Kulturgeschichte der frühen Neuzeit: Von 1500 bis 1800 9783666540264, 9783525540268, 9783647540269

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Kulturgeschichte der frühen Neuzeit: Von 1500 bis 1800
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Anton Grabner-Haider / Klaus Davidowicz / Karl Prenner

Kulturgeschichte der frühen Neuzeit Von 1500 bis 1800

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Umschlagabbildung: Fra Angelico, Birth of Christ: © Akg-images, 2-R42-D11-1450-40 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-54026-8 ISBN 978-3-647-54026-9 (E-Book) © 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: Anne Seibt Druck und Bindung: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Inhalt

Einleitung ................................................................................................................... 9 1. Lebensformen und Lebenswelten ..................................................................... 13 Der wirtschaftliche und soziale Rahmen ............................................................... 13 Kultur der Städte ........................................................................................................ 16 Prozesse der Zivilisation ........................................................................................... 17 2. Dynamik der Reformationen ............................................................................ 21 Anfänge und Auslöser .............................................................................................. 21 Die Reformation Martin Luthers ............................................................................ 22 Die Reformation in Zürich ....................................................................................... 28 Calvins Reformation in Genf ................................................................................... 30 Reformation in England und Schottland ............................................................... 32 Politische Weiterentwicklungen .............................................................................. 34 3. Protestantische Lebenswelten ........................................................................... 37 Erweckungsbewegungen des Glaubens .................................................................. 37 Konfessionen und Denominationen ....................................................................... 39 Das kulturelle Lernen ................................................................................................ 42 Anfänge rationaler Aufklärung ............................................................................... 44 4. Katholische Lebenswelten .................................................................................. 47 Lehren der Kleriker und Theologen ....................................................................... 47 Herrschaft der Päpste ................................................................................................ 50 Neue Ordensgemeinschaften ................................................................................... 52 Verfolgung der Hexen und Ketzer .......................................................................... 54 Mystik und Heiligenverehrung ................................................................................ 57 Anfänge der Weltmission ......................................................................................... 59 5. Lehren der Philosophen ..................................................................................... 63 Denkimpulse des Humanismus ............................................................................... 63 Ansätze der freien Wissenschaft .............................................................................. 68 Lehren über Staat und Gesellschaft ......................................................................... 71

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Inhalt

Die Methoden der Wissenschaft ............................................................................. 74 Die entfaltete Vernunft ............................................................................................. 78 Englische Denker der Aufklärung ........................................................................... 81 Französische Aufklärung .......................................................................................... 84 Deutsche Aufklärung ................................................................................................ 85 Weiterentwicklung der Grundideen ....................................................................... 88 6. Entwicklung der Naturwissenschaften ............................................................ 93 Erkenntnisse der Astronomie .................................................................................. 93 Die Gesetze der Natur ............................................................................................... 96 Physik, Chemie und Biologie.................................................................................... 97 Theorien der Mathematik......................................................................................... 100 Medizinische Forschungen....................................................................................... 103 7. Prozesse der Aufklärung .................................................................................... 107 Ringen um Toleranz................................................................................................... 107 Wirken der Geheimgesellschaften........................................................................... 109 Kritik an den Klerikern............................................................................................. 112 Demokratie in Amerika............................................................................................. 116 Revolution in Frankreich.......................................................................................... 118 8. Organisation von Herrschaft ............................................................................. 123 Verdichtung von Herrschaft...................................................................................... 123 Heiliges Römisches Reich.......................................................................................... 125 Frankreich und Holland............................................................................................ 130 England und Skandinavien....................................................................................... 131 Länder Südeuropas..................................................................................................... 133 Osteuropa und Russland........................................................................................... 133 Das Osmanische Reich.............................................................................................. 134 Kolonialismus und Sklavenhandel........................................................................... 135 9. Literatur und Dichtkunst ................................................................................... 139 Literatur im Übergang............................................................................................... 139 Konfessionen und soziale Schichten........................................................................ 142 Literatur der slawischen Länder............................................................................... 146 Literatur in Skandinavien.......................................................................................... 150 Aufklärung und bürgerliche Literatur in West- und Mitteleuropa...................... 152 10. Baukunst, Malerei und Musik ......................................................................... 157 Kunst im 16. Jh........................................................................................................... 157 Kultur des Barock....................................................................................................... 161 Kunst des Rokoko und des Neo-Klassizismus........................................................ 164 Entwicklungen in der Musik..................................................................................... 166

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Inhalt

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11. Kultur des Judentums (Klaus Davidowicz) .................................................. 171 Die Erben des spanischen Judentums..................................................................... 171 Uriel da Costa............................................................................................................. 176 Das kabbalistische Zentrum in Safed...................................................................... 178 Das polnische Judentum............................................................................................ 180 Die sabbatianische Bewegung................................................................................... 183 Die Dönme und der Frankismus.............................................................................. 189 Der Chassidismus....................................................................................................... 192 Moses Mendelsohn und die jüdische Aufklärung................................................. 193 13. Islamische Kulturgeschichte (Karl Prenner) ................................................ 205 Kulturgeschichte der osmanischen Zeit.................................................................. 206 Kulturgeschichte der Safawidenzeit (1501–1722).................................................. 222 Kulturgeschichte der Mogulzeit............................................................................... 237 ANHANG Anmerkungen............................................................................................................. 253 Zeittabelle ................................................................................................................... 277 Weiterführende Literatur ........................................................................................ 281 Personenregister ....................................................................................................... 285

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Einleitung Anton Grabner-Haider

In der frühen Neuzeit setzten sich die kulturellen Lernprozesse in vielfältiger Weise fort, die im späten Mittelalter begonnen hatten. Durch die Entdeckung neuer Kontinente und Völker wurde die Weltsicht erheblich geweitet, die Naturwissenschaften lösten sich von den Vorgaben der Religion, die Laienchristen wurden gegenüber den Klerikern selbstständiger. Das Leben wurde zunehmend weltlich gedeutet, die Übergänge von der Religion zur Kultur und Ethik beschleunigten sich. So deutete Hans Blumenberg die moderne Kultur als das Ergebnis von komplexen Prozessen der Säkularisation von christlichen Glaubensinhalten. Nun mussten vakant gewordene Inhalte der Weltdeutung neu besetzt werden, die Selbstbehauptung der kritischen Vernunft schritt deutlich voran. Doch die Erinnerung an das Vergehende blieb noch stark, die moderne Welt verdankte einen Großteil ihrer Erfolge der christlichen Weltdeutung. Der theologische Absolutismus habe sich in relativ kurzer Zeit über den politischen Absolutismus zu demokratischen Ordnungen der Gesellschaft hinbewegt.1 Die Erinnerung an die stoische Philosophie zeigte vielen Gebildeten, dass die Menschen um ihrer selbst willen und nicht für das Göttliche lebten. Immer mehr Philosophen übernahmen Verantwortung für ihre Lebenswelt und traten für ein neues Ordnungssystem der Gesellschaft ein. Doch nun trugen sie auch die Last der Selbstbehauptung und der Selbstverwirklichung. In ihrer Weltdeutung schwanden die festen Ziele der menschlichen Geschichte, die Einheit der göttlichen und metaphysischen Ordnung zerfiel in eine Vielheit von Ordnungssystemen und Welten. Die Natur wurde zunehmend materialistisch gedeutet und mittels der Mathematik beschrieben, die Bindung der freien Vernunft an das Ewige und Göttliche löste sich langsam auf. Die Naturwissenschaften brauchten nicht mehr den Bezug zur Metaphysik und zur Transzendenz. Der „imperiale Theismus“ sei schrittweise in einen rationalen Deismus übergegangen. Mit dem Ringen um die Freiheit der Erkenntnis und des Denkens wurden bisherige Vorurteile überwindbar, die immer besser verstehbare Materialität der Welt führte zu einer verstärkten Technisierung der Natur und des Lebens.2 Die theoretische Neugierde und der Forscherdrang waren nun nicht länger verboten, sie wurden sogar zu neuen Tugenden. Die akademische Skepsis der Antike wurde neu belebt, sie verband sich nun mit stoischen und epikureischen Weltdeutungen. Die Gebildeten setzten auf Selbstverfügung und Selbstbehauptung, der Bezug auf die göttliche Vorsorge und Vorsehung nahm stetig ab. Die Naturwissenschaften über-

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Einleitung

nahmen von der Bibel nur mehr den göttlichen Auftrag, die Natur zu beherrschen und die Erde den Menschen untertan zu machen. Die aristotelische Weltdeutung wurde aufgegeben, denn die Erde war nun nicht mehr die Mitte des Kosmos. Durch den Blick ins Unendliche wurde aber die „Würde“ des Menschen sichtbar, dieser sei zur Selbstverwirklichung und zur freien Entfaltung der kritischen Vernunft berufen. Die Rollen zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen wurden völlig neu verteilt, in Teilbereichen der Wissenschaft entschwand das Göttliche vollständig aus dem Blickfeld.3 Die Spuren der neuzeitlichen Zivilisation hatte Norbert Elias nachgezeichnet, doch er ging mit einem mechanistischen Geschichtsbild an die Thematik heran. So sprach er von „Entwicklungsmechanik“, von „Herrschaftsapparatur“ und von Monopolmechanismen in der Herrschaft neuzeitlicher Königreiche. Ihm gelang es aber, die Soziogenese der neuzeitlichen Gesellschaft in wesentlichen Linien plausibel nachzuzeichnen. Mit der zunehmenden Differenzierung der Gesellschaft sei der Selbstzwang der einzelnen Individuen größer geworden, die Entfaltung der naturhaften Triebe sei deutlicher möglich geworden, bisherige Monopole der Gewalt hätten sich relativiert und aufgelöst. Dadurch sei die Individualisierung des Lebens ständig größer geworden und die Vielfalt der zivilen Verhaltensmöglichkeiten habe sich deutlich vermehrt. Die Dämpfung der naturhaften Triebe erfolgte nun durch eine rationale Moral, die Grenzen der Scham und der Peinlichkeit seien vor allem in den Stadtkulturen angestiegen. Die Spannungen zwischen den sozialen Schichten hätten sich verschoben, durch die Entfaltung der Naturwissenschaften und durch verbesserte Waffentechnik seien große Einheiten der Herrschaft möglich geworden. Die kritische Vernunft trage nun wesentlich zur Verhaltenssteuerung und zur Festigung bestimmter Verhaltensmuster bei. Der fortschreitende „Prozess der Zivilisation“ habe ein dauerhaftes Gleichgewicht zwischen den sozialen Schichten geschaffen, doch dieser dynamische Prozess sei nach vorne hin jedoch völlig offen.4 Das vorliegende Buch zeichnet zuerst Lebensformen und Lebenswelten der frühen Neuzeit nach, es befasst sich mit der Kultur der Städte und der Zivilisation bei allen sozialen Schichten. Dabei kommen vor allem wirtschaftliche Aspekte in den Blick. Einen Schwerpunkt bilden die verschiedenen Kirchenreformationen mit ihren politischen und kulturellen Auswirkungen, vor allem in Deutschland, in England, in Schottland und in Skandinavien. Daraus entstanden verschiedene protestantische Lebenswelten mit Erweckungsbewegungen, Konfessionen und Denominationen und mit frühen Ansätzen einer rationalen Aufklärung der Lebenswelt. Die katholischen Lebenswelten entfalten sich anders, sie setzen auf die alten Riten und Dogmen der Kleriker, auf Wallfahrten und die Verehrung der Heiligen, auf neue Orden und Formen der Mystik. Auch die Verfolgung der Ketzer und der Hexen ging in dieser Zeit noch lange weiter, sie hat sich sogar auf Amerika und Afrika ausgeweitet. Eine katholische Barockkultur verband sich mit starken Impulsen der Weltmission für den christlichen Glauben. Insgesamt aber haben die Lehren der Philosophen entscheidend zur rationalen Aufklärung und zum Prozess der Zivilisation beigetragen. Zunächst musste lange

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Einleitung

Zeit um die Befreiung des Denkens und der Wissenschaften aus der Kontrolle der Kleriker und Theologen gerungen werden. Dann ging es um Regeln für die entstehenden Naturwissenschaften, um eine profane Deutung des sozialen Lebens und des Staates, um die Begründung einer tragfähigen Moral und um die freie Entfaltung der kritischen Vernunft. Kurz wird die Entwicklung der wichtigsten Naturwissenschaften dargestellt, die Erkenntnisse der Astronomie und der Mathematik, der Physik, der Chemie und der Biologie sowie der Medizin. Ein Überblick befasst sich mit den Formen und der Verdichtung der politischen Herrschaft in dieser Epoche, mit der Entstehung und der Festigung von Nationalstaaten, mit den Grundregeln einer vernünftigen Politik, mit dem Kolonialismus und dem Sklavenhandel. Die Prozesse der rationalen Aufklärung werden näher beschrieben als das Ringen um Toleranz für fremde Überzeugungen, als das Erstreben von demokratischen Entscheidungen, von vernünftigen Gesetzen und gleichen Rechten für alle Menschen um die Trennung des Staates aus der Herrschaft der Religion. In den Blick kommen die Kritik von Philosophen an der Dominanz der Kleriker, die Anfänge der Demokratie in Amerika und die Dynamik der Revolution in Frankreich. Kurz dargestellt werden auch die großen Themen der Literatur in den verschiedenen Ländern Europas, die Entwicklung des Theaters in den einzelnen Sprachen. Dann wird auf die Baukunst und auf die großen Werke der Malerei und der Musik in dieser Zeitepoche geblickt. Umfassend dargestellt wird auch die Entwicklung der jüdischen und der islamischen Kultur in Europa und in außereuropäischen Ländern, die Lebenswelt und die Lehren der Rabbinen und der islamischen Theologen (Kalam), die Formen der Mystik, die Dichtkunst und die kritische Philosophie. Hier werden die Prozesse des Austausches zwischen den Kulturen beschrieben, welche die europäische Zivilisation deutlich voran gebracht haben. Insgesamt möchte das Buch einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis der Kultur der europäischen Neuzeit, zum Verstehen der großen Lernprozesse der europäischen Zivilisation in den Bereichen der Philosophie, der Religion, der Naturwissenschaften, der Moral, der Politik, der Staatslehre, der Dichtung und der darstellenden Kunst. In der Sichtweise der Pragmatischen Philosophie (Ch. S. Peirce, W. James, J. Dewey) wird versucht, die enge Verflechtung von Lebenswelten und von Daseinsdeutungen zu sehen. Im Sinne der postmodernen Philosophie (J.F. Lyotard, J. Derrida, R. Rorty, Ch. Taylor, M. Walzer) sind auch „Dekonstruktionen“, Transformationen und neue Deutungen bisheriger Interpretationen von Kultur, Gesellschaft und Politik beabsichtigt. Das Buch vertritt somit ein breites Verständnis von „Kultur“, da es sich dem interkulturellen Dialog verbunden weiß. Mit einem engen Verständnis von Kultur ist dieser Dialog heute nicht zu führen. Für den Buchsatz und wertvolle Arbeiten am Text danken wir Frau Mag. Anne Seibt. Graz, im Frühjahr 2014

Anton Grabner-Haider

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Lebensformen und Lebenswelten

Die Lebensformen und Lebenswelten der frühen Neuzeit können nur in kurzen Ausschnitten dargestellt werden, eine umfassende Beschreibung wird nicht angestrebt. Vielmehr sollen die markanten Grundstrukturen des Zusammenlebens in den Städten und in ländlichen Regionen in den Blick kommen, die Entwicklungslinien der politischen Entscheidungen, die soziale Dynamik zwischen den Gruppen und Schichten und das Verhältnis der Geschlechter. Grundsätzlich wird davon ausgegangen, dass Denkformen und Glaubensformen von konkreten „Lebenswelten“ abhängig sind, auch wenn sie diese zum Teil später formen und prägen. Aus diesem Grund sollen auch mentalitätsgeschichtliche Aspekte schärfer in den Blick kommen.

Der wirtschaftliche und soziale Rahmen In der dargestellten Zeitepoche ist die technische und wirtschaftliche Entwicklung in Europa erstaunlich schnell vorangekommen, im 16. Jh. ging dieses Wachstum noch langsam vor sich, doch ab 1750 ist es rapide angestiegen. Wir kennen die Zahlen der Geburten und der Todesfälle aus den Kirchenbüchern, die in den meisten Regionen eingerichtet wurden. Durch die Reformation der Religion wurde das Zählen der Bevölkerung wichtig, denn die neuen Glaubensgemeinschaften brauchten einen Überblick über die Zahl ihrer Mitglieder. Auch die Fürsten und Könige, die Grafen, Bischöfe und Äbte benötigten Zahlen ihrer Untertanen, um von ihnen Abgaben und Steuern einheben zu können. Sie zählten die „Herdstellen“ ihrer Abgabenpflichtigen und auch ihre Leibeigenen und Sklaven. Bereits im 17. Jh. benutzten Ärzte in England die kirchlichen Listen der Sterbefälle, um nach Todesursachen zu forschen. Einige Länder wie Schweden und Frankreich führten frühe Statistiken ihrer Bevölkerung, die allerdings nicht immer genau waren. Nach den Schätzungen der Historiker, die sich auf das genannte Datenmaterial beziehen, lebten um 1400 an die 60 Millionen Menschen in Europa, um 1800 dürften es bereits um die 200 Millionen gewesen sein. In Mitteleuropa kam es durch die Religionskriege (Dreißigjähriger Krieg) zur Entvölkerung ganzer Regionen, doch nach 1650 war auch dort ein langsamer Anstieg der Bevölkerung möglich. In England und Frankreich war die Bevölkerung schneller gewachsen als in Südeuropa und in Skandinavien.1

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Lebensformen und Lebenswelten

Große Teile der Bevölkerung lebten in ländlichen Regionen, in Dörfern und Weilern, andere in den Städten und Märkten. Ein Teil der Bevölkerung war unterwegs und auf Wanderung. Zur mobilen Bevölkerung gehörten die Handwerker und Gesellen, die Sänger und Spielleute, die Studenten und Gelehrten, die Händler und Kaufleute, aber auch die Pilger und Wallfahrer. Mit dem Ende des 15. Jh. kam es zu großen Fluchtbewegungen. Moslems und Juden wurden aus Spanien und Portugal vertrieben, sie suchten neue Siedlungsräume. In der Zeit der Glaubensreformation mussten entweder Katholiken oder Lutheraner oder Calviner oder Hugenotten flüchten; Mönche und Nonnen wurden aus Klöstern vertrieben, Prediger mussten Städte und Regionen verlassen. Ab 1555 entschied im Heiligen Römischen Reich der jeweilige Landesfürst über den religiösen Glauben seiner Untertanen. Hussiten und Hutterer, Maroniten und Puritaner wurden aus vielen Herrschaftsgebieten vertrieben. Zu dieser Zeit waren in Europa bereits die Sinti und Roma unterwegs, die noch nie sesshaft waren. Söldner und Soldaten zogen von einem Krieg zum anderen. Die Migration erfolgte auf den alten Handelswegen, die Zugtiere waren Pferde, Ochsen und Kühe. Viele Flüchtlinge waren zu Fuß auf Saumpfaden unterwegs oder sie fuhren mit Kähnen auf Flüssen und Wasserwegen. Viele der aus Spanien vertriebenen Moslems und Juden fanden Zuflucht in Italien, in Nordafrika und in Konstantinopel.2 Die großen Handelsstraßen in Europa gingen von Nord nach Süd und von West nach Ost, sie verbanden den Kontinent mit Skandinavien und mit dem Vorderen Orient. Und von dort führten sie bis China und Indien. Oder sie gingen nach Afrika, nach Südamerika und nach Nordamerika. Die Glaubensflüchtlinge wanderten von einer Herrschaft in die andere. Doch die Fürsten bemerkten kaum, dass sie mit den Vertreibungen ihre eigene Wirtschaft schädigten. Viele Europäer flüchteten aus wirtschaftlichen und religiösen Gründen nach Nord- und Südamerika und bauten dort neue Gemeinwesen auf.3 Auch die Händler und Kaufleute waren auf Fernstraßen und Flüssen unterwegs, sie mussten die Verkehrswege ständig gegen Überfälle sichern, was zumeist durch Kriege und Soldaten geschah. Viele Fürsten gaben ihnen Geleitschutz. Die Märkte in den Städten waren die Umschlagsorte der Handelsgüter, dafür mussten die Händler fixe Abgaben bezahlen. Auf Kaufmessen und Jahrmärkten wurden die neuen technischen Erfindungen vorgestellt, aber auch politische Informationen ausgetauscht. Auch Bauarbeiter und Baumeister waren unterwegs, die an großen Domen, Klöstern und Rathäusern bauten. Aber auch Künstler und Maler, Bildschnitzer und Steinmetze, Prediger und Mönche, Studenten und Lehrer waren häufig und längere Zeit unterwegs. Für die Übernachtung gab es Herbergen und Pilgerhäuser.4 Gehandelt wurde mit Erzen und Salz, mit Bernstein und Eisen, Kupfer und Silber, mit Kleidern und Stoffen und mit landwirtschaftlichen Gütern. Gestört wurden die Handelswege immer wieder durch Kriege und Überfälle. Zu dieser Zeit wurden in Europa auch noch Tausende Sklaven gehandelt, die in den großen Seehäfen von Lissabon, Nantes und Liverpool eingekauft wurden. Die Städte waren die primären Orte des Handels, sie hatten folglich den stärksten Zuzug an Bevölkerung und den

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Lebensformen und Lebenswelten

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größten wirtschaftlichen Aufschwung. Ohne Zweifel hat der Handel wesentlich zum Prozess der Zivilisation in Europa beigetragen.5 Die sesshaften Menschen gehörten zu einem Herrschaftsgebiet und unterstanden einer fixen Ständeordnung. Ganz oben waren die höheren Kleriker mit ihren Sonderrechten. Auf gleicher Augenhöhe standen die Adeligen in vielfachen Abstufungen. Den „dritten“ Stand bildeten in den ländlichen Regionen die Bauern und Hirten, die Lohnarbeiter, die Knechte und die Mägde. In den Städten bildeten den dritten Stand die Händler und Handwerker, die freien und die unfreien Stadtbürger, die Lohnarbeiter und Gesellen, die Knechte und Mägde, die Fremden und auch Sklaven aus fremden Kontinenten. Die Bauern waren von ihren Herren abhängig, denen sie hohe Abgaben zahlen und regelmäßig Fronarbeit leisten mussten. In den Städten zahlten die Stadtbürger ihren Stadtherren festgesetzte Abgaben, doch mit ihrem vermehrten Reichtum konnten sie von diesen Herren schrittweise die Rechte der Selbstverwaltung mit Geld erkaufen. So wurden die Städte die Orte des Handels und des Geldes, der Produktion von Gütern und Waren, der Dienstleistung und der technischen Neuerungen. Dort konnten die Frauen ungleich mehr an Rechten bekommen als in den Dörfern und Weilern. In den Städten sehen wir auch die ersten Ansätze zu demokratischen Mitentscheidungen der Bürger.6 Insgesamt war die Gesellschaft mehrheitlich patriarchal und männerdominant organisiert, die Männer hatten viel mehr Rechte als die Frauen. Die Kleriker und Theologen lehrten, die Frauen sollten sich den Männern im Gehorsam unterordnen, dies sei der göttliche Wille. Der Familienvater war im Bereich des Wohnens und der Arbeit dominant. In den ländlichen Regionen verbanden sich die Bauern zu Hilfsgemeinschaften, die Dörfer und Weiler wählten ihre Vertreter bei den Grundherren. Im 16. Jh. ging die landwirtschaftliche Produktion wegen einer Klimaverschlechterung deutlich zurück. Sie konnte sich erst nach 1650 wieder erholen. Zu dieser Zeit wurden viele Bauernhäuser verlassen, Felder verödeten, Viehweiden wurden vom Wald überwachsen. Fortan schauten bereits viele Stadtbewohner verächtlich auf die Bauern in den ländlichen Regionen, wie wir aus vielen Texten wissen.7 Auch an den Höfen der Fürsten und Adeligen kam es zu wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen. Viele Angehörige des Adels zogen von ihren unwirtlichen Burgen in neue Wohnsitze in den Städten, wo sie sich Schlösser und Paläste erbauen ließen. Sie profitierten vom Reichtum der Städte und ließen ihre neuen Wohnsitze großzügig bauen und künstlerisch gestalten. Aber auch die reichen Stadtbürger konnten sich große Häuser bauen und ein reiches kulturelles Leben entfalten. Vor allem in Italien war die Erinnerung an die antike Kultur stark ausgeprägt, in den Städten wurde nun die Literatur der nationalen Sprachen gepflegt. Dort wurden neue Arten der Musik gespielt, es wurden Theater eingerichtet und neue Tanzformen entwickelt. Die Adeligen und die reichen Stadtbürger lebten mehrheitlich in einer sinnenfreudigen Kultur, die Beziehungen zwischen den Geschlechtern veränderten sich. Denn jetzt bekamen auch Frauen kulturelle und wirtschaftliche Aufgaben, sie erhielten Zugang zur Bildung und vereinzelt auch zu den Wissenschaften.8

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Lebensformen und Lebenswelten

Die Kultur der Städte Die stärkste wirtschaftliche, kulturelle und politische Dynamik entwickelten die kleineren und größeren Städte und Märkte. Sie waren die Orte des Marktes und des Handels, der Erzeugung und der Bearbeitung von Wirtschaftsgütern, der technischen Erfindungen und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, des kulturellen Lebens und der sozialen Mobilität. Dort wurden die großen Bauwerke geschaffen: die Kirchen und Dome, die Klöster und Kathedralen, die Rathäuser und die Markthallen, die Schlösser der Adeligen und die Häuser der Patrizier, die Hospitale und die Armenhäuser. In den Städten gab es Arbeit und eine gewisse soziale Sicherheit. Viele Städte wurden in dieser Zeit von ihren Stadtherren unabhängig. In ihnen wuchsen der Reichtum und der Wohlstand vieler Bürger, doch gleichzeitig wurden die sozialen Unterschiede größer. Die alteingesessenen Bürger und Patrizier waren im „Kleinen Rat“ vertreten, wo sie die wichtigsten Entscheidungen für das wirtschaftliche und politische Leben trafen. Die neu zugezogenen oder sozial aufgestiegenen Bürger waren im „Großen Rat“ vertreten. Dieser hatte über die weniger wichtigen Angelegenheiten zu entscheiden. Er trat seltener zusammen als der Kleine Rat der Altbürger. In den Städten nahm die soziale Mobilität zu, dort konnten Handwerker und Händler in hohe politische Ränge aufsteigen. Die Freiheit der Lebensgestaltung war in den Städten deutlich größer als in den ländlichen Regionen.9 Wir erkennen in den Städten schon frühe Ansätze zu demokratischen Entscheidungen, die Altbürger (Citoyen) und die Neubürger (Bourgeoisie) hatten ihre Räte; manche Fragen wurden auf öffentlichen Plätzen von allen freien männlichen Bürgern abgestimmt (Bürgerversammlung). Einigen Städten gelang es, sich von ihren Stadtherren weitgehend freizukaufen. Die Reichsstädte waren direkt dem Heiligen Römischen Reich unterstellt, sie hatten Privilegien gegenüber den anderen Städten und Märkten. In den meisten Städten wurde ein wirtschaftlicher Reichtum erarbeitet, sei es durch Handwerk, durch Handel, durch Zölle und Abgaben oder durch Erträge aus Bergwerken. Viele Städte schlossen sich zu Handels- und Verteidigungsbünden zusammen, in Norditalien wurden viele Städte als Stadtrepubliken weitgehend autonom. Mit der Zahl der Einwohner stieg auch der politische Einfluss in den Regionen.10 Zu dieser Zeit wurden die Stadtbilder von den Kirchen und Domen, von Klöstern und Rathäusern, von Markthallen, Marktplätzen und Bürgerhäusern geprägt. Um 1500 hatten in Europa nur Neapel, Mailand, Paris und Venedig mehr als 100.000 Einwohner; die deutschen Städte Köln, Gent und Nürnberg lagen zwischen 35.000 und 45.000. Doch hundert Jahre später hatten Neapel, Paris und London schon mehr als 200.000 Bewohner, Venedig, Mailand, Palermo, Rom und Lissabon lagen über 100.000, die Städte Brüssel, Danzig und Wien bei ung. 50.000. Um das Jahr 1700 erreichten London und Paris schon über 500.000 Einwohner, Neapel und Amsterdam lagen über 200.000 und Lissabon, Rom, Venedig, Wien, Mailand, Madrid und Palermo lagen über 100.000. Und im Jahr 1800 hatte London bereits 850.000 Einwohner, Paris 580.000, Neapel 427.00 und Wien 231.000. In Europa gab es über 20 Städte, die mehr als 100.000 Bewohner hatten.11

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Lebensformen und Lebenswelten

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Der Zuwachs der Bevölkerung erfolgte vor allem durch Zuzug aus ländlichen Regionen. Durch Epidemien und Pestwellen, durch Kriege und Hungersnöte ging die Bevölkerung in den Städten jedoch öfter wieder zurück. Darauf folgten neue Migrationswellen. Die stärkste Berufsgruppe waren die Handwerker, sie hatten zwei bis drei Jahre Ausbildung, gingen dann auf Wanderschaft und ließen sich in einer Stadt nieder, wo sie aufgenommen wurden. Sie waren in Zünften organisiert und folgten einer besonderen Berufsethik, denn sie wollten dem Gemeinwohl dienen. Einige Handwerkerbetriebe bildeten später Manufakturen für Kleider, Leder und Holzbearbeitung. Ihre Produkte wurden von den Händlern auf verschiedenen Märkten verkauft; es wurde nur so viel erzeugt, als abgesetzt werden konnte. Als große Webstühle aufkamen, konnte die Produktion von Stoffen und Kleidern stark gesteigert werden. Die Händler entwickelten eine „merkantilistische“ Wirtschaftspolitik, die vor allem auf die entstehenden Flächenstaaten bezogen war. Die Verarbeitung von Holz, Metallen und Leder, aber auch die Erzeugung von Waffen wurde stark gesteigert. Der Buchdruck hatte in den Städten seine Orte, dort entstanden kleinere und größere Verlagshäuser. Es gab Schriftgießer und Formenschneider, Briefmaler und Buchbinder. So wurden in den Städten viele neue Arbeitsplätze geschaffen.12

Prozesse der Zivilisation In den tragenden Schichten der Städte konnten die Händler, Kaufleute und Handwerker große Reichtümer ansammeln. Sie betreuten die Märkte in der eigenen Stadt und in den benachbarten Städten, sie waren aber auch im Fernhandel tätig. Viele Kaufleute hatten Handelsbeziehungen in den Vorderen Orient, nach Afrika und Amerika, ja bis Indien und China. Im Fernhandel wurden die Seefahrernationen England, Spanien, Portugal, Frankreich und Holland dominant, sie schufen auf fremden Kontinenten ihre Handelsniederlassungen und organisierten schon früh ein System von „Kolonien“. Sie handelten mit Rohstoffen jeder Art, mit Edelmetallen und Elfenbein, aber auch mit Menschen und Sklaven. In den Häfen von Lissabon, Nantes und Liverpool wurden die Sklaven aus Afrika gekauft und verkauft. Nach heutigen Schätzungen wurden zwischen 1500 und 1800 an die 30 Millionen Sklaven nach Europa und Amerika gebracht. Dabei muss noch berücksichtigt werden, dass oft ein Drittel der Sklaven auf den Schiffen starb.13 In dieser Zeitepoche haben die erfolgreichen Kaufmannsfamilien in Europa wesentlich zur Finanzierung von wissenschaftlichen Forschungen und technischen Neuerungen beigetragen. Doch damit bekamen sie auch großen Einfluss auf die Politik ihrer Länder, etwa in England oder Holland. Manche dieser Familien sind von den Fürsten und Königen geadelt und in den Stand von Reichsgrafen erhoben worden. Von den Kaufleuten unterschieden sich die Krämer, die in den Städten und Märkten die Güter des alltäglichen Bedarfs anboten; sie kamen meist zu keinem größeren Reichtum. Zu den städtischen Eliten zählten bald die Juristen und die Ärzte, die höheren Kleriker und die Lehrer an den Universitäten. Doch die alten Patrizierfamilien verteidigten ihre angestammten Rechte gegen die vielen Neuaufsteiger und neureichen Familien, was

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Lebensformen und Lebenswelten

ihnen aber meist nicht gelang. Durch die Wirtschaft und den Handel wurde die soziale Mobilität groß, die Eliten wechselten durch den Aufstieg neuer Gruppen. Die hierarchische Ordnung drückte sich durch die Kleidung aus, aber auch in der Sitzordnung in den Kirchen, bei Prozessionen und Volksfesten oder bei Bürgerversammlungen.14 In vielen Städten lebten die Juden in eigenen Stadtvierteln oder in Ghettos, sie waren dort vor Überfällen geschützt, aber ihre Mobilität war stark eingeschränkt. Sie waren als Händler, Geldverleiher und Handwerker tätig, hatten aber keine Bürgerrechte. Sie konnten daher nicht politisch tätig werden und mussten an ihrer Kleidung erkennbar sein. Dies waren hauptsächlich die Forderungen der Kleriker, der Theologen und der Prediger in beiden Kirchen, der katholischen und der protestantischen Glaubensrichtung. Die Fürsten und Stadtherren schützten aber ihre „Finanzjuden“ in besonderer Weise, denn von ihnen bekamen sie große Summen an Geld geliehen, die sie für Kriege oder große Bauwerke brauchten. Allgemein mussten die Juden eine besondere Abgabe, die Judensteuer zahlen, dann waren sie vor Überfällen und Gewaltanwendung geschützt. Erst im 18. Jh. durften einige reiche jüdische Familien durch Privilegien der Fürsten und Könige das Ghetto verlassen, die große Mehrheit der Juden musste aber weiterhin dort verbleiben. In Einzelfällen konnten auch die Frauen reicher Bürger oder unverheiratete Frauen, wenn sie ein Unternehmen hatten, die Bürgerrechte bekommen. Doch sie hatten damit noch keine Möglichkeit der politischen Mitwirkung in den Stadträten. Die Lehrlinge und Gesellen, die Knechte und Mägde waren keine Vollbürger, sie waren Schutzverwandte, Inwohner oder „Beisassen“ von Bürgern. Einen Sonderstatus hatten die Kleriker und die Adeligen sowie die nur kurzzeitig in einer Stadt Wohnenden wie Studenten, Professoren und Soldaten.15 Was die Berufe anging, so waren die ehrbaren Berufe deutlich von den nicht ehrbaren Berufen unterschieden. Zu den zweiten zählten die Schauspieler und die Freudenmädchen, die Zuhälter und die Bader, die Totengräber und die Henker, die Beseitiger von Tierkadavern und von Fäkalien, die Reiniger der Straßen und Müllgruben. Einen niederen sozialen Status hatten auch die Hirten und Schäfer, die Leinenweber und die Gerber, oft auch die Müller. Jede Stadt hatte ihre Wächter am Tag und die Nachtwächter, Schutzmänner und eine Feuerwehr. Oft lebten in den Städten auch Soldaten unter militärischer Aufsicht. Einen hohen sozialen Status hatten die höheren Kleriker, sie hatten ihre eigenen Gesetze und Gerichte. Die niederen Kleriker, die Mönche und Nonnen lebten viel näher beim Volk. Vor allem die Bettelorden der Franziskaner, der Dominikaner und der Kapuziner lebten von den Spenden der Gläubigen, sie trugen in den Städten wesentlich zur Unterstützung der Armen bei. Im Lauf der Zeit wurden in vielen Städten Krankenhäuser und Armenhäuser eingerichtet, die meist von kirchlichen Orden betreut wurden. Denn große Teile der Bevölkerung lebten in Armut und waren auf Spenden der Reichen und Wohlhabenden angewiesen. Insgesamt trugen die kirchlichen Orden über lange Zeit zu einer gewissen Umverteilung von Gütern bei.16 Aus den Steuerlisten der Städte können wir die Verteilung der Güter erkennen. Die Zahlen aus dem 17. Jh. ergeben, dass im Schnitt ung. 15% der Haushalte als reich gelten

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können, sie besaßen ung. 68% des gesamten Vermögens. Weitere 63% der Haushalte können als wirtschaftlich gesichert gelten, sie werden der Mittelschicht zugerechnet. Dann bleiben zwischen 15 und 20% der Haushalte, die in Armut lebten und auf die Unterstützung der Reicheren angewiesen waren. Viele Menschen lebten in ständiger Armut, sie waren von Hunger und Krankheit betroffen, ihre Wohnungen waren feucht, kalt und finster. Andere Gruppen rutschten kurzzeitig in die Armut ab, entweder durch längere Krankheit oder durch Todesfälle in der Familie. Viele der reicheren Stadtbewohner bewerteten die Armen als Schande und als Belastung. Arme waren in den Städten als Bettler unterwegs, sie mussten aber ein Schild mit dem Wappen der Stadt tragen, das ihnen den Bettel erlaubte. Fremde Bettler wurden aus den Städten ausgewiesen. Zu dieser Zeit richteten die Zünfte gemeinsame Kassen ein, um in Not geratenen Mitgliedern helfen zu können. Die Reicheren warfen den Armen oft Faulheit und Arbeitsunwilligkeit vor, wie wir aus vielen Texten wissen. Hier leisteten die Bettelorden und die niederen Kleriker einen wichtigen Beitrag zur Versorgung der Armen und sozial Schwachen.17 Ab dem 17. Jh. richteten einige Städte sog. Arbeitshäuser und „Zuchthäuser“ ein, um arbeitslose und arbeitsunwillige Menschen zu regelmäßiger Arbeit zu erziehen und zu zwingen. Solche Arbeitshäuser entstanden zuerst in protestantischen Städten, in Bremen (1609), in Lübeck (1613), sie sollten auch der moralischen Besserung dienen. Zu dieser Zeit hatten die protestantischen Länder und Städte eine höhere Arbeitsleistung als die katholischen Regionen, weil sie alle Feiertage, Wallfahrten und Prozessionen abgeschafft hatten. In den katholischen Ländern aber gingen die vielen Feiertage und Wallfahrten weiter. In den Städten entstand ein bürgerliches Arbeitsethos und Wertesystem, in denen die moralische Besserung durch Arbeit als Ziel gesehen wurde. Ab dem 17. Jh. hatten die oberen und mittleren sozialen Schichten schon ein persönliches Essbesteck und Stühle in den Wohnungen, während die unteren sozialen Schichten auf Bänken saßen und aus gemeinsamen Schüsseln aßen.18 In Krisenzeiten nach Kriegen, Pestepidemien und Hungersnöten richteten die Städte und Länder ein Armenrecht ein, um die Notleidenden mit Nahrung und mit Kleidung zu versorgen. In England gab es dieses Armenrecht seit 1597, Stiftungen waren für die Verteilung der Lebensmittel und der Kleider zuständig. In den Ländern der Reformation gab es keine Bettelorden mehr, sie wurden aufgelöst, also musste für sie Ersatz geschaffen werden. Ein großes Problem der Städte waren die vielen Obdachlosen, die im Sommer auf freien Flächen schliefen und im Winter Notunterkünfte in Schuppen und Scheunen bekamen; viele von ihnen dürften erfroren sein. Auch die fahrenden Gesellen, die Hausierer und die fliegenden Händler schufen Probleme. Für Studenten und Künstler gab es gemeinsame Unterkünfte (Bursen), die von den Städten organisiert wurden. In den langen Religionskriegen stiegen die sozialen Spannungen in den Städten deutlich an. Ab dem 18. Jh. trat jedoch eine wirtschaftliche Besserung ein und es kam zu einer kulturellen Blütezeit der Städte.19 Die Kultur der Städte wurde geprägt von den bürgerlichen und den kirchlichen Festen, von den Siegesfeiern der Fürsten und Könige, durch Gedenkfeiern an Schlachten und Friedensschlüsse, durch Kirchweih (Kirmes) und Prozessionen in katholischen

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Milieus, durch Empfänge der Stadtherren und Landesfürsten, der Könige und Kaiser. Wir erkennen eine Vielfalt der kulturellen Entfaltung, die stark von den Konfessionen geprägt wurde. Die katholischen Regionen und Städte hatten ungleich mehr Feste (Karneval, Fastnacht, Ostern) als die protestantischen Länder. Viele Städte mussten ab 1555 (Augsburger Religionsfriede) die religiöse Konfession mit ihren Landesherren des Öfteren wechseln, etwa in der Kurpfalz. In der katholischen Gegenreformation wurden viele protestantische Städte durch militärische Gewalt wieder zum Katholizismus gezwungen. In manchen Städten wie Berlin und Königsberg lebten Lutheraner und Calviner friedlich zusammen, bis im 18. Jh. die religiöse Toleranz auch auf Katholiken ausgedehnt wurde. Ab dieser Zeit tolerierten auch die katholischen Fürsten die Lutheraner und Calviner, protestantische Fürsten (z.B. Kursachsen) forderten nicht mehr den Religionswechsel ihrer Untertanen. Zu dieser Zeit bekamen auch die Juden mehr an Rechten, ihre Vertreibungen aus den Städten wurden seltener.20

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Die verschiedenen Reformationen der katholischen Kirche, aus der mehrere Teilkirchen und religiöse Konfessionen entstanden sind, waren nicht allein ein religiöser Lernprozess, sondern auch ein hoch politischer Vorgang mit vielen gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Konsequenzen. Dieser Vorgang hat die Bildung moderner Staaten mit Ansätzen von demokratischen Strukturen und Entscheidungen deutlich beschleunigt. Er kann auch als Prozess der Emanzipation von Laienchristen aus der Dominanz der höheren Kleriker gesehen werden. Gleichzeitig wurden Teilbereiche der Religion wieder in ihre Weltlichkeit (Säkularisation) zurückgeführt. Deswegen sprechen Historiker von Prozessen der „Säkularisation“ von politischen Entscheidungen, aber auch von Kirchengütern, von Riten und von Glaubensinhalten. Insgesamt ist die europäische Neuzeit nachhaltig von den Dynamiken der reformatorischen Bewegungen geprägt worden, auch wenn dadurch destruktive Kräfte und lang dauernde kriegerische Auseinandersetzungen ausgelöst worden sind.1

Anfänge und Auslöser Zu Beginn des 16. Jh. waren in den meisten Regionen Europas Wünsche und Bestrebungen der Kirchenreform weit verbreitet, die sich aber mit Veränderungen in der Gesellschaft verbanden. Weit verbreitet war die Kritik an den Lebensformen der höheren und der niederen Kleriker, ihnen wurde vor allem Habgier, der Kauf von Ämtern, Herrschsucht und unehrliche Moral, unerlaubte und geheime Ehen, Leben im Konkubinat, aber auch Alkoholismus und Betrug vorgeworfen. Diese Vorwürfe hatte der Straßburger Prediger Gailer von Kaysersberg (gest. 1510) in mehreren Schriften zusammengestellt: „Ihr leyen hassen uns pfaffen und ist auch alter hass zwischen euch und uns“.2 In verschiedenen Diözesanberichten wurde festgehalten, dass die Kleriker häufig ihre Konkubinen wechselten, Bordelle und Tanzvergnügungen besuchten, in anstößiger Kleidung auftraten sowie in Unwissenheit und Faulheit lebten. In manchen Städten wurde die Vermutung verbreitet, dass die Kleriker sogar nach den Schätzen und Reichtümern der Stadt gierten.3 Michel Bureau hatte bereits 1496 einen Traktat über die „Reformation imStatus der Kirche“ verfasst (De reformatione status ecclesiastici), der den Generalständen in

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Frankreich in der Form einer Beschwerde (gravamen) zur Kenntnis gebracht wurde (Cahier des doleances). Der Bischof Johann Schele aus Lübeck forderte die Beendigung des Eheverbots (coelibatum) für alle Kleriker und die Weihe verheirateter Männer zu Priestern und Bischöfen. Auch die Humanisten hatten in ihren Schriften viel Spott und Satire über die Unmoral und Dummheit der Kleriker verbreitet. Seit die Forscher die Bibel wieder in den Ursprachen Griechisch und Hebräisch lesen konnten, und seit es einige Bibelübersetzungen in den Volkssprachen gab, wurde für Gebildete in den Städten und für Adelige erkennbar, wie weit die bestehende Feudalkirche von den Lebensformen der frühen Christen abgewichen war. Daher wurde gefordert, wieder „zurück zu den Quellen“ (ad fontes) zu gehen und das religiöse Leben allein von der Bibel her (sola scriptura) zu erneuern. Nun gab es seit dem 15. Jh. viele Reformbewegungen (z.B. Lollarden, Hussiten), welche die Kirche und zugleich die Strukturen der Gesellschaft verändern wollten.4 Die Reformbereitschaft war vor allem in den Städten groß, sie wurde durch humanistisch gebildete Prediger und Stadtbürger getragen und zum Teil auch in ländlichen Regionen verbreitet. Durch die Kunst des Buchdrucks und durch die Verbreitung von Flugschriften wurde es möglich, die Reformwünsche der Kirchenstruktur und der Glaubensinhalte in mehreren Regionen zu unterstützen. Ausgelöst und getragen wurde die erste Kirchenreformation durch den Augustinermönch Martin Luther (gest. 1546), der an der neu gegründeten Universität von Wittenberg die Bibel auslegte. Mit anderen Mitstreitern protestierte er gegen die Predigt des Ablasses von zeitlichen Sündenstrafen, denn er wollte eine Kirche, die sich wieder an den Lebensformen der frühen Christen orientierte. Erstaunlicher Weise schützte der Kurfürst von Sachsen Friedrich der Weise den Theologen und Prediger vor der Verfolgung durch die kirchliche Inquisition. Denn das 4. Laterankonzil (1215) hatte alle Fürsten dazu verpflichtet, die Verfolgung der Ketzer und Häretiker zu unterstützen. Wir erkennen in dieser Entscheidung des Kurfürsten die verstärkte Autonomie eines Laienchristen und im Ansatz die Trennung der staatlichen von der kirchlichen Gewalt.5

Die Reformation Martin Luthers Der Augustinermönch Martin Luther hatte in Erfurt Theologie studiert und im Jahr 1507 die Priesterweihe empfangen. Er wurde in jungen Jahren Professor für die Auslegung der Heiligen Schrift an der Universität von Wittenberg, die 1502 gegründet worden war. Bei seiner ersten Vorlesung über den Römerbrief des Apostels Paulus benutzte er bereits die Übersetzung des Neuen Testaments durch Erasmus von Rotterdam. Zu dieser Zeit beschäftigte er sich intensiv mit den Lehren des Ordenspatrons Aurelius Augustinus. Er las auch Schriften der deutschen Mystik und war von den Lehren der „Devotio moderna“ beeindruckt. Kritisch stand er den Lehren der scholastischen Theologie, aber auch des Nominalismus (Ockhamismus) gegenüber. In seiner Begeisterung für die Lehren der Bibel schätzte er die Erkenntnisse der Philosophen nicht hoch ein, die er allerdings im Studium nur rudimentär kennen gelernt hatte. Ihm genügte für seine Kirchenreform die Orientierung an der Bibel

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(sola scriptura). Von Aristoteles und Thomas von Aquin grenzte er sich scharf ab, um der Erbsündenlehre des Aurelius Augustinus folgen zu können. So kam er zur Überzeugung, dass der Wille aller Menschen durch die Erbsünde verdorben sei, und dass wir uns nicht aus eigener Kraft von den Mächten des Bösen abwenden können, sondern dass wir dafür Gottes Gnadenwirken durch die Erlösungstat Jesu Christi benötigen (sola gratia).6 Papst Julius II. hatte im Jahr 1506 für alle katholischen Länder einen vollkommenen „Ablass“ von den zeitlichen Sündenstrafen ausgeschrieben, der durch eine finanzielle Spende für den Neubau der St. Petersbasilika in Rom erreicht werden konnte. Papst Leo X. hatte 1515 diesen Ablass erneuert, und der Erzbischof Albrecht von Mainz ließ diesen Ablass in allen seinen Diözesen verkünden, um damit Geld einzusammeln. Zum Teil musste er mit diesem Geld seine eigenen Schulden tilgen. Nun protestierte Martin Luther in einem persönlichen Brief an den Erzbischof gegen diese Ablasspredigt, datiert am 31. Oktober 1517. Am selben Tag schlug er 95 Thesen über Fragen der Religion zur öffentlichen Diskussion an der Schlosskirche zu Wittenberg an, wie uns Philipp Melanchthon berichtet. Solche Diskussionen wurden in den Universitätsstädten regelmäßig ausgeschrieben (disputatio maior), um mit gebildeten Bürgern und Adeligen der Stadt Fragen der Theologie oder der Philosophie zu diskutieren. Martin Luther war zur Überzeugung gekommen, dass die Päpste und die Bischöfe sich irren können, dass nur die Bibel ohne Irrtum sei. Außerdem sei die Autorität der frühen Kirchenväter zu bedenken. Die Kleriker leiteten diese Thesen Martin Luthers zum Erzbischof von Mainz weiter, von dort wurden sie durch Boten dem Papst nach Rom überbracht. Nun wurde der Verfasser dieser Thesen bei der kirchlichen Inquisition wegen der Beleidigung des Papstes und der allgemeinen Häresie angeklagt. Nach einem Verhör durch den päpstlichen Legaten Kardinal Cajetan in Augsburg appellierte Martin Luther an ein Allgemeines Konzil, dort sollten die strittigen Fragen entschieden werden. Nach mehreren Disputationen mit anderen Theologen (Johannes Eck) kam Luther zur Überzeugung, dass auch ein Konzil irren könne. Nun drohte der Papst Leo X. dem Wittenberger Theologen den Ausschluss (excommunicatio) aus der Kirchengemeinschaft an, und zwar mit der Bulle „Exurge Domine“. Der Theologe sollte innerhalb von 60 Tagen seine Thesen widerrufen. Doch Luther verbrannte zusammen mit seinen Anhängern öffentlich die Bulle des Papstes und sprach seinerseits über den Papst und die Kardinäle die Exkommunikation aus (Adversus execrabilem Antichristi bullam). Er nannte also den Papst einen „Gegenchristus“ (Antichristus) und verfasste die Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die schnelle Verbreitung fand. Damit stellte sich ein Kleriker und Mönch auf die Seite der Laienchristen. Seine Schrift wurde in Löwen und Lüttich öffentlich verbrannt.7 In der Folgezeit beschrieb Luther die Kirche als Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, sie brauche kein sichtbares Oberhaupt. Sie solle eine demokratische Struktur haben, wie sie in den Eidgenossenschaften der Schweiz erkennbar sei. Die alleinige Autorität für die Kirche sei die Bibel. In seiner Schrift „An den christlichen Adel der deutschen Nation von des christlichen Standes Besserung“ rief

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der Theologe die Adeligen zu Reformen der Kirchen auf, denn die höheren Kleriker hätten versagt. Die Kirche brauche gar kein besonderes Priestertum, denn alle Laienchristen hätten an dem „allgemeinen Priestertum“ Jesu Christi einen Anteil. Die alte Grenze zwischen den Klerikern und den Laienchristen sollte also aufgehoben werden. Weiter forderte Martin Luther, die Orden müssten stark reduziert werden, die Ehelosigkeit der Priester sei zu beenden. Die vielen Totenmessen, das Interdikt des Papstes, die päpstlichen Dispense und Ablassbriefe, die Heiligsprechungen, der Kult der Heiligen und die Kirchweihfeste sollten aufgegeben werden, denn sie hätten keine Grundlage in der Bibel. In einer weiteren Schrift (De captivitate babylonicae ecclesiae praeludium) distanzierte sich Luther von den vielen Sakramenten der Kirche, die Taufe und das Abendmahl sollten fortan genügen. Er kritisierte auch die Prunksucht und Fresssucht der Reichen und die Gewinne der großen Handelsgesellschaften.8 Im Januar 1521 wurde Martin Luther aus der katholischen Kirche ausgeschlossen, mit dem päpstlichen Dekret „Decet Romanum Pontificem“. Damit wurde über ihn die „Reichsacht“ verhängt, er galt fortan rechtlich als „vogelfrei“ und durfte von jedem straflos getötet werden. Aber nun weigerte sich der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, das päpstliche Urteil zu vollziehen. Er erreichte, dass sich Luther vor dem Reichstag zu Worms rechtfertigen konnte. Doch der Kaiser Karl V. erklärte dort Luther zum Ketzer und Häretiker, er musste ab sofort reichsrechtlich verfolgt werden. Nun täuschte der Kurfürst von Sachsen eine gewaltsame Entführung des Theologen vor und versteckte ihn auf der Wartburg bei Eisenach. Dort übersetzte Martin Luther in ung. 11 Wochen das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche. In seiner Schrift „De instituendis ministris ecclesiae“ forderte er, dass die Kirchengemeinden fortan ihre Prediger und Amtsträger selbst wählen sollten. Und in der Flugschrift „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ betonte er die göttliche Einsetzung der weltlichen Herrschaft, unabhängig von Bischöfen und Päpsten, um durch Gesetz und Zwang das friedvolle Zusammenleben der Menschen zu sichern. An die Ratsherren der Städte schrieb er, sie sollen christliche Schulen einrichten und dafür sorgen, dass die Kinder von den Eltern nicht zur Heirat gezwungen werden.9 In einer weiteren Schrift „Von Kaufhandlung und Wucher“ kritisierte Luther die überhöhten Zinsforderungen der Geldverleiher, er sah vier bis fünf Prozent an Leihzinsen für gerechtfertigt an. Bald aber schrieb er „Wider die himmlischen Propheten“ und warnte vor charismatischen Umtrieben und vor gesetzlosen Handlungen seiner Anhänger. In einem „Brief an die Fürsten zu Sachsen, von dem aufrührerischen Geist“ kritisierte er den charismatischen Prediger Thomas Müntzer, dem sich bald viele aufständische Bauern anschlossen. Gegen Erasmus von Rotterdam verteidigte Luther die Lehre des Aurelius Augustinus von der Unfreiheit des menschlichen Willens (De servo arbitrio, 1525). Zu dieser Zeit war die Reformation der Kirche in Wittenberg schon weit vorangekommen, viele Kleriker hatten geheiratet, Mönche und Nonnen verließen ihre Klöster. Auch Luther selbst hatte geheiratet und eine Familie begründet. Nun wurden mehrere Klöster im Land Sachsen aufgelöst, sie wurden vom Landesfürsten in Schulen, in Armenhäuser, in Orte der Armenversorgung

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und in Wohnhäuser für Familien umgewandelt. Die Besitztümer der großen Klöster, der Domkapitel und der Bischöfe, die jetzt aufgelöst wurden, gingen zum Großteil an den Landesfürsten. Für diesen war die Reformation der Kirchen und Klöster ein großer wirtschaftlicher Gewinn.10 Nun lehrte Martin Luther, das Wort Gottes erreiche die Menschen in zweifacher Gestalt, nämlich als Gesetz und als Evangelium. Der Glaube sei fortan als Vertrauen in das göttliche Wort zu verstehen. Die „Rechtfertigung“ der Menschen vor Gott geschehe allein durch den Glauben (sola fide), durch die göttliche Gnade (sola gratia), aber nicht durch die menschlichen Leistungen und Taten. In der menschlichen Geschichte kämpfe der Teufel gegen die Ordnungen Gottes, die weltliche Obrigkeit müsse aber auf der Seite Gottes stehen. Bereits im Jahr 1518 hatte Martin Luther sein Werk „Reformation“ genannt. Und drei Jahre später sagte er von sich, er habe in Sachsen viel mehr erreicht als Jan Hus in Böhmen. Er verstand sich als Lehrer und Prediger des „reinen“ Evangeliums, seine Schriften wurden durch viele begeisterte Boten verteilt und erreichten hohe Auflagen. Für Theologen schrieb er in Latein, für die Laienchristen in Deutsch, und zwar in der sächsischen Kanzleisprache. In den Städten gab es durch die Schulen schon viele des Lesens kundige Bürger. In den ländlichen Regionen waren es nur wenige, dort wurden Luthers Lehren durch Prediger bekannt gemacht. Mit seiner offenen Kritik am Papsttum in Rom trug er bei vielen Gebildeten zu einem verstärkten Nationalbewusstsein bei. Gleichzeitig vermittelte er ein neues Selbstwertgefühl der Laienchristen aller sozialen Schichten, die scharfe Trennung von den Klerikern sollte überwunden werden.11 Vor allem in den freien Reichsstädten hatte sich die Reformation schnell durchgesetzt, denn dort entschieden mehrheitlich die Ratsherren über ihre Durchführung. In kurzer Zeit waren 50 von 85 Reichsstädten lutherisch geworden, auch dies waren deutlich demokratische Entscheidungen der Stadträte. Da die Klöster aufgelöst wurden, mussten die Städte die Versorgung der Armen neu organisieren. In der Folgezeit mussten Laienchristen die sozialen Tätigkeiten übernehmen, die bisher Mönche und Nonnen ausgeübt hatten. Viele Klöster gingen in den Besitz der Städte über, sie wurden als Schulen, als Wohnhäuser und als Orte der Armenversorgung genutzt. Gewiss sind die Städte durch die Auflösung der Klöster reicher geworden, aber sie mussten dafür neue Aufgaben übernehmen. Der Kaiser musste den Städten bereits auf dem Reichstag zu Speyer (1526) die Freiheit des religiösen Glaubens zugestehen. Als die lutherisch gewordenen Landesfürsten von Sachsen, von Hessen, von BrandenburgAnsbach, von Braunschweig-Lüneburg und von Anhalt gegen die restaurative Politik des Kaisers protestierten, wurden sie von der Mehrheit der katholischen Fürsten „Protestanten“ genannt (1529).12 In den lutherischen Gemeinden wurde der Gottesdienst in deutscher Sprache gefeiert, beim Abendmahl wurden von allen Teilnehmern Brot und Wein empfangen. Die Einzelbeichten und die Fastenzeiten wurden beendet. In einigen Gemeinden wurden in den Kirchen die religiösen Bilder abgehängt und zerstört. Die Pfründen der Kleriker wurden von den Gemeinden eingezogen und als „gemeiner Kasten“ verwaltet, damit wurde die Armenfürsorge bezahlt. Bald gaben sich die Gemeinden neue

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Ordnungen für den Gottesdienst, die Bibel sollte im Vordergrund der Verkündigung stehen. Viele Städte wandelten die Besitzungen der Klöster und Orden in Stiftungen um, damit wurden Schulen und Armenhäuser unterhalten. Da es keine Bettelorden mehr gab, wurde der Bettel generell verboten. Doch in manchen Regionen kam es zu Aufständen der Bauern gegen die Feudalherren und Fürsten, oft hatten Prediger zu den Aufständen aufgefordert. Es kam zu längeren Bauernkriegen, welche durch die Fürsten militärisch niedergeschlagen wurden. Historiker schätzen die Zahl der Toten in den Bauernkriegen zwischen 80.000 und 100.000 Personen. Martin Luther hatte mit seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ die Fürsten aufgefordert, die alte Ordnung aufrecht zu halten bzw. wieder herzustellen. Die Kirchenreformation sollte zu keiner sozialen Revolution werden, schließlich wurde der Reformator ja von den Fürsten politisch und militärisch geschützt.13 Nun schrieb der Reformator, die Bauern hätten den Landfrieden gebrochen, sie hätten sich selbst zu Richtern gemacht und auf das Evangelium berufen. Doch ihr Aufstand gegen die Fürsten sei ein „Werk des Teufels“, der Gottes gute Schöpfung zerstören wolle. Gemäß der Bibel (Röm 13) stehe den Fürsten das Schwert zu, aber sie sollten nach dem erfochtenen Sieg über die Bauern wieder Milde walten lassen. In der Folgezeit übernahmen die Landesfürsten und die Stadträte die Aufsicht über die kirchlichen Gemeinden, denn es gab keine Bischöfe und Domkapitel mehr. Martin Luther nannte die Landesfürsten „Notbischöfe“, das alte kirchliche Rechtsbuch (Codex iuris canonici) hatte er öffentlich verbrannt. In den Ländern und Städten wurden „Superintendenten“ und „Konsistorien“ eingerichtet, welche die evangelischen Gemeinden regelmäßig visitieren mussten. Die Besetzung der Pfarrstellen und der Prediger kam in die Hand der Fürsten und Stadträte, dabei arbeiteten Theologen und Juristen eng zusammen. Die Verfolgung der Ketzer, der Häretiker und der Hexen wurde auch von den protestantischen Landesfürsten und Städten weiter geführt, dabei wurden weiterhin die katholischen Verfolgungsbücher benutzt.14 So schrieb Philipp Melanchthon, die Landesfürsten müssten kraft ihres Amtes über die staatlichen und die kirchlichen Gesetze wachen, ihnen seien nun beide Gesetzestafeln des Moses übergeben worden. Die Kirchengemeinden standen fortan unter dem Schutz und der Aufsicht der weltlichen Herrschaft. Auf dem Reichstag zu Augsburg (1530) hatten die evangelischen Stände dem Kaiser ihr neues Glaubensbekenntnis (Confessio Augustana) vorgelegt. Sie betonten, dass sie in der alten kirchlichen Tradition lebten, vor allem in der Übereinstimmung mit der Bibel, dass sie keine neue Religion sein wollten. Vier Städte, Straßburg, Lindau, Konstanz und Memmingen, legten aber ihr abweichendes Bekenntnis (Tetrapolitana) vor. Und Huldrych Zwingli hatte aus Zürich sein neues Glaubensbekenntnis (Fidei Ratio) geschickt. Diese Bekenntnisse wurden dem Kaiser offiziell zugestellt, im Jahre 1555 erlangten sie im „Augsburger Religionsfrieden“ allgemeine Gesetzeskraft. Fortan sollten jeder Landesfürst und jeder Stadtrat über das Glaubensbekenntnis und die Religionsform seiner Untertanen bzw. seiner Mitbürger entscheiden können (cuius regio, eius religio). Damit wurden die religiösen Bekenntnisse in den einzelnen Län-

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dern und Städten wieder gleich geschaltet, es gab noch keine Toleranz der fremden Religion.15 Bald kamen die Schriften Martin Luthers durch Prediger bis nach Holland, dort wurden aber einige von ihnen von der Inquisition als „häretisch“ verurteilt und verbrannt. In Frankreich hatte die Universität von Paris die Lehre Luthers offiziell verurteilt, aber viele Studenten aus deutschen Ländern brachten seine Ideen an französische Universitäten. Bald verbot auch das Parlament in Paris die neue Lehre, ihre Anhänger mussten aus Frankreich auswandern. In England hatte König Heinrich VIII. die Lehren Luthers verurteilt, er ließ dessen Bücher 1521 verbrennen. Denn in seinem Land hatten sich die Lollarden bereits mit der neuen Lehre aus Wittenberg verbunden. In Italien wurden Luthers Lehren an einigen Universitäten (Turin, Pavia) diskutiert, sie fanden dort aber kaum Anhänger. Aber in Spanien kämpfte die Inquisition flächendeckend gegen die neue Lehre, so konnte sie dort kaum verbreitet werden. In Dänemark wollte König Christian II. bereits 1523 eine lutherische Nationalkirche einrichten, aber er scheiterte am Widerstand der Adeligen. Doch 1527 beschlossen der König Friedrich I. und der „Herrentag“ von Odense, die Reformation in Dänemark einzuführen. Nun wurden Predigerschulen gegründet und ein neues Glaubensbekenntnis verfasst (Confessio Hafniensis).16 Früh kamen die lutherischen Prediger auch nach Norwegen und Island, sie wurden dort von den Adeligen aufgenommen und militärisch geschützt. Auch in Schweden waren die Lehren Martin Luthers durch Studenten und Kaufleute früh bekannt geworden, schon 1527 beriet der „Reichstag“ über die Einführung der Reformation. Es wurde beschlossen, eine schwedische Nationalkirche unter dem Schutz und der Aufsicht des Königs zu schaffen. Fortan wurden die Bischöfe vom König ernannt, und es durfte nur mehr das „reine“ Evangelium gepredigt werden. In Finnland erfolgte die Einführung der Reformation in einer maßvollen Weise, denn viele der alten Kirchenstrukturen blieben erhalten. In Preußen hatte sich der Hochmeister des Deutschen Ordens, Albrecht von Brandenburg, der Reformation Luthers angenähert. Er hatte Martin Luther persönlich getroffen und dieser empfahl ihm, den Deutschen Orden in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln. Dies geschah im Jahr 1524, dieses weltliche Herzogtum Preußen unterstellte sich aber fortan der Lehensherrschaft des katholischen Königs von Polen. Nun kamen lutherische Prediger in das Land und organisierten die neue Form der Gottesdienste. Auch in Livland, in Kurland und in Estland wurde schon früh die Reformation angenommen und durchgeführt.17 In Polen wurden die Lehren Luthers an den Universitäten (Krakau) diskutiert, aber sie hatten dort keine politischen Folgen. In Böhmen näherten sich die Utraquisten und die Böhmischen Brüder den Lehren Luthers an, in Mähren wurde die Reformation vom höheren Adel unterstützt. Auch in Ungarn und in Siebenbürgen verbreitete sich die neue Lehre durch viele Prediger, die von Ort zu Ort zogen. So hatte sich die Reformation der Kirche in Nordeuropa und in den Ländern an der Ostsee schnell durchgesetzt.

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Die Reformation in Zürich Zu Beginn des 16. Jh. war die Schweiz ein Bund von 13 Städten und Landregionen, dazu kamen noch einige kleinere Eidgenossenschaften. Sie gehörten nominell noch zum Heiligen Römischen Reich, hatten aber schon große Eigenständigkeit errungen. In Zürich predigte ab 1518 der Theologe Huldrych Zwingli, der zunächst humanistische Lehren vertrat, denn er hatte in Wien studiert. Er las Luthers Schriften, wollte aber einen eigenen Weg der Kirchenreform gehen. In der Fastenzeit 1522 beteiligte er sich an einem öffentlichen Fastenbrechen, denn er aß mit Bürgern öffentlich Würste. Bald darauf heiratete er eine Witwe, er bekam mit seinen Ideen und Reformvorschlägen bald großen Einfluss im Stadtrat. Dieser entschied mehrheitlich, dass fortan in Zürich gemäß der Bibel gepredigt werden müsse. Bei öffentlichen Diskussionen mit altgläubigen Theologen überzeugte er den Stadtrat von seinem neuen Kirchenmodell. Der Rat verkleinerte das Kapitel der Chorherren am Großmünster, die dadurch frei werdenden Gelder wurden zur Ausbildung von Lehrern und Predigern verwendet. Bereits 1525 wurde eine Bibelschule („Prophezei“) eingerichtet, die kirchlichen Ehegerichte wurden beendet und durch städtische Ehegesetze ersetzt. Der Stadtrat anerkannte nicht mehr die Herrschaft des Bischofs von Konstanz. Er richtete autonom ein Sittengericht ein, das zur moralischen Besserung der Bürger führen sollte. In der Folgezeit wurden „Sittenwächter“ ernannt, die das Verhalten der Bürger kontrollieren sollten. In einigen Kirchen wurden die Bilder, die Kreuze und die Heiligenstatuen entfernt und zerstört.18 Bald wurden städtische Ehegerichte auch in St. Gallen, Bern, Basel, Schaffhausen und Straßburg eingerichtet, der Klerus verlor damit die Ehegerichtsbarkeit über die Laienchristen. Nun schrieb Huldrych Zwingli gegen den Papst in Rom (De vera et falsa religione, 1525), dieser lebe in der Sünde und sei ein „Antichristus“. Das Messopfer, die Verehrung der Heiligen und die Riten der Kleriker seien eine falsche Religion. Bereits 1525 beendete der Stadtrat für Zürich die lateinischen Messen, sie mussten durch einen Wortgottesdienst in deutscher Sprache ersetzt werden. Der Gesang und das Orgelspiel sollten in den Kirchen entfallen. Vier Jahre später verpflichtete der Stadtrat alle Bürger zum regelmäßigen Besuch der Gottesdienste, bei Verweigerung drohte der Verlust der Bürgerrechte. Dadurch war aus der Bischofskirche eine Stadtkirche geworden, die Einhaltung der biblischen Gebote und der guten Sitten wurde von einem „Geheimen Rat“ überprüft. Huldrych Zwingli lehrte, dass bei der Feier des Abendmahles Christus nur symbolisch unter den Feiernden gegenwärtig sei, während Martin Luther an einer realen Präsenz Christi festhielt. Der Züricher Reformator war überzeugt, dass Gott die Erwählten zum ewigen Heil vorherbestimmt habe, an eine Vorherbestimmung zum ewigen Verderben glaubte er aber nicht.19 Bald schlossen sich die Städte Bern, Basel und Schaffhausen der Reformation von Zürich an. Aber nun führten die katholischen Städte und Regionen einen Krieg gegen die Stadt Zürich, diese wurde besiegt und Huldrych Zwingli fand bei den Kämpfen den Tod (1531). Doch im Frieden von Kappeln haben alle Eidgenossen die Spaltung der Konfessionen anerkannt. Auch in Strassburg und in Bern hatten der Kleine und

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der Große Rat mehrheitlich die Reformation angenommen. Durch den Buchdruck wurde die neue Lehre schnell verbreitet, überall sollte fortan das reine Evangelium gepredigt werden. Die Prediger Johannes Oekolampad und Martin Bucer riefen zur Besonnenheit auf, aber oft mussten die Prediger durch Soldaten geschützt werden. Den Nonnen in den Klöstern wurde erlaubt, in das weltliche Leben zurück zu kehren und zu heiraten und eine Familie zu gründen.20 Auch in Straßburg wurden die Feiertage und die Prozessionen verboten, in der Fastenzeit durfte Fleisch gegessen werden. Die Taufe wurde in deutscher Sprache gefeiert. Der Stadtrat hatte erlaubt, die Bilder in den Kirchen abzuhängen, danach kam es auch zu Plünderungen und zu Zerstörungen von Kunstwerken. Die Bischöfe von Basel und Straßburg hatten die Landesfürsten zu Hilfe gerufen, aber diese militärische Unterstützung blieb aus. Schon 1529 verließ das Domkapitel die Stadt Basel und übersiedelte nach Freiburg im Breisgau. In vielen Städten schlossen sich die bürgerlichen Mittelschichten und die unteren sozialen Schichten der Reformation an. Ab sofort durften die Kleriker heiraten und bekamen von den Räten alle Bürgerrechte. Die Pfründe und Besitzungen der Klöster und der Domkapitel verwendeten die Stadträte zur Versorgung der Armen und zur Gründung von Schulen. Mit der „Säkularisierung“ von Kirchengütern wurde die Wirtschaftskraft der Städte deutlich gestärkt.21 In Bern wurde die Reformation vor allem unter dem Druck der Zünfte vorangebracht, denn die Abschaffung der Feiertage, Prozessionen und Wallfahrten brachten den Handwerksbetrieben mehr an Arbeitsleistung. Die katholischen Städte und Regionen hatten zu den Sonntagen noch 20 bis 30 Feiertage im Jahr, ihre Wirtschaftsleistung blieb deutlich zurück. In der Folgezeit organisierten die Städte die Kirchengemeinden und die Schulen, sie schufen Akademien zur Ausbildung der Prediger. Die Kontrolle der Moral und der Sitten wurde nun aber viel strenger, als sie in der Bischofskirche war. Gemischte Gremien aus Laienchristen und Predigern überwachten die Einhaltung der kirchlichen Gebote. Die Gemeinden, die vorher den Bischöfen unterstellt waren, lebten nun unter der Kontrolle und Verwaltung der Stadträte. Nur Teile des religiösen Lebens wurden säkularisiert d.h. profan interpretiert.22 Große soziale und politische Probleme entstanden durch die radikalisierte Reformation der Charismatiker und der Wiedertäufer („Täufer“). Sie lehnten die Kindertaufe ab und vollzogen die Taufe der Erwachsenen als bewusste Entscheidung für das Evangelium Christi. Viele wussten sich vom Heiligen Geist geleitet, Thomas Müntzer sah sich als Prophet eines „reinen“ Christentums. Durch einen Geheimbund (Allstedter Bund) sollte eine neue und gerechtere Gesellschaft verwirklicht werden. Als sich die Täufer mit den aufständischen Bauern verbanden, wurden sie von den Kriegsheeren der Fürsten bekämpft und besiegt. So konnte die alte Ordnung bewahrt werden, aber viele Täufer wandelten sich später in spiritualistische Gruppen, denn sie wollten das wahre Christentum im Innern ihrer Seelen leben.

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Calvins Reformation in Genf Das Zusammenwirken von politischen, wirtschaftlichen und religiösen Interessen kann gut an der Reformation in Genf durch Jean Calvin (gest. 1564) abgelesen werden. Die Stadt Genf gehörte zum Herzogtum Savoyen und damit noch zum Heiligen Römischen Reich. Sie war aber auch vom Stadtbischof abhängig. Nun strebte der Stadtrat seit längerem nach größerer Unabhängigkeit vom Herzog und vom Bischof, um weniger Abgaben zahlen zu müssen. Die Stadt verbündete sich mit Bern und Fribourg zu einem Schutzbund. Bern hatte die Reformation bereits eingeführt, Fribourg war katholisch geblieben. In Genf gab es den Kleinen Rat der Patrizier (citoyen) aus 25 Personen und den Großen Rat der Neubürger (bourgoise) mit 200 Vertretern. Dazu kam die jährliche Versammlung aller freien männlichen Bürger. Die Bürgerrechte konnten nur durch Geld erkauft werden, je nach Finanzlage der Stadt wurde jedes Jahr die Zahl der Einbürgerungen neu festgelegt. Die Altbürger waren im Dilemma, sie brauchten Geld für ihre Bestrebungen der Unabhängigkeit. Aber durch zu viele Einbürgerungen verloren sie ständig an politischer Macht. Denn diese Macht mussten sie sich nun mit den Neubürgern teilen, dieser Prozess wird bei der Reformation von Jean Calvin besonders deutlich erkennbar.23 Jean Calvin (Cauvin) stammte aus der Picardie, er hatte in Paris und Orleans Jura studiert, sein Vater war Jurist im Dienst eines Bischofs. In Orleans und in Bourges hatte er humanistische Lehren kennen gelernt, in der Folgezeit verfasste er einen frühen Kommentar über die Lebenslehre der Stoiker bei Seneca. In Paris lernte er Studenten aus deutschen Ländern kennen, die von den Lehren Luthers berichteten. Fortan neigte er diesen Lehren zu, aber er musste deswegen aus Frankreich fliehen, weil diese Lehren dort unterdrückt wurden. So kam er nach Basel, wo er andere Reformatoren kennen lernte; dort verfasste er ein Buch über den reformierten christlichen Glauben (Institutio christianae religionis, 1535), das bald gedruckt wurde. Mit diesem Buch wurde er unter den Freunden der Reformation bekannt. Auf einer Reise von Ferrara nach Basel wurde er von Gegnern der Reformation in Genf aufgehalten. In dieser Stadt lebten viele Anhänger der Reformation, die aus Frankreich vertrieben wurden. Dort predigte Guillaume Farel das reine Evangelium, der im Stadtrat immer mehr Anhänger gewann. Es gelang den Reformern, den Bischof Pierre de la Baume aus der Stadt zu vertreiben, danach wurden in der Kathedrale die Bilder entfernt und der Stadtrat führte 1536 die Reformation ein.24 Zu dieser Zeit hatte Genf ung. 10.000 Einwohner; die Kaufleute suchten die Allianz mit der Stadt Bern, die bereits reformiert war. Doch die Kleriker brauchten die Nähe zum Herzog von Savoyen. Als Jean Calvin in Genf ankam, durfte er zuerst am Gymnasium der Stadt Vorträge über die Paulusbriefe halten. Er wurde vom Stadtrat bezahlt. Zusammen mit Guillaume Farel verfasste er eine neue Kirchenordnung und einen Katechismus für die Jugendlichen sowie ein neues Glaubensbekenntnis. Nun mussten die Räte der Stadt über diese Ordnungen und Bekenntnisse abstimmen. Der Kleine Rat der Patrizier verweigerte die Zustimmung wegen der strengen Kirchenzucht. Fortan war die Bürgerschaft gespalten, die Mehrheit im Rat zwang die beiden

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Prediger zum Verlassen der Stadt. Jean Calvin ging nach Straßburg, wo er reformierte Flüchtlinge aus Frankreich betreute. An der dortigen Akademie hielt er Vorträge über die Bücher der Bibel. Zu dieser Zeit hatte Straßburg ung. 25.000 Einwohner, die Reformation war dort bereits eingeführt. In dieser Stadt arbeitete er an einem französischen Gesangbuch und an einer französischen Übersetzung der Bibel.25 Bei den Fragen der Kirchenzucht dachte J. Calvin anders als H. Zwingli. Denn dieser war überzeugt, dass in jeder Stadt die weltliche Gewalt über die Einhaltung der christlichen Gebote und der guten Sitten wachen müsse. Doch J. Calvin wollte diese Sittenüberwachung den Predigern und Theologen zukommen lassen. Aber dagegen wehrten sich die Laiengremien der Stadträte, sie wollten nach der Herrschaft der Bischöfe nicht unter die noch strengere Aufsicht der Prediger geraten. J. Calvin hatte an den Religionsgesprächen in Worms und Regensburg teilgenommen, danach erweiterte er seine „Einführung in den christlichen Glauben“. Inzwischen hatten sich die politischen Kräfteverhältnisse in Genf verschoben, Calvin hatte die Stadt verlassen müssen, weil er für seine Reformen im Stadtrat keine Mehrheit fand. Doch nach etwa drei Jahren wurde er in die Stadt zurückgeholt, denn durch den Zuzug von Neubürgern aus Frankreich, die zumeist Glaubensflüchtlinge waren, hatte er für seine Reformen eine Mehrheit bekommen. Das Ringen um die Kirchenzucht dauerte 15 Jahre, dann musste auch der Kleine Rat der Altbürger Zugeständnisse machen. Die Neubürger waren vor allem aus wirtschaftlichen Gründen in die Stadt aufgenommen worden, sie belebten den Handel und das Handwerk. Mit ihrer Unterstützung beschloss der Große Rat, dass fortan Tanzveranstaltungen und Theater in der Stadt verboten seien. Während der Gottesdienste durfte nicht gekegelt werden. Die Einhaltung der Sexualmoral wurde von Sittenwächtern überwacht, den Homosexuellen wurde gemäß der Bibel die Todesstrafe angedroht. Nun wurde zur Abschreckung vor bösen Taten der Galgen gleich vor der Hauptkirche aufgestellt.26 Von jetzt an sollten die Gesetze des Alten Testaments das Vorbild für die neue Kirchenordnung sein. Der Theologe Michel Servet wurde wegen abweichender Lehren über die Trinität auf dem Scheiterhaufen verbrannt, denn die „reine“ Lehre des Evangeliums musste mit Gewalt durchgesetzt werden. Die Verehrung der religiösen Bilder und die öffentliche Gotteslästerung wurden verboten und bestraft. Die Kirche wurde fortan durch ein „Konsistorium“ verwaltet, das aus Predigern und Laienchristen bestand. Im Kirchenrat der „Ältesten“ (Presbyter) waren Altbürger und Neubürger vertreten, in den Kirchen mussten die Männer und die Frauen getrennt sitzen. Für die Erziehung der Jugend und für die Ausbildung der Prediger wurde eine Theologische Akademie eingerichtet, zu der auch viele Studenten aus fremden Ländern kamen. J. Calvin entwarf ein neues Glaubensbekenntnis, aus dem später die „Confessio Gallicana“ geworden ist. Seine „Einführung in den christlichen Glauben“ wurde erweitert und in französischer und in lateinischer Sprache neu herausgegeben. Im Jahr 1564 starb der Reformator, der die Bürger von Genf wieder das Zittern vor einem strengen Herrschergott gelehrt hatte.27 Dabei hatte Jean Calvin im humanistischen Geist begonnen, er war aber dann durch das Studium der Schriften des Aurelius Augustinus zu einem Glauben an

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die göttliche Vorherbestimmung (Prädestination) für jeden Menschen gekommen. Außerdem plagte ihn ständige Sündenangst, deswegen wollte er eine strenge Kirchenordnung durchsetzen, um alle Menschen moralisch zu bessern. Seine Übersetzung des Neuen Testaments in die französische Sprache hat in Frankreich zur Ausbildung einer Hochsprache beigetragen, ähnlich wie M. Luthers deutsche Bibelübersetzung. Der calvinisch reformierte Glaube verbreitete sich in Frankreich (Hugenotten), in Holland und in Schottland sowie in einigen deutschen Fürstentümern. John Knox war ein Schüler Jean Calvins in Genf, er verbreitete den neuen Glauben in seiner Heimat Schottland. Auch die Puritaner und die Anhänger des Oliver Cromwell hatten einen starken Bezug zu den Calvinern. Doch ob ihre Lehren zur Ausbildung der kapitalistischen Wirtschaft auf direkte Weise beigetragen haben, wie Max Weber vermutet hatte, ist heute für viele Kulturwissenschaftler fraglich. Da dürften wohl auch viele andere Faktoren eine entscheidende Rolle gespielt haben.28

Reformation in England und Schottland Die Reformation in England war ein langer und komplexer Prozess, der ebenfalls die enge Verbindung von Politik und Religion zeigt. Der König Heinrich VIII. (gest. 1547) hatte sich zuerst gegen die Reformation Martin Luthers gewandt, der Papst lobte ihn deswegen als „Verteidiger des Glaubens“ (Defensor fidei). Der König war mit Katharina von Aragon, einer Tante von Kaiser Karl V., verheiratet. Doch die Ehe blieb ohne männlichen Thronfolger. Daher strebte der König beim Papst die Annullierung dieser Ehe an, um erneut heiraten zu können. Aber der Papst verzögerte aus Rücksicht auf den Kaiser die Annullierung dieser Ehe. Doch im Jahr 1531 gestand eine Versammlung der Bischöfe und Äbte in England (convocation) dem König den Titel „Protector and supreme head of the English Church and Clergy“ zu. Er war nun das Oberhaupt der englischen Kirche und des Klerus. Fortan lehrten die Theologen und Juristen, der König sei immer schon das Oberhaupt der englischen Kirche gewesen, die päpstliche Rechtsprechung sei dort unrechtmäßig erfolgt. England sei ein „Imperium“, daher sei die Appellation an päpstliche Gerichte verboten (Act in Restraint of Appeals). Dabei wurde die Herrschaft des englischen Königs ähnlich gedeutet wie die Herrschaft des römischen Kaisers Konstantin I.29 Drei Jahre später unterwarfen sich die höheren Kleriker in allen Bereichen der Herrschaft des Königs (Act of Submission of the Clergy, 1534), der bisherige Gehorsam gegenüber dem Papst galt nun allein dem König. Nun entschieden die Bischöfe bei ihrer Versammlung, dass die Ehe des Königs ungültig sei, weil sie gegen göttliches Recht verstoßen habe. Damit konnte der König erneut heiraten, die neue Königin hieß Anna Boleyn, sie wurde 1533 vom obersten Bischof Englands gekrönt. Von jetzt an ernannte der König alle Bischöfe, es gab keine Bestätigung des Papstes mehr, doch die Domkapitel schlugen weiterhin die Kandidaten vor. Der Zehent, der bisher dem Papst in Rom zugeflossen war, ging nun in die königliche Schatzkammer und brachte jährlich 40.000 Pfund. Bald beschworen auch die Bischöfe, Äbte und Domkapitel, den König als Oberhaupt der Kirche und seine Tochter Elisabeth als Nachfolgerin

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im Königsamt anzuerkennen. Alle neu eingesetzten kirchlichen Amtsträger mussten diesen „Supremationseid“ ablegen. Die niederen Kleriker folgten den Bischöfen, nur einige Bettelorden widersetzten sich diesem Eid auf den König. Dieser fungierte nun im ganzen Land als oberster Bischof, ein Laienchrist hatte in der Kirche die höchste klerikale Funktion übernommen. Die Glaubenslehre blieb weiterhin katholisch, doch ab 1535 wurden in England die Protestanten nicht mehr als Häretiker verfolgt.30 Bald danach verfasste die Versammlung der höheren Kleriker (convocation) „Zehn Artikel“ des rechten Glaubens, die bereits Inhalte der Lehren Martin Luthers aufnahmen. Darin wurde bestimmt, dass alle Pfarren eine Bibel in englischer Sprache besitzen mussten und dass die Pfarren Register über die Geburten und Todesfälle zu führen hatten. Bald wurde eine neue Bibelübersetzung im Land verpflichtend, die Priester durften zu dieser Zeit noch nicht heiraten. Doch im Jahr 1536 verfügte der König mit der Zustimmung des Parlaments die Aufhebung von 304 Klöstern im ganzen Land, das war ung. die Hälfte des gesamten Kirchenbesitzes. Drei Jahre später wurden in England alle Orden und Klöster verboten, denn das Ordensleben sei eine „Vergeudung“ menschlicher Kräfte. Die Mönche und Nonnen konnten heiraten, Familien gründen und profane Berufe ergreifen; eine Zeitlang bekamen sie vom König finanzielle Unterstützung. Die Güter der Klöster und Orden gingen an den König, der damit seinen bisherigen Besitz verdreifachen konnte. Doch gegen diese Aufhebung der Klöster organisierten die Gegner der Reformation eine „Gnadenwallfahrt“ (pilgrimage of grace), die aber im gläubigen Volk wenig Zulauf fand. Für die Verwaltung der neuen königlichen Güter wurde der „Court of Augmentation of the Kings Revenue“ geschaffen, damit konnte der König die Zahl seiner Truppen erheblich vergrößern und seine Herrschaft festigen. Ab 1540 wurde in England die Liturgie in den Kirchen in englischer Sprache gefeiert, eine neue Kommunionordnung wurde erstellt. Damit war die „Englische Nationalkirche“ (Ecclesia anglicana) entstanden, sie war vom Papst in Rom vollständig unabhängig geworden. Die Adeligen und die höheren Kleriker hatten dieser Kirchenreform mehrheitlich zugestimmt, Widerstand gab es nur vereinzelt.31 Unter König Eduard VI. (gest. 1553) ging die Kirchenreformation weiter, die Kommunion wurde nun unter den Gestalten von Brot und Wein gereicht, die Gottesdienste waren nur mehr in englischer Sprache. Ein gemeinsames Gebetbuch (Common Prayer Book) wurden 1549 auch vom Parlament gebilligt, das Glaubensbekenntnis wurde in „42 Artikeln“ zusammengefasst. Doch die katholische Königin Maria Tudor, die mit dem spanischen König Philipp II. verheiratet war, versuchte fünf Jahre lang, die Kirchenreform wieder rückgängig zu machen, was ihr aber nicht gelang. Unter ihrer Herrschaft wurden Protestanten verfolgt, 282 Personen wurden als Ketzer verbrannt und ung. 800 Familien verließen das Land. Doch die Königin Elisabeth I. (gest. 1603) regierte das Land 45 Jahre lang, sie führte die Kirchenreform mit Entschiedenheit weiter. Die Exilanten durften nach England heimkehren. Das Parlament erneuerte die Anerkennung der Königin als dem Oberhaupt der Englischen Kirche. In der Folgezeit wurden alle Untertanen zur re-

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gelmäßigen Teilnahmen an den Gottesdiensten verpflichtet. Die Kirche wurde von der Königin gelenkt, die Bischöfe, Domkapitel und Diakone waren ihr unterstellt.32 In Schottland hatten sich die Adeligen im „Covenant“ zusammengeschlossen, um im ganzen Land die freie Predigt nach den Vorgaben der Bibel zu ermöglichen. John Knox hatte bei Jean Calvin die reformierte Theologie studiert, er predigte gegen die ungerechte Sozialordnung in Schottland und gegen die Unmoral der Kleriker. Nach einem kurzen Bürgerkrieg beschloss das Parlament im Vertrag von Edinburgh (1560), die Jurisdiktion des Papstes über ganz Schottland zu beenden. Nun wurde die katholische Messfeier durch calvinische Wortgottesdienste ersetzt. Das Parlament verabschiedete ein neues Glaubensbekenntnis (Confessio Scotica), an dessen Formulierung John Knox maßgeblich mitgearbeitet hatte. Mit einem „Buch der Disziplinen“ organisierte sich die Schottische Kirche neu, sie hielt an der Leitung durch „Älteste“ (Presbyter) und durch Superintendenten fest. Die moralische Kirchenzucht wurde nach dem Vorbild der Stadt Genf geregelt, das Verhalten der Bürger wurde der Kontrolle eines Geheimen Rates aus Predigern und Ältesten unterstellt. Dem König Jakob VI. war es gelungen, die Schottische Kirche in Teilbereichen der Kirche von England zwar anzunähern, doch sie blieb weiterhin calvinisch bestimmt.33 Etwas später haben die Bischöfe Bancroft von Canterbury und William Laud eine Theologie der Englischen „Hochkirche“ (High Church) formuliert, danach findet die kirchliche Ordnung und Hierarchie ihre Aufgipfelung in der Krone des Königs bzw. der Königin. Jeder Bischof sei ein Nachfolger der Apostel, deswegen verwalteten sie ein „göttliches“ Recht. Das kirchliche Amt, die Feier der Liturgie, die Predigt nach der Bibel, die Seelsorge und die Katechese seien für die Englische Kirche prägend. Schon bald entfalteten die Vertreter einer hochkirchlichen Theologie eine starke Liberalität in der Frage der Glaubensbekenntnisse, denn sie unterschieden deutlich zwischen zentralen und sekundären Glaubensartikeln. Das Wesentliche am Christentum sei der gelebte Glaube, die Verwirklichung der Tugenden, das Tun der Nächstenliebe, die Hilfe für die sozial Schwächeren, die Solidarität mit den Armen. Wir erkennen in diesen Lehren deutlich humanistische Ideen und Wertungen, die dann im 17. Jh. von den „Freidenkern“ (freethinkers) weiter geführt wurden. Aus diesem Grund konnten sich die Ideen der frühen „Aufklärung“ zuerst in Schottland und in England entfalten.34

Politische Weiterentwicklungen So entwickelte sich die Kirchenreformation von den Anfängen an in mehreren Linien, doch mit politischem Einfluss gelang es, einige Grundlinien allgemein durchzusetzen. Die apokalyptischen Gruppen der „Täufer“ bzw. der Wiedertäufer stellten eine akute Bedrohung der politischen Ordnung und des sozialen Friedens dar. Sie wurden von den Fürsten militärisch hart niedergerungen. Im Stadtrat von Münster erreichten die Täufer sogar die Mehrheit, dort veranstalteten sie Massentaufen. Sie erstrebten die Gütergemeinschaft und lösten die monogamen Ehen auf. Gleichzeitig zerstörten sie viele Kunstschätze in den Kirchen und Klöstern. Mit den aufständischen Bauern for-

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derten sie die Beendigung der Leibeigenschaft, weil diese in der Bibel nicht gegeben sei. Den Fürsten gelang es, mit militärischer Gewalt die alte Feudalordnung wieder herzustellen. Als der Papst Pius III. ein allgemeines Konzil der Bischöfe und Fürsten nach Mantua ausschrieb, lehnten die protestantischen Fürsten die Teilnahme ab, weil dieses Konzil unter der Herrschaft des Papstes nicht frei sein könne. Im Gegenzug schlug der Kurfürst von Sachsen ein Konzil in seinem Land vor, was die katholischen Fürsten und Bischöfe ablehnten. Bei verschiedenen Religionsgesprächen rangen katholische und protestantische Theologen um eine Einigung im Glauben, doch ab 1541 war die Trennung der Kirchen besiegelt.35 Bald danach kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den katholischen und den protestantischen Fürsten, den Schmalkaldischen Krieg (1546/47) gewannen die katholischen Fürsten mit dem Kaiser. Im Augsburger Religionsfrieden von 1555 war allen Fürsten im Heiligen Römischen Reich das Recht zur Durchführung der Reformation (ius reformandi) zugestanden worden. Die jeweils Andersgläubigen bekamen das Recht zur Auswanderung (ius emigrandi), sie mussten aber ihren Besitz zurücklassen. Doch die geistlichen Herrschaften der Bischöfe und Äbte verloren ihre Herrschaftsrechte, wenn sie der protestantischen Reformation folgten (reservatum ecclesiasticum). Schon bald erlaubten einige Städte aber das Zusammenleben von Protestanten und Katholiken, weil sie sich davon einen wirtschaftlichen Nutzen erhofften. Nicht wenige Fürsten schlossen sich der Reformation an, weil sie damit ihren Besitz erheblich vergrößerten. Denn der gesamte Besitz der Klöster, der Bischöfe und der Domkapitel fiel an sie. So ist es erstaunlich, warum sich nicht mehr weltliche Landesfürsten der Reformation anschlossen. Inzwischen hatte der Papst zu einem Konzil der Bischöfe, Äbte und Fürsten in die Stadt Trient eingeladen, die im Herrschaftsbereich der katholischen Habsburger lag. Dieses Konzil tagte dort mit mehreren Unterbrechungen von 1545 bis 1563, doch der Papst gab die Themen vor und bestimmte die Diskussionen. Alle Beschlüsse der Bischöfe mussten von ihm bestätigt werden, es war aus der Sicht der Protestanten kein freies Konzil. Die Bischöfe lehrten, die höchste Autorität in der Kirche sei nicht die Bibel, sondern die Lehren der Konzilien mit der Bibel zusammen (traditio et scriptura). Die Katholiken sollten sich nach den Vorgaben der Bischöfe und der höheren Kleriker orientieren, allen demokratischen Strukturen in der Kirche wurde eine klare Absage erteilt.36 Nach dem Tod von Martin Luther war es an den protestantischen Universitäten zu langen Auseinandersetzungen zwischen den Theologen und Predigern gekommen. Differenzen gab es über das Abendmahl und das Verständnis der Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Die strengen Lutheraner (Gnesiologen) waren davon überzeugt, dass die etwas humanistisch geprägten Lehren des Philipp Melanchthon viel zu liberal seien. In der Folgezeit kam es zu längeren Auseinandersetzungen und Streitgesprächen zwischen den Universitäten in Wittenberg und in Jena. Für Ph. Melanchthon waren der Gebrauch der religiösen Bilder oder die Fronleichnamsprozession für den Glauben unwichtig (adiapheron), doch die strengen Lutheraner lehnten Bilder und Prozessionen strikt ab. Ähnlich wurde über den Wert der guten Werke und über

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die Mitwirkung des menschlichen Willens bei der Rechtfertigung des Sünders vor Gott gestritten. Die Calviner und die Lutheraner deuteten die Gegenwart Christi beim Abendmahl und den Grad der göttlichen Prädestination für die Menschen unterschiedlich. Bald waren einige Landesfürsten über den Streit der Theologen besorgt, denn sie fürchteten eine politische Schwächung der Protestanten gegenüber den Katholiken. Dennoch bildeten sich unter den Protestanten mehrere Konfessionsgruppen heraus, etwa die orthodoxen und die liberalen Lutheraner, Calviner in verschiedener Abstufung, die vielen Richtungen der Pietisten; oder in England die Puritaner, die Presbyterianer, die Methodisten u.a. Dies hatte zur Folge, dass sich der Protestantismus in einer großen Vielfalt verwirklichte, die aber schrittweise zu wechselseitiger Toleranz führte.37

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In der Folge der Reformation und der katholischen Gegenreformation bildeten sich in Europa unterschiedliche Lebensformen und konfessionelle Lebenswelten. Nun war die Reform des religiösen Glaubenslebens ein langer und umfassender Prozess, der durch viele Generationen Fortschritt und veränderte Einstellungen, Wertungen und Mentalitäten erzeugte. Die Übergänge vom katholischen zum protestantischen Glauben erfolgten nicht abrupt, sondern in kleinen Schritten. Die Theologen und Prediger wirkten als treibende Kräfte. Viele Gläubige haben der Verehrung der Bilder und der Heiligen nachgetrauert, sie haben diese auch nicht plötzlich aufgegeben. Viele Frauen blieben noch länger bei der Verehrung der Gottesmutter und weiblicher Heiliger, denn das Göttliche war durch die Reformation noch stärker männlich geworden. Die Riten wurden verändert und vereinfacht, aber die Glaubenden erfuhren nun mehr aus der Bibel, die Predigten wurden zeitlich erheblich ausgedehnt. In der Folgezeit wurde ein neues Liedgut für die Gottesdienste geschaffen, die an der Bibel orientierten Gesänge sollten den neuen Glauben vertiefen. Die Gläubigen wurden durch die Prediger angehalten, die Inhalte des Glaubens innerlich nachzuerleben.1

Erweckungsbewegungen des Glaubens Nach der Lehre der Theologen und Prediger war nun der feste Glaube an Gott und an Jesus Christus wichtiger geworden als das Tun der guten Werke, als die Fürbitten der Heiligen, als die Prozessionen und Wallfahrten. Deswegen musste aber dieser Glaube ständig neu geweckt und vertieft werden. Die Theologen verfassten viele Schriften über die Vertiefung des Glaubens, um die persönliche Frömmigkeit anzuregen. In jedem Haus, in dem die Bewohner lesen konnten, sollte es eine Bibel geben. Aus ihr sollte regelmäßig gelesen werden. Der Theologe Johann Arndt (gest. 1621) schrieb vier Bücher „Vom wahren Christentum“, in denen er zur Gotteserkenntnis in der Natur, zur inneren Wiedergeburt und zur mystischen Vereinigung der Seele mit Gott aufrief. Der Mystiker Jakob Böhme (gest. 1624) hatte seine inneren Bilder, Vorstellungen und Visionen aufgeschrieben, in diesen Bildern hatte er die Lehren der Prediger persönlich nacherlebt. Der Prediger Jacob Spener (gest. 1705) verfasste eine Schrift „Pia desideria oder Herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirche“. Diese Schrift wurde zu einem Programm für eine

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Protestantische Lebenswelten

neue Form der Frömmigkeit, die später „Pietismus“ genannt wurde. Darin war die Hoffnung ausgedrückt, der Heilige Geist werde die lutherische Kirche von innen her erneuern und umgestalten. Dann würden sich ihr die Katholiken, die Juden und die Moslems freiwillig anschließen.2 Durch die Intensivierung des persönlichen Glaubens und die regelmäßige Lesung aus der Bibel sollte das alltägliche Leben umgeformt werden. Die Gläubigen wurden aufgefordert, kleine Gruppen zur gegenseitigen „Erbauung“ (collegia pietatis) zu bilden und sich durch ein tugendhaftes Leben auszuzeichnen. Doch die konservativen Theologen der lutherischen „Orthodoxie“ bekämpften die pietistischen Lehren und ein verinnerlichtes Christentum, denn ihnen ging es um die richtigen Glaubenslehren und die bibelgemäßen Gebete. Vor allem der Theologe August Hermann Francke (gest. 1727) hatte versucht, den tiefen inneren Glauben an Jesus Christus mit einem starken sozialen Handeln für Arme und Schwache zu verbinden. Daher gründete er in Glaucha eine Armenschule mit Internat und Waisenhaus, damit auch die Kinder der Ärmsten Lesen und Schreiben lernen konnten. Gleichzeitig sollten sie im religiösen Glauben unterwiesen werden. Der Gründer dieser Schule entwickelte ein ganzes Schulsystem auch für Bauern und für Handwerker, später noch eine Lateinschule für Studenten, eine Predigerschule für Theologen und eine höhere Schule für Adelige (Paedagogium regium). Die Stadt Halle an der Saale war das Zentrum der Franckeschen Anstalten, dort wurden in der Folgezeit die Führungsschichten des ganzen Landes ausgebildet. Durch Leistung, Kontrolle und Motivation sollten zum einen selbstbewusste Bürger, zum andern aber angepasste Untertanen ausgebildet werden. Das kritische Denken der beginnenden Aufklärung wurde freilich lange Zeit unterdrückt. Von Halle aus wurden in vielen Ländern pietistische Schulen gegründet, die der Vertiefung des Glaubens und des Wissens dienen sollten.3 Bald verbreitete sich der Pietismus auch im Herzogtum Württemberg, wo der Theologe Albrecht Bengel (gest. 1752) seine Ideen weitergab. Dort wurden viele Gemeinschaften zur „Erweckung“ des Glaubens gegründet. Viele pietistische Gläubige erwarteten allerdings das baldige Ende der Welt und die Ankunft Christi. Der Pädagoge Nikolaus Graf von Zinzendorf (gest. 1760) gründete in Ebersdorf eine überkonfessionelle Erweckungsgemeinschaft, die Katholiken und Protestanten vereinigen sollte. Dort wollten die Glaubenden geschwisterlich (philadelphia) zusammenleben und sich gegenseitig im Glauben und im Leben unterstützen. Von dort aus wurde die religiöse Kolonie von Herrenhut gegründet, in ihr lebten bereits Mitglieder der „Böhmischen Brüder“. Diese Gemeinschaft der „Herrenhuter“ orientierte sich an den Lebensformen der frühen Christen, wie sie in der Bibel dargestellt wurden. Es wurden neue Lieder und Feste geschaffen, für jeden Tag wurde eine „Bibellosung“ ausgewählt, nach der sich jedes Mitglied orientieren sollte. In Brandenburg-Preußen wurden die Herrenhuter als eigene Religionsgemeinschaft anerkannt, sie gründeten später Kolonien in Neuengland und in anderen Teilen Nordamerikas. Die Bewegung der Pietisten verbreitete sich auch in Dänemark, Schweden, Finnland und im Ostseeraum.4

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Protestantische Lebenswelten

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Die Herrenhuter und viele andere pietistische Bewegungen kritisierten die enge Verbindung von Staat und Religion im lutherischen Staatskirchentum. Sie wollten ihren persönlichen Glauben und damit auch eine kritische Haltung gegenüber der Politik des Staates gewinnen bzw. bewahren. Bald wurde auch Holland zu einem Zentrum des Pietismus, von dort wurden viele Schriften nach England und Frankreich versandt. In England waren die Puritaner bemüht, die anglikanische Staatskirche von unbiblischen Lebensformen und von Restbeständen des katholischen Glaubens zu „reinigen“. Auch ihnen ging es um die regelmäßige Reinigung von den Sünden und um die persönliche Heiligung des Lebens. Doch in Holland suchten die Calviner die Durchsetzung der strengen Kirchenzucht, sie wollten für jeden Christen ein genau geregeltes Leben in der Nachfolge Jesu Christi. Daher wurden die Glaubenden von den Predigern dazu angehalten, sich selbst zu beobachten, täglich das Gewissen zu erforschen und die göttlichen Gebote präzise einzuhalten („Präzismus“). Lehrer dieser Frömmigkeit waren Gisbertus Voetius (gest. 1676) und Johannes Coccejus (gest. 1669), welcher vor allem den Bund Gottes mit uns Menschen betonte.5 Nun gab es in vielen Ländern auch radikale und „erweckte“ Christen, die sich mit ihrem ganzen Leben Christus und den Anführern der Kirchen verschreiben wollten. Denn sie wollten durch strenge Kirchenzucht und durch vertiefte Frömmigkeit die erwartete Wiederkunft Christi beschleunigen. In England und in Frankreich kämpften fanatische Christen sogar gegen die staatliche Ordnung, da sie ihnen zu wenig christlich erschien; etwa im englischen Bürgerkrieg ab 1642 und unter Oliver Cromwell (gest. 1658). Nach der „Glorreichen Revolution“ (1688) wurde vom englischen Parlament ein Toleranzedikt erlassen, das den neu entstandenen „Freikirchen“ die gleichen Rechte gab, wie sie die Anglikanische Staatskirche hatte. Aus den Erweckungsbewegungen des wahren Glaubens waren im Lauf der Zeit viele neue religiöse Gruppen und Konfessionen entstanden, so die Puritaner und die Methodisten, die bald auch in den englischen Kolonien tätig wurden und intensive Mission des Glaubens betrieben.6

Konfessionen und Denominationen Kurz sollen die wichtigsten protestantischen Konfessionen dargestellt werden, die sich im Lauf der Zeit gebildet haben. Die Lutheraner folgten den Lehren und Vorgaben des Reformators aus Wittenberg und seiner frühen Mitstreiter. Für sie war der Glaube an die göttliche Rechtfertigung der Sünder allein durch den festen Glauben wichtig, weiter die ständige Vertiefung dieses Glaubens und ein gottesfürchtiges Leben. Die Grundlagen dieses wahren Glaubens waren die Bibel und die lutherischen Bekenntnisschriften. In der Ethik des christlichen Lebens wurde deutlich zwischen der Kirche (ecclesia), der Wirtschaft (oeconomia) und der Politik (politia) unterschieden. Die Christen sollten aufrecht ihren Glauben leben, sich aber immer von den Theologen und Predigern leiten lassen. Unter den Lutheranern bildeten sich bald zwei Richtungen, nämlich die orthodoxen und die liberalen Gläubigen. Die ersten

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orientierten sich streng und unbeweglich an den Vorgaben des Reformators, die anderen waren offen für neue Ideen, Wertungen und Problemlösungen.7 Die Calviner bzw. die Reformierten folgten den Lehren des Reformators aus Genf; später wurden auch die Anhänger des Reformators aus Zürich Huldrych Zwingli dazugezählt, denn beide Konfessionen hatten sich auf kooperative Weise angenähert. Die Reformierten betonten stärker den Glauben an die göttliche Prädestination aller Menschen, die strenge Einhaltung der Kirchenzucht und die persönliche Selbstkontrolle. Die staatliche Ordnung sollte das göttliche Gesetz verwirklichen, das aus der Bibel abzulesen sei; diese enthielt aber einige demokratische Elemente, die nun langsam zum Tragen kamen. Später entstand die Lehre, die politische Autorität über das Volk werde den Regierenden von Gott geschenkt. Daher komme dem christlichen Volk auch das göttliche Recht zu, sich von gottlosen Tyrannen zu trennen und diese mit Gewalt zu stürzen. Der fromme Bürger sei die höchste moralische Instanz für die Gestaltung der politischen Ordnung.8 Die Anglikaner bildeten die englische Staatskirche, sie hatten lutherische und calvinische Lehren aufgenommen, waren aber in der Kirchenordnung und in der Liturgie weitgehend katholisch geblieben. So hatten sie das Amt des Bischofs beibehalten. Auch in dieser Kirche entwickelten sich zwei verschiedene Richtungen, nämlich eine konservative Form der Religion und eine liberale Grundhaltung des christlichen Lebens. Die zweite Form hat es ermöglicht, dass sich in England früh demokratische Elemente in der Politik entfalten konnten und dass in diesem Land das freie Denken der Aufklärung möglich wurde. Im Kontext dieser Glaubensform wurde schon früh um allgemeine Menschenrechte und um die Beendigung des Sklavenhandels gerungen. Bis heute zeichnet sich die Anglikanische Kirche weltweit durch eine Vielfalt an Überzeugungen und durch starke Toleranz des Fremden aus.9 Die Glaubensgemeinschaft der Baptisten entstand durch den religiösen Eifer der „Puritaner“, die lange Zeit um den wahren und reinen Glaubens des christlichen Evangeliums gerungen haben. Im frühen 17. Jh. bildeten sich in England die „General Baptists“ und die „Particular Baptists“, beide wollten mit der Taufe der Erwachsenen eine bewusste Entscheidung für das Evangelium Christi verbinden. Doch sie mussten sich von den radikalen Täuferbewegungen abgrenzen, die auch zur Gewalt gegen Andersglaubende aufriefen. Die Baptisten hingegen stellten ihre friedvolle Lebensform unter Beweis, sie orientierten sich sogar an „Hutterischen Brüdern“ und suchten die persönliche Vertiefung im Glauben, eine asketische Lebensform und eine soziale Wirtschaftsethik. Zu den frühen Wiedertäufern zählten die Mennoniten, die ebenfalls die strenge Kirchenzucht und die moralische Vervollkommnung jedes Glaubenden betonten. Sie orientierten sich an der Nachfolge Christi und wollten auf Gewaltanwendung in der Politik verzichten. Nach der Glorreichen Revolution wurden die Baptisten in England toleriert, sie gründeten später große Missionsgesellschaften für Nordamerika und verbreiteten sich dort in kurzer Zeit.10 Vom Prediger John Weseley (gest. 1791) wurde die Konfession der Methodisten angeregt und zum Teil auch organisiert. Sie verstand sich als Erweckungsbewegung des wahren Glaubens, dieser sollte durch hoch emotionale Predigten geweckt wer-

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den. Gefördert wurden persönliche Bekehrungserlebnisse und Formen der Umkehr von falschen Einstellungen und Wertungen. Die enge Verbindung von Staat und Religion in der Anglikanischen Kirche wurde kritisch gesehen und abgelehnt, gesucht wurde nach neuen „Methoden“ (methods) der Glaubensverbreitung und der Vertiefung der Spiritualität. In Nordamerika waren reitende Prediger dieser Konfession vor allem in den Südstaaten unterwegs, um Begeisterung für das christliche Evangelium zu wecken. Vor allem die unteren sozialen Schichten schlossen sich dieser neuen Bewegung an, bald wurde eine eigene Kirchenorganisation mit Bischöfen und Distriktsleitern aufgebaut. Eng mit den methodistischen Bestrebungen verbanden sich „evangelikale“ Bewegungen, die das Evangelium in der Bibel wörtlich verstehen und es ohne sozialen Kontext in neue Lebenssituationen übertragen wollen.11 Die frühen Methodisten befolgten strenge Normen und Verbote im alltäglichen Leben, sie verzichteten auf Alkohol und Nikotin, auf Tanzvergnügungen und Glücksspiele. Ihre Zielwerte waren Pünktlichkeit und Fleiß bei der Arbeit und Zuverlässigkeit in der Gemeinschaft. Die Lebensform der Gläubigen wurde von den Predigern ständig überprüft, für die Verbreitung des hoch emotionalen Glaubens wurden auch Laienprediger eingesetzt. Im Jahr 1795 trennten sich die Methodisten von der Anglikanischen Kirche. In der Folgezeit entstanden in England und in Nordamerika viele sog. „Freikirchen“, zu ihnen zählten die Presbyterianer, die Kongregationalisten und im weiten Sinn auch die Baptisten. Diese Gemeinschaften wollten sich strikt am Evangelium Christi orientieren, das eine Vielzahl von Deutungen zuließ. Sie haben im 18. Jh. wesentlich zur Ausbildung demokratischer Entscheidungen, zur Wertschätzung der Menschenrechte und zur Überwindung der Sklaverei beigetragen. Zu dieser Zeit wurden viele Bibelgesellschaften gegründet, welche die Verbreitung des Glaubens in außereuropäischen Kontinenten ermöglichen sollten.12 Insgesamt lebten die Erweckungsbewegungen in einer kritischen Distanz zu den Nationalkirchen und Landeskirchen, aber sie folgten auch nicht der konservativen und orthodoxen Theologie vieler Prediger. In ihnen entfalteten sich viele kreative Dynamiken im Bereich der Politik und der sozialen Fürsorge, aber auch in der persönlichen Vertiefung des Glaubens. Die Lebenswerte der Bibel, vor allem der „Bergpredigt“ Jesu, sollten in kleinen Gemeinschaften gelebt werden, um von dort in der Gesellschaft Wirkung zu erzielen. Freilich gab es vereinzelt auch apokalyptische und fanatische Gruppen, doch sie blieben in der Minderzahl. Insgesamt haben die pietistischen Bewegungen in Europa nachhaltig und bleibend zur Verbreitung von religiöser Toleranz und der allgemeinen Menschenrechte beigetragen, denn sie wehrten sich frühzeitig gegen die Verfolgung der Ketzer. So hat die vielfältige Dynamik der Reformation zu wichtigen Lernprozessen der europäischen Kultur geführt, die sich im Zeitalter der Aufklärung weiter entfalten konnten.13

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Das kulturelle Lernen So hat der Protestantismus gerade in seiner Vielfalt der Glaubensformen deutliche kulturelle Lernprozesse in Europa und in Nordamerika angestoßen. Schon in den Anfängen wurden demokratische Elemente in den Kirchenstrukturen geschaffen, die später auch auf die politischen Ebenen weiter wirkten. Das Weihepriestertum der Kleriker wurde aufgegeben, fortan sollten alle Christen am allgemeinen „Priestertum“ Christi Anteil haben; wir erkennen hier eine egalitäre Struktur der Laienchristen. Die Gemeinden durften sich ihre Prediger zum Teil frei wählen, die Bibel wurde als Grundschrift des Glaubens gesehen, sie sollte allen Gläubigen zugänglich werden. Daher war es nötig, literarische Bildung unter das Volk zu bringen, alle sozialen Schichten sollten Lesen und Schreiben lernen. Der Schwerpunkt der Religion lag nun nicht mehr bei der Ausführung magischer Riten, sondern im persönlichen Glauben, in der gelebten Tugend und in der tatsächlichen Nachfolge Christi. Wie ein Baum hat sich der Protestantismus in vielen Ästen und Zweigen entfaltet, er war für alle sozialen Schichten lebbar. Gewiss setzten Adelige und Stadtbürger andere Schwerpunkte des Glaubens als Bauern, Handwerker, Knechte und Mägde. Die Ideengeber waren wohl ausgebildete Theologen und Prediger, doch in vielen Gemeinschaften hatten auch Laienprediger eine starke Position.14 Insgesamt hat der Protestantismus in Europa und Nordamerika zur Entwicklung einer bürgerlichen und liberalen Kultur nachhaltig beigetragen, auch wenn es konservative und orthodoxe Bewegungen gab. Er hat bei allen sozialen Schichten das soziale Gewissen gebildet und geschärft und die Regeln des friedvollen Zusammenlebens neu bestimmt. Die monokratische Herrschaft (imperium) ging langsam in demokratische Formen der „Verwaltung“ (ministerium) über, von der schon Erasmus von Rotterdam gesprochen hatte. Nicht zu übersehen sind die kulturellen Leistungen der Söhne und Töchter der Prediger, Pfarrer und Theologen, die das Geistesleben bleibend geprägt haben. So hat das protestantische Denken in Europa und Nordamerika zur Ausbildung einer vielfältigen und individualistischen Lebensgestaltung beigetragen. Die Grundüberzeugung, dass jeder Mensch unabhängig von kirchlichen Instanzen allein durch seinen Glauben einen direkten Zugang zu Gott habe, hat die Individualisierung der Lebensformen deutlich unterstützt. In diesem Kontext wurden eine Religion der Gesinnung und auch eine Ethik der inneren Einstellungen (Gesinnungsethik) möglich. Manche Theologen haben deswegen von einer „dritten“ Christenheit gesprochen, nämlich nach der griechischen Ostkirche und der lateinischen Westkirche. Vor allem durch die schrittweise Entfaltung einer rationalen Aufklärung wurde die protestantische Religion deutlich weiter entwickelt.15 Der Glaube an die Bibel wurde nun langsam durch den Glauben an die Kräfte der menschlichen Vernunft ergänzt. Es fanden tiefgreifende Prozesse der Säkularisation (Verweltlichung) von religiösen Inhalten statt, vor allem im Bereich des Rechts, des Staates und der Gesellschaft. Diese wurden fortan als profane Bereiche und Größen gesehen. Wohl blieben noch Bezüge zu einem göttlichen Recht, aber dieses wurde durch ein „Naturrecht“ aller

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Menschen verdrängt. So haben sich die modernen, liberalen und säkularen Gesellschaften zuerst in den Ländern der Reformation gebildet. Erst mit großer zeitlicher Verspätung konnte dieser Prozess in den katholischen Ländern nachgeholt werden. In den Ländern der griechischen und der russischen Ostkirche ist dieser Lernprozess bis heute noch nicht abgeschlossen.16 Obwohl im frühen Protestantismus die Verbindung zwischen dem Staat und der Religion eng war, ist diese Verflechtung im Lauf der Entwicklung stark gelockert und zuletzt sogar getrennt worden. Obwohl die Reformatoren M. Luther und J. Calvin die freie und autonome Philosophie als Quelle des Glaubens strikt abgelehnt hatten und sich allein mit der Bibel begnügten, konnte sich in der frühen Neuzeit die freie und kritische Vernunft zuerst in den protestantischen Ländern England, Schottland und Holland entfalten. In den katholischen Ländern blieben die Schriften des Erasmus von Rotterdam von F. Voltaire und I. Kant bis 1963 auf dem Index der verbotenen Bücher. In den protestantischen Ländern wurden fortan das Recht, der Staat und die Gesellschaft als profane Wirklichkeiten gesehen, die allerdings mit den Grundwerten des christlichen Glaubens in Verbindung bleiben sollten. I. Kant hatte am Ende des 18. Jh. gelehrt, dass wir uns vernünftiger Weise so verhalten sollten, „als ob“ Gott existierte und als ob wir vor ein außerweltliches göttliches Gericht hintreten müssten. Er war überzeugt, dass ein allgemeines Recht der Völker allein auf der Basis der kritischen Vernunft möglich sei (Vom ewigen Frieden. 1794). So wurde die europäische Kultur im 18. Jh. stark durch das protestantische Denken geprägt bzw. mitgeprägt, die Entfaltung der Innerlichkeit, der persönlichen Überzeugung und der Individualität bekamen von dorther starke Impulse. Die Lebenswelt durfte zunehmend säkular interpretiert werden, die Christen sollten ihre Frömmigkeit mitten in der profanen Gesellschaft leben. Das wahre Kriterium der Frömmigkeit sollten die gelebte Nächstenhilfe und die Solidarität mit den Schwächeren sein.17 Damit kamen die Impulse zur Säkularisierung von Herrschaft, von Staat und Gesellschaft sehr stark aus dem protestantischen Denken, auch wenn diese Forderungen schon von Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua im 14 Jh. erhoben worden waren. Mit der Reformation wurden in Europa Bischofsitze und Klöster der weltlichen Herrschaft zugeführt bzw. zurückgegeben. Genau besehen wurden geistliche Stiftungen von den Fürsten wieder in den profanen Bereich zurückgenommen. Der entscheidende Schritt zur Säkularisierung der geistlichen Herrschaften in deutschen Ländern kam aber erst durch die Heere Napoleons. Die Französische Revolution hatte schon 1790 alle Kirchengüter säkularisiert. Im Heiligen Römischen Reich geschah dies erst mit dem „Reichsdeputationshauptschluss“ von 1803. Damit wurde die Verbindung von Herrschaft und Religion, die im spätrömischen Imperium mit dem Kaiser Theodosius I. um 380 begonnen hatte, endgültig aufgelöst und zurückgenommen. Zum andern hat der Protestantismus wesentlich zur Entfaltung des freien Denkens (freethinkers), zur Verbreitung der rationalen Aufklärung und zur Vielfalt der christlichen Lebensformen beigetragen. Er hat den Monopolanspruch der spätrömischen

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„Reichskirche“ weitgehend aufgelöst und dadurch die kulturellen Lernprozesse der europäischen Neuzeit entscheidend voran gebracht.18

Anfänge rationaler Aufklärung Nach der Zeit der Konfessionskriege strebten in der protestantischen Welt nicht nur Philosophen und Juristen, sondern auch Theologen und Prediger nach einer vernünftigen Deutung der Welt und der Gesellschaft. Sie erkannten nämlich, dass die Entfaltung der aufrechten Vernunft kein Gegensatz zum christlichen Glauben war. In gewisser Weise ergänzten diese Denker die Orientierung an der Bibel durch den Einsatz der kritischen Vernunft, was die Reformatoren M. Luther und J. Calvin noch entschieden abgelehnt hatten. So glaubte der holländische Rechtslehrer Hugo Grotius, dass es unter den Völkern ein natürliches Recht (Naturrecht) geben müsse, das von den Lehren der Religion gar nicht berührt werde. Dieses Recht ergäbe sich aus den Erkenntnissen der freien Vernunft, die für alle Menschen und Religionen die gleiche sei. Damit wurde der Absolutheitsanspruch der Konfessionen deutlich relativiert, es wurde wieder auf das Verbindliche in den christlichen Wertordnungen zurückgegriffen. Eine von christlichen Werten geleitete Vernunft sollte nach der Zeit der Konfessionskriege für jeden Menschen die Sicherung des Lebens und die Bewahrung der Menschlichkeit gewährleisten. Dadurch sollte eine europäische Rechtsordnung möglich werden, die sich im Westfälischen Frieden (1648) bereits angekündigt hatte.19 Mit diesem Denkansatz des Naturrechts verband sich auch die Vorstellung von einer „natürlichen Religion“, die vernünftige Inhalte haben sollte. Diese natürliche und vernünftige Religion sollte die Grundlage für ein geordnetes Staatensystem und für eine zivile Gesellschaft sein, dann könnten die Kriege um religiöse Wahrheiten und Überzeugungen dauerhaft beendet werden. Im Prozess der rationalen „Aufklärung“ gewann das individuelle Leben an Bedeutung, die Freiräume der Lebensgestaltung konnten für die oberen sozialen Schichten erheblich ausgeweitet werden. So glaubte Johann Arndt (gest. 1621), dass wir durch die Selbsterkenntnis und durch die Naturerkenntnis dem göttlichen Geheimnis immer näher kommen und dass wir dann im gegenseitigen Dienst und mit moralischer Verantwortung zu leben vermögen. Der Theologe August Hermann Francke und der Philosoph Christian Thomasius wollten zusammenwirken, um pietistische Frömmigkeit und kritische Vernunft einander näher zu bringen. Freilich sahen konservative Theologen und orthodoxe Prediger in den Vordenkern der Aufklärung ihre Gegner und Feinde. Sie warnten die Gläubigen vor dem kritischen und freien Denken. Doch die kulturellen und politischen Lernprozesse waren nicht mehr aufzuhalten. Ein breiter „Bildungsprotestantismus“ suchte die Kooperation mit der kritischen Philosophie, vor allem in England und Schottland.20 Vor allem die Forschungen der Naturwissenschaften und Astronomen haben eine säkulare Weltdeutung voran gebracht. Mit Isaac Newtons „Principia mathematica“ zeigte sich eine neue Form der Weltdeutung, die sich von der Religion weitgehend

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ablöste. In Holland entwarf Justus Lipsius (gest. 1606) ein überkonfessionelles Weltbild, das rationale und religiöse Deutungen mit einander verband. In seinem Buch „Constantia“ plädierte er für die freie Entfaltung der Vernunft, für die Ausdauer der Willenskraft und für die praktische Verwirklichung des als wahr Erkannten. In England hatte die „Glorreiche Revolution“ (1688) die politischen, die sozialen und die religiösen Verhältnisse stabilisiert, in der Folgezeit wurde zwischen den Konfessionen wechselseitige Toleranz möglich. Der Philosoph John Locke hatte in seinen „Briefen über Toleranz“ (1689) die Grundsätze des vernünftigen Lebens formuliert, nämlich freies Denken, den Abschied von metaphysischen Spekulationen, das empirische Denken und die Erwägungen der Nützlichkeit bei allen moralischen Entscheidungen. Für manche Theologen war theologische „Weite“ (latidudo) mit den Erkenntnissen der kritischen Vernunft verträglich (Latidudinarismus). Wichtig sei der Bezug zur Lebenspraxis, die „Menschlichkeit“ (humanitas) könne auch als die Summe aller religiösen Lehren gelten.21 Für gebildete Bürger waren nun nicht mehr die Sünde und die Gnade im Vordergrund des Denkens, sondern es ging vor allem um personales Glück und um soziale Harmonie. Es wurde angenommen, dass beide Ziele durch eine vernünftige Erziehung und durch freies Denken erreichbar sein müssten. So glaubte John Locke an eine vernünftige Form des Christentums (The reasonableness of Christianity). Er kam zur Überzeugung, dass die Religion und die kritische Vernunft in den wesentlichen Inhalten überein stimmten. Der Biologe Robert Hooke sagte zu dieser Zeit, die wunderbare Ordnung in der Natur lasse uns die göttliche Vorsehung preisen. In England wurde 1698 eine „Gesellschaft für die Verbreitung der christlichen Erkenntnisse“ (Society for Promotion Christian Knowledge) gegründet. Die Mitglieder glaubten an das Eingebettetsein in die wunderbare Harmonie des Kosmos, sie wollten im alltäglichen Leben den Armen und den Kranken helfen, damit auch sie Geborgenheit erleben konnten. Auch den Geisteskranken sollte geholfen werden. Auch John Toland und Mattew Tindal rangen zu dieser Zeit um ein vernünftiges Christentum. In Schottland wurden die Universitäten von Glasgow, Aberdeen und Edinburgh frühe Zentren der rationalen Aufklärung. Dort wurde eine vernünftige und natürliche Moralphilosophie gelehrt, die ein friedvolles Zusammenleben der Menschen ermöglichen sollte.22 Vor allem Adam Smith hatte diese Moralphilosophie weiterentfaltet und mit einer allgemeinen Theorie der Wirtschaft verbunden. In den deutschen Ländern rang Gottfried Wilhelm Leibniz um die Aussöhnung zwischen den Konfessionen und um die Versöhnung von Wissenschaft und Religion. Christian Thomasius argumentierte für eine vernünftige Lebensform, die allen Menschen den größten Nutzen bringe. Vor allem Christian Wolff ging von einer möglichen Harmonie zwischen der Religion und der Vernunft aus, denn das christliche Ethos folge einem vernünftigen Weltplan. Die theologische Schule der „Neologen“ mit Johann Salomo Semler suchte nach neuen Methoden der Bibelkritik, die Bibel sei nicht wortwörtlich von Gott inspiriert. Das göttliche Wort komme wohl in der Bibel zur Sprache, aber es gehe weit über dieses Buch hinaus. Das Wissen der antiken Welt müsse dem Wissen der neuen Zeit ange-

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passt werden. Gott begegne uns Menschen in der Erfahrung der Liebe und als gütige Vorsehung. Wichtig für den Christen sei nicht die Dogmatik des Glaubens, sondern die gelebte Ethik der Bibel.23 Einem deistischen Glauben näherte sich der Hamburger Theologe Hermann Reimarus, der eine Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes verfasste, auf die sich später Gotthold Ephraim Lessing in seinen „Fragmenten eines Ungenannten“ bezog. Doch zu dieser Zeit kämpften die altprotestantischen und orthodoxen Theologen heftig gegen eine vernünftige Theologie, sie sahen darin einen Abfall vom reinen Glauben. Auch Immanuel Kant suchte nach einer Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, denn im Sollen und im Wollen des vernünftigen Menschen leuchte die Einsicht in das göttliche Gesetz auf. Vor allem in den protestantischen Städten entstand ein liberales Christentums, Genf und Zürich, Hamburg und Berlin wurden damit zu Zentren der rationalen Aufklärung. Hier haben die protestantischen Regionen eine deutliche Vorreiterrolle gespielt, katholische Regionen folgten erst später. Die Ziele dieses kulturellen und politischen Lernprozesses waren Erziehung und Bildung der Jugend, die freie Entfaltung der Wissenschaften und die Erreichung einer vernünftigen und toleranten Kultur, was zum Teil tatsächlich gelungen ist.24

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Nach der Reformation wurde der Unterschied zwischen der katholischen und der protestantischen Lebenswelt immer größer, die katholischen Kleriker und Theologen klammerten sich an ihre alten Lehren und Lebensformen. Im Prozess der „Gegenreformation“ haben sie diese Lehren noch verschärft, um den Protestanten kein Entgegenkommen anzuzeigen. Gleichzeitig entstanden neue Formen der Frömmigkeit, neue religiöse Orden wurden gegründet. Auf den neu entdeckten Kontinenten wurde die Missionstätigkeit verstärkt. Im 18. Jh. entstand eine katholische „Barockkultur“, die überbordende Lebensfreude mit bildhaftem Ausdruck verband. Die Kirchen mit ihrer reichen Malerei gaben den Christen einen Blick in den Himmel und in die Welt des Heiligen frei, Musik und Theater prägten das kulturelle Leben. In allen Regionen gingen die Prozessionen und Wallfahrten weiter, die Heiligen und vor allem die Gottesmutter wurden mit Hingabe verehrt. Viele Volksfeste wie Kirchweih und kirchliche Festzeiten wie Weihnachten, Karneval, Fastenzeit, Karwoche prägten das religiöse Leben. Die religiöse Volkskultur erreichte alle sozialen Schichten.1

Lehren der Kleriker und Theologen Die meisten Kleriker und Theologen hielten an ihren bisherigen Lehren fest, ja sie verschärften diese noch. Denn sie mussten den Protestanten gegenüber unbedingt Recht behalten. Sie verschrieben sich einer Theologie der geistlichen Herrschaft (Klerikerchristentum) und sahen in den Lehren der Protestanten den unerlaubten Versuch, ein selbstständiges „Laienchristentum“ zu leben. So wurden im 16. Jh. von den Päpsten zwei Konzile der Bischöfe einberufen, die sich mit der Reform von Kirchenstrukturen befassen sollten. Auf dem V. Laterankonzil in Rom (1512 bis 1517) verhandelten die Bischöfe, Äbte und Vertreter der Fürsten über einen Kreuzzug gegen die Moslems, über die Ausrottung der Häresien, über den Kauf der geistlichen Ämter, über die Versöhnung mit den Hussiten in Böhmen und mit den Griechen im Osten, über kirchliche Gebühren und Abgaben. Das Konzil erlaubte die Gründung gemeinnütziger Geldverleihanstalten (montes pietatis), es erließ eine Zensur für alle gedruckten Bücher und befasste sich mit der Kontrolle der Prediger und der Bettelorden. Die Privilegien der exempten Kleriker wurden deutlich reduziert. Schließlich

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wurde eine Steuer für einen Kreuzzug gegen die Osmanen beschlossen. Die Bischöfe sollten diese Beschlüsse in ihren Diözesen umsetzen.2 Viele Anhänger Martin Luthers und auch deutsche Fürsten forderten nach 1520 ein neues Konzil, das aber nicht vom Papst beherrscht werden dürfe. Aus Angst vor einem neuen „Konziliarismus“ schoben die Päpste aber die Einberufung eines Konzils hinaus. Die Reichstage des Heiligen Römischen Reiches hatten seit 1523 regelmäßig die Einberufung eines freien Konzils in einem deutschen Land gefordert. Auf Vorschlag des Kaisers wurde das Konzil im Jahr 1542 vom Papst Paul III. in die Stadt Trient einberufen. Es tagte dort in drei Perioden und wurde vor allem von Bischöfen aus Italien, Spanien und Frankreich beschickt. Die deutschen Länder waren nur mit acht Bischöfen vertreten, die katholischen Fürsten schickten nur ihre Vertreter. Bei der zweiten Sitzungsperiode nahmen auch protestantische Vertreter aus Württemberg, Sachsen, Brandenburg und Straßburg teil. Sie trugen ihre neuen Glaubensbekenntnisse und ihren Protest gegen den Papst offen vor. Doch die Päpste Paul III., Julius III. und Paul IV. griffen ständig in die Beratungen der Bischöfe und Fürstenvertreter ein, denn sie wollten unter Beweis stellen, dass sie über dem Konzil stünden. Verhandelt wurde über die Zahl der Sakramente, über Fragen der Rechtfertigung vor Gott, über die Bibel und die kirchliche Tradition als die beiden Quellen des Glaubens. Die Bischöfe lehrten, die Rechtfertigung der Sünder vor Gott geschehe durch die göttliche Gnade, aber nach der Maßgabe unserer eigenen Disposition und Kooperation (eiusque dispositionem et cooperationem). Die Zahl der Sakramente wurde mit sieben festgelegt, in der Eucharistie sei Christus real präsent und wirklich gegenwärtig (realiter et substantialiter).3 Am Ende des Konzils, das mit Unterbrechungen bis 1563 getagt hatte, wurden die Bischöfe verpflichtet, alle Beschlüsse in ihren Diözesen durchzuführen. Denn nun sollte der wahre katholische Glaube wieder hergestellt werden. Deswegen gründete der Papst Paul IV. einen Index der verbotenen Bücher, die von Laienchristen und von Klerikern ohne Erlaubnis der Bischöfe nicht gelesen werden durften. Eine eigene Indexkommission sollte die häretischen Bücher prüfen und dann verbieten. Auch das Lesen der Bibel in Latein und in den Volkssprachen war den Laienchristen verboten, die Kleriker bewahrten damit das Monopol der Bibelinterpretation. Auf den Index der verbotenen Bücher kamen die Schriften der Protestanten, des Erasmus von Rotterdam und später auch von F. Voltaire und I. Kant. Dieser Index war in der katholischen Kirche bis 1963 in Kraft und hat die kulturellen und politischen Lernprozesse unter den Katholiken nachhaltig behindert. Doch in der Zeit der Aufklärung haben sich viele gebildete Laienchristen nicht mehr an dieses Verbot gehalten.4 Zu den Reformen der Kirche zählte die Residenzpflicht der Bischöfe in ihren Diözesen. Die Bischöfe wurden verpflichtet, das Glaubensleben in ihren Diözesen regelmäßig durch Visitationen zu überprüfen. Von diesen Überprüfungen mussten sie sogar dem Papst Rechenschaft ablegen (ad limina Petri). Außerdem wurden sie verpflichtet, für eine bessere Ausbildung der Priester und Prediger zu sorgen. Es sollten Seminare gegründet werden, wo der wahre katholische Glaube zu unterrichten sei. Die gesamte Glaubenslehre und Moral wurde in einem „Katholischen Katechismus“

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zusammengefasst. Das Eheverbot für Priester, Mönche und Nonnen blieb aufrecht. Die Form der Eheschließung wurde verändert, sie musste nun öffentlich erfolgen, damit keine Geheimehen mehr möglich seien. Das Messbuch (Missale Romanum) wurde erneuert, es sollte fortan in der gesamten Kirche gültig sein. Die Kommunion durfte an Laienchristen nur in der Gestalt des Brotes gespendet werden, die Gestalt des Weines war allein den Klerikern vorbehalten. An den Ablässen für zeitliche Sündenstrafen und an den Fürbitten und Messen für die Seelen der Verstorbenen wurde weiterhin festgehalten.5 Nun wurde der Orden der Jesuiten gegründet, der sich ganz dem Dienst der Päpste und der Durchsetzung der Gegenreformation verschrieben hatte. Dieser Orden verbreitete sich in allen katholischen Ländern, auch in Lateinamerika. Er gründete viele Schulen und wurde zur Lehre an den Universitäten berufen. Die Ausbildung der Ordensmitglieder war umfassend und intensiv, sie prägten fortan die Erziehung der Jugend und die Ausbildung der Kleriker. Ihre Lehren bestimmten auch die theologischen Diskussionen. Zusammen mit den Orden der Franziskaner und der Dominikaner bekämpften sie die Häretiker, Ketzer und die Hexen. Sie waren an der kirchlichen Inquisition beteiligt. Als Beichtväter und Berater von katholischen Fürsten gewannen sie aber großen Einfluss auf die europäische Politik, deswegen wurde ihr Orden am Ende des 18. Jh. vom Papst kurzzeitig aufgehoben. Die Jesuiten bestimmten die theologischen Lehren, im Streit gegen die strengen Jansenisten setzten sie ihre moderate Gnadenlehre durch.6 Papst Urban VIII. hatte fünf Thesen der Jansenisten als Irrlehren verurteilt, weil sie eine rigorose Morallehre vertreten hatten. Die Morallehre der Jesuiten beruhte auf wahrscheinlichen Entscheidungen (probabilitas). Die Jansenisten aber vertraten eine egalitäre Kirchenlehre und unterstützten die Bildung einer „Gallikanischen Kirche“ in Frankreich. Dort sollten auch Laienchristen leitende Funktionen übernehmen, die Liturgie sollte in den Landessprachen gefeiert werden. Die Frauen sollten mehr Rechte bekommen und alle Laienchristen sollten die Bibel in den Landessprachen lesen können. Doch Papst Clemens XI. verurteilte diese Lehren der Jansenisten, französische Soldaten zerstörten ihr Kloster in Port Royal. Viele von ihnen flohen nach Holland, wo sie eine Kirche im Untergrund lebten. Doch der Papst hatte mit seiner Entscheidung die strenge Lehre von der Erbsünde des Aurelius Augustinus deutlich relativiert. Seither folgt die offizielle katholische Kirchenlehre einem „Semipelagianismus“, der die relative Freiheit des menschlichen Willens anerkennt und bei den moralisch guten Taten ein Zusammenwirken der göttlichen Gnadenkraft mit dem menschlichen Willen sieht.7 Ein gewichtiger theologischer Impuls kam vom Weihbischof aus Trier, Johann Nikolaus von Hontheim, der 1763 unter dem Pseudonym „Febronius“ ein Buch „Über den Zustand der Kirche und die rechtmäßige Gewalt des römischen Bischofs“ veröffentlichte. Er wollte mit diesem Werk einen Beitrag zur Wiedervereinigung der getrennten Kirchen leisten. Darin lehrte er, Christus habe die Schlüsselgewalt der Gesamtkirche übergeben. Der Papst sei nur der erste unter den Bischöfen, er sei diesen in ihrer Gesamtheit aber untergeordnet. Der Primat übe er nicht über die Kirche,

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sondern in dieser aus, seine Entscheidungen benötigten immer die Zustimmung der Bischöfe. Das Allgemeine Konzil stehe daher immer über dem Papst, das sei auch die Lehre der Alten Kirche gewesen. Doch die Päpste hätten im Lauf der Geschichte immer mehr an Macht an sich gerissen. Nun müssten die Bischöfe und die Fürsten den Papst zwingen, die angemaßten Rechte aufzugeben, dann sei eine Wiedervereinigung mit den Protestanten möglich und erreichbar. Nationale Konzile sollten diese Einsichten im Kirchenvolk aller Länder verbreiten. Damit griff der Weihbischof die Lehren des Marsilius von Padua und des Johannes von Jandum (Defensor pacis, 1326) wieder auf. Doch Papst Clemens XIII. setzte das Buch des Weihbischofs auf den Index der verbotenen Bücher. Dieser musste seine Thesen feierlich widerrufen.8

Herrschaft der Päpste Im 16. Jh. regierten in Rom mehrere Renaissancepäpste, sie verstanden sich als Landesfürsten, denn sie bestimmten über den Kirchenstaat (Patrimonium Petri), der damals ung. die Fläche des Herzogtums Bayern oder der spanischen Niederlande hatte. Julius II. (gest. 1513) ließ die Planung für den neuen St. Petersdom beginnen und legte 1506 den Grundstein für diesen Prachtbau. Einige Jahre später berief er ein Konzil der Bischöfe in den Lateranpalast in Rom. Sein Nachfolger Leo X. (gest. 1521) führte den Bau der St. Petersbasilika weiter und ließ für die Finanzierung in allen christlichen Ländern den Ablass von zeitlichen Sündenstrafen predigen. Er hatte die Bannandrohung gegen Martin Luther unterzeichnet. Clemens VII. (gest. 1534) wehrte sich vehement gegen die Einberufung eines Konzils, obwohl der Kaiser ihn dazu drängte. Daraufhin ließ der Kaiser die Stadt Rom erobern und plündern (Sacco di Roma, 1527) und den Papst gefangen setzen. Nach einem Friedensschluss erfolgte die Kaiserkrönung durch den Papst. Paul III. (gest. 1549) berief ein Konzil der Bischöfe nach Trient ein, er ordnete die Inquisition neu und gründete das „Heilige Offizium“ (Sanctum Offizium) zur Verfolgung der Ketzer.9 Paul IV. (gest. 1551) lehnte die Fortsetzung des Konzils ab und veröffentlichte den ersten Index der verbotenen Bücher. Als Großinquisitor von Rom wurde Pius V. (gest. 1572) Papst, er hat den „Römischen Katechismus“, ein neues Messbuch (Missale Romanum) und ein neues Brevier für alle Priester herausgegeben. Als er die englische Königin Elisabeth I. absetzen wollte, löste er mit dieser Entscheidung in England eine Verfolgung der Katholiken aus. Unter Gregor XIII. (gest. 1585) wurde die Reform des Julianischen Kalenders abgeschlossen. Nun begann in den katholischen Ländern der „Gregorianische Kalender“: Auf den 4. Oktober 1582 folgte der 15. Oktober. Die reale Zeitdifferenz betrug bereits 11 Tage. Doch die protestantischen Fürsten übernahmen den neuen Kalender erst 100 Jahre später. Der Papst hatte in Rom ein deutsches Priesterseminar (Collegium Germanicum) gegründet, unter seiner Herrschaft wurden in Frankreich die Hugenotten vertrieben (Bartholomäusnacht). Unter Sixtus V. (gest. 1590) wurde die Kuppel des St. Petersdomes vollendet, der Papst reformierte die Römische Kurie und das Kollegium der Kardinäle. Das Jubeljahr 1600 feierte Papst Clemens VIII. (gest. 1605), es kamen mehr als eine Million an Pilgern nach Rom.

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Paul V. (gest. 1621) unterstützte im Dreißigjährigen Krieg die Katholische Liga und war mit der Republik Venedig im Krieg.10 Die Papstwahl reformierte Gregor XV. (gest. 1623), er führte die geheime Wahl durch die Kardinäle ein. Auch gründete er die Kongregation zur Weltmission (Propaganda Fidei). Im Dreißigjährigen Krieg unterstützte Urban VIII. (gest. 1644) zuerst die Katholische Liga, dann aber den Schwedenkönig Gustav Adolf und die Protestanten. Innozenz X. (gest. 1653) protestierte gegen den Westfälischen Frieden, im Vatikan hatte er dem Kardinal Staatssekretär die Außenpolitik übertragen. Alexander VII. (gest. 1667) geriet in Streit mit König Ludwig XIV. von Frankreich, dem er viele Rechte über die Kirchenleitung abtreten musste. Innozenz XI. (gest. 1689) führte den Streit mit dem französischen König weiter. Als die Türken 1683 Wien belagerten, gelang dem Papst ein Bündnis des Kaisers mit dem König von Polen. So konnte die Kaiserstadt gerettet werden. Innozenz XII. (gest. 1700) beendete den Streit mit dem König von Frankreich und unterstützte diesen im Krieg um die Erbfolge in Spanien, er engagierte sich für die Mission in Lateinamerika.11 Das 18. Jh. begann mit Clemens XI. (gest. 1721), er unterstützte die österreichischen Kriege gegen die Türken mit Geldern. Auch bestätigte er die Verurteilung der Jansenisten und verbot im Ritenstreit die Anpassung katholischer Riten an fremde Kulturen. Benedikt XIII. (gest. 1730) bemühte sich um die Erneuerung der kirchlichen Disziplin, unter ihm ruinierte der Finanzjongleur Niccolo Coscia die Finanzen des Kirchenstaates. Clemens XII. (gest. 1740) ließ die Freimaurer verurteilen; und Benedikt XIV. (gest. 1758) anerkannte Friedrich II. als König von Preußen. Er verbot die chinesischen und indischen Bräuche in der Liturgie; in Portugal musste er gegen die Jesuiten vorgehen. Clemens XIII. (gest. 1769) musste auf Wunsch des Königs von Frankreich den Orden der Jesuiten aufheben, er setzte das Buch über den Konziliarismus von Febronius auf den Index der verbotenen Bücher.12 Unter Clemens XIV. (gest. 1774) wurde der Jesuitenorden auf Wunsch der katholischen Fürsten und Könige weltweit aufgehoben, denn er hatte sich zu stark in die Politik der Länder eingemischt. Nur in Preußen und Russland konnte dieser Orden mit seinen Schulen weiter bestehen, weil diese Länder nicht vom Papst abhängig waren. Die Französische Revolution erlebte Pius VI. (gest. 1799), er musste zusehen, wie Kaiser Joseph II. in seinen Ländern viele Klöster aufhob und eine Staatskirche einrichtete. Mit Beginn der Revolution in Paris wurde das ganze Kirchengut vom französischen Staat eingezogen, die Orden wurden aufgelöst, die Zahl der Diözesen wurde von 134 auf 83 reduziert. Fortan wurden die Bischöfe und Pfarrer vom Staat eingesetzt, alle Kleriker mussten den Eid auf die neue Verfassung schwören. Als der Papst den Eid verbot, mussten die Eidverweigerer das Land verlassen. Drei Bischöfe und ung. 300 Priester wurden von den Revolutionären erschossen, ca. 40.000 Priester verließen das Land. Der Erzbischof von Paris J.B. Gobel legte sein Amt nieder und bekannte sich zum neuen Kult der Göttin der Vernunft.13 Im Jahr 1796 wurde der Kirchenstaat von den Truppen Napoleons besetzt, der Papst musste große Summen für den Frieden zahlen. Er verbündete sich mit Österreich und Neapel. Darauf überfiel Napoleon die Stadt Rom, setzte den Papst als

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Herrscher ab und rief die „Römische Republik“ aus. Soldaten brachten den Papst zuerst nach Siena, dann nach Grenoble und Valence, wo er 1799 starb. Viele Denker der Aufklärung hielten damals voreilige Leichenreden auf das Papsttum. Doch der Mönch Mauro Capellari verfasste in diesem Jahr eine Schrift „Der Triumph des Heiligen Stuhls und der Kirche über die Neuerer“. Darin sagte er, das Papsttum könne wie die Sonne von keinem Menschen zerstört werden. Der Autor wurde 1831 als Gregor XVI. zum Papst gewählt. Doch die Französische Revolution brachte den tiefsten Einschnitt in die Herrschaft der Päpste.14

Neue Ordensgemeinschaften Als Antwort auf die Reformation sind in den katholischen Ländern viele neue Ordensgemeinschaften entstanden. Sie wollten der Verkündigung des wahren Glaubens, der Erziehung der Jugend, der Betreuung der Armen und Kranken dienen. Gleichzeitig bestanden die alten Orden und Klöster der Benediktiner, der Zisterzienser, der Augustiner, der Franziskaner und der Dominikaner weiter. Viele Orden waren auch in der Glaubensmission in fremden Ländern und Kontinenten tätig, sie gründeten dort Niederlassungen und Missionskongregationen. In Italien gründete Angela Merici (gest. 1540) den Orden der Ursulinen, der sich mit der Erziehung der Mädchen aus allen sozialen Schichten befasste. Die Schwestern stellten sich unter den Schutz der Heiligen Ursula, Bischof Carlo Borromeo von Mailand war an der Formulierung der Ordensregel beteiligt.15 Den wichtigsten Orden der Neuzeit bildeten die Jesuiten, die vom spanischen Adeligen Ignatius von Loyola (gest. 1556) gegründet wurden. Nach einer Verletzung im Krieg und einer ekstatischen Erfahrung gründete er mit Freunden eine Ordensgemeinschaft, die sich ganz in den Dienst des Papstes und der Glaubensverkündigung stellte. Diese hatte von Anfang an einen „Arierparagraphen“, denn Juden waren aus dem Orden ausgeschlossen, auch wenn sie katholisch getauft wurden; die Novizen mussten bis zur fünften Generation nachweisen, dass sie keine jüdischen Vorfahren hatten. Der Orden hatte sein Zentrum zuerst in Paris, dann in Rom, die Patres sollten gut in der Philosophie und Theologie ausgebildet werden. Ignatius verfasste ein Buch „Geistliche Übungen“, das der spirituellen Vertiefung des Glaubens dienen sollte. Die Mitglieder wollten alles zur größeren Ehre Gottes tun (omnia ad maiorem Dei gloriam), sie waren Verehrer der Gottesmutter und des gekreuzigten Heilands. Sie gründeten in allen katholischen Ländern Gymnasien und waren an vielen Universitäten als Lehrer tätig.16 Damit wurden die Jesuiten die Träger der katholischen „Gegenreformation“, sie bestimmten die Theologie und die Auseinandersetzung mit den Protestanten; aber sie waren auch maßgeblich an der Verfolgung der Häretiker, der Ketzer und der Hexen beteiligt. Sie lebten im unbedingten Gehorsam gegenüber dem Papst, ihre Missionare kamen bis China und Japan und vor allem nach Lateinamerika. Die Jesuiten waren maßgeblich an der Gestaltung einer katholischen „Barockkultur“ beteiligt. Sie bauten große Kirchen (Il Jesu in Rom), förderten die Kirchenmusik und die Dicht-

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kunst, und sie schufen das Jesuitentheater. Viele von ihnen waren als Naturforscher, als Astronomen und Mathematiker tätig. Im Jahr 1600 hatte der Orden bereits 353 Niederlassungen und 245 Höhere Schulen und Gymnasien. Dort wurden die Eliten des katholischen Glaubens gebildet.17 In vielen Diözesen waren die Jesuiten mit der Ausbildung der Kleriker betraut, sie führten auch die großen Volksmissionen durch. Doch im Jahr 1759 hatte der König von Portugal die Jesuiten aus allen seinen Ländern ausgewiesen, denn sie hatten zu stark in seine Politik eingegriffen. Dasselbe taten etwas später die Könige von Spanien und Frankreich. Im Jahr 1773 musste auch der Papst den Orden auflösen. Erst unter Papst Pius VII. wurde der Jesuitenorden im Jahr 1814 wieder gegründet bzw. zugelassen. Einen Orden der Krankenpflege gründete der Portugiese Juan de Dios (Johannes von Gott, gest. 1550). Er erbat von reichen Adeligen und Bürgern Geld, um in den Städten Krankenhäuser bauen und einrichten zu können. So organisierte er in vielen Städten die Krankenpflege und die medizinische Betreuung durch Ärzte. Die Brüder hießen in den deutschen Ländern „Barmherzige Brüder“, in Italien hießen sie „Fate bene fratelli“. Sie waren medizinischen Neuerungen aufgeschlossen. Der Orden der Kamillianer wurde in Italien von Camillo de Lellis (gest. 1614) gegründet, auch er hatte als Ziel die Pflege der Kranken und der Armen. Die Brüder richteten Krankenhäuser ein und begleiteten die Sterbenden, deswegen wurden sie die „Väter vom guten Tod“ genannt. Vor allem in Italien, Spanien und Portugal sowie in Lateinamerika hat dieser Orden die Krankenpflege und die Spitäler aufgebaut und organisiert.18 Der Orden der Oratorianer wurde in Italien von Philipp Neri (gest. 1595) gegründet, er widmete sich in Rom der Betreuung der Pilger, der Erziehung der Jugend und der Verkündigung des Glaubens. In vielen Städten wurden die „Oratorien“ zu Zentren des spirituellen Lebens, dort wurden die Kirchenmusik und die religiöse Literatur gepflegt. Pierre de Berulle (gest. 1629) gründete die französische Form der Oratorianer, sie waren in der Ausbildung der Priester und der Missionare engagiert. Franz von Sales (gest. 1622) war der Anreger einer spirituellen Gemeinschaft, aus der der Orden der Salesianer und der Salesianerinnen entstand. Das Buch „Philokalia“ des Gründers prägte die geistige Ausrichtung dieser Gemeinschaften und vieler Laienchristen.19 Der Orden der „Englischen Fräulein“ (Ordo Beatae Mariae Virginis) wurde von der Engländerin Mary Ward (gest. 1645) gegründet, er widmete sich der Erziehung und Bildung der weiblichen Jugend aus allen sozialen Schichten. Dieser Schulorden verbreitete sich in England und in den deutschen Ländern, er hat sich inhaltlich stark am Orden der Jesuiten orientiert. Ein großer Orden der Krankenpflege wurde vom Franzosen Vinzenz von Paul (gest. 1660) initiiert, und zwar der Doppelorden der „Lazaristen“ (Congregatio missionis) und der „Barmherzigen Schwestern“ (Filles de la Charite). Der Männerorden widmete sich vor allem der Volksmission, während der Frauenorden die Krankenpflege in vielen Städten übernahm. Beide Orden lebten in tiefer Hingabe an Jesus Christus und an die Gottesmutter Maria.20 Einen Orden für die Volksmission gründete der Italiener Alfons von Liguori (gest. 1787), er nannte sich „Orden vom göttlichen Erlöser“ (Redemptoristen). Ihm

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schloss sich bald ein weiblicher Ordenszweig an. Die Redemptoristen organisierten die Volksmission in ländlichen Regionen und bekämpften die Ideen der Aufklärung. Kaiser Joseph II. hatte ab 1780 in seinen Ländern einen Großteil der kirchlichen Orden aufgehoben, soweit diese nicht im Schuldienst oder im Krankendienst tätig waren. Alle Orden sollten einen praktischen Nutzen für das Volk und den Staat haben. Die aufgelösten Klöster wurden in Armenhäuser umgewandelt. Im Grunde setzte dieser katholische Fürst dies um, was die protestantischen Fürsten schon 250 Jahre früher getan hatten. Insgesamt haben die Ordensgemeinschaften einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung und Vertiefung des katholischen Glaubens geleistet. Sie waren in der gesamten katholischen Welt tätig, vor allem auch in den Missionsländern in Lateinamerika und Afrika; einige Orden waren auf die Mission in fremden Ländern und Kontinenten spezialisiert.21

Verfolgung der Hexen und Ketzer In der frühen Neuzeit ging die Verfolgung der Hexen, der Ketzer und der Häretiker intensiv weiter, und zwar in den katholischen wie in den protestantischen Ländern. Die katholischen Fürsten und Könige waren seit dem IV. Laterankonzil (1215) verpflichtet, die Verfolgung der Ketzer und Häretiker durch die kirchliche Inquisition zu unterstützen und durchzuführen. Im Jahr 1484 hatte der Papst Innozenz VIII. eine Bulle zur Verfolgung der Hexen und Zauberer (Summis desiderantes) veröffentlicht, die später „Hexenbulle“ genannt wurde. Darin forderte er alle Fürsten und Könige auf, die Hexen und Zauberer in ihren Herrschaftsbereichen zu verfolgen. Für die deutschen Länder ernannte er die beiden Dominikaner Heinrich Institoris und Jacob Sprenger zu Inquisitoren, sie sollten die Hexen und Zauberer überall in den Ländern aufspüren und verurteilen. Beide verfassten 1487 das große Verfolgungsbuch „Malleus Maleficarum“, den sog. „Hexenhammer“. Das Buch war in lateinischer Sprache verfasst und erlebte 30 Auflagen, es war das große Verfolgungsbuch bis zum Ende des 18. Jh. in ganz Europa.22 Die Reformation einiger Kirchen war nur dadurch möglich geworden, weil einige Landesfürsten (Sachsen, Hessen) und Stadträte (Zürich, Bern, Basel, Genf, Straßburg) nicht mehr die vom Papst angeordnete Inquisition durchführten. Der Kurfürst von Sachsen beschützte den Mönch Martin Luther mit militärischer Gewalt. Und gegen die genannten Städte konnten die Landesherren trotz Aufforderungen der Bischöfe wegen knapper Finanzen keine Kriege führen. Erstaunlich ist allerdings, dass die protestantischen Länder und Städte die Inquisition gegen Häretiker und Hexen weiterführten. Ja sie verwendeten sogar die katholischen Verfolgungsbücher. Gewiss gab es in Skandinavien und in England und Schottland zahlenmäßig weniger Hexenprozesse als in den katholischen Ländern.23 Die Prediger und Theologen schürten im christlichen Volk die Angst vor dem Teufel und vor bösen Dämonen, sie hatten ja die Schutzgötter der alten Völker und Stämme zu bösen Dämonen degradiert. Daher war der Teufelsglaube im Volk weit

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verbreitet, hinter allen bösen Erfahrungen des Lebens wurden widergöttliche Mächte vermutet. Dies aber war die Weltdeutung der Kleriker und Theologen, die im Volk nur sehr langsam rezipiert worden war. Daher glaubten viele Menschen wie der Papst Innozenz VIII., dass hinter Missernten und Hagelschlag, Hungersnot und Krankheit, Unfruchtbarkeit und Tierseuche böse dämonische Wesen wirkten und dass bestimmte Menschen diese Dämonen und Teufel herbeirufen könnten. Den Hexen und Zauberern wurde unterstellt, dass sie mit Dämonen und Teufeln ein Bündnis geschlossen hätten, das aber fordere den „Zorn“ des Weltgottes (furor Dei) heraus. Ebenso fordere der Irrglaube der Juden und der Häretiker den göttlichen Zorn auf die Menschen herab, deswegen müssten alle Irrlehrer ausgelöscht werden.24 In der Folgezeit führten auch die protestantischen Fürsten, Theologen und Prediger die Verfolgung der Hexen, Zauberer und Häretiker weiter. In England wurde 1563 ein Gesetz zur Verfolgung der Hexen erlassen, Königin Elisabeth I. veröffentlichte ein Gesetz (Act) gegen Geisterbeschwörung und Zauberei. In Genf verfasste der calvinische Theologe Lambert Daneau im Jahr 1574 ein „Gespräch von Hexen“, das bald ins Deutsche übersetzt wurde. Der Rechtslehrer Jean Bodin schrieb ein Werk über den Dämonenkult der Zauberer („De magorum Daemonomania“), das in ganz Europa in viele Sprachen übersetzt wurde. Er berichtete von mehreren Hexenprozessen und war überzeugt, dass die Hexerei durch staatliche Gewalt ausgerottet werden müsse.25 Dabei widersprach er dem Arzt Johannes Weyer (gest. 1588), der bereits 1563 in einem Buch „De praestigiis daemonum“ die Überzeugung vertreten hatte, dass die Hexen und Zauberer kranke Menschen und Opfer ihrer Einbildung seien; sie seien deswegen moralisch völlig unschuldig. Diese Sichtweise konnte der Jurist Jean Bodin nicht hinnehmen. Wichtige Werke zur Hexenverfolgung verfassten der Bischof Peter Binsfeld aus Trier, der Jesuit Martin Delrio in Graz, der Jurist Nicolas Remy und der lutherische Theologe Benedikt Carpzow. Bei der Verfolgung der Hexen und Ketzer waren Katholiken und Protestanten eng verbunden, Kritiker sprachen daher von einer „Ökumene“ der Verfolger.26 Papst Sixtus V. rief 1585 erneut zur Verfolgung der Hexen und Zauberer auf, dasselbe tat eine reformierte Synode in Frankreich. Fanatische Verfolger waren König Jakob I. von England und Schottland sowie König Philipp II. von Spanien, die mehrere Prozessordnungen herausgaben. Die Richter und Inquisitoren gingen nach dem „Hexenhammer“ von H. Institoris und J. Sprenger vor, viele Prozesse wurden aufgeschrieben, die Akten wurden gespeichert. Die Angeklagten wurden zuerst mit Nadeln und heißen Eisen und dann mit der Folter traktiert. Die Opfer kamen aus allen sozialen Schichten, nur höhere Kleriker waren ausgenommen. Viele Opfer waren alte Frauen und Witwen, gelegentlich auch alte Männer. Oft klagten Männer ihre ungeliebten Frauen und Schwiegermütter als Hexen an, um sie loszuwerden. Denn die Scheidung hatten die Kleriker verboten. Die meisten Opfer dieser Zeit waren Frauen zwischen 40 und 60 Jahren, allein im Schweizer Kanton Neuenburg waren es an die 500. Die Hexen und Zauberer wurden „zur Ehre Gottes“ verbrannt, um den Teufel zu besiegen. In Zeiten des Hungers und der Seuchen nahmen daher die Hexenprozesse deutlich zu. Der Bischof von Würzburg ließ in zwei Jahren an die

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900 Hexen verbrennen, er musste vom Reichskammergericht in Speyer in seinem Fanatismus eingebremst werden.27 Bei den Verfolgern vermischten sich die Lehren der Theologen mit volkstümlichen Vorstellungen. Aus vielen Prozessakten geht hervor, dass die Bauern noch ihre alten Riten der Fruchtbarkeit ausführten. Ein früher Kämpfer gegen den Hexenwahn war der Arzt Johannes Weyer, der in den Hexen und Zauberern nur die Opfer ihrer krankhaften Phantasie sah. Er glaubte nicht an Teufelsbünde und Hexenritte. Auch Michel de Montaigne war gegen die Verfolgung der Hexen sehr kritisch eingestellt, aber aus Angst vor der Verfolgung deutete er seine Kritik nur an. Offene Kritiker der Hexenverfolgung waren Cornelius Loos (gest. 1595) und der Jesuit Friedrich Spee von Langenfeld (gest. 1635), die öffentliche Bedenken vorgetragen hatten. Friedrich Spee tat dies in seinem Werk „Rechtliche Bedenken wegen der Hexenprozesse“ (Cautio criminalis seu de processibus contra sagas). Darin stellte er die Dämonenlehre der Theologen zwar nicht in Frage, aber er argumentierte gegen die Anwendung der Folter. Er sagte, dass dabei viele Unschuldige in Gefahr kämen, weil der Teufel ein Lügner sei. Deswegen dürfe man den Aussagen der Folteropfer keinen Glauben schenken. Bei der Hexenverfolgung mischten sich dann noch Aberglauben und Neid, Hass und Missgunst, sie wurden religiös und theologisch legitimiert.28 Die Schrift von F. Spee hatte zunächst wenig Folgen, die Theologen und Prediger führten ihre Teufelslehren weiter. Die Bischöfe veranstalteten weiterhin Riten der Dämonenaustreibung (Exorzismus) durch geweihte Exorzisten, viele dieser Teufelsaustreibungen wurden wie ein öffentliches Theater ausgeführt. Der Theologe Pierre de Berulle hat mehrere Berichte solcher Schauspiele verfasst (Traite des energumenes). Im späten 17. Jh. aber sahen viele Hugenotten in den Dämonenaustreibungen nur Täuschungsmanöver der Katholiken. Als die Naturwissenschaftler aber mehrheitlich in der Natur keine göttlichen und dämonischen Kräfte mehr sahen, wurde der Dämonenglaube unter den Gebildeten schwächer. Bald schlossen sich viele Philosophen und Denker der Aufklärung dieser rationalen Weltdeutung an. Aber es brauchte noch viele Generationen, bis diese Einsichten im Volk verbreitet werden konnten.29 Schon Pierre Bayle (gest. 1706) hatte geschrieben, viele Lehren der Religion seien Überspanntheiten, Dummheiten und moralische Verbrechen. Und viele Theologen und Prediger seien blinde Fanatiker des Glaubens, die vor keinen Gewalttaten zurück schreckten. Sie seien voller Hass auf das Leben und sähen in der Tötung von Mitmenschen als Hexen und Ketzer einen „Akt des Glaubens“ (actus fidei). Die Inquisitionsrichter hätten die größten Verbrechen begangen, die fanatische Religion sei eine Beleidigung der menschlichen Vernunft. Es sei jetzt hoch an der Zeit, die kritische Vernunft zu entfalten und unter den Menschen die Toleranz zu fördern, um dem sinnlosen Töten im Namen Gottes ein Ende zu setzen.30 Ein aufrechter Kämpfer gegen die Hexenprozesse, die Folter und die Inquisition war Francois Voltaire (gest. 1778), der über die Massaker an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht entsetzt war. Er war überzeugt, dass fanatische Priester und Kleriker gegen die Laienchristen kämpften, denn es seien Bürger getötet worden, weil sie in der Fastenzeit Fleisch aßen. Der religiöse Fanatismus mache die Men-

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schen moralisch blind. De Kleriker hätten in ihren Kirchen immer die Messe gefeiert, während vor der Kirche die Ketzer und Hexen verbrannt wurden. Die Sprache sei zu schwach, um die Verbrechen der Kleriker gegen die Menschlichkeit darzustellen. Die Inquisition diene nur dem Hass und der Lüge zwischen den Menschen. Durch die Predigten der Kleriker seien die Menschen in Europa moralisch abgestumpft, sie müssten jetzt durch die Stimme der kritischen Vernunft wieder aufgerichtet werden.31 Die Hexenprozesse wurden in Europa bis zum Ende des 18. Jh. mehrheitlich eingestellt, und zwar durch den politischen Druck von Philosophen, Ärzten, Naturwissenschaftlern und Juristen. Diese hatten sich in verschiedenen Geheimgesellschaften (Freimaurer, Illuminaten u.a.) zusammengeschlossen, um auf die Politik der Fürsten und Könige einen vernünftigen und humanen Einfluss nehmen zu können. So konnten in Europa die Inquisition und die Hexenprozesse nur durch politische Lernprozesse der rationalen Aufklärung beendet werden.

Mystik und Heiligenverehrung Auch die mystischen Bewegungen des späten Mittelalters gingen in der frühen Neuzeit weiter, es waren vor allem Orden und Klöster, aber auch Gruppen von Laienchristen, welche diese Art der Frömmigkeit prägten. Für alle Mystiker ging es darum, die Inhalte des religiösen Glaubens innerlich und persönlich zu erleben. Da Mönche und Nonnen meist ohne einen menschlichen Liebespartner leben mussten, suchten sie tiefe Liebesbeziehungen zu Christus, zu Gott, zur Gottesmutter oder zu einem Heiligen. Sie feierten symbolisch die mystische „Hochzeit“ oder den „Herzensbund“ bzw. den „Herzenstausch“ mit Christus oder mit Maria. Die spanische Karmelitin Teresa von Avila (gest. 1582) erlebte in vielen Traumgesichtern und ekstatischen Visionen ihre Verbindung zu Jesus Christus. Sie nahm auf symbolische und emotionale Weise an seinem Leiden und an seiner Auferstehung teil. In ihren Werken „Weg der Vollkommenheit“ und „Seelenburg“ leitete sie Nonnen, Mönche und Laienchristen zum Weg der intensiven Gottesliebe an.32 Auch der spanische Mystiker Johannes vom Kreuz (gest. 1591) beschrieb in mehreren Büchern seinen Weg der Hingabe an den leidenden und gekreuzigten Christus. Er verfasste einen großen „Geistlichen Gesang“ (Cantico espiritual) und ein Buch „Die dunkle Nacht“, darin drückte er das mystische Erleben in Situationen der Erniedrigung und des Leidens aus. Diese Werke haben viele Laienchristen und Dichter in Spanien angeregt. Zu dieser Zeit wurden die Leiden Christi fast in jeder Stadt in der Karwoche durch Umzüge und Prozessionen nachgespielt. Viele Orden gründeten einen „Dritten Orden“ für Laienchristen in der Spiritualität ihrer Gründer, vor allem die Franziskaner und die Kapuziner waren dabei sehr aktiv. In wöchentlichen oder monatlichen Konferenzen erfolgte eine spirituelle Vertiefung der Mitglieder durch Mönche und Nonnen, zugleich wurden mystische Erfahrungen ausgetauscht. Immer ging es darum, die Nachfolge Christi konkret zu erleben.33 Die Verehrung der Heiligen spielte im Leben der Laienchristen eine wichtige Rolle, denn sie galten als Vorbilder des Lebens und als Fürbitter im Himmel. Die Päpste

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sprachen regelmäßig vorbildliche Menschen heilig, diese durften in verschiedenen Kirchen verehrt werden. Oder es wurden ihnen zu Ehren große Kirchen gebaut. Zu diesen Kirchen der Gottesmutter Maria, des heiligen Jakobus oder des heiligen Antonius gab es regelmäßig Wallfahrten, weil die Gläubigen dort die Stärkung ihrer Lebenskraft erwarteten. Beide Geschlechter verehrten mit Hingebung die Gottesmutter Maria, denn sie war die Schützerin in allen Nöten, die Trösterin im Leiden, die Ratgeberin des Lebens. Offensichtlich milderte die Gottesmutter das strenge patriarchale Gottesbild der Theologen und Prediger etwas ab, denn in ihr war noch etwas von der weiblichen Dimension des Göttlichen lebendig geblieben. Viele Menschen stellten ihr Leben unter den Schutz der Gottesmutter, ihre Feste waren deswegen über das ganze Kirchenjahr verteilt. Überhaupt war das Leben der Laienchristen stark von religiösen Bildern geprägt, Festzüge und Prozessionen gehörten zur Gestaltung der Kirchenjahres. In den katholischen Kirchen gab es keine Bilderstürme und keine Verbote von Riten, hier lebte die alte Volkskultur in großer Vielfalt weiter. In den Kirchen wurden die großen Inhalte des Glaubens in wunderbaren Bildern dargestellt, sie konnten dort meditierend betrachtet werden. Bei den Prozessionen durch die Städte und Märkte, aber auch über die Felder der Bauern, wurden Bilder und Symbole der Heiligen mitgetragen. In den Häusern standen die Bilder und Statuen der Heiligen, etwa der vierzehn Nothelfer, die in jeder Notsituation angerufen wurden. Die Inhalte des Glaubens wurden durch viele Riten und Prozessionen dargestellt und nacherlebt. Verbreitet waren die Weihnachtsspiele, die Passionsspiele und die Osterspiele. In den romanischen Ländern wurde in der Karwoche das ganze Leiden Jesu auf öffentlichen Plätzen nachgespielt.34 Für viele Laienchristen waren die Wallfahrten und Prozessionen zu den heiligen Orten wichtig. Diese konnten Tage und Wochen dauern, es waren lange Unterbrechungen der Arbeitszeit. Die Menschen glaubten, dass sie an den heiligen Orten göttliche Kräfte in sich aufnehmen konnten, die ihr Leben stärkten. Ab dem 18. Jh. entstand in allen katholischen Ländern eine besondere Barockkultur, die sich durch reiche Bilder des Göttlichen und Himmlischen auszeichnete. In den Kirchen und Domen wurden Bilder des Himmels, der Engel, der Erlösung, des ewigen Lebens, aber auch der Hölle und der Verdammten gemalt. Die Bauern sprachen von einem Blick in den „Himmel“, wenn sie sonntags in ihre Barockkirchen kamen. Zu dieser Zeit wurden viele Klosterkirchen, Dorfkirchen, Stadtkirchen, aber auch Dome neu gebaut. Sie waren von Licht durchflutet und lenkten den Blick zum Göttlichen. Es wurden große Musikwerke für den Gottesdienst, religiöse Dramen und Theater gespielt. Besonders die Jesuiten, aber auch die Bettelorden haben diese Barockkultur gestaltet und getragen, sie war ein Ausdruck von Lebensfreude und Sinnlichkeit.35 Die Laienchristen mussten zu dieser Zeit regelmäßig zur Beichte gehen, um ihre Sünden zu bekennen; oft gab es den Beichtzettel als Bestätigung. Der männliche Beichtvater war immer auch Seelenführer und Lebensberater. Wichtig waren die Sterbesakramente und die Verabschiedung der Toten, dabei kam die Vorfreude auf den Himmel zum Ausdruck. Die katholischen Christen hatten ihre alten Riten bewahrt und vermehrt, das Kirchenjahr war voller Festzeiten, besonders Karneval und die

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Fastenzeit wurden ausdrucksstark begangen. Die Laienchristen durften aber keine Bibeln in ihren Häusern haben, dafür hatten sie Andachtsbücher, Gebetbücher und Andachtsbilder. Die Bauern hatten in ihren Häusern den „Herrgottswinkel“ mit vielen Bildern und Heiligenfiguren eingerichtet, dazu kamen die Statuen der Engel und der Nothelfer. Der Rosenkranz wurde regelmäßig gebetet oder gesungen, es gab die vielen Marienandachten mit den Liedern zur Gottesmutter. In den ländlichen Regionen wurden weiterhin die alten Riten zum Schutz vor bösen Ereignissen ausgeführt. Diese Riten lebten in der Volkskultur noch lange Zeit weiter.36 In der Zeit der Aufklärung verband sich die bildhafte Barockkultur mit neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaften, die kritische Vernunft verbreitete sich zuerst in den Städten. In der Folgezeit wurden die Kleriker und Prediger von den Landesfürsten angehalten, den Glauben auf vernünftige Weise darzustellen. Sie mussten in den Kirchen nun auch über den Wert der Arbeit, über Fleiß und Pünktlichkeit, über Techniken des Landbaues und über Fragen der Wirtschaft predigen. Denn die Religion sollte auch einen praktischen Nutzen haben, Bauern sollten über den Obstbau und die Bienenzucht informiert werden. In den Städten predigten die Theologen über die Tugenden der Staatsbürger, über die Weisheit der Fürsten, über die Pflichten der Untertanen. Insgesamt hat uns die Kultur des Barock eine Vielfalt von Kunstwerken hinterlassen, sie drückte aber auch wirtschaftlichen Wohlstand und Formen der Lebensfreude aus. Diese Kultur prägte auch die meisten Regionen in Lateinamerika, denn der katholische Glaube war weltumspannend geworden.37

Anfänge der Weltmission Mit den Entdeckungen neuer Länder, Inseln und Kontinente im 15. Jh. begann auch die Missionierung der entdeckten Völker durch die christlichen Kirchen. Denn es wurde allgemein die alte Lehre der Theologen akzeptiert, dass alle Menschen in der Welt nur durch den Erlöser Jesus Christus von den Mächten des Bösen erlöst werden könnten. Die ganze Welt gehöre dem christlichen Gott, dieser habe das Land nur an Christen verteilt. Folglich mussten alle entdeckten Stämme und Völker zu Christen gemacht werden, sie erhielten Unterricht im Glauben und wurden getauft. In dieser Zeit fuhren die frühen Entdecker mit einem starken religiösen Sendungsbewusstsein auf die Weltmeere hinaus. Viele von ihnen wie Christoph Kolumbus folgten sogar apokalyptischen Gedanken und Lehren. Die Päpste und Bischöfe legitimierten die Eroberungen der Spanier und der Portugiesen, sie fungierten zwischen diesen sogar als Schiedsrichter. Die Fürsten und Könige in Europa arbeiteten bei der Eroberung und Verteilung der neuen Kontinente eng mit den Bischöfen und Päpsten zusammen. Deswegen kamen die frühen Goldschätze aus Lateinamerika als Geschenke der Könige von Spanien und Portugal sofort in die großen Basiliken nach Rom, aber auch nach Madrid und Lissabon.38 Folglich kamen mit den Entdeckern und Eroberern oder bald nach ihnen die christlichen Missionare, die Prediger und Theologen, in die Länder Südamerikas, Nordamerikas und Afrikas. Die frühen Missionare wurden immer durch Soldaten

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geschützt, sie verkündeten mit Dolmetschern den indigenen Völkern den Glauben an Jesus Christus. Viele männliche und weibliche Orden beteiligten sich an dieser Mission. In der Folgezeit wurden Missionsstationen gegründet, dort wurden Schulen eingerichtet, kleine Kirchen erbaut, Krankenstationen und die Betreuung der Armen organisiert. Die Missionsschüler wurden auf die Taufe vorbereitet, dann mussten sie ihren alten Schutzgöttern abschwören. Sie übernahmen nun christliche Sitten und Lebenswerte, oft auch europäische Kleidung. Bald wurden Missionspfarreien eingerichtet, sie wurden zu Zentren der christlichen Bildung. Doch die Europäer zwangen die eroberten Völker zu harter Arbeit auf den Feldern und Plantagen, aber auch auf den Schiffen und in den Bergwerken. Sie importierten große Mengen an Arbeitssklaven aus Afrika, die Theologen und Prediger befürworteten den Sklavenhandel. Einzelne Bischöfe (Las Casas) und Prediger riefen aber die christlichen Herren zu einer menschlichen Behandlung der Sklaven auf.39 Im 17. und 18. Jh. wurden in Lateinamerika bereits Bischofsitze und Diözesen eingerichtet, es wurden prächtige Kirchen, Klöster und Basiliken im Stil der Spanier und Portugiesen erbaut. Die Bischöfe und die Domkapitel erhielten 10% der Abgaben, die von der Bevölkerung an die Kolonialherren zu leisten waren. Es waren fünf große Orden, welche die Mission organisierten und trugen: die Jesuiten, die Mercedarier, die Augustiner, die Dominikaner und die Franziskaner. Sie errichteten große Klöster und Schulen. Bald wurden Männer und Frauen der indigenen Völker als Kleriker, Mönche und Nonnen zugelassen. Doch sie durften noch lange Zeit keine leitenden Funktionen übernehmen. Die Orden hatten große Besitzungen an Landgütern, die sie sachkundig bewirtschafteten. In der Politik arbeitete die Kolonialverwaltung eng mit den Theologen und Klerikern zusammen. Die Jesuiten organisierten sogar einen eigenen Staat (Paraguay). Die höheren Kleriker hatten wichtige Funktionen in der Verwaltung, in ihren Haushalten hatten sie selbst Sklaven. Als die Jesuiten 1773 aufgehoben wurden, gingen ihre Klöster, Schulen, Pfarren und Besitzungen an andere Orden und an den Weltklerus. Bald konnten auch die Kreolen und die Mestizen Kleriker, Mönche und Nonnen werden, vor allem bei den Franziskanern und den Dominikanern war ihr Anteil hoch.40 Die Bischöfe und Pfarren, die Orden und Klöster organisierten die Krankenpflege und die Versorgung der Armen. Sie richteten mit der Unterstützung der Kolonialherren Krankenhäuser und Armenhäuser ein. Schon früh gründeten sie Pflichtschulen und Gymnasien. Auch Universitäten wurden in einigen Städten eingerichtet, die von den Jesuiten getragen wurden. Unter den Laienchristen wurden Bruderschaften und Schwesternschaften gegründet, aber nach Hautfarben getrennt: die Rosario und Sao Benedito für die Schwarzen, Conciencao und Patrocinio für die Mestizen und Santisimo Sacramento für die Weißen. So war die Religion in allen Bereichen der Gesellschaft präsent, die Kirchenleitung und der Staat arbeiteten eng zusammen. Durch regelmäßige Volksmissionen sollte die alte Religion der indigenen Völker ausgelöscht werden, mittels der Inquisition wurden die Ketzer und Zauberer verfolgt. Doch im späten 18. Jh. wurden auch in Lateinamerika die Schriften von F. Voltaire, von L. de Montesquieu und von J.J. Rousseau in spanischer und portugiesischer

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Übersetzung verbreitet. Dies führte zu Unruhen an den Universitäten und zu offenen Protesten gegen die Herrschaft der Bischöfe und Orden. Diese Proteste der Stadtbürger galten immer öfter auch den Königen von Spanien und Portugal, viele Intellektuelle schlossen sich den Ideen der europäischen Aufklärung an. Sie forderten die Gründung eigener und von Europa unabhängiger Staaten, Formen der Demokratie, allgemeine Menschenrechte und Rechtsstaaten.41 Inzwischen war in drei Jh. in Lateinamerika, aber auch in Teilen Afrikas, ein stark europäisch geprägtes Christentum entstanden. In Nordamerika konkurrierten die katholischen Christen mit Mehrheiten von protestantischen Christen verschiedener Konfessionen. Die Religion war die Stütze der staatlichen Herrschaft. Doch mit den Ideen der europäischen Aufklärung wurde auch in Amerika der Ruf nach Selbstständigkeit in der Politik und nach demokratischen Entscheidungen lauter. Das religiöse Leben in Lateinamerika war stark von der europäischen Kultur geprägt, es vermischte sich aber früh mit indigenen Kulturelementen. So waren in diesen Ländern Wallfahrten und Prozessionen, kirchliche Feste und Riten sowie Bilder der Heiligenverehrung tief verwurzelt. Insgesamt wurde Lateinamerika stark von der katholischen Kultur geprägt, während in Nordamerika um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen gerungen werden musste. Das Ergebnis dieses Ausgleichs waren die Vereinigten Staaten von Amerika mit einer demokratischen Verfassung, mit einem Bezug auf allgemeine Menschenrechte und mit der strikten Trennung von Politik und Religion.42 So war die politische Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates auch eine indirekte und späte Folge der Kirchenreformationen im 16 Jh. Gewiss hatten kritische Philosophen, Juristen und Naturforscher dafür die ideelle Vorarbeit geleistet.

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Lehren der Philosophen

Offensichtlich haben die Lehren und Einsichten einzelner Philosophen am meisten zu den kulturellen Lernprozessen und politischen Veränderungen in der frühen Neuzeit beigetragen. Diese Denker waren an den Universitäten ausgebildet, sie kannten die Schriften antiker Philosophen und auch die Einsichten ihrer zeitgenössischen Naturforscher. Deswegen erkannten sie, dass die alten Lehren der scholastischen Philosophie nicht mehr ausreichten, um die neuen Erkenntnisse und gesellschaftlichen Entwicklungen deuten zu können. In der Folgezeit befreiten sich einzelne Denker von den Lehren und Wertungen der Theologen und Kleriker. Sie begannen, autonom zu denken, zu glauben und zu handeln. Vor allem die nominalistische Denkrichtung hat wesentlich zur systematischen Erforschung der Natur beigetragen. So können wir die Denkgeschichte der frühen Neuzeit als großen Prozess der kulturellen Emanzipation und der humanen Zivilisation sehen und deuten.1

Denkimpulse des Humanismus Viele Denker im 15. und 16. Jh. untersuchten mit profanen Methoden die menschlichen Lebensbedingungen, sie trieben Studien der „Menschlichkeit“ (studia humanitatis et humaniora). Dabei legten sie die Grundwerte der stoischen, der epikureischen und der aristotelischen Philosophie frei. Der Begriff „Humanismus“ wurde allerdings erst im 18. Jh. geprägt. Pico della Mirandola hatte bereits von der „Würde“ jedes Menschen gesprochen (De dignitate hominis, 1484). Seine Größe liege darin, dass er nach dem göttlichen Bild geschaffen und für seine Taten verantwortlich sei. Darin klingt bereits der Gedanke der Autonomie an, der kleine Erdenbürger richtet sich auf und erfreut sich an der Schönheit seines Lebens.2 Hinter dieser neuen Selbsteinschätzung des menschlichen Lebens steht die Entwicklung der Stadtkulturen, vor allem in Italien. An der Universität von Padua waren Lehrstühle für Griechisch und Hebräisch eingerichtet worden, fortan konnten die griechischen Philosophen in ihrer Muttersprache gelesen werden. Viele Denker standen der Feudalkultur der Adeligen und höheren Kleriker kritisch gegenüber, denn sie sahen darin einen „Abfall“ von der antiken Lebenswelt. So verfasste Johannes Reuchlin (gest. 1522) humanistische Briefe gegen die theologischen „Barbaren“ (theologastres) seiner Zeit (Clarorum virorum epistolae latinae, greacae et hebraicae).

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Aus dem Kreis um den Erfurter Humanisten Crotus Rubeanus stammten die „Dunkelmännerbriefe“ (Epistolae obscurorum virorum, 1516), welche ihre theologischen Gegner lächerlich machten. Ein zweiter Teil dieser Briefe wurde von Ulrich von Hutten verfasst, er kritisierte vehement den römischen Papst und die päpstliche Kurie. Auch Erasmus von Rotterdam verteidigte in seiner Schrift „Apotheosis Capnionis“ die Lehren und Methoden Reuchlins.3 Der große Vordenker der humanistischen Kultur war Erasmus von Rotterdam (gest. 1536), ein Kleriker und Ordenspriester, der von den „Brüdern vom gemeinsamen Leben“ in Deventer geprägt wurde. In Italien lernte er die Schriften von Terentius und Horaz kennen, die er in Europa verbreiten wollte. Früh schrieb er gegen die „Barbarei“ der Dummheit und gegen die Überheblichkeit der Theologen (Antibarbaris, 1490). Er fasste 800 Sprüche antiker Autoren zusammen, um gegen die schwachen Argumente der Scholastiker vorzugehen (Adagia, 1507). Denn er war überzeugt, dass durch die Weisheit der antiken Kultur in der europäischen Lebenswelt die Menschlichkeit (humanitas) gefördert würde. Eine neue humane Kultur sollte auf zwei gleich starken Säulen aufbauen, nämlich auf den Lehren der griechischen Philosophie und auf der Ethik des Neuen Testaments. Eine Reform der Kirche und der Kultur nur von der Bibel her hielt er für ungenügend.4 In seinem „Handbüchlein des christlichen Soldaten“ (Enchiridion militis christiani, 1503) argumentierte er gegen die scholastische Theologie, gegen den Aberglauben und die Magie; das vermehrte Wissen sei unsere beste Waffen gegen die Sünde. Christus sei ein Vorbild für das selige Leben, doch die meisten Kleriker und Theologen folgten der Torheit und Narrheit der Macht. Über sie bricht unter den Gelehrten ein „olympisches Gelächter“ aus. In seinem „Lob der Torheit“ (Encomion moriae, 1509) kritisierte er die wenig gebildeten Theologen und Philosophen, die an den Universitäten unterrichteten. Sie überhäuften ihre Schüler mit leeren Worten, aber ihnen fehlten die „Torheit des Kreuzes“, die Bildung des Charakters und die gereifte Menschlichkeit.5 In seiner Schrift für den christlichen Fürsten (Institutio principis christiani, 1516), die dem jungen Kaiser Karl V. gewidmet war, distanzierte er sich scharf von der Staatslehre des Niccolo Machiavelli („Il principe“). Dieser hatte behauptet, dass dem erfolgreichen Fürsten in moralischer Hinsicht alles erlaubt sei, was seinem Staat Größe und Nutzen bringe. Dagegen betonte Erasmus die humane Basis jedes Staates. Der Fürst sei nur ein Diener und Verwalter im Staat, er brauche immer die Zustimmung des Volkes. Seine Herrschaft (imperium) bestehe in der Verwaltung (administratio), denn die Menschen seien von ihrer Natur her freie Wesen, deswegen dürfe es keinen Zwangsstaat geben. Das Ziel des Staates sei das Wohlergehen aller Bürger, der Fürst müsse dem Volk ein Vorbild der Moral, des Wissens und der Güte sein. Die Herrschaft der Adeligen (Aristokratie) sollte mit demokratischen Elementen verbunden werden, wie sie in den Städten bereits gelebt wurden. Die Fürsten sollten grundsätzlich vom Volk gewählt werden, die moralisch und politisch fähigsten Personen sollten Herrschaft und Verwaltung ausüben. Jeder Fürst müsse sich von den Tugenden der

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Weisheit, der Gerechtigkeit, der Mäßigung und der Vorsicht leiten lassen. Er solle die Demokratie der Athener und der Römer zum Vorbild nehmen.6 Nun könne die Herrschaft vom Volk dem Fürsten wieder genommen werden, wenn dieser gegen die Interessen des Volkes verstößt. Die Bürger haben ein natürliches Recht auf Widerstand und Widerruf der Fürstenwahl. Jeder Staat braucht eine geordnete Wahlverfassung, Bildung der Bürger und Sorge für die Armen seien Aufgaben des Staates. Dieser müsse für die ausgleichende Gerechtigkeit sorgen, in der Wirtschaft dürfe es keine Monopole geben. Der Krieg der Fürsten sei die höchste Torheit und eine Abirrung von der Menschlichkeit. Es könne gar keinen gerechten Krieg (bellum iustum) geben, wie die Theologen lehrten. Einen „gerechten Krieg“ könnte nur ein internationales Gericht feststellen; der nationale Stolz aber führe immer in das Unglück.7 In seiner Schrift „Klagen des Friedens“ (Querela pacis, 1517) klagte er über die politischen Gewalttäter und den Mythos der Macht. Ein ungerechter Friede sei immer besser als ein angeblich gerechter Krieg, weil damit Menschenleben gerettet würden. Der nationale Stolz der Völker bringe viel Unheil über Europa. In Wirklichkeit sei die ganze Welt unser „Vaterland“, wie bereits die Stoiker gelehrt hatten. Für sie und für die frühen Christen war die ganze Welt eine große „Hausgemeinschaft“ (kosmopolis, oikonomia). Der christliche Staat (res publica christiana) müsse sich mit dem „literarischen Staat“ der Dichter und Philosophen (res publica literarum) verbinden, er müsse auf den Grundwerten der griechischen Philosophie und des Neuen Testaments aufbauen.8 Erasmus glaubte an das „Licht des Verstandes“ (lumen rationis) und argumentierte gegen den Obskurantismus der Theologen. Den Reformator von Wittenberg Martin Luther hielt er für eine „Tragödie“, denn dieser verachte die Philosophie und die antike Kultur. In seiner Argumentation sei er hoch emotional und grobschlächtig. Damit sei er eine Gefahr für den Fortschritt der humanistischen Bildung im Volk, mit der Bibel allein seien weder die Kirche noch der Staat zu reformieren. Die Reform des Papsttums und der Kirchenleitung sei die Aufgabe der christlichen Fürsten, die Gelehrten müssten sie dabei beraten. Luther bleibe mit seinem Hass auf die Philosophie in der „Dummheit der Mönche“ gefangen. Er betreibe die Absonderung (sedatio) und den Aufruhr (tumultus) sowie die Spaltung (discordia) im Volk. Doch der päpstliche Nuntius Alexander sah in den Lehren des Erasmus und des Humanismus die größere Gefahr als in den Lehren Luthers, denn jener erschüttere die hierarchische Ordnung der Kirche und des Staates.9 In seinem Werk „Vom freien Willen“ (De libero arbitrio, 1524) verteidigte Erasmus gegen Martin Luther die Freiheit der menschlichen Entscheidungen. Der Mensch dürfe nicht entwertet und der göttlichen Gnade ausgeliefert werden. Der christliche Gott sei nicht grausam und bestimme keinen Menschen zum ewigen Unheil. Die Philosophen müssten mit Sokrates für die menschliche Freiheit und den Wert des Irdischen streiten. Der Streit mit M. Luther sei verdrießlich, es gehe um einen mittleren Weg zwischen den Reformatoren und der römischen Kirche. Doch M. Luther hatte dem Philosophen vorgeworfen, er sei ein „Heide“ und ein „Widersacher Christi“.

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Die katholischen Theologen von Valladolid und von Paris verurteilten die Lehren des Erasmus, sie forderten die Anzeige bei der Inquisition. Denn der „Erasismus“ (Erasismo) sollte in der ganzen Welt ausgelöscht werden. Deswegen kamen seine Ideen in Europa erst in der Zeit der Aufklärung zur Wirkung und zum Tragen.10 Als die Stadt Basel 1529 reformiert wurde, übersiedelte Erasmus ins katholische Freiburg im Breisgau, denn er hatte Angst vor der Intoleranz der Reformatoren. In seiner Schrift „Ciceronianus“ (1528) legte er seine pädagogischen und literarischen Ziele für eine humane Kultur vor, dabei ließ er sich von Cicero und Epikur leiten. Das Christentum sei eine Kunst des Lebens, es brauche den kritischen Geist und die freie Rede. Das kritische Denken bringe allen Bürgern im Staat den größten Nutzen, die Bildung sollte die Menschen zum genauen Prüfen (cribatio) anleiten. Die Lebenswerte der Antike sollten in die christliche Kultur übersetzt werden, denn ein dynamisches Christentum müsse nach vorne hin offen sein. Die theologischen „Dunkelmänner“ jedoch seien die Totengräber des christlichen Glaubens.11 Auch in der Pädagogik der Schüler (Declamatio de pueris statim ac liberaliter instituendis, 1529) sollten neue Ziele und Methoden gesetzt werden. Askese, Dressur und mechanisches Lernen helfen uns wenig zur Bildung des freien Denkens. Die Schüler müssten vor allem zur Liebesfähigkeit erzogen werden, denn darin bestehe die wahre Religion. Aus den Lehren der Stoiker könnten wir lernen, dass es sinnvoll ist, den Mitmenschen zu nützen und zu helfen. Die antike Philosophie lehre uns die Erziehung zur Menschlichkeit, durch die Entfaltung der kritischen Vernunft werde die menschliche Natur veredelt. Die Erzieher sollten den Schülern moralische Vorbilder sein, sie sollten diese in kleinen Schritten in die Wissenschaften einführen. In den Städten sollten öffentliche Schulen für alle Kinder eingerichtet werden, für Arme und für Reiche. Die Erziehung der Jugend sei die Aufgabe der Laienchristen und der Frauen, nicht allein der Kleriker. Die Frauen seien die Sprecherinnen der Menschlichkeit und der Menschenrechte, sie sollten in allen Bereichen die gleichen Rechte wie die Männer haben.12 Das Ziel der Erziehung sei eine Kultur des Friedens, aber die Zwänge im Glauben und die Intoleranz seien ein Verrat der Menschlichkeit und der christlichen Werte. In seinem Alterswerk „Ekklesiastes“ (1535) schrieb Erasmus über die Macht des gesprochenen Wortes in der Predigt, die Prediger sollten mit dem Evangelium Frieden und Eintracht stiften. Die römische Kurie hat das Gesamtwerk des Erasmus im Jahr 1559 auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt, deswegen blieb die Wirkung seiner Ideen in den katholischen und in den evangelischen Ländern gering. Die Protestanten lehnten Erasmus ab, weil er ein Kritiker M. Luthers war. Seine Schriften wurden erst in der Zeit der Aufklärung wieder entdeckt und gelesen. F. Nietzsche hatte traurig angemerkt, Erasmus sei der bessere Reformer der Kirche und der Kultur gewesen als M. Luther.13 Ein humanistischer Denker in England war John Colet (gest. 1519), der mit Erasmus in Verbindung war. Er gründete in London die St. Pauls School, wo griechische Sprache und humanistische Philosophie unterrichtet wurden. Auch dieser Denker argumentierte scharf gegen die Lehre der Erbsünde und der göttlichen Prädestination

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des Aurelius Augustinus. Zu diesem Kreis der Gelehrten zählte auch Thomas Morus (gest. 1535), er wurde Rechtsanwalt und Sprecher des Unterhauses im Parlament, später Mitglied des Geheimen Rates und Lordkanzler des Königs Heinrich VIII. Im Jahr 1515 hatte er sein Werk „Utopia“ veröffentlich. Darin entwarf er einen Idealstaat auf einer Insel, die erst entdeckt werden sollte. Dort lebten die Menschen in religiöser Toleranz und Vielfalt, sie glaubten an einen guten Gott und an die Unsterblichkeit der Seele. Ihren Besitz hatten die Utopisten gemeinsam, wie die erste Christengemeinde in Jerusalem. Damit verwirklichten sie die volle wirtschaftliche Gerechtigkeit.14 Utopia sollte die beste Staatsverfassung darstellen, die unter Menschen möglich ist. Diese Utopier leben ohne Geld und im Tauschhandel mit Naturalien; jeder erhält von einer zentralen Behörde so viel an Lebensmitteln, als er braucht. Die Amtsträger werden vom ganzen Volk gewählt. Die Sklaven verrichten körperliche Arbeit, damit sich die Gebildeten den geistigen Tätigkeiten widmen können. Kriege führen die Utopier nur zur Selbstverteidigung, sie leben die meiste Zeit friedlich zusammen. Die Ehen können aus vernünftigen Gründen getrennt werden, für unheilbar Kranke ist der Freitod (euthanasia) möglich. Die Priester leiten die Gottesdienste, an denen sich alle Inselbewohner beteiligen.15 Ein Förderer der humanistischen Studien in Spanien war Francisco Jimenes de Cisneros (gest. 1517), der in Alcala ein Dreisprachenstudium (Latein, Griechisch, Hebräisch) eingerichtet hatte. Er ließ die Bibel bereits in diesen drei Sprachen (Polyglott) drucken. Juan Luis Vives (gest. 1540) lehrte in Oxford Griechisch, seine jüdischen Eltern waren von der spanischen Inquisition zum Scheiterhaufen verurteilt worden. Er verfasste Bücher über die Erziehung und Bildung der Frauen (De institutione feminae christianae). Auch forderte er die Städte auf, Einrichtungen für die Armenfürsorge zu schaffen (De subventione pauperum), um den sozialen Frieden zu wahren. In Frankreich verbreiteten Jacques Lefevre d’ Etaples und Guillaume Bude humanistische Ideen, sie hatten Beziehungen zum Dreisprachenkolleg in Löwen. In Wien gründete Conrad Celtis literarische Gesellschaften, welche die Werke antiker Philosophen lasen. Im Elsass und am Rhein wurden humanistische Gesellschaften (sodalitates) eingerichtet, die schon größere Bibliotheken mit antiker Literatur anlegten.16 Padua war ein Zentrum der aristotelischen Philosophie, dort verfasste Pietro Pomponazzi (gest. 1525) eine Abhandlung über die Unsterblichkeit der Seele. Er argumentierte gegen Zauberei, Magie und Dämonenglauben. In der Natur geschehe alles nach natürlichen Gesetzen, die von der menschlichen Vernunft erkennbar seien. Die Unsterblichkeit der Seele sei philosophisch nicht beweisbar. Die Moral brauche diese Unsterblichkeit nicht, denn der Lohn der Tugend liege schon in der Tugend selbst, wie die Stoiker lehrten. Unser Wissen über die Natur komme allein aus der Erfahrung. Die Theologen aber hatten Pomponazzis Buch über die Unsterblichkeit der Seele in Padua öffentlich verbrannt.17 Bernardino Telesio (gest. 1588) schrieb ein Werk über die Erkenntnis der Natur (De rerum naturae). Darin ging er davon aus, dass alle Gegenstände aus Stoff (materia), aus Wärme und aus Kälte bestünden. Die Kräfte der Natur wirkten kausal, aber

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in ihnen sei kein letztes Ziel zu erkennen. Wie die Stoiker sah er in der empfindsamen Menschenseele stoffliche Vorgänge, er glaubte, dass „Lebensgeister“ die Hohlräume in den Körpern ausfüllten. Durch die Bewegungen dieser Lebensgeister erleben wir Lust und Unlust. Unsere Begriffe und Urteile führen wir immer auf Wahrnehmungen zurück. Auf das notwendige Zusammenwirken von Erfahrung und Mathematik wies der Maler Leonardo da Vinci (gest. 1519) hin. Zu dieser Zeit wurden die Lehren des Aristoteles deutlich relativiert, viele Humanisten neigten aber zu skeptischen Positionen in unserer Erkenntnis der Natur.18 Skeptische Ideen formulierte Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (gest. 1535) in seiner „Rede über die Unsicherheit und Eitelkeit des Wissens“. Darin griff er Lehren der antiken Skeptiker auf. Auch Michel de Montaigne wollte die Grenzen unseres Wissens deutlich machen, die Menschen sollten deshalb in Demut vor der Religion leben. Tiere und Menschen seien sich ähnlich, doch Tiere könnten nicht lügen und keinem Aberglauben folgen, wie die Menschen es tun. Unsere Erkenntnis hänge von unserer sinnlichen Wahrnehmung ab. Doch da uns diese täuschen könne, sei uns eine letzte und sichere Erkenntnis unmöglich. Auch die Vernunft biete uns keine sichere Erkenntnis, denn sie folge zu vielen Vorurteilen. Im religiösen Glauben finde die Seele ihre gesuchte Ruhe, deswegen sei die Religion für die Menschen notwendig.19

Ansätze der freien Wissenschaft Im 16. und 17. Jh. hatten noch die Kleriker und Theologen das Deutungsmonopol der Welt, der Gesellschaft und des Lebens. Dieses wurde ihnen durch die staatlichen Autoritäten (Reichschristentum) gesichert. Häretiker, Ketzer und Irrlehrer wurden durch die Inquisition verfolgt und ausgelöscht. Folglich lebten alle frühen Naturwissenschaftler in der Gefahr, mit den Lehren der Theologen in Konflikt zu geraten. Der Dominikaner Giordano Bruno (gest. 1600) hatte an mehreren Universitäten studiert und gelehrt, seine Werke verfasste er in lateinischer und in italienischer Sprache. Wegen seiner Lehren wurde er bei der Inquisition in Rom angeklagt und als Ketzer verbrannt. Er kannte die Lehren des Nikolaus von Kues und war überzeugt, dass der Weltraum und der Kosmos ohne Grenzen seien. Im unbegrenzten Raum gäbe es viele Teilsysteme, Gestirne und Planeten. Das Weltall sei beseelt, weil in ihm die Gottheit wirke. Ja das Weltall sei göttlich. In seinen Dialogen diskutierte er über „Das unendliche Universum und die Welten“, über „Das dreifache Minimum“ und über „Die Monade der Zahl und der Figur“.20 Im Dialog „Von den heroischen Leidenschaften“ plädierte er für die Hinwendung der Menschen zum göttlichen Guten und Schönen. Die Erkenntnisse der Natur werden uns von Gott geschenkt, daher müsse die Naturwissenschaft sich frei entfalten können. Wenn die Welt unendlich ist, dann könne der unendliche Raum nicht leer sein; vielmehr müsse ihn Gott mit Materie gefüllt haben. Nun sei das unendliche Weltall aber ein „Abbild“ Gottes, doch die göttliche Unendlichkeit sei ungleich größer als die kosmische Unbegrenztheit. Die Welt sei nicht aus Stoff und Form gestaltet, wie

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Aristoteles lehrte, denn es gäbe gar keine ungeformte Materie und keine unstofflichen Formen. Die beiden Sphären oberhalb und unterhalb der Mondbahn seien nicht verschieden, denn für beide gelten die gleichen Gesetze der Natur.21 Gott sei nicht der erste äußere Beweger des Weltalls, die Gottheit sei vielmehr in den Himmelskörpern und in allen Dingen der Natur als bewegende Kraft. Sie durchdringe als „Weltseele“ die Himmelskörper, die Gegenstände, die Lebewesen und die Menschenseelen. Folglich sei der ganze Kosmos belebt und beseelt. Das eine Göttliche verwirkliche sich in der Vielheit der Dinge, der Gestirne und der Lebewesen. Doch wo es Vielheit gebe, müsse es auch Einheit geben. Diese werde in der Mathematik durch die Zahl Eins ausgedrückt, in der Geometrie durch den Punkt, in der Physik durch das Atom und in der Metaphysik durch die geistige „Monade“ (monas). Diese Monas sei eine aktive Urkraft und Seele, sie wirke nach Zielen und Zwecken. Die Vielheit der Monaden bilde die kosmische Einheit, Gott sei die „Monade der Monaden“; in ihm verbinden sich alle Dinge, Lebewesen und Himmelskörper zu einer letzten Einheit. Bei unserer Erkenntnis der Welt müssen immer die Erfahrung und die kritische Vernunft zusammen wirken.22 Giordano Bruno glaubte, dass wir von der Gottheit nur sagen können, was sie nicht ist (theologia negativa). Dennoch können wir das Göttliche mit der schöpferischen Kraft (natura naturans) im Kosmos gleichsetzen. Die göttliche Urkraft wirke in allen Dingen, in Gestirnen und Lebewesen, das Universum sei unbegrenzt. Da unzählbar viele Welten existierten, müssen ihre Bewohner mit einander in Kommunikation treten können. Auf der Erde bringe der Austausch zwischen den Völkern nicht nur Vorteile, sondern auch viele Nachteile, denn damit würden auch die schlechten Sitten und Lasten ausgetauscht. G.W. Leibniz griff später auf diese Lehre der Monaden zurück; in Italien wird Giordano Bruno bis heute als Martyrer des freien Denkens verehrt.23 Wesentlich zur Gestaltung eines neuen Weltbildes hatten die Astronomen Johannes Kepler und Galileo Galilei beigetragen, auf sie wird im nächsten Kapitel genauer eingegangen. Galileo Galilei (gest. 1642) stand auf dem Boden der empirischen Naturforschung, er sah für metaphysische Spekulationen keinen Platz mehr. Die stoffliche Welt sei aus Atomen aufgebaut, die Sonne sei das Zentrum unserer Weltordnung, nicht die Erde. Mit dem geozentrischen Modell konnten viele der beobachtbaren Phänomene erklärt werden. Im „Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme“ wollte Galileo Galilei beweisen, dass sich die Erde wie die anderen Planeten um die Sonne drehe. Die Theologen verurteilten diese Lehre in zwei Inquisitionsverfahren als häretisch, der Autor des Buches musste sie öffentlich widerrufen.24 Dieser Denker distanzierte sich auf Grund empirischer Beobachtungen vom Weltbild des Aristoteles, er akzeptierte nicht mehr die Unterscheidung zwischen den natürlichen und den erzwungenen Bewegungen. Vielmehr gelten für alle Bewegungen im Kosmos die gleichen Gesetze der Trägheit, es gibt keine Bewegungskräfte (impetus) in den Körpern. Der Mond sei keine glatte und vollkommene Kugel, seine Oberfläche sei uneben. Bei vielen Wissenschaftlern blieb in dieser Zeit die tiefe Angst

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vor der Inquisition der Kleriker und Theologen. Selbst R. Descartes wagte nicht, sich öffentlich zum heliozentrischen System zu bekennen.25 Über die Methode der neuen Naturwissenschaften reflektierte der Engländer Francis Bacon von Verulam (gest. 1626). In beiden Werken „Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften“ und im „Neuen Organon“ dachte er über die Rolle der Wissenschaften für den Staat und die Gesellschaft nach. Um die Natur zu erkennen, benötigen wir die systematische Beobachtung und das regelgeleitete Experiment. Nun sollten die Erkenntnisse der Wissenschaften auch einen praktischen Wert und Nutzen für das Leben haben. Der Wissenstrieb sei uns von Gott verliehen, deswegen sei die neue Naturwissenschaft von Gott gewollt. Diese Wissenschaft habe viele gute Folgen für den Staat, daher müsse jeder Staat eine zentrale Politik der Wissenschaft einrichten (Nova Atlantis IV,3). Es sei von Gott gewollt, dass wir die Früchte der Naturwissenschaft für unser Leben nutzen. Denn in der Erforschung der Natur erkennen wir immer besser das Wirken der Gottheit und wir verbessern unser Zusammenleben im Staat.26 Schon früh erkannte F. Bacon, dass die Vermehrung von Wissen zur Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Macht führt. Zunächst vermehren wir durch neue Erkenntnisse unsere Macht über die Natur und verbessern unsere Lebensbedingungen. Für Aristoteles war die reine Theorie der sozialen Praxis übergeordnet, doch F. Bacon kehrte dieses Verhältnis um. Jede Erkenntnis müsse praktische Ziele verfolgen, die reine Theorie habe gar keinen Wert. Die Natur wurde nun vom Göttlichen abgelöst und jede empirische Erfahrung wurde nur noch profan gedeutet. Theologische Lehren hätten fortan für die Naturwissenschaft keine Bedeutung. Es gehe allein darum, die Formen und Gesetzmäßigkeiten in der Natur zu erforschen, in den Experimenten müssten Teile der Natur fixiert werden (natura fixata). Die Natur sei eher ein „mechanisches Gebilde“ als ein lebendiges Wesen. Der übermächtige Druck der Natur auf das menschliche Leben sollte allerdings verringert werden, um die Arbeit zu erleichtern, die Hygiene und die Gesundheit müssten ständig verbessert werden.27 Um in die Abläufe der Natur eingreifen zu können, müssen wir sie zuerst verstehen; dann aber können wir bestimmte Abläufe im Naturgeschehen sogar vorhersagen. Durch die Aufstellung und Bestätigung von Gesetzen in der Natur werden Ereignisse partiell sogar verfügbar. Das mythische und magische Weltbild wurde damit langsam verabschiedet, die Natur funktionierte ähnlich wie eine von Menschen konstruierte „Maschine“. Unser erkennendes Bewusstsein sei wie ein Spiegel der Natur, aber wir müssen uns ständig von den vielen Quellen des Irrtums befreien. In der Erkenntnis hindern uns viele Vorurteile (Idole), etwa der Gattung, des Marktes und des Theaters. Wir können der Natur keine Zwecke oder Schicksale zusprechen. Naturwissenschaftliche Erkenntnis geschieht nicht durch logische Deduktion, sondern vor allem durch Induktion, indem wir von vielen einzelnen Phänomenen auf allgemeine Gesetze schließen.28 Die Formen der Natur seien geometrisch beschreibbare Zusammenhänge materieller Teilchen, die Materie und die Bewegung seien die beiden Grundbegriffe der Naturlehre. Alle Aussagen über die Natur lassen sich durch die Beschreibung

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der Teilchen und der Gesetze der Bewegung verstehen. Durch eine am allgemeinen Nutzen orientierte (utilitaristische) Ausrichtung sollte die Naturerkenntnis in allen Fällen den theologischen und religiösen Lehren übergeordnet werden. Denn sie bringe den Menschen ungleich mehr an Nutzen als alle religiösen Weltdeutungen. Mit diesem präzisen und dezidierten Denkmodell wurde die Schwelle zur neuzeitlichen Philosophie überschritten.29

Lehren über Staat und Gesellschaft Die Denker der Neuzeit lösten auch ihre Vorstellungen vom Staat und der Herrschaft immer deutlicher von religiösen und theologischen Lehren ab. Der Staat wurde als eine natürliche Größe gesehen und nicht als eine von Gott und den Klerikern gelenkte Institution. Niccolo Machiavelli (gest. 1527) hatte nach der Hinrichtung des fanatischen Predigers Girolamo Savonerola in Florenz wichtige politische Funktionen übernommen. Dort verfasste er sein Werk „Il principe“ (1513), das erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Für ihn war die Politik nicht mehr den geltenden moralischen Normen unterworfen, wie Plato, Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin gelehrt hatten, sondern sie sollte allein dem Nutzen des Staates und des Fürsten dienen. Dieser Nutzen wurde bisher „Gemeinwohl“ (bonum commune) genannt. Entscheidend für jede Politik sei allein der wirtschaftliche und militärische Erfolg, denn der Fürst habe keinen Richter mehr über sich. Für ihn gehe es daher primär um die Technik des Machterwerbs und der Machterhaltung, ein Staat müsse als beständiges Gemeinwesen bestehen. Die staatliche Rechtsordnung sei daher umfassend, auch die Religion müsse sich ihr unterordnen. Die Kirche dürfe kein „Staat im Staat“ sein, denn die alten Feudalordnungen sollten aufgegeben werden.30 Die gesellschaftlichen und politischen Prozesse seien durch kausale Zusammenhänge bedingt, ja das gesamte politische Geschehen lasse sich kausalgesetzlich erklären. In der Frühzeit seien die Staaten durch Gruppenbildung entstanden, die Schwächeren hätten die Stärkeren zu ihren Anführern gemacht. Was dieser Anführer befahl, war für alle gut. Und was er verbot, war böse. Die Grundbegriffe der Moral folgen der allgemeinen Nützlichkeit, die Tugenden der Einzelnen bestehen im vermehrten Nutzen für den Staat. Später stellten die Menschen Gesetze auf und machten die Klügsten zu Anführern. Ein dem Staat übergeordnetes göttliches oder natürliches Recht sei nicht gegeben. Zu den neuen Tugenden im Staat gehören Tapferkeit, Entschlossenheit und Ehre. Die alten Tugenden der Kleriker, nämlich Demut, Unterwürfigkeit und Askese, seien völlig unnütz. Jeder Staat baue auf drei Grundfaktoren, nämlich auf der kausalen Notwendigkeit des Zusammenlebens, auf den Tugenden der Bürger und auf dem Glück (fortuna) der politischen Entscheidungen. Der tüchtige Politiker suche die optimale Gelegenheit für die Verwirklichung seiner Ziele. Mit der Abnahme der genannten Tugenden beginne bereits der Niedergang im Staat.31 In dieser machtpolitischen Sichtweise des Staates spielten religiöse Bezüge, göttliche Gesetze oder natürliche Sittengesetze keine Rolle mehr. Einen anderen Schwerpunkt in der Staatstheorie setzte der Franzose Jean Bodin (gest. 1596), der nach einem

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Ausgleich zwischen der Macht des Königs und den Rechten der Adeligen, aber auch zwischen Katholiken und Hugenotten strebte. Vier Jahre nach den Massakern der „Bartholomäusnacht“ (1572) verfasste er sein Werk „Von der Republik“ und danach einen Religionsdialog „Colloquium Heptaplomeres“. In diesem Dialog stellte er die Lehren der Katholiken, der Lutheraner, der Calviner, der Juden und der Moslems, aber auch der Naturalisten und der Atheisten dar. Er empfahl den Bürgern eine tolerante Haltung in den religiösen Überzeugungen und kritisierte die christliche Erlösungslehre, die Wunderberichte der Bibel, die Lehre von der Erbsünde und die protestantische Gnadenlehre. Später verfasste er allerdings ein Handbuch für die Hexenrichter (Daemonomania), in dem er seinen irrationalen Glauben an böse Dämonen darlegte.32 In der Tradition der „Legisten“ sah J. Bodin jedes Recht im Staat in der menschlichen Natur begründet (Naturrecht), denn in ihr zeige sich die Weisheit Gottes. Deswegen sei es uns möglich, allgemeine Rechtsprinzipien zu finden, die dann allen Staaten gemeinsam seien. Neben einem allgemeinen Menschenrecht sei auch eine allgemeine Moral für alle Völker und Menschen möglich. Ein Staat bestehe in der rechtmäßigen Leitung von mehreren Hauswesen in souveräner Gewalt, der Staat und die Republik (res publica) bauten auf dem Grundgesetz der souveränen Gewalt auf. Aus ihr leiten sich dann die verschiedenen Staatsgewalten (potestates) ab. Die rechtmäßige Leitung des Staates müsse mit den von Gott gegebenen Gesetzen der Natur (lex naturalis) übereinstimmen, sie sei auf das allgemeine Wohl der Staatsbürger gerichtet. Das letzte Ziel des Staates bestehe aber nicht allein im leiblichen Wohl der Bürger, sondern auch in der Entfaltung ihrer geistigen Möglichkeiten. Der Staat bestehe aus „Körper und Geist“, deswegen müssten vor allem die geistigen Fähigkeiten der Bürger genutzt werden.33 Jeder Staat brauche aber eine unbeschränkte Souveränität, auch in zeitlicher Hinsicht. Die Gewalt der römischen Konsuls sei zeitlich begrenzt gewesen, doch im modernen Staat gelte diese Begrenzung nicht mehr. Der Fürst müsse die absolute Gewalt haben, Gesetze zu erlassen, über Krieg und Frieden zu entscheiden, Beamte einzusetzen und als höchster Richter zu fungieren. Die Inhaber der Staatsgewalt seien entweder das Volk (Demokratie), die Adeligen (Aristokratie) oder ein König bzw. Fürst (Monarchie). Das Königtum sei die beste Staatsform, denn sie folge dem Modell der patriarchalen Familie. Aber der Fürst müsse sich bei der Ausübung der Gewalt am Vorbild des göttlichen Wirkens orientieren, er müsse dabei stets den ewigen göttlichen Gesetzen folgen. Damit wurde J. Bodin zum ersten Theoretiker der souveränen Staatsmacht. Dass aber das „göttliche“ Recht immer von Theologen und Klerikern formuliert wird, ist ihm allerdings nicht aufgefallen.34 Der Schotte George Buchanan (gest. 1582) hatte bereits von einem „Vertrag“ zwischen dem Volk und dem Fürsten gesprochen. Dieser Vertrag werde hinfällig, wenn sich der Fürst als Tyrann oder als Feind des Volkes erweise. Francis Hotman (gest. 1590) wies darauf hin, dass die germanischen Völker ihre Könige gewählt hätten. Mit der Wahl sei aber immer das Recht zur Absetzung verbunden. Für Etienne de La Boetie (gest. 1563) waren die Freiheit und die Gleichheit der Bürger zwei göttliche

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Forderungen. Der deutsche Jurist Johann Althusius (Althaus, gest. 1638) sah alle Souveränitätsrechte des Staates beim Volk liegen, der Staat sei die Gesamtheit der organisierten Gruppen und Korporationen. Er müsse den Austausch von Gütern und Leistungen ermöglichen. Die Einzelnen schließen sich zu Korporationen zusammen, die dann den Staat tragen. Die höchste Gewalt komme dem Monarchen zu, dieser sei aber im Dienst der Gemeinschaft der höchste Beamte im Staat.35 Den rechtlichen Rahmen für den Staat bilde immer das „Naturrecht“, das eng mit dem göttlichen Recht verbunden sei. Die von Gott geschaffene Natur veranlasse die Menschen zur Bildung von geordneten Korporationen. Doch die Rechtsnormen des Staates ließen sich von der Natur nicht auf direkte Weise ableiten, sie müssten daher von den Dienern des Staates nach vernünftigen Überlegungen festgelegt werden. Damit konzipierte J. Althusius eine politische Theorie der allgemeinen Staatslehre (Politica), die auf empirischer Erfahrung gestützt sein sollte. Die Korporationen (consociationes) schaffen das Recht und organisieren das gemeinschaftliche Leben. Ein reiner Rechtspositivismus wurde von ihm noch strikt abgelehnt.36 Der Holländer Hugo Grotius (gest. 1645) führte die Lehren der spanischen Spätscholastik weiter und begründete eine Lehre vom Naturrecht, die von theologischen Annahmen unabhängig sein sollte. Das Recht des Volkes sollte auch dann Geltung haben, wenn Gott nicht existieren würde. Die Menschen tendieren von ihrer Natur her zur Vergesellschaftung (Aristoteles) und versuchen, sich in einem „Sozialkontrakt“ (contractus socialis) zu einem Staat zu verbinden. Erst dieser Staat mache es ihnen möglich, die von der Vernunft erkannten Lebensziele am besten zu verwirklichen. Da der Krieg einer vernünftigen Rechtsordnung widerspreche, sei es notwendig, eine für alle Völker geltende Rechtsordnung bzw. ein „Völkerrecht“ zu finden (De iure belli ac pacis, 1625). Dieses Völkerrecht müsse aus dem allgemeinen Naturrecht abgeleitet werden, es hänge nicht von den positiven Gesetzen eines Staates ab. Dieser Denkansatz eines natürlichen Völkerrechts wurde in der frühen Neuzeit nicht mehr vergessen.37 Zu dieser Zeit wurden auch einige utopische Staatsentwürfe vorgestellt, die sich meist an kirchlichen Gemeinschaften und Klöstern orientierten. Zu diesen Entwürfen gehört die schon dargestellte „Utopia“ des Thomas Morus. Der Dominikaner Tommaso Campanella (gest. 1639) entwarf einen “Sonnenstaat”, in dem die Menschen ihre Güter gemeinsam verwalteten und wo die patriarchale Familie aufgelöst war. Dieser Staat sollte in sieben konzentrischen Kreisen aufgebaut sein, ein Metaphysicus lenkte zusammen mit einem Priesterfürsten das soziale Leben. Die sexuelle Vereinigung zwischen den Männern und Frauen sollte nach einer zentralen Planung geschehen, damit gesunde Kinder geboren würden. Der Zeitpunkt der Paarung richte sich nach dem Lauf der Sterne. Der Sonnenfürst regiere mit Weisheit, Macht und Liebe, er fördere die Wissenschaften, befehlige das Militär und sorge für die optimale Bewirtschaftung des Landes.38 Auch F. Bacon zeichnete in seiner „Nova Atlantis“ eine zentral gelenkte Zivilisation, die auf hohem wissenschaftlichem und technischem Niveau lebt. In einer Akademie der Wissenschaften und Künste, dem „Haus Salomonis“, werden die Be-

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wohner mit staatlicher Förderung zu neuen Entdeckungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen angeregt, die zum Nutzen für alle sind. Es sollen die Ursachen, Bewegungen und Kräfte der Natur erforscht werden, um die menschliche Herrschaft über die Natur ständig zu erweitern. Im Geist dieser Entwürfe entstand in England eine Vereinigung von Naturforschern, aus der später die „Royal Society“ hervorging.39 Eine einflussreiche Staatslehre entwickelte Thomas Hobbes (gest. 1679), der stark von der Angst vor einem Bürgerkrieg getrieben war. Deswegen sollte nach seiner Überzeugung die staatliche Autorität so stark sein, dass sich Gruppen von Bürgern nicht gegenseitig bekämpfen konnten. Er nahm an, die Menschen hätten im Naturzustand wie Wölfe gelebt, im Krieg aller gegen alle. In dieser Situation hätten sie eine staatliche Ordnung geschaffen, in der sich alle wechselseitig das Versprechen gaben, einander nicht zu töten. Damit gewannen sie Sicherheit und konnten ihr Leben entfalten. Im Staat musste durch einen „Sozialvertrag“ eine höchste Autorität („Souverän“) eingerichtet werden, welche die Einhaltung des Gesellschaftsvertrags mit militärischen Mitteln sicherstellen konnte. Dieser Souverän könne ein König, ein Fürst oder ein Parlament sein, er müsse aber über die absolute Macht verfügen. Der Staat sei nämlich ein „sozialer Körper“, er folge den gleichen Naturgesetzen wie physikalische Körper.40 Der Friede im Staat werde von den natürlichen und göttlichen Gesetzen gefordert. Die Verträge müssten eingehalten werden, alle Vertragspartner im Staat sollten gleich geachtet werden. So sichere der Sozialvertrag auf optimale Weise das Leben aller Bürger. Diese unterwerfen sich im Staat dem Souverän und können diese Unterwerfung nicht mehr rückgängig machen. Alle Gesetze im Staat werden von den Bürgern geschaffen, sie folgen dabei keinen religiösen Gesetzen oder göttlichen Vorgaben. Nach diesem rechtspositivistischen Standpunkt ist die Staatsgewalt absolut und keinem überstaatlichen Naturrecht unterworfen. Auch die Religion und die Kirchen seien den staatlichen Gesetzen unterworfen. Daher gleiche dieser Zwangsstaat dem großen Meerungeheuer „Leviathan“, von dem die jüdische Bibel erzählte. Der Staat kontrolliert alle Verhaltensweisen der Bürger, allerdings das freie Denken kann er nicht beeinflussen.41 Damit hatte Th. Hobbes einen völlig säkularisierten Staat entworfen, der nicht mehr die Legitimation der Religion benötigte. Seine Gegner kritisierten den mechanistischen Charakter dieses Staates und die völlig falsche Beschreibung des Naturzustands der Menschen. Hier folgte Th. Hobbes deutlich der calvinischen Lehre von der Erbsünde, nach der jeder Mensch durch und durch böse sei. Wir sehen, dass sich auch dieser Denker noch nicht von religiösen Denkmodellen lösen konnte.42

Die Methoden der Wissenschaft Mit der Entfaltung der Naturwissenschaft dachten viele Philosophen über die Methoden der wissenschaftlichen Erkenntnis nach. Rene Descartes (gest. 1650) befasste sich früh mit Fragen der Physik, der Mathematik und der analytischen Geometrie. In seiner „Abhandlung über die Methode“ (Discours de la methode) beschäftigte er sich

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mit den Grundregeln der Wissenschaft, der Moralphilosophie, der Metaphysik und der Kosmologie. In seinen „Meditationen über die erste Philosophie“ (1641) wollte er die Existenz Gottes und die Geistigkeit der menschlichen Person beweisen. Gott habe den menschlichen Geist so geschaffen, dass er objektive Wahrheiten erkennen und wissenschaftliche Gesetze aufstellen könne. Seine Theorie der Erkenntnis hat den mathematisch orientierten Naturwissenschaften starke Impulse gegeben. Er hielt nämlich die Gesetze der Physik und der Astronomie für genauso sicher wie die Gesetze der Mathematik. Den Objekten der naturwissenschaftlichen Erkenntnis sollten solche Eigenschaften zugeschrieben werden, die sich auch mathematisch darstellen ließen. Das traf auf Größe, Form, Masse, Lage und Bewegung zu.43 Die neue Naturwissenschaft trennte sich aber vom teleologischen Weltbild des Aristoteles, sie sah in den Ereignissen der Natur keine letzten Ziele und Zwecke mehr. Vielmehr deutete sie die Geschehnisse der Natur auf mechanische Weise und erforschte die Wirkursachen von Druck und Stoß. Wenn die Natur wissenschaftlich erklärt wird, dann werden die Ereignisse der Natur vorhersagbar und beherrschbar, wie F. Bacon es gefordert hatte. So trage die naturwissenschaftliche Erkenntnis zur Verbesserung und Verlängerung des Lebens, zur Erhaltung der Gesundheit und zur Verselbstständigung des Geistes bei. Auch die Affekte und Gefühle der Menschen sollten mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden („Leidenschaften der Seele“, 1649). Denn R. Descartes war überzeugt, dass die gesamte Weltordnung in Gott begründet sei. Da Gott gut ist und uns nicht wie ein böser Dämon täuscht, seien uns sichere Erkenntnisse über die Natur und den Kosmos möglich. Damit folgte R. Descartes dem Ideal der rationalistischen Erkenntnis. Im Idealfall baue die Wissenschaft auf Grundsätzen (Axiomen), die wegen ihrer Einsichtigkeit keiner Begründung mehr bedürfen.44 Die Frage, wie wir wissen können, dass unsere Erkenntnisse mit der Wirklichkeit übereinstimmen, wird auf metaphysische Weise beantwortet. Aus methodischen Gründen müssen wir zunächst alle Aussagen bezweifeln, bis wir ihre Wahrheit mit Sicherheit ergründet haben. Zunächst kann ich mir nur meiner eigenen Existenz sicher sein, denn um zweifeln und denken zu können, muss ich zuerst existieren (cogito sum). Wenn Gott das höchste und vollkommenste Wesen ist, das gedacht werden kann, dann muss es auch gut sein. Daraus folgt, dass Gott uns nicht täuscht und dass unsere Erkenntnisse richtig sind. Die Idee Gottes sei uns Menschen angeboren, denn wir könnten das Endliche nur vor dem Hintergrund des Unendlichen denken.45 In seiner Analyse der Wirklichkeit unterschied R. Descartes zwischen denkenden Substanzen (res cogitans) und ausgedehnten Substanzen (res extensa). Das Wesen der menschlichen Seele sei das Denken, das Wesen aller physikalischen Körper sei die Ausdehnung. Da Tiere keine denkenden Wesen seien, wurden sie den Sachen zugeordnet. Mit ihnen konnte die Wissenschaft fortan beliebig experimentieren. Gott habe die Materie geschaffen und ihr bestimmte Bewegungsmengen zugeordnet, aber die physikalischen Körper folgten dem Prinzip der Trägheit. Als extremer Rationalist glaubte R. Descartes, dass wir allein mit den Kräften unseres Verstandes auch ohne

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Beobachtung Wahres über die Natur erkennen könnten. Die Gesetze der Natur seien dieser von Gott vorgeschrieben.46 Damit ging die cartesianische Physik von einer rein mechanistischen Auffassung der Natur aus, denn alle Vorgänge geschähen durch Druck und Stoß. Die Natur funktioniere wie eine „Maschine“, auch die organischen Vorgänge in den Lebewesen wurden mechanisch gedeutet. Die Reize würden von den Nervenfasern zum Gehirn geleitet, unsere Willensimpulse entstünden durch den Druck der „Lebensgeister“ (spiritus animalis) in uns. Wir Menschen bestehen aus dem Körper und dem Geist, im Organ der Zirbeldrüse seien beide mit einander verbunden. Diese radikale Trennung zwischen Körper und Geist hatte R. Descartes wohl bei den Jesuiten in La Fleche gelernt.47 Die Moralphilosophie erhalte ihre Grundlagen aus der empirischen Psychologie, ihre Aufgabe liege in der Kontrolle der Affekte. Von den Stoikern lernte Descartes, dass der Verstand die Gefühle und Affekte lenken müsse. Daher bestehe die moralische Tugend immer in einem praktischen Verhalten, das von der Vernunft geleitet werde. Das Vernünftige sei das moralisch Gute und Gesollte, und jede Tugend sei vernünftig. Die ganze Wirklichkeit sei von Gott vernünftig geordnet, unser Handeln müsse folglich im Einklang mit dieser Vernünftigkeit stehen. Es sei die Aufgabe der Naturwissenschaften, die Natur immer besser zu beherrschen (Gen 1,28).48 Die Gegner dieser rationalistischen Weltdeutung waren die Empiristen, sie sahen jede Erkenntnis der Natur auf der empirischen Erfahrung aufgebaut. Da wir von Gott keine Erfahrung haben, sei die Gottesidee leer und ohne Bedeutung. Zu dieser Zeit wandte sich Pierre Gassendi (gest. 1655) entschieden gegen die scharfe Trennung von Körper und Geist, für ihn gab es nur materielle Dinge, Körper und Gegenstände. Das menschliche Bewusstsein sei eine „Blüte“ der organischen Materie. Allgemeine Begriffe bilden wir auf Grund von Sinneseindrücken durch Abstraktion, ewige Wahrheiten könne es nicht geben. Auch in den Naturwissenschaften gewinnen wir keine notwendigen Wahrheiten, sondern nur Hypothesen, die wir auf ihre Richtigkeit prüfen müssen. In der Moralphilosophie nennen wir alle Erfahrungen „gut“, die uns Lust erleben lassen.49 Auch Th. Hobbes lehnte das rationalistische Denkmodell des R. Descartes entschieden ab, denn das menschliche Ich weise auf kein rein geistiges Wesen hin. Wir könnten folglich unser Bewusstsein und Denken auch als empirische Vorgänge deuten. Urteile über das Verhältnis von Körper und Geist seien unmöglich, weil wir das Wesen der Wirklichkeit gar nicht denken können. Da wir ohne empirische Erfahrung keine Begriffe und Vorstellungen bilden können, sei die Idee Gottes leer und hinfällig. Damit sei der Cartesianischen Metaphysik die Grundlage entzogen.50 Ein Kritiker der rationalistischen Weltdeutung war Blaise Pascal (gest. 1662), der noch einer religiösen Weltdeutung folgte. Er war überzeugt, dass sich die Philosophie und die Naturwissenschaften den Lehren der Religion unterordnen sollten. Aber der religiöse Glaube müsse durch die Überlegungen der Vernunft gestützt werden. In der christlichen Religion sei folglich sogar die Fülle der Wahrheit. Die Frage der Existenz Gottes könne zwar rational nicht entschieden werden, doch die Wahrscheinlichkeit

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seiner Existenz sei ungleich größer als seiner Nichtexistenz. Daher sei die Wette auf die Existenz Gottes vernünftig, weil sie den Menschen nach dem Tod Vorteile bringe. Durch die Schwäche des menschlichen Verstandes seit der Erbsünde seien wir Menschen immer auf die göttliche Offenbarung angewiesen. Angesichts der Unendlichkeit Gottes sei der Mensch jedoch ein Nichts, er könne aber trotzdem großes mathematisches Wissen mit einer mystischen Religion verbinden.51 Eine Verbindung zwischen der Religion und den Naturwissenschaften suchten auch die „Okkasionalisten“, denn sie glaubten, die eigentliche Ursache für alle Vorgänge in der Natur sei das Wirken Gottes. Die physikalischen Impulse seien nicht die Ursache für Naturprozesse, sondern nur der „Anlass“ (occasio) für das göttliche Wirken. Nach dieser Sichtweise musste Gott ständig in das Geschehen der Natur eingreifen. Im menschlichen Leben habe er das physische Geschehen genau mit psychischen Vorgängen abgestimmt. Körper und Geist verhalten sich zu einander wie zwei präzise Uhren, die zur gleichen Zeit schlagen. Der HolländerArnold Geulincx (gest. 1669) hatte erkannt, dass unsere metaphysischen Begriffe nur Denkformen, aber keine Wirklichkeit seien. Da Gott absolute Vernunft sei, falle die Liebe zur Vernunft mit der Gottesliebe zusammen.52 Ein rationalistisches Denkmodell entwarf auch der jüdische Philosoph Benedikt (Baruch) de Spinoza (gest. 1677). In seinem „Theologisch-politischem Traktat“ argumentierte er für eine republikanische Verfassung im Staat, denn er hatte demokratische Ansätze in Holland um den Politiker Jan de Witt persönlich kennen gelernt. Sein Interesse galt aber der geometrischen Methode, die er auf die Metaphysik und Ethik anwenden wollte. Die Trennung von Körper und Geist wollte er überwinden, deswegen setzte er die Materie und den Geist gleich. Für ihn waren res cogitans und res extensa zwei Seiten einer Medaille; die eine Wirklichkeit konnte sich als Geist und als Materie zeigen. Da die körperlichen und die seelischen Vorgänge identisch seien, sei Gott mit der gesamten Natur gleich (Deus sive natura). Das Göttliche sei der Inbegriff aller Erscheinungen der Natur, Gott sei die aktive Form (natura naturans) und die passive Form (natura naturata) der Natur. Der Urgrund aller Natur sei göttlich, außerhalb der göttlichen Welt könne gar nichts existieren (Pantheismus).53 Alles, was ist, sei in Gott. Ohne Gott könne nichts sein und nichts begriffen werden. Die Gottheit sei unendlich und einzig und strebe zur Verwirklichung ihrer selbst. Sie sei ewige und umfassende Substanz (Deus sive substantia). Die Gottheit sei kein personales Wesen und könne daher auch nicht frei wählen, sie wirke immer mit innerer Notwendigkeit. Unsere Naturerkenntnis müsse wertfrei geschehen, doch im alltäglichen Leben müssen wir zwischen Gut und Böse unterscheiden. In der Wissenschaft streben wir nach der Ordnung der Dinge und der Ideen. Da Gott aber die Quelle der Natur sei, müssten Religion und Naturerkenntnis übereinstimmen. Wir unterscheiden drei Formen des Wissens, nämlich das empirische, das rationale und das intuitive Wissen; nur das letzte sei auf die Wirklichkeit Gottes gerichtet.54 In seiner „Ethik“ handelte Spinoza von den menschlichen Affekten und ihrem Verhältnis zur Vernunft. Wenn wir uns vernünftig verhalten, werde unser Leben aktiv,

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die Unvernunft aber führe uns zu Passivität. Den Übergang von den Leidenschaften zur Vernunft erleben wir als Glücksgefühl, den umgekehrten Weg aber als Trauer. Als „gut“ bewerten wir alle Verhaltensweisen, die dem Leben nutzen. Als „böse“ gelten alle Taten, die dem Leben schaden. Der Maßstab für den Nutzen sei die Vermehrung von Vernunft und von Aktivität, das Vernünftige führe uns zum moralisch Guten. Unsere Entscheidungen seien aber nur relativ frei, weil wir immer von Leidenschaften und von Mitmenschen abhängig bleiben. Der Zuwachs an Vernunft befreie uns allerdings von Abhängigkeiten. Vollkommen frei sei nur die Gottheit bzw. die Natur. Mit unserer Vernunft können wir unser Zusammenleben so gestalten, dass wir ein großes Maß an Freiheit leben können.55 Auf diesem Denkansatz baute Spinoza seine Lehre vom Staat. Ähnlich wie Th. Hobbes glaubte er an einen „Sozialkontrakt“, in dem die Menschen den Naturzustand aufgegeben hätten. Sie vereinigten sich, um sich gegenseitig zu schützen und das Überleben zu garantieren. Die Menschen hätten diesen Vertrag geschlossen, um ein großes Maß an Freiheit zu gewinnen. Der Staat helfe allen Bürgern, in der Herrschaft der Vernunft über die Affekte voran zu kommen und Glück zu erleben. Die gesetzliche Ordnung schaffe für die Einzelnen viele Freiräume zur Selbstentfaltung, der Zweck des Staates liege in der Vermehrung der Freiheit aller Bürger. Daher sei die Republik die beste Staatsform, weil darin die individuelle Freiheit als politische Autonomie gelebt werden könne. In ihr gebe es die Freiheit der Gedanken, der Rede und der wissenschaftlichen Forschung. Die Religion müsse aber klar von der staatlichen Verwaltung getrennt werden. Der Staat jedoch braucht den Zwang, um vernünftige Gesetze durchsetzen zu können und die Bürger zu vernünftigem Handeln anzuleiten.56 Die kritische Vernunft sollte das Gemeinwohl tragen, der Staat müsse vernünftige Gesetze schaffen, um die Leidenschaften der Menschen zu zügeln. Im Staat bilden alle Menschen Gruppen und freundschaftliche Beziehungen, sie wollen einander zum sittlichen Wachsen anspornen. Die Forderungen der Religion werden dann erfüllt, wenn die Menschen Gerechtigkeit und Nächstenhilfe verwirklichen. Wenn die Menschen mit ihrer Natur übereinstimmen und ihrer Vernunft folgen, dann werden sie moralisch gut leben. Die pantheistische Weltdeutung sei eine Alternative zu theistischen oder deistischen Gotteslehren. Doch die Kleriker und Theologen verunglimpften fortan B. Sinoza als „Atheisten“, der er sicher nicht war.57

Die entfaltete Vernunft Die freie Entfaltung der Vernunft sollte nun auch die Inhalte des christlichen Glaubens verändern, denn viele Denker suchten nach einer vernünftigen und natürlichen Form der Religion. So glaubte Herbert von Cherbury (gest. 1648), dass eine vernünftige Religion von jeder „Offenbarung“ unabhängig sein sollte. Fünf Glaubenssätze sollten für eine Vernunftreligion genügen: nämlich der Glaube an ein höchstes göttliches Wesen, die Verehrung dieses Wesens unter vielen Namen und Bildern, das Streben nach Tugend und Frömmigkeit, die Bestrafung der Übeltäter und der Glaube an ein

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göttliches Gericht. Diese fünf Glaubenssätze sollten das Allgemeingut aller Menschen werden, dann werde es keine Religionskriege mehr geben.58 Diejenigen Philosophen, die auf das Recht des freien Denkens und Glaubens pochten, wurden von den Theologen und Predigern bald „Freidenker“ (freethinkers) genannt. Zu ihnen gehörte John Toland (gest. 1722), der ein Christentum ohne Mysterien und Geheimnisse wollte. Er war überzeugt, dass die Bibel keine unvernünftigen Wahrheiten enthielt und dass alle Wunder auf natürliche Weise erklärt werden können.59 Anthony Collins (gest. 1729) ging davon aus, dass nur das freie Denken die Gesellschaft weiter bringe.60 Und Matthew Tindal (gest. 1733) glaubte, das Christentum sei so alt wie die Schöpfung, deswegen könne es von allen Menschen auf der Erde angenommen werden.61 Für Thomas Chubb bestand das Christentum im Gebet, in der Nächstenliebe und im Glauben an die göttliche Gnadenkraft.62 Doch Henry Bolingbroke und Richard Bentley befürchteten, dass die Freidenker die alte Ordnung im Staat und in der Kirche zerstören könnten. Die Masse des Volkes brauche die Angst vor einem göttlichen Richter.63 Wichtige Impulse für das kritische Denken kamen von John Locke (gest. 1704), der zwischen der rationalistischen und der empiristischen Weltdeutung vermitteln wollte. Er befasste sich mit der Entfaltung des menschlichen Verstandes sowie mit Fragen der Religion, der Erziehung, der Wirtschaft und der Politik. Dabei ging er von der Überzeugung aus, dass wir die Gesetze der Natur nicht durch rationale Überlegungen, sondern durch Erfahrung und Beobachtung gewinnen. Doch in den Wissenschaften benötigen wir neben den empirischen Begriffen immer auch formale Begriffe, um Hypothesen bilden zu können.64 Von angeborenen Ideen müssten wir uns verabschieden. Und „Substanzen“ seien keine metaphysischen Größen, sondern materielle Gegebenheiten. Die menschliche Person können wir nicht mehr als geistige Substanz erklären, sie sei vielmehr eine Kette von Erinnerungen an erlebte Ereignisse. In seinem Buch „Versuch über den menschlichen Verstand“ zeigte J. Locke, dass viele unserer Irrtümer aus der Ungenauigkeit der Sprache kommen. Der Staat sollte ein liberales Gemeinwesen sein, in dem sich die Wirtschaft und die religiösen Überzeugungen frei entfalten können. In diesem liberalen Staat müssen gleiche Rechte und Chancen für alle Bürger gelten, alle sollen durch gewählte Repräsentanten in der Politik mitbestimmen können. Denn alle hätten einen „Urvertrag“ (social contract) geschlossen, deswegen müssten die staatlichen Gesetze von allen Bürgern eingehalten werden. Damit sei für alle die optimale Lebensentfaltung garantiert. Die politische Gewalt sei an das Allgemeinwohl der Bürger gebunden; eine Teilung der Gewalten im Staat sei deswegen nötig, um die Gefahr der Bestechlichkeit zu verringern. Wenn der Fürst aber gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoße, könne er vom Volk abgesetzt und gestürzt werden.65 Das private Eigentum sei von Gott gewollt, weil es die optimale Nutzung der Güter ermögliche. Die Aneignung von Gütern erfolge aber durch Arbeit, diese müsse sich allerdings immer am Bedarf der Arbeitenden orientieren. Doch seit der Einführung der Geldwirtschaft habe sich die Situation verändert, nun könne auch durch

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Verleihen von Geld neues Eigentum erworben werden. Auch religiöse Menschen müssten lernen, die Überzeugungen Andersdenkender zu respektieren, sofern sie nicht gegen die Grundwerte des Zusammenlebens verstoßen.66 Daher sollten im Land alle christlichen Konfessionen toleriert werden, außer den Atheisten, weil diese keine gültigen Eide schwören können. Die Katholiken seien deswegen problematisch, weil sie von einem fremden Staatsmann, dem Papst in Rom, regiert werden. Auch in der christlichen Religion sei ein vernünftiger Kern, dieser müsse bewahrt und entfaltet werden.67 Die religiöse Ethik sollte aus der Bibel übernommen werden, doch alle Glaubenslehren müssten frei von Widersprüchen sein. Sie müssten daher kritisch geprüft werden, ob sie sich positiv oder negativ für das Zusammenleben der Menschen auswirkten.68 Wir erkennen hier bereits das moralische Kriterium für religiöse Überzeugungen. Die Freiheit des Willens sei die Voraussetzung für unser moralisches Lernen und sittliches Verhalten. Die gelebte Tugend vermehre immer das Glück der Menschen, denn das moralisch Gute ziele immer auf die Steigerung von Lebensglück. Nun könne die Wirklichkeit Gottes aus der geschaffenen Welt wohl erkannt, aber nicht bewiesen werden. Daher müsse zwischen vernünftigen und übervernünftigen Lehren der Religion unterschieden werden. Die kritische Vernunft aber sei die Richterin über alle religiösen Lehren, sie müsse die unvernünftigen Lehren ausscheiden, die zu bösem Verhalten der Menschen führten. Für den christlichen Glauben genügten die Moralwerte des Evangeliums, der Glaube an den Erlöser Jesus Christus, die Erkundung des göttlichen Willens, die Reue und die Umkehr von den Sünden. Die Riten der Kleriker seien für den Glauben unwichtig, denn es gehe um den vernünftigen Kern der allgemeinen Nächstenliebe.69 Umfassend in der Naturwissenschaft und Mathematik gebildet war Gottfried Wilhelm Leibniz (gest. 1716), der die Gründung der Akademie der Wissenschaften in Berlin angeregt hat, deren erster Präsident er war. Zuerst folgte er der mechanistischen Naturbetrachtung des Isaac Newton. Doch später kam er zur Überzeugung, dass das Wesen der Wirklichkeit geistiger Natur sei und von ewigen Zielen und Zwecken bestimmt werde. Die Materie sei nicht bloß durch Ausdehnung zu beschreiben, weil in ihr viele unsichtbare Kräfte wirkten. Die nulldimensionalen Kraftzentren in der Materie und im Kosmos könnten wir als substantielle Einheiten bzw. als „Monaden“ verstehen. Diese hätten keine Ausdehnung und keine Teilchen, sie seien nicht materiell, aber immer wirkend und lebendig. In ihnen sei immer Veränderung, weil es keine Kräfte ohne Wirkung gäbe. Diese Monaden hätten geistige Qualitäten. Der Geist aber müsse selbst eine Substanz bzw. Monade sein, um die Einheit der vielen Monaden bewirken zu können. Die Eigenschaften dieser Kraftzentren veränderten sich ständig, doch ihre Gestalt bleibe immer konstant.70 So war G.W. Leibniz überzeugt, dass es ein substantielles Band geben müsse, welches die vielen Monaden zu Körpern, Gegenständen, Lebewesen und Himmelskörpern verbinde. Gott habe die Monaden miteinander verbunden und auf einander abgestimmt, diese wirkten in einer „prästabilisierten Harmonie“ miteinander. Daher könnten die Monaden auch als Ausstrahlung der göttlichen Schöpferkraft gesehen

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werden. Nun bilden Seelenmonaden unser Bewusstsein, während Körpermonaden kein Bewusstsein schaffen. Alle Monaden seien hierarchisch geordnet, bewusste Monaden seien ganz oben, bewusstlose Monaden aber seien unten. Die Seelenmonaden seien in uns Menschen, aber auch in den Tieren und Pflanzen, denn die gesamte Natur sei beseelt und werde von geistigen Kraftzentren bewegt. In der menschlichen Seele gäbe es auch unbewusste Vorgänge wie das Ticken einer Uhr, das wir nach längerer Zeit nicht mehr hören.71 Daher könnten wir an den angeborenen Ideen (ideae innatae) festhalten, manche dieser Ideen würden uns gar nicht bewusst. Das gelte für die Idee Gottes, die manchen Menschen gar nicht bewusst werde. Durch die christliche Mission müsse die Gottesidee bei fremden Völkern geweckt und bewusst gemacht werden. Der Geist sei immer vorher aktiv, bevor wir empirische Erkenntnisse gewinnen. Die Kräfte der Natur seien daher von den Kräften des Geistes abgeleitet. Folglich könnten sich in der Naturwissenschaft kausale und teleologische Betrachtungsweisen ergänzen. Die Ordnung der Ursachen und der Zwecke seien harmonisch auf einander abgestimmt. Da wir uns Räume mit vier oder fünf Dimensionen vorstellen können, seien viele Welten und Kosmen möglich; dort seien sogar andere Gesetze der Lichtausbreitung denkbar.72 Nun war G.W. Leibniz davon überzeugt, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen habe, auch wenn es für uns Menschen darin viele Übel gibt. Wenn Gott allmächtig, allwissend und gut ist, dann muss erklärt werden, warum er dann die vielen Übel in der Welt zulässt. Wir müssen jedoch zwischen metaphysischen, physischen und moralischen Übeln unterscheiden. Die ersten ergeben sich aus unserer menschlichen Begrenztheit, die zweiten könnten als Mittel der göttlichen Erziehung gesehen werden. Für die moralischen Übel seien wir selbst verantwortlich, diese könnten wir jederzeit vermindern. Das Böse sei kein eigenständiges Wesen, ihm fehle nur das Gute. Weil wir Menschen von Gott als freie Wesen geschaffen seien, könnten wir auch ständig sündigen. Die Erschaffung der Welt sei aber durch Gottes freie Wahl erfolgt, wir Menschen seien die „Abbilder“ dieses freien Gottes.73

Englische Denker der Aufklärung John Locke gilt als der große Anreger der europäischen Aufklärung (enlightenment), die das Licht der kritischen Vernunft nachhaltig entfalten wollte. Zu den Zielen dieser Denker gehörte es, den Aberglauben und die Unvernunft zu vermindern, die Ordnungen der Natur besser zu verstehen, die Toleranz zwischen den verschiedenen Überzeugungen zu vergrößern und das moralische Leben aller Staatsbürger zu fördern. Eine Voraussetzung dafür war die Freiheit des Denkens, des Redens und Forschens, die Befreiung der Kultur aus der Kontrolle der Kleriker und Theologen. Wir haben es mit einer breiten Emanzipationsbewegung der kritischen Vernunft zu tun, die das gesellschaftliche Leben tiefgreifend veränderte. Es waren vor allem die Philosophen, und nicht die Juristen, Mediziner und Theologen, die diesen kulturellen und politischen Prozess voranbrachten. Es ging dabei um die Formulierung der

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allgemeinen Menschenrechte, um die Regeln des demokratischen Staates, um den tragfähigen Rechtsstaat und die Gleichwertigkeit der Geschlechter.74 Ein Schüler von J. Locke war Anthony von Shaftesbury (gest. 1713), auch, er verteidigte das Recht auf freies Denken und berief sich dabei auf den gesunden Hausverstand (common sense). Für ihn war die gesamte Wirklichkeit vernünftig und zweckmäßig geordnet, alle Menschen seien zum moralisch guten Handeln fähig. Daher gehe es in der Ethik darum, das Gleichgewicht zwischen den Eigeninteressen und den Fremdinteressen zu finden. Alle Menschen hätten einen moralischen Sinn (moral sense), der im Kontext der kritischen Vernunft entfaltet werden müsse. Die Religion und die Moral seien eng miteinander verflochten, beide wollten die Schönheit und das Glück des Lebens fördern. Nun solle jeder Mensch seine Religion frei leben können, ohne Reglementierung durch eine Kirche oder den Staat.75 Zu dieser Zeit wollten die Deisten das anthropomorphe Gottesbild der Theisten überwinden. Sie glaubten an ein höchstes göttliches Wesen, das aber keine menschlichen Züge mehr hatte und nicht in den Kosmos und das Menschenleben eingriff. Eine natürliche und vernünftige Religion sollte sich mit der Freiheit des Denkens verbinden, um das Glück der Menschen zu vermehren. Vor allem David Hume (gest. 1776) hatte die empiristische Sichtweise der Welt verstärkt und damit die naturwissenschaftliche Forschung gefördert. In seinen Traktaten über die menschliche Natur, über den Verstand, die Moral und die Politik versuchte er, die einzelnen Schritte der menschlichen Erkenntnis darzustellen. Er verstand, dass die Erkenntnisse unserer Vernunft für Irrtümer anfällig sind und dass wir uns immer nur mit wahrscheinlichen Sicherheiten begnügen müssen. Doch in der Ethik folgen wir unseren natürlichen Instinkten, denn wir müssen handeln, auch ohne sichere Erkenntnisse zu haben. Unsere empirischen Urteile über die Außenwelt sind aber nie ganz sicher, und unsere formalen Sätze der Logik sagen nichts über die Wirklichkeit. Metaphysische Sätze seien jedoch im Erkenntnisprozess unnütz und unbrauchbar.76 Damit wollte D. Hume erklären, wie unser Glaube an die vermeintliche Objektivität entstanden sei. Er ersetzte die philosophische Erkenntnistheorie durch eine Psychologie der Erkenntnis. Unabhängig von empirischer Erfahrung könne es keine Urteile über die Existenz von Wirklichkeiten geben. Damit könne auch die Existenz oder Nichtexistenz Gottes nicht bewiesen werden. In der Ethik suchen wir immer den Ausgleich zwischen unseren egoistischen und den altruistischen Strebungen, denn wir alle haben auch die Fähigkeit der Sympathie mit anderen Menschen und ein tiefes Gefühl der Gemeinschaft (fellow feeling). Bei der Bildung von moralischen Urteilen wirken immer Gefühle und rationale Überlegungen zusammen. Eine Moral der Gelassenheit, der Menschenfreundlichkeit und der Milde bringe allen Menschen Vorteile. Um ein moralisches Leben führen zu können, brauchen wir aber eine vernünftige staatliche Ordnung. Diese schützt das Eigentum der Bürger und ihre Verträge. Doch Nützlichkeitsüberlegungen allein reichten zur Begründung der moralischen Tugenden nicht aus. Durch die Androhung von Strafen werden die Menschen gezwungen, die Gesetze des Staates einzuhalten. Aber jede staatliche Ordnung müsse den Bürgern dienen, folglich könne die Autorität des Staates niemals absolut

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gelten. Allerdings dürfe es auch in den liberalen Staaten zu keinen gewaltsamen Umstürzen der Macht kommen.77 In seinen „Dialogen über die natürliche Religion“ und in der „Naturgeschichte der Religion“ wollte D. Hume die Entstehung der religiösen Lehren nachzeichnen. Alle philosophischen Gottesbeweise seien ungenügend, außerdem lasse sich das Böse in der Welt nicht mit dem Glauben an einen guten Gott verbinden. Der Glaube an Gott entspringe immer aus der Furcht vor dem Unglück und dem Tod, aber auch aus der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Die Menschen hätten alle ihre positiven und negativen Erfahrungen ihres Lebens auf das Wirken eines Gottes oder vieler Götter zurückgeführt. Der Monotheismus bedeute jedoch eine Verarmung an religiösen Vorstellungen, er sei viel untoleranter als der Glaube an viele Götter. D. Hume wollte sich zu den religiösen Überzeugungen indifferent verhalten, doch an der Überwindung von Aberglauben und Intoleranz wollte er entschieden mitwirken.78 In England wurden die Ansätze einer politischen Ökonomie formuliert, so wollten William Petty und William Temple die Bodenschätze und die Erträge der Äcker und Viehweiden optimal nutzen. Als „Physiokraten“ plädierten sie für die technische Verbesserung im Landbau, in der Viehzucht und in der Waldwirtschaft, im Handel und im Handwerk. Adam Smith (gest. 1790) verfasste eine „Untersuchung über die Natur und den Ursprung des Wohlstands der Nationen“. Darin beschrieb er die Grundregeln eines vernünftigen und liberalen Wirtschaftssystems. Die Erzeuger der Waren und die Verbraucher dieser Güter lebten in einer Wechselbeziehung, beide aber folgten zunächst sehr vernünftigen Zielen. Beide folgen ihren Einzelinteressen, aber diese lassen sich im Staat so organisieren, dass beide den größten Nutzen haben. Im Geschehen der freien Wirtschaft sieht es so aus, als ob eine „unsichtbare Hand“ den wirtschaftlichen Austausch lenke. Diese unsichtbare Hand sei aber kein göttliches Wesen, sondern allein die wirtschaftliche Vernunft der Menschen. Daher wirken die geordneten Eigeninteressen positiv für alle Teilnehmer am Markt. Bernard de Mandeville (gest. 1733) wollte zeigen, dass sich sogar Luxus und Verschwendung einiger Markteilnehmer positiv auf die Wirtschaft auswirken können.79 Doch A. Smith schrieb auch über die „Theorie der ethischen Gefühle“, wo er die Grundregeln einer praktischen Ethik des Zusammenlebens zusammenstellte. Für ihn waren moralische Sätze keine Aussagen, sondern Wertungen, die aus den subjektiv erlebten Gefühlen stammten. Wir alle hätten die Fähigkeit des Mitfühlens (sympathy) mit anderen, denn wir könnten Gefühle von Mitmenschen nacherleben. Durch Abstraktion und Verallgemeinerung bilden wir dann die Regeln unseres moralischen Verhaltens und die Grundwerte des Zusammenlebens. Sowohl im alltäglichen Leben wie in der Wirtschaft wollen die Menschen ihr Glück vermehren. Nun kann die Wissenschaft viel dazu beitragen, die Bedingungen für die Vermehrung des Lebensglücks zu erforschen. Das Glück der Einzelnen und der Wohlstand der Gemeinschaft bedingen sich gegenseitig, doch es gelten dabei auch Gesichtspunkte der Gerechtigkeit und der wechselseitigen Hilfe. Aus der gegenseitigen Hilfe haben alle größeren Nutzen als durch die Verweigerung von wechselseitiger Unterstützung.80

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Französische Aufklärung Französische Denker haben die Ideen der englischen Aufklärung auf den Kontinent gebracht. So kritisierte Luis de Montesquieu (gest. 1755) in seinen „Lettres persennes“ die monarchische Staatsform in Frankreich. Er warb für die republikanische Staatsform, die in Ansätzen in England durch ein starkes Parlament verwirklicht war. Gleichzeitig plädierte er für die freie Entfaltung der kritischen Vernunft und für die Trennung von Religion und Staat. Die Religion habe die Aufgabe, die Menschen an ihre moralischen Pflichten zu erinnern. Die staatlichen Gesetze würden in jedem Land eine bestimmte Geisteshaltung (l´ esprit de loi) ausdrücken. Diese aber würden von der Bodenbeschaffenheit, vom Klima und von geistigen Traditionen geprägt. Bei der Bildung von Gesetzen müsse immer mit empirischen Faktoren gerechnet werden, aber inhaltlich müssten die staatlichen Gesetze der Natur der Menschen und folglich dem Naturrecht folgen. Die allgemeine Vernunft wirke in allen Menschen, sie sollte im Staat normativen Charakter haben, denn vernünftige Gesetze seien die unabdingbare Voraussetzung für einen guten Staat. Freilich werde die Freiheit der Einzelnen durch die Freiheit anderer Menschen und durch die Gesetze klar eingeschränkt. Die höchsten Staatsgewalten müssten aber klar getrennt werden, damit jede Form von totaler Herrschaft überwunden werden kann.81 Ein engagierter Vertreter der rationalen Aufklärung war Francois Voltaire (gest. 1778), der mit vielen literarischen Werken seine Ideen unter den Gebildeten verbreitete. Er vertrat der Religion gegenüber eine skeptische Haltung und kritisierte die Herrschaft und Intoleranz der Kleriker, die ganz Europa mit Blut überschwemmt und mit Leichen bedeckt hätten. Ein Glaube an ein göttliches Wesen sei aber trotzdem sinnvoll und für die Moral der Menschen nützlich. Doch die Dogmen der Kleriker und Theologen sollten überwunden werden, denn sie führten zu Intoleranz, zu Religionskriegen, zur Verfolgung der Hexen und zu Scheiterhaufen. Doch eine vernünftige und natürliche Religion könne die Menschen in jeder Hinsicht moralisch bessern. Seinen metaphysischen Optimismus verlor F. Voltaire aber nach dem Erdbeben von Lissabon. Aber sein literarisches Engagement galt weiterhin dem Kampf gegen den Aberglauben, gegen die Intoleranz und den Fanatismus, denn er glaubte an die moralische Lernfähigkeit aller Menschen. Wichtig war ihm das freie Denken und Reden im aufgeklärten Staat, in dem alle Menschen dem Glück des Lebens näher kommen sollten.82 Denis Diderot (gest. 1784) und Jean d´Alambert (gest. 1783) wollten mit ihrer „Encyclopedie“ das neue Wissen der Naturforscher unter die gebildeten Zeitgenossen bringen, um in der Beherrschung der Natur fortschreiten zu können. Nun glaubte D. Diderot nicht mehr an einen jenseitigen Gott. Denn für ihn war die gesamte Natur göttlich, beseelt und vernünftig geordnet. J. d´Alambert wollte wie F. Bacon alles Wissen auf praktische Ziele hin ordnen, denn mit dem Fortschritt der kritischen Vernunft würden die Lebensbedingungen der Menschen deutlich verbessert und ihr moralisches Wachsen könne ständig voranschreiten. Etienne de Condillac (gest. 1780) vertrat ein sensualistisches Weltbild, nach dem all unser Wissen über die Welt

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nur aus unseren sinnlichen Erfahrungen komme. Er wollte erklären, wie physische Reize in uns bestimmte Vorstellungen erzeugen.83 Viele Denker dieser Epoche waren in ihrer Weltdeutung Materialisten, sie glaubten nicht mehr an geistige Welten und Wirklichkeiten. So verfasste Julien de la Mettrie (gest. 1751) ein Werk „Der Mensch als Maschine“, in dem er alle geistigen Substanzen und Qualitäten im Menschen bestritt. Unser Bewusstsein sei immer eine Folge und Begleiterscheinung von materiellen Prozessen im Körper und hänge immer von dessen Zuständen ab. Eine Seelensubstanz sei nirgends zu erkennen. Für die Moral bedeutet dies, dass wir alles Verhalten und Erleben als „gut“ bewerten, was unser Lusterleben und Lebensglück vermehrt. Nun streben aber alle Menschen von ihrer Natur her nach sinnlicher Lust, doch dieses Streben müsse durch vernünftige Gesetze des Staates in sinnvolle Bahnen gelenkt werden. Von R. Descartes übernahm de la Mettrie die Auffassung, dass alle Lebewesen und Organismen wie Maschinen und Automaten funktionierten. Die metaphysischen Fragen und die Lehren der Religion wurden von ihm als unsinnig und überflüssig abgelehnt.84 Auch Claude Helvetius (gest. 1771) folgte einem materialistischen Weltbild, denn eine Dimension des Geistes könne es gar nicht geben. Denn alle unsere Erkenntnisse gewinnen wir aus der sinnlichen Erfahrung; die Regeln unserer Moral bilden wir nach Gesichtspunkten der Nützlichkeit. Was uns als Einzelnen oder Gemeinschaften einen Nutzen bringt, das bewerten wir als „gut“. Und was uns schadet, gilt als „böse“. Da wir alle nach unseren Interessen handeln, muss ständig nach einem Ausgleich zwischen den Einzelinteressen und den Gruppeninteressen gesucht werden. Paul von Holbach (gest. 1789) verfasste ein Werk „System der Natur“, in dem er seinen materialistischen Standpunkt umfassend darlegte. Er kritisierte die Lehren der Theologen und die Institutionen der Kleriker, die den Menschen viel Unheil und Kriege, Scheiterhaufen und die Inquisition gebracht hätten. Die Vorstellungen von Gott, Engeln oder Dämonen seien Projektionen unserer Phantasie, allein die atheistische Weltsicht führe zu einer höheren Moral, als die Religion erschaffen konnte.85

Deutsche Aufklärung Die Ideen der Aufklärung kamen aus England, Holland und Frankreich mit zeitlicher Verzögerung in deutsche Länder und von dort nach Mittel- und Osteuropa. So verfasste Christian Wolff (gest. 1754) ein Werk über das Naturrecht. Darin vertrat er die Überzeugung, dass Gott die beste aller möglichen Welten geschaffen habe. Die menschliche Seele sei eine metaphysische Substanz mit der Fähigkeit, Vorstellungen zu bilden. Bei der Erkenntnis von Gegenständen sei der menschliche Geist aktiv, er nehme viele sinnliche Eindrücke auf und verbinde sie zu Vorstellungen. Die Existenz Gottes sei durch das ontologische Argument des Anselm von Canterbury zu beweisen. Auch Christian Thomasius (gest. 1728) stellte auf systematische Weise das Naturrecht dar. Die Rechtssätze müssten allerdings als Befehle aufgefasst werden, deren Befolgung von unseren Willensakten abhänge. Der Wille folge dem Ziel der

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menschlichen Selbsterhaltung. Und als moralisch „gut“ gelten alle Handlungen, die unserer Selbsterhaltung dienen. Gesetze müssen im Staat durch Zwang durchgesetzt werden, sie haben aber immer einen Bezug zu Moral und Sittlichkeit. Thomasius engagierte sich für die Freiheit des Denkens und der Wissenschaft, die bisherige philosophische Tradition wollte er kritisch sichten. So schrieb er gegen die Folter und Hexenprozesse, auch kritisierte er die intolerante Theologie der konservativen Lutheraner. Ihm schwebte eine neue Ordnung für Strafprozesse vor, die kirchliche Inquisition sollte jedoch sofort beendet werden. Er hielt bereits Vorlesungen in deutscher Sprache und verfasste auch seine Bücher auf Deutsch.86 Gegen den Rationalismus argumentierte Christian August Crusius (gest. 1775), denn er glaubte an keine angeborenen Ideen und verteidigte die Freiheit des menschlichen Willens. Doch war er der Überzeugung, dass die Erkenntnisse der Philosophie mit den Grundlehren der Religion verträglich sein könnten. Zur Verbreitung des kritischen Denkens hat der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (gest. 1781) deutlich beigetragen. Mit seiner Ringparabel wollte er zeigen, dass die drei monotheistischen Religionen gleichwertig seien. Deswegen warb er mit starken Argumenten für die Toleranz zwischen den Religionen und den christlichen Bekenntnissen. Die vernünftige und aufgeklärte Philosophie könne wesentlich zur moralischen Erziehung des Menschengeschlechts beitragen, denn bald werde eine Vernunftreligion das Judentum und das Christentum ablösen. Die kritische Vernunft könne dazu beitragen, die Menschen moralisch zu bessern und ihnen zu größerem Glück zu verhelfen. Lessing folgte dem Denken Spinozas und sah die Gottheit mit der gesamten Natur und mit dem Kosmos identisch.87 Ein wichtiger Beitrag zum Denken der Aufklärung stammt vom jüdischen Philosophen Moses Mendelsohn (gest. 1786), der eine Preisarbeit an der Berliner Akademie der Wissenschaft gewonnen hatte. Er schrieb über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften, über das Dasein Gottes und die jüdische Religion. Denn er war überzeugt, dass Gott durch die Fähigkeiten der menschlichen Vernunft erkennbar sei und dass die menschliche Seele eine metaphysische Substanz sei. Ähnlich wie G.E. Lessing forderte er die Toleranz zwischen den Religionen. Das Judentum sei aber schon sehr nahe an einer vernünftigen Religion. Der große Denker der Aufklärung war Immanuel Kant (gest. 1804), der auch in der Theologie, der Mathematik und der Physik gut gebildet war. Er wollte erklären, wie es möglich ist, dass wir mit unserem Verstand die Dinge in der Außenwelt erkennen. Daher befasste er sich mit den Bedingungen der Möglichkeit der Naturerkenntnis. Doch damit verschob er die Fragen der Metaphysik zu einer Theorie der wissenschaftlichen Erkenntnis bzw. zu einer „Transzendentalphilosophie“.88 Zuerst war I. Kant der rationalistischen Weltdeutung verhaftet, von der er sich aber später löste. Denn er kam zur Überzeugung, dass es nicht möglich sei, unabhängig von empirischer Erfahrung Kausalzusammenhänge in der Natur zu erkennen. Die Philosophie habe es immer mit den Phänomenen des Bewusstseins zu tun, die Metaphysik aber sei eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft. Erkenntnisse können wir nur durch Beobachtung und durch Anschauung gewinnen.

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Doch I. Kant distanzierte sich deutlich von den Empiristen, denn er wollte zeigen, dass wir unsere Begriffe nicht allein auf der Grundlage der Beobachtung bilden, sondern auch durch Denkprozesse erzeugen. Im Prozess der Erkenntnis nehme der menschliche Geist Reize aus der Außenwelt auf und verbinde sie zu Anschauungen. Jede Erkenntnis fange mit empirischer Erfahrung an, aber sie schreite dann weiter zu einer rationalen Deutung. Unsere Begriffe bekommen dadurch Bedeutungen, indem wir sie auf anschauliche Gegenstände beziehen. Damit hängen die Gegenstände unserer Erkenntnis aber immer von unseren Deutungen ab. Diese Deutung erfolgt durch unsere Urteile, in denen wir Begriffe auf Objekte beziehen. Gegenstände gelten dann als real, wenn sie entweder unmittelbar beobachtet werden, oder wenn ihre Beobachtungsdaten auf Grund von Naturgesetzen zusammenhängen. Diese Grundsätze bilden fortan den Rahmen für unsere naturwissenschaftlichen Theorien, vor allem aber der klassischen Physik.89 Synthetische Urteile a priori geben die Bedingungen an, unter denen Beobachtungen überhaupt möglich sind. Alle Beweise der Existenz Gottes seien grundsätzlich unmöglich. Doch die Annahme eines Gottes, der Welt und einer unsterblichen Seele seien durchaus vernünftig, um eine Moral des menschlichen Zusammenlebens begründen zu können. Die Vernunft erzeuge mit innerer Notwendigkeit diese Annahmen, die aber metaphysische Illusionen seien. Wir leben also so, „als ob“ Gott existierte, als ob wir eine unsterbliche Seele hätten und auf ein göttliches Gericht zugingen. Mittels der Vernunft können wir Erkenntnisse von Gegenständen zu umfassenden Theorien zusammendenken. Doch in den Wissenschaften haben wir es immer mit interpretierten Wirklichkeiten zu tun, nie mit der Wirklichkeit an sich. Diese sei uns nicht erkennbar. Es sei daher sinnvoll, zwischen einem Bereich der Natur und einem Bereich der von Menschen gesetzten Zwecke zu unterscheiden.90 Kant war überzeugt, dass im Bereich der Ethik die Annahme der Existenz Gottes, der menschlichen Seele und des göttlichen Gerichts gerechtfertigt sei. Denn die Ethik lasse sich nicht mit moralischen Gefühlen begründen, wie D. Hume es tat. Sie müsse vielmehr auf formale Weise dargestellt werden. Eine tragfähige Moral sei in ihrem Kern vernünftig, aber sie hänge nicht von den Folgen unserer Handlungen ab (Utilitarismus), sondern allein von unseren inneren Gesinnungen. Das Maß der moralischen Handlungen sei daher nicht die Glückseligkeit der Menschen, sondern die moralische Pflicht. Daher hätten die Gebote die Form des kategorischen Imperativs, sie seien bedingungslos gültig. Alle sittlichen Gebote müssen allgemein gültig und generalisierbar sein. Aber kein Mensch soll von anderen als Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele benutzt werden; denn jeder Mensch trage einen Selbstzweck in sich. Unsere moralische Autonomie sei die Voraussetzung für unsere freien Entscheidungen, daher sollten alle sittlichen Pflichten auf Grund vernünftiger Einsicht freiwillig übernommen werden.91 Die Existenz Gottes und der menschlichen Seele müssen im Interesse der Ethik postuliert werden. Daher sei es vernünftig, in einer religiösen Orientierung zu leben. Die rechtliche Ordnung im Staat müsse jedoch auf vernünftige Weise gestaltet werden, damit die Menschen in sittlicher Freiheit leben können. Die Würde der menschlichen

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Person beruhe auf ihrer Autonomie und Entscheidungsfreiheit. Im Sozialvertrag hätten die Menschen persönliche Freiheiten aufgegeben, um den Schutz der Gemeinschaft zu bekommen. Die Gesetze sollten von den Vertretern der Staatsgewalt formuliert werden, daher sei eine repräsentative Demokratie eine gute Staatsform. In seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ (1795) versuchte I. Kant, eine internationale Ordnung und ein „Völkerrecht“ zu entwerfen, damit in Zukunft Kriege verhindert werden können. Damit wurde er zum Vordenker des „Völkerbundes“ und der UNO, die erst im 20. Jh. verwirklicht werden konnten.92 Auch die menschliche Geschichte sollte so gesehen werden, als ob sie Zwecke und Ziele verfolgte und von der göttlichen Vorsehung gelenkt werde. Jeder Staat brauche eine starke Herrschaft, welche die Einhaltung der vernünftigen Gesetze erzwingt. Doch der Blick auf andere Völker und Staaten erzeuge die (stoische) Idee von einem „Weltbürgertum“, auch diese Vorstellung könne zur „Versittlichung“ aller Menschen beitragen. Wir können die Natur als zweckmäßig betrachten und an das Schöne und Erhabene glauben. Doch die Inhalte der Religion müssten innerhalb der Grenzen der „bloßen Vernunft“ bestimmt werden, alle unvernünftigen Teile müssten ausgeschieden werden. Jesus sei als göttlicher Sohn ein Beispiel des moralischen Lebens. Die Erlösung vom Bösen bedeute die Ausrichtung auf gute Gesinnung. Und die Kirche könne als Gemeinschaft sittlich hochstehender Menschen gesehen werden. In der Religion betrachten wir unsere moralischen Pflichten als göttliche Gebote, damit könne eine vernünftige Religion wesentlich zur moralischen Besserung der Menschen beitragen.93

Weiterentwicklung der Grundideen Diese Ideen, Ziele und Werte der rationalen Aufklärung wurden von einigen Denkern auch kritisch beurteilt. Sie lehrten, die positiven Wirkungen der kritischen Vernunft sollten nicht überschätzt werden. So kritisierte der Italiener Gianbattista Vico (gest. 1744) den Fortschrittsoptimismus der Vordenker der Aufklärung. Denn er war überzeugt, dass Kulturen und Zivilisationen sich bald nach vorne und bald wieder zurück entwickelten. Auf einen Aufstieg folge immer ein Niedergang und dann bahne sich ein neuer Aufstieg an. Da wir nur das verstehen, was wir selber schaffen, können wir die menschliche Geschichte gut verstehen. Unsere Geschichte habe drei Phasen der Entwicklung durchgemacht. Zuerst fühlten sich die Menschen von den Göttern abhängig, da hätten die Priester die Herrschaft ausgeübt. Danach hätten die Krieger und die Adeligen geherrscht. Und in der dritten Phase werde die menschliche Vernunft die Geschichte bestimmen, dann werde die Republik die beste Staatsform sein. Doch im Letzten würde die menschliche Geschichte weiterhin von der göttlichen Vorsehung bestimmt.94 Kritik an der Überschätzung der menschlichen Vernunft kam vor allem von Jean Jacques Rousseau (gest. 1778). Er vertrat in einer Preisschrift die Überzeugung, dass der wissenschaftliche und technische Fortschritt die Menschen moralisch nicht gebessert habe. Viele neue Erkenntnisse hätten sogar zum moralischen Niedergang

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beigetragen. In einer anderen Preisschrift wollte er zeigen, auf welche Weise unter den Menschen die soziale Ungleichheit entstanden sei. In seinem Roman „Emile“ argumentierte er für eine natürliche Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Und in der „Neuen Heloise“ stellte er die patriarchale Form der Ehe und die Heiratsverbote aus Gründen des Standesunterschieds in Frage. Vielmehr sollten beide Geschlechter ihre Liebespartner frei wählen können. In der Erziehung sollten die natürlichen Fähigkeiten der Kinder erkundet und entfaltet werden. Die Religion wachse aus den erlebten Gefühlen der Menschen, zum einen aus Gefühlen der Angst, zum andern aus Gefühlen des Glücks, der Sehnsucht und der Liebe. J.J. Rousseau lehnte die Lehre der Theologen und Kleriker von der Erbsünde entschieden ab, denn jeder Mensch sei von seiner Natur her gut und zum Guten fähig. Die böse Tat werde durch schlechte Vorbilder und durch widrige Lebensumstände verursacht. Doch der Glaube an eine „Erbsünde“ sei eine Beleidigung der menschlichen Natur.95 Die menschliche Natur werde durch egoistische und durch altruistische Strebungen bestimmt, daher müsse in der Moral immer das Gleichgewicht zwischen beiden Strebungen gefunden werden. Durch eine Rückkehr zur Natur könnten die Menschen wieder gemäß ihren natürlichen Bedürfnissen und Strebungen leben. Unsere Fähigkeit zu Mitgefühl und Mitleid mit anderen sei für unser Zusammenleben wesentlich. Die Menschen sollten dazu erzogen werden, ihre natürlichen Fähigkeiten und Sinnesfreuden zu entfalten. Im „Sozialkontrakt“ (contrat social) hätten sich alle Menschen verpflichtet, auf individuelle Freiheiten zu verzichten und sich allgemeinen Gesetzen unterzuordnen. Dadurch wurde eine Rechtsordnung geschaffen, welche die relativen Freiheiten aller Bürger schützt. Daher müssten die Gesetze von allen Bürgern mitgetragen werden, an der Staatsgewalt sind alle durch Vertreter (Repräsentanten) beteiligt. Der Souverän des Staates sei das Volk, nicht der Herrscher; doch die direkte Demokratie sei nur in kleinen Gemeinschaften möglich. In großen Staaten müsse eine repräsentative Demokratie angestrebt werden.96 In der Frühzeit der Kulturen hätten die Menschen kein Privateigentum beansprucht. Erst durch die Bearbeitung des Bodens und die fortschreitende Arbeitsteilung sei es zur Bildung von Eigentum gekommen, das je nach Leistung aber ungleich verteilt wurde. Im demokratischen Staat hätten alle Bürger sowohl das Recht auf Arbeit als auch die Pflicht, einer für die Gemeinschaft nützlichen Tätigkeit nachzukommen. Der Staat müsse daher dafür sorgen, dass alle Bürger Arbeit bekommen können. Die neuen Maschinen würden in der Landwirtschaft viel händische Arbeit überflüssig machen. Doch der Staat müsse dafür sorgen, dass die Besitzunterschiede zwischen den Bürgern nicht zu groß werden. Eine gewaltsame Enteignung der Besitzenden und Reichen sollte es nicht geben, doch der Umlauf des Geldes müsse durch den Staat begrenzt werden.97 An den dauerhaften Fortschritt des menschlichen Geistes glaubte Jean Antoine de Condorcet (gest. 1794). In seinem Werk „Entwurf einer Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes“ ging er davon aus, dass die begonnene Rationalisierung aller Lebensbereiche das Glück der Menschen erheblich vergrößern werde. Nicht nur die wirtschaftliche, auch die geistige Entwicklung der Menschen lasse sich rational

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planen, dadurch könne das größtmögliche Glück der Menschen erreicht werden. Condorcet aber wurde selbst das Opfer menschlicher Unvernunft, denn in der Französischen Revolution wurde er von fanatischen Gegnern ermordet. Seine philosophischen Gegner sahen in der Selbstüberschätzung der Vernunft, welche die Vorgaben der Religion abgelöst habe, die Wurzel aller politischen Übel und Grausamkeiten der Revolution. Doch der starke Glaube an die befreiende Kraft der kritischen Vernunft überdauerte die unvernünftigen Gräueltaten der Revolution.98 Viele Denker konzipierten neue Formen des gesellschaftlichen Lebens auf den Wertprämissen der rationalen Aufklärung. So schrieb Abbe Emmanuel Joseph Sieyes (gest. 1836) ein Werk über den „Dritten Stand“ in der Gesellschaft (1799). Jetzt seien die Bürger (citoyens) der tragende Stand, denn sie verarbeiten die Rohstoffe und erbringen die Dienstleistungen, während der Adel und der Klerus überflüssig geworden seien. Die Grundlage jeder Rechtsordnung seien die Allgemeinen Menschenrechte, die für alle sozialen Schichten Geltung haben. Dazu gehören das Recht auf Eigentum, die Gleichheit aller vor dem Gesetz und die Rechte der persönlichen Freiheit. Bereits J.A. de Condorcet hatte einen Katalog der „Menschenrechte“ erstellt. Dazu zählte er die Freiheit, die Gleichheit, die Sicherheit, das Eigentum der Bürger sowie das Recht auf Widerstand gegen ungesetzliche Staatsgewalt. Die Arbeit, der Handel und die Produktion der Güter sollten sich frei entfalten können. Fortan wurde der Dritte Stand der Bürger als der primäre Träger des gesamten Staates gesehen.99 Zu dieser Zeit wurden auch sozialistische, egalitaristische und kommunistische Programme diskutiert und entworfen. Francois Babeuf, Morelly und Gabriel Mably waren davon überzeugt, dass das Privateigentum das friedvolle Zusammenleben der Bürger störe. Es sei im „Gesetzbuch der Natur“ nicht enthalten. Ohne Besitzansprüche auf Eigentum könnten die Menschen in natürlicher Rechtschaffenheit und im Frieden mit einander leben. Den Gesetzen der Natur und dem Naturrecht entsprächen vielmehr der gemeinschaftliche Besitz und die gemeinsame Nutzung aller Güter. Doch bald standen einander die Vordenker des liberalen Staates und des sozialistischen Staates feindlich gegenüber. Die zweiten betonten den Vorrang der Moral vor der Wirtschaft, selbst wenn die sozialistische Gemeinschaft weniger erfolgreich sei wie die freie Privatwirtschaft. Auch die Wirtschaft sollte zur moralischen Besserung der Bürger beitragen. Fortan bezogen sich sowohl die sozialistischen Denker als auch die liberalen Programmgeber auf das „Naturrecht“, das inhaltlich allerdings schwer fassbar war und ist.100 Viele konservative Denker aber kritisierten den Kult der Vernunft und die gewaltsame Revolution. Sie orientierten sich wieder an den alten Traditionen der Religion, der Aristokratie und der Monarchie. Edmund Burke (gest. 1797) verfasste „Betrachtungen über die Französische Revolution“, in denen er den Bruch mit der Tradition hart verurteilte. Denn er war überzeugt, die religiösen und politischen Traditionen seien gespeicherte Lebenserfahrung vieler Generationen. Und Joseph de Maistre (gest. 1821) kritisierte in seinen „Betrachtungen über Frankreich“ (1794) den Terror der Revolution, die gesamte Moral sei in kurzer Zeit zusammen gebrochen. Jetzt brauche die europäische Kultur wieder eine starke moralische Autorität, diese könne

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91 von nun an nur das Papsttum in Rom sein. Diese höchste moralische Autorität müsse aber als „unfehlbar“ gelten. Die weitere Entwicklung des Traditionalismus und des Sozialismus fällt aber bereits ins 19. Jh.101

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Entwicklungen der Naturwissenschaften

Die frühe Neuzeit wurde zum guten Teil durch neue Erkenntnisse in den Naturwissenschaften, in der Astronomie, der Physik, der Chemie, der Biologie, der Medizin und der Mathematik geprägt, die sich gegenseitig befruchteten. Ihre Erkenntnisse veränderten die Lebenswelt der meisten Menschen, zuerst in Europa und dann auch in anderen Teilen der Welt.

Erkenntnisse der Astronomie Im frühen 16. Jh. hatte Nikolaus Kopernikus (gest. 1543) sein Studium der Astronomie und der Medizin in Krakau und in Bologna abgeschlossen. Danach beteiligte er sich an der Reform des Julianischen Kalenders, an der mehrere italienische Wissenschaftler arbeiteten. Zu dieser Zeit war der alte Kalender des Julius Caesar schon um 10 Tage hinter dem natürlichen Sonnenjahr zurückgeblieben. N. Kopernikus kam zur Überzeugung, dass sich die errechneten Bewegungen der Planeten am besten erklären lassen, wenn die Sonne im Mittelpunkt des Systems angenommen wird. Denn wenn die Erde sich um die Sonne bewegt, werden alle Schleifbewegungen der Planeten verstehbar. Damit musste aber die gesamte Weltdeutung des Aristoteles verlassen werden. Doch Nikolaus von Kues hatte schon angenommen, dass es im Kosmos viele Schwerezentren geben müsse. Daher nahm N. Kopernikus neben der täglichen und der jährlichen Erdbewegung noch eine dritte Bewegung der Erde an, damit die Erdachse nicht ihre Richtung verändern müsse. Dieses heliozentrische Deutungssystem des Kosmos schien aber den Lehren der Bibel und der Theologen voll zu widersprechen. Deswegen zögerte N. Kopernikus lange Zeit, sein Werk „Commentariolus“ zu veröffentlichen. Folglich erschien sein Werk erst nach seinem Tod, da konnte der Autor nicht mehr von der kirchlichen Inquisition verfolgt werden. Georg Joachim Rhaeticus verfasste bald danach einen breiten Kommentar zum Werk des N. Kopernikus.1 Wichtige Arbeiten zur Kartographie und zur Navigationskunde verfasste Peter Apian (gest. 1552), der sein Werk „Astronomicum Caesarium“ dem Kaiser Karl V. gewidmet hatte. Seine „Cosmographia“ war viele Jahrzehnte für die Seefahrer wichtig. Zu dieser Zeit konnten die geographischen Längen der Erde nur durch Monddistanzen eruiert werden, denn es gab noch keine transportablen mechanischen Uhren.

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Apian arbeitete noch mit dem System des Ptolemaios, das von Nikolaus Kopernikus aber überholt wurde. Gerhard Mercator (gest. 1554) hatte 107 Erdkarten gezeichnet, die aber ganz offensichtlich den Lehren der Bibel widersprachen. Er veröffentlichte diese Zeichnungen in seinen Werken „Terrae sanctae ekscriptio“, „Chronologia“ und „Atlas sive cosmographicae meditationes de fabrica mundi et fabricati figura“. Das letzte Werk wurden 1585 von seinem Sohn herausgegeben. Darin wurde zum ersten Mal die Bezeichnung „Atlas“ verwendet, die sich im 17. Jh. allgemein durchsetzte. Diese Karten waren wichtige Voraussetzungen für die Seefahrer (Nova et aucta orbis terrae descriptio ad usum navigantium, 1569).2 In Kassel richtete der Landgraf Wilhelm IV. eine Sternwarte ein, um die Gestirnsbahnen besser beobachten und messen zu können. Zu dieser Zeit wurden immer genauere Messinstrumente konstruiert. Auch der Engländer William Gilbert (gest. 1603) distanzierte sich von der Naturphilosophie des Aristoteles (De mundo nostro sublunari physiologia nova, 1651) und bekannte sich zur empirischen Erforschung der gesamten Natur. Er untersuchte die magnetischen Kräfte der Erde und erklärte die Nordrichtung der Kompassnadel. Außerdem glaubte er, dass zwischen den Himmelskörpern magnetische Kräfte wirkten. Damit erklärte er die Gezeiten der Meere. Der Däne Tycho Brahe (gest. 1601) baute ein Observatorium (Uraniborg) und verbesserte die Beobachtung der Gestirne. In der Folgezeit entwickelte er das geozentrische System der Kosmosdeutung weiter, in dem die Planeten um die Sonne kreisten, aber diese zusammen um die Erde ihre Kreise zogen. Dieser Lehre folgten bald auch die Jesuiten, denn der Papst hatte im Jahr 1616 das Kopernikanische System verboten. Als Tycho Brahe einen Kometen beobachtete, kam er zur Überzeugung, dass die Äthersphären der Fixsterne und Planeten nicht undurchlässig sein konnten. Damit aber waren für ihn die Grundannahmen der scholastischen Astrophysik endgültig widerlegt.3 Galileo Galilei (gest. 1642) hatte die Isochronie der Pendelbewegungen entdeckt, daraus leitete er die Pendelgesetze ab. Außerdem machte er Experimente des freien Falles und formulierte die physikalischen Fallgesetze. In der Astronomie entdeckte er die Oberflächenstruktur des Mondes und vier Jupitermonde, er analysierte Sternenhaufen und löste sie in Einzelsterne auf. Als er öffentlich für das heliozentrische System des Kopernikus eintrat, wurde er bei der kirchlichen Inquisition angezeigt und in zwei Prozessen als Ketzer verurteilt. Auch er löste sich vom Weltbild des Aristoteles, der die Prozesse der Natur aus dem „Wesen“ der Dinge hergeleitet hatte, und fragte nach der Art und Weise der natürlichen Prozesse. Dabei ersetzte er die Metaphysik durch die Mathematik. Mit diesem Ansatz untersuchte er die Bewegungsgesetze (Kinematik) der natürlichen Körper. Johannes Kepler (gest. 1630) gelang es, die pythagoräischen und die neuplatonischen Vorstellungen der „Weltharmonie“ zu verabschieden und eine streng mathematische und physikalische Astronomie zu entwerfen. Er benutzte bereits den von Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 eingeführten (Gregorianischen) Kalender, der von den protestantischen Fürsten erst 100 Jahre später eingeführt wurde. In der Ordnung der Natur sah er ein „Abbild“ Gottes.4

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J. Kepler war vor allem ein mathematischer Berechner, weniger ein empirischer Beobachter. So entdeckte er die elliptischen Bahnen in den Bewegungen der Planeten. In seiner „Weltharmonik“ stellte er die Bewegungsgesetze der Planeten dar. Darin nahm er noch harmonische Verhältnisse zwischen den Planetenbahnen an, doch neben der Kugel gab es für ihn noch andere vollkommene Körper. So nahm er einen kosmischen Magnetismus an, um die Bewegungen der Planeten zu erklären. Mit den „Rudolfinischen Tafeln“ (1627) schuf er die Grundlagen für die Berechnung der Planetenörter. In seiner „Dioptrik“ gab er Anregungen zur Verbesserung der Fernrohre (Teleskop). Von ihm stammen auch erste Ansätze zu einer Integralrechnung. Simon Mayr (gest. 1624) verfasste jährliche Kalender und Prognosen für die Wetterbeobachtung (Prognostica), außerdem berechnete er die Bahnen der vier Jupitermonde. Und Christoph Schneider (gest. 1650) hatte erstmals Flecken auf der Sonnenscheibe beobachtet, die er als Schatten der Planeten deutete. In der Optik entdeckte er den Sehnerv und die Netzhaut des menschlichen Auges.5 Der Italiener Gianbattista Riccioli (gest. 1671) fasste das astronomische Wissen seiner Zeit im „Almagestum novum” zusammen. Empirische Studien über die Kompression von Luft und über das Vakuum von geschlossenen Gefäßen führte Otto von Guericke (gest. 1686) aus. Ihm gelang es, den Luftdruck durch geschlossene Wassersäulen zu messen und in der Folge starken Regen und Unwetter vorherzusagen. In einer Experimentiergesellschaft in Florenz arbeitete Giovanni Borelli (gest. 1679), der die Erkenntnisse der Physik auf die Medizin und die Biologie anwenden wollte (Theoriae Medicorum planetarum ex causis physici deductae). Er glaubte, dass die Planeten durch die Strahlen der Sonne in elliptischen Bahnen bewegt würden. Außerdem erforschte er hydrostatische Gesetze und entdeckte die Kapillarwirkung in der Ausbreitung von Flüssigkeiten.6 Der Holländer Christian Huygens (gest. 1695) entdeckte mit seinen verbesserten Teleskopen den ersten Mond des Saturn, die Abplattung des Jupiter und die Oberflächenstrukturen des Mars. Außerdem verbesserte er die Präzision der Pendeluhren. Aus der Wirkung der Zentrifugalkraft der rotierenden Erde leitete er die Verkürzung des Sekundenpendels mit der abnehmenden geographischen Breite ab. In seinem Werk „Kosmotheoros“ dachte er bereits über die möglichen Bewohner, die Pflanzenwelt und die Erzeugnisse auf den Planeten nach, er hielt auch bereits andere Sonnensysteme für möglich. Außerdem hat er Forschungen zur Polarisation des Lichtes angeregt. Wichtige Impulse für die Naturforschung kamen von Isaac Newton (gest. 1627), er befasste sich mit der Zusammensetzung des weißen Lichtes aus den Spektralfarben und mit den Gesetzen der allgemeinen Gravitation im Kosmos. Angeregt durch R. Descartes ging er den Grundlagen der Infinitesimalrechnungen und der Fluxationsberechnungen für Licht nach. Denn er wollte die Kräfte der Natur aus den Phänomenen der Bewegungen erkennen. Durch die Kombination von deduktiven und induktiven Verfahren kam er zu einer Theorie der allgemeinen Gravitation. Die Kräfte der Gravitation und das Prinzip der Trägheit sollten alle Bewegungen der Himmelskörper erklären. In seinen „Mathematischen Prinzipien der Naturwissenschaft“ ging er bereits von der Vorstellung einheitlicher Gesetze für den ganzen Kosmos aus.7

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Die Gesetze der Natur Isaac Newton wollte zeigen, dass im Kosmos dieselben physikalischen Gesetze gelten wie auf der Erde. Freilich hinterließ seine Theorie der Schwerkraft einige Erklärungslücken, etwa die Elektrizität und den Magnetismus. Bereits 1668 hatte I. Newton ein Spiegelteleskop gebaut, mit einem Reflektor studierte er die Zerlegung des weißen Lichtes in verschiedene Farben. Bei der Erklärung des Lichtes schwankte er zwischen der Wellentheorie und der Korpuskeltheorie. Erst Albert Einstein war im 20. Jh. die Zusammenführung beider Theorien gelungen. Dem Dänen Christensen Römer (gest. 1710) gelang bereits eine frühe Berechnung der Lichtgeschwindigkeit, die er mit 42.000 Meilen pro Sekunde ansetzte. Denn er hatte aus den verschiedenen Positionen des Jupiter zur Erde erkannt, dass Licht eine begrenzte Geschwindigkeit haben müsse. Daher konstruierte er mechanische Modelle der Planetensysteme und verfasste mehrere Sternenkataloge. Auf seine Anregung wurde der Gregorianische Kalender auch von den protestantischen Fürsten und Ländern eingeführt.8 John Flamsteed (gest. 1715) leitete die königliche Sternwarte in Greenwich nahe bei London, auch er verfasste mehrere Sternenkataloge (Atlas coelestis) und Verzeichnisse mit 2.848 Fixsternen. Darin gab er den einzelnen Sternen bereits Nummern, die in der Astronomie bis heute verwendet werden. Edmond Halley (gest. 1743) befasste sich zuerst mit der genauen Messung der geographischen Längen für die Seefahrer, dafür benutzte er Positionen der Fixsterne. Außerdem beobachtete er die Durchgänge der Planeten Merkur und Venus durch die Sonne und entwickelte Methoden zur Bestimmung der Sonnenparalaxe. Im Jahr 1681 beobachtete er einen Kometen, der später nach ihm benannt wurde. Auch war er an einer Forschungsreise auf einem Kriegsschiff nach Afrika und Amerika beteiligt, um die magnetische Deklination an vielen Orten der Erde zu messen. Dadurch sollten die geographischen Längen auf hoher See bestimmt werden. E. Halley beteiligte sich auch an Forschungen mit der Taucherglocke, an der Erfindung der Spiegeloktanten und an der Anwendung des Barometers für Höhenmessungen. Das Nordlicht erklärte er als magnetische Erscheinung, außerdem beschrieb er die Passatwinde. Er vermutete, dass die Kometen regelmäßig auftreten und einer geschlossenen Ellipsenbahn um die Sonne folgen.9 Der Schwede Anders Celsius (gest. 1744) arbeitete an der Sternwarte von Uppsala und befasste sich mit dem Phänomen des Nordlichtes, aber auch mit der Bahn des Jupiter. Im Jahr 1742 schlug er vor, auf einen „Thermometer“ aus Quecksilber den Siedepunkt und den Gefrierpunkt des Wassers auf einer bestimmten Höhe über dem Meer als Eichpunkte zu wählen und den Abstand zwischen beiden Endpunkten in 100 Teilen anzugeben. Seither werden in den meisten Ländern in Europa die Temperaturen in Celsius-Graden gemessen. Zu dieser Zeit hatten auch Gabriel Fahrenheit (gest. 1736) und Rene de Reaumur (gest. 1757) ähnliche Temperaturskalen entwickelt. Alexis Clairault (gest. 1765) hatte die Abplattung der Erde durch die Fliehkraft am Äquator erklärt, außerdem sagte er die Ankunft des Halleyschen Kometen richtig voraus. Tobias Mayer (gest. 1762) befasste sich mit Studien über die

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Lichtausbreitung und den Gesetzen des Erdmagnetismus. Außerdem verbesserte er die Messungen der geographischen Längen. Er konnte die Eigenbewegung mehrerer Fixsterne beweisen.10 Auch Immanuel Kant hatte wichtige Impulse für die Naturforschung gesetzt. In seiner „Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ von 1755 entwickelte er eine umfassende Theorie des Kosmos. Dieser habe sich in Milliarden Jahren nach den Newtonschen Gesetzen entwickelt und sei jetzt in einer Durchgangsphase. Die Materie sei im ganzen Raum verteilt, aus den Wirbelbewegungen der Materie würden in Millionen von Jahren die großen Himmelskörper. Gott habe bei der Schöpfung die Materieteilchen mit der Gravitationskraft ausgestattet, auch in der Milchstraße der Gestirne, in den Fixsternen und in den Spiralnebeln wirke die Kraft der Gravitation. Diese Theorie des Kosmos wurde später von Pierre de Laplace (gest. 1827) erweitert, sie heißt seither die Kant-Laplacesche Nebularhypothese. Der Engländer William Herschel (gest. 1822) befasste sich zusammen mit seiner Schwester Lucretia Herschel (gest. 1848) mit Fragen der praktischen Astronomie. Mit einem Spiegelteleskop entdeckte er den Planeten Uranus. Er verfasste zwei Doppelsternkataloge, beschrieb die Polkappen des Mars und entdeckte zwei Saturnmonde und drei Monde des Uranus. Je nach Helligkeit und Veränderung schuf er mehrere Sternenkataloge, um die Struktur des Systems der Milchstraße besser zu erkunden (Construction of the Heavens).11 Giuseppe Piazzi (gest. 1826) verfasste große Kataloge mit 7.646 Sternen, denen er exotische und zum Teil arabische Namen gab, die heute noch verwendet werden. Pierre de Laplace führte Untersuchungen zur Wärmelehre und zur Ausdehnung des Wassers in Kapillargefäßen durch. Außerdem befasste er sich mit mathematischen Potentialtheorien und mit Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten. Er arbeitete an einer „Himmelsmechanik“, um die Orte jedes Sternes genau angeben zu können. Trotz der erkannten Veränderung der Umlaufzeiten von Jupiter und Saturn sei die Stabilität unseres Sonnensystems gewährleistet. In seinem Werk „Exposition du systeme du monde“ hat er seine Himmelsmechanik für ein breites Publikum dargelegt. Er fügte die Hypothese an, dass unser Sonnensystem aus Materienebeln entstanden sei, was I. Kant schon 40 Jahre früher vermutet hatte.12

Physik, Chemie und Biologie Auch die Erkenntnisfortschritte im Bereich der Physik, der Chemie und der Biologie haben die Lebenswelt der frühen Neuzeit tief verändert. Es waren vor allem Ärzte, die im 16. Jh. Heilkräuter sammelten und experimentelle Studien mit den Wirkungen von Pflanzen auf den menschlichen Organismus machten. So verfassten Otto Brunfels (gest. 1534), Hieronymus Bock (gest. 1554) und Leonhard Fuchs (gest. 1566) umfangreiche Kräuterbücher. Diese gelten bis heute als frühe Anreger einer wissenschaftlichen Botanik. Maler wie Hans Weinlitz malten die Pflanzen naturgetreu als Aquarelle, diese wurden dann in Handbüchern gedruckt. Darin wurden die Pflanzen in allen Teilen, Entwicklungen und Wirkungen dargestellt.13

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Der Arzt Georg Agricola (gest. 1555) arbeitete als Apotheker und befasste sich mit der Wirkung von Mineralien in der Medizin. Er beschrieb die verschiedenen Gesteinsarten im Erzgebirge und schrieb Bücher über den Bergbau (De re metallica, 1556) und die Verarbeitung der Steine. Damit wurde er zum Initiator der Metallurgie und der Montanistik. Andreas Vesalius (gest. 1564) arbeitete als Arzt und Anatom, er beschrieb die Zerlegung und Sezierung von Leichen und begründete die Wissenschaft der Anatomie (De humanis corporis fabrica, 1543). Der Engländer William Gilbert (gest. 1603) befasste sich mit Studien über den Magnetismus, denn die Kompassnadel war schon seit 1200 von China nach Europa gekommen. Der Arzt William Harvey (gest. 1657) erkannte die Wirkungsweise des menschlichen Herzens, der Arterien und der Venen. Um 1628 entdeckte er den menschlichen Blutkreislauf (Exercitio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus). Er vertrat bereits die Ansicht, dass sich alles tierische Leben aus einem Ei entwickeln müsse, was aber zu dieser Zeit noch lange nicht zu beweisen war.14 Robert Bayle (gest. 1691) gehörte zu den Gründern der Royal Society in London (1662). Er wiederholte die Vakuumexperimente des Otto Guericke und entwickelte einen Apparat zur Vakuum-Destillation. Dabei erkannte er die Gesetzmäßigkeiten zwischen dem vol.n und dem Druck einer geschlossenen Gasmenge. Von ihm stammt die Bezeichnung „Barometer“ für die gläsernen Instrumente zur Bestimmung des Luftdrucks. Das Anheben einer Flüssigkeitssäule wurde auf die Schwere der Luft zurückgeführt. Wichtig war ihm die Zerlegung und Untersuchung von Substanzen, die später chemische Analyse genannt wurde. So untersuchte er mit Feuer und Wasser verschiedene Säuren und Basen, aber auch das menschliche Blut. Er war mit dem griechischen Atomisten Demokritos der Überzeugung, dass die gesamte Natur aus kleinsten Teilchen und Korpuskeln aufgebaut sei, die durch Größe, Gestalt und Bewegung bestimmbar seien. R. Bayle vermied dabei den aristotelischen Begriff der Form, er sprach von „Verbindungen“ (textura et mixtura) von Stoffen.15 Im 17. Jh. wurden bereits einfache Mikroskope gebaut, nun konnte die Feinstruktur der Lebewesen und der Teilchen (Mikrokosmos) genau beobachtet und analysiert werden. Robert Hooke (gest. 1703) untersuchte das Licht und seine Zerlegung in die Spektralfarben. Er glaubte, dass jede Spektralfarbe eine eigene Wellenlänge habe. In seinem Werk „Micrographia“ (1665) beschrieb er die Strukturen von Pflanzen, Kristallen und Organismen; vor allem faszinierten ihn die Insekten. Er beschrieb die Mikrostruktur des Korks und sprach erstmalig von „Zellen“ und Zellwänden. Marcello Malphigi (gest. 1694) beschrieb die Anatomie von Pflanzen und Tieren. Er untersuchte die Feinstruktur der Lungen von Wirbeltieren und entdeckte darin Poren und Kapillargefäße. Anton von Leeuwenhock (gest. 1723) beschrieb bei der Untersuchung der Samenflüssigkeit von Fischen, von Amphibien, von Säugetieren und von Menschen erstmalig Samenzellen. Er hielt sie aber für vollständige „Keime“ (animalcula), denn die weibliche Eizelle der Menschen wurde erst 100 Jahre später entdeckt. Damit widerlegte er aber die Lehre des Aristoteles von der Urzeugung, denn er erkannte, dass Flöhe und Läuse nicht aus organischen Abfällen entstehen konnten.16

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Der Arzt Georg Ernst Stahl (gest. 1734) glaubte an die Synergie zwischen dem Körper und der Seele. In der Chemie unterschied er zwischen „Elementen“ und „Verbindungen“. Die Chemie beschrieb er als Wissenschaft, welche die zusammengesetzten Stoffe zerlegt und die einfachen Stoffe mit einander verbindet. Mit seiner Theorie wollte er die Verbrennung, die Verkalkung und die Reduktion der Metalle erklären. Er glaubte, dass die Stoffe durch Verbrennungsvorgänge sich veränderten, denn in jedem Stoff sei ein brennbares Wesen (phlogiston). Dieses sei ohne Gewicht, unzerstörbar und extrem fein. Es sei nur durch das Licht und Feuer oder durch Austreten von Gasen erkennbar. Der Amerikaner Benjamin Franklin (gest. 1790) hatte an der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika mitgewirkt und war deren Gesandter in Paris. Er war auch als Naturforscher tätig und experimentierte mit der Elektrizität, deren Entstehung er durch Reibung von Körpern erklärte (Experiments and Observations on Electricity, 1751). Fortan glaubte er, die Elektrizität bestehe aus kleinsten Teilchen, die alle körperlichen Stoffe durchdringen. Diese Materie nannte er elektrische „Ladung“, sie sammle sich an der Oberfläche eines Körpers und bilde um diesen eine elektrische „Atmosphäre“.17 B. Franklin nannte Körper mit einem Überschuss an elektrischer Materie positiv geladen, die Körper mit einem Defizit an elektrischer Materie seien negativ geladen. Er sah den Gewitterblitz bereits als elektrischen „Funken“, und versuchte, diesen mit einer Metallstange auf einem Turm einzufangen (1752). Damit wurde er zum Erfinder des Blitzableiters; er wurde Mitglied der Royal Society in London, obwohl die Mehrheit der Mitglieder in den Versuchen mit dem Blitz noch „teuflische“ Experimente sahen. Bald wurden solche Blitzableiter auf einem Leuchtturm in Südengland und auf dem Turm der Jacobikirche in Hamburg aufgebaut. Der Schwede Carl von Linne (gest. 1778) trug wesentlich zur Systematisierung aller bekannten Pflanzenarten und Tierarten bei (Systema naturae, 1735). Darin hatte er über 7.000 Pflanzenarten und fast 6.000 Tierarten dargestellt und nach Klassen geordnet. Er beschrieb die Arten und Gattungen und ihre spezifischen Unterschiede (differentia specifica) und stellte für alle Arten und Gattungen besondere Merkmale zusammen. In der Klassifikation folgte er den Prinzipien der Aristotelischen Logik.18 Mit geologischen Untersuchungen befasste sich James Hutton (gest. 1797), der die Bodenbeschaffenheit von Schottland untersuchte. Er war dort Mitbegründer der Royal Society of Edinburgh (1783) und dehnte seine geologischen Forschungen später auf England und Nordfrankreich aus. In seinem Werk „Theory of Earth“ stellte er seine Forschungen vor. Dabei untersuchte er Minerale und Sedimente, verfestigte Gesteinsschichten, die Erdwärme und die Vulkane. Er glaubte, dass sich die Kontinente ohne die Vulkane zu stark heben würden, weil der Druck zu groß sei. Durch Vulkanausbrüche würde aber der Druck regelmäßig vermindert. Die Erdoberfläche werde durch Verwitterung und Erosion abgetragen, die Wolkenbildung über den Meeren erfolge durch den Wechsel der Temperaturen. In dieser Zeit haben mehrere Forscher die Zusammensetzung und Chemie der Gase erforscht. So entdeckte Joseph Black (gest. 1799) das Kohlendioxyd, das er „fixierte“ Luft nannte. Und Henry Cavendish (gest. 1810) entdeckte das Wasserstoffgas, das er als „künstliche“ Luft deutete.

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Daniel Rutherford entdeckte das Stickstoffgas, das er „mephistische“ Luft nannte. Carl Scheele (gest. 1786) stieß auf die „Feuerluft“, die später Sauerstoff genannt wurde. Das Stickstoffgas wurde als „verdorbene“ Luft gedeutet.19 Joseph Priestley (gest. 1804) war an der Entdeckung von sieben verschiedenen Gasen beteiligt, nämlich an Sauerstoff, Stickoxyd, Chlorwasserstoff, Ammoniak, Schwefeldioxyd, Fluorsilicium und Kohlenmonoxyd. Zu dieser Zeit wurde die Zusammensetzung von Salpetersäure aus Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff erkannt. Antoine de Lavoisier (gest. 1794) befasste sich mit der Verbesserung des Schießpulvers und machte Experimente in der Gaschemie. Durch Verbrennung von Schwefel und Phosphor entwickelte er die Theorie der Oxydation. Er konnte zeigen, dass auch Diamanten verbrennen und die entstandenen Gase in einer Kalklauge absorbiert werden können. Gleichzeitig erkannte er, dass wir Menschen bei der Atmung ständig Sauerstoff zu „fixierter Luft“ (Kohlendioxyd) umwandeln. Es gelang ihm das Experiment, aus Wasserstoff und Sauerstoff Wasser herzustellen. Damit war die chemische Zusammensetzung des Wassers gefunden. Seine Forschungen fasste er in dem Werk „Traite elementaire de Chimie“ (1789) zusammen, das in viele Sprachen übersetzt wurde. Er trug damit wesentlich zur Definition der Elemente, der Säuren und Basen sowie der Salze bei (Methode de nomenclature chimique, 1787).20

Theorien der Mathematik Die Entwicklung der Mathematik soll nur kurz skizziert werden, aber sie hat wesentlich zur Entfaltung des naturwissenschaftlichen Weltbildes beigetragen. Im 16. Jh. wurde an der Lösung von quadratischen und kubischen Gleichungen gearbeitet. Der Rechenmeister Niccolo Tartaglia (gest. 1557) hatte bereits 30 kubische Gleichungen vorgelegt, an deren Lösungen Girolamo Cardano und Scipione del Ferro mitarbeiteten. Es ging dabei um Gleichungen dritten Grades und um Arbeiten über das Glücksspiel. Marine Marsenne (gest. 1648) befasste sich mit dem freien Fall der Körper und der Berechnung der Pendelbewegung. Er entwickelte die Reihe der Primzahlen und erforschte die Bahnen der Zykloide. Pierre de Fermat (gest. 1665) entwickelte die Grundzüge der analytischen Geometrie weiter (Ad locos planos et solidos isagoge), dabei bezeichnete er die Größen der Algebra mit Buchstaben. Als körperliche Orte galten die Parabel, die Hyperbel und die Ellipse. Er glaubte, dass sich das Licht auf dem Weg des geringsten Widerstandes ausbreite (Fermatsches Prinzip). Sodann befasste er sich mit Ansätzen zu Differentialgleichungen, zu Integralrechnungen und zu Wahrscheinlichkeitsberechnungen. In seiner Arithmetik bezog er sich auf den antiken Mathematiker Diophantes aus Alexandria.21 Der Physiker Isaac Newton hatte auch wichtige Beiträge zur Mathematik geleistet, so vervollständigte er die Differentialrechnungen und die Integralrechnungen. Auch für die Infinitesimalrechnung gab er wichtige Impulse. Der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz hatte in London eine Rechenmaschine vorgestellt, die Additionen und Subtraktionen, aber auch Multiplikationen und Divisionen ausführen konnte. Seine Infinitesimalrechnung wurde unter dem Namen Calculus bekannt, er führte

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die Zeichen für Integral und Differential in die Mathematik ein. Außerdem befasste er sich mit den Lichtbrechungsgesetzen in der Optik und entwarf eine Zahlenreihe (Leibnizreihe) mit Konvergenzkriterien. Er schuf Indizes, die Schreibweise der Determinanten, den Multiplikationspunkt und die Potenzschreibweise für variable Exponenten.22 Wichtige Impulse der Mathematik kamen von der italienischen Bernoulli-Familie, deren Söhne und Nachfahren über 150 Jahre bedeutende Lehrer dieser Disziplin waren. Jakob Bernoulli (gest. 1705) berechnete die Kettenlinien, die später für den Bau von Hängebrücken und von Hochspannungsleitungen genutzt wurden. Johann Bernoulli verfasste ein Lehrbuch der Differentialrechnung und befasste sich mit unendlichen Reihen, mit den Nichtkonvergenzen harmonischer Reihen, mit Fragen der Wahrscheinlichkeitstheorie, mit Zahlenreihen (Bernoullische Zahlen) und mit Variationsrechnungen. Daniel Bernoulli verfasste Werke über Hydrodynamik und die Grundlagen der kinetischen Gastheorie, mit Fragen des Magnetismus, mit Berechnungen von Wahrscheinlichkeiten und mit Problemen der Elektrizität.23 In St. Petersburg und in Berlin wirkte Leonhard Euler (gest. 1783), der einflussreiche Lehrbücher der Mathematik veröffentlichte (Methodus inveniendi lineas curvas maximi minimive propreitate gerundentes, 1744). Von ihm stammen Schriften über Differential- und Integralrechnungen, er erklärte den Begriff der mathematischen Funktion und führte Zeichen für die Kreiszahl pi ein. Dieser Mathematiker beriet den König Friedrich II. von Preußen in Fragen der Kriegstechnik (Ballistik), der Navigation, der Finanzverwaltung, der Wasserversorgung und des Lotteriespieles. In deutscher Sprache verfasste er ein Lehrbuch „Vollständige Anleitung zur Algebra“ (1770). Etwas später veröffentlichte er seine „Dioptrik“, worin er neue Zahlenreihen aufstellte. Mit seinen vielfältigen Arbeiten wurde er zum Anreger der Hydrodynamik und der Theorie des Kreisels.24 Gewichtige Arbeiten zur Theoretischen Mechanik stammen von Jean d´Alambert. Mit seiner Abhandlung „Traite de dynamique“ versuchte er, die Mechanik auf der Basis der Newtonschen Prinzipien zu formalisieren. Außerdem formulierte er drei Bewegungsgesetze und schrieb über das Gleichgewicht und die Bewegungen von Flüssigkeiten (Traite de l´equilibre et du mouvement des fluides). Bei der Erklärung der allgemeinen Ursache des Windes griff er auf partielle Differentialgleichungen zurück, um physikalische Vorgänge modellhaft darstellen zu können. In seiner Theorie der schwingenden Saite benutzte er erstmalig eine Wellengleichung. Zu seinen Studien über die Himmelsmechanik, über die Kreiselbewegung der Equinoxen und die Mutation der Pole kamen Untersuchungen über das Sonnensystem. In einer Arbeit über Strömungsmechanik formulierte er das hydrodynamische Paradoxon. Außerdem schrieb er die Einleitung zur 17-bändigen „Encyclopedie“, die Denis Diderot herausgab. Er suchte in der Mathematik die Einfachheit der Strukturen und die praktische Anwendbarkeit. Das Differential sah er als Grenzwert einer Funktion, die Zeit wollte er sich als vierte Dimension vorstellen.25 Der in Turin geborene Joseph Louis Lagrange (gest. 1813) war zuerst an einer Artillerieschule tätig. Dabei befasste er sich mit Berechnungen von Wahrschein-

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lichkeiten und von Variationen, mit den Gesetzen der Trägheit und der kinetischen Energie. Später berechnete er die Ausbreitung des Schalls einer schwingenden Saite. Die Integration von Differentialgleichungen wollte er in der Strömungsmechanik anwenden. Sodann befasste er sich mit der Berechnung der Bahnen der Jupitermonde, mit der Stabilität des Sonnensystems, mit Fragen der Astronomie, der Mechanik, der Dynamik von Strömungen, mit Fragen der Wahrscheinlichkeitstheorie und mit analytischen Verfahren. Außerdem legte er eine Zahlentheorie vor und zeigte, warum Gleichungen bis zum vierten Grad durch Wurzeln gelöst werden können. Ab 1790 war Lagrange in Paris an der Standardisierung der Gewichts- und Längenmaße beteiligt. Dort wurde unser heutiges metrisches System mit den Dezimalzahlen eingeführt. Während der Revolution (1793) wurde die Academie Francaise geschlossen, ein Jahr später wurde sie in neuer Form aber wieder eröffnet.26 An der Militärschule von Meziers unterrichtete Gaspard Monge (gest. 1818), der sich mit Studien zur Ballistik und mit Befestigungstechnik befasste. Er entwickelte eine Theorie der Flächen und der Schraubkurven und rechnete mit partiellen Differentialgleichungen. Außerdem beschäftigte er sich mit Fragen der Meteorologie, mit der Zusammensetzung von Eisen und Stahl, mit der Standardisierung der Gewichtsund Längenmaße. Seine weiteren Arbeiten galten der darstellenden Geometrie, er gilt als Anreger der Differentialgeometrie. Auch Pierre Laplace (gest. 1827) hatte Beiträge zur Weiterentwicklung der Mathematik geliefert. So berechnete er mittels der Wahrscheinlichkeitsrechnungen das Ansteigen der Bevölkerung in Frankreich. In der Militärakademie war Napoleon Bonaparte sein Schüler. Später verfasste er eine Beschreibung des Sonnensystems und analysierte das Gravitationsfeld einer Kugeloberfläche. Sein primäres Interesse galt den technischen Anwendungen von mathematischen Berechnungen.27 An einer Militärakademie unterrichtete auch Andrien Legendre (gest. 1833), der die Flugbahnen von Projektilen unter Luftwiderstand berechnete. Er erforschte die Gravitation bei Ellipsoiden und befasste sich mit der Himmelsmechanik und mit verschiedenen Theorien der Zahlen. Er formulierte die Theorie der elliptischen Integrale, die bei der Längenbestimmung von Ellipsenbögen auftreten. Auch war er an der Vermessung der Erde durch Zerlegung der Flächen in Dreiecke (Triangulierung) beteiligt. Gleichzeitig verfasste er Studien über Dreiecke auf einer Kugel und ein Grundwerke über Geometrie (Elements de geometrie). Er arbeitete an Logarithmentabellen und an Trigonometrischen Tabellen, um einen Kataster für die Landvermessung zu erstellen. Außerdem veröffentlichte er als erster das quadratische Reziprozitätsgesetz, auch wenn dafür C.F. Gauß die entscheidenden Vorarbeiten geleistet hatte. Durch seine Studien wurde in ganz Europa die Geometrie von Euklid langsam abgelöst und ersetzt.28

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Medizinische Forschungen Auch die medizinische Wissenschaft hat sich in der frühen Neuzeit in vielen Bereichen durch empirische Forschung weiter entwickelt. Im 16. Jh. befasste sich Girolamo Fra Castoro (gest. 1553) mit einer Geschlechtskrankheit, die zuerst in Neapel auftrat, aber sich dann in ganz Europa ausbreitete. Sie wurde von den Seefahrern wohl aus Amerika eingeführt. In Frankreich wurde sie „Neapelkrankheit“ (Mal de Naples) genannt, die Deutschen nannten sie „Franzosenkrankheit“ (Morbus gallicus). Der Veroneser Arzt G. Castoro hat sie „Syphilis“ genannt, er hatte in Padua Medizin und Astronomie studiert. Er war überzeugt, dass viele Krankheiten durch „Samen“ hervorgerufen und dann weitergegeben werden. Die Übertragung dieser Samen erfolge durch die Sympathie und Antipathie (De sympathia et antipathia rerum liber unus, 1546). Die Übertragung einer Krankheit erfolge durch einen „Zündstoff “, der über die Kleider, die Luft oder durch Gegenstände weiter gegeben werde. Durch Fäulnisprozesse im menschlichen Körper würden Giftstoffe erzeugt, die dann als Samen über die Luft weiter gegeben werden. G. Castoro schrieb ein Lehrgedicht über den griechischen Hirten Syphilos, der sich mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatte (Syphilidis sive morbi gallici libri tres, 1530). Diese Krankheit sollte mit Gujakholz und mit Quecksilber behandelt werden.29 In Basel wirkte der Stadtarzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim (Paracelsus, gest. 1541), er hielt bereits medizinische Vorlesungen in deutscher Sprache. Er lehnte die alten Arzneibücher der scholastischen Medizin ab und verbrannte sie öffentlich. Danach musste er aus der Stadt fliehen und war fortan als Wanderarzt in mehreren Städten tätig. In Ulm schrieb er sein Buch „Große Wundarzney“ (1536). Darin sah er die Krankheit als geistigen Prozess und lehnte daher den Aderlass ab. Da er in neuplatonischer Tradition dachte, glaubte er an magische und astrologische Kräfte der Heilung. Die Todesstrafe und den Krieg lehnte er strikt ab. Da er die Kleriker und den Papst kritisierte, kamen seine Bücher auf den Index der verbotenen Bücher.30 Der Wundarzt Ambroise Pare (gest. 1590) musste im Krieg verletzte Soldaten versorgen und Gliedmaßen amputieren. Die schwersten Verletzungen wurden zu seiner Zeit durch Feuerwaffen hervorgerufen. Bereits in Paris hatte er Schweinekadaver und menschliche Leichen seziert, dabei erkannte er die genaue Lage der inneren Organe. Bisher wurden Schusswunden mit kochendem Holunderöl behandelt, doch Pare verwendete eine Mischung aus Eigelb, Rosenöl und Terpentin. Seine Arznei war beim Heilungsprozess erfolgreicher. Später verwendete er noch Lilienöl, gekochte Regenwürmer und Hundeföten. Bei den Amputationen von Gliedmaßen verband er die Arterien und verzichtete auf das Brenneisen. Er baute bereits Beinprothesen aus Holz und füllte Zahnlücken mit Elfenbein, auch öffnete er bereits die menschliche Schädeldecke durch Trepanation. Der Belgier Andreas Vesalius (gest. 1564) war Wundarzt in Wesel am Rhein, er durfte mit Erlaubnis des Stadtrates auch weibliche Leichen öffnen, was bisher von den Klerikern verboten war. Nun konnte er das Innere des menschlichen Körpers

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umfassend studieren und verfasste ein Werk „De humani corporis fabrica“, das rasche Verbreitung fand. In der Folgezeit konnten sich die Ärzte über die Anatomie des menschlichen Körpers informieren. Ein Zentrum der Chirurgie war zu dieser Zeit die Universität in Montpellier. Die Bischöfe hatten auf ihrem vierten Laterankonzil (1215) den Klerikern die Chirurgie und die Sektion von Leichen verboten, dadurch waren fortan Laienchristen als Ärzte tätig und entfalteten die Chirurgie weiter.31 In Padua und in Leiden gab es bereits im 16. Jh. anatomische Lehrsäle und Theatersäle, in denen die menschliche Anatomie vorgeführt wurde. A. Vesalius fand im Werk von Galenus an die 200 Fehler, die er bei Sektionen von Affen erkannt hatte. Er hatte den toten Tieren und menschlichen Leichen die Haut abgezogen, so konnte er die Knochen und die Muskeln genau studieren. Diese Erkenntnisse wurden von seinen Schülern Gabriele de Falloppio und Fabrizio Aquapendente weiter geführt. In Padua wurde 1594 ein großes „anatomisches Theater“ gebaut, wo viele Ärzte aus ganz Europa ausgebildet wurden.32 Der Engländer William Harvey (gest. 1657) studierte Anatomie und Medizin in Cambridge und Padua, dann arbeitete er als Stadtarzt in London. Durch die Sektion von lebenden Tieren erkannte er, dass das Blut von der Vena cava zum Herzen und von dort wieder in die Aorta gepumpt wird. Nun errechnete er die Blutmenge, die das Herz in einer bestimmten Zeit pumpen konnte. Dabei erkannte er, dass unser Blut im Körper nicht von der Leber verteilt wird, wie bisher angenommen wurde, sondern dass die Verteilung durch das Herz erfolgt. Damit hatte er den Blutkreislauf der Tiere und der Menschen entdeckt. Im Jahr 1628 veröffentlichte er diese Erkenntnis in seinem Werk „Exercitio de motu cordis et sanguinis in animalibus“. Mit dieser Erkenntnis legte er den Grundstein für die moderne Physiologie des menschlichen Körpers. Der Westfale Johann Vesling (gest. 1649) lehrte Anatomie an der Universität von Padua und hat die Studien von A. Vesalius weitergeführt.33 Mit Robert Boyle in Verbindung stand der englische Wundarzt Thomas Sydenham (gest. 1689), der sich nicht mehr auf alte Medizinbücher, sondern auf Beobachtung und Experimente verlassen wollte. Während einer Pestepidemie in London (1665) floh er auf das Land, um zu überleben. Seinem Sekretär John Locke diktierte er seine neuen medizinischen Erkenntnisse in englischer Sprache, die dann ins Lateinische übersetzt wurden (Observationes medicinae). Darin beschrieb er das Fieber als Abwehr des Organismus gegen Krankheiten; mit dem Fieber verband er Frösteln und Hitzewallungen, Hautrötung und Ausschläge, höheren Puls und belegte Zunge. Er unterschied zwischen dem akuten Fieber und den epidemischen Krankheiten. Zu dieser Zeit beschrieb er bereits die Lungenschwindsucht, die Hysterie, die Gichterkrankung, Pocken, Scharlach und Masern. Auch den Veitstanz beschrieb er, der nach ihm Chorea minor Sydenham genannt wurde. Dabei verwendete er die Arzneien zur Selbstheilung des Körpers, bei Malaria setzte er bereits Chinin ein.34 Einem mechanistischen Menschenbild folgte Friedrich Hofmann (gest. 1742), der in Halle wirkte. Er verglich den menschlichen Körper mit einer Maschine, die er optimieren wollte. Wie R. Descartes sah er Gesundheit und Krankheit allein von physikalischen Strukturen und von mechanischen Funktionen des Organismus abhängig.

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Wie bereits sein Vater so wollte auch er die „Maschine“ Mensch nach physikalischen Gesetzen erklären. Daher sah er das Leben als Spannung und Entspannung von Körperfasern an, die Verdauung deutete er als Zerreibung und Kochen von Speisen im menschlichen Körper. Dieser bestehe aus vielen Röhrensystemen, die bei Krankheit gestört seien. Dann sollten chemische Mittel helfen, die Röhren zu reinigen. Er selber nannte sich einen „Vater der Chemie“.35 Der Holländer Hermann Boerhaave (gest. 1738) befasste sich mit den Exkrementen kranker Menschen, um Symptome und Ursachen von Krankheiten erkennen zu können. In Leiden unterrichtete er Botanik und empirische Medizin, später auch Chemie. Die erste weibliche Ärztin an einer deutschen Universität war Dorothea Christiane Erxleben (gest. 1762), die nur mit Zustimmung des Königs Friedrich II. von Preußen zur Doktorin der Medizin promovieren durfte. Sie arbeitete als Ärztin in Quedlingburg, ihre Dissertation liegt nur in lateinischer Sprache vor. Der englische Arzt Edward Jenner (gest. 1823) begann seine Ausbildung mit der Anatomie und Sektion von Tieren. Später richtete er ein Museum für Anatomie und Pathologie ein und war als Wundarzt tätig. Bei Sektionen hatte er gesehen, wie sich bei an Angina Pectoris Erkrankten die Kranzadern rund um das Herz verhärtet hatten. Außerdem befasste er sich mit der Bekämpfung der Pocken. Die Bauern hatten bereits im 17. Jh. herausgefunden, dass Verletzungen der Haut durch eine Pockenkruste einen milderen Verlauf der Pockenerkrankung zur Folge hatten. Auch aus dem Osmanischen Reich war 1717 von Mary Montagu berichtet worden, dass sich dort Frauen die Venen einritzten und mit Nadeln Pockenpusteln einbrachten. Diese Erkenntnis war der Anfang der systematischen Pockenimpfungen, die in England bald an Strafgefangenen durchgeführt wurden. Die Bauern in England erzählten, dass sie durch Infektion mit den Kuhpocken, deren Verlauf milde war, der Erkrankung an Menschenpocken entgingen. Als E. Jenner dies hörte, begann er, Menschen mit Pockenpusteln erkrankter Kühe zu infizieren. Später tat er dies mit Pusteln von Menschen, die an Pocken erkrankt waren. Für diese ersten „Impfungen“ verwendete er auch Pusteln von Schweinepocken, diese Verfahren nannte er „Vaccination“ (lat. vacca=die Kuh). So basierten die medizinischen Impfungen auf alten Erkenntnissen der Bauern. Die neue Impfmethode hatte E. Jenner 1798 publiziert, sie fand unter Medizinern schnelle Verbreitung.36

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Das 18. Jh. wurde stark durch die kulturellen und politischen Lernprozesse der rationalen Aufklärung geprägt, die in den verschiedenen Regionen Europas in unterschiedlicher Geschwindigkeit möglich wurden. Die Gebildeten und die Wissenschaftler waren mit einander in Verbindung, doch die gesellschaftlichen und die politischen Strukturen der einzelnen Länder differierten stark. Durch die Impulse der kritischen Philosophie und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften hatte der Glaube an die positiven Fähigkeiten der menschlichen Vernunft deutlich zugenommen. Die feudalen Herrschaftsformen des Adels und der höheren Kleriker wurden in den Städten durch ein entstehendes Bürgertum zunehmend in Frage gestellt. Philosophen und Juristen brachten neue Modelle des politischen Zusammenlebens in Staat und Gesellschaft in die öffentliche Diskussion. Bald bildeten sich mehrere Geheimgesellschaften, in denen die moralischen und rechtlichen Lernprozesse erfolgreich vorangebracht wurden. Schließlich gelang es in vielen Ländern, die neuen Ideen, politischen Konzepte und moralischen Wertungen in reale Politik umzusetzen.

Ringen um Toleranz In England hatte John Locke einen „Brief über Toleranz“ ein Jahr nach der „Glorreichen Revolution“ verfasst. Es war die Zeit nach einem längeren Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Parlaments und den Anhängern des Königs. Er hatte darin gezeigt, dass der Aberglaube, die falschen Vorurteile und die Unwissenheit durch die Entfaltung der kritischen Vernunft verringert werden können. Vorausgesetzt sei die Freiheit des Denkens für jeden Bürger und eine gewisse Autonomie in den Entscheidungen. Das Handeln der Einzelnen sollte sich an den Regeln der kritischen Vernunft und am allgemeinen Nutzen orientieren, dadurch sei im Staat ein größeres Glück aller Bürger möglich. Zum vernünftigen Zusammenleben gehöre die Toleranz von fremden Überzeugungen und Wertungen, solange durch diese nicht das Allgemeinwohl gefährdet werde. In Frankreich hatte 100 Jahre später Francois Voltaire diese Gedanken und Forderungen verbreitet. Viele Bürger, aber auch Adelige und höhere Kleriker fanden diese Konzeptionen durchaus überzeugend. Nicht wenige versuchten, sie im politischen Handeln zu verwirklichen.1

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Zu dieser Zeit hatten auch viele Schriftsteller und Literaten das neue Weltbild der Naturwissenschaften verbreitet, die alten Weltdeutungen sollten damit verabschiedet werden. In Frankreich hatten J. d´ Alambert und L. Leclerc zur Verbreitung der wissenschaftlichen Weltdeutung beigetragen, die viele Lehren der Theologen und Kleriker als völlig unplausibel erscheinen ließ. Viele Denker dieser Zeit wollten den Glauben an einen persönlichen Gott (Theismus) durch einen Glauben an unpersönliche göttliche Kräfte (Deismus) ersetzen. Andere sahen das Göttliche im gesamten Kosmosprozess (Pantheismus). Atheisten wollten die Welt ganz ohne Gottesglauben und ohne die Annahme metaphysischer Wesen deuten. Sie erkannten, dass Religion für die Begründung des moralischen Handelns gar nicht notwendig sei. Denn die Moral des menschlichen Zusammenlebens lasse sich allein durch die Prinzipien der kritischen Vernunft begründen. Daher verbreitete sich die Überzeugung, dass nur eine vernünftige und natürliche Religion für die Menschen einen Nutzen habe. Viele der bisherigen Lehren der Theologen und Kleriker sollten dringlich verabschiedet werden.2 In Frankreich hatte Charles Luis de Montesquieu für eine republikanische bzw. für eine gemäßigte monarchische Staatsform plädiert, denn sie schütze am besten die Freiheiten der Bürger und behalte das Allgemeinwohl im Auge. Er war überzeugt, dass die staatlichen Gesetze von einem „Geist“ (esprit) getragen sein sollten, der die natürlichen Bedürfnisse und Gegebenheiten der Bürger im Auge haben müsse. Denn aus den Einsichten der kritischen Vernunft und aus der Natur der Menschen seien sehr wohl vernünftige Gesetze abzuleiten. Die Gewalten im Staat müssten klar getrennt werden, um der Bestechung der Amtsträger vorzubeugen. Die Politik müsse klar von der Religion getrennt werden, denn im Staat gehe es um ein gutes und vernünftiges Zusammenleben der Menschen. Die Despoten und Gewaltherrscher bedrückten die natürlichen Freiheiten der Menschen und störten den Frieden. Auch F. Voltaire hatte diese Ideen in Frankreich verbreitet, auch er wollte die Unwissenheit und den Aberglauben vermindern. Denn er glaubte, dass auf lange Sicht ein aufgeklärtes Weltbürgertum möglich sein könnte.3 Auch wenn J.J. Rousseau den Optimismus der Aufklärung nicht teilte, so haben seine Denkkonzepte nachhaltig in der französischen und europäischen Politik gewirkt. Er lehnte die Lehre von der „Erbsünde“ der Kleriker und Theologen strikt ab, sie sei eine Beleidigung der menschlichen Natur. In jedem Menschen seien die Fähigkeiten der Eigenliebe und der Fremdliebe, durch vernünftige Erziehung müssten die positiven Fähigkeiten der Jugendlichen entfaltet werden. Die alten Ehegesetze müssten überwunden werden, denn jeder Mensch habe ein natürliches Recht, den Liebespartner frei zu wählen. Im Sozialkontrakt hätten sich die Menschen gegenseitig den Schutz des Lebens zugesagt. Im Staat folgten die Bürger einem allgemeinen Willen. Dieser könne entweder durch direkte Demokratie oder durch repräsentative Demokratie ermittelt werden. Im demokratischen Staat habe jeder Mensch das Recht und die Pflicht zu nützlicher Arbeit.4 J.A. de Condorcet war überzeugt, dass durch die Entfaltung der freien, praktischen und kritischen Vernunft die menschliche Gesellschaft in ihrer Entwicklung

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fortschreite und dass sie Staatsformen entwickeln werde, die ein großes Maß an Lebensglück für alle Bürger möglich machen. Die allgemeinen „Menschenrechte“ seien die Grundlage für jede legitime Verfassung. Es gehe dabei um das Recht der persönlichen Freiheit, um die Gleichheit aller vor dem Gesetz, um den Schutz des Lebens und des Eigentums, um das Recht des Widerstandes gegen Gewaltherrscher. Auch Abbe E. de Sieyes sah in den allgemeinen Menschenrechten die Grundlage für jede vernünftige Rechtsordnung, die Privilegien des Adels und des höheren Klerus müssten ab sofort beendet werden. Zu dieser Zeit begann die Diskussion, ob das Privateigentum an Gütern zu den allgemeinen Menschenrechten gehöre oder nicht. Es waren in der Folgezeit nun einige gut organisierte Geheimgesellschaften, die diese Denkmodelle in politisches Handeln umzusetzen versuchten.5

Wirken der Geheimgesellschaften In der frühen Neuzeit wurden mehrere Geheimgesellschaften gegründet, die das Ziel verfolgten, alternative Weltdeutungen oder Lebensformen zu verwirklichen. Sie unterschieden sich deutlich von den Lehren der Kleriker und Theologen und mussten sich deswegen vor der Inquisition schützen. Dieser Schutz war nur in geheimen Gesellschaften möglich. Einige dieser Gesellschaften verbanden altes mythisches Gedankengut mit den neuen Erkenntnissen der Wissenschaften. In der Zeit der Aufklärung haben mehrere Vereinigungen versucht, die neuen philosophischen Ideen in politisches Handeln umzusetzen. Damit haben sie in ganz Europa aber entscheidend zur Verwirklichung der Demokratie, des Rechtsstaates und der allgemeinen Menschenrechte beigetragen. Denn im 18. Jh. waren viele Mitglieder der königlichen und fürstlichen Räte, welche die reale Politik der einzelnen Staaten bestimmten, auch Mitglieder bei diesen Geheimgesellschaften.6 Eine frühe Geheimgesellschaft bildeten die Rosenkreuzer, die vom lutherischen Theologen Johann Valentin Andrae (gest. 1654) initiiert wurden. Er verfasste ein Buch „Fama fraternitatis oder Brüderschaft des Hochlöblichen Ordens des RosenCreuzes“, mit einem eigenen Glaubensbekenntnis (Confessio Fraternitatis). Diese Gemeinschaft von Männern wollte geheimes Wissen mit archaischen Symbolen verbinden. Gleichzeitig wollte sie sozial tätig werden. Es wurde erzählt, dass Christian Rosencreutz im 15. Jh. diese Bruderschaft bereits gegründet habe. Er sei ein Träger höherer Erkenntnis gewesen, die er aus dem Orient (Islam) geholt habe. Dieser Gründer mahnte die Mitglieder zur regelmäßigen Bibellesung, zur Erneuerung der protestantischen Kirche und zur mystischen Vertiefung des Glaubens (Chymnische Hochzeit). Die Klerikerkirche des Papstes wurde hart kritisiert. Im 17. Jh. schlossen sich protestantische Theologen in Tübingen um Christoph Besold mit Juristen und Medizinern zusammen, sie brachten auch Ideen des Arztes Paracelsus in die Bruderschaft ein. Ein Buch von Simon Studion „Naometria“ verband metaphysische Spekulationen mit theosophischen Lehren; darin wird von einer Geheimgesellschaft „Militia crucifera Evangelica“ berichtet. Außerdem wird erzählt, dass der Leichnam des Gründers Christian Rosencreutz unverwest gefunden worden sei.7

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Im 17. Jh. verzweigten sich die Rosenkreuzer in mehrere Richtungen. Einige Gruppen betrieben Alchemie (z.B. Nürnberg). In einer dieser Gruppen war auch G.W. Leibniz Mitglied geworden. Andere verbanden esoterisches und mystisches Wissen mit Einsichten der rationalen Aufklärung, sie strebten vor allem nach neuen Formen der Erziehung. Nicht wenige versuchten eine „Generalreformation“, um das verlorene „Wissen Adams“ wiederzufinden. Sie wollten ihre ganze Gesellschaft verändern und diese wieder mit den göttlichen Wurzeln verbinden. Aus solchen utopischen Motiven dürfte in London 1662 die „Royal Society“ gegründet worden sein, denn dort sollten alle Erkenntnisse der neuen Wissenschaft offen und frei diskutiert werden. Im 18. Jh. bildeten sich mehrere Zentren der Rosenkreuzer (Orden der Gold- und Rosencreuzer) in Schlesien, in Prag und in Wien. Sie entwickelten ein eigenes Lehrsystem mit neun Einweihungsstufen und mit strengen moralischen Lebensformen. Beziehungen zu den Rosenkreuzern in Berlin hatten König Friedrich Wilhelm II. und sein Minister Christoph Wöllner. Damit gewannen die Ideen und Zielwerte der Rosenkreuzer auch Einfluss auf politische Entscheidungen. Doch in der neuen Bewegung der „Illuminaten“ erwuchsen ihnen harte Konkurrenten und Gegner.8 Den wichtigsten und einflussreichsten Geheimbund im 18. Jh. bildeten die „Freimaurer“, die im Jahr 1717 in London gegründet wurden. Sie bezogen sich als Tarnung auf mittelalterliche Baugesellschaften, aber inhaltlich folgten sie den neuen Erkenntnissen der Naturwissenschaften und den Lehren der kritischen Philosophie der Aufklärung. Von London aus wurden bald neue „Logen“ in anderen Städten Englands, Schottlands, Frankreichs und Deutschlands gegründet; etwa in Hamburg, Paris, Lissabon, Dresden, Wien, Berlin, Stockholm, Edinburgh. Diese Bünde von gebildeten Männern verbanden alte Riten mit humanistischen Moralwerten und mit den Zielen der rationalen Aufklärung; Frauen waren allerdings nicht zugelassen. Es ging um eine Alternative zur christlichen Weltdeutung der Kleriker und Theologen und zu den christlichen Kirchen. Gesucht wurde eine humane Lebensform verbunden mit einer vernünftigen und natürlichen Religion. Hier wurden viele Ideen der englischen „Freidenker“ aufgegriffen und in politisches Handeln umgesetzt. Denn im 18. Jh. waren viele Politiker und Juristen, Philosophen und Theologen, Adelige und höhere Kleriker, Dichter und Musiker Mitglieder dieser Geheimgesellschaft. Es waren die geistigen Eliten Europas und Nordamerikas, z.B. F. Voltaire, Ch.L. de Montesquieu, G. Washington, E. Burke, M.J. LaFayette. J.W. von Goethe, G. Herder, G.E. Lessing, W.A. Mozart, J. Haydn. Auch König Friedrich II. und Kaiser Joseph II. standen den Freimauern sehr nahe.9 In den Anfängen waren auch Theologen und Bischöfe Mitglieder der Freimaurer, weil sie deren Ziele und Ideen mit Überzeugung unterstützten. Doch bereits im Jahr 1738 hatte der Papst Clemens XII. die Mitgliedschaft für Katholiken verboten, weil er um seinen Kirchenstaat fürchtete. Viele Kleriker und Adelige blieben aber weiterhin geheime Mitglieder. Sie konnten nicht aufgedeckt werden, weil es strikte Schweigegebote gab. Der Papst und die römische Kurie hatten erkannt, dass die egalitären und demokratischen Ideen die hierarchische Struktur der Kirche zerstören würden. In allen größeren Städten gab es im 18. Jh. Logen von Freimaurern, ihre

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Mitglieder waren in der Politik, an den Universitäten, in der Justiz, in der Verwaltung und an den Gymnasien tätig. Sie haben versucht, die Zielwerte der Aufklärung, die allgemeinen Menschenrechte, die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die Regeln der Demokratie und des Rechtsstaates in kleinen Schritten in die reale Politik der Staaten und Königreiche umzusetzen. Dadurch wurden politische Reformen in der Rechtsprechung, die Beendigung der Folter, der Inquisition und der Hexenprozesse überhaupt möglich. An diesen rechtlichen, politischen und kulturellen Lernprozessen und Schritten der Zivilisation hatten die Freimaurer in ganz Europa und in Nordamerika einen entscheidenden Anteil.10 So wie im Mittelalter die Bruderschaften der Steinmetze und der Dombaumeister ihr geheimes Wissen der Baukunst weitergegeben haben, so wollten auch die Freimaurer ihre Riten und Regeln nicht öffentlich bekannt machen. Dadurch entstanden unter ihren Gegnern viele Ängste vor einer geplanten „Verschwörung“. Es wurde ihnen unterstellt, dass sie die bestehende Ordnung der Gesellschaft mit Gewalt umstürzen wollten. Die Royalisten und die Papisten machten für die Französische Revolution sofort die Freimaurer verantwortlich, die dabei gewiss einen Anteil hatten. Vor allem bei der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika haben Freimaurer nachhaltig mitgewirkt, vor allem bei der Erklärung der Unabhängigkeit von England und bei der Ausarbeitung der Verfassung. Sie vertraten einen aufgeklärten Deismus und schrieben die Toleranz der verschiedenen Konfessionen und Religionen sowie die allgemeinen Menschenrechte in die Verfassung (1776). Gott wurde als der „große Architekt“ des Universums gesehen, der allen Menschen die Fähigkeiten der kritischen Vernunft, der Wissenschaft, der Solidarität und der Toleranz geschenkt hat. So wurden die Freimaurer zu den großen und gewichtigen Vermittlern der Zielwerte der Aufklärung in der Politik in Europa und Nordamerika, später auch in Lateinamerika.11 Eine andere Geheimgesellschaft bildeten die Illuminaten, die ab 1776 an der Universität von Ingolstadt in Bayern vom katholischen Theologieprofessor Adam Weishaupt gegründet worden sind. Dieser Orden für Männer nannte sich zuerst „Bund der Perfektibilisten“, also derer, die sich moralisch vervollkommnen wollten. Später hieß er „Bund der Erleuchteten“ (Illuminati), also derer, die sich vom Licht der kritischen Vernunft leiten ließen. Er war zuerst gegen die rigiden Morallehren der Jesuiten gerichtet, die zwar seit 1773 vom Papst aufgelöst worden waren, aber deren Lehren an den Universitäten immer noch bestimmend waren. A. Weishaupt setzte sich mit seinen Anhängern für die Ziele der Aufklärung ein, die von den Jesuiten hart bekämpft wurden. Er war ein Schüler von Ch. Wolff und folgte einem liberalen und republikanischen Denken. Bald trat Adolf von Knigge dem Orden bei, der die Rituale der Gemeinschaft formulierte. Später standen auch die Landesfürsten vom Hessen, von Braunschweig, von Sachsen-Gotha und von Sachsen-Weimar den Illuminaten nahe. Auch manche Freimaurer näherten sich ihnen an. Die Mitglieder der Bruderschaft strebten im Geist der Aufklärung nach sittlicher Besserung, nach autonomem Denken und Handeln, nach Verbreitung der Bildung im Volk. Sie kämpften gegen jede Form des Aberglaubens, der Unwissenheit, der Unterdrückung und der Gewaltherrschaft.12

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Doch schon früh setzten sich in Bayern die Gegner der Illuminaten durch, denn sie fürchteten die Veränderung der politischen Herrschaft. Auf Anraten seines Beichtvaters verbot der Kurfürst Karl Theodor bereits 1784 den Orden in ganz Bayern. Doch war keine flächendeckende Kontrolle möglich. Als auch der Papst Pius VI. den Orden verboten hatte, mussten viele seiner offenen Anhänger Bayern verlassen. Ihr Wirken setzte sich in anderen Regionen fort, sie arbeiteten oft mit den Freimaurern zusammen. Während der Französischen Revolution wurden sie von den Royalisten und den Papisten für den politischen Umsturz mitverantwortlich gemacht.13

Kritik an den Klerikern Viele Denker der Aufklärung hatten begonnen, die intolerante Herrschaft der höheren Kleriker und des Adels offen zu kritisieren. Sie zeigten auf, dass ein unduldsamer und fanatischer Glaube in der Religion zu den größten Verbrechen geführt habe, die unter Menschen überhaupt möglich sind. Die Kritik der Freidenker, der Freimaurer und der aufgeklärten Humanisten richtete sich vor allem gegen die kirchliche Inquisition, die Verfolgung der Ketzer, der Häretiker und der Juden, gegen die Hexenprozesse, die Anwendung der Folter und der Scheiterhaufen. Viele dieser Kritiker waren Laienchristen, Deisten und Pantheisten; einige waren Atheisten und Agnostiker. Sie wollten nicht die christliche Religion zerstören, sondern nur den Missbrauch der Religion durch fanatische Kleriker und Theologen beenden. Wir können in dieser Kritik auch eine große Bewegung der Emanzipation der Laienchristen aus der Herrschaft der Kleriker und Theologen sehen. Hier sollen einige Punkte dieser Kritik zusammengefasst werden.14 Ein früher Kritiker war Pierre Bayle (gest. 1706), der sich nach der Aufhebung des Toleranzedikts (1685) durch König Ludwig XIV. offen zu den Prinzipien der religiösen Toleranz bekannt hatte. Er musste daraufhin Frankreich verlassen und fand Aufnahme in Rotterdam, wo er als Privatlehrer wirken konnte. Er kam zur Überzeugung, dass viele religiöse Lehren den Einsichten der kritischen Vernunft widersprechen und zu einem unmoralischen Verhalten der Glaubenden führen. Viele Lehren der Theologen und Kleriker seien Ungereimtheiten und Überspanntheiten, sie hätten viele Christen zum Töten und Morden im Namen Christi angestiftet. Es sei offensichtlich, dass der religiöse Eifer und Fanatismus zu Gewalttaten und blutigen Gemetzeln geführt hätten. Viele Theologen sahen in diesen Gewalttaten gegen Mitmenschen „Akte des Glaubens“ (actus de fidei). Sie lebten im unversöhnlichen Hass gegen Andersdenkende, bei den Kreuzzügen seien große Verbrechen an den Moslems begangen worden. So seien die christlichen Völker auf der Erde die aggressivsten Nationen, sie hätten die Kriegskunst perfektioniert und schreckliche Belagerungsmaschinen gebaut.15 Es sei auffallend, dass Menschen, die an den Himmel und an die Hölle glaubten, zu jedem Verbrechen gegen die Menschlichkeit fähig seien. Denn sie töteten im Namen und Auftrag Gottes, Atheisten aber hätten keine göttliche Legitimation

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zum Töten. Überhaupt könnten viele Atheisten und Religionslose moralisch besser leben als fanatische Christen, eine humane Moral brauche keine Begründung in der Religion. Die aufrechte Vernunft und die Idee der Gerechtigkeit seien die Grundlage einer vernünftigen und humanen Moral. Alle Dogmen der Religion müssten an ihren praktischen Folgen für das Leben gemessen werden. Eine kämpferische Kirche der Kleriker habe viel Unglück über die Menschen gebracht. Die Sprache sei viel zu schwach, um diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit überhaupt ausdrücken zu können. Die religiöse Intoleranz widerspreche dem Recht der Natur und den Einsichten der Vernunft. Durch die Ausrottung der Ketzer und Häretiker könne niemals ein Reich Gottes geschaffen werden. Der Zwang des Gewissens müsse dringend beendet werden, auch die Kleriker müssten das natürliche Recht aller Menschen auf freies Denken und Glauben anerkennen.16 Umfassend gebildet war Francois Voltaire, der seine Kritik an der Herrschaft der Kleriker und an den Lehren der Theologen in vielen literarischen Werken verbreitet hat. Er war kein Atheist, sondern ein deistischer Laienchrist, der an die Existenz eines höchsten göttlichen Wesens glaubte. Deswegen war er empört über die katholischen Massaker an den Hugenotten in Frankreich in der Bartholomäusnacht sowie über die Verfolgungen der Albigenser und der Waldenser. Die höheren Kleriker hätten mit ihrer Intoleranz Teile Europas mit Blut überschwemmt und mit Leichen übersät. In den Kreuzzügen und Religionskriegen hätten sie blinden Hass geschürt, in vielen Städten und Dörfern seien Fastenbrecher zum Tod verurteilt worden. So hätten die Theologen und Kleriker ein System von Lügen und Fälschungen aufgebaut, sie seien voll mit blindem Hass gegen ihre Gegner. Viele Mönche feierten die Messe, während vor ihren Kirchen Menschen auf den Scheiterhaufen als Hexen und Ketzer verbrannt wurden. Mit dem Kreuz in der Hand hätten die christlichen Könige in Spanien die größten Verbrechen an den Juden und Moslems und an den Völkern in Lateinamerika angeordnet.17 Durch die Inquisition werde ein System von Henkern und Denunzianten aufrechterhalten, dabei sei Jesus selbst von einem Henker getötet worden. Die Lehren der Theologen hätten viele banale Dummheiten angesammelt, der Ablasshandel sei ein Schurkenstück geldgieriger Bischöfe. Diese hätten weiterhin an der Unwissenheit des Volkes großes Interesse, weil sie dieses dann besser ausbeuten könnten. Viele Mönche kasteiten sich selber, um dann noch grausamer gegen Mitchristen vorgehen zu können. Die Geschichte der Kirche sei seit Kaiser Konstantin eine Ansammlung von Betrug und Verleumdung, von Rauben und Morden. Die Spanier hätten in Lateinamerika im Auftrag ihrer Bischöfe und Fürsten Millionen von Menschen umgebracht oder verhungern lassen. In den Händen der Kleriker und Mönche sei die christliche Religion zu einer von Blut triefenden Herrschaftslehre verkommen. Nun sei es hoch an der Zeit, dieser grausamen Herrschaft der Theologen und Kleriker, der Bischöfe und Päpste ein Ende zu bereiten.18 In der Französischen Revolution wurden einige dieser Forderungen in politisches Handeln umgesetzt. Auch Denis Diderot (gest. 1784), der Herausgeber der „Encyclopedie“, kritisierte die Lehren und Herrschaftsformen der Kleriker scharf. Theologen

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reden von göttlichen „Offenbarungen“, wenn sie keine vernünftigen Argumente mehr haben. Es gäbe auf der Erde so viele Offenbarungen, wie es Religionen gibt. Die fanatischen Theologen und Prediger hätten das Land mit Unwissenheit und mit Blut überschwemmt, der fanatische Glaube der Christen sei für Gott viel beleidigender als der Atheismus. Denn Atheisten können und wollen nicht mehr an den rachsüchtigen Gott der Theologen und Kleriker glauben. Wenn Gott uns Menschen die Vernunft schenkt, dann kann er nicht von uns die Unvernunft fordern, was die Kleriker aber tun. Atheisten glauben nicht mehr an den zornigen Rachegott, der seinen Sohn am Kreuz sterben lässt, damit er sich mit den Menschen versöhnt. Wir müssen uns fragen, was das für Menschen sind, die uns einen solch grausamen Gott und ewige Höllenstrafen predigen wollen. Hinter den Lehren der Kleriker und Theologen verbergen sich Menschen des Hasses und der Heuchelei. Jetzt sei es hoch an der Zeit, dass sich die Kultur Europas von diesen grausamen Lehren befreit.19 Für eine atheistische Weltdeutung hatte sich Claude Adrien Helvetius entschieden, er wollte mit den Gotteslehren der Theologen und Kleriker nichts mehr zu tun haben. Denn der Gott der Prediger sei ein Gott der Schurken, nur bösartige Menschen könnten einen solchen Gott erfinden. Die scholastischen Spitzfindigkeiten stifteten unter Menschen nur Hass und Fanatismus, wegen des Streites um leere Worte seien von der Inquisition Tausende Menschen getötet worden. Die Theologie sei keine Wissenschaft, sondern eine geschickte Ideologie zur Herrschaft der Kleriker. Diese verbieten den Laienchristen den Gebrauch der kritischen Vernunft, die Bischöfe und Prälaten spielen den Menschen Demut vor und lassen sich mit den höchsten Titeln anreden. Die Vernunftfeindlichkeit mache aber jede Religion gefährlich, die Intoleranz zeige das blanke Machtstreben der Kleriker. Diese seien Meister der Täuschung, sie predigten den Mitchristen die Liebe und den Frieden, gleichzeitig aber schürten sie den Hass und den Krieg. Jesus habe die Lügen gehasst, doch die Kleriker und Theologen hätten aus seiner Lehre ein System des Hasses gemacht. Jesus lebte demütig, aber seine Nachfolger könnten gar nicht genug an Herrschaft und Reichtum gewinnen.20 So hätten die Theologen und Kleriker eine erbärmliche Moral geschaffen, für höhere Ziele hätten sie den Krieg, den Raub und den Mord erlaubt. Die Bischöfe hätten den Laienchristen raffgierige Mönche als moralische Vorbilder vor Augen gestellt, die Päpste hätten viele der Großinquisitoren heilig gesprochen. Wenn die Theologen mit ihren Argumenten am Ende waren, hätten sie ihre Gegner mit Feuer und Scheiterhaufen verfolgt. Den fanatischen Klerikern sei alles erlaubt gewesen, denn im Namen der göttlichen „Liebe“ konnte ohne schlechtes Gewissen gemordet werden. So seien die vielen Ketzer und Hexen zum „Heil“ ihrer Seelen auf grausame Weise ermordet worden, die Inquisitoren hätten sich an den Schmerzensschreien der Gemarterten ergötzt. Die christliche Religion erlaube ihren fanatischen Anhängern jede Grausamkeit, die nur denkbar sei. Jesus habe eine tolerante Religion gepredigt, doch die Bischöfe und Theologen hätten sie in das Gegenteil verkehrt. Diese Religion der herrschsüchtigen und rachebegierigen Kleriker müsse nun endgültig überwunden werden.21

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Ein scharfer Kritiker der Klerikerreligion war Paul Thiry d´Holbach (gest. 1789), der mit seinen Ideen die Revolution in Frankreich vorbereitete. Für ihn war schon immer die Unwissenheit der Menschen die Mutter der Religion, daher müsse die kritische Vernunft allgemein verbreitet werden. Im Namen des christlichen Gottes konnten charakterlose Kleriker und Theologen über ihre Mitmenschen und Mitchristen herrschen. Die Lehre von der göttlichen Vorherbestimmung und Gnade sei eine Beleidigung für alle Menschen. Die Bibel sei voller Widersprüche, der biblische Glaube habe die Unterjochung der Schwächeren ermöglicht. Die Menschen sollten nicht auf ein glückliches Leben im Jenseits hoffen, sondern in diesem Leben Glück erleben. Viele Kleriker unterdrückten die Wissenschaft, um die Glaubenden unmündig zu halten. Vor allem der Glaube an die Hölle mache vielen Menschen Angst und ermuntere sie zu Verbrechen.22 Eine humane und tolerante Moral könne aber nur auf den Einsichten der kritischen Vernunft aufgebaut werden, die christliche Gotteslehre sei dafür nicht von Nutzen. Nur eine natürliche Moral könne der Seele jene Spannkraft wieder geben, die sie in der Religion verloren habe. Die düsteren Lehren der Kleriker müssten jetzt sehr schnell überwunden werden, damit die Menschen wieder Freude am Leben bekommen. Eine vernünftige Moral, eine Erziehung zur Solidarität und weise Gesetze im Staat seien die beste Voraussetzung für ein gutes Zusammenleben. Die Übeltäter müssten durch Strafen von Verbrechen abgeschreckt werden, die Tugendhaften sollten belohnt werden. Jetzt sei es möglich geworden, das dunkle Band des Aberglaubens und der negativen Vorurteile zu zerreißen und vom Terror der Kleriker und Theologen Abschied zu nehmen. Wer das Leben der Menschen verbessern möchte, müsse mit der Reform der Götter beginnen.23 Kritische Gedanken zur Religion der Theologen und Prediger äußerte auch König Friedrich II. von Preußen (gest. 1786), die er in vielen Briefen darlegte. Als er in Schlesien zu herrschen begann, sah er, dass die Intoleranz in den Städten mit den meisten katholischen Klöstern am größten war. Daher konnte er nicht mehr glauben, dass Gott in das Leben der Menschen eingreife. Die Gesetzgeber hätten die Götter erfunden, um besser über die Menschen herrschen zu können. Ob Menschen eine Seele hätten, sei unwahrscheinlich. Der König wollte dazu beitragen, in seinen Ländern die negativen Vorurteile, den Aberglauben und den Fanatismus zu vermindern, was aber fast unmöglich sei. Die Furcht vor dem Teufel und vor der Hölle mache die Menschen blind für vernünftige Werte der Moral. Jesus sei ein Jude gewesen, doch die Christen verfolgten die Juden bis zur Gegenwart. Die Kirchengeschichte sei nicht das Werk Gottes, sondern das bloße Ergebnis des Eigennutzes der Kleriker und Theologen. Vor den Frommen müsse man sich hüten, denn die Anklage der Gottlosigkeit sei ihre letzte Waffe und Verleumdung.24 Für Friedrich II. leisteten die Philosophen eine nützliche Arbeit, wenn sie gegen den Fanatismus und den Aberglauben argumentieren. Der Protestantismus stifte unter den christlichen Konfessionen noch den geringsten Schaden. Fortan sollte jedoch jeder Mensch die Freiheit haben, das zu glauben, was er für richtig hält, sofern er dadurch nicht seine Mitmenschen schädigt. Der Glaube an die Unsterblichkeit der

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Seele sei unwichtig, entscheidend sei die Überwindung der Intoleranz und des Fanatismus. Im Prinzip seien alle Religionen gleich gut, wenn sie ehrlich und vernünftig gelebt werden. Das gelte auch für Juden und Türken, für Katholiken und Heiden. Die Tugend jedes Christen müsse die Humanität sein, die wir aus der Natur lernen könnten. Eine natürliche Religion sei darauf bedacht, dass alle Menschen gegenseitig ihr Wohlergehen förderten. Denn die wahre Religion bestehe in der Menschlichkeit, wie schon P. Bayle geschrieben habe.25 Wir erkennen in diesen Ideen die Lehren der Freidenker und der Freimaurer. Diese Kritik an der Religion der Kleriker und Theologen wurde unter den Gebildeten in ganz Europa relativ schnell verbreitet, zeitlich verzögert auch in Nord- und in Südamerika.

Demokratie in Amerika Die Ideen und Lebenswerte der rationalen Aufklärung wurden durch Siedler, durch Händler und durch Missionare schon früh nach Nordamerika gebracht. Viele Puritaner und Nonkonformisten waren aus England nach Amerika ausgewandert, denn sie wollten die Religion klar von den staatlichen Geschäften trennen. Sie lebten in den Kolonien mit mehreren Konfessionen zusammen, die Religion sollte ihre harte Arbeit nicht stören. Die Puritaner hatten schon in England der Monarchie eine Absage erteilt, in Amerika wollten sie mit demokratischen Strukturen und Gesetzen leben. Die kolonialen Körperschaften sollten gleichberechtigt zusammenwirken, die Prediger und Kleriker sollten keine Privilegien mehr haben. Die Aufgabe des Staates sei es, das Eigentum der Bürger zu schützen, das diese sich hart erarbeitet hatten. Als das englische Parlament hohe Steuern auf die Zuckerplantagen beschloss (1765), befolgten die Siedler dieses Gesetz nicht. Vielmehr begannen sie, englische Waren zu boykottieren und verlangten die Aufhebung der englischen Zollgesetze. Als es noch zu Konflikten um englische Teeimporte kam, strömten Vertreter der Kolonisten zu einem Kongress nach Philadelphia, wo sie den offenen Widerstand gegen die Regierung in London beschlossen.26 Im Mai 1775 trat ein Nationalkongress der Siedler zusammen, der sich den Anordnungen des englischen Parlaments offen widersetzte. Thomas Jefferson formulierte die Absage an England. Dieses Land habe nicht mehr das Recht, sich in die Politik der Siedler in Amerika einzumischen. Bereits im April war es zu Kämpfen zwischen englischen Soldaten und bewaffneten Kolonisten gekommen. Die englischen Truppen mussten fliehen. Nun organisierte der Tabakpflanzer George Washington die Miliztruppen der Siedler, es gelang ihm, ung. 10.000 Soldaten aufzustellen. Als sich die englischen Truppen zurückzogen, formulierte ein Abgeordneter aus Massachusetts den Wunsch nach politischer Unabhängigkeit von England. Zwei Monate später empfahl ein Kongress der Delegierten, die Herrschaft der Engländer zu beenden. Am 4. Juli 1776 erklärten die Delegierten der Siedler ihre rechtliche und politische Unabhängigkeit. Dabei legte Thomas Jefferson ein nationales Glaubensbekenntnis vor: Alle Menschen wurden von Gott als Gleiche geschaffen. Sie haben von Gott

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unveräußerliche Rechte erhalten, nämlich das Recht auf Freiheit und das Streben nach Glück. Deshalb sollte eine Regierung errichtet werden, die ihre Zustimmung vom Volk erhält und die Rechte der einzelnen Bürger sichert. Wenn eine Regierung die Rechte des Volkes missachtet, kann sie mit Gewalt gestürzt werden. Danach darf das ganze Volk eine neue Regierung wählen.27 In dieser Erklärung der Unabhängigkeit sagten die Vertreter der Siedler, dass alle Menschen von Gott die gleichen Rechte und Pflichten hätten. Die Regierung müsse diese Rechte schützen. Nun schickten die Engländer eine Armee von 55.000 Mann, dazu kamen noch 30.000 deutsche Söldner. Der General Howe zog gegen die amerikanischen Freiheitskämpfer in den Krieg, er konnte einige Städte erobern, aber das Heer der Kolonisten nicht besiegen. Ein Jahr später wurden die englischen Truppen besiegt. Der König von Frankreich schloss ein Bündnis mit den siegreichen Amerikanern und versprach finanzielle Hilfe. Ein Jahr später landeten französische Schiffe in Amerika und griffen in den Krieg gegen die Engländer ein. Diese wurden bei Yorktown erneut besiegt. Danach begannen Friedensverhandlungen zwischen England und den Amerikanern, im September 1783 wurde der Friede in Paris unterzeichnet. Danach verließen die letzten englischen Soldaten Nordamerika. Thomas Jefferson hielt die republikanische Staatsform am besten für den neuen Staat geeignet, diese Form habe sich bereits in Holland und in der Schweiz bewährt. Fortan sollten die republikanischen Tugenden im ganzen Land verbreitet und eingeübt werden.28 Jetzt musste eine zentrale Regierung und Verwaltung eingerichtet werden, die Gründungsväter glaubten an einen Staatenbund von unabhängigen Staaten (United States). Dreizehn kleine Republiken sollten sich zusammenschließen und eine gemeinsame Außenpolitik und Sicherheitspolitik organisieren. Im Kongress der Abgeordneten sollte jeder Staat eine Stimme haben. Doch zunächst bestanden diese Staaten nur auf dem Papier, sie hatten keine politische und militärische Macht. Folglich wurde ein Sonderkonvent beauftragt, für den neuen Staatenbund eine Verfassung zu erarbeiten bzw. bestehende Verfassungsansätze zu erweitern. Die Zentralgewalt sollte gegenüber den einzelnen Staaten nicht groß sein, in allen Staaten mussten die drei Staatsgewalten klar getrennt werden. Zentral geregelt wurden die allgemeinen Steuern, die Verträge mit fremden Ländern, die Prägung des Geldes, die Regulierung des Handels und gemeinsame Gesetze der Wirtschaft. Die gesetzgebende Körperschaft (Kongress) sollte aus einer oberen Kammer (Senat) und aus einer unteren Kammer (Repräsentantenhaus) bestehen. Nun war jeder Staat mit zwei Senatoren vertreten, alle zwei Jahre sollten die Vertreter des Volkes gewählt werden. Der Staatenbund schützte die Besitzrechte der einzelnen Bürger, das freie Denken und Reden, die Ausübung der Religion und die Freiheit der Presse.29 Damit war in Nordamerika ein demokratischer Staatenbund entstanden, in dem viele Ideen und Zielvorgaben der europäischen Aufklärung verwirklicht wurden. Das Recht auf Religionsfreiheit musste deswegen gewährt werden, weil es sonst zu Kriegen zwischen den Konfessionen gekommen wäre. Eine Monarchie war nicht durchzusetzen, weil sie auch in Europa verhasst war. Und die Trennung von Staat und Religion war vernünftig, um Konflikte zwischen den verschiedenen christlichen

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Konfessionen und Kirchen zu vermeiden. So ist die amerikanische Verfassung das Ergebnis von vernünftigen Überlegungen und einer Politik der Gleichberechtigung aller Menschen vor dem Gesetz. Vor allem die Revolutionäre in Frankreich haben einige Jahre später auf die junge Republik in Amerika geblickt, die ihnen als erreichbares Vorbild galt. Aber sie hatten andere Ausgangslagen als die Siedler in Nordamerika.30

Revolution in Frankreich Die katastrophale Finanzlage des Staates zwang den französischen König Ludwig XVI. zur Einberufung der „Generalstände“. Denn der General La Fayette hatte erklärt, dass neue Steuern nur durch die Vertreter der ganzen Nation bewilligt werden könnten. Darauf folgte ein langes Ringen zwischen der Regierung des Königs und dem Parlament. Die Generalstände wurden für den 1. Mai 1789 einberufen. Dort profilierte sich der „Dritte Stand“ der Bürger als die Reformpartei, während der Adel und der höhere Klerus an ihren alten Privilegien festhielten. Der Dritte Stand wollte vom König die Zusicherung, dass er die Freiheit, das Eigentum und die Rechtsgleichheit aller Bürger vor dem Gesetz schütze. In einer Verfassung (Constitution) des Staates sollten die allgemeinen Menschenrechte der Pressefreiheit, der Toleranz in der Religion, der persönlichen Sicherheit, der Gleichheit vor dem Gesetz, der freie Zutritt zu allen Ämtern, die Beendigung der Steuerprivilegien für den Adel und den Klerus garantiert werden. Es waren ung. 300 Vertreter des Adels, ebenso viele Vertreter des Klerus und etwa 600 Vertreter des Dritten Standes versammelt. Als der Adel und der Klerus die Reformvorschläge mehrheitlich ablehnten, erklärte Abbe Emmanuel de Sieyes am 17. Juni 1789 den Dritten Stand als die alleinigen Vertreter der Nation. Der Dritte Stand nannte sich nun „Nationalversammlung“ (Assemblee nationale). Darauf verließen der König, der Adel und der Klerus den Versammlungssaal.31 Graf Mirabeau wurde in den Dritten Stand gewählt, er sprach von der „Abdankung“ (abdication) des Königs, des Adels und des Klerus. Der Sturm auf die Bastille am 14. Juli war bloß ein symbolischer Erfolg der Bürger, denn dort waren nur sieben politische Gefangene verwahrt. Zur gleichen Zeit stürmten Revolutionäre das Zeughaus des Heeres und erbeuteten Waffen. In der Folge wurden auch in den Provinzen bewaffnete „Bürgerräte“ gebildet. In verschiedenen politischen „Klubs“ wurden die Vorschläge für eine neue Staatsverfassung diskutiert. Der Graf von Noailles hatte die Aufhebung aller Feudalrechte und die Befreiung aller Bauern vorgeschlagen. Am 26. August erklärte die bürgerliche Nationalversammlung die allgemeinen Menschenrechte und Bürgerrechte. Doch der König lehnte die Entrechtung des Adels und des Klerus ab, er verweigerte die Unterschrift. Graf Mirabeau wollte die allgemeinen Menschenrechte noch durch allgemeine Bürgerpflichten ergänzen, aber er fand dafür keine Mehrheit in der Nationalversammlung. In der Folge spaltete sich die Nation sehr schnell in zwei konträre Lager, in die konservativen „Patristen“ und in die bürgerlichen „Revolutionäre“. Im Kloster der Jakobiner in Paris traf sich ein politischer Klub, der radikale Veränderungen an-

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strebte. Er wurde später der Klub der „Jakobiner“ genannt. Ein Jahr nach dem Sturm auf die Bastille zelebrierte der Bischof von Autun Charles Maurice Talleyrand auf dem Marsfeld in Paris die Festmesse zur Erinnerung an den Beginn der Revolution. Dabei legte er den Treueid auf die neue Verfassung, auf die Nation und auf den König ab. Denn er war der Sprecher aller Bischöfe und hatte in der Nationalversammlung bereits auf die Besitzrechte der höheren Kleriker verzichtet. In dieser Situation wollte auch der Graf Mirabeau noch zwischen dem König und der Nationalversammlung vermitteln, doch er starb plötzlich 1791.32 Jetzt wurde das Königreich in Departements eingeteilt, für allgemeine Wahlen wurden ca. 150.000 Wahlmänner aufgestellt. Die Frauen waren allerdings aus der Wahl ausgeschlossen, weil sie von den Männern nicht als politikfähig angesehen wurden. Von etwa 7,5 Millionen Franzosen durften auf Grund der Besitzverhältnisse nur 4,5 Millionen Bürger wählen, Besitzlose hatten kein Wahlrecht. Zu dieser Zeit beschloss die Nationalversammlung die Auflösung aller Klöster, deren Güter an den Staat gingen. Die Bischöfe und Pfarrer sollten ab sofort von den Diözesen und Gemeinden gewählt werden. Nun wurde der Eid auf die neue Verfassung auch von allen Klerikern und Adeligen verlangt; ca. 50% der niederen Kleriker, aber nur 7 Bischöfe leisteten diesen Eid. Daraufhin verlangten die radikalen Reformer die Möglichkeit der Heirat für alle Kleriker und die Einführung eines neuen Kultes in den Kirchen. Die gesetzgebende Nationalversammlung war für zwei Jahre gewählt worden, in ihr waren viele Schriftsteller, Lehrer und Advokaten vertreten, die aber kaum politische Erfahrung hatten. Ab sofort wurden den Klerikern und Adeligen, die den Eid auf die Verfassung verweigerten, alle bürgerlichen Rechte abgesprochen. Ihnen blieb aber die Möglichkeit der Flucht ins Ausland; viele Eidverweigerer flüchteten nach Holland, Spanien und Italien. Bald verlangten die Girondisten den Krieg gegen die Nachbarländer, weil sie von dort die Revolution bedroht sahen; schließlich war der Kaiser Leopold II. der Bruder der französischen Königin. Jetzt zogen die revolutionären Truppen in den Krieg gegen Preußen und gegen Österreich. Dabei sangen sie den „Chant de guerre de l`armee du Rhin“, der später „Marseillaise“ genannt wurde. Sie zogen mit Begeisterung in den Krieg, denn sie waren überzeugt, dass sie nun in ganz Europa für eine neue Gesellschaftsordnung kämpften. Gleichzeitig aber schürten die radikalen Revolutionäre der Terror gegen die Konservativen, die Patrioten, die Adeligen und den höheren Klerus. In kurzer Zeit wurden große Armeen von Freiwilligen aufgestellt. Doch im Inneren des Landes spaltete sich die Revolution in zwei Parteien, in die gemäßigten Girondisten und in die radikalen Jakobiner. Diese forderten von Marseille aus die gewaltsame Absetzung des Königs und die Ausrufung der Republik.33 Von jetzt an verschärfte sich die Revolution, ein „Exekutivrat“ sollte die schwerfällige Nationalversammlung ersetzen. Revolutionäre Soldaten erstürmten den Palast des Königs und töteten der Schweizer Gardisten, die den König bewachten. Dann nahmen sie den König gefangen. Jetzt übernahmen George Danton und Maximilien Robespierre die politische Führung, sie wollten alle Gegner der Revolution aus dem Land vertreiben oder töten. Zu dieser Zeit flüchteten ung. 25.000 Priester in das Aus-

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land, nach Spanien, Italien und die österreichischen Niederlande. Die Revolutionäre entzogen den Klerikern die Befugnis der Eheschließung, diese wurde den staatlichen Ämtern übertragen. Auch wurde die Möglichkeit der Ehescheidung für alle Bürger eingeführt. Die Religion wurde nun generell zur Privatsache der Bürger erklärt. Nach der Schlacht bei Valmy wurde in Paris die Republik ausgerufen, danach eroberten revolutionäre Truppen das Herzogtum Savoyen. Am 21. September 1792 wurde der König abgesetzt, die neue Republik wurde nun durch eine Revolutionsregierung und durch „Wohlfahrtsausschüsse“ regiert. Mit einer Stimme Mehrheit wurde der König zum Tod verurteilt und am 21, Januar 1793 hingerichtet. Einige Monate später wurde die Königin getötet. Jetzt trat auch England in den Krieg gegen das revolutionäre Frankreich ein, denn es fürchtete die revolutionären Ideen. Ein „Freiheitskonvent“ in Paris hatte alle Völker Europas zur Revolution gegen die Monarchen aufgerufen.34 Fortan verstand sich das revolutionäre Frankreich als das „Vaterland“ aller revolutionären Weltbürger, es hatte ein Kriegsheer von 300.000 Mann aufgestellt. Im Sommer 1793 radikalisierte sich die Revolution, die Jakobiner errichteten eine Diktatur der „Konventsausschüsse“. Alle Gegner der Revolution sollten vernichtet werden. M. Robespierre glaubte an seine politische Unfehlbarkeit, er ließ alle seine Gegner töten; denn durch die Revolution sollte Frankreich zu einer einheitlichen Nation werden. Die Bürger wurden nun von der Polizei total überwacht, es war die Zeit des politischen Terrors. Doch im Juni 1794 wurde M. Robespierre gestürzt, die politische Macht ging jetzt an die „Thermidorianer“, die wieder die ursprünglichen Ziele der Revolution verfolgten. Sie setzten eine Direktorialverfasssung durch, ein „Direktorium“ sollte die Regierungsgewalt ausüben; die Gesetzgebung und die Exekutive wurden wieder getrennt. Nun wurde ein Zensuswahlrecht in zwei Etappen eingeführt. Ein neuer Kult des „Höchsten Wesens“ sollte die christlichen Riten und die Sakramente der Kirche ersetzen. Vor allem sollte jetzt die Göttin „Vernunft“ den alten Patriarchengott der Kleriker beerben.35 In Basel wurde zwischen Frankreich und Preußen ein Friede geschlossen, aber nun ging der Krieg gegen Österreich in Norditalien weiter. Durch diesen Krieg wurde die revolutionäre Nation im Innern zusammen geschweißt, die Kräfte der Aggression wurden nach außen getragen. Die beiden Revolutionsgenerale George Hoche und Napoleon Bonaparte hatten mit ihren militärischen Siegen die Herrschaft des Direktoriums gerettet. Napoleon besiegte die Österreicher in der Lombardei und zwang sie zum Frieden von Campo Formio. Entgegen der Anweisung des Direktoriums verzichtete er allerdings auf die Eroberung des Kirchenstaates und schloss mit dem Papst einen Friedensvertrag. In Norditalien entstanden in der Folgezeit mehrere Republiken. Danach wurden von Napoleon die österreichischen Niederlande und deutsche Gebiete links des Rheins erobert. In Holland entstand die „Batavische Republik“, in der Schweiz die „Helvetische Republik“ und im Kirchenstaat die „Römische Republik“. Doch nun griffen die Engländer in den Krieg gegen Frankreich ein, sie besiegten eine französische Flotte im Mittelmeer. Durch die Vermittlung von Ch.M. Talleyrand und Abbe E. Sieyes gelang dem General Napoleon Bonaparte am 9. November bzw.

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am 15. Dezember 1799 ein Staatsstreich; fortan regierte er als „Erster Konsul“ über das revolutionäre Frankreich. Mit diktatorischer Vollmacht brachte er eine stabile Ordnung in die widersprüchlichen Kräfte der Revolution. Er reformierte das Recht (Code civil) und die Verwaltung und verwirklichte die Staatsform einer “militärischen Monarchie“. Die Republik war schon nach kurzer Zeit wieder zu Ende gekommen.36

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In der frühen Neuzeit veränderten sich die Formen der Herrschaft in vielen Regionen Europas, es kam zu neuen Interpretationen und Legitimationen von politischen Einheiten. Schon im späten Mittelalter waren in vielen Fürstenstaaten und Königsreichen die Vertreter der Adeligen und des höheren Klerus in politische Entscheidungen eingebunden (parlamentum). Bald schickten auch die Städte ihre Vertreter in die Gremien politischer Herrschaft, sie konnten über Fragen der Steuern oder des Krieges mitentscheiden. Die Herrschenden mussten immer öfter das Einverständnis der „Stände“ (cortes) einholen, damit wurde Herrschaft auf eine breitere Elite verteilt. Wir erkennen in dieser Zeitepoche vor allem den Übergang von personaler zu kollektiver Herrschaft und Ansätze zu korporativen und demokratischen Entscheidungen.1

Verdichtung von Herrschaft Vor allem in den Städten, vereinzelt auch in ländlichen Regionen, erkennen wir erste Ansätze zu demokratischen Entscheidungen bzw. Mitentscheidungen. In den meisten Städten gab es den Kleinen Rat der Altbürger und Patrizier, den Großen Rat der Neubürger und die jährliche Versammlung aller freien männlichen Bürger, wo wichtige politische Entscheidungen getroffen wurden. In der Dörfern und Weilern wurde regelmäßig über die Nutzung von gemeinsamen Äckern und Weideflächen abgestimmt (Dorfversammlung). In den Städten vertraten die Zünfte und Innungen die gemeinsamen Interessen der Handwerker und der Händler. Viele Städte verbanden sich zu Handelsgemeinschaften (Hanse), zu Städtebünden und zu Landfriedensgemeinschaften. Ländliche Regionen verbanden sich zu „Schwurgemeinschaften“ (coniurationes) und „Eidgenossenschaften“, die gegenseitig ihre Interessen schützten; z.B. Schwyz, Uri und Unterwalten. Diese politischen Gemeinschaften waren dem Gemeinwohl und nicht dem persönlichem Gewinn von Einzelpersonen verpflichtet. Die Wirtschaft war auf die ausreichende Versorgung der Bevölkerung ausgerichtet.2 In der frühen Neuzeit erkennen wir den schrittweisen Übergang vom personalen Fürstenstaat zum Flächenstaat und zum Nationalstaat. Gleichzeitig kam es zur Verdichtung und Intensivierung von Herrschaft, die durch erhöhte Mobilität und neue Waffentechnik möglich geworden sind. War die Herrschaft (Imperium) bisher hauptsächlich auf Personen (Fürst, König, Kaiser, Bischof, Abt) bezogen, so orien-

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tierte sie sich jetzt deutlicher an Regionen und Territorien. Wichtige Impulse zu dieser Entwicklung kamen von der Reformation der Kirchen, die zum Teil von Städten und zum Teil von Fürsten durchgesetzt wurde. Auf dem Reichstag von Augsburg (1555) einigten sich die Fürsten im Heiligen Römischen Reich, dass sie über die Glaubensform in ihrem Herrschaftsgebiet bestimmen konnten. Die politische und religiöse Herrschaft wurde nun nach Regionen neu organisiert.3 Der französische Begriff des „Souveräns“ wurde nun von den Juristen auf den Herrscher übertragen. Dieser konnte autonom über die Form der Religion und der Lebensordnung entscheiden. Viele Rechte der höheren Kleriker waren in den protestantischen Ländern auf die Fürsten übergegangen. Damit bekamen die Höfe und Residenzorte der Fürsten ungleich mehr an politischem Gewicht, es wurden zentrale Ämter und Behörden eingerichtet. Zumeist wurden Juristen von den Universitäten mit der Verwaltung betraut, durch ihre Nähe zum Herrscher partizipierten sie an der politischen Herrschaft. Sie wurden in fürstliche oder königliche „Räte“ berufen. Historiker sprechen von der fortschreitenden Versachlichung und Rationalisierung von Herrschaft.4 Die Akte der Herrschaft wurden nun zunehmend durch Regeln und Gesetze bestimmt, die von Juristen überliefert und ausgelegt wurden. In den meisten Regionen Europas (mit Ausnahme der griechischen5 und russisch-orthodoxen Gebiete) galt noch das Römische Recht, das den neuen Situationen angepasst werden musste. Es bildeten sich neue Herrschaftsräume und Staaten. Der Krieg wurde als rechtmäßiges Mittel (bellum iustum) gesehen, um Herrschaftsgebiete zu vergrößern. Die Fürsten unterhielten stehende Heere von Kriegern und Söldnern, dafür aber brauchten sie höhere Steuern und Abgaben. Die Erkenntnisse der Physik und Chemie führten zur Verbesserung der Waffentechnik, nun kamen vermehrt Feuerwaffen zum Einsatz. Durch die hohen Abgaben kam es vermehrt zu politischen Spannungen zwischen den Ständen, die Bauern wehrten sich häufig gegen ihre Grundherren. Oft erhöhten die Fürsten die Abgaben auch ohne die Einwilligung der Stände, sie erwirtschafteten Geld aus dem Handel und dem Bergbau (Sachsen, Böhmen, Tirol). Die großen Handelshäuser und die jüdischen Geldverleiher finanzierten die Kriege der Herrscher. So kämpfte Frankreich lange Zeit um neue Herrschaftsgebiete in Italien, in Burgund, im Elsass, in Lothringen oder in Savoyen. Das Heilige Römische Reich war lange Zeit durch die inneren Religionskriege und durch die Bedrohung der Türken im Osten belastet. In den Städten wurden Ordnungshüter (Policey) eingesetzt, welche die alten Stadtwächter verdrängten. Die Religionskriege behinderten aber die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung über viele Jahrzehnte.6 Im 17. und 18. Jh. entstanden moderne Nationalstaaten, dabei gelang es einigen Fürsten, ihre Macht mit militärischen Mitteln zu bündeln. In Frankreich regierte der König Ludwig XIV. als von den Gesetzen gelöster Fürst (princeps legibus solutus). Doch auch er benötigte die Zustimmung der Stände, die er für seine politischen Ziele gewinnen konnte. J. Bodin schrieb zu dieser Zeit, dass alle Untertanen des Königs „Bürger“ (citoyens) des Staates seien, die sich dem Herrscher bedingungslos unterwerfen müssten. Herrschaft wurde hauptsächlich von Männern ausgeübt. Aber

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im 18. Jh. konnten auch Frauen Herrscherinnen sein (Maria Theresia, die Zarinnen Elisabeth, Anna und Katharina II.). Th. Hobbes hatte dargelegt, dass im „Staatsvertrag“ die Untertanen auf ihre natürlichen Rechte und Freiheiten verzichteten.7 In England konnte das Parlament durch die Revolte gegen den König und die „Glorious Revolution“ (1688) seine politische Macht erheblich stärken. In der „Bill of Rights“ wurden die Grundrechte der Bürger gesichert, damit war England zu einer parlamentarischen Monarchie geworden. Das Parlament bestand aus zwei Kammern, der Kammer des Adels (House of Lords) und der Vertretung der Bürger (House of Commons). Doch das Heilige Römische Reich hatte seine zentrale politische Macht mit dem Westfälischen Frieden (1648) praktisch beendet, fortan ging es nur noch um die Wahrung des Gleichgewichts zwischen den Fürsten und Königen. Die entstehenden Fürstentümer und Flächenstaaten verfolgten in diesem Reich ihre eigene Politik der Bündnisse und der Wirtschaft.8 Erst die Denker der Aufklärung relativierten die Herrschaft der Fürsten und Könige, denn für sie lagen alle politischen Rechte beim Volk. So sprach J.J. Rousseau von einem „Gesellschaftsvertrag“ und nicht mehr von einem Herrschaftsvertrag. Die Interessen der Bürger seien in einem allgemeinen Willen (volonte generale) aufgehoben, der von den Fürsten nur verwaltet werde. Die absolute Herrschaft der Fürsten wurde vor allem vom wirtschaftlich erstarkten Bürgertum in Frage gestellt. In Nordamerika war 1776 ein demokratischer Staat entstanden, in Frankreich hatte 1792 die bürgerliche Revolution die Königsherrschaft beendet.9 Seit dem 16. Jh. dehnten einige Staaten Europas ihre politische Herrschaft auf andere Kontinente aus, sie gründeten Kolonien in Afrika und Amerika. Nach den Lehren der Bischöfe und Theologen waren die neu entdeckten Gebiete „herrschaftsfreie“ Räume. Die Herrschaft und Verwaltung stehe aber durch göttlichen Ratschluss allein und ausschließlich den Christen zu. Damit war die Kolonialherrschaft der Europäer unangreifbar religiös legitimiert.10 Im 18. Jh. wurde in Europa vor allem darum gerungen, die Herrschaft der Fürsten und Könige zu relativieren. Vor allem die Städte wollten sich durch ihre Vertreter in den Parlamenten an der politischen Herrschaft und Verwaltung beteiligen. In den Städten schritt die Vergesellschaftung rapide fort, es entstanden Lesegesellschaften und Bildungsvereine, wissenschaftliche Gesellschaften und politische Geheimbünde, aber auch religiöse Bruderschaften. Viele dieser Gruppen wollten sich am politischen Diskurs beteiligen, denn sie orientierten sich an den Ideen und Zielwerten der rationalen Aufklärung.11

Heiliges Römisches Reich Durch die Reformation der Kirchen und die langen Religionskriege zwischen den Konfessionen wurde das Heilige Römische Reich deutlich geschwächt, denn nun entschieden die regionalen Fürsten über die Religion und Lebensform ihrer Untertanen. Die Politik des Reiches löste sich deutlich von der Herrschaft der Kleriker und der Päpste. Doch in den protestantischen Fürstentümern wurde die Verbindung von

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Religion und Politik sogar gestärkt, denn es kam zur Bildung von Landeskirchen unter der Leitung der Landesfürsten (Notbischöfe). An den Personen einiger Kaiser soll die Dynamik der zentralen und der regionalen Herrschaft skizziert werden. Kaiser Maximilian I. (gest. 1519) hatte durch Heirat das Herzogtum Burgund erworben, dieses musste er lange Zeit gegen den König von Frankreich verteidigen. Für das Reich wurden eine allgemeine Steuer (Gemeiner Pfennig) und ein Reichskammergericht eingerichtet.12 Kaiser Karl V. (gest. 1558) war zugleich König von Spanien, er musste große Summen für die Wahl zum deutschen König zahlen. Er hatte die Regierungsgeschäfte im Reich seinem Bruder Ferdinand I. übertragen, im Prozess der Reformation zeigte sich die zentrale Herrschaft allerdings maßlos überfordert. Das lutherische Bekenntnis wurde 1530 angenommen, 25 Jahre später wurde die Trennung der Konfessionen ein Reichsgesetz. Der Kaiser führte Kriege gegen die protestantischen Fürsten, in denen er kurzzeitig siegreich war. Doch schließlich dankte er von der Regierung ab und überließ die Herrschaft seinem Bruder Ferdinand I. (gest. 1564).13 Dieser war durch Erbverträge auch Herrscher über Böhmen und Ungarn geworden, doch er war nun im Osten durch das Osmanische Reich bedroht. Seine Regierungsstadt Wien wurde 1529 sogar von den Türken belagert, Ofen (Buda) wurde Sitz eines türkischen Paschas. Im Reich konnte er den Religionsfrieden mit den protestantischen Fürsten durchsetzen, doch auf dem Konzil von Trient hatte er mit seinen Reformvorschlägen keinen Erfolg.14 Deutliche Sympathien für die protestantische Religion zeigte der Kaiser Maximilian II. (gest. 1576), der an seinem Hof lutherische Prediger hatte. Er protestierte bei seinem Cousin Philipp II. von Spanien gegen die Verfolgung der Calviner in den Niederlanden. Dem Adel in Österreich und Böhmen gestattete er protestantische Gottesdienste, die Gegenreformation wollte er in seinen Ländern nicht durchsetzen. Mehrere Kriege gegen das Osmanische Reich brachten ihm keine Erfolge. Auch Kaiser Rudolf II. (gest. 1612) war zu den Protestanten tolerant, er sicherte in Ungarn und Böhmen die freie Religionsausübung zu.15 Zu Beginn des 17. Jh. bildeten die protestantischen Fürsten ein politisches Bündnis („Union“), um eine gewaltsame Rekatholisierung zu verhindern. Darauf gründeten die katholischen Fürsten die „Liga“ unter dem Bayerischen Kurfürsten Maximilian I., dem sich die Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier anschlossen. Als beim Prager Fenstersturz drei Beamte des Kaisers aus der Burg gestürzt wurden, begann der Krieg zwischen den katholischen und den protestantischen Fürsten. Die böhmischen Adeligen hatten die Jesuiten und den Erzbischof aus Prag vertrieben. Ein fanatischer Gegner der Protestanten war Kaiser Ferdinand II. (gest. 1637), der bei den Jesuiten in Ingolstadt erzogen wurde. Bei einer Wallfahrt nach Rom versprach er dem Papst die gewaltsame Durchsetzung des katholischen Glaubens in seinen Erbländern Österreich, Steiermark, Kärnten und Krain. Die protestantischen Fürsten wählten den Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zum Gegenkönig, dieser konnte Prag und Böhmen erobern. In der Folge kämpfte die katholische Liga mit dem Papst und Spanien gegen die protestantischen Fürsten, die von den Königen von Dänemark

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und Schweden unterstützt wurden. Rudolf II. konnte Böhmen zurückerobern, er ließ den protestantischen Adel von dort vertreiben.16 Im Jahr 1629 erließ der Kaiser ohne Rücksprache mit den Kurfürsten ein „Restitutionsedikt“, nach dem alle nach 1552 protestantisch gewordenen Kirchengüter, Klöster und Bischofssitze wieder den Katholiken zurück gegeben werden sollten. Es ging um 2 Erzbistümer, 11 Bischofsitze und 500 Klöster. Nun traten die protestantischen Fürsten zusammen mit den Königen von Schweden und von Frankreich in den Krieg gegen die katholischen Fürsten, sie eroberten wieder kurzzeitig Prag. In der Schlacht bei Lützen kam jedoch der Schwedenkönig Gustav Adolf II. ums Leben.17 So wurde 1635 in Prag ein Friede geschlossen, der Kaiser verzichtete auf die Restitution der Kirchengüter im Reich, in seinen Erblanden aber führte er die Gegenreformation durch. Inzwischen hatte Frankreich an Spanien den Krieg erklärt. Auch in den deutschen Ländern ging der Krieg weiter und verwüstete große Landstriche. Kaiser Ferdinand III. (gest. 1657) führte den Krieg fort, erst spät begannen die Friedensverhandlungen in Osnabrück mit den Schweden und in Münster mit den Franzosen. Im Westfälischen Frieden (1648) traten die Niederlande und die Schweiz aus dem Heiligen Römischen Reich aus. Frankreich bekam das Elsass, den Sundgau, die Bistümer Metz, Toul und Verdun. Brandenburg erhielt Hinterpommern und Cammin sowie die Bistümer Halberstadt und Minden. An Schweden fielen Vorpommern, Wismar, Bremen und Verden. An Mecklenburg kamen die Bistümer Schwerin und Ratzeburg. An Kursachsen fielen die obere und die niedere Lausitz. Hessen-Kassel bekam die Abtei Hersfeld und Schaumburg.18 Damit waren in den deutschen Ländern größere Herrschaftsgebiete entstanden, Frankreich hatte seine Besitzungen weit nach Westen vorgeschoben. Danach wurde das Heilige Römische Reich deutscher Nation neu organisiert: Die acht Kürfürsten waren mit dem Kaiser gleichberechtigt, ein immerwährender „Reichstag“ wurde in Regensburg eingerichtet. Die erste Kurie bestand aus den nunmehr acht Kurfürsten. Die zweite Kurie wurde von 169 Fürsten beschickt, darunter 69 geistliche Fürsten (Bischöfe und Äbte). In der dritten Kurie waren 61 Reichsstädte vertreten. Damit hatte das Reich eine neue Verfassung, die zentrale Herrschaft des Kaisers war de facto erloschen und aufgelöst.19 Nach dem Tod von Kaiser Ferdinand III. versuchte König Ludwig XIV. deutscher König zu werden. Doch die Kurfürsten wählten den Habsburger Leopold I. (gest. 1705), der 48 Jahre regierte. Er musste in seiner „Wahlkapitulation“ auf die Unterstützung der spanischen Habsburger im Krieg gegen Frankreich verzichten. Zur Absicherung dieses Versprechens schlossen sich die Kurfürsten von Köln, Mainz und Trier und die Fürsten von Bayern, Braunschweig-Lüneburg, Hessen-Kassel mit dem König von Schweden zum „Rheinbund“ zusammen. Die Jesuiten erreichten den kurzzeitigen Übertritt einiger protestantischer Fürsten (Braunschweig-Lüneburg, Mecklenburg-Schweden, Württemberg, Pfalz-Neuburg) zum katholischen Glauben. Der Kurfürst von Sachsen August der Starke war katholisch geworden, um König von Polen werden zu können. Nach einem Krieg mit Schweden musste

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Polen das Herzogtum Preußen aus seiner Lehenshoheit entlassen. Kurze Zeit später kam es unter die Herrschaft von Brandenburg.20 In der Folgezeit griffen die Türken von Ungarn aus die Länder der Habsburger an, ein Reichsheer konnte sie für längere Zeit aufhalten. Als der französische König Ludwig XIV. die südlichen Niederlande besetzte, musste der Kaiser der Teilung der spanischen Länder zwischen Habsburg und Bourbon zustimmen. Danach eroberte der König von Frankreich das Herzogtum Lothringen, doch wurde er von Reichstruppen von dort wieder vertrieben. Im Jahr 1683 belagerten die Osmanen die Kaiserstadt Wien, sie wurden aber von Reichtruppen und polnischen Truppen unter dem König Jan Sobieski mühsam abgewehrt und besiegt.21 Danach bildete der Kaiser die „Heilige Allianz“ mit Polen und der Stadtrepublik Venedig, um die Türken aus Ungarn zu vertreiben. Gegen Zahlung hoher Geldsummen trat auch Brandenburg diesem Bündnis bei. Die Ungarn wurden durch mehrere Kriegszüge von den Türken befreit, das Land erhielt danach das Recht der freien Religionsausübung. Zu dieser Zeit fiel der französische König Ludwig XIV. in der Rheinpfalz ein und zerstörte die Städte Mannheim, Worms und Heidelberg. Herzog Karl V. von Lothringen führte die kaiserliche Armee gegen die Franzosen im Westen, Markgraf Ludwig von Baden befehligte die Truppen im Osten gegen die Türken. Im Jahr 1692 erhielt das Haus Hannover die neunte Kurwürde, fortan gab es im Heiligen Römischen Reich neun Kurfürsten.22 Als der Kurfürst Friedrich August II. von Sachsen zum König von Polen gewählt wurde, übernahm der Prinz Eugen von Savoyen die Führung des kaiserlichen Heeres gegen die Osmanen. Er besiegte die Türken im Osten. Im Westen mussten die Franzosen alle Gebiete rechts des Rheins räumen, sie behielten aber das Elsass mit Straßburg. Die Türken mussten auf Ungarn und Siebenbürgen verzichten, die Habsburger vergrößerten damit ihr Herrschaftsgebiet um ein Drittel. Als im Jahr 1700 der letzte männliche Habsburger in Spanien starb, begann der Erbfolgekrieg zwischen Frankreich und Österreich um die Erbfolge in Spanien.23 Um die Hilfe Brandenburgs zu bekommen, vergab der Kaiser 1701 an den Kurfürsten Friedrich III. den Titel „König in Preußen“, der sich nun als König Friedrich I. zählte. Die „Große Allianz“ gegen Frankreich bestand aus dem Kaiser, England, Holland, Preußen, Savoyen und Portugal. Auf der Seite der Franzosen kämpften Bayern und Köln. Nun vereinigten sich die englischen und die kaiserlichen Truppen und besiegten die Franzosen bei Höchstädt und Blindheim. Der Kurfürst von Bayern verlor sein Land und musste nach Brüssel ins Exil.24 Auf Kaiser Leopold I. folgte sein Sohn Joseph I. (gest. 1711). Die Franzosen wurden aus Belgien vertrieben, denn der Habsburger Karl III. hatte Madrid erobert. Auf Joseph I. folgte dieser als Kaiser Karl VI. (gest. 1740). Als die Engländer zur Überzeugung kamen, dass die Habsburger in Europa nicht zu mächtig werden sollten, stimmten sie der Herrschaft der Bourbonen in Spanien zu. Im Frieden von Utrecht (1713) wurde Philipp V. von Bourbon als König von Spanien anerkannt. Die Österreicher erhielten als Ersatz für Spanien nun Belgien, die Lombardei und Neapel. Der Herzog von Savoyen wurde König von Sizilien.25

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Karl VI. war von allen neun Kurfürsten zum deutschen König gewählt worden. England erhielt bei diesem Friedensschluss von 1713 Gibraltar und Menorca, Neufundland und Neuengland in Amerika. Damit wurde der Grundstein für Englands Weltmacht gelegt. Die bourbonischen Könige von Frankreich und von Spanien mussten feierlich versprechen, sich nicht politisch zu vereinigen. Da Kaiser Karl VI. keine Söhne hatte, versuchte er in der „Pragmatischen Sanktion“ das Erbe seiner Tochter durchzusetzen Die Anerkennung dieser Erbregelung musste er mit großen Geldsummen erkaufen. Frankreich behielt das Elsass. Die Kurfürsten von Bayern und Köln, die kurzzeitig geächtet waren, wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt. Als die letzte englische Königin starb, wählten die Adeligen und das Parlament von England den Kurfürsten Georg von Hannover zu ihrem neuen König. Er nannte sich George I.26 Im Osten ging der Krieg gegen die Türken weiter, Österreich eroberte Siebenbürgen, den Banat und Teile Serbiens; zu dieser Zeit wurden deutsche Siedler in diese Regionen geholt. Im Jahr 1727 veränderten sich nach langen Verhandlungen die Bündnissysteme in Europa: auf der Seite Frankreichs standen England, Holland, Schweden, Dänemark und Norwegen; auf der Seite des Kaisers waren Russland, Spanien, Preußen, Sachsen und Bayern. Die Engländer stimmten der „Pragmatischen Sanktion“ des Kaisers unter der Bedingung zu, dass seine Tochter Maria Theresia keinen Prinzen aus einem der großen Herrscherhäuser heiratete und dass Österreich seine Ostindische Handelskompanie auflöste.27 Als der polnische König August II. starb, begann der polnische Erbfolgekrieg. Doch als Maria Theresia den Herzog Franz III. Stephan von Lothringen heiratete, griff der König von Frankreich die Truppen des Kaisers an. Der Herzog musste auf Lothringen verzichten und bekam dafür das Großherzogtum Toscana. Als 1740 Kaiser Karl VI. starb, begann der österreichische Erbfolgekrieg, denn Bayern und Sachsen erkannten die Kaisertochter Maria Theresia (gest. 1780) nicht als Erbin von Österreich, Ungarn und Böhmen an. Mit dem Tod dieses Kaisers war die männliche Linie der Habsburger ausgestorben.28 Nun wählten die Kurfürsten Karl VII. Albrecht von Bayern (gest. 1745) zum König, er war mit einer Schwester des letzten Habsburger Kaisers verheiratet. Sein Bruder Kurfürst Klemens August von Köln setzte ihm die Kaiserkrone auf. Er begann den Krieg gegen die Erzherzogin Maria Theresia; und König Friedrich II. von Preußen fiel mit seiner Armee in Böhmen ein. Er verbündete sich mit Frankreich und führte lange Kriege um die reiche Provinz Schlesien.29 Als Kaiser Karl VII. starb, wählten die Kurfürsten Franz I. Stephan von Lothringen, den Gemahl von Maria Theresia zum König und Kaiser. Die Herrschaft Maria Theresias in ihren Ländern wurde von den meisten Fürsten und Ländern anerkannt, nur Friedrich II. von Preußen kämpfte noch lange Zeit um Schlesien.30 Nach Franz I. Stephan folgte sein Sohn Joseph II. (gest. 1790) auf den Kaiserthron, der gegen Bayern Kriege führte und das Innviertel eroberte. Habsburg verbündete sich aber durch einen Bündniswechsel mit Frankreich, eine Schwester des Kaisers Marie Antoinette heiratete den französischen König Ludwig XVI. Kaiser Joseph II. erließ für seine Länder ein „Toleranzpatent“ für alle religiösen Bekenntnisse und hob

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an die 750 Klöster auf, die er in Schulen und Armenhäuser umwandelte. Er vollzog nun dies, was protestantische Fürsten schon Jahrhunderte vorher getan hatten. Als er mit der russischen Zarin Katharina II. einen Krieg gegen die Osmanen plante, verbanden sich England-Hannover, Preußen und Sachsen zu einem neuen Bündnis.31 Auf Joseph II. folgte sein Bruder Leopold II. (gest. 1792), er hatte als Großherzog der Toscana viel politische Erfahrung gesammelt. Denn dort hatte er viele Forderungen der Aufklärung in seine Politik umgesetzt. Er schloss Frieden mit Preußen und mit dem Osmanischen Reich. In der Folgezeit kämpften England, Österreich und Preußen nun gemeinsam gegen die französischen Revolutionsarmeen. Der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation war Franz II. (gest. 1835), der im Jahr 1806 die Kaiserkrone endgültig niederlegte, weil dieses Reich durch die Kriege Napoleons zerfallen war. Er führte viele Kriege gegen den Kaiser der Franzosen und musste viele Niederlagen hinnehmen.32 Lange Zeit waren die Fürsten Europas bestrebt, ein politisches Gleichgewicht zwischen den Großmächten zu bewahren. Doch diese Politik wurde durch General Napoleon Bonaparte zerstört, dieser hatte mit seinen erfolgreichen Kriegszügen das Heilige Römische Reich beendet.33

Frankreich und Holland In Frankreich gelang es in der frühen Neuzeit, eine zentrale Herrschaft aufzubauen und dauerhaft zu festigen. Dabei war das Land von zwei Herrschaftsgebieten der Habsburger eingekreist, im Süden von Spanien, im Osten vom Deutschen Reich. Deswegen versuchten die französischen Könige, Teile von Norditalien, von Burgund und Lothringen zu erobern. Sie verbündeten sich sogar mit dem Osmanischen Reich oder im Dreißigjährigen Krieg mit den protestantischen Fürsten, um diese Ziele zu erreichen. Durch die Ausbreitung der Hugenotten kam es zu längeren Bürgerkriegen im Land, der König wollte ein katholisches Land und ließ viele Calviner ermorden. Doch im Edikt von Nantes (1598) wurden den Hugenotten Gewissensfreiheit, beschränkte Gottesdienste, politische Gleichberechtigung und Schutz des Lebensraumes gewährt. Dem König Heinrich IV. gelang die Durchsetzung der zentralen Königsmacht über die Herrschaftsgebiete des Adels, nun erhielt das Land einheitliche Gesetze für die Landwirtschaft, den Handel, das Gewerbe und die Finanzen.34 Unter den Königen Ludwig XIII. und Ludwig XIV. wurde die Zentralmacht deutlich verstärkt, die Herrschaftsrechte des Adels wurden stark reduziert, auch die Rechte der Hugenotten wurden eingeschränkt. Die Gouverneure des Adels wurden jetzt durch königliche Beamte (Intendanten) ersetzt, zur Förderung der Wissenschaften und Künste wurde die „Academie Francaise“ gegründet (1635). Durch den Westfälischen Frieden hatte Frankreich große Gebiete im Osten dazu gewonnen. Durch weitere Kriege gegen den Kaiser konnten Lothringen, Burgund, das Elsass und Savoyen der französischen Herrschaft eingegliedert werden. Ludwig XIV. setzte im Land eine zentrale Verwaltung durch. Im Jahr 1685 hob er das Toleranzedikt für die Hugenotten auf, nun mussten ung. 500.000 Calviner das Land verlassen. Sie wurden in Holland, Brandenburg und Hessen aufgenommen und stärkten dort die Kraft der Wirtschaft.

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Der König regierte wohl mit einem Staatsrat (Conseil d´en haut), doch der Adel, der höhere Klerus und die Bürger der Städte forderten mehr politische Rechte.35 Die Könige Ludwig XV. und Ludwig XVI. führten die zentralistische Herrschaft weiter, durch aufwendige Hofhaltung und durch große Prestigebauten wuchs die Schuldenlast des Staates ständig an. Der Ausbau der Kolonialherrschaft vor allem in Afrika wurde zu dieser Zeit systematisch vorangetrieben, viele Wirtschaftsgüter und Sklaven wurden aus den Kolonien ins Land importiert. Im Jahr 1715 wurden in Paris die erste staatliche Notenbank und mehrere Aktiengesellschaften gegründet, um die Wirtschaft zu optimieren. Der Adel und der höhere Klerus verhinderten viele Ansätze zu Finanzreformen, so musste Ludwig XVI. die Generalstände einberufen, um den Staatshaushalt zu sanieren. Damit begann eine politische Revolution, denn Abbe E. de Sieyes verlangte fortan die Beteiligung des Dritten Standes an der Regierung des Landes. Der König wurde abgesetzt, Frankreich wurde eine revolutionäre Republik und bekam mehrere Verfassungen. Nach der Herrschaft des Konvents und der Jakobiner übernahm ein Direktorium die zentrale Macht. Ab 1799 regierte der General Napoleon als Erster Konsul.36 Die Niederlande waren lange Zeit unter spanischer Herrschaft, dort wurden die Calviner verfolgt. Nach einem langen Freiheitskampf wurde Holland ein selbstständiger Staat unter der Herrschaft der Oranier. Die Ostindische und die Westindische Handelkompanie trugen wesentlich zum Ausbau der Kolonialherrschaft und zum wirtschaftlichen Wohlstand bei. Im Innern gab es religiöse Toleranz für alle christlichen Konfessionen, das Land nahm viele Glaubensflüchtlinge aus Frankreich auf. Die Herrschaft teilte sich der König mit dem Adel und den Vertretern der Städte, wir erkennen vor allem in Holland frühe Ansätze einer demokratischen Verwaltung. Für die Gründungsväter der Vereinigten Staaten von Amerika war Holland sogar ein Vorbild der politischen und religiösen Toleranz. Unter Napoleon Bonaparte wurde Holland allerdings in die „Batavische Republik“ umgewandelt.37

England und Skandinavien In England hatte König Heinrich VIII. die Reformation der Kirche durchgesetzt und gleichzeitig die Zentralmacht des Staates gestärkt. Nach seinem Tod kam es zu einem langen Ringen zwischen der protestantischen und der katholischen Herrschaft. Als die katholische Königin von Schottland Maria Stuart 1587 hingerichtet wurde, löste dies einen Krieg mit Spanien aus. Dabei gelang es den Engländern, die spanische Flotte zu besiegen und die Dominanz über die wichtigsten Seehäfen in Westeuropa zu gewinnen. Mit der Gründung der Ostindien-Handelskompanie (1600) begann die Zeit der kolonialen Herrschaft in Nordamerika und in Teilen Afrikas und etwas später in Indien. Mit der „Petition of Rights“ (1628) gewann das Parlament vom König mehr Rechte im Bereich der Steuergesetze und der bürgerlichen Sicherheit. Die Schotten widersetzten sich dem Versuch, in ihrem calvinischen Land die anglikanische Reformation einzuführen. Mit der Einsetzung des „Kurzen“ und des „Langen Parlaments“ bekam dieses mehr Kontrolle über die Regierung des Königs.38

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Ab 1642 kam es zu einem ersten Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des Königs und den Anhängern des Parlaments. Das Heer des Parlaments unter der Führung von Oliver Cromwell siegte über die Truppen des Königs. Dieser wurde des Verrats angeklagt und zum Tod verurteilt und 1649 hingerichtet. Danach wurde England 11 Jahre lang als Republik regiert, ein Rumpfparlament ohne Oberhaus und Staatsrat übte die Herrschaft aus. Die Puritaner säuberten Schottland und Irland von ihren politischen Gegnern. Das Rumpfparlament wurde aufgelöst, nun regierte ein Lordprotektor mit Hilfe des Militärs. Zwei Jahre nach dem Tod Cromwells (1660) wurde in England wieder die Königsherrschaft durchgesetzt, König Karl II. regierte zentralistisch und organisierte die Staatskirche neu (Act of Uniformity). Er verfolgte fortan die Puritaner, viele von ihnen wanderten nach Nordamerika aus. Im Parlament bildeten sich zwei Gruppen, die Whigs und die Tories. Als der König eine stille Rekatholisierung des Landes versuchte, kam es zur „Glorreichen Revolution“ (1688). Zu dieser Zeit riefen die Whigs und die Tories den König Wilhelm III. von Oranien in das Land, König Karl II. floh nach Frankreich. Der neue König gewährte dem Adel und den Städten mehr Rechte der politischen Mitsprache und in der Verwaltung.39 Ein Jahr später erreichte das Parlament die „Declaration of Rights“, darin wurden die Legislative und die Exekutive streng getrennt. Das Parlament musste die Steuern bewilligen, allen Bürgern wurde Redefreiheit gewährt, das stehende Heer des Königs wurde aufgelöst. Damit war in England eine konstitutionelle Monarchie mit starken Rechten des Parlaments entstanden. In der Außenpolitik engagierte sich England für das Gleichgewicht der Mächte in Europa. Im Jahr 1707 wurde England mit Schottland vereinigt, das Land nannte sich fort „Great Britain“. Als ab 1714 der Kurfürst von Hannover Georg I. in England König wurde, bildeten sich im Parlament mehrere Parteien. Diese stellten sich hinter den ersten Minister (Prime Minister), der die Regierung ausübte. Unter der Regierung der Whigs wurde eine weltumspannende Merkantilisierung mit einer zentral gelenkten Kolonialpolitik verbunden. Im spanischen Erbfolgekrieg erlange England die Herrschaft über Gibraltar, Menorca Neufundland, Neuschottland, die Länder der Hudson Bay und das Monopol des Sklavenhandels mit Spanisch-Amerika. Seither verstand sich England als Schiedsrichter der Politik in ganz Europa. 1776 haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika vom englischen Mutterland getrennt.40 Damit wurde England bzw. Großbritannien für ganz Europa zur „Wiege der Demokratie“, aber auch der rationalen Aufklärung, des Rechtsstaates und der allgemeinen Menschenrechte. Diese Zielwerte wurden in England und Schottland entwickelt und kamen von dort nach Holland, nach Nordamerika und nach Frankreich. In Skandinavien stieg im 16. Jh. Schweden zu einer starken politischen Macht auf, König Gustav I. Wasa schuf ein einheitliches Finanzrecht. Im „Reichstag“ waren vier Stände vertreten, nämlich der Adel, der Klerus, die Stadtbürger und die Bauern. In der Außenpolitik gelang es, im Ostseeraum große Gebiete zu erobern. Im Dreißigjährigen Krieg drangen die Heere der Schweden weit nach Mitteleuropa vor. Im Westfälischen Frieden erhielt Schweden Vorpommern mit Stettin, Wismar, Bremen und Verden und einen Sitz im Reichstag des Heiligen Römischen Reiches.

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Im Nordischen Krieg kämpfte Schweden gegen Russland und wurde bei Poltawa 1709 von den Russen besiegt. Durch die russische Expansion im Ostseeraum wurde der Einfluss Schwedens begrenzt.41

Länder Südeuropas Die Länder Italiens waren in der frühen Neuzeit auf mehrere Herrschaftsgebiete aufgeteilt. In der Mitte regierte der Papst den Kirchenstaat, es war eine Herrschaft der Kleriker (Kurie) und des Adels. Die Päpste verstanden sich als weltliche Fürsten und schlossen wechselhafte Bündnisse mit Königen und Kaisern. In Norden bildeten sich stabile Herrschaftsgebiete in Piemont, Sardinien, Lombardei, der Republik Venedig und Toscana. Im Süden waren die Fürstentümer bzw. Königreiche von Neapel und Sizilien. Nach dem spanischen Erbfolgekrieg wurden viele Herrschaftsgebiete zwischen den Habsburgern und den Bourbonen neu verteilt. Erst Napoleon Bonaparte gab mit seinen Eroberungen in Italien den Anstoß zur Gründung einer „Römischen Republik“ und später eines Königsreichs Italien. Trotz unterschiedlicher Herrschaft blieb Italien ein Zentrum der Wissenschaft, der Wirtschaft, der Kunst und der Kultur für ganz Europa.42 Spanien war ab dem 16. Jh. zu einer Großmacht aufgestiegen. Das Land war geeinigt, die Moslems und die Juden wurden vertrieben. Durch die neuen Entdeckungen der Seefahrer gelang es, ein großes Kolonialreich in Südamerika zu schaffen. Das katholische Land wurde stark von den Jesuiten, der Inquisition und der mystischen Frömmigkeit geprägt. Im spanischen Erbfolgekrieg hatten die Bourbonen die Herrschaft im Land übernommen, England hatte dort die österreichischen Habsburger verhindert. Die Ideen der Aufklärung konnten sich wegen der Zensur und der Inquisition in Spanien und in Spanisch-Amerika erst verspätet verbreiten. Aus den Kriegen gegen Napoleon ging Spanien gestärkt hervor, der Schwerpunkt seiner Politik lag fortan in den Ländern der Kolonialherrschaft.43 Auch Portugal schuf im 16. Jh. ein großes Weltreich, König Emanuel I. begründete die portugiesische Handelsmacht. Fortan wurden Handelsniederlassungen und Kolonien in Ostindien, in Teilen Ostafrikas und in Brasilien errichtet. Dieses große Land Lateinamerikas wurde durch die portugiesische Sprache, Kultur, Verwaltung und Politik geprägt. Kurzzeitig wurde Portugal in Personalunion vom König von Spanien regiert, bis es wieder sein eigenes Königreich schuf. Die Dynastie der Braganza herrschte in Konkurrenz zu den spanischen Königen, Lissabon war in dieser Zeit der größte Hafen für den Sklavenhandel in Europa. Die Ideen der Aufklärung führten aber zu Bestrebungen der Unabhängigkeit Brasiliens von Portugal.44

Osteuropa und Russland Die lutherische und calvinische Reformation verbreitete sich auch in Teilen Osteuropas, in den baltischen Ländern, in Polen, in Litauen, in Siebenbürgen und in Ungarn. Im Jahr 1569 hatte sich Litauen und Polen zu einem Staat verbunden, um vor den

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expandierenden Russen gesichert zu sein. Im Reichstag (Sejm) waren die Adeligen, der höhere Klerus und die Städte vertreten, die Könige der Jagiellonen hatten die religiöse Toleranz weithin akzeptiert. Um den Wirtschaftsraum rund um die Ostsee kämpften im 16. Jh. die Russen, die Schweden und die Dänen. Im nordischen Krieg setzte sich Zar Peter I. (gest. 1725) von Russland durch, er gründete St. Petersburg an der Newa als neue Regierungsstadt. In der Folgezeit besetzten die Russen Finnland und drangen weit nach Schweden vor. Mit der Eroberung von Sibirien hatte im 16. Jh. bereits der Zar Iwan IV. begonnen, Zar Peter I. setzte die Kolonisation im Osten fort. Im Süden musste er sich lange Zeit gegen das Osmanische Reich verteidigen.45 Unter Zar Peter I. öffnete sich Russland für die westliche Kultur, Technik und Wissenschaft, es wurden aus Westeuropa Handwerker, Händler und Schiffsbaumeister geholt. Das Heer, die Flotte und die Finanzen wurden neu geordnet, die Verwaltung wurde durch elf Fachministerien ausgeführt. Das Land wurde in 11 Gouvernemente und in 50 Provinzen eingeteilt, die Zusammenarbeit mit der Orthodoxen Kirche und dem „Heiligen Synod“ wurde verstärkt. In St. Petersburg wurde 1725 eine Akademie der Wissenschaften gegründet. Die Zarin Katharina II. (gest. 1796) führte die politischen Reformen weiter, doch die Adeligen leisteten starken Widerstand. Das Zarenreich führte Kriege gegen das Osmanische Reich und dehnte seine Herrschaft bis zum Schwarzen Meer aus. Durch die Teilungen Polens konnte Russland sein Herrschaftsgebiet weit in den Westen vorschieben.46 In Polen entstand durch die drei Teilungen des Landes zwischen Russland, Preußen und Österreich ein starkes Nationalgefühl. Polnische Legionen kämpften deswegen auf der Seite Napoleons gegen die Fremdherrschaft im Land. Die Ideen der Aufklärung kamen nur abgeschwächt nach Osteuropa, sie hatten dort kaum politische Wirkung gezeigt.47

Das Osmanische Reich Dieses Imperium war im 16. Jh. in einer Phase der schnellen Expansion, große Teile Osteuropas waren erobert, im Innern konnte die Herrschaft stabilisiert werden. Die Türken führten Kriege gegen die Republik Venedig und eroberten Gebiete an der Adriatischen Küste. Gleichzeitig drangen sie weit nach Aserbeidschan, Mesopotamien, Persien und Afghanistan vor, sie kämpften sogar gegen die Moghulherrscher in Westindien. Aufstände der Schiiten in Anatolien wurden niedergeschlagen, danach wurde Ägypten erobert. Die Expansion in Osteuropa ging weiter, ein Großteil Ungarns kam nach 1526 unter türkische Herrschaft, drei Jahre später wurde die Kaiserstadt Wien bedroht. Im Jahr 1536 schloss das Osmanische Reich ein Bündnis mit dem König von Frankreich, um gemeinsam gegen die Herrschaft der Habsburger kämpfen zu können. Die türkische Flotte siegte im Mittelmeer über die kaiserliche Flotte, die Türken vertrieben die Spanier und die Portugiesen aus Nordafrika.48 In der Seeschlacht von Lepanto (1571) wurde die türkische Flotte aber von den christlichen Seefahrern besiegt. Die Seeräuber wurden an den Küsten der Adria und in Sizilien angesiedelt. Die Kriege gegen die Habsburger gingen weiter, bis durch die

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„Heilige Allianz“ (Österreich, Russland, Polen, Venedig, Papst) die Türken weit nach Südosten zurück geworfen wurden. Ab 1699 waren Ungarn, Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien von den Türken befreit worden. Doch die Kriege der Osmanen gegen Russland und Österreich gingen weiter. Dem Zaren Peter I. gelang es jedoch, die Türken vom Kaspischen Meer zu vertreiben.49 Nach weiteren Kriegen eroberten die Türken wieder Belgrad und das nördliche Serbien, in Arabien wurde zu dieser Zeit die Reformbewegung der Wahhabiten gegründet. Die russische Zarin Katharina II. eroberte von den Türken die Krim und erklärte sich zur Beschützerin aller orthodoxen Christen unter osmanischer Herrschaft. Ab 1800 gelang es den Serben, den Griechen und den Bulgaren die Herrschaft der Türken abzuschütteln, doch das Osmanische Reich blieb eine starke politische Kraft. Die Juden und die Christen hatten unter der Herrschaft der Türken fast die gleichen Rechte wie die Moslems, sie konnten alle Berufe und politischen Ämter erreichen. Ihre Religion konnten sie frei ausüben, doch sie mussten höhere Steuern zahlen.50

Kolonialismus und Sklavenhandel Die gesamte frühe Neuzeit war durch den Kolonialismus und den Sklavenhandel geprägt. Nach der Wiedereroberung ganz Spaniens und der Entdeckung von Amerika wurden die spanischen Truppen zur Eroberung der entdeckten Länder eingesetzt (conquistadores). Dabei gelang es den Heerführern sehr schnell, die entdeckten Stämme Südamerikas gegen einander auszuspielen und danach zu besiegen. Mit den Kriegern kamen die christlichen Missionare, sie wollten den besiegten Völkern den christlichen Glauben bringen. Nach der Lehre der Eroberer und der Missionare gehörte alles Land auf der Erde den Christen, Gott habe es dem Papst geschenkt und dieser verteile es an die christlichen Völker. Denn die Ungläubigen und Gottlosen hätten kein Recht auf Eigentum und Besitz an Boden. Freilich gab es unter den Theologen und Missionaren der Spanier und Portugiesen zwei verschiedene Einschätzungen der eroberten Völker.51 Die fundamentalistischen Theologen lehrten, die fremden Völker seien gar keine vollwertigen Menschen, sie müssten zum „Heil“ ihrer Seele von den Christen beherrscht und im christlichen Glauben unterwiesen werden. Die humanistischen Theologen sahen jedoch auch in den Ureinwohnern Amerikas und Afrikas vollwertige Menschen, wenn auch einem „Irrglauben“ verbunden. Bereits 1533 hatte Francisco Pizarro das Reich der Inkas unterworfen, die Spanier zerstörten deren Kultstätten und Wohnorte und töteten Tausende Menschen. Doch der Bischof Bartolome de Las Casas protestierte gegen die Massaker und die Zerstörung der alten Kultur. Aber seine Stimme blieb in der Minderheit. Die meisten Theologen zu dieser Zeit lehrten, die besiegten Völker müssten wie die Juden und Moslems in Spanien behandelt werden, denn sie seien „Teufelverehrer“, deswegen müsse ihre ganze Religion ausgelöscht werden. Deswegen wurden in Lateinamerika schon früh die Inquisitionsgerichte eingerichtet, die von den Dominikanern, Franziskanern und Jesuiten getragen wur-

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den; denn jede Form von Unglauben und Häresie sollte vernichtet werden, das sei der göttliche Wille.52 Ähnlich wie die Spanier gingen die Portugiesen vor, sie hatten die Küsten Westafrikas und Ostafrikas entdeckt und dort Handelsniederlassungen eingerichtet. Zuerst suchten sie nach dem Reich des legendären Priesterkönigs Johannes. Sie kamen mit ihren Segelschiffen bis nach Indien, bis Macao in China und bis Nagasaki in Japan (1544). Sie bauten ihre Handelsstützpunkte auf Ceylon und in Goa, auf den Philippinen waren sie die Konkurrenten Spaniens. Die Vereinigte Ostindische Kompanie ermöglichte die wirtschaftliche Expansion der holländischen Seefahrer, ihre Schiffe kamen bereits im 16. Jh. nach Indonesien (Java). Die Engländer hatten 1581 die „Lewant Company“ gegründet, später die „East India Company“; sie errichteten Niederlassungen in Indien, das sie im 18. Jh. zu einer britischen Kolonie machten. Die Franzosen begannen bereits im 17. Jh., ihr Kolonialreich aufzubauen und den Fernhandel zu organisieren.53 Zu dieser Zeit drangen die Russen nach Sibirien vor und machten die dortigen Stämme und Völker zu Untertanen des Zarenreiches. Auch sie folgten der gleichen Ideologie, dass den Christen die ganze Welt gehöre und dass sie den göttlichen Auftrag hätten, fremden Völkern den christlichen Glauben zu bringen. In Nordamerika gründeten die Engländer, die Franzosen und die Holländer Kolonien, in Mittelamerika waren die Spanier dominant. Alle europäischen Seefahrernationen mit Ausnahme der Skandinavier beteiligten sich am Sklavenhandel aus Afrika nach Europa und Amerika. Meist wurden die eroberten Stämme und Völker mehrheitlich zu unfreien Arbeitssklaven degradiert, sie mussten auf den Plantagen und in den Bergwerken harte Arbeit leisten. Zum andern wurden Sklaven in großer Zahl aus Afrika nach Europa sowie nach Nord- und Südamerika gebracht. Die Zahl der Ureinwohner in Lateinamerika wird von Historikern heute auf 30 bis 35 Millionen geschätzt. In Mexiko gab es zu dieser Zeit bereits Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Die Europäer sind also auch auf Hochkulturen gestoßen, die sie aus religiösen Gründen zerstört haben. Der christliche Glaube lieferte dafür die Legitimation.54 In der Folgezeit handelten die Europäer mit allen verfügbaren Rohstoffen, mit Edelmetallen und Hölzern, mit Elfenbein, mit Gold und Silber und vor allem mit Menschen. Die drei größten Häfen für den Sklavenhandel in Europa waren Lissabon, Nantes und Liverpool. Die Zahl der von Afrika in 300 Jahren entführten Sklaven wird von Historikern heute auf 25 bis 30 Millionen geschätzt. Dazu muss noch bedacht werden, dass bei der Überfahrt 30 bis 40% der Sklaven gestorben sind. Die Menschen in Afrika wurden meist von Afrikanern gejagt und verkauft, aber es veranstalteten auch die Europäer große Menschenjagden. Die Sklaven in Europa wurden von Fürsten, Königen, Bischöfen und Päpsten gekauft und gehalten. Zu dieser Zeit betrieben auch die Moslems einen regen Sklavenhandel. Erst den Denkern der Aufklärung ist es auf mühsame Weise gelungen, den Sklavenhandel und die Sklaverei zu Beginn bzw. in der Mitte des 19. Jh. zu beenden.55 Zu bedenken bleibt, dass zu dieser Zeit auch die Moslems und das Osmanische Reich viele Sklaven aus Afrika, aber auch aus Südosteuropa geholt haben. Die Kolo-

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nien wurden von den europäischen Ländern effizient bewirtschaftet. Im Jahr 1537 hatte der Papst Paul III. in der Bulle „Sublimus Dei“ festgestellt, dass auch die Indianer wahre Menschen seien und dass sie daher menschlich behandelt werden müssten. Doch daran hielten sich weder die Eroberer, noch die Missionare, es kam zu Vertreibungen und Massakern an den Ureinwohnern. Die aus Afrika importierten Sklaven duften nur Indianerfrauen heiraten, ihre Kinder hießen „Mischlinge“ (Mestizen). Als später auch die europäischen Männer sich mit Afrikanerinnen und Indianerinnen verbanden, wurden auch deren Kinder Mestizen genannt. Im sozialen Kastensystem waren die in Europa geborenen Europäer ganz oben. Etwas tiefer standen die in den Kolonien geborenen Europäer; noch tiefer seien die Mestizen und Kreolen. Und ganz unten waren die Mischlinge von Afrikanern und Indianern (Mulatten).56 Damit hatten die Europäer in den Kolonien ein neues Sozialsystem aufgebaut, sie richteten getrennte Schulen für Weiße und für Mischlinge ein, die Missionare errichteten Missionsstationen und Bibelschulen. Bald wurden auch einfache Krankenhäuser und Armenhäuser errichtet, für die Weißen gab es auch Gymnasien und Universitäten nach europäischem Muster. Vor allem die Jesuiten waren um die Bildung der Bevölkerung bemüht, sie leiteten viele Schulen. In den Wirtschaftsbetrieben wurden technische Neuerungen eingeführt, es wurden frühe Manufakturen und Handelshäuser errichtet. Die Bischöfe und die Orden ließen große Dome und Kirchen im spanischen und portugiesischen Stil erbauen, es wurden viele Klöster und Ordensschulen eingerichtet. Im Lauf der Zeit richteten die Städte aber eigene Schulen ein, westliche Technologie und Kultur kamen in die Länder Lateinamerikas. Oft gab es schwere soziale Konflikte und Aufstände der unterdrückten Bevölkerung, sie wurden fast immer mit starken Kriegswaffen nieder geschlagen.57 In dieser Zeit wanderten viele Europäer nach Lateinamerika aus, zwischen 1500 und 1800 waren es ung. 600.000 allein aus Spanien und Portugal. Zur gleichen Zeit wanderten ung. 2 Millionen Europäer nach Nordamerika aus, weil sie dort bessere wirtschaftliche Chancen sahen. Als es den Vereinigten Staaten von Amerika gelungen war, von England unabhängig zu werden, entstanden auch in den Ländern Lateinamerikas starke Unabhängigkeitsbewegungen. Die Schulen und Universitäten kamen mit den Lehren der europäischen Aufklärung in Berührung, wichtige Schriften von Philosophen wurden ins Spanische und Portugiesische übersetzt. Bald wurden dort auch die Konzepte der allgemeinen Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates diskutiert, die Situation der Sklaven wurde deutlich verbessert. Doch das Ende des Sklavenhandels und die politische Unabhängigkeit der einzelnen Staaten konnte erst im 19. Jh. erreicht werden. Insgesamt sind der Kolonialismus und der Sklavenhandel wesentliche Teile der europäischen Kultur in der frühen Neuzeit. Sie haben aber neben den vielen negativen Folgen für die Indianer und die Afrikaner die Verbindung mit der europäischen Kultur gebracht.58

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Literatur und Dichtkunst

Die Zeit ab 1500 wird in der europäischen Literatur zuerst stark vom Denken des Humanismus und von den Kirchenreformationen geprägt. Dies ändert sich aber ab dem 17. Jh., denn da treten die Ideen der rationalen „Aufklärung“ (Freidenker) und der Barockkultur in den Vordergrund. Die Entdeckung neuer Länder und Kontinente verbindet sich mit der unbändigen Neugier der Naturwissenschaften und mit der Erinnerung an die antike Kultur. In der Religion wetteifern fortan zwei Konfessionen, Katholiken und Protestanten, um die richtige Form des Glaubens und der Lebensgestaltung. Bereits im humanistischen Denken trat in gebildeten Kreisen, bald auch in den Stadtkulturen, die Entdeckung und Entfaltung der individuellen Person in den Vordergrund des Interesses. Auch in der Frömmigkeit emanzipierten sich die „Laienchristen“ von den Lehren der Kleriker und Theologen (Devotio moderna). Der Philosoph Erasmus von Rotterdam (gest. 1536) pries in seinem „Lob der Torheit“ das einfache Leben gegenüber den leeren Spekulationen der Schulphilosophie und der Schultheologie. Er sah die Säulen einer neuen Kultur zum einen in der Ethik des Neuen Testaments, zum anderen in den Morallehren der antiken Philosophen. Für ihn waren die Frauen die Hüterinnen der Menschlichkeit (humanitas), deswegen sollte sie die gleichen Chancen der Bildung bekommen wie die Männer. Denn jeder Mensch sollte lernen, selbstständig zu denken und für seine Entscheidungen Verantwortung zu übernehmen.1

Literatur im Übergang Erasmus, aber auch Agricola, Melanchthon, Wimpfeling, Budeus, F. Rabelais u.a. forderten neue Zielrichtungen in der Erziehung und in den Wissenschaften. Petrus Ramus und Juan Luis Vives argumentierten für ein erweitertes Studium der neuen Naturwissenschaften. Die Philologie und die Geschichtswissenschaft sollten die Entwicklung der Sprachen und damit der Kulturen erforschen. Durch die Reformation und die Gegenreformation wurden die städtischen Lateinschulen stark aufgewertet. Zu dieser Zeit verfassten mehrere Theologen utopische Entwürfe einer gerechteren Gesellschaft (Thomas Morus, „Utopia“ und Tommaso Campanella „Der Sonnenstaat“). Jan Amos Comenius hatte mit seiner Unterrichtslehre (Didacta magna, 1657)

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Literatur und Dichtkunst

neue Methoden und Ziele der Erziehung angeregt, die später von Gianbattista Vico weitergeführt wurden (De nostri temporis studiorum ratione, 1708). Doch viele Denker verbanden ihr Streben nach neuem Wissen noch lange Zeit mit mythischen Vorstellungen und mit magischen Riten (Alchemie).2 Die Reformation und die Gegenreformation der christlichen Religion sind stark mit dem sozialen Aufstieg und der Literarisierung des Bürgertums in den Städten verbunden. In der Verwaltung der Fürsten schritten zum einen die Zentralisierung, zum anderen die Rationalisierung deutlich fort. Der Florentiner Niccolo Machiavelli (Il principe) hatte dafür wichtige Impulse gegeben. Ganz ohne Zweifel hat die Reformation die Modernisierung der Verwaltung, aber auch die Bildung und die Autonomie der Laienchristen stark vermehrt. Die katholische Kirche hingegen ging mit ihrem Eliteorden der Jesuiten den zentralistischen Weg, die Macht des Papsttums sollte nun erst recht entfaltet werden. Aber erst mit der verstärkten Rückbesinnung auf die antike Philosophie der Stoiker und Epikureer kam unter den Gebildeten freies und kritisches Denken langsam zur Entfaltung (freethinkers in England und Schottland). Damit konnten die konfessionellen Spannungen in Europa etwas vermindert werden.3 Ein wichtiges Werk über die Rhetorik verfasste Julius Caesar Scaliger (Poetices libri septem, 1561), darin sollten die Beziehungen zwischen der Natur und der Kunst vertieft werden. Der Intellekt, die Einbildungskraft und der Wille sollten deutlich gestärkt werden. Die fortschreitende Erkenntnis und das Leben in der Gemeinschaft seien die Wege zum Glück. Zu dieser Zeit verfasste der Italiener Baldassare Castiglione sein „Buch vom Hofmann“ (Il Cortegiano, 1528), das fortan die Lebensform und die Literatur an den Fürstenhöfen in ganz Europa stark prägen sollte. Und Torquato Tasso beschrieb in seinem Epos „La Gerusalemme liberata“ (1580) die tragische Bewegung der Seele eines Helden, der seine innere Läuterung (katharsis) erfährt. In dieser Zeit bekam Cicero (De oratore) ganz neues Gewicht, auch die „Metamorphosen“ des Ovidius Naso wurden verstärkt gelesen. Die Rhetorik wurde wichtig für die protestantische Bibelpredigt, aber auch für die katholische Glaubensunterweisung. Die moralischen Aspekte der Rhetorik betonte der Franzose Michel de Montaigne (Essais, 1580), denn die Weltweisheit der Dichtkunst sollte dem Leben möglichst vieler Menschen dienlich sein. Auch wenn das Unverfügbare in das menschliche Dasein hereinspielt, solle jeder Mensch aktiv an seinem Glück arbeiten.4 Auch der spanische Jesuit Balthasar Gracian betonte in seinem Werk „Oraculo manual“ (1647) die Nützlichkeit der Dichtung für das praktische Leben. Im RenaissanceTheater in Italien ging es zu dieser Zeit vor allem darum, das antike Theater auf neue Weise zu beleben. In Venedig, Padua und Ferarra wurden regelmäßig die Dramen von Terentius, Plautus und Seneca aufgeführt. Das „Teatro Olimpico“ in Vicenza war hier richtungsweisend, der Architekt Andrea Palladio schuf dafür die baulichen Voraussetzungen. Aber auch in den größeren Städten in England, Holland und Deutschland wurden in Verbindung mit den städtischen Lateinschulen die römischen Komödien und Tragödien gespielt. In den deutschen Ländern entfalteten sich ab dem 16. Jh. die Fastnachtspiele, die „Bürgerspiele“ und die Dramen der Meistersinger, und zwar

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in der regionalen Landessprache. Auch die holländischen Schauspielgruppen (Rederijker) entfalteten in den Städten eine Vielfalt von Bühnenspielen.5 Unter der letzten Tudor-Königin Elisabeth I. entwickelte sich das städtische Theater in England in besonderer Weise. Berufsschauspieler bildeten fortan Theatergruppen in den größeren Städten. Sie spielten zuerst historische und moralische Spiele (Histories). Häufig gespielt wurden Theaterstücke von Thomas Treston, Christopher Marlowe, Thomas Norton, Thomas Kyd, vor allem von William Shakespeare. Zu den historischen Spielen kamen nun Tragödien und Komödien, darin wurden die Helden als leidenschaftliche „Übermenschen“ dargestellt. Die Komödien verbanden sich meist mit realen Liebesgeschichten, darin spielte die Satire eine gewichtige Rolle. W. Shakespeare hatte für seine Schauspieltruppe an die 36 Dramen verfasst. Er begann mit dem „historical play“ (Richrad II.; Heinrich IV.), kam dann zu den großen Komödien (Sommernachtstraum; Wie es euch gefällt; Was ihr wollt) und fand seinen Höhepunkt in den großen Tragödien (Hamlet; Romeo und Julia; Julius Caesar). Darin kommen die Machtbesessenheit einiger Herrscher, aber auch ihre Verblendung und Verzweiflung ans Licht der Öffentlichkeit. Zu dieser Zeit hatten die großen Theatergruppen ihre eigene Bühne. Das Fortune-Theater in London fasste bereits an die 2.000 Zuseher. Es gab private (Private theater) und öffentliche Bühnen (Public theater).6 Die strengen Puritaner aber bekämpften das Theater in den Städten, sie hatten ihren Mitgliedern ab 1642 den Theaterbesuch verboten. Auch in der Zeit der katholischen Stuart-Könige wurden die Theater stark reglementiert und den politischen Zielen der Herrschaft unterstellt. Das höfische Theater sollte vor allem der Unterhaltung der Adeligen dienen. Nach der Herrschaft des Puritaners Oliver Cromwells konnte sich ab 1660 in England wieder ein freies Theater entfalten (John Dryden; Roger Boyle; Thomas Otway). Auch die Französische Komödie (Francois Moliere) wurde in England bekannt und gespielt. In den deutschen Ländern konnte sich an einigen Fürstenhöfen eine eigenständige Theaterkultur entwickeln, die schrittweise in das höfische Barocktheater überging. In den protestantischen Städten wurde das „Schultheater“ mit stark moralischen Zielsetzungen eingerichtet. Zur gleichen Zeit entfaltete sich in vielen katholischen Städten das Jesuitentheater, das unter den Gebildeten in lateinischer Sprache vor allem religiöse und moralische Themen verbreitete. Doch an einigen Fürstenhöfen in Norditalien (Venedig, Mailand) und in Süddeutschland (Salzburg, München, Wien) wurden bereits musikalische Theater und frühe „Opern“ (opera) gespielt. Die venezianische Oper bezog sich vor allem auf Themen der antiken Kultur (z.B. Dafne). Bald wurden große Opern auch an protestantischen Höfen gespielt, etwa in Torgau oder in Wolfenbüttel. Martin Opitz prägte mit seinem Werk „Buch von der deutschen Poetrey“ (1624) fortan das barocke Drama. Zu dieser Zeit wurden auch Übersetzungen von Seneca (Die Troerinnen) und von Sophokles (Antigone) erstellt und gespielt.7 Im schlesischen Raum, der damals noch zur Herrschaft der Habsburger gehörte, verfasste Andreas Gryphius mehrere Werke für das Theater (Armenius, 1650; Papinianus, 1659). Auch Johann Christian Hallmann und Daniel Caspar von Lohenstein

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schrieben Dramen nach dem 30jährigen Krieg, welche die Vergänglichkeit des Glücks und des Lebens zum Inhalt hatten. Deswegen solle sich das Leben der Menschen nach den ewigen Werten richten, denn jedes irdische Glück (Fortune) sei kurzlebig. Zu dieser Zeit der langen Religionskriege war die Grundstimmung vieler Menschen pessimistisch, daher wurden viele Trauerspiele gespielt. Im protestantischen Schultheater ging es weiterhin vor allem um die Vermittlung von pädagogischen und moralischen Werten. Hingegen stellte das Jesuitentheater das Lob des göttlichen Schöpfers, des Kaisers und der Fürsten dar. In der Wiener Jesuitenakademie wurden die „Spiele des Kaisers“ (ludi Caesaris) entwickelt; in Salzburg und in Kremsmünster hatten die Benediktiner eigene Theater eingerichtet.8 Die professionellen Wanderbühnen spielten mit Berufsschauspielern, sie wurden vom „Prinzipal“ geleitet, der die Themen auswählte und selbst Spiele verfasste. Beliebt waren die Komödien, bei denen die Zuseher über ihre eigenen Missgeschicke lachen konnten. Der Literat Johannes Christian Gottsched übernahm in seinen Schriften bereits Ideen der rationalen Aufklärung, doch er bemühte sich um feste Regeln für das Theater. In Holland bestimmten die Autoren Pieter Corneliusz von Hooft und Joost van der Vondel das Theaterschaffen dieser Zeit. Sie wollten mit ihren Darstellungen von Liebe und Schrecken starke Gefühle bei den Zusehern wecken. In Frankreich wurden im 17. Jh. die Schauspieler und die Theater stark vom Prinzipal Jaen Baptiste Poquelin geprägt, der sich aber „Moliere“ nannte. Er war bei den Jesuiten in Clermont ausgebildet worden. Später spielte er mit seiner Schauspielertruppe auch am königlichen Hof in Paris, dort erhielt er mehrere Ehrentitel. Er verfasste an die 30 Komödien, in denen er meist selbst die Hauptrollen spielte. In der Rolle des „Eingebildeten Kranken“ (Malade imaginaire) starb er auf der Bühne. Seine Komödien kreisen um die Standeskonflikte der Gesellschaft und um die persönlichen Missgeschicke des Lebens. Seine Gesellschaftsmoral ist sehr nüchtern und realistisch, auf Überforderungen und Idealisierungen wird verzichtet. Es gelang ihm aber, mit den Mitteln der Belustigung liberale Ideen und rationale Weltdeutungen zu verbreiten.9

Konfessionen und soziale Schichten Vor allem die wirtschaftlich aufstrebenden Städte waren zu dieser Zeit wichtige Orte des literarischen Schaffens in vielfältiger Form. Die Stadtschreiber verfassten das „Stadtbuch“ und später die Stadtchroniken, und sie führten den Schriftverkehr der Verwaltung. In vielen Städten wurden auch politische Volkslieder verfasst, welche die starre Ordnung der Gesellschaft starker Kritik unterzogen. Einige Städte hatten Schulen der „Meistersinger“ eingerichtet, diese besangen und kommentierten die politischen Ereignisse der Zeit. Bei den Fastnachtsspielen ging es jedes Jahr darum, die strengen Regeln des alltäglichen Lebens für kurze Zeit zu unterbrechen und wilde Lebensfreude zum Ausdruck zu bringen. Von den Stadtschreibern wurden Sprichwörter und Weisheiten des Volkes aufgeschrieben. In manchen Städten bildeten sich gelehrte Vereine, welche bereits die wissenschaftliche Literatur pflegten.

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Andere Schreiber verfassten sog. „Volksbücher“ für ein breites Lesepublikum; darin wurden Geschichten erzählt, Arzneimittel gegen Krankheiten empfohlen und die Wetterregeln dargestellt.10 Auch die italienische Literatur entwickelte sich in den größeren Städten und an den Fürstenhöfen. Dabei wurden viele Ideen der humanistischen Philosophen weitergegeben. So verfasste Pietro Bembo ein Werk über die italienische Prosa (Prose della volgar lingua, 1525). Und Ludovico Ariosto prägte mit seinem Rittergedicht „Orlando furioso“ (1516) die Dichtkunst an den Höfen der Fürsten. In vielen Satiren hat er das aristokratische Leben in humorvoller Weise dargestellt. Niccolo Machiavelli hatte mit seinem Buch über den Fürsten (Il principe, 1532) die politischen Ziele der autoritären Herrschaft umfassend dargelegt. Auch Baldassare Castiglione beschrieb das Leben an den Fürstenhöfen (Il Cortegiano, 1528) in vorbildlicher Weise. Eine frühe Geschichte des Landes Italien verfasste Francesco Guicciardini (Storia d´ Italia, 1561), der bereits auf die altrömische Kultur Bezug nahm. Auch bildende Künstler wie Michelangelo Buonarotti oder Benvenuto Cellini prägten mit ihren Schriften die italienische Literatur mit.11 Großen Einfluss auf die Entwicklung der italienischen Literatur hatte Torquatto Tasso mit seiner Erörterung über die Dichtkunst (Discorsi dell´arte poetica, 1587), mit seinem Werk „La Gerusalemme liberata“ (1580), mit seiner Dichtung über die Erschaffung der Welt und seinen Dialogen über die Schönheit. Etwas früher hatte der jüdische Autor Leone Ebreo seine „Dialoge über die Liebe“ (Dialoghi dell´amore) verfasst. So schrieb etwas später auch Gianbattista Marino ein Werk über die Liebe der Göttin Venus zum Jüngling Adonis (L´Adone, 1623). Zu dieser Zeit hatten auch Philosophen (Giordano Bruno) und Naturforscher (Galileo Galilei) die italienische Literatur stark mitgeprägt. Der Dominikanermönch Tommaso Campanella verfasste sein großes utopisches Werk „Der Sonnenstaat“ (La Citta del sole, 1623), in dem er das Modell einer neuen Gesellschaft entwarf.12 Auch in England hatte Thomas Morus (More) eine große gesellschaftliche Utopie vorgelegt (Utopia, 1516), die sich stark am Leben in den Klöstern orientierte. Thomas Elyot verfasste ein Werk über den gerechten Herrscher (The book named the governour, 1531) sowie ein Buch über das gute Leben der Adeligen (Gentlemen). Nicht wenige Autoren befassten sich mit den Regeln der Dichtkunst (John Dryden, George Puttenham, Philipp Sidney). In der Zeit der puritanischen Herrschaft Cromwells schrieben mehrere Dichter über Fragen der Gesinnungsmoral. Die beiden Autoren Edmund Spencer und John Milton beschrieben in ihren Werken vor allem das Zusammenwirken von empirischer Welt und von metaphysischen Kräften.13 In Frankreich hinterließen die Lehren der Jansenisten ihre Spuren auch in der Literatur. Denn diese Theologen hatten die Erbsündenlehre des Aurelius Augustinus verschärft, sie lehrten eine starke Einschränkung der menschlichen Willensfreiheit. Der Philosoph Blaise Pascal folgte diesen Lehren, aber auch der Dichter Jean Racine war von ihnen beeinflusst. Dies wird in seinem Dramen (Phedre, 1677; Andromache; Britannicus; Berenize; Esther et Athalie, 1691) deutlich erkennbar. Denn in allen seinen Dramen stellte er das menschliche Leben in das Blickfeld eines strengen

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Richtergottes. Die Menschenwelt werde zum Teil von wohlwollenden Göttern und zum Teil von bösen Dämonen bestimmt.14 Die spanische Literatur war zu Beginn der Neuzeit noch stark von theologischen Lehren geprägt. In der Zeit der Habsburger Könige wurden die großen Länder Südamerikas systematisch kolonialisiert, dabei zeigte die katholische Kirchenleitung ihre volle Dominanz. Die Philosophie wurde in Spanien und Südamerika weiterhin als Dienerin der Theologie und der Kirche gesehen. Trotzdem wurden zu dieser Zeit einige der Lehren des Erasmus von Rotterdam (Erasismo) ins Spanische übersetzt und dort verbreitet. Vor allem Antonio de Nebrija und Juan Luis Vives waren an dieser Verbreitung engagiert beteiligt. Nun sollte ein christlicher Humanismus (umanismo christiano) das spanische Literaturschaffen prägen, denn das Konzil von Trient wurde stark von spanischen Theologen und Bischöfen gesteuert. Zu dieser Zeit konzipierte der Dominikaner Francisco de Vitoria die Lehre von einer christlichen „Völkergemeinschaft“. Die Spanier hätten darin die Aufgabe, den „barbarischen“ Völkern die Botschaft des christlichen Glaubens zu bringen. Der Jesuit Francisco Suarez betonte aber in seinen Werken bereits die Lehre von der „Volkssouveränität“. Für ihn konnte das Volk den Herrscher absetzen, wenn dieser seine Macht missbrauche. Auch Mystiker wie Teresa von Avila und Juan de la Cruz prägten zu dieser Zeit die spanische Literatur mit.15 Viele Dichter rühmten in ihren Werken die Heldentaten der großen Krieger und Heerführer, etwa Pedro Ona (Apauco domado, 1596) oder Alonso Hernandez (Historia Parthenopea), Juan Rufo (La Austriada, 1584), Lope da Vega (La Jerusalem conquistada, 1609). Die lyrische Dichtung wurde stark von italienischen Vorbildern geprägt, auch darin wurde das Leben an den Fürstenhöfen hoch gelobt. Die frühen Romane hatten noch religiöse Themen zum Inhalt, etwa der „Lobpreis der Jungfrau Maria“ (1582) von Bartolome Ponce. Später wurde vor allem das Leben der Ritter und Krieger mit viel Emotionalität dargestellt. Miguel de Servantes verfasste zuerst Novellen und historische Romane, bis er mit seinem „Don Quichote“ (1605) ein Meisterwerk der Weltliteratur schuf. Gesellschaftskritische Romane wie „Das Leben des Lazarillo von Tormes“ (1554) mussten noch anonym veröffentlicht werden. Bei den Lesern beliebt waren Schelmenromane, die von Miguel de Servantes, Velet de Guevara, Lopez de Ubeda, Mateo Aleman und Vincente Espinel verfasst wurden.16 Frühe Theaterwerke wurden von Torres Naharro und Lope de Rueda geschaffen. Doch die Meisterwerke der Theaterkunst stammten von Felix Lopez de Vega, Tirso de Molina, Ruiz de Alcaron und Calderon de la Barca. In diesen Werken wurden der Kleinmut und der Stolz an den Fürstenhöfen, die Lebensweisheit der Frauen, die Fragen des moralischen Lebens, die Heiterkeit des Lebens, aber auch Märchen vom erwachten Schäfer und von seinen Träumen dargestellt. Denn nach der christlichen Lehre kam das volle Leben erst nach dem Tod des Körpers. In den Mysterienspielen wurden die großen Themen der christlichen Glaubens, Jesu Geburt, Tod und Auferstehung, mit viel Aufwand nachgespielt (z.B. Lopez da Vega: El dulce nombre del mundo, 1675). Von den Klerikern und Gläubigen wurde das religiöse Theater

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als sakramentaler Akt (auto sacramental) gesehen. Ähnlich wurde auch das „Große Welttheater“ (El gran teatro del mundo, 1675) von Calderon de la Barca gedeutet.17 Auch in den deutschen Ländern entfaltete sich die Literatur in breiter Vielfalt. An den Fürstenhöfen ging die höfische Dichtung noch einige Zeit weiter, doch in den Städten kam der „Meistersang“ zu seiner vollen Entfaltung. Die Bauern gaben ihre Lieder und Schwänke mündlich weiter, oft mit einem einfachen Instrument begleitet. Einige dieser Texte wurden später aufgeschrieben. Ein großer Teil der Literatur wird vom Kampf der beiden Konfessionen um den wahren Glauben geprägt, auch geht es darin um Fragen des guten und moralischen Lebens. Der Bunzlauer Martin Opitz übertrug die humanistischen Ideale der Dichtkunst von der lateinischen Sprache in die Sprache des Volkes. Denn für ihn hatte die lateinische Sprache abgewirtschaftet (Buch von der deutschen Poetrey, 1624). Zu dieser Zeit entstanden in den Städten mehrere Gesellschaften und Genossenschaften zur Förderung der deutschen Sprache; etwa die „Fruchtbringende Gesellschaft“ oder die „Deutschgesinnte Genossenschaft“ (ab 1643), der „Pegnische Blumenorden“ in Nürnberg oder der „Elbschwanorden“ in Lübeck (ab 1658). In diesen Gesellschaften waren von Anfang an Frauen Vollmitglieder, sie verfolgten mit der Dichtkunst vor allem Ziele der Kindererziehung.18 In Schlesien wurde Andreas Gryphius zu einer zentralen Gestalt der barocken Dichtkunst. Das Land wurde zu dieser Zeit noch von den katholischen Habsburgern regiert, die Jesuiten leiteten dort eine Universität. Gryphius verfasste mehrere Trauerspiele (z.B. Cardenio und Celinde, 1657), aber auch ein Mysteriendrama „Carlus Stuardus“. Darin deutete er die Hinrichtung des englischen Königs Karl I. als „Opfertod“ in der Nachfolge Christi. Denn jeder Herrscher sei durch die göttliche Gnade eingesetzt. Die Welt sei ein „Jammertal“, doch auf dieses falle schon das himmlische Licht der göttlichen Gnade. In den Schriften des Johannes Scheffler (Angelus Silesius) und des Jakob Böhme finden sich starke mystische Ideen und Lebensdeutungen. Das harte Leben könne nur durch die Flucht in die göttliche Welt ertragen werden. Die historischen Romane dieser Zeit lobten vor allem die Herrschaft und die Weisheit der Barockfürsten (z.B. Dietwalt und Amelinde) oder sie befassten sich mit Gestalten aus der Bibel (z.B. Assenat und Simon von Philipp Zesen).19 Aber in den Städten entstand eine neue Literatur, die sich von der Dichtung an den Fürstenhöfen und der Gelehrten Gesellschaften deutlich unterschied. Johann Michael Moscherosch, Johann Lauremberg oder Balthasar Schupp erkannten die Lebensfremdheit der gelehrten Dichtung. Sie warben in ihren Werken um die alten christlichen Tugenden und um die „altdeutsche Gesinnung“. So verfasste Christoph Schorer ein Werk „Unartig Teutscher Sprachverderber“ (1643), in dem er sich über die höfische und gelehrte Dichtkunst lustig machte. Auf der Seite der „einfältigen Leute“ schrieb auch Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen: „Der Satirische Pilgram“ (1666), „Der Abenteuerliche Simplizissimus Teutsch“ (1669) und „Der Seltsame Springinsfeld“ (1670). Zu dieser Zeit wurden „Volksbücher“ für einfache Bürger, Handwerker, kleine Händler und Bauern verfasst. Darin beschrieben die Autoren die Ungerechtigkeit der Weltordnung und die Vergänglichkeit (von Vanitas sprachen die Kleriker) des Erdenlebens. So schrieb der volksnahe Dichter Johann Beer mehrere

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Bücher über die „Weltnarrheit“ (Ritter Hopfensack, 1678; Weiber-Häckel, 1680; Der politische Bratenwender, 1682).20 Auch Christian Weise verfasste zeitkritische Bücher (Die drei Hauptverderber in Deutschland, 1671); Die Drei Erznarren, 1672; Die drei klügsten Leute in der Welt, 1675). Darin wertete er das Leben der kleinen Leute deutlich auf, die moralischen Tugenden beurteilte er bereits nach ihrer Nützlichkeit für das Leben. Christian Reuter versuchte durch satirische Komödien (Die ehrliche Frau zu Plissine, 1695; Der ehrlichen Frau Schlampampe Krankheit und Tod, 1696), die Ungereimtheiten des alltäglichen Lebens bewusst zu machen. In den Niederlanden verfassten Joost van den Vondel, Pieter Corneliszon Hooft, Constantijn Huygens und Jacob Cats wichtige Werke der holländischen Literatur, die religiöse und politische Auseinandersetzungen zum Thema haben.

Literatur der slawischen Länder Die russische Literatur dieser Zeit war lange von religiösen und theologischen Themen bestimmt, wir erkennen darin den starken Einfluss der orthodoxen Kirche. So berichten die „Chroniken“ der Mönche von den Verfolgungen der „Häretiker“ und von den politischen Konflikten der Fürsten. Einige Theologen verfassten regelmäßig Bücher über die rechte Ordnung im Staat, im Haus und in der Familie sowie über die rechte Erziehung der Kinder. Erst im 17. und 18. Jh. konnte sich das Literaturschaffen partiell von den Vorgaben und Kontrollen der Kleriker und Theologen befreien. Unter den Gebildeten entstanden zwei verschiedene geistige Strömungen. Die eine orientierte sich ausschließlich an den alten russischen und orthodoxen Traditionen, die andere wollte sich für die „westliche“ Kultur in Polen und in Mitteleuropa öffnen. Zuerst konnte eine Unterhaltungsliteratur verbreitet werden, die wenig von den Mönchen und Theologen abhängig war. Erst unter dem Zaren Peter I. (gest. 1725) gelang in Russland eine vorsichtige Öffnung zur westlichen Kultur und zu den Ideen der rationalen Aufklärung.21 Wissarion Belinski und Antioch Kantemir haben frühzeitig versucht, die Schwächen der russischen Gesellschaft durch Satiren aufzuzeigen. Und Michail Lomonossow verfasste Schriften über die Regeln der russischen Dichtkunst und Sprache (1739). Er wollte die Dichtung und die gesamte Kunst von den Vorgaben und Kontrollen der orthodoxen Religion befreien. Ein russisches Theater wurde 1756 in St. Petersburg vom Zaren gegründet, dort wurden historische Dramen und Werke von W. Shakespeare aufgeführt. In den kleineren Städten wurden mehrere „Volkstheater“ eingerichtet, dort wurden vor allem Komödien gespielt. Unter der Herrschaft der Zarin Katharina II. wurde in Moskau das Bolschoj-Theater gegründet und es wurden in der Dichtung vermehrt Ideen der rationalen Aufklärung übernommen. So orientierten sich die Dichter Iwan Lukin und Fjedor Ernin bereits an den Lehren des Jean Jacques Rousseau. In St. Petersburg wurde die erste russische Oper „Anjunta“ von Michail Popow gespielt. Die Zarin Katharina II. verfasste selbst Komödien und Texte für Opern, außerdem bearbeitete sie Dramen von W. Shakespeare für die russische

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Bühne. Auch unterstützte sie Denis Diderot und regte die russische Übersetzung seiner „Enzyklopedie“ an (1767). Zu dieser Zeit konnten sich in St. Petersburg auch die Freimaurer und die Rosenkreuzer organisieren.22 Denis Fonwisin war ein begeisterter Anhänger der französischen Aufklärung. Und Gawila Derschawn übersetzte die Schriften des Friedrich Gottlieb Klopstock über die deutsche Dichtkunst. Iwan Krylow folgte den Lehren der Franzosen F. Voltaire und des J.J. Rousseau, er redigierte die satirischen Zeitschriften „Geisterpost“ (ab 1789) und „Beobachter“ (ab 1792). Autoren wie Charaskow, Nowikan und Michail Murawjav verbreiteten unter den Gebildeten die Ideen der Rosenkreuzer und der Freimaurer. Sogar Texte des französischen Atheisten Claude Helvetius wurden ins Russische übersetzt. Ippolit Bogdanawitsch übertrug den griechisch-römischen Mythos von „Amor und Psyche“ ins Russische. Und am Ende des 18. Jh. wurden in St. Petersburg auch schon die Ideen der englischen und der deutschen Romantik rezipiert. Vor allem Alexander Radischtschar tat dies in seinem Roman „Reise von Moskau nach St. Petersburg“, er beschrieb emotionale Regungen der Akteure sehr genau. Doch mit dem Beginn der Französischen Revolution wurde in ganz Russland die Zensur für Schriftsteller und Künstler stark verschärft.23 Ein wichtiger Vermittler westlicher Lebenswerte nach Russland war Nikolaj Michailowitsch Karamsin (gest. 1826). Denn er reiste längere Zeit nach Deutschland und nach Frankreich, er war ein Gesprächspartner von I. Kant, Ch. Wieland, G. Herder, F. Voltaire. Außerdem verehrte er die Dichtkunst des Johann Wolfgang von Goethe. In St. Peterburg gründete er die literarische Zeitschrift „Europäischer Bote“ (ab 1802). Darin schrieb er, was für die Engländer und die Deutschen gut sei, dass könne auch für die Russen nicht schlecht sein. In allen seinen Schriften vermittelte er das Gespür für Menschlichkeit, Sensibilität und emotionale Regungen. Außerdem kannte er das Leben der Bauern sehr gut und wollte in allen sozialen Schichten ein russisches Nationalgefühl wecken. In einer „Tafelrunde der Liebhaber des russischen Wortes“ wurden auch die Ideen der deutschen und der englischen Romantik diskutiert. Diese Tafelrunde war politisch konservativ, sie wollte alte russische Lebenswerte mit neuen Ideen aus Mittel- und Westeuropa verbinden.24 In Polen entstand in der Zeit der Renaissance und des Barock eine reiche und kreative Literatur. Durch die politische Verbindung mit Litauen weitete sich der geistige Horizont der Gebildeten, es gab Verbindungen zu Erasmus von Rotterdam und zu italienischen Dichtern. Auch die Lehren der Reformation waren nach Polen gekommen, sie wurden aber von den katholischen Königen strikt abgewehrt. Im 16. Jh. verfassten Andrzy Modrzewski (Andreas Fricius) und Frycz Modrzewski einige politische und moralische Schriften über das Naturrecht, über soziale Gerechtigkeit und über die guten Sitten im Land. Über die politische Neuordnung im Staat schrieb Stanislaw Orzechowski, das Parlament (Sejm) der Adeligen sollte mehr Befugnisse und Macht bekommen. Literarische Dialoge und Theaterstücke verfasste Mikolaj Rej, der das Leben der höheren Kleriker stark kritisierte. In satirischer Weise beschrieb er das Leben der Stadtbürger. Auch übersetzte und bearbeitete er holländische und lateinische Thea-

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terstücke, dabei zeigte er sich als stiller Anhänger des Calvinismus. In seinen Werken übersetzte er die Regeln der antiken Moral (Stoiker) für seine Zeit, er beschrieb die Tugenden der Herrschenden und der Beamten und wollte die Mitmenschen zu einem guten Sterben anleiten. Jan Kochanowski orientierte sich stark an Erasmus von Rotterdam, er schrieb über das Leben der Adeligen am Königshof, verfasste Loblieder auf den göttlichen Schöpfer, aber auch Liebeslieder und moralische Dichtungen. Außerdem übersetzte er Werke von Homer, Euripides, Catull und Horaz ins Polnische. In seinen Dramen folgte er den Vorbildern der griechischen Tragödie. Weit verbreitet war sein Klagelied über den frühen Tod seiner Tochter.25 Durch die katholische Gegenreformation endete in Polen die Zeit der religiösen Toleranz. Fortan organisierten die Jesuiten die Universitäten und prägten die Kultur der Barockzeit. Sie verfassten viele Schriften über die rechte Erziehung, über die Regeln der Literatur und der Kunst. Die Stadt Wilna wurde zu einer Zentrum des literarischen Schaffens. Mikolaj Szarzynski verfasste lyrische Gedichte, Hymnen und Lieder, er schrieb Paraphrasen zu den Psalmen der Bibel. In seinen Werken besingt er die Schönheit der göttlichen Schöpfung und die Weisheit der ewigen Weltordnung. Über Fragen der Metaphysik schrieben Sebastian Grabowiecky, Kaspar Miakowski und Stanislaw Grochowski. Unter den Jesuiten waren Piotr Skarga und Kazimirz Sarbiewski erfolgreiche Autoren, sie verteidigten die katholische Lehre gegen die Prediger der Kirchenreform. Sie besangen die Güte der Gottesmutter Maria und lobten die Arbeit der Bauern, der Hirten, der Handwerker und der Händler. Im Jesuitendrama wurden die christlichen und die stoischen Tugenden dargestellt.26 Auch Hieronim Morztyn und Szymon Szymonowic beschrieben die Schönheit des Landlebens und der Natur. Waclaw Patocki verfasste historische Romane über die polnischen Könige und Feldherren, Zbigniew Morsztyn schrieb über die Kunst der Kriegsführung und über die Moral der Bürger. Von Piotr Kochanowski wurde das Theaterstück „Das befreite Jerusalem“ von Torquato Tasso ins Polnische übersetzt, ebenso „Der rasende Roland“ von Ludovico Ariosto. Die beiden Adeligen Samuel Twardowski und Andrzej Fredro stellten das Leben am Königshof auf humorvolle Weise dar. Ideen der europäischen Aufklärung wurden durch die Bücher von Lorenz de Kolof, Stanislaw Leszcynski und Adam Naruzewicz vor allem in den Städten verbreitet. Schon früh wurden Zeitschriften gegründet, welche über die allgemeinen Menschenrechte und die politischen Freiheiten der Bürger, der Bauern und der Leibeigenen schrieben. In den großen Städten (Warschau, Krakau) spielten Theatergruppen bereits französische Dramen in polnischer Übersetzung. Ignacy Krasicki verfasste aufgeklärte Lieder an das polnische Vaterland, um in der Zeit der Teilung Polens (ab 1772) die nationale Identität zu stärken. Politische Pamphlete gegen die korrupten Formen der Regierung vieler Adeliger verfasste Tomasz Wegierski. Am Ende des 18. Jh. wurden aus England und Deutschland auch Literaturformen der Romantik übernommen. Insgesamt hat die polnische Literatur zu dieser Zeit entscheidend dazu beigetragen, den nationalen Zusammenhalt zu bewahren.27

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Die tschechische Literatur litt lange Zeit unter den Folgen der verheerenden Hussitenkriege, außerdem setzten die habsburgischen Könige die katholische Gegenreformation mit brutaler Gewalt durch. Bereits 1593 war die gesamte Bibel in die tschechische Sprache übersetzt worden (Kralice-Bibel), diese Übersetzung formte fortan die nationale Sprache. Im 30–jährigen Krieg mussten viele Adelige das Land Böhmen verlassen, wenn sie zum protestantischen Glauben übertraten. Die geheimen Protestanten wurden im ganzen Land unterdrückt, die Jesuiten organisierten die höheren Schulen (Gymnasien) und die Universitäten in den größeren Städten. Gleichzeitig begannen die Habsburger eine gezielte „Germanisierung“ des Königreichs, die höheren Beamten sollten fortan Deutsche sein. Deutsch war in der Folgezeit auch die Amtssprache der Verwaltung und der Gerichte. Im Jahr 1774 führte die böhmische Königin Maria Theresia die allgemeinen Grundschulen ein, danach begann eine breite Literarisierung im Land. Erst 1781 beendete König Josef II. die Leibeigenschaft der Bauern, gleichzeitig gewährte er den Juden und den Protestanten die freie Ausübung der Religion in seinen Kronländern. Zu dieser Zeit verfassten die Theologen ihre Werke noch in lateinischer Sprache. Gelasius Dobner schrieb ein historisches Werk „Monumenta historica Bohemiae“ (1785). Die Werke über die Kirchengeschichte wurden teils in Latein und teils schon in Deutsch verfasst. Doch der Theologe Vaclav Durych und der Philologe Josef Dobrowsky befassten sich am Ende des 18. Jh. schon systematisch mit der tschechischen Sprache. Sie verfassten bereits ein Lehrbuch der Sprache des Volkes sowie ein „Deutsch-böhmisches Wörterbuch“ (1802). Ein tschechisches Theater begann im Jahr 1771 in Prag, von da an durften auch tschechische Zeitschriften erscheinen. Vaclav Tham sammelte bereits tschechische Lieder, Gedichte und Erzählungen und veröffentlichte sie als Buch. Doch eine eigenständige tschechische Literatur konnte sich erst im 19. Jh. entfalten, und zwar im politischen Kontext der „Panslawischen Bewegung“.28 Kroatien war ein Teil des Königreiches Ungarn und kam damit nominell ab 1526 unter die Herrschaft der Habsburger. Der nördliche Teil des Landes wurde lange Zeit von der Republik Venedig verwaltet. In der Zeit der Renaissance konnten in den kroatischen Städten schon Texte in der Sprache des Volkes verfasst werden. Bereits 1595 erschien in Venedig ein „Wörterbuch der kroatischen Sprache“, das von Faust Vrancic verfasst wurde. Die Theologen schrieben zu dieser Zeit noch in Latein, doch einige Dichter sammelten bereits Texte der Volkssprache. Frühe Dichter der kroatischen Sprache waren Sisko Mencetic-Vlahovic, Dzore Drzic, Marin Krsticevic und Andrija Zlatar. Sie sammelten Weisheitssprüche, Liebeslieder und Gesänge der Wallfahrten. Von Marko Marulic stammt das Epos „Judith“, das biblischen Texten folgte. Und Brne Karnaruti verfasste ein historisches Epos „Die Einnahme der Festung Siget“ (1584). Andere Dichter wie Petar Hektorovic und Juraj Barakovic beschrieben das Leben der Bauern, der Hirten, der Fischer oder sie schrieben über Themen der Religion. Oder sie befassten sich mit fiktiven Welten im Land der Feen und Geistwesen.29 Seit dem 17. Jh. prägten die Jesuiten nachhaltig das kulturelle Leben in Kroatien, die Dichtungen befassten sich vor allem mit religiösen Themen. So wurden Kir-

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chenlieder gesammelt und Gebete in der Volkssprache verfasst (Fran Frankopan). In Ragusa entstand das Epos „Osman“ von Jvan Gundulic, das den Aufstand der Janitscharen gegen den Sultan beschrieb. Zu den historischen Werken gehören „Das wiederaufgebaute Dubrovnik“ von Jaketa Dionoric (1667) und „Die Belagerung von Siget“ von Petar Zrinski (1660). Religiöse Dichtungen befassten sich mit den „Tränen des verlorenen Sohnes“ und den „Seufzern der Büßerin Magdalena“ (1728). Mit der Vertreibung der Türken aus Südosteuropa durch den Prinzen Eugen und durch den Frieden von Karlowitz (1699) konnten sich die Wirtschaft und die Kultur weiter entfalten. Am Ende des 18. Jh. verfasste Ludwig Schlözer die „Origines Osmanicae“, zur gleichen Zeit wurde ein kroatisches Buch über die Sprachen und Völker Südosteuropas gedruckt. Über das Königreich Ungarn kamen auch Ideen der europäischen Aufklärung in das Land der Kroaten. Der Ungar György Bessenye verfasste ein Buch über die ungarische Kultur in Kroatien, und der Kroate Andrija KacicMiosic schrieb ein kroatisches „Volksbuch“ (1756), das große Verbreitung fand. Tito Brezowacki brachte kroatische Lustspiele auf die Bühnen der Städte und Märkte.30 Angeregt durch Gottfried Herders „Volkslieder“ (1778) begannen auch Literaten in Kroatien, Serbien und Slowenien, die Volkslieder, Legenden und Märchen ihrer Völker zu sammeln und aufzuschreiben. Die gebildeten Kroaten sprachen Latein oder Deutsch, aber sie besannen sich nun auf die Sprache des einfachen Volkes. Ein großer Sammler der kroatischen Volksdichtung war Vuk Karadzic, der aber in der Kaiserstadt Wien lebte. Die Volkslieder in Ungarn wurden von Ferenc Kazinczy gesammelt, die Lieder und Märchen der Slowenen veröffentlichte Marko Pohlin. Für die Slowaken leistete diese Arbeit Josef Ignac Bajzas. In den Königreichen Böhmen und Ungarn entstanden im 18. Jh. bereits regionale Zeitungen in den Landessprachen. Theatergruppen spielten in den Städten und Märkten Komödien und Dramen in der Sprache des Volkes. In diese Sprachen wurden nun Werke von August von Kotzebue und von Jean Moliere, aber auch von W. Shakespeare, J.W. von Goethe, F. von Schiller, G.E. Lessing und F.G. Klopstock übersetzt und auf den Bühnen gespielt.31

Literatur in Skandinavien Auch in Skandinavien entfaltete sich die Literatur zuerst an den Fürstenhöfen, an den Universitäten, in Gelehrten Gesellschaften und in größeren Städten. So verfasste Johannes Magnus bereits eine „Geschichte aller gotischen und schwedischen Könige“ (1540) und eine „Geschichte der nordischen Völker“ (1555) in lateinischer Sprache. Mit der Verbreitung der lutherischen Reformation wurden Gebete und Kirchenlieder in den Volkssprachen verfasst. Auch wurde die Bibel sehr schnell in die nordischen Sprachen übersetzt. In Dänemark und in Schweden wurde die Reformation durch den gemeinsamen Beschluss der Könige und der „Reichstage“ eingeführt. In der Folgezeit wurden die kirchlichen Visitationsbücher bereits in den Volkssprachen geschrieben. Auch die Bibelpredigt erfolgte in diesen Sprachen und in regionalen Dialekten.

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Sehr früh verfassten Theologen und Prediger moralische Schriften über das christliche Leben, Auslegungen der Psalmen und die Geschichte vom Leiden Jesu Christi in den Volkssprachen. Dabei wurden Texte der Bibel oft frei nachgedichtet. Am dänischen Königshof hatte Anders Sorensen Vedel die lateinischen „Gesta Danorum“ ins Dänische übersetzt (1575). Und Arild Huitfeldt verfasste bereits eine „Chronik des Reiches Dänemark“ (1596), die Königstochter Leonora Christina schrieb ein dänisches Kinderbuch („Jammersminde“, 1663). Auch an den schwedischen Fürstenhöfen entstanden Dichtungen in schwedischer Sprache; etwa über die Geschichte des Landes Schweden, über die Tugenden der Adeligen (z.B. „Hercules“ von Georg Stirnhielens, 1658), über die Politik und die Staatskunst. Nach ihrer Flucht nach Rom verfasste die schwedische Königin Christina religiöse Werke in französischer Sprache (z.B. L´ouvrage de loisir; Les sentiments).32 In Dänemark wurde das königliche Gesetzbuch (Kongeloven) bereits 1665 in dänischer Sprache veröffentlicht. Dort entstanden in der Folgezeit Bücher mit Scherzgedichten, Sammlungen geistlicher Lieder, Abhandlungen über die kimbrische Sprache und mit Trink- und Hirtenliedern. Seit 1666 erschien am Königshof in Kopenhagen regelmäßig eine dänische Zeitung. In Norwegen verfasste der Pfarrer Petter Dass Volkslieder und Gedichte in norwegischer Sprache. Schwedische Dichter stellten die göttliche Erschaffung der Welt dar, sie befassten sich mit der altschwedischen Mythologie und Geschichte. Olof Rudbeck ging in seinem Werk „Atlantika“ (1679) der nordischen Geschichte nach. Von England und von Deutschland wurden ab dem 18. Jh. auch die Ideen und Ziele der rationalen Aufklärung übernommen. Die Könige richteten „Gelehrte Zirkel“ ein, wo vor allem die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaften diskutiert und rezipiert wurden. Ein Vordenker der dänischen Aufklärung war Ludwig Holberg, der sich vor allem mit den Lehren des Naturrechts befasste. Er verfasste Bücher über die Theorie des Staates, über die Nationalökonomie und über die Geschichte. Seine Komödie „Der politische Kannegießer“ (1722) wurde in Skandinavien viel gespielt, die Anregungen dazu stammten von J. Moliere. Im einfachen Volk wurde die pietistische Frömmigkeit verbreitet, die Prediger schrieben viele Bücher über Innerlichkeit und Moral. Der Mystiker und Philosoph Emanuel Swedenborg verfasste mehrere moralische und philosophische Werke (1734). Der schwedische Botaniker Carl von Linee schrieb seine naturwissenschaftlichen Werke noch in lateinischer Sprache (Systema naturae, 1735; Species Planetarum, 1735). Doch der Physiker Anders Celsius schrieb sein Werk über das „Thermometer“ bereits in schwedischer Sprache (1742).33 In den Städten Schwedens und Dänemarks entstand in der Folgezeit eine bürgerliche Literatur. Dazu trugen Zeitungen und Wochenschriften (Der dänische Spectator; Der patriotische Beobachter; Stockholmer Wochenblatt; Tägliches Allerlei) nachhaltig bei. Bald gab es eigene Zeitschriften für Händler, für Juristen und für Mediziner in der Landessprache. Die Prediger schrieben Bücher über die Bibel und die rechte Frömmigkeit. Zu dieser Zeit wurden bereits Tragödien, Komödien und Geschichtswerke in den Volkssprachen geschrieben; z.B. „Einer Tambes Kielver“ von Nordahl Bruns (1772). Die Dichter übernahmen viele Anregungen aus

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der englischen, deutschen und französischen Literatur. Auch Frauen waren früh am literarischen Schaffen beteiligt. So verfasste die Schwedin Hedvig Nordenflycht ein Buch „Weibliche Gedankenspiele“ (1750), in dem sie über die natürlichen Rechte der Frauen schrieb. Im 18. Jh. fanden die Ideen der europäischen Aufklärung auch Eingang in die Literatur Skandinaviens.34

Aufklärung und bürgerliche Literatur in West- und Mitteleuropa Ganz allgemein hat die Literatur in allen Ländern Mitteleuropas und Westeuropas zur Verbreitung der Ideen und Zielsetzungen der rationalen Aufklärung nachhaltig beigetragen. Viele Dichter und Autoren wollten mit starker Überzeugung zur rationalen und moralischen Erziehung der Menschen hinführen. Sie wollten den Theologen und Predigern nicht mehr glauben, dass alle Menschen durch die „Erbsünde“ zu bösen Taten neigten. Viele von ihnen betonten das philosophische Bekenntnis, jeder Mensch sei von der Natur her gut und zu guten Taten fähig (J.J. Rousseau). Daher müsse eine natürliche und vernünftige Religion den alten Glauben an Teufel und Hölle ersetzen. Alle Menschen sollten lernen, fremde Meinungen, Überzeugungen und Riten zu ertragen (Toleranz), sofern diese nicht das Zusammenleben störten. Das neue rationale und „bürgerliche“ Bewusstsein baute auf selbstständigem Denken, auf autonomem Handeln und auf sozialer Verantwortung auf. Zu dieser Zeit schrieb E.G. Lessing über die menschliche Glückseligkeit und über die rationale und moralische Erziehung aller Menschen (1777). Auch in Frankreich formierte sich das Bürgertum (citoyens) der Städte in einem starken Selbstbewusstsein. Gewichtige Denker forderten, auch die Fürsten und Adeligen sollten „Freunde der Menschheit“ werden (Marquise de Mirabeau). Der menschliche Geist schreite durch die Bildung fort, alle Menschen im Staat sollten den „Geist der Gesetze“ erkennen (Louis de Montesquieu). Die allgemeinen Menschenrechte und Menschenpflichten sollten im Staat verwirklicht werden (Antoine de Condorcet). Die gebildeten Bürger trafen sich in den Cafes, Akademien und Freimaurerlogen, um den Geist der rationalen Aufklärung weiter zu tragen. Der Abbe Gabriel Bonnet de Mably hatte die allgemeinen Rechte und Pflichten literarisch formuliert und verbreitet.35 Auch in der Religion sollte sich die aufrechte Vernunft frei entfalten können, so schrieb Ch.M. Wieland „Über den freien Gebrauch der Vernunft in Glaubenssachen“ (1787). Das Wissen über die Natur sollte unter allen Zeitgenossen voranschreiten, um ein gutes und glückliches Leben zu finden. Denn der menschliche Geist könne die ewigen Weltgesetze immer besser erkennen und verstehen. Alle Menschen sollten ihr Land lieben, sie sollten als gute Patrioten und als offene Weltbürger leben. Daher beschrieb Christian Weise den weltklugen und gewissenhaften Bürger der neuen Zeit. Und für Johann Christian Gottsched sollte die Literatur und Dichtkunst zur persönlichen und politischen Bildung der Leser beitragen. Nach Christian Fürchtegott Gellert sollte die Komödie den menschlichen Geist erheitern. Das Trauerspiel aber könne die Menschen sensibel machen für die Leiden und Tragödien des täg-

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lichen Lebens. Johann Georg Hamann sah in der Dichtkunst die „Muttersprache“ der Menschheit, und für Johann Gottfried Herder sollte die Literatur vor allem die Sitten der Menschen verbessern. Als Ziele des Lebens galten die kritische Urteilskraft, der politische Gemeinsinn und der gute Geschmack.36 Zu jeder Zeit habe das literarische „Genie“ einen göttlichen Auftrag zu erfüllen. Die Dichter zeigen nämlich den Lesern imaginäre und mögliche Welten, die sie erreichen können, wenn sie es wollen. Ch. Perrault schrieb, die aufgeklärten Menschen müssten sich von den „alten Lebensformen“ (Querelles des Anciens) loslösen, um sich den „modernen Lebensformen“ (Querelles des Modernes) zuwenden zu können. Ch. Batteux hoffte darauf, die Vernunft des Schönen und die Freude an der Natur würden uns zum moralisch guten Leben hinführen. Durch unsere Vorstellungen vom Schönen und Erhabenen entwickeln wir uns weiter, wir alle leben in kulturellen Lernprozessen. John Milton riet, nicht um „verlorene Paradiese“ zu trauern, sondern im Glauben an neue Paradiese und das Lebensglück für alle zu leben. Doch die frühen Romantiker konnten zu viel an kritischer Vernunft nicht ertragen, sie wandten sich wieder den Träumen von Mythen und Märchen zu.37 Einen gewichtigen Beitrag zu den kulturellen Lernprozessen in ganz Europa leistete die Komödie in ihren vielen Gestalten: die Comedia dell´arte in Norditalien, die Comedie italienne in Paris, die Nova Comedia in Spanien, die französische Komödie des J. Moliere. In Wien, Mannheim und Hamburg wurden im 18. Jh. die ersten deutschen Nationaltheater gegründet. Die Komödie hatte auch dort die Aufgabe, über die Fehler der Menschen zu lachen und vor ihnen zu warnen. Meister der Theaterkunst waren Carlo Goldoni, Pierre Corneille und Jean Baptiste Moliere, aber auch J.F. Regnard, A.R. Lesage und P.C. Marivaux. Sie brachten die Streiche des Liebeslebens auf die Bühne, die Gestalt der „Harlekin“ wurde von der Sehnsucht nach Liebe moralisch erzogen. Die englische Komödie zeigte auch geheime und verbotene Liebesaffären (Richard Steele), ja sogar Anleitungen zum Ehebruch (R.B. Sheridan). In Deutschland haben J.G. Gottsched und E. Lessing die „Charakterkomödie“ angestoßen. In den Dichtungen von M.R. Lenz wurde die Grenze zwischen dem Spiel und dem Ernst des Lebens deutlich fließend (Der Hofmeister, 1774; Die Soldaten, 1776). In Frankreich wurde die aufgeklärte Komödie vor allem von P.A. Beaumarchais forciert (Barbier von Sevilla, 1775; Hochzeit des Figaro), er machte die alte Sozialordnung der Adeligen bereits lächerlich. In Spanien hatten R. Jovellanos und N.F. de Moratin sozialkritische Komödien verfasst, denn das Lustspiel sollte Defizite und Mängel des Lebens öffentlich machen. Insgesamt wollten die Dichter mehrheitlich zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen.38 Auch das „Trauerspiel“ sollte die bürgerliche Gesellschaft spiegeln und zu kulturellen Entwicklungen anregen. Deswegen wollten sich D. Diderot oder G.E. Lessing vom höfischen Theater der Adelskultur entfernen, ihr Interesse galt vor allem den bürgerlichen Lebensverhältnissen. In Deutschland wollte zu dieser Zeit J.Ch. Gottsched eine nationale Theaterkultur aufbauen, um die Zuseher zu kritischem Denken zu erziehen. In Italien verfasste Idelfonso Valdastie eine Preisschrift über das bürgerliche Trauerspiel (1792), darin relativierte er bereits die alten Adelstugenden. Das

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Theater sollte fortan die bürgerlichen Tugenden und die soziale Gleichberechtigung zum Ziel haben. In Deutschland setzte F. Schiller mit dem Trauerspiel „Kabale und Liebe“ einen starken Akzent. Die neuen Ziele der bürgerlichen Moral hießen: mehr Freiheit in den sexuellen Beziehungen der Geschlechter, die moralische Läuterung der Übeltäter, Eifer bei der Arbeit und soziale Verantwortung. D. Diderot rang um ein mögliches Gleichgewicht zwischen dem Streben nach der Tugend und der Entfaltung der freien Liebe (Le pere da famille, 1761). In der bürgerlichen Lebenswelt sollte die Freundschaft (amitie) die Grundlage der Liebesbeziehung sein (Le fils naturel, 1757).39 Viele Dichter glaubten, die alten Adelstugenden sollten vermenschlicht werden, die sozialen Konflikte sollten sich auflösen, jede Doppelmoral sollte aufgedeckt werden. Es waren die Ideen der Freidenker und der Freimaurer, welche die bürgerliche Emanzipation deutlich voran brachten. So trat auch R.M. Lenz für die „Selbsterziehung“ der Bürger nach den Vorgaben der rationalen Aufklärung ein (Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung, 1774). Jeder Mensch sollte, unabhängig von seinem Stand, den „Adel der Seele“ fühlen. Die Armut sei oft die Zwillingsschwester der Gelehrsamkeit, beide sollten in der Moral und in der Religion ihren Trost finden. Auch F. Schiller protestierte gegen die Ausbeutung der kleinen Leute durch die regionalen Fürsten (Die Räuber). Er zeigte die Tendenz der Selbstzerstörung in der aristokratischen Kultur auf und rang um eine vollständige Humanisierung der Geschlechterbeziehungen (Kabale und Liebe). Das Theater entwickelte sich zur kritischen Gegeninstanz zur feudalistischen Öffentlichkeit.40 In der französischen Literatur spielte das bewusst materialistische Denken eine starke Rolle. Die Folge war eine Abkehr von der scholastischen Weltdeutung und ein Bekenntnis zu den Naturwissenschaften. Daher waren die Verfasser der „Encyclopedie“ auch literarisch in der Dichtkunst tätig, sie verbreiteten auch deistische und atheistische Formen der Weltdeutung. Doch mussten zu dieser Zeit noch viele literarische Werke wegen der kirchlichen und königlichen Zensur anonym erscheinen. Vor allem J.J. Rousseau erzielte mit seiner kritischen Weltsicht breite Resonanz, bald in ganz Europa. Er glaubte nicht mehr an die kirchliche Lehre von der „Erbsünde“ aller Menschen, für ihn war jeder Mensch von Natur aus zum Guten fähig. Auch die Übeltäter und Verbrecher können zum moralischen Leben erzogen werden (Emile or d´Education, 1762). Vor allem die Liebe zwischen den Geschlechtern sollte aus den Zwängen der Standesmoral befreit werden (La nouvelle Heloise, 1761). Die schönen Künste sollen dazu beitragen, das Leben der Menschen freier, gerechter und schöner zu machen. Gesucht wurde der „natürliche“ Mensch, der sich von den Zwängen der Ungleichheit und der Unvernunft befreit. Es sei real möglich, den Neid, die Missgunst und die Eitelkeit zu verringern und zu überwinden. Jeder Mensch sei zu Empfindsamkeit (sensibilite) und zu Naturgefühl (sentiment naturel) fähig.41 So trugen auch die Dichtkunst und das literarische Schaffen wesentlich zur Verbreitung der aufrechten Vernunft und der Individualität der Lebensgestaltung bei. In der bürgerlichen Gesellschaft der Städte wurde der Spielraum der einzelnen Bürger

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größer, jeder Mensch sollte seinen Charakter moralisch formen. Das künstlerische „Genie“ wurde sogar in der Nähe des Göttlichen gesehen (Ch. Schubart), es wurde mit dem „Gefesselten Prometheus“ (J.W. von Goethe, 1774) verglichen. Auch F. Schiller glaubte stark an die künstlerische Erziehbarkeit jedes Menschen (Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 1795). Vor allem die englischen Dichter verbreiteten in ihrem Land und in den Kolonien in Amerika die Ideen der Freidenker und der schottischen Moralphilosophen. Sie engagierten sich für eine freie, vernünftige und natürliche Form der Religion.42 Dies taten sie in ihren Zeitschriften: „The Spectator“ (ab 1711); „The Tatler“, (ab 1709); „The Monthly Review“ (ab 1749), „The Critical Review“ (ab 1756). Daniel Defoe und Jonathan Swift gelang es, die Neugierde der adeligen und der bürgerlichen Leser für fremde Kulturen zu wecken. Und Sam Richardson schuf neue Briefromane (Clarissa, 1748 und Pamela, 1740), die weite Verbreitung fanden. H. Fielding und T. Smollet schrieben sehr realistische Romane, welche die Leser zu rationalen und zu moralischen Lernprozessen anregen sollten (Shamele, 1741; Humphry Clinker, 1771). Es gelang ihnen, tiefe Gefühle der Sehnsucht und der Trauer mit wilder Lebensfreude zu verbinden.43 Wir erkennen in der europäischen Literatur dieser Zeitepoche eine starke Idealisierung der griechischen und der römischen Kultur (Panhellenismus). Viele Dichter nahmen das Maß an den antiken Tragödien und Komödien. Das Land der Griechen wurde romantisch verklärt, als das „Land der Götter“ sollte es für alle das kaum zu erreichende Vorbild des glücklichen Lebens sein. Viele Dichter glaubten, die lebensfrohen Götter der Griechen und Römer sollten wieder in die europäische Kultur zurückkehren. Der düstere und rachsüchtige Christengott sollte im Bewusstsein der Menschen verblassen. Auch die Dichter der „Klassik“ (J.W. von Goethe) orientierten sich an dieser Sichtweise, denn auch sie glaubten an die rationale, moralische und ästhetische Erziehung der Mitmenschen.44 Viele Dichter traten nun in die Konkurrenz zu den Klerikern und Theologen, Deisten, Atheisten, Agnostiker und autonome Laienchristen trennten sich von den Lehren der Kirchen. Es sei die „Schönheit des Lebens“, welche die Menschen zur inneren und zur politischen Freiheit bewege (F. Schiller). Daher gehe es um die „Veredelung des Charakters“ und um die „Menschwerdung“ durch das Erleben der Schönheit. Das „Reich des schönen Scheins“, das die Künstler erschaffen, sollte die Menschen zu einem besseren Leben hinführen. Vor allem der „Bildungsroman“ sollte die Leser zur selbstständigen Lebensgestaltung anregen (J.W. von Goethe, Wilhelm Meister).45 Bereits in den „Leiden des jungen Werther“ (1774) gab J.W. von Goethe das große Ziel der „Selbstfindung“ durch viele Widrigkeiten des Lebens vor. In der Folgezeit prägte der deutsche Bildungsroman auch andere Länder Europas, so wurden einige Grundideen der rationalen Aufklärung vielen Lesern zugänglich. Es war der kulturelle Fortschrift der bürgerlichen Lebenswelt, der auch Lernprozesse unter den Adeligen und bei den unteren Schichten der Gesellschaft anregte. Wir sehen, dass die Ideen der kritischen Philosophie zu dieser Zeit auch durch Literatur und Dichtkunst in ganz Europa, und bald auch in Nord- und Südamerika verbreitet wurden.46

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Baukunst, Malerei und Musik

Hier können nur einige Grundlinien der Baukunst und der Malerei in Europa in der frühen Neuzeit nachgezeichnet werden. Doch sollen darin auch die Ideen, die Denkmodelle und die Selbstbilder der Künstler und ihrer Auftraggeber in den Blick kommen.

Kunst im 16. Jh. Das Kunstschaffen im 16. Jh. wurde in Europa stark von den Ideen des Humanismus, der Reformation des christlichen Glaubens und der „Wiedergeburt“ der antiken Kultur angeregt und getragen. Die großen Themen der Darstellung kreisen um Glaubenssätze der Religion und um Bilder der Mythologie. In der religiösen Malerei geht es darum, die Ereignisse der Bibel visuell zu erleben und emotional zu vertiefen. So werden in großer Vielfalt dargestellt: die Jungfrau Maria mit dem Jesuskind, die Verkündigung des Engels an Maria, die Geburt und das Leiden Jesu, seine Auferstehung und Himmelfahrt oder das Leben von Heiligen und von Märtyrern. So schuf Leonardo da Vinci (gest. 1519) mehrere Bilder der „Gottesmutter“ mit dem Jesuskind, die Taufe Jesu am Jordan, die Anbetung der Könige, das letzte Abendmahl, Anna und Maria. Er malte viele Porträts von Adeligen seiner Zeit (Ginevra de Baci, Ludovico Sforza). Außerdem schuf er viele Zeichnungen des menschlichen Körpers, von Rüstungen der Krieger, von Kanonen und Kriegsmaschinen, Landkarten und Landschaften, Skizzen zur Städteplanung. Ein Thema der antiken Mythologie war für ihn Leda mit dem Schwan.1 Auch Raffaelo Santi (gest. 1520) malte die großen Themen der Religion, Bilder der Madonna und anderer Heiliger, Porträts von Adeligen und von Kirchenmännern sowie Erzählungen der griechischen Mythologie (drei Grazien) und der Kulturgeschichte (Schule von Athen). Er wirkte als Hofmaler mehrerer Päpste in Rom und trug zur Ausgestaltung der päpstlichen Paläste bei. Michelangelo Buonarotti (gest. 1564) wirkte als Bildhauer und als Maler. In der Kapelle des Papstes Sixtus IV. (Sixtina) verband er christliche Themen (Jüngstes Gericht) mit mythischen Erzählungen (Sibylla von Delphi). Ausdrucksvoll gestaltete er die heilige Familie oder Leda mit dem Schwan.

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Baukunst, Malerei und Musik

Der Maler Antonio Allegri (Corregio) schuf Bilder der Maria Magdalena und des auferstandenen Jesus, der Danae mit dem Gott Amor, der Göttin Venus mit Cupido, des Jupiter und der Io. Jacopo Carucci (Pontormo) malte die Begegnung zwischen Maria und Elisabeth sowie Bilder der heiligen Familie. Giorgio Vasari (gest. 1574) nannte die Kunstrichtung in Italien nach 1550 “gran maniera”. Daraus wurde später die Bezeichnung Manirismus (manirismo), dabei ging es um die Perfektion in der Darstellung. So malte Agnolo Torri (Bronzino) Porträts der Lucrezia Panciatichi und allegorische Bilder von Venus und Cupido. Von Francesco Mazzola (Parmigiano) stammen Darstellungen der Madonna mit dem Jesuskind und Bilder von Heiligen.2 Jacobo Zucchi schuf symbolische Bilder von Amor und Psyche sowie vom „Schatz der Meere“. In den meisten dieser Bilder kommt Freude am Leben, an Sinnlichkeit und Erotik zum Ausdruck, sie trugen beim Betrachter entscheidend zum Erleben des eigenen Körpers und der Sinnlichkeit bei. Die religiösen Bilder regten die Betrachter dazu an, die Geheimnisse des Glaubens mit tiefen Gefühlen nach zu erleben und sich mit dem Heiligen und Göttlichen zu verbinden. Dieses vermischte sich mit dem Schönen und dem Menschlichen, es wurde im Bereich des Körpers sichtbar. Viele dieser Bilder wurden an den Höfen der Fürsten und der Päpste gemalt, sie wirkten dort im Leben der Adeligen und der höheren Kleriker weiter. Auch die Kirchen, Kathedralen und Kapellen wurden zu dieser Zeit mit lebensfrohen Bildern gestaltet. Damit konnten auch das breite Volk, die Menschen der Mittelschicht und der Unterschichten, zumindest visuell an dieser neuen Lebenseinstellung teilnehmen. In den Kirchenräumen hatte die Malerei eine pädagogische Funktion, sie vertiefte in den Gläubigen die Lehren des Glaubens. Fortan wurden die schönen, weichen und zärtlichen Seiten des Lebens stärker betont als die furchterregenden Bilder des Glaubens. Gewiss wurden weiterhin Teufel, Dämonen und Höllenstrafen gemalt, aber die Bilder der Engel und der himmlischen Kräfte waren ungleich stärker als die Mächte des Bösen.3 Im 16. Jh. wurden die adelige und die städtische Kultur stark von den Werken der Bildhauerkunst geprägt. In Italien schuf Michelangelo Buonarotti große Werke aus Marmor: den zürnenden Moses, die Madonna mit dem toten Jesus (Pieta), den jungen Hirten David mit der Steinschleuder, die Herzöge von Urbino und Nemours, die Göttin Aurora, die trauernden Gestalten des Tages und der Nacht. Auch diese Werke sind voller Sinnlichkeit und vermitteln Freude an der Schönheit des weiblichen und des männlichen Körpers. Benvenuto Cellini (gest. 1571) schuf viele Bronzeskulpturen und Goldschmiedearbeiten, etwa den Gott Mercurius oder Perseus mit dem abgeschlagenen Haupt der Medusa. Der Flame Joan de Boulogne (Giambologna, gest. 1608) schuf den »Raub der Sabinerinnen« und den Brunnen des Gottes Neptun in Florenz. Auch diese Werke strahlen Freude an der Jugend, an der Lebenskraft und an der Schönheit des Lebens aus.4 Die italienische Architektur hatte im 16. Jh. Vorbildwirkung für fast ganz Europa. In vielen Städten wurden Kirchen und Paläste gebaut, die ein neues Lebensgefühl zum Ausdruck brachten. Die Baumeister planten hohe, weite und von Licht durchflutete

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Räume, meist mit einer oder mehreren Kuppeln und mit weiten Bögen. Die Anfänge dieser neuen Bauform erkennen wir im „Tempietto“ San Pietro in Montorio. Donato Bramante (gest. 1514) plante für Mailand den Weiterbau der Kirche Santa Maria delle Grazie, die von einem großen Kuppelbau gekrönt wird. In der Nähe von Todi entstand die Kirche Santa Maria della Consolazione, in Montepulciano die Kirche San Biagio, beide wurden von Donato Bramante entworfen. Das sind Zentralbauten mit einer Hauptkuppel und vier Nebenkuppeln. Der Höhepunkt dieses Kunstschaffens aber liegt in der St. Peters Basilika in Rom, die anfänglich von Donato Bramante geplant wurde. Später hat Michelangelo Buonarotti diese Pläne weitergeführt. Wir erkennen darin einen großen Zentralbau mit einer hohen Kuppel, dazu einen Langbau mit gewaltigen Ausmaßen. Die Basilika des Papstes symbolisierte den weltumspannenden katholischen Glauben und die Größe der päpstlichen Macht. Aus dieser Zeit stammt auch die Kirche der Jesuiten in Rom „Il Jesu“, die zum Vorbild vieler Jesuitenkirchen in der katholischen Welt wurde. Einem ähnlichen Stil folgten der Damasushof im Vatikanspalast und der Palazzo Farnese in Rom. Dieser wurde von Giuliano da Sangallo geplant. Von Baldassare Peruzzi entworfen wurde die Villa Madama in Rom mit lichtvollen Innenräumen und reich gegliederten Fassaden.5 Die Villa Giulia in Rom wurde für Papst Julius III. von Barozio da Vignola geplant, er kam aus der Schule des Michelangelo Buonarotti. Vignola entwarf auch die Villa Farnese bei Viterbo, die vom Papst Paul III. in Auftrag gegeben wurde. Im Inneren befinden sich die königliche Treppe (Scala reale) und der Saal mit den Weltkarten. Die Fresken wurden von Giacomo Varese und von Taddeo Zaccari gestaltet. In Venedig entstand die Biblioteca Marciana, sie wurde von Jacobo Sansovino geplant und ausgeführt. In der Biblioteca Laurenziana in Florenz schuf Michelangelo Buonarotti eine dreigliedrige Stiege. Zu dieser Zeit wurde in Vicenza das alte Rathaus von Andrea di Pietro (Palladio) zum Palazzo della Ragione umgebaut. Der alte Bau wurde mit Säulen, Bögen und reichen Fassaden umgeben.6 Palladio schuf in Norditalien eine Reihe großer Villen, etwa die Villa Valmarana bei Vicenza oder die Rotonda. Diese besteht aus einer runden Kuppel in der Mitte und aus vier viereckigen Säulen auf allen Seiten. Ein großes Werk des Palladio ist das Teatro Olimpico in Vicenza, das für die Aufführung altrömischer Dramen gebaut wurde. Auch die Kirche „Il Redentore“ in Venedig wurde von Palladio entworfen, auch dort wird die Fassade von vier starken Säulen getragen. Die Kirche San Giorgio Maggiore folgte dem gleichen Stil. Palladio war bemüht, seine Bauwerke immer der Landschaft anzupassen. Die Stilformen der antiken Kultur sollten mit den neuen Bautechniken vervollkommnet werden. Breite Ausstrahlung hatte die venezianische Malerei zu dieser Zeit. In der Republik Venedig wirkten viele Künstler, die von Adeligen und von Kirchenmännern bezahlt wurden. Paolo Caliari (Veronese, gest. 1588) malte viele Landschaftsbilder und Szenen aus dem Leben der Adeligen, auch Bilder des christlichen Glaubens und der antiken Mythologie. Zu seinen großen Werken gehören: die Auffindung des Moses am Nil, Esther und Ahasver, die Hochzeit zu Kana, das Gastmahl im Haus des Lewi.

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Vittorio Carpaccio malte das Bild eines Ritters auf seiner Burg, den Besuch der Maria bei Elisabeth, eine Predigt des heiligen Stefanus. Aus diesen Bildern erkennen wir die Kleidung der Adeligen und der Bürger in der Stadt, aber auch ihre Bauformen. Gianbattista Cima da Conegliano malte eine Madonna mit dem Kind in einer Landschaft von Städten und Burgen.7 Giorgione war ein Meister der Landschaftsmalerei, im Bild „Das Gewitter“ verbindet er die Dynamik der Natur mit der Schönheit und Gelassenheit der Menschen. In den Bildern „Das ländliche Konzert“ und „Die drei Lebensalter“ sah er musizierende Menschen in der Ruhe der Natur. Jacobo Robusti (Tintoretto) malte große Szenen aus der Bibel, etwa die Susanna im Bad mit bunten Gärten, die Ermordung der unschuldig Gefangenen, eine Schlacht zwischen Christen und Türken oder das Porträt einer Frau mit entblößter Brust. Für den Dogenpalast in Venedig schuf er ein „Jüngstes Gericht“, bevor er mit 76 Jahren an der Pest verstarb. Jacobo Bassano malte ein Bild „Noah nach der Sintflut“, und von Gianbattista Moroni stammt das Porträt eines Schneiders mit Tuch und Schere.8 Prägend für viele Maler wurde der Adelige Tiziano Vercelli (Tizian, gest. 1576), der in der Schule des Giovanni Bellini ausgebildet wurde. An christlichen Themen malte er die Taufe Jesu im Jordan, mehrere Bilder der Madonna, die Grablegung Christi, Maria mit dem toten Jesus. Zu seinen großen Themen gehören die Begegnung der himmlischen und der irdischen Liebe, das Fest des Gottes Bacchus, die Göttin Flora, eine Frau vor dem Spiegel, die Begegnung des Bacchus mit der Ariadne, die Venus von Urbino, die Venus mit dem Orgelspieler, die Begegnung von Venus und Adonis, die Danae mit dem Goldregen, die Erziehung des Amor durch Venus, Lucretia und Tarquinius. In seinen Porträts malte er Zeitgenossen, Frederigo II. Gonzaga, Kaiser Karl V., Eleonora Gonzaga, Isabella von Portugal, Philipp II. von Spanien und ein Selbstbildnis.9 In Spanien und Portugal kam die Wiedergeburt der antiken Kunst vor allem in den Schlössern der Adeligen und in den Kirchen zum Ausdruck. So entstand in Salamanca das „Haus der Muscheln“, im Auftrag eines Jakobs-Ritters. In den Kathedralen von Granada, Salamanca und Malaga, aber auch in der königlichen Grabkapelle San Juan in Toledo erkennen wir die Übergänge von den spätgotischen Bauformen zur Kunst der Renaissance. So entstand innerhalb der Alhambra in Granada ein neuer Stadtpalast des Kaisers Karl V. Dem neuen Stil folgten der Palast Monterry in Salamanca, die Universität von Alcala de Henares, vor allem der Königspalast Escorial. In Portugal folgte der Bau des Klosters Cristo Rey in Tomar dem neuen Stil. Dieser wurde bald auch in den Bauten der Bischöfe, Klöster und Adeligen in den Kolonien Lateinamerikas übernommen. Als Bildhauer dieser Epoche wirkten Alonso Berruguete, Leon und Pompeo Leoni. Pedro Berruguete malte ein Bild der kirchlichen Inquisition, die vom hl. Dominikus geleitet wurde. Zu den Themen des christlichen Glaubens gehörten die Flucht der hl. Familie nach Ägypten, die Auferstehung Christi, Maria als Beschützerin der Seefahrer (Aleja Fernadez). Wichtige Porträtmaler waren Juan de Juanes, Sanchez Coello,

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Juan Pantoja de la Cruz. Eine Madonna mit dem Kind malte Luis de Morales, die deutlich von italienischen Malern beeinflusst ist.10 Der Grieche Domenikos Theotokopulos, der nach Italien und Spanien kam, wird in Italien El Greco genannt, in Spanien heißt er Domenico Greco. Zu seinen großen Werken gehören die Entkleidung Christi in der Kathedrale von Toledo, die Heiligste Dreifaltigkeit, der Traum des Königs Philipp II., das Martyrium des hl. Mauritius, die Heiligen Andreas und Franziskus, Josef mit dem Jesusknaben, Martin mit dem Bettler, die Verkündigung des Engels an Maria, die Auferstehung Christi, die Himmelfahrt der Maria, die Apokalypse des Johannes. Alle seine Figuren sind überdimensional groß, damit strahlen sie Geheimnisvolles aus.11 In Frankreich sind ebenfalls die neuen Schlösser des Königs, die Residenzen der Adeligen, die Kirchen und Klöster von der neuen Kunst geprägt. Das gilt vor allem für die königlichen Schlösser von Blois, Amboise, Chambord, Azay-le-rideau, Chenoncaux und Fontainebleau, den Louvre in Paris und das Hotel d´ Assezat in Toulouse. In den Kirchen Saint Eustache in Paris und Saint Michel in Dijon ist noch der Bezug zur Kunst der Gotik erkennbar. Große Bildhauer dieser Epoche waren Antonio und Giovanni Giusti, Germain Pilon, Pierre Lescot und Jean Goujou. Als Maler wirkten Jean Cousin und Jean Clouet, die zur Malerschule von Fontainbleau in Verbindung standen. Ein ausdruckstarkes Porträt des Königs Franz I. schuf Jean Clouet.12 In der niederländischen Malerei wirkten vor allem Hieronymus Bosch, Lucas van Leyden, Jan Gossaert (Marbue), Joos von Cleve, Jan Massys, Bartholomäus Spranger, Pieter Bruegel der Ältere und der Jüngere. Gemalt wurden christliche Themen, Szenen aus dem Leben des einfachen Volkes und Erzählungen der Mythologie.13 In der deutschen Ländern wurden Schlösser (Heidelberg) und Rathäuser (Bremen) im neuen Stil erbaut. Große Bildschnitzer der Zeit waren Veit Stoß, Bernt Notke, Tilman Riemenschneider. Wichtige Maler waren Hans Baldung Grien, Hans Burkmair, Albrecht Altdorfer, Matthias Grünewald, Hans Holbein der Jüngere, Niklas Deutsch, vor allem Albrecht Dürer. Nürnberg war ein Zentrum der Bildkunst. Von Albrecht Dürer stammen viele Skizzen und Zeichnungen, Bilder von Adam und Eva, den vier apokalyptischen Reitern, Madonnen mit dem Jesusknaben, Anbetung der Könige, die vier Apostel, Bilder von Kaiser Karl dem Großen und Kaiser Maximilian I., Bilder von Heiligen und Selbstbildnisse. Dieser Meister hat die nachfolgende Kunst lange Zeit geprägt.14 Lucas Cranach aus Kronach in Franken malte viele religiöse Bilder, die heilige Familie, den Altar von Torgau, die hl. Magdalena. Er schuf Porträts von Martin Luther sowie Bilder der Göttin Venus und der Cupido.

Kultur des Barock Die Kultur des Barock wurde stark von den Lehren der katholischen Gegenreformation geprägt, sie finden ihren Ausdruck in der Baukunst, der Malerei und der Skulpturen. In Italien waren es Päpste, Fürsten, Bischöfe, Klöster und Städte, welche diese Kunst zur Entfaltung brachten. Anfänge wurden gesetzt in der Villa Borghese

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und im Palazzo Barberini in Rom, in den Kirchen Santa Lucca und Martina, San Carlo und Santa Agnese in Rom und Maria della Salute in Venedig. Zur vollen Entfaltung kam diese Kunst in der Innenausstattung vieler Kirchen und Paläste, auch in St. Peter in Rom (Baldachin), im Trevi-Brunnen von Nicola Salvi, in der Kirche San Lorenzo in Turin. Wichtige Maler dieser Zeit waren Christofano Allori (Hl. Familie, Judith), Annibale und Agostino Caracci (Triumph des Bacchus), Guido Reni (Wagen des Apollo, Atlas und Hypomenes). Als Bildhauer wirkten Lorenzo Bernini (David, Apollo und Daphne, Kathedrale des hl. Petrus), Ludovico Albertoni und Alessandro Algardi.15 Ein Meister der Malkunst war Michelangelo Merisi (Caravaggio), der christliche und mythische Themen darstellte. Dazu gehören: Christus in Emmaus, der kranke Bacchus, die Wahrsagerin, Maria aus Magdala, die Opferung des Isaak, die Ruhe der hl. Familie, der Narkissos und der Gott Amor, Kreuzigung des Petrus, Salome, Madonna mit dem Rosenkranz, die Grablegung Christi. Einer seiner Schüler war Orazio Lomi (Gentileschi), er malte Allegorien auf die Wissenschaft, eine Verkündigung des Engels an Maria. Seine Tochter Artemisia Gentileschi malte ein großes Bild von Judith und Holofernes. Sie wusste sich dem Vater gleichwertig.16 In Spanien und Portugal sowie in den Kolonien in Lateinamerika kam die Barockkultur zur vollen Entfaltung. Auch dort waren es die Kirchen und Klöster, die Schlösser und Villen, die in dieser Kunstform gestaltet wurden. In den Bauwerken der Kirchen sollte die Fülle des religiösen Glaubens dargestellt werden, die Gläubigen wurden in der Lehre und der Moral durch Bilder unterwiesen. Große Bauten dieser Kultur sind das Kloster San Esteban in Salamanca, die Kathedralen von Granada und Santiago de Compostella, Santa Catalina in Valencia, die Kirche der Kartäuser in Granada, das Hospiz San Fernando in Madrid. Überall erkennen wir die Fülle der göttlichen Gnade, die Herrschaft der Kleriker und die Kraft der himmlischen Mächte. Wichtige Maler dieser Zeit waren Jose de Ribera, Francesco de Zurbaran, Bartolome Murillo, Juan de Valdes, Laudio Coello, Careno de Miranda.17 Diego Velasquez malte Themen des Glaubens und des alltäglichen Lebens. Als Hofmaler des Königs schuf er große Porträts der Herrscherfamilie (Don Carlos, Dona Antonia, Don Diego, König Philipp IV., Isabella von Bourbon, Infant Don Fernando, Prinz Balthasar Carlos, die königliche Familie, Margareta d` Austria).18 In Frankreich wurden die großen Schlösser der Könige und Fürsten geschaffen, aber auch Kirchen und andere Bauten: der Invalidendom, die Kirche Val de Grace, die Kirche der Sorbonne, das Hotel des Invalides, Teile des Louvre, die Porte Saint Denis, das Hotel de Sully in Paris; die königlichen Schlösser in Versailles und Grande Trianon. Der Spiegelsaal von Versailles galt als Höhepunkt barocker Kunstentfaltung. In der Malerei wurden Szenen des alltäglichen Lebens gemalt (Georges de La Tour, Louis la Nain, Nicolas Poussin, Claude Gelee). Große Porträtmaler waren Philippe de Champaigne (Kardinal Richelieu), Charles Le Brun (Kanzler Seguie), Hyacinthe Rigaud (König Ludwig XIV.).19 Die niederländische Barockkultur wurde durch Bauwerke (Großer Markt von Brüssel, Kirche St. Michel in Löwen) geprägt. Vor allem aber entfaltete sich dort

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die Malkunst zur vollen Blüte. Frans Hals stellte die Offiziere der Adriansgilde dar, Anthonis van Dyck malte Porträts von Kardinal Guido Bentivoglio und von König Karl I. Er gründete später in England eine Schule der Porträtmalerei. Jacob Jordaes malte Allegorien der Fruchtbarkeit und der Trinkfreude und viele Familienbilder. Szenen des Alltags malten Frans Snyders, David Deniers und Frans Hals (Der fröhliche Zecher). Pieter de Hooch und Gerard Terborch schufen Bilder des bürgerlichen Lebens. Wichtige Landschaftsmaler waren Jan van Goyens, Jacob Ruysdael, Willem Heda und Willem van de Velde.20 Der große Meister der Malkunst war Peter Paul Rubens, der als Flame in Siegen bei Köln geboren wurde. Seine Bilder kreisen um Themen der antiken Mythologie, des christlichen Glaubens und des alltäglichen Lebens. Dazu gehören die Anbetung der Könige, die Aufrichtung des Kreuzes Jesu, das Martyrium des Livin, Susanna im Bad. Aus der Mythologie malte er den Raub der Töchter des Leukippos, die Gruppe der Nereiden, Perseus befreit Andromeda, Venus vor dem Spiegel, die Schlacht der Amazonen. Zu seinen Porträts zählen: Isabella Brant, Helene Fourment, Anna von Österreich sowie Selbstporträts. Eindrucksvoll sind seine Landschaften in der Abenddämmerung.21 Der Maler Rembrandt (Harmensz van Rijn) wurde 1606 in Leyden geboren und starb 1661 in Amsterdam. Auch er malte christliche Themen, Porträts und Szenen des Alltags: Tobias heilt seinen blinden Vater, die Anatomievorlesung des Dr. Nicolaes Tulp, der Gelehrte mit der Wandeltreppe, die lachende Siskia, die heilige Familie, die Blendung des Simson, der Auszug der Schützengilde, die Danae, der lesende Titus, die Judenbraut, Heimkehr des verlorenen Sohnes.22 Von 1632 bis 1675 lebte der Maler Vermeer van Delft, zu seinen wichtigsten Bildern gehören: die Briefleserin am offenen Fenster, Diana mit Gefährtinnen, die Kupplerin, Herr und Dame beim Weintrinken, die Perlenwägerin, das Milchmädchen, die Spitzenklöpplerin, Ansicht von Delft, Mädchen mit Perlenhalsband.23 Die Barockkultur in den deutschen Ländern wurde vor allem von den Klöstern, den Bischöfen, den katholischen Fürsten und den Städten getragen und entfaltet. In den katholischen Ländern (Bayern, Österreich, Oberschwaben) wurden viele neue Kirchen gebaut, alte Kirchen wurden im Barockstil umgebaut. Gleichzeitig entstanden große Barockschlösser und Häuser in den Städten. Durch reiche Bildwelten in den Kirchen wurden den Gläubigen Lebensfreude und Sehnsucht nach der göttlichen Welt vermittelt. Das gilt z.B. für die Kirchen von Ottobeuern, Zwiefalten, Weingarten, Einsiedeln, Dießen am Ammersee, Schäftlarn, Melk, Göttweig, St. Peter und St. Karl in Wien. Zu den großen Schlössern dieser Zeit gehören: Schönbrunn in Wien, Palais Waldstein und Czernin in Prag, Amalienburg in München.24 In der Zeit des Zaren Peter I. wurden Baumeister aus Italien nach Russland geholt. Sie schufen große Bauwerke vor allem in St. Petersburg, den Winterpalast, das Palais Puschkin, das Schloss Peterhof, die Kirche des Smolny-Klosters. In England entstanden zu dieser Zeit die St. Pauls Kathedrale in London (von Christopher Wren), das Banqueting House, die Kirche St. Mary le Bow und St. Stephan Walbrook, St. Martin in the Fields, das Palais Blenheim in Oxford. Ein wichtiger Maler der Barockzeit war

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Peter Leley, ein Schüler van Dycks. Allgemein wurden England, Schottland, Irland, Wales und Skandinavien aber nur wenig von der katholischen Barockkultur geprägt.25

Kunst des Rokoko und des Neo-Klassizismus In der Kunst des Rokoko (von franz. Rocaille=Grotten und Muschelwerk) wurde der Stil des Barock noch stark verfeinert. Spielende Leichtigkeit ersetzte langsam das Würdevolle und Hoheitliche, die Ornamentkunst erreichte auch die Themen der Religion. Wir erkennen ein sich veränderndes Lebensgefühl bei den Adeligen und bei den Stadtbürgern, abgeschwächt auch bei den Bauern und Landarbeitern. Denn die neuen Kirchen wurden auch in den ländlichen Regionen gebaut (z.B. Wieskirche), sie gaben den Besuchern nun den Blick in die himmlische Welt frei. Die Adeligen blickten in ihren Schlössern in die Symbolwelten der griechischen und der römischen Mythologie. In beiden Welten der Religion und der Mythologie erkennen wir starke Lebensfreude, sinnliche Lebenslust und Sehnsucht nach dem Ewigen und Göttlichen.26 Die neuen Leitbilder der aristokratischen Kultur sind nun die Götter Venus und Amor, Aphrodite und Eros, Amor und Psyche, Nymphen und Nereiden, Satyrn und Pane, Herkules und Jupiter. Die Leitbilder der Religion sind die vielen Ränge der Engel, die selige Jungfrau Maria, der Chor der Seligen, die Dreifaltigkeit Gottes, das Leben der Heiligen. Die großen Schlösser in diesem Stil sind: der Zwinger in Dresden, Schloss Belvedere in Wien, Schloss Trianon in Versailles, Schloss Sanssouci in Potsdam, das Palais Dos Aquas in Valencia, Schloss Stipinci bei Turin. Zu den großen Kirchen gehören: die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen in Franken, Zwiefalten, Wieskirche, Steinhausen, Steingaden, Asamkirche in München. Die großen Meister dieser Baukunst waren Balthasar Neumann, Fancois Cuvillier, Johann Michael Fischer, Johann und Dominik Zimmermann.27 Die französische Malerei und Skulptur im 18. Jh. wurde von vielen Künstlern geprägt. So schuf Jean Fragonard sein Bild „Die Schaukel“, in der er die Leichtigkeit des Lebens andeutete. Ähnlich malte Nicolas de Largilliere die Göttin Danae. Oder Antoine Watteau schuf Figuren für die „Comedia Italiana“. Hubert Robert malte verzauberte Landschaften, und Francois Boucher spielte mit der Schönheit des weiblichen Körpers (Diana im Bad). Jean Chardin schuf Bilder aus dem alltäglichen Leben, die Malerin Elisabeth Vigee-Lebrun malte ein Selbstbildnis mit ihren Schülerinnen. Verspielte Sinnlichkeit zeigen die Bilder von Jean Fragonard (Die Badenden). Auch Jean Houdon drückte die Freude an Sinnlichkeit und die Leichtigkeit des Körpers aus.28 Auch die italienische Malerei folgte dem neuen Stil der Leichtigkeit und des Hellen. So malte Gianbattista Tiepolo in Madrid die Verherrlichung des Weiblichen und der spanischen Monarchie. Corrado Giaquinto malte die Begegnung der Gerechtigkeit mit dem dauerhaften Frieden. Und Jacopo Amigoni stellte die Leichtigkeit des Tanzes bei einem Gartenfest dar, gleichzeitig malte Alessandro Manasco asketische Mönche in einer Höhle bei der Anbetung des Heiligen. Von Giovanni Piazetta stammt

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ein sehr sinnliches Bild einer Wahrsagerin und einer jungen Frau. Giovanni Tiepolo malte Maskenfeste und Szenenbilder aus dem Theaterstück „Rolando furioso“. Große Landschaftsbilder stammen von Francesco Zuccareli. Und Antonio Canal (Canaletto) malte viele Stadtansichten von Venedig, von Wien und von Dresden. Sein Nachfolger Bernardo Boletto setzte diese Maltechnik in anderen Städten noch lange Zeit fort.29 Die englischen Maler im 18. Jh. thematisierten neben religiösen und mythischen Inhalten vor allem Landschaften, viele folgten der Porträtmalerei. William Hogarth gab auf seinen Bildern Hochzeiten und volkstümliche Feste wieder oder den „Weg der Prostituierten“ und die Situation eines „Verlorenen“. Er verband dabei die satirische Darstellung mit moralischen Impulsen. Thomas Rawlandson malte den sterbenden Christus, die heilige Familie und die Gottesmutter Maria. Von Joshua Reynolds stammen viele Porträts und Kinderbildnisse, aber auch Aktbilder in Bewegung. Thomas Gainsborough war Hofmaler des Königs und Gründungsmitglied der Royal Academy. In seinen Bildern von Frauen (z.B. Musidora) und Kindern drückt er verspielte Leichtigkeit aus. Wichtige Porträtmaler waren George Romney, John Zoffany, Joseph Wright of Derby. Dieser malte ein medizinisches Experiment mit einem Vogel und einer Luftpumpe. Eindrucksvolle Kinderbilder stammen von Thomas Lawrence. Die großen Meister der Landschaftsmalerei waren John Constable und William Turner, sie malten auch Schiffe auf dem Meer und Fahrzeuge der Bauern.30 Die Barockarchitektur prägte die großen Bauwerke in Spanien, Portugal und in den Ländern Lateinamerikas. Der Königspalast in Madrid wurde von den Bourbonen neu gestaltet, ebenso die Paläste in Segovia und Aranjuez. Es wurden Triumphbögen für die Armee und neue Basiliken (Murcia) gebaut. In allen Ländern Lateinamerikas bauten die Bischöfe und Klöster große Kirchen, etwa in Santo Domingo, in Mexiko, in Antiqua oder die Jesuitenkirche in Tepotzotlan. Die Fassaden und die Innenräume zeigen di bedrückende Fülle der göttlichen Welt, aber auch die Herrschaft der Kleriker und der Fürsten.31 Nach 1750 orientierten sich viele Künstler in Europa wieder an den „klassischen“ Formen der römischen und der griechischen Baukunst. Zu dieser Zeit wurden die Überreste antiker Bauten in Süditalien (Herculaneum, Pompeji) entdeckt, die Begeisterung für die antike Kunst nahm bei den Künstlern und ihren Auftraggebern stark zu. So entstand ein „neoklassischer“ Stil, der in Paris vielfältig zum Ausdruck kam: das Schloss Petit Trianon, die Place de la Concorde, das Palais Royal, das Hotel Salm, die Militärakademie oder die Fassade der Kirche Saint Sulpice. Weitere Bauten in diesem Stil sind das Pantheon und die Kirche Sainte Madelaine. Diese Kunstform veränderte sich in der Zeit der Revolution und unter der Herrschaft Napoleons. In England wurde dieser Baustil vor allem von den Brüdern Robert und James Adam entfaltet. In Berlin entstand die „Neue Wache“, erbaut von Friedrich von Schinkel. In Bayern wirkten die Architekten Karl von Fischer und Leo von Klenze. Sie bauten in München das Palais des Prinzen Karl, das Hoftheater, die Glyptothek, das Odeon und die Propyläen.

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In der Kunst der Bildhauer wirkten der Italiener Antonio Canova und der Däne Bertel Thorwaldsen. Von Antonio Canova stammen viele Skulpturen der antiken Mythologie, etwa „Daedalus und Ikarus“ oder „Amor und Psyche“ sowie „Die drei Grazien“. Bertel Thorwaldsen schuf die Gestalten der Göttin Venus und des Helden Jason mit dem Goldenen Vließ. In der Malerei prägte der Franzose Luis David diese Kunstepoche, er war Mitglied der Nationalversammlung von 1789 und malte als Programm der neuen Epoche den „Schwur im Ballhaus“ sowie den „Schwur der Horatier“. Später stellte er die Herrschaft des Napoleon in großen Bildern dar, seinen Ritt über die Alpen, seine Krönung zum Kaiser und den „Raub der Sabinerinnen“. Wir erkennen in diesen Bildern die Verherrlichung der neuen kaiserlichen Macht Frankreichs.32 Die spanische Malerei der Barockzeit setzte ihre Schwerpunkte auf die Darstellung von Festen der Adeligen, auf Porträts von Fürsten, auf Erzählungen des christlichen Glaubens und auf Bilder der antiken Mythologie (Luis Paret). Die prägende Gestalt war Francesco Goya, der in Segovia geboren wurden. Die Themen seiner Werke sind: das Opfer an die Göttin Vesta, die Kartause Aula Dei in Saragossa, die Beschwörung eines Sterbenden, Mädchen beim Blumenpflücken, der große Brand, die nackte und die bekleidete Maya. Er porträtierte die königliche Familie (Karl IV.) und viele adelige Auftraggeber. Seine Bilder „Der Schlaf der Vernunft“ und das „Inquisitionstribunal“ forderten die Betrachter zu aufrechtem und kritischem Denken heraus. Später malte er die Schrecken des Krieges, als Napoleon in Spanien eingefallen war. Er selbst wurde noch bei der Inquisition angeklagt.33

Entwicklungen in der Musik Hier sollen kurz die großen Themen der Musik in der Zeit der Renaissance und des Barock dargestellt werden. Die bevorzugten Orte der Musik waren die Kirchen, die Klöster, die Kathedralen, die Fürstenhöfe, die Sängerfeste, die Theater und die Volksfeste. Die Komponisten befassten sich daher mit geistlichen, vor allem biblischen Themen, mit Inhalten der griechischen und der römischen Mythologie, aber auch mit Inhalten des adeligen und des bürgerlichen Lebens der Zeit. So war Giovanni Pierluigi de Palestrina (gest. 1594) Chorknabe und später Organist an mehreren Basiliken in Rom. Er komponierte über 100 lateinische Messen, dazu Motetten und Madrigale für die Chormusik, die um religiöse Themen kreisen. Zu seinen großen Werken zählen die Missa Papae Marcelli und das Canticum Canticorum Salomonis. Der Flame Orlado di Lasso (gest. 1594) wirkte zuerst in Frankreich, dann in Rom und in München, seine Kompositionen wurden auch bei Fürstenversammlungen und bei Reichstagen aufgeführt. Von ihm gibt es über 100 Messen, Madrigale und Chancons, dazu Lieder in deutscher Sprache, vier Passionen Christi und mehrere Vertonungen des Hymnus Magnificat. Der Engländer William Byrd (gest. 1623) wirkte an Bischofskirchen und an der königlichen Kapelle in London. Er komponierte Werke für Orgel und Cembalo, Chorwerke und Motetten für die Anglikanische Kirche, aber

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auch lateinische Messen für die Katholische Kirche. Giovanni Gabrieli (gest. 1612) wirkte vor allem am Markusdom in Venedig. Er verfasste Kirchenmusik, Chorwerke, Solomotetten und Orgelwerke.34 Der Neapolitaner Carlo Gesualdo da Venosa (gest. 1613) war mit Torquato Tasso befreundet. Er verfasste Madrigale über Liebe und Leidenschaft, Eifersucht und Tod, aber auch Gesänge zur Liturgie der Karwoche. Der Holländer Jan Pieter Sweelink (gest. 1621) lebte und wirkte in Amsterdam, er schrieb große Werke für Orgel und Cembalo sowie Chorwerke zu den großen Themen der Bibel. Ein Meister der Lautenmusik war der Engländer John Dawland (gest. 1626), der in London, Venedig und Florenz wirkte. Er komponierte neben der Lautenmusik auch Lieder und mehrstimmige Chorwerke. Sein Hauptwerk trägt den Titel „Lachrimae, or seaven Tears“. Ein prägender Künstler der italienischen Musik war Claudio Monteverdi (gest. 1643), der lange Zeit am St. Markus-Dom in Venedig wirkte. Zu seinen großen Werken gehören: Orfeo; Il ritorno d´Ulisse in patria; L´incoronazione di Poppea; Arianne u.a. Er komponierte viele Madrigale und Chorwerke sowie eine große Marienvesper. Auch schuf er neue Formen des Sprechgesangs, die sich später in der italienischen Oper voll entfalteten. Girolamo Frescobaldi (gest. 1643) schuf große Madrigale sowie Werke für Orgel und Cembalo.35 Der Thüringer Heinrich Schütz (gest. 1672) wirkte als Organist in Kassel und in Dresden. Er komponierte große Werke über Inhalte des christlichen Glaubens. Die Themen seiner Oratorien sind: die Psalmen; Geburt und Auferstehung Christi; drei Passionen Christi; die sieben letzten Worte Jesu am Kreuz; ein Requiem in deutscher Sprache; Cantiones Sacrae; Symphoniae Sacrae; Geistliche Lieder. Er hat mit seiner Musik wesentlich zur Vertiefung des protestantischen Glaubens beigetragen. Der Franzose Jean Baptiste Lully (gest. 1687) verfasste Werke für die Orgel sowie mehrere Singspiele: Der Bürger als Edelmann; Alceste; Roland; Armide; Atys u.a. Er war als Gesangspädagoge, als Regisseur am Theater und als Choreograph tätig. Marc Antonie Charpentier (gest. 1704) komponierte zahlreiche lateinische Messen, Motetten und Kantaten sowie 18 Oratorien über Themen aus der Bibel. Archangelo Corelli (gest. 1713) war ein Meister der Violinmusik, er komponierte viele Kirchen- und Kammersonaten sowie mehrere Concerti grossi. Der Engländer Henry Purcel (gest. 1695) prägte die Barockmusik in seinem Land, er wirkte als Organist an der Westminster Abbey und an der Royal Chapel in London. Zu seinen großen Opernwerken gehören: Dido and Aeneas; King Arthur; The Fairy Queen u.a. Er komponierte auch Oden über das Leben der heiligen Cäcilia.36 Der Franzose Francois Couperin (gest. 1733) wirkte am königlichen Hof in Paris, dort komponierte er große Werke für Orgel und für Cembalo, Klagegesänge zur Passion Jesu, königliche Konzerte und Triosonaten. Der Italiener Antonio Vivaldi (gest. 1741) war in Venedig, in Wien und in Prag tätig. Er verfasste eine Vielzahl von Opern, Konzerten und Oratorien; z.B. Die vier Jahreszeiten; Stabat Mater; La Notte; sowie mehrere Vertonungen des Gloria in der Messe. Aus Magdeburg stammte der Komponist Georg Philipp Telemann (gest. 1767), der in Leipzig und Hamburg tätig war und dort die Oper am Gänsemarkt leitete. Von

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ihm stammen viele Orchestersuiten, Solokonzerte, Opern und Bühnenmusiken, Kantaten, Messen, Oratorien und Passionen Christ. Außerdem komponierte er große Werke für Orgel und Cembalo. Mit ihm eng verbunden war Johann Sebastian Bach (gest. 1750), der lange Zeit als Kantor und Organist an der Thomaskirche in Leipzig wirkte. Er komponierte viele Werke aus allen Musikgattungen, außer der Oper. Zu seinen Hauptwerken gehören: die Johannespassion, die Matthäuspassion, die Hohe Messe, das Wohltemperierte Klavier; die Goldbergvariationen, die großen Orgelwerke, die Choralvorspiele und Orchestersuiten, das Weihnachtsoratorium, die Brandenburgischen Konzerte und viele Kantaten zu Texten aus der Bibel.37 Wichtige Werke des französischen Musiktheaters schuf Jean Philippe Rameau (gest. 1764), der an der Hofoper in Paris tätig war. Seine wichtigsten Opern sind: Hippolyte et Aricie; Castor et Pollux; Dardanus; Zoroastre; Les Indes Galantes u.a. Außerdem komponierte er Werke für Cembalo, Kantaten und Motetten. Ein Meister der deutschen und der englischen Barockmusik war Georg Friedrich Händel (gest. 1759) aus Halle an der Saale, der zuerst am Hof in Hannover und dann am königlichen Hof in London wirkte. Von ihm sind uns über 40 Opern und 22 Oratorien erhalten geblieben, darunter: der Messias; Judas Maccabäus; das Alexanderfest. Zu seinen großen Opern zählen: Rinaldo; Xerxes; Julius Caesar. Außerdem komponierte er viele Orchesterwerke, Concerti grossi, die Wassermusik, die Feuerwerksmusik und große Werke der Kirchenmusik. Die Italiener Domenico Scarlatti (gest. 1757) war in Neapel und Madrid an den spanischen Höfen tätig. Von ihm sind uns an die 100 Opern sowie viele Kantaten und Oratorien erhalten geblieben. Auch Giovanni Pergolesi (gest. 1736) komponierte viele Opern (La serva padrona; Olympiade) und geistliche Chormusik (Stabat Mater). Der deutsche Meister Christoph Willibald Gluck (gest. 1787) stammte aus der Oberpfalz, er wirkte an den Höfen in Mailand und in Wien. Zu seinen großen Opern gehören: Artaserse; Orfeo ed Euridice; Iphigenie en Tauride; Echo et Narcisse.38 Als Musiker in Wien und Eisenstadt wirkte Joseph Haydn (gest. 1809), der vor allem Kammermusik, Klavierkonzerte und Opernmusik komponierte. Auf seinen Reisen entstanden 6 Pariser Symphonien und 12 Londoner Symphonien. Er schuf sechs große lateinische Messen für den Gottesdienst (Heiligmesse, Paukenmesse; Nelsonmesse; Theresienmesse, Schöpfungsmesse, Harmoniemesse). Seine beiden Oratorien „Die Schöpfung“ und „Die Jahreszeiten“ schließen sein Schaffen ab. Von ihm stammen 24 italienische Opern und an die 60 Klaviersonaten. Er gilt als Lehrmeister der Wiener Klassik in der Musik. Von den Ideen der Aufklärung und der Freimaurer geprägt war Wolfgang Amadeus Mozart (gest. 1791). Er gehörte in Wien zwei Logen an und plante sogar eine Loge für Frauen. Er wirkte vor allem in Salzburg und in Wien. Seine Konzertreisen führten ihn an fast alle Fürstenhöfe in West- und Mitteleuropa. Von ihm stammen zehn Opern (z.B. Die Entführung aus dem Serail; Bastien und Bastienne; Hochzeit des Figaro; Don Giovanni; Cosi fan tutte; Die Zauberflöte. Außerdem schuf er 25

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Klavierkonzerte, 40 Symphonien, viele Violinkonzerte und Klaviersonaten sowie lateinische Messen für den Gottesdienst (z.B. Krönungsmesse, Piccolomini-Messe). Er galt als der begabteste Musiker seiner Zeit, mit 35 Jahren ist er verstorben.39

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Die Erben des spanischen Judentums 1492 endete das blühende Zentrum des Judentums auf der iberischen Halbinsel. Die katholischen Könige Ferdinand und Isabella unterschrieben am 31. März das Edikt zur Vertreibung der Juden. Gestützt wurde dies von der 1478 eingerichteten spanischen Inquisition, deren erster Großinquisitor Tomás de Torquemada (1420–1498) wurde. Ritualmordprozesse und polemische Texte wie das „Libro de Alboraique“ unterstützten die Hetzjagd auf Juden und die in der Not zum Christentum übergetretenen Juden, die „conversos“ (Konvertiten) oder „cristianos nuevos“ (Neuchristen). Von jüdischer Seite differenzierte man bereits seit dem 2. Jahrhundert zwischen „anusim“ (die zur Konversion gezwungen werden) und „meschumadim“ (die die freiwillig konvertieren). In dem anonymen Pamphlet „Alboraique“ werden die „conversos“ mit Mohammeds mystischem Reittier Al-Burak verglichen, das weder Esel noch Pferd war. So sind diese Neugetauften weder Christen noch Juden. Hier kann man deutlich sehen, wie der Judenhass nicht mehr nur rein religiöse, sondern deutlich rassistische Inhalte bekam. Seit 1449 waren in Toledo die Statuten von der „Reinheit des Blutes“ in zentralen Institutionen wie Universität und Kirche verankert.1 Abfällig wurden die „conversos“ „Marranos“ genannt. Ein „Marrano“ ist der, der „vom rechten Weg abweicht“, wobei bei „Marrano“ (von span. marrar) zugleich das Wort „Schwein“ als weitere Bedeutung hinzukommt. Die ca. 60 000 jüdischen Flüchtlinge, die ins nachbarliche Portugal gezogen waren, wurden zum Spielball der herrschenden Mächte. König Manuel I. hatte unter dem Druck Spaniens am 5.12. 1496 sein Vertreibungsedikt verkündet und Tausende Juden verließen das Land. Wenige Monate später jedoch wandelte er dieses Edikt in eine Zwangstaufe um. Diese „conversos“ bildeten dennoch eine klar erkennbare Gruppe, denen die Emigration verboten wurde. Da sie für viele Bevölkerungsteile trotz ihrer Taufe „jüdisch“ blieben, wurden sie Opfer von Verfolgungen wie beim Pogrom von 1506 in Lissabon. Die jüdischen Emigranten flohen in islamische Länder in Nordafrika oder in das Osmanische Reich. Aber auch im christlichen Europa, in den Niederlanden und einigen italienischen Städten wurden sie aufgenommen.

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Kultur des Judentums

In England gab es seit der Vertreibung der Juden im Jahre 1290 bis zur Wiederansiedlung 1655 eine „geheime jüdische Gemeinde“, die aus spanischen Flüchtlingen bestand. Das tragische Schicksal des Rodrigo Lopez (1525–1594) ist symptomatisch für diese Zeit der „Marranen“ in England. Lopez wurde 1586 Leibarzt der Königin Elisabeth I. Allerdings geriet er in eine Hofintrige und ihm wurde vorgeworfen, er hätte zusammen mit anderen geplant, die Königin zu vergiften. Er beteuerte bis zu seiner Hinrichtung 1594 seine Unschuld. Erst während des englisch-spanischen Krieges (1655–1660) bekannten sich die Juden Englands als „Conversos“ und kehrten offiziell zurück zum Judentum. Der Untergang des mittelalterlichen iberischen Judentums, in dessen Mitte bedeutendste Werke des jüdischen Denkens – vom kabbalistischen Meisterwerk „Sohar“ (Buch des Glanzes) bis zum „Lehrbuch der Herzenspflichten“ eines Bachja Ibn Pakuda – entstanden sind, führte nicht zum Verlust dieses geistigen Erbes. Es führen Brücken von der mittelalterlichen Aufklärung in Spanien, deren bedeutendster Vertreter Moses Maimonides (1135–1204) war, zur modernen Aufklärung des Moses Mendelssohn (1729–1786) in Berlin. Gelehrte des italienischen Renaissancejudentums und tragische Einzelschicksale wie Uriel da Costa (1585–1640) und Baruch Spinoza (1632–1677) sind Pfeiler dieser Brücke. Bereits bei ihnen gab es Öffnungen zur weltlichen Kultur. Daneben finden sich in ihren Werken historischkritische Auseinandersetzungen mit den religiösen Traditionen der rabbinischen Gelehrsamkeit. Die Spannung des jüdisch-spanischen Mittelalters zwischen Tradition, Philosophie und Mystik endete nicht mit der Vertreibung. Ihre Erben waren die Vertreter der Kultur der italienischen Juden zur Zeit der Renaissance, die sozusagen den Epilog dieser Epoche bildet. In der Renaissance des 15. Jh. wurden nicht nur die Ideale der Antike wiederentdeckt. Das Christentum schüttelte die Ketten der mittelalterlichen Askese und Scholastik ab. Es befreite sich von der kirchlichen Überwachung, von den Idealen der Sündlosigkeit und Heiligkeit und schaute zurück auf die Kultur der Griechen und Römer. Der Renaissance-Mensch begann sein „Ich“ zu entdecken, seine Freiheit und Unabhängigkeit, seine Individualität, sein Selbstbewusstsein und seinen freien Willen. Der Humanismus schaute zwar auf den Menschen, war aber dennoch deutlich christlich geprägt. In den italienischen Universitäten studierten Juden Naturwissenschaften, Astronomie und Medizin. Die jüdischen Werke, die vom Geist des Humanismus befruchtet waren, sind für die Entwicklung der Geistesgeschichte bedeutend, allerdings wurden sie von der Außenwelt kaum wahrgenommen. Kein Hinweis auf ihren Beitrag zur Renaissance findet sich in klassischen Studien wie Jacob Burckhardts „Die Kultur der Renaissance in Italien“. Erst mit Cecil Roths „The Jews in the Renaissance“ von 1959 wurde eine wichtige Forschungslücke geschlossen, wobei man seine enthusiastisch geschilderte „jüdisch-italienische Synthese“ unter Vorbehalt betrachten sollte. Für eine tatsächlich freie Teilnahme an Kunst und Kultur fehlte die bürgerliche Gleichberechtigung und 1475 erschütterte eine der grausamsten Ritualmordaffären Norditalien. Im Verlauf des Prozesses um „Simon von Trient“ wurden 12 unschuldige Juden gefoltert und ermordet und ihre

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Besitz geraubt. So sehen wir in den „Renaissance-Juden“ Italiens beispielhaft Glanz und Tragik jüdischer Geschichte. Aus den spanischen Ländereien in Italien wie Sizilien oder Sardinien mussten Juden fliehen und in Rom schauten sich begeisterte Juden „ihren“ Moses an, den Michelangelo Buonarroti (1475–1564) mit seiner Mosesstatue verewigt hatte.2 Warum Michelangelo Moses mit Hörnern abbildete, könnte man einem Übersetzungsfehler der Vulgata zusammen hängen oder aber auch damit, dass Michelangelo mit den Stier ähnlichen Hörnern seine große Kraft demonstrieren wollte. Die jüdische Kultur der Renaissance übernahm nicht das humanistische Weisheitsideal der Griechen und Römer. Den jüdischen Autoren wurde bewusst, als sie in ihre eigene Vergangenheit schauten, dass sie selbst eine Weisheit, eine Sprache und Literatur besaßen, die älter als die der Griechen und Römer war. Um das rabbinische Gebot, die fremden Völker nicht nachzuahmen, nicht zu übertreten, versuchten sie zu beweisen, dass in ihren Quellen bereits die humanistischen Ideale und Weisheiten existierten und diese die Griechen und Römer beeinflusst hätten. Sie schrieben Werke zu Grammatik, Rhetorik, Poetik, Geschichte und politischer Philosophie auf Hebräisch oder Italienisch, indem sie biblische Modelle anstatt der griechisch-römischen heranzogen. Auf der einen Seite verwendeten Juden die literarischen Gattungen, die typisch für die Renaissance gewesen waren wie Geschichte, Rhetorik, Biographie und Poetik. Aber es finden sich auch im humanistischen Geist verfasste Predigten oder Poesien.3 Es entstand eine Öffnung zu einer Welt, die sich im Aufbruch befand, auch wenn diese Welt sie kaum wahrnahm. Eine Ausnahme davon sind die „Dialoghi d’Armore“ des Jehuda Abravanel (1460–1521), genannt „Leone Ebreo“, die 1535 in Rom gedruckt wurden. Einen geistig fruchtbaren Austausch kann man auch in Gestalten wie Benedetto Blanis (1580–1647) in Florenz sehen. Blanis war von 1615 bis 1620 Bibliothekar von Giovanni die Medici (1567–1621) und hat mit ihm während seiner Abwesenheiten einen regen Briefwechsel über Astrologie, Alchemie und Kabbala geführt.4 Andere christliche Denker der Renaissance wie Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494) oder Johannes Reuchlin (1455–1522) sahen die jüdische Kabbala als vergessene Urtradition, die be­reits durch Adam im Paradies empfangen wurde. Viele kabbalistische Texte würden geheime Weissagungen über das kommende Christentum beinhalten.5 Pico beabsichtigte, einen Philosophenkongress in Rom abzuhalten und dort die von ihm aufgestellten 900 Thesen zur Diskussion zu stellen. Eine von Papst Innozenz VIII. eingesetzte Kommission lehnte 13 der Thesen ab, erklärte drei von ihnen sogar als häretisch und untersagte den Kongress. Eine der vermeintlich häretischen Thesen lautete: „Nulla est scientia, quae nos magis certificet de divinitate Christi, quam Magia et Cabala.“ (Es gibt keine Wissenschaft, die uns mehr von der Gottheit Christi Gewissheit geben kann als Magie und Kabbala).6 Es waren aber nicht nur die Bereiche der Mystik, die in der Renaissance den geistigen Dialog zwischen Judentum und Christentum befruchteten, sondern auch die Geschichte. Das Studium der Geschichte war im Judentum kaum verankert. Daher verwundert es nicht, dass Azaria dei Rossi (1511–1578) aus Mantua der erste jüdische Historiker seit Flavius Josephus gewesen ist. Rossi behandelt in seinem

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dreiteiligen Werk „Meor Enajim“ (Erleuchtung der Augen)7 vielerlei Themen der antiken jüdischen Geschichte. Im dritten Teil „Imrei Bina“ (Worte der Vernunft) untersuchte er Philo von Alexandrien, die Septuaginta, den Bar Kochba Krieg oder jüdische Chronologien. So zeigte er, dass die Zeitrechnung „seit Erschaffung der Welt“ erst im Mittelalter eingeführt wurde und dass weder in Bibel noch im Talmud ein Kalender „seit Erschaffung der Welt“ erwähnt wird. Rossi arbeitete als historischkritischer Denker und untersuchte rabbinische Traditionen mit profaner Literatur als Kontrollinstanz. So verglich er jüdische Quellen wie z. B. die rabbinische Literatur oder die Texte des Flavius Josephus mit allgemeinen Quellen wie die Werke der griechischen Philosophie, der Kirchenväter oder des Neuen Testaments. Während Christen Rossis Werk rezipierten, wurde er von jüdischen Gelehrten heftig bekämpft. Josef Karo (1488–1575) aus Safed, einer der zentralen Halachisten und Rabbiner dieser Zeit und Autor des „Schulchan Aruch“ („Gedeckter Tisch“, Venedig 1565), erließ sogar ein Dekret, dass man das Buch verbrennen müsse. Karo starb jedoch zuvor. So beschlossen die Gelehrten Mantuas, dass man das Werk erst ab 25 Jahren lesen durfte. Die jüdische Aufklärung entdeckte es zum Glück wieder und ließ es 1794 in Berlin neu drucken. Erst die Renaissance, die den Menschen ins Zentrum rückte, machte eine literarische Gattung wie die Biographie möglich. Einer der bis heute faszinierendsten jüdischen Autobiographien verfasste Leone (Jehuda Arie) Modena (1571–1648) aus Venedig. Zu seinen Lebzeiten hatte die judenfeindliche Stimmung Italiens ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht und die Zeit der Ghettos begann. Während der Gegenreformation wird die völlige Trennung der Christen von anderen „schädlichen“ religiösen Einflüssen gefordert. Die Bezeichnung „Ghetto“ entstand in Venedig. Der venezianische Senat hatte am 29.3.1516 unter kirchlichem Einfluss die Juden in den inselartigen Stadtteil Canaregio verbannt. Das Wort „Ghetto“ stammt aus dem venezianischen Dialekt. Ghèto (ital. Getto = Guss) bezeichnete nur die Insel innerhalb Venedigs, in der das Judenquartier lag, die „Neue Gießerei“ (Gheto Nuovo). Bei Sonnenuntergang wurden die Tore des Ghettos verschlossen und bei Sonnenaufgang erst wieder geöffnet. Da die jüdische Bevölkerung beständig wuchs, gab es immer wieder Beschwerden über die Enge im Ghetto. Schließlich ließ die Stadtregierung 1541 das „Gheto Nuovo“ mit einem zweiten, dem „Gheto Vecchio“ (Alte Gießerei), durch eine Brücke verbinden und ebenfalls ummauern. 1636 schließlich wurde das „Gheto Nuovissimo“ errichtet. Mittlerweile lebten ca. 5500 Juden in Venedig. Die Tore des venezianischen Ghettos fielen erst mit der Eroberung durch Napoleon 1797. Trotz des Ghettos schildern zeitgenössische Darstellungen ein reiches kulturelles Leben in Venedig. Einer der schillerndsten Gestalten war Leone Modena, ein Dichter, Prediger, Musiker, Astrologe, Alchemist und Spieler. Im Geiste der Renaissance schrieb er eine schonungslos offene Autobiographie8, an der bis kurz vor seinem Tod arbeitete. „Chajje Jehuda“ (Das Leben Jehudas) ist eine offene Auseinandersetzung über gescheiterte Liebe und gescheiterte Berufe, Spielleidenschaft etc. Der viel beachtete Prediger und talentierte Gelehrte beschrieb darin seine zahlreichen Berufe,

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wobei man mit der Bezeichnung „Beruf “ vorsichtig umgehen muß. Es sind vielmehr verschiedene Tätigkeiten, die er hier alle gesondert anführt: „Jüdische Studenten unterrichten; Nichtjüdische Studenten unterrichten; Schreiben lehren; Predigen; Predigten für andere Leute schreiben; Kantor; Sekretärs-Arbeiten für Gesellschaften; Ausüben rabbinischer Pflichten; Richten; in der Jeschiwa unterrichten; Titel „Rabbi“ und „Chaver“ verleihen; Korrespondenz führen; Musik komponieren; Poetische Verse für Hochzeiten und Grabsteine verfassen; Italienische Sonnette schreiben; Stücke schreiben; Stücke inszenieren; Verträge verfassen; Übersetzen; Drucken der eigenen Schriften; Korrekturlesen; Studieren und interpretieren von Amuletten; Bücher und Amulette verkaufen; Geschäfte vermitteln; Heiratsvermittler.“9 1593 begann seine berühmte Karriere als Prediger in der „Deutschen Schul“ des Ghettos. Sein charismatischer Stil und seine Redegewandtheit bewirkten, dass auch venezianische Adlige, Botschafter, Priester und Mönche kamen, um ihn zu hören. Auf der einen Seite machte er eine geachtete Karriere und wurde Leiter der Jeschiwa - auf der anderen Seite verfiel er zunehmend der Spielsucht. Familiär wurde er vom Unglück verfolgt. Sein Sohn Mordechai hatte ein alchemistisches Laboratorium eingerichtet, in dem er versuchte, aus neun Unzen Blei und einer Unze Silber, zehn Unzen Silber herzustellen. Bedingt durch den ungeschickten Umgang mit Arsen und anderen Materialien, erkrankte er aber und starb zwei Jahre später.10 Sein anderer Sohn Sebulon wurde das Opfer seines etwas zwielichtigen Umgangs. Widersacher lockten ihn 1622 in einen Hinterhalt und ermordeten ihn.11 Dennoch verfasste Modena bedeutende Werke rabbinischer Gelehrsamkeit wie „Ari Nohem“ (Brüllen des Löwen) oder „Ben David“, in denen er zeigte, dass der „Sohar“ nicht etwa aus dem 2. Jahrhundert stammt, sondern aus dem 13. Jahrhundert und widerlegte die kabbalistische Lehre von der Seelenwanderung. Obwohl der triumphale Prediger Modena abends am Spieltisch saß, verfasste er mit „Sur me ra“ (Vermeide das Böse) einen Dialog gegen das Spielen. 1637 erschien in Paris seine „Historia de gli riti hebraici“12, ein authentisches Zeugnis der speziellen „minhagim“ (Gebräuche) der Juden Venedigs. In „Kol Sachal“ (Stimme des Unvernünftigen) griff Modena die nachbiblische rabbinische Auslegungsliteratur als rein menschliches Werk ohne göttlichen Ursprung an. Ob Modena auch wirklich der Verfasser der aufklärerischen anonymen Schrift ist, ist umstritten. Die frühere wie auch die aktuelle Forschung ist geteilter Meinung.13 Als der talentierte Gelehrte schwer erkrankte, verfasste er nicht nur seinen letzten Willen, sondern auch gleich einen schlichten Vers für seinen eigenen Grabstein. Eine Liste seiner Besitztümer überlebte die Jahrhunderte und wurde veröffentlicht. Sie zeigt die Vielseitigkeit Modenas, unter dessen Büchern wir zahlreiche rabbinische und kabbalistische Texte finden, aber auch Boccaccio’s Decameron. Erst 150 Jahre später, im Berlin der Haskala, sollte es eine ähnlich fruchtbare Verbindung zwischen Aufklärung und Tradition wieder geben. Doch auch das traditionelle jüdische Denken fand in Gestalten wie Obadja ben Abraham Bertinoro (ca.1445–1515) einen bedeutenden Vertreter, dessen Auseinandersetzung mit der Mischna zum Standardkommentar wurde.

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Uriel da Costa Aber Kritik an den rabbinischen Traditionen wurde auch an anderer Stelle laut. Die iberischen „conversos“, die in Städten wie Hamburg oder Amsterdam zum Judentum zurückgekehrt waren, sahen sich mit vielerlei Problemen konfrontiert. Auch wenn viele von ihnen mühelos Traditionen wieder aufnahmen, die sie selbst oft nie gekannt hatten, so gab es doch im Kreis der „conversos“ einige bedeutende Denker wie Uriel da Costa (ca.1585–1640), die in aufklärerische Weise vor allem an den Lehren des Talmuds Kritik übten. Das Bild des freien Denkers, der gegen die Orthodoxie kämpft, wurde z. B. von Karl Gutzkow (1811–1878) in seinem Theaterstück „Uriel Acosta“ 1846 dramatisiert. Das Drama wurde ins Hebräische und Jiddische übertragen und oft gespielt. Uriel da Costa wurde als Gabriel da Costa in Porto geboren. Aus einer „conversos“- Familie stammend begann er jedoch katholische Theologie zu studieren. Allerdings führte ihn das Studium der Bibel wieder zurück zum Judentum. Er floh mit seiner Familie nach Amsterdam, wo er offiziell als „Uriel da Costa“ ins Judentum aufgenommen wurde. Da sein Verständnis des Judentums vor allem auf der „schriftlichen Lehre“ der Bibel beruhte, geriet er sehr schnell in Konflikt mit der „mündlichen Lehre“ des Talmuds. Er verfasste daraufhin die „Proposta contra a tradiçao“ (Thesen gegen die Tradition), da er glaubte, dass die rabbinischen Lehren in vielen Punkten nicht mit den Lehren der Bibel konform sei. Er kritisierte die Form der Beschneidung: Es ist aus der Thora selbst nicht ersichtlich, dass sich eine andere Thora vorfindet, noch gibt es Hinweise darauf; und es hätte in der Thora doch erwähnt werden müssen, denn wenn einer ohne dies irgendetwas bekräftigen wollte, läge darin kein Beweis. Ja selbst wenn diejenigen, die die mündliche Thora bezeugen, Männer wären, die Wunder vollbrächten, so dürfen wir doch auf ihre Worte keine Rücksicht nehmen, wenn sie nicht mit der schriftlichen Thora übereinstimmten.14

Diese Thesen führten zum Bann durch die sephardischen Gemeinden. Uriel da Costa zog sich aber nicht zurück, sondern arbeitete stattdessen an einer ausführlichen Verteidigungsschrift, „Exame das tradições phariseas“ (Untersuchung der pharisäischen Traditionen, 1624). In seiner Autobiographie schrieb er dazu: In dieser Situation beschloss ich, ein Buch zu schreiben, um die Gerechtigkeit meiner Sache darzutun und aus dem Gesetze selbst die Nichtigkeit der pharisäischen Tradition und Observanz und den Widerstreit ihrer Traditionen und Einrichtungen mit dem mosaischen Gesetz offen nachzuweisen.15

Er blieb aber nicht bei seinen alten Thesen stehen, sondern begann nun auch den Glauben an eine ewige Seele in Frage zu stellen. Er betrachtete den Unsterblichkeitsglauben ebenfalls als „unbiblisch“ und behauptete, die Seele würde mit dem Menschen zusammen sterben. Seine heftige Kritik des Juden- wie Christentums führte nicht nur zu einer Reihe von heftigen Gegenschriften sondern auch zu seiner Verhaftung und zur Verbannung nach Utrecht. Ein jüdischer „cherem“ (Bann) bedeutete in jener Zeit eine völlige Trennung von allen sozialen und geschäftlichen

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Beziehungen. Daher bemühte er sich um eine Wiederaufnahme in die Gemeinde von Amsterdam, die nach fünf Jahren auch erfolgte. Jedoch wurde er bald wieder angezeigt, da er sich nur in der Öffentlichkeit an die jüdischen Gebote hielt, aber in seinem Hause z. B. nicht die jüdischen Essensvorschriften hielt. Als er dann allerdings 1639 wiederum zum Judentum zurückkehren wollte, war dies nur mit dem Ritual einer „Geißelung“ verbunden: Ich trat in die Synagoge, die von Männern und Frauen voll war (sie waren nämlich zu dem Schauspiel herbeigekommen), ein, und als es Zeit war, stieg ich auf die hölzerne Kanzel, die mitten in der Synagoge steht und zum Predigen und zu anderen Verrichtungen dient, und verlas mit lauter Stimme eine von ihnen aufgesetzte Schrift, die folgende Beichte enthielt: Tausendfach hätte ich den Tod verdient wegen meiner Missetaten: so da waren Entheiligung des Sabbats und Abfall vom Glauben, gegen den ich mich so schwer vergangen, dass ich sogar andern vom Übertritt zum Judentum abgeraten hatte; weiter hieß es, als Buße für diese Vergehen sei ich nun gewillt, ihren Anordnungen zu gehorchen und mich dem, was sie mir auferlegen würden, zu unterziehen, und überdies verspreche ich, nicht wieder in dergleichen Frevel und Verbrechen zu verfallen. Nachdem ich die Schrift zu Ende gelesen hatte, stieg ich von der Kanzel herab, und zu mir trat der Vorsitzende der Gemeinde und flüsterte mir ins Ohr, ich solle mich in einen Winkel der Synagoge begeben. Ich ging in den Winkel. Der Türhüter befahl mir, mich zu entblößen. Ich entblößte mich bis auf den Gürtel, band ein leinenes Tuch um meinen Kopf und legte meine Schuhe ab, dann streckte ich die Arme empor und umfasste mit den Händen eine Säule. Der Türhüter kam hinzu und knüpfte meine Hände mit einem Band an der Säule fest. Hierauf näherte sich der Vorbeter, ließ sich eine lederne Geisel geben und versetzte mir damit neununddreißig Hiebe gemäß der Überlieferung; denn es ist eine Bestimmung der Gesetze, dass die Anzahl der Schläge vierzig nicht überschreiten dürfe, und weil viele dieser Männer so gottesfürchtig und gewissenhaft sind, hüten sie sich, durch Übermaß zu sündigen. Während der Geißelung wurde ein Psalm gesungen. Danach setzte ich mich auf den Boden; der Prediger oder Weise trat herzu und sprach mich vom Bann frei (wie lächerlich ist doch das Treiben der Sterblichen!), und so stand mir auf einmal das Himmelstor wieder offen, das vordem mit den festesten Riegeln verschlossen gewesen war und mir den Eingang verwehrt hatte. Ich kleidete mich wieder an, ging zur Schwelle der Synagoge, warf mich dort nieder, und der Synagogendiener stützte meinen Kopf. Da schritten alle, die hinausgingen, über mich hinweg: sie hoben einen Fuß und schritten unten über meine Beine hinweg. Das taten alle, so Knaben wie Greise. Keine Affen könnten Menschen unsinnigere Handlungen oder lächerlichere Gebärden vor Augen führen! Als diese Zeremonie beendigt und niemand mehr da war, erhob ich mich, und nachdem mich der Synagogendiener, der mir behilflich gewesen, vom Staube gereinigt hatte, ging ich nach Hause.16

Durch dieses Ritual öffentlich beschämt und gedemütigt, beging er kurz danach Selbstmord. Durch seine Autobiographie und Schriften wird erkennbar, dass der Freidenker Uriel da Costa sich zu einem Deisten ohne Jenseitsglauben entwickelt hatte, der alle Religionen als Werke der Menschen enttarnt hatte. Im Juli 1656 wird der junge Baruch Spinoza (1632–1677) ebenfalls von der Amsterdamer Gemeinde exkommuniziert.

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Das kabbalistische Zentrum in Safed Von 1530 an wurde die kleine Stadt Safed in Obergaliläa zu einem Zentrum und Treffpunkt von Kabbalisten und Halachisten, die zum Teil Flüchtlinge aus Spanien und Portugal gewesen waren. Die beiden bedeutendsten Gestalten der Schulen von Safed waren Moses Cordovero (1522–1570) und Isaak Luria (1534–1572). Luria wurde posthum bekannt unter dem Akronym ARI (Elohi Rabbi Isaak, der göttliche Rabbi Isaak) oder ARIZAL (Elohi Rabbi Isaak, zichrono levracha, der göttliche Rabbi Isaak, sein Andenken sei gesegnet). Die Lebensgeschichte Lurias ist zum Gegenstand der ersten kabbalistischen Hagiographien geworden, die „Schivche ha-Ari“ (Lobpreisungen des Ari, gedruckt 1629) und den „Toledot ha-Ari“ (Lebensgeschichte des Ari, gedruckt 1720), die ein faszinierendes Bild Lurias als Heiligen zeichnen, die ihn als meisterhaften Kabbalisten und Exorzisten rühmen.17 Ausführliche Darstellungen der lurianischen Kabbala finden wir nur in Büchern der Schüler Lurias wie in Chajim ben Josef Vital Calabreses (1543–1620) umfangreichen Hauptwerk „Ez Chajim“ (Baum des Le­bens). Er war eine Autorität der Sprache der Bäume, der Sprache der Vögel und der Sprache der Engel. Er konnte aus Gesichtern lesen, wie es im Sohar beschrieben ist. Er konnte alles wahrnehmen, was jemand getan hatte und was er in der Zukunft tun würde. Er konnte die Gedanken der Menschen lesen, oft schon, bevor der Gedanke in den Verstand der Person vordrang. Er kannte die Ereignisse der Zukunft und war all dessen gewahr, was hier auf Erden geschah und im Himmel verordnet wurde. Er kannte die Mysterien der Reinkarnation, wer bereits zuvor geboren war und wer zum erstenmal hier war. Er konnte eine Person anblicken und konnte ihr sagen, wie sie mit dem Adam Kadmon verbunden war und wie sie mit Adam verwandt war. Er konnte wunderbare Dinge im Licht einer Kerze oder in der Flamme eines Feuers lesen. Mit seinen Augen schaute er und war in der Lage, die Seelen der Gerechten zu erblicken, egal, ob diese erst vor kurzem gestorben waren oder in den alten Zeiten gelebt hatten. Mit ihnen studierte er die wahren Mysterien. Durch den Geruch eines Menschen war er in der Lage, alles zu wissen, was dieser getan hatte.18

Da Vital glaubte, dass er der Einzige sei, der die Lehren Lurias wirklich verstehen würde, hielt er seine eigenen Schriften unter Verschluss. Vitals Schüler unterschrieben folgendes Dokument: Wir wollen mit ihm die Kabbala studieren und getreulich alles, was er uns sagt, behalten und niemandem außer uns irgend etwas von den Mysterien mitteilen, die wir aus seinem Munde vernehmen werden.19

Jedoch erkrankte er 1585 schwer. Da sein Bruder nicht genügend Geld für Medizin hatte, ließ er sich mit 50 Goldstücken bestechen. Dafür überließ er Schülern Lurias und Vitals einen ganzen Stoß von Manuskripten der lurianischen Kabbala. Man spricht davon, dass ca. 600 Blätter von 100 Schreibern in drei Tagen in aller Eile kopiert wurden. Jetzt hatten die Schüler Vorlagen, mit deren Hilfe sie ihre eigenen Aufzeichnungen überarbeiteten. Sie wurden wieder und wieder abgeschrieben, wodurch lurianische Ideen in Umlauf kamen. Neben dieser lurianischen Kabbala in der

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Interpretation von Vital gab es aber auch andere Richtungen. Israel Sarug (gest. ca. 1610) wurde mit seiner Deutung der lurianischen Kabbala wurde zum Hauptpropagandisten der lurianischen Lehre in Italien und Polen. Isaak Luria ging von der spannenden Fragestellung aus: Wenn Gott vollkommen und überall ist, so kann es ja keinen leeren Raum, kein „Nichts“ geben. Gott füllt den gesamten Raum aus. Wie kann es also eine Schöpfung aus dem Nichts gegeben haben? Folglich musste der erste Teil der Schöpfung kein Aus-sich-heraus-Treten, sondern ein Hinabsteigen in Gott selbst gewesen sein. Er zog sich auf sich selbst zurück, komprimierte einen Teil seiner Wesenheit und gab so einen mystischen Raum frei, in dem er dann die Schöpfung vollzog. Luria nannte dies „Zimzum“ (Selbstverschränkung Gottes). In diesem Urraum blieb aber noch eine Spur des göttlichen Lichts zurück, so wie in einer leeren Wein- oder Ölflasche immer noch eine Spur des Inhalts zurückbleibt. Der erste Lichtstrahl Gottes, der in den von ihm freigelassenen Urraum fiel, schuf den Urmenschen, Adam Kadmon, aus dessen Körperöffnungen die „Sefirot“, die Emanations-Welt der göttlichen Attribute, in ihrer Gesamtheit heraussprühten. Aus Adams Augen schließlich schossen die Sefirot getrennt als Punkte hervor, wodurch die „Olam ha-Tohu“ (Welt der Verwirrung) entstand. Eigens dafür geschaffene Gefäße sollten das Licht aufnehmen. Die Schalen für die drei höchsten Sefirot konnten das Licht aufnehmen, doch die unteren Schalen, die die anderen Sefirot auffangen sollten, konnten der gleichzeitig hervorbrechenden Gewalt des Lichtes nicht widerstehen und das Licht in den Gefäßen bewahren. So zerbrachen sie unter der Kraft des göttli­chen Lichtes. Dieser Vorgang wird als „Schebirat ha-kelim“ (Bruch der Gefäße) bezeichnet. Aus den geborstenen Schalen entstand die dämonische, böse Gegenseite, die andere Seite, in dessen Inneren aber noch die heiligen Funken leuchten und auf Erlösung aus ihrem Exil hoffen. Die Einsammlung und Aufhebung der göttlichen Funken geschieht nicht allein durch Gott. Der „Tiqqun“ (Restauration) der göttlichen Welten kann erst durch den Menschen vervollständigt werden. Durch ein Leben im Geist der Tora, durch Gebet und Gebotserfüllung kann der fromme Jude so zu einer Hilfe Gottes werden. Die halachischen Regeln erfahren somit eine hohe symbolische Bedeutung. In diesem kosmischen Drama bedeutet die Einhaltung der Gebote Wiederherstellung der Harmonie in den göttlichen Welten. Jeder Verstoß gegen die Halacha führt somit zu einer Erstarkung der anderen Seite und die Erlösung lässt weiter auf sich warten. In einer gigantischen Mikro-Makrokosmos-Szenerie spiegeln die exilierten göttlichen Funken das jüdische Exil wider. Beeinflusst durch die zeitlichen Umstände versuchte Luria eine Antwort auf die Not der Juden im Exil zu geben. Er beantwortete die drängenden Fragen nach der Ursache des Bösen. Somit wird auch verständlich, warum gerade die Lehre der Seelenwanderung in Safed so bedeutend wurde. Alles ist im Fluss, die Funken und die Seelen wandern, alles hofft auf Erlösung. Bei Vital, der auch praktizierender Exorzist war, wird der „Gilgul“ (Seelenwanderung) zentrales Thema. Seine Beiträge zur Seelenwanderungslehre wurden zur Basistheorie aller Austreibungen. Die christlichen und jüdischen Exorzisten teilten sich geradezu den

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Fundus des auszutreibenden Übels auf. Während man bei den christlichen Austreibungen eher dem Teufel und Dämonen zu Leibe rückte, waren es bei den Juden meist die irrenden Seelen der Toten. Seelen, die wegen ihrer Sünden nicht weiter wandern, sondern Zuflucht suchen, wurden durch Austreibung erlöst. Das Wort „Dibbuk“ für den hineingefahrenen Geist kam um 1680 in Wolhynien in Gebrauch. Es leitet sich von „Dibbuk me-Ruach-ra“ (Umklammerung durch einen bösen Geist) ab. Die Umklammerung wurde zum Synonym für den Geist. Protokolle solcher Austreibungen gibt es bis in die Gegenwart. Diese unterscheiden sich drastisch von den vielen, meist anonymen Dibbuk-Geschichten durch oft peinliche Genauigkeit. Sie enthalten Zeitangaben und sind ein wörtlicher Mitschnitt der Austreibung, die durch Unterschriften bestätigt wurde. Veröffentlicht wurden diese Texte meist, um die Juden zur Gebotserfüllung zu bringen. Nach den Protokollen sind die Betroffenen meist Mädchen in der Pubertät, Frauen, die kurz vor der Heirat stehen oder gerade geheiratet haben, oder junge Männer. Ca. 90 Prozent der Dibbukim sind männlich.20 Zu den klassischen Methoden der Austreibung gehören die Verwendung von bestimmtem Räucherwerk, Rezitation von Kombinationen göttlicher Namen und das Blasen des Widderhorns, des Schofars. Die „lurianische Kabbala“ verbreitete sich ab dem Ende des 16. Jahrhundert durch die gesamte Diaspora. Liturgie und Brauchtum wurden beeinflusst, wobei die Schabbathymne „Lecha Dodi“ die bekannteste der aufgenommen Riten ist.21 Bü­cher mit langen Reihen von Ritualvorschriften sorgten für die Verbreitung von lurianischen Gebräuchen. Es bil­deten sich fromme Bruderschaften und kabbalistische Wanderprediger, die sich durch asketische Andachtsübungen aus­zeichneten und die messiani­ schen Spannungen und Hoffnungen schürten. 1660 schrieb der polnische Kabbalist R. Jakob B. Moses Temerles über die Ver­breitung der kabbalistischen Lehren: Sie haben sich nach allen Seiten ausgebreitet (...). Sie sind in den Gassen bekannt (...) und die Erde ist voller Wissen. Wahrhaftig, alle, groß und klein, sind über die Mysterien des Herrn gut unterrichtet. Damit aber tröste ich mich in meinem Kummer: das große Streben und Verlangen unserer Zeitgenossen nach dieser verborgenen Weis­heit zu sehen, und alle - Volk und Priester, klein und groß verlangen danach, zum Mysterium des Herrn zugelassen zu werden und nach ihm zu leben. Gewiss bedeutet dies, dass unsere Rettung nah ist.22

Das polnische Judentum Das aschkenasische Judentum hatte nach den entsetzlichen Pestpogrome von 1349 sein Zentrum in Deutschland verloren und viele Flüchtlinge waren nach Osten gezogen. Das viel gerühmte goldene Zeitalter der Juden in Polen blühte als auch Polen auf dem Zenit stand - von ca. 1500–1648. Es hatte dazu geführt, dass die dort lebenden Juden ihr Diasporabewusstsein zunehmend aufgegeben hatten. Der päpstliche Legat Kardinal Commendoni schrieb um 1565: In diesen Gegenden sind große Massen von Juden anzutreffen, denen man hier noch nicht die gleiche Verachtung wie sonst entgegenzubringen pflegt. Ihre Lage

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ist bei Weitem nicht so elender und ihre Beschäftigungen nicht durchweg erniedrigender Art; vielmehr gibt es unter ihnen Grundbesitzer, Großkaufleute und auch Männer, die sich mit dem Studium der Medizin und der Astronomie abgeben. Sie besitzen große Reichtümer und werden nicht nur zu den anständigen Menschen gezählt, sondern sind diesen zuweilen sogar übergeordnet. Weit davon entfernt, irgendein sie von den Christen unterscheidendes Abzeichen zu tragen, erfreuen sie sich sogar des Rechtes, Waffen bei sich zu führen, wie sie denn überhaupt im Genusse des Vollbürgerrechtes sind.23

Der Krakauer Talmudgelehrte Moses Lazarus Isserles (gen. ReMa, 1525–1572) verfasste die Glossen zu Karos „Schulchan Aruch“. Die „Mappa“ (Tischdecke) erschien zusammen mit dem „gedeckten Tisch“ von Karo in Krakau 1570. Mit diesen Zusätzen wurde dieser rabbinische Codex bindend für das sephardische und aschkenasische Judentum bis heute. Die jüdische Selbstverwaltung fand ihren bedeutendsten Ausdruck in dem 1580 gegründeten Rat der vier Länder (Großpolen, Kleinpolen, Podolien und Wolhynien) und dem 1623 dazugekommenen selbstständigen Rat der Großgemeinden im Staat Litauen. Neben religiösen und sozialen Belangen zahlte die Synode die seit 1549 eingeführte Kopfsteuer der Juden an die Krone. Trotz königlicher Privilegien (wie das aus dem Jahr 1453 durch König Kazimierz IV. Jagiellonczyk) kam es aus religiösen, ökonomischen oder politischen Gründen immer wieder zu mehr oder minder schweren Verfolgungen. Der polnische Antijudaismus wurde stets von der katholischen Kirche gefördert und von Gestalten wie dem Franziskanermönch Johannes Capistrano (1386–1456), der „Judengeißel“ maßgeblich unterstützt. Capistrano war u.a. 1453 für die Hinrichtung von 41 Breslauer Juden, der Vertreibung aller erwachsenen Juden aus Schlesien und der Zwangskonversion aller jüdischen Kinder unter sieben Jahren mitverantwortlich. Er wurde 1690 heiliggesprochen und allein in Österreich gibt es drei nach 1945 erbaute Kirchen, die nach ihm benannt wurden. Zwischen 1648 und 1772 führten Kriege und Aufstände zur ökonomischen Destabilation des Landes und zu einer tiefen Krise der jüdischen Gemeinden. Nach der Einschränkung der Handelsrechte wandten sich die Juden verstärkt der Pacht zu. Als Verwalter polnischer Güter gerieten sie zwischen zwei Fronten - auf der einen Seite standen die katholischen adligen Gutsbesitzer und auf der anderen die entrechteten russisch griechisch-orthodoxen Leibeigenen. Die Gleichgültigkeit und Verachtung des Herrn gegenüber seinen Knechten wurde mit grenzenlosem Hass vergolten, der meist die verwaltenden Juden traf. Die Bauern schlossen sich hier und dort zu kriegerischen Verbänden zusammen. Gegen Ende des 16. Jh. hatte sich bereits eine Kriegergemeinschaft auf einer DnjeprInsel zusammengeschlossen. Es waren freie Krieger, Kosaken, die von Beutezügen lebten. Die unterdrückte Leibeigenschaft sah in ihnen eine „nationale Garde“, von denen sie sich die Freiheit erhofften. Von 1591 begann eine Reihe von Kosakenaufständen, wobei es, wie 1637, zu Pogromen kam. Der große Kosakenaufstand wurde erst 1648 (nach jüd. Zählung 5408) unter Bogdan Chmielnicki (1595–1657)24 entfacht. Diese Zeit sollte als gezerot tach we-tat („Vertreibungen der Jahre [5]408 und [5]409“)

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in die jüdische Geschichte eingehen. Durch den Kosakenaufstand, der sich gegen Polen und Juden richtete, wurden viele jüdische Gemeinden vernichtet und Juden auf grausame Weise ermordet, wie man in zeitgenössischen Chroniken lesen kann.25 R. Shabbetai Sheftel Horowitz bezeichnete die Massaker als „dritte Tempelzerstörung“.26 Chmielnicki gilt in der Ukraine bis heute als bedeutender Freiheitskämpfer und seine Reiterstatue ziert auch einen Platz in Kiew. Tossafot Jom Tov ben Nathan Heller verfasste unter dem Eindruck der Massaker das berühmte Klagelied „Gott voller Barmherzigkeit“ (El Male Rachamin). Die durch Ritualmordaffären und zahlreiche Pogrome entstandene soziale Desorganisation schuf Spannungen zwischen den jüdischen Gemeindeführern und den Mitgliedern. Das am Abgrund befindliche Polen erließ eine Flut von Steuererhöhungen für die polnischen Juden. Da die Selbstverwaltung die Garantie für die Schulden der Einzelnen übernommen hatte, konnte sie den Forderungen des Staates nicht mehr nachkommen und musste erhebliche Schulden machen. Die „Vierländersynode“ wurde 1764 ganz abgeschafft und der polnische Sejm zog von diesem Zeitpunkt an die Kopfsteuer direkt ein. Die Talmudhochschulen, die Jeshiwot, konnten durch die Flut der Steuererhöhungen oft nicht mehr erhalten werden. Im Zuge der immer lauter werdenden Kritik an den Führern der Gemeinde, wandelten sich Vereine - wie die Handwerkerinnungen, die eigene Betstuben oder Synagogen unterhielten - zu einer massiven Opposition. Diese Kritik fand ihren Niederschlag in der „Musar“-Literatur. Die Schwäche der Selbstverwaltung wurde von der Kirche sowie von staatlichen Organen, geschickt genützt. Sie mischten sich ein, wenn es um die Besetzung von jüdischen Ämtern ging. Die Zahl der Ritualmordprozesse nahm in den Jahren 1700–1760 erschreckend zu. Polen war ein Land, in dem der Katholizismus eine nicht zu unterschätzende Kraft bildete. Seit 1668 wurde der Abfall vom Katholizismus mit Landesverweisung bestraft. 1718 war der letzte „Reformierte“ aus dem Senat ausgeschlossen worden. Zur Zeit eines August III (1733–1763) durften Hofwürden, Staatsstellen und Richterposten nur noch an Katholiken vergeben werden. Aufgrund antijüdischer Propaganda wollte der Kleinsejm des Adels zu Wisznja 1761 folgende Punkte durchsetzen: Alle jüdischen Bücher sollten verbrannt werden, im Schrifttum und im Gottesdienst dürfte nur noch Polnisch oder Latein benützt werden, jeder jüdische Gottesdienst sollte von zwei Christen bewacht werden. Doch die Ritualmordbeschuldigungen hängen nicht nur mit übler Propaganda und allgemeinem Judenhass zusammen. Durch zunehmendes Bevölkerungswachstum verarmten die unteren Schichten immer mehr. Um das Leben der Familie zu erhalten, wurde oft ein ungewolltes Neugeborenes, vor allem Mädchen, ermordet. Auch Kinder vermeintlich untreuer Frauen wurden Opfer. Durch den Druck der antijüdischen Propaganda der polnischen Kirche wurden Kindsmorde als Ritualmorde getarnt. Erst 1763 gelang es den jüdischen Gemeinden bei Papst Clemens XIII. eine Art von Sendschreiben als Schutzbrief zu erhalten, was natürlich nicht sehr viel praktischen Nutzen hatte.

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Polen, das seit dem Mittelalter vielen Juden eine Heimat bot, wird zwischen 1772 und 1795 zwischen Preußen, Österreich und Russland aufgeteilt. Ein Großteil der von Juden bewohnten Gebiete fällt an das russische Zarenreich. Die Zaren und die Kirche Russlands sahen im Judentum einen Feind des christlichen Glaubens, den es zu bekämpfen gilt, was zu blutigen Pogromwellen bis zum 20. Jh. führte. Der Niedergang der rabbinischen Autorität, der Verlust der persönlichen Sicherheit und die zunehmende Verarmung verstärkten die messianische Hoffnung und den Wunsch nach religiöser und sozialer Erneuerung. In diesem Umfeld entstanden die messianischen Bewegungen des 17. und 18. Jh. und der Chassidismus. Doch sie sind nicht nur eine Folgeerscheinung einer sozial-ökonomischen Krise. Hier muss zwischen den einzelnen polnischen Gebieten differenziert werden. Podolien befand sich seit Beginn des 18. Jh. in einem Aufschwung. Gewiss gab es viele Verarmte - es gab auch eine beachtliche Zahl von Kaufleuten, deren zunehmender Wohlstand sich in jener Zeit zu entfalten begann.27 Allerdings war Podolien ein Landstrich, in dem im Volksglauben der Juden, Polen und Ukrainer der Glaube an Dämonen und andere übernatürliche Erscheinungen sehr verbreitet war und gleichsam das Erbe von Juden und Christen war. Ebenso gab es Gruppierungen der russischen mystischen Sekten wie die Khlysty oder die Dukhabory in Podolien. Sie waren in den Jahren nach dem großen Schisma von 1666/67 entstanden. Es wurden über 100 Sekten mit mehr als einer Million Anhängern gezählt. Die verschiedenartigen russischen Sekten hatten eines gemeinsam: Der Gläubige kann sich Gott auch außerhalb der normativen Kirche nähern. Die Methoden, die dabei angewendet wurden, um diesen Zustand zu erreichen, reichen von selbstkasteinder Askese zu wilden Trinkgelagen. Es war aber auch das Zeitalter der populären Mystik. Die Elemente der Natur bekamen in der polnischen Folklore jener Zeit zunehmend ein geheimnisvolles Eigenleben, das eigenen Herrschern und Lehren unterworfen ist, unabhängig von dem Wissen der Menschen. Neben dieser Welt der Natur existieren die verschiedenen Welten der Geister und Dämonen. Zu den rabbinischen Gelehrten und Gemeindeführern trat eine weitere Gruppe hinzu, die der charismatischen Mystiker, die ihre oft populären Lehren als Wanderprediger verbreiteten. Aus der Ideenwelt der lurianischen Kabbala mit ihren messianischen Elementen schöp­fend, entstand die messianischen Bewegungen der Neuzeit vor dem Hintergrund der allgemeinen Krise des 17. Jh.

Die sabbatianische Bewegung Die Ideen der lurianischen Kabbalisten beeinflussten die Propagandaschriften von Sabbatai Zwis Propheten Nathan von Gaza (1643–1680). Einer der wesentlichen Unterschiede zu anderen messianischen Erhebungen ist der Um­stand, dass sie nicht auf ein einzelnes Gebiet oder Land beschränkt blieb, sondern die Juden im Jemen, Persien, Kurdistan, Polen, Holland, Italien oder Marokko erfasste. Alle jüdischen Gemeinden jener Zeit, ganz gleich ob sie blühten oder dahinvegetierten, hatten neben dem gemeinsamen Erbe der lurianischen Kabbala und der Hoffnung auf einen

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Messias eines gemeinsam: die Unsicherheit und Angst vor Verfolgungen. Ereignisse, wie die Wiederaufnahme der Juden in England, die Vernichtung zahlreicher jüdischer Gemeinden während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) und der daraus resultierende Strom verzweifelter Flüchtlinge, hielten das messianische Feuer am Lodern. Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die zunehmende Entfachung und Verbreitung der messianischen Hoffnungen waren die „conversos“. Die sogenannten „Marranen“ hatten oft Probleme, die ihnen im Grunde nicht vertrauten Regeln der jüdischen Tradition ohne jede Kritik anzunehmen. Ein „Messias“, der ihnen die Botschaft verkündete, dass die Gebote nur noch als eine „geistige Betrachtung“ zu sehen sind, kam vielen von ihnen nicht ungelegen. Sabbatai Zwi wurde 1626 in Smyrna geboren, in einer Zeit, in der das osmanische Reich bereits den Zenit seiner Blüte überschritten hatte. Bereits in jungen Jahren zeigte sich bei ihm neben einer heftigen Neigung zur Askese eine geradezu exzentrische Frömmigkeit. Seine extreme Askese führte sogar dazu, dass er sich zweimal verheiratete, aber die Ehen nie vollzog, weshalb sie rasch wieder geschieden werden mussten. Er vertiefte sich ohne die Anleitung eines Lehrers in kabbalistische Schriften wie den „Sohar“. Paradoxerweise stieß er erst Jahre später auf die lurianische Gedankenwelt. Seine Umwelt war dagegen deutlich von der lurianischen Welt mit ihren messianischen Implikationen geprägt, ohne die die messianische Erhebung vielleicht keinen großen Widerhall gefunden hätte. Zeitzeugen berichteten über Sabbatai Zwis seltsame ekstatische Ausbrüche, auf die meist Phasen tiefster Melancholie folgten. Später vollbrachte Sabbatai Zwi im Zustand der Euphorie wunderliche Taten, die zur Halacha im völligen Widerspruch standen. Verwirrt durch die mythische Vielheit der kabbalistischen Emanations-Welt der Sefirot versuchte Sabbatai Zwi herauszufinden, wo denn eigentlich unter dieser Fülle göttlicher Attribute der Gott Israels zu finden sei. Schließlich soll sich ihm in einer seiner Visionen sein „Gott des Vertrauens“ offenbart haben. Er entwickelte aber ein trinitarisches Gottesbild. Diese Trinität sind die drei Bänder oder Knöpfe des Glaubens, die auf Elementen aus dem Sohar beruhen: dem „heiligen Alten“, dem „heiligen König“ oder „Gott Israels“ und der „höchsten Matrone“ oder „Schechina“ (göttliche Einwohnung). Sabbatai Zwi begann nun Buchstabenspekulationen zum Tetragrammaton zu kombinieren und so diesen eigentlich unaussprechlichen Namen Gottes öffentlich auszurufen. Diese Dinge hatten für ihn den Zweck der Restauration der göttlichen Harmonie. Außerdem behauptete er, dass die Patriarchen gekommen seien und ihn eingeölt hätten. Schließlich sei Elia erschienen und hätte ihn am 21. Siwan (11. Juni 1648) gesalbt. Er verkündete, dass das messianische Zeitalter der Erlösung angebrochen sei. Die immer häufiger werdenden Aktionen des kuriosen Kabbalisten Sabbatai Zwi wurden immer mehr öffentliches Ärgernis und er wurde aus Smyrna verbannt. Er zog weiter nach Saloniki und kam 1658 nach Konstantinopel, wo er ebenfalls Ritus und Liturgie völlig auf den Kopf stellte. In Saloniki, damals immerhin die größte jüdische Gemeinde des osmanischen Reiches, feierte er

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eine Hochzeit mit einer Tora-Rolle. Ein anderes Aufsehen erregendes Ereignis war die Feier von den drei Wallfahrtsfesten innerhalb einer Woche in Konstantinopel. Die rabbinischen Gelehrten hielten seine Taten für die eines Geisteskranken, besonders nachdem er einen Fisch gekauft, ihn wie einen Säugling gekleidet und in eine Wiege gelegt hatte. Er gab dafür eine astralsymbolische Erklärung, dass die jüdische Erlösung im Sternzeichen der Fische anbrechen würde. Körperliche Züchtigung und Verbannung waren zunächst das Ergebnis seiner tolldreisten Handlungen. Der Sohar hatte zwischen einer Tora der Schöpfung, die die Tora des Exils sei, und einer Tora der Emanation, einer Tora der geistigen Welt, die sich erst im messia­ nischen Zeitalter offenbaren würde, unterschie­den. Die alten Kabbalisten sahen in ihnen keinen inhaltlichen Widerspruch. Sie verstanden darunter vielmehr eine endzeitliche neue Deutung, bzw. ein völliges Verständnis der Tora. Aber bei Sabbatai Zwi wurde aus dieser Idee in antinomistischer Weise ein Gegensatz. Viele Riten sind nicht nur überflüssig geworden. Denn bei extremen Anhängern sollten sich Gebote in Verbote wandeln und umgekehrt. Um diese Schwindel erregenden Gedanken traditionell zu untermauern, zogen sie z. B. eine Passage im Achtzehngebet heran. Durch eine andere Lesart wurde dort aus „Mattir Assurim“ (der die Gefangenen befreit) „Mattir Issurim“ (der das Verbotene erlaubt). Sabbatai Zwis ruheloses Wanderleben endete 1662, als er sich in Jerusalem niederließ. Dort fiel er durch seine asketischen Übungen dem jungen Talmudstudenten und Kabbalisten Nathan von Gaza auf. Nach einem intensiven Studium lurianischer Schriften hatte Nathan Visionen, die er in einem Brief von 1667 beschrieb: Wer mich kennt, kann wahrheitsgemäß bezeugen, dass von meiner Kindheit an bis heute nicht der kleinste Fehler (der Sünde) an mir gefunden werden konnte. Ich beachtete das Gesetz in Armut und meditierte darüber bei Tag und bei Nacht. Ich bin nie der Lust des Fleisches gefolgt, sondern habe immer neue Kasteiungen und Formen der Buße mit aller meiner Kraft dazugenommen, und ich habe auch nie weltlichen Nutzen aus meiner Botschaft gewonnen. (…) Während ich mich nun in Heiligkeit und Reinheit in einem besonderen Zimmer ein­geschlossen und unter großem Weinen die Bußgebete des Morgengebets verrichtet hatte, kam der Geist über mich, meine Haare sträubten sich, meine Knie schlotterten, und ich schaute die Merkaba, und ich sah Visionen von Gott, den ganzen Tag über und während der ganzen Nacht, und wurde der wirklichen Prophetie gewürdigt wie irgendeiner der Propheten; die Stimme sprach zu mir und begann mit den Worten: So spricht der Herr. Und mit äußerster Klarheit prägte sich meinem Herzen ein, auf wen sich meine Prophetie bezog (das heißt auf Sabbatai Zwi) (...). Bis zum heutigen Tag hatte ich nie wieder eine so große Vision, sondern sie blieb in meinem Herzen verborgen, bis sich der Erlöser in Gaza selbst offenbarte und sich als den Messias verkündete; erst damals erlaubte mir der Engel zu verkündigen, was ich gesehen hatte.28

Der wahrscheinlich wirklich psychisch schwer kranke Sabbatai Zwi wurde von Nathan überzeugt, dass er der Messias sei. Dies sei der Grund für seine ungewöhnlichen Zustände. Nathan, der sich als der Prophet des Messias sah, initiierte die messianische Bewegung.

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Sabbatai Zwis psychisches Auf und Ab wurde von Nathan in weiteren kabbalistischen Schriften in mythischen Bildern messianisch gedeutet. Beim Bruch der Gefäße sei die Seele des Messias ins Reich des Bösen hinabgestürzt. In dieser Welt der Schalen lebt sie zusammen mit den Schlangen. Das Ringen des Messias mit den Schlangen versinnbildlicht die geistigen Kämpfe des Sabbatai Zwi während seines Wechsels zwischen Euphorie und Depression. Spätere Handlungen wie Sabbatai Zwis Apostasie werden mit Hilfe dieses Sche­mas für Nathan erklärbar. Die Messiasseele muß tief in die Welt der Schalen hinabsteigen und befremdliche Dinge tun. Lurianische Symbolik, traditionelle und volkstümliche Apokalyptik wurden von Nathan verwandelt, um seine messianische Lehre zu verbreiten und ihre positive Aufnahme zu sichern. Er, der „Prophet aus dem Heiligen Land“, bestätigte durch seine Präsenz die Glaub­würdigkeit des Messias. Nathan rief zum Gebet und zur Umkehr auf. Mittlerweile hatte Sabbatai Zwi Sara geheiratet, deren Eltern bei den Kossakenmassakern umgekommen waren. Sie selbst war wahrscheinlich zwangskonvertiert worden und lebte später in Amsterdam, Mantua und Livorno, wo unterschiedlichste Quellen sie als Wahrsagerin und Prostituierte beschreiben. Ihre „befremdliche Taten“ faszinierten vielleicht Sabbatai Zwi, der in Briefen von einem Mädchen hörte, das so wie er „befremdliche Dinge“ vollzog und sich als die Braut des Messias bezeichnete. Der erste Höhepunkt der messianischen Bewegung sollte in Nathans Heimatstadt Gaza stattfinden. Am 17. Siwan (31. Mai) 1665 wurde Sabbatai Zwi in Gaza als Gesalbter des Gottes Jakobs ausgerufen. Rabbi Jakob Najara und die gesamte versammelte Gemeinde huldigten ihm. Er wählte zwölf rabbinische Gelehrte als Repräsentanten der zwölf Stämme aus. Natürlich veränderte er, der vermeintliche Messias, erneut Liturgie und Brauchtum. Die Mehrheit der Rabbiner Jerusalems lehnte ihn jedoch ab und bannte ihn im Sommer 1665. Die offizielle Bannschrift wurde u.a. nach Smyrna und Konstantinopel geschickt, aber von dort nicht an entferntere Gemeinden in Europa weiter geleitet. So kam es, dass die umfangreiche Propaganda der Anhänger Sabbatai Zwi einem auffälligem Schweigen der Gegner gegenüber stand. So hörte der sehr kritische Hamburger Rabbiner Jakob Sasportas (1610–1698) nichts über den Bann. In der Verbreitung der Propaganda setzten sich vor allem die „conversos“ ein. Ohne sie wäre die sabbatianische Bewegung sicher nicht so erfolgreich gewesen. Diese intellektuell hoch gebildete und auf der anderen Seite im traditionell rabbinischen Judentum nicht verwurzelten „Marranen“ waren wie gesagt leichter dazu bereit ein Regelwerk aufzugeben, mit dem sie sich nur schwer identifizieren konnten. So verbreitete sich die Bewegung von Smyrna über Safed nach Damaskus und Aleppo. Die Messiassehnsucht führte in Städten wie Damaskus zu Massenhysterien. So konnte es vorkommen, dass sich fanatisierte Anhänger zu Boden warfen und Prophezeiungen stammelten. Zu all dem Aufruhr machte eine Fülle von märchenhaften Gerüchten die Runde. So hörte man von sagenhaften Eroberungen durch die wiedergekehrten verlorenen zehn Stämme. Als Zeichen der nun begonnenen messianischen Zeit galten eigentliche Übertretungen der Halacha als „Gebotserfüllung“, da die Möglichkeit einer praktischen

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Befolgung unmöglich geworden sei. So drehte Sabbatai Zwi die Regeln der Halacha, ganz wie es ihm gerade in den Sinn kam. Er legte den Schabbat auf den Montag, rief Frauen zur Toralesung auf und aß öffentlich rituell verbotene Speisen. Außerdem teilte er die Welt unter seinen Brüdern Elia und Joseph auf. Er ernannte sie zum König der Türkei und Kaiser von Rom. Maßlose Übertreibungen, die schriftlich und mündlich verbreitet wurden, wie die Behauptung, dass alle christlichen Kirchen in die Erde versunken seien, taten ihr Übriges, um die Aufregung weiter zu entfachen. In einem Brief Nathans vom September 1665 erklärte er den Verlauf der Ge­schehnisse, bis die Erlö­sung erreicht sein wird: Sabbatai Zwi würde kampf­los den tür­kischen Sultan entmachten. Nach fünf Jahren würde er schließlich zum legendären Fluss Sambatyon gehen und die 13-jährige Tochter Rebekka des wiedererweckten Moses heiraten. Er zog immer mehr Menschen, Rabbiner, Gelehrte und einfache Juden, in der ganzen Diaspora an. Viele verkauften ihre ganze Habe. So findet man in den Erinnerungen der Hamburger Jüdin Glückel von Hameln (1645–1724) folgende Beschreibung: Manche haben Haus und Hof und alles Ihrige verkauft, da sie hofften, jeden Tag erlöst zu werden. Mein sel. Schwiegervater (...) hat sein Haus und seinen Hof und alle guten Hausgeräte (...) stehen lassen und seine Wohnung nach Hildesheim verlegt. Von dort hat er uns hierher nach Hamburg zwei große Fässer mit Leinenzeug geschickt; darin waren allerhand Speisen (...) und alles, was sich gut hält. Denn der alte Mann hat gedacht, man würde ohne weiteres von Ham­burg nach dem Heiligen Lande fahren. Diese Fässer haben wohl länger als ein Jahr in meinem Hause gestan­den.29

Sabbatai Zwi kehrte nach einem Aufenthalt in Aleppo im September 1665 nach Smyrna zurück, wo man ihn vor Jahren hatte als verrückten Kabbalisten aus der Stadt gejagt hatte. Nun war er triumphal heimgekehrt, änderte wiederum die Gottesdienstordnung, zwang Juden als auch Nicht-Juden den Namen Gottes auszusprechen und umgab sich mit unglaublichem Pomp. Diener trugen den Saum seiner Kleider, trugen ihm Süßigkeiten und Blumenvasen voran und breiteten Teppiche vor ihm aus. In diesen Aufsehen erregenden Tagen setzte Sabbatai Zwi sogar das endgültige Datum der Erlösung fest. Es sollte der 15. Siwan 5426 (18. Juni 1666) sein. Das Jahr 1666 war auch in christlich-chiliastischen Kreisen bedeutend: Nach einer Auslegung von Offenbarung 13 sollte 1666 entsprechend der dort genannten „Zahl des Tieres 666“ das Erlösungsjahr mit der Wiederkehr Jesu sein. Die blühende Handelsstadt Smyrna verwandelte sich durch Sabbatai Zwi in ein tosendes Chaos. Das städtische Treiben versiegte und eine allgemeine euphorische Feststimmung breitete sich aus. Wilde Bankette lösten sich mit rituellen Kasteiungen ab. In der Nacht zogen Fackelzüge durch die Stadt und Menschen riefen aus: „Lang lebe Sabbatai Zwi!“.30 Sabbatai Zwi begab sich am 30. Dezember 1665 nach Konstantinopel. Dort wurde er im Verlaufe tumultartiger Entwicklungen von der osmanischen Gerichtsbarkeit, die jede Form von Revolten normalerweise schnell unterdrückte, verhaftet. Am 19. April 1666 wurde er in die Festung Gallipoli überführt. Während seiner Haft-

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zeit durfte er Besucher empfangen und durch seinen Sekretär Samuel Primo Briefe senden. Seine Gefangennahme wurde von seinen unzähligen Anhängern symbolisch gedeutet: Sabbatai Zwi wäre jetzt im „Migdal ‘Oz“ (fester Turm, in Anlehnung an Sprüche 18,10). Der Höhepunkt der sabbatianischen Bewegung endete geradezu tragikomisch, und zwar in der Gestalt eines polnischen Kabbalisten, Nehemia Kohen. Dieser verbrachte einige Tage bei Sabbatai Zwi, um sich von dessen Messianität zu überzeugen. Doch Nehemia kam zum Schluss, dass Sabbatai Zwi nicht den traditionellen Messiasvorstellungen entsprechen würde. Außerdem hielt er sich selbst für den Messias. Er zeigte Sabbatai Zwi bei den osmanischen Behörden wegen Anstiftung zum Aufruhr an. Sabbatai Zwi wurde am 16. September vor den Sultan Mehemed IV in Adrianopel geführt. Dieser ließ ihm die Wahl zwischen Tod und Konversion zum Islam. Sabbatai Zwi wurde Moslem. Unter seinem neuen Namen, Aziz Mohammed Effendi, bekam er den Ehrentitel ei­nes „Wächters der Palastpforten“. Ende Jänner 1667 wurde die öffentliche Ausübung des sabbatianischen Kultes vom Rabbinat in Konstantinopel gebannt. Die Anhänger Sabbatai Zwis vor dessen Übertritt zum Islam sind keineswegs als „Sabbatianer“ zu bezeichnen. Sie waren gläubige Juden, die ihre traditionellen Messiasvorstellungen durch Sabbatai Zwi bestätigt sahen. Sie wandten sich nach diesem skandalösen Finale wieder dem normativen Judentum zu. Anders verhält es sich mit den Anhängern Sabbatai Zwis, die auch darüber hinaus in ihm den Messias sahen. Sie, die „Ma’aminim“ (Gläubige), fühlten sich als das „wahre Israel“ im Gegensatz zu den traditionellen Juden. Der Übertritt wurde als ein notwendiger Schritt des Messias gesehen und auch von Nathan dementsprechend interpretiert. Nathan kehrte nie wieder nach Palästina zurück und starb nach einem ruhelosen Wanderleben 1680. „Marranen“ wie Abraham Miguel Cardozo (1626–1706) trugen dazu bei, dass aus einer gescheiterten messianischen Bewegung eine Sekte wurde, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln von den Instanzen der jüdischen Tradition verfolgt wurden. Cardozo, ein „converso“ aus Portugal, der in Venedig zum Judentum zurück gekehrt war, war neben Nathan einer der bedeutendsten Theologen der sabbatianischen Bewegung. Cardozo lehrte, dass der Messias durch seine Berufung und die Sünden Israels zur Konversion und zu seltsamen Handlungen gezwungen sei. Seine Aufgabe sei es, die Welt des Bösen von in­nen her zu zerstören. Cardozo erläuterte die Notwendigkeit der Apostasie für den Messias. Aber er schränkte ein, dass dieses Handeln nur für den Messias al­lein gelte, nicht für das Volk. Er verstand wie viele andere „Marranen“ aus seiner Biographie die widersprüchlichen Taten Sabbati Zwis. Konversionen, die nur Lippenbekenntnisse waren, waren nichts Fremdes in seiner Welt. So entstanden die Crypto-Sabbatianer, die äußerlich das Leben orthodoxer Juden führten, aber dennoch im Herzen Sabbatianer blieben. „Radikale Sabbatianer“ folgten Sabbatai Zwi nach, indem sie ebenfalls Moslems wurden. Genau zehn Jahre nach seiner Konversion, am 17.9.1676 starb Sabbatai Zwi. Nach der von den Sabbatianern adaptierten Seelenwanderungslehre wird sich seine Seele

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wieder als Messias verkörpern. Da Sabbatai Zwis Grab in Dulcigno (Ulcinj) in Montenegro an der Grenze zu Albanien unbekannt geblieben ist, wurde sein Geburtsort in Izmir zur Pilgerstätte. John Freely und David J. Halperin berichten von Wallfahrten bis in die 60er und 70er Jahre des 20. Jh.31 Nach dem Ende Sabbatai Zwis erschütterten verschiedenste sabbatianische Affären die Länder und unterhöhlten die traditionelle Struktur der jüdischen Gemeinden. Über Cardozo, den sabbatianischen Prediger Nehemia Chayon (1655–ca.1730) und Moses Chajim Luzzatto (RaMCHaL; 1707–1746) verhängte man den Bann. Luzzatto traute man nicht zu, Offenbarungen durch einen Maggid würdig zu sein und verdächtigte ihn des Sabbatianismus, da auch er sich als Messias wähnte. Eine Folge dieser Kontroverse war die Verbrennung seiner Bücher. Weite Kreise zog der Amulettenstreit von Hamburg. Jakob Emden (1697–1776) hatte den Oberrabbiner der Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbeck, Jonathan Eibeschütz (1690–1764), bezichtigt, ein Verfasser von Amuletten und ein geheimer Anhänger Sabbatai Zwis zu sein. Die hohe Wogen schlagende Kontroverse um Eibeschütz spaltete die jüdischen Gemeinden in zwei Lager, ob nun der glänzende Talmudist und Prediger Eibeschütz nicht nur Amulette, sondern ebenfalls sabbatianische Schriften verfasst hätte. Heutige Forscher wie Yehuda Liebes32 oder Maurice-Ruben Hayoun33, vertreten die Meinung, dass Eibeschütz gewiss Sabbatianer gewesen ist. Offiziell belegte Eibeschütz 1755 als Oberrabbiner der Dreiergemeinde Altona – Hamburg - Wandsbek die Sabbatianer mit einem Bann. Emden dagegen belegte Eibeschütz in seiner Privatsynagoge mit einem Bann, konnte aber dessen Absetzung als Oberrabbiner nicht durchsetzen. Die antisabbatianischen Kämpfe setzten sich bis ins 19. Jh fort, wie der Bann gegen R. Nathan ben Simon Adler Katz (1741–1800) zeigt.

Die Dönme und der Frankismus Jakob Querido war der Bruder von Sabbatais letzter Frau Jochebed gewesn. 1683 konvertierte Querido in Saloniki (Thessaloniki) zum Islam. Dies war die eigentliche Geburtsstunde der Dönme, (Türkisch „Konvertierte“), die innerhalb eines Jahrhunderts zu einer Gruppe von 600 Familien (ca. 3000 Menschen) anwuchs. Äußerlich lebten sie als Moslems und verschmolzen in ihrer Religion jüdische Mystik und islamischen Sufismus. Ihr Glaube basierte auf den „18 Glaubensartikeln“, die noch zu Lebzeiten Sabbatai Zwis verfasst wurden.34 Die Zahl 18 erinnert an das jüdische Achtzehngebet und entspricht nach der Gematria dem Wort Chai (Leben). Außerdem ist sie die heiligste Zahl der Sufis, mit denen Sabbatai Zwi in Kontakt stand. Besonders der Orden der Bektaschi-Derwische weist Parallelen zu den Dönme-Riten auf. Wie in den kabbalistischen Schulen so spielen auch in dem nach Hadjdji Bektasch (1247–1338) benannten Orden Zahlenspekulationen und die Seelenwanderung eine große Rolle. Sabbatai Zwi nahm spätestens nach seiner Konversion an „Dhkir“-Riten der Bektaschi in Adrianopel teil. Auch die Lehre des spirituellen Rückzuges (Hitbodedut), der sich sowohl bei den früheren Kabbalisten als auch im Sabbatianismus und Chassidismus findet, hat Parallelen zum sufistischen „Khalwa“.

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Die Dönme zerfielen erst durch den Wechsel von Saloniki nach Istanbul während der Balkankriege.35 In der Gegenwart kann man nicht mehr von einer aktiven Gruppe der Dönme sprechen und ihre Nachfahren sind leider zu einem beliebten Element im modernen türkischen Antisemitismus und in obskuren Verschwörungstheorien geworden.36 Auch außerhalb der Dönme spannten die Sabbatianer ihr Netz von Podolien nach Böhmen, Mähren oder Deutschland. Bußübungen und orgiastische Reigen wechselten einander bei den verschiedenen sabbatianischen Strömungen ab, die in verschiedenen Städten wiederholt in Bann gelegt worden waren. Sabbatianisches Gedankengut wurde von Kabbalisten wie Josua Heschel Zoref (Wilna 1633–Krakau 1700), Chajim Malach (Kalish 1660–ca.1716), Juda Chassid (Dubno 1660–Jerusalem 1700) oder Juda Leib Prossnitz (1670–1730) in Osteuropa verbreitet. Die „heilige Bruderschaft“ des Sabbatianers Juda Chassid wanderte 1700 nach Jerusalem aus. Ein Großteil seiner 1000–1500 starken Anhängerschaft starb bereits auf dem Weg dorthin. Teile dieser Gruppe kehrten wieder nach Europa zurück und bildeten eine kleine sabbatianische Gruppe in Mannheim. Diese wie auch andere sabbatianische Einwanderungen nach Israel sind in Verbindung mit der Hoffnung zu sehen, dass die Reinkarnation Sabbatai Zwis sich nur in Israel vollziehen kann. Juda Leib Prossnitz hielt sich selbst für den leidenden Messias ben Joseph. Er gab an, mit den Seelen Isa’ak Lurias und Sabbatai Zwis Kabbala zu lernen. Aus solcher Quelle inspiriert, verkündete er die Wiederkehr Sabbatai Zwis für das Jahr 1706, die allerdings ausblieb. Er wurde mit dem rabbinischen Bann belegt. Außerdem vermutete man, er würde seine Kenntnisse der Kabbala für schwarze Magie ausbeuten. Dennoch war er der Kopf eines kleinen sabbatianischen Zirkels, der im Verborgenen agierte. Unter ihnen war auch Meir von Eisenstadt, der ein besonders wortgewandter sabbatianischer Prediger war. Er ging so weit zu sagen, dass er auch nicht davor zurückschrecken würde, zum Schein zum Christentum zu konvertieren. Der von Prossnitz in Podolien fortgeführte Sabbatianismus bildete die Grundlage für Jakob Franks (1726–1791) spätere Anhänger in Polen. Frank war der Erste, der in Polen eine jüdisch-messianische Erhebung in die Wege leiten sollte. Er verwarf das traditionelle Judentum mit seiner auf Zion ausgerichteten Messiaserwartung und hoffte, die gesellschaftlichen Strukturen sofort zu ändern. Dabei trennte er sich in seiner Form des Messianismus vollständig vom Land Israel. Jakob Frank wurde in Anlehnung an den Messiasprätendenten Sabbatai Zwi das Oberhaupt einer sabbatianischen Gruppe in Polen, den „Sohariten“, bzw. „Frankisten“. Das podolische Rabbinat hatte in der Verfolgung aller Sabbatianer auch die Frankisten 1756 aus den Gemeinden verbannt. Frank versuchte Hilfe durch die Kirche zu bekommen, wobei er bereit war, zum Christentum zu konvertieren. Er sah eine Scheinkonversion als letzten Ausweg, um Schutzbrief und freie Ansiedlungsmöglichkeit zu erhalten. Obwohl die katholische Nuntiatur die Taktik der Frankisten durchschaute, war man bereit, ihnen zu helfen, aber nur unter der Voraus­setzung einer offiziellen Disputation zwischen Frankisten und Rabbinat. Diese Disputationen fanden 1757 (Kamieniec-Podolsk) und 1759 (Lemberg) statt, wobei die Frankisten

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nicht vor Talmudverhetzung und Ritualmordlüge Halt machten. In der ersten Disputation konnten sie erfolgreich behaupten, dass der Talmud abzulehnen sei, „da er voll von unerhörter Blasphemien gegen Gott ist“. Dadurch kam es in Podolien eine Zeit lang zu Talmudverbrennungen. Bei der zweiten Disputation vertraten sie die widersinnige These, dass der Talmud lehre, „Christenblut sei notwendig, und wer an den Talmud glaubt, benötige es deswegen.“ Allerdings konnten die Frankisten diese Lehre in der Diskussion nicht beweisen. Anhand der Lemberger Taufakten ist zu sehen, dass nach den Disputationen 514 Frankisten die Taufe nahmen, Frank selbst 1759 in Warschau. Er wurde allerdings 1760 unter Anklage des Scheinchristentums verhaftet und zu lebenslanger Festungshaft in Tschenstochau verurteilt, wobei er nach der ersten polnischen Teilung 1772 von den Russen befreit wurde. Seine Bewegung breitete sich von Polen bis nach Deutschland, Böhmen und Mähren aus. Der Franksche Hof zog nach Brünn und 1786 nach Offenbach a. M., wo er im Ysenburger Renaissance-Schloss als „Baron von Offenbach“ mit Polizeigewalt über seinen Hof herrschte, der zum Wallfahrtsziel für die weit verstreuten Anhänger wurde. Die bedeutendsten frankistischen Quellen sind die auf Polnisch verfassten „Worte des Herrn“, Aussprüche, Gleichnisse und biographische Notizen Franks, die er von ca. 1755 bis zu seinem Tod an seine Anhänger weitergegeben hatte. Franks gnostisch anmutende Lehre beruht auf der sabbatianischen Trinität, die bei ihm „guter Gott“, „großer Bruder“ und „Jungfrau“ heißen. Aber anders als in den nur schwer einsichtigen sabbatianischen Schriften, bedient sich Frank einer äußerst einfachen, geradezu volkstümlichen Sprache. Zur Unterstützung zieht er dabei hauptsächlich Zitate aus dem Pentateuch, dem kabbalistischen Werk Sohar sowie Elemente aus polnischen und russischen Märchen heran, die wortwörtlich zitiert bzw. paraphrasiert oder an die eigene Lehre angepasst werden. Die Welt ist für Frank die Schöpfung des Bösen, der wahre gute Gott ist absolut verborgen. Nur die Gläubigen können in seine Welten vordringen. Zwischen diesem guten Gott und den Menschen stehen die bösen drei Weltenlenker. Alle Ge­setze, Regeln, Verordnungen unserer Welt sind daher Gesetze des Todes, die den Menschen abhalten, zum guten Gott zu gelangen. Dabei versteht sich Frank als eine Art Heerführer, der seine ihm blind ergebene Kompanie führt. Er ließ seine Anhänger militärisch ausbilden und hatte während seiner Brünner Zeit diese Kaiser Joseph II. für Eroberungszüge angeboten. Sein mystisches Ziel war der Weg zum großen Bruder Esau, der sich an einem Ort vor Gott befindet, einem Ort, wo es keine Gesetze gibt, nur das Leben. Der Frankist kann alle Gewänder der Welt scheinbar annehmen. So führt ihn sein Weg durch die Religion Edoms (gemeint ist der Katholizismus). Mittelpunkt der frankistischen Lehre ist die Jungfrau, ein weiblicher Messias. In deren Beschreibung vermischt er Bilder aus der Kabbala, der Esthererzählung und aus dem Marienkult um die „Schwarze Madonna“ des Klosters von Tschenstochau. Die Taufe wird als notwendige Stufe gesehen, da die „Schwarze Madonna“ zur anderen Jungfrau führe. Die messianische Jungfrau war für Frank noch verborgen und seine Aufgabe war es, sie zu befreien, um die Erlösung voranzutreiben. Die Jungfrau verkörperte sich allerdings in besonderen Momenten, die in den Lehren nacherzählt werden, in Franks Tochter Eva (gest. 1816). Nach Franks

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Tod übernahm sie bis zu ihrem Tod 1816 die Führung der Offenbacher Frankisten. Im Laufe des 19. Jh. lösten sich die verschiedenen frankistischen Gruppen, wie in Prag oder Warschau, langsam auf.

Der Chassidismus Die kabbalistischen Zusätze, die in die Gebetbücher aufgenommen worden sind, wurden selbst nach dem Bann gegen die Sabbatianer im 17. und 18. Jh. und der damit im Zusammenhang stehenden antikabbalistischen Haltung vieler Rabbiner nicht wieder gestrichen. Seit dem Mittelalter gibt es Zeugnisse über sogenannte „Ba’alei Schemot“ (Meister des (Gottes) Namens), die mit Hilfe der praktischen Kabbala (Amulette, die Kombinationen von Gottesnamen enthalten, Sprüche, Geisteraustreibungen etc.) Menschen zu heilen und schützen versuchten. Diese „Wundermänner“ waren zuweilen auch anerkannte berühmte Rabbiner, wie Rabbi Hirsch Frankel (1622–1740) oder Pinhas Katznellenbogen (1691–1767). Eine große Verbreitung und Professionalisierung des Ba’al Schem Tov geschah ab dem 17. Jh. Es gab bereits Chaverut, chassidische Zirkel, vor Israel ben Elieser (1700–1760), der ebenfalls ein „Ba’al Schem Tov“ (BeSchT) war. Der BeSchT erfand nicht den Chassidismus, sondern veränderte ihn. Es waren „die neuen Chassidim“, eine neue Richtung im Chassidismus, die von den alten auch kritisiert wurde. Er lebte zuvor in Okopy und Tłuste als Melamed, bevor er ab 1740 in Międzybóż als Ba’al Schem wirkte. Von ihm selbst existieren nur wenige Briefe, wobei auch hier die Authentizität in Frage zu stellen ist. Die chassidischen Herausgeber sind nicht sehr sorgfältig mit dem Material umgegangen, später wurden Passagen hinzugefügt etc., sodass es verschiedene Versionen gibt, wie von dem Brief von 1752 an seinen Schwager Gershon of Kutów, der 1747 nach Israel emigriert war. Der BeScht gilt für alle späteren chassidischen Richtungen als Begründer. Er lebte unter der Protektion der Gemeinde und auf ihre Rechnung als charismatischer Mystiker, als Heiler und Kabbalist. Seine Lehren werden von seinen Schülern in ihren eigenen Werken breit zitiert, wie von Jakob Josef b. Zwi ha-Kohen von Polnoje (Połonne, gest. 1782) oder Dov Baer von Meseritsch (1710–1772). Die berühmten Erzählungen über sein Leben, die „Geschichten des Ba’al Schem Tov“ (Schivche ha-Bescht, 1814 hebräisch, 1815 jiddisch) sind viel später entstanden. In Podolien, Wolhynien und der Ukraine entwickelte sich der Chassidismus und seine mystische Lehre strebte eine volkstümliche Verinnerlichung der jüdischen Werte an. Der einfache Mensch kann Gott durch ein tiefes Gebet viel näher stehen als der talmudisch gebildete Rabbiner. Im Laufe der Jahre nahm der Chassidismus die unterschiedlichsten Schattierungen an, wie man an den Lehren des Dov Bär und Schneur Salman von Ljosnas (1745–1813) CHaBaD (Weisheit-Chochma, VernunftBina, Erkenntnis-Daat)-Bewegung sehen kann. Den Kern des Chassidismus bildet die „Vereinigung mit Gott“ (Dewekut). Sie kann in allen Lebenslagen auftreten. Es ist eine absolute Vernachlässigung des Diesseits. Durch die Dinglichkeit und trotz der Dinglichkeit der Welt soll sich der Chassid stets mit Gott verbinden. Tabak- und

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Alkoholkonsum sowie ekstatische Tänze, waren bei den Chassidim Hilfsmittel zur Erreichung des gewünschten Zustandes. Wie unwichtig die Dinglichkeit der Welt in den chassidischen Lehren ist, kann man im Tzva’at Haribasch (Das Vermächtnis des Ribasch (R. Israel Baal Shem)) von Dov Bär sehen: Wenn Du eine schöne Frau sieht, bedenke, dass die weiße Substanz aus dem Samen des Vaters kommt und die rote aus dem Samen der Mutter,37 trübes Blut, verdorben und abstoßend, dass, wenn man es in die Nähe von Speisen stellen würde, die Speisen verderben würde. Die Schönheit des physischen Vaters stammt vom himmlischen Vater, der Welt der Liebe, während der Same der Mutter aus der himmlischen Mutter stammt, der Welt des Schreckens. Das ist die Schönheit der Frau. Daher ist es besser, dass Du dich mit der Liebe und dem Schrecken des Schöpfers verbindest, gesegnet sei Er.38

Die Chasidische Freude ist eine Freude an Gott schon in dieser Welt, sie kann hemmungslos sein, aber selbst diese Hemmungslosigkeit ist nur Stimulanz. Der Chassidismus verbreitete sich im Süden Polens, wohingegen sich im Norden, vor allem in Litauen, die rabbinische Gegnerschaft (Mitnagdim) formierte. 1772 verkündete Eliah, Gaon von Wilna, den ersten Bann gegen die Chassidim. Mit der Verbreitung des Chassidismus ging auch die Radikalität der Anfangsjahre zurück. Dov Bär prägte die weitere Entwicklung des Chassidismus. Er war im Talmud und in der Kabbala gebildet und versuchte eine Brücke zur Gelehrsamkeit zu schlagen. Seine Schüler standen an der Spitze der späteren unterschiedlichen chassidischen Gruppierungen. Diese Führerschaft wurde in den folgenden Jahren oft vererbt und so entstanden chassidische Höfe der einzelnen chassidischen Meister, der „Gerechten“ (Zadikim). Der Chassidismus stellte dem Ideal des talmid chacham, des rabbinischen Gelehrten, ein anderes Ideal gegenüber: den charismatischen Führer mit stark vereinfachten religiösen Vorstellungen, der sich von den anderen Menschen durch radikale Religiosität unterscheidet. Prediger, die sich nicht durch tiefe Gelehrsamkeit auszeichneten, sondern Visionen und eine tiefe Bindung an himmlische Sphären hatten. In Weiterführung der lurianischen Kabbala entwarfen sie großzügige Szenarien vom „Chaos auf Erden“ gegenüber der „himmlischen Ordnung“, die sie durch Gleichnisse oder lange Erzählungen illustrierten. Am Anfang wurde der Chassidismus als häretische Bewegung vom traditionellen Judentum verurteilt. Da die chassidischen Gruppierungen sich trotz ihrer anarchistischen Tendenzen im Rahmen des traditionellen Judentums bewegten, konnten sie ihren Platz behaupten. In ihrer Rolle als spirituelle und kabbalistische Impulsgeber sind sie heute eine wichtige Stütze der jüdischen Tradition.

Moses Mendelssohn und die jüdische Aufklärung Jakob Frank hatte mit seinem messianischen Erlösungswerk versucht, die Tore des Ghettos zu öffnen. Er gehört mit Leben und Werk zur „Nachtseite“ der Vernunft. Er lebte zu einem Zeit­punkt, in dem die Aufklärung in eine Krise geraten war. Dieses Jh. kannte Mendelssohn und Nicolai, aber auch Casanova, Cagliostro und Frank.

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Sie bilden einen lebenshungrigen Gegenpol zur „vernünftigen“ Aufklärung. Mendelssohn und Frank versuchten nahezu zeitgleich, eigene Wege aus dem Ghetto zu finden. Mendelssohn wollte als traditioneller Jude Teil der Gesellschaft sein, in der er als Kulturschaffender mitwirkte. Dabei lebte er unter dem fürchterlichen Damoklesschwert der Gnade und Ungnade seines Landesherrn. Mendelssohn hatte versucht, das Judentum für die moderne Welt zu öffnen ohne dabei die jüdische Tradition aufzugeben. Frank dagegen unternahm es, durch das völlige Abstreifen des Judentums, sich und seinen Anhängern die größtmögliche Freiheit zu verschaffen. Mit Hilfe des Antijudaismus und inhaltsloser Konversionen erreichte er schließlich am Ende seines Lebens das feudale Leben eines Landadligen. Frank war frei, aber um welchen Preis. In der jüdischen Form der Aufklärung, der Haskala, an deren Anfängen Moses Mendelssohn (1729–1786) steht, wurde die Integration der Juden in die bürgerliche Gesellschaft, die Akkulturation und die Reform des jüdischen Bildungswesens angestrebt, was die deutsche und hebräische Sprachpflege voraussetzte. Mendelssohn war nicht der Gründer, sondern eher der geistige Vater der jüdischen Aufklärung. Er hatte versucht, das Judentum für die moderne Welt zu öffnen. Diese Öffnung zur modernen Welt beinhaltete die Gleichheit der Rechte und die Aufnahme weltlicher Kultur. Als Gegenleistung dafür die Treue zur jüdischen Tradition aufzugeben kam Mendelssohn nie in den Sinn. Jüdische Tradition und die Öffnung zur äußeren Welt zeichnen sein Leben und Werk aus. Moses Mendelssohn, der Dichter des „Phädon“, ist eine der bedeutendsten Gestalten der jüdischen Philosophie- und Geistesgeschichte. Mit seinem Namen sind Schlagworte wie jüdische Aufklärung und Emanzipation verknüpft. Mendelssohn, der Talmudstudent, der Hauslehrer, der Buchhalter, der Ästhet, der Weltweise, der Aufklärer, der liebevolle Gatte und Familienvater - viele Facetten eines schillernden Menschen. Begibt man sich auf die Suche nach Mendelssohn, stößt man rasch auf ein Genrebild, das den schlichten Titel „Lavater und Lessing bei Moses Mendelssohn“ trägt. Der Maler Moritz Oppenheim (1799–18), bekannt durch seinen Bilderzyklus Aus dem altjüdischen Familienleben, schuf 1856 dieses Ölgemälde. Johann Caspar Lavaters (1741–1801) Bekehrungsversuch stellte er in einem typischen BiedermeierSzenario dar. Mendelssohn spielt mit Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) Schach, offensichtlich unterbrochen durch Lavater. Das Schachbrett wird von Lavater mit einer Hand achtlos bei Seite geschoben, seine andere Hand liegt auf einem aufgeschlagenen Buch, das scheinbar seine Argumente unterstützen soll. Mendelssohn schaut ihn zurückhaltend an, die linke Hand nachdenklich abgestützt. Der aufrecht stehende Lessing, sichtlich ungehalten, wirft dem sitzenden Lavater herausfordernde Blicke zu. Mendelssohns Frau, Fromet Guggenheim, serviert Erfrischungen für die disputierenden Herren. In einem späteren Kupferstich des Bildes wurde ein Porträt Friedrichs II. hinzugefügt. Als Oppenheim an dem Bild arbeitete, traf er sich einmal mit Mendelssohns Enkel, Philipp Veit (1793–1877), in einer Frankfurter Konditorei. Seine Mutter war Brendel Mendelssohn (1764–1839). Sie hatte sich 1799 von Simon Veit scheiden lassen, heiratete Friedrich Schlegel und nannte sich nun Dorothea.

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Sie wurde tatsächlich zu einer flammenden Christin und bemühte sich, für weitere Konvertiten zu sorgen, worunter schließlich auch ihre beiden Söhne fielen. Philipp Veit war ein führender Vertreter der künstlerischen Bewegung der Nazarener. Später malte er im Vatikan und in den Domen zu Frankfurt und Mainz. Veit hatte mit mir nie weder von seiner jüdischen Abstammung, noch von seinem nachmaligen katholischen Glauben gesprochen; nur einmal, als wir uns bei Konditor Röder trafen, und ich die Bemerkung machte, dass, wenn ich Gefrorenes esse, ich oft an seinen Großvater dächte: der habe so gerne Zucker gegessen, dass er bedauerte, keinen Zucker zu Zucker essen zu können; da brachte Veit die Rede auf ein Bild, welches ich gerade in Arbeit hatte, und welches die bekannte Episode: ‚Lavaters Besuch bei Moses Mendelssohn‘ darstellte; Lavater versucht, diesen zu bekehren, und zwar verlangt er, dass Mendelssohn sich seinem Wunsche füge und sich taufen lasse, oder dass er öffentlich seine Gegengründe darlege. Veit gestand, dass er diese Episode aus dem Leben seines Großvaters nicht genau kenne; und ich erzählte ihm, wie geschichtlich erwiesen, Mendelssohn damals in peinlicher Lage war; wie er sich darüber gegrämt habe, weil er sich habe nicht aussprechen können, wie er es gekonnt und von Herzen gern getan hätte; nur dem Herzog von Braunschweig, der ihn dringend darum gebeten, habe er seine Gegengründe nicht vorenthalten. Darauf tat Veit unter Seufzern die Äußerung: ‚Wer weiß, was er jetzt dafür büßen muss!‘ - Veit war sonst ein ganz gescheiter Mann.39

Mendelssohns Zeitumstände waren sein Kampf gegen das Ghetto von aussen und innen. Er war kein zerrissener Mensch, der daran zerbrach, traditioneller Jude und deutscher Philosoph zugleich sein zu wollen. Er lebte bewusst in zwei Welten, er war Mauscheh aus Dessau, wie er seinen Namen jüdisch-deutsch schrieb und Moses Mendelssohn. Unter dem Druck der Judengesetze Preußens musste er aber eine energieraubende Existenz als Buchhalter bei Tag und Philosoph in der Nacht führen. Zuweilen brach bei ihm die Hoffnungslosigkeit durch: „Ich glaube nicht, dass ichs noch lange in Berlin machen werde. (...) Ich bin Willens mich aller Geschäfte zu entschlagen, und an einem kleinen Orte, womöglich, ganz mir selbst zu leben.“40 Mendelssohns Lebenstraum, sich ganz der Gelehrsamkeit zu widmen, blieb durch äußere Umstände, wie Friedrichs II. Verweigerung seiner Aufnahme in die Berliner Akademie der Wissenschaften, nur ein Wunsch. Diese Tragik ließ ihn auch um den Werdegang seiner Kinder fürchten. So schrieb er über die Berufsmöglichkeiten seines Sohnes Joseph: Als Jude aber kann er bloß Arzneykunst treiben, und zu dieser hat er weder Lust noch Genie. Ihn der Handlung zu widmen, ist, wie mich dünkt, noch zu früh. Er mag also von der Hand alles lernen, wozu er Lust und Trieb empfindet. Zum Kaufmanne wird er dadurch wenigstens nicht verdorben. Er mache allenfalls, wie sein Vater es hat machen müssen, stümpere sich durch, bald als Gelehrter, bald als Kaufmann; ob er gleich Gefahr läuft, keines von beyden ganz richtig zu werden.41

Wenn man versucht, sich näher mit dem Leben und Wirken Mendelssohns auseinanderzusetzen, stößt man sehr leicht auf Legenden, die so fest verwurzelt sind, dass sie bereits wahr wurden. Davon ist auch die Schrift des Pester Rabbiners Moritz Meyer

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Kayserling (1829–1904)42 nicht frei, die fast 100 Jahre lang ein Standardwerk war. Diese leicht romantisierte Betrachtung Mendelssohns stilisierte ihn zur Symbolfigur der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose. Ebenso schildert Sebastian Hensel (gest. 1898) Mendelssohn als Modellfall des deutschen Judentums in seinem Überblick zur gesamten Familie Mendelssohn.43 Erst Alexander Altmann (1906–1987)44 verfasste die erste historisch-kritische Darstellung Mendelssohns. Eines der größten Probleme für die Biographen waren die Jugendjahre Mendelssohns, da er selbst, vielleicht aus Bescheidenheit, nur spärliche Mitteilungen gegeben hatte. So griffen alle Autoren meist auf die umfangreichste frühe Darstellung Mendelssohns zurück, die von einem Anhänger der Haskala, Isaak (Itzik) Abraham Euchel (1756–1804) verfasst worden ist,45 oder auf die Schriften eines ebenfalls prominenten Vertreters der Haskala, David Friedländer (1750–1834).46 Einige der hier berichteten Anekdoten sind zwar durchaus überzeugend, aber nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfbar und verschwimmen so ins Legendenhafte. Erschwerend ist, dass Euchels Buch eine unter aufklärungspädagogischen Zwecken geschriebene Verschmelzung von Dichtung und Wahrheit ist. Mendelssohn tritt hier geradezu hinter dem Vorhang der Intentionen Euchels. Euchel stammte aus Kopenhagen und wurde nach dem Tod des Vaters als Zwölfjähriger zu seinem Onkel nach Berlin geschickt. Eigentlich sollte er Rabbiner werden, verspürte aber keine große Lust dazu. Stattdessen widmete er sich bald im Selbststudium den weltlichen Wissenschaften. Vom traditionellen Onkel kritisiert, zog Euchel 1774 nach Westfalen. Vier Jahre später kam er nach Königsberg, wo er als Hauslehrer der Familie Meyer Friedländer aufgenommen wurde. Dort studierte er bei Kant an der Universität, der Euchels Begabung erkannte. Als Euchel 1786 um einen Lehrauftrag für Hebräisch ansuchte, wurde er jedoch als Jude abgewiesen. In diesem Ablehnungsverfahren zeigen sich die für die damaligen Verhältnisse symptomatischen antijüdischen Verhaltensweisen. Als Lehrer befürwortete Kant Euchels Antrag - als Dekan der philosophischen Fakultät aber wies er ihm die Tür. Er bescheinigte ihm „gute Sitten“, Fleiß und seine „in Wissenschaften erworbenen Kenntnisse“. Aber wegen des vermeintlichen „Missbrauchs“, der von einer solchen Freiheit gemacht werden könnte“ wurde Euchel abgelehnt.47 1782 forderte er in einem Sendschreiben die jüdische Gemeinde Königsbergs auf, nach dem Vorbild der Berliner Freischule eine Schule zu gründen, in der nach Prinzipien der Haskala unterrichtet werden sollte. Das Vorhaben scheiterte. Schließlich rief er 1783 zusammen mit Mennachem Mendel Breslau die „Chewrat doreschei leschon ewer“ (Gesellschaft der Freunde der hebräischen Sprache) ins Leben, die die bedeutende Zeitschrift der Haskala, „Ha-Me’assef “ (Der Sammler), herausgab. Auf einer Reise nach Kopenhagen im Jahr 1784 schließlich sollte Euchel Mendelssohn persönlich kennenlernen. Da er zwei Töchter der Familie Friedländer bis nach Berlin begleiten sollte, machte er dort für einige Tage Station. Mit Mendelssohns Schüler, Naphtali Herz (Hartwig) Wessely (1726–1805), hatte er, wie David Friedländer berichtet, einen kurzen Disput. Dennoch wurde Euchel in dem Kreis der Berliner Aufklärung wohlwollend aufgenommen, wie berührende Stammbucheintragen von Wessely selbst oder Isaak Satanow zeigen.48 Mendelssohn schrieb für Euchel einen geistreichen jü-

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disch-deutschen Empfehlungsbrief an zwei Kopenhagener Verwandte, Moses Fürst und Joseph Gugenheim. Sie blieben in Kontakt, obwohl Euchel erst ein Jahr nach Mendelssohns Tod, 1787, wieder nach Berlin kam. Er veröffentlichte in Ha-Me’assef seine auf Hebräisch verfasste Mendelssohn-Biographie. Er erzählte darin zahlreiche Details über Mendelssohns Kindheit, Jugend und die ersten Berliner Jahre, die ihm zum Teil von Mendelssohns Freunden und dessen Familie erzählt worden sein sollen. Eingekleidet in eine enthusiastische Beschreibung Mendelssohns, entfaltet Euchel darin seine eigene Sicht der Haskala. Sein Zielpublikum lag eindeutig im Osten, das im Wirken Mendelssohns eine nachahmenswerte Persönlichkeit entdecken sollte. Daher schrieb Euchel auf Hebräisch und ließ es in Raschi-Schrift drucken. Mendelssohn wird in dieser Biographie zur Symbolfigur aller Haskalabestrebungen. Das Werk ist weniger eine Biographie als eine Propagandaschrift der Haskala. Besonders wichtig war daher Mendelssohns Schrift „Jerusalem“ für Euchel, das fast die Hälfte des ganzen Buches ausmacht und auszugsweise übersetzt wurde. Da Euchel sich für die Pflege der hebräischen Sprache und Grammatik innerhalb der Haskala einsetzte, beschrieb er ausführlich Mendelssohns Bemühungen für ein lebendiges Hebräisch und ein korrektes Deutsch. Er kritisierte scharf das traditionelle Schulsystem. Diese Kritik wurde wiederum unter der Folie der Biographie geübt. Da es früher bei den Schullehrern meist unüblich war, die hebräische Grammatik den Kindern zu lehren, behauptete Euchel, dass Mendelssohn bereits als kleines Kind die Notwendigkeit des Grammatikstudiums erkannt haben soll. Euchel vertrat trotz der Kritik an den jüdischen Erziehungsmethoden der „Fanatiker“ nicht etwa die Forderung nach einer umfassenden religiösen Reform. Noch bevor der Begriff „neo-orthodox“ überhaupt geboren war, vertrat Euchel diese Position. Den Aufruf zur Pflege der deutschen und hebräischen Sprache wurde auch in seinen Artikeln mit heftiger Kritik an der Orthodoxie begleitet. Um das Unzeitgemäße der althergebrachten jüdischen Erziehung zu kritisieren, schrieb Euchel sogar eine Satire im sonst so geschmähten Jiddisch. Euchel erkannte in Mendelssohn die positive Verbindung zwischen Aufklärung und jüdischer Tradition. Um dieses Bild zu stärken, blendete er in Mendelssohns Biographie dessen Auseinandersetzungen mit traditionellen Rabbinern, wie Jakob Emden völlig aus. Euchel starb verbittert über die weitere Entwicklung der Haskala mit nur 48 Jahren. Was erzählte nun Mendelssohn selbst über sein Leben? In einem Brief an Johann Jacob Spieß (1730–1814) von 1774 findet sich ein äußerst geraffter Lebenslauf. Spieß, Bibliothekar und Aufseher des Ansbacher Münzkabinetts, hatte bereits vier Bände seiner brandenburgischen historischen Münzbelustigungen zu berühmten Persönlichkeiten veröffentlicht. Er plante für den fünften Band eine Abbildung der Mendelssohns-Medaille von Jakob und Abraham Abramson, die vermutlich kurz vor 1774 geschaffen worden ist. Spieß bat Mendelssohn „mit sichern Materialien zur Erläuterung dieser Münze an die Hand zu gehen.“49 Mendelssohns Antwort wirkt wie ein Zeugnis der Bescheidenheit, da er in keiner Zeile seine zahlreichen Schriften erwähnt. Der Brief fasst in weniger als dreißig Zeilen sein bisheriges Leben zusammen, ohne sein Person in irgendeiner Form herauszu-

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stellen. Der Dessauer Rabbiner Max Freudenthal führte die Kargheit dieser Aussagen auf Mendelssohns Mangel „an historischem Gefühl“ und „Verständnis für geschichtliche Entwicklungen“ zurück.50 Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte bei der Briefabfassung allerdings auch seine Nervenkrankheit, die seine geistige Arbeit und auch das Briefeschreiben erheblich eingeschränkt hatte. Meine Lebensumstände sind von so geringer Erheblichkeit, dass ich Ihren Lesern keine sonderliche Unterhaltung davon versprechen kann; mir selbst haben sie so unwichtig geschienen, dass ich nicht das mindeste davon aufgezeichnet habe. Jetzt würde es mir unsägliche Mühe machen, verschiedene Partikularitäten meines Lebens ins Gedächtnis zu rufen und gehörig vorzutragen. Die Hauptfakta, auf die ich mich jetzt besinnen kann, sind ungefähr diese: Ich bin im Jahre 1729 (...) zu Dessau geboren. Mein Vater war daselbst Schulmeister und Zehngebotschreiber, oder Sopher. Unter Rabbi Fränkel, der damals in Dessau Oberrabbiner war, studierte ich den Talmud. Nachdem sich dieser gelehrte Rabbi, durch seinen Kommentar über den hierosolomitanischen Talmud, bey der jüdischen Nation großen Ruhm erworben, ward er etwa im Jahre 1743 nach Berlin berufen, wohin ich ihm noch in demselben Jahr folgte. Allhier gewann ich durch den Umgang mit dem nachherigen Doctor der Arzneigelartheit, Herrn Aron Gumperz (der vor einigen Jahren zu Hamburg verstorben), Geschmack an den Wissenschaften, dazu ich auch von demselben einige Anleitung erhielt. Ich ward hierauf in dem Hause eines reichen Juden Informator, hernach Buchhalter, und endlich Aufseher über desselben seidene Waaren-Manufactur, welches ich noch auf diese Stunde bin. In meinem dreiunddreißigsten Jahr habe ich geheirathet, und seitdem sieben Kinder gezeugt, davon fünfe am Leben. Übrigens bin ich nie auf einer Universität gewesen, habe auch in meinem Leben kein Collegium lesen hören. Dieses war eine der größten Schwierigkeiten, die ich übernommen hatte, indem ich alles durch Abstrengung und eigenen Fleiß erzwingen musste. 51

Weitere spärliche Hinweise finden sich in Mendelssohns Schriften, wie z. B. in seiner „Vorrede“ zur Übersetzung Manasseh Ben Israel’s „Rettung der Juden“52 oder in seinem Briefwechsel. Diese meist kurzen Bemerkungen reflektieren aber eher seine jeweilige persönliche Situation als seine Vergangenheit. Mendelssohn war nicht nur traditionell, sondern war auch stolz auf seine rabbinischen Vorfahren, darunter Moses Isserles, der bedeutende Verfasser der „Mapa“. Auch Mendelssohn pflegte seinen Stammbaum und rühmte sich stets seiner geachteten Vorfahren, wie man es an zahlreichen Beispielen seiner jiddischen, bzw. hebräischen Briefen, nachweisen kann: „Der Überbringer dieses Briefes (...) ist der Sohn von Grossen Nachkomme Seines Vaters der berühmt ist durch seine Abhandlungen, und er gehört zu unserer vornehmen Familie, Urenkel und Enkel des Verfassers der Mappa seligen Andenkens, wovon seine Schriften zeugen.“53

Die Tochter von Saul und Sisa Wahl, Bela Rachel Sara (gest.11.4. 1756, 11. Nissan 5516), heiratete in Dessau Mendel (Menachem) Heymann (1682–10.5.1766, 2. Siwan 5526). Nach der Liste der Dessauer Synagogsbediensten von 1726 war er Küster und Schulklopfer. Das hieß, dass er morgens die Gemeindemitglieder zum Gottesdienst rief, indem er an die Fensterläden klopfte. Er war außerdem Sofer (Schreiber) und Gemeindesekretär. Sein Vorläufer war Ari Löb Lipschütz, der in Berlin 1736

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starb. Mendels Aufgaben umfassten das Schreiben und Verbessern von Thorarollen, Heirats- und Scheidungsurkunden sowie von den Gebetsinschriften für die Tefilin (Gebetskapseln) und Mezuzot (Gebetskapseln für die Türpfosten). Daneben war er Grundschullehrer. Der einfache Hintergrund Menachem Heymanns, seine ermüdende Tätigkeit, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wird in Euchels Schrift zur Mahnung. Versteht das, Freunde der Wahrheit! Ein Schreiber und Kinderlehrer war Mosis Vater. Ihr wißt, das ist der niedrigste Stand und ein verächtlichtes Amt; nur ein hoffnungsloser Mensch, der Zuflucht sucht vor der Not des Hungers, wird sich ihm ergeben. Weder Reichtum noch Ehre wird diesem Menschen zuteil. In diesem bitteren Exil hat man sie zu den Geringsten in dieser Welt herabgewürdigt. (...) Trotzdem teilte er mit ihm von seinem Brot und Trank, bis er seinen Geburtsort verließ. Er ließ ihn aber erst fortgehen, nachdem dieser sehr in ihn gedrungen war.54

Ungenau bleibt die Gestalt des Vaters. Euchel berichtet anrührend, dass er den schwächlichen siebenjährigen Moses „eingehüllt in seinen Mantel, um drei oder vier Uhr morgens“ im Winter zur Schule trug. Dies hatte Euchel von Friedländer, „der berichtete, was er aus dem Mund des weisen Mendelssohn hörte.“55 Kayserling machte aus dem Mantel gleich einen „alten, abgeschabten Mantel“, um die Wirkung des Bildes zu unterstreichen.56 Mendelssohn selbst erwähnt seinen Vater mehrmals gegenüber seiner Braut Fromet und ermunterte sie, ihm zu schreiben.57 In einen weiteren Brief an Fromet beklagte er den Gesundheitszustand seines Vaters, dass er so krank sei, dass er „kaum nach die Schul schleichen“ könne 58 und es zweifelhaft sei, dass er zur Hochzeit kommen wird. Geistreich-ironisch beschrieb er seinen Vater: „Er ist lang lebe er nahe an 80, mit solchen Kindern ist nit zu scherzen. Die können wenig Strapazien aushalten.“59 In einem anderen Brief ist ein interessantes Bekenntnis Mendelssohns zu entdecken: Mein Vater er möge leben, befindet sich Gott sei Dank vor seinem Alter recht sehr gut, und lebt vergnügt. Wer weiß, nach welcher Etikette er Ihnen noch nit hat antworten können? Er ist ein Man aus der alten Welt, und hat seine besondren Grillen. Mit mir zänkt er fast ale Post Tag, bald sol ich ihm fleißiger und nit so kurze Briwe schreiben. Bald sol ich gar nach Dessau komen, und dergleichen.60

Mendelssohn nannte seinen Vater „einen Mann aus der alten Welt“. Damit deutete er sein Verlassen der traditionellen Lebenswelt seiner Familie an. Mendelssohn verstand sich als moderner Mensch, der Anteil an der Kultur der Umgebung hat. Durch den Schritt, deutschsprachige oder lateinische Literatur nicht als „unrein“ anzusehen und sie zu studieren, trennte er sich vom Dessauer Ghetto, aber nicht vom Judentum. Mendelssohn verbrachte die meiste Zeit seines Lebens ab 1743 in Berlin. Nach einer damals gerade vorgenommenen Zählung lebten 333 jüdische Familien in Berlin, ca. 1945 Seelen. Die Einreiseformalitäten waren aber nicht das einzige Übel, unter denen die Juden Preußens leiden mussten. Der französisch sprechende Friedrich II., jener aufgeklärte Monarch mit seiner Vorliebe für die Philosophie, dehnte seine

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Toleranzgedanken nicht auf die jüdischen Bürger seines Reiches. Eine Fülle von Reglements bestimmte das jüdische Leben Berlins, die sich in nicht weniger als sechs Klassen gliederten. Moses Mendelssohn fiel bei seiner Ankunft in Berlin in keine der Klassen. Er war nur geduldet, da der Oberrabbiner Fränkel für ihn bürgte und ihm Wohnung und Essen gab. Erst nachdem er 1763 den ersten Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften für seine „Abhandlung über die Evidenz in metaphysischen Wissenschaften“ erhalten hatte wurde er „außerordentlicher Schutzjude“. Im Gegensatz zum „ordentlichen Schutzjuden“ wurde das Wohnrecht in Berlin nicht auf die Angehörigen vererbt. Den zweiten Platz gewann damals Immanuel Kant. Über Mendelssohns erste Jahre in Berlin sind wir nur durch Berichte seiner Freunde unterrichtet. Der früheste erhaltene Brief stammt erst von 1754. Innerhalb dieser elf Jahre wird aus dem jungen Talmudstudenten ein Ästhet und Philosoph über dessen Erscheinung der Dichter Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803) 1756 schrieb: Kein erdichteter, sondern ein würcklicher Jude, noch sehr jung, und von einem trefflichen Genie, der es, ohne Lehrer, in allen Wißenschaften sehr weit gebracht (hat), der die Algebra zum Zeitvertreib gebraucht, wie wir die Poesie, und doch von Jugend auf, in einer jüdischen Handlung sein Brod verdienet hat.61

Was hatte Mendelssohn in Berlin getan? Er lernte nicht nur bei Fränkel weiter. Die Welt des Maimonides, die Verschmelzung von rabbinischen und religionsphilosophischen Ideen, hatte ihn bereits in Dessau in den Bann geschlagen. Sie sollte ihn nicht mehr loslassen. Was führte dazu, dass sich Mendelssohn die Tradition verließ und sich auf die weltlichen Sprachen und Wissenschaften stürzte? Maimonides sprach und schrieb arabisch, die Sprache seiner Umgebung. Warum dann nicht Deutsch lernen? Fränkel bemüht sich um Mendelssohn, macht ihn mit Israel Samoscz (1700–1772), einem Talmudgelehrten und Aaron Salomon Gumperts (1723–1763), bekannt, bei denen er sehr viel europäische Bildung lernte. Nach Tätigkeiten als Hauslehrer wurde er Buchhalter in der Fabrik des Seidenfabrikanten Isaak Bernhard, was er zeitlebens blieb, da ihm 1771 durch einen Einspruch Friedrichs des Zweiten die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften verweigert wurde. Während Mendelssohn neben dem Broterwerb fleißig profane Fächer studierte, arbeitete er zusammen mit Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Nicolai an der „Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste“ (1756–1759) und an den „Briefen die Neueste Literatur betreffend“ (1759–1763). Er war befreundet mit Herder, Wieland, Kant, Lichtenberg und den Brüdern Humboldt, die er Hebräisch lehrte. Sein lebenslanger Freund Lessing veröffentlichte sein erstes Werk, die „Philosophischen Gespräche“ (1755). Mendelssohn schrieb zunächst Schriften zu Ästhetik und Philosophie, wie „Phädon“ (1767). Er verstand sich als deutscher Philosoph, Religion war ihm, als orthodoxer Jude, Privatangelegenheit. Er versuchte seiner Idealfigur, Maimonides, nachzuleben. Jiddisch lehnte er als „Jargon“ ab, von Bewegungen wie dem Chassidismus, nahm er kaum etwas wahr. In sich hatte er Ju-

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dentum und „Weltweisheit“ vereinigt und sich dabei stets für die bedrängte Judenheit eingesetzt. Aber erst die Auseinandersetzung mit dem Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater holte ihn in die gefährliche Manege der „christlich-jüdischen Disputationen“. Danach sollte er seine Gedankenwelt in Schriften wie „Jerusalem“ oder der „Vorrede“ zur deutschen Übersetzung von Manasseh Ben Israels (1604–1657) „Vindiciae Judaeorum-Rettung der Juden“ (1782) schöpferisch „mit allergnädigsten Freyheiten“ (so das Titelblatt zu „Jerusalem“) ausformulieren. Natürlich war er bereits vor diesem Streit wiederholt in den Bannstrahl geraten. Zeitgenossen wie Thomas Abbt hatten bedauert, dass der „Jude Moses“ sich nie bekehren ließe. Mendelssohn litt unter der drastischen Judengesetzgebung. Als Mendelssohn Fromet Gugenheim aus Hamburg heiratete, war er, wie jeder Jude Berlins, gezwungen worden, einen Posten aus der frisch gegründeten Berliner Porzellanmanufaktur zu kaufen - allerdings nicht nach freier Wahl! Lavater hatte einen Teil der frisch erschienenen „Palingénésie philosophique“ von Charles Bonnets unter dem Titel „Herrn Carl Bonnets, verschiedener Akademien Mitglieds, philosophische Untersuchung der Beweise für das Christentum“ in Zürich 1769 veröffentlicht und mit einer öffentlichen „Zuschrift“ an Mendelssohn versehen. Darin forderte er ihn auf: Nicht, diese Schrift mit philosophischer Unparteylichkeit zu lesen; denn das werden Sie gewiß, ohne mein Bitten, sonst thun: Sondern, dieselbe öffentlich zu widerlegen, wofern Sie die wesentlichen Argumentationen, womit die Thatsachen des Christentums unterstützt sind, nicht richtig finden: Dafern Sie aber dieselben richtig finden, zu thun, was Klugheit, Wahrheitsliebe, Redlichkeit Sie tun heißen.62

Das Christentum öffentlich zu widerlegen oder sich taufen lassen forderte Lavater von einem Juden, der mit seiner Familie stets ohne der drohenden Ausweisung lebte. Mendelssohn antwortete zurückhaltend, aber dennoch bestimmt: Ich begreife nicht, was mich an eine, dem Ansehen nach so überstrenge, so allgemein verachtete Religion fesseln könnte, wenn ich nicht im Herzen von ihrer Wahrheit überzeugt wäre. (...) Meine Religion, meine Philosophie und mein Stand im bürgerlichen Leben geben mir die wichtigsten Gründe an die Hand, alle Religionsstreitigkeiten zu vermeiden, und in öffentlichen Schriften nur von denen Wahrheiten zu sprechen, die allen Religionen gleich wichtig seyn müssen.63

Die Auseinandersetzung war keineswegs mit Mendelssohns Antwortschreiben beendet. Andere meldeten sich zu Wort und warfen Lavater war, er dürfe Mendelssohn nicht herausfordern. Mendelssohn blieb nach der öffentlichen Kontroverse zwar der „moralische“ formale Sieger, wurde aber nervenkrank. Der eigentliche Kern der Debatte, Judentum oder Christentum, blieb nahezu unangetastet. Der Hintergrund für Mendelssohns „Vorrede“ war die von ihm angeregte Veröffentlichung von Christian Wilhelm Dohms (1751–1820) „Über die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781), das die Emanzipation der Juden maßgeblich förderte sowie die Toleranzpatente Josephs des Zweiten für die Juden Böhmens (1781) und Österreichs (1782). Mendelssohn dachte, dass es eine gute Stunde sei, die Gleichbe-

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rechtigung auch in Preußen voranzutreiben. Wer konnte denken, dass dieser Kampf noch fast hundert Jahre dauern würde - bis 1871. Nur in einem Punkt widersprach Mendelssohn Dohm – dem Bannrecht. Die knapp 25 Seiten starke Vorrede beinhaltete zunächst Reflektionen über die soziale und geistige Lage der Judenheit: „Man bindet uns die Hände, und macht uns zum Vorwurfe, dass wir sie nicht gebrauchen.“64 Äußerst brisant ist auf den weiteren Seiten der Aufruf an die jüdischen Rabbinen und Gemeindevorstände, den rabbinischen Bann aufzugeben. Dies war ein - durchaus taktvoll formulierter - Angriff auf die gerichtliche jüdische Autonomie. Jede Gesellschaft, dünkt mich, hat das Recht der Ausschließung, nur keine kirchliche; denn es ist ihrem Endzwecke schnurstracks zuwider. (...) Das Andachtshaus der Vernunft bedarf keiner verschlossenen Thüren. Sie hat von innen nichts zu verwahren, und von außen Niemanden den Eingang zu verhindern. (…) Die wahre, göttliche Religion maßt sich keine Gewalt über Meinungen und Urtheile an; giebt und nimmt keinen Anspruch auf irdische Güter, kein Recht auf Genuß, Besitz und Eigenthum; kennet keine andere Macht, als die Macht durch Gründe zu gewinnen, zu überzeugen, und durch Überzeugung glückselig zu machen. Die wahre, göttliche Religion bedarf weder Arme noch Finger zu ihrem Gebrauche; sie ist lauter Geist und Herz.65

Als Reaktion auf diese Vorrede erschien 1782 in Berlin die in Wien verfasste Broschüre „Das Forschen nach Licht und Recht in einem Schreiben an Herrn Moses Mendelssohn auf Veranlassung seiner merkwürdigen Vorrede zu Manasseh Ben Israel“. Das Verfasserkürzel „S.“ und der Ort Wien wiesen auf Joseph von Sonnenfels hin. Eine geschickte Maskerade vom tatsächlichen Autor August Friedrich Cranz (1737–1801), um auf seine Schrift mehr Aufmerksamkeit zu lenken. Cranz warf Mendelssohn vor, er habe das Judentum verlassen und sich dem Christentum genähert, da doch die Basis des Judentums ein zwingendes Recht sei. Wie könne also Mendelssohn der Religion seiner Väter treu sein, wenn er dessen Basis negiere? Mendelssohn antwortete seinem Widersacher mit „Jerusalem“, sichtlich inspiriert von Hobbs und Spinoza. Im ersten Abschnitt erläutert er die Beziehung von Staat und Religion und im zweiten Abschnitt breitet er seine Sicht des Judentums aus. Der Staat und die religiösen Institutionen haben das Ziel, das Glück des Menschen zu fördern. Allerdings besitzt der Staat die Macht zu befehlen und die Religion sollte nur lehren und überzeugen. Die konträren rechtlichen Verhältnisse im alten Israel mit religiösem Zwang waren ein einmaliges Geschehnis, da Gott der König Israels gewesen sei. Das Judentum sei keine geoffenbarte Religion. Es hat ein anderes Verständnis von Offenbarung als das Christentum: Den Juden wurden Gesetze, Vorschriften und Geboten offenbart und übergeben, die sie allein halten sollen, nicht „ewige Heilswahrheiten“. Diese religiösen ewigen Wahrheiten, die unerlässlich für das Glück des Menschen sind, können durch die menschliche Vernunft allein vollständig erreicht werden. Die Juden sind - bis der Messias kommt -, angehalten, die offenbarten Vorschriften zu erfüllen. Mendelssohn war traditioneller Jude und weltlicher Philosoph, der sich für die besseren Lebensverhältnisse seiner jüdischen Mitbrüder einsetzte. Er war kein Reformator der jüdischen Religion. Mendelssohn

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war Philosoph, der wie viele Vorgänger des Mittelalters, versucht hatte, Philosophie und Offenbarung in Einklang zu bringen. Er war unhistorisch, ja eigentlich desinteressiert an der Geschichte. Lessings Gedanke vom Fortschritt des Menschengeschlechts wurde von Mendelssohn abgelehnt. Im Grunde ist das menschliche Geschlecht fast in allen Jahrhunderten (...) Kind und Mann und Greis zugleich, nur an verschiedenen Orten und Weltgegenden. (…) Allein alle diese vortreflichen Lehrsätze werden dem Erkenntniß dargestellt, der Betrachtung vorgelegt, ohne dem Glauben aufgedrungen zu werden. Unter allen Vorschriften und Verordnungen des Mosaischen Gesetzes, lautet kein Einziges: Du sollst glauben! oder nicht glauben; sondern alle heissen: du sollst thun, oder nicht thun!66

Der von der späteren Reform aufgenommene Gedanke, dass die Halacha sich stets wandle und daher gemäß den Anforderungen der Zeit verändert werden müsse, zeigt die Abhängigkeit von Lessings Gedankenwelt. Mendelssohn vertrat dagegen die Unabänderlichkeit der Halacha. Schicket euch in die Sitten und in die Verfassung des Landes, in welches ihr versetzt seyd; aber haltet auch standhaft bei der Religion eurer Väter. (…) Wenn die bürgerliche Vereinigung unter keiner andern Bedingung zu erhalten, als wenn wir von dem Gesetze abweichen, das wir für uns noch für verbindlich halten; so thut es uns herzlich leid, was wir zu erklären für nöthig erachten: so müssen wir lieber auf bürgerliche Vereinigung Verzicht thun.67

Der Kreis um Mendelssohn sollte die Gedanken der Berliner Haskala weiter entwickeln und vorantreiben. Ohne die Träger der Aufklärung (Maskilim) wie Naftali Herz Wessely (1725–1805), Salomon Dubno (1738–1813), Herz Homberg (1749–1841) oder Lazarus Bendavid (1762–1832), wäre die von Mendelssohn unternommene Bibelübersetzung (in Deutsch mit hebräischen Buchstaben plus Kommentar, der hebräisch verfasste „Biur“) und die hebräische Zeitschrift „Ha-Meassef “ nicht denkbar gewesen. Im „Biur“ lehnt Mendelssohn die Bibelkritik ab und spricht von Heiligkeit des Textes und der Sprache. Es ist eine „jüdisch-rationale“ Deutung der Bibel, die die Tradition nicht in Frage stellt. Dennoch wird sie von traditionellen Rabbinern (wie Eleasar Fleckeles oder Jecheskel Landau) abgelehnt, da die „Tora herabgewürdigt werde, indem man sie in die Rolle einer Dienerin zum Erlernen der deutschen Sprache benütze“. Nicht nur Zeitungen, die Tätigkeiten von „Maskilim“ als Hauslehrern in einflussreichen Familien, die Bibelübersetzung, sondern auch die neu gegründeten Schulen der Haskala sollten die Gedanken der Aufklärung in die Köpfe der Menschen bringen. Sie führten als Hauslehrer eigentlich ein Dasein einer sozialen Randgruppe, ein Wanderleben. Die wohlhabenden Kaufmannsfamilien in Berlin, Breslau und Königsberg bildeten durch ihre Hauslehrer die ersten Stätten der „Haskala“. Der Mediziner Marcus Herz (1747–1803) und seine Frau Henriette Herz (1764–1847) hielten in ihrem Salon Vorlesungen und Lesungen ab. Es verkehrten Menschen wie Adalbert von Chamisso, Ludwig Börne, Heinrich Heine, Friedrich Schiller, Graf Mirabeau, Jean Paul, Madam de Staël, Karl Philipp Moritz oder Salomon Maimon. Der Unterschied zu anderen literarischen Salons war, dass beide jüdisch waren und blie-

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ben. Der Herz-Salon wurde zum Prototyp (Spandauer Straße, Neue Friedrichstraße) der „Berliner Salons“. Auch Friedrich Schleiermacher verkehrte dort, wie auch der Minister Alexander Graf zu Dohna, Wilhelm von Humboldt und Friedrich Schlegel. Tradition und Kultur der Umgebung – das, was Mendelssohn noch zu vereinen wusste, sind mit der fortschreitenden Assimilation und den Reformen gescheitert, denn von der Emanzipation zur Assimilation war für viele ein kleiner Schritt, der oft getan wurde. Der Verzicht auf die jüdische Tradition bedeutete für eine kleine Anzahl von Juden zu Beginn des 19. Jh. auch die Konversion. Dies war das „Eintrittsbillet zur europäischen Kultur“, wie es der glücklose Konvertit Heinrich Heine formuliert hatte. Unter den Konvertiten waren eben auch Abraham und Brendel Mendelssohn, der Sohn von Moses und der Vater von Felix Mendelssohn-Bartholdy. In Deutschland rief das Verlassen der alten Traditionen verschiedene Formen der Reaktion hervor: die bedeutendsten waren die jüdische Reformbewegung und die Altorthodoxie. Samson Raphael Hirsch (1808–1888) bekämpfte beide und versuchte einen dritten Weg zu gehen, das als Neo-Orthodoxie bekannt wurde. Das Judentum aufrechterhalten, die Gebote erfüllen und die Kultur der Umgebung aufnehmen. Erst Hirsch hatte erfolgreich versucht, den Geist der Mendelssohnschen Ideen in ein praktisches Erziehungsprogramm umzusetzen. Er stand damit Mendelssohn vielleicht näher als so mancher Vertreter der jüdischen Reformbewegung oder der Haskala. Seine Lehren erlaubten den orthodoxen Juden, sich der Kultur der Umgebung zu öffnen, ohne die jüdische Tradition abzustreifen. Vermittler der Aufklärung nach Osteuropa waren Vertreter aus habsburgischen Gebieten. Die im 19. Jh. auf nationaler Grundlage entstandene Haskala in Osteuropa (vor allem Wilna und Odessa) brachte eine Renaissance der hebräischen Sprache für profanes Schrifttum mit sich. Auch gelangte ironischerweise das von Mendelssohn polemisierte Jiddisch zu wahren Höhenflügen. Die osteuropäische Haskala wurde zum Wegbereiter des jüdischen Sozialismus und modernen Nationalismus.

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Islamische Kulturgeschichte Karl Prenner

Die folgende Untersuchung einer Kulturgeschichte von 1500 bis 1800 konzentriert sich auf die Reiche der Osmanen, der Safawiden und der Moguln.1 Diese Imperien waren durch vielfältige politische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen miteinander verbunden, aber auch mit Europa, „dass man kaum von ‚Unabhängigkeit‘ in kulturellen Erscheinungen ausgehen darf.“2 Sie konkurrierten miteinander nicht nur um politische Macht und damit um territoriale Einflussmöglichkeiten, sondern zeigen uns viele politische, wirtschaftliche, im Besonderen aber kulturelle Gemeinsamkeiten, „welche die islamische Welt zu einem gewissen Umfang vereinheitlichen.“3 Bezüglich der kulturellen Gemeinsamkeiten spricht Schulze von einem „barocken Kulturstil“, der sich nicht nur in Malerei und Musik, sondern auch in Literatur und Philosophie herausbildete. Dazu kommt noch, dass an den Höfen der herrschenden Dynastien, Istanbul, Isfahan und Delhi, neben den Symbolen der höfischen Kultur auch solche der herrschaftlichen geschaffen wurden, die auch der religiösen Legitimierung des Herrschaftsanspruches dienten. Ausschlagegebend für die kulturellen Beziehungen zwischen diesen Reichen waren gemeinsame Rahmenbedingungen, resultierend aus dem gemeinsamen turkomongolischen und persisch-islamischen Erbe. Letzterem entstammt etwa das Königskonzept. Aber in der Dichtkunst und in der Miniaturmalerei lieferte das persische Erbe in besonderer Weise die Grundlage für die jeweilige Weiterentwicklung dieser Kunst in den drei Imperien. Die gemeinsame Verwendung der persischen Sprache eröffnete eine gewisse kulturelle und gesellschaftliche Durchlässigkeit; freilich wird die religiöse Ausrichtung diese Durchlässigkeit immer wieder begrenzen und in Frage stellen. Nicht zuletzt war es auch die gemeinsame Religion, der Islam, die das Verbindende aber auch das Trennende förderte. Die Inkulturierung des Islam in die Gesellschaften und Kulturen dieser Reiche zeigt uns eine Vielfalt von religiösen Ausdrücken und Praktiken, eine Modifizierung alter Identitäten und das Entstehen neuer. Bei allen drei Reichen, kann beobachtet werden, dass ihre Macht im Laufe des 18. Jh. immer mehr schwindet und ein politischer und wirtschaftlicher Niedergang einsetzt. Ausschlaggebend hierfür war wohl das Beharren auf den altbewährten Traditionen in politischer, wirtschaftlicher und militärtechnischer Hinsicht gegenüber dem modernen Europa.

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Islamische Kulturgeschichte

Kulturgeschichte der osmanischen Zeit Staat und Gesellschaft Die Zeitspanne von 1500 bis 1800 umfasst sowohl die Blütezeit des osmanischen Reiches als auch seinen darauf einsetzenden Niedergang, indem es immer mehr in den Einflussbereich der europäischen Großmächte gerät.4 Am Ende des 15. und Anfang des 16. Jh. stehen sich „zwei Zivilisationen“ gegenüber, „Europa, dessen Geschichte sich mit der kolonialen Expansion allmählich ausbreitete, und die islamische Welt, die bestrebt war, die ‚alten Traditionen‘ zu wahren.“5 Allerdings war die islamische Welt in vielerlei Hinsicht auch eingebunden in die neuen Entwicklungen, etwa durch das Schießpulver, den Kompass und den Buchdruck. Im 16. Jh. zählte das osmanische Reich zu jenen Mächten, die um die Beherrschung der Handelswege des Mittelmeeres mit Spanien und Venedig konkurrierten. Nach Schulze sei daher der osmanische Staat im 16. Jh. nicht nur mit der Weltwirtschaft verflochten, sondern es sei auch danach zu fragen, ob nicht auch kulturgeschichtliche Prozesse stärker zu vernetzen seien, konkret, ob nicht die Renaissance als „sehr heterogener kulturgeschichtlicher Prozess“6 auf die Kulturgeschichte islamischer Länder übertragbar ist? Denn im Sinne der Renaissancekultur setze sich auch im Osmanischen Reich die humanistische Weltsicht weiter fort. In der Hauptsache sind es zwei gesellschaftliche Gruppen, die im osmanischen Staat um Macht und Einfluss ringen, nämlich die Janitscharen, die Elitetruppe des Reiches, die sich aus der Knabenlese (devschirme) rekrutierte, und die osmanische Oberschicht. Diese Konkurrenz wird im Laufe der Zeit innenpolitisch zu diversen Konflikten führen, vor allem immer dann, wenn es um die Nachfolgefrage geht. Um Konkurrenten um das Thronerbe auszuschalten, wird es seit Mehmed II. üblich sein, dass der jeweilige Sultan seine Brüder ermorden lässt. Bayezid II. (1481–1512), der von den Janitscharen unterstützt wurde, musste nach seiner Thronbesteigung innenpolitisch versuchen, ein Gleichgewicht zwischen den Aristokraten und den Janitscharen herzustellen, indem er auch die Stellung der ersteren aufwertete.7 Bayezid II. hat auch die Einflusssphäre der Religionsgelehrten (Ulema) erweitert und so den sunnitisch-orthodoxen Islam gefördert, denn im Osten Anatoliens bildeten die turkmenischen Nomadenstämme, Anhänger heterodoxer schiitischer Richtungen, eine Gefahr für die sesshafte sunnitische Bevölkerung. Zumal mit der Gründung des Safawidenreiches diese heterodoxen Vorstellungen propagiert wurden bzw. die Safawiden diese Situation politisch benutzten, um die Turkmenen auf ihre Seite zu bringen und so ihren Machtbereich auch auf das östliche Anatolien auszudehnen. Durch die Hinwendung Schah Ismails zur Zwölferschia wird dann auch das religiöse Bekenntnis politisch eine Grenze zwischen dem Reich der Osmanen und jenem der Safawiden markieren. Im Zuge der Eroberungen besetzten die Osmanen die Häfen am Schwarzen Meer, wodurch der Handel mit Nordeuropa einen neuen Antrieb bekommt. Die Friedensschlüsse mit Venedig (1502) und Ungarn (1503) trugen dazu bei, dass die Osmanen

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zu einer Seemacht im Mittelmeer aufstiegen, was auch dazu führte, dass sie ab nun mit den europäischen Mächten diplomatisch verkehrten. Auch Selim I. (1512–1520) gelang es, sich mit Hilfe der Janitscharen als neuer Sultan durchzusetzen. Er sicherte sich sein Thronerbe, indem er nicht nur seine Brüder, deren Söhne, sondern auch seine eigenen Söhne bis auf den Thronfolger Süleyman tötete. Die innenpolitische Stärkung der Janitscharen hatte zur Folge, dass die türkische Oberschicht an Einfluss verlor. Selim I. machte es sich zur Aufgabe die sunnitische Orthodoxie gegenüber der safawidischen Häresie zu verteidigen, indem er in brutaler Weise gegen die turkmenischen Anhänger der Safawiden (Quizilbasch: Rotköpfe) im östlichen Anatolien vorging und gegen den Schah selbst Krieg führte. Feldzüge gegen den häretisch ausgerichteten Iran wurden daher zum „wichtigsten Mittel der osmanischen Herrschaftslegitimation.“8 Anatolien wird nun zur Gänze osmanisches Territorium. Die Safawiden waren militärtechnisch den Osmanen unterlegen, da letztere über Feuerwaffen und Kanonen verfügten. Selim I. brachte auch den Mamluken, die ihn gegen die Portugiesen zu Hilfe riefen, 1516 eine vernichtende Niederlage bei; damit waren nun auch Syrien und Ägypten unter osmanische Herrschaft. Aus den eroberten Gebieten, Täbris, Damaskus und Kairo kamen nun muslimische Gelehrte, Künstler, Handwerker und Verwaltungsbeamte nach Istanbul, also die geistige und künstlerische Elite, die die kulturelle Entwicklung des Osmanenreiches entscheidend vorantreiben wird. Nach der Eroberung von Täbris werden ganze Privatbibliotheken der letzten Aq-Qoyunlu- und Timuridenherrscher und Teile der safawidischen Hofbibliothek von Täbris nach Istanbul transportiert. Kopien persischer, arabischer und türkischer Werke werden für die neu entstehenden Bibliotheken angefertigt, ebenso illuminierte Koranhandschriften. Gesandtschaften der Safawiden überbrachten außerdem dem Hof von Istanbul eine Vielzahl kostbarer Bücher.9 Nach Faroqhi waren „Wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zwischen dem osmanischen Zentrum und den arabischen Provinzen intensiver, als man früher angenommen hatte.“10 Beobachtbar wurde dieser kulturelle Austausch vor allem auch am Phänomen der Zweisprachigkeit, arabisch und osmanisch. In Kairo blühte der Import von Militärsklaven nach wie vor, sie bildeten fortan die aristokratische Schicht, stellten aber keine Herrscher mehr.11 Zumindest aber war das osmanische Reich durch die Eroberung des Mamlukenreiches „nicht nur arabischer geworden, sondern auch islamischer.“12 Im europäischen Kontext hatten sich die Osmanen in erster Linie mit dem Reich der Habsburger, das vom Papst unterstützt wurde, auseinanderzusetzen. Frankreich dagegen war einer der wichtigsten Verbündeten der Osmanen. Mit der Eroberung Belgrads 1521 öffnete Süleyman I. (1520–1566) den Weg entlang der Donau nach Norden und mit der Schlacht bei Mohacs 1526 beginnt die Auseinandersetzung um Ungarn, das zwischen 1541 und 1547 größtenteils osmanisch wurde. Um das osmanische Reich auch in Richtung Norden auszudehnen, wurde 1529 Wien vergeblich belagert. Nach mehreren Feldzügen in den Iran kam es 1555 zum Friedensschluss.

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Süleyman musste seine Ansprüche auf Aserbeidschan aufgeben und den Schiiten erlauben, Mekka und Medina und die schiitischen Heiligtümer in Iraq zu besuchen. Durch die Eroberung des Nahen Ostens wurden auch die herkömmlichen Handelswege ausgebaut und Flottenstützpunkte in Suez, am Roten Meer und in Basra errichtet. Spanische Stützpunkte in Tunesien und Tripolitanien kamen unter osmanische Oberhoheit. Dies hatte die Auseinandersetzung mit der portugiesischen Seemacht zufolge.13 „Um 1560“, schreibt Schulze, „hatte das Osmanische Reich fast den gesamten Raum der mittelmeerischen Weltwirtschaft unter militärischer und partiell auch unter politischer Kontrolle.“14 Damit ging ein wirtschaftlicher und kultureller Aufschwung in den Städten Istanbul, Kairo und Aleppo und auf dem Balkan einher. Während die Osmanen den herkömmlichen Handelsweg und den Karawanenhandel nach Indien bevorzugten, werden Niederländer und Briten der von Vasco da Gama eröffneten Seeroute um das Kap der Guten Hoffnung folgen. Dies führte aber nicht zum Niedergang des mediterranen Handels, denn der internationale Gewürzhandel auf den herkömmlichen Routen über Aleppo oder das Rote Meer kam wieder in Gang. Außerdem bildete der Kaffeehandel mit dem Jemen für Händler aus Kairo und Istanbul eine gute Geschäftsbasis.15 Damit beschränkte sich der Handel auf den innerosmanischen Warenverkehr. Unter Selim II. (1566–1574) wurde 1571 Zypern erobert, ein wichtiger Baumwollund Zuckerrohrlieferant. Die Auseinandersetzungen Spaniens mit dem osmanischen Reich endeten in der Seeschlacht bei der griechischen Hafenstadt Lepanto (1573), aber auch diese verlorene Schlacht konnte der osmanischen Seeherrschaft nicht den Todesstoß versetzen, denn Venedig und das osmanische Reich konkurrierten weiterhin im Mittelmeer um die Herrschaft. In der zweiten Hälfte des 16. Jh. war das osmanische Reich sodann in das europäische Wirtschaftssystem integriert als Lieferant von Baumwolle, Seide und Getreide. Unter den osmanischen Luxuswaren rangierte in erster Linie die Kleiderproduktion aus kostbaren Stoffen, Brokat und Seide. Daher spielte die Seidenweberei in Bursa, aber auch die Teppichherstellung eine große Rolle. Die osmanische Gesellschaft war gegliedert in die herrschende Klasse der Osmanen und jene der Untertanen. Für die Zugehörigkeit zum ersteren Status war es notwendig, dem Sultan Loyalität zu zeigen, den Islam zu praktizieren und dem „osmanischen Weg“, den Gebräuchen und Verhaltensweisen, zu folgen.16 Allerdings waren beide Systeme, sowohl das muslimische als auch das nicht-muslimische durchlässig. Neben dem millet-System, das die einzelnen religiösen Gemeinschaften erfasste und diesen soziale und administrative Funktionen übertrug, gab es das System der Gilden, wo gesellschaftliche Stellungen und Religionen keine Rolle spielten, sondern allein die Ausrichtung „auf gemeinsame Überzeugung und Werte, auf wirtschaftliche Tätigkeiten und soziale Bedürfnisse.“17 Diese Durchlässigkeit zwischen den einzelnen sozialen und religiösen Gruppierungen kam auch im Städtebild zum Ausdruck, indem etwa Muslime und Nichtmuslime in denselben Stadtvierteln zusammenlebten. Nach Neumann18 stellt die osmanische Stadt am ehesten „ein komplexes Geflecht räumlicher und sozialer Beziehungen dar, nicht als ein Behältnis voneinander getrennter sozialer Gruppen“; der Einzelne war in die vielen „Netzwerke“ über Fami-

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lie, Stadtviertel bis hin zu Derwischorden und Handwerksgilden eingebunden und fand hier seine gesellschaftliche Identität. Aber auch die Kaufleute formten solche Netzwerke. Bargeldlose Zahlungen zwischen den Kaufleuten und dass wichtige Handelsstädte wie Täbris, Wien und Venedig auch zum Bereich der osmanische Händler gehörten, zeugen davon.19 Ja sogar die Grenzen zum Fremden konnten kulturell überschritten werden, wenn etwa iranische sunnitische Gelehrte in Zeiten des Konfliktes zwischen Osmanen und Safawiden im 16. Jh. nach Istanbul kamen und dort hohe Ämter erlangten, ebenso Einwanderer aus iranischem Gebiet.20 Alle Macht im osmanischen Reich konzentrierte sich auf den Sultan, der über absolute Autorität verfügte. Die Staatsverwaltung und der Haushalt des Sultans waren getrennte Bereiche. Der Haushalt umfasste den „Inneren Dienst“, dessen Personal für die Bedienung des Sultans zuständig war, während der „Äußere Dienst“ im Wesentlichen vom Stall- und Küchenpersonal, den Polizei- und Wachdienst ausgefüllt wurde. Eine weitere Einrichtung war der Harem mit den Ehefrauen des Sultans.21 Für die Staatsverwaltung stand dem Sultan der Staatsrat (Diwan) mit den Wesiren und dem Großwesir, der die Staatsgeschäfte führte, zur Seite. Weiter gehörten ihm auch die höchsten Beamten des Reiches an, jene für das Finanz- und Gerichtswesen sowie die Heer- und Provinzverwalter. Allerdings hatte der Staatsrat nur beratende Funktion. Zum Bereich der religiösen Institutionen zählten auch die Qadis, die regionalen Richter, und die Muftis, die für Rechtsgutachten (fatwa) zuständig waren. Die Provinzgouverneure führten gleichzeitig auch das Kommando über die in ihrer Provinz stationierten Truppenkontingente. Insgesamt stellte die Provinzverwaltung bezüglich der Institutionen und Beamten die Reichsverwaltung im Kleinen dar.22 Zu den Staatsbediensteten gehörten neben der Elite des Reiches auch jene Gelehrten, die an den Medresen unterrichteten; sie alle konnten aber gegenüber dem Sultan „formal keine Rechte beanspruchen.“23 Ziel dieses Staatskonzeptes war es, „eine Klasse von zuverlässigen Staatsdienern zu schaffen, die nicht, wie etwa der europäische Adel, über eine vom Sultan unabhängige Machtbasis verfügten.“24 Seit dem 16. Jh. war die Elite des Staates loyal gegenüber dem Sultan, der von seinen Untertanen absoluten Gehorsam forderte, ähnlich wie byzantnische oder turkmenische Herrscher. Nur der „alte Brauch“ bzw. die osmanische Tradition schränkte den Handlungsspielraum des Sultans ein. Die jeweilige Nähe zum Sultan ließ auch unterschiedlich an seiner Macht teilnehmen, womit natürlich auch Gefahren verbunden waren, wenn der Betreffende in Ungnade fiel.25 „Die Gesamtheit des zentralen osmanischen Amtsapparates“, schreibt Matuz, „war zur Zeit Süleymans des Prächtigen so kompliziert, daß sich darin selbst neuernannte Großwesire nicht ohne weiteres auskannten.“26 Nach dem osmanischen Recht war der Sultan alleiniger Eigentümer des Landes. Die Gewinne der Frommen Stiftungen (waqf, pl. auqaf), Ländereien und andere Güter, die wohltätigen öffentlichen Einrichtungen, wie Moscheen, Medresen, Schulen, Krankenhäusern und der Armenküche zu Gute kamen, spielten in gesellschaftlicher und religiös-politischer Hinsicht eine immer wichtigere Rolle. Sultane oder auch höhergestellte Personen widmeten Land oft in Stiftungsland um. Regierungsbe-

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amte wurden aus dem Staatsschatz besoldet. Lehensgüter (timar), die vom Sultan für eine bestimmte militärische oder administrative Leistung vor allem an Militärs, später auch an höhere Staatsbeamte vergeben wurden, dienten den Betreffenden als Einkommensquelle.27 Pächter diese Lehensgüter waren gewöhnlich die Bauern. Ein beträchtlicher Teil des staatlichen Bodens wurde nicht als Lehen vergeben, sondern blieben Staatsdomänen und dienten der Bargeldbeschaffung des Staates.28 Eine andere Form war, dass das Einkommen der verwalteten Güter gänzlich dem Sultan abzuliefern war, der betreffende Verwalter der Güter aber einen regulären Lohn bekam. Ein drittes Modell war die Steuerpacht, die die beiden vorausgehenden Modelle vereint und auf sämtliche eroberte Gebiete des 15. und 16. Jh. angewandt wurde: der Pächter musste einen bestimmten Betrag, der von ihm eingetriebenen Steuern an den Staatsschatz abliefern, den Rest konnte er für sich selbst behalten. Da die timar-Truppen oft nur schlecht ausgerüstet waren, ersetzte das dritte Modell, nämlich das der Steuerpacht, das timar-System. Dies allerdings hatte nun zur Folge, dass die Provinzgouverneure, die vormals auf die timar-Truppen zur Steuereintreibung zurückgreifen konnten, nun für die Truppen selbst aufkommen und daher Söldner einstellten mussten. Im Laufe der Zeit kam es zu vielen Konflikten zwischen diesen Söldnern und den regulären Truppen, weil erstere immer nur für eine bestimmte Zeit angestellt waren, sich nach ihrem Soldatendienst nur schwer in lokale Dorfgemeinschaften integrieren ließen und daher oft Aufstände anzettelten.29 Bauern bearbeiteten aber auch Ländereien von höhergestellten Verwaltungsbeamten. Gegenüber den Bauern, die die timar-Ländereien bearbeiteten, waren jene schlechter gestellt, weil sie kein „gesichertes Besitzrecht“ innehatten und so zu „Tagelöhnern oder Teilpächtern“ wurden.30 Das Eingreifen des Staates in wirtschaftliche Entwicklungen aufgrund einer politischen Pragmatik heraus, z.B. durch entsprechende Steuergesetze, bildete insgesamt einen Anreiz für die landwirtschaftliche und gewerbliche Produktion der osmanischen Wirtschaft, vor allem auch in Hinblick auf die timar-Inhaber und die Bauern.31 Nach Matuz sei das Reich der Osmanen zu Beginn des 16. Jh. „zweifellos eines der am besten organisierten, vielleicht sogar zeitweilig das bestorganisierte Staatswesen im Weltmaßstab“ gewesen.32 Die rechtlichen Grundlagen für das Staatswesen beruhten einerseits auf der scharia, also dem religiösen Gesetz, andererseits auf dem vom Staat erlassenen Recht, dem qanun, und lokalen Praktiken (urf).33 Der qanun setzte sich aus Erlässen und Verordnungen des Sultans zusammen. Diesbezüglich hat bereits Mehmed II. (1451–1481) ein Gesetzeswerk erlassen, das diverse Regelungen zusammenfasst, die die öffentliche Ordnung garantieren sollten.34 Rechtskräftig wurden solche Sultanserlässe erst dann, wenn sie von einem Rechtsgutachten (fatwa) als nicht dem Islam widersprechend ausgewiesen wurden. Allerdings fielen auch so manche Rechtskniffe – wie Umgehung des Zinsverbotes – in das Sultansrecht. Grundsätzlich waren die Ulema von der Gunst des Sultans abhängig, sodass es sich im Großen und Ganzen zwischen beiden um eine pragmatische Zusammenarbeit gehandelt hat. Für die Vergabe von Verwaltungsposten waren, wie die spätere Entwicklung zeigt, oft eher persönliche Verbindungen ausschlaggebend als Tüchtigkeit und Können.

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Für den Niedergang des osmanischen Reiches war das Auseinanderbrechen von „Zentralgewalt und politischer Loyalität“35 verantwortlich, denn der Großwesir wurde im Laufe der Zeit mit absoluten Machtbefugnissen ausgestattet, aber auch andere Amtsträger gewannen immer mehr an Machtbefugnissen dazu. Der Machtverlust des Sultans wiederum hatte zur Folge, dass die aristokratische Schicht ihre gesellschaftliche Stellung bis zu einem hohen Maß einbüßte und ihre Macht an die Janitscharen, denen auch der Großwesir angehörte, abtreten musste. Korruption und Nepotismus waren die Folge, Regierungsämter und militärische Posten wurden gleichsam versteigert. Da die Prinzen abgeschottet von der Außenwelt in den Haremsgemächern erzogen wurden, wurde auch die politische Einflussmöglichkeit der Prinzenmütter für die Sultansbestellung immens aufgewertet. Außerdem hat seit der zweiten Hälfte des 16. Jh. der Sultan seine Residenz in den Harem verlegt. Ab Mitte des 16. Jh. bis Mitte des 17. Jh. spricht man vom „Zeitalter der Sultansmütter.“36 Sultansmütter und Sultansgattinnen konkurrierten daher um Macht und Einfluss. Da die Knabenlese ab einer gewissen Zeit nicht mehr ausreichte, um das Korps der Janitscharen aufzufüllen, traten dann Söhne der Janitscharen an deren Stelle. Oft waren die Janitscharen auch gezwungen, sich um andere Einnahmequellen umzusehen, daher wurden sie ein Teil der städtischen Gesellschaft und bildeten mit ihren Familien eine eigene Gesellschaftsschicht. Damit beginnt eine Zeit politischer Instabilität.37 Durch die Ausrichtung nach Europa kam die Knabenlese überhaupt an ein Ende. „Die Ernennung von gebürtigen Türken für die höchsten Positionen setzte sich durch.“38 Faroqhi macht allerdings darauf aufmerksam, dass dieser sogenannte „Niedergang“ durchaus auch das Ergebnis einer Verselbstständigung dieser Institutionen und ihres bürokratischen Apparates sein kann und damit als eine gewisse „Stärke des osmanischen Staates“ gesehen werden könnte, nämlich ohne den Sultan auszukommen.39 Wenn sich auch in den Provinzen Gouverneursdynastien etablierten, die selbstständig agierten, so weiß man, dass diese durchaus loyal zum Zentrum standen. Soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme nahmen Überhand und konnten unter Murad III. (1574–1595) nicht mehr gelöst werden. Ab 1580 kam es durch ein ständiges Anwachsen des Silberimportes aus Südamerika zu Geldentwertungen und Steuererhöhungen, sodass die eigenen Silberminen geschlossen werden mussten. Ab Mitte des 16. Jh. hatte sich die Geldwirtschaft bereits so weit verbreitet, dass auch die Bauern ihre Abgaben in Form von Geld leisteten und nicht mehr in Form von Naturalien. Die Landbewohner waren in der Hauptsache mehrheitlich sesshafte Bauern, die von der Landwirtschaft lebten und entsprechende Steuern bezahlten. Das Bild der osmanischen Bauern als „unterwürfige und träge Orientalen“, schreibt Neumann, sei insofern korrigiert worden, als die osmanischen Bauern sich durchaus ihrer Rechte bewusst waren und diese auch zu verteidigen wussten.40 Außerdem waren die osmanischen Bauern frei, sie waren nicht Eigentümer ihres Landes, wohl aber Besitzer. Steuerpächter legten in Zeiten des wirtschaftlichen Verfalls den Bauern derartige Steuerlasten auf, dass diese oft in die Städte abwanderten oder sich revoltierenden Banden anschlossen, die sich Grund und Boden aneigneten, aber keine Steuern ablieferten.41

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Der Niedergang des Timar-Systems und die Käuflichkeit sämtlicher Ämter führten Ende des 16. und Anfang des 17. Jh. zu größeren Aufstandsbewegungen (Celālī-Aufstände): Studierende an Medresen, die keine Aufstiegsmöglichkeiten für sich sahen, Bauern, die ihr Land verloren hatten, und auch Soldaten schlossen sich den Aufständischen an. Im Hintergrund dieser Aufstände wird der gesellschaftliche Konflikt zwischen einerseits den Steuerbefreiten, d.h. den Angehörigen der Oberschicht, die an der staatlichen Macht teilhatten, und andererseits den Steuerpflichtigen sichtbar. Die Vergabe von Timars erfuhr dann insofern eine Veränderung als solche Ländereien nicht mehr ausschließlich an Militärs vergeben wurden, sondern auch an Verwaltungsbeamte.42 Im 17. Jh. entstehen „politische Haushalte“, die regional und sozial unterschiedlich strukturiert waren und bis zu einem gewissen Grad vom Sultan unabhängig waren.43 Hohe Würdenträger des Reiches, Provinzgouverneure und Wesire hielten sich eigene bewaffnete Truppen, förderten aber auch Schriftsteller, Künstler und Rechtsgelehrte und errichteten ein Netzwerk von Steuerpächtern und Kaufleuten. „Viele von diesen Leuten waren wenigstens zeitweilig von dem Würdenträger abhängig, gehörten zu seinem Haushalt.“44 Je mächtiger das Netzwerk eines solchen „politischen Haushaltes“ war, desto größeren Einfluss konnte er am Hof geltend machen. Unter Murad III. wird der „Europäisierung“ ein Riegel vorgeschoben, indem er unter dem Einfluss der traditionellen Religionsgelehrten humanistische Gelehrte verketzerte, das Observatorium in Istanbul schließen ließ und den Buchdruck für islamische Schriften verbot.45 Schulze folgert, dass, da der Buchdruck in der islamischen Welt zunächst abgeblockt wurde, „die wissenschaftliche und literarische Debatte der Kultur der Neuzeit erheblich langsamer (erfolgte) und die Stellung der traditionellen Gelehrten weitaus stärker (blieb).“46 Er spricht von „struktureller Langsamkeit“47 und meint damit, dass es nicht gelang, eine eigenständige technische Entwicklung einzuleiten, sondern dass man bloß ausländische Spezialisten ins Land holte und sich auf diese Weise moderne technische Produkte aneignete. „So wurde das Osmanische Reich zunehmend zu einem Absatzmarkt für europäische Produkte und zu einem Rohstofflieferanten für die weiter entwickelten europäischen Staaten.“48 Damit konnte sich im Osmanischen Reich kein eigenständiges frühkapitalistisches Bürgertum herausbilden. Geld wurde nicht in den Produktionsbereich investiert, sondern in Sachwerte. Außerdem konzentrierten sich insgesamt die Geldgeschäfte „in den Händen von nichtislamischen Bevölkerungsgruppen, griechischen bzw. armenischen Christen und Juden.“49 Von 1645–1669 dauerte der Krieg mit Venedig, letztendlich aber gelang es den Osmanen Kreta wieder zurück zu erobern. Die Auseinandersetzungen zwischen Osmanen und Safawiden enden mit dem Frieden von 1639, Bagdad gehört ab dieser Zeit endgültig zur osmanischen Herrschaft. 1593 begann der österreichisch-osmanische Krieg. Von den Sultanen des 17. Jh. wurden aufgrund dieses Bedrohungsszenariums diverse gesellschaftliche und innenpolitische Reformbemühungen eingeleitet, die die Korruption, die Revolten und den Ungehorsam ausrotten sollten. Nichts aber wurde gegen die eigentliche Ursache des Niedergangs unternommen, nämlich gegen die

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zunehmende auf eigene Machtinteressen und Vorteile ausgerichtete Herrschaft der Janitscharen und der Haremscliquen.50 Unter dem Großwesir Gara Mustafa Pascha wurde 1683 Wien belagert; dieser aber hatte die Lage falsch eingeschätzt, denn durch diese Belagerung sammelte sich eine beträchtliche europäische Koalition, die dann systematisch gegen das osmanische Reich vorgehen wird. Auf der einen Seite die Habsburger, Venedig und die Russen, auf der anderen die Osmanen mit Frankreich und Schweden, die es unterstützten. England war eher neutral, aber die Habsburger waren der gemeinsame Feind der Engländer und Osmanen. Der Sultan gewährte Kaufleuten solcher Länder, die auch gegen die Habsburger agierten, Privilegien, „Kapitulationen“ genannt, um die Beziehungen zu verbessern.51 In den Kriegen mit ihren europäischen Gegnern und den darauf folgenden Friedensschlüssen (Friede von Karlowitz 1699, Friede von Passarowitz 1718) verloren die Osmanen in Europa Ungarn, Serbien nördlich von Belgrad, Siebenbürgen und die Bukowina. An die Russen (russisch-osmanischer Krieg 1768–1774) die Besitzungen am Schwarzen Meer und die Krim. Damit war das Schwarze Meer wieder europäischen Handelsflotten zugänglich. Außerdem musste der Sultan zustimmen, dass Österreich und Russland als Beschützer der christlichen Untertanen im osmanischen Reich auftraten. Vom letzten Schattenkalifen in Kairo unter mamlukischer Herrschaft soll dem Sultan die Kalifengewalt weitergegeben worden sein. Dies war eine Reaktion auf den ständig wachsenden europäischen Einfluss. Damit ergibt sich eine Doppelidentität sowohl als Sultan des Osmanischen Reiches als auch als Kalif der Umma. Die Einführung der Steuerpacht auf Lebenszeit (1695) hatte dann die Schwächung der Zentralregierung zur Folge, sodass sich Anfang des 18. Jh. regionale einflussreiche Familien und damit Lokalherrscher etablierten und selbstständig machten. In Tunis und Tripolis, also fernab dem Zentrum, entstehen eigene Dynastien, in Algerien und auch in Serbien hatten Janitscharen das Sagen, im Irak dagegen die Mamluken. Ägypten hat sich schon sehr früh von Istanbul losgesagt (ab 1754). In Syrien formen sich ganze Netzwerk von Familien und gesellschaftlichen Gruppen, „die die lokale Macht unter sich aufteilten.“52 Stammesfürsten etablierten sich als Staaten, wie etwa die Emirate von Riyad und Kuwait. Auf der arabischen Halbinsel wird sich im Gefolge der puritanischen Lehren des Muhammad ibn Abd al-Wahhab (1703–1792) der Wahhabismus herausbilden, eine Verschärfung der hanbalitischen Rechtsschule. Ziel war der Kampf gegen den Volksislam mit seiner mystischen Ausrichtung, seiner Heiligenverehrung und seinem Gräberkult. In Marokko konnten sich die Alawiden bereits um 1670 politisch durchsetzen. In Südost-Europa bekam der Nationalismus wieder neuen Auftrieb, denn durch das millet-System war die jeweilige nationale Ausrichtung bewahrt geblieben: Griechen, Serben, Rumänen und Bulgaren entwickelten nun „ein neues, nationales Bewusstsein.“53 Diese Regionalherrscher hielten sich eigene Privatarmeen und beanspruchten die anfallenden Steuern für sich selbst. Geldmangel war daher das große Problem der osmanischen Zentralregierung. Vor allem die Unterversorgung der städtischen Bevölkerung führte zu Aufständen und anarchischen Verhältnissen.

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Aufgrund ihres herkömmlichen Selbstverständnisses und ihrer Ausrichtung nach dem „alten Brauch“ fühlte sich die osmanische Gesellschaft gegenüber der nichtmuslimischen Welt als überlegen. Diese Einschätzung versuchte man auch noch in einer Zeit beizubehalten, als die klare Überlegenheit der westlichen Welt bezüglich der politischen, technischen und naturwissenschaftlichen Entwicklung nicht mehr zu übersehen war. Vor allem im Bereich der militärischen Auseinandersetzungen erkannte man die innovative Weiterentwicklung Europas. Aber gerade auf diesem Gebiet hat man die Niederlagen nicht der technischen Überlegenheit der europäischen Armeen zugeschrieben, sondern eher dem eigenen Unvermögen, die herkömmlichen Techniken auch dementsprechend einzusetzen. Daher war es das Ziel, das Altbewährte wiederherzustellen.54 Wirtschaftlich und kulturell entglitten Istanbul immer mehr die Zügel, das aufstrebende Bürgertum, Kaufleute, Gelehrte und Zivilbeamte gewannen so immer mehr an Macht und Kompetenzen.55 Der Aufstand von 1703 macht diesen Konflikt zwischen Tradition und Moderne deutlich. Die Rebellen, Religionsgelehrte, Janitscharen und die Armee setzten eine neue Regierung ein, mit dem Ziel der Herstellung der „Muhammadgemeinde“, in der die Scharia gelten sollte. Mustafa II. musste abdanken, ihm folgte Sultan Ahmad III. (1703–1730), unter dem dann der Aufstand zusammenbrach und die Gelehrten ihrer Ämter enthoben wurden. Die Kontakte mit Kaufleuten, Reisenden, die ins osmanische Reich kamen, aber auch Kontakte osmanischer Gelehrter mit den europäischen Wissenschaften führten bloß zu selektiven aber zu keinen einschneidenden gesellschaftlichen, technischen und politischen Veränderungen. Im Laufe des 18. Jh. verstärkten sich die Kontakte des osmanischen Hofes zu Frankreich, beginnend mit Ahmed III. (1703–1730).56 Man spricht vom ersten Drittel des 18. Jh. auch von der „Tulpenzeit“ (1717–1730), weil hier Tulpen aus den Niederlanden importiert wurden, deren Besitz sich in der höfischen Gesellschaft großer Beliebtheit erfreute. Es beginnt eine Zeit, wo sich das neue Selbstverständnis des Hofes nach Europa ausrichtet, europäisches Hofleben nachgeahmt wird, Lichter- und Tulpenzwiebelfeste gefeiert und Gärten angelegt werden und wo auch die Kleidung nach dem Okzident ausgerichtet wird. Beschreibungen des Versailler Palastes lieferten Anregungen für den Bau von Palästen und Gärten. Auch die Buchmalerei wurde von der europäischen Malerei beeinflusst und bekam neue Impulse bezüglich der Darstellung von Personen und der Landschaftsmalerei. Diesem Okzidentalismus entspricht gleichzeitig auch ein Orientalismus auf europäischer Seite.57 Denn auch in Europa fand türkische Mode Eingang: ob dies das Kaffee-Trinken war oder die Einführung türkischer Hoffeste oder osmanischer Musikinstrumente.58 Nach Neumann ist das 18. Jh. „das große Jh. Istanbuler Wasserarchitektur“59, das Errichten von hölzernen Lustschlösschen mit Wasserspielen. Ein neuer Bautyp entsteht in diesem Zusammenhang: das Brunnenhaus, ausgestattet mit Ornamenten und Versen. Europäisches Wissen begann in dieser Zeit vor allem im Bereich des Buchdrucks und des Militärs wirksam zu werden. Aber der Buchdruck wurde immer noch sehr restriktiv gehandhabt. Ästhetische, religiöse aber auch wirtschaftliche Bedenken mö-

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gen hierbei eine Rolle gespielt haben, die Sorge um das Fortbestehen der Kalligraphie oder dass diese Technik von den „Ungläubigen“ kommt.60 Nach Neumann sei hierfür eher „die osmanische Sozialkultur“61 verantwortlich. Zumindest wurden bereits seit 1588 gedruckte Bücher offiziell importiert und seit 1493 gab es im Osmanischen Reich bereits nicht-muslimische Druckereien (hebräische Presse). Nach mehreren vergeblichen Ansätzen, den Buchdruck einzuführen, „begann erst im frühen 19. Jh. eine kontinuierliche Drucktätigkeit in Istanbul.“62 Auch wurden unter europäischer Anleitung neue Truppenkontingente mit neuer Waffentechnik aufgestellt, jedoch das Hauptkontingent der osmanischen Armee blieb nach den althergebrachten Militärtechniken und Methoden ausgerichtet. Nicht interne Reformen garantierten für das Weiterbestehen des osmanischen Reiches im 18. Jh., vielmehr die Uneinigkeit der europäischen Mächte.63 Das Zurückbleiben hinter Europa sollte durch authentische Wiederherstellung des „alten Brauches“ wettgemacht werden. Die osmanischen Niederlagen, die im letzten Drittel des 18. Jh. einsetzten, haben nach Neumann zur Einschätzung geführt, dass notwendige, nach europäischem Vorbild erfolgende Reformen, immer auch zu wenig durchgreifend passierten bzw. die Traditionalisten diese eben verhinderten. Neumann aber gibt zu bedenken, „dass es keine Dichotomie zwischen ‚Traditionalisten‘ und ‚Reformern‘ gab und auch nicht bloß einen Weg in eine Modernität.“ Eine „angemessene Berücksichtigung interner osmanischer Faktoren“ zeige auch, „dass innerosmanische Dynamiken dafür verantwortlich waren, dass das östliche Mittelmeer seine ihm eigene spezifische Neuzeit erlebte.“64 Religiöse Gruppen Wenn auch das osmanische Reich offiziell nach dem orthodoxen sunnitischen Islam ausgerichtet war, so gab es in der Bevölkerung Anhänger von diversen heterodoxen Richtungen, die einen Volksislam praktizierten, der teilweise synkretistisch ausgerichtet war.65 Gerade die Verehrung heiliger Männer und Frauen als Wundertäter und Wundertäterinnen machte ein wesentliches Element des Volksglaubens aus. Ausgeprägt waren in osmanischer Zeit die Derwisch-Orden, deren Konvente (tekke, zawiye) geistige Zentren für sämtliche Ordensanhänger waren. Ständig lebte dort in erster Linie der Scheich mit seiner Familie. Solche Derwischgruppen waren die Mevlewiyye, der auf Galaladdin Rumi zurückgehende Orden der „Tanzenden Derwische“, die Kalender (Kalandariyya),66 eine Gruppe von Bettelderwischen, die sich in Nordpersien und Transoxanien ausbreitete und deren Lehr- und Kultpaxis sich aus vielen heterodoxen Elementen zusammensetzte. Heterodox ausgerichtet waren auch die Qizilbasch, später auch als Aleviten bezeichnet. In diesen Kontext gehört auch der heterodox und synkretistisch ausgerichtete Bektaschiorden. Weiter die Drusen im Libanon und die Yezidi (Jesiden), eine kurdischsprachige Gemeinschaft. Das Jesidentum gilt insgesamt als synkretistisch monotheistische Religion und hat Vorstellungen aus dem orientalischen Christentum, dem Manichäismus bzw. der

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Gnosis und dem Zoroastrismus entlehnt. Diese Bandbreite von Derwischorden und Bruderschaften zeigt bezüglich ihrer Rechtgläubigkeit, dass man mit einer gewissen Toleranz rechnen konnte, allerdings: „Unverzeihlich war es eher, wenn Mitglieder der Eliten sich ketzerisch betätigten.“67 Eine Ausnahme bildeten hierbei die Janitscharen, die Elitetruppe des Reiches, da sie mit den Bektaschi-Derwischen verbunden waren. Zu Kulturkonflikten kam es vor allem mit jenen Derwischen, die einem asketischen Lebenswandel folgten, da sie sich kaum in die Gesellschaft eingliederten. In Zeiten von kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Safawiden ging man deswegen gegen solche Asketen vor, weil man sie aufgrund ihrer heterodoxen Haltung und Ali-Verehrung in die Nähe der Schiiten rückte. Typisch ausgeprägte sunnitische Orden waren die Naqschbandiyye und die Khalwatiyye (Halvetiyye), die beide auch Besitz erlaubten und zudem noch stärker politisch ausgerichtet waren. Die Angehörigen der Khalwatiyye gehörten vor allem der Oberschicht an.68 Juden und Christen waren als „Schutzbefohlene“ grundsätzlich anerkannt, wurden aber oft diskriminierten Behandlungen ausgesetzt. Mit der Wiedereinsetzung der Patriarchate (griechisch, armenisch, serbisch-orthodox) waren innerhalb der christlichen Gruppen die offiziellen Ansprechpartner für den osmanischen Staat gegeben. Neumann schreibt: „Nichtmuslime waren im Osmanischen Reich kein Randphänomen“, denn der Staat teilte diesen Gemeinschaften Aufgaben zu, „die auf eine Teilhabe an der Macht hinausliefen.69 In osmanischer Zeit hat sich ein „Dreiklang“70 muslimischer Frömmigkeit herauskristallisiert, dessen „harmonische Verwirklichung“ eben die osmanische Zeit erlebte: der Scharia-Islam, der Heiligenkult und die von der Lehre der „Einsheit des Seins“ geprägte Mystik. Charakteristisch für die osmanische Zeit war die enge Verbindung von Rechtgläubigkeit und Herrschaft, da die Ulema Staatsbedienstete waren, also vom Sultan besoldet wurden. Oftmals war die Gesetzesgelehrten mit sufischen Orden verbunden.71 Frauen in der osmanischen Gesellschaft Untersuchungen über die gesellschaftliche Stellung der Frau in der osmanischen Gesellschaft haben ergeben, dass im osmanischen Reich die gängige Form der Eheschließung die Monogamie darstellte. Das Quellenmaterial über Frauen in der städtischen Umgebung betrifft nach Faroqhi72 vor allem Frauen, die über Geld verfügten; denn die Muslima war erbberechtigt, daher konnte die verheiratete Frau ihr Vermögen auch eigenständig verwalten. Außerdem konnte sie ihr diesbezügliches Recht auch vor Gericht einklagen, falls ihr das Erbrecht abgesprochen wurde. Frauen scheinen auch im Handel als Kleinhändlerinnen in der Textilbranche tätig gewesen zu sein, verrichteten handwerkliche Arbeiten oder haben auch Fromme Stiftungen (waqf) eingerichtet.73 Bezüglich der religiösen, künstlerischen und literarischen Betätigung von Frauen ist belegt, dass Frauen auch zu Hause im Lesen und Schreiben Unterricht erhielten, vor allem in Gelehrtenfamilien. In der religiösen Gelehrsamkeit waren sie

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als Traditionarierinnen tätig, als Überlieferer von Hadithen, aber es gab auch weibliche Derwische. Auch von Musikerinnen,74 Stickerinnen, Teppichwirkerinnen und von Dichterinnen ist die Rede. Faroqhi kommt zum Schluss, dass also „keineswegs alle osmanischen Frauen ganz und gar in den alltäglichen Reproduktionssorgen ihrer Familien aufgegangen sind oder, was die wohlhabenderen anbelangt, sich mit Kleidern, Freundinnen und Süßigkeiten zufriedengegeben haben.“75 Kaser verweist bezüglich Südosteuropa auf den Unterschied zwischen den Frauen der Oberschicht und jenen der Unterschicht; Angehörige der ersteren Gruppe waren „weitaus stärker auf Haus und Harem begrenzt als Frauen aus anderen Schichten“, denn die Frauen der Unterschicht erlangten als Berufstätige, „als Heilerinnen, Geburtshelferinnen, Köchinnen, Prostituierte, Musikantinnen und Händlerinnen eine gewisse Unabhängigkeit.“ 76 Bildung, Literatur und Gelehrsamkeit Da es keine Hinweise darauf gibt, dass zwischen dem 17. und dem 19. Jh. in den Dörfern Schulen „in größerer Zahl“ errichtet worden seien, könne eine „Kulturgeschichte der ländlichen Bevölkerung“ erst ab dem 19. Jh. geschrieben werden.77 In den Städten konnten Jungen, hin und wieder auch Mädchen, das Lesen und Schreiben in Elementarschulen erlernen, die durch Fromme Stiftungen oder von Privatinitiativen erhalten wurden.78 Die weitere Stufe, um sich Bildung anzueignen, war der Besuch von Medresen, von denen sich in osmanischer Zeit verschiedene Typen herausgebildet haben.79 An den „unteren Medresen“ studierten die Schüler verschiedene Hilfswissenschaften, Formenlehre, Syntax, Mathematik, Astronomie, Philosophie, Logik und scholastische Theologie. In den Medresen für höhere Bildung wurden seit Mehmed II. neben den Hauptwissenschaften, Koranexegese, Traditionswissenschaft (hadith), Jurisprudenz (fiqh), Koranrezitation, Glaubenslehre und auch Naturwissenschaften gelehrt. Unter Süleyman I. gab es wiederum eine Neuordnung der Medresen, wobei auch das Studium der Medizin einen festen Platz im Curriculum bekam. Die Medresen bildeten Richter, Lehrer und Imame aus, daher standen die religiös-juristischen Lehrfächer im Mittelpunkt. Da die Medresen auch Internate für die Schüler waren, handelt es sich hier um ganze Gebäudekomplexe mit diversen Einrichtungen innerhalb und um die Moschee herum. Die gewaltige Zunahme von Medresen hatte auch zur Folge, dass Gelehrtenfamilien entstanden, die gegenüber dem Gelehrtenstand eine bevorzugte Behandlung erfuhren, vor allem wenn es um Vergabe von Posten ging. In diesem Zusammenhang hat sich eine „ulema-Aristokratie“, Qadis und Muftis, herausgebildet,80 in deren Händen die gesamte Rechtspflege lag, sowohl in der Hauptstadt als auch in den Provinzstädten. Dadurch dass sie untereinander heirateten, waren es einige wenige Familien, die diese oberste Gelehrtenschicht bildeten. Zudem noch stattete sie der Sultan mit diversen Privilegien aus. Im Besonderen waren es Derwischkonvente, die Bildung für einen breiteren Kreis vermittelten, da solche Konvente auch über Bibliotheken verfügten. Ein gängiges

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Genre der Derwischliteratur waren „Ich-Erzählungen“81, Tagebücher von Derwischen und Autobiographien von Mystikern. So könne nach Faroqhi auch das zehnbändige Werk, das Evliya Çelebi (1611–1684) verfasste, sein „Reisebuch“, Erinnerungen und Reiseerzählungen, als eine „Ich-Erzählung“ verstanden werden.82 Çelebi war als Botschafter des Sultans unterwegs und bereiste viele Länder und Städte, so auch Venedig und Wien.83 Sein Werk ist kulturgeschichtlich wichtig, da es als eine Quelle über osmanisches Alltagsleben dient. Es beinhaltet nicht nur eine detaillierte Beschreibung dessen, was er sah, sondern auch einen autobiographischen Erlebnisbericht, eine Sammlung von glaubhaften und unglaublichen Geschichten zu den Gegenden, die er sah, und eine Fundgrube von Bemerkungen zum Alltagsleben seiner Zeit.84 Eine Darstellung der osmanischen Literaturgeschichte „in ihrer ganzen Komplexität“ sei noch immer ein gewisses Desideratum.85 Neben der religiösen Literatur entwickelte sich eine osmanische Kunstdichtung und Kunstprosa, die Divan-Literatur.86 Die Kunstprosa brachte nicht nur biographische Lexika mit Lebensbeschreibungen von Ulema oder Dichtern hervor, sondern auch die Lexikographie, Geschichtsschreibung87 und den Fürstenspiegel. Daneben aber blieb die Lyrik mit den Ghazelen bedeutendster Ausdruck der schönen Literatur. Die Divan-Literatur88 lag in den Händen der Gebildeten und orientierte sich an arabischen und persischen Vorbildern. Das Charakteristische dieser Literatur ist, dass das Osmanische mit persischen und arabischen Termini verwoben wird. Ein ständiger Zuzug von Gelehrten aus den Provinzen hatte auch für das Literaturschaffen innovative Auswirkungen. Die großen Dichtergestalten der osmanischen Kunstprosa waren Veysi (1561– 1628) und Nergisi (gest. 1635), beide Qadis. Nabi (1642–1712) war zuerst Wesir und ließ sich dann in Istanbul nieder. Alle drei waren auch als politische Autoren im Genre des Fürstenspiegels tätig.89 Der berühmteste Ratgeber für osmanische Führungskräfte war aber der Fürstenspiegel des Mustafa Ali (1541–1600). Daneben hat er noch eine Biographie Sultan Murads III. verfasst.90 Unter den Gelehrten in osmanischer Zeit ragt Katip Çelebi („der Herr Schreiber“) (1609–1657) hervor, der nicht nur eine Bibliographie islamischer Werke verfasste, also eine Enzyklopädie des Wissens seiner Zeit, sondern auch das berühmte geographische Werk „Bild der Welt.“91 Darin hat er eine Summa des geographischen Wissens über die osmanischen Provinzen von 1648–1687 überliefert. Auch die osmanische Geschichtsschreibung brachte im 17. und 18. Jh. beachtliche Größen hervor, so Mustafa Naima (1655–1716), der aus Aleppo stammte. Themen der Kunstdichtung sind Liebesromanzen und die Thematisierung mystischer Liebe. Der Höhepunkt der Divanliteratur werde mit Baki (1526–1600), einem Hofdichter Süleymans erreicht. Er war Qadi von Mekka und danach oberster Richter der Hauptstadt. Mit ihm kommt die osmanische Lyrik zu ihrer Vollendung.92 Als der größte Vertreter der früheren Divan-Poesie gilt Fuzuli (1494–1555), „der große Liebende.“93 Er war ein Schiit und lebte in Bagdad, hat aber nach der osmanischen Eroberung Bagdads Lobhymnen (Ghazelen) auf Süleyman gedichtet, vorher auf den persischen Schah. Er verarbeitet neben orientalischen Motiven in seinem Mesnevi

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(mathnawi)94 auch das altarabische Motiv von „Leila und Madschnun“, ein Epos, das von zwei Liebenden, die nicht zueinander finden, handelt und metaphorisch die menschliche Suche nach dem göttlichen Geliebten abbildet. Späteren Divandichtern galt sein Mesnevi als „Krönung der osmanischen Poesie.“95 Wie viele andere schrieb auch er in drei Sprachen, arabisch, persisch und osmanisch. Auch bei den Werken Fuzulis sind, wie bei vielen seiner Zeitgenossen, mystische und realistische Aspekte so eng miteinander vernetzt, dass man sich fragt, ob dies sinnlich oder übersinnlich gemeint sei.96 Als Vertreter der Tulpenzeit gilt Nedim (1681–1730). In seinen Wein- und LiebesGedichten, die in kunstvollem Persisch verfasst wurden, fehlen die religiösen und mystischen Gedanken, sie sind allein nach dem Genießen des Lebens ausgerichtet. Aus seinem literarischen Schaffen haben wir Kenntnis über das Hofleben in der Tulpenzeit. Nef´i Ömer (1572–1635) war ein Satiriker und verfasste auch Spottgedichte, wodurch er viele Feinde hatte. Er war „ein Meister der persischen Sprache.“97 Auch die osmanische Theologie und Jurisprudenz gehöre zu den „erstaunlichsten Forschungsdesideraten.“98 Über die Geschichte der Theologie in osmanischer Zeit gibt es bislang kaum entsprechende Untersuchungen. Edward Badeen99 hat jüngst diesem Mangel abgeholfen. Er erörtert in seiner Untersuchung die Frage nach dem Verhältnis von asch´aritischer und maturiditischer Lehre in osmanischer Zeit und zeigt auf, wie sich aus diesem Diskurs eine allgemein anerkannte sunnitische Theologie entwickeln konnte, nämlich durch die Harmonisierung von al-Asch´ari und al-Maturidi bezüglich der menschlichen Handlungsfreiheit. Nichtreligiöse Wissenschaften waren kaum von Bedeutung. Wenn auch die osmanische Gesellschaft des 16. Jh. grundsätzlich vom Konservativismus beherrscht war, also der Gedanke eines Fortschritts fremd war, muss man doch bedenken, dass die Kultur der frühmodernen osmanischen Gesellschaft die von ihr selbst gesetzten normativen Rahmen immer wieder sprengte, um den Bedürfnissen einer sich sehr rapide verändernden Zeit zu entsprechen“; daher bezeichnet Neumann das 16. Jh. „als eine Periode dynamischen Wandels.100 Der politische und wirtschaftliche Niedergang des osmanischen Reiches im 18. Jh. hatte auch auf das Literaturschaffen Auswirkung. Nach Faroqhi101 bahne sich schon in der zweiten Hälfte des 17. Jh. „eine Kulturveränderung an“, die dann im 18. Jh. auch Auswirkungen auf das Literaturschaffen hatte. „Eine zunehmende Betonung des Alltagslebens und ein Interesse an den Erlebnissen ´gewöhnlicher´ Menschen begannen sich abzuzeichnen.“ Wurde die Divan-Literatur von der geistigen Elite hervorgebracht, so entwickelte sich die Volksliteratur anhand alttürkischer Mythen und der Derwisch-Mystik weiter. Im 17. Jh. hat sich das Schattenspiel-Theater entwickelt mit der Hauptfigur, dem Karagöz, dem Schwarzauge.102 Als Seemacht spielte natürlich auch die Geographie für die osmanischen Seeflotten eine große Rolle, also die Anfertigung von Seekarten. Hierfür waren Beschreibungen von Ländern, deren Sitten und Gebräuche, greifbar in illustrierten mit Miniaturen versehenen Büchern über diverse Feldzüge des Sultans, unerlässlich.103 Ein für die Kenntnis der Kartographie und Nautik des Mittelmeeres des 16. Jh. bedeutsames

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Werk stellt das Kitab-i Bahriye („Buch über die Wissenschaft der Meere und Technik der Seefahrer“) des osmanischen Seemannes Piri Re ´is (um 1465-1554) dar. Es enthält „mehr als 200 Karten von Inseln, Häfen und einigen Küsten des Mittelmeeres in erstaunlich hoher Qualität.“104 Der osmanische Admiral Sidi ´Ali (gest. 1562) unterscheidet wiederum drei Arten von Karten: jene des indischen Ozeans, des Mittelmeeres und Weltkarten. Seefahrt ist für ihn nur möglich mit Hilfe von Karte, Kompaß, Zirkel, Astrolab oder Quadrant.105 Südosteuropa Wie aus den Katasterverzeichnissen von Südosteuropa hervorgeht, gab es eine große Zahl christlicher Lehensinhaber, die ihr Eigentum in das timar-System umwandeln konnten.106 Gewöhnlich war damit der Verlust des Eigentumsrechtes verbunden, jedoch war das Nutzungsrecht gewährleistet, also die daraus erzielten Einkünfte. Hier drückt sich ein Charakteristikum osmanischer Verwaltung aus, dass man lokale Gewohnheiten in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht möglichst bestehen ließ. Obwohl die Timars grundsätzlich nicht vererbt werden konnten, konnten Kleinadelige im Bereich von Bosnien ihren Familienbesitz erhalten, und so auch vererben. Osmanische Herrschaftsstrukturen waren nicht überall anwendbar. In abgelegenen, schwer erreichbaren Gegenden, z.B. in der nordalbanischen Bergregion, begnügte sich die osmanische Verwaltung mit der formalen Anerkennung des Sultans, der Abgabe von Steuern und dem Militärdienst. In Nordalbanien und in Teilen des Kosovo blieb auch das Gewohnheitsrecht nach dem kanun erhalten. Da dieser zentrale Bereiche des gesellschaftlichen Lebens regelte, wurde das osmanische Rechtssystem überflüssig. Kaser hat sich eingehend mit den Familienstrukturen Balkano-Anatoliens beschäftigt und aufgezeigt, dass durch die lange gemeinsame osmanische Geschichte die Balkanländer und die Türkei Gemeinsamkeiten aufweisen, die darin bestehen, dass die Geschlechterverhältnisse Balkano-Anatoliens „grundsätzlich als zutiefst männerzentriert“ bezeichnet werden müssten.107 Die patriarchale Ausrichtung der Gesellschaft kannte nur männliche Blutsverwandtschaft, aber keine Heiratsverwandtschaft.“ Kaser verweist für das gemeinsame Familien- und Geschlechterbeziehungserbe vor allem auf zwei Aspekte: Einmal waren staatliche Institutionen nur wenig entwickelt, das Interesse des Staates lag in erster Linie darin, Steuern einzutreiben und weniger Familien zu unterstützen. Insgesamt war der südosteuropäische Islam, speziell der bosnische, stark mystisch ausgerichtet, ausgestattet mit diversen gnostischen und synkretistsichen Elementen. Besonders die Bektaschi-Mystiker, die vor allem im albanischen Raum anzutreffen waren, nahmen viele Elemente des Volksglaubens auf. Derwische und Mystiker haben zahlreiche Konvente (tekke, zaviye) gegründet. Es gab auch Frauenorden. Balic108 spricht bezüglich der religiösen Situation von der „bosnischen Doppelgläubigkeit“ und meint damit, dass sich durch die undogmatische Ausrichtung der Mystik unter dem Deckmantel des Islam viele heidnische Bräuche aus vorislamischer Zeit erhalten haben und Christen und Muslimen gemeinsam waren. Vor allem war

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es die Verehrung gemeinsamer Heiliger:109 Der St.-Georgs-, der St. Elias- sowie der Petrus-, Bartholomäus- und der Johannestag wurden auch von Muslimen in irgendeiner Form beansprucht. An diesen Tagen werden magische Handlungen vorgenommen, die mit Fruchtbarkeit in Zusammenhang stehen. Mit dem Bektaschiorden hat sich auch der Ali-Kult verbreitet. Ali wurde mit einer Fruchtbarkeitsgottheit verbunden und verwandelte sich zu Ali-gün, verehrt als Heiliger gleichermaßen von Christen und Muslimen zu Frühlingsbeginn. Damit im Zusammenhang steht auch die Volksdichtung.110 Die in Südosteuropa lebenden Christen wurden vor allem von den Franziskanern betreut. Diese hatten bereits von Mehmet II. Privilegien erhalten, und waren weitgehend von den Steuern befreit; so war es ihnen möglich, ihre Religion ohne Einschränkungen auszuüben und auch Kirchen zu reparieren. Kunst und Architektur Das Spezifische der Formensprache des osmanischen Moscheebaus liegt wohl in ihren „großzügig dimensionierten Kuppelräumen.“111 Als größter osmanischer Baumeister gilt Sinan (1491–1588), der in seiner langen Schaffensperiode als Hofarchitekt vielen Bauwerken seinen Stempel aufgedrückt hat.112 Sein erstes Bauwerk bildete die Prinzenmoschee in Istanbul (1544–1548). Es handelt sich hierbei um eine Anlage, die neben der Moschee mit dem Vorhof und den schlanken Minaretten auch Grabbauten, eine Medrese, eine Grundschule, ein Hospital und eine Armenküche umfasst. Die Moschee selbst trägt eine Hauptkuppel, die an allen vier Seiten von Nebenkuppeln flankiert wird. Ein einzigartiges Bauwerk stellt die Süleymaniye dar, herrschaftlicher Ausdruck der siegreichen Feldzüge Süleymans des Prächtigen (1520–1566) und der eroberten Gebiete und Ländereien. Damit wird sie zu dem Symbol der osmanischen Weltherrschaft. Sie übertrifft bei weitem die Prinzenmoschee, ja ist fast doppelt so groß. In der Inschrift über dem Hauptportal wird die Rolle Süleymans als Weltenherrscher und Beschützer des orthodox-sunnitischen Islams zum Ausdruck gebracht. Legitimiert wird sein Herrscheramt von Gott her. Angeschlossen war auch hier ein ganzer Komplex von Einrichtungen. Handwerker aus den verschiedenen Teilen des Reiches, Muslime wie auch Christen, waren mit der Errichtung dieses Bauwerkes beschäftigt. Das Material wurde auch aus byzantinischen Bauwerken und römischen Tempeln herbeigeschafft. Die Fliesen kamen aus der nordwestanatolischen Stadt Iznik, „deren Töpferwerkstätten sich durch Gefäßkeramik mit Unterglasurmalerei profiliert hatten, die den harten, weißen Scherben und die kobaltblaue Unterglasurmalerei des chinesischen Exportporzellans nachahmte und die traditionellen Blattrankensysteme durch östliche Blumenmotive und da Wolkenband bereichert hatte.“113 Die Moscheeampeln und die kalligraphische Ausstattung der Moschee zeigen weitere Höhepunkte des osmanischen Kunstschaffens. Neben den Blautönen des Fliesendekors tritt hier zum ersten Mal „auch ein leuchtendes Tomatenrot“ auf.114 In den Grabbauten Süleymans und seiner Frau Hürrem beinhaltet der Fliesenschmuck flächenübergreifende Blütenranken. Gerade der

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Fliesenschmuck mit seinem leuchtenden Pflanzendekor verweist auf das himmlische Paradies. Die Basis für die vegetabilen Muster bildeten die osmanischen Gärten mit ihren Blumenreichtum, Tulpen, Nelken, Rosen, Hyazinthen. Sinan erbaute auch diverse Moscheen im Auftrag der Großwesire, die großartigen Fliesendekor, der sich über ganze Wände zieht, aufweisen. Als Sinans Meisterwerk gilt die Selimiye Cami von Edirne, erbaut für Selim II. (1566–1574), dem einzig überlebenden Sohn von Süleyman. Mit diesem Moscheebau soll er die Kuppelausmaße der Hagia Sophia übertroffen haben. Bezüglich der Fliesenausstattung übertrifft sie die Sülemaniye. Gegenüber der Hagia Sophia erhebt sich die Sultan Ahmed Cami, errichtet von Ahmed I., wegen der blauen Ausmalung auch „Blaue Moschee“ genannt. Unter der osmanischen Palastarchitektur ragt der Topkapi Saray hervor.115 Der ganze Komplex gliedert sich in drei hintereinander liegende Baugruppen, die unterschiedlichen Funktionen dienen, Küchentrakt, Staatskanzlei, Schatz- und Finanzverwaltung, Audienzsaal, Palastschule, Räume für die Reliquien Muhammads und der Rechtgeleiteten Kalifen, die Privatgemächer des Sultans mit den Haremsgemächern und der Thronsaal. Feste am Hof wurden in einem eigenen Pavillon gefeiert, das größte war das Beschneidungsfest. Fliesenpaneele mit Arabesken, vegetabilischen Mustern und Koraninschriften durchweben die inneren Räume. Nach dem Niedergang der Fliesenmalerei kommt die bemalte hölzerne Wandtäfelung auf. Mehmed der Eroberer ließ Maler aus Europa an seinen Hof kommen, vor allem aus Venedig, die in der Folge entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung der osmanischen Malerei haben werden. Das Zeitgeschehen wurde als Herrschaftsgeschichte aufgezeichnet; daher entstehen unter den einzelnen Sultanen Chroniken, die die Ereignisse unter dem betreffenden Sultan schildern, ausgestattet mit kostbaren Miniaturen, darunter vor allem auch Kriegszüge. Diese Historienmalerei enthält neben Thron- und Schlachtenbildern auch Hinweise auf Errungenschaften der Zeit. Solche Berichte gibt es in entsprechender Detailausführung auch über das größte Fest im osmanischen Reich, nämlich das Beschneidungsfest am Hof.

Kulturgeschichte der Safawidenzeit (1501–1722) Das Werden eines theokratischen Staates Mit der Dynastie der Safawiden116 beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte des Iran. Die vorausgehenden Jahrhunderte der politischen Fragmentierung und Fremdherrschaft werden von einem einheitlichen Staatsgebilde abgelöst, wobei das religiöse Element, nämlich die Einführung des zwölferschiitischen Bekenntnisses als Staatsdogma, das Land in gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht nachhaltig prägen wird. Dadurch sind auch die Konflikte mit der sunnitischen Bevölkerung und den sufischen Bewegungen vorprogrammiert. Denn der Iran war vor dem Beginn der Safawidenherrschaft mehrheitlich sunnitisch und zum anderen ist der Iran aufgrund der geographischen Lage von sunnitisch geprägten Staaten

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umgeben. Diese politische Grenzziehung erweist sich aber als nicht unüberwindbar, sodass es zwischen diesen Staaten – vor allem in Friedenszeiten - zeitweilig zu einer regen Reisetätigkeit und damit auch zu einem intensiven Kulturaustausch kam. Die Grenzen waren so nicht nur gegenüber dem indischen Mogulreich durchlässig, sondern auch gegenüber dem Reich der Osmanen und jenem der Usbeken in Mittelasien. Gerade auch die weit verbreitete persische Sprache verweist auf diese Kulturkontakte. Schah Ismail (gest. 1524)117 hat das religiös-politische Erbe seines Vaters Haidar, der die Leitung des Ordens der Safawiyya innehatte, übernommen. Mit Scheich Saf, dem Gründer des Safawiyya-Ordens, beanspruchen die Safawiden Abkömmlinge von Ali und Muhammad zu sein, nämlich über den siebten Imam, Musa al-Kam (gest. 799); allerdings ist diese Abstammung nicht erwiesen.118 Wie ist die religiöse Vorstellungswelt dieser Gründerzeit überhaupt zu beschreiben? Roemer spricht von einem „schi´itisch-sunnitischem“ Synkretismus119 bzw. von „Phänomenen des Volksislam.“120 Keddie121 führt aus, dass bereits seit dem 13. Jh. „Elemente des Ali-Kultes und der Zwölfer-Schia in das iranische Sunnitentum eingeflossen waren“, wodurch die Schiitisierung des Iran leichter voranging. Seit der Buyidenzeit (945–1055) – die Buyiden, eine iranische Dynastie, bekannten sich zur Schia - waren die Schreine der Imame in Iran, Maschhad und Qom, und in Iraq, Nadschaf, Kerbela, Samarra und Kazimain zu Pilgerzentren ausgebaut worden. Unter ihrer Herrschaft nahm das Ansehen der Aliden kontinuierlich zu. Die Nachkommen Huseins wurden mit dem Titel sayyid ausgezeichnet, die Nachkommen Hasans dagegen mit dem Titel scharif (Vornehmer, Edler). In der Safawidenzeit konnte sich eine religiöse schiitische Volksliteratur und damit verbundene Frömmigkeitsformen entfalten. Die Einführung der Schia als Staatsreligion wird unter Schah Ismail, der mit Hilfe der Qizilbasch Herrscher des Iran wurde, Wirklichkeit. Die Qizilbasch setzten sich in der Hauptsache aus nomadischen Turkmenen-Stämmen Ost-Anatoliens, Aserbeidschans und des nördlichen Mesopotamiens zusammen. 1501 zog Ismail in Täbriz ein und tritt somit das Erbe der turkmenischen Stammeskonföderationen der Qara Qoyunlu und Aq Qoyunlu an. Von allem Anfang an sind für Ismail „extrem-schiitische Züge“122 belegt, die von seinem Sendungsbewusstsein zeugen, denn er beansprucht nicht nur der Mahdi zu sein, sondern auch die Inkarnation Alis und der zwölf Imame, die vom Volk als göttliche Lichtträger verehrt wurden. Dieser Vergöttlichung Schah Ismails entsprechen auch die extreme Opferbereitschaft der Qizilbasch und deren blinde Gefolgschaft ihrem „göttlichen Führer“ gegenüber. Allgemein kann man in der schiitischen Volksfrömmigkeit beobachten, dass Ali Muhammad bevorzugt und noch dazu vergöttlicht wird (ghulat: Übertreiber). Während Ismail den Anspruch auf göttliche Verehrung erhob, hat er gleichzeitig die zwölferschiitische Richtung, der solches Denken fremd ist, durchgesetzt. Politisch bedeutet dies die Errichtung einer „schi´itischen Theokratie“, „in der er als Gottkönig herrscht.“123 Seine Identität als Herrscher basierte auf folgenden Konstanten: einmal auf der alten persischen Königsidee mit dem traditionellen Königstitel schahanschah („König der Könige“) und der Vorstellung vom König als „dem Schatten Gottes

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auf Erden.“ Als Oberhaupt des Safawiyya-Ordens erhob er auch Anspruch auf den Gehorsam seiner Gefolgsleute. Die Safawiden vereinigten so geistliche und weltliche Gewalt in einer Person, wie ehemals das Konzept des Kalifats. Als Ordensmeister wird es den Safawiden jedoch nicht gelingen, auch die sufische Tradition des Safawiyya-Ordens im Staatsganzen zu verankern, im Gegenteil, diesbezüglich wird die Safawidendynastie keinen Erfolg haben, vielmehr werden sie der Zwölferschia zum Durchbruch verhelfen. Denn im Laufe der Zeit wurde Schah Ismail immer „konservativer und näherte sich immer mehr der religiösen Orthodoxie.“124 Der Großteil der Bevölkerung Irans und Afghanistans war zur Zeit Ismails noch sunnitisch. Doch werden die Sunniten Irans in diesem sich anbahnenden schiitischen Milieu immer mehr ausgegrenzt, verfolgt und zwangsbekehrt. In den Jahren 1501–1524 eroberte Ismail den westlichen Teil des Iran (Aq Qoyunlu) mit seinen wichtigsten (sunnitischen) Zentren, Isfahan und Schiraz, Yazd und Kerman, dann das Zweistromland mit Bagdad. Nach seinem Sieg über die Usbeken kam auch der Osten des Iran (Chorasan) unter safawidische Herrschaft. Die Auseinandersetzung um diese Gebiete sollte in den folgenden Jahren andauern und sehr wechselhaft verlaufen. Mit seinen Eroberungen erweckte er den Eindruck eines unbesiegbaren Herrschers. Erst der osmanische Sultan Selim I. hatte ihm 1514 eine vernichtende Niederlage beigebracht. Denn die Osmanen verfügten bereits über eine Artillerie und damit über Feuerwaffen, während die Qizilbasch auf ihre Bögen und Pferde vertrauten. Religiöse Motive spielten bei diesen Kämpfen mit den Osmanen vermutlich nur eine sekundäre Rolle, eher ging es um den Machterhalt bzw. um die territoriale Ausweitung des Herrschaftsgebietes und somit um den damit verbundenen politischen Einfluss. Die Niederlage, die Ismail von den Osmanen erfuhr, hatte auch Auswirkungen auf seine Ansprüche als alidischer Nachkomme, denn nun konnte er sich nicht mehr glaubwürdig als Mahdi proklamieren, vielmehr nur mehr als dessen „legitimer Stellvertreter und Sachwalter“ und damit als „geistliches Oberhaupt der Schia.“125 Allerdings hat er die religiösen Agenden an einen Stellvertreter delegiert, den Sadr (Spitze, Oberhaupt). Ihm kam die Aufsicht über das Rechtswesen und die Frommen Stiftungen (waqf) zu und auch das Wächteramt über den schiitischen Klerus und die zwölferschiitische Lehre. Damit schuf er einen Gegenpol zu den extremistischen Ansichten der Qizilbasch. Über den weltlichen Ämtern des Hof- und Reichsrates (Kronrat) steht so das geistliche Amt des Sadr. In den Städten wurden regionale religiöse Oberhäupter (scheich al-islam), Richter (qadi) und Vorbeter für die Moscheen eingesetzt. Jedoch fehlte diesen noch eine einschlägige Ausbildung im zwölferschiitischen Recht und in der Lehre. Als Wächter über die reine Lehre gingen sie auch gegen die extremistischen Ansichten der Qizilbasch vor. Der Kronrat setzte sich insgesamt aus den Gouverneuren in den Provinzen sowie den höchsten Beamten, dem Großwesir, den Befehlshabern der Reitergarde, der Königsknappen und des Artilleriekorps sowie dem Staatsschreiber und dem Reichsfinanzminister zusammen. Trotz seiner Herrschaftsausübung blieb Schah Ismail der Ordensmeister der Safawiden. Da er selbst nicht nur turkmenische, sondern auch iranische Vorfahren hatte,

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lag es auf der Hand, die beiden Völkerschaften, über die er nun herrschte, Turkmenen und Iraner auch zusammen zu führen, um so auch die politische und gesellschaftliche Einheit des Staates zu gewährleisten. Hatten die turkmenischen Qizilbasch die militärischen Ämter inne, so die Iraner neben der Zivilverwaltung auch geistliche Ämter für die Verwaltung der Frommen Stiftungen und Wohlfahrtseinrichtungen.126 Bereits Schah Ismail beginnt, dieses starre Schema aufzubrechen, indem er höchste militärische Ämter auch den Iranern zugänglich macht. Grundsätzlich waren die turkmenischen Stämme nomadisierende Viehzüchter und Krieger; während sich die alteingesessene iranische Bevölkerung auf dem Lande aus Bauern zusammensetzte, machten die städtische Bevölkerung Handel- und Gewerbetreibende aus. Bei beiden nach Stämmen gegliederten Volksgruppen kam es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, Intrigen und Rivalitäten. In Anatolien wechselten immer mehr Turkmenen auf die Seite Ismails und damit auf die Seite der Qizilbasch, obwohl sie osmanische Untertanen waren. Von osmanischer Seite versuchte man diese Abwanderung der Qizilbasch zu stoppen bzw. sie umzusiedeln. So kam es zu einem Aufstand der Qizilbasch in Anatolien, wobei auch soziale Aspekte eine Rolle spielten. Gerade diese Aufstände und der Aufstieg des Safawidenstaates belasteten die Beziehungen zwischen den Osmanen und Safawiden.127 Die Regierungszeit Schah Tahmasp (1524–1576) kennzeichnen nicht nur militärische Auseinandersetzungen mit den Usbeken, sondern auch mit den Osmanen. Im Gefolge dieser Konflikte geht das Zweistromland an die Osmanen verloren. Da nun der Iraq und damit auch die wichtigsten Schreine der Zwölferschia, aber auch Mekka und Medina zur osmanischen Herrschaft gehören, dienten diplomatische Kontakte zwischen diesen beiden Staaten auch dem Ziel, dass die Pilger ungehindert diese Stätten außerhalb des iranischen Territoriums aufsuchen konnten. Wiederholte Besetzungen der Hauptstadt Täbriz durch die Turkvölker, veranlassten den Schah, die Hauptstadt nach Qazwin zu verlegen; damit rückte der Mittelpunkt des Reiches weg vom turkmenischen Gebiet hin zum iranischen Hochland und gewinnt so seine heutige Gestalt.128 Auch Schah Tahmasp neutralisierte immer stärker den Einfluss der turkmenschen Militäraristokratie, indem er auch Georgier und Tscherkessen in die Garde der Leibwächter aufnahm. Gleichzeitig ist auch er zugunsten der orthodoxen zwölferschiitischen Lehre gegen das extremistische schiitische Gedankengut vorgegangen. Zu diesem Zwecke ließ er die zentrale Literatur der Zwölferschia, die in arabischer Sprache vorlag, ins Persische übersetzen. Arabische Gelehrte hat man aus den bedeutendsten schiitischen Zentren des arabisch sprachigen Westens an den Hof geholt: von der arabischen Golfküste, dem Südlibanon und dem Südirak. Newman hat die gängige Sichtweise, wonach eine große Anzahl von zwölferschiitischen Gelehrten der Einladung der Safawidenherrscher gefolgt sei, in Frage gestellt. Denn die großen zwölferschiitischen Zentren befanden sich während des 16. Jh. außerhalb des Iran. Und hier wurde das safawidische Schiitentum durch seine extreme Ausrichtung im Allgemeinen kritisiert.129 Aber gerade diese importierten Gelehrten waren es, die die extreme Variante der safawidischen Schia bändigten und sie kontinuierlich hin zu einer orthodoxen Form, nämlich der zwölferschiitischen führten.

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Gleichzeitig erfuhr der Sufismus eine immer stärkere Ausgrenzung, wovon auch der Safawiyya-Orden betroffen war. Schah Tahmasp war aufgrund seiner Förderung der zwölferschiitischen Richtung nicht nur gegenüber den Nicht-Muslimen, sondern auch gegenüber den Sunniten intolerant eingestellt. Im Zuge mehrerer Kriegszüge gegen das christliche Georgien zerstörte er deren Kirchen, tötete die männliche Bevölkerung und die Priester und versklavte Frauen und Kinder.130 Abbas, „der Große“ (1588–1629) Nach Yarshater131 war Abbas, der Große, „the chief architect oft he modern Iranian state“. Es gelang ihm, die unter seinen Vorgängern verlorengegangenen Gebiete wieder zurückzuerobern, wodurch das Reich unter seiner Herrschaft die größte Ausdehnung erreichte: den Usbeken entriss er Chorasan, den Osmanen Teile des Zweistromlandes und Ost-Anatoliens, auch mit den Mogulkaisern Indiens gab es in Westafghanistan territoriale Auseinandersetzungen. Vor allem im Zweistromland kam es zur Verfolgung der Sunniten und zur Zerstörung von Mausoleen sunnitischer Gelehrter. Die Gegensätze zwischen Land und Stadt, Nomaden und Sesshaften waren auch unter Abbas I. allgegenwärtig. Turkmenische Emire rivalisierten untereinander, sodass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam. Schah Abbas I. drängte daher den militärischen, politischen und gesellschaftlichen Einfluss der turkmenischen Qizilbasch weiter zurück.132 Unter den militärischen Reformen, die Abbas I. in die Wege leitete, ist vor allem die Aufstellung neuer safawidischer Streitkräfte mit Artillerie-, Infanterie- und Kavallerie-Einheiten zu nennen. Bislang waren Ismail und Tahmasp auf die Streitkräfte der Stämme angewiesen, denen als Besoldung Lehensrechte überlassen wurden, die nicht nur für die Zeit des Militärdienstes übertragen wurden, sondern schlussendlich erblich wurden.133 Die Elitetruppe („Königsknappen“) rekrutierte sich – analog zu den Janitscharen bei den Osmanen - aus den Nachkommen gefangengenommener christlicher Georgier, Tscherkessen und Armenier und deren Nachkommen. Königsknappen konnten in hohe Ämter aufsteigen, als Statthalter oder als Kommandeure turkmenischer Truppen. Da sie ihren Sold aus den Abgaben der Kronländer, die direkt dem Schah unterstanden, bezogen, wurden immer mehr Ländereien in Kronland umgewandelt und Königsknappen zu deren Verwaltung eingesetzt. Im Unterschied zu den Qizilbasch, die ja die Ländereien als Lehen zugewiesen bekamen, lebten die Königsknappen nur von deren Steueraufkommen. Die Folge war eine höhere Steuerlast für die Bauern, womit eine Verarmung einherging.134 Das Neue an diesen Verbänden war nun, dass sie nicht mehr nach Stämmen gegliedert waren, wodurch sie eine gewisse Unabhängigkeit von der turkmenischen Militäraristokratie erlangten.135 Isfahan wird neue Hauptstadt und kulturelles Zentrum des Reiches. Verkehrswege werden ausgebaut, ein Netz von Karawansereien wird eingerichtet, die nach Roemer136 „zu den charakteristischen Merkmalen der persischen Kulturlandschaft“ gehören. Architekten, Künstler und Handwerker schufen in Isfahan den spezifisch

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safawidischen Stil. Der Handel diente nur dazu, um den Reichtum der Regierung zu vermehren: „Unter Abbās I. bestand für praktisch alle produktiven Investitionen und Manufakturen ein königliches Monopol“ mit dem Ziel, Luxusgüter für den Hof herzustellen.137 Bekannt ist Abbas I. auch für seine Toleranz Juden und Christen gegenüber, indem er ihnen ihre Religionsausübung gestattete, aber auch neue Sakralbauten errichten ließ. Aber er unterschied zwischen einheimischen Nicht-Muslimen und den fremden Katholiken. Letztere bevorzugte er aus politischen und wirtschaftlichen Interessen.138 Grenzen allerdings fand seine Toleranz gegenüber Sunniten, ob Untertanen oder Kriegsgefangene. Aber auch Theologen und Anhänger häretischer Bewegungen waren vor Verfolgungen nicht gefeit. Mit Abbas I. beginnt eine Praxis, derer sich auch die osmanischen Herrscher ab einer gewissen Zeit bedienten, indem sie die Prinzen nicht in den Provinzen erziehen ließen, vielmehr verbannte man diese in den Harem, eine Praxis, die letztendlich auch zum Zerfall des Safawidenreiches beitragen wird, denn die Prinzen verfügten über keinerlei Erfahrung mehr, wie ein Reich zu verwalten ist. Abbas I. legte großen Wert darauf, dass er Ordensmeister und damit „geistlicher Führer“ des Safawidenordens ist.139 Um seinen Anspruch als alleiniger Vertreter des „Verborgenen Imams“ zu betonen, musste Schah Abbas I. den Einfluss der radikalen Qizilbasch endgültig ausschalten.140 Aber auch Angehörige der Derwischorden wurden verfolgt, ja Sufi wurde gleichbedeutend mit „Ketzer“, wobei darunter auch die safawidischen Sufis, als deren „geistiger Führer“ er sich verstand, zu leiden hatten. Er förderte die orthodoxe Zwölferschia dadurch, dass er seinen Privatbesitz an Immobilien zu Stiftungsgütern (waqf) umwidmete.141 Der Gewinn wurde für Rechtsgelehrte und Studenten, für Bildungseinrichtungen des schiitischen Rechts und für Moscheen verwendet. Schiitische Gelehrte und alidische Abkömmlinge bekamen staatliche Zuwendungen, was zu einem Zuwachs an ökonomischer Macht und gesellschaftlichem Einfluss der religiösen Würdenträger führte. Auch reichere Schiiten haben solche Stiftungen errichtet, vor allem in den Pilgerzentren des Iraq. Als juristische Gutachter, Notare und Verwalter der Stiftungen sammelte sich ein ungeheurer Reichtum auf ihrer Seite an. Maschhad und Qom blühten als Gelehrtenzentren auf. Seit Schah Abbas I. wird der Zentralismus des Staates immer mehr ausgebaut, autonome Provinzverwaltungen werden aufgelöst, Ländereien werden zunehmend in Kronland umgewandelt und dem Schah direkt unterstellt. Um die Stellung der religiösen Würdenträger zu stärken, wurde eine große Anzahl von Ländereien zu Stiftungsland. Schah Abbas I. schuf ein einheitliches Münzwesen und reformierte das Pacht- und Steuersystem. Bis zu seiner Zeit war es für europäische Handelstreibende möglich, mit fremder Währung zu bezahlen. Später mussten die europäischen Münzen umgetauscht werden, sie wurden eingeschmolzen und daraus wurden persische Münzen geprägt. Unter den Safawiden herrschte die Silberwährung mit einem hohen Feingehalt vor. Goldmünzen wurden vom Schah nur als Geschenke vergeben.142 Auf Abbas folgt sein Enkel Schah Safī I. (1629–1642), denn von Abbas I. Brüdern und Söhnen stand keiner mehr zur Verfügung, entweder wurden sie getötet oder

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geblendet und waren deshalb für das Amt des Königs untauglich. Auch Schah Safi machte alle königlichen Prinzen unschädlich, indem er sie blenden oder ermorden ließ. Auch andere Hofbedienstete ereilte ein ähnliches Schicksal. Territoriale Auseinandersetzungen vor allem mit den Osmanen waren ständig im Gange, schlussendlich aber gelang es den Osmanen 1639, Bagdad und damit das Zweistromland endgültig unter ihre Herrschaft zu bringen. Damit waren die Imamgräber in Irak, Nadschaf, Kerbela, Kazimain und Samarra wieder unter einer Fremdherrschaft und beliebter Zufluchtsort für den schiitischen Klerus. Andererseits wurden die schiitischen Heiligtümer in Iran, Maschhad und Qom, aufgewertet. Unter Schah Safi schwand die Rolle des Schah als Ordensmeister immer mehr, wohl aber war er in der Sicht seiner Untertanen noch immer Träger von übernatürlichen Kräften. Das Hofzeremoniell und die höfische Prachtentfaltung nahmen immer exzentrischere Auswüchse an. Auf der anderen Seite hatten Städter, Händler und Bauern eine hohe Steuerlast zu tragen, wobei die Hauptlast den Bauern zukam, da sie oft noch von den Steuereintreibern der Regierung ausgebeutet wurden. Obwohl die Soldaten Sold bekamen, statteten ihre Führer sie mit Lehen, die dann in Privateigentum übergingen, aus. Die Folge war, dass die lokalen Lehensherren immer unabhängiger agierten und sich weigerten, die Steuern an die Zentralregierung abzuliefern. Daraufhin erhöhten diese wiederum die Besteuerung ihrer Ländereien, wodurch die landwirtschaftliche Produktion zurückging und die Landbevölkerung verarmte.143 Intrigen und Bestechlichkeit waren an der Tagesordnung und trugen zum Verfall der Moral bei den Truppen bei. Die tatsächliche Macht lag in den Händen des Großwesirs, der Königsmutter und der schiitischen Geistlichkeit. Letztere versuchte der luxuriösen Prachtentfaltung und dem übermäßigen Alkoholkonsum des Hofes entgegenzuwirken. Das Safawidenreich beginnt immer mehr durch wirtschaftliche Stagnation, politische Fragmentierungen und gesellschaftliche Gegensätze zu verfallen. Trunksucht, Grausamkeit und der Hang zu exzessiver sexueller Aktivität setzten sich am Hofe fort. Unter Sultan Husain Schah (1694–1722) schreitet die gewaltsame Schiitisierung des Iran voran. Er setzte dem fanatischen Eifer der Religionsgelehrten keinen Widerstand entgegen, eine Entwicklung, die zu Denunziantentum und damit zu gesellschaftlichen Konflikten führte. Ziel war es, den schiitischen Islam als alleiniges Bekenntnis Persiens durchzusetzen. Dazu wird die gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht des zwölferschiitischen Klerus beitragen. Zwangsbekehrungen von Juden, Christen und Zarathustriern waren die Folge. Persien kam ab 1722 unter die sunnitisch afghanische Herrschaft. Dieses Ereignis besiegelte das Ende der Safawidenherrschaft. Die Unabhängigkeit Irans hat dann Nadir Khan (1736–1747) aus dem Turkmenenstamm der Afschar, die den Qizilbasch zugehörten, hergestellt. 1736 ließ er sich zum Schah krönen. Sein Ziel war es, den Anspruch der schiitischen Gelehrten in Schranken zu weisen, ihren wirtschaftlichen Einfluss zu schwächen und gleichzeitig auch die Spaltung zu überwinden. Die Schia sollte als gleichberechtigte fünfte neben den vier sunnitischen Rechtsschulen gel-

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ten.144 Der schiitische Klerus erlebte dies als eine Verfolgung. Diverse Ulema suchten im osmanisch beherrschten Irak, bei den schiitischen Heiligtümern Zuflucht. Nadir Schah wurde 1747 ermordet, die Folge waren Unruhen, Wirren und Nachfolgekämpfe zwischen den Safavidenprinzen, den Afghanen, zwischen Stammesführern und militärischen Gruppierungen. Perry145 bezeichnet die letzten fünfundsiebzig Jahre bis zum Ende des 18. Jh. „als einen Sumpf der Anarchie.“ Diverse Prätendenten auf den Thron tauchen auf und beanspruchen die Herrschaft, werden von einer Gruppe als Schah eingesetzt, von einer anderen ermordet, die Nachkommen werden geblendet und sind damit für das Amt untauglich. So hat es bis 1773 safawidische Teilherrschaften und Schattenkönige gegeben.146 Einzig in Südiran hat sich mit der iranischen Dynastie der Zand (1751–1794) ein Staatswesen herausgebildet, das für Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität sorgte und die Zwölferschia förderte. Schiras war der Mittelpunkt des Reiches und erlebte eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Nach dem Ende der safawidischen Herrschaft wird das Königtum von den Qadscharen, die das Reich wieder einigten, weitergeführt werden. Zusammenfassend kann resümiert werden, dass nicht nur das zentralistisch angelegte Herrschaftssystem, das in der Folge das Erstarken lokaler Gewalten (Stammesführer) mit sich brachte, sondern auch die Zerrüttung der Wirtschaft, der Zerfall der militärischen Streitkräfte und nicht zuletzt auch der Lebenswandel des Herrscherhauses zum Untergang der safawidischen Herrschaft beitrugen. Der Rückgang des europäischen Handels im Vorderen Orient wirkte sich auch negativ auf den Seidenhandel aus. Gegenüber der ständig schwindenden staatlichen Macht nahm die soziale und wirtschaftliche Macht des Klerus zu; ausschlaggebend war nicht nur die Verwaltung der Stiftungsgüter, sondern auch deren „enge verwandtschaftlichen Beziehungen zur lokalen Grundbesitzerschicht und zum handwerklich-gewerblichen Mittelstand der Städte, den bāzārīs, deren Interessen sie gegen die ferne Zentralmacht und ihre Steuerbeamten vertraten.“147 Frauen in der safawidischen Gesellschaft Nach Szuppe148 gebe es keine direkten Informationen darüber, dass in der weiblichen Bevölkerung der Städte auch weibliche Poetinnen, Künstlerinnen oder religiöse Gelehrtinnen vertreten waren, wohl aber lassen die Primärquellen darauf schließen, dass die literarische, künstlerische und religiöse Sphäre Bereiche waren, wo auch Frauen teilnehmen konnten und sogar Bedeutung erlangten. Anders verhält es sich mit den Frauen der safawidischen Dynastie. Sie erhielten eine gute Erziehung und erfreuten sich finanzieller Unabhängigkeit, und konnten als Patroninnen von Kunst und Architektur sowie von charitativen Einrichtungen fungieren. Sie partizipierten auch bei Jagdveranstaltungen, militärischen Expeditionen und Staatsangelegenheiten teilnehmen. Frauen konnten sich auch aktiv in der Politik betätigen und sogar Regierungsämter übernehmen. Im 16. Jh. wurde den königlichen Frauen ein noch größerer Spielraum in der Gesellschaft gewährt, indem sie

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als Partnerinnen angesehen werden. Durch das Anwachsen der iranisch-islamischen Tradition im 18. Jh. veränderte sich auch der Status dieser Frauen, indem sie mehr aus der Öffentlichkeit verdrängt und auf den Harem beschränkt werden. Ähnliche Folgerungen legen auch europäische Reiseberichte nahe, denen zu entnehmen ist, dass die persischen Frauen in der Anfangszeit kaum verschleiert waren, auch nicht in der Stadt. Keddie149 stellt die Frage, ob nicht die zunehmende Verschleierung der Frauen in der Stadt in der safawidischen Zeit und später auf den Einfluss der Ulema zurückzuführen ist? Europa und das Safawidenreich Zeitweilig kam es zu vielfältigen diplomatischen Beziehungen des Safawidenstaates zu den umliegenden Reichen, jenem der Osmanen, Usbeken und vor allem jenem der Moghuln in Indien. Da das Safawidenreich mit letzterem kaum nennenswerte kriegerische Auseinandersetzungen hatte, waren gerade zwischen diesen beiden Staaten der diplomatische Verkehr und der kulturelle Transfer sehr ausgeprägt. Von allem Anfang an bis in die Zeit der Afghanenherrschaft gab es auch rege diplomatische Beziehungen von den europäischen Staaten zu den Safawiden.150 Dies hängt damit zusammen, dass es zwischen Europa und Persien gemeinsame Interessen gab. Einmal ging es um eine Allianz gegen den gemeinsamen Feind, nämlich gegen die Osmanen. Unter Schah Ismail war es vor allem Venedig, das Bündnispartner gegen die osmanische Seeherrschaft im Mittelmeer suchte und diese bei den Safawiden zu finden hoffte. Eine weitere europäische Macht war Portugal. Obwohl dieses die Insel Hormuz zu einem portugiesischen Vasallenstaat ausgebaut hatte, hatte Schah Ismail versucht, auch Portugal zu einem Bündnispartner für den Kampf gegen die Osmanen zu gewinnen. Allerdings waren sämtliche Bemühungen von safawidischer Seite ohne Erfolg, weil europäische Mächte mit den Osmanen immer wieder Frieden schlossen. Das zweite gemeinsame Interesse lag in den Handelsbeziehungen, vor allem im Seiden- und Tuchhandel, der unter das Monopol des Schah fiel, daher mussten die Händler mit dem Schah Handelsverträge abschließen, was zu Niederlassung von europäischen Handelsgesellschaften führte.151 Seit Schah Abbas I. gab es auch Christen, die persische Ämter innehatten, vor allem im Bereich des Kunsthandwerkes und als Dolmetscher. „Das Uhrmacherwerk gehörte unter den Safawiden“, schreibt Schuster-Walser, „zu den hoch geachteten Künsten des Abendlandes.“152 Uhren gehörten daher zu den bevorzugten Geschenken, die Europäer dem Schah überbrachten. Auch Angehörige verschiedener christlicher Orden haben sich im Laufe der Zeit am Hofe der Safawiden niedergelassen, oft als Vertreter europäischer Fürsten, besonders aber betätigten sie sich als Dolmetscher am Hofe: die Augustiner als Vertreter der spanisch-portugiesischen Krone, die Kapuziner wiederum vertraten den König von Frankreich beim Schah, die Dominikaner die portugiesische Krone. Der Britischen East India Company, die in Schiras und Isfahan vertreten war, gelang es die Portugiesen zu verdrängen. Dadurch beherrschten in der Folgezeit

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England und Holland den Handel im Persischen Golf und gründeten wichtige Handelsniederlassungen. Später wurden auch die Handelsbeziehungen mit dem zaristischen Russland intensiviert. Den Handelsgesellschaften wurden diverse Privilegien gewährt, wie etwa freier Handel im ganzen Land, eigene Gerichtsbarkeit und freie Religionsausübung. Die europäischen Handelsniederlassungen kauften vor allem Seiden- und Tuchwaren, aber auch Gegenstände des Kunsthandwerkes wie Keramikund Metallwaren. Sie importierten nach Persien Gewürze, Zucker und Textilien. Diese abendländischen Handelsniederlassungen trugen zu einer gewissen Öffnung Irans dem Abendland gegenüber und in der Folge zu einem Kulturaustausch bei. Europäer besuchten den Iran, zeichneten ihre Erlebnisse und Beobachtungen auf und veröffentlichten diese. Diese Reiseberichte sind so ein „unentbehrliches Quellenmaterial.“153 Die Schia Das 16. und 17. Jh. war nach Halm154 noch von einer Pluralität von geistesgeschichtlichen Strömungen beherrscht: auf der einen Seite die exzentrischen Anschauungen der Qizilbasch, die unterschiedliche Ausrichtung der Derwischorden und die philosophischen, mystischen und gnostischen Strömungen der Schule von Isfahan mit ihrer antiklerikalen Einstellung; auf der anderen Seite die schiitischen Gelehrten, die in Achbaris (chabar, pl. achbar: Überlieferung)155 und Usulis (asl, pl. usul: Prinzip)156 gespalten waren. Im 18. Jh. wird dann diese Vielfalt schwinden. Einer der letzten großen Universalgelehrten sei nach Halm157 Schaich Baha´i gewesen, der am Hofe Akbars in Isfahan wirkte. Er war Mathematiker und Logiker, Astronom und Alchemist, Architekt, Poet und Jurist. Sein Rechtskompendium, dem noch immer Aktualität zukommt, widmete er Schah Abbas I. Unter seiner Regierung hatte er das Amt des Scheych al-Islam von Isfahan inne. Für Halm sei dies „kennzeichnend für das damals noch weltoffene Schiitentum zumindest des Hofes.“158 Im Laufe des 17. Jh. bildet sich unter den schiitischen Gelehrten so etwas wie eine schiitische Opposition heraus, die dem Schah den Anspruch, den Verborgenen Imam zu vertreten, strittig machte. Aufgrund ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Stellung erlangten sie in der Gesellschaft einen immer größeren Machtzuwachs. Gleichzeitig schwand der Einfluss des Sadr. Das Problem hinter diesem Machtkampf war, dass sich die Könige nur auf ihre alidische Abstammung berufen konnten, aber weder eine Qualifikation bezüglich Gelehrtheit, noch ein dementsprechendes sittliches Leben vorweisen konnten159. Die Stadt Hilla am Euphrat entwickelte sich während der Mongolenzeit zu einem der bedeutendsten schiitischen Zentren. Allama al-Hilli (gest. 1325) hat die theoretischen Grundlagen für die eigenständige Rechtsfindung aufgrund eigener rationaler Anstrengung (idschtihad, v. idschtahada: sich anstrengen, abmühen) gelegt. Die späteren schiitischen Gelehrten werden auf seinen Grundprinzipien weiterbauen. Mudschtahid (w.: einer der sich anstrengt, abmüht) ist dann jemand, der mit Hilfe

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von idschtihad eigenständige verbindliche Entscheidungen in rechtlichen und kultischen Fragen trifft.160 Bei dieser rationalistischen Methode der Rechtsfindung findet der kalam, die Methode, mit der die rationalen Theologen, die Mu´tazliten arbeiteten, seine Fortsetzung. Innerhalb der Entwicklung des sunnitischen Denkens wurde der kalam als nicht-islamisch und damit als „Neuerung“ (bid´a) ausgewiesen; im zwölferschiitischen Denken fand er jedoch seine Fortsetzung. Eines der wesentlichsten Merkmale dieser Methode nach Allama al-Hilli besteht in der Fehlbarkeit der autorisierten Gelehrtenschaft; Unfehlbarkeit kommt dagegen nur dem „Verborgenen Imam“ zu. Daher kann der Mudschtahid auch seine einmal getroffene Entscheidung wieder zurücknehmen. Dadurch konnte der schiitische Klerus als Stellvertreter des Imam durchaus flexibel – ohne am Buchstaben haften zu bleiben – auf Gegenwartsfragen reagieren.161 Mit dem Gelehrten al-Karaki aus der libanesischen Bekaa-Ebene kam unter Schah Tahmasp die rationalistische Tradition von Hilla nach Persien. Gegenüber den Achbaris hat sich sodann die von al-Karaki vertretene rationalistische Methode (kalam) mit dem Prinzip des idschtihad durchgesetzt. Die Ahbaris, die sich ausschließlich auf die Traditionssammlungen (Hadithe) stützen, haben den Anspruch der rationalistischen Schule von Hilla auf die Stellvertreterschaft des Verborgenen Imams bestritten. Sie anerkannten nur den Koran und die Überlieferungen der Imame als autoritativ an.162 Aber auch bislang dem Verborgenen Imam vorbehaltene Rechte wurden nun auf die schiitischen Gelehrten übertragen: die Leitung des Freitagsgebetes und die Erhebung der Bodensteuer im eroberten Land; weiter die Unterstützung einer weltlichen, wenn auch unrechtmäßigen Herrschaft, denn nach zwölferschiitischer Lehre ist jegliche Herrschaftsausübung dem Mahdi vorbehalten. Damit hat Karakis Lehmeinung nicht nur zur Legitimierung der Safawiden-Dynastie beigetragen, sondern führte auch zu einer Entwicklung, an deren Ende sich das Selbstverständnis des schiitischen Gelehrtenstandes als kollektiver Stellvertreter des Verborgenen Imams herausbildete. Entscheidend für diese Entwicklung war die Zurückdrängung der Volksreligiosität der Qizilbasch. Damit ging ein Bedeutungswandel des Wortes Sufi einher: „ursprünglich eine Ehrenbezeichnung für einen treuen Gefolgsmann und Krieger der Safaviden“, später Bezeichnung für einen „Häretiker“.163 Warum hat von allem Anfang an gegenüber dem Anspruch der Safawiden als „Vertreter des Verborgenen Imams“ niemand seine Stimme erhoben? Momen164 verweist hierbei vor allem auf die Alliance zwischen dem Staat und den schiitischen Gelehrten. Der Staat unterstützte die Ulema, indem er die Durchsetzung der Zwölferschia förderte, während die Ulema sich gegenüber dem Anspruch des Schah ruhig verhielten. Unter der Herrschaft Schah Sultan Husains wirkte jener Gelehrte, der bei der gewaltsamen Schiitisierung des Iran eine herausragende Rolle spielte, Mohammed Baqir Madschlisi (1627–1700). Als „eine Art Großinquisitor betrieb er die Säuberung der Schia in Iran von jeder Spur von ūfitum, Philosophie und Gnosis.“165 Er selbst hat die Aussprüche Muhammads und der Imame (Imamtraditionen) in seinem

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monumentalen Werk der „Lichtermeere“ (Bir al-anwār) zusammengestellt. Dieses Traditionsmaterial dient bloß als Richtschnur für die rationalistische Methode (kalam) der selbstständigen Rechtsfindung.166 Auf sein Betreiben hin werden religionsgesetzwidrige Missbräuche verboten. Auch die Sufis, Juden, Christen und Sunniten waren gleichermaßen von Restriktionen betroffen. Möglicherweise auch Angehörige der Safawiyya, deren Scheich der Schah selbst war. Andererseits kommt Madschlisi auch das Verdienst zu, dem Schiitentum volksreligiösen Charakter verliehen zu haben.167 Er förderte zu diesem Zwecke insgesamt die Verehrung der Imame und viele spezifische schiitische Rituale, z.B. das Weinen und Klagen um Husein, den Gräberbesuch der Imame und deren Abkömmlinge. Er betont weiter den soteriologischen Aspekt des Schiitentums, nämlich die Funktion der Imame als Mittler und Fürsprecher. Er schrieb außerdem viele theologische und historische Werke in persischer Sprache, aber auch Handbücher für Rituale, sodass gerade er viel zum Verständnis und zur Verbreitung der schiitischen Volksreligiosität beitrug. Am Ende der Safawidenzeit wird dann diese Volksreligiosität aufgrund der unsicheren Zeitumstände an den schiitischen Schreinen stark anwachsen. Der eigentliche „Begründer“ der zwölferschiitischen Orthodoxie war aber Vahid Behbehani (1705–1790) in Kerbela. Sein Einsatz für die Durchsetzung der Usuli-Schule hatte zur Folge, dass die Gegner mit einer anderen Lehrmeinung zu „Ungläubigen“ (kafir) erklärt wurden. Mit dieser Methode ist die Zwölfer-Schia „vor allem im 19. Jh. rigoros von allen konkurrierenden älteren Traditionen (Mystik, Gnosis, Chiliasmus) wie auch von ´ketzerischen´ Neuerungen (Scheikhismus, Bābismus, Bahā´ismus) gesäubert worden.“168 Nach Halm sei das Interregnum zwischen dem Sturz der Safawiden 1722 und der Errichtung der Qadscharenherrschaft 1796 jene Zeit, „in der der schiitische Klerus in Iran die Form annahm, in der wir ihn seither kennen.“169 Voraussetzung hierfür war, dass nur die Safawiden eine Abstammung von den Imamen nachweisen konnten, andere Anwärter auf den Thron nicht. Weiter, dass schiitische Gelehrte in Zeiten der Verfolgung bei den schiitischen Schreinen des Iraq Zuflucht finden und so sich neu formieren konnten. Ein letzter Grund war nach Halm der Sieg der Usulis über die Ahbaris, denn die Usulis ersetzten die Autorität der Tradition „durch die lebender Menschen“, d.h. der verborgene Imam wird durch eine kollektive Stellvertreterschaft170 vertreten. Ahbaris und Derwische wurden vor allem in Kerbela, aber auch in anderen Städten Iraks, wo sich Schreine befanden, verfolgt und kontinuierlich vertrieben. Basra ist neben der Insel Bahrain bis heute Zufluchtsort für die Ahbaris geblieben. Im Zentrum der schiitischen Religiosität stehen die ersten zehn Tage des Monats Muharram mit dem Aschura-Ritual am Aschura-Tag, den 10. Muharram, dem Todestag Huseins.171 Um dieses Fest gruppieren sich diverse Buß- und Trauerrituale, die zum Ziel haben, am Leiden Huseins teilzunehmen und somit die Sünden der Schiiten aber auch eigene Sünden zu büßen. Nach Halm172 bildet das Weinen am Grab Huseins in Kerbela „die älteste Form des schiitischen Rituals.“ Die Elegie, die Klage um den Märtyrertod Alis und Huseins bzw. sämtlicher Imame, die nach schiitischer Hagiographie alle des Märtyrertodes gestorben sind, und die Prozessionen mit den

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Brustschlägern und verschiedene Gruppen von Geißlern sind die beiden ältesten Formen des Buß- und Klagerituals, wofür es bereits Ansätze in der Buyidenzeit gibt (945–1055).173 Durch ihren Märtyrertod konnten die Imame zu Mittlern und Fürsprechern bei Gott werden. Ein weiteres Element ist das Passionsspiel (taziye),174 wo die Ereignisse von Kerbela szenisch dargestellt werden. Ansätze gibt es ebenfalls bereits in der Buyidenzeit, aber die volle Entfaltung erlangt das Passionsspiel erst in der Qadscharenzeit im 19. Jh. Ein Teil der Rechtsgelehrten bezeichnet allerdings die Riten des Geißelns und das damit verbundene Blutvergießen als „Neuerungen“ (bid´a) und damit als unislamisch. Diese Geißlerprozessionen finden sich auch bei den Schiitengemeinden in Irak, Pakistan, Indien und im Südlibanon. Literaturschaffen in safawidischer Zeit Nach Kohlberg175 bezeugt der safawidische Iran ein eindrucksvolles Anwachsen im Bereich der zwölferschiitischen-imamitischen-Literatur: Thousands of treatises were written (in Arabic and Persian) on legal, theological and philosophical subjects, in addition to belles-lettres and poetry, biographical and historical works, and books on geography, grammar, rhetoric, astronomy, mathematics and other sciences. The religious literature reflected disputes between advocates and opponents of Sufism, and between the akhbariyya ….. and the usuliyya.176 Mitchell177 hat in seiner Untersuchung das vielfältige Schrifttum des Hofes (epistolography), das von den ahl al-qalam, also den „Männern der Feder“ am Hofe angefertigt wurde, untersucht. Bislang habe man diese Hofliteratur als starr und monolithisch angesehen. Dem sei aber nicht so. Vielmehr sei es zu unterteilen in „rhetoric, normative prose writing, and the world of poetics.” Dahinter werde eine bürokratische Praxis erkennbar, welche die ethnische Fragmentierung und die politisch dezentralisierte Geschichte der TurkoMongolischen Welt zwischen 1300 und 1500 reflektiere. Die zweihundert Jahre Herrschaft der Safawiden vermitteln uns ein Bild, in welchem sich die Paradigmen der Autorität veränderten und damit auch die Gesellschaft. Dies hat zur Folge, dass mystische, philosophische und religionsgesetzliche Diskurse in diesen Schriften oft spannungsgeladen reflektiert werden. Der sich so im Laufe der Zeit verändernde gesellschaftliche Diskurs hat vor allem auch Auswirkungen auf die religiös-politische Ethik.178

Unter den Safawiden galt die Aufmerksamkeit eher den religiösen Fragestellungen. Neben den diskursiven Abhandlungen über die zwölferschiitische Lehre war es in der Hauptsache auch die religiöse Volks- und Erbauungsliteratur (Hagiographie), die die Ereignisse von Kerbela bzw. den Märtyrertod der Imame thematisierte. Die nichtreligiöse populäre Literatur stand unter dem Einfluss der großen Epiker, Firdausi und Nizami.179 Der Poesie und der Prosa im safawidischen Persien fehlte insgesamt die Vitalität, denn der Hof hatte kaum Interesse an der Förderung der Literaten. Die Auswanderung persischer Dichter nach dem Mogul-Indien, die seit Schah Tahmasp begonnen hatte, zeugt davon. Die Mogulhöfe Indiens boten für Dichter und Literaten bessere Möglichkeiten als das safawidische Iran. Auch Kalligraphen und Miniaturmaler waren davon betroffen.

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Die Theosophenschule von Isfahan Begründer der Schule von Isfahan180 war der alidische Abkömmling Sayyid Mir Muhammad Baqir Astarabadi, genannt Mir Damad (gest. 1630).181 Sein wissenschaftliches Werk zeichnet eine „eigentümliche Synthese dreier ganz verschiedener geistiger Überlieferungen“ aus,182 charakteristisch für die intellektuelle Offenheit des 17. Jh.: die aristotelisch-neuplatonische Metaphysik (Farabi, Ibn Sina), die Erleuchtungsmystik von Schaich Maqtul Suhrawardi (gest. 1191), das mystische Konzept des Ibn Arabi (gest. 1240) und die Lehre der rationalen Theologen, Razi und Tusi. Johardelvari hat dieses System, das sich seit der Safawidenzeit entwickelt hat, als „Hikmat“ bezeichnet. „‚Hikmat‘ stellt also ein System dar, das aus der Verschmelzung von Philosophie, Mystik und Erleuchtungsphilosophie unter der Berücksichtigung der schiitischen Theologie und Staatslehre entstanden ist.“183 Zur Wahrheitsfindung dient nicht nur die göttliche Offenbarung, der menschliche Intellekt und die mystische Schau, sondern auch „Rationale Spekulationen bestätigen die offenbarten Glaubenswahrheiten, und die Ergebnisse der metaphysischen Spekulationen wiederum können ganz unmittelbar in mystischer Vision geschaut werden.“184 Mir Damad hat auch eine eigene Seinslehre entwickelt.185 Mir Abu l-Qasim Findirinski (gest. 1640–1)186 gehörte zum Kreis von Mir Damad und war praktizierender Sufi. Er reiste öfters nach Indien, lernte dort die indische Philosophie kennen, und wurde von Hindu-Yogis und Muslimen gleichermaßen verehrt. In Isfahan lehrte er Philosophie, Mathematik und Medizin. Sein Denken zeigt auch buddhistischen und zoroastrischen Einfluss. Ein Schüler von Mir Damad war Sadr ad-Din Schirazi, genannt Molla Sadra (gest 1640).187 Durch ihn fand die Theosophie auch in Qom und Schiraz Eingang. Vor allem die beiden Schahs Safi und Abbas II. förderten und unterstützten die Schule. Er entwickelt das „Hikmat“-System von Mir Damad weiter. So sind für ihn auch die Vorsokratiker, Thales, Pythagoras, aber auch Platon und Aristoteles „wahre Hakim“ (Hikmat-Denker).188 Bezüglich des Verhältnisses von „Existenz“ und „Wesenheit“ vertritt Schirazi ein anderes Konzept als Mir Damad und die Philosophen vor ihm, denn Existenz ist das Ursprüngliche, die Wesenheit dagegen ist als etwas Zweitrangiges zu verstehen, weil etwas Hinzugetretenes.189 Während die Existenz daher an sich existiert, kommt der Wesenheit nur akzidentielle Existenz zu. Schirazi spricht nicht von „Emanation“ im Sinne des Neuplatonismus, sondern von „Manifestation.“ Für Johardelvari eine „typische persische Entwicklung, die sich vermutlich aus der Lichtmetaphysik des alten Irans ableitet.“190 Das göttliche Sein wird hier unter dem Aspekt Licht gesehen, daher sieht er die Entstehung der Dinge als Manifestation des Lichtes. Bei Mulla Muhsin Faiz Kashani191 handelt es sich um einen von Mulla Sadras Studenten; er war Philosoph, Theologe und Mystiker und hat um die 120 Werke in arabischer und persischer Sprache geschrieben. Sein Werk zeichnet den Versuch aus, Offenbarung, Sufismus und Rationalismus in Übereinstimmung zu bringen, und daher auch Scharia und Sufismus zu harmonisieren. Er wird als „Ghazali des Schiitentums“ bezeichnet, weil er dessen Werk „Ihya ulum ad-din“ („Die Wiederbelebung der

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Religionswissenschaften“) schiitisierte und somit der Schia das sunnitische Hadith zugänglich machte, aber auch die Hikmat-Lehre mit dem Schiitentum verbunden hat. Er gilt weiter als einer der besten esoterischen Interpreten des Schiismus. Alle diese großen Denker, Theologen und Philosophen schrieben auch hochstehende Gedichte mit gnostischem und mystischem Inhalt. Gegen Ende des 17. Jh. jedoch wurde die Rechtgläubigkeit all dieser HikmatDenker von den schiitischen Gelehrten in der Tradition von Hilla immer massiver in Frage gestellt und als Neuerung (bid´a) gestempelt. Insgesamt wurden sie daher von der schiitischen Orthodoxie als Ketzer verfolgt. Naturwissenschaften192 Informationen über die Wissenschaften sind uns über Berichte von europäischen Reisenden, von denen auch viele für den Schah arbeiteten, zugekommen. Die Bedingungen unter den Safawiden waren der wissenschaftliche Forschung nicht immer förderlich, denn es bestand immer wieder die Gefahr, dass Gelehrte bei ihren königlichen Gönnern in Ungnade fielen. Aber auch der zunehmende Fanatismus der schiitischen Gelehrten war den Wissenschaften nicht günstig gesonnen. Im Kampf zwischen den göttlichen und säkularen Wissenschaften beherrschten die Gesetzeshüter das Terrain, während die nach Bildung Strebenden ein gefahrvolles Dasein am Rande der Gesellschaft führen mussten. Persische Denker und Schreiber sammelten sich daher oft am Moghulhof in Indien. Eher wurden im safawidischen Persien Ideen ausgetauscht als dass originelle Entdeckungen gemacht wurden. Astronomie und Astrologie waren die am meisten betriebenen Wissenschaften im safawidischen Iran. In diesem Kontext erreichte das Observatorium einen Höhepunkt. Die schon lange im Islam beheimatete Tradition der Astronomie erreichte in der Errichtung gigantischer Instrumente einen hohen Grad an Präzession. Handbücher über Astronomie wurden geschrieben, Abhandlungen über Astrologie, Mathematik und Algebra. Gerade im Bereich der Mathematik wird indischer Einfluss erkennbar. Das nachhaltigste Instrumentarium der safawidischen Astronomie war das Astrolab, das in königlichen Werkstätten hergestellt wurde und sich einer großen Popularität erfreute. Die Safawidenzeit war weiter das „goldene Zeitalter“ der Pharmakologie. Persische und türkische Medizin wurde im 17. Jh. auch nach Europa überliefert. Kunst und Architektur Isfahan wurde unter den Safawiden als herrschaftliches Zentrum entsprechend der religiös-politischen Ideologie ausgebaut.193 Mittelpunkt der neuen Hauptstadt war der Maidan, ein großer Platz mit seinen doppelgeschossigen Geschäftsarkaden, im Osten die Lutfallah Moschee (1603–1619) und an der Südseite das größte Bauwerk, die Große Moschee oder Schah-Moschee, beides Glanzstücke islamischen Kunstschaffens.194 Insgesamt zeigt die Gesamtanlage dieses Platzes ein Vier-Iwan-Schema

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nach der Kreuzachsenordnung. Diesem Schema entspricht auch die Schah-Moschee, ein zentraler Innenhof, auf den sich vier Iwane öffnen. Im Westen des Platzes steht das Ali Qapu, das Tor zum Palastbezirk. Die Vier-Iwan-Hofmoschee ist eine Weiterentwicklung der seldschuqischen Medrese, die ebenfalls im Kreuzachsenschema angelegt ist. Dieses Vier-Iwane-Schema entspricht so den vier sunnitischen Rechtsschulen mit ihren jeweiligen Hörsälen und Wohnräumen für Lehrer und Schüler. Neben dem Fayence-Mosaik auf glasierten Ziegeln und polychromen Fliesen wurden die prächtigen Schriftbänder in Weiß auf blauen Untergrund zu einem typischen Dekor-Element der persischen Moscheen. Durch ihr Leuchten künden sie vom urewigen Licht Gottes, das sich in den irdischen Formen, in den vielfältigen „Zeichen“ der Schöpfung manifestiert. Das Eindrucksvollste jedoch, was safawidische Kunst hervorgebracht hat, ist die Buchillustration durch die Miniaturmalerei. Ihren Höhepunkt erreicht diese Kunst in der ersten Hälfte des 16. Jh. unter Förderung des Schah.195 In dieser Zeit gab es noch unterschiedliche Malschulen in den großen Zentren Irans, Herat, Shiraz und Täbriz. Zur Zeit Abbas I. wird sich dann der Stil stärker vereinheitlichen. Höhepunkte dieses Schaffens sind die Miniaturen des Schahname und jene von Nizamis Khamsa, angefertigt für Schah Tahmasp I. Bereits im 16. Jh. kam es zu ersten Kontakten mit der europäischen Malerei. Ismail I. soll einen italienischen Künstler beauftragt haben, die Räume seines Palastes in Schiraz auszumalen. In der Zeit von Abbas I. verstärkten sich diese Kontakte durch die Zunahme des Handels. Europäische Gesandtschaften brachten Gemälde als Geschenke mit. Auf diese Weise lernte die iranische Malerei die europäische kennen und es entwickelt sich eine eigenständige persische Malerei. Künstler entwarfen aber nicht nur Muster für die Bücher, sondern auch für Teppiche und Textilien. Königliche Manufakturen stellten kunstvolle Teppiche her, so unter Abbas I. die sogenannten „Polenteppiche“, die an europäische Gäste verschenkt wurden; andererseits gaben auch europäische Adelshäuser Teppiche in Auftrag und ließen sich ihre Wappen einweben.

Kulturgeschichte der Mogulzeit Staat und Gesellschaft Die normativen Traditionen des Islam wurden in den Jahrhunderten der Inkulturierung des Islam in verschiedene Regional- und Lokalkulturen vielfältig modifiziert, ausgedeutet und praktiziert. It is precisely this double-movement between the local cultures of South Asia and the universal norms of Islam that makes the study of Indian Islamic traditions so rewarding“, denn man finde “enormous variation of Islamic traditions not only across social class and over time, but also across space.196

Abd al-Qadir Bada´uni (gest. 1615), ein indisch-persischer Geschichtsschreiber hat uns in seinem Geschichtswerk Muntakhab at-Tawarikh („Selections of Chronic-

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les“) eine allgemeine Geschichte der Muslime in Indien hinterlassen.197 Im 18. Jh. werden sich dann auch Hindu-Historiker der Mogulhistoriographie annehmen.198 Indisch-persische Geschichtsschreiber, ausgenommen Abu l-Fazl (gest. 1602), der behauptete, dass die Hindus an die Einheit Gottes glaubten,199 gehen davon aus, dass Indien erst mit dem Beginn der indisch-muslimischen Herrschaft in die Geschichte eintritt, kontrastieren so den Monotheismus des Islams mit dem Polytheismus der Hindu-Religionen. Da aber islamische Traditionen in einem bestimmten historischen Kontext entstanden sind, können diese auch nicht von den spezifischen sozialen und historischen Kontexten, in denen sich diese Traditionen immer wieder inkulturierten, getrennt werden.200 Mit Babur (gest. 1530),201 der von seiner zentralasiatischen Heimat gewöhnt war, den Sufis mit Hochschätzung zu begegnen, beginnt die Ära der Dynastie der Moguln. Er selbst führt seine Abstammung auf Tschingis Chan und Timur zurück. Babur konnte sich gegenüber den Usbeken in Samarkand nicht halten und wich nach Afghanistan aus, als er auch von dort vertrieben wurde, gelang es ihm allmählich Nordindien mit Delhi, das damals vom afghanischen Herrscher Sultan Ibrahim Lodi beherrscht wurde, zu erobern; Samarkand den Usbeken zu entreißen, blieb sein ständiges Ziel. Sein militärischer Vorteil waren Feuerwaffen in Form von Kanonen, die den Osmanen verdankte. Babur machte von Afghanistan aus (Kabul) Einfälle nach Indien. 1526 fand der erste entscheidende Sieg über die Lodi-Fürsten bei Delhi statt. Es folgten auch siegreiche Kämpfe gegen die Afghanen und Radschputen, die den Grundstein für das Reich der Moguldynastie in Indien legten. Agra wurde zu seiner ersten Residenz. Unter seinem Sohn Humayun, der eher dem Luxusleben, der Mystik und Astrologie zugewandt war, gingen die eroberten Gebiete zeitweilig wieder verloren, ja Humayun musste sogar für eine gewisse Zeit beim persischen Shah Tahmasp Zuflucht suchen, bis er 1555 Delhi und Agra wieder in Besitz nehmen konnte. Allerdings starb er noch im selben Jahr. Auch sein Sohn und Nachfolger Akbar (1556–1605)202 musste das Moghulreich gegenüber Rivalen verteidigen und absichern, indem er die Hindu-Fürstentümer seiner Herrschaft unterwarf. Malwa im Nordwesten, das von Delhi aus den Weg nach Gudscharat und den dortigen Häfen eröffnet, wurde in äußerst blutiger und grausamer Weise erobert. Mit der Eroberung Radschastans und der Unterwerfung der Radschputenfürstentümer erreichte das Reich Akbars eine gewisse Konsolidierung, denn nun waren die einst feindlich gesinnten Radschputenadeligen ein Teil des Mogulreiches. Akbar übertrug ihnen hohe Ämter in der Verwaltung und im Militärdienst. Das Reich bekam nun eine moderne Gestalt, denn es wurde „ein indischer Staat, in dem der Muslim keine Vorrechte gegenüber dem Hindu genoss, und der Hindu nicht mehr Bürger zweiter Klasse war.“203 Diese staatspolitische Ausrichtung wird sich aber auch im persönlichen und religiösen Leben Akbars spiegeln. Ab 1572 wird Gudscharat erobert und damit kommen die Häfen, über die der Handel mit dem westlichen Teil Asiens, mit Arabien und Europa abgewickelt wurde, in den Blick. 1591 wird der Sind erobert und anschließend der Dekkan. Beim Tode Akbars gehörte Nord- und Zentralindien zum Mogulreich.

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Über das Hofleben und die vielen Einrichtungen und Institutionen des Hofes und der königlichen Verwaltung berichtet ausführlich der Minister und Freund Akbars Abu l-Fazl:204 über den Staatsschatz, den Harem, die Musikkapellen, die königliche Küche, die Kleiderkammer, die Jagd usw. Insgesamt stellte der Hof einen politischen, gesellschaftlichen und geistigen Mittelpunkt des Landes dar, wo sich die jeweilige Elite versammelte. Eine kritische Stimme gegenüber Akbars Politik erhebt das Werk von Bada´uni. 1585 übersiedelt der Hof nach Lahore. Akbar war Zeit seines Lebens auf der Suche nach geistiger Wahrheit, nicht zuletzt wohl auch aufgrund der vielfältigen Intrigen am Hofe und der Auseinandersetzungen mit den orthodoxen Rechtsgelehrten und Theologen. Er fühlte sich daher zu mystischen Formen der Religion hingezogen, zum Sufismus und zur Hindu-Mystik. Am Anschaulichsten drückt sich seine Person wohl in jener Inschrift aus, die am Haupteingang zur Freitagsmoschee in Fatehpur Sikri angebracht ist. Auf der linken Seite lesen wir: „Der König der Könige, Schatten Gottes, Akbar der Herrscher, kam auf seinem Rückweg nach Fatehpur im 46. Jahr seiner Regierung.“ Auf der rechten Seite dagegen steht geschrieben: „Die Welt ist eine Brücke; überquere sie, aber errichte kein Haus auf ihr. Die Welt dauert nur eine Stunde an, verbringe jene Stunde in Ergebenheit.“ Zuerst ließ Akbar die Burg von Agra neu für seine Residenz adaptieren, später ab 1575 errichtete er um das Grab (ehemals die Einsiedlerklause) des Tschisti-Heiligen Salim, der ihm männliche Nachkommenschaft prophezeite, seine Palaststadt Fatehpur Sikri. Im Sinne seines Interesses für die Religionen, nicht zuletzt auch aus politisch-pragmatischen Gründen, um die Hindu-Mehrheit in seinem Reich besser zu verstehen und so auch integrieren zu können, hat er in seiner Residenzstadt Fatehpur Sikri Religionsdisputationen gepflegt, wo Mohammedaner, Hindus, Parsen, Sikhs, Dschainas und Christen miteinander über die Wahrheit ihres Glaubens argumentierten. Aber auch Juden nahmen aktiv an diesem „Parliament der Religion“205 teil. Juden kamen nicht nur mit den Portugiesen von Portugal, Spanien, Palästina und Konstantinopel nach Indien, indem sie sich an den Küsten niederließen, sondern auch aus Persien, Afghanistan und Khorasan, also dem persisch-sprachigen Gebiet.206 Architektonisches Zeugnis dafür bildet der Divan-i Khaz mit einem Pfeiler in der Mitte als Weltachse, der sich zu einer Plattform ausweitet. Zu dieser Plattform hin führen vier diagonale Brücken. Hier im Zentrum thronte der Herrscher der vier Weltgegenden und ließ sich über die verschiedenen Wege, die zu der einen Wahrheit führen, belehren.207 Als Modell diente Akbar die von den Mystikern propagierte Einheit der Religionen. Daher die besondere Verehrung des Sufi-Heiligen Mu´in ad-Din Tschisti (1135–1229) in Adschmer. Der Tschisti-Orden war geprägt von der philosophisch ausgerichteten Mystik Ibn Arabis (gest. 1240), nämlich der „Einsheit des Seins.“ Aufgrund dieser Ausrichtung war der Orden auch offen für die anderen Religionen. Akbar war von diesem Denken beeinflusst und setzte es nicht nur religiös sondern auch gesellschaftspolitisch im Mogulstaat um. Sein Interesse für die unterschiedlichen Religionen führte auch dazu, dass er ein eigenes Übersetzerbüro

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eingerichtet hatte, wo hl. Schriften ins Arabische und Persische übertragen wurden, die Evangelien, der Pentateuch und die Psalmen.208 Die Frucht seines Suchens bildete eine eigenständige Religion, die unter dem Namen „Göttliche Religion“ (din-i llahi) bekannt wurde. Die „Göttliche Religion“ blieb zwar auf einen engen Kreis um Akbar beschränkt, weswegen Schimmel diese eher als eine Art „esoterischen Klub auserwählter Mitglieder“209 bezeichnet. Nizami wiederum charakterisiert diese synkretistische Religion als „eine willkürlich zusammengewürfelte Anhäufung von bestimmten Ritualen, die höchst sonderbar dargestellt und pompös vorgeführt wurden.“210 Da Akbar nicht Lesen und Schreiben konnte, vermutet man, dass dies auch Folgen für seine religiöse Ausrichtung hatte; nicht der Buchstabe steht im Mittelpunkt, sondern das Gehörte, das durch Reflexion verarbeitet und miteinander vernetzt zu etwas Neuem wird. Offensichtlich aber hatte diese Einheitsreligion doch zum Ziel, zum Glauben aller Menschen zu werden, um so die Aufspaltung in verschiedene Sekten und Bekenntnisse zu beenden. Im Mittelpunkt des din-i llahi steht daher auch ein ethischer Katalog von Geboten, die allen Religionen gemeinsam sind und die das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Religionen und Rassen gewährleisten sollen.211 Die Religionsgelehrten (Ulema) bzw. Mitglieder der Oberschicht freilich betrachteten seine Unternehmungen mit Argwohn und sahen in ihm letztendlich einen Abtrünnigen, zudem sich Akbar auch noch zur höchsten Autorität in religiösen Fragen erklärte. Allerdings hatte diese Einstellung Akbars eine sehr tolerante Haltung gegenüber den anderen Religionsgemeinschaften zur Folge, weswegen er ja als das Muster für Toleranz schlechthin gilt: Hindus wurden in vielerlei Hinsicht gefördert, sie durften nicht nur Tempel bauen und wiederherstellen, sondern ihre Götterbilder auch öffentlich verehren, auch am Hof; Hindu-Beamte hatten hohe Posten in der Verwaltung und im Militär inne. In der politischen Umsetzung dieses religiösen Konzeptes verbot er die Versklavung von Hindu Kriegsgefangenen und hat sogar die Dschizya (Kopfsteuer) aufgehoben. Nach Alam Khan dürfte dies eher eine Erfordernis der Staatspolitik als Ausdruck der religiösen Toleranz gewesen sein.212 Chandra213 hat darauf verwiesen, dass Akbars Konzept, dass alle Religionen Wege zum Einen Gott sind, die Tendenz zeigt, dass der Staat als Institution keine spezielle Religion fördere. Daher war Akbas Konzept des Staates modern und säkular ausgerichtet und beschnitt die klerikalen Privilegien. Insgesamt war für die muslimische Gesellschaft des mittelalterlichen Indiens charakteristisch, dass es ständig um gegensätzliche Interessen zwischen den orthodoxen Ulema und den liberaleren Elementen der Gesellschaft ging. Die Orthodoxie forderte die Dschizya als Demütigung für die Hindus bzw. auch einen ständigen dschihad gegen die Hindus. Weniger Dschahangir, wohl aber Schah Dschahan versuchte dann den fundamentalen Charakter des islamischen Staates durchzusetzen, indem er sich selbst als Verteidiger des Glaubens proklamierte, neu errichtete Tempel zerstören ließ und gemischte Ehen aussetzte. Akbar stellte seine Herrschaft gesellschaftlich auf eine neue Grundlage, nicht mehr von „ungläubigen“ Untertanen ist die Rede, sondern vom Herrscher des gesamten Landes. So ist er auch der Herrscher über die Hindus, die auch als solche mit ihrer

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spezifischen religiösen Identität geachtet werden. Aber auch die Sikhs profitierten von dieser toleranten Haltung. Natürlich wurde eine solche Haltung von strenggläubigen Sunniten nicht gern gesehen. Am ausgeprägtesten war nach Schimmel die Zusammenarbeit zwischen Muslimen und Hindus „auf dem Gebiet der schönen Künste“; aber auch die Annäherungen beider Religionen in der Bhakti-Frömmigkeit, also der mystischen Frömmigkeit, brachte viel Gemeinsames hervor, indem sich hinduistische und sufische Frömmigkeit vermischten.214 Portugiesischen Missionaren war der Zutritt zum Hof und auch die Missionstätigkeit erlaubt. Im Palast durfte sogar eine Kapelle errichtet werden, Kirchen konnten in Agra und Lahore, aber auch in Bombay erbaut werden; auch die Juden durften Synagogen errichten. Freilich gingen die Christen von einer falschen Annahme aus, denn Akbar blieb bei seinem muslimischen Glauben und wechselte nicht zum christlichen. Unter den schiitischen Gruppierungen waren nicht nur Ismaelis (Siebener-Schiiten), sondern auch Zwölferschiiten mit ihrem Zentrum in Lucknow vertreten. Die komplexe Situation der Kommunikation Akbars mit den Hofbeamten bzw. insgesamt mit der aristokratischen Schicht hat man bisher nach Alam Khan zu einseitig nur auf deren Beziehungen zum König dargestellt, vielmehr aber seien hier mehrere Faktoren zu beachten, nämlich auch die ethnischen und die religiösen Interessen innerhalb der Höhergestellten, Stammes- oder Clanbindungen und deren Beziehungen zu anderen sozialen Gruppen. Solche Interaktionen bestimmten in einem hohen Maß Veränderungen bezüglich Rolle und Stellung dieser Höhergestellten in der Politik.215 Akbars Sohn und Nachfolger Dschahangir (1605–1627), Sohn einer Radschputenprinzessin, verfolgte die Toleranzpolitik seines Vaters weiter. Die Eroberung der südlichen Gebiete, mit denen sein Vater begonnen hatte, zog sich durch Widerstände in die Länge und fanden auch unter ihm ihre Fortsetzung. Schimmel charakterisiert ihn aufgrund seiner Beschäftigung mit Kunst (Malerei) und Naturwissenschaften als „den kenntnisreichsten Kunstliebhaber, den man sich denken kann.“216 Die andere Seite seiner Persönlichkeit zeigt die Neigung zu unvorhergesehener Grausamkeit, vermutlich durch Opium und Alkoholkonsum verstärkt. Nur Dschahan, seine Gattin, war Tochter des persischen Adeligen I´timad ad-daula, der später eine wesentliche Rolle im Hofleben spielen wird. Ahmad217 bezeichnet sie als „die bedeutendste Königin in der Geschichte des indischen Islam.“ Sie übte nicht nur großen Einfluss auf ihren Gemahl aus, sondern mischte auch in politischen Angelegenheiten mit. In der Zeit Dschahangirs treten europäische Kaufleute, Portugiesen und Briten, am Hof häufiger in den Mittelpunkt. 1600 wurde die British East India Company gegründet. Zu seiner Zeit trat Ahmad Sirhindi, ein Naqschbandi auf, der sich für die Schaffung eines kompromisslosen Islam einsetzte. Er bekämpfte daher Akbars Ideal vom friedlichen Zusammenleben zwischen Hindus und Muslimen und trat für die Reinigung des indischen Islam von allen nicht-islamischen Elementen ein. Ahmad wollte die islamische Gesellschaft im Geiste des Koran und der islamischen Tradition (Hadith) umformen. Daher berufen sich vor allem Reformer, die für eine reine islamische Lebensform kämpfen, auf ihn.

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Schah Dschahan (1627–1657),218 Sohn einer Radschputin, gilt als der große Bauherr, da er die alte Residenzstadt Delhi ausbaute und das Rote Fort mit der großen Moschee errichtete. Für seine geliebte Gemahlin Mumtaz Mahall ließ er den Tadsch Mahall als Grabmal erbauen. Unter ihm wurden die restlichen Dekkan-Staaten unterworfen und die schiitischen Staaten Golkonda und Bidschapur mussten die Oberhoheit der Mogulherrschaft anerkennen. Gegenüber Aurangzeb war der Kronprinz Dara Schikoh mit mystischen Neigungen ausgestattet. Sein Ziel war es, zwischen Islam und Hinduismus Brücken zu bauen, vor allem über die jeweilige Mystik. Zu diesem Zwecke übersetzte er auch Hindu-Werke. In der Einführung zur persischen Übersetzung der Upanischaden gibt er uns einen Einblick in sein religiöses Denken. Es gibt nach ihm nur eine religiöse Wahrheit, und diese Wahrheit ist in den Vedas, den Upanischaden, in der Bibel und im Koran enthalten. All diese Schriften sind himmlische Bücher und enthalten die Wahrheit des Monotheismus.219 Durch einen äußerst luxuriösen und aufwändigen Lebenswandel im Roten Fort zu Delhi schrumpften die Reserven des Reiches. Nun sah Aurangzeb seine Stunde gekommen, setzte seinen Vater gefangen, Dara Schikoh, sein Bruder, verlor die militärischen Auseinandersetzungen und wurde schließlich mit seinen Söhnen hingerichtet. Unter Aurangzeb (1658–1707) wurde die Reislamisierung zur Tagesordnung. Er ging nach dem Grundsatz vor, dass alle Gesetze in Einklang mit dem islamischen Recht bzw. der Scharia sein müssen. Aurangzeb ist durch seine anti-hinduistische Haltung als Fundamentalist und Zerstörer von Hindu-Tempeln in die Geschichte eingegangen. Die Dschizya, die Akbar aufgehoben hatte, wurde unter seiner Herrschaft wieder eingeführt. Nicht nur die überall aufflackernden Aufstände bildeten hierfür den Grund, sondern auch die wachsende Beschäftigungslosigkeit und daher Verarmung unter den klerikalen Elementen. Er hoffte damit alle Muslime auf seine Seite zu bringen. Aurangzeb versuchte den Weg zurück zu beschreiten, zu einem mehr orthodox ausgerichteten Staat, ähnlich wie er in der Periode der Sultane bestanden hatte. Mit der Preisgabe der Toleranzpolitik seiner Vorgänger erfährt auch die Beschäftigung mit den schönen Künsten einen Niedergang. Die Verschlechterung der Situation in den Dekkan-Sultanaten, das Anwachsen der Macht der Marathen, die Auseinandersetzung mit den Radschputen, dies alles bewog Aurangzeb in den Dekkan zu gehen, um die Aufständischen zu bezwingen. Fortan wird er von hier aus regieren, Delhi bzw. Nordindien wurde so vernachlässigt.220 Vor seinem Tod war fast der gesamte Subkontinent Herrschaftsgebiet des Mogulreiches. Doch der Zerfall des Reiches setzte schon bald nach seinem Tod ein. Durch seine intolerante Politik, durch die Aufkündigung der wirtschaftlichen und politischen Gleichstellung von Muslimen und Nicht-Muslimen, indem er den Muslimen wieder eine Sonderstellung einräumte, nahmen die Feindseligkeiten zwischen Hindus und Muslimen zu, wurden Nationalismus und Hass geschürt und sollten zweieinhalb Jh. später zur Teilung des Subkontinents führen. Lucknow wurde unter seiner Herrschaft gelehrtes Zentrum des Islam.

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Nach dem Tod Aurangzebs brachen unter den Nachkommen immer wieder Rivalitäten und Kämpfe um die Nachfolge aus, eine Zeit der politischen Instabilität begann. Religiöse Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten nehmen ständig zu. Aufstände der Marathen, aber auch Rebellionen der Sikhs bringen die Mogulherrschaft an den Rand ihrer Existenz. Nach der Eroberung Lahores durch den persischen Herrscher Nadir Shah 1739 wurde die Moghularmee von den persischen Truppen besiegt. Die Truppen plünderten Delhi und zogen mit einer unvorstellbaren Menge an geraubten Silber- und Goldschätzen, Juwelen und Kanonen ab. Der Nachfolger Nadir Schahs veranstaltete regelmäßig Raubzüge nach Indien und annektierte das Pandschab. Die einzelnen Provinzen werden aufgrund dieser instabilen politischen Lage wieder unabhängig und bekämpfen sich gegenseitig. Mit dem Vormarsch der Britischen East India Company wird der Einfluss der Briten immer stärker bis es schlussendlich zur Annexion kommt. Zur Verwaltung des Mogulreiches Die Verwaltung221 war zentralistisch ausgerichtet: dem Wezir unterstanden sämtliche Diwane (Ministerien) und somit auch die Verwaltungsbeamten, einschließlich den Provinzgouverneuren. Zu den wichtigen Ämtern am Hofe gehörten weiter die Kontrolle über den kaiserlichen Haushalt, die Oberaufseher der kaiserlichen Artillerie, des kaiserlichen Münzamtes und der diplomatischen Korrespondenz. Die Ämter, die die Zivil- und Militärbeamten innehatten, waren nicht erblich, was zur Folge hatte, dass sich der Adel immer wieder erneuerte.222 Die öffentlichen Einrichtungen unterlagen dem mansabdari-System223 (mansab: Lehnsgut). Alle Zivil- und Militärbeamten waren Lehensleute, erhielten also Land als Lehen auf Lebenszeit zugewiesen. Die mansabdars hatten über dieses Land die Steueroberhoheit. Allerdings durften sie nicht die gesamte Steuer für sich behalten, sondern erhielten für ihre zivilen oder militärischen Leistungen (Aufstellen von Truppenkontingenten) entweder Sold aus der Staatskasse oder aber sie konnten ihn aus dem Steueraufkommen des ihnen zugewiesenen Landes nehmen. Die restliche Steuer mussten sie abführen. Diese Landkonzessionen wurden in „Reitern“ bemessen, da den Kern der Truppen die Reiterei bildete.224 Schweres Kriegsgerät, etwa Kanonen und Katapulte, wurden mit Hilfe der Türken bzw. Europäer beschafft. Auch waren Kriegselefanten, die entsprechend für den Kampf präpariert wurden, im Einsatz. Akbars Agrarreformen wurden von seinem Hindu-Wesir vorgenommen; sie bestand aus einer einheitlichen Regelung „der Landvermessung und der Klassifizierung der Böden, der Steuertarife und Richtlinien für die Landvermessung.“225 Die Strukturierung der Provinzregierungen mit einem (Militär)Gouverneur an der Spitze folgte jener der Zentralregierung. Die Bezirke bildeten die regionalen Verwaltungseinheiten. Die Struktur des Justizwesens folgte dem traditionellen islamischen Modell, Großkadi, Provinz- und Bezirksrichter; auf der anderen Seite die Muftis. Für die Híndus galt das Hindu-Privatrecht, wobei dieses auch das islamische Recht beeinflusste.

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Die Mogulgesellschaft war im Großen und Ganzen feudalistisch ausgerichtet, auf der einen Seite extremer Luxus, der Hof, die Militärbürokraten und die Lehensträger, auf der anderen Seite äußerste Armut, die Handwerker, Landarbeiter, Bauern und Kleinhändler. Dazwischen gab es einen „gehobenen Mittelstand“, bestehend aus den Sekretären, der gebildeten Schicht und den Großkaufleuten.226 Die verschwenderische und luxuriöse Lebenshaltung des Adels lag unter anderem auch darin begründet, dass der Besitz nicht erblich war, also wieder in das Eigentum des Staates zurückfiel. Insgesamt zeigt sich beim Adel „die Tendenz zur Cliquenbildung, zur Aufspaltung in ethnische oder konfessionelle Gruppen.“ Dadurch wurde der Zerfall des Mogulreiches nach Aurangzebs Tod beschleunigt.227 Die Steuerabgaben waren alles in allem erträglich, allerdings wurden durch die kostspieligen Architekturprojekte Schah Dschahans die Steuerlasten erdrückender, sodass sie oft zwangsweise eingetrieben werden mussten. Neben dem innerindischen Handel spielte auch der Außenhandel228 eine große Rolle. Zu Gudscharat gehörten die Ausfuhrhäfen Cambay und Surat. Hier legten die Schiffe aus verschiedenen Ländern an. Die Provinz Agra verfügte über Vorkommen an Kupfer, Silber und Eisen, die weiter verarbeitet wurden. Gudscharat war berühmt für seine Textilkunst, ebenso Lahore, in Bengalen wurde Seide hergestellt. Europäer und das Mogulreich Als die Portugiesen Anfang des 16. Jh. an Indiens Küste landeten, gelang es ihnen, sich gegen eine Flotte von Gudscharat, die von Mamluken und Osmanen unterstützt wurde, durchzusetzen.229 Fortan gelten sie als die große Seemacht im Arabischen Meer und im Indischen Ozean. 1510 erobern sie Goa und bauen dies als ihr Zentrum aus. Akbar gelingt es dann Gudscharat zu erobern, doch versuchte er, friedlich mit den Portugiesen auszukommen und lud Jesuiten an seinen Hof ein, um mehr über das Christentum zu erfahren. Auf die Portugiesen geht in kultureller Hinsicht die Verbesserung der Artillerie zurück und der Einfluss durch die europäische Malerei. Im Jahre 1600 gründeten die Engländer die East India Company; dieser gelang es, die Vorherrschaft der Portugiesen zu beenden. 1618 wurde die East India Company von Seiten der Moguln mit Handelsprivilegien ausgestattet. Im Gegenzug musste sie aber die Handels- und Pilgerschiffe der Mogulen gegen die Portugiesen schützen. Unter Aurangzeb kam es zum Zerwürfnis mit den Engländern, da er sie aus Bengalen und Surat vertrieb. Der neue Hauptsitz der Gesellschaft wurde Kalkutta. Nachdem die East India Company den mogulischen Nachfolgestaat Bengalen besiegt hatte, übergab ihr der geblendete Mogulkaiser Schah Alam II. 1765 die Verwaltung der Steuereinkünfte in den Provinzen Bengalen, Bihar und Orissa. Der Kaiser wurde dadurch „ein Pensionist der Briten.“230 Mit dieser politischen Instabilität ging gleichzeitig auch ein wirtschaftlicher Verfall einher.231 Die Moguln und Adeligen waren ja bei weitem die bedeutendsten Abnehmer der Produkte der Baumwoll-Manufakturen. Vom Niedergang des Reiches

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und der Zunahme der Armut waren daher auch die einheimischen Industrien und Manufakturen betroffen. Da die Nachfrage nach Waren immer mehr zurückging, mussten Industriebetriebe teilweise schließen. Nadir Schahs Einfall in Indien und jene der Afghanen, Marathen, Sikhs und der Rohillas haben praktisch alle bedeutenden Industrieorte zerstört. Daher wurde den einheimischen Industrien im Allgemeinen, und der Seiden- und Baumwollproduktion im Besonderen großer Schaden zugefügt. Dazu kam, dass auch die europäischen Investmentgesellschaften, allen voran die East India Company, diesen Negativ-Effekt noch verstärkten. Beinahe jede ausländische Gesellschaft hatte ihre eigenen Handelsvertreter, die den Webern und Manufakturen entsprechend günstige Angebote machten, wodurch die Märkte für die Konkurrenten nicht mehr zugänglich waren. Das Herrscherkonzept der Moguldynastie Das Konzept von „Sovereignty“232 meint, dass die Mogulherrscher sich als „Schatten Gottes“ verstanden. Von Akbar bis Schah Dschahan (1556–1658) glaubten sie, dass sie spezielle Vertraute Gottes seien, daher könnten sie legitimer Weise Macht und Autorität beanspruchen. Weder eine andere Macht noch irgendein Gesetz stehe über ihnen. Als absolute Herrscher waren sie nur Gott gegenüber verantwortlich. Dieses Herrscherkonzept kommt in diversen Inschriften233 zum Ausdruck: So wurde z.B. Akbars Moschee zu Fatehpur Sikri betreffend Heiligkeit mit der Kaaba verglichen. Der Khwabgah Palast zu Fatehpur Sikri wird wiederum mit dem Paradies verglichen: „Dieser königliche Palast ist in jeder Hinsicht besser als das höchste Paradies ….“ Solche und ähnliche Inschriften sollen nur zum Ausdruck bringen, dass die jeweiligen Herrscher über den höchsten Würdenträgern des Hofes und den Ulema mit ihren Fatwas stehen. Dschahangir ließ beim Grabmal seines Vaters Akbar inschriftlich verankern: „Der König ist durch den ewigen Willen Gottes in dieser Welt der Schatten des Lichtes vom göttlichen Sein.“ Eine Inschrift der Masdschid des Agra Fort von Schah Dschahan erwähnt, dass „diese glänzende Kaaba Rivalin des himmlischen Tabernakels ist.“ Nath hat zu zeigen versucht, dass beim Selbstverständnis der Mogulherrscher der Einfluss der persischen Königsideologie greifbar wird, weniger das Kalifatskonzept, das ja davon ausging, dass die vier rechtgeleiteten Kalifen durch Wahl bestimmt wurden,234 denn die Perser kannten von alters her das Konzept der Göttlichkeit der Königsherrschaft. Diese Idee finde in der schiitischen Imamatslehre ihre Fortsetzung, denn die Institution des Imamats ist als ein Akt von Gottes Gnade zu verstehen. Auch vom Imam heißt es, dass er „der Schatten Gottes auf Erden“ ist, daher ist er das alleinige Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft, was wiederum ein göttlich bestimmtes Amt bedingt. Die Mogulherrscher folgten also dieser Königsideologie und nicht dem Kalifatskonzept der Sunniten. Eine große Rolle spielte am Mogulhof daher die Astrologie, sodass „praktisch jeder Schritt im Leben eines Herrschers astrologisch vorgeschrieben wurde.“235 Ähnliches gelte auch für die Traumdeutung.

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Literatur und höfische Kultur Mit der Mogulherrschaft beginnt der Kulturkontakt zwischen Iran und Indien,236 der durch die äußerst gastfreundliche Aufnahme des Zuflucht suchenden Humayun und nach seiner Rückkehr nach Indien noch stärker ausgebaut wurde. Nicht nur der diplomatische Kontakt zwischen Agra und Isfahan wurde unter Schah Abbas im 16. Jh. eingerichtet, vielmehr waren vom Kulturaustausch sämtliche Lebensbereiche betroffen: Handel, Kunst und Literatur. Da die Safawidenherrscher im benachbarten Iran als Hüter der zwölferschiitischen Lehre kaum Interesse zeigten, weltliche Literatur zu fördern, kamen Dichter in Scharen aus dem Iran an den Mogulhof, wo sie ihre literarischen Fähigkeiten in einem relativ offenen Klima unter Beweis stellen konnten. Flüchtlinge, die im Zuge der mongolischen Invasionen Persiens, in Indien Zuflucht suchten, ob als Gelehrte, Mystiker, Musiker, Maler oder Kunsthandwerker, sie alle brachten das persische Kulturerbe mit sich, das mit jenem des Indischen Subkontinents eine fruchtbare Symbiose einging. Unter Akbar wurde nun das Mogulreich sogar „zum Traumland aller Künstler.“237 Der Mogulhof übernahm von Isfahan Hofzeremonien und soziale Umgangsformen. Nicht nur Literaten, sondern auch Künstler, Gelehrte und Wissenschaftler kamen während der Mogulherrschaft nach Indien. Dieser indo-iranische Kontakt führte auch zur Entwicklung einer neuen Sprache, des Urdu, das sodann zur eigentlichen Literatursprache wurde. Das Gespür der Mogulkaiser Humayun, Akbar und Dschahangir für persische Poesie war ausschlaggebend für die Förderung der Poeten am Hof. Im Gegenzug war neben dem Persischen, das den indischen Muslimen als Verwaltungssprache und Sprache der Literatur diente, das Arabische die Sprache der Theologie und Philosophie, aber auch Werke der Kunstprosa und Poesie wurden in Arabisch verfasst. Chagatay-Türkisch, in der Anfangszeit noch Literatursprache, wurde dann vor allem im Palast gesprochen und türkische Begriffe blieben in den Bereichen der Militärverwaltung, der Jagd und der Kleidung erhalten. Gerade auch das Interesse der Gebildeten sowohl des Mogulreiches als auch des Osmanenreiches für das gegenseitige Literaturschaffen, verweist auf den Kulturaustausch zwischen beiden Reichen. Daneben wuchs das Interesse an neuindischen Sprachen am Hof wie das Hindi und das Sindhi, deren Dichter sich am Hof bewegten. Akbar ließ auch Epen aus dem Sanskrit übersetzen, um seine Untertanen mit dem indischen Erbe bekannt zu machen. Der Hofstaat verfügt über eine Vielzahl von Angestellten in hierarchischer Gliederung bis hin zu den religiösen Würdenträgern und jenen Schreibern, die in akribischer Weise alles protokollierten. Auch der Beitrag Indiens zur Entwicklung der persischen Poesie ist sehr hoch anzuschlagen. Die Bibliothek Akbars zeichnete sich durch Sammlungen von Werken in Sanskrit, persischer, arabischer und griechischer Sprache aus. Die Literatur in der Mogulzeit hat sich durch das Medium der unterschiedlichen Sprachen ausgedrückt, ob Poesie, Prosa, Historiographie oder mystische Verse. Durch die freundschaftlichen Beziehungen des Safawidenhofes zum Hof der Moguln war auch ein ständiger kultureller Austausch gegeben. „Isfahan und Agra schienen zwei Viertel ein- und derselben Stadt zu sein.“238 Persisch wurde die lingua franca des Landes. Aufgrund

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dieser Kulturkontakte bildete sich ein indischer Stil in der persischen Poesie heraus (Sabk-i-Hindi). „Die indische Schule der persischen Dichtkunst ist vor allem durch Intellektualismus …. und Künstelei ….. gekennzeichnet.“ Dichter wie Urfi (1555–1591) und Bidil (1644–1721) behandeln die Dichtkunst „wie eine Mathematik der Emotionen und Gedanken, in der Bilder wie Zahlen addiert, subtrahiert, multipliziert und in unendlich kleine Bruchteile dividiert werden können.“239 Im 18. Jh. musste das Persische dann dem Urdu weichen. Vortrefflich ist auch der Einfluss der Frauen am Hof dokumentiert, indem sie oft mehr Macht ausübten als ihre Männer, aber auch als Mäzeninnen für Kunst, Literatur und Wissenschaften fungierten bzw. selbst diese Künste ausübten. Der Mogul-Harem umfasste Frauen aus verschiedensten Völkern und Rassen. Die Prinzessinnen bekamen hohe Gehälter, konnten selbstständig Handel treiben und verfügten über eigene Ländereien.240 Allerdings galt auch für die Frauen der Mogulzeit, dass sie von der Außenwelt abgeschlossen waren. Drogen und Alkohol waren in der gehobenen Gesellschaft weit verbreitet. Musik und Jagdveranstaltungen gehörten zu den Lustbarkeiten des Hofes neben der Veranstaltung von Tierkämpfen. Das größte Fest in der Mogulzeit war das nauruz-Fest, das persische Neujahrsfest, das 19 Tage gefeiert wurde. Von den Mogulkaisern wurden aus politischen Gründen auch große Hindu-Feste gefördert, das Frühlingsfest (holi), das Lampenfest (dipavali) und das Rama-Fest. Unter Aurangzeb wurden die Feier dieser Feste und andere Neuerungen (bid´a) abgeschafft. Die Geburtstage der Mogulkaiser wurden als Staatsfeste begangen.241 Der Wissenschaftsbetrieb in Lucknow Durch das tolerante Klima am Mogulhof blühten Kunst und Wissenschaft, Malerei, Architektur und Philosophie. Was den Wissenschaftsbetrieb in Indien anbelangt, so hat Malik gezeigt, dass in Südasien wie in Persien und Irak „weniger Wert auf dogmatische Diskussionen als vielmehr auf Erkenntnislehre gelegt wurde, die einer Politik der kulturellen Integration entgegenkam.“242 Der Einfluss Persiens auf Indien im 17. Jh. lasse allgemein auf eine „transregionale Wissenschaftstradition“243 schließen. Besonders die rational-mystische Schule von Isfahan mit Sadr al-Din Shirazi (Mulla Sadra) (gest. 1649) spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Die gemeinsame esoterische Tradition Indiens und Persiens geht auf Ibn Arabi zurück. Diese Wissenschaftstradition war nicht nur auf Nordindien beschränkt, sondern wurde auch für die nicht-arabischen Muslime bedeutsam und somit integrativer Teil des islamischen Kulturerbes. Weiters wird im 17. Jh. auch der Kontakt zu Europa an Bedeutung gewinnen, damit beginnt dann das Interesse an europäischer Philosophie und Wissenschaft. Verschiedene Mogulherrscher zeigten Sympathien für die Schia und damit auch für den damit verbundenen Wissenschaftskanon. Die rationalen Wissenschaftstraditionen waren auch die Basis für Akbars religiös-politische Ausrichtung gegenüber den traditionellen Hadith-Gelehrten. So soll Akbar den persischen Gelehrten Schirazi (gest. 1589) an seinen Hof geholt haben, der in der Folge

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„die Hof- und Gelehrtenkultur nachhaltig beeinflusste und einen ‚rationalen Orkan im Lehrkanon‘ herbeiführte.“244 Schirazi sah unterschiedliche Wissenschaftstraditionen zusammen: Philosophie, Astronomie, Mathematik und Naturwissenschaften, Esoterik und die Lichtmystik des Scheich Maqtul Schihab ad-Din Suhrawardi. Dieser rationale Wissenschaftskanon wird dann in der zweiten Hälfte des 16. Jh. in Lucknow in der Provinz Awadh einen Höhepunkt erreichen. In dieser Provinz finden sich auch viele Niederlassungen von alidischen Nachkommen und Notablen. Sie wurden von einzelnen Herrschern mit Stipendien und Lehen ausgestattet. Dadurch war es ihnen möglich, Moscheen, religiöse Schulen und Sufikonvente zu errichten.245 Aber auch die Traditionswissenschaften (hadith) blühten, zuzuschreiben dem immer größer werdenden Geltungsbereich des Naqschbandiyya-Ordens und den heimkehrenden Mekka-Pilgern; diese konnten sich aber vorerst nicht durchsetzen. Die neue Gelehrsamkeit in Lucknow war in den Zeiten des Zerfalls des Mogulreiches auch von einschneidenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen begleitet, nämlich vom Übergang eines einheitlich regierten Imperiums zu Lokalfürstentümern. Diese Veränderungen brachten eine „Regionalisierung der Kultur mit sich.“246 Unter dem gelehrten Qutb ad-Din wurde Lucknow durch die rationalen Wissenschaften zu einem überregionalen Gelehrtenzentrum ausgebaut. Die Dynastie der schiitischen Nawwabs (Gouverneuere) in Lucknow festigte ihre Macht und förderten gleichzeitig den säkular-rationalistisch ausgerichteten Lehrbetrieb in Verbindung mit den Lehren Ibn Arabis, ein Umstand, der sich positiv auf die „kulturelle Integrationspolitik“ auswirkte. Den Lehrkanon bildeten folgende Fächer: Logik, Philosophie, Methodenlehre der islamischen Rechtswissenschaft, Sprachwissenschaften, Hadithinterpretation nach den Schafiiten. Qutb ad-Dins Auslegungen standen hin und wieder im Gegensatz zu denen der orthodoxen Gelehrten. Die Mogulherrscher förderten und unterstützten die Nachkommen Qutb ad-Dins. Erst Mitte des 19. Jh. wird es den Schiiten in Lucknow gelingen, ein selbstständiges Rechtswesen herzustellen. Nach Malik zeichnen sich bereits im vorkolonialen Indien durch „überregionale Marktinteressen“, durch die Begegnung Indiens mit Europa, durch den Zerfall des Mogulreiches in Territorialstaaten neue politische, kulturelle und gesellschaftliche Entwicklungen ab, die Gelehrte und Literaten aus der Mogulhauptstadt nach Awadh übersiedeln lassen. In diesem Kontext entstehen islamische Frömmigkeitsbewegungen, die eine Rückkehr zu den Traditionen des Propheten (hadith) und zur Mystik fordern. Damit war auch eine gewisse Kritik des säkular-rationalistischen Lehrbetriebes verbunden. Ein wichtiger Vertreter dieser pietistischen Bewegung war Schah Waliullah (1703–1762),247 der am Ende der Regierungszeit von Aurangzeb geboren wurde. Als Naqshbandi erlangte er deswegen Relevanz, weil er nach seiner Rückkehr aus Mekka für die Erneuerung des Islam in Indien eintrat, indem er ihn von der Heiligenverehrung und den damit verbundenen Gräberkult zu reinigen suchte. Auch sollte der Islam von den von Hindus übernommenen Sitten und Riten gereinigt werden. Er war ein Zeitgenosse von Muhammad ibn Abd al-Wahhab, der im Hedschas mit Ibn Saud den wahhabitischen Islam zum Staatsdogma erhob und die arabische Halbinsel in ähn-

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licher Weise von allen „Neuerungen“, dies sind Heiligenverehrung und Gräberkult, befreite. Von diesen fundamentalistischen Tendenzen dürfte auch Schah Waliullah in Mekka beeinflusst worden sein. Bereits Scheich Ahmad Sirhindi hat zu Akbars Zeiten gegen die Verweltlichung des Staates bekämpft. Die Naqschbandis stellten unter den Sufis eine spezifische Gruppe dar, da sie sich auch politisch engagierten und ein sehr ausgeprägtes Meister-Schüler Verhältnis vertraten. In Zentralasien erlangten Scheiche der Naqschbandiyya aufgrund ihres persönlichen Reichtums auch ökonomische Bedeutung. Aufgrund ihrer timuridischen Abstammung brachten die Moguln den Scheichen der Naqschbandiyya große Wertschätzung entgegen; daher war die Verbindung mit dem Naqschbandiyya-Orden ein traditionelles Element ihres Erbes.248 Den herkömmlichen Lehrkanon von Logik und Philosophie ersetzte Schah Waliullah durch Hadithwerke und mystische Werke. Nicht Vernunfterkenntnisse, sondern die Nachfolge des Propheten, also die Prophetenfrömmigkeit stand im Mittelpunkt. Diskurse zwischen Vertretern der Hadithwissenschaft und jenen der rationalen Wissenschaften führten dazu, dass sich ein „Gegenkanon“249 herausbildete. Im 18. Jh. standen sich daher zwei Kanones gegenüber: während der eine sämtliche kulturelle Bereiche einer ausschließlich dogmatischen Sichtung unterwarf, „sprach sich der andere Kanon für kulturelle Autonomie aus und förderte spezifische Diskurse“, und plädierte so für eine rationale Sichtung.250 Kunst und Architektur Die Zeiten Überdauerndes wurde besonders auch in der Miniaturmalerei251 am Mogulhof geleistet, wo die Portraitmalerei aufgrund ihres naturgetreuen Realismus fotographische Qualität erlangte. Zu Akbars Zeiten kam mit den Portugiesen die europäische Porträtmalerei als neues Element an den Mogulhof. Sie wird in der Folge vor allem durch Familienporträts von Herrschern und Prinzen ihren spezifischen Ausdruck finden. Epen, wie jene Amir Khusraus oder Dschamis wurden am Mogulhof mit Miniaturmalerei illuminiert. In der Folge bildete sich ein eigener Stil in der Miniaturmalerei heraus, „in dem die raffinierte Feinheit des persischen Stils und die starke, lebendige Schau der Hindu-Künstler sich in erstaunlicher Weise trafen und zu einer unerwarteten Symbiose gelangten.“252 Vor allem unter Dschahangir wurde der Stil weiter entwickelt und auch die Perspektive miteinbezogen. Er kopierte die Natur bis in die kleinsten Details hinein, wovon seine naturalistische Darstellungen, aber auch allegorischen Bilder zeugen. Miniaturen des mulimischen Indiens inspirierten umgekehrt auch die europäische Malerei. Die Kalligraphie wurde nicht nur bewundert, sondern auch praktisch geübt. Die Fusion der iranischen und indischen Stile wird auch in der indischen Architektur ersichtlich.253 Die Begegnung der indischen mit den islamischen Stilelementen hatte zu einem architektonischen Stil geführt, den man als einen synkretistischen indo-islamischen Stil, später in der Mogulzeit indo-persischen Stil nennen

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kann. Denn in der Mogulzeit wirkt sich das massive Eindringen des persischen Kulturschaffens auch auf die Architektur aus. Nicht nur in der Literatur und Malerei, sondern auch in der Architektur kann diese kulturelle indisch-iranische Synthese beobachtet werden. Allerdings zeigt sich am Anfang der Mogulzeit, etwa unter Akbar, noch eine stärkere Ausrichtung auf den indischen Stil. So sind seine Bauten im Fort von Agra und in Fatehpur Sikri dem Stile nach indisch ausgerichtet. Sie wirken wie Holzbauten, allerdings nun aus Stein. Denn die Techniken der Konstruktion und Ornamentierung entsprechen jenen, die bei Holz angewandt werden. „Die Gesamtkonzeption der Palastanlage jedoch ist weder indisch noch besonders muslimisch, sie gehört vielmehr in den Bereich türkischer Pavillon-Architektur.“254 Aber bereits in der Zeit Akbars setzt auch etwas Neues ein, indem zum ersten Mal persische Architekturelemente verwendet werden: das Tormotiv des Kielbogens an Iwanfronten und Nischen; das Zusammenwirken von rotem Sand- und weißem Kalkstein wird typisch werden für die islamische Kunst in Indien; das bisherige oktogonale Bauschema wurde durch den persischen Kuppelbau abgelöst. Den Übergang dazu bildet das Grabmal für I`timad ad-Daula (1622–28), des aus Persien stammenden Schatzmeisters und Schwiegervaters Schah Dschahangirs. Die bewusste Ausrichtung nach persischem Vorbild liegt hier auf der Hand. Mit diesem Grabmal verbindet sich etwas Neues, denn nicht mehr Sandstein dient als Baumaterial, sondern ab jetzt ist es der Marmor. Damit entsteht auch eine neue Dekorationstechnik, nämlich die pietra-dura-Intarsie, Einlegearbeiten von Halbedelsteinen (Lapislazuli, Jaspis, Topas und Karneol) in Marmor, zuerst im Florenz des 16. Jh. angewandt. In die glatten Marmorflächen werden Vertiefungen geschlagen, wohinein die entsprechenden bearbeiteten Formen der Halbedelsteine eingelassen werden. „Fortan sollten in den weißen Marmor ‚gestickte‘ Blumen, Bäumchen, Ranken die Innenwände und Außenmauern schwerelos, aber etwas realistisch-dünn überziehen.“255 Ihren Höhepunkt und ihre Vollendung sollte diese Kunst im Tadsch Mahall erreichen. Schah Dschahan ließ es für seine geliebte Gattin Mumtaz Mahal errichten. Ähnlich wie die Einlegearbeiten in weißem Marmor hier ihre Höchstform finden, so erreicht auch die persische Tradition des Kuppelbaues im Tadsch ihre Perfektion. Beide Neuerungen, sowohl der Marmor als auch die Einlegearbeiten, sollten die Wesensmerkmale der mogulschen Baukunst auf ihrem Höhepunkt werden. Weitere Elemente waren die Fließenverkleidung von Wänden und Mauern und die Fayencedekorationen. Nicht nur in Fathpur Sikri sondern insgesamt zeichnen die mogulischen Paläste auch die Fenstergitter aus: verflochtene geometrische Netze, vegetabilische Motive, Knospen und Blüten. Ähnlich auch die Gartenanlagen mit den sich kreuzenden Wasserrinnen, die Babur aus Zentralasien mitbrachte; in seinen Memoiren schreibt er: Weil es in Indien nur selten fließende Gewässer gibt, was ein großer Nachteil ist, wollte ich immer dort, wo ich mich aufhielt, Wasserräder errichten, um fließendes Wasser zu haben und das Land in ordentlicher und symmetrischer Weise anzulegen...........So gab es in diesem reizlosen und unordentlichen Indien nun auch

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ordentliche und symmetrisch angelegte Gärten. In jeder Ecke ließ ich schöne Blumenbeete mit Rosen und Narzissen in wohlgeordneten Reihen anpflanzen.256

Die Grabbezirke werden als eine geometrisch angelegte Parkanlage mit steinernen Wasserrinnen und Springbrunnen dargestellt. Diese „Vier-Garten-Anlagen“ bildeten durch das Achsenkreuz ein nach den Himmelsrichtungen ausgerichtetes Quadrat als Abbild der viergeteilten Welt. Im Schnittpunkt der Achsen befindet sich das Grabmal. Diese mit den Grabanlagen verbundenen Gärten sollen abbildhaft auf das himmlische Paradies verweisen; ist doch im Koran das Paradies grundsätzlich als Garten (dschanna) dargestellt, als Lohn für die Frommen. In den Werkstätten der Kunsthandwerker wurden kostbare Gewebe, Miniaturen, Metall- und Juweliersarbeiten hergestellt. Der ungeheure Luxus, der am Hof herrschte, zeigte sich unter anderem anhand kostbarer Perlenketten, Gebetsschnüren aus Perlen, Rubinen und Diamanten, die in Golconda (Dekkan) gefunden wurden.

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Anmerkungen Einleitung 1 2 3 4

H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Frankfurt 1966, 259ff, 63ff. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit 88ff, 144ff, 180ff. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit 433ff, 507ff. N. Elias, Über den Prozess der Zivilisation II. (1930). Frankfurt 1977, 151ff, 379.

1. Lebensformen und Lebenswelten 1 J. Ehmer, Bevölkerung. In: Enzyklopädie der Neuzeit II. Stuttgart 2005, 94–116. 2) J. Lucassen/L. Lucassen, Glaubensflüchtlinge. In: Enzyklopädie der Neuzeit IV. Stuttgart 2005, 920–925. 3) F. Seibt, Die Begründung Europas. Frankfurt 2002, 98–122. 4) F. Seibt, Die Begründung Europas 101–123. 5) B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit. 1500 bis 1800. Darmstadt 2009, 19–25. 6) W. Reinhard, Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie. München 2006, 37–49. 7) W. Reinhard, Lebensformen Europas 102-122. B. Lundt, Europas Aufbruch 2434. W. Trossbach/ W. Zimmermann, Die Geschichte des Dorfes. Stuttgart 2006, 128–139. 8) B. Lundt, Europas Aufbruch 32–39. W. Reinhard, Lebensformen Europas, 120–134. 9) P. Bickle, Das alte Europa. Vom Hochmittelalter zur Moderne. München 2008, 78–92. J. Amman, Das Ständebuch. Hg. von Manfred Lemmer. Frankfurt 1988, 120ff. 10) U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006, 102–115. 11) B. Lundt, Europas Aufbruch 42–44. U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, 115–127. 12) U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit 68–81. B. Lundt, Europas Aufbruch, 40–46. 13) M. Meltzer, Slavery. A world history. New York 1993, 122–140. R. Blackburn, The making of a new world slavery. New York 1997, 29–42. C. Meillassoux, Anthropologie der Sklaverei. Frankfurt 1989, 98–119. 14) B. Lundt, Aufbruch Europas, 40–49. U. Rooseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, 96–112. 15) U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit 111–124. B. Lundt, Europas Aufbruch, 44–49. 16) K.S. Frank, Orden. In: LThK VII, Freiburg 2006, 1090–1096. L. Holtz, Geschichte des christlichen Ordenslebens. Zürich 1990, 34–48. J.B. Metz, Zeit der Orden. Freiburg 1986, 122–138. 17) B. Geremek, Geschichte der Armut. München 1988, 889–102. E. Klinger, Armut, eine Herausforderung Gottes. Zürich 1990, 22–35. R. Kramer, Umgang mit Armut. Berlin 1990, 34–45. 18) B. Lundt, Aufbruch Europas 44–48. M. Rheinheimer, Arme, Bettler und Vaganten. Frankfurt 2000, 13–25. 19) M. Rheinheimer, Arme, Bettler und Vaganten 14–29. B. Lundt, Europas Aufbruch, 45–52. U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, 81–88. 20) U. Rosseaux, Städte in der Frühen Neuzeit, 59–69. B. Lundt, Europas Aufbruch, 46–52.

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Anmerkungen

2. Dynamik der Reformationen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

A. Grabner-Haider, Das Laienchristentum. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Darmstadt 2006, 23–34. M. Venard/H. Smolensky, Die Reformation. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII, Freiburg 1995, 675–678. F. Rapp, Reformes et Reformation a Strasbourg. Paris 1974, 418–422. F. Rapp, Die Vielfalt der Reformationsbestrebungen. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII, Freiburg 1995, 142–146. F. Rapp, Die Vielfalt der Reformationsbestrebungen 144–160. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten. Graz 1982, 138–147. M. Lienhard, Martin Luther. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 1995, 679–684. F. Rapp, Martin Luther 680–698. A. Lexutt, Die Reformation. Ein Ereignis macht Epoche. Köln 2009, 50–55. F. Rapp, Martin Luther 695–701. A. Lexutt, Die Reformation 51–55. F. Rapp, Martin Luther 700–708. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 138–144. F. Rapp, Martin Luther 705–713. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII, Freiburg 1995, 723–731. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 151–154. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 728–735. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 730–737. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 138–144. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 736–740. A. Lexutt, Die Reformation 96–106. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 740–744. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 750–758. M. Lienhard, Die Ausbreitung der lutherischen Botschaft 760–763. A. Lexutt, Die Reformation 102–110. M. Lienhard, Huldrych Zwingli. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII, Freiburg 1995, 774–784. A. Lexutt, Die Reformation 70–74. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 145–148. M. Lienhard, Huldrych Zwingli 780–788. M. Lienhard, Die Vielfalt der Reformation. In: M. Venard (Hg,), Die Geschichte des Christentums VII. Freiburg 1995, 789–799. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 145–148. M. Lienhard, Die Vielfalt der Reformation 795–803. A. Lexutt, Die Reformation 70–73. M. Lienhard, Die Vielfalt der Reformation 800–808. Ch. Strohm, Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators. München 2009, 60–66. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf. München 2009, 74–83. Ch. Strohm, Johannes Calvin 35–42. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 27–44. Ch. Strohm, Johannes Calvin 40–51. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 129–144. Ch. Strohm, Johannes Calvin 60–74. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 179–190. Ch. Strohm, Johannes Calvin 88–99. Ch. Strohm, Johannes Calvin 100–119. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 213–224. V. Barrie-Curien, Die anglikanische Reformation. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 1992, 191–200. V. Barrie-Curien, Die anglikanische Reformation 200–206. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 148–150. V. Barrie-Curien, Die anglikanische Reformation 205–215. A. Lexutt, Die Reformation 137–140. V. Barrie-Curien, Die anglikanische Reformation 225–232. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 148–152. A. Lexutt, Die Reformation 139–141. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 148–150.

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Anmerkungen

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35 A. Lexutt, Die Reformation 98–118. 36 P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 188–192. A. Lexutt, Die Reformation 122–133. 37 W. Huber, Das christliche Abendland. In: P. Bahr (Hg.), Protestantismus und Kultur I. Gütersloh 2007, 107–130. A. Lexutt, Die Reformation 200–208.

3. Protestantische Lebenswelten 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

M. Greschat, Protestantismus in Europa. Geschichte, Gegenwart, Zukunft. Darmstadt 2005, 78–80. F.W. Graf, Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart. München 2006, 31–36. M. Greschat, Protestantismus in Europa 76–81. A. Lexutt, Die Reformation 170–180. M. Greschat, Protestantismus in Europa 80–84. F.W. Graf, Der Protestantismus 7–11. M. Greschat, Protestantismus in Europa 80–86. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 242–251. F.W. Graf, Der Protestantismus 40–46. M. Greschat, Protestantismus in Europa 82–88. F.W. Graf, Der Protestantismus 31–40. A. Lexutt, Die Reformation 171–182. F.W. Graf, Der Protestantismus 40–46. F.W. Graf, Der Protestantismus 45–48. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 229–240. F.W. Graf, Der Protestantismus 47–54. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 133–141. F.W. Graf, Der Protestantismus 45–56. M. Greschat, Protestantismus in Europa 90–94. A. Lexutt, Die Reformation 202–208. A. Lexutt, Die Reformation 209–212. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 242–252. F.W. Graf, Der Protestantismus 7–10. M. Greschat, Protestantismus in Europa 9–14. M. Greschat, Protestantismus in Europa 59–64. F.W. Graf, Der Protestantismus 12–16. A. Lexutt, Die Reformation 22–27. F.W. Graf, Der Protestantismus 60–65. M. Greschat, Protestantismus in Europa 9–14. F.W. Graf, Der Protestantismus 81–91. F.W. Graf, Der Protestantismus 90–105. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 242–252. M. Greschat, Protestantismus in Europa 158–164. A. Lexutt, Die Reformation 209–212. M. Greschat, Protestantismus in Europa 59–52. A. Lexutt, Die Reformation 22–25. A. Lexutt, Die Reformation 9–20. M. Greschat, Protestantismus in Europa 60–65. R.S. Westfall, Science and Religion in 17th century England. New Haven 1958, 133–140. M. Greschat, Protestantismus in Europa 64–68. R.S. Westfall, Science and Religion 134–142. M. Greschat, Protestantismus in Europa 68–71. J.S. Semler, Abhandlung von freier Untersuchung des Canons. Hg. Von H. Scheible. Gütersloh 1967, 88–90. M. Greschat, Protestantismus in Europa 72–75. V. Reinhardt, Die Tyrannei der Tugend 242–252. A. Lexutt, Die Reformation 202–207. M. Greschat, Protestantismus in Europa 72–75.

4. Katholische Lebenswelten 1 2 3 4 5 6

M. Venard, Die katholische Kirche. In: Ders., (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 1992, 239–244. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 165–170. N.H. Minnich, Lateranense V. In: LThK VI, Freiburg 2007, 670f. M. Venard, Die katholische Kirche 260–273. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 174–185. K. Ganzer, Trient. In: LThK X. Freiburg 2007, 224, 230. M. Venard, Die katholische Kirche 274–280. H. Wolf, Der Vatikan und die verbotenen Bücher. München 2006, 13–30. Ders., Der Papst und der Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich. München 2008, 7–19. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 180–186. M. Venard, Die katholische Kirche 270–275. F. Hildesheimer, Jansenismus. In: LThK V. Freiburg 2007, 739–745. H. de Lubac, Die Freiheit der Gnade. Einsiedeln 1971, 84–102.

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256 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

Anmerkungen

R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste. Wiesbaden 2004, 207ff. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 184ff. M. Venard, Die katholische Kirche 241–255. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 108–112. M. Venard, Die katholische Kirche 274–281. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 113–117. M. Venard, Die katholische Kirche 267–275. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 117–121. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 121–124. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum. In: Ders., (Hg.), Die Geschichte des Christentums X. Freiburg 2000, 369–390. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 124–127. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 398–420. R. Fischer-Wollpert, Lexikon der Päpste 125–127. L. Holtz, Geschichte des christlichen Ordenslebens. Zürich 1991, 68–92. J. Lang, Die großen Ordensgründer. Freiburg 1990, 200–210. A. Grabner-Haider, Die großen Ordensgründer. Wiesbaden 2007, 142–152. J. Lang, Die großen Ordensgründer 200–210. K.S. Frank, Johannes von Gott. In: LThK V. Freiburg 2007, 912f. K.S. Frank, Franz von Sales. In: LThK IV. Freiburg 2007, 52–54. A. Grabner-Haider, Die großen Ordensgründer 154–157. K.S. Frank, Lazaristen. In: LThK VI. Freiburg 2007, 799ff. J. Wetter, Englische Fräulein. In: LThK III. Freiburg 2007, 672f. L. Holtz, Geschichte des christlichen Ordenslebens 65–88. J. Sudbrack, Das Charisma der Nachfolge. Würzburg 1994, 34–45. A. Grabner-Haider, Hexen und Ketzer aus religionswissenschaftlicher Sicht. In: Ders./K. Weinke (Hg.), Fanatismus und Massenwahn. Graz 1987, 32–57. M. Venard, Die Angst vor Dämonen. In: Ders., (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 1997, 1074–1090. M. Venard, Die Angst vor Dämonen 1074–1084. R. Decker, Die Hexen und ihre Henker. Freiburg 1994, 128–142. M. Venard, Die Angst vor Dämonen 1075–1083. W. Behringer (Hg.), Hexen und Hexenprozesse im Mittelalter. München 1992, 34–51. H.C. Midelfort, Geschichte der abendländischen Hexenverfolgung. Ostfildern 1994, 49–62. H. Harmening, Zauberei im Abendland. Würzburg 1991, 38–50. M. Venard, Die Angst vor den Dämonen 1090–1096. F. von Spee, Cautio Criminalis. Hg. von J.F, Ritter. München 1986, 79–81. M. Venard, Die Angst vor den Dämonen 1095–1098. H.C. Midelfort, Geschichte der abendländischen Hexenverfolgung 128–144. M. Venard, Die Angst vor den Dämonen 1100–1106. P. Bayle, Oeuvres diverses IV, 68–70. Ders., Gesammelte Werke. Hg. Von W. Bolin/F. Jodl. Stuttgart 1960. V, 109–120. F. Voltaire, Dictionnaire philosophique. Hg. von R. Naves/J. Benda. Paris 1966, 295–300, 63–70. Ders., Lettres philosophiques. Hg. von R. Naves/J. Benda. Paris 1964, 252–260. F. Domingez, Johannes vom Kreuz. In: LThK V. Freiburg 2007, 927ff. B. Jaspert (Hg.), Leiden und Mystik in der Weisheit. Paderborn 1992, 66.89. A. Angenendt, Heilige und Reliquien. München 1994, 78–91. A. Angenendt, Heilige und Reliquien 61–82. G. Schwager, Barock. In: LThK II. Freiburg 2007, 20–24. G. Schwager, Barock 21–24. G. Schwager, Barock, 21–24. D. Deslandres, Das Christentum in Süd- und Nordamerika. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums IX. Freiburg 1998, 615–630. H. Gründer, Welteroberung und Christentum. Göttingen 1992, 167–181. U. van der Heyden/H. Liebau, Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte. Stuttgart 1996, 122–143. Y. Saint Geours, Lateinamerika. Die Krise der Kolonialkirche. In: B. Plongeron (Hg.), Die Geschichte des Christentums X. Freiburg 2000, 70–92.

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Anmerkungen

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41 K. Müller/W. Urstorf (Hg.), Einleitung in die Missionsgeschichte. Stuttgart 1995, 134–151. 42 U. van der Heyden/H. Liebau, Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte 68–89.

5. Lehren der Philosophen 1 2 3 4 5

6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

A. Grabner-Haider, Das Laienchristentum. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Darmstadt 2006, 12–24. A. Godin, Humanismus und Christentum. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII. Freiburg 1995, 612–620. A. Godin, Humanismus und Christentum 612–621. H. Boockmann (Hg.), Kirche und Gesellschaft im Heiligen Römischen Reich des 15. und 16. Jahrhunderts. Göttingen 1994, 100–115. A. Gail, Erasmus von Rotterdam. München 1999, 48–52. A. Godin, Humanismus und Christentum 615–622. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 78–92. R.H. Bainton, Erasmus. Reformer zwischen den Fronten. Göttingen 1972, 69–80. L.E. Halkin, Erasmus von Rotterdam. Eine Biographie. Zürich 1989, 98– 112. J. Sperna-Weiland (Hg.), Erasmus von Rotterdam. Die Aktualität seines Denkens. Hamburg 1988, 122–139. A. Godin, Humanismus und Christentum 620–625. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 121–136. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 100–124. A. Godin, Humanismus und Christentum 620–625. A. Godin, Humanismus und Christentum 622–628. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 122–141. A. Godin, Humanismus und Christentum 625–634. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 139–151. A. Godin, Humanismus und Christentum 622–639. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 152–164. R.H. Bainton, Erasmus 72–94. A. Gail, Erasmus von Rotterdam 148–162. L.E. Halkin, Erasmus von Rotterdam 167–182. Th. Morus, Utopia. Dt. Von H. Kotte. Frankfurt 1992, 34–45. Th. Morus, Utopia, Kap. 3–5. A. Godin, Humanismus und Christentum 630–635. A. Godin, Humanismus und Christentum 625–636. W. Röd, Der Weg der Philosophie I. München 1996, 413–415. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 418–422. A. Godin, Humanismus und Christentum 640–651. M. de Montaigne, Essais II, 12. R. Popkin, The history of scepticism from Erasmus to Descartes. Assen 1979, 78–91. G. Bruno, La cena de le ceneri. Dt. Ausgabe, Darmstadt 1975. Ders., De l´infinito, universo e mondi. In: Opere italiane I, 289–295. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 441–444. G. Bruno, De la causa, principio et uno .In: Opere italiane I, 174–176. Ders., De triplici minimo et mensura. In: Opera latina conscripta I,3,140–142. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 442–446. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 446–449. K. Fischer, Galileo Galilei. München 1983, 66–80. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 446–451. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte. Düsseldorf 2003, 114–126. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 450–452. F. Bacon, Nova Atlantis IV,3. W. Krohn, Francis Bacon. München 1991, 84–99. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 122–139. W. Krohn, Francis Bacon 134–149. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 126–139. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 450–456. W. Kersting, Niccolo Machiavelli. München 1988, 123–142. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 457–460. H. Freyer, Machiavelli. Weinheim 1986, 96–117. M. Stolleis, Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit. Frankfurt 1990, 117–129. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 456–460.

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258

Anmerkungen

32 H. Denzer (Hg.), Jean Bodin. München 1983, 130–144. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 126–138. 33 W. Röd, Wege der Philosophie I, 460f. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 130–138. 34 H. Denzer (Hg.), Jean Bodin 67–82. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 459–462. 35 W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 461f. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 140–154. K.W. Dahm (Hg.), Politische Theorie des Johannes Althius. Berlin 1988, 139–147. 36 M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 140–149. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 461ff. 37 F.J. Niemann, Grotius. In: LThK IV, Freiburg 2007, 1066. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 462–464. 38 H. Ottmann, Tommaso Campanella. In: LThK II. Freiburg 2007, 913. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 463. 39 M. Morgenstern/R. Zimmermann, Denkwege der Philosophiegeschichte 98–113. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 463ff. 40 Th. Hobbes, Opera philosophica. Aalen 1961, I, 1, 9. 41 Th. Hobbes, Lehre vom Bürger. In: Opera omnia I, 1, 14. W. Röd, Der Weg der Philosophie II. München 1997, 38–41. 42 B. Wilms, Thomas Hobbes. Das Reich des Leviathan. München 1987, 72–88. O. Höffe (Hg.), Thomas Hobbes. Anthropologie und Staatsphilosophie. München 1981, 45–62. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 38–44. 43 W. Röd, Die Genese des Cartesianischen Rationalismus. München 1995, 38–47. B. Williams, Descartes. Das Vorhaben der reinen philosophischen Untersuchung. Königstein 1981, 110–129. 44 R. Descartes, Abhandlungen über die Methode VI, 76. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 18–22. 45 M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 98–114. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 22–28. 46 R. Specht, Rene Descartes. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I. München 1985, 301–320. 47 W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 22–30. R. Specht, Rene Descartes 310–321. 48 M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 100–112. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 34–37. 49 M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 102–112. 50 W. Röd, Thomas Hobbes. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 280–300. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 41–44. 51 L. Schäfer, Blaise Pascal. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 322–336. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 40–45. 52 A. Geulincx, Opera philosophica II, 269. Dazu W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 44–48. 53 B. Spinoza, Ethik I, 15. In: Opera II, 16–20. R. Specht, Baruch Spinoza. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 338–358. 54 B. Spinoza, Ethik II, 43. In: Opera II, 124ff. Ders., Traktat über die Verbesserung des Intellekts, § 100. In: Ders., Opera II, 36ff. R. Specht, Baruch Spinoza 344–359. 55 B. Spinoza, Ethik IV, 67f. In: Ders., Opera II, 261ff. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 50–58. R. Specht, Baruch Spinoza 350–357. 56 R. Specht, Baruch Spinoza 340–357. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 56–59. 57 R. Specht, Baruch Spinoza 344–357. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 56–60. 58 H. von Cherbury, De religione gentilium. Amsterdam 1663. W. Röd, Der Weg der Philosophie I, 430ff. 59 J. Toland, Christianity not mysteries. London 1696. 60 A. Collins, A discourse of freethinking. London 1713. 61 M. Tindal, Christianity as old as creation. London 1730. 62 Th. Chubb, The true gospel of Jesus Christ. London 1738. 63 R. Bentley, Remarks upon a late discourse of freethinking. London 1713. 64 R. Brandt, John Locke. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 360–378.

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Anmerkungen 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99

259

J. Locke, Versuch über den menschlichen Verstand I, 1, 8. R. Brandt, John Locke 362–374. J. Locke, Versuch über Toleranz. Ders., Toleranzbrief. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 66–69. J. Locke, The reasonableness of Christianity. London 1695. J. Locke, Die Vernünftigkeit des Christentums. Vorrede. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 67–70. R. Brandt, John Locke 365–377. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 66–70. R. Brandt, John Locke 370–380. G.W. Leibniz, Philosophische Schriften II, 261–270. H. Poser, Gottfried Wilhelm Leibniz. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 378–403. G.W. Leibniz, Monadologie §33. In: Philosophische Schriften VI, 385–395. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 70–75. H. Poser, Gottfried Wilhelm Leibniz 385–395. H. Poser, Gottfried Wilhelm Leibniz 386–397. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 70–77. G.W. Leibniz, Theodizee §360. In: Philosophische Schriften VI, 329–340. G. Streminger, Gottes Güte und die Übel in der Welt. Tübingen 1992, 68–80. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 76–80. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 81–84. A. von Shaftesbury, Sämtliche Werke. Hg. Von W. Benda. Stuttgart 1981. Ders, The Moralists. London 1709. Ders., Sensus communis. London 1709. Ders., An inquiry concerning virtue. London 1699.. D. Hume, Untersuchung über den menschlichen Verstand. Aalen 1964, XII, 3ff. J. Kulenkampf, David Hume. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 434–454. J. Kulenkampf, David Hume 438–444. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 92–96. D. Hume, The natural history of religion II, 4, 315ff. J. Kulenkampf, David Hume 440–448. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 109–112. A. Smith, The wealth of nations. In: The works of Adam Smith III, 180–190. Deutsch: Der Wohlstand der Nationen. München 1983. A. Smith, Die Theorie der ethischen Gefühle. Hamburg 1994, 67–80. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 108–110. M. Hereth, Montesquieu. Eine Einführung. Hannover 1995, 68–78. H. Lauener, Französische Aufklärer. In: O. Höffe (Hg.), Klassiker der Philosophie I, 405–410. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 10ff. H. Lauener, Französische Aufklärer 405–415. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 101–103. H. Lauener, Französische Aufklärer 405–415. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 106–108. H. Lauener, Französische Aufklärer 420–423. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 106–109. H. Lauener, Französische Aufklärer 420–424. W. Schneider, Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990, 67–80. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 112–115. G.E. Lessing, Nathan der Weise. In: Sämtliche Werke III, 95–110. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 115–117. O. Höffe, Immanuel Kant. In: Ders. (Hg.), Klassiker der Philosophie II, München 2008, 10–27. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 150–155. O. Höffe, Immanuel Kant 12–25. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 142–150. O. Höffe, Immanuel Kant 16–25. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 160–164. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 162–168. O. Höffe, Immanuel Kant 21–28. O. Höffe, Immanuel Kant 16–28. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 168–172. I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. In: Gesammelte Schriften VI. Stuttgart/Bad Cannstadt 1986, 83–89. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 175–181. O. Höffe, Immanuel Kant 21–28. St. Otto, Gianbattista Vico. Grundzüge seiner Philosophie. Köln 1989, 117–133. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 119–121. M. Forschner, Rousseau. Freiburg 1991, 65–78. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 121–124. M. Forschner, Rousseau 129–144. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 120–125. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 124–126. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 140–152. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 127–129. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 128–130.

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Anmerkungen

100 H. Girnsberger, Der utopische Sozialismus im 18. Jh. Wiesbaden 1984, 62–81. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 129–131. 101 W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 129–131.

6. Entwicklungen der Naturwissenschaften 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26

Narratio Prima de libris revolutionum Copernici, 1540. Dazu F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen. Wiesbaden 2007, 66–72. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 73–78. F. Hund, Geschichte der physikalischen Begriffe. München 1978, 34–41. C. von Weizsäcker, Wahrnehmung der Neuzeit. München 1986, 87–92. F. Krafft, Geschichte der Naturwissenschaft. Freiburg 1971, 24–32. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 95–101. F. Hund, Geschichte der physikalischen Begriffe 65–78. C. von Weizsäcker, Wahrnehmung der Neuzeit 34–44. B. Kanitscheider, Kosmologie. Geschichte und Systematik in philosophischer Perspektive. Stuttgart 2002, 68–79. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 118–124. Ders., Geschichte der Naturwissenschaft 34–47. K. von Megenberg, Buch der Natur. Freiburg 1990, 68–80. M. Bunge/M. Mahner, Über die Natur der Dinge. Stuttgart 2004, 19–30. C. von Weizsäcker, Aufbau der Physik. München 1989, 68–82. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 130–136. C. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur. München 1995, 66–82. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 132–142. F. Hund, Geschichte der physikalischen Begriffe 39–48. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 142–150. C. von Weizsäcker, Wahrnehmung der Neuzeit 107–119. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 150–158. C. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur 129–144. F. Krafft, Die bedeutendsten Astronomen 150–160. Ders., Geschichte der Naturwissenschaft 49–66. F. Krafft, Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt. Wiesbaden 2007, 63–68. C. von Weizsäcker, Die Wahrnehmung der Neuzeit 122–140. F. Krafft, Die wichtigsten Naturforscher 78–90. A. Gierer, Die Physik, das Leben und die Seele. München 1987, 65–74. M. Bunge/M. Mahner, Über die Natur der Dinge 53–61. F. Krafft, Die wichtigsten Naturwissenschaftler 95–102. A. Gierer, Die Physik, das Leben und die Seele 65–78. F. Krafft, Die wichtigsten Naturwissenschaftler 109–115. M. Bunge/M. Mahner, Über die Natur der Dinge 33–51. C. von Weizsäcker, Die Einheit der Natur 128–144. F. Krafft, Die wichtigsten Naturforscher 113– 121. F. Krafft, Die wichtigsten Naturwissenschaftler 123–131. A. Gierer, Die Physik, das Leben und die Seele 18–34. F. Krafft, Die wichtigsten Naturwissenschaftler 129–138. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker. Wiesbaden 2007, 40–44. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 54–60. H. Wußing/W. Arnold, Biographien bedeutender Mathematiker. Berlin 1983, 24–40. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 60–64. H. Wußing/W. Arnold, Biographien bedeutender Mathematiker 44–61. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 66–69. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 67–74. J. James, Remarkable Mathematicians. From Euler to Neumann. Cambridge 2003, 38–49. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 74–78.

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Anmerkungen

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27 J. James, Remarkable Mathematicians 47–56. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 79–87. 28 H. Wußing/W. Arnold, Biographien bedeutender Mathematiker 65–78. St. Fröba/A. Wassermann, Die bedeutendsten Mathematiker 80–89. 29 K.P. Jankrift, Die großen Ärzte im Porträt. Wiesbaden 2007, 70–72. 30 H. Rudolph, Paracelsus. In: LThK VII. Freiburg 2007, 1358f. U. Benzenhöfer, Paracelsus. Reinbek 1997, 33–49. 31 K.P. Jankrift, Die großen Ärzte im Porträt 75–83. 32 K.P. Jankrift, Mit Gott und Schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter. Darmstadt 2005, 78–92. 33 K.P. Jankrift, Die großen Ärzte im Porträt 83–87. R. Winau, William Harvey. In: D. von Engelhardt (Hg.), Klassiker der Medizin I. München 1991, 130–144. 34 F. Hartmann, Thomas Seydenham. In: D. von Engelhardt (Hg.), Klassiker der Medizin I, 154–172. K.P. Jankrift, Die großen Ärzte im Porträt 87–91. 35 J.W. Müller, Friedrich Hoffmann. In: D. von Engelhardt (Hg.), Klassiker der Medizin I, 202–215. 36 J.P. Jankrift, Die großen Ärzte im Proträt 99–109. M.H. Lücke, Edward Jenner. In: D. von Engelhardt (Hg.), Klassiker der Medizin I, 309–327. K.H. Leven, Die Geschichte der Infektionskrankheiten. Landsberg 1997, 69–83.

7. Prozesse der Aufklärung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

F. Schalk, Die europäische Aufklärung. In: G.Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, Berlin 1986, 470–480. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 100–110. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 94–100. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 126–138. F. Schalk, Die europäische Aufklärung 489–509. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 104–112. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 115–126. M. Morgenstern/R. Zimmer, Denkwege der Philosophiegeschichte 128–137. F. Schalk, Die europäische Aufklärung 503–512. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 118–129. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde. Eine kulturgeschichtliche Analyse. Wiesbaden 2008, 17–30. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 108–111. W. Röd, Der Weg der Philosophie II, 130–139. R. Edighoffer, Die Rosenkreuzer. München 2002, 67–80. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 100–113. D.A. Binder, Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbole der Freimaurer. Freiburg 2002, 37–50. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 113–117. D.A. Binder, Die diskrete Gesellschaft 116–134. R. Dosch, Deutsches Freimaurerlexikon. Bonn 1999, 67–80. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 100–114. M.A. Tabbert, American Freemasons. New York 2005, 28–41. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 117–127. M. Frenschkowski, Die Geheimbünde 127–133. J. Rachold (Hg.), Die Illuminaten. Berlin 1984, 98–112. W. Daniel, Geheimräte gegen Geheimbünde. Stuttgart 1991, 67–82. P. Meinhold, Kirchengeschichte in Schwerpunkten 151–153. A. Grabner-Haider, Das Laienchristentum 73–84. P. Bayle, Sämtliche Werke V. Stuttgart 1960, 89–95. P. Bayle, Sämtliche Werke V, 91–105, II, 132–140. F. Voltaire, Dictionnaire philosophique. Hg. von R. Naves/J. Benda. Paris 1961, 49–52, 196–200. F. Voltaire, Dictionnaire philosophique 147–150, 252–255. D. Diderot, Œuvres completes. Hg. Von J. Assezat. Paris 1977, IV, 96; II, 83f; IV, 27ff. Cl.A. Helvetius, Oeuvres completes. Paris 1975, II, 1, 32ff; II, 2, 320ff; IV, 1, 74ff. Cl.A. Helvetius, Oeuvres completes II, 2, 348ff; II, 2, 24ff; II, 1, 165; II, 2, 318ff. P.Th. d´Holbach, System der Natur. Dt. von F.G. Voigt. Berlin 1959, 200ff, 151ff, 517ff. P.Th. d´Holbach, System der Natur 536ff, 245ff, 495ff. Ders., Briefe an Eugenie. Dt. von F.G. Voigt, Berlin 1959, 59ff, 245ff.

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Anmerkungen

24 Friedrich II., An Voltaire vom 8. 9. 1775. Ders., An d´Alambert am 18. 10. 1779. Ders., An Voltaire am 31. 10. 1760. Ders., An de Catt am 24. 9. 1758 In: K.H. Deschner (Hg.), Das Christentum im Urteil seiner Gegner. München 1986, 140–152. 25 Friedrich II., An Voltaire im Dezember 1766. Ders., An Kardinal Sinzendorff am 29. 10. 1741. Ders., An Herzog Karl Eugen von Württemberg am 6. 2. 1744. Ders., An d´Alambert am 2. 7. 1769. Ders., An Voltaire im Dezember 1766. Ders., An Prinz Heinrich von Preußen am 4. 12. 1781. In: K.H. Deschner (Hg.), Das Christentum im Urteil seiner Gegner 140–152. 26 E.S. Morgan, Die amerikanische Revolution. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII. Berlin 1986, 520–532. 27 E.S. Morgan, Die amerikanische Revolution 532–538. 28 B. Plongeron, Die Entwicklung in Nordamerika. In: B. Plongeron (Hg.), Die Geschichte des Christentums X. Freiburg 2000, 485–502. E.S. Morgan, Die amerikanische Revolution 540–552. 29 B. Plongeron, Die Entwicklung in Nordamerika 595–610. E.S. Morgan, Die amerikanische Revolution 356–366. 30 E.S. Morgan, Die amerikanische Revolution 560–567. B. Plongeron, Die Entwicklung in Nordamerika 610–624. 31 R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleon. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VIII, Berlin 1988, 61–70. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum. In: Ders. (Hg.), Die Geschichte des Christentums X. Freiburg 2000, 369–380. 32 B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 370–386. R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution 70–79. 33 R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution 95–103. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 377–386. 34 B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 383–395. R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution 95–103. 35 R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution 95–107. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 390–401. 36 R. Nürnberger, Das Zeitalter der Französischen Revolution 107–117. B. Plongeron, Eine Revolutionsregierung gegen das Christentum 390–397.

8. Organisation der Herrschaft 1 2 3

C. Horst, Herrschaft. In: Enzyklopädie der Neuzeit V, 399–410. W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates. München 2007, 12–28. B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 54–59. W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 65–78. 4 W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 24–38. B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 56–60. 5 B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 57–61. W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 67–81. 6 B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 50–56. 7 Th. Hobbes, Leviathan or the Matter, Form and Authority of Government. London 1651. B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 55–61. 8 W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 128–144. 9 C. Horst, Herrschaft 399–416. 10 H. Gründer, Welteroberung und Christentum. Gütersloh 1992, 87–99. W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 129–134. Ders., Geschichte der europäischen Expansion I. Stuttgart 1985, 78–92. 11 B. Lundt, Europas Aufbruch in die Neuzeit 55–63. W. Reinhard, Geschichte des modernen Staates 122–134. 12 R. Reifenscheid, Kaiser Maximilian I. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser. Wiesbaden 2007, 477–490.

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Anmerkungen

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13 H. Lutz, Der politische und religiöse Aufbruch Europas im 16. Jh. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, Berlin 1986, 34–42. R. Reifenscheid, Kaiser Karl V. In: G. Hartmann/ K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser, 493–509. 14 H. Lutz, Der politische und religiöse Aufbruch Europas 42–50. R. Reifenscheid, Kaiser Ferdinand I. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 510–520. 15 H. Lutz, Der politische und religiöse Aufbruch Europas 123–130. R. Reifenscheid, Kaiser Maximilian II. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 521–534. 16 G. Mann, Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. In: Ders./A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, 154–169. 17 G. Mann, Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges 169–175. R. Reifenscheid, Kaiser Ferdinand II. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 540–551. 18 G. Mann, Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges 212–218. 19 G. Mann, Das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges 212–229. R. Reifenscheid, Kaiser Ferdinand III. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (HJg.), Die Kaiser 451–459. 20 R. Reifenscheid, Kaiser Leopold I. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 556–564. V.L. Tapie, Das Zeitalter Ludwig XIV. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, 277–290. 21 V.L. Tapie, Das Zeitalter Ludwigs XIV. 322–332. R. Reifenscheid, Kaiser Leopold I. 562–578. 22 R. Reifenscheid, Kaiser Leopold I. 568–572. 23 R. Reifenscheid, Kaiser Leopold I. 570–574. 24 V.L. Tapie, Das Zeitalter Ludwigs XIV. 324–333. R. Reifenscheid, Kaiser Leopold I. 579–586. 25 R. Reifenscheid, Kaiser Karl VI. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 588–592. 26 R. Reifenscheid, Kaiser Karl VI. 588–590. 27 R. Reifenscheid, Kaiser Karl VI. 590–593. 28 R. Reifenscheid, Kaiser Karl VI. 590–598. 29 G. Hartmann/R. Reifenscheid, Kaiser Franz I. Stephan. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 600–617. 30 G. Hartmann/R. Reifenscheid, Kaiser Franz I. Stephan 610–622. 31 R. Reifenscheid, Kaiser Joseph II. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 635–644. 32 R. Reifenscheid, Kaiser Franz II. In: G. Hartmann/K.R. Schnith (Hg.), Die Kaiser 660–665. 33 R. Reifenscheid, Kaiser Franz II. 660–665. A. Wandruschka, Die europäische Staatenwelt im 18. Jh. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, 387–400. 34 M. Venard, Frankreich und Niederlande. In: Ders. (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 2000, 477–497. 35 V.L. Tapie, Das Zeitalter Ludwig XIV. 300–306. 36 B. Plongeron, Die Monarchie des katholisch geprägten Absolutismus. In: Ders. (Hg.), Die Geschichte des Christentums X. Freiburg 2007, 178–190. 37 B. Plongeron, Das Europa der Toleranzedikte. In: Ders. (Hg.), Die Geschichte des Christentums X, 178–190. 38 J. Roots, Die englische Revolution. In: G. Mann/A. Nitschke (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, 238–251. 39 J. Roots, Die englische Revolution 255–270. 40 J. Roots, Die englische Revolution 255–270. 41 W. Müller, Polen und die Länder Skandinaviens. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums IX. Freiburg 1998, 58–67. 42 J. Poutrin, Spanien, Portugal, Italien. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums IX, 143–157. 43 J. Poutrin, Spanien, Portugal, Italien 145–155. 44 J. Poutrin, Spanien, Portugal, Italien 150–157. 45 A. Ducellier, Die Orthodoxie. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII. Freiburg 1992, 356–380. 46 A. Ducellier, Die Orthodoxie 368–380. 47 P. Gonneau, Die russische Kirche. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums IX. Freiburg 1998, 502–527.

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264 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58

Anmerkungen

G. Endres, Der Islam in Daten. München 2006, 88–92. G. Endres, Der Islam in Daten 92–100. G. Endres, Der Islam in Daten 100–104. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansion. Wiesbaden 2008, 30–46. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 51–61. Y. Saint-Geours, Lateinamerika. In: B. Plongeron (Hg.), Die Geschichte des Christentums X, 70–92. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 60–80. Y. Saint-Geours, Lateinamerika 85–110. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 77–90. A. Milhou, Lateinamerika. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII, 772–822. Ders., Afrika. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums VIII, 740–770. D. Deslandres, Das Christentum in Süd- und Nordamerika. In: M. Venard (Hg.), Die Geschichte des Christentums IX, 613–645. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 80–99. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 100–118. A. Milhou, Lateinamerika 705–725. A. Milhou, Lateinamerika 810–820. L. Pelizaeus, Der Kolonialismus 120–139, 243–247.

9. Literatur und Dichtkunst 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Ch. Hubig, Humanismus – Die Entdeckung des individuellen Ich und die Reform der Erziehung. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III. Frankfurt 1988, 31–36. Ch. Hubig, Humanismus 58–67. B. Roeck, Reformation und Gegenreformation. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 77–97. J. Villwock, Rhetorik und Poetik: Theoretische Grundlagen der Literatur. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 99–119. H. Zielske, Die Anfänge des Renaissance-Theaters in Italien. In. E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 125–146. H. Zielske, Drama und Theater in England, den Niederlanden und Deutschland. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 133–150. H. Zielske, Drama und Theater in England 155–162. H. Zielske, Drama und Theater in England 160–166. H. Zielske, Komik und Sozialkritik im Dramenwerk Molieres. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 174–178. H. Kolb, Die nationalen Sprachleistungen der Zeit, Rolle der Stadt und neue literarische Formen. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 179–195. M. Guglielminetti, Die italienische Literatur vom 15. bis zum 18. Jh. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 234–250. M. Guglielminetti, Die italienische Literatur 245–255. Ch. Uhlig, Dichtung und Prosa in England. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 259–280. L. Goldmann, Die Kulturgeschichte des Jansenismus. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 281–300. V. Cantarino, Die spanische Literatur des Goldenen Zeitalters. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 303–313. V. Cantarino, Die spanische Literatur 314–321. V. Cantarino, Die spanische Literatur 322–325. G.E. Grimm, Deutsche Literatur im 16. und 17. Jh. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 340–350. G.E. Grimm, Deutsche Literatur im 16. und 17. Jh. 350–359. G.E. Grimm, Deutsche Literatur im 16. und 17. Jh. 360–365. D. Nedeljkovic, Die russische Literatur. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 402–428. A. Flaker, Die Entwicklung der russischen Literatur. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV. Frankfurt 1988, 390–396. A. Flaker, Die Entwicklung der russischen Literatur 390–398.

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Anmerkungen

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24 A. Flaker, Die Entwicklung der russischen Literatur 390–399. 25 M. Szyrocki, Vom Goldenen Zeitalter der polnischen Dichtung bis zu ihrem Niedergang. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 430–444. 26 M. Szyrocki, Vom Goldenen Zeitalter der polnischen Dichtung 440–455. 27 J. Kolbuszewsky, Aufklärung und Romantik in Polen. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 456–466. 28 E. Goldstücker, Die Wiedergeburt der tschechischen Nationalliteratur. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 410–422. 29 Z. Kravar, Kroatische Literatur im 16. und 17. Jh. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 455–466. 30 Z. Konstantinovic, Literatur der nationalen Wiedergeburt. Aufklärung und Romantik bei den Völkern Südosteuropas. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 433–440. 31 Z. Konstantinovic, Literatur der nationalen Wiedergeburt 433–445. 32 K. Johannesson, Renaissance und Barock in den skandinavischen Ländern. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur III, 480–488. 33 C.W. Weber, Aufklärung, Klassizismus und Nationalromantik im Norden. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 482–490. 34 G.W. Weber, Aufklärung, Klassizismus und Nationalromantik im Norden 485–495. 35 J. Fabre, Der sozialgeschichtliche Hintergrund der Aufklärung in Frankreich. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 12–40. 36 D. Kimpel, Aufklärung, Bürgertum und Literatur in Deutschland. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 52–74. 37 F. Apel, Von der Nachahmung zur Imagination. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 75–100. 38 W. Krömer, Die europäische Komödie im 18. Jh. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 101–118. 39 M. Durzak, Trauerspiel als Spiegel der Gesellschaft. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 118–129. 40 M. Durzak, Das bürgerliche Trauerspiel 1366–139. 41 G. Gerhardi, Rousseau und seine Wirkung auf Europa. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 160–176. 42 F. von Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen. 1795. 43 H. Mackenzie, The man of feeling. 1771. 44 J.W. von Goethe, Prometheus. 1774. 45 J. Thiele, Die großen deutschen Dichter und Schriftsteller. Wiesbaden 2007, 46–52. 46 B. Zimmermann, Ideen der ästhetischen Erziehung. In: E. Wischer (Hg.), Geschichte der Literatur IV, 367–390.

10. Baukunst und Malerei 1

M. Rosci, Leonardo da Vinci. In: J. Pijoan (Hg.), Die italienische Renaissance. Lausanne 1979, 143–178. 2 J. Pijoan, Die Malerei des 16. Jh. in Mittelitalien. In: J. Pijoan (Hg.), Die italienische Renaissance, 181–220. 3 S. Kummer, Renaissance : Kunstgeschichte. In : LThK VIII, Freiburg 2006, 1102–1104. 4 S. Kummer, Renaissance: Kunstgeschichte, 1102–1104. J. Pijoan, Die italienische Bildhauerei, 225–239. 5 S. Kummer, Renaissance: Kunstgeschichte, 1102–1104. 6 J. Pijoan, Die italienische Architektur des 16. Jh. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VII, Lausanne 1979, 9–38. 7 J. Pijoan, Die venezianische Malerei. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VII, 47–56. 8 J. Pijoan, Die venezianische Malerei, 60–72.

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266

Anmerkungen

9 E. Michelleti, Tizian. In: J. Pijoan (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VII, 75–99. 10 J. Pichoan, Die Renaissance in Spanien. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VII, 103–131. J.L. Gonzales-Novalin, Spanien. In: LThK IX, Freiburg 2006, 805–819. 11 J. Gallego, El Greco. In: J. Pijoan (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VII, 131–158. 12 M. Albert, Frankreich. In: LThK IV, Freiburg 2006, 11–27. J. Pijoan, Die Renaissance in Frankreich. In: Ders. (Hg.), Die Kunstgeschichte der Welt VII, 161–182. 13 J. Pijoan, Die niederländische Malerei des 16. Jh. In: Ders. (Hg.), Die Kunstgeschichte der Welt VII, 183–202. 14 B. Söding, Dürer. In: LThK III, 413–414. J. Pijoan, Albrecht Dürer. In: Ders. (Hg.), Die Kunstgeschichte der Welt VII, 204–246. 15 G. Schwaiger, Barock. In: LThK II, Freiburg 2006, 20–23. J. Pijoan, Der italienische Barock. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 9–38. H. Trottmann/B. Barth, Barock: Kunstgeschichte. In: LThK II, 23–30. 16 D. Bayon, Caravaggio und die Caravaggisten. In: J. Pijoan (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 39–56. P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude. Was wir vom Barock lernen können. Freiburg 2011, 39–51. 17 J. Pijoan, Der spanische Barock. In: Ders (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 57–67. 18 J. Gallego, Velasquez. In: J. Pijoan (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 85–114. 19 P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 65–79. J. Pijoan, „Le Grand Siecle“ in Frankreich. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 113–143. 20 J. Pijoan, Der niederländische Barock. In: Ders. (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 145–170. 21 P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 68–82. D. Bayan, Rubens. In: J. Pijoan (Hg.), Kunstgeschichte der Welt VIII, 171–190. 22 P. Descargues, Rembrandt. In : Kunstgeschichte der Welt VIII, 191–212. 23 J. Pijoan, Kulturgeschichte der Welt VIII, 163-170. 24 H. Trottmann/R. Barth, Barock: Kunstgeschichte. In: LThK II, Freiburg 2006, 26–30. J. Pijoan, Barock in Mitteleuropa. In: Kunstgeschichte der Welt VIII, 231–245. 25 P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 102–122. J. Pijoan, Barock in England und Russland. In: Kunstgeschichte der Welt VIII, 245–265. 26 V. Friedrich, Rokoko. In: LThK VIII. Freiburg 2006, 1240–1242. 27 J. Pijoan, Das Rokoko. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 9–24. P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 124–136. 28 J. Pijoan, Die französische Malerei und Skulptur im 18. Jh. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 27–42. 29 P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 65–89. J. Pijoan, Die italienische Malerei des 18. Jh. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 43–57. 30 J. Pijoan, Die englische Malerei im 18. Jh. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 57–77. 31 P. Hersche, Gelassenheit und Lebensfreude 98–114. J. Pijoan, Die spanische Architektur des 18. Jh. und die lateinamerikanische Barockkultur. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 77–120. 32 J. Pijoan, Der Klassizismus. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 149–176. 33 J.G. Ricart, Francisco Goya. In: Kunstgeschichte der Welt IX, 149–176. 34 P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker im Porträt. Wiesbaden 2007, 46–52. 35 R. Heyink, Renaissance: Musik. In: LThK VIII. Freiburg 2006, 1104f. P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker 53–58. 36 M.S. Schmid, Barock-Musik. In: LThK II, Freiburg 2006, 28f. P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker 58–64. 37 P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker 70–78. M.H. Schmid, Barock-Musik 28f. 38 P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker 76–82. 39 M.S. Schmid, Barock-Musik 28f. P.P. Kaspar, Die wichtigsten Musiker 84–90.

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Anmerkungen

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11. Kultur des Judentums (Klaus Davidowicz) 1 2 3

4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

25 26 27 28 29 30 31 32

Vgl. M. S. Hering Torres, Rassismus in der Vormoderne. Die „Reinheit des Blutes“ im Spanien der Frühen Neuzeit, Frankurt a. M. 2006, 200ff. Vgl. A. D. Biermann, Dreaming of Michelangelo. Jewish Variations on a Modern Theme, Stanford 2012. Vgl. R. Bonfil, Jewish Life in Renaissance Italy, Berkeley 1994;ders., Rabbis and Jewish Communities in renaissance Italy, Oxford 1990; D. B. Ruderman (ed.), Essential Papers on Jewish Culture in Renaissance and Baroque Italy, New York 1992; ders., Preachers of the Italian Ghetto, Berkeley 1992. Vgl. E. Goldberg, Jews and Magic in Medici Florence, University of Toronto Press 2011. Vgl. W. Schmidt-Biggemann, Die christliche Kabbala, Bd. 1: 15. und 16. Jh., Stuttgart 2012; P. Schäfer/Irina W. (Hg.), Reuchlin und seine Erben, Ostfildern 2005. P. della Mirandola, Conclusiones sive Teses DCCC, Genf 1973, 79. A. dei Rossi, Me‘or Enajim (Erleuchtung der Augen), Mantua 1573; engl. Übersetzung: The Light of the Eyes, New Haven 2001. M. R. Cohen (ed.), The Autobiography of a Seventeenth-Century Venetian Rabbi. Leon Modena´s Life of Judah, Princeton 1988. Cohen, Autobiography, 161–162. Cohen, Autobiography, 108–109. Cohen, Autobiography, 120. L. Modena, Jüdische Riten, Sitten und Gebräuche, übersetzt von Rafael Arnold, Wiesbaden 2007. M. A. Meyer, Antwort auf die Moderne. Die Geschichte der Reformbewegung im Judentum, Wien 2000, 560–561. C. Gebhardt (Hg.), Die Schriften des Uriel da Costa, mit Einleitung, Übertragung, Registern, Heidelberg 1922,18–19. Ebd., 127. Ebd., 134–135. Vgl. G. Necker, Einführung in die lurianische Kabbala, Frankfurt a. M./Leipzig 2008. C. Vital, Ez Chajim, Jerusalem 1988, Vorwort, 8. G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, Frankfurt a. M. 1993, 281. Vgl. J. H. Chajes, Between worlds, dybbuks, exorcists, and early modern Judaism, Philadelphia 2003; M. Goldish (ed.), Spirit possession in Judaism, cases and contexts from the middle ages to the present, Detroit, Mich. 2003. Vgl. E. K. Ginsburg, The Sabbath in the Classical Kabbalah, Albany 1989. G. Scholem, Sabbatai Zwi, Frankfurt a. M. 1992, 102–103. J. Höxter, Quellenbuch zur jüdischen Geschichte und Literatur, Bd. 2, Zürich 1983, 56. Vgl. J. Raba, Between Remembrance and Denial, the Fate of the Jews in the War of the Polish Commonwealth during the Mid-Seventeenth Century as shown in contemporary Writings and Historical Research, New York 1995; Jewish History 17/2 (2003), Gezeirot Ta’h, Jews, Cossacks, Poles and Peasants in 1648 Ukraine. N. Hannover, Yeven Metzulah - Abyss of Despair, New Brunswick/London 1983, 45. S. Ettinger, Bogdan Chmielnicki, in: Encyclopaedia Judaica, Bd. 5, Jerusalem 1972, 483. G. D. Hundert, The Conditions in Jewish Society in the Polish-Lithuanian Commonwealth in the Middle Decades of the Eighteenth Century, in: Hasidism Reappraised, London 1996, 45–51. Scholem, Sabbatai Zwi, 240–241. Denkwürdigkeiten der Glückel von Hameln, übersetzt und herausgegeben von A. Feilchenfeld, Frankfurt a.M. 1987, 61–62. Scholem, Sabbatai Zwi, 423–424. J. Freely, The lost Messiah, London 2001, 8; D. J. Halperin, Sabbatai Zevi, Testimonies to a Fallen Messiah, Oxford 2007, 14. Y. Liebes, Sefer Zadik Yesod Olam - Mitus Shabbetai, in: Daat I (1978), 73–120, Liebes’-Aufsätze zum Sabbatianismus sind gesammelt in: ders., Sod haEmunah HaShabtait (On Sabbateanism and its Kabbalah, collected Essays), Jerusalem 1995.

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268

Anmerkungen

33 M.-R. Hayoun, Rabbi Ja’akov Emdens Autobiographie oder der Kämpfer wider die sabbatianische Häresie, in: K. E. Grözinger (Hg.), Judentum im deutschen Sprachraum, Frankfurt a. M. 1991, 232. 34 G. Scholem, The Sprouting of the Horn of the Son of David, in: In the Time of Harvest, Essays in Honor of Abba Hillel Silver, New York 1963, 368–386. 35 Siehe: M. D. Baer, The Dönme, Jewish Converts, Muslim Revolutionaries, and Secular Turks, Stanford 2010. 36 Vgl. R. N. Bali, Another Enemy. The Dönme or Crypto-Jews, in: Kabbalah 9 (2003), 77–109; ders., What is Efendi telling us?, in: Kabbalah 13 (2005), 109–141; P. F. Bessemer, Who is a Crypto-Jew? A Historical Survey of the Sabbatean Debate in Turkey, in: Kabbalah 9 (2003), 109–153; ders., Recent Turkish Works on the Dönmes, in: Kabbalah 13 (2005), 141–163. 37 Babylonischer Talmud, Traktat Nidda 31a. 38 T. Harivash, the Testament of Rabbi Israel Baal Shem Tov and Rules of Upright conduct, New York 1998, § 101, 93–94. 39 M. Oppenheim/A. Oppenheim (Hg.), Erinnerungen, Frankfurt a. M. 1924, 89–90. 40 Gesammelte Schriften Jubiläumsausgabe (=JubA), Bd. 12.1, Briefwechsel II.1, Nr. 278 an Thomas Abbt vom 11. Juni 1766, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976, 113. 41 Jub A 13, Briefwechsel III, Nr. 636 an Herz Homberg vom 23. März 1784, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977. 42 M. Kayserling, Moses Mendelssohn, sein Leben und seine Werke, nebst einem Anhange ungedruckter Briefe von und an Moses Mendelssohn, Leipzig 1862, die zweite überarbeitete Auflage enthält die Briefe allerdings nicht mehr: Moses Mendelssohn, sein Leben und Wirken, Leipzig 1888. 43 S. Hensel, Die Familie Mendelssohn 1729–1847, nach Briefen und Tagebüchern, zwei Bände, Berlin 101918, 1–43. 44 A. Altmann, Moses Mendelssohn. A biogaphical Study, Alabama 1973, siehe auch: Dominique Bourel, Moses Mendelssohn. Begründer des modernen Judentums, Zürich 2007 (Originalausgabe: Moses Mendelssohn. La naissance du judaïsme moderne, Paris 2004). 45 Zu Euchel: Moshe Pelli, The Age of Haskalah, Leiden 1979; Shmuel Feiner. Mendelssohn and „Mendelssohn’s Disciples“, a Re-examination, in: LBYB 40 (1995), 133–167; Reuven Michael, Über Isaak (Itzik) Abraham Euchel, in: JubA 23, Dokumente II, Die frühen Mendelssohn-Biographien, 257–263. 46 D. Friedländer, Moses Mendelssohn, Fragmente von ihm und über ihn, Berlin 1819; David Friedländer, Moses Mendelssohn, in: Jedidja 3/1 (1819), 226–249 (deutsche Übersetzung der franz. Biographie für die Biographie universelle, ancienne et moderne, Bd. 28, Paris 1821, 274–282. 47 Zitiert nach: M. Euchel, 258. 48 H. Vogelstein, Handschriftliches zu Isaak Abraham Euchels Biographie, in: Vorstande der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums (Hg.), Festschrift zum siebzigsten Geburtstage Martin Philippsons, Leipzig 1916, 228–230. 49 JubA 23, Dokumente II, Die frühen Mendelssohn-Biographien, 6. 50 M. Freudenthal, Aus der Heimat Mendelssohns, Moses Benjamin Wulff und seine Familie, die Nachkommen des Moses Isserles, Berlin 1900, 1. 51 JubA 12.2, Briefwechsel II.1, Nr. 393 an Johann Jacob Spieß vom 1. März 1774, 44, zuerst in: J. J. Spieß, Brandenburgische historische Münzebelustigen, Teil 5, Anspache 1774, 103–104. Die Münze wurde zuletzt in Jub A 23, Porträts und Bilddokumente, 73 abgedruckt. 52 JubA 8, Schriften zum Judentum II, Stuttgart-Bad Cannstatt 1983, 4. 53 JubA 19, Hebräische Schriften III, 142 (Brief 120 vom Juli–August 1770), in deutscher Umschrift: JubA 20,2, Briefwechsel (1761–1785), 200. 54 Euchel, Toldot, 5, JubA 23, Dokumente II, Die frühen Mendelssohn-Biographien, 111. 55 Euchel, Toldot, 6, JubA 23, Dokumente II, Die frühen Mendelssohn-Biographien, 112. 56 Kayserling, Moses Mendelssohn (1862), 4. 57 Jub A 20.2, Briefwechsel (1761–1785), Brief Nr. 63 vom 2. März 1762 an Fromet Gugenheim, 100. 58 Jub A 20.2, Briefwechsel (1761–1785), Brief Nr. 87 vom 25. Mai 1762 an Fromet Gugenheim, 132.

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Anmerkungen

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59 JubA 20.2, Briefwechsel (1761–1785), Brief Nr. 82 vom 7. Mai 1762 an Fromet Gugenheim, 124. 60 JubA 20.2, Briefwechsel (1761–1785), Brief Nr. 79 vom 30. April 1762 an Fromet Gugenheim, 122. 61 Gleim an Johann Peter Uz vom 12. 2. 1756, zitiert nach Eva Engel Holland, The World of Moses Mendelssohn, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 36 (1991), 33. 62 JubA 7, Schriften zum Judentum 1, 3. 63 JubA 7, Schriften zum Judentum 1, 9. 64 JubA 8, Schriften zum Judentum 2, 6. 65 JubA 8, Schriften zum Judentum 2, 18. 66 M. Mendelssohn, Jerusalem oder über religiöse Macht und Judentum, nach der Erstausgabe neu ediert von David Martyn, Bielefeld 2001, 92–95. Die neue „Jerusalem“-Edition von David Martyn hat die Fehler der JubA ausgebessert. 67 Ebd., 128–130.

12. Islamische Kulturgeschichte (Karl Prenner) 1 2 3 4

5 6 7 8 9 10

11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23

Vgl. The Muslim Empires of the Ottomans, Safavids, and Mughals, by S. F. Dale, New Approaches to Muslim History. New York 2010; vgl weiters S. Subrahmanyam, A Tale of three Empires. Mughals, Ottomans, and Habsburgs in a Comparative Context, in: Common Knowledge 12 (2006), 66–92. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit (16.-19. Jh.), in: A. Noth/J. Paul (Hg.), Der islamische Orient. Grundzüge seiner Geschichte, Würzburg 1998, 365. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 364. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, in: G. E. von Grunebaum (Hg.), Der Islam II. Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel, Frankfurt am Main 1971, 59–114; H.G. Majer (Hg.), Die Staaten Südosteuropas und die Osmanen, München 1989; J. H. Kramers, Othmānli, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. VIII, Leiden 1995, 190–202; K. Kreiser, Der Osmanische Staat 1300–1922, München 22008; B. Brentjes, Die Araber, 2. Teil: Chane, Sultane und Emire, Wien, München 1975, 43–121. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 338–340. R. Schulze; Die islamische Welt in der Neuzeit, 349–350. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 63. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, München 2000, 46. A. von Gladiß, Das Osmanische Reich. Dekorative Künste, in: Islam. Kunst und Architektur, hg. v. M. Hattstein/P. Delius, Köln 2000, 566ff. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 50; vgl. D. R. Khoury, The Ottoman centre versus provincial power-holders. An analysis of the historiography, in: S. N. Faroqhi (ed.), The Cambridge History of Turkey, vol. 3: The later Ottoman Empire, 1603–1839, Cambridge 2006, 135ff. Vgl. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 35. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium (1512–1596), in: Kleine Geschichte der Türkei, Von K. Kreiser/Ch. K. Neumann, Stuttgart 2003, 113. Vgl. P. Feldbauer, G. Liedl, Die islamische Welt bis 1517. Wirtschaft, Gesellschaft, Staat, Wien 2008, 161ff. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 346. Vgl. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 132–133; vgl. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 55–56. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 87–88. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 93. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 144. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 86–87. Vgl. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 105–106. J. Matuz, Das Osmanische Reich, Darmstadt 1994, 87–88. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 88–89. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 154.

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Anmerkungen

Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 154–155. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 164. J. Matuz, Das Osmanische Reich, 92. Vgl. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 67; S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 94–95. Vgl. J. Matuz, Das Osmanische Reich, 106. Vgl. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 68–70. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 70–71. Vgl. H. İslamoğlu-İnan, State and Peasant in the Ottoman Empire. Agrarian Power Relations and Regional Economic Development in Ottoman Anatolia during the Sixteenth Century, Leiden 1994, 243ff; Autor erörtert in seiner Untersuchung die komplexen Verhältnisse zwischen Staat, timar-Inhaber und den Bauern; weiters auch die Modifikation des timar-Systems, auch welche wirtschaftliche Rolle in diesem Zusammenhang den waqf-Stiftungen zukam. J. Matuz, Das Osmanische Reich, 113. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 96–97; S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 47f; M. Reinkowski, Gewohnheitsrecht im multinationalen Staat. Die Osmanen und der albanische Kanun, in: M. Kemper/ M. Reinkowski (Hg.), Rechtspluralismus in der islamischen Welt, Berlin 2005, 121–128. Vgl. T. Nagel, Das islamische Recht, Westhofen 2001, 280–281. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 100–102. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 198. Vgl. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 199–200. J. Matuz, Das Osmanische Reich 197. S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 63. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 140. Vgl. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 355. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 193–194; C. V. Findley, Political culture and the great households, in: The Cambridge History of Turkey, vol. 3, 65ff. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 215. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 216–217. Vgl. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 351. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 367–368 R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 368. J. Matuz, Das Osmanische Reich, 207. J. Matuz, Das Osmanische Reich, 207. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 106. Vgl. S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 38–39. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 274–275. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 109. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 112. Vgl. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 374. Vgl. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 113; S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 75–76. Vgl. R. Schulze, Die islamische Welt in der Neuzeit, 376. Vgl. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 261. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 263. Vgl. S.Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 111–112. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 265. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 113. S. J. Shaw, Das Osmanische Reich und die moderne Türkei, 114. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 291–291. Vgl. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 80. Vgl. T. Yazici, Kalandariyya, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. IV, Leiden 1978, 473–474.

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Anmerkungen 67 68 69 70 71 72

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Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 148. F. De Jong, Khalwatiyya, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. IV, Leiden 1978, 991–993. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 150. T. Nagel, Geschichte der islamischen Theologie, München 1994, 234–235. T. Nagel, Geschichte der islamischen Theologie, 235. S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 118–140; vgl. M. C. Zilfi, Muslim women in the early modern era, in: The Cambridge History of Turkey, vol. 3, 226–255. 73 Vgl. M. A. Fay, Women and Waqf. Property, Power, and the Domain of Gender in EighteenthCentury Egypt, in: M. C. Zilfi (ed.), Women in the Ottoman Empire, Leiden 1997, 28–47. 74 Vgl. K. Silay, Singing His Words. Ottoman Women Poets and the Power of Patriarchy, in: Women in the Ottoman Empire, 197–213. 75 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 139–140. 76 K. Kaser, Familien- und Geschlechterbeziehungen in der Türkei und auf dem Balkan, in: B. J. Groen, S. Löser (Hg.), Der Balkan. Religion, Gesellschaft und Kultur, Innsbruck/Wien 2011, 86. 77 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 72. 78 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 208ff. 79 Vgl. H. Demir, Die osmanischen Medresen, Frankfurt am Main 2005. 80 Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 253. 81 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 217ff. 82 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 222. 83 Vgl. Ülker, Divaliteratur – Osmanische Literatur im 16.-19. Jh., Berlin 2010, 16. 84 Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 231. 85 Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 177–178. 86 Vgl. H. Aynur, Ottoman literature, in: The Cambridge History of Turkey, vol. 3, 481–520. 87 F. Babinger, Die Geschichtsschreiber der Osmanen und ihre Werke, Leipzig 1927. 88 E. S. Ülker, Divanliteratur, 3ff. 89 Vgl. Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 238–239. 90 Vgl S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 44–45. 91 S. Faroqhi, Geschichte des Osmanischen Reiches, 72–74. 92 E. S. Ülker, Divanliteratur, 6; vgl. O. Spies, Beiträge zur türkischen Literaturgeschichte, in: Die Welt des Islams XV (1974), 183–232. 93 A. Schimmel, Aus dem goldenen Becher. Türkische Gedichte aus sieben Jahrhunderten, Köln 1993, 12. 94 Hier handelt es sich um ein episches oder romantisches Gedicht in reimenden Doppelversen. 95 E.S. Ülker, Divanliteratur, 7. 96 Vgl. A. Schimmel, Aus dem goldenen Becher, 14. 97 E. S. Ülker, Divanliteratur, 12. 98 Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 180. 99 E. Badeen, Sunnitische Theologie in osmanischer Zeit, Würzburg 2008. 100 Ch. K. Neumann, Ein besonderes Imperium, 184–185. 101 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 226. 102 E. S. Ülker, Divanliteratur, 17. 103 S. Faroqhi, Kultur und Alltag im Osmanischen Reich, 84–85. 104 F. Sezgin, Wissenschaft und Technik im Islam, 76, in: http://www.ibttm.org/index.html (abgerufen am 05.07. 2013) 105 Ders., 81. 106 M. Koller, Die osmanische Geschichte Südosteuropas, in: http://www.ieg-ego.eu/de/threads/modelle-und-stereotypen/tuerkengefahr-exotismus-orientalismus/markus-koller-die-osmanischegeschichte-suedosteuropas?set_language=de. 107 K. Kaser Familien- und Geschlechterbeziehungen in der Türkei und auf dem Balkan, 78–79. 108 S. Balic, Das unbekannte Bosnien, Köln, Wien 1992, 104. 109 Vgl. S. Balic, Das unbekannte Bosnien, 114–119. 110 Vgl. S. Balic, Das unbekannte Bosnien, 165–190.

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Anmerkungen

111 M. Müller-Wiener, Die Kunst der islamischen Welt, Stuttgart 2012, 256. 112 A. von Gladiß, Das Osmanische Reich. Architektur, in: M. Hattstein/P. Delius (Hg.), Islam. Kunst und Architektur, Köln 2000, 544–565; vgl. T. Artan, Arts and architecture, in: The Cambridge History of Turkey, vol. 3, 408ff. 113 A. von Gladiß, Das Osmanische Reich. Architektur, 556. 114 A. von Gladiß, Das Osmanische Reich. Architektur, 556. 115 A. von Gladiß, Das Osmanische Reich. Architektur, 561–565. 116 R.M. Savory, Safavids, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. VIII, Leiden 1995, 765–774. 117 Vgl. B. S. Amoretti, Religion in the Timurid and Safavid Periods, in: P. Jackson (ed.), The Cambridge History of Iran, vol. 6: The Timurid and Safavid Period and the late L. Lockhart, London u.a. 1986, 634–640. 118 Vgl. M. Momen, An Introduction to ShiI Islam, New Haven and London 1985, 107. Zur Diskussion über die alidische Abstammung vgl. M. Kazuo, The Earliest Alid Genealogy for the Safavids. New Evidence for the Pre-Dynastic Claim to Sayyid Status, in: Iranian Studies 43 (2010), 447–469. 119 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit. Iranische Geschichte von 1350–1750, Darmstadt 1989, 226. 120 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 229. 121 N. Keddie, Iran und Afghanistan, in: Der Islam II: Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel, Frankfurt am Main 1971, 165. 122 H. Halm, Die Schia, Darmstadt 1988, 103–105. 123 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 231. 124 N. Keddie, Iran und Afghanistan, 164. 125 H. Halm, Die Schia, 109. 126 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 249f. 127 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 257f. 128 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 293. 129 A. J. Newman, The Myth of the clerical Migration to Safawid Iran. Arab Shiite Opposition to Ali al-Karak and Safawid Shiism, in: Die Welt des Islams 33 (1993), 66–109. 130 Vgl. R. M. Savory, Relations between the Safavid State and its Non-Muslim Minorities, in: Islam and Christian Relations 14 (2003), 435–458. 131 E. Yarshater, “Foreword” to R. Savory, History of Shah Abbas, vol. 1, Boulder, 1978, XVII; z.n. M. A. Mousavi, The Autonomous State in Iran. Mobility and Prosperity in the Reign of Shah Abbas the Great (1587–1629), in: Iran and the Caucasus 12 (2008), 21. 132 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 312. 133 Vgl.N. Keddie, Iran und Afghanistan, 165. 134 Vgl. M. Gronke, Geschichte Irans, München 2003, 76–77. 135 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 314–315. 136 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 318. 137 N. Keddie, Iran und Afghanistan, 169. 138 R. M. Savory, Relations between the Safavid State and its Non-Muslim Minorities, 435–458. 139 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 330; Vgl. B. S. Amoretti, Religion in the Timurid and Safavid Periods, 646–655. 140 H. Halm, Die Schia, 113. 141 Vgl. M. ifatgol, Safavid Administration of Auqā. Structure, Changes and Functions, 1077– 1135/1666–1722, in: A. J. Newman (ed.), Society and Culture in the Early Modern Middle East. Studies in the Safavid Period, Leiden 2003, 397–408. 142 S. Schuster-Walser, Das safawidische Persien im Spiegel europäischer Reiseberichte (1502–1722), Baden-Baden u.a. 1970, 42. 143 Vgl. N. Keddie, Iran und Afghanistan, 173. 144 Vgl. H. Halm, Die Schia, 127. 145 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 381, Anm. 330. 146 Vgl. H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 382. 147 H. Halm, Die Schia, 125.

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Anmerkungen

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148 M. Szuppe, Status, Knowledge and Politics. Women in Sixteenth-Century Safavid Iran, in: G. Nashat/L. Beck (ed.), Women in Iran from the Rise of Islam to 1800, Urbana and Chicago 2003, 140–169. 149 N. Keddie, Iran und Afghanistan, 171–172. 150 Vgl. L. Lockhart, European Contacts with Persia, 1350–1736, in: The Cambridge History of Iran, vol. 6, 373–409. 151 S. Schuster-Walser, Das safawidische Persien im Spiegel europäischer Reiseberichte, 55ff. 152 S. Schuster-Walser, Das Safawidische Persien im Spiegel Europäischer Reiseberichte, 53ff. 153 H. R. Roemer, Persien auf dem Weg in die Neuzeit, 350. 154 H. Halm, Die Schia, 124. 155 Vgl.E. Kohlberg, Aspects of Akhbārī Thought in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: E. Kohlberg, Belief and Law in Imāmī Shīism, Aldershot 1991, XVII, 133–160. 156 E. Kohlberg, Al-uūl al-arbaumia, in: E. Kohlberg, Belief and Law in Imami Shiism, VII, 128–166. 157 H. Halm, Die Schia, 117. 158 H. Halm, Die Schia, 117. 159 Vgl. H. Halm, Die Schia, 121–122. 160 Vgl. H. Halm, Die Schia, 85–86. 161 Vgl. H. Halm, Die Schia, 84–90. 162 H. Halm, Die Schia, 125. 163 N. Keddie, Iran und Afghanistan, 164. 164 M. Momen, An Introduction to Shi´i Islam, 108–109. 165 H. Halm, Die Schia, 126. 166 Vgl. H. Halm, Die Schia, 126. 167 Vgl. M. Momen, An Introduction to Shi´I Islam, 116. 168 H. Halm, Der schiitische Islam, München 1994, 129. 169 H. Halm, Die Schia, 128–129. 170 H. Halm, Die Schia, 130. 171 Vgl. H. Halm, Der schiitische Islam, 53ff. 172 H. Halm, Der schiitische Islam, 54. 173 H. Halm, Der schiitische Islam, 90–97. 174 Vgl. P. Mamnoun, Taziya. Schiitisch-Persisches Passionsspiel, Wien 1967. 175 E. Kohlberg, The Evolution of the Shia, in: The Jerusalem Quarterly 27 (1983), 109–126. 176 Vgl. J.T.P. De Bruijn, Literature, in: The Cambridge History of Iran, vol. VIII, 774–777; J. Rypka, Iranische Literaturgeschichte, Leipzig 1959, 280ff. 177 C. P. Mitchell, The Practice of Politics in Safavid Iran. Power, Religion and Rhetoric, London, New York 2009, 199. 178 C. P. Mitchell, The Practice of Politic in Safavid Iran, 198–202. 179 Vgl. J. Calmard, Popular Literature under The Safavids, in: A. J. Newman (ed.), Society and Culture in the Early Modern Middle East, Leiden 2003, 315–339. 180 Vgl. A.J. Newman, Religion, philosophy and science, in: The Cambridge History of Iran, vol. VIII, 777–787. 181 Vgl. S. H. Nasr, Spiritual Movements. Philosophy and Theology in the Safavid Period, in: The Cambridge History of Iran, vol. VI, 669ff. 182 H. Halm, Die Schia, 118; vgl. auch A. Johardelvari, Iranische Philosophie von Zarathustra bis Sabzewari, Frankfurt am Main 1994, 130. 183 A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 130. 184 H. Halm, Die Schia, 118. 185 A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 134–135; vgl. H. Dabashi, Mir Damad and the founding of the „School of Isfahan“, in: S. H. Nasr/O. Leaman (ed.), History of Islamic Philosophy, Part I, London and New York 1997, 597–634. 186 Vgl. A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 146ff. 187 Vgl. S.H. Nasr, Mulla Sadra. His Teachings, in: History of Islamic Philosophy, Part I, 643–662. 188 A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 162.

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Anmerkungen

189 A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 170–173. 190 A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 178. 191 Vgl. A. Johardelvari, Iranische Philosophie, 189ff. 192 Vgl. H. J. J. Winter, Persian Science in Safavid Times, in: The Cambridge History of Iran, vol. 6, 581–609. 193 Vgl. M. Müller-Wiener, Die Kunst der islamischen Welt, Stuttgart 2012, 256ff; R. Darley-Doran, Arts and architecture, in: The Cambridge History of Iran, vol. VI, 787–793. 194 Vgl. S. Blair/J. Bloom, Iran. Safawiden und Qadjaren, in: M. Hattstein/P. Delius (Hg.), Islam. Kunst und Architektur, Köln 2000, 504–519. 195 Vgl. S. Blair/J. Bloom, Iran. Safawiden und Qadjaren, 520–529. 196 R. M. Eaton, Introduction, in: R. M. Eaton (ed.), India´s Islamic Traditions, 711–1750, New Delhi 2006, 6; J. Burton-Page, Mughals, The Encyclopaedia of Islam, vol. VII, Leiden 1993, 313–316. 197 Der erste Band handelt von Babur und Humayun, der zweite von Akbars Herrschaft; vgl. A. Ahmad, Indien, in: G. E. von Grunebaum (Hg.), Der Islam II: Die islamischen Reiche nach dem Fall von Konstantinopel, Frankfurt am Main 1971, 240–278; 198 A. Ahmad, Indien, 271. 199 Y. Friedmann, Islamic Thought in Relation to the Indian Context, in: India´s Islamic Traditions, 55–56. 200 Vgl. R.M. Eaton, Introduction, 10–25. 201 Vgl. F. Moon, Babur. The first Moghul in India, Delhi 1997; M. B. Zahiruddin, Die Erinnerungen des ersten Großmoguls von Indien. Ins Deutsche übertragen und mit einem Vorwort von Wolfgang Stammler, Zürich 1980; vgl. B. Brentjes, Die Araber, 195–247. 202 A. Hottinger, Akbar der Grosse (1542–1605). Herrscher über Indien durch Versöhnung der Religionen, München 1998. 203 A. Ahmad, Indien, 244. 204 Akbarnamah (The Book of Akbar): http://persian.packhum.org/persian; Ain-I Akbari. 205 W. J. Fischel, Jews and Judaism at the court of the Moghul emperors in medieval India, in: Islamic Culture 25 (1951), 111. 206 W. J. Fischel, Jews and Judaism at the court of the Moghul emperors in medieval India, 115–116. 207 Vgl. A. Renz, Geschichte und Stätten des Islam von Spanien bis Indien, München 1977, 704. 208 W. J. Fischel, Jews and Judaism at the court of the Moghul emperors in medieval India, 113. 209 A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 35. 210 K. A. Nizami, Akbar and religion, Delhi 1989, 13; z.n. A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 35. 211 Vgl. A. Ahmad, Indien, 246. 212 I. Alam Khan, The Nobility under Akbar and the development of his religious Policy, 1560–80, in: R. M. Eaton, India´s Islamic Traditions, 122–123. 213 S. Chandra, Jizya and the State in India during the seventeenth Century, in: R. M. Eaton, India´s Islamic Traditions, 133–149. 214 A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 130–131. 215 I. Alam Khan, The Nobility under Akbar and the development of his religious Policy, 120–132. 216 A. Schimmel, Im Reich der Gromoguln , 41. 217 A. Ahmad, Indien 1971, 247. 218 J. Flores und S. Subrahmanyam zeigen in ihrem Aufsatz „The Shadow Sultan. Succession and imposture in the Mughal empire, 1628–1640“, in: Journal of the Economic and Social History of the Orient 47 (2004), 80–121 die internen Machtkämpfe um die Nachfolge Dschahangirs. 219 Y. Friedmann, Islamic Thought in Relation to the Indian Context, 56–58. 220 Vgl. I. H. Qureshi, Muslim India before the Mughals, in: P.M. Holt/A. K. S. Lambton/B. Lewis (ed.), The Cambridge History of Islam, vol. 2, Cambridge 1970, 51. 221 Vgl. M. A. Ali, Administrative and social organisation, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. VII, Leiden 1993, 320–323. 222 A. Ahmad, Indien, 1971, 255. 223 A. Ahmad, Indien, 1971, 255–256.

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Anmerkungen

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224 Vgl. I. H. Qureshi, India under the Mughals, in: The Cambridge History of Islam, vol. 2, 55; A. Hottinger 94. 225 A. Ahmad, Indien, 256–260. 226 A. Ahmad, Indien, 258. 227 A. Ahmad, Indien, 259. 228 Vgl. W. H. Moreland, Commerce and European trade connections with Mughal India, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. Vii, Leiden 1993, 325–327. 229 A. Ahmad, Indien, 276–278. 230 A. Ahmad, Indien, 279. 231 M. Umar, Causes of the decline of North Indian Industries, in: Studies in Islam 9 (1972), 38–55. 232 R. Nath, Mughal concept of sovereignty in the inscriptions of Fatehpur Sikri and Delhi, in: Indica 11 (1974), 90–100. 233 R. Nath, Mughal concept of sovereignity in the inscriptions of Fatehpur Sikri and Delhi, 217ff. 234 R. Nath, Mughal concept of sovereignity in the inscriptions of Fatehpur Sikri and Delhi, 98–100. 235 A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 168. 236 N. S. Gorekar, Indo-Iranian relations during the Mughal period, in: Indica 12 (1975), 11–21. 237 A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 291. 238 N. S. Gorekar, Indo-Iranian relations during the Mughal period, 14. 239 A. Ahmad, Indien, 272; vgl. W. Heinz, Der indische Stil in der persischen Literatur, Wiesbaden 1973. 240 Vgl. A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 191. 241 Vgl. A. Ahmad, Indien, 268–270. 242 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, Leiden u.a. 1997, 80–81. 243 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 81. 244 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 86 245 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 99. 246 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 15. 247 A. Ahmad, Indien, 280–282. 248 R. Foltz, The Central Asian Naqshbandi connections of the Mughal emperors, in: Journal of Islamic Studies 7 (1996), 229–239. 249 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 172. 250 J. Malik, Islamische Gelehrtenkultur in Nordindien, 185–186. 251 Vgl. S. Moosvi, Painting and the applied arts, in: The Encyclopaedia of Islam, vol. VII, Leiden 1993, 337–344. 252 A. Schimmel, Im Reich der Großmoguln, 333. 253 Vgl. P. Vaughan, Indien. Sultanate und Moghuln. Architektur, in: Islam. Kunst und Architektur, hg. v. M. Hattstein/P. Delius, Köln 2000, 464–483; M. Müller-Wiener, Die Kunst der islamischen Welt, Stuttgart 2012, 252–291. 254 A. Hottinger, Akbar der Grosse (1542–1605), München 1998, 97. 255 A. Renz, Geschichte und Stätten des Islam, 1977, 712. 256 Babur 1980, 738f.

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Zeittabelle Zeit der Reformationen Fünftes Laterankonzil (1512–1517) – Beginn der Reformation in Wittenberg (1517) – Reichstag in Worms (1521) – Beginn der Bauernkriege (1525) – Reichstag zu Speyer (1529) – Augsburgisches Bekenntnis (1530) – Anfang der Reformation in Zürich (1523) –Marburger Religionsgespräch (1529) – Schmalkaldischer Bund (1531) – Augsburger Religionsfriede (1555) – Reformation in Strassburg (ab 1522) – Reformation in Genf (ab 1536) – Reformation in England (ab 1531) – Book of Common Prayer (1549) – Reformation in Schottland (ab 1560)

Herrschaft der Päpste Julius II. (1503–1513) – Grundsteinlegung der St. Peters-Basilika (1506) – Leo X. (1513–1521) – Clemens VII. (1523–1534) – Kaiser Karl V. besiegt den Papst (1527) – Paul III. (1534–1549) – Beginn des Konzils von Trient (1545) – Paul IV. (1555–1559) – Index der verbotenen Bücher ( 1559) – Pius V. (1566–1572) – Römischer Katechismus (1566) – Römisches Messbuch (1570) – Gregor XIII. (1572–1585) – Gregorianischer Kalender (1582) – Reform der Kurie (1570) – Alexander VII. (1655–1667) – Bündnis gegen die Türken (1683) – Kampf gegen die Jansenisten ( 1709) – Clemens XII. (1730–1740) – Verurteilung der Freimaurer (1740) – Benedikt XIV. (1740–1758) – Verbot der Malabarischen Riten (1744) – Aufhebung der Jesuiten in Frankreich (1764) – Generelle Aufhebung der Jesuiten ( 1773) – Pius VI. (1775–1799) – Konflikt mit der Französischen Revolution (ab 1789) – „Römische Republik“ durch Napoleon (1798) – Gefangensetzung des Papstes (1799)

Heiliges Römisches Reich Kaiser Maximilian I. (1493–1519) – Ansätze zur Reichsreform (ab 1512) – Kaiser Karl V. (1519–1556) – Belagerung Wiens durch die Türken (1529) – Schmalkaldischer Krieg (1546–47) – Kaiser Ferdinand I. (1556–1564) – Kaiser Maximilian II. (1564– 1576) – Kaiser Rudolf II. (1576–1612) – Kaiser Ferdinand II. ( 1619–1637) – Kaiser Ferdinand III. (1637–1657) - Dreißigjähriger Krieg (1618–1648) – Restitutionsedikt (1629) – Westfälischer Friede (1648) – Permanenter Reichstag in Regenburg ( ab 1663) – Kaiser Leopold I. (1658–1705) – Preußen als Königreich (1701) – Pragmatische Sanktion (1713) – Kaiser Karl VI. (1711–1740) – Österreichischer Erbfolgekrieg

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Zeittabelle

(ab 1740) – Siebenjähriger Krieg (1756–1763) – Kaiser Franz I. (1745–1765) – Kaiser Joseph II. (1765–1790) – Koalitionskrieg gegen Frankreich (ab 1792) – Kaiser Franz II. (1792–1806) – erste Teilung Polens (1772) – zweite und dritte Teilung Polens (1793 und 1795)

Königreich Frankreich Franz I. (1515–1547) – Heinrich II. (1547–1559) – Krieg gegen die Hugenotten (1562–1598) – Bartholomäusnacht (1572) – Edikt von Nantes (1598) – Ludwig XIII. (1610–1643) – Kardinal Richelieu (1624–1642) – Kardinal Mazarin (1643–1661) – Ludwig XIV. (1661–1715) – Aufhebung des Edikts von Nantes (1685) – Große Allianz (1689) – Ludwig XV. (1715–1774) – Ludwig XVI. (1774–1792) – Beginn der Revolution (1789) – Erklärung der Menschenrechte (1789) – neue Verfassung (1792) – Herrschafts des Konvents (1792–1793) – Herrschafts des Direktoriums (1795–1799) – erster Koalitionskrieg (1792–1797) – Napoleon als erster Konsul (1799)

Königreich England Heinrich VIII. (1509–1547) – Beginn der Reformation (ab 1531) – Maria die Katholische (1553–1558) – Elisabeth I. (1558–1603) – Sieg über die spanische Armada (1688) – East Indian Company (ab 1600) – Herrschaft des Stuarts (1603–1648) – Petition of Rights (1628) – Bürgerkrieg zwischen König und Parlament (1642–1648) – Hinrichtungs Karls I. (1649) – Zeit der Republik Cromwells (1649–1660) – Restauration der Stuarts (1660–1688) – Glorious Revolution (1688) – Declaration of Rights (1689) – Herrschaft des Hauses Hannover (ab 1714) – Unabhängigkeitskrieg in Nordamerika (1775–1783) – Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten von Amerika (1776)

Königreiche Spanien und Portugal Karl I. (1519–1556) – Philipp II. (1556–1598) – Abfall der Niederlande (1581) – Krieg gegen Frankreich (1556–1559) – Sieg bei Lepanto gegen die Türken (1571) – Verlust der Armada gegen England (1688) – Philipp III. (1598–1621) – Philipp IV. (1621–1665) – Spanischer Erbfolgekrieg (1701–1714) – Friede von Utrecht (1713) – Herrschaft der Bourbonen (seit 1713) – Erdbeben in Lissabon (1755)

Skandinavien und Russland Gustav I. Wasa von Schweden (1523–1560) – Eroberung Livlands durch Schweden (1621) – Schweden im Dreißigjährigen Krieg (1630–1635) – Tod von Gustav Adolf II. (1632) - Königin Christina von Schweden (1632–1654) – Friede von Oliva (1660) – Nordischer Krieg (1700–1721) – Gründung von Petersburg (1703) – Schlacht bei Poltawa (1709) – Haus Romanow als Zaren (1613–1762) – Zar Peter I. (1699–1725)

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Zeittabelle

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– Zarin Katharina I. (1725–1740) – Gründung der Universität Moskau (1755) – Zarin Katharina II. (1762–1796) – Bündnis mit Preußen (1764) – Krieg gegen die Osmanen (1764–1774) – Annexion der Halbinsel Krim (1783) – zweiter Krieg gegen die Osmanen (1787–1792) –Teilungen Polens (1772, 1793, 1795)

Länder Lateinamerikas Eroberung der alten Kulturen durch Spanien und Portugal (ab 1502) – spanische Herrschaft über die Azteken (ab 1520) – spanische Herrschaft über das Inka-Reich (ab 1533) – portugiesische Eroberungen von Brasilien (ab 1502) – Beginn des Sklavenhandels (ab 1510) – spanischer Indienrat in Sevilla (ab 1524) – Königreich NeuSpanien (ab 1535) – Vizekönigreich Peru (seit 1542) - portugiesische Kolonien (ab 1549) – Vizekönigreich Neu-Granada (ab 1718) – Vizekönigreich La Plata (ab 1776) – Simon Bolivar (1783–1830) – Jose de San Martin (1778–1850)

Jüdische Kultur Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) – Aufnahme der Juden in Italien und im Osmanischen Reich (ab 1492) – Vertreibung aus Portugal (1492) – Vertreibung aus Frankreich (1498) – Safed als Zentrum der Kabbala (1534–1572) – Josef Karo als Lehrer (ab 1554) – Judenprogrome im Königreich Polen (1648) – Einwander der Juden in Ost- und Mitteleuropa (ab 1648) – Messiaserwartung um Sabbatai Zwi (ab 1665) – Verbreitung des Chassisdismus in Osteuropa (1700–1760) – Verbreitung des Sabbatismus in Osteuropa (1726–1791) – Moses Mendelsohn in Berlin (1729–1786) – Toleranzpatent für Juden durch Kaiser Joseph II. (1781) – Gleichberechtigung der Juden durch die Französische Revolution (1791) – Beginn der Wissenschaft des Judentums durch Leopold Zunz (1794–1886)

Islamische Kultur Krieg der Osmanen gegen Venedig (1499–1503) – Osmanen erobern Ägypten (1517) – Sultan Sülyman (1520–1566) – Schlacht bei Mohacs gegen Ungarn und Polen (1526) – erste Belagerung Wiens (1529) – Friede mit Habsburg (1533) – Sieg der Osmanen über die Heilige Liga ( 1538) – Herrschaft der Osmanen über Ungarn (seit 1541) – Krieg der Osmanen gegen Persien (1577–1590) – Krieg gegen Österreich (1663–64) – Krieg gegen Polen (1672–76) – zweite Belagerung von Wien (1683) – Niederlage der Osmanen bei Zenta (1697) – Niederlage der Osmanen bei Peterwardein (1716) – Krieg gegen Österreich und Russland (1736–39) – zweiter Krieg gegen Österreich und Russland (1787–1792) – Napoleon landet in Ägypten (1798–1801)

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Weiterführende Literatur Angenendt, A., Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Dramstadt 2009. –, Heilige und Reliquien, München 1994. Bahr, P. (Hg.), Protestantismus und Kultur I, Gütersloh 2007. Bainton, R.H., Erasmus. Reformer zwischen den Fronten, Göttingen 1972. Behringer, W. (Hg.), Hexen und Hexenprozesse im Mittelalter, München 1992. Binder, D., Die diskrete Gesellschaft. Geschichte und Symbole der Freimaurer, Freiburg 2002. Blicke, P., Das alte Europa. Vom Hochmittelalter zur Moderne, München 2008. Blumenberg, H., Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt 1966. Bunge, M./Mahner, M., Über die Natur der Dinge, Stuttgart 2004. Daniel, W., Geheimräte gegen Gehiembünde, Stuttgart 1991. Decker, R., Die Hexen und ihre Henker, Freiburg 1994. Edinghoffer, R., Die Rosenkreuzer, München 2002. Elias, N., Über den Prozess der Zivilisation II., Frankfurt 1977. Endres, G., Der Islam in Daten, München 2006. Fischer-Wollpert, R. (Hg.), Lexikon der Päpste, Wiesbaden 2004. Frenschkowski, M., Die Geheimbünde, Wiesbaden 2008. Freyer, H., Machiavelli, Weinheim 1990. Fröba, S./Wassermann, A., Die bedeutendsten Mathematiker, Wiesbaden 2007. Gail, A., Ersamus von Rotterdam, München 1999. Geremek. B., Geschichte der Armut, München 1985. Gierer, A., Die Physik, das Leben und die Seele, München 1987. Grabner-Haider, A., Das Laienchristentum. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Darmstadt 2006. Grabner-Haider, A., Die großen Ordensgründer, Wiesbaden 2007. –, (Hg.), Ethos der Weltkulturen, Göttingen 2007. –, u.a. (Hg.), Fanatismus und Massenwahn, Graz 1987. –. Kritische Religionsphilosophie, Graz 1995. –, (Hg.), Kulturgeschichte der Bibel, Göttingen 2008. –, (Hg.), Kulturgeschichte des Frühen Christentums, Göttingen 2009. –, /Maier, J./Prenner. K., Kulturgeschichte des Frühen Mittelalters, Göttingen 2010. –, (Hg.); Philosophie der Weltkulturen, Wiesbaden 2007. –, /Prenner, K. (Hg.); Religionen und Kulturen der Erde, Darmstadt 2005. –, Strukturen des Mythos, Frankfurt 1990. Graf, F.W., Der Protestantismus. Geschichte und Gegenwart, München 2006. Greschat, M. Protestantismus in Europa, Darmstadt 2005. Gründer, H., Welteroberung und Christentum, Gütersloh 1992. Halkin, L.E., Erasmus von Rotterdam. Eine Biographie, Zürich 1989. Hartmann, G.(Schnith, K.P. (Hg.), Die Kaiser, Wiesbaden 2007. Höffe, O. (Hg.), Klassiker der Philosophie II, München 2010.

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Weiterführende Literatur

–, (Hg.), Klassiker der Philosophie I, München 2010. –, (Hg.), Thomas Hobbes. Anthropologie und Staatsphilosophie, München 1981. Holtz, L., Geschichte des christlichen Ordenslebens, Zürich 1990. Hund, F., Geschichte der physikalischen Begriffe, München 1978. Jankrift, K.P., Die großen Ärzte im Porträt, Wiesbaden 2007. –, Mit Gott und Schwarzer Magie. Medizin im Mittelalter, Darmstadt 2005. Jaspert, B. (Hg.), Leiden und Mystiker in der Weisheit, Paderborn 1992. Kanitscheider, B., Kosmologie. Geschichte und Systematik in philosophischer Perspektive, Stuttgart 2000. Kaspar, P.P., Die wichtigsten Musiker im Porträt. Wiesbaden 2007. Kersting, W. Niccolo Machiavelli, München 1989. Klinger, E., Armut, eine Herausforderung Gottes, Zürich 1990. Krafft, F., Die bedeutendsten Astronomen, Wiesbaden 2007. –, Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt, Wiesbaden 2007. –, Geschichte der Naturwissenschaft, Freiburg 1971. Kramer, R., Umgang mit Armut, Berlin 1990. Lang, J., Die großen Ordensgründer, Freiburg 1990. Leven, K.H., Die Geschichte der Infektionskrankheiten, Landsberg 1997. Lexutt, A., Die Reformation. Ein Ereignis macht Epoche, Köln 2009. Lundt, B., Europas Aufbruch in die Neuzeit, Darmstadt 2009. Mann, G./Nitschke, A. (Hg.), Propyläen Weltgeschichte VII, Berlin 1986. Meinhold, P., Kirchengeschichte in Schwerpunkten, Graz 1987. Meltzer, M., Slavery. A world history, New York 1997. Metz, J.B., Zeit der Orden, Freiburg 1986. Midelfort, H.C., Geschichte der abendländischen Hexenverfolgung, Würzburg 1991. Morgenstern, M./Zimmer, R., Denkwege der Philosophiegeschichte, Düsseldorf 2003. Müller, K./Urstotf, W. (Hg.), Einleitung in die Missionsgeschichte, Stuttgart 1995. Pelizaeus, L., Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansopn, Wiesbaden 2007. Pijoan, J. (Hg.), Arte Kunstgeschichte der Welt VII, Genf 1979 –, (Hg.), Arte Kunstgeschichte der Welt VIII, Genf 1979 Plongeron, B. (Hg.), Die Geschichte des Christentums X, Freiburg 2000. Racholg, J. (Hg.), Die Illuminaten, Berlin 1984. Reinhard, U., Die Tyrannei der Tugend. Calvin und die Reformation in Genf, München 2009. Reinhard, W., Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, München 2006. –, Geschichte des modernen Staates, München 2007. –, Geschichte der europäischjen Expansion I, Stuttgart 1985. Rheinheimer, M., Arme, Bettler und Vaganbunden, Berlin 2000. Röd, W. Der Weg der Philosophie I, München 1996. –, Der Weg der Philosophie II, München 2010. Rosseaux, U., Städte in der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006. Schneider, W., Hoffnung auf Vernunft. Aufklärungsphilosophie in Deutschland. Hamburg 1990. Seibt, F., Die Begründung Europas, Frankfurt 2002. Stolleis, M., Staat und Staatsräson in der Frühen Neuzeit, Frankfurt 1990. Streminger, G., Gottes Güte und die Übel in der Welt, Tübingen 1992. Strohm, C. Johannes Calvin. Leben und Werk des Reformators, München 2009. Van der Heyden/Liebau, H. (Hg.), Missionsgeschichte, Kirchengeschichte, Weltgeschichte, Stuttgart 1996. Venard, M. (Hg.), Die Geschichte des Christentums VII, Freiburg 1995. –, Die Geschichte des Christentums VIII, Freiburg 1992.

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Weiterführende Literatur

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–, Die Geschichte des Christentums IX, Freiburg 1998. Von Engelhardt, D. (Hg.), Klassiker der Medizin I, München 1991. Von Weizsäcker, C., Die Einheit der Natur, München 1995. –, Wahrnehmung der Neuzeit, München 1986. Wischer, E. (Hg.), Geschichte der Literatur III, Frankfurt 1988. –, Geschichte der Literatur IV, Frankfurt 1988. Wolf, H., Der Papst und der Teufel. Die Archive des Vatikan und das Dritte Reich, München 2008. Wolf, H. Der Vatikan und die verbotenen Bücher, München 2006. Wußing, H./Arnold, W., Biographien bedeutender Mathematiker, Berlin 1983.

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Personenregister

Abbas, I. 226ff Ad Daula, I. 250 Agricola, G. 98 Agrippa von Nettersheim 68 Ahmad III. 214 Akbar 238f, 243ff, 246ff Al Karaki 232 Al Wahhab, A. 248 Alambert, J. 84, 101 Alfons von Ligouri 53 Allegri, A. 158 Althusius, J. 73 Apian, P. 93 Ari 178 Ariosto, L. 143 Aristoteles 23, 69 Arizal 178 Arndt, J. 37, 44 Aurangzeb 242f Aurelius Augustinus 23 Azaria dei Rossi 173 Baal Schem Tov 192ff Babur 238 Bacon, F. 70f, 73f Bada Um, A. 237 Baki 218 Bakir Madschlisi 232 Batteux, C. 153 Bayezid II. 206 Bayle, P. 56, 112f, 116 Bayle, R. 98, 104 Beaumarchais P. 153 Bembo, P. 143 Ben Israel, M. 201 Bengel, A. 38 Bernoulli, J. 101 Bertinoro, O.A. 175 Bidil 247 Black, J. 99 Bock, H. 92 Bodin, J. 72 Boerhaave, H. 105 Böhme, J. 37 Brahe, Tycho 94 Bramante, D. 159

Bruegel, P. 161 Brunfels, O. 97 Bruno, G. 68f Bruns, N. 151 Bucer, M. 29 Buchanan, G. 72f Bureau, M. 21 Cajetan 23 Calabrese, C. 178 Calderon de la Barca 144 Caliari, P. 159 Calvin, J. 30ff, 43f Camillo de Lellis 53 Campanella, T. 73 Canaletto 165 Canova, A. 166 Caravaggio 162 Cardano, G. 100 Cardozo, A. 188 Carpaccio, V. 160 Castiglione, B. 140 Castoro, G. 103 Cavendish, H. 99f Celeby, E. 218 Cellini, B. 158 Celsius, A. 96 Champiegne, P. 162 Charpentier, M. 167 Cherbury, H. von 78f Christian II. 27 Clairault, A. 96 Clemens XI. 49 Clemens XII. 110 Clemens XIII. 50f Colet, J. 66f Collins, A. 79 Condillac, E. 84f Condorcet, J.A. 89f, 108 Cordovero, M. 178 Costa, U. de 176ff Couperin, F. 167 Cranach, L. 161 Cromwell, O. 32, 39, 132, 141, 143 Crusius, C. 86

Defoe, D. 155 Delrio, M. 55 Descartes, R. 70, 74ff Diderot, D. 84, 114f, 154 Dobner, G. 149 Dschahan, 242 Dschanhangir, 241, 245 Dubno, S. 203 Dürer, A. 161 Eck, J. 23 Eduard VII. 33 El Greco 161 Elisabeth I. 33, 55 Emanuel I. 133 Emden, J. 189 Erasmus 43, 64ff, 139 Euchel, J.A. 196ff Euler, L. 101 Fahrenheit, G. 96 Faiz, Kashani 235 Ferdinand II. 126 Ferdinand III. 127 Fernandez, A. 160 Flamsteed, J. 96 Fonwisin, D. 147 Francke, A.H. 38 Frank, J. 190f, 193 Franklin, B. 99 Franz I. 129 Franz II. 130 Freudenthal, M. 198 Friedrich II. 115f Fuchs, L. 97 Fuzuli 218 Gailer von Kayserberg 21 Galilei, G. 69f, 94f Gassendi, P. 76 Gentileschi 162 Geulincx, A. 77 Gilbert, W. 94 Giorgone 160 Glückel von Hameln 187 Gobel, J. 51 Goethe, J.W. von 155ff

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Personenregister

Gottsched, J. 152 Gracian, B. 140 Gregor XIII. 94 Gregor XV. 51 Grotius, H. 73 Gryphius, A. 141, 145f Guggengeim, F. 194 Gumperts, A. 200 Gundulic, J. 150 Gustav I. Wasa 132 Hallmann, J.C. 141 Harvey, W. 97, 104 Haydn, J. 168 Heinrich VIII. 27, 32ff, 67f, 131 Helvetius, C. 85 Herschel, L. 97 Herz Homberg 203 Herz Wessely, N. 196 Heschel Zoref, J. 190 Heymann, M. 199 Hirsch Frankel 192 Hiutfeldt, A. 151 Hobbes, Th. 74ff, 78 Hofmann, F. 104 Holbach, P. 85, 115 Hontheim, N. 49 Hooke, R. 45, 98, 101 Horovitz, R. 182 Hotman, F. 72 Houdon, J. 164 Hume, D. 82f Husain 228 Hutton, J. 99 Hygens, C. 95 Innozenz VIII. 54 Institoris, H. 35 Iserles, M. 181 Ismail 223 Israel ben Elizer 192 Jenner, E. 105 Jimenes de Cisneros 67 Johannes vom Kreuz 57 Joseph I. 128 Joseph II. 51, 128 Juan de Dios 53 Julius II. 23 Julius III. 48 Kael VII. 129 Kant, I. 43, 87ff, 97f Karamsin 147 Karl V. 32, 126 Karl VI. 129 Katharina II. 134 Kepler, J. 94f

Khusrau, A. 249 Knox, J. 34 Kopernikus, N. 93 Krasnicki, J. 148 La Mettrie, J. 85 Lagrange, J. 101 Laplace, P. 97 Leczynski, S. 148 Legendre, A. 102 Leibniz, G.W. 45, 80f, 110 Lenz, R.M. 154 Leo, X. 23, 50 Leone, J.A. 174 Leopold I. 127 Leopold II. 119 Lessing, G.E. 86 Leuwenhock, A. 98 Linne, C. von 151 Lipsius, J. 45 Locke, J. 45, 79f, 81f, 107f Lomonossow, M. 146 Lope de Vega 144 Ludwig XIV. 124, 130 Ludwig XV. 131 Ludwig XVI. 118 Luther, M. 22ff, 26ff, 43, 65f Machiavelli, N. 71, 140 Maistre, J. de 90f Malik 248 Maloch, C. 190 Maria Stuart 131 Marsilius von Padua 43 Maximilian I. 126 Maximilian II. 126 Mayer, T. 96f Mehmed II. 206 Melanchthon, Ph. 26, 35f Mendelssohn, M. 86, 108, 172, 193ff, 197ff, 201ff Mercator, G. 94 Merici, A. 52 Mersenne, M. 100 Mir Damad 235 Mirabeau, E. 118 Modrzewsky, F. 147 Moliere, J. 142, 153 Monge, G. 102 Montesquieu, L. 84 Monteverdi, C. 167 Morus, Th. 73, 143 Morztyn, H. 148 Mozart, W.A. 168 Nadir 229 Napoleon 51, 121 Nathan von Gaza 183f Nedim 219

Nergisi 218 Neri, Ph. 53 Newton I. 95f, 100f Oekalampad 29 Opitz, M. 141 Oppenheim, M. 194 Orlando di Lasso 166 Palestrina, P. 166 Palladio, A. 159 Paracelsus 103 Pare, A. 103 Pascal, B. 76f Paul III. 48f, 137 Paul IV. 48 Perrault, Ch. 153 Peter I. 134, 146 Petty, W. 83 Philipp II. 33 Piazzi, G. 97 Pico della Mirandola 63 Piri Reis 220 Pius III. 34 Pius VI. 51 Pizarro, F. 135 Pomponazzi, P. 67 Priestley, J. 100 Querido, J. 189 Racine, C. 143 Rameau, J. 168 Reaumur, R. 96 Reimarus, H. 46 Rembrandt 163 Reuchlin, J. 63 Riccioli, G. 95 Robespierre, M. 120f Rousseau, J.J. 60, 88f, 108, 125, 152 Rubens, P. 163 Rubenus, C. 64 Rudolf II. 127 Rumi 215 Sabbatai Zwi 183ff, 185ff Santi, R. 157 Savonarola, G. 71 Scaliger, J. 140 Scarlatti, A. 168 Schele, J. 22 Schiller, F. von 154 Schneu Salman 192 Schorer, Ch. 145 Schupp, B. 145 Schütz, H. 167 Selim I. 207 Selim II. 208

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Personenregister Sewedenborg, E. 151 Shaftesbury, A. 82 Shakespeare, W. 141 Shirazi, S. 247 Sieyes, E.J. 90 Sinan 221 Sixtus V. 55 Smith, A. 45, 83f Spee, F. von 56 Spener, J. 37 Spinoza, B. 77f Sprenger, J. 55 Stahl, G. 99 Suarez, F. 144 Süleyman I. 207 Szarzynski, M. 148 Tahmasp 225 Talleyrand, Ch. 121 Tartaglia, N. 100

Tasso, T. 143 Telemann, G.Ph. 167 Telesino, B. 67 Temple, W. 83 Teresa von Avila 57 Theodosius I. 43 Thomas von Aquin 23 Thomasius, Ch. 45, 85ff Tindal, M. 45, 79 Tirso de Molina 144 Tizian 160 Toland, J. 45 Urban VIII. 49 Urfi 247 Valdastie, J. 153 Veit, Ph. 195 Venosa, C. 167 Vesalius, A. 103

Veysi 218 Vico, G. 88, 140 Vinzenz von Paul 53 Vives, L. 67 Voltaire, F. 56, 69f, 84f, 113f Ward, M. 53 Weise, Ch. 146 Weishaupt, A. 111 Weseley, J. 40 Wieland, Ch.M. 152 Wilhelm IV. 94 Wilhelm von Ockham 43 Wolff, Ch. 45, 85ff Woliullah 248 Zinzendorf, N. 38 Zucchi, J. 58 Zwingli, H. 26, 29ff

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