Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit 9783110942545, 9783484366114

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Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit
 9783110942545, 9783484366114

Table of contents :
Vorwort
I. HISTORISCHE PERSPEKTIVEN EINER EUROPÄISCHEN KULTURLANDSCHAFT
Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit - Eine historische Grundlegung
Die Funktion der bischöflichen Zentren Breslau und Olmütz im Zeitalter des Humanismus
Religion, Politik und Späthumanismus - Zum Wandel der schlesisch-böhmischen Beziehungen im konfessionellen Zeitalter
Oberschlesien in der Frühen Neuzeit - Überlegungen zur Perspektive der Erforschung seiner Literatur- und Kulturgeschichte
II. RELIGIÖSER SCHMELZTIEGEL IM ZEITALTER DER KONFESSIONALISIERUNG
Morphologie schlesischer Religiosität in der Frühen Neuzeit
Der Begriff des Nichts in der schlesischen Mystik
Abraham von Franckenbergs Verhältnis zu Jacob Böhme - Versuch einer Neubestimmung der Textgrundlagen aufgrund kritischer Sichtung
Caspar Schwenckfelds Beitrag zum geistlichen Gesang
Konfrontation statt Frieden - Die Rekatholisierungspolitik der Habsburger in Schlesien im 17. Jahrhundert
III. SCHLESIEN IM WEGENETZ DES EUROPÄISCHEN BILDUNGSRAUMES
Die Gesundheitskatechismen des Breslauer Stadtarztes Martin Pansa (1580-1626)
Silesia academica - Promotionen, Inauguraldissertationen, Biographien schlesischer Ärzte und Juristen im 17. Jahrhundert
Deutsch-polnische Kommunikation im plurinationalen Kulturkontext des Barock
Albert Szenci Molnár in Schlesien
IV. ASPEKTE DER SCHLESISCHEN BUCHKULTUR
Geschichte der schlesischen Buchkultur in der polnischen Forschung (1945-2000)
Der Verlag Fellgiebel
Schlesiens Bild in der Kartographie des 17. Jahrhunderts
Zensur in Schlesien
V. DIE KULTURELLE PHYSIOGNOMIE SCHLESIENS IM SPIEGEL DER REGIONALEN BUCH- UND HANDSCHRIFTENSAMMLUNGEN
Bücherhochburg des Ostens - Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wrocław
Wegweiser durch die Handschriftenbestände der Universitätsbibliothek Wrocław/Breslau
Der wissenschaftliche Nachlaß von Samuel Benjamin Klose
Frühneuhochdeutsche Handschriften in Schlesien
VI. BILDENDE KUNST UND MUSIK IM EINFLUSSFELD DER KONFESSIONSPOLITIK
Die Eigenart der Renaissance- und Barockkunst in Schlesien
Die Visualität der lutherischen Konfession in der Kunst der schlesischen Territorien (16.-18. Jahrhundert)
Michael Willmann und die Anfänge der deutschen Deckenmalerei des Barock
Der habsburgische Katholizismus im Zeichen der Gefährdung der Dynastie - Das ikonographische Programm des Fürstensaales in der Zisterzienserabtei in Leubus (Lubiąż)
Das »sichtbare Wort Gottes« an der Decke der evangelischen Friedenskirche zu Schweidnitz
Die Gedichte des Wenzel Scherffer von Scherffenstein als Schütz-Quelle
Schlesische Lautenisten in Mitteldeutschland
VII. FÜHRENDE LITERATURLANDSCHAFT DES ALTEN DEUTSCHEN SPRACHRAUMS
Turba caduca sumus - Leben und Dichtung von Tobias Aleutner (1574-1633)
Mit barer Münze - Überlegungen zum funktionalen Regelverstoß bei Martin Opitz
Der junge Gryphius - Herodes- und Ölberg-Dichtung im Lichte der Gattungsfrage
Die Edition von Andreas Gryphius’ ›Leichabdankungen‹ - Ein Projekt zur interdisziplinären Verklammerung der germanistischen Frühneuzeit-Forschung mit der Historischen Theologie
Vom »Amt der rechten Poesie« - Johann Christian Günthers kasualpoetischer Kampf gegen Sohn und Vater Männling
Schlesien und Polen im Werk von Anna Louisa Karsch (1722-1791)
Personenregister

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Frühe Neuzeit Band 111 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit Band I

Herausgegeben von Klaus Garber

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Redaktion: Stefan Anders, Holger Luck, Winfried Siebers

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-36611-7

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2005 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Winfried Siebers, Berlin, und Stefan Anders, Osnabrück Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Inhalt

Band I Vorwort

I.

IX

HISTORISCHE PERSPEKTIVEN EINER EUROPÄISCHEN

KULTURLANDSCHAFT

Andreas Rüther Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit Eine historische Grundlegung

3

Karen Lambrecht Die Funktion der bischöflichen Zentren Breslau und Olmütz im Zeitalter des Humanismus

49

Joachim Bahlcke Religion, Politik und Späthumanismus Zum Wandel der schlesisch-böhmischen Beziehungen im konfessionellen Zeitalter

69

Detlef Haberland Oberschlesien in der Frühen Neuzeit Überlegungen zur Perspektive der Erforschung seiner Literatur- und Kulturgeschichte

93

II.

RELIGIÖSER

SCHMELZTIEGEL

IM Z E I T A L T E R DER K O N F E S S I O N A L I S I E R U N G

Siegfried Wollgast Morphologie schlesischer Religiosität in der Frühen Neuzeit . . . .

113

VI

Inhalt

Jözef Kosian Der Begriff des Nichts in der schlesischen Mystik

191

Sibylle Rusterholz Abraham von Franckenbergs Verhältnis zu Jacob Böhme Versuch einer Neubestimmung der Textgrundlagen aufgrund kritischer Sichtung

205

Anna Manko-Matysiak Caspar Schwenckfelds Beitrag zum geistlichen Gesang

243

Jörg Deventer Konfrontation statt Frieden - Die Rekatholisierungspolitik der Habsburger in Schlesien im 17. Jahrhundert

265

III.

SCHLESIEN IM WEGENETZ DES EUROPÄISCHEN BILDUNGSRAUMES

Gundolf Keil Die Gesundheitskatechismen des Breslauer Stadtarztes Martin Pansa (1580-1626)

287

Manfred Komorowski Silesia academica - Promotionen, Inauguraldissertationen, Biographien schlesischer Ärzte und Juristen im 17. Jahrhundert

321

Miroslawa Czarnecka Deutsch-polnische Kommunikation im plurinationalen Kulturkontext des Barock

361

Andräs Szabö Albert Szenci Molnär in Schlesien

385

IV.

ASPEKTE DER SCHLESISCHEN BUCHKULTUR

Anna Zbikowska-Migon und Elzbieta Herden Geschichte der schlesischen Buchkultur in der polnischen Forschung (1945-2000)

399

Hans-Joachim Koppitz Der Verlag Fellgiebel

445

Jolanta Szafarz Schlesiens Bild in der Kartographie des 17. Jahrhunderts

513

Inhalt

VII

Bodo Plachta Zensur in Schlesien

521

Band II V.

D I E K U L T U R E L L E P H Y S I O G N O M I E S C H L E S I E N S IM S P I E G E L DER R E G I O N A L E N B U C H - U N D

HANDSCHRIFTENSAMMLUNGEN

Klaus Garber Bücherhochburg des Ostens - Die alte Breslauer Bibliothekslandschaft, ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg und ihre Rekonstruktion im polnischen Wroclaw

539

Leslaw Spychala Wegweiser durch die Handschriftenbestände der Universitätsbibliothek Wroctaw/Breslau

655

Lucyna Harc Der wissenschaftliche Nachlaß von Samuel Benjamin Klose

747

lipo Tapani Piirainen Frühneuhochdeutsche Handschriften in Schlesien

777

VI.

BILDENDE KUNST UND MUSIK IM E I N F L U S S F E L D DER K O N F E S S I O N S P O L I T I K

Jan Harasimowicz Die Eigenart der Renaissance- und Barockkunst in Schlesien

793

Andrea Langer Die Visualität der lutherischen Konfession in der Kunst der schlesischen Territorien (16.-18. Jahrhundert)

819

Barbara Mikuda-Hüttel Michael Willmann und die Anfänge der deutschen Deckenmalerei des Barock

867

Beata Lejman Der habsburgische Katholizismus im Zeichen der Gefahrdung der Dynastie - Das ikonographische Programm des Fürstensaales in der Zisterzienserabtei in Leubus (Lubi^z)

891

VIII

Inhalt

Agneiszka Seidel- Grzesinska Das »sichtbare Wort Gottes« an der Decke der evangelischen Friedenskirche zu Schweidnitz

911

Eberhard Möller Die Gedichte des Wenzel Scherffer von Scherffenstein als Schütz-Quelle

925

Lothar Hoffmann-Erbrecht Schlesische Lautenisten in Mitteldeutschland

933

V I I . FÜHRENDE LITERATURLANDSCHAFT DES ALTEN DEUTSCHEN SPRACHRAUMS

Zbigniew Kadlubek Turba caduca sumus - Leben und Dichtung von Tobias Aleutner (1574-1633)

943

Barbara Wiedemann Mit barer Münze - Überlegungen zum funktionalen Regelverstoß bei Martin Opitz

955

Ralf Georg Czapla Der junge Gryphius - Herodes- und Ölberg-Dichtung im Lichte der Gattungsfrage

1027

Johann Anselm Steiger Die Edition von Andreas Gryphius' >Leichabdankungen< Ein Projekt zur interdisziplinären Verklammerung der germanistischen Frühneuzeit-Forschung mit der Historischen Theologie

1049

Rudolf Drux Vom »Amt der rechten Poesie« Johann Christian Günthers kasualpoetischer Kampf gegen Sohn und Vater Männling

1061

Barbara Becker-Cantarino Schlesien und Polen im Werk von Anna Louisa Karsch (1722-1791)

1079

Personenregister

1095

Vorwort

Schlesien ist von der zweiten Hälfte des 16. bis in die Anfange des 18. Jahrhunderts die führende kulturelle Landschaft des alten deutschen Sprachraums gewesen. Welche Voraussetzungen dafür vorhanden sein mußten, ist die kardinale Frage einer jeden strukturell und geschichtlich auf das Schlesien der Frühen Neuzeit gerichteten Untersuchung, und damit auch dieses Bandes. Hier darf und kann kein Ergebnis vorweggenommen werden. Immerhin aber sind doch Maximen und Heuristika anzudeuten, weil sie zugleich die Anlage und das Profil des vorgelegten Werkes bestimmt haben. Schlesien war böhmisches Nebenland unter Habsburger Oberhoheit. Böhmen selbst ist aus einer Reihe von Gründen seit dem Hussitismus eine besonders innovative Landschaft; die von hier ausgehenden Impulse erreichten das benachbarte Schlesien stets frühzeitig. Die starke Position des Adels dort, die feingliedrige Organisation der Herrschaftsbereiche hier stellten sicher, daß eine Fülle von divergenten verfassungsformigen, konfessionellen und gedanklichen Gestaltungen auf engstem Raum nebeneinander Platz fanden. Schlesien hat in einer Reihe von Territorien und Städten schon frühzeitig unter Breslauer Führung auf das Ereignis der Reformation reagiert. Die entsprechenden Gebiete gerieten damit automatisch in einen Gegensatz zu Wien. Das wiederum bedingte und begünstigte das ständige Suchen nach Vermittlungen, Übergängen, Synkretismen. Und wie selbstverständlich festigte sich im Zuge dieser Entwicklungen zugleich die Kommunikation unter der intellektuellen Vorhut, der Gelehrtenschaft. Böhmen und Schlesien waren seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Herzländer des europäischen Späthumanismus wie auf andere Weise im Reich sonst nur die Pfalz und der Oberrhein, mit denen - vermittelt über eine gemeinsame Affinität zum reformierten Bekenntnis - die engsten Kontakte bestanden. Zudem machte sich die Nähe Polens prägend geltend. Polen galt in Europa unter konfessionellem Gesichtspunkt fur eine knapp bemessene Weile als ein liberales Land. Es war daher für die schlesische Intelligenz gerade in Zeiten der Bedrohung, wie sie sich nach 1620 rasch intensivierte, ein Hort der Zuflucht, der die Experimentierlust auf eigenem Boden beförderte. Grenzländer neigen verstärkt zu identitätsstiflendem kulturellem Gebaren. Entsprechend steht Schlesien zusammen mit der Pfalz an der Spitze der gelehrten Nationalliteraturbewegung im Reich. Deren Ausprägung aber profitierte wiederum von der unerhörten Vielfalt der religiösen Anschauungen, wie sie Schlesien wie keine andere Landschaft sonst kennzeichnete. Sie war gerade in ihren dogmatisch nicht fixierten, der persönli-

χ

Klaus Garber

chen Erfahrung Raum gewährenden Gestaltungen von nachhaltiger Attraktivität für die nobilitas litteraria. Nur auf dieser Basis konnte die Pflege der internationalen Kontakte erfolgen, wie sie die führenden Kreise unterhielten und wie sie in Reisen, Korrespondenzen, akademischen Zuschriften und Casualia überreich bezeugt ist. Eine wesentliche Voraussetzung für diese intellektuelle Blüte bildete ein hochentwickeltes Schul- und Gymnasialwesen auf engstem Raum, wie es keine andere Landschaft in dieser Dichte und auf diesem Niveau aufzubauen vermocht hatte. Es wurde flankiert durch ein Buchaufkommen in Klöstern und Pfarreien, Städten und Höfen, im gehobenen Bürgertum und im Adel, wie es vermutlich gleichfalls singular dastehen dürfte. Es reicht, an die Namen der Rhedigers, Hohbergs, Schaffgotschs zu erinnern, um zu verdeutlichen, welche Dimensionen auch auf diesem Sektor zu gewärtigen sind. Einem Vorhaben zur schlesischen Kulturgeschichte ist folglich die Verknüpfung der verschiedensten kulturellen Manifestationen aufgetragen. Es kann dieser Aufgabe und diesem Anspruch nur gerecht werden, indem es sich - statt mit den Einzeldisziplinen zu konkurrieren - um die Stiftung von Kontakten bemüht. Da die Entwicklungen auf übersehbarem Raum bis hin zu den vielfach identischen Personenkreisen aufeinander verweisen, sich wechselseitig stützen und beeinflussen, ist interdisziplinäre Arbeit in besonderem Maße das Mittel der Wahl, um den Prozeß der Erkenntnis voranzutreiben. Der Herausgeber hat daher versucht, Vertreter verschiedener Disziplinen anzusprechen, von denen zugleich bekannt war, daß sie sich interessiert gezeigt hatten an disziplinaren Verzweigungen. Richtungweisend kam der Vorsatz hinzu, ein zwischen Polen und Deutschen ausgewogenes Verhältnis unter den Teilnehmern herzustellen. Internationale Veranstaltungen zu Territorien des alten deutschen Sprachraums im Osten sind heute die wichtigsten Foren, um den Prozeß des Austausches und der Verständigung über die jahrhundertelang ideologisch besetzten und national verzerrten Anschauungen und Überlieferungen voranzutreiben. Es scheint ein selbstverständliches Gebot für eine der Gesellschaft verantwortliche Kulturwissenschaft zu sein, an diesem Prozeß nach Maßgabe des Möglichen mitzuwirken und unter Mobilisierung aller denkbaren Kontakte dazu beizutragen, daß der Fluß der Kommunikation und damit die Beseitigung von Zerrbildern befördert wird. Der Herausgeber hatte das Glück, seit 1979 immer wieder zu bibliothekarischen Arbeiten in Polen sich aufhalten und zahlreiche Gespräche vor Ort führen zu können. Die von Marian Szyrocki initiierten und dann von Konrad Gajek fortgeführten Kongresse zumal in Karpacz sind auch der Vorbereitung dieses Bandes zugute gekommen. Ohne die Unterstützung zumal aus dem Germanistischen und dem Kunstwissenschaftlichen Institut der Universität Wroclaw hätte das Programm nicht das jetzt zustandegekommene Profil erlangen können. Der Herausgeber hat neuerlich Anlaß, des allzu frühen Todes von Marian Szyrocki und Konrad Gajek trauernd zu gedenken. Der Band beschließt eine Sequenz von Sammelwerken zu einzelnen kulturellen Landschaften im alten deutschen Sprachraum des Ostens. Nach Pommern

Vorwort

XI

(1994), Ostpreußen (2001), den baltischen Ländern (2003) und dem Preußen königlich polnischen Anteils (2005) kommt nunmehr Schlesien zur Darstellung. Daß es möglich war, den thematisch aufeinander abgestimmten Vorhaben in der Reihe >Frühe Neuzeit< ein gemeinsames Dach zu bieten, erfüllt den Herausgeber mit Freude und Genugtuung. Er dankt Birgitta Zeller und den Mitherausgebern, daß sie dem Projekt die Treue bewahrten. Viel Geduld mußten in der Regel die Mitwirkenden selbst beweisen. So auch im vorliegenden Fall. Ursprünglich wie die voraufgehenden Veranstaltungen als Kongreß in den späten neunziger Jahren geplant, erwies es sich als notwendig, von diesem Vorhaben Abstand zu nehmen. Der Herausgeber ist allen Beiträgem des Bandes zu tiefem Dank verpflichtet, daß sie über einen langen Zeitraum ihre Arbeiten für den Band weiterhin bereithielten. Er kann nur hoffen, daß die Gestalt, die er schließlich angenommen hat, ihnen Freude bereitet. Daß er abgeschlossen werden konnte, ist neben Holger Luck wiederum Stefan Anders und Winfried Siebers zu verdanken, die ihre erfahrene redaktionelle Hand auch diesem Band zugute kommen ließen. Möge das Werk auf seine Weise das deutsch-polnische Gespräch über Schlesien befördern. Und möge es beitragen zum Brückenbau in einer Zeit, da in Deutschland - einem Wunder gleich - die Stigmata einer unseligen jüngsten Vergangenheit sechzig Jahre nach Kriegsende nicht länger aus dem Bewußtsein eines Volkes zu verbannen sind, das da mehrheitlich wähnte, seiner Geschichte vergessend entkommen zu können. Osnabrück, Frühjahr 2005 Klaus Garber

I.

Historische Perspektiven einer europäischen Kulturlandschaft

Andreas

Rüther

Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit Eine historische Grundlegung

In Form eines struktur- und entwicklungsgeschichtlichen Essays soll es um die Grundlagen einer schlesischen Geschichte gehen, gewissermaßen um die Stellung dieses altostdeutschen Landes innerhalb der älteren Geschichte Deutschlands und Europas. Ein allgemeiner Reflexionsbogen für die einheitliche Entwicklung dieses historischen Raumes muß vom Ende des 12. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts gespannt werden. Nur mit diesem integrativen Blick auf ein übergreifendes Ganzes, der weniger die Vor- als die Frühgeschichte der Frühneuzeit darstellt, können deren epochaler Rahmen und kardinale Hauptlinien bestimmt werden. Eine solche Landesgeschichte der kulturellen Rahmenbedingungen und Existenzformen Schlesiens zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert ließe sich in folgende acht Hauptstücke teilen. Eine Definition von chronologischen, geographischen und politischen Bedingtheiten, welche die besondere Situation Schlesiens charakterisieren, sei vorausgeschickt (Kap. I—III). Mit einer Serie von Kategorien wird versucht, einen Begriff davon zu vermitteln, welche Aspekte der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sozialgeschichte Aufschlüsse über die Kultur dieses alten östlichen Teil Deutschlands und dessen Entwicklung im Vergleich zu Westeuropa geben. Nach einer zusammenfassenden Diskussion der Forschung bietet ein Überblick zur schlesischen Kirchen-, Städte- und Höfegeschichte einige Antworten auf die erhobenen Fragen (Kap. IV-VI). In verschiedenen Zugängen werden die handelnden Personen aus sektoralen Ausschnitten herausgegriffen, welche die Großformation Schlesien ausmachen: die schlesische Hochkirche und immer mehr Universitätsgebildete als Amtsträger und stiftische Pfründeninhaber (IV); damit verflochten die städtischen Zentralorte und ihre Triebkräfte, die gewissermaßen als fürstliche Teilhaber auftraten (V). In personaler Verbundenheit zu beiden vorangehenden Daseinsweisen: die tragenden Gruppen der dynastisch-höfischen Lebenswelt (VI). Dahinter steht die Vorstellung von Zivilisation als veränderlicher Einheit von Territorium, Sprache, Kunst und Religion, die sich als materielle, geistige und soziale Kultur zu erkennen gibt. Dieser Umriß vermag sicherlich kein abschließendes Bild der kirchlichen und kulturellen Geschichte Schlesiens darstellen, doch in einem solchen grand dessin sind alle Problembereiche wiederzuentdecken, denen sich die schlesische Gesellschaft der Vormoderne gegenübersah, und diejenigen Fragekreise genannt, welche Herausforderungen an künftige Forschungen stellen (Kap. VIIVIII). Nicht Detailphänomene der Ereignisgeschichte, sondern Strukturprobleme der politischen Organisation und des Kirchenregiments sind zu veranschau-

4

Andreas Rüther

lichen. Dahinter steht das Bemühen, die zentralen Tendenzen zu berücksichtigen und den ostmitteleuropäischen Horizont offenzuhalten. Von der Erkenntnis geleitet, daß vor allem in Westeuropa nationalkirchliche Bestrebungen zu einer Regionalisierung der Kirche über Landeskonkordate führten, sind aber auch eigene Akzente zu setzen.

I. »Slesia regio ad orientem estivum est«' Geht es um die frühe Neuzeit und das späte Mittelalter Schlesiens, so beginnen die Probleme bereits mit der Frage, wann man dieses Zeitalter anfangen läßt. Mehr oder weniger handelt es sich bei letzterem um das schlesische 14. und 15. Jahrhundert, doch auch das lange 13.: das schlesische Säkulum, in dem das Land an der Oder einen gewaltigen Aufholprozeß durchlief, soll in seinen Ursprüngen betrachtet werden, obwohl diesem Zeitabschnitt durchaus noch das Etikett >hochmittelalterlich< zuzuschreiben wäre. Neben der Neusiedlung Deutscher in Ostmitteleuropa, der Stadtentwicklung und dem Landesausbau vollzog sich in dieser Epoche auch im herrschaftlichen und geistlichen Bereich ein »Investiturstreit im Kleinen«,2 so daß man diese Periode als letzte Spuren eines Aufbruchs des europäischen Kontinents im hohen Mittelalter auffassen könnte. Wenn sich nämlich in dieser Region zwischen 1270 und 1290 Staatliches und Kirchliches in Zwietracht begegnen, wie das im >Älteren Europa< zweihundert Jahre früher stattgefunden hatte, wann setzt dann im Südosten das spätere Mittelalter ein? Zur Epochenbildung stellt man einem früheren Mittelalter mit beiden Umwälzungen der Christianisierung und der Siedlungsbewegung konstellativ eine spätere, ungleich kürzere Ära gegenüber, die gleichwohl umfassende Wandlungen erkennen lassen wird. Die Interpretation der Chronologie bleibt unentschieden, eine überzeugende Periodisierung strittig. Darin liegt aber gerade die Verständnischance für die schlesische Kultur- und Kirchengeschichte. Denn kaum später als etwa das rheinische Worms, wo mit einem Konkordat zwischen Kaiser und Papst immerhin bereits Anfang des 12. Jahrhunderts die bekannte Auseinandersetzung beigelegt wurde, die sich erst im letzten Viertel des 13. in abgewandelter Form zwischen schlesischem Herzog und Breslauer Bischof entschied, erreichte die Hauptstadt Schlesiens Luthers Lehre. Welches Ausmaß dieser grundsätzliche Kompensationsvorgang besaß, spiegelt sich auch

Die Kapitelüberschriften sind nach Zitaten aus der zeitgenössischen humanistischen Landesbeschreibung betitelt: Johannes Cochlaeus: Brevis Germanie Descriptio (1512) mit der Deutschlandkarte des Erhard Etzlaub von 1512. Hrsg. von Karl Langosch.- Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1960 (= Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit; 1), Kap. VI, 15-19, S. 116-119. Winfried Irgang: Liberias ecclesiae und landesherrliche Gewalt. Zur Kirchenpolitik der Piasten im 13. Jahrhundert.- In: Säkularisationen in Ostmitteleuropa. Zur Klärung des Verhältnisses von geistlicher und weltlicher Macht im Mittelalter, von Kirche und Staat in der Neuzeit. Hrsg. von Joachim Köhler.- Köln usw.: Böhlau 1984 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands; 19), S. 33-58.

Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit

5

darin, daß die allererste protestantische Hohe Schule des Reiches überhaupt 1526 auf schlesischem Boden in Liegnitz gegründet wurde. Die gut zweihundertjährige Verspätung war einer Modernität in kirchlichen Angelegenheiten gewichen und rückte das reformatorische Geschehen im Neusiedelland eng an die Entwicklung im Altsiedelland heran. Von der zeitlichen Gliederung her einen Schlußpunkt für ein Spätmittelalter zu setzen fallt demnach prima vista einfacher als ein Anfangsdatum zu finden für jene Ära, die im folgenden Gegenstand der Betrachtung sein wird; denn man kann sich auf politische oder religiöse Zäsuren stützen, für die ein gutes Maß an Konsens besteht. Der Durchbruch der Reformation und der Dynastiewechsel an Habsburg nach dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts markieren einen eindeutigen Wendepunkt, auf den sich leicht zu verständigen ist. Das Gleiche gilt für den Übergang des Landes an das Haus Hohenzollern nach dem Siebenjährigen Kriege in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, der die nachfolgende frühneuzeitliche Epoche beschloß. Wann beginnt - und woher kommt eine schlesische Geschichte der frühen Neuzeit? Die ältere Geschichte einer Landschaft Europas sollte nicht gleichsam abgeschieden und unbedingt studiert werden, jedenfalls niemals ohne eine übergreifende Ausrichtung. 3 Am allerwenigsten kann man das freilich in Schlesien anstreben. Hier vollzog sich fast zyklisch nach jeweils etwa zwei Jahrhunderten ein Herrschaflswechsel, ohne eigentlich Einwohner, Kirche und Kultur unmittelbar zu tangieren. 4 Als frühes Mittelalter faßt man die Phase vom Ende des 10. bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts auf, als Schlesien nach dem Übergang zum Christentum von westslawischen Großvölkern umkämpft war und die böhmisch-polnische Teilungslinie schließlich vom Kamm der Sudeten bis zum Fuß der Beskiden gezogen wurde. Das schlesische Hochmittelalter, in seinem grundlegenden Wandel gewissermaßen auch ein Höhepunkt aller Epochen, dauerte von etwa 1170 bis gegen 1320: Die europäische Bedeutung Schlesiens im Mittelalter ist dadurch gekennzeichnet, daß es kaum ein besser geeignetes Beispiel für einen kraftvoll beschleunigten, umfassenden und demnach wirklich umwälzenden Ausgleichsprozeß gibt als das lange dreizehnte Jahrhundert des Oderlandes. 5

Historical Atlas of East Central Europe. Hrsg. von Paul Robert Magocsi.- Seattle usw.: University of Washington Press 1993 (= A History of East Central Europe; 1), S. 1 6 - 2 2 ; Kleiner Atlas zur deutschen Territorialgeschichte. Hrsg. von Bernhard Jähnig, Ludwig Biewer. 2. erw. Aufl.- Bonn: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen 1991; Atlas östliches Mitteleuropa. Hrsg. von Theodor Kraus u.a.- Bielefeld usw.: Velhagen & Klasing 1959;

4

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Norman J.G. Pounds: An Historical Geography of Europe.- Cambridge: University Press 1990; Enzo Sciacca: L'europa e le sue regioni.- Palermo: Lombardi 1993 (= Percorsi; 1). Josef Joachim Menzel: Stellung und Rolle Schlesiens in der deutschen und europäischen Geschichte.- In: Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften. Hrsg. von Hans Rothe. Bd. I—HI.— Köln usw.: Böhlau 1 9 8 7 - 1 9 8 8 (= Studien zum Deutschtum im Osten; 1 9 / 1 - 3 ) , Bd. I: Schlesien, S. 1 - 1 8 . Peter Moraw: Das Mittelalter (bis 1469).- In: Schlesien. Hrsg. von Norbert Conrads.- Berlin: Siedler 1994 (= Deutsche Geschichte im Osten Europas; 5), S. 3 7 - 1 7 6 , 7 0 6 - 7 1 9 , 7 7 8 -

6

Andreas

Rüther

Der Zeitraum ist bezeichnet durch die größten Veränderungen überhaupt: der Kolonisation und Europäisierung, die auch eine allmähliche Verselbständigung und abschwächende Einbindung in Polen bedeuteten. Durch Erschließung und Rodung hatte das schlesische Kraftzentrum alle angrenzenden Teilgebiete Polens überholt, zerfiel jedoch selbst in eine Vielzahl an Klein- und Kleinstteilen und unterstellte sich nach und nach dem Schutz der böhmischen Oberhoheit an der Westflanke. Mit dem Verzicht des wiedererrichteten polnischen Königtums auf seine Ansprüche gelangte Schlesien als Nebenland der Krone Böhmens zum Reich und erlebte gerade unter der Regierung der Luxemburger eine Konsolidierung und Aufwärtsentwicklung. Ein spürbarer Rückschlag setzte mit den Hussitenkriegen und daran anschließenden Thronstreitigkeiten ein. Der Tag, den König Sigismund 1420 in Breslau als Ausdruck von dessen Reichzugehörigkeit einberief, bekräftigte die Königstreue Schlesiens in seiner Rolle als Widerstandskern gegen die hussitischen Einfalle. Nach den Prager Regierungswirren kamen die Herzogtümer mit Mähren und den Lausitzen als ungarisches Nebenland zu Matthias Corvinus, der sich als gewählter König machtpolitisch behaupten konnte. Nach dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts verlagerte sich abermals der Bezugspunkt, als Habsburg das ungarisch-böhmische Erbe antrat. Eine bündige Periodisierung, die nicht bloß ereignisgeschichtlichen Zäsuren folgt, sondern übergeordnete Bezüge berücksichtigt, grenzt diese Untersuchungen zu Schlesien somit auf den ungefähren Zeitablauf zwischen 1350 und 1750 ein.6 All diese politischen Wandlungen erfolgten weitgehend unabhängig von der Sprache, und die nachbarschaftliche Vorherrschaft Böhmens und seiner Herren (Przemysliden, Luxemburger, Podiebrad, Hunyadi, Jagiellonen, Habsburger) blieb beständig. Ungeachtet der ethnischen Zusammensetzung war Böhmen von Anfang an dem Reich angehörig gewesen. Schlesien hingegen wurde mittelbar in das Reich aufgenommen, erst mit der Übereinkunft von 1335 wurde die zu-

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783; vgl. auch ders.: Mittelalter.- In: Böhmen und Mähren. Hrsg. von Friedrich Prinz.- Berlin: Siedler 1993 (= Deutsche Geschichte im Osten Europas; 3), S. 23-178, 482-485, 4 9 5 511. Eduard Mühle: Literaturbericht Geschichte Ostmitteleuropas.- In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52 (2001), S. 4 7 - 6 3 (Tl. I), 122-138 (Tl. II); Winfried Irgang: Literaturbesprechung B. Sammelberichte, Landschaftlicher Teil: Schlesien 1985-1990.- In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 130 (1993), S. 405-463; Matthias Weber: Schlesien in der gegenwärtigen historischen Forschung - Stand und Perspektiven. Bericht über die Fachtagung des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte am 21. und 22. Oktober 1991 in Oldenburg.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1 (1993), S. 187-199; Gundolf Keil: Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Schlesiens - Stand und Aufgaben. Studien des Gerhard-Möbius-Instituts für Schlesienforschung (e.V.) an der Universität Würzburg.- In: ebd., S. 201 223; Ryszard Gtadkiewicz: Forschungen zur Geschichte Schlesiens in Polen.- In: ebd., S. 225-228; Klaus Zernack: Möglichkeiten und Perspektiven der Arbeit an der Geschichte Ostdeutschlands.- In: ebd., S. 229-231; Joachim Bahlcke: Die tschechische Geschichtsschreibung über Schlesien. Von Palacky bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3 (1995), S. 189-213.

Kulturgeschichte

Schlesiens

in der Frühen

Neuzeit

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vor geschaffene Annäherung bestätigt. Die böhmischen Dynasten waren moderner als Schlesien, geschlossener und mächtiger - ob es einen König in Polen gab oder nicht. Mit der Veränderung der Herrscherdynastie wechselte auch der politische Mittelpunkt, von Prag nach Ofen, dann bald Wien. Das Zentrum höchsten Ranges lag und liegt stetig außerhalb des Landes: ob Gnesen, Krakau, Berlin oder heute Warschau. Bei aller territorialer Gebundenheit war dieser Geschichtsraum eingebettet in einer Randlage am oder im Alten Reich, allerdings immer zwischen den Nachbarländern im Osten der kontinentalen Mitte. Das Nachdenken über die Raumbezogenheit von Geschichte hat Schlesien in seinen europäischen Bezügen aus dem Abseits des Grenz- und Auslanddeutschtums herauszunehmen. Zu erörtern sind die äußere Gestalt und innere Bindekraft im Angesichte der Ausbildung von Landesherrschaft, um gegebenenfalls natürliche Landschaft und politische Geographie als komplementär begreifen zu lernen.7

II. »Odera fluvius ipsam perlabitur« Naturräumlich gliedert sich Schlesien in die Heide- und Waldflächen im Westen, die weiten Ebenen nach Großpolen im Norden, das Becken der Oderniederung im Osten und das Hügelland bis zum Riesengebirge im Süden. Der westlichste Steppenfluß des Kontinents, die Oder, bildet im Mittel- und Oberlauf mit seinen Nebenflüssen die innere Achse des Landes. Der Strom selbst hatte weniger Bedeutung als Wasserweg denn als Rückgrat der Besiedlung.8 Von den Quellhöhen der Mährischen Pforte bis zu den Weinhängen im Grünberger Bogen wies der Streckenverlauf ein geringes Gefalle und keine festen Ufer auf. Damit war die Schiffahrt eingeschränkt, doch für den querenden Verkehr stellte die Oder nie ein Hindernis dar, sondern bot sich links- und rechtsseitig zum Städtebau an. Das Einzugsgebiet für Nachbarn schaffen die Landverbindungen, die sich hier kreuzen: die Hohe Straße vom Niederrhein zum Schwarzen Meer und die Bernsteinroute von der Ostsee an die nördliche Adria. Damit befand sich das Land im östlichen Mitteleuropa in einer zentralen Binnenlage, im Schnittpunkt langgestreckter West-Ost-Verkehrsströme und Süd-Nord-Stoßrichtungen über die Talpässe hinweg.9 7

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Siehe allgemein: Rüdiger Glaser: Klimageschichte Mitteleuropas. 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen.- Darmstadt: Primus-Verlag 2001; Joachim Radkau: Natur und Macht. Eine Weltgeschichte der Umwelt.- München: Beck 2000; Hansjörg Küster: Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart.- München: Beck 1999; Regions and Landscapes: Realities and Imagination in Late Medieval and Early Modern Europe. Hrsg. von Peter Ainsworth, Tom Scott.- Oxford usw.: Lang 2000; Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter. Hrsg. von Jan A. Aertsen, Andreas Speer.- Berlin usw.: de Gruyter 1996 (= Miscellanea mediaevalia; 25). Friedrich-Wilhelm Hennig: Die mittelalterliche Ostkolonisation in Schlesien als entwicklungspolitischer Vorgang.- In: Opuscula silesiaca. Festschrift fur Josef Joachim Menzel zum 65. Geburtstag. Im Auftrag der Historischen Kommission für Schlesien hrsg. von Winfried Irgang, Hubert Unverricht.- Stuttgart: Thorbecke 1998, S. 4 3 - 6 6 . Vgl. grundsätzlich: Matthias Hardt: Hesse, Elbe, Saale an the Frontiers of the Carolingian Empire.- In: The Transformation o f Frontiers. From the Late Antiquity to the Carolingi-

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Unvergleichlich an einem Doppelarm der Oder situiert, begünstigt durch eine Inselbildung, war das brückenreiche Breslau als bedeutendster Flußübergang die genaue Mitte dieser Linienführungen. Der größten Siedlung Schlesiens mit Gitterstraßennetz und Marktplatzring kam auch bei der Raumüberwindung einer Einheit mittlerer Größe eine Schlüsselstellung zu. An dieser Stelle erfuhr der Ort verschiedenartige Einflüsse und Einwirkungen, strahlte nach allen Seiten aus und verknüpfte seine Zentralität mit bemerkenswerten Fernwirkungen.10 Das Zusammenspiel von Landesnatur, Bevölkerung und Wirtschaft kann als tragende Grundlage des spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schlesiens aufgefaßt werden. Schlesien ist eine geschichtliche Größe, ein Raumgebilde mit wechselnden Grenzen, welches auch die älteren in ihm aufgegangenen territorialen Einheiten der vorangegangenen Zeit mit ihren abweichenden Namen einschließt, etwa Glatz oder Troppau." Der Breslauer Sprengel deckte sich nahezu mit den Grenzen des schlesischen Herzogtums, das sich in nordwestlich-südöstlicher Ausdehnung in 300 Kilometer Länge und 150 Kilometer Breite etwa über eine Gesamtfläche von 40000 Quadratkilometern erstreckte. Auch einige natürliche Grenzen lassen sich in Form von Gebirgen, Höhenzügen oder Wasserscheiden erkennen, so daß dieser Naturraum als das Flußgebiet der mittleren und oberen Oder festgelegt werden kann.12 Er wird vom Riesengebirge und mehreren kleinen Wald- und Gebirgszügen eingerahmt, nur in der Ebene nach Nordwesten hin ist die Abgrenzung weniger deutlich. Neben diesem Fehlen von

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ans. Hrsg. von Walter Pohl u.a.- Leiden usw.: Brill 2001 ( = T h e Transformation of the Roman World; 10), S. 219-232; Daniel Power: Frontiers. Terms, Concepts, and the Historians of Medieval and Early Modern Europe.- In: Frontiers in Question. Eurasian Borderlands 700-1700. Hrsg. von Daniel Power, Naomi Standen.- Basingstoke: Macmillan 1999, S. 1 - 1 2 ; Lesley Johnson: Imagining Communities: Medieval and Modern.- In: Concepts of National Identity in the Middle Ages. Hrsg. von Simon Forde u.a.- Leeds: Leeds Studies in English 1995 (= Leeds Texts and Monographs. N.S.; 14), S. 1 - 1 9 ; Medieval Europeans. Studies in Ethnic Identity and National Perspectives in Medieval Europe. Hrsg. von Alfred P. Smyth.- Basingstoke: Macmillan 1997. Hugo Weczerka: Breslaus Zentralität im ostmitteleuropäischen Raum um 1500.- In: Metropolen im Wandel. Zentralität in Osteuropa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Hrsg. von Evamaria Engel u.a.- Berlin: Akademie-Verlag 1995, S. 245-262; ders.: Stadtund Marktgründungen und Stadtabgänge in Schlesien 1450-1800.- In: Zeitschrift fur Ostforschung 23 (1974), S. 193-260; Thomas Rößner: Die mitteleuropäische West-Ost-Achse Sachsen-Schlesien-Galizien. Gegenwärtige Strukturen im Einflußgebiet der Städte Leipzig, Dresden, Breslau, Kattowitz, Krakau, Lemberg.- Leipzig: Institut fur Länderkunde 1998 (= Daten - Fakten - Literatur zur Geographie Europas; 5). Elmar Seidl: Das Troppauer Land zwischen den fünf Südgrenzen Schlesiens. Grundzüge der politischen und territorialen Geschichte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts.- Berlin: Mann 1992 (= Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien. Landeskundliche Reihe; 1); Theophil Konietzny: Bausteine zur oberschlesischen Landeskunde. Hrsg. von Hans-Ludwig Abmeier.- Berlin: Mann 1997 (= Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien. Landeskundliche Reihe; 9). Schlesien und die Schlesien Hrsg. von Joachim Bahlcke.- München: Langen Müller 2000 (= Studienbuchreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat; 7); Winfried Irgang u.a.: Schlesien. Geschichte, Kultur und Wirtschaft- Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1995 (= Historische Landeskunde. Deutsche Geschichte im Osten; 4), S. 29-74.

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klaren Außengrenzen schufen zudem mehrere Einzellandschaften noch keine einheitliche Landschaft. Die Raumgliederung Schlesiens ähnelt zwar bildlich einem Eichenblatt, doch mit einer lediglich ansatzweise schützenden Umrandung wiederholt Schlesien kaum dasjenige, was sich in Böhmen mit seinen vier Randgebirgen in klassischer Weise ereignet hat: ein hinreichend großes Land, dem durch seine geographischen Gegebenheiten als naturräumliche Einheit aufgegeben ist, auch von einer einheitlichen politischen Ordnung überzogen zu sein.13 Seitdem Schlesien im hohen Mittelalter in Erscheinung getreten war, war es im Kern wohl weniger staatlich-politisch als vielmehr siedlungsgeschichtlichgesellschaftlich und kirchlich-kulturell bestimmt gewesen.14 Es lag in einem breiten Streifen, dem deutsch geprägten Bereich zwischen Kernland und Randzone des Kontinents. Die geostrategischen Zwänge dieser östlichen Mitte bekam es durch den Einfall der Mongolen im zweiten Drittel des 13. Jahrhunderts zu spüren, doch die Heere aus Fernost kehrten um, obwohl sie von den westlichen Truppen nicht aufgehalten werden konnten.15 Die aufgrund von Erbteilungen zersplitterten schlesischen Fürstentümer und ihre Herrscherfamilien stammten alle von der polnischen Königsdynastie der Piasten ab, waren im Laufe des 14. Jahrhunderts politisch an Böhmen gekommen und seitdem mit jener übermächtigen westlichen Herrschaft verbunden.16 Schlesien hat dem Königreich Polen nie wieder angehört, und schlesische Herzöge wurden als Thronanwärter auf dem Krakauer Wawel nie mehr diskutiert. Nach der Arrondierung der böhmischen Hausmacht und der Inkorporation der schlesischen Fürstentümer hatten die Luxemburger eine starke Eigendynamik entfaltet. Mit dem Aussterben eines Geschlechtes kam es wiederholt zur Destabilisierung der Herrschaft, Ansätze der Zentralität gingen zugunsten eines Regionalismus einzelner Kronländer verloren. Das Sagen hatten die Dynasten der

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Friedrich Prinz: Böhmen im mittelalterlichen Europa: Frühzeit, Hochmittelalter, Kolonisationsepoche.- München: Beck 1984; Ferdinand Seibt: Die böhmischen Länder zwischen Ost und West.- In: Zeitschrift für Ostforschung 23 (1974), S. 385-400. Heinz Schilling: Ostmitteleuropa - spätmittelalterliche Dynamik und neuzeitliche Stagnation." In: ders.: Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten. 12501750.- Berlin: Siedler 1999 (= Propyläen Neue Geschichte Europas; 2), S. 94-129. Matthias Weber: Die Schlacht von Wahlstatt und ihre Bewertung im Wandel der Zeiten.In: Wahlstatt 1241. Beiträge zur Mongolenschlacht bei Liegnitz und zu ihren Nachwirkungen. Hrsg. von Ulrich Schmilewski.- Würzburg: Bergstadtverlag Korn 1991 (= Beiträge zur Liegnitzer Geschichte; 21), S. 129-147; Jerzy Strzelczyk: Die Schlacht von Liegnitz. Geschichte und Tradition.- In: Zeitschrift für Ostforschung 41 (1992), S. 95-101; Jerzy Maroii: Legnica 1241.- Warszawa: Bellona 1996. Gernot von Grawert-May: Das staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich während des Mittelalters (Anfang 10. Jahrhundert bis 1526).- Aalen: Scientia 1971 (= Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte; 15); Otfrid Pustejovsky: Schlesiens Übergang an die böhmische Krone. Machtpolitik Böhmens im Zeichen von Herrschaft und Frieden.- Köln usw.: Böhlau 1975 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands; 13); Josef Joachim Menzel: Die Verbindung Schlesiens mit Böhmen und dem Deutschen Reich. Der Trentschiner Vertrag von 1335.- In: Deutsche Ostkunde 33 (1986), S. 135-143.

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einzelnen Landesteile und nicht der König. Schlesien war verankert im Reichsverband, jedoch immer über, durch und hinter Böhmen. Die schlesische Ländergruppe fiel nicht auseinander und hatte nicht nur überhaupt eine, sondern auch eine gemeinsame Zukunft, da der Brückenschlag trotz aller Umbrüche selbst weit über das krisenhafte 17. Jahrhundert hinaus gelang.

III. »Haud ignobilis provincia ubertate agrorum ac humanitate civium« Ein wichtiger Zugang zur schlesischen Landesgeschichte ist die kirchlichkulturelle Sphäre.17 Ein West-Ost-Gegensatz zeigt sich in der Ausbildung der Archidiakonate, die sich im altbesiedelten, kleinräumigen Westen schon verselbständigt hatten, bevor sie im übersichtlicheren Osten überhaupt ausgebaut worden waren; in Schlesien geschah das erst seit dem späten 12. Jahrhundert. Siedelbewegung, Bevölkerungsvermehrung und Binnenausbau hatten ebenso zu einer weiteren Ausbreitung und Verdichtung von Landgemeinden und Pfarrnetzen geführt. Das Parochialgefüge wurde deutlich engmaschiger; waren um 1200 24 Pfarrorte belegt, sind dann 1270 schon 146, 1300 bereits 311 und 1316 sogar 560 Kirchspiele nachweisbar.18 Von den kirchlichen Circumscriptionen her war das Breslauer Bistum so gut wie identisch mit dem Herzogtum Schlesien, nahezu alle Hauptresidenzen der Teilfurstentümer lagen im geistlichen Sprengel dieser Diözese (Glogau, Liegnitz, Schweidnitz, Oppeln, Ratibor). Zum einen die bäuerliche Einwanderung und Niederlassung in dörflich ausgeformten Gemeinwesen, zum anderen der Aufbau von nichtagrarischen Zentren zu Städten mit deutschem Recht brachten in kurzer Zeit diesen charakteristischen Kulturraum hervor. In der westslawischen Kontaktzone des Reiches zeigen solche Verdichtungsabläufe den Grad der sog. Verwestlichung an.19 17

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Winfried Irgang: Die schlesische Kirche im 13. Jahrhundert - Orientierung am westlichen Muster.- In: Christianity in East-Central Europe: Late Middle Ages. Hrsg. von Jerzy Ktoczowski u.a.- Lublin: Inst. Europy Srodkowo Wschodniej 1999 (= Proceedings of the Commission Internationale d'Histoire Ecclesiastique Comparee; 2), S. 98-104; Anna Pobog-Lenartowicz: Functions and the Role of Regular Canon Monasteries in Silesia during the Middle Ages.- In: ebd., S. 434-439; Andrzej Radziminski: Das soziale Milieu der polnischen Domkapitel im Vergleich zu ähnlichen Institutionen im Deutschen Reich im späteren Mittelalter.- In: ebd., S. 128-136; Thomas Wünsch: Konziliarismus in Polen Beispiele für den ideellen Transfer von West- nach Osteuropa und die eigenständige Weiterentwicklung im Osten.- In: ebd., S. 137-146. Werner Marschall: Ein Jahrtausend Bistum Breslau.- In: Ostdeutsche Geschichts- und Kulturlandschaften (Anm. 4), Bd. I: Schlesien, S. 22-35; Tomasz Jurek: Zu den Anfangen des Bistums Breslau.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 36/37 (1995/96), S. 7 - 2 4 ; Thomas Wünsch: Zur Geschichte des Bistums Breslau im Spätmittelalter. Forschungsüberblick und Forschungsperspektiven.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 4 (1996), S. 39-69. Heinrich Tukay: Oberschlesien im Spannungsfeld zwischen Deutschland, Polen und Böhmen-Mähren. Eine Untersuchung der Kirchenpatrozinien im mittelalterlichen Archidiakonat Oppeln.- Köln usw.: Böhlau 1976; vgl. Josef Zemliika: Böhmen - von den slawischen

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Kirchenprovinzen konnten ihre Suffraganbistümer nur in wechselnder Intensität zusammenfassen. In Böhmen hatten die Przemysliden bereits seit dem 11. Jahrhundert die Schaffung eines eigenen Erzbistums angestrebt,20 doch erst Karl IV. gelang es 1344, Prag und Olmütz aus dem Mainzer Metropolitanverband zu lösen und die Kapitale zum Erzstift erheben zu lassen, die Prämonstratenserabtei Leitomischl in einen Bischofssitz umzuwandeln und mit Dekanaten der Prager und Olmützer Diözesen auszustatten. Dagegen blieb das Streben des Kaisers nach weiteren Bistümern ohne Erfolg: die schlesische Diözese Breslau, die politisch seit 1327 an Böhmen gekommen war, vermochte der Luxemburger nicht von der Metropole Gnesen zu trennen. Im späteren Konflikt mit dem Böhmenkönig Georg von Podiebrad kam das Breslau zugute, indem die Oderstadt auf die Zugehörigkeit zur Gnesener Erzdiözese bestand und damit gegenteilige Ansprüche des hussitischen Böhmens zurückweisen konnte. Das Bistum Breslau war also stark mit den schlesischen Landesgrenzen verwoben, wobei der Bischof zudem seit 1344 ein eigenes Territorium um Neisse als geistlicher Herr besaß. 21 Als Suffragan des Erzbistums Gnesen war der Breslauer Episkopat weiterhin polnisch bestimmt. Dies änderte sich allmählich im Verlauf des 14. Jahrhunderts: der erste deutsche Bischof gelangte Anfang und der letzte polnische um die Mitte dieses Säkulums auf die cathedra. Alle Prager Bestrebungen, den Breslauer Klerus auch kirchlich von Polen zu lösen, scheiterten am Widerstand des Gnesener Metropoliten und des Königs. 22 Die böhmischen Versuche, den schlesischen Sprengel der eigenen neuen Kirchenprovinz einzugliedern, wurden mit der hartnäckigen Bestellung des breslauischen Hirten auf die polnische Provinzialsynode beantwortet.23 Seit 1504 durf-

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Burgzentren zum spätmittelalterlichen Städtenetz (mit Berücksichtigung Mährens).- In: Städtelandschaft - Städtenetz - zentralörtliches Gefuge. Ansätze und Befunde zur Geschichte der Städte im hohen und späten Mittelalter. Hrsg. von Monika Escher u.a.- Mainz: von Zabern 2000 (= Trierer historische Forschungen; 43), S. 233-254. Ivan Hlaväcek: Angebliche Versuche der Premysliden des 11. Jahrhunderts um das Landesbistum Prag.- In: Prusy - Polska - Europa. Studia ζ dziejow sredniowiecza i czasow wczesnonowzytnych [Preußen - Polen - Europa. Studien zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte]. Hrsg. von Andrzej Radziminski, Janusz Tandecki.- Torun: Wydaw. Uniw. Mikolaja Kopernika 1999, S. 3 5 - 4 4 . Franz-Christian Jarczyk: Neisse. Kleine Stadtgeschichte in Bildern.- Würzburg: Bergstadtverlag Korn 1994; Przemyslaw Nadolski: Dolny Slqsk wczoraj. Niederschlesien gestern. Übersetzt von Wolfgang Jöhling.- Gliwice: Woköt. Nas 1997. Gnieszno mater ecclesiarum Poloniae. Gnieszno, matka kosciolöw Polski. Katalog wystawy y 10 marca - 30 kwietna 2000 roku [Gnesen, Mutter der Kirchen Polens. Katalog zur Ausstellung vom 10. März bis 30. April 2000].- Gnieszno: Muzeum Pocz^tköw Panstwa Polskiego w Gnieznie 2000; Peter Kriedte: Pomereilen und Schlesien in der mittelalterlichen Kirchengeschichte Polens und seiner Randzonen.- In: Die Rolle Schlesiens und Pommerns in der Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen im Mittelalter. Red. Rainer Riemenschneider.- Braunschweig: Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung 1980 (= Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts für Internationale Schulbuchforschung; 22/3), S. 124-142. Edmund Matachowicz: Katedra Wrolawska. Dzieje i Architectura [Die Breslauer Kathedrale. Geschichte und Architektur].- Wroclaw: Polska Akademia Nauk. Oddzial 2000; Wolfgang Hölscher: Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument. Personelle und funktionale

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ten Kleriker allerdings nur aus den böhmischen Kronländern stammen; Breslau wurde langsam im 16. Jahrhundert faktisch exemt. Die Kurie beharrte auf der Zugehörigkeit des Bistums zum Gnesener Archidiözesanverband, da diese aus dem Peterspfennig zufließende Einnahmen gewährte. Nach den demographischen und politischen Veränderungen wichen die kirchliche Circumscription und das kulturelle Kerngebiet voneinander ab, doch wurde die Angleichung an räumliche fundierte Vernetzungen (etwa über eine Abtretung) seitens Gnesen erschwert; Zuständigkeiten überlagerten sich. Doch mit den neuen Instrumenten der kurialen Politik wie den Legationsdestrikten und den Kollektoreigebieten, die nach dem Territorialprinzip eingerichtet wurden, brach Breslau (wie auch Lebus) aus den alten Zusammenhängen heraus und wurde dem Fiskaleintreiber per Alemanniam zugeschlagen.24 Ebenso war man bei den Inquisitionsbezirken des Dominikanerordens verfahren, die der Sächsischen Provinz und dem Magdeburger Erzbistum zugewiesen wurden.25 Wie wertvoll die Breslauer Diözese erschien, wird in dem Lob deutlich, das Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., in seiner Germania (1460) schlesischem Land und Leuten zollte: An der Oder, die vielen als der Grenzfluß zwischen Germanien und Sarmatien gilt, liegt die berühmte Kirche von Breslau, die Mutterkirche und Königin von Schlesien. [...] Im Osten an der Oder liegt die aus Ziegelsteinen erbaute, ebenso schöne wie mächtige Stadt Breslau, deren Bistum man einst das goldene nannte. [...] Wenn die dortigen Domherren die kanonischen Stundengebete verrichten, tragen sie rote Chorröcke wie die Kardinäle der römischen Kirche. 26

Die schlesische Bildungselite studierte an den Prager Universitäten und bildete dort mit anderen binnendeutschen Gruppen die Deutsche Nation aus, was als markanter Abschluß eines Bewußtseinswandels in Niederschlesien zu beurteilen ist. Der 1372 in Prag zum Magister graduierte Werner von Kreuzburg amtierte als Kanzler der Universität Wien. Zum ersten theologischen Doktor der Universität Krakau wurde Johannes von Kreuzburg (ca. 1370-1430) promoviert. Auch der erste gewählte Rektor der Leipziger Universität war 1409 mit Johann Otto von Münsterberg ein Schlesier, der nur aus einem breit entwickelten Schulwesen seiner Heimat hervorgehen konnte.27 Gerade für fahrende Schüler war Bres-

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Aspekte der Bistumspolitik Karls IV.- Warendorf: Fahlbusch 1985 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 2). Hans-Joachim Schmidt: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa.- Weimar: Böhlau 1999 (= Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte; 37). Vgl. auch: Jerzy Ktoczowski: Klosterkreise in der polnischen Dominikanerprovinz im Mittelalter.- In: Vita religiosa im Mittelalter. Festschrift fur Kaspar Elm zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Franz J. Feiten, Nikolas Jaspert.- Berlin: Duncker & Humblot 1999 (= Berliner historische Studien; 31), S. 543-562. Enea Silvio Piccolomini, Deutschland. Der Brieftraktat an Martin Mayer und Jakob Wimpfelings Antworten und Einwendungen gegen Enea Silvio. Übersetzt und erläutert von Adolf Schmidt.- Köln usw.: Böhlau 1962 (= Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit; 104), 1,26, II, 10, II, 20. Peter Moraw: Schlesien und die mittelalterlichen Universitäten in Prag.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 34 (1993), S. 55-72; ders.: Prag.

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lau reichsweit ein häufig aufgesuchtes Bildungsziel, worüber uns ein wandernder Bacchant samt seinem mitreisenden Schützen aus der Schweiz um das Jahr 1515 herum eindrücklich Auskunft gibt: Do wier aber gan Präßlaw in die Schlesin kamen, do was alle volle, jo so wolfeill, das sich die armen schuler über assen und offt in grosse kranckheit fielen. Do giengen wier zum ersten im thüm zum heiligen krütz in die schüll. Als wier aber vernammen, das in der obresten pfar zu S. Elizabeth ettlich Schwitzer waren, zugen wier do hin. [...] Die statt Präßlen hat siben pfarren, iegliche ein bsundre schul; dorfft kein schuler in des andren pfar gan singen, oder sy schruwen: >Ad idem! ad idem!gehobene Pfarrkirche< ausnahm. Schon amtierende Korporationen, wie die böhmischen Kreuzherren mit dem roten Stern an St. Matthias in Breslau, wurden in vorgegebene Kirchenbauten verlegt und in ein näheres Umfeld eingepaßt. Ohne bedeutende Grundherrschaft dienten sie als Ordnungsfaktor etwa fur herrscherliche Zentralisierungsmaßnahmen. 37 Fürstliche Patronatsrechte verursachten eine individuelle Entwicklung der Klerikerschaft in den jeweiligen Fürstentümern und ließen bisweilen den Zusammenhalt der Diözesankirche zurücktreten. Die Pfarrei als Kernzelle ging auf der einen Seite auf grundherrliche Gründungen, andererseits auf genossenschaftliche Elemente der Niederkirchen zurück. Nach der städtischen Gemeindebildung übernahmen die Stadträte die Kirchenpflege; das Spitalwesen wurde letztlich durch die Bürgerschaften kommunalisiert. Der Umfang des Breslauer Klerus war verhältnismäßig groß, darunter Altaristen und Kapellane, deren Prestige entsprechend ihrem kleinen Benefizium gering war. Erhebungen gehen von 400 Plebanen für die Bischofsstadt aus, unzählige Meßner wurden allein für die 47 Altäre der Elisabethkirche gebraucht, von denen heutzutage die prächtigen Retabeln und Tafelbilder im Warschauer Nationalmuseum ausgestellt sind.38

IV. »Vratislavia vulgo Presla urbs episcopalis simul et metropolis« Nachdem der zeitliche, räumliche und kirchenpolitische Rahmen aufgezeigt ist, seien nun für eine Erörterung des kulturellen Lebens seiner Menschen einige Beispiele angeführt, die von den Quellen und der Literatur aus in den Blick genommen werden. Den geschichtlichen Weg zu einer schlesischen Kirche des Spätmittelalters und der Frühneuzeit bilden chronologische Längsschnitte und systematische Querschnitte durch die Forschungslage. Das Interesse gilt der christlichen Religion in Gestalt von Kirchlichkeit, aber auch dem Gefüge von Ämtern und Funktionsträgern der älteren schlesischen Kirche. Wie agierten Fürsten und Ratsobrigkeiten in der Kirchenleitung? Welche Konsequenzen hatte das für die kirchlichen Lebensweisen? Ein verfassungs- und sozialgeschichtlicher Ansatz versucht dazu den institutionellen Bezugsrahmen zu differenzieren:

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Andreas Rüther: Between International Horizon and Regional Boundary. The Bohemian Crosiers of the Red Star in Silesia.- In: Mendicants, Military Orders, and Regionalism in Medieval Europe. Hrsg. von Jürgen Sarnowsky.- Aldershot usw.: Ashgate 1999, S. 103114; ders.: Ordensneugründungen und Anpassungsvorgänge im spätmittelalterlichen Klosterwesen Prags, Breslaus und Krakaus.- In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung vom 15. bis 18. Jahrhundert. Festschrift fur Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Joachim Bahlcke.- Leipzig: Universitätsverlag [im Druck]. Wfadyslaw Los: Galeria Sztuki Sredniowiecznej [Mittelalterliche Kunstgalerie].- Warszawa: Muzeum Narodowe 1993 (= Przewodnik Muzeum Narodowe).

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Papsttum und Episkopat, Archidiakonat und Dekanat, Eigenkirche und Parochie; dazu wird die gesellschaftliche Wirklichkeit in Relation gebracht: Bischöfe und Domkapitulare, Chorherren und Pfarrer, Niederklerus und Laienvolk. Beziehungsgeschichte ist hier nicht im bloßen Sinne von politisch-diplomatischen Bezügen, sondern ebenso als sozial-wirtschaftliche und kirchlich-kulturelle Beeinflussung gemeint (wie etwa das oberungarische Geschlecht der Großhändler Thurzo, das seine Angehörigen auf die Bischofsstühle in Breslau und Olmütz brachte).39 Welche Position nahm die Diözese Breslau in einem papstchristlichen Europa ein, etwa durch die diplomatische Tätigkeit von Breslauer Domherren in kurialen Diensten oder ihre Konzilsteilnahme in Konstanz und Basel? Auf den in Deutschland tagenden Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts war das Breslauer Bistum mit über einem Dutzend Kirchenleuten, z.T. hervorragenden Konzilsvätern wie Nikolaus Jauer zugegen. Ein anderer Konzilsvertreter, der päpstliche Legat und spätere Bischof Breslaus Rudolf von Rüdesheim, gab die schlesischen Synodalstatuen von 1473 und 1475 heraus und war damit verantwortlich für den ersten frühen Buchdruck in diesem Raum Europas. Karrieren führten Schlesier auf auswärtige Bischofsstühle, etwa den Geistlichen Nikolaus Polonus, der Erzieher des mindeqährigen Königs Ludwig des Großen in Ungarn wurde und der Diözese Fünfkirchen (Pees) vorstand.40 Eine bedeutende Rolle spielten Pfründen in den Breslauer Domkapiteln und Kollegiatstiften (z.B. für Nikolaus Kopernikus, den scholasticus an Heiligkreuz), Aufnahme und Anwerbung von Prälaten und Priestern, Pröpsten und Vikaren, aber auch Äbten und Nonnen. Mit der historischen Personenforschung lassen sich die Existenz sozialer Gruppen, ihre Gemeinschaften und Einrichtungen in den Blick nehmen, da die Überlieferungssituation fundierte Aussagen erlaubt. Wie regierte die sich universal verstehende Papstkirche mit ihren Hierarchien, den Legaten und Kollektoren in die von lokalen Konstellationen geprägte Partikularkirche hinein? Auf manche Grundprobleme wie die vielfaltigen Formen der Frömmigkeit und Kirchenkrisen kann man freilich hier nicht näher eingehen; auch in Schlesien erschienen Geißlerprozessionen oder Bußwallfahrten. Die Diözesansynoden und ebenso das niedere Kirchenwesen reagierten gleichermaßen auf die Herausforderungen; nicht nur die Verfolgung böhmischer Waldenser durch die Inquisition in Schweidnitz-Jauer ließe sich anführen.41 39

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Karen Lambrecht: Aufstiegschancen und Handlungsspielräume in ostmitteleuropäischen Zentren um 1500.- In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47 (1998), S. 314-346. Vgl. auch den Beitrag von Karen Lambrecht in diesem Band. Andräs Kubinyi: König und Volk im spätmittelalterlichen Ungarn. Städteentwicklung, Alltagsleben und Regierung im mittelalterlichen Königreich Ungarn. Herne: Schäfer 1998 (= Studien zur Geschichte Ungarns; 1); Miklös Molnär: Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Übers, von Balint Balla.- Hamburg: Krämer 1999; Geza Erszegi: Le Royaume de Hongrie ä l'epoque medievale.- In: Hungaria regia. Fastes et defis (1000-1800). Hrsg. von Katalin Balajthy.- Turnhout: Brepols 1999, S. 29-32. Alexander Patschovsky: Spuren böhmischer Ketzerverfolgung in Schlesien am Ende des 14. Jahrhunderts.- In: Historia docet. Festschrift für Ivan Hlaväcek zum 60. Geburtstag.Prag: Historicky Üstav 1992, S. 357-387.

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Über die Wurzeln spiritueller Bewegungen bzw. Analogien zur Devotio moderna sind Vorarbeiten geleistet. Ebenso werden Fragen zu den aus dem Reich importierten Praktiken der Religionsausübimg vom Ablaßhandel bis zum Passionsspiel außen vorgelassen. Den Auftakt wird eine Besprechung des Schrifttums zu aktuellen Forschungserträgen bilden, die in einen Katalog der wissenschaftlichen Desiderate münden soll. Ganz im Zusammenhang von Formierung, Konsolidierung und Expansion einer »nouvelle chretiente« sieht die Histoire du Christianisme die Kirchengeschichte Schlesiens (von 1054 bis 1449), und stellt trotz vieler Bezüge zur historischen Geographie der Kirche Polens einen besonderen schlesischen Eigenwert heraus.42 Diese religiöse Situation des Oderlandes im überblickten Großraum während des Mittelalters untersuchen die 1994 publizierten Kongreßakten Polen - Schlesien - Böhmen.43 Das berühmte Nekrologium aus der Pierpont Morgan Library in New York (M. 739) wird als Beleg für die engen Verflechtungen und kulturellen Wechselbeziehungen Schlesiens mit Prag genommen, dessen Entstehungsort und -zeit im bayerisch-böhmischen Raum um 1218 festzumachen sind. Als Bestimmungsperson wird die Tochter Przemysl Otakars I., Agnes, identifiziert; die Eintragungen ins Obituarium sind neben Böhmen auf den Erziehungsort der Prinzessin, das schlesische Kloster Trebnitz, zu lokalisieren.44 Swi^ta Jadwiga, der Schwiegermutter der Agnes von Böhmen, galt 1995 ein ganzes sog. Hedwigsbuch, das sich der Heiligen aus dem Geschlecht der Andechs-Meranier als reale Persönlichkeit wie als Objekt der kollektiven Erinnerung nähert.45 Archäologie, Architektur und auch Volkskunde sind mit einbezogen, wenn das ideologische Programm von Memorialstiftungen ebenso wie die Spiritualität liturgischer Handschriften dokumentiert werden. Mit Hilfe der

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Jerzy Kioczowski: Die Entwicklung der Kirchen Mittelost- und Nordeuropas.- In: Die Zeit der Zerreißproben (1274-1449). Hrsg. von Michel Mollat du Jourdin u.a.- Freiburg usw.: Herder 1991 (= Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik und Kultur; 6), S. 771811; Mlodsza Europa. Europa Srodkowo-wschodnia w kr^gu cywilizacji chrzescijanskiej sredniowiecza [Junges Europa. Ostmitteleuropa im Fokus der mittelalterlichen christlichen Zivilisation], Hrsg. von Jerzy Kloczowski.- Warszawa: Paiist. Instytut Wydawniczy 1998. Kazimierz Jasinsky: R^copis zwany Nekrologiem czesko-slqskim [Die Handschrift des sog. Böhmisch-schlesischen Nekrologs].- In: Polska - Sl^sk - Czechy. Studia nad dziejami stosunköw kulturalnych i politycznych w sredniowieczu [Polen - Schlesien - Böhmen. Studien zur Geschichte der kulturellen und politischen Beziehungen im Mittelalter]. Hrsg. von Ryszard Gladkiewicz.- Wroclaw: Wydaw. Uniwersytetu Wroctawskiego 1994 (= Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia; 81), S. 39-71. Painted Prayers. The Book of Hours in Medieval and Renaissance Art. Hrsg. von Roger S. Wieck (First published on the occasion of the exhibition Medieval Bestseller: The Book Hours at the Pierpont Morgan Library from 17 September 1997 to 4 January 1998).- New York: George Braziller 1997, Nr. 11, S. 21, Nr. 85, S. 110. Ksi?ga Jadwizanska. Mi^dzynarodowe Sympozjum Naukowe >Swi?ta Jadwiga w dziejach i kulturze Sl^skaDie Heilige Hedwig in der Geschichte und Kultur SchlesiensModell-Region< Schlesien und bei der >MusterReichsstadt< Breslau um den >klassischen Fall< einer Neustammbildung. Präziser: Mission und Konversion, Lokation und Kolonisation, Urbanisierung und Territorialisierung stehen als Konstitutionsprinzipien am Anfang aller Beschäftigung mit ostdeutscher Landesgeschichte.72 Doch im Oderland vollzog sich das

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Josef Joachim Menzel. 2. Aufl.- Sigmaringen: Thorbecke 1988; Norbert Conrads: Schlesiens frühe Neuzeit (1469-1740).- In: Schlesien (Anm. 5), S. 177-344. Joachim Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburger Herrschaft (1526-1619).- München: Oldenbourg 1994 (= Schriften des Bundesinstituts fur ostdeutsche Kultur und Geschichte; 3); ders.: Das Herzogtum Schlesien im politischen System der böhmischen Krone.- In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44 (1995), S. 27-55. Matthias Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich.- Köln usw.: Böhlau 1992 (=Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 1); Werner Bein: Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich.- Sigmaringen: Thorbecke 1994 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 26); Christine van Eickels: Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen, Verlauf und Folgen der böhmischen Revolution von 1618 in Schlesien.- Köln usw.: Böhlau (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 3). Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490.- Berlin: Propyläen 1985 (= Propyläen Geschichte Deutschlands; 3); ders.: Über König und Reich. Aufsätze zur deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters.- Sigmaringen: Thorbecke 1995. Das Preußenland als Forschungsaufgabe: eine europäische Region in ihren geschichtlichen Bezügen. Festschrift fur Udo Arnold zum 60. Geburtstag, gewidmet von den Mitgliedern der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung. Hrsg. von Bernhart Jähnig.- Lüneburg: Nordostdeutsches Kulturwerk 2000 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung; 20); Peter Moraw: Brandenburg im späten Mittelalter. Entwicklungsgeschichtliche Überlegungen im deutschen und europäischen Vergleich.- In: Im Dienste von Verwaltung, Archivwissenschaft und brandenburgische Landesgeschichte. 50 Jahre Brandenburgisches Landeshaupt-

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konsequenter und rapider als anderswo, vom Ende des 12. bis an die Schwelle des 14. Jahrhunderts ist eine Verfünffachung der Bevölkerungszahl festzustellen (etwa zwölf Einwohner pro Quadratkilometer gegenüber 40 am Niederrhein und drei in Großpolen).73 Von Hungersnöten, Pestzügen und Wüstungsgeschehen um die Jahrhundertmitte blieb das Land mehr oder weniger verschont.74 Viele Städtegründungen gingen auf altslawisch-christliche Vorläufer (Burgsiedlungen, Kirchorte, Handelsplätze, Marktstätten) zurück und besaßen einen großen Anteil an nichtdeutscher Einwohnerschaft.75 In Schlesien begann diese

archiv. Beiträge der Festveranstaltung vom 23. Juni 1999. Hrsg. von Klaus Neitmann.Frankfurt/Main: Lang 2000 (= Quellen, Findbücher und Inventare des Brandenburgischen Landeshauptarchivs; 8), S. 83-99; Franz Irsigler: Landesgeschichte als regional bestimmte multidisziplinäre Wissenschaft.- In: Brandenburgische Landesgeschichte heute. Hrsg. von Liselott Enders, Klaus Neitmann.- Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg 1999 (= Brandenburgische Historische Studien; 4), S. 9 - 2 2 ; Christian Gahlbeck: Der Oder-Drage-Raum in voraskanischer Zeit. Großpolen, Schlesien und Pommern im Wettstreit um den Besitz der Neumark im späten Mittelalter.- In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 45 (1999), S. 1 - 9 7 ; Slawische Siedlung und Landesausbau im nordwestlichen Mecklenburg. Hrsg. von Peter Donat u.a.- Stuttgart: Steiner 1999 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 8); Akkulturation und Selbstbehauptung. Studien zur Entwicklungsgeschichte der Lande zwischen Elbe und Oder im späten Mittelalter. Hrsg. von Peter Moraw.- Berlin: Akademie-Verlag 2001; Land am Meer: Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70 Geburtstag. Hrsg. von Werner Buchholz.- Köln usw.: Böhlau 1995 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe 5: Forschungen zur pommerschen Geschichte; 29); vgl. Karlheinz Blaschke: Sachsens geschichtlicher Auftrag. Zum 100. Jahrestag der Gründung der Sächsischen Kommission für Geschichte.- In: Neues Archiv für sächsische Geschichte 68 (1997), S. 277-312; Landesgeschichte in Sachsen. Tradition und Innovation. Hrsg. von Rainer Aurig u.a.- Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 1997 (= Studien zur Regionalgeschichte; 10). 73

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Schlesisches Städtebuch. Hrsg. im Institut für Vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster von Heinz Stoob u.a.- Stuttgart usw.: Kohlhammer 1995 (= Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte; 1), S. 17-48; Heinrich Bartsch: Die Städte Schlesiens (in den Grenzen des Jahres 1937). Daten und Fakten zu ihrer landes-, kultur-, wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Entwicklung und Bedeutung.- Dortmund: Sommer 1977 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa in Dortmund. Reihe A; 3 2 )

·

Adrienne Körmendy: Melioratio terrae. Vergleichende Untersuchungen über die Siedlungsbewegungen im östlichen Mitteleuropa im 13. und 14. Jahrhundert.- Poznan: Wydaw. Poznaήskiego Tow. Przyjaciol Nauk 1995; Leszek Belzyt: Demographische Entwicklung und ethnische Pluralität in großen Städten Ostmitteleuropas 1400-1600.- In: Metropolen im Wandel (Anm. 10), S. 61-69; ders.: Die Deutschen um 1500 in den Metropolen Prag, Ofen und Krakau. Versuch eines Vergleichs.- In: Zeitschrift für OstmitteleuropaForschung 46 (1997), S. 45-62; vgl. Massimo Livi Bacci: Europa und seine Menschen. Eine Bevölkerungsgeschichte. München: Beck 1999; Klaus Bergdolt: Der schwarze Tod. Die große Pest und das Ende des Mittelalters.- München: Beck 2000 (= Beck'sche Reihe; 1378); David Herlihy: Der schwarze Tod und die Verwandlung Europas.- Berlin: Wagenbach 1998. Josef Joachim Menzel: Die Entstehung der mittelalterlichen Städtelandschaft Schlesiens.In: Stadt und Landschaft im deutschen Osten und in Ostmitteleuropa. Hrsg. von Friedhelm Berthold Kaiser, Bernhard Stasiewski.- Köln usw.: Böhlau 1982 (= Studien zum Deutschtum im Osten; 17), S. 45-67; Lothar Dralle: Die Deutschen in Ostmittel- und Osteuro-

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Welle ab 1211, der nach 1250 die Gründung von Mittelstädten folgte, während im Westen des Reiches schon mindere und kleinere Städte entstanden waren. Bis zum Ende des 13. Jahrhunderts war das Städtenetz Schlesiens verfestigt, das in seiner Dichte eine markante Differenz zu Polen und somit fortan die Scheidelinie zum Nachbarn beschrieb. 76 Das Aufholen des ursprünglichen Abstandes zum Altsiedeiland ist an der beschleunigten Entfaltung von nichtländlichen Mittelpunkten zu städtischen Gefügen abzulesen, und brachte in schneller Geschwindigkeit ein >Drittes Deutschland< hervor, das zu Innovationen herausgefordert war. Wann die demographische und konjunkturelle Trendwende, die sich seit 1450 vom dynamischen Rhein aus vorschob, den Oderstrand erreichte, war nicht mehr eine Frage der Generationen, sondern allenfalls der Jahrzehnte.77 Die Distanzen und Zeitspannen hatten sich verkürzt, von einer Vereinheitlichung wird jedoch nicht zu sprechen sein. Ein weiterer wichtiger Gesichtskreis betrifft das wirtschaftlich-gesellschaftliche Milieu. Dörfer und Städte waren mehr als bloße nichtagrarische Zentren: Der gemeindliche Zusammenschluß der Abhängigen zum Schutz ihrer Rechte und die geschlossene Ordnung in Gemeinden kennzeichnen diese Einheiten und heben sie prägnant aus ihrer Umgebung landgesessenen Kleinadels heraus.78

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pa. Ein Jahrtausend europäischer Geschichte.- Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1991; Norman J.G. Pounds: The Urbanization of East Central Europe and South East Europe: an Historical Perspective.- In: Eastern Europe: Essays in Geographical Problems. Hrsg. von George Walter Hoffman.- London: Methuen 1971, S. 5 9 - 7 8 . Klaus Zemack: Polen und Rußland. Zwei Wege in der europäischen Geschichte.- Berlin: Propyläen 1994 (= Propyläen Geschichte Europas. Ergänzungsband); ders.: Deutschlands Ostgrenze.- In: Deutschlands Grenzen in der Geschichte. Hrsg. von Alexander Demandt.München: Beck 1990, S. 135-159; ders.: Osteuropa. Eine Einfuhrung in seine Geschichte.München: Beck 1977, S. 3 3 - 4 1 ; Finis mundi - Endzeiten und Weltenden im östlichen Europa. Festschrift fur Hans Lemberg zum 65. Geburtstag. Für die Schülerinnen und Schüler hrsg. von Joachim Hosier, Wolfgang Kessler.- Stuttgart: Steiner 1998 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa; 50); Zwischen Christianisierung und Europäisierung. Beiträge zur Geschichte Osteuropas in Mittelalter und früher Neuzeit. Festschrift für Peter Nitsche zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Eckhard Hübner u.a.- Stuttgart: Steiner 1998 (= Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa; 51).

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Vgl. Stuart Jenks: Von den archaischen Grundlagen bis zur Schwelle der Moderne (ca. 1000-1450).- In: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Ein Jahrtausend im Überblick. Hrsg. von Michael North.- München: Beck 2000, S. 11-106; Friedrich-Wilhelm Henning: Deutsche Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Paderborn usw.: Schöningh 1991 (= Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands; 1); Miroslav Hroch, Josef Peträn: Die Länder der böhmischen Krone 1350-1650.- In: Europäische Wirschafts- und Sozialgeschichte vom ausgehenden Mittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Hrsg. von Hermann Kellenbenz.- Stuttgart: Klett-Cotta 1986 (= Handbuch der europäischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte; 3), S. 9 6 8 - 1 0 0 5 .

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Burg - Burgstadt - Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Mitteleuropa. Hrsg. von Hansjürgen Brachmann.- Berlin: Akademie-Verlag 1995 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur im östlichen Mitteleuropa; 2); Struktur und Wandel im Früh- und Hochmittelalter. Eine Bestandsaufnahme aktueller Forschungen zur Germania Slavica. Hrsg. von Christian Lübke.- Stuttgart: Steiner 1998 (= Forschungen zur Geschieh-

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Nordostwärts ist ein deutliches Bevölkerungsgefalle zu entdecken: nördlich wie östlich der Oder liegt keine einzige größere oder mittlere Stadt, eher dünngesäte Marktflecken sind aufzufinden. Niedrige Bevölkerungsdichte, schwächerer Urbanisierungsgrad, Mangel an Großstädten lassen die oberschlesischen Randgebiete nicht mit den ressourcenreichen, fruchtbaren Gebieten der mittleren Oder und südlich davon gleichziehen. Weiter nordöstlich konnten sich die älteren Verhältnisse eines ärmlichen Agrarlandes länger halten, erfolgte die ökonomische Entfaltung später und war die soziale Abstufung dürftiger.79 Der Anstieg der Bevölkerungszahl spiegelt sich in der relativ hohen Zahl von Siedlungen: 136 Städten, oft mit umliegenden Bauernsiedlungen als Einheit im sog. Weichbild zusammengefaßt, und über 1200 Dörfern im Jahre 1300.80 Die Neuerung erfolgte durch die Übernahme überlegener Techniken, mit denen die Zuwanderer den ländlichen Raum gestalteten oder städtische Gewerbe einführten, weniger mit Druck nach Osten als mit Anziehung aus dem Westen zu erklären. Für den Modernisierungsschub spielte die Frage der ethnischen Minderheiten und Mehrheiten keine Rolle - wie etwa auch bei vergleichbaren Unternehmen durch niederländische Trägerkräfte im frühen 12. Jahrhundert an der Unterweser so daß ein solcher Sprachgebrauch unzutreffende Assoziationen weckt. Der Handelsstützpunkt Breslau geriet zunehmend zum dominierenden Umschlagplatz, dessen Kaufleute gerade zur karolinischen Zeit vielerorts Frankfurtern, Nürnbergern und Pragern gleichgestellt waren.81 Zwar außerhalb des

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te und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 5); ders.: Fremde im östlichen Europa. Von Gesellschaften ohne Staat zu verstaatlichten Gesellschaften (9.-11. Jahrhundert).- Köln usw.: Böhlau 1999 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart; 23). Oskar Pusch: Die Breslauer Rats- und Stadtgeschlechter in der Zeit von 1241 bis 1741. Bd. I-V.- Dortmund: Forschungsstelle Ostmitteleuropa 1986-1991 (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund. Reihe B; 33, 35, 38, 39, 41); Zofia Kowalska: Die großpolnischen und schlesischen Judenschutzbriefe des 13. Jahrhunderts im Verhältnis zu den Privilegien Kaiser Friedrichs II. (1238) und Herzog Friedrichs II. von Österreich (1244). Filiation der Dokumente und inhaltliche Analyse.- In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47 (1998), S. 1 - 2 0 ; Hugo Weczerka: Juden in Schlesien. Ein Literaturbericht.- In: ebd., S. 70-81; Leszek Zi^tkowski: Dzieje Zydow we Wroclawiu. Die Geschichte der Juden in Breslau. Deutsch von Barbara Kocowska.- Wroclaw: Wydaw. Dolnoslajkie 2000. Josef Joachim Menzel: Stadt und Land in der schlesischen Weichbildverfassung.- In: Die mittelalterliche Stadt im südöstlichen Europa. Hrsg. von Heinz Stoob.- Köln usw.: Böhlau 1977, S. 20-38; Heinrich Appelt: Deutsche Ostsiedlung in Mittelalter und Neuzeit.- Köln usw.: Böhlau 1971 (= Studien zum Deutschtum im Osten; 8).

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Mateusz Golmski: Die Anfange der Kaufhäuser und Reichkrame in den schlesischen Städten.- In: Zeitschrift für Ostforschung 42 (1993), S. 1-20; Gunhild Roth: Breslauer Kaufleute unterwegs in Europa. Handelsbeziehungen, Waren und Risiken im Spiegel von Rechtstexten des 15. und 16. Jahrhunderts.- In: Reisen und Welterfahrung in der deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Dietrich Huschenbett, John Margetts.- Würzburg: Königshausen und Neumann 1991 (= Würzburger Beiträge zur deutschen Philologie; 7), S. 228-239; Hugo Weczerka: Die Südostbeziehungen der Hanse.- In: Die Hanse und der deutsche Osten. Hrsg. von Norbert Angermann.- Lüneburg: Nordostdeutsches Kulturwerk 1990, S. 117-132; Jan M. Piskorski: Breslau - Eine Hansestadt in Schlesien.- In: Die Hanse - Lebenswirklichkeit und Mythos. Eine Ausstellung des Museums für Hamburgische

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hansischen Bereichs gelegen, arbeitete man dennoch eng mit dem preußischen Thorn zusammen, das über Lübeck nach Flandern vermittelte, wie man umgekehrt als Brückenstation im Levantetransit tätig war.82 Auch die bessere Auswertung der Geländeressourcen und der gesteigerte Abbau von Bodenschätzen hatte früh Bergleute angezogen, die etwa in Goldberg, Löwenberg, Silberberg und Reichenstein die Förderung von Edelmetallvorkommen vorantrieben. Erzgruben, Eisengewinnung und Verhüttung sollten später erfolgen.83 Ein ganz und gar modernes Repertoire zeigt sich im Befund der Neugründung von 20 Bergbaustädten zur Erschließung des Münzmetalls für den Fiskus an der Wende zum 16. Jahrhundert zeitlich ohne auffällige west-östliche Phasenverschiebung. Die breslauische Ur- und Frühzeit ist mit dem stadtarchäologischen Band über Das älteste Breslau hinreichend erarbeitet.84 Für keine zweite ostmitteleuropäische Metropole liegt eine so detaillierte Sozialtopographie vor wie für das spätmittelalterliche Breslau.85 Die städtische Raumanlage, Bebauung der Viertel und Vorstädte, Beschäftigungs- und Vermögensstruktur der Steuerzahler, Handwerkskonzentration und Berufsgliederung, Aufstiegsmöglichkeiten und Führungsgremien sind exakt verzeichnet. Eine Schrift neuesten Datums umreißt mit Hilfe obiger Vorleistungen das Alltagsleben schlesischer Bürgerschaften dieses Zeitraumes.86 Geschichte in Verbindung mit der Vereins- und Westbank. Bearb. von Jörgen Bracker. Bd. I—II.— Hamburg: Museum flir Hamburgische Geschichte 1989, S. 297-299; Marian Wo· lanski: Schlesiens Stellung im Osthandel vom 15. bis zum 17. Jahrhundert.- In: Der Außenhandel Ostmitteleuropas 1450-1650. Die ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften in ihren Beziehungen zu Mitteleuropa. Hrsg. von Ingomar Bog.- Köln usw.: Böhlau 1971, S. 120-138; Wolfgang von Stromer: Nürnberg-Breslauer Wirtschaftsbeziehungen im Spätmittelalter.- In: Jahrbuch flir fränkische Landesforschung 34/35 (1975), S. 1079-1100; Europäische Messen und Märktesysteme in Mittelalter und Neuzeit. Hrsg. von Peter Johanek, Heinz Stoob.- Köln usw.: Böhlau 1996 (= Städteforschung. Reihe A; 39). 82

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Piotr Radzikowski: Opisanie podrozy Mikolaja von Popplau, rycerza rodem ζ Wroctawia [Reyße-Beschreibung Niclas von Popplau, Ritters, bürtig von Breßlau].- Krakow: TransKrak 1996; Werner Paravicini: Der Fremde am Hof. Nikolaus von Popplau auf Europareise 1483-1486.- In: Fürstenhöfe und ihre Außenwelt. Aspekte gesellschaftlicher und kultureller Identität im deutschen Mittelalter. Hrsg. von Thomas Zotz.- Würzburg: Ergon 2004 (= Identitäten und Alteritäten; 16), S. 291 -337. Vgl. Frantisek Smahel: Die böhmischen Länder im Hoch- und Spätmittelalter, ca. 10501452.- In: Europa im Hoch- und Spätmittelalter. Hrsg. von Ferdinand Seibt.- Stuttgart: Klett-Cotta 1987 (= Handbuch der europäischen Geschichte; 2), S. 507-532; ders.: Polen von der Jahrtausendwende bis 1444. In: ebd., S. 1042-1079. Marta Mlynarska-Kaletynowa: Najdawniejszny Wroclaw [Das älteste Breslau].- Wroclaw usw.: Zaklad Narodowy im. Ossolinskich 1992. Mateusz Golinski: Socjotopografia Pöznosredniowiecznego Wroctawia (przestrzen - podatnicy - rzemioslo) [Sozialtopographie des spätmittelalterlichen Breslau (Lebensraum Steuerzahler - Gewerbe)].- Wroclaw: Wydaw. Uniwersytetu Wroclawskiego 1997 (= Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia; 134); vgl. auch ders.: Wokol socjotopografii pöznosrednoiwiecznej Swidnicy [Überblick zur Sozialtopographie des spätmittelalterlichen Schweidnitz].- Wroclaw: Wydaw. Uniwersytetu Wroclawskiego 2000 (= Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia; 141). Jan Drabina: Zycie codzienne w miastach sl^skich XIV i XV wieku [Alltagsleben in schlesischen Städten des 14. und 15. Jahrhunderts].- Opole: Instytut Sl^ski. Wydaw. 1991; Atlas

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Mit 70000 Pergament- und Papierurkunden gehören die archivalischen Quellen nach der Rückführung verschollener Sammlungen zu den reichsten Beständen in diesem Teil Europas, was verhältnismäßig wenig bewußt ist.87 Mit Index erschlossene Urkundenverzeichnisse sind bis zum Jahr 1500 angefertigt, das Heft zum 15. Jahrhundert wurde soeben ausgeliefert, wie auch ein gedruckter Katalog des Erzbischöflichen Museums Hilfestellung bietet.88 Kopialbücher des Fürstentums von 1350, Kanzleiabschriften, kommunale Deposita und Steuerinventare, Karrenregister und Schöffensprüche vertiefen die Dokumentationsbasis vor allem in Hinsicht auf vernachlässigte rechtshistorische Fragestellun-

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architektury Wroctawia. Bd. I: Budowle sakralne - Swieckie budowle publiczne [Breslauer Architekturatlas. Bd. I: Sakrale Bauwerke - weltliche öffentliche Gebäude]. Hrsg. von Jan Harasimowicz.- Wroclaw: Wydaw. Dolnosla^kie 1997; Encyclopedia Wroctawia. Hrsg. von Jan Harasimowicz, Wlodzimierz Suleja.- Wroclaw: Wydaw. Dolnosla$kie 2000. Stand, Aufgaben und Perspektiven territorialer Urkundenbücher im östlichen Mitteleuropa. Hrsg. von Winfried Irgang, Norbert Kersken.- Marburg/L.: Herder-Institut 1998 (= Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung; 6); Staatsarchiv Breslau - Wegweiser durch die Bestände bis zum Jahr 1945 (Archivum Panstwowe we Wroclawiu - Przewodnik po Zasobie Archiwalny do 1945 roku). Bearb. und wiss. Red. Roscislaw Zerelik u.a. Aus dem Polnischen übersetzt von Stefan Hartmann.- München: Oldenbourg 1996 (= Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte; 9). ' Katalog Dokumentöw Przechowywanych w Archiwach Panstwowych Dolnego Slqska. Bd. IX: Archiwa Ksi^z^ce i drobne akcesje, Tl. 1 (1401-1500) [Katalog der im Staatsarchiv Niederschlesien aufbewahrten Dokumente. Bd. IX: Fürstenarchive und kleine Zugänge]. Hrsg. von Roscislaw Zerelik.- Wroclaw: Uniwersytet Wroclawski 1998; Dieter Pohl: Die Grafschaft Glatz (Schlesien). Die Sammlung Kogler im Erzbischöflichen Diötzesanarchiv. Bestandsverzeichnis.- Köln: Pohl 2000 (= Geschichtsquellen der Grafschaft Glatz. Reihe C: Archive und Bibliotheken; N.F.); Dieter Heckmann: Quellen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz zur schlesischen Geschichte im Überblick.- In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 41 (1993), S. 217-232. Magdeburger Recht. Tl. 2: Die Rechtsmitteilungen und Rechtssprüche fur Breslau, Bd. I: Die Quellen von 1261-1452. Bd. II: Die Quellen von 1453 bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Ebel.- Köln usw.: Böhlau 1989-1995 (= Mitteldeutsche Forschungen; 89, 95); Der Rechte Weg. Ein Breslauer Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts. Hrsg. von Friedrich Ebel u.a.- Köln usw.: Böhlau 2000; Hans-Jörg Leuchte: Das Liegnitzer Stadtrechtsbuch des Nikolaus Wurm. Hintergrund, Überlieferung und Edition eines schlesischen Rechtsdenkmales.- Sigmaringen: Thorbecke 1990 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 25); Der Sachsenspiegel aus Oppeln und Krakau. Hrsg. von lipo T. Piirainen, Winfried Wasser.- Berlin: Mann 1996 (= Schriften der Stiftung Haus Oberschlesien. Landeskundliche Reihe; 10); Christoph Heiduck: Die Diskussion über das Strafrecht in spätmittelalterlichen Chroniken Schlesiens und der Lausitz.- In: Krieg und Verbrechen nach spätmittelalterlichen Chroniken. Hrsg. von Christoph Heiduk u.a.- Köln usw.: Böhlau 1979 (= Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter; 4), S. 9-109; Fritz Luschek: Notariatsurkunde und Notariat in Schlesien von den Anfängen (1282) bis zum Ende des 16. Jahrhunderts.- Weimar: Böhlau 1940 (= Historisch-diplomatische Forschungen; 5); Dirk Lentfer: Die Glogauer Landesprivilegien des Andreas Gryphius von 1563.- Frankfurt/Main: Lang 1996 (= Rechtshistorische Reihe; 147); Matthias Weber: Die schlesischen Polizei- und Landesordnungen der Frühen Neuzeit.- Köln usw.: Böhlau 1996 (=Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 5); Karen Lambrecht: Hexenverfolgung und Zaubereiprozesse in den schlesischen Territorien.- Köln usw.: Böhlau 1995 (= Neue Forschungen zur schlesischen Geschichte; 4).

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Gerade die Städte Schlesiens erlangten wachsende Bedeutung angesichts der Hussitengefahr, zumal Kaiser Sigismund nach dem Verlust Böhmens ungewollt seine Herrschaft im fernen Südosten seines Reiches konzentrierte. Nach dem Tode König Wenzels IV. war dessen Bruder Sigismund bemüht gewesen, Schlesien zum Ausgangsgebiet für die militärischen Aktionen gegen die böhmischen Häretiker zu machen. Der Luxemburger, der die ungarischen Königtümer mit dem Reich in Personalunion regierte, tagte im engeren Hofreisebereich, wohin nur wenige Kurfürsten trotz akuter Notlage und Unruhe folgten.90 Nikolaus Bunzlau, der Kanzler des Herzogtums Breslau und königliche Rat Sigismunds, hatte vermutlich auch die Ortswahl des Hoftags im Januar 1420 beeinflußt. Erst indem sich einige Große in der schlesischen Hauptstadt versammelten, ergriff die Reichspolitik Maßnahmen zur Selbstbehauptung ihrer Glaubensgenossen. Gesandte des Papstes verkündeten von hier aus die Kreuzzüge gegen die Hussiten, und die Fürsten Schlesiens schlossen einen Bund mit den katholischen Herren, die sich den Prager Reformatoren widersetzten.91 Eine fuhrende Rolle spielte der Breslauer Bischof Konrad von Oels, der 1422 zum Landeshauptmann für ganz Schlesien ernannt wurde und dem sich alle Herzöge und Stände in einer Liga (mit Neisse, Breslau, Liegnitz und Brieg an der Spitze) unterstellten. Seit 1426 drangen Hussiten aus Böhmen heraus und durchzogen die Nachbargebiete. Die Ketzerheere überfielen vor allem die Gebiete des fürstlichen Bischofslands, deren Bewohner sich energisch verteidigten. Zehn Jahre lang waren weite Teile Schlesiens den wiederholten Angriffen der Hussitentruppen ausgesetzt, 40 Städte und Marktflecken niedergebrannt und unter diesen Brieg, Ottmachau, Oberglogau, Wartha, Heinrichau und Glatz weitgehend verwüstet. In Mähren und Schlesien war das Echo auf den Hussitismus gering; einzig Fürst Bolko V. von Oberglogau trat als aktiver Kämpfer gegen die Kirche und Anhänger der hussitischen Doktrinen hervor.92 Vom betont schwachen Widerhall der Anschauungen Hussens zeugen die wenigen aufrührerischen Bürger von Gleiwitz, Brieg und Ottmachau 1428; die antihussitischen Traktate des Zisterziensers Ludolf von Sagan verdeutlichen die Ablehnung weiter Bevölkerungskreise. Unterstützung dafür gab es von der einheimischen Geistlichkeit, die von der Kanzel herab ihre feindselige Haltung gegenüber den böhmischen Kirchenreformern verkündete.

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Jörg K. Hoensch: Kaiser Sigismund. Herrschaft an der Schwelle zur Neuzeit 1368-1437.München: Beck 1996; ders.: Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung.- Stuttgart usw.: Kohlhammer 2000 (= Urban-Taschenbücher; 407); Martin Kintzinger: Westbindungen im spätmittelalterlichen Europa. Auswärtige Politik zwischen dem Reich, Frankreich, Burgund und England in der Regierungszeit Kaiser Sigmunds.- Stuttgart: Thorbecke 2000 (= Mittelalter-Forschungen; 2). Peter Hilsch: Johannes Hus (um 1370-1415). Prediger Gottes und Ketzer.- Regensburg: Pustet 1999; Jan Hus - zwischen Zeiten, Völkern, Konfessionen. Hrsg. von Ferdinand Seibt.- München: Oldenbourg 1997 (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum; 85). Pawei Kras: Husyci w pi?tnastowiecznej Polce [Hussiten im polnischen 15. Jahrhundert].Lublin: Tow. Nauk. Katolickiego Uniw. Lubelskiego 1998 (= Zrodta i monografie; 174).

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Als Ladislaus Postumus 1456 zum König von Böhmen gekrönt wurde, erhob sich die Frage, ob Schlesien dessen Statthalter und Oberhauptmann Georg von Podiebrad, der sich im ganzen Königreich als Hussitenfreund zeigte, anerkennen würde. Als Georg nach dem Tod des Königs 1458 selbst die Krone nahm, verweigerten ihm fast alle schlesischen Fürstentümer die Huldigung und den Treueid und erklärten, daß kein Ketzer das Königsdiadem tragen und kein Untertan diesem zum Gehorsam angehalten werden dürfe. Ein Breslauer Prediger, Nikolaus Tempelfeld, rief unter dem Einfluß Johannes Kapistrans zum Kreuzzug gegen Podiebrads Lager auf, konnte sich jedoch nicht gegen das städtische Patriziat, Bischof Jodok und einige Fürsten durchsetzen, so daß keine einheitliche Front wider die Häresie aufgebaut wurde. Doch weil nach den Plänen Pius II. der >Ketzerkönig< Podiebrad die Kriege gegen die Türken fuhren sollte, mußte der Papst seine Legaten schicken, um die Schlesier mit König Georg zu versöhnen; 1466 erfolgte dennoch Podiebrads Exkommunikation. Unter dem Ungarnkönig Matthias Corvinus blieb seit 1471 die Bedrohung latent.93 Von der ungarischen Zentralgewalt wurde der Oderraum in den Krisen umorganisiert; seit dem Jahr 1498 waren Auswärtige von Landesämtern ausgeschlossen.94

VI. »Duces multi et Siesite« Doch: Was war Schlesien eigentlich? Es ist damit jenes Gebiet umfaßt, das als einstiges Herzogtum zu plastischem Lehen sich in gut anderthalb Dutzend kleinere Fürstentümer aufgespalten hatte. Dabei seien jene mährische Gegenden wie Troppau oder die böhmische Grafschaft Glatz keineswegs ausgeklammert, deren Entwicklungsgänge eine andere Richtung einschlagen; Schlesien ist keineswegs eindeutig von Böhmen und Mähren zu separieren. Als schlesisches Kerngebiet wird dem Oderlauf folgend von Oppeln über Breslau nach Liegnitz und Glogau jene Landschaft umgriffen, die nach Herrschaft, Gesellschaft und Wirtschaft als ein zusammenhängendes Territorium aufgefaßt werden könnte. Für eine geschichtliche Landeskunde bestehen ungelöste Fragefelder nach der historischen Reichweite und den Folgen der Zusammengehörigkeit dieses Raumes hinsichtlich seiner territorialen Gestaltwerdung. Als 1202 die altertümliche Senioratsverfassung erloschen war, die nach Ende des polnischen Königtums die unabhängigen Piastenherzogtümer zusam-

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Andräs Kubinyi: Matthias Corvinus. Die Regierung eines Königreiches in Ostmitteleuropa 1458-1490.- Herne: Schäfer 1999 (= Studien zur Geschichte Ungarns; 2); Jörg K. Hoensch: Matthias Corvinus. Diplomat, Feldherr und Mäzen.- Graz usw.: Styria 1998; Karl Nehring: Matthias Corvinus, Kaiser Friedrich III. und das Reich. 1443-1490 (1458). Zum hunyadischhabsburgischen Gegensatz im Donauraum. 2. erg. Aufl.- München: Oldenbourg 1989 (= Südosteuropäische Arbeiten; 1); Matthias Corvinus und die Renaissance in Ungarn 1458-1541. Ausstellungskatalog Schallaburg. Red. Gottfried Stangler.- Baden, Bad Vöslau: Grasl 1982 (= Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums. N.F.; 118). Hans Patzelt: Schlesien und Ungarn. Geschichtliche Wechselbeziehungen.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 34 (1993), S. 73-92.

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mengebunden hatte, wurden die schlesischen Herzöge durch Familie und Hof immer enger mit dem Reich verknüpft. Das Herzogtum Breslau war 1280 Reichslehen geworden, und Schritt fur Schritt kamen die übrigen schlesischen Fürstentümer unter die Lehenshoheit oder direkte Herrschaft des Hauses Luxemburg, das seit 1310 Böhmen regierte. Mit dem Tausch luxemburgischer Ansprüche auf die Krone Polens verzichteten die polnischen Piasten 1335 auf die erneute Ausdehnung nach Schlesien, dessen östliche Grenze sich fortan als Reichsgrenze etablierte.95 Der eigentliche Übergang Schlesiens ans Reich ist als ein dynastischer Erfolg König Johanns anzusehen. Breslau errang 1357 vom Kaiser die Hauptmannschaft des Fürstentums gleichen Namens, der Ratsälteste nahm die fürstliche Huldigung des Adels entgegen und die Ratsleute saßen Landgerichten vor. Der Stadtrat Breslaus regierte als Landeshauptmann und berief die zersplitterten Herrschaften zu schlesischen Fürstentagen ein. Als historisches Verdienst bleibt festzuhalten, daß die Klammer >Schlesien< selbst in den Jahren der Zerstückelung gewirkt hat und wiederholt solche Trennungen überwunden wurden. Auch sobald die rundum ausgreifenden Verbindungen durch geschlossene Grenzen oder Spannungen zur Nachbarschaft behindert waren, hatte das Land mit Schwierigkeiten zu kämpfen. 96 Herrschaftlich befand sich das schlesische Oderland stets in exponierter Randlage, ganz gleich ob es in auffalligem zweihundertjährigen Turnus Polen, Böhmen/Ungarn, Österreich oder Preußen zufiel. Insofern war es dem jeweils stärksten Herrn als im unterschiedlichen Grade abhängiges Teilgebiet angegliedert, ein Komplementärraum, also kein dynastisches Herrschaftszentrum. Infolge der Zersplitterung zu schwach und auch zu passiv, um seinen eigenen Weg einzuschlagen, aufgrund der günstigen Geographie und des Gesamtpotentials zu bedeutsam, um auf Dauer ohne Einfluß auf das Kräfteverhältnis rivalisierender Nachbarn zu sein; kurzum: ein schwerwiegender Faktor als Schiebegewicht in den Machtkonstellationen des Raumes mit gewissen Rückwirkungen auf Gesamteuropa. Das ausgereifteste Werk zum schlesischen Mittelalter stellt die Monographie (Herzog) Heinrich der Bärtige und seine Zeit von Benedykt Zientara dar, die nach gut einem Vierteljahrhundert in die deutsche Sprache übersetzt wurde. 97 Ihren Wert bezieht sie aus der überzeugenden Synthese der polnischen und deutschen Geschichte in Schlesien, der hochmittelalterlichen Kolonisierung und der Frage der mittelalterlichen nationes. Doch die gemeinsame Zuständigkeit für die schlesische Geschichte fugt sich nicht immer zu einem Ganzen zusammen. Hinter das Postulat des früh verstorbenen Mediävisten fiel schon 1984 ei-

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Hans-Jürgen Karp: Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters.- Köln usw.: Böhlau 1972 (= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands; 96

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9)

·

Karen Lambrecht: Kommunikationsstrukturen und Öffentlichkeiten in ostmitteleuropäischen Zentren um 1500.- In: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 2 (2000), S. 1 - 2 3 . Benedykt Zientara: Heinrich der Bärtige ( 1 2 0 1 - 1 2 3 8 ) und seine Zeit.- München: Oldenbourg 2002 (= Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Östlichen Europa; 17); poln. Erstausgabe: Henryk Brodaty i jego czasy.- Warszawa: Panst. Instytut Wydawniczy 1975.

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ne andere Arbeit über Die Fürstengewalt Schlesiens im dreizehnten Jahrhundert durch seine altpiastische Nostalgie und enge positivistische Bearbeitung zurück.98 In der Abhandlung aus dem gleichen Jahr über Böhmen und die Gebiete des südlichen Polens. Politisch-ideologische Probleme der böhmischen Expansion in die südlichen Länder Polens, verläuft die argumentative Konfliktlinie zwischen den beiden westslawischen Großvölkern - diesmal ohne den sonst unvermeidlichen deutschen Gegner." Das zeigt die Zeitgebundenheit von Arbeitsweisen und mahnt zur Vorsicht vor Anachronismen. Aber dessenungeachtet wird weiterhin eine am herkömmlichen Volkstumsparadigma orientierte Argumentation bewußt oder unbewußt fortgeführt, selbst unter fortschrittlichstem Motto. Mit mißverständlichen Termini wurde nach Stämmen, Ständen und Staaten im schlesischen Spätmittelalter gesucht: Crown and Diet, Kingship and Estates in the Mid-fifteenth Century Silesia.'00 Zwar auch aus einem distanzierten Blickwinkel, doch begrifflich reflektierter und mit einer stupenden Quellenkenntnis näherte man sich jüngst auf kontinentalem Tableau für die Zeit von 950 bis 1350 in vergleichender Absicht unter anderem Schlesien und entdeckte »colonial aristocracies«, »frontier societies« und »cultural change«: ein wirklich gelungenes Vorbild für eine Historische Komparatistik.101 Zuzügler aus dem Westen fungierten als Vermittler und Träger von Strömungen nach Osteuropa und dienten somit zur Angliederung von Randzonen. Trotz einer gewissen ethnischen Zerrissenheit der Bewohner Schlesiens durch die starke auswärtige Zuwanderung, die vor allem als Fremdes Rittertum in Schlesien bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts umsichtig behandelt wurde, 98

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100

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'

Jerzy Mularczyk: Wladza k s i ^ c a na Sl^sku w XIII wieku [Fürstliche Macht in Schlesien im 13. Jahrhundert].- Wroclaw: Wydaw. Uniwersytetu Wroclawskiego 1984 (= Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia; 40). Antoni Barciak: Czechy a ziemi poludniowej Polski w XIII oraz w poczqtkach XIV wieku. Polityczno-ideologiczne problemy ekspansij czeskiej na ziemie poludnionej Polski [Böhmen und die Gebiete des südlichen Polens im 13. und zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Politisch-ideologische Probleme der böhmischen Expansion in die südlichen Länder Polens].- Katowice: Uniwersytet Sl^ski 1992; ders.: Zagadnienie przynaleznosci ziemii Klodzkiej w latach 1278-1290 [Probleme der Zugehörigkeit des Glatzer Landes in den Jahren 1278-1290].- In: Annales Silesie 17 (1988), S. 147-154. Richard C. Hoffmann: Studies in the Rural Economy of the Duchy of Wroclaw 12001533.- Ann Arbor: Univ. Microfilms 1970 (zugleich Diss. Yale Univ.); ders.: Warfare, Weather, and a Rural Economy. The Duchy of Wroclaw in the Mid-fifteenth Century.- In: Viator. Medieval and Renaissance Studies 4 (1973), S. 273-305; ders.: Towards a CityState in East-Central Europe. Control of Government in the Late Medieval Duchy of Wroclaw.- In: Societas. A Review of Social History 5 (1975), S. 173-199; ders.: Wroclaw Citizens as Rural Landholders.- In: The Medieval City. Hrsg. von Harry A. Miskimin u.a. 2. Aufl.- New Haven/Conn.: Yale University Press 1978, S. 293-311; ders.: Land, Liberty, and Lordship in a Late Medieval Countryside. Agrarian Structures and Change in the Duchy of Wroclaw.- Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1989. Robert Bartlett: Die Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt. Eroberung, Kolonisierung und kultureller Wandel von 950 bis 1350.- München: Kindler 1996; vgl. Nationale, ethnische Minderheiten und regionale Identitäten in Mittelalter und Neuzeit. Akten einer internationalen Historikerkonferenz vom 2. bis 4. Juni 1993 in Toruli. Hrsg. von Antoni Czacharowski.- Torun: Uniw. Mikolaja Kopernika 1994.

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konnte auch eine Anhänglichkeit der Landsleute an ihr Land erhellt werden. 102 Schon im späten Mittelalter waren die Weichen auf Zusammenhalt gestellt und eine Folge des ersten Landesaufgebots Schlesiens von 1342 unter gemeinsamem Banner, vermittelt durch die oberste Landeshauptmannschaft Breslaus 1357/1361. Gesamtschlesische Solidarität zeigte sich ebenso in der Interessensgemeinschaft der Landfrieden von 1382 und 1402. Als Kristallisationskern einer gemeinsamen Einstellung formierte sich 1421 im Bund von Grottkau die erste Institution zur Hussitenabwehr. Solche Selbstvergewisserung formulierte sich allmählich, auf dem Schlesischen Fürstentag im Jahre 1474 und im Großen Landesprivileg von 1498. Die Eigenwahrnehmung Schlesiens erfolgte in der Begegnung mit anderen Kräften und wurde somit eher von außen angestoßen, als das sie Produkt innerschlesischer Konvergenzen war. Man gewinnt in den erzählenden Quellen durch die Eigenaussagen von Autoren und die Außensicht auf andere eine gewisse Grundüberzeugung davon, was schlesisch ist. In erster Linie hängt jedoch das gegenwärtige Wissen darüber von der Qualität der zeitgenössischen Überlieferungen ab. Starke Bedürfnisse im Bereich der Quellenkommentare, insbesondere mit Apparaten, die heutigen Ansprüchen genügen, sind fur die Glogauer Annalen, die Liegnitzer Fürstenchronik, den Äbtekatalog des Ludolf von Sagan und die Klostergeschichte Königsaals des Peter von Zittau zu betonen. 103 Ob dynastische Selbstdarstellung und Universalchronistik, bürgerliches Städtelob oder humanistische Landesbeschreibung: Sowohl die Chronica Principum Poloniae des Brieger Kanonikers Peter von Bitschen (1385) als auch die Historia Wratislaviensis des Ratsschreibers Peter Eschenloer (1472/81) oder die Annales Regni Poloniae des Krakauer Chorherren Jan

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Tomasz Jurek: Obce Rycerstwo na Sl^sku do polowy XIV wieku.- Poznan: Wydaw. Poznanskiego Tow. Przyjaciöt Nauk 1998 (= Poznanskie Towarzystwo Przyjaciöt nauk. Wydziat Historii i nauk spotecznych Prace komisji Historycznej; 54); ders.: Die Entwicklung eines schlesischen Regionalbewußtseins im Mittelalter.- In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 47 (1998), S. 2 1 - 4 8 ; ders.: Family, Marriage and Property Rights. Married to a Foreigner. Wives and Daughters of German Knights in Silesia During the Thirteenth and Fourteenth Century.- In: Acta Poloniae Historica 81 (2000), S. 3 7 - 5 0 ; ders.: Fremde Ritter im mittelalterlichen Polen.- In: Quaestiones medii aevi novae 3 (1998), S. 19-49; Przemystaw Wiszewski: Stifterfamilie und Konvent. Soziale Wechselbeziehungen zwischen schlesischen Nonnenklöstern und Ritterfamilien im späten Mittelalter.- In: Adelige Welt und familiäre Beziehung. Aspekte der >privaten Welt< des Adels in böhmischen, polnischen und deutschen Beispielen vom 14. bis 16. Jahrhundert. Hrsg. von Heinz-Dieter Heimann.- Potsdam: Verlag fur Berlin-Brandenburg 2000 (= Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches; 7), S. 87-103; Josef Joachim Menzel: Die Akzeptanz des Fremden in der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung.- In: Toleranz im Mittelalter. Hrsg. von Alexander Patschovsky, Harald Zimmermann.- Sigmaringen: Thorbecke 1998 (= Vorträge und Forschungen. Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte; 45), S. 207-219.

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Quellenkunde zur Geschichte im deutschen Spätmittelalter (1350-1500). Hrsg. und bearb. von Winfried Dotzauer.- Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1996; vgl. auch Alfred RüfTler: Die Stadtbibliothek Breslau im Spiegel der Erinnerung. Geschichte - Bestände - Forschungsstätten.- Sigmaringen: Thorbecke 1997 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 28).

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Dhigosz (1480) sind nicht in verläßlichen Textausgaben greifbar. 104 Die für das Spätmittelalter dieses Grenzraumes so wertvolle Historiographie aller Genres weist editorische Defizite und Notwendigkeiten auf und wartet noch auf die eingehende Befragung, wenn man eine inzwischen besorgte zweisprachige Übertragung der Descriptio tocius Silesiae des Schulmeisters Bartholomäus Stein (1511-1512) einmal beiseite läßt.105 Doch die schlesische Formation war mehr als die Gesamtmenge ihrer geteilten Einheiten; denn viele der Landesteile führten ein Eigenleben und waren eher entstanden als das Ganze. Aber bei diesem ausgedehnten Gebilde der Peripherie griffen die partikularen Einflußsphären insgesamt ineinander. Binnenschlesisch ist eine Separierung im kleinen nachzuvollziehen, die sich frühzeitig im Vorsprung der Herzöge von Schlesien vor den Herzögen von Oppeln als jene oberschlesische Sonderentwicklung anbahnte, die das rechts der Oder liegende Gebiet in jeder Hinsicht hinter Niederschlesien zurückfallen ließ. Diese Entfernung voneinander wurde früh begleitet von der Umgestaltung des Landes in einen selbständigen ducatus Slesiae und einen ducatus Opoliensis, die bald zu Zwischengrößen in >Brückenstellung< auch an ethnischen Nahtstellen wurden. Vor allem im niederschlesischen Landesteil mit dem Neustamm der Schlesier beschleunigte sich das Aufholen, und ein unterschiedlicher Entwicklungsstand gegenüber Oberschlesien verdeutlichte sich zunehmend. Eine der wichtigsten Dimensionen ist mit dem herrschaftlich-dynastischen Feld angesprochen: die politische Mitte, also die Höfe, die agierenden Personen der Verwaltung, ihre Nähe und Ferne zu den Fürsten, Zugänge zu Entscheidungen, die Vergabe hoheitlicher Rechte und Besitzkomplexe an Grundherren, die Leitgruppen nach innen und außen. Substantielle Rechtstitel wie staatliche Repräsentation und gesellschaftliche Integration bildeten ein zentrales Moment der Landesherrschaft. Die schlesischen Herzöge waren zwar keine Reichsfiirsten, aber gerade deshalb erpicht auf Fürstenkontakte nach innen, ins Reich hinein: Seit dem letzten Drittel des 12. Jahrhunderts waren die Verheiratungskreise der Breslauer Herzöge deutsch. Für Herzog Ladislaus von Oppeln weiß man dage-

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The Annals of Jan Dlugosz. A History of Eastern Europe from A.D. 965 to A.D. 1480. Hrsg. von Maurice Michael.- Chichester: IM Publ. 1997; Volker Honemann: Lateinische und volkssprachige Geschichtsschreibung im Spätmittelalter: Zur Arbeitsweise des Chronisten Peter Eschenloer.- In: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalter 52 (1996), S. 617-627; Zweisprachige Geschichtsschreibung im spätmittelalterlichen Deutschland. Hrsg. von Rolf Sprandel.- Wiesbaden: Reichert 1993 (= Wissensliteratur im Mittelalter; 14). Hans-Bernd Harder: Die Landesbeschreibung in der Literatur des schlesischen Frühhumanismus.- In: Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert. Hrsg. von dems.Köln usw.: Böhlau 1983 (= Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien; 5), S. 29-48; Manfred P. Fleischer: Silesiographia. Die Geburt einer Landesgeschichtsschreibung.- In: ders.: Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze.- München: Delp 1984, S. 49-91; Andreas Rüther: Landesbewußtsein im spätmittelalterlichen Schlesien. Formen, Inhalte und Trägergruppen.- In: Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland. Hrsg. von Matthias Werner.- Ostfildern: Thorbecke 2005 (= Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen; 61), S. 291-330.

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gen aus den personengeschichtlichen Untersuchungen Dieter Veldtrups für die Zeit um 1400, daß dessen Konnubium weiter östlich ausgerichtet war, seine Ehefrauen und Heiratsvorhaben in das Viereck zwischen Böhmen, Polen, Ungarn, Österreich eingebunden waren und er mit solcherart Familienpolitik weitaus weniger häufig ins Reich ausgriff als seine niederschlesischen Verwandten.106 Durch einen enggeführten Fokus erstellte man für Oberschlesien Biogramme der herzoglichen Hofpersonen, der städtischen Führungsgruppen und der stiftischen Geistlichkeit. Den zeitweilig über zwei Dutzend schlesischen Herzogtümern samt ihrer Seitenlinien fehlte die stabile Kontinuität in Gestalt einer ständigen Hofhaltung, sich durch Gewicht und Größe abhebender Residenzen (einmal abgesehen vom sozusagen patrizischen Breslau und dem Bischofssitz Neisse), und einer festen Grablege (vielleicht in Ansätzen Liegnitz und Schweidnitz) in einem Hauskloster (Leubus, Trebnitz, Gnissau, Heinrichau). Insgesamt, so eine erste Einschätzung, war diese agrarisch-aristokratische Elite hinsichtlich ihrer landesherrlichen Teilhaberschaft weniger auffallig passiv als es die Fürsten selbst gegenüber dem Monarchen waren.107 Die mit Umbrüchen einhergehende Schwäche der Krongewalt haben Ständevertretungen nicht vor Ende des 15. Jahrhunderts genutzt, um Vergünstigungen und Freiheiten auszubauen und den Anspruch der Wenzelskrone in Grenzen zu halten. Mit der außerordentlich geschickten Begrenzung der Ständemacht entstand mit der Krone Böhmens ein Konglomerat unterschiedlich gefestigter Regionen (Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz), das formell selbständig blieb und juristisch zusammengeschlossen war. In der Frühneuzeit ergaben sich ausgesprochen libertär-partizipatorische Elemente, zumal unter dem Zeichen einer >Schlesischen Toleranz< zwischen Glaubensbekenntnissen nach dem Westfälischen Frieden 1648. Die Selbstbehauptung einer zahlenmäßig hohen Adelsschicht prägte den Typus einer korporativ verfaßten Gruppe, trug aber auch etwas zur inneren Integrationskraft dieses ständischen Gesellschaftsgefüges bei, freilich auf Kosten des Königtums.108 Fast in ganz Ostmitteleuropa rückte man 106

Dieter Veldtrup: Frauen um Herzog Ladislaus ( t 1401). Oppelner Herzoginnen in der dynastischen Politik zwischen Ungarn, Polen und dem Reich.- Warendorf: Fahlbusch 1999 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 8); vgl. ders.: Eherecht und Familienpolitik. Studien zu den dynastischen Heiratsprojekten Karls IV.- Warendorf: Fahlbusch 1990 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 2).

107

Hugo Weczerka: Die Residenzen der schlesischen Piasten.- In: Fürstliche Residenzen im spätmittelalterlichen Europa. Hrsg. von Hans Patze, Werner Paravicini.- Sigmaringen: Thorbecke 1991 (= Vorträge und Forschungen; 36), S. 3 1 1 - 3 4 7 ; ders.: Breslau.- In: Handbuch der historischen Stätten: Schlesien. Hrsg. von dems.- Stuttgart: Kröner 1977, S. 3 9 54; Andreas Rüther: Die schlesischen Fürsten und das spätmittelalterliche Reich.- In: Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter. Hrsg. von Cordula Nolte, Karl-Heiz Spieß, Ralf-Gunnar Werlich.- Stuttgart: Thorbecke 2002 (= Residenzenforschung; 14), S. 3 3 - 6 2 ; ders.: Piasten, Podiebrad, Schlesien, Breslau.- In: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Ein dynastisch-topographisches Handbuch. Bd. I: Dynastien und Höfe. Bd. II: Residenzen. Hrsg. von Werner Paravicini.- Ostfildern: Thorbecke 2003 (= Residenzenforschung; 15), Bd. I: S. 1 7 2 - 1 8 0 , 1 8 0 - 1 8 3 , 8 9 5 - 9 0 5 , Bd. II: S. 7 9 - 8 2 .

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Klaus Zernack: Alteuropäische Libertät und moderne Nation. Zur historischen Programmatik Ostmitteleuropas.- In: Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ost-

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von der Erbthronfolge ab und setzte das Wahlprinzip durch, das von monarchischen Staatenunionen ausgeprägt wurde.

VII. »Sermo gentis pro maiori parte Teuthonicus est« Als Glied der böhmischen Länder war Schlesien in eine deutsche Geschichte geraten und nahm an deren kurzen oder langfristigen Veränderungen immer deutlicher teil. Der spätmittelalterliche Erwerb des schlesischen Herzogtums war längst vorbereitet durch den Tatbestand, daß eine Kulturgrenze weiter östlich zu den anderen polnischen Teilfiirstentümern der ehemaligen Piastendynastie verlief und der Abstand zu diesen sich folgerichtig vergrößerte. Mit der verstärkten Anwesenheit von Schlesiern am Luxemburger Hof ist seit König Johann von Böhmen genauso zu rechnen wie mit dem häufigen Aufenthalt des Herrschers in Schlesien, das jetzt unmittelbar von Karl IV. als personenbezogene Einheit beherrscht wurde und Breslau zum drittwichtigsten Reichsort und zweiten großen erbländischen Stadt machte.109 Das zeigt die überproportional erstrangige Besetzung des königlichen Hofrichteramts durch schlesische Räte und Sekretäre unter Karl. Am Anfang der Hofbürokratie und eines gebildeten Beamtentums steht Johann von Neumarkt, Notar und Kanzler des Kaisers, geboren vermutlich in Schlesien. Der Sohn deutscher Stadtbürger machte sich um einen rationalen Verwaltungsstil und die fmhneuhochdeutsche Schriftsprache verdient, auf dem Höhepunkt europäischer Geltung Böhmens. 110 Die dritte und

mitteleuropas. Berichte, Beiträge 1996.- Leipzig: Geisteswiss. Zentrum 1996, S. 19-33; vgl. auch Matthias Weber: Quellen zur ländlichen Geschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit 1: Grundherrschaft und Gutsherrschaft in der Historiographie bis 1945.- In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 6 (1998), S. 117-143; ders.: Quellen zur ländlichen Geschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit 2: Gerichtswesen (Tl. 1).- In: ebd. 7 (1999), S. 83-108; ders.: Quellen zur ländlichen Geschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit 2: Gerichtswesen (Tl. 2). Die Zaude Gerichtsprotokolle (1687).- In: ebd. 8 (2000), S. 33-45; Susanne Gernhäuser: Frühneuzeitliche Armen- und Gesundheitsfürsorge in Breslau. Quellen zur Sozialgeschichte im Staatsarchiv Breslau/Archiwum Panstwowe we Wroclawiu.- In: ebd. 4 (1996), S. 71-83; Carsten Rabe: Der Weg zur ersten schlesischen Hochschule. Zur Vorgeschichte der Breslauer Jesuitenuniversität.- In: ebd. 4 (1996), S. 85-112; Joachim Bahlcke: Corona, corpus, constitutio, confoederatio. Verfassungsideen und Politikmodelle im spätmittelalterlichfrühneuzeitlichen Böhmen.- In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 113 (2005), S. 90-107. 109

110

Johann der Blinde, Graf von Luxemburg, König von Böhmen 1296-1346. Hrsg. von Michel Pauly.- Luxembourg: Section Historique de l'Institut Grand-Ducal de Luxembourg 1997 (= Publications de la section historique de l'Institut grand-ducal; 115); King John of Luxembourg (1296-1346) and the Art of his Era. Proceedings of the International Conference, Prague, September 16-20, 1996.- Prag: Koniasch Latin Press 1998; Studia Luxemburgensia. Festschrift für Heinz Stoob zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Peter Johanek, Friedrich Bernward Fahlbusch.- Warendorf: Fahlbusch 1989 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 1). Vgl. Anfange und Entwicklung der deutschen Sprache im mittelalterlichen Schlesien. Hrsg. von Gundolf Keil, Josef Joachim Menzel.- Sigmaringen: Thorbecke 1995 (= Schlesische For-

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einflußreichste Gemahlin Karls, Anna von Schweidnitz-Jauer, Mutter des Thronfolgers Wenzel, brachte mit Peter Jauer einen Vertrauten der schlesischen Fürstin und den ersten Nichtkleriker in die frühhumanistische Bildungselite des karolinischen Kanzleikreises.111 Da Kaiser Sigismund sein rechtmäßiges Erbe in Böhmen nicht durchsetzen konnte, wurde in der zweitgrößten Stadt der Erblande 1420 eine Reichsversammlung abgehalten, die erste überhaupt östlich der Elbe. Im Kreis der Teilnehmer traten die benachbarten Fürsten, die königliche Gefolgschaft, zwei geistliche Kurfürsten vom Rhein sowie 32 freie und Reichsstädte auf. Zur Abwehr der Hussiten rief der eigens für das Bistum Breslau zuständige päpstliche Legat zum Kreuzzug auf; zwei Jahre später (1422) war Breslau eines der fünf Zentren im Reich, in denen die Reichsmatrikel, eine Kriegssteuer, gesammelt wurde." 2 Nach diesem Gesamtprofil ist das Bündel von Ideen mit einer pointierten Deutung zu verknüpfen. Es muß sich bei Schlesien seit den slawischen Ursprüngen vor dem 11. Jahrhundert um einen attraktiven Landstrich gehandelt haben, der zum Interessensobjekt der jeweils potentesten Macht der Großregion geriet. Ein zweiter Kalkül besteht darin, daß Schlesien von den frühen Spaltungen in der altpiastischen Zeit im 12. Jahrhundert an trotz Getrenntseins seiner Teilfürstentümer doch stets beisammen blieb, was nicht bloß eine Konstante der Natur sein kann, sondern vor der Folie einer Art von Zusammenhörigkeitsgefuhl gesehen werden muß. Obwohl nie politisch selbsttragend, kann es aber gefunden, muß es nicht erst erfunden werden. Eine geschichtliche Individualität und ein gewisser Regionalcharakter lebt über allen regionalen Sonderformen weiter und bewahrt die Ganzheit der zersplitterten Vielfalt. So war es im 14. Jahrhundert mit den Luxemburgern aus dem Maas-Moselländischen, die das Przemyslidische Erbe zur Corona Bohemiae ausbauten; und auch als es die Habsburger, ursprünglich vom Alpennordrand kommend, im 16. Jahrhundert in

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schungen; 6); Nikolaus Gussone: Die Anfange der Schriftkultur in Oberschlesien.- In: Manipulus florum. Aus Mittelalter, Landesgeschichte, Literatur und Historiographie. Festschrift für Peter Johanek zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Ellen Widder u.a.- Münster usw.: Waxmann 2000, S. 341-358; allgemein: Heinz Thomas: Sprache und Nation. Zur Geschichte des Wortes >deutsch< vom Ende des 11. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts.- In: Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Andreas Gardt.Berlin, New York: de Gruyter 2000, S. 47-101. Bernd-Ulrich Hergemöller: Cogor adversum te. Drei Studien zum literarisch-theologischen Profil Karls IV. und seiner Kanzlei.- Warendorf: Fahlbusch 1999 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 7); Eberhard Holtz: Reichsstädte und Zentralgewalt unter König Wenzel 1376-1400.- Warendorf: Fahlbusch 1993 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 4). Itinerar König und Kaiser Sigismunds 1368-1437. Eingel. und hrsg. von Jörg K. Hoensch.- Warendorf: Fahlbusch 1995 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 6); Sigismund von Luxemburg. Kaiser und König in Mitteleuropa 1387-1437. Beiträge zur Herrschaft Kaiser Sigismunds und der europäischen Geschichte um 1400. Hrsg von Josef Macek u.a.- Warendorf: Fahlbusch 1994 (= Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit; 5); Friedrich Bernward Fahlbusch: Städte und Königtum im frühen fünfzehnten Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte Sigmunds vom Luxemburg.- Köln usw.: Böhlau 1983 (= Städteforschung: Reihe A: Darstellungen; 17).

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der Casa de Austria zu ihrer gewaltigen Ländermasse zuschlugen und unter ihrer ungeheuren Titelflut vereinigten, verlief es ähnlich. Sechs Siebtel dieses österreichischen Erblandes annektierte im 18. Jahrhundert mit dem preußischen Friedensbruch Friedrich IL, der eben durch diesen Eroberungserfolg den Beinamen >der Große< erhielt und fur Preußen damit den Rang einer europäischen Großmacht gewann. 113 Im Fürstensaal des Breslauer Rathauses nahm der junge König bereits 1741 die Huldigung der schlesischen Stände entgegen. Diese Angliederung verhalf bis 1763 dem aufstrebenden Königtum zu beträchtlichem Ansehen und dem >alten Fritz< zu einem Zuwachs an Ruhm. Schlesien stieg nach dem Siebenjährigen Kriege zum integralen Bestandteil des friderizianischen Staates und danach des bismarckschen Kaiserreichs auf. Dieses so moderne wie reiche Land bereiste im Jahre 1800 der Diplomat John Quincy Adams mit seiner Frau; der spätere nordamerikanische Präsident berichtete in 42 Briefen an seinen Bruder über die schlesischen Verhältnisse, der die Mitteilungen anonym in der Wochenschrift Port Folio 1801 in Philadelphia veröffentlichte. 114 Ihren erhebendsten Moment aber erfuhr die nunmehrige preußische Provinz, als König Friedrich Wilhelm III. 1813 in Breslau mit dem Aufruf »An Mein Volk« erstmals vor Untertanen die Union von Thron, Staat und Nation beschwor und für den Kampf gegen die französischen Besatzer das >Eiserne Kreuz< stiftete." 5 Vom südöstlichen Rand seines Reiches ging ein entscheidender Impuls zur Befreiung von der Napoleonischen Fremdherrschaft und damit für die Ausbildung eines deutschen Nationalstaates aus, der Schlesien als zweitgrößten Wirtschaftsraum Preußens und Breslau als vierte königliche Hauptstadt der Hohenzollern bis ins 20. Jahrhundert führte. Viele dieser merkwürdigen Belange des Oderlandes sollten auch für Johann Wolfgang von Goethe einen aufschlußreichen Sinn erhalten. Aus Gräbschen vor Breslau schrieb der Weimarische Geheimrat im Jahre 1790 an Johann Gottfried und Karoline Herder über Schlesien: Seit Anfang des Monats bin ich nun in diesem zehnfach interessanten Lande, habe schon manchen Teil des Gebirges und der Ebene durchschritten, und finde, daß es ein sonderbar schönes, sinnliches und begreifliches Ganze [!] macht. 116

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Geschichte Schlesiens. Bd. III: Preußisch-Schlesien 1740-1945. Österreichisch-Schlesien 1740-1918/45. Hrsg. von Josef Joachim Menzel u.a.- Stuttgart: Thorbecke 1999; Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Ergebnisse eines Symposions in Würzburg vom 29. bis 31. Oktober 1987. Hrsg. von Peter Baumgart.- Sigmaringen: Thorbecke 1990 (= Schlesische Forschungen; 4). John Quincy Adams: Letters on Silesia Written During a Tour through that Country in the Years 1800/1801.- London: Budd 1804. Schlesische Privilegirte Staats-, Kriegs- und Friedens-Zeitung von 1742 am 20. März 1813. Brief vom 10. August 1790.- In: Johann Wolfgang von Goethe: Werke. Hrsg. im Auftrag der Großherzogin Sophie von Sachsen (Photomechanischer Nachdruck der Ausgabe Weimar 1887-1919).- München: dtv 1987, Tl. IV/9, Bd. CVIII, S. 218; Heinz Piontek: Goethe unterwegs in Schlesien: fast ein Roman.- Würzburg: Korn 2000.

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Gerade unter geistesgeschichtlichem Gesichtspunkt ist mehr oder weniger jede historische Großepoche mit einer literarischen Persönlichkeit vertreten - ein kultursoziologisch äußerst relevanter Tatbestand der Elitengeschichte Schlesiens." 7 Der schlesische Aufstand der Lohnarbeiter des Leinengewerbes und die militärische Niederschlagung durch die Fabrikunternehmer hat als Sozialkritik an der industrialisierten Welt in Gerhart Hauptmanns Die Weber (1892) eine dramatische Bearbeitung gefunden, die sogar mit dem Literaturnobelpreis gewürdigt wurde. Gustav Freytags Roman Soll und Haben (1855) schilderte den bürgerlichen Kaufmann eines breslauischen Handelshauses sowie die Tugenden seines Handwerks, und zeichnete im scharfen Gegenüber der Schichten das Bild von Aristokratie und Judentum. Der katholische Adelige im preußischen Staatsdienst, Joseph von Eichendorff, verklärte und reflektierte zugleich die >schöne alte Zeit< auf dem schlesischen Schloß in seiner spätromantischen Erzählung Ahnung und Gegenwart (1815). Angelus Silesius, der >Schlesische BoteGrenzmark und Kampfland gegen Osten< in Erinnerung gehalten, verdrängten Wunschvorstellungen die bisherige Gedächtnispflege Breslaus als >Bollwerk und Ausfallstor des DeutschtumsBrücke in Europa< und >Spiegelbild europäischer Geschichten Auf dem XIV. Allgemeinen Polnischen Historikerkongreß trat im Jahr 1999 in Breslau eine Sektion unter dem Titel Umbrüche in der schlesischen Geschichte zusammen. Dabei wurde mit deutscher Beteiligung Schlesien unbestritten und einhellig als »ostmitteleuropäischer Modellfall« herausgestellt, aber eine heftige innerpolnische Kontroverse mündete in die grundsätzliche Forderung zur Revision eines »Polonozentrismus« in der eigenen Historiographie.119 Es galt zu prüfen, ob das Apercu über Polen antemurale et dilatatio christianitatis der Wirklichkeit standhalte. Jede Phase der nationalen Vergangenheit wurde im Lichte archäologischer Ausgrabungen und neuer Quellenfunde befragt und es wurde von anerkannten Theorien Abschied genommen. Der Vorgang christlicher Akkulturation verlaufe größtenteils als Nachahmung und Anpassung an zivilisatorische Standards aus dem Süden und Westen. Als eines der letzten europäischen Völker, später als die Mehrzahl germanischer und romanischer, aber auch vieler slawischer Völker, habe man sich diese konfliktreich durch Vermittler aus dem westlich angrenzenden Deutschland oder südlich anliegenden Böhmen und Ungarn angeeignet. Damit wird auch ein neues Schlesienbild freigelegt, und nicht nur auf dieser einen, der polnischen Seite. Die Schemata der nationalsozialistischen Propaganda und die Stereotypen der deutschen Kulturträgerideologie bilden selbst eine Herausforderung für unsere Mittelalterhistorie. Erst in der fünften Auflage der 118

119

Siehe zum folgenden die programmatische Traditionskritik von Matthias Weber: Über die Notwendigkeit einer Standortbestimmung der historischen Schlesienforschung in Deutschland. Zur Konzeption dieses Buches.- In: Silesiographia. Stand und Perspektiven der historischen Schlesienforschung. Festschrift für Norbert Conrads zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Matthias Weber, Carsten Rabe.- Würzburg: Verein für Geschichte Schlesiens 1998 (= Wissenschaftliche Schriften des Vereins für Geschichte Schlesiens; 4), S. 13-25. Przelomy w historii. XVI Powszechny Zjazd Historyköw Polski. Wrocfaw 15-18 wrzesnia 1999 roku. Pami?tnik [Wendepunkte in der Geschichte. 16. Allgemeiner Historikertag Polens. Breslau 15.-18 September 1999. Erinnerung]. Red.: Krzysztof Ruchniewicz u.a. Bd. I.- Torun: Marszafek 2000; vgl. dagegen Kultura sredniowieczna slqska. Pierwiastki rodzine i obce [Mittelalterliche sehlesische Kultur. Hervorbringende Herrscherhäuser und Fremde]. Hrsg. von Kazimierz Bobowski.- Wroclaw: Wydaw. Uniwersytetu Wroclawskiego 1994 (= Acta Universitatis Wratislaviensis. Historia; 98).

Kulturgeschichte

Schlesiens in der Frühen Neuzeit

43

bis vor kurzem noch maßgeblichen Geschichte Schlesiens von 1988 sind einige Passagen nicht mehr zu lesen, die Hermann Aubin in der Zwischenkriegszeit verfaßt hatte.120 Dort hieß es sinngemäß unter anderem, Oberschlesien sei ein Rassen-Knotenpunkt, an dem das slawische Volkstum nicht über jene Antriebskräfte verfügt habe, das germanische Erbgut zur organischen Höherentwicklung zu führen.121 Einer solch parteiisch-völkischen Doktrin ist nicht nur vehement entgegengetreten worden, vielmehr wurden seitdem die evidenten Wechselwirkungen zwischen Sclavonia und Germania im früheren Mittelalter unterstrichen. Am Berliner Institut fiir vergleichende Geschichte Europas im Mittelalter tagte unlängst ein Kolloquium zum Millennium des >Aktes von GnesenTeil Europas von spezifischer Eigenart< repräsentiert.126 Von diesem weitgreifenden Standpunkt aus werden die historische Regionen in der von Hartmut Boockmann u.a. herausgegebenen Deutschen Geschichte im Osten Europas (10 Bde., Berlin 1992-1999) dargeboten. Der Begriff dient weniger der Orientierung im geographischen Raum, als der Strukturierung der osteuropäischen Geschichte insgesamt.127 Diese Großregion bezeichnet jene nicht klar abgrenzbare Berührungszone im Osten der kontinentalen Mitte. In der Vergangenheit dieses Verbindungsraums gibt es tatsächlich Überschichtungserscheinun-

faw Tomala: Deutschland - von Polen gesehen. Zu den deutsch-polnischen Beziehungen 1945-1990.- Marburg/L.: Schüren 2000; Andreas R. Hofmann: Die Nachkriegszeit in Schlesien. Gesellschafts- und Bevölkerungspolitik in den polnischen Siedlungsgebieten 1945-1948.- Köln usw.: Böhlau 2000 (= Beiträge zur Geschichte Osteuropas; 30); Till van Rhaden: Juden und andere Breslauer. Die Beziehungen zwischen Juden, Protestanten und Katholiken in einer deutschen Großstadt von 1860 bis 1925.- Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2000 (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 139); Erfahrungen der Vergangenheit: Deutsche in Ostmitteleuropa in der Historiographie nach 1945. Hrsg. von Jerzy Kloczowski.- Marburg/L.: Herder-Institut 2000 (= Tagungen zur OstmitteleuropaForschung; 9); Deutschlands Osten, Polens Westen. Vergleichende Studie zur geschichtlichen Landeskunde. Hrsg. von Matthias Weber.- Frankfurt/Main: Lang 2001 (= Mitteleuropa - Osteuropa; 2). 125

David Nicholas: The Transformation Europe 1300-1600.- London usw.: Arnold 1999 (= The Arnold History of Europe); Jean W. Sedlar: East Central Europe in the Middle Ages 1000-1500.- Seattle usw.: University of Washington Press 1994 (= A History of East Central Europe; 3); Lonnie R. Johnson: Central Europe. Enemies, Neighbors, Friends.- New York, Oxford: Oxford University Press 1996; Christian Lübke: Die Prägung im Mittelalter: frühe ostmitteleuropäische Gemeinsamkeiten.- In: Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in vergleichender Absicht. Hrsg. von Frank Hadler.- Leipzig: Universitäts-Verlag 1998 (= Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung; 8/5), S. 14-24; Karen Lambrecht: Zentrum und Kommunikation - Ostmitteleuropäische Metropolen im Vergleich (ca. 1450-1550).- In: ebd., S. 2 5 - 3 8 ; Krakau, Prag und Wien. Funktion von Metropolen im frühmodernen Staat. Hrsg. von Marina Dmitrieva, Karen Lambrecht.- Stuttgart: Steiner 2000 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur im östlichen Mitteleuropa; 10).

126

Werner Conze: Ostmitteleuropa: von der Spätantike bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. mit einem Nachwort von Klaus Zernack.- München: Beck 1992; vgl. auch Studienhandbuch Östliches Europa. Bd. I: Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas. Hrsg. von Harald Roth.Köln usw.: Böhlau 1999; siehe dagegen: Günther Elze: Breslau. Biographie einer deutschen Stadt.- Leer: Rautenberg 1993; Will-Erich Peuckert: Schlesien. Biographie einer Landschaft.- Hamburg: Ciaassen 1950.

127

Vgl. jetzt: Histoire de l'Europe du Centre-Est. Hrsg. von Natalia Aleksiun, Daniel Beauvois, Marie-Elizabeth Ducreux.- Paris: Presses Univ. de Frances 2004 (= Collection Nouvelle Clio); Thomas da Costa Kaufmann: Höfe, Klöster und Städte. Kunst und Kultur in Mitteleuropa 1450-1800.- Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1998; Wolfgang Braunfels: Grenzstaaten im Osten und Norden: deutsche und slawische Kultur.- München: Beck 1985 (= Kunst im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation; 5).

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gen, aber ebenso viele Abgrenzungen.128 Insbesondere an den westlichen Rändern in Bereichen der sog. Neustammbildung sind zahlreiche Angleichungsvorgänge an das Altsiedelland zu beobachten. Gerade fiir die historischen deutschen Ostprovinzen gewinnen derzeit auch vergleichende landesgeschichtliche Vorhaben an Bedeutung. Unter Beibehaltung dieses Bezugs wird aber nicht eine gängige Heimatkunde im neuen Gewände wiederbelebt, die sich in den Fängen lokaler Details zu verlieren droht.129 Die historische Region steht als Grundeinheit im Mittelpunkt einer Analyse, die zum einen die unterschiedlichen Voraussetzungen mitbedenkt, zum anderen auch die räumliche Differenzierung als Charakteristikum vergangener Gesellschaften versteht.130 So werden neue Referenzpunkte inner- und außerhalb der Geschichtskulturen Ostmitteleuropas ermittelt, um damit die bislang noch vielfach dominante Relation zu Volksgruppe und Staat ersetzen zu können. Eine solche Revision des regionenbezogenen Zugriffs suche nach Matthias Weber zwar nicht mehr nach der deutschen, polnischen oder tschechischen, doch ebenso wenig nach der hussitischen, katholischen oder protestantischen Dimension in der Geschichte und Kultur. Er betrachtet den Zustand eines Raumes mit seinen Bewohnern zu einer Zeit und hat zwangsläufig den historischen Befund zu akzeptieren. Der verhältnismäßig konstante Faktor Landschaft müsse den Rahmen für die historische Betrachtung abgeben, hatte schon der Altmeister der hergebrachten geschichtlichen Landeskunde Ludwig Petry gefordert.131 Eine virtuelle Geschichte könnte nun etwa fragen, ob das Ausbleiben eines oberschlesischen Sonderweges, das als Oppelner Land an vielen Austausch-, Durchdringungs- und Verdichtungsvorgängen nur bedingt und verzögert teilnahm, und die damit entstehende größere Einheit Gesamtschlesien eine entschei-

128

Allgemein dazu: Jean-Pierre Arrignon: Ränder und Grenzen Europas - eine geopolitische Betrachtung.- In: Die Wiederentdeckung Europas. Ein Gang durch Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Ludger Kühnhardt, Michael Rutz.- Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999, S. 1 3 6 - 1 4 8 ; Grenzen und Raumvorstellungen ( 1 1 . - 2 0 . Jahrhundert). Hrsg. von Guy P. Marchai.- Zürich: Chronos 1996 ( = C l i o Lucernensis; 3); Grenzen erkennen - Begrenzungen überwinden. Festschrift fur Reinhard Schneider zu seinem 65. Geburtstag. Hrsg. von Wolfgang Haubrichs u.a.- Sigmaringen: Thorbecke 1999.

129

Wolfgang Schmale: Historische Komparatistik und Kulturtransfer. Europageschichtliche Perspektiven für die Landesgeschichte. Eine Einfuhrung unter besonderer Berücksichtigung der Sächsischen Landesgeschichte.- Bochum: Winkler 1998 (= Herausforderungen. Historisch-politische Analysen; 6).

130

Bernd Schönemann: Die Region als Konstrukt. Historiographiegeschichtliche Befunde und geschichtsdidaktische Reflexionen.- In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 135 (1999), S. 1 5 3 - 1 8 0 .

131

Ludwig Petry: In Grenzen unbegrenzt. Möglichkeiten und Wege der geschichtlichen Landeskunde (1961).- In: Probleme und Methoden der Landesgeschichte. Hrsg. von Pankraz Fried.- Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1978 (= W e g e der Forschung; 492), S. 2 8 0 304; ders.: Schlesien im Wechsel kultureller Rand- und Binnenlage.- In: D e m Osten zugewandt. Gesammelte Aufsätze zur schlesischen und ostdeutschen Geschichte.- Sigmaringen: Thorbecke 1983 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte; 22), S. 4 5 - 6 5 ; ders.: Breslau in der schlesischen Städtelandschaft des 16. Jahrhunderts.- In: ebd., S. 3 0 5 320.

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Andreas

Rüther

dende Rolle als ostmitteleuropäische Großreichbildung eingenommen hätte. Gestattet sei einmal dieses Experiment einer kontrafaktischen Geschichtsschreibung, der Frage also, was geschehen wäre, wenn Oberschlesien keine Teilung von, sondern eine Vereinigung mit Mittel- und Niederschlesien (die beide frühzeitig mit dem Namen Schlesien in Verbindung gebracht werden) vollzogen hätte. Eine solche Operation könnte auch sinnvoll im Vergleich zur westlichen Übergangszone, dem Länderkomplex Burgund erscheinen, wo gewisse Parallelen hinsichtlich des fortgeschrittenen Auseinanderstrebens eines Herzogtums einerseits sowie der Verflechtung seiner Zusammenhänge andererseits festzustellen sind.132 Zwar fehlte es der burgundischen Gruppe analog zum schlesischen Beispiel nicht an einer starken übergreifenden herzoglichen Gewalt, doch gingen die zusammengesetzten Territorien zu Lehen unterschiedlicher größerer Nachbarn, dem französischen und deutschen König, und bildeten dennoch ein eigenes Landesbewußtsein aus. Zudem zeichnete die ungleichen Teilgebiete ein wesentlich höherer Entwicklungsstand aus. Freilich geschah im Südwesten die Umformung zu einem frühmodernen Flächenstaat; auch Schlesien hätte womöglich unter Matthias Corvinus ein L a boratorium innovativer Ansätze< werden können, aber alle Konjekturen in diese Richtung bewegen sich für diese früheste Zeit realiter auf quellenarmer Grundlage.133 Die hoffnungsvolle Erwartung brach zwar durch dynastischen Zufall jäh ab, doch hätte Schlesien nicht auch machtpolitischer Entscheidungsraum der Randzone Zentraleuropas werden können? Die Städtedichte, in derartigen Relationen an Gebiete im Zentrum Europas erinnernd, zeichnet eine markante kulturelle Grenze nach Osten jedenfalls nach.134 Aber eine Antwort auf die Frage, zu welchem Verlauf andere Entscheidungen und Bedingungen als die gefallenen bzw. gegebenen hätten fuhren können, bleibt schwierig bzw. gar unmöglich. 132

133

134

Ferdinand Seibt: Landesherr und Stände in Westmitteleuropa am Ausgang des Mittelalters.- In: Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa. Hrsg. von Hugo Weczerka.Marburg/L.: Herder-Institut 1995 (= Historische und landeskundliche OstmitteleuropaStudien; 16), S. 11-22; vgl. auch Norbert Conrads: Südwestdeutschland und Schlesien. Historische Kontakte und Bindungen.- In: Weit in die Welt hinaus ... Historische Beziehungen zwischen Südwestdeutschland und Schlesien. Ausstellungskatalog. Hrsg. vom Haus der Heimat Baden-Württemberg. Bearb. von Annemarie Röder u.a.- Calw: Druckzentrum 1998, S. 1-12. Gottfried Schramm: Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit.- In: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.-18. Jahrhundert. Hrsg. von Joachim Bahlcke u.a.- Leipzig: Universitäts-Verlag 1996 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa), S. 13-38; Winfried Eberhard: Ständische Strukturen in Ostmitteleuropa. Problemstellungen und Thesen (Eine vorläufige Diskussionsbilanz).- In: ebd., S. 311-318. Paul Knoll: Economic and Political Institutions on the Polish-German Frontier in the Middle Ages: Action, Reaction, Interaction.- In: Medieval Frontier Societies. Hrsg. von Robert Bartlett, Angus MacKay.- Oxford: Clarendon Press 1989, S. 151-174; Mittelalterliche Nationes - neuzeitliche Nationen. Probleme der Nationenbildung in Europa. Hrsg. von Almut Bues, Rex Rexheuser.- Wiesbaden: Harrassowitz 1995 (= Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien; 2); Henryk Samsonowicz: Polens Platz in Europa. Übers, von Michael G. Esch.- Osnabrück: fibre 1997 (= Klio in Polen; 4).

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W i e aktuell eine solche Beschäftigung mit dem grundsätzlichen Ineinandergreifen von Großeinheiten und Kleinräumen ist, zeigt auch ein Gedanke aus d e m Zeitalter der Globalisierung. In seiner R e d e bei der Verleihung des europäischen Karlspreises z u A a c h e n am 2. Juni 2 0 0 0 meinte der Präsident der Vereinigten Staaten v o n Amerika, William Jefferson Clinton: Europa hört wieder alte Namen - Katalonien, Piemont, Lombardei, Schlesien, Transsylvanien, Ruthenien - , diesmal aber nicht im Namen des Seperatismus, sondern des Stolzes auf das große Erbe. Nationale Souveränität wird mit dem Leben der Regionen angereichert. 135 D a s U m g e h e n mit derartigen Unterebenen erscheint g l e i c h s a m konstitutiv für eine Gesamtgeschichte dieses kleinsten (Halb-)Kontinents der Erde. Z w i s c h e n den Kernen des slawischen und des germanischen Kulturkreises war Schlesien beiden in unterschiedlichem M a ß e zugehörig b z w . abgewandt und widersprach einfachen Festlegungen v o n Raum und Volk, w e l c h e die Gravitationszentren im Süden, Westen, N o r d e n und Osten herantrugen. D o c h keines der beteiligten vier Länder, Staaten und Nationen vermag die Geschichte Schlesiens als tragende Säule der eigenen polnischen, tschechischen, österreichischen oder deutschen Historie zu schreiben. 1 3 6 Für die gegenwärtige Generation ist Schlesien ein unklarer B e g r i f f des vergangenen Deutschlands geworden. In Zukunft wird schlesische Geschichte mehr als nur das Zusammenzählen v o n Erinnerungen an diese sein.

135

136

http://www.karlspreis.de/portrait/2005_5.html (15.04.2005); vgl. auch: Der Raum als Wille und Vorstellung. Erkundungen über den Osten Europas. Themenheft der Zeitschrift Osteuropa, H. 3 (2005). Vgl. Dzieji Polski poznosredniowiecznej (1370-1506) [Geschichte des spätmittelalterlichen Polen]. Hrsg. von Krzysztof Baczkowski.- Krakow: Fogra 1999 (= Wielka Historia Polski; 3); Norman Davies: Im Herzen Europas. Geschichte Polens.- München: Beck 2000, S. 254-282, 468-470; ders.: Europe. A History.- Oxford: University Press 1996; ders.: Heart of Europe. A Short History of Poland.- Oxford: University Press 1984; ders.: God's Playground. A History of Poland. Bd. I—II.— Oxford: University Press 1981; Andrea Schmidt-Rösler: Polen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart.- Regensburg: Pustet 1996 (= Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker); Jörg K. Hoensch: Geschichte Polens. 2. Aufl.- Stuttgart: Ulmer 1990; ders.: Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis ins 20. Jahrhundert. 3. Aufl.- München: Beck 1997; Slezsko ν Dejinäch Ceskeho statu [Schlesien in der Geschichte des böhmischen Staates]. Hrsg. von Mecislav Boräk.- Opava: Tilia 1998; Böhmisch-österreichische Beziehungen im 13. Jahrhundert. Österreich (einschließlich Steiermark, Kärnten und Krain) im Großreichsprojekt Ottokars II. Pfemysl König von Böhmen. Vorträge des internationalen Symposions vom 26. bis 27. September 1996 in Znaim. Hrsg. von Marie Blähovä, Ivan Hlaväcek.- Prag: Philosophische Fakultät der Karls-Universität 1998; Österreichische Geschichte 1122-1278. Die Länder und das Reich. Der Ostalpenraum im Hochmittelalter. Hrsg. von Heinz Dopsch u.a.- Wien: Ueberreuter 1999; Karl Vocelka: Geschichte Österreichs. Kultur, Gesellschaft, Politik.- Graz usw.: Styria 2000; Georg Schmidt: Geschichte des Alten Reichs. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806.- München: Beck 1999; Jürgen Kocka: Das östliche Europa als Herausforderung ftir eine vergleichende Geschichte Europas.- In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 49 (2000), S. 159-174; Manfred Alexander: Oberschlesien im 20. Jahrhundert - eine mißverstandene Region.- In: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), S. 465-489.

Karen

Lambrecht

Die Funktionen der bischöflichen Zentren Breslau und Olmütz im Zeitalter des Humanismus

Breslau und Olmütz in einem Atemzug zu nennen, scheint auf den ersten Blick vermessen,1 bildete doch um 1500 die wirtschaftlich starke Großstadt Breslau mit ungefähr 20 000 Einwohnern auf etwa 60 ha Grundfläche das unbestrittene Zentrum Schlesiens,2 während das mährische Olmütz3 auch auf regionaler Ebene stets gegen Konkurrenz - vor allem zu Brünn - anzukämpfen hatte. Olmütz zählte auf 46,5 ha wohl kaum über 5000 Bewohner. Breslau hatte neun, auch überregional bekannte Schulen wie das Elisabeth- und das Magdalenen-Gymnasium; in Olmütz wurde dagegen erst 1469 neben der Domschule eine zweite höhere, diesmal städtische Schule errichtet. Die Grundlage für einen symmetrischen Vergleich4 liefert jedoch die - angesichts der unterschiedlichen äußeren Rahmenbedingungen - überraschende Tatsache, daß das zu den böhmischen Ländern gehörende schlesische Breslau und das mährische Olmütz in der zweiten Hälfte des 15. und in der ersten des

2

3

4

Ein vergleichender Ansatz jedoch bereits bei Peter Wörster: Breslau und Olmütz als humanistische Zentren vor der Reformation.- In: Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa vor der Reformation. Hrsg. von Winfried Eberhard, Alfred A. Strnad.- Köln usw.: B ö h l a u l 996, S. 215-228. Schlesisches Städtebuch. Hrsg. im Institut fiir vergleichende Städtegeschichte an der Universität Münster von Heinz Stoob und Peter Johanek in Verbindung mit der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen Bonn. Bearb. von Waldemar Grosch unter Mitarbeit von Heinz Stoob u.a.- Stuttgart: Kohlhammer 1995 (= Deutsches Städtebuch. Neubearbeitung; 1), S. 17-48; Hugo Weczerka: Breslaus Zentralität im ostmitteleuropäischen Raum um 1500.In: Metropolen im Wandel - Zentralität in Ostmitteleuropa an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit. Hrsg. von Evamaria Engel u.a.- Berlin: Akademie-Verlag 1995, S. 245-262. Den neuesten Überblick zur Stadtgeschichte bei Josef Späüil, Franz Machilek: Olmütz.- In: Handbuch der historischen Stätten. Böhmen und Mähren. Hrsg. von Joachim Bahlcke u.a.Stuttgart: Kröner 1997, S. 4 2 0 - 4 3 1 ; Vaclav Nespor: Dejiny Olomouce [Geschichte von Olmütz].- Brno: Musejni spolek 1936, 2. Aufl. Olomouc: Votobia 1998. Zu verschiedenen Aspekten vgl. den umfangreichen Ausstellungskatalog: Od gotiky k renesanci. Vytvarnä kultura Moravy a Slezska 1400-1550. III. Olomoucko [Von der Gotik zur Renaissance. Bildkultur in Mähren und Schlesien], Hrsg. von Ivo Hlobil, Marek Perütka.- Olomouc: Muzeum umeni Olomouc 1999. Zum Bistum neuerdings Winfried Eberhard: (Erz-)Bistum Olmütz (tschech. Olomouc).- In: Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfangen bis zur Säkularisation. Hrsg. von Erwin Gatz unter Mitwirkung von Clemens Brodkorb und Helmut Flachenecker.- Freiburg i.Br.: Herder 2003, S. 510-528. Zu den Grundlagen komparativen Arbeitens vgl. Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in vergleichender Absicht. Hrsg. von Frank Hadler.- Leipzig: Universitäts-Verlag 1998 (= Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung; 5).

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Karen

Lambrecht

16. Jahrhunderts eine in Ostmitteleuropa einzigartige und durchaus gleichgewichtige Kombination von humanistischer Gelehrsamkeit, Landesbeschreibung, Geschichtsschreibung sowie Gelegenheitsschrifttum, und hier besonders das Stadtlob, aufweisen.5 Eine vergleichende Analyse der Bedingungen, unter denen diese typisch humanistischen Literaturformen in den beiden städtischen Zentren entstanden, soll den Blick öffnen sowohl für die Funktionen, die diese Literaturformen innerhalb der Städte übernahmen,6 als auch für die Funktion der beiden Städte im ostmitteleuropäischen Raum selbst. Breslau und Olmütz lagen nämlich beide als städtische und kirchliche Unterzentren zwischen dem Dreieck der ostmitteleuropäischen Metropolen Krakau, Prag und Wien. Im Vergleich zu diesen fehlten Breslau und Olmütz im Untersuchungszeitraum allerdings die beiden für die gelehrte Kommunikation wichtigen Institutionen Universität und Hof, die verschiedene öffentliche Kreise bildeten. Diese Kreise konnten sich in den Zentren überschneiden und so kulturellen Transfer besonders begünstigen.7 Beide Städte müssen also als Zentren zweiter Ordnung bezeichnet werden. Welche Funktionen hatten diese Städte dennoch, so ist zu fragen, für die sie

Vgl. die grundlegende und mit reichhaltiger weiterführender Literatur versehene Dissertation von Peter Wörster: Humanismus in Olmütz. Landesbeschreibung, Stadtlob und Geschichtsschreibung in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.- Marburg: Elwert 1994 (= Kultur- und geistesgeschichtliche Ostmitteleuropa-Studien; 5) sowie die Arbeiten von Hans-Bernd Harder: Zentren des Humanismus in Böhmen und Mähren.- In: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Hrsg. von August Buck u.a. Bd. II.- Hamburg: Hauswedell 1981 (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung; 9), S. 157-162; ders.: Die Landesbeschreibung in der Literatur des schlesischen Frühhumanismus.- In: Landesbeschreibungen Mitteleuropas vom 15. bis 17. Jahrhundert. Hrsg. von dems.- Köln usw.: Böhlau 1983 (= Vorträge der 2. internationalen Tagung des >SlawenkomiteesVorreden< als Oberbegriff fur alle Texte auf den ersten Seiten eines Buches und Widmungen, die ich ebenfalls als Vorreden bezeichnen möchte, da sie sich an einen namentlich genannten Adressaten wenden und damit eine Untergruppe der Vorreden darstellen.

Die Funktionen der bischöflichen Zentren Breslau und Olmütz

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Renaissance45 von Gustav Bauch erscheint der Name Johann Thurzö in sieben Drucken als Widmung (Nr. 35, 62, 63, 71, 103, 123, 143), als Auftraggeber (Nr. 150) oder in einem Trauergedicht (Nr. 147). Der Bischof forderte auch überregional gerade Literaten aus Mähren. Stephan Taurinus (Stieröxel) aus Olmütz widmete Johann Thurzö seine fünf Bücher Servilis belli Pannonice (Stauromachia) über den ungarischen Bauernaufstand von 1514. Dieses Werk war nach Aufforderung Johanns entstanden, da die Familie durch den Krieg großen Schaden erlitten hatte.46 Er gab Taurinus auch den Auftrag zur Herausgabe der Korrespondenz des 1513 verstorbenen Augustinus Moravus, allerdings wurde dieser Auftrag durch den Tod Thurzös nicht zur Ausführung gebracht. Johann Thurzös Fähigkeit, Talente zu erkennen und in seine Dienste zu nehmen, sorgte damit für eine Verbindung Schlesiens mit seinen regionalen Kontaktzonen. Die von ihm Geforderten schickte Thurzö zum Studium meist nach Krakau, aber auch an die als sehr fortschrittlich geltende Universität Wittenberg. Bei ihrer Rückkehr traten diese jungen Leute dann in kirchliche oder auch in schulische Dienste und sorgten so für einen Rücktransfer des erworbenen Wissens. Ohnehin bildete das Schulwesen einen Schwerpunkt von Thurzös Reformwillen, was u.a. auf der Synode von 1511 zum Ausdruck kam. Für die Leitung der Kathedral-, Kollegiats- und Pfarrschulen seien nur gelehrte und geeignete Männer auszuwählen und anzunehmen, die sich vor allem um die Studien kümmern sollten und die darüber hinaus von ihren früheren Rektoren und Pfarrern Zeugnisse über Lebenswandel und Achtung der guten Sitten beibrächten. 47 1517 berief man fur die Domschule Ambrosius Moibanus, der in Krakau und Wien studiert hatte. Er unterrichtete in Breslau als erster Griechisch und Hebräisch, gab eine Briefsammlung von Erasmus heraus und schrieb eine eigene lateinische Grammatik. Thurzös Bemühungen beschränkten sich dabei nicht auf Breslau, sondern von hier aus besetzte er auch Stellen in Neisse, wie etwa den späteren Schwenckfeldianier Valentin Krautwald, in Liegnitz, wo 1526 die Ritterakademie entstand, und Goldberg, wo er der Schule Benefizien übertrug. 48 Der Humanist und Begründer der bekannt gewordenen, modernen und humanistisch ausgerichteten Goldberger Schule, Hieronymus Gürtler von Wildenberg, widmete seinem Förderer Thurzö 1511 seine lateinische Grammatik. 49

45

46 47 48

49

Gustav Bauch: Bibliographie zur schlesischen Renaissance (1475 bis 1521).- In: Silesiaca. Festschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens zum siebzigsten Geburtstage seines Präses Colmar Grünhagen.- Breslau: Morgenstern 1898, S. 145-186. Wotke: Thurzö (Anm. 15), S. 351. Nach Otto, S. 48, zit. bei: Hoffmann/Engelbert: Aufzeichnungen (Anm. 31), S. 128. Der aus Neisse stammende Krautwald wurde 1509 Rektor in Neisse und trat 1514 in die bischöfliche Kanzlei ein. Günther Dippold: Der Humanismus im städtischen Schulwesen Schlesiens.- In: Humanismus und Renaissance in Ostmitteleuropa (Anm. 1), S. 229-244, S. 237. - Zu Goldberg vgl. Gustav Bauch: Drei Denkmäler zur älteren schlesischen Schulgeschichte.- Breslau: Grass, Barth & Comp. 1901, S. 11-15. Gürtler kam 1504 an die Goldberger Schule. Er veröffentlichte eine Reihe von Büchern. Die Thurzö gewidmete lateinische Grammatik erschien zuerst 1511 in Leipzig, weitere Auflagen folgten, so etwa Hieronymus Gürtler von Wildenberg: Hieronymi Cingularij Aurimontani artis Grammatice observationes: ad divum Joannem Turzo Vratislavianorum

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Karen Lambrecht D i e wichtigste W i d m u n g für Stanislaus war sicher die v o n Erasmus besorgte

A u s g a b e der Naturgeschichte des Plinius v o n 1525. 5 0 1532 w i d m e t e Erasmus ihm ein weiteres Werk. N e b e n den lokalen Humanisten w i e Johann Slechta v o n Wsehrd, Augustinus Moravus und Johann Dubravius erhielt der Olmützer Bis c h o f auch u.a. W i d m u n g e n v o n seinem Lehrer, d e m Krakauer Humanisten Matthias v o n M i e c h o w mit seiner Schrift Tractatus

de duabus

Sarmatiis,

sowie

v o n Beatus Rhenanus und Johann Fabri. 51 Während Johann also mit d e m A u s b a u des S c h u l w e s e n s ein verstärktes A u genmerk auf die Verbreitung humanistischer Gelehrsamkeit im Alltag und in der R e g i o n richtete, entstand in Olmütz 1503 in Verbindung mit W i e n die Sodalitas Maierhoviana

oder Marcomannica

als ein eher eigenständiger Kreis. Soda-

litäten galten als neue Kommunikationsform, die den Z w e c k e n einer N e u f o r m u n g des Geisteslebens entsprach. D i e Phase der Kreativität und der Selbstorganisation ging allerdings mit den 1620er Jahren z u Ende. A u c h w e n n eine regelrechte Institutionalisierung w i e bei allen Sodalitäten 5 2 in Olmütz

fraglich

ist, scheint es d o c h ein starkes Gruppenbewußtsein g e g e b e n z u haben, s o w i e es sich durch die Personenaufzählungen etwa bei Stephan Taurinus ( 1 5 1 9 ) , Georg Sibutus ( 1 5 2 8 ) und S i m o n Ennius ( 1 5 5 0 ) z e i g e n läßt. V o n den 118 z u m Humanistenkreis z u rechnenden Teilnehmern kann rund ein Fünftel als Nichtmährer identifiziert werden, 5 3 v o n denen wiederum die meisten aus Schlesien stammten. Hinzu k o m m e n gelegentliche B e s u c h e berühmter Humanisten w i e Konrad

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Presulem [...]. Contenta in hoc libro. De facili partiumorationis cognitione opusculum unu, De etymolgia dictionum Libellus unus [...].- Lipsi: Wolfgangus Monacenis 1515, [104] Bl., 2 Teile (Universitätsbibliothek München: 4° Philol. 577). Vgl. Gustav Bauch: Hieronymus Gürtler von Wildenberg. Der Begründer der Goldberger Particularschule. Ein Beitrag zur Schulgeschichte des deutschen Ostens im XVI. Jahrhundert.- In: Zeitschrift des Vereins fur Geschichte und Alterthum Schlesiens 29 (1895), S. 159-196. Wotke: Thurzo (Anm. 15), S. 379. Vgl. eine erste Aufstellung bei Wörster: Humanismus (Anm. 5), S. 35-36. Allgemein zu Sodalitäten vgl. Gerhard Hummel: Die humanistischen Sodalitäten und ihr Einfluß auf die Entwicklung des Bildungswesens der Reformationszeit.- Leipzig: Edelmann 1940; Heinz Entner: Was steckt hinter dem Wort sodalitas litterarid! Ein Diskussionsbeitrag zu Conrad Celtis und seinen Freundeskreisen.- In: Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung. Hrsg. von Klaus Garber, Heinz Wismann. Bd. II.- Tübingen: Niemeyer 1996 (= Frühe Neuzeit; 27), S. 1069-1101; zum polnischen Humanismus vgl. Der polnische Humanismus und die europäischen Sodalitäten. Akten des polnisch-deutschen Symposions vom 15.-19. Mai 1996 im Collegium Maius der Universität Krakau. Hrsg. von Stephan Füssel, Jan Pirozyhski.- Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (= Pirckheimer-Jahrbuch; 12); Christian d'Elvert: Die gelehrten Gesellschaften in Mähren und Österreich-Schlesien.- Brünn: Rohrer 1853 (= Schriften der Historisch-statistischen Section der k.k. mährisch-schlesischen Gesellschaft; 5), S. 102-135. Neben den Arbeiten von Peter Wörster zum Olmützer Humanismus vgl. neuerdings Franz Machilek: Der Olmützer Humanistenkreis.- In: Der polnische Humanismus (wie oben), S. 111-135. Peter Wörster: Der Olmützer Humanistenkreis unter Stanislaus Thurzö.- In: Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern. Hrsg. von Hans-Bernd Harder, Hans Rothe.Köln usw.: Böhlau 1988 (= Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien; 11), S. 39-60; Wörster: Humanismus (Anm. 5), S. 43.

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Celtis, Johannes Cuspinian, Ulrich Hutten, Rudolf Agricola d.J. und Vadian. Dadurch konnte die durch den Hussitismus und seine Folgen verursachte geistige Isolation durchbrochen werden und es verstärkten sich besonders die Beziehungen zu Wien. Daß der Einzugsbereich der Universitäten auch Kommunikationsräume darstellt, läßt sich durch die zunehmende Zahl von in Wien studierenden Olmützern belegen, auch wenn Krakau noch insgesamt mehr frequentiert wurde. In Krakau studierten von 1450-1499 67 und von 1500-1550 74 Olmützer, in Wien 1450-1499 24 und dann aber bis 1550 65, wobei der Schwerpunkt mit 27 Studenten in den Jahren 1500-1520 lag. Prag spielte keine Rolle.54 Die Schlesier orientierten sich ebenfalls an den Universitäten Krakau und Wien, allerdings nach der Reformation auch stark an den protestantischen Universitäten Wittenberg und Frankfurt/Oder.55 Integriert in den Olmützer Gelehrtenkreis waren selbstverständlich auch die Vertreter des städtischen Humanismus, der sich jedoch im Gegensatz zu Breslau nicht als ein eigenständig bedeutender Faktor herausbilden konnte. Der städtische Humanismus in Breslau, als dessen Hauptvertreter sicherlich Lorenz Rabe - latinisiert Laurentius Corvinus (um 1465-1527) - zu gelten hat, hatte wie der kirchliche seine Schwerpunkte im Schulwesen und entsprechend zur bischöflichen Kanzlei im Stadtschreiberwesen. Corvinus war seit 1497 Rektor der Elisabethschule und seit 1502 Breslauer Stadtschreiber. Er verfaßte häufig gedruckte Schulbücher und war der erste Lehrer, der nachweislich mit seinen Schülern antike Theaterstücke aufführte, und zwar bereits 1500 im Breslauer Rathaus.56 Zur Institutionalisierung eines gelehrten Zentrums gehörte um 1500 darüber hinaus der Ausbau der Produktion von Medien der Kommunikation, also des Buchwesens. Der erste Buchdrucker Schlesiens war der aus Glogau stammende Kaspar Elyan (um 1435-I486). 57 Mit Unterstützung des Breslauer Domkapitels, 54

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Wörster: Humanismus (Anm. 5), S. 44; Miroslav True: Jagellonskä Universita a Ceske zem ν 15. a 16. stoleti [Die Jagiellonenuniversität und die böhmischen Länder im 1 5 . - 1 6 . Jahrhundert].- In: Acta Univ. Carolinae - Historia Universitatis Pragensis. Sbomik prispivkü k 600. vyroci Jagellonske university ν Krakove [Gesammelte Beiträge zum 600. Jahrestag der Jagiellonenuniversität Krakau] 5 (1964), S. 1 3 5 - 1 6 3 , hier S. 163; Karen Lambrecht: Die Funktion der Universitäten Krakau, Prag und Wien im werdenden Staat.- In: Krakau, Prag und Wien. Funktionen von Metropolen. Hrsg. von Marina Dmitrieva, Karen Lambrecht.- Stuttgart: Steiner 2000 (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; 10), S. 2 0 5 - 2 2 4 . Ursula Hielscher. Schlesier an der Universität Wien in der Zeit von 1365 bis 1658/59.- In: Zeitschrift für Ostforschung 11 (1962), S. 6 4 8 - 6 7 3 ; Karen Lambrecht: Die kulturellen Beziehungen zwischen den oberschlesischen Städten und den Metropolen Ostmitteleuropas im Zeitalter von Humanismus und Renaissance.- In: Stadtgeschichte Oberschlesiens vom Mittelalter bis zum Vorabend der Industrialisierung. Im Auftrag der Stiftung Haus Oberschlesien hrsg. von Thomas Wünsch.- Berlin: Mann 1995 (= Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien; 4), S. 1 9 5 - 2 1 5 . Acta Capituli Wratislaviensis 1 5 0 0 - 1 5 6 2 . Die Sitzungsprotokolle des Breslauer Domkapitels in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bearb. von Alfred Sabisch. Bd. 1/1: 1 5 0 0 1513.- Köln usw.: Böhlau 1972, S. 10. Der aus Glogau stammende Elyan (um 1 4 3 5 - 1 4 8 6 ) hatte in Leipzig, Krakau und Erfurt studiert. Karl Dziatzko: Caspar Elyan, Breslaus erster Drucker.- In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 15 (1880), S. 1 - 3 2 ; 16 (1882), S. 2 9 1 - 2 9 7 ; 19

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dem unter anderen der Rektor der Universität Krakau, Nikolaus Tempelfeld (vor 1414-1474), 5 8 und der größte Büchersammler Schlesiens, Nikolaus Merboth (vor 1461-1501), angehörten, setzte er in Breslau eine Druckerei ein. Hier druckte er überwiegend fur den Bedarf des Klerus, so als erstes 1475 das Offizium der Synode. Es enthält zugleich die ersten gedruckten polnischen 59 und tschechischen 60 Worte in den Gebetstexten. 1482 druckte er zum letzten Mal wohl im Auftrag des Humanistenbischofs Johann IV. Roth - die Facetiae des Poggio Bracciolini, bevor er Domherr wurde und seine Drucktätigkeit aufgab. 1505 erschien auf Empfehlung von Thurzo in Krakau das Breslauer Missale. Auch wenn Johann Haller in Krakau für den liturgischen Druck in ganz Polen verantwortlich zeichnete, ist doch die Hinwendung nach Krakau auffällig, denn die liturgischen Drucke wurden vorher in Straßburg, Speyer und Nürnberg gedruckt. Das Unterzentrum Breslau suchte hier also die Anbindung an die Metropole Krakau und baute in diesem Bereich dauerhaft keine eigenen Strukturen auf. Für den humanistischen Druck in Breslau zeichnete Konrad Baumgarten verantwortlich,61 der zuvor in Danzig gearbeitet hatte, 1500 nach Olmütz ging, das er jedoch zwei Jahre später (1502) wieder verließ, um - angezogen von dem Gerücht über die Aufrichtung einer Universität - in Breslau zu arbeiten; wahrscheinlich vermittelt durch die Gebrüder Thurzo. Als dann die Universität in Frankfurt an der Oder gegründet wurde, begab er sich dorthin und druckte ca. 20 Arbeiten von Universitätsprofessoren. 62 Während seiner kurzen Drucktätigkeit in Breslau stellte Baumgarten insgesamt zehn Bücher her, unter ihnen mehrere Werke von Laurentius Corvinus, ein Schulbuch des in Goldberg lehrenden

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(1885), S. 3 8 6 - 3 9 4 ; Alfred Swierk: Anfange des Buchdrucks in Breslau.- In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität 23 (1982), S. 171-177; Polski Slownik Biograficzny [Polnisches Biographisches Wörterbuch]. Bd. VI.- Wroclaw: Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1948, S. 237-238; Slownik pracowniköw ksi^zki Polskiej [Lexikon der polnischen Buchdrucker].- Warszawa, Lodz: Pahst. Wydaw. Naukowe 1972, S. 203-204. Vgl. zu ihm neuerdings mit weiteren Literaturangaben Jan Drabina: Die antihussitische Handschrift des Nikolaus von Brieg.- In: Archiv fur schlesische Kirchengeschichte 55 (1997), S. 219-223. Bronislaw Kocowski: Sl^skie studia inkunabulistyczne [Schlesische Studien zu Inkunabeln].· In: ders., Marta Burbianka, Karol Glombiowski: Ζ dziejöw ksiqzki na Sl^sku [Zur Geschichte des Buches in Schlesien].- Wroclaw: Wroclawskie Towarzystwo Naukowe 1953 (= Prace Wroclawskiego Towarzystwa Naukowego. Seria A; 52), S. 5 - 2 7 , hier S. 6. Ein Faksimile des polnischen Textes in: ders.: Zarys dziejöw drukarstwa na Dolnym Sl^sku [Abriß der Geschichte der Buchdruckerkunst in Niederschlesien].- Wroclaw: Biblioteka Uniwesytecka 1948, S. 8 - 1 0 . Emma Urbänkova: Prvotisky ceskeho püvodu [Die Herkunft der schlesischen Erstdrucke].In: Dawna ksi^zka i kultura. Materialy mi^dzynarodowej sesji naukowej ζ okazji pi?csetlecia sztuki drukarskiej w Polsce [Alte Bücher und die Kultur. Materialien einer internationalen wissenschaftlichen Tagung zur 500jährigen Druckkunst in Polen]. Hrsg. von Stanislawa Grzeszczuka, Alodia Kaweckiej-Gryczowej.- Wroclaw: Zaktad Narodowy im. Ossolinskich 1975, S. 5 6 - 6 3 , hier S. 63. Marta Burbianka: Adam Dyon i Kaspar Lybisch - wroclawscy drukarze reformacjini [Adam Dyon und Kaspar Lybisch - Breslauer Drucker der Reformation].- In: Roczniki biblioteczne5(1961),S. 65-113. Slownik pracowniköw (Anm. 57), S. 4 5 - 4 6 .

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Breslauer Humanisten Andreas Hundern {Latinum ydioma), die von Hieronymus Gürtler bearbeiteten Cicerobriefe sowie die Legende der heiligen Hedwig (1504) und den >Kolowratischen Vertrags Das erste in Breslau gedruckte Buch Baumgartens widmete der Autor Sigismund Buchwald (Fagilucus, 1483-1508) gleich seinem Gönner, dem bischöflichen Koadjutor Johann Thurzö, und zwar die Extemporalitates (1503). Auch in Frankfurt pflegte Thurzö noch Kontakt mit Baumgarten, so beauftragte er ihn mit dem Druck einer Rubicella für das Jahr 1509, die mit dem Wappen Thurzös versehen wurde. 63 Der nächste Drukker in Breslau war erst wieder der Nürnberger Adam Dyon (Dion), der Ende 1518 dorthin kam und noch 1519 sechs lateinische Schriften in Breslau druckte, die sich auf die Leipziger Disputation bezogen. 64 Auch in Olmütz waren die Anfänge des Buchdrucks schwierig. 1486 kamen zwei deutsche Drucker, die zuvor in Venedig wirkten, auf Anregung des Olmützer Administrators Jan Filipec nach Brünn, Konrad Stahel und Matthias Preinlein, die hier bis 1499 arbeiteten. Neben den Synodalstatuten und einem Psalterium druckten sie hier 1488 die Chronica Hungarorum des Johannes Thuröczy. Auf Einladung des Bischofs Stanislaus Thurzös und seines Kreises ging Preinlein 1499 nach Olmütz, wo er nach 1500 nicht mehr nachweisbar ist.65 1500 kam Konrad Baumgarten, der zuvor in Danzig gearbeitet hatte, verließ Olmütz jedoch 1502 wieder, um in Breslau zu arbeiten. Erst ab 1535 gab es einen kontinuierlichen Buchdruck in Olmütz. Der Nürnberger Buchdrucker Günther, der seit 1544 in Proßnitz arbeitete, wechselte 1553/1554 nach Olmütz. Daneben arbeiten seit den 30er Jahren in Mähren noch Druckereien >im Untergrund