweise auf weitere Literatur).

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vorhaben betrieben hat.11 Das Selbstverständnis als Kulturstaat bekam im Habsburgerreich erst nach der Niederlage von Königgrätz seine spätere, häufig mythisierte Bedeutung. Die Erinnerung an frühere kulturelle Leistungen wurde in der Republik Österreich nach 1918 und 1955 eifrig gepflegt. Langfristig erwies sich der Mythos Kulturstaat als geschichtsmächtig, sogar noch auf der Konferenz, die diesem Buch zugrunde liegt. Als dort der Referent aus Berlin anhob, über den „Kulturstaat Preußen“ zu sprechen, löste das bei Wiener Teilnehmern Gelächter aus, während die kulturelle Orientierung des alten Österreichs offenbar als selbstverständlich galt. Die Frage, welcher europäische Staat historisch betrachtet tatsächlich eine durchdachte und wirksame Kulturpolitik verfolgte, lässt sich am besten auf der Basis eines Vergleichs beantworten. Um gleich ein Resultat der Tagung und des vorliegendes Bandes vorwegzunehmen  : Es war das Russische Reich, für dessen Selbstverständnis die „mission civilatrice“ die größte Rolle spielte und das dem entsprechend eine sehr weit reichende Kulturpolitik verfolgte, insbesondere im Bereich des Theaters. Die kulturpolitischen Visionen und Maßnahmen umfassten sogar die transkausische Peripherie in Tiflis, wenngleich dort wie überall am Rande der Imperien die lokalen Eliten eine wichtige Rolle spielten. Zugleich beleuchtet das Beispiel Tiflis, dass es sich dort und an anderen europäischen Peripherien um eine imperiale und nicht um eine kolonialistische Kulturpolitik handelte.12 Die in den Kaukasus entsandten russischen Staatsdiener und Militärs, die georgischen Eliten und die armenischen Kaufleute schätzten italienische Stagioni und russischsprachige Opern und somit kulturelle Transfers aus verschiedenen Teilen Europas. Ähnlich war es in Kiev, dem ebenfalls eine eigene 11 Inzwischen hat die BBAW in diesem Zusammenhang in der Reihe Acta Borussica, N. F., 2. Reihe  : Preußen als Kulturstaat fünf Bände publiziert, die sich vor allem mit dem Kultusministerium befassen. Vgl. dazu nähere Informationen auf http  ://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/ Forschungsprojekte/actaborussica/de/Publikationen (12.2.2012) sowie Wolfgang Neugebauer/ Bärbel Holtz (Hg.), Kulturstaat und Bürgergesellschaft. Preußen, Deutschland und Europa im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Berlin  : Akademie Verlag 2010. 12 Dieser Unterschied sollte berücksichtigt werden, wenn maritime und kontinentale Imperien miteinander verglichen werden. Vgl. Jörn Leonhard/Ulrike von Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht 2009  ; Dies (Hg.), Comparing Empires. Encounters and Transfers in the Long Nineteenth Century, Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht 2011.



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Fallstudie gewidmet ist. Dass die einstmals antagonistisch diskutierten Termini der („französischen“) Zivilisation und der („deutschen“) Kultur hier ohne nähere Abgrenzung voneinander verhandelt werden, verdankt sich ein wenig dem russischen Kontext, denn dort wurde die Zivilisierungsmission auf der Basis einer „kul’turnoe stroitel’stvo“ (wörtlich „kultureller Aufbau“) umgesetzt. Dagegen stellen die beiden Beiträge über Österreich eher die mangelnde Stringenz der Wiener Kulturpolitik in den Vordergrund. Wie der erste und einleitende Beitrag dieses Bandes feststellt, war die „mission civilatrice“ des Habsburgerreiches zwar ein Gegenstand sehr lebendiger, meist abgrenzender Diskurse, manifestierte sich aber nur bedingt in konkreten kulturpolitischen Maßnahmen. Das Osmanische Reich, das aufgrund seiner langen Präsenz in Südosteuropa im Rahmen eines Vergleichs der kontinentalen europäischen Imperien nicht fehlen sollte, verfolgte dagegen nur ansatzweise eine auf die Öffentlichkeit ausgerichtete Kulturpolitik. Zwar gab es am Hof in Istanbul ähnliche Institutionen wie in Wien, Berlin oder St. Petersburg, eine Hofkapelle, regelmäßige Theateraufführungen und musikalisch dilettierende Monarchen (darunter Sultan Abdülaziz als Komponist). Gleichwohl neigten die Osmanen kaum dazu, diese Kulturpolitik über die Mauern des Sultanspalasts hinweg an die Öffentlichkeit zu tragen und diese zum Beispiel durch Opernaufführungen oder „fränkische“ Musik zu beeinflussen. Eine dezidierte Kulturpolitik ist daher im Osmanischen Reich und sogar in der Hauptstadt Istanbul nur bedingt nachzuweisen. Dagegen reichte die Kulturpolitik in Preußen, Österreich und Russland seit dem Ende des 18. Jahrhunderts über den Hof hinaus, auf den sie ursprünglich konzentriert war. Die Ausweitung der Kulturpolitik auf eine breitere Öffentlichkeit lässt sich insbesondere anhand des Theaters zeigen, das auch aus anderen Gründen im Vordergrund dieses Buches steht. Dem Theater wurden in der Aufklärung andere Aufgaben zugewiesen als heute. Wegen des verbreiteten Analphabetentums wurde es als Medium und Institution der Bildung betrachtet, zudem war es aufgrund seiner Multimedialität (Sprache, Musik, Bühnenbild) ein nahezu konkurrenzloser Publikumsmagnet. Außerdem war das Theater eine prestigeträchtige Schnittstelle zwischen dem Monarchen, seinem Hofstaat und der Öffentlichkeit. Auch gesellschaftliche Akteure, die sich von der imperialen

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Herrschaft emanzipieren wollten, sei es der Adel in Böhmen und Ungarn oder später die Nationalbewegungen, investierten daher hohe Summen und Energien in das Bühnenleben. Dieser Schwerpunkt des Bandes soll aber nicht dazu führen, dass andere kulturelle Institutionen ignoriert würden. Einige Beiträge behandeln daher zusätzlich Museen, Akademien und ähnliche Einrichtungen. Aber die Geschichte dieser Institutionen verlief meist weniger konfliktreich als jene des Theaters. Die Bühnen erzeugten mehr politische Konflikte, ein zusätzlicher Grund, sie nicht nur im Rahmen einer traditionellen, sondern auch einer „neuen“ Politikgeschichte zu betrachten.13 Im Englischen gibt es für die Politik bzw. das hier näher behandelte Feld der Kulturpolitik eine sprachliche Differenzierung zwischen policy und politics. Während „cultural policy“ auf einem stringenten Konzept und dafür bestimmten Institutionen beruht, bedeutet „politics“ ein allgemeineres und somit weicheres Verständnis von Politik. In dem vorliegenden Band geht es primär um den Wandel eines ursprünglich unscharf definierten und in der Staatsverwaltung noch kaum institutionalisierten Feldes der Politik zu einem abgrenzbaren Kernbereich staatlichen Handelns, mithin die Entstehung einer zielgerichteten und institutionell verankerten Kulturpolitik. Eine terminologische Klärung ist auch für die weiteren Leitbegriffe dieses Bandes unerlässlich. Für den Terminus „Kultur“ ist dies vielleicht noch schwieriger als für Politik, zumal zwischen dem historisch benutzten Kulturbegriff und dessen heutigen wissenschaftlichen Anwendungen zu unterscheiden ist. Kulturpolitik steht in einer Spannung zum weit gefassten, anthropologischen Kulturbegriff des „cultural turn“. Während es dort um Zeichensysteme, Repräsentationen, Rituale und somit um sehr viele Ausdrucksformen menschlichen Handelns geht, bezeichnet „cultural policy“ ein letztlich doch überschaubares Feld der Politik, das eher auf einem traditionellen Kulturbegriff basiert. Kulturpolitik richtete sich in Europa überwiegend auf Formen und Genres von „Hochkultur“ wie zum Beispiel Oper und Theater. Diese Einordnung gilt es indes zu relativieren, denn heutige Genres der Hochkultur wurden historisch 13 Vgl. dazu Band 3 der hier fortgesetzten Buchserie, Sven Oliver Müller/Jutta Toelle (Hg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Wien  : Oldenbourg 2008.



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betrachtet keineswegs nur von Eliten produziert und konsumiert. Bestimmte Bereiche oder Elemente der „Hochkultur“ hatten eine populäre Dimension, die erst im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft gezielt vernachlässigt wurde. Pierre Bourdieu bezeichnet die kulturelle Abgrenzung gegenüber anderen Gesellschaftsschichten als soziale Distinktion, die im Bereich des Theaters besonders ausgeprägt war.14 Infolge des cultural turn wurde die auf das 19. Jahrhundert zurückgehende Dichotomie zwischen Hoch- und Massen- bzw. Populärkultur ein Stück weit auf den Kopf gestellt und doch beibehalten. Indem die kulturhistorische Forschung sich seit den 1960er Jahren auf „popular culture“ konzentrierte und die Hochkultur als elitär ablehnte,15 replizierte sie indirekt die alte Klassenspaltung in der Interpretation von Kultur. Dies führte zu dem seltsamen Resultat, dass die Kulturwissenschaften und sogar die Kulturgeschichte lange Zeit ohne Kultur im traditionellen Sinne auszukommen glaubten. Unabhängig davon, ob man Kultur mit gespitzten Lippen ausspricht oder sich nur als Massenspektakel vorzustellen vermag, konzentrierte sich die staatliche Kulturpolitik – man mag dies durchaus bedauern – meist auf Kultur im herkömmlichen Sinne. Dies heißt aber nicht, dass sich der vorliegende Band darauf reduzieren lässt. Die Kulturpolitik im Bereich des Theaters zielte besonders darauf ab, Zeichensysteme, Symbole und Identifikationsfiguren zu kreieren und zu verbreiten. Der weitere Kulturbegriff ist auch deshalb von Relevanz, als er die ältere, normative Prägung der Begriffs Kultur als etwas Schönem und Gutem, das der Staat zu fördern habe – so auch das Postulat der normativen Richtung der Cultural Policy Studies16 – aufhebt. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Imperien ähnlich wie die heutigen Nationalstaaten (oder die EU und die UNESCO) bestimmte kulturelle Genres und Institutionen förderten, weil sie darin universelle Werte zu erkennen glaubten. Die Geschichtswissenschaft betont beim Begriff Imperium vor allem dessen 14 Vgl. Pierre Bourdieu, Elemente zu einer soziologischen Theorie der Kunstwahrnehmung, in  : Ders., Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt a M.: Suhrkamp 19976 159–201  ; Ders., Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/M.: Suhrkamp 19979. 15 Vgl. Peter Burke, What is Cultural History  ? Cambridge  : Polity Press 2004, 27–29. 16 Vgl. dazu Zalfen, Staats-Opern, 33-35 sowie als Beispiel Fuchs, Kulturpolitik.

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innere Ordnung und Machtstrukturen. Laut der Definition von Dominic Lieven handelt es sich bei Imperien um staatliche Gebilde, die über große Gebiete und zahlreiche Völker regieren und durch die Anwendung von Macht und eine überwiegend dynastische Legitimation und Tradition zusammengehalten werden.17 Die nachlassende Akzeptanz dieser Herrschaftslegitimation war wie erwähnt einer der Gründe für die steigende Bedeutung der Kulturpolitik im Allgemeinen und des Theaters im Besonderen. Dass die Imperien überhaupt ihre Staatsraison vermitteln mussten, war ebenfalls ein Resultat der aufkommenden Moderne. Durch die Abschwächung der feudalen Ordnung entstand auch in den Imperien ein unmittelbares Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern und damit das Bedürfnis, die Gesellschaft zu formen und zu kontrollieren. Die Theater waren nur ein Mosaikstein im Gebilde des modernen Verwaltungsstaates, aber es ist auffallend, dass sämtliche Imperien seit dem Ende des 18. Jahrhunderts versuchten, das Bühnenleben zu verstaatlichen (zum Beispiel durch eine direkte höfische Verwaltung anstatt der Verpachtung an einen Impressario) oder die staatliche Kontrolle auszubauen, insbesondere durch die Zensur. Die Nationalstaaten des 19. Jahrhunderts waren dagegen vom Liberalismus und einer Laissez Faire-Haltung geprägt und wollten meist gar nicht so sehr in das kostspielige Bühnenleben hineinregieren. Das trifft neben Italien auf England zu, wo das Theater eher als Unterhaltungsinstitution angesehen wurde und abgesehen von wenigen Ausnahmen wie der Royal Opera keine Subventionen erhielt. Die schrittweise Einführung der Gewerbefreiheit in allen europäischen Staaten hatte daher auf das Bühnenleben der kontinentalen Imperien einen besonders starken Einfluss. In dem Moment, in dem sich kommerzielle Privattheater frei etablieren durften, verlor die staatliche Kulturpolitik an Einfluss, auch in den Imperien. Deren dynastische Prägung führt zu den Höfen als der anfänglich wichtigsten Arena imperialer Kulturpolitik. Dort ging es einerseits nach innen gerichtet um die Disziplinierung und Bildung der Angehörigen des Hofstaates, anderer17 Vgl. Dominic Lieven, Empire  : The Russian Empire and its Rivals, New Haven  : Yale UP 2001, xiv. Dagegen unterstreicht der Politikwissenschaftler H. Münkler den expansiven Charakter und damit die äußere Machtentfaltung von Imperien. Vgl. Herfried Münkler, Imperien. Die Logik der Weltherrschaft – vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Berlin  : Rowohlt 2005, 8.



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seits um die Repräsentation von Macht nach außen. In dem Moment, in dem die Hoftheater einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, bezog sich die Kulturpolitik auf eine weitere Arena, die Haupt- und Residenzstadt. Auf diesen beiden Arenen liegt der Schwerpunkt des ersten Teils des vorliegenden Bandes über die „Anfänge und Grundlagen der Kulturpolitik“. Zu den Besonderheiten des Habsburgerreiches, trotz der bis dahin relativ geringen Zentralisierung, gehört das frühe Ausgreifen der Kulturpolitik auf die Peripherien als dritter Arena der Kulturpolitik, die im zweiten Teil des Buches anhand diverser Fallstudien vergleichend behandelt wird. Eines der grundsätzlichen Probleme von Zentrum-Peripherie-Modellen ist, dass diese häufig zu statisch gedacht und gehandhabt werden. Wie das Beispiel Ungarns zeigt, können Peripherien zentrale Funktionen annehmen – diesem Land ist daher gleich der erste Beitrag des zweiten Teils gewidmet, der darauf folgende Text den italienischen Gebieten des Habsburgerreiches. Außerdem werden Böhmen und Galizien behandelt, das unter Joseph II. zu einer Projektionsfläche aufklärerischer Ideale und eines entsprechend ausgerichteten Theaters wurde. Dagegen weckten die kulturpolitischen Aktivitäten des Hofs und der Wiener Regierung in Prag großes Misstrauen und emanzipative Gegenreaktionen. Für das Russische Reich behandeln die Beiträge eine nahe und alte sowie eine entfernte und erst Anfang des 19. Jahrhunderts erworbene Peripherie, die Ukraine und Georgien, genauer genommen Kiev und Tiflis. Außerdem thematisiert ein Beitrag die (Dis)Kontinuitäten zwischen der russisch-imperialen und der sowjetischen Kulturpolitik. Die Fallstudie zu Preußen befasst sich mit dem schon erwähnten polnischen Teilungsgebiet bzw. Posen. Für das Osmanische Reich wäre eigentlich Kairo ein passender Vergleichsfall gewesen. Hier sei aus Platzgründen auf eine Publikation in einem früheren Band der vorliegenden Buchreihe verwiesen.18 Ursprünglich war daran gedacht, in den vorliegenden Band eine Sektion über die Kulturpolitik der Nachfolgestaaten der Imperien zu integrieren. Aber das hätte die vertretbare Länge eines einzelnen Buches gesprengt und muss daher trotz ausgezeichneter Konferenzbeiträge wie jenem von 18 Vgl. Sven Oliver Müller/Philipp Ther/Jutta Toelle/Gesa zur Nieden (Hg.), Die Oper im Wandel der Gesellschaft. Die Musikkultur europäischer Metropolen im „langen” 19. Jahrhundert, Wien  : Oldenbourg/Böhlau 2010.

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Tatjana Marković einer künftigen Konferenz und Publikation vorbehalten bleiben. Mit dem vorliegenden Band endet eine lange Reihe von Konferenzen, Sammelbänden und Monographien, die um das Thema Politik und (Musik)Theater kreisten. Den Auftakt dieser Tagungen bildete im Jahr 2006 eine Konferenz an der Central European University in Budapest über „Opera as a Place of Representation  : European Opera Houses in the 19th Century in Comparison”, auf der es vor allem um die repräsentativen Funktionen des Theaters ging. Diese Tagung war zugleich die Auftaktkonferenz für das von der VolkswagenStiftung geförderte Forschungsprojekt „Oper im Wandel der Gesellschaft“ (2006-09). Eine darauf aufbauende Konferenz am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz richtete den Blick auf die Bühne als Ort der Inszenierung von Politik. Daraus ging ein Sammelband hervor, der selbstverständlich auch die staatliche Einflussnahme auf das Theater (häufig wirkten im 19. Jahrhundert Oper und Drama noch unter einem Dach) anspricht.19 Im Abschlussband des Forschungsprojekts befassten sich erneut einige Beiträge mit der politischen Codierung bestimmter Werke und Aufführungen.20 Im Anschluss daran wurde am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz ein weiteres Forschungsprojekt mit dem Titel „Europe and Beyond. Transfers, Networks and Markets for Musical Theatre in Modern Europe, 1740–1960” (2009–11) aufgelegt.21 In diesem Rahmen konnte auch die Buchserie über „Musikkulturen europäischer Metropolen” fortgesetzt werden, in der sich neben den genannten Sammelbänden drei Monographien unter anderem mit dem Verhältnis von Politik und Musiktheater befassen.22 Mit dem vorliegenden Band wird das Thema auf seinen Kern, 19 Vgl. Toelle/Müller, Bühne der Politik. 20 Vgl. Müller u.a., Die Oper im Wandel. 21 Dies bietet zugleich Anlass, dem EUI als Hauptsponsor der Tagung zu danken, die diesem Band zugrunde liegt. An der Vorbereitung der Ende 2010 in Wien veranstalteten Konferenz beteiligten sich auch das Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und das Institut für osteuropäische Geschichte der Universität Wien. Persönlich sei vor allem Ostap Sereda von der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gedankt. Vgl. zur Konferenz den Tagungsbericht auf http  ://hsozkult.geschichte. hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3459. 22 Jutta Toelle, Bühne der Stadt. Mailand und das Teatro alla Scala zwischen Risorgimento und Fin de Siècle, Wien  : Oldenbourg/Böhlau 2009  ; Sarah Zalfen, „Staatsopern“ – Das Verhältnis von Politik und Oper in Berlin, London und Paris in den 1990er Jahren, Wien  : Oldenbourg/Böhlau



Einführung in die Kulturpolitik der kontinentalen Imperien

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das Verhältnis von Staat und Theater zurückgeführt, während kulturalistische Dimensionen eine geringere Rolle spielen. Dies beruht auf der im Laufe beider Projekte gewachsenen Einsicht, dass die Geschichte der Kulturpolitik im eingangs beschriebenen Sinne bislang relativ wenig bearbeitet wurde. Der zweite Forschungskontext, dem sich der Band zuordnen lässt, ist die vergleichende Imperienforschung.23 Die Kulturgeschichte der Imperien mit Themengebieten wie der staatlichen Repräsentation, der Herrschaftssymbolik und -legitimation fasziniert die historische Forschung seit etlichen Jahren. Gerade durch den Vergleich zwischen Imperien haben sich in jüngster Zeit zusätzliche Erkenntnisse ergeben. Man mag hinterfragen, ob die Konzentration auf die kontinentalen Imperien weiterführend ist, aber diese bieten eine plausiblere Ausgangsbasis für komparative Studien als eine Ausweitung des Forschungsfelds auf die maritimen, westeuropäischen Imperien. Auch wenn postkoloniale Ansätze in der vergangenen Dekade fruchtbar eingesetzt worden sind, um das Verhältnis von Peripherien und Metropolen in Österreich und Preußen zu untersuchen,24 so belegt der vorliegende Band doch den imperialen und nicht kolonialen Charakter der Kulturpolitik in Österreich, Preußen und Russland. Im Osmanischen Reich war die Lage komplizierter, weil dieser Staat tatsächlich kolonialen Ambitionen ausgesetzt war, aber im Inneren gemäß der Definition von Lieven doch als Imperium fungierte. Ein Unterschied zu den maritimen Imperien liegt außerdem darin, dass die zivilisatorische Mission nicht auf einer Vorstellung einer rassisch begründeten Ungleichheit beruhte. Manche der von Wien, Berlin, St. Petersburg und Istanbul beherrschten Völker wurden zwar als kulturell rückständig, aber nicht als kulturlos betrachtet. Die regionalen Eliten und später die aufstrebenden Nati2011  ; Fabian Bien, Oper im Schaufenster. Die Berliner Opernbühnen in den 1950er-Jahren als Orte nationaler kultureller Repräsentation, Wien  : Oldenbourg/Böhlau 2011. 23 Vgl. dazu wie schon angegeben Lieven, The Russian Empire  ; ferner Alexei Miller/Alfred Rieber (Hg.), Imperial Rule, Budapest  : CEU Press 2005. Im deutschsprachigen Raum wurden diese Impulse in den genannten Bänden von Jörn Leonhard und Ulrike von Hirschhausen aufgenommen. 24 Vgl. Johannes Feichtinger/Ursula Prutsch/Moritz Csáky (Hg.), Habsburg postcolonial. Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis, Innsbruck  : Studienverlag 2003  ; Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871–1914, Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht 2004.

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onalbewegungen verfügten über genügend kulturelle und politische Ressourcen, um sich gegen die manchmal überschätzte mission civilatrice zur Wehr setzen und eigene kulturpolitische Agenden entwickeln. Alles in allem unterschieden sich der gesellschaftliche Kontext, das Publikum, das Repertoire und die Bühnenpraxis in den Metropolen und in den Peripherien der Imperien weniger, als man aufgrund der räumlichen und gesellschaftlichen Distanz vermuten würde. Man kann sich die hier behandelten Imperien ohne diese Bühnenlandschaft kaum vorstellen. Imperium, Kulturpolitik und Theater sind drei Entitäten, die historisch in einem engen Zusammenhang standen und daher diesen Sammelband anleiten.

Franz Leander Fillafer

Imperium oder Kulturstaat  ? Die Habsburgermonarchie und die Historisierung der Nationalkulturen im 19. Jahrhundert

Das Imperium schlägt zurück, seit geraumer Zeit schon  : Sein Erscheinungsbild freilich hat sich über die Jahre markant geändert. Nicht mehr Ertragsabschöpfung, Quoten der Ressourcenextraktion und Leistungsbilanzsaldi stehen im Mittelpunkt. Warenströmen, ökonomischen Pufferzonen und Absatzrayons oder sozialen Typisierungen wie jener des „gentleman imperialism“ wird weniger Aufmerksamkeit geschenkt.1 Heute faszinieren vordringlich Fragen imperialer Identität und Homogenisierungsszenarien, man beschäftigt sich mit imperialen Deutungskulturen, „Imaginaires“ und ihrer Interaktion mit regionalen und lokalen Traditions- oder Konfessionselementen, sowie der Elitenbildung durch Instanzen der Prestigestiftung und Verbindlichkeit generierende kulturelle Codes. Daneben stehen Studien über die Akteure, die auf anregende Art ältere Dichotomien von Agenten des Imperialismus auf der einen und a-nationalen Steigbügelhaltern und Erfüllungsgehilfen auf der anderen Seite auflockern.2 Mit Joseph Schumpeters und Rudolf Hilferdings Theorien über die ökonomischen Grundlagen des Imperialen setzt man sich seltener auseinander.3 Statt von Zentrum und Peripherie zu sprechen, bevorzugt man weichere Analysekategorien  : Man beschreibt die Imperien als Geflechte von Linien der Machtausübung, die nach den Rändern hin isobar oder kapillar ausfransen. Das führt mitunter zu einer ausgedünnten Definition des Imperialen, das so ver1 Peter J. Cain, Tony Hopkins, British Imperialism  : Innovation and Expansion 1688–1914, London  : Longman Publishing Group 1991, British Imperialism in Crisis and Deconstruction, 1914– 1990, London  : Longman Publishing Group, 1991. 2 Susan Bayly, Caste, society and politics in India from the 18th century to the modern age, Cambridge  : Cambridge University Press 1999, idem, Caste and Race in the Colonial Ethnography of India, in  : Peter Robb (Hg.), The Concept of Race in South Asia, New Delhi  : Oxford University Press 1995, 165–218. 3 Vgl. die ausgezeichnete Einführung von Wolfgang Mommsen, Imperialismustheorien, Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht 1980.

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dächtig einem alten Bekannten der Frühneuzeitforschung ähnelt  : Der Staatsverdichtung. War die Habsburgermonarchie ein Imperium  ? Lassen sich Heuristiken zur Erforschung globaler Imperien mit Siedlungskolonien auf die Monarchie anwenden  ? Was kann der Imperienbegriff zu ihrer Erforschung beitragen, was für die Beschäftigung mit Zivilisierungsmissionen und kulturellen Konstellationen leisten  ? Schwarzgelbe Nostalgiker und nachtragende Nationalhistoriographen im 20. Jahrhundert haben die Frage nach dem Vorhandensein einer „kolonialen“ Politik diametral beantwortet.4 Was den ersteren ein Kulturstaat mit einer ausgeprägten Zivilisierungsmission war, galt den letzteren als ein Imperium mit quasikolonialistischen Praktiken. Wie nationalbewusste Protagonisten politisch, innerhalb des Verfassungsgefüges auf lokalen, regionalen und imperialen Ebenen, und ökonomisch gedeihlich innerhalb der Monarchie agierten, wurde demgegenüber zu lange vernachlässigt.5 Als Inbegriff und Nachweis des Imperialen musste die Schmälerung der nationalen Eigenständigkeit, kulturellen Entfaltung und Prosperität gelten  : Die „Fremdherrschaft“ mit ihrem Kriterienkatalog wurde in die Vergangenheit projiziert. Zum Bewertungsmaßstab wird so häufig der Moment der Zuspitzung, im ungarischen und tschechischen Fall etwa der Neoabsolutismus oder die Regierung Josephs II. In manchen Nationalhistoriographien ermöglichen es ikonische Momente, wie etwa die Schlacht am Weißen Berg in der tschechischen Geschichtsschreibung, Denationalisierung, Zwangskonversion und Elitenaustausch („deutscher“ Adel) zu bündeln.6 Das erhöht nicht die Plausibilität 4 Vlastislav Lacina, Hospodářská dezintegrace střední Evropy po první světové válce a snahy o opětné sblížení v letech 1924–1930, in  : Acta Oeconomia Pragensia 15, 2007, 272–281, Andelko Mijatović, Zrinski-frankopana urota, Zagreb 1992, 134. 5 Gegen diese Vernachlässigung schon Ctibor Nečas, Česká společnost a anexe Bosny a Hercego­ viny r. 1908–1909, in  : Sborník Matice moravské 78, 1959, 114–138, Ders., Balkán a česká politika  : Pronikání rakousko-uherského imperialismu na Balkán a česká buržoazní politika, Brno  : Spisy Pedagog. Fakulty University J. E. Purkyně v Brně 1972, 57–70, Ders., Podnikání českých bank v cizině 1898–1918  : Rozpínavost českého bankovního kapitálu ve střední, jihovýchodní a východní Evropě v období rakousko – uherského imperialismu, Brno  : Masarykova Univerzita 1999 sowie Anton Spiesz, Manufaktúrne obdobie na Slovensku, 1725–1825, Bratislava  : Slov. Akad. vied 1961, 64. 6 Jaroslav Pánek, Úloha stavovství v předbělohorské době (Vývoj názorů novodobé české historiografie), Československý časopis historický, 25, 1977, 732–761.



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der Anwendbarkeit des Konzepts „Imperium“. Beschreibungs- und Erklärungspotential des Imperiumsbegriffs bleiben also sorgfältig zu erproben  : Die Heuristik der Imperienforschung kann freilich präjudizierend wirken, indem sie die Prämisse des „Multiethnischen“, ein implizites Vorverständnis der Geschichte des Imperiums nach Deutungskategorien der Nationalgeschichtsschreibung und Nationalitätenstatistik des 19. Jahrhunderts, perpetuiert.7 Der Nationalstaat, dessen Engführung und Musterhaftigkeit man umgehen will, schleicht sich leicht in die Geschichtsschreibung jenseits des Nationalstaats ein. Wie es in komplexen europäischen Imperien um die Entstehungsbedingungen nationaler Superioritätsallüren und ihre Verzahnung mit vorgängigen Situationen, die man mit einem brauchbaren Begriff „plurikulturell“8 nennen kann, bestellt war, wird so kaum berücksichtigt. Welche Abgrenzungsbedürfnisse und Symbiosepotentiale sich gerade in diesen Milieus ergaben, wäre aber zunächst zu erörtern, um nicht, wie Henri Pirenne feststellte, jene Kategorien – Nation, Religion, Staat – vorauszusetzen, deren Genese es zunächst kritisch zu überprüfen gilt.9 Dieser Beitrag wird sich schwerpunktmäßig mit der sich wandelnden Wahrnehmung von „Kultur“ in der Habsburgermonarchie beschäftigen und den Begriff des „Kulturstaats“ auf das „imperiale“ Setting justieren. So können beide Begriffe, „Imperium“ und „Kulturstaat“ auf ihre heuristische Tragfähigkeit für die uns im vorliegenden Band interessierenden Zusammenhänge geprüft werden. Der Schwerpunkt dieses Aufsatzes liegt auf dem Ende des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das ist insofern eine rechtfertigbare Einschränkung, da diese Zeitperiode eine eigentliche „Sattelzeit“ für die Suggestivkraft der Kultur als Legitimitäts- und Deutungsmuster 7 Jörn Leonhard, Ulrike von Hirschhausen, Empires und Nationalstaaten im 19. Jahrhundert, Göttingen  : Vandenhoeck und Ruprecht 2009. 8 Anil Bhatti, Kulturelle Vielfalt und Homogenisierung, in   : Johannes Feichtinger/Ursula Prutsch/Moritz Csáky (Hg.), Habsburg postcolonial, Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis, Innsbruck  : Studienverlag 2003, 55–68. 9 Henri Pirenne, Réflexions d’un solitaire, hg. v. Bryce Lyon/Mary Lyon/Jacques-Henri Pirenne, Bulletin de la Commission Royale d’Histoire 160, 1994, 191–194, 191, vgl. Peter Schöttler, Henri Pirennes Kritik an der deutschen Geschichtswissenschaft und seine Neubegründung des Komparatismus im Ersten Weltkrieg, Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts, 19/2, 53–81.

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darstellt. Eben hier lässt sich die Relationsbestimmung nationaler Argumentationsweisen zu imperialen Referenzgrößen beobachten, die vielfach eine Konstruktion kollateraler Wissensfelder des „Nationalen“ ist, an denen zusehends stromlinienförmig strukturierte Geschichten des Politischen, des Rechts und der mit der Dynastie verbundenen katholischen Religion ablesbar wurden. Daß diese Narrative unter dem Distinktionsmerkmal der „Kultur“ subsumiert wurden, ist einerseits für die Fragen nach der Interdependenz und abgestuften Relevanz der einzelnen erwähnten Felder, bzw. für das Übergreifen von Konzepten und Modellen der kulturellen Entwicklung von einem dieser Sektoren auf die anderen erkenntnisträchtig. Andererseits kann diese Perspektive dazu einladen, historische und rhetorische Kulissen des Imperialen insoweit abzubauen, als den aus nationaler Perspektive aufondulierten „Reichsideen“ oft, wie sich zeigen wird, kein Realsubstrat „imperialer“ Programmatik entsprach. Der Widerpart ist hier zum einem der als solcher angesprochene Gegenpol, den die nationale Agenda suggeriert, eine imperiale Rechtfertigungsdoktrin kultureller Höherwertigkeit, der gegenüber die Nation in ihrer Kultur und Geschichte rehabilitiert wird. Daß es dieses Sendungsbewusstsein punktuell gab, soll dabei nicht in Abrede gestellt werden  : Das bekannteste Beispiel ist wohl die Rechtfertigung der Teilungen Polens mit der Staatsunfähigkeit der polnischen Aristokratie und die damit begründete Verschmelzung Polens mit seinen aufgeklärten Nachbarstaaten.10 Zum anderen, und das ist längerfristig nicht weniger entscheidend, geht es um die als inadäquat und potentiell gefährlich empfundene „Plurikulturalität“ mit ihren Mehrfachidentitäten  : Das, verkürzt gesagt, imperiale Szenario erfüllte hier insoweit seinen Zweck, indem es einen weiteren Identifikationsanreiz für das Imaginaire nationaler Geschlossenheit bot.

Kultur und Aufklärung

Wenn wir diese Beschäftigung mit der „Kultur“ präziser erfassen wollen, müssen wir sie in einen größeren Zusammenhang einbetten  : Die Rede von der 10 Vgl. etwa David Benjamin Pickus, Dying with an enlightening fall  : Poland in the eyes of German intellectuals, 1764–1800, Chicago  : Chicago University Press, 1995.



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„Kultur“ im frühen 19. Jahrhundert, auch in den habsburgischen Ländern, ist eingefügt in eine Kaskade polemischer Rückübertragungen und selektiver Anamnesen der „Aufklärung“ des 18. Jahrhunderts, welche die Geschichte der Monarchie und der einzelnen Nationen zusehends in separaten Argumentationsrepertoires erfasst. Diese Tendenzen sind Teil eines seismischen Veränderungsprozesses  : Denkfiguren und Erklärungsszenarien unterliegen in der von Reinhart Koselleck beschriebenen „Sattelzeit“11 einer dreifachen Dynamisierungsbewegung der Politisierung, Konfessionalisierung und Historisierung. Erklärungsstrategien und Heuristiken stehen so je nach Exponiertheitsgrad durch ihren holistischen Deutungsanspruch unter einem massiven Historisierungsdruck. Andererseits sind sie geprägt von einem geschärften Problembewusstsein für die trügerisch-oberflächliche Identität der erkenntnislogischen Strukturen in verschiedenen Anwendungsbereichen, deren Objektivitätsparameter und Gegenstände inhärenter Rationalität sich unterscheiden, was wiederum auf die Generalisierungsfähigkeit sektorspezifischer Erkenntnisse zurückwirkt.12 Diese „Parzellierung“ oder „Mediatisierung“ der Wissensbereiche vollzog sich parallel zur Fragmentierung der Aufklärung  : Verschiedene Konflikte, die im frühen 19. Jahrhundert greifbar wurden, lassen sich adäquater entlang dieser Grenzfälle der Generalisierbarkeit von Erkenntnisprädikaten und Aussagen beschreiben, als es bisher die Dichotomien von „Aufklärung“ und „Gegenaufklärung“ erlaubten (heuristisch brauchbare Ersatzbegriffe wären etwa romantische Kunstreligion versus diätetisch-moralische Dogmatik oder Naturrecht versus historische Rechtsschule etc.)  : Ästhetische Programme, semantisierte politische Präferenzen und Epistemologien lassen sich so ortungsschärfer in ihren Bezügen auf das 18. Jahrhundert aufzeigen, ebenso wie überraschende Wechselabhängigkeiten und Filiationen im frühen 19. Jahrhundert greifbar werden. Eine der Streitfragen der Historiographie über die Habsburgermonarchie an der Epochenschwelle 1800, wie nämlich die „Aufklärung“ mit dem „nationalen Erwachen“ zusammen11 Vgl. etwa Reinhart Koselleck, Über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in  : Werner Conze (Hg.), Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, Stuttgart  : Klett Cotta 1972, 10–28. 12 Ausführlicher und mit Detailnachweisen dazu sowie zu den folgenden Erörterungen Franz L. Fillafer, Escaping the Enlightenment  : Liberal Thought in the Habsburg Monarchy and the legacies of the eighteenth century, 1790–1848, PhDiss., Universität Konstanz 2011.

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hing, und wie sich diese Verbindung mit der gleichzeitigen Prägung der „Gesamtstaatsidee“ durch die „Aufklärung“ vertrug, kann so neu gefasst werden.13 Fächert man Transformation und Erbe der Aufklärung auf, so lassen sich wolkige Kausalitätsanmutungen und Stringenzillusionen vermeiden. Dann zeigt sich, daß die Abgrenzungsbedürfnisse und Absetzbewegungen auf verschiedenen Ebenen der Heuristik, Ästhetik, Religion und Politik asynchron und asymmetrisch verliefen. Die Kontinuität aufgeklärter Einstellungen und Praktiken und die Historisierung, die eine auf gewisse Epochensignaturen (rationalistisch, mechanistisch, materialistisch, deistisch, ahistorisch) festgelegte Aufklärung konstruiert, müssen dabei nicht notwendigerweise passgenau ineinander greifen. Es gibt Phänomene „absinkender“ aufgeklärter Epistemologien und Praktiken, deren Ursprünge in Vergessenheit geraten, wie etwa die historisierenden Techniken der aufgeklärten philologischen Bibelhermeneutik, die von konservativen Klerikern gegen eine auf den „Rationalismus“ verengte Aufklärung gewandt werden. Der Semantik der politischen Selbstverortung mit ihren sprachlich-kognitiven Registraturkorrelaten darf man also nicht vorschnell auf den Leim gehen. Die politische Selbstbeschreibung folgt anderen Veränderungsrhythmen und Sogeffekten als die aufklärerischen Denk- und Redeweisen  :14 Das führt dazu, daß wir es 13 Darauf weist Lucjan Puchalski, Imaginärer Name Österreich. Der literarische Österreichbegriff an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Wien  : Böhlau 2000, hin. Zu den Kontroversen vergleiche man Bedřich Slavík, Od Dobnera k Dobrovskému, Praha 1975, mit seiner immer noch anregenden, aber zu rigiden Typologie des Renaissancehumanismus, Jansenismus, der mariatheresianischen, „josephinisch“-naturforscherischen und lokalpatriotisch-historischen Aufklärung als rivalisierenden „Quellen“ des nationalen Erwachens, die Gegenposition zu Tomáš G. Masaryks reformationslastiger Genealogie bei Jan Strakoš, Počátky obrozenského historismu českého v pražských časopisech a Mikuláš Adaukt Voigt  : Příspěvek k historii protiosvícenské reakce v národním obrození, Praha  : Ladislav Kuncíř 1929, 47, 82. Zu ganz ähnlichen Wertungen gelangt aus seiner marxistischen Kritik am reformatorisch-liberalen Nationalcharakterkonzept Jaroslav Čecháček, Protiklerikální legenda  : Pokus o marxistickou analysu, Praha  : Pospolitost 1929, zur Einbettung Tamás Berkes, A barokk historizmus hagyománya a cseh kultúrában, in  : József Jankovics (Hg.), Nem sűlyed az emberiség  !… Album amicorum Szörényi László LX. születésnapjára, Budapest  : MTA Irodalomtudományi Intézet 2007, 95–108. Für Ungarn Ambrus Miskolczy, Egy történészvita anatómiája. 1790–1830/1848  : folytonosság vagy megszakítottság  ? (avagy „Mit üzent Kossuth Lajos  ?“), Aetas, 20, 1–2, 2005, 160–212. 14 Heiner Schultz, Begriffsgeschichte und Argumentationsgeschichte, in  : Reinhart Koselleck (Hg.), Historische Semantik und Begriffsgeschichte [Sprache und Geschichte 1], Stuttgart  : Klett Cotta 1979, 43–74, besonders 65–67, 65.



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im Falle der erwähnten konservativen Kleriker mit Protagonisten zu tun haben, welche „die Aufklärung“ ostentativ und ausdrücklich ablehnten, aber trotzdem spezifisch aufklärerische Denkweisen und Argumentationsmodelle tradierten. Ebenso häufig begegnet das Gegenbeispiel von Autoren, die sich bewusst auf die „wahre Aufklärung“ berufen, aber aufgeklärte Idiome und Argumentationsweisen umschreiben, rekalibrieren oder zu ersetzen ver­suchen. So lässt sich etwa im Bereich der Jurisprudenz unter der Prämisse des Junghegelianismus die Emphase des freien Vernunftgebrauchs gegen eine auf „Rationalismus“ verengte, bevormundende und vertragstheoretisch argumentierende Aufklärung herauspräparieren. Das Wechselspiel von Kontinuität und Historisierung der Aufklärung gestaltet sich also weit verschlungener und weniger vorhersagbar als häufig angenommen. Die letzte Bemerkung über das mit dem Absolutismus verquickte aufgeklärte Naturrecht zeigt schon den neben der Kontinuität und Historisierung dritten Aspekt der Transformation der Aufklärung in der Habsburgermonarchie an  : Die Rekonfiguration des Aufklärungserbes entlang nationaler Leitlinien  : Prominent und auffällig ist hier die Vereinnahmung spätaufgeklärter Gelehrtenpatrioten für die nationalliberale Agenda.15 Gerade programmatische Beiträge zur „Kultivierung“ der Nation aus dem späten 18. Jahrhundert werden mit einer neuen nationalliberalen Lesart versehen, die die ästhetischen Valeurs der Quellentexte überschreibt.16 Aber auch die nationale Codierung der Bedingungen des „Erwachens“, die hier bereits in der Aufklärung situiert werden, gewinnt an Plausibilität und Relevanz für das Geschichtsbild  : So etwa an der Debatte über die Bedeutung der im Vormärz bereits als Garanten deutscher 15 Vgl. etwa besonders eindrücklich das Beispiel des Zagreber Bischofs Maksimilijan Vrhovac (1752–1827), Vgl. Svatozar Ritig, Restauracija katolizicizma u vrijeme narodnog preporoda, Bogoslovska smotra, 21, 1933, 97–110, 22, 1934, 105–123, dazu Franz Leander Fillafer, Drei Stufen josephinischer Sinnbildung, in  : Rainer Bendel/Norbert Spannenberger (Hg.), Katholische Aufklärung und Josephinismus, Wien  : Böhlau 2012 [im Druck], aber auch jenes von Josef Dobrovský (1753–1829)  ; vgl. Ignác Jan Hanuš, Literárni působení Josefa Dobrovského co příspěvek k dějinám literatury české, Praha  : Nákladem král. české učené společnosti 1867, 10, ähnlich Milorad Živančević, Ivo Frangeš  : Ilirizam, realizam [Povijest hrvatske književnosti 4], Zagreb  : Liber Mladost, 1975, 4. 16 Ferenc Toldy druckt in den 1840ern György Bessenyeis Beszéd az Országnak tárgyárul and ausgewählte Werke von József Kármán, vgl. Márton Szilágyi, Kármán József és Pajor Gáspár, Debrecen  : Urániája Kossuth Egyetem Kiadó 1998, 54 und Péter Dávidházi, Egy nemzeti tudomány születése  :Toldy Ferenc és a magyar irodalomtörténet, Budapest  : Universitas 2004.

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Kultur gepriesenen Prager Ästhetiker und Philosophen Karl Heinrich Seibts und August Gottlieb Meißner für die nationalen Wiedergeburt.17 Daß dabei die Plausibilitätseinbuße aufgeklärter Argumentationsweisen wieder mit aus der Kulturgeschichte der Spätaufklärung entlehnten Modellen herbeigeführt wird,18 fügt sich in die bereits dargestellten Erörterungen ein. Leslie Bodi hat in einer hervorragenden Problemskizze prägnant auf die Auffächerung des Aufklärungserbes in antagonistische, zusehends national codierte Argumentationsmodelle hingewiesen. Die josephinische Aufklärung, schreibt Bodi, „hatte entscheidende Folgen für die Habsburgermonarchie und ihre Nachfolgestaaten, für ganz Mittel- und Osteuropa“, sie „ist nicht mit Kategorien wie Aufklärung und Romantik, Fortschritt oder Reaktion, ,links’ oder ,rechts’ erfaßbar, sondern es geht um die Konfrontation verschiedener soziohistorischer Ebenen, um verschiedene kulturpsychologische Dimensionen. Dieser Antagonismus kann auch innerhalb desselben Sprachgebietes zum Mittel der Identifikation und Selbstidentifikation sehr verschiedener Gesellschaftssysteme werden.“19 Diese „Penelopearbeit“ (Walter Benjamin), das Auftrennen und Neuweben der plurikulturellen Textur, die hier schlaglichtartig anhand der Beschäftigung mit einer vom Geschehen zur Geschichte werdenden Aufklärungsepoche ­aufgezeigt wird, erstreckte sich auf verschiedenste Bereiche. Sie bezog sich auf geforderte monolinguale Lesegewohnheiten, die Entwicklung fachlicher Terminologien,20 die Dezimierung von Mehrsprachigkeit (code-switching) in 17 Tomáš Hlobil, Pražské univerzitní přednášky z estetiky a poetiky Augusta Gottlieba Meißnera podle zápisků Josefa Jungmanna, Česká literatura 52, 2004, 466–484, Rudolf Fürst, August Gottlieb Meißner. Eine Darstellung seines Lebens und seiner Schriften, Stuttgart  : Göschen 1894, vgl. Joseph Leonhard Knoll, Betrachtungen über eine Stelle in Hormayrs Taschenbuche, Memorandum an Hofkanzler Anton F. Mittrowsky, 20 June 1833, zit. bei Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození  : K stoletému jubileu založení musea, 2 vols., Praha  : Nákladem Národního musea 1921–1923, II, 468–469. 18 Zdeňka Svobodová, Dobrovský a německá filologie, Praha  : Nakl. ČSAV 1953, Johann Ritter von Rittersberg, Abbé Joseph Dobrowsky  : biographische Skizze, Prag  : C. W. Enders 1829, 18. 19 Leslie Bodi, Widersprüche der Aufklärung  : Das Sprachpatent von 1784 und die Folgen, in  : Ders., Literatur, Politik, Identität, St. Ingbert  : Röhrig 2002, 328-338, 334. 20 Vgl. etwa A’ tisztbéli írás módjának saját szavai úgymint  : hivatalbéli levelezéseknek tzímeik  ; hiteles kiadások  ; esküvéseknek formáik  ; a’ köz dolgok folytatásokban elő fordúló szavak és kifejezések  ; a’ törvény regulai  ; nem külömben, némelly egyházi és világi tisztségek’ nevezeteik, mellyek […] megigazíttattak, megbőv. és újonnan kiad., Pest  : Mátyás Trattner 1806.



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verschiedenen Bereichen der Alltags vom Markt bis zur Abendgesellschaft,21 auf linguistische Metissage (in der Alltagssprache, Vgl. Palackýs Gegnerschaft gegen die deutschböhmische Mischsprache22 ebenso wie in der Poetik mit der Kritik an Calembours und makkaronischer Dichtung), im Theater sowohl auf das Vexieren der Antagonismen in der Dramaturgie mehrsprachiger Aufführungen,23 als auch auf die Buffopartie der in gemischtsprachigem Kauderwelsch radebrechenden (oft kleinadeligen und pseudomondänen) Protagonisten.24 Besonders fruchtbar scheint aus dieser Sicht die komparative Erfassung der Repertoiregestaltung an Theater- und Opernhäusern sowie der im frühen 19. Jahrhundert auftauchenden nationalen Polaritäten in der Behandlung des gleichen Sujets, etwa des Ottokarstoffes, aber auch die nicht sui generis nationalen Reibungsflächen, die durch die Repertoireübertragung innerhalb der Monarchie zwischen verschiedenen politisch-kulturellen Prägungen und Rezeptionshorizonten des bürgerlichen Liberalismus im 19. Jahrhundert auftraten.25 21 Alajos Mednyánszky, Hazafiúi gondolatok a magyar nyelv kiterjesztése dolgában, Tudományos Gyűjtemény, 1822, I, 3-37, 22.Dragutin Rakovac, Mali katekizam za velike ljude  : Kleiner Katechismus für große Leute, Zagreb  : Ljudevit Gaj 1842, 26, Stanko Vraz, Pěsme, pabirci, proza i pisma, Zagreb  : Z.C. Albrecht 1877, xxi, Ljudevit Vukotinović, Ruže i tàrnje, Zagreb  : F. Župan 1842, 103–104, über die Jugend, die ins nationale Kaffeehaus geht […] und auf dem Ball […] nationale Farben trägt, dort deutsch tanzt und deutsch dem schönen Geschlecht den Hof macht, Vgl. Wolfgang Kessler, Politik, Kultur und Gesellschaft in Kroatien und Slawonien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts  : Historiographie und Grundlagen, München  : Oldenbourg 1981, 276–277. 22 Hanuš, Narodni museum, II 338, Jiří Kořalka, František Palacký (1798–1876)  : der Historiker der Tschechen im österreichischen Vielvölkerstaat, Wien  : Österreichische Akademie der Wissenschaften 2007, 136, und 146, Brief Joseph von Hormayrs an František Palacký, 30. Juni 1828 über das […] entsetzliche Deutschböhmisch, das Schulmeister, Katecheten unter Jugend und Volk bringen, während die Visionäre von nichts träumen, als von der baldigen Weltherrschaft der Slawen und der slawischen Sprache. 23 So etwa in der in Zagreb von einer Theatercompagnie aus Novi Sad aufgeführten Heldendrama Kukuljevičs, Juran und Sophia, oder die Türken bei Sissek, in dem die Zryni/Zrinski-Anhänger „illyrisch“, die Türken aber deutsch sprachen, Wolfgang Kessler, Politik, Kultur, Gesellschaft, 158, Ferdo Šišić, Hrvatska povijest, 3 Bde., Zagreb  : Diorička tiskara 1906–1913, III, 218. 24 Edit Császár-Malyusz, The Theater and the National Awakening, Atlanta  : Hungarian Cultural Foundation 1980, Géza Staud, Adelstheater in Ungarn 18. und 19. Jahrhundert, Wien  : Österreichische Akademie der Wissenschaften 1977, Ferenc Kerényi, A régi magyar színpadon 1790– 1840, Budapest  : Magvető 1981. 25 Anezka Misonová, Der Vergleich von Grillparzers und von Horns Drama über König Ottokar und die Reaktion der tschechischne künsterlischen Öffentlichkeit auf beide Dramen, Norderstedt  : Grin

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Innerhalb des umrissenen Rahmens der Historisierung wird im frühen 19. Jahrhundert die Frage nach der „Kultur“ neu gestellt  : Sie wird als eine Frage nach der zivilisatorischen Leistung der Dynastie und der katholischen Kirche in den habsburgischen Ländern gegenüber einer wieder zum Leben zu erweckenden, eingeschlummerten Nation, reformuliert. Diese Ausgangsbeobachtungen dienen als Hintergrundfolie für die im Folgenden vorgestellten Überlegungen.

Die Habsburgermonarchie zwischen Imperium und Kulturstaat

Joseph Redlichs Klassiker Das österreichische Staats- und Reichsproblem fordert eine sarkastische Lesart heraus  :26 War die Monarchie nicht eigentlich keines von beiden, weder Reich noch Staat  ? War sie also vielleicht ein „Kulturstaat“  ? Der Begriff ist quellensprachlich belegt  : Der Historiker und Philologe John Robert Seeley beschreibt 1870, einige Jahre vor der Veröffentlichung seiner Expansion of England, der massiven Gedächtnisstütze gegen die damals grassierende britische Empireamnesie, den „Culturstaat“ nach deutschem Vorbild als Panazee für das Weltreich.27 Nietzsche greift in seiner Götzen-Dämmerung die 2010, Steffen Höhne, König Přemysl Ottokar II. Literarische Konstruktionen von Geschichte am Beispiel Böhmens, brücken  : Germanistisches Jahrbuch Tschechien-Slowakei, 16, 2008, 37–72, Vincenc Brandl, Život Josefa Dobrovského, Brno  : Nakladatelství Matice moravská 1883, 276, über Dobrovskýs kritisches Urteil zu Grillparzers Ottokar. Eine hervorragende Fallstudie zur skeptischen Rezeption von Ludwig Anzengrubers antiklerikalen Stücken beim Zagreber Bürgertum bietet Marijan Bobinac,“, Wir sind keine Verehrer der Wiener Posse’  : Zur Rolle der Wiener Volkstheatertexte in den Anfängen des kroatischen Nationaltheaters“ in id.: Porträts und Konstellationen, I, Deutschsprachigkroatische Literaturbeziehungen, Zagreb  : Universität Zagreb, Abteilung für Germanistik der Philosophischen Fakultät 2001. 26 Joseph Redlich, Das österreichische Staats- und Reichsproblem  : geschichtliche Darstellung der inneren Politik der habsburgischen Monarchie von 1848 bis zum Untergang des Reichs, 2 Bde., Leipzig  : P. Reinhold 1920–1926  ; vgl. außerdem Amy Ng  : Nationalism and Political Liberty  : Redlich, Namier, and the Crisis of Empire, Oxford  : Clarendon 2004. 27 „We are beginning in England to see the necessity of widening our contracted view of politics. Politics have been long enough among us the mere tool of wealth and trade. Macaulay’s method of estimating well-being by the growth of population, and the number of new streets built in great towns, begins to seem insufficient. Even personal liberty and free speech begin to seem, not indeed less valuable, but less all-sufficient, results, than they seemed to the eighteenth century. When a man has been made as free as possible to do what he pleases, it is important also, we begin to think, that he should know what it is best to do. We hanker after the Culturstaat“.



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Begriffsbildung in völlig konträrer Absicht auf. Er verknüpft kulturelle Blütezeiten explizit mit politische Talsohlen. „Die Cultur und der Staat — man betrüge sich hierüber nicht — sind Antagonisten  : „Cultur-Staat“ ist bloß eine moderne Idee. Das Eine lebt vom Andern, das Eine gedeiht auf Unkosten des Anderen. Alle großen Zeiten der Cultur sind politische Niedergangs-Zeiten  : was groß ist im Sinn der Cultur war unpolitisch, selbst antipolitisch. — Goethen gieng das Herz auf bei dem Phänomen Napoleon, — es gieng ihm zu bei den ,Freiheits-Kriegen’“.28 Für Protagonisten der Nation in den habsburgischen Ländern lag eine Deutung von Nietzsches Bemerkung nahe  : Die kulturelle Blüte der Nation ging mit dem Niedergang des Zentralstaates einher. Der Zentralstaat behinderte die nationale Kultur. Der Begriff des Kulturstaats insinuierte aber eine imperiale Steuerungsaktivität, die der „Union monarchischer Ständestaaten“29 zwischen der josephinischen Periode (1780–1790) und dem Neoabsolutismus (1849– 1861) eben fern lag. Die Modellierung einer Kulturpolitik des Zentralstaates ermöglicht es jedoch einer gebildeten Intelligenzschicht30 gerade im Vormärz mit einer gewissen Umwegrentabilität ein nationales Identifikationsreservoir aufzubauen, dass die postulierte Entdifferenzierung der plurikulturellen Gegebenheiten der Region abstützte und zugleich gestattete, das Wasser des Landespatriotismus auf nationale Mühlen zu leiten.31 Die elliptische Strukturierung der habsburgischen imperialen Eingriffe in die nationale Kultur rund um zwei Brennpunkte, die Regierungszeit Josephs II. und den Neoabsolutismus ist also Resultat einer nationalen Situierungsgeste des 19. Jahrhunderts. Daß, wie wir sehen werden, die josephinische Epoche weit weniger dem Klischee der Germanisierungsschübe entsprach, als für gewöhnlich behauptet wird, und daß über John Robert Seeley  : Milton’s Political Opinions“, in  : Ders., Lectures and Essays, London  : Macmillan 1870, 104. 28 Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung No. 4, Was den Deutschen abgeht [1889], Kritische Gesamtausgabe VI/3, 100. 29 Otto Brunner, Das Haus Österreich und die Donaumonarchie, Südostforschungen, 14, 1955, 122–144, 126. 30 Denis Svidžkov, Das Zeitalter der Intelligenz. Zur vergleichenden Geschichte der Gebildeten in Europa bis zum Ersten Weltkrieg, Göttingen  : Vanderhoeck & Ruprecht 2006. 31 Zdeněk Samberger, Český zemský patriotismus (Úvahy a jeho úloze v prvé polovině 19. století), in  : Literární archiv, 21–22, 1985–1986, 71–112.

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diese Einschätzung der Epoche im Vormärz Dissens bestand, wird im Folgenden angedeutet. Bevor wir uns in klischeegeschichtlicher Absicht diesen Geschichtsbildern und ihrer Rolle in der Konzeptualisierung der Nation zuwenden, ist noch zu klären, ob und inwiefern die Monarchie unabhängig von dieser Ebene als Akteur im Sinne imperialer Zivilisierungsmissionen gelten kann.

Kultur und Gesamtstaatsloyalität

Mit einem gewissen Grad zulässiger Vereinfachung könnte man von drei zentralen Legitimitätsressourcen sprechen, auf die Argumentationen im 19. Jahrhundert zugriffen  : Natur, Kultur und Geschichte.32 Dieser Beitrag zeigt, wie die kulturelle, auf die Nation bezogene Argumentation die beiden anderen Ressourcen absorbierte. Vermochte die Kultur aber den Bürgern eine panmonarchische Loyalität einzuhauchen  ? Selbstverständlich sind hier die imperialen Jubiläumsfestzüge wie jener von 1908 zu berücksichtigen, Tableaus der Loyalität, deren sich nicht aus der Verschmelzung sondern aus der Koexistenz und Äquidistanz – oder gleichen Nähe – nationaler und religiöser Identitäten zum Kaiser ergab.33 Kaiserliche Devotionalien von Porzellan bis hin zu diversen Gebrauchsartikeln sind kaum erforscht, die mit Versatzstücken pseudoarchetypischer Stile verzierten Pilaster und Risaliten der im „Reichsstil“ erbauten Gebäude erhoben den e pluribus unum-Charakter zum Programm.34 Erst jüngst wurde nachgezeichnet, wie bruchlos sich das imperiale Imaginaire mit regionalen Loyalitätsdarbietungen, Schuldzuweisungssymmetrien des Renegatentums unter den Nationalitäten und nationalem Patriotismus verzahnen ließ.35 Das Jahr 1848 mit seinen „kon32 Maciej Janowski, Justifying Political Power  : The Habsburg Monarchy and Beyond, in  : Alexei Miller/Alfred J. Rieber (Hg.), Imperial Rule, Budapest  : Central European University Press 2004, 69–82 und Ders., Kecskék és tokhalak  : A közép-kelet-európai liberalizmus sajátosságai a francia forradalom és az első világháború között, Aetas, 14, 1999, 108–121. 33 Elisabeth Großegger, Kaiser-Huldigungs-Festzug  : Wien 1908, Wien  : Österreichische Akademie der Wissenschaften 1992. 34 Hellmuth Lorenz, „Der habsburgische Reichsstil – Mythos und Wirklichkeit in  : Künstlerischer Austausch, Akten des XXVIII. Internationalen Kongresses für Kunstgeschichte, Berlin 1992, Bd. II, Berlin  : Akademie Verlag 1993, 163–175. 35 Laurence Cole, Daniel L. Unowsky (Hg.), The Limits of Loyalty. Imperial Symbolism, Popular



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stitutionellen“ Zylindern, Bretzeln und Polkas zeigt nicht nur das Merchandisinggenie abgebrühter Verfassungsgewinnler, sondern die erstaunliche Breitenwirksamkeit einer imperialen Verfassungsidee in den Elogen auf Kaiser Ferdinand I. als Bauernbefreier und Gesetzgeber.36 Eine weitere Komponente bilden die Reiserouten des princeps ambulans, der seine Länder mit den Segnungen der Moderne und Prosperität als Gesetzgeber beglückt wie eine balsamische Frühlingsbrise.37 Wir wissen noch zu wenig darüber, ob es sich bei diesem Imaginaire um ein spezifisch josephinisches „scenario of power“ (Richard Wortman) handelt, und wie es mit der eben erwähnten Spielart des imperialen Konstitutionalismus von 1848 zusammenhängt. Gerade die vormärzlichen Krönungsfeierlichkeiten zeigen aber, wie ein gelehrtenpatriotischer Impetus mit „utraquistischen“ landes- oder standesbezogenen Loyalitäten einherging, gegen die „demiurgische“ Kulturmodelle38 einer Neuschöpfung der Nation ankämpften.39 Jenseits dieser Anlässe, bei denen der dynastietreue Patriot sein Herz auf der Zunge tragen konnte war „Kultur“ ein Zankapfel. Zunächst war Kultur eine Prestigestiftungsinstanz  : Eine „erneuerbare Energie“ ästhetischer Ergötzung und – zusehends – bürgerlicher Selbstvergewisserung die sich den etablierten Allegiances, and State Patriotism in the Late Habsburg Monarchy [Austrian and Habsburg Studies  ; Vol. 9], Oxford  : Berghahn Books 2007. 36 Josef Polišenský, Revoluce a kontrarevoluce v Rakousku 1848, Praha  : Svoboda 1972, 132–133, Jiří Mikulec, Lidový (naivní) monarchismus v barokních Čechách a jeho zdroje, in  : Olga Fejtová/ Václav Ledvinka/Vít Vlnas, Barokní Praha – Barokní Čechie 1620–1740. Sborník příspěvků z vědecké konference o fenoménu baroka v Čechách, Praha  : Scriptorium 2004, 363-375. 37 Eduard Breier, Das Buch vom Kaiser Josef  : Geschichte Kaiser Josef des Zweiten und seiner Zeit, dem Volke erzählt, 2 Bde., Wien  : L.C. Zamarski 1865, V. M. Kramerius, V. R. Kramerius, Kniha Jose­fova [Sepsaná od jistého spatřujícího osmnácté století. Dílem již stalé věci a dílem proroctví. Na způsob Biblí, 1785] [Národní klenotnice 21], repr. Praha  : Evropský literární klub 1941, Janowski, Justifying Political Power  ; Die Reise Allerhöchst Seiner Majestät des Kaisers nach Dalmatien, [ist] seit Jahrhunderten der erste frohe Ausblick in der Geschichte dieses Landes, das nun wieder einmal das sorgende Vaterauge eines angebeteten Herrschers in seiner Mitte sah, Jahrbücher der Literatur, 12, 1820, Anzeigenblatt, 1. 38 Vladimír Macura, Jazyk v jungmannovském projektu české kultury, in  : Česká literatura, 30, 1982, 303-310, Ders., Květomluva a literatura v českém národním obrození, Česká literatura, 27, 1979, 111–120. 39 Milada Sekyrková, 7.9.1836  : Ferdinand V. – Poslední pražská korunovace, Praha  : Havran 2004, Robert Evans, Císaři bez říše  : Habsburkové a Reichsidee v 19. století, in  : Per saecula ad tempora nostra. Sborník prací k šedesátým narozeninám prof. Jaroslava Pánka, 2 Bde., Praha  : Historický ústav Akademie věd České republiky 2007, Bd. 2, 619–624.

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Institutionen ihrer Vermittlung entzog und sich in den Lektürezirkeln, Salons und Hausmusiksoireen einnistet, aber auch in den Landpartien liberaler Poeten und Philologen des Vormärz ebenso wie in mehr und mehr national codierten Vereinen einnistete (es ist bemerkenswert, dass es sich bei den Advokatenclubs und den Lesegesellschaften um „national“ definierte Sozialisationsformen handelte, während die gemeinnützigen Wirtschafts- und Industrievereine sowie die Trägerinstitutionen der vaterländischen Museen eine metanationale Ausrichtung länger beibehielten)40 All diese Erscheinungsformen treffen wir in der Habsburgermonarchie der Jahre vor 1848 an. Trotz den Beschränkungen durch die Zensur und den Verboten von Auslandsstudien entwickelte sich ein lebhaftes und polyzentrisches kulturelles Leben. Aus dem bisher Gesagten lassen sich schon zwei Probleme herausdestillieren. Zum einen besitzt der Kulturbegriff eine doppelte Registratur  : Er bezieht sich gleichermaßen auf die gesamte Menschheit und zusehends auf eine Nation. In der Habsburgermonarchie sollte dies, innerhalb der erläuterten Ausgangsbedingungen der Historisierung zu spezifischen Problemen führen. Zum zweiten führt das 19. Jahrhundert, wie schon angedeutet wurde, zu einem Prozess den man in Ermangelung eines adäquaten Begriffs als „Kulturalisierung“ bezeichnen könnte  : Die Präponderanz von Kultur als Erklärungsmuster und als Beurteilungsvektor sich beschleunigenden Fortschritts. Eben die Erwartungsenttäuschung des ausbleibenden Fortschritts auf dem Gebiet der „Kultivierung der Nation“ ermöglichte es im Vormärz nationalliberalen Protagonisten unter tendenzieller Ausblendung anderer Errungenschaften etwa im Bereich der Privatrechtskodifikation, des Eigentumsschutzes und des Ensembles verwandter Gewährleistungsgarantien,41 eine Kritik der zentralstaatlichen Monarchie als Hindernis kulturellen Fortschritts zu formulieren. Der Umschlag von der Dynastie zur Nation in der Geschichtsbetrachtung bringt eine Sicht auf vergangene Regierungsperioden unter dem Blickwinkel der „kulturellen Blütezeit“ mit sich.42 Aber um welche Kultur 40 František Špatný, Stručný dějepis c.k. vlastenecko-hospodářské společnosti v Čechách, Praha  : Špatný 1863, 7. 41 Jaromír Čelakovsý, O účasti právníkův a stavů ze zemí českých na kodifikaci občanského práva rakouského, Prag  : Nákl. České akademie císaře Františka Josefa pro vědy, slovesnost a umění 1911. 42 Wolfgang Pfaffenberger, Blütezeiten und nationale Literaturgeschichtsschreibung  : Eine wissenschaftsgeschichtliche Betrachtung, Frankfurt am Main  : Lang 1981.



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ging es  ? Und welche simultanen und überlappenden, ja oft konfligierenden Entwürfe der Kulturgeschichte in den habsburgischen Ländern bildeten sich im 19. Jahrhundert heraus  ? Wie schon eingangs angemerkt, sind die Historisierung um 1800 und die Kulturalisierung von Deutungskategorien des Sozialen, Ästhetischen und Politischen, die wenig später in nationalen Konzeptionen fruchtbar gemacht werden, vielfältig miteinander verflochten. Bei dem Versuch, den aufgeworfenen Fragen nachzugehen, und abzuschätzen, was „der Monarchie“ als zivilisierender und kultivierender Kraft zugetraut wurde, erweist sich der aufgeklärte Absolutismus43 als äußerst nützliches Prisma  : Die Metapher des Prismas ist besonders hilfreich, da es sich hier um eine Geschichte der Brechung und des Überblendens, der Refraktion und Projektion aufklärerischer Programme auf neue Bereiche handelt, besonders nach der Enttäuschung über die Rücksichtslosigkeit von Josephs Reformen, die sich über verfassungsmäßige Prärogativen hinwegsetzten.

Aufgeklärter Absolutismus

Der aufgeklärte Absolutismus beruhte auf einer Programm der Glückseligkeit, der Wohlfahrt und Rechtsgleichheit der Bürger  : Dies sind Motive, die den Datenkranz obrigkeitlicher Ressourcenmobilisierung und lupenreiner Herrschaftsverdichtung, auf dem der aufgeklärte Absolutismus beruhte, oft in den Hintergrund treten lassen und in der Tat die deutschösterreichischen Liberalen des Vormärz zu ihrer Einschätzung Josephs II. als Philosophenkönigs bar jeder drakonischen Züge verführten.44 Beide Aspekte sind für unsere Belange relevant, noch bedeutsamer aber ist die Rolle des aufgeklärten Absolutismus als Schrittmacher von Entwicklungsstrategien. Es führte den für das 19. Jahrhundert zentralen Topos der Verspätung der Monarchie ein. Das Einbringen dieser Verspätung, die Aufholjagd des 19. Jahrhunderts – auch hier überflügelte in den 43 Eine immer noch konsultierenswerte Zusammenstellung von Forschungsperspektiven bietet Otmar Freiherr von Aretin (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus, Köln  : Kiepenheuer & Witsch 1974, vgl. auch Helmut Reinalter (Hg.), Der aufgeklärte Absolutismus im europäischen Vergleich, Wien  : Böhlau 2006. 44 Vgl. Derek Beales, The False Joseph II, in  : The Historical Journal, 18, 1975, 467–495.

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nationalen Diskursen die Bringschuld von Dynastie und Klerus im kulturellen Bereich die Erfolge der Rechtsvereinheitlichung und Wohlstandssteigerung – blieb ein konstanter Erzählrahmen, ein Emplotment  : Tatsächlich handelte es sich bei dem Verspätungstopos um eine Denkfigur des aufgeklärten Absolutismus, die ihm längerfristig zum Verhängnis wurde  : Seine historische Reputation litt eben an der Uneinholbarkeit des Rückstandes und der Unzulänglichkeit der Mittel der Dynastie, diesen Ausgleich herbeizuführen. Am aufgeklärten Absolutismus schieden sich die Geister. Bereits während der 1780er verbreiteten sich Missbehagen und Unmut über Josephs Zwangsbeglückung, und keineswegs nur bei Aufklärungsskeptikern. Diese Unzufriedenheit speiste sich aus verschiedenen Quellen  : Zum einen wurden Josephs vollmundigen Ankündigungen über den Fortschritt der Bildung die tatsächlichen Gegeben­­heiten entgegenstellt. Zahlreiche Aufklärer, unter ihnen am scharfzüngigsten der Prager Historiker František M. Pelcl und der Bürokrat József Podmaniczky, damals in Fiume, kritisierten das Zurückstutzen des Universitätsunterrichts auf die dürftigste Grundlagenausbildung für Staatsdiener.45 Diese Tendenz lässt sich jedoch nicht generalisierend auf alle Aufklärer übertragen. Darüber hinaus waren viele Zeitgenossen schockiert über den Abverkauf historischer Kleinodien aus der Kunstkammer Rudolphs II., aber auch von Paramenten und Paraphernalien aus den Kirchenschätzen, die auf der Gasse zu Geld gemacht wurden. Aufklärer mit weniger prononcierten kirchlichen Sympathien fanden das nicht weiter besorgniserregend. Es zeigt sich also eine Palette von Reaktionsmöglichkeiten auf die josephinischen Reformen. Ein anderer Streitpunkt, der seine volle Relevanz erst im 19. Jahrhundert entfalten sollte, war die Sprache  : In der Schulpolitik vertraten Maria Theresia und Joseph II. ein Modell des parallelen Unterweisung in der Muttersprache46 und im Deutschen auf Grundschulebene, wogegen die Sprache des höheren

45 František Pelcl, Paměti, Praha  : Fr. Borový 1931, 43, 67, 82, Josef Podmaniczky an János Fekete de Galántha, Magyar Országos Levéltár, Budapest  : Familienarchiv Fekete, No. 53, 18 März 1785. 46 Ulrike Eder, Auf die mehrere Ausbreitung der teutschen Sprache soll fürgedacht werden  : Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Unterrichtssystem der Donaumonarchie zur Regierungszeit Maria Theresias und Josephs II., Innsbruck  : StudienVerlag 2006 [Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdsprache, Serie B, Bd. 9].



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Unterrichts seit Joseph vornehmlich Deutsch war.47 An den Universitäten (mit der Ausnahme einiger lateinischer Kurse, vornehmlich in Ungarn, an den königlichen Kollegien biss man mit der Einführung der deutschen Unterrichtssprache auf Granit)48 wurde Deutsch die Unterrichtssprache, die theologischen Fächer wurden zum Gutteil weiterhin in Latein tradiert  : Eine wichtige Ausnahme, die sich nicht in die Makrokonzeption der „Germanisierung“ fügt, war die Pastoraltheologie, die seit der josephinischen Periode auf Deutsch, Ungarisch und Tschechisch gelesen wurde.49 Versuche, im Jahr 1810 an der Universität Prag zum Lateinischen zurückzukehren, verliefen angesichts des dürftigen Lateinniveaus der Gymnasienabgänger im Sande – man blieb beim Deutschen.50 Die Übergabe der Aufsichtsbefugnis im Schulwesen an Kleriker nach Josephs Tod wiederum, die im Vormärz bei bolzanistischen Patrioten durchaus Anklang fand und gerade die Synergien der Volksaufklärung durch den Klerus zu beweisen schien, war liberalen Kritikern nach 1848 ein Dorn im Auge.51 Wie diese Männer im Sinne der katholischen Aufklärung wirkten, war hier nicht mehr der Rede wert.52 47 Ich halte die Nebeneinführung der deutschen Sprache eben durch die Schulen sowie in Hungarn als auch in Galizien für höchst nützlich. Der Staat muß darauf arbeiten, nach und nach ein Volk zu werden. Ich weiß, daß ganze und halbe Säcula dazu gehören, und daß am allerwenigsten ein Zwang stattfindet. Allein der Staat lebt ewig, das ist über alle Menschenalter hinaus und nach dieser Aussicht, nicht für seine einzige kurze Lebenszeit, muß der Fürst und der Staatsdiener handeln. Votum Tobias von Geblers, 2. August 1780, zit. in Milan Šmerda  : Integrační snahy v habsburské monarchii v době formování novodobých národů, Slovanské historické studie, 12, 1979, 133–162, 155–156, Fn. 10. 48 Ferencz Szilágyi, A germaniszálás történeméböl a két magyar hazában II József alatt, Budapest  : Magyar Tudományos Akadémia 1876. 49 František Cinek, K národnímu probuzení moravského dorostu kněžského, Olomouc  : Družina literární a umělecká 1934, 48, 117, 135, 170–171, über die Ausbildung des Klerus auf Tschechisch, Pastoraltheologiekurse unter Joseph, wieder unter Franz I. aufgenommen, Josef Samsour, Dějiny alumnátu brněnského, Brno  : Eigenverlag 1907, 54–55, Egyed Hermann, Edgár Artner, A hittudományi kar története 1635–1935 [A királyi magyar Pázmány Péter-tudományegyetem Története I], Budapest  : Pázmány Péter 1938, 274, 348. 50 Jan Havránek, Úvod, in  : Michal Svatoš, Ivana Čornejová (Hg.)  : Dějiny Univerzity Karlovy, III, Prag  : Karolinum, 1995, 11–12, Ders., Univerzita, její zřízeni, správa a studenstvo, Dějiny Univerzity Karlovy, III, 19-31, 23–24. 51 Vgl. Karl Ernst Maier, Das Werden der allgemeinbildenden Pflichtschule in Bayern und Österreich, Ansbach  : Brügel und Sohn 1967, 62. 52 Jiří Rak, Dělníci na vinici Páně nebo na roli národní  ?, in  : Zdeněk Hojda/Roman Prahl (Hg.),

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An diesen Ansatzpunkten kristallisierte sich die von den nationalliberalen Protagonisten vorgenommene Revision der Einschätzungen des Reformprojekts Josephs II. bei ihren Vorläufern heraus  : Gegen die polemisch aufgefahrene Drohkulisse der Zivilisierungsmission des Staates wird eine nationale kulturelle Mission gestellt  : Der „Kulturstaat“ liegt am Kreuzungspunkt dieser beiden Missionen. Hier können wir nachvollziehen, wie die Denkfigur der „Verspätung“ des aufgeklärten Absolutismus sich als Bumerang erwies. Es wurde häufig behauptet, daß der – rudimentär realisierte, aber doch von einigen weiterhin herbeigesehnte – Gesamtstaat bereits um 1800 als reaktionär und rückschrittlich bekämpft wurde. Bei näherer Betrachtung erweist sich diese Beobachtung als Klischee, freilich als ein sehr erklärungsbedürftiges. „Rückschrittlich“ in welchem Sinn  ? Eben an diesem Punkt lässt sich zeigen, wie die Nationalhistoriographien des Fin de Siécle das Bild der intellektuellen Gemengelage um 1800 neu zeichneten. Die verschiedenen Nationalhistoriographien deuten an, dass es ein geringfügigen Variationen unterliegendes, grosso modo konstantes Modell des Einheitsstaates gegeben habe. Zwei Argumente verbergen sich hinter dieser Stringenzillusion  : Einerseits die Behauptung der Kontinuität des Reformprogramms Josephs II. mit der gegenreformatorischen Staatsverdichtung  ;53 andererseits die Feststellung eines Rückgriffs des franziszeischen Staates seit den 1790er Jahren auf das Barock, eine prätheresianische Allianz von Thron und Altar, die Josephs Impuls also gleichsam ohne die irreführende Galionsfigur der Aufklärung fortgesetzt habe. Dies diente dem Nachweis, daß die Aufklärung unter Joseph II. nichts mehr als ein Potemkinsches Dorf gewesen sei. Dieses verdichtete Bild des Obskurantismus und Gängelung des „Genius“ oder „Geistes der Nation“ machte die zähe Widerstandsfähigkeit Bůh a bohové. Církve, náboženství a spiritualita v českém 19. století, Praha  : Koniasch Latin Press 2003, 128–138. 53 Eila Hassenpflug-Elzholz, Böhmen und die böhmischen Stände in der Zeit des beginnenden Zentralismus. Eine Strukturanalyse der böhmischen Adelsnation um die Mitte des 18. Jahrhunderts. München  : Oldenbourg 1982, 14–17, János J. Varga, Berendezési tervezetek Magyarországon a török kiűzésének időszákában  : Az ,Einrichtungswerk’, in  : Századok 125, 1991, 449–488, und Antal Szántays Essay über Angelo Gabrieles Projekt als mögliche Grundlage für Josephs Auflösung der Komitate und Distriktseinteilung, Bibliothekare und Historiker – vom Regierungsprojekt Angelo Gabrieles bis Joseph II., in  : Gerhard Ammerer/Hanns Haas (Hg.), Ambivalenzen der Aufklärung  : Festschrift für Ernst Wangermann, Wien  : Verlag für Geschichte und Politik 1997, 75–92.



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derselben umso beeindruckender.54 So nahm sich im gröbsten Umriss das im späten 19. Jahrhundert gezeichnete Bild aus. Die Loyalitäten gegenüber der „Gesamtmonarchie“ und die Einschätzungen der Reversibilitätsspielräume „kulturellen“ Fortschrittes um 1800 und im frühen 19. Jahrhundert stellten sich freilich weit komplexer dar. Es lässt sich konstatieren, dass die Kritik am Gesamtstaats sich im Weltbürgertumsdiskurs materialisierte   : Dabei war keineswegs der Kosmopolitismus die Zielscheibe, vielmehr der Staat, der einerseits den aufklärerischen Impuls dieser weltbürgerlichen Vorstellung leichtfertig eingebüsst habe, und dem das neue Ideal einer genuinen Völkerfreundschaft jenseits kabinettspolitischer Machinationen und adeliger Familienbande entgegengestellt wurde.55 Das heißt  : Den Protagonisten der Nation erschien der Gesamtstaat als rückwärtsgewandt, weil er ins 18. Jahrhundert zurückblickte. Die intensive Beschäftigung etwa mit den Überlegungen des Göttinger Spätaufklärers Arnold L. Heeren über die „Erhaltung der Nationalität besiegter Völker“, die dieser anlässlich des Siegeszugs Napoleons formuliert hatte, zeigt diese Rekonfiguration des Kosmopolitismus an.56 Zugleich aber gab es eine beträchtliche Gruppe von – in der nationalen Geschichtsschreibung eher stiefkindlich behandelten – Reformern, die weiterhin im Staat den Garanten des Fortschritts sehen wollten. Neben spätaufklärerischen Gelehrten wie Ignaz Cornova57 gehören vor allem auch die Exponenten der seit Joseph II. emanzipiert-tolerierten Gruppen hier her, mit eigenen Flügelkämpfen zwischen Reformern, die mit dem staatsaufklärerischen Szenario der „Kultivierung“ sympathisieren, und ihren romantischen oder spirituellen Kritikern.58 54 Daniela Tinková, Mezi psem a vlkem  : Osvícenské příšeří v české historiografii, in  : Post tenebras spero lucem. Duchovní tvář českého a moravského osvícenství, Hg. Jaroslav Lorman/Daniela Tinková, Praha  : Casablanca 2008 [Historie. Otázky. Problémy  ; Studie Ústavu českých dějin Filozofické fakulty] 14–29. 55 Maciej Janowski, Wavering Friendship  : liberal and national ideas in nineteenth century EastCentral Europe, in  : Ab Imperio, 3–4, 2000, 69–90. 56 Dazu jetzt die hervorragende neue Studie von Hermann Keipert, Arnold Heeren als Förderer der sogenannten ,Nationalen Wiedergeburt’ bei den Slaven, in  : Studien zur Philologie und Musikwissenschaft, Berlin  : De Gruyter 2010, 103–208. 57 František Kutnar, Život a dílo Ignace Cornovy, Český Časopis historický, 36, 1930, 327–350, 491–519. 58 Vgl. Wichmann von Meding, Österreichs erstes Reformationsjubiläum  : Jakob Glatz und die Ge-

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Ebenfalls Anklang fand diese Denkfigur bei dem Syndikat liberaler Mandarine in der Bürokratie  : Der Staat erschien hier als weit zugkräftigere Reformlokomotive, als die partikularistischen, größtenteils doch auf eine Wiederherstellung der beschnittenen Adelsvorrechte konzentrierten Landespatriotismen.59 Auch die ältere Generation der Anhänger Bernard Bolzanos identifizierte sich mit dieser Konzeption, während die jüngere, getreu der diskutierten „demiurgischen“ Rolle des Protagonisten einer diskursiv zu erschaffenden Nation, Bolzanos Argument der zweckorientierten „Nützlichkeit“ und „Plausibilität“ von kulturellen Artefakten in ihrer Verteidigung der Authentizität der beiden berühmten Handschriftenfälschungen (Rukopis královédvorský und Rukopis zelenohorský) anwendeten.60 Der vormärzliche Wechsel der Literaturen der Region vom Anciennitäts- zum Juvenilitätstopos sowie vom Identitäts- zum Alteritätstopos lässt sich in diesen Zusammenhang einfügen.61 Während sich hier eine Kontinuität zu der Verteidigung kultureller Eigenständigkeit im Neoabsolutismus nach 1848 abzeichnet, stellt das Revolutionsjahr für die deutschösterreichisch-liberale Perspektive, eine markantere Zäsur dar  : Die Germanisierung, deren Absenz viele deutschösterreichischen Liberale

meinden Augsburgischer Konfession 1817/18  ; Ein Modell des Verhältnisses von Kirchenleitung und Verkündigung, Frankfurt am Main  : Peter Lang 1998, Frankišek Čapka, K historii židovské obce v Holešově, in  : Moravští Židé v rakousko-uherské monarchii 1780–1918, 1780–1918. Hg. von Emil Kordiovský/Helmut Teufel/Jana Starek, Brno  : Tisk Kiramo 2003, 287–294, Cermanová Iveta, Marek Jindřich, Na rozhraní křesťanského a židovského světa. Příběh hebrejského cenzora a klementinského knihovníka Karla Fischera (1757–1844), Praha  : Národní knihovna České republiky 2007. 59 Vgl. Franz Leander Fillafer, ,Eine Gespenstergeschichte für Erwachsene’  : Überlegungen zu einer Geschichte des josephinischen Erbes in der Habsburgermonarchie, in  : Christian Ehalt/ Jean Mondot (Hg.), Was blieb vom Josephinismus  ?, Innsbruck  : Innsbruck University Press 2010, 27–56. 60 František Makulan, O stycích faráře M. J. Jychry s Janem a Bernardem Bolzanem, Časopis pro moderní filologii a literatury, Praha 6 (1918), 123–128. 214–219, Ders., Bernard Bolzano a naše obrození, Česká Revue, Praha 15 (1922), 322-326, über die jüngeren Bolzanisten Hana Šmahelová, Bernard Bolzano a české národní obrození, in  : Český časopis historický, 100, 2002, 74–115. 61 Christian Prunitsch, Zur Konzeptualisierung der tschechischen als einer kleinen Literatur an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in  : Steffen Höhne/Andreas Ohme (Hg.), Prozesse kultureller Integration und Desintegration. Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert, München  : Oldenbourg 2005, 51–71



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und Broschürenpublizisten des Vormärz noch beklagt hatten,62 galt den liberalprotestantischen frischgebackenen Lehrstuhlinhabern des Neoabsolutismus bereits als ausgemachte Tatsache.63 Es ist oben schon kurz darauf hingewiesen worden, daß diese Spielarten gelehrter sprachpatriotischer Tätigkeit nach Josephs Tod aus vormärzlicher Perspektive als antijosephinische Kehrtwende beschrieben wurden. Auf dem Millimeterpapier der Psychogramme spätaufklärerischer Vorläufer galt es aus nationalliberaler Sicht derlei Peripetien präzise zu lokalisieren. So gelang es, den Josephinismus und die patriotische, sich in Richtung der Sprachnation entwickelnde Aufklärung relativ akkurat anhand einiger Wendepunkte zu unterscheiden, ja beide als zusehends unvereinbar darzustellen.64 An diesem Punkt trafen sich im Vormärz die Anschauungen einer nationalen Intelligenz, die zusehends mit dem historischen Szenario einer kontinuierlichen, in der Geschichte nachweisbaren Germanisierung operierte, mit den landespatriotischen Bemühungen des böhmischen Adels, der sich als Gralshüter der konstitutionellen Vorrechte des Landes begriff und seinen Widerstand auf dem Landtag von 1791 ausschmückte.65

62 Jan Heidler, Český a Rakousko v politických brožurách předbřeznových, Praha  : Řivnáč 1920, 191–192, Adam Wandruszka, Karl Moering  : ein deutscher Soldat und Politiker aus dem alten Österreich, in  : Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 53, 1939, 79–185. 63 Vgl. Wolfgang Künne, Geschichte der philosophischen Bolzano-Rezeption, in  : Helmut Rumpler (Hg.)  : Bernard Bolzano und die Politik  : Staat, Nation und Religion als Herausforderung für die Philosophie im Kontext von Spätaufklärung, Frühnationalismus und Restauration, Wien  : Böhlau 2000, 317, Zitat Albert Schäffles, „Ich hatte früher geglaubt, Böhmen sei bereits germanisiert […] Mehr als zweihundert Jahre vereinigter Bureaukraten- und Jesuitenarbeit unter dem Absolutismus seit der Schlacht am Weißen Berge bis in das vierte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts hatten es ja zustande gebracht, daß die gebildeten Schichten der Czechen deutsch sprachen.“, weiters Imai-Alexandra Röhreke, Albert Schäfflers Wandlungsprozeß vom liberalen Zentralisten zum freiheitlichen Konservativen in Österreich, Wien  : Notring der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs 1971. 64 Jan Zouhar, České osvícenství a české národní obrození, in  : Philosophica XXXV, Osvietenstvo ako sposob myslenia, 1 2011, 99 –104. 65 Valentin Urfus, K vzájemnému poměru českého státoprávního programu a předbřeznové stavovské opozice v Čechách, Právněhistorické studie 13, 1967, 85–103.

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Die Neudefinition der Rolle des Adels ist sehr aussagekräftig für die Historisierung der Aufklärung und die Repristinisierung der Nation, die sich beide eben an der „Kultur“ verzahnen  : Es ist keineswegs zufällig, daß Graf Kaspar Sternberg in seiner in den 1830er Jahren in mehreren Überarbeitungsphasen redigierten Autobiographie die nationalen und nationalsprachlichen Beweggründe für die ständischen Proteste gegen die Reformen Josephs II. dick herausstreicht  : „Hier [in Prag] hatte der Druck, welchen Kaiser Joseph [II.] den Ständen empfinden ließ, einen Nationalismus erweckt, der lange geschlummert hatte. K[aiser] Joseph, der alles zentralisieren wollte, suchte auch die čechische Zunge zu unterdrücken  ; dieses Palladium der Nationalität lässt sich aber kein Volk rauben. Unverabredet hörte man in den Vorsälen bei Hofe alle, die der Muttersprache mächtig waren, böhmisch sprechen. Kaiser Leopold, dessen Regierung in Toscana ein für ihn günstiges Vorurteil verbreitet hatte, bemerkte sehr wohl die Lage der Dinge, und zeigte sich bereitwillig die Rechte der Nation zu schützen […]“.66 Vorbereitet wurde diese neue Rolle des Adels gerade auch durch Aufklärer, die über den Verlauf von Josephs Reformen enttäuscht waren, und weder der alten Adelsnation noch neuen revolutionären Konzeptionen der Volkssouveränität zuneigten  :67 Die Rede von der oft beschworenen „Entpolitisierung“ der frühfranziszeischen Regierungszeit trifft also nur zu, wenn man die Gegenrechnung aufmacht, und die Politisierung der Kultur berücksichtigt  : Für die spätauf-

66 Leben des Grafen Kaspar Sternberg, von ihm selbst geschrieben  : nebst einem akademischen Vortrag über der Grafen Kaspar und Franz Sternberg Leben und Werk für Wissenschaft und Kunst in Böhmen, hg. v. Franz Palacký, Prag  : Friedrich Tempsky 1868, 38, zit. in  : Miloš Řezník, Elitenwandel, tschechische Nationsbildung und der böhmische Adel, Historical Social Research, 33 [124], 2008, 63–81, 68. Vgl. kontrastiv das Landtagsdiarium von Kaspars Bruder Franz, Státní oblastní archiv v Praze, Státní okresní archiv Praha-východ se sídlem v Přemyšlení, Práškovu pozůstalost, karton 7, und Justin Václav Prášek  : Panování císaře a krále Leopolda II., Praha  : Kober 1904, 160–170. 67 Josef Hanzal, Příspěvek k ohlasu francouzských demokratických názorů v české právnické literatuře a publicistice, in  : Právněhistorické studie, 13, 1967, 63–84, allgemein Anna M. Drabek, Patriotismus und nationale Identität in Böhmen und Mähren, in  : Otto Dann/Miroslav Hroch/Johannes Koll (Hg.), Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reichs, Köln  : SH 2004, 151–170.



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klärerischen Patrioten und Gelehrten, denen die „Erblandenation“68 näher als der „Gesamtstaat“ lag, war also der Aufruf an den Adel, sich der kulturellen Verbesserung und Verjüngung der Nation zu verschreiben, und sich historisch mit Rekonversionen innerhalb der Familie ebenso wie mit früheren Rekatholisierungsaktivitäten auf den eigenen Gütern zu beschäftigen, eine sichere Alternative.69 Das bleibt über viele Jahre ein für die gelehrten Patrioten aufreibendes Unterfangen. Verstärkt wird das entstehende adelige Selbstbild des kulturellen Aktivisten durch das überzogen angewandte Modell eines sich seit spätestens 1809 auf seine Güter zurückgezogen habenden, gegen die Reaktion in einer „staatsfernen Sphäre“ wirkenden Aristokraten.70 Das so entstehende Set von identitären Substitutionen ermöglicht es dem Adel ja nicht nur, sich in einer reimaginierten nationalen Geschichte zu verorten  : Es kann auch dazu dienen, die Unzulänglichkeit der Breitenrepräsentation in den Landtagen argumentativ mit der Dürftigkeit ihrer Befugnisse zu verzahnen, und beides der „reaktionären“ Dynastie anzulasten. Der intellektuelle Umriss der Vormärzjahre ist dann schon gekennzeichnet durch jene ostentativen Positionsbestimmungen, wie sie Kaspar Sternberg in der Reinschrift seiner Erlebnisse der 1790er Jahre vornimmt. In Palackýs Geschichte der schönen Redekünste bei den Böhmen von 1826 steht der Adel bereits seit Jahrzehnten an der Spitze des kulturellen Aufschwungs.71 Dabei erwies sich faktisch gerade die Förderwilligkeit der „čechischen Zunge“, der in das Nationalmuseum integrierten Matice Česká, beim Adel als begrenzt.72 Die 68 Diesen guten Begriff entlehne ich bei Ilse Klausbruckner, Die Literaturgeschichtsschreibung der Erblande-Nation Österreich von 1750 bis 1830, Diss., Universität Wien 1981. 69 Etwa im Fall der Czernins Ondřej Franta (Hg.), Po stopách Dobrovského v deníku hrabéte Eugena Černína z Chudenic, Bratislava 3, 1929, 868–91. 70 Vgl. Christoph Thienen-Adlerflychts, Leo Thun im böhmischen Vormärz  : Grundlagen des böhmischen Konservatismus im Kaisertum Österreich, Graz  : Böhlau 1967, Geschichten anderer Häuser wie Hannes Stekl, Marija Wakounig, Windisch-Graetz  : Ein Fürstenhaus im 19. und 20. Jahrhundert, Wien  : Oldenbourg 1992, Ivo Cerman, Chotkové  : příběh úřednické šlechty, Praha  : Lidové Noviny 2008 (über den Vormärz leider nur sehr knapp), Adam Wolf, Graf Rudolf Chotek, k.k. österreichischer Staats- und Konferenzminister, in  : Sitzungsberichte der österreichischen Akademie der Wissenschaften, historisch-philosophische Klasse, 1852, 434–460, 443–444, ziehen diesen Pattern in Zweifel. 71 František Palacký, Simeon Karel Macháček, Geschichte der schönen Redekünste der Böhmen/ Dějiny česke slovesnosti, hg. v. Oldřich Kralik/Jiři Skalička, Ostrava  : Profil 1968, 64, 68. 72 Miloš Řezník, Elitenwandel, 71.

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kontrovers diskutierte Rolle des Adels als Garant oder Hindernis des „nationalen Erwachens“, korreliert mit und pars pro toto abgeleitet von seinem Widerstand gegen die „zentralistischen Bestrebungen“ des „Wiener Hofes“, durchzieht alle zentraleuropäischen Nationalhistoriographien.73 Diese Politisierung des Kulturellen entfaltete sich, wie Bolzanos Schüler Josef M. Fesl bemerkte, dank einer stupenden Mobilisierungsleistung  : Als Fesl 1849 Bolzanos Büchlein Über das Verhältniß der beiden Volksstämme in Böhmen herausgibt (übrigens garniert mit Franz Josephs Regierungsmotto auf dem Titelblatt), lässt er den Entwicklung seit den Jahren des Wiener Kongresses Revue passieren  : Bolzanos Schriften, meint der Herausgeber, passen heute vielleicht manchem Leser eher in das Wolkenkuckucksheim nostalgischer Völkerbrüderschaft als in die aufgewühlte Gegenwart  : „So kann es kommen, daß Bolzano […] manchem unserer Leser nicht mehr genügen werde. […] Der politische oder, wie es viele lieber hören, der literarische Begriff des Slaventhums, die Aussicht auf ein neues und volksthümliches Gemeindeleben, die Entfaltung einer historischen und Wissenschaftlichen Literatur, die zu selbständiger Geltung zu gelangen wünscht, sowie die verhängnisvolle Bedeutsamkeit, welche die Neuzeit überhaupt den Schlag- und Stichwörtern ‚Nationalität‘, ‚Gleichberechtigung‘ u.s.w. verliehen – das sind freilich Dinge, welche im Jahre 1816 dem Verfasser noch nicht so geläufig sein konnten, wie jenen, deren Beruf es war, sie allmälig in den Vordergrund der geistigen Bewegung zu drängen.“74 Die nationale Konzeption entstand zusehends in Abgrenzung von dieser 73 Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození, I, Kulturní a národní obrození šlechty české v XVIII. a první půli XIX. století. Jeho význam pro založení a počátky musea, Praha 1921, und Bd. 2 1923 sowie Bohuš Rieger, O poměru českých stavů k reformám poddanským za Marie Terezie, in id  : Drobné spisy. 2 Bde., I, Praha V komisi Bursík a Kohut, Nakl.Sborniku věd právních a státních, I, Praha 1914, 99–178, zuletzt Karel Sklenar, Obraz vlasti. Příběh Národního muzea, Praha  : Paseka 2001. Zu Ungarn vgl. Zsigmond Pál Pach, Antal Vörös, A Magyar Tudományos Akadémia másfél évszázada 1825–1875, Budapest  : MTA Könyvtára 1975, 122, Imre Fejős, József Korek, A magyar nemzeti múzeum története, Budapest  : Múzsák Közmüvelödési Kiadó 1985, Vgl. auch die anregende Überblicksdarstellung bei Marlies Raffler  : Museum – Spiegel der Nation  ? Zugänge zur historischen Museologie am Beispiel der Nationalmuseen der Habsburgermonarchie, Wien  : Böhlau 2008. 74 Bernard Bolzano, Über das Verhältniß der beiden Volksstämme in Böhmen  : Drei Vorträge im Jahre 1816 an der Hochschule zu Prag gehalten, Wien  : Braumüller 1849, 4–5. Steffen Höhne (Weimar) danke ich herzlich für den Hinweis auf Fesls Vorwort.



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positiven Identifikation des Gesamtstaats. Ein „Cichoriensurrogat“75 der Nationalität und Geschichtlichkeit, wie der Historiker Joseph von Hormayr schrieb, wird den Bürgern der Monarchie aufgetischt  : Die Habsburgermonarchie wirkt eingeigelt, die Segnungen fortschrittlicher Bildung aus dem Ausland werden den Bürgern vorenthalten. Kurzum  : Der Gesamtstaat hatte seine Reputation als „Culturstaat“ eingebüßt. Germanophile Liberale wie Leopold von Hasner, Anton Springer und Ludwig August Frankl beklagten dass nur gelegentlich ein durch die Jalousien der Zensur dringender „Strahl deutschen Geisteslebens“ sie erreichte.76 Sie sehnten sich nach einer Rückkehr zum josephinischen Projekt, das der Staat aus ihrer Perspektive zu seinem eigenen Verderben aufgegeben hatte  : Gerade die deutsche klassische Bildung, von der sich die Monarchie dem Verständnis dieser großdeutschen Liberalen nach abschottete, sollte hier als Veredelungsvehikel fungieren.77 Hier konnte eine kulturelle Superioritätsattitüde leicht in die Sendungsdoktrin der Weitergabe von Bildung und Kultur an 75 Baron Joseph Hormayr an Kaspar Graf Sternberg, 3. Februar 1829, zit. in  :Eduard Winter, Frühliberalismus in der Donaumonarchie, Berlin  : Akademie Verlag 1968, 114. 76 „Dort und da drang doch ein Strahl des deutschen Geisteslebens in unsere Kreise, dort und da fiel ein Wort in unsere Gemüter.“, Leopold von Hasner, Denkwürdigkeiten  : Autobiographisches und Aphorismen, Stuttgart  : Cotta 1892, 32. Eduard Hanslick, der ebenfalls im Vormärz in Prag aufwuchs, beklagt die dürftige Qualität des Griechischunterrichts am Gymnasium, und schließt mit einer interessanten Marginalie  : „Von dem eigentlichen Wesen des Griechentums, vom hellenischen Geist und seiner in unsere Klassiker hinüberleuchtenden ästhetischen Kraft erfuhren wir nichts.“, Eduard Hanslick, Aus meinem Leben, Berlin  : Allgemeiner Verein für Deutsche Litteratur 1894, I. Buch, 17. Adalbert Stifter schreibt über seinen Jugendfreund Anton von Spaun und dessen Beyträge zur Bildung für Jünglinge, die nach nur zwei Ausgaben ihr Erscheinen einstellten  : „Daß ihn der Sinn für Hebung der Menschen hauptsächlich beseelte, zeigte er schon in der Jugend, wo er mit gleichgesinnten Freunden eine Zeitschrift für Bildung der Jünglinge herausgab. Zwei Bände waren erschienen, als aber ein freisinniges bekanntes Oppositionsblatt in Weimar das Erscheinen dieser Zeitschrift als eine Morgenröthe deutscher Gesinnung in Oesterreich begrüßte, wurde Spaun durch ernste Drohungen an der Fortsetzung gehindert, und das Erschienene verschwand aus dem Buchhandel.“, Adalbert Stifter, Anton Ritter von Spaun, in  : Augsburger Allgemeine Zeitung, 7 November 1849, Beilage zu Nr. 311, 4833-34, 4833. In der Besprechung der Jenaischen Allgemeine Literatur-Zeitung, auf die sich Stifter zu beziehen scheint (in Kohlhäufl  : Poetisches Vaterland  : Dichtung und politisches Denken im Freundeskreis Franz Schuberts, Kassel  : Bärenreiter, 1999, 190), findet sich kein Hinweis auf die „deutsche Morgenröthe“. 77 Die Kontroversen über die Klassikrezeption im Vormärz als Kernanliegen der Gymnasialbildung jenseits der v.a. dominanten Erforschung der Goethe-Rezeption bedürften einer eingehenden Untersuchung.

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die weniger begünstigten, anderssprachigen Mitbürger umschlagen, wie sich im Jahr 1848 zeigen sollte. Unter diesen großdeutschen Liberalen, die sich selbstbewusst in die Fußstapfen Josephs II. treten sehen, bildet sich das Konstrukt des germanisierenden Programms des „Volkskaisers“ aus. Dagegen stehen Stimmen vornehmlich älterer noch in den 1770er und 1780er Jahren als Kinder oder Jugendliche aufgewachsener Protagonisten der tschechischen Intelligenz, die mit der Regierungszeit Josephs ganz andere Prioritäten der Freiheit des Geistes und Bekenntnisses verbinden.78 Ein hervorragendes Instrument, um das Fortschrittsmonopol des aufgeklärten Absolutismus zu desavouieren war, was man als „Protochronismus“79 bezeichnen könnte. Dies „protochronistische“ Argumentationsweise beruhte auf dem Nachweis, daß die Errungenschaften des späten 18. Jahrhunderts bereits Jahrhunderte zuvor von der jeweiligen Nation erfochten worden waren, aber durch äußeren Druck oder innere Spaltung verloren gegangen seien. Mehrere diskursive Ligaturen zeichnen sich hier ab  : Das Bild des Josephiners als eines anationalen Renegaten und die Beschäftigung mit der verlorenen, nationsadäquaten Staatlichkeit bzw. mit ihren verfassungsrechtlichen Residuen unter habsburgischer Herrschaft (das Thema der, wie Ludwig Gumplowicz schrieb, „ihres eigenen früheren Staates verlustig gegangene[r] Nationalitäten“).80 Das Aufgehen dieser Staaten im habsburgischen Herrschaftsbereich konnte nun als Verlustgeschäft gelten. In einigen Fällen wurde die habsburgische Dynastie nun als ein Hort der Finsternis beschrieben. Ein hervorragendes Beispiel ist das Denkmal Přemysls („des Pflügers“), das die Familie Nostitz 1841 in Královské pole, errichtete, ein anspielungsreiches Pendant zur Statue des pflügenden Joseph in Slavíkovice, das unterschwellig den Mythos des einzigartigen Wohltäters und beispielhaften Herrschers erschütterte.81 Man spricht von der glorrei78 Jan Jeník z Bratřice, Z mých paměti, Hg. by Josef Polišenský, Praha  : ELK 1947, 25–26, Eduard Bass, Ctenío o roce osmačtyřicátém, Praha  : Borový 1940. Josef Polišenský/Ella Illingova, Jan Jeník z Bratřice, Praha  : Melantrich 1989, 81–82, 85–86, 90. 79 Maciej Janowski, Three historians, in  : Central European University History Department Yearbook 2001–2002, Budapest  : CEU, 2002, 199–232. 80 Ludwig Gumplowicz, Das Recht der Nationalitäten und Sprachen in Österreich, Innsbruck  : Wagner 1879, 293. 81 Václav Burian, ,Z historie čtyř pomniků Josefa II. – Orače u Slavikovic’, Vlastivědny věstnik moravsky XII. Ročnik, Muzejni spolek v Brně, 1957, Christian D’ Elvert, Joseph II. huldigt dem



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chen Periode des vierzehnten Jahrhunderts, der Hussiten und der Böhmischen Brüder, deren Errungenschaften unter dem Mehltau des „barbarischen“ Barock verborgen lagen, aber nun mit neuer Glorie hervortreten würden  :82 Der „Geist“ der Nation erwies sich als unzerstörbar. Der aufgeklärte Absolutismus konnte, wie junge böhmische Liberale einhellig meinten, nicht die beschämende Verwüstung und Erniedrigung des 17. Jahrhunderts wettmachen. Die Frage, ob er dennoch als ein Traditionsreservoir gelten durfte, aus dem man für die kulturelle Regeneration schöpfen konnte, wirkte zwischen tschechischsprachigen und deutschsprachigen Protagonisten polarisierend. Allerdings vertrug sich die Kritik der Ersteren an der barocken Gegenreformation nach dem Weißen Berg sehr harmonisch mit der liberal-antiklerikalen Kritik der Letzteren am Ultramontanismus und dem römischen („wälschen“) Despotismus.83 In der Tat schöpften Moritz Hartmann und Alfred Meißner aus den gleichen Quellen wie ihre auf Tschechisch publizierenden Landsleute.84 Vom Standpunkt jener großdeutschen Liberalen, die wir oben erwähnt haben, waren diese Reminiszenzen unfreiwillig komisch, eine „Maskerade“, „aus dem Moder alter Jahrhunderte“ hervorgeschleppt.85 Isidor Heller, früher einer von Hartmanns engen Mitarbeitern, polemisiert 1852 gegen die „künstlich festgehaltenen Traditionen“  : „Das alte Österreich begünstigte die Maskerade der Nationalitäten in seinem InneAckerbaue, Notizen-Blatt der historischstatistishen Section der kais. königl. mährisch-schlesischen Gesellschaft zur Beforderung des Ackerbaues, der Natur- und Landeskunde, 1869, Beilage, No. 8, 62–65. 82 [Jakub Malý  :] Worte eines Čechen, veranlaßt durch die Graf Jos. Math. v. Thunsche Broschüre Der Slavismus in Böhmen, Leipzig  : Expedition der slavischen Jahrbücher 1845, 6. 83 Vit Vlnas, Der ,böhmische Barock’ und sein Bild in der historischen Tradition, in  : BayernBöhmen. Bavorsko – Čechy. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2007  : Zwisel, 25. Mai bis 14. Oktober 2007. Augsburg  : Haus der Bayerischen Geschichte 2007, 45–55. 84 Steffen Höhne, Öffentlichkeit und nationaler Diskurs im Vormärz  : Sprache und Kultur als Signifikanten nationaler Desintegration  ; Václav Maidl, Landespatriotismus, Nationalitätenwechsler und sprachlich-nationale Divergenz, beide in  : Steffen Höhne/Andreas Ohme (Hg.), Prozesse kultureller Integration und Desintegration  : Deutsche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert, München  : Oldenbourg 2005, 1-30 and 31–51, see also Alfred Meißner’s Žižka, zitiert 1897 von Josef Pekař in seinem Beitrag Die Böhmen als Apostel der Barbarisierung, Prag  : Bursik und Kohout 1897, 3, eine Gegenrede zu Theodor Mommsens Aufsatz in der Neuen Freien Presse, 17. Oktober 1897. 85 Isidor Heller, Sendschreiben eines Oesterreichers an die deutsche Nation, Leipzig  : G. Remmelmann 1852, 17.

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ren, um sie gegenseitig zu entfremden […] Das neue Österreich wirft alle trennenden Schranken nieder, und vereinigt die durch künstlich erhaltene Überlieferungen Geschiedenen zu einer einheitlichen Gesellschaft, zu gemeinschaftlichem Wirken für gemeinsames Wohl.“86 Das ist bereits der Ton des Neoabsolutismus. Die Thronbesteigung von Franz Joseph in Prag wurde mit einem vermeintlichen Museumsstück, der Krönungsoper Leopold II., La Clemenza di Tito gefeiert. Dieser Fürstenspiegel wird dem neuen Monarchen vorgehalten, um die Dämonen von 1848 zu bannen. Zugleich konnten Zeitgenossen die Aufführung als Paukenschlag für eine neue Ära des aufgefrischten aufgeklärten Absolutismus deuten.87

Zusammenfassung und Ausblick

War die Habsburgermonarchie also ein Imperium  ? Dagegen sind jüngst einige gewichtige Einwände erhoben worden  : Man hat auf die Verfassungsgerichtsbarkeit und Grundfreiheiten, die Erfolge lokaler sprachlicher Gleichberechtigung, auf den Parlamentarismus und die Wahlrechtsreformen des Fin de Siécle und des frühen 20. Jahrhunderts verwiesen, vor allem aber über die sich entwickelnde vielfältige Zivilgesellschaft.88 Die Brauchbarkeit der Kategorien des Imperienvergleichs für die Habsburgermonarchie ist in Zweifel gezogen worden.89 Die vorliegenden Ausführungen melden weniger Kritik an der Modernisierungsfähigkeit der Monarchie an, als vielmehr an der Vergleichsmatrix des „Imperiums“, oder anders gesagt  : an einem vermeintlich prä-analytisch vorge86 Isidor Heller, Sendschreiben eines Oesterreichers an die deutsche Nation, ebenda. 87 Vgl. Ludwig Finscher, ,La clemenza di Tito‘ in  : Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters. Hg. v. Carl Dahlhaus. Bd. IV. München  : Piper 1991, 334-335. 88 Gary B. Cohen, Neither Absolutism nor Anarchy  : New Narratives on Society and Government in Late Imperial Austria, in  : Austrian History Yearbook 29, 1998, 37–61, Ders., Nationalist Politics and the Dynamics of State and Civil Society in the Habsburg Monarchy, 1867–1914, in  : Central European History 40, 2007, 241–278, auch die neue Fallstudie über die Znaimer Region von Martin Markel, Svoboda a demokracie v regionu rakouského imperia  : Politika jihomoravských Němců v letech 1848–1919, Brno  : Nakladatelství Matice moravská 2011. 89 Pieter M. Judson, L’Autriche-Hongrie était-elle un empire  ?, Annales, Histoire, Sciences sociales, 63, 2008, 563–596.



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schaltenen Beschreibungsraster, das sich leicht als Prokrustesbett erweist, weil es ja das Muster des zu Erklärenden vorformatiert. Inwiefern der Hohenzollernstaat, das Romanovreich und die Habsburgermonarchie mit ihren sehr verschiedenen Strategien der Kohärenzstiftung, deliberativ-demokratischen Institutionen und sich eben im 19. Jahrhundert herausbildenden Szenarien des Begründungswissens des zentripetalen Prozesses, der das Staatsgefüge entstehen liess – die Rolle der Kultur und der Erzählung über die imperiale Zivilisierungsmission wurde hier angedeutet – sich sinnvoll vergleichen lassen, ist zu erproben. Ob sich als erkenntnisträchtige Vergleichsebene vielleicht nicht die Kulturpolitik der Zentralgewalt, sondern die Denkstile und Argumente der nationalkulturellen Absetzbewegungen von einem durch sie auch mitgeschaffenen imperialen Modell anbieten, ist eine gewichtige Frage, zu deren Auslotung die Aufsätze des vorliegenden Bandes beitragen. War die Monarchie ein Kulturstaat  ? Auch hier wird man Skepsis anmelden dürfen. Dass man die imperiale Repression seit dem Aufblühen der nationalen Lesart von Kultur eben zusehends über die Errungenschaften und Unzulänglichkeiten in diesem Bereich verhandelte, wurde oben gezeigt. Sowohl die von österreichischen postimperialen Phantomschmerzen verstärkte Nostalgie einer funktionierenden Zivilisierungsmission, als auch die aus nationalhistoriographischer Sicht im Rahmen der skizzierten Entwicklung vorgenommene Konstruktion einer konzertierten, anationalen Kulturpolitik können aus dieser Perspektive als überzeichnet gelten. Dieses Résumé soll keineswegs zu einer Repressalien und Schikanen leugneden Verklärung der Benevolenz des vormärzlichen Regimes beitragen  : Vielmehr soll es darauf hinweisen, wie „Kultur“ als Topos und Praxis im Diskurs der Protagonisten des Nationalen funktionierte und welche notwendige Surrogatfunktion das Szenario einer imperialen Kulturpolitik für die Mobilisierung von Zustimmung für das nationalsprachliche und nationalkulturelle Programm hatte  : Einerseits geschah dies durch die Bereitstellung eines recht änderungsresistenten Widerparts und Feindbildes der Dynastie  ; das führte auch zu einer retrospektiven Exklusion, die bestimmten Akteuren die Zugehörigkeit zum nationalen Erwachen absprach. Die Aktivitäten des katholischen Klerus für die Pflege und Ausbreitung der vernakularen Sprachen und die Beschäftigung mit der nationalen Geschichte wurden etwa, wie oben angedeutet, zusehends mit einem Geschichtsbild unvereinbar, das die Kirche

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mit der Dynastie argumentativ über den gegenreformatorischen Absolutismus verband. Noch bedeutender ist aber andererseits das argumentative Potential dieses Szenarios imperialer kultureller Unterdrückung für die von den Protagonisten der Nationalkultur angestrebte Entdifferenzierung der plurikulturellen Situation in der Region. Einer der bedeutendsten politischen Denker des 19. Jahrhunderts, József Eötvös, hat diese Entwicklung mit leicht melancholischer Tönung in seinem Hauptwerk Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts aus den 1850er Jahren präzise erfasst. Zunächst spricht Eötvös von einem dem nationalen Programm inhärenten Wiederholungzwang. Es sei unvermeidlich, daß die Nation nach Erlangung der ersehnten Dominanz ebenso diskriminierend gegen „Minderheiten“ wirke, wie, ihrem Gründungsnarrativ nach, der zuvor angeprangerte Gesamtstaat  : „Ueberall der Kampf um Gleichberechtigung, ehe diese erreicht ist  ; überall das Streben nach Herrschaft, wie man nicht mehr über Unterdrückung zu klagen hat.“90 Eötvös’ kritische Würdigung des Prestiges und der Sogkraft des Nationalen ist mit einer Rekonstruktion der Geschichte des aufgeklärten Absolutismus verbunden. Er zeigt dabei glasklar die Funktion des nationalen Imaginaires als Refugium auf  : Die von den Aktivisten der Nation aus kultureller und staatsrechtlicher und eben nicht privatrechtlicher Perspektive als mangelhaft empfundende Rechtsungleichheit machte die Nation unvermeidlich zur Zufluchtsstätte individueller Freiheit. Bei Eötvös ist diese Freiheit weder im historischen Staatsrecht noch im Bereich der privatrechtlich garantierten Freiheitssphäre lokalisierbar. Es geht ihm um die Möglichkeit des „self-government“, wie die anglophilen Reformer in den habsburgischen Länder es nannten, in einer Gesellschaft, die eben mehrsprachig und mehrkonfessionell ist, und deren Zwischengewalten „pouvoirs intermédiaires“, Gemeinden, Ständeversammlungen, Gilden, Zünfte, vom aufgeklärten Absolutismus radikal nivelliert worden waren. Das Prestige und die Plausibilität des nationalen Argumentierens ergibt sich für Eötvös aus eben dieser Doppelsituation  : Der Heterogenität der Region und der verordneten vertikalen Homogenisierung des Gesellschaftsgefüges durch den benevolenzdirigistischen Anstaltstaat des späten 18. Jahrhunderts. Wie auch für Alexis de 90 Joseph von Eötvös, Der Einfluß der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat, 2 Bde., Leipzig  : Brockhaus 1854, I, 52.



Imperium oder Kulturstaat?

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Tocqueville ist für Eötvös die Revolution lediglich der Kulminationspunkt des Absolutismus  : Nachdem vor 1789 die Individualität und bürgerliche Selbstbestimmtung ausgehöhlt worden war, errichtete die Revolution den Götzen der abstrakten Volkssouveränität auf den Trümmern des Ancien Régime. Für die hier präsentierten Überlegungen ist Eötvös bedenkenswerte Analyse ein gutes Schlusswort  : „Wenn wir nun Dasjenige, was vom 18. Jahrhundert bis jetzt geschehen ist, ruhig beobachten, jenen Eifer, mit dem man im Interesse der Gleichmäßigkeit jeder Eigentümlichkeit den Krieg erklärt hat, jene Beharrlichkeit, mit der man die Freiheit des Individuums (erst im Interesse der absoluten Monarchie, dann in jenem der Volkssouveränität) in jeder Beziehung der Staatsgewalt unterworfen hat, so wird man weder das durch den Druck erweckte Bewußtsein nationeller Eigenthümlichkeit noch die Thatsache bewundern können, daß sich das Streben nach individueller Freiheit eben in dieser Richtung am lebhaftesten geäußert hat. Bloß weil man in einzelnen Staaten die Freiheit des Individuums eben in Hinsicht jener Eigenschaften am meisten verletzt hat, die ihm als Glied eines Volkes zukamen, ist das Bewußtsein dieser Eigenschaften erweckt worden, und das Gefühl der Ohnmacht, welches jeder Einzelne der Staatsgewalt gegenüber empfinden muß, hat Alle dazu gezwungen, daß sie den Trieb nach freier Entwicklung eben in Hinsicht jener Eigenschaften zu befriedigen suchen, wo sie im Kampfe gegen den allgewaltigen Staat nicht vereinzelt stehen.“91

91 Eötvös, Einfluß, II, 52. Vgl. auch die ähnliche Rückschau eines anderen originellen Theoretikers des habsburgischen Staats- und Nationalitätenproblems, Adolf Fischhofs, der die Beobachtung mit einer Pointe über die Pluralisierung der „Völker“ in der betreffenden Epoche verbindet  : „Erblickte damals“, im späten 18. Jahrhundert also, „das Volk im zentralisirten Staate seinen Wohlthäter und Befreier, so sieht jetzt die Mehrzahl der Völker in ihm ihren Unterdrücker und Gegner.“, Adolph Fischhof, Oesterreich und die Bürgschaften seines Bestandes, Wien  : Wallishausser & Klemm 1869, 106.

Elisabeth Großegger

Kulturpolitik und Theater in der Reichshauptstadt Wien Die frühe und die verspätete kulturpolitische Mission des k.k. Hofburgund Nationaltheaters.

Das Theater nächst der Burg am Michaelerplatz

Das Wiener Burgtheater – so wie es seit dem 19. Jahrhundert umgangssprachlich verkürzt bezeichnet wird – verdankt seinen Namen der einstigen unmittelbaren Nähe zur kaiserlichen Residenz, der Hofburg. Und es entstand als Provisorium  : Da unter Kaiser Karl VI. die Ausbauten der Hofburg und die Gestaltung des Michaelerplatzes als „Einfahrtsplatzes [zur Hofburg] vom Kohlmarkt“ eingestellt worden waren, blieb das alte, architektonisch völlig unscheinbare Ballhaus aus dem Jahre 1530 erhalten.1 1741 erfolgte die Adaptierung des Innenraumes dieses Gebäudes zur Verwendung als Hoftheater. 1747/48 wurde ein Um- und Erweiterungsbau durchgeführt und eine zum Platz hin orientierte barocke Fassadenarchitektur angebracht. Während die habsburgischen Barockkaiser Feste und Theater als repräsentative Instrumente der anlassgerechten Machtdemonstration eingesetzt hatten, wies Joseph II. dem Theater im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle in einem neuen kulturellen Konzept zu. 1776 setzte Joseph II. ein kulturpolitisches Zeichen mit künstlerisch kreativen Auswirkungen. Er unterzog das jahrelang verschiedentlich verpachtete Theater einer Reorganisation. Von den drei Ensembles (der deutschen Schauspieler, der italienischen Sänger und der Tänzer) übernahm er die deutschen Schauspieler in den Hofdienst und wies ihnen das Theater nächst der Burg zu, das – nach kaiserliche Anordnung – „hinfüro das teutsche Nationaltheater heißen solle“.2 Auf den Theaterzettel wurde 1 Richard Bösel/Christian Benedik  : Der Michaelerplatz. Seine städtebauliche und architektonische Entwicklung, Wien  : Kulturkreis Looshaus 1992, 15. 2 Rudolf Payer von Thurn, Joseph II. als Theaterdirektor. Ungedruckte Briefe und Aktenstücke aus den Kinderjahren des Burgtheaters, Wien  : Heidrich 1920, 16. – Vgl. auch  : Roland Krebs,

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ab 1. April 1776 die neue Bezeichnung „im Nationaltheater nächst der Burg“ gesetzt. Joseph II. hatte das Theater mit der Fokussierung auf die Verwendung der deutschen Sprache in einen mit den damals neuen Ideen der deutschen Aufklärung belebten Kommunikations­raum eingebunden. In der Reihe der Nationaltheater-Gründungen des 18. Jahrhunderts – 1767 in Hamburg, 1773 in Schweden und 1776 in Wien – war Wien durch die monarchische Absicherung ein vielbeachtetes und langlebiges Modell. Diese Strukturreform setzte darüber hinaus ein symbolisches und machtpolitisches Zeichen in der territorialen Auseinandersetzung mit Preußen unter Friedrich II. Dessen Vorliebe für die französischen idées de la Lumière setzte man in Wien die jungen Ideen der deutschen Aufklärung entgegen.

Verwaltung der Hoftheater

Die gesamte Organisation des Wiener Hofes war vier obersten Hofämtern unterstellt  : Dem Obersthofmeisteramt, dem Oberstkämmereramt, dem Obersthofmarschallamt und dem Oberststallmeisteramt. Die mit diesen Hofämtern betrauten Personen versahen die oberste Hofverwaltung als Ehrendienst („Hofehrenchargen in berufsmäßiger Stellung“)  : Sie wachten über die Einhaltung der für alle Ressorts erlassenen Instruktionen und behoben eventuelle Mängel in der Organisation des Hofstaates nach Rücksprache mit dem Kaiser, dessen Befehle sie persönlich entgegennahmen und dem sie alleine unterstanden. Sie verfügten über hohes Ansehen und gesellschaftliche Macht.3 Während der Aufgaben­bereich des Obersthof­meisteramtes alle Fragen der Repräsentation und Überwachung des Personals umfasste, war das Oberstkämmereramt für die innere Hofhaltung und die persönlichen Bediensteten des Kaisers verantwortlich. Jahrzehntelang lag die Verwaltung der Theater in L’idée de „Théâtre National“ dans l’Allemagne des lumières. Théorie et Réalisation. Wiesbaden  : Harrassowitz 1988. 3 Werner Telesko/Richard Kurdiovsky/Andreas Nierhaus, Die Wiener Hofburg und der europäische Residenzbau in Mitteleuropa im 19. Jahrhundert. Monarchische Repräsentation zwischen Ideal und Wirklichkeit, Wien  : Böhlau 2010.



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den Händen des dem Obersthofmeister unterstellten Hofmusikgrafen  ; zur Zeit Joseph II. hatte der Obersthofmeister – Johann Joseph Fürst Khevenhüller (1706–1776) – auch die Funktion des Hofmusikgrafen inne. Nach dessen plötzlichem Tod übertrug Joseph II. seinem Oberstkämmerer – Franz Xaver Wolf Graf Orsini-Rosenberg (1723–1796) – (provisorisch) die Theaterleitung, ohne ihm den Titel eines Musikgrafen zu verleihen. Die oberste Leitung des Theaters ging damit 1776 vom Obersthofmeisteramt an das Oberstkämmereramt über. Dem Oberstkämmereramt untergeordnet blieben die Hoftheater bis 1867. Dies hatte Auswirkungen auf die nun als Hofschauspieler titulierten Theaterleute, die ab 1786 in besonders erfolgreichen Rollen vom Hofmaler Hickel portraitiert wurden und ab 1791 „nach dem für k.k. Beamte und Diener bestehenden Normale“ pensionsberechtigt waren. 4

Das Nationaltheater nächst der k.k. Burg

Joseph II. verstand seine Verordnungen für das Theater gleich zentral wie jene Reformen die er den Spitälern, den Unterrichtsanstalten oder den Strafhäusern angedeihen ließ. Neben den politischen Korrespondenzen mit dem russischen und französischen Hof und den Befehlen für die kommandierenden Generäle betreffen die kaiserlichen Handbillets auch detaillierte Anordnungen für sein Hoftheater. Bei Staatsbesuchen, wie jenem 1781 am Ende seines ersten Alleinregierungsjahres, zeigte Joseph II. seinen Gästen in Wien und Umgebung „alles, was hier sehenswürdig ware“  ; dazu gehörten die Museen (Bildergalerie, das Münz- und Medaillenkabinett), die Hofbibliothek, die Wagenburg, die Klöster, Kirchen und Schulen, die Kranken-, Invaliden-, Rekonvaleszenten- und Wai4 Eduard Wlassak, Chronik des k.k. Hofburgtheaters, Wien  : L. Rosner 1876, 68–70. – In der „Wiener Zeitung“ vom 12. November 1791 wurde veröffentlicht, „daß Seine Majestät die deutschen Hofschauspieler nach dem für k.k. Beamte und Diener bestehenden Normale für pensionsfähig zu erklären geruhet haben.“ In einem Handschreiben vom 21. Dezember 1792 ordnete der Kaiser jedoch an, „daß das bisherige Personale in Ansehung der Pensionen normalmäßig zu behandeln, dem neu aufzunehmenden aber zu bedeuten sei, daß sie auf Pension keinen Anspruch mehr zu machen haben, jedoch nach Maß ihrer Aufführung und zufriedenstellenden Dienstleistung durch mehrere Jahre und ihrer Verdienste überhaupt, im Falle der Dienstunfähigkeit auf eine angemessene Versorgung rechnen können.“

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senhäuser, das Tierspital, die Stadtbefestigungen und Wälle, das Hetzhaus und eben das erwähnte Nationaltheater. Für die Abendgestaltung im Theater hatte Joseph II. bewusst keine neuen Werke in Auftrag gegeben. Er wollte seinen Gästen – bei den nachweislich 32 Theaterbesuchen – die Vielfalt an Schauspielen, Tragödien, Singspielen, Balletten und Opern präsentieren, die das Repertoire seines Nationaltheaters bildeten. Das war ein in Bescheidenheit vorgeführter Reichtum als Gegengewicht zur barocken Usance der Auftragsvergabe, die im Lichte der Aufklärung als üppig und verschwenderisch erschien.5 In der theaterwissenschaftlichen Literatur wird gelegentlich die Frage gestellt, ob es sich beim Wiener Nationaltheater nicht um einen Mythos oder Etikettenschwindel handle.6 Doch dagegen sprechen neben der später noch näher erläuterten kulturellen Praxis und Rezeption die folgenden zeitgenössischen Quellen. „Das Nationaltheater, welches zugleich auch das Hoftheater ist“ notierte José Viera y Clavijo über seinen Aufenthalt in Wien Anfang der 1780er-Jahre in sein Tagebuch.7 Hoftheater war es durch die kaiserliche administrative und finanzielle Verwaltung, die allerhöchsten direktorialen Anordnungen und die Nähe zur Hofburg (mit direktem Zugang zu den kaiserlichen Logen). Zu den Koordinaten eines Nationaltheaters gehörten in der Auffassung des Jahrhunderts der Aufklärung neben dem umfassenden Schauspieler-Ensemble die Zusammenstellung eines Repertoires, eine Sammlung und wiederholte Vorführung von Spieltexten und vor allem ein Zielpublikum und dessen Bildung zu mündigen verstandbegabten Bürgern.

5 Elisabeth Großegger, „Christoph Willibald Gluck, der Besuch des Grafen Nord und die Wiener Theaterreform (1776/1781)“ in  : Daniel Brandenburg, Martina Hochreiter (Hg.), Gluck auf dem Theater. Gluck-Schriften Band 6. Kassel u. a.  : Bärenreiter 2011, 183–196. 6 Reinhart Meyer, „Die Idee eines deutschen Nationaltheaters“, in  : Alena Jakubcová u. a. (Hg.), Deutschsprachiges Theater in Prag. Begegnungen der Sprachen und Kulturen, Prag  : Divadelní Ústav 2001, 15–30. 7 Hans König, „Der Aufenthalt von José Viera y Clavijo in Wien in den Jahren 1780 und 1781“, in  : Wiener Geschichtsblätter 62/2 (2007), 1–32. Tagebucheintragung vom 20. Februar 1781, 18. – Zur vielfältigen Begriffs- und Funktionsbestimmung Vgl. Reinhart Meyer, „Das Nationaltheater in Deutschland als höfisches Institut. Versuch einer Begriffs- und Funktionsbestimmung“, in  : Roger Bauer und Jürgen Wertheimer (Hg.), Das Ende des Stegreifspiels. Die Geburt des Nationaltheaters, München  : Fink 1983, 124–152.



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Verpachtung des Hof- und Nationaltheaters

Mit dem Regierungsantritt Franz II. setzte eine Diskussion um die Verwaltung des Theaters ein  ; steigende Subventionen belasteten neben den Koalitionskriegen mit Frankreich die Staatskasse. 1794, am Höhepunkt der französischen Revolution, wurde das Theater, „der einzige Ort, wo ein öffentliches Verfahren zu finden ist, bestehe es auch nur im Abstimmen über Lob und Tadel“8 trotz breiter öffentlicher Sorge, dass das „bisher mit so vielem Ruhme bestandene Nationalschauspiel sodann vom erworbenen Glanze herabsinken würde“9 an einen kaisertreuen und vermögenden Privatier verpachtet  : Peter Edler von Braun (1758–1819) war k.k. wirklicher Truchseß und Bankier. 1788 hatte er auf Wunsch Josephs II. eine Seidenfabrik auf dem Schottenfeld bei Wien errichtet. In seinem Pachtvertrag erhielt er einen jährlichen Zuschuss von 40.000 Gulden auf zwölf Jahre zugesichert (§9 des Pachtvertrages) und war als Vizedirektor dem Oberstkämmerer unterstellt. Die Oberdirektion behielt sich die Zensur vor und die Aufsicht darüber, dass „nichts Gesetzwidriges und Unanständiges oder gar Zweckwidriges“ vorgehe. Mit Jänner 1795 wurde die Theaterzensur zusätzlich der Polizei Hofstelle übertragen.10 Durch die Verpachtung wird das Theater zum Betätigungsfeld aufklärerischer Eliten. Der Pächter versteht sich dabei in der Tradition der kaiserlichen Handlungen der vergangenen Jahrzehnte und versichert wie „Seine Majestät, so wie Höchstdero Vorfahren das Schauspiel für wichtig an[zu]sehen“ da „davon ein Theil der Volksbildung und der Ehre des Vaterlandes abhängen. Auch stehet gewiß die Kultur einer Nation mit der Vollkommenheit des Theaters in genauem Verhältnisse.“11 Baron Braun ging es um Mitarbeit am Staat. Sein Plan war es,   8 Heinrich Laube, „Theaterzustand. Leipziger Tageblatt (1832)“, in  : Alexander von Weilen (Hg)  : Theater­kritiken und dramaturgische Aufsätze von Heinrich Laube. Schriften der Gesellschaft für Theatergeschichte Band VII–VIII, Berlin  : Selbstverlag der Gesellschaft 1906, Band 1, 7.   9 Schreiben des als Hoftheaterdirektor amtierenden Johann Ferdinand Graf Kuefstein (1752– 1818) an den Oberstkämmerer, in  : Elisabeth Großegger, Pächter und Publikum 1794–1817. Das Burgtheater und sein Publikum Band 2/1–2, Wien  : Verlag der ÖAW 1989, 70–73. 10 „Unmaßgebliche Amts-Vorschrift für einen dramatischen Zensor in Wien besonders in den gegenwärtigen Zeiten“ von Franz von Hägelin 1795. Zit. nach Karl Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur. Jahrbuch der Grillparzer Gesellschaft. 7. Jg, Wien  : C. Konegen 1897, 298–340. 11 Majestätsgesuch des Pächters und Theatervizedirektors Baron Braun vom 6. August 1794, in  : Großegger, Pächter, 121–122.

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die Bühne „zur Schule des Patriotismus zu machen, Ruhe, Zufriedenheit, Liebe gegen den Fürsten, Ehrfurcht für die Gesetze durch das Schauspiel zu erwecken und zu verbreiten. Wer Ergötzung für den letzten Endzweck hierbey, nicht als ein Mittel zu höheren Endzwecken ansieht, der verdient nicht, daß sein Fürst ihm diese Gattung von Volksbelehrung und Volkserziehung anvertraue. […] Die Zufriedenheit meines Fürsten, der Beyfall edler Männer und mein eigenes Bewußtseyn dem Staate einen wichtigen Dienst geleistet zu haben, werden zugleich der Endzweck und der Lohn meiner Bemühungen seyn.“12 Während die napoleonische Kulturpolitik die Kunst in bisher nicht gekannter Weise als Propagandainstrument nutzte13, stehen sich Hoftheaterpachtung und übergeordnete Oberdirektion in Wien in der dualistischen Grundposition von Biedermeier und Vormärz (Ideal und Wirklichkeit) unversöhnlich gegenüber  : Der Hoftheaterpächter reklamierte in seinen Eingaben mehr Freiheit bei der Repertoiregestaltung, da das Theater – in der Idealvorstellung der Aufklärung – „überhaupt eine Schule der Sitten, der Bildung, des Geschmacks und des Herzens seyn soll und muß“.14 In den obersten Hofämtern stellte man sich jedoch immer öfter die Frage, „Ob das Theater eine wirkliche Sittenschule für eine fast zu viel aufgeklärte Nation abgeben könne  ?“15 Aus dem Bildungsinstrument des 18. Jahrhunderts wurde der gewünschte Aufenthaltsort, um die Bevölkerung von den Straßen und Wirtshäusern fernzuhalten. So lautete die einzige Anforderung an den Pächter anläßlich seiner Vertragsverlängerung „die Zufriedenstellung des Publikums“. Gleichzeitig wurden die Schauspieler – einst als Hofschauspieler mit Pensionszusicherung wertgeschätzt – „nur als Diener des Publikums betrachtet.“16 Als in den Wirren der ersten napoleonischen Besetzung Wiens (1805) der landesfürstliche Hofkommissär (und spätere Oberstkämmerer Rudolph Graf 12 Majestätsgesuch des Pächters und Theatervizedirektors Baron Braun vom 25. Jänner 1795, in  : Großegger, Pächter, 147–148. 13 Napoleon und Europa. Traum und Trauma. Ausstellungskatalog, München  : Prestel 2010. 14 Alleruntertänigstes Promemoria des Pächters und Theatervizedirektors Baron Braun vom 26. August 1803, in  : Großegger, Pächter, 282–286, hier 284. 15 Entwurf eines Vortrags des Oberstkämmerers vom März 1802, in  : Großegger, Pächter, 267– 268, hier 268. 16 Vortrag des Oberstkämmerers vom 12. Februar 1816, in  : Großegger, Pächter, 718–722, hier 719.



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Wrbna von Freudenthal (1761–1823)) in Abwesenheit des Kaisers den Pächter der Hoftheater mit großen Geldsummen (45.000 f ) unterstützte, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen „durch Unterlassung dieser Spektakel, auch nur ein Theil der bisher erhaltenen öffentlichen Ordnung und Ruhe aus etwa unreifer Sparsamkeit aufs Spiel [gesetzt zu haben]“17 sind die Theater zu einem zur Disziplinierung des Publikums gewünschten Aufenthaltsort geworden. In „Zeiten, wie die gegenwärtigen, wo so nachtheilige Leiden den Charakter der Menschen verstimmen, muß die Polizey mehr als jemals zur Zerstreuung der Staatsbürger auf jedem sittlichen Wege mitwirken. Die gefährlichsten Stunden sind die Abendstunden. Unschädlicher werden sie nicht ausgefüllt als im Theater.“18 Das Publikum, die Öffentlichkeit fürchtete man, der Pächter war ein willkommener Puffer zwischen Kaiserhaus und Volk. Wie schon zu Beginn der Verpachtung waren die Hofstellen 20 Jahre später immer noch der Meinung, dass „der allerhöchste Hof besonders in dem gegenwärtigen Zeitlaufe, nicht zugeben solle, daß einzelne Menschen, sich, weil sie im Theater zahlen, berechtigt glauben, über eine Sache, die auf allerhöchste Verfügung unternommen wird, ihr Mißfallen laut zu äußern.“19 Der Pächter der Theater bot dem Kaiser die Möglichkeit, sich zu distanzieren. Man konnte sich in Sicherheit wiegen, dass Publikumsreaktionen nie das Kaiserhaus, sondern immer nur die jeweilige PächterTheaterdirektion trafen. Die Kaiserin Maria Theresia wusste zu ihrer Zeit das versammelte Auditorium im Theater als Kommunikationspartner zu nutzen. Ihr Enkel Kaiser Franz II./I. mied diese Kommunikation und Konfrontation. Während die amtlichen Schriftstücke einer Kulturpolitik der Observation Ausdruck verleihen, werden öffentlich weiterhin die Gedanken der Aufklärung propagiert und die Bühne nach wie vor als „Schule des guten Tons und der Sitten“ bezeichnet.20 Diese Instrumentierung der Ideale der Aufklärung im Sinne einer obrigkeitlichen Überwachung erzeugt eine Leerstelle im Nationaltheater, die neu gefüllt wurde. Aus dem Nationaltheater der Aufklärung, dem utopisch inklusiven Instrument der ethischen Gestaltung der Gesellschaft wurde im lan17 Bericht des Hofkommissärs vom 30. Dezember 1805, in  : Großegger, Pächter, 323–325, hier 324. 18 Note des Präsidenten der Polizeihofstelle vom 27. August 1806, in  : Großegger, Pächter, 336– 338, hier 337. 19 Bericht des Oberstkämmerers vom 16. Juli 1813, in  : Großegger, Pächter, 584–587, hier 587. 20 Gesetze und Anordnungen für die deutsche Oper der k.k. Hoftheater, Wien  : Degen 1807.

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gen 19. Jahrhundert das Nationaltheater als ethnisch exklusives Instrument der homogenen Formung der Nation. In Wien war diese Instrumentierung durch das imperiale Gegengewicht weniger ausgeprägt, allerdings ließen sich immer wieder, verstärkt vor allem nach 1871, Beispiele bewusster Bezugnahme auf den deutschsprachigen Kommunikationsraum finden.

Repräsentative Kulturpolitik

Es waren die Pächter, die in ihren Eingaben die kulturpolitische Relevanz von Theater wiederholten  : auch wenn es innenpolitisch wichtig sei, „daß nach richtigen Polizey-Grundsätzen, das Volk von den Schenk- und Spielhäusern und den in selben gewöhnlich herrschenden politischen Kannegießereien ab, und in die Theater hingezogen werden solle“, so müsse man auch den repräsentativen Stellenwert der Residenz berücksichtigen und für das Zusammenkommen „so vieler Gesandtschaften und der zahlreichen ihr Geld hier verzehrenden Fremden“ entsprechende Theateraufführungen ermöglichen.21 Außenpolitisch allerdings sei  : „der Eindruck ferners [zu bedenken], den das hier Berührte auch auf das Ausland machen muß, wenn man in einer großen Residenzstadt wie Wien, ein ebenso schlechtes Theater wie St. Pölten oder höchstens Brünn besitzen sollte, – welches um so herabsetzender wäre, da diese Theater in Wien noch einmal dem allerhöchsten Hof gehören, Hoftheater sind, und unter Weiland Kaiser Joseph, das Theater in Wien das Beste in Deutschland war“.22 Franz II./I. hatte in den Wirren der napoleonischen Kriege die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation niedergelegt und sich zum österreichischen Kaiser ausgerufen. Der imperiale Kommunikationsraum blieb allerdings erhalten und das Hof- und Nationaltheater wurde kompensatorisch als „erste Schaubühne Deutschlands“23 erinnert. Seit 1807 fanden sich auch 21 Majestätsgesuch des Hoftheaterpächters vom 28. Dezember 1809, in  : Großegger, Pächter, 452– 456, hier 455. 22 Promemoria des Hoftheaterpächters vom 27. März 1810, in  : Großegger, Pächter, 472–474, hier 473. 23 Schreiben des Hoftheaterpächters an den Oberstkämmerer vom 31. August 1813, in  : Großegger, Pächter, 591–593, hier 592.



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die Dramen der Weimarer Klassik am Spielplan der Hoftheater. Genau zu diesem Zeitpunkt erfuhr der Theaterzettel eine markante Änderung  : Die nur mehr als Ortsangabe auf den Theaterzettel gesetzte Bezeichnung im Nationaltheater wurde durch im Theater nächst der Burg ersetzt. Am 1. August 1807 war im Nationaltheater die Oper Sargino gegeben worden  ; am 2. August 1807 setzte man im Theater nächst der Burg Schillers „republikanisches Trauerspiel“ Fiesco auf den Theaterzettel. Sollte durch die Eliminierung der Bezeichnung „Nationaltheater“ inhaltlich der für ein solches Nationaltheater erwünschte Spielplan ermöglicht werden  ? 1810 formulierte der Hoftheaterpächter zum ersten Mal den Anspruch des Burgtheaters als Bühne für hohe deutsche Literatur, die obwohl sie Zeitgenossen waren auch schon „Klassiker“ genannt wurden, und legte Egmont, Wilhelm Tell und Maria Stuart der Zensur vor. Gleichzeitig kam es mit einer Eintrittspreiserhöhung ab November 1810 zur Trennung von Schauspiel und Oper nach Spielorten  : „Um das deutsche Schauspiel als das eigentliche Nazional Spektakel dem Publikum so wohlfeil, wie möglich, zu verschaffen [hat man sich entschlossen] in dem Nazionaltheater nächst der Burg nur deutsche Schauspiele, in dem Theater nächst dem Kärntnerthor aber Opern und Ballette zu geben, dagegen aber auch im ersteren Theater geringere und im letzteren höhere Preiße festgesetzt.“24 Und die Wiener Zeitschrift Paris und Wien forderte dementsprechend „es möge nun an die Seite des Pächters auch der literarische Kopf treten, der dem Volk dafür verantwortlich wäre, daß endlich auch das beste Dramengut, das die Deutschen besäßen, von diesem besten deutschsprachigen Ensemble gespielt werde.“25

Kulturpolitik des Wiener Kongreß

Mit Joseph Schreyvogel (1768–1832) verfügte die Hoftheaterpachtung ab 1814 – gerade rechtzeitig vor dem Eintreffen der europäischen Regenten anläßlich 24 Schreiben des Hoftheaterpächters an den Oberstkämmerer vom 26. September 1810, in  : Großegger, Pächter, 490–491, hier 490. Allerdings handhabte man die Trennung nicht ganz strikt. Während des Wiener Kongresses war zeitweilig wieder gemischtes Repertoire anzutreffen. 25 Zit. nach Heinz Kindermann, Theatergeschichte der Goethezeit, Wien  : H. Bauer 1948, 220.

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des Wiener Kongresses – über den geforderten „literarischen Kopf“. Zur Ausgestaltung der Feier- und Festlichkeiten rechnete der Obersthofmeister, Fürst Ferdinand von Trauttmansdorff (1749–1827), zwar auf die Kooperation der Hoftheater, war allerdings nicht bereit zusätzliche Gelder für die Aufwendungen zur Verfügung zu stellen. „Der Hof ist unzufrieden und hat sehr unrecht. Gebt Geld, so könnt ihr Spektakel haben  !“ – notierte Schreyvogel in sein Tagebuch.26 Repräsentative Kulturpolitik oder auch nur ein Konzept wie diesem Ereignis Rechnung zu tragen wäre, fehlte gänzlich. Offiziell wurden die Hoftheater während des Wiener Kongresses von den Monarchen nicht besucht. „Alle hier befindlichen Fremden, höchsten und niedrigen Standes, äußern sich befremdend über den schlechten Zustand der Theater und können nicht begreifen, wie die Haupt- und Residenzstadt der Monarchie, keine besser bestellte Schaubühne, besonders im gegenwärtigen Augenblicke besitze.“27 1817 unterstellte der Kaiser die Theater wieder direkt der Hofverwaltung, das ganze Personal der Hoftheater stand nun wieder „unmittelbar in dem Dienste des allerhöchsten Hofes, an dessen Vergnügungen dem Publikum unter bestimmten Bedingungen und Vorschriften theil zu nehmen gestattet wird, in welcher Hinsicht die Hoftheater zugleich in die Kategorie einer öffentlichen, auf die Sittlichkeit und Bildung des Publikums berechneten Anstalt eintreten.“28 Zensur und Geheimpolizei waren zu diesem Zeitpunkt bereits so einflussnehmend ausgebaut, dass man die Kritik an einer vom Hof eingesetzten Praxis – wie es Graf Wrbna formuliert hatte – nicht mehr zu fürchten brauchte. Durch Zensurierung der über das Theater berichtenden Zeitschriften wurde jegliche öffentliche Kritik ausgeschaltet. 29 Im Wesentlichen blieb dies während des Vormärz so. Im Zuge der Umbrüche des Revolutionsjahres 1848 kam es zu einer neuerlichen Umbenennung des Hoftheaters am Theaterzettel. Heinrich Laubes Karlsschüler, ein an Schillers Jugendjahre angelehntes Drama, wurden im k.k. 26 Karl Glossy (Hg.), Joseph Schreyvogel, Tagebücher. 1810–1823. 2 Bde., Berlin  : Verlag der Gesellschaft für Theatergeschichte 1903, 40 (7. Oktober 1814). 27 Der Präsident der Polizei Hofstelle, Freiherr von Hager berichtet über eine Eingabe des Hoftheaterpächters am 30. September 1814 an den Kaiser, in  : Karl Glossy, Zur Geschichte der Wiener Theaterzensur. 1801–1820, Wien  : Konegen 1915, 176–178, hier 177. 28 Äußerung der k.k. Hofkammer-Prokuratur wegen Textierung der den Hofschauspielern auszustellenden Anstellungs-Dekrete vom 19. Juli 1817, in  : Großegger, Pächter, 804–806, hier 805. 29 Glossy, Theaterzensur (1897), 316 und Schreyvogel, Tagebücher (1903) I, 77 und 280.



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Hof- und Nationaltheater aufgeführt. Laube (1806–1884) stellte in Karlsschüler den „Schiller von Stuttgart, […] den Verfasser der Räuber und des Fiesko“ und folglich den Konflikt des Künstlers mit seinem regierenden Souverän auf die Bühne. Bei den Karlsschülern handelt es sich um die „Kollision der Werkproduktion mit der Staatsgewalt […] mit deutlichem politischem Gehalt, nämlich das Aufbegehren des schöpferischen Individuums gegen fürstliche Willkür und feudale Gewalt.“30 Kunst und Politik werden in struktureller wechselseitiger Überblendung vorgeführt. Die Aufführung im Burgtheater erzeugte im Publikum eine tumultartige Stimmung, der der im Theater anwesende Dichter mit Mäßigung und Vernunft entgegentrat. Sein maßvoller Umgang mit dem Publikum öffnete ihm die Tür zur Direktion des Burgtheaters, ab Neujahr 1850 war Heinrich Laube artistischer Direktor. Die Allgemeine Theaterzeitung führte die Bezeichnung k.k. Hof- und Nationaltheater als Titel ihrer Besprechungen bis Ende Februar 1852.31 Die Theaterpraxis ließ erst nach Wieder­eröffnung der Theater nach den Sommerferien im Juli 1852 die Bezeichnung vom Theaterzettel verschwinden. Ab 1. August 1852 wurde der bis ins 20. Jahrhundert übliche Name k.k. Hof-Burgtheater im Sinne einer Redimensionierung auf die topografische Lage verwendet. Diese auch den Flurbezeichnungen entlehnte Benennung wurde allerdings zur Marke und bereits 1874 dem noch in Planung befindlichen Neubau (damals am Franzensring, dem heutigen Dr. Karl Lueger-Ring) verliehen. Im Burgtheaterdiskurs der Folgezeit wird mit dieser Bindestrich-Identität – Hof-Burgtheater – bewusst gespielt  : das Hof-Burgtheater stand für den imperialen Anspruch, für das kaiserliche Theater  ; wenn allerdings nur vom „Burgtheater“ die Rede war, ging es um die bürgerliche Konnotation mit Verweis auf die inhaltliche Zielsetzung des einstigen Nationaltheaters. Anlassbezogen konnte die Benennung als „Burgtheater“ auch national konnotiert werden durch den Bezug zum gesamtdeutschen Kommunikations­raum. 30 Uwe Japp, Das deutsche Künstlerdrama. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart, Berlin 2004, X. Die Dramatische Insubordination 145–154, hier 147. Die Uraufführung hatte am 11. November 1846 (an Schillers Geburtstag) in vier deutschen Städten (in Dresden, Mannheim, München und Schwerin) gleichzeitig stattgefunden. 31 Adolf Bäuerle (Red.), Wiener Allgemeine Zeitung (früher Theaterzeitung), Nr. 50 (29. Februar 1852), 204.

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Elisabeth Großegger

Stadterweiterung als Kulturpolitik – Die Hoftheater-Neubauten

Der aufgeklärte Absolutismus Joseph II. hatte dem Hofburgtheater die bürgerliche Richtungsänderung gegeben, die im folgenden Jahrhundert ohne Zutun einer imperialen Kulturpolitik zu einem „Selbstläufer“ in der bürgerlichen Städtekonkurrenz wurde  ; im Einflussbereich der deutschen Aufklärung, überall dort wo diese Ideen zum Tragen kamen, hatte das Wiener k.k. Hof-Burgtheater Vorbildwirkung und führte zu einer tiefgreifenden Veränderung im gesamten Theaterbetrieb  : jede größere und auch kleinere Stadt Zentraleuropas sah im Burgtheater die vorbildlich verwirklichte Idee des Nationaltheaters, das „von den Völkern der Monarchie, ihrem Nationalcharakter gemäß, [sukzessive] nachvollzogen wurde.“32 Die das Kaiserhaus beratenden Hofämter hingegen hatten im 19. Jahrhundert eine nur wenig stringente „Theater-Politik“  : Der nach wie vor gültige imperial repräsentative Anspruch an die beiden Hoftheater war nicht an ein kulturpolitisches Konzept gebunden. Der kulturpolitisch herausragende Akt Kaiser Franz Josephs war die Errichtung der Ringstraße. Die Gestaltung dieser Straße, verbunden mit umfassender Bautätigkeit auch in anderen Teilen Wiens und der Monarchie, prägen bis heute das Stadtbild vieler Städte der einstigen habsburgischen Herrschaftsgebiete. „Die Reihe der glänzenden Monumentalbauten am Umkreis der Ringstraße begann mit einem großen Theaterbau, dem Opernhaus (1861 bis 1869) und schloß mit einem solchen ab  : dem Hofburgtheater (1888).“33 Im sogenannten „Stadterweiterungsdekret“ vom Dezember 1857, mit dem der Kaiser „die Auflassung der Umwallung und der Fortifikationen der inneren Stadt sowie der Gräben um dieselbe“ befohlen hatte, war lediglich die Errichtung eines neuen 32 Fritz Fuhrich, „Burgtheater und Öffentlichkeit von Laube bis Dingelstedt“, in  : Margret Dietrich (Hg.), Das Burgtheater und sein Publikum. I. Band, Wien  : Verlag der ÖAW 1976, 336. – Vgl. auch Dragana Dragosavac  : Die deutschsprachige Dramatik auf den Bühnen der südslawischen Nationaltheater von ihrer Gründung im 19. Jahrhundert bis zum Jahr 1918 und der Einfluß der europäischen Dramaturgie, 2 Bände Diss. Phil., Wien 1997. Und Reinhart Meyer, „Von der Wanderbühne zum Hof- und Nationaltheater“, in  : Rolf Grimminger (Hg.) Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution. 1680–1789, Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 3. München  : Hanser 1980, 186–216, bes. 209–210. 33 Josef Bayer, Das neue k.k. Hofburgtheater als Bauwerk mit seinem Sculpturen- und Bilderschmuck. Die Theater Wiens 3, Wien  : Gesellschaft für vervielfältigende Kunst 1894, 1.



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Opernhauses vorgesehen gewesen.34 Im Wettbewerbs­programm war die Erbauung eines neuen Hofschauspielhauses somit nicht ausgeschrieben  ; dennoch hatten alle Preisträger den Bau eines solchen vorgesehen  : alle diese Entwürfe sahen das neue Burgtheater in unmittelbarer Nähe der Hofburg (Siccardsburg und van der Nüll im Michaelertrakt, Ecke Schauflergasse, Ludwig Förster an Stelle der Stallburg und Friedrich Stache am Ballhausplatz)35. In einem einjährigen Meinungsfindungsprozess schließlich wurden die die Hofburg umgebenden Kunstinstitute (Hofoper, Hofmuseen und Hofburgtheater), ausgehend vom feststehenden Standort der Oper, in Äquidistanz zur Hofburg an der neuen Ringsstraße aufgereiht. Dem Burgtheater ist zur Hofburg eine gleich große Luftliniendistanz zugewiesen wie dem Opernhaus und den realisierten Standorten der kunst- und naturhistorischen Sammlungen.36 Die Baukosten der beiden Monumentalbauten, neue Oper und neues Burgtheater, waren aus dem Stadterweiterungs-Fonds zu decken, der aus dem Erlös der als Baugründe verkauften Glacisareale gefüllt worden war. Nach „Concurs Ausschreibung“ und Veröffentlichung des Programms für den Bau eines neuen Opernhauses vom 10. Juli 1860 durch das Obersthofmeisteramt37 erfolgte am 20. Mai 1863 die feierliche Grundsteinlegung, bei der man – einmal mehr – an die den Neubau begründenden Maximen der Aufklärung erinnerte  : „Seitdem das Streben überall ein lebendiges geworden, der darstellenden Kunst in ihrer vollen Bedeutung für Bildung, Sitte und Geschmack nach allen Seiten hin gerecht zu werden, trat auch in Wien das Bedürfnis immer dringender hervor, an Stelle der beiden Hoftheater, welche den Anforderungen der Gegenwart in keiner Beziehung mehr genügten, der Kunst neue, ihrer würdige Stätten erstehen zu lassen.“38 34 Elisabeth Springer, Geschichte und Kulturleben der Wiener Ringsstraße. (Die Wiener Ringsstraße II), Wiesbaden  : F. Steiner 1979, 94. 35 Fred Hennings, Zweimal Burgtheater. Vom Michaelerplatz zum Franzensring, Wien  : Donauland 1955, 37. 36 Über die ersten Pläne zur Errichtung eines neuen Hofschauspielhauses und den damit verbundenen Meinungsbildungs­prozess in den Hofämtern (1858) siehe  : Elisabeth Großegger, „Burgtheater und Hofburg. Eine ambivalente Beziehung von Nähe und Distanz“, in  : Georg Vasold (Hg), Die Hofburg und die Stadt. Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte. Innsbruck – Wien – Bozen  : StudienVerlag 2012 [in Druck]. 37 Wilhelm Beetz, Das Wiener Opernhaus 1869 bis 1945, Wien  : Panorama [1945], 23–52. 38 Beetz, Opernhaus, 33.

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Die als Monumentalbauten entworfenen Theatergebäude waren Ausdruck einer veränderten theatralischen Kunstgesinnung, denn sie positionierten die Theater „als eine große, öffentliche Angelegenheit der Nation“. Die Ausgestaltung der Fassade, die Monumentalität des Gebäudes galt als Ausdruck seiner „Bestimmung für allgemeine, volksthümliche Zwecke.“39 Durch den bildnerischen Schmuck der Fassadenarchitektur, „durch mythologische, allegorische, mit einem Wort durch menschliche Gestalten und Vorgänge [sollte nach Sempers Vorstellung] die ideale Bestimmung und Bedeutung […] plastisch sich aussprechen.“40 Ein Programm, ein Gedankenplan war gefordert, mit „Typen, an die sich eine bestimmte große Vorstellung knüpfte“ wurde es umgesetzt. Das Burgtheater schmücken neun Büsten der damals meist geschätzten Dichter  : Mit Calderon – Shakespeare – Molière verwies man auf den Welttheater-Spielplan  ; Lessing – Goethe – Schiller standen für die Anfänge des deutschen Nationaltheaters der Aufklärung  ; Grillparzer – Halm – Hebbel als viel gespielte Trias zeitgenössischer Autoren des Burgtheaters. Den Dichterbüsten wurden Bühnengestalten ihrer Werke als paarweise Zwickelfiguren zugeordnet. Über die gesamte Vorderfront verteilt schmücken im kollektiven Gedächtnis der Zeit verankerte Rollenfigurinen, Charaktertypen, Personifikationen der Gemütszustände sowie allegorische Gestalten die Fassade. Mit der Gründung eines „Baukomitees für die k.k. Hofmuseen und das k.k. Hofschauspielhaus“, dessen Oberleitung dem Ersten Obersthofmeister Fürst Konstantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst (1828–1896) übertragen wurde, trat der Burgtheaterneubau 1871 ins Stadium ernsthafter Planung. Grundsteinlegung und Baufortschritt verzögerten sich ab 1881 auch durch zahlreiche der Feuersicherheit geschuldeten Umplanungen41 dermaßen, dass sogar fotografische Aufnahmen des Bauplatzes untersagt wurden.42 Im Oktober 1888 erfolgte die überstürzte Übersiedlung. 39 Bayer, Theater Wiens III, 5. 40 Bayer, Theater Wien III, 63 41 Am 8. Dezember 1881 waren beim Brand des Ringtheaters mehrere hundert Menschen umgekommen. Das Unglück führte zu einer Reihe von sicherheitstechnischen Verordnungen, deren erste am 1. Juli 1882 mit Wirkungsbereich Österreich-Ungarn in Kraft trat. 42 Johann Schieder, Schlußschrift zum Burgtheaterneubau, eingereicht beim Landesgericht Wien am 31. Juli 1897, 300 S. – zit. nach Hennings, 63.



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Die Eröffnungsvorstellungen in beiden neuen Häusern, Mozarts Don Juan in der Hofoper (25. Mai 1869) und eine Collage (aus szenischem Prolog, Grillparzers Esther und Schillers Wallensteins Lager) im Hofburgtheater (14. Oktober 1888), enttäuschten das Publikum, weniger aus künstlerischen Gründen, sondern aufgrund einer Disharmonie von Inhalt und Form, von Aufführung und Theatergebäude. Der in seinem Historismus an die Antike angelehnte „Kunsttempel“ des Hofburgtheaters und der „Kunstpalast“ der Hofoper, dessen historisierende Anleihen bei der Renaissance genommen worden waren, – beide als Monumentalbauten entworfenen Theater – ersetzten Anspruchslosigkeit und bescheidene räumliche Verhältnisse des Kärntnertor­theaters und des Theaters nächst der Burg. Das alte Burgtheater hatte sich als langjähriges Provisorium alle Rechte eines Definitivums erworben. „Aus den zufällig gegebenen, räumlich beschränkten Verhältnissen des alten Theaters ergab sich eben als künstlerische Konsequenz jene discrete Art der Darstellung, die man dann als Burgtheaterstyl bezeichnete und so hoch rühmte.“43 Das Zufällige seiner Voraussetzungen wurde zum Dogma und zur Notwendigkeit erklärt. Erst 1897 – nach dem Tod des Obersthofmeisters Hohenlohe († 1896) – wurden zahlreiche, auch optische und akustische Mängel des Hauses durch einen Umbau behoben, wodurch die Identifikation des Publikums mit dem neuen Haus wuchs.

Erfindung der k.k. Generalintendanz

1867, zehn Jahre nach dem kulturpolitischen Akt der architektonischen Erweiterung Wiens, im Jahr nach der Niederlage bei Königgrätz und des Ausgleiches mit Ungarn wurde der kaiserliche Hofstaat einer Reorganisation unterzogen. Die Hoftheater wurden wieder dem Obersthofmeisteramt unterstellt, in dem – wie oben erwähnt – alle Fragen der Repräsentation kulminierten  ; eine neu geschaffene Generalintendanz wurde zwischen Obersthofmeisteramt und Theaterdirektion geschaltet. Die Aufgaben der Generalintendanz, die Oberleitung in artistischer, ökonomischer und administrativer Beziehung, schränkten jene des Theaterdirektors ein. Der Direktor wurde mit einer neuen Instruktion zu 43 Bayer, Theater Wiens III, 34.

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unbedingtem Gehorsam gegenüber der Generalintendanz verpflichtet und angewiesen „alle von daher an ihn gelangenden schriftlichen oder mündlichen Anordnungen zu befolgen.“ 44 „Er [der Direktor] hat sich vor allem gegenwärtig zu halten, daß das k.k. Hofburgtheater seit vielen Decennien unbestritten den obersten Rang unter allen deutschen Hoftheatern behauptet, und es faßt sich die Scenen seiner einzelnen Obliegenheiten in der Aufgabe zusammen, was Repertoire, Inscenesetzung und Aufführung des Bühnenwerkes betrifft, soweit es nach Maßgabe dieser Instruction an ihm liegt, dafür Sorge zu tragen, daß das k.k. Hofburgtheater in dieser seiner Würde erhalten, ja noch einer thunlichen weiteren Entwicklung zugeführt werde. Zu diesem Behufe ist zunächst nothwendig, daß anerkannte classische Bühnenwerke, seien es deutsche Originalwerke, oder bereits eingebürgerte, für die Bühne bearbeitete dramatische Dichtungen aus fremdländischen Literaturen, dem Repertoire erhalten bleiben und dem Publicum zeitweise vorgeführt werden.“ Nach Freuds psychoanalytischer Persönlichkeitstheorie läßt sich dieser zeitliche Zusammenhang als Sublimierung beschreiben  : Das ursprüngliche Objekt der Befriedigung (Königgrätz) wird durch ein höheres kulturelles Ziel ersetzt, „das weit davon entfernt ist ein direkter Ausdruck des Triebes zu sein.“45 Die Umleitung in einen neuen sinnvollen Kanal äußerte sich als kulturpolitische Sublimierung  : Der politischen Niederlage gegenüber Deutschland wurde die kulturelle Hegemonie entgegengehalten. Die Anweisung an Laube gipfelte in der alle Obliegenheiten subsummierenden Aufgabe, „den obersten Rang [der ihm anvertrauten Bühne] unter allen deutschen Hoftheatern“ zu erhalten und weiter auszubauen. Damit wurde seitens des Staates der zu Beginn des 19. Jahrhunderts erstmals von den Pächtern formulierte Anspruch des Burgtheaters als bestes deutsches Theater zur Staatsdoktrin erhoben, die bis ins 20. Jahrhundert auch von den Printmedien in der Beurteilung administrativer Entscheidungen und künstlerischer Leistungen verbreitet wurde. Auch die kakanische Marke (k.k. für kaiserlich-königliche) wurde 1867 einer Differenzierung unterzogen  : neben k.k. gab es neue Verwaltungseinheiten, 44 Franz Hadamowsky, Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs, Wien  : Jugend & Volk 1988, 388. 45 Lawrence A. Pervin/Daniel Cervone/Oliver P. John, Persönlichkeitstheorien, München  : UTB 20055, 134.



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die als k.  u.  k. (kaiserliche und königliche) bezeichnet wurden  : Dies waren die Außenpolitik, die Gemeinsame Armee und Kriegsmarine sowie die dazu nötigen Finanzen in den entsprechenden k. u. k. Reichsministerien mit Sitz in Wien (Realunion).46 Der Stellvertretende Obersthofmeister hatte dem Kaiser 1867 eine weitergehende Umbenennung vorgeschlagen, sie scheiterte allerdings – auch nach einem neuerlichen Anlauf 1885 – am Veto der vier obersten Hofämter, die eine sprachlich präjudizierte Spaltung des Habsburgerreiches befürchteten  : „Die Bennennung des kaiserlich und königlich könnte leicht dazu führen, daß nach und nach die Meinung entstehe, es ließe sich das kaiserlich auch praktisch vom königlichen trennen und daß sich dann einzelne der k. u. k. geheimen Räte, Kämmerer und Truchessen als kaiserlich österreichisch und andere als königlich ungarisch betrachten.“47 1889 schließlich traf der Kaiser eine Entscheidung und dekretierte mit allerhöchstem Handschreiben die Vereinheitlichung der Bezeichnungen48  : Anders als seine Hofstellen verstand der Kaiser das k. u. k. (kaiserlich und königlich) als übergreifenden Reichsbegriff, während er das k.k. (kaiserlich-königlich) auf die Reichshälften beschränkte. In der Folge wurde die Generalintendanz umbenannt auf k. u. k. Generalintendanz der k.k. Hoftheater bzw. als k. u. k. Direktion des k.k. Hofburgtheaters. War die Verwaltungseinheit dem Staatsganzen zugeordnet, so blieb das Gebäude der cisleithanischen Reichshälfte verbunden. Der 1867 ernannte General-Intendant, Eligius Freiherr von Münch-Bellinghausen (1806–1871), wurde auch mit der Zensur über die zur Darstellung bestimmten Bühnenwerke ad personam betraut, ihm oblag die „Beurtheilung des aesthetischen Wertes und der Bühnenwirksamkeit“. Die Generalintendantur war ermächtigt, „zur Vermeidung aller Weitwendigkeiten“ mit der PolizeiAbteilung unmittelbar zu verkehren.49 Deren Aufgabe umfasste „die einfache Erklärung, das Stück, wie es vorliege, sei zur Aufführung auf der Bühne unzulässig oder nicht.“ Die Erstellung einer Spiel-Vorlage, die die Zulässigkeitser46 Eva Philippoff, Die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Ein politisches Lesebuch (1867–1918), Villeneuve d’Ascq  : Presses Univ. Septentrion 2002, 60. 47 HHStA, OHMeA 1087 ex 1885, 1/ 2. 1503, 3. 48 HHStA, OHMeA 1169 ex 1889, Z. r 1/7. 5909, 2. 49 Note des ersten Obersthofmeister (Hohenlohe) an den Herrn Reichskanzler Freiherrn von Benzel vom 25. Juli 1867, HHStA, GI 171 ex 1898, Z. 308.

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klärung der Polizei erhalten würde, oblag der Theaterdirektion. 1898 ließ sich der neu ernannte Generalintendant, August Freiherr von Plappart von Leenheer (1836–1907), von der „Zensur der für die Hoftheater zur Darstellung bestimmten Bühnenwerke“ befreien. Sie wurde dem Leiter des literarischen Departements des Außenministeriums, Ludwig von Doczy (1845–1919), übertragen, einem auch am Burgtheater gespielten Autor, der „von nun ab von einer Aufführung seiner eigenen Werke am Hofburgtheater abzusehen“ hatte. Bis zu seiner Pensionierung 1910 sorgte der Hof- und Ministerialrat im literarischen Departement, Dr. Emil Jettel von Ettenach (1846–1925), der auch an den Lese- und Generalproben teilnahm, für die zensurgerechte Einrichtung der Spieltexte. 1918 wurde der letzte Generalintendant des Habsburgerreiches, Leopold Freiherr von Andrian-Werburg, wieder ad personam mit der Zensur betraut.

Die kulturpolitische Mission

Es blieb dem letzten Generalintendanten des Habsburgerreiches, Leopold Freiherr von Andrian Werburg (1875–1951) vorbehalten erstmals eine kulturpolitische Mission dieser k. u. k. Generalintendanz zu formulieren. Andrian resümierte in seinem Demissionsgesuch, er habe sich bei Übernahme der Generalintendanz als Ziel gesetzt, „die politische Mission des Allerhöchsten Kaiserhauses […] durch das künstlerische Medium des Hofburg- und Hofopern­theaters zu propagieren.“ Wäre dieser Vorsatz zwanzig Jahre früher gefasst und in die Tat umgesetzt worden, hätte dies den nationalstaatlichen Zerfall des Habsburgerreiches verhindert  ? Die Ereignisse des November 1918 kurz vor dem Zusammenbruch der Monarchie „haben es mit sich gebracht, dass eine Verwirklichung des mir vorschwebenden Zieles unmöglich oder in weite Ferne gerückt erscheint.“ Für die unmittelbare Zukunft empfahl Andrian die Abtretung der Theater an den Staat oder aber, um „dieses große Instrument künstlerischer und politischer Tätigkeit dem Allerhöchsten Kaiserhause zu erhalten“, die „Oberleitung dieser Institute in die Hände eines bürgerlichen Fachmannes zu legen.“50 50 HHStA, GI 424 ex 1918, Z. 4831.



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Als Joseph II. das an die Hofburg angebaute Theater 1776 unter Hofverwaltung stellte, wurden – in der Reorganisation – alle Parameter des der Aufklärung verpflichteten Nationaltheaters (Ensemble, Repertoire, Publikum und Bildungsauftrag) festgelegt. Durch die Verpachtung wurde das Theater Ende des 18. Jahrhunderts zum Betätigungsfeld aufklärerischer Eliten. Der Hof- und Staats­verwaltung diente die Aufklärungsideologie zu dieser Zeit lediglich als Vorwand. 1848 war in Erinnerung an die Regierungszeit Joseph II. das Theater nächst der Burg für wenige Jahre abermals und zum letzten Mal zum k.k. Hof- und Nationaltheater umbenannt worden. Unter Heinrich Laube als Direktor und durch die Macht der aufstrebenden Presse wurden Theaterabende zum diskursiven Betätigungsfeld der bürgerlichen Eliten. Die endgültige Umbenennung 1852 zum Hof-Burgtheater erreichte durch die Bindestrich-Setzung den Fortbestand einer Nationaltheater­ideologie unter der klandestinen Bezeichnung als Burgtheater. Das imperiale Hof-Burgtheater stand dabei nicht im Gegensatz zum ethnisch-nationalen Theater, die durch den Bindestrich gesetzte Grenzziehung verlief in Richtung des Bürgerlichen. Die kaiserliche Theaterverwaltung erkannte die Theater als Medien der „politischen Mission“ und „Instrument künstlerischer und politischer Tätigkeit“ erst spät, im Augenblick des Zusammenbruchs der Monarchie  ; es blieb der republikanischen Staatsverwaltung vorbehalten, das kakanische Erbe verfügbar zu halten. In den Gesetzen für den Weiterbestand der ehemaligen Hoftheater als Bundestheater nach 1918 ist der (auf die Aufklärungsideale Joseph II. zurückgehende) Bildungsauftrag des Burgtheaters festgeschrieben. Der republikanische Staat agierte kulturpolitisch durch Sinnstiftung ex post  : Der Ersten Republik galt Kultur als Legitimation und die Zweite Republik benützte Kultur als Identitätstopos.

Richard Wortman

Cultural Metamorphoses of Imperial Myth under Catherine the Great and Nicholas I

As the papers in this conference graphically indicate, high culture in the form of theatrical presentation assumed great importance for the Habsburg empire in the eighteenth and nineteenth centuries. Monarchies took on the role of “Kulturträger”, bringing civilization to their subjects, encouraging the arts as well as science and literature, asserting their membership in the community of nations that were heirs to great classical cultures of antiquity. In this way, they legitimized their sovereignty with a cultural genealogy reaching back to Greek and Rome, uplifting their subjects in the name of the general welfare.1 Russia followed the example of the Kulturstaat, but to a far greater degree the various cultural modes, theater, art, architecture and music appeared as frames of presentation of the mythology of autocratic power. They served as modes of display of each ruler’s scenario, lending his authority cachet and grandeur. This paper focuses on two such examples, Catherine the Great’s opera, “The Primary Reign of Oleg” (“Nachal’noe upravlenie Olega”), and Nicholas I’s publication of the Antiquities of the Russian State (Drevnosti rossiiskogo gosudarstva). Both works activated institutions of regulation and direction to further the goal of state monopolization of public representation, both used cultural modes to shape conceptions of the truth of Russia’s past as well as its mission. Impressed with his visit to Versailles in 1717, Peter the Great adorned his newly laid out Summer Garden with more than ninety statues acquired for him by his European ambassadors. There were busts of Alexander the Great, the Roman Emperor Trajan, several European kings, and numerous figures of seminude women symbolizing the secular virtues. Among them stood a statue of Venus, later called the Tauride Venus, which Peter obtained with great effort to rival Louis XIV’s Venus of Arles. Peter’s taste was for the practical and technical achievements of the West, not high culture. But, culture was a sign of empire 1 See the discussion of the Habsburg effort in this respect in the paper by Franz Leander Fillafer, Reichsidee und Zivilisierungsmissionen.

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and the power to think, to create, and to change. The ensemble made clear his determination both to appear as a Western absolute monarch and to mount an affront to Orthodox moral and religious sensibilities. His emblem was the myth of Pygmalion and Galatea, Peter as sculptor creating beauty out of stone. This display demonstrated to his nobility, now defined by service to the tsar and the state, that standing and power would be displayed by European appearance, behavior, and culture, which set them above the subject population and presented these officials and serf-owners as inhabitants of a higher world of grace and refinement. They would be known as the “well-born” Russian nobility, blagorodnoe dvorianstvo who would not behave like the peasants they were destined to rule. Their power derived not from feudal laws or privilege, but their service to the tsar, and as representatives of his authority, their performance as cultivated westernized noblemen, whose conduct distinguished them from the other estates of the realm. In this respect, Russia preserved the Baroque form of representation, the representative culture explored in the work of Jürgen Habermas and T. C. W. Blanning, a presumed initial stage of public expression that would evolve in the West into a public sphere. Festivities, Habermas wrote, “served not so much the pleasure of the participants as the demonstration of grandeur, that is the grandeur of the host and guests.” Aristocratic society “served as a vehicle for the representation of the monarch.”2 For both Habermas and Blanning Louis XIV’s Versailles exemplified Baroque representation. Blanning concludes “the representational display expressed in palaces, academies, opera houses, hunting establishments, and the like was not pure self-indulgence, nor was it deception  ; it was a constitutive element of power itself.”3 In Russia, culture remained a constitutive element of monarchical power until the demise of the regime. The adoption of western cultural forms maintained the images of transcendence that ensured the supremacy of the monarchy and the noble elite and the distance between them and the subject population. The act of borrowing and imposing forms of western representation produced what 2 Jürgen Habermas, The Structural Transformation of Public Sphere  : An Inquiry into a category of Bourgeois Society, Cambridge, Mass  : MIT Press 1989, 9–10. 3 T. C. W. Blanning, The Culture of Power and the Power of Culture  : Old Regime Europe 1660– 1789, Oxford  : Oxford University Press 2002, 59.



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Louis Marin described as a “doubling effect”, removing the monarch from his local confines and locating him in a universal sphere of irresistible and efficacious enlightened rule.4 The representation of the monarch remained paramount, transcending considerations of law, prudence, or rational argument, and shaping the practices and attitudes of governmental officials to accommodate a culture of power. As a result, rather than give way to an embryonic public sphere, representational culture preserved a dynamic of monopolizing public space and inhibited the spread of public discourse. Culture was put at the service of myth. Peter’s image was that of conquering hero, destroying the old and bringing new into being by acts of power and will. The past was submerged. Peter presented himself as Roman conqueror, an emperor, in the images of Julius or Augustus Caesar or Emperor Constantine, though these were metaphors and not grounds of descent or inheritance. His succession law replaced a disposition to hereditary succession with the monarch’s own designation not subject to legal constraint. Indeed, the weakness of a dynastic legal tradition, or dynastic legend after Peter, no matter how fanciful, created a need for new mythical genealogies attesting to the power of the transcendent monarch to conjure a dynastic national past suitable to absolute rule.5 The Habsburgs’ legend, “The Last Descendants of Aeneas,” persisted as a backdrop to their claims to imperial dominion. Russian monarchs engaged in an ongoing search for origins, whether in Rome, Byzantium, Ancient Greece, or among invading princes from Scandinavia, to provide renewed historical grounds for dynamic mythical reassertions of the right to absolute rule. The princes of Moscow had claimed the heritage of the Eastern Roman empire, Byzantium. Symbols and imagery of empire announced their parity with the West, the Holy Roman Empire. To match the seal of the Holy Roman Empire — a double-headed eagle — Ivan III introduced his own imperial seal — a crowned Byzantine double-headed eagle, with lowered wings.6 By assuming the titles of tsar (from the Greek tsesar) and samoderzhets (from the Greek autocra4 Louis Marin, Le portrait du roi, Paris  : Les éditions de minuit 1981, 10. 5 Richard Wortman, The Representation of Dynasty and “Fundamental Laws” in the Evolution of Russian Monarchy, forthcoming in Kritika, Spring, 2012. 6 Gustave Alef, The Adoption of the Muscovite Two-Headed Eagle  : A Discordant View, in  : Gustave Alef, Rulers and Nobles in Fifteenth-Century Muscovy, London 1983, Section IX.

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tor), Ivan declared himself a monarch independent of other earthly authorities. In the sixteenth-century, Russia adopted rituals of the late Byzantine coronation and devised “the legend of Monomakh,” which told of the acquisition of imperial Byzantine imperial regalia by Kievan Prince Vladimir Monomakh from the Byzantine emperor Constantine Monomakh. Peter the Great’s acceptance of the title of emperor (imperator) in 1721 indicated that he had assumed the attributes of a western emperor. He elevated his role as emperor with Baroque allegories and imagery that identified him with emperors of the Roman Empire, Eastern and Western, as well as pagan gods. Peter thus cast himself as founder, consigning the past to oblivion and leaving his successors without an origin tale for imperial authority.7 Both Catherine the Great and Nicholas sought to provide Russian monarchy with narratives that linked Russian Monarchy and the ancient world and presented Russia at the forefront of western civilization. They drew on the cultural resources of Russian resources of the monarchy to produce narratives that would define the heritage and mission of empire.

Theatrical Culture and the Greek Project

Although many of the first theaters in Russia were founded by entrepreneurs, both foreign and Russian, the monarchy under Empresses Elizabeth and Catherine assumed growing control over theatrical productions and took over or eliminated theaters. In 1756, Elizabeth brought the highly successful Iaroslavl’ company of the merchant and actor Fedor Volkov to Petersburg, and amalgamated it with the theater of the Noble Cadets Corps to establish a Russian Imperial Theater under the playwright and poet, Alexander Sumarokov. A Directorate was established in 1766 to exercise administrative control over the theaters. By the end of the century, aside from foreign troupes visiting the capital and Moscow, theater in Russia consisted of the Imperial Theater in Pe7 Olga Ageeva suggested that at the end of Peter’s reign empire meant little more than a state ruled by a monarch with the status and cultural pretensions of an emperor. O. G. Ageeva, Imperskii status Rossii  : k istorii politicheskogo mentaliteta Russkogo obshchestva nachala XVIII veka, in  : Tsar’ i tsarstvo v russkom obshchestvennom soznanii, Moscow 1999, 123.



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tersburg, which performed both for the court and public audiences and estate theaters of wealthy noblemen, their companies made up of serf actors.8 Centralization of bureaucratic control continued during the reigns of Paul I and Alexander I, though commercial theaters were permitted in provincial towns. During the 1840s and 1850s when theatrical events charitable concerts in gentry, merchant, and artisan clubs of the capital escaped the Directorate’s control, Nicholas I issued measures to eliminate these undertakings, and a law of 1854 established an absolute monopoly of administrative control of theatrical performances in the Directorate, which was confirmed by Alexander II in 1862.9 In the eighteenth and early nineteenth centuries, theater became the cultural medium par excellence of the Russian autocracy and serf-holding nobility, what Richard Stites has described as an “empire of performance.” The ethos of performance originating in the Baroque court assumed the character of an imperative. The monarch performed the role of a European monarch as a representation of absolute power. Russian noblemen, proving their status by their western behavior and tastes, reproduced the image of grandeur and power, what Yurii Lotman described as the “theatricality” of official life in Russia. The Directorate and the estate theaters were closely linked. Richard Stites wrote, “The Directorate leaders as serf-owners and owners of serf-theaters, tended to transfer the social hierarchies and disciplinary culture of regiment or estate to their serf-like underlings. In an interlock of state and manor house, performers flowed from the seigniorial home to the imperial stage and back again, blurring the distinction between public and private sphere.”10 Article 6 of Catherine’s Instruction to the codification commission she convened in 1767 proclaimed that “Russia is a European State,” and theater became her means to train the Russian nobility in western sociability and ideas. Elise Kimerling Wirtschafter has argued that the theater succeeded in playing an educational role and created a “pre-political literary public sphere,” among the Russian nobility. The themes of moral betterment dramatized on the stage   8 Murray Frame, School for Citizens  : Theatre and Civil Society in Imperial Russia, New Haven  : Yale University Press 2006, 22  ; Richard Stites, Serfdom, Society, and the Arts in Imperial Russia  : The Pleasure and the Power, New Haven  : Yale University Press 2005, 132.   9 Frame, School, 42–43, 48–50, 79–82  ; Stites, Serfdom, 398–99. 10 Stites, Serfdom, 135.

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led to the appearance of what she describes as a “civic society”, devoted to civic engagement, but not “a politically organized ‘civil society’ independent of the state.” The purpose of eighteenth-century theater was didactic, demonstrating common principles of behavior based on reason, reflected in personal virtue and shown to triumph over the snares of the vices, the products of desire. In this way, cultural modes “served an integrative function” and “the shared experience of Russian theater helped to institutionalize civic society.” Rather than breed criticism and discontent, the ideas professed in plays reconciled the elite audience with the existing monarchical order. Plays satirized individual greediness and the vanity of fashionable sociability, praised devotion to the patriarchal family, and above all service to the monarch and the fatherland. “The good monarch of the eighteenth century Russian stage displayed not only the uncommon virtue and courage needed to justify heroic stature but also the personal shortcomings and emotions of any human being.”11 Catherine actively participated in this culture, writing journal articles and plays professing the dominant principles of personal virtue. She also tried her hand at history, composing Notes on History and a history primer. As playwright, she could project her ideas into the past and create her own origin tales that would substantiate her dreams of imperial expansion and cultural parity of Russia with Europe. In 1786, after the victories over Turkey, J. J. Eschenburg’s German translations of Shakespeare inspired her to write two plays with historical themes, entitled “A Historical Performance, Without observing the usual Rules of Theater, from the Life of Riurik. An Imitation of Shakespeare” and “The Primary Reign of Oleg. An imitation of Shakespeare, Without Observing the Usual Rules of Theater.”12 Shakespeare’s plays inspired Catherine to ignore the classical unities of time, place, and action. “The Life of Riurik” recounts the founding episode of the Russian state — the summons by the leaders of Russian tribes to the Varangians 11 Elise Kimerling Wirtschafter, The Play of Ideas in Russian Enlightenment Theater, De Kalb, Il.  : Northern Illinois University Press 2003, ix–x, 29–30, 148–49, 172–73, 178–79  ; on advice literature concerning the good and bad monarch, see Cynthia Hyla Whittaker, Russian Monarchy  : Eighteenth Century Rulers and Writers in Political Dialogue, De Kalb, Il.  : Northern Illinois University 2003, 141–81. 12 Lurana Donnels O’Malley, The Dramatic Works of Catherine the Great  : Theatre and Politics in Eighteenth-Century Russia, Aldershot  : Ashgate 2006, 12  ; Sochineniia Ekateriny II, St. Petersburg  : Imperatorskaia Akademiia Nauk 1901, 2  : 219, 259.



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under years 860–862 in the Primary Chronicle  : “Our land is great and rich, but there is no order in it. Come to rule over us.” Catherine’s play glorifies Riurik, the first Russian prince, as a model of decisive action and efficacy. Riurik proves an energetic and able ruler in contrast to the Russian princes, who squabble amongst themselves and seem unable to exercise forceful rule. “Reason and courage overcome difficulties and obstacles,” says his stepson, Askold. Riurik replies, “My concern is to rule the land and to administer justice. For that reason I am dispatching the princes accompanying me as authorities to the towns,” a step that recalled Catherine’s provincial reforms of the previous decades. The plot dramatized the conquest motif of foreign rule according to the “Norman interpretation”, advanced by one school of Russian historians at the time, in a way that repeated Catherine’s own ascent as a foreign ruler taking power at a moment of political turmoil. The action also substantiated the premise of Peter’s Law of Succession that an heir to a throne should be appointed by the reigning monarch according to qualifications rather than determined by hereditary right.13 “Riurik” was never performed, but Catherine took great pride in “The Primary Reign of Oleg” (Nachal’noe upravlenie Olega). She arranged lavish operatic productions with great largesse and flair in 1791 and 1795, and three editions of the text in 1787, 1791, and 1793.14 Nachal’noe here carries the connotation of foundational, primary, as in the Primary Chronicle — Nachal’naia Letopis’ — not “early” as it has been translated  : indeed the events described took place in the middle, not at the beginning of Oleg’s reign (892–922).15 Specifically, it presented Oleg’s invasion of Constantinople, recorded in the Primary Chronicle under the years 904–907 and the capitulation of the Byzantine Emperor Leo as events establishing the foundation of Russian culture in Greece. It was not religious Byzantium but pagan Greece that appears in “The Primary Reign of Oleg.” His triumph occasions exultant pagan festivities.16 The emperor rejoices at his 13 O’Malley, Dramatic, 140–42  ; Sochineniia Ekateriny II, 2  : 232, 241–42. 14 O’Malley, Dramatic, 209. 15 The word is also used in article 603 of Catherine’s Nakaz, translated “nachal’nye osnovaniia” translated as “first foundations”. Slovar’ russkovo iazyka XVIII veka, Leningrad  : Nauka 1984, Vyp. 14, 101  ; W. F. Reddaway, Documents of Catherine the Great, New York  : Russell and Russell 1971, 303. I thank Andrei Zorin and Ernest Zitser for their advice on this question. 16 Sochineniia Imperatritsy Ekateriny II, 2  : 259–304.

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own defeat and welcomes the invading prince. “In this capital, with so renowned a guest, only happy celebrations shall occur, joyous exclamations, endless games, singing, dancing, merriment and gala feasts.”17 Catherine and Potemkin had in mind more than a justification for territorial expansion to the South. They had discovered a new destiny for Russia that they sought to anchor in a re-imagined narrative of Russia’s past. The conquest of Constantinople had been on Catherine’s mind from the beginning of her reign, encouraged by Voltaire in their correspondence. But at first Catherine had identified Greece and Constantinople with Byzantium, referred to it as Stambul, and had little inclination to favor the religious roots of imperial authority.18 By the 1780s, she had become entranced with Russia’s destiny as the heir to the pagan culture of ancient Greece. The Greek city states, Sparta and Athens, replaced the Byzantine capital as the sources of a Greek heritage for Russia. As Andrei Zorin has shown, this change reflected the influence of a group of noble poets and playwrights close to the throne who extolled the civilization of ancient Greeks after the initial victories over the Turks. Vasilii Petrov, a friend and protegé of Grigorii Potemkin, greeted Alexei Orlov’s naval victory with verse evoking the triumphs of the ancient Spartans, anticipating the revival of their martial virtues and evoking the worship of Catherine as Pallas in a Greek temple. Petrov’s rival, Vasilii Maikov, looked to the restoration of Greece’s golden age. Catherine would expel the Muslims and restore ancient Greece, “Russia shares a faith with Greece, Her laws too shall be the same.” The poet and playwright Kheraskov wrote that Russian victories had reawakened the Greeks’ dormant valor  : “There it seems Achilles and Miltiades arise, Now courage flames in Greek hearts, Greece will see Parnassus renewed.” Pavel Potemkin, a cousin of Grigorii, presented a similar theme in a verse drama, “Russians in the Archipelago.” The Greeks had “endured Christianity,” Alexei Orlov pronounces, and the Spartan general Bukoval replies “We, my lord, are the same as the Greeks once were, Your kindness and the heroism of Russian arms, Inspire in us all of our old traits.” Zorin suggests the likelihood that Pavel Potemkin’s work was known to his cousin, Grigorii, 17 Ibid., 295. 18 Andrei Zorin, Kormia dvuglavogo orla  : literatura i gosudarstvennaia ideologiia v poslednei treti xviii-pervoi treti xix veka, Moscow  : NLO 2001, 45–48.



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who shaped a political program from the “system of metaphors” devised by these poets.19 In this way, a noble literary elite served as a conduit to channel the western neoclassical topos to the throne to provide the basis for a new mythical configuration. “The Greek Project” not only justified and glorified the expansion to the south  : it evoked a mythical landscape that Catherine and Potemkin believed they inhabited and ruled. In 1774, they established a School for Foreign Youths in Petersburg for young Greek men, which in 1777 moved to the newly acquired Kherson on the Black Sea. Sites in the new territories received new names — Khersones, after the Greek Khersones, Odessa after Odysseus  ; Tauris, the Greek name for the district of the Crimea. The imperial theme was displayed repeatedly during Catherine’s journey through the conquered lands in 1787. The newly-founded city of Ekaterinoslav was to be a counterpart to Petersburg, a perfect imperial city, to show the monarch’s creation of a realm of cultivation and political order in Russia’s south a “new Russia.”20 Potemkin began construction on a cathedral that would be a replica of St. Peter’s in Rome. He intended to transport a gargantuan statue of Catherine from Berlin. Building materials had been assembled to construct court houses on the model of ancient basilicas, a propylaeum like that of Athens, and twelve factories. He appointed the Italian conductor and composer Giuseppe Sarti the director of a new musical conservatory in Ekaterinoslav. Russia, the bearer of civilization, was going to restore classical culture to the southern steppes. Catherine envisioned a restored Eastern Roman Empire that would rule the Mediterranean under Russian guidance. The scheme advanced a claim to parity with the Holy Roman Emperor, Joseph II, and lent a historical and sacral aura to the alliance between the monarchs that made possible the annexation of parts of New Russia and the Crimea.21 Catherine baptized her two grandsons, Alexander after Alexander the Great, and Constantine after the Emperor Constantine, though over the objections of their parents, Paul Petrovich and Maria Fedorovna. 19 Ibid, 53–59. 20 A. M. Panchenko, Potemskie derevni‘ kak kul‘turnyi mif, in  : XVIII vek, Leningrad 1983, 14  : 93–104. 21 Zorin, Kormia, 37–38  ; on the alliance between Catherine and Joseph II see Isabel de Madariaga, Russia in the Age of Catherine the Great, New Haven  : Yale University Press 1981, 387–90.

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Her expectation was that Alexander would become emperor of the Russia and Constantine of a resurrected Greek Empire centered in Constantinople. “The Primary Reign of Oleg” was a theatrical confirmation of Catherine’s vision of cultural affiliation with ancient Greece. She assured the reader of the historical truth of her play. “In this Historical presentation there is more truth (istina) than invention (vydumka).” She then went on to cite various historical sources at hand that freed her to embellish the past.22 The play gives the struggle in the south and Catherine’s appropriation of the heritage of ancient Greek an aura of historical inevitability and therefore truth. Catherine portrays Prince Oleg’s invasion of Constantinople, recorded in the Primary Chronicle under the years 904–907, as a cordial meeting between prince Oleg of Kiev and Emperor Leo. The play first recounts Oleg’s exploits — his founding of Moscow (  !), his marriage to a Kievan Princess, Prekrasa (most beautiful), and finally his foray into Constantinople.23 Oleg’s triumph occasions exultant pagan festivities. The emperor Leo rejoices at his own defeat and welcomes Oleg. “In this capital, with so renowned a guest, only happy celebrations shall occur, joyous exclamations, endless games, singing, dancing, merriment and gala feasts.” Prince Oleg watches martial games in the Hippodrome on a dais next to Emperor Leo and Empress Zoya. Hercules and the Emperor of Festivals appear at the celebrations, which are portrayed in dance and choruses, the music composed by Sarti. A performance of an episode from Euripides, “Alcestis,” a Shakespearian play within a play, begins the final scene. King Admetus of Thessaly graciously receives Hercules after the loss of his wife, a generous act of hospitality at a moment of loss, like Leo’s reception of Oleg. The play closes with Oleg’s leaving the shield of Igor in the Hippodrome for his descendants. The Emperor Leo declares him a wise and courageous prince. The shield of Igor is emblazoned with the iconic figure of St. George killing the dragon — the shield of Moscow that would appear on the breast of the double-headed eagle in the center of the Imperial Coat-of-Arms.24 In 1791, a cast of more than six hundred performed the extravaganza three times at the Hermitage Theater before the court and before the public and again 22 Sochineniia Imperatritsy Ekateriny II, St. Petersburg 1901, 2  : 261. 23 Sochineniia Imperatritsy Ekateriny II, 2  : 259–304. 24 Sochineniia Imperatritsy Ekateriny II, 2  : 294–304.



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in a 1794/5 revival. The production combined drama, music, and ballet, and, as contemporaries and critics have pointed out, was more of a lavish Baroque pageant than a Shakespearian drama. Heinrich von Storch wrote  : “The magnificence of the performance far exceeded everything I have ever beheld of this kind in Paris and other capital cities. The sumptuousness of the dresses, all in the ancient Russian costume and all the jewelry genuine, the dazzling luster of the pearls and diamonds, the armorial decorations, implements of war and other properties, the ingenuity displayed in the ever-varying scenery, went far beyond even the boldest expectation.”25 The Baroque luster asserted the reality of the narrative performed on the stage. Carl Masson admired “the great events of history introduced as in a picture on the stage.”26 The pastiche of drama, dance, and particularly music permitted a blanket assertion of a common culture linking the ancient Greeks with contemporary Russians. The sumptuousness of the “ancient Russian costume,” the overture by Carlo Cannobio, based on Russian folk songs and Sarti’s score for the Greek choruses reciting verses by Lomonosov, and the musical accompaniment to Alceste, all attested to a Russian national culture akin to the Greeks’. Before he arrived in Russia, Sarti had served as Kapellmeister in Copenhagen, where he had helped to establish the Danish Royal Opera, and he was brought to Russia clearly with a similar assignment in mind. “The Primary Reign of Oleg,” Maria Maiofis has shown, aspired to be a Russian national opera that would place Petersburg among the great European capitals.27 The artist, poet, and folk song collector, Nicholas L’vov asserted in his introduction to Sarti’s explanation of his music, that Russians must have borrowed their musical sophistication from the Greeks. “The voice of the passions served our untutored singers instead of knowledge. This notion is only regard to melody. How without study, guiding themselves only by ear, did they learn Harmony  ?” This he explained could come to them only by imitation. The similarity of these songs with the remnants of Greek music led him to conclude that they were borrowed from the ancient Greeks. “‘The Primary Reign of Oleg’ portrays nothing 25 O’Malley, Dramatic, 158. 26 Ibid., 166. 27 Maria Maiofis, Muzykal’nyi i ideologichestii kontekst dramy Ekateriny ‘Nachal’noe upravlenie Olega’, Russkaia filologiia 7 1996, 66–71  ; O’Malley, Dramatic, 156.

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other than the moment of this borrowing — leaving the shield of Igor as a sign of his stay in the Greek capital, Oleg at the same time preserved the memory of everything he saw there, of the Olympic games, the performance of ‘Alceste’, and of the music for it.” In his accompaniment to Alceste, Sarti sought both to follow Greek harmonic modes and yet to break with tradition in a way to show distinctive Russian variations. Instead of employing the two modes the Greek required for tragedy, Doric and Phrygian, Sarti utilized all seven that he knew, so that his music would not be “gloomy and sad.” 28 Although hardly a lover of music, Catherine admired Russian folk songs and dances, as well as “ancient Russian dress,” which demonstrated a cultural identity that could be admired, if not adopted by her multi-national nobility. She often cited the saying, “A people who sing and dance do no evil.”29 Catherine was proud of the many nationalities of her empire, which substantiated the imperial myth of ruler of savage peoples — what Victor Zhivov describes as the “ethnographic myth” of empire.30 Johann Gottlieb Georgi’s landmark fourvolume Opisanie vsekh obitaemykh v Rossiiskom gosudarstve narodov, compiled under Catherine’s sponsorship, confirmed that the Russian empire was the most diverse of empires.31 But, enlightenment would bring the elimination of national traits. Those at earlier stages, Georgi wrote, such as the Tungus, the Chukchhi, were ignorant, simple, and possessed a beguiling innocence. It was “the uniformity of State organization” that could transform all nationalities, into educated, Europeanized Russians. Catherine admired the illustrations of the varied native costumes to Geogi’s books by C. W. Müller, and had them reproduced as porcelain figurines. But the dancers in “The Primary Reign of Oleg,” 28 Maiofis, Myzykal’nyi, 68–70  ; O’Malley, Dramatic, 154  ; for a detailed discussion of the role of folk songs and other musical genres in “Oleg”, see Inna Naroditskaia, Bewitching Russian Opera  : The Tsarina from State to Stage, New York, Oxford University Press, 2012, Chapter 4. 29 Maiofis, Muzykal’nyi, 66. 30 “In geographical space the monarch emerges as the hypostatization of Mars, while in ethnographic space, the monarch appears as the hypostatization of Minerva.” V. M. Zhivov, Gosudarstvennyi mif v epokhu Prosveshcheniia i ego razrushenie v Rossii kontsa XVIII veka, in  : Vek Prosveshcheniia  ; Rossiia i Frantsia, Vipperovskie chteniia, Moscow, Gosudarstvennyi Muzei Izobrazitel’nykh Iskusstv, 1989, 22  : 150. 31 Opisanie vsekh obitaiushchikh narodov v Rossiiskom gosudarstve, St. Petersburg 1776–1777, 3 Vols  ; S. A. Tokarev, Istoriia Russkoi Etnografii, Moscow Nauka1966, 103.



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wearing only Russian costumes, made clear that it was Russians who would lead the others along the path of civilization.32

A National Opera and a Russian National Esthetic

When Nicholas I ascended the throne in 1825, he openly repudiated the cosmopolitan ethos expressed in Article 6 of the Nakaz and embraced by Alexander I that Russia was a European state. Nicholas’s decrees and ceremonies presented the dynasty as a national institution. His manifesto on the sentencing of the Decembrists announced that the failure of the uprising had demonstrated that the monarchy enjoyed the devotion of the Russian people. Nicholas sought to distinguish Russian monarchy, which he regarded as the supreme example of absolute monarchy, from European states, which had gone astray, seduced by liberalism and revolution. He too looked back to the summons to the Varangians as a foundational model of monarchical rule, only for him it represented the popular bases of absolute monarchy in Russia, an answer to the doctrines of popular sovereignty introduced by the French revolution. In a lecture, delivered in 1832, the historian Michael Pogodin declared, “The Varangians came to us, but voluntarily chosen, at least from the start, not like Western victors and conquerors–the first essential distinction in the kernel, the seed of the Russian State.”33 The Russian people had invited their rulers, had obeyed and loved them  : autocracy had popular roots. Sergei Uvarov provided this narrative with its ideological formulation of “Official Nationality,” expressed in the triad, “Orthodoxy, Autocracy, Nationality.” Nicholas realized Catherine’s dream of a national opera glorifying Russian monarchy. The composer, Michael Glinka, had intended to write an operatic version of the patriotic myth of the Russian peasant who sacrificed his life to save tsar Mikhail Feodorovich’s life by leading Polish troops astray. His initial title was “Ivan Susanin, a Patriotic Heroic-Tragic Opera”. He wanted the opening chorus to express the “strength and carefree fearlessness of the Russian people” and to 32 On the different images of “Russianness” in visual sources see, Elena Vishlenkova, Vizual’nyi iazyk opisaniia ‘russkosti’ v XVIII-pervoi chetverti XIX vv., Ab Imperio (3) 2005, 97–146. 33 M. P. Pogodin, Istoriko-kriticheskie otryvki, Moscow 1846, 6–8.

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achieve this sense musically, in “Russian measure and approximations” that were drawn from rural subjects. But Nicholas succeeded in having the librettist, Baron Egor Rosen, reshape the work into a story of personal devotion of the peasant to the tsar. Nicholas took an active interest in the opera and appeared at rehearsals. Instructions came from high circles in the government, probably from Nicholas himself, to change the title from Ivan Susanin to “A Life for the Tsar.” Glinka’s opera lifts the tale of Susanin from the level of heroic adventure to tragedy. Susanin’s noble sacrifice reflects the selflessness of his person, which embodies the features of the official image of the peasant, generous, devoted, and passionate. The entire plot centers on the peasants’ need for a tsar and the desperate feelings the peasants expressed when deprived of one. Though Glinka was hardly the first composer to introduce folk melodies into an operatic format, he was the first to integrate them successfully into a grand opera of European stature. The opera opened every season at Imperial Opera Houses and was played at gala performances for the emperors’ coronations and other festive occasions.34 But Nicholas’ principal esthetic interests were art and architecture not theater. As Grand Duke, he showed an interest in pre-Petrine church architecture. In 1817, at age twenty-one, he visited Patriarch Nikon’s New Jerusalem Monastery near Moscow, built from 1658 to 1685, and encouraged plans for its restoration. After he ascended the throne, just as he brought the political police and the work of codification under his personal purview in his chancellery, Nicholas watched over and directed the study and creation of art. A decree of February 9, 1829 announced that he was taking the Academy of Arts under his “special most gracious patronage” (osoboe vsemilostiveishee svoe pokrovitel’stvo). The Academy was removed from the Ministry of Education and placed under the authority of the Ministry of the Court, whose Minister reported directly to the emperor.35 34 Richard S. Wortman, Scenarios of Power  : Myth and Ceremony in Russian Monarchy, Princeton  : Princeton University Press 1995, 1  : 390–95  ; Richard Taruskin, M. I. Glinka and the State, in his Defining Russia Musically  : Historical and Hermaneutical Essays, Princeton, NJ  : Princeton University Press 1997, 25–47. It is interesting that the critic, Vladimir Stasov, detected a similarity between Russian folk melodies and Russian and Greek “medieval plagal cadences” in the famous Slav’sia chorus at the finale, much as L’vov had in Sarti’s score. Taruskin dismisses this contention as “pure tendentious invention.” p. 45. 35 The first Minister of the Court was Peter Volkonskii, a cousin of Alexei Olenin. Imperatorskaia sanktpeterburgskaia akademiia khudozhestv, 1764–1914  : kratkii istoricheskii ocherk, St. Petersburg



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Like Catherine Nicholas looked to the Eastern Roman Empire for the cultural origins of Russian autocracy and the derivation of his own myth of foundation. But Byzantium represented for him not the traditions of pagan Greece, but the purest form of absolute monarchy, supported by the Russian Orthodox Church, an alternative to the western political tradition. He too endeavored to construct an esthetic genealogy that would link the Russian state with Byzantium. He sought concrete expressions of such a genealogy in art, specifically in early Russian art and architecture. As tsar, Nicholas hoped to promote a national style of architecture by constructing copies of early Russian churches that incorporated principles of Byzantine architecture. But early Russian churches came in many shapes and sizes, and Nicholas lacked a clear idea of which style represented the true national tradition. In 1827, he began to seek designs for St. Catherine’s church in Petersburg and for the Christ the Redeemer Cathedral in Moscow, which had been planned in neo-classical style for Alexander I by the architect Alexander Vitberg. Nicholas asked for a building that “would attest to compatriots as well as to foreigners of the zeal of Russians for the Orthodox faith.” But the projects he received were designed in the spirit of neo-classicism. Nicholas had a vague sense, but not a clear idea, of “Russian taste,” and most of his architects could not fathom his intent. Although he was considerably more certain in his views than most Russian rulers, he too needed guidance in this sphere. It required an official of high standing, knowledgeable in the arts, but also with insight into the tsar’s inclinations and deft in his manner of discourse, an official who could “divine” and in that way deftly influence the imperial will.36 The person who had such talents and shared the tsar’s predilections for a national art was the President of the Academy of Arts as well as the Imperial Public Library, Alexei Olenin.

1914, 38  ; Mary Stuart, Aristocrat-Librarian in Service to the Tsar  : Aleksei Nikolaevich Olenin and the Imperial Public Library, Boulder, Colorado  : East European Monographs 1986, 137. 36 Mikhail Dolbilov has described the practice of “divining the imperial will,” (ugadyvat’ vysochaishuiu voliu) which all tsar’s ministers and advisors endeavored to master in the nineteenth century. “Divining the imperial will” could also involve subtle manipulation, planting ideas in the tsar’s mind while making him believe they were his own. M.D. Dolbilov, Rozhednie imperatorskikh reshenii  : monarkh, sovetnik i ‘vysochaishaia volia’ v Rossii XIX., Istoricheskie zapiski, No. 9 (127), 2006, 5–48.

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Like the poets and playwrights of Catherine’s court, Alexei Olenin served as an interlocutor, providing the cultural idiom to represent monarchical power. As a young man, he had been a fervent adept of the Greek Project and an admirer of the great German historian of ancient Greek art, Johann Winckelmann, so much so that he earned the sobriquet “the Russian Winckelman.” When the discovery of early Russian artifacts in the Crimea in the last decades of the eighteenth century provided evidence of direct contacts between ancient Greece and early Russian towns, Olenin became engaged in the publication and analyses of these findings.37 Olenin pursued his archaeological interests during the first decades of the nineteenth century when German scholars extended Winckelman’s concept of the range of ancient art to include monuments and everyday objects unearthed during archaeological excavations.38 He looked to articles of clothing to confirm the esthetic link to Greece. In the first decades of the nineteenth century, Olenin seized especially on old Russian helmets as symbols of Russia’s past that could lend neo-classical works of literature and art a Russian accent. He introduced helmets into his illustrations for such literary works as the plays of V. A. Ozerov, and the first edition of Pushkin’s “Ruslan and Ludmilla.” Olenin convinced painters and sculptors to depict Russian helmets in their works in the classical style, creating what his biographer Victor Faibisovich describes as “a Russian empire style.”39 Olenin’s efforts expressed a historicist sensibility that found national meaning in objects retrieved from the nation’s past. For Nicholas, such objects demonstrated Russia’s parity with European monarchies that enshrined their own medieval traditions. In 1843 when he and the Moscow Metropolitan Filaret were examining the recently discovered frescos in the Kiev Sofia cathedral, Filaret voiced doubt about the wisdom of further exposure of the frescos, which might reveal the practice of current old-believer rituals in Kievan Russia. Nicholas retorted, 37 Stuart, Aristocrat-Librarian, 12–19  ; V. Faibisovich, Aleksei Nikolaevich Olenin  : Opyt nauchnoi biografii, St. Petersburg  : Rossiiskaia natsional’naia biblioteka 2006, 246–49. 38 Suzanne L. Marchand, Down From Olympus  : Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750– 1970, Princeton, NJ  : Princeton University Press 1996, 10–11, 40–53. 39 Faibisovich, Aleksei, 270–73, 274–75, 279, 282–86, 339–42  ; Gosudarstvennaia oruzheinaia palata, Moscow  : Sovietskii Khudozhnik 1988, 162–63.



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“You love ancient times (starina), and I love them too. In Europe now the tiniest ancient thing is cherished. Nonsense. Do not contradict me.”40 Nicholas turned to Olenin for help in finding an architect who could design an early Russian church. Olenin recommended Constantine Thon, whose earlier work had been entirely in the spirit of neo-classicism. Thon too was bewildered by the tsar’s instructions. Divining the tsar’s vague intentions, Olenin directed him to sketches executed by his protégés, Fedor Solntsev and the architect N. E. Efimov.41 These served as guides for the plans Thon drafted for the St. Catherine’s church and submitted to the tsar in 1830. Nicholas was pleased, and the St. Catherine Church became the exemplar of the “Thon style,” which in 1841 would be decreed as the authorized style of Russian church architecture. Olenin had been consistent in his determination to find a Greek heritage for Russian monarchy and for a Russian art. Now in Nicholas’s scenario, he proved adaptable enough to submerge the original vision of the Greek Project to seek the sources of national art in the artistic heritage of the Eastern Orthodox Church. The “Thon style” combined neo-classical structural elements with the RussianByzantine design exemplified in the five-cupola structure of the Vladimir and Moscow Assumption Cathedrals. Thon’s Christ the Redeemer Cathedral and New Kremlin Palace both begun in the 1830s revealed the features of a new eclectic, neo-Byzantine style. The cathedral’s proportions and arcades as well as its cupolas were typically neoclassical  : it was the exterior’s design that asserted its Russian character. The New Kremlin Palace also followed the principles of neo-classical design and proportions. The interlace embellishments around its windows gave it a national touch. The juxtaposition of Western and Russian styles evoked the desired sense of connection Nicholas sought between the westernized monarchy and Russia’s distinctive past.42

40 Solntsev, Russkaia Starina, vol. XVI (1876), 290. 41 Thon had graduated from the Academy in 1815. His early projects had won Olenin’s admiration and he had recommended him for a stipend to travel abroad and study in Italy. Thon’s work had been entirely in the spirit of neo-classicism  ; he was well known for his project to restore the imperial palace on the Palatine hill in Rome. V. G. Lisovskii, Natsional’nyi “stil” v arkhitekture Rossii, Moscow 2000, 70–71. 42 See Wortman, Scenarios of Power 1  : 381–87.

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As director of the Academy of Arts, Olenin actively pursued the search for archaeological remnants of Russia’s archaeological heritage and the visual presentation served as signs of the narrative of descent from Byzantium. He found in Fedor Solntsev, the son of a serf, an artist who could exactly and effectively copy these artifacts. Solntsev’s first assignment in 1829 was to depict the “hoard of Riazan,” gold and bejeweled items of princely provenance that had been unearthed in the town of “old Riazan” in1822. In 1830, a petition of Olenin prompted a Supreme Command of Nicholas dispatching Solntsev to the Kremlin Armory in Moscow in order to “depict our ancient (starinnye) customs, dress, weapons, church and imperial paraphernalia, household goods, harness and other items belonging to the categories of historical, archaeological, and ethnographic information.”43 The command went on to specify that “everything that is worthy of attention and that constitutes historical material or an object of archaeological interest for scholars and artists be described in all detail and published.”44 Solntsev undertook numerous trips to the sites of early Russian history such as Vladimir, Iur’ev-Pol’skii, Riazan, and Novgorod, though his major efforts took place at the Kremlin in Moscow. He completed nearly 5,000 drawings and watercolors, what G. I. Vzdornov described as “a kind of encyclopedia of Russian medieval and national life in its concrete monuments.”45

Fedor Solntsev and the Antiquities of the Russian State

The inclination to use art to bring together the diverse, to make the mutually exclusive complementary in the name of nation, culminated in the great compendium of Solntsev’s drawings and watercolors, the Drevnosti rossiiskogo gosudarstva, the Antiquities of the Russian State. Olenin and Nicholas had intended such a publication as early as 1830, as suggested in the tsar’s Supreme Command of May 9, 1830. But other projects and technical obstacles delayed 43 Solntsev, Russskaia Starina, vol. XV (1876), 634  ; Stuart, Aristocrat-Librarian, 107. 44 A. N. Olenin, Arkheologicheskiia Trudy, St. Petersburg  : Imperial Academy of Sciences 1881, 1  : xxvii–xxviii. 45 G. I. Vzdornov, Istoriia otkrytiia i izucheniia russkoi srednevekovoi zhivopisi  : XIX vek, Moscow  : Iskusstvo 1986, 29.



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the project. In 1841, Olenin submitted a proposal for a publication with broad ethnographical and historical parameters, supplemented with extensive scholarly commentaries. The title indicated that it was meant “for artists,” suggesting that it would also provide models for them to follow in developing a national artistic idiom.46 But Olenin’s vision of a national artistic summa with a scholarly ethnographic commentary was not to be realized. After his death in 1843, Nicholas appointed a committee under his own supervision to direct the project, which he supported with a princely grant of approximately 100,000 rubles. The six volumes of Solntsev’s illustrations that resulted appeared between 1849 and 1853 in an edition of six hundred copies in both Russian and English. Owing to the emperor’s generosity, they were produced with the latest techniques of color lithography. Just as the codification and the publication of The Complete Collection of Laws, issued by imperial command during the previous decade, brought together and made known laws issued by the Russian monarchy and thus defined a national legal tradition, the Drevnosti assembled the artistic works of Russia’s past to make known the artistic heritage of the dynasty. The work that appeared was not the scholarly study that Olenin had contemplated. The members of the committee, Michael Zagoskin, Ivan Snegirev, and Alexander Vel’tman, who supervised the introduction and commentaries of the text, were prominent authorities on early Russian history and archaeology and adepts of the doctrine of Official Nationality. The introduction noted that the committee had abandoned Olenin’s plans for “scholarly investigations” and “a purely ethnographic compilation of the antiquities of Slavonic tribes in contact with other peoples.”47 The commentaries resurrected the scheme of the sixteenth century “Tale of Monomakh” — which, according to the legend had been received by Prince Vladimir Monomakh (1113–1125) from his grandfather, 46 The purpose was “to make known, in all their detail and idiosyncratic aspect our ancient mores, customs, rites, ecclesiastical, military and peasant dress, dwellings and buildings, the level of knowledge or enlightenment, technology, arts, trades, and various objects in our society.” Olenin, Arkheologicheskiia trudy, 1  : xxviii  ; Stuart, Aristocrat-Librarian, 108  ; Solntsev, Russkaia Starina, vol. XVI (1876), 280–81. 47 Drevnosti rossiiskago gosudarstva, Moscow  : Tipografiia Aleksandra Semena 1849, III. (Separate paginations for several introductory sections of the book)  ; Stuart, Aristocrat-Librarian, 108– 109.

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the emperor Constantine Monomakh (1042–1055), who had died long before the Prince’s reign. (The original Monomakh Cap is thought to be of fourteenth century and possibly Tatar origin.)48 They modified the tale by adducing vague references to gifts of the emperor to Russian princes and thereby set the paintings of the antiquities in a narrative of dynastic continuity that linked the tsars of Moscow with their Kievan ancestors and the emperors of Byzantium. The illustrations are divided by category — religious objects, regalia, weapons, portraits and clothing, artistic versions of household implements, and examples early Russian architecture — with brief commentaries on the individual items.49 But the dominant presence throughout is the dynasty and its predecessors. The Drevnosti include numerous renderings of “the regalia of Monomakh” —, the Monomakh Cap, the orb and scepter — which were replaced by Peter the Great at his coronation of Catherine I in 1724. Eight of the watercolors show variants of the Monomakh cap. (Figure 1, see end of the article) The commentary tries to prove the substance of the “Legend” by contending that Saint Vladimir received a golden “cap” after his conversion in 989 from the Byzantine emperor and that Constantine Monomakh had made a gift of regalia to the Russian princes.50 After the election of Mikhail Fedorovich tsar in 1613, new “Grand Regalia” (bol’shoi nariad) displayed symbolic lineage to the defunct dynasty of Riurik, which had begun with the “invitation to the Varangians” in 862 and ended with the death of the tsarevich Dmitrii in 1598. The Drevnosti include pictures of the orb and scepter of Mikhail’s regalia, which were fashioned by European craftsmen in the style of the Baroque “treasury art,” exhibited in European palaces during the seventeenth century. Nonetheless, the authors of the commentaries explained the orb and scepter as “Greek work” and “a valuable memento of the tenth cen48 On the oriental origin of the cap, see G. F. Valeeva-Suleimanova, Korony russkikh tsarei — pamiatniki tatarskoi kul’tury, in  : Catherine Evtuhov/Boris Gasparov/Alexander Ospovat/Mark Von Hagen (Hgg.), Kazan, Moscow, St. Petersburg  : Multiple Faces of Empire, Moscow  : O.G. I. 1997, 40–52. 49 The first volume includes religious objects — icons, pectoral crosses, vestments of the clergy, and chrism dishes. The second is devoted to regalia and articles figuring in the sacralization of the tsar, the third to weapons, armor, carriages and saddles, the fourth to portraits and clothing, the fifth to household items such as cups, wine bowls, and flasks, and the sixth to old Russian architecture. 50 Drevnosti, viii–ix.



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tury.” In 1627, European craftsmen working in the Kremlin produced a Baroque version of the original Monomakh cap.51 Just as Catherine’s lush pageantry embellished the tale of Oleg as historical truth, the Baroque extravagance and mixture of classical and national elements impart a persuasive force to Solntsev’s art. The idiom associating the diverse objects was a style of dense, lush, decoration, what William Craft Brumfield has called “Muscovite ornamentalism,” which owed much in inspiration to the East and Central European Baroque.52 As in Catherine’s play, the magnificence is expressed as artistic profusion or excess. In this respect, excess was not only a prerogative of absolute power  : its unapologetic display indicated the power of the ruler to define the culture, the past, and therefore the future of the monarchical state.53 The Drevnosti provides numerous illustrations of weapons and particularly helmets that belonged to Russian princes and tsars.54 They also depict the lavish embellishment of the household and religious belongings of members of the ruling family. An inkwell of Tsar Michael Fedorovich and Gospel Cover of Natalia Naryshkina, the mother of Peter the Great, are striking examples. “The entire surface of the front [Gospel] cover is so lavishly studded with gems that it seems they merge into a single mass,” the commentary reads.55 Like Catherine and Olenin, Solntsev viewed dress as an expression of national character. The dense and ornate design of the attire he painted in the Drevnosti establishes a connection between diverse social classes as well as between distant historical periods. The luxurious clothing of the tsars and boiars shares the decorative richness of the holiday costumes of peasant women. (Figure 2, see end of the article) Both groups are placed within 51 Gosudarstvennaia oruzheinaia palata, 347–49  ; Drevnosti rossiiskago gosudarstva, Section 2, 34, 51. 52 William Craft Brumfield, A History of Russian Architecture, Cambridge, UK, Cambridge University Press,1993, 149–50. 53 See the suggestive remarks on excess in monarchical art in  : Randolph Starn/Loren Partridge, Arts of Power  : Three Halls of State in Italy, 1300–1600, Berkeley, Ca., University of California Press, 1992, 166–74. 54 For a more extensive analyses of Solntsev’s watercolors and additional illustrations see “Solntsev, Olenin, and the Development of a Russian National Esthetic,” in Cynthia Hyla Whittaker, ed., Visualizing Russia: Fedor Solntsev and Crafting a Natural Past, Leiden: Brill, 2010, 30–40. 55 Drevnosti, Section 1, 118–19.

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elaborate interlacing frames reproducing motifs from ancient manuscripts. They appear in a single artistic space of Russianness, overcoming the social distance imposed by the western dress adopted and imposed by Peter the Great. If the Drevnosti demonstrates the ties of nineteenth-century monarchy with Muscovite past, the esthetic idiom introduced by Solntsev brought together everything from a jewel studded imperial crown to peasant folk costumes in a visual statement of “Russianness” — a symbol uniting state, monarchy and people. The editor of the journal Russkaia Starina, M. I. Semevskii, in his tribute to Solntsev wrote that his works “awakened Russian artists’ feeling of national self-consciousness and respect for models bequeathed to us by our forefathers.”56 The resplendent array of intricate and dense multicolored design gained broad appeal as an expression of one distinctively Russian esthetic that would later provide the basis for the emergence of le style russe, the ultimate miniaturization of the Baroque.57

Conclusion

The Russian style promoted by Nicholas I typified the pattern of borrowing by Russian monarchy since the reign of Peter the Great — the appropriation of a dominant intellectual and artistic mode from the West to enhance its political and cultural standing. The national esthetic complemented but hardly supplanted neo-classicism as an artistic expression of the monarchy. In St. Petersburg, Nicholas favored neo-classicism, as attested by the rows of stately governmental buildings that went up in his reign. He continued to commission table services in other styles, like the Etruscan service he ordered for the empress’s Roman pavilion at Peterhof.58 His imperial scenario, in this respect, as in others, was highly eclectic. The Drevnosti and other works of Solntsev focused primarily on Moscow and enhanced Nicholas’s credentials as the successor to 56 Cited in G. V. Aksenova, Fedor Solntsev — sozdatel’ arkheologicheskoi zhivopisi, Slovo  : pravoslavyni obrazovatel’nyi portal, www.portal-slovo.ru/rus/history/84/55/. 57 See Wendy Salmond/Cynthia Hyla Whittaker, Fedor Solntsev and Crafting the Image of a Russian National Past  : The Context, in  : Whittaker (Hg.), Visualizing Russia, 11–14. 58 Anne Odom, Russian Imperial Porcelain at Hillwood, Washington, D.C.  : Hillwood Museum and Gardens 1999, 61–63.



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the Romanov tsars of the seventeenth century and their predecessors in ancient Rus’. St. Petersburg and Peterhof, on the other hand showed him as heir to the classical traditions of Rome. Olenin’s aspiration to unite classical and native traditions had its outcome in Nicholas I’s presentation of Russian monarchy as the paradigm of eastern as well as western imperial heritages. From the reign of Peter the Great westernized culture served as a means to unite the westernized multinational elite of Russia and enhance the power and promote the designs of the absolute monarch as the exercise of a transcendent power dramatized as imperial myth. The nationalities of the empire appeared only as ornaments to the myth, subjects who would be transformed in the image of European culture advanced by the All-Russian monarch and his nobility. Culture afforded the idioms that lent coherence, stature, and even verisimilitude to myth. Catherine found her medium in eighteenth-century theater, Nicholas in early Russian art and architecture. In this way, their mastery of the esthetic realm enhanced their mastery of the political realm, displaying their transcendence as absolute rulers and maintaining the domination of a public sphere controlled by the state. They shaped their scenarios by relying on figures close to the court — cultural interlocutors — poets, artists, architects, who served to inspire and then to shape the form of the imperial myth according to the cultural idiom of the day. Petrov, Maikov, Pavel Potemkin, through his cousin Grigorii, Olenin, and Solntsev provided the sophistication and talent that enabled the monarchy not only to dominate the public sphere, but to do so with conviction and force.

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Figure 1

Figure 2

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Zwei Paradoxien kennzeichneten Preußens Kulturstaatlichkeit im 19. Jahrhundert  : Sie war erstens nicht nur staatlich oder gar bloß höfisch, sondern auf mancherlei Feldern gesellschaftlich bedingt und sie entstand zweitens als Folge der preußischen Niederlage 1806 („Kultur der Niederlage“) sowie der späteren Siege (1815, 1866, 1870/71).1 Im Folgenden werden nach einigen kurzen Bemerkungen zur frühen Wortbzw. Begriffsgeschichte zunächst vier zentrale Entwicklungsstränge skizziert, dann realhistorische Ausprägungen preußischer Kulturstaatlichkeit im Dreieck Monarchen, Staat und Zivilgesellschaft dargestellt, und abschließend knapp die Berliner Theater sowie die Hofoper betrachtet. Die Geschichte des Kulturstaats war stets eng verwoben mit den sozio-ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen, Faktoren, die eine adäquate Berücksichtigung finden müssen. Die Ausführungen stützen sich wesentlich auf die Forschungen und Veröffentlichungen des Akademienvorhabens „Preußen als Kulturstaat“ an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sowie reichhaltige Literaturtitel, die aber platzbedingt nicht umfassend aufgeführt werden können.2

1 Die erneute Niederlage 1918 zeitigte, u. a. bei Kultusminister C. H. Becker, wiederum Ansätze zur (ersatzweisen) Mobilisierung von Wissenschaft und Bildung  ; trotz wichtiger, bis heute wirksamer institutioneller Neugründungen (Notgemeinschaft, Studienstiftung, Akademischer Austauschdienst, Volkshochschulen, Bühnen) und weiteren Reformversuchen blieb der Kulturstaat grundsätzlich in den bis 1914 etablierten Bahnen. 2 Acta Borussica, N. F., hg. von W. Neugebauer, 2. Reihe, Abteilung I, Bd. 2/1  : Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern Schule, Wissenschaft, Kirchen, Künste und Medizinalwesen, Beiträge von B. Holtz, Ch. Rathgeber, H. Spenkuch und R. Zilch, Berlin  : Akademie Verlag 2010. Dort finden sich vielfache Akten- und Literaturnachweise.

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Zur Wort- und Begriffsgeschichte

Das Wort Kulturstaat tauchte zuerst beim Philosophen Johann Gottlieb Fichte auf, in dessen Hallenser Vorlesung 1804/05 er als Formierung von europäischer Kultur aus dem Geiste des Christentums bezeichnet wurde, also keineswegs als Staatsziel oder als Feld staatlicher Aktivität. Weder Wilhelm von Humboldt, der ja grundsätzlich die Staatsfreiheit im Kultur- und Wissenschaftsbereich für wünschenswert hielt, noch G. W. F. Hegel benutzten das Wort, obwohl sie natürlich in ihren Schriften Staatszweck oder Staatsaufgaben thematisierten. Über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus dominierte in der Begrifflichkeit die Antithese  : Moderner europäischer Kulturstaat versus sog. primitive Gemeinwesen der übrigen Welt. Noch im Deutschen Staatswörterbuch von J. C. Bluntschli/K. Brater gab es 1861 nur das Stichwort „Kulturpolizei“, worunter seit K. H. L. Poelitz’ Staatslehre von 1808 vor allem die sog. ��������������������������������� Wohlfahrtspolizei, also wesentliche Gesundheits- und Hygienefragen, verstanden wurden. Erst in Bluntschlis „Lehre vom modernen Staat“ in der Ausgabe von 1875 wird der Kulturstaat als Erweiterung des Rechts- und Verfassungsstaats expressis verbis thematisiert. Hier ist Kulturstaatlichkeit als Teil des modernen, umfassenden Wohlfahrtsstaates gefasst, der zwar interveniert, aber den Kulturinteressen, d. h. Wissenschaft, Bildung und Kunst, Raum lässt. Ähnlich definierte Otto v. Gierke den Kulturstaat. In den 1870er-Jahren erklärten die moderat liberalen Gelehrten zeittypisch den katholischen Ultramontanismus wie die frühe Sozialdemokratie für unvereinbar damit. Erst mit dem Deutschen Kaiserreich wurde der Begriff Kulturstaat populär, in besonderer Weise für das monarchisch-bürokratisch geleitete Preußen-Deutschland reklamiert, und bekanntlich im Ersten Weltkrieg zum angeblichen Gegensatz (echte, tiefe) deutsche Kultur versus (äußerliche, oberflächliche) westeuropäische Zivilisation stilisiert. Der Begriff Kulturstaat fehlt sowohl in der konstitutionellen Verfassung von 1850 wie in der des Freistaats Preußen von 1920. Jedoch stipulierte die Weimarer Reichsverfassung von 1919 in Art. 142 die Freiheit von Wissenschaft und Kunst und formulierte im zweiten Halbsatz, der Staat „gewährt ihren Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil“.3 Die 3 Vgl. Eduard Spranger, „Art. Kulturpolitik“, in  : Paul Herre (Hg.), Politisches Handwörterbuch Bd. 1, Leipzig  : K. F. Koehler Verlag 1923, 1087–1090, hier 1087  ; Max-Emanuel Geis, Kulturstaat und kulturelle Freiheit, Eine Untersuchung des Kulturstaatskonzepts von Ernst Rudolf Huber



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Wort- und Begriffsgeschichte ist ein erster Zugang  ; wichtiger ist die geschichtliche Entwicklung.

Säkulare Prozesse als Basis des Kulturstaats

Die Anfänge des realhistorischen Kulturstaats in Preußen beförderten vor allem vier grundlegende Entwicklungsstränge, die auch für den internationalen Vergleich von Bedeutung sein können, da es sich um säkulare Prozesse in Europa handelt. 1. Am Beginn standen – grundsätzlich gemeineuropäisch – Landesentwicklung und Aufbau staatlicher (Behörden-)Strukturen, die in Preußen u. a. mit dem Generaldirektorium 1723 und der Oberbaudeputation 1770 bescheiden einsetzten und mit Schaffung des Staatsministeriums und eigenständiger Ressorts 1808 sowie der Errichtung eines separaten Kultusministeriums 1817 festen organisatorischen Ausdruck gewannen. Staatsorganisatorisch spielte Preußen im 18. und frühen 19. Jahrhundert gewissermaßen in der ersten Liga  ; seine Bürokratie war, obschon in mancherlei Hinsicht bremsend, ja blockierend wirkend, auch Vorbild für Österreich, etwa bei den Theresianischen Organisationsreformen um 1750. Nach 1807/15 spielte das Ziel der Integration des reformierten, territorial vergrößerten Preußen eine wichtige Rolle, z. B. bei den Gründungen von Universitäten und kulturellen Einrichtungen in den neuen westlichen Provinzen. Säkulare Basisprozesse (Ch. Dipper) kamen dem Kulturstaat im Verlauf des 19. Jahrhunderts zugute  : Wirtschaftswachstum und Demografie, Urbanisierung und Säkularisierung, Aufstieg von Technik und Wissenschaft, breite Bildungsnachfrage und generell soziale Ausdifferenzierung.4 aus verfassungsrechtlicher Sicht, Baden-Baden  : Nomos Verlagsgesellschaft 1990, bes. 120–157, 123 (Fichte), 131–135 (Hegel–Humboldt–Bluntschli)  ; Rüdiger vom Bruch, „Kulturstaat und Kulturnation in der deutschen Kaiserzeit“, in  : Wolfgang Neugebauer/Bärbel Holtz (Hg.), Kulturstaat und Bürgergesellschaft. Preußen, Deutschland und Europa im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Berlin  : Akademie Verlag 2010, 37–51. 4 Zum frühen Staatsausbau Vgl. z. B. Reinhart Strecke, Anfänge und Innovation der preußischen Bauverwaltung. Von David Gilly zu Karl Friedrich Schinkel, Köln  : Böhlau Verlag 2000, 55 ff. Zur Vorbildwirkung für Österreich Vgl. Peter Baumgart, „Friedrich Wilhelm Graf Haugwitz, Schlesien und die österreichische Staatsreform von 1749“, in  : Forschungen zur brandenburgi-

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2. Als Initialzündung wirkte Preußens Niederlage 1806, nach der von führenden Köpfen die (dann König Friedrich Wilhelm III. quasi in den Mund gelegte) Sentenz formuliert wurde, Preußen müsse nun an geistigen Kräften zunehmen, um den Verlust an Land und Macht wettzumachen. In der Reformzeit gelangten neue Köpfe an die politische Spitze und sie alle waren diesem Denken verpflichtet. Der Militärreformer August Neidhardt v. Gneisenau hatte bereits im Rahmen der Verfassungsdebatte 1814 an Staatskanzler Hardenberg geschrieben, Preußen müsse in Deutschland neue Erwerbungen weniger durch Waffengewalt als „durch Liberalität der Grundsätze machen“, man solle talentierte Männer mittels Ämtern und Unterstützungen anziehen, und postuliert  : „Unsere Universitäten müssten durch hohe Gehalte die eminentesten der deutschen Gelehrten an sich ziehen […]. Eine für diesen Zweck jährlich angelegte, selbst sehr große Summe würde in kurzem sehr gute Zinsen tragen. Man würde bald Preußen als das Muster eines Staates ansehen, dreifach glänzend durch […] Kriegsruhm, Verfassung und Gesetze, und Pflege von Künsten und Wissenschaften“. Ganz auf dieser Linie argumentierte Preußens erster Kultusminister, Karl Freiherr zum Altenstein, in einem Memorandum von 1819, Preußen müsse geistige Kräfte entwickeln  : „Nur dabei kann die Entwickelung seiner militärischen Kräfte wohltätig bestehen. Die höchste intellektuelle Bildung und ihr Hervortreten in Kunst und Gewerbe aller Art ist gleich unerlässlich. Der preußische Staat hat sich an die Spitze einer neuen Weltgestaltung gestellt. […] Er kann nur vorwärts schreiten, dieses aber nur, indem er Vollendung, Gründlichkeit, Tiefe des Wissens zum Ziel seiner Bestrebungen macht.“ Ähnlich schrieb 1816 der beamtete Stararchitekt Karl Friedrich Schinkel, dass Preußen das Image eines Militär- und Finanzstaats abwerfe, wenn man (damals im besiegten Frankreich) vermehrt Kulturgut käuflich erwerbe. Die Verknüpfung von Verfassungsgebung, Bildungs- und Wissenschaftsförderung und politischer Rolle des Staates bei den Protagonisten der Reformzeit in Preußen war kaum einmalig in deutschen Landen – man denke nur an Ludwig I. als Kronprinz und König von Bayern – aber doch eine Leitlinie, die seit der Reformzeit Jahrzehnte hindurch bei Berliner Wissenschaftsverwaltern präsent blieb. Mit gewisser Stilisierung, schen und preußischen Geschichte 5 (1995), 59–74, bes. 64. Christof Dipper, „Moderne“, in  : Docupedia-Zeitgeschichte v. 25. 8. 2010, URL  : http  ://docupedia.de/zg/Moderne (Basisprozesse).



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aber nicht gänzlich unbegründet hob Adolf Harnack in seiner Denkschrift zur Gründung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft) 1909 hervor, Wehrkraft und Wissenschaft seien traditionell die beiden Pfeiler preußisch-deutscher Staatlichkeit und Weltgeltung.5 3. Das wissenschaftlich Vielversprechende wurde somit über Jahrzehnte durch das politische Interesse Preußens, als beispielgebender Vorreiter in Deutschland zu gelten und so nationales Prestige zu erwerben, begründet. Diese Haltung prolongierte die traditionelle Konkurrenz der deutschen Staaten bei Bildung, Universitäten, Kultureinrichtungen oder Bauten, aktualisierte den Kulturstaatsgedanken in den jeweiligen politischen Kontexten und begünstigte den Aufstieg des Kulturstaats. Unter Kultusminister Altenstein (1817–1840) und dem Universitätsreferenten Johannes Schulze (tätig 1818–1858) holte man ab 1810 bekannte Professoren nach Berlin und Bonn  ; der konservative Kultusminister Friedrich Eichhorn forderte Mitte der 1840er-Jahre genauso mehr Finanzmittel für die Universitäten wie der nationalliberale Kultusminister Adalbert Falk Anfang der 1870er-Jahre, zu Zeitpunkten als das sächsische Leipzig größte und bedeutendste deutsche Universität zu werden schien. Gründerboom und antikatholischer „Kulturkampf“ kamen den preußischen Universitäten wie den Schulen in den 1870erJahren in Form von vermehrten Geldzuweisungen zugute. Friedrich Althoff, der bis heute gerühmte Höhepunkt preußischer Bildungs- und Wissenschaftspolitik, förderte die Kulturstaatlichkeit im Rahmen dieser älterer Traditionen, ging mit ministerieller Koordinierung, dem Ausbau separater medizinischer Forschungsinstitute (Robert-Koch-, Paul-Ehrlich-, Emil-von-Behring-Institute) oder dem Professorenaustausch mit den USA aber auch neue Wege. Selbst in den Jahrzehnten konservativen Regiments, zumal von 1820 bis zur „Neuen Ära“ 5 Zur Überlieferung der Sentenz vgl. Max Lenz, Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universität Bd.  1, Halle/S.  : Verlag der Buchhandlung des Waisenhauses 1910, 78 und Hans-Christof Kraus, Theodor Anton Heinrich Schmalz (1760–1831), Frankfurt a. M.  : Vittorio Klostermann 1999, 98–104. Gneisenau zitiert nach Georg Heinrich Pertz/Hans Delbrück, Das Leben des Feldmarschalls Grafen Neidhardt von Gneisenau Bd. 4, Berlin  : Verlag Georg Reimer 1880, 256. Zitat Altensteins von 1819 gedruckt in  : Acta Borussica, N. F., 2. Reihe, Abteilung 1, Bd. 2/2  : Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern (…), Dokumente, Berlin 2010, 8. Schinkel-Zitat nach Wolfgang Neugebauer, „Preußen als Kulturstaat“, in  : Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 17 (2007), 161–179, hier 171.

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ab 1859, nahm Preußen herausragende Wissenschaftler an seinen Universitäten auf  : Die aus Hannover 1837 ausgewiesenen „Göttinger Sieben“ Friedrich Christoph Dahlmann und die Gebrüder Grimm, in den 1850er-Jahren den aus Leipzig vertriebenen Moritz Haupt und später Rudolf Virchow, in der „Neuen Ära“ um 1860 Rudolf Gneist, J. G. Droysen, Theodor Mommsen, Isaac August Dorner sowie aus München Heinrich v. Sybel. Nur selten misslangen Berufungen  : bei dem Mathematiker Karl Friedrich Gauss (Göttingen), dem Chemiker Justus von Liebig (Giessen/München) oder später bei Max Weber (1919 München, nicht Bonn, Göttingen oder Berlin). Kaum überraschend, dass sich die berufenen Gelehrten meist als Herolde der Kulturbedeutung Preußens betätigten. Dieser borussische Kulturprotestantismus ergab, begünstigt durch Landesgröße und sozialökonomische Basis, den universitär-bildungssystemischen Vorsprung Preußens in der machtpolitischen Konkurrenz mit Österreich bis 1866. Preußen wurde durchaus schon im Vormärz als Staat von breiter Bildung und vorzüglicher Wissenschaft wahrgenommen. Auswärtige Besucher schrieben das in ihren Berichten, u. a. um 1830 der französische Philosoph und Bildungsreformer Victor Cousin, aber auch ein lange Reihe von US-Amerikanern, als erster 1825 der College-Teacher Henry Edwin Dwight, der formulierte, „Prussia […] is one of the most enlightened countries in the world  ; for among the younger of the population it is rare to see an individual who cannot both read and write“  ; Dwight lobte zugleich „the great superiority of German universities to those of our country, and in truth, to all others, except that of Paris”.6 Im späteren 19. Jahrhundert wurde das Argument auswärtiger Konkurrenz dann im internationalen Maßstab gebraucht, beispielsweise bei der Physikalisch-technischen Reichsanstalt 1882/83 gegen eine Dominanz Frankreichs bei technischen Messungen oder etwas später gegen die Vorherrschaft des Pariser Institut Pasteur in der Medizinforschung. Umgekehrt bezogen sich europäische Nachbarn auf Preußens Vorbildlichkeit, natürlich zugunsten ihrer eigenen Ziele, häufig übertrieben, nie im Sinne einer vollständigen Übernahme, sondern stets im Sinne partieller Adaption. So blick6 Henry Edwin Dwight, „Education in Prussia and the United States  : Descriptions and Contrasts“, in  : Stewart E. Fraser/William W. Brickman (Hg.), A History of International and Comparative Education. Nineteenth-Century Documents, Glenview, Ill.  : Scott, Foresman & Co. 1968, 76 und 64.



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ten Engländer um 1900 auf die Technische Hochschule Charlottenburg, und Walter Höflechner zufolge stand in vielen Eingaben an das Wiener Ministerium oder Berufungsvorschlägen österreichischer Hochschulen zu lesen, dass Preußen in größter Not die Universität Berlin gegründet habe. Vorbildlichkeit und Konkurrenz anderswo stellten offenbar europaweit ständige Topoi zur Begründung der jeweils eigenen Forderungen dar.7 4) Preußens Bedeutung als Kulturstaat beruhte wesentlich auf seiner mit Rheinland-Westfalen und zu Lasten Sachsens 1815 erreichten Größe, die 1866/71 mit Hannover, Hessen und Schleswig-Holstein noch einmal zunahm. Preußen konnte nach 1815 bzw. 1866 an kulturellen Einrichtungen eben das Doppelte oder Dreifache dessen bieten, was Bayern oder Sachsen möglich war, auch mehr als Österreich. Der (industrialisierte) Großstaat von erheblicher Finanzkraft konnte Universitäten alimentieren, neue Forschungsinstitute gründen, Zuschüsse zu den Volksschulkosten gewähren, diverse Bauten errichten. Preußen war keineswegs stets auf allen Feldern von Wissenschaft, Bildung und Kultur führend, aber gegenüber deutschen Mittel- und Kleinstaaten entscheidend. Was auf 65 % des Reichsterritoriums galt und sich tat, konnten andere Bundesstaaten auch kulturpolitisch weder ignorieren noch überstimmen.

Der real existierende preußische Kulturstaat

Der preußische Kulturstaat ist also primär infolge der Niederlage 1806 und der Siege 1866/71, mit durchaus politischen, teilweise schon nationalpolitischen Absichten propagiert worden  ; die Idealvorstellung blieb jedoch realhistorisch über Jahrzehnte quasi Rudiment, jedenfalls dann, wenn der Akzent auf Staat im engeren Sinne liegt. Dies gilt trotz der Gründung dreier Universitäten 1810– 1817, der Prüfungsordnungen für Gymnasiallehrer und sonstige Professionen, die das Bildungsbürgertum mitformierten, der nach der deklaratorischen Schulpflicht von 1717 vergleichsweise hohen Alphabetisierungsrate, der Berliner Aka7 Walter Höflechner, „Nachholende Eigenentwicklung  ? Der Umbau des habsburgischen Universitätssystems nach der Mitte des 19. Jahrhunderts“, in  : Rüdiger vom Bruch (Hg.), Die Berliner Universität im Kontext der deutschen Universitätslandschaft, München  : R. Oldenbourg Verlag 2010, 93–108, hier 107.

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demie der Künste seit 1696 oder der Eröffnung von Schinkels Altem Museum 1830. Denn von einem umfassend intervenierenden Staat kann – schon aus Kapazitäts- und Finanzgründen sowie wegen fehlender positivrechtlicher Grundlagen – bis 1848, ja bis in die 1870er-Jahre nicht die Rede sein. Finanzknappheit infolge Kriegsschulden kennzeichnete die Jahrzehnte nach der Napoleonischen Zeit  ; die Kreditaufnahme hatte Staatskanzler Fürst Hardenberg an die Etablierung eines Landtags gebunden und das vermieden konservative Regierungen bis 1847  ; Institutionen wie die Berliner (Hof-)Oper und wissenschaftliche Projekte wie Richard Lepsius’ Forschungsreise nach Ägypten 1842 hingen von Geldgaben aus der Privatkasse der Monarchen ab. Freilich war die Trennung zwischen Herrscher- bzw. Haus-Eigentum und Staatsvermögen kaum trennscharf, es herrschte nach John Röhl die für reichsdeutsche Monarchien inklusive Habsburg „typische Vermischung von Staatsgeldern und Privatvermögen“. Alle Mittel hatten letztlich die Steuerbürger aufzubringen.8 Zweitens gab es andere wichtige Gestalter der Kultur  : traditionell die Kirchen, zumal die tendenziell staatsskeptische katholische  ; die Kommunen, in erster Linie Dutzende vom Bürgertum dominierte Großstädte  ; freie Vereine und Marktkräfte  ; nicht zuletzt kulturelle Oppositionsbewegungen in der starken Arbeiterbewegung und unter bildenden Künstlern und Schriftstellern  ; schließlich die Bundesstaaten mit liberalen Stadtrepubliken wie Hamburg und Bremen, preußenkritischen Kleinfürstentümern sowie auf Autonomie bedachten süddeutschen Mittelstaaten (Baden, Bayern, Sachsen, Württemberg). Vielerlei Initiativen kamen aus den Reihen dieser Mit-Akteure des Kulturstaats  : Städte bezuschussten Bildungs- und Kulturinstitute, Vereine und Verbände sorgten sich rührig um Förderung ihrer Zwecke, Bürger hinterließen Legate für Stipendienvergabe an Schüler/Studenten, Mäzene stifteten ganze Museen (z. B. Karl Ernst Osthaus, Hagen) und ermöglichten Expeditionen, reiche Großbürger spendeten – nach Aufforderung durch staatliche Stellen – für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft mit ihren außeruniversitären Forschungsinstituten, jüdisch(stämmig)e Kreise ermöglichten die Stiftungsuniversität Frankfurt/Main 1914.9 Der preu8 John Röhl, „Hof und Hofgesellschaft unter Wilhelm II.“, in  : Ders., Kaiser, Hof und Staat, München  : C. H. Beck Verlag 1987, 84. 9 Grundstrukturen und diverse Einzelbeispiele behandelt Hartwin Spenkuch, „Die Politik des Kultusministeriums gegenüber den Wissenschaften und den Hochschulen“, in  : Acta Borus-



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ßische Staat wahrte stets seine Kontrollbefugnisse, im Stiftungswesen, bei Universitätsstatuten, in Museumskuratorien und anderswo, aber er oder richtiger  : seine beamteten Kulturverwalter waren auch liberal genug, beharrliche Initiativen „von außen“ nicht bloß zu obstruieren, jedenfalls diesseits sozialdemokratischer oder ultramontan-katholischer Observanz. Kontrolle über Innovation, aber auch gewisse Freiheiten für Effizienz, könnte eine Kurzcharakteristik lauten. Das 1817 aus dem Innenministerium herausgelöste Kultusministerium blieb über Jahrzehnte eine kleine Zentrale mit zwei, drei Dutzend akademisch gebildeten Räten. Allerdings gab es vielerlei regionale Behörden  : Universitätskuratorien, Provinzialschulkollegien und Kirchen- und Schulabteilungen der 36 Regionalregierungen, protestantische Provinzialkonsistorien und katholische Amtskirche sowie zahlreiche kommunale oder institutsweise Deputationen für unterschiedlichste kulturelle Zwecke. Bühnen bzw. Zensur gehörten nicht zum Kultus-, sondern bezüglich Hoftheater zum Haus-, sonst zum Innenministerium. Für Staatsbauten waren Handels- und Finanzministerium bzw. ein 1879 separiertes Ministerium der öffentlichen Arbeiten sowie bei Hofbauten das Hausministerium, bei Postbauten das Reichspostamt (mit) zuständig. Die Finanzmittel musste der Landtag bewilligen, (Bau-)Polizei und Kommunalbehörden besaßen sektoral Kompetenzen. Diese vielfältige Bürokratie konkurrierte untereinander – moderne Architektur propagierte als Beamter des Handelsministeriums z. B. Hermann Muthesius –, oder blockierte sich lange, z. B. beim 1904 von Wilhelm II. angeregten Neubau des Kgl. Opernhauses, der nach einem Jahrzehnt anstelle der Kroll-Oper errichtet werden sollte, aber wegen des Weltkriegs 1914 unausgeführt blieb.10 Es gab drittens keine homogene preußische „Kulturlandschaft“, im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Es gab Kulturlandschaften  : natürlich Berlin, dessen Vorrangstellung als Hauptstadt staatlicherseits gegen Konkurrenz abgeschirmt wurde, aber auch Schlesien, Ost- und Westpreußen, die Provinz Sachsica, N. F., 2. Reihe, Abt. I, Band 2,1  : Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern, 135–287. 10 John V. Maciuika, „Art in the Age of Government Intervention  : Hermann Muthesius, Sachlichkeit, and the State, 1897–1907“, in  : German Studies Review 21 (1998), 285–308. Zum Opernplan und dem Entwurf Ludwig Hoffmanns aktenfundiert  : Lothar Löffler, „Der Hauptstadt zur Zierde und der deutschen Baukunst zur Ehre. Fast ein preußisches Märchen“, Privatdruck Berlin 2002.

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sen mit Magdeburg, Halle und Erfurt, Westfalen mit Münsterland, Siegerland oder Ostwestfalen, schließlich die Rheinschiene von Koblenz bis Kleve und das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Die Unterschiede waren historisch und sozialstrukturell, konfessionell und mental, dialektal und traditional, indessen nicht akkumulativ national als Summe aus Geschichte und Sprache, Konfession und politischem Bewusstsein. Diese Kombination trat allerdings an der Peripherie auf, bei (1910) fast 3,9 Mio. slawophonen Polen, Kaschuben, Masuren und Litauern in Preußens Osten, schwerpunktmäßig Posen-Westpreußen, über 100.000 Dänen in Schleswig sowie einem frankophonen Gutteil der 1,5 Mio. Elsässer und Lothringer im Westen. Bei ca. 10 % Minderheiten dürfte quantitativ nicht von einem multinationalen Imperium wie bei Österreich-Ungarn, Rußland, dem Osmanischen Reich mit je (weit) über 50 % Nationalitäten zu sprechen sein. Indessen sind Minderheiten für die Untersuchung von Nationalisierungs- und Transferprozessen zentrale Sujets. An der (Kultur-)Politik gegenüber Minoritäten ist der Grad der Liberalität einer Gesellschaft ablesbar, ihre Normen und Werte. Machtstaatsgedanke wie Vor-Nationalität Preußens zeigten sich früh, als Friedrich II. die erste Teilung Polens 1772 machtpolitisch betrieb und auch so rechtfertigte. Eine „Zivilisierungsmission“ Preußens wurde jedoch nach der dritten Teilung Polens 1795 von Publizisten wie Ludwig von Baczko proklamiert. Er führte angebliche polnische Adelsdespotie und Rechtsunsicherheit, Bildungsnotstand und Misswirtschaft ins Feld – ideologische Topoi, die später generell und gerade von der preußischen Landeshistorie weitergetragen wurden. Zwar baute Preußen die Infrastruktur auch in den gemischtsprachigen Gebieten aus, aber die Dichte höherer Schulen lag in Posen stets klar unter dem Durchschnitt der Provinzen. Inwieweit hier bewusste Bildungsrestriktion vorlag, wäre näher zu untersuchen. Offensive Germanisierung Posens propagierte in den 1830er-Jahren Oberpräsident Flottwell  ; ansonsten versuchte das Kultusministerium lange Perioden, via Schulbildung Loyalität gegenüber Preußen zu erzeugen, ohne die polnische Sprache und die polnisch-katholische Kirche massiv zu bekämpfen.11 11 Matthias Weber (Hg.), Preußen in Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte, München  : R. Oldenbourg Verlag 2003, 17, die Daten nach Leszek Belzyt, „Sprachliche Minderheiten im preußischen Staat 1815–1914“, Marburg  : Herder Institut 1998, 18. Vgl. im Überblick Klaus Zernack, „Polen in der Geschichte Preußens“, in  : Otto Büsch (Hg.), Hand-



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Das Konzept der Einschmelzung und gewaltfreien Assimilierung der Slawophonen durch Bildung und kulturelle Attraktivität vertraten Linksliberale gerade in den Städten Posen-Westpreußens noch nach 1900, z.  B. die Bürgermeister Georg Bender (Thorn) oder Jaroslaw Herse (Posen). Aber die politische Großwetterlage änderte sich seit Bismarcks „Kulturkampf“ gegen (polnischen) Klerus und kirchentreue Katholiken, dem Sprachengesetz von 1873 und der Gründung der Ansiedlungskommission 1886 deutlich. Im Zeichen eines neupreußischen Nationalismus’ trieben Regierungsstellen ab etwa 1895 aggressive sog. Deutschtumspolitik in Posen und Westpreußen  ; der organisierte Radikalnationalismus (Alldeutscher Verband, Ostmarkenverein) forderte sogar deren Verschärfung. Auch kulturelle Manifestationen wurden nun vom preußischen Staat behindert bzw. verboten, seien es polnische Schulsprache, dänische Volkshochschulen oder (profranzösische) Feiern und öffentliche Manifestationen in Elsaß-Lothringen. Freilich gelang dies nicht lückenlos und ohne Freiräume für die fremdnationale Zivilgesellschaft. Ein Rest an Rechtsstaat ermöglichte polnische, dänische, frankophone Selbstorganisation, und im Theaterbereich gab es nicht nur Konfrontation, worauf der Beitrag von Alina Hinc in diesem Band hindeutet. Polnisch-russische Studenten, gutenteils jüdischer Herkunft, besuchten bis 1914 deutsche Universitäten (Berlin, Leipzig, München) und Technische Hochschulen. Eine polnischsprachige Universität in Posen (als Pendant zu Lemberg), wie sie in dieser Provinz seit 1843 gefordert wurde, blieb jedoch ausgeschlossen  ; die polnische Mehrheit Posens sah die 1903 ersatzweise gegründete Kaiser-Wilhelm-Akademie als Hort von Deutschtumspolitik und boykottierte sie. Dass etwa ein polnischer Aristokrat hohe Staatsposten oder gar Ministerämter wie in Österreich um 1900 erreichte, war in Preußen bis 1918 ganz undenkbar.12 Offensive Germanisierungsversuche buch der preußischen Geschichte Bd. 2, Berlin  : Walter de Gruyter Verlag 1992, 377–448 und die Analyse von William Hagen, Germans, Poles, and Jews. The Nationality Conflict in the Prussian East 1772–1914, Chicago  : University of Chicago Press 1980, bes. 38–44. Zur Rechtfertigung vgl. Jörg Hackmann, Ostpreußen und Westpreußen in deutscher und polnischer Sicht, Wiesbaden  : Harrassowitz Verlag 1996, bes. 65 f. Zur Schuldichte vgl. Datenhandbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 2,1, bearb. von Detlef K. Müller u. a., Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 1987, 165, und Bd. 2,2, Göttingen  : Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 2003, 110 ff., 292 ff. 12 Zu Bender vgl. Hartwin Spenkuch, Das Preußische Herrenhaus, Düsseldorf  : Droste Verlag 1998, 343–345, zu Kunstvereinen in Posen und Herse vgl. Bärbel Holtz, „Das Kultusministe-

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förderten letzten Endes die polnische Identität, was Kritiker des Regierungskurses vor 1914 auch erkannten. Die preußisch-deutsche Nationalitätenpolitik der Exklusion kontrastierte seit Mitte der 1890er-Jahre grosso modo mit einer gegenteiligen Entwicklung im österreichischen Cisleithanien (und glich der Magyarisierung in Transleithanien). Binnenpreußische regionale Eigenheiten wurden nicht rigoros abgeschafft, sondern ideell okkupiert und sukzessive umgedeutet, z. B. die bis 1815 schwedisch-vorpommersche Universität Greifswald, die Hoftheater Hannover, Wiesbaden, Kassel nach 1866, seit 1854 das Lied über Preußens „Wacht am Rhein“, die inoffizielle Nationalhymne des Kaiserreichs. Bei dieser Vereinnahmung und borussischer Umdeutung bewies Preußen im 19. Jahrhundert ein gewisses Geschick, freilich ohne regionale und/oder konfessionelle Loyalitäten gänzlich vergessen machen zu können, wie sich bei den Autonomiebestrebungen im Rheinland, in Hannover und Oberschlesien nach 1918 zeigte.13 Preußen war keineswegs immer und überall führend. Dass Humboldt die moderne Universität erfunden habe, ist längst als Mythos entlarvt. Aber immerhin sind die Idealkonzepte Bildung statt bloß Ausbildung und Forschungsorientierung statt bloß Tradierung bestehenden Wissens zwei Elemente gewesen, die weithin ausstrahlten. Österreich hat den Aufbau der geisteswissenschaftlichen Disziplinen (statt Juristen- und Mediziner-Berufsausbildung) und Lehr- und Forschungsfreiheit in voller Breite erst mit Reformen des Unterrichtsministers Leo Graf Thun 1850–1860 nachvollzogen, Frankreich die Organisation von Forschungsuniversitäten neben den Pariser Grandes écoles am Ende des 19. Jahrhunderts begonnen, England Technische Hochschulen erst mit dem Imperial College of Science and Technology von 1907 errichtet.14 rium und die Kunstpolitik 1808/17 bis 1933“, in  : Acta Borussica, N. F., 2. Reihe, Abt. I, Band 2,1  : Das Kultusministerium auf seinen Wirkungsfeldern, 399–634, hier 441–444, 532–538  ; zu Akademie und Studenten Spenkuch, Die Politik des Kultusministeriums, 176–178, 211 f. Den nationalistischen Wandel nach 1870 beschreibt Andreas Kossert, Preußen, Deutsche oder Polen  ? Die Masuren im Spannungsfeld des ethnischen Nationalismus 1870–1956, Wiesbaden  : Harrassowitz Verlag 2001, bes. 38–72. 13 Zur kulturellen Umdeutung im Westen vgl. Jan Werquet, Historismus und Repräsentation. Die Baupolitik Friedrich Wilhelms IV. in der preußischen Rheinprovinz, Berlin  : Deutscher Kunstverlag 2010, bes. 421–431. 14 Christophe Charle, „Grundlagen“, in  : Walter Ruegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa



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Andererseits gab es gerade bei den Technischen Hochschulen in Preußen eine lange, bis in die 1870er-Jahre reichende Verspätung, denn THs besaßen Karlsruhe, München, Stuttgart sowie natürlich Paris und Zürich früher als Berlin, wo in den 1820er-Jahren das Geld dazu fehlte. Aber mit der reorganisierten Charlottenburger TH ab 1878, der 1870 in Aachen mit lokalen Stiftungsgeldern endogen gegründeten Anstalt sowie der 1866 eroberten TH Hannover besaß es drei solche Institute (und gründete nach 1900 in Danzig bzw. Breslau zwei neue). Es gab in der Kulturbürokratie jahrelanges Zögern bei Abitur und Hochschulzugang für Frauen, evidente Abneigung gegen Handelshochschulen und Volkshochschulen, auch mehrjähriges Ringen um die von Bürgern gestiftete Universität Frankfurt/M. Vielleicht hätte der Historiker Karl Lamprecht die außeruniversitäre Großforschung in Sachsen begründet, wäre Sachsen ein Großstaat wie Preußen gewesen und Leipzig Reichshauptstadt. Aber Preußen umfasste eben mit Rheinland-Westfalen, Hannover, Hessen-Nassau und der Provinz Sachsen den Großteil des westelbischen Deutschland nördlich des Mains, mit gewachsener Kulturtradition, industrieller Kapazität und urbaner Modernität. Demgegenüber blieb die kulturelle Ausstrahlung der altpreußischen Kernprovinzen Brandenburg-Pommern-Ostpreußen zurück, und selbst Schlesien war häufig Rekrutierungsgebiet für die Hauptstadt Berlin. Berlin zog an, wie für Künstler nachgewiesen ist und sich auch bei anderen Kulturbereichen zeigen lässt.15 Verlässt man die großen Felder Bildung und Wissenschaft, dann gibt es noch jenen Bereich öffentlicher Kulturpolitik oder Inszenierungen, der gegenwärtig vielfach untersucht wird und wozu man im wörtlichen Sinne das Theater zählen Bd. 3, München  : C. H. Beck Verlag 2004, 43–80, hier 57 f. Michael Werner, Die Auswirkungen der preußischen Universitätsreform auf das französische Hochschulwesen (1850–1900), in  : Gerd Schubring (Hg.), „Einsamkeit und Freiheit“ neu besichtigt. Universitätsreformen und Disziplinenbildung in Preußen als Modell für Wissenschaftspolitik im Europa des 19. Jahrhunderts, Stuttgart  : F. Steiner Verlag 1991, 214–226. Peter Alter, „Deutschland als Vorbild britischer Wissenschaftsplanung um die Jahrhundertwende“, in  : Adolf Birke/ Lothar Kettenacker (Hg.), Wettlauf in die Moderne. England und Deutschland seit der industriellen Revolution, München 1988  : K. G. Saur Verlag, 51–69. 15 Helmut Börsch-Supan, Künstlerwanderungen nach Berlin vor Schinkel und danach, Berlin  : Deutscher Kunstverlag 2001, 7 führt aus, dass Hauptstädte stets Künstler anziehen, aber Berlin bis ca. 1800 ein karger Boden für die Kunst und im 19./20. Jahrhundert nie die eindeutig vorherrschende deutsche Kunststadt war.

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darf. Hier finden wir in Preußen bis in die 1850er, ja bis zur Reichsgründung wenig offizielle Identitätsstiftung und Erinnerungskultur im Sinne eines „Imperiums“ und soweit dies auf deutschen Nationalismus abzielt. Denn es dominierte in den Berliner Hof- und Regierungskreisen die Furcht vor „nationalen Festen“. Nach der (Selbst-)Mobilisierung 1812/13 hieß die Leitlinie, öffentliche Manifestationen allenfalls unter obrigkeitlicher Leitung zuzulassen, denn aktivierte Massen erschienen den vor Ort kaum interventionsfähigen Staatsspitzen des Vormärz unkontrollierbar und drohten, die explosive nationale und ungelöste Verfassungsfrage aufzuwerfen, zudem das tonangebende Metternich’sche Österreich zu entfremden. Wartburg- und Hambacher Fest, Offenburger und Heppenheimer Politikertreffen 1847 fanden nicht zufällig außerhalb Preußens statt. Bei der Denkmalpolitik hielten sich Preußens Regierungen im Vormärz gleichfalls sehr zurück – die nationalen Monumente Ludwigs I. (Walhalla, Befreiungshalle) oder auch das Germanische Nationalmuseum Nürnberg waren hier eindeutiger. Statt Schinkels geplantem Dom und Triumphbogen in Berlin kam 1821 das bescheidene Kreuzberg-Denkmal zustande. Zwar gab es seit 1822/26 Figuren der Militärheroen Gerhard v. Scharnhorst, v. Bülow-Dennewitz und Gebhard v. Blücher in Berlin, aber das hochoffizielle Berliner Denkmal für Friedrich II. von Ch. D. Rauch brauchte bis 1840 zur Grundsteinlegung und bis 1851 zur Enthüllung. Regional wurde 1821 ein Luther-Denkmal in Wittenberg erlaubt und 1830 ein Gustav-Adolf-Baldachin Schinkels in Lützen, aber ein WinkelmannDenkmal in Stendal bis in die 1840er-Jahre nicht und erst 1859 enthüllt. Die „Denkmalswut“ setzte bekanntlich im Kaiserreich ein (Hermanns-, Niederwaldund Kyffhäuser-Denkmäler 1875/1883/1896). Nach dem Schock von 1848/49 ging man auch in Preußen im Sinne defensiver Modernisierung vermehrte kulturpolitische Aktivitäten an – vom Ausbau von Lehrerseminaren über offiziöse Presseorgane bis zu großen Denkmalsbauten. Hingegen wurde die Erinnerung an die Revolution 1848/49 bekämpft, der Berliner Friedhof der Märzgefallenen 1848 regelrecht amtlich sabotiert, Erinnerungsfeiern verhindert, die Fahne des Kaiserreichs nicht in Schwarz-Rot-Gold, sondern in Schwarz-Weiß-Rot gehalten. Reichsgründungsfeiern überlagerten nach 1870 recht langsam den taggleichen preußischen Königskrönungstag 18. Januar  ; Sedanfeiern (2. September) einten primär den protestantisch-norddeutschen Teil der Bevölkerung, während die star-



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ken sozialdemokratischen bzw. katholischen Subkulturen mit den SPD-Parteibzw. den Katholikentagen ihre eigenen Zentralfesttage besaßen.16 In der Architektur öffentlicher Gebäude (jenseits von Schlössern) folgte Preußen nach dem Schinkel- und Schinkelschüler-Klassizismus den historistischen Neo-Stilen von Gotik und Renaissance wie anderswo auch, bei nahezu fehlendem Neo-Barock. Frühe Ambitionen in der Baupolitik entwickelte Friedrich Wilhelm IV. und in der Rheinprovinz hinterließ er mit Rheinburgen und Kirchen auch sichtbare Zeichen. Jahrzehntelange Großobjekte staatlicher Bauförderung waren im Westen der Abschluss des Kölner Doms 1842–80, im Osten der Ausbau der Marienburg im Jahrhundert nach 1817.17 Mit beiden verbanden sich aber mindestens so viele regionale Anhänglichkeiten wie gesamtnationale Sentiments für diese Nationaldenkmäler. Ein vergleichsweise einheitliches Aussehen gewannen später Postämter und Bahnhöfe, höhere Schulen, Regierungs- und Justizgebäude, zumal sie von Regierungsstellen in Auftrag gegeben wurden. Explizit deutschnationalen Zwecken sollten Bauten in der Provinz Posen und im Reichsland ElsaßLothringen nach 1871 dienen  ; hier sind Kaiserpfalz, Bibliothek, Museum und Akademie in Posen, Straßburger Universität und Burgen im Elsaß zu nennen. Die Wirkungen solcher Borussifizierung oder Germanisierung waren durchaus ambivalent.18 16 Pars pro toto seien genannt  : Wolfgang Hardtwig, „Nationsbildung und politische Mentalität. Denkmal und Fest im Kaiserreich“, in  : Ders., Geschichtskultur und Wissenschaft, München  : Deutscher Taschenbuch Verlag 1990, 264–301  ; Ute Schneider, „Einheit ohne Einigkeit. Der Sedantag im Kaiserreich“, in  : Sabine Behrenbeck/Alexander Nützenadel (Hg.), Inszenierungen des Nationalstaats, Köln  : SH-Verlag 2000, 27–44  ; Michael B. Klein, Zwischen Reich und Region. Identitätsstrukturen im Deutschen Kaiserreich (1871–1918), Stuttgart  : F. Steiner Verlag 2005  ; Helke Rausch, Kultfigur und Nation. Öffentliche Denkmäler in Paris, Berlin und London 1848–1914, München  : R. Oldenbourg Verlag 2006  ; Andreas Biefang (Hg.), Das politische Zeremoniell im Deutschen Kaiserreich 1871–1918, Düsseldorf  : Droste Verlag 2008 (Katholiken- und SPD-Parteitage). 17 Zu Schinkels Epoche vgl. Annette Dorgerloh (Hg.), Klassizismus – Gotik. Karl Friedrich Schinkel und die patriotische Baukunst, München  : Deutscher Kunstverlag 2007 sowie Werquet, Historismus. 18 Zu Staatsbauten vgl. Godehard Hoffmann, Architektur für die Nation  ? Der Reichstag und die Staatsbauten des Deutschen Kaiserreichs 1871–1918, Köln  : DuMont Buchverlag 2000. Zu ElsaßLothringen Günter Riederer, Feiern im Reichsland, Trier 2004 und – insgesamt wenig Konfrontation konstatierend – Jeroen van Gessel, „The Strasbourg municipal theatre 1870–1918  : an opera house with a special mission  ?“ in  : Sven Oliver Müller (Hg.), Die Oper im Wandel der

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Staatliche Integration und nationale Kulturpolitik können auch durch Inhalte von Schulbüchern für Deutsch, Religion, Geschichte oder Heimatkunde/Geografie transportiert worden sein. Für das 19. Jahrhundert geht man anfangs von Borussozentrismus mit Schwerpunkt auf Monarchen-Verklärung (Friedrich II., Königin Luise etc.) einerseits und Orientierung auf die engere, meist provinzweise Heimat aus  ; nach 1890 kamen kriegerische Reichseinigung durch Preußen (ohne Österreich), stilisiertes „soziales Kaisertum“ und zuletzt ein Schuss deutscher (Kolonial-)Imperialismus hinzu.19 Grundsatzprobleme in Preußen waren der immer noch selektive Staatszugriff auf die Alltagswelt der Untertanen und die territoriale Vielgestalt aus Alt- und Beute-Preußen, also die regionale Prägung. Nach 1871, zumal seit den 1890erJahren, wurde Preußens (politische) Kultur partiell durch den Reichsgedanken überformt  ; Wilhelm II. war Reichsmonarch, wenngleich phasenweise sehr kontroverser, der Hohenzollern-Hof bei weitem der größte. Aber Bayern, Baden, Württemberg, die Kleinstaaten oder die Hansestädte existierten weiter, so dass unter der Reichsebene auch Einzelstaaten bzw. in Preußen die Provinzen regionale Loyalitäten pflegten und erhielten. In Musik, Architektur, Malerei oder Literatur ist bis 1914 schwerlich von preußischer Führungsrolle im Sinne von Innovation bzw. Modernität zu sprechen, wenngleich Berlin als das deutsche Zentrum des sozialkritischen literarischen Naturalismus ab 1890 gilt. In diesen Bereichen sind „preußische Stile“ bei höchst unterschiedlichen Individuen kaum zu definieren, der internationale Transfer besonders schnell und ausgeprägt, wie ja wohl überhaupt, obschon mit Ungleichzeitigkeiten, von einem west- und mitteleuropäischen Kulturraum – z. B. architektonisch des Neoklassizismus, Historismus und Jugendstil – auszugehen ist.20 Hof Gesellschaft. Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters in Europa, Wien  : Böhlau Verlag 2010, 137–155. 19 Andrea Meissner, Die Nationalisierung der Volksschule. Geschichtspolitik im Niederen Schulwesen Preußens und des deutschsprachigen Österreich 1866 bis 1933/38, Berlin  : Duncker & Humblot Verlag 2008, 474, erkennt bis 1918 Ähnlichkeiten in Österreich, aber auch Unterschiede bei der Akzentuierung des Faktors Militär oder dem preußischen Mythos der Befreiungskriege 1813–15. 20 Börsch-Supan, „Künstlerwanderungen“, 27 f. konstatiert, dass sich im 19. Jahrhundert die kulturellen Merkmale von Regionen abschliffen und Lokalstile in Architektur und anderen Kunstgattungen an Prägnanz verloren. Vgl. bei Hubert Locher, „Deutsche Malerei im 19.



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wie Regierungsstellen, aber auch das gutbürgerliche Publikum, bevorzugten traditionelle Kunstformen und staatstreue Künstler bei fallweisen Sanktionen gegen dichterischen bzw. malerischen Naturalismus und Impressionismus/Expressionismus durch Zensur oder gar das Strafrecht. Weisungsgebundene Staatsanwaltschaften strengten zahlreiche Prozesse wegen angeblicher Blasphemie oder Pornografie an, vor allem aufgrund der Gummiparagrafen „Majestätsbeleidigung“ und „grober Unfug“. Hier erreichte Preußen unter Führung der reaktionären Hofund Regierungskreise Wilhelms II. in den 1890er-Jahren eine unrühmliche Spitzenstellung  ; mehrere Stücke, darunter Gerhart Hauptmanns „Weber“, wurden polizeilich verfolgt. Dichter und Maler litten oder saßen kurzzeitig im Gefängnis, aber konnten auch ausweichen – nach München, Dresden und Wien, auf den Kunstmarkt, hin zu bürgerlichen Mäzenen oder in die Selbstorganisationen, z. B. bei malerischer Sezession oder Volksbühnenbewegung. Letztere entstand in Berlin ab 1890 im Umfeld des Naturalismus bzw. der ghettoisierten Arbeiterbewegung, erlaubte Aufführungen polizeilich verbotener Stücke und erreichte 1913 stattliche 70.000 Vereinsmitglieder, die mit Anteilscheinen den Bau der bis heute bestehenden Volksbühne finanzierten. Die Wiener Volksbühne folgte ab 1906 unter etwas anderen Rahmenbedingungen.21 In der Museums- und Kunstpolitik konkurrierte Preußen mit den anderen deutschen Staaten inklusive Österreich sowie England (British Museum, National Gallery) und Frankreich (Louvre). Auch hier stand Preußen nicht etwa einsam an der Spitze, denn diese Museen und auch Madrids Prado (1819) öffneten früher, sondern Preußen bewegte sich im Rahmen europäischer Trends. Schinkels Altes Museum in Berlin wurde wie die Münchener Glyptothek 1830 eröffnet, Stülers Neues Museum (1843–55) korrespondierte mit den beiden Münchener Pinakotheken (1842/1853) wie auch der Stuttgarter Staatsgalerie (1838–43), der Karlsruher Kunsthalle (1836–46), Sempers Gemäldegalerie in Dresden (1847– Jahrhundert“, Darmstadt  : Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2005, 188, die Sentenz von W. Kandinsky und F. Marc 1912  : „Es sollte wohl überflüssig sein, speziell zu unterstreichen, dass in unserem Fall das Princip des Internationalen das einzig mögliche ist. (…) Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit.“ 21 Zum Naturalismus vgl. Matthew Jefferies, Imperial Culture in Germany 1871–1918, Houndsmills  : Palgrave Macmillan 2003, 145–159, zur Theaterzensur vgl. Robert J. Goldstein (Hg.), The frightful stage. Political censorship of the theater in 19th-century Europe, New York  : Berghahn Books 2009, bes. Gary D. Stark, Germany, 22–69.

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54/55) und einigen städtischen Kunstmuseen (Städel Frankfurt/M. 1829, Bremen 1849). Staatlicherseits die patriotische deutsche Kunst breit zu fördern und in einer „Nationalgalerie“ auszustellen, befürworteten 1835 ein Comité, ab 1845 der Kunsthistoriker und ministerielle Kunstreferent Franz Kugler  ; aber Finanzknappheit und Ressortzwist, die Maxime der Aufrechterhaltung diskretionärer Entscheidungsmacht für den Monarchen und Furcht vor subversiven Künstlern, zumal in der Reaktionszeit nach 1848, verhinderten die Realisierung dieser Konzepte. In der moderat liberalen „Neuen Ära“ erst wurde infolge eines großen Gemälde-Legats 1861 eine Nationalgalerie von Wilhelm I. genehmigt, 1866 begonnen und 1876 eröffnet. Mit Nationalgalerie und Aufbau der Museumsinsel untermauerte man in Berlin augenfällig den reichsdeutschen und hauptstädtischen Führungsanspruch – trotz der Treppenfries-Darstellung, die Ludwig I. und seine Künstler gleichberechtigt neben seinem Schwager Friedrich Wilhelm IV. zeigt.22 Auch Museumsbauten wurden von ihren Protagonisten regelmäßig mit Verweis auf andere Länder begründet. Bei der Projektierung eines Kunstgewerbemuseums in Berlin ab 1867 verwies man als Vorbilder auf das South Kensington Museum Prinzgemahl Alberts (1852) und das Österreichische Museum für Kunst und Industrie in Wien (1863)  ; auch das 1854 begründete Bayerische Nationalmuseum erhielt bis 1863 ein neues Gebäude.23 Hinsichtlich der Gemälde- und Grafik-Sammlungen der Berliner Museen konstatierte deren Generaldirektor Richard Schöne noch 1882 einen Rückstand gegenüber Wien und Italien, Paris und London  : „Die Kunstsammlungen und Bibliotheken Berlins leiden unter den Folgen des Umstandes, dass sie jungen Ursprungs sind. Zwar hat das Königliche Haus mit unvergleichlicher Liberalität seinen eigenen Kunstbesitz der öffentlichen Benutzung dargeboten. Aber auch dieser ist mit den Grundlagen der italienischen Museen, der Sammlungen von 22 Zu Kugler vgl. Holtz, Das Kultusministerium und die Kunstpolitik, 451–470. Zur Nationalgalerie Peter-Klaus Schuster (Hg.), Die Nationalgalerie, Köln  : DuMont Buchverlag 2001, 9–52, zum Fries 19 f. Zur Gemäldegalerie vgl. Tilmann von Stockhausen, Gemäldegalerie Berlin. Die Geschichte ihrer Erwerbungspolitik 1830–1904, Berlin  : Nicolaische Verlagsbuchhandlung 2000. 23 Vgl. James Sheehan, Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München  : C. H. Beck Verlag 2002, 113–130, 171–175, 185–197. Zu Kunstgewerbemuseen vgl. Andreas Gottsmann, „Kulturpolitik und Kulturförderung in der Donaumonarchie (1848–1914)“, in  : W. Neugebauer/B. Holtz (Hg.), Kulturstaat und Bürgergesellschaft, 79–107, hier 91.



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Wien, Paris und London verglichen, jungen Ursprungs und durch Unglücksfälle gelichtet  ; und die seit nunmehr fünfzig Jahren stetig fortgesetzten ernstlichen Bemühungen um die Vervollständigung unserer Sammlungen haben bis heute den Nachteil nicht zu überwinden vermocht, dass das ganze Land arm an älterem Kunstbesitz ist, und dass, als man an die Begründung unserer öffentlichen Kunstsammlungen und Bibliotheken ging, diese nur ein sehr schmales Erbteil vorfanden. […] Die Zeit liegt nicht gar weit zurück, da ein Preuße über die Grenze reisen musste, um ein schönes und vollständiges Exemplar der Kupferstiche und Holzschnitte Albrecht Dürer’s oder eine echte Handzeichnung von Raphael und Michelangelo zu sehen, oder die deutschen Kleinmeister zu studieren […]. Und noch heute kann man manche unserer heimischen Meister wie Martin Schongauer, wie Michael Wohlgemuth wohl in Wien, Paris und London, aber gewiss nicht in Berlin kennen und würdigen lernen. Es ist nur eine natürliche Folge hiervon, wenn die Schätzung des Besten, was deutsche Kunst hervorgebracht hat, in Frankreich und England weit intensiver und verbreiteter ist, als bei uns, und wenn, wer solche Stücke etwa bei uns besitzt, sie in London oder Paris zu Markte zu bringen sucht, weil er dort gewiss ist, die Liebhaber dafür zu finden.“ Schöne bemühte sich mit diesem Memorandum, die Notwendigkeit des Ankaufs von Kunstwerken und Sammlungen zu begründen. Während seiner Amtszeit als Generaldirektor (1880–1905) und während der seines bekannteren Nachfolgers Wilhelm v. Bode (bis 1920) erst gewannen die Berliner Sammlungen ihre spätere Geltung. Die schon genannten Faktoren (Größe Preußens und Finanzkraft, wissenschaftliche Expeditionen seit Richard Lepsius, Basisprozesse, Geltungsanspruch Preußens) lagen dem zugrunde.24 Wie im Wissenschaftsbereich die privat-industriellen Geldgaben die KaiserWilhelm-Gesellschaft erst ermöglichten, kamen Preußen, besonders Berlin, 24 Schönes Memorandum vom Juli 1882 plane ich zu edieren. Richard Pallat, Richard Schöne. Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, Berlin  : Walter de Gruyter & Co. 1959, bes. 161 ff.  ; Wilhelm von Bode 50 Jahre Museumsarbeit, Bielefeld/Leipzig  : Velhagen & Klasing Verlag 1922  ; Thomas W. Gaehtgens, Wilhelm von Bode und seine Sammler, in  : E. Mai und P. Paret (Hg.), Sammler, Stifter und Museen. Kunstförderung in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, Köln  : Böhlau Verlag 1993, 153–172  ; Manuel Frey, Macht und Moral des Schenkens, Berlin  : Fannei & Walz Verlag 1999, 109–124.

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auch im Kunstbereich die Schenkungen und Legate privater Kunstsammler zugute – von James Simon (Nofretete), Eduard Arnhold (Impressionisten) und anderen, die Bode lange bei ihren privaten Ankäufen beraten hatte. Bürger-Engagement krönte den preußischen Kulturstaat, und die tendenzielle Ablösung monarchischer Kunstförderung durch bürgerliche Mäzene, freilich bei einem über die Jahrzehnte stetig wachsenden Staatsaufwand, bildete ein Muster, das sich nach Hannes Stekl auch in Wien erkennen lässt.25 Im Museumsbereich war die Rolle der Monarchen und höfischer Kreise jahrzehntelang sehr bedeutsam. Der frankophile Friedrich II. förderte den Kulturtransfer aus dem westlichen Ausland und orderte in Italien Kunstwerke – intentional freilich primär zum eigenen Ruhm. Friedrich Wilhelm III. ließ 1815 in Paris die Sammlung Giustiniani, 1821 die Sammlung Solly für 1,5 Mio. Mark ankaufen und bewilligte knapp 3 Mio. für Schinkels Altes Museum. Aber beim Wettstreit um die Sammlung Boisserée gewann Ludwig I., und in der Folge nahmen die Berliner Sammlungen langsamer an Umfang zu, denn Friedrich Wilhelm III. war kaum kunstsinnig und das Kunstinteresse Friedrich Wilhelms IV. war subjektiv und selektiv. Erst am Ende der „Neuen Ära“ 1862 wurde nach längerer, von Künstlern beförderter Debatte ein staatlicher jährlicher Etat von 75.000 Mark und die über Ankäufe entscheidende Landeskunstkommission eingerichtet. Damit – die Summe betrug ab 1874 300.000 Mark – wurde nunmehr systematisch zeitgenössische (und zeittypische) Kunst für die preußischen Museen erworben. Obgleich Wilhelm I. wie sein Vater kein engagierter Kunstfreund war, wohl aber ein Ballett-Liebhaber, bestand er auf seinem persönlichen Genehmigungsrecht bei Ankäufen über 15.000 Mark Wert. Wilhelms Sohn Friedrich III. war als Kronprinz ab 1871 Protektor der Museen und förderte ihren Ausbau stark.26 25 Olaf Matthes, James Simon. Mäzen im Wilhelminischen Zeitalter, Berlin  : Bostelmann & Siebenhaar Verlag 2000  ; Michael Dorrmann, Eduard Arnhold (1849–1925). Eine biographische Studie zu Unternehmer- und Mäzenatentum im Deutschen Kaiserreich, Berlin  : Akademie Verlag 2002. Hannes Stekl, Wiener Mäzene im 19. Jahrhundert, in  : Jürgen Kocka/Manuel Frey (Hg.), Bürgerkultur und Mäzenatentum im 19. Jahrhundert, Berlin  : Fannei & Walz Verlag 1998, 164–191. 26 Zu Friedrich II. vgl. den Tagungsbericht „Friedrich der Große  : Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext“, Internetliste H-Soz-u-Kult 25. 10. 2010. Zu den frühen Ankäufen vgl. Christoph Martin Vogtherr, „Das Königliche Museum zu Berlin. Planungen und Konzeption des ersten Berliner Kunstmuseums“, Beiheft zum Jahrbuch der Berliner Museen 39 (1997), bes.



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Der letzte preußische Monarch, Wilhelm II., exponierte sich mit skandalträchtigen Interventionen in Kunstfragen (Malerei, Theater). Sein Kampf gegen die „Rinnsteinkunst“ und die kulturelle Moderne bildete von den 1890er-Jahren bis zur Abwanderung des Nationalgaleriedirektors Tschudi nach München 1909 mehrfach kontroverses Tagesthema. Seine Favoriten waren Historien- und Kriegsszenenmaler wie Anton (von) Werner und Marinemaler wie Hans Bohrdt, die (Hohenzollern-)Geschichte heroisch-monumental feierten. Zeitgleich wurde in Österreich, zumal Wien, die aktuelle Kunst, etwa Sezession und früher Jugendstil, staatsseitig nicht bekämpft, sondern (maßvoll) gefördert.27 Die – positive wie negative – Bedeutung preußischer Monarchen für die Kunstpolitik muss jedoch eingeschränkt werden. Denn generell gab es nach dem Urteil von James Sheehan bei deutschen Kunstmuseen wichtige Mitakteure der Monarchen, nämlich durchgängig die staatliche Bürokratie inklusive beamteter Bau- und Kunstfachleute, Finanzminister und Parlamente, nicht zuletzt die zeitgenössische Kunstszene. Schon „die Planung und der Bau des Berliner [Alten] Museums [waren] in die Verwaltungsinstitutionen des preußischen Staates eingebunden. Den Ablauf kann man in ministerialen Dokumenten verfolgen, nicht in Privatbriefen, die an den königlichen Bauherrn und von ihm geschrieben wurden.“ Die Initiativfunktion von Monarchen nahm seit den 1850er-Jahren klar ab, wenngleich es weiterhin kunstpolitisch tätige Monarchen gab, etwa die Großherzöge Ernst Ludwig von Hessen (Mathildenhöhe in Darmstadt, Jugendstil) oder Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (Harry Graf Kessler, Henry van de Velde), und die meisten Monarchen einzelnen Künstlern Unterstützungen ad hoc gewährten. James Sheehan formuliert deshalb für das Ende des 19. Jahrhunderts  : „Ungeachtet des Fortbestehens höfischer Patronage ging die relative Bedeutung der Fürsten für die deutsche Kultur überall zurück. In dem Maße, wie die Kunst76–83. Zum Kunstfonds vgl. Christopher B. With, The Prussian Landeskunstkommission 1862– 1911. A Study in State Subvention of the Arts, Berlin  : Gebr. Mann Verlag 1986, hier 18–28. 27 Vgl. Johann Georg Prinz v. Hohenzollern/Peter-Klaus Schuster (Hg.), Manet bis van Gogh. Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne, Ausstellungskatalog München  : Prestel Verlag 1996, darin 21–40  : Peter-Klaus Schuster, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne, und 396–401  : Peter Paret, Die Tschudi-Affäre. Die Interventionen im Überblick bei Martin Stather, Die Kunstpolitik Wilhelms II., Konstanz  : Hartung-Gorre Verlag 1994. Zu Österreich  : Jeroen Bastiaan van Heerde, Staat und Kunst. Staatliche Kunstförderung 1895–1918, Wien  : Böhlau Verlag 1993, bes. 21, 271 f., 327 f.

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welt expandierte, schwand zwangsläufig der Einfluss des Einzelnen, selbst wenn er über königliche Autorität verfügte. […] Herrscher konnten daher gelegentlich in die Museumsverwaltung eingreifen, sie aber nie auf Dauer festlegen. Wie im Falle zahlreicher anderer Institutionen wurden die Richtlinien und Praktiken von Museen durch die beiden stärksten Kräfte geprägt, die im wilhelminischen Deutschland wirksam waren  : durch den Staat und den Markt.“28 Ein gesellschaftsgeschichtlicher Blick auf die Kulturpolitik wird stets Akteure und Interaktionen, Adressaten und eigensinnige Rezeption von affirmativ bis subversiv berücksichtigen müssen.

Berliner Theater und Berliner Hofoper

Zentrale Punkte der bisherigen Aussagen zur Genese ab 1806/15, zum Fehlen einer durchgängigen kulturstaatlichen Führungsrolle Preußens, zur auffälligen Zurückhaltung in der öffentlichen Kulturpolitik bis über die Jahrhundertmitte hinaus sowie zur Bedeutsamkeit, aber auch den sukzessive begrenzten Initiativen von Monarchen lassen sich auch auf dem Feld von Theater und Oper in Berlin ausmachen. Hierzu abschließend eine knappe Skizze. Als das Berliner Theater- und Musikleben ab 1815 neu begann, soll Staatskanzler Hardenberg zu Generalintendant Carl Graf von Brühl geäußert haben  : „Machen Sie das beste Theater in Deutschland und danach sagen Sie mir, was es kostet“. Das anfangs als Königliches Nationaltheater firmierende Schinkel’sche Schauspielhaus am Gendarmenmarkt und die Knobelsdorff’sche Hofoper Unter den Linden, seit 1811 vereinigt als Königliche Schauspiele, präsentierten in den ersten Jahren Graf Brühls durchaus „nationale“ Stücke  : die Erstaufführung von Beethovens „Fidelio“ im Oktober 1815, 1816 E. T. A. Hoffmanns „Undine“ und Mozarts „Zauberflöte“ mit Schinkels bis heute bekannten Bühnenbildern sowie Carl Maria von Webers „Freischütz“ als Auftragswerk Brühls im Juni 1821. Sie sollten „deutsche Musik“ und „deutsche Oper aus romantischem Geist“ an28 Zitate Sheehan, Kunstmuseen, 116 und 228. Die Bedeutung von Beratern und Verstaatlichung konstatiert für Ludwig I. und Max II. von Bayern Wolfgang Hardtwig, „Privatvergnügen oder Staatsaufgabe  ? Monarchisches Sammeln und Museum 1800–1914“, in  : Mai/Paret (Hg.), Sammler, Stifter und Museen, 81–103, 89 f., 92.



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stelle der lange vorherrschenden italienisch-französischen Ausstattungsstücke in den Vordergrund rücken  ; Philipp Ther hat das unter der Überschrift „Die Ideologie nationaler Musik“ thematisiert. König Friedrich Wilhelm III. und die hochkonservative Hofpartei (Wilhelm Fürst Wittgenstein–Herzog Karl von Mecklenburg–Generaladjutant Job v. Witzleben) hegten jedoch schnell deutliche Vorbehalte gegen alle „nationalen Projekte“, die ihnen zu sehr mit Nation und Volkserhebung, Verfassung und Liberalismus verbunden erschienen. Der französisch-italienische Klassizismus bot weniger unliebsame politische Anknüpfungsmöglichkeiten und war daher bei politisch Konservativen präferiert. Nicht Brühls Kandidat, der als Liedersänger der Freiheitskriege verdächtige von Weber wurde zum Generalmusikdirektor berufen, sondern der italienische Komponist in französischen Diensten Gasparo Spontini, der grosso modo dem monumentalen Klassizismus zuzuordnen ist. Unter Spontini machten französische und italienische Stücke (früh z. B. Donizetti und Bellini) wohl 2/3 des Repertoires aus. Als Künstler und Verwalter der Berliner Hofoper brachte er sie künstlerisch und sängerisch bis zu einem Ensemble-Wechsel Ende der 1820erJahre auf europäisches Niveau. Ermöglicht wurde dies mit enormen 300.000 Mark Jahreszuschuss des Monarchen und zudem regelmäßig durch die Begleichung von Etatüberschreitungen, die im 900.000 Mark Gesamtetat der Kgl. Theater häufig waren. 1910 ������������������������������������������������� betrug der monarchische Zuschuss zu den Hoftheatern 2,8 Mio. Mark, 17 % der Krondotation, und der Landtag genehmigte weitere 1,5 Mio. Beihilfe.29 Intendant Graf Brühl trat 1828 zurück, als Spontini mit „Agnes von Hohen­ stau­fen“ einen christlich-heroischen Mythos als Versöhnung von französischem 29 Vgl. die beiden Grundlagenwerke Ruth Freydank, Theater in Berlin. Von den Anfängen bis 1945, Berlin  : Henschelverlag Kunst und Gesellschaft 1988 sowie Georg Quander (Hg.), Apollini et Musis. 250 Jahre Opernhaus Unter den Linden, Frankfurt/M.  : Propyläen Verlag 1992  ; dort 158 bzw. 52 das Zitat. Bei Quander, Apollini, 49, 60, 62, 65, 74–79 die oben resümierten Sachverhalte. Philipp Ther, „Wie national war die Oper  ? Die Opernkultur des 19. Jahrhunderts zwischen nationaler Ideologie und europäischer Praxis“, in  : Ders./Peter Stachel (Hg.), Wie europäisch ist die Oper  ?, Wien  : Böhlau Verlag 2009, 89–112. Die Etat-Zahlen 1824 nach Freydank, Theater, 196, 1910 nach Stenographische Berichte des Preußischen Abgeordnetenhauses 1910, Anlagen, Drucks. Nr. 515, 4549. Zum sparsamen, hochkonservativen Hausminister Wittgenstein und den Theatern vgl. Hans Branig, Fürst Wittgenstein, Köln  : Böhlau Verlag 1981, 207– 212.

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Klassizismus und deutscher Romantik zur Aufführung brachte. Bis 1840 hatte sich die öffentliche Meinung stark gegen Spontini als Repräsentanten der Erstarrung unter Friedrich Wilhelm III. und Propagandisten höfischer Stoffe gerichtet. Unter Friedrich Wilhelm IV. verlor Spontini umgehend seinen Posten – ironischerweise nach einem Prozess wegen Majestätsbeleidigung. Sein Nachfolger Graf Redern, ein Hobby-Komponist von gewisser Liberalität, sondierte schnell bei Giacomo Meyerbeer in Paris und dieser amtierte 1842–46 als Berliner Generalmusikdirektor. Damit war wieder ein französisch-italienisch geprägter Kosmopolit berufen, übrigens unter tätiger Fürsprache Alexander v. Humboldts. Meyerbeer brachte den „Fliegenden Holländer“ und „Rienzi“ von Richard Wagner zur Aufführung – ohne großen Publikumserfolg in Berlin. Dem Publikumsgeschmack entsprachen mehr Lortzing, Flotow und der früh gestorbene Otto Nicolai. Dessen Stück „Die lustigen Weiber von Windsor“ (1849), eine Mischung von italienischem Belcanto und deutscher Operette, entsprach besonders dem Gusto der Massen. Meyerbeers Oper „Ein Feldlager in Schlesien“ feierte 1844 Friedrich II. als Friedens- und Musenfürsten  ; die Etablierung des Stücks als „preußische Nationaloper“ gelang konservativen Kreisen nicht. 1847 trat Meyerbeer nach mehrfachen Streitigkeiten mit dem aus München geholten Hofopern-Intendanten Karl Theodor von Küstner (Amtszeit 1842–51), der jede Anforderung Meyerbeers auf bürokratischem Weg in Hausministerium bzw. Kabinett brachte und deren langsame Antwort abwartete, zurück. Meyerbeer dirigierte jedoch weiter in Berlin und sein „Prophet“ wurde 1850 in der Hofoper wenige Monate nach der Pariser Uraufführung gezeigt. Als Sachwalter Meyerbeers verstand sich anfangs der erste von drei nacheinander amtierenden adeligen und in der Militärlaufbahn erzogenen Generalintendanten, Botho von Hülsen (Amtszeit 1851–1886). Von Hülsen brachte Wagners Tannhäuser 1856 und Lohengrin 1859 zur Aufführung, seit 1857 auch Verdi und engagierte dafür stimmstarke italienische Sänger. Gegen Verdi votierte nicht das begeisterte Publikum, sondern die Theaterkritik. Auch französische Stücke wurden vor wie nach 1870 auf die Bühne gebracht, zuvörderst Bizets Carmen und Gounods Faust. Das letzte Jahrzehnt Hülsens stand dann im Zeichen der Stagnation, zumal die neueren ästhetischen Konzepte der Bühnendarstellung wie sie u. a. das Meininger Hoftheater praktizierte, kaum Eingang in die Berliner Hofoper fanden.30 30 Die Fakten nach Quander, Apollini, 81 f., 86 f., 93 f., 95, 99, 102, 105 f., 112 f. Friedrich



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Insgesamt war in den 1880er-Jahren das Repertoire tendenziell „deutscher“ geworden, aber Berlin kannte stets viele Gastspiele auch ausländischer Truppen, lag im europäischen Vergleich nicht gerade zurück, aber konnte nicht die Vielfalt des Musiklebens von Paris oder Wien bieten  ; auch Dresden und München blieben starke binnendeutsche Konkurrenten. Deutschnationale Verengung als Intention der Hofopern-Leitung war weder unter Spontini und Meyerbeer noch später bei von Küstner und von Hülsen zu konstatieren, eher schon bei manchen Theaterkritikern, und das Publikum liebte wie stets eingängige Stücke, ausländische Opern durchaus eingeschlossen. Schmissige Stücke zu hören – das war die Basis, auf der Konkurrenten der teuren Hofoper (2,50 bis 12 Mark pro Sitzplatz um 1910) florieren konnten. Schon seit 1824 gab es das Königstädtische Theater als bürgerliches Volkstheater, freilich ohne Konzession zur Aufführung „heroischer Opern“  ; es wurde 1829 insgeheim vom Königshaus erworben, und aufgrund dessen Einfluss 1851 geschlossen. Starke private Konkurrenz aber blieb  ; sie umfasste ab 1848 das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater, das 1883 in Deutsches Theater umbenannt und seit 1905 von Max Reinhardt geleitet wurde, das Kroll’sche Theater (1844–94, ab 1896 staatlich) als Unterhaltungsetablissement, das seit 1850 u. a. Lortzings Opern herausbrachte, 1859–91 das Victoria-Theater und andere mehr. Zwar gab in Berlin nie (wie in Brüssel 1830 oder in Italien) eine Oper den Auftakt zu einem Volksaufstand, aber im Umfeld der 1848er Revolution ergingen mehrfach Anordnungen, dass politisch anstößige Stücke zu vermeiden seien. Unter der Theaterzensur-Ordnung vom 10. Juli 1851 erstarben sie ganz. Aufschwung für Theatergründungen brachte 1869 die wirtschaftsliberale Gewerbe-Ordnung des Norddeutschen Bundes, die die Konzessionierung wesentlich erleichterte.31 Wilhelm von Redern, Unter drei Königen. Lebenserinnerungen eines preußischen Oberstkämmerers und Generalintendanten, hg. von Sabine Giesbrecht, Köln  : Böhlau Verlag 2003  ; dort 260–264 zu Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“. 31 Freydank, Theater, 222–233, 259 f., 266, 286. Zu den Berliner Bühnen Werner Bollert, „Musikleben“, in  : Hans Herzfeld (Hg.), Berlin und die Mark Brandenburg im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin  : Walter de Gruyter Verlag 1968, 617 ff. Zur Zensur nach 1848 vgl. Stark, „Germany“, in  : Goldstein (Hg.), Frightful Stage, 32 f. Die Verordnung vom 10. 7. 1851 (Vorstellungen sind vorgängig vom Polizeipräsidium zu genehmigen und Textbücher einzureichen, Präsenz eines Polizisten ist möglich) in  : Geheimes Staatsarchiv PK Berlin, Rep. 77, Tit. 420 Nr. 16 Bd. 3, 138–141.

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Von daher schon erklärt sich, dass das Wort Wilhelms II. von 1898 „Das Theater ist auch eine meiner Waffen“ oder seine Verachtung für die „Rinnsteinkunst“ nie eine allumfassende Beherrschung der vielfältigen Theaterszene bedeuten konnte. Die Kgl. Oper und das Kgl. Schauspiel allerdings mussten durchgängig Rücksichten auf den Hof nehmen. So klagte der gebürtige Berliner Bruno Walter in seinen Memoiren im Rückblick auf seine Zeit an der Hofoper 1900/1901 über bürokratische Geheimräte mit spezifischen Vorurteilen gegenüber (kostspieligen) künstlerischen Plänen  ; die Qualität von Orchester, Chor und diversen Sängern erkannte er aber an. Der Österreicher Felix von Weingartner, 1891–98 Hofkapellmeister, schied im Streit von Berlin und monierte ähnliches. Hans v. Bülow spottete über die Hofoper als „Zirkus Hülsen“ und hatte auch deshalb keine Chance als Berliner GMD, amtierte jedoch sechs Jahre als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Moderne Opernregie oder Regietheater gab es indessen an wilhelminischen Staatsbühnen kaum, und Berliner Bühnen gehörten bis 1914/18 wie in den Jahrzehnten zuvor nicht zur Avantgarde des Musiktheaters.32 Eine Besserung kam 1898 mit Richard Strauss an die Hofoper, den Generalintendant Bolko Graf Hochberg (Amtszeit 1886–1902), wiederum ein HobbyKomponist, engagierte, und den sein Nachfolger Generalintendant Georg von Hülsen (Amtszeit 1903–1918), Mitglied des kunstsinnigen Kreises um Philipp Fürst Eulenburg, trotz Missfallens Wilhelms II. hielt. Strauss’ Zeit in Berlin ist gut erforscht  ; durch ihn gewann die Hofoper musikalische Bedeutung zurück. Hinsichtlich des Repertoires der Jahre 1903–18 weist die Statistik für die Hofoper eindeutig Richard Wagner als Spitzenreiter aus (1292 Aufführungen), deutlich vor Strauss (392), Mozart (339), Verdi (270), Leoncavallo (158) und Meyerbeer. Eine betont vaterländische Oper aus dem Berlin des 15. Jahrhunderts, „Der Roland von Berlin“, die Wilhelm II. bei Ruggero Leoncavallo angeregt hatte, reüssierte 1904 trotz Bestbesetzung weder bei Presse noch beim Publikum. Auf Offenheit, negativ formuliert Wahllosigkeit bei der Annahme von Stücken deuten folgende Zahlen hin  : Von 86 Erstaufführungen der Jahre 1886–1918 hielten sich 53 ge32 Wilhelms Ansprache in  : Unser Kaiser. 25 Jahre der Regierung Kaiser Wilhelms II. 1888–1913, Berlin  : Deutsches Verlagshaus Beng & Co. 1913, 330. Bruno Walter, Thema und Variationen, Frankfurt/M.  : S. Fischer Verlag 1963, 160 f.  ; Felix von Weingartner, Erlebnisse eines „königlichen Kapellmeisters“ in Berlin, Berlin  : P. Cassirer Verlag 1912, 7, 62, 74 ff. Quander, Apollini, 122, 128.



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rade eine Spielzeit. Dass die Berliner Hofoper dabei einseitig deutschnationalgermanische Stücke bevorzugt hätte, ist nicht zu sehen. Sie war immer nach Programm, Künstlern und Kulturrezeption europäisch-international verortet, aber zugleich – das darf umgekehrt kaum erwartet werden – nie Avantgarde. Hofopern waren, wohl mit Ausnahme Wiens unter Gustav Mahler sowie Dresdens ab 1900, nicht der Ort für musikalisch und szenisch richtungweisende Erneuerungen des Musiktheaters, aber im Deutschen Reich auch keine Hochburgen des völkischen Nationalismus. Denn die Höfe orientierten sich an Staat, Hierarchie und „bewährter Tradition“, das Publikum liebte eingängige Stücke und Melodien, die Opernszene war nach Stücken, Künstlern und Bühnenpraxis eine europäische.33 Was lässt sich nach dieser Tour d’horizon durch den Kulturstaat am Beispiel Preußens forschungspragmatisch festhalten  ? Das breite Feld der Kulturpolitik bietet vielversprechende Ansatzpunkte für Forschungen  ; nicht einmal die Basis der zentralen archivalischen Quellen steht vollumfänglich zur Verfügung. In der Kulturpolitik gab es vielerlei Akteure, gerade zivilgesellschaftliche, und der Kulturbereich besaß europäische transnationale Dimensionen, die in Bildungswesen und Wissenschaft ebenso evident waren wie in der Kunst  ; Personen, Ideen und Organisationsprinzipien wanderten auch zwischen Preußen und Österreich vor wie nach 1866. Zugleich gab es, etwa bei öffentlichen Inszenierungen oder Minderheitenpolitik, auch nationale Kontexte und Unterschiede, die mit expliziten, symmetrischen Vergleichen von Staaten oder Regionen herausgearbeitet werden können. Die integrative Wirkung von Preußens Kulturpolitik ist skeptisch zu beurteilen, denn Neu-Preußen ab 1815, Katholiken und Arbeiterbewegung ab 1866, nationale Minderheiten gar wurden nicht wirklich gewonnen. Freilich sind für staatliche Integration auch andere wichtige Bereiche von Staatstätigkeit zu berücksichtigen – Verwaltungs- und Militär-, Rechts- und Sozialstaat. Valide Analysen von kultureller Identität, Nationalisierung oder Europäisierung soll33 Quander, Apollini, 137 f., 142 (Aufführungsstatistik), 144. Zu Strauss vgl. Michael Walter, „Richard Strauss und seine Zeit“, Laaber  : Laaber Verlag 2000 sowie Walter Rösler, Das „Zauberschloß“ Unter den Linden, Berlin  : Edition q Verlags-Gmbh 1997, 151–158. Bei Julius Kapp, Geschichte der Staatsoper Berlin, Berlin  : Max Hesses Verlag 1937, 253–260, findet sich eine Statistik 1786–1942, wonach unter den 14 meistaufgeführten Autoren Wagner (4205) vor Mozart (2922) und Verdi (2251) rangierte, aber auch Puccini (1217), Auber (1087), Bizet (938), Rossini (663) und Gluck (578) vertreten waren. Ebenen der Europäisierung der Oper strukturiert Philipp Ther, Einleitung, in  : Müller (Hg.), Oper, 15–21.

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ten diese Faktoren einbeziehen. Das aspektereiche Panorama der Kulturpolitik auf den diversen Ebenen mit avancierten geschichts- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen zu analysieren, bleibt lohnend.

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Cultural Policy in the Late Ottoman Empire  ? The Palace and the Public Theatres in nineteenth-Century Istanbul

Cultural policy is a term associated with the emergence of centralized modern nation states after WWI/WWII.1 Under this concept, we usually understand conscious state decisions to maintain/control various cultural institutions. The state regulates/finances religions, sustains arts (drama, classical music, fine arts, literature), sport, natural and cultural heritage (museums, monuments, lieux de memoir, parks), and sciences. A cultural policy may comprise education and press/media regulations, too (although education is mostly treated as a separate field). The reason for the state sponsorship is that most of these activities are held to be markers of national identity and memory. Citizens in welfare states usually demand culture as an exchange for their tax. Nineteenth-century polities handled these activities and institutions very differently for several reasons. First, institutions of “art” and “culture” were in the making.2 Second, the modern state itself was also in the making, its exact responsibilities and domains were continuously redefined. For instance, the first institution that supposedly embodied a conscious state cultural policy, the Prussian “Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten” of 1817 (“Kultusministerium”), regulated/supervised religious, educational and 1 I am grateful to Merih Erol for her comments on this text, for the precious help of Cafer Sarıkaya and the questions I got from the participants of the conference “Kulturpolitik in Imperien,” 19–20 November 2010, University of Vienna. Mario D’Angelo and Paul Vespérini, Cultural Policies in Europe  : A comparative approach, Strasbourg  : Council of Europe Publishing 1998, 25. 2 In a classic article Paul Kristaller argued that the modern concept of art and its system was already crystallized in the eighteenth-century. Paul Oskar Kristaller, The Modern System of Arts  : A Study in the History of Aesthetics I, in  : Journal of the History of Ideas 12, 4 (1951)  : 496–527, and The Modern System of Arts  : A Study in the History of Aesthetics II, Journal of the History of Ideas, 13, 1 (1952), 17–46. However, the institutions of this system (academies, museums, theatres, university faculties, etc) get their final form in the nineteenth-century. This is the core of the institutional theory of art  : George Dickie, Art Circle  : A Theory of Art, Chicago  : Spectrum Press 1997.

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medical activities but “art” joined only later.3 Third, the nature of the nineteenthcentury imperial polity did not allow a strict separation between royal/imperial and state patronage. Fourth, the elites of nineteenth-century Europe developed various conceptual vocabularies concerning art and culture — it is enough here to mention the famous difference between German Kultur and French civilisation.4 Concerning the subject of this study, the late Ottoman Empire, we have to consider at least four actors in the funding of the so-called cultural activities  : private capital, Sultan’s patronage, ministerial funding, and municipalities. Non-governmental bodies financed many “cultural” activities before the nineteenth-century.5 The Tanzīmāt (Reforms, “re-orderings”) challenged these traditions, revitalised the Empire by strengthening the central control over the formation, entertainments, and identities of the subjects.6 Some of the reforms followed French ideas. In French, la civilisation was the keyword of nineteenthcentury political discourses, both as a duty and as a justification of colonialism. “Civilisation” contained all aspects of aesthetic or spiritual pleasures, too  : arts, education, and of course, religion. In Muslim discourses “civilisation” was formulated in a famous model of historical change (Ibn Khaldūn, fourteenth century). However, in the nineteenthcentury, Ibn Khaldūn’s remarkable theory was not applied in public argumentations about reform. The Ottoman Turkish word for civilization, medenīyet (modern Turkish  : uygarlık), and its adjective, mütemeddin (civilized), denoted a complex political system, foremost  : knowledge. Furthermore, since the Arabic root of this word is also the root of the word madīna (city) civilisation and urban development were connected in Ottoman thought.7 Medenīyet was often used in 3 Preussen als Kulturstaat, Berlin  : Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften 2007, 6–7. Cf. Hartwin Spenkuch’s article in this book. 4 Philippe Bénéton, Histoire de mots  : culture et civilisation, Paris  : Presses de la Fondation nationale des sciences politiques 1975, 54–56. 5 For instance, education was never a privilege or a duty of the Empire. The semi-private waqf establishments (religious endowments) maintained religious education still in the nineteenthcentury. Cf. the Encyclopaedia of Islam (Second Edition), “waqf ”, by R. Peters and others. From this schools came the bureaucrats also who served the imperial administration, partly even in the first half of the nineteenth-century. 6 Roderic H. Davison, Reform in the Ottoman Empire, Princeton  : Princeton University Press 1963, 5–6. 7 Heidemarie Doganalp-Votzi and Claudia Römer, Herrschaft und Staat  : Politische Terminologie



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Ottoman political texts, even in the Hatt (Imperial Edict) of 1856, or the Constitution of 1876.8 In intellectual debates, medenīyet was mixed with religious and racial dimensions, like in 1878 an Ottoman deputy from Janina could argue that “just as we (the Ottomans  ?) took civilization from the Greeks, Europe has taken it from us.”9 Political and legal reform, sciences, and modern technologies were considered to be the conditions of modern civilization and guarantees of participation in the international competition. Even an “Ottoman civilizing mission” policy could be detected in Iraq and other provinces.10 Medenīyet could contain far more, like towards the end of the century the memories of Abdülhamid II. testify that he applied this word also to the traditional Muslim/Ottoman literature and art and at least this Sultan thought that it should be used against imitating European style arts.11 If we want to discover “policy” (siyaset) concerning “culture” (kültür) in the late Ottoman Empire, we have to distinguish the Ottoman educational policy with its ancient traditions — one of the main priorities and successful initiatives of the Tanzīmāt and a quite well-researched field12 — from the des Osmanischen Reiches Tanzimatzeit, Wien  : ÖAW, 2008, 225 and 227. Okay states that it is the French concept of civilisation that the Ottomans translated, not, for example, the British one. However, civilization was a long existing Arabic concept (ʿumrān and tamaddun) famously used by Ibn Khaldūn, whose translation to Ottoman Turkish must have preceded the European adaptations.   8 Doganalp-Votzi and Römer, Herrschaft und Staat, 230.   9 Hasan Kayalı, Arabs and Young Turks, Berkeley  : University of California Press 1997, 36. The parenthesis with the question mark is from Kayalı. I believe that the deputy meant Muslims. 10 Selim Deringil, ‘They live in a State of Nomadism and Savagery’ — The Late Ottoman Empire and the Post-Colonial Debate, in  : Comparative Studies in Society and History 2 (2003), 311–342. 11 Sultan Abdülhamit, Siyasī hatıratım, Istanbul  : Dergah Yayınları 1999, 143–144. 12 The basic Turkish work is Necdet Sakaoğlu, Osmanlı eğitim tarihi, Istanbul  : Iletişim Yayınları, 1993. Cf. Selçuk Akşin Somel, The Modernization of Public Education in the Ottoman Empire, 1839–1908 — Islamization, Autocracy and Discipline, Leiden  : Brill 2001, especially interesting is the institutionalization  : 83–138. A good overview  : Ekmeleddin Ihsanoğlu, Ottoman Educational and Schoraly-Scientific Institutions, in  : Ekmeleddin Ihsanoğlu (Hg.), History of the Ottoman State, Society, and Civilization, 2 vols., Istanbul  : IRCICA 2002, 2, 361–495. For the specific problems with the reform of Ottoman education see Benjamin C. Fortna, The Imperial Classroom  : Islam, the State, and Education in the Late Ottoman Empire, Oxford  : Oxford University Press 2002, 1–42. Teyfur Erdoğdu’s articles discover the administrative formation of the Maʿārif-ı ʿUmūmiyye Nizāratı (Ministry of General Education) in the Ankara Üniversitesi Siyasal Bilgiler Fakültesi Dergisi (1996).

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sponsorship of artistic activities and imperial heritage. An early peculiar cultural/educational institution was the Encümen-i Daniş (Council of Knowledge/ Academy of Learning), established around 1851 and dissolved in a few years, aiming at cultivating knowledge via preparing textbooks, translations, purifying language, etc.13 This can be considered as a centralized but ephemeral body of cultural policy. If we restrict ourselves to art and heritage, we may find very different policies towards, for instance, museums that were in the limelight of Ottoman official initiatives, culminating in the famous Ottoman Imperial Museum (1869),14 and theatres that were viewed quite differently — the Ottoman Empire finally did not possess an imperial theatre or opera house. This difference between museum and theatre is the consequence of particular historical situations, various tastes, and imperial traditions. It would be a misleadingly false supposition that Sultans did not favour theatres. On the contrary, almost all the Sultans in the nineteenth-century were ravish about theatres, especially about music theatre. But — since “theatres transcend the distance between state and public”15 — the Sultans, with the notable exception of Abdülmecid, did not favour the public character of theatre. They had their private, palace scenes. Yet, imperial representation was a natural preoccupation of Sultans and their governments. Imperial symbols were shown externally with an aim to participate in the international concert of the world powers, and internally to build loyalty of the subjects towards the Empire and the Sultan. The identity politics of the late Ottoman Empire is a topic investigated eminently by Selim Deringil and Hasan Kayalı for the regime of Abdülhamid II.16 Earlier nineteenth-century Sultans are, however, less explored for their symbolic politics because experiments and reforms kept imperial vocabularies continuously changing. For instance, millet-i Osmanlı (Osmanlı milleti/millet Osmanīye), the Ottoman 13 Stanford J. Shaw and Ezel Kural Shaw, History of the Ottoman Empire and Modern Turkey, 2 vols., Cambridge  : Cambridge University Press 1977, 2,109–110. 14 Wendy M. K. Shaw, Possessors and Possessed — Museums, Archeology, and the Visualization of History in the Late Ottoman Empire, Berkeley  : University of California Press 2003, 84. 15 Philipp Ther, Call for this conference “Kulturpolitik in Imperien,” 19–20 November 2010, University of Vienna, unpublished material. 16 Selim Deringil, The Well-Protected Domains — Ideology and Legitimation of Power in the Ottoman Empire, 1867–1909, London  : I.B. Tauris 1998, especially see chapters 1 and 6.



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“nation,” a master concept of an imperial nation,17 was in use even before the 1876 constitutional affirmation (cf. art. 8  : “all subjects of the Empire, without distinction, are called Ottomans,” millet-i Osmanlı is not used in the text). This term has a paradox history from around 1839, swaying between religious and secular contents. Surely, the representational politics of Sultan Abdülhamid II and his men preferred modernist religious symbols,18 but still, for them, the Ottoman nation naturally mirrored one political community. Even such later nationalist as Ziya Gökalp said in 1911 that “Osmanlılık (Ottomanism) is certainly a nation.”19 The public persona of the previous rulers (Mahmud II, Abdülmecid, Abdülaziz) often was staged as a secular moderniser yet they also conformed to their role of caliphs although perhaps not as part of a conscious imperial ideology. In connection with the conscious use of art in Ottoman politics, a number of questions arise. What kinds of (European and non-European) art institutions were financed by the Sultans of the nineteenth-century  ? And what kinds of art institutions did the Ottoman government in this period finance  ? That is, what were those institutions of art that were components of the Ottoman administration  ? And what was the relation between these institutions and Ottoman political ideology or its self-understanding as a civilised, mütemeddin empire  ? Furthermore, is there a difference between Istanbul and the provinces, between the provinces themselves, or the rest of the Empire  ? These questions cannot be answered here. Although a good number of studies exist about the already cited museums and theatres, almost nothing is available on the history of fine arts in the nineteenth-century (including the modernist patronage of the traditional Muslim arts).20 Ultimately, some of these arts were used in international fairs for the advertisement of the Ottoman Empire, like in 1893 in Chicago. Even a theatre group was sent to the US to represent the Empire — 17 For the concept of imperial nation see Alexey Miller, The Value and the Limits of A Comparative Approach to the History of Contiguous Empires, in  : Imperiology  : From Empirical Knowledge to Discussing the Russian Empire, Slavic Research Center, Hokkaido University 2007. Ebook  : http  ://src-h.slav.hokudai.ac.jp/coe21/publish/no13_ses/contents.html, 22–23. 18 Ahmet Yaşar Ocak is quoted in Deringil, Well-Protected Domains, 67. 19 Ziya Gökalp is quoted in Ebru Boyar, Ottomans, Turks, and the Balkans — Empire lost, relations altered, London, Tauris 2007, 54 20 With the exception of Wendy M.K. Show’s new book, Ottoman Painting — Reflections of Western Art from the Ottoman Empire to the Turkish Republic, London, I. B. Tauris 2011.

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but this group was not invited from an autochthonous Istanbullu theatre but was gathered from all the provinces.21 Here, I offer only an essay about the relations between official authorities (Sultans, governments, ministries, municipalities) and theatres in Istanbul roughly between the 1830s and 1890s. My intention is to discover, via the theatres, the attitudes of the imperial authorities towards public art. Provincial developments will be mentioned only in passim. On the other hand, I would like to emphasise an often overlooked aspect and this is the “world around” the Sultans  : their capital, Istanbul, Constantinople, or as it was called administratively, Dersaʿādet ve Bilād-ı Selās (literally, “The Gate of Felicity and the Three Cities”). All nineteenth-century Sultans were occupied with what is going on in that conglomeration of cities and villages that is called today Istanbul — in spite of the city governorate, they also exercised their power directly. There is an old dichotomy used by Turkish and non-Turkish scholars concerning artistic activities in Istanbul which is based on a clear-cut distinction between, on the one hand, the circles of the Sultan or the “Palace,” and on the other, the “people” or the “city.” This dichotomy concerning music started to be deconstructed in the 1990s,22 and I hope to contribute to this deconstruction with an argument that actually until the 1870s the Palace, in many ways, was entangled with the urban activities, thus parallel, sometimes mutually influential processes can be observed. All the more, since the Tanzīmāt was run by a large body of bureaucrats, with the rise of the Porte (the Grand Vizirate) with strong leading personalities like Reşid Pasha or (Mehmed Emin) Ali Pasha, who acted many times independently from the Sultan.23 These high statesmen were rather interested in schooling and literature than in live performances, although, as we will see, many of them certainly assisted to theatricals evenings. I sketch three stages of the relations between palace theatricals and popular entertainment in the nineteenth-century in Istanbul. In the first part, I argue that we can discover entangled relations between Palace and City concerning 21 Cf. Cafer Sarikaya, Celebrating Difference  : The ‘Turkish Theatre’ in  : The Chicago World’s Columbian Exposition Of 1893, unpublished MA thesis, Bogazici University 2010, 69–70. 22 Perhaps the first traces  : Orhan Tekelioğlu, The Rise of a Spontaneous Synthesis  : The Historical Background of Turkish Popular Music, Middle Eastern Studies 32, no. 2 (1996), 194–215. 23 Davison, Reform in the Ottoman Empire, 35.



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theatricals, roughly during the rules of Sultans Abdülmecid (1839–1861) and Abdülaziz (1861–1876) when theatres were considered important also for diplomatic reasons. At this stage, cultural policy means imperial patronage and the first municipal involvements. In the second part, I propose the idea of an “imperial theatre from below” by local troupes who offered themselves as imperial ones in the 1870s, albeit unsuccessfully. Finally, the rule of Abdülhamid II (1876–1909)24 when some of the theatres were considered as dangerous corrupting instruments but nonetheless, or exactly because of this understanding, theatrical activities got the attention of policy-makers. This concern implied supervision, censorship, and control, but also the funding, or at least, the maintenance of some theatres by municipalities. We can also observe via this (constructed but perhaps useful) scheme the changing distance (metaphorically and physically) between Palace and City, or rather, palaces and cities. Although one may believe that the above simplified chronology would suggest too much influence of the Sultans on theatre activity, especially on Ottoman Turkish theatre (which was indeed a movement from below), from an administrational point of view, in many cases the Sultans decided directly about issues of theatre in Istanbul, or, at least, they were regarded as decision makers (the petitions were written targeting them). This feature made possible a personal touch of the given Sultan on the government–theatre relations which is comparable to the princely infringement on theatre in Central European states in the first half of the nineteenth-century. As we will see, between 1839 and 1890s, at least six projects popped up to establish an Ottoman imperial theatre or opera house. At any rate, two out of the six plans were connected with a Sultan but none were realized. However, we can also discover the rise of municipalities as cultural brokers. Between these two (Sultan and municipality) we do not find any official body that would have been responsible for art, although the imperial bureaucrats in many ways participated (with translations, etc.) in theatrical activity.

24 The short months of Murad V in 1876 are not counted here.

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Entangled Performances  : the Palace and the City

Istanbul was never separated from European style entertainments, having an Italian and “Frankish” population in Pera/Beyoğlu which organized their carnevals, balls, and theatrical events from the sixteenth-century onwards. In the eighteenth-century, visiting Italian opera groups entertained the Palace, then in the early nineteenth-century various circus artists, singers, and musicians played for Sultan Mahmud II and Abdülmecid. With the reform of the army (Nizām-i Cedīd) the well-known Guiseppe Donizetti was invited to head the Imperial Music band and school (from 1828) and to teach the members of the imperial family European music.25 Young Sultan Abdülmecid (1839–1861) was passionate for European music and theatre. In the last years of the rule of his father, Mahmud II (1808–1839), Italian and Austrian/French circus artists established playhouses in Taksim (today a centre of public transportation, then one of the outskirts of Pera/Beyoğlu, an open field). Mahmud II himself loved theatrical plays  ; but privately theatres might have been set up already during the 1820s and 1830s.26 In 1838, he permitted Gaetano Mele, leader of an Italian artists company, to build a theatre, and his son, Abdülmecid granted land to Mele at Taksim in 1840 to build an Opera House. This theatre burned down in December 1841, just before the opening.27 The donation of land for an imperial Opera already indicates the tone of Abdülmecid’s rule that can be characterized by a rather fluid borderline between palace and city (of course, only concerning theatrical matters). He is the first Sultan to consider European style public spaces for imperial representation. At the time when Mele’s imperial theatre burned down another private playhouse operated (from around the summer of 1840). It was on the land of an Arab Christian, Michel Naum (Mikhāʾīl Naʿūm) that became the main scene in 25 Emre Aracı, Donizetti Paşa — Osmanlı Sarayının İtalyan Maestrosu, Istanbul  : Yapı Kredi 2006. 26 Metin And, Türkiyede Italyan Sahnesi, Italyan Filologi-Filologia Italiana, 1970, 127–142. Here  : 128. Aracı, Naum Tiyatrosu — 19. Yüzyil Istanbulu’nun Italyan Operası, Istanbul  : Yapı Kredi Yayınları 2010, 53. See further details in my doctoral dissertation. 27 For the permission see, Journal de Smyrne (Commercial, Politique et Littéraire), 17 November 1838, 3. Cf. also Gaetano Mele’s letter written to Sultan Abdülmecid, dated 5 April 1857, 427/30 HR. TO. BOA and Revue et Gazette musicale de Paris, 2 January 1842, 8. Letter dated 15 December (1841).



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Pera.28 This institution entertained a particular relation to Sultan Abdülmecid who time to time donated money for the maintenance and used the theatre as his unofficial opera house.29 The visiting companies of the Naum Theatre performed often in front of the Sultan and his family (harem) during Abdülmecid’s rule, like in 1851, when the Italian opera troupe played in a temporal theatre “constructed in the internal garden of the harem.”30 The members of the harem got a musical education, both Ottoman and European, thus by 1856, a female music company was formed.31 Abdülmecid, however, wanted his proper theatre that was built indeed as an attachment to his new palace, Dolmabahçe, in 1858. The short-lived Dolmabahçe Palace Theatre might be considered as a Hof­ theater. There were occasions when high personalities of the imperial administration were invited to watch performances like in April 1859 when the Sultan ordered the troupe of the Naum Theatre to Dolmabahçe Palace, and all the Ottoman ministers, including the Grand Vizier and the princes, assisted to the performance.32 This year, a French article in the Francophone Istanbulite press

28 After the first studies of Refik Ahmet Sevengil Opera sanʿatı ile ilk temaslarımız, Istanbul  : Maarif Basımevi 1959 and Metin And Tanzimat ve Istibdat Döneminde Türk Tiyatrosu, 1839–1908, Ankara  : Türkiye Iş Bankası 1972, the most important monograph is Emre Aracı, Naum Tiyatrosu. The theatre on the land of Michel Naum meant at least three buildings subsequently, the final one being built in 1853. Cf. the three documents in 110/2563 I.MVL BOA, the first dated 20 Ṣafar 1263 (7 February 1847), the imperial irade dated 11 Muḥarram 1264 (19 December 1847). Note also the quarrel between Smith, the architect of the Naum Theatre, and Antoine Alléon, a private banker. In this quarrel the Sublime Porte (and its Nizāret Hāriciye) and the French Embassy were also involved, the date of the irade of the Meclis-i Vālā is 23 Rajab 1268 (13 May 1852) in 228/7845 I.MVL BOA. Cf. also letter dated 22 March 1853 from the French Embassy to the Minister of Foreign Affairs at the Sublime Port, unsigned, 194/52 HR.TO BOA. However, it seems that in 1846 the famous Fosseti brothers also designed a theatre for Naum. Gertraud Heinrich, Die Fossati-Entwürfe zu Theaterbauten — Materialien zur Architekturgeschichte Istanbuls im 19. Jahrhundert, München  : Tuduv Verlag 1989. Heinrich published three theatre plans out of which only two is dated. 33–63 and Abb. 7, 8, 9. 29 Cf. Aracı, Naum Tiyatrosu  ; and Namık Sinan Turan and Ayşegul Komsouğlu, From Empire to the Republic  : the western music tradition and the perception of opera, International Journal of Turcologica 2, no. 3, 2007, 7–31, here 15. 30 Le Ménestrel, 14 December 1851, 2. 31 Le Ménestrel, 24 August 1856, 4. 32 Journal de Constantinople, 15 April 1859, 3.

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called for a “national theatre.”33 We do not know the author of this idea, nor the Ottoman Turkish reactions for this proposal, if there was any (see below). During these years a curious interplay took place between the Naum Theatre and the Dolmabahçe Theatre, between the district of Pera and the Palace — not only the visiting troupes of Naum performed in the Palace but also the Sultan visited often the district, even some of the personalities were common. Hymns of Donizetti Pasha were performed in the Naum, while Callisto Guatelli (1816– 1900),34 who was the conductor in the Naum Theatre, became the successor of Donizetti as Head of Imperial Music. The European musicians of the Imperial Music lived almost all in Pera, with Guatelli at their top. By 1868, eighteen European music teachers worked in Pera, some of them (including Guatelli) were imperial musicians.35 The entangled relations between Palace and the Europeanised quarter, between Dolmabahçe and Pera/Beyoğlu, in the 1850s coincided with the choice of Pera/ Galata as the experimental district of urban planning. After the second Reform Edict of 1856 (Islāhāt Fermanı) in 1858 the Municipality of the 6th District (Altıncı Dāʾire Belediyesi) was established.36 One of the first actions of the new Municipality was to issue a theatre regulation for the Naum Theatre. This regulation could be regarded as the first conscious official Ottoman policy in Istanbul towards a private, public theatre — although it was written in French. From this time on, municipalities will have an increasing role in regulating the public spaces of their district, although they will possess never exclusive rights for banning or allowing. 33 Journal de Constantinople, 8 and 22 April 1859, 1–2 and 2 respectively. 34 Le Monde artiste, 15 April 1900, 239 writes in its necrology that Guatelli died in his 84th years, which means that he was born in 1816. An online resource, however, states that he was born in 1819 in Parma. http  ://www.kalan.com/scripts/Dergi/Dergi.asp  ?t=3&yid=9845. Accessed 12 March 2011. 35 R. Cervati et R.C. Sarvologo, L’Indicateur Constantinopolitain, Constantinople 1868, 222. 36 In fact, it was the first municipal district to be organized along contemporary European standards one must note that, of course, previously there was also an Ottoman tradition for city development and urban control, see Zeynep Çelik, The Remaking of Istanbul, Berkeley  : University of California Press 1993, 42–43 and it served as an experimental area for urban reform. Çelik, The Remaking, 45 and Steven Rosenthal, Foreigners and Municipal Reform in Istanbul  : 1855– 1865 International Journal of Middle East Studies 11, no. 2 1980, 227–245, here  : 233–239. For a general overview, Shaw and Shaw, History of the Ottoman Empire, 2, 91–95.



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The Municipality had to argue that 1. A theatre is a public location and every public institution is under the direct control of the Municipality for maintaining the public order 2. The theatre, and its impresario, must fulfil its engagements vis-à-vis the public, and vis-à-vis the contracted artists in a regulated form. 3. In the theatre order must be maintained because here one can find “protection against men with bad intentions” 4. At the same time the Municipality is the only authority that can exercise its rights for surveillance. The Regulation contained more what was needed to maintain the order. For instance, taste was taken into consideration also (“la Municipalité fera droit à tout grief légitime que le Public articulerait contre toute representation qui ne serait pas agree,” art. 5).37 Meanwhile, small theatres popped up all around the Bosphorus and the Golden Horn, in Ortaköy, Kadıköy, Pera (Beyoğlu), and Gedikpaşa districts. In Izmir and other great Ottoman cities new theatres were built either by the citizens or by the governors. Performances in the Bulgarian language also started at this time.38 A bunch of Armenian actors performed plays in Ottoman Turkish and Armenian as well (Armenian theatre activity in Istanbul dates back to the 1810s). Although the Armenians could present their plays in front of the Sultan Abdülmecid already in 1858,39 we have no data concerning any governmental support for their theatre.40 In Pera/Beyoğlu other private theatres opened, like the French Theatre in the Palais de Cristal from 1862 under the management of an Ottoman Armenian impresario, Seraphin Manasse,41 which became a rival of the Naum Theatre soon. 37 The decree of the Municipality is dated 24 October 1859 — an original printed version (in French) and its Ottoman Turkish manuscript translation exist in HR.TO. 472/21, BOA. The Regulation in French was also published in Revue de Constantinople, 2 November 1859, 3. Some of its articles were even published in France, Le Ménestrel, 27 November 1859, 415, and were looked at as if these were the signs of “progress of Turkish civilization.” Years later, in the battle against the whistle in theatre in France, this regulation was cited again in France as a good example, Le Ménestrel, 7 June 1863, 211 citing Malliot’s book, La musique au Théâtre. 38 Darina Vassileva, European Theatre And Its Audience In The Ottoman Territories On (sic  !) The Balkans During The nineteenth-Century, Etudes Balkaniques, no. 1 1994, 86–101, here 98–100. 39 Journal de Constantinople, 9 June 1858, 3. 40 See more in Metin And, Osmanlı Tiyatrosu, Ankara  : Ankara Üniversitesi 1976, and his ­Tanzimat ve Istibdat Döneminde Türk Tiyatrosu (1839–1908). 41 A basic source for his life is in Hayāl, 15 May 1290, 1–2.

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In this competition, the Naum Theatre maintained its relations with the Palace also during the rule of Sultan Abdülaziz (1861–1876), who visited the theatre, although less often than Abdülmecid.42 Although Michel Naum died, his brother, Joseph Naum, managed the theatre that started to use the title “Imperial” from 1869. In this year, numerous European sovereigns visited Istanbul, as tourists or as the first stop to the Suez Canal Opening Ceremonies. By this time the Dolmabahçe Palace Theatre was not functioning,43 thus the monarchs visited the Naum Theatre, the only proper place to present a European royal or imperial celebrity to the citizens. The Sultan knew very well the value of public representation in European style not only because of his father, Mahmud II’s education, or the public gatherings during the rule of his brother Abdülmecid, but also because he had visited the Paris World Exhibition where he was taken to the Opera on 5 July 1867.44 With Emperor Napoleon III and Empress Eugènie, Abdülaziz was staged in Paris like an exhibited object.45 On his way back to Istanbul, Abdülaziz spent an evening also in the opera house in Vienna on 29 July 1867.46 Perhaps recognizing the public advantages of parading together in theatre with European heads of state, Sultan Abdülaziz cherished a plan to establish a proper Imperial Theatre, again at the Taksim field that was around this time slowly urbanized.47 This theatre, the third of these imagined projects, however, was never built, although in autumn 1869 no one else than Franz Joseph, the Emperor of the Austro-Hungarian Monarchy visited the Naum Theatre en route to Suez. This visit could have been one of the most terrible experiences of the Emperor since he was welcomed by thousands of people who made a double line with torches to light his way from Taksim to the Naum Theatre (the Emperor came without the Sultan and from the Dolmabahçe Palace). The journals noted that 42 For instance, in 1863, Le Ménestrel, 13 December 1863, 14. 43 Gazette et revue musicale de Paris, 2 September 1866, 279 says that it was burned down. Although there were rumours that Abdülaziz wanted to transform the theatre into a depot of canons, even in France the journals refused this plus. Le Ménestrel, 13 October 1861, 367. 44 Telegram in the Levant Herald, 8 July 1867, 1. 45 Zeynep Çelik, Displaying the Orient  : architecture of Islam at nineteenth-century world’s fairs, Berkeley  : University of California Press 1992, 32. 46 Levant Herald, 30 July 1867, 1. 47 Levant Herald, 9 February 1869, 3.



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“the crowd was even denser then on the recent occasion of the Empress Eugénie’s visit.”48 The Emperor stayed only one hour in the packed Naum Theatre and then left in a hurry. He might have been less resistant to become an object of general curiosity than was Sultan Abdülaziz in Paris or Vienna. Abdülaziz maintained a rather ambivalent relation towards public performances. It is very hard to decide if his intentions in 1869 were sincere for establishing an Imperial Opera House considering that no preparations were made. Still, during the winter of 1869/70 a committee for theatres was formed by highranking Ottoman personalities (Turks, Armenians, Bulgarians, and Greeks) to encourage theatrical arts and also to establish an institution — as they called — a “Sultanic Theatre” (Tiyatro-yu Sultānī).49 We do not know if there is any relation between the Sultan’s earlier plan in 1869 and this initiative (which is the fourth one in thirty years to establish an official theatre of the Empire). Some believe that the Tiyatro-yu Sultānī was conceived to control theatrical activities, especially of Bulgarians, by a centralized institution, where a council could choose the plays that may be performed only in the imperial language, Ottoman Turkish.50 Nevertheless, this plan was again forgotten, furthermore, the Naum Theatre burned down in the great fire of June 1870. This also put an end to the entangled performances between Palace and the City. To sum up, theatrical activity was encouraged but was not considered a proper state domain until the 1870s. A continuous interplay between imperial entertainments and private activities can be observed, mutually influencing each other. Time to time, the idea of an official theatre was proposed by various individuals but such an institution finally did not come into being. From the end of the 1850s, district municipalities issued regulations with the aim to maintain public order. Between the 1830s and 1860s, the cultural policy towards theatres mainly consisted of the Sultan’s patronage and funding for certain performances or special occasions. In 1869, due to the large number of visiting monarchs, Sultan Abdülaziz almost established an imperial theatre, but this project was not realized.

48 Levant Herald, 1 November 1869, 1. 49 Mümeyyiz, 28 February 1870, 2. Cf. and, Osmanlı Tiyatrosu, 54–55. 50 Vassileva, European Theatre and Its Audience, 99.

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An Imperial Theatre from Below  ?

By 1860 a large circus-theatre building was built in the Gedikpaşa district of Istanbul that became home of numerous wandering troupes who were also circulating within greater Istanbul, between the Asian and the European shores. It is this place that competed for the status of an official theatre in the 1860s and 1870s. The building itself later was in the possession of Ömer Bey who was the personal secretary (ceb kātip) of Sultan Abdülmecid. It is more than likely that this theatre-circus was imagined as a spot for popular entertainments for the population of this district and its environment. Its first director was a musician from the Imperial Music, Yavur Bey — thus it is hard to resist the assumption that the Gedikpaşa Theatre was conceived partly as a state-project or at least run by individuals close to the Sultan.51 The Meclis-i Vālā, the Legislative Council, issued a regulation, presumably for this theatre, in 1860, shortly after that the Naum Theatre got its own from the Municipality of the 6th District. This regulation or Bylaws (Nizāmnāme) contains that the theatre (called “Istanbul Theatre” in the document) and its artists were put under the direct jurisdiction of the police and the authority of the Municipality (art. 4., no indication which municipality).52 Since the identification of this theatre with the Gedikpaşa Theatre cannot be warranted, it is risky to suppose any further scheme between the Ottoman authorities and the Gedikpaşa.53 This regulation contains the first known theatrical censorship, since article no. 5. establishes a police officer with the special task to supervise and control not only the theatre but also the plays. This indicates a new official awareness, since 51 The permission to Yavur Bey is dated 9 Jumādā al-Akhir 1276 (3 January 1860), so it was obviously requested earlier sometime in 1859, I.MMS. 16/691, BOA. Cf. also Journal de Constantinople, 28 March 1860, 2 and Osmanlı Tiyatrosu, 21–24. 52 First referred by Metin And to the three documents published by Rauf Tuncay in the 1960s. The first document, issued from the Meclis-i Vālā to an unidentified authority, is the Regulation (tanzīm) of the theatre. It contains the information that the building will be used by horse circus artists (at cānbāzları). Tuncay, and based on him, And too, took this document as dated 1859. But this is from 29 Shaʿbān 1276 which corresponds to 22 March 1860. Today these three documents could be found in a digital gömlek I.MVL. 430/18931, BOA. And, Osmanlı Tiyatrosu, 34. Rauf Tuncay, Türk Tiyatro Tarihi Belgeleri, Belgelerle Türk Tarihi Dergisi, no. 8, 1968, 71–75. See more in my PhD-dissertation. 53 Metin And identifies it with the Gedikpaşa Theatre. And, Osmanlı Tiyatrosu, 35.



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it is out of question that any other persons than the jurists of the Meclis-i Vālā composed the text (it is entitled as “Istanbul Tiyatrosu’na dāʾir Maclis-i Vālā’dan tanzīm olunan Nizāmnāme’dir” — “The Bylaws containing the regulation from the Meclis-i Vālā concerning the Istanbul Theatre”). Thus, after the regulation of the Naum Theatre, rather embodying the conceptions of the mixed cosmopolitan Frenchized Pera Municipality, this directive shows the proclivity of the Ottoman authorities towards a public space in 1860.54 Just like all other theatres in Istanbul, the Gedikpaşa was a host theatre without a permanent troupe. During the 1860s and 1870s, many troupes and performers used the Gedikpaşa Theatre, for instance, French, Bulgarian, Armenian troupes.55 However, from around 1868, an Ottoman Armenian impresario, the famous Güllü Agop ([H]Agop Vartavyan, in the French press often Gullian Effendi), started to stage performances here very often. His troupe, which was called the “Ottoman Theatre” (Osmanlı Tiyatrosu), played almost exclusively in Ottoman Turkish and was wandering between the theatres of Pera, Kadıköy, Gedikpaşa, etc.56 Güllü Agop indeed got an imtiyāz, permission and monopoly, in 1870 to stage plays in Ottoman Turkish for 10 years.57 Curiously, this is the spring when the committee for a Tiyatro-yu Sultānī (Sultanic Theatre) was in the making and the summer when the flames destroyed the Naum Theatre. Opportunities opened for numerous private entertainers to compete for a growing market. Güllü Agop was one of them, and his strategy was to provide entertainment in Ottoman Turkish (as opposed to the French and Italian visiting troupes, or theatre in Greek) under the simple title Ottoman Theatre (ʿOsmānlı Tiyatrosu/Tiyatro-yu ʿOsmānī), with the explanation of theatre as an education (“taʿlīm-i ādāb”).58 54 The relationship between the two regulations needs further research. The final decision of the Municipality of the Sixth District concerning the Naum Theatre is dated 24 October 1859, the Tanzīm of the “Istanbul Theatre” is dated 22 March 1860. Between them there is only a couple of months, although as far as I know the French regulation of the Naum Theatre was publicly available. 55 And, Türk Tiyatrosu, 46. 56 And, Osmanlı Tiyatrosu, 41–51. 57 Dated 15 Ṣafar 1287 (17 May 1870), I.ŞD. 18/777, BOA. First published in And, Osmanlı Tiyatrosu, 55–56. Public news about the monopoly Diyojen, 4 Taşrīn-i Avval 1287 (28 November 1870), 1. 58 The company was named as Ottoman Theatre well before the monopoly, cf. Cerīde-yi Havādis, 8 Dhū al-Ḥijja (1 April 1868), 1.

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However, many Italian/Greek/Armenian-run theatres, clubs, cafés-concerts competed for the market during the early 1870s. The Ottoman Theatre group of Güllü Agop desperately wanted to be recognized as an official troupe in this competition of private theatres, but we have no data if Sultan Abdülaziz would ever see them. They performed for the first time the famous Vatan yahut Silistre (Homeland or Silistra), a patriotic play of Namık Kemal (1873) about the Ottoman-Russian war. However, Kemal and other journalists soon were arrested and sent to exile, and the Vatan was banned.59 Still, the Ottoman Theatre group at least in its name and advertisements presented itself as an imperial theatre but this imperial image was constructed from below. They offered a possible representational image for the empire but its rulers did not use this possibility, although there were some moments, like in 1873, when high statesmen, including the ex-Grand Vizier, Midhat Pasha, attended their performances.60 Suggestions in the press aimed at the Government or the Sultan Abdülaziz several times, like in 1871 to help the Ottoman Theatre group to build a “national theatre.”61 At this time, the public image and the persona of the Sultan were increasingly contested, and this secular type of symbolism perhaps looked no more efficient to re-establish legitimacy. Although almost immediately after the destruction of the Naum in 1870, Callisto Guatelli Pasha submitted a plan and a petition for the construction of a new, “real” State Opera Theatre in the Petits Champs des Morts (Tepebaşı),62 Sultan Abdülaziz was probably uninterested, either because of his declining mental state63 or perhaps the general lack of money, or his dislike of theatre. This was the fifth of such projects in the century. Building an official theatre was prolonged for almost ten years, and finally, instead of a state theatre, a Municipal Garden was opened, and within this public garden a “kiosque” was built.64 This was the 59 And, Osmanlı Tiyatrosu, 63–64. 60 L’Orient Illustré, 1 February 1873, 390. 61 Levant Herald, 14 January 1871, 3. 62 Ottoman Turkish translation of a presumably French contract, without date, but the headline states that it is the translation of a document dated 11 May 1871. HR. TO. 454/62, BOA. Cf. And, Türk Tiyatrosu, 206 referring to a firman that was given in 1872. 63 Davison, Reform in the Ottoman Empire, 280. 64 The Garden was ready in 1880 summer, but the theatre(s) properly started working from 1881– 82. See the corresponding numbers of La Turquie.



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Théâtre des Petits Champs or Tepebaşı Tiyatrosu which had an ambivalent status  : its possessor was the Municipality but it was rented to private, Italian, Ottoman Armenian, or French impresarios seasonally or yearly during the 1880s. Several times rebuilt, this location boasts a great career later as one of the focal points of early republican cultural politics. Yet, during the 1870s no centralised regulation existed towards the theatres in Istanbul, since neither the Sultan, nor any of the ministries sought to support any of the theatres. The sporadic patronage of the Sultan was over, the last known example is the support for the Naum Theatre as a contribution to the costs of the visiting monarchs’ entertainments in 1869. The increased theatre activity of the diverse ethno-religious Ottoman communities was of concern, but, so far, no explicit ban was implemented (apart from the 1873 ban of Vatan, see above). Sometimes troupes were invited to the Palace but otherwise no real investment was made into theatre as an imperial or national institution. Thus we cannot discover any coherent initiative towards the theatres. That lack of attention is probably connected to the “period of chaos”, as Davison calls it, between 1872 and 1876. The weakening of central control in the realm of public culture may partially explain why theatre in Ottoman Turkish spread widely in this period. Moreover, Dikran Tchouhadjian (1837–1898), a later famous Ottoman Armenian composer, wrote music theatricals, operettas or opera-comiques for Ottoman Turkish librettos. After a quarrel with Güllü Agop he established his own troupe which was called “Ottoman Opera” (Osmanlı Operası).65 Although this troupe played operettas in Ottoman Turkish, Tchouhadjian was never invited to the Palace unlike Naum’s visiting European troupes in the 1850s. The reason might be that they did not offer proper elite operas, but rather light opéras-comiques, thus it is perhaps the genre and not the language which counted to their negligence. High statesmen nonetheless visited these performances, but 65 Nikoghos K. Tahmizian, The Life and Work of Dikran Tchouhadjian, Los Angeles  : Drazark Press 1999. The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Second Edition, 29 vols. London  : Macmillan Publishers Limited 2001, s.v. Armenia, III. Opera, ballet, orchestral and chamber music, by Svetlana Sarkisyan, vol. 2  : 26–28  ; and s. v. Chukhajian, Tigran Gevorki, by Svetlana Sarkisyan, vol. 5, 820–821. Cf. the activity of Gérald Papasian and the Dikran Tchouhadjian Research Center in Paris.

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I have no knowledge if Abdülaziz or his ministers would have financed any of the performances. During the 1870s in Istanbul the high authorities indeed left the domain of European-style entertainments. The statesmen behind the reforms died and Sultan Abdülaziz behaved neutrally.66 On the other hand, theatre was not yet considered to be dangerous. The regulation of the “Istanbul Theatre” in 1860 tells about awareness but also about a central willingness to deal with theatres. By the mid-1870s, this willingness completely vanished and in its place, municipalities stepped as directly dealing with theatres — one may interpret the unique regulation of the “Istanbul Theatre” as a precedent (that actually already transferred the right of control from the central bureaucracy to a municipality). Thus the close links between public and the entertainments of the Sultan were lost.

Destroying the Morals

This situation changed radically with two important events. In 1876 Sultan Abdülhamid II (1876–1909), who wanted a closer control on the numerous fractions, religions, and entertainments of the Empire, accessed the throne. The already existing concept of an “Ottoman nation” had to be filled with an identity, which meant stronger loyalty to the Sultan. Second, in 1880/1881 the Théâtre des Petits Champs, the Tepebaşı Tiyatrosu, was opened that was considered by the Christian communities as “the” theatre, and was especially liked by Greeks and Italians. Abdülhamid II, who accompanied his uncle in 1867 on his European trip, very well understood the stake of public representations and also loved European music, especially Italian opera.67 This Sultan was a very contradictory person, a clever autocrat with real intellectual dilemmas. He held the arts in high esteem, as I already cited, and in his memoirs often complained against the accusation “if I would be an enemy of literature” (“ben edebiyata düşman olsaydım”).68 At the 66 Shaw and Shaw, History of the Ottoman Empire 2,152–153. 67 François Georgeon, Abdulhamid II — Le sultan calife, Paris  : Fayard 2003, 31–34. 68 Sultan Abdülhamid’in hatıra defreti, Istanbul  : Emre Yayınlar 2006, 13.



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same time, he used his status as the leader of all (Sunni) Muslims, as caliph in public representation and thought that the “state’s social structure and politics is founded on the basis of religion.”69 Around 1882, theatrical activities reached a point when they were closely and openly intertwined with various political agendas. After the Ottoman-Russian war (1876–78), the continuous Balkan crisis, and the abolishment of the 1876 Constitution, in 1882 the ʿUrābī-revolution in Egypt and the subsequent British invasion were the most unsettling developments in the Empire. In October 1882 a police report suggested to the Ministry of Interior increased control in theatres because “if the players (actors) are not the masters of modesty and careful attention, the public mind and morals will be rotted.” This note was based on the performances of the Ottoman Theatre. The report recommended that, first, the Publication Supervision Office (that is, the imperial censorship of the press and publications) should write a confirmation for every theatrical play and second, that a theatre inspector should be appointed.70 Thus in 1883 a Theatre Inspectorship (tiyatrolar müfettişliği) was established within the body of the imperial administration.71 This was also reported in the Ottoman and French press of Istanbul. A certain Hilmi Effendi was named as the inspector,72 later his office was enlarged. The existence of this department meant that the Ottoman Empire wanted to control private institutions, without contributing to their costs, and without considering theatre as a necessary means for the education of the subjects. Theatre censorship did not always count among the institutions of cultural policies  ; still, the Ottoman Empire (similarly to other nineteenth-century empires) spent considerable money to maintain an institution directed at artistic products. This control was directed towards many types of public gatherings, concerts included.73 69 “Çünkü devletin sosyal bünyesi ve politikasının esası din üzerine kurulmuştur.” Sultan Abdülhamit, Siyasī hatıratım, 134. 70 “Oyuncular ādāb ve dikkat sāhibi olmazlar ise ezhān va ahlāk ʿumūmīyayı bozacakları.” Letter dated 13 Dhū al-Ḥijja 1299 (26 October 1882), Y. PRKA. 4/2, BOA. 71 Letter dated 21 Rajab 1300 (28 May 1883) in ZB. 13/75 and cf. Y.PRK.A. 4/2, BOA. 72 La Turquie, 4 July 1883, 1. Later a Greek and Armenian officer was also involved in the supervision. 73 Merih Erol, Spying on Music in Istanbul during the late Hamidian Regime (1876–1909), unpublished paper, 10th International Conference on Urban History, Ghent, 1–4 September 2010.

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Indeed, the cultural policy of Abdülhamid II concerning theatres rather meant “the protection” of the people from the dangerous, morally corrupt entertainments.74 Perhaps we cannot call this attention a “cultural policy” rather a central “supervision” of the theatres and the public space in general. The most famous case took place in 1884  : the ban of two Ottoman Turkish plays (an operetta and a drama, Çengi and Çerkez Özdenleri) of Ahmed Midhat that also led to the destruction of the Gedikpaşa Theatre.75 The existence and success of Çengi and the theatrical activity of Ahmed Midhat in general was evaluated by the Ottoman press as an effort to create a “national theatre” that was also reported in the French press. This “national theatre” meant also that the article demanded a proper national theatre judging the Gedikpaşa Theatre “un edifice impropre pour un ville comme Constantinople.” The author thought that “the liberty of the public” should create a new theatre (“il faut que la liberté du public crée un théâtre”).76 The idea of this new theatre was the sixth and last project for an official theatre of the Ottoman Empire until the 1890s. The two plays of Midhat were about the idealized freedom of tribal leaders and their revolt against oppressors. Reported by secret agents and the theatre inspectors, Abdülhamid II personally banned the plays  : “the compositors of such plays must pay special attention also to the application of meanings of the word ‘freedom’ in a proper and legal way, as it suits to the plays. Hence from now onwards, such plays, which are contrary to the proper behaviour and customs, which destroy the morals, absolutely and extraordinarily forbidden.”77 The Gedikpaşa Theatre was soon destroyed. The Sultan, under the pretext of transforming it into a school of Arabic studies (that was advertised in the press as a pious act because Arabic is the language of the Quran),78 in fact, sent a clear 74 This can be backed by his political memoirs when the Sultan talkes about the legitimacy of sensorship because a lot of French novels were translated and entered the harem (the private household  ?), and the hearts and minds seduced by them caused lots of pain. Sultan Abdülhamit, Siyasī hatıratım, 85. 75 Metin And, Osmanlı Tiyatrosu, 98–101. More in my dissertation based on DH. MKT. 1408/101, DH.MKT. 1406/49, MF.MKT. 85/60, I.DH. 936/74108, and Y.PRK.A. 4/2, BOA and the daily press of the time. 76 Osmanlı, 1 November 1884, 1 and Le Moniteur Oriental, 8 November 1884, 3. 77 Note dated 2 Ṣafar 1884 (21 November 1884), in I.DH. 936/74108, BOA. 78 Le Moniteur Oriental, 24 November 1884, 2. See more in my dissertation.



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message to Ottoman Turkish theatre makers. Sultan Abdülhamid II. embodied the role of a great cultural policy-maker  : that is, symbolically opted for an educational institution via which he could express his nature as the Caliph of all Muslims, suppressing a theatre where the word “freedom” could be used too freely. Yet, the general myth that this would have meant the end of theatres in Istanbul until the end of his rule is totally false. Although supervised and controlled, theatres flourished during the 1880s and 1890s in Pera and also in other districts, just like public concerts and other gatherings. One reason for this is that the public sphere was considered to be an important legitimizing pillar of the Sultan.79 Yet, this understanding did not stop the authorities to monitor, for instance, all the Greek musical activities.80 On the other hand, theatres remained locations where loyalty could be expressed in the forms of hymns (especially the famous Hamidiye, the imperial “anthem”) that were often sung by foreigners as well. Municipalities owned and maintained the buildings. Theatre in Ottoman Turkish was also in motion, including Serope Benkliyan’s Ottoman Operetta Troupe that toured empire-wide (mostly because in Istanbul they were too much supervised). Abdülhamid II. had his own theatre built in the Yıldız Palace (1888) where he and the members of the Imperial Family were entertained. This was not a Hoftheater where the larger court or imperial grandees were all invited (like the Dolmabahçe Palace Theatre of Abdülmecid) but strictly speaking the quite small, private theatre of the Sultan. Troupes and visiting musicians were still invited to the Palace, for instance, the impresario Billorian and his Italian troupe from the Théâtre des Petits Champs played in the Yıldız Palace Theatre in 1888.81 To recapitulate, during the last two decades of the nineteenth-century within the imperial administration a separate supervision of theatres was established for disciplining public behaviour. This policy consisted of monitoring, prohibition, and permission but theatres were not, especially not public theatres, considered to be an imperial duty to maintain or to support. Rather, the local municipalities of the districts contributed much to theatrical activities. 79 Nadir Özbek, Philanthropic Activity, Ottoman Patriotism, and the Hamidian Regime 1876– 1909, International Journal of Middle Eastern Studies, 37 (2005), 59–81. 80 Erol, Spying on Music, 10–11. 81 La Turquie, 29 et 30 January 1888, 2.

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Conclusion

The Ottoman Empire joined to nineteenth-century state practices to include some institutions of what we now call “cultural” in its central, yearly budget. However, an imperial theatre finally did not accompany the Ottoman Museum or the Imperial School of Music. Theatres, especially music theatres, in their relations to the state bodies were considered important institutions in the crystallization of cultural policy. In the nineteenth-century, when such a policy was not yet consciously defined, but numerous identity building projects were put in motion — that we may term as cultural politics –, the emerging modern Ottoman state responsibilities did not include the obligation of securing public theatrical entertainment as a return for the tax of its subjects. Although in general one might risk the statement that throughout the nineteenth-century theatre was considered to be an educational and propaganda instrument by members of the administrative or business elite in Istanbul (be those Armenian, Greek, Turkish, Arab, Bulgarian, Jewish, Italian or French), the Palace or the Porte never considered this educational instrument important enough to include it in the scope of the officially sponsored activities. Until the 1890s, no theatre was incorporated in the system of the late Ottoman central institutions, but municipalities controlled them or they were private. The exact command of the Sultans over public and private theatres is a delicate issue. Each Sultan was very much present in his capital, certainly they had more direct influence on the built environment and also on the daily issues than in the provinces. Therefore, there was a close relation and interest between the city and the ruler. For instance, theatre monopolies were given concerning only Istanbul and were not valid empire-wide. Although bans were introduced empire-wide by Abdülhamid II, the very close supervision of theatres was only possible in Istanbul, if there at all. A public imperial theatre building within Istanbul was not built by the state, however, for the needs of the multi-centred theatrical activity and for the growing interest numerous smaller, private or semi-private buildings were constructed. During the nineteenth-century we can enumerate six plans and three potential imperial theatres  : the Naum Theatre, the Gedikpaşa Theatre, and the Tepebaşı Theatre. Perhaps the Naum Theatre was the closest to become a representational



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institution of the Empire in 1869. The final absence of such an institution is also responsible for that the Palace was not looked at as an overarching cultural broker. Theatre makers did not offer their products (from the 1870s) for official or state representations thus the state remained only one among the numerous potential financers (although perhaps the most prestigious). Theatre and opera did not manage to become expressions of imperial or “imperial national” policies, these were not considered to be useful institutions to secure the loyalty for the ruler, although their power over the masses was finally acknowledged. To explain the absence of institutionalization, three reasons can be given  : a banal, an administrative, and a political. The banal one is that when plays in Ottoman Turkish started to flourish and Ottoman operettas were written in the 1870s, Sultan Abdülaziz was not (or could not be) interested. Perhaps his brother, Sultan Abdülmecid would have handled this activity in a very different way, even though he always opted for European plays. The administrative reason is that after 1880 district municipalities became stronger in their investments and they maintained a number of theatres, thus the State or the Palace did not have to fund such activities directly. The political reason is that Sultan Abdülhamid II made the conscious decision that he wanted to be shown publicly as the modernizing Caliph, that is, to secure loyalty via religious symbolism and not via performance culture.

András Gergely

Kulturpolitik und Nationsbildung in Ungarn unter besonderen Berücksichtigung der Theater

Die ungarische nationale Bewegung  : der lange Marsch durch die Institutionen (bis 1812)

Die Bedeutung der nationalen Kultur wurde zuerst von Intellektuellen verschiedenster Provenienz im ausgehenden 18. Jh. erkannt. Diese moderne – die ständischen Grenzen überschreitende – „nationale Kultur“ konnte vorerst keine nationalen Institutionen hervorbringen. Dennoch entstand etwa zwischen 1810 und 1820 eine Bewegung zugunsten der Spracherneuerung und daraus eine, vor allem auf Übersetzungen basierende ungarischsprachige Literatur. Als Zentrum galt der in einem abgelegenen Dorf lebende Schriftsteller und Kritiker Ferenc Kazinczy (1778–1831), der durch seinen umfangreichen Briefwechsel ein Netzwerk ungarischer Literatur schuf. Das literarische Zentrum wurde 1830, gewissermaßen als symbolische Geste, nach Pest verlegt, wo dann belletristische Zeitschriften das literarische Leben organisierten. Es fehlten aber nach wie vor „nationale Institutionen“ als Förderer einer nationalen Kultur. Als zentral gelegener Ort und größte Stadt des Landes war das schnell wachsende Pest dazu berufen, diese zu beherbergen. Die Intellektuellen bombardierten die Aristokraten und Würdenträger mit Flug- und Bittschriften, solche Institutionen zu gründen und zu unterstützen. Nicht ohne Erfolg  : Die Aristokratie brauchte eine neue Legitimation, da sie in Wien fast in die Bedeutungslosigkeit zurückgedrängt worden war. Sie wollte keine Reichs-, sondern eine Landesaristokratie sein, und nahm sich dieser Aufgabe an. Die erste Gründung war die Tat eines Einzelnen  : Graf Ferenc Széchényi (1754–1820) schenkte seine Sammlung von Büchern, Urkunden, Münzen und Skulpturen der Nation. Damit rief er 1802 das Nationalmuseum ins Leben. Dessen Gründung wurde 1808 gesetzlich genehmigt, womit das Museum öffentlich-rechtlichen Charakter bekam. Die Sammlung wurde durch Schenkungen immer größer, gleichwohl blieb die institutionelle Bedeutung aber hinter dem Nationalmuseum in Prag zurück, dessen ungarisches Pendant zunächst

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eine Raria-Sammlung war. 1836 bewilligte der Landtag eine halbe Million Gulden subsidium1 für den Bau eines repräsentativen Gebäudes des Nationalmuseums. Das riesige Gebäude am kleinen Ring in Pest wurde 1847 fertiggestellt. Vor ihm spielten sich viele Revolutionsszenen von 1848 ab, wobei die Außentreppe als Freilichtbühne fungierte. Es wurde also sofort als symbolische Stätte verstanden und damit später ein zentraler Ort und Erinnerungsort der Revolution von 1848. Die Gründung des zweiten nationalen Instituts war dagegen ein Fiasko. 1809 opferte Königin Ludovica ihr Krönungsgeschenk zum Zwecke der Gründung einer ungarischen Militärakademie. Die Schenkung wurde vom Landtag begeistert angenommen und viele Mitglieder des Landtags zeigten sich zusätzlich opferbereit. Manchmal weit über ihre finanziellen Möglichkeiten gaben Aristokraten, dann auch Adelige, Städte und Privatpersonen Spenden für die Militärakademie. Die jahrzehntelange Sammlung brachte schließlich eine enorme Summe. König Franz2 schenkte für ihre Unterbringung ein Gebäude in Waitzen (Vác), aber die Stände gründeten die Militärakademie in Pest und errichteten dort das größte Gebäude der Stadt. Der riesige Bau blieb aber leer und diente lediglich als Notgebäude oder als Krankenhaus in der Zeit von Epidemien. Nachdem die napoleonischen Kriege vorbei waren, brauchte der Hof die militärische Unterstützung der Ungarn nicht mehr. Diese Akademie sollte nämlich von Anfang an ungarischsprachig sein. Die Komitate3 vergaben Stipendien und wählten die Studierenden selbst aus. Für diese eindeutig national gesinnten ungarischen Schüler wurde so1 Subsidium  : Selbststeuer des Adels. Der Adel war im Prinzip steuerfrei, aber vor allem für Kriegszwecke votierte der ungarische Landtag ausnahmsweise für eine Selbststeuer. Während der napoleonischen Kriege kam es immer öfter dazu. 1836 protestierten die Konservativen vergebens, dass das Subsidium nur für Kriegszwecke gültig sei. Von nun an kam es vor, dass gesetzlich festgeschriebene Adelssteuern auch für bestimmte nationale Ziele genutzt wurden. 2 Auch im Weiteren wird, wie in der ungarischen Geschichtsschreibung überhaupt, für die Herrscher der Habsburgermonarchie auf den ungarischen Königstitel zurückgegriffen. Kaiser Franz II. (I.) = König Franz I.  ; Kaiser Ferdinand I. = König Ferdinand V.  ; Kaiser Franz Joseph = bis 1867 Kaiser Franz Joseph, dann König Franz Joseph. (Joseph II., da er ungekrönt geblieben ist, auch für die Ungarn ein „Kaiser”.) 3 Komitat  : territoriale Selbstverwaltungseinheit der Adeligen. Die kleineren Komitate sind mit einem österreichischen Kreis zu vergleichen, die größeren waren so groß wie kleinere deutsche Fürstentümer. Diese Selbstverwaltungsorgane verfügten auf einmal über die Exekutive der Zentralgewalt.



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gar das Lernmaterial vom Landtag vorgeschrieben. In diesen Zukunftsplänen lag der Keim einer nationalen Armee, wobei solche Absonderungsversuche für den Hof nach den napoleonischen Kriegen untragbar waren. Die Gründung des nächsten nationalen Instituts war wieder die Tat eines Einzelnen. Graf Stephan Széchényi (1791–1860), der „größte Ungar“ und Sohn von Ferenc Széchényi, bot 1825 zum Zwecke der Gründung einer Ungarischen Akademie der Wissenschaften sein Jahreseinkommen (etwa 60.000 Gulden) an. Die UAW nahm 1830 ihre Arbeit in Pest auf, ihr Palais wurde aber erst 1860–1866 fertiggestellt. Sie war kein Lehrinstitut, sondern ein Sammelplatz für die besten Köpfe des Landes. Die ordentlichen Mitglieder erhielten Gehälter. Sie mussten in Pest leben und Arbeiten für die Akademie erledigen, so war die Feststellung der Sprachnormen eine Aufgabe der UAW. Wissenschaftler und Schriftsteller gehörten zur Akademie, außerdem verkehrten dort Intellektuelle verschiedenster sozialer Provenienz. Vor 1830 bestanden also praktisch keine nationalen Institute. Die Nation war noch im Aufbau, das Nationalmuseum existierte nur als Sammlung ohne Geld, die Militärakademie durfte nicht gegründet werden, die UAW befand sich noch im Anfangsstadium. Pläne, ein großes, „nationales“ Theater zu bauen, gab es nicht. Ungarische (ungarischsprachige) Theatertruppen zu unterstützen, ihnen zu Vorstellungen zu verhelfen, war Anfang des 19. Jahrhunderts selten möglich. Aber eine Herausforderung beschleunigte die Verwirklichung der ungarischen Theaterpläne  : 1812 entstand in Pest, in der Mitte der Stadt, ein riesiger Theaterbau, das Deutsche Theater der Stadt Pest.

Die Herausforderung  : Das Deutsche Theater in Pest (1812–1837)

Diese Herausforderung ging eigentlich auf Joseph II. zurück. Der Kaiser wollte zunächst seinen Staatsdienern, die bei ungarischen Regierungsinstanzen arbeiteten, ein bequemes Beamtenleben ermöglichen. Diese mussten nämlich in den 1780er-Jahren von Preßburg (Pozsony) nach Buda übersiedeln, da der Kaiser die ungarischen Regierungsorgane in der Mitte des Landes sehen wollte. Statthalterei und Kammer gingen nach Buda, die einzige Universität des Landes kam schon 1777 aus Tyrnau (Nagyszombat) nach Buda und wurde später nach Pest verlegt.

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Für die etwa 500 neuen Beamten gründete Joseph in Buda unter anderem einen Spazierplatz, dann entstand in einer Karmelitenkirche der Burg auf seinen Befehl hin ein kleines deutschsprachiges Theater. (Statt Latein wurde die Amtssprache in diesen Jahren in Ungarn Deutsch.) Der Kaiser setzte den Magistrat von Pest weiter unter Druck  : Er sollte ein größeres Theater an der linken Seite der im Winter schwer zu passierenden Donau errichten. Die Stadt sammelte zwar Geld für diesen Zweck, zögerte aber diese große Investition hinaus. Auch nach dem Tod des Kaisers blieb Wien bei seinen ursprünglichen Plänen. 1808 gründete Palatin Joseph (der in Buda residierte) eine Verschönerungskommission der Stadt Pest, die dann einen Platz für das Theater fand und es auch bauen ließ. 1812 war das riesige Theater fertiggestellt. Es hatte über 3.000 Plätze und war damit die größte deutschsprachige Bühne überhaupt. Die Stadt hatte damals 33.000 Einwohner, ungefähr zwei Drittel davon waren deutschsprachig. Die imperiale Kulturpolitik von Joseph und Franz fand in dieser Größe ihren Ausdruck. Beide beabsichtigten, mit der Errichtung eines deutschsprachigen Theaters die Vorherrschaft und Überlegenheit der deutschen Kultur in einem mehrsprachigen Raum über Reichsgrenzen hinweg deutlich zu machen. Eine national erscheinende (deutsche) Kultur des in dieser Zeit bereits zu Ende gehenden Alten Reiches war Wien sehr willkommen. Der Anfang war dementsprechend repräsentativ. Beethoven schrieb für die Eröffnung die Overtüre König Stephan. Kotzebue wurde gebeten, das Eröffnungsstück zu schreiben und wählte ein Thema aus der frühen ungarischen Geschichte, dessen Aufführung die Zensoren aber nicht bewilligten. Auch später war das Theater ein Vermittler der deutschen, vor allem aber der österreichischwienerischen Kultur. Theaterstücke und Opern von Mozart und Weber kamen auf die Bühne, Starsänger und Starschauspieler gastierten, die Kulissen wurden aus Wien importiert. Die Bühnentechnik war auf europäischem Niveau. Das Orchester hatte etwa vierzig Mitglieder, viele kamen aus Wien und Deutschland. Sie musizierten auf hohem Niveau. Direktoren mit großen Ansprüchen gestalteten das künstlerische Programm. Ein Höhepunkt des neuen Theaters war, als sich drei siegreiche Herrscher (Franz I., Nikolaus I. und Friedrich Wilhelm III.) 1814 gemeinsam in der Königsloge präsentierten. Dennoch konnte das Theater keine eigene deutsche Kultur (aus Pest und Ungarn) hervorzaubern. Gleichwohl florierte das deutschsprachige Theater in Pest. Alle Spieltermine



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eingerechnet gab es hier im Vormärz über 40.000 deutschsprachige Aufführungen  !4 Das große deutschsprachige Theater schockierte das ungarische Publikum. Zwar stellte sich heraus, dass das Gebäude für 30.000 Einwohner viel zu groß war. (Es hatte auch Besucher aus Buda, aber die Nachbarstadt hatte ihr kleineres „Burgtheater”.) Selbst die spektakulärsten Aufführungen fanden vor halbleerem Saal statt. Die Akustik war schlecht, von den oberen Etagen war nicht genug zu sehen (die Bühne war 28 m breit  !). Es gab keine Heizung, so dass man im Winter über unglaubliche Kälte klagte. Das Theater ging einige Male bankrott. Das ungarische Schauspiel existierte parallel an provisorischen Spielstätten. Manchmal trat man auch im Deutschen Theater auf. Typisch für diese Periode war das Wandertheater. Die Wandertruppen wurden zumeist begeistert aufgenommen – aber nach ein bis zwei Aufführungen mussten sie weiterziehen, da das Publikum an kleineren Stätten für mehrere Aufführungen nicht ausreichte. Es fehlte zudem an geeigneten Spielplätzen. Das erste ständige (steinerne) Theater mit einem ungarischsprachigen Ensemble wurde 1821 in Klausenburg (Kolozsvár), der Hauptstadt Siebenbürgens, errichtet. Es war eine Gründung der dortigen Aristokratie. Das zweite derartige Theater entstand 1823 in Miskolc, unterstützt von dem dort lebenden Adel und den umliegenden Komitaten. Das dritte wurde 1831 von Badegästen und Intellektuellen in Balatonfüred gegründet.5 All diese Theater hatten jeweils etwa 500 Plätze. Es war keine einfache Aufgabe, auch in Pest ein großes, repräsentatives ungarisches Theater zu errichten. Man sammelte seit etwa 1790 in den Komitaten Geld für einen Theaterbau in Pest, aber das Geld reichte bei Weitem nicht aus. Die Literaten dachten an ein neues subsidium als Hilfsmittel. Man bat 1832 den 4 Hedvig Belitska-Scholz und Olga Somorjai (Hg.), Deutsche Theater in Pest und Ofen 1770–1850. Normativer Titelkatalog und Dokumentation I–II, Magyar Szinházi Intézet  : Budapest, 1995. Jolán Pukánszkyné Kádár, Geschichte des deutschen Theaters in Ungarn, Reinhardt  : München, 1933. Wolfgang Binal, Deutschsprachiges Theater in Budapest von den Anfängen bis zum Brand des Theaters in der Wollgasse (1889), Wien  : Böhlau 1972. 5 Das Theater von Balatonfüred hatte die Aufschrift Vaterlandsliebe für die Nation. Das ist nicht weit von der Aufschrift des tschechischen Nationaltheaters von 1883  : Die Nation für sich selbst. Beide spielen auf die Opferbereitschaft der „Nation“ an. Palacký kannte wahrscheinlich die Aufschrift von Balatonfüred.

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Erfolgsmann Széchényi um Unterstützung für ein Theaterprojekt. Der Graf verfasste daraufhin eine Flugschrift, in der er seine Lösungsvorschläge skizzierte.6 Der Graf wollte ein kleineres Theater in der Mitte der Stadt. Als finanzielle Basis sollte eine Aktiengesellschaft dienen. Eine Aktie wäre allerdings sehr teuer gewesen und hätte 500 Gulden gekostet, wobei ein Gewinn nicht zu erwarten war. Demnach sollte die Aristokratie bei Széchényi die soziale Basis bilden. Von ihnen war aber ein solches Opfer für ein Theater, das eventuell fern vom ihrem Wohnsitz bestehen würde, nicht zu erwarten. Die Behörden gaben auch ungern nach. Wie erwähnt, sammelte man in den Komitaten seit Jahrzehnten Geld für einen Theaterbau. Es beteiligten sich daran auch die entfernt liegenden Komitate, selbst die kroatischen.7 Die Gelder flossen gemäß einer Vereinbarung von 1790 in das Komitat Pest. Die Parole lautete  : Die Nation braucht ein Nationaltheater, das gleichzeitig Tempel und Schule der Kultur ist. Die Herausforderung des Deutschen Theaters in Pest gab weitere Impulse  : Wer sollte die sprachlich-kulturelle Hegemonie in den (Haupt-)Städten Pest und Buda innehaben  ? Ohne ein ständiges ungarisches Theater war einem mehrsprachigen Publikum weder eine ungarische Hochsprache noch die ungarische Kultur zu vermitteln. Den Gordischen Knoten zerschlug schließlich das Komitat Pest. Im Zentrum des Landes gelegen, die königlichen Städte Pest und Buda umgebend, war es als „Führungskomitat“ schon früher dazu berufen, die von den Adligen gesammelten Beiträge aus den Komitaten für ein Theater zu verwalten. Auch wenn die Summe bei Weitem noch nicht ausreichte, begann der ambitionierte Vizegespan des Komitats Pest,8 Gábor Földváry, 1835 mit dem Bau. Das dafür erforderliche Grundstück schenkte weder die Stadt noch der Palatin (durch die Verschönerungskommission der Stadt Pest, der er vorstand), sondern ein Aristokrat, Fürst Anton Grassalkovich. Das Grundstück, ursprünglich ein Holzstapelplatz, lag außerhalb der Stadtmauer. Diese Kooperation von Aristokratie und mittlerem 6 István Széchenyi, A magyar Játékszínrűl, Pest  : Landerer 1832. Reprint  : Magyar Színházi Intézet  : Budapest  : 1976, bzw. Állami Könyvterjesztő Vállalat  : Dabas  : 1984. 7 In Agram (Zágreb) öffnete 1834 ein deutschsprachiges Theater, kroatische Theatervorstellungen wurden hier ab 1840 gegeben. 8 Vizegespan  : Der eigentliche, vom Adel gewählte Leiter des Komitats. Der Obergespan wurde vom König ernannt, hatte aber überwiegend repräsentative Funktionen. Der Obergespan des Komitats Pest war der Palatin, Erzherzog Joseph.



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Adel zeigte sich wieder als erfolgversprechend. Eine Kommission des Komitats organisierte den Bau, mit dem sofort begonnen wurde. Das Pester [Komitats-]Theater öffnete seine Türen am 22. August 1837. Das Gebäude war einfach und bescheiden, aber repräsentativ. Für das ganze Publikum gab es eine gemeinsame Vorhalle. Von hier aus teilten sich die Zuschauer in das Parterre, die Logen oder die oberen Ränge. Das Publikum vermischte sich halbwegs. Das Modell des Baus stammte aus dem nachrevolutionären Paris, dort sah man dies erstmals im Theater Odeon. Das Theater hatte als provisorischer Bau nur 2.300 Steh- und Sitzplätze, bewusst weniger als das Deutsche Theater. Im Erdgeschoss sowie im I. und II. Stock gab es 46 Logen, also nicht allzu viele. Sie wurden meistens von Aristokraten für das ganze Jahr gemietet, die dadurch das Theater finanzierten. Im Erdgeschoss gab es 200 Sitzplätze (für Bürgerfrauen, Mitteladel, Offiziere) und 700 Stehplätze (für die Jugend, Studenten, Kleinbürger), im zweiten Stock 76 Sitzplätze und abermals 700 Stehplätze für das gemeine Volk. Das Gebäude verfügte über Gasbeleuchtung und eine Heizung, hatte aber keine Nebenräume wie Garderobe, Salons, Buffet. Es glich damit weitgehend einem antiken Tempel. Die Bühnentechnik war ausreichend, auch mussten die Schauspieler fast ganz auf Nebenräume verzichten.

Vom Komitatstheater zum Nationaltheater. Der „Opernkrieg“ (1837–1840)

Die feierliche Eröffnung, vor allem das Vorspiel Árpáds Erwachen, das vom großen Dichter Mihály Vörösmarty geschrieben wurde, betonte die Symbolik des neuen nationalen Instituts. Nach diesem Vorspiel versammelten sich vor dem Theater, das als Kulisse auf der Bühne aufgebaut war, Leute verschiedenster Herkunft  : Adelige, Bürger, Studenten, Intellektuelle. Gemeinsam gingen alle ins Theater. Die ganze Gesellschaft nahm also das Institut in Besitz, das Eröffnungspublikum sah sich auf der Bühne gespiegelt. Sogar Großfürst Árpád, der das Land vor tausend Jahren in Besitz genommen hatte, wurde aus seinem Grab ins Leben zurückgerufen. Er erkundigte sich nach der Funktion des Gebäudes und stellte weitere Fragen hinsichtlich des Theaterwesens. Die Nation nahm

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durch ihn das Theater symbolisch in Besitz. Die Szene hatte darüber hinaus eine allgemeine Bedeutung. Falls wirklich „das Theater der Platz ist, wo auch der Tod zum Spielen genötigt wird, verwandelt sich ein Theaterstück.”9 Diese Eröffnungsszene hatte Symbolcharakter. Der Gruftgeist ruft Árpád ins Leben, die ungarische Nation erwacht und nimmt das Theater in Besitz  : „Dieses Haus ist eine Schule des brausenden Lebens. Dies ist ein Tempel so viel inniger Gefühle.“ Die Einheit von Schule–Tempel–Theater war damit hergestellt. Dies in die Tat umzusetzen war eine schwierige Aufgabe für den Eigentümer, das Komitat Pest. Die Komitatsherren waren weder den wirtschaftlichen noch den künstlerischen Problemen gewachsen. Einem zeitgenössischen Bericht zufolge diskutierten vor dem Theater-Ausschuss des Komitats ein Schauspieler und eine Schauspielerin, der Ausschuss gab der Dame Recht. Diskutierten dagegen zwei Schauspielerinnen miteinander, hatte die Schönere „Recht“. Große Streitigkeiten, auch „Kriege“ genannt, bestimmten die Bühne in den ersten Jahren. Der größte war der sog. „Opernkrieg“, der Streit zwischen Prosa-Schauspielern und Opernsängern, Musikanten und Chormitgliedern. Oberflächlich gesehen war der „Krieg“ ein Existenzkampf  : Vor allem die leitenden Sänger erhielten hohe Gagen. Sie waren aus ganz Europa verpflichtet worden und verlangten entsprechende Gehälter. Ohne Musikanten, die oft vom Deutschem Theater angeworben wurden, gab es aber keine Vorstellung  : Musikstücke, Lieder begleiteten immer die Prosa, sogar in den Pausen spielte das Orchester durchgehend. Für Opernkulissen und -kostüme brauchte man mehr Aufwand. Beide Gruppen wollten mehr Vorstellungen, mehr Personal, mehr Gehalt. Während die Prosaisten die nationsbildende Funktion des Theaters betonten, verwiesen die Operisten auf die Konkurrenz zum Deutschen Theater  : Nur mit wettbewerbsfähigen Opernvorstellungen könne man das zweisprachige Publikum vom Deutschen ins Ungarische Theater hinüberlocken. Dem großen Schauspieler Gábor Egressy nach ist die Oper ohnehin „eine Lüge der Theaterkunst, da die Oper ein singendes Leben bedingt, das es nicht gibt.“10 Sein Bruder, Chormitglied Béni Egressy, war hingegen der erste ungarische Librettist,   9 Peggy Phelan, Holtat játszani a kőben – avagy mikor nem rózsa a Rózsa  ?, Budapest  : Theatron 1999, 40–57, hier 48. (Zitiert bei Imre Zoltán, Nemzeti színházi elképzelések európai kontextusokban, Színház 2011. január 10 Ferenc Kerényi, A régi magyar színpadon, Gondolat  : Budapest 1974, 460.



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er schrieb das Libretto für die große nationale Oper László Hunyadi, die 1844 mit der Musik von Ferenc Erkel uraufgeführt wurde. Béni Egressy komponierte außerdem die Musik für die zweite Nationalhymne, Vörösmartys Mahnung (Szózat). Die Rechnungsbücher der Theaterkasse belegen, dass während der Opernvorstellungen Logen und Parterre gefüllt, bei Prosavorstellungen dagegen die Stehplätze überfüllt waren und die Logen oft leer blieben. Das breitere Publikum, das einfache Volk wollte im Theater Romantik erleben (Feenmärchen, Shakespeare). So waren bei den Hamlet-Vorstellungen Karten für die Sperrsitze zu 30 %, für die zweite Etage zu 48 % ausverkauft. Die Opernliebhaber stammten aus den höheren gesellschaftlichen Kreisen. Letztere besuchten bei Opernvorstellungen sowohl das Deutsche als auch das Ungarische Theater. Oft sahen sie am selben Abend einen Opernakt aus der einen und einen ganz anderen Opernakt aus der anderen ihrer Logen. Vor allem die Aristokraten, die Logeninhaber, die die größte Unterstützung in Form eines Jahresabonnements gegeben hatten, wollten sich amüsieren, das gesellschaftliche Leben genießen – und zwar sowohl im Deutschen als auch im Ungarischen Theater. Hinter dem Logenvorhang spielten sie Karten, tratschten, besuchten einander, hofierten sich und nahmen erst bei den schönsten Szenen wahr, was auf der Bühne vor sich ging. Es war erlaubt, die Loge mit eigenen Möbeln einzurichten. Ganz oben, im zweiten Stock, war das Gedränge bei politisch brisanten Vorstellungen groß. Dort sollten auf etwa 100 Quadratmetern 700 Zuschauer (Slowaken, Ungarn, Deutsche, Juden, Handwerkergesellen, gemeine Soldaten etc.) Platz finden. Das Theatererlebnis war hier wirklich ein geteiltes, das dortige Publikum (Frauen und Männer) saß Seite an Seite. Schon dem Berichterstatter der Ersteröffnung fiel auf, mit welcher andächtigen Stille das Publikum die Szenen verfolgte, was wahrscheinlich für alle Klassen galt, für die Galerie und für die Logen. Die sozial-disziplinierende Kraft des Theaters ist hier zu beobachten  : In einem Tempel der Nation war ein angemessenes Benehmen wünschenswert. Diese Zurückhaltung übertrug sich aber nicht auf den Beifall. Am Ende einer Vorstellung entschied die Mehrheit, also das „Volk“ über die Produktion. (Ganz im Gegensatz zum Theater der konservativen Gesellschaft in Klausenburg  : Dort beobachteten zunächst alle, ob die Frau des Gouverneurs Beifall spendete. Tat sie es, dann klatschte auch das Publikum.) Im Wettbewerb mit dem Deutschen Theater blieb unklar, ob das Ungarische Theater als Unternehmertheater fungierte,

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als Theater für das breite Publikum, in dem man die Sprache verbreitete, oder als „Nationaltheater“, in dem man die Ideen Schillers für Ungarn umsetzte. Neben dieser unklaren Funktion war für die ersten Jahre des ungarischen Theaters noch wichtiger, dass beim Komitat weder die finanzielle Kraft noch die Fachkenntnisse zur Leitung eines Theaters oder das künstlerische Management vorhanden waren. Die hier erwähnten Probleme (wie auch die unerwähnten Probleme vor allem finanzieller Art) veranlassten das Komitat Pest zu der Überlegung, dass die ganze Nation das Theater übernehmen solle. Bekanntlich hatten auch weiter entfernt liegende Komitate für das Theater gespendet, wobei das Komitat Pest nur als Treuhänder fungierte. Jetzt sollte das ganze Land diese Institution übernehmen. Auf dem Landtag von 1839–1840 war es soweit, diese Frage zu klären. Die ungarischen Landtage in Preßburg beschäftigten sich seit 1790 mit Fragen des Theaters. Auf dem Landtag von 1811 betonte der maßgebende Politiker und Literat Graf József Dessewffy, dass „die großen Leute wie Perikles, Cicero, Rousseau [  !] alle vom Theater zum großen Menschen erzogen wurden.“11 Das Theater spielte also für ihn eine wichtige Rolle bei der Erziehung der Eliten. Diese These selbst ist in Frage zu stellen, aber die Konservativen betonten damals eher, dass die Sprache durch Kirche und Schule verbreitet werden könne und dass das Theater „nur“ der Verfeinerung diene. Seit 1825, nachdem die Landtage regelmäßig alle drei Jahre zusammengerufen wurden, diskutierte man kontinuierlich diese Fragen. 1825 sprachen sich zwei Landtagsabgeordnete dafür aus, das Deutsche Theater einfach 20 Jahre lang zu schließen. Danach sei es mit dieser Konkurrenz vorbei.12 1826 sprach sich Erzherzog-Palatin Joseph als Vorsitzender des Landtages dafür aus, ungarische Theater in anderen Städten ins Leben zu rufen  ; in Pest fehle dafür mangels ungarischen Publikums die Grundlage.13 1836 betonte der konservative Ablegat Ferenc Justh erneut, dass man keine „Ausbildung“ (also „Hochkultur“) brauche, sondern eine Verbreitung der ungarischen Sprache. Ein Theater sei daher nicht nötig.14 11 Gyula Szekfű (Hg.), Iratok a magyar államnyelv kérdésének történetéhez, Budapest  : Magyar Tudományos Akadémia 1925, 82. 12 Miklós Bényei (Hg.), Reformkori országgyűlések színházi vitái, Budapest  : Magyar Színházi Intézet 1995, 23. 13 Szekfű, Iratok, 131. 14 Bényei, Reformkori, 44–45.



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In diesen Jahren entstand auch eine Flugschriften-Literatur. Der landesweit bekannte Dichter und Politiker Ferenc Kölcsey publizierte 1833 seine Rede (vor der Komitatsversammlung 1827) über das Theater. Er sah im Theater „die sichere Rede“, „einen Ort, an dem die Heimat ihren Platz findet“, „einen Feuerpunkt“, aus welchem „die Flamme der Sprache hervorspringt.“ Das Land würde also ein Nationaltheater benötigen. Käme das Land später zur Blütezeit, wäre das Theater nur ein Mittel, sich an Neuem zu ergötzen. Die Vorfahren hätten das Land eingenommen, die Freiheit geschaffen – es sei höchste Zeit, auch etwas zu schaffen und als Erbe zu hinterlassen.15 1839 sprach sich József Bajza, der spätere Direktor des Theaters, für alle drei Institutionen aus  : Schule, Kirche, Theater hätten alle ihre Funktion bei der Magyarisierung bzw. der Bildung der Nation.16 Ferenc Deák, der maßgebende Liberale des Jahrhunderts, wiederholte bei der Theaterfrage auch alte Argumente  : „Warum können die Deutschen [von Pest] nicht ohne [deutsches] Theater leben, bis sie sich die Sprache der Heimat [das Ungarische] zu eigen gemacht haben  ? Dieses Opfer erwarte ich von der Stadt Pest, und bis es geschieht, kann man das Pester Ungarische Theater nicht vernachlässigen … dieses müssen wir begünstigen.“17 Deák sprach sich also für die zeitweilige freiwillige Einstellung des Deutschen Theaters aus, und da er genau wusste, dass dies nicht geschehen würde, forderte er eine Unterstützung des ungarischen Theaters. „Die Erfahrung zeige“ – so Deák weiter – „dass das Volk von Pest ein Ungarisches Theater nicht unterhalten kann. Liegt die Ursache darin, dass die Ungarn so wenige sind  ? Oder darin, dass die Theater meistens überall auf die Hilfe der Regierungen angewiesen sind  ?“ Damit verwies Deák auf eine staatliche Subvention des Deutschen Theaters, die nicht erfolgte, aber ein verbreitetes Gerücht darstellte. „Ein sich selbst tragendes Theater kann die Moral nicht verbessern“, so stellte Deák den Widerspruch zwischen der „heiligen“ Mission und der Theaterwirtschaft dar.18

15 Ferenc Kölcsey, Játékszín, Szauder Józsefné – Szauder József (Hg.), Kölcsey Ferenc Összes Művei, Budapest  : Szépirodalmi 1961. Bd. II. hier 638–642. 16 József Bajza, Szózat a pesti magyar színház ügyében, Buda 1839. 17 Bényei, Reformkori, 106. 18 Bényei, Refomkori, 131.

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Zwei große Schritte wurden auf diesem Landtag gemacht. Erstens übernahm der Landtag das Theater, man nannte es zum Nationaltheater um. Es kam zu einer einzigartigen Lösung  : Ein Theater, das von einem (noch immer ständischen) Parlament geleitet wurde. In der Praxis übernahm eine ständige ständische Kommission die Leitung  : Ein Stück, das Theater, wurde der Exekutive weggenommen. Zweitens votierte man für ein neues subsidium. 400.000 Gulden wollte man für das Nationaltheater bereitstellen. Ein Teil der Summe sollten für Abzahlungen, Kostümkäufe, Musikinstrumente etc. verwendet werden. Der größte Teil wurde als Grundkapital verzinst, mit dem man das Theater in späteren Jahren finanzieren wollte. Die Lösung war praktisch, die finanzielle Unterstützung bedeutend. Das Theater war damit von Regierungseinflüssen befreit. Allein die Zensur belastete weiterhin die Produktionen. Bei diesem Theater handelte es sich um eine seltsame Erscheinung  : Ein Landestheater, offiziell ohne politischen Auftrag, praktisch gegen den Hof und Regierungsinstanzen gerichtet, gesetzlich verankert und durch einen gesetzgebenden Körper geleitet. Es war der Sieg einer Nation in der Kulturpolitik. Spiel, Regie, Programm, Publikum, Finanzen selbst zu bestimmen – dies war Aufgabe der 1840er-Jahre.

Das Nationaltheater als Sammelplatz für Reformer und Radikale (1840–1848)

Das neu organisierte und „verstaatlichte“ Theater konnte der vererbten Probleme nicht leicht Herr werden. Der Opernkrieg dauerte an. Die erste Starsängerin, Déryné (Frau Déry), wurde von der neuen talentierten Sängerin Schodelné (Frau Schodel) in den Schatten gestellt.19 Schodelnés Stimme und Spiel wurde von allen verehrt. Sie war die erste international anerkannte ungarische Sängerin, dementsprechend erhielt sie eine Gage nach europäischem Standard. Die Prosaisten betonten ihre eigene Bedeutung und forderten mehr Aufführungsabende. Nach dem Muster der Wandertruppen, in denen sie einmal mitgespielt 19 Rozália Schodelné Klein (1811–1854) kam aus Klausenburg (Kolozsvár), 1841–42 spielte sie im Ausland. Róza Déryné Széppataki (1793–1872), schon in den Jahren der Wandertheater bekannt und berühmt, wurde eine lebende Legende.



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hatten, organisierten sie „Republiken“, in denen die Mitglieder vereinbarten, wie sie die Einnahmen untereinander aufteilten. Solche „Republiken“ waren aber mit einem streng geführten modernen Theater unvereinbar. Der neue, vom Parlament gewählte Theater-Ausschuss bestand aus 23 Mitgliedern, ausschließlich Parlamentsmitglieder, die von der oberen und der unteren Kurie gewählt wurden. Der Ausschuss wählte aus seinen Mitgliedern einen vierköpfigen „regierenden Ausschuss“, dessen maßgebender Kopf ein bekannter Oppositionspolitiker, Graf Gedeon Ráday, war. Für Ráday war das Theater nicht fremd, er war schon vom Komitat Pest in richtungsweisende Ausschüsse gewählt worden und nahm bereits früher an der Direktion teil. Der regierende Ausschuss wählte wiederum József Bajza, einen liberalen Literaten, zum Direktor. Bajza war seit der Gründung des Theaters schon einmal Direktor gewesen. Ebenso spielte Ferenc Erkel, der vom Deutschen Theater kam, von Anfang an eine große Rolle für den musikalischen Teil. Bajza musste aber nach zwei Jahren (1842) abdanken und Erkel konnte seine Stellung nur aufgrund des großen Erfolges seiner Oper László Hunyadi (1844) festigen. Ein bedeutender Schritt in Richtung Beendigung des „Opernkrieges“ war die Schaffung eines Theater-„Gesetzbuches“. Man schrieb darin die Regeln des Theaterbetriebes fest. Noch wichtiger war der Verlauf der Konfliktlösung. Leitende Schauspieler, schließlich sogar Mitglieder der UAW, kamen in Ausschüssen zusammen, um aufgrund des „Gesetzbuches“ Konfliktfälle zu lösen. Zwischen 1843 und 1845 kam es endlich zu einer ruhigeren, stabilen Periode, in der der „Bürgermusiker“ Endre Bartay Direktor war. Bartay kam, wie so viele Musikanten, aus dem Deutschen Theater. Er besaß Fingerspitzengefühl für gute praktische oder populäre Maßnahmen. Er schrieb als erstes einen Wettbewerb für die Vertonung von Kölcseys Hymne aus. 1843 setzte Erkel die Hymne dann sehr erfolgreich musikalisch um. 1844 begann die Ausschreibung zur Vertonung von Vörösmartys Mahnung (Szózat). Diesmal gewann ein vielseitiger Mann der Musikabteilung, Béni Egressy, der die zweite ungarische Nationalhymne schrieb. Bartay sicherte den Verfassern Tantiemen, den Schauspielern Gehalt zu. Er verteuerte die Logen- und Sperrsitz-Abonnements drastisch. Dennoch konnte er der finanziellen Probleme nicht Herr werden. Von den subsidien wanderte kein Kreuzer in die direkte Unterstützung. Bartay ging pleite und gab das Direktorat auf.

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Im Zuschauerraum kam es zu kleineren Umgestaltungen. Vor allem die überfüllten Plätze hinter den Sperrsitzen, also die Bänke und Stehplätze, wurden reduziert. So sank die Zahl der möglichen Zuschauer auf etwa 2.000. Der Spielplan blieb konstant. Im Grunde genommen war das Nationaltheater ein Repertoire-Theater. Bei den Opern dominierten freilich die italienischen. Donizetti und Verdi waren sehr oft auf der Bühne zu sehen, so Verdis Werke Nabucco, Ernani und Macbeth. Im Sprechtheater waren zeitgenössische Lustspiele aus Frankreich, vor allem aber Shakespeare beliebt. Für die zeitgenössischen romantischen Vorstellungen war der englische Dramatiker gut geeignet. Neue Übersetzungen kamen auf die Bühne. Die Zensur verhinderte aber die Aufführung einiger Szenen. Königsmord war immer noch auf der Bühne unvorstellbar, auch der Mord an Desdemona sollte durch Kissen erfolgen. Pfarrer (z. B. in Romeo und Julia) ließ die Zensur ebenfalls nicht auftreten. Das große „nationale“ Drama der ungarischen Literatur, Banus Bánk, 1817 von József Katona geschrieben, konnte jahrzehntelang nicht vorgeführt werden. Der historische banus nahm nicht nur an einer Verschwörung gegen die Königin teil, sondern übte letztlich auch den Mord an ihr aus, wobei die Tat auf der Bühne zu sehen war. Dies ereignete sich 1212, aber die Königin hatte deutsche Verwandtschaft … Das Stück wurde erst in den späten vierziger Jahren regelmäßig ins Programm aufgenommen. Im Jahre 1848 galt das Drama nach 17 Abenden schon als das nationale Stück schlechthin. Bartay entdeckte eine neue Gattung für die ungarische Bühne. Ede Szigligeti, ein bekannter Dramatiker, schrieb ein Stück mit dem Titel Der fahnenflüchtige Soldat (A szökött katona). Die Handlung war realistisch ohne Märchenelemente. Ein großer Teil spielte im Dorfmilieu. Neben der üblichen musikalischen Beilage gab es hier Lieder, die die dörflichen Akteure sangen. Einfache Leute gerieten mit der Macht in Konflikt, wobei Letztere immer sehr kritisch dargestellt wurde. Damit war das ungarische Volksstück geboren. Theatergeschichtliche Untersuchungen stellten fest, dass dieses Genre nicht nach Wiener Mustern entstand, sondern das französische vaudeville als Vorbild diente. Der fahnenflüchtige Soldat war seit der Premiere im Jahre 1843 ein Riesenerfolg. Es entstanden schnell weitere gesellschaftskritische Volksstücke, oder zumindest solche, die den Adel lächerlich machten. Schon die Titel verraten viel  : Zwei Pistolen, Der Abenteurer, Der Gefangene, Das Rätsel eines Schranks, Der entlassene Soldat, Der Pferdehirt.



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Seit 1843 leitete Graf Gedeon Ráday wieder das Theater. 1847 wurde er Generaldirektor und József Bajza erneut Direktor. In diesen Jahren stabilisierte sich das Theater sowohl künstlerisch als auch finanziell. Die Ursache bestand auch darin, dass Pest und Buda um 1848 schon über 100.000 Einwohner hatten und die Neuankömmlinge meistens nicht der deutschen Sprache mächtig waren. Ein nachwachsendes Publikum für das deutsche Theater erzeugte das Land selbst nicht mehr. Der große Konkurrent, das Deutsche Theater, hatte noch zusätzliche Probleme. Es verlor die Kontakte zur deutschen Kultur. Die beabsichtigte letzte starke Bastion der deutschen Kultur im Osten wurde langsam unbedeutend, auch im Spielplan konnte sie wenig Neues anbieten. 1847 brannte das große Deutsche Theater ab und niemand dachte daran, es neu aufzubauen. Das Ungarische Nationaltheater bestand von nun an ohne diese große Konkurrenz, auch wenn deutschsprachige Ensembles noch bis 1889 regelmäßig in Pest auftraten. Während der Revolution ging das Interesse des Publikums weit über das Theater hinaus  : Politische Parteien wurden gegründet, weitgehende Reformen geplant. Das lenkte vom täglichen Repertoire ab, doch das Theater diente seit März 1848 als große Kulisse, als symbolischer Platz, zum Sieg der Revolution. Am Revolutionstag selbst, am 15. März 1848, spielte das ungarische Nationaltheater eine große Rolle. Das Publikum unterbrach die abendliche Aufführung und forderte, die nationale Tragödie Banus Bánk unzensiert zu spielen. Im Folgenden sang das Publikum zusammen mit dem Chor auf der Bühne eine Sequenz aus Erkels Nationaloper László Hunyadi, in der der Gesang nach der Ermordung des intriganten Graf Cillei lautet  : Der Rankeschmied ist gestorben, Die schnöden Zwisten sind vorbei… [also] es lebe hoch die Heimat, Es lebe lang der gute König. Die nationalen Fahnen wehten auf der Bühne und im Zuschauerraum. Der Rákóczi-Marsch von Berlioz und die Nationalhymne von Erkel wurden gespielt. Das neue Nationale Lied (Nemzeti dal) wurde vom Verfasser Petőfi selbst vorgetragen, wobei das Publikum mit erhobenen Fingern schwor und gemeinsam den Refrain wiederholte  :

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Auf den Gott der Ungarn schwören wir, Schwören wir, Dass wir keine Sklaven mehr werden. Die Revolution brach zwar nicht direkt im Theater aus, wurde aber dort, im „Tempel der Nation“, am Abend gefeiert. Die Gläubigen im Tempel kannten die Texte und Melodien der nationalen Liturgie.20

Die Periode des Neoabsolutismus (1849–1867)

Der Freiheitskampf von 1848/49 endete – mit Hilfe russischer Waffen – siegreich für die Habsburger. Ungarn wurde wie eine neu eroberte Provinz behandelt, in der frühere Rechte nicht mehr gültig waren. Das ungarische Nationaltheater setzte seine Vorstellungen in deutscher Sprache fort. Nach einigen Monaten waren die Vorstellungen aber schon wieder zweisprachig. Minister Bach beeilte sich mit der Regulierung der Theater. 1850 erschien eine für das ganze Reich maßgebende Verordnung, die genau vorschrieb, wie man eine Genehmigung für eine Aufführung erhalten konnte. Der Direktor musste das ganze Stück beim Landesgouverneur einreichen, bei den Proben konnten, bei den Vorstellungen mussten die Behörden präsent sein. Die Genehmigung mitsamt der Auflage, den Text wortwörtlich wiederzugeben, half nicht immer. Die Behörden hatten das Recht, eine Vorstellung jederzeit zu verbieten.21 Die Verordnung zeigte, wie gefährlich den Behörden das Theater erschien. Vorzensur, Aufsicht, Strafen, existenzielle Bedrohung – alle Mittel eines Polizeistaates waren in der Verordnung von 1850 vorhanden. Aber über die Sprache fiel kein Wort. Polizeiliche Überlegungen beherrschten den Text. Man sieht auch kein Anzeichen einer einheitlichen Kulturpolitik für das gesamte Reich. 1851 betätigten sich in den ungarischen Kronländern 21 Theater, meistens in 20 Es ist möglich, dass die Menschen die nationale Liturgie besser kannten als die kirchliche. Man ging wöchentlich zur Kirche, aber konnte jeden Tag ins Theater gehen. Das Theaterprogramm des Tages wurde den Bewohnern jeden Nachmittag mit der Rollenverteilung ausgehändigt. 21 Die Verordnung (in Ungarisch)  : Gábor Pajkossy (Hg.), Magyarország története a 19. században. Szöveggyűjtemény, Budapest  : Osiris 2003, 345–353.



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ungarischer Sprache. Die Behörden forderten als Preis für die Betriebsgenehmigung oft deutschsprachige Vorstellungen. Aber diese waren nicht alleine auf Grund der Magyarisierung der Städte, sondern wegen des Patriotismus schlecht besucht  : Die deutsche Sprache galt den Ungarndeutschen als die Sprache des Neoabsolutismus. Die Wiener Regierung unterstützte die ungarländischen deutschsprachigen Theater mit kleineren Dotierungen. Würden wir es nicht tun, schrieb 1858 der Gouverneur des Banat, Coronini, an Minister Bach, dann könnten wir „den Machthunger des Ungarntums“ nicht verhindern.22 Der Schwerpunkt des ungarischsprachigen Theaters lag nach 1849 wieder auf dem Lande. Es war zwar nicht verboten, auf der Bühne Ungarisch zu sprechen, aber die Behörden gaben ungern ihre Einwilligung. In der Stadt Arad organisierte ein reicher Großgrundbesitzer, Péter Csernovics, eine ungarische Theatergruppe. Seine Gratisvorstellungen sowie die in anderen Theatern endeten oft in einer nationalen Demonstration. Ein Satz in einem historischen Drama, eine bestimmte Melodie in der Musik oder die Heimatlieder selbst waren Anlass für nationale Demonstrationen. Der Protest war öffentlich, die Verursacher des Skandals blieben aber anonym. Dies war letztlich die Ursache, warum die Behörden den ungarischen Theatervorstellungen feindlich gesonnen waren. Die meisten dieser Theatertruppen waren Privat-Unternehmungen, daher waren sie schwieriger zu regulieren als das staatliche Nationaltheater. Es gab nur wenige neue Theaterbauten (Theresienstadt bzw. Szabadka 1854, Debrecen 1865). Ihr Repertoire umfasste die alten, bewährten Theaterstücke des Vormärz. Allmählich kehrten die „kompromittierten“ Schauspieler nach Pest zurück. Das Nationaltheater verstärkte sich. Für dessen Leitung organisierten die Behörden i. J. 1851 ein „Comité“, das für die wirtschaftliche Lenkung verantwortlich war. Vorsitzender war ein hoher Beamter des Statthalterrats und Freund Liszts, Baron Antal Augusz. Fast ausschließlich konservative Aristokraten waren Mitglieder dieses Comités, praktisch lenkte die Statthalterei nun das Nationaltheater. 1852 ernannte das Comité Graf Leo Festetics zum Direktor, der aus dem Theater eine regierungstreue Institution machen wollte.23 22 Ágnes Deák, „Nemzeti egyenjogúsítás”. Kormányzati nemzetiségpolitika Magyarországon 1849– 1860, Budapest  : Osiris 2000, 307–312, 23 György Székely (Hg.), Magyar színháztörténet III, Budapest  : Akadémiai 1993.

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Das Theater konnte ohne große Schikanen bestehen. Es gab nämlich einen Protektor des Theaters in der Person von Erzherzog Albrecht, dem Generalgouverneur des Landes. Zuvor am Hof in Wien marginalisiert, lebte dieser in PestBuda seine fürstlichen Allüren aus. Er wollte ein eigenes Hoftheater, wählte mit großer Selbstverständlichkeit das ungarische Nationaltheater und saß sehr oft in der königlichen Loge, wodurch er schließlich auch Ungarisch lernte. Nachdem Festetics Pleite gemacht hatte, übernahm 1854 wieder Graf Gedeon Ráday die Leitung. Das Theater führte anfangs den alten Namen, durfte sich aber nur mit kleinen Buchstaben schreiben (nationaltheater), woraus dann später das „Pester ungarische Theater“ wurde. 1859 kam es zu einer tiefen Krise des Neoabsolutismus, weshalb 1861 der ungarische Landtag zusammentrat. Man wählte einen Ausschuss für die finanziellen Probleme des Nationaltheaters, nach dessen Auflösung aber blieb diese Arbeit unvollendet. Die wirtschaftlichen Probleme häuften sich. Als Retter in der Not entpuppte sich Kaiser Franz Joseph, der das Theater schließlich finanziell aus seinem Hofetat unterstützte. Die Machthaber wollten also keine Schließung des Theaters, trotz Demonstrationen und Konfliktfällen, so als die Universitätsjugend alle Gastspiel-Orchester aufforderte, zur Zugabe den Rákóczi-Marsch zu spielen. Viele blieben während der Kaiserhymne sitzen. Jeder Satz, der in einem Theaterstück gegen die Staatsmacht gerichtet war, löste begeisterten Beifall aus. Das „gemeine Volk“, vor allem die Galerie und die Jugend, hatte das Theater als den einzigen Ort öffentlicher Demonstrationen in Besitz genommen. 1851–1861 wurden hauptsächlich Opern auf die Bühne gebracht. Meist wurde Verdi gespielt, seine Opern bereits kurz nach der Weltpremiére übernommen. Nach ihm war Meyerbeer sehr beliebt, auch ungarische Opern spielte man oft. Man organisierte ein Ballett-Ensemble, das aber keinen guten Ruf hatte. Im Sprechtheater präsentierte das Theater weiterhin die Klassiker (Shakespeare) und französische Stücke. Am meisten spielte man aber die Stücke von Ede Szigligeti, der einmal Sekretär des Theaters gewesen war. 1862–1869 war Sámuel Radnótfáy Direktor des Theaters. Dieser konservative Direktor wurde mit Dauer seiner Amtszeit immer unpopulärer. Er schwankte zwischen den Erwartungen des Hofes und dem manchmal tobenden Publikum. Der zentrale Demonstrationsort des Landes erreichte inzwischen den Rang ei-



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nes Hoftheaters. Zwar fehlte die offizielle Anerkennung, aber die Unterstützung durch den kaiserlichen Etat betrug jährlich 210.000 Gulden. In dieser Periode begann die professionelle Entwicklung der Theater der Nationalitäten. 1861 entstand das serbische Nationaltheater in Neusatz (Újvidék), das dann 1867 nach Belgrad umzog. 1861 kam es auch zur Gründung des Nationaltheaters in Agram (Zágreb), ein repräsentatives Theatergebäude wurde dort allerdings erst 1895 errichtet. In Siebenbürgen wurde 1861 der Astra-Verein gegründet, der rumänischsprachige Theateraufführungen organisierte. Ein ständiges slowakisches Theater gab es hingegen nicht. Zwar kam es seit 1830 hie und da zu nichtprofessionellen Aufführungen, aber die slowakische Gesellschaft lebte überwiegend in einem bäuerlichen Milieu und war oft zweisprachig. So blieben die Slowaken bis zum 20. Jahrhundert ohne Theater. All diese erwähnten Unternehmungen erhielten keine Subventionen aus Wien. Die deutschsprachigen Theater erfuhren manchmal bescheidene Unterstützungen seitens der Regierung (es entschied der Ministerrat in Wien), aber langsam entwickelten sich deutschsprachige Bühnen zu Theatern einer Nationalität. Für die ungarischsprachigen Bühnen bestand eine mit der Gesellschaft verbundene gemeinsame Widerstandsideologie. Das Zusammenspiel zwischen Bühne und Publikum war damit garantiert. Die Nationalitäten hingegen waren seit 1848 ohne Orientierung. Teils blickten sie nach Wien, teils nach Pest-Buda. Erst langsam entwickelten sich neue Orientierungspunkte in den Nachbarländern. Eine Oper zu hören, war indes ausschließlich im ungarischen Theater möglich. Es konnte die besten Aufführungen anbieten. Wien nahm es zur Kenntnis – die kulturelle Hegemonie erreichten die Ungarn in ihrem Land zweifelsohne. Damit war ein wichtiger Schritt zum Ausgleich von 1867 getan.

Ausblick  : Nach dem Ausgleich. Das zweite ungarische Theater (1867–1875)

Das Nationaltheater hatte mit dem Ausgleich von 1867 seinen früheren Rang wiedergewonnen. Die königliche Unterstützung von jährlich 100.000

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Gulden kam vom Hof, ebensoviel erhielt es aus dem Budget des Innenministeriums, dem es unterstellt war. Der Innenminister ernannte den neuen Intendanten, der als Vermittler zwischen Ministerium und künstlerischer Leitung fungierte. Für das Repertoire hatte das Theater die Qual der Wahl. Sollte es die Klassiker spielen  ? Die modernen Gesellschaftsdramen aus Frankreich  ? Die neuesten Opern Wagners  ? Kultusminister Baron József Eötvös verfolgte keine spezielle „Kulturpolitik“, außer einer finanziellen Unterstützung ließ er den kulturellen Akteuren ihren Lauf. Er war also liberal – was aber der Liberalismus nach dem Ausgleich in Ungarn bedeutete, war noch unsicher. So machten die Abgeordneten serbischer Nationalität 1867 geltend, dass ihr Nationaltheater in Neusatz (Újvidék) auch Unterstützung verdiene, da die Nationalitäten gleichberechtigt seien. Die parlamentarische Mehrheit wollte gegen diese Unterstützung votieren, aber auf Deáks Wunsch nahm man das serbische Nationaltheater schließlich doch in das Budget auf. Es entstand die eigentliche Frage  : Hilft der Staat, die Regierung, eine multinationale Kultur aufzubauen, oder nimmt man den Weg in Richtung Nationalstaat ungarischer Prägung, also hin zur Nationalstaatlichkeit  ? Nach den Erfahrungen von 1848 und während des Neoabsolutismus ist es nicht wunderlich, dass die Befürworter des Nationalstaats das Sagen hatten. Wagners erste Oper wurde schon um 1867 ohne großen Erfolg aufgeführt. Sowohl Verdi als auch der Ungar Erkel machten die Opernmusik italienischen Stils populär. Was das Sprechtheater betrifft, spielte das Theater wirklich alles. Neunzig unterschiedliche Stücke kamen in einem Jahr auf die Bühne. Dies war eine enorme Belastung für die Schauspieler, die Bühnenarbeiter und das Gebäude. Wegen Feuergefahr begrenzte man den Zuschauerraum immer mehr, letztlich ließ man weniger als 1.000 Zuschauer hinein. Alles für alle spielen – diese Aufgabe war unlösbar. Langsam aber änderte sich die Theaterlandschaft in Budapest  : 1875 eröffnete das große Volkstheater. Es war eine private Gründung, die auf eine private Initiative zurückging. Man sammelte zuerst mit Hilfe der Tagespresse Geld. Aber es zeichnete sich ab, dass man das Ziel mit diesen Methoden nie würde erreichen können. Danach half die Hauptstadt mit einem Grundstück (am späteren großen Ring) und einer großzügigen finanziellen Unterstützung. Die Mehrheit der neuen Großstadt



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sprach nun bereits Ungarisch. Stadt und Politiker wollten ein neues, populäres Theater, das auf den sogenannten Volksstücken basierte. Das Volksstück sollte den Menschen verschiedenster Provenienz die ungarische Sprache und Kultur in unterhaltsamer Form nahebringen. Das Nationaltheater sollte die Volksstücke aus dem Repertoire nehmen, damit die unteren Klassen ins neue Volkstheater lenken und zugleich das eigene Repertoire entlasten Das „Volkstheater“-Gebäude, das für 2.000 Zuschauer mit modernster Technik ausgerüstet wurde, war schon 1875 fertig. Es wurde vom berühmten Unternehmen Fellner und Hellmer gebaut. Das Volkstheater schloss eine Vereinbarung mit dem Nationaltheater, wonach letzteres ausschließlich Tragödien, das Volkstheater aber Volksstücke aufführen sollte. Diese „Volksstücke“ spielten häufig im ländlichen Milieu. Die Schauspieler sangen zu Zigeunermusik langsame Lieder, dann tanzten sie den schnellen Csárdás. Die ganze Gattung war äußerst populär. Erst gegen Ende des Jahrhunderts gewann die Operette an Popularität und verdrängte die Volksstücke von der Bühne. 1884 wurde das Nationaltheater weiter entlastet  : Man eröffnete das Opernhaus. Um die Kritik der nicht-magyarischen Nationalitäten zu vermeiden, „schenkte“ der König das Geld für den Bau mit Mitteln aus seiner Zivilliste. Als Gegenleistung musste das Opernhaus den „königlichen“ Titel annehmen. Das repräsentative, schön dekorierte Opernhaus war ein Betrieb, der enorm viel kostete. Jährlich kamen vom König 150.000 Gulden und vom Kultusministerium 200.000 Gulden Unterstützung. Das künstlerische Niveau forderte ein größeres Orchester, dann mehr und besser bezahltes technisches Personal. Hinzu kam noch der teure Theaterbetrieb und nicht zuletzt die Gagen der Sänger und Sängerinnen. In diesem ständigen Konflikt zwischen finanziellen Zwängen und künstlerischen Erfordernissen wechselten beinahe Jahr für Jahr die Dirigenten, Intendanten und Direktoren. Im ausgehenden 19. Jahrhundert bestimmten diese Institutionen die Theaterszene. Die Aristokratie und die Großbourgeoise bevorzugten die Oper und führten die Tradition des Theaters als repräsentativen Treffpunkt und Salon weiter. Die Intellektuellen, Beamten und Lehrer bevorzugten das Nationaltheater als Ort der Erziehung, der „Veredelung“. Die Kleinbürger, Arbeiter und die nicht vollständig assimilierten neuen Einwohner der Hauptstadt kauften Karten für die Aufführungen des Volkstheaters. Das Management des Volkstheaters

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behauptete wiederholt, dass sie es waren, die Budapest magyarisiert hätten. Tatsächlich hatte diese Institution einen Löwenanteil daran. Das ehemals einheitliche (oder als einheitlich vorgestellte) Publikum diversifizierte sich und fand seinen Platz in den verschiedenen „Tempeln“ der nationalen Kultur. Letztlich trennte das Theater im ausgehenden 19. Jahrhundert das ungarische Publikum, anstatt es zu vereinen. Den ursprünglichen kulturpolitischen Zielen der Nationsbilder entsprach dies sicherlich kaum, denn es hatte zu den liberalen Utopien gehört, die gesamte Nation im Kunstgenuss bzw. von der Bühne aus miteinander zu verbinden. Aber die Errungenschaft des Ausgleichs von 1867 ging dennoch auch auf die kulturpolitischen Visionen und Potenz der ungarischen Eliten zurück.

Jutta Toelle

„Zielpunkt  : Austro-Italiens moralische Hegemonie“ Die Kulturpolitik Erzherzog Ferdinand Maximilians und das Ende der habsburgischen Herrschaft in Lombardo-Venetien, 1857–1859

„In der Überzeugung, daß nur persönliche, moralische Kräfte eine neue Annäherung bewirken, nur objective staatsrechtliche Bande sie vollenden können, kam der Kaiser im Winter 1856/57 als Fürst des Friedens in seine italienischen Städte. Jeden seiner Schritte bezeichnete er dort mit Ausflüssen seiner Herrschertugenden, die heute die Welt mit täglich steigenden Sympathien anerkennt. Reich an Milde und Vergebung, Vertrauen bietend und Vertrauen fordernd, löschte er die trüben Schatten einer Vergangenheit hinweg, um das Verhältnis des Volkes zum Thron auf die seinem Herzen allein zusagende Grundlage – die des gegenseitigen Vertrauens – zu stellen. Österreichs Herrschaft, die den Italienern acht Jahre hindurch fast nur in dem schweren Arm der Militärherrschaft fühlbar gewesen, trat ihnen jetzt in der Person ihres milden und gerechtigkeitsliebenden Fürsten nahe.“1 Genau hier wollte der junge Erzherzog Ferdinand Maximilian ansetzen, als er im August 1857 sein Amt als Generalgouverneur des habsburgischen Lombardo-Venetischen Königreiches2 antrat  ; er hatte den Vorsatz, dass sich sein Regierungsstil von den bisherigen Herrschaftstechniken der Habsburger in 1 „Agenda und Notizen“ Ferdinand Maximilian, Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA), Archiv Max von Mexiko, Karton 94. Eine frühere Version dieses Artikels wurde unter dem Titel „Das tanzende General-Gouvernement“. Die kulturpolitischen Ideen des Erzherzogs Ferdinand Maximilian als Generalgouverneur des Lombardo-Venetischen Königreiches, 1857–1859“ in den Römischen Historischen Mitteilungen 49 (2007) veröffentlicht. Hiermit möchte ich der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausdrücklich für die Erlaubnis danken, Teile des Artikels in dieser neuen, überarbeiteten Form abzudrucken. 2 Beide Provinzen gehörten seit dem Wiener Kongress 1814 wieder zum habsburgischen Reich, die Lombardei bis zum verlorenen Krieg und der sukzessiven Gründung des italienischen Königreiches im Jahr 1861, Venetien sogar bis 1866. Als Generalgouverneur regierte Ferdinand Maximilian in den beiden Hauptstädten Mailand und Venedig.

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Oberitalien deutlich unterscheiden sollte. Die grundsätzliche Anerkennung der kulturellen Errungenschaften des gesamten italienischen Kulturraums bildete dabei die Basis  ; anders als in Böhmen oder Galizien gab es in Mailand und Venedig – auch, weil italienische Opern in Wien weiterhin höchst beliebt waren – keine Versuche, deutsches Kulturgut auf den Opernbühnen einzuführen, um vehement bestehende Traditionen zu ersetzen.3 Schnell begann er mit der Ausarbeitung einer ganz eigenen, sehr persönlich geprägten Kulturpolitik, deren Ziel es war, die Bevölkerung nach den Verwerfungen im Zuge der Aufstände von 1848/49 erneut für die Habsburger zu gewinnen. Auch aus ihrer Sonderstellung innerhalb des Kaiserreiches wollte der entschiedene „Liebhaber der Künste und der Literatur“4 so die beiden Provinzen herausholen,5 und er wollte sich gegen seinen konservativen und wenig experimentierfreudigen Bruder profilieren. Die beabsichtigte Wirkung der Kultur- und Gesellschaftspolitik in Mailand und Venedig ging in zwei Richtungen  : „Austro-Italien“ sollte sich gegenüber anderen Ländern im Habsburgerreich positiv hervorheben, aber auch den italianissimi, deren Ziel die Gründung des Nationalstaates war (was auch kurz darauf gelingen sollte), eine Alternative innerhalb des österreichischen Kaiserreichs aufzeigen. Über Waffen verfügte Ferdinand Maximilian jedoch nicht  : seine Gesellschaftspolitik mit kulturellen Mitteln musste sich auf Feste, Tänze, Bälle und Einladungen beschränken und war damit letztlich von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Mit dem vorliegenden Artikel wird eine wertvolle Kollektion von Quellen zugänglich gemacht, die bisher in der Forschung kaum wahrgenommen worden ist  : Zwischen seiner Abberufung vom Generalgouverneursposten 1859 und dem Amtsantritt als Kaiser von Mexiko 1864 nutzte Ferdinand Maximilian seine Zeit, um nicht nur Schloss Miramare bei Triest zu bauen, sondern auch, um seine Unterlagen zu ordnen. Wie aus den im Wiener Haus-, Hof- und 3 Und wie etwa in Prag oder Lemberg hoch subventionierte Truppen auftreten zu lassen, die dem oft unwilligen Publikum deutsche Opern vorführten, s. Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien  : Oldenbourg 2006. 4 Brigitte Hamann, Mit Kaiser Max in Mexiko. Aus dem Tagebuch des Fürsten Carl Khevenhüller 1864–1867, Wien  : Amalthea Verlag 1983, 32. 5 S. dazu Andreas Gottsmann, Österreichische Verwaltung und nationale Opposition in Venetien, 1859–1866 (Zentraleuropastudien 8), Wien  : Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2005.



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Staatsarchiv aufbewahrten Dokumenten des „Archivs Max von Mexiko“ hervorgeht, begann der Erzherzog bald nach seiner Abberufung, gemeinsam mit dem Innsbrucker Professor Tobias Wildauer Notizen, Akten, Briefe und Schreiben aller Art für eine geplante Publikation über die „Geschichte des Generalgouvernements 1857–59“ zusammenzustellen. Ziel der nie zustande gekommenen Veröffentlichung6 war sicher eine Rehabilitierung Ferdinand Maximilians, der abgesetzt wurde, ohne seine ehrgeizigen Absichten in Lombardo-Venetien verwirklichen zu können. Aus diesem Schriftsatz und weiteren Akten im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv lassen sich ferner Grundzüge einer auf das Theater zentrierten Kulturpolitik erkennen, die auch in anderen Ländern des Habsburgerreiches zu den Eckfeilern des Neoabsolutismus gehörten.7

„La guerre de la coquetterie“

Erzherzog Ferdinand Maximilian und seine erst siebzehnjährige Frau Charlotte zogen am 30. August 1857 feierlich in Mailand ein, und der sogenannte „Stimmungsbericht“ der örtlichen Polizei wusste nur Erfreuliches zu berichten  : „Allenthalben strömte das Publikum in außerordentlichen Massen zusammen, allenthalben vernahm man warme Kundgebungen von Anklang und Verehrung, allenthalben herrschte der ungetrübteste heiterste Geist, und ungeachtet des auf das geringste herabgesetzten äußeren Apparates polizeilicher Überwachung, 6 Publiziert wurde das Buch – soweit dies nachzuprüfen möglich war – nie, doch im HHStA sind Druckfahnen auf Französisch erhalten. Wahrscheinlich eine vorbereitende Stufe dazu ist das Dokument mit dem Titel „Geschichte des Generalgouvernements 1857–59“, das sich ebenfalls im Archiv Max von Mexiko befindet  ; da dieses Skript handschriftliche Notizen Ferdinand Maximilians (die ebenfalls aufbewahrt wurden) teilweise wörtlich wiedergibt, über weite Strecken aber Wildauer zuzuschreiben ist, zitiere ich es als „Skript Wildauer“. Die Autorschaft beider ist schwer zu trennen. 7 Vgl. dazu – wenn auch aus dem Blickpunkt der allgemeinen Theatergeschichte – die die Arbeiten von Jerzy Got über das Theater in Lemberg und Krakau (Jerzy Got, Das österreichische Theater in Lemberg im 18. und 19. Jahrhundert. Aus dem Theaterleben der Vielvölkermonarchie, 2 Bde., Wien  : Verlag der ÖAW, 1997  ; Jerzy Got, Dzieje teatru w Krakowie. Teatr austriacki w Krakowie 1853–1865, Wroclław  : Wydawnictwo Literackie, 1984), sowie die Dissertation von Marketa Tautrmanová über das Prager Ständetheater von 1846–1862, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder).

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kam bei keinem dieser Anlässe trotz des unbeschreiblichen Gedränges auch nur die geringste Störung vor“.8 Großer Aufwand wurde getrieben, um den Generalgouverneur in der Stadt zu empfangen  : am Abend des Einzugs wurde die ganze Stadt beleuchtet, ein großes Fest im Freien und ein Feuerwerk beschlossen den Tag. Angetrieben von der „musterhaften Haltung“ der Bevölkerung und den „Beweise(n) warmer und zugleich ehrfurchtsvoller Sympathie“ begann Ferdinand Maximilian mit Vorbereitungen zum Erschaffen eines eigenen Hofes mit Hofkultur. Auf einem Notizzettel hielt er fest  : „Ein Hof ist wie eine Herzkammer, sie pumpt das Blut in alle Gefässe und treibt die Circulation an. Der Glanz von Mailand muss den von Turin und Florenz verdunkeln.“9 In einem – laut Vermerk allerdings nie abgesandten – Brief an seinen Bruder Kaiser Franz Joseph machte Ferdinand Maximilian sich Gedanken über einen zu schaffenden Hofadel, was sicherlich darauf zielte, die Stimmung unter den Adligen Mailands wieder in Richtung der Habsburger zu verschieben. Da es sich jedoch angesichts unklarer Verwandtschafts-verhältnisse und diffuser Hierarchien innerhalb des lokalen Adels als zu kompliziert herausstellte,10 Kriterien   8 Stimmungsbericht der Mailänder Polizei über die Monate Juni, Juli, August 1857, 5. Oktober 1857. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 88.   9 Agenda und Notizen von Ferdinand Maximilian. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 94. 10 „Plötzlich erworbene Reichtümer, Zugeständnisse von Adelstiteln und Ankäufe von Lehen vermehrten inzwischen fortwährend die Zahl der Adligen, und als die verewigte Kaiserin Maria Theresia den Gedanken faßte, einen Erzherzog mit der Verwaltung der Lombardei zu betrauen und ihm einen Hofstaat beizugeben, war im Adelswesen die Unsicherheit und Verwirrung bereits auf das höchste gestiegen …. Die eigentliche Zulassung zum Hofe weiland Seiner kaiserlichen H des durchl. EH Ferdinand genossen bis zum Jahre 1779 die anerkannten alten und angesehenen Adelsgeschlechter, ferner jene Adligen, welche von dem heraldischen Tribunal den Nachweis liefern konnten, dass ihre Familien seit 200 Jahren für adlig gelten, endlich jene, welche zwar den Nachweis der altadligen Abkunft nicht zu liefern vermochten, jedoch adlige Titel und Diplome erhalten hatten. … Seit 1848 hat die schon früher sehr geschwundene Zahl der zum Hofzutritte befähigten und damit begünstigten, namentlich was die Damen betrifft, eine noch viel schwerere Einbuße erlitten, und bleibt man bei den bemerkten Normativbestimmungen des Jahres 1823 stehen, so erscheint eine Menge von adligen Familien der Hofzutritt versagt, welche durch Rang, Reichtum und andere Vorzüge ganz besonders berufen wären, an demselben Theil zu nehmen, die aber aus vielerlei Gründen lieber darauf verzichten, als eine gnadenweise Gleichstellung mit anderen nachzusuchen, die, wiewohl hoffähig, in sozieller Stellung und Geltung sehr häufig tief unter ihnen stehen. „ Brief des Statthalters Burger an Ferdinand Maximilian, 14. Juli 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 95.



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für eine Hofzugehörigkeit der Adeligen zu schaffen, schlug er schließlich vor, den lokalen Sitten zu folgen und alle Aristokraten mit ihren Gemahlinnen zum Hofe zuzulassen  : „Die Gesellschaft welche der erzherzogliche Hof künftig bei sich sehen wird, soll aus drei Kategorien bestehen  : 1. Der alte Hofadel in den jetzt existirenden zwei Klassen. Dieser wird zu großen diners, Kirchenfesten und allem was vollkommen steif und langweilig ist, geladen. 2. Der neu zu creirende Hofadel, d. i. der ganze Landes-Adel con tutte le donne di condizione civile, von Beamten und Militärs nur die mit Borten auf der Uniform. … N.2 bildet die eigentliche Gesellschaft zu allen unterhaltenden Festen. … N.3 begreift alle Personen di condizione civile, Männer und Frauen. Für diese werden zwei maschinose Feste im Winter gegeben“.11 Auch aus diesen Quellenabschnitten geht somit das Ziel einer gesellschaftlichen Integration durch eine auf den Hof konzentrierten Kulturpolitik hervor, wobei hier besonders aufschlussreich ist, dass Maximilian auf eine eigene Residenz in Mailand setzte. Es ist nicht bekannt, wie die zentralistische Regierung Bach auf seine Initiativen reagierte, aber im Grunde weist dieser Föderalismus auf die Zeit nach dem Ausgleich voraus. Im Laufe der ersten Karnevals- und Ballsaison seiner Amtszeit verfolgte der Generalgouverneur seinen Plan, trotz der demonstrativen Nichtbeachtung seinerseits durch den Mailänder Adel Präsenz zu zeigen und durch „conspicuous consumption“12 ebenso demonstrativ ein repräsentatives und weithin resonierendes Hofleben einzurichten.13 Ferdinand Maximilian besuchte die Oper im Teatro alla Scala, entwarf Pläne zur „Hebung der dramatischen Kunst“ und ließ vor allem wieder immer im Zuge seines „guerre de la coquetterie“ Bälle veranstalten  : „Wir haben es wenigstens, Gott sey Dank  !, dahin gebracht, daß unsere Parthei immer wächst, eleganten Zufluss bekommt und die einzige in Mailand ist, die sich diesen Carneval sehr gut unterhält. Bälle … beleben und einen, und 11 Notiz von Ferdinand Maximilian, undatiert, ebd. 12 S. dazu Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class, 1899. 13 S. dazu Lina Gasparini, Massimiliano d’Austria ultimo governatore del Lombardo-Veneto nei suoi ricordi, in  : Nuova Antologia, 70 (1935), 353–387, hier  : 361  ; auch Maria Rosa, L’uso della villa di Monza e del palazzo di città, in  : Milano capitale sabauda, Milano tecnica, Milano vetrina della nuova Italia, la società milanese. Atti del Congresso Milano 1848–1898, Ascesa e Trasformazione della Capitale Morale (Milano 1998), Venezia 2000, 11.

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sogar einst lästige Tänze zwischen den spröden Italienerinnen und dem Militär fangen an unbemerkt zu gelingen. … Auf meinem morgigen Ball, der noch ganz kleiner und nur heiterer Natur ist, habe ich schon 50 Personen. Morgen in 8 Tagen ist der erste große Ball, der in dem Colonnen-Saal seyn wird. Wir hoffen auf wenigstens 100 tanzende Personen. Ich wähle immer kleine Lokalitäten aus daß man sich recht drückt und über die Fülle der Menschen klagt  ; ich wähle immer Zimmer, deren große Fenster entweder auf den Platz o. auf eine frequentierte Straße gehen, damit Mailand das tanzende General-Gouvernement sieht, und so das mot d’ordre daß man bei Hof nicht tanzen können zu Schande wird.“14 Über diesen Abend berichtete er dann folgendermaßen  : „Heute Nacht meine erste Soirée dansante gegeben – nur 140 Personen geladen – 41 tanzende Personen. Sehr schöne Toiletten  ; sehr animirt, große Heiterkeit.“15 Dieser Versuch der Integration der Eliten folgte einem genauen Plan  : Mit den Bällen und dem „Beistand fremder Hilfstruppen“ in Form von „einigen hübschen und eleganten fremden Damen“16 sollte nicht nur die Langeweile des österreichischen Militärs beseitigt, sondern auch der lokale Adel enger an den Hof gebunden werden, um dessen Beziehung zur österreichischen Regierung zu verstärken und eine „dynastische Gesinnung“ hervorrufen. So gab der Erzherzog seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Adel seine Ambitionen weg von der politischen Opposition und hin zum ereignisreichen Hofleben wenden würde  : „Wird einmal mittels des hier skizzirten Planes der Hof zum Centrum des chic und der eleganten Mailänder Gesellschaft, so darf man erwarten, daß die Langeweile eines vereinsamten erfolglosen Schmollens, wobei keine auffallende Rolle mehr zu spielen ist, die Reihen der Widerstrebenden bald lichten wird.“17 Die politische Naivität – oder Dreistigkeit – und die Heißblütigkeit, die Ferdinand Maximilian zehn Jahre später in Guanajuato in Mexiko das Leben 14 Brief von Ferdinand Maximilian an Franz Joseph, 30.1.1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 92. 15 Brief von Ferdinand Maximilian an Franz Joseph, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 83. 16 Brief von Ferdinand Maximilian (Adressat unbekannt), undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 92 17 Notiz von Ferdinand Maximilian, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 92.



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kosten sollte, ist auch 1857 in Mailand zu bemerken. So plante er ein „Fürstentreffen“ in seinem Landschloss in Monza, zu dem alle habsburgischen Regenten in Italien eingeladen werden sollten  : Der Herzog und die Herzogin von Modena, die Regentin von Parma, der Erbgroßherzog und die Großherzogin von Toscana sowie der Graf von L’Aquila und der Erzbischof von Bologna sollten „sich wie zufällig auf dem großartigen Landsitze zur Jagdzeit unter dem plausiblen Vorwand der Unterhaltung und der Jagden treffen. Am Vormittag sollte in dem großen Parke gejagt werden, am Abend sollten sich Bälle und Theater folgen, Oper und Feuerwerk. Landparthien an den Comersee und die Brianza sollten die Bauernwelt ergözen. … Hinter all den glänzenden Provocationen lag aber eine für das Wohl des Landes wichtige Absicht. In der Freude der Jagd und in den Emotionen des Tanzes wollte der Erzherzog als Diplomat allgemach die hohen Herrschaften auf die einzelnen Punkte eines vorbereiteten Programms bringen. Bei Champagner und Bonbons sollten einzelne Worte fallen, die den porphyrogenitis den Begriff einträufeln sollten, daß eine genaue und klare Zolleinigung ganz klug wäre, nach einem glücklich geschossenen Vierzehnender sollte einem der Souverains der Vortheil einer Telegraphen-Verbindung nahegebracht werden, während den Accorden Verdi’s hätte man an ein gemeinschaftliches Eisenbahnnetz gedacht.“18 In den Worten von Ferdinand Maximilians Alter ego Professor Wildauer war die Reaktion in Wien folgende  : „Der Kaiser ging auf den Plan mit Wohlgefallen ein, der Erzherzog setzte in denselben große Hoffnungen auf die Zukunft. Und siehe da, plötzlich wittert der geistreiche Graf Buol [der österreichische Außenminister Karl Ferdinand Graf Buol-Schauenstein, J. T.] Verrath, stürzt betroffen zum Kaiser, erklärt die Zusammenkunft so vieler fürstlicher Personen für unmöglich, da sie fremde Potentaten kränken und verkleinern würde – und die Fürstenzusammenkunft wurde abgesagt. Der Erzherzog war um eine Hoffnung, die Politik um eine Stütze ärmer.“19 Offensichtlich gab es also nicht nur Widerstand der Regierung Bach, sondern auch Unstimmigkeiten zwischen dem Gouverneur Ferdinand Maximilian und seinem Bruder Franz Joseph, die auf grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen über das Ausmaß der Öffnung der Dynastie zur Gesellschaft hin basierten. 18 Notiz von Ferdinand Maximilian, redigiert von Tobias Wildauer, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 87. 19 Ebd.

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Atmosphärische Änderungen

Zu Beginn des Jahres 1858 änderte sich die Stimmung in Lombardo-Venetien deutlich. Ereignisse in Frankreich warfen ihre Schatten nach Italien  : nach seinem Attentat auf Napoleon III. wurde der italienische Revolutionär Felice Orsini verhaftet und zum Tode verurteilt. In einem offenen Brief aus der Haft rief er Napoleon III. dazu auf, sein Engagement für den italienischen Befreiungskampf fortzusetzen. Der französische Kaiser ließ das Schreiben veröffentlichen, aber dennoch Felice Orsini Mitte März 1858 hinrichten. Wenige Tage später jährten sich die Cinque Giornate, die fünf Tage des Aufstandes in Mailand von 1848 zum zehnten Mal. All dies erregte im habsburgischen Lombardo-Venetien große Aufregung, die Ereignisse wirkten „gleich wiederholten elektrischen Schlägen auf die entzündlichen Nerven des italienischen Publikums“.20 Die österreichische Polizei war in den beiden Hauptstädten Mailand und Venedig in Alarmzustand versetzt worden, und der Erzherzog Ferdinand Maximilian ließ vorsorglich mehrere Schiffe seiner Kriegsmarine aus Triest direkt nach Venedig verlegen  : „Diese Concentrirung, als deren plausibler, ganz natürlicher Zweck eine Inspektion von Seiten des Marine-Etats vorangestellt wird, nimmt morgen ihren Anfang und binnen weniger Tage werden die unmittelbar unter meinen Fenstern ankernden Schiffe einen Anblick bieten, der auf die Lagunenbewohner die heilsame Wirkung eines beruhigenden niederschlagenden Pulvers äußern dürfte. (…) lauter treffliche einexerzierte Schiffe, unbedingt gehorsame Commandanten, und auf ein geheimes Signal vom Dach des Palais sind alle Kanonen auf die Stadt der Monumente concentrirt. Für die Venezianer sind alle diese Maßregeln einstweilen nichts als jugendliche Launen eines ultramaritimen Generalgouverneurs, der von seinem Schreibzimmer das Land gouverniren und gleichzeitig die Schiffe will manövriren lassen.“21 Der Jahrestag der Revolution von 1848 ging zwar in beiden Städten relativ glimpflich vorüber, doch Venedigs Opernhaus, das in Händen venezianischer Adliger sich befindende Teatro la Fenice,22 wurde zu einem Herd ständiger 20 Skript Wildauer, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 84. 21 Notiz von Ferdinand Maximilian, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 88. 22 S. dazu Jutta Toelle, Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900, Kassel  : Bärenreiter 2007, 161ff.



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Unruhe. Schon Anfang März wurde über übermäßigen Applaus beim Auftritt des Dogen und seines Prachtschiffes Bucintoro in einem Ballett berichtet. Die Dienst habenden Polizisten hielten die Sache zwar für „dumm und knabenhaft“, befürchteten aber, dass der Auftritt des Dogen am Jahrestag der Revolution „die Veranlassung zu einer Theaterdemonstration mittelst starken Applauses geben werde“. Sie bezweifelten nicht, dass es sich um eine politische Demonstration handelte, „die abgesehen von ihrer Lächerlichkeit und Extravaganz dahin abzielt, einer bestandenen Regierung Sympathien zu zeigen um der gegenwärtigen einen Possen zu spielen“.23 Vorsorglich fügte der Polizeidirektor eine Liste der eifrigsten Klatscher bei. Auch von einem Vorfall bei einer Opernaufführung berichtete Wildauer  : „Erst nachdem die Stöße des Ereignisses die Nerven zu größter Empfindlichkeit aufgereizt hatten, da sah man die Scene der Verschwörung mit anderen Augen, hörte man die Töne mit anderen Ohren, und es konnte jetzt den politischen Wettermachern gelingen, in die ‚Bretter, die die Welt bedeuten’, wirklich eine Bedeutung für die unmittelbare Gegenwart hineinzuschwindeln. Man verlangte die Wiederholung des Verschwörungschors, und wie diese verweigert wird, entsteht ein Lärm und Rufen, von dem man mit Recht sagen konnte  : ‚Das ist nicht das Gejauchze des Beifalls  !’“ Eine weitere Aktion des venezianischen Adels hatte der Erzherzog, wie er Kaiser Franz Joseph berichtete, wagemutig zunichte gemacht. Die Idee war publik geworden, auf einem kollektiven Spaziergang den kaiserlichen Garten demonstrativ zu meiden und stattdessen den Markusplatz zum Ziel der Promenade zu erwählen  : „Schnell ließ ich die Musik dahin kommen und aufspielen. Ich nahm Charlotte unter den Arm und ging mit ihr allein ohne alle Begleitung und Dienerschaft in die Allee des kaiserlichen Gartens. Sie war wirklich sehr leer, dagegen die piazzetta ganz voll mit lauter elegantem Gesindel. Wir gingen gerade auf dieses Volk los und über die piazzetta …; dort gingen wir dreimal auf und ab, um dem artig grüßenden Volk Zeit zu lassen zusammen zu strömen.- Als es sehr voll war, alles grüßte und dadurch jede Demonstration zu nichte war, gingen wir mit der ganzen Bevölkerung im Schlepptau über die riva 23 Bericht des venezianischen Polizeidirektors Franceschini an Ferdinand Maximilian, 7. März 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 92.

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degli schiavoni gegen den äusseren Theil der Stadt zu. Mit unserer lavine hinter uns wurden sogar die Schlechtgesinnten in den Kaffehäusern gezwungen aufzustehen und uns zu grüßen.“24 Wildauer stellte zwar in seinem Skript die Opposition der adeligen Venezianer – in Form des Boykotts eines Spaziergangs durch einen bestimmten kleinen Garten – als äußerst lächerlich dar („Durch die gesunde Bewegung einerseits, die vorsichtige Enthaltsamkeit andererseits glaubten sie den zehnten Jahrestag der Revolution würdig zu feiern“25), doch es wird deutlich, dass gerade die genaue Überwachung aller Regungen des Volkes in Lombardo-Venetien dazu führte, dass schon kleinste Vorfälle grotesk aufgebauscht wurden. Viele Geschehnisse wurden so erst politisch aufgeladen – die Ratlosigkeit der Österreicher, die die Opposition gegen sich selbst geradezu herausforderten, wird so sehr deutlich. Ein weiteres Dilemma dieser höfischen und repräsentativen Kulturpolitik soll hier erwähnt sein  : Maximilian konnte nicht gleichzeitig in Mailand und Venedig Präsenz zeigen, und so stieß die monarchische Selbstpräsentation im Sinne eines gütigen Vizekönigs des veneto-lombardischen Königreiches an eine natürliche Grenze. Ferdinand Maximilians Gunst in der Bevölkerung nahm eindeutig und endgültig im Herbst 1858 mit der Einführung neuer Rekrutierungsgrundsätze ab. Voller Zorn über die Militärregierung sprach der Generalgouverneur denn auch in einem resignativen Brief an den Kaiser über seine „schwarze Zukunft“  : „Ich habe keine Macht, ich habe keine Mittel, Gutes zu wirken, und die Absurditäten Anderer zu mäßigen, und soll so an der Spitze des feinsten Volkes in Europa stehen. Die letzten sinnlosen Maßregeln des Ministeriums haben nun gar, was ich zwei Jahre mit Mühe anzubahnen versucht, zerstört und bei keiner dieser Maßregeln hat man es der Mühe werth gefunden, mich nur um meine schwache Ansicht zu fragen.“26 Und in einem nächsten Schreiben äußerte er offen fundamentale Zweifel an den Ideen der Regierung und nicht zuletzt harsche Kritik an der Politik seines 24 Brief von Ferdinand Maximilian an Franz Joseph, 23. März 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 84. 25 Skript Wildauer, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 84. 26 Brief von Ferdinand Maximilian an Kaiser Franz Joseph, November 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 88, s. dazu auch Hamann, Khevenhüller, 36f.



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Bruders – leider sind die Antworten von Kaiser Franz Joseph nicht vorhanden  : „Soll denn die unglückliche Idee neue Bestätigung finden, daß in den Augen der kaiserlichen Regierung seit 1848 das l.v. Königreich nur mehr ein Feldlager, nicht eine Provinz wie jede andere sei, und daß insbesondere Mailand und das ganze Gebiet diesseits der Linie Verona–Mantua als ein dem ersten feindlichen Einfalle ohne Schwertstrich preisgegebenes Land betrachtet wurde – eine Idee, die von Piemont eifrig verbreitet und früher von einem Teile unseren Militärs unbesonnener Weise genährt, für sich allein schon die Schwankungen der Gemüther in der Lombardei zur Genüge erklärt  ! – Oder wünscht etwa – was ich nur mit Widerstreben ausspreche – wünscht die Militär-Autorität eine Katastrophe und will sich gern überraschen lassen  ?“27 Ab dem Spätherbst 1858 wurden in beiden Städten die sogenannten Zigarrendemonstrationen beobachtet, bei denen sich „unter jungen, meist den mittleren Volksklassen angehörigen Leuten eine Agitation gegen das Rauchen der Virginier-Zigarren kund gegeben habe“.28 Vor allem dadurch, dass neben den Slogans gegen das Zigarrenrauchen („Spie chi fuma sigari“) bald auch Aufschriften wie „Morte all’Austria, viva l’Italia“ angezeigt wurden, gewannen die Ereignisse an Rang. Auch das Akrostichon „Viva V.E.R.D.I.“ tauchte in dieser Zeit, wohl im Januar 1859, erstmalig auf.29 Grundsätzlich lässt sich konstatieren, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt die habsburgische Regierung von Lombardo-Venetien von den Ereignissen überrollt wurde  ; und damit die Idee einer wohlgeordneten, monarchisch-repräsentativen Kulturpolitik ad absurdum geführt wurde. Ohne Unterstützung aus Wien war der Generalgouverneur und Repräsentant der habsburgischen Regierung machtlos.

27 Brief von Ferdinand Maximilian an Kaiser Franz Joseph, Dezember 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 83. 28 Brief des venezianischen Polizeidirektors Franceschini an den Kabinettschef von Ferdinand Maximilian, 24. November 1858. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 88. 29 S. dazu Anselm Gerhard und Uwe Schweikert (Hg.), Verdi-Handbuch, Stuttgart  : Metzler 2001, 93 und 609.

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Aufruhr in den Opernhäusern

Die Saisoneröffnungen der großen Opernhäuser in Venedig und Mailand waren der nächste Prüfstein für die Stimmung der Bevölkerung – oder zumindest der ausschlaggebenden Elite. Der Generalgouverneur war selbstverständlich im Teatro alla Scala anwesend, wurde aber weitgehend ignoriert  : „Der Erzherzog, der sich in den vergangenen Monaten behutsam zurückgezogen hatte, hat jetzt sein System geändert und gibt sich Mühe. Er ist immer im Theater, wo aber niemand sich anmerken lässt, dass er ihn gesehen hat.“30 Nachdem die Mailänder Erstaufführung von Giuseppe Verdis neuer Oper Simon Boccanegra am 24. Januar 1859 nur wenig Erfolg hatte und auch eine Tänzerin vom Publikum ausgepfiffen worden war, musste der Generalgouverneur höchstpersönlich beim Hof in Wien um eine Sonderdotation bitten, „da es namentlich unter den jezigen Umständen vom Standpunkte der Regierung durchaus nicht gleichgiltig sein könnte, daß das hiesige Publikum im Theater statt angeregter Zerstreuung Anlaß zu Gereizheit fände, welche das Gepräge einer politischen Demonstrazion sehr leicht angenommen hätte, und den Bestrebungen der Umsturzparthei gewiß willkommen gewesen wäre“.31 Zusätzliches Geld wurde bewilligt, doch auch das reichte nicht mehr aus  : Bereits Ende Januar kam es im Teatro alla Scala zu berühmten Zwischenfällen während zweier Aufführungen von Vincenzo Bellinis Norma. Der martialische Chor „Guerra, guerra“ wurde übermäßig bejubelt, und bei der Wiederholung des Stücks, die vom Publikum stürmisch gefordert und von der Direktion erlaubt worden war, verstärkte sich der Applaus noch.32 Bei der Aufführung derselben 30 Luigi Marchetti, Milano 1858 nelle lettere di Cesare Giulini della Porta a Giuseppe Massari, in  : Il Risorgimento XI, 2 (1959), 80. 31 Brief von Ferdinand Maximilian an Kaiser Franz Joseph, 20. Jänner 1859. Archivio di Stato di Milano (ASM), Cancellerie Austriache (Cancelleria dell’Arciduca Ferdinando Massimiliano), b. 456  ; s. dazu auch den Vortrag des Finanzministers Bruck über die „von Seiner königlichen Hoheit dem durchlauchtigsten Herrn Erzherzog Generalgouverneur des lombardo-venetischen Königreiches mit seinem Vortrag vom 20. Jänner l. J. angesuchte Bewilligung einer außerordentlichen Dotation von 12.000 fl. für das Theater alla Scala in Mailand“. HHStA, Kabinettskanzlei, KK 312/1859. Finanzminister Bruck bat aber im beiliegenden Schreiben Ferdinand Maximilian eindringlich „um die Vermeidung von Dotations-Überschreitungen für die Zukunft“. 32 „Si fece applaudire così clamorosamente da potersi attribuire ad una dimostrazione“, Bericht an die Mailänder Polizeidirektion, 30. Januar 1859. ASM, Questura, fasc. 1029, b. 2.



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Oper am nächsten Tag, dem 30. Januar 1859, war „eine Anzahl von Polizeiorganen in den verschiedenen Räumlichkeiten des Theaters auf eine angemessene Weise vertheilt worden“, und die Demonstration wurde „zum Theil paralisirt durch die Theilnahme der zahlreichen kk.Offiziere“,33 doch die Situation war gefährlich. Der adelige Mailänder Politiker Ludovico Trotti berichtete, dass den österreichischen Offizieren gar nichts anderes übrig geblieben sei, als in den Applaus einzustimmen und ihm so das Aufrührerische zu nehmen  : „Am zweiten Abend entschieden sich die Offiziere dafür, bei der Demonstration mitzumachen  ; so standen die Feinde in demselben Saal und brüllten ‘Krieg, Krieg’, ohne einander zu berühren.“34 Zwar wurde gleich entschieden, die Vorfälle „schon aus dem Grunde, weil das Militair auch stark mitapplaudirt hatte, nicht als eine politische Demonstration, sondern einfach als einen Theaterexzeß“ anzusehen. Doch sie zogen Vorladungen und Theaterverbote mehrerer Beteiligter nach sich, deren Mitwirken durch die eifrigen Polizeispitzel im Opernhaus attestiert worden war.35 Lediglich drei Wochen später gab es die nächsten, von den österreichischen Behörden zwar aufgebauschten, dennoch die Brisanz der Situation verdeutlichenden Vorfälle am Theater. Ein Konfident berichtete am 20. Februar 1859 von einem geplanten Aufruf zum Volksaufstand in der Karnevalszeit, drei Tage später wurden Besucher des großen Maskenballs im Teatro alla Scala, beim Überqueren des Platzes vor dem Opernhaus ausgepfiffen und angegriffen. Angesichts dieser Berichte zeigte sich Kaiser Franz Joseph in einem Brief an seinen Bruder Erzherzog Ferdinand Maximilian besorgt, ob das Karnevalstreiben in Mailand nicht doch lieber abgesagt werden solle. Doch die Sorge um noch 33 Brief des Mailänder Polizeidirektors an Polizeiminister Baron von Kempen in Wien, 31. Januar 1859, ASM, Questura, fasc. 1029, b. 2. 34 „La seconda sera gli ufficiali hanno pensato bene di associarsi anche loro alla dimostrazione e cosi i due nemici in una stessa sala gridavan guerra guerra senza pensare a toccarsi“, Ludovico Trotti, Lettere a Massari, (Hrsg). von Luigi Marchetti, in  : Il Risorgimento 11, 2 (1959), 104, s. dazu auch Bruno Spaepen, ‚Governare per mezzo della Scala’. L’Austria e il teatro d’opera a Milano, in  : Contemporanea 6 (2003) 4, 593–620. 35 „Si è potuto conoscere quelli i quali applaudivano incessantemente e con clamore da ossesso a quel pezzo di musica. Beigefügt ist eine Liste mit den Logen, aus denen heraus besonders applaudiert wurde  : nella fila 5.ta nel palco 5.to a mano destra tre giovanotti specialmente uno che si sporgeva fuori del palco  ; nel palco III in seconda fila a mano destra, nei palchi III e IV in terza fila a mano sinistra, nei palchi in tutta la 4.ta fila.“, alles in  : ASM, Questura, fasc. 1029, b. 2.

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größeren Aufruhr bei einem Verbot der Feste – wie auch bei einem Verbot der bis, der Wiederholungen beliebter Opernchöre oder Arien in den Theatern – verhinderte in diesem Falle ein härteres Durchgreifen. Die acht Männer, die verhaftet wurden, mussten nach wenigen Wochen aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen werden. Auch in Venedig gab es während der gesamten Karnevalssaison 1858/59 offene Proteste im und am Opernhaus. Auch hier berichtete die Polizei über Versuche aus der Bevölkerung, das Publikum vom Besuch des großen Maskenballs, der traditionellen cavalchina, abzuhalten  : „Zahlreiche Menschenhaufen haben sich am Platz vor dem Fenice-Theater Campo San Fantin und in den hinführenden Gassen eingefunden, sodass die Passage in einigen dieser Gässchen gespannt war, und man durch Militärpatrouillen die Räumung vollführen musste, nachdem die Ufficiali Perlustratori mit den ihnen beigegebenen Waffen die Menge nicht zum Weichen bringen konnten. Besonders zahlreich war das Volk am Campo San Fantin versammelt, wo einige die Besucher der Cavalchina durch Murren und ein eigenthümliches Husten einzuschüchtern versuchten.“36 Im Vergleich zu den Vorjahren war der Maskenball – immerhin der gesellschaftliche Höhepunkt der Karnevalssaison – sehr schlecht besucht. Auf eine Anfrage hin bestätigte die Theaterdirektion, dass tatsächlich nur 633 Eintrittskarten – im Gegensatz zu weit über 3.000 in den Jahren zuvor – gekauft worden waren,37 zusätzlich war aufgefallen, „dass außer der Frau Papadopoli keine einzige Venezianer Dame erschienen war“.38 Anhand eines umfangreichen Briefwechsels mit dem Generalgouverneur und dem venezianischen Statthalter von Ende März 1859 über ein weiß-rot-grünes Kleid, das eine Tänzerin auf der Bühne des Teatro La Fenice getragen hatte, wird deutlich, wie nervös der Umgang der Österreicher mit venezianischen Demonstrationen der Zugehörigkeit zu Italien war  : „Bei der gestrigen Vorstel36 Bericht von Crespi an den Statthalter Bissin­gen, 9. März 1859, Archivio di Stato di Venezia (ASV), Fondo Presidenza della Luogotenenza, b. 376. 37 Brief der Theaterdirektion des Teatro La Fenice an das Strafgericht in Venedig („Tribunale Provinciale in Venezia, Sezione Penale“), 12. April 1859. Dieses fügte hinzu  : Non saprebbe poi la Presidenza a qual causa attribuire la differenza nel numero dei concorrenti, Archivio Storico del Teatro La Fenice (ASTLaF), Venedig, b.45  : spettacoli CQ 1858/59. 38 Ebd.



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lung des Balletts Rodolfo di Gerolstein im Theater della Fenice betrat die erste Tänzerin Beretta-Vienna die Bühne in einem weißen, mit auffallend großen rothen in grünem Laubwerke eingeflochtenen künstlichen Camelien geschmück­ ten Kleide, so dass das Ganze die auffallende Ostentative der italienischen Natio­nal-Farben an sich trug. Diese Erscheinung verfehlte nicht ihre Wirkung hervorzubringen. Aus einigen Logen, welche von bekannten, der kaiserlichen Regierung nicht holden Individuen besucht werden, begann ein verhaltenes Beifallklatschen, welches im Parterre bald zahlreiche Nachahmer fand, so daß das Benehmen der Betheiligten das Ansehen einer lärmenden warmen Demonstration annahm. – Die sträfliche Absicht stellte sich dadurch in das klarste Licht, dass die Beretta gleich bei ihrer Erscheinung in dem vorbeschriebenen Anzuge den lärmendsten Beifall erntete, während als sie später die sonst beklatschtesten Tänze ausführte, ausnahmsweise von einem Theile des Publikums mit theilnamsloser Stille beobachtete wurde. Man wollte offenbar zeigen, dass man den National-Farben, und nicht der sonst beliebten Künstlerin applaudierte“.39 Schon kurze Zeit später, am 22. April 1859, verließ Ferdinand Maximilian seinen Posten,40 am 29. April 1859 löste Österreich den Krieg gegen die französisch-sardinische Armee mit dem Überschreiten des Grenzflusses Ticino aus. Nach gut acht Wochen und zwei schweren militärischen Niederlagen der Habsburger in Magenta und Solferino wurde im Vorfrieden von Villafranca festgelegt, dass Österreich auf die Lombardei verzichten, Venetien aber weiterhin Teil des Habsburgerreiches solle. Erst 1866 wurde auch dieses Gebiet schließlich in den italienischen Nationalstaat integriert. Dem Generalgouverneur Ferdinand Maximilian und seinem „tanzenden Generalgouvernement“ gelang es trotz all seines romantischen Enthusiasmus’ also nicht, auch nur einen Teil seiner Ideen einer gerechten und inspirierten Regierung zu realisieren. Die Kulturpolitik des intellektuellen Habsburgers, die vor allem aus Versuchen bestand, mittels großer Feste die städtischen Eliten zu integrieren und deren Energien zu binden, konnte sich nicht entfalten. Der 39 Brief aus der Statthalterei an Ferdinand Maximilian, 28. März 1859. ASV, Fondo Presidenza della Luogotenenza, b. 350. 40 Notiz über die Abreise des Generalgouverneurs am 22. April 1859, HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 92.

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lombardische Adel ignorierte ihn bis zu seiner Abberufung weitestgehend, und gerade anhand des Umgangs mit den beiden in den letzten Jahren LombardoVenetiens (und im Falle Venedigs darüber hinaus)41 zu umkämpften Zentren des Widerstandes avancierten Opernhäusern in Mailand und Venedig wird die Rat- und letztlich auch die Machtlosigkeit des Generalgouverneurs und der Österreicher deutlich. Ferdinand Maximilians Versuch, mittels einer zwar engagierten, letztendlich aber obsoleten Kulturpolitik einen besseren österreichischen Staat zu schaffen, konnte nicht gelingen. Somit waren auch die Versuche, sowohl innerhalb des habsburgischen Kaiserreichs als auch gegenüber dem geplanten und dann bestehenden italienischen Nationalstaat eine „moralische Hegemonie“ Austro-Italiens42 zu erlangen, zum Scheitern verurteilt.

41 Toelle, Oper als Geschäft, 169–177. 42 Skript Wildauer, undatiert. HHStA, Archiv Max von Mexiko, Karton 84.

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Die drei Ebenen der Kulturpolitik der böhmischen Stände vor 1848  : Theater, Museum und die Patriotisch-ökonomische Gesellschaft in Prag Kultur als Begriff, Spielraum und Machtfeld1

Es ist schwer möglich, den Begriff Kultur ohne mehrere Widersprüche zu umreißen. Für den Zweck dieser Abhandlung verstehe ich unter diesem Begriff mehr oder minder kreative und dabei auch mehrschichtige Handlungen, von denen größere Gruppen von Menschen die Verbesserung ihres geistigen und materiellen Lebens erwarten. In dieser Begrenzung erhält der Kulturbegriff eine bedeutende ethische Komponente. Kultur kann man auch als die wertbezogenen Bezüge des Menschen zu seinem Umfeld wahrnehmen, die Historiker aus ihrer Perspektive positiv oder negativ bewerten. Diese beiden Kulturbegriffe hängen sehr eng mit den gesellschaftlichen Funktionen der verschiedenen Institutionen zusammen, die Verantwortung für die kulturelle Entwicklung in Anspruch nehmen. In diesem Fall sprechen wir von institutionell ausgeübter Kulturpolitik. Es versteht sich auch von selbst, dass vor allem in der Moderne die Tätigkeiten kultureller Institutionen mit der zielgerichteten Vermittlung der erwünschten kulturellen Werte an ihre Klientel verknüpft sind. In diesem Zusammenhang ist die Entfremdung dieser Institutionen von ihren ursprünglichen Zielen nicht so bedeutend wie das Spiel zwischen der aufklärerischen staatlichen Macht und der symbolischen Macht der institutionellen Akteure, die sich in Prag vor dem Jahr 1848 um die Verwirklichung ihrer eigenen, zumeist autonomistischen Kulturvorstellungen bemühten. Dritter Partner in diesem Spiel ist das Publikum oder besser gesagt die Klientel, deren Sympathien die Kulturinstitutionen für den Erfolg ihrer Bemühungen unbedingt brauchten, wenn sie nicht in gesellschaftlicher Isolation versinken wollten. 1 Vgl. dazu Peter Burke, What is Cultural History  ?, Cambridge  : Polity Press 2004, 49 ff., und Geoff Eley, A Crooked Line. From Cultural History to the History of Society. Ann Arbor  : The University of Michigan Press 2008, 193 ff.

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Es ist auch logisch, dass alle diese und andere Partner sich im Lauf der Zeit veränderten. Für den diskursiven Raum dieses Spieles waren die Impulse der europäischen Aufklärung besonders wichtig, die auch in der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schrittweise an Bedeutung gewann. Man kann sicher sagen, dass die moderne staatliche Kulturpolitik und die modernen Vorstellungen von kultureller Repräsentation gerade in dieser Zeitperiode entstanden sind. Böhmens Hauptstadt war in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Prag war damals keine Metropole des Staates, wie in vielen anderen Fällen, in denen eine moderne Kulturpolitik entstand, da eine Landeshauptstadt an der Semiperipherie der Habsburgermonarchie lag. Geografisch war Prag nicht weiter von den Hauptzentren der westeuropäischen Kultur entfernt als das an der Donau liegende Wien. In Prag lebte schon damals eine stetig wachsende Zahl tschechischsprachiger und deutschsprachiger Einwohner. Es bestand hier außerdem eine wirtschaftlich bedeutende und kulturell eigenartige Gemeinschaft von Juden, die meist jiddisch und später deutsch sprach. Im Geschäftsbetrieb war für viele jüdische Kaufleute in Prag auch die tschechische Sprache üblich. Für die gesellschaftliche Atmosphäre war es ferner maßgebend, dass die Habsburgermonarchie in der Regierungszeit von Maria Theresia und besonders ihres Sohns Joseph II. von der Ideologie des aufgeklärten Absolutismus beeinflusst wurde, die Raum für neue gesellschaftliche Aktivitäten öffnete. Träger dieser Aktivitäten waren vor allem umsichtige Mitglieder des Adels, einige Angehörige des katholischen Klerus und eine relativ kleine Gruppe gebildeter Mitglieder des Mittelstandes. Die kulturelle Hauptstrategie der aufgeklärten Mitglieder der alten gesellschaftlichen Eliten bestand damals darin, für ihre eigenen Zwecke tüchtige Angehörige des Mittelstandes zu gewinnen, die noch nicht ausreichend Kraft für die selbständige Durchsetzung einer eigenen Kulturpolitik hatten.2 2 Vgl. Josef Petráň u. a., Počátky českého národního obrození. Společnost a kultura v 70. až 90. letech 18. století, Praha  : Academia 1990, passim, besonders 91–153 und Pavel Bělina u. a., Dějiny Prahy II. Od sloučení pražských měst v roce 1784 do současnosti, Praha  : Paseka 1998, 124 und 133 ff. Am Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts lebten in Prag wahrscheinlich 80 % tschechischsprachige und 20  % deutschsprachige Einwohner. Im Jahr 1910 war dieses Verhältnis schon 94 % zu 6 %. Im Jahr 1784 hatte Prag etwa 76.000, im Jahr 1846 etwa 115.000, im Jahr 1869 etwa 270.000 und im Jahr 1910 schon fast 670.000 Einwohner.



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Unter diesen Initiativen möchte ich hier nur an die gesellschaftlichen Institutionen erinnern, welche in Böhmen eng mit der Entstehung der modernen Kultur auf dem Gebiet des Schauspielwesens, der öffentlichen wissenschaftlichen Repräsentation des Landes und ihrer Völker und mit der Modernisierung der landwirtschaftlichen Produktion zusammenhingen. Dabei ist mir vor allem das Gräfliche Nostitzsche Theater in Prag (1783–1798) wichtig, das auch Königliches Altstädter Nationaltheater hieß und im Jahr 1798 ins Ständische (Landständische) Theater umgewandelt wurde. Dann möchte ich meine Aufmerksamkeit dem Vaterländischen Museum widmen, das 1818 in Prag gegründet wurde, und schließlich werde ich mich mit der Patriotischökonomischen Gesellschaft befassen, die schon im Jahr 1770 ihre Tätigkeit in Prag aufnahm.

Theater3

Bereits vor dem Jahr 1783, als Graf Franz Anton Nostitz-Rieneck (1728–1794) das neue, kunstvolle Gebäude seines eigenen Theaters in Betrieb genommen hatte, gab es in Prag eine langjährige Tradition des ständigen professionellen Schauspieles, für die in den Jahren 1739–1783 vor allem das Kotzen-Theater stand. Sein Gebäude war Eigentum des Prager Magistrats, der es besonders an italienische Theaterunternehmer vermietete. Sein Repertoire bildeten vor allem italienische Opern, dann deutschsprachige Dramen und mehr oder weniger derbe Lustspiele. Auf dieser Bühne wurden zur damaligen Zeit auch deutsche Übersetzungen ursprünglich französischer Theaterstücke von Pierre de Beaumarchais, Denis Diderot und François Marie Voltaire sowie Operetten, lustige deutsche Singspiele, Pantomime und Gaukeleien aufgeführt. Besonders beliebt waren die leicht anzüglichen Lustspiele vom Carlo Goldoni. In dieser Zeit gab es auch an verschiedenen Orten in Prag zumeist einfache tschechi3 Siehe dazu František Černý, Vladimír Procházka u. a., Dějiny českého divadla II. Národní obro­ zení, Praha  : Academia 1969, Eva Šormová u. a., Česká divadla. Encyklopedie divadelních souborů, Praha  : Divadelní ústav 2000, Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters Bd. I–III, Prag  : A. Haase 1883, 1885, 1888, und Alena Jakubcová, Jitka Ludvová, Václav Maidl (Hg.), Deutschsprachiges Theater in Prag. Begegnungen der Sprachen und Kulturen, Praha  : Divadelní ústav 2001.

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sche Schauspielstücke, welche von begeisterten Laienschauspielern aufgeführt wurden.4 Graf Nostitz erwartete von seinem Theater als gut gebildeter Aufklärer, loyaler österreichischer Staatsbürger und Würdenträger, stolzer böhmischer Landespatriot und Anhänger der Vorherrschaft der deutschsprachigen Hochkultur in Mitteleuropa, dass es die böhmische Schauspielkultur von der Ebene der bloßen Unterhaltung auf die Stufe des menschenwürdigen Geschmackes heben würde. Er überschätzte aber nicht nur seine finanziellen Möglichkeiten, sondern auch die Tragweite seiner erzieherischen Bemühungen auf dem Gebiet der dramatischen Kunst. Der kulturelle Bildungsstand des Prager Publikums war damals nämlich nicht so hoch, als dass es die anspruchsvolle deutsche Dramaturgie, die auf Lessings Spuren wandeln wollte, langfristig zu unterstützen bereit gewesen wäre. Auch die Besucherzahlen der kostenintensiven italienischen Oper waren sehr schwankend. An diesem Stand konnten weder die berühmten Opern, die Wolfgang Amadeus Mozart (1765–1791) für dieses Theater komponierte, noch die gut bekannte musikalische Mozarttradition, die in Prag auf fruchtbaren Boden fiel, etwas ändern. In diesem Zusammenhang ist auf die glänzende Weltpremiere von Don Giovanni zu verweisen, die in Prag im Nostitzschen Theater am 29. Oktober 1787 unter Mozarts Leitung und der repräsentativen Anwesenheit des böhmischen Adels und des bürgerlichen Publikums stattfand. Am Ende des vorigen Jahres hatten die Prager am selben Ort die Aufführung der Oper Nozze di Figaro (Hochzeit von Figaro) begeistert aufgenommen, die Mozart im Januar 1787 auch persönlich dirigierte. Diese beiden Theaterstücke wurden italienisch gesungen, wie auch die Oper La clemenza di Tito, deren Weltpremiere anlässlich der Krönung von Leopold II. zum böhmischen König im Nostizschen Theater am 6. September 1791 stattfand. Dieses Musikwerk, welches in der Atmosphäre der zahlreichen Krönungsfeste nicht so eindrucksvoll ausklang wie zuvor Don Giovanni, war ein Auftragswerk der böhmischen Stände beim bereits kranken Mozart.5 4 Vgl. František Černý (Hg.), Divadlo v Kotcích 1739–1783. Nejstarší pražské městské divadlo, Praha  : Panorama 1992, passim, besonders 127 ff. 5 Vgl. Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters Bd. II, Prag  : A. Haase 1885, 196 ff.



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Nach dem Tod von Graf Nostitz war sein Sohn nicht mehr im Stande, die finanziellen Lasten des Theaters, das sein Vater gegründet hatte, allein zu tragen. Nach seinem Angebot kauften ihm die böhmischen Stände die Theatergebäude mit den Betriebsrechten ab. Dies ging so vonstatten, dass einige von ihnen für die Summe von 10.000 Gulden, die sie auf der Grundlage des Vertrages vom April 1798 bezahlen sollten, eine Erbloge im Theater erhielten. Das Schauspielhaus mit der für diese Zeit leicht übertriebenen Kapazität von eintausend Zuschauern hieß nunmehr Ständisches Theater in Prag. Die Logenkäufer und ihre Erben bildeten dann zusammen mit einigen Mitgliedern des böhmischen Landtags eine „Theateraufsichts-commission“, deren Hauptaufgabe in der Bewilligung des Repertoires, der Überwachung der Theaterdirektion, der Bestätigung aller geschlossenen Verträge und der allgemeinen Beurteilung „des künstlerischen Theaterzustandes“ beruhte.6 Just diese Kommission sollte das Hauptinstrument der Theaterpolitik der böhmischen Stände im Vormärz bilden. Sie wollten auf diese Weise spürbar die allgemeine kulturelle Atmosphäre in Prag und im ganzen Lande bestimmen. Aber ihr kultureller Einfluss wurde durch die Repertoirepolitik der bürgerlichen Theaterdirektoren, an die das Ständische Theater für einen Turnus von sechs Jahren vermietet wurde, bedeutend bestimmt, da die Impresarii das Verhältnis zwischen ihren Ausgaben und Einnahmen sehr genau im Auge behalten mussten. Der Theaterbetrieb war unter diesen Umständen zumeist nicht lukrativ, da er vom österreichischen Staat nicht regelmäßig finanziell unterstützt wurde. Die böhmischen Stände deckten die üblichen technischen Betriebskosten des Theaters, nur in Ausnahmenfällen halfen sie den Theaterdirektoren mit außerordentlichen Zuwendungen aus. In einem Verhältnis zum Staat stand das Ständische Theater in Prag vor allem dadurch, dass es der allgemeinen politischen Aufsicht, der staatlichen Zensur, den Bausicherheitsvorschriften und vor allem den strengen Brandschutzmaßnahmen untergeordnet war. Das Verhältnis zum Staat beinhaltete natürlich auch die gelegentlichen Theaterbesuche der Mitglieder des habsburgischen Herrscherhauses, die vorwiegend anlässlich der böhmischen Königskrönungen oder anderer Aufenthalte in der 6 Vgl. Hana Zimmerhaklová, Stavovské divadlo v letech 1783–1861, Diplomarbeit, Karlsuniversität in Prag, Philosophische Fakultät, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte 2005, besonders 31–88.

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Landeshauptstadt stattfanden. Das „goldene Zeitalter“ des Ständischen Theaters in Prag kann man für die Jahre 1806–1816 ansetzen, als hier Carl Johann Liebich (1773–1816) eine führende Rolle einnahm. Dieser Schauspieler und Theaterunternehmer versuchte, die von der Theateraufsichtskommission betonte geschmacksbildende und erzieherische Funktion des Theaters mit einer für das bürgerliche Publikum attraktiven Dramaturgie auszusöhnen. Er wurde auch zu einer bedeutenden Persönlichkeit des Kulturlebens in Prag, was sich vor allem im Jahr 1813 zeigte, als bedeutende Mitglieder des Wiener Hofes dort vergebens auf die Eröffnung eines Friedenkongresses warteten.7 Unter dem Druck der ständischen Theateraufsichtskommission musste Liebich seine Aufmerksamkeit vor allem auf das künstlerische Niveau der Prager Oper konzentrieren. Die „teuere“ italienische Oper hatte nämlich nur wenige Besucher und wurde 1807 faktisch im Ständischen Theater eingestellt. Die Kommission war auch mit der Abteilung für deutsche Opern unzufrieden. Aus diesem Grund lud Liebich Carl Maria von Weber (1786–1826) nach Prag, wo er in den Jahren 1813–1816 als Leiter dieses Ensemble engagiert wurde. Diese Zusammenarbeit endete aber mit Webers Enttäuschung über die kleinlichen kulturellen Zustände in Prag und der wiederholten Kritik der ständischen Aufsichtskommission, welche erneut auf die nicht befriedigenden Zustände in der deutschen Oper abzielte. Diese Vorbehalte waren aber nicht immer gerechtfertigt. Seine wahre schöpferische Blütezeit erlebte Weber daher nicht in Prag, sondern in Sachsen, wo er im Dresdener Hoftheater wirkte. 1821 erreichte er in Berlin einen glänzenden Erfolg mit seiner bekanntesten Oper Freischütz.8 Liebich führte auf der Prager Bühne neben Opern etliche in Deutschland und Wien beliebte Schauspielstücke auf. Darunter befinden sich erfolgreiche Dramen und vor allem Lustspiele von August Kotzebue (1761–1819) und August Wilhelm Iffland (1759–1814).9 Die Betonung der deutschen Sprache und die gesteigerte gesellschaftliche Resonanz der Theatervorstellungen in der Öffentlichkeit hingen 7 Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters Bd. II, Prag  : A. Haase 1885, 372 ff. 8 Vgl. Philipp Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien  : Oldenbourg 2006, 79, 100 und 122 ff. 9 Vgl. Hanna Zimmerhaklová, Měšťanské vrstvy ve Stavovském divadle na přelomu 18. a 19. století, in  : Pavel Kladiwa/Aleš Zářický (Hg.), Město a městská společnost v procesu modernizace 1740– 1918, Ostrava  : Ostravská univerzita v Ostravě 2009, 114 ff.



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in Prag sehr eng mit den Erwartungen breiterer gesellschaftlicher Schichten zusammen, dass die Beendung der napoleonischen Kriege zu einer besseren Zukunft führen würde. Liebichs Beliebtheit in den höheren gesellschaftlichen Kreisen beeinflusste auch die Bereitschaft einiger böhmischer Aristokraten zur Tilgung der Schulden, die aus dem Theaterbetrieb und den Maskenbällen und Soirées resultierten, welche er sehr gern organisierte. Ab 1811 ermöglichte er es den tschechischen Laienschauspielern, ihre Schauspielstücke jeden Sonntag und an den Feiertagen nachmittags im Ständischen Theater aufzuführen. Er musste dabei den böhmischen Ständen ihr hohes sittliches und künstlerisches Niveau garantieren.10 Bessere Zeiten für die tschechische Dramaturgie sollten aber erst nach Liebichs Tod anbrechen. In den Jahren 1824–1834 wurde das Ständische Theater in Prag durch das Triumvirat Polawsky, Kainz und Štěpánek geführt. Letzterer hatte eine besondere Bedeutung, da er für die tschechische Dramaturgie verantwortlich war. Jan Nepomuk Štěpánek (1783–1844) verbrachte im Ständischen Theater 30 Jahre seiner künstlerischen Tätigkeit. Er schrieb tschechisch und übersetze oder adaptierte mehr als 130 Theaterstücke und Opernlibrettos für die tschechische Sprache. Mit diesen Verdiensten kann man ihn zu den Begründern der modernen tschechischen Theaterkultur rechnen, die im Prager Ständetheater nach den napoleonischen Kriegen nicht unvorteilhafte Ausgangsbedingungen für ihre mehr oder weniger kontinuierliche fortschreitende Entwicklung vorfanden. In dieser Zeit war Štěpánek durch seine patriotischen und historischen Ritterstücke bekannt, die konzeptionell deutschen Vorbildern folgten. Er ließ sich von diesen kulturellen Vorbildern ähnlich wie Mozart von italienischen und Weber von französischen Opernkomponisten inspirieren. Besonders beliebt waren seine vorwiegend an den traditionellen Werten des kleinbürgerlichen Milieus orientierten Lokallustspiele. Er bemühte sich auch um in tschechischer Sprache aufgeführte Opern, welche jene Mitglieder des deutschen Opernensembles aufführten, die der tschechischen Sprache mächtig waren. Darunter waren einige ausgezeichnete Künstler, vor allem die Sängerin Kateřina Podhorská (Caterine Podhorsky), die damals zum Opernstar avancierte. Štěpáneks tschechische Übersetzung des Libretto zum Freischütz hatte im Ständischen Theater am 6. Mai 1824 Premiere.11 10 Vgl. Jitka Ludvová u. a., Hudební divadlo v českých zemích. Osobnosti 19. století, Praha  : Divadelní ústav 2006, 306 ff. 11 J. Ludvová u. a., Hudební divadlo v českých zemích, 546 ff. und 408 ff.

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Štěpánek betonte seine führende Rolle in der tschechischen Dramaturgie, ließ aber anderen tschechischen Theaterschriftstellern Raum, von denen Václav Kliment Klicpera (1792–1859) und Josef Kajetan Tyl (1808–1856), der spätere Hauptbegründer des modernen tschechischen Theaters, die wichtigsten sind. Es lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass in Štěpáneks Ära im Ständetheater wichtige Schritte zur Entstehung einer Gruppe professioneller tschechischer Opernsänger und Opernsängerinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen gemacht wurde. Dies steigerte das Ansehen der tschechischen Sprache im öffentlichen Raum und trug im Laufe der Zeit auch zur Entstehung einer regelmäßigen tschechischen Theaterkritik bei.12 Ab den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts blieb der Theaterdiskurs im Rahmen der sogenannten tschechischen Wiedergeburtsbewegung nicht mehr nur Sache der sehr kleinen tschechischen Bildungselite, deren Spitze vor allem Josef Jungmann (1773–1847) und František Palacký (1798–1876) verkörperten. Sie bauten ihre kulturellen Ideale auf der von der Romantik beeinflussten klassizistischen Ästhetik auf, welche die Analogie zwischen dem hohen Niveau der alten antiken und „urslawischen“ Kultur unterstrich. In diesem Diskurs kamen auch andere Stimmen zu Wort, er entwickelte sich als mehrschichtiges Spiel zwischen der tschechischen Bildungselite, tschechischen Theaterkünstlern und der sozialen Zusammensetzung des Publikums, das sich vorwiegend aus kleinbürgerlichen und niedrigeren Schichten rekrutierte und deshalb begrenzte finanzielle Mittel und kulturelle Ansprüche hatte. Besonders die komplizierte Wechselbeziehung zwischen den ästhetischen Idealen, den Talenten der tschechischen Dramatiker sowie der tschechischen Dramaturgie, welche die tschechischen Zuschauer anzuziehen versuchten, bestimmte den Raum der aufkeimenden tschechischen Kulturpolitik bedeutend mit.13

12 Vgl. František Černý, Vladimír Procházka u. a., Dějiny českého divadla II. Národní obrození. Praha  : Academia 1969, 98 ff. und 140 ff., Miroslav Hroch, Die böhmischen Länder zwischen ethnischer und nationaler Identität, in  : Alena Jakubcová/Jitka Ludvová/Václav Maidl (Hg.), Deutschsprachiges Theater in Prag. Begegnungen der Sprachen und Kulturen, Praha  : Divadelní ústav 2001, 31–42. 13 Vgl. Miroslav Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Praha  : Karolinum 1968, besonders, 43–61 und Jiří Štaif, František Palacký. Život, dílo, mýtus, Praha  : Vyšehrad 2009, 36 ff.



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In den Jahren 1834–1846 führte der organisatorisch und unternehmerisch sehr aktive Österreicher Johann August Stöger (1791–1862) das Ständische Theater auf eigene Kosten. Er ließ den Zuschauerraum um eine Etage aufstockten, womit das Theatergebäude Platz für mehr als eintausend Zuschauer hatte. Als Theaterdirektor modernisierte er auch die Bühnentechnik und näherte auf diese Weise den Theaterbetrieb in Prag Wiener Vorbildern an. Als Impresario wirkte er hier nochmals in den fünfziger Jahren. Ab dem Beginn der vierziger Jahre wurde seine Tätigkeit von mehreren Konflikten mit der ständischen Aufsichtskommission begleitet. Ihre Mitglieder waren mit dem künstlerischen Niveau der Theateraufführungen und seinen ökonomischen Nebenaktivitäten unzufrieden und wollten diesen tatkräftigen Mann daher unter ihre harte bürokratische Kontrolle stellen. Er argumentierte dagegen, dass er den teuren Theaterbetrieb ohne stete Subvention nicht mit Eintrittsgeldern decken könne. Das Ergebnis dieser und anderer Auseinandersetzungen war im Jahr 1846 die Schaffung einer ganz neuen Position, des ständischen Intendanten, der allein für das künstlerische Niveau des Theaters verantwortlich zeichnete. Der ganze Theaterbetrieb wurde jetzt regelmäßig aus Landesmitteln subventioniert und die Aufsichtskommission begrenzte ihre Tätigkeit auf die Kontrolle der Wirtschaftsführung des Theaters. Auf Kosten der böhmischen Stände wurde das Theatergebäude nochmals renoviert, den Plafond zierten jetzt die Bildnisse von Schiller, Shakespeare und Mozart, welche die böhmischen Stände als die besten Vorbilder der hohen Theaterkultur hervorhoben. Die Revolutionszeit bedeutete aber den Anfang vom Ende der ständischen Bemühungen, verbindliche Muster für die Kultur in Böhmen zu schaffen.14 Inzwischen vertiefte sich bei den Anhängern der tschechischen Wiedergeburt die Diskussion über die Idee des tschechischen Nationaltheaters, deren ersten Impulse man schon in der tschechischen Übersetzung (1793) des Vortrags von Friedrich Schiller (1784) suchen kann, der unter dem deutschen Titel Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken  ? weltbekannt wurde. Diese Impulse wurden von Josef Kajetan Tyl aufgenommen, der als tschechischer Schauspieler (1834–1841 und 1846–1851) im Ständischen Theater engagiert war und in den Jahren 1846– 14 Vgl. Oscar Teuber, Geschichte des Prager Theaters Bd. III, Prag  : A. Haase 1888, besonders 325 ff. und 338.

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1851 auch als Hauptautor der tschechischen Dramaturgie und verantwortlicher Leiter der tschechischen Theateraufführungen wirkte. Die „Theaterfrage“ wollten die tschechischen Führungspersönlichkeiten als Sache der nationalen Gleichberechtigung, des gesellschaftlichen Prestiges und der kulturellen Repräsentation mit Hilfe einiger Mitglieder des Adels durch Gründung einer Aktiengesellschaft für den Bau eines tschechischen Theaters in Prag lösen. Der Hauptinitiator dieses Projektes war nicht Tyl, sondern der Jurist František L. Rieger (1818–1903). Die letzte Überarbeitung der schriftlichen Fassung nahm František Palacký vor.15 Es war kein Zufall, dass sich damals unter den vordersten adeligen Unterstützern der Errichtung des tschechischen Theaters Graf Josef Mathias Thun-Hohenstein (1794–1868) und Ritter Johann Norbert Neuberg (1796–1859) befanden, die in einer freundschaftlichen Beziehung zum ständischen Historiografen Palacký standen. Ersterer war in dieser Zeit schon Präsident der Gesellschaft des Vaterländischen Museums und in der Öffentlichkeit auch durch seine Aktivitäten in der Böhmischen Sparkasse und beim Bau der Kettenbrücke in Prag gut bekannt. Letzterer engagierte sich als Kurator der Matice česká (1831), eines im Rahmen des Museums wirkenden Unterstützungsfonds für die Herausgabe tschechischer Literatur. Palacký hatte in den Jahren 1841–1852 das Amt des Museumsgeschäftsführers ausgeübt, was ihm sehr beim Ausbau seiner öffentlichen Stellung half. Für diese Idee beabsichtigten Palacký, Rieger und ihre Mitarbeiter im Mai 1846 auch wohlhabende Mitglieder des Prager Bürgertums zu gewinnen. Diese Bemühungen blieben aber erfolglos, da sie bei der Regierung in Wien keine Zustimmung fanden. Nach einigen Peripetien wurde der Grundstein zum tschechischen Nationaltheater in Prag erst im Mai 1868 gelegt, seine Tätigkeit nahm das Theater aber erst im Jahr 1883 auf. Den Aufführungen des tschechischen Repertoires diente nach dem Ende des für die tschechische Nationalbewegung unvorteilhaften Neoabsolutismus vor allem das Interimstheater [Prozatímní divadlo], das im Jahr 1862 ins Leben gerufen wurde. Schon vor 1848 hatten Spendensammlungen zugunsten des tschechischen Nationaltheaters begonnen, die in den fünfziger Jahren, als Palacký das Amt des Präsidenten der tschechischen Theatergesellschaft niederlegte, abrissen. Diese Initiativen lebten in der konsti15 Vgl. Jiří Štaif, Obezřetná elita. Česká společnost mezi tradicí a revolucí 1830–1851, Praha  : Dokořán 2005, 144 ff.



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tutionellen Ära wieder auf, als zu den Theatersammlungen nicht nur sehr viele tschechische Bürger, sondern auch mehrere Mitglieder des böhmischen Adels und des österreichischen Herrscherhauses beitrugen.16

Das Museum und die Patriotisch-ökonomische Gesellschaft17

Das Vaterländische Museum entstand in einer Atmosphäre des Patriotismus, der die napoleonischen Kriege überdauerte. An deren Wiege stand vor allem der böhmische Adel, der in dieser Institution nicht nur die geeignete Einrichtung für die Unterstützung seines kulturellen Prestiges, sondern auch eine sinnvolle Basis für die engere Zusammenarbeit mit in- und ausländischen bürgerlichen Forschern sah, die der Adel mit dieser Institution moralisch und in einigen Fällen auch materiell unterstützen wollte. Für diese Begründer des Vaterländischen Museums, die unter den Adeligen wahrscheinlich nur einen Anteil von zehn Prozent ausmachten, war Böhmen das gemeinsame Vaterland einer besonderen Nation, deren Unterbau die tschechischen und deutschen Volksschichten bildeten. Diese befanden sich aber bis zum Jahr 1848 zumeist in der Position von Untertanen. Daher blieben sie in den Augen der Eliten auch Träger der „niederen“ Kultur, welche durch die systematischen Erziehungsbemühungen des aufgeklärten Adels und mit „Hilfe“ der bürgerlichen Gebildeten auf eine 16 Vgl. F. A. Šubert, Národní divadlo v Praze. Dějiny jeho i stavba dokončená, Praha  : Jan Otto 1881, passim, Jan Bartoš, Národní divadlo a jeho budovatelé. (Sbor pro zřízení druhého Národního divadla v Praze). Dějiny Národního divadla I, Praha  : Sbor pro zřízení druhého Národního divadla v Praze 1933, passim. 17 Vgl. dazu Jiří Beran, O poměru mezi Učenou společností a Hospodářskou společností před rokem 1788. Sborník historický 9, 1962, 239–299, Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození I–II, Praha  : Nákladem Národního musea 1921 und 1923, Jiří Kořalka, František Palacký (1798– 1876). Der Historiker der Tschechen im österreichischen Vielvölkerstaat. Deutschsprachige Neubearbeitung vom Verfasser unter der Mitarbeit von Helmut Rumpler und Peter Urbanitsch, Wien  : Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften 2007, Karel Sklenář, Obraz vlasti. Příběh Národního muzea, Praha  : Paseka 2001, Jiří Šouša, Zemědělská rada (1873–1890), Sborník historický 26, 1979, 173–227, Miloslav Volf, Organizace a působení Vlasteneckohospo­dářské společnosti, Praha  : Ústav vědeckotechnických informací Československé akademie zemědělské 1961, Derselbe, Významní členové a spolupracovníci Vlastenecko-hospodářské společnosti v  Království českém, Praha  : Ústav vědeckotechnických informací a Československé zemědělské museum 1967.

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„höhere“ Kulturstufe gehoben werden mussten. Böhmen war für diese adelige Elite ein reiches Land, das viele Naturschätze wahrte, welche nicht nur für wissenschaftliche Zwecke, sondern auch für die industrielle Modernisierung des Landes bedeutend waren.18 Ihre Angehörigen waren auch davon überzeugt, dass der gesamtösterreichische Patriotismus seine kulturelle und politische Berechtigung in den einzelnen Landespatriotismen gewinnen müsse. In ihrer Sichtweise war Böhmen „als ruhmvolles Königreich“ dazu vorbestimmt, unter diesen einzelnen Landespatriotismen eine herausragende Rolle zu spielen. „Selbständige“ Kulturpolitik war für sie zugleich ein symbolischer Machtersatz, da der Adel seine eigenen politischen Ambitionen nur im Staatsdienst verwirklichen konnte. Die Gruppe der adeligen Anhänger des aufgeklärten Landespatriotismus in Böhmen hatte aber nicht den festen Vorsatz, mit dem absolutistischen Staate in einen direkten Konflikt um die reale Macht einzutreten. Ihr ständisches Selbstbewusstsein erlaubte es ihnen auch nicht, sich ganz den gebildeten deutschen und tschechischen bürgerlichen Schichten zu öffnen, deren gesellschaftlicher Einfluss in Prag bis in die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts noch immer bescheiden war. Nicht nur aus diesen, sondern wie im Falle des Ständischen Theaters auch aus ökonomischen Gründen, blieb ihr Handlungsspielraum in der Kulturpolitik begrenzt und waren ihre Handlungsstrategien meist vorsichtig.19 Am Anfang dieser kulturellen Bemühungen stand die Gründung der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft, welche im Einklang mit dem Wunsch des Staates im Jahre 1769 bzw. 1770 gegründet wurde. Am Ende dieser Zeitperiode kann man die Entstehung des Vaterländischen Museums im Jahre 1818 sehen. Bis dahin stiftete der böhmische Adel in Prag eine Reihe neuer kultureller, wissenschaftlicher und erzieherischer Institutionen. Die praktische Tätigkeit und teilweise auch konzeptionelle Orientierung einiger dieser Institutionen wurden aber schon in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts immer mehr von den bürgerlichen Schichten geprägt. 18 Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození I, Praha  : Nákladem Národního musea 1921, passim. 19 Vgl. František Kutnar, Obrozenecké vlastenectví a nacionalismus. Příspěvek k národnímu a spole­ čenskému obsahu češství doby obrozenecké, Praha  : Karolinum 2003, passim, besonders 145 ff. und 175 ff.



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Es handelte sich in erster Linie um die private Gesellschaft der Gelehrten, die in Prag schon in den siebziger Jahren des 18. Jahrhundert publizistisch tätig war, im Jahr 1784 offiziell als Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften gegründet wurde und 1790 den Titel Königliche böhmische Gesellschaft der Wissenschaften erhielt. Im Jahr 1803 kam es auch zur Entstehung des Böhmischen ständischen polytechnischen Instituts in Prag, welches das erste seiner Art in der Habsburger Monarchie war und die Ausbildung der Ingenieure auf ein gesichertes Niveau hob. Diese und andere Institutionen, so die Privatgesellschaft patriotischer Kunstfreunde und der Verein zur Beförderung der Tonkunst, der das Prager Konservatorium finanziell unterstützte, wurden in mehreren Fällen durch individuelle Akteure durchgesetzt. Persönliche Beziehungen spielten auch im Fall des Vaterländischen Museums und der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft eine wichtige Rolle.20 Graf Kaspar Sternberg (1761–1838) stand in den Jahren 1818 bzw. 1822–1838 an der Spitze des Museums, gleichzeitig war er in den Jahren 1826–1838 Präsident der Patriotisch- ökonomischen Gesellschaft. Ihm folgte Graf Josef Mathias ThunHohenstein in beiden Funktionen in den Jahren 1846–1848 bzw. 1839–1848. Das böhmische Museumsprojekt, seine innere Gestaltung und die Ausstellungskonzeption wurden durch das Johanneum in Graz (1811) beeinflusst und durch die freundliche Unterstützung des Prager Obersten Burggrafen Graf Franz Anton Kolowrat-Liebsteinsky (1778–1861) begleitet, der auch an der Spitze der politischen Landesverwaltung stand. In den Jahren 1818–1822 erhielt die provisorische Museumsleitung vor allem vom böhmischen Adel wichtige finanzielle und materielle Zuwendungen, die ihr dann die praktische Tätigkeit ermöglichten. Die bedeutendste war dabei die reiche mineralogische Sammlung von Kaspar Sternberg, der in diesem Fach zu einer Persönlichkeit von europäischer Bedeutung wurde und mit seinen wissenschaftlichen Interessen die naturwissenschaftliche Orientierung des Vaterländischen Museums in Prag bis zum Anfang der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts prägte.21 Im Jahr 1822 entstand in Prag die Museumsgesellschaft, in der nur die wirklichen Mitglieder, die dem Museum mindestens 200 fl. C. M. spendeten oder den 20 Jan Janko, Soňa Štrbáňová, Věda Purkyňovy doby, Praha  : Academia 1988, 26 ff. und 85 ff. 21 Vgl. Jiří Majer, Kašpar Šternberk, Praha  : Academia 1997, 84 ff., Miloslav Volf, Významní členové a spolupracovníci Vlastenecko-hospodářské společnosti, Praha 1967, 168 ff. und 178 ff.

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jährlichen Kassenbeitrag von 20 fl. C. M. regelmäßig zahlten, das Recht hatten, den Verwaltungsausschuss des Museums zu wählen. In diesem Organ war vor allem der böhmische Adel vertreten, dessen Mitglieder aber schon im Verlauf der zwanziger Jahre schrittweise ihr Engagement für das Museum reduzierten. Zur Steigerung der Anziehungskraft des Museums für die deutschen und tschechischen Mittelschichten sollte die Bildung einer Klasse der beitragenden Mitglieder der Museumsgesellschaft mit einem jährlichen Beitrag von 5 fl. C.  M. dienen (1827). Das Museum öffnete provisorisch die Pforten seiner Sammlungen und seiner Bibliothek im ehemaligen Sternberg-Palais auf dem Prager Hradschin, das die Privatgesellschaft patriotischer Kunstfreunde 1796 gekauft und dort auch eine öffentliche Gemäldegalerie gegründet hatte. Bis zu dieser Zeit hatten die führenden tschechischen Gelehrten auf die Entwicklung dieser Institution, in der die Mitglieder des Verwaltungsausschusses die tschechische Sprache passiv und die Geschäftsführer mündlich und schriftlich beherrschen mussten, nur einen bescheidenen Einfluss. Es änderte sich folgend, als František Palacký Graf Kaspar Sternberg und dessen Cousin Graf Franz Sternberg-Manderscheid (1774–1830) dahingehend beeinflusste, die Belebung des öffentlichen Interesse am Vaterländischen Museum mit der Herausgabe neuer Zeitschriften in tschechischer und deutscher Sprache zu unterstützen, die er ab dem Jahre 1827 redigierte. Das tschechische Periodikum hieß ursprünglich Časopis Společnosti Vlasteneckého musea v Čechách und wird unter dem Titel Časopis Národního muzea [Zeitschrift des Nationalmuseums] bis heute veröffentlicht. Die deutsche Fassung, die unter dem Titel Monatsschrift der Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen erschien, stellte ihr Erscheinen Ende 1831 ein, da die gebildeten deutschen Leser andere Zeitschriften bevorzugten, die in Deutschland nicht so stark wie in Österreich von der Zensur eingeschränkt wurden.22 Später trug der ebenso umsichtige wie tatkräftige Palacký als Architekt der modernen tschechischen Kulturpolitik zusammen mit dem Philologen Josef Jungmann entscheidend zur Schaffung eines Museumskollegiums zur Abbildung der tschechischen Sprache und Literatur [Sbor pro vědecké vzdělávání české řeči a literatury] bei. Dieses Kollegium wurde mit dem am Anfang des Jahres 1831 22 Josef Hanuš, Národní museum a naše obrození II, Praha  : Nákladem Národního musea 1923, besonders 55 ff., 127 ff. und 155 ff.



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gegründeten Unterstützungsfonds zur Herausgabe der tschechischen Erziehungsund Wissenschaftsliteratur, Matice česká, verknüpft, einer autonom im Rahmen des Museums wirkenden Aktiengesellschaft. Gerade diese kulturelle Einrichtung und die tschechische Museumszeitschrift, die die Matice ab 1832 auf eigene Kosten herausgab, halfen den führenden tschechischen Gelehrten, eine neue bürgerliche gesellschaftliche Elite auszubilden, die eine in dieser Weise institutionell gesicherte Kulturpolitik betreiben konnte. Vor der Revolution 1848 hatte die Matice česká rund zweitausend Mitglieder, welche als Abonnenten der tschechischen Museumszeitschrift zumeist aus Studenten und Angehörigen der städtischen und kleinstädtischen Mittelschichten bestanden. Zwischen 1832–1848 sank hier der Anteil des böhmischen Adels von 9,5 % auf 0,1 % und der zumeist katholischen Geistlichen von 40 % auf 29 %.23 Diese rein tschechischen kulturellen Unternehmungen wirkten im Vergleich mit der Museumsgesellschaft auch dynamischer in Bezug auf die unermüdliche tschechische nationale Agitation. Schon als Museumsgeschäftsführer setzte Palacký die neue Konzeption dieser kulturellen Einrichtung durch, die den Schwerpunkt von der naturwissenschaftlichen Ausrichtung zu den historischen und philologischen Wissenschaften verschob und die Bedeutung des Museums für die tschechische Nationalbewegung betonte. Er trat auch dafür ein, dass das Museum in einem eigenen Gebäude ein neues Refugium fand. Dieses befand sich im Stadtzentrum an der viel befahrenen Straße Am Graben und wurde auf Kosten der böhmischen Stände gekauft, renoviert, und der Museumsgesellschaft zur freien Nutzung überlassen.24 Eine breitere Leserbasis als die der Bücher und Zeitschriften, die die Matice česká bis zum Jahr 1848 veröffentlichte, wurde aber durch die Herausgabe verschiedener Fassungen von deutschen (1796) und tschechischen (1802) Landwirtschaftskalendern erreicht, welche im Auftrag der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft erschienen. Am Ende der napoleonischen Kriege überstieg deren Auflage schon 100.000 und ab 1822 sank diese nie unter 160.000. Diese Aktivi23 Vgl. Jiří Štaif, Obezřetná elita, Praha  : Dokořán 2005, 96 ann. und Miroslav Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Praha  : Karolinum 1968, 44 ff. 24 Karel Sklenář, Obraz vlasti, Praha 2001, 154 ff. Zur vormärzlichen Topographie der kulturellen Institutionen in Prag siehe z. B. K. V. Zap, Průvodce po Praze. Potřebná kniha pro každého, kdo se s pamětihodnostmi českého hlavního města seznámiti chce, Praha  : Bedřich Krečmar 1848, passim.

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tät war aber nicht mit tschechischer nationaler Agitation verknüpft. In dieser Zeit betätigte sich die Patriotisch-ökonomische Gesellschaft hauptsächlich in der mikro- und makroökonomischen Modernisierung der böhmischen Landwirtschaft. In diesem Zusammenhang spielte der Übergang von der Dreifelderwirtschaft zur sogenannten Fruchtwechselwirtschaft eine Schlüsselrolle. Dabei handelte es sich auch um die Verbesserung der Viehzucht, der Forstwirtschaft und Versuchsarbeiten in Richtung neuer Landwirtschaftsmethoden, Sorten landwirtschaftlicher Produkte und Maschinen.25 Eine führende Rolle spielte dabei der ehemalige Freimaurer Graf Josef Emanuel Canal von Malabaila (1745–1826), der in den Jahren 1793–1826 als Vorgänger von Kaspar Sternberg im Amt des Präsidenten der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft fungierte. Die landwirtschaftliche Modernisierung war natürlich nicht ohne die systematische Bildung der landwirtschaftlichen Beamten und der Bauern möglich. Die tschechische gesellschaftliche Elite hatte vorläufig keine Männer, die in der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft eine ähnliche Rolle hätten spielen können wie Palacký im Vaterländischen Museum. Das ist auch ein wichtiger Grund dafür, dass die Aufgabe der landwirtschaftlichen Modernisierung so lange Zeit eine Domäne des böhmischen Adels, der bürgerlichen Großgrundbesitzer, der gut ausgebildeten Landwirtschafts- und Staatsbeamten und einer relativ kleinen Gruppe der ökonomisch oder naturwissenschaftlich orientierten Gelehrten blieb, die in der tschechischen oder deutschen Nationalbewegung des Vormärz überwiegend keine aktive Rolle spielten.26 Nicht wenige von ihnen sahen den modernen Nationalismus im Sinne des späteren Josephinismus nur als ein störendes Moment in der rationalen Entwick25 Vgl. Karel Bednařík, Věra Havelková, Časopisy a kalendáře vydávané Vlastenecko-hospodářskou společností v Praze, Praha  : Ústav vědeckotechnických informací pro zemědělství 1977, 3 ff. und passim, 26 Vor 1848 gab es auf tschechischer Seite wahrscheinlich nur den Juristen F. A. Brauner (1818– 1880), der von 1845 an korrespondierendes Mitglied der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft war und publizistisch Wege zur Verbesserung der rechtlichen, ökonomischen und kulturellen Lage der untertänigen Landbevölkerung in Böhmen suchte. Siehe dazu F. A. Brauner, Böhmische Bauernzustände im Interesse der Landeskultur und Nationalwohlstandes besprochen, Wien  : Schmidt und Leo 1847, passim, besonders 7, 173 ff., 199f. und 250 ff., Derselbe, O robotě a vykoupení z roboty, Praha  : Kronberger a Řivnáč 1848, passim. Letztere Broschüre wurde noch vor der Revolution 1848 veröffentlicht.



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lung der Zivilisation an. Sie hatten gleichzeitig volles Verständnis dafür, dass sich die Gesellschaft auf die Bildung der Bauern konzentrierte. Diese Bemühungen hatten aber nur eine begrenzte Reichweite, da die Regierung alle Anträge der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft ablehnte, in den einzelnen Landeskreisen Zweigstellen zu schaffen. Die Hauptziele ihrer Tätigkeit mussten nämlich im vollen Einklang mit der absolutistischen Staatspolitik stehen, die dem Adel und den mit ihm zusammenarbeitenden bürgerlichen Fachleuten in diesem sozial und ökonomisch so empfindlichen Bereich kein durchgreifendes Handeln erlauben wollte.27 Die bisherigen Ideen zur Bildung der Bauern änderten sich teilweise mit dem Mustervolksbuch, das der Beamte Adalbert Schwippel/Vojtěch Šwippl im Auftrag der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft schrieb. Diese Publikation wurde 1835 in der deutschen Fassung unter dem Titel Georg Frey oder Beispiel wie viel Gutes ein verständiger Mann in einer Gemeinde zu stiften vermag  ; dem Landwirte überhaupt, insbesondere aber dem lieben Bauernstande zum Nutzen ausgestellt und auch in tschechischer Sprache als Jiří Volný, anebo příklad, jak mnoho dobrého rozumný muž v obci způsobiti může, hospodáři vůbec, zvláště ale k užitku milého stavu sedlského publiziert. Die zweite tschechische Ausgabe folgte im Jahr 1840. In allen Fassungen handelt es sich um den erfolgreichen Lebenslauf eines braven österreichischen Soldaten, vorzüglichen böhmischen Bauern, Vaters und Dorfrichters, der sein Dorf durch seine Umsichtigkeit von den Frondiensten freikaufen kann. Ihm zur Seite stehen vor allem die aufgeklärten Beamten der Obrigkeit. In seinem wohltätigen Bemühen wird er auch durch die adelige Obrigkeit unterstützt und am Ende des Buches sogar vom Staat ausgezeichnet.28 Es ist offensichtlich, dass dieses Modell nur einen sehr moderaten Fortschritt im Rahmen der bestehenden Zustände suchte und die landwirtschaftliche Modernisierung nicht aus der Perspektive der vollen bürgerlichen, rechtlichen und nationalen Emanzipation der bäuerlichen Bevölkerung beurteilte. Die Patriotisch-ökonomische Gesellschaft war ohnehin in ihrer Tätigkeit nicht so innovativ 27 Vgl. M. Volf, Organizace a působení Vlastenecko-hospodářské společnosti, Praha  : Ústav vědecko­ technických informací Československé akademie zemědělské 1961, 15, 24 ff. 28 Vgl. J. Štaif, Ideální konstrukce obce v českých výchovných spisech 19. století, in  : Lukáš Fasora/Jiří Hanuš/Jiří Malíř (Hg.), Občanské elity a obecní samospráva 1848–1948, Brno  : Matice moravská 2006, 117 ff.

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wie der im Jahre 1833 in Prag gegründete Verein zur Ermunterung der Industrie in Böhmen, in dem der böhmische Adel dazu gezwungen war, systematisch mit den bürgerlichen Großunternehmern und Sachverständigen zu kooperieren. Auch die tschechischen Mittelschichten fanden hier bessere Bedingungen für die Entfaltung ihrer Vorstellungen über den industriellen Fortschritt als in der Patriotisch-ökonomischen Gesellschaft, welche sich den bürgerlichen Schichten erst am Ende der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts endgültig öffnete.29

Schlussfolgerungen

Die Kulturpolitik des böhmischen Adels hatte für Böhmen bis zu den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts eine unverzichtbare Bedeutung. Sie baute auf das Konzept der böhmischen patriotischen Autonomie, welche die deutsche kulturelle Vorherrschaft und die Machtansprüche der Habsburgerdynastie als Hauptkonstanten des mitteleuropäischen Raumes betrachtete. Schon vor der Revolution 1848/49 erwies sich aber das Verständnis von einer zweisprachigen böhmischen Kulturnation als für die öffentliche Meinung sehr problematisch, wie die Polemik gegen die Worte von Graf Josef Mathias Thun-Hohenstein („… ich weder ein Čeche noch ein Deutscher, sondern nur Böhme bin“ bzw. „… wir wollen Böhmen sein und bleiben – das wünschen die Čechen wie die Deutschen im Lande, und Böhmen sind die Deutschen wie die Čechen, nur verrückt hierbei nationale Einseitigkeit das gemeinsame Ziel…“) zeigt.30 Der auf die Revolution von 1848/49 folgende Neoabsolutismus brachte eine Einschränkung der kulturellen Aktivitäten aller gesellschaftlichen Schichten mit sich. Es lässt sich auch sagen, dass das österreichische Machtzentrum in Wien zwischen den Jahren 1790–1848 adelige kulturelle Initiativen eher taktisch abwartete, als auf diesem Gebiet mit eigenen Projekten in das Spiel um symboli29 Vgl. Jan Klepl, Průmyslová jednota a české úsilí před březnem 1848, in  : Bedřich Mansfeld (Hg.), Sto let Jednoty pro povzbuzení průmyslu v Čechách 1833–1934, Praha  : Selbstverlag 1934, 169– 240. 30 J. M. Thun, Der Slawismus in Böhmen, Prag  : J. G. Calve 1845, 11 und 17. Vgl. dazu die ano­ nyme Gegenbroschüre  : J. M. Graf Thun und der Slawismus in Böhmen, Leipzig  : Wilhelm Engel­ mann 1845, besonders 11 ff. und 21 ff.



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sches Kapital aktiv eintreten zu wollen. Der österreichische Überwachungsstaat begrenzte damit diesen Spielraum in der Vormärzzeit zumeist auf die Landesebene. So trug er paradoxerweise zusammen mit den böhmischen Ständen zur Entstehung eines politischen Refugiums bei, das die tschechische Nationalelite aktiver nutzte als die deutschen bürgerlichen Schichten, die sich auf viele, aus der deutschen Kultur außerhalb von Österreich stammenden, bereits „abgeschlossenen“ Errungenschaften beziehen konnten. Ein Vorteil der tschechischen Nationalelite in diesem Spiel lag auch darin, dass die Bevölkerung deutscher Nationalität in Prag im Laufe des 19. Jahrhunderts eine immer stärker schrumpfende Minderheit darstellte.31 Dies beeinflusste die kulturelle Atmosphäre in Stadt und Land nicht nur auf dem Gebiet des Theaters stark, wie vorhergehend beschrieben wurde. Die spätere staatliche Kulturpolitik, die nach dem Jahr 1860 begann, wies nicht nur keine wirklich tragenden Konzeptionen oder anziehende Kreativität auf, sondern besaß auch keine ausreichenden finanziellen Mittel, um die besprochenen (und anderen) Ausgangsbedingungen und Handlungsmuster der kulturellen Modernisierung, die in Böhmen im Vormärz geschaffen wurden, merklich zu verändern. So verlief die kulturelle Entwicklung im Gegensatz zu einer erfolgreichen staatlichen Kulturpolitik mehr im Rahmen eines zugespitzten Wettbewerbs zwischen Tschechen und Deutschen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die tschechische und deutsche Kultur staatliche Mittel zu ihrem Aufschwung sehr gern annahm.32

31 Vgl. dazu Anmerkung Nr. 2. 32 Siehe dazu Jitka Ludvová, Nationaltheater und Minderheitentheater. Ideen und Theaterpraxis, in  : Alena Jakubcová/Jitka Ludvová/Václav Maindl (Hg.), Deutschsprachiges Theater in Prag, Praha  : Divadelní ústav, 43–55, und Jiří Štaif, Nationalism and Multi-ethnicity. A Preliminary Study of the Reconstruction and Construction of the Numbers, Territory and Economic Performance of Czechs and Germans in Bohemia during the 19th Century, in  : Prager wirtschafts- und sozialhistorische Mitteilungen/Prague Economic and Social History Papers, Bd./Vol. 7, 2004/2005, 57–83.

Isabel Röskau-Rydel

Staatliche Kulturpolitik und bürgerliches Engagement im österreichischen Galizien von 1772 bis Mitte des 19. Jahrhunderts

Als Österreich 1772 damit begann, den in der ersten Teilung Polens annektierten Gebieten Südpolens unter dem neuen Namen „Königreich Galizien und Lodomerien“ eine neue Verwaltung zu geben, stand die Frage nach kulturellen Einrichtungen zunächst einmal im Hintergrund. In der Hauptstadt Lemberg (Lwów) konzentrierten sich die von Maria Theresia nach Galizien entsandten deutsch-österreichischen Beamten anfangs auf den Aufbau eines deutschsprachigen Verwaltungsapparates sowie eines deutschsprachigen Bildungswesens nach österreichischem Vorbild.1 Mit der Einführung der deutschen Sprache als Amtsund Unterrichtssprache in Galizien bezweckten Maria Theresia und Joseph  II. jedoch nicht, die ansässige Bevölkerung rücksichtslos zu germanisieren, sondern vielmehr sollte die deutsche Sprache als das übliche Kommunikationsmittel in der Habsburgermonarchie einen reibungslosen Ablauf der Regierungsgeschäfte zwischen Lemberg und Wien garantieren. Direkt mit der deutschen Sprache und Kultur konfrontiert wurden durch ihre gesellschaftlichen Kontakte vornehmlich die gebildeten Kreise, also die sehr kleine Schicht der Aristokratie, des Landadels, der Intellektuellen und Bürger.2 Schon 1773 hatte Maria Theresia ihren Sohn Joseph zu einer Inspektionsreise nach Galizien geschickt, und auch in den folgenden Jahren begab er sich noch 1 Vgl. Horst Glassl, Das österreichische Einrichtungswerk in Galizien 1772–1790, Wiesbaden  : Harrassowitz Verlag 1975 sowie Roman Rosdolsky, Untertan und Staat in Galizien. Die Reformen unter Maria Theresia und Joseph II., hg. v. Ralph Melville, Mainz 1992. Larry Wolff spricht gar von einer „Erfindung“ Galiziens als Verwaltungseinheit, so schreibt er  : „Galicia was first invented as an administrative unit in the eighteenth century and only then began to accumulate cultural meanings over the course of its provincial history in the context of the Habsbourg empire“. Larry Wolff, The Idea of Galicia. History and Fantasy in Habsburg Political Culture, Stanford, California  : Stanford University Press 2010, 6. 2 Tadeusz Namowicz, „Wien und die Aufklärung in Galizien“, in  : Hubert Orłowski (Hg.), Österreichisch-polnische literarische Nachbarschaft. Materiały z konferencji (Poznań 30. 11.–2. 12. 1977), Poznań  : Wydawnictwo Uniwersytetu Adama Mickiewicza 1979, 21–31, hier  : 21–27.

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mehrere Male auf Reisen in das an der östlichen Peripherie des Habsburgerreiches gelegene Kronland. Nach dem Tod seiner Mutter konnte Joseph II. seit 1780 als Alleinherrscher dann auch in Galizien viele seiner Pläne umsetzen, die dem aufgeklärten Absolutismus geschuldet waren und den Modernisierungsprozess in dem neuen Kronland beschleunigen sollten. Im Mittelpunkt seines Interesses standen bekanntlich Reformen im sozialen und kirchlichen Bereich, die den gesamten österreichischen Staat betrafen und die parallel dazu oder mit geringer Verspätung auch in Galizien eingeführt wurden. Von den Reformen in Galizien und den damit verbundenen tiefgreifenden Veränderungen in dem ehemals polnischen Verwaltungssystem waren alle sozialen Schichten sowie alle Nationalitäten – Polen, Ruthenen, Armenier, Juden – sowie Konfessionen gleichermaßen betroffen.3 Neben diesen Bereichen widmete sich Joseph II. aber ganz besonders dem Ausbau der Bildungs- und kulturellen Einrichtungen in Galizien, insbesondere in der Hauptstadt Lemberg, da es ihm ein besonderes Anliegen war, die Ideen der europäischen und deutschen Aufklärung auch in Galizien zu vermitteln. Universität

Schon Maria Theresia hatte sich mit dem Gedanken befasst, eine Universität im neuen Kronland zu gründen, nachdem sie die in Lemberg seit 1661 bestehende Jesuitenakademie im Jahre 1773 aufgehoben hatte. Entsprechende Maßnahmen für die Gründung einer Universität nach dem Vorbild der kurz zuvor reformierten österreichischen Universitäten wurden eingeleitet, eröffnet wurde sie dann aber erst am 21. Oktober 1784 unter ihrem Sohn. Kaiser Joseph II., der persönlich im Jahre 1783 das zukünftige Universitätsgebäude ausgewählt hatte, ernannte die ersten Professoren der Universität, die zum Teil von anderen Uni3 Vgl. Stanisław Grodziski, „Der Josephinismus und die polnische Gesellschaft am Ende des 18. Jahrhundert. Absichten und Errungenschaften“, in  : Werner Conze/Gottfried Schramm/ Klaus Zernack (Hg.), Modernisierung und nationale Gesellschaft im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert. Referate einer deutsch-polnischen Historikerkonferenz, Berlin  : Duncker und Humblot in Komm. 1979, 34–47  ; Vgl. auch Roman Rosdolsky, Untertan und Staat in Galizien. Die Reformen unter Maria Theresia und Joseph II., hg. v. Ralph Melville, Mainz  : Verlag Philipp von Zabern 1992.



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versitäten der Habsburgermonarchie an die neue Universität berufen wurden. In den ersten Jahren fanden die Vorlesungen an den vier Fakultäten meist in lateinischer Sprache statt, was man damit begründete, dass die deutsche Sprache noch nicht im ganzen Lande verbreitet sei. Erst einige Jahre später wurde dann die deutsche Vorlesungssprache eingeführt.4 Allerdings gab es auch Ausnahmen von diesen Bestimmungen, da manche Kurse an der medizinischen Fakultät, wie beispielsweise für Wundärzte oder für Hebammen auch in polnischer Sprache stattfanden. Auch an der theologischen Fakultät erwies es sich bald als notwendig, Seminare für die Studenten in polnischer und ruthenischer Sprache anzubieten.5 Als 1795 im Rahmen der dritten Teilung Polens auch Westgalizien mit Krakau (Kraków) an Österreich fiel, hatte dies schwerwiegende Folgen für die Lemberger Universität, da die Studienhofkommission sogleich eine Zusammenlegung der Lemberger und Krakauer Universität vorschlug. Die damit verbundene Degradierung der Lemberger Universität zu einem Lyzeum lehnte Kaiser Franz jedoch zunächst ab und entschied sich erst 1805 für eine Zusammenlegung zugunsten der angeseheneren Krakauer Universität. Professoren aus Lemberg wurden nun nach Krakau versetzt, wo sie in deutscher Sprache Vorlesungen halten sollten. Als Krakau 1809 von polnischen Truppen besetzt wurde, gab es vorübergehend keine einzige Universität mehr in Galizien. Erst der Landesgouverneur Peter Graf von Goeß setzte sich seit 1810 energisch für die Wiedereröffnung der Lemberger Universität und die Anstellung neuer Professoren ein. Aber erst 1817 wurde die Wiedereröffnung der Universität von Kaiser Franz I. genehmigt, allerdings ohne Medizinstudium, das dem österreichischen Staat zu große Kosten verursacht hätte. Seit dem Studienjahr 1824/25 galt ein neuer Studienplan, der bis 1848 gültig bleiben sollte und der die Einführung der deutschen Sprache in allen Fächern, mit Ausnahme der griechischen Philologie, die in lateinischer Sprache gelehrt wurde, beinhaltete.6 Besonders in den Studienplänen für allgemeine und österreichische Geschichte ließ sich der kulturpolitische Einfluss des Staates erkennen, da eine nähere Beschäf4 Gerson Wolf, Geschichte der Lemberger Universität von ihrer Begründung 1784 bis 1848, in  : Kleine historische Schriften, Wien 1892, 1–47, hier  : 2–4. 5 Ludwik Finkel, Historia Uniwersytetu Lwowskiego, Kraków 1894 (= Historya Uniwersytetu Lwowskiego, hg. v. Ludwik Finkel und Stanisław Starzyński, Teil 1), 36–42. 6 Röskau-Rydel, Kultur, 179–183.

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tigung mit der Geschichte und Kultur der multiethnischen Provinz ausgeklammert wurde. An diese Vorgaben hatten sich die Universitätsprofessoren zu halten, deren Aufgabe es war, die zukünftigen Lehrer auf ihre Rolle vorzubereiten, die staatlichen Direktiven dann auch im Schulwesen, insbesondere in den Gymnasien, in denen die zukünftige Intelligenz unterrichtet wurde, umzusetzen. Besondere Aufmerksamkeit galt der politischen und dynastischen Geschichte der Habsburgermonarchie, deren Lehre einen identitätsstiftenden Charakter haben sollte. Ein wichtiges Anliegen der politischen Behörden war, die Loyalität der Studenten – ebenso wie der Gymnasiasten – gegenüber dem österreichischen Staat zu stärken und sie auf den politischen Kurs des Staates einzustimmen, um sie so als treue Untertanen an die gegebenen politischen Verhältnisse anzupassen. Dass dies trotz der im Universitäts- und Schulwesen herrschenden staatlichen Aufsicht häufig nicht gelang, zeigen die verschiedenen konspirativen Vereine und geheime Gesellschaften, die von Gymnasiasten und Studenten in Galizien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegründet wurden. Auch den Professoren blieb aufgrund der politischen Überwachung nur wenig Freiraum, sich über den Studienplan hinaus in ihren Vorlesungen mit den die Studenten interessierenden aktuellen Themen zu beschäftigen. Manche von ihnen – wie etwa der Professor für allgemeine und österreichische Geschichte Joseph Mauss, der von 1811–1848 zuerst am Lyzeum, dann an der Universität unterrichtete – waren aber bereit, sich mit den Studenten im privaten Kreise zu treffen, wie beispielsweise in der Zeit des Novemberaufstandes 1830/31, um über die dramatischen Ereignisse zu diskutieren.7 Es kam auch vor, dass in jener Zeit Vorlesungen eines Beamten über Ästhetik, wie die des Gubernialsekretärs Joseph Tatzauer, der gleichfalls als Professor an der philosophischen Fakultät unterrichtete, nicht nur bei den Studenten großen Anklang fanden, sondern auch von schon im Beruf stehenden Herren und sogar von Damen besucht wurden. Aber diese Popularität ging den politischen Behörden dann doch zu weit, die wenig später anordneten, diese Vorlesungen einzustellen. Dies nahmen dann einige Studenten wiederum zum Anlass, sich bei privaten literarischen Abenden in diesem Bereich weiterzubilden.8 7 Röskau-Rydel, Kultur, 192–195. 8 Benedykt Gregorowicz, „Pamiętnik“, in  : Irena Homola/Bolesław Łopuszański (Hg.), Pamiętniki urzędników galicyjskich, Kraków  : Wydawnictwo Literackie 1978, 37–355, hier  : 174–175.



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Universitätsbibliothek

Mit der Gründung der Universitätsbibliothek wurde der gebildeten Bevölkerungsschicht auch wieder ein wissenschaftliches Zentrum zur Verfügung gestellt, als deren Grundstock die Bibliothek der ehemaligen Jesuitenakademie diente. Ergänzt wurde sie durch die sog. Garellische Bibliothek mit 11.000 Bänden, die 1785 von Wien nach Lemberg transferiert wurde. Diese stammte von Pius Nikolaus Garelli, dem Leibarzt Kaiser Karls VI. und ehemaligen Präfekten der Wiener Hofbibliothek, und war nach dem Tod seines Sohnes an den Staat gefallen. Als Gründungsfonds erhielt die Universitätsbibliothek 1.000 Gulden sowie jährlich die recht bescheidene Summe von 400 Gulden für den Ankauf von Büchern.9 1786 wurden die Bestände der im Rahmen der josephinischen Kirchenpolitik aufgehobenen galizischen Klöster erheblich erweitert, sodass die Universitätsbibliothek im Jahre 1786 schon über etwa 40.000 Bände verfügte. Die Bestände der Universitätsbibliothek, unter denen sich 1818 etwa 7.000 polnische Werke befanden und die als „Bibliotheca Patria Galiciensis“ gesondert katalogisiert wurden, konnten in den folgenden Jahren immer wieder durch Schenkungen von wohlhabenden Bürgern und Adeligen erweitert werden. Wichtig für die regelmäßige Erweiterung der Bestände war auch die seit 1807 bestehende Pflicht für die galizischen Druckereien, Pflichtexemplare an die Lemberger Universitätsbibliothek abzutreten.10 Im Laufe der Jahrzehnte wurde die jährliche Dotation von 400 Gulden im Jahre 1784 auf 1.000 Gulden im Jahre 1826 erhöht. Dennoch handelte es sich um eine immer noch zu kleine Summe für eine Universitätsbibliothek, wenn man bedenkt, dass der Bibliotheksdirektor ein Gehalt von 1.200 Gulden jährlich erhielt. Allerdings bekam die Bibliothek zwischendurch in unregelmäßigen Abständen höhere Summen staatlicherseits zugewiesen, wie beispielsweise 6.000   9 Anna Jędrzejowska, „Biblioteka Uniwersytetu imienia Jana Kazimierza“, in  : L. Bernacki (Hg.), Publiczne Biblioteki Lwowskie. Zarys dziejów, Lwów 1926, 29–42, hier  : 29–32. 10 Denkwürdigkeiten aus dem Leben des k.k. Hofrathes Heinrich Gottfried von Bretschneider. 1739–1810, hg. von Karl Friedrich Linger, Wien 1892, 267–273  ; Karol Reifenkugel, Biblioteka Uniwersytecka we Lwowie. Szkice historyczno-statystyczne, in  : Przewodnik Naukowy i Literacki 1 (1873), 181–197, hier  : 187–189.

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Gulden im Jahre 1803.11 Trotz des beschränkten Etats bemühten sich die Direktoren, die meist Professoren der Universität waren, so gut wie möglich, fehlende Publikationen für die Bibliothek zu erwerben. Allerdings konnten diese dann nicht uneingeschränkt den Lesern zur Verfügung gestellt werden, wenn der Revisionsbeamte die jeweilige Publikation als verbotenes Werk deklarierte, worüber sich beispielsweise der schon erwähnte Professor für allgemeine Geschichte an der Lemberger Universität, Joseph Mauss, in einem Brief an den Präfekten der Wiener Hofbibliothek, Józef Maksymilian Graf Ossoliński, im Jahre 1817 beklagte.12 In der Lemberger Universitätsbibliothek fand – nebenbei bemerkt – im Dezember 1843 Constantin von Wurzbach seine erste Stelle im Zivildienst. Als Unterleutnant war er 1841 von Krakau nach Lemberg versetzt worden und studierte neben seinem Militärdienst Philosophie an der Lemberger Universität. Dort schloss er sein Studium 1843 mit der Promotion ab. Es ist Wurzbachs großes Interesse an Galizien und seiner Bevölkerung zu verdanken, dass in seinem „Biographischen Lexikon des Kaiserthums Oesterreich“ so zahlreiche Persönlichkeiten unterschiedlichster Nationalität aus Galizien vertreten sind. Wie sehr er sich mit der Geschichte und Kultur dieses Landes verbunden fühlte, zeigen seine Überlegungen zur Lage Galiziens im Jahre 1848, die 1848 anonym unter dem Titel „Galizien in diesem Augenblick. Ein dringendes Wort in einer drängenden Zeit“ erschienen sind, sowie sein Krakau gewidmeter, im Jahre 1850 erschienener Gedichtzyklus „Von einer verschollenen Königsstadt“.13 Einen unersetzlichen Verlust erlitt die Universitätsbibliothek bei der Bombardierung Lembergs durch österreichische Truppen am 2. und 3. November 1848, bei der auch die Universitätsgebäude großen Schaden nahmen und infolge des 11 Joseph Rohrer, Bemerkungen auf einer Reise von der Türkischen Gränze über die Bukowina durch Ost- und Westgalizien, Schlesien und Mähren nach Wien, Wien 1804, 144–145. 12 Brief Joseph Mauss’ an Józef Maksymilian Ossoliński vom 29. Dezember 1817, in  : Korespondencja Józefa Maksymiliana Ossolińskiego, zusammengestellt und bearbeitet von Władysława Jabłońska, Wrocław  : Zakład Narodowy im. Ossolińskich 1975, 264–265. 13 Maria Kłańska, „Die deutschsprachige Literatur Galiziens und der Bukowina von 1772 bis 1945“, in  : Isabel Röskau-Rydel (Hg.), Galizien, Bukowina, Moldau, Berlin  : Siedler Verlag 2002, 379–482, hier  : 392–394. Vgl. auch den Artikel von Wiesław Bieńkowski, Konstant von Wurzbach und Albert Zipper. „Aus der Geschichte der österreichisch-polnischen kulturellen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert“, in  : Józef Buszko/Walter Leitsch/Jan Rydel (Hg.), Studia Austro-Polonica, Bd. 5 (Deutsche Fassung), Kraków  : Wydawnictwo Uniwersytetu Jagiellońskiego 1996, 481–507.



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Brandes in der Bibliothek rund drei Viertel des Bücherbestandes Opfer der Flammen wurden.14

Ossolińskisches Nationalinstitut

Drei Jahrzehnte nach der Gründung der Universitätsbibliothek entstand auf private Initiative eine weitere Bibliothek und damit ein neues kulturelles Zentrum in Lemberg. Diese bedeutende private, öffentlich zugängliche Bibliothek wurde von dem Schriftsteller, Gelehrten, Sammler und Übersetzer Józef Maksymilian Graf Ossoliński gestiftet, der 1817 seine gesamten Sammlungen dem zu diesem Zweck von ihm gegründeten Ossolińskischen Nationalinstituts (Zakład Narodowy im. Ossolińskich) überschrieb. Ossoliński hatte sich schon Ende des 18. Jahrhunderts nachdrücklich für die Belange Galiziens eingesetzt und zählte zu der Gruppe polnischer Adeliger, die nach dem Tode Josephs II. im Jahre 1790 ein Projekt für die Neuorganisation Galiziens entworfen hatten. Dieser Entwurf für eine Verfassung („Charta Leopoldina“) wurde Kaiser Leopold II. von einer nach Wien entsandten Delegation aus Galizien überreicht, der auch Ossoliński angehörte. Der polnische Adel erhoffte sich von dem neuen Kaiser, der den polnischen Anliegen wohlwollend gegenüber stand, nachhaltige Veränderungen der josephinischen Reformen. Die Beratungen darüber zogen sich jedoch hin und erfuhren durch den plötzlichen Tod Leopolds II. Anfang des Jahres 1792 ein vorzeitiges Ende, zumal sein Sohn und Nachfolger Franz den Anliegen des polnischen Adels weniger Gehör schenkte und die Beratungen schließlich 1793 einstellte.15 Ossoliński ließ sich trotz des gescheiterten Projekts in Wien nieder und baute seine Kontakte zur Regierung sowie zu den wichtigsten Persönlichkeiten des gesellschaftlichen und politischen Lebens in den folgenden Jahren aus. Gleichfalls setzte er seine Sammlertätigkeit fort und wurde darin seit 1794 von dem aus 14 Jędrzejowska, 31–33 und Reifenkugel, 190–193. 15 Stanisław Grodziski /Artur St. Gerhardt (Hg.), Projekt konstytucji dla Galicji z 1790 r. («Charta Leopoldina»). Tekst i przekład, Kraków, Warszawa  : Państwowe Wydawnictwo Naukowe 1981, 7–19. In diesem Band befindet sich der französische Text der „Charta Leopoldina“ mit der polnischen Übersetzung.

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Thorn stammenden Sprachwissenschaftler Samuel Gottlieb (Bogumił) Linde unterstützt, der in seinem Auftrag auch durch Galizien reiste, um in den aufgehobenen Klosterbibliotheken Handschriften und alte Drucke zu erwerben.16 Seit 1803 befasste sich Ossoliński mit der Idee, eine Nationalbibliothek in Galizien zu gründen und stellte diesen Plan in den höheren Gesellschaftskreisen vor. Es sollten jedoch einige Jahre vergehen, bis sich auch Kaiser Franz I. näher mit diesem Projekt befasste und das Engagement des polnischen Literaten und Bibliophilen würdigte, indem er ihn 1809 zum Präfekten der Hofbibliothek ernannte. Kaiser Franz I. drückte in einem Schreiben Ossoliński persönlich seine besondere Zufriedenheit über die von ihm „beschlossene Stiftung einer Nazionalbibliothek für Galizien“ aus und dankte ihm dafür, dass er mit diesem „rühmlichen Unternehmen“ die „Geisteskultur“ des Vaterlandes befördere. Dieses persönliche Schreiben verfasste Kaiser Franz I., um Graf Ossoliński zu versichern, „welchen hohen Wert“ er „auf Handlungen dieser Art lege.“17 Nachdem das Projekt konkrete Formen angenommen hatte, beauftragte Ossoliński 1817 den Architekten und Hofbaurat Peter Nobile damit, ein Projekt für den Umbau des von ihm in Lemberg erstandenen ehemaligen Karmelitinnenklosters mit der St. Agnes-Kirche, dessen Bausubstanz durch Brände erheblich gelitten hatte, zu entwerfen.18 Kaiser Franz I., dessen Vertrauen sich Ossoliński im Laufe der Zeit erworben hatte und der ihn häufig bei galizischen Angelegenheiten zu Rate zog, bestätigte 1817 die Statuten des Ossolińskischen Nationalinstitutes (Zakład Narodowy im. Ossolińskich). Um die Bestände zukünftig in verantwortungsvollen Händen zu wissen, schloss Ossoliński Ende 1823 einen Vertrag mit Henryk Fürst Lubomirski, der bereit war, einen großen Teil seiner Privatsamm16 Bronisław Gubrynowicz, Józef Maksymilian Ossoliński. Człowiek i pisarz, Lwów 1928, 55–56, 65–66. Eva Hüttl-Hubert, „,Je me suis fixé en cette capitale, pour y servir ma patrie…‘. Józef Maksymilian Graf von Tenczyn-Ossoliński in Wien“, in  : Edward Białek/Jan Krucina/Eugeniusz Tomiczek (Hg.), Ad mundum poëtarum et doctorum com Deo. Festschrift für Bonifacy Miązek zum 70. Geburtstag, Wrocław  : Oficyna Wydawnicza ATUT 2005, 59–84, hier  : 62–66. Vgl. auch Ilona Slawinski, „Joseph Maximilian Graf Ossoliński. Politiker, Sammler, Mäzen und Autor“, in  : Ilona Slawinski/Vahidin Preljević/Robert Weigel (Hg.), Der Mnemosyne Träume. Festschrift zum 80. Geburtstag von Joseph P. Strelka, Wien  : A. Francke Verlag 2007, 387–395. 17 Korespondencja Józefa Maksymiliana Ossolińskiego, zusammengestellt und bearbeitet von Władysława Jabłońska, Wrocław  : Zakład Narodowy im. Ossolińskich 1975, 188. 18 Hüttl-Hubert, „Je me suis fixé“, 68–71.



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lung dem Ossolińskischen Nationalinstitut zu übergeben.19 Nach Ossolińskis Tod im Jahre 1826 wurde dann seine sich in Wien befindliche Sammlung von Büchern, Handschriften, Gemälden, Medaillen, Mineralien, Briefmarken und Landkarten unter Aufsicht des späteren Kurators Gwalbert Graf Pawlikowski in Kisten verpackt und schließlich 1827 nach Lemberg transferiert. Um den Umbau des Nationalinstituts zu Ende führen zu können, hatte der galizische Ständeausschuss noch zuvor ein Darlehen von 15.000 Gulden genehmigt, das dann von Kaiser Franz I. am 28. Juli 1829 in eine Schenkung umgewandelt wurde. Diese großzügige Geste des Kaisers zeigt, welch große wissenschaftliche und kulturelle Bedeutung er dem Ossolińskischen Nationalinstitut beimaß. Jedoch schon ein Jahr später, nach dem Ausbruch des Novemberaufstandes im Jahre 1830 im Königreich Warschau, an dem zahlreiche galizische Untertanen teilnahmen, erfuhr die Tätigkeit des Ossolińskischen Nationalinstitutes allerdings aufgrund der in Galizien einsetzenden Verfolgungen der polnischen intellektuellen Kreise durch die Metternichsche Polizei eine erhebliche Einschränkung. Als 1834 entdeckt wurde, dass in der Druckerei verbotene Werke polnischer Schriftsteller, wie etwa von Adam Mickiewicz, gedruckt worden waren, wurde die Bibliothek und die erst 1833 eingerichtete Druckerei für mehrere Jahre geschlossen. Einige der Mitarbeiter, darunter der seit Ende 1831 amtierende Direktor des Ossolińskischen Nationalinstituts, Konstanty Słotwiński, wurden verhaftet und mussten langjährige Haftstrafen verbüßen. Die seit 1828 erscheinende wissenschaftliche Zeitschrift „Czasopism Naukowy Księgozbioru Publicznego imienia Ossolińskich“ (Wissenschaftliche Zeitschrift der Öffentlichen Ossolińskischen Bibliothek) wurde 1834 verboten und durfte erst 1842 wieder herausgegeben werden. Nur der Intervention des Kurators Henryk Fürst Lubomirski bei den Behörden war es zu verdanken, dass das Ossolińskische Nationalinstitut trotz dieser politischen Restriktionen nicht für immer geschlossen wurde, sondern weiterhin der kulturelle Mittelpunkt der polnischen Literaten, Wissenschaftler und Politiker in Lemberg und Galizien blieb. Zu den Mitarbeitern der 1842 unter dem neuen Titel „Biblioteka Zakładu Narodowego im. Ossolińskich“ (Bibliothek des Ossolińskischen Nationalinstitutes) erscheinenden wissenschaftlichen Zeitschrift 19 Jan Trzynadłowski, Zakład Narodowy imienia Ossolińskich 1817–1967, Wrocław  : Zakład Narodowy im. Ossolińskich 1967, 32–34.

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zählten unter anderen die bekannten polnischen Schriftsteller und Wissenschaftler August Bielowski, Wincenty Pol, Karol Szajnocha, Kornel Ujejski. Welche große Anerkennung die öffentliche Bibliothek des Ossolińskischen Nationalinsti­ tuts genoss, zeigen die zahlreichen Geld- und Bücherspenden bekannter polnischer Adeliger, Schriftsteller und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland.20 Erst nach 1848 erholte sich das Ossolińskische Nationalinstitut allmählich von den politischen Restriktionen, um dann mit der Einführung autonomer Strukturen in Galizien in den 1860er-Jahren seine Tätigkeit dynamisch entfalten zu können.

Theater in Lemberg

Im Gegensatz zu den Bibliotheken, die sich hauptsächlich zu kulturellen Zentren der galizischen Intelligenz entwickelten, stand das Theater allen Gesellschaftsschichten offen und wurde schnell zu einem wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens in Lemberg. Schon seit 1772 kamen deutsche und polnische Theatertruppen nach Lemberg, die anfangs nur für einige Monate in Lemberg blieben und in verschiedenen Gebäuden in der Stadt Vorführungen gaben und später dann auch in anderen Städten Galiziens auftraten.21 Häufig befanden sich mehrere Theatertruppen in der Stadt, die sich gegenseitig Konkurrenz machten. Ob und wie lange sie Vorstellungen geben durften, hing von den zuständigen Beamten des galizischen Landesguberniums und vom Landesgouverneur persönlich ab. Mit ihren zahlreichen Einwänden vereitelten die Gubernialbeamten sogar 20 Trzynadłowski, Zakład, 44–49, 55–56, 68–70. Vgl. auch Julian Dybiec, Nie tylko szablą. Nauka i kultura polska w walce o utrzymanie tożsamości narodowej 1795–1918, Kraków  : Księgarnia Akademicka 2004, 74–79. 21 Leszek Mazepa, Teatr muzyczny we Lwowie w kontekście kultury muzycznej miasta, in  : ­Leszek Mazepa (Hg.), Musica Galiciana. Kultura muzyczna Galicji w kontekście stosunków polskoukraińskich (od doby piastowsko-książęcej do roku 1945), Bd. 7  : poświęcony 225-leciu teatru muzycznego we Lwowie (1776–2001), Rzeszów  : Wydawnictwo Uniwersytetu Rzeszowskiego 2003, 11–30, hier  : 11. Das bei Mazepa angegebene Jahr 1776 als Entstehungsjahr eines ständigen Theaters in Lemberg, bei dem er sich auf einen Artikel Stanisław Schnür-Pepłowskis aus dem Jahre 1894 bezieht, scheint fraglich, wenn man bedenkt, dass Stanisław Schnür-Pepłowski in seinem 1889 herausgegebenen Buch über das Lemberger Theater „Teatr polski we Lwowie (1780–1881)“ von einer Theatertruppe unter Franz Anton Göttersdorf spricht, die 1776 in einem baufälligen, hölzernen Gebäude hinter der Jesuitenkirche ihre Vorstellungen gegeben hat.



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die Absicht Kaiser Josephs II., ein Theatergebäude errichten zu lassen. Zu diesem Zwecke hatte er 1783 den galizischen Ständen einen Bauplatz zur Verfügung gestellt und gleichzeitig eine zwanzigjährige Steuerbefreiung versprochen. Trotz zahlreicher Interessenten gelang es jedoch nicht, einen Konsens zwischen dem Landesgubernium und den Interessenten zu finden, die allerdings meist auch nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügten, um ein entsprechendes Gebäude errichten zu lassen. Daher musste sich die Lemberger Gesellschaft jahrzehntelang mit einem Provisorium begnügen.22 Gerade dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die als positiv einzuschätzende Absicht eines Kaisers im fernen Wien durch die Verwaltungsbeamten vor Ort unterlaufen werden konnte und so ein kulturpolitisches Vorhaben, durch wiederholte Einsprüche der Beamten, massive Einschränkungen erfahren konnte. Andererseits waren die Bedingungen für die Errichtung eines Theatergebäudes in Lemberg nicht besonders günstig, denn auch der vormalige Theaterdirektor in Ofen, Franz Heinrich Bulla, der 1788 auf Bitten Josephs II. die Direktorenstelle des deutschen Theaters angenommen hatte, lehnte es ab, ein Theatergebäude zu errichten. Er war zu Recht der Überzeugung, dass die in Aussicht gestellten 20.000 Gulden Darlehen und die 2.000 Gulden jährlicher Unterstützung nicht für den Bau und die Unterhaltung eines Theaters ausreichen würden. So musste bis 1842 die umgebaute Hl. Kreuz-Kirche mit 658 Plätzen als Theatergebäude des deutschen und polnischen Theaters dienen. Bulla leitete das deutsche Theater 30 Jahre lang, von 1789 bis zu seinem Tod im Jahre 1819. Danach gab es keine über längere Zeit bestehende Theaterdirektion mehr, sodass die deutschen Schauspieler häufig selbst die Leitung übernehmen mussten.23 Dass sich trotz der zahlreichen Widrigkeiten immer wieder Persönlichkeiten des kulturellen Lebens fanden, die sich für das Lemberger Theater einsetzten, ist dem Engagement des berühmten Theaterunternehmers Wojciech Bogusławski zu verdanken, der von 1795–1799 in Lemberg wirkte, bevor er Direktor des Nationaltheaters in Warschau wurde.24 Ihm vertraute das Landesgubernium auch zwi22 Jerzy Got, Na wyspie Guaxary. Wojciech Bogusławski i teatr lwowski 1789–1799, Kraków  : Wydawnictwo Literackie 1971, 15–20. 23 Barbara Lasocka, Teatr lwowski w latach 1800–1842, Warszawa  : Państwowy Instytut Wydawniczy 1967, 12–13. 24 Über die Direktion Wojciech Bogusławskis schreibt Jerzy Got ausführlich im ersten Band sei-

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schenzeitlich die Leitung des deutschen Theaters an. Mit seinem 1796 errichteten Sommertheater in Form eines Amphitheaters mit 2.500 Plätzen gelang es ihm, ein großes Publikum anzuziehen. Seine schon mit außerordentlichem Erfolg in Warschau aufgeführten Bühnenstücke, wie beispielsweise die patriotische Oper „Cud mniemany, czyli Krakowiacy i Górale“ (Das angebliche Wunder, oder Krakauer und Góralen) und „Izkahar, król Guaxary“ (Izkahar, König von Guaxara), die mit erheblichem künstlerischen und technischen Aufwand inszeniert wurden, wurden auch für die Zuschauer in Lemberg zu einem unvergesslichen Erlebnis.25 Als künstlerischen Mitarbeiter konnte er den Dirigenten und Opernkomponist Joseph Elsner gewinnen, der ihm später dann nach Warschau folgte. Für die Lemberger polnische Bühne adaptierte Bogusławski unter anderen die damals am Wiener Burgtheater gern gespielten Stücke der deutschen Dramatiker und Schriftsteller August von Kotzebue, August Wilhelm Iffland und Gotthold Ephraim Lessing sowie des österreichischen Dramatikers Friedrich Wilhelm Ziegler und machte sie so auch dem polnischen Theaterpublikum bekannt. Der polnische Germanist Tadeusz Namowicz betont, dass diese Stücke „für die polnische Bühne eine Entgrenzung und Erweiterung der Aufklärung [bedeuteten], und zwar dank der Einbeziehung des Bürgerlichen in das grundsätzlich adelige Kulturmodell in Polen der Jahrhundertwende. Das polnische Publikum wurde mit Ideen einer bürgerlichen Aufklärung konfrontiert, die es in dieser Tragweite nicht kannte“.26 Eine vorübergehende Stagnation des Theaterlebens trat nach dem Abschluss des Friedens von Schönbrunn 1809 ein, als das galizische Landesgubernium sämtliche polnische Theateraufführungen verbot. Dank der Intervention Bullas bei der Wiener Hofkanzlei gelang es dann aber doch, den galizischen Landesgouverneur umzustimmen und wieder Aufführungen auf der polnischen Bühne zuzulassen, die nun von dem polnischen Schriftsteller, Schauspieler, Theaterregisseur und Übersetzer Jan Nepomucen Kamiński geleitet wurde. Nach Bullas ner Studie über das Lemberger Theater  : Das österreichische Theater in Lemberg im 18. und 19. Jahrhundert. Aus dem Theaterleben der Vielvölkermonarchie, Bd. 1, Wien  : Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaft 1997, (= Theatergeschichte Österreichs. Bd. 10  : Donaumonarchie, H. 4), 78–108. 25 Władysław Zawadzki, Pamiętniki życia literackiego w Galicji. Hg. v. Antoni Knot, Kraków  : Wydawnictwo Literackie 1961, 390–392. Vgl. auch Wolff, 55–59. 26 Namowicz, Wien, 28.



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Tod pachtete dann Kamiński das Theater gemeinsam mit Franz Kratter, der das deutsche Theater leitete.27 Bis 1817 war das polnische Theater hinsichtlich der Anzahl der polnischen Aufführungen völlig abhängig von dem deutschen Theaterdirektor. Erst nach einer Audienz bei Kaiser Franz I. anlässlich seines Besuches in Lemberg im selben Jahr, bei der Kamiński ihn um Unterstützung des polnischen Theaters bat, wurde ihm einige Monate später die Erlaubnis gewährt, zweimal pro Woche Theaterstücke in polnischer Sprache aufzuführen. Auf eine spätere Bitte nach der finanziellen Unterstützung des polnischen Theaters antwortete dagegen der Kaiser ausweichend und überließ es den galizischen Ständen, über Kamińskis Anliegen zu entscheiden. Aber selbst die galizischen Stände lehnten 1821 eine finanzielle Unterstützung des polnischen Theaters ab. Erst 1825 wurde schließlich im galizischen Landtag eine auf fünf Jahre begrenzte Unterstützung für das polnische Theater von jährlich 2.000 Gulden aus dem landständischen Domestikalfonds beschlossen und 1826 vom Kaiser bewilligt.28 Zum Repertoire des Lemberger Theaters, an dem abwechselnd Theater- und Opernaufführungen stattfanden, zählten neben dem damals üblichen deutschsprachigen Theaterrepertoire die auch an deutschen und österreichischen Theatern gern gespielten Theaterstücke italienischer, französischer und englischer Schriftsteller. Kamiński übersetzte meist selbst die Theaterstücke, die er dann manchmal den polnischen Verhältnissen anpasste, wie beispielsweise Theodor Körners Drama „Hedwig, die Banditenbraut“, das 1819 in Kamińskis Fassung als „Helena czyli Hajdamacy na Ukrainie“ (Helena oder die Haidamaken in der Ukraine) am Lemberger Theater uraufgeführt wurde. Neben den Dramen Goethes, Schillers und Shakespeares wurden auch gerne die Komödien anderer europäischer Schriftsteller gespielt. Galizien hatte aber in dieser Zeit auch einen eigenen Komödienschriftsteller, den 1793 geborenen Aleksander Graf Fredro, hervorgebracht, dessen Komödien auf der Lemberger Bühne besonders großen Beifall fanden. Dem polnischen Theater kam nicht nur eine besondere Rolle als Vermittler zwischen den Kulturen zu, sondern es galt auch als „Schule der Ästhetik und der polnischen Sprache“, wie der Gubernialbeamte Benedykt Gregorowicz in seinen 27 Über die Direktion Bullas und Kratters schreibt ausführlich Got, Theater in Lemberg, 119–230. 28 Lasocka, Teatr lwowski, 62–70.

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Erinnerungen hervorhob. Hier konnten die Schüler und Studenten all das lernen, was in den Schulen nicht unterrichtet wurde. Zu den Vergnügungen der Studenten in ihrer Freizeit zählte es damals auch, an Theateraufführungen in Privathäusern teilzunehmen.29 Die zahlreichen Besprechungen der Theateraufführungen nicht nur in der Lemberger, sondern auch in der österreichischen und deutschen Presse machten es möglich, dass auch die gebildeten Kreise über die Grenzen hinaus mehr über das kulturelle Leben an der Peripherie der Habsburgermonarchie erfuhren und so das weit entfernte Galizien etwas näher an Wien und Westeuropa rückte.30 Dadurch, dass es zwei Bühnen in Lemberg gab, verfügte die kulturinteressierte Bevölkerung sogar über ein außerordentliches großes Angebot an Theater- und Opernaufführungen. Erst 1835, also über ein halbes Jahrhundert nach der Schenkung Josephs II., fand sich dann doch ein finanzkräftiger Unternehmer in Lemberg, nämlich Stanisław Graf Skarbek, der ein Theatergebäude errichten wollte und nach zähen Verhandlungen 1837 einen Vertrag mit der Stadt schloss, in dem ihm das Privileg, das Theater zu leiten, für 50 Jahre verliehen wurde. Darüberhinaus wurde er verpflichtet, das deutsche Theater zu unterhalten.31 1842 konnte das Skarbeksche Theater eröffnet werden. Im Jahre 1845 verpflichtete dann der galizische Ständeausschuss Skarbek, zehn Vorstellungen in polnischer Sprache zu geben und darauf zu achten, dass auch sonntags, abwechselnd mit den deutschen Aufführungen, polnische Vorstellungen stattfanden. Die 1837 von Kaiser Ferdinand I. genehmigte Subvention der deutschen Bühne von 2.000 Gulden jährlich wurde – nach29 Gregorowicz, Pamiętnik, 171. Gregorowicz selbst spielte bei privaten polnischen und deutschen Theateraufführungen mit und erinnerte sich u. a. an Komödien von Aleksander Fredro, Eugène Scribe und August von Kotzebue. 30 Gertraud Marinelli-König, Polen und Ruthenen in den Wiener Zeitschriften und Almanachen des Vormärz (1805–1848). Versuch einer kritischen Bestandsaufnahme der Beiträge über Galizien, die Bukowina und das polnische Geistesleben insgesamt, Wien  : Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 1992 (= Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-Historische Klasse. Sitzungsberichte, 599. Band. Veröffentlichungen der Kommission für Literaturwissenschaft, Nr. 13), 369–404. 31 Über den Unternehmergeist des Grafen sowie über das Repertoire im Skarbekschen Theater schreibt Philipp Ther, In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien, München  : Oldenbourg Verlag 2006, 181–193. Vgl. auch Barbara Lasocka, Jan Nepomucen Kamiński, Warszawa  : Państwowy Instytut Wydawniczy 1972.



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dem die finanziellen Einbußen des Skarbekschen Theaters in den 1840er-Jahren immer größer geworden waren – Ende 1846 vom Kaiser auf 4.000 Gulden erhöht.32 Diese außergewöhnliche Erhöhung der Subvention der deutschen Bühne auf das Doppelte innerhalb von nur neun Jahren steht wohl im Zusammenhang mit der im Februar 1846 niedergeschlagenen polnischen Revolution in Galizien und zeugt von einer das deutsche Element stärkenden Kulturpolitik Wiens.

Musikleben

Ein politisch weniger sensibler kultureller Bereich als das Theater waren musikalische Unterhaltungen. Die Musik spielte im Leben der wohlhabenderen galizischen Bürger, der höheren Beamten sowie des Adels eine besondere Rolle, die durch die musikalische Ausbildung der Kinder und durch regelmäßige Hausmusik gefördert wurde. Neben den Opernaufführungen auf der deutschen oder polnischen Theaterbühne fanden Ende des 18. Jahrhunderts „musikalische Akademien“ unter der Leitung von Joseph Elsner, dem späteren Lehrer Frédéric Chopins in Warschau, statt.33 Auch der später berühmt gewordene polnische Violinist und Komponist Karol Lipiński, der als Neunjähriger 1799 in Lemberg seine ersten Konzerte gab, zählte zu den Mitgliedern der Hausmusikabende. Für die zugereisten Beamtenfamilien war es selbstverständlich, auch an ihrem neuen Aufenthaltsort regelmäßig zu Musikabenden einzuladen, wie beispielsweise die Familie des Gubernialbeamten Ludwig Kajetan von Baroni-Cavalcabo.34 Die Vorliebe für das Musizieren im Familien- und Freundeskreis in der Zeit des Biedermeier unterschied sich nur wenig von den musikalischen Vorlieben der gehobenen Gesellschaftskreise in Wien und anderen österreichischen Städten. Wohl auch aus diesem Grund gelang es Wolfgang Amadeus Mozarts Sohn Franz Xaver sich schnell in dieser musikbegeisterten Gesellschaft Galiziens zu 32 Got, Theater in Lemberg, 406–407. 33 Mazepa, Teatr, 13–14. 34 Über die freundschaftliche Aufnahme in den Lemberger Musikkreisen berichtet die Offiziersgattin Anna von Revertera in Briefen an ihre Familie. Vgl. Walburga Litschauer (Hg.), Neue Dokumente zum Schubert-Kreis. Aus Briefen und Tagebüchern seiner Freunde, Bd. 2  : Dokumente zum Leben der Anna von Revertera, Wien  : Musikwissenschaftlicher Verlag 1993.

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etablieren. Schon 1808 war er als Musiklehrer der Kinder des Grafen Wiktor Baworowski nach Galizien gekommen. In Lemberg ließ er sich dann 1813 als Privatlehrer nieder und gründete dort 1826 den Cäcilienchor, dem vornehmlich Beamte und Offiziere sowie deren Gattinnen angehörten. Obwohl es Franz Xaver Mozart lange Zeit nicht gelang, eine feste Anstellung zu erhalten, verbrachte er in der galizischen Hauptstadt fast 30 Jahre seines Lebens. Erst 1834 sollte er die Stelle des Kapellmeisters im Lemberger Theaterorchester erhalten, die er dann 1838 aufgab, um nach Wien zurückzukehren.35 Der Abschied Franz Xaver Mozarts aus Lemberg veranlasste eine Gruppe von Beamten, Adeligen und Bürgern, einen Musikverein zu gründen, der in einem Hofkanzlei-Dekret vom 25. August 1838 genehmigt wurde. Welch große Bedeutung man diesem Verein beimaß, zeigte die Tatsache, das der Landesgouverneur Erzherzog Ferdinand von Österreich-Este selbst das Protektorat übernahm und zu seinem Stellvertreter den Gubernialpräsidenten Franz Freiherr Krieg von Hochfelden bestimmte. Zu den Mitgliedern des galizischen Musikvereins zählten Adelige, Beamte, Bürger und Offiziere verschiedenster nationaler und konfessioneller Zugehörigkeit.36 Im Jahre 1843 wurden 435 unterstützende, 68 ausübende Mitglieder sowie 19 Ehrenmitglieder gezählt.37 Die Gründung des Musikvereins zeugt davon, dass hier staatliche Kulturpolitik mit den kulturellen Interessen der adeligen und gebildeten Bevölkerung Galiziens in harmonischem Einklang stand. Gerade die Musik, die alle Nationalitäten miteinander verband, stellte für die gebildeten Schichten ein unverzichtbares Element des kulturellen Austauschs dar, da bei den gemeinsamen Musikabenden sowohl Kompositionen und Lieder von in Galizien wirkenden Komponisten als auch europäischer Komponisten einstudiert wurden.38 35 Vgl. auch die Briefe Franz Xaver Mozarts an seine Mutter und seinen Bruder Karl, in der er über das Musikleben in Lemberg berichtet, und die zum Teil in der Biografie Nissens über Wolfgang Amadeus Mozart enthalten sind. Georg Nikolaus Nissen, Biographie W. A. Mozarts. Nach Originalbriefen, Sammlungen alles über ihn Geschriebenen, mit vielen neuen Beylagen, Steindrücken, Musikblättern und einem Facsimile hg. v. Constanze, Wittwe von Nissen, früher Wittwe von Mozart, Leipzig 1828. (Reprint  : Hildesheim 1964). 36 Vgl. „Verzeichniß sämmtlicher Mitglieder des galizischen Musik-Vereins im Jahre 1838“, Staatliches Historisches Zentralarchiv Lemberg, Fond 146, Opis 1, Spr. 1442, Fasc. 17–33. 37 Schematismus für das Königreich Galizien und Lodomerien auf das Jahr 1843, Lemberg 1843, 471. 38 Zu den musikgeschichtlichen Aspekten vgl. die Studie von Jolanta T. Pekacz, Music in the Cul-



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Zeitungswesen

Ein wichtiges Mittel für die Verbreitung bedeutender kultureller Ereignisse, die meist in der Hauptstadt Lemberg stattfanden, waren die Zeitungen. Zu den ersten Herausgebern von Zeitungen zählte die Druckerdynastie Piller, die jedoch aufgrund mangelnder Abonnenten meist nach wenigen Nummern ihre Zeitungen wieder einstellen mussten. Mehrere Jahre dagegen konnte sich mit kurzer Unterbrechung der „Dziennik Patriotycznych Polityków“ (1792–1798) halten. Anfang des 19. Jahrhunderts zeigten insbesondere Beamte und Professoren Interesse, Zeitungen in deutscher und polnischer Sprache zu gründen. Eine regelmäßig erscheinende Zeitung, die sich etliche Jahrzehnte halten konnte, war die von dem Gubernialbeamten Franz Kratter im Jahre 1811 in polnischer Sprache herausgegebene Zeitung „Gazeta Lwowska“. Die hierfür von Kratter erbetene finanzielle Unterstützung in Wien, wurde allerdings von der Wiener Polizeihofstelle mit dem Hinweis abgelehnt, dass eine polnische Zeitung auch ohne staatliche Unterstützung genügend Abnehmer finden würde. Trotz der fehlenden Unterstützung seitens Wiens, entschloss sich Kratter, neben der polnischen „Gazeta Lwowska“ dann im Jahre 1812 auch noch die deutschsprachige „Lemberger Zeitung“ herauszugeben. Die anfangs relative Freiheit bei der Gestaltung der „Lemberger Zeitung“ wurde jedoch schon 1814 von der Hofkanzlei eingeschränkt, die verfügte, dass sich alle Lemberger Zeitungen nach dem Vorbild und der Gestaltung der „Wiener Zeitung“ zu richten hätten. Demnach dürften „geschichtliche Darstellungen der Zeitereignisse“ nur dargestellt, jedoch keine eigene Meinung oder Deutung des Autors wiedergeben werden. Wie alle Druckerzeugnisse in der Habsburgermonarchie unterlagen auch sämtliche in Galizien herausgegebenen Zeitungen der Zensur, die meist von Beamten des galizischen Landesguberniums oder Universitätsprofessoren ausgeübt wurde.39 Seit 1817 erschien dann zusätzlich noch in der Samstagsausgabe die belletristische Beilage „Rozmaitości“ (Verschiedenes), in der auch die Werke galizischer Schriftsteller

ture of Polish Galicia 1772–1914, Rochester  : University of Rochester Press 2002 (= Rochester Studies in Central Europe  ; 3). 39 Wilhelm Bruchnalski, Historia Gazety Lwowskiej 1811–1848 na tle czasopiśmiennictwa galicyjskiego 1773–1811, Lwów 1911, 133–135.

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veröffentlicht wurden.40 Eine große Konkurrenz für die „Rozmaitości“ bedeutete die 1840 gegründete Zeitung „Dziennik Mód Paryskich“ (Zeitung der Pariser Moden, 1840–1848) des angesehenen Lemberger Schneiders Tomasz Kulczycki, hinter deren harmlosem Namen sich eine literarisch sehr anspruchsvolle Zeitung verbarg, in der die bekanntesten galizischen Schriftsteller ihre Werke veröffentlichten. Im Jahre 1848 wurde schließlich die Redaktion der „Lemberger Zeitung“ mit der der „Gazeta Lwowska“ zusammengelegt, da das Landesgubernium nicht mehr bereit war, den Vertrag mit den Kratterschen Erben über die Herausgabe der „Lemberger Zeitung“ zu verlängern. Zwar bestand die „Lemberger Zeitung“ noch bis zum Jahre 1866 als deutsche Ausgabe, verlor aber im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung. In der nur wenige Jahre erscheinenden Zeitschrift „Pamiętnik Lwowski“ (1816–1819) veröffentlichten zahlreiche junge Dichter und Schriftsteller aus Galizien ihre ersten Dichtungen oder Beiträge. Eine noch kürzere Episode erlebte der von den Universitätsprofessoren Karl Joseph von Hüttner und Joseph Mauss herausgegebene „Lemberger Pilger“ (1822–1823), der auch in einer polnischen Ausgabe unter dem Titel „Pielgrzym Lwowski“ erschien. Sicherlich war es dem Einfluss ihres Mentors Józef Maksymilian Graf Ossoliński zu verdanken, dass sie in dieser Zeitschrift insbesondere das Interesse an der Geschichte und Kultur Galiziens bei den Lesern zu wecken versuchten. Wie die polnischen Zeitungen hatten die deutschen Zeitungen ebenfalls mit der fehlenden Bereitschaft der galizischen Bevölkerung, Zeitungen zu abonnieren, zu kämpfen. Am längsten konnte sich die „Mnemosyne. Galizisches Abendblatt für gebildete Leser“ (1824–1840) halten. Weniger Erfolg hatte dagegen die Zeitschrift „Galizia. Zeitschrift zur Unterhaltung, zur Kunde des Vaterlandes, der Kunst, der Industrie und des Lebens“ (1840–1841). Erst die Zeitschrift „Leseblätter für Stadt und Land zur Beförderung der Kultur in Wissenschaft und Leben“ (1841–1847) hielt sich mehrere Jahre.41 Durch ihre zahlreichen Übersetzungen 40 Ebenda, 126–127  ; Vgl. auch die umfassende Studie über das Zeitungswesen von Marian Tyrowicz, Prasa Galicji i Rzeczypospolitej Krakowskiej 1772–1850. Studia porównawcze, Kraków  : Wydawnictwo Literackie 1979. 41 Röskau-Rydel, Kultur, 318–320. Es kann in diesem Beitrag natürlich nicht auf alle in Lemberg und Galizien in jener Zeit erschienenen Zeitungen eingegangen werde, daher sei an dieser Stelle noch einmal auf die umfassende Studie von Marian Tyrowicz hingewiesen.



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polnischer Literatur spielten die deutschen Zeitungen eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Vermittlung zwischen der polnischen und deutschen Kultur. Mit der Unterstützung solcher privaten Initiativen im kulturellen Bereich hielt sich die österreichische Regierung erstaunlicherweise zurück, obwohl ihr dies eine größere Einflussnahme auf die Themenwahl und die politische Linie der Zeitungen gegeben hätte.

Architektur und bildende Kunst

Ganz offensichtliche kulturelle Verbindungen zwischen Lemberg und Wien erkennt man auch heute noch am Stadtbild Lembergs. Die nach 1815 in der galizischen Hauptstadt errichteten Gebäude waren maßgeblich von der Wiener Architektur beeinflusst, insbesondere von dem in Wien wirkenden Schweizer Architekten Peter Nobile, von dem auch die Entwürfe für das Ossolińskische Nationalinstitut stammten. Die wenigen staatlichen Gebäude erfüllten durch ihre relative Bescheidenheit jedoch weniger einen machtpolitischen Zweck, sondern hatten einen eher pragmatischen Charakter. Der Wiener Architekt Johann Salzmann entwarf zahlreiche Bürgerhäuser im Biedermeierstil sowie das erzbischöfliche Palais in Lemberg und errichtete auch das Skarbeksche Theater (1837–1842), welches das größte Bauprojekt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Lemberg war. In Krakau blieb der Einfluss der Wiener Architektur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dagegen sehr gering, lediglich in der damaligen galizischen Stadt Podgórze auf dem anderen Weichselufer Krakaus sind die Wiener Einflüsse in der klassizistischen Architektur zu erkennen.42 Im Hinblick auf die bildende Kunst finden wir in Galizien in jener Zeit keine Einrichtungen, die staatlicherseits besonders gefördert wurden. Erst 1822 durfte Joseph Piller eine lithografische Anstalt in Lemberg errichten, die allerdings strengen Bestimmungen seitens des Landesguberniums und der Polizeidirektion unterworfen war. In Lemberg und Galizien lebende Künstler unterschiedlicher Nationalität reichten hier ihre Zeichnungen ein, meist Landschaften, Ansichten 42 Jacek Purchla, „Die Architektur Lembergs und Krakaus und die Einflüsse Wiens 1772–1918“, in  : Austro-Polonica, Bd. 5 (Deutsche Fassung), 393–416, hier  : 393–398.

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oder Porträts, die dann von den Lithografen für die Vervielfältigung vorbereitet wurden. Seit 1823 erschienen Alben von Ansichten galizischer Städte und Landschaften.43 In Lemberg konnten Maler, die sich als Porträt- oder Landschaftsmaler einen Namen gemacht hatten, durch Aufträge von Bürgern, Beamten und Adeligen ein recht gutes Auskommen finden. Zwar verfügten die polnischen Adeligen über private Gemäldesammlungen, eine öffentliche Gemäldegalerie gab es dagegen noch nicht. Zusammenfassend kann man sagen, dass sich die staatliche Kulturpolitik in Galizien auf die Förderung öffentlicher Einrichtungen, wie etwa der Schulen, der Universität oder Universitätsbibliothek, die dem Staat als unbedingt notwendig erschienen, beschränkte. Andererseits reagierten die Hofkanzlei oder auch der Kaiser persönlich auf Anfragen oder Initiativen, die dann gegebenenfalls unterstützt wurden, jedoch nicht immer eine regelmäßige Förderung erhielten. Sobald jedoch den Regierungsbehörden irgendwelche Aktivitäten im kulturellen Bereich politisch verdächtig erschienen und sich dies bei den Durchsuchungen von Wohnungen oder Druckereien bestätigte, wurden diese Einrichtungen in ihrer Tätigkeit eingeschränkt oder gar verboten und die Verantwortlichen meist zu außerordentlich hohen Haftstrafen verurteilt. Gerade angesichts der strengen Zensurvorschriften standen die Herausgeber von Druckerzeugnissen stets im Mittelpunkt des Interesses der Polizeibehörden. Auch wenn es von Anfang an das Ziel der österreichischen Herrscher gewesen ist, aus dem Kronland Galizien und Lodomerien eine gerade im kulturellen Bereich deutsche Provinz zu machen, so war es ihnen jedoch nur einen geringen finanziellen Einsatz wert, diese Absicht auch in die Tat umzusetzen. Zwar unternahm die österreichische Regierung vieles, um der kleinen Schicht der gebildeten Bevölkerung in Galizien die deutsche Sprache in den Bildungseinrichtungen aufzuzwingen, aber größere Ausgaben für die Förderung spezifisch deutscher Kulturinstitutionen, wie beispielsweise des deutschen Theaters oder deutscher Zeitungen, wurden nicht unternommen. Im Gegenteil, die Wiener Regierung versuchte in Galizien – sowohl im kulturellen als auch im Bildungsbereich – so wenig Geld wie möglich auszugeben. Daher war es vor allem Privatpersonen, insbesondere 43 Vgl. hierzu  : Mieczysław Opałek, Litografia lwowska 1822–1860, Wrocław  : Zakład Narodowy im. Ossolińskich 1958  ; Röskau-Rydel, Kultur, 325–332.



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der intellektuellen Elite, zu verdanken, dass verschiedene kulturelle Initiativen umgesetzt und die Kulturkontakte zwischen Galizien und Wien ausgeweitet werden konnten. Erst aufgrund der schrittweisen politischen Zugeständnisse an die polnischen Politiker in den 1860er-Jahren gelang es dann, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutende Veränderungen im öffentlichen Bildungswesen und im kulturellen Leben durchzuführen. Dies begann mit der Übertragung der Kompetenzen im kulturellen Bereich auf den galizischen Landtag, der am 15. April 1861 seine Tätigkeit aufnahm.

Ostap Sereda

Imperial cultural policy and provincial politics in the Russian “South-Western province”  : The Kyiv City Theater, 1856–1866

The establishment of the Russian opera in Kyiv (Kiev, Kijów) in October 1867 and the regulations of 1876 and 1881, which restricted stage performances in Ukrainian, can be viewed as the two strongest interventions of the imperial government into the theatrical life of the so-called “South-Western province” (Iugo-Zapadnyi krai) of the Russian empire in the second half of the 19th century. This province in what is today the center of Ukraine consisted of three gubernia, Kyiv, Volhynia and Podoliia and was one of the most contested parts of the empire. It was there that the imperial authorities first faced the challenge of modern nationalisms  : first Polish and then Ukrainian. As a result, the imperial policy in this region was strongly dominated by Russian nationalist thinking. A more detailed analysis of the government’s attitudes and measures in the region has led several scholars to produce more nuanced conceptual schemes and categorizations. Witold Rodkiewicz differentiates between “two principal conceptions of nationality policy competing within the bureaucracy.” The first was based on the imperial idea, notions of dynastic and state loyalty, and the common interest of the elites  ; the second, the so-called “bureaucratic nationalism”, called for the direct intervention of the imperial bureaucracy on behalf of the “Russian Orthodox people” (here including Ukrainians/“Little Russians”) against the non-Russians (in this case, Poles and Jews). Adherents of both conceptions were interested in strengthening the Russian Empire and, in particular, in promoting Russian culture in the borderlands, but they chose different strategies. One favored integration  ; the other, restrictions and discrimination.1 Mikhail Dolbilov points out that “contention with the Polish presence was not simply military struggles, oppression, reprisals, and persecutions of those whom the government 1 Witold Rodkiewicz, Russian Nationality Policy in the Western Provinces of the Empire (1863– 1905), Lublin 1998, 13–16.

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considered irreconcilable rebels or incorrigible separatists. Such contention also included a good deal of sophisticated cultural and semiotic legitimization of imperial power, resourceful myth-making and representational strategizing.“2 Alexey Miller, in his turn, argues that there was no single coherent concept of Russification in regard to the South-Western province. He differentiates between “acculturation” and “assimilation”, draws attention to various ways of symbolical acquiring of contested space, and concludes that the meaning of the same actions differed depending on the local situation.3 To what extent was the cultural, and particularly the theatrical, policy of the empire in one of its most contested borderlands dominated by a Russificatory agenda, and, if so, what kind of agenda was it  ? Both government interventions mentioned above can be put into the category of “Russificatory measures“. But to avoid simplifying schemes, one has to concentrate carefully on the changing nuances of local politics related to the development of a provincial theatrical culture. Until now there has been very little research on musical theater as the site of cultural politics in the various provinces of the empire. In a pioneering study of Russian provincial theatrical culture in the second half of the nineteenth century, the Soviet Russian scholar Irina Petrovskaia observed that in the 1860s the local imperial administration provided considerable support for the establishment of Russian theaters in all contested border areas of the empire, because the theater “was seen as strongest means to arouse national feelings and loyalist sentiment.” Top provincial officials sometimes even claimed that the theater was the main instrument for strengthening Russian culture and government. A government-controlled theater would distract the urban public from various impertinent meetings and limit the spread of subversive ideas.4 A closer analysis of the interaction between the imperial regime and various segments of urban society on the local level allows new interpretations of 2 Mikhail Dolbilov, Russian Nationalism and the Nineteenth-Century Policy of Russification in the Russian Empire’s Western Region, in  : Kimitaka Matsuzato (ed.), Imperiology  : From Empirical Knowledge to Discussing the Russian Empire, Sapporo 2007, 143. 3 Alexey Miller, “Rusifikatsia ili rusifikatsii  ?,” in  : Imperia Romanovykh i natsionalizm, Moscow 2006, 54–77. 4 Irina Petrovskaia, Teatr i zritel provintsialnoi Rossii. Vtoraia polovina XIX veka, Leningrad  : Iskusstvo 1979, 25–27.



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the main events in the cultural history of the region. Previously I have looked more closely at the establishment of the Russian opera in Kyiv in 1867 and the anti-Polish cultural policy of Kyiv General Governor Aleksander Bezak through the prism of the local press. Traditionally the establishment of a professional Russian opera in Kyiv was perceived as the success of “native Russian” (by imperial Russian historians) or of “progressive” (by Soviet and post-Soviet authors) tendencies in society.5 But a study of the debate in the contemporary Kyiv press reveals voices alternative to Russian nationalist discourse that argued not for Russian opera instead of Italian, but for either Italian or Russian musical theater instead of Russian drama. While the government was subsidizing a serious Russian drama theater, a part of the Kyiv public preferred more entertaining Italian opera. As a result, the “Russian opera“ was founded by the government in October 1867 as a kind of a compromise with that part of the urban public that was bored with the monopoly of Russian drama.6 The present paper intends to outline the cultural politics surrounding the Kyiv City Theater (Gorodskoi Teatr) in the preceding decade, that is, between 1856 and 1866. Politically the period under consideration is situated between the beginning of the “Era of the Great Reforms” under the rule of the newly crowned emperor Alexander II, and the failed assassination of the same emperor by the revolutionary D. Karakozov, which provoked the growth of anti-liberal, nationalist and monarchist feelings. The period is particularly interesting because it demonstrates well the shift in the cultural policy in the “South-Western province”, which can be described in Rodkiewicz’s terms as the move from the “imperial” to the “bureaucratic nationalistic” paradigm. The political climate began to change around 1860 under the impact of Polish patriotic demonstra5 Viktor Checott, 25-letie Kievskoi russkoi opery (1867–1892 gg.), Kyiv 1893, 4–6  ; Mykola Kuz’min, Zabuti storinky muzychnoho zhyttia Kyieva, Kyiv  : Muzychna Ukraina 1972, 135–139  ; Lidiia Arkhymovych, Rosiiska opera v Kyievi u tretii chverti XIX st., in  : Mykola Hordiichuk (ed.), Kyiv muzychnyi, Kyiv 1982, 38–48  ; Iuriy Stanishevs’kyi, Natsional’nyi akademichnyi teatr opery ta baletu Ukraine imeni Tarasa Shevchenka. Istoria i suchasnist’, Kyiv  : Muzychna Ukraina 2002, 49–52  ; Elena Zin’kevich, Kontsert i park na krutoiare. Kiev muzykalnyi XIX – nachala XX st., Kyiv  : Dukh i litera 2003, 92–156. 6 Ostap Sereda, Die Einfuehrung der russischen Oper in Kiew 1867  : Ein Fall imperialer Theaterverwaltung, in  : Sven Oliver Mueller/Jutta Toelle (Hg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften in 19. und 20. Jahrhundert, Wien  : Oldenbourg/Böhlau 2008, 187–204.

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tions in Warsaw and the subsequent growth of Polish patriotic activities in Kyiv, while the Polish January uprising of 1863 became a watershed in the history of the region. For the Kyiv City Theater, the year 1856 was particularly important because of the opening of a new theater. It replaced the old wooden building, which had been dismantled in 1851. The opening of a new theater building led the authorities to regulate the administration of the theater. If in the imperial capitals all public entertainments, not to mention theatrical performances, were managed by the Directorate of the Imperial Theaters, the central governmental figure in cultural politics in Kyiv was the General Governor of the South-Western province. The civil governor of Kyiv, a subordinate of the General Governor, was responsible for the day-to-day supervision of the City Theater. The office of the General Governor, who concentrated administrative-political and military power in his hands and had a direct access to the emperor, was established in Kyiv in 1830–1832. The general governments existed also in several other contested border regions of the Russian empire where a strong military presence was necessary7. In the 1850s and ’60s this post in Kyiv was held by Prince Illarion Vasilchikov (1852–1862), Nikolai Annenkov (1862–1865) and Aleksander Bezak (1865–1869). The contrast between the first and last of them was visible and clearly illustrated the difference between two epochs in Russian imperial policy in the region. Prince Vasilchikov was praised by Polish nobility and urban society as a “kind boy”8 aiming at closest integration of Russian officialdom with the Polish circles. But Bezak, a general of artillery and conqueror of Central Asian khanates, devised and implemented the harshest anti-Polish repressive measures.9 Notwithstanding all the differences, both Vasilchikov and Bezak were occasionally involved in the management of the local theater. They drafted theatrical statutes, presided over the theatrical committee, and approved financial subsidies and the appointment of entrepreneurs and theatrical directors. 7 Valentyna Shandra, General-gubernatorstva v Ukraini  : XIX – pochatok XX st., Kyiv 2005, 265– 370. 8 Anatolii Makarov, Kievskaia starina v litsakh. XIX vek, Kyiv  : Dovira 2005, 54–55. 9 Valentyna Shandra, Kyivskyi general-gubernator O. P. Bezak ta integratsia Pravoberezhnoi Ukrainy u skladi Rosiiskoi imperii, in  : Kyivska starovyna 6 (1997), 95–105.



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In 1856, just before the new building of the theater was finished, Prince Vasilchikov ordered the civil governor of Kyiv to design a new system of the administration of the Kyiv City Theater and to ensure that one troupe would not undermine the position of another.10 This demand of Vasilchikov was probably provoked by a recent conflict between the chief ballet-master Maurice Pion (former director of the Warsaw ballet11) and director of the theater, the rich landowner Nikolai Pavlovich Engelgardt, who was responsible for both the Russian and Polish drama troupes.12 Following this order, the Kyiv governor convened the theatrical committee in March 1856. The committee consisted of six members  : four were appointed by the General Governor, one was elected by the provincial nobility, and one by the city. Two committee members served as directors of the theater. One was responsible for the repertoire, and the other for the material conditions of the theater.13 The committee existed with some changes until 1868. There are clear indications that the imperial government tried to find support against the Polish elites in the growing strata of urban dwellers who generally took a pro-imperial stance. Indeed, the role of the city administration grew slightly in 1864–1867, and then at the beginning of the 1870s the city authorities (elected according to the new system of municipal self-government) took the theater under their rule. Henceforth the city administration appointed the entrepreneur of city theaters, although the General Governor continued to be responsible for its general supervision.14 Meanwhile, in 1867 the Polish provincial nobility lost its only place on the theatrical committee in accordance with a version of the statute that General 10 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv (Tsentralnyi derzhavnyi istorychnyi arkhiv Ukrainy u m. Kyievi), collection 442 (office of Kyiv General Governor), inventory 85, file 658/1, sheet 21–22 (Kyiv General Governor Vasilchikov to Kyiv civil governor Hesse, 4 March 1856). 11 Janina Pudelek, Jadwiga Kosicka, “The Warsaw Ballet under the Directorships of Maurice Pion and Filippo Taglioni, 1832–1853,” in  : Dance Chronicle vol. 11, no. 2 (1988), 219–273. 12 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/1, sheet 13–14 (report of Pion to Kyiv General Governor Vasilchikov, 25 January 1855). 13 Nikolai Nikolaev, Dramaticheskii teatr v g. Kieve. Istoricheskii ocherk (1803–1893 gg.), Kyiv 1898, 38  ; Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/1, sheet 23–24 (Kyiv civil governor Hesse to Kyiv General Governor Vasilchikov, 12 March 1856). 14 State Archives of the City of Kyiv (Derzhavnyi arkhiv m. Kyieva), collection 163 (Kyiv city administration), inventory 7, file 185, sheet 17–20 (contract with Berger, 15 April 1872).

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Governor Bezak had drafted.15 Yet before the January 1863 uprising the influence of the marshal of the Kyiv nobility at some point seemed to be quite strong. In 1858 he could still influence the appointment of the theater’s entrepreneur, and consequently the theater and the Russian troupe were entrusted to the Polish actor and Austrian citizen, Teofil Borkowski.16 The active position of Borkowski enhanced the role of the entrepreneur, who received an almost free hand in regard to the repertoire and the composition of the Polish and Russian troupes.17 After the January uprising, Borkowski was replaced in June 1864 by the director of Italian opera, again an Austrian citizen, Ferdinand Berger and an actor of the Russian troupe Nikolai Miloslavskii.18 In 1867 the provincial government entrusted Berger with a mission to recruit a Russian opera troupe for Kyiv, although the government directors from the theatrical committee controlled all matters of repertoire and budget during the season of 1867/68. Yet in March 1868 the day-to-day rule of the directorate was cancelled. After the 1868/69 season, the most important position became that of the theatrical entrepreneur. The entrepreneur was still supervised by the theatrical director and appointed by the General Governor (later by the City Duma), but in general he enjoyed almost full freedom in regard to the repertoire and the composition of the troupe, although he still was responsible to the provincial government for the theater’s finances and property. The competition for this position in the next decades was normally very fierce and involved various parties among the public.19 The City Theater became one of the main institutions around which the urban public was formed and structured. The divisions among the Kyiv theater15 Sereda, Die Einfuehrung, 194–195  ; Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 100, file 30, sheet 93–106 (Regulations for the Kyiv City Theater). 16 Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 43. 17 Central State Historical Archisves of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2a, sheet 86–90 (contract between the Kyiv theatrical committee and Borkowski, 18 December 1858). 18 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2a, sheet 56 (Kyiv military governor to Kyiv General Governor, 26 June 1864). 19 Ostap Sereda, Nationalizing or Entertaining  ? Public Discourses on Musical Theater in Russianruled Kyiv in the 1870s and 1880s, in  : Sven Oliver Mueller/Philipp Ther/Jutta Toelle/Gesa zur Nieden (Hg.), Die Oper im Wandel der Gesellschaft. Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheatres in Europa, Wien  : Oldenbourg, Boehlau 2010, 31–56, here 36, 44–45, 53.



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going public grew in the time of Polish public unrest of 1860–1863, when the whole urban public space became a site of contested demonstrations with political messages. The Polish part was foremost represented by the students who until 1863 made up almost a half of the student body at the University of Kyiv.20 Accordingly, their presence in the theatrical audience was quite visible. In April 1861 the civil governor of Kyiv reported that students of university and gymnasia often abused Russian actors and especially those Polish actors who acted in Russian plays with loud comments, noise and hisses. The government intervened, and students of gymnasia were no longer allowed to go to the upper galleries of the theater and had to buy tickets in those sectors that were better controlled by the police.21 Also, patriotic Polish women appeared in the mourning costumes to the Polish plays in Kyiv, thus demonstrating solidarity with the demonstrations in Warsaw.22 On the other hand, the pro-government and pro-Russian segment of society was represented by a growing group of Russian merchants, members of the intelligentsia, government officials, and military officers. Those most active in the theatrical life grouped around the local branch of the Russian Musical Society (RMS) and in numerous amateur theatrical circles. The few voluntary associations that the government allowed and strictly controlled were indeed one of the rare instruments of societal influence on policy-making. Sanctioned by the government and patronized by the Emperor’s family, activities of the RMS involved the patriotic segment of the Russian cultural public, which was interested in the promotion of Russian music. The Kyiv branch of the RMS contributed to a great degree to the introduction of “serious” European and also Russian operatic production to the public of Kyiv. The initiative to open a branch of the RMS in Kyiv originated in October 1863 in the central body of the society in St. Petersburg. The RMS became very visible in the social life of the city in the mid-1860s. Very soon concert programs reflected the patriotic mood of Russian music-lovers, especially after the failed assassination on the emperor Aleksander 20 Jan Tabiś, Polacy na uniwersytecie Kijowskim, 1834–1863, Cracow 1974, 33–43. 21 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 811, file 83 (correspondence between Kyiv General Governor, Kyiv civil governor and curator of the Kyiv educational district, April–November 1861). 22 A. Ju., Kievskaia letopis’, in  : Kievskii telegraf no. 87 (16 November 1861), 355–356.

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II in April, 1866.23 Various groups of theatrical amateurs also contributed to the cultural life of the city. Polish, Russian, Ukrainian and Jewish amateurs often performed on the stage of the City Theater and collected money for benevolent purposes.24 These performances usually attracted public interest, but the theatrical director tended to limit their number and to push them to the very end of the carnival time.25 In particular, the Ukrainian amateur performances of the operetta/opera Natalka Poltavka in the Kyiv City Theater regularly turned into a public success, as it happened in December 1859 and later, often with some participation of professional musicians and singers.26 For example, on 23 October 1867, four days before the official opening of the Russian opera in Kyiv, Natalka Poltavka was staged in the City Theater. But if at the beginning of the 1860s popular Ukrainian comic plays were part of regular repertoire of the Kyiv City Theater, in the second half of the decade they were performed only by amateurs. Ukrainian (“Little Russian”) plays received mixed reviews in the Kyiv press  : while some reviewers welcomed them enthusiastically, other maintained that they attracted interest only because of local patriotism and did not belong to the “serious art.”27 The position and attitude of the Ukrainian (“Little Russian”) segment of urban society requires further research. Already before 1863 the local authorities worried about the potential of Ukrainian separatism. These worries led to the repressive Valuev circular, which banned educational publications in Ukrainian.28 Yet many descendants of Ukrainian Cossack families from Left-bank Ukraine 23 Iosif Miklashevskii, Ocherk deiatelnosti Kievskago otdelenia Imperatirskago Russkago Muzykalnago obschestva (1863–1913), Kyiv 1913, 19–20  ; Kuz’min, Zabuti storinky, 74–75. 24 In particular, on the popular Jewish amateur performances in 1863 see Slovo o kievskom teatre, in  : Kievskii telegraf, no.2 (1863), 6–7. 25 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 37, file 83, sheet 1–2 (Kyiv civil governor Hesse to Kyiv General Governor Vasilchikov, January 1860). 26 Mykhailo Stefanovych, Kyivs’kyi derzhavnyi ordena Lenina akademichnyi teatr opery ta baletu URSR im. T. H. Shevchenka. Istorychnyi narys, Kyiv 1968, 14–15. 27 As was the case in September 1867, when polemic on the pages of “Kievskii telegraf ” followed semi-amateur production of Natalka Poltavka in the City Theater. Kuz’min, Zabuti storinky, 137–138. 28 Alexey Miller, “Ukrainskii vopros” v politike vlastei i russkom obschestvennom mnenii (vtoraia polovina XIX v.), St. Petersburg  : Aleteiia 2000, 63–126.



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combined the concept of an ultimate Russian-Ukrainian political unity with the vague notion of Ukrainian cultural separateness and, in fact, supported the antiPolish policy of the Tsarist government.29 Some of them were well situated in the Kyiv urban society, as was the vice-governor and the head of the local branch of the RMS, Petro Seletskyi, or member of the RMS Hryhorii Halahan.30 The local cultural politics was concentrated around the contested identity of the Kyiv urban public and its theater. The significant (if not dominant) role of the Polish landowning upper class was recognized until the end of the 1850s, when it was challenged by Russian publicists and by the authorities. For example, when in June 1857 theater director Nikolai Kobylin justified his attempts at expanding the Russian troupe and contracting the Polish troupe, he argued that “as a Russian city and as the mother of Russian cities (mater’ russkikh gorodov) Kyiv has a full right to have only a Russian troupe”, but he admitted that “a majority of the public consists of the Polish nobility,” and this majority expressed its dissatisfaction with his reforms.31 Even the setting of the new theatrical interior accommodated needs of the Polish upper class. The new building could host about 850 visitors, but the majority of them (about 530) were to sit in four tiers of 76 separate boxes (lodges). This arrangement of the theater’s interior indicated a dominance of aristocratic and noble families who liked to be separated spatially from members of lower social strata. The decoration of the auditorium had imperial (golden two-headed eagle), and musical (instruments and masks) elements, but there were no explicitly Russian or Polish national references. For example, a picturesque Italian landscape was painted on the curtain. The opening program of the new City Theater on 4 October 1856 consisted of both Russian and Polish light plays separated by a dancing “divertisment” that included the Polish dance krakowjak.32 29 On the ambivalent position of the Ukrainians in the ethnic hierarchy in the Russian empire see Andreas Kappeler, Mazepintsy, malorosssy, khokhly  : ukraintsy v etnicheskoi ierarkhii Rossiiskoi imperii, in  : Alexey Miller/Boris Floria/Vladimir Reprintsev (eds.), Rossia–Ukraina  : istria vzaimootnoshenii, Moscow 1997, 125–144. 30 Kuz’min, Zabuti storinky, 77–85, 133. 31 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/1, sheet 91 reverse (report of Kobylin to Kyiv General Governor Vasilchikov, June 1857). 32 See the contemporary description of the newly-built theatre quoted in Nikolaev, Dramaticheskii teatr, 40– 41.

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Before the January uprising, officials were worried about the dominance of Polish in the public life and wanted to secure an equal place for Russian. Later, after 1863, the government sought total elimination of the Polish language from public use, including a ban on Polish shop signs in the city.33 But the sensitivity to the national aspect of theatrical life was growing already at the beginning of the 1860s. Thus, the regular conflicts of Borkowski with actors of the Russian troupe were portrayed as a case of Polish-Russian conflict in both official reports and theatrical reviews. When in 1860 the dismissed Russian actors reported to the General Governor on how they were mistreated by the Polish entrepreneur, the General Governor appealed to the civil governor, who reminded Borkowski that if the Russian troupe ceased to exist, the Polish troupe would also be banned.34 But Borkowski, in his turn, attacked the rebelling actors on Russian patriotic grounds. According to his report, Russian actors demanded high salaries, and while he gave them full freedom and expected them to stage “new original Russian plays with patriotic interest”, the Russian actors instead continued to perform translated French vaudevilles that did not satisfy the public. Therefore, Borkowski decided to replace them with new young actors who would have higher respect for their own (Russian) literature and public. Borkowski declared that his main task was “to keep the interests of the theater in total accordance with demands of the government and of local publics” (Interestingly, the last word was used in plural, sdeshnikh Publik),35 and later the theatrical committee, in its turn, supported the Polish entrepreneur against the Russian actors.36 But the Russian publicists were on the side of the Russian actors. Two Russian newspapers, liberal Kievskii telegraf (established in 1859) and state-subsidized conservative Kievlianin (established in 1864) served as the main forums for public debate on theater-related issues and both regularly criticized Borkowski. 33 Rodkiewicz, Russian Nationality Policy, 166. 34 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 37, file 373, sheet 1 (Kyiv General Governor Vasilchikov to Kyiv civil governor Hesse, 26 March 1860). 35 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 37, file 373, sheet 3–5 (report of Borkowski to Kyiv civil governor Hesse, 31 March 1860). 36 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2a, sheet 19–20 (Kyiv civil governor Hesse to Kyiv General Governor Vasilchikov, 12 July 1862).



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After the end of the 1860/61 season the editor of Kievskii telegraf, Alfred von Junk accused Borkowski of “oppressing and killing everything Russian and beautiful”. Junk even implied that “persons above” had to ask Borkowski why he dismissed everything Russian  : “It could not be possible that our government did not notice the decay of the theater and did not understand that it could be elevated in the public opinion only by electing directors who would deserve respect… Mr. Borkowski is such a director who needs another director above him.”37 And also the tone of official documents became more restrictive toward the Polish theater-going public. Kyiv civil governor Hesse argued in July 1862 that “in Kyiv a majority of the public is made up of Russian people who attend exclusively Russian plays, and the Polish public in the city is rather insignificant. It consists of visitors who gather only during the Christmas Fair period.”38 The changing dynamic of Polish-Russian relations after 1863 influenced not only the positions of the Polish and Russian troupes in the city (the former was expelled from the city, while the latter received a dominant place) but, with time, also made the government position towards the Italian opera more negative. When an Italian troupe was invited to the city in autumn 1863, the government hoped that it could provide “a neutral ground” for all parts of Kyiv theater-going public.39 But four years later government officials argued that demands to invite Italian opera to Kyiv were non-patriotic and typical of those circles that share nostalgia for the times of Pan Borkowski.40 Accordingly, the theater reviewer of Kievlianin, F. Romer, argued that the Italian seemingly “neutral” stage would be harmful for the Russian cause, because “from neutral it would quickly become the dearest child of the szlachta intelligentsia”. Besides, he argued that Italian opera as such, unlike Russian, “is absolutely not able to facilitate the serious development of the taste of the masses.”41 Instead, 37 A. J-k [Junk], Kievskaia letopis’, in  : Kievskii telegraf no. 32 (7 May 1861), 133–135. 38 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2, sheet 17 (Kyiv civil governor Hesse to Kyiv General Governor Vasilchikov, 12 July 1862). 39 For a general overview of Italian operatic seasons of 1863–1865 see Kuz’min, Zabuti storinky, 31–34. 40 A. Snezhko-Blotskii, Zametka g-nu Poznanskomu, in  : Kievskii telegraf 89 (31 July 1867), 1–2  ; A. Snezhko-Blotskii, Doklad po opernomu delu, in  : Kievskii telegraf 124 (20 October 1867), 1–2. 41 F. Romer, Byt’ ili ne byt’ russkoi opere  ?, in  : Kievlianin no. 104 (31 August 1867), 1.

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imperial authorities and a supporting segment of educated society insisted on the specific nationalizing role of the theater. Russian theater in the region was assigned the mission of neutralizing Polish cultural influence and making the Polish-influenced public into loyal imperial subjects, or maybe even into “true Russians.”42 The discussion of the positive impact of the theater on the society, its education and moral betterment was ultimately connected to the issue of financial subsidy. Already in 1842 Emperor Nicholas I ordered the city of Kyiv to grant 3,000 rubles per year to the “support of private Russian theater in Kyiv.”43 In reality, that annual subsidy was not paid regularly. Some entrepreneurs did not receive the subsidy at all. Borkowski even paid 2,000 rubles to the City Duma during 1858–1864, and the entrepreneur of the Russian drama troupe Miloslavskii paid 1,000 rubles in the 1864/65 season. But from 1865 the city subsidy in sum of 3,000 rubles was renewed.44 Part of the expenses of the Russian drama theater in the mid-1860s was covered by the money borrowed from patriotic city merchants.45 Still the City Theater was on the edge of financial collapse during 1865– 1867.46 The situation of the drama theater was especially a catastrophic.47 The repertoire, as in other Russian provincial theaters in the 1860s, was built around the works of Aleksander Ostrovsky, although some comic musical plays were preserved too. Theater critics, but not the Kyiv public, were satisfied about the growing production of the plays of Ostrovsky, “the interpretator of Russian life, of the people’s spirit, one of awakeners of the consciousness of Russian society.”48 Instead, some contributors to the local press dared to state that the 42 See, for example, Kiev. 31 genvaria 1866, in  : Kievlianin no. 14 (1 February 1866), 53–54. 43 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 75/1842, file 209, sheet 1–2 (Emperor Nicholas I to Kyiv General Governor Bibikov, 7 July 1842). 44 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2a, sheet 74 reverse (Miloslavskii to Kyiv General Governor Bezak, 10 April 1865), 90 (contract between the Kyiv theatrical committee and Borkowski, 18 December 1858). 45 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 85, file 658/2a, sheet 114–115 (Kyiv civil governor Hesse to Kyiv General Governor Bezak, 19 October 1866). 46 Central State Historical Archives of Ukraine in Kyiv, collection 442, inventory 630, file 46, sheet 135–136 (Kyiv General Governor Bezak to Kyiv civil governor Hesse, March 1867). 47 N. Volgin, Teatral’noe obozrenie, in  : Kievskij telegraf no. 116 (2 October 1867), 1–2. 48 Ibidem, 2.



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theater was constantly empty for Russian plays, because the public is “disgusted with Ostrovsky after three years of his reign on the Kyiv stage.”49 Finally, in 1866 General Governor Bezak succeeded in securing an annual subsidy from the Ministry of Internal Affairs in the sum of 9,000 rubles for the Russian theaters in Kyiv, Zhytomyr and Kamianets-Podilsky (these expenditures were generated from the income of confiscated Polish estates.). The larger part of this sum (6,000 rubles) was reserved for the “Russian theater” in Kyiv, another 6,000 rubles was assigned for this theater from the city budget. This subsidy created a basis for the establishment of a permanent Russian opera in Kyiv in 1867 and continued (although reduced) into the 1880s. Yet through all these years imperial authorities and theater critics continued to be alarmed that Russian operas formed a small part in the repertoire of the Kyiv City Theater, which instead was dominated by Italian operatic production, and that the imperial financial subsidy, paradoxically, supported “foreign”, mostly Italian, operas.50 The decade preceding the establishment of the Russian opera in Kyiv was marked by the increasing injection of national and imperial agendas into urban life. As musical theater remained at the center of the social and cultural life of the city, its stage reflected the twists of imperial policy in the region, especially the shift from flirting with local Polish elites to open confrontation with them. This shift can be described as the transition from the “imperial idea” to the principles of “bureaucratic nationalism”. Notwithstanding the direct intervention of imperial authorities into the theatrical politics in Kyiv, local actors continued to be important throughout decade under consideration and exercised considerable influence on the implementation of imperial policy in the region. The City Theater became an arena for negotiations between imperial political interests, the national representational strategies of various urban publics, the artistic aspirations of leading cultural figures, and last but not least, the popular demand for entertainment. While the authorities continually attempted to use musical theater to unite a heterogeneous theater-going public and turn it into loyal subjects, the cultural practice in the city still revealed a continuous fragmentation of the urban public. 49 Koe-chto o chem i ni o chem, in  : Kievskij telegraf no. 81 (12 July 1867), 2. 50 Sereda, Die Einführung, 194–195  ; Ejusd, Nationalizing, 35–48.

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Der Transfer imperialer Praktiken nach Georgien  : Oper und Ethnografie in Tiflis

Zu den spezifischen Merkmalen georgischer Opern, v. a. der bekanntesten, die aus der Feder des Komponisten Zakaria Paliašvili (1871–1933)1 stammen, gehören folkloristische Elemente sowie die starke nationale Aufladung. Dieser den Opern in der georgischen Standardliteratur häufig zugeschriebene nationale Charakter wird an verschiedenen Aspekten festgemacht, darunter dem Zeitpunkt ihrer Uraufführung. Die meisten stammen aus der kurzen Periode der ersten Unabhängigkeit Georgiens, die nach über 100-jähriger Zugehörigkeit zum Russischen Reich zwischen 1918 und 1921 weniger als drei Jahre dauerte und mit dem Einmarsch der Roten Armee ihr Ende fand.2 Über ihren Entstehungszeitpunkt hinaus finden sich in den Opern auf musikalischer Ebene zahlreiche Anleihen bei lokalem Volksliedgut, sodass man von einer Synthese einheimischen musikethnologischen Materials mit dem Regelwerk europäischer klassischer Musik sprechen kann. Drittens wird auch durch das Setting der Sujets, die erkennbar in Georgien und häufig im ländlichen Raum3 – dem Refugium georgischer nationaler Identität – spielen, ein nationaler Bezug hergestellt, der durch die Inszenierungspraxen noch verstärkt wird  : So bevölkern auch heute noch häufig Figuren in Nationaltrachten aus verschiedenen Regionen des Landes die Bühne des Opernhauses von Tiflis, wenn eine einheimische Oper aufgeführt wird. Die 1 Zu Paliašvili Vgl. u. a. Leah Dolidze, „Paliashvili“, in  : Stanley Sadie (Hg.), The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Vol.19, London 2001 [1980], 1–2  ; Anton Tsouloukidzé, Zakharia Paliachvili, Tbilisi  : Editions „Khelovnéba“ 1971  ; Gulbat T’oradze (Hg.) zakaria paliašvili, st’at’iebi da eseebi. didi kartveli k’omp’ositoris zakaria paliašvilis šesaxeb, Tbilisi  : tbilisis v. saražišvilis saxelobis saxelmc’ipo k’onservat’oria 2006. 2 Für einen Überblick über georgische Musik Vgl. Susanne Ziegler, „Georgien“, in  : Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik begründet von Friedrich Blume, zweite, neuüberarbeitete Ausgabe, Kassel 1995, Sachteil 3, 1271–1282  ; daneben Grigol Chkhivadze/Joseph Jordania, Georgia, in  : Oxford Music Online, http  ://www. oxfordmusiconline.com  :80/subscriber/article/grove/music/42156, letzter Zugriff 12. 1. 2009. 3 Eine wichtige Ausnahme stellt Vikt’or Dolidzes komische Oper Keto und K’ote dar, die in Tiflis angesiedelt ist.

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Vorstellungen von kompositorischen und inszenatorischen Gestaltungsweisen der georgischen Nationalopern wurden darüber hinaus in der Sowjet-Periode gefestigt und normiert. So stammen die Inszenierungen einiger dieser Opern, die heute in Tiflis zu sehen sind, aus den 1970er und 1980er-Jahren und wurden seitdem nicht mehr neu aufgelegt. Bezeichnend ist in diesem Kontext auch, dass der Trend des Aufkommens dieser Opern und deren Aufführungen mit der Sowjetisierung Georgiens in den 1920ern nicht abriss.4 Weniger auffällig ist hingegen, dass diese Opern auch in Zusammenhang mit der imperialen Erfahrung im späten Zarenreich stehen. Letztlich handelt es sich bei ihnen um eine „importierte“ kulturelle Praxis, die von den „Eroberern“ nach Georgien gebracht wurde. Interessant ist deshalb ein Rückblick auf den spezifischen Entstehungskontext dieser Opern im 19. Jahrhundert. Da zwischen den Auftritten der italienischen Gastensembles seit der Jahrhundertmitte und den ersten Uraufführungen georgischer Opern ein weiter Weg lag, geht dieser Beitrag der Frage nach, wie sich die Oper in Tiflis überhaupt etablieren konnte, wo es doch entsprechende Musik- und Theatertraditionen vorher kaum gegeben hatte. Wie verlief dieser Institutionalisierungsprozess und durch wen wurde er vorangetrieben  ? Umrissen werden soll dabei das Spannungsfeld von imperialer Kulturpolitik auf der einen und georgischer Nationalbewegung auf der anderen Seite sowie musikalischen Praktiken und denen der Ethnografie. Der Fokus liegt dabei auf den Akteuren, die im Kontext verschiedener Institutionen agierten, wobei es insbesondere um deren Rolle als Vermittler und „Aneignende“ geht. Der Artikel versteht sich daher auch als Beitrag zur Transferforschung, die sich mit solchen kulturellen Übersetzungsprozessen beschäftigt und das Augenmerk besonders auf die Mittler und Überträger lenkt.5 Auch beim Aneignungsprozess 4 Vielmehr kann die sowjet-georgische Operngeschichte im Zusammenhang mit der sowjetischen Nationalitätenpolitik betrachtet werden. Vgl. zu diesem Aspekt Marina Frolova-Walker, Russian Music and Nationalism. From Glinka to Stalin, New Haven  : Yale University Press 2007, insbesondere Kapitel 6. 5 Vgl. dazu u. a. Michaela Wolf, „,Cultures‘ do not hold still for their portraits“. Kultureller Transfer als „Übersetzen zwischen Kulturen“, in  : Federico Celestini/Helga Mittelbauer, Verrückte Kulturen. Zur Dynamik kultureller Transfers, Tübingen  : Stauffenburg Verlag 2003, 85–98  ; Federico Celestini/Helga Mitterbauer, Einleitung, in  : dies (Hg.), Ver-rückte Kulturen, 11–17  ; Gregor Kokorz/Helga Mittelbauer, Einleitung, in  : dies. (Hg.), Übergänge und Verflechtungen. Kulturelle Transfers in Europa, Bern  : Peter Lang AG 2004, 7–20.



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der kulturellen Praxis Oper in Tiflis lassen sich zentrale „Akteure“ ausmachen und studieren, darunter der schon erwähnte Georgier Paliašvili und einer seiner Lehrer, der russische Komponist und Musikpädagoge Michail Ippolitov-Ivanov (1859–1935). Innerhalb der komplizierten imperialen Beziehungsgeflechte nahmen beide sehr unterschiedliche Positionen ein. Eine wichtige Grundlage für ihre Aktivitäten wurde jedoch durch die Jahrzehnte früher stattfindende Kulturpolitik des Statthalters (namestnik) Fürst Michail Voroncov (1782–1856) geschaffen.

Tiflis als urbanes Zentrum imperialer Expansion im Kaukasus

Als in Tiflis in der Mitte des 19. Jahrhunderts die ersten Theaterbauten errichtet wurden und Gastspiele italienischer Ensembles stattfanden, befand man sich an der multiethnischen Peripherie des expandierenden Zarenreichs.6 Dieser Beginn der lokalen Operngeschichte stand denn auch in einem engen Zusammenhang mit der Funktion von Tiflis als urbanes Zentrum der militärischen Eroberung Kaukasiens. So befand sich dort der Sitz des ersten Statthalters Fürst Michail Voroncov, dessen Macht von enormer Reichweite und dessen Politik der Integration einheimischer Eliten äußerst erfolgreich war und der dadurch die russische Kontrolle über die Region nachhaltig sicherte.7 Eine seiner erfolgreichsten Strategien war, Adelige, v. a. Georgier, für den Staatsdienst zu gewinnen. Daneben ging die Assimilierung der Oberschichten auch über Bildung vonstatten, indem Voroncov die Eröffnung von Schulen forcierte, die den Aufstieg in den imperialen Bildungsweg ermöglichten. Voroncov, der als erster diese Position innehatte, fungierte im Kaukasus-Gebiet als Vizekönig des Zaren, was ihm ungefähr den Rang eines Ministers und dazu noch mehr Autorität einbrachte  : seine Entscheidungen waren verbindlich, es sei denn, sie wurden durch den Zaren verworfen  ; daneben lag in seinem Ermessen, welche ministeriellen Vor6 Vgl. dazu Andreas Kappeler, Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung. Geschichte. Zerfall, München  : C. H. Beck 2008 [1992]. 7 L.H. Rhinelander, „Viceroy Vorontsov’s Administration of the Caucaus“, in  : Ronald Grigor Suny (Hg.), Transcaucasia, Nationalism, and Social Change. Essays in the History of Armenia, Azerbaijan, and Georgia, Ann Arbor  : The University of Michigan Press 1996 [1983], 87–104.

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schläge für die Kaukasus-Region Gültigkeit erhalten sollten.8 Er fungierte nicht nur als Verwalter, sondern legte auch die Grundlagen für kulturelle Einrichtungen  : „In the cultural field he established new presses to publish classical and modern works as well as newspapers in Caucasian languages  ; he built libraries  ; he encouraged drama groups  ; he established a Caucasian branch of the Geographical Society  ; he even laid out parks and gardens in the major cities.“9 Während in der Region noch bis in die 1860er-Jahre ein blutiger Eroberungskrieg geführt wurde, beherrschte der Belcanto zur Unterhaltung einer multiethnischen imperialen Grenzland-Oberschicht den Spielplan in Tiflis, das nicht nur Verwaltungszentrum, sondern auch Stützpunkt des russischen Militärs war. Neben seiner Unterhaltungsfunktion für die imperialen Eliten gehörte der „Import“ der Oper gleichfalls zum Programm der imperialen Zivilisierungsbestrebungen.10 Denn durch die Implementierung von europäischen Kulturpraktiken wie jener des Theaters erfolgte die Legitimierung von Expansion und Herrschaftsansprüchen  : „Imperial expansion was no longer to be associated with the establishment of fortresses with imposing names such as Grozny …, but with the establishment of outposts of European culture on the borders of Asia.“11 So symbolisierte das von Voroncov errichtete Tifliser Theater, wo auch die ersten Opernaufführungen stattfanden, Russlands großzügige Verteilung der Früchte der Aufklärung an seiner Südgrenze und bot einen Ort, an dem die Zusammenhang stiftende und integrative Funktion aufklärerischer bzw. imperialer Kultur zur Imperien-Bildung beitragen konnte.12 Schon 1845 wurde kurz nach Voroncovs Ankunft in Tiflis auf sein Bestreben hin ein Theater in einem temporären Gebäude eingerichtet.13 1851 entstand   8 Ebd., 92–93.   9 Ebd., 99. 10 Diese zivilisatorischen Bestrebungen mit Hilfe des Theaters mokierte Tolstoj in seiner Novelle Hadschi Murat, in der sich der gleichnamige kaukasische Rebell völlig unbeeindruckt vom Tifliser Opernbetrieb zeigt. Vgl. Leo N. Tolstoj, Sämtliche Erzählungen in fünf Bänden, Fünfter Band  : Hadschi Murat und andere Erzählungen, hg. von Gisela Drohla, Frankfurt am Main  : Insel 1990 [1961], 152. 11 Austin Jersild, Orientalism and Empire. North Caucasus Mountain Peoples and the Georgian Frontier, 1845–1917, Montreal  : McGill-Queen’s University Press 2002, 146. 12 Ebd., 147. 13 Jersild und Melkadze beschreiben die ersten Jahre dieses Theaters folgendermaßen  : „They found a temporary building in 1845, and located a troupe from Stavropol’. The provincial



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dann ein permanenter Theaterbau14, in dem als Auftakt für die erste Spielzeit Donizettis Oper Lucia di Lammermoor gegeben wurde. In der darauf folgenden Spielzeit wurde darüber hinaus eine russische Balletttruppe engagiert. Tiflis als Zentrum eines geografischen, religiösen und kulturellen Grenzlands gehörte somit relativ früh, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, zu den peripheren Opernstandorten des zarischen Imperiums. Frappierend ist die Geschwindigkeit, mit der neue Opern nach ihrer Uraufführung in den europäischen Metropolen auch den Kaukasus erreichten  : Zwischen den Daten von der Uraufführung von Verdi-Opern zur lokalen Erstaufführung in Tiflis lagen nur wenige Jahre, und das, obwohl und vielleicht auch weil zu dieser Zeit vor allem „importierte“ Musiker in Tiflis konzertierten. So erreichte beispielsweise Verdis Rigoletto, der 1851 uraufgeführt wurde, schon 1853 Tiflis.15 Die Vorherrschaft italienischer Opern im Spielplan nahm mit der Einweihung des Gebäudes ihren Anfang. Bis zu dessen Zerstörung 1874 durch einen Brand wurden für dieses Theater vor allem italienische Musiker engagiert, die „europäische Musik“ aufführten.16 Einige von ihnen blieben im Kaukasus und wurden Teil der multiethnischen Grenzlandelite.17 Diese Oberschichten troupe, however, could not compete with the standards of quality prevalent in St. Petersburg or Moscow, and the Tiflis Theater was soon criticized by those with connections to such places. To remedy this, seven new actors were imported from the imperial theaters of St. Petersburg in the fall of 1846, and one from Moscow. A new Italian musical director who had been in Odessa, Dominic Malagolli, was recruited to shore up the fledging orchestra, and plays that suited the capabilities of the available actors were more carefully chosen.“ Austin Jersild, Neli Melkadze, „The Dilemmas of Enlightenment in the Eastern Borderlands  : The Theater and Library in Tbilisi“, in  : Kritika  : Explorations in Russian and Eurasian History 3(1), 27–49, Winter 2002, 32 14 Jersild und Melkadze schreiben zu diesem Theatergebäude  : „An Italian architect who had worked in Odessa, A. Skudieri, was called to Tbilisi by Vorontsov to work on a new building for the theater, as well as other Tbilisi structures. The Tamamshev Theater on Erevan Square was announced by a fountain and a pool, which carried water along Nagornyi and Vel’iamov streets to the Armenian Bazaar.“ Und  : „The ,Eastern style‘ of the theater’s interior was complemented by exterior references to Byzantine themes … The tsar’s box was covered with medallions which bore inscriptions such as Sudrak, Shakespeare, Calderon, Molière, Goethe, and Griboedov.“, Jersild/Melkadze, The Dilemmas, 34–35. 15 Vgl. die Homepage des Operntheaters von Tbilisi  : http  ://www.opera.ge/eng/viewevent.php  ?op tion=fullview&eventdate=2009-02-7 (letzter Zugriff 8. 11. 2009). 16 Zur italienischen Oper in Tiflis von 1851 bis 1874 Vgl. Aleksandr Čcheidze, Ital’janskaja opera v Tiflise, Tbilisi  : Obščestvo Šota Rustaveli 1997. 17 Ippolitov-Ivanov schrieb über die Tifliser Italiener in seinen Erinnerungen  : „Seit den Zeiten

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leisteten einen wichtigen Beitrag zur Imperienbildung.18 Daher war im Tiflis der 1840er- bis 1880er-Jahre sowohl für Russen als auch für Nichtrussen die bedeutungsgebende „imagined community“ eher die imperiale als die nationale Gemeinschaft von Belang  : „This imperial community was to be united by common conceptions of high culture, enlightenment, and progress. The path to enlightenment, however, meant the extension of the Romantic work of culture-building to the non-Russian peoples …“19 Nicht nur die Tifliser höheren Schichten waren multiethnisch geprägt, die städtische Bevölkerung insgesamt bestand aus verschiedenen ethnischen Gruppen, wobei die Einwohnerzahl im 19. Jahrhundert rasant anstieg. Bevor auf den nächsten Seiten ein Akteur der Imperienbildung auf dem Gebiet der Kultur(-politik) vorgestellt wird, soll an dieser Stelle noch auf die ethnische Zusammensetzung von Tiflis im 19. Jahrhundert eingegangen werden. Ab der zweiten Jahrhunderthälfte fand eine verstärkte Migration von Georgiern vom Land ins armenisch dominierte Tiflis statt, was zu demografischen Veränderungen führte. Tiflis’ Einwohnerzahl wuchs deutlich im Laufe der Jahrzehnte  ; von 20.000 zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf 159.000 an dessen Ende. 20 Prozentual gesehen schwand der dominierende Anteil der Armenier, bedeutende Verschiebungen in der Bevölkerungszusammensetzung fanden statt  : Zu Beginn des 19. Jahrhundert bestand die Stadtbevölkerung noch zu ca. drei Vierteln aus Armeniern, gegenüber weniger als einem Viertel Georgiern. Gegen Michail Woronzows, der in den 40er-Jahren russischer Statthalter in Tiflis war, hatte hier wie in unseren beiden Hauptstädten nur die Italienische Oper das Sagen, für deren Unterhalt von der Regierung keine Mittel gescheut wurden. Man engagierte die besten italienischen Sänger, und auch Chor und Orchester kamen aus Italien. Viele Italiener heirateten Töchter des Landes und siedelten sich fest in Tiflis an, so daß sich ganze musikalische Dynastien herausbildeten  : auf die Familiennamen Fidelio, Duni, Torto, Longo, Prividali, Torriani, Ferrari usw. trifft man inzwischen überall im Kaukasus.“ Michail Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen an 50 Jahre russischer Musik, hg. von Ernst Kuhn, Berlin  : Verlag Ernst Kuhn 1993, 86–87. Zum Exodus der italienischen Immigranten nach der Sowjetisierung Vgl. Paolo Vita-Finzi, Journal caucasien (1928–1931), suivi de Carnet moscovite (1953), Paris  : Les éditions l’Inventaire 2000, 48. 18 Jersild, Orientalism, 4. 19 Jersild/Melkadze, The Dilemmas, 48. 20 Ronald Grigor Suny, „The Emergence of Political Society in Georgia“, in  : ders. (Hg.), Transcaucasia, Nationalism, and Social Change. Essays in the History of Armenia, Azerbaijan, and Georgia, Ann Arbor  : The University of Michigan Press 1996 [1983], 109–140, 113.



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Ende des 19. Jahrhunderts stellten die Armenier nur noch 38 % der Einwohner, während je ungefähr ein Viertel Russen und Georgier ausmachten  ; kleinere Bevölkerungsgruppen waren daneben Deutsche, Perser, Tataren, Griechen und Juden.21 Im Gefüge der drei größten Bevölkerungsgruppen – Armenier, Russen und Georgier – herrschte ein starkes Ungleichgewicht, in dem letztere doppelt unterprivilegiert waren  : „The influx of Russian officials, army officers, and craftsmen, as well as Georgian peasants, was changing, not only the ethnic composition of the town, but creating an ever larger working class made up primarily of Georgians. What distinguished these Georgians most completely from the Armenians and the Russians in Tiflis was their almost complete isolation from positions of political and economic power.“22 Trotz der demografischen Veränderungen behielt die merkantile armenische Oberschicht in Tiflis die politische Kontrolle über den Stadtrat, denn obwohl die letztendliche Entscheidungsgewalt in Transkaukasien bei der militärisch-bürokratischen Aministration der Russen verblieb, wurde die lokale Verwaltung an die Wohlhabenden delegiert.23 Wie sah vor diesem Hintergrund der Einwohnerverhältnisse der Opernbetrieb der nachfolgenden Jahrzehnte aus  ? Erkenntnisse dazu lassen sich aus den Memoiren des Akteurs Ippolitov-Ivanov erkennen, der im Tifliser Musikleben eine wichtige Rolle spielte und Teil der imperialen Grenzland-Oberschicht war. In seinen 1934 veröffentlichten Memoiren hat er wertvolle Einblicke in das Musikleben zu seiner Zeit dort hinterlassen.

Ippolitov-Ivanov als Musikpädagoge, Operndirigent und Ethnograf

Ippolitov-Ivanov kam 1882 22-jährig mit einem Abschluss des Petersburger Konservatoriums und im Auftrag der Russischen Musikgesellschaft nach Tiflis. Er blieb 12 Jahre, bis 1893, im Kaukasus, in, wie er selbst schrieb, „selbstgewählter provinzieller Verbannung“24 und gestaltete das Tifliser Musikleben 21 Ebd. 22 Ebd. 23 Ebd., 116. 24 Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen, 129.

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nachhaltig mit. Aus seinen Erinnerungen lassen sich ökonomische Aspekte des Opernbetriebs erkennen und auch Informationen darüber, wie dieser zu seiner Zeit reglementiert wurde. So berichtet Ippolitov-Ivanov, dass zum Zeitpunkt seiner Ankunft das „Kaiserliche“ Operntheater in Tiflis an Privatunternehmer vermietet und mit 30.000 Rubeln im Jahr subventioniert wurde.25 Ein gewisser Ivan Pitoev hatte die unternehmerische Leitung inne, war aber neben der Geschäftsführung auch für die Auswahl der Truppe und das Repertoire verantwortlich. Von staatlicher Seite wurde, wie Ippolitov-Ivanov weiter erklärt, daneben noch ein Theaterdirektor eingesetzt, der die Verpflichtungen des Opern-Unternehmers zu kontrollieren hatte, ohne sich in künstlerische Fragen einzumischen. Ippolitov-Ivanov lobt Ivan Pitoev auch als Verfechter russischer Opern, die in Tiflis zu dieser Zeit noch kaum bekannt waren  : „Die ‚höhere Gesellschaft‘ in Tiflis, die mit der italienischen Vokalkultur aufgewachsen war, sperrte sich gegen alle Versuche, ihren Geschmack neu auszurichten. Pitojew war jedoch hartnäckig und schwor, er würde die Tifliser dazu zwingen, Tschaikowsky zu mögen. Die erste Inszenierung von dessen Onegin traf dann auch auf völlige Teilnahmslosigkeit. Dessen ungeachtet verfügte Pitojew, daß der Onegin wöchentlich jeweils am Donnerstag gegeben werden würde, und zwar so lange, bis das Publikum diese Oper zu schätzen gelernt habe. Beide Seiten beharrten jedoch die ganze Spielzeit über auf ihrer Haltung  : Pitojew gibt den Onegin, das Publikum aber läßt sich nicht blicken, und der Saal bleibt leer.“26 Über die Jahre hinweg hatte sich das Publikum dann aber doch an Čajkovskij gewöhnt, vielleicht auch, wie Ippolitov-Ivanov erklärt, aufgrund der Anhebung der Qualität der Operntruppe. Weiterhin berichtet Ippolitov-Ivanov, dass das Budget der Oper letztlich zu gering für die Aufrechterhaltung des Spielbetriebes gewesen sei. Dadurch sei in der Saison 1888/89 der Bankrott eingetreten, nämlich „… als das Defizit des Theaters die Höhe von 105.000 Rubeln erreicht hatte und Fürst Dondukow-Korsakow es für nötig hielt, die staatliche Leitung zeitweilig abzuschaffen und das Theater in private Hände zu geben.“27 Der nächste 25 Ebd., 92. 26 Ebd. 27 Ebd., 126. Dondukov-Korsakov war 1882–1890 Oberkommandierender des Kaukasischen Militärbezirks, hatte also die entsprechende Position wie Voroncov 1844–1854 inne, deren Status zwischenzeitlich verändert worden war.



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Betreiber des Operntheaters, so Ippolitov-Ivanov, war die Tifliser Künstlergesellschaft, ein „Künstlerklub von großer gesellschaftlicher Bedeutung“, in dem „alle künstlerischen Kräfte aus Tiflis, aber auch alle Schauspiel- und Opernliebhaber organisiert“ gewesen seien.28 Dieser war, so Ippolitov-Ivanov, von dem Unternehmer Issaj Pitoev, dem Bruder des oben genannten Opernunternehmers Ivan29, gegründet worden, der die Gesellschaft großzügig unterstützte  : „In seiner grenzenlosen Liebe für die Kunst und als Besitzer größerer Geldmittel lebte er außerordentlich bescheiden und investierte alles, was er hatte, um die materielle Situation der Künstlergesellschaft zu festigen. Seinem Einsatz war es zu verdanken, daß die Gesellschaft ein prächtiges Gebäude mit großem Theater und Konzertsaal errichten konnte, wofür er selbst erhebliche Summen gespendet hatte.“30 Darüber hinaus spielte Issaj Pitojew, wie Ippolitov-Ivanov unterstreicht, auch beim Aufbau der Musikschule eine wichtige Rolle  : „Er war ein Mäzen im besten Sinne des Wortes. Da er in Personalunion auch Repräsentant der Direktion in der Tifliser Abteilung der Musikgesellschaft war, sorgte er mit allen Kräften auch für die materielle Unterstützung der Musikgesellschaft und der Musikschule. Für die Konzerte der Musikgesellschaft stellte er das Theater, bezahlte die Künstler und das Orchester, so dass wir die Möglichkeit hatten, ohne finanziellen Druck zu arbeiten.“31 Bei Issaj Pitoev handelte es sich um einen sehr einflussreichen Händler aus der armenischen Oberschicht, der sich auch in der städtischen Politik betätigte.32 Aus den Erinnerungen Ippolitov-Ivanovs wird also deutlich, wie sehr die Tifliser Mächtigen und Reichen (hier die Pitoevs) auch an vorderster Stelle im Musikleben mitwirkten und dieses finanziell ermöglichten. Weiterhin wird da28 Ebd., 131. 29 Zu den Pitoevs Vgl. die Fußnoten 259 und 262 des Herausgebers von Ippolitov-Ivanov. Fälschlicherweise wird Issaj Pitoev darin jedoch als Russe bezeichnet, tatsächlich war er Armenier. 30 Ebd., 131. 31 Ebd. 32 Suny schreibt zu Pitoev  : „Pitoev organized a ,party‘ which met periodically in his apartment to discuss plans for Tiflis. His influence was paramount, and, as one contemporary put it, the statement ,Issai wants it‘ had a ,magical effect‘ on the others in the group. (…) At the end of 1878, the Pitoev-Izmailov party won the elections to the duma… (…) This party was responsible for turning Tiflis, or at least part of it, into a modern European city…“ Suny, The Emergence, 131–132.

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raus die Multiethnizität dieser Kreise, die die Oper trugen, deutlich.33 Wie Issaj Pitoev als Mäzen der Künstlergesellschaft war auch Ippolitov-Ivanov nicht nur mit dem Opernbetrieb verbunden, sondern auch in die Musikerausbildung involviert. Die Institutionalisierung der Musikpraxis Oper war mit der Ausbildung von lokalen Musikern, die „europäische Musik“ überhaupt spielen konnten, eng verbunden und diese wiederum war eng an imperiale Strukturen geknüpft. Dies wird deutlich anhand der Geschichte der Tifliser Musikschule34, bei der Ippolitov-Ivanov eine wichtige Funktion erfüllte und für deren Einbindung in die Strukturen der Russischen Musikgesellschaft er sorgte.35 Über die Integration der Schule, die schon einige Jahre vor Ippolitov-Ivanovs Ankunft in Tiflis bestand, schreibt dieser  : „Im Oktober 1882 hatte mich nun die Hauptdirektion [der Musikgesellschaft, Anm. B.K.] zu den Gründungsvätern der Musikschule entsandt … in Tiflis eine Abteilung der Musikgesellschaft zu eröffnen. Nach Erörterung der allgemeinen Situation und in Würdigung der Tatsache, daß sich im Umfeld der Schule ein Kreis von Förderern gebildet hatte, die bereits durch freiwillige Spenden eine ansehnliche Geldsumme zusammenbringen konnten, … hielten wir es für notwendig, eine Vollversammlung aller Spender einzuberufen und das Angebot der Hauptdirektion allen zu unterbreiten. Auf dieser Versammlung kam man dann 33 So bestand auch der Lehrkörper der Musikschule zu Ippolitov-Ivanovs Zeiten v. a. aus Russen, Armeniern und Georgiern, wie dieser berichtet. Vgl. Ippolitow-Iwanow, Meine Erinnerungen, 99. 34 Zur Entwicklung dieser 1917 in ein Konservatorium umgewandelten Einrichtung im 20. Jahrhundert, Vgl. Nana Loria/Rusudan C’urc’umia, tbilisis vano saražišvilis saxelobis saxelmc’ipo k’onservat’oria /Vano Sarajishvili Tbilisi State Conservatoire, Tbilisi  : o. V. 1998. 35 Die Russische Musikgesellschaft wurde 1859 auf der Grundlage älterer, noch nominell bestehender Vereinigungen durch den Komponisten Anton Rubinštejn mitbegründet, der die Großfürstin Elena Pavlovna als deren Patronin gewinnen konnte. Finanziert wurde sie u. a. durch Spenden, Eintrittsgelder, Studiengebühren und staatliche Subventionen. Die Gesellschaft setzte sich für die Ermöglichung von Konzerten und die Errichtung von Musikschulen ein, die sie als Dachorganisation auch reglementierte und subventionierte. In der Folge kam es immer wieder zu Spannungen zwischen der Direktion der Gesellschaft und den nach mehr Autonomie strebenden Bildungseinrichtungen. Zu diesem Aspekt Vgl. auch Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen  ; zur Musikgesellschaft allgemein u. a. Dorothea Redepenning, Geschichte der russischen und der sowjetischen Musik, Bd.1. Das 19.Jahrhundert, Laaber  : Laaber-Verlag 1994  ; Moscow State P.I. Tchaikovsky Conservatory u. a. (Hg.), The Moscow Conservatory. Materials and documents from the collections of the Moscow State P.I. Tchaikovsky Conservatory and the M.I. Glinka State Central Museum of Musical Culture, Moskau  : Progress-Tradition Publishers 2009.



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überein, die Eröffnung einer hiesigen Abteilung der Musikgesellschaft als wünschenswert zu erachten und einen entsprechenden Antrag an die Hauptdirektion zu richten, ferner die Mitglieder der ersten Direktion der neuen Abteilung zu wählen und um die Bestätigung der Wahl zu bitten sowie alle vorhandenen Vermögenswerte und Geldmittel der Musikgesellschaft zu übertragen.“36 In Folge der Fusion der Schule mit der Musikgesellschaft entwickelte sich diese unter Ippolitov-Ivanovs Direktion zunächst zu „Musikalischen Klassen“, die kurz darauf aufgrund ihres mangelnden rechtlichen Status und der wachsenden Schülerzahl in eine staatlich anerkannte und von der Musikgesellschaft subventionierte „Musikalische Fachschule“ umgewandelt wurden. Die „einzige kaukasische Pflanzstätte für eine systematische Musikerausbildung“ war somit fest eingebunden in die Strukturen der Russischen Musikgesellschaft, von der es nun auch eine Tifliser Abteilung gab, die der Hauptdirektion unterstand. Wie aus IppolitovIvanovs Erinnerungen hervorgeht, entschied diese beispielsweise über Statusveränderungen, die Höhe der Subventionen und die Ausrichtung des Lehrplans. 37 Ippolitov-Ivanov, in den 1880ern sowohl Direktor der Musikschule als auch Dirigent der Oper, kümmerte sich auch um die Auswahl der wachsenden Zahl von Absolventen der Schule ins Opernorchester, dessen Qualität sich in diesem Zusammenhang, wie er schreibt, deutlich verbesserte  : „Innerhalb von drei Jahren war es gelungen, aus einem armseligen Provinzorchester ein gefestigtes, freundschaftliches Musikerkollektiv zu formen …“38 Wie Ippolitov-Ivanov stolz unterstreicht, führte diese Einrichtung eines ständigen Orchesters auch zu einer veränderten Wahrnehmung des Tifliser Musiklebens im Zarenreich, sodass ab der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre auch berühmte Musiker dort auftraten, darunter Davydov, Čajkovskij und Rubinštejn. Hatte die Stadt auf IppolitovIvanov bei seiner Ankunft „durch ihr ungeordnetes Äußeres“ noch „ziemlich abstoßend gewirkt“39, galt sie einige Jahre später (nicht zuletzt auch durch sein Wirken) „nicht mehr als ein vernachlässigter, von der Kulturwelt abgeschiedener Ort, sondern wurde jetzt sogar für erstrangige Künstler attraktiv.“40 36 Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen, 88. 37 Ebd., 100. 38 Ebd., 101. 39 Ebd., 89. 40 Ebd., 101.

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Indem Ippolitov-Ivanov an der Rekrutierung von Musikern für das Tifliser Opern-Orchester, dem er als Dirigent vorstand, maßgeblich beteiligt war, konnte er das Vorhaben umsetzen, von den „importierten“ italienischen Musikern und ihrem Repertoire unabhängiger zu werden. Stattdessen ermöglichte ihm dies, den Anteil von Werken russischer Komponisten im Opernspielplan zu erhöhen. Auch einige seiner eigenen Opern ließ er hier uraufführen – im Transfer musikalischer Techniken ist er aber nicht nur als „Sender“ anzusehen. Dass der Austausch auch in die Gegenrichtung verlief, zeigen seine Kaukasischen Skizzen, die heute den wohl bekanntesten Teil seines Werks bilden. Denn über seine Tätigkeiten als Pädagoge und Dirigent hinaus war er ethnografisch in der Erforschung des lokalen Volksliedguts tätig. Er zeichnete kaukasische Volkslieder auf und integrierte Elemente davon in seine eigenen Arbeiten. Diese Praxis des ethnografischen Sammelns und kompositorischen Bearbeitens gab er an seine Schüler weiter, darunter Paliašvili. Ippolitov-Ivanovs Vorgehen entsprach, so zeigen es seine Memoiren, der Haltung des imperialen Ethnografen, in dessen Autorität gleichsam die Arroganz seiner Mission zum Vorschein kommt. Deutlich wird dies, wenn er beispielsweise darüber urteilt, welche Einflüsse in den Volksliedern als positiv oder aber als schädlich anzusehen seien  : „Meine Freude bei der Begegnung mit einer altgriechischen (dorischen oder phrygischen) Kadenz war etwa die eines Archäologen, der eine Vase aus prähistorischen Zeiten bergen kann.“41 Während in seinen Augen die „byzantinischen“ Eigenschaften als vorteilhaft, und vor allem als authentisch zu bewerten seien, wertet er vor allem die „islamischen“ ab, die er ebenfalls in den Liedern der Region ausmacht  : „Ungeachtet vieler historisch unvermeidlicher Überlagerungen (in Gestalt zahlreicher Melismen bzw. häufig auftretender übermäßiger Sekunden, die klar als Produkt eines späteren islamischen Einflusses erkennbar sind) haben sie [die Lieder, Anm. B.K.] ihren Eigenwert bewahren können. Alle Fremdelemente fallen sofort ins Auge und sind damit wie der Abfall beim Schleifen von Brillanten leicht zu identifizieren.“42 Hier wird deutlich, dass in Ippolitov-Ivanovs musikalischen Präferenzen imperiale Vorstellungen vom historisch ererbten Kampf gegen den Islam mit41 Ebd., 98. 42 Ebd., 99.



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schwangen, die mit den Erinnerungen des zarischen Imperiums an Byzanz und der Übernahme dieses kulturellen und religiösen Erbes einhergingen.43 So spricht das Zitat auch vom Kräfteungleichgewicht, innerhalb dessen sich der Transfer der Oper letztlich vollzog. Folgende Bemerkung Ippolitov-Ivanovs zeigt, wie sehr er seine pädagogischen Tätigkeiten als Teil einer zivilisatorischen Mission verstand  : „Ich bemühte mich darum, die Schüler für die theoretische Analyse der Volkslieder ihrer eigenen Nation zu interessieren, lehrte sie, die harmonischen und melodischen Besonderheiten der entsprechenden Volksweisen zu entdecken und machte ihnen Lust darauf, diese Lieder aufzuzeichnen und zu bearbeiten.“44 Interessanterweise führte dieses Lenken auf die Erforschung der „nationalen“ musikalischen Schätze, das aus einer zivilisatorischen Haltung gespeist und auch bei Ippolitov-Ivanov deutlich mit Überlegenheitsgedanken verbunden war, nicht zwangsläufig zu einer besseren Integration der zu Zivilisierenden ins Imperium, sondern wurde stattdessen häufig auch für Unabhängigkeitsbestrebungen verwendet  : „Georgians appropriated concepts, traditions, and institutions for themselves and for their own purposes in a way that surprised and sometimes alarmed imperial officials. Tensions increased in the later area of ‚Russification,‘ when imperial officials seemed to abandon the heritage of the multi-ethnic empire and service elite and instead explicitly identified themselves and the state with ethnic Russians and Russian culture.“45 Wie Jersild und Melkadze weiter deutlich machen, wurde vor allem das (Sprech-)Theater neu kodiert und für eigene Zwecke verwendet  : „Once an outpost and sign of Enlightenment culture on the savage frontier, the theater increasingly stood for the cultivation of indigenous identity in opposition to empire.“46 Und diese beobachtete Sinnumkehrung traf längerfristig auch für die Oper zu, die sich auch wiederum scheinbar konfliktlos in die sowjetischen Kodierungen von Kulturpolitik und -praktiken einfügen ließ.47 43 Vgl. Jersild, Orientalism, 39 ff. 44 Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen, 98. 45 Jersild, Melkadze, The Dilemmas, 49. 46 Ebd., 40–41. 47 Zum Aspekt der Oper im Allgemeinen, kontinuierlich über Umbrüche hinweg zu bestehen,

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Während Ippolitov-Ivanov bestrebt war, den Spielplan der Tifliser Oper zu „russifizieren“, gründeten Akteure der georgischen Nationalbewegung in Tiflis ihre Institutionen, darunter den georgischen Volksliederchor. Schon 1879 waren die Alphabetisierungsgesellschaft48 und die georgische dramatische Gesellschaft gegründet worden. Ein wichtiger Hintergrund für das Aufkommen der Nationalbewegung zu dieser Zeit stellte der Kontakt und die Konkurrenz der zugezogenen Georgier mit den nicht-georgischen Nachbarn im urbanen Umfeld dar. Der wirtschaftliche und soziale Abstieg des georgischen Adels ging in Einklang mit dem Aufstieg der armenischen Mittelklasse, wodurch auch die entsprechenden Konflikte und Stereotypen entstanden. Ambivalenter wurde der Kontakt mit der russischen Kultur, die ebenfalls im urbanen Umfeld intensiviert wurde, aufgenommen  : Diese Begegnung von Generationen von Georgiern gestaltete sich widersprüchlich und reichte von dankbarer Akzeptanz der Zivilisierungsmission Russlands bis zur Ablehnung.49 Einerseits verlief der Zugang vieler Georgier zu europäischer Kultur über die russische, und so studierten nicht wenige in den Zentren des Imperiums, wo sie oft auch mit europäischem Gedankengut in Kontakt kamen. Diese Georgier, die zum Studium in die russischen Metropolen gingen, wurden tergdaleulebi genannt, „die vom Wasser des Terek getrunken haben“, d. h. die den nordkaukasischen Fluss Terek, der auf ihrem Weg lag, überquert hatten.

Paliaçvili als tergdaleuli, Ethnograf und Komponist von Nationalopern

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Tiflis schon ein halbes Jahrhundert lang Opern aufgeführt. Theater, Mäzene und Zuschauer waren vorhanden, ein neues Gebäude in den 1890er-Jahren eingeweiht. Ebenso gab es in der Stadt ausgebildete Musiker, die in der Lage waren, eine Oper aufzuführen. Was noch Vgl. Ruth Bereson, The Operatic State. Cultural Policy and The Opera House, London  : Routledge 2002. 48 Vgl. dazu Oliver Reisner, Die Schule der georgischen Nation. Eine sozialhistorische Untersuchung der nationalen Bewegung in Georgien am Beispiel der „Gesellschaft zur Verbreitung der Lese- und Schreibkunde unter den Georgiern“ (1850–1917), Wiesbaden  : Reichert 2004. 49 Suny, The Emergence, 119.



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fehlte, waren Opern, die von georgischen Komponisten geschrieben wurden. Paliašvili, der bekannteste georgische Komponist, studierte zu diesem Zeitpunkt erst noch an der Tifliser Musikschule und später am Moskauer Konservatorium. Der „russischen Schule“ kam bei der Aneignung europäischer Musikpraktiken durch georgische Komponisten eine Art Relais-Funktion zu, vor allem beim Umgang mit Folklorematerial. Allerdings zeigt sich am Beispiel von Ippolitov-Ivanovs Schüler Paliašvili auch, dass diese Übertragungen musikalischer Praktiken auf früheren Transfers aufbauten. Paliašvilis erster Kontakt mit „europäischer Musik“ erfolgte schon als Chorknabe in einer Familie von Katholiken aus der westgeorgischen Stadt Kutaisi, wo der Katholizismus im 19. Jahrhundert stark verbreitet war. Dort erhielt er bereits ersten Klavierunterricht. Diese musikalischen „Vorkenntnisse“ waren das Resultat von anderen Transfers, hervorgerufen durch die katholischen Missionen, v. a. durch Italiener und Franzosen. Zusammen mit seinem Bruder, der als Organist der katholischen Kirche arbeitete, ging er nach Tiflis. Zunächst Assistent des Bruders, übernahm er später dessen Posten und lernte so Werke von Palestrina, Bach, Händel. Mozart u. a. kennen. Wichtig für Paliašvilis späteres Komponieren war auch der georgische ethnografische Chor in Tiflis, dem die Brüder beitraten. Dessen Konzerte von Volksliedern wurden darüber hinaus von der Nationalbewegung gefeiert.50 Als Paliašvili also in die von Ippolitov-Ivanov als Dependance der Russischen Musikgesellschaft institutionalisierte Musikfachschule eintrat, verfügte er bereits über ein breites musikalisches Wissen. Die Grundregeln europäischer Musiktheorie dürften ihm vertraut gewesen sein, ein allgemeines Interesse an Volksliedern vonseiten der Nationalbewegung, aber auch der imperialen Oberschicht, war schon gegeben. Nachdem Paliašvili zunächst an der Tifliser Musikschule, auch bei Ippolitov-Ivanov, studiert hatte, ging er 1900, wie viele Georgier schon vor ihm, die anschließend Akteure der Nationalbewegung wurden, zur Vervollständigung seiner Ausbildung in eines der beiden Zentren des Imperiums  : ans Moskauer Konservatorium. Dort war Ippolitov-Ivanov mittlerweile auch Dozent geworden und sollte diesem von 1905 bis in die 1920er als Direktor vorstehen. 50 P. Chučua, Zakarija Paliašvili. 1871 1971, Tbilisi  : Gruzinskoe otdelenie Muzfonda SSSR 1972, 16.

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Hier zeigt sich eine im gewissen Sinne entgegengesetzte Richtung in den Reisen, die die beiden hier vorgestellten Akteure im Rahmen ihrer Karrieren unternehmen mussten  : Während Paliašvilis Weg zum gefeierten Komponisten von Nationalopern an der Peripherie des Imperiums durch die Ausbildungsstätten in dessen Zentrum verlief, verdiente sich Ippolitov-Ivanov durch sein Wirken in der Provinz jene Sporen, mit denen er in einer der zentralen Institutionen aufsteigen konnte. In Moskau studierte Paliašvili u. a. bei Sergej Taneev, der ihn in Kompositionstechniken einwies, die Kontrapunkt und Volkslied verbinden  ; Techniken, die sich in seinen Opern später abzeichneten. Schon als Student wirkte Paliašvili darüber hinaus auch als einer der wichtigsten Akteure bei der Genese und Kanonisierung georgischen Folklorematerials. Von Moskau aus unternahm er noch vor Abschluss des Konservatoriums eine erste Exkursion nach Georgien. Dort begann er in verschiedenen Regionen Volkslieder zu sammeln und entschied dadurch mit, welche Musikpraktiken in der multiethnisch geprägten Region als „georgisch“ angesehen wurden und welche nicht.51 Das dabei generierte ethnografische Material bildete wiederum für sein späteres kompositorisches Schaffen eine wichtige Quelle, denn seine Opern bestehen aus der Fusion europäischer und einheimischer Musik, genauer gesagt, aus der Verbindung von lokalen Melodien und Harmonien mit dem Regelwerk der europäischen Oper. Darüber hinaus folgten Paliašvilis ethnografische Tätigkeiten anderen Prämissen als jene von Ippolitov-Ivanov. Während Letzterer noch ein Mapping des russländischen Imperiums vornahm, ging es bei Paliašvili schon um ein Mapping der georgischen Nation.52 Entscheidende Etappen im Entwicklungsprozess der georgischen Nationalopern waren also die Institutionalisierung der Ethnografie und die Professionalisierung lokaler Musiker. Daneben wurde das Aufkommen „eigener“ Opern aber auch durch den in Europa damals schon länger verbreiteten Sprachnationa51 Zu diesem Aspekt Vgl. Nino Tsitsishvili, „Social and Political Constructions of Nation-Making in Relation to the Musical Styles and Discourses of Georgian Duduki Ensembles“, in  : Journal of Musicological Research, 26  : 241–280, 2007. 52 Auch unter den Armeniern von Tiflis, einem wichtigen Zentrum der armenischen Nationalbewegung, gab es zu dieser Zeit musikethnologische Aktivitäten, wie die Erinnerungen des Komponisten Grigor Suni deutlich machen. Grigor Suni, Armenian Music, hg. vom Museum of Literature and Art Yerevan 2005, englische Übersetzung heruntergeladen von  : http  ://www. suniproject.org/sunibook.htm, letzter Zugriff 4. 5. 2011.



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lismus in der Aufführungspraxis vorbereitet und hier war Paliašvili ebenfalls ein Akteur. Nach seiner Rückkehr nach Tiflis war er an der Gründung nationaler Institutionen auf dem Gebiet der Bildung und Kultur beteiligt, wie der Georgischen Philharmonischen Gesellschaft, die sich seit 1905 für die Aufführung ausländischer und russischer Opern in georgischer Sprache einsetzte. Das damalige Aufkommen solcher Übersetzungen lässt sich im Rahmen der im Zuge der Revolution gemachten Konzessionen sehen, die die Regierung gerade im Bereich der Sprachenpolitik machte. Während Paliašvili also eine lokale kulturpolitische Haltung der Nationalbewegung verkörpert, steht Ippolitov-Ivanov für eine imperiale Kulturpolitik, die ein Aufkommen einer national orientierten Musik überhaupt erst ermöglichte. Diese Position vertrat er auch erneut mit der Sowjetisierung  : 1924/25 kehrte er „auf Bitten des Georgischen Volkskommissariats“53 nach Tiflis zurück und half beim (Wieder-)Aufbau der 1917 in den Rang eines Konservatoriums gehobenen Musikschule mit. Sein imperiales Selbstverständnis wird auch ersichtlich in der Einschätzung dessen, was die Schule in der Zwischenzeit so hervorgebracht hatte, also u. a. Paliašvilis Oper Abesalom und Eteri. Diese sah Ippolitov-Ivanov als wichtigen Entwicklungsschritt einer nationalen Opernkultur, wenn er auch einschränkend vermerkte  : „Dennoch spürte man auch in dieser Oper eine gewisse Primitivität, d. h. jene künstlerische Unreife, die bei einem ersten Versuch mit einer so komplizierten Form wie der Oper unausweichlich erscheint.“54 Man kann hier also eine Kontinuität imperialer Kulturpolitik vom Zarenreich zur Sowjetunion konstatieren. Anhand der beiden Akteure wird das Spannungsfeld Musiktheater deutlich, wie es sich aus folgenden Perspektiven abzeichnet  : Der Ausbildung von lokalen Künstlern sowie weiterhin der Gestaltung des Opernspielplans, ebenso auf dem Gebiet der ethnografischen Erkundung der Kaukasus-Region. Die respektiven Bedeutungszuschreibungen dieser Praktiken sind dabei das Erhebliche. Hier zeigt sich, dass die Nationaloper als Rezeptionsphänomen anzusehen ist  : Anhand der Übertragung und Aneignung der imperialen Praktiken Oper und Ethnografie wird deutlich, wie politisiert Musik- und Theaterpraktiken sein 53 Ippolitov-Iwanov, Meine Erinnerungen, 227. 54 Ebd., 229.

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können. In dieser immer neuen Kodierbarkeit, also Möglichkeit der Aufladung mit neuen Sinnzuschreibungen, scheint die Begründung zu liegen für den heute nunmehr über eineinhalb Jahrhunderte währenden Fortbestand der Oper in Georgien.

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Die Kulturpolitik gegenüber dem deutschen und dem polnischen Theater in Posen in den Jahren 1793–1918 Zur Geschichte des deutschen und polnischen Theaters in Posen in den Jahren 1793 bis 1918 existiert in beiden Sprachen bereits umfangreiche Literatur. Man muss aber betonen, dass diese Literatur ziemlich einseitig ist, sowohl bezogen auf den Inhalt als auch auf die Interpretation. Das bedeutet, dass die Geschichte der einzelnen Theatergruppen, die Posen besuchten oder in Posen wirkten, meist mit Schwerpunkt auf ihre Schauspieler, Stücke und Rezeption durch das Publikum betrachtet wird. Die Thematik wird meistens im Kontext der deutsch-polnischen Beziehungen beschrieben, insbesondere im Hinblick auf die Konflikte zwischen den beiden Nationen. Bisher fand allerdings kaum eine Diskussion über die Kulturpolitik der preußischen Behörden gegenüber dem Theater in der Provinz Posen statt. Deshalb sind die Informationen zu diesem Thema in der Literatur nur fragmentarisch und verstreut zu finden.1 Darüber hinaus betreffen sie hauptsächlich die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Außerdem ist die weit gefasste Kulturpolitik als einer der Aspekte der preußischen Polenpolitik generell wenig erforscht.2 Ziel meines Beitrags ist daher, das Ver1 Siehe u. a. Manfred Laubert, Das Posener Theater 1815–47, in  : Studien zur Geschichte der Provinz Posen in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, Posen  : Oskar Eulitz Verlag 1908, 117–195  ; Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej w Poznaniu 1782–1869, Poznań  : Prezydium Miejskiej Rady Narodowej 1950  ; Hans Knudsen, Deutsches Theater in Posen. Erinnerungen und Beiträge zu seiner Geschichte, Bad Nauheim  : Christian-Verlag 1961  ; Heidi Hein, Polnisches Theater in Warschau, Krakau und Posen als Ort polnischer nationaler Bewußtseins- und Identitätsbildung (1815–1846/48), in  : Zeitschrift für Ostmitteleuropa – Forschung Jg. 45  : 1996, 192– 220  ; Lech Trzeciakowski, Władze pruskie wobec teatru polskiego w Poznaniu (1793–1918), in  : Eruditio et interpretatio. Studia historyczne, hg. von Zbigniew Chodyła, Poznań  : Instytut Historii UAM 2000, 163–170  ; ders. „Cacko i pieścidełko“ – Teatr Polski 1875–1918, in  : Kronika Miasta Poznania 2000, Nr. 3, 114–136  ; Krzysztof Kurek, Teatr i miasto. Historia sceny polskiej w Poznaniu w latach 1782–1849, Poznań  : Wydawnictwo Naukowe UAM 2008  ; Marek Rajch, Teatr niemiecki w Poznaniu 1793–1918, in  : Teatr niemiecki w Polsce XVIII-XX wiek, hg. von Karolina Prykowska-Michalak, Łódź  : Wydawnictwo Uniwersytetu Łódzkiego 2008, 139–161. 2 Siehe Witold Molik, Die preußische Polenpolitik im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Überlegungen zu Forschungsstand und -perspektiven, in  : Hans Henning Hahn/Peter Kunze

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hältnis der preußischen Behörden zum deutschen und polnischen Theater in Posen im besprochenen Zeitraum synthetisch darzustellen. Um die Kulturpolitik der preußischen Behörden gegenüber dem Theater verstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, inwiefern das Posener Land im Rahmen des preußischen Staates spezifisch war. Vor allem muss betont werden, dass dieses Gebiet autochthon polnisch war. Hier entstand im 10. Jahrhundert der polnische Staat, der bis Ende des 18. Jahrhunderts existierte. Auf diesem Gebiet ist also eine lange polnische Tradition und ein ausgeprägtes nationales Bewusstsein anzutreffen. Im Jahre 1793 wurde das Posener Land infolge der zweiten Teilung Polens ein Teil Preußens, anfangs aber nur kurz – bis 1806. Diese Zeit wird als erste preußische Herrschaft im Posener Land bezeichnet. Administrativ wurde damals die Provinz Südpreußen gebildet. In den Jahren 1806 bis 1815 gehörte das Posener Land de facto wieder zu einem polnischen Staat, dem Großherzogtum Warschau. Erst aufgrund des Wiener Kongresses fiel das Posener Land zum zweiten Mal an Preußen, wo man das annektierte Territorium als Großherzogtum Posen oder Provinz Posen bezeichnete. Die Spezifik dieses Gebiets lag auch darin, dass es das einzige im preußischen Staat war, in dem Deutsche nicht dominierten. Anders gestalteten sich hingegen die nationalen Beziehungen in Posen, dass immer die zentrale und größte Stadt der Provinz war. Im Vergleich zu anderen preußischen Städten wie z.B. Breslau, Stettin und Danzig war es jedoch relativ klein und provinziell. Im Jahre 1794 zählte Posen insgesamt 12 538 Einwohner, wobei fast 60% Polen, 24% Juden und ca. 15% Deutsche waren. Im Jahre 1815, als die Stadt erneut an Preußen kam, gab es 18  000 Einwohner (ohne Armee)  ; Polen zählten 12  000 (67%), Juden 4 000 (22%) und Deutsche 2 000 (11%). In den 1860er Jahren bildeten die Polen dagegen eine deutliche Minderheit. Nach der Volkszählung aus dem Jahre 1867 gab es 22 000 Deutsche (47%), 18 000 Polen (38%) und 7 000 Ju(Hg.) Nationale Minderheiten und staatliche Minderheitenpolitik in Deutschland im 19. Jahrhundert, Berlin  : Akademie Verlag GmbH 1999, 29–39. Auf den in der polnischen Literatur existenten Mangel an Untersuchungen zum Stellenwert des Theaters in der Kulturpolitik von einzelnen Ländern und Regionen hat letztens Emil Orzechowski hingewiesen. Siehe Jak badać teatr  ? Materiały z konferencji metodologicznej poświęconej badaniom historycznoteatralnym Kraków, 28 września 2002, hg. von Marek Dębowski, Kraków  : Wydawnictwo Towarzystwa Naukowego „Societas Vistulana“ 2003, 61–62.



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den (15%). Diese Situation änderte sich erst in den folgenden Jahrzehnten. Allmählich begannen die Deutschen ins Reichsinnere abzuwandern, während Polen zuzogen. In der Konsequenz gewannen Polen langsam eine zahlenmäßige Überlegenheit zurück. Im Jahr 1910 lebten im über 156 000 Einwohner zählenden Posen 89 351 (57%) Polen, 65 319 (41,7%) Deutsche und 2 021 (1,3%) Juden.3 Wie man aus der obigen Statistik sieht, dominierten in Posen mal Deutsche, mal Polen. Beide Bevölkerungsgruppen hatten dabei ihre eigene charakteristische gesellschaftliche Struktur. Im Falle der Deutschen kann man sie mit ein der kolonialen Struktur vergleichen. Nicht alle Gesellschaftsgruppen waren hier vertreten. Nach Posen kamen vor allem deutsche Beamte, Militärangehörige, Lehrer, Kaufleute und Handwerker. Sie bildeten eine spezifische Gesellschaftspyramide, die sich im Grunde über das gesamte 19. Jahrhundert etwa von westlichen preußischen Städten unterschied. Es war keine für den Kapitalismus typische Gesellschaftspyramide, die untere Schicht war nicht so breit wie bei den Polen. Auf der anderen Seite war die Oberschicht in Posen überrepräsentiert, aber viele von ihnen fassten hier nicht wirklich Fuß, was für die kulturelle Entwicklung von großer Bedeutung war. Das Gefühl der Unbeständigkeit verursachte bei Beamten, Offizieren und Lehrern, dass sie sich nicht mit Posen verbunden fühlten. Das trug dann auch nicht zur Entwicklung einer größeren kulturellen Aktivität der deutschen Intelligenz bei. Dies änderte sich in der deutschen Gesellschaft erst ein wenig nach dem Völkerfrühling. Man kann auch nicht jene Deutschen außer Acht lassen, die seit Generationen in Posen lebten. In den meisten Fällen identifizierten sie sich mit der polnischen Kultur.4 3 Alle Daten stammen aus  : Mieczysław Kędelski, Stosunki ludnościowe w latach 1815–1918, in  : Dzieje Poznania, Bd. 2, Teil 1. Hg. von Jerzy Topolski/Lech Trzeciakowski, Warszawa  : Wydawnictwo Naukowe PWN 1994, 228–235  ; Jerzy Kozłowski, „Niemcy w Poznańskiem do 1918 roku“, in  : Polska – Niemcy – mniejszość niemiecka w Wielkopolsce. Przeszłość i teraźniejszość, hg. von Andrzej Sakson, Poznań  : Instytut Zachodni 1994, 19. 4 Siehe Krzysztof A. Makowski, Deutsche in Posen (1815–1870), in  : Land der großen Ströme. Von Polen nach Litauen. Hg. von Joachim Rogall, Berlin  : Siedler Verlag 1996, 234–262  ; ders., Niemcy w Poznańskiem w pierwszej połowie XIX wieku wobec swych polskich sąsiadów – zwięzła analiza postaw, in  : Problemy narodowościowe Europy Środkowo-Wschodniej w XIX i XX w. Księga pamiątkowa dla prof. Przemysława Hausera, hg. von Antoni Czubiński/Piotr Okulewicz/ Tomasz Schramm, Poznań  : Wydawnictwo Naukowe UAM 2002, 43.

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Aber auch die Struktur der polnischen Gesellschaft war spezifisch, wenngleich aus anderen Gründen. Sie stammte noch aus den Zeiten der Ersten Polnischen Republik, als die Stadt Posen infolge der Dezentralisierung und der schwedischen Kriege an Bedeutung verloren hatte. Das wirkte sich zweifellos auf die schwache Vertretung des reichen Bürgertums und der Intelligenz aus. Trotz der fehlenden Stärke dieser Gruppe initiierten sie jedoch sehr aktiv kulturell-patriotische Unternehmungen. Die Zahl polnischer Handwerker, Kaufleute und Kleinunternehmer stieg zwar an, sie machten aber im Verhältnis zu Deutschen und Juden meistens die ärmere Bevölkerung aus.5 Das alles hatte wesentlichen Einfluss auf das kulturelle Leben und die Kulturpolitik in Posen. Seit Beginn der preußischen Herrschaft in der Stadt führten die Behörden eine Integrations- und Zentralisierungspolitik durch, die auf die Kultur im weitesten Sinne einwirken sollte. In erster Linie konzentrierten sie sich im Rahmen der Gestaltung der Kulturpolitik jedoch auf die Reorganisation des Bildungswesens, insbesondere der Schulen, um damit möglichst die gesamte Gesellschaft zu erreichen. Das Verhältnis der Behörden zum Theater als einer besonderen Kulturinstitution lässt sich nicht eindeutig bestimmen. Es wandelte sich zusammen mit der Entwicklung der politischen und ethnischen Situation in der Stadt. Wie sich zeigen sollte, hing dieses Verhältnis von einer Reihe von wichtigen Faktoren ab, die die Kulturpolitik gegenüber dem ­Theater prägten. Diese Faktoren sind  : 1. die Regierung in Berlin, 2. der Oberpräsident des Posener Landes als Vertreter der lokalen Verwaltung, 3. der Magistrat, 4. die Direktoren des deutschen Theaters und 5. lokale polnische Theaterorganisatoren, die sich um die Gründung eines polnischen Theaters bemühten. Die Wirkung und Bedeutung dieser Faktoren bzw. eigentlich Akteure war in unterschiedlichen Zeiträumen abweichend. Aus diesem und anderen Gründen kann man in der Geschichte des deutschen und polnischen Theaters während der preußischen Herrschaft vier Etappen unterscheiden  : 1) von 1793 bis 1806, 2) von 1815 bis 1830, 3) von 1830 bis 1869, 4) von 1870 bis 1918. 5 Maria und Lech Trzeciakowscy, W dziewiętnastowiecznym Poznaniu. Życie codzienne miasta 1815–1914, Poznań  : Wydawnictwo Poznańskie 1982, 69  ; Krzysztof A. Makowski, Portret poznańczyków przełomu wieków, in  : Miasto na pocztówce. Poznań na tle porównawczym, hg. von Rudolf Jaworski/Witold Molik, Poznań  : Instytut Historii 1999, 57.



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Im ersten Zeitabschnitt, der so genannten südpreußischen Zeit, wurden Richtlinien für die Handlungsweise der preußischen Behörden gegenüber dem Theater ausgearbeitet. Sie waren jedoch nicht im Voraus festgelegte Prinzipien, sondern wurden jeweils der kulturellen Situation in der Stadt angepasst. Das war mit der Tatsache verbunden, dass es in Posen früher kein ständiges polnisches Theater gegeben hatte (auch kein Theatergebäude), während die Stadt im preußischen Staat gegen Ende des 18. Jahrhunderts einen beträchtlichen Wandel erfuhr. Deshalb erarbeiteten die preußischen Behörden nicht sofort eine konkrete Strategie gegenüber dem Theater. Sie kannten die Verhältnisse in der Stadt auch kaum. Darüber hinaus war die Frage des Theaters angesichts der Organisation der neuen Provinz zweitrangig. Ein wichtiges Element der staatlichen Politik war die Verbreitung der deutschen Sprache zu Lasten des Polnischen. Selbst Johann Wolfgang Goethe wurde in Bezug auf dieses Problem um seine Meinung gebeten. Er verfasste ein spezielles Schriftstück unter dem Titel Vorschlag zur Einführung der deutschen Sprache in Polen, das auf die erste Hälfte der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts datiert wird. Goethe wies dort unter anderem auf die Rolle des Theaters in der Verbreitung des Deutschen hin. Er war der Ansicht, dass das Theater polnische Zuschauer auf angenehme und lehrreiche Art und Weise beeinflussen könne. Daher riet er zur Entwicklung von Wandertheatergruppen, deren Aufgabe es sein würde, Stücke mit zugänglichen Inhalten in deutscher Sprache aufzuführen. Wegen der Sprachbarriere waren anspruchsvollere Stücke seiner Meinung nach ausgeschlossen. Vielmehr sollte sich das Schauspiel der Pantomime annähern. Als Erfolg betrachtete Goethe schon das Sicheinhören des polnischen Publikums in die deutsche Sprache. Er schlug weiter vor, kleine Bücher mit dem Inhalt des jeweiligen Stückes zur Verfügung zu stellen, so dass das Stück besser verstanden werden könne.6 Die Tatsache, dass die preußischen Behörden Goethe um seine Meinung baten, bestätigt, dass sie Ende des 18. Jahrhunderts noch kein entwickeltes kulturpolitisches Konzept in Bezug auf das Theater hatten. Dennoch begann für das Theatermilieu der Stadt zweifellos eine neue Etappe. Der bisherige Theatersaal im Gebäude des Jesuitenkollegs wurde nach 6 Vgl. Lech Trzeciakowski, „Cacko i pieścidełko“, 114. Vgl. auch Thomas Serrier, Provinz Posen, Ostmark, Wielkopolska. Eine Grenzregion zwischen Deutschen und Polen 1848–1914, Marburg  : Verlag Herder Institut 2005, 115.

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dem Einmarsch der preußischen Armee in die Stadt 1793 geschlossen und in ein Lager umgewandelt.7 Die Theaterinitiative wurde von Deutschen übernommen. Schon im Jahre 1793 meldeten sich bei den entsprechenden Behörden deutsche Theaterunternehmer, um eine Genehmigung für Aufführungen auf dem Gebiet des neuentstandenen Südpreußen zu erhalten. Schließlich erhielt diese im Jahr 1794 Carl Casimir Döbbelin. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sein Name dazu wesentlich beitrug, da er der Sohn von Carl Theodor Döbbelin, dem berühmten Theaterleiter in Berlin, war. Seine Aufführungen fanden zu Anfang in der Geislerschen Reitbahn statt, wo eigentlich keine guten Bedingungen bestanden. Daher unternahm er den Versuch, ein professionelles Theater in einem entsprechenden Gebäude aufzubauen. Er wandte sich zuerst an örtliche Bevölkerung, um finanzielle Unterstützung zu erhalten. Die überwiegend polnische Bevölkerung leistete der deutschen Theatergruppe aber keine Hilfe.8 Außerdem verweigert der Magistrat Döbbelin das von ihm für sein Theater ausgewählte Gebäude.9 Dies interessierte jedoch die Kriegs- und Domänenkammer in Posen, die den Entschluss fasste, ein Theater mit Hilfe städtischer Mittel zu bauen. Diese Idee gefiel auch Minister Carl Georg Hoym, der sogar eine kleine finanzielle Unterstützung versprach. Die ersten Entwürfe des Theatergebäudes aus dem Jahre 1796 wurden von der Regierung in Berlin abgelehnt, da sie ihr als zu repräsentativ erschienen (das entworfene Gebäude war für 1000 Zuschauer gedacht). Der spätere, schlichtere Regierungsentwurf für 700 Zuschauer wurde dagegen von der Kriegs- und Domänenkammer nicht akzeptiert. In ihrem offiziellen Schreiben an den preußischen König Friedrich Wilhelm III. schrieb die Kammer  : „Wir bemerken übrigens noch allerunterthänigst, dass ein gutes deutsches Schauspielhaus nicht wenig dazu beitragen wird, Lust zur Erlernung der deutschen Sprache zu wecken und dadurch die Denkungsweise der beiden Nationen, die jetzt Südpreußen bewohnen, mehr und 7 Zbigniew Raszewski, Z tradycji teatralnych Pomorza, Wielkopolski i Śląska, Zakład Narodowy im Ossolińskich, Wrocław 1955, 23. 8 Franz Schwarz, Doebbelins Plan eines Aktien-Theaters in Posen in Jahr 1796, in  : Zeitschrift der Historischen Gesellschaft der Provinz Posen Jg. VI  : 1891, 228–231. 9 Mehr auf diesem Thema Hans Knudsen, Die Hauptepochen der Geschichte des deutschen Theaters in Posen, in  : Beilage zum Programm des Königlichen Auguste Viktoria-Gymnasiums, Posen 1912, 6.



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mehr zu amalgamieren, eine Rücksicht, deren Vortheile Euer Königlichen Majestät gewiß nicht entgangen sind“.10 Auch von polnischer Seite gab es den Willen, in Posen ein Theater zu bauen – hier sind die Namen von Landrat Franciszek Krzycki und Wojciech Bogu­ sławski, dem Gründer des Nationaltheaters in Warschau, zu erwähnen. Letzterer kam 1800 nach Posen und erhielt die Genehmigung für Vorstellungen in polnischer Sprache. Dazu stammte er aus dem Posener Land und erfreute sich großer Sympathie bei den Provinzbewohnern. Seine Aufführungen waren immer erfolgreich. Im Juli 1800 wandte er sich an die preußischen Behörden mit der Bitte, das Monopol auf Aufführungen in polnischer und deutscher Sprache in Südpreußen und Danzig zu erhalten. Als Gegenleistung verpflichtete er sich, in Posen ein Theatergebäude zu errichten. Dies waren keine leeren Worte, da Bogusławski, der von dem polnischen Adel sehr geschätzt wurde, sicherlich mit dessen finanziellen Unterstützung rechnen konnte. Auch der Posener Magistrat befürwortete diesen Vorschlag. Die preußischen Behörden bewilligten ihn jedoch nicht und behaupteten, dass nur Döbbelin das Monopol in Südpreußen erhalten könne. Im Jahre 1802 wiederholte Bogusławski seinen Vorschlag. Vom 28. Juni bis zum 2. Juli 1802 hatte er sogar die Möglichkeit, sein Angebot persönlich Friedrich Wilhelm III. vorzustellen, als dieser in Posen zu Besuch war. Schlussendlich erhielt Bogusławski die Genehmigung, in Südpreußen zehn Jahre lang aufzuführen, das Monopol wurde jedoch abgelehnt.11 Der Bau eines Theatergebäudes wurde Bogusławski ebenfalls verweigert, es ist aber möglich, dass sein Beharren letzten Endes den König zu dieser Investition in Posen motivierte. Er forderte aber, dass ein Theater in Posen deutsch und staatlich sein müsse. Im Jahre 1801 wurde in Berlin diesbezüglich ein Entschluss gefasst. Zunächst wollte der König nur die Hälfte der Kosten des Baus tragen. Die zweite Hälfte sollten der Magistrat und die Stadtbewohner decken. Diese Idee wurde jedoch in Posen boykottiert, was dazu führte, dass der König alle Kosten, die mit dem Bau verbunden waren, tragen musste. In den 10 Zit. nach Hermann Ehrenberg, Das Posener Theater in Südpreußischer Zeit, in  : Zeitschrift der Historischen Gesellschaft der Provinz Posen Jg. IX  : 1894, 42. 11 Krzysztof Kurek, Teatr i miasto, 67  ; ders. Poznańskie peregrynacje Wojciecha Bogusławskiego, in  : Krzysztof Kurek (Hg.)  : Wojciech Bogusławski – ojciec teatru polskiego, Poznań  : Wydawnictwo Naukowe UAM 2009, 115.

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Jahren 1802–1804 wurde auf dem Wilhelmsplatz (heute Plac Wolności) ein prachtvolles Theatergebäude nach dem Entwurf des bereits verstorbenen Architekten Friedrich Gilly errichtet. Es erinnerte an ein früheres Projekt, das Schauspielhaus in Königsberg (1799), und an das später entworfene Nationaltheater auf dem Gendarmenmarkt in Berlin (1800). Das Fronton des Posener Theaters „wurde mit einer in Berlin festgelegten, neutralen Inskription versehen  : Laborum dulce lenimen. Es wurde auf die von der Kriegs- und Domänenkammer vorgeschlagenen Inskriptionen wie Nationalschauspielhaus oder Fridericus Guilelmus III restaurator urbis otio civium verzichtet, um die polnische Gesellschaft nicht unnötig zu provozieren.“12 In der Stadt war das für 1000 Zuschauer gedachte Theater eines der herausragenden Gebäude. Die komplizierte Geschichte seines Entstehens zeigt, dass eventuelle Handlungen der Berliner Regierung in Bezug auf das Posener Theater von unten beeinflusst wurden.13 Der preußische König reagierte auf die Ereignisse in Posen. Es gehörte nicht zu seinen primären Zielen, kulturelle Investitionen in Posen zu fördern. Außer dem Theater und einigen Schulen entstanden bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts keine anderen Kulturbauten. In der Zeit Südpreußens nahmen die preußischen Behörden außerdem keinen besonderen Einfluss auf das alltägliche Theaterleben in Posen. Einzige Ausnahme waren Mahnungen des Ministers Carl Georg Hoym, die er Döbbelin erteilte, da dieser die aus dem ihm verliehenen Theaterprivileg hervorgehenden Pflichten nicht immer erfüllte und die Posener Bühne manchmal vernachlässigte. Ferner wurde Bogusławski dafür bestraft, dass er 1801 nach der Neujahrsaufführung den Zuschauern in Flugblättern die Wiederauferstehung Polens wünschte.14 Es muss auch hervorgehoben werden, dass in südpreußischer Zeit in Posen sowohl polnische (meistens von Bogusławski) als auch deutsche Truppen (meis12 Zit. nach Zofia Ostrowska-Kębłowska, Architektura i budownictwo w Poznaniu w latach 1780– 1880, Warszawa-Poznań  : Państwowe Wydawnictwo Naukowe 1982, 142. Vgl. auch Julius Kohte, Zur baugeschichtlichen Würdigung des alten Posener Stadttheaters, in  : Zeitschrift der Historischen Gesellschaft der Provinz Posen Jg. X  : 1895, 117–126  ; ders. Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Posen. Bd. 2. Der Stadtkreis Posen, Berlin 1896, 86–87. 13 Hans Knudsen, Forscher der Posener Theaterszene, unterstreicht sogar, dass die Durchsetzung des Theaterbaus in Posen ein großes Verdienst Döbbelins war. Hans Knudsen, Deutsches Theater in Posen, 86. 14 Krzysztof Kurek, Teatr i miasto, 42–43, 63–64.



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tens von Döbbelin) auftraten. Diese zwei wichtigsten Persönlichkeiten des Theaterlebens in Posen standen im Wettbewerb zueinander, arbeiteten aber auch zusammen. 1805 ließ Bogusławski sogar ein paar Stücke in deutscher Sprache aufführen, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Sie waren offenbar von höherer künstlerischer Qualität und hatten einen schöneren musikalischen Rahmen.15 Generell war das deutsche Theater damals in einer besseren Lage als das polnische, da es als Institution dem preußischen Staat unterstand und den Vorteil hatte, in der ganzen Provinz auftreten zu können. Darüber hinaus gehörte das 1804 errichtete Theatergebäude dem Staat. Der zweite Teil der Geschichte des Posener Theaters in der preußischen Zeit entwickelte sich dann in eine deutlich andere Richtung. Dies stand damit im Zusammenhang, dass die Zentralbehörden begannen, die Rolle des Theaters als Kulturträger aufzuwerten. Kraft der Verordnung vom 16. Dezember 1808 bezeichnete die preußische Regierung das Theater als die wichtigste und vornehmste Kunstinstitution zum Ziel der bürgerlichen Bildung. Dadurch wurde der Rang des Theaters zu dem der Kunst- und Wissenschaftsakademien gehoben, was auch größere finanzielle Unterstützung seitens des Staates bedeuten sollte, die jedoch nicht in gleichem Ausmaß alle Theater und Städte betrafen.16 Diese deutliche Politisierung des Theaters und seine Einspannung in den Staatsdienst ließen sich in Posen nach 1815 beobachten, als die Stadt wieder unter preußische Besatzung geriet. Am Anfang der neuen politischen Situation führten die preußischen Behörden in Posen eine auf die Gewinnung der Polen bedachte Politik ein, die mindestens teilweise die nationalen Rechte der polnischen Bürger berücksichtigte.17

15 Siehe u. a. Hermann Ehrenberg, Das Posener Theater, 75  ; Andreas Skladny, Die Dramen Schillers im Posener Theater vor 100 Jahren, in  : Historische Monatsblätter für die Provinz Posen Jg. VI  : 1905, Nr. 5 und 6, 79. 16 Edyta Połczyńska, „Im polnischen Wind“. Beiträge zum deutschen Zeitungswesen, Theaterleben und zur deutschen Literatur im Grossherzogtum Posen 1815–1918, Poznań  : Wydawnictwo Naukowe UAM 1988, 13  ; ders. Teatr niemiecki w Poznaniu (1793–1914), in  : Kronika Miasta Poznania 2000, Nr. 3, 80. 17 Helmut Neubach, Großherzogtum und Provinz Posen (1815–1918), in  : Land der großen Ströme, 193–201.

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Diese relativ liberale Politik, die auch unter der Bezeichnung „stille Jahre“ bekannt ist, spiegelte sich nur teilweise im Posener Bühnenleben wider.18 Es muss vor allem hervorgehoben werden, dass alle Theaterangelegenheiten den Provinzbehörden untergeordnet wurden und diese die polnischen Schauspieler am Anfang wohlwollend behandelten. Die ihnen erteilten Konzessionen stießen aber sofort auf den Widerspruch des deutschen Theaterunternehmers. Daher beinhaltete die erste schriftliche Regelung der Theaterverhältnisse in Posen eine dreijährige Konzession für Döbbelin mit einer Klausel, die besagte, dass er den polnischen Theatergruppen die Bühne im Zeitraum zwischen dem 18. Juni und dem 6. Juli viermal und sonst zweimal pro Woche zur Verfügung stellen sollte.19 Bemerkenswert ist es, dass Ende Juni und Anfang Juli die Johannisversur in Posen stattfand, was bedeutete, dass polnische Adelige mit ihren Familien in die Stadt kamen. Die erwähnte Regelung berücksichtigte dieses Ereignis. Außerdem sicherte sie den Zuschauern beider Nationen das Recht zu, Aufführungen in ihrer Muttersprache zu sehen. So vergingen die drei Jahre der Konzession Döbbelins, während denen in Posen jedes Jahr eine polnische Gruppe gastierte (zweimal Jan Milewski und einmal Ludwik Osiński). Dies verlief jedoch nicht völlig reibungslos. Vor allem während des Aufenthalts Milewskis in Posen war der Wettbewerb zwischen ihm und dem deutschen Theaterunternehmer zu spüren. Milewski schlug 1818 vor, ein ständiges polnisches Theater in der Stadt zu gründen. Die lokalen Behörden lehnten diese Idee aber aus Furcht davor ab, der deutschen Bühne langfristig zu schaden20, zumal diese unter Döbbelins Leitung nicht besonders erfolgreich war. Döbbelin, der seit südpreußischen Zeiten unter Kritik stand, wurde 1818 die Konzession nicht verlängert, da er der Posener Regierung zufolge die ideellen Aufgaben des Theaters vernachlässigte.21 Im selben Jahr entschied die Posener Regierung, Milewskis Genehmigung ebenfalls nicht zu verlängern, „da sich zwei Theater in Posen nicht behaupten können und das deutsche notwendiger ist als das polnische“.22 Dazu erließ der Minister des Innern und der Polizei, Friedrich von Schuckmann, drei wichtige Verordnun18 Heidi Hein, Polnisches Theater in Warschau, 199. 19 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 118–119  ; Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 272. 20 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 132. 21 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 122. 22 Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 61.



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gen, die strikt die Richtung der staatlichen Theaterpolitik festlegten. Die erste Verordnung vom 16. März 1820 begrenzte die Kompetenzen der lokalen Behörden zur Zulassung polnischer Aufführungen und behielt die Entscheidung den Zentralbehörden vor. So wurden die polnischen Theaterunternehmer, die sich um eine Konzession bemühten, dazu verpflichtet, im Voraus eine Liste der aufzuführenden Stücke vorzulegen.23 Eine andere Verordnung vom 19. März 1820 führte die Zensur ins Theaterleben ein, deren Aufgabe es war, sowohl gedruckte als auch in Form von Manuskripten vorliegende Texte zu überprüfen. Diese Vorschriften hatten allgemeinen Charakter und bezogen sich auf Vorstellungen in jedem öffentlichen Theater.24 Schließlich erließ Minister Schuckmann am 21. September 1820 eine Verordnung zur Vermeidung gegenseitiger Konkurrenz, laut derer in jedem Oberpräsidialbezirk nur eine Schauspielergesellschaft akzeptiert wurde.25 Alle diese Regelungen erschwerten polnischen Theatergesellschaften Auftritte in Posen. Im Zeitraum 1819–21 gelang dies keiner Gesellschaft. Erst 1822 beantragte Bogusławski eine entsprechende Erlaubnis. Die Posener Regierung leitete den Antrag laut den erwähnten Verordnungen nach Berlin weiter und betonte gleichzeitig, dass sich die polnischen Künstler um eine Ausnahme von der Verordnung zur Vermeidung gegenseitiger Konkurrenz bemühen würden. Schuckmann kam dieser Bitte nach und erteilte 1822 die Erlaubnis. Aus unbekannten Gründen kam Bogusławski jedoch dieses Jahr nicht nach Posen. Es gelang aber einem anderen polnischen Theaterunternehmer, Kazimierz Skibiński, sich in Posen zu etablieren. Er erhielt zwar keine Konzession, einigte sich aber mit Unterstützung des einheimischen Freimaurertums mit der damaligen deutschen Theaterleiterin, Caroline Leutner. Diese stellte Skibiński die Bühne des deutschen Theaters gegen Entgelt für neun Abende zur Verfügung. Ein Jahr später kam Bogusławski wieder nach Posen und erhielt von den Provinzialbehörden aufgrund des Präzedenzfalls von 1822 eine Konzession26. Sie hatten jedoch ihre Entscheidung bei Schuckmann nicht bestätigen lassen. Dieser, 23 Zdzisław Grot, Znaczenie narodowe teatru polskiego w Poznaniu, in  : Kronika Miasta Poznania 1931, Nr. 4, 311. 24 Manfred Laubert, Zur Geschichte der Posener Theaterzensur, in  : Historische Monatsblätter für die Provinz Posen Jg. VII  : 1906, Nr. 5, 66. 25 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 134. 26 Offiziell war Osiński Leiter von dieser Theatergruppe und Bogusławski – nur ein Schauspieler.

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ohne etwas zu ahnen, wurde von Caroline Leutner alarmiert, die Protest gegen Bogusławski einlegte. Sie meinte, dass sie ausschließlich das Recht haben sollte, während der Johannisversur Theaterstücke aufzuführen, da ihr Theater in finanziellen Schwierigkeiten war. Der Minister befürwortete ihre Argumentation und vertrat die Meinung, dass gebildete Polen die deutsche Sprache gut beherrschten, weswegen es nicht notwendig sei, Theatervorstellungen auf Polnisch zu geben. Aufgrund der Intervention des Oberpräsidenten Joseph Zerboni di Sposetti und des Statthalters Antoni Radziwiłł wurde Bogusławki die Konzession aber nicht entzogen. Als Reaktion auf eine weitere Bitte im Herbst 1823, in Posen aufführen zu dürfen, belehrte der Minister höchste Beamte der Provinzbehörden darüber, dass diese Angelegenheit aus einem politischen Blickpunkt betrachtet werden sollte. Eines der Kriterien zu Beurteilung der polnischen Theatergruppe war die Frage, ob die von ihr vorgeschlagenen Stücke dazu führten, „die der Regierung nicht unbekannt gebliebene, mit dem Interesse derselben unvereinbarliche, exaltirte Stimmung eines Theiles der Bewohner der dortigen Provinz nicht noch mehr aufzuregen und dergl. mehr.“27 Die Bitte von Bogusławski wurde abgelehnt. Im Verhältnis zwischen dem Minister und den Provinzbehörden kam es ein Jahr später, 1824, zu noch mehr Verwirrung, als wieder eine Gruppe von polnischen Schauspielern nach Posen kam. Der Minister erteilte ihnen die Erlaubnis unter vielen Bedingungen. Nach Interventionen von Caroline Leutner und nachdem es sich herausgestellt hatte, dass die Warschauer Theatergruppe die gestellten Pflichten nicht erfüllte, kritisierte der Minister die Provinzbehörden und drohte sogar, sie nächstes Mal vor der Regierung in Berlin zur Verantwortung zu ziehen. Nach diesen Vorfällen wurde das Posener Theater vom Ministerium unter die Lupe genommen und es wurden mehrere Bemerkungen in Bezug auf das Repertoire der polnischen Gruppe in den letzten Jahren gemacht. Schließlich wurde jedoch, um in Zukunft ähnliche Missverständnisse zwischen den Zentral- und Lokalbehörden zu vermeiden, beschlossen, „dass keiner polnischen Gesellschaft ohne Erlaubnis des Ministeriums die Aufführung von Vorstellungen, unter welchen Bedingungen es auch sei, nachgegeben werden darf“.28 Diese Verschärfung 27 Zit. nach Manfred Laubert, Das Posener Theater, 136. 28 Zit. nach Manfred Laubert, Das Posener Theater, 142.



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der Gesetze führte dazu, dass in den kommenden Jahren keine polnischen Theatergesellschaften Posen besuchten und nach 1826 elf Jahre lang überhaupt keine polnischen Gruppen auftraten. Aber auch das deutsche Theater steckte in einer Krise, trotz seiner privilegierten Lage und der staatlichen Unterstützung. Ursache dafür war u.a. der Mangel an angemessenen finanziellen Mitteln und klaren Konzeptionen für die Entwicklung der deutschen Bühne. Es fehlte auch an talentierten Theaterunternehmern und an einem ausreichenden deutschen Publikum. Es lässt sich feststellen, dass sich die staatliche Politik gegenüber dem Posener Theater ungleichmäßig entwickelte. Die Zentralbehörden konzentrierten sich auf die Gastauftritte polnischer Gruppen, da sie als politisch gefährlich und als Bedrohung für die deutsche Bühne betrachtet wurden. In diesem Sinne bemühten sie sich um ihr Theater, gleichzeitig gingen aber keine weiteren Initiativen von ihnen aus. Sie beherrschten auch die Provinzbehörden, die polnischen Schauspielern gegenüber freundlicher eingestellt waren. Destruktiv waren dagegen die deutschen Theaterleiter, die bei den entsprechenden Behörden gegen polnische Aufführungen intervenierten.29 Fast passiv verhielt sich der Magistrat, dem das Theatergebäude 1825 von Schuckmann mit der Bemerkung übereignet wurde, dass es unter Aufsicht der Regierung in Berlin bleiben würde.30 Die nächste Periode in der Geschichte des Posener Theaters dauerte von 1830 bis 1869 und war von einer besonderen Intensität der Ereignisse gekennzeichnet. Besonders folgenschwer war das Jahr 1830. Zuerst erteilten die preußischen Behörden eine besondere Instruktion, die das Weiterbestehen des polnischen Theaters grundsätzlich in Frage stellte.31 Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich um eine Reaktion auf die Unruhen in Brüssel vom 25. August handelte, die durch den enthusiastischen Empfang der dort gerade aufgeführten Oper Die Stumme von Portici von Daniel Auber ausgelöst wurden. Dazu brach am 29. November 1830 im Königreich Polen der so genannte Novemberaufstand aus, der die preußischen Behörden noch empfindlicher gegenüber der polnischen Frage machte. Um Vorfälle in Posen zu vermeiden, ernannten die Zentralbehörden den rigorosen Eduard Flottwell zum Oberpräsidenten der Provinz. Seine 29 Vgl. Lech Trzeciakowski, Władze pruskie wobec, 166. 30 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 117  ; Zofia Ostrowska-Kębłowska, Architektura i budownictwo, 142. 31 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 143.

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strenge Politik gegenüber Polen verstärkte nur die bereits negative Einstellung der Zentralbehörden zu den polnischen Schauspielern. In Folge kamen bis 1838 keine polnischen Gruppen nach Posen. Dies war aber keine gute Lösung für das deutsche Theater. Zwar bemühte sich seit 1828 der neue Theaterdirektor Ernst Vogt sehr darum, das Niveau der deutschen Bühne zu verbessern und das Publikum zu gewinnen, es gelang ihm jedoch nicht, der Krise und Kritik zu entgehen. Schwierige Zeiten erlebte das Theater insbesondere 1830/1831, als es wegen des Novemberaufstands und des Ausbruchs einer Cholera-Epidemie viele Zuschauer verlor. Die meisten polnischen Adeligen hörten auf, das deutsche Theater zu besuchen. Während der Epidemie war das Theater geschlossen und Vogt geriet in immer größere finanzielle Schwierigkeiten. Um die hoffnungslose Lage zu verbessern, erstellte er ein Sanierungsprojekt für das deutsche Theater, das er Flottwell 1832 vorlegte. Es handelte sich um die Gründung eines festen Theaters in Posen mit finanzieller Unterstützung des Königs, so wie es in anderen preußischen Städten der Fall war. Flottwell lehnte das Projekt jedoch ab, da er der Meinung war, dass es mit den Gesetzen im Widerspruch stand und das Theater nicht staatliches Eigentum war. Da Flottwell jedoch das deutsche Theater unterstützen wollte, gründete und leitete er das „Comité zur Beförderung des Kunstsinnes“.32 Sein Ziel war es, Vogt finanziell zu fördern. Da dies nicht gelang, wandte sich der beharrliche Vogt an den König mit der Bitte, die deutsche Bühne dauerhaft zu finanzieren, um ihr das Überleben zu sichern. Friedrich Wilhelm III. reagierte darauf zunächst zurückhaltend und wollte keine Hilfe leisten, er verlangte aber von Flottwell Informationen darüber, welche Summe in Frage käme, um dem Theater kurzfristig zu helfen. Schließlich erteile der König im Jahre 1834 eine Subvention in Höhe von 1500 Rtrn. und beauftragte Flottwell damit, sie zu verwalten. Nach ein paar Jahren geriet Vogt wieder in Schwierigkeiten und wandte sich noch einmal an den König, um Unterstützung zu erhalten. Dieser setzte dafür den Betrag von 2000 Rtrn. an, jedoch unter der Bedingung, dass dies dem Theater dauerhaft die Existenz sichern müsste. Dabei bemerkte er auch, dass es seinerseits die letzte Beihilfe sein würde.33 32 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 174  ; Zdzisław Grot, Znaczenie narodowe teatru, 86  ; Krzysztof Kurek, Teatr i miasto, 167. 33 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 175–176.



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Zur selben Zeit hatte Vogt noch eine andere Idee, wie er sein Theater retten könnte. Er entschied sich nämlich, eine polnische Theatergruppe unter der Leitung von Wincenty Raszewski zu unterstützen, der sich gerade darum beworben hatte, im Sommer in Posen auftreten zu dürfen. Vogt erwartete, dass polnische Aufführungen zahlreiche Zuschauer ins Theater locken und seine Einkünfte steigern würden. Er traf dazu ein Übereinkommen mit Raszewski, wonach beide Direktoren sich die Einnahmen und Verluste aus polnischen Auftritten teilen sollten. Dazu sollten die polnischen Schauspieler mit Vogt als Leiter eine Gruppe bilden. Befürwortet wurde diese Idee von Flottwell und dem Polizeidirektor Julius von Minutoli, die jedoch folgende Bedingungen stellten  : 1. die Zahl der polnischen Aufführungen sollte nicht höher als 24 sein, 2. polnische Stücke werden zusammen oder abwechselnd zu deutschen Stücken gespielt, 3. die aufgeführten Stücke werden zensiert und die Darsteller sollten keine Veränderungen vornehmen. Bei Verstößen gegen diese Regeln sollten die polnischen Gäste ausgewiesen werden.34 Die Aufführungen Raszewskis im Sommer 1838 erfreuten sich großer Beliebtheit. Zufrieden war auch Vogt, da er erwartungsgemäß nicht geringe Gewinne aus polnischen Auftritten erzielte. Deshalb wurde es den polnischen Truppen auch in kommenden Jahren (1839– 1842) erlaubt, unter gleichen Bedingungen in Posen aufzutreten. Einzige Ausnahme war das Jahr 1840 wegen der Trauer nach dem Tod von Friedrich Wilhelm III. (7. Juni). Der neue König Friedrich Wilhelm IV. betrieb zunächst eine liberalere Politik in der Provinz, was die Hoffnungen der Polen auch in Bezug auf das Theater wieder belebte. Dem deutschen Theaterdirektor eröffneten sich neue Möglichkeiten, der beim König wiederum um finanzielle Unterstützung bat. Dieses Mal stützte sich der König auf die Meinung Flottwells und stiftete dem Vogtschen Theater 1500 Rtrn.35 1841 verstärkte auch die polnische Seite ihre Bemühungen, ein eigenes, festes Theater in Posen zu gründen. Als Erster meldete sich Władysław Łoziński. Sein Antrag stieß jedoch auf den Widerspruch Vogts und wurde von den Behörden abgelehnt. Gleichzeitig erteilten die preußischen Behörden Vogt das Monopol 34 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 153–154  ; Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 90. 35 Zdzisław Grot, Znaczenie narodowe teatru, 86.

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für die Posener Bühne, um seine Position zu stärken, und trugen ihm kraft der Verordnung vom 6. November 1841 auf, sich um polnische Aufführungen zu kümmern.36 Inzwischen reichten 45 polnische Bürger bei Friedrich Wilhelm IV. im Juli 1842 während seines Besuches in Posen eine Petition zur Gründung des polnischen Theaters ein. Der König beauftragte die Provinzbehörden mit einer Stellungnahme zur Sache und diese lehnten die Petition ab.37 Trotzdem versuchten es die Polen weiter und verständigten sich mit Vogt, dem sie günstige Bedingungen und wahrscheinlich auch die Leitung der polnischen Bühne anboten. Vogt nahm in seine Gruppe zwölf polnische Schauspieler auf und verpflichtete sich dazu, polnische und deutsche Stücke wechselhaft aufzuführen. Er sollte dabei für das Repertoire und das Verhalten der Schauspieler verantwortlich sein. Falls notwendig, sollten die Stücke zensiert werden. Diese Vereinbarung wurde vom Polizeidirektor von Minutoli und Oberpräsidenten Carl Moritz von Beurmann akzeptiert. So entstand die erste feste polnische Bühne in Posen, die später nach der Dauer ihres Bestehens (vom 16. Januar bis zum 9. August 1843) als siebenmonatige bezeichnet wurde. Ihr Ende war mit steigenden finanziellen Forderungen Vogts gegenüber den Polen verbunden, die ihm eine Art Subvention bezahlten, obwohl sie gleichzeitig unzufrieden mit seiner Leitung der polnischen Bühne waren. So scheiterten weitere Versuche, ein unabhängiges polnisches Theater zu schaffen.38 Finanzielle Probleme quälten Vogt immer noch, der sich 1843 wieder beim König um Hilfe bemühte. Dieses Mal erhielt er jedoch keine Dotation, da sowohl der Oberpräsident als auch der Minister des Innern meinten, dass das Theater nur aufgrund der Behauptung, dass man die Polen durch die Bühne mit der deutschen Sprache und den deutschen Sitten vertraut machen würde, nicht ständig unterstützt werden sollte. Erst 1845 übergab der König dem Theater unter dem Einfluss Beurmanns als Gnadenakt 2000 Rtrn. Beurmann wies in seinem Gutachten sowohl auf die Vogtschen Verdienste für die deutsche Bühne als auch auf die regelmäßigen Subventionen, die andere Städte vom Staat bekamen, hin. Er bemerkte dazu, dass die Annäherung der Polen an die deutsche Kultur 36 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 156–157. 37 Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 114–115  ; Krzysztof Kurek, Teatr i miasto, 224–225. 38 Heidi Hein, Polnisches Theater in Warschau, 201.



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durch die Bühne nicht in dem Ausmaß erzielt wurde, wie man es erwartet hätte. Der König wollte daraufhin dem deutschen Theater in Posen umso weniger weitere Hilfe leisten. Noch 1847 lobbyierte von Minutoli für das Theater, aber statt einer Subvention erreichte er nur die Tilgung der Schulden in Höhe von 500 Rtrn.39 In dieser Situation waren paradoxerweise Gastauftritte polnischer Gruppen die einzige Rettung für die deutsche Bühne. In den nächsten Jahren (1844, 1845, 1847) erlaubte Beurmann es der Krakauer Gruppe von Juliusz Pfeiffer, in Posen aufzuführen. Der Minister des Innern, Adolf Heinrich Graf von Arnim-Boitzenburg, war zwar deswegen beunruhigt, aber letztlich blieb es bei einer strengeren Überprüfung der aufzuführenden polnischen Stücke. Bald verschlechterte sich die Lage des Theaters, diesmal aufgrund der Ereignisse des Völkerfrühlings. Vogt geriet erneut in finanzielle Schwierigkeiten, besonders weil in den Jahren 1848 und 1849 keine polnische Theatergruppe nach Posen kam. Erst 1850 und 1852 erhielt die Krakauer Gruppe von Tomasz Chełchowski eine entsprechende Genehmigung der preußischen Behörden. Auch Vogt befürwortete diese Bemühungen, weil er darauf hoffte, die verschlechterten Beziehungen zwischen den polnischen und deutschen Bürgern zu verbessern. Gegen diese Ideen stellte sich jedoch die Politik des neuen Oberpräsidenten Eugen von Puttkamer, der sein Amt 1851 antrat. Er war Polen feindlich eingestellt und seine Politik wird oft mit der von Flottwell verglichen. In Bezug auf das Theater zeigte er sich als leidenschaftlicher Anhänger der deutschen Bühne, deren Rang er durch notwendige Subventionen erhöhen wollte. Er bemühte sich um diese sowohl bei der Regierung in Berlin als auch bei den Stadt. Trotz seiner Argumente, darunter der Vergleich mit Österreich, das die Theater in Krakau und Lemberg finanziell unterstützte, war Berlin nicht besonders an der Lage der Posener Bühne interessiert. Es wurden nur Subventionen in Höhe von 500 Tal. jährlich bewilligt, obwohl Puttkamer 2000 Tal. beantragt hatte. Auch die Stadtbehörden antworteten auf seine Bemühungen nur mit der Senkung der Pacht um 25 %.40 Die durch von Puttkamer errungene Unterstützung für das Theater nutzte Franz Waller, Nachfolger des im Dezember 1852 verstorbenen Vogt. Waller war 39 Manfred Laubert, Das Posener Theater, 177–178. 40 Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 176  ; ders. Znaczenie narodowe teatru, 221.

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in den Jahren 1853–1855 Direktor der deutschen Bühne in Posen. In dieser Zeit blühte sie auf und erreichte ein hohes künstlerisches Niveau.41 Bald zog Waller jedoch nach Berlin und überließ die Führung des Theaters für ein Jahr Ferdinand Roeder. Daraufhin übernahmen Joseph Keller (1856–1867) und Friedrich Schwemer (1867–1870) die Funktion des Theaterdirektors. Alle stießen in ihrer Arbeit auf ähnliche Probleme, d.h. Geldmangel und geringes Interesse des Publikums. Dies brachte Puttkamer wahrscheinlich dazu, polnischen Theatergesellschaften fast jedes Jahr Gastauftritte in Posen zu erlauben. In den Jahren 1854–1859 kam Pfeiffers Krakauer Gruppe außer einer Pause im Jahre 1856 regelmäßig in die Stadt. Seine Aufführungen waren jedoch nicht mehr so erfolgreich wie früher, da sein Repertoire altmodisch war und die Zuschauer nicht mehr anzog. Die Bedeutung des polnischen Theaters sank in dieser Zeit beträchtlich. 1860 wurde von Puttkamer von seinem Amt des Oberpräsidenten abberufen, seine Stelle bekleidete bis 1863 Gustav Karl von Bonin und danach bis 1869 Karl von Horn. Obwohl die Politik von Bonins als liberal galt, kam es zu einer sechsjährigen Pause (1860–1865) der Gastauftritte polnischer Gruppen. Zu Zeiten von Horns, der diese Gastauftritte ungern in Posen sah, meldete sich der Leiter des Krakauer Theaters, Adam Skorupka, mit der Absicht, in der Stadt zu spielen. Seine Bitte stieß bei Horn zunächst auf wenig Gegenliebe, da aber die Krakauer Gruppe die Finanzen des deutschen Theaters stützen konnte, wurden ihre Auftritte erlaubt. Von Horn stellte dem Direktor jedoch zwei Bedingungen  : Jedes Stück sollte zensiert werden und die Verantwortung für das Repertoire im politischen und moralischen Sinne würden der polnische und der deutsche Direktor gemeinsam tragen.42 Unter diesen Bedingungen fanden die Aufführungen der Gruppe von Skorupka in den Jahren 1866–1869 statt. Das waren die letzten Gastspiele der nach Posen kommenden polnischen Schauspielgruppen. Die Situation änderte sich 1869 völlig, als das Parlament des Norddeutschen Bundes die sog. Gewerbeordnung verabschiedete. Sie liberalisierte in vielen Bereichen das öffentliche Leben und erlaubte es u.a., Theaterstücke in anderen 41 Hans Knudsen, Deutsches Theater in Posen, 10–27. 42 Zdzisław Grot, Dzieje sceny polskiej, 196.



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Sprachen als der deutschen ohne besondere Verwaltungserlaubnisse aufzuführen.43 Für die Polen war das eine gute Möglichkeit, ein eigenes Theater zu schaffen, und sie nutzten diese Möglichkeit sofort. Bis zum Jahresende wurde eine hauptsächlich aus galizischen Schauspielern bestehende Schauspielergruppe unter der Leitung von Miłosz Sztengel und Lech Nowakowski gebildet. Im Januar 1870 eröffneten sie ihre erste Theatersaison. Mit diesem Ereignis begann eine neue, bis 1918 dauernde Epoche in der Geschichte des hiesigen Theaters unter preußischer Besatzung. Charakteristisch war eine völlige Trennung und Unabhängigkeit des polnischen Theaters von dem deutschen. Dabei steigerte sich das staatliche Interesse an der deutschen Bühne in Posen im Vergleich mit den Vorjahren ganz erheblich. Der Grund war die Wettbewerbsfähigkeit des polnischen Theaters. Schon 1870 fürchtete der damalige deutsche Theaterdirektor Schwemer die Konkurrenz und verzichtete am 6. Januar auf seinen Posten. Als Begründung erwähnte er die Gleichgültigkeit des Publikums gegenüber seinen künstlerischen Bemühungen und die steigende Konkurrenz des neuen polnischen Theaters.44 Sein Nachfolger Carl Schäfer stieß auch auf Schwierigkeiten in der Leitung des Theaters, das er 1879 verließ, um dann die Bahnhofskantine in Rogasen zu übernehmen. Zu seiner Zeit bestand noch die Übereinkunft mit dem polnischen Theater in Bezug auf die Nutzung des Stadttheatergebäudes. In den ersten fünf Jahren hatte die polnische Gruppe keinen eigenen Raum für ihre Aufführungen und nutzte üblicherweise das Stadttheater oder den Bazar. Inzwischen bemühte sich die polnische Seite erfolgreich um den Bau eines eigenen Theaters. Die Investition wurde schnell realisiert und 1875 das Polnische Theater feierlich eröffnet. Das Gebäude stand in der Berlinerstraße (heute Straße des 27. Dezember) in der Nähe des Stadttheaters. Bemerkenswert ist, dass der Bau völlig von Polen finanziert wurde. Sein Entstehen bedeutete die zuerst nur symbolische, dann aber auch praktische Trennung der beiden Theater in der Stadt. Damit begann ein immer deutlicher werdender Wettbewerb. Ein erstes Anzeichen dieser Konkurrenz war die Entscheidung der Regierung in Berlin, ein neues deutsches Theater zu bauen, das es mit dem polnischen The43 Lech Trzeciakowski, „Cacko i pieścidełko“, 115. 44 Hans Knudsen, Deutsches Theater in Posen, 50–51.

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ater hinsichtlich der Architektur aufnehmen konnte. Diese Entscheidung wurde auch durch den schlechten technischen Zustand des bisherigen Gebäudes beeinflusst, das 1874 geschlossen und 1877 abgetragen wurde. Das neue Theater, das an demselben Ort entstand, wurde bereit 1879 erbaut und teilweise vom Kaiser (20 Tausend Tal.) und vom Magistrat finanziert, der für diesen Zweck ein Darlehen aufnahm. Der Staat begrenzte nur die Baukosten auf 120–150 Tausend Tal. und behielt sich vor, dass in dem neuen Theater nur Vorstellungen auf Deutsch möglich sein dürften. Die geringen Baukosten des Gebäudes spiegelten sich bald in der Qualität wider, da sich das Gebäude als nicht modern genug erwies (so gab es keine gute Akustik). Um diese Mängel zu beseitigen wurde das Theater in Jahren 1895–1896 ausgebaut. Das Fronton des Polnischen Theaters wurde dagegen in 1893 mit der Inskription „Naród Sobie“ (Das Volk sich selbst) beschriftet, wodurch der Stifter und der Nationalcharakter des Theaters betont wurde. Außer dem Wettbewerb zwischen den beiden Theatern, vor allem im künstlerischen Bereich, erschwerten die Provinz- und Zentralbehörden das Wirken und die Entwicklung der polnischen Bühne. Es lässt sich eine ganze Reihe von Anordnungen und Verboten auflisten, die sie schwächen sollten. Als Beispiel kann eine Vorschrift genannt werden, die Schauspieler ohne deutschen Pass dazu zwang, die Stadt in der Sommerzeit zu verlassen. Diese Schauspieler, oft von Behörden als „lästige Ausländer“ bezeichnet, durften seit 1906 nicht mehr am öffentlichen Leben der Stadt teilnehmen.45 1885 wurde es den deutschen Musikern aus dem Militärorchester des hiesigen Infanterieregiments verboten, mit Auftritten in der Musikgruppe des Polnischen Theaters dazuzuverdienen.46 Die restriktive Politik nahm Anfang des 20. Jahrhunderts zu. 1902 erhielt die Schauspielergruppe des Polnischen Theaters das Verbot, im Sommer in der Provinz Wanderauftritte zu geben.47 1907 wurde es den deutschen Offizieren und Soldaten verboten, Aufführungen des Polnischen Theaters zu 45 Małgorzata Czekańska, Zur Rezeption der Dramen von Friedrich Schiller auf der polnischen Bühne im Grossherzogtum Posen (1815–1871) und in der Provinz Posen (1871–1918), in  : Studia Germanica Posnaniensia 1993, 15. 46 Halina Lorkowska, Opera w Teatrze Polskim, in  : Kronika Miasta Poznania 2000, Nr. 3, 144– 145. 47 Zbigniew Raszewski, Z tradycji teatralnych, 143.



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besuchen.48 1908 wurde anhand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts das Verzeichniß der von Posener Theaterzensur verbotenen polnischen Theaterstücke und das Verzeichniß der von Posener Theaterzensur verbotene Gedichte, Decklamationen usw veröffentlicht.49 Das Polnische Theater war zwar von der deutschen Bühne finanziell und räumlich unabhängig, wurde aber immer noch zensiert. Dies schwächte sich erst im Herbst 1918 ab, als die oben erwähnten Verzeichnisse nicht mehr galten. Die missgünstige staatliche Politik gegenüber der polnischen Bühne wurde von der 1898 initiierten Bewegung zur Stärkung des Deutschtums im Osten begleitet. Sie agierte unter dem Motto der sogenannten Kulturhebung der Ostprovinzen. Es handelte sich allgemein darum, Posen künstlerisch attraktiver und visuell ähnlicher zu anderen Reichsstädten zu machen. Daher wurden Anfang des 20. Jahrhunderts einige prächtige und wichtige Kulturinstitutionen errichtet, darunter z.B. das Stadttheater. Es wurde schwungvoll in den Jahren 1909–1910 im repräsentativen Schloßbezirk erbaut. Die Investition betrug 2 Mio. Mark, von denen 1 Mio. staatlicher Gelder unter dem Vorbehalt ausgezahlt wurden, dass dort nur Stücke auf Deutsch aufgeführt werden sollten. Zusammenfassend ist zu betonen, dass die preußischen und später die deutschen Behörden nach 1815 eine klare kulturelle Politik gegenüber dem Posener Theater betrieben. Obwohl sie manchmal Veränderungen unterlag, konzentrierte sie sich fast im ganzen hier untersuchten Zeitraum auf die Kontrolle und Hemmung der polnischen Theaterinitiativen. Die deutsche Bühne erfreute sich bei den Behörden keinem großen Interesse. Alle Investitionen, die mit dem Theater verbunden waren, gingen von der Basis aus und folgten situativ dem Stadtleben. Trotz der Bemühungen, seine Bedeutung im Rahmen der sogenannten Hebungspolitik zu stärken, blieb es letztendlich ein provinzielles Theater an der östlichen Peripherie Preußens. Unabhängig von der offiziellen Kulturpolitik des preußischen Staates war das Theater in Posen über das gesamte 19. Jahrhundert ein Treffpunkt für Polen, Deutsche und Juden. In der Praxis erwies sich die Attraktivität der Vorstellungen, die Bekanntheit der Autoren oder der Auftritt namhafter Schauspieler am 48 Małgorzata Czekańska, Zur Rezeption der Dramen, 15. 49 Lech Trzeciakowski, Władze pruskie wobec, 170.

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wichtigsten, unabhängig davon, ob es sich um das polnische oder das deutsche Theater handelte. Es kam auf diesem Feld sogar zu wechselseitigen Entlehnungen und Inspirationen. Diese Thematik ist bis heute am wenigsten bekannt und wäre der Gegenstand eines weiteren Beitrags.

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Soviet Cultural Policy in Musical Theatre and Cinema, 1917–1938

When speaking about cultural policy, the Soviet case seems to be a paradigmatic case-study. From its first days, the regime made no secret of its intention to control the arts and cultural production  ; after a decade of existence, the Soviet Union emerged as a peculiar “propaganda state” with an extensive network of censorship institutions, stripping bare the relationship between culture and power.1 The recent influx of new archival materials and new research emphasizing individual and institutional agency has refined the image of a fully controlled totalitarian culture. Yet the inscription of Soviet theatre and film management within the framework of cultural policy, replacing the totalitarian framework which implied full subordination of cultural activities to the control of the state, poses a new set of questions. The conceptualization of cultural policy starts with specifying approaches to culture. Roger Chartier differentiates between “culture” as the works and the acts that “concern aesthetic and intellectual judgment” and practices that “weave the fabric of daily relations and express the way a community lives and reflects its relations with the world and with the past.”2 This article deals primarily with cultural policy in the fields of music theatre and cinema, which presupposes a focus on the artistic works and policies grounded in the aesthetic judgments of contemporaries, albeit still interrelated with the formation of the Soviet daily fabric. The Soviet notion of “culturedness,” or kul’turnost’ was one of the primary aims of Soviet cultural policy and the arts were seen as instruments for achieving it.3

1 Peter Kenez, The Birth of the Propaganda State  : Soviet Methods of Mass Mobilization, 1917–1929. Cambridge University Press, 1985. 2 Roger Chartier, On the Edge of the Cliff  : History, Language and Practices Baltimore  : Johns Hopkins University Press, 1997, 21. 3 Catriona Kelly and David Shepherd (eds.), Constructing Russian Culture in the Age of Revolution 1881–1940. Oxford  : Oxford University Press, 1998.

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Systematic analyses of cultural policies were fueled by Michel Foucault’s ideas of governmentality. Foucault addressed the core questions regarding the techniques and strategies by which a society is rendered governable  : “How to govern oneself, how to be governed, how to govern others, by whom the people will accept being governed, how to become the best possible governor.” The issues of policy development as a constitutive part of governance have received growing attention since the 1970s. Augustin Girard, whose definition is used by Webster’s World of Cultural Policy, sees cultural policy as “a system of ultimate aims, practical objectives and means, pursued by a group and applied by an authority”  ; it implies “the existence of ultimate purposes (long-term), objectives (medium-term and measurable) and means (men, money and legislation), combined in an explicitly coherent system.” 4 Toby Miller and George Yúdice add that cultural policy is “embodied in systematic, regulatory guides to action that are adopted by organizations to achieve their goals.” To implement the policy, these organizations then “solicit, train, distribute, finance, describe and reject actors and activities that go under the signs of artist or artwork.”5 Cultural policy in the field of the arts does not act based upon a predetermined definition of “art” but contributes to shaping societal understanding of what art is and defines how it should be seen. The heuristic benefit of analyzing Soviet cultural policies lies in revisiting the very foundations of the cultural policy concept. Following the given definitions, the Soviet authorities indeed pursued a cultural policy with the ultimate aim of creating a proletarian (later redefined as socialist) culture, established organizations endowed with the right to pursue this aim by putting forward concrete objectives (often in the form of public campaigns), and invested considerable human and material resources in achieving them. By comparing cultural policies in the fields of performing arts and cinema one gains further insights into the complexities of the on-going negotiations between the actors in the cultural sphere, highlights differences in managing the two fields, and questions the notion of a single “cultural policy” in the Soviet context. The realm of the arts was 4 Girard, Cultural Development  : Experience and Policies, Paris  : Unesco, 1972, 171–172. Webster’s World of Cultural Policy www.wwcd.org/policy/policy.html (accessed on January 20, 2011). 5 Toby Miller and George Yúdice, Cultural Policy. Sage 2002, 1.



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perceived by the Bolsheviks as an important part of the ideological system which had to be controlled. Yet a number of questions emerge at this point. Did the Bolshevik Party have a coherent concept of cultural policy by the time it took power  ? Was this policy consistent throughout the years of the Soviet regime  ? Can one speak of a single “Soviet policy” in view of the duality of the Party/ state roles performed simultaneously by a number of institutions with overlapping functions  ? What are the boundaries of the policies’ impact  ? Can the concept of cultural policy account for individuals shaping the activities of certain institutions  ? Finally, would the questions of governmentality be applicable in the Soviet context in which the “manager” is gradually transformed into the “monarch” — quite to the contrary of the contexts Foucault and his followers explored.6 An additional set of issues emerges when “the economic and the lofty”7 — in our case, the Bolshoi opera repertoire and popular musicals — are brought within a single framework of analysis. However explicit the desire to control the sphere of artistic production was, the range of organizational responsibilities remained poorly articulated, and Soviet institutions had numerous overlaps in their functions. At the moment of power takeover the Bolsheviks did not have a clear program of cultural politics  ; their critics were quick to point out that Bolshevism “entered … Russian life with a clear knowledge of the economic basics and with total lack of understanding of politics in the field of culture.”8 Forced to improvise on the go, the new regime at first borrowed the ideas of “proletarian culture” from Lenin’s opponent, the “nonclassical” Marxist Alexander Bogdanov, which resulted in the wide yet short-term spread of the Proletkult network all over the country and initial support for the most radical artistic projects on the condition of full political loyalty.9 Commercial mass culture was yet another challenge that the new regime had to face. New institutions of cultural management attempted to 6 Ibid, p. 3 Foucault “Governmentality,” 87–90. 7 Ronald Dworkin quoted in Toby Miller and George Yúdice, Cultural Policy. Sage 2002, 16. 8 S. Maslov, Rossia posle chetyrekh let revolyutsii. Paris, 1922, quoted in Valentina Lebedeva, Sud’by massovoi kul’tury v Rossii. Vtoraia polovina 19-pervaia tret’ 20 veka. Izdatel’stvo S.-Peterburgskogo Universiteta, 2007, 152–153. 9 Ibid, 156–159. Lynn Mally, Culture of the Future  : the Proletkult Movement in Revolutionary Russia. Berkeley  : University of California Press, 1990.

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subsume and control the rapid spread of popular mass entertainment — from pulp fiction and gramophone records to circuses and cinema — combining ideological pressure with the exploitation of its commercial potential. The balance between ideology and commerce on the one hand, and the transformation of a “bourgeois” art field into a “socialist” one on the other, set the dimensions for analyzing Soviet cultural policy. Institutionally the defining feature of the Soviet cultural policy was a consistent duplication of state and Party functions. The formation of the mechanisms of Party-state control over cultural production started in the first days after the takeover. However, despite the aspirations to total control over cultural production, at first an organizational system with parallel functions allowed a certain “space of maneuver” to the agents of culture both in the visual arts and in the performing sphere. The Soviet cultural regulatory system took shape throughout the 1920s and into the early 1930s, emerging by the end of the 1930s as a dual Party-state management with streamlined mechanisms for decision-making and ideological campaigns.10 By this time, the initial competition between state and Party organs had been replaced by the subordination of state institutions to the decisions of the Politburo, the head organ of the Bolshevik Party. This article outlines four aspects of evolving Soviet cultural policy. It starts with the evolution of the institutional structure and policy of the Commissariat of Enlightenment (Narkompros), which was charged with all the aspects of cultural management and its successor in the field of art management, the Committee on the Arts. After presenting the complex network of state and Party regulative organs, I turn to the impact of Soviet cultural policy in the sphere of music theatre and cinema. To provide a focus for such a large-scale undertaking, I will concentrate on the evolution of the opera repertoire of the Bolshoi and the emergence of Soviet operetta, and finally, I will briefly present the emergence of the Soviet musical film and point out the changes in cultural policy which shaped these developments. This comparative overview aims at outlining the main directions of Soviet cultural policy in the fields of theatre and cinema — the gradual “sovietization” of the repertoire, the centralization of the cultural management, 10 T. M. Goriaeva, “Garmonia, izmerennaia algebroi” in Instituty upravlenia kul’turoi v period sta­ novlenia 1917–1930, Moscow  : Rosspen 2004, 4–5.



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and a cadre policy aimed at replacing established cultural figures with young, loyal activists. At the same time, this article aspires to demonstrate the dynamic nature of Soviet culture and the coexisting alternative policies, many of which remained unrealised, and thus contradicts the views of Soviet cultural policy as either coherent or produced by a monolithic, all-controlling state.

Soviet Enlightented Absolutism  : The Commissariat of Enlightenment and Cultural Policy

Contrary to the consistent attempts of the Bolshevik regime to demonstrate a radical break with the past in the field of culture, Soviet cultural policy drew heavily on the practices established in the late imperial period. Created in November 1917, the Commissariat of Enlightenment (hereafter Narkompros) was charged with questions of cultural management and education throughout the country and took over the tasks of the former tsarist Ministry of National Enlightenment.11 The continuity of the name of the institution demonstrates the lasting impact of Enlightenment ideas, which shaped the “widespread conviction among Russians that theatre was not simply a form of entertainment, but a powerful means of education” and a “school for morals.”12 For over a decade Narkompros was headed by Anatoly Lunacharsky, “an intellectual among Bolsheviks and a Bolshevik among intellectuals,” whose personal intervention on many occasions ensured a preservationist policy towards “high culture.”13 Narkompros worked on attracting artists and artistic organizations, and at the same time established an institutional structure which aspired at control over all artistic, literary, and educational activities. In 1918, a separate Theatre Department (TEO) was established within Narkompros.14 In December 1918, mixing 11 Murray Frame, The St. Petersburg Imperial Theatres  : State and State in Revolutionary Russia, 1900–1920. Jefferson  : McFarland&Company, Inc. Publishers, 2000, 155. 12 Murray Frame, School for Citizens  : Theatre and Civil Society in Imperial Russia, New Haven  : Yale University Press. 2006, 1. 13 Fitzpartick, The Commissariat of Enlightenment. Soviet Organization of Education and the Arts Under Lunacharsky. October 1917–1921. Cambridge  : Cambridge University Press, 1970. 14 The functions of TEO were formulated in “Polozhenie o Teotral’nom otdele” Izvestia, September 19, 1918. A. Z. Yufit (Ed), Teatr narodov SSSR, 1917–1921. Leningrad  : Iskusstvo, 1972, 18.

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promises with intimidation, Lunacharsky offered all theatre artists a new “contract” with the regime on  : “The new regime does not request from the artists of any sphere any oaths, any loyalty claims …. You are free artists and no-one claims your freedom. But in our country there is a new master now — working people. …. Working people cannot support state theatres unless they are convinced that they [theatres] exist to satisfy the great need of art on the part of the toiling masses.”15 Indeed, Narkompros did not immediately interfere with theatre repertoire policy. It not only tolerated a certain autonomy of the former Imperial Theatres (renamed State Theatres after the February Revolution), but participated in drafting the statutes which ensured — at least on paper — their self-governance.16 Theatre historians repeatedly pointed to an exceptional outburst of theatre activity and mass interest in theatre in the early Soviet years. Herbert Wells, visiting Russia in 1920, wrote in his 1920 travelogue Russia in the Shadows  : “The stablest thing in Russian culture was the theatre.”17 The number of theatres grew exponentially, turning into a “theatrical psychosis” of sorts, as it was branded by Meyerkhold  : in 1920, 1,547 theatres and studios, including the trade-union affiliated workers’ clubs, were registered on the territory of the RSFSR  ; the Red Army had over a thousand club theatres.18 In Gennady Dadamian’s apt formulation, “the state, practically fulfilling the functions of the producer, was guided not by pragmatic, but by romantic aims of making a ‘cultured’ country.”19 The process of gradual subjugation lasted until 1920, culminating “with the imposition of government-controlled individual (edinonochalnyi) rule in the theatres” which finally enabled the use of theatres for propaganda purposes.20 In cinema, the scope of state involvement was at first quite modest  : in January 1918, a movie subsection was organized within the Extramural Education DeInstituty upravlenia kul’turoi, 72. 15 Sovetskii teatr 1917–1921. Sbornik materialov I dokumentov. Leningrad, 1968, 37. 16 Fitzpatrick, The Commissariat of Enlightenment, 141. 17 Herbert Wells, Russia in the Shadows, London  : Hodder and Stoughton, 1920, 35. 18 Lynn Mally, Revolutionary Acts, 30–31, Gennady Dadamian, “Teatr odnogo producera.” Otech­ est­vennye zapiski, 4 (2005) available at http  ://www.strana-oz.ru/  ?numid=25&article=1114 (accessed March 25 2011). 19 Dadamian, “Teatr odnogo producera.” 20 Frame, The St. Petersburg Imperial Theatres, 153–154.



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partment of Narkompros, headed by Lenin’s wife Nadezhda Krupskaia, with the task of encouraging the use of film in political education.21 Among further steps was the introduction of the monopoly over foreign trade and the establishment of the All-Russian Film Committee in May 1918. Finally, in August 1919, the film industry was nationalized. Management of cinematography was assigned to the All-Russian Photo- and Film Department (VFKO) of Narkompros. By the end of 1922, VFKO was reorganized as the Central State Film-Photo organization (Goskino) charged with control over distribution in RSFSR.22 After the end of the Civil War, further steps towards creating a comprehensive system of censorship policy were taken. On June 6, 1922, to perform and coordinate “preliminary and subsequent censorship for all forms of publishing,” the Head Department on Literature and Publication (Glavlit) was created within Narkompros.23 On February 9, 1923, The Main Repertory Committee (Glavrepertkom) was affiliated with Glavlit. Glavrepertkom was made responsible for all public performances in the country, yet its functions were never clearly separated from those of Glavlit, creating grounds for lasting conflicts and institutional competition.24 In 1921, TEO’s functions were transferred to the Theatre Department of the Narkompros Central Division for Political Education (Glavpolitprosvet) which was supposed to exercise ideological control over theatres all over the country and which conflicted with Glavlit and Glavrepertkom. The ensuing competition and continuous bureaucratic wars were partially responsible for the inconsistencies within the Soviet system of cultural management, which aspired to total control. Both Party and Soviet Congresses attempted to gain the upper hand in controlling and directing the cinema. Parallel with the state institutions, the Bolshevik Party controlled literature, the visual arts and performances via the extensive structure of the Department of Agitation and Propaganda (Agitprop). Its decisions often preceded those passed by Narkompros and largely defined the direction in which both cinema and theatre policy evolved. Control organs 21 Kenez, The Birth of the Propaganda State, 106 22 Instituty upravlenia kul’turoi v period stanovlenia 1917–1930, 66. 23 Katerina Clark and EVgeny Dobrenko (eds), Soviet culture and power  : a history in documents, 1917–1953. New Haven  : Yale University Press, 2007, 262. 24 Instituty upravlenia kul’turoi v period stanovlenia 1917–1930, 122–123.

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continued to multiply  : two weeks after the Soviet Government passed a decree authorizing the transfer of all ideological leadership to the republican Narkompros offices (May 13, 1924), the Central Committee of the Communist Party established a Cinema Commission (Kinokomissia) under the auspices of Agitprop (on May 31, 1924).25 The activities of the Cinema Commission were further supplemented by the Cinema Committee (Kinokomitet), established under the auspices of the Soviet government on December 17, 1928.26 Glavrepertkom and the Artistic Council of Glavpolitprosvet, attached to the state distribution monopolist Goskino, repeatedly passed conflicting decisions on cinema.27 Agitprop and Glavpolitprosvet were locked into a state of continuous ideological competition.28 Furthermore, a discrepancy existed between the “economic” (financial) and “educational” (ideological) command over the arts.29 The introduction of the New Economic Policy (NEP) and the increase in taxes (from which only the state theatres were exempted) reduced the number of theatres to 320 in 1928, still half of them private.30 In cinema, the NEP years stimulated the emergence of new film studios and the recovery of the distribution network, which eventually revitalized production. Questions of ideological control were supplemented by financial dilemmas. Facing continuing budget shortages, Narkompros even entertained the idea of unifying the management of Academic Theatres with more profitable circus performances in one department.31 This suggestion, however, was never implemented  : “high culture” and “popular entertainment” were not to be placed within the same framework of management. 25 “Kino-Komissia TsK RKP,” Sovetskoe Kino 2–3 (1925)  : 80–81. 26 D. Levin, I. Maizel’, “Kinokomitet pri narkome SSSR” Kino i Kul’tura 4 (1929)  : 64–67. Vladimir Mikhailov, “Stalinskaia model’ upravlenia kinematografom,” L. Kh. Mamatova (ed.), Kino  : Politika i lyudi, Moscow  : Materik, 1995, 13–14. 27 Official attempts were made to rationalize the existence of two parallel institutions, arguing that the former dealt with imported films and their censorship while the latter supervised local production. See I. Trainin “Na puti k vozrozhdeniyu,” Sovetskoe Kino 1 (1925)  : 8–14. 28 Kenez, The Birth of the Propaganda State, 122–128. 29 In 1922, film production was placed under the control of the Supreme Council for the National Economy (VSNKh) and thus separated from distribution and censorship, subsumed under Narkompros. 30 Dadamian, “Teatr odnogo producera.” 31 A. Trabskii (ed), Russkii Sovetskii teatr, 1926–1932. Leningrad  : Iskusstvo, 1982, 47–48.



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Between May 1927 and April 1928, two important reforms marked a new stage in Soviet cultural policy. The first was the creation of the so-called “organs of public control” established for each state theatre (later transformed into socalled “artistic-political councils,” tightly controlling the repertoire). The other step was a landmark of centralization — on April 13, 1928, all functions of art management were assigned to the Head Department of Art and Literature (Glaviskusstvo).32 Control over the arts was to be concentrated in one department.33 Glaviskusstvo concentrated on developing a unified policy for theatres across the country  ; it introduced standard (tipovoi) charters for theatres, which specified the rights and duties of theatre directors, controlled theatres’ budget subsidies, and introduced planned elements to the activities of the artistic organizations.34 Bureaucratic wars between state and Party organs continued and Glaviskusstvo came under strong criticism from the Party organs. Particularly outspoken was Platon Kerzhentsev, at the time Deputy Head of Agitprop, who accused Glaviskusstvo of an “inattentive or alien attitude towards theatres and organizations of the Left Front.”35 It was further criticized for failing to establish firm control over the country-wide theatre network, and for concentrating on the artistic life in the two capital cities. In 1929, Lunacharsky resigned from his position of the Head of Narkompros. His successor Andrei Bubnov was a loyal propagandist without pronounced cultural preferences. Following the demotion of Lunacharsky, the functions of Narkompros were reduced to control purely educational matters  ; Bubnov consistently distanced himself from Lunacharsky’s highly personal management style and emphasized the importance of borrowing “positive” examples from industrial management. Thus, he proposed to rationalize the development of theatrical network to provide the maximum “coverage” of the audience, ignoring the profiles of individual theatres. 32 A. Trabskii, “Deiatel’nost’ Narkomprosa v oblasti teatral’nogo iskusstva,” in A. Trabskii (ed), Russkii Sovetskii teatr, 1926–1932. Leningrad  : Iskusstvo, 1982, 42. 33 T. M. Goriaeva, “Garmonia, izmerennaia algebroi” in Instituty upravlenia kul’turoi v period stanovlenia 1917–1930” Moscow  : Rosspen, 2004, 10. 34 Andrei Artizov and Oleg Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia. Dokumenty TsK RKP(b)-VKP(b), VChK-OGPU-NKVD o kul’turnoi politike. Moscow  : Fond Demokratia, 1999, 117. 35 Ibid, 120.

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The pinnacle of centralization was reached with the establishment of the All-Union Committee on the Arts (Vseslyuznyi Komitet po delam iskusstv, or VKDI) in 1936. The Committee was assigned the “management of all artistic spheres, including theatre, cinema, music, painting, sculpture and other institutions.”36 The Chief Committee of Film and Photography (GUKF) was also to be part of the new institution. The VKDI was headed by Platon Kerzhentsev, an earlier supporter of Proletkult and an ardent critic of Lunacharsky who in the position of VKDI Chair accumulated full control over the arts and literature. In his new role, this former advocate of experiments and amateur theatres loyally controlled all spheres of the arts. The scope of the functions of the Committee was truly global  ; the Committee was to oversee the repertoire of all theaters, cinemas, circuses, concert and estrada programs, sound recordings, and also other visual performances. Furthermore, the Committee distributed awards, organized exhibitions, art olympiads and competitions, managed publications in the field of art, purchased art objects, regulated ticket prices and organized exhibitions of Soviet art abroad.37 The Committee theatre policy reflected the Party “general line” in cultural management. All theaters were registered as stationary institutions and received state subsidies according to the established categories. Theatre quotas were established  : a regional center (oblastnoi tsentr) was to have three types of theater  : drama theater, music theater, and theater for children  ; in national republics and autonomous areas (okrug) the “offer” was extended to include national drama and national musical theatres. Private enterprise was wholly abolished. Every actor, including fresh graduates, was assigned a position at a given theater and could not change workplace without the permission of the state management. All staged plays were to have a permit from the State Repertory Committee. The Committee successfully exercised a carrot and stick policy — along with penalties for some theaters, others were generously rewarded with privileges and high salaries — as much as 2,000–3,000 roubles for the loyal staff at the time when 36 “Ob obrazovanii vsesoyuznogo komiteta po delam iskusstv pri SNK Soyuza SSR” Pravda, January 18, 1936, 2. Artizov and Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 281, 765 note 113. 37 Leonid Maksimenkov, Sumbur vmesto muzyki  : Stalinskaia kul’turnaia revolyutsia, 1936–38. Moscow  : Yuridicheskaia kniga, 1997.



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the beginner actors would get about 300 roubles.38 The Committee of the Arts had become the channel of state and Party cultural policy by the second half of the 1930s. Institutional confusion and permanent status change notwithstanding, Narkompros reforms led to growing centralization in the sphere of arts management. Starting with the end of the NEP period the state emerged as the single “producer” for both theatre and cinema, with the Politburo commissioning and Committee on the Arts monitoring the programs of leading theatres as well as high-budget film productions.

The Conquest of High Culture  : The Sovietization of the Bolshoi

The Bolshoi Theatre, together with other former Imperial Theatres, was placed under the control of Narkompros as early as November 1917  ; along with the preservation of the buildings and properties, Narkompros was also given to right to “provide repertory guidance” to the theatre. By the end of November 1917, Elena Malinovskaia, a long-term Party member who was later to become the first Bolshevik director of the Bolshoi, was appointed Commissar of all Moscow theatres. At first, however, few at the Bolshoi believed in the lasting nature of the new regime, and the theatre collective protested against the imposed control.39 The Bolshoi reopened on November 21 1917 (old style) with Aida, followed by Glinka’s Ruslan and Liudmila, and later Saint-Saëns’s Samson and Dalilah — all parts of its established repertoire.40 With the exception of Glinka’s Life for the Tsar, which was removed from the repertoire in 1917, the Bolshoi returned to an established prerevolutionary program. According to Herbert Wells, visiting Soviet Russia in 1920, it was impossible to notice any major social transformations by looking at the stage  : “There stood the theatres, and nobody wanted to loot them or destroy then  ; the artists were accustomed to meet and work in them and went on meeting and working  ; the tradition of official subsidies held good. So quite amazingly the Russian dramatic and operatic life kept on through the 38 Artizov and Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 363–365. 39 E. Grosheva, Bolshoi teatr Souza SSR, Moscow  : Muzyka, 1978, 65. 40 Ibid, 63–64.

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extremest storms of violence, and keeps on to this day. In Petersburg we found there were more than forty shows going on every night  ; in Moscow we found very much the same state of affairs. … When one faced the stage, it was as if nothing had changed in Russia  ; but when the curtain fell and one turned to the audience one realized the revolution. …. The audience was an undifferentiated mass of people, the same sort of people everywhere, attentive, good-humored, well-behaved and shabby.”41 The supporters of Proletkult, an organization comprising a number of workshops all over the country, where workers were taught to write plays, poems, prose, and were involved as amateur actors in theatre performances,42 used any occasion to point to the outdatedness and uselessness for the proletariat of the “old” forms of theatre, including “bourgeois” opera and ballet. They were joined by the modernist wing of artists and composers. Among them was composer Nikolai Roslavets, who argued that “opera was an art form that belonged to the past, the state should instead devote itself to the further development of revolutionary agitational art forms such as amateur dramatizations, ‘live newspapers’ and displays of physical culture.”43 The officials at the Theatre Department of Narkompros also held conflicting views on the future of established theatres. Thus, the opinions of Lunacharsky were in direct conflict with those of his colleague (and till July 1919 the Head of TEO) Olga Kameneva, who argued that the “working class should not support the [old] theatre.”44 While the attacks combined ideological and financial reasoning, Lunacharsky’s personal respect for “high culture” saved the former Imperial Theatres during the times of heavy shortages of the Civil War as well as during the period of economic rationality of NEP. On January 12, 1922, Lenin ordered the cancellation of the Council of People’s Commissars (SNK) decision to keep the Bolshoi theatre open.45 The next day, Lunacharsky wrote a long let41 Wells, Russia in the Shadows. 35–36. 42 Lynn Mally, Culture of the Future  : the Proletkult Movement in Revolutionary Russia. Berkeley  : University of California Press, 1990. Lynn Mally, Revolutionary Acts  : Amateur Theatre and the Soviet State, 1917–1938. Cornell University Press, Ithaca and London, 2000, 3. 43 Marina Frolova-Walker, “The Soviet opera project  : Ivan Dzerzhinsky vs. Ivan Susanin” in Cambridge Opera Journal, 18, 2 (2006), 185. 44 Grosheva, Bolshoi teatr, 99. 45 Artizov and Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 30–31.



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ter to Lenin protesting that such decisions were being made without taking his position into consideration  : “The performances will stop, but so will the income from them, and it’s the performances that pay for the troupe and themselves  ; the subsidy in fact goes to pay for maintenance and equipment, and if we add to this the orchestra, then there might not even be enough for expenses. So that with your measure you are not giving Narkompros a single ruble, unless you want all this demagoguery to strip the theatre clean of your property or the Bolshoi Theatre itself to collapse as a European way of demonstrating our lack of culture.”46 On February 6, 1922 the Central Executive Committee decided to preserve the Bolshoi while cutting its budget.47 The iconic symbol of Russian high culture was preserved, but attacks against it did not fully cease. The campaign to close down all “old-school” theatres was reopened on several occasions. On November 2, 1922, the Politburo passed another decision to close down state opera and ballet theatres in Moscow and Petrograd, reassigning the theatres’ budget to “the needs of popular education.”48 This decision was in its turn revoked by the Politburo meeting in April 1923. Similar attacks were made on the Ballet Theatre in Leningrad — yet the decision to close it down was also rescinded after intra-Party lobbying which combined emotional and rational arguments for protecting the cultural heritage.49 Lunacharsky remained a staunch supporter of the Bolshoi. In 1925, celebrating the Bolshoi’s centenary, Lunacharsky appealed to the audience to “endure and protect [the theatre]” and wished the theatre “to give the best of the past … and to search relentlessly … for the ways towards monumental [velichestvennoi], widely popular workers-peasants’ opera.”50 Admiring opera, he saw in it a powerful ideological weapon. Following the ideological guidelines, the Bolshoi “readjusted” a number of its operas to the new political context. In 1925, the Bolshoi Experimental Theatre staged Triodin’s opera Stepan Razin which presented the eponymous 46 Letter from A. Lunacharsky to V. Lenin, January 13, 1922, published in Soviet Power and Culture, 26. 47 Ibid, 735 note 35. 48 Soviet Power and Culture, 30. 49 Ibid, 45, 58–59. 50 Lunacharsky, V mire muzyki  : stat’i i rechi. Moscow  : Sovetskii kompozitor, 1958, 297.

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hero as the proto-Bolshevik leader of a popular uprising  ; in 1927, to celebrate the 10th anniversary of the revolution, the ballets Tornado (demonstrating the class struggle) and Red Poppy (featuring a class-conscious relationship between an oppressed Chinese woman and the captain of a Soviet ship) were prepared  ; in March 1928 the Bolshoi Filial premiered Léo Delibes’s Lakmé  ; subtitled Englishmen in India, its oriental exoticism was repackaged as a critique of colonialism and the foxtrot was used to characterize “decadent” British soldiers. Puccini’s Tosca was reworked under the title Fight for Commune, Meyerbeer’s Les Huguenots became Decembrists, and Wagner’s Die Meistersinger von Nürenberg was interpreted as the struggle between “progressive” and “regressive” historical forces.51 Notwithstanding the production of ideologically straightforward “remakes,” calls for the new Soviet opera increased. In June 1929, Soviet opera was discussed at the First Conference of Music Workers, which took place in Leningrad. Western models were declared no longer appropriate for Soviet music. On May 10, 1930, the Politburo decided to place the Bolshoi and its Experimental stage together with the subordinate organizations under the auspices of the Central Executive Committee of the USSR.52 In the same year, the Bolshoi finally boasted four opera premiers by Soviet composers  : Breakthrough by Pototskii, Zagmuk by Krein, Spendiarov’s Almast, and Iavorsky’s Vyshka Oktiabria. Irrespective of the storyline, ranging from the recent Civil War to a slave rebellion in Babylon, the librettos were built around the motifs of revolution, class struggle, patriotism, and the struggle against saboteurs. Ideological up-to-dateness did not help much, however, and none of the above-mentioned operas could compete in popularity with the traditional Bolshoi repertoire. These performances stood in marked contradiction to Lunacharsky’s hopes, expressed the same year in his “New directions in opera and ballet”  :“It is obvious that we need opera theatre. It would be even more important, however, to change it in accordance with the needs of the present times. …On the one hand, it has a function of summarizing the past, on the other hand — it should give invigoration [bodrost’] and enthusiasm. We don’t want to look for it in a beer-hall, or find it in wine. But where [can we look for it]  ? In art. There we can find such a fortified wine of 51 Grosheva, Bolshoi teatr, 106–125. 52 Artizov and Naumov (eds.), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 128.



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art — not a diluted drink, but art which would shake, intoxicate, but intoxicate in a noble way, not making us drunk. In theaters, where there are plays, there is spectacle, where there is a true show, saturating the eyes.”53 The year 1932 was marked by an important event in Soviet cultural policy  : the dissolution of the proletarian writers’, musicians’ and artists’ organizations, which put an end to the daily attacks of self-proclaimed defenders of proletarian culture against “traditional” art.54 The most aggressive and militant critic of the Bolshoi and other state theatres was the Revolutionary Association of Proletarian Musicians (RAPM), which claimed a monopoly over proletarian musicians to compose under the new regime.55 While the resolution was originally seen as liberation from the self-appointed proletarian “watchdogs” of culture and thus welcomed by the broadest artistic circles, the regime introduced cultural unions controlled by the Party apparatus. Two years later the doctrine of “socialist realism” was pronounced the dominant aesthetic concept at the First Congress of Soviet Writers, which took place in 1934. Two premiers of the 1930s represent alternative paths of development for Soviet opera — Dmitry Shostakovich’s Lady Macbeth of the Mtsensk District (1932) and Ivan Dzerzhinsky’s Quiet Flows the Don (1935), premiered in 1934–35 in Leningrad. Lady Macbeth was premiered almost simultaneously in the two capitals — by the Malyi Opera Theatre in Leningrad and (as Katerina Izmailova) at the Nemirovich-Danchenko Musical Theatre in Moscow. This daring modernist opera was immediately hailed as a major event in Soviet music — “A triumph of musical theatre” was the heading in the newspaper Sovetskoe iskusstvo.56 Similarly, Quiet Flows the Don was also praised — albeit less enthusiastically and somewhat more condescendingly — as a truly Soviet opera, and complimented for the extensive use of folk tunes.57 53 Lunacharsky V mire muzyki Moscow  : Sovetskii kompozitor 1958, 400, 411. 54 E. J. Brown, The Proletarian Episode in Russian Literature, 1928–1932. NY  : Columbia University Press, 1953  ; Boris Schwarz, Music and Musical Life in Soviet Russia, 1917–1970. London  : Barrie & Jenkins, 1972  ; Amy Nelson, Music for the Revolution  : Musicians and Power in Early Soviet Russia. Pennsylvania State University Press, 2004. 55 Edmunds, Neil, The Soviet Proletarian Music Movement, Bern  : Peter Lang, 2002. 56 By the end of 1935 the opera had run to 94 performances at the Nemirovich-Danchenko Theatre and more than 80 by the Malyi Opera in Leningrad. Fitzpatrick, The Cultural Front, 185. 57 Anna Ferenc, “Music in the socialist state,” in Neil Edmunds (ed) Soviet Music and Society under

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On January 17, 1936, the Soviet party elite including Stalin, Molotov, Akulov, and Bubnov attended Ivan Dzerzhinskii’s opera Quiet Flows the Don, the last performance by the Leningrad Academic Small Opera Theatre (M A L E G O T ) in the Bolshoi. The opera was highly praised by Stalin and his colleagues and the composer was invited to converse with the high-ranking visitors after the performance  ; in the discussion, Stalin called for the creation of the new Soviet classical operas.58 On January 26, Stalin, Molotov, Zhdanov, and Mikoian again attended an opera performance, this time Shostakovich’s Lady Macbeth of the Mtsensk District at the Bolshoi Filial Theatre. Following the visit, on January 28, 1936, Pravda published an unsigned editorial “Chaos Instead of Music” (“Sumbur vmesto muzyki”) with harsh criticism of the opera59 In 1936, Soviet political leaders made a choice between a radical innovation and a formally unoriginal yet easily “digestible” opera in favor of the form “understandable to the millions.” The decision to condemn Shostakovich’s work was not a discussed and prepared policy decision (although it became seen as such), but an ad hoc personal opinion which laid the foundations for the turn in musical policy and shaped the further course of Soviet opera and music theatre. The campaigns also highlighted the transformation of the mechanisms of cultural policy, which became increasingly dependent on personal interventions by highranking Party and state officials. The Committee on the Arts also understood the message. On March 10, 1936 it met to discuss the development of Soviet opera, declaring the need to control every stage of production — “from the first drafts of the libretto, through the emergence of individual scenes and acts in vocal score, up to the last finishing touches of the producer and set designer,” becoming an active co-creator of the final product.60 On a broader level, the meeting also signaled the arrival of Socialist Realist doctrines in the musical arena  : “Operatic composers were now expected to meet “stricter requirements”  : “ideological saturation,” Lenin and Stalin  : The Baton and Sickle. RoutledgeCurzon, 2004, 14. Maksimenkov, Sumbur vmesto muzyki, p 72. 58 Frolova-Walker, “The Soviet opera project,” pp. 191–192. Fitzpatrick, 205 59 Anon., “Sumbur vmesto muzyki. Ob opere “Ledi Makbet Mtsenskogo uezda” Pravda 27 (January 28, 1936)  : 3. 60 Frolova-Walker, “The Soviet opera project,” 192.



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“realism,” “accessibility,” “historical truth” … and “narodnost.” Composers were also cautioned against wandering from the straight path, into “formalism” on the one side, and “coarse naturalism” on the other.”61 The stick was supplemented by a carrot  : on June 3, 1937, numerous awards were given to the actors of the Bolshoi, while their reactions and comments were diligently collected by the secret police.62 The completion of the radical turn in Soviet opera policy, shifting from encouraging revolutionary works to the reworking of an established classical repertoire to serve the goals of the new regime, is most manifestly represented in the history of the return to the stage Glinka’s Life for the Tsar which was to reappear at the Bolshoi as Ivan Susanin in 1939. Although earlier attempts were made at “readjusting” Glinka — such as the short-lived experiments with Hammer and Sickle produced in Odessa in 1926, Nikolai Krasheninnikov’s Minin staged in Baku in 1927, and a brief (and never completed) plan to revive the production at the Bolshoi renamed The Time of Troubles in 1927/2863 — this opera was withdrawn from the repertoire after the revolution. Searching for new patriotic models, the Committee on Arts itself came up with the initiative of remaking Glinka’s opera and entrusted the Bolshoi with the task of preparing a new libretto. The project was formulated as staging the “true” Glinka opera, claiming that his intentions in Life for the Tsar had been “distorted” by tsarist censorship. The new libretto was written by Sergei Gorodetsky, who removed all references to the Tsar, changed the chronology, and saturated the story with the idea of patriotic sacrifice for the motherland. In the opinion of Marina Frolova-Walker, “Emptied of its dramatic momentum, the opera was now filled with the new Stalinist patriotism of the late 1930s through constant references to Motherland, Moscow and the Kremlin.”64 Platon Kerzhentsev, Chair of the Committee on the Arts actively supervised the writing of the libretto, going through four versions of the text before the final one was approved. Yet, after the initial premiere, the opera underwent further changes, including the addition of an Epilogue where Minin and Pozharsky appear side by side on horseback in Red Square. With Stalin in attendance in April 61 Ibid, 194. 62 Artizov and Naumov (eds.), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 374–377. 63 Frolova-Walker, “The Soviet opera project,” 200. 64 Ibid, 203.

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1939, the opera closed with a grandiose ovation in which “the Government was applauding the cast, the cast was applauding the Government, and the audience was applauding both.”65 Ivan Susanin entered the canon of Soviet opera repertoire with which the “conquest” of opera was complete. The Soviet authorities in the 1930s saw it as “high art, reverent and loyal to those who wielded power,” with all experimental and potentially subversive elements removed from the stage for many years.66 In line with the changed policy, performances at the Bolshoi became increasingly “monumental” and “past-oriented”  ; altogether seventeen Russian classical operas were staged there in the period of 1932–1941.67

The Battle for Laughter  : The Emergence of Soviet Operetta

In 1919, a theatrical magazine appealed to the authorities and theatres alike  : “Let the audience purify itself with laughter, take a deep breath, refresh its soul. Let theatre be a tribune. But along with the harsh lessons of history, introduce to the audience this ‘merry science’  : a theatre of laughter.”68 Such appeals notwithstanding, the “merry science” was not on the agenda for the Bolsheviks in the immediate post-revolutionary years. Traditionally considered “light” genres, musical comedy, operetta, and variety theatre, were not a priority for Soviet theatre policy. In the early 20th century, an extensive network of private operettas, cabarets, and other theatrical enterprises developed in Moscow, Saint-Petersburg and urban centers all over Russia.69 To date, there has been no comprehensive history of privately owned “light” entertainment during the early Soviet period. Extremely dispersed sources present a major obstacle to such an undertaking, yet there is also a conceptual obstacle to bringing “high” and “popular” layers of culture within the same framework of analysis. However, a comparison of 65 Account of Elena Bulgakova, quoted in Frolova-Walker, “The Soviet opera project,” 207. 66 Ibid, 186. 67 Grosheva, Bolshoi teatr, 179. On further evolution of cultural policy in opera, see Kiril Tomoff, Creative Union  : The Professional Organization of Soviet Composers, 1939–1953. Cornell University Press, 2006. 68 Grosheva, Bolshoi teatr, 103 69 Liyudmila Tikhvinskaia, Kabare i teatry miniatiur v Rossii, 1908–1917. Moscow  : RIK Kul’tura, 1995.



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Academic Theatres and “light genre” theatres on the question of repertoire and employment policy, financial decisions, and the relationship with state cultural policy institutes highlights both consistencies and inconsistencies within Soviet cultural policy, demonstrating its complexity and dynamics, and revealing the gradual transformation and shrinking spaces of dialogue with the authorities. From the early days the regime differentiated between “useful” and “useless” theatres. On December 29, 1919, the Soviet government discussed the policy of “closing down all theatres in Moscow which are not necessary for the cultivation of the masses.”70 Among the theatres to be closed was Nikitsky Theatre in Moscow (formerly the Potopchina Operetta). The history of its activities throughout the 1920s and 1930s presents a paradigmatic example of the “maneuvering” tactics practiced by theatres, seeking to adjust to constantly changing state policy and popular demand. In Moscow, the management of the theatres owned by “working collectives” (trudovoi kollektiv) was assigned to the Department of Visual Performances within the Moscow Soviet. After it was deemed “useless” and closed for the first time, the Nikitsky troupe appealed and within ten days received permission to reopen. Under pressure from the new regime to ideologically “upgrade” musical comedy and operetta, in 1919/20 season the Nikitsky Theatre decided to “revolutionize” its repertoire. Along with Heinrich Reinhardt’s The Spring Maid (Die Sprudelfee) and The Musketeers by Louis Varney, it staged Kálmán’s Der kleine Koenig, which was renamed Matteo. Loosely based on the abdication of King Manuel in 1910 in Portugal, it featured the king’s love story with a “revolutionary” operetta-singer.71 The ideological readjustment proved unsuccessful, and in October 1920 the theatre was closed again. This time its building was handed over to the Theatre of Revolutionary Satire (Terevsat), which was considered to be a more timely enterprise.72 During the years of NEP, however, the network of light entertainment flourished once again. Popular cabaret theatres, among them The Bat (Moscow), The Crooked Mirror, and The Stray Dog (both in Petrograd) reopened with new repertoires. Having lost its premises, the Nikitsky theatre made deal with 70 Grigorii Iaron, O lyubimom zhanre. Moscow  : Iskusstvo, 1963, 119. 71 Ibid, 119. 72 Iaron, O lyubimom zhanre, 121–122.

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The Bat cabaret and used its stage for late night shows. After only a few nights of performances the theatre was prosecuted for performing without a permit. However, as veteran actor Grigory Iaron remembers, the theatre successfully argued that it had lost only its premises, but not the right to perform  : “A few days later we were called to court and accused of performing the play without permission, and the play of a forbidden genre. I protested that the minutes of the Art Department of Moscow Soviet stated that operetta was not forbidden, only that its building was taken away. The prosecutor insisted that ‘operetta’ was permitted, but ‘petty operetta’ (operetka) was not and that was why the charges applied. The judge asked me  : what’s the difference between operetta and petty operetta  ? The same as between Masha and Manechka73 — I answered. … Of course, the hearings ended up nowhere.”74 Similarly to the Bolshoi’s attempts to “adjust” opera to Soviet ideology, further steps to “sovietize” operetta were taken throughout the 1920s. Since most operetta theatres were outside of the scope of Narkompros, Lunacharsky followed the policy of minimal interference with their repertoire, arguing that “a non-ideological performance of a light genre or of the so-called ‘small forms’ … should not be persecuted … We can only forbid it if it contains elements of counter-revolution or pornography, or excitement of hatred towards particular social groups or nations.”75 Nikitsky Theatre attempted to “revolutionize” Offenbach’s Orpheus in the Underworld and Lecocq’s Les Cent vierges (which appeared in Russia under a neutral title Green Island), envisioned as a “biting satire” on British colonial policy.76 The adjustment of traditional genre was personally encouraged by Lunacharsky, who argued for promoting “further search for social satire in the field of comedy and operetta.”77 Well-known pieces were rewritten to emphasize the omnipresent class war  ; new pieces promoted the advantages of the Soviet regime and satirized the vices of capitalism. Such was the popular Night Spiders (1929), 73 Different diminutive forms of Maria. 74 Iaron, O lyubimom zhanre, 126. 75 Anatoly Lunacharsky, “Odna iz teaproblem” quoted in Lebedeva, Sud’by massovoi kul’tury v Rossii, 201. 76 Iaron, O lyubimom zhanre, 149. 77 Quoted in Iaron, O lyubimom zhanre, 164–165.



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directed by Boris Gusman in the Satire Theatre  ; its most popular parts were the ones with the “ideologically alien” foxtrot rhythms. Nemirovich-Danchenko’s version of Charles Lecocq’s Mme Angot’s Daughter emphasized the “democratic spirit of freedom-loving France” while Offenbach’s La Périchole under his direction highlighted class conflict and the anti-colonial struggle in Peru.78 Racism was exposed in Nikolai Strel’nikov’s Black Amulet (1927), a story of discrimination against a black singer. Towards the end of the 1920s, operetta increasingly started to emphasize the achievements of the Soviet regime in comparison with the outside world. In line with the new policy was Music-Hall’s show A Sixth Part of the World (Shestaia mira, 1931), in which the modest watchmaker Fisch is visited by his American brother-millionaire, who comes to save the family. Yet Fisch with his eleven children refuses to emigrate, claiming that their life could not possibly be better.79 The Leningrad Music-Hall prepared a new show Declared Dead (1931) using the topic of “the defense capability of our country … and anti-aircraft defense” as a pretext for an eccentric show. 80 However, response to the new productions could not be compared to the popularity of the “classics” of the genre — the mainstream repertoire of operetta theatres consisted of popular Viennese operettas, such as Imre Kálmán’s Die Csárdásfuerstin (known in Russia as Silva), Die Hollandweibchen, Grafaen Mariza, Die Zirkusprinzessin, and Die Bajadere, Franz Lehár’s Die gelbe Jacke, Die blaue Mazur, Wo die Lerche singt, and Der Graf von Luxemburg, and Leo Fall’s Madam Pompadour.81 NEP not only revived the network of commercial theatres, but also opened a new source of revenue for the state. The revised taxation policy aimed at a significant differentiation between theatres. In 1926, tickets to drama, opera (including comic opera), ballet, art exhibitions and symphonic performances were to be taxed at 5 %, cinemas, concerts, literary and music evening and matinees

78 P. A. Markov, Rezhissura Vl. I. Nemirovicha-Danchenko v muzykal’nom teatre, 66–80. 79 Iaron, O lyubimom zhanre, 167. 80 Gerard McBurney’s reconstruction of the performance demonstrates how the topicality of politically relevant themes was used as a pretext for a sparkling show. Gerard McBurney, “Declared dead, but only provisionally. Shostakovich, Soviet music-hall and Uslovno ubityi” in Neil Edmunds (ed) Soviet Music and Society under Lenin and Stalin  : The Baton and Sickle. RoutledgeCurzon, 2004, 33–66. 81 Iaron, O lyubimom zhanre, 130–134.

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at 10 %, while operetta and cabaret would be taxed at 25 % of the ticket price.82 However, operetta theatres found an easy way around the law, reopening as theatres of musical comedy. Thus, starting from the 1925/26 winter season the Moscow Operetta Theatre was renamed Moscow Theatre of Musical Comedy.83 After a series of closures, in 1927 the former Nikitsky Theatre reopened once again, still as a private theatre, this time as the Moscow Operetta with Robert Stolz’s The Favorite (Der Favorit) as its first show. In early 1927, the theatre took over a new musical comedy which the Satire Theatre did not want to perform and reworked it as an operetta. This was Isaak Dunaevsky’s The Suitors — the first Soviet operetta, officially praised and well-attended.84 Commenting on the performance, the official state mouthpiece Izvestia wrote  : “The Suitors pleasantly surprised us by the absence of the bourgeois operetta’s perfumed aesthetics, of all the elements of the petty-bourgeois ‘beautiful’ show.”85 As a reward for its “truly Soviet” performances the theatre was granted the status of a state theatre in the autumn of the same year. The news was welcomed by the troupe tired of the daily insecurities and recurrent danger of closing down. The Moscow State Operetta Theatre was the first state operetta in the USSR. Gradually, all the remaining operetta theatres acquired state status. Having come under closer supervision by the state, the Moscow Operetta Theatre continued its search for the new soviet repertoire. Its opening performance as a state theatre was Play with Joker, based on a French comedy, it was the story of a rich American’s adventures blackmailed by the “guardians of the Russian throne.”86 Following Moscow, in 1929 the State Theatre of Music Comedy opened in Leningrad with Strel’nikov’s Bondmaid, celebrated as another example of a successful Soviet operetta. The life of private enterprises was made increasingly difficult in the Soviet context. Apart from the tightening censorship, further changes in taxation policy made it all the more difficult to survive without state subsidies. In May 82 “Polozhenie o mestnyh finansakh RSFSR” passed on November 19, 1926. Republished in A. Trabskii (ed), Russkii Sovetskii teatr, 1926–1932. Leningrad  : Iskusstvo, 1982, 29–30. 83 Iaron, O lyubimom zhanre, 148. 84 Ibid, 153–154. 85 Ibid, 154. 86 Ibid, 160.



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1931, a new decree of the Central Executive Committee and SNK introduced a further tax increase  : drama and opera (including comic opera), ballet, art exhibitions and symphonic performances were to be taxed at 10 %, and concerts, literary and musical evenings and matinees at 15 %, while operetta and cabaret would be taxed at 35 % of the ticket price.87 Along with taxation, another mode of controlling the theatres was by limiting the possibilities of renting venues for performances. On May 23, 1927, Narkompros issued a directive concerning the rental of premises for visual performances, which increased control over the organizations renting spaces for public performances, and limited commerciallyoriented activities — measures which particularly affected small-scale mobile private theatrical enterprises.88 The creation of Soviet operetta was not proceeding at the desired speed. In 1931, Narkompros criticized the activities of the State Union of Music Stage Performances and Circuses (Gosudarstvenoe Ob’edinenie Muzykal’noi Estrady i Tsirkov, or GOMETs) for its “inability to combine the tasks of political enlightenment with the bright artistic form.”89 At the same time, the state announced a policy of “active struggle” against “Viennese operetta, which is dominated by farcical pornography, banality, adultery, and high-society intrigues.”90 Those deemed successful in the creation of the required works, were actively promoted. In the 1930s, light music flourished and its creators were showered with awards. Isaak Dunaevsky was given the Order of the Red Flag, elected a deputy to the Supreme Soviet, and received substantial material rewards. In 1937 he became chairman of the Leningrad branch of the Union of Composers.91At the same time, the repression of writers and artists intensified in the 1930s. In 1933, Aleksei Alekseev, the author of the libretto for the operetta Louis …th and many other musical comedies, was arrested and sent to a labor camp in Karelia, where he headed a drama 87 “Polozhenie o mestnyh finansakh RSFSR” passed on November 19, 1926. Republished in A. Trabskii (ed), Russkii Sovetskii teatr, 1926–1932. Leningrad  : Iskusstvo, 1982, note 73, 39. 88 “Tsirkuliar Narkomprosa RSFSR kraevym, oblastnym I gubernskim politprosvetam ‘Ob arende zrelischnykh predpriatii” published in Trabskii, Russkii Sovetskii teatr, 48. 89 “Postanovlenie kollegii Narkomprosa ‘O rabote GOMETs’ July 28, 1931,” Trabskii, Russkii Sovetskii teatr, 66. 90 “Instruktivnoe pis’mo Glavrepertkoma o muzykal’nom repertuare” not later than January 1931, Trabskii, Russkii Sovetskii teatr, 81. 91 Fitzpatrick, 209.

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and opera theatre with inmates as his troupe.92 Among other repressed artists were the satirical writers Nikolai Erdman, Mikhail Volpin, and Vladimir Mass, who authored some of the most memorable and popular Soviet comedies of the 1920–30s. They were arrested and sentenced in 1933, and afterwards exiled to remote parts of the Soviet Union, from which they could return only years later. The works of repressed writers were withdrawn from theatre repertoires.93 Finally, in the second half of the 1930s Soviet operettas began to conquer its place on the stage. In summer 1937, the Operetta Theatre staged The Fair at Sorochintsy  ; based on Gogol’s short story with music by the Kharkov composer Alexei Riabov, it used Ukrainian folk tunes to create popular songs. Next year, the theatre worked on a topic previously deemed inappropriate for light entertainment  : Riabov wrote the first “heroic” operetta about the Red Army. His Wedding in Malinovka, however, became a long-term favorite and was later (in 1967) made into a popular musical film. Finally, in the summer of 1939 the genre incorporated the most officially venerated profession  : Matvei Blanter’s popular operetta On the shores of Amur was the story of Soviet border guards.94 With dancing and singing soldiers, officers, and border guards on the operetta stage, the sovietization of the genre was successfully completed by 1940.

The Rigt to Sing  : The Rise of Soviet Films Musicals

If theatre was Lunacharsky’s personal “hobby-horse,” cinema was Stalin’s favorite pastime. Yet even before his personal interventions became an almost daily routine95, the mechanisms of Party/state involvement with every stage of filmmaking, from scriptwriting to evaluation of the final products, was established. Cinema was repeatedly acclaimed by the regime as the most efficient means of agitation. A utilitarian approach towards cinema was also advanced in 92 Elizaveta Uvarova (ed.) Estrada v Rossii. XX vek. Entsyklopedia. 29–30. 93 More on performances in the labor camps see http  ://www.pokayanie-komi.ru/content/116/ tom_2_klein_popov_zapolarnaya_drama.pdf (accessed May 25 2011) 94 Ibid, 180–184. 95 Grigory Mariamov, Kremlevskii tsenzor  : Stalin smotrit kino. Moscow  : Kinotsentr, 1992. EVgeny Gromov, Stalin  : vlast’ i iskusstvo, Moscow  : Respublika, 1998.



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the first Soviet years by Lev Trotsky, who echoed Lunacharsky’s hopes for “noble intoxication” with the arts and pinpointed the pragmatic use of its entertainment potential  : “We are able, and indeed obliged, to give the satisfaction of this desire [the longing for amusement] a higher artistic quality, at the same time making amusement a weapon of collective education, freed from the guardianship of the pedagogue and the tiresome habit of moralizing. … The cinema competes not only with the tavern but also with the church. … Here is an instrument which we must secure at all costs  !”96 Trotsky indeed was not the first to formulate the government’s task as the reform of leisure habits  : in 1867 the English civil servant Sir Henry Cole had proposed that museums should “go into competition with the Gin Palaces” to help make leisure “elevating and refining to the working man.”97 At the turn of the 20th century, the so-called “film reform movements” arose in Germany with the aim of “dignifying” cinema by opposing “cultured films” (Kulturfilm) to “trash films” and “trash literature” (Schundfilme and Schundliteratur).98 The intention of Soviet politicians to ensure the production of ideologically correct and “enlightening” films faced the challenge of financial self-sustainability in the NEP years, when cinema was managed as an economic enterprise. Throughout the 1920s the relative pluralism of NEP permitted the co-existence of numerous production and distribution companies. With local film production insufficient to supply the expanding market, the majority of films in distribution in the mid–1920s were imported. Control over distribution was envisioned as one of the mechanisms of controlling the audience. While imported blockbusters constituted box-office successes, a campaign against full reliance on foreign sources was pursued in the press as well as in professional organizations.99 The suggestion for stimulating local production was formulated as a strategy of further

96 Lev Trotsky, “Vodka, tserkov’ i kinematograf,” Pravda 154 (12 July 1923)  : 2. 97 Quoted in Tony Bennett, Critical trajectories  : Culture, Society, Intellectuals, 87. 98 Werner Hortzschansky, “Unterrichtsfilm, Lehrfilm, Industrielfilm, Forschungsfilm, Populaerwissenschaftlicher Film, Dokumentarfilm  : Versuch einer Begriffsbetimmung,” Deutsche Filmkunst 1 (1955)  : 3–15. V. Schulze, “Frühe kommunale Kinos und die Kinoreformbewegung in Deutschland bis zum Ende des ersten Weltkreiges,” Publizistik (Konstanz) 1 (1977)  : 61–71. 99 RGALI 2494/1/2/9–10. D. Lianov “Ob upriamoi deistvitel’nosti i bol’nyh nervakh,” Sovetskoe kino 2–3 (1925)  : 18–22.

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centralization,100 envisioning the monopoly over the market as its enhancement. To ensure centralization, the distribution monopolist Sovkino was created in June 1924 within Narkompros.101 The monopoly was seen as an answer to the “squabbling” of the studios, and was originally conceived as a distribution company without its own production facilities to guarantee impartiality in providing distribution services to other studios. Shortly afterwards, however, Sovkino started its own film production and gradually came to dominate other film studios.102 On July 17, 1924, the Central Committee of the Communist Party and Sovnarkom passed a decree on the state monopoly over film distribution. From 1927 onwards the number of foreign films in distribution began to fall until film imports virtually stopped in the mid–1930s. As a result of this policy, by 1928 box office receipts from Soviet films already exceeded those from imports.103 At the same time, the discussion of popular versus experimental (or “formalist”), mass versus elitist, and, finally, profitable versus propagandistic production gained new momentum. As early as 1927 the Soviet cinema was expected to produce films which were “100 per cent ideologically correct and 100 per cent commercially viable. Soviet film must be highly profitable. It can only be an instrument of Communist enlightenment if it is accepted by the audience with pleasure. We therefore declare that the ‘commercially profitable film’ and the ‘ideologically correct film’ are not mutually exclusive categories but rather complementary to one another.”104 In early 1930, a new company named Soyuzkino became the state monopoly, which it performed under the auspices of the Supreme Council for the National Economy (V S N K h).105 After the Head of Soyuzkino, Martem’ian Ryutin, was denounced as an active opponent of Stalin’s personality cult and arrested,106 100 GARF 4085/12/717/190, 196. GARF 4085/12/717. 101 Mikhailov, “Stalinskaia model’ upravlenia kinematografom,” 10–11. Youngblood, Soviet Cinema in the Silent Era, 43–47. 102 I. Trainin, “Na puti k vozrozhdeniyu,” Sovetskoe Kino 1 (1925)  : 8–14, esp. 12. 103 Taylor on Shumyatsky P 198 104 Anonymous, quoted in Maya Turovskaia, “The 1930s and 1940s  : cinema in context” in Richard Taylor and Derek Spring (eds) Stalinism and Soviet Cinema, Routledge 1993, 34–53. P43 105 Youngblood, Soviet Cinema in the Silent Era, 28–29, 47–55, 115–117. 106 J. Arch Getty and Oleg Naumov, The Road to Terror  : Stalin and the Self-Destruction of the Bolsheviks, 1932–1939 (New Haven  : Yale University Press, 1999)  : 52–61. K. A. Zalesskii, Imperia Stalina. Biograficheskii Enziklopedicheskii Slovar’ (Moscow  : Veche, 2000)  : 398–399.



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Boris Shumyatsky became the new Head. On 11 February 1933 Soyuzkino was reformed to become the Principal Directorate for the Cinema and Photographic Industry (G U K F ), directly subordinated to the Council of People’s Commissars (S N K ), with powers similar to other Commissariats’.107 Under the new leadership, “films understandable for the millions” became the motto of the film industry. The production of musical films started at the moment when all the scripts and the subsequent shooting and editing was under the close control of the G U K F . On June 7, 1933, the Organizational Bureau of the Central Committee passed a decision according to which not a single topic could be made into a film without the Central Committee approval, and no film could be released without its agreement.108 At the same time, the debate over the uneasy relationship between commerce and ideology began again. The emergence of musical cinema in the Soviet Union lagged behind European cinematographies and the US film industry, mainly due to the belated appearance of sound equipment and slow reconstruction of the movie industry. In order to learn about the latest developments in sound technology, a number of filmmakers undertook extensive trips abroad. Shumyatsky also traveled to Hollywood in the early 1930s with a group of filmmakers, to get acquainted with the latest technical novelties. Compared to Lunacharsky, Shumyatsky was less fascinated by high culture, but he was interested in producing films that would be popular with the broad audiences. After his trip to the US, he envisioned the construction of a “Soviet Hollywood” on the Crimean peninsula. 109 The rehabilitation of light entertainment was fueled by Stalin’s notorious 1935 announcement that “life became merrier.”110 Perceived as a policy to be implemented, it changed the priorities of studios’ production plans, intensified the debates about the role of musical comedy, and marked a new stage in the “nationalization of laughter.” 107 Richard Taylor, “Boris Shumyatsky and Soviet Cinema in the 30s” in Richard Taylor and Ian Christie (eds.), Inside the Film Factory  : New Approaches to Russian and Soviet Cinema. London  : Routledge, 1991, 201 108 Artizov and Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 202. 109 Taylor, Boris Shumyatsky, 206. 110 Jeffrey Brooks, Thank you, comrade Stalin  !  : Soviet public culture from revolution to Cold War. Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1999.

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In a polemical article “The right to sing,” filmmaker Igor Savchenko argued for expanding the range of humor and laughter  : “Usually the targets of laughter were lazybones, laggards, drunkards and other negative characters. The public loved them dearly and was unanimously bored if by the end of the play they had been transformed and “adjusted” into moralizing positive figures. … Our positive characters are usually deprived of songs or are given such deadly boredom (kazennaia skuka) that it will remain just a soundtrack. Everyone is singing the thieves’ cant from Road to Life,111 but who remembers what song is performed during work in Ekk’s film  ?”112 Savchenko’s Accordion (1934) was the first Soviet musical film. The adaptation of Aleksandr Zharov’s poem is built around a young villager who gives up singing upon getting a post as a Komsomol secretary. His seriousness is not appreciated by the village girls, who start favoring a singing kulak until the “good guy” picks up his accordion again. Accordion features a utopian space of eternal feasting, which merges labor and celebration into one ongoing carnival.113 The film is a stylized hybrid genre with rhymed dialogues drawing on Ukrainian folklore and defined by the director as “cine-operetta.” On June 10, 1934, the film was viewed by Stalin in the company of Voroshilov, Kaganovich, Zhdanov, and Shumyatsky, who left a record in his diary of the discussion about the film. Though at first Stalin praised the film and commented agreeably on the lead actors, by the second reel he started criticizing the “false” presentation of the harvest and the lack of “action.”114 Accordion remained in distribution at this point, and was even sold abroad, but in August 1936 another scandal burst out around the film, this time after it was viewed by Molotov, the Head of the Soviet Government, who sent a telegram to Kerzhentsev, demanding immediate withdrawal of the film from distribution, including cancellation of the contracts abroad. Two days after the telegram and after two years of screenings, Shumyatsky reported that the film had been withdrawn.115 111 Putevka v zhizn’ (director Nikolai Ekk, 1931) was the first Soviet sound fiction film. 112 Igor’ Savchenko, “Pravo zapet’. K postanovke kinooperett “Garmon’ I Irinkin Rekord” Sovetskaia muzyka, #5, 1935, 57–58. 113 Margolit, “Prizrak svobody  : strana detei.” Iskusstvo kino 8 (2002) 114 Kremlevskii kinoteatr, 933. 115 Kremlevskii kinoteatr, 1928–1953  : Dokumenty. Moscow, 2005. 342–343.



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It was the “experiment with jazz” which became an approved and promoted pattern for Soviet musical comedy. Grigorii Alexandrov’s The Happy Guys (1934) was loosely based on a theatre revue called Musical Shop at the Leningrad MusicHall. Alexandrov’s familiarity with Hollywood productions, acquired during a prolonged trip to the US together with Sergei Eisenstein and Eduard Tisse during the late 1920s and early 1930s, was put to full use. The film was created in collaboration with cameraman Vladimir Nielsen,116 prominent satirists Nikolai Erdman and Vladimir Mass, composer Isaak Dunaevskii, and Leonid Utesov’s currently highly popular Tea-Jazz orchestra.117 Happy Guys was a cross between a Hollywood musical, slapstick, and musical theatre revue with a loose structure of separate gags connected by music and characters. The script of what finally became The Happy Guys (also known as Merry Fellows and Moscow Laughs in foreign distribution) was repeatedly revised.118 The film finally ended with a grandiose operetta-like performance sequence in the Bolshoi Theatre, which exemplified the changing cultural priorities of the regime and demonstrated the subversive eccentric potential of the musical genre. As soon as it was completed, The Happy Guys received mixed reviews and was accused of “americanism.”119 The gravest sin was the genre itself  ; the film was used as a proxy for condemning all light genres as inappropriate at a time when “the international news smells of blood and gunpowder.”120 Fearing the “lightmindedness” of the plot and performances, Narkompros banned the film upon completion. Yet Shumyatsky organized a private screening attended by Gorky and Stalin, and used their approval of the film as a green light to overturn the Narkompros verdict.121 After the official endorsement of the film, it received ecstatic reviews as the first original Soviet comedy. 116 A. Bernstein, “Hollywood bez happy-enda. Sud’ba I tvorchestvo Vladimira Nielsena,” Kino­ vedcheskie zapiski 60. 117 For more on Utesov see David MacFadyen, Songs for fat people  : affect, emotion, and celebrity in the Russian popular song, 1900–1955. Montreal  : McGill-Queen’s University Press, 2002. 118 Already during shooting the film’s scriptwriters Nikolai Erdman and Vladimir Mass were arrested on location at the Black Sea and exiled for three years for their anti-soviet fables. Artizov and Naumov (eds), Vlast’ i hudozhestvennaia intelligentsia, 207. 119 Shumiatskii, Kinematografia Millionov, 239. 120 Ibid, 239. 121 Dmitrii Minchenok, Dunaevskii  : Krasnyi Mozart, Moscow  : Molodaia Gvardia, 2006, 164.

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At the 1935 Conference of Filmmakers which took place under the slogan “For a Great Cinema Art,” Shumiatsky argued for promoting drama, comedy, and fairy tales and formulated what was to become one of the pillars of socialist realism  : “We need genres that are infused with optimism, with the mobilizing emotions, with cheerfulness, joie-de-vivre and laughter. Genres that provide us with the maximum opportunity to demonstrate the best Bolshevik traditions. … The victorious class wants to laugh with joy. That is its right and Soviet cinema must provide its audiences with this joyful Soviet laughter”122 Having defended the “right to laugh and love,” Shumyatsky commissioned Alexandrov to work on a new film which was to demonstrate Soviet tolerance and openness. His next film, Circus (1936), again used Hollywood’s backstage musical recipes, telling the story of the circus performer Marion, who escapes the roaring American mob with her black baby to the welcoming Soviet Union where she undergoes ideological conversion and falls in love with an exemplary, prejudice-free Soviet pilot-cum-circus performer. Their relationship culminates in the episode of the two competing shows — Marion’s flight to the Moon and Ivan’s flight to the stratosphere finally unified in a single performance. Circus demonstrates a successful adjustment of the musical genre to ideological requirements. Alexandrov’s proceeded with Volga-Volga (1938), which reflected a shift towards the rehabilitation of folklore and amateur arts, which were promoted by the state starting from the mid–1930s.123 Volga-Volga was built around a conflict between “classical” and “folk” music, developed as the melodramatic story of two young heroes opposing an old bureaucrat who is unwilling to appreciate popular talent. The production story of the film was dramatic as the scriptwriter Nikolai Erdman, cameraman Vladimir Nielsen, and a number of GUKF top managers were arrested (Erdman already for the second time), and the newly 122 Taylor, “Ideology as mass entertainment,” 208–209. 123 David Brandenberger, National Bolshevism  : Stalinist mass culture and the formation of modern Russian national identity, 1931–1956. Cambridge  : Harvard University Press, 2002. Rimgaila Salys, The musical comedy films of Grigorii Aleksandrov  : laughing matters. Bristol  : Intellect & Chicago  : University of Chicago Press, 2009. Maya Turovskaya, “The Strange Case of making Volga, Volga” in Andrew Horton (ed) Inside Soviet Film Satire  : Laughter with a Lash. Cambridge  : Cambridge University Press, 1993, 75–82.



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appointed officials further interfered with the plot to ensure its “ideological appropriateness. All three films were nevertheless admitted to the canon of “classical Soviet cinema” with the personal blessing of Stalin. Alexandrov shared his monopoly over Soviet musicals only with director Ivan Pyr’ev, who used the rural setting first explored in the genre of musical comedy by Savchenko and returned to the folk archetypes in the kolkhoz settings (Rich Bride, 1937  ; Tractor Drivers, 1939).124 The popularity of musical films both with broad audiences and the Soviet political leadership made it the dominant form of popular arts and revised the traditional hierarchy of theatre and cinema. While Soviet cinema was boasting its triumphs, repression was increasing. Shumyatsky was arrested on January 18 1938, sent into internal exile, and executed on July 29, 1938. His position at the head of the head of film industry was taken by the state security officer Semen Dukelsky, who loyally managed cinematography until the turbulent years of W W I I .

Epilogue

In the first post-revolutionary years, Platon Kerzhentsev, at that time a staunch supporter of the amateur theatre movement, envisioned future Soviet theatre as an association of workers spending their spare time as actors  : “An actors’ collective should consist of the local amateur-workers. Anyone interested in trying it is registered by the theatre. For each new performance the most fitting participants are selected from the list. … It is not necessary to create a permanent troupe …. Theatre should be an eternal studio, where people teach and are taught, where there are daily débuts and where there are no leading and secondrate actors or primary and secondary roles.”125 Professional theatre was assigned the function of training the new cadres of amateurs, but renounced in its own right. Commenting on the repertoire policy, Kerzhentsev particularly passionately attacked opera and ballet, in which he saw the representation of the “authoritarian regimes,” “sanctifying the traditions” 124 Maya Turovskaia, “I. A. Pyr’ev i ego muzykal’nye komedii.” Kinovedcheskie zapiski 1 (1988)  : 111–146. 125 Platon Kerzhentsev, Tvorcheskii teatr (1923), 77.

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which the “real” theatre is expected to demolish.126 Arguing against the need for professionalization, Kerzhentsev came up with a somewhat ironic parallel with economics  : “We should not overemphasize the importance of the technical experience. Was our economic revolution performed by specialists in the fields of finance, economy and trade  ? Of course, the primary push and the general life were formulated by them, but the whole weight of destruction and the subsequent creative work fell on the workers’ shoulders, who did not have experience either in finance or in national economy. Even our cultural achievements are made with the help of the workers with two classes of education.”127 In the twenty years that followed the first edition of Kerzhentsev’s Creative Theatre Soviet cultural policy took a radical turn away from supporting amateur movements towards a highly controlled and hierarchical system of the arts. Over this period of time, the once passionate theatre amateurs grew into loyal administrators scared of improvisation and mistrustful of experiments. In the cultural life of the 1930s, the hierarchy of elite and popular arts was restored, yet the policy cut across the divide  : its tendency towards centralization, the involvement — to the extent of co-authoring — of the state and party personnel in key theatrical and cinematographic productions, tightened repertoire policy, increased control over the movement of theatre and film actors, and unfolding punitive action against artists in both fields. At the same time, the cultural preferences of the audiences were evolving slowly. In 1935, Pravda indignantly reported the growth of the continuing practice of theatre ticket speculation. Particularly disturbing to the reporter was the fact, that the tickets to the most popular performances available on the black market were the discounted tickets reserved for shock-workers and also those sold wholesale to factories and plants.128 While round figures about the workers’ theatre attendance might be misleading, the box-office success of musical films in both urban and rural settings indicates the steady appeal of popular entertainment and the stability of audience preferences. The study of the history of Soviet cultural policies is far from complete  ; important dimensions of policy decision-making remain underexplored. Sig126 Ibid, 225. 127 Ibid, 78. 128 “Spekuliatsia teatral’nymi biletami,” Pravda 32 (2 February 1935)  : 8.



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nificantly under-researched is the role played by commercial popular arts. Not fully investigated remain the activities of the security organs in shaping cultural policy — of which only the tip of an iceberg has emerged in recent publications of archival documents. If in music theatres the home-bred operas and operettas coexisted with internationally famous pieces, in cinemas Western popular films were virtually absent. However, they never ceased to be an important point of reference for Soviet filmmakers and audiences. Musical comedies of the 1930s, which accommodated the structure of Hollywood musicals, not only remained popular in the period of virtually non-existent film imports, but paved the way for the triumph of the so-called “trophy films,” mainly US and German productions released without commercial licenses in the post-WWII years in the Soviet Union. Restoration of the high/popular cultural axis by the 1930s took place in parallel with the establishment of full state sponsorship of the arts. The state as producer, however, did not fully disregard the commercial potential of mass culture. The slogan of “art understandable for the millions,” merged aspirations to ideological control with financial gain from “the most important art” and other popular fields of cultural activity. Writing in Izvestia about the future of the Soviet music in 1934, Prokofiev sensitively pointed out that music in demand should be “grand [bol’shaia],” in order to “match the times.”129 Searching for the right qualifier, the composer defined this style as “lightly-serious or seriously-light,” clear and melodic, to be enjoyed by those “masses of millions which were earlier without or only faintly in touch with it [the music].”130 Pinpointing the essence of Soviet music theatre and musical cinema, Prokofiev’s statement is one of the indicators that in the early 1930s Soviet cultural policy not only took definitive shape but became internalized by the artists and secured communication channels through which various artistic fields were made successfully governable.

129 Prokofiev, Materialy, Dokumenty, Vospominania. Moscow  : Gosudarstvennoe muzykal’noe iz­ datel’stvo, 1961, 214–215. 130 Ibid, 215.

Autorinnen und Autoren

Franz Leander Fillafer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Leibniz-Forschungs-

stelle „Globale Prozesse: 18.-20. Jahrhundert“ an der Universität Konstanz sowie Mitglied des dortigen Exzellenzclusters 16 „Kulturelle Grundlagen von Integration“. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Habsburgermonarchie sowie die Geschichte der europäischen Aufklärung. Jüngste Publikationen: Rivalisierende Aufklärungen: Die Kontinuität und Historisierung des josephinischen Reformabsolutismus in der Habsburgermonarchie in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Die Aufklärung und ihre Weltwirkung (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 23), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 123–169, sowie: „Cosmopolitanism and the German Enlightenment“ in: Helmut Walser Smith (Hg.), The Oxford Handbook of Modern German History, Oxford: Oxford University Press 2011, 119–143 (verfasst mit Jürgen Osterhammel). András Gergely ist Diplomat und Historiker. Er war ungarischer Botschafter in

Südafrika und in den Niederlanden, ist Professor an der Károli Reformierten Universität in Budapest. Er arbeitet auf dem Themengebiet der ideen- und politischen Geschichte Mitteleuropas im 19. Jahrhundert. Fremdsprachig erschien von ihm zuletzt: Reform and Revolution 1830–1849. East European Monographs No DCCXXXVI., Columbia University Press: New York 2009.  Elisabeth Großegger ist Kulturwissenschafterin und Theaterhistorikerin sowie

Stellvertretende Direktorin des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Forschungsschwerpunkte zu Identität und Theater und zur diskursiven Beziehung von Burgtheater und Publikum. Zuletzt erschienen: Burgtheater und Hofburg. Ein ambivalentes Verhältnis aus Nähe und Distanz, in: Georg Vasold (Hg.), Stadtleben und Residenz in Wien im 19. Jahrhundert, in: Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte 2012; Teststrecke Kunst. Wiener Avantgarden nach 1945. Wien: Sonderzahl 2012.

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Autorinnen und Autoren

Alina Hinc ist Oberassistentin an der Forschungsstelle für die Geschichte Polens

im 19. und 20. Jahrhundert am Institut für Geschichte der Adam-MickiewiczUniversität Poznań. Ihr Forschungsinteresse gilt der Geschichte der Historiographie, der Geschichte der Region Poznań im 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung des Prozesses der historischen Identitätsbildung der polnischen Bevölkerung, sowie der Geschichte Polens und der Polen im Zweiten Weltkrieg, sowie dem Regionalismus. Sie ist u.a. Autorin des Buches Obraz dziejów ojczystych w pozaszkolnej edukacji historycznej społeczeństwa polskiego w Wielkim Księstwie Poznańskim w pierwszej połowie XIX wieku, Poznań 2007. Birgit Kuch promoviert am Institut für Theaterwissenschaft der Universität

Leip­ zig und ist Kollegiatin am DFG-Graduiertenkolleg „Bruchzonen der Globa­lisierung“. Forschungsschwerpunkte: Theaterlandschaft der georgischen Hauptstadt Tbilisi, Opern- und Filmgeschichte im Kaukasus. Sie hat publiziert in: Theater der Zeit und caucaz.com. Adam Mestyan is a historian of the modern Middle East, presently a Postdocto-

ral Fellow of the Wissenschaftskolleg zu Berlin. He is specialized in the comparative history of Arab and Ottoman Turkish theatres and cultural politics in the late 19th century. His latest publication is Arabic Lexicography And European Aesthetics: The Origin Of Fann, in: Muqarnas - An Annual on the Visual Culture of the Islamic World (2011), 69–100. Isabel Röskau-Rydel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Neuphilolo-

gie der Pädagogischen Universität in Krakau. Zu einem ihrer Forschungsschwerpunkte zählt die Geschichte und Kulturgeschichte Galiziens über die u.a. folgende Publikationen vorliegen: Isabel Röskau-Rydel (Hg.), Galizien, Bukowina, Moldau, Berlin: Siedler Verlag 1999; Niemiecko-austriackie rodziny urzędnicze w Galicji 1772–1918. Kariery zawodowe – środowisko – akulturacja i asymilacja, Kraków: Wydawnictwo Naukowe Uniwersytetu Pedagogicznego 2011. Oksana Sarkisova is Junior Research Fellow at the Open Society Archives, Cen-

tral European University. Her fields of research are cultural history, memory and representation, film history, and visual studies. She co-edited Past for the



Autorinnen und Autoren

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Eyes: East European Representations of Communism in Cinema and Museums after 1989 (2008) and published extensively on Soviet cinema, amateur photography during socialism, and the Soviet legacy in contemporary Russian visual culture. Ostap Sereda is Senior Researcher at the I. Krypiakevych Institute of Ukrainian

Studies of the National Academy of Sciences of Ukraine. He specializes in cultural politics, public sphere and national projects in Eastern Europe in the second half of the 19th century. His latest publication is Nationalizing or Entertaining? Public Discourses on Musical Theater in Russian-ruled Kyiv in the 1870s and 1880s, in: Sven Oliver Mueller/PhilippTher/Jutta Toelle/ Gesa zur Nieden (Hg.), Die Oper im Wandel der Gesellschaft. Kulturtransfers und Netzwerke des Musiktheaters in Europa, Wien: Böhlau 2010, 31-56; Die Einführung der russischen Oper in Kiew 1867: Ein Fall imperialer Theaterverwaltung, in: Sven Oliver Mueller/Jutta Toelle (Hg.), Bühnen der Politik. Die Oper in europäischen Gesellschaften in 19. und 20. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2008, 187–204. Hartwin Spenkuch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Akademienvorhaben

„Preußen als Kulturstaat“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (Berlin) und publiziert in diesem Rahmen zur Wissenschafts- und Kulturpolitik Preußens bis 1933. Von ihm erschien u. a. Das Preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der Ersten Kammer des Landtages 1854–1918, Düsseldorf 1998. Jiří ãtaif ist Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Karls-Univer-

sität Prag. Er befasst sich mit der Geschichte der Gesellschaft im 19. Jahrhundert und mit der Geschichte der modernen Historiographie. Zum Themenbereich dieses Sammelbandes vgl. besonders Obezřetná elita. Česká společnost mezi revolucí a tradicí, 1830–1851 [Umsichtige Elite. Gesellschaft in Böhmen zwischen Tradition und Revolution, 1830–1851], Praha: Dokořán 2005; Fran­ tišek Palacký. Život, dílo, mýtus [Leben, Werk und Mythos], Praha: Vyšehrad 2009. Philipp Ther ist seit 2010 Professor für Geschichte Ostmitteleuropas an der Uni-

versität Wien. Die vorliegende Publikation ist aus einem Forschungsprojekt am

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Autorinnen und Autoren

Europäischen Hochschulinstitut in Florenz mit dem Titel „Europe and Beyond. Transfers, Networks and Markets of Music Theater“ hervorgegangen, das er zusammen mit Heinz-Gerhard Haupt von 2008 bis 2011 geleitet hat. Er hat mehrere Bücher im Bereich der Musik- und Kulturgeschichte publiziert, darunter In der Mitte der Gesellschaft. Operntheater in Zentraleuropa 1815–1914, Wien: Böhlau 2006. Jutta Toelle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Musikwissen-

schaft und Medienwissenschaft der Humboldt Universität zu Berlin. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die italienische Oper im 19. Jahrhundert. Hierzu hat sie u.a. publiziert: Oper als Geschäft. Impresari an italienischen Opernhäusern 1860–1900, Kassel: Bärenreiter 2007; Bühne der Stadt. Mailand und das Teatro alla Scala zwischen Risorgimento und Fin de Siècle, Wien: Böhlau 2009.  Richard Wortman is James Bryce Professor Emeritus of History at Columbia

University. He specializes in the institutional and cultural history of Russian Monarchy during the Imperial Period. He is author of The Development of a Russian Legal Consciousness Chicago: University of Chicago Press 1976 (Russian translation, NLO Press 2004) and Scenarios of Power: Myth and Ceremony in Russian Monarchy. Princeton: Princeton University Press, 1995, 2000 (Russian language translation, OGI Press 2004).