Kritische Theologie ohne ein Wort vom Kreuz: Zum Verhältnis von Joh 1-12 und 13-20 9783666538872, 3525538871, 9783525538876

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Kritische Theologie ohne ein Wort vom Kreuz: Zum Verhältnis von Joh 1-12 und 13-20
 9783666538872, 3525538871, 9783525538876

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Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert

Band 203

Vandenhoeck & Ruprecht

Esther Straub

Kritische Theologie ohne ein Wort vom Kreuz Zum Verhältnis von Joh 1–12 und 13–20

Vandenhoeck & Ruprecht

Im Andenken an h.r.r.

Die Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-53887-1

© 2003, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich im Sommersemester 2002 auf Antrag von Prof. Dr. Jean Zumstein als Dissertation angenommen; für den Druck habe ich sie nur leicht überarbeitet. Mein Dank geht an erster Stelle an Prof. Dr. Jean Zumstein, der die während meiner Assistenzzeit an seinem Lehrstuhl erstellte Arbeit aufmerksam betreute. Mit skeptischem Blick, aber dennoch gutgesinnt beobachtete er die Entstehung meiner These und wurde nicht müde, seine Einwände gegen sie vorzubringen. Ich bin für diese Kritik sehr dankbar. Auch Dr. Konrad Haldimann ließ sich immer wieder in ausgedehnte Diskussionen verwickeln, zeigte neue Interpretationswege auf, wo ich mich in einer Sackgasse wähnte, und machte jeweils rechtzeitig auf exegetische Abgründe aufmerksam. Ihm gebührt ein großer Dank. Des weiteren bedanke ich mich beim neutestamentlichen Team der Zürcher Fakultät, Markus Anker, Dr. Nozomu Hiroishi, Pascale Rondez, Pfr. Andreas Rusterholz, Pfr. Henry Sturcke, Prof. Dr. Samuel Vollenweider und Prof. Dr. Hans Weder, außerdem bei Christoph Ammann, Dr. Trix Gretler, Pfr. Dr. Herbert Kohler und Dr. Annette Schellenberg. In ihrer Runde ließen sich die Durststrecken bestens überstehen. Den Sekretärinnen Béatrice Hoffmann, Georgina Fischer, Esther Schweizer und Ursula Ziefle sowie der Bibliothekarin Alice Hollinger danke ich für die Bereitstellung der hervorragenden Infrastruktur im Theologischen Seminar. Schließlich danke ich meinem teuren Mann, Patrick Müller Straub, für vieles, das sich hier nicht aufzählen läßt! Auch meinen Eltern danke ich; sie haben in mir jene Begeisterung für die biblischen Texte geweckt, ohne die diese Dissertation nie zustande gekommen wäre. Prof. Dr. Dietrich-Alex Koch und Prof. Dr. Matthias Köckert danke ich ganz herzlich für die Prüfung und Aufnahme der Arbeit in die Reihe FRLANT und den beiden Zürcher Stiftungen, der Emil-Brunner-Stiftung in Verbindung mit der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich sowie der Lang-Stiftung, für die Druckkostenbeiträge. Schließlich bedanke ich mich bei der Universität Zürich für den Jahrespreis 2003. Gewidmet ist die Arbeit meinem verstorbenen Nachbarn Hans Rudolf Rothweiler, Pfarrer, Journalist und kritischer Zeitgenosse; er hat meinem Theologiestudium mit einschlägiger Literatur den Weg gewiesen. Zürich, im Mai 2003

Esther Straub

Inhalt 1. Das Kreuz Jesu bei Paulus und bei Johannes. Die verschiedenen Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2. Defizitäres Kreuz. Fundamentale Sachkritik am Johannesevangelium . . . . . . . . 18 1.2.1. Ernst Käsemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2.1.1. Paulinische Kreuzestheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.2.1.2. Johanneischer Doketismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.2.1.3. Fehlende theologia crucis als Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1.2.2. Luise Schottroff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.2.2.1. Gnosis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.2.2.2. Antignostische Theologie bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1.2.2.3. Johanneische Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1.2.2.4. Paulus und Johannes als Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 1.2.3. Peter von der Osten-Sacken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.3. Exklusives Kreuz. Kreuzestheologie im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3.1. Klaus Wengst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1.3.1.1. Der historische Ort des Johannesevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.3.1.2. Gottes Identifikation mit dem Gekreuzigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1.3.1.3. Bedrängte Gemeinde und kreuzestheologischer Interpretationsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1.3.2. Herbert Kohler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1.3.2.1. Die Anschaulichkeit des fleischgewordenen Logos . . . . . . . . . . . . 36 1.3.2.2. Die Rede vom Kreuz Jesu als der Menschwerdung Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.3.3. Weitere Entwürfe einer johanneischen Kreuzestheologie (Marianne M. Thompson, Thomas Knöppler, Johanna Rahner, Manfred Lang). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.4. Inklusives Kreuz. Alternative Ansätze zum Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . 41 1.4.1. Rudolf Bultmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 1.4.1.1. Die Paradoxie des johanneischen Offenbarungsgedankens . . . . 42 1.4.1.2. 5JOGKC und TBJOCVC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.4.1.3. Abschiedsreden und Passion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1.4.1.4. Menschwerdung und Rückkehr als Anstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

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Inhalt 1.4.2. Jean Zumstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.4.3. Jürgen Becker. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.4.3.1. Die johanneische Gesandtenchristologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.4.3.2. Weltverlust in der Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1.4.3.3. Geisterfahrung bei Paulus und im Johannesevangelium . . . . . . . 50 1.4.4. Ulrich B. Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

1.5. Die Ausrichtung der vorliegenden Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Exkurs in Kapitel 1 Die Definition des Begriffs Kreuzestheologie bei Knöppler und Kuhn . . . . . . . . . 15

2. Tod und Auferweckung Jesu. Die narrative Entfaltung der johanneischen Christologie in Joh 1–12. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.1.1. Die literarische Gestalt des Johannesevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.1.2. Das Problem des Antijudaismus im Johannesevangelium. . . . . . . . . . . . . . . 57 2.1.3. Die Grundstruktur des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2. Jesu Selbstoffenbarung im ersten Buchteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.2.1. Das methodische Grundproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.2.1.1. Die hermeneutische Perspektive der johanneischen Christologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 2.2.1.2. Die Selbstidentifikation Jesu und die Einwände seiner Gegner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.2.1.3. Die Inkarnationsaussage im Prolog des Evangeliums . . . . . . . . . . 65 2.2.2. Die doppelte Herkunft Jesu im Wunder zu Kana (Joh 2,1–11) . . . . . . . . . 66 2.2.2.1. Die Offenbarung der himmlischen Herkunft Jesu . . . . . . . . . . . . . . 66 2.2.2.2. Jesu irdische Herkunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.2.2.3. Der dritte Tag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.2.2.4. Die noch nicht gekommene Stunde Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.2.2.5. Die christologische Bedeutung des Wunders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.2.3. Die himmlische Herkunft als Geburt von oben (Joh 3,1–8) . . . . . . . . . . . . . 76 2.2.3.1. Die Struktur des Dialogs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.2.3.2. Wassertaufe und Geisttaufe (1,19–34). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.2.3.3. Geburt aus Wasser und Geburt aus Geist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 2.2.3.4. Die christologische Bedeutungsebene des Dialogs . . . . . . . . . . . . . 84 2.2.4. Johanneische Anthropologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.2.4.1. Der johanneische Dualismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.2.4.2. Fluchtod und natürlicher Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.2.4.3. Der Blindgeborene (Joh 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88

Inhalt

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2.2.5. Johanneische Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.2.5.1. Die johanneische Ostererfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2.2.5.2. Der Inkarnierte und der Auferstandene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2.2.6. Johanneische Soteriologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.2.6.1. Glaube und Unglaube, Auferstehung und Verharren im „Tod“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.2.6.2. Das ewige Leben (Joh 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.2.6.3. Die Frage nach der Prädestination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2.2.7. Zusammenfassung anhand einer Auslegung von Joh 6. . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.2.7.1. Erwartetes Zeichen und empfangenes Zeichen . . . . . . . . . . . . . . . 100 2.2.7.2. Die Identifikation von Geber und Gabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2.2.7.3. Glaubensgabe und Lebensgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2.2.7.4. Die eschatologische Lebensgabe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2.3. Die Vorverweise des ersten Buchteils auf Joh 18f . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2.3.1. `7[QY und CXRQMVGKPY als gegensätzliche Interpretamente von UVCWTQY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1. 5VCWTQY und WB[QY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2. 5VCWTQY und CXRQMVGKPY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.3. 5VCWTQY als Mittelbegriff zwischen WB[QY und CXRQMVGKPY . . .

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2.3.2. Jesu Erhöhung und das Gericht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1. Erhöhung und ewiges Leben (3,14–21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.2. Erhöhung und Unglaube (8,21–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.3. Erhöhung und der Herrscher der Welt (12,31f ). . . . . . . . . . . . . . .

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2.3.3. Das negative Fazit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu (Joh 12,37–43). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2.3.4. Die Ankunft der Stunde des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Exkurse in Kapitel 2 Die Parakletsprüche und die hermeneutische Perspektive des Evangeliums . . . . 61 Die footnotes und die noch nicht eingetretene Verherrlichung Jesu. . . . . . . . . . . . . 62 Die eschatologischen Menschensohn-Passagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Der Vater und die Mutter Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Die Zeichenforderung in 2,18–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Die unbekannte Herkunft der Lebensgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Das Zeugnis des Täufers in 1,19–34. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Das lebendige Wasser in 7,38f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Zeichenhandlungen und Ich-bin-Worte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 Die ewige Speise in 6,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Die Messiaserwartung der Volksmenge in 6,15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Anspielungen auf das Mannawunder in 6,1–15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Das Ich-bin-Wort in 6,16–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Die Glaubensgabe in 6,21. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Licht und Finsternis in 6,16–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Das Sammeln in 6,12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Der sakramentale Abschnitt 6,51c–58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Die Unfähigkeit zu glauben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

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Inhalt

3. Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die narrative Entfaltung der johanneischen Eschatologie in Joh 13–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.1. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3.1.1. Die Einleitung des zweiten Buchteils (Joh 13,1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 3.1.2. Der Aufbau des zweiten Buchteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3.2. Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f ) . . . . . . . . . . . 126 3.2.1. Die Komposition der Kreuzigungserzählung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3.2.2. Verhaftung und Verhör vor Hannas (Joh 18,1–27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.2.2.1. Die Verhaftungsszene (18,1–12). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3.2.2.2. Das Verhör und Petri Verleugnung (18,13–27) . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.2.3. Der Prozeß vor Pilatus (Joh 18,28–19,16a). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.1. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.2. Einleitung (18,28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.3. Erster Prozeßakt (18,29–19,3). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.4. Zweiter Prozeßakt (19,4–16a). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3.5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3.2.4. Kreuzigung und Begräbnis (Joh 19,16b–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.1. Die Vollstreckung des Urteils (19,16b–18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.2. Der königliche Titulus (19,19–22). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.3. Die erste Handlung der Soldaten (19,23–24b) . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.4. Die Vollendung (19,28–30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4.5. Die zweite Handlung der Soldaten (19,31–34.36f ) . . . . . . . . . . . 3.2.4.6. Das königliche Begräbnis (19,38–42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 160 161 163 167 173 180

3.2.5. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.1. Die Souveränität Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.2. Die Abwesenheit der Glaubenden: Ende der Selbstoffenbarung Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5.3. Das Selbstgericht des Unglaubens: der letzte Tag . . . . . . . . . . . .

181 181 182 183

3.3. Jesu Rückkehr zum Vater als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3.3.1. Die Fußwaschung und ihre erste Deutung (Joh 13,1–10a) . . . . . . . . . . . . 185 3.3.1.1. Literarkritische Position zur Fußwaschungsperikope . . . . . . . . 185 3.3.1.2. Die erste Auslegung der Fußwaschung (13,6–10a). . . . . . . . . . . 187 3.3.2. Die erste Abschiedsrede (Joh 13,31–14,31) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.3.2.1. Die Kontinuität der Offenbarung (13,31–33; 13,36–14,17) . . . 196 3.3.2.2. Jesu Wiederkunft (14,18–21.23f.27f ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3.3.3. Ostern (Joh 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3.3.3.1. Jesu Erscheinen vor den Jüngern ohne Thomas (20,19–23) . . 202 3.3.3.2. Die Thomasgeschichte (20,24–29) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Inhalt

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3.3.4. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.3.4.1. Jesu Weggang aus der Welt als Rückkehr des Sohnes zum Vater. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3.3.4.2. Die eschatologische Gemeinschaft Gottes mit den Glaubenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Exkurse in Kapitel 3 Das Erfüllungszitat in 18,9. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gethsemanetradition in 12,27 und 18,11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die ersten Jünger in 1,35–51. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Synedriumsverhandlung in 11,47–53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erfüllungsaussage in 18,32. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der in 19,7 noch vermiedene Königsvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vier Frauen und der Lieblingsjünger in 19,24c–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verständnis von 19,30b auf der Stufe der Endredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Blut und Wasser in 19,34 auf der Stufe des Evangelisten . . . . . . . . . . . . . . . . Der Augenzeuge des Lanzenstichs in 19,35. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die johanneische Passatypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die textkritischen Varianten von 13,10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweite Auslegung der Fußwaschung in 13,12–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 131 133 136 143 152 165 172 175 178 187 191 194

4. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.1. Thesen zum Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 4.2. Johannes und Paulus: die Frage nach der Sachkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 4.2.1. Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4.2.1.1. Die johanneische Ostererfahrung und ihr kritischer Impetus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 4.2.1.2. Die historische Verankerung der johanneischen Ostererfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 4.2.2. Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4.2.2.1. Die Prozessualisierung des Eschatons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 4.2.2.2. Glaube ohne Hoffnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Stellenregister (in Auswahl). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Register der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

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Inhalt

1. Das Kreuz Jesu bei Paulus und bei Johannes. Die verschiedenen Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

1.1. Problemstellung Rückt die Theologie den Kreuzestod Jesu ins Zentrum ihrer Reflexion, sind Konflikte unausweichlich. Davon zeugen nicht nur die paulinische Korrespondenz und die Geschichte der Reformation, auch in jüngerer Zeit kam es immer wieder zu heftigen Kontroversen um die Kreuzestheologie, und dies vorwiegend innerhalb der reformatorischen Kirchen. Das törichte Wort vom Kreuz setzt bewährte Maßstäbe außer Kraft, erweist gängiges Wissen als leichtsinnig und provoziert Widerspruch. So gerät in Konflikt mit allen anderen Weisheiten, wer dieses Wort als Evangelium verkündigt. „Crux probat omnia.“1 Paulus ist der älteste uns bekannte Zeuge, der sich entschloß, „von nichts anderem zu wissen als von Jesus Christus, und zwar vom Gekreuzigten“ (I Kor 2,2), und der dieses Wissen in einem umfassenden theologischen Entwurf entfaltete. Luther stützte sich denn auch maßgeblich auf die paulinischen Briefe, als er die Kategorie theologia crucis in die Diskussion einführte,2 und bis heute setzen Theologie Treibende, die sich an dieser Kategorie orientieren, das paulinische Briefkorpus in die Mitte des neutestamentlichen Kanons und messen an ihm die übrigen Schriften des Neuen Testaments, womit die Konflikte, in die das Wort vom Kreuz führt, auch auf exegetischem Gebiet geradezu programmiert sind. Insbesondere die Gegenüberstellung von paulinischer Kreuzestheologie und joh Christologie bildet einen der umstrittensten Punkte neutestamentlicher Exegese und löst immer wieder Kontroversen aus.3 Die beiden Extrempositionen in diesem Streit 1

Luther, WA 5; 179,31. Vgl. die Thesen 19–28 der Heidelberger Disputation (WA 1; 361,31–365,20). Zur Einführung der systematischen Kategorie theologia crucis durch Luther vgl. Bühler, Kreuz, 63– 285. Zur paulinischen Kreuzestheologie vgl. insb. Käsemann, Heilsbedeutung (s.u. Abschnitt 1.2.1.1.); Luz, Theologia crucis, 121–131; Becker, Paulus, 209–229; Söding, Geheimnis; ders., Kreuzestheologie; Merklein, Bedeutung; ders., Paradox. 3 Literaturangabe zu vergleichenden Studien bei Becker, Geisterfahrung, 428 Anm. 2 (vgl. zudem auch Söding, Kriterium, 228–232). Becker bemerkt, daß der Gegenüberstellung von paulinischer und joh Theologie bisher kaum extensive Aufmerksamkeit geschenkt wor2

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Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

sind leicht zu identifizieren: Während die eine von einer joh Kreuzestheologie spricht,4 kritisiert die andere gerade die fehlende kreuzestheologische Ausrichtung des Joh und wirft die Frage auf, inwiefern dieses Evangelium zu Recht im Kanon steht oder ob es nicht zumindest kritisch zu lesen ist.5 Ein Grundproblem dieser Debatte bildet die Definition des Begriffs Kreuzestheologie. Daß es verschiedene Auffassungen davon gibt, was Kreuzestheologie ist und welchen Anspruch sie erhebt, wann von ihr also die Rede ist, ist kaum zu vermeiden, läßt doch allein schon das paulinische Briefkorpus unterschiedliche Akzentuierungen innerhalb der systematischen Kategorie Kreuzestheologie zu. Allerdings macht es keinen Sinn, den Begriff so weit zu fassen, das er von jeder Theologie, die in irgendeiner Weise auf das Kreuz rekurriert, in Anspruch genommen werden kann; denn das bloße Faktum, daß das Kreuz in einem theologischen Entwurf eine Rolle spielt, hat – solange diese Rolle nicht näher bestimmt ist – keinerlei theologische Aussagekraft und kann nicht in derselben Weise wie das spezifische Kreuzesverständnis von Paulus sachkritische Funktion beanspruchen. „Cruces probant nihil.“6 Christliche Glaubensidentität, um die es in der Debatte um eine joh Kreuzestheologie letztlich geht, läßt sich nicht formal definieren, sondern gründet in einer ganz bestimmten Erfahrung, der nur sachlich-theologische Argumente gerecht werden. Die Glaubenserfahrung aber, in die das Wort vom Kreuz führt und die die Glaubensidentität des Kreuzestheologen oder der Kreuzestheologin bestimmt, ist die Erfahrung von der Rechtfertigung aus freier Gnade.7 Um diese Erfahrung, nicht um das Kreuz als solches, muß es letztlich auch in der Debatte um eine joh Kreuzestheologie gehen, will sich diese Debatte nicht mit der formalen Klassifizierung neutestamentlicher Theologien zufriedengeben.

den sei. Daß die Joh-Exegese jedoch stark von dieser Gegenüberstellung geprägt ist, bestätigt auch er. 4 Dezidiert kreuzestheologisch verstehen das Joh z.B. Bornkamm, Interpretation; Wengst, Gemeinde; Kohler, Kreuz; Bühler, Johannes; Knöppler, theologia crucis. Zu weiteren kreuzestheologischen Interpretationen s.u. Anm. 74. 5 Am prägnantesten Käsemann, Wille. Kritisch äußern sich auch Schottroff, Glaubende; von der Osten-Sacken, Leistung; Becker, Joh II, Exkurs 8: „Die Deutung des Todes Jesu im Joh“ (468–474); ders., Geisterfahrung; ders., Hoffnung; Müller, Bedeutung; ders., Eigentümlichkeit; sehr zurückhaltend zudem Hegermann, Eigentum. 6 Luz, Theologia crucis, 117 Anm. 3: „Crux probat omnia (WA V 179, 31) ist theologisch gemeint und dann auch richtig, hingegen empirisch gesehen falsch. Empirisch gilt vielmehr die Gegenthese: Cruces probant nihil. Die unzähligen Interpretationen des Kreuzes, die der christliche Glaube hervorgebracht hat, sind gerade ein Hinweis auf seine Identitätskrise. Das Kreuz selber ist uns nur in der Gestalt eines jeweiligen Kreuzesverständnisses zugänglich. Luthers theologische These ‚crux probat omnia‘ setzt bereits ein bestimmtes Kreuzesverständnis voraus.“ 7 Vgl. Jüngel, Rechtfertigung, 1f. Zur Verknüpfung von Kreuzestheologie und Rechtfertigungslehre bei Paulus vgl. insb. Merklein, Bedeutung; Söding, Kreuzestheologie.

Problemstellung

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Die Definition des Begriffs Kreuzestheologie bei Knöppler und Kuhn Knöppler wehrt sich dagegen, von einem paulinisch-lutherisch geprägten Begriff der theologia crucis auszugehen. Entscheidend sei „die Orientierung der theologischen Aussagen des vierten Evangeliums an Passion und Kreuzestod Jesu Christi“8, die als „eine eigene Art von Kreuzestheologie“9 aufgefaßt werden könne. Knöppler will in seiner Untersuchung allerdings die Anfrage, „ob diese eigene Art von theologia crucis noch den Namen verdient und nicht vielmehr als ‚theologia gloriae‘ zu bezeichnen wäre“10, kritisch im Auge behalten. Damit unterscheidet Knöppler zwar zwischen einer Kreuzestheologie, die ihren Namen verdient, und einer, die ihn nicht verdient, fragt aber unabhängig von den Kriterien, die diese Unterscheidung begründen, nach einer joh Kreuzestheologie bzw. nach einer „besonders an Passion und Tod Jesu Christi orientierte[n] Theologie“11. Welche Motivation hinter dem Projekt steht, nach einer joh Kreuzestheologie eigener Art zu suchen, statt nach der eigenen Art joh Theologie überhaupt, unabhängig davon, ob sie besonders an Jesu Passion orientiert ist oder nicht, reflektiert der Autor nicht. Woher bezieht Knöppler das seine Untersuchung leitende Kriterium, christliche Theologie müsse in erster Linie am Kreuzestod Jesu orientiert sein, wenn nicht aus der paulinischen Kreuzestheologie? Dieses Kriterium zu hinterfragen (was Knöppler jedoch gerade nicht tut) ist eines, es von seiner theologischen Verankerung zu lösen, ohne es neu zu begründen (so Knöppler), ein anderes. Es gelingt Knöppler denn auch nicht, die Frage nach einer joh Kreuzestheologie ohne Voreingenommenheit zu beantworten.12 Bereits 1975 wendete sich Kuhn gegen eine an Paulus und Luther orientierte Definition des Begriffs Kreuzestheologie: „Der systematische Theologe der Reformation, der sich auf Luthers Unterscheidung von theologia crucis und theologia gloriae bezieht, wird weiterhin von ‚der‘ Kreuzestheologie sprechen. Dem Exegeten der frühchristlichen Schriften sollte man aber eine eigene Definition aufgrund seiner Texte zugestehen.“13 Kuhns eigene Definition lautet: „Von ‚Kreuzestheologie‘ im strengen Sinn ist dann zu sprechen, wenn Jesus speziell als Gekreuzigter und sein Kreuz nicht nur genannt werden, sondern die Darstellung immer wieder theologisch bestimmen.“14 Von Kreuzestheologie spricht Kuhn deshalb auch in bezug auf die gnostischen Johannesakten und folgert, daß „das Stichwort ‚Kreuzestheologie‘ noch keine Scheidung zwischen Häresie und Rechtgläubigkeit erlaubt.“15 Auch gegenüber Kuhn ist kritisch zu fragen, welchen Sinn es denn macht, die Kreuzestheologie von ihrer Verankerung in der paulinischen Theologie zu lösen und als formale Kategorie zu verstehen. Theologia crucis ist eine systematisch-theologische Kategorie, und nur als solche ist sie für die neutestamentliche Exegese überhaupt relevant, denn deren Ziel ist nicht die formale Klassifikation der neutestamentlichen 8

Knöppler, theologia crucis, 4. Knöppler, theologia crucis, 5. 10 Knöppler, theologia crucis, 5. 11 Knöppler, theologia crucis, 5. 12 Vgl. die kritischen Bemerkungen zu Knöpplers Entwurf bei Müller, Eigentümlichkeit; sowie in dieser Arbeit die Anmerkungen in den entsprechenden Abschnitten der beiden exegetischen Kap. 2 und 3. Eine kurze Darstellung von Knöpplers These zur joh theologia crucis findet sich unter Abschnitt 1.3.3. (s.u.). 13 Kuhn, Gekreuzigter, 44. 14 Kuhn, Gekreuzigter, 26. 15 Kuhn, Gekreuzigter, 27. 9

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Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

Schriften, sondern ihre Interpretation im Dialog mit einer theologisch-systematisch reflektierten Glaubensidentität.

Luz schlug 1974 eine Begriffsdefinition vor, die sich an der exklusiven Stellung des Kreuzes orientiert: Kreuzestheologie im engeren Sinne des Wortes liege dann vor, wenn das Kreuz als exklusiver Heilsgrund und damit als exklusiver Ausgangs- und Angelpunkt der Theologie verstanden werde.16 Solche „echte Kreuzestheologie“, im Neuen Testament einzig von Paulus und von Mk vertreten, unterscheide sich von einer „Pseudokreuzestheologie“ durch ihren kritischen Impetus,17 der die Weisheit dieser Welt – auch diejenige des Kreuzestheologen selbst – zur Torheit macht, den Menschen aus seinen Fixierungen befreit und in ein lebendiges Gegenüber zu Gott stellt. Das Kriterium der Exklusivität des Kreuzes und das Kriterium der kritischen Potenz, das zur Rechtfertigungslehre lenkt, sind nach Luz eng miteinander verbunden: Nimmt die Theologie die Exklusivität des Kreuzes nicht ernst, verspielt sie zugleich dessen kritische Macht, und an die Stelle der theologia crucis tritt eine theologia gloriae.18 Die exklusive Stellung des Kreuzes setzt dessen kritische Potenz durch bzw. umgekehrt: Die kritische Potenz des Kreuzes macht den Theologen zum Kreuzestheologen und läßt ihn nichts anderes mehr wissen als den Gekreuzigten.19 Um zu entscheiden, ob der Verfasser des Joh ein Kreuzestheologe ist und sich sein Evangelium kritisch gegen jede Herrlichkeitstheologie wendet, wird meist – ganz im Sinne der Begriffsdefinition von Luz – beim Kriterium der Exklusivität eingesetzt und untersucht, welcher Stellenwert im Joh dem Kreuz zukommt. Entdecken die einen eine strenge Kreuzeszentrierung, sehen die anderen das Kreuz an den Rand gedrängt oder gar seines eigentlichen Charakters als Kreuz beraubt. Beide Seiten sind sich jedoch darin einig, daß anhand des Stellenwerts des Kreuzes entschieden werden kann, ob das Joh eine kritische Kreuzestheologie unterbreitet oder ob es vielmehr herrlichkeitstheologisch geprägt ist. Während nicht zu bestreiten ist, daß der exklusive Stellenwert des Kreuzes eine Kreuzestheologie garantiert und insofern die Rechtfertigungsbotschaft nicht aufs Spiel setzt, ist doch Vorsicht geboten, wenn es darum geht, diesen Schluß umzukehren. Obwohl gilt, daß nur dort von einer Kreuzestheologie die Rede sein kann, wo dem Kreuz ein exklusiver Stellenwert eingeräumt wird, ist die über diesen Definitionssatz hinausgehende Behauptung, allein eine Kreuzestheologie verfüge über den kritischen Impetus, der den Menschen aus seiner Selbstfixierung befreit und in ein lebendiges Ge16

Luz, Theologia crucis, 116. Zusammenfassend in den Schlußthesen: Luz, Theologia crucis, 139f. 18 Luz, Theologia crucis, 117f. 19 Luz, Theologia crucis, 139: „Es ist die kritische Potenz des Kreuzes, die dazu führt, nicht das Kreuz als einen Gegenstand der Theologie neben anderen aufzuführen, sondern die ganze Theologie kritisch im Lichte des Kreuzes zu entwerfen.“ 17

Problemstellung

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genüber zu Gott stellt, in Zweifel zu ziehen. Der Schluß, eine Theologie, die das Kreuz nicht exklusiv in ihrer Mitte hat und insofern zu Recht nicht als Kreuzestheologie bezeichnet werden kann, verrate die Sache der Kreuzestheologie und leugne die Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen, weil ihr der kritische Impetus des Kreuzes fehle, versteht sich nicht von selbst. Grundsätzlich wäre denkbar, daß eine Theologie, die sich nicht exklusiv am Kreuz orientiert, dennoch genauso kritisch ist wie die Kreuzestheologie und ein Evangelium reflektiert, das mit demjenigen von der Rechtfertigung des Gottlosen kongruiert. Die Hypothese, daß nicht jede kritische Theologie notwendigerweise Kreuzestheologie sein muß, sondern der kritische Impetus, den letztere vom Kreuz bezieht, auch anderswo verankert sein kann, eröffnet die Möglichkeit, im Joh eine Theologie zu entdecken, die dasselbe oder jedenfalls sehr ähnliches leistet wie die paulinische Kreuzestheologie, ohne selbst Kreuzestheologie im strengen Sinne des Wortes zu sein. Dieser Lösungsansatz, der die Polarisierung in der Kontroverse um eine joh Kreuzestheologie insofern durchbricht, als er die Frage nach einer kritischen, das Zentrum christlichen Glaubens reflektierenden joh Theologie nicht in Abhängigkeit von der Stellung des Kreuzes im Joh beantwortet, soll im exegetischen Teil dieser Arbeit entfaltet und geprüft werden. Der folgende Abriß zur Problemgeschichte widmet sich der exegetischen Debatte und diskutiert drei Grundpositionen. Zu jeder Position werden exemplarisch zwei Entwürfe herangezogen und weitere Arbeiten kurz skizziert. Hauptvertreter derjenigen Position, die fundamentale Sachkritik am Joh übt, ist Ernst Käsemann, der das Fehlen einer theologia crucis im Joh scharf kritisiert. Als zweites Beispiel dient Luise Schottroffs Habilitationsschrift, die die gegensätzliche Bedeutung des gnostischen Dualismus für Paulus und für den Verfasser des Joh erörtert und der antignostischen paulinischen Kreuzestheologie die joh Gnosis gegenüberstellt. Ebenfalls eine kritische Position gegenüber dem Joh bezieht Peter von der Osten-Sacken. Diejenige Position, die das Joh als kreuzestheologisches Dokument versteht, wird anhand der Entwürfe von Klaus Wengst und Herbert Kohler diskutiert. Des weiteren werden die neueren Ansätze von Marianne M. Thompson, Thomas Knöppler, Johanna Rahner sowie Manfred Lang skizziert. Schließlich wird eine dritte Position vorgestellt, die als Alternative zu den beiden anderen Positionen verstanden werden kann. So analysiert Rudolf Bultmann die joh Theologie aus einer Perspektive, die dem Kreuz keine exklusive Stellung einräumt, sondern sich in erster Linie an der Inkarnationsaussage orientiert. Diese Inkarnationstheologie versteht er als höchst kritische Theologie, so daß er sich nicht dazu veranlaßt sieht, Sachkritik am Joh zu üben. Auch Jürgen Becker, der durchaus sachkritische Bemerkungen formuliert und insofern in unmittelbare Nähe zur ersten Position rückt, stellt mit der joh Gesandtenchristologie ein theologisches Konzept zur Diskussion, das er nicht

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Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

von vornherein negativ qualifiziert, obwohl es keineswegs kreuzestheologisch orientiert ist. Zur dritten Position werden noch zwei weitere Joh-Exegeten gezählt: Im Anschluß an Bultmann findet Jean Zumsteins Standpunkt Erwähnung, im Anschluß an Becker derjenige von Ulrich B. Müller. Anhand dieser exegetischen Entwürfe zum Joh soll die eingangs erwähnte Kontroverse schematisch dargestellt werden. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihren einzelnen Argumenten erfolgt in den beiden exegetischen Kap. 2 und 3. Der folgende Abriß zu den verschiedenen Positionen fokussiert zwei Problemkreise. So gilt ein besonderes Augenmerk der von den Autoren und Autorinnen kaum explizit reflektierten Methodik, die ihrem jeweiligen Vergleich von joh Christologie und paulinischer Kreuzestheologie zugrunde liegt. Den zweiten Problemkreis bildet die Zuordnung von Kreuz und Inkarnation. Da die Inkarnationsaussage in der Joh-Exegese eine wichtige Stellung einnimmt – ob zu Recht oder zu Unrecht, wird noch zu prüfen sein – und einen gegenüber dem Kreuz alternativen Angelpunkt einer kritischen Theologie liefern kann, ist es aufschlußreich zu sehen, wie die einzelnen Entwürfe sie jeweils beurteilen und ob sie sie dem joh Kreuz unter-, über- oder beiordnen. Die folgende Skizze der verschiedenen Positionen ist nicht nach chronologischem, sondern nach sachlichem Gesichtspunkt geordnet. Eingesetzt wird mit Käsemanns Position, denn sie führt mitten in die Problematik hinein und zeigt auf, inwiefern aus paulinischer Perspektive die joh Theologie als unsachgemäßer Ausdruck christlicher Glaubensidentität verstanden werden kann.

1.2. Defizitäres Kreuz. Fundamentale Sachkritik am Johannesevangelium Käsemanns fundamentale Sachkritik am Joh läßt bis heute kaum einen Exegeten oder eine Exegetin gleichgültig, und dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil der Autor sie aufgrund eines ernsthaften, theologischen Anliegens vorträgt. Käsemanns Bereitschaft, eine Schrift des neutestamentlichen Kanons – noch dazu eine der bedeutendsten – preiszugeben, weil er ihre theologische Grundausrichtung nicht mit seiner Glaubensüberzeugung vereinbaren konnte, verweist nicht auf Sturheit oder Intoleranz, sondern auf die existentielle Betroffenheit, mit der dieser Theologe Exegese trieb. Das integre Anliegen Käsemanns bildet denn auch den Fokus der folgenden Skizze seines Entwurfs. Im Anschluß an Käsemanns Position wird diejenige von Schottroff dargestellt, die eng an Käsemann anknüpft.

Defizitäres Kreuz. Fundamentale Sachkritik am Johannesevangelium

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1.2.1. Ernst Käsemann Unter dem Leitsatz „Der Tod Jesu Christi wird verkündigt, weil der Gekreuzigte lebt“ verabschiedete der Theologische Ausschuß der Evangelischen Kirche der Union (EKU) im Januar 1968 eine Stellungnahme zum Verständnis des Todes Jesu, die von der Synode der EKU entgegengenommen und in einem Beschluß den Gliedkirchen weitergeleitet und empfohlen wurde.20 Bibelkritische Auseinandersetzungen, die in eine breite, öffentliche Diskussion mündeten, hatten den Rat veranlaßt, Stellung zu beziehen und „den Glauben an den Gekreuzigten im Sinne der reformatorischen Botschaft und der Bibel zu verbinden mit der Bewährung des Christen in der modernen Gesellschaft.“21 Der Kreuzestod Jesu sollte wieder in die Mitte der christlichen Verkündigung gerückt, an ihm die zentrale christologische Frage entschieden werden. Käsemann hielt im Herbst 1966 vor dem Theologischen Ausschuß der EKU einen Vortrag, dessen überarbeitete Fassung im Sammelband „Paulinische Perspektiven“ unter dem Titel „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Paulus“ vorliegt.22 Der polemische Charakter des Aufsatzes zeigt, daß er im Kontext jener heftigen Diskussion um den Stellenwert des Todes Jesu in der christlichen Verkündigung entstanden ist. Käsemanns Position läßt sich mit dem letzten Satz seines Vortrags zusammenfassen: „Seit Paulus erwächst aller theologischer Streit letztlich von einem Zentrum her und wird darum nur an diesem Zentrum entschieden: Crux sola nostra theologia.“23 Eine weitere Schrift Käsemanns ist in diesem theologie- und kirchengeschichtlichen Kontext entstanden: das Büchlein „Jesu letzter Wille nach Johannes 17“, basiert dieses doch auf Vorträgen, die der Autor im April 1966 an der Yale Divinity School gehalten hat. Auch diese Streitschrift kehrt die Position Käsemanns deutlich hervor, nämlich vom einen Zentrum der theologia crucis her über alles andere zu urteilen und zu entscheiden, auch über den neutestamentlichen Kanon. Das Anliegen, die Kreuzestheologie als Fundament der evangelischen Theologie zu verteidigen, veranlaßt Käsemann, die übrigen, nichtpaulinischen Schriften an der paulinischen Theologie zu messen, was ihn im Falle des Joh dazu führt, die joh Theologie als enthusiastisch zu apostrophieren.24 Anhand der beiden erwähnten Abhandlungen wird im folgenden Käsemanns Verständnis der paulinischen Kreuzestheologie sowie seine Interpretation des Joh skizziert. Ein dritter 20

Vgl. Viering, Verständnis. Stellungnahme des Theologischen Ausschusses: ebd., 11– 23; Beschluß der Synode: ebd., 25f; zitierter Leitsatz: ebd., 14.16.18.25. 21 Viering, Kreuzestod, 12 (im Original kursiv). 22 Vgl. den Vorabdruck unter dem Titel „Die Heilsbedeutung des Todes Jesu nach Paulus“ in: Viering, Bedeutung, 11–34. 23 Käsemann, Heilsbedeutung, 107. 24 Käsemann, Wille, 157.161.

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Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

Abschnitt diskutiert die methodische Konzeption, die Käsemanns Gegenüberstellung von paulinischer und joh Theologie leitet. 1.2.1.1. Paulinische Kreuzestheologie Käsemann nennt in seinem Aufsatz zwei Aspekte der paulinischen Rede vom Kreuz: zum einen das Leiden und die Erniedrigung des Sterbens Jesu, zum andern den Fluchcharakter der Kreuzigung bzw. die Unreinheit des Gekreuzigten, der sich außerhalb des Gottesbundes befindet.25 Nicht nur das Motiv des Verbrechertodes, sondern auch und im besonderen dasjenige des Todes in der Gottlosigkeit begründet die Polemik und die kritische Schärfe der paulinischen Kreuzestheologie. Vom Kreuz aus erkennt Paulus den wahren Gott als den am Nichtigen handelnden Schöpfer und den wahren Menschen als Glied der nichtigen Welt. Das Ärgernis des Kreuzes deckt die Illusion des Menschen auf, aus eigener Weisheit, ohne und gegen Gott Heil schaffen zu können.26 So ist die Rechtfertigungsbotschaft nach Käsemann notwendig Kreuzesbotschaft, denn diese verweist den Menschen in seine Geschöpflichkeit und verspricht dem Sünder Gottes Liebe: „Die Rechtfertigung des Gottlosen ist für Paulus die Frucht des Todes Jesu, nichts sonst.“27 Die unauflösbare Verschränkung mit der Rechtfertigungsbotschaft ist es denn auch, die Käsemann dazu veranlaßt, die Kreuzestheologie als das zentrale, ja alleinige Thema der christlichen Theologie zu verteidigen, und dies nicht nur gegenüber einer Theologie der Heilstatsachen, sondern auch gegenüber jeder theologischen Hermeneutik, die sich nicht „im Schatten der Kreuzestheologie“28 ansiedelt. Es sei bedauerlich, daß die Entmythologisierungsdebatte ihren Ausgangspunkt nicht in der Kreuzestheologie genommen habe, denn nur von hieraus sei Entmythologisierung unabdingbar gefordert, „weil Jesu Kreuz sich konstitutiv gegen alle religiöse Illusion wendet und den Menschen in seine Menschlichkeit verweist.“29 Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß Käsemanns Interpretation der paulinischen Kreuzestheologie in erster Linie die kritische Macht betont, die dem Wort vom Kreuz zukommt. Dessen anstößiger und paradoxer Charakter zerschlägt die Illusion des Menschen, sich an die Stelle Gottes setzen zu können, und verweist ihn auf Gottes Gnade und seine Rechtfertigung. Demgegenüber steht eine Theologie der Heilstatsachen, insbesondere eine Auferstehungstheologie, in Gefahr, Jesu Tod in den Schatten seiner Erhöhung zu rücken und dem Enthusiasmus das Wort zu reden. So betont Käsemann, daß das Kreuz nicht „Durchgangsstation auf dem 25

Käsemann, Heilsbedeutung, 67f. Käsemann, Heilsbedeutung, 74f. 27 Käsemann, Heilsbedeutung, 84. 28 Käsemann, Heilsbedeutung, 66. 29 Käsemann, Heilsbedeutung, 65. 26

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Wege der Erhöhung“30 sei, sondern vielmehr die Signatur des Auferstandenen bleibe. „Nur der Gekreuzigte ist auferstanden, und die Herrschaft des Auferstandenen geht gegenwärtig so weit, wie dem Gekreuzigten gedient wird.“31 1.2.1.2. Johanneischer Doketismus Käsemanns Sachkritik am Joh gründet im Hauptvorwurf, dieses Evangelium erhebe die präsentia Christi zu seinem einzigen Thema, so daß die Christologie den Horizont der Eschatologie bilde statt umgekehrt. Das Joh degradiere die irdische Geschichte zum bloßen Offenbarungsraum Christi, des präexistenten Schöpfungsmittlers, dessen Gegenwart alle Zeit in ein ewiges Heute zusammenfasse. „Die Offenbarung des Logos ist der Sinn und das Maß der Inkarnation, nicht umgekehrt die Inkarnation die Wahrheit und Grenze des Logos.“32 Das Übergewicht der präsentischen Eschatologie gegenüber der futurischen geht nach Käsemann Hand in Hand mit einer naiv doketischen Christologie: Der Herabstieg des Schöpfungsmittlers auf die Erde dient nur dem Zweck, seine zeitlich und räumlich unbegrenzte Herrlichkeit den Menschen zu kommunizieren,33 so daß die Inkarnationsaussage ihr Gewicht verliert. Zwar wird der Gesandte notwendigerweise mit gewissen Zügen der Niedrigkeit versehen, doch bilden diese lediglich „das unabdingbare Mindestmaß der Ausstattungsregie“34. Das Erdenleben Jesu gestaltet sich als Raum der Epiphanie himmlischer Herrlichkeit; nicht 1,14a trägt den Hauptakzent des Prologs, sondern 1,14b.

30

Käsemann, Heilsbedeutung, 100. Käsemann, Heilsbedeutung, 103. 32 Käsemann, Wille, 95f. 33 Nach Käsemann dient das Irdische dem joh NQIQL als Medium, sein Wesen als Schöpfungsmittler zu kommunizieren. Die radikale Abwertung der irdischen Wirklichkeit in Käsemanns Interpretation wirft aber die Frage auf, ob das Irdische die Kommunikation des Himmlischen überhaupt ermöglichen kann, wenn gleichzeitig gilt, daß der himmlische Offenbarer von der fremden Welt unberührt bleibt. Ein solcher Kommunikationsbegriff setzt voraus, daß die Botschaft in gnostischer Weise nur den in der Welt zerstreuten Erwählten verständlich ist, die bereits zur himmlischen Sphäre gehören und allein Schöpfung sind. Ist es dann aber noch legitim, von „Kommunikation“ – insbesondere „zwischen dem Ungleichen“ (Käsemann, Wille, 33) – zu sprechen, und wird dieses enge Schöpfungsverständnis den universalistischen Schöpfungsaussagen des Prologs noch gerecht? Vgl. zu dieser Kritik auch Bornkamm, Interpretation, 119. Käsemann weicht diesen Anfragen dadurch aus, daß er den Doketismus des Evangelisten als naiv qualifiziert. Dieser denke nicht daran, der Erde den Charakter der Schöpfung zu nehmen, doch lasse er sie nicht wirklich Schöpfung bleiben (Käsemann, Wille, 137). Käsemann sieht also durchaus, daß das Joh kein gnostisches Schöpfungsverständnis vertritt, er sieht darin aber eine Inkonsequenz des Evangelisten. 34 Käsemann, Wille, 28. 31

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Vor dem Hintergrund dieser Christologie muß nach Käsemann die Einordnung der Passionsgeschichte für das Joh zum Problem werden: „Welchen Charakter hat die Passion dann, wenn schon im irdischen Jesus die Auferstehung und das Leben erscheint?“35 Statt als Schmach stellt das Joh den Weg ans Kreuz als siegreiche Rückkehr zum Vater dar. Damit steht der irdischen Herrlichkeit Jesu folgerichtig die Herrlichkeit seiner Passion gegenüber, jedoch nicht in der Weise eines Kontrastes; vielmehr sind beide durch die Präexistenzherrlichkeit miteinander verbunden. Der Evangelist „versteht Inkarnation als Projektion der Präexistenzherrlichkeit und Passion als Heimkehr in sie.“36 Inkarnation und Tod bedeuten im Joh keine Wesensveränderung, sondern markieren lediglich eine Raumverschiebung: das Kommen und Gehen des Präexistenten, dessen Herrlichkeit in der Darstellung des Erdenlebens Jesu wie auch in der Passionsgeschichte klar herausgestrichen wird. Die Passion ist also nichts anderes als die Umkehrung der auf das Räumliche reduzierten Inkarnation. Christologisch trägt sie nur insofern einen besonderen Akzent, als in ihr die Herrlichkeit vollendet wird, denn der Offenbarer verläßt die Welt und mit ihr die begrenzte Herrlichkeit endgültig.37 Die Stunde der Passion vollendet so als Stunde der Verherrlichung den Gehorsam des irdischen Jesus, Gottes Herrlichkeit in der Welt zu offenbaren. Diese eigenwillige Uminterpretation der Passionsgeschichte zeigt nach Käsemann unmißverständlich auf, daß im Joh von einer theologia crucis keine Rede sein kann, denn die Welt des Leidens und des Todes ist nur „die Stätte eines Durchganges“38, in der Jesus selbst seine Hoheit behält, und das Kreuz ist „nicht länger der Schandpfahl dessen, welcher der Verbrecher Geselle wurde.“39 Auch die Ekklesiologie und die Soteriologie des Joh sieht Käsemann streng in dem einen, protologisch-christologischen Dogma verankert. Der Glaubende lebt aus der schöpferischen Gegenwart Christi, in der der irdische Tod keine Wirklichkeit mehr hat. Anfechtung und Leiden sind zwar Erfahrungsrealitäten, doch verlieren sie als Druck einer feindlichen Welt in der Gegenwart des Erhöhten ihre Bedeutung, partizipiert doch der Glaubende an der Auferweckung Jesu und hat die Todesmacht bereits überwunden. Die joh Gemeinde lebt in der unmittelbaren Gegenwart des Auferstandenen. Sie steht selbst im Anfang, in dem Gottes Wort erging, und versteht sich als eschatologische Schöpfung. Der futurische Aspekt der Eschatologie beschränkt sich auf die Hoffnung einer endgültigen Einigung der Auserwählten in der himmlischen Herrlichkeit des Erhöhten. Damit aber situiert sich die joh Gemeinde in der Nähe der Schwärmer in Korinth oder der Häretiker 35

Käsemann, Wille, 44. Käsemann, Wille, 48. 37 Käsemann, Wille, 47. 38 Käsemann, Wille, 34. 39 Käsemann, Wille, 29. 36

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aus II Tim 2,18. Wie diesen mangelt es ihr an einer theologia crucis. „Es fehlt mit andern Worten die tiefe Paradoxie, daß Auferstehungsmacht nur im Schatten des Kreuzes erfahren wird und Auferstehungswirklichkeit irdisch den Platz unter dem Kreuz bedeutet.“40 1.2.1.3. Fehlende theologia crucis als Kritik Zu Recht kritisiert Käsemann die Versuche, das Joh mit den synoptischen Evangelien zu harmonisieren und ihm eine Niedrigkeitschristologie zu unterstellen, statt seine spezifischen Züge herauszustreichen und mit den synoptischen Entwürfen zu kontrastieren.41 Kontrastreich gestaltet Käsemann selbst vor allem die Gegenüberstellung von paulinischer Kreuzestheologie und joh Christologie, die ihn schließlich zur Sachkritik an letzterer führt. „Der eigentliche Unterschied zu Paulus wird durch das Fehlen der theologia crucis gekennzeichnet.“42 Hier gründet nach Käsemann die defizitäre Eschatologie des Joh: Werde das Kreuz auf Jesu Sieg über die Welt reduziert und das Paradox zwischen Sieg und Tod des Gekreuzigten aufgelöst, so verliere es seine kritische Macht und lasse den Glaubenden bereits in der Gegenwart vorbehaltlos an Jesu Auferstehung partizipieren. Diese Interpretation des Kreuzes stehe in enthusiastischem Erbe und damit auf derselben Seite, gegen die sich die paulinische theologia crucis leidenschaftlich zur Wehr setze. Die Frage stellt sich, ob Käsemann bei der Gegenüberstellung von paulinischer und joh Theologie die spezifischen Züge des Joh und die Eigenständigkeit dieses Entwurfs genügend berücksichtigt oder nicht insofern selbst einem Harmonisierungsversuch unterliegt, als er vom Joh erwartet, daß es die theologische Leistung, die Paulus dem Kreuz zuschreibt, ebenfalls im Kreuz verankert. Käsemann vergleicht die beiden Entwürfe linear; das Joh hat sich an die äußere Struktur der paulinischen Christologie zu halten: Auferstehung und Leben sind unauflösbar mit dem Kreuzestod Jesu verknüpft und können nicht bereits im irdischen Jesus personhaft erscheinen, denn das Kreuz ist der Ort par excellence, wo die Niedrigkeit des Offenbarers, seine Leiden und Tod ausgesetzte Menschheit in aller Deutlichkeit in Erscheinung tritt. Wenn das Joh bereits den Irdischen als den Auferstandenen kennzeichnet, setzt es die Realität des Kreuzestodes außer Kraft und die Rechtfertigung des Gottlosen aufs Spiel: Schreitet Gott über die Erde, statt in und auf sie einzugehen, ereignet sich keine Neuschöpfung der Welt, sondern nur die Erwählung und Befreiung einzelner aus der gottfeindlichen Sphäre.

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Käsemann, Wille, 111. Käsemann, Wille, 24–26. 42 Käsemann, Wille, 111. 41

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Käsemanns Argumentation zeigt, daß er für das Joh dieselbe Zuordnung von Inkarnation und Kreuz voraussetzt, die er bei Paulus findet und mit der Wendung „Kreuz als tiefste Schmach der Inkarnation“43 auf den Punkt bringen kann. Diese Zuordnung von Kreuz und Inkarnation überdenkt Käsemann nicht, sondern sieht sie im Joh unter umgekehrtem Vorzeichen bestätigt. Definiere Paulus Inkarnation und Kreuz über die Erniedrigung, so das Joh beide Konzepte über die Erhöhung. In Phil 2,6ff stellt Käsemann dieselbe Verbindung wie im Joh fest: Auch hier werde, was den Gehorsam des irdischen Jesus betreffe, der Tod als Vollendung der Inkarnation begriffen. Der entscheidende Unterschied zwischen der paulinischen und der joh Theologie liegt nach Käsemann darin, daß das Joh Inkarnation und Kreuz und damit auch den Vollendungsgedanken nur in räumlichen Kategorien denkt: Inkarnation ist Projektion der Präexistenzherrlichkeit, Passion Rückkehr in sie. In Phil 2 ändert der Präexistente sein Wesen, im Joh nur seinen Ort. Der joh Jesus erniedrigt sich nicht bis zum Tod am Kreuz, „sondern behält die Hoheit des Sohnes bis ans Kreuz.“44 Werde in Phil 2,9 der Gehorsam des irdischen Jesus mit der Erhöhung belohnt, so im Joh durch die Rückkehr zum Vater beendet.45 Während also Paulus die inkarnatorische Erniedrigung, die im Kreuz kulminiert, mit der Erhöhung kontrastiert, fehlt nach Käsemann im Joh dieser Kontrast, denn die Erhöhung könne hier die Inkarnation, die nicht Erniedrigung, sondern Kommunikation der göttlichen Herrlichkeit auf Erden sei, nicht kontrastieren, sondern nur vollenden. Umgekehrt formuliert: Die Vollendung der Inkarnation, das Kreuz, ist im Joh nicht Vollendung der Erniedrigung, sondern als Rückkehr Jesu zum Vater Bestätigung und Vollendung der Herrlichkeit und insofern Erhöhung. Erhöhung und Kreuz fallen zusammen, jedoch nicht als Paradox, denn das joh Kreuz hat nichts mit Erniedrigung zu tun.46 Die beiden exegetischen Kapitel dieser Arbeit kommen auf Käsemanns provozierende These zum Joh zurück und diskutieren das von ihm problematisierte Verhältnis von Inkarnationsaussage und Herrlichkeitsoffenbarung anhand des joh Textes.47

43

Käsemann, Heilsbedeutung, 79. Käsemann, Wille, 46. 45 Käsemann, Wille, 30.44. 46 Käsemann, Wille, 32f. 47 Von den zahlreichen Entgegnungen auf Käsemanns Büchlein und den Auseinandersetzungen mit seiner Joh-Interpretation vgl. Bornkamm, Interpretation; Richter, Fleischwerdung; Hegermann, Eigentum; Schweizer, Zeuge; Osborn, Kaesemann; Senft, Évangile; Onuki, Gemeinde, 188–190; Kohler, Kreuz, 45–63; Pokorný, Jesus; Thompson, Humanity, 1–11; Frey, Eschatologie I, 160–170; Rahner, Tempel, 26–39. 44

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1.2.2. Luise Schottroff Schottroff erörtert in ihrer Habilitationsschrift „Der Glaubende und die feindliche Welt“ die Bedeutung des gnostischen Dualismus für Paulus und das Joh. Während sie in einem ersten Teil die Übereinstimmungen verschiedener gnostischer Texte erhebt,48 um deren gemeinsamen Nenner zu bestimmen und zu definieren, was Gnosis ist, untersucht sie in einem zweiten Teil den Umgang mit gnostischem Gedankengut bei Paulus und im Joh. Obwohl es ein problematisches religionsgeschichtliches Projekt ist, ein gnostisches System zu rekonstruieren und für den zeitgeschichtlichen Kontext, in dem die neutestamentlichen Schriften entstanden sind, vorauszusetzen,49 ist Schottroffs Entwurf für die vorliegende Arbeit insofern von Interesse, als er das paulinische und das joh Verhältnis zur Gnosis ganz unterschiedlich einschätzt. Nicht die religionsgeschichtliche Fragestellung, sondern der von Schottroff behauptete Kontrast zwischen Paulus und dem Joh bildet denn auch den Fokus der folgenden Skizze. 1.2.2.1. Gnosis Das Zentrum gnostischer Theologie identifiziert Schottroff im „gnostischen Integritätsprinzip“, dem „Bemühen um Absicherung und um distanzierende Definition der dualistischen Bereiche“50. Licht und Finsternis, Heil und Unheil, weltferner Gott und gottfeindliche Welt hält der Gnostiker sorgfältig voneinander fern. Der innerweltliche Mensch steht zu beiden Polen in Beziehung, doch wird er in seinem Wesen von der Lichtwelt bestimmt, was seine Weltbeziehung abschwächt und ihn von einer negativen Wesensbestimmung distanziert.51 Obwohl geschöpflich an den Demiurgen gebunden und in der gottfeindlichen Welt gequält, kann sich der Mensch frei für das Heil entscheiden, denn sein Wesen ist von der Finsternis nicht betroffen und hat mit dem Demiurgen nichts zu schaffen. So wird in den gnostischen Texten nicht streng zwischen salvandus und salvatus unterschieden; vielmehr bildet das integre Wesen des Menschen die Voraussetzung, erlöst zu werden: Der Erlöser kann den salvandus nur aus der Finsternis rufen, weil dieser bereits zum Licht gehört und ihm einzig die heilsame Erkenntnis seiner Herkunft fehlt. Allerdings kann sich der Mensch auch gegen das Heils48 Um den gnostischen Dualismus zu beschreiben, geht Schottroff vom Apokryphon des Johannes aus, zieht dann aber auch andere gnostische Schriften hinzu. Die in diesen Texten entfalteten mythischen Vorstellungen werden von der Autorin existential interpretiert und auf ihre anthropologische Tragweite hin befragt. 49 Statt mit einer vorchristlichen Gnosis ist insbesondere in bezug auf das Joh mit gnostischen Tendenzen zu rechnen. Vgl. z.B. Becker, Beobachtungen; ders., Joh I, 66–70; Köster, discours; Hengel, Frage. Gegen die These einer vorchristlichen Gnosis vgl. Hengel, Ursprünge. 50 Schottroff, Glaubende, 98. 51 Schottroff, Glaubende, Kap. 1: „Die Belebung Adams in gnostischer Literatur“ (4–41).

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angebot entscheiden, womit er als pereundus der gottfeindlichen Welt überlassen wird. Daß die Gnosis jede Kontamination des himmlischen Bereichs mit der Welt zu vermeiden sucht, demonstriert Schottroff auch anhand der gnostischen Interpretation des Sophiamythos52 sowie der Darstellung der Erlösergestalt.53 Die gnostischen Texte distanzieren die mythischen Gestalten mit erlösender Funktion jeweils streng vom negativen Geschehen des Falls, so daß der Erlöser nicht mit dem Urmenschen bzw. der salvator nicht mit dem salvandus/salvatus identifiziert werden kann.54 Der Abstieg des Erlösers in die Welt dient allein dem Zweck, die Selbstoffenbarung Gottes mit der Finsternis zu konfrontieren und den Menschen ihre himmlische Herkunft in Erinnerung zu rufen. Das Wie des Abstiegs bleibt unanschaulich, die Integrität des Erlösers wird keinesfalls tangiert. 1.2.2.2. Antignostische Theologie bei Paulus Anhand I Kor 15 und I Kor 1,18–2,16 erörtert Schottroff die paulinische Auseinandersetzung mit der Gnosis, die sie für den sachgemäßen religionsgeschichtlichen Hintergrund dieser Schriftstellen hält. Paulus übernehme Vorstellungen des gnostischen Dualismus, widerspreche aber in entscheidender Weise dem gnostischen Integritätsprinzip, wenn er den unerlösten Menschen ohne Vorbehalt dem negativen Pol des Dualismus zuordne: Der paulinische salvandus entspricht dem gnostischen pereundus. Heil ereignet sich nicht als Befreiung des integren Wesens des Menschen aus der gottfeindlichen Welt, sondern als umfassende Neuschöpfung des an Leib und Wesen negativ bestimmten Menschen: Paulus unterscheidet streng zwischen dem salvandus und dem salvatus.55 Die radikale Kritik von Paulus am gnostischen Integritätsprinzip seiner korinthischen Gegner gründet nach Schottroff in der Kreuzespredigt: Christus als den Gekreuzigten zu verkündigen heißt, die dualistische Distanz von Gott und gottfeindlicher Welt zu beseitigen, besagt doch das Kreuz, daß Gott sich auf das Törichte und Schwache einläßt, daß er sich dem in der Gottfeindlichkeit verlorenen Menschen zuwendet. Setzt der Gnostiker alles daran, die himmlische Macht von der Welt fernzuhalten, und lehnt er deshalb die Kreuzespredigt als Unheilsverkündigung ab, so erweist er sich gerade darin als von der Welt bestimmt, während der mit dem Geist Gottes 52 Schottroff, Glaubende, Kap. 2: „Probleme des Sophiamythos in gnostischer Literatur“ (42–86). 53 Schottroff, Glaubende, Kap. 3: „Zum Verständnis der Erlösung und des Erlösers“ (87– 114). 54 Die christliche Gnosis unterscheide denn auch zwischen irdischem Jesus und erlösendem Christus (Schottroff, Glaubende, 75ff.224). 55 Schottroff, Glaubende, Kap. 4: „Die paulinische Auseinandersetzung mit dualistischer Anthropologie in 1.Kor.15“ (115–169).

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Begabte die Kreuzespredigt, daß Gott durch Torheit rettet, als Weisheit versteht und ein neues Selbstverständnis gewinnt: Er weiß sich der feindlichen Welt verhaftet, gleichzeitig aber von Gott aus ihr gerettet. 56 1.2.2.3. Johanneische Gnosis Anders als bei Paulus findet Schottroff im Joh keine Kritik am gnostischen Integritätsprinzip, sondern sieht das Evangelium vielmehr einer fundamentalen Wesensdistanz von Gott und Welt verpflichtet, die sie als Dualismus gnostischer Provenienz identifiziert.57 Nach Schottroff liegt dem Joh wie den gnostischen Texten ein Dualismus zugrunde, der sich streng am Gegensatz von Annahme und Ablehnung der Offenbarung orientiert, denn die antithetische Begrifflichkeit des Evangeliums beziehe ihre Wertigkeit von der sich in der Offenbarung ereignenden Konfrontation.58 In dieses gnostische Bezugssystem integriere das Joh die christliche Tradition. Dem möglichen Einwand, daß Stellen wie Joh 1,14 oder 3,16 das gnostische Integritätsprinzip kritisieren und durchbrechen, begegnet Schottroff mit einer Untersuchung der joh UJOGKC-Darstellung: Die Wunder begründen im Joh zwei Arten des Sehens und Glaubens, die voneinander abgegrenzt und unterschiedlich gewertet werden. Während das richtige Wunder-Sehen den himmlischen Offenbarer zum Gegenstand hat, richtet sich das falsche bzw. mißverstehende auf den innerweltlichen Effekt des Wunders. Obwohl das Joh diesen innerweltlichen Effekt des Wunders abwertet, ihn als irrelevant und als falsches Objekt des Sehens beurteilt, bestreitet es seine Realität nicht. Es folgt damit dem gnostischen Integritätsprinzip, das MQUOQL und SGQL einander dualistisch gegenüberstellt. Dieses bestimmt auch das Verhältnis von UCTZ und FQZC Jesu: Die innerweltliche Existenz Jesu, sein durchaus reales Menschsein, tangiert das Wesen des himmlischen Offenbarers nicht, so daß dieser trotz seiner Menschwerdung integer bleibt.59 Der Glaubende richtet seinen Blick denn auch auf Jesu FQZC, ohne sich von der 56

Schottroff, Glaubende, Kap. 5: „Die paulinische Auseinandersetzung mit dualistischer Christologie in 1.Kor.1,18–2,16“ (170–227). 57 Schottroff, Glaubende, Kap. 6: „Die johanneische Gnosis“ (228–296). Schottroff hat diese These revidiert. Sozialgeschichtliche und feministische Überlegungen führten sie dazu, den joh Dualismus neu zu lesen. Ihre neue Lesart betont den positiven Weltbezug der joh Gemeinde und beurteilt das Evangelium nicht mehr als körperfern, weltfeindlich und apolitisch. Vgl. Schottroff, Sexualität, 444; dies., Aspects, insb. 206.208; dies., Reich, 107 Anm. 17. 58 Schottroff geht hier mit Käsemann einig. 59 Gegen Bultmann (s.u.) ist nach Schottroff das Verhältnis der beiden Wirklichkeiten also nicht als Paradoxie, sondern als „Zweigleisigkeit“ (Schottroff, Glaubende, 278) zu verstehen. Aber auch der „naive Doketismus“ Käsemanns ist fehl am Platz, denn die innerweltliche Existenz Jesu wird nicht als Schein abqualifiziert, sondern ist Realität. Jesus ist ein gewöhnlicher Mensch, gerade auch als SGKQLCXPJT, aber der himmlische Offenbarer wird von dieser innerweltlichen Existenz nicht tangiert. Nicht doketisch sei das Joh, sondern gnostisch dualistisch.

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irrelevanten UCTZ irritieren zu lassen.60 So ist nach Schottroff Joh 1,14 nicht als Kritik, sondern als Bestätigung des gnostischen Dualismus zu lesen. Joh 3,16 sieht Schottroff insofern ins gnostische System eingegliedert, als hier ganz in Entsprechung zur Gnosis herausgestellt werde, daß die Welt sich frei für ihre Verlorenheit entscheidet, wenn sie das Heilsangebot ausschlägt. Erst in der Konfrontation mit dem Heilsangebot konstituiere sich die Welt durch ihre negative Entscheidung als gottfeindliche bzw. der Mensch als pereundus. Allerdings räumt Schottroff ein, daß in Joh 3,16 die Formulierung selbst höchst ungnostisch sei, da sie sich in fahrlässiger Weise dem Mißverständnis ausliefere, Gott richte sein Heilsgeschehen an die gottfeindliche Welt, was jedoch für das Joh keinesfalls in Betracht komme. Für dieses gibt es nach Schottroff weder eine Zeit vor noch eine Zeit nach der Offenbarung, sondern nur das Jetzt der Entscheidung, nur den Zeitpunkt der Offenbarung, d.h. der Scheidung zwischen Heil und Unheil, zwischen salvatus und pereundus, Glaubendem und feindlicher Welt.61 Das Joh erweist sich in Schottroffs Auslegung als gnostisches System, das christliche Tradition adaptiert. Seine Christologie wird von einer radikalen Zweigleisigkeit zwischen UCTZ und FQZC Jesu beherrscht, und seine Soteriologie erschöpft sich darin, daß der Glaubende, der seinen Blick von Jesu UCTZ weg auf die FQZC des himmlischen Offenbarers richtet, von diesem aus der feindlichen Welt befreit wird.62 1.2.2.4. Paulus und Johannes als Alternativen Schottroff stellt die paulinische und die joh Theologie einander insofern konträr gegenüber, als sie ihnen einen ganz unterschiedlichen Umgang mit dem gnostischen Integritätsprinzip zuordnet. Während die paulinische Kreuzespredigt die Gnosis kritisiert und das dualistische Gegenüber von unweltlichem Gott und gottloser Welt durchbricht, ist das Joh ebendiesem von Paulus kritisierten, gnostischen System verhaftet, in das es christliche Traditionen integriert. Schottroff folgert denn auch, daß „der paulinische und der johanneische Heilsentwurf nicht miteinander auszugleichen [sind], sie sind Alternativen.“63 Schottroffs Gegenüberstellung von paulinischer und joh Theologie erfolgt nicht über einen direkten Vergleich der jeweiligen Kreuzesinterpretation, sondern die Autorin stellt der paulinischen Kreuzespredigt die joh 60 In bezug auf das Kreuz heißt dies, daß der Glaubende seinen Blick nicht auf die Kreuzigung als innerweltliches Geschehen richtet, sondern auf die Erhöhung als himmlisches Ereignis (Schottroff, Glaubende, 275). 61 Schottroff, Glaubende, 231–234. 62 Zur Kritik von Schottroffs These des gnostischen Dualismus im Joh vgl. Thyen, Literatur 1974, 231–240. Weitere Auseinandersetzungen mit Schottroffs Joh-Interpretation bei Kohler, Kreuz, 64–84; Frey, Eschatologie I, 170–179; Rahner, Tempel, 39–51. 63 Schottroff, Glaubende, 296.

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Wundererzählungen gegenüber bzw. konstatiert in der paulinischen Kreuzesinterpretation und in der joh UJOGKC-Interpretation einen unterschiedlichen Umgang mit der Gnosis. Ihr Kritikpunkt am Joh ist nicht an erster Stelle ein defizitäres Kreuzesverständnis – obwohl sie ein solches auch feststellt –, sondern ein defizitäres Verständnis der innerweltlichen Realität überhaupt. Obwohl Schottroff anders als Käsemann das Joh nicht für doketisch hält, sondern vielmehr feststellt, daß es die Realität der innerweltlichen Existenz Jesu ohne Abstriche bestätigt, zieht sie die mit der Inkarnation verbundene Auslieferung Gottes an die Welt in Zweifel. Diesen Zweifel begründet sie damit, daß das Joh das innerweltliche Urteil, Jesus sei ein gewöhnlicher Mensch, zum Mißverständnis erkläre, statt es gleichberechtigt bzw. in paradoxer Weise neben das Bekenntnis zu stellen, daß Jesus Gottes Sohn ist. Das Mißverständnis läßt sich nach Schottroff nur negativ beurteilen. Es bilde die Alternative des richtigen Glaubens,64 nicht dessen Voraussetzung. Bezüglich Schottroffs Methodik, mit der sie die paulinische Kreuzespredigt und die joh UJOGKC-Erzählungen einander gegenüberstellt, gilt es kritisch zu fragen, ob die Exegetin das paulinische Konzept der Torheit des Kreuzes und das joh Konzept des Mißverständnisses der Inkarnation nicht mit verschiedenen Ellen mißt, wenn sie letzterem im Gegensatz zu ersterem jede konstitutive christologische Funktion abspricht: Wie läßt sich entscheiden, ob das joh Mißverständnis die innerweltliche Ebene des Offenbarers abwertet oder ob dieses erzähltechnische Mittel vielmehr gerade dazu dient, affirmativ auf diese Ebene aufmerksam zu machen? Dieses methodische Grundproblem der Joh-Interpretation, nämlich die Relation der verschiedenen im Evangelium entfalteten Verstehensebenen zur joh Christologie zu bestimmen, ist in den exegetischen Teilen dieser Arbeit zu reflektieren. Dabei sind die beiden Buchteile des Evangeliums nicht von vornherein auf derselben Ebene zu situieren, wie Schottroff es tut,65 sondern einer je gesonderten Prüfung zu unterziehen.66 Kommt in Joh 1–12 dem Mißverständnis eine konstitutive christologische Funktion zu, heißt dies noch lange 64

Schottroff, Glaubende, 254.277f. Schottroff parallelisiert das Problem der Inkarnationsaussage mit demjenigen der Passionsgeschichte. Sie versteht letzteres in Abhängigkeit von ersterem und situiert das Kreuz in demselben Schema der Zweigleisigkeit wie die Inkarnation. Schottroff, Glaubende, 275: „Obwohl Jesus ein gewöhnlicher Mensch ist, hat sich die Gottheit durch seine Menschwerdung dem Zugriff der Finsternis nicht ausgeliefert. Der Blick der Glaubenden richtet sich nicht auf Jesu UCTZ, sondern auf seine FQZC, richtet sich nicht auf das Kreuz, (die ‚Erhöhung‘ an das Kreuz als innerweltliches Geschehen), sondern auf die eigentliche Erhöhung, seine Heimkehr in den Himmel.“ 66 Vgl. Schottroffs eigenes Urteil (Schottroff, Sexualität, 444): Die Passionsgeschichte des Joh sei bei ihrer Lesart des joh Dualismus als eines körperfernen, weltfeindlichen und apolitischen unmerklich aus dem Blick geraten. Ob die joh Kreuzigungserzählung tatsächlich als Korrektiv gegenüber einer gnostischen Lesart dient, ist in Kap. 3 dieser Arbeit zu prüfen. 65

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nicht, daß dieses literarische Mittel in Joh 13–20 weiterhin bzw. in derselben Weise zum Zuge kommt. 1.2.3. Peter von der Osten-Sacken Nach Käsemann und Schottroff übte kaum mehr ein Exeget oder eine Exegetin fundamentale Sachkritik am Joh. Verschiedene Stimmen haben auf problematische Aspekte der joh Theologie, insbesondere ihrer Kreuzesinterpretation, hingewiesen,67 allerdings ohne ihre grundsätzliche Relevanz zu bestreiten. Als ein Beispiel solch begrenzter Kritik wird im folgenden von der Osten-Sackens Position skizziert. Da Becker und Müller das Joh als gegenüber der paulinischen Kreuzestheologie eigenständigen Entwurf würdigen und diesen erst an zweiter Stelle kritisch beurteilen, werden ihre Joh-Interpretationen in Abschnitt 1.4. diskutiert. Von der Osten-Sacken versucht in seinem Aufsatz „Leistung und Grenze der johanneischen Kreuzestheologie“, die Alternative, ob die joh Theologie gnostisch oder antignostisch, eine Kreuzestheologie oder eine Herrlichkeitstheologie sei, durch die These zu sprengen, „daß das Johannesevangelium antignostisch sein will, aber diese Intention nicht durchhält.“68 Zwar sei das Joh bestrebt, das Auftreten Jesu im Zeichen seines Kreuzes zu begreifen, doch erreiche es nicht die entscheidende Tiefe der paulinischen Reflexion. Das durchgängige, mit Monotonie entfaltete Thema des Joh sei die Offenbarung Gottes im irdischen Jesus, die Einheit des Sohnes mit dem Vater. „Der irdische Jesus ist der Erhöhte und der Erhöhte niemand anders als der Fleischgewordene und Gekreuzigte.“69 Diese Identität von irdischem und himmlischem Jesus zu betonen sei zwar insofern eine theologische Leistung, als damit der Absolutheitsanspruch Christi unmißverständlich deutlich gemacht werde, gleichzeitig markiere aber gerade dieser Absolutheitsanspruch die Grenze der joh Kreuzestheologie, denn er führe zu einer präsentisch-eschatologischen und dualistischen Theologie mit einem gebrochenen Zeit- und Wirklichkeitsverhältnis. Im Sohn „ist die Fülle der Heilszeit in einem solchen Maß gegeben, daß sie alle andere Zeit verschlingt“70. Wenn sich aber im Jetzt die endgültige Teilhabe an Heil und Unheil, die Herkunft vom Teufel oder aus Gott entscheide, gebe es für die Welt und insbesondere für die Juden keine Hoffnung mehr. Die nichtglaubende Menschenwelt werde durch Absonderung dem Teufel überlassen. Der Kreuzestod Jesu illustriere im Joh den Kulminationspunkt der Ablehnung Jesu durch die Welt und mache deutlich, daß Jesus nicht zur Welt, sondern zu Gott gehöre. „Darum ist das Geschehen, das die Ablehnung Jesu durch die Welt konsequent zuende bringt, das Kreuz, zugleich seine Verherrlichung und

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S.o. Anm. 5. Von der Osten-Sacken, Leistung, 157. 69 Von der Osten-Sacken, Leistung, 163. 70 Von der Osten-Sacken, Leistung, 173. 68

Exklusives Kreuz. Kreuzestheologie im Johannesevangelium

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Erhöhung. Der Haß der Welt wird zum Ausdruck der Liebe des Vaters und der Einheit mit ihm.“71 Demgegenüber betone Paulus, der Zeit und Wirklichkeit differenziert betrachte, daß Christus am Kreuz sich der Feinde, der Gottfernen, erbarmt habe. „Auch als zum Glauben Gekommener sieht er sich ständig als den, der er einmal war. Er bleibt sich dessen bewußt, was ihn mit der Welt verbindet. Das alles, weil Jesus Christus das Heil nicht zeitlos oder nicht jenseits der Zeit, sondern in ihr gebracht hat.“72 Dieser Grundsatz der Kreuzestheologie gehe im Joh verloren. Während Paulus die Welt auch als Glaubender an sich selbst erleide und die Hoffnung für Israel nicht fahren lasse (Röm 9–11), führe die Weltdistanz des joh Glaubens in einen gefährlichen Antijudaismus.

1.3. Exklusives Kreuz. Kreuzestheologie im Johannesevangelium Die radikale Position Käsemanns gegenüber der joh Christologie habe in der neutestamentlichen Exegese „die überwiegende Meinung in die gegenteilige Richtung gedrängt.“73 Tatsächlich folgten Bornkamms Antwort auf Käsemann bis heute zahlreiche Monographien und Aufsätze, die das Joh in kreuzestheologischer Richtung interpretieren.74 Auf zwei von ihnen, die Entwürfe von Wengst und Kohler, wird im folgenden näher eingegangen. Anschließend werden in knapperer Form weitere Arbeiten kreuzestheologischer Ausrichtung skizziert. 1.3.1. Klaus Wengst Wengst stellt das methodische Grundproblem, wie die beiden im Joh entfalteten Verstehensebenen – die irdische und die himmlische Dimension Jesu – zu werten sind, an den Anfang seiner kurzen Monographie zum Joh: „Es käme darauf an, die Funktion zu bestimmen, die die Aussagen des Evangeliums insgesamt haben. Aber woher kann ein einigermaßen verläßliches Kriterium für eine solche Funktionsbestimmung gewonnen werden?“75 Das 71

Von der Osten-Sacken, Leistung, 162. Von der Osten-Sacken, Leistung, 175. 73 Müller, Eigentümlichkeit, 26. 74 Vgl. Bornkamm, Interpretation; Schweizer, Zeuge; Wengst, Gemeinde; Baum-Bodenbender, Hoheit; Schnelle, Christologie, insb. 189–192.256; Kohler, Kreuz; Thompson, Humanity, insb. 87–115; Bühler, Johannes; Weder, Asymmetrie; Knöppler, theologia crucis; Wilckens, Christus; Rahner, Tempel; Lang, Johannes; Nielsen, Understanding; Metzner, Sünde, insb. 133–139; Frey, Deutung; ders., theologia crucifixi. 75 Wengst, Gemeinde, 42. 72

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verläßliche Kriterium findet Wengst in der ersten Leser- und Hörerschaft des Joh: Der historische Ort des Evangeliums soll den Schlüssel zu dessen Interpretation liefern. 1.3.1.1. Der historische Ort des Johannesevangeliums Verschiedene Motive im Joh zeigen nach Wengst deutlich, daß sich das Evangelium an eine christliche Hörer- und Leserschaft, die joh Gemeinde, wendet. Deren schon vorhandenen Glauben zu festigen ist, wie in Joh 20,31 angegeben, Ziel und Zweck der Schrift. Eine Situation, die den Glauben der einzelnen Gemeindeglieder gefährdete, muß die Abfassung des Evangeliums veranlaßt haben. Insofern der Evangelist auf diese Situation Bezug nimmt und die Erfahrungen seiner Gemeinde in die Zeit Jesu zurückprojiziert, läßt sich der historische Ort und mit ihm der hermeneutische Schlüssel des Evangeliums rekonstruieren. Die bedrängende Situation der vorwiegend aus Judenchristen bestehenden Gemeinde wurzelt nach Wengst in einem heftigen Konflikt mit der sich herausbildenden rabbinischen Orthodoxie: Von dieser als Ketzer eingestuft und aus der Synagoge ausgeschlossen, sind die Gemeindeglieder von wirtschaftlichen Sanktionen und Lynchjustiz bedroht. Theologischer Gegenstand des ursprünglich innerjüdischen Konflikts bildet die Behauptung der joh Gemeinde, Jesus sei der Messias und in seinem Wirken sei Gott selbst am Werk. Das Joh setzt alles daran, die Argumente, mit denen dieser Anspruch von rabbinisch-jüdischer Seite bestritten wird, zu widerlegen und die Gemeinde in ihrem Glauben zu bestärken, denn bereits haben zahlreiche Glieder die Gemeinde verlassen und sind in die Synagoge zurückgekehrt. Aufgrund der spezifischen Merkmale dieses Konflikts lokalisiert Wengst die joh Gemeinde in den südlichen Teilen des Königreichs von Agrippa II, Gaulanitis und Batanäa, und datiert die Abfassung des Evangeliums zwischen 80 und 90 n.Chr. 1.3.1.2. Gottes Identifikation mit dem Gekreuzigten Vor dem Hintergrund dieser Konfliktsituation bestimmt Wengst die Funktion, „die die Aussagen des Evangeliums insgesamt haben“76, und damit die joh Theologie. Nicht Jesu Menschsein, seine Herkunft aus Nazaret oder sein Tod am Kreuz bildet den strittigen Punkt im Konflikt zwischen der joh Gemeinde und dem orthodoxen Judentum, sondern die Behauptung, daß dieser Mensch Jesus der Messias ist, daß auf seinem Weg von Nazaret bis ans Kreuz Gott selbst begegnet. Um diese Behauptung gegenüber den Angriffen der Orthodoxie zu verteidigen und die Gemeinde ihres Glaubens an die Gottessohnschaft Jesu zu versichern, bedient sich der Evangelist christologischer Hoheitsaussagen. Vom Prolog bis zum Thomasbekenntnis wird 76

S.o. (zu Anm. 75) das ganze Zitat.

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sein Bestreben deutlich, Gottes Präsenz in Jesus herauszustellen und zu betonen. Dieses Bestreben führt nach Wengst den Evangelisten denn auch dazu, Jesus als Souverän seines Geschicks, insbesondere seiner Passion, darzustellen: Jesus tritt in der Passionserzählung nicht als Opfer auf, sondern als aktiver Handlungsträger, der weiß, was um ihn herum geschieht und was mit ihm geschehen wird. Zielt die joh Darstellung darauf, den am Kreuz Sterbenden mit Gott zu identifizieren, so läßt sich aus ihr umgekehrt die theologische Grundaussage gewinnen, daß „sich Gott mit dem Tod Jesu am Kreuz identifiziert hat“77. Jesu Menschsein und sein Tod werden durch die Hoheitsaussagen nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr in einen unauflösbaren Zusammenhang mit Gott gebracht. Die einzigartige Bedeutung des Todes Jesu im Joh demonstriert Wengst anhand von fünf Motiven: 1. Die Täuferaussage in Joh 1,29 und die verschiedenen Anspielungen im Passionsbericht zeigen, daß Jesus im Joh als endzeitliches Passalamm verstanden wird. Dieses Motiv verbindet Jesu Tod mit der Vorstellung der stellvertretenden Sühne. „Gerade auf dem Weg Jesu zum Kreuz begegnet Gott zum Heil für die Welt.“78 2. In der Verspottungsszene in Joh 19,1–5 zeichnet der Evangelist Jesus als Elendsgestalt und bestätigt damit die Ansicht der Gegner, die die joh Gemeinde bedrängen. Zugleich unterstreicht er jedoch anhand des Königsmotivs sein zentrales Zeugnis, „daß nämlich gerade der Gekreuzigte wahrhaftig der König ist.“79 3. Dieselbe Struktur prägt die Fußwaschungsszene in Joh 13,1–20, wo sich „der von Gott Gekommene als solcher gerade in der Niedrigkeit dienender Liebe“80 offenbart. Mit dieser symbolischen Handlung interpretiert der Evangelist den Kreuzestod Jesu als endgültigen Liebeserweis Gottes. 4. In den Abschiedsreden wird Jesu Tod als einmaliges, vom Parakleten den Jüngern immer wieder vergegenwärtigtes Ereignis angekündigt. Indem der Evangelist Jesu Weggang als heilvolle Zäsur interpretiert, spendet er seiner drangsalierten Gemeinde, die sich in den geängstigten Jüngern wiedererkennt, Trost. Allerdings zeigt der Abschnitt Joh 16,29–32, „daß für sie das Durchhalten des Glaubens gerade angesichts dessen gilt, den ihre Gegner aufgrund seines Endes am Kreuz verspotten.“81 5. Schließlich weist auch das Motiv des Sehens auf die zentrale Bedeutung des Todes Jesu hin. Die Aussage, daß sich die Glaubensentscheidung angesichts der Person Jesu vollzieht, wird präzisiert, indem Jesus als der Gekreuzigte in die Mitte des Blickfelds rückt. „Genau im Blick darauf [sc.: auf Jesu Weg ans Kreuz] wird Erkennen und Sehen Gottes ausgesagt, der hier, gerade hier, präsent 77

Wengst, Gemeinde, 197. Wengst, Gemeinde, 203. 79 Wengst, Gemeinde, 207. 80 Wengst, Gemeinde, 209. 81 Wengst, Gemeinde, 215. 78

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ist.“82 Die Thomasgeschichte zeigt unmißverständlich, wer Gegenstand des Sehens und Glaubens ist: der auferweckte Gekreuzigte. Die fünf Motive weisen nach Wengst deutlich auf die theologische Spitze des Joh hin, auf die Identifikation Gottes mit dem gekreuzigten Jesus: „Damit werden in der Person Jesu Gott und Erniedrigung, Gott und Leiden, Gott und Tod und auch Gott und Sünde zusammengedacht […].“83 Dieses Zusammendenken führt in die Überwindung von Tod und Leiden durch Gottes Liebe und spricht der Gemeinde, die in ihrem Leiden in der Konformität mit Jesus steht, Leben zu. Gründet die Heilszusage im Kreuzestod Jesu, so auch das Liebesgebot: Die Jünger werden aufgefordert, sich in Konformität mit Jesu Liebeshandeln zu üben. Für die Glieder der joh Gemeinde bedeutet dies, sich ungeachtet der sozialen und wirtschaftlichen Gefährdung offen zu Jesus zu bekennen und in Solidarität mit den Glaubensgeschwistern zu leben. Doch wird das joh Liebesgebot nicht auf eine innergemeindliche Ethik reduziert, so daß der Welt mit Haß zu begegnen wäre. Solidarität ist vielmehr auch gegenüber Leidenden und Unterdrückten außerhalb der Gemeinde gefordert, denn Joh 3,16 zeigt nach Wengst, daß der Evangelist Gottes Liebe nicht auf die Glaubensgemeinde beschränkt, sondern die Welt als ihr Ziel bezeichnet. 1.3.1.3. Bedrängte Gemeinde und kreuzestheologischer Interpretationsansatz Wengst begründet seine kreuzestheologische Interpretation des Joh mit dem historischen Ort des Evangeliums. Vor dem Hintergrund der bedrängten Gemeinde, an die sich das Joh richte, kläre sich die Funktion seiner Aussagen, nämlich die Gemeinde ihres Glaubens zu vergewissern. So dienten die Hoheitsaussagen dem Zweck, die von der jüdischen Umwelt bestrittene Messianität Jesu zu verteidigen und den Lesern des Evangeliums vor Augen zu führen: Sie stellen die Niedrigkeit Jesu nicht in Frage, sondern behaupten im Gegenteil, daß „gerade“ der erniedrigte, verspottete und gekreuzigte Jesus der Messias ist. Die theologische Interpretation in einer konkreten Kommunikationssituation zu verankern ist eines, die Kommunikationssituation als Argument für die Interpretation heranzuziehen ein anderes. Zwar räumt Wengst selbst ein, daß zwischen den theologischen Aussagen des Evangeliums und dessen historischem Ort kein notwendiger Zusammenhang bestehe, dennoch hält er aber fest, daß das Joh erst angemessen verstanden werden könne, wenn seine Funktion gegenüber den Adressaten geklärt sei,84 und überschreibt das 82

Wengst, Gemeinde, 217. Wengst, Gemeinde, 223. 84 Wengst, Gemeinde, 46–48. „Ein angemessenes Verstehen des Johannesevangeliums ist nur möglich, wenn erkannt wird, was es in der Situation derjenigen bewirken und bewegen wollte, für die es geschrieben worden ist.“ (ebd., 46) „Dabei sollen die theologischen Aussa83

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letzte Kapitel, das nach der historischen Analyse die Theologie des Evangeliums erörtert, mit „Konsequenzen für die Interpretation des Johannesevangeliums“85. Es stellt sich die Frage, wie denn die methodische Vermittlung zwischen Produktionssituation und theologischer Aussage des Evangeliums überhaupt möglich ist, wenn kein notwendiger Zusammenhang besteht. Welche „Konsequenzen“ sollen gezogen werden? Ließe sich nicht auch die doketische oder die gnostische Lesart der joh Hoheitsaussagen mit der Situation einer bedrängten Gemeinde begründen? Das methodische Grundproblem, wie die verschiedenen Verstehensebenen im Joh zu bewerten sind, wird durch die Bestimmung der Situation der joh Gemeinde nicht gelöst, sondern verschoben. Das Problem lautet jetzt: Wie läßt sich entscheiden, ob der Evangelist seine bedrängte Gemeinde mit kreuzestheologischen Aussagen tröstet oder mit doketischen oder gnostischen Aussagen vertröstet?86 Gerade in bezug auf Wengsts Interpretation des Joh gilt es kritisch zu fragen, ob eine kreuzestheologische Interpretation dem Joh gerecht wird; um so mehr, als Wengst auch im stärker exegetischen Teil seines Werks nicht aufzeigt, welche Textsignale Gott und den Gekreuzigten in ein identifikatorisches Verhältnis rücken. Läßt sich aufgrund der vagen Anspielung in 19,14 behaupten, die Verweise auf das Passalamm (19,33.36) interpretierten Jesu Kreuzestod als Sühnetod, so daß die Hoheit Jesu eng mit seiner Hinrichtung verknüpft werde? Anhand welcher Textsignale in 19,1–5 erkennt Wengst, daß Jesus gerade als verspottete Elendsgestalt – und nicht ungeachtet oder trotz seiner Verspottung – der wahre König ist? Das methodische Problem, das bereits im Zusammenhang von Schottroffs Arbeit diskutiert wurde, stellt sich hier unter umgekehrten Vorzeichen. Während Schottroff die Zweigleisigkeit von UCTZ und FQZC Jesu sowie der entsprechenden Verstehensebenen postuliert, verbindet Wengst diese Ebenen und läßt Jesu Erniedrigung und Erhöhung am Kreuz zusammenfallen. Die Inkarnationsaussage ist in Wengsts Joh-Interpretation dem Kreuz untergeordnet: Nach seiner Auffassung macht erst der Kreuzestod die Menschwerdung oder das Menschsein Jesu zum soteriologischen Ereignis. Ein anderer kreuzestheologischer Entwurf, auf den im nächsten Abschnitt eingegangen wird, beschäftigt sich unter dem Titel „Kreuz und Menschwerdung im Johannesevangelium“ ausdrücklich mit diesem Problemkreis.

gen des Evangeliums keineswegs durch Analyse der ‚Produktionsbedingungen‘ als notwendig erklärt werden.“ (ebd., 47) 85 Wengst, Gemeinde, 185. 86 Müller, der die joh Interpretation des Kreuzestodes Jesu ebenfalls in der Situation der Gemeinde verankert (s.u. Abschnitt 1.4.4.), vertritt denn auch eine Wengst entgegengesetzte Auffassung: Der Evangelist versuche seine Gemeinde gerade dadurch zu trösten, daß er den Anstoß des Kreuzestodes beseitige. Vgl. Müller, Bedeutung, Abschnitt VI (65–68).

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1.3.2. Herbert Kohler Auch Kohler vertritt die Auffassung, die paulinische theologia crucis werde im Joh nicht verflüchtigt; vielmehr zeichne sich dieses Evangelium gerade dadurch aus, daß es die paulinische Einsicht in bezug auf die Christologie bis zum Inkarnationsgedanken vertiefe und damit die explizite Kreuzestheologie in eine implizite überführe. Was die Sprachform betreffe, unterscheide sich deshalb die joh Theologie von der paulinischen, während in der Sache prinzipiell Übereinstimmung bestehe. Indem die joh Christologie mit der Aussage, daß der NQIQL Fleisch wurde, die Vergeschichtlichung der Rede von Gott auf den Begriff bringe, sei sie nicht nur konsequenter als die paulinische, sondern markiere überhaupt „den Höhe- und Endpunkt der Christologie im Neuen Testament“87. 1.3.2.1. Die Anschaulichkeit des fleischgewordenen Logos Nach einer ausführlichen Darstellung der Problemgeschichte begründet Kohler seine These zur joh Christologie anhand von vier Exegesen, deren Auswahl sich an der Zweiteilung des Evangeliums in öffentliche Wirksamkeit und Passion Jesu orientiert. Er exegesiert die Anfangs- und Schlußabschnitte der beiden Hauptteile in umgekehrter Reihenfolge: die Begegnung des Auferstandenen mit Thomas (Joh 20,19–29), die Fußwaschung (13,1– 17), die letzte Offenbarungsrede (12,27–36) und die erste Offenbarungsrede (3,14–21). Im folgenden wird der theologische Ertrag dieser Exegesen kurz skizziert und diskutiert.88 In allen vier Exegesen stellt Kohler den Kreuzestod Jesu in die Mitte seiner Reflexion und zeigt auf, wie dieser dem allgemeinen Gedanken der Menschwerdung Gottes eine konkrete Gestalt verleiht. Umgekehrt formuliert: „Der Gedanke, daß Gott im konkreten Menschen Jesus von Nazareth menschgeworden ist, ist nur über den entschlossenen Gebrauch der Rede vom Tod Jesu am Kreuz denkmöglich geworden.“89 So identifizieren die Wundmale den Auferstandenen als lebenden Gekreuzigten, verweisen auf Jesu konkretes Menschsein und offenbaren damit die geschichtliche Wirklichkeit Gottes. Die beiden Offenbarungsreden Jesu am Anfang und am Schluß seiner öffentlichen Wirksamkeit interpretieren den Tod am Kreuz als Erhöhung, die als Erhöhung ans Kreuz alle weltlichen Machtvorstellungen unterbietet und Gottes Hoheit mit Jesu Tod verbindet: Die Doxa des Vaters erscheint in der Niedrigkeit des gekreuzigten Sohnes. Indem der Gekreuzigte den Tod auf sich nimmt, so daß sich dessen Macht ganz an ihm 87

Kohler, Kreuz, 11. Detailliertere Auseinandersetzungen mit einzelnen exegetischen Thesen sind in Kap. 2 und 3 dieser Arbeit zu finden. 89 Kohler, Kreuz, 154. 88

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„auswirkt“90, entsteht wahres, ewiges Leben. Die Fußwaschung als Vorwegvollzug des Kreuzestodes offenbart denn auch „einen dem Zug der Liebe in die Tiefe folgenden Christus“91. In der Sendung Jesu ans Kreuz erweist sich Gott als der wahrhaft und zuvorkommend Liebende, dessen Wille zur Liebe nicht ambivalent ist, die Möglichkeit des Unglaubens jedoch offen läßt. Der Glaube nimmt die in Jesu Sendung ans Kreuz anschaulich gewordene Liebestat Gottes wahr und erfährt wahres Leben. Diese Erfahrung zu reflektieren ist der Sinn der joh Inkarnationsaussage. 1.3.2.2. Die Rede vom Kreuz Jesu als der Menschwerdung Gottes „Das vierte Evangelium macht vom Kreuz Jesu einen solchen theologischen Gebrauch, daß es von der Menschwerdung Gottes reden kann. Anders gesagt: die Rede von der Menschwerdung des ewigen Logos zeigt präzis an, daß der Kreuzestod Jesu theologisch verstanden worden ist.“92 Kohler versteht die joh Inkarnationsaussage als konsequentes Interpretament des Kreuzes. Als solches lasse sie sich nicht vom Kreuz lösen und verselbständigen, sondern bleibe vielmehr stets streng auf den Gekreuzigten bezogen. Nur in diesem Bezug sei die Aussage der Menschwerdung Gottes theologisch wertvoll, denn durch die Identifikation von Menschgewordenem und Gekreuzigtem werde die allgemeine Rede der Menschwerdung Gottes konkretisiert und die geschichtliche Wirklichkeit Gottes theologisch reflektiert. Kohler sieht also in der Ausbildung des Inkarnationsgedankens die perfekte Weiterführung der paulinischen Kreuzestheologie. Es stellt sich die Frage, ob das Joh selbst dieses Abhängigkeitsverhältnis zur Darstellung bringt und die Inkarnation als Interpretament des Kreuzes reflektiert. Kohler begründet die kreuzestheologische Auslegung des Joh mit dem „Zirkel des Evangeliums“93, der „das Bekenntnis des Thomas angesichts des auferstandenen Gekreuzigten zu seinem Herrn und Gott (Joh 20,28) mit demjenigen Logos verbindet, der in der Archee war (1,1) und der im herrlichen Ereignis seiner Fleischwerdung (1,14) den ungesehenen Gott vollkommen anschaulich ausgelegt hat (1,18).“94 Dieser vom Thomasbekenntnis zur Inkarnationsaussage des Prologs geschlagene Zirkel rücke den gekreuzigten Gottessohn in die Mitte des joh Glaubens.95 Doch kann mit diesem Zirkel tatsächlich eine Kreuzestheologie belegt werden? Es gilt festzuhalten, daß sich Thomas zum joh verstandenen Gekreuzigten bekennt. Bevor das Tho90

Kohler, Kreuz, 238. Kohler, Kreuz, 201. 92 Kohler, Kreuz, 271. 93 Kohler, Kreuz, 159. 94 Kohler, Kreuz, 159. 95 Kohler legitimiert mit diesem Zirkel sein Vorgehen, die vier zur Exegese ausgewählten Abschnitte von hinten nach vorne zu lesen. Er versteht in dieser Lesart den Prolog als „letztes Wort des Evangeliums“ (Kohler, Kreuz, 272). 91

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masbekenntnis ausgelegt wird, muß exegetisch feststehen, welche Bedeutung und Funktion das Joh der Kreuzigung beimißt, als deren Zeichen die Wundmale den Auferstandenen identifizieren.96 Diese Untersuchung leistet Kohler jedoch nicht, sondern setzt bei seiner Exegese von vornherein ein paulinisches Kreuzesverständnis voraus. Dies zeigt sich besonders deutlich in Kohlers Auslegung von Joh 3,14,97 die immer wieder den Begriff Holz ins Spiel bringt, obwohl dieser dem Joh völlig fremd ist und der entsprechende Begriff in der vom Joh herangezogenen Stelle aus Num 21 das pure Gegenteil eines „Kreuzesbalkens“98 bezeichnet.99 Zwar stellt Kohler eine „Andersartigkeit der joh Sprachform gegenüber Paulus“100 fest, begründet diese jedoch sogleich mit dem unterschiedlichen Schwergewicht der in der Sache grundlegend übereinstimmenden Theologien: Anthropologie bei Paulus, Christologie im Joh. Es bleibt die Frage, ob die Wahrnehmung der sprachlichen Differenz zur paulinischen Theologie in der Auslegung des joh Entwurfs nicht tiefere Spuren hinterlassen müßte. Vorsicht ist jedenfalls geboten, denn eine theologische Differenz kann sich nicht anders als über die Sprachform bemerkbar machen, die es deshalb ernst zu nehmen gilt. 1.3.3. Weitere Entwürfe einer johanneischen Kreuzestheologie Während die Publikationen von Wengst und Kohler aus den 80er Jahren stammen, sind in jüngerer Zeit weitere Beiträge zum Joh erschienen, die kreuzestheologisch ausgerichtet sind. Vier von ihnen werden im folgenden kurz skizziert. Marianne M. Thompson Der Kontrast zu Käsemanns Doketismusthese bildet die grundlegende Struktur des kurzen Werks von Thompson „The Humanity of Jesus in the Fourth Gospel“. Ihre Gegenthese zu Käsemann – das Joh sei weder doketisch noch naiv doketisch und stelle Jesu Menschsein nicht in Frage, sei aber auch keine antidoketische Schrift, die Jesu wahres Menschsein unter Beweis stelle, sondern artikuliere den Glauben, der das Geheimnis der Identität Jesu erfasse und Jesus als Gottes Sohn bekenne – entfaltet die Autorin anhand exegetischer Untersuchungen zu Aussagen, die Jesu Herkunft betreffen, zu Joh 1,14 und zum Begriff UCTZ, zu den Zeichenhandlungen Jesu sowie zur Passionserzählung. Letztere bilde – so Thompson in Umkehrung von Käsemanns Position – den konsequenten Höhepunkt der joh Erzählung, die die 96

Zur Auslegung der Thomasgeschichte s.u. in Kap. 3 Abschnitt 3.3.3.2. Kohler, Kreuz, 248ff. 98 Kohler, Kreuz, 254. 99 S.u. in Kap. 2 (Abschnitt 2.3.1.1.) die gegen eine kreuzestheologische Vereinnahmung von 3,14 argumentierende Interpretation. 100 Kohler, Kreuz, 8. 97

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irdische Wirksamkeit des Inkarnierten schildere: „Jesus’ death places him firmly in this world. By portraying that death as the result of the forces of this world, the Gospel shows that Jesus has entered fully into that human, fleshly, material world.“101 Daß in der joh Passionsgeschichte Züge von Erniedrigung, Leiden und Schwachheit fehlen, beweist nach Thompson keine Herrlichkeitschristologie, noch stellt ihres Erachtens dieser Sachverhalt Jesu Menschsein und seinen Tod in Frage, denn obwohl Sieg und Triumph zentrale Themen der Passionsgeschichte seien, gelte umgekehrt: „There is no glory apart from the cross.“102 Gegen Käsemann betont Thompson auch, daß Jesu Triumph über den Tod die negative Realität, mit der die Glaubenden in der Welt konfrontiert seien, nicht überspiele oder negiere, sondern dem Glauben zusichere, daß Jesus gegen allen Anschein die Welt tatsächlich überwunden habe. Dem Problem, daß das Joh das Menschsein Jesu weder bestreitet noch unter Beweis stellt und das Verhältnis von irdischer und himmlischer Wirklichkeit Jesu nicht explizit reflektiert, begegnet Thompson in ähnlicher Weise wie Wengst. Sie verweist auf die nachösterliche Perspektive, in der das Evangelium verfaßt ist: Das Joh zeichne kein biographisches Porträt des irdischen Jesus, sondern betone aus der im Geistzeugnis verankerten nachösterlichen Glaubensperspektive seine göttliche Identität. Insofern vertrete das Joh nichts anderes als eine Herrlichkeitschristologie, allerdings eine, die zwischen Irdischem und Erhöhtem zu unterscheiden wisse und Jesu wahres Menschsein in keiner Weise in Zweifel ziehe. „In confessing Jesus as ‚God‘ the Fourth Gospel never denies Jesus’ humanity. In fact, in arguing that in Jesus’ life and death one sees God active, the Gospel is unyielding in its demands that one look at the one who was flesh, who performed signs among them, and who died on a Roman cross.“103 Thomas Knöppler Knöppler sucht in seiner Monographie „Die theologia crucis des Johannesevangeliums. Das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen der johanneischen Inkarnationsund Erhöhungschristologie“ nach einer „eigene[n] Art von theologia crucis“ 104 im Joh und findet sie durch verschiedene Signale, Aussagen und Motive in Joh 1–20 belegt. Knöpplers exegetische Analysen, auf die in den beiden Hauptteilen der vorliegenden Arbeit zurückzukommen ist, umfassen das UCTZ-FQZC-Verhältnis, den Titel QBCXOPQLVQWSGQW, die Rede von der Y=TC Jesu, die Passafest-Hinweise, Besonderheiten im Aufbau des Evangeliums, die Motive der Erhöhung und Verherrlichung Jesu, den GTIQP-Begriff, die Entfaltung der Tötungsabsicht der Gegner Jesu, das Motiv der Stellvertretung, die Figur des Verräters, die Rede von Jesu Hingang sowie Motive aus der Passions- und aus der Ostergeschichte. Die exegetischen Analysen zielen auf den Nachweis, daß der Kreuzestod Jesu im Joh keineswegs marginalisiert werde und von Doketismus nicht die Rede sein könne, sondern das Joh durch implizite Verweise eine eigenständige, facettenreiche Kreuzestheologie entfalte. „Die analysierten Texte jedenfalls sprechen dafür, daß der Kreuzestod (neben der 101

Thompson, Humanity, 120f. Thompson, Humanity, 111. 103 Thompson, Humanity, 127f. 104 Knöppler, theologia crucis, 5. Zur Problematik dieses Unternehmens s.o. in Abschnitt 1.1. den Exkurs. 102

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Inkarnation) eine primäre Funktion für die joh Christologie und Soteriologie hat, insofern von ihm her und in Verbindung mit ihm Präexistenz und Herrlichkeit Christi verstanden werden.“105 Knöppler schränkt zum Schluß allerdings ein, mit dem Faktum einer theologia crucis im Joh sei die Frage nach ihrer Wahrheit noch nicht beantwortet.106 Zur Kritik an Knöppler sei an dieser Stelle nur soviel erwähnt, daß die motivisch ausgerichtete Untersuchung dem Joh nicht gerecht zu werden vermag, denn einerseits umfaßt sie keine Exegesen längerer, zusammenhängender Textpassagen und vernachlässigt so die grundlegende Erzählstruktur des Textes, andererseits legt sie die Tatsache, daß die einzelnen Motive, Signale oder Aussagen in Beziehung zum Kreuzestod Jesu stehen, nur allzu schnell als kreuzestheologische Akzentuierung des joh „Passionsevangeliums“ aus. Statt zu untersuchen, in welcher Weise die Motive den Kreuzestod Jesu interpretieren, beschreitet Knöppler den umgekehrten Weg und interpretiert die Motive vom Kreuzestod aus, den er von Anfang an in den Kategorien Leiden („Passion“), Niedrigkeit und Tod versteht.107 Johanna Rahner Ausgehend von Ernst Fuchs’ Johannesauslegung und in Anlehnung an Kohlers Entwurf, versucht Rahner in ihrer Arbeit „Er aber sprach vom Tempel seines Leibes. Jesus von Nazaret als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium“, die Aporien, in die nach ihrer Darstellung die Joh-Auslegungen Bultmanns (nur paradoxe Sichtbarkeit des Offenbarungsgeschehens), Käsemanns (ungeschichtliche Praesentia Christi) und Schottroffs (Nebeneinander zweier Wirklichkeiten) führen, zu vermeiden. Die „theologia crucifixi“108 sei der eigentliche Erkenntnishorizont der joh Inkarnationschristologie. Das von Fuchs als Liebe gekennzeichnete „geschichtlich sichtbar und erfahrbar gewordene Geschehen des Ereignisses der Offenbarung Gottes in persona Jesu von Nazaret, das dieses selbst zur unwiderstehlichen, anziehungskräftigen Bewegung werden läßt, die den Menschen dazu befähigt, sich auf sie einzulassen und seine Existenz darin zu gründen“109, werde durch den Kreuzestod Jesu vollendet. „Denn dieser Tod selbst läßt Jesus gerade in diesem Tod zum wahren Wort Gottes in seiner letzten unbedingten Zusage werden.“110 Am Kreuz, am absoluten Ort der Ehrlosigkeit, vollende sich die Offenbarung der FQZC Gottes „in ihrer letzten, eben unendlich liebenden Konsequenz“111. Die Autorin entwickelt ihre These zur joh Kreuzestheologie zunächst in Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte zum Joh und – wie bereits erwähnt – in Bezugnahme auf Fuchs’ hermeneutische und theologische Arbeiten, um sie sodann 105

Knöppler, theologia crucis, 277. Knöppler, theologia crucis, 277. 107 Knöppler, theologia crucis, bereits 19f (mit Berufung auf Thyen). Zu einzelnen Textauslegungen von Knöppler s.u. die entsprechenden Anmerkungen in den beiden exegetischen Kap. 2 und 3. Eine fundierte Kritik an Knöpplers Entwurf bietet auch Müller, Eigentümlichkeit. 108 Zum Begriff „theologia crucifixi“ als Differenzierung der Rede von der theologia crucis vgl. Knöppler, theologia crucis, 278 Anm. 10. 109 Rahner, Tempel, 111. 110 Rahner, Tempel, 115. 111 Rahner, Tempel, 116. 106

Inklusives Kreuz. Alternative Ansätze zum Johannesevangelium

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mit einer Auslegung von Joh 2,13–22,112 die sie im intertextuellen Spiel mit den synoptischen Varianten der Perikope gewinnt,113 zu bestätigen. Die joh Doppelszene von Tempelaktion und -logion Jesu setze den Inkarnierten mit dem Tempel Gottes gleich und identifiziere somit Jesu Leben und endgültig seinen Tod am Kreuz als Ort der konkreten Gegenwart Gottes unter den Menschen.114 Manfred Lang Lang vertritt in seiner Arbeit „Johannes und die Synoptiker. Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Joh 18–20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund“ die These, daß der Evangelist zur Komposition seines Passionsberichts in erster Linie auf das Mk zurückgreife, aber auch Material aus dem Lk sowie aus seiner eigenen Gemeinde redigiere. Die Untersuchung der joh Redaktionsarbeit, die ihn zu diesem Ergebnis führt, orientiert er an drei aus der Auseinandersetzung mit der Forschungsgeschichte gewonnenen Leitgedanken: Redaktionsgeschichte sei „als Exegese des kohärenten Textes im Sinne der Stoffanordnung zu verstehen“, beschreibe „die Entstehungsgeschichte im Sinne des Auswahlverfahrens des Autors“ und nehme „als Exegese des Gesamtrahmens den Anfang, die Mitte und das Ende des JohEv (1,1–20,31) in den Blick“.115 Mit der redaktionsgeschichtlichen Analyse von Joh 18–20 beabsichtigt Lang, insbesondere die Fragen nach der Heilsbedeutung des Todes Jesu und nach dem Verhältnis des Prologs zu Joh 18–20 zu klären.116 Seines Erachtens belegen die theologischen Motive der Hyperbel, der Freiwilligkeit, der Unschuld, der Stellvertretung, des Königtums und der Erfüllung sowie die joh Passionschronologie und die Konstellation der in der Passionsgeschichte auftretenden Figuren, daß das Joh eine Kreuzestheologie vertritt.

1.4. Inklusives Kreuz. Alternative Ansätze zum Johannesevangelium Während die beiden in den Abschnitten 1.2. und 1.3. dargestellten Positionen einander diametral entgegengesetzt sind, läßt sich ein dritter Kreis von Joh-Interpretationen ausmachen, deren Grundausrichtung weder der einen noch der anderen Position zuzuordnen ist. Sowohl Bultmann als auch Becker verstehen das Joh als selbständigen theologischen Entwurf, der dem Kreuz keinen exklusiven Stellenwert zuordnet. Entdeckt Bultmann in der joh Inkarnationstheologie eine Alternative zur paulinischen Kreuzestheologie, so unterzieht Becker – in Nähe zur ersten, kritischen Position, gleich112

Rahner, Tempel, 176–340. Zur Methodik vgl. Rahner, Tempel, 96–106. 114 Zur Diskussion dieser These s.u. in Kap. 2 dieser Arbeit Anm. 58. 115 Alle Zitate: Lang, Johannes, 60. 116 Lang, Johannes, 13. 113

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zeitig aber von ihr durch die strenge Trennung von Würdigung und Kritik unterschieden – das Joh einer sachkritischen Beurteilung. 1.4.1. Rudolf Bultmann Der 1941 erschienene Kommentar Bultmanns zum Joh zeigt auf, daß das vierte Evangelium ein höchst reflektierter, eigenständiger Entwurf ist, der die paulinische Kreuzestheologie weder verrät noch einfach nur reproduziert. Zwischen der joh und der paulinischen Theologie besteht nach Bultmann eine tiefe sachliche Verwandtschaft, die in erster Linie im Gedanken der präsentischen Eschatologie und der vergeschichtlichten FQZC Jesu zum Ausdruck kommt. Trotz dieser sachlichen Nähe situiert er die beiden Theologien jedoch nicht auf derselben Entwicklungslinie urchristlicher Theologie, sondern „in ganz verschiedenen Richtungen“117. Der Unterschied zwischen der paulinischen und der joh Theologie liege in der Auffassung des Inkarnationsgeschehens: Der paulinischen Rede von der Dahingabe des Sohnes stehe der joh Sendungsbegriff gegenüber. Während der Präexistente bei Paulus in Knechtsgestalt erscheine, „aller göttlichen Herrlichkeit bar“118, offenbare der fleischgewordene NQIQL im Joh gerade seine FQZC. Bultmanns Auslegung des Joh orientiert sich denn auch an dieser Differenz zu Paulus und versteht die Offenbarung der FQZC des fleischgewordenen NQIQL als Grundgedanken des Evangeliums. 1.4.1.1. Die Paradoxie des johanneischen Offenbarungsgedankens Daß die Herrlichkeit Gottes in Jesus von Nazaret, einem bestimmten historischen Menschen, begegnet, konfrontiert den Empfänger der Offenbarung mit einer tiefen Paradoxie, denn die göttliche FQZC scheint nicht etwa durch die menschliche UCTZ wie durch ein Transparent hindurch oder erscheint neben dieser, sondern sie ist nirgends anders als in der puren UCTZ zu sehen. Zwar kommt der joh Offenbarungsgedanke in der Aussage Jesu, daß er der Offenbarer ist, vollständig zum Ausdruck, doch ist gerade dieses bloße Daß, das sich darauf beschränkt, die Paradoxie der Einheit von Gott und diesem Menschen zu konstatieren, von soteriologischer Tragweite, weil es alle menschliche Selbstbehauptung erschüttert und in die Entscheidung ruft. Jesu Anspruch, daß in ihm, diesem gewöhnlichen Menschen, Gott begegnet, stellt die geläufigen Maßstäbe der Welt in Frage, erregt Anstoß. Am fleischgewordenen NQIQL als dem UMNJTQL NQIQL entscheidet sich, ob der Mensch weiterhin blindlings auf den innerweltlichen Maßstäben beharrt, sich aus der Welt versteht und seine Geschöpflichkeit leugnet oder ob er 117 118

Bultmann, Theologie, 358. Bultmann, Theologie, 365.

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sein bisheriges Selbstverständnis preisgibt und der in Jesus gekommenen Wahrheit innewird. Während der Unglaube im Ärgernis verharrt, entscheidet sich der Glaube gegen die Welt, für Gott und schaut, den Anstoß überwindend, im Fleischgewordenen die FQZC. „[E]ben darin ereignet sich das Gericht, daß sich an der Begegnung mit Jesus die Scheidung zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Sehenden und Blinden vollzieht (3, 19; 9, 39).“119 Die im Gegenüber zum Offenbarer sich ereignende Scheidung in Blinde und Sehende teilt das Korpus des Evangeliums in zwei Blöcke: Wird im ersten Teil (Joh 2–12) „die Offenbarung der FQZC vor der Welt oder der Kampf zwischen Licht und Finsternis“120 geschildert und mündet dieser Teil ins negative Ergebnis des Unglaubens (12,37–43), so lautet das Thema des zweiten Teils (Joh 13–17 [bzw. –20]) „die Offenbarung der FQZC vor den Glaubenden oder der Sieg des Lichtes“121. Beide Erzählblöcke, das Wort- und Wunderwirken Jesu in Joh 2–12 als auch seine Abschiedsreden und seine Passion in Joh 13–20, sieht Bultmann von der Paradoxie des Offenbarungsgeschehens beherrscht. 1.4.1.2. 5JOGKC und TBJOCVC Die TBJOCVC Jesu beinhalten keine bestimmte Lehre, sondern verweisen auf ihren Sprecher zurück und offenbaren seine paradoxe Identität, der Gesandte Gottes zu sein. Das Werk des Offenbarers, des inkarnierten NQIQL, ist sein Wort, mit dem er sich selbst identifiziert und das die Welt mit dem Anstoß des QB NQIQLUCTZGXIGPGVQ konfrontiert. So sind denn auch die Wunder im Joh als Zeichen (UJOGKC) konzipiert, deren Sinn nicht darin liegt, als mirakulöse Vorgänge Jesu Anspruch zu legitimieren, sondern als „verba visibilia“122 den Anspruch selbst zum Ausdruck zu bringen. Zwar kann ihre Auffälligkeit einen ersten Anstoß zur Aufmerksamkeit liefern, doch sind sie aufgrund ihres zweideutigen Charakters wie die Worte mißverständlich und anstößig und rufen Widerspruch hervor. Echter Glaube entsteht erst dort, wo das Wort in seiner Anstößigkeit gehört wird und dieses Hören in die Bereitschaft führt, die eigene Sicherheit preiszugeben, den Anstoß des QBNQIQL UCTZGXIGPGVQ zu überwinden und aus der Unverfügbarkeit zu leben. 1.4.1.3. Abschiedsreden und Passion Bereits die Überschrift der beiden Evangeliumsteile zeigt, daß Bultmann die Passionsgeschichte auf derselben Ebene versteht wie Jesu Wirken im ersten Evangeliumsteil: „[D]er Tod Jesu ist unter den Offenbarungsgedanken 119

Bultmann, Theologie, 390. Bultmann, Joh, 77. 121 Bultmann, Joh, 77; vgl. auch ders., Theologie, 391. 122 Bultmann, Theologie, 412. 120

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gestellt; in ihm handelt Jesus selbst als der Offenbarer und ist nicht das leidende Objekt einer göttlichen Heilsveranstaltung.“ 123 Wie die UJOGKCund TBJOCVC Jesu konfrontiert auch das Kreuz mit dem UMCPFCNQP seines Anspruchs, als purer Mensch der Offenbarer der göttlichen FQZC zu sein, als erbärmliche Gestalt der König der Juden. In dieser Relation zur Offenbarung scheint der Tod Jesu dem Inkarnationsgedanken untergeordnet zu sein. „Jedoch bildet, genauer gesehen, die Menschwerdung als das ‚Kommen‘ des Gottessohnes mit dem Tode als seinem ‚Gehen‘ eine Einheit […].“124 Dem Kreuz kommt zwar im Unterschied zur paulinischen Christologie keine ausgezeichnete Heilsbedeutung zu, doch hat der Tod Jesu im Joh insofern eine besondere Tragweite, als er das Offenbarungswerk vollendet und dessen Sinn erfüllt. Das Kreuz „gehört nicht nur als der Schlußteil zum Ganzen, sondern macht das Ganze erst zu dem, was es ist, zur Offenbarung wie zum Anstoß.“125 Als Vollendung der Sendung ist Jesu Tod die Stunde der Verherrlichung, die die FQZC des Erhöhten mit der FQZC des Irdischen zusammenschließt, so daß letztere ständige Gegenwart bleibt. 1.4.1.4. Menschwerdung und Rückkehr als Anstoß Im Joh sei das ganze Heilsgeschehen, von der Menschwerdung über Jesu Tod und Auferstehung bis zu Pfingsten und zur Parusie, „in das eine Geschehen verlegt […]: die Offenbarung der CXNJSGKC Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus und die Überwindung des Anstoßes im Glauben“126. Mit dieser Zuspitzung scheint Bultmann der Gefahr zu entgehen, den joh Entwurf mit dem paulinischen streng zu parallelisieren und auch im Joh Tod und Auferstehung Jesu als exklusiven Ort des Heilsgeschehens zu verstehen, stellt er doch der Passion Jesu in gleichberechtigter Weise sein irdisches Wirken zur Seite. Der paulinische NQIQL VQW UVCWTQW, der dem Menschen in seinem bisherigen Selbstverständnis als UMCPFCNQP und OYTKC begegnet und von ihm die Preisgabe der MCWEJUKL verlangt,127 ist im Joh Jesus selbst, der als gewöhnlicher Mensch den paradoxen Anspruch erhebt, daß Gott in ihm begegnet. Der Glaube läßt diesen Anspruch gelten, zerbricht seine Maßstäbe und Wertungen und überwindet den Anstoß des QB NQIQL UCTZ GXIGPGVQ. Obwohl das Joh das Heilsgeschehen anders pointiert als Paulus, indem es die exklusive Stellung des Kreuzes aufhebt und weder vom Gesetz noch von der Gnade spricht, sondern den paradoxen Anspruch Jesu entfaltet, als gewöhnlicher Mensch Gottes FQZCzu offenbaren, stimmt nach Bultmann sein Glaubensbegriff – Preisgabe des bisherigen Selbstver123

Bultmann, Theologie, 406. Bultmann, Theologie, 405. 125 Bultmann, Theologie, 400. 126 Bultmann, Theologie, 411. 127 Bultmann, Theologie, 292–306 (Die Theologie des Paulus. §33: Tod und Auferstehung Christi als Heilsgeschehen). 124

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ständnisses, Akt der Entweltlichung, Bereitschaft, aus dem Unverfügbaren zu leben – mit dem paulinischen überein und ist keineswegs defizitär. Bultmann betont, daß das entscheidende Heilsereignis im Joh nicht das Kreuz, sondern das Offenbarungswerk sei, das mit der Menschwerdung beginne und sich mit Jesu Passion vollende. In der Stunde des Fortgangs erfülle sich das Werk des Offenbarers und verbinde sich die Vergangenheit des irdischen Jesus mit der Zukunft, so daß sein Anspruch, der Sohn Gottes zu sein, in jeder Gegenwart neu Ereignis werde. Bultmann situiert Jesu Tod auf einer Metaebene zum Offenbarungswerk, ohne ihn allerdings von der Funktion zu entbinden, den Anstoß des QB NQIQLUCTZGXIGPGVQ selbst zu offenbaren, hält er doch vielmehr fest, daß das „drastische“ UMCPFCNQP des Kreuzes die Paradoxie des Anspruchs Jesu „in einem ungeheuren Bilde“ darstelle.128 Es stellt sich die Frage, ob diesbezüglich der joh Entwurf und der paulinische nicht stärker divergieren und sich ersterer nicht damit begnügt, den Kreuzestod als Vollendungsgeschehen zu entfalten, ohne ihm darüber hinaus die Funktion zuzuschreiben, Jesu paradoxe Identität zu offenbaren und Anstoß zu erregen.129 1.4.2. Jean Zumstein Ähnlich wie Bultmann ordnet auch Zumstein dem Kreuzestod Jesu im Joh eine doppelte Funktion zu, betont jedoch beide Komponenten dieser Doppelfunktion in viel stärkerem Maße, womit er in die Nähe der Verfechter einer joh Kreuzestheologie rückt. In seinen zahlreichen Aufsätzen zum Joh, die vor allem die dem Evangelium eigenen Auslegungs- bzw. „Relecture“-Prozesse fokussieren, hat Zumstein klar herausgestellt, daß dem zweiten Teil des Evangeliums die Funktion zukommt, die Relevanz der irdischen Geschichte Jesu für die nachösterliche Gemeinde aufzuzeigen: „Fordert der erste Teil des Evangeliums den Leser auf, die grundlegende Identität des Sohnes […] zu entdecken, so stellt der zweite Teil die Frage nach der Relevanz dieser Identität in der nachösterlichen Situation.“130 Das irdische Schicksal des Offenbarers müsse zu Ende gehen, denn erst der Weggang des Gesandten lasse die Bedeutung seines Schicksals vollends erfassen und dessen wahre Tragweite ermessen. Sei die Zeit der Offenbarung die Zeit des irdischen Jesus, so die nachösterliche Zeit die Zeit des Parakleten, der die Offenbarung fortwährend erinnere und aktualisiere. Der Offenbarer begegne dem nachösterlichen Jünger in der Gestalt eines Wortes, das sich vervielfache und austeile und die physische Abwesenheit des Of128

Bultmann, Theologie, 400; vgl. ders., Joh, 510. Auseinandersetzungen mit Bultmann finden sich in den bereits erwähnten Arbeiten bei Onuki, Gemeinde, 185–187; Wengst, Gemeinde, 12–14; Kohler, Kreuz, 21–45; Thompson, Humanity, 1–11; Rahner, Tempel, 12–26. 130 Zumstein, Strategie, 40. 129

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fenbarers transzendiere. Die hinterlassene Lücke ermögliche so eine Rückkehr in Fülle.131 Unter der „grundlegenden Identität des Sohnes“ versteht Zumstein die skandalöse Identität des Inkarnierten, die Identität Jesu von Nazaret, der Gott selbst inmitten der Welt ist. Der Prolog entfaltet als theologische Schwelle zum Evangelium die Inkarnationsthese und vollzieht „den Übergang vom Mythos zur Geschichte, von der unerreichbaren und unbeschreibbaren göttlichen Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Welt, vom Unvordenklichen zum Erinnerbaren. Die Dynamik des Prologs macht aus dem göttlichen Logos einen Menschen im Fleisch, aus dem transzendenten Wort ein Gesicht, das betrachtet werden kann, aus dem Präexistenten einen konkreten, greifbaren Menschen.“132 Im Anschluß an diese Inkarnationsthese betont Zumstein allerdings stärker als Bultmann, daß der Kreuzestod Jesu, der die Offenbarung vollende, nicht nur die Bedingung ihrer fortwährenden Vergegenwärtigung schaffe, sondern auch insofern ihre Vollendung sei, als er die Inkarnation des Sohnes radikalisiere und ihren konsequenten Höhepunkt, ihren Brennpunkt bilde. Der Aufriß des Evangeliums und die von ihm gesetzten Akzente zeigen nach Zumstein überdeutlich, daß das Kreuz in der joh Erzählung von zentraler Bedeutung sei. Allerdings weist er darauf hin, daß die joh Interpretation des Kreuzes dennoch mit Problemen behaftet sein könne.133 Zumstein betrachtet die joh Interpretation des Kreuzes denn auch als ambivalent,134 tendiert aber selbst zur Auflösung dieser Ambivalenz: Das Kreuz habe im Joh die Funktion, die Geschichte des irdischen Jesus als eine radikal menschliche zu beglaubigen. Zumstein steigert das Paradox der Inkarnation zum Paradox des Kreuzes: Nicht einfach der Mensch Gewordene sei Gott selbst inmitten der Welt, sondern der Gekreuzigte. Das Königtum Christi zeige sich in der Gestalt eines verhöhnten und verworfenen, eines ohnmächtigen Menschen.135 Obwohl Zumstein in bezug auf das Joh dezidiert nicht von Kreuzestheologie spricht, um die joh und die paulinische Interpretation des Kreuzes voneinander zu unterscheiden, positioniert er sich mit dieser Interpretation in unmittelbarer Nähe zum kreuzestheologischen Interpretationsansatz.

Bultmann und Zumstein betonen den paradoxalen Charakter des im Joh zur Sprache kommenden Offenbarungsgeschehens, dem sie auch den Kreuzestod einordnen. Zwar vermeiden es beide Exegeten, von einer joh Kreuzestheologie zu sprechen, doch steht in ihrer Sicht der joh Entwurf nicht hinter dem paulinischen zurück. Demgegenüber üben Becker und Müller, deren Ansätze im folgenden diskutiert werden, deutliche Sachkritik an der joh Gesandtenchristologie und grenzen deren Struktur sorgfältig von derjenigen der paulinischen Christologie ab.

131

Vgl. insb. Zumstein, Logien. Zumstein, Prolog, 97. 133 Zumstein, Interpretation,140f. 134 Zumstein, Interpretation,143f. 135 Vgl. z.B. Zumstein, Fusswaschung, 101; ders., Interpretation, 137. 132

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1.4.3. Jürgen Becker Wie bereits unter Abschnitt 1.1.3. erwähnt, ist Beckers Position zur joh Theologie von sachkritischen Einwänden geprägt. Dennoch wird sie in der vorliegenden Problemgeschichte nicht unmittelbar neben Käsemanns und Schottroffs Position gestellt, denn Becker würdigt die Gesandtenchristologie, die er im Joh vorfindet, als gegenüber der paulinischen Kreuzestheologie eigenständigen Entwurf, den er erst sekundär problematisiert, und zwar aufgrund des dualistischen, gnostisierenden Wirklichkeitsverständnisses, in dem diese Christologie entfaltet wird. In bezug auf die methodische Trennung von Würdigung und Kritik unterscheidet sich seine Position deutlich von denjenigen Käsemanns und Schottroffs, wenn sie auch wie jene nicht davor zurückschreckt, das Anliegen der joh Christologie in Frage zu stellen.136 In einem neueren Beitrag erörtert Becker das Verhältnis zwischen paulinischer und joh Theologie, indem er zwei zentrale Textabschnitte der beiden Autoren (Gal 3,1–4,7 und Joh 14,1–31) einander gegenüberstellt.137 Bevor das Ergebnis dieses Vergleichs skizziert und diskutiert wird, setzt sich der folgende Abschnitt mit Beckers Interpretation des Joh auseinander. 1.4.3.1. Die johanneische Gesandtenchristologie Die Selbstoffenbarung des vom Vater Gesandten bildet nach Becker die christologische Grundstruktur des Joh, von der aus die einzelnen Themenbereiche zu verstehen sind.138 Die Textbasis dieser Gesandtenchristologie des Evangelisten findet Becker in den Reden Jesu in Joh 3,1–21; 5,19–30; 6,25–71; 12,30–36; 13,31–14,31, wobei er die von ihm identifizierten Einschübe der kirchlichen Redaktion ausklammert.139 Ist das Sprachfeld des Gesandteninstituts im gesamten Altertum verbreitet, so zeigt eine Analyse dieser Reden, daß der engere religionsgeschichtliche Ort der joh Gesandtenchristologie ein dualistisches Wirklichkeitsverständnis gnostisierender Tendenz ist. Der Evangelist situiert die Christologie im Rahmen eines kosmischen Dualismus, der die himmlische Sphäre des ewigen Lebens durch einen horizontalen Schnitt von der Sphäre des Todes, dem Kosmos, trennt. Er macht die dualistischen Aussagen jedoch dem Sendungsgedanken dienstbar: Allererst das Wort, mit dem sich Jesus als der vom Himmel Herabgestiegene bzw. als der Gesandte des Vaters offenbart und das den Menschen mit einer fremden Botschaft konfrontiert, die in die Entscheidungs-

136

Dasselbe gilt von Müllers Position, die im nächsten Abschnitt dargestellt wird. Vgl. Becker, Geisterfahrung. 138 Frühere Entwürfe einer joh Gesandtenchristologie bei Haenchen, Vater; Miranda, Sendung; Bühner, Gesandte. 139 Vgl. Becker, Joh I, 71; ders., Auferstehung, 141. 137

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situation führt, konstituiert das dualistische Gegenüber von Glauben und Unglauben, Leben und Tod, Licht und Finsternis.140 In seiner Selbstoffenbarung bekundet sich der Gesandte als alleiniger Lebenspender, denn er ist der einzige, der aus dem jenseitigen Bereich des ewigen Lebens in die Todeswelt hinabgestiegen ist. Wer seine Botschaft hört und glaubt, erkennt in ihm das wahre, unweltliche, ewige Leben und wird aus der rein negativ bestimmten Welt und damit aus seiner Verlorenheit und Niedrigkeit erlöst, während derjenige, der nicht glaubt, den unbekannten Gott als Lebensquelle nicht zu Gesicht bekommt und im Tod verharrt. Endgültiger Tod und ewiges Leben werden nicht in einem zukünftigen Endgericht konstituiert, sondern die Scheidung in Gemeinde und radikal verlorene Welt ereignet sich angesichts des Gesandten, in der Situation des Glaubens bzw. Unglaubens gegenüber seiner Selbstoffenbarung. Die traditionelle Vorstellung des apokalyptischen Endereignisses wird in der Glaubensentscheidung des Einzelnen individualisiert und ihr futurischer Aspekt auf die in der jeweiligen Todesstunde gewährte Lebensgabe reduziert.141 Die Gesandtenchristologie bestimmt auch die Bedeutung des Todes Jesu, denn die Rückkehr zum Auftraggeber ist die dritte, abschließende Station, die auf die Aussendung zum Auftrag und auf die Durchführung desselben folgt. Dem Abstieg des Gesandten korrespondiert der Aufstieg in den himmlischen Bereich. Als Vollendung der Sendung ist Jesu Tod nicht exklusiver Ort der Soteriologie; vielmehr bildet er den Schlußpunkt einer umfassenderen Heilsveranstaltung, der Sendung, die als solche soteriologisch zentral ist. Jesu Tod ist auch keineswegs ein paradoxes Geschehen, in dem Erniedrigung und Erhöhung zusammenfallen, sondern er ist der Durchgangsort des Sohnes zum göttlichen Bereich des Vaters und insofern die Erhöhung und Verherrlichung des Sohnes.142 Becker betont, daß der Evangelist den Irdischen und den Erhöhten als Einheit darstellt und diese Verschränkung von vorösterlicher und nachösterlicher Zeit pneumatologisch begründet: Der Paraklet, der kein anderer ist als der Erhöhte selbst, stellt in der Gemeinde die Präsenz und Kontinuität der Selbstoffenbarung des Gesandten sicher, so daß das ewige Leben, das im Offenbarer begegnet, für alle Zeit offen steht.143 „Im Lichte dieses Geistzeugnisses werden Irdischer und Erhöhter eins wie zwei übereinander projizierte Dias auf einer Leinwand. Dies ist durchaus beabsichtigt, denn es 140 Im Unterschied zu dem dualistischen Konzept, das dem Evangelisten vorliegt, gilt für den Evangelisten selbst (Becker, Joh I, 179): „Jesus legt nicht mehr einen vorgegebenen Dualismus frei und überwindet ihn, sondern sein Wort provoziert ihn.“ Vgl. auch Becker, Auferstehung, 144. Anders hingegen Becker, Geisterfahrung, 434f (s.u. in Anm. 149 das Zitat). 141 Vgl. insb. Becker, Joh I, Exkurs 7: „Die Eschatologie im Joh“ (293–296). 142 Vgl. insb. Becker, Joh II, Exkurs 8: „Die Deutung des Todes Jesu im Joh“ (468–474). 143 Vgl. insb. Becker, Joh II, Exkurs 12: „Paraklet und Geistvorstellung im Joh“ (563– 568).

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wird ja nicht gefragt, ob es einmal eine Zeit gab, in der ewiges Leben geoffenbart wurde, sondern zur Beantwortung steht an: Unter welchen Bedingungen ist jetzt der Zugang zum göttlichen Leben möglich?“144 1.4.3.2. Weltverlust in der Eschatologie Obwohl Becker gegenüber einem kreuzestheologischen Ansatz dezidiert anders verfährt und seine Auslegung nicht von vornherein an der paulinischen Kreuzestheologie orientiert, sondern die joh Gesandtenchristologie als eigenständigen Entwurf würdigt, führt ihn dieser Weg zu einer Sachkritik am Evangelium, die zwar sehr vorsichtig formuliert ist, im Kern jedoch nicht weniger radikal ausfällt als diejenige von Käsemann. Becker weist darauf hin, daß das Objekt der Erlösung nicht die Welt bzw. Gottes Schöpfung ist, sondern der einzelne Glaubende, der aus dem Kosmos befreit und in die Herrlichkeit des erhöhten Gesandten gezogen wird. Indem der Evangelist den futurischen Endgerichtsgedanken individualisiere und auf die Gegenwart reduziere, zerstöre er die der Umkehr offengehaltene Zeit und unterwerfe den Unglauben vorzeitig einem definitiven Urteil. Das räumliche Schema von oben und unten, das die Darstellung des Evangelisten beherrsche, vernachlässige die Dimension der Zukunft und den Weltbezug des Glaubens. Auch bei Becker spielt nun in der sachkritischen Argumentation das Kreuz eine wichtige Rolle. Jesu leidlose und insofern weltfremde Haltung in der Passion zeige deutlich, daß der Evangelist die Welt deterministischdualistisch abwerte.145 So stehe die joh Gesandtenchristologie hinter der paulinischen Theologie zurück. Der historische Jesus und das Joh markieren nach Becker zwei Extrempositionen, deren jeweilige wunde Stellen sich in der paulinischen Theologie nicht finden. „Man kann die Anschauung Jesu und die des Joh als zwei Extreme begreifen. Einmal wird die Kontinuität der Schöpfung für das Endheil besonders betont, das andere Mal ganz geleugnet. In dem einen Entwurf ist die Todesproblematik nicht verarbeitet, in dem anderen die Welt dualistisch als tote Welt abgewertet. Es liegt nahe, weder bei dem einen Ansatz noch bei dem anderen weiterzudenken, sondern bei Paulus neu einzusetzen, weil hier die Welt als Schöpfung wie auch die Todesproblematik grundlegende Bedeutung gewonnen haben.“146 Anhand des bereits erwähnten Artikels von Becker soll nun im folgenden Abschnitt seine Gegenüberstellung von paulinischer und joh Theologie genauer untersucht werden.

144

Becker, Joh I, 72. Anders hingegen Becker, Geisterfahrung, 437 (s.u. Anm. 151). Becker, Joh II, 474. 146 Becker, Joh I, 190. 145

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1.4.3.3. Geisterfahrung bei Paulus und im Johannesevangelium Becker stellt zwischen Gal 3,1–4,7 und Joh 14,1–31 eine enge thematische Nähe fest. Nicht nur zeugen beide Texte von einem völkerchristlich ausgerichteten Glaubensverständnis, sondern die Autoren begegnen auch in sehr ähnlicher Weise der jeweiligen Problemsituation ihrer Gemeinde, die mit diesem Glaubensverständnis zusammenhängt; setzen doch beide bei der Pneumatologie ein. Becker vergleicht die theologischen Entwürfe beider Autoren so miteinander, daß er dem paulinischen Evangelium die Selbstoffenbarung des Gesandten im Joh gegenüberstellt.147 Ausgehend von dieser Parallelisierung, untersucht er die einzelnen pneumatologischen Aussagen und stellt eine „frappierende Übereinstimmung in der Wahl der Argumentationsbasis und in der inhaltlichen Qualifikation derselben“ fest, die „für das theologische Gesamtverständnis beider Theologen repräsentativ“ sei.148 So ist bei Paulus und im Joh der Geist als endzeitliche Gabe Gottes die Kraft, mit der sich Christus im Evangelium bzw. in seiner Selbstoffenbarung erschließt. Bei beiden Autoren gewährt die Geisterfahrung den Glaubenden eine nicht mehr zu überbietende Unmittelbarkeit zu Gott, die sie in den endgültigen Heilsstand versetzt. Darüber hinaus stellt Becker auch in bezug auf die Christologie starke Gemeinsamkeiten zwischen Paulus und dem Joh fest: Das endgültige Heil der Glaubenden, das antithetisch der Todeswelt gegenübergestellt werde, sei streng christozentrisch begründet. Doch findet Becker an dieser Stelle auch eine erste Differenz zwischen den beiden Theologen: Während bei Paulus die Antithetik selbst eine Funktion der Christologie sei, also erst durch das Evangelium konstituiert werde, sei der joh Dualismus bereits vor der Glaubensentscheidung determiniert.149 Paulus ordne Christi Werk und das Evangelium zeitlich nicht nacheinander an, sondern verstehe sie als Wirkeinheit. „Das Evangelium macht mit seinem Wirken Christi Werk zeitgleich.“150 Der Evangelist stelle dagegen dem abgeschlossenen und in der Vergangenheit zurückliegenden Werk des Gesandten die Wirkzeit des Geistes gegenüber und ordne diese Zeiträume streng hintereinander an.151 In 147 Becker, Geisterfahrung, 432: „Setzt man an die Stelle des paulinischen Evangeliums die Selbstoffenbarung des Gesandten, kann man formulieren […]“. 148 Beide Zitate: Becker, Geisterfahrung, 433. 149 Becker, Geisterfahrung, 434f. „Man wird also daran festhalten müssen, daß der Dualismus auch [sc.: nicht nur für die kirchliche Redaktion] für den Evangelisten nicht erst als menschliche Entscheidung dem Gesandten gegenüber entsteht.“ (ebd., 435) Anders hingegen Becker, Joh I, 179, wo er den Dualismus des Evangelisten streng christologisch versteht (s.o. in Anm. 140 das Zitat) und seine Determination der kirchlichen Redaktion zuschreibt. Vgl. auch ders., Auferstehung, 144: „So kann der Dualismus […] verstanden werden als Funktion der Christologie, nämlich ihre Einmaligkeit und Exklusivität zu begründen.“ 150 Becker, Geisterfahrung, 436. 151 Becker, Geisterfahrung, 437. Anders hingegen Becker, Joh I, 72, wo er die Identität von Irdischem und Erhöhtem im Geistzeugnis betont (s.o. das Zitat zu Anm. 144).

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bezug auf die Eschatologie bedeute dies, daß die Parusie, die mit der Sendung zusammenfalle, ihres Hoffnungscharakters entledigt werde: „So kann nach seiner zurückliegenden Parusie und innerhalb der dualistischen Weltsicht der Erhöhte nur noch ein negatives Weltverhältnis haben: Er entzieht der Welt die Gläubigen und überläßt erstere ihrem Untergang. Vollendung geschieht jenseits der Welt als Schau des Sohnes in seiner Herrlichkeit (vgl. 17,24).“152 Einerseits fällt auf, daß Becker im Vergleich zu seiner früheren Meinung dem Evangelisten neue Züge zuschreibt: Der Evangelist entfaltet nun wie die kirchliche Redaktion einen determinierten Dualismus und unterscheidet zudem streng zwischen dem zurückliegenden Werk des Gesandten und der Gegenwart der Gemeinde. Veranlaßte die Parallelisierung mit dem paulinischen Entwurf Becker zu dieser Korrektur, die den Kontrast zwischen Paulus und dem Joh stärker herauszustellen vermag? Andererseits stellt sich die Frage, inwiefern die von Becker vorgeschlagene Parallelisierung von paulinischem und joh Entwurf methodisch sinnvoll ist.153 Der joh Vergleichspunkt zum paulinischen Evangelium bzw. zum paulinischen Wort vom Kreuz müßte m.E. statt bei der Selbstoffenbarung des Gesandten beim Wort von der Selbstoffenbarung, d.h. beim Zeugnis des Parakleten gesetzt werden, so daß dann der Selbstoffenbarung Jesu im Joh das zurückliegende Kreuzesgeschehen bei Paulus gegenüberstünde. Bei dieser Parallelisierung fielen bestimmte Differenzen weniger deutlich aus – das zeitliche Verhältnis von Kreuzesgeschehen und Wort vom Kreuz bei Paulus sowie dasjenige von Selbstoffenbarung Jesu und Erinnerung der Selbstoffenbarung durch den Parakleten im Joh würde sich sehr ähnlich gestalten –, während sich andere zeigten, die von Becker nicht diskutiert werden. Becker versteht zwar das paulinische und das joh Konzept als Alternativen, berücksichtigt diese grundsätzliche Divergenz im Konzeptionellen beim direkten Vergleich der Texte jedoch zu wenig, so daß sich die Frage stellt, ob die von Becker identifizierten theologischen Unterschiede tatsächlich bestehen. Denn wenn dem paulinischen Kreuzesgeschehen das joh Sendungsgeschehen gegenübergestellt wird, stellt sich die Sachfrage nach einer theologia crucis im Joh m.E. nicht mehr am Ort des Kreuzes selbst,154 sondern am Ort der Sendung: Die Frage lautet nicht, was das joh Kreuz vom paulinischen unterscheidet, sondern worin sich die joh Christologie des in die Todeswelt Gesandten von der paulinischen Christologie des Gekreuzigten unterscheidet.

152

Becker, Geisterfahrung, 439. S.o. Anm. 147. 154 Becker behandelt diese Frage ausschließlich anhand des Kreuzesverständnisses beider Autoren (Becker, Geisterfahrung, 435f). 153

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1.4.4. Ulrich B. Müller Müller, der ebenfalls die Gesandtenchristologie als grundlegende Struktur des Joh identifiziert,155 hat insbesondere in zwei Aufsätzen die joh Interpretation des Todes Jesu und deren Verhältnis zur paulinischen theologia crucis erörtert.156 Im Aufsatz „Die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu im Johannesevangelium. Erwägungen zur Kreuzestheologie im Neuen Testament“ betont Müller: „Die Theologie des Johannesevangeliums entfällt als Zeugnis für die urchristliche theologia crucis.“157 Er beabsichtige jedoch mit diesem Urteil „kein abschließendes Verdikt über seine Theologie als ganze“158. Wie Becker sieht Müller im Joh das Kreuzesgeschehen in den Sendungsgedanken eingeordnet: Am Ende seiner irdischen Wirksamkeit kehrt Jesus zum Vater zurück, der ihn gesandt hat. Der Evangelist interpretiere den Kreuzestod Jesu als schriftgemäßes Ereignis der Erhöhung und als Verherrlichung, die der Fürst der Welt nicht verhindern kann. Weder komme im Joh die paradoxe Einheit von Kreuzigung und Erhöhung in den Blick, noch bedrohten Leiden und Tod die Herrlichkeit Jesu. „Der Kreuzestod hat für Johannes nichts entehrend Anstößiges mehr.“159 Müller erklärt das Fehlen der theologia crucis damit, daß der Evangelist als Glaubender schreibe, „für den der Anstoß, den der Tod Jesu bieten konnte, erledigt ist und der darin […] seine Gemeinde bestärken will.“160 Indem der Evangelist die unangefochtene Herrlichkeit des Sohnes herausstelle, versuche er, der Gemeinde Trost zu spenden. Deren Verfolgungssituation werde jedoch mit einem wirklichkeitsfremden Entwurf überspielt, denn das Joh erliege der „Illusion, im Glauben die Mächte dieser Welt endgültig überwunden zu haben.“161 Auch in seinem Aufsatz „Zur Eigentümlichkeit des Johannesevangeliums. Das Problem des Todes Jesu“ hält Müller an der These fest, das Evangelium verteidige angesichts der traumatischen Trennung von der Synagoge die göttliche Legitimität Jesu, und dies insbesondere im Blick auf seinen Tod. Das Evangelium habe einen apologetisch-juridischen Grundzug, der untrennbar mit der joh Gesandtenchristologie verbunden sei. Der irdisch nicht ausweisbare Anspruch Jesu, als Gesandter des Vaters der endzeitliche Lebenspender auf Erden zu sein, werde vom Glaubenden anerkannt, jedoch von den jüdischen Gegnern, die nur seine irdische Erscheinung, nicht aber seine verborgene göttliche Würde sehen, als blasphemisch bestritten. „Man hat diese Konzeption zu Recht eine Christologie der Aspekte genannt, eine dualistisch geschiedene Betrachtung, bei der Jesu irdische Existenz nie bestritten wird, seine himmlische Dimension aber die einzig rettende Wirklichkeit darstellt, 155 156

Müller, Menschwerdung, 62–67. Müller, Bedeutung; ders., Eigentümlichkeit; vgl. außerdem ders., Menschwerdung,

71–78. 157

Müller, Bedeutung, 69. Theologia crucis liegt nach Müller nur bei Paulus und im Mk

vor. 158

Müller, Bedeutung, 69. Müller, Bedeutung, 64. 160 Müller, Bedeutung, 64. 161 Müller, Bedeutung, 69. 159

Die Ausrichtung der vorliegenden Arbeit

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die nur dem Glaubenden zugänglich ist.“162 Die dualistische Konzeption präge auch die joh Passionsgeschichte. Die Kreuzigung sei kein paradoxes Geschehen mit theologischer Eigenbedeutung, sondern stelle „nur die innerweltlich sichtbare Dimension eines kosmischen Geschehens dar[…], bei dem sich in Wahrheit die Erhöhung als Herrschaftseinsetzung Jesu vollzogen hat.“163 Dasselbe gelte auch für die Inkarnationsaussage: „Die Integration der Menschwerdung in die bestimmende Gesandtenchristologie läßt die Inkarnation zum notwendigen Durchgangsstadium werden, so wie der Tod Jesu unter der dominierenden Perspektive des Hingangs zum Vater steht.“164

Die Entwürfe von Becker und Müller werfen die Frage auf, ob sich das christologische Potential des Joh im Konzept der Gesandtenchristologie erschöpft. Im folgenden, ersten exegetischen Kapitel dieser Arbeit ist insbesondere zu untersuchen, welche Relevanz dem Sachverhalt zukommt, daß Jesu Sendung im narrativen Korpus des Joh selbst nicht unmittelbar erzählt wird, sondern einzig in Jesu Selbstoffenbarung in Wort und Tat zur Sprache kommt.

1.5. Die Ausrichtung der vorliegenden Arbeit Der Überblick über die Problemgeschichte hat nicht nur die verschiedenen Positionen im Streit um eine joh Kreuzestheologie verdeutlicht, sondern auch auf zwei zentrale methodische Schwierigkeiten hingewiesen. Daß das Joh so unterschiedlich bis konträr ausgelegt wird, rührt vor allem daher, daß es verschiedene Verstehensebenen thematisiert, die die jeweiligen Auslegungen unterschiedlich werten. Jede Interpretation des Joh ist mit der grundsätzlichen Frage konfrontiert, in welches Verhältnis das Evangelium die Wahrnehmung der innerweltlichen Realität Jesu zu derjenigen seiner göttlichen Herkunft setzt. Bildet die eine das Integral der anderen, laufen sie nebeneinander her, konkurrieren sie miteinander? In bezug auf dieses methodische Grundproblem gilt es in den beiden folgenden exegetischen Hauptteilen zu prüfen, welche Funktionen die verschiedenen Verstehensebenen ausüben und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Eine andere methodische Schwierigkeit besteht in der Gegenüberstellung von joh und paulinischer Theologie. Daß diese Gegenüberstellung überhaupt ein Element der Joh-Exegese ist, versteht sich nicht von selbst, ließe sich doch das Joh grundsätzlich auch unabhängig von Paulus auslegen 162 Müller, Eigentümlichkeit, 34. Müller versteht sich hier im Erbe Schottroffs und ihrer Kritik an Käsemann und Bultmann (ebd., 33 Anm. 36). 163 Müller, Eigentümlichkeit, 41. 164 Müller, Eigentümlichkeit, 54.

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Positionen im Streit um eine johanneische Kreuzestheologie

und verstehen. Wie der Überblick über die Forschungsgeschichte jedoch gezeigt hat, findet die Diskussion über die joh Theologie fast durchwegs in Auseinandersetzung mit der paulinischen Kreuzestheologie statt, und dies zu Recht: Wo das paulinische Wort vom Kreuz die christliche Glaubensidentität grundlegend bestimmt, kann von ihm auch in der Joh-Exegese nicht abstrahiert werden. Damit der Dialog zwischen dem paulinischen Wort vom Kreuz und dem Joh nicht zu einem Monolog gerät, wird in den folgenden Ausführungen das Problem, ob das Joh eine Kreuzestheologie vertritt oder nicht, in den Hintergrund gerückt und grundsätzlicher danach gefragt, ob die vom Joh entfaltete Theologie eine kritische Theologie ist, die eine in Auseinandersetzung mit dem Wort vom Kreuz stehende Glaubensidentität weder verrät noch reduziert, oder ob sie selbst kritisch gelesen werden muß. Diskutiert wird in erster Linie nicht die Frage, worin sich das joh Kreuz vom paulinischen unterscheidet, sondern ob der kritische Impetus als unverzichtbares Moment der paulinischen Rede vom Kreuz auch im Joh von zentraler Bedeutung ist und – wenn ja – wo dieser verankert ist.165 Im Bereich dieser Fragestellung gilt es dann allerdings auch zu untersuchen, welche Funktion dem Kreuz Jesu innerhalb der joh Theologie zukommt und wovon in der joh Kreuzigungserzählung die Rede ist. In der Grundausrichtung ist der folgende Lösungsansatz der dritten der diskutierten Positionen zuzuordnen, denn er nimmt weder Partei für eine joh Kreuzestheologie noch erhebt er eben deren Fehlen unmittelbar zum Stein des Anstoßes. Die These, zu der die Untersuchung gelangt, lautet vielmehr, daß das Joh eine kritische, die zentralen Momente christlicher Glaubensidentität reflektierende Theologie vertritt, in der das Kreuz eine bestimmte und bestimmende Rolle, jedoch nicht die Hauptrolle spielt. Diese These wird nun in den folgenden exegetischen Kapiteln dargelegt und begründet.

165

Zu dieser Problemstellung s.o. Abschnitt 1.1.

2. Tod und Auferweckung Jesu. Die narrative Entfaltung der johanneischen Christologie in Joh 1–12

2.1. Einleitung Kap. 2 und 3 dieser Arbeit untersuchen anhand einer breiten Textbasis die joh Christologie und erörtern die Frage, welche theologische Bedeutung das Joh der Kreuzigung Jesu beimißt.1 Der Aufriß der Untersuchung orientiert sich an der Grundstruktur des Evangeliums, die im vorliegenden Abschnitt kurz skizziert wird. Einleitend finden sich außerdem einige knapp gehaltene Bemerkungen zur literarkritischen Positionierung, die die folgenden Exegesen leitet, sowie zur antijüdischen Polemik des Joh. 2.1.1. Die literarische Gestalt des Johannesevangeliums Die literarische Gestalt des Joh wird bis heute höchst unterschiedlich beurteilt. Becker unterscheidet drei Grundpositionen:2 Die erste Position führt das Gesamtevangelium oder zumindest Joh 1–20 auf einen einzelnen Autor bzw. Redaktor zurück und liest es synchron als literarische Einheit.3 Die zweite Position rechnet mit einem Grundevangelium, das im Laufe der theologiegeschichtlichen Entwicklung der joh Gemeinde in mehreren Zügen umfangreich erweitert wurde, so daß ein mehrschichtiges Werk entstand, dessen Entwicklungsstufen sich deutlich voneinander abheben.4 Die dritte Position schließlich – zu ihr zählt sich Becker selbst – geht von mehreren, in Grundzügen rekonstruierbaren Quellen aus, die dem Evangelisten 1 Eine kurze Darstellung der exegetischen Hauptergebnisse von Kap. 2 liegt vor in Straub, Irdische. 2 Becker, Joh I, 36–41. Vgl. auch die Typisierung und Diskussion bei Haldimann, Rekonstruktion, 2–15 sowie 16–42. 3 Von den in Kap. 1 erwähnten Exegetinnen und Exegeten vertreten eine synchrone Lesart Knöppler, theologia crucis, 22–24; Wengst, Gemeinde, 11–41; Thompson, Humanity, 10; Rahner, Tempel, 72–110; Lang, Johannes, 14–60. 4 Ihren Ausgang nimmt diese Position bei Wellhausen, Erweiterungen; ders., Evangelium Johanni. Von den jüngeren Vertretern sind Brown und Richter zu nennen, deren exegetische Beiträge zum Joh in dieser Arbeit diskutiert werden.

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

vorlagen und die dieser zusammen mit eigenen Kompositionsteilen zu einem Werk verarbeitete, das wiederum spätere Redaktoren mit Zusätzen versahen.5 Während die erste Position die Endgestalt des Werks zum verbindlichen Gegenstand der Auslegung erhebt, richtet die zweite ihr Augenmerk auf die spannungsreiche Entwicklungsgeschichte des Evangeliums; die dritte setzt das Schwergewicht auf die umfassende Redaktionsarbeit des Evangelisten, die sie von späteren Überarbeitungen abhebt. Die dritte Position weist sowohl gegenüber der ersten als auch gegenüber der zweiten entscheidende Stärken auf und kann die Eigenarten des joh Textes elegant erklären. Weder ist sie wie die synchrone Evangeliumslektüre gezwungen, die theologischen Akzentverlagerungen, die an einigen Stellen des Joh zu beobachten sind, einzuebnen und zu ignorieren, noch muß sie wie die Grundevangeliumshypothese hinter der Redaktion des Evangelisten eine kohärente Vorlage rekonstruieren. Allerdings läuft sie ihrerseits Gefahr, die einzelnen Entwicklungsstufen des Textes gegeneinander auszuspielen und insbesondere die Endredaktion in ein korrektives Verhältnis zur Redaktionsarbeit des Evangelisten zu setzen. Diese Gefahr wird durch das Konzept der Relecture gebannt, das die diachrone Betrachtung des Textes eng an seine synchrone Gestalt zurückbindet. In bezug auf das Joh vor allem von Zumstein und Dettwiler ausgearbeitet, versteht das Relecture-Konzept die einzelnen Redaktionen als produktive Interpretationsprozesse, die den von ihnen redigierten Text weder a priori kritisieren oder negieren noch einfach nur voraussetzen, um an ihn anzuschließen, sondern die in intensiver Auseinandersetzung mit diesem Text stehen und ihn durch ihre Arbeit aktualisieren und vertiefen.6 Die folgende exegetische Arbeit unterscheidet zwischen der ersten Redaktion des Evangeliums, d.h. der Stufe des Evangelisten,7 auf die sie das Schwergewicht legt, und späteren Redaktionen, zu denen neben Kap. 21 auch Kap. 15–17 oder etwa 10,1–18, die Episoden mit dem Lieblingsjünger sowie weitere, kleinere Abschnitte zu zählen sind.8 Zumstein skizziert in seinem Artikel „Zur Geschichte des johanneischen Christentums“ die Entwicklungslinie der joh Literatur in ihren einzelnen Stufen und macht auf die exegetische Tragweite ihrer Berücksichtigung aufmerksam: „Die Tatsache, 5

Die Mehrquellentheorie wurde erstmals von Bultmann vertreten. Vgl. Zumstein, Kreative Erinnerung; Dettwiler, Gegenwart. 7 Auf eine detaillierte Rekonstruktion des in die Redaktionsarbeit des Evangelisten eingegangenen Quellen- und Traditionsmaterials wird im folgenden meist verzichtet, denn aufgrund ihres stark hypothetischen Charakters trägt sie nur selten etwas zur Interpretation bei. Ein heuristischer Vergleich mit synoptischen Parallelstellen, die mit dem joh Text in indirektem überlieferungsgeschichtlichem Zusammenhang stehen, ist jedoch insbesondere für die Exegese des zweiten Buchteils ein probates Mittel, die Theologie des Evangelisten zu konturieren. 8 Ist im folgenden von einer dieser verschiedenen Redaktionsschichten die Rede, wird vereinfachend von der Endredaktion des Evangeliums gesprochen. 6

Einleitung

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dass dieser theologische Kreis existierte, zieht Konsequenzen für die Exegese des Joh nach sich. Denn insofern das vierte Evangelium das Ergebnis eines Interpretationsprozesses ist, muss es sowohl als im Entstehen begriffene Tradition als auch als abgeschlossene literarische Einheit gelesen werden. Eines der beiden Elemente dieser Dialektik nicht zu berücksichtigen – sei es im Namen einer übertriebenen Literarkritik oder einer dogmatischen synchronen Lektüre – hiesse, sich den Zugang zum literarischen Charakter des vierten Evangeliums zu versperren.“9 Die kurze Skizze der literarkritischen Position soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.10 Wie und aufgrund welcher Beobachtungen sie sich im einzelnen konkretisiert und welche theologischen Akzentuierungen und Verschiebungen sich zwischen den verschiedenen Redaktionsstufen des Evangeliums bemerkbar machen, werden die folgenden exegetischen Untersuchungen aufzeigen. 2.1.2. Das Problem des Antijudaismus im Johannesevangelium Die antijüdische Ausrichtung des Joh ist ein Faktum. „Die Juden“ sind im Joh fast durchwegs die Vertreter der nichtglaubenden Welt, Verstockte, die den Sohn Gottes zu töten suchen (5,18; 7,1; 18,31) und schließlich seine Kreuzigung durchsetzen.11 Pauschal verkörpern sie den Unglauben, während Einzelfiguren und die Jünger, die vom Evangelisten nicht mit dem Begriff 8,QWFCKQL bezeichnet werden – obwohl sie auf der unmittelbaren Erzählebene ebenfalls Juden sind, wie ja auch Jesus selbst einer ist –, den Glauben repräsentieren. Allein diese Typisierung stellt bereits eine klare antijüdische Polemik dar.12 Ihre Härte, die sich bis zur Aussage steigert, die 8,QWFCKQK hätten den Teufel zum Vater (8,44), erwächst aus der strengen Christozentrik des Evangeliums sowie aus seiner vergeschichtlichten Eschatologie: Das Gericht über diejenigen, die nicht glauben, daß Jesus der Sohn Gottes ist, findet in der Geschichte statt; hier und jetzt schließt sich der Unglaube vom Leben aus. Das Joh scheint für diejenigen, die sich ge9

Zumstein, Geschichte, 7f. Statt dessen sei auf die erwähnten Abschnitte bei Becker und Haldimann verwiesen sowie auf Zumstein, Endredaktion, 192–199. 11 Obwohl aus dem Erzählverlauf deutlich wird, daß der Evangelist für den Tötungsbeschluß (11,74–53) und dessen Durchsetzung (19,6.15) die Exponenten der jüdischen Aristokratie verantwortlich macht, spricht er insbesondere in diesem Zusammenhang immer wieder pauschal von den 8,QWFCKQK (18,31.38; 19,7.12.14). Vgl. auch Wengst, Joh II, 216. 12 Von der Osten-Sacken, Leistung, 168: „Die Stilisierung der Juden zu Typen ist zu allen Zeiten Kennzeichen von Antijudaismus gewesen.“ Von der Osten-Sacken wendet sich gegen Grässer, der mit dem Verweis auf die Typisierung das Joh vom Vorwurf des Antijudaismus freizuhalten versucht. Nach Grässer zeigt die Typisierung, daß das Joh nicht auf das empirische Volk rekurriere (Grässer, Polemik, 83). 10

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

gen den Sohn Gottes entscheiden, keine Hoffnung zu kennen. Auf diesen problematischen Aspekt der joh Theologie kommt das Schlußkapitel zurück.13 Um auf die antijüdische Problematik des Joh aufmerksam zu machen, wird in den folgenden exegetischen Erörterungen der griechische Terminus 8,QWFCKQK verwendet.14 2.1.3. Die Grundstruktur des Evangeliums Der grobe Aufriß des Joh ist kaum kontrovers. Auf den Prolog15 (1,1–18) folgt in 1,19–12,50 ein erster Erzählblock, der sich den Reden und Zeichenhandlungen Jesu widmet. Die Zäsur zwischen Kap. 12 und 13 ist deutlich erkennbar, denn einerseits wird in 12,37ff ein negatives Fazit der Zeichentätigkeit Jesu gezogen, andererseits in 13,1 betont, daß die Stunde seiner Rückkehr gekommen sei. Letztere ist denn auch das Thema des zweiten Erzählblocks (13,1–20,29), der sich aus den Abschiedsreden (13,31–16,33), dem an sie anschließenden Gebet (17), der Erzählung der Verhaftung, des Prozesses und der Kreuzigung (18–19) sowie der Ostergeschichte (20,1–29) zusammensetzt. Auf die beiden Erzählblöcke folgt in 20,30–31 ein kurzer Epilog, der Buchschluß. Das letzte Kapitel (21) erzählt von einer weiteren Erscheinung des Auferstandenen und schließt das Evangelium mit einem zweiten Epilog (21,24–25) ab.16 Der erste Buchteil weist anhand verschiedener Prolepsen auf den zweiten Buchteil, insbesondere auf Kap. 18–19, voraus, während umgekehrt dieser den ersten voraussetzt und sich auf ihn zurückbezieht. Um das Verhältnis der beiden Buchteile zueinander zu bestimmen und insofern die Frage zu klären, welchen Zusammenhang das Joh zwischen der Offenbarungstätigkeit Jesu in Reden und Zeichen und seiner Kreuzigung konstruiert, spielt die Untersuchung der Prolepsen eine wichtige Rolle, bilden sie doch die Scharniere zwischen den beiden Erzählblöcken. Die Betonung der proleptischen Struktur des ersten Buchteils darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kap. 1–12 eine differenzierte christologische These zur Sprache bringen, auf die Kap. 13–20 zurückgreifen. Auch die analeptische Struktur des zweiten Buchteils gilt es deshalb in der Textanalyse zu beachten. Der Aufbau der beiden exegetischen Kapitel dieser Arbeit folgt der Grundstruktur des Evangeliums: Das vorliegende Kapitel (Kap. 2) widmet 13

S.u. in Kap. 4 Abschnitt 4.2.2., insbes. Unterabschnitt 4.2.2.2. Zum Problem des Antijudaismus im Joh vgl. die Beiträge im jüngst erschienenen Sammelband Bieringer/Pollefeyt/Vandecasteele-Vanneuville, Anti-Judaism. 15 Zur Funktion des Prologs in bezug auf das Korpus des Evangeliums vgl. Zumstein, Prolog. 16 Zur Funktion von Kap. 21 sowie zu seinem Verhältnis zum Buchschluß in 20,30f vgl. Zumstein, Endredaktion. 14

Jesu Selbstoffenbarung im ersten Buchteil

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sich dem ersten Buchteil. Es untersucht anhand exemplarischer Exegesen die vom Evangelisten in Kap. 1–12 entfaltete Christologie und erörtert daraufhin die Funktion der auf Kap. 18f vorausweisenden Prolepsen, um in bezug auf die theologische Stoßrichtung des zweiten Buchteils bereits eine erste These zu gewinnen. Das nächste Kapitel (Kap. 3) exegesiert sodann zentrale Texte aus dem zweiten Buchteil des Joh unter Berücksichtigung ihrer analeptischen Ausrichtung und differenziert die aus der Analyse von Kap. 1–12 gewonnene These. Das Schlußkapitel (Kap. 4) faßt die Ergebnisse der Exegesen zusammen, diskutiert in Gegenüberstellung zur paulinischen Kreuzestheologie ihre theologische Tragweite und stellt die Frage nach einer Sachkritik am Joh.

2.2. Jesu Selbstoffenbarung im ersten Buchteil Im vorliegenden Abschnitt 2.2. wird anhand exegetischer Untersuchungen erörtert, wie der erste Buchteil des Joh die Offenbarung der FQZC Jesu einführt und entfaltet und in welches Verhältnis er die Erkenntnis dieser himmlischen FQZC zur Wahrnehmung der irdischen Realität Jesu setzt. Das bereits mehrmals gestreifte methodische Grundproblem, wie dieses Verhältnis zu bestimmen ist, wird einleitend noch einmal dargelegt; in diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der hermeneutischen Perspektive des Joh, auf die zur Lösung des Problems oft verwiesen wird, zu diskutieren. Zwei Texte, das Weinwunder zu Kana (2,1–11) und der erste Teil des Nikodemusgesprächs (3,1–8), stehen sodann im Mittelpunkt der exegetischen Arbeit, deren Ergebnisse unter den systematischen Gesichtspunkten Anthropologie, Christologie und Soteriologie geordnet werden. Abschließend bezieht eine Auslegung von Kap. 6 die systematischen Überlegungen wieder auf den Text des Joh zurück und weist zusammenfassend auf die entscheidenden Aspekte der im ersten Buchteil entfalteten joh Theologie hin. 2.2.1. Das methodische Grundproblem Die Reden des joh Jesus drehen sich stets um seine Sendung und deren Ziel. Nicht nur gibt sich Jesus als der vom Himmel Herabgestiegene, vom Vater Gesandte, als Gottes Sohn zu erkennen; er erläutert auch in immer neuen Anläufen den Sinn seines Gekommenseins: Die Welt soll gerettet werden und aus dem Tod ins ewige Leben treten. Jesus offenbart sich in den GXIYGKXOK-Worten als das Brot des Lebens, als das Licht der Welt, als die Auferstehung und das Leben, der Weg und die Wahrheit. Wer an ihn glaubt, wird

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

nicht mehr hungern und dürsten und in der Finsternis wandeln, sondern leben, auch wenn er stirbt. Diese Zusagen bleiben keine leeren Worte, sondern die UJOGKC des ersten Buchteils entfalten die Lebensgabe des Offenbarers ganz konkret. Jesus macht Wasser zu Wein und teilt Brot aus, heilt Kranke und einen Blindgeborenen und erweckt einen Toten zum Leben. Wie die Skizze der Problemgeschichte gezeigt hat, besteht Uneinigkeit darüber, welches christologische Konzept die joh Darstellung zusammenhält. Alternativen wie Selbstoffenbarung des inkarnierten Logos in der Welt (Bultmann) oder Epiphanie des präexistenten Schöpfungsmittlers im geschichtslosen Raum (Käsemann) stehen sich gegenüber. Thematisieren Jesu Reden und Wunder seinen paradoxalen Anspruch, gerade als gewöhnlicher Mensch der Offenbarer zu sein, oder legen sie vielmehr ihr ganzes Gewicht auf seine göttliche Herkunft, so daß das Menschsein des Offenbarers jede entscheidende Bedeutung verliert? Sind UCTZ und FQZC Jesu zu einem Paradox verbunden, oder dominiert die FQZC über die UCTZ? Welches Gepräge hat die im Joh reflektierte Christologie? 2.2.1.1. Die hermeneutische Perspektive der johanneischen Christologie Im Zusammenhang dieser Problematik wird oft auf die nachösterliche Perspektive, in der das Joh den irdischen Jesus präsentiert, verwiesen und erklärt, es sei die FQZC des vom Kreuzestod Auferstandenen, die retrospektiv die Darstellung des irdischen Lebens Jesu bestimme.17 Die bereits den ersten Buchteil beherrschende Offenbarung der FQZC Jesu stehe unter dem Vorbehalt seines Kreuzestodes; die Erkenntnis der FQZC sei an die Wahrnehmung der radikalen UCTZ gebunden. Zwar wird von keiner Seite bestritten, daß die joh Darstellung des irdischen Jesus als des Christus ihren Ursprung letztlich im Osterereignis hat – erfolgt doch jedes christliche Reden von Jesus in österlicher Retrospektive –, umstritten in der Joh-Exegese ist aber, ob das Joh die Verankerung dieser Perspektive im Osterereignis offenlegt und reflektiert, „ob sein Ist-Zustand jetzt noch dies [sc.: daß Ostern den geistgewirkten Weg zur direkten Christologie freimachte] im Gedächtnis hält oder schon ‚hohe‘ Christologie, losgelöst von diesem historisch ursprünglichen Ort der Erkenntnis, betreibt.“18 Führt das Joh die Rede von der FQZC Jesu auf 17 S.u. in Anm. 18 die kurze Darstellung der Position von Onuki, Gemeinde; s.o. die in den Abschnitten 1.3.1. und 1.3.3. skizzierten Argumentationen von Wengst und von Thompson. Vgl. des weiteren auch Bornkamm, Interpretation; Zumstein, Jesus. 18 Becker, Methoden, 43. Becker bezieht sich hier auf den Entwurf von Onuki, Gemeinde. Onuki unterscheidet in seiner Untersuchung zum joh Dualismus drei hermeneutische Perspektiven, aus denen die joh Christologie interpretiert werden kann (ebd., 185): 1. die Fleischwerdung des Logos (Hauptrepräsentant: Bultmann), 2. die Präexistenz des Logos (Käsemann), 3. das nachösterliche Wirken des Parakleten (Bornkamm). In Bultmanns Auslegung des Joh, die konsequent von der Fleischwerdung des Logos her argumentiere, stehe die soteriologische Bedeutung des Offenbarungswerks in der Mitte der christologischen Reflexion. Nicht die Christologie im engeren Sinne, d.h. die Reflexion des metaphysischen Wesens

Jesu Selbstoffenbarung im ersten Buchteil

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die urchristliche Ostererfahrung zurück, daß Gott den Gekreuzigten auferweckt hat? Die Erörterung der nachösterlichen Perspektive der joh Christologie, deren erklärtes Ziel es ist aufzuzeigen, daß die Offenbarung der FQZC Jesu unter dem Vorbehalt seines Kreuzestodes steht, führt also ihrerseits wieder zur Eingangsfrage zurück, ob die joh Kreuzigungs- und Ostergeschichte überhaupt die Auferweckung des Gekreuzigten verkündigt oder ob sie von der Erhöhung und der Rückkehr des Gesandten erzählt, dem der Kreuzestod nichts anhaben konnte. Die Parakletsprüche und die sogenannten footnotes werden oft als Argumente herangezogen, um die nachösterliche und mit ihr die kreuzestheologische Perspektivierung der joh Christologie zu belegen. Die folgenden zwei Exkurse sollen den Zirkel, in dem sich diese Argumentation jeweils bewegt, kurz illustrieren. Die Parakletsprüche und die hermeneutische Perspektive des Evangeliums Die Parakletsprüche reflektieren auf einer Metaebene die hermeneutische Perspektive, in der das Joh den irdischen Jesus darstellt. In Joh 14,26 wird die Lehre und Erinnerung aller Worte Jesu auf das Wirken des Parakleten zurückgeführt, dessen Christi, sondern die kerygmatische Entfaltung der Christologie sei Gegenstand der Erörterung. Demgegenüber behaupte Käsemann, das Joh stelle die Präexistenzaussage über die Inkarnationsaussage und entfalte eine spekulative Christologie. Der ewige Logos ist der Geschichtsimmanenz enthoben, das christologische Dogma der Gottheit Jesu ist der Verkündigung der Gemeinde vorgeordnet. Reduziere Bultmann die Christologie auf ihre soteriologische Ebene, so umgekehrt Käsemann die Soteriologie auf die Christologie. Bornkamm schließlich orientiere sich an der Pneumatologie, sehe er doch das Joh unter der hermeneutischen Perspektive des nachösterlich in der Gemeinde wirkenden Parakleten verfaßt. Die Gemeinde schildere Jesu irdisches Leben im Rückblick, d.h. unter dem Zeichen der Herrlichkeit, die am Kreuz zum Durchbruch gekommen sei. Ob Onukis Schematisierung den konkreten Entwürfen von Bultmann, Käsemann und Bornkamm gerecht wird, sei hier einmal dahingestellt. Onuki selbst betont, daß die drei Dimensionen der Christologie, die er den drei hermeneutischen Perspektiven zuordnet, nicht voneinander getrennt werden könnten, sondern bei den jeweiligen Autoren lediglich unterschiedlich gewichtet seien. Es handelt sich um folgende christologischen Dimensionen (ebd., 193): „1. [Käsemann] die Christologie im engeren Sinne, 2. [Bultmann] ihre kerygmatische Entfaltung und 3. [Bornkamm] die johanneische Gemeinde als deren historisch-empirischer Träger und ihre geschichtliche Erfahrung.“ Onuki ordnet die christologischen Dimensionen, ausgehend von der dritten, einander kritisch zu. Er bindet die joh Christologie eng an die historische Ostererfahrung der joh Gemeinde zurück (ebd., 194): „Diese hat erst nach ihrer historischen Erfahrung von Jesu Tod und Auferstehung, d.h. nach ihrer Ostererfahrung, erkannt, wer und was Jesus wirklich war und ist.“ Diese Erkenntnis mündet in eine Reinterpretation der urchristlichen Traditionen (ebd., 202): „Die österliche Ur-Erfahrung in spezifisch johanneischem Sinn gestaltete sich als Nacherfahrung oder interpretativer Nachvollzug des historisch einmaligen Lebens Jesu. Daraus ergab sich ein völlig neues Verständnis der Jesustraditionen.“ Das Joh entfalte weder eine dogmatische Christologie (Käsemann) noch die österliche Erfahrung der joh Gemeinde in ihrer grundsätzlichen Bedeutung (Bultmann), sondern es reflektiere gerade die zeitgebundene Erfahrung der joh Gemeinde. In Anlehnung an Gadamer spricht Onuki von einer Horizontverschmelzung: Der historische Horizont der Urgemeinde bzw. des urgemeindlichen Kerygmas und der Horizont der joh Gemeinde bzw. ihrer Ostererfahrung verschmelzen zu einem neuen christologischen Sinnhorizont.

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

Ankunft mit dem Weggang Jesu und insofern mit dem Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu verknüpft ist (vgl. 14,16f ). Auffällig ist nun aber, daß die Parakletsprüche dieses Ereignis gerade nicht als Ort thematisieren, wo Jesu FQZC allererst – oder allererst in ihrer wahren Dimension – erkannt wird, sondern als Ort, wo die unmittelbare irdische Präsenz des von den Jüngern in seiner FQZC längst erkannten Offenbarers zu Ende geht.19 Becker weist darauf hin, daß das Joh der Verkündigung des Parakleten nicht spezifisch die Erkenntnis der FQZC Jesu zuordnet: „[W]o bringt der Paraklet expressis verbis im Joh die österliche Einsicht speziell in die Gottheit Jesu? […] Nach dem vierten Evangelium führt nicht der Paraklet zur ‚hohen‘ Christologie, sondern der Irdische selbst stellt seine Hörer vor sie, zuletzt unmittelbar vor der Verheißung des Parakleten (14,6–11).“20 Zwar läßt sich behaupten, die Erinnerung aller Worte Jesu, d.h. die hermeneutische Perspektive der joh Christologie, sei an das Ereignis von Kreuz und Ostern geknüpft, doch kann aus dieser Behauptung nicht ohne weiteres gefolgert werden, die im ersten Buchteil entfaltete FQZC Jesu sei die FQZC des Gekreuzigten bzw. stehe unter dem Vorbehalt des Kreuzestodes Jesu. Denn anstelle der FQZC des vom Kreuzestod Auferstandenen kann auch die FQZC des Erhöhten die joh Darstellung bestimmen. Es muß also erst exegetisch geklärt werden, wie die bereits den ersten Buchteil prägende FQZC Jesu eingeführt wird und in welchem Bezug zu dieser FQZC das im zweiten Buchteil thematisierte Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu steht. Die footnotes und die noch nicht eingetretene Verherrlichung Jesu Um aufzuzeigen, daß die Erkenntnis der FQZC Jesu im ersten Buchteil unter dem Vorbehalt des Kreuzes steht, wird auch oft auf die sogenannten footnotes verwiesen:21 2,22: Q=VGQWPJXIGTSJGXMPGMTYP GXOPJUSJUCPQKB OCSJVCK CWXVQW Q=VKVQWVQGNGIGP MCKGXRKUVGWUCPVJ^ITCHJ^MCKVY^NQIY^Q?PGKRGPQB8,JUQWL.22 12,16: VCWVCQWXMGIPYUCPCWXVQWQKBOCSJVCKVQRTYVQP CXNN8Q=VGGXFQZCUSJ8,JUQWL VQVGGXOPJUSJUCPQ=VKVCWVCJPGXR8CWXVY^IGITCOOGPCMCKVCWVCGXRQKJUCPCWXVY^. 20,9: QWXFGRYICTJ^FGKUCPVJPITCHJPQ=VKFGKCWXVQPGXMPGMTYPCXPCUVJPCK. Die footnotes halten fest, daß die Jünger ein auf das Ereignis der Auferstehung (JXIGTSJ) bzw. der Verherrlichung (GXFQZCUSJ) Jesu vorausweisendes Wort oder Geschehen erst verstanden, als das Ereignis selbst eingetroffen war. Gegenstand der Erinnerung und des Verstehens sind die Schrift, Jesu Wort oder eine ihn betreffende 19 So gilt es z.B. zu beachten, daß die Parakletsprüche nicht von Jesu Tod und Auferwekkung, sondern von seiner Abwesenheit (14,16f ) und seinem Weggang (16,7) sprechen. 20 Becker, Methoden, 42. 21 Vgl. z.B. Onuki, Gemeinde, 194; Zumstein, Jesus, 72f. Zum Begriff footnotes vgl. Loader, Christology, 194 Anm. 61. 22 Auch 2,17 erwähnt ein Erinnerungsgeschehen der Jünger. Allerdings handelt es sich im Unterschied zu 2,22 nicht um eine Prolepse: Die Jünger erinnern sich nicht erst nach dem Auferstehungsereignis an das Schriftwort, sondern unmittelbar nach der Tempelreinigung. Die parallele Formulierung (GXOPJUSJUCP QKB OCSJVCK CWXVQW Q=VK) legt jedoch einen Bezug zu 2,22 nahe, so daß sich die dort erwähnte Schrift (ITCHJ) auf die in V 17 erinnerte Schriftstelle (IGITCOOGPQPGXUVKP) beziehen könnte.

Jesu Selbstoffenbarung im ersten Buchteil

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Handlung, die sich proleptisch auf seine Auferstehung bzw. Verherrlichung beziehen. Die Funktion der footnotes ist es also nicht, auf die hermeneutische Gesamtperspektive23 des Joh zu verweisen und – etwa in Analogie zum mk Messiasgeheimnis – die geoffenbarte FQZC Jesu generell unter den Vorbehalt seines Kreuzestodes zu stellen, sondern sie zeigen lediglich auf, daß das Ereignis der Auferstehung bzw. Verherrlichung Jesu nicht verstanden werden kann, bevor es eingetreten ist, daß dieses Ereignis seine Bedeutung und mit ihr die Bedeutung des vorausweisenden Schrift- oder Jesuswortes erst im Vollzug enthüllt.24 Wie bereits für die Parakletsprüche gilt auch hier: In welchem Verhältnis die Auferstehung bzw. Verherrlichung Jesu zur Offenbarung seiner FQZC im ersten Buchteil steht, wird aus den footnotes selbst nicht ersichtlich, sondern erst aus der exegetischen Auseinandersetzung mit dem gesamten Evangelium.

2.2.1.2. Die Selbstidentifikation Jesu und die Einwände seiner Gegner Das methodische Grundproblem, das Verhältnis der himmlischen FQZC Jesu zu seiner irdischen Realität zu bestimmen, entspringt dem Sachverhalt, daß Jesus selbst im Joh immer nur seine Herkunft von oben, sein Herabgestiegensein aus dem Himmel bzw. sein Gesandtsein betont und über hundertmal von Gott als seinem Vater spricht, ohne je ein Wort über sein Menschsein zu verlieren. So wird die Vokabel CPSTYRQL zur Bezeichnung von Jesus mit einer Ausnahme (8,40)25 nur in der Rede der Gegner Jesu verwendet oder in der Rede von solchen, die (noch) nicht glauben (vgl. 4,29; 5,12; 9,11.16.24; 10,33; 11,47.50; 18,17.29; 19,5). Seine Gegner sind es, die ihm vorwerfen, sich als gewöhnlicher Mensch, dessen Vater und Mutter sie kennen, zu Gottes Sohn zu machen (vgl. 6,42; 10,33; 19,7). Sie bezichtigen ihn aufgrund seines Anspruchs der Blasphemie und suchen ihn zu töten (5,18). Der Evangelist scheint diesen Disput unaufgelöst stehen zu lassen, denn nicht nur Jesus schweigt beharrlich zu den Vorwürfen seiner Gegner, auch der Erzähler bezieht in diesem Streit keine direkte, explizite Stellung.26 Während die einen aus dieser klaren, unaufgelösten Zweiteilung der Urteile folgern, daß nur der Unglaube das Augenmerk auf Jesu Menschsein richte, der Glaube jedoch in Jesus den von der irdischen Realität unberührten, 23

Erst das Parakletwort in 14,26 spricht von der Erinnerung aller Worte Jesu (RCPVC). Vgl. 14,29: In ähnlicher Weise erklärt Jesus am Ende der ersten Abschiedsrede den Jüngern, er habe vor seiner Rückkehr zum Vater über diese zu ihnen gesprochen, damit sie, wenn das Ereignis eintrete, glaubten. 25 8,40: PWP FG \JVGKVG OG CXRQMVGKPCK CPSTYRQP Q?L VJP CXNJSGKCP WBOKP NGNCNJMC J?P JMQWUCRCTCVQWSGQW>VQWVQ8$DTCCOQWXMGXRQKJUGP. Jesus spricht hier in einem Vorwurf von der Tötungsabsicht der 8,QWFCKQK. Wie weiter unten in Abschnitt 2.3.1. gezeigt wird, spricht Jesus außerhalb von solchen an die Gegner gerichteten Vorwürfen nie von seiner Tötung (CXRQMVGKPY), sondern stets von seinem Weggang bzw. seiner Rückkehr oder Erhöhung. Es liegt deshalb bei dieser Stelle der Schluß nahe, das sich die gesamte Wendung CXRQMVGKPCK CPSTYRQP auf die Perspektive der Gegner bezieht und Jesus erst mit NGNCNJMC (1. Pers. Sing.) wieder die eigene Perspektive einnimmt. 26 Vgl. zu diesem Problem auch Thompson, Humanity, 13–31. 24

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himmlischen Offenbarer sehe,27 behaupten die andern, der Unglaube qualifiziere Jesu Menschsein nicht als irrelevant, sondern mache vielmehr gerade deutlich, welchen Anstoß der Glaube zu überwinden habe, daß nämlich in Jesus, einem gewöhnlichen Menschen, Gott begegne.28 Beide Interpretationen haben die Schwierigkeit, daß Jesus sich über sein Menschsein ausschweigt: Während die eine Seite erklären muß, wieso er sich nie negativ äußert, muß die Gegnerseite erläutern, wieso er sein Menschsein nie positiv betont.29 Die eschatologischen Menschensohn-Passagen Die einzigen Stellen, die für eine Selbstidentifikation Jesu als Mensch herangezogen werden könnten, sind die Menschensohn-Passagen. Auf die traditionsgeschichtliche Herkunft und die joh Bedeutung des Begriffs QB WKBQLVQW CXPSTYRQW, die beide sehr umstritten sind,30 soll hier nicht näher eingegangen werden. Eine einfache syntagmatische Analyse des Begriffs zeigt, daß der joh Jesus sich dann als Menschensohn bezeichnen kann, wenn er von seinem Auf- und Abstieg (1,51; 3,13; 6,62), seiner Erhöhung (3,14; 8,28; 12,34) und Verherrlichung (12,23; 13,31f ), seinem Gericht (5,27; 9,35.39) oder seiner Gabe ewigen Lebens (6,27) spricht – alles eschatologische Themenbereiche. Außer in der zur Endredaktion zählenden Stelle 6,53 taucht der Begriff Menschensohn denn auch nie in einem Zusammenhang auf, der von Jesu Menschsein handelt. Insofern jedoch der Begriff QB WKBQLVQW CXPSTYRQW im Joh neben den ebenfalls pointiert verwendeten Titel QB WKBQLVQW SGQW zu stehen kommt,31 läßt sich durchaus erwägen, ob er über seine Verwendung im Zusammen27

Vgl. z.B. Schottroffs Begriff der Zweigleisigkeit (Schottroff, Glaubende, 278). Vgl. z.B. Thompson, Humanity, 31. 29 Thompson, die das gestellte Problem anhand von vier Themenkreisen untersucht („The Origins of Jesus“, „Incarnation and Flesh“, „Signs, Seeing, and Faith“ sowie „The Death of Jesus“), gelangt zur Schlußthese, daß das Joh das Menschsein Jesu weder in Frage noch unter Beweis stelle; es sei weder doketisch noch antidoketisch ausgerichtet. Daß Jesus wahrer Mensch sei, setze das Joh ganz einfach voraus, um dann zu erklären, daß in diesem Fleischgewordenen Gott sich offenbare (Thompson, Humanity, 121f ). Dies im Unterschied zum I Joh, der den Akzent anders setze (ebd., 122): „The Gospel declares that in the flesh of Jesus, God is revealed; the Epistle, that God is revealed in the flesh of Jesus.“ Vgl. dieselbe Argumentation bei Wengst, Gemeinde, 187f: „Daß Jesus ein wirklicher Mensch aus Fleisch und Blut ist, steht in dem Streit, in den sich die johanneische Gemeinde mit dem orthodoxen Judentum verwickelt sieht, in keiner Weise zur Debatte, sondern ist eine von beiden streitenden Parteien selbstverständlich anerkannte Voraussetzung.“ Die genannte Schwierigkeit bleibt auch bei dieser Lösung bestehen: Auch wenn im Joh Jesu Menschsein als unbestrittenes Faktum gälte – was aus dem Text allerdings nicht erhoben werden kann –, fehlen immer noch Aussagen, die Jesu UCTZ mit seiner FQZC verbinden und in ein identifikatorisches Verhältnis setzen. Nur solche Aussagen könnten jedoch eine joh Christologie, die Jesu Menschsein als Ort der Offenbarung Gottes definiert, belegen. 30 Literatur bei Sasse, Menschensohn. 31 Zum unterschiedlichen Gebrauch der beiden Titel vgl. Moloney, Son of Man, 211–213. Ob die Menschensohn-Aussagen, die auf die Kreuzigung vorausweisen, diese als „human event“ (so Moloney, Son of Man, 214; vgl. ebd., 66) deuten und Erhöhung und Kreuz als Paradox zu verstehen sind (ebd., 219), ist in Kap. 3 dieser Arbeit zu untersuchen. Bereits an dieser Stelle kann jedoch festgehalten werden, daß die Menschensohn-Aussagen nur mit den 28

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hang eschatologischer Aussagen hinaus auch auf die irdische Herkunft Jesu anspielt. Wie eine solche Anspielung zu verstehen wäre, läßt sich allerdings erst bestimmen, wenn das Verhältnis von irdischer und himmlischer Herkunft Jesu anhand umfassenderer Textbereiche analysiert worden ist.

2.2.1.3. Die Inkarnationsaussage im Prolog des Evangeliums In der Kontroverse um die joh Christologie spielt Joh 1,14 eine herausragende Rolle. Die Auslegung dieses Verses ist denn auch genauso umstritten wie die Interpretation des ganzen Evangeliums. Die Positionen von Bultmann und Käsemann bilden in diesem Streit die beiden Pole. Während Bultmann behauptet: „Das Thema des ganzen Johannes-Evangeliums ist der Satz QBNQIQLUCTZGXIGPGVQ (1,14)“32, verschiebt Käsemann das Zentrum des Evangeliums einen Teilvers nach hinten und schreibt V 14b (MCK GXSGCUCOGSCVJPFQZCPCWXVQW) den Hauptakzent des Prologs zu.33 Allerdings ist die V 14 zugeschriebene Schlüsselrolle selbst nicht unumstritten. So betont Becker, Joh 1,14 sei nur aufgrund des wirkungsgeschichtlichen Drucks, der auf das altkirchliche Glaubensbekenntnis zurückgehe, stets als Schlüssel zur joh Christologie verstanden worden; der Evangelist hingegen zeige an der Inkarnationsaussage des Hymnus kein besonderes Interesse, sondern lege alles Gewicht auf die Selbstoffenbarung des Sohnes, d.h. auf den Sendungsgedanken.34 Zumstein weist in seinem Aufsatz „Der Prolog, Schwelle zum vierten Evangelium“ auf die Kontinuitäten und Diskontinuitäten zwischen dem Prolog und dem Erzählkorpus des Evangeliums hin und zeigt auf, daß dem Prolog keineswegs die Funktion zukommt, die folgende Erzählung zusammenzufassen bzw. zu paraphrasieren, sondern daß sein Sinn vielmehr der ist, den Leser an die Erzählung heranzuführen und die Lektüre des Evangeliums zu leiten.35 In einer doppelten Bewegung führt der Logoshymnus den Leser einerseits zum absoluten Anfang (CXTEJ) zurück und macht ihn darauf aufmerksam, daß die folgende Geschichte von der grundlegenden Wirklichkeit, die vor der Schöpfung der Welt war, erzählen wird: von Gott; andererseits spricht er davon, wie sich der göttliche Logos nicht davon abhalten läßt, sich auf die Menschen zuzubewegen, eine Bewegung, die von seiner Präexistenz zur Inkarnation führt. Schlägt der Prolog zunächst den Weg des Mythos ein und konfrontiert den Leser mit dem Uranfang aller Wirklichkeit, so vollzieht er daraufhin „den Übergang vom Mythos zur Geschichte, Begriffen „erhöhen“, „verherrlichen“ und „hinaufsteigen“ auf die Kreuzigung Bezug nehmen, nie aber vom Kreuz als solchem sprechen (vgl. dazu auch die Überlegungen unten in Abschnitt 2.3.). 32 Bultmann, Theologie, 392. 33 Käsemann, Wille, 27ff. 34 Becker, Auferstehung, 138–142. 35 Zumstein, Prolog, 93–98.

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von der unerreichbaren und unbeschreibbaren göttlichen Wirklichkeit zur Wirklichkeit der Welt, vom Unvordenklichen zum Erinnerbaren.“36 Diese Funktionsbestimmung, daß der Prolog den hermeneutischen Rahmen des folgenden Erzählkorpus festlegt, überzeugt insofern, als ein Vergleich der theologischen Grundkategorien im Prolog und im Korpus zeigt, daß die beiden Größen eng aufeinander bezogen sind.37 Allerdings ist Becker in bezug auf 1,14 darin recht zu geben, „dass der Evangelist nirgends in seinem ganzen Werk auf die Inkarnationsaussage je wieder zu sprechen kommt.“38 Es stellt sich die Frage, in welcher Weise das Erzählkorpus den vom Prolog eingeführten Grundgedanken der Inkarnation weiterführt bzw. modifizert.39 Zwei Textabschnitte ganz zuvorderst im joh Erzählkorpus nehmen in besonders deutlicher Weise auf die irdische und die himmlische Herkunft Jesu Bezug: das erste UJOGKQP Jesu, das Weinwunder zu Kana (2,1–11), und der erste längere Redegang Jesu, das Nikodemusgespräch (insbesondere sein erster Teil: 3,1–8). Im folgenden werden diese beiden Texte interpretiert. 2.2.2. Die doppelte Herkunft Jesu im Wunder zu Kana (Joh 2,1–11) Im Weinwunder offenbart Jesus zum ersten Mal seine himmlische FQZC, und in derselben Erzählung tritt auch die prominenteste Zeugin seiner irdischen Herkunft auf: seine Mutter. Im folgenden wird untersucht, wie Jesu FQZC eingeführt und welches Verhältnis zwischen Jesu irdischer und seiner himmlischen Herkunft konstruiert wird. 2.2.2.1. Die Offenbarung der himmlischen Herkunft Jesu Unmittelbar nach dem Auftreten von Johannes dem Täufer (1,19–34) und der Berufung der ersten Jünger (1,35–51) schildert das Joh das erste UJOGKQP Jesu. Der die Erzähleinheiten aus Kap. 1 abschließende Vers (1,51) 36

Zumstein, Prolog, 97. Vgl. die Auflistungen bei Brown, John I, 19; Schnelle, Christologie, 232; Zumstein, Prolog, 82. 38 Becker, Auferstehung, 140. 39 Die Metareflexivität des Prologs und seinen Charakter als Leseanweisung betont auch Theobald, Fleischwerdung. Allerdings vertritt er die literarkritische These, daß erst die Endredaktion den Prolog dem Evangelium voranstellte, um dessen theologische Ausrichtung zu korrigieren. Der Prolog sei eine kritische Antwort auf eine dualistische Tauf- oder Logoschristologie, die von Mitgliedern des joh Kreises vertreten und aus dem Evangelium hergeleitet worden sei. Zur Kritik dieser literarkritischen These vgl. Müller, Menschwerdung, 52f. M.E. gehen die Differenzen zwischen Prolog und Korpus auf die unterschiedliche Form – mythologische Rede im Prolog, narrative Entfaltung der joh Ostererfahrung im Korpus – zurück und zeugen nicht von verschiedenen theologischen Standorten (s.u. Abschnitt 2.2.5.2.). 37

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bildet zusammen mit 2,11 eine Klammer um die Wundererzählung. 40 Bekennt Nathanael allein schon aufgrund der Episode unter dem Feigenbaum (1,47f) seinen Glauben an Jesu Gottessohnschaft (1,49),41 verheißt ihm Jesus, Größeres zu sehen: den geöffneten Himmel und Gottes Engel, die über dem Menschensohn hinauf- und herabsteigen. Jesus steht „in direkter Dauerverbindung mit Gott“42. Das im folgenden erzählte Weinwunder bildet den Auftakt zur Erfüllung dieser Verheißung. 2,11 hält fest, daß Jesus zu Kana seine FQZC offenbarte und daß seine Jünger an ihn glaubten. Die Formulierung MCKGXHCPGTYUGPVJPFQZCPCWXVQW weist auf 1,14b (MCKGXSGCUCOGSCVJPFQZCPCWXVQW) zurück.43 In 1,14 wird die FQZC des fleischgewordenen NQIQL als YBLOQPQIGPQWLRCTCRCVTQL präzisiert: als FQZCdes Einziggeborenen oder Einzigerzeugten des Vaters.44 Die FQZC, die Jesus in Kana offenbart, ist die FQZC dessen, der seinen Ursprung in einzigartiger Weise bei Gott hat.45 Stellte der Täufer Jesus in 1,34 als Sohn Gottes vor (QWVQLGXUVKP QB WKBQLVQW SGQW) und bekannte ihn Nathanael in 1,49 als solchen (UW GKQB WKBQLVQW SGQW), so offenbart Jesus nun in Kana seine göttliche FQZC in aller Öffentlichkeit, indem er Wasser in Wein verwandelt.46 40

Vgl. u.a. Schnackenburg, Joh I, 328; Léon-Dufour, Jean I, 210; Schenke, Joh, 51; Schnelle, Joh, 59; Wilckens, Joh, 55. 41 In 1,35–51 nehmen die ersten Jünger mit verschiedenen Titeln und Bezeichnungen auf Jesu Identität Bezug: TBCDDK/FKFCUMCNQL (V 38), /GUUKCL/&TKUVQL(V 41), Q?PGITC[GP/YW"UJL GXPVY^ PQOY^ MCK QKB RTQHJVCK (V 45), QB WKBQLVQW SGQW und DCUKNGWLVQW 8,UTCJN (V 49), wobei die Äußerung von Nathanel in V 49 die Klimax bildet, denn sie sticht nicht nur durch ihre Schlußstellung, sondern auch durch ihre klare Bekenntnisform (2x UW GK) und ihren Rückbezug auf das Bekenntnis des Täufers (V 34:QWVQLGXUVKPQBWKBQLVQWSGQW) hervor. 42 Becker, Joh I, 125. 43 Vgl. Schnackenburg, Joh I, 335.340; Becker, Joh I, 133; Thompson, Humanity, 70; Theobald, Fleischwerdung, 290: „Dem Satz des Prologs ‚wir haben seine Herrlichkeit geschaut‘ (14c) entspricht der Kommentarsatz des Erzählers zum Weinwunder: ‚er offenbarte seine Herrlichkeit und es glaubten an ihn seine Jünger‘ (2,11b.c).“ Zur literarkritischen These von Theobald s.o. Anm. 39. 44 Zur sprachlichen Bestimmung der Wendung YBL OQPQIGPQWL RCTC RCVTQL vgl. Hofius, Logos-Hymnus, 24 Anm. 136: „1. Die Partikel YBL hat nicht vergleichende, sondern erklärende und begründende Funktion. 2. Bei OQPQIGPQWL steht kein Artikel, weil das Wort den Charakter eines Prädikatsnomens hat (zu ergänzen ist: QPVQL). 3. Die präpositionale Wendung RCTC RCVTQL ersetzt den Genitiv (zur Vermeidung des höchst mißverständlichen YBL OQPQIGPQWLRCVTQL).“ Zur theologischen Stoßrichtung des Begriffs Einziggeborener vgl. Dalferth, Gekreuzigte, 132f: Einzig (OQPQL) besage nicht, daß nur Jesus Kind Gottes wäre und niemand sonst Gott je zu Gesicht bekäme, sondern daß in diesem Jesus Gott sich so offenbart, wie er jedem Menschen gegenüber sein will (ebd., 133): „Gott ist der Vater, als der er durch Jesu Selbstunterscheidung von ihm deutlich wird, und Jesus ist der Sohn, weil und insofern er diesen Gott, von dem er sich ausdrücklich unterscheidet, für uns als Vater erschließt.“ 45 Theobald, Fleischwerdung, 294: „Dabei ist die Pointe an beiden Stellen [sc.: 1,14–18 und 2,11] die, daß die Herrlichkeit Jesu sich darin zeigt, daß er als ganz in Gott gründend offenbar wird.“ 46 Zum Begriff FQZC im Joh vgl. die Untersuchung von Bratcher, Glory, 401–408. Der Begriff meint mehr als Herrlichkeit, Macht oder Ehre, nämlich Göttlichkeit oder Gottheit. Vgl. auch Hofius, Logos-Hymnus, 24.

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2.2.2.2. Jesu irdische Herkunft Das Weinwunder zu Kana thematisiert indes auch Jesu irdische Herkunft. Diese wird vom Erzähler durch den wiederholten Bezug auf Jesu Mutter, die keinen Eigennamen trägt, klar hervorgehoben (2,1.3: JB OJVJT VQW 8,JUQW; 2,5.12: JB OJVJTCWXVQW). Jesus selbst übernimmt diese Bezeichnung jedoch nicht, sondern redet seine Mutter distanziert mit „Frau“ (2,4: IWPCK) an, was durch die Einleitung seiner Anrede (VK GXOQK MCK UQK) noch unterstrichen wird.47 Während also der Erzähler die irdische Herkunft Jesu betont, distanziert sich der Wundertäter selbst von ihr und offenbart mit der Verwandlung von Wasser in Wein eine andere Herkunft: Gott ist sein wahrer Vater.48 Der Vater und die Mutter Jesu Während Joseph, Jesu Vater (1,45; 6,42), im gesamten Evangelium kein einziges Mal auftritt, spielt die Mutter in Kap. 2 eine zentrale Rolle, bevor sie von der Bildfläche verschwindet.49 Nur noch einmal wird nach Kap. 2 auf sie verwiesen, in 6,42, wo die 8,QWFCKQK, um Jesu himmlische Herkunft zu bestreiten, auf seine irdischen Eltern rekurrieren. Der Begriff OJVJT wird außerdem noch in 3,4 verwendet: Gegen Jesu Behauptung, der Mensch müsse von neuem (bzw. von oben: CPYSGP) geboren werden, macht Nikodemus den Einwand geltend, ein Mensch könne nicht in den Mutterleib zurückkehren. Der Begriff konnotiert hier das leibliche Geborensein des Menschen, dem Jesus die Geburt von oben, aus dem Geist, gegenüberstellt.50 Der Begriff RCVJT taucht hingegen unzählige Male im Joh auf. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle bezeichnet er Gott, der seinen Sohn gesandt hat.51 Der Befund ist deutlich: Während Jesus nie von seinem leiblichen Vater Joseph spricht und er seine Mutter in 2,4 mit IWPJ anredet, nennt er Gott über hundertmal seinen Vater.52

47 Zur distanzierenden Bedeutung der Wendung VK GXOQK MCK UQK vgl. Lütgehetmann, Hochzeit, 155–173; Maynard, 6,(/1,. 48 Jesu Mutter symbolisiert im Joh nicht einfach eine verwandtschaftliche Beziehung (so zahlreiche Exegeten: z.B. Brown, Mother, 309; Becker, Joh I, 130; Schnelle, Joh, 60), sondern Jesu irdische Herkunft. Von ihr distanziert sich Jesus zugunsten seiner himmlischen Herkunft. Maynard, 6,(/1,, 585: „The writer of the Fourth Gospel has used this idiom to indicate that Jesus is no longer ‚son of Mary‘, but that he is now moving and living on a divin level where he has no filial relationship to her.“ Vgl. auch Theobald, Fleischwerdung, 292f (weitere Vertreter dieser These: ebd., 293 Anm. 17). 49 Die Szene 19,25–27, in der Jesu Mutter erneut auftritt, ist der Endredaktion zuzuschreiben (s.u. den Exkurs in Abschnitt 3.2.4.3.). 50 Zur Auslegung des Nikodemusgesprächs s.u. Abschnitt 2.2.3. 51 Andere Fälle: Einige Male wird der Begriff zur Bezeichnung der jüdischen Vorväter verwendet (4,12.20; 6,31.49.58; 7,22; 8,39.53.56), in 8,44 wirft Jesus den 8,QWFCKQK vor, sie hätten den Teufel zum Vater, in 6,42 reden die 8,QWFCKQK von Jesu leiblichem Vater Joseph, und in 4,53 ist vom Vater des geheilten Knaben, dem Staatsbeamten von Kapernaum, die Rede. 52 Das erste Mal in der auf die Kanaperikope folgenden Erzählung der Tempelreinigung: 2,16.

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In der Exegese wurde oft über die tiefere Bedeutung des Weinwunders zu Kana debattiert. Während Becker betont, es gelte nicht, „einzelne Elemente der Erzählung mit tieferem Sinn zu versehen, sondern das Wunder insgesamt, und zwar christologisch zu verstehen“53, zeigen andere auf, daß die grundsätzliche christologische Bedeutung des Wunders gerade auch von Details der Erzählung reflektiert wird. Einige dieser umstrittenen Details werden im folgenden genauer analysiert, um die christologische Grundbedeutung der Erzählung – daß Jesus seine himmlische Herkunft offenbart, während er sich von seiner irdischen Herkunft distanziert – zu vertiefen. 2.2.2.3. Der dritte Tag Schon die ersten Worte der Erzählung sind umstritten: die Zeitangabe VJ^ JBOGTC^ VJ^ VTKVJ^ (2,1). Die Anspielung auf den dritten Tag wird von vielen Exegeten als Prolepse verstanden, die auf Kap. 20 vorausweist: „Für Johannes ist der Wundertäter Jesus kein anderer als der Gekreuzigte und Auferstandene!“54 Für eine Identifikation von drittem Tag und Auferstehungstag sprechen denn auch überzeugende Argumente: Die Zeitangabe tritt nach dem dreimaligen VJ^GXRCWTKQP in 1,29.35.43 unvermittelt auf und sticht deshalb ins Auge. Eine Konnotation mit Jesu Auferstehungstag liegt insofern nahe, als die Wendung VJ^ JBOGTC^ VJ^ VTKVJ^ bzw. VJ^ VTKVJ^ JBOGTC^ festes urchristliches Traditionsgut ist und im Neuen Testament ausschließlich zur Bezeichnung des Auferstehungstages Jesu verwendet wird (vgl. Mt 16,21; 17,23; 20,19; 27,64; Lk 9,22; 18,33; 24,7.21.46; Act 10,40; I Kor 15,4). Nur eine Perikope weiter wird außerdem auf die Zeitspanne von drei Tagen zwischen Tod und Auferstehung Jesu angespielt: In 2,19 behauptet Jesus, in drei Tagen (GXPVTKUKPJBOGTCKL) den abgebrochenen Tempel wieder aufzurichten, worauf in V 21f erklärt wird, daß er den Tempel seines Leibes gemeint habe und die Jünger dies nach Jesu Auferstehung verstanden hätten. Im Auferstehungsbericht selbst erwähnt das Joh – wie die synoptischen Evangelien übrigens auch – den dritten Tag allerdings nicht explizit.55 Obwohl sich die Verknüpfung von drittem Tag und Auferstehungstag also geradezu aufdrängt – zumal auch das in 2,11 verwendete Verb HCPG53

Becker, Joh I, 133. Schnelle, Joh, 59; vgl. u.a. Dodd, Interpretation, 300; Knöppler, theologia crucis, 103; Zumstein, Johannes 19, 174; Wengst, Joh I, 99.103. Diese Verknüpfung lehnen ab: Schnakkenburg, Joh I, 331; Becker, Joh I, 129. 55 Lütgehetmann versteht den „dritten Tag“ als Anspielung auf die Sinai-Theophanie (Ex 19,10f.16): Lütgehetmann, Hochzeit, 299–302; vgl. auch Moloney, John, 66. Die Wendung VJ^JBOGTC^VJ^VTKVJ^ knüpft zwar auch in ihrer urchristlichen Prägung an alttestamentliche Tradition an (Hos 6,2; Jon 2,1), doch ist ein direkter Rückbezug von Joh 2,1 auf das Alte Testament abzulehnen. Denn im Gegensatz zu anderen Passagen im Joh, die sich auf alttestamentliche Texte beziehen (vgl. z.B. 3,14), fehlen in 2,1–11 explizite Verweise und deutliche Anspielungen. 54

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TQY auf Ostern verweist56 –, ist bei ihrer Interpretation Vorsicht geboten. Daß es diese Verknüpfung gibt, heißt noch keineswegs, daß in Kana „kein anderer als der Gekreuzigte“ (s.o.) seine FQZC offenbart. Auch die umgekehrte Schlußfolgerung, daß nicht das Auferstehungsereignis das Kanawunder interpretiert, sondern das Kanawunder das Auferstehungsereignis, muß in Betracht gezogen werden. In diesem Fall würde die Zeitangabe in 2,1 nicht auf den Auferstehungstag vorausweisen und einen Vorbehalt anmelden – den Vorbehalt, die FQZC Jesu werde erst in der Begegnung mit dem auferweckten Gekreuzigten in ihrer wahren Dimension erkannt –; vielmehr käme ihr die Funktion zu, den Ostertag auf den Tag des Weinwunders zu Kana vorzudatieren, ihn vorwegzunehmen: Der dritte Tag, an dem sich der Auferstandene in seiner göttlichen FQZC den Jüngern zeigt, d.h. Ostern, ereignet sich am Anfang der irdischen Wirksamkeit Jesu. Diese These kann hier noch nicht weiter ausgeführt werden; sie ist im Anschluß an die Auslegung von Joh 3,1–8 wiederaufzunehmen und zu diskutieren.57 Die Zeichenforderung in 2,18–22 Eine kurze Analyse der bereits erwähnten Passage 2,18–22 soll aufzeigen, daß auch dieser Text nicht ohne weiteres als Argument für eine kreuzestheologische Interpretation von 2,1–11 herangezogen werden kann. Jesus macht in 2,19 den 8,QWFCKQK, die ein Zeichen (UJOGKQP) fordern (V 18), den Vorschlag, „diesen Tempel“ abzubrechen, damit er ihn in drei Tagen wieder errichte. Während die 8,QWFCKQK in V 20 meinen, Jesus rede vom Tempelgebäude, erklärt der Erzähler in V 21f, daß Jesu Wort sich auf seinen Leib bezog und auf das der Kreuzigung folgende Auferstehungsereignis. Zentral für die vorliegende Fragestellung ist der Sachverhalt, daß Jesus, der in Kana ein Zeichen tut und seine FQZC offenbart und der unmittelbar nach der Episode mit den 8,QWFCKQK erneut Zeichen vollbringt (V 23), der Zeichenforderung der 8,QWFCKQK mit einem rätselhaften, von den Jüngern erst im nachhinein wieder erinnerten (V 22) Wort begegnet, das auf seine Kreuzigung und Auferstehung verweist.58 Der Dialog in 2,18–22 markiert eine deutliche Differenz zum Offenba56 In 21,1.14 nimmt die Endredaktion mit dem Begriff HCPGTQY auf Jesu österliches Erscheinen vor den Jüngern Bezug (vgl. auch Mk 16,12.14). 57 S.u. Abschnitt 2.2.5. 58 Gegenüber der gängigen Auslegung von V 19, den Ausdruck „dieser Tempel“ metaphorisch auf Jesu Leib zu beziehen, so daß die Kreuzigung Jesu den Abbruch des Tempels Gottes bedeutet und Jesu Auferstehung dessen Wiedererrichtung, vertritt Rahner eine markante Gegenthese (vgl. Rahner, Tempel, 292–311, v.a. 308–311): In V 19 beziehe sich NWUCVG nicht auf Jesu Kreuzigung und GXIGTY nicht auf seine Auferstehung, sondern Jesus meine in V 19b den Abbruch des Jerusalemer Tempelgebäudes, dem er in V 19c den neuen Tempel seines Inkarnations- bzw. Kreuzesleibes entgegenstelle. Gegen die Unterscheidung von zwei Tempeln in den beiden Hauptsätzen V 19b und V 19c spricht jedoch insbesondere das Pronomen CWXVQP. Auch läßt sich das Verb GXIGKTY nicht von der Auferstehung Jesu lösen und auf die Inkarnation beziehen; es wird im Joh häufiger zur Bezeichnung der Auferweckung verwendet, als dies Rahner behauptet (vgl. Rahner, Tempel, 308): Neben 2,22a, einem Vers, der aufgrund seiner kontextuellen Verbindung mit 2,19.20 von höchstem Gewicht ist, und 21,14 sind auch 5,21; 12,1.9.17 zu nennen. Die aktive Form ist mit der spezifisch joh Interpretation der Auferstehung Jesu leicht zu erklären. Auch von seiner passiven Erhöhung/Kreuzigung spricht

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rungsereignis in 2,1–11: Während Jesus in Kana ein UJOGKQP tut, das den Jüngern seine himmlische FQZC offenbart, verweist er die 8,QWFCKQK, die ein Zeichen fordern, weil sie nicht an seine göttliche Vollmacht glauben,59 auf seine Kreuzigung und Auferstehung. Während die Jünger bereits vor Jesu Kreuzigung die FQZC des Irdischen erkennen und glauben – wie auch ein Teil von ihnen vor (nicht wegen) seiner Kreuzigung an ihm Anstoß nimmt (6,60) und von ihm abfällt (6,66) –, werden diejenigen, die seine göttliche Herkunft in Zweifel ziehen, auf das Kreuzigungsereignis verwiesen, das sie eines besseren belehren soll (vgl. auch 8,28).60 Diese Struktur ist ein erstes Indiz dafür, daß die Kreuzigung Jesu im Joh nicht – wie der kreuzestheologische Ansatz postuliert – auf Glaubenserkenntnis ausgerichtet ist, sondern gerade denen zum Zeichen wird, die nicht zum Glauben an Jesus, den Sohn Gottes, finden. Der zweite Hauptteil der exegetischen Analyse (Kap. 3) wird diese Interpretationsrichtung weiter verfolgen.

2.2.2.4. Die noch nicht gekommene Stunde Jesu Der Einwand Jesu in V 4, mit dem er seine Mutter zurückweist, scheint der FQZC-Offenbarung in Kana allerdings einen proleptischen Charakter zuzuweisen: QWRYJ=MGKJB Y=TCOQW. Die Stoßrichtung des Einwands ist jedoch umstritten. Bezieht sich der Begriff Y=TC auf die Stunde der Wundertätigkeit, die Jesus allein zu bestimmen hat,61 oder auf die Todesstunde Jesu?62 Für letztere Interpretation spricht, daß die Formulierung deutlich mit 7,30; 8,20 und 13,1 korrespondiert, wo Jesu Stunde (JBY=TCCWXVQW) die Todesstunde meint (vgl. auch 12,23.27). Während 7,30 und 8,20 erklären, daß die Gegner Jesus nicht ergreifen können, weil seine Stunde noch nicht gekomder joh Jesus mit Verben in aktiver Form (CXPCDCKPY, WBRCIY; vgl. außerdem die eher aktiv bzw. reflexiv zu verstehende intransitive Aoristform CXPCUVJPCK in 20,9). Daß Jesus bereits „im Hier und Jetzt seiner realen Anwesenheit“ der neue Tempel Gottes ist (so Rahner, Tempel, 309), soll allerdings nicht bestritten werden. In V 19 fordert Jesus die 8,QWFCKQK ja gerade dazu auf, diesen neuen, eschatologischen Tempel, der also bereits steht, niederzureißen, wie es sich dann in Kap. 18f auch ereignet. 59 Unglaube und Zeichenforderung sind eng miteinander verknüpft (vgl. Weder, Menschwerdung, 338). Die Auslegung von 6,30ff (s.u. Abschnitt 2.2.7.) wird dies erneut dokumentieren. 60 Die Ankündigung in 8,28 gilt gerade nicht dem Glauben (gegen z.B. Onuki, Gemeinde, 194), sondern dem Unglauben, denn die 2. Pers. Plur. bezieht sich eindeutig auf die Gesprächspartner in Kap. 8, die 8,QWFCKQK (V 22), die nicht zum Glauben finden. Die Erkenntnis der FQZC Jesu am Kreuz ist für den Unglauben jedoch eine Erkenntnis zum eigenen Gericht (s.u. Abschnitt 2.3.2.2. mit Anm. 211 sowie die Auslegung von Kap. 18f in Kap. 3, Abschnitt 3.2.). 61 Vgl. Becker, Joh I, 127f; Dietzfelbinger, Joh I, 67.71f. In bezug auf die dem Evangelisten vorliegende Semeiaquelle vertritt auch Bultmann diese Interpretation (Bultmann, Joh, 81); für den Evangelisten selbst sei die Y=TC jedoch „die Stunde der Passion“ (ebd., 85). Weitere Exegeten, die wie Becker den Bezug zur Stunde der Wundertätigkeit favorisieren, bei Lütgehetmann, Hochzeit, 335 Anm. 1. 62 Vgl. u.a. Thüsing, Erhöhung, 92–96; Rissi, Hochzeit, 86f; Lütgehetmann, Hochzeit, 330–339; Zumstein, Interpretation, 127; Knöppler, theologia crucis, 103; Moloney, John, 69; Schenke, Joh, 51f; Wilckens, Joh, 56f; Wengst, Joh I, 101.

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men ist,63 erzählen 12,23.27 und 13,1 davon, daß Jesus am Ende der Offenbarungstätigkeit weiß, daß seine Stunde nun gekommen ist. Allerdings ist zu beachten, daß an diesen Stellen nie von der Stunde des Todes (VQW SCPCVQW) oder des Kreuzes (VQW UVCWTQW), sondern wie in 2,4 von seiner Stunde (OQW/CWXVQW) die Rede ist, die in 13,1 als Stunde der Rückkehr zum Vater (CWXVQW JB Y=TCK=PCOGVCDJ^ GXMVQW MQUOQWVQWVQWRTQLVQP RCVGTC) präzisiert wird und in 12,23 (vgl. 17,1) als Stunde der Verherrlichung des Menschensohns (JB Y=TC K=PC FQZCUSJ^ QB WKBQL VQW CXPSTYRQW).64 Bereits dieser Befund widersetzt sich der verbreiteten These,65 2,4c stelle die Zeichenhandlung zu Kana unter den Vorbehalt des Kreuzestodes Jesu, der seine FQZC allererst in ihrer wahren, vollendeten Dimension offenbare.66 Ein weiteres Gegenargument liefert der Widerspruch, daß Jesus der Bitte seiner Mutter nachkommt, obwohl er sie zunächst unmißverständlich zurückweist. Daß Jesus das Wunder zu Kana unter dem Vorbehalt seiner kommenden Stunde – sei es nun die Stunde seiner Kreuzigung oder die Stunde seiner Verherrlichung – vollbringt, kann nicht die Ursache dafür sein, daß er seine Mutter zurückweist und distanzierend mit „Frau“ anredet; eine „ja, aber“-Erklärung wäre da besser am Platz.67 Während somit der Bezug von 2,4c auf die Y=TC der Rückkehr Jesu zum Vater naheliegend und überzeugend ist, kann dasselbe nicht von der Behauptung gelten, Jesu Einwand stelle die im Wunder zu Kana erfolgte FQZCOffenbarung unter einen Vorbehalt. Da der Einwand, seine Stunde sei noch nicht gekommen, als Erklärung für seine heftige Abwehr in V 4b (VK GXOQK MCKUQK IWPCK) fungiert, gilt es noch einmal zu dieser zurückzukehren. Wie bereits weiter oben dargelegt, macht Jesu schroffe Zurückweisung seiner Mutter darauf aufmerksam, daß er sich von seiner irdischen Herkunft distanziert. Das Zeichen der Verwandlung von Wasser in Wein offenbart seine enge Verbindung mit dem himmlischen Vater, nicht mit der irdischen Mutter. So zieht sich Jesu Mutter denn auch vom Geschehen zurück, nachdem sie in V 5 den Dienern erklärt hat, sie sollten tun, was Jesus ihnen sage. Jesus handelt nicht auf menschlichen Befehl hin, sondern umgekehrt: 63 Während in den kommentierenden Passagen 7,30 und 8,20 mit dem Plusquamperfekt (GXNJNWSGK) formuliert wird, hat das in der direkten Rede Jesu (2,4) verwendete Verb J=MY perfektische Bedeutung (vgl. Blass/Debrunner/Rehkopf, Grammatik, 266). Ein Bedeutungsunterschied läßt sich so nicht ausmachen. 64 Diese Stellen werden im zweiten exegetischen Kapitel (Kap. 3) noch eingehender analysiert. 65 Vgl. auch den Einwand von Käsemann, Wille, 46f. 66 Diese These vertreten Thüsing, Erhöhung, 94; Rissi, Hochzeit, 86; Lütgehetmann, Hochzeit, 336; Zumstein, Interpretation, 127; Knöppler, theologia crucis, 103; Moloney, John, 69; Schenke, Joh, 52; Wilckens, Joh, 57; Wengst, Joh I, 101. 67 Vgl. auch Schnackenburg, Joh I, 335: Im Falle der These vom Vorbehalt könnte die Mutter „die Antwort Jesu kaum verstehen […], und man müßte nach ihrem Verhalten (V 5) annehmen, daß sie ihn mißverstanden habe; diesen Eindruck gewinnt aber der Leser – im Unterschied zu den anderen joh. ‚Mißverständnissen‘ – nicht.“

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Auf sein Wort hin wird gehandelt (2,5: Q=VKC PNGIJ^WBOKPRQKJUCVG). Auch in den folgenden Zeichenhandlungen bleibt dieser narrative Zug stets präsent: Jesus tut seine Wunder dezidiert unabhängig von menschlichen Forderungen und Erwartungen (vgl. 4,48; 5,6; 6,5.19f; 9,6; 11,6). Er erfüllt keine Befehle, sondern erteilt selbst Handlungsanweisungen (vgl. 2,7f; 4,50; 5,8; 6,10.12; 9,7; 11,39.43f). Mit seiner Rückkehr zum Vater allerdings tritt ein deutlicher Paradigmenwechsel ein: Nun wird den Glaubenden zugestanden, sich an den Verherrlichten zu wenden, der ihre Bitten erfüllt und in ihrem Werk (14,12) sein Werk plaziert (14,13), so daß sie in Einheit mit ihm handeln. Obwohl das Handeln der Glaubenden an das Wort Jesu gebunden ist (vgl. 14,15–26), geht die Initiative zur Tat nun von ihnen aus. Die Anweisung der Mutter Jesu an die Diener in 2,5 (Q=VKC PNGIJ^WBOKPRQKJUCVG) hat in der Verheißung Jesu in 14,13 (Q= VK C P CKXVJUJVG GXP VY^ QXPQOCVK OQW VQWVQRQKJUY) ihr präzises Gegenstück. Während der Irdische an ihn herangetragene Initiativen zurückweist – bzw. seinem eigenen Wort unterstellt –, handelt der zum Vater Zurückgekehrte gerade auf diese hin.68 Vor diesem Hintergrund läßt sich Jesu ominöses Wort in 2,4 leicht erklären. Jesus, der von seiner Mutter mit dem Hinweis auf den ausgegangenen Wein indirekt zu einem Wunder aufgefordert wird, gibt zu verstehen, daß vor seiner Rückkehr zum Vater sein Handeln von keinem irdischen Anstoß ausgeht. Er handelt weder aus eigener Initiative noch im Auftrag von anderen Menschen, sondern allein im Auftrag seines Vaters und in Einheit mit ihm (vgl. 5,17.19f; 6,38; 8,28f; 10,25.38). Sein himmlischer Vater, nicht seine irdische Mutter, gibt ihm die Vollmacht, Zeichen zu tun. Ebendies offenbaren auch die Zeichen selbst, nämlich daß Jesus von himmlischer Herkunft ist und daß in seinem Tun der Himmel offensteht. Inwiefern das erste Zeichen Jesu davon Zeugnis ablegt, wird nun anhand eines weiteren Erzählzugs dargestellt. 2.2.2.5. Die christologische Bedeutung des Wunders In V 9 wird erzählt, daß der Speisemeister, der das zu Wein gewordene Wasser kostet, nicht weiß, woher es ist (QWXMJ^FGKRQSGPGXUVKP). Schnackenburg verweist auf den „hintergründigen Sinn“ des Fragepronomens RQSGP: „[I]mmer wieder geht es im Ev um die Frage, ‚woher‘ Jesu Gabe (4,11) und ‚woher‘ er selbst ist (7,27f; 8,14; 9,29f; 19,9).“69 Da die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, daß Jesu irdische und seine himmlische Herkunft zentrales Thema der Kanaerzählung sind, ist es naheliegend, den Satz QWXM J^FGKRQSGPGXUVKP auf dieses Thema zu beziehen. 68 Die Episode in 20,17, in der der Auferstandene die vor ihm stehende Maria von Magdala mit den an 2,4 erinnernden Worten OJOQWC=RVQW QWRYICTCXPCDGDJMCRTQLVQPRCVGTC zurückweist, könnte in eine ähnliche Richtung weisen. 69 Schnackenburg, Joh I, 337 (vgl. auch 341).

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

Die unbekannte Herkunft der Lebensgabe Die Frage nach dem Woher macht sowohl in 4,11 als auch in 6,5 deutlich, daß mit der himmlischen Gabe Jesu nicht gerechnet wird. Die Frau am Brunnen hat keine Ahnung, woher Jesus Lebenswasser schöpfen könnte (4,11: RQSGP QWP GEGKL VQ W=FYTVQ \YP), und die Jünger wissen nicht, woher Brot für über fünftausend Menschen zu erwarten ist (6,5: RQSGP CXIQTCUYOGP CTVQWL K=PC HCIYUKP QWVQK). Jesu Gabe erreicht den Menschen unerwartet. In ähnlicher Weise erklärt Jesus in 3,8, daß der Mensch, der von oben bzw. aus dem Geist geboren werden muß, nicht weiß, woher dieser Geist kommt (QWXMQKFCLRQSGPGTEGVCK). In 7,27 überlegen einige, daß Jesus nicht der Christus sein könne, da seine Herkunft bekannt sei, während bei der Ankunft des Christus eben niemand wissen werde, woher dieser sei (QWXFGKL IKPYUMGK RQSGP GXUVKP). Jesus bestätigt in 7,28, daß sie seine Herkunft kennen, bestreitet dies aber zugleich und weist darauf hin, daß ihnen seine wahre Herkunft nicht bekannt ist. Seine himmlische Herkunft vom Vater erkennen sie tatsächlich nicht (vgl. 8,14: WBOGKL FG QWXM QKFCVG RQSGP GTEQOCK; 9,29: QWXM QKFCOGP RQSGP GXUVKP), und diese unbekannte Herkunft weist ihn als den Christus aus.

Die unbekannte Herkunft Jesu widerspiegelt sich in der unbekannten Herkunft seiner Gabe. So gilt es zu prüfen, ob die im Zeichen zu Kana thematisierte Herkunft des Weins (2,9) eine Aussage zu Jesu Herkunft macht. Während der Speisemeister, der das zu Wein gewordene Wasser (VQ W=FYT QKPQP IGIGPJOGPQP) kostet, nicht weiß, woher dieses ist (QWXM J^FGK RQSGP GXUVKP), wissen es die Diener (J^FGKUCP), die das Wasser geschöpft haben (QKB JXPVNJMQVGLVQW=FYT). Auffällig an diesem Vers ist, daß er nicht vom Wein, sondern vom zu Wein gewordenen Wasser spricht, das der Speisemeister kostet (V 9a) und das die Diener diesem geschöpft haben (V 9b).70 Während in V 7 das Wasser in die Krüge gefüllt und in V 10 der Wein gerühmt wird, kostet der Speisemeister in V 9 das zu Wein gewordene Wasser. V 9 hat die Funktion, das Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein zu beglaubigen: Der Speisemeister identifiziert das zu Wein gewordene Wasser, ohne seine Herkunft zu kennen, als guten bzw. besseren Wein, und die Diener, die dieses zu Wein gewordene Wasser dem Speisemeister geschöpft haben, wissen um seine Herkunft: Es ist das Wasser, mit dem sie die Krüge gefüllt haben. Die Wundererzählung bricht mit der erstaunten Äußerung des Speisemeisters ab und erzählt nicht, wie die Hochzeitsgäste, der Bräutigam oder die Diener Jesus gegenüber reagieren.71 In V 11 heißt es dagegen von den Jüngern Jesu, daß sie auf dieses erste Zeichen hin, das Jesu FQZC offenbart, 70

Die Partizipialkonstruktion QKB JXPVNJMQVGL VQ W=FYT bezieht sich auf V 8 zurück, denn geschöpft (CXPVNGY) haben die Diener nicht das Wasser in die Krüge (V 7: GXIGOKUCP), sondern den Wein dem Speisemeister (V 8: CXPVNJUCVGPWP…). Das Objekt VQW=FYT in V 9b ist also als Kurzform von VQW=FYTQKPQPIGIGPJOGPQP (V 9a) zu verstehen. 71 Das Wissen der Diener in V 9 kann nicht als Glaube identifiziert werden, denn es stellt keine Reaktion auf das Wunderzeichen bzw. auf die Begegnung mit Jesus dar. Gegen Lütgehetmann, Hochzeit, 313.

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glauben.72 Wie in 1,51 verheißen, sehen sie den Himmel über dem Menschensohn geöffnet. Die Jünger erkennen in der Verwandlung von Wasser in Wein ein Zeichen, das auf Jesu FQZC verweist. Die unmittelbare Erzählebene enthüllt eine tiefere Bedeutungsebene. Während die Diener und der Speisemeister die Realität des Wunders beglaubigen, erkennen die Jünger seine christologische Bedeutung: Das gewöhnliche Wasser, das sich als hervorragender Wein offenbart, verweist auf den gewöhnlichen Menschen irdischer Herkunft, der seine himmlische Herkunft offenbart. Der Sohn einer irdischen Mutter erweist sich als Sohn Gottes. Lütgehetmann parallelisiert umgekehrt: Während das Wasser das göttliche Sein Jesu symbolisiere, spiele der Wein auf seine Menschheit an. Das Zeichen offenbare die FQZC Jesu als des inkarnierten NQIQL.73 „Der Tafelmeister erkennt im Gegensatz zu den Dienern im Menschen Jesus nicht das Fleisch gewordene Wort, die Einheit von Logos (symbolisiert durch das Wasser) und Sarx (symbolisiert durch den Wein).“74 Diese Interpretation hat die Schwierigkeit, daß sie die Perikope von einzelnen, symbolisch verstandenen Elementen her liest,75 ihren narrativen Gesamtduktus jedoch kaum berücksichtigt. Die Erzählung erwähnt weder den Glauben der Diener, noch disqualifiziert sie die Aussage des Speisemeisters als Unglauben. Die Figuren Diener und Speisemeister reagieren nicht mit Glauben oder Unglauben auf das Wunder, sondern bezeugen einerseits, daß der Wein ursprünglich Wasser war, und andererseits, daß das Wasser zu hervorragendem Wein wurde. Die Pointe von V 9f liegt allerdings weder im Wissensvorsprung der Diener gegenüber dem Speisemeister noch in der Verwandlung des Wassers in Wein, über die der Text schweigt, sondern im Schlußwort des Speisemeisters, der das von ihm gekostete Wasser als hervorragenden Wein identifiziert. Der Glaube der Jünger, der das Wunder als Zeichen versteht, verbindet die Kenntnis der Diener mit dem Zeugnis des Speisemeisters: Jesus, der von irdischer Herkunft ist, erweist sich als Gottes Sohn (vgl. 1,46.49). Das Kanawunder symbolisiert also nicht die Fleischwerdung des NQIQL (1,14a),76 sondern erzählt von der Schau der FQZC Jesu (1,14b), von der Begegnung mit dem Sohn einer irdischen Mutter, der sich als Got72 Erst das Summar in 2,23–25 erzählt, daß in Jerusalem aufgrund der Zeichenhandlungen Jesu viele an seinen Namen glauben, hält aber gleichzeitig fest, daß Jesus ihnen nicht traut, da er sie alle kennt. Im Gegensatz zu dem in V 11 konstatierten Glauben der Jünger wird der Glaube der Menge kritisiert. In 12,37 stellt das negative Fazit des ersten Buchteils denn auch den Unglauben der Menge angesichts seiner Zeichen fest, worauf sich Jesus in 13,1–14,31 nur noch seinen Jüngern mitteilt. 73 Lütgehetmann, Hochzeit, 305–316. 74 Lütgehetmann, Hochzeit, 313. 75 In Abschnitt 2.2.3.2. (s.u.) wird aufgezeigt, daß das Joh den Begriff W=FYT nicht als theologisches Symbol, sondern in seiner unmittelbaren Bedeutung verwendet. Auch die Identifikation von QKPQL als Symbol für Jesu UCTZ gewinnt Lütgehetmann nur mit einer komplizierten Konstruktion, in die er 6,53–56 und 19,34b involviert (Lütgehetmann, Hochzeit, 315). 76 Gegen Lütgehetmann, Hochzeit, 317.

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tes Sohn offenbart. Nicht die Inkarnationsaussage des Prologs, sondern die Erkenntnis der himmlischen Herkunft Jesu wird in der ersten Wundererzählung des joh Korpus reflektiert.77 Nach der Analyse des Nikodemusgesprächs und der anschließenden Darstellung der joh Anthropologie erörtert Abschnitt 2.2.5. die christologischen Implikationen dieser These und zeigt insbesondere auf, welche Tragweite dem Umstand zukommt, daß sich Jesus seinen Jüngern am dritten Tag in der göttlichen FQZC des Einziggeborenen zeigt. 2.2.3. Die himmlische Herkunft als Geburt von oben (Joh 3,1–8) Das Thema der doppelten Herkunft Jesu, das im Weinwunder zu Kana angeschnitten wird, kommt im Nikodemusgespräch zur ausführlichen Entfaltung.78 Eine Analyse des ersten Gesprächsteils (3,1–8) zeigt auf, daß dieser Text, der sich einer anthropologisch-soteriologischen Fragestellung widmet, die in 3,13ff erörterte joh Christologie implizit bereits zur Sprache bringt. 2.2.3.1. Die Struktur des Dialogs Nikodemus hält in seinem Eingangsvotum (V 2) fest, daß Jesus als Lehrer von Gott herkommt, und begründet diese These mit der Wundertätigkeit Jesu, die davon zeuge, daß Gott mit ihm sei. Jesu Entgegnung (V 3) scheint an Nikodemus vorbeizureden, nimmt Jesus doch nicht zu seiner Identität Stellung, sondern äußert sich zur allgemeinen soteriologischen Frage, unter welchen Bedingungen ein Mensch das Königreich Gottes79 zu sehen be77 Weitere Elemente der Erzählung, die eine tiefere Bedeutung haben könnten, sind die Hochzeit sowie die Wasserkrüge, von denen erwähnt wird, daß sie gemäß der Reinigungssitten der 8,QWFCKQK dort standen (V 6). Auch die symbolische Dimension dieser beiden Elemente läßt sich nur durch umfangreichere Recherchen, die die narrative Logik des Textes sowie seine Situierung im Evangelium berücksichtigen, erheben und begründen (vgl. zu diesem methodischen Problem Zumstein, Johannes 19). Zur Funktion der Wasserkrüge wird unter Abschnitt 2.2.3.2. (s.u.) Stellung genommen. Der Sachverhalt, daß Jesus das Zeichen an einer Hochzeit tut, verweist zwar bestimmt auf das mit der Offenbarung der FQZC Jesu eingetretene Heilsereignis, weitergehende Interpretationen, die mit einer Anspielung auf den antiken KBGTQL ICOQL oder auf bestimmte alttestamentliche Stellen rechnen oder die einen Bezug zu Joh 3,29 herstellen, haben m.E. zu wenig Anhalt am joh Text selbst. Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten vgl. Lütgehetmann, Hochzeit, 140–147. Die religionsgeschichtliche Herkunft der Erzählung vom Weinwunder aus dem Bereich hellenistischer Dionysos-Legenden ist naheliegend (vgl. zuletzt Lütgehetmann, Hochzeit, 277–282). Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Dionysos-Glauben findet in der Erzählung aber nicht statt. 78 Das Leitmotiv Herkunft ist in 3,1–8 leicht zu erkennen: So stechen die Präpositionen CXRQ und GXM sowie das Suffix -SGP (CPYSGP/RQSGP) deutlich hervor. 79 Der Evangelist nimmt hier Tradition auf, denn der in den synoptischen Evangelien verankerte Ausdruck DCUKNGKCVQWSGQW taucht nur in diesem Vers und in 3,5 auf (vgl. Bultmann, Joh, 95f Anm. 5; Becker, Reflex, 86). Allerdings verwendet der Evangelist in der Prozeßsze-

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kommt. Bei genauer Analyse zeigt sich jedoch, daß V 2 und V 3 eng aufeinander bezogen sind und Jesu Antwort klare christologische Anspielungen enthält. So sind etwa die Indefinitpronomen QWXFGKL (V 2) und VKL (V 3) zu beachten: Die Aussage von Nikodemus zur Identität Jesu steht in einem weiteren, anthropologischen Rahmen, während sich umgekehrt die anthropologisch-soteriologische Aussage Jesu christologisch verengen läßt.80 V 2 und V 3 weisen eine chiastische grammatikalische Struktur auf: Die Satzstruktur von V 2 (QWXFGKLFWPCVCK – GXCPOJ) kehrt in V 3 spiegelverkehrt wieder (GXCPOJ VKL – QWX FWPCVCK).81 In V 2 nimmt der Konditionalsatz (GXCP OJ) die eingangs gemachte Aussage (QKFCOGP Q=VK…) wieder auf. Der Einwand von Nikodemus in V 4 bezieht sich auf den Konditionalsatz in V 3 (GXCPOJ) zurück, der daraufhin in V 5 von Jesus präzisiert wird. Der Dialog läßt sich somit in einem zweispaltigen Schema darstellen: V 2: QWXFGKLICTFWPCVCKVCWVCVC UJOGKCRQKGKPC?UWRQKGKL V 3:

QWXFWPCVCKKXFGKPVJPDCUKNGKCP VQWSGQW

TBCDDK QKFCOGPQ=VKCXRQSGQW GXNJNWSCLFKFCUMCNQL GXCPOJJ^QBSGQLOGV8CWXVQW GXCPOJVKLIGPPJSJ^CPYSGP

V 4:

RYLFWPCVCKCPSTYRQLIGPPJSJPCK IGTYPYPOJFWPCVCKGKXLVJP MQKNKCPVJLOJVTQLCWXVQWFGWVGTQP GKXUGNSGKPMCKIGPPJSJPCK

V 5:

GXCPOJVKLIGPPJSJ^GXZW=FCVQLMCK RPGWOCVQL

QWXFWPCVCKGKXUGNSGKPGKXLVJP DCUKNGKCPVQWSGQW

Aus der Aussage von Nikodemus (V 2), nur ein von Gott kommender Lehrer bzw. nur einer, mit dem Gott sei, könne solche Zeichen tun, wie Jesus sie tue, geht hervor, daß Nikodemus zwar richtig erkannt hat, daß Jesus von Gott herkommt, daß er jedoch eine falsche Vorstellung dieser Herkunft hat. Wie das Zeichen zu Kana gezeigt hat, ist Jesus nicht ein von Gott kommenne (18,28–19,16a) DCUKNGKC/DCUKNGWL als Leitbegriffe und weist so auf 3,3.5 zurück (s.u. die Interpretation in Abschnitt 3.2.3.). 80 In derselben Weise wird das Indefinitpronomen VKL in 15,13 verwendet (vgl. Haldimann, Rekonstruktion, 202f ). 81 Dieser enge Bezug spricht gegen die These von Hofius, V 2b.c sei als „elliptische Figur des Anantapodoton“ zu beurteilen (Hofius, Wunder, 40). Die Antwort von Jesus nimmt nicht auf eine erst noch zu ergänzende Frage nach dem Heil Bezug, sondern direkt auf V 2b.c.

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der Lehrer unter anderen, sondern offenbart die FQZC des Einziggeborenen. Jesu Antwort in V 3 spitzt die Aussage von Nikodemus denn auch zu. Stellte Nikodemus fest, daß nur einer, der von Gott kommt, solche Zeichen tun kann, so behauptet nun Jesus, daß nicht nur die auffälligen Wundertaten, sondern auch das von jedem Menschen erhoffte Sehen des Gottesreichs demjenigen vorbehalten ist, der von Gott herkommt bzw. von oben geboren wird. Diese Zuspitzung lenkt das Gespräch zwar von der christologischen Ebene weg auf eine allgemeine, anthropologisch-soteriologische Ebene, doch zeigt die Fortsetzung des Dialogs, daß die anthropologische Fragestellung implizit auf die christologische bezogen bleibt. So zielen die Einwände von Nikodemus in V 4 und V 9 (RYL FWPCVCK…) auf den Ermöglichungsgrund menschlichen Heils, dessen Thematisierung in V 10–21 auf die christologische Ebene zurückführt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die joh Dialoge einen Gedankengang nie in sokratischer Weise, d.h. kontinuierlich im Hin und Her zwischen den Gesprächspartnern, entwickeln, so daß das zu Beginn unbekannte Ziel des Dialogs erst nach und nach zum Vorschein käme. Die von Zwischenfragen unterbrochenen Redegänge Jesu sind vielmehr so konzipiert, daß der Zielpunkt des Gesprächs bereits in Jesu Ausgangsvotum versteckt ist und dann in der Fortsetzung durch das literarische Mittel des Mißverständnisses an die Oberfläche gehoben wird.82 In dieser Weise funktioniert auch das Nikodemusgespräch in Kap. 3: Das christologische Ziel des Dialogs läßt sich bereits in dessen erstem Teil eruieren. Ist Jesus der Einziggeborene, der allein Gott je gesehen hat (1,18), so ist er auch der einzige bzw. der erste, auf den die Aussage in 3,3 zutrifft.83 V 13 bestätigt dies: Keiner ist in den Himmel hinaufgestiegen (V 13a: QWXFGKL…; vgl. V 3b.5b) außer derjenige, der vom Himmel heruntergestiegen ist, der Menschensohn (V 13b: GKXOJ…; vgl. V 3a.5a). Jesu Aussage in V 3, nur ein von oben Geborener habe Zugang zum himmlischen Bereich, bewegt sich also auf zwei Ebenen, einer christologischen und einer anthropologischen. Einerseits ist sie eine Aussage über Jesus selbst, der als einziger von oben ist (vgl. 3,31; 8,23): Er ist vom Himmel herabgestiegen (3,13.31; 6,41.51), von Gott ausgegangen (8,42; 13,3); er allein hat den himmlischen Bereich je gesehen (1,18) und steht in engster Verbindung mit ihm (1,51; 3,11.34.35; 4,34; 5,20.30ff u.a.). Andererseits ist sie auch eine anthropologisch-soteriologische Aussage, die für jeden gilt: Ins Königreich Gottes gelangt nur, wer von oben geboren wird. Der Einwand von Nikodemus in V 4, ein alter Mensch könne doch nicht in den Leib seiner Mutter zurückkehren, um erneut geboren zu werden, macht auf die Doppeldeutigkeit der von Jesus verwendeten Vokabel CPYSGP 82 Zur literarischen Funktion des Mißverständnisses im Joh vgl. Dettwiler, compréhension (vgl. auch die von Dettwiler angegebene Literatur: ebd., 373f Anm. 3 und 5). 83 Zum Begriff Einziggeborener s.o. Anm. 44.

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aufmerksam, die sowohl „von oben“ als auch „von neuem“ bedeutet. Nikodemus reduziert diese Doppeldeutigkeit auf die Bedeutung „von neuem“ bzw. „ein zweites Mal“ (FGWVGTQP) und mißversteht so die Geburt von oben als eine zweite Geburt von unten.84 Allerdings verweist der mißverstehende Einwand von Nikodemus auch auf einen wahren Sachverhalt, nämlich auf die Unmöglichkeit des Menschen, seine Neugeburt selbst zu initiieren und aus eigener Macht zum Leben zu gelangen; das Mißverständnis erkennt richtig, daß sich der Mensch das neue Leben nicht selbst verschaffen kann.85 Doch Nikodemus richtet sein Augenmerk nur auf die Unmöglichkeit des Menschen (CPYSGP als „von neuem“) und hat keine Augen für die Möglichkeit Gottes (CPYSGP als „von neuem“ und „von oben“). So versteht er auch die christologische Anspielung in V 3 nicht: Jesus ist tatsächlich vom Himmel herabgestiegen, von oben geboren. Als Einziggeborener erschließt er den Glaubenden die Möglichkeit, von oben geboren zu werden: Denen, die ihn aufnehmen, gibt er die Vollmacht, Gottes Kinder zu werden und ewiges Leben zu haben (vgl. 1,12f; 3,16). In V 5 variiert daraufhin Jesus seine Aussage aus V 3 und spricht statt von der Geburt CPYSGP von der Geburt bzw. den Geburten GXZ W=FCVQL MCK RPGWOCVQL. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Wendung GXZW=FCVQLMCK RPGWOCVQL zu erklären: Die erste Interpretation versteht V 5 als unmittelbare Näherbestimmung von V 3, die die Stoßrichtung des Einwands in V 4 nicht weiter berücksichtigt. Nach dem Mißverständnis von Nikodemus präzisiert Jesus die Geburt von oben (V 3) als Geburt aus Wasser und Geist (V 5). V 5 spielt auf die urchristliche Wassertaufe an, in der sich die Neuschöpfung des Glaubenden durch den Geist Gottes vollzieht.86 Die zweite Inter84 Das Mißverständnis von Nikodemus besteht nicht darin, daß er dem Begriff CPYSGP eine andere Bedeutung (von neuem) zuordnet als Jesus (von oben), sondern daß er die von Jesus intendierte Doppeldeutigkeit auf eine einzige Bedeutung (von neuem) reduziert und deshalb die neue Geburt als eine zweite Geburt aus dem Mutterleib mißversteht. Die von Jesus in 3,3 gemeinte Geburt beinhaltet beide Bedeutungskomponenten: Die Geburt von oben ist eine eschatologische Neuschöpfung. Zur Doppeldeutigkeit des Begriffs CPYSGP vgl. Barrett, John, 205f; Schnelle, Christologie, 201; O’Day, John, 549f; Moloney, John, 92. Zum Neuschöpfungscharakter der Geburt von oben s.u. Abschnitt 2.2.6.; vgl. auch Söding, Wiedergeburt, 207–210. 85 Vgl. Hofius, Wunder, 46f. 86 Die meisten Exegeten beziehen GXZW=FCVQL auf die Taufe (Bultmann und Dietzfelbinger schreiben dabei W=FCVQL MCK der Endredaktion zu): Vgl. Zahn, Joh, 190; Bultmann, Joh, 98 Anm. 2; Wikenhauser, Joh, 87; Schnackenburg, Joh I, 383; Brown, John I, 141f; Schulz, Joh, 56; Blank, Joh Ia, 231f; Haenchen, Joh, 218; Schnelle, Christologie, 203f; Söding, Wiedergeburt, 210f; Bergmeier, Gottesherrschaft; Schwank, Joh, 104; Wilckens, Joh, 66; Wengst, Joh I, 124; Dietzfelbinger, Joh I, 81.83. Becker votiert ebenfalls für die Aufnahme von Tauftradition, die der Evangelist jedoch nicht weiter entfalte, sondern einem anderen Gedanken unterordne (Becker, Reflex, 87; vgl. ders., Joh I, 163f ). Stimpfle geht noch weiter: Der Evangelist setze der traditionellen Vorstellung des geheimnisvollen Taufgeschehens die Behauptung einer geistgewirkten Erkenntnis des Prädestiniertseins entgegen (Stimpfle, Blinde, 46– 56). Vgl. auch die These von Richter, Taufetext (s.u. Anm. 94). Ohne den Begriff W=FYT direkt

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pretation bezieht im Unterschied zur ersten V 4 in die Analyse mit ein: Jesus nimmt den Einwand von Nikodemus auf und erklärt, daß der Mensch nicht, wie Nikodemus meint, ein zweites Mal aus dem Bauch der Mutter geboren werden muß, sondern daß zu dieser ersten Geburt aus Wasser eine neue Geburt aus dem Geist hinzukommt: „Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren worden ist…“ Die Geburt von oben, die Jesus als Geburt aus dem Geist präzisiert, steht also als neue Geburt der Geburt aus dem Wasser des Mutterleibes gegenüber.87 Für die zweite Interpretation spricht, daß sie im Gegensatz zur ersten den Gesprächsverlauf stärker berücksichtigt. Nicht nur ordnet sie dem Einwand von Nikodemus in V 4 eine konstruktive Funktion zu,88 sondern sie kann auch leicht erklären, wieso V 6 das Wasser nicht mehr erwähnt, obwohl der Geist weiterhin Thema bleibt: Die Formulierung VQ IGIGPPJOGPQPGXMVJLUCTMQL in V 6 bezieht sich auf die Formulierung IGPPJSJPCKGXZW=FCVQL aus V 5 zurück und führt diese weiter aus (s.u.); V 6 spricht also statt vom Wasser des Mutterleibes vom Fleisch. Der folgende Abschnitt zeigt jedoch, daß sich die beiden Interpretationsvorschläge nicht vollständig ausschließen. 2.2.3.2. Wassertaufe und Geisttaufe (1,19–34) Die Formulierung GXZW=FCVQLMCKRPGWOCVQL weist auf 1,19ff zurück, wo sich der Täufer, der mit Wasser tauft (V 26.31.33: GXPW=FCVK), als Vorläufer und Zeuge desjenigen ausgibt, der mit dem heiligen Geist tauft (V 33: GXPRPGWOCVKCBIKY^). Das Zeugnis des Täufers in 1,19–34 Wenn Johannes betont, er taufe mit Wasser, dient dies dem Zweck, sich selbst von Jesus, dem Christus, zu unterscheiden: GXIY QWXMGKXOK QB &TKUVQL (V 20). So erklärt er in V 26f den Pharisäerboten, die ihn fragen, warum er denn überhaupt taufe, wenn er nicht der Christus sei (V 25), er taufe mit (gewöhnlichem) Wasser, 89 und verweist sie auf den Unbekannten, der mitten unter ihnen stehe und dessen Schuhriemen zu lösen er nicht würdig sei. Auch er selbst, der er gekommen sei, mit Wasauf die Taufe zu beziehen, interpretiert Léon-Dufour den Ausdruck GXZW=FCVQLMCK RPGW-OCVQL als Hendiadyoin: Er versteht das Wasser als Symbol für den Geist (Léon-Dufour, Jean I, 292f ). 87 Vgl. Pamment, John 3:5, 189f; Witherington III, Waters, 155–160; O’Day, John, 550. Auch Barrett hält diese Interpretation für möglich (Barrett, John, 209). Angabe weiterer Vertreter bei Witherington III, Waters, 158 Anm. 6; Jones, Symbol, 70 Anm. 108. O’Day (John, 550) betont: „In v. 5 Jesus plays on Nicodemus’s womb imagery to say that entrance into the kingdom of God will require a double birth: physical birth (‚water‘) and spiritual rebirth (‚Spirit‘). New life will be born from water and Spirit, no longer only from water. Yet the spiritual rebirth also does not void the physical birth.“ 88 Der Rückbezug von V 5 auf V 4 wird auch dadurch signalisiert, daß der Infinitiv GKXUGNSGKP in V 5 nicht die Aussage aus V 3 (KXFGKP) wiederholt, sondern ein Stichwort aus dem Einwand von Nikodemus aufnimmt (V 4). 89 Vgl. Blank, Joh I, 127.

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ser zu taufen, um denjenigen, der vor ihm war, Israel offenbar zu machen (V 31), habe ihn zunächst nicht erkannt. Zum Zeugnis, daß dieser der Sohn Gottes sei (V 32–34), hätten ihn erst der Geist, der auf den Unbekannten herabgekommen und auf ihm geblieben sei, sowie Gottes Wort, das diesen Unbekannten als den Geisttäufer identifizierte, geführt.

Die Wassertaufe des Täufers wird von den Pharisäerboten als Kennzeichen des Christus gedeutet (V 25). Doch bildet sie nur das Gelenkstück zwischen Israel und dem Sohn Gottes (1,31):90 Der den Pharisäerboten bekannte Reinigungsritus soll den Unbekannten offenbaren, dessen Taufe mit dem heiligen Geist die Taufe mit irdischem Wasser kontrastiert. Es zeigt sich dieselbe Struktur wie in der Kanaperikope,91 die die Verwandlung von Wasser in Wein schildert: Auch in 2,1–11 steht dem gewöhnlichen Wasser, das mit einem Reinigungsritus der 8,QWFCKQK verknüpft wird (2,6), der von Jesus gespendete Wein gegenüber, dessen Herkunft dem Speisemeister ein Rätsel ist (2,9). In ganz ähnlicher Weise stellt Jesus in Joh 4,4ff dem gewöhnlichen, irdischen Brunnenwasser des jüdischen Erzvaters Jakob sein lebendiges Wasser gegenüber (4,13f), dessen Herkunft der Samaritanerin unbekannt ist (4,11). Auch Jesu Heilung des Gelähmten in Jerusalem am Teich Bethesda (5,1–9) steht in Kontrast zur vom Gelähmten erwarteten Heilung durch das Wasser des Teichs (5,7). Wenn es in Joh 1,19–34; 2,1–11; 4,4–30 und 5,1–9 also um Wasser geht, wird stets auf jüdische Tradition angespielt, an die Jesus anknüpft und die er mit seiner eschatologischen Gabe kontrastiert, deren Herkunft wie Jesu eigene Herkunft unbekannt ist. Das lebendige Wasser in 7,38f In 7,38f ist von lebendigem Wasser (W=FYT \YP) die Rede, das mit dem RPGWOC gleichgesetzt wird. Doch ist diese Stelle kein Argument dafür, W=FYT und RPGWOC in 3,5 zu parallelisieren, denn – wie 4,10 deutlich zeigt – steht Jesu lebendiges Wasser (W=FYT\YP) gerade in Kontrast zum irdischen Wasser (W=FYT), von dem auch in 3,5 die Rede ist.92 90

Vgl. auch die Passagen im Prolog, die Johannes als den Zeugen Jesu präsentieren (1,6–

8.15). 91

S.o. Abschnitt 2.2.2. Der kurze Überblick über die W=FYT-Stellen im ersten Buchteil zeigt also, daß das Joh das irdische Wasser stets mit der himmlischen Gabe Jesu kontrastiert. Das Wasser dient zwar als Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für das Offenbarungshandeln Jesu, doch akzentuiert Jesu Handeln jeweils den Kontrast zwischen dem gewöhnlichen, irdischen Wasser und der von ihm gespendeten, himmlischen Gabe. Die beiden W=FYT-Stellen des zweiten Buchteils (13,5; 19,34) werden in Kap. 3 diskutiert; dabei wird auch geprüft, ob dem Begriff W=FYT in 19,34 eine tiefere symbolische Bedeutung zukommt (s.u. Abschnitt 3.2.4.5.). Mit der symbolischen Bedeutung von W=FYT im gesamten Joh setzen sich zwei neuere Arbeiten (Jones, Symbol; Ng, Symbolism) auseinander: Jones vertritt die These, daß im Verlauf der joh Erzählung der Begriff W=FYT verschiedene symbolische Bedeutungen entfaltet. Er symbolisiere die mit Jesus anbrechende neue Wirklichkeit, den Ruf zur Entscheidung, den Geist, Jesu Sendung und Botschaft, seine Lebensgabe und ihn selbst. Auch Ng unterscheidet ver92

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

Spielt GXZW=FCVQL in 3,5 tatsächlich auf den Taufritus an, muß die Formulierung GXZW=FCVQLMCKRPGWOCVQL zunächst als textinterner Verweis interpretiert werden, als Verweis auf die Aussage des Täufers in 1,33. 93 Es ergibt sich dann folgendes Interpretationsmuster: Wenn in 1,33 der Täufer betont, seine gewöhnliche Wassertaufe, von den Pharisäerboten für ein Kennzeichen des Christus gehalten, sei nicht mit der Geisttaufe Jesu zu verwechseln, so ist auch in 3,5 damit zu rechnen, daß die eschatologische Geistgabe Jesu die irdische Wassertaufe kontrastiert, zumal Jesus mit einem Pharisäer aus dem Hohenrat (3,1) im Gespräch ist. In diesem Fall aber sind die beiden Interpretationen, Wasser als Taufwasser einerseits und als mütterliches Fruchtwasser andererseits (s.o.), nicht mehr weit voneinander entfernt: Wie die Geburt aus dem Mutterleib versteht das Joh auch die Wassertaufe als ein irdisches Geschehen, dem es die himmlische Geburt von oben, die Geisttaufe, gegenüberstellt. Der Interpretationsvorschlag, die Wendung IGPPJSJPCK GXZW=FCVQL auf die Geburt aus dem Mutterleib zu beziehen, schließt also nicht aus, daß gleichzeitig auf die Wassertaufe von Johannes angespielt wird.94 Der Rückverweis auf 1,32–34 macht außerdem erneut darauf aufmerksam, daß die anthropologisch-soteriologische Aussage in 3,5 eine christologische Dimension aufweist: Johannes erzählt in 1,32f, er habe Jesus deshalb als den eschatologischen Geisttäufer erkannt, weil er gesehen habe, wie der Geist vom Himmel auf ihn herabgekommen und auf ihm geblieben sei. Jesus ist aus dem Geist, von oben geboren. Das abschließende Bekenntnis des Täufers in V 34 lautet denn auch: QWVQLGXUVKPQBWKBQLVQWSGQW. 2.2.3.3. Geburt aus Wasser und Geburt aus Geist Die bisherige Argumentation hat gezeigt, daß der Akzent in 3,5 auf MCK RPGWOCVQL liegt: Um ins Gottesreich eingehen zu können, muß einer nicht schiedene symbolische Bedeutungen des Begriffs W=FYT im Joh und gliedert sie in drei einander überlappende Phasen. In der ersten Phase (Joh 1–5) werde das im Alten Testament wurzelnde Symbol Wasser neben die eschatologische Gabe Jesu gestellt. Das Verhältnis dieses Nebeneinanders sei kein Verhältnis von Zurückweisung und Ersetzung, sondern von Antizipation und Erfüllung (Ng, Symbolism, 66–75). In der zweiten Phase (Joh 4–13) gerate diese Gegenüberstellung in den Hintergrund. Das Wasser symbolisiere die offenbarte eschatologische Gabe Jesu (75–81). In der dritten Phase (Joh 9–19) verweise das Wasser in subtiler Weise auf die Erfüllung dieser Gabe im Tod Jesu (81–85). 93 Dieser textinterne Bezug hat zur Bestimmung der Aussageabsicht des Evangelisten in 3,5 absolute Priorität. Die Argumentation mit einer in Joh 3,5 aufgenommenen Tauftheologie, die über I Kor 6,9–11 und andere Texte rekonstruiert wird (vgl. Bergmeier, Gottesherrschaft, 53–73), bleibt hingegen höchst hypothetisch. 94 Ob das Joh darüberhinaus auf das urchristliche Taufsakrament anspielt, ist schwierig zu beurteilen. Eine solche Anspielung hieße jedoch, daß das Joh dem irdischen Ritus der Wassertaufe keine unmittelbare Heilsbedeutung zumißt, sondern die Lebensgabe an die Geisttaufe knüpft. Insofern könnte Richters These, der Evangelist spreche der Wassertaufe die Heilsbedeutung ab (Richter, Taufetext), vorsichtig zugestimmt werden. Vgl. auch Stimpfle, Blinde, 46–56 (s.o. Anm. 86); Becker, Joh I, 164.

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nur aus Wasser, sondern auch aus Geist geboren werden, muß die irdische Geburt von unten (GXZ W=FCVQL) durch eine zweite, himmlische Geburt von oben (MCK RPGWOCVQL) ergänzt werden. Diese Gegenüberstellung von irdischer und himmlischer Geburt wird in V 6–8 weiter ausgeführt: Das aus dem Geist Geborene (VQ IGIGPPJOGPQP GXM VQW RPGWOCVQL) steht dem aus dem Fleisch Geborenen (VQIGIGPPJOGPQPGXMVJLUCTMQL) gegenüber.95 Das aus dem Fleisch Geborene ist pures, totes Fleisch, während das aus dem Geist Geborene lebendiger Geist ist. Die Alternative, aus dem Fleisch oder aus dem Geist geboren zu sein, ist jedoch keine symmetrische. Der Mensch wird nicht entweder aus dem Fleisch oder aus dem Geist geboren, sondern jeder Mensch ist aus dem Fleisch geboren, und dies in doppeltem Sinne: Am Anfang seines Daseins steht die Geburt aus dem Mutterleib, ein Faktum, das vom Joh nicht problematisiert wird; denn nicht die dem Himmel gegenüberstehende Erde als solche ist im Joh negativ qualifiziert – diese wird im Prolog vielmehr deutlich als Gottes Schöpfung gekennzeichnet –, sondern das Verhältnis des Menschen zu ihr: Statt den Schöpfer der Erde versteht er die Erde selbst als Lebensquelle und führt sein Dasein auf die Geburt aus dem Leib seiner Mutter zurück. Statt in Gott gründet er sein Dasein in seiner irdischen Herkunft. Das Geborensein GXMVJLUCTMQL ist deshalb nicht mehr nur ein biologisches, sondern auch ein hamartiologisches Faktum: Der Mensch, der den Mutterleib für die Quelle seines Lebens hält und ohne Gott leben will, ist der Mensch unter der Sünde, der Mensch im Tod der Gottlosigkeit. Die von V 6 skizzierte Alternative besteht darin, daß der aus dem Fleisch Geborene, statt wie bisher sein Dasein an der bekannten, irdischen Herkunft zu orientieren, auf die Stimme des Geistes hört, dessen Herkunft und Ziel unbekannt sind (V 8).96 Wer sich auf diese unbekannte Stimme einläßt, erhält eine neue Existenz:97 Er wird aus dem Geist geboren; seine 95 Eine sehr ähnliche Formulierung findet sich in der von Paulus in Röm 1,3b.4 aufgenommenen Formel, die bekennt, Jesus sei geboren (IGPQOGPQW) aus dem Samen Davids (GXM URGTOCVQL'CWKF) nach dem Fleisch (MCVC UCTMC) und eingesetzt in Macht zum Sohne Gottes (QBTKUSGPVQL WKBQW SGQW GXP FWPCOGK) nach dem Geist der Heiligung (MCVC RPGWOC CBIKYUWPJL) aus der Totenauferstehung (GXZCXPCUVCUGYLPGMTYP). Der Herkunft Jesu von David, seiner Geburt nach dem Fleisch, wird also seine Herkunft von der Auferstehung, seine Designation nach dem Geist als Sohn Gottes, gegenübergestellt. 96 Trumbower bestreitet, daß V 6 von zwei verschiedenen Existenzweisen des einen Menschen spricht, und behauptet, daß V 6a und V 6b einander vollständig ausschließen. V 6 reflektiere eine deterministische Geschiedenheit der Menschen in Von-oben- und Von-untenGeborene (Trumbower, Born, 75). Trumbower vertritt die These, die joh Anthropologie sei protognostisch. Sie ordne die Menschen sogenannten „fixed origins“ zu, die bereits vor der Ankunft des Offenbarers definitiv feststehen. 97 Insofern gerät die irdische Geburt dann allerdings zum positiven Zeichen für die Geburt von oben (s.o. in Anm. 87 das in diese Richtung weisende Zitat von O’Day). Lieu, Mother, 76: „[W]e should not think of a dualism in which that birth again/from above is alien to and contrasted with the ‚mundane‘ birth from a mother. On the contrary, the latter enfleshes; it is a sign of and carrier of the former.“ Dennoch gilt: Wo der Mensch daran festhält, daß der

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tote UCTZ wird zu lebendigem RPGWOC, so daß nun auch seine Herkunft und sein Ziel unbekannt sind und nicht mehr mit seiner irdischen Herkunft und seinem irdischen Ziel zusammenfallen (V 8: QW=VYLGXUVKPRCLQB IGIGPPJOGPQL GXM VQW RPGWOCVQL). Diese allgemeine, anthropologisch-soteriologische Aussage läßt sich erneut als christologische Anspielung verstehen, sind doch zuallererst Jesu Herkunft und Ziel unbekannt (vgl. 8,14).98 Nikodemus hört Jesu Stimme, doch kann er ihre Herkunft nicht identifizieren, denn diese Identifikation ereignet sich allein in der neuen Geburt von oben, im Glauben an Jesus, den Sohn Gottes. Obwohl Nikodemus verstanden hat, daß die Geburt CPYSGP nicht eine zweite irdische Geburt meint, stellt sich ihm weiterhin die Frage nach dem Ermöglichungsgrund der Geburt aus dem Geist (V 9: RYL FWPCVCK VCWVC IGPGUSCK). Er sieht nicht, daß dieser vor ihm steht und mit ihm spricht. 2.2.3.4. Die christologische Bedeutungsebene des Dialogs Jesus expliziert in 3,10ff die christologische Bedeutung der in 3,3.5f gemachten Aussagen. Zunächst gibt er in V 10 seinem Erstaunen darüber Ausdruck, daß Nikodemus, der Lehrer Israels, den Ermöglichungsgrund der Geburt von oben nicht kennt, und erklärt dies damit, daß sie, die Lehrer Israels, das Zeugnis derer, die vom Gesehenen und Gewußten berichten, nicht annehmen wollen (V 11).99 Reagieren sie bereits mit Unglauben, wenn Jesus über das Irdische (VC GXRKIGKC) spricht, so werden sie erst recht nicht glauben, wenn es um das Himmlische (VC GXRQWTCPKC) geht (V 12). Hat Jesus bisher explizit nur über die Konstitution des menschlichen Daseins gesprochen und Nikodemus gegenüber erklärt, daß der Mensch, verstrickt in seine irdische Herkunft, auf eine neue Herkunft von oben angewiesen ist, und hat Nikodemus bereits diese Rede mißverstanden, wird er nun erst recht nicht mehr verstehen, wenn Jesus von demjenigen erzählt, der tatsächlich von oben geboren ist, der als einziger den himmlischen Bereich gesehen hat und die Geburt von oben, die der Mensch aus eigener Kraft nicht zu initiieren vermag, Wirklichkeit werden läßt.100 Mutterleib seine Lebensquelle ist und keine Augen für die wahre Lebensquelle hat, wo er also nicht wahrnimmt, daß das irdische Zeichen auf den Himmel verweist, gerät die Geburt aus dem Fleisch in einen scharfen Kontrast zur Geburt von oben. 98 In 8,14 findet sich dieselbe Wendung: WBOGKLFGQWXMQKFCVGRQSGPGTEQOCKJ RQWWBRCIY. Vgl. außerdem die Überlegungen oben in Abschnitt 2.2.2.5. zur unbekannten Herkunft Jesu. 99 Wie die 1. Pers. Plur. und die 2. Pers. Plur. in V 11 zu verstehen sind, ist unklar. In V 12 steht die 1. Pers. bereits wieder im Singular, die 2. Pers. jedoch weiterhin im Plural. Am plausibelsten ist die Annahme, daß die unmittelbare Gesprächssituation hier kurz für die joh Gemeinde im Gegenüber zur Welt transparent wird. Auch unabhängig von der genauen Bestimmung des Plurals ist deutlich, von welchem Zeugnis Jesus in V 11 spricht (Schnackenburg, Joh I, 388): „Es ist ein ursprüngliches und sicheres Wissen, das aus der Unmittelbarkeit der Schau stammt und, in Worten ausgesprochen, zum Zeugnis für andere wird.“ 100 Vgl. zu dieser Bestimmung von VCGXRKIGKC und VCGXRQWTCPKC auch Merklein, Gott, 293.

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Eine ausführliche Exegese der folgenden Textstelle 3,13–21 erfolgt weiter unten, im Rahmen der Vorverweise des ersten Buchteils auf den zweiten.101 Bereits an dieser Stelle sei jedoch festgehalten, daß es in V 13ff um den christologischen Ermöglichungsgrund der Geburt von oben geht: Jesus ist derjenige, der als einziger bzw. erster von oben geboren ist und den himmlischen Bereich kennt (V 13). Wer an ihn glaubt, wird von oben geboren und erhält ewiges Leben. Wie die Auslegung von Joh 3,1–8 gezeigt hat, lassen sich in diesem Text, der sich auf einer expliziten Ebene zur Anthropologie äußert, christologische Anspielungen ausmachen. Im folgenden wird die joh Anthropologie systematisch dargestellt, um sodann vor ihrem Hintergrund die Christologie zu erörtern.102 2.2.4. Johanneische Anthropologie Die Analyse von 3,1–8 zeigt, daß der aus dem Fleisch geborene Mensch durch eine neue Geburt von oben, aus dem Geist, zum Heil gelangt. Diese neue Geburt vermag der Mensch nicht zu antizipieren, versteht er doch sein Dasein in den Kategorien seiner irdischen Geburt aus dem Fleisch, deren Wiederholung er nicht für möglich hält (V 4.9). Die neue Geburt läßt sich nicht aus den bekannten, irdischen Existenzbedingungen erhoffen, sondern wird als Geburt von oben dem zuteil, der sich auf die fremde Stimme des Geistes einläßt. 2.2.4.1. Der johanneische Dualismus Die joh Anthropologie ist von einem dualistischen Ansatz geprägt, der die bekannte, untere Sphäre des Irdischen (VC GXRKIGKC) mit der unbekannten, oberen Sphäre des Himmlischen (VC GXRQWTCPKC) kontrastiert, ohne allerdings das Irdische, das im Prolog als Gottes Schöpfung verstanden wird (1,3), als solches negativ zu qualifizieren. Negativ qualifiziert ist vielmehr das Daseinsverständnis des Menschen, der den irdischen Ursprung zur Quelle des Lebens erhebt und nicht erkennt, daß wahres Leben von oben zu erwarten ist, von demjenigen, durch den alles geworden ist. In der Begeg101

S.u. die Abschnitte 2.3.1.1. und 2.3.2.1. Die Darstellung von Anthropologie und Christologie bewegt sich in einem Zirkel. Vgl. Urban, Menschenbild, 452 (im Original kursiv): „Die Christologie läuft im Joh zwar der Anthropologie voraus, aber sie ist dennoch ebenso von der Anthropologie abhängig, wie umgekehrt diese von den christologischen Bestimmungen des Evangeliums her entwickelt werden muß, ohne daß jedoch beide miteinander identisch oder symmetrisch sind.“ Die Verschränkung von Christologie und Anthropologie tritt im Nikodemusgespräch deutlich hervor (s.o.); sie wird auch in der folgenden, systematischen Darstellung, die die Anthropologie und die Christologie in zwei getrennten, aufeinanderfolgenden Abschnitten behandelt, berücksichtigt und reflektiert. 102

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nung mit dem Offenbarer, der von der wahren Quelle allen Lebens Zeugnis ablegt, eröffnet sich dem Menschen die Möglichkeit, von oben geboren zu werden, und als von oben Geborener erkennt er sein bisheriges Dasein als ein Dasein in der Welt, in der Finsternis, in der Lüge, im Fleisch, im Tod. Die antithetischen Begriffspaare Himmel/Welt, Licht/Finsternis, Wahrheit/ Lüge, Geist/Fleisch oder Leben/Tod sind – wie im Abschnitt zur joh Soteriologie darzulegen ist – streng auf die joh Christologie bezogen.103 Der joh Dualismus will „keine kosmologisch-anthropologische Substanzierung von ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ zum Ausdruck bringen, sondern die Krisis/Scheidung darstellen, die durch die eschatologische Offenbarung Gottes in der Menschenwelt hervorgerufen wird.“104 Diese Scheidung ist asymmetrisch konzipiert.105 Der Mensch wählt nicht zwischen den beiden Möglichkeiten, von unten oder von oben geboren zu werden, sondern jeder Mensch ist von unten geboren und versteht sein Leben in den Kategorien dieses irdischen Ursprungs. Wie Nikodemus hält er eine neue Geburt für unmöglich, weil er diese als irdische Geburt mißversteht. Die Frage nach der Möglichkeit (RYL FWPCVCK) einer neuen Geburt bleibt denn auch solange unbeantwortet, als sich der von unten Geborene nicht auf die unbekannte und unverfügbare Herkunft des Geistes einläßt und von ihm Leben empfängt. Nur wer von oben geboren ist, erkennt die bereits überwundene Alternative, weiterhin in der Sphäre des Fleisches zu verharren oder in der Sphäre des Geistes zu leben, die Lebensquelle in der irdischen Herkunft oder in der himmlischen Herkunft zu suchen.106 So mißversteht Nikodemus die Rede Jesu solange, als er nicht an ihn glaubt und in ihm den einziggeborenen Sohn erkennt, solange er also in der Sphäre der Finsternis verharrt.107 Wer im Irdischen und Bekannten den Himmel zu finden meint und sich auf Jesu unbekannte Stimme nicht einläßt, dem bleibt dessen Herkunft von oben, der wahre Himmel, verschlos103 Gegen die Thesen von Stimpfle und Trumbower, die die joh Anthropologie einem ontologischen Dualismus verpflichtet sehen (Stimpfle, Blinde; Trumbower, Born): Die Menschen seien einer der beiden fixen, vom Offenbarer lediglich aufgedeckten Kategorien zugeordnet, von oben oder von unten geboren zu sein. Zur christologischen Funktion des joh Dualismus vgl. Onuki, Gemeinde; Merklein, Gott. Die Frage des joh Dualismus ist in Abschnitt 2.2.6. zur joh Soteriologie erneut zu erörtern. 104 Onuki, Gemeinde, 52. 105 Vgl. diesbezüglich Weder, Asymmetrie. 106 Vgl. Merklein, Gott, 291 (im Original kursiv): „Die eschatologische Offenbarung (in Jesus) begründet den Gegensatz von Gott und Welt und überwindet ihn zugleich, indem sie dem Menschen die Möglichkeit eröffnet, nicht mehr ‚aus der Welt‘ zu leben, sondern ‚aus Gott‘, d. h. nicht mehr die Welt, sondern Gott als Existenzgrundlage zu begreifen. Die Annahme dieser Möglichkeit nennt der Evangelist ‚Glauben‘.“ 107 Daß Nikodemus in der Nacht (3,2: PWMVQL) zu Jesus kommt, verweist wohl auf die Sphäre der Finsternis, in der sich der Mensch befindet, der noch nicht von oben geboren ist. Vgl. Barrett, John, 204f; Brown, John I, 130; Léon-Dufour, Jean I, 287; O’Day, John, 548; Schnelle, Joh, 68; Schwank, Joh, 101; Wilckens, Joh, 65.

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sen; mit dem Himmel bleibt ihm aber auch die Erkenntnis verschlossen, daß er in der finsteren Welt lebt. Erst der zum Licht Gekommene weiß, daß er aus der Finsternis getreten ist, in der derjenige bleibt, der sich dem Glauben verweigert (vgl. 12,46). 2.2.4.2. Fluchtod und natürlicher Tod Der Wahn des Menschen, seine irdische Herkunft für die eigentliche Lebensquelle zu halten, nimmt in der joh Anthropologie – ganz ähnlich wie dies auch in der paulinischen Anthropologie der Fall ist108 – die Stelle des Todes ein. „Fluchtod“ und „natürlicher Tod“ werden voneinander unterschieden.109 Nicht der natürliche Endpunkt des irdischen Daseins bedroht das Leben des Menschen, sondern dieses kommt gar nicht erst zum Zuge, solange der Mensch sein Dasein auf seine irdische Herkunft setzt. Verstrickt in diese Herkunft von unten, fristet er sein Dasein ohne Gott, so daß er immer schon im „Tod“ ist und von eigentlichem Leben nicht die Rede sein kann. Das Joh verwendet den Begriff \YJ denn auch ausschließlich zur Bezeichnung der Lebensgabe Jesu;110 dabei ist zu beachten, daß \YJ nicht nur in der Verbindung \YJCKXYPKQL, sondern oft auch selbständig auftritt:111 Jesu Lebensgabe ist die Gabe des Lebens überhaupt. Allein wer glaubt, gelangt zum (wahren) Leben. Wer sich dem Glauben verweigert, wird nie erfahren, was es in Wahrheit heißt zu leben, denn er führt ein Dasein im „Tod“. Die Todesverfallenheit des Menschen besteht im Joh also nicht darin, daß das von Gott abgekehrte Leben unausweichlich auf den Tod zusteuert, der es in die absolute Gottlosigkeit verbannt; sondern nach joh Auffassung gelangt der Mensch, der sein Dasein auf seine irdische Herkunft statt auf Gott setzt, gar nicht erst zum eigentlichen Leben. Ganz seinem irdischen Ursprung verhaftet, erkennt und anerkennt er Gott nicht als seinen Schöpfer. Das Leben ohne Gott wird nicht erst am Ende des Daseins bittere Wirklichkeit, sondern die Selbstverstrickung des Menschen in seine irdische 108 Die paulinische Anthropologie charakterisiert das Leben unter der Macht der Sünde ebenfalls als ein bereits im Tod stehendes (vgl. z.B. Röm 7,10.13; II Kor 4,10–12). Im Unterschied zum Joh ist bei Paulus der natürliche Tod allerdings weiterhin Symbol dieser Macht und wird als die letzte Konsequenz des sündigen Daseins verstanden (Röm 6,23): Indem der Sünder sich von Gott als seinem Schöpfer lossagt, verliert er seine Lebensquelle und steuert auf den Tod zu (vgl. Röm 6,16; 8,13; Gal 6,8). Der Tod legt den Menschen definitiv auf seine Gottlosigkeit fest; er ist das VGNQL des sündigen Sich-Auflehnens gegen Gott (Röm 6,21). 109 Vgl. zu dieser Terminologie Jüngel, Tod, 113.117. Vgl. außerdem Blank, Krisis, 156– 158. „Was sich dem Menschen unter der Alternative Tod-Leben in gleichsam weltlich-irdischer Verhüllung darstellt, enthüllt seine prinzipielle Bedeutung von Christus her, als die Alternative, ob der Mensch zu Gott oder nicht zu Gott gehören, ‚aus Gott‘ oder ‚aus dem Kosmos‘ sein will.“ (ebd., 157f ) Wenn im folgenden vom Tod als dem Fluchtod die Rede ist, der die Menschen bereits vor ihrem Tod als dem Ende des irdischen Daseins gefangen hält, steht der Begriff in Anführungszeichen. 110 Dasselbe gilt für die Verwendung des Verbs \CY. 111 Vgl. 1,4; 3,36; 5,24.26.29.40; 6,33.35.48.51.53.63; 8,12; 10,10; 11,25; 14,6; 20,31.

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Herkunft bedeutet nichts anderes als radikale Gottlosigkeit: den „Tod“ bereits zu Lebzeiten. Zugespitzt ließe sich formulieren: Den „Tod“ erleidet der Mensch nicht am Endpunkt seines irdischen Daseins, sondern an dessen Anfangspunkt; präziser: Da der Mensch sich ganz an seine irdische Herkunft statt an Gottes Schöpferkraft hält, kommt das Leben nicht zum Zuge; mitten in seinem Dasein ist er im „Tod“ gefangen. 2.2.4.3. Der Blindgeborene (Joh 9) Die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) ist ein UJOGKQP dafür, daß der Offenbarer das Licht und das Leben für die Menschen ist.112 Der eine Blinde, der von Jesus geheilt wird, verweist auf die Blindheit aller Menschen: Verstrickt in ihre irdische Herkunft, haben sie keine Augen für die himmlische Quelle des Lebens. Die Wundergeschichte beginnt mit der Feststellung, daß Jesus einem Menschen begegnet, der von Geburt auf blind ist (9,1: VWHNQLGXMIGPGVJL). Seine Jünger, die von ihm Auskunft darüber erwarten, wessen Sünde für das Blindsein dieses Menschen verantwortlich sei, weist er mit der Antwort zurück, weder der Blinde noch dessen Eltern hätten gesündigt, sondern an diesem Menschen sollten Gottes Werke offenbar werden (V 3). Daß der Mensch Gott nicht zu Gesicht bekommt, ist denn auch nicht die Folge einzelner Sündentaten, sondern kennzeichnet die Sünde des Menschen als solche: Verstrickt in seine irdische Herkunft, die er für die Quelle seines Lebens hält, hat er keine Augen für den wahren Lebensschöpfer; GXM IGPGVJL befindet er sich in der Sphäre der Finsternis.113 An diesen Sündern von irdischer Geburt auf ergeht das Werk des Gesandten, an sie ergeht sein Wort, das ihnen die Augen öffnet (V 6f). Im Glauben an das Werk und das Wort Jesu wird der Mensch von neuem bzw. von oben geboren und erblickt das Licht des Lebens. Wie der Geheilte in der Erzählung weiß, daß er blind war und daß er nun sieht (V 25), so erkennen die zum Glauben Gekommenen, daß sie ihr Dasein in ihrer irdischen Herkunft gründeten und nun ganz aus Gottes schöpferischer Gegenwart leben. Im abschließenden, kurzen Wortwechsel mit pharisäischen Vertretern faßt Jesus die tiefere Bedeutung seiner Zeichenhandlung pointiert zusammen (V 39–41): Sein Kommen scheidet Sehende und Blinde voneinander; 112

Vgl. 9,5 und den Bezug dieses Verses zum GXIY- GKXOK-Wort in 8,12. Daß der Mensch von Geburt auf blind ist, weist nicht nur auf die Größe des folgenden Wunders hin (vgl. Becker, Joh I, 371; Welck, Zeichen, 184; Schnelle, Joh, 168; Labahn, Lebensspender, 322f ), sondern ist in erster Linie als theologische Aussage zu werten. Painter, John 9, 42: „Through the evangelist’s interpretation in the dialogues, blindness is equated with the darkness of human existence in the world (9.4–5, 39–41), and it is evident that all men are blind from birth and everyman is in the darkness until Jesus gives him light.“ Vgl. Blank, Joh Ib, 194; Barrett, John, 356. 113

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Nicht-Sehende werden sehend (QKBOJDNGRQPVGLDNGRYUKP) – der Offenbarer öffnet den Menschen die Augen für den Lebensschöpfer –, und Sehende werden blind (QKB DNGRQPVGL VWHNQK IGPYPVCK) – diejenigen, die sich die Augen nicht öffnen lassen, sondern behaupten, zu sehen (V 41: NGIGVGQ=VK DNGRQOGP) und über Heil und Verderben, Leben und Tod, über Gott und die Sünder Bescheid zu wissen (vgl. V 16.24.29), werden blind: Sie verschliessen sich in ihrem Nicht-Sehen, in ihrer Gottlosigkeit114 (V 41: JB CBOCTVKC WBOYPOGPGK).115 Der Mensch in der Finsternis, der sich für sehend hält, erkennt nicht, daß er nicht sieht und der „Tod“ sein Leben zunichte macht, sondern meint, im Licht und im Leben zu stehen. Deshalb versteht er sein irdisches Ende als bedrohlichen Abbruch und als Negation, obwohl dieses Ende ein Dasein negieren bzw. beenden wird, das bereits ganz im „Tod“ der Gottlosigkeit gefangen ist und das (wahre) Leben gar nicht zu Gesicht bekommt – im Bild des Blindgeborenen (9,1): Ein Blindgeborener sieht im Tod nicht weniger als im Leben. Natürlicher Tod und Fluchtod sind nicht identisch. Vor diesem Hintergrund ist auch das GXIY- GKXOK-Wort in 11,25f zu verstehen: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Es wird abschließend interpretiert. Der im „Tod“ stehende Mensch findet in der Begegnung mit dem Offenbarer zum Leben, zum Leben überhaupt: Er wird von neuem bzw. von oben geboren und aus dem „Tod“ ins Leben auferweckt.116 Wer an Jesus glaubt, wird deshalb leben, auch wenn er stirbt (11,25: MC PCXRQSCPJ^), und er wird in Ewigkeit nicht sterben (11,26: QWX OJ CXRQSCPJ^). Das Joh verwendet in diesen Versen das Verb CXRQSPJUMY äquivok: Auch wenn der Glaubende stirbt, stirbt er nicht. Diese widersprüchliche Aussage läßt sich nur so auflösen, daß das Verb „sterben“ das eine Mal die Bedeutung des Zu-Ende-Gehens des irdischen Daseins (V 25), das andere Mal die Bedeutung der Negation des Lebens (V 26) hat.117 Während diejenigen, die nicht glauben, 114 Die Formulierung in V 41a: GKX VWHNQK JVG  QWXM C P GKEGVG CBOCTVKCP macht deutlich, daß die Pharisäer vor dem Offenbarer die Augen verschließen. Ihr Nicht-sehen-Wollen wird nicht als prädestinierte Blindheit erklärt (s.u. in Abschnitt 2.2.6.3. die Diskussion der These von Stimpfle). 115 Vgl. Blank, Krisis, 262f. 116 Zur Struktur dieses Glaubensereignisse s.u. Abschnitt 2.2.6. zur joh Soteriologie. 117 Becker hält auch den Gebrauch des Verbs \CY für äquivok (Becker, Joh II, 423): „Dabei sind die Verben ‚sterben‘ und ‚leben‘ im Entscheidungsruf doppelbödig benutzt. In der ersten Zeile [11,25] bezeichnet ‚sterben‘ den irdischen Tod und ‚leben‘ das ewige Leben. In der zweiten Zeile [11,26] ist es genau umgekehrt: ‚leben‘ ist die Existenz vor dem Tod und ‚nicht sterben‘ Bezeichnung für ewiges Leben.“ Vgl. zu dieser Interpretation auch Bultmann, Joh, 307f; Schnackenburg, Joh II, 415f; Léon-Dufour, Jean II, 418f; Frey, Eschatologie III, 450– 452; Kammler, Christologie, 202. M.E. (vgl. auch Brown, John I, 425; Blank, Krisis, 155; Wilckens, Joh, 179; Moloney, John, 328) gibt es keinen Grund, mit einem doppeldeutigen Gebrauch des Verbs „leben“ zu rechnen, tritt es doch nicht wie das Verb „sterben“ in einander widersprechenden Aussagen („stirbt“ in V 25 – „stirbt nicht“ in V 26) auf. Das Verb „leben“ bezeichnet in beiden Sätzen das eine Leben, das als ewiges Leben dem Glaubenden geschenkt wird, denn Jesu Wort betont ja gerade die Kontinuität des Lebens über die Be-

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diese beiden Bedeutungen nicht voneinander zu unterscheiden vermögen, so daß ihnen Jesu Rede widersprüchlich erscheint, erkennen die Glaubenden die Differenz: Das von Jesus geschenkte Leben geht mit dem irdischen Ende nicht zu Ende, sondern bleibt in Ewigkeit, denn das Leben der Glaubenden gründet nicht in ihrer irdischen Herkunft, sondern ganz in Gottes schöpferischer Gegenwart, die vom Ende des irdischen Daseins nicht tangiert wird. Wie das Verb CXRQSPJUMY wird auch das Substantiv SCPCVQL im Joh äquivok gebraucht.118 So bezeichnet der Begriff Tod einerseits den zeitlichen Endpunkt des irdischen Daseins, den natürlichen Tod, andererseits die Negation des Lebens, den Fluchtod.119 Wiederum gilt, daß diese beiden Bedeutungen in der Sicht des Unglaubens zusammenfallen, während der Glaube sie trennt. Der Mensch fristet sein irdisches Dasein im „Tod“ der Gottlosigkeit, der nicht erst mit dem zeitlichen Endpunkt seines Daseins eintritt. Wer glaubt und von oben geboren wird, ist aus dem „Tod“ ins Leben hinübergegangen (5,24: OGVCDGDJMGPGXMVQW SCPCVQWGKXLVJP\YJP), in ein Leben, das ewig ist und über das Ende des irdischen Daseins hinaus besteht. Der natürliche Tod als zeitlicher Endpunkt des irdischen Daseins negiert weder das bereits negierte Leben des im „Tod“ gefangenen, gottlosen Menschen erneut, noch stellt er das von oben empfangene Leben der Glaubenden, das Leben mit Gott, in Frage. Darauf verweist die Auferweckung von Lazarus. In Abschnitt 2.2.6.2. wird dieses letzte UJOGKQP Jesu erörtert. 2.2.5. Johanneische Christologie Vor dem Hintergrund der soeben skizzierten joh Anthropologie wird nun die christologische Frage, in welchem Verhältnis Jesu irdische und Jesu himmlische Herkunft zueinander stehen, wiederaufgenommen. grenztheit des irdischen Daseins hinaus und unterscheidet nicht zwischen einem Leben vor und einem Leben nach dem Tod. Der zweite Satz setzt nicht noch einmal neu an, sondern knüpft an den ersten an (MCK): Wer glaubt, wird leben bzw. wird aus dem „Tod“, in dem er bisher war, erstmals zum Leben gelangen, und dieses Leben wird vom Ende des irdischen Daseins, dem natürlichen Tod, nicht bedroht (V 25). Wer durch den Glauben zum Leben gelangt ist und (weiterhin) glaubt, dessen Leben wird nie in Gefahr geraten, negiert zu werden (V 26); es hat den Fluchtod hinter sich. Stimpfle löst den Widerspruch diachron auf (Stimpfle, Blinde, 112ff ). In V 26 sei der irdisch-leibliche Tod gemeint (ebd., 114): „Sterben findet nicht statt!“ Das GXIY - GKXOK-Wort in V 25 sei ursprünglich eingliedrig („Ich bin das Leben“) vorgelegen und dann auf der Ebene des Evangelisten durch JB CXPCUVCUKL MCK sowie MC P CXRQSCPJ^ ergänzt worden, um der Erfahrung leiblichen Sterbens ein Zugeständnis zu machen, allerdings ohne zur futurischen Eschatolgie zurückzukehren (ebd., 115f ): „Das menschlich-irdische Sterben wird zu einer belanglosen Episode, da der leibliche Tod an der neuen Existenz der Glaubenden, an der offenbar gewordenen Bestimmung der erwählten Gotteskinder nichts ändert.“ Zur Auseinandersetzung mit Stimpfles Joh-Interpretation s.u. Abschnitt 2.2.6.3. 118 Vgl. z.B. 11,4.13. Zur Auslegung dieser Stellen s.u. Abschnitt 2.2.6.2. 119 Zu dieser begrifflichen Unterscheidung s.o. Anm. 109.

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2.2.5.1. Die johanneische Ostererfahrung Die Analyse von Joh 2,1–11 hat gezeigt, daß diese Erzählung die himmlische Herkunft Jesu seiner irdischen gegenüberstellt. Die Herkunftsaussagen sind nicht mit Wesensaussagen gleichzusetzen, obwohl Herkunft und Sein des Menschen im Joh unauflöslich miteinander verknüpft sind (vgl. 3,6). Wie im vorherigen Abschnitt aufgezeigt, definieren die Herkunftsaussagen die Seinsaussagen relational: Der Mensch ist insofern Fleisch, als er sein Dasein in seiner irdischen Herkunft gründet, und er ist insofern Geist, als er sein Leben aus dem Geist empfängt. Auch für die Bestimmung der joh Christologie gilt, daß im Joh nicht Wesensaussagen, sondern Herkunftsaussagen den Diskurs dominieren. In den christologischen Debatten werden nicht Jesu Menschsein und seine Göttlichkeit miteinander konfrontiert, sondern seine irdische und seine himmlische Herkunft gegeneinander ausgespielt. Das Fragepronomen „woher“ (RQSGP) und die ihm entsprechenden Aussagen mit -SGP oder GXM sowie Jesu Aussagen, mit denen er sein Gesandtsein, sein Herabgestiegensein oder seine Gottessohnschaft beteuert, desgleichen jedoch auch die zweifelnden Bemerkungen, Jesus sei Josephs Sohn und komme aus Nazaret, beziehen sich alle explizit auf Jesu Herkunft und bestimmen Jesu Sein, seine UCTZ und seine FQZC, relational. Jesus distanziert sich von seiner irdischen Herkunft, allerdings ohne sie zu bestreiten, und manifestiert im Weinwunder zu Kana seine himmlische Herkunft. Er redet seine Mutter mit „Frau“ an, weil er nicht seine Geburt von unten, aus dem Fleisch, sondern seine Geburt von oben, aus dem Geist, als Quelle seines Lebens versteht: Er ist der Einziggeborene des Vaters, der ganz aus Gottes Schöpferkraft lebt. Indem das UJOGKQP zu Kana die doppelte Herkunft Jesu thematisiert und darauf verweist, daß der von einer irdischen Mutter stammende Jesus die FQZCseines himmlischen Vaters offenbart, inszeniert es die joh „Ostererfahrung“: Diese Ostererfahrung beruht auf der Begegnung mit Jesus, der nicht vom Tod als dem zeitlichen Endpunkt des irdischen Daseins auferstanden ist, sondern vom „Tod“ als der Selbstverstrickung des Menschen in seine irdische Herkunft. In Kana wird erfahren: Gott hat den aus dem Fleisch geborenen Jesus zum von oben Geborenen, zu seinem einziggeborenen Sohn berufen; er hat diesen Menschen aus der Verstrickung in seine irdische Herkunft, aus der Gottlosigkeit, befreit und zum Leben mit ihm auferweckt. Dies ist die joh Ostererfahrung: daß in Jesus von Nazaret zum ersten Mal das (wahre) Leben offenbar geworden ist; es ist die Erfahrung, daß Gott diesen Menschen auferweckt, ihn aus Finsternis und „Tod“ ins Licht und Leben gestellt hat; daß dieser Sohn irdischer Eltern der Sohn Gottes ist.120 120 Während die Seinsaussagen, auf die die joh Christologie immer wieder reduziert wird (s.o. Kap. 1), ein statisches Paradox formulieren – Jesus ist zugleich Gott und Mensch, seine FQZC wird in seiner UCTZ offenbar –, thematisieren die Herkunftsaussagen ein Geschehen: das Geschehen der Auferweckung Jesu.

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Der Evangelist hält somit die Struktur des urchristlichen Osterbekenntnisses fest, daß Gott Jesus von den Toten auferweckt und sich als derjenige offenbart hat, der das Nichtseiende ins Sein ruft (vgl. I Thess 1,10; I Kor 15,4; Röm 4,24; 8,11; 10,9 u.a.).121 Insofern entspricht die joh Ostererfahrung der urchristlichen. Doch impliziert sie eine radikale Entmythologisierung des Todes und ein konsequent theologisches Verständnis von Leben. Als „Tod“, d.h. als Negation des Lebens, gilt nicht der zeitliche Endpunkt des Daseins, sondern die Selbstverstrickung des Menschen in seine irdische Herkunft. Der Mensch orientiert sich an seiner irdischen Geburt und hat keine Augen für den Schöpfer allen Lebens; er versteht sein Dasein in weltlichen, selbst aufgestellten Kategorien und handelt nach eigenen Maßstäben. Doch aus dieser von ihm abgewandten Welt beruft Gott einen Menschen zum Leben, und in dieser Welt der „Toten“ läßt ein Mensch Gottes Schöpfungshandeln sich verwirklichen. Die joh Ostererfahrung löst sich von ihrer urchristlichen Verankerung in Karfreitag und Ostern, bleibt aber an die Geschichte Jesu gebunden. Bildet in der urchristlichen Ostererfahrung Jesu Weg durch Karfreitag und Ostern „ein ausgezeichnetes Paradigma für die an aller Schöpfung verheissungsvoll ergehende Kreativität Gottes […], die sich den Jüngern in einer schlagartig ausgelösten kognitiven und existentiellen Wende ihres Bewusstseins erschlossen hat“122, so gilt dasselbe im Joh von Jesu Weg durch seine irdische und himmlische Sohnschaft. Wird in der urchristlichen Ostererfahrung der Gekreuzigte als der Auferstandene erkannt, so in der joh Ostererfahrung der Sohn einer irdischen Mutter als der Sohn des himmlischen Vaters.123 2.2.5.2. Der Inkarnierte und der Auferstandene Die bisherigen Untersuchungen bestätigen Beckers These, daß die Inkarnationsaussage dezidiert zum Prolog des Evangeliums gehört,124 denn die Fortsetzung des Evangeliums erzählt nicht von der Inkarnation oder vom Inkarnierten, sondern davon, daß der von irdischen Eltern Geborene als einziggeborener Sohn Gottes den Menschen begegnet. Diese joh Ostererzählung reflektiert der Prolog anhand der mythologischen Aussagen von der Präexistenz und der Inkarnation des NQIQL. Jesus wird als NQIQL gepriesen, der schon im Anfang bei Gott war und auf den alles Leben zurückzuführen ist. Dieser wurde Fleisch (1,14a), d.h. er wurde aus dem Fleisch geboren (vgl. 3,6); er setzte sich der irdischen Herkunft aus, in die verstrickt der 121

Zum urchristlichen Osterbekenntnis und seiner neutestamentlichen Überlieferung vgl. Hoffmann, Auferstehung. 122 Vollenweider, Ostern, 52. 123 Die bereits in Abschnitt 2.2.1.1. gestellte sachkritische Frage, ob der Ostererfahrung durch die Loslösung von Karfreitag und Ostern ihr eigener Grund entzogen wird, ist im Schlußteil dieser Arbeit wiederaufzunehmen und zu diskutieren (s.u. Abschnitt 4.2.1.2.). 124 S.o. Anm. 38.

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Mensch sein Dasein im „Tod“ fristet. Unmittelbar nach der Inkarnationsaussage taucht im Prolog erstmals die 1. Pers. auf (MCKGXUMJPYUGPGXPJBOKP MCK GXSGCUCOGSC VJP FQZCP CWXVQW  FQZCP YBL OQPQIGPQWL RCTC RCVTQL  RNJTJL ECTKVQL MCK CXNJSGKCL): Die Ostererfahrung der joh Gemeinde kommt zur Sprache. 1,14b bildet denn auch die Gelenkstelle zwischen dem Prolog und dem Korpus des Evangeliums, das nicht in mythologischen Aussagen von der Präexistenz und der Inkarnation des NQIQL erzählt, sondern davon, wie Jesus den Menschen in göttlichem Glanz entgegentritt und ihnen seine himmlische Herkunft offenbart, davon, wie der Auferstandene zu sich ruft. Jesus von Nazaret, dessen irdische Herkunft bekannt ist, begegnet den Menschen als der zum Leben Auferweckte: als der einziggeborene Sohn Gottes, der ganz aus der Einheit mit seinem himmlischen Vater lebt. Er offenbart seine FQZC, deren himmlische Herkunft den Menschen unbekannt ist, da sie, verstrickt in ihren irdischen Ursprung, den Himmel nicht sehen. Wer jedoch die vermeintliche Sicherheit des irdisch Bekannten aufgibt und sich auf die unbekannte Herkunft Jesu einläßt, erkennt, daß der von einer irdischen Mutter Geborene vom himmlischen Vater gesandt ist. Während sich der Unglaube auf Jesu irdische Herkunft fixiert und diese gegen seinen Anspruch, Gottes Sohn zu sein, ins Feld führt, erkennt der sich gegen die Logik des Bekannten richtende Glaube, daß dieser Mensch in einer dem „Tod“ verfallenen Welt die Auferstehung und das Leben ist und das Licht, das in der Finsternis scheint. Das Joh demonstriert also nicht in naiver, sondern in höchst reflektierter Weise, daß der irdische Jesus der Auferstandene ist. Jesus ist der Einziggeborene Gottes. Gott hat diesen Menschen auferweckt und ihn zum Leben aus dem Geist gerufen: Als ein aus dem Fleisch Geborener fristet er sein Dasein nicht ohne und gegen Gott, sondern lebt ganz aus und in Gottes Gegenwart. Mit dem zum Leben auferweckten Jesus leuchtet in der Finsternis das Licht auf und wird der Ruf des Lebens hörbar. 2.2.6. Johanneische Soteriologie Der Einziggeborene Gottes offenbart in Worten und Zeichen seine göttliche Herkunft und verheißt denjenigen, die zu ihm kommen und an ihn glauben, ewiges Leben. Der erste zum Leben Auferweckte verkündigt sich selbst als die Auferstehung und das Leben für die Menschen. Im folgenden wird die Struktur der joh Soteriologie skizziert. 2.2.6.1. Glaube und Unglaube, Auferstehung und Verharren im „Tod“ Das Ereignis der Auferweckung Jesu zum Leben kann sich in der Welt nicht ausweisen. Daß Jesus von Nazaret von himmlischer Herkunft, daß der Sohn irdischer Eltern der Einziggeborene Gottes ist, läßt sich nicht anhand

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weltlicher Maßstäbe verifizieren, sondern nur im Glauben erkennen. Denn das Woher Jesu ist der Welt gänzlich unbekannt: Niemand anders hat Gott je gesehen als der Einziggeborene, der von ihm Kunde bringt. In der Perspektive des Unglaubens wird Jesu Anspruch, Gottes Sohn zu sein, aufgrund dieser Unverifizierbarkeit als Torheit und Ärgernis apostrophiert. Die Vorstellungen der Welt vom Kommen des Messias widersprechen diesem Anspruch, und Jesu irdische Herkunft führt drastisch vor Augen, daß er nicht aus dem Himmel herabgestiegen ist (1,45f; 6,42; 7,52). Der Unglaube, der nach den Maßstäben der Welt mißt und sein irdisches Urteil dem himmlischen vorzieht, verschließt sich mit seiner Widerrede der Möglichkeit, selbst von oben geboren zu werden und Leben, wahres Leben, zu empfangen; er fristet sein Dasein weiterhin im „Tod“. Wer sich aber auf das unbekannte Woher Jesu einläßt, erkennt die Wahrheit seines Anspruchs und sieht Jesu FQZC. Auch in der Perspektive des Glaubens läßt sich der Grund dieser Erkenntnis in der Welt nicht ausweisen, so daß die zum Glauben Gekommenen den Glauben nicht auf ihr eigenes Vermögen zurückführen, sondern als geschenkten erfahren. An Jesus als Sohn Gottes zu glauben heißt, von neuem geboren und vom „Tod“ befreit zu werden; zu glauben heißt, von oben geboren zu werden und Leben vom einzigen Lebensschöpfer zu empfangen, aus dem „Tod“ ins Leben zu treten (5,24). 2.2.6.2. Das ewige Leben (Joh 11) Jesu UJOGKC und seine Worte, insbesondere die GXIY- GKXOK-Worte, entfalten die Lebensgabe des Offenbarers in konkreter Art und Weise und betonen ihre verschiedenen Aspekte. Das letzte UJOGKQP Jesu, die Auferweckung von Lazarus, zeigt auf, daß Jesu Lebensgabe eine end-gültige ist und über das Ende des irdischen Daseins hinaus Bestand hat. Zeichenhandlungen und Ich-bin-Worte Ein kurzer Vergleich mit zwei anderen von einem GXIY- GKXOK-Wort begleiteten Zeichen – der Blindenheilung in Kap. 9 (8,12: Ich bin das Licht der Welt bzw. des Lebens) und dem Speisungswunder in Kap. 6 (6,35: Ich bin das Brot des Lebens) – soll die Struktur von Kap. 11 verdeutlichen. Die GXIY- GKXOK-Worte, die die Wundererzählungen begleiten, machen jeweils auf den tieferen Sinn der UJOGKC aufmerksam. Indem sich Jesus mit den Gaben identifiziert, die er in seinen Wunderhandlungen einzelnen Menschen zukommen läßt, transzendiert er ihre unmittelbare, räumlich und zeitlich begrenzte Bedeutung und offenbart seine eschatologische Lebensgabe. So verweist die Blindenheilung auf denjenigen, der als das Licht der Welt den Menschen die Augen öffnet, so daß sie das Leben zu Gesicht bekommen und ihr bisheriges Dasein als ein Dasein im „Tod“ erkennen. Das Speisungswunder erzählt davon, daß Jesus das wahre Lebensmittel der Menschen ist, das jeden Hunger stillt. Dieselbe Struktur weist auch das UJOGKQP in Kap. 11 auf. Dieses letzte Wunderzeichen schildert, wie Jesus den gestorbenen Lazarus zum Leben auferweckt, und verweist darauf, daß die Gabe des Lebens aus Gottes schöpferischer Gegenwart zeitlich un-

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begrenzt ist. Wie im folgenden gezeigt wird, symbolisiert das Wunder nicht die im Glauben stattfindende Auferweckung aus dem Fluchtod zum Leben,125 sondern es ist ein Zeichen dafür, daß das Leben des (bereits) vom Fluchtod Auferweckten ewig ist und der natürliche Tod es in keiner Weise bedroht. 126

Wie bereits in Abschnitt 2.2.4. zur joh Anthropologie erläutert, wird im GXIY- GKXOK-Wort von 11,25f das Verb CXRQSPJUMY äquivok verwendet.127 Ist in V 25 der natürliche Tod gemeint, der als das Ende des irdischen Daseins keine Bedrohung für das von oben empfangene Leben darstellt, so in V 26 der Fluchtod des Menschen, der mit dem natürlichen Tod nicht zusammenfällt, sondern aus dem Jesus die Glaubenden bereits mitten in ihrem Dasein und für immer befreit hat, so daß sie von diesem „Tod“ nie mehr eingeholt werden. Sowohl V 25 als auch V 26 sprechen also von der eschatologischen Lebensgabe Jesu. In dieselbe Richtung weist das Wunder der Auferwekkung von Lazarus. Auf seiner tieferen Bedeutungsebene zeigt es auf, daß das Ende des irdischen Daseins dem im himmlischen Vater gründenden Leben der Glaubenden keinen Abbruch tut und also nicht mit dem Fluchtod zusammenfällt; denn von diesem werden die Glaubenden bereits vor ihrem natürlichen Tod auferweckt. Mehrere Erzählzüge verweisen auf diese Bedeutungsebene: 1. Während sich Jesus in Kap. 9 einem fremden Menschen zuwendet, der durch seine Heilung zum Glauben gelangt, wird in Kap. 11 wiederholt betont, daß Jesus mit Lazarus eng vertraut ist und ihn liebt (V 1– 2.3.5.11.36). Es geht um die Zukunft, die einem Glaubenden, d.h. einem vom „Tod“ zum Leben Auferweckten, über das Ende seines irdischen Daseins hinaus verheißen ist. Weitere Indizien sprechen für diese These: Im GXIY- GKXOK-Wort in 11,25f ist sogleich vom Glaubenden (2x RKUVGWYP) die Rede, während in 6,35 und 8,12 zunächst ein Verb der Ortsveränderung (GTEQOCK bzw. CXMQNQWSGY) steht, also das Zum-Glauben-Kommen thematisiert wird. Die Figur von Lazarus, die nur in dieser Wundererzählung auftritt, zählt nicht zur Gruppe der Jünger, wird aber als Person eingeführt, die in enger Beziehung zu Jesus steht. Im Unterschied zu den 8,QWFCKQK, dem Volk oder den Jüngern ist Lazarus, der kein einziges Wort spricht, keine Figur, die in einer bestimmten Weise auf Jesu Wort reagiert und in eine bestimmte Beziehung zu ihm tritt, sondern die enge Verbindung zwischen 125 So z.B. Bultmann, Joh, 307; Schnackenburg, Joh II, 414; Haenchen, Joh, 405; Kammler, Christologie, 205. 126 Obwohl Frey ebenfalls sieht, daß es um den natürlichen Tod des bereits zum Leben Auferweckten geht, verknüpft er die Auferweckung von Lazarus mit der futurisch-eschatologischen Hoffnung der endzeitlichen Auferweckung der Toten und spricht von einem „Aufleben“ des Glaubenden nach dem leiblichen Tod (Frey, Eschatologie III, 445–462). So rückt er den natürlichen Tod wieder in die Nähe des Fluchtodes, die auseinanderzuhalten gerade das Ziel von Kap. 11 ist. 127 S.o. in Abschnitt 2.2.4.3. die Argumentation.

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ihm und Jesus ist ganz einfach vorausgesetzt. Fokussiert wird in der Erzählung, wie Jesus sich zu dem von ihm geliebten Lazarus verhält. 2. In 11,11 bezieht sich Jesus zunächst mit dem Vokabular des Schlafs (MQKOCQOCK/GXZWRPK\Y) auf den Tod von Lazarus: Er schlafe und müsse geweckt werden. Dieses von den Jüngern (V 12) mißverstandene Wortspiel steht nicht um seiner selbst willen hier, sondern weil Jesus das Daseinsende von Lazarus tatsächlich als Schlaf interpretieren kann, da es dem in Gott gründenden Leben keinen Abbruch tut.128 Dies wird er den Jüngern, die nicht verstehen, daß Jesus den Tod als Schlaf bezeichnen kann,129 nun demonstrieren. Wer glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt (V 25b). 3. Das Unverständnis von Martha und Maria sowie der 8,QWFCKQK, die allesamt meinen, das Sterben bedeute die Negation des Lebens, und deshalb von Jesus erwarten, daß er vor dem Sterben bewahrt (QWXM C P CXRGSCPGP: 11,21.32; vgl. 11,37), wird heftig kritisiert: In 11,33 und 11,38 heißt es, daß Jesus ergrimmt und zornig wird (vgl. auch 11,35).130 Haben die Jünger in 11,12 nicht verstanden, daß Lazarus schläft, so sehen jetzt Martha und Ma128 Einige Exegeten weisen V 11 keine tiefere theologische Bedeutung zu, sondern konstatieren lediglich die metaphorische Wendung und das Mißverständnis. Stimpfle, Blinde, 134f: „Im Vergleich zu den anderen johanneischen Mißverständnissen, die eine ungeheure theologische Relevanz besitzen, erscheint dieses Mißverständnis recht banal und wenig aussagekräftig.“ Vgl. auch Blank, Joh Ia, 264; O’Day, John, 687; Wilckens, Joh, 177. Frey versteht die Metapher als Euphemismus (Frey, Eschatologie III, 429). Doch wo sonst spricht der joh Jesus in Euphemismen? Es handelt sich um eine echte Metapher, die besagt, daß der natürliche Tod von Lazarus die eschatologische Lebensgabe nicht bedroht, wie der Schlaf dem Dasein generell nicht feindlich gesinnt ist. Vgl. auch Labahn, Lebensspender, 412. 129 Das Mißverständnis der Jünger in V 12 besteht darin, daß sie nicht erkennen, daß Jesus den natürlichen Tod als Schlaf interpretiert. Sie meinen, er spreche tatsächlich vom schlafenden Lazarus, der also auf dem Weg der Besserung sei. Wie jedoch in 3,4 Nikodemus mit seinem Mißverständnis einen wahren Sachverhalt zur Sprache bringt, daß er sich nämlich nicht selbst Leben schaffen kann, so auch die Jünger in 11,12: Der Schlaf von Lazarus bedroht sein Leben nicht. 130 Zu dieser Bedeutung von GXODTKOCQOCK (11,33.38) und VCTCUUY (11,33) vgl. Bultmann, Joh, 310f: Das Motiv der Glaubenslosigkeit, gegen die sich der Zorn Jesu wende, beherrsche die Szene. Vgl. auch Schnackenburg, Joh II, 420–422; Becker, Joh II, 426; Welck, Zeichen, 222f; Schnelle, Joh, 191. Die These, daß Jesu Zorn sich gegen die Macht des Todes wendet, vertreten Zahn, Joh, 487; Léon-Dufour, Jean II, 422–424; Wilckens, Joh, 179f; Frey, Eschatologie III, 439; Wengst, Joh II, 32. In 12,27 (JB [WEJ OQW VGVCTCMVCK) und 13,21 (GXVCTCESJ VY^RPGWOCVK) – zwei Stellen, die diese These stützen sollten – wird Jesus jedoch nicht zornig, weil er in seiner Stunde der Kreuzigung mit dem Tod zu kämpfen hätte (gegen Léon-Dufour, Jean II, 422–424; Frey, Eschatologie III, 439), sondern weil in der Stunde der Kreuzigung – wie Kap. 3 dieser Arbeit zeigen wird (zu 12,27 im besonderen s.u. den Exkurs in Abschnitt 3.2.2.1.) – das Gericht über den Unglauben und den Herrscher der Welt erfolgt. Blank verbindet die beiden Interpretationen (Blank, Joh Ia, 273): „Zwischen der Todesmacht und dem Unglauben besteht ein innerer Zusammenhang.“ Diesen Zusammenhang gilt es zwar nicht zu bestreiten, doch manifestiert sich die Todesmacht im Joh gerade nicht im Ende des irdischen Daseins, sondern im Dasein des nichtglaubenden Menschen überhaupt, der fälschlicherweise das Ende seines Daseins für den „Tod“ hält. Spiritualisierend als Trauer interpretiert die Gemütserregung Schenke, Joh, 228.

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ria sowie die 8,QWFCKQK nicht, daß das Leben des von Jesus geliebten Lazarus von Gott geschenktes und in ihm gründendes Leben ist. Dieses Leben, das allein Leben genannt zu werden verdient, ist dem „Tod“ bereits entrissen. Das irdische Ende, das Sterben, kann ihm keinen Abbruch mehr tun. Wer lebt und glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben (V 26). 4. Mit diesen Erzählzügen korrespondiert, daß Jesus nicht einschreitet, bevor Lazarus gestorben ist; er wartet, bis der von ihm Geliebte bereits vier Tage im Grab liegt (11,6.17), um ihn erst dann zum Leben zu auferwecken. Er freut sich gar darüber, daß Lazarus gestorben ist, ohne daß er es hätte verhindern müssen (V 14f); denn nur so kann sein Zeichen demonstrieren, was sein Wort in V 25 behauptet: Wer glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. 5. Doch auch die Aussage aus V 26, daß der Glaubende, der lebt, niemals stirbt, wird vom Zeichen verdeutlicht: Lazarus hört Jesu Stimme und kommt aus der Höhle heraus. Das Ende seines irdischen Daseins131 bedeutet nicht das Ende seiner Verbindung zum Lebensschöpfer, den Tod als Negation des von Jesus geschenkten Lebens. Wer das Zeichen sieht und glaubt, erkennt, daß der „Tod“, aus dem Jesus rettet, nicht mit dem Endpunkt seines Daseins zusammenfällt, sondern daß Jesus ihn mitten in seinem Dasein aus dem „Tod“ gerettet und zum Leben auferweckt hat – zu einem Leben, dem das Ende des irdischen Daseins keinen Abbruch tun wird. Die Auferweckung von Lazarus bestätigt, daß die Glaubenden, wie von Jesus etliche Male behauptet, ewiges Leben erhalten. 2.2.6.3. Die Frage nach der Prädestination Die bisherige Erörterung der joh Soteriologie zeigt, daß der Evangelist eine vergeschichtlichte Eschatologie vertritt, die mit der traditionellen, futurisch-apokalyptischen Eschatologie nicht vereinbar ist.132 „In der positiven Begegnung mit dem Offenbarer geschieht Auferstehung. Der Glaubende befindet sich im Leben. Er ist auferstanden. Der Tod als Ende des irdischen Lebens bildet eine belanglose Episode, die am Zustand des Lebens nichts ändert.“133 Die Aussage Jesu in 11,25f kritisiert die traditionelle, von Martha in V 24 vertretene Vorstellung einer futurisch-apokalyptischen Totenauferweckung.134 Das in Gott gründende Leben der Glaubenden hat den „Tod“ bereits hinter sich. Das irdische Ende betrifft das Leben nur insofern, als dieses die räumliche und zeitliche Begrenzung der Welt verläßt und in 131

Auf dieses Ende des irdischen Daseins verweist auch die Bemerkung in V 39, der Leichnam stinke schon. 132 Der Evangelist entfaltet die volle Tragweite dieser vergeschichtlichten Eschatologie erst im zweiten Buchteil (s.u. Kap. 3). 133 Stimpfle, Blinde, 146. Zu Stimpfles Auslegung von 11,25f s.o. Anm. 117. 134 Vgl. Kammler, Christologie, 203 (vgl. auch die ebd. in Anm. 144 erwähnte Literatur zur streng präsentisch-eschatologischen Interpretation von 11,25f ).

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Gottes unmittelbare und ewige Gegenwart einkehrt. In 11,44 fordert Jesus die Schwestern von Lazarus und die Umstehenden denn auch dazu auf, Lazarus weggehen zu lassen (CHGVGCWXVQPWBRCIGKP), was auf der tieferen Bedeutungsebene des Wunderzeichens als Hinweis dafür verstanden werden kann, daß das Ende des irdischen Daseins den Weggang aus der Welt bedeutet. Auch Jesu irdisches Ende wird – wie in Kap. 3 dieser Arbeit noch näher zu erläutern ist – im Joh als Weggang aus der Welt, als Rückkehr in die unmittelbare Gegenwart des Vaters verstanden (vgl. 7,33; 13,3; 16,5).135 Daß die Glaubenden am Ende ihres irdischen Daseins die Welt verlassen, wird jedoch nicht negativ auf ihr Leben in der Welt zurückprojiziert, als ob dieses defizitär wäre und ihnen erst durch das Verlassen der Welt eschatologisches Leben zuteil würde. Wie bereits in Abschnitt 2.2.4.1. erwähnt, ist nicht die Welt als solche im Joh negativ qualifiziert, sondern das Verhältnis des nichtglaubenden Menschen zu ihr. Statt den Schöpfer der Welt versteht er die Welt selbst als seine Lebensquelle und gründet sein Dasein in ihr. Diese Selbstverstrickung des Menschen in seinen irdischen Ursprung, seine Verschlossenheit gegenüber dem Schöpfer allen Lebens, bedeutet seinen „Tod“ und macht die Welt zur finsteren Sphäre. Gegen die These, die vergeschichtlichte Eschatologie des Evangelisten sei mit einem prädestinatianisch-dualistischen Konzept verknüpft, das eine vom Offenbarer lediglich aufzudeckende, ontologische Geschiedenheit in Erwählte und Nicht-Erwählte, in zum Leben zu Auferweckende und zum Tod zu Verdammende voraussetze,136 ist einzuwenden, daß die Scheidung in Glaubende und Nicht-Glaubende streng asymmetrisch konzipiert ist. Der Offenbarer deckt nicht eine vorgegebene Geschiedenheit auf und teilt Leben und „Tod“ zu, sondern sein Wort ruft bedingungslos alle „Toten“ zum Leben, zu dem sie „prädestiniert“ sind. In der Begegnung mit dem Offenbarer entscheidet sich, ob der Mensch sein Dasein weiterhin in der Welt oder neu in Gott gründet, ob er im „Tod“ bleiben will oder sich ins Leben auferwecken läßt, ob er als ein zum Leben Prädestinierter sich dieser Prädestination weiterhin widersetzt oder das Leben in Empfang nimmt. Die zum Leben auferweckten Glaubenden schreiten denn auch aus demselben „Tod“ ins Leben hinüber, in dem die Nicht-Glaubenden weiterhin verharren.137 135 Der Tod Jesu wird im Joh vornehmlich mit Verben der Ortsverschiebung bezeichnet. S.u. Abschnitt 2.3.1. 136 Vgl. die These von Stimpfle, Blinde, 106: „Konstitutiv für den johanneischen Jesus als gottgesandten Offenbarer ist sein lebenschaffendes und todbringendes Tun. Durch sein Offenbarerwort realisieren sich die Existenzweisen ‚Leben‘ und ‚Tod‘, und zwar je im Augenblick seines Lautwerdens.“ Auch Trumbower behauptet einen ontologischen Dualismus (s.o. Anm. 96). 137 Der geheilte Blinde weiß, daß er blind war und nun sieht (9,25). So werden Nicht-Sehende, die sich die Augen öffnen lassen, sehend (V 39), während diejenigen, die in der Finsternis zu sehen behaupten, blind werden, d.h. nicht-sehend bleiben (V 41b), ohne zu dieser Blindheit prädestiniert zu sein (V 41a). Zur Auslegung von Kap. 9 s.o. Abschnitt 2.2.4.3.

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Formulierungen im Joh, die prädestinatianisch interpretiert werden können (vgl. z.B. 6,37.44a), beziehen sich ausschließlich auf den Glauben,138 sind also ebenfalls asymmetrisch konzipiert. Sie behaupten nicht einen ontologischen Dualismus, sondern reflektieren die Unhintergehbarkeit der Glaubensentscheidung, fällen doch die Glaubenden ihre Glaubensentscheidung nicht aufgrund weltlicher Kategorien, sondern lassen sich auf ein Wort ein, das sich in der Welt gerade nicht ausweisen kann. Deshalb verstehen sie diese Entscheidung nicht als ihre eigene Leistung, sondern als ein Geschenk Gottes. Sie erkennen, daß sie als „Tote“ zum Leben auferweckt worden sind. 2.2.7. Zusammenfassung anhand einer Auslegung von Joh 6 Anhand einer Kurzexegese von 6,1–51b werden die aufgestellten Thesen zur joh Anthropologie, Christologie und Soteriologie noch einmal an einem Text des ersten Buchteils überprüft und zusammenfassend dargestellt. Auf das Speisungswunder (V 1–15) und das Seewunder (V 16–25)139 folgt die von Fragen und Einwänden der Zuhörer unterbrochene Brotrede Jesu (V 26–51b.[51c–58]140). Diese Dialogsequenz ist, wie die Auslegung zeigen wird, eng auf die beiden Wundererzählungen bezogen. Die folgende Auslegung orientiert sich an der Struktur des Dialogs, blendet jedoch immer wieder auf die Erzählpassagen in V 1–25 zurück. 138

Zur Verstockungsaussage in 12,40 s.u. Abschnitt 2.3.3. Da auch in der synoptischen Tradition die Erzählung von Jesu Seewandel unmittelbar auf die Speisung der 5000 folgt, hat der Evangelist die beiden Geschichten wohl in dieser Reihenfolge vorgefunden. Das heißt nun aber keineswegs, daß er am Seewandel „kein besonderes theologisches Interesse“ (Becker, Joh I, 234) hat und nur aus Treue zur Tradition diese Perikope wiedergibt, ohne weiter auf sie einzugehen (auch gegen Weder, Menschwerdung, 327; Painter, Jesus, 73f ). Die Zurückstellung des Seewandels wird meist damit begründet, daß dieses Wunder im Unterschied zur Speisung in der Brotrede nicht mehr aufgenommen werde. Die folgende Auslegung wird deutlich machen, daß auch der Seewandel in die joh Rede in V 27–51b integriert und für die Gesamtkomposition von Kap. 6 unentbehrlich ist. Vgl. auch O’Day, Walking, 149f. Es wird darauf verzichtet, die Überlieferungsgeschichte der beiden Wundererzählungen zu rekonstruieren, denn im theologisch geschlossenen Konzept von Kap. 6 liegt diese Geschichte nicht mehr offen zu Tage und die spezifische Theologie oder gar der Wortlaut einer bestimmten Quelle, die der Evangelist redigierte, läßt sich nur mehr sehr hypothetisch rekonstruieren. Obwohl keine direkte literarische Abhängigkeit von den synoptischen Wundererzählungen vorliegt (vgl. Riniker, Jean 6,1–21), wird an einigen Stellen anhand eines heuristischen Vergleichs mit den synoptischen Varianten auf theologische Tendenzen des Joh aufmerksam gemacht. 140 Der sakramentale Abschnitt 6,51c–58 geht auf die Endredaktion zurück (vgl. die Skizze des Streits um die literarkritische Beurteilung dieses Abschnitts sowie die Argumente für die Zuordnung zur Endredaktion bei Becker, Joh I, 263–266). Dasselbe gilt für die V 54 replizierenden Hinweise auf die Auferweckung am jüngsten Tag in 6,39.40.44 (s.u. Anm. 158). 139

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2.2.7.1. Erwartetes Zeichen und empfangenes Zeichen Am Anfang des Dialogs steht ein Vorwurf, mit dem Jesus die Volksmenge konfrontiert, die ihn am Morgen nach der Speisung am anderen Ufer des Sees aufsucht: Sie suche ihn nicht wegen seiner Zeichen, sondern weil sie vom Brot gegessen habe und satt geworden sei (V 26). Die Volksmenge versteht Jesu Speisungswunder nicht als ein UJOGKQP, ein Zeichen, das auf den Geber des Lebens verweist (vgl. V 32ff), sondern sie reduziert den Sinn des Wunders auf das innerweltliche Geschehen einer einmaligen Sättigung. Sie sieht nicht, daß dieses Zeichen über sich hinaus auf eine Speise verweist, die nicht verdirbt (CXRQNNWOK), sondern ins ewige Leben hinein bestehen bleibt (V 27).141 Die ewige Speise in 6,12 Bereits die Erzählung des Wunderzeichens macht auf dessen tiefere Bedeutungsebene aufmerksam, darauf nämlich, daß Jesus eine unvergängliche Speise austeilt: In V 12 befiehlt er, die übriggebliebenen Brotbrocken einzusammeln, damit sie nicht verderben (K=PCOJ VKCXRQNJVCK).142 Jesus sättigt mit dem wahren Lebensmittel: dem Leben selbst, das den Menschen für immer aus dem „Tod“ befreit.143

Die Volksmenge, die Jesu Zeichen auf die Bedeutung einer einmaligen Sättigung reduziert, ist in V 28 erneut auf der falschen Spur, wenn sie meint, die ewige Speise, die es sich zu verschaffen gilt (V 27.28: GXTIC\QOCK), seien Gott gefällige Werke (V 28: VC GTIC VQW SGQW). Es gibt nur ein einziges Werk Gottes (V 29b: VQ GTIQPVQW SGQW) – im doppelten Sinne des Genetivs: Das Tun des Gott wohlgefälligen Werks liegt selbst auf der Seite Gottes, denn dieses Werk, der Glaube an Gottes Gesandten (V 29c), kann nur empfangen werden (s.u. zu V 37.44).144 Um Jesus glauben zu können, ver141 Es gibt keine zwingenden Gründe, V 27 dem Evangelisten abzusprechen und zur Endredaktion zu zählen (gegen Becker, Joh I, 245f ). Die Affinitäten, die dieser Vers zum sakramentalen Teil (V 51c–58) aufweist, widersprechen dem Sprachgebrauch des Evangelisten nicht. So steht etwa das Verb FKFYOK in 4,14, einer ähnlichen Passage, ebenfalls im Futur und ebenfalls mit Jesus – wenn auch nicht explizit mit dem Menschensohn – als Subjekt oder wird das Verb OGPY vom Evangelisten in 12,34 (OGPGK GKXL VQP CKXYPC) in nahe verwandtem Sinne verwendet. 142 Vgl. auch Welck, Zeichen, 162; Thompson, Thinking, 245. 143 Während das im Vorwurf in V 26 verwendete Verb EQTVC\GKP im Alten und im Neuen Testament fast durchgehend für „sättigen“ im wörtlichen Sinne steht (z.B. LXX Ps 36,19; 58,16; Mk 6,42 parr; 8,4.8 parr; Lk 15,16; 16,21; Phil 4,12; Jak 2,16; Apk 19,21), hat das in V 12 verwendete Verb GXORKRNCPCK die Bedeutung „sättigen“ oft in übertragenem Sinne und meint die Sättigung des Geistes oder der Seele zum Beispiel mit Weisheit (vgl. u.a. LXX Ex 15,9; 28,3; Ps 106,9; Jes 11,9; Lk 1,53; Act 14,17; Röm 15,24). Die Verwendung des Verbs GXORKRNCPCK in der Wundererzählung verweist also auf den Zeichencharakter des Wunders und spielt darauf an, daß Jesu Gabe mehr bedeutet als die vorübergehende Sättigung des täglichen Hungers. 144 Vgl. Barrett, John, 282.287; Blank, Joh Ia, 354; Brown, John I, 265; Weder, Menschwerdung, 337; Schenke, Joh, 131; Schwank, Joh, 210f; Wilckens, Joh, 100f. Keinen doppel-

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langt die Volksmenge in V 30 nun ein Zeichen, obwohl sie dieses doch eben gerade bzw. am Abend zuvor erhalten hat. Jesus soll sich dadurch ausweisen, daß er das Mannawunder aus der Wüstenzeit der Väter wiederholt (V 31). Die Volksmenge legt damit Jesus auf ihre eigene Erwartung fest.145 Ihre Zeichenforderung zeigt, daß sie das Speisungswunder lediglich zum Anlaß nimmt, Ansprüche zu stellen, und daß sie nicht bereit ist, sich auf das überraschend erhaltene Zeichen einzulassen (vgl. V 26). Sie will denjenigen Messias empfangen, der ihren Richtlinien entspricht und den sie selbst für den richtigen hält. Die Messiaserwartung der Volksmenge in 6,15 So versuchte die Volksmenge bereits nach dem Speisungswunder, Jesus zu ergreifen und zum erwarteten König zu machen (V 15a), und erkannte nicht, daß das Reich Jesu gerade nicht von dieser Welt, sondern von oben ist. Gewaltsam zum irdischen König gekrönt, sollte Jesus ihre (Messias-)Erwartungen erfüllen. Jesus entzog sich jedoch dieser Festlegung durch das Volk und wich auf den Berg zurück (V 15b).

Das vom Volk in V 31b angeführte, frei formulierte Schriftzitat (CTVQPGXM VQWQWXTCPQWGFYMGPCWXVQKLHCIGKP)146 läßt Jesus zwar gelten – er gibt Brot vom Himmel zu essen –, doch distanziert er sich gleichzeitig vom Geschehen des Mannawunders, dessen Wiederholung das Volk fordert: Nicht Mose, sondern sein Vater ist der wahre Brotspender (V 32).147 Während die Väter in der Wüste, die das Manna aßen, gestorben sind, stirbt derjenige nicht, der von diesem Brot ißt (V 49f). Die Anspielungen auf das Mannawunder in 6,1–15 Auch in der Erzählung vom Speisungswunder sind subtile Anspielungen auf das Mannawunder anzutreffen.148 So etwa, wenn Jesus mit seiner Frage in V 5, woher für diese riesige Menschenmenge Brot zu erwarten sei, die Jünger auf die Probe stellt (V 6: RGKTC\GKP). Nach dem Bericht von Ex 16 diente auch die Mannaspeisung ten Sinn sehen Schnackenburg, Joh II, 52; Schulz, Joh, 104; Moloney, John, 209; Schnelle, Joh, 121. 145 Die jüdische Erwartung einer endzeitlichen Mannaspeisung ist z.B. auch in syrBar 29,8 belegt. 146 Das Zitat läßt sich keiner bestimmten Schriftstelle zuordnen (vgl. Ex 16,4.15; Ps 78,24; Neh 9,15). Vgl. Obermann, Erfüllung, 132–150. 147 Zur antithetischen Ausrichtung der Zitatauslegung vgl. auch Painter, Jesus, 80f; Schnelle, Joh, 123; Dietzfelbinger, Joh I, 157. Obwohl das Schriftzitat (V 31b) eine wichtige Position in Kap. 6 einnimmt, läßt sich die These von Borgen, die Rede in V 32–58 folge einem homiletischen Muster und lege dieses Schriftzitat aus (Borgen, Bread; vgl. ders., John 6), nicht nachvollziehen, denn sie berücksichtigt die dominante antithetische Ausrichtung der Brotrede nur ungenügend. Zur Kritik von Borgens These vgl. Richter, Formgeschichte; Becker, Joh I, 239f; Painter, Jesus, 79f. 148 Bereits der in V 3 erwähnte Berg und das Stichwort Passa aus V 4 lassen an Mose denken.

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der Prüfung des Volkes (LXX Ex 16,4: Q=RYLRGKTCUYCWXVQWL).149 Die entscheidende, allerdings nicht ganz leicht zu beantwortende Frage gegenüber der joh Erzählung wäre demzufolge diejenige, ob die Jünger scheitern. V 7 zeigt Philippus ratlos: Der Jünger sieht keine Möglichkeit, diese riesige Menschenmenge zu sättigen. Nicht einmal Brot für zweihundert Denare würde für sie ausreichen, damit jeder nur ein wenig bekäme. 150 Auch Andreas (V 8f ) ist ratlos.151 Beide Jünger haben keine Ahnung, woher (RQSGP) in dieser Situation genügend Brot zu erwarten ist. Diese Ratlosigkeit ist auf der unmittelbaren Erzählebene Ausdruck von Vertrauenslosigkeit oder Kleingläubigkeit – als Glaubende152 müßten die Jünger wissen, woher Brot zu erwarten ist –, auf einer tieferen Ebene verweist sie aber auf die Ausweglosigkeit, sich aus eigener Kraft bzw. durch irdische Mittel aus der Finsternis zu befreien und Heil zu schaffen.153 Die radikale Erwartungslosigkeit der Jünger ist insofern positiv zu werten, als sie sich, im Unterschied zur Erwartungshaltung der Volksmenge (V 30f ), nicht anmaßt, selbst über das Heil urteilen zu können, sondern sich von Jesu Handlung überraschen läßt. Jesu Brotausteilung (V 10f ) tritt denn auch überraschend ein: Ungefragt und im Überfluß spendet er Brot. 154 149 Das Verb RGKTC\GKP ist ein joh Hapaxlegomenon. Es stellt sich also die Frage, woher das Joh diese Vokabel hat. In den synoptischen Evangelien, die RGKTC\GKP etliche Male verwenden, sind – in klarer Differenz zu Joh 6,6 – stets Jesu Gegner Subjekt dieses Verbs. Der Satan oder die Pharisäer stellen Jesus auf die Probe, aber nie dieser seine Anhänger. Auch sind es in der synoptischen Tradition des Speisungswunders stets die Jünger, die die Frage stellen, woher Brot zu bekommen sei (vgl. die RQSGP-Frage in Mk 8,4 bzw. Mt 15,33; vgl. auch Mk 6,37). Joh 6,5f scheint also nicht an urchristliche Tradition anzuknüpfen, sondern auf die alttestamentliche Mannaerzählung anzuspielen. 150 Vgl. dagegen Mk 6,37, wo die Jünger Brot für zweihundert Denare als Lösung betrachten. 151 Seine Antwort in V 9 ( GUVKPRCKFCTKQPYFGQ?LGEGKRGPVGCTVQWLMTKSKPQWLMCK FWQ QX[CTKC> CXNNC VCWVC VK GXUVKP GKXL VQUQWVQWL) spielt vielleicht auf die Elisa-Geschichte aus II Reg 4,42–44 an (vgl. bereits Bauer, Joh, 92). Dort fragt ein ebenso ratloser Diener, wie er zwanzig Gerstenbrote hundert Männern vorsetzen soll. Elisa antwortet: „So spricht Jahwe: Man wird essen und noch übrig lassen“ (LXX: HCIQPVCK MCK MCVCNGK[QWUKP). Ob mit einer solchen Anspielung gerechnet werden kann und wie sie zu werten ist, bleibt m.E. offen. Vielleicht wird vor dem Hintergrund der Elisa-Geschichte die Ratlosigkeit von Andreas gesteigert. 152 Die Jüngerfiguren treten durch das ganze Evangelium hindurch nie als definitiv Glaubende auf, sondern ihr Glaube wird eigenartig in der Schwebe gehalten (vgl. 6,66). Auf dieses Moment ist weiter unten zurückzukommen (s.u. Abschnitt 2.3.3.). 153 Vgl. das Mißverständnis von Nikodemus in 3,4 (s.o. Abschnitt 2.2.3.1.). 154 Auch die Lagerung der riesigen Menschenmenge (V 10) erinnert an das Wüstenlager der Väter. Während die synoptischen Fassungen diesen Eindruck zusätzlich verstärken, indem sie die Menschenmenge in Gruppen einteilen und den Ort der Speisung als einsam beschreiben (Mk 6,31.32.35 parr: GTJOQLVQRQL), fehlen im Joh diese Aussagen in der Wundererzählung, obwohl im Redeteil das Mannawunder explizit in der Wüste situiert wird (V 31.49). In der Wundererzählung sticht jedoch die Bemerkung über das viele Gras in V 10b hervor. Während das Mk und das Mt EQTVQL lediglich adverbial dem Sich-Lagern des Volkes hinzufügen (Mk 6,39 par Mt), bildet das Joh einen eigenständigen Satz und akzentuiert mit RQNWL. Das Volk wird an einem fruchtbaren Ort gespiesen, also keineswegs aufgrund einer Notsituation wie seine Väter in der Wüste. Diese Interpretation wird durch eine weitere Differenz zwischen den synoptischen Evangelien und dem Joh gestützt: Die synoptischen Evangelien erklären im Unterschied zum Joh ausführlich, daß es schon spät ist und das Volk nun et-

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2.2.7.2. Die Identifikation von Geber und Gabe Das von Jesus ausgeteilte Brot verweist auf das wahre Brot vom Himmel, das Jesu Vater gibt (V 32); es kommt vom Himmel herab und schenkt der Welt Leben (V 33). Die Doppeldeutigkeit der Formulierung QB MCVCDCKPYP GXMVQWQWXTCPQW wird im GXIY- GKXOK-Wort von V 35 explizit gemacht: Jesus ist das Brot des Lebens in Person. Der Brotgeber (V 27) ist selbst die Gabe, denn in der Begegnung mit ihm wird der Mensch aus dem „Tod“ ins Leben auferweckt. Das Ich-bin-Wort in 6,16–21 Das GXIY- GKXOK-Wort (V 35) weist auf die Erzählung vom Seewandel zurück, wo sich Jesus in V 20 mit den Worten GXIYGKXOK>OJHQDGKUSG den Jüngern zu erkennen gibt. Die Wundergeschichte in V 16–25 reflektiert denn auch in narrativer Form die Aussage aus V 35: Während im Speisungswunder Jesus als Geber auftritt (vgl. V 27), ist er im Seewunder die Gabe, bietet er doch den Jüngern sich selbst an, indem er nahe zum Boot herankommt. Während im ersten Zeichen das Brot sättigt, ereignet sich im zweiten die Rettung in dem Moment, da die Jünger Jesus ins Boot nehmen wollen. Jesus tritt an die Stelle des Lebensbrots. Die wunderbare Landung in 6,21 ereignet sich auf einen Schlag (MCK GWXSGYL). Weder ist die Rede davon, daß Jesus ins Boot tritt (vgl. dagegen Mk 6,51 par Mt), noch wird erzählt, daß sich der Wind legt (Mk 6,51 par Mt) und das Boot ans andere Ufer hinüber fährt (Mk 6,53 par Mt). Kaum wollen die Jünger Jesus ins Boot nehmen, sind sie schon am Land. Indem die Erzählung jede Wunderhandlung beseitigt, stellt sie die Person des Offenbarers ganz in den Mittelpunkt.155 So teilt Jesus kein Brot mehr aus wie in der ersten Wundererzählung, sondern sein einziges Tun besteht in seinem Auftritt, seiner göttlichen Epiphanie156 – er geht auf dem See und kommt nahe zum Boot –, und in seinem Wort an die Jünger, und auch dieses Wort weist auf den Sprecher selbst zurück: GXIYGKXOK.

2.2.7.3. Glaubensgabe und Lebensgabe Die Lebensgabe ist unauflösbar an den Glauben gebunden, der seinerseits als Gabe zu verstehen ist: Zu Jesus zu kommen heißt, vom Vater gezogen zu werden (V 44; vgl. V 37). Auch dieser im Redeteil explizit thematisierte Sachverhalt wird bereits im Seewunder illustriert. was zu Essen haben muß, während das Joh von einer solchen Notsituation nichts wissen will. Der Anstoß zur Wunderhandlung liegt allein bei Jesus. Die unerwartete Brotausteilung ist nicht durch äußere Umstände motiviert, sondern Jesu freier Entschluß. Auch dieses narrative Motiv wird im Redeteil (V 37.44) explizit gemacht. 155 Auch O’Day zeigt auf, daß nicht die Rettung, sondern die Offenbarung der Göttlichkeit Jesu das zentrale Moment bildet und es sich um eine Theophanie-Erzählung handelt (O’Day, Walking). 156 Die Jünger fürchten sich vor Jesu Erscheinung, denn wer sonst als Gott selbst schreitet auf den Wogen des Meeres einher (vgl. Hi 9,8)? Vgl. Bultmann, Joh, 159. Zu alttestamentlichen und anderen religionsgeschichtlichen Parallelen der Erzählung vom Seewandel vgl. Collins, Rulers, 211–225.

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Die Glaubensgabe in 6,21 Nicht nur fehlt im Seewunder eine Wunderhandlung Jesu, auch auf Seiten der Jünger bleibt jede Handlung aus. Sie nehmen Jesus nicht einmal ins Boot auf. Denn im Moment, da sie dies tun wollen (V 21: JSGNQP), sind sie schon sicher am anderen Ufer angekommen. Ihre einzige Aktivität besteht in der Bereitschaft, den Offenbarer bei sich aufzunehmen.157 Dieser Zug korrespondiert mit der Erwartungslosigkeit der Jünger in der Speisungserzählung und wird im Redeteil in V 37.44 wiederaufgenommen.

Der Glaube an Jesus, den vom Himmel herabgestiegenen Offenbarer, läßt sich nicht aus der Welt ableiten, sondern nur als Gabe von oben verstehen. So spielt der Unglaube, der auf sein eigenes, aus den Maßstäben der Welt gewonnenes Urteil baut (V 30f) und Gottes Gabe ablehnt, Jesu irdische Herkunft gegen seine himmlische aus (V 42). Es gibt kein anderes Argument, zu dem von Gott Gesandten zu kommen als der gesandte Offenbarer selbst. Die Jünger nehmen Jesus auf seinGXIY- GKXOK-Wort hin in ihr Boot auf (V 20f), auf ein Wort hin, das auf den Sprecher selbst zurückweist und dem Urteilen keinen Raum läßt. Kein anderes Urteil als dasjenige des Offenbarers kann Gültigkeit beanspruchen, denn nur er weiß über die Wahrheit seiner himmlischen Herkunft Bescheid (V 46). Deshalb versteht sich der Glaube als Geschenk Gottes: Der Vater selbst gibt Jesus die Glaubenden (V 37);158 keiner kann zu Jesus kommen, es sei denn, daß ihn der Vater zieht (V 44).159 Mit dem Geschenk des Glaubens geht das Geschenk des Lebens einher. Wie die Szene auf dem See zeigt, sind Glaubensgabe und Lebensgabe unauflösbar miteinander verknüpft: In demselben Moment, da die Jünger Jesus ins Boot nehmen wollen, ist dieses sicher am Land angekommen. Der Offenbarer, der aufgenommen wird, ist die Rettung aus dem „Tod“; er ist das Leben. 157 Im Unterschied zu dem in V 15 verwendeten Verb CBTRC\Y („in Besitz nehmen“) ist das Verb NCODCPY in V 21 nicht negativ konnotiert, sondern hat wie in 1,12 die positive Bedeutung „aufnehmen“ (vgl. auch Moloney, John, 204). Gegen Welck, Zeichen, 175; O’Day, Walking, 158; Wengst, Joh I, 227. 158 Anders als in V 37 steht das Verb FKFYOK in V 39 nicht im Präsens, sondern im Perfekt. Nach Becker erhält der Empfang des Glaubens dadurch eine prädestinatianische Ausrichtung (Becker, Joh I, 254). Die perfektische Form könnte den Fokus jedoch auch auf das Ergebnis des väterlichen Gebens richten: Es ist der Wille des Vaters, daß der Sohn von dem, was ihm der Vater einmal gegeben hat, d.h. von dem, was einmal zum Sohn gekommen ist und ihm seither gehört, nichts mehr verlieren wird. Da V 39 und V 40 jedoch deutliche Dubletten sind und die futurischen Auferweckungsverheißungen am Ende der beiden Verse (CXNNC CXPCUVJUY CWXVQ •GXP— VJ^ GXUECVJ^ JBOGTC^; vgl. auch den Schlußsatz in V 44) auf spätere Hand zurückgehen, ist dieser wohl der ganze V 39 zuzurechnen (vgl. Becker, ebd.). 159 Das Verb G=NMY macht auf die Einheit von Vater und Sohn aufmerksam. Ziehen ist im Gegensatz zu Von-sich-Stoßen stets ein Zu-sich-Ziehen (vgl. 12,32). Wenn nun der Vater diejenigen zieht, die zu Jesus kommen (V 44), so befindet sich der Vater an demselben Ort wie der Sohn bzw. hinter ihm. V 44 präzisiert so V 37 (FKFYOK).

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Licht und Finsternis in 6,16–21 Die Erzählung vom Seewandel spielt zur Entfaltung der Lebensgabe Jesu auch auf die Metapher von Licht und Finsternis an. So gehen die Jünger am Abend (bzw. zu später Stunde) zum See hinunter (V 16: YBLFGQX[KCGXIGPGVQ). Während die synoptischen Evangelien erzählen, daß am Abend (Mk 6,47 par Mt: QX[KCLIGPQOGPJL) das Schiff mitten auf dem See ist, läßt das Joh den Abend bereits zu Beginn der Perikope hereinbrechen, so daß die Jünger auf dem See Finsternis umgibt (V 17: MCK UMQVKC JFJ GXIGIQPGK).160 Das GXIY- GKXOK-Wort in 8,12 kennzeichnet den Offenbarer als Licht der Welt: Wer ihm nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln. In Kap. 12 wird dieses GXIY- GKXOK-Wort wiederaufgenommen: Als Licht ist Jesus in die Welt gekommen (12,46: GXNJNWSC), damit jeder, der an ihn glaubt, nicht in der Finsternis bleibt. In 6,17 ist der Offenbarer noch nicht gekommen (QWRY GXNJNWSGK), und Finsternis herrscht. Das Adverb QWRY betont, daß die Jünger ohne Jesus im Schiff auf dem finsteren See treiben, der außerdem von einem starken Wind aufgewühlt wird (V 18). Erst in V 19 sehen sie ihn auf dem See gehen und nahe zum Schiff kommen. Die Bemerkung MCK GXIIWL VQW RNQKQW IKPQOGPQP fehlt in der synoptischen Tradition und konkurriert sogar mit Mk 6,48, wo erzählt wird, daß Jesus an den Jüngern vorübergehen will. Das Auftreten des Offenbarers in der Finsternis ist kein Vorübergehen, sondern ein Nahe-Kommen, ein Sich-Anbieten.161 Die Bereitschaft, dieses Angebot anzunehmen, bedeutet – wie bereits oben erläutert – den Empfang des Lebens. In 12,35 erklärt Jesus, wer in der Finsternis wandle, wisse nicht, wohin er gehe (RQW WBRCIGK); die Jünger, die in 6,21 das Licht der Welt aufnehmen wollen, erreichen mit einem Schlag den Ort, zu dem sie unterwegs sind (GKXLJ?PWBRJIQP). Die Glaubenden werden aus der Finsternis ans Licht geführt, vom stürmischen See ans sichere Ufer.

2.2.7.4. Die eschatologische Lebensgabe Jesu Gabe des Lebens ist die Gabe des ewigen Lebens. Der Sohn wirft den nicht hinaus, der zu ihm kommt (V 37), denn es ist der Wille seines Vaters, ewiges Leben zu verleihen (V 40). Bereits in V 27 hielt Jesus fest, daß die von ihm verliehene Speise nicht verdirbt, sondern ins ewige Leben hinein bestehen bleibt (s.o.). Wer auf Jesus als das Brot des Lebens vertraut, wird nie mehr hungern und dürsten (V 35). Das Sammeln in 6,12 So werden auch im Speisungswunder in V 12 die übriggebliebenen Brocken eingesammelt, damit nichts verdirbt (s.o.). Während in den synoptischen Evangelien die Brocken aufgehoben werden (Mk 6,43 parr: JTCP), sammeln die joh Jünger sie ein (V 12: UWPCIY). Auch die Väter in der Wüste sammelten das Manna ein (LXX Ex 16,5.16: UWPCIY),162 allerdings wurde das übriggelassene stinkend und voller 160

Vgl. Schnackenburg, Joh II, 33f. Vgl. auch Welck, Zeichen, 171. 162 Das Verb UWPCIY läßt sich aufgrund der immer wieder auftauchenden Mannathematik leicht als Anspielung auf Ex 16 verstehen. Demgegenüber ist eine symbolische Interpretation, die das Einsammeln der Speise auf Jesu Sammlung der Seinen bezieht (so Thompson, Thinking, 245), abzulehnen. Gegen die These von Thompson spricht, daß das Verb UWPCIY im Re161

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Würmer, wie ja auch die Väter gestorben sind (Joh 6,49). Die Speise, die Jesus reicht, verdirbt nicht, und wer sie ißt, stirbt nicht.

Die verschiedenen Wendungen QWX OJ RGKPCUJ^, QWX OJ FK[JUGK RYRQVG (V 35), QWX OJ GXMDCNYGZY (V 37), GEJ^ \YJPCKXYPKQP (V 40, vgl. V 47), OJ CXRQSCPJ^ (V 50) entsprechen einander. Sie betonen alle, daß das von Gott verliehene Leben eine sichere Zukunft hat und der „Tod“ die Glaubenden nicht wieder einholen wird.163 Nicht zu sterben heißt, daß das neue Leben von oben dem „Tod“ entrissen ist und in letztgültiger Gemeinschaft mit Gott steht. Der natürliche Tod ist nichts anderes als das zeitliche Ende des irdischen Daseins, das die Gemeinschaft mit Gott in keiner Weise mehr bedroht.164 Der sakramentale Abschnitt 6,51c–58 Die Schlußsätze von V 39.40.44 und 54 sprechen demgegenüber von der Auferweckung der Glaubenden am letzten Tag. Diese futurisch-apokalyptischen Aussagen lassen sich mit der vergeschichtlichten Eschatologie des Evangelisten nicht unmittelbar vereinbaren.165 Die Endredaktion, auf die auch der Abschnitt V 51c–58 zurückgeht, verankert die Lebensgabe in den sakramentalen Gaben von Jesu Fleisch und Blut und damit in seinem Kreuzestod. Sie verknüpft den natürlichen Tod wieder mit dem Fluchtod: Das Ende des irdischen Daseins bedeutet für Jesus wie auch für die Glaubenden die ultimative Begegnung mit dem Feind und Vernichter allen Lebens. Da Jesus in seinem Kreuzestod siegreich aus dieser Begegnung hervorging und die Macht des letzten Feinds brach, versichert die im Essen und Trinken seines Fleisches und Blutes übereignete Lebensgabe die Glaubenden der endzeitlichen Auferweckung (V 54).

Wie der Evangelist das Sterben Jesu interpretiert, wird die Auslegung des zweiten Buchteils zeigen. Doch bereits der erste Buchteil nimmt in Vorverweisen zu Jesu Weggang aus der Welt Stellung. Bevor die exegetische Analyse zum zweiten Buchteil übergeht, sind deshalb diese Prolepsen zu untersuchen.

deteil nicht wiederaufgenommen wird; außerdem verschiebt Thompson in ihrer Interpretation (Jesus sammelt die Jünger) Subjekt und Objekt der Erzählung (die Jünger sammeln die Speise). 163 Zu dieser nicht auf die Erwählung, sondern auf die Bewahrung der Glaubenden zielenden Stoßrichtung von V 37b vgl. Hofius, Bewahrung. 164 S.o. Abschnitt 2.2.6.2. zu Kap. 11. 165 Gegen Frey, Eschatologie II, 237–241. Ist die Auferweckung am letzten Tag lediglich die „Vollendung“ der „jetzt schon gültig zugesprochene[n] Teilhabe an der \YJ CKXYPKQL“ (ebd., 240), so kann sie nicht „Auferweckung“ genannt werden, bezeichnet doch dieser Terminus gerade den Übergang vom Tod zum Leben bzw. die Verwandlung, die der Mensch in diesem Übergang erfährt. S.o. in Anm. 126 die Kritik zu Freys Auslegung von Kap. 11.

Die Vorverweise des ersten Buchteils auf Joh 18f

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2.3. Die Vorverweise des ersten Buchteils auf Joh 18f Verschiedene Stellen im ersten Buchteil weisen auf Jesu Rückkehr zum Vater voraus.166 So kommt Jesus immer wieder auf seinen bevorstehenden Weggang (CXPCDCKPY, WBRCIY), seine Stunde (Y=TC), seine Erhöhung (WB[QY) oder Verherrlichung (FQZC\Y) zu sprechen (2,4; 3,13f; 6,62; 7,6–8.33f; 8,14.21.28; 12,23f.27f.32).167 Neben diesen Worten Jesu finden sich Kommentare des Erzählers, die als klare Prolepsen erkennbar sind (2,21–22; 7,30.39; 8,20; 12,16). Als weitere Textstelle ist 1,36 zu nennen: Die Identifikation Jesu als Lamm Gottes könnte auf Jesu Verurteilung verweisen, denn sie läßt sich mit den Anspielungen auf das Passalamm in Kap. 19 in Beziehung setzen.168 Die Kontinuität dieser Vorverweise zeigt deutlich, daß sich die joh Erzählung auf das Kreuzigungsereignis ausrichtet, Kap. 18f also keineswegs „nachklappen“.169 Doch ist festzuhalten, daß diese Ausrichtung allein keine kreuzestheologische Auslegung des Joh rechtfertigt, sondern lediglich darauf hinweist, daß die Kreuzigung für den ersten Erzählblock von theologischer Tragweite ist – von welcher Tragweite genau, ist durch die Auslegung der Kreuzigungserzählung erst noch zu bestimmen. 2.3.1. `7[QYund CXRQMVGKPY als gegensätzliche Interpretamente von UVCWTQY Als erstes fällt auf, daß in den Vorverweisen – wie im gesamten Evangelium überhaupt – eine Begrifflichkeit des Leidens oder der Niedrigkeit durchgehend fehlt170 und auch die Vokabeln UVCWTQL/UVCWTQY erst in Kap. 19, also in der Kreuzigungsszene selbst, auftauchen.171 Jesus weist in seinen Reden mit den Verben FQZC\Y, WB[QY, WBRCIY und CXPCDCKPY auf seinen Tod voraus. In 13,1 verwendet er zudem OGVCDCKPY und in den Abschiedsreden RQTGWQOCK,172 während er CXRQMVGKPY stets nur als Vorwurf ge166

Vgl. zu den Prolepsen im ersten Buchteil auch Zumstein, Interpretation, 126–129. Vgl. auch die metaphorische Rede in 2,19 und die Wendung VJP [WEJP VKSJOK in 10,11.15.17f. 168 Zur Inklusion des Passalamms s.u. in Abschnitt 3.3.1.2. den Exkurs zur joh Passatypologie. 169 Gegen Käsemann, Wille, 23. 170 Insofern ist der Begriff Passionsgeschichte für die joh Kreuzigungserzählung unzutreffend. 171 Beckers Argumentation gegen eine joh theologia crucis knüpft hier an (Becker, Geisterfahrung, 435f ). 172 Nicht mit diesen Verben verbunden sind die Anspielungen in 2,14–22 (zu dieser Stelle s.o. den Exkurs in Abschnitt 2.2.2.3.). In 10,11.15.17 sowie in 15,1 begegnet außerdem die 167

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

genüber den 8,QWFCKQK bzw. den Hohenpriestern173 einsetzt (7,19; 8,37.40: \JVGKVG OG CXRQMVGKPCK)174 und CXRQSPJ^U MY ein einziges Mal auf sich selbst bezieht, dies in 12,24, wo er in einem Bildwort vom Sterben des Weizenkorns spricht – CXRQSPJ^UMY ist hier also in übertragenem Sinne zu verstehen.175 Das Verb UVCWTQY schließlich nimmt er im gesamten Evangelium nie in den Mund. Wenn der joh Jesus seinen Tod als ein Weg-, Hinauf- bzw. Hinübergehen sowie als ein Verherrlicht- und Erhöht-Werden bezeichnet,176 selbst jedoch nie vom Gekreuzigt- oder Getötet-Werden, ja nicht einmal vom Sterben spricht, so stellt sich die Frage, welcher Stellenwert denn letzteren Interpretamenten im Joh überhaupt zukommt. Auch die Verben CXRQMVGKPY und UVCWTQY werden unterschiedlich eingesetzt: Das Ansinnen der 8,QWFCKQK bzw. der Hohenpriester und Pharisäer177 wird mit CXRQMVGKPY oder CXRQSPJ^UMY (5,18; 7,1.25; 11,50.53; 19,7; vor Pilatus auch mit UVCWTQY: 19,6.15), die tatsächliche Tötung Jesu dagegen nur mit UVCWTQY (19,16.18.20.23.41) wiedergegeben.178 Während außerdem Jesus der Tötungsabsicht seiner Gegner mit absolutem Unverständnis begegnet (7,19; 8,37.40), bezeichnet er die Vollmacht von Pilatus, ihn zu kreuzigen (19,10: UVCWTQY), als von oben gegeben (19,11). Es ergibt sich ein dreigliedriges Schema: Jesus weist auf seinen Tod ausschließlich mit Verben der räumlichen Bewegung oder des VerWendung VJP[WEJPVKSJOK. Diese Stellen sind der Endredaktion zuzurechnen (vgl. Becker, Joh I, 366), so daß diesbezüglich untersucht werden muß, in welche Richtung sie die Interpretation des Evangelisten weiterentfalten. Schließlich werden in Kap. 16f die Verben CXRGTEQOCK, CXHKJOK und GTEQOCK verwendet (16,7.28; 17,13). 173 S.o. Anm. 11 bzw. unten in Kap. 3 Anm. 56. 174 Vgl. dagegen die Leidensweissagungen in den synoptischen Evangelien, in denen Jesus gegenüber den Jüngern von seiner bevorstehenden Tötung spricht (Mk 8,31 parr; 9,31 parr; 10,34 parr). Wenn im Joh CXRQMVGKPY verwendet wird, geht es fast durchwegs um die Absicht der 8,QWFCKQK, Jesus zu töten (5,18; 7,1.19.25; 8,37.40; 11,53; 18,31; in 12,10 beschließen die Hohenpriester, auch Lazarus zu töten, und in 8,22 stellen die 8,QWFCKQK Jesus unter Verdacht, sich selbst töten zu wollen; in 16,2 setzt die Endredaktion die Jünger als Objekt). Von einer tatsächlichen Tötung erzählt das Joh nicht. 175 In 11,50 und 19,7 reden die 8,QWFCKQK von Jesu Sterben. Darüber hinaus wird das Verb CXRQSPJ^UMY, das im Vergleich zu den synoptischen Evangelien im Joh sehr häufig vorkommt (28x), nur noch in 11,51 (zu dieser Stelle sowie zu 18,14 s.u. Abschnitt 3.2.2.2.) und in den beiden Kommentarstellen 12,33 und 18,32 (s.u. Abschnitt 2.3.1.1.) auf Jesus bezogen. Vgl. dagegen den Gebrauch des Verbs bei Paulus, wo Christus bzw. Jesus an zahlreichen Stellen (Röm 5,6.8; 6,8–10; 8,34; 14,9.15; I Kor 8,11; 15,3; II Kor 5,14f; Gal 2,21; I Thess 4,14; 5,10) Subjekt von CXRQSPJ^UMY ist. 176 Vgl. zu diesen Interpretamenten auch Müller, Bedeutung, 53–64. 177 Das Joh setzt oft pauschal die 8,QWFCKQK als Subjekt, obwohl es die Hohenpriester im Blick hat (s.o. Anm. 11 sowie unten in Kap. 3 Anm. 56). 178 Als eine Ausnahme könnte 19,33 genannt werden: Die Soldaten sehen (in ihrer Perspektive des Unglaubens), daß Jesus gestorben ist. Es steht das Part. Perf. von SPJ^UMY, das sonst nur noch in bezug auf Lazarus verwendet wird. Zur Auslegung dieser Stelle s.u. Abschnitt 3.2.4.5. Auch auf die Wendung RCTCFKFYOKVQ RPGWOC, die in 19,30 verwendet wird, ist bei der Auslegung dieser Stelle (Abschnitt 3.2.4.4.) zurückzukommen.

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herrlicht/Erhöht-Werdens voraus; seine Gegner jedoch sind bestrebt, ihn zu töten (CXRQMVGKPY); die Kreuzigung selbst wird in Kap. 19 mit dem Verb UVCWTQY wiedergegeben. Im folgenden werden die Beziehungen zwischen diesen drei Aussagereihen genauer untersucht. 2.3.1.1. 5VCWTQY und WB[QY Obwohl im ersten Buchteil das Verb UVCWTQY nie auftaucht, wird auf die spezifische Art des Todes Jesu Bezug genommen. In 12,33 erläutert ein Kommentarsatz des Erzählers das vorangehende Wort Jesu, er werde von der Erde erhöht werden: VQWVQFG GNGIGPUJOCKPYPRQKY^ SCPCVY^ JOGNNGP CXRQSPJ^UMGKP. Daß Jesus in 12,32 den Bezug von WB[QY auf die spezifische Todesart nicht selbst explizit macht und daß das Verb UVCWTQY in beiden Versen nicht auftaucht, sind bereits erste Indizien dafür, daß es nicht darum geht, WB[QY und UVCWTQY zu einem Paradox zu verbinden, sondern die spezifische Todesart Jesu als Erhöhen – und als nichts anderes – zu interpretieren.179 Wie die Formulierung WB[YSY GXMVJLIJL (12,32) außerdem zeigt, fokussiert WB[QY nicht das Erhöhen an das Kreuz und insofern die „Beschwerung des Holzes mit dem Leben Gottes“180, sondern das Erhöhen von der Erde. Diese räumliche Bewegung tritt mit den anderen Wendungen, die Jesu Tod als Ortsverschiebung wiedergeben, in einen Konnex: WBRCIY (7,33; 16,5: RTQLVQPRGO[CPVCOG; 13,3: RTQLVQPSGQP), CXPCDCKPY (6,62: Q=RQWJP VQ RTQVGTQP), OGVCDCKPY (13,1: GXM VQW MQUOQW VQWVQW RTQL VQP RCVGTC), RQTGWQOCK (14,12.28; 16,28: RTQLVQPRCVGTC). Nicht das Kreuz ist das Ziel, sondern der Vater, der Jesus gesandt hat. 181 Anhand von 3,14 läßt sich die Beziehung zwischen Kreuzigung und Erhöhung noch differenzierter betrachten. Die Erhöhung des Menschen179 Vgl. Becker, Joh II, 463; Müller, Eigentümlichkeit, 44f. In 12,33 heißt es explizit, daß Jesus mit der Rede von seiner Erhöhung die Art und Weise seines Todes anzeigte (VQWVQ FG GNGIGPUJOCKPYPRQKY^ SCPCVY^ JOGNNGPCXRQSPJ^UMGKP). In dieser Formulierung charakterisiert nicht der Kreuzestod die joh Rede vom WB[YSJPCK (so Knöppler, theologia crucis, 164), sondern umgekehrt: Die Rede vom WB[YSJPCK (12,32) tut die spezifische Todesart Jesu kund: Sie ist Erhöhung. 180 Kohler, Kreuz, 252. 181 Thüsing parallelisiert ebenfalls 12,32 mit 13,1, folgert aber aus dem Fehlen der Zielangabe RTQLVQPRCVGTC in 12,32, daß das Kreuz hier eine entscheidende Rolle spiele (Thüsing, Erhöhung, 24–26). Daß in sämtlichen Erhöhungsaussagen die Zielangabe RTQL VQP UVCWTQP fehlt, beachtet er nicht. Er ordnet dem „anzuschauenden Bild“ der Kreuzigung eine eigene Aussagekraft zu; es stelle in paradoxer Weise die Erhöhung dar (ebd., 34; zu Thüsings Bildbegriff vgl. ebd., 7f ). Die Funktion der Erhöhungsaussagen liegt jedoch gerade darin, allererst zu bestimmen, in welcher Perspektive das Bild der Kreuzigung wahrzunehmen ist: als Erhöhung, nicht als Erniedrigung (vgl. die folgende Auslegung von 3,14). Daß in 12,32 die Zielangabe RTQL VQP RCVGTC fehlt, ist damit zu erklären, daß der Erhöhungsbegriff die von ihm bezeichnete Bewegung nicht in erster Linie auf ein Ziel hin orientiert, sondern die Bewegung selbst fokussiert, und zwar in Relation zu ihrem (niedrigeren) Startpunkt (12,32: von der Erde).

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sohns wird hier in eine Analogie zur Erhöhung der Schlange durch Mose in der Wüste (Num 21,8f) gesetzt. Vergleichspunkt ist die Erhöhung, ihre Art und Weise (MCSYL/QW=VYL)182 sowie ihre Ausrichtung auf die Menschen, vor denen sie geschieht. Daß die Vokabel „erhöhen“ im Numeritext selbst gar nicht vorkommt, sondern vom Evangelisten paraphrasiert wird, verweist gerade auf das leitende Interesse des Evangelisten, anhand des alttestamentlichen Textes den Erhöhungsvorgang Jesu zu präzisieren.183 Diese Präzisierung besteht nach Kohler darin, daß die Erhöhung als „Erhöhung an den Kreuzesbalken“184 bestimmt werde, und auch Frey betont, die Anspielung auf Num 21 konstruiere zwischen Erhöhung und Kreuzigung ein Paradox.185 In Num 21,8f ist jedoch weder von „Holz“186 noch von einem „Balken“ noch von einem „Pfahl“187 die Rede, sondern im hebräischen Text steht VQH (LXX: UJOGKQP): Wie vor allem die häufigen Belege bei Jes zeigen,188 ist ein Feldzeichen, ja Siegeszeichen gemeint. Freys paradigmatische Analyse des Begriffs189 wird von einer syntagmatischen Analyse nicht 182 Dieser Vergleichspunkt steht auch nach Weder klar im Vordergrund (Weder, Asymmetrie, 441). 183 Vgl. Blank, Krisis, 80; Kohler, Kreuz, 251; Frey, Mose, 182f. 184 Kohler, Kreuz, 251.252: „[D]as Aufhängen Jesu ans Holz wird als derjenige Vorgang gedacht, in welchem er durch Gott gewürdigt wird.“ 185 Zu Freys Auslegung dieser Stelle s.u. Anm. 189. 186 Das „Holz“ bringt erst Barn 12,7 mit ins Spiel. Daß das Joh diese Tradition mit einbezieht, legt kein Textsignal nahe. 187 Auch Weder spricht von einem „Holzpfahl“ (Weder, Asymmetrie, 441), und sogar Müller, der auf einer dezidiert nicht-kreuzestheologischen Auslegung dieser Stelle beharrt, verwendet die Vokabel „Pfahl“ (Müller, Eigentümlichkeit, 42). 188 Jes 5,26; 11,10.12; 13,2; 18,3; 30,17; 31,9; 33,23; 49,22; 62,10. Weitere Belege: Jer (5x), Ez (1x), Ps (1x), Ex (1x), Num (3x). Zur Bedeutung von VQH vgl. auch Fabry, VQH, 468– 473. Frey weist mit besonderem Nachdruck auf Jes 11 hin, wo der Sproß Isais in Person als VQH für die Heiden in Herrlichkeit dastehen wird (Frey, Mose, 190f ). Zu Freys Interpretation von Joh 3,14 vgl. die folgende Anmerkung. 189 Frey setzt im bereits erwähnten Aufsatz dem hebräischen Terminus VQH, der „sehr konkret eine Stange“ (Frey, Mose, 159) bezeichne, den formaleren Begriff der LXX (UJOGKQP), der die Signalwirkung betone (ebd., 160), gegenüber. In der frühjüdischen Deutung werde die Stange dann noch stärker spiritualisiert und zeige sich eine „Tendenz, jeden Anschein einer selbständigen Heilsmächtigkeit des Bildes zu vermeiden“ (ebd., 175, im Original kursiv) und „die alleinige Heilswirksamkeit Gottes“ (ebd.) herauszustellen. Der Evangelist dagegen meide in seiner Anspielung aus theologisch-konzeptionellen Gründen den LXX-Begriff UJOGKQP, der in seinem Evangelium streng auf die Bezeichnung der Wunder Jesu beschränkt sei, und greife auf den hebräischen Text zurück, um die konkrete Gegenständlichkeit des Kreuzes zu betonen. Zudem schlage der hebräische Begriff VQH eine Brücke zu Jes 11,10. Frey gelangt so zur Schlußfolgerung (ebd., 201): „Der erhöhte Christus, der Messiaskönig, herrscht nach Johannes als der Gekreuzigte, sein Thron ist das Kreuz, an dem seine FQZC in paradoxer Weise aufstrahlt und von dem aus seine Herrschaft aller Welt verkündigt wird.“ Ist es allein schon problematisch, wie Frey aus dem Fehlen der Vokabel UJOGKQP in Joh 3,14 zu schließen, der Evangelist beziehe sich bewußt auf den hebräischen Terminus VQH, so vermag Freys semantische Analyse von VQH erst recht nicht zu überzeugen, bestimmt diese doch die Bedeutung des hebräischen Begriffs VQH rein paradigmatisch, indem sie VQH vom LXX-Begriff UJOGKQP (bzw.

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bestätigt: In den alttestamentlichen Belegen wird nicht die konkrete Materialität der Stange betont (so Frey),190 sondern ihre konkrete Verweisfunktion auf Sieg und Herrlichkeit. Das Zeichen (VQH/UJOGKQP) wird stets gut sichtbar – z.B. auf einem Berg – aufgerichtet und verweist auf die Herrlichkeit, den Sieg und die Macht des Fürsten. VQH (UJOGKQP) ist ein Siegeszeichen und dem paulinischen UVCWTQL oder ZWNQP diametral entgegengesetzt, von einem Pfahl oder einem Galgen kann keine Rede sein. Rückt in der Analogie von 3,14 die Art und Weise der Erhöhung in den Vordergrund, so wird diese durch die Analogie dahingehend konkretisiert, daß die Erhöhung am Kreuz ein Zeichen für die Herrlichkeit des Siegers ist,191 daß nichts anderes als das Erhöhungsmoment selbst von Bedeutung ist. Auf den zweiten Vergleichspunkt, die Bedeutung des Zeichens für die Glaubenden, ist weiter unten zurückzukommen.192 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Zwar weist Jesus in 3,14 und 12,32f auf die Art und Weise seines Todes voraus, doch liegt der entscheidende Punkt dieser Stellen darin, daß die Kreuzigung (UVCWTQY) auf die Erhöhung (WB[QY) festgelegt wird. Es geht nicht um ein paradoxes Zusammenfallen von Erhöhung und Kreuzigung, denn die Kreuzigung als Erniedrigung wird nicht thematisiert. Die Prolepsen der Erhöhung sind allerdings alle im Rahmen der Rede Jesu situiert. Wie der nächste Abschnitt zeigt, sehen seine Gegner dieselbe Sache anders. 2.3.1.2. 5VCWTQY und CXRQMVGKPY Die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester und Pharisäer193 suchen Jesus zu töten (CXRQMVGKPY: 5,18; 7,1.19.20.25; 8,37.40) und beschließen es auch (11,53).194 Im Verhör vor Pilatus stellt sich jedoch heraus, daß sie gar nicht töten dürfen (18,31: JBOKPQWXMGZGUVKPCXRQMVGKPCKQWXFGPC), so daß sie Pilatus bitten müssen, es zu tun, was nun bedeutet, Jesus zu kreuzigen (19,6.15: UVCWTYUQP). Mit Jesu Kreuzigung meinen sie, an ihr Ziel zu gelangen: Im Unterschied zu Jesu Standpunkt heißt UVCWTQY für die Gegner nicht WB[QY, sondern CXRQMVGKPY. von W$D) abgrenzt. Wie eine syntagmatische Analyse von VQH jedoch zeigt (s.o.), wird bei der Verwendung dieses Begriffs im Alten Testament nie die Materialität der Stange (VQH als „konkrete Stange“) betont; vielmehr steht ebenfalls stets ihr Zeichencharakter im Vordergrund. 190 Einzige Ausnahmen im alttestamentlichen Gebrauch von VQH sind Jes 30,17, wo Abgemagerte (!) mit der Stange verglichen werden, und Jes 33,23. 191 In Ez 27,7 übersetzt die LXX VQH sogar mit FQZC. 192 S.u. Abschnitt 2.3.2.1. 193 S.o. Anm. 11 bzw. unten in Kap. 3 Anm. 56. 194 Wie bereits erwähnt (s.o. Anm. 174), verwendet das Joh das Verb CXRQMVGKPY fast ausschließlich im Zusammenhang dieser Tötungsabsicht der Hohenpriester, so daß sie deutlich hervorsticht. Vgl. die synoptischen Evangelien, die im Unterschied zum Joh CXRQMVGKPY auch in anderen Zusammenhängen verwenden (Mk 3,4; 6,19 par Mt; Lk 12,4 par; 13,34 par; Mt 23,34; 24,9; Lk 11,47–49; 12,4f; 13,4).

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2.3.1.3. 5VCWTQY als Mittelbegriff zwischen WB[QY und CXRQMVGKPY Der erste Buchteil weist mit zwei Begriffen bzw. Begriffsreihen, die unterschiedlich behandelt und bewertet werden, auf UVCWTQY in Kap. 19 voraus. Daß Jesus immer nur vom Tötungsbestreben seiner Gegner spricht (CXRQMVGKPY stets in Verbindung mit \JVGY), nie jedoch im Futur seine Tötung formuliert (nie: CXRQMVGPJVG195, vgl. dagegen 8,28: WB[YUJVG!), sondern stets mit Verben der räumlichen Bewegung bzw. des Verherrlicht- oder Erhöhtwerdens auf seinen Tod Bezug nimmt, zeigt deutlich, daß der Glaube die Kreuzigung Jesu (UVCWTQY) mit dieser Begriffsreihe interpretiert und CXRQMVGKPY als Interpretationsleistung des Unglaubens erkennt. Diejenigen, die Jesus kreuzigen, meinen, ihn zu vernichten und zu töten, in Wahrheit aber erhöhen sie ihn. Das Ende des irdischen Daseins Jesu bedeutet nicht seinen Tod, sondern seinen Abschied aus der Welt und seine Rückkehr zum himmlischen Vater, der ihn längst vor diesem Ende aus dem „Tod“ der Gottlosigkeit zum Leben mit ihm auferweckt hat. Das Leben des vom „Tod“ – als der Selbstverstrickung des Menschen in seine irdische Herkunft – Auferstandenen wird am Kreuz nicht zerstört, sondern kehrt in die unmittelbare Gegenwart dessen zurück, von dem es ausgegangen ist. 2.3.2. Jesu Erhöhung und das Gericht Die drei Prolepsen, die mit dem Verb WB[QY auf Jesu Kreuzigung vorausweisen (3,14; 8,28; 12,32.34), werden jeweils von einer Passage über das Gericht begleitet. Wie diese Gerichtspassagen mit den Vorverweisen auf Jesu Kreuzigung zusammenhängen, wird im folgenden untersucht. 2.3.2.1. Erhöhung und ewiges Leben (3,14–21) Auf die bereits besprochene Textstelle 3,14–16 folgt in 3,17–21 eine Passage, in der vom Richten (V 17.18: MTKPY) und vom Gericht (V 19: MTKUKL) die Rede ist. V 17 knüpft mit ICT an den vorangehenden Vers an, begründet also die Aussage von V 16, die ihrerseits mit ICT an V 14f anschließt. Die Gerichtspassage in V 17–21 und die Erhöhungsaussage in V 14–16 sind somit eng miteinander verknüpft. V 14f stellt, wie bereits erwähnt, eine Analogie auf: Die Erhöhung der Schlange in der Wüste durch Mose wird mit der Erhöhung des Menschensohns parallelisiert.196 Wie der auf die Schlange Blickende vor dem Tod be195

Vgl. dagegen z.B. Mk 9,31: CXRQMVGPQWUKPCWXVQP. Dabei ersetzt in 3,14b die unpersönliche Formulierung FGK die persönliche Konstruktion in 3,14a mit Mose als Handlungssubjekt der Erhöhung. Daß FGK in den synoptischen Leidensankündigungen zentral ist, erlaubt keineswegs den Schluß, in Joh 3,14 gehe es um das „Ineinander von Leiden und Auferstehung“ (Kohler, Kreuz, 254), ließe sich doch mit demsel196

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wahrt wurde und lebte, so hat der Glaubende im erhöhten Menschensohn ewiges Leben.197 Zwar wird erst in 3,17ff explizit vom Gericht gesprochen, doch ist dieses Thema bereits in 3,14f präsent; deutliche Signale sind die in 3,15 zum ersten Mal auftretende Begriffskombination \YJ CKXYPKQL sowie der Menschensohntitel, den das Joh stets im Zusammenhang eschatologischer Aussagen verwendet.198 Der erhöhte Menschensohn verleiht die Gabe ewigen Lebens; die Glaubenden werden aus dem Gericht gerettet bzw. von ihm verschont (s.u.). Entscheidend ist nun, wie das Verhältnis zwischen V 14b.15 und V 16 zu verstehen ist.199 Während V 14b vom Menschensohn spricht (VQP WKBQP VQW CXPSTYRQW), ist ab V 16 vom einziggeborenen Sohn die Rede (VQPWKBQP VQPOQPQIGPJ). V 14f thematisiert denn auch die Erhöhung, V 16f die Herabkunft bzw. Sendung des Sohnes. Wie V 13 zeigt, wird die Sendung in die Welt streng von der Rückkehr in den Himmel unterschieden: Nur der vom Himmel Herabgestiegene, der einziggeborene Sohn, steigt in den Himmel hinauf, wird als der Menschensohn erhöht. Diese Unterscheidung von Herabstieg und Hinaufstieg, von Sendung und Erhöhung gilt es bei der Interpretation von 3,14ff zu berücksichtigen. Im folgenden ist nun die Struktur der mehrgliedrigen Begründung (V 16/V 17: ICT) zu analysieren. V 16 begründet V 14b.15 (ICT), wobei der K=PC-Satz in V 16 streng parallel zu V 15 formuliert ist.200 Daraus kann geschlossen werden, daß V 16c V 15 erklärt. 3,15: K=PCRCLQBRKUVGWYPGXPCWXVY^

GEJ^\YJPCKXYPKQP.

3,16c: K=PCRCLQBRKUVGWYPGKXLCWXVQPOJCXRQNJVCKCXNN8

GEJ^\YJPCKXYPKQP.

ben Recht behaupten, es gehe um die Ersetzung des (synoptischen) Leidens durch die Erhöhung (vgl. Müller, Bedeutung, 56). 197 Die Moseepisode, in der der Blick auf die Schlange vor einer akuten Lebensbedrohung schützt, ohne ewiges Leben zu verleihen, wird überboten. Doch thematisiert das Joh diese Überbietung hier nicht – im Unterschied z.B. zur Stelle 6,49f (s.o.). 198 S.o. den Exkurs unter Abschnitt 2.2.1.2. In äthHen 37–71 ist der Menschensohn der Weltenrichter. Zum eschatologischen Kontext der joh Menschensohnaussagen und ihrer traditionsgeschichtlichen Herkunft vgl. auch Becker, Joh I, 168–170. 199 Vgl. Weder, Asymmetrie, 442. 200 Weder schließt aus der Parallelität der beiden K=PC-Sätze (V 15/V 16c), daß auch V 14b und V 16ab parallel zu verstehen sind und FKFYOK (V 16b) somit die Hingabe Jesu in den Tod konnotiert (Weder, Asymmetrie, 442–447; vgl. auch Kohler, Kreuz, 256; Hofius, Wunder, 65). Gegen diese Interpretation spricht nicht nur der Sachverhalt, daß die beiden Sätze V 14b und V 16ab keine parallelen Strukturen aufweisen, sondern auch die Ausrichtung der Erhöhungsaussage in V 14, die den Tod Jesu gerade nicht erwähnt (s.o.). Zudem wird V 16b, VQP WKBQP VQP OQPQIGPJ GFYMGP K=PC, in V 17a mit der Formulierung CXRGUVGKNGP QB SGQL VQP WKBQP GKXLVQPMQUOQPK=PC wiederaufgenommen, womit deutlich wird, daß mit der Gabe des einziggeborenen Sohnes dessen Sendung in die Welt gemeint ist. Zur weiteren Interpretation von V 14–16 s.o. den Haupttext.

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In bezug auf die Formulierungen RCLQB RKUVGWYP sowie GEJ^ \YJPCKXYPKQP stimmen die beiden K=PC-Sätze wörtlich überein, während GXPCWXVY^ aus V 15 in V 16c durch GKXLCWXVQP OJ CXRQNJVCKCXNN8 ersetzt wird. Unklar ist, ob GXP CWXVY^ in V 15 mit RKUVGWYP oder mit GEJ^ \YJPCKXYPKQP zu verbinden ist.201 Für die erste Lösung spricht die parallele Komposition von V 15 und V 16c, für die zweite Lösung hingegen die Tatsache, daß RKUVGWY im Joh sonst immer mit GKXL konstruiert wird, während GEY\YJP mit folgendem GXP auch in 20,31 belegt ist (vgl. 16,33). Nun ist allerdings zu beachten, daß die Konstruktion RKUVGWYGXPCWXVY^ nicht einfach mit RKUVGWYGKXLCWXVQP gleichzusetzen ist. Analog zur Immanenzformel (14,10f.20) rückt sie den Glaubensakt selbst in den Hintergrund und betont den Aspekt der bleibenden Gemeinschaft zwischen Glaubendem und Menschensohn („in ihm glauben“). Unter der Voraussetzung dieser Lesart liegen die beiden Lösungsvorschläge nahe beieinander. So könnte denn GXPCWXVY^ auch bewußt zwischen RKUVGWYP und GEJ^ plaziert sein: „Wer in ihm glaubt, hat in ihm ewiges Leben.“ Das Argumentationsgefüge läßt sich, ausgehend von V 16, folgendermaßen aufschlüsseln: Die Liebe Gottes zur Welt (V 16a) zielt auf die Rettung des Menschen, und zwar auf seine letztgültige Rettung (V 16c: OJ CXRQNJVCK CXNN8GEJ^ \YJPCKXYP KQP). Um dieses Ziel zu verfolgen, gibt Gott seinen einziggeborenen Sohn, damit (V 16c: K=PC) jeder, der an diesen glaubt (RKUVGWYP GKXL), letztgültige Rettung empfängt. Letztgültige Rettung ist jedoch an den Vollzug des Gerichts gebunden. Deshalb (Umkehrung der Konjunktion ICT, mit der V 16 an V 14f anschließt) muß der Menschensohn, der endzeitliche Richter, erhöht – und das Gericht vollzogen – werden (V 14b), damit (V 15: K=PC) jeder, der glaubt (RKUVGWYP),202 im Erhöhten letztgültig gerettet ist (GXPCWXVY^ GEJ^\YJPCKXYPKQP) bzw. damit jeder, der im Erhöhten glaubt (RKUVGWYPGXPCWXVY^), letztgültig gerettet ist (GEJ^\YJPCKXYPKQP). Die verschiedenen Elemente der Analyse zusammenfassend, kann der argumentative Duktus von 3,14–16 nun folgenderweise paraphrasiert werden: Das Gericht muß geschehen und der Menschensohn erhöht werden (V 14),203 damit jeder, der glaubt, im Erhöhten ewiges Leben hat (V 15). Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß er den einziggeborenen Sohn gab (V 16ab), damit jeder, der an diesen glaubt – und in der Geburt von oben

201 Mit RKUVGWYP verbinden GXP CWXVY^ Weder, Asymmetrie, 442; Frey, Mose, 184; Moloney, John, 95. Die Mehrzahl der Exegeten zieht GXP CWXVY^ zu GEJ^ \YJP CKXYPKQP (vgl. Bultmann, Joh, 109 Anm. 2; Barrett, John, 214; Schnackenburg, Joh I, 410; Hofius, Wunder, 64 Anm. 138; Blank, Krisis, 85; Becker, Joh I, 151; Léon-Dufour, Jean I, 304; Schwank, Joh, 111; Wilckens, Joh, 71). 202 Wird GXPCWXVY^ zu GEJ^\YJPCKXYPKQP gezogen, so steht RKUVGWYP ohne Objekt. V 16 bestimmt dann diesen Glauben als Glauben an den einziggeborenen Sohn. 203 Auch Num 21,4–9 handelt von einem Strafgericht bzw. thematisiert die Verschonung von diesem.

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zum Leben auferweckt wird –, nicht verloren geht, sondern (eben) ewiges Leben hat (V 16c). V 17–21 führen die Gerichtsthematik weiter aus. Die Hauptmomente der joh Gerichtsvorstellung kommen in dieser kurzen Passage klar zur Sprache. So ist das Gericht dem göttlichen Heilswillen sachlich streng nach- und untergeordnet.204 Nicht auf das Gericht der Welt, sondern auf ihr Heil zielt die Sendung des Sohnes (V 17; vgl. 12,47). Wer an den von Gott gesandten Sohn glaubt, wird nicht gerichtet, sondern gerettet, und wer nicht glaubt, ist bereits gerichtet (V 18; vgl. 12,48). Das Gericht besteht darin, daß der Unglaube sich vom Heil abwendet und auf seinem Unheil beharrt, daß er das (wahre) Leben ausschlägt und im „Tod“ bleibt. Es zeigt sich die streng christozentrische und vergeschichtlichte Konzeption der Eschatologie. „[D]ie Alternative Heil und Gericht fällt mit der Alternative Glauben–Nicht-Glauben zusammen, die damit zur entscheidenden Alternative überhaupt geworden ist.“205 Das Gericht ist an die Richterfunktion des Gesandten gebunden (V 17–19; vgl. 5,22.27; 8,26), die die Kehrseite seiner Funktion als Lebenspender darstellt.206 Beide Funktionen sind präsentisch gedacht (V 18: JFJ; vgl. 5,25; 12,31). Das Gericht erhält also ein doppeltes Subjekt: einerseits Jesus, der komplementär zu seiner Heilsoffenbarung die Möglichkeit des Unglaubens wirkt, andererseits der Unglaube, der sich als solcher vom eröffneten Lebensraum ausschließt. 2.3.2.2. Erhöhung und Unglaube (8,21–29) Auch die Erhöhungsaussage in 8,28 ist in einem Gesprächskontext lokalisiert, der immer wieder explizit vom Gericht bzw. vom Richten handelt (vgl. 8,15.16.26.50). Im Zentrum von 8,21–29 steht das Schicksal derer, die nicht glauben, daß Jesus nicht von dieser Welt, sondern von oben ist (V 23). Die Nicht-Glaubenden, die an ihrer Herkunft von unten festhalten (V 23a), werden nach Jesu Weggang aus der Welt ohne den Offenbarer zurückbleiben und vergeblich nach ihm suchen (V 21a); der von Gott Gesandte bleibt ihnen entzogen und mit ihm Gott selbst (V 21c). Sie sind es jedoch, die Jesu Weggang aus der Welt bewerkstelligen (vgl. V 28: WB[YUJVG, s.u.). In eigener Regie entledigen sie sich der Präsenz des Offenbarers und schließen sich vom Leben aus. So ziehen sie sich das Gericht zu und sterben in ihren Sünden (V 21b.24). Die Formulierung CXRQSCPGKUSGGXPVCKLCBOCTVKCKL (GXPVJ^CBOCTVKC^) WBOYP betont die Kontinuität zwischen sündigem Dasein des Menschen und seinem Sterben. Das Sterben ist nicht die Konsequenz der Sünde, sondern findet in der Sünde statt, in der der Mensch schon vor dem 204

Vgl. diesbezüglich Weder, Asymmetrie, 457–461. Blank, Krisis, 131 (im Original kursiv). 206 Vgl. Blank, Krisis, 88–108.158–164. „Die Richterfunktion ist also sachlich nichts anderes als die Kehrseite, die Komplementärfunktion zur Funktion des Lebenspenders.“ (ebd., 160) 205

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

Sterben steht. Das Dasein des Unglaubens endet dort, wo es sich schon immer abgespielt hat: im „Tod“ der Gottlosigkeit. Die Erhöhungsaussage in V 28a bestimmt diejenigen, die nicht glauben, nicht nur als Subjekt der Erhöhung des Menschensohns (Q=VCP WB[YUJVG), sondern hält auch fest, daß sie anläßlich der Erhöhung zur Erkenntnis der Identität Jesu gelangen werden (VQVGIPYUGUSGQ=VKGXIY GKXOK). Sie werden erkennen, daß er es ist und daß er in Einheit mit dem Vater handelt und redet (V 28b.29). Diese Aussage ist reichlich paradox, kennzeichnet die Erkenntnis der Identität Jesu (6,69) doch gerade den Glauben, kann also nicht ohne weiteres von Jesus seinen Gegnern, deren Verlorenheit er ohne Umschweife konstatiert (V 21.24), verheißen werden. Da die Erkenntnis dem Glauben nicht vorausgeht, sondern dessen „Strukturmoment“207 ist, kann nicht gefolgert werden, Jesus lasse offen, „wohin sie diese Erkenntnis führen wird, zum Glauben und Heil oder zu völliger Verstockung und endgültigem Verderben.“208 Schließlich gibt es auch keinen Grund, in V 28 einen Adressatenwechsel anzunehmen und das Subjekt im Q=VCP-Satz auf die Gegner Jesu, im VQVG-Satz dagegen auf die joh Gemeinde zu beziehen.209 Die paradoxale Struktur der Zukunftsansage, der Unglaube werde mit seiner Tat der Kreuzigung Jesu, die gerade sein Nicht-Erkennen (V 27) demonstriert, zur Erkenntnis der Identität Jesu gelangen, ist nicht aufzulösen. Sie kennzeichnet vielmehr die Erkenntnis Gottes, wie sie dem Unglauben im Gericht zuteil wird.210 In diesem Sinne als von „zum eigenen Gericht erkennen“ wird IKPYUMY auch in der LXX häufig verwendet.211 Diese Erkenntnis (vgl. auch 14,31) – sie wird in Kap. 18f narrativ entfaltet, so daß weiter unten, im zweiten exegetischen Kapitel, auf sie zurückzukommen ist212 – ist keine Glaubenserkenntnis, denn im Unterschied zu dieser erlangt das Subjekt sie unfreiwillig und bedeutet sie anstelle von Gottesgemeinschaft Gottesferne. Gegen seinen Willen wird der Unglaube erkennen, daß er den Menschensohn erhöht, den Richter der Welt; er wird erkennen müssen, daß er sich mit Jesu Kreuzigung des (wahren) Lebens entledigt und sich so sein eigenes Gericht zuzieht. 207

Bultmann, Joh, 333 Anm. 6; außerdem s.o. Abschnitt 2.2.6.1. Schnackenburg, Joh II, 257; vgl. Riedl, der von einer „geoffenbarten ‚Ich-bin‘-Erkenntnis“ (Riedl, Menschensohn, 365) spricht. 209 So Becker, Joh I, 349f; vgl. Barrett, John, 343f. 210 Vgl. Bultmann, Joh, 268; Schulz, Joh, 132. Auch Blank hält fest, daß es sich in 8,28 „um eine Gerichtsandrohung, um eine johanneische Analogie zu Mk 14,62“ (Blank, Krisis, 230) handle. 211 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 41 Anm. 106; Dauer führt als Belege für diese Bedeutung von IKPYUMY folgende Stellen an: Ps 9,21; 55,10; 58,14; 78,10; 82,19; 108,27; Jes 9,8; 26,11; 37,20; v.a. Ez 2,5; 6,13; 7,8.27; 12,15.16; 13,23; 20,26; 22,16; 23,49; 26,6; 28,22.23. Vgl. auch Kammler, der auf Ex 14,4 und Ez 28,22 verweist (Kammler, Geistparaklet, 129 Anm. 190). 212 S.u. die Auslegung zu den Stellen 18,6; 19,15.24 u.a. 208

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2.3.2.3. Erhöhung und der Herrscher der Welt (12,31f) Das doppelte PWP in 12,31 betont die nahe Präsenz des Gerichts, das mit Jesu Stunde der Verherrlichung und Erhöhung zusammenfällt (V 23b.27f.32). In der unmittelbar bevorstehenden Stunde der Verherrlichung des Menschensohns (V 23b) ereignet sich das Gericht über diese Welt (V 31a): Der Herrscher der Welt wird hinausgeworfen werden (V 31b); Jesus aber wird, von der Erde erhöht, alle zu sich ziehen (V 32). Das Gericht wird in dieser Passage als Herrschaftswechsel dargestellt.213 Während der Herrscher der Welt, dem die Menschen in ihrem Unglauben gehorchen, zur Welt hinausgeworfen wird, zieht der von der Erde Erhöhte und in die himmlische Herrschaft des Vaters Zurückgekehrte alle zu sich. Um die pragmatische Ausrichtung der Formulierung RCPVCL GBNMWUY RTQL GXOCWVQP zu bestimmen, kann auf 6,44 (G=NMY)214 oder/und auf 14,3 (RTQLGXOCWVQP)215 verwiesen werden. Die in 12,32 und in 6,44 beschriebenen Vorgänge stimmen zwar in ihrer Struktur überein – es geht jeweils um ein Gezogen-Werden –, bringen jedoch unterschiedliche Aspekte des Glaubensgeschehens zur Sprache. Während 6,44 den Akt des Zum-Glauben-Kommens thematisiert, der als ein Ziehen, d.h. als ein Geschenk Gottes, zu verstehen ist, erörtert 12,32 wie 14,3 den unverbrüchlichen Charakter der Gemeinschaft des Sohnes mit den zum Glauben Gekommenen. Die im Glauben empfangene Lebensgabe ist unzerbrechlich und letztgültig; kein Gericht vermag sie in Frage zu stellen. Der zum Gericht erhöhte Jesus zieht die Glaubenden vielmehr zu sich, in die Gemeinschaft des Erhöhten (vgl. 14,3). Sie werden vom Gericht über den Unglauben verschont und erhalten ewiges Leben. In 12,32 ist RCPVGL somit nicht in universalistischem, sondern in partikularem Sinne zu verstehen und auf die Glaubenden,216 diejenigen, die nicht ins Gericht kommen, zu beziehen. Den Herrscher der Welt (QB CTEYP VQW MQUOQW VQWVQW) erwähnt der Evangelist an zwei Stellen (12,32; 14,30); an drei weiteren spricht er vom Teufel oder Satan (6,70; 8,44; 13,27).217 Er personifiziert mit dieser als Gegenspieler Gottes auftretenden Figur die Macht der Sünde, die den Menschen in „Tod“ und Finsternis gefangenhält (8,44). Verstrickt in seinen irdischen Ursprung, gründet der Mensch sein Dasein nicht in Gott, sondern ist dem Herrscher dieser Welt untertan. Wer sich jedoch auf das befreiende Wort des Offenbarers einläßt und dem Herrscher der Welt seine Gefolgschaft aufkündigt, empfängt vom wahren Regenten der Welt, ihrem Schöpfer, Leben. 213

Vgl. Blank, Krisis, 286f; Becker, Joh II, 458ff. So Thüsing, Erhöhung, 28; Blank, Krisis, 291f; Schnackenburg, Joh II, 493; Becker, Joh II, 462f; Léon-Dufour, Jean II, 476; Wilckens, Joh, 195. 215 So Bultmann, Joh, 330f; Schnackenburg, Joh II, 493. 216 Vgl. Bultmann, Joh, 330f; Hofius, Wunder, 66. 217 13,2 gehört zur Endredaktion (s.u. Abschnitt 3.1.1.). 214

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Tod und Auferweckung Jesu. Die Christologie in Joh 1–12

In 14,30 kündigt Jesus den bevorstehenden Auftritt des Herrschers der Welt an (GTEGVCKICTQB VQW MQUOQWCTEYP) und erklärt, daß dieser nichts an ihm habe (GXPGXOQKQWXMGEGKQWXFGP). Wird diese Ankündigung mit der ursprünglich auf 14,30f folgenden Verhaftungsszene (18,1ff) in Beziehung gesetzt,218 so korrespondiert ihr der Auftritt von Judas, dem Verräter, der mit einer bewaffneten Truppe sowie Dienern der Hohenpriester und Pharisäer Jesus aufsucht (18,3: GTEGVCK), um ihn gefangenzunehmen. Der Herrscher der Welt findet seine Repräsentanten in den gegen Jesus agierenden Figuren des Unglaubens (vgl. 6,70; 8,44; 13,27). Doch vermag er das Licht nicht aus der Welt zu verbannen, denn der Sohn, der sein Leben vom himmlischen Vater empfangen hat, wird am Kreuz nicht getötet, sondern kehrt zum Vater zurück, von dem er gekommen ist.219 Als Erhöhter aber ruft er die Menschen weiterhin zum Glauben und ins Leben und bricht die Macht des Herrschers der Welt bis in alle Ewigkeit (12,31). Wie die Fortsetzung in 12,44ff zeigt, ergeht das Gericht über diejenigen, die den Offenbarer und sein befreiendes Wort nicht annehmen. Mit der Kreuzigung Jesu ziehen sie sich das Gericht zu, denn indem sie den Offenbarer zur Welt hinausstoßen, entledigen sie sich dessen, der die Auferstehung und das Leben ist. Der Unglaube lehnt das Angebot, in Gemeinschaft mit Gott zu leben, ab und verschließt sich in seiner Gottlosigkeit, im „Tod“. Diejenigen jedoch, die zum Offenbarer kommen und glauben, werden nicht hinausgeworfen (6,37), sondern der Erhöhte zieht sie zu sich, so daß sich ihr Leben bis in alle Zukunft in Gottes Gemeinschaft vollzieht (vgl. 14,3). 2.3.3. Das negative Fazit der öffentlichen Wirksamkeit Jesu (Joh 12,37–43) Bevor die von den Prolepsen des ersten Buchteils gezogenen Interpretationslinien im zweiten Buchteil weiter verfolgt werden, gilt es, den Abschluß des ersten Buchteils, der zugleich in den zweiten Teil überleitet, genauer zu betrachten. 12,37 markiert das Ende der Wundertätigkeit Jesu und hält gleichzeitig fest, daß diese nicht auf Glauben stieß. Wird noch einmal auf den ersten Buchteil zurückgeblickt, so zeigt sich, daß Kap. 2–11 die Selbstoffenbarung Jesu in Wort und Tat breit entfalten. Sie erzählen, wie Jesus sich in verschiedenen Zeichen und in immer wieder neuen Metaphern als der von oben Geborene, als der Einziggeborene offenbart, der die eschatologische 218

S.u. die literarkritische Argumentation in Abschnitt 3.3.2. Vgl. Becker, Joh II, 461: „Wer auf 5,26 verweist, kann erklären: Der Teufel vergreift sich an einem, der nicht getötet werden kann, weil er als einziger aus der himmlischen Welt stammt (3,13). Diese Machtüberschreitung ist sein Verderben. Er muß dem aus dem Himmel stammenden und dorthin nun legitimerweise zurückkehrenden Sohn gestatten, ‚Weg‘ für die Gläubigen zu sein (14,6).“ 219

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Heilsgabe für die Menschen ist. Ihn hat Gott aus dem „Tod“ der Gottlosigkeit zum Leben in seiner Gemeinschaft auferweckt. Auch wird geschildert, wie die Menschen auf diese Offenbarung antworten, ob sie sie annehmen oder ihr widersprechen. Allerdings wird der Unglaube bis 12,37 (QWXMGXRKUVGWQPGKXLCWXVQP) vom Erzähler nie explizit konstatiert;220 vielmehr macht Jesus ihn seinen Gegnern in der direkten Konfrontation zum Vorwurf (3,12; 6,36; 8,46 u.a.). Umgekehrt hält der erste Buchteil zwar etliche Male fest, daß die Jünger und andere an Jesus glaubten (2,11; 4,39.41.50.53; 7,31; 8,30; 10,42; 11,45; 12,11), doch sind auch die Antworten des Glaubens oft eigenartig in der Schwebe gehalten. So heißt es z.B. in 2,23, viele hätten an Jesus geglaubt, V 24 fügt dann jedoch hinzu, daß Jesus ihnen nicht traute, da er sie alle kannte und wußte, was im Menschen war. Oder in 6,66 wird erzählt, daß viele der Jünger von Jesus abfielen; auch sie sind ihm bekannt (V 64a). 8,30 wiederum behauptet, viele hätten an ihn geglaubt, doch die Fortsetzung des Gesprächs in 8,31ff führt diese Behauptung ad absurdum. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Der Erzähler konstatiert im ersten Buchteil immer wieder, daß an Jesus geglaubt wird, während er sich eines unmittelbaren Urteils über die Figuren, die die Antwort des Unglaubens repräsentieren, enthält. Auf der Erzählebene des ersten Buchteils wird keine Scheidung (MTKUKL) in Glaubende und Nicht-Glaubende vollzogen, obwohl mehrere ausführliche Passagen die Präsenz des Gerichts thematisieren und signalisiert wird, daß Jesus über Glaube und Unglaube der Menschen Bescheid weiß. Der Abschluß der Wundertätigkeit markiert diesbezüglich eine deutliche Zäsur. Nun wird, bevor sich Jesus noch ein letztes Mal seinen Jüngern offenbart und sie in ihrem Glauben bestärkt (13,1–14,31), der Unglaube der übrigen festgestellt (12,37) und mit zwei Jes-Zitaten (V 38.40) verbunden. Während V 38 anhand des Zitats von LXX Jes 53,1 die ratlose Frage stellt, wer denn überhaupt zum Glauben gelange,221 erklärt V 40 anhand Jes 6,10 die Unfähigkeit zu glauben (V 39) als Verstockungstat Gottes.222 Dieses zweite Zitat ist gegenüber der LXX und dem MT frei formuliert.223 Auffällig ist insbesondere, daß die Aussagen über das Verschließen der Ohren 220

Einzige Ausnahme ist 7,5, wo es heißt, seine Brüder hätten nicht an ihn geglaubt. Vgl. zum Zitat und seiner Ausrichtung Obermann, Erfüllung, 218–234. Zur Gottesknechtproblematik hält Obermann fest (ebd., 233): „Die Anklänge an das vierte Gottesknechtlied sind insgesamt zu schmal, als daß man von einer expliziten Identifizierung von Jesus mit dem Gottesknecht sprechen könnte.“ 222 Das Subjekt von VGVWHNYMGP und GXRYTYUGP wird von den meisten Exegeten auf Gott bezogen (vgl. Bultmann, Joh, 347 Anm. 2; Schnackenburg, Joh II, 519; Brown, John I, 486; Lindars, John, 438; Becker, Joh II, 477f; Léon-Dufour, Jean II, 491; Obermann, Erfüllung, 243–246; Schnelle, Joh, 208; Wilckens, Joh, 197f; Wengst, Joh II, 75; Dietzfelbinger, Joh I, 400). Blank identifiziert demgegenüber das Subjekt als den Teufel (Blank, Krisis, 301–305), womit der Bezug zum ursprünglichen Wortlaut des Jes-Textes – dort erhält der Prophet den Auftrag zur Verstockung von Gott – allerdings schwierig wird. 223 Vgl. Obermann, Erfüllung, 235f. 221

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fehlen, obwohl das Hören des Wortes Jesu im Joh das zentrale Element des Glaubens darstellt (1,37.40; 3,8; 4,42; 5,24f.37.47; 6,45.60.68 u.a.), wie ja überhaupt das Wort im Zentrum der Offenbarung steht und das Sehen allererst ermöglicht. Auf diese Auffälligkeit, daß Joh 12,40 lediglich die Verblendung der Augen sowie die Verstockung des Herzens erwähnt,224 ist nach dem folgenden Exkurs zurückzukommen. Die Unfähigkeit zu glauben In 8,43 erklärt Jesus seinen Gegnern, sie verstünden seine Sprache nicht, weil sie sein Wort nicht hören könnten (QWX FWPCUSG CXMQWGKP VQP NQIQP VQP GXOQP). Jesu Wort nicht hören zu können heißt, nicht glauben zu können. In 8,44 wird diese Unfähigkeit mit der Aussage verbunden, die Nicht-Glaubenden hätten den Teufel zum Vater; sie seien nicht aus Gott (8,47). Die Verantwortung für den Unglauben wird allerdings nicht dem Teufel zugeschrieben, sondern offengelassen. 8,44.47 konstatieren lediglich, daß der Nicht-Glaubende seine Herkunft nicht in Gott, sondern im Teufel hat, daß er seine Existenz also nicht im Schöpfer allen Lebens, sondern im Menschentöter (V 44) gründet und daß dies seinem Willen entspricht.225 Weshalb dies so ist, wird nicht geklärt. In 5,44 stellt Jesus seinen Gegnern die rhetorische Frage, wie sie denn glauben könnten (RYL FWPCUSG WBOGKL RKUVGWUCK), wo sie doch, ganz auf die Welt und ihre Normen fixiert, voneinander Ehre (FQZC) empfangen würden, statt die Ehre (FQZC) des alleinigen Gottes zu suchen. Auch hier wird die Unfähigkeit zu glauben nicht auf ein fremdes Subjekt, das sie verursacht hätte, zurückgeführt, sondern lediglich aufgezeigt, daß sie in der Struktur des Unglaubens selbst verankert ist. Wer nicht an den Offenbarer glaubt, sondern dessen Wort, nach den Maßstäben der Welt urteilend, für Lüge hält, kann sich aus dieser seiner Verstrickung nicht befreien. Wer nicht glaubt, kann gar nicht glauben. Diese Identifikation von Unglaube und Unfähigkeit zu glauben entspricht der Identifikation von Unglaube und Gericht, wie sie in 3,18b behauptet wird: QB FG OJ RKUVGWYPJFJMGMTKVCK Q=VKOJ RGRKUVGWMGPGKXL VQ QPQOC VQW OQPQIGPQWL WKBQW VQW SGQW. Wer nicht glaubt, ist bereits gerichtet, denn er hat nicht an den einziggeborenen Sohn Gottes geglaubt, d.h. er hat die Lebensgabe ausgeschlagen. Als Gerichteter aber kann der Nicht-Glaubende gar nicht zum Glauben gelangen. So hält auch 9,39 fest, daß das Gericht über den Unglauben das Blindwerden der (vermeintlich) Sehenden bedeutet (vgl. 12,40: VGVWHNYMGP CWXVYP VQWL QXHSCNOQWL).226 Im Gericht gibt es keine Umkehr und keine Heilung durch den Sohn Gottes (12,40: K=PCOJ […] UVTCHYUKP MCKKXCUQOCKCWXVQWL).

Vor diesem Hintergrund, daß das Nicht-glauben-Können eng mit dem Gerichtsgedanken zusammenhängt, ist auch die Verstockungsaussage, die der Evangelist in 12,39f anhand des Jes-Zitats macht, zu verstehen. Sie reflek224 Außerdem setzt das Joh im Unterschied zum MT und der LXX die Verblendung der Augen vor die Verstockung des Herzens und identifiziert unmittelbar Gott als den Verstokkenden (s.o. Anm. 222). 225 Der Nicht-Glaubende will die Begierden des Teufels tun (SGNGVG RQKGKP). Vgl. auch Blank, Krisis, 238–241. 226 Zu 9,39 s.o. Abschnitt 2.2.4.3.

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tiert die Situation der Nicht-Glaubenden im Gericht: Wie dem Gericht ein doppeltes Handlungssubjekt zukommt – Gottes Gericht ergeht als das Selbstgericht des Unglaubens –,227 so ist auch die Verstockung sowohl Gottes Tat als auch die eigene Tat der Nicht-Glaubenden.228 Daß der Evangelist mit der Verstockungsaussage nicht den Unglauben selbst begründet und determiniert,229 sondern dessen Gerichtsaspekt fokussiert, widerspiegelt sich im Sachverhalt, daß er die Aussage über das Verschließen der Ohren wegläßt (s.o.). Die Frage, weshalb es Menschen gibt, die das Wort des Offenbarers nicht hören und ihr Dasein in der Welt statt in Gott gründen (8,43f.47), wird auch von der Verstockungsaussage nicht beantwortet. 2.3.4. Die Ankunft der Stunde des Gerichts Die Untersuchung der Prolepsen des ersten Buchteils hat gezeigt, daß die Stunde der Verherrlichung und Erhöhung Jesu mit der Stunde des Gerichts über den Unglauben zusammenfällt. Die Kreuzigungserzählung entfaltet narrativ das in den Reden des Offenbarers thematisierte Gericht: Wer glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist bereits gerichtet (3,18). Das Adverb PWP und das Substantiv Y=TC, die an der Schnittstelle Kap. 12/ Kap. 13 mehrmals auftreten und die Zäsur zwischen erstem und zweitem Buchteil markieren (12,23.27.31; 13,1.31), signalisieren denn auch, daß die Verherrlichung Jesu (12,23.27f; 13,31) bzw. sein Weggang aus der Welt zum Vater (13,1) und das Gericht über die Welt (12,31a) bzw. der Hinauswurf ihres Herrschers (12,31b) ein und dasselbe Ereignis bilden. Außerdem machen sie darauf aufmerksam, daß das folgende Geschehen ein geschlossenes ist, das zu einem ganz bestimmten Moment eintritt.230 In der Stunde des Gerichts, da Jesus die Welt verläßt und zum Vater zurückkehrt, geht es nicht mehr darum, die Lebensgabe zu entfalten und zum Glauben zu rufen;231 denn der Mensch findet nicht in der Begegnung mit dem Richter, 227

S.o. den Schluß von Abschnitt 2.3.2.1. Insofern ist das Subjekt von VGVWHNYMGP und GXRYTYUGP denn auch tatsächlich nicht eindeutig (s.o. Anm. 222). 229 So die unter Anm. 222 (s.o.) aufgeführten Exegeten. 230 Frey stellt fest, daß sich das Erzähltempo „auf die ‚Stunde Jesu‘ hin stetig verlangsamt, so daß mit dem Eintreten dieser ‚Stunde‘ die erzählte Zeit fast stehenzubleiben scheint“ (Frey, Eschatologie II, 288). Blank spricht von einer „Ereignis-Ganzheit“ (Blank, Krisis, 139). 231 Dies wird bereits daran deutlich, daß wichtige Vokabeln aus Kap. 1–12 wie HYL (23x in Kap. 1–12) oder \YJ (32x) in den folgenden Kapiteln nicht mehr auftauchen. Die einzigen Ausnahmen in bezug auf \YJ sind 14,6 (Abschiedsrede), 17,2.3 und 20,31 (Buchschluß). Die Vokabel fehlt in Kap. 18f ganz. Auch RKUVGWY, ein Verb, das hundertmal im Joh vorkommt, wird nur ein einziges Mal in der Kreuzigungserzählung verwendet (19,35). Die Auslegung von Kap. 18f wird noch ausführlicher aufzeigen, daß in der Kreuzigungserzählung der Ruf zum Glauben fehlt. 228

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sondern in der Begegnung mit dem Auferstandenen (Kap. 1–12) zum Glauben. Im Gericht geht es einzig und allein darum, die Scheidung in Glaubende und Nicht-Glaubende zu vollziehen. Der Aufriß des zweiten Buchteils widerspiegelt diese Scheidung: Während sich Jesus in Kap. 13f ein letztes Mal seinen Jüngern zuwendet, werden diese bei seiner Verhaftung entlassen (18,8). In Kap. 18f sind Jesu Gegner die unmittelbaren Handlungsträger des Geschehens: Sie offenbaren mit der Kreuzigung Jesu ihren Unglauben, stoßen Gottes Sohn, der das Leben ist, zur Welt hinaus und bleiben ohne Gott, im „Tod“ zurück. Wie Kap. 13–20 dieses Selbstgericht des Unglaubens narrativ entfalten und welche Tragweite für den Glauben sie der Kreuzigung Jesu beimessen, zeigt die Exegese des zweiten Buchteils.

3. Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die narrative Entfaltung der johanneischen Eschatologie in Joh 13–20

3.1. Einleitung Die exegetische Analyse des ersten Buchteils des Joh (Kap. 1–12) hat gezeigt, daß der Evangelist den irdischen Jesus in reflektierter Weise als den Auferstandenen präsentiert. Mitten unter den in ihre irdische Herkunft verstrickten Menschen tritt der Sohn einer irdischen Mutter auf und offenbart sich als Sohn des himmlischen Vaters. Mitten im „Tod“ erscheint die Auferstehung und das Leben, mitten in der Finsternis scheint das Licht. Jesus von Nazaret behauptet, vom Himmel herabgestiegen zu sein; er offenbart seine göttliche FQZC und ruft die „Toten“ zum Leben. Wer sein Wort hört und an ihn als den einziggeborenen Sohn Gottes glaubt, wird von oben geboren und erhält ewiges Leben. Wer jedoch sein eigenes Wort über das Wort Jesu stellt und nicht glaubt, daß dieser Sohn irdischer Eltern Gottes Sohn ist, schließt sich mit dieser Antwort vom eröffneten Lebensraum aus und verharrt im „Tod“. Der erste Buchteil widmet sich der Offenbarung Jesu in Worten und Zeichen. Es wird erzählt, wie die einen zum Glauben an Jesus gelangen, die anderen aber seinem Wort widersprechen, sich von ihm abwenden und seine Tötung beschließen. Bereits der erste Buchteil weist in Prolepsen auf Jesu Stunde der Erhöhung, Verherrlichung und Rückkehr zum Vater voraus und identifiziert diese Stunde mit der Stunde des Gerichts über die Welt. Wie diese Interpretationslinien im zweiten Buchteil fortgeführt werden, wird nun im vorliegenden Kapitel untersucht. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach dem inneren Zusammenhang von Jesu Rückkehr zum Vater und dem Gericht über die Welt. Doch nicht nur die Kehrseite der Lebensgabe Jesu, das Gericht, wird in Kap. 13–20 erörtert, sondern auch die Frontseite der Kehrseite, die Verschonung der Glaubenden vom Gericht: Die Bedeutung der Kreuzigung Jesu für die Glaubenden bringt der zweite Buchteil insofern zur Sprache, als er die Zukunft thematisiert, die sich mit der Rückkehr des Offenbarers zum Vater öffnet: Die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes bedeutet eschatologische Gottesgemeinschaft.

124 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 3.1.1. Die Einleitung des zweiten Buchteils (Joh 13,1–3) Die Einleitung des zweiten Buchteils, die zugleich die Einleitung der Fußwaschungserzählung bildet, stellt wie letztere selbst vor exegetische Schwierigkeiten, die sich nur mit literarkritischen Operationen befriedigend lösen lassen. Die aneinandergereihten Partizipialkonstruktionen, die Dublette V 1a/V 3 (GKXFYL…) sowie die Spannung zwischen V 2 und V 27 deuten auf verschiedene Redaktionsschichten hin.1 Die Bemerkung über Judas in V 2, die mit V 27 konkurrenziert,2 und die Wiederaufnahme von V 1a in V 3 sind der Endredaktion zuzuweisen.3 Da V 1b (CXICRJUCL MVN.) sehr umständlich an V 1a anschließt,4 ist außerdem damit zu rechnen, daß auch dieser Teilvers erst später in die Einleitung eingefügt wurde. In bezug auf die resultierende Lösung, V 1b–3 – eventuell ohne die Angabe FGKRPQWIKPQOGPQW – der Endredaktion zuzurechnen,5 ist allerdings zu erwägen, ob der erste Q=VK-Satz in V 3 nicht zur Redaktionsschicht des Evangelisten zu ziehen ist; er könnte ursprünglich mit einem MCK an V 1a angeschlossen haben.6 Die Einleitung der Kreuzigungserzählung im Werk des Evangelisten lautete also folgendermaßen: „Vor dem Passafest, da Jesus wußte, daß seine Stunde, aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen, gekommen war (und daß ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte), stand er während eines Mahls auf…“ Nach 12,27ff wird in der Einleitung des zweiten Buchteils erneut die Ankunft der Stunde Jesu betont (13,1a), die mit dem Passafest zusammenfällt. Es ist die Stunde der Rückkehr zum Vater. Der Partizipialsatz (GKXFYL…), der in 18,4 und 19,28 zwei Parallelen hat, unterstreicht die Souveränität Jesu dem bevorstehenden Geschehen gegenüber. Jesus weiß um dieses Geschehen und darum, daß es ganz in seinen Händen liegt (V 3a: 1 Vgl. u.a. Bultmann, Joh, 351–353; Schnackenburg, Joh III, 7.10–15; Becker, Joh II, 499–502; Segovia, Footwashing, 36.39–42. 2 Während nach 13,27 der Satan erst in Judas fährt, als Jesus diesem den Bissen reicht, wird in 13,2 betont darauf hingewiesen, daß der Teufel, als jenes Essen stattfand, bereits (JFJ) von Judas Besitz ergriffen hatte. 3 Vgl. die Dublette in V 3b (GKXFYL […] Q=VKCXRQ SGQW GXZJNSGPMCK RTQLVQPSGQPWBRCIGK) zu V 1a (GKXFYL […] Q=VK JNSGP CWXVQW JB Y=TC K=PC OGVCDJ^ GXM VQW MQUOQW VQWVQW RTQL VQP RCVGTC). 4 Das Prädikat des Satzes (JXICRJUGP) tritt insbesondere in ein eigenartiges Verhältnis zur Zeitangabe RTQFGVJLGBQTVJLVQWRCUEC. 5 Zu dieser Lösung vgl. die ausführlichen Begründungen bei Segovia, Footwashing, 39– 42 (V 1a entspricht in Segovias Zählung V 1a.b); Becker, Joh II, 499–502. 6 Im Unterschied zu V 3b ist V 3a keine Dublette zu V 1. Die Aussage korrespondiert gut mit 18,4 und 19,28 (jeweils: GKXFYL […] RCPVC). Sie muß nicht aus derselben Hand wie 3,35 (QB RCVJT […] RCPVC FGFYMGP GXP VJ^ EGKTK CWXVQW) stammen – eine Textstelle, die nicht auf den Evangelisten zurückgeht (vgl. Becker, Joh I, 153f.185–187) –, sondern 3,35 kann auch in Anlehnung an 13,3 formuliert worden sein.

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Einleitung

RCPVC; vgl. 18,4; 19,28). Die Einleitung des zweiten Buchteils versieht also die folgenden Erzählungen mit drei Vorzeichen: 1. Die bevorstehende Stunde ist im Kontext des Passafestes situiert. 2. In ihr ereignet sich der Weggang Jesu aus dieser Welt zum Vater. 3. Diesem Ereignis steht Jesus in absoluter Souveränität gegenüber. In den folgenden Abschnitten gilt es, die hermeneutische Tragweite dieser Interpretamente und ihre Verknüpfung untereinander zu untersuchen. 3.1.2. Der Aufbau des zweiten Buchteils Bereits die klare Struktur des zweiten Buchteils weist darauf hin, daß das Joh die Kreuzigung Jesu unter verschiedenen Aspekten darstellt. Geht es in der Fußwaschungsperikope (Kap. 13) und in den anschließenden Abschiedsreden (Kap. 14.15–17) um eine letzte Belehrung der Jünger, so werden diese in 18,8 entlassen.7 Die Erzählung der Verhaftung, des Prozesses und der Kreuzigung Jesu (Kap. 18f) entfaltet die Auseinandersetzung Jesu mit seinen Gegnern, der nichtglaubenden Welt. Erst in Kap. 20 treten die Jünger wieder auf.8 Bultmanns Charakterisierung der beiden Buchteile als „die Offenbarung der FQZC vor der Welt“ einerseits (Kap. 2–12) und als „die Offenbarung der FQZC vor der Gemeinde“ andererseits (Kap. 13–20)9 ist insofern unzutreffend, als im zweiten Buchteil gerade die Welt eine zentrale Rolle spielt, wenn sie auch nicht als Offenbarungsempfängerin, sondern ihrerseits als Offenbarerin auftritt: Indem sie Jesus kreuzigt, bekennt sie ihren Unglauben. Doch auch in bezug auf Kap. 13–17, wo Jesus seine Jünger unter Ausschluß der Öffentlichkeit belehrt, ist Bultmanns Überschrift „Offenbarung der FQZC vor der Gemeinde“ problematisch, denn in diesen Kapiteln offenbart Jesus nicht seine FQZC, wie er dies in Kap. 2–12 getan hat, sondern das Thema seiner Reden ist nun die eschatologische Tragweite seiner bereits ergangenen FQZC-Offenbarung bzw. die Zukunft der Jünger, wie sie sich nach seinem Weggang zum Vater gestaltet. Die FQZC-Offenbarung 7 Als geschlossene Gruppe treten Jesu Jünger zum ersten Mal in 2,2 (QKB OCSJVCK CWXVQW) auf und werden dann bis 18,1 kontinuierlich als Jesu Begleiter erwähnt. In 18,8 entläßt sie Jesus (s.u.), worauf sie erst in 20,18f wieder als geschlossene Gruppe auftreten. 8 Die Episode der Verleugnung durch Petrus, die das Verhör Jesu vor Hannas umrahmt (Joh 18,15–18.25–28), erzählt vom Versagen des unverständigen Jüngers, der Jesus gerade zum falschen Zeitpunkt folgen will (vgl. die Verleugnungsansage in 13,36–38). Die Endredaktion durchbricht das vom Evangelisten konsequent gestaltete Schema, gemäß dem die Jünger in 18,8 von der Bildfläche verschwinden und erst ab 19,38 wiederauftauchen, und stellt in 19,25–27 den Lieblingsjünger und die traditionelle Frauengruppe an den Fuß des Kreuzes (vgl. 19,35). Zur literarkritischen Argumentation s.u. die Exkurse in den Abschnitten 3.2.4.3. und 3.2.4.5. 9 Bultmann, Joh, 77.348. 

126 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 selbst ist jedoch Gegenstand des ersten Buchteils und wird im zweiten Buchteil nicht weiter entfaltet, sondern vorausgesetzt. Der vorliegende zweite Hauptteil der exegetischen Analyse gliedert sich in zwei Unterabschnitte. Der folgende Abschnitt zur Kreuzigungserzählung erörtert den Paradigmenwechsel vom Offenbarer Jesus in Kap. 2–12 zur Offenbarerin Welt in Kap. 18f und untersucht, in welche Richtung die Erzählung die von den Prolepsen des ersten Buchteils gezogenen Interpretationslinien weiterentfaltet. Ein zweiter Abschnitt analysiert die Passagen, die Kap. 18f einrahmen: die Fußwaschungsperikope (Kap. 13,1–30), die erste Abschiedsrede (Kap. 13,31–14,31) und die Ostererzählung (Kap. 20). Die Exegese dieser Textabschnitte erörtert die Bedeutung, die Jesu Weggang aus der Welt zum Vater für die Gemeinde der Glaubenden hat. Dieses Vorgehen, das die Auslegung von Kap. 18f derjenigen von Kap. 13f voranstellt, ist insofern durch den Text selbst begründet, als Jesus sowohl in 13,7 als auch in 14,29 erklärt, seine Fußwaschungshandlung bzw. seine Abschiedsrede werde erst im nachhinein verstanden. Die von der Fußwaschung und der Abschiedsrede reflektierte Bedeutung der Kreuzigung Jesu für die Jüngergemeinde kann erst erfaßt werden, wenn das Kreuzigungsgeschehen selbst sich ereignet hat.10 In bezug auf die Auslegung des Joh heißt dies aber, daß die Kreuzigungserzählung (Kap. 18f) den Schlüssel zum Verständnis von Kap. 13f liefert; deshalb wird ihre Interpretation derjenigen von Kap. 13f vorgezogen. Der vorausweisende Charakter von Kap. 13f wird allerdings dennoch respektiert, geht es doch nicht darum, den Aufriß des Evangeliums zu ignorieren, sondern die exegetischen Ergebnisse in einfacher Form zu präsentieren.

3.2. Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f) Das negative Fazit, das den ersten Buchteil abschließt, leitet über in den zweiten Buchteil, der von der Stunde des Gerichts über die Welt handelt (12,31f).11 In dieser Stunde wirft der Erhöhte und Verherrlichte den Herrscher der Welt hinaus und zieht die Glaubenden in seine ewige Gemeinschaft. Während Jesus in 13,1–14,31 im Gespräch mit seinen Jüngern diese eschatologische Gottesgemeinschaft thematisiert, bricht er in 14,30f seine Rede ab und macht sich mit den Jüngern auf – dem Herrscher der Welt ent10 11

Vgl. die ähnliche Struktur der footnotes (s.o. Abschnitt 2.2.1.1.). S.o. Abschnitt 2.3.3. und 2.3.4.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

127

gegen. Die ursprünglich auf 14,31 folgenden Kap. 18f schildern die Auseinandersetzung Jesu mit dem Herrscher der Welt.12 In der Mitte dieses Abschnitts steht der Gerichtsprozeß vor Pilatus, in dessen Verlauf deutlich wird, daß der Angeklagte in Wahrheit der Richter ist, vor dem die Ankläger sich verantworten müssen.13 3.2.1. Die Komposition der Kreuzigungserzählung Der Erzählzusammenhang von Kap. 18f wird durch eine Inklusion deutlich markiert: Sowohl der Beginn als auch das Ende der Kreuzigungserzählung handeln in einem Garten (18,1; 19,41: MJRQL).14 Der Tagesverlauf gliedert die beiden Kapitel in drei Hauptteile: Während die Verhaftung und das Verhör vor Hannas sowie parallel zu diesem die Verleugnung durch Petrus in der Nacht stattfinden,15 erstreckt sich der Prozeß vor Pilatus vom frühen Morgen (18,28: JP FG RTYK), da Jesus an Pilatus überführt wird, bis zur Mittagsstunde (19,14: Y=TCJPYBLG=MVJ), zu der Pilatus das Urteil fällt. Die Kreuzigung und das Begräbnis Jesu finden in der zweiten Tageshälfte statt, zwischen Mittag und Sonnenuntergang.16 Diese drei Hauptteile lassen sich anhand der wechselnden Schauplätze und Personenkonstellationen weiter untergliedern, wobei die resultierenden Szenen untereinander verschiedene Beziehungen eingehen und Muster bilden. Der folgende, schematisch dargestellte Gliederungsvorschlag wird in

12 Zur literarkritischen Operation, die Kap. 15–17 der Endredaktion zuschreibt, s.u. die Argumentation zu Beginn des Abschnitts 3.3.2. 13 Blank widmet in seiner Monographie „Krisis“, die sich ausführlich mit dem Gericht im Joh beschäftigt, der Kreuzigungserzählung in Kap. 18f keine besondere Aufmerksamkeit. Seine Untersuchung stützt sich auf die Passagen des ersten Buchteils, in denen explizit vom Gericht (MTKUKL,MTKPGKP,MTKOC) die Rede ist (Kap. 3.5.8.9.12), sowie auf 16,4b–11, die einzige explizite Gerichtspassage im zweiten Buchteil. 14 Daß dem Gartenmotiv eine symbolische Komponente zukommt, läßt sich kaum bestreiten. Jesus tritt seinen Feinden, die ihn verhaften und schließlich kreuzigen, aus einem Garten heraus (18,4) entgegen. Nach der Kreuzigung wird Jesu Leichnam königlich begraben: wiederum in einem Garten (19,38ff ). In 18,8 werden die Jünger nach ihrer letzten Zusammenkunft mit Jesus im Garten entlassen; in 19,38ff tauchen wieder Jünger auf, die Jesus im Garten bestatten. Jesu Feinde dagegen agieren nur außerhalb des Gartens. Die Konnotation des Paradiesgartens oder zumindest eines geschützten, heilen Ortes liegt nahe (vgl. auch Giblin, Confrontations, 218). Weitergehende symbolische Interpretationen des Gartenmotivs, wie sie z.B. Manns vorschlägt (Manns, symbolisme), sind jedoch allzu hypothetisch. 15 Vgl. in 13,30 die Zeitangabe JPFG PWZ. Auf die Nacht verweisen auch die Stichworte HCPQL und NCORCL in 18,3 sowie das wärmende Kohlenfeuer in 19,18.25. Schließlich markiert der Hahnenschrei in 19,27 das Ende der Nacht bzw. den Tagesanbruch. 16 19,31.42: Der neue Tag beginnt mit dem Sonnenuntergang.

128 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 den entsprechenden exegetischen Abschnitten jeweils näher erläutert und begründet.17 I

Nacht Verhaftung Überführung an Hannas

18,13–14

18,15a.17–18[.15b–16]

Verhör vor Hannas

18,19–23

Überführung an Kaiphas

Tagesanfang bis Tagesmitte Überführung ins Prätorium

Erster Prozeßakt Anklage Verhör Amnestievorschlag Geißelung

Zweiter Prozeßakt Erneute Anklage Erneutes Verhör Urteil Urteilsvollstreckung

III

18,1–8.10–12[.9]

Petri Verleugnung I

Petri Verleugnung II

II

18,1–27

Tagesmitte bis Tagesende Urteilsvollstreckung

18,24

18,25–27

18,28–19,16a 18,28

18,29–19,3 18,29–31[.32] 18,33–38a 18,38b–40 19,1–3

19,4–16a 19,4–8 19,9–12a 19,12b–15 19,16a(–18)

19,16b–42 19,16b–18

Königlicher Titulus

19,19–22

Handlung der Soldaten I

19,23–24a

Schriftzitat I

19,24b

[Lieblingsjünger

19,24c–27]

Die Vollendung

19,28–30

Bittgesuch zur Kreuzesabnahme I

Handlung der Soldaten II Schriftzitat II

[Augenzeuge Bittgesuch zur Kreuzesabnahme II

Königliches Begräbnis

19,31

19,32–34 19,36–37

19,35] 19,38

19,39–42

17 In eckigen Klammern stehen diejenigen Passagen, die auf die Endredaktion des Evangeliums zurückgehen. Zur literarkritischen Begründung vgl. die Argumentation in den entsprechenden Abschnitten.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

129

3.2.2. Verhaftung und Verhör vor Hannas (Joh 18,1–27) Jesu Verhaftung und sein Verhör vor Hannas finden in der Nacht statt. In 3,19f betont Jesus, daß diejenigen, deren Werke böse sind, das Licht hassen und es vorziehen, im Dunkeln zu agieren. So schreitet der Herrscher der Welt in der Nacht zur Tat;18 doch gelingt es seinen Knechten nicht, ihr Werk im Verborgenen zu halten, sondern mit Anbruch des Tages (18,28ff) wird dieses offenbar und sie selbst werden zur Rechenschaft gezogen.19 3.2.2.1. Die Verhaftungsszene (18,1–12) Die Verhaftungsszene (18,1–12) bildet den Auftakt zur joh Kreuzigungserzählung. Das Gebet Jesu in Gethsemane bzw. am Ölberg, das in den synoptischen Evangelien der Verhaftung vorausgeht (Mk 14,32–42 parr) und die tiefe Erschütterung Jesu angesichts seiner bevorstehenden Kreuzigung thematisiert, findet im Joh keine Erwähnung, obwohl die ursprüngliche Exposition der joh Verhaftungsszene (14,30f)20 mit dem Abschluß der synoptischen Gethsemaneperikope (vgl. Mk 14,42 par Mt) korrespondiert. Aus den Anspielungen in 18,11b (vgl. Mk 14,36 parr) und 12,27 (vgl. Mk 14,34f par Mt) kann denn auch geschlossen werden, daß die Tradition dem Evangelisten in irgendeiner Form bekannt war,21 daß er sie also bewußt nicht breiter entfaltete. Die folgende Auslegung der Verhaftungsszene zeigt, daß eine Erschütterung Jesu nicht ins joh Konzept gepaßt hätte, das den Sohn Gottes als Souverän seines Geschicks darstellt. In 14,30f erklärt Jesus seinen Jüngern, er werde nun nicht mehr viel mit ihnen reden, da der Herrscher der Welt komme, und fordert sie auf, mit ihm aufzubrechen. Der in die direkte Konfrontation mit Jesus mündende Auftritt des Herrschers der Welt (18,3–7) und die Entlassung der Jünger (18,8) stehen in der Verhaftungsszene, die ursprünglich an 14,30f anschloß, im Vordergrund. Die Jüngerentlassung: 18,1 erzählt, wie Jesus mit seinen Jüngern aufbricht und in einen Garten jenseits des Kidron geht. Die Jüngerbegleitung 18 Vgl. 13,30, wo es im Anschluß an die Szene, in der der Satan in Judas fährt (V 27), heißt: JPFGPWZ. Es handelt sich um dieselbe Nacht, in der Jesus verhaftet wird. Zum nächtlichen Auftritt des Herrschers der Welt in 18,3ff s.u. Anm. 42. 19 Zum Symbolgehalt des Begriffpaars Licht/Finsternis vgl. auch Culpepper, Anatomy, 190–192. 20 Die konsistente Thematik der Abschiedsreden in 13,31–17,26 vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, daß verschiedene Redaktoren an ihnen gearbeitet haben: Kap. 15–17 sind nicht das Werk des Evangelisten, sondern ein Einschub von späterer Hand (s.u. die Argumentation zu Beginn des Abschnitts 3.3.2.). 21 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 46–48. Beide Anspielungen kehren die theologische Stoßrichtung der Gethsemanetradition um (s.u. die Argumentation bei der Auslegung von 18,11b).

130 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 wird durch ihre doppelte Erwähnung betont: UWPVQKLOCSJVCKLCWXVQW und MCK QKB OCSJVCK CWXVQW. Begleiteten die Jünger Jesus, seit er ihnen zum ersten Mal begegnet war (1,35–51), auf seinem Weg,22 so treten sie nun bis Ostern (20,19) nicht mehr als geschlossene Gruppe auf. Ihr Abgang wird vom Text eigens thematisiert: In 14,30f erklärt Jesus den Jüngern, er werde nicht mehr viel mit ihnen reden, da der Herrscher der Welt komme; in 18,8 ordnet er ihre Entlassung an, indem er die zu seiner Verhaftung ausgerückte Truppe auffordert, sie gehen zu lassen. Diese Aufforderung steht in deutlichem Kontrast zur synoptischen Jüngerflucht (vgl. Mk 14,50 par Mt): Jesus wird von seinen Jüngern nicht verlassen, sondern er ordnet ihren Abgang an.23 Dieses joh Erzählmoment betont nicht nur die Souveränität Jesu dem Kreuzigungsgeschehen gegenüber,24 sondern weist auch darauf hin, daß die Jünger von diesem Geschehen nicht unmittelbar betroffen sind, fordert sie doch Jesus nicht zur Begleitung auf, sondern entläßt sie bzw. sorgt für ihre Entlassung.25 Bereits in 14,30, als er mit ihnen zum Garten aufbrach, ließ er sie wissen, daß er nun nicht mehr viel mit ihnen reden wird. Mit der folgenden Auseinandersetzung zwischen ihm und seinen Gegnern haben die Jünger nichts zu tun. Das Erfüllungszitat in 18,9 Das in 18,9 folgende Erfüllungszitat, das sich auf ein Jesuswort bezieht, ist der Endredaktion zuzuordnen.26 Nicht nur ist die Erfüllungsformel für ein Jesuswort ungewöhnlich – die einzige weitere Stelle (18,32) deutet ebenfalls auf die Endredaktion hin –, auch gehört die zitierte Stelle selbst (6,39; vgl. 10,28; 17,12) zur Endredaktion.27 Die Einfügung knüpft jedoch an die Aussageabsicht des Evangelisten an und verdeutlicht einen weiteren Aspekt: Bereits die zitierte Aussage von 6,39 – Jesus werde keinen von denen, die ihm der Vater gegeben habe, verloren gehen lassen – nimmt eine Formulierung des Evangelisten aus 6,37 auf: Alles, was der Vater Jesus gibt, wird zu ihm kommen, und wer zu ihm kommt, den wird er nicht hinauswerfen. Die gerichtsterminologischen Wendungen QWXM CXRQNNWOK (6,39) und QWXM GXMDCNNY GZY (6,37) entsprechen einander. In der mit der Verhaftungsszene anbrechenden Stunde, zu der der Herr-

22

Vgl. 2,2.12; 3,22; 4,8.27; 6,3.16; 9,2; 11,7; 13,5. Vgl. Bultmann, Joh, 495. 24 Vgl. Richter, Gefangennahme, 75f. Die Auslegung von 18,4–7 (s.u.) wird auf weitere Elemente hinweisen, die Jesu Souveränität betonen. 25 Der Gedanke, daß Jesus sich stellvertretend für die Jünger ausliefert (so Knöppler, theologia crucis, 215; vgl. Barrett, John, 520f; Senior, Passion, 53; O’Day, John, 802; Smith, Theology, 118; Wengst, Joh II, 203), kommt mit keinem Wort zur Sprache. Außerdem widerspricht diese Interpretation dem Erzählverlauf, suchen doch die ausgerückten Soldaten, wie sie zweimal beteuern, gerade Jesus, nicht die Jünger, für die sich Jesus dann stellvertretend ausliefern könnte. 26 Vgl. Becker, Joh II, 645. Zur Gegenposition vgl. insb. van Belle, accomplissement. 27 S.o. in Kap. 2 Anm. 158. 23

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

131

scher der Welt hinausgeworfen wird (12,31: GXMDCNNYGZY), werden die Jünger von ebendiesem Schicksal verschont.28

Behauptete Petrus in 13,37, um keinen Preis von Jesu Seite zu weichen, so läßt er sich nun, da Jesus die Entlassung der Jünger anordnet, konsequenterweise nicht von ihm trennen, sondern greift zum Schwert (18,10). Indem der Evangelist den unbekannten Streiter der Tradition (vgl. Mk 14,47 parr) mit Simon Petrus identifiziert,29 vervollständigt er das Bild dieses Jüngers, der die Notwendigkeit und den Gewinn der bevorstehenden Trennung nicht versteht: In 13,6.8 wehrte sich Petrus dagegen, daß Jesus ihm die Füße wäscht, und in 13,37 wollte er nicht akzeptieren, daß er Jesus jetzt nicht folgen kann.30 Seine Ignoranz führt schließlich, wie in 13,38 angekündigt, zur Verleugnung Jesu bzw. zur Verleugnung seiner Jüngerschaft (18,15–18.25– 27).31 In 18,11 weist Jesus Petrus mit dem Befehl zurück, das Schwert in die Scheide zu stecken, und macht mit einer rhetorischen Frage deutlich, daß es keinen Grund gibt, den ihm vom Vater gegebenen Kelch32 nicht zu trinken. Die Gethsemanetradition in 12,27 und 18,11 Das Kelchwort Jesu in 18,11 bezieht sich wie bereits sein Wort in 12,27 auf die Gethsemanetradition (Mk 14,32–42 parr).33 In 12,27 (vgl. Mk 14,34f par Mt) und in 18,11 (vgl. Mk 14,36 parr) weist Jesus die Möglichkeit zur Rettung vehement zurück. Eine rhetorische Frage nimmt jeweils die Gethsemanetradition auf. Die theologische Stoßrichtung der beiden Gebetssätze des Mk und diejenige der beiden Fragen des Joh sind einander diametral entgegengesetzt: Die Möglichkeit zu beten, daß die Stunde an ihm vorübergehe (Mk 14,35b: K=PC GKX FWPCVQP GXUVKP RCTGNSJ^ CXR8 CWXVQW JB Y=TC) bzw. daß er gerettet werde (LXX Ps 6,5: UYUQPOG), verwirft der joh 28

Diese Verschonung hat jedoch nicht die Struktur eines stellvertretenden Handelns (s.o. Anm. 25). 29 Vgl. Brown, Death I, 266–268. 30 Zur Auslegung der Fußwaschungsszene und der ersten Abschiedsrede s.u. die Abschnitte 3.3.1. und 3.3.2. 31 Droges These, mit dem Schwertstreich und der Verleugnung lege Petrus das Bekenntnis eines Jüngers ab, der wie Judas nicht zu Jesus gehöre (Droge, Status), ist haltlos. In 13,36 prophezeit Jesus, daß Petrus ihm nachfolgen wird. Auch die Interpretation von Derrett, der die Szene mit unzähligen alttestamentlichen Textstellen (Gen 34,20.25; I Sam 23,10–13; II Sam 15,23; 16,5–12; 17,1–3; 20,11–22; 24,16; I Reg 2,37.42; II Reg 23,4; I Chr 12,27; 21,14–18.25–30; Jes 53,12; Jer 47,6–7; Ez 21,1–37; 23,25; Am 9,1.4.10.11; Cant 3,8; 5,1; 6,11) in Beziehung setzt (Derrett, Sword), hat zu wenig Anhalt am neutestamentlichen Text selbst. Vgl. die Kriterien einer methodisch kontrollierten Intertextualität bei Pfister, Konzepte, 24ff. 32 Die Metapher des Kelchs bezieht sich auf das Geschehen, das Jesus erwartet (vgl. 18,4: RCPVCVC GXTEQOGPCGXR8CWXVQP). Im Text fehlen Signale, die einen Bezug zur Vorstellung des Zornesbechers (zu dieser Vorstellung vgl. Brongers, Zornesbecher, 177–192) herstellen. 33 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 46–48; Brown, Death I, 278f.

132 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Jesus (Joh 12,27b: MCK VK GKRYRCVGT UYUQPOGGXMVJLY=TCLVCWVJL),34 und gegenüber der Bitte, der Vater möge den Kelch von ihm nehmen (Mk 14,36a: RCTGPGIMGVQ RQVJTKQPVQWVQCXR8GXOQW), äußert er sein Unverständnis (Joh 18,11b: VQ RQVJTKQPQ? FGFYMGPOQKQB RCVJTQWX OJ RKYCWXVQ). Jesus weiß, was in dieser Stunde auf ihn zukommt (18,4): seine Verherrlichung (12,23) und Erhöhung (3,14; 8,28), seine Rückkehr zum Vater (13,1), das Gericht über den Herrscher der Welt (12,31). Sollte er um Rettung aus dieser Stunde bitten?35

Später, im Verhör vor Pilatus, erklärt Jesus, seine Diener hätten, wäre denn sein Königtum von dieser Welt, gegen seine Auslieferung gekämpft (18,36). Der Schwertstreich von Petrus beruht auf dem Mißverständnis, Jesu Königtum beziehe seine Legitimation aus der Welt und sei deshalb mit Waffengewalt zu verteidigen. Bereits in 6,15 wehrte sich Jesus dagegen, von Menschen zum König gemacht zu werden. Das Königtum Jesu wird von oben legitimiert und verteidigt, sein Reich vom Vater errichtet. Deshalb weist der joh Jesus den Kelch des Vaters nicht zurück, denn er weiß, daß die Kreuzi34

12,27b ist als rhetorische Frage zu verstehen. Hinweise darauf sind: das vorangestellte (vgl. Thüsing, Erhöhung, 82f ), die Einleitung der Alternative durch CXNNC (vgl. Bultmann, Joh, 327) sowie die Stelle 18,11b, die in derselben Weise einen Gebetssatz aus der Gethsemanetradition in eine rhetorische Frage überführt. Léon-Dufour versteht hingegen V 27b als Gebetssatz (Léon-Dufour, Père; vgl. auch ders., Jean IV, 466–473; Moloney, John, 353). Léon-Dufour, Père, 164: „Jésus prie réellement pour être sauvé […].“ Jesus bitte jedoch nicht wie in den synoptischen Varianten darum, daß ihn der Vater aus der Stunde rette, die Stunde sich also gar nicht ereigne, sondern darum, daß er ihn durch die Stunde hindurch bewahre und rette. Um dieser Rettung willen (FKC VQWVQ) beteuere Jesus, in diese Stunde gekommen zu sein (ebd., 163–165). Gegen Léon-Dufours These ist einzuwenden, daß der joh Jesus, der darum weiß, daß er in dieser Stunde erhöht und verherrlicht wird (3,14; 8,28; 12,23), nicht wie der Psalmbeter (Ps 6,5) um seine Rettung bittet. Auch V 28a ist weniger eine Bitte als eine Erklärung, ohne Zögern in die Stunde zu schreiten, in der der Vater seinen Namen verherrlicht. So ist denn auch die Gottesstimme (12,28b) keine an Jesus gerichtete Gebetserhörung, sondern ergeht nur um des Volkes willen (12,30; vgl. 11,42). Die Souveränität Jesu, die auch in der Kreuzigungserzählung deutlich herausgestellt wird (vgl. die parallele „Gethsemanestelle“ in 18,11b), geht nicht mit der von Léon-Dufour favorisierten Bitte um Bewahrung zusammen. Vgl. auch Beck, Gethsemane, 57–65. 35 Dieser Interpretation von 12,27b scheint 12,27a zu widersprechen, denn mit PWP JB [WEJ OQW VGVCTCMVCK gibt Jesus in Anspielung auf Ps 6,4 (vgl. Ps 42,6.12; 43,5) seiner Erschütterung in dieser Stunde Ausdruck. Wie die Fortsetzung (V 27b) jedoch zeigt (s.o. Anm. 34), bittet Jesus nicht wie der Psalmbeter (Ps 6,5: UYUQP OG) um seine Rettung. Die rhetorische Zurückweisung der Bitte stellt denn auch klar, daß die VCTCEJ in V 27a nicht Todesangst meint. Das Verb VCTCUUY bezeichnet wie in 11,33 (s.o. in Abschnitt 2.2.6.2. die Auslegung der Stelle) und 13,21 eine Zorneserschütterung (vgl. Becker, Joh II, 454; Dietzfelbinger, Joh I, 392). Diese erfaßt Jesus angesichts des bevorstehenden Gerichts: Das PWP seiner Erschütterung (12,27a) fällt mit dem PWP des Gerichts über die Welt (12,31a) und dem PWP des Hinauswurfs des Herrschers der Welt (12,31b) zusammen. Die VCTCEJ Jesu bezieht sich nicht auf seinen bevorstehenden Tod oder auf das von ihm getragene Leiden (gegen Blank, Krisis, 277; Thüsing, Erhöhung, 78–82; Schulz, Joh, 167; Lindars, John, 430f; Moloney, John, 353; Schwank, Joh, 329; Wilckens, Joh, 193f; Wengst, Joh II, 65), sondern gibt den Zorn Jesu wieder, der dem Unglauben und dem Herrscher der Welt gilt. VK GKRY

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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gung sein Königtum nicht zu tangieren vermag; daß er im Gegenteil durch das Ereignis seiner Erhöhung in die himmlische Regentschaft zurückkehren wird. Gegen dieses Königtum Jesu stellt sich Petrus denn auch, wenn er mit dem Schwert die Auslieferung zu verhindern sucht. Die Entlassung der Jünger in 18,1–12 bildet das narrative Gegenstück zu 1,35–51, wo die ersten Jünger Jesus finden. Jesu Frage in 18,4.7 (VKPC \JVGKVG) sowie die Antwort der Häscher in 18,5.7 (8,JUQWPVQP0C\YTCKQP) bestätigen diese Inklusion, denn Jesu Herkunftsort Nazaret, der später im Namen 8,JUQWLQB0C\YTCKQL – dem ersten Teil des Kreuzestitulus (19,19) – wiederauftaucht, wird nur in 1,45f erwähnt und Jesu Frage (VKPC\JVGKVG) weist auf 1,38 zurück, wo Jesus die beiden Johannesjünger mit fast derselben Frage (VK \JVGKVG) anspricht.36 Die beiden Textpassagen sind einander jedoch diametral entgegengesetzt: Während in 1,35–51 die ersten Jünger Jesus, den Messias, finden (1,41), werden sie in 18,1–11 von ihm entlassen. Während 1,35–51 davon handelt, wie die Jünger Jesus von Nazaret als Gottes Sohn und König Israels erkennen (1,46.49), erzählt 18,1–12, wie die unter der Führung des Verräters Judas zur Gefangennahme Jesu ausgerückten Häscher vor Jesus, dem Nazoräer, zu Boden fallen und ihn dennoch nicht erkennen.37 Die ersten Jünger in 1,35–51 Die Frage Jesu in 1,38 (VK\JVGKVG) gibt insofern das Thema von 1,35–51 an, als in der Folge das Verb GWBTKUMY eine zentrale Position einnimmt (1,41[2x].43.45[2x]). Nicht nur werden Jesu Jünger gefunden, sondern diese finden auch den Messias (1,41), von dem Mose und die Propheten geschrieben haben, Jesus, den Sohn Josephs, aus Nazaret (1,45). Neben dem Suchen/Finden ist auch das Kommen/Sehen in diesem Abschnitt zentral (1,39.46.50f ), wobei das Verb „sehen“ in 1,39 wie auch in 1,50f als Verheißung im Futur steht. 1,35–51 erhält so Expositionscharakter: Wer Jesus ist, werden die Jünger in den folgenden Kapiteln erfahren, wo er sich ihnen offenbaren wird (vgl. 2,11).38

Waren die Jünger in Kap. 2–12 Zeugen zahlreicher Offenbarungsreden und -zeichen und richtete Jesus in Kap. 13f.15–17 eine letzte Belehrung an sie, so ordnet er in 18,8 ihren Abgang an. Er wird ihnen erst in Kap. 20 wieder gegenübertreten.39 Dem in Kap. 18f entfalteten Geschehen der Kreuzigung kommt ein anderer Stellenwert zu als dem Offenbarungsgeschehen im ersten Buchteil: Die glaubenden Jünger sind in dieses Geschehen weder als Begleiter Jesu noch als Zuschauer involviert, sondern Jesus setzt sich in 36 Es ist dies das erste Wort überhaupt, das Jesus im Joh spricht. Insofern ist es stark betont. Das dritte Mal tritt die Wendung in 20,15 auf: VKPC\JVGKL 37 S.u. den Abschnitt über den Auftritt des Herrschers der Welt. 38 Zu diesem Expositionscharakter von 1,35–39 s.o. Abschnitt 2.2.2.1. 39 Zu den in 18,15–19,37 auftretenden Jüngern s.o. Anm. 8.

134 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Kap. 18f, wie bereits die Verhaftungsszene zeigt, allein mit der nichtglaubenden Welt auseinander. Der Auftritt des Herrschers der Welt: In 14,30 begründet Jesus seine Erklärung, nicht mehr viel mit den Jüngern zu reden, damit, daß der Herrscher der Welt komme (GTEGVCKICTQB VQW MQUOQWCTEYP). Das Prädikat in 18,3 (GTEGVCK) – im ursprünglichen Werk des Evangelisten nur durch drei Verse von 14,30 getrennt40 – weist auf diese Stelle zurück: Mit Judas, in den der Satan gefahren ist (13,27), tritt nun der Herrscher der Welt Jesus gegenüber.41 In Begleitung einer bewaffneten Schar sucht er den Ort auf, zu dem sich Jesus mit seinen Jüngern begeben hat.42 Jesus läßt sich durch diesen Auftritt jedoch nicht überraschen, denn er weiß, wer bzw. was auf ihn zukommt (14,30; 18,4a). So tritt er aus dem Garten hinaus, den Angreifern entgegen (18,4b)43 und bleibt auch im folgenden Souverän des Geschehens. Auf Jesu Frage in 18,4b, wen die unter Judas hergezogenen Soldaten und Diener der Hohenpriester und Pharisäer denn suchten,44 nennen diese den Namen 8,JUQWPVQP0C\YTCKQP, der an Nathanaels Skepsis erinnert, ob aus Nazaret etwas Gutes kommen könne (1,46). Während in 1,45ff die Begegnung zwischen Jesus und Nathanael letzteren zum Bekenntnis führt, daß Jesus Gottes Sohn und Israels König ist (1,49), folgt in 18,5ff eine bizarre Szene, in der Jesus seine göttliche Identität deutlich demonstriert, ohne daß dies seine Anerkennung zur Folge hätte. Auf Jesu Selbstidentifikation (GXIYGKXOK)45 hin stürzen die Gefragten, d.h. um die 600 römische Soldaten (18,3: URGKTC) und weitere Häscher, zu Boden. Das imposante Ereignis wird unterschiedlich interpretiert: als Niedersinken vor der epiphanen Gottheit – die GXIY- GKXOK-Formel verweist auf den göttlichen Offenbarer (vgl. 6,20)46 – oder als ohnmächtiges Niederstürzen, 40

Zur literarkritischen Operation, die Kap. 15–17 der Endredaktion zuschreibt, s.u. die Argumentation zu Beginn des Abschnitts 3.3.2. 41 Vgl. Bultmann, Joh, 494. 42 Die Fackeln und Lampen der Häscher (V 3) machen deutlich, daß der Auftritt des Herrschers der Welt in der Nacht erfolgt (zur Symbolik s.o. die kurze Ausführung in der Einleitung von Abschnitt 3.2.2.). Jesu Feinde sind Knechte der Finsternis und agieren gegen das wahre Licht. Vgl. Giblin, Confrontations, 217f; Brown, Death I, 250; Senior, Passion, 49; Heil, Blood, 19f. 43 Vgl. Richter, Gefangennahme, 75. 44 Die Frage VKPC\JVGKVG spielt wohl auch auf die Absicht der 8,QWFCKQK an, Jesus zu töten, auf ihr \JVGKP CXRQMVGKPCK (vgl. 7,19: VK OG \JVGKVG CXRQMVGKPCK). Diese Suche bleibt jedoch ohne Erfolg und mündet, wie die Fortsetzung der Kreuzigungserzählung zeigen wird, in kein Finden (vgl. 7,34). 45 Die Selbstidentifikation steht in deutlichem Kontrast zur synoptischen Tradition des Judaskusses (Mk 14,44f parr). Nicht Judas identifiziert Jesus (Mk 14,44: CWXVQLGXUVKP), sondern dieser identifiziert sich selbst (Joh 18,5: GXIYGKXOK). Vgl. Brown, Death I, 252. 46 Die Theophanie unterstreichen insb. Bultmann, Joh, 495; Lindars, John, 541; Dauer, Passionsgeschichte, 242–246; Barrett, John, 520; Senior, Passion, 52; Smith, John, 330;

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das die hoheitsvolle Majestät Jesu seinen Feinden gegenüber betont.47 Die beiden Interpretationen schließen einander nicht vollständig aus,48 denn das ohnmächtige Niederfallen der Feinde entspricht einer Proskynese, die nicht aus freiem Willen geschieht: Indem die Häscher vor Jesus niederstürzen, anerkennen sie gegen ihren eigenen Willen die göttliche Macht Jesu. Auf diese Interpretation verweist der auffällige Umstand in der joh Erzählung, daß das Niederfallen nicht in die Erkenntnis der Gottheit Jesu mündet: Jesus muß sich in V 7f, als ob nichts geschehen wäre, erneut identifizieren, und nach dem Zwischenfall mit Petrus nehmen ihn die Häscher schließlich fest (18,12).49 Das widersprüchliche Geschehen – 600 Mann fallen vor Jesus nieder, doch dieses Ereignis zeitigt keinerlei Konsequenzen – zeigt auf, daß die Feinde die göttliche Identität Jesu erkennen und anerkennen müssen, daß es für eine Glaubenserkenntnis hingegen zu spät ist: Sie erkennen Jesu Gottheit zu ihrem eigenen Gericht.50 Im Niederfallen-Müssen in 18,6, in dieser gegen den eigenen Willen vollzogenen Proskynese, wird ein erstes Mal Wirklichkeit, was Jesus seinen Gegnern in 8,28 vorausgesagt hat und wovon er auch in 14,31 spricht: Am Ende wird auch der Unglaube erkennen, daß er es ist (GXIYGKXOK).51 Bereits in der Verhaftungsszene wird das wahre Kräfteverhältnis zwischen Jesus und dem Herrscher der Welt offenbar: Der Herrscher der Welt hat nichts an ihm (14,30). Ohnmächtig fallen seine bewaffneten Knechte vor demjenigen zu Boden, gegen den sie auszogen. Die folgenden Erzählungen vom Prozeß und der Kreuzigung Jesu werden bestätigen, daß der Herrscher der Welt keine Macht hat und das Königtum des wahren Regenten der Welt nicht tangieren kann. 3.2.2.2. Das Verhör und Petri Verleugnung (18,13–27) Nach seiner Verhaftung wird Jesus zunächst zu Hannas geführt, dem Schwiegervater von Kaiphas, der in diesem Jahr amtierender Hoherpriester ist (18,13). Der Evangelist bezeichnet auch Hannas als den Hohenpriester Brown, Death I, 260f; Knöppler, theologia crucis, 250; Wilckens, Joh, 271; Wengst, Joh II, 202. 47 Den Kontrast von Macht und Ohnmacht unterstreichen Schnackenburg, Joh III, 254; Becker, Joh II, 647f; Léon-Dufour, Jean IV, 35f. 48 Dietzfelbinger z.B. kombiniert beide Elemente (Dietzfelbinger, Joh II, 255; vgl. auch O’Day, John, 802). 49 Vgl. dagegen die Episode in 7,32.45f, wo die von den Pharisäern zur Festnahme Jesu ausgesandten Häscher mit leeren Händen zurückkehren, da sie sich durch Jesu Reden von ihrem Auftrag abbringen ließen. 50 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 245f. Zudem s.o. in Abschnitt 2.3.2.2. die Auslegung von 8,28 und die dort in Anm. 208 erwähnten, von Dauer zusammengestellten LXX-Stellen, in denen IKPYUMGKP im Sinne von „zum eigenen Gericht erkennen“ verwendet wird. 51 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 242–246; Wilckens, Joh, 271.

136 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 (V 19), was nicht bedeuten muß, daß er zwei gleichzeitig amtierende Hohepriester voraussetzt, konnten doch auch ehemalige Amtsinhaber so betitelt werden.52 Nach dem Verhör vor Hannas wird Jesus denn auch Kaiphas überstellt, der als amtierender Hoherpriester die Auslieferung an Pilatus veranlaßt (V 24.28). V 14 ruft in Erinnerung, daß es Kaiphas war, der das versammelte Synedrium dazu angehalten hatte, Jesu Tötung zu beschließen (vgl. 11,49f.53).53 Eine Rückblende auf Kap. 2–11 faßt die Beweggründe zusammen, die zu diesem Beschluß geführt haben. Die Synedriumsverhandlung in 11,47–53 In der Synedriumsverhandlung wird das eigentliche Motiv, Jesus zu töten, deutlich hervorgehoben: Jesus bedroht den Machtanspruch der Hohenpriester und Pharisäer. Es besteht die Gefahr, daß aufgrund seiner Zeichentätigkeit schließlich alle an ihn glauben und daraufhin die Römer kommen und ihnen den Ort und das Volk wegnehmen (11,47f ). Der Todesbeschluß des Synedriums (11,53) beruht auf einer machtpolitischen Überlegung. Die Hohenpriester und Pharisäer fürchten, ihre religiöse und politische Macht preisgeben zu müssen; sie fürchten um ihre FQZC, die sie voneinander nehmen (5,44). Diese Furcht ist gerechtfertigt, denn viel Volk, gar die ganze Welt, folgt Jesus und glaubt an ihn, weil es seine Zeichen gesehen hat (6,2; 7,31; 12,11.18). Die Hohenpriester und Pharisäer schätzen die Lage also richtig ein (11,47b; vgl. 7,47–49; 12,10f). 54 52 Zum Nebeneinander von Hannas und Kaiphas im Joh vgl. Brown, Death I, 404–408. Daß das Joh durch die verschiedenen Hohenpriester absichtlich eine Verwirrung konstruiert, die auf den neuen, einzigen und wahren Hohenpriester Jesus verweist (so Heil, Blood, 28– 31.39f ), hat keinen Anhalt am Text. 53 Im Unterschied zu den synoptischen Evangelien findet im Joh die Synedriumsverhandlung, in der das Todesurteil gefällt wird, einige Tage vor der Kreuzigung statt (11,47–50), während am Tag der Kreuzigung selbst Jesus nur noch einmal von Hannas einem kurzen Verhör unterzogen wird (18,19–24). Eine ausführliche Analyse der Ereignisordnungen im Joh und in den synoptischen Evangelien sowie des historischen Hintergrunds bietet Brown, Death I, 311–560. 54 Theißen vertritt die These, im Joh habe der römische Kaiser, der mit dem Satan zu identifizieren sei, als „Herrscher der Welt den Juden ihre Freiheit genommen, so dass sie Jesus töten wollen“ (Theißen, Religion, 86). Es sei unverkennbar, „dass die jüdische Aristokratie den realen Weltherrschern zuliebe Jesu Tod betreibt“ (ebd., 277). Gegen Theißen ist jedoch einzuwenden, daß das Joh nicht die Macht der Römer in der Figur des Satans symbolisch verdichtet (so Theißen, ebd.), sondern umgekehrt: Wie insbesondere die Analyse der Figur von Pilatus zeigen wird (s.u. Abschnitt 3.2.3., insb. 3.2.3.3., Szene II), stellt das Joh die Macht des Herrschers der Welt, d.h. die Macht der Lüge und der Finsternis, exemplarisch anhand der römischen Weltmacht dar. Nicht die römische Macht, sondern die Macht der Lüge und der Finsternis ist die unmittelbare Gegenspielerin Gottes. Nicht die Römer stecken hinter dem Satan (so Theißen, Religion, 276), sondern der Satan steckt hinter den Römern. Das Verhältnis zwischen der römischen Macht und der jüdischen Aristokratie ist im Joh komplizierter gestaltet, als Theißen es sieht: Die Hohenpriester und Pharisäer wollen Jesus nicht den römischen Weltherrschern zuliebe töten, sondern aufgrund ihrer eigenen machtpolitischen Interessen. Sie fürchten, die feindliche römische Macht könnte ihnen die religiöse und politische Rest-

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Das Zeichen-Sehen des Volkes ist allerdings ambivalent und mündet schließlich – kurz nach Jesu Einzug in Jerusalem, wo ihn eine große Menschenmenge als Israels König empfängt (12,12–14) – in einen negativen Ausgang (12,37): Obwohl sie so viele Zeichen gesehen haben, glauben sie nicht an ihn. Das Volk sieht in den Wundertaten Jesu keine Zeichen (UJOGKC), die auf eine neue, unerwartete Wirklichkeit verweisen, sondern es reduziert die Wunder auf ihren unmittelbaren und erwarteten Sinn (vgl. 6,26) und will Jesus zum politisch-messianischen König machen (vgl. 6,15; 12,13),55 ihm ihre eigene FQZC aufdrängen. Diesem politisch-messianischen Mißverständnis des Volkes korrespondiert die politische Furcht der Hohenpriester und Pharisäer. Die Tötungsabsicht der Hohenpriester und Pharisäer läßt sich noch weiter zurückverfolgen. In 5,18, wo zum ersten Mal von ihr die Rede ist, wird sie damit begründet, daß sich die 8,QWFCKQK daran stoßen, daß Jesus, der den Sabbat bricht (5,16), Gott seinen Vater nennt (5,17) und sich so Gott gleich macht. Während der QENQL aufgrund seiner Messiaserwartung Jesus zum König machen will, erkennen die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester und Pharisäer,56 daß Jesus dieser Erwartung gerade nicht entspricht, und bestreiten deshalb seinen Anspruch, Gottes Sohn zu sein.57 Im Unterschied zum QENQL, der Jesus eigenhändig zum König machen will, behaupten sie, Jesus mache sich selbst zu Gottes Sohn. Jesus jedoch bestreitet, eigenmächtig und selbstherrlich zu handeln (5,19; 7,18), wehrt sich aber auch dagegen, von Menschen zum König gemacht zu werden (6,15; vgl. 5,41). Allein sein Vater, der ihn gesandt hat und dessen Ehre er sucht, legitimiert sein Reden und Handeln sowie seinen Herrschaftsanspruch. Zusammengefaßt: Der Unglaube wird im Joh einerseits als falsches Verständnis, andererseits als Ablehnung des Anspruchs Jesu definiert. Der Unglaube der Hohenpriester und Pharisäer bildet gewissermaßen die reflektierte Äußerung des Unglaubens des QENQL. Sowohl in seiner reflektierten als auch in seiner unreflektierten Äußerung bekundet der Unglaube den Anspruch, aufgrund eigener, weltlicher Maßstäbe darüber urteilen zu können, wie Gott sich zu offenbaren hat. Der Unglaube ist

autonomie wegnehmen (11,48: CXTQWUKPJBOYPMCK VQP VQRQP MCK VQ GSPQL). Die Auslegung des Prozesses wird zeigen (s.u. Abschnitt 3.2.3.), daß die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester nur deshalb am Schluß des Prozesses den Kaiser ins Spiel bringen (19,12), weil sie mit ihren anderen Argumenten vor Pilatus gescheitert sind. Die Loyalitätserklärung gegenüber dem Kaiser (19,15) ist der hohe Preis, den die jüdische Aristokratie bezahlen muß, um Jesu Hinrichtung durchzusetzen. Römische Macht und jüdische Aristokratie sind auf der narrativen Ebene des Textes klare Feinde, auch wenn sie letztlich beide als Knechte des Herrschers der Welt agieren. 55 Zu 6,26 und 6,15 s.o. die Auslegung in Abschnitt 2.2.7.1. 56 Das Joh setzt die Allgemeinheit der 8,QWFCKQK in einen engen Bezug zu ihrer herrschenden Elite, den Hohenpriestern und Pharisäern, so daß sie oft an deren Stelle treten können (vgl. z.B. 18,3.12, wo die Diener der Hohenpriester und Pharisäer zu Dienern der 8,QWFCKQK werden). Wenn das Joh die Hohenpriester und Pharisäer ihrem Volk gegenüberstellt, redet es deshalb vom QENQL oder vom QENQL GXM VYP 8,QWFCKYP statt von den 8,QWFCKQK (vgl. z.B. 7,32.48f; 12,9f). Zum Problem des Antijudaismus im Joh s.o. Abschnitt 2.1.2. 57 In 7,48f grenzen die Pharisäer sich und die Hohenpriester explizit vom Volk ab: Keiner von ihnen glaube an Jesus; nur dieser QENQL, der das Gesetz nicht kenne.

138 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 nicht bereit, seine Selbstbehauptung aufzugeben und sich vorbehaltlos auf das Wort des Offenbarers einzulassen. Das Aufeinandertreffen der beiden Äußerungsformen des Unglaubens führt schließlich zum offiziellen Todesbeschluß (11,47–53): Das Bestreben des Volkes, Jesus zum König zu machen, bedroht die politische Ruhe Israels und könnte die Römer dazu veranlassen, den Hohenpriestern und Pharisäern ihre politische und religiöse Macht vollständig zu entziehen. Um diese Macht zu verteidigen, beschließt die jüdische Aristokratie, Jesus, den falschen Gottessohn, zu töten. Kaiphas bringt in 11,50 diese Lösung auf den Punkt: Es nützt den Hohenpriestern und Pharisäern,58 wenn ein Mensch anstelle des ganzen Volkes zugrunde geht. Wenn in 18,14 auf diesen Rat von Kaiphas zurückgeblendet wird, so in erster Linie, um an die machtpolitische Überlegung zu erinnern, die hinter dem Todesbeschluß steht.59

Im Verhör vor Hannas wird deutlich hervorgehoben, daß Jesus keine Auskunft zu geben mehr bereit ist. Er verweist den Hohenpriester, der ihn über seine Jünger und seine Lehre verhört (18,19), an die 8,QWFCKQK, die gehört hätten, was er in aller Öffentlichkeit (18,20), in der Synagoge (vgl. 6,59) und im Tempel (vgl. 2,14; 7,14.28; 8,20; 10,23), gelehrt habe, und geht mit keinem Wort auf den Inhalt dieser Lehre ein. Die starke Betonung, immer (RCPVQVG) öffentlich und vor allen (RCPVGL) gelehrt, also nichts (QWXFGP) im Verborgenen gesagt zu haben, sowie die Zurückweisung der Frage (VK OG GXTYVC^L) machen unmißverständlich deutlich, daß es jetzt keinen Grund mehr gibt, sich noch einmal zu erklären. Seine Worte waren öffentlich zugänglich, und sie sind es weiterhin durch die Vermittlung derer, die sie gehört haben. Es gibt dieser Offenbarung nichts mehr hinzuzufügen. Die Zeit ist abgelaufen, die Stunde gekommen.60 Auch über seine Jünger verliert Jesus kein Wort, denn sie haben in der Auseinandersetzung mit dem Herrscher der Welt nichts zu suchen, weshalb er sie bei seiner Verhaftung entlassen hat (18,8). Petri Verleugnung, die das Verhör vor Hannas rahmt (18,15–18.25–27),61 demonstriert dies deutlich. 58 Die Wendung UWOHGTGKWBOKP macht deutlich, daß es den Hohenpriestern und Pharisäern in erster Linie nicht um das Wohl des Volkes, sondern um ihre Macht geht (vgl. auch 11,48: CXTQWUKPJBOYPMCKVQPVQRQPMCKVQGSPQL). 59 Daß Kaiphas mit seinem Rat ironischerweise die wahre Bedeutung des Todes Jesu prophezeit (11,51f ), ist als Interpretationsleistung der Endredaktion zu verstehen. Vgl. die Argumentation bei Becker, Joh II, 434. Für den Evangelisten liegt die Ironie vielmehr darin, daß der Rat von Kaiphas in sein Gegenteil verkehrt wird. Die Hohenpriester müssen sich, um die Kreuzigung Jesu durchzusetzen, von ihrer Messiaserwartung lossagen und dem Kaiser unterwerfen (s.u. in Abschnitt 3.2.3.4. die Auslegung von 19,15). Auch dürfte der Evangelist in bitterster Ironie darauf anspielen, daß das von den Hohenpriestern und Pharisäern befürchtete Ereignis, daß die Römer ihnen sowohl den Tempel bzw. Jerusalem als auch das Volk wegnehmen, einige Jahrzehnte nach Jesu Tod dann doch eingetreten ist. 60 Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 248f; Becker, Joh II, 657f. 61 Mit dem „anderen Jünger“ in 18,15b–16 ist der Lieblingsjünger gemeint. Die Szene geht wie die anderen Lieblingsjüngerszenen auch (13,23–25; 19,26f; 20,2–10; 21,2–8.20–24;

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Im Gegensatz zu Jesus, der bei der Verhaftung seine Identität offen bekennt (18,5.6.[8]: 2x GXIY GKXOK), leugnet Petrus nun dreimal seine Jüngerschaft (V 17.25.27: 2x QWXMGKXOK). Er stellt sich auf die Seite der Gegner Jesu und wärmt sich an ihrem Feuer (V 25). An diesem Ort der letzten Auseinandersetzung mit der Welt kann der Jünger nicht bestehen und schon gar nicht Jesus beistehen. Dieser stellt sich der Auseinandersetzung alleine, und er weiß, daß er sie alleine – aber deswegen keineswegs hilflos – zu Ende führen wird. So flohen seine Jünger in der Verhaftungsszene nicht, sondern wurden entlassen (18,8), so wies er Petrus, der sich mit einem Schwertstreich der Trennung von ihm widersetzte, vehement zurück (18,11), und so antwortete er bereits in 13,36–38 auf die Beteuerung von demselben Jünger, eher sein Leben zu lassen, als auf eine unmittelbare Nachfolge zu verzichten,62 mit der Verleugnungsansage, die nun in Erfüllung geht. Jesu Weigerung, dem Hohenpriester Auskunft über seine Jünger und seine Lehre zu geben und vor ihm zu wiederholen, was die Welt schon längst gehört hat, wird von einem der dabeistehenden Diener mit einem Backenstreich quittiert (18,22). Die Autorität des Hohenpriesters, deren Respekt der Diener fordert, hat für Jesus keine Geltung, denn er steht einzig seinem himmlischen Vater im Gehorsam gegenüber (vgl. 14,31). Jesus stellt denn auch sogleich klar (V 23), daß nicht er seine Antwort, sondern der Diener seinen Backenstreich zu rechtfertigen hat. Gegen das, was Jesus aussagte, kann der Diener allerdings nichts einwenden.63 Daraufhin schickt Hannas Jesus zu Kaiphas (V 24), dem amtierenden Hohenpriester, und von dort wird er schließlich ins Prätorium überführt (V 28). 3.2.3. Der Prozeß vor Pilatus (Joh 18,28–19,16a) Auch vor Pilatus hüllt sich Jesus in Schweigen. Bereits im ersten Verhör (18,33–38a) wird deutlich, daß er nicht gewillt ist, zu seiner Person und seinem Auftrag Stellung zu beziehen. Während er in V 34 die Frage an Pilatus vgl. 19,35) auf die Endredaktion zurück. Die beiden Abschnitte zur Verleugnung Petri, die das Verhör vor Hannas rahmen, waren also ursprünglich von derselben Länge. Zur literarkritischen These, die Lieblingsjüngertexte einer dem Evangelisten gegenüber späteren Hand zuzuordnen, vgl. Thyen, Entwicklungen; Becker, Joh II, 516–523; Theobald, Jünger, 227–239. Die Lieblingsjüngerszenen aus 19,26f sowie 19,35 werden weiter unten erörtert (s.u. die Exkurse in den Abschnitten 3.2.4.3. und 3.2.4.5.), während auf eine Interpretation der vorliegenden Szene (18,15b–16), die in engem Zusammenhang mit Kap. 21 zu verstehen ist, verzichtet wird. 62 Mit dem Leitbegriff aus 13,36f, dem Verb CXMQNQWSGY, wird die Verleugnungsszene eröffnet (18,15: JXMQNQWSGKFGVY^8,JUQW5KOYP2GVTQL), so daß der Bezug zwischen den beiden Szenen deutlich hervortritt. 63 So wird Jesus in der Szene vor Hannas nicht erniedrigt, sondern geht vielmehr als Sieger hervor. Vgl. Neyrey, Shame, 120f.

140 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 zurückgibt, antwortet er in V 36 in negativem und hypothetischem Sinn: Sein Reich sei nicht von dieser Welt; wäre es dies, hätten seine Diener gekämpft.64 Eine positive Aussage macht Jesus erst in V 37, wo er den Grund seines In-die-Welt-gekommen-Seins nennt: von der Wahrheit Zeugnis abzulegen. Jeder, der aus der Wahrheit sei, höre seine Stimme. Die Frage von Pilatus in V 38a (VK GXUVKP CXNJSGKC) zeigt, daß er Jesu Stimme nicht hört und nicht aus der Wahrheit ist. So entlarvt Jesus mit der einzigen positiven Aussage über sich selbst lediglich die Verschlossenheit von Pilatus seiner Botschaft gegenüber. Damit zeigt sich deutlich, daß auch vor Pilatus die Selbstoffenbarung Jesu kein Thema mehr ist.65 Im zweiten Verhör (19,9– 12a) weigert sich Jesus denn auch, überhaupt zu antworten (V 9b), und mit seiner letzten Äußerung (V 11) macht er klar, daß er entgegen der Meinung von Pilatus (V 10) sehr wohl weiß, worauf er sich mit dieser Weigerung einläßt. Die konsequente Offenbarungsverweigerung Jesu lenkt den Blick auf die anderen Figuren, Pilatus und die Hohenpriester, deren machtpolitische Interessen im Verlauf des Prozesses immer deutlicher zu Tage treten. 3.2.3.1. Gliederung Der Prozeß läßt sich durch das räumliche Kriterium außerhalb/innerhalb des Prätoriums relativ einfach in sieben Szenen gliedern, deren kompositorische Anordnung allerdings umstritten ist. Insbesondere zwei Modelle stehen einander gegenüber: das eine unterteilt den Prozeß in zwei Akte,66 das andere bildet eine Ringkomposition.67 Komposition in zwei Akten A 18,29–32 (I) A’ 19,4–8 (V) B 18,33–38a (II) B’ 19,9–12a (VI) C 18,38b–40 (III) C’ 19,12b–15 (VII) D 19,1–3 (IV) D’ 19,16–18 (=Kreuzigung) 64 Vgl. auch Diebold-Scheuermann, Gerichtsszene, 72: „So läßt sich in der Darstellung des Evangelisten nicht eine bestimmte Aussage über das Königtum Jesu festmachen […].“ Vgl. dies., Pilatus, 290–294. S.u. in Anm. 89 die ausführlichere Darstellung von DieboldScheuermanns These. 65 Gegen Blank, Verhandlung, 62.66.68–71; Dauer, Passionsgeschichte, 103; Schnackenburg, Joh III, 274; Baum-Bodenbender, Hoheit, 54.60.76.81f.85f; Zumstein, Prozess, 148f; Knöppler, theologia crucis, 260; Dietzfelbinger, Pilatus, 102. Sie alle behaupten, Jesus halte vor Pilatus eine letzte Offenbarungsrede. Zur breiteren Entfaltung der Gegenthese s.u. die Interpretation von Szene II (18,33–38a). 66 Zur Komposition in zwei Akten vgl. Baum-Bodenbender, Hoheit, 49f; Becker, Joh II, 661–663; Giblin, Pilate, 221–224; Neyrey, Shame, 122f. 67 Zur Ringkompostion vgl. Zumstein, Prozess, 148–150; de la Potterie, Passion, 62; Brown, Death I, 757–759; Janssens de Varebeke, structure, 506–509.

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Ringkomposition A 18,29–32 (I) A’ 19,12b–15 (VII) B 18,33–38a (II) B’ 19,9–12a (VI) C 18,38b–40 (III) C’ 19,4–8 (V) D 19,1–3 (IV) Auffällige Kongruenzen zwischen den Szenen I und V sowie zwischen den Szenen III und VII sprechen für das Zwei-Akte-Modell: Sowohl in Szene I als auch in Szene V weist Pilatus die Forderung der 8,QWFCKQK bzw. der Hohenpriester mit den Worten zurück: NCDGVGCWXVQPWBOGKL (18,31a; 19,6b). In beiden Szenen erklären diese daraufhin, Jesus müsse nach ihrem Gesetz sterben (18,31b; 19,7), und geben so den Ball an Pilatus zurück. In den Szenen III und VII wird jeweils die Möglichkeit der Freilassung Jesu diskutiert (CXRQNWY: 18,39; 19,12). Außerdem spricht Pilatus in diesen Szenen von Jesus als dem DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP (18,39; 19,14f ), während er in den Szenen I und V die Vokabel CPSTYRQL benutzt (18,29; 19,5). Schließlich parallelisiert der Text auch die Szene IV und die Kreuzigungsszene miteinander: Die Übergabe zur Geißelung (19,1) und die Übergabe zur Kreuzigung (19,16) werden mit derselben Wendung (VQVG QWP) eingeleitet.68 Der zweite Akt steigert den ersten. So führt Pilatus in den Szenen A’ und C’ (im Unterschied zu den Szenen A und C) Jesus zu den Anklägern hinaus (18,5a.13a), damit sie ihn sehen (19,5b: KXFQW QB CPSTYRQL; 19,14:KFGQB DCUKNGWLWBOYP). Außerdem fordern die Hohenpriester erst im zweiten Akt die Kreuzigung Jesu (19,6.15: UVCWTQY) und gelangen ans Ziel: Während der erste Akt in die Geißelung Jesu mündet, endet der zweite mit seiner Kreuzigung.

3.2.3.2. Einleitung (18,28) Am frühen Morgen überführen die Diener der Hohenpriester69 Jesus von Kaiphas ins Prätorium. Während Jesus in 18,13 an Hannas überführt und in V 24 zu Kaiphas gesandt wird, ist das Ziel der Überführung in V 28 überra68 Für die Ringkomposition spricht die wiederholte Unschuldsbeteuerung durch Pilatus in 18,38b (Szene III) und in 19,4.6 (Szene V). Diese Rahmung der Geißelungsszene (IV) durch die Unschuldsbeteuerungen ist nicht zu bestreiten (s.u. die Auslegung von Szene IV), doch läßt sich aus ihr allein noch kein Ring komponieren. Insbesondere zwischen den Szenen I und VII fehlen deutliche Übereinstimmungen. Daß der Forderung der Ankläger aus der ersten Szene in der letzten entsprochen wird, ist keine Auffälligkeit, die eine Ringkomposition rechtfertigen würde. So sind die Kongruenzen zwischen den Szenen I und V sowie zwischen den Szenen III und VII, die das Zwei-Akte-Modell stützen (s.o.), die schlagkräftigeren Argumente. 69 Das Subjekt ist aus dem Zusammenhang zu erschließen. Die in V 28b thematisierte Verunreinigungsgefahr weist darauf hin, daß die 8,QWFCKQK (V 31) bzw. die Diener der Hohenpriester (vgl. V 12) Jesus ins Prätorium überführen. Wie im gesamten Evangelium spricht der Evangelist auch im Prozeß vor Pilatus pauschal von den 8,QWFCKQK, obwohl er als Ankläger deren Aristokratie, die Hohenpriester (vgl. 19,6.15), im Blick hat (s.o. Anm. 56; vgl. auch Wengst, Joh II, 216). Zum Problem des Antijudaismus im Joh s.o. Abschnitt 2.1.2.

142 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 schenderweise nicht Pilatus, sondern das Prätorium. Diese Asymmetrie dient dem Evangelisten nicht nur dazu, auf die Furcht der Hohenpriester zu verweisen, sich durch das Betreten des heidnischen Gebäudes zu verunreinigen und damit vom Passa auszuschließen – ein Motiv, das im Exkurs zur Passatypologie näher erörtert wird –,70 sondern die Erwähnung des Gebäudes anstelle von Pilatus unterstreicht auch, daß dieser nicht als Privatperson, sondern als Repräsentant der römischen Macht auftritt.71 Durch den Umstand, daß Jesus ins Prätorium geführt wird, die Hohenpriester aber draußen bleiben, wird Pilatus gezwungen, ständig zwischen Ankläger und Angeklagtem hin und her zu eilen, das Prätorium zu verlassen und sich wieder in dieses zurückzubegeben. Das Hin und Her illustriert, daß Pilatus der Spielball zwischen Jesus und den Hohenpriestern ist. Er ist in diesem Prozeß nicht der souveräne Richter, der die Fäden in der Hand hält, sondern er fungiert als Statist in einem Prozeß, der seiner eigenen Gesetzmäßigkeit folgt bzw. von einer anderen Hand gelenkt wird (vgl. 19,11).72 Pilatus verstrickt sich in einen Prozeß, den er nicht beherrscht und in dem er nichts zu entscheiden hat. Auf diese Ausweglosigkeit verweist das Hin und Her, nicht aber auf den Entscheidungsprozeß, den ein unentschlossener Pilatus angesichts der Offenbarung Jesu zu durchlaufen hätte;73 denn nicht nur offenbart sich Jesus nicht vor Pilatus,74 sondern es ist auch von Anfang an klar, daß Pilatus als Repräsentant einer Macht, die ihre Legitimation aus der Welt bezieht, auf die Seite des Unglaubens gehört und Jesu Stimme nicht vernimmt (vgl. 18,38).75 3.2.3.3. Erster Prozeßakt (18,29–19,3) Szene I (18,29–32): Pilatus fragt die Ankläger nach ihrer Anklage (V 29: MCVJIQTKC), worauf diese entgegnen, daß darüber gar nicht debattiert werden muß: Es stehe fest, daß „dieser“ ein Verbrecher sei, hätten sie ihn doch Pilatus sonst nicht überliefert (V 30). Ihre Anklage lautet pauschal auf Übeltat (MCMQPRQKYP). Was sie unter MCMQPsubsummieren, wird im ersten Buchteil deutlich herausgestellt: Jesus ist laut ihrer Aussage ein KUQPGBCWVQP 70

S.u. den Exkurs in Abschnitt 3.3.1.2. Vgl. Schnackenburg, Joh III, 276f. 72 Dieser Zug wird in der Auslegung der einzelnen Szenen noch deutlicher herausgestellt. Die eigene Gesetzmäßigkeit des Prozesses besteht darin, daß die Durchsetzung der Anklage notwendigerweise mit dem Gericht über die Ankläger einhergeht, in dem der Angeklagte als Richter auftritt (s.o. den Schluß in Abschnitt 2.3.2.1., der das doppelte Subjekt des Gerichts über den Unglauben thematisiert). 73 Gegen Dietzfelbinger, Pilatus, 102. Zu weiteren Vertretern der These, Jesus sei vor Pilatus in die Entscheidung gestellt, s.u. Anm. 91. 74 S.o. die Einleitung von Abschnitt 3.2.3. (mit Anm. 65). Außerdem s.u. die jeweilige Argumentation in den Abschnitten 3.2.3.3. (insb. zu Szene II) und 3.2.3.4. 75 S.u. die Interpretation von Szene II. 71

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RQKYPVY^SGY^ (5,18) und ein RQNNCUJOGKCRQKYP (11,47), weshalb er getötet werden muß (5,18; 11,53), denn ihr Gesetz will es so (18,31; vgl. 19,7). Jesus hält jedoch in 7,19 den 8,QWFCKQK bzw. Hohenpriestern76 entgegen, daß gerade ihre Absicht, ihn zu töten, dem Gesetz widerspricht und daß sie die wahren Gesetzesbrecher sind (7,19: QWXFGKLGXZWBOYPRQKGKVQPPQOQP), während er den Willen seines Vaters lehrt und tut (7,17f.21–23). Deshalb werde Mose bzw. das von Mose gegebene Gesetz, das ihn nach ihrer Ansicht als Verbrecher anklagt, sie selbst anklagen (5,45: MCVJIQTGKP) und richten.77 In 18,31 werden denn auch erste Anzeichen dieses Gerichts inszeniert: Nachdem Pilatus sich zunächst weigert, auf den Fall einzutreten, und er die Hohenpriester auf ihre eigene Gerichtsbarkeit verweist (V 31a), sehen sich diese gezwungen, ihre fehlende Machtbefugnis in bezug auf Todesurteile zu thematisieren (V 31b) und einzugestehen,78 daß sie nicht frei, sondern jemandes Knechte sind; daß sie nur mit Hilfe der römischen Besatzungsmacht an das Ziel ihres Bestrebens gelangen, Jesus zu töten. Damit widerspiegelt sich auf der politischen Ebene, was Jesus seinen Gegnern in 8,32–41 klargemacht hat: daß sie, obwohl sie sich als Abrahams Kinder bezeichnen, nicht frei sind, sondern ihr Tötungsbestreben sie als Knechte (der Sünde) überführt. Die Erfüllungsaussage in 18,32 18,32, der Hinweis auf die Erfüllung eines Jesuswortes (vgl. 12,33), das allerdings selbst gar nicht zitiert wird, ist wie die Erfüllungsaussage in 18,979 der Endredaktion zuzuschreiben.80 Der Vers signalisiert bereits am Anfang des Prozesses, daß die Machteinschränkung der Ankläger, Jesus selbst nicht töten zu dürfen, zur römischen Todesstrafe, der Kreuzigung, und insofern zur Erhöhung Jesu führt – wie es Jesus prophezeit hat.

Bereits dieser erste, kurze Wortwechsel zwischen Pilatus und den Anklägern deutet ein subtiles Machtspiel an, das mit jeder der folgenden Szenen vor dem Prätorium offenkundiger wird. Daß Pilatus die Hohenpriester großzügig auf ihre Rechte verweist und ihnen eigene Befugnis konzediert, läßt sich nicht allein damit erklären, daß er über eine innerjüdische Angelegenheit keine Gerichtsverhandlung führen will, sondern bedarf einer stärkeren 76

S.o. Anm. 69 und Anm. 56. Vgl. auch die Frage von Nikodemus an die Pharisäer in 7,51, ob denn das Gesetz einen Menschen richte, bevor dieser angehört worden sei und bevor bekannt sei, was er getan habe. Das Verhör Jesu vor Hannas findet erst nach dem Todesbeschluß des Synedriums (11,53) statt. 78 Die Aussage der 8,QWFCKQK, es sei ihnen nicht erlaubt zu töten, bezieht sich nicht auf ein jüdisches Verbot, sondern auf das ihnen von der römischen Besatzungsmacht entzogene ius gladii. Zum historischen Hintergrund vgl. Brown, Death I, 363–373. 79 S.o. den Exkurs in Abschnitt 3.2.2.1. 80 Vgl. die Argumente bei Becker, Joh II, 670f. 77

144 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Motivation; diese besteht – wie die Fortsetzung zeigt – in der Furcht, über eine göttliche Angelegenheit zu Gericht zu sitzen. Die Hohenpriester können sich jedoch, wollen sie das von ihnen gefällte Todesurteil durchsetzen, auf das Angebot von Pilatus nicht einlassen. Sie sehen sich vielmehr gezwungen, auf ihre politische Abhängigkeit zu verweisen und gegenüber der verhaßten Besatzungsmacht ihren Status der Unterworfenheit einzugestehen. Szene II (18,33–38a): In V 33 kehrt Pilatus ins Prätorium zurück, um nun den Angeklagten zu verhören. Daß dieser innerhalb des Prätoriums „die Funktion des Offenbarers aus[übt], der alle, auch den Inhaber weltlicher Macht, in die Entscheidung stellt“81, ist zu bestreiten, denn Jesus gibt – wie weiter oben bereits aufgezeigt82 – keine direkte Auskunft über sich selbst, sondern stellt in V 34 eine Rückfrage an Pilatus, formuliert in V 36 negativ und hypothetisch und demonstriert in V 37f, daß Pilatus auf der Seite des Unglaubens steht und seine Stimme nicht hört. Die Entscheidung von Pilatus, der als Repräsentant eines Reichs GXM VQW MQUOQW VQWVQW auftritt, steht von vornherein fest. Dieser Sachverhalt soll im folgenden näher erläutert werden. Obwohl die Ankläger noch keine konkrete Anklage vorgebracht haben, fragt Pilatus in 18,33 Jesus, ob er der DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP sei. Der Begriff taucht im Joh an dieser Stelle zum ersten Mal auf. Im Unterschied zum Titel DCUKNGWLVQW 8,UTCJN, der im Bekenntnis von Nathanael (1,49) und in der Einzugserzählung (12,13) verwendet wird, ist DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP Fremdbezeichnung durch einen Heiden.83 Auf Jesu Gegenfrage in 18,34,84 wie Pilatus dazu komme, diesen Titel zu nennen, entgegnet der Römer Pilatus denn auch, er sei kein 8,QWFCKQL (V 35a), betont also, daß es sich um eine innerjüdische Angelegenheit handelt, in die sich einzumischen er nicht gewillt ist.85 Das Volk der 8,QWFCKQK und die Hohenpriester haben ihm einen der ihrigen überliefert (V 35b), und da sie ihren Anklagepunkt nicht nennen wollen – mit Bedacht, wie sich herausstellen wird –, bringt Pilatus nun das 81

Schnackenburg, Joh III, 282; vgl. Becker, Joh II, 674. S.o. in der Einleitung von Abschnitt 3.2.3. 83 Vgl. Becker, Joh II, 671f; Lampe, DCUKNGWL, 495. 84 Blank, Verhandlung, 69: „Darin, daß nun Jesus der Fragende ist, liegt auch ein leiser Hinweis, wer hier eigentlich im Letzten die Verhandlung führt.“ Blank spricht vom „Stilmittel der vertauschten Rollen“ (s.u. Anm. 132). Vgl. zu 18,34 auch Söding, Macht, 41: „Schon mit der ersten Einlassung Jesu ist der Rollentausch vollzogen, der den gesamten weiteren Prozeß prägt. Nicht der Richter, der Römer Pilatus, bestimmt den Verlauf und das Thema der Verhandlung, sondern der Angeklagte, der Jude (18,35) Jesus, der Sohn Gottes (19,7).“ 85 Becker, Joh II, 673: „Pilatus hat also recht, wenn er hier indirekt (V 31.35) seine Inkompetenz zum Urteil zugibt, denn was die Juden zum Prozeß treibt, ist ihr ungläubiges Ärgernis an Jesus als göttlichem Gesandten, nicht ein politisches Verbrechen Jesu. Sie wollen Jesus los sein und können es nur mit Pilatus als Mittel zum Zweck.“ 82

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vor, was er irgendwoher von diesem 8,QWFCKQL Jesus gehört zu haben scheint (vgl. z.B. 12,12f). Während die Hohenpriester versuchen, den Fall Jesus, den sie aufgrund des römischen Tötungsverbot selbst zu erledigen nicht imstande sind, mit Hilfe ihrer Besatzungsmacht loszuwerden, distanziert sich Pilatus von dieser Angelegenheit. In V 35c fragt er Jesus, was er denn getan habe (VK GXRQKJUCL).86 Wie bereits in V 34 geht Jesus in V 36 erneut nicht direkt auf die von Pilatus gestellte Frage ein. Statt sie zu beantworten, kehrt er zur ersten Frage nach dem Königstitel (V 33) zurück und grenzt sein Königreich von einem Königreich ab, das seine Legitimation aus der Welt bezieht (DCUKNGKCGXMVQWMQUOQWVQWVQW), womit er allerdings zugleich in bezug auf die neue Frage (V 35) signalisiert, daß sich sein Tun nicht nach weltlichen Maßstäben beurteilen läßt. Wäre sein Reich von dieser Welt, hätten seine Diener gegen die Auslieferung gekämpft.87 Doch sein Königreich ist im Gegensatz zu jeder weltlich legitimierten Herrschaft auf keinen Machtkampf angewiesen, sondern setzt sich aus eigener Kraft durch. Auf die Rückfrage von Pilatus, ob er also doch ein König sei (V 37a), pflichtet ihm Jesus bei und gibt erstmals positiv über seine Identität Auskunft (V 37b). Hat er in V 36 erklärt, sein Reich sei nicht von dieser Welt, so hält er nun fest, daß er in diese Welt gekommen sei, um von der Wahrheit Zeugnis abzulegen. Die von Jesus bezeugte Wahrheit befreit den Menschen von der Lüge, sich selbst zu behaupten, und schenkt ihm wahres Leben, das nicht aus der Welt, sondern von oben empfangen wird. Wer die von unten gewonnenen Maßstäbe der Welt, die die Wahrheit als Lüge diffamieren,88 zerbricht und seine Selbstbehauptung aufgibt, erhält eine neue Herkunft: Er ist selbst aus der Wahrheit, hört Jesu Stimme und durchschaut die Lüge der Welt. Wer von oben geboren wird, sieht das Königreich Gottes (3,3), ein Königreich, das nicht aus dieser Welt ist, sondern eines, das aus der Wahrheit ist und die Machtansprüche dieser Welt Lügen straft.89 Pilatus, der als 86 Vgl. in V 30 die pauschale Anklage der 8,QWFCKQK, die auf MCMQPRQKYP lautet (s.o. die Auslegung zu Szene I). 87 Während Pilatus in V 35 davon spricht, daß die 8,QWFCKQK Jesus an ihn auslieferten, thematisiert Jesus in V 36 seine Auslieferung an die 8,QWFCKQK und marginalisiert damit die Funktion von Pilatus (s.u. die Auslegung von 19,6 in Szene VI). 88 In 8,31ff wird die Diffamierung der Wahrheit als Lüge ausführlich entfaltet und in ihrem Kontext das Bestreben der Gegner Jesu erörtert, ihn zu töten. 89 Vgl. zur Selbstoffenbarung Jesu und zum Lebensempfang im Glauben den ersten Buchteil des Joh bzw. die sich auf Kap. 2–12 beziehenden Erörterungen im ersten exegetischen Teil dieser Arbeit (Kap. 2). Jesus führt seine Sendung, von der Wahrheit Zeugnis abzulegen, vor Pilatus nicht weiter aus, und insofern ist denn auch Diebold-Scheuermann zuzustimmen, daß es im Prozeß vor Pilatus keinen Anhaltspunkt gibt, „mit dem eine Charakterisierung der Königsherrschaft Jesu festzumachen wäre.“ (Diebold-Scheuermann, Pilatus, 293; vgl. die weitere Stellungnahme ebd., 290–294.) Allerdings wird dieses Königreich, von dem Jesus sagt, es sei nicht aus der Welt (V 36), von dem er aber nicht sagt, es existiere nicht, im-

146 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Vertreter der römischen Besatzungsmacht diese Machtansprüche geradezu verkörpert, hat von der Wahrheit denn auch keine Ahnung (V 38a).90 Jesu Antwort in V 37, die gar nicht weiter ausführt, was das Zeugnis von der Wahrheit beinhaltet, ist nicht als Aufforderung an Pilatus zu verstehen, er habe sich zu entscheiden, „ob er zu diesen oder jenen Menschen gehören will“91. Jesus offenbart vor Pilatus nicht sein Königtum,92 sondern er stellt klar, daß Pilatus zu seinem Königtum, das nicht aus der Welt ist, nichts zu sagen hat. Die Position von Pilatus Jesus gegenüber steht von Anfang an fest und muß nicht erst gefunden werden: Als Vertreter des römischen Staates, einer DCUKNGKCGXMVQW MQUOQW, steht er auf der Seite derjenigen, die sich gegen die Wahrheit entschieden haben und Jesu Stimme nicht hören. Allerdings unterscheidet sich Pilatus von den im ersten Buchteil auftretenden Figuren des Unglaubens bzw. von den Anklägern darin, daß er als Repräsentant der römischen Besatzungsmacht zum Unglauben geradezu „prädestiniert“ ist, verkörpert er doch die Machtansprüche dieser Welt in unzweideutiger Form.93 Zwei Argumente stützen diese These: Einerseits versucht Pilatus, sich von der Angelegenheit zu distanzieren, von der er ahnt, daß sie ihn mit einem göttlichen Anspruch konfrontiert. Im Unterschied zu den Anklägern, die Jesu Anspruch, Gottes Sohn zu sein, ablehnen, ist er bestrebt, sich eines Urteils zu enthalten (vgl. 18,31.35.39; 19,7f.11f).94 Andererseits ist Jesus nicht darauf aus, sich vor Pilatus zu offenbaren, sondern will einzig klarstellen, daß dieser als Repräsentant einer DCUKNGKC GXM VQW MQUOQW und insofern als einer, der nach weltlichen Maßstäben urteilt und richtet, Jesu Herrschaft nicht bestreiten kann.95 Pilatus tritt nicht als Heide plizit als Reich der Wahrheit charakterisiert, als DCUKNGKCVQW SGQW (3,3.5), die sich demjenigen öffnet, der im Glauben von oben geboren wird. Dieses Königtum, das sich an keinem weltlichen bzw. philosophischen Herrscherideal messen läßt (gegen Ford, Sovereign), wird nicht im Prozeß vor Pilatus konkretisiert, sondern im ersten Buchteil. 90 Diebold-Scheuermann, Pilatus, 41: „Seine Frage bringt aber ein Nicht-Verstehen dessen, was Wahrheit ist, zum Ausdruck. Eine Antwort erfolgt nicht; der Dialog ist mit dieser Frage beendet.“ 91 Schnackenburg, Joh III, 286. Vgl. Blank, Verhandlung, 71: „Der Anspruch des Wahrheitszeugen richtet sich auch an den Vertreter des Staates, den Prokurator. Dieser selbst ist nun in die Entscheidung gestellt.“ Vgl. auch Becker, Joh II, 674; Zumstein, Prozess, 152f; Schnelle, Joh, 274f; Dietzfelbinger, Pilatus, 102.105.116. 92 S.o. Anm. 89. 93 Zum Macht-Konzept, das hinter der Figur Pilatus steht, vgl. auch Söding, Macht, 44– 46; Giblin, Pilate, 227. 94 Auch die Frage in 18,38a signalisiert diese Distanzierung. Vgl. Blank, Verhandlung, 71: Die Antwort bedeute, daß Pilatus dem Anspruch der Wahrheit ausweiche. 95 Bultmann sieht zwar richtig, daß sich Pilatus von den anderen Figuren des Unglaubens unterscheidet, doch ist seiner Interpretation, die im Gegenüber von Pilatus und Jesus das grundsätzliche Verhältnis von staatlicher Autorität und Anspruch der Offenbarung widerspiegelt sieht (Bultmann, Joh, 501–515), zu widersprechen. Zur Kritik an Bultmann vgl. Haenchen, Pilatus, 149f; Blank, Verhandlung, 63; Giblin, Pilate, 226f.

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auf, der zum Glauben bekehrt wird oder sich im Unglauben verschließt, sondern er repräsentiert die gottlose Macht des römischen Kaiserreichs, an die die Hohenpriester gelangen müssen, um ihre eigenen gottlosen Machtansprüche durchzusetzen.96 Das Machtspiel, das sich zwischen Pilatus und den Anklägern entfaltet, führt schließlich – wie die Fortsetzung zeigen wird – zum Unglaubensbekenntnis und Selbstgericht der Ankläger. Szene III (18,38b–40): Wieder draußen bei den Anklägern beteuert Pilatus, daß er, der Repräsentant der römischen Besatzungsmacht, an Jesus keine Schuld finde (V 38b),97 und weist mit dieser Unschuldsbeteuerung die Angelegenheit erneut von sich. Wie bereits in der ersten Szene (V 31a) versucht er auch jetzt, Jesus loszuwerden, indem er die 8,QWFCKQK auf ein von der Besatzungsmacht zugestandenes Recht verweist.98 Er erinnert sie an den Brauch der Passa-Amnestie und unterbreitet ihnen den Vorschlag, den DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP freizugeben (V 39).99 Weigerten sich die Ankläger in der ersten Szene, einen Anklagepunkt zu nennen, bringt nun Pilatus selbst einen ins Spiel. Mit dem Titel DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP bezeichnet er Jesus als politischen Aufrührer, den er zur Begnadigung vorschlägt. Die dreimalige Nennung des Titels macht darauf aufmerksam, daß er mit dem Vorschlag, den DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP freizulassen, den 8,QWFCKQK entgegenkommen will, konzediert er ihnen doch damit einen eigenen König.100 Um Jesus loszuwerden, ist Pilatus bereit, ein Zugeständnis zu machen. Al96

S.o. den Exkurs in Abschnitt 3.2.2.2. sowie Anm. 78. Vgl. das betonte Personalpronomen GXIY (im Unterschied zu Lk 23,4). 98 Zum historischen Hintergrund einer Passa-Amnestie sowie der Freilassung von Barabbas vgl. Brown, Death I, 811–820. 99 Pilatus stellt damit die Entscheidung, was mit Jesus zu geschehen hat, allerdings nicht den 8,QWFCKQK anheim (gegen Blank, Verhandlung, 72; Baum-Bodenbender, Hoheit, 61), sondern er versucht, Jesus auf offiziellem Weg freizulassen, da er – wie die Fortsetzung zeigt (19,12f) – mit einer Freilassung in eigener Regie unter politischen Druck geriete. 100 Das Entgegenkommen wird auch durch den Sachverhalt unterstrichen, daß Pilatus von sich aus die Ankläger an den Amnestiebrauch erinnert. In Mk 15,8 macht das Volk Pilatus auf die Amnestie aufmerksam, und in Mt 27,15–17 versammelt sich das Volk aufgrund des Amnestiebrauchs vor Pilatus. In Lk 23,13–18 macht ebenfalls Pilatus den Vorschlag, wenn auch ohne explizite Bezugnahme auf den Amnestiebrauch. Vgl. Schnackenburg, Joh III, 289. Wengst hält die These, daß Pilatus den Anklägern ein Zugeständnis machen will, für falsch. Es gehe Pilatus nur darum, die Ankläger zu verhöhnen, „indem er den Angeklagten gerade als den anbietet, als der er ihm von ihnen ausgeliefert worden war“ (Wengst, Joh II, 230). Die Ankläger müßten das Angebot ausschlagen, wollten sie nicht selbst als illoyal erscheinen. Wengst übersieht, daß die Ankläger den Anklagepunkt DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP bisher gar nicht erwähnten – mit Bedacht, wie sich herausstellen wird. Pilatus kann ihnen das Angebot bedenkenlos unterbreiten, ist er doch von der politischen Harmlosigkeit dieses Königs überzeugt. Zudem wird bereits zu Beginn des Prozesses deutlich, daß Pilatus nicht gewillt ist, sich in eine innerjüdische Angelegenheit einzumischen (vgl. 18,31, dann 19,6.12); vielmehr fürchtet er sich davor, über diesen König der Wahrheit zu Gericht zu sitzen (s.u. zu 19,8 die Auslegung des Komparativs OCNNQP). Seinen Spott mit den Anklägern treibt er erst (19,1ff ), als diese sein Angebot ausschlagen (18,40). 97

148 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 lerdings ist die Glaubwürdigkeit seines Zugeständnisses insofern beeinträchtigt, als Pilatus selbst die politische Harmlosigkeit dieses Königs bestätigt: Es ist ihm nichts vorzuwerfen. Pilatus nimmt den Widerspruch in Kauf, einerseits Jesu Unschuld zu beteuern (V 38b), ihn andererseits aber wie einen politischen Aufrührer zu behandeln, der einer Amnestie bedarf (V 39). Wie in der ersten Szene beharren die Ankläger auf ihrem Begehren, Jesus hinzurichten, und fordern Pilatus dazu auf, Barabbas an Jesu Statt freizulassen (V 40).101 Statt in ihrer Antwort den von Pilatus ins Gespräch gebrachten Königstitel wiederaufzunehmen, ersetzen sie ihn durch das Demonstrativpronomen (OJ VQWVQP) und ignorieren so das heikle Thema. Um an ihr Ziel der Tötung Jesu zu gelangen, verzichten sie auf das verlockende Angebot, einen eigenen König in Empfang zu nehmen. Mit dieser impliziten Verzichtserklärung weisen die Hohenpriester ein erstes Mal ihre Messiashoffnung von sich:102 Sie ziehen es vor, mit Barabbas, einem Verbrecher, das Passa zu essen,103 statt ihren König, den erwarteten Messias, zu feiern.104 Pilatus seinerseits scheitert damit erneut mit seinem Vorhaben, Jesus loszuwerden, und muß darüber hinaus einen NJ^UVJL, d.h. einen Verbrecher – vielleicht sogar einen politischen Aufrührer bzw. Zelotenführer105 –, aus der Gefangenschaft entlassen. Das Machtspiel zwischen den Anklägern und Pilatus geht in die nächste Runde. 101 Es ist unklar, wie das Adverb RCNKP in V 40 zu verstehen ist. Schreien die 8,QWFCKQK zurück (so z.B. Brown, Death I, 807; Giblin, Pilate, 228), oder lehnen sie nach V 31 erneut einen Vorschlag von Pilatus ab (so z.B. Diebold-Scheuermann, Pilatus, 44)? Eine weitere Möglichkeit bietet die Interpretation von RCNKP als Rückverweis auf 12,13, wo eine große Volksmenge der 8,QWFCKQK ebenfalls schrie (GXMTCWIC\QP), als sie Jesus, den DCUKNGWLVQW 8,UTCJN, in Jerusalem begrüßte. In 18,40 – und später in 19,6.12.15 – schreien die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester erneut (RCNKP), doch diesmal nicht für, sondern gegen den DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP. Das Verb MTCWIC\GKP wird im Joh außer an den erwähnten Stellen nur noch ein weiteres Mal (11,43) verwendet. Es könnte in der Einzugserzählung und in der Prozeßszene vor Pilatus bewußt gesetzt sein, um diese beiden Texte einander gegenüberzustellen. Das Verb fehlt jedenfalls in den jeweiligen synoptischen Parallelen. 102 In 19,15 widerrufen die Hohenpriester ihre Messiashoffnung explizit (s.u. Szene VII). 103 Zumstein, Prozess, 151: „Der religiöse und politische Konformismus führt zur Freilassung eines wirklichen Verbrechers (18,38b–40).“ Baum-Bodenbender, Hoheit, 62f: In der Entscheidung der 8,QWFCKQK für Barabbas „findet ihre u n g l ä u b i g e A b l e h n u n g des Offenbarungsanspruchs Jesu ihren konkreten Ausdruck. Zugleich aber wird nun ihre Anklage von V 30 als Lüge entlarvt: denn sie, die Jesus als MCMQP RQKYP denunziert haben, bitten um die Freilassung eines wirklichen Übeltäters, eines NJ^UVJL.“ 104 Die 8,QWFCKQK entscheiden sich allerdings nicht für Barabbas als ihren König (gegen Giblin, Narration, 228). 105 So Bultmann in Rückgriff auf Mk 15,7 und Lk 23,19 (Bultmann, Joh, 509); vgl. Blank, Verhandlung, 73; Hahn, Prozeß, 43; Schnelle, Joh, 276; vgl. außerdem Rengstorf, NJ^UVJL; Hengel, Zeloten, 25–47.344–348.

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Szene IV (19,1–3): Obwohl in 19,4 Pilatus wieder aus dem Prätorium herauskommt, fehlt in 19,1 die entsprechende Bemerkung, daß er in das Prätorium hineingeht. Die vierte Szene unterscheidet sich denn auch durch einen weiteren Zug von den anderen beiden Szenen innerhalb des Prätoriums (II: 18,33–38a; VI: 19,9–12a): Jesus wird nicht verhört, sondern Pilatus vollstreckt an ihm eine Züchtigung. Wie zu Beginn dieses Abschnitts aufgezeigt, bildet die Szene den Abschluß des ersten Verhörgangs. Nachdem Pilatus vergeblich versucht hat, den Fall Jesus an die Ankläger zurückzuweisen (18,31: NCDGVGCWXVQPWBOGKL), gibt er nun ein erstes Mal nach und übernimmt Jesus (19,1: GNCDGP) – allerdings nur, um nach erfolgter Züchtigung erneut zu versuchen, den Fall an die Hohenpriester zurückzugeben (19,6: NCDGVGCWXVQPWBOGKL).106 Das Ziel der Geißelung und Verspottung Jesu ist klar: Pilatus will die Ankläger von ihrer Forderung abbringen, Jesus zu töten.107 Einerseits kommt er ihrem Begehren, Jesus zu bestrafen, entgegen und läßt Jesus geißeln, andererseits gibt er dieses Begehren aber auch der Lächerlichkeit preis und nimmt die Verspottung durch die Soldaten zum Anlaß, den Anklägern vor Augen zu führen, daß er an diesem harmlosen Menschen keine Schuld findet (vgl. Szene V). Die vier Elemente der Verspottungsszene (19,2f), Dornenkrone und Purpurgewand108 (V 2) sowie Huldigung und Backenstreiche (V 3), ziehen die Identifikation Jesu als König ins Lächerliche. Zwei Interpretationsvorschläge, die das Verhältnis zwischen Jesu wahrem Königtum und der Verspottung in 19,2f(.4f) unterschiedlich konstruieren, stehen sich gegenüber: Offenbart Jesus in dieser Szene seinen paradoxen Anspruch, gerade als verspotteter, erbärmlicher Mensch der wahre König zu sein,109 oder inszeniert die Szene vielmehr nur das vergebliche – jedoch sich selbst entlarvende – Unterfangen des Unglaubens, Jesu wahres Königtum in Frage zu stellen?110 Vor dem Hintergrund der weiter oben diskutierten Sachverhalte, daß Jesus sich sowohl vor Hannas als auch vor Pilatus weigert, Auskunft über seine Identität zu geben, und daß in der Kreuzigungserzählung die sonst als Zeugen des Offenbarungsgeschehens auftretenden Jünger fehlen, ist es proble106

Vgl. Schnackenburg, Joh III, 291. Vgl. Becker, Joh II, 678f; Brown, Death I, 827; Dietzfelbinger, Pilatus, 107. 108 Brown verweist darauf, daß Jesus im Joh statt in einen Militärmantel (vgl. Mk 15,17: RQTHWTC als terminus technicus) in ein echtes Purpurgewand (19,2.5: KBOCVKQP RQTHWTQWP), d.h. einen teuren Königsmantel, gehüllt wird (Brown, Death I, 865f; vgl. Derrett, Ecce, 217f ). Der Text enthält hier möglicherweise ein Signal, das die Verspottung durchbricht und darauf verweist, daß Jesus tatsächlich ein König ist. 109 Vgl. Bultmann, Joh, 510; Wengst, Gemeinde, 204–207; Baum-Bodenbender, Hoheit, 63–67.268f; Thüsing, Erhöhung, 30; Zumstein, Prozess, 155; Knöppler, theologia crucis, 260; Dietzfelbinger, Pilatus, 108; Frey, Deutung, 357. 110 Die paradoxe Einheit von Hoheit und Niedrigkeit in der Verspottungsszene bestreiten Becker, Joh II, 679f; Müller, Bedeutung, 65. 107

150 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 matisch, die Verspottungsszene als Ort der Offenbarung zu verstehen, wo Jesu wahres Königtum in Niedrigkeit enthüllt wird. 111 Im Unterschied zu den synoptischen Verspottungserzählungen (Mk 15,16–19; Mt 27,27–30) fehlen in der joh Szene außerdem die Elemente des Anspuckens und der Schläge auf den Kopf. Allerdings läßt sich die Massivität der Ohrfeigen (TBCRKUOCVC), die Jesus im Joh erhält, nicht abstreiten. Der Evangelist führt die Ohrfeigen bereits zum zweiten Mal auf, schlug doch bereits im Verhör vor Hannas ein Diener Jesus ins Gesicht (18,22). Die beiden Texte sind denn auch durch eine weitere Parallele gekennzeichnet: Während in 18,23 Jesus mit seiner Antwort (GKX MCMYLGXNCNJUC OCTVWTJUQPRGTK VQW MCMQW> GKXFGMCNYL VKOGFGTGKL) deutlich macht, daß die Ohrfeige nicht rechtens ist, beteuert Pilatus in der Prozeßverhandlung dreimal, keine Schuld an Jesus zu finden (18,38; 19,4.6). Die drei fast gleich lautenden Sätze (QWXFGOKCP/QWXEGWBTKUMYGXPCWXVY^ CKXVKCP) rahmen die Verspottungsszene und unterstreichen die Unrechtmäßigkeit der Geißelung Jesu und der ihr folgenden Ehrverletzung:112 Obwohl Pilatus Jesu Unschuld beteuert, läßt er ihn geißeln,113 und obwohl seine Soldaten um Jesu Unschuld wissen, schlagen sie ihn ins Gesicht. In diesem widersprüchlichen Tun offenbart sich die Lüge der Welt. Das machtpolitische Handeln von Pilatus legitimiert sich selbst; seine DCUKNGKC ist eine DCUKNGKCGXMVQW MQUOQW, die nicht in der Wahrheit, sondern in der Lüge steht (vgl. 8,44: Q=VCPNCNJ^ VQ [GWFQL GXMVYPKXFKYP NCNGK). Die Lüge der Welt kann jedoch an Gottes Wahrheit nicht rütteln. Wie Jesu Diener nicht gegen seine Auslieferung kämpften, da sein Reich nicht von dieser Welt ist (18,36), so wehrt sich jetzt Jesus nicht gegen die Verspottung und Ehrverletzung, weil er seine FQZC nicht wie seine Gegner von Menschen empfängt (5,41.44), sondern allein vom himmlischen Vater (8,54), der sie auch zum Zeitpunkt der Kreuzigung garantiert (vgl. 8,50; 12,28; 13,31f). Das heißt nun allerdings nicht, daß sich Jesu himmlische FQZC in paradoxer Weise in seiner Erniedrigung offenbart, als ob sie durch den Entzug menschlicher Ehre allererst – oder allererst in ihrer wahren Dimension – in Erscheinung träte. Für solche Konstruktionen bietet der Text keinen Anhalt. In der Verspottungsszene offenbart nicht Jesus seine FQZC, sondern die Welt ihren Unglauben:114 Sie bezichtigt Jesus, der den An111

Vgl. insb. auch Anm. 89. Vgl. außerdem Diebold-Scheuermann, Pilatus, 222: „Die Schuldlosigkeitserklärungen des Pilatus dienen […] innerhalb der szenischen Darstellung dazu, die Absicht der Juden und ihre Entschlossenheit immer deutlicher werden zu lassen, um die Schuld der Juden zu verstärken. Sie dienen nicht der Bezeugung der Schuldlosigkeit Jesu an sich.“ 113 Pilatus ist in 19,1 sogar grammatikalisches Subjekt der Geißelung, womit der Widerspruch betont wird, daß derselbe, der Jesu Unschuld beteuert, ihn bestraft. 114 Blank, Verhandlung, 74: „Jesus empfängt die Insignien seiner Königswürde: Dornenkrone und Purpurgewand und nimmt die erste Huldigung entgegen: ECKTG QB DCUKNGWL VYP 112

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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spruch erhebt, Gottes FQZC zu offenbaren, der Lüge. Doch damit denunziert sie sich gerade selbst: Die Schläge gegen den Unschuldigen zeigen deutlich, daß sie es ist, die in der Lüge steht.115 Noch prägnanter wird die Kreuzigungserzählung demonstrieren, daß die sich dem Glauben verweigernde Welt mit ihrem Angriff auf Gottes Wahrheit nur gegen sich selbst agiert: Statt Jesus zu töten, erhöht sie ihn zu ihrem eigenen Richter.116 3.2.3.4. Zweiter Prozeßakt (19,4–16a) Szene V (19,4–8): Wollte Pilatus die Ankläger soeben noch mit dem Angebot zufriedenstellen, ihren König freizugeben, so ändert er nun, nachdem diese Barabbas’ statt Jesu Begnadigung verlangt haben, seine Strategie. Er führt ihnen einen verspotteten, jämmerlichen König vor (V 5) und demonstriert ihnen so die Harmlosigkeit Jesu. Die Ankläger sollen anhand dieser Karikatur erkennen, daß es hier aus Mangel an Schuld nichts zu richten gibt (V 4), denn der mit den Königsinsignien Versehene ist ein harmloser Mensch (V 5),117 der keine politische Gefahr darstellt:118 „,Seht, da ist der Mensch!‘, der Mann, den ihr als Königsanwärter angeklagt habt.“119 Es gibt 8,QWFCKYP. Mit einem Wort: So erscheint Jesu Königtum und Königsanspruch in den Augen der Welt.“ 115 Vgl. in ähnlicher Richtung Diebold-Scheuermann, Pilatus, 274: „Die Paradoxie in dieser Szene besteht darin, daß Jesus nicht reagiert; er tut nichts, läßt alles an sich geschehen, wehrt sich nicht. So wird gerade im Nicht-Reagieren die Unangreifbarkeit Jesu deutlich, er steht über den Dingen. Während der Autor Pilatus und die römischen Soldaten in voller Aktivität mit ihren grotesken Handlungen darstellt […], prallt dies in der Darstellung des Autors mit dem Nicht-Reagieren von Jesus völlig ab. Die Handlung fällt damit auf die Römer zurück, und die Überlegenheit Jesu wird vom Evangelisten dem Rezipienten um so deutlicher aufgezeigt.“ Zu Diebold-Scheuermanns Hypothese in bezug auf Jesu Königtum s.o. Anm. 89. 116 S.u. Abschnitt 3.2.4. zur Kreuzigungserzählung. 117 Verschiedene Auslegungen ordnen dem Begriff QBCPSTYRQL christologische Tragweite zu (vgl. die Auflistung der Interpretationsvorschläge bei Brown, Death I, 827f ). Die Identifikation von QB CPSTYRQL mit QB WKBQL VQW CXPSTYRQW (vgl. Blank, Verhandlung, 75 Anm. 38; Dauer, Passionsgeschichte, 264; Moloney, Son of Man, 202–207; Giblin, Pilate, 230; Heil, Blood, 65) ist ohne Anhalt am Text. Doch die Szene inszeniert auch nicht die Paradoxie der NQIQL-Inkarnation (vgl. Bultmann, Joh, 510; Hahn, Prozeß, 44), so daß Jesus gerade als geschundener Mensch der wahre König wäre (so Wengst, Gemeinde, 207; ders., Joh II, 235f; Baum-Bodenbender, Hoheit, 67; Zumstein, Prozess, 155; Thompson, Humanity, 108.110f; Knöppler, theologia crucis, 264f; Schnelle, Joh, 278; Wilckens, Joh, 284f ), denn die These, daß Jesus in dieser Szene seine wahre Identität offenbart, wird vom erzählerischen Kontext nicht gestützt (vgl. Lindars, John, 566; Schnackenburg, Joh III, 295f; Becker, Joh II, 679f; Brown, Death I, 828; Diebold-Scheuermann, Pilatus, 155–161) – im Gegenteil: Wie bereits bei der Auslegung von Szene IV dargelegt, ist die verspottete Gestalt nicht Ausdruck des Königtums Jesu, sondern Zeugnis der Lüge der Welt. Die Verspottung tangiert Jesu wahres Königtum nicht. 118 Vgl. Schnackenburg, Joh III, 294f; Becker, Joh II, 679; Brown, Death I, 827. 119 Schnackenburg, Joh III, 295. Der Artikel ordnet dem Begriff CPSTYRQL keine spezielle Bedeutung zu (vgl. 4,50; 5,9.12.15; 9,30).

152 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 für Pilatus keinen Grund, diesen Menschen zu richten, geschweige denn hinzurichten.120 Die Hohenpriester und ihre Diener jedoch wollen mit diesem lächerlichen König, der sie ihrerseits vor Pilatus ins Lächerliche zieht, nichts zu tun haben und schreien deshalb nach seiner Kreuzigung (V 6a: UVCWTYUQP).121 Da die Ankläger auf dem bereits im ersten Prozeßakt erwähnten Todesurteil (18,31b) beharren, jedoch weiterhin keine konkrete Anklage vorbringen, weist sie Pilatus erneut zurück (19,6b). Er tut dies mit derselben Formulierung wie in 18,31a (NCDGVG CWXVQP WBOGKL) und fügt ergänzend hinzu: MCKUVCWTYUCVG. Indem er sie auffordert, Jesus selbst zu kreuzigen, obwohl es ihnen gerade nicht erlaubt ist zu töten (18,31b) und obwohl die Hinrichtungsart der Kreuzigung eine heidnische ist, stellt er ihnen spöttisch ihre Handlungsunfähigkeit vor Augen und zeigt, wer der Stärkere ist.122 Die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester123, die sich bisher zum Anklagepunkt nicht geäußert haben, sind jetzt gezwungen, den Grund zu nennen, wieso Jesus nach ihrem Gesetz sterben muß. Sie konkretisieren das unbestimmte MCMQPRQKYP aus 18,30: Jesus hat sich selbst zu Gott gemacht (19,7: WKBQP SGQW GBCWVQP GXRQKJUGP; vgl. 5,18f). Ihr Unglaube, die Ablehnung des Anspruchs Jesu, Gottes Sohn zu sein, kommt nun also im Gerichtsprozeß explizit zur Sprache. Noch immer keine explizite Stellung beziehen sie jedoch zum von Pilatus ins Spiel gebrachten Vorwurf, Jesus verstehe sich als DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP. Mit ihrer Anklage betonen sie vielmehr, daß es sich um eine innerjüdische Angelegenheit handelt (V 7: JBOGKL PQOQP GEQOGP), über die sie selbst zu entscheiden haben, zu deren Erledigung sie allerdings auf die Kooperation von Pilatus angewiesen sind. So versuchen sie, ihre Restautonomie in den Vordergrund zu rücken, und vermeiden vorerst (vgl. aber V 12) die Anklage, Jesus unterwandere als DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP die römische Besatzungsmacht, brächten sie doch damit ihre bedingungslose Loyalität Rom gegenüber zum Ausdruck. Der in 19,7 noch vermiedene Königsvorwurf Zwar nennen die Ankläger in 19,7 den wahren Grund ihres Tötungsbegehrens und bekennen so ihren Unglauben, doch entkommen sie gerade dadurch, daß sie das politische Thema meiden, vorerst noch einem Schachmatt, das erst mit ihrem Be120 Diebold-Scheuermann betont, daß Pilatus von den Anklägern nicht die Erkenntnis (V 4: K=PC IPYVG) der Harmlosigkeit Jesu fordert, sondern „daß die Textaussage auf Pilatus abhebt: Sie sollen erkennen, daß Pilatus keine Schuld an ihm findet“ (Diebold-Scheuermann, Pilatus, 154). Folgerichtig fordert Pilatus denn auch in V 6 die Hohenpriester dazu auf, Jesus selbst zu kreuzigen, da er keine Schuld an ihm finde. 121 Die Wurzel UVCWT taucht an dieser Stelle zum ersten Mal im Joh auf. 122 Die Reaktion von Pilatus ist nicht ratlos (gegen Blank, Verhandlung, 76). Vgl. dagegen Schnackenburg, Joh III, 297; Becker, Joh II, 681; Dietzfelbinger, Pilatus, 108f. 123 S.o. Anm. 69 und Anm. 56.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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kenntnis zum Kaiser erfolgen wird (s.u. zu 19,15). Schnackenburg postuliert in bezug auf V 7: „Die Hohenpriester werden entlarvt, daß ihre Anklage, Jesus sei ein politischer Rebell, nur vorgeschoben war.“124 Dieser Interpretation ist entgegenzuhalten, daß die Hohenpriester eine solche Anklage gar nie erhoben und auch den von Pilatus ins Spiel gebrachten Vorwurf, Jesus beanspruche, der DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP zu sein, bisher hartnäckig ignoriert haben! In 18,30 sprachen sie nur pauschal und ausweichend von einem Übeltäter, obwohl sie in 11,47–53 gerade aufgrund der politischen Furcht, die Römer könnten Jesus für einen Rebell halten und wegen ihm einschreiten (11,48), Jesu Tötung beschlossen hatten.125 Ähnlich wie Schnackenburg meint auch Becker: „So sind die Juden gezwungen, die Karten auf den Tisch zu legen. Auch für sie [wie für Pilatus, der Jesu Unschuld beteuert,] ist Jesus kein messianischer Rebell noch politisch gefährlich.“126 Indirekt schätzen die Hohenpriester Jesus jedoch tatsächlich als politisch gefährlich ein (vgl. 11,48). Während die Absicht, Jesus zu töten, in ihrem Unglauben gründet, der behauptet, Jesus mache sich selbst zu Gott (5,18), wird der Beschluß zur Tötung durch machtpolitische Überlegungen (11,48), die ihrerseits Ausdruck des Unglaubens sind,127 ausgelöst. Die Umsetzung dieses machtpolitisch motivierten Todesbeschlusses aber wird ihnen zum Verhängnis. Der Interpretation der folgenden Szenen sei hier kurz vorgegriffen: Nachdem die Ankläger in 19,12 die politische Komponente ihrer Anklage – allerdings in für sie vorteilhafter Weise128 – thematisieren, wird Pilatus sie zwingen, sich zum Kaiser als ihrem einzigen König zu bekennen; mit diesem Bekenntnis sagen sich die Hohenpriester jedoch von ihrer Messiashoffnung los (s.u. zu 19,15). Die joh Prozeßszene ist höchst raffiniert konstruiert: Der Prozeß, den die Hohenpriester aufgrund machtpolitischer Überlegungen gegen Jesus, den falschen Gottessohn, anstrengen, wird auf einer politischen Ebene geführt und mündet in ein politisches Bekenntnis der Ankläger, das auf einer tieferen Ebene ihr Selbstgericht bzw. Gottes Gericht über ihren Unglauben bedeutet. Auf der Bühne der Machtpolitik stellt der Evangelist die dem Unglauben eigene Dynamik der Selbstzerstörung dar.

Während die Hohenpriester darüber richten, ob Jesus zu Recht oder zu Unrecht von sich behauptet, Gottes Sohn zu sein, versucht Pilatus, sich eines Urteils in dieser Sache zu enthalten. Er führt den Prozeß auf einer politischen Ebene. Bereits in 18,31.35 wurde deutlich, daß er kein Urteil über eine innerjüdische Angelegenheit zu fällen gewillt ist. Als Jesus dann erklärte, daß er zwar ein König sei, die Legitimation seines Königtums aber nicht 124

Schnackenburg, Joh III, 298; vgl. auch Hahn, Prozeß, 44f. S.o. in Abschnitt 3.2.2.2. den Exkurs zur Synedriumsverhandlung. 126 Becker, Joh II, 681; vgl. auch Baum-Bodenbender, Hoheit, 68; Diebold-Scheuermann, Pilatus, 166–169. 127 S.o. in Abschnitt 3.2.2.2. den Exkurs zur Synedriumsverhandlung. 128 Insofern legen die Hohenpriester ihre (in 11,47–53 gefaßten) Karten nie ganz auf den Tisch: Sie nennen in 19,12 nicht den Erhalt ihrer eigenen Macht (vgl. 11,48) als Grund, Jesus zu töten, sondern den Erhalt der Macht des römischen Kaisers, obwohl sie in Wahrheit gerade gegen diese antreten (vgl. 11,48). 125

154 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 aus der Welt beziehe, versuchte er ein erstes Mal, den Angeklagten loszuwerden (18,39). Auf diese Stelle läßt sich die komparativische Formulierung in 19,8 (OCNNQPGXHQDJSJ) auch leicht zurückbeziehen: Obwohl nie davon die Rede war, daß Pilatus sich gefürchtet hätte, reagiert er auf die klare Stellungnahme der Ankläger in 19,7, Jesus beanspruche, die Herrschaft Gottes zu vertreten, mit gesteigerter Furcht. Die folgende, sechste Szene macht deutlich, daß der Komparativ OCNNQP auf den ersten Prozeßakt und den Amnestievorschlag zurückweist:129 Das in 19,12 verwendete Verb CXRQNWY signalisiert, daß Pilatus bereits beim ersten Versuch, Jesus freizulassen (18,39: CXRQNWY), von Furcht getrieben war. Als Repräsentant einer DCUKNGKC GXM VQW MQUOQW VQWVQW fürchtete er sich, seine Macht mit derjenigen eines Königs zu messen, dessen Reich nicht von dieser Welt ist. Jetzt, da das Stichwort SGQL gefallen ist (19,7), sieht er sich bestätigt und fürchtet sich noch mehr. Szene VI (19,9–12a): Auf die Anschuldigung der Ankläger hin, Jesus habe sich selbst zu Gottes Sohn gemacht, kehrt Pilatus ins Prätorium zurück und fragt Jesus nach seiner Herkunft (V 9a: RQSGPGKUW). Hat dieser bereits im ersten Verhör nur negativ zu seiner Identität Stellung bezogen (18,36: JB DCUKNGKCJB GXOJ QWXMGUVKPGXPVGWSGP), so weigert er sich nun, überhaupt zu antworten (V 9b) und vor Pilatus seine Herkunft von oben, seine Gottessohnschaft, zu proklamieren. Die Fortsetzung zeigt, weshalb er keine Stellung bezieht: Seine Herkunft entzieht sich dem Urteil von Pilatus. Während Pilatus seine Macht demonstriert und darauf hinweist, daß er frei über das Schicksal Jesu verfügen könne (V 10),130 stellt dieser klar, daß die Vollmacht, die Pilatus über ihn hat, Gottes Vollmacht ist (V 11). Pilatus hat nicht zu entscheiden und darüber zu richten, ob Jesus Gottes Sohn ist oder nicht, sondern der Richterspruch, der hier fällt, ist von oben gegeben.131 Mit seiner Aussage in V 11 beantwortet Jesus nicht nur implizit die Frage von Pilatus, woher er sei (V 9: RQSGP; V 11: CPYSGP), sondern er tritt auch selbst als Richter auf, indem er erklärt, daß derjenige, der ihn überlieferte, die 129 Blank, Verhandlung, 77: „Es wird gesagt, daß ihn bisher schon Angst befallen hatte.“ Vgl. Bultmann, Joh, 511 Anm. 5; Hahn, Prozeß, 45 Anm. 72; Schnackenburg, Joh III, 300; Dietzfelbinger, Pilatus, 110. Als Elativ verstehen OCNNQP Barrett, John, 542; Léon-Dufour, Jean IV, 101 Anm. 99; Brown, Death I, 830. 130 Eine Aussage, die bereits in der folgenden Szene ad absurdum geführt wird. Pilatus hat zwar die Vollmacht, Jesus zu kreuzigen, doch seine Vollmacht, ihn freizulassen (GXZQWUKC CXRQNWUCK), wird von den Anklägern unterminiert: Sie weisen Pilatus darauf hin, daß die Freilassung seine Macht gefährden wird (V 12). So zwingt die eigene Machtgier Pilatus, Jesus zu kreuzigen. Blank, Verhandlung, 80: „Er ist der Gefangene seiner Macht.“ 131 Schnelle, Joh, 279: „Eine göttliche Legitimation staatlicher Macht beabsichtigt Johannes nicht [gegen Bultmann, Joh, 512], vielmehr zeigt er im Gegenteil die Grenzen des Staates und die wirklichen Machtverhältnisse im Himmel und auf Erden auf.“ Vgl. Blank, Verhandlung, 79.

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größere Schuld hat.132 Größer ist die Schuld deshalb, weil die Hohenpriester133 mit der Auslieferung Jesu ihren Unglauben bekennen, während Pilatus, dessen Unglaube von Anfang an feststeht, lediglich seine Funktion als Richter in dem von den Hohenpriestern angestrengten Prozeß wahrnimmt:134 Die Ankläger – die ihr Dasein GXM VQW MQUOQW VQWVQW beziehen und nicht glauben (8,23)135 – sind auf ihn, den Repräsentanten einer DCUKNGKCGXMVQW MQUOQWVQWVQW, angewiesen, um ihr Vorhaben, Jesus zu töten, in die Tat umzusetzen. Die Antwort Jesu scheint Pilatus gar noch mehr Furcht einzujagen, denn sie unterstreicht, daß sich Jesu Anspruch auf kein Königtum bezieht, über das er zu Gericht sitzen könnte, sondern daß sich dieses Königtum seinen Machenschaften entzieht. Nachdem Pilatus in 18,39 Jesus vergeblich zur Amnestie vorgeschlagen hat, versucht er nun, ihn in eigener Regie freizulassen (19,12a). Im Unterschied zu den Hohenpriestern will Pilatus nicht über Gottes Sohn zu Gericht sitzen, sondern er will ihn sich ganz einfach vom Leibe halten. Szene VII (19,12b–15): Die Hohenpriester hindern jedoch Pilatus an seinem Vorhaben und halten ihm vor, daß er sich mit der Freilassung dieses Angeklagten gegen den Kaiser stelle (V 12b: GXCPVQWVQPCXRQNWUJ^L QWXMGK HKNQLVQW -CKUCTQL). Um Pilatus in die Enge treiben zu können, sind sie gezwungen, ihre Anklage aus V 7 in eine politische Richtung zu führen und die von ihnen bisher hartnäckig ignorierte Beschuldigung von Pilatus’ Seite, Jesus halte sich für einen König, selbst zu artikulieren. Versuchten sie in 18,30 noch, mit einer Pauschalanklage Pilatus zur Verurteilung Jesu zu be132 Zum „Stilmittel der vertauschten Rollen“ sagt Blank, Verhandlung, 64: „Der überlegene Angeklagte ist in Wahrheit Ankläger und Richter; besser: an ihm kehren sich die Anklagen und das Gericht um gegen die Ankläger selbst.“ Vgl. auch Schnackenburg, Joh III, 302; Baum-Bodenbender, Hoheit, 76; Becker, Joh II, 683; Zumstein, Prozess, 154. 133 Der Partizipialsatz QB RCTCFQWLOG UQK bezieht sich auf 18,30 zurück, auf die 8,QWFCKQK bzw. ihre Hohenpriester (s.o. Anm. 69), die aufgrund ihres Unglaubens Jesus an Pilatus überlieferten. Der Singular spielt allerdings auch auf den Verräter Judas an (vgl. 18,2f.5), der als Repräsentant des Herrschers der Welt (13,27; 14,30) die Verhaftung initiierte. Giblin, Pilate, 232: „The reader may recall that ‚the betrayer‘, the symbolic leader of the opposition (cf. 18,3.5b), was equivalently the tool of the prince of this world; his ‚authority‘ was not from God at all.“ Dies gilt es insbesondere gegen Brownson zu betonen, der behauptet (Brownson, Neutralizing, 53): „Judas acts not only at the instigation of the devil, but also according to the direction and purpose of God and Jesus.“ 134 Vgl. insb. Metzner, Sünde, 254–261. Dietzfelbinger, Pilatus, 112: „Weit davon entfernt, eine opportunistische Verkleinerung der römischen Beteiligung am Tod Jesu zu propagieren, konstatiert er die Sünde des Pilatus nach dem Maß seines Beteiligtseins, und dieses Maß, obzwar geringer als das der ‚Juden‘, ist nicht gering; auch die geringere Sünde ist Sünde. Pilatus und mit ihm der römische Staat gehören durchaus zu der ‚Welt‘, zu der auch die ‚Juden‘ gehören.“ 135 Zur Verbindung der Herkunftsaussage GXMVQW MQUOQWVQWVQW mit dem Unglauben s.o. die Abschnitte 2.2.3.3. und 2.2.6.1.

156 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 wegen (MCMQPRQKYP), und bezeichneten sie in 19,7 den Anklagegrund als einen innerjüdischen (statt MCMQP RQKYP nun WKBQP SGQW GBCWVQP RQKYP), so müssen sie jetzt, wollen sie Pilatus unter Druck setzen, die Anklage ins Politische wenden und auf den von Pilatus längst ins Spiel gebrachten Königsvorwurf rekurrieren (statt WKBQP SGQW GBCWVQP RQKYP nun DCUKNGC GBCWVQP RQKYP). Wie die Fortsetzung zeigt, handeln sie sich mit diesem Schritt einen hohen Preis ein: Die Verurteilung Jesu zwingt sie dazu, sich von ihrem erwarteten DCUKNGWL loszusagen. Der deutlichen Drohung der Ankläger kann sich Pilatus nicht mehr entziehen, sieht er doch seine Machtbefugnis als Freund des Kaisers gefährdet, und so ist er bereit, Jesus als DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP zu kreuzigen. Die Formulierung in V 13a (QB QWP2KNCVQLCXMQWUCLVYPNQIYPVQWVYP) ist derjenigen in V 8 (Q=VGQWPJMQWUGPQB 2KNCVQLVQWVQPVQPNQIQP) sehr ähnlich. Versetzte ihn das Wort der Ankläger aus V 7 in Furcht, so führen ihn nun die Argumente aus V 12 zur Verurteilung Jesu. Das Bestreben, seine unmittelbare Macht aufrechtzuerhalten, ist stärker als die Furcht vor der unbekannten höheren Macht. Er führt Jesus aus dem Prätorium heraus, so daß nach 19,5 ein zweites Mal alle Figuren an demselben Ort versammelt sind, und setzt sich auf den Richterstuhl (V 13a). Die Zweideutigkeit der Verbform GXMCSKUGP, die sowohl reflexiv als auch transitiv verstanden werden kann,136 muß nicht unbedingt aufgelöst werden: „Auf einer unmittelbaren Ebene übernimmt Pilatus die Funktion des Richters, auf einer tieferen Ebene erfüllt dagegen Jesus diese Aufgabe. Die Ironie ist offenkundig: Im Moment, da sein Prozess zu Ende geht und das Todesurteil gegen ihn gefällt wird, sitzt in Wahrheit Christus auf dem Richterstuhl!“137 Die Szene der Verurteilung Jesu wird durch eine Orts- und eine Zeitangabe präzisiert. Die griechische Ortsbezeichnung .KSQUVTYVQP ist durch eine hebräische, *CDDCSC, ergänzt. Dasselbe Muster findet sich bei der Bezeichnung der Kreuzigungsstätte in V 17: -TCPKQP/*QNIQSC. Da V 13 im Unterschied zu V 17 ohne synoptische Parallele ist,138 liegt es nahe, daß der Evangelist diese doppelte Ortsbezeichnung in Anlehnung an die Ortsbezeichnung der Kreuzigungsstätte gebildet hat, um ein Gegengewicht zu schaffen und die zentrale Bedeutung des Richterspruchs zu inszenieren.139 136

Diskussion des Problems und Darstellung der vertretenen Positionen bei Dauer, Passionsgeschichte, 269–274; Hahn, Prozeß, 48–50; Schnackenburg, Joh III, 304f. Von den neueren Beiträgen, die für eine transitive Bedeutung votieren, ist insb. derjenige von de la Potterie zu nennen (de la Potterie, juge). Weitere Vertreter bei Dauer, Passionsgeschichte, 269f Anm. 188. 137 Zumstein, Prozess, 154f. 138 Vgl. zu Joh 19,17 die Parallelstelle Mk 15,22 par Mt, wo die doppelte Namensnennung in umgekehrter Reihenfolge steht. 139 Daß die doppelte Namensnennung die Bedeutung des Ereignisses unterstreicht, betont auch Diebold-Scheuermann, Pilatus, 83f. Darüber hinaus folgert sie aus der Zweisprachigkeit

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Demselben Zweck dient auch die Zeitangabe in V 14a (JP FG RCTCUMGWJ VQW RCUEC Y=TCJPYBLG=MVJ): Sie korrespondiert nicht nur mit einer Reihe anderer Anspielungen auf das Passa, auf die es im Exkurs zur joh Passatypologie zurückzukommen gilt,140 sondern situiert zudem das Gerichtsurteil in der Mitte des Tages. Während in 18,28 der Rüsttag anbricht (JPFGRTYK) und er in 19,42 zu Ende geht,141 hat die Sonne in 19,14 den Zenit erreicht. So rückt die Szene der Urteilsverkündigung ins Zentrum von 18,28–19,42 und macht der Todesszene ihren Rang streitig: Nicht die Urteilsvollstrekkung, sondern der Richterspruch trägt den Hauptakzent in der joh Kreuzigungserzählung. Präsentierte Pilatus in 19,5 Jesus den Anklägern mit Dornenkrone und Purpurmantel als harmlosen Menschen (KXFQWQBCPSTYRQL), der den lächerlichen Anspruch erhebt, ein König zu sein, so stellt er ihn ihnen nun mit den Worten KFG QB DCUKNGWL WBOYP erneut gegenüber (V 14b). Wenn sie Jesus kreuzigen wollen, so müssen sie ihn als ihren König kreuzigen.142 Die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester143 treten auf die Provokation ein und schreien skandierend nach der Kreuzigung Jesu, genau genommen nach der Kreuzigung ihres Königs (V 15a: CTQP CTQP  UVCWTYUQP CWXVQP), obwohl sie versuchen, durch die Verwendung des Personalpronomens dieser Schlußfolgerung auszuweichen. Pilatus jedoch pariert das Manöver und expliziert ihre Forderung: Wollen sie wirklich, daß er ihren König (V 15b: VQP DCUKNGC WBOYP) kreuzigt? Diese Frage läßt den Hohenpriestern keinen Ausweg mehr. Sie müssen nun bekennen: QWXM GEQOGP DCUKNGC GKX OJ -CKUCTC! Warfen sie Pilatus in V 12 vor, er kündige die Loyalität dem Kaiser gegenüber auf, wenn er Jesus, den selbsternannten König, freilasse, so werden sie nun mit ihren eigenen Waffen geschlagen: Um ans Ziel der Kreuzigung Jesu zu gelangen, müssen die Hohenpriester ihrerseits dem Kaiser gegenüber ihre Loyalität erklären, womit sie sich vom erwarteten DCUKNGWL lossagen: Mit der Versicherung, keinen König zu haben, entledi-

der Ortsangabe (ebd., 84): „Die doppelte Nennung des Ortes auf griechisch und hebräisch hebt diesen heraus, der sowohl für die griechisch-römische Welt als auch für die Juden Relevanz besitzt.“ 140 S.u. in Abschnitt 3.3.1.2. 141 S.u. Abschnitt 3.2.4.6. 142 Pilatus startet keinen letzten, hilflosen Versuch, die Ankläger von ihrem Vorhaben abzubringen (gegen Schnackenburg, Joh III, 307f; vgl. Blank, Verhandlung, 81; Schnelle, Joh, 281). Vor dem Hintergrund, daß ihn die Hohenpriester beim Kaiser denunzieren, falls er diesen selbsternannten König nicht verurteilt, stellt er vielmehr provokativ die Bedingungen klar, nach denen hier gekreuzigt wird: Wenn er Jesus kreuzigen soll, dann nur als den DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP. Vgl. auch Dietzfelbinger, Pilatus, 114: Pilatus „beantwortet in V. 15b die ihm von seiten der ‚Juden‘ widerfahrene Demütigung mit der Demütigung derer, die ihn gedemütigt haben.“ 143 S.o. Anm. 69 und Anm. 56.

158 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 gen sie sich ihrer Hoffnung.144 Indem der Unglaube den wahren König verwirft und kreuzigt, schließt er sich selbst vom wahren Leben aus. Die Auslieferung zur Kreuzigung (19,16a): Mit dieser Loyalitätserklärung gelangen die Ankläger an ihr Ziel. Haben sie Jesus an Pilatus ausgeliefert, so liefert ihn Pilatus nun wieder an sie aus. Die Verwendung des Verbs RCTCFKFYOK in 18,30 (vgl. 18,35.36; 19,11) und in 19,16a weist darauf hin, daß der Prozeß vor Pilatus die entscheidende Gelenkstelle zwischen dem Tötungsbegehren der Hohenpriester und dessen Durchsetzung bildet. An dieser Gelenkstelle zeigt sich das Verhängnis des Unglaubens: Mit der Ablehnung Jesu, des einziggeborenen Sohnes Gottes, entledigt er sich des (wahren) Lebens und bleibt im „Tod“ der Gottlosigkeit zurück. 3.2.3.5. Fazit Der Prozeß vor Pilatus, der einen politischen Machtkampf zwischen den Hohenpriestern und dem Repräsentanten des römischen Kaiserreichs inszeniert, bietet dem Evangelisten die Bühne, auf der er die dem Unglauben eigene Dynamik der Selbstzerstörung darstellt.145 Hin und her eilend zwischen den Anklägern außerhalb des Prätoriums und dem Angeklagten im Prätorium, gerät Pilatus zur Mittlerinstanz in einem Prozeß, der die Hohenpriester, Jesus gegenübergestellt, ihr eigenes Gerichtsurteil fällen läßt.146 Szene für Szene wird in 18,28–19,16a immer deutlicher herausgestellt, daß der Unglaube der inneren Konsequenz seines eigenmächtigen Urteilens über Gott und die Welt nicht entrinnen kann. Die Hohenpriester bezichtigen Jesus, der behauptet, Gottes Sohn zu sein, der Lüge. Weil sie durch sein Wirken ihre politische Macht gefährdet sehen (11,48), klagen sie ihn vor Pilatus zum Tod an. Weder ihre pauschale Anklage, Jesus sei ein Übeltäter, noch ihr Insistieren darauf, daß es sich um eine innerjüdische Angelegenheit handle, können Pilatus jedoch dazu bewegen, Jesus zu verurteilen, im Gegenteil: Mit allen Mitteln versucht er, Jesus freizulassen und sich diesen König höherer Macht vom Leibe zu halten. Um ihr Ziel zu erreichen, müssen die Hohenpriester schließlich die Anklage, Jesus sei ein politischer Rebell, ins Spiel bringen und Pilatus auf seine Treue dem Kaiser gegenüber behaften. Doch gibt Pilatus nur unter der für die Hohenpriester verhängnisvollen Bedingung nach, daß sie ihrerseits dem Kaiser 144 Vgl. u.a. Bultmann, Joh, 515; Haenchen, Pilatus, 152; Blank, Verhandlung, 80f; Hahn, Prozeß, 51; Baum-Bodenbender, Hoheit, 79; Schnackenburg, Joh III, 308; Zumstein, Prozess, 151f; Diebold-Scheuermann, Pilatus, 184–186. 145 S.o. den Exkurs bei der Interpretation von Szene V. 146 Der Prozeß vor Pilatus dient nicht in erster Linie der Darstellung der „Ablehnung Jesu durch die Juden“ (Diebold-Scheuermann, Pilatus, 138) und der Verstärkung ihrer Schuld (ebd., 138–254), sondern er stellt vor allem die Konsequenz der Ablehnung Jesu dar: das Selbstgericht des Unglaubens.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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gegenüber ihre Loyalität erklären und bekennen, ein von den Römern geknechtetes Volk zu befehligen. In diesem Gerichtsprozeß, der auf politischer Ebene die Hohenpriester demütigt und sie als bekennende Untertanen des römischen Kaisers vorführt, vollzieht sich auf einer tieferen Ebene Gottes Gericht über die Welt bzw. das Selbstgericht des in Kategorien der Welt über Gott und das Leben urteilenden Unglaubens, der nach seiner eigenen statt nach Gottes Macht strebt: Mit seiner Loyalitätserklärung, nur den Kaiser als König zu haben, bekennt sich der Unglaube dazu, nicht Gott, sondern einem Herrscher VQW MQUOQW VQWVQW als höchstem Haupt zu dienen;147 er entledigt sich seiner Hoffnung auf den wahren König und damit der Hoffnung auf wahres Leben. 3.2.4. Kreuzigung und Begräbnis (Joh 19,16b–42) Während der Evangelist die dramatisch gestaltete Prozeßszene in die Mitte von Kap. 18f stellt und das Gerichtsurteil (19,13–15), in dem der Prozeß gipfelt, zum Höhepunkt der gesamten Kreuzigungserzählung erhebt,148 schildert er Jesu Kreuzigung und Begräbnis in knapper, wenn auch weiterhin sorgfältig durchkomponierter Form. Der dritte und letzte Hauptteil der Kreuzigungserzählung ist in fünf Szenen gegliedert, deren mittlere (19,28– 30) Jesu Tod erzählt. Ringförmig angeordnet um diese Kernszene sind einerseits zwei Episoden, die jeweils von einer Handlung der Soldaten erzählen und in ein Schriftzitat münden (19,23–24b/19,32–34.36f), andererseits die Szene vom königlichen Titulus (19,19–22) und die Szene vom königlichen Begräbnis (19,39–42). Je eine kurze Episode, in der Bittsteller vor Pilatus treten, leitet die zweite Soldatenszene und die Begräbnisszene ein (V 31/V 38). Die Symmetrie dieser Komposition wurde von der Endredaktion berücksichtigt, als sie die beiden Szenen, die vom Lieblingsjünger bzw. von einem Augenzeugen handeln (19,24c–27/19,35), den beiden Soldatenszenen hinzufügte.149 Ein- bzw. überleitend schildert der Evangelist in 19,16b–18 die eigentliche Kreuzigung Jesu.150 Wird dieser Aufriß mit demjenigen der synoptischen Passionsgeschichte verglichen, fällt insbesondere auf, daß zwei Episoden keine Erwähnung finden: Das Joh führt keine Verspottungsszene auf (vgl. Mk 15,29–32 parr) und will auch nichts von einer Finsternis wissen, die zum Zeitpunkt des To147

Daß der römische Kaiser im Joh gar mit dem Herrscher der Welt (12,31: QB CTEYPVQW vgl. 14,30; 16,11), dem Satan, identifiziert wird (so Theißen, Religion, 86), ist jedoch zu bestreiten (s.o. die Argumentation in Anm. 54). 148 S.o. die Gliederung in Abschnitt 3.2.1. sowie die Argumentation in Abschnitt 3.2.3.4. (Szene VII). 149 Zur literarkritischen Argumentation s.u. die jeweiligen Exkurse. 150 Zur schematischen Darstellung dieser Gliederung s.o. Abschnitt 3.2.1. MQUOQWVQWVQW;

160 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 des Jesu eintritt (vgl. Mk 15,33 parr).151 Die folgende Untersuchung der vom Evangelisten redigierten Traditionsstücke sowie der von ihm selbst komponierten Szenen wird zeigen, inwiefern dieses Schweigen zur joh Interpretation der Kreuzigung Jesu paßt.152 3.2.4.1. Die Vollstreckung des Urteils (19,16b–18) Joh 19,16b–18 erzählt, wie das in 19,12b–15 gefällte Urteil vollstreckt und Jesus auf Golgotha gekreuzigt wird. Die Passage bildet insofern die letzte Szene des Prozesses vor Pilatus;153 zugleich fungiert sie jedoch auch als Auftakt zu den folgenden Episoden, die sich beim Kreuz abspielen und von Jesu Tod sowie seinem Begräbnis handeln (19,19–42). Durch diese überleitende Funktion gerät die sehr knapp gehaltene Szene eher in den Hintergrund. V 16b korrespondiert mit V 16a: Übergibt Pilatus in V 16a Jesus den Hohenpriestern (RCTGFYMGP CWXVQP CWXVQKL), so übernehmen sie Jesus in V 16b (RCTGNCDQPQWPVQP8,JUQWP). Aufgrund dieser Korrelierung dürften die Hohenpriester (V 15b) das ungenannte Subjekt in V 16b sein, obwohl in V 18 (GXUVCWTYUCP) eindeutig die Soldaten Jesus kreuzigen (vgl. V 23).154 Daß das Subjekt nicht genannt ist, zeigt jedenfalls, daß die Aufmerksamkeit noch nicht auf die Soldaten gelenkt werden soll. Unabhängig von der Entscheidung dieser Frage überrascht der Subjektwechsel in V 17:155 Nicht die Diener der Hohenpriester (oder die Soldaten) führen Jesus hinaus zur Kreuzigung (vgl. Mk 15,20: GXZCIQWUKP), sondern Jesus selbst ist Subjekt des Satzes (GXZJNSGP: Er geht hinaus).156 Ohne zu zögern, geht er seiner Kreuzigung entgegen. Diese souveräne Haltung Jesu, die bereits in der Verhaftungsszene deutlich zum Ausdruck gekommen ist, wird durch einen weiteren Erzählzug unterstrichen. So kann die Formulierung DCUVC\YP GBCWVY^ VQP UVCWTQP als Anspielung auf die Tradition über den Kreuzesträger Simon von Kyrene (Mk 15,21 parr) verstanden werden. Jesus ist nicht darauf 151 Eine detaillierte Auflistung der im Joh fehlenden Stücke findet sich bei Brown, Death II, 909. 152 Zur überlieferungsgeschichtlichen These, die der folgenden Interpretationsarbeit zugrunde liegt, s.o. in Kap. 2 Anm. 7. 153 S.o. in Abschnitt 3.2.3.1. die Gliederung des Prozesses, in der 19,16–18 mit Szene IV (19,1–3) korrespondiert. 154 Blank, Joh III, 104: „Vermutlich hat Johannes an dieser Stelle absichtlich so vage formuliert, um auch noch weiterhin die Juden stärker zu belasten.“ Vgl. auch Moloney, John, 506; Senior, Passion, 101f; Heil, Blood, 84; Léon-Dufour, Jean IV, 113; Schnelle, Joh, 283. Die Soldaten als Subjekt lesen (mit redaktionsgeschichtlicher Erklärung Dauer und Lindars): Brown, Death I, 855f; Dauer, Passionsgeschichte, 166f; Lindars, John, 572f; Schnackenburg, Joh III, 311; Becker, Joh II, 692; Dietzfelbinger, Joh II, 296. 155 Vgl. auch Dauer, Passionsgeschichte, 169f. 156 Vgl. auch Dietzfelbinger, Joh II, 297.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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angewiesen, daß ihm ein anderer das Kreuz trägt, sondern er trägt es für sich selbst.157 Auf die Beziehung zwischen der doppelten Namensnennung der Hinrichtungsstätte in V 17 (-TCPKQP/*QNIQSC) und der Stätte des Gerichts in V 13 (.KSQUVTYVQP/*CDDCSC) wurde bereits bei der Auslegung von V 13 hingewiesen.158 V 17 weist auf V 13 zurück und macht darauf aufmerksam, daß die Kreuzigung den in 19,13ff gefällten Richterspruch vollstreckt. Der am Kreuz angebrachte Titulus, der das Thema der folgenden Episode (19,19–22) bildet, nimmt denn auch unmittelbar auf die Loyalitätserklärung der Hohenpriester in 19,15 Bezug. Im Unterschied zu den synoptischen Evangelien werden im Joh die beiden Mitgekreuzigten (V 18) nicht näher charakterisiert (vgl. V 32).159 Ihre Funktion ist es nicht, darauf aufmerksam zu machen, daß Jesus denselben Tod stirbt wie gemeine Verbrecher, sondern Jesus den „Ehrenplatz“ in der Mitte (OGUQP) einzuräumen und so überzuleiten zur folgenden Szene, die vom Königstitulus handelt.160 3.2.4.2. Der königliche Titulus (19,19–22) Schloß Pilatus den Prozeß damit ab, daß er Jesus als den DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP zur Kreuzigung verurteilte, so hält er nun an diesem Urteil fest. Der Titulus, den er schreibt und am Kreuz befestigt, lautet: 8,JUQWLQB 0C\YTCKQLQB DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP (19,19). Das lateinische Lehnwort titulus (VKVNQL) wird im Lateinischen selbst nicht nur im Sinne von „Inschrift, Beschriftung“ verwendet, sondern es kann auch die Bedeutung „Ehrenname, ehrenvolle Benennung“ denotieren.161 Diese lateinische Bedeutung schwingt in V 19 deutlich mit, wenn Jesus vom Römer Pilatus, der den Titulus schreibt, als König vorgestellt wird.162 Jesus, dem Nazoräer, vor dem 157 Auch unabhängig davon, ob auf die Simonszene angespielt wird, fällt die Formulierung mit dem Dativ des Reflexivpronomens auf. Sie lenkt in die Interpretationsrichtung, daß Jesus allein und selbständig den Weg zur Kreuzigung geht (vgl. 13,36; 18,11). Vgl. Dauer, Passionsgeschichte, 167.169f; Barrett, John, 548; Blank, Joh III, 114; Zumstein, Johannes 19, 166 Anm. 38; Brown, Death II, 916f; O’Day, John, 830; Moloney, John, 506; Dietzfelbinger, Joh II, 297. Das Tragen des Kreuzes als ein Auf-sich-Nehmen desselben interpretieren Haenchen, Vater, 77; Schnackenburg, Joh III, 312; Senior, Passion, 102; Schnelle, Joh, 283f. Gar eine Parallele zu Lk 14,27 zieht Lindars, John, 574. Keine besondere Bedeutung des Pronomens GBCWVY^ sehen Bultmann, Joh, 517 Anm. 4; Becker, Joh II, 692. 158 S.o. Abschnitt 3.2.3.4. (Szene VII). 159 Vgl. Mk 15,27 par Mt: NJ^UVCK; Lk 23,32f: MCMQWTIQK. 160 Vgl. auch Schlatter, Joh, 348; Dauer, Passionsgeschichte, 173; Schnackenburg, Joh III, 314; Barrett, John, 548; Blank, Joh III, 114f; Léon-Dufour, Jean IV, 118; Zumstein, Johannes 19, 166 Anm. 38; Wengst, Joh II, 251; Dietzfelbinger, Joh II, 298. 161 Georges, lateinisch-deutsches Handwörterbuch, 3137f; vgl. Glare, Oxford Latin Dictionary, 1944f. 162 Das lateinische Lehnwort kommt im Neuen Testament nur im Joh vor.

162 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 die Feinde bereits bei seiner Verhaftung zu Boden fielen (18,4–8),163 wird nun öffentlich der Ehrentitel DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP verliehen. Erneut werden seine Gegner gezwungen, die göttliche Identität dieses aus Nazaret stammenden Jesus anzuerkennen.164 „Jesus von Nazaret ist der DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP, und dieser König wird hier gekreuzigt“, lautet die Aussage von Pilatus, die viele der 8,QWFCKQK (V 20: RQNNQK VYP8,QWFCKYP) zur Kenntnis nehmen, da Jesus ganz in der Nähe der Stadt gekreuzigt wird und der Titel nicht nur hebräisch, sondern auch lateinisch und griechisch verfaßt ist, so daß auch die zum Fest nach Jerusalem gereisten 8,QWFCKQK aus der Diaspora verstehen, daß es um die Verurteilung ihres Königs (QB DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP) geht. Die öffentliche Proklamation Jesu als des DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP gerät damit zur Verspottung der 8,QWFCKQK, nicht zur Verspottung Jesu.165 Sie treibt die Hohenpriester (V 21: QKB CXTEKGTGKL VYP 8,QWFCKYP)166 wieder auf den Plan: Pilatus wird aufgefordert, einen anderen Wortlaut zu wählen, der festhalte, daß der Titel lediglich Jesu Anspruch sei und keineswegs der Wahrheit entspreche. Obwohl die Hohenpriester in 19,15 das Bekenntnis ablegten, keinen König zu haben, stoßen sie sich nun daran, daß ihr König gekreuzigt wird. Diesen Sinneswandel läßt Pilatus nicht gelten. Er weist die Forderung der Hohenpriester zurück und besteht auf dem geschriebenen Titulus (V 22): Jesus wird, wie in V 15 ausdrücklich betont, als der DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP gekreuzigt; die Hohenpriester können sich diesem Gerichtsurteil nicht entziehen. Während auf der unmittelbaren Erzählebene Pilatus mit dem Titulus die 8,QWFCKQK verspottet, ist dieser Ehrentitel auf einer tieferen Ebene adäquater Ausdruck für den von der Erde Erhöhten (vgl. 3,14; 8,28; 12,32), der in die Königsherrschaft seines Vaters zurückkehrt (vgl. 3,5.13),167 sagte Jesus doch vor Pilatus aus, über ein Königreich zu verfügen (18,36). Sein Königtum wird von Pilatus allerdings falsch verstanden. Jesus ist kein König von unten, der seinen Machtanspruch aus der Welt bezieht, sondern einer von oben, aus der Wahrheit, der die Machtansprüche dieser Welt gerade Lügen 163 Zur Interpretation von 18,4–8, wo über 600 Mann vor Jesus niederfallen, da dieser sich als Jesus von Nazaret identifiziert, s.o. Abschnitt 3.2.2.1. 164 Der Akzent der Titulusszene liegt auf der Auseinandersetzung zwischen Pilatus und den Hohenpriestern. Vgl. Blank, Joh III, 115f: „Doch [sc.: im Unterschied zu den Synoptikern] interpretiert Johannes diese Tradition [sc.: der Kreuzesinschrift] wieder auf seine Weise, indem er sie zu einem letzten Streitobjekt zwischen Pilatus und den Juden werden läßt […].“ 165 Vgl. dieselbe Struktur von 19,4–8 im Prozeß vor Pilatus (s.o. in Abschnitt 3.2.3.4., Szene V). 166 Diese Konstruktion ist im Joh singulär, heißt es doch sonst stets nur QKB CXTEKGTGKL. Sie betont, daß die Behauptung, Jesus sei der DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP, die Hohenpriester (VYP 8,QWFCKYP) unmittelbar angeht. 167 Zur christologischen Interpretation von 3,5 s.o. Abschnitt 2.2.3.

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straft.168 Deshalb gerät die Kreuzigung in Wahrheit nicht zu seiner Vernichtung, sondern bestätigt als Erhöhung von der Erde sein Königtum von oben. Während die Hohenpriester aufgrund ihres Unglaubens die Kreuzigung als Erniedrigung und Vernichtung Jesu wahrnehmen, wird Jesus in Wahrheit nicht vernichtet, sondern kehrt in Gottes unmittelbare Gegenwart zurück, wo er sein weltweites169 Königtum antritt.170 Von diesem Königreich schließen sich die nichtglaubenden Hohenpriester explizit aus (19,15). Die Szene des Kreuzestitulus zielt denn auch nicht darauf, das Königtum Jesu, das den Glaubenden offensteht, zu konkretisieren,171 sondern das Selbstgericht derjenigen, die nicht glauben, darzustellen: Ihr König wird am Kreuz tatsächlich vernichtet, denn mit Jesu Weggang aus der Welt verlieren sie ihn, den Einziggeborenen Gottes, der die Auferstehung und das Leben ist, aus den Augen (vgl. 7,33f; 8,21; 14,19)172 und bleiben ohne Gott, im „Tod“ zurück. In bezug auf Jesus selbst – und, wie die Auslegung von Kap. 13f.20 zeigen wird,173 in bezug auf den Glauben – hat der Kreuzestod jedoch keinen Vernichtungscharakter: Jesu Leben gründet ganz in Gott, so daß ihm sein irdisches Ende keinen Abbruch tut. Die Kreuzigung bedeutet nicht Jesu Vernichtung und „Tod“, sondern das Ende seines irdischen Daseins, an dem er die Welt verläßt und wieder zu seinem Vater hinaufsteigt. 3.2.4.3. Die erste Handlung der Soldaten (19,23–24b) Die Szene erzählt, wie die Soldaten, vier an der Zahl, Jesu Kleider unter sich aufteilen. Da der Leibrock jedoch in einem Stück gewoben ist, zertei168

S.o. in Abschnitt 3.2.3.3. (Szene II) die Interpretation von 18,37. Über ihren direkten Bezug auf die Diaspora-8,QWFCKQK hinaus deutet die Dreisprachigkeit des Titulus den weltweiten Anspruch der Königsherrschaft Jesu an. So die Allgemeinheit der Ausleger (vgl. u.a. Haenchen, Joh, 551; Bultmann, Joh, 518; Dauer, Passionsgeschichte, 275; Thüsing, Erhöhung, 31; Barrett, John, 549; Schnackenburg, Joh III, 315; Blank, Joh III, 116; Becker, Joh II, 695; O’Day, John, 830; Zumstein, Johannes 19, 166; Léon-Dufour, Jean IV, 118f; Senior, Passion, 105; Smith, John, 357; Knöppler, theologia crucis, 246.261f; Wengst, Gemeinde, 146; Schnelle, Joh, 286; Dietzfelbinger, Joh II, 298). 170 S.o. Abschnitt 2.3., der die gegensätzliche Interpretation des Kreuzestodes durch den Unglauben und durch Jesus selbst im ersten Buchteil erörtert. 171 Es geht nicht um die Offenbarung des paradoxalen Königtums Jesu (s.o. Anm. 89; vgl. auch Müller, Bedeutung, 60f ). Gegen Bultmann, Joh, 518: „Denn als der Gekreuzigte ist Jesus wirklich der König […].“ Thüsing, Erhöhung, 31: Der Leser des Evangeliums solle begreifen, „daß der Verherrlichte sein Königtum als der Gekreuzigte hat, daß das Kreuz seine Herrschaft sowohl begründet als auch offenbart.“ Wengst, Gemeinde, 207: Der Evangelist wolle bezeugen, daß „gerade der Gekreuzigte wahrhaftig der König ist.“ Zumstein, Johannes 19, 166: „Ist das Kreuz der Thron des joh Christus, so kann sein Königtum nur von diesem Thron aus dem gesamten Universum in adäquater Weise verkündigt werden; nur von diesem Thron aus kann es seine eigentliche Wirksamkeit entfalten.“ Vgl. auch Knöppler, theologia crucis, 246.259–262; Schnelle, Joh, 286; Wilckens, Joh, 291. 172 Zur Interpretation von 14,19 s.u. Abschnitt 3.3.2.2. 173 S.u. Abschnitt 3.3. 169

164 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 len sie ihn nicht, sondern werfen das Los über ihn, womit sich die Schrift (Ps 22,19) erfüllt. Die Struktur dieser kurzen Szene ist identisch mit derjenigen in 19,32–34.36f. In beiden Szenen bringt ein bestimmter Umstand (daß der Leibrock in einem Stück genäht ist bzw. daß Jesu Tod bereits eingetreten ist) die Soldaten von ihrem ursprünglichen Vorhaben ab (Jesu Kleider in vier Teile zu teilen bzw. seine Beine zu brechen) und führt sie zu einer anderen Handlung (das Los zu werfen bzw. mit der Lanze in Jesu Seite zu stechen). Beide Szenen schließen mit einem bzw. zwei Erfüllungszitaten. Diese parallele Struktur soll in der folgenden Auslegung der ersten Szene im Auge behalten werden. Das joh Erfüllungszitat (19,24b), auf das hin die Szene komponiert ist und das wortgetreu LXX Ps 21,19 wiedergibt, teilt den synonymen Parallelismus membrorum des Psalmverses in zwei verschiedene Handlungen auf.174 Das erste Glied des Parallelismus bezieht sich auf die Aufteilung der Kleider Jesu in vier Teile, das zweite Glied auf die Verlosung des Leibrocks. Das heißt nun allerdings nicht, daß die beiden Handlungen auseinandergerissen werden dürfen, als ob es der Szene darum ginge aufzuzeigen, wie jede einzelne Handlung der Soldaten die Schrift erfüllt. Die beiden Handlungen sind nicht isoliert zu betrachten, sondern es gilt, ihre Verknüpfung wahrzunehmen, denn der Hauptakzent der Erzählung liegt – wie ein Vergleich mit der zweiten Szene in 19,32ff zeigt – gerade darauf, daß die Soldaten aufgrund des Leibrocks Jesu von ihrem Vorhaben der Zerteilung abrücken und zu einer neuen Lösung greifen müssen. Die Erzählung macht also deutlich, daß nicht die Soldaten Subjekt der Schrifterfüllung sind, sondern Jesus bzw. sein Leibrock, der die Soldaten dazu zwingt, etwas anderes zu tun, als ursprünglich beabsichtigt. In der Handlung der Soldaten erfüllt sich ohne ihr Wissen und ohne ihre Absicht die Schrift. In derselben Weise gerät ihre Kreuzigung Jesu, ohne daß sie es wissen und ohne daß sie Subjekt dieser Handlung sind, zur Erhöhung und Verherrlichung Jesu.175 Es stellt sich die Frage, ob über die formale Schrifterfüllung hinaus Jesus mit dem leidenden Gerechten identifiziert wird, der in Ps 22 betet. Im Unterschied zur mk und zur mt Passionsgeschichte verweist das Joh mit 174

Vgl. Menken, Use, 386–392. Die Inszenierung der Schrifterfüllung tritt als Anliegen der Szene deutlich hervor. Gegen Bultmann, der der Szene keinerlei Bedeutung zuordnet (Bultmann, Joh, 519). Ob die Szene über das Moment der Schrifterfüllung hinaus eine symbolische Bedeutung hat, die insbesondere beim nahtlosen Leibrock Jesu ansetzt, ist allerdings zu Recht umstritten (Diskussion der verschiedenen symbolischen Interpretationen bei Dauer, Passionsgeschichte, 186–191; Schnackenburg, Joh III, 317f; Zumstein, Johannes 19, 167f; Schuchard, Scripture, 127–132; Brown, Death II, 955–958; Senior, Passion, 106f; de la Potterie, Passion, 99–105; Léon-Dufour, Jean IV, 127–134). Es ist schwierig, eine bestimmte symbolische Auslegung zu belegen, da der Text keine deutlichen Signale enthält. Vgl. Lindars, John, 578: „The tunic is said to be without seam simply to explain why the soldiers cast lots for it.“ 175

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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keinen weiteren Zitaten oder Anspielungen auf Ps 22, es sei denn, Jesu Durst in V 28 werde als Anspielung auf Ps 22,16 verstanden, wofür der Text jedoch zu wenig Anhalt bietet. Das Joh erwähnt weder den Schrei der Gottesverlassenheit Jesu (Ps 22,2; vgl. Mk 15,34 par Mt) noch die Verspottung am Kreuz (Ps 22,8f; vgl. Mk 15,29–31 parr). Der Vergleich mit den synoptischen Evangelien weist nicht nur darauf hin, daß in der joh Kreuzigungserzählung die Bedeutung von Ps 22 marginalisiert wird, sondern macht darüber hinaus auf eine weitere Differenz aufmerksam: Während in Mk 15,24 (parr) das Zitat von Ps 22,19 nahtlos in die Erzählung der Kleiderverteilung unter dem Kreuz eingefügt ist, ohne daß explizit erwähnt wird, daß es sich um ein Zitat handelt, erzählt das Joh zunächst von der Kleiderverteilung und der Verlosung, ohne die Worte von Ps 22 zu verwenden,176 um dann mit der Schrifterfüllungsformel das Zitat einzuleiten. Erzählung und Schriftzitat sind klar voneinander abgegrenzt. Wie bereits der Vergleich mit der Szene in Joh 19,32–34.36f gezeigt hat, liegt in Joh 19,23f der Akzent also nicht auf der zitierten Schriftstelle und deren Aussagegehalt, sondern auf der von der Szene inszenierten Schrifterfüllung als solcher sowie auf der Art und Weise ihres Eintreffens: Jesus ist der Urheber dieser Schrifterfüllung. Auch als Gekreuzigter gibt er das Geschehen nicht aus seinen Händen, sondern wahrt seine Souveränität. Gerade insofern unterscheidet er sich jedoch vom leidenden Gerechten, der seinem Schicksal ohnmächtig ausgeliefert ist (vgl. Ps 22,2f).177 Ob die Anspielung auf Ps 69,22 in Joh 19,29 und das Zitat in Joh 19,36 mehr Anhaltspunkte liefern, den leidenden Gerechten als Thema der joh Kreuzigungserzählung zu identifizieren, ist bei der Interpretation der jeweiligen Stelle zu prüfen. Die vier Frauen und der Lieblingsjünger in 19,24c–27 Die Szene mit den vier Frauen und dem Lieblingsjünger (19,24c–27) ist der Endredaktion zuzuordnen. Der Lieblingsjünger ist keine Figur des Evangelisten.178 Au176 Einzige Ausnahme: VCKBOCVKC. Vgl. aber:FKCOGTK\Y (Zitat) – RQKGYVGUUCTCOGTJ (Erzählung); GBCWVQKL (Zitat) – GBMCUVY^ UVTCVKYVJ^ OGTQL (Erzählung); KBOCVKUOQL (Zitat) – EKVYP (Erzählung); DCNNYMNJTQPGXRK (Zitat) – NCIECPYRGTK (Erzählung). Die Divergenzen zeugen nicht davon, daß dem Evangelisten Pedanterie fernläge (so Schnackenburg, Joh III, 317), sondern sie zeugen von geistreicher Absicht. 177 Die These, die Szene inszeniere Jesu Entblößung und Nacktheit und damit sein Leiden (so Schnelle, Joh, 287; vgl. Obermann, Erfüllung, 292–296; Knöppler, theologia crucis, 246.254; Wilckens, Joh, 292), ist deshalb abzulehnen. 178 S.o. Anm. 61. Zur literarkritischen Beurteilung von 19,24c–27 vgl. Theobald, Jünger, 232–234; Becker, Joh II, 696–698. Beide Autoren vermuten, daß die Frauen (V 25) ursprünglich wie in Mk 15,40f zwischen der Kreuzigungs- und der Grablegungsszene erwähnt wurden, die Endredaktion jedoch den Vers unter Erweiterung durch V 26f an den jetzigen Ort verschob. Die Rekonstruktion wirft die Frage auf, ob der Evangelist die Mutter Jesu bereits aufführte (so Theobald, Jünger, 233) oder ob er nur die drei Frauen der Tradition erwähnte (so

166 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 ßerdem beansprucht die Szene ein neues Setting: Nachdem in der bisherigen Szenerie – wie auch in der folgenden – neben Jesus lediglich Pilatus, die 8,QWFCKQK und die Soldaten aufgetreten sind, stehen nun plötzlich vier Frauen, von denen zwei gänzlich unbekannt sind, und der Lieblingsjünger unter dem Kreuz. Allerdings nimmt die Endredaktion auch vom Evangelisten eingeführte Figuren und Motive auf, um an sein Werk anzuknüpfen. Die folgende Auslegung wird auf weitere Argumente stoßen, die aufzeigen, daß die Szene nicht vom Evangelisten stammt.179 Nach den Soldaten, die sich habgierig der Kleider Jesu bemächtigen (V 24c), werden nun vier Frauen erwähnt (V 25),180 die die Viererschaft der Soldaten kontrastieren:181 Nicht nur Jesu Feinde, auch seine Vertrauten sind beim Kreuz versammelt.182 Die Endredaktion modifiziert die Tradition der Frauengruppe (Mk 15,40) insofern,183 als sie die Frauen bereits vor Jesu Tod auftreten läßt und sie von der Ferne nahe ans Kreuz heranrückt. Jesus erblickt in der Vierergruppe seine Mutter und den dabeistehenden Lieblingsjünger (V 26a) und richtet an beide ein Wort. Zu seiner Mutter sagt er: „Frau, siehe dein Sohn“ (V 26b), zum Jünger: „Siehe deine Mutter“ (V 27a). Auf diese Worte hin nimmt der Jünger die Mutter Jesu bei sich auf (V 27b). Daß in V 27b nur der Lieblingsjünger in Aktion tritt, weist auf den Akzent der Szene hin: Der Lieblingsjünger, nicht Jesu Mutter, wird mit einer Mission betraut. Die theologische Bedeutung dieses Auftrags wird oft durch eine symbolische Interpretation der Mutter Jesu zu klären versucht.184 Doch wie bereits bei der Soldatenszene gibt der Text auch hier wenig Anhalt zu einer symbolischen Auslegung. Becker, Joh II, 697). Plausibler als die Verschiebungsthese ist die These, daß die Endredaktion die Tradition außerhalb des Evangeliums vorfand, mit ihr die Szene 19,25–27 konstruierte und diese in den Text des Evangeliums einfügte: 1. Daß die Endredaktion urchristliche Traditionen, die der Evangelist nicht beachtet, nachträglich in den joh Text aufnimmt, ist mehrmals der Fall (Tradition des letzten Mahls: 6,51c–59; zweite Deutung der Fußwaschung: 13,12–17; Tradition der Rolle und Bedeutung von Petrus: Kap. 21). 2. Die Endredaktion verschiebt oder streicht jedoch keine Texte des Evangelisten, sondern unterbricht und ergänzt sie (zu dieser These s.u. Abschnitt 3.3.1.1.). 3. Auch in 20,1ff erwähnt der Evangelist keine Frauengruppe, sondern führt von der traditionellen Gruppe, die am ersten Tag der Woche das Grab aufsucht (vgl. Mk 16,1ff: drei Frauen; Mt 28,1: zwei Frauen; Lk 24,1: Frauengruppe), nur gerade Maria Magdalena (20,1.11) auf. 4. Die Verschiebungsthese läßt offen, weshalb die Endredaktion, die die Frauengruppe unter das Kreuz setzte, ihre ursprüngliche Nennung nach V 37 gestrichen hat, statt sie doppelt zu erwähnen. Konkurrenzierten die Frauen den ebenfalls von der Endredaktion hinzugefügten Augenzeugen (V 35), statt ihn zu ergänzen? 179 S.u. Anm. 185 und 186. 180 Argumente gegen andere Interpretationen, die mit zwei oder drei Frauen rechnen, bei Brown, Death II, 1014f. 181 Auf diesen Kontrast weist auch die Partikelfolge OGP…FG hin. 182 Vgl. Zumstein, Johannes 19, 162f. 183 Zur Hypothese, daß bereits der Evangelist die Frauengruppe zwischen 19,37 und 19,38 erwähnte, s.o. Anm. 178. 184 Zur Interpretationsgeschichte vgl. Koehler, interprétations; Schnackenburg, Joh III, 325–328; Léon-Dufour, Jean IV, 141–143. Neuere symbolische Interpretationen, die Jesu Mutter meist auf die Gesamtheit aller Glaubenden oder auf die Kirche beziehen, bei Schürmann, Weisung; de la Potterie, parole; ders., Passion, 105–122; Schnackenburg, Joh III, 324f; Heil, Blood, 94–98; Léon-Dufour, Jean IV, 144–148; Zumstein, Johannes 19; Schnelle, Joh, 288f; Scholtissek, In ihm, 237–239.

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Wird die Kanaperikope (2,1–12) – die einzige weitere Perikope, in der Jesu Mutter auftritt – herangezogen, so zeigt sich zwar, daß die Szene unter dem Kreuz in der Gegenüberstellung zur Erzählung des ersten Wunderzeichens deutlich den Schluß der irdischen Wirksamkeit Jesu markiert, doch läßt sich darüber hinaus für eine symbolische Interpretation der Mutter Jesu, die in beiden Szenen sinnig wäre, kein Hinweis gewinnen.185 Die Figur der Mutter ist in Joh 19,25–27 ohne selbständige Bedeutung; anhand von ihr stellt die Endredaktion ein weiteres Mal die enge Vertrautheit Jesu zum Lieblingsjünger dar. Der Garant der joh Theologie erhält unmittelbar vor Jesu Tod den Auftrag, auf Erden den Platz Jesu einzunehmen.186 Die Endredaktion hält fest, daß der Irdische mit einer seiner letzten Handlungen die Existenz der joh Gemeinde und ihrer Theologie autorisiert hat.

3.2.4.4. Die Vollendung (19,28–30) Wird in 18,4 (vgl. auch 13,1.3) festgehalten, daß Jesus um alles, was ihm bevorsteht, weiß (GKXFYL/RCPVC), so bildet 19,28 das Gegenstück zu dieser Stelle:187 Jesus weiß (GKXFYL), daß bereits alles (RCPVC) vollendet ist. Diese Inklusion macht deutlich, daß Jesus nicht auf seine gesamte Offenbarungstätigkeit (Kap. 2–12) – auf die sich RCPVC grundsätzlich auch beziehen könnte – zurückblickt, sondern auf das in 18,1–19,24 erzählte Geschehen. Die Partikel JFJstützt diese Interpretation, macht sie doch darauf aufmerksam, daß Jesus am Kreuz nicht lange auf den Tod wartet.188 Wenn RCPVC bis auf Kap. 1 zurückwiese, würde JFJ die Dauer der irdischen Wirksamkeit Jesu als kurz bezeichnen, was kaum Sinn macht.189 Allerdings darf nun dieser Befund nicht darüber hinwegtäuschen, daß die beiden Interpretations185 Während die Mutter in Kap. 2 aktiv auftritt und Jesus zur Wundertat auffordert, ist sie in Kap. 19 völlig passiv. Die distanzierende Anrede der Mutter als Frau hat in Kap. 2 und Kap. 19 verschiedene Funktionen. In Kap. 2 will sie gerade deutlich machen, daß Jesus nicht der Sohn einer irdischen Mutter, sondern Sohn des himmlischen Vaters ist (s.o. Abschnitt 2.2.2.). Kap. 19 setzt hingegen voraus, daß Jesus sich bisher als Sohn seiner irdischen Mutter definierte, so daß er nun den Lieblingsjünger an seine Stelle als Sohn setzen kann, während er selbst die Mutter distanzierend mit Frau anredet. Vgl. auch Kügler, Jünger, 249–252. „Die Beziehung zwischen 19,26 und 2,4 beschränkt sich also darauf, daß die Anrede ‚Frau‘ hier wie dort ‚Nichtbeziehung‘ signifiziert.“ (ebd., 251) 186 Ein Gedanke, der mit 14,16 und 14,25f konkurriert, wo der Evangelist diese Stellvertretungsfunktion allein dem Parakleten zuschreibt. Auf der Stufe der Endredaktion kann der Lieblingsjünger allerdings als erster Empfänger des Geistes interpretiert werden (s.u. im nächsten Abschnitt den Exkurs). 187 Vgl. das Schema bei Dauer, Passionsgeschichte, 202. 188 Eventuell spielt JFJ gar konkret darauf an, daß die Verspottungsszene, die in den synoptischen Evangelien auf die Szene zu Ps 22,19 folgt (vgl. Mk 15,29–32 parr), ausfällt und die Erzählung des Todes Jesu nun unmittelbar auf die Kleiderverteilung folgt. Für diese These spricht auch der Anschluß der Szene an die vorhergehende (19,23–24b): OGVCVQWVQ (V 28). 189 Gegen die These, daß RCPVC sogar direkt auf die Präexistenzaussage im Prolog (1,3: RCPVC FK8 CWXVQW GXIGPGVQ) verweist (so Schnelle, Joh, 289f; vgl. Hengel, Schriftauslegung, 285), sperrt sich die Partikel JFJ ganz (jedoch s.u. Anm. 190).

168 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 möglichkeiten insofern nicht streng getrennt werden können, als das Ende der Hinrichtung Jesu mit dem Ende seiner irdischen Wirksamkeit zusammenfällt: Mit dem Weggang zum Vater führt Jesus einen Auftrag zu Ende, der seine gesamte irdische Wirksamkeit umfaßt.190 Dies gilt es im Auge zu behalten, wenn die Frage aufgeworfen wird, ob in 19,28 der Finalsatz K=PC VGNGKYSJ^ JB ITCHJ (V 28b) mit dem Hauptsatz (V 28c: NGIGKFK[Y) oder dem Partizipialsatz (V 28a: GKXFYL) zu verknüpfen ist.191 Obwohl die Fortsetzung in V 29 zeigt, daß Jesus mit dem WortFK[Y eine Handlung provoziert, die Ps 69,22b erfüllt, sprechen zwei Textsignale dafür, daß die Schrifterfüllungsformel in V 28b nicht nur die Schriftgemäßheit dieser einzelnen Begebenheit dokumentiert, sondern darüber hinaus noch eine umfassendere Bedeutung hat:192 1. Im Unterschied zu V 24 und V 36, wo ebenfalls von der Erfüllung der Schrift die Rede ist, steht in V 28b nicht RNJTQY, sondern VGNGKQY, ein Verb, das dieselbe Wurzel hat wie VGNGY (V 28a.30). Die gemeinsame Wurzel verbindet die beiden Verben und macht auf den engen Konnex zwischen der Schrift und dem Schicksal Jesu aufmerksam (vgl. 5,39): Indem Jesus seinen Auftrag vollendet (vgl. 4,34; 5,36),193 kommt auch die Schrift an ihr Ziel.194 2. Während in den beiden Szenen, in denen die Soldaten als Hauptfiguren auftreten, jeweils ein konkretes Schriftzitat auf die Erfüllungsformel folgt (V 24; V 36f), wird in V 29 Ps 69,22b nicht wörtlich zitiert, sondern lediglich pa190 Da Jesu Auftrag die Schöpfung an ihr Ziel führt, läßt sich die Erfüllung dieses Auftrags überdies mit der Vollendung der Schöpfung identifizieren (s.o. Anm. 189). Vgl. auch Reim, der Joh 19,30 mit Gen 2,2 in Beziehung setzt (Reim, Studien, 99). Allerdings ist bereits hier zu betonen: Die Vollendung des Auftrags ereignet sich mit der Rückkehr zum Vater, die Jesu Erhöhung bedeutet, nicht seine Erniedrigung. 191 Mit dem Hauptsatz verknüpfen Bergmeier, 6(6(.(56$,, 285f; de la Potterie, Passion, 122; Witkamp, Thirst, 494. Die meisten Exegeten verknüpfen hingegen mit dem Partizipialsatz (vgl. u.a. Bauer, Joh, 224; Bultmann, Joh, 522; Thüsing, Erhöhung, 64; Schnackenburg, Joh III, 330; Kraus, Johannes, 15f; Schnelle, Joh, 289; Wilckens, Joh, 297). Die beiden Lösungen schließen einander nicht aus (s.u. Anm. 192). 192 Der Finalsatz oszilliert also zwischen dem Hauptsatz und dem Partizipialsatz (vgl. Brown, Death II, 1072f; Obermann, Erfüllung, 356; Léon-Dufour, Jean IV, 150f; Hengel, Schriftauslegung, 279). Die in V 29f erzählte Begebenheit erfüllt einerseits Ps 69,22b, darüber hinaus aber als Ende des Werks Jesu die Schrift überhaupt. Paraphrasierend: „Als Jesus wußte, daß sein die Schrift erfüllendes Werk (mit dem folgenden Todeseintritt) schon vollendet war, sagte er, um die Schrift zu erfüllen (und sein Werk zu vollenden): ‚Mich dürstet.‘“ 193 In 4,34 und 5,36 bezeichnet VGNGKQY Jesu Auftragserfüllung (vgl. 17,4). 194 Vgl. Kraus, Johannes, 16: „So wie Jesus das Werk des Vaters vollendet, wird durch ihn auch die bis dato unvollkommene Schrift selbst zur Vollendung geführt. Es gilt also ein Doppeltes: Jesu in der Schrift vorgezeichnetes und von ihm selbst vorhergewußtes Geschick hat sich vollendet, aber auch JB ITCHJ, die Schrift selbst, ist nun zum Abschluß gekommen.“ Kraus zeigt auf, wie in der Folge dieses Gedankens die joh Darstellung des Christusereignisses selbst in den Rang der Schrift rückt und die bisherige Schrift überbietet (ebd., 16–19), und problematisiert den Aspekt, daß dieses joh Schriftkonzept die Dimension der Heilsgeschichte weitgehend preisgibt (ebd., 19–23).

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raphrasiert. Das Stichwort QZQL liefert die einzige wörtliche Übereinstimmung mit dem Psalmvers. 195 Zwar ist das Fehlen eines Zitats insofern nicht weiter erstaunlich, als auch die synoptischen Evangelien, ohne zu zitieren, auf Ps 69,22 anspielen, auffällig jedoch ist, daß das Joh im Unterschied zu den synoptischen Evangelien eine Schrifterfüllungsformel hat, obwohl es nicht zitiert. Konnte bereits in bezug auf V 23f festgestellt werden, daß der konkreten Psalmstelle nur eine untergeordnete Bedeutung zukommt und das ganze Gewicht der Szene auf der Erfüllung der Schrift liegt, so gilt dies in bezug auf V 28–30 noch in viel stärkerem Maße. Der leidende Gerechte aus Ps 69 tritt völlig in den Hintergrund.196 Mit einem einzigen Wort (FK[Y) macht Jesus erneut deutlich, daß er das Geschehen beherrscht. Nicht nur weiß er darum, daß bereits alles am Ziel und damit die Schrift erfüllt ist (V 28a.b), sondern er ergreift auch selbst die Initiative, um schriftgemäß an dieses Ziel zu kommen (V 28b.c). Jesus ist kein leidender, sondern ein souverän und siegreich handelnder Gerechter. So ist auch die Behauptung, Jesu Durst sei ein Zeichen seines Leidens am Kreuz,197 ohne Anhalt am joh Text: Während in Mk 15,34ff (par Mt) Jesu Schrei der Gottesverlassenheit die Soldaten dazu führt, ihm den Essig zu reichen, fehlt im Joh wie im Lk diese Motivation. An ihre Stelle tritt im Joh der Wille Jesu, die Schrift zu erfüllen.198 Auch der laute Schrei unmittelbar vor dem Eintritt des Todes (Mk 15,37 par Mt) findet keine Erwähnung. 'K[Y und VGVGNGUVCK sind die beiden einzigen Wörter, die der joh Gekreuzigte spricht – ein Sachverhalt, der insbesondere auch auf die enge Verbindung der beiden Wörter verweist: Indem Jesus durch die Aussage, er habe Durst, die Soldaten dazu veranlaßt, ihm den Essig zu reichen und damit Ps 69,22b zu erfüllen, beweist er auch in der letzten Szene seines irdischen Daseins, daß das Geschehen in seinen Händen liegt und daß dieses Geschehen die Schrift zu ihrer Erfüllung bringt. Der Ausspruch FK[Y verweist also nicht auf Jesu Leiden, sondern auf seine Souveränität. Außerdem ist zu be195 In Mk 15,36 (par Mt) bietet das Verb RQVK\Y eine weitere Übereinstimmung mit LXX Ps 68,22b (vgl. MT Ps 69,22b: KT Y ). In Joh 19,29 steht wie in Lk 23,36 das Verb RTQUHGTY. Das Stichwort FK[Y in Joh 19,28c weist jedoch auf den Durst hin, der in LXX Ps 68,22b (FK[C; vgl. MT Ps 69,22b: DP F ) erwähnt wird. 196 Insb. gegen Brawley, der die inhaltliche Bezugnahme auf Ps 69 betont (Brawley, Complement, 432–443; so auch Obermann, Erfüllung, 355–364; Léon-Dufour, Jean IV, 153– 155; Reim, Studien, 49). Zur weiteren Argumentation gegen einen inhaltlichen Bezug s.u. Anm. 203. 197 So Hengel, Schriftauslegung, 279f; Schnelle, Joh, 290 (beide sehen mit Jesu Ausspruch FK[Y sein wahres Menschsein betont; vgl. auch Thüsing, Erhöhung, 69). Den Durst als Zeichen des Leidens interpretieren Schnackenburg, Joh III, 330; Zumstein, Interpretation, 138; Knöppler, theologia crucis, 255f; Léon-Dufour, Jean IV, 153–155; Wengst, Joh II, 259f. 198 Vgl. Kraus, Johannes, 14: „Bei Johannes hingegen ist Jesu Ruf nicht Ausdruck seiner Kreatürlichkeit, sondern des Willens zur Schrifterfüllung.“ Vgl. ders., Vollendung, 631; Bauer, Joh, 224; Schulz, Joh, 236; Becker, Joh II, 701; Zumstein, Johannes 19, 169.

170 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 achten, daß der joh Jesus, wenn er das Verb FK[CY verwendet, stets über dessen wörtlichen Sinn hinausgeht und einen übertragenen Sinn fokussiert.199 Auch Jesu Durst in 19,28 könnte in übertragenem Sinne und als Anspielung auf 18,11 zu verstehen sein. Hat Jesus bei seiner Verhaftung darauf hingewiesen, daß es keinen Grund gibt, den Kelch seines Vaters nicht zu trinken, so trinkt er jetzt, nachdem alles eingetroffen ist, den Becher aus.200 Sein Durst gibt dem Bestreben Ausdruck, den Auftrag zu Ende zu führen und zum Vater zurückzukehren; mit dem Ende seines irdischen Daseins kommt Jesus ans Ziel.201 V 29 paraphrasiert Ps 69,22b: Die Soldaten, die allerdings nicht explizit genannt sind, geben Jesus Essig zu trinken. Einleitend wird ein mit Essig gefülltes Gefäß erwähnt, das beim Kreuz vorhanden ist. Zwar erwähnt der Text nicht, wozu der Essig dort ist, doch legt der Sachverhalt, daß ein ganzes Gefäß voll bereit steht, die Schlußfolgerung nahe, daß er den Durst der Soldaten oder der Gekreuzigten löschen soll,202 wohl kaum aber zur Verspottung der Gekreuzigten gedacht ist.203 Daß die Soldaten den mit Essig gefüllten Schwamm, der Jesus als Trinkgefäß dient, auf einen Ysop (W=UUYRQL) stecken statt auf ein Rohr (Mk 15,36 par Mt: MCNCOQL), ist insofern ein auffälliges Detail, als diese Pflanze kaum dazu imstande ist, das Gewicht eines vollgesogenen Schwammes zu tragen, lassen doch die alttestamentlichen Stellen, die den Ysop erwähnen, eher an eine buschige, feinästelige Pflanze denken, die sich insbesondere zum Besprengen von Gegenständen eignet.204 Da in der joh Kreuzigungserzählung mehrmals auf das Passafest angespielt wird, liegt es nahe, auch den Ysop als Anspielung auf Ex 12,22 zu verstehen.205 Diese Interpretationsmöglichkeit wird im Exkurs zur joh Passatypologie näher erörtert.206 Mit Hilfe des Ysops wird der getränkte Schwamm zu Jesu Mund geführt. Im Unterschied zu den synoptischen Evangelien erzählt das Joh, daß 199 Vgl. 4,13f; 6,35; 7,37: Jesus bezieht sich in diesen Stellen auf einen Durst, der von seiner Lebensgabe aufgedeckt und gestillt wird. 200 Den Bezug zu 18,11 aktualisieren u.a. Schnackenburg, Joh III, 331; Zumstein, Interpretation, 138; ders., Johannes 19, 169; Brown, Death II, 1074.1077; O’Day, John, 832; Léon-Dufour, Jean IV, 155; Senior, Passion, 116f; Heil, Blood, 100; Witkamp, Thirst, 497f. 201 Vgl. insb. auch Witkamp, Thirst. 202 „Essig“ (QZQL, hebr.: P[)R ist ein durststillendes, bekömmliches Volksgetränk (vgl. Num 6,3; Ruth 2,14). Vgl. Heidland, QZQL, 288f. 203 Vgl. Lk 23,36f, wo die Soldaten Essig zur Verspottung Jesu einsetzen. So auch Ps 69,22, denn V 22b (Essig zu trinken) ist in derselben Richtung wie V 22a (Galle zu essen), also als Verspottung oder Leidenszufügung zu verstehen. Das im Joh fehlende Moment der Verspottung spricht erneut gegen einen inhaltlichen Bezug auf Ps 69 (s.o. Anm. 196). 204 Vgl. Ex 12,22; Lev 14,6f.51; Num 19,6.18; I Reg 5,13; Ps 50,9. 205 Zu den verschiedenen, nicht überzeugenden Versuchen, den Widerspruch durch eine andere Übersetzung von W=UUYRQL zu beseitigen, vgl. Brown, Death II, 1076. 206 S.u. in Abschnitt 3.3.1.2.

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Jesus den Essig nimmt (V 30: GNCDGP),207 und verbindet diese letzte Handlung Jesu unmittelbar mit seinem letzten Wort: VGVGNGUVCK. Der Kelch ist nun getrunken; es ist vollbracht. Obwohl die Anspielung auf 18,11, die allerdings nicht sehr prägnant ist, sowie die von V 28a (GKXFYLQB8,JUQWLQ=VKJFJ RCPVCVGVGNGUVCK) und 18,4 gebildete Inklusion (s.o.) auf das in 18,1–19,30 erzählte Geschehen verweisen, kommt die umfassendere Bedeutung von VGVGNGUVCK deutlich zum Ausdruck, denn das letzte Wort, das der Irdische spricht, hat großes Gewicht. Im Moment, da Jesu irdisches Dasein zu Ende geht und der Sohn zum Vater zurückkehrt, im Moment der Erhöhung und Verherrlichung Jesu kommt das Offenbarungswerk ans Ziel. Jesu Anspruch, von oben zu sein und die FQZC des Vaters zu offenbaren, erhält mit seiner Erhöhung und Verherrlichung ewige Gültigkeit, während der Unglaube, der diesen Anspruch nicht gelten läßt, sein Gerichtet-Sein konstatieren muß. Gottes Sohn wird am Kreuz nicht, wie die Welt es sich ausdachte, vernichtet, sondern verherrlicht; er kehrt in die himmlische FQZC des Vaters zurück. Der Glaube ist im Recht, der Unglaube im Unrecht. Mit Jesu Erhöhung vollzieht sich das Gericht über die Welt: Es ist vollbracht. Allerdings wird in 19,30 die Kreuzigung weder als Selbstgericht des Unglaubens thematisiert (vgl. 19,13–15.19–22) noch ihre Bedeutung für die Glaubenden erörtert (vgl. Kap. 13f.20), sondern dieser Vers fokussiert allein Jesu Rückkehr zum Vater nach der Vollendung seines Werks: Wie im folgenden zu zeigen ist, kommt der Wendung RCTGFYMGPVQRPGWOC (V 30b) auf der Ebene des Evangelisten denn auch eine tiefere, christologische Bedeutung zu,208 während mit einer pneumatologischen Dimension erst auf einer späteren Redaktionsstufe zu rechnen ist. Als Ausgangspunkt der Untersuchung dient ein Vergleich mit den synoptischen Evangelien: Obwohl die vier Evangelisten den Todeseintritt unterschiedlich formulieren, nimmt bei allen die Wurzel RPW eine zentrale Position ein. Mt 27,50: QBFG8,JUQWLRCNKPMTCZCLHYPJ^OGICNJ^CXHJMGPVQRPGWOC. Mk 15,37: QBFG8,JUQWLCXHGKLHYPJPOGICNJPGXZGRPGWUGP.

Lk 23,46: MCK HYPJUCLHYPJ^ OGICNJ^ QB 8,JUQWLGKRGP>RCVGT GKXLEGKTCLUQW RCTCVKSGOCKVQRPGWOCOQWŒVQWVQFGGKXRYPGXZGRPGWUGP. Joh 19,30: Q=VG QWP GNCDGP VQ QZQL 8,JUQWL GKRGP> VGVGNGUVCK  MCK MNKPCL VJP MGHCNJPRCTGFYMGPVQRPGWOC. 207 Mk 15,23: Q?L FG QWXM GNCDGP. In Mk 15,36f (par Mt), der eigentlichen Parallelstelle, wird lediglich erwähnt, daß einer Jesus zu trinken gab (RQVK\Y). Ob Jesus diese Handlung erwiderte und trank, läßt der Text offen. 208 Die Wendung kann als Ellipse verstanden werden: Jesus übergibt den Geist seinem Vater (vgl. Schnackenburg, Joh III, 332; Lindars, John, 582f; Senior, Passion, 119; Wilckens, Joh, 298; Dietzfelbinger, Joh II, 305).

172 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Während im Mt und im Mk Jesus seinen (Lebens-)Geist aushaucht, wird diese Vorstellung im Lk anhand Jesu letzten Wortes, das Ps 31,6 zitiert, christologisch interpretiert: Jesus gibt nicht einfach den Geist auf, sondern er übergibt seinen Geist in Gottes Hände. Mehrere Indizien sprechen dafür, daß Joh 19,30 dieselbe Aussage intendiert: 1. Das Präfix RCTC- weist in dieselbe Richtung wie die Formulierung im Lk (RCTCVKSJOK). Obwohl der Adressat nicht genannt wird, ist von einer Übergabe die Rede. 2. Die Übergabe des Geistes bildet im Joh das letzte Glied in einer Kette von Auslieferungen, die mit dem Verb RCTCFKFYOK wiedergegeben sind: Judas verrät Jesus und liefert ihn den Hohenpriestern aus (18,2.5), diese liefern ihn an Pilatus aus (18,30.35), und schließlich übergibt Pilatus ihn wiederum den Hohenpriestern (19,16). Mit 19,30 gelangt die Reihe an ihr Ende: Jesus übergibt den Geist. Das ganze Prozedere der Verhaftung und Hinrichtung Jesu hat aber kein anderes Ziel als die Rückkehr Jesu zu seinem Vater. 3. Schließlich weist auch die Vokabel RPGWOC in diese Interpretationsrichtung. Obwohl im Joh immer wieder vom RPGWOC die Rede ist, steht dieses nur an zwei Stellen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Jesus: in 1,32f und 19,30.209 In 1,32f bezeugt Johannes der Täufer, daß der Geist auf Jesus herabkam (MCVCDCKPY) und auf ihm blieb. Die Herabkunft des Geistes ist ein Zeichen für Jesu Her(ab)kunft vom Himmel, für seine Gottessohnschaft (1,34). Wird 19,30b als Gegenstück zu 1,32f verstanden, legt sich die Interpretation nahe, daß Jesus den Geist seinem himmlischen Vater übergibt und daß mit dieser Übergabe die CXPCDCUKL des Sohnes, seine Rückkehr zum Vater, illustriert wird: Der vom Himmel Heruntergestiegene steigt nun wieder in den Himmel hinauf (vgl. 3,13). Das Verständnis von 19,30b auf der Stufe der Endredaktion Auf der Stufe der Endredaktion des Evangeliums gehört zum nahen Kontext von 19,30b die Szene in V 25–27, so daß sich die Wendung RCTGFYMGP VQ RPGWOC als Geistübergabe an die Gemeinde der Glaubenden verstehen läßt: Der Partizipialsatz MNKPCL VJP MGHCNJP kann dahingehend interpretiert werden, daß Jesus, indem er den Kopf neigt, sich den vier Frauen und dem Lieblingsjünger unter dem Kreuz zuwendet, so daß die Formulierung des Todes Jesu (RCTGFYMGPVQ RPGWOC) eine Anspielung auf Pfingsten enthält (vgl. 20,22). Der Verherrlichte übergibt seinen Jüngerinnen und Jüngern den Geist (vgl. 7,39).210

Die Interpretation der Todesszene (19,28–30) zeigt erneut, daß Jesu Tod lediglich das Ende seines irdischen Daseins bedeutet: Nach Erfüllung seines 209 Die Formulierungen GXODTKOCQOCK/VCTCUUYVY^ RPGWOCVK in 11,33 und 13,21 sind feste Wendungen, so daß diese Stellen für die vorliegende Untersuchung irrelevant sind. 210 Vgl. de la Potterie, Passion, 122–131; Zumstein, Interpretation, 138; ders., Johannes 19, 170f; Brown, Death II, 1080–1083; Heil, Blood, 103; Léon-Dufour, Jean IV, 158f; Moloney, John, 504f; Smith, John, 361f.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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Auftrags verläßt der Gesandte die Welt. Aus christologischer Perspektive betrachtet, ereignet sich am Kreuz nichts anderes als die Rückkehr des Sohnes zum Vater, seine Verherrlichung und Erhöhung. Der Text gibt keinen Anhalt, dieses Ereignis in paradoxer Weise oder in antidoketischer Betonung mit Leiden, Niedrigkeit und „Tod“ – Kategorien, die allesamt nicht thematisiert werden – zu verbinden.211 3.2.4.5. Die zweite Handlung der Soldaten (19,31–34.36f) Die Szene 19,31–34.36f ist in zwei Abschnitte gegliedert.212 In V 31 treten die 8,QWFCKQK mit der Bitte vor Pilatus, die Gekreuzigten vom Kreuz abzunehmen, und in V 32–34.36f führen die Soldaten diese Bitte aus. Der zweite Abschnitt weist dieselbe Struktur auf wie die Szene in V 23f:213 Die Soldaten können ihre ursprünglich geplante Handlung, das Crurifragium (vgl. in V 23 die Kleiderverteilung), nicht durchführen und ersetzen sie deshalb durch eine andere Handlung, den Lanzenstich (vgl. in V 24 das Los-Werfen), womit die Schrift erfüllt wird. Doch auch der einleitende V 31 hat eine Parallele: Wie in V 31 die 8,QWFCKQK wird in V 38 Joseph mit der Bitte bei Pilatus vorstellig, Jesu Leichnam vom Kreuz zu nehmen. Im Vergleich mit den synoptischen Evangelien fällt zweierlei auf: Einerseits schweigen ihre Passionsgeschichten sowohl über die Bitte der 8,QWFCKQK vor Pilatus (V 31) als auch über das Crurifragium der Mitgekreuzigten bzw. den Lanzenstich (V 32–34.36f), während sie die beiden jeweiligen Parallelszenen (V 38 und V 23f) aufführen (vgl. Mk 15,42ff parr und Mk 15,24 parr). Andererseits aber enthält die Szene in Joh 19,31–34 zwei Motive, die im Mk in der Begräbnisszene verankert sind: 1. Sowohl in Mk 15,42f als auch in Joh 19,31 bildet der Rüsttag des Sabbats den Anlaß, Pilatus um die Abnahme des Leichnams zu bitten. 2. Sowohl in Mk 15,44f als auch in Joh 19,33f wird der frühe Eintritt des Todes Jesu thematisiert und tritt eine Figur auf, die sich vergewissern will, ob Jesus wirklich bereits tot ist:214 Während sich in Mk 15,44f Pilatus darüber wundert, daß Jesus schon gestorben ist, und zur Bestätigung dieses Sachverhalts den Hauptmann ruft, stellt in Joh 19,33f ein Soldat den außergewöhnlich früh eingetretenen Tod Jesu dadurch sicher, daß er dem Gekreuzigten mit einer Lanze in die Seite sticht.

211 Vgl. Müller, Eigentümlichkeit, 46. Die paradoxe Ausrichtung der Szene betonen insb. Hengel, Schriftauslegung, 278–280; Senior, Passion, 114–120; Knöppler, theologia crucis, 265; Obermann, Erfüllung, 355–364; Léon-Dufour, Jean IV, 148–159; Schnelle, Joh, 289– 291; Wilckens, Joh, 297–299. 212 V 35 ist der Endredaktion zuzuordnen (s.u. den Exkurs). 213 S.o. Abschnitt 3.2.4.3. 214 Vgl. die wörtliche Übereinstimmung zwischen Mk 15,44 und Joh 19,33: JFJVGSPJMGP bzw. VGSPJMQVC.

174 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Aus diesen Beobachtungen kann geschlossen werden, daß der Evangelist – oder vielleicht bereits der Redaktor seiner Quelle – mit Motiven aus der ihm vorliegenden Begräbnistradition und in enger Anlehnung an die erste Soldatenszene eine zweite, eigenständige Szene gestaltete, die er vor die Begräbnisszene setzte. Die Bitte vor Pilatus, Jesus vom Kreuz abzunehmen, erwähnt er nun doppelt (V 31: K=PC […] CXTSYUKP; V 38: K=PCCTJ^), eine Dublette, die den Erzählverlauf jedoch kaum stört, kann sie doch damit erklärt werden, daß die Soldaten mit der Abnahme Jesu vom Kreuz warten, bis der Tod der beiden Mitgekreuzigten eingetreten ist, um dann alle drei Gekreuzigten abzunehmen. Im folgenden wird nun die Szene im Kontext der joh Kreuzigungserzählung interpretiert. Nach 19,14 wird in V 31 erneut auf den Rüsttag verwiesen, im Unterschied zu V 14 jedoch nicht auf den Rüsttag des Passas, sondern auf den Rüsttag des Sabbats. Allerdings präzisiert nun eine Zwischenbemerkung, daß jener Sabbat ein großer Sabbat war, und stellt damit klar, daß in jenem Jahr das Passa auf einen Sabbat fiel, so daß der Rüsttag des Passas mit dem Rüsttag des Sabbats zusammenfiel.215 Wie in 18,28 sind die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester 216 auf Reinheit bedacht, denn ein Leichnam, der über Nacht am Kreuz hängen bleibt, macht das Land, das Gott seinem Volk gegeben hat, unrein (vgl. Dtn 21,22f).217 Noch mehr Vorsicht ist wohl geboten, wenn der nächste Tag ein Sabbat oder gar ein großer Sabbat ist.218 So werden sie bei Pilatus vorstellig und bitten ihn, daß den Gekreuzigten die Beine gebrochen und sie vom Kreuz abgenommen werden.219 Obwohl nicht explizit erwähnt, kann aus der folgenden Handlung der Soldaten geschlossen werden, daß Pilatus der Bitte der Hohenpriester stattgibt.220 Nach V 23f treten die Soldaten nun ein weiteres Mal in Aktion und brechen den beiden Mitgekreuzigten die Beine (V 32), womit sie der Bitte der 8,QWFCKQK, was ihren ersten Teil betrifft, nachkommen.221 Obwohl Jesu Kreuz zwischen den beiden anderen steht (V 18), kommen die Soldaten erst zuletzt zu ihm (V 33a). Die ungewöhnliche Reihenfolge, die durch die separate Erwähnung der beiden Mitgekreuzigten (RTYVQL…CNNQL) noch be215

Vgl. Schnackenburg, Joh III, 336. S.o. Anm. 69 und Anm. 56. 217 Vgl. auch Josephus, Bell IV.5, 317f; Philo, Flacc 83. 218 Vgl. Becker, Joh II, 705. 219 Daß die 8,QWFCKQK Pilatus plötzlich bitten (JXTYVJUCPVQP2KNCVQP), nachdem sie ihn im Prozeß sowie in 19,21 nur mit Forderungen konfrontiert haben, könnte ein Hinweis auf ihre Loyalitätserklärung in 19,15 sein, die sie nun einlösen müssen. Wilckens (Joh, 299) verweist zudem auf das politische Interesse der 8,QWFCKQK, „das Ärgernis des von den Römern gekreuzigten ‚Königs der Juden‘ so schnell wie möglich zu beseitigen.“ 220 Wie die Sorge der Hohenpriester um Reinheit zu interpretieren ist, wird im Exkurs zur Passatypologie (s.u. in Abschnitt 3.3.1.2.) näher erläutert. 221 Die Ausführung der Bitte durch die Soldaten wird mit denselben Worten wiedergegeben wie die Bitte selbst: MCVCIPWOKVCUMGNJ mit genetivus possessivus. 216

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tont wird, hebt den Sonderstatus Jesu bzw. seinen Ehrenplatz erneut hervor. Da die Soldaten sehen, daß Jesus bereits gestorben ist (V 33: GKFQP JFJ CWXVQPVGSPJMQVC), brechen sie ihm die Beine nicht (V 33b), sondern einer der Soldaten sticht ihm in die Seite (V 34a). Der Lanzenstich dient also dem Nachweis, daß Jesus tatsächlich bereits tot ist; sein Tod soll verifiziert werden – im doppelten Sinne: Nicht nur verrät eine allfällige Reaktion Jesu den Soldaten, ob sie sich geirrt haben, sondern im Falle, daß sie sich tatsächlich geirrt haben sollten, versetzt der Lanzenstich Jesus auch den Todesstoß: Das aus Jesu Seite herausfließende Blut (und Wasser) wird davon zeugen (V 34c).222 Für die Soldaten und den Unglauben der Welt ist damit die Angelegenheit erledigt. Der Glaube hingegen erkennt, daß Jesu Tod, auf den die Soldaten fixiert sind, nur das Ende seines irdischen Daseins bedeutet, nicht aber das Ende seines Lebens, ist doch der Sohn zum Vater zurückgekehrt, wo er weiterhin lebt.223 Das Blut und Wasser in 19,34 auf der Stufe des Evangelisten Die Frage, ob der Wendung CKOCMCKW=FYT über diesen unmittelbaren Textsinn hinaus eine tiefere Bedeutung zukommt, ist in bezug auf die Textstufe des Evangelisten schwierig zu beantworten.224 Folgende Argumente sprechen dagegen, daß der Evangelist auf die Sakramente von Taufe und Abendmahl anspielt:225 Weder kommt der Evangelist bei der Brotrede Jesu (Kap. 6) auf das Abendmahl zu sprechen,226 noch erzählt er in Kap. 13 dessen Einsetzung; das Abendmahl ist für seine Theologie ohne Bedeutung. Vor dem Hintergrund dieses Schweigens kann dem einzelnen Stichwort CKOC nicht plötzlich die Last auferlegt werden, dem Abendmahl im Werk des Evangelisten Platz einzuräumen. Analoges gilt für das Stichwort W=FYT, präsentiert doch in 1,19–34 Johannes der Täufer seine Wassertaufe als einen gewöhnlichen Reinigungsritus.227 Obwohl Jesus an sie anknüpft (3,22–30), bleibt sie innerhalb der joh Theologie ohne Relevanz. Wenn im Joh ein Reinigungsritus mit Wasser von zentraler Bedeutung ist, dann die Fußwaschung in Kap. 13, doch spielt das Stichwort W=FYT in der Fußwaschungsszene nur eine marginale Rolle.228 Somit kommen nur noch zwei Stellen in Frage, die dem Begriff W=FYT eine tiefere Bedeutung beimessen: 4,14 sowie 7,38. Beide Stellen handeln vom Lebenswasser (4,10f; 7,38: W=FYT\YP), das Jesus dem Glaubenden gibt. Dieses Wasser wird nach 222 Das Herausfließen von Blut und Wasser ist kein unmittelbares, medizinisches Zeichen des Todes, sondern es verifiziert – was das Blut betrifft – den Tod insofern, als dieser, falls er tatsächlich noch nicht eingetreten ist, aufgrund des massiven Blutverlustes nun nicht mehr länger auf sich warten läßt. 223 S.u. in Abschnitt 3.3.2.2. die Auslegung von 14,19f. 224 In bezug auf die Endredaktion, auf die V 35 zurückgeht, ist dieselbe Frage erneut zu stellen (s.u. den Exkurs zu V 35). 225 Zu dieser These s.u. den Exkurs zu V 35 mit Anm. 248. 226 Der sakramentale Abschnitt 6,51c–58 ist der Endredaktion zuzuschreiben (s.o. in Kap. 2 Anm. 140). 227 S.o. Abschnitt 2.2.3.2. 228 Zur Fußwaschungsszene s.u. Abschnitt 3.3.1.

176 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 4,14 im Glaubenden zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließen, und nach 7,38 wird es in Strömen aus dem Inneren des Glaubenden fließen. Allerdings ist das Schriftzitat in 7,38 insofern zweideutig,229 als auch das Innere Jesu gemeint sein könnte. Diese Zweideutigkeit muß nicht aufgelöst werden, denn sowohl in 4,14 als auch in 7,37f ist klar, daß Jesus der Geber des Lebenswassers ist, so daß – ganz im Sinne der Immanenzformel (14,20) – das Wasser, das aus dem Inneren des Glaubenden fließt, aus Jesu Innerem fließt. In bezug auf 19,34 bereitet eine Identifikation von W=FYT mit Jesu Lebensgabe allerdings insofern Schwierigkeiten, als allfällige Empfänger dieser Gabe wie bereits in 19,30 abwesend sind.230 Aus diesem Grund ist auch die These, die das Wasser analog zu der in 7,39 gegebenen Interpretation als Geistgabe des Verherrlichten deutet,231 abzulehnen. Auf der Ebene der Endredaktion, die den Augenzeugen (V 35) hinzusetzt, ist eine Interpretation von Blut und Wasser als Gaben des Gekreuzigten eher denkbar, obwohl auch der Augenzeuge nicht als Empfänger einer Gabe auftritt. Eine andere Interpretation, die das aus dem Inneren Jesu fließende Wasser nicht auf seine Gabe, sondern auf sein eigenes, nicht versiegendes Leben bezieht, liegt näher: Während das Blut, das aus Jesu Seite tritt, Jesu Tod bedeutet und verifiziert, könnte MCK W=FYT ein versteckter Hinweis auf Jesu ewiges Leben sein bzw. auf die Lebensquelle, die trotz seinem irdischen Ende weiterhin in ihm fließt. Diese Hypothese hat insofern etwas Anhalt am Text, als das Heraustreten des Wassers aus Jesu Seite einerseits dem in 7,38 und 4,14 gezeichneten Bild entspricht, andererseits auf derselben Ebene steht wie das Heraustreten des Blutes: Letzteres ist ein Zeichen des Todes, ersteres ein Zeichen des Lebens. Allerdings handelt es sich um ein verstecktes Zeichen: Die Soldaten sehen gewöhnliches Wasser bzw. irgendeine Körperflüssigkeit (W=FYT), während es sich in Wahrheit – und somit in der Sicht des Glaubens – um lebendiges Wasser (W=FYT \YP) handelt, das Jesu unversiegbares Leben bezeugt. Diese Interpretation bleibt jedoch hypothetisch, und es ist nicht auszuschließen, daß auf der Ebene des Evangelisten sowohl das Blut als auch das Wasser nichts anderes darstellen als ein Verifikationszeichen, das den Soldaten Jesu Tod bestätigt.232

Wie in V 23f führen die Soldaten ihr ursprüngliches Vorhaben nicht durch, sondern vollziehen eine andere Handlung, mit der sie, ohne es zu wissen, die Schrift erfüllen (V 36: GXIGPGVQICTVCWVCK=PCJB ITCHJ RNJTYSJ^). War in V 23f Jesu Leibrock der Grund, weshalb die Soldaten ihre Absicht ändern mußten, so ist es diesmal Jesu früh eingetretener Tod. Somit sorgt er229

Unklar ist außerdem, welche Schriftstelle dem Zitat zugrunde liegt. S.o. Abschnitt 3.2.4.4. 231 Vgl. de la Potterie, Passion, 139–143; Thompson, Humanity, 110; Senior, Passion, 123f; Brown, Death II, 1181f; Léon-Dufour, Jean IV, 168–170; Obermann, Erfüllung, 322f. Ausgehend vom I Joh und der Endredaktion des Evangeliums, deutet Knöppler Blut und Wasser als Heilsgaben der Sühne und der Reinigung von Sünden (Knöppler, theologia crucis, 257f ). 232 So Becker, Joh II, 707; in bezug auf die Quelle des Evangelisten auch Schnackenburg, Joh III, 338f. Vgl. auch IV Makk 9,20, wo anläßlich des Martyriums des ältesten Bruders von Blut (CKOC) und von Blutwasser (KXEYT) gesprochen wird; vgl. Philo, Spec Leg IV 119. Weitere Belege einer Verbindung von Blut und Wasser in Schriften der Umwelt bei Schweizer, Zeugnis, 382; Neuer Wettstein I/2, 835–839. 230

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neut Jesus als verstecktes Subjekt dafür, daß die Handlung der Soldaten die Schrift erfüllt. Das erste Schriftzitat nimmt auf das nicht durchgeführte Crurifragium Bezug (V 36), das zweite auf den an die Stelle des Crurifragiums getretenen Lanzenstich (V 37).233 Während in V 37 Sach 12,10 zitiert wird, läßt sich das Zitat in V 36 nicht eindeutig zuweisen. Was den Wortlaut betrifft, kommen sowohl drei Stellen aus der Thora in Frage (Ex 12,10 [LXX]; Ex 12,46 und Num 9,12), die festhalten, daß vom Passalamm kein Knochen zerbrochen werden soll, als auch ein Psalmvers (Ps 34,21), der vom leidenden Gerechten handelt:234 Joh 19,36: QXUVQWPQWXUWPVTKDJUGVCKCWXVQW. LXX Ex 12,10.46; Num 9,12: QXUVQWPQWX UWPVTK[GVG (Num 9,12: UWPVTK[QWUKP) CXR8 CWXVQW. LXX Ps 33,21: MWTKQL HWNCUUGK RCPVC VC QXUVC CWXVYP G?P GXZ CWXVYP QWX UWPVTKDJUGVCK.

Auf Psalmen des leidenden Gerechten wird zwar auch in V 23f und in V 28f angespielt, doch zeigte die Auslegung dieser beiden Stellen, daß sie Jesus nicht als leidenden, sondern als siegreichen Gerechten darstellen, der das Geschehen beherrscht.235 Dieser Befund wird in Joh 19,32–34 nicht nur von der Szenerie der Passage bestätigt, sondern auch vom Ps-Zitat selbst, das nicht auf die Bedrohung des Gerechten, sondern auf seinen Sieg und seine Bewahrung vor den Feinden verweist. V 36 könnte jedoch auch aus Ex 12 zitieren und auf das Passalamm anspielen, taucht doch das Passathema in der joh Kreuzigungserzählung immer wieder auf, wie ja auch in V 31 die Bemerkung, daß jener Sabbat groß war, auf das Passa hinweist. Die beiden Möglichkeiten, den Bezugstext des Zitats zu bestimmen (Ex 12/Ps 33) – und in der Folge die Jesus gegenübergestellte Figur (Gerechter/Passalamm) –, müssen sich nicht ausschließen, denn der Umstand, daß der Wortlaut des Zitats zwischen beiden Schriftstellen oszilliert, kann auch als Absicht interpretiert werden.236 Welche Interpretationsrichtung die 233 Daß in 19,36f zwei Schriftstellen zitiert werden, entspricht der Aufteilung des Parallelismus membrorum von Ps 22,19 in zwei Handlungen in Joh 19,24 (s.o. Abschnitt 3.2.4.3.) und bestätigt die Symmetrie der beiden Szenen 19,23f und 19,31–34.36f. 234 Vgl. Menken, Quotation, 2102–2106; Obermann, Erfüllung, 298–301. 235 S.o. die Abschnitte 3.2.4.3. und 3.2.4.4. Ohne Anhalt am Text sind deshalb Thesen wie diejenige von Pamment, meaning, 16: „In Isaiah, and elsewhere in the O.T., God manifests his glory in saving Israel from suffering. […] In the Fourth Gospel, God’s glory is manifested in the suffering an the death of the Son of man on the cross.“ 236 Vgl. Menken, Quotation, 2106.2117f. Eine andere Möglichkeit ist es, dieses Oszillieren mit verschiedenen literarischen Stufen zu erklären (vgl. Becker, Joh II, 709): Der Evangelist dehnte das Ps-Zitat seiner Quelle auf Ex 12 aus.

178 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Anspielung auf das Passalamm eröffnet, wird im Exkurs zur Passatypologie erörtert.237 In bezug auf das Zitat in V 37 (Sach 12,10)238 stellt sich erneut die Frage, ob die Schriftstelle über die Tatsache ihrer Erfüllung hinaus für den joh Text von Bedeutung ist. In V 32–34 finden sich keine Elemente, die auf den unmittelbaren Kontext der zitierten Stelle – auf die Geistausgießung oder auf die Klage über den Durchbohrten (Sach 12,10) – verweisen.239 Die Untersuchung wird zudem dadurch erschwert, daß die Identität des Durchbohrten in Sach 12,10 schleierhaft ist;240 außer Zweifel steht nur, daß es sich um eine eschatologische Gestalt handelt und diese Gestalt, sofern mit ihr nicht Jahwe selbst gemeint ist, in einer unmittelbaren Beziehung zu Jahwe steht.241 Auf sie könnte Joh 19,37 denn auch anspielen: Als die Soldaten, um Jesu Tod zu verifizieren, in seine Seite stachen, schauten sie, ohne es zu wissen, auf Gottes Sohn, auf den Retter und Richter der Welt. Zwar wird in V 34 nicht erzählt, daß die Soldaten auf den Durchbohrten schauen, doch wird dies insofern vorausgesetzt, als die Soldaten den Lanzenstich zur visuellen Verifikation des Todes Jesu ausführen (s.o.). Mit dem in V 35 genannten Augenzeugen läßt die Endredaktion eine weitere Person auftreten, die auf den Durchbohrten schaut. Der Augenzeuge des Lanzenstichs in 19,35 V 35 unterbricht deutlich den Zusammenhang zwischen der Erzählung (V 32–34) und den Erfüllungszitaten (V 36f ) und gibt sich so als Einschub zu erkennen.242 Wie bereits bei der ersten Soldatenszene (V 23f.25–27) stellt die Endredaktion den 237

S.u. in Abschnitt 3.3.1.2. Das Zitat weicht sowohl vom MT als auch von der LXX erheblich ab. Die Quelle läßt sich nicht mehr identifizieren. Die meisten Ausleger (mit Ausnahme von Hengel, Schriftauslegung, 281: „Dieses Zitat aus Sach 12,10 folgt eindeutig dem hebräischen Text“) sind sich denn auch unsicher: Mit starker joh Redaktion einer griechischen Fassung des Zitats rechnet Schuchard, Scripture, 143–149. Eine von der LXX unabhängige, im Urchristentum verankerte griechische Fassung ohne joh Redaktion vermutet Menken, Form, 495–504.511. Eher für den MT als Quelle tendiert Obermann, Erfüllung, 310–314. 239 Vgl. dagegen Apk 1,7, wo die Anspielung auf den Durchbohrten auch die Klage über ihn mit einbezieht (vgl. auch Mt 24,30). Für die komplizierte Konstruktion, das aus Jesu Leib strömende Wasser (Joh 19,34) mittels 7,38f als Geistausgießung zu interpretieren und diese mit der Geistausgießung aus Sach 12,10 zu verbinden (vgl. Brown, Death II, 1181f.1186– 1188; zudem s.o. die Literatur in Anm. 231), bietet der Text keinen unmittelbaren Anhalt. 240 Auch der Wechsel von der 1. Pers. Sing. zur 3. Pers. Sing., der im MT besonders markant hervortritt (:UT ' UYD@WDH\ODH:M\%LKLZ)! , ist schwierig zu verstehen. 241 Vgl. Obermann, Erfüllung, 315f. Apk 1,7 und Mt 24,30 rezipieren den Text im Zusammenhang der Parusie Christi. 242 Auch die Aufeinanderfolge der beiden K=PC-Sätze (V 35.36) weist auf einen Einschub hin. Zu dieser literarkritischen Hypothese, die V 35 zur Endredaktion zählt, V 34c hingegen dem Evangelisten bzw. seiner Quelle zuordnet, vgl. auch die Argumente bei Schnackenburg, Joh III, 334–336; Becker, Joh II, 704–709. 238

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feindlichen Soldaten den Lieblingsjünger (vgl. 21,24)243 gegenüber. Dieser tritt als absolut vertrauenswürdiger Augenzeuge vor der Gemeinde (WBOGKL) auf, die aufgrund seines Zeugnisses ebenfalls glauben soll.244 Die Augenzeugenschaft des Lieblingsjüngers schafft einen neuen Bezug zum Sach-Zitat, nimmt die Endredaktion doch das Verb QBTCY aus V 37 auf: Neben den nichtglaubenden Soldaten schaut nun auch der Lieblingsjünger auf den Durchbohrten245 und auf das aus seiner Seite fließende Blut und Wasser. Es stellt sich die Frage, ob die Endredaktion Blut und Wasser anders versteht als der Evangelist. Ein Vergleich mit I Joh 5,6–8 drängt sich zur Beantwortung dieser Frage geradezu auf, denn nicht nur erwähnt diese Briefstelle das Gekommensein Jesu durch Wasser und Blut (5,6: FK8W=FCVQLMCK CK=OCVQL), sondern sie reflektiert, wie die Stichworte OCTVWTGY und OCTVWTKC zeigen,246 auch dasselbe Thema wie Joh 19,35: Es geht um das wahre Zeugnis von der Gottessohnschaft Jesu. In I Joh 5,6 bezeugt der Geist, daß Jesus nicht allein durch die Taufe (QWXMGXPVY^ W=FCVKOQPQP), sondern durch die Taufe und den Tod (CXNN8GXPVY^ W=FCVKMCK GXPVY^ CK=OCVK) Gottes Sohn ist. Die Endredaktion des Evangeliums könnte 19,34c in derselben Richtung interpretieren und das Blut als Zeichen für Jesu Tod deuten, das Wasser aber als Zeichen für seine Taufe, die nicht unabhängig von seinem Tod verstanden werden darf. Während im Brief der Geist das wahre Zeugnis von Wasser und Blut ablegt (5,6), übernimmt im Evangelium der Lieblingsjünger diese Funktion. Vielleicht ist dies ein Hinweis darauf, daß die Endredaktion die Wendung RCTGFYMGPVQ RPGWOC in 19,30 tatsächlich so versteht, daß Jesus der Gruppe unter dem Kreuz, insbesondere aber dem Lieblingsjünger, den Geist übergibt.247 Dieser führt dann den Lieblingsjünger in V 35 zum wahren Zeugnis von Jesu Tod und von den in diesem Tod verankerten Sakramenten: Taufe und Abendmahl.248 Der Lieblingsjünger, Garant der joh Theologie und vom Gekreuzigten als sein Stellvertreter auf Erden autorisiert (19,25–27), bezeugt, daß Jesus durch Taufe und Tod der Sohn Gottes ist und die Sakramente von Abendmahl und Wassertaufe gestiftet hat (V 35). Diese Aussage der beiden Lieblingsjüngerszenen in Kap. 19 verweist auf das Bestreben der Endredaktion, die eigenständige und -willige Theologie 243

Zur literarischen Zusammengehörigkeit von 19,35 und 21,24, die deutlich macht, daß es wie in 21,24 auch in 19,35 um den Lieblingsjünger geht, vgl. Schnackenburg, Joh III, 340. 244 Die Endredaktion behauptet, das Zeugnis des Augenzeugen entspreche der Wahrheit, und hält zusätzlich fest, daß auch der Augenzeuge selbst darum weiß, daß sein Zeugnis wahr ist. Damit ist das Zeugnis doppelt beglaubigt, was wiederum – wie in 8,17 erinnert – für seine Wahrheit spricht (vgl. Becker, Joh II, 708). Das Pronomen GXMGKPQL bezieht sich auf QBGBYTCMYL zurück (vgl. Schnackenburg, Joh III, 340). 245 Zur Interpretation des Sach-Zitats auf der Stufe der Endredaktion vgl. Obermann, Erfüllung, 318–323. 246 Weitere gemeinsame Stichworte oder -wurzeln sind: CXNJSKPQL, CXNJSJL (Joh 19,35) bzw. CXNJSGKC (I Joh 5,6) und RKUVGWY (Joh 19,35; I Joh 5,5.10). 247 S.o. den kurzen Exkurs am Schluß von Abschnitt 3.2.4.4. 248 Zur sakramentalen und/oder antidoketischen Interpretation von V 34c – im Rahmen unterschiedlicher literarkritischer Thesen – vgl. Haenchen, Joh, 554f; Bultmann, Joh, 525f; Schweizer, Zeugnis, 379–384; Richter, Blut; Thüsing, Erhöhung, 171–173; Zumstein, Interpretation, 139; ders., Johannes 19,25–27, 171f; Thompson, Humanity, 109f; Heil, Blood, 105–109; Smith, John, 363f; Moloney, John, 505f; Schnelle, Joh, 293; Wilckens, Joh, 300f; Wengst, Joh II, 264f; Dietzfelbinger, Joh II, 312–314.

180 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 des Evangelisten den richtungsweisenden Strömungen im Urchristentum anzunähern und den Kreis der joh Gemeinden zur Großkirche hin zu öffnen. 249

3.2.4.6. Das königliche Begräbnis (19,38–42) Nach den 8,QWFCKQK bzw. den Dienern der Hohenpriester250 tritt Joseph von Arimathäa vor Pilatus und bittet ihn darum, Jesu Körper vom Kreuz abnehmen zu dürfen (V 38). Während das Motiv der Hohenpriester, die Pilatus in V 31 dieselbe Bitte vortrugen, ein eigennütziges war, 251 macht der Partizipialsatz in V 38 sofort deutlich, daß das Anliegen von Joseph integre Gründe hat: Da er ein – wenn auch aus Angst vor den Hohenpriestern verborgener – Jünger Jesu ist, muß es ihm um eine respektable Behandlung des Leichnams Jesu gehen. Zeigte in V 32 der Auftritt der Soldaten, daß Pilatus der Bitte der Hohenpriester stattgegeben hat, wird in V 38 die Erteilung der Erlaubnis explizit erwähnt, woraufhin der Bittsteller selbst zur Tat schreitet und den Körper Jesu vom Kreuz abnimmt.252 In V 39 tritt eine weitere Person auf: Nikodemus, der sich – wie die Anspielung auf 3,2 in Erinnerung ruft – als Ratsmitglied (3,1) nur im Schutze der Nacht getraute, Jesus aufzusuchen, wie er auch in 7,50f nur mit Zurückhaltung für Jesus eintrat. Die beiden heimlichen Jünger bereiten Jesus ein geradezu königliches Begräbnis, denn die hundert NKVTC (mehr als 32 Kilogramm) Mischung aus Myrrhe und Aloe, die Nikodemus herbeiträgt, muten gigantisch an.253 Der Hinweis auf das neue Grab, in dem noch nie jemand gelegen hat und das sich in einem Garten befindet (V 41),254 unterstreicht die hohe Ehre, die Nikodemus und Joseph Jesus erweisen. Zusammen mit der Betonung, daß das Begräbnis, bei dem Jesu Leichnam mit den Gewürzen in Leinentücher gebunden wird, dem Brauchtum der 8,QWFCKQK folgt (V 40: MCSYLGSQLGXUVKP VQKL 8,QWFCKQKL), ergibt diese letzte Anspielung auf das Königsmotiv eine Wiederaufnahme des Kreuzestitulus DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP.255 Hielt Pilatus in 19,22 daran fest, daß Jesus als DCUKNGWL VYP 8,QWFCKYP gekreuzigt wird, so wird der vom Kreuz Abgenommene nun auch als DCUKNGWL VYP 249 Vgl. Zumstein, Geschichte, 8: „Die Aufgabe der Endredaktion besteht darin, den dokumentarischen und theologischen Stellenwert des Evangeliums sowohl für die joh Gemeinden als auch für die gesamte Kirche zu betonen.“ 250 S.o. Anm. 69 und Anm. 56. 251 S.o. im letzten Abschnitt. 252 Die Fortsetzungen in V 32 (JNSQP QWP QKB UVTCVKYVCK MCK) und in V 38 (JNSGP QWP MCK) sind analog formuliert. 253 Vgl. Zwickel, Räucherwerk, 268. 254 Zum Gartenmotiv, das zusammen mit 18,1 eine Inklusion um die joh Kreuzigungserzählung bildet, s.o. Anm. 14. 255 Die Anspielung auf das Königsmotiv betonen Senior, Passion, 134; Brown, Death II, 1260f; Léon-Dufour, Jean IV, 185; Moloney, John, 510f; Schnelle, Joh, 295; Wilckens, Joh, 303; Wengst, Joh II, 270; Dietzfelbinger, Joh II, 315.

Die Kreuzigung Jesu als Selbstgericht des Unglaubens (Joh 18f)

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8,QWFCKYP begraben. In bezug auf die Hohenpriester ist dieses Begräbnis erneut Ausdruck ihres Gerichts: Mußten sie sich in 19,15, um die Kreuzigung Jesu durchsetzen zu können, von ihrem König lossagen, so wird dieser, d.h. ihr König, nun folgerichtig zu Grabe getragen. In Wahrheit jedoch erweist dieses Begräbnis – wie der Glaube erkennt – nicht einem „Toten“ die letzte Ehre, sondern preist den zum Vater zurückgekehrten Sohn Gottes. Wegen dem Rüsttag erfolgt das Begräbnis in Eile und deshalb in unmittelbarer Nähe zur Kreuzigungsstätte (V 42; vgl. V 41). Das Stichwort RCTCUMGWJ und dessen Präzisierung als RCTCUMGWJ VYP 8,QWFCKYP weisen auf V 31 zurück. Nicht nur führt das Bestreben der Hohenpriester, der Weisung aus Dtn 21,23 zu folgen und das Passafest nicht zu gefährden (vgl. 18,28), zur Anerkennung Jesu als des wahren Passalamms (19,36),256 sondern die aufgrund des Rüsttags der 8,QWFCKQK angesagte Eile führt schließlich auch zu seinem Begräbnis an einem ehrenvollen Ort, in einem neuen Grab mitten in einem Garten, d.h. zur Anerkennung Jesu als des wahren Königs. So wird mit dem letzten Satz der Kreuzigungserzählung (V 42) noch einmal versteckt darauf verwiesen, daß die Hohenpriester mit der Durchsetzung der Kreuzigung Jesu die Erhöhung ihres eigenen Richters bewerkstelligt haben bzw. daß der Unglaube sich selbst richtet. 3.2.5. Zusammenfassung Nachdem die vorausgehenden Abschnitte die einzelnen Szenen der joh Kreuzigungserzählung exegesiert haben, sind nun die Ergebnisse dieser Exegesen zu bündeln. Die folgende Zusammenfassung orientiert sich an den zentralen Motiven, die die einzelnen Szenen miteinander verbinden. 3.2.5.1. Die Souveränität Jesu Von seiner Verhaftung bis zum Begräbnis gibt Jesus das Geschehen nicht aus seinen Händen (13,3), sondern bleibt Herr über sein Schicksal. In der Verhaftungsszene (18,1–12) tritt er den Häschern entgegen und identifiziert sich selbst als den Gesuchten, worauf die ganze Truppe vor ihm zu Boden fällt. Ohne zu zögern, begibt er sich in die Gefangenschaft seiner Gegner und verfügt, daß seine Jünger entlassen werden. Vor Hannas (18,19–23) weigert er sich, Auskunft über seine Lehre und seine Jünger zu geben, und läßt sich auch durch die Ohrfeige eines Dieners nicht aus der Fassung bringen. Im Prozeß vor Pilatus (18,28–19,16a) entzieht er sich erneut dem Verhör und übernimmt nun selbst die Rolle des Verhörenden (18,34) und des Richters (19,11): In Wahrheit sitzt in diesem Prozeß denn auch nicht Pilatus 256

S.u. in Abschnitt 3.3.1.2. den Exkurs zur Passatypologie.

182 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 über Jesus, sondern dieser über den Unglauben zu Gericht. Sogar in der Kreuzigungsszene (19,16b–37) bestimmt Jesus das Geschehen: Unaufgefordert geht er zur Hinrichtungsstätte hinaus und trägt sein Kreuz gleich selbst. Was seine Gegner initiieren, wendet er in eine neue Richtung, so daß sich alles schrift- und plangemäß ereignet (18,4/19,28): Sein nahtloser Leibrock hindert die Soldaten daran, diesen wie die übrigen Kleider untereinander aufzuteilen, und so werfen sie das Los, womit sich in ihrem Tun die Schrift erfüllt. Dafür sorgt Jesus mit einem letzten Wort (FK[Y) erneut, und mit einem allerletzten (VGVGNGUVCK) erklärt er sein Werk für vollendet und übergibt den Geist – dem Vater, zu dem er zurückkehrt. Doch immer noch bleibt das Geschehen in seinen Händen (19,38–42): Durch seinen frühen Tod hält er die Soldaten davon ab, ihm die Beine zu brechen, und veranlaßt sie, ihm mit einer Lanze in die Seite zu stechen, so daß sie wiederum, ohne es zu wissen, die Schrift erfüllen: Es wird ihm kein Bein gebrochen, und sie sehen auf den, den sie durchbohrt haben. So bleibt Jesus durch die ganze Kreuzigungserzählung hindurch Herr seines Geschicks. Von einer Passionsgeschichte kann nicht die Rede sein: Jesu Leiden wird mit keinem Wort thematisiert, und auch Begriffe wie Ohnmacht und Gottverlassenheit reden am joh Text vorbei. Die Niedrigkeit des Gekreuzigten besteht nur in den Augen der Welt; in Wahrheit ist Jesus am Kreuz der Richter, den ebendiese Welt zu ihrem eigenen Gericht erhöht hat (s.u.). 3.2.5.2. Die Abwesenheit der Glaubenden: Ende der Selbstoffenbarung Jesu Während der erste Buchteil entfaltet, wie Jesus sich in Reden und Zeichen vor der Welt (Kap. 2–12) offenbart, ist diese unmittelbare Selbstoffenbarung in Kap. 18f kein Gegenstand der Erzählung mehr. In 13,1–14,29 richtet sich Jesus noch einmal an seine Jünger, um dann in 14,30f zu erklären, daß er nicht mehr viel unter ihnen reden werde, da die bevorstehende Konfrontation zwischen ihm und dem Herrscher der Welt spiele. Folgerichtig entläßt er sie in 18,8, und Petrus, der ihm trotzdem folgen will, scheitert kläglich (18,27). Vor Hannas und Pilatus weigert sich Jesus, über seine Identität Auskunft zu geben. Dem Hohenpriester (18,19–23), der ihn über seine Jünger und seine Lehre befragt, gibt er keine Erklärungen mehr ab, sondern verweist ihn an die Zuhörer aus Kap. 2–12. Dem römischen Präfekten (18,28–19,16a) antwortet er einmal mit einer Gegenfrage, ein anderes Mal in negativem und hypothetischem Wortlaut, dann wiederum gibt er ihm zu verstehen, daß er, Pilatus, ihn gar nicht verstehen kann, antwortet überhaupt nicht mehr und weist schließlich auf eine höhere Instanz hin, die diesen Prozeß in Wahrheit führt. Ganz in Gottes und seinen Händen liegt auch das Geschehen der Kreuzigung (19,16b–42), in dem die Welt zur Tat schreitet: Während im Vordergrund die Soldaten handeln, tritt aus dem Hintergrund Jesus hervor und vollendet schriftgemäß sein Werk (s.o.), ohne

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jedoch erneut seine Identität als Lebenspender zu offenbaren. Die einzige Aussage, die der Text zu Jesu Identität macht, ist die Behauptung, daß er als DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP gekreuzigt und begraben wird. Bereits der Wortlaut des Titels verweist darauf, daß diese Identitätsaussage die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester betrifft: Ihr König wird gekreuzigt und begraben. Die Tat der Kreuzigung Jesu fördert denn auch nichts anderes als die Kehrseite der königlichen Identität Jesu zu Tage: Indem die nichtglaubende Welt Jesus erhöht, identifiziert sie ihn als ihren eigenen Richter. Im Kreuzigungsgeschehen offenbart sich nicht Jesus als Lebensgabe, sondern der Unglaube in seinem Selbstgericht. 3.2.5.3. Das Selbstgericht des Unglaubens: der letzte Tag Obwohl Jesus das Geschehen beherrscht, tritt er auf der unmittelbaren Erzählebene als Handlungssubjekt zurück. Diese Rolle wird nun vom Herrscher der Welt bzw. von den Hohenpriestern übernommen, die mit Hilfe der römischen Besatzungsmacht Jesus verhaften und seine Kreuzigung durchsetzen. Allerdings treten diese aktiv Handelnden keineswegs souverän auf. Nicht nur stürzen die Häscher bei Jesu Verhaftung zu Boden (18,6), auch verstricken sich die Hohenpriester immer tiefer in einen politischen Machtkampf mit Pilatus, der ihnen schließlich die Erklärung ihrer bedingungslosen Loyalität dem Kaiser gegenüber abnötigt (19,15). Um an ihr Ziel der Kreuzigung Jesu zu gelangen, sagen sich die Hohenpriester von ihrem König los: Jesus wird als DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP gekreuzigt (19,21f) und zu Grabe getragen. Die gegen Jesus Agierenden werden zu Gefangenen ihrer eigenen Tat: Trat Jesus in Kap. 2–12 mit dem Anspruch auf, Gottes Sohn und als dieser die Auferstehung und das Leben für die im „Tod“ Gefangenen zu sein, und ließ der Unglaube diesen Anspruch nicht gelten, so erzählen Kap. 18f, wie sich ebendieser Unglaube, indem er Jesus aus der Welt schafft, der Auferstehung und des Lebens entledigt. Nicht die Selbstoffenbarung Jesu, sondern die Selbstoffenbarung des Unglaubens ist das Thema der Kreuzigungserzählung. Die nichtglaubende Welt schreitet gegen Jesus zur Tat und kreuzigt ihn: Sie offenbart und realisiert ihr Bestreben, ohne Gott sein zu wollen, ihre Entscheidung, ohne das (wahre) Leben auszukommen und weiterhin ihr Dasein im „Tod“ zu fristen. Die Kreuzigung Jesu wird so zum Selbstgericht des Unglaubens, der ohne die Wahrheit, das Licht und das Leben, ohne Gott zurückbleibt. Er schließt sich in der Lüge und der Finsternis, im „Tod“ ein. Während die Hohenpriester meinen, einen falschen Messiasprätendenten hinzurichten und zu vernichten, kreuzigen sie in Wahrheit ihren König und tragen ihn zu Grabe. Sie erhöhen Jesus zu ihrem eigenen Richter und müssen ihr Gerichtetsein anerkennen (vgl. 8,28): Öffentlich bekennen sie, einem Herrscher dieser Welt als höchstem Haupt zu dienen (19,15), und geben damit ihre Lebenshoffnung auf.

184 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Von der Verhaftung Jesu mitten in der Nacht bis zu seinem königlichen Begräbnis vor Sonnenuntergang erstreckt sich der Tag des Gerichts: der letzte Tag. Der Unglaube selbst beschwört diesen Tag herauf: Der inneren Konsequenz seiner Ablehnung Jesu nicht entgehend, vollzieht er das Gericht über sich selbst. Zwar nimmt Jesus, der auch als Gekreuzigter das Geschehen nicht aus seinen Händen gibt (s.o.), in diesem Gericht die Rolle des Richters ein – so daß das Selbstgericht des Unglaubens als Gottes Gericht ergeht –, doch wählt er diese Rolle nicht selbst, sondern der Unglaube schreibt sie ihm zu: Gott sandte seinen Sohn nicht in die Welt, um sie zu richten, sondern um sie zu retten (3,17). Das Gericht, von dem der Glaube verschont bleibt (V 18a), entspringt der Eigendynamik des Unglaubens (V 18b). Folgerichtig tauchen in Kap. 18f die Figuren des Glaubens nicht mehr auf, denn die Glaubenden kommen nicht ins Gericht (5,24). Dennoch ist der letzte Tag, der Tag des Gerichts über den Unglauben, auch für sie von Bedeutung. Diese ist das Thema von Kap. 13f.20.

3.3. Jesu Rückkehr zum Vater als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 3.3. Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) Die Kreuzigungserzählung beginnt mit Jesu Verhaftung in einem Garten (18,1) und endet mit seinem Begräbnis ebenfalls in einem Garten (19,41). Die Inklusion verweist auf die geschlossene Komposition von 18,1–19,42. In 20,1 beginnt eine neue Erzählung. Bevor jedoch untersucht wird, in welcher Beziehung die Ostererzählung zu der in Kap. 18f erzählten Erhöhung Jesu steht, gilt es, einen Blick zurückzuwerfen auf Kap. 13f. Wie die Auslegung von Kap. 18f gezeigt hat, steht in der Kreuzigungserzählung die Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Hohenpriestern im Vordergrund, während die Jünger nach ihrer Entlassung in 18,8 mit Ausnahme des unverständigen Petrus nicht mehr auftreten. Nicht der Glaube, sondern der Unglaube bzw. sein Selbstgericht ist das Thema dieser Kapitel. Die Glaubenden haben im Gericht und deshalb unter dem Kreuz nichts zu suchen. Das heißt nun allerdings nicht, daß der Evangelist der Rückkehr Jesu zum Vater keinerlei Tragweite für die Glaubenden beimißt; vielmehr räumt er der Entfaltung dieser Tragweite breiten Raum ein: Jesu Fußwaschungshandlung und seine Abschiedsreden (Kap. 13f[.15–17]) verfolgen kein anderes Ziel, als die Jünger auf seinen Weggang aus der Welt vorzubereiten. Ausführlich und prägnant erklärt er ihnen, was sich mit dem bevorstehenden Ereignis für sie ändern wird. Allerdings werden sie seine Erklärungen erst verstehen können, wenn das Ereignis selbst eingetreten ist (vgl. 13,7;

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14,29).257 In der Ostererzählung (Kap. 20) bestätigt Jesus denn auch noch einmal die positive Tragweite, die seine Rückkehr zum Vater für die Jünger hat. 3.3.1. Die Fußwaschung und ihre erste Deutung (Joh 13,1–10a) Als Erzählung, die den zweiten Buchteil eröffnet, steht die Fußwaschungsperikope im Aufriß des Evangeliums an exponierter Stelle. Mit einer ungewöhnlichen Handlung leitet Jesus die Stunde seiner Rückkehr zum Vater ein. In welchem inneren Zusammenhang diese Handlung zu seiner Rückkehr steht, ist die entscheidende Leitfrage der folgenden exegetischen Erörterung. 3.3.1.1. Literarkritische Position zur Fußwaschungsperikope Angesichts des hohen Stellenwerts der Perikope überrascht es nicht, daß der Text Doppelungen, Unstimmigkeiten und Brüche enthält, die auf mehrere Redaktionsstufen hinweisen. Zur Fußwaschungsperikope liegen denn auch verschiedene literarkritische Hypothesen vor.258 Da die Einleitung der Perikope (V 1–3) zugleich die Einleitung des gesamten zweiten Buchteils bildet, wurde dieser Abschnitt bereits weiter oben literarkritisch analysiert.259 In bezug auf die Fortsetzung (V 4–17) gibt vor allem der Sachverhalt, daß auf die Szene (V 4f) zwei Deutungen sehr unterschiedlicher Ausrichtung folgen, zu literarkritischen Operationen Anlaß. Während Jesus in der ersten Deutung (V 6–11) auf ein zukünftiges Ereignis verweist, das seine Handlung erklären wird (V 7), und so die Fußwaschung mit seiner Kreuzigung bzw. seinem Weggang verknüpft, entfaltet er in der zweiten Deutung (V 12–17) eine ethisch-ekklesiologisch ausgerichtete Interpretation, die das gegebene Beispiel auslegt, ohne es auf ein anderes Ereignis zu beziehen. Einigkeit besteht meist darin, daß die erste Deutung größtenteils das Werk des Evangelisten ist, während die zweite auf eine ältere Tradition zurückgeht.260 Den Hauptstreitpunkt bildet die Frage, ob die zweite, ältere Deu257 Insofern ist das methodische Vorgehen, die Auslegung von Kap. 18f derjenigen von Kap. 13f vorzuziehen, im Text selbst begründet (s.o. die Begründung dieses Vorgehens unter Abschnitt 3.1.2.) 258 Diese werden ausführlich dargestellt von Segovia, Footwashing, 31–37; vgl. auch Becker, Joh II, 498f. 259 S.o. Abschnitt 3.1.1. 260 Vgl. u.a. Bultmann, Joh, 351f; Thyen, Johannes 13; Lazure, lavement; Richter, Fußwaschung, 48–55; Becker, Joh II, 498f; Segovia, Footwashing; Kohler, Kreuz, 192–196; Wengst, Gemeinde, 224f; Winter, Vermächtnis, 236–238; Dettwiler, Gegenwart, 67f; Schnelle, Schule, 211–216; Zumstein, Fusswaschung, 105–108. Die literarkritische Frage beantworten einige Exegeten auch durch die Annahme einer direkten literarischen Abhängigkeit des

186 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 tung bereits vom Evangelisten oder erst von der Endredaktion aufgenommen und zur ersten Deutung hinzugesetzt wurde.261 Für die Endredaktion spricht insbesondere die ethisch-ekklesiologische Ausrichtung von V 12–17, die mit 13,34f und 15,1–17, zwei Texten, die ebenfalls zur Endredaktion gehören, korrespondiert. Außerdem wäre es für die Arbeitsweise des Evangelisten sehr ungewöhnlich, eine ältere Tradition aufzunehmen, ohne sie weiter zu überarbeiten und stärker in den Text seines Evangeliums zu integrieren.262 Für die Gegenthese, daß die vom Evangelisten aufgenommene Tradition sowohl V 4f als auch V 12–17 umfaßt, spricht vor allem die Tatsache, daß V 12 hervorragend an V 4f anschließt, so daß unter Ausschluß der Redaktion des Evangelisten (V 6–11) eine kohärente Szene entsteht.263 Der Anschluß von V 12 an V 5 läßt sich jedoch auch damit erklären, daß die Endredaktion von der Deutung des Evangelisten, die am Schluß auf die Reinheit zu sprechen kommt (V 10a), wieder zurück zur Fußwaschung lenkt, um die zweite Deutung, die mit der Reinheitsthematik nichts zu tun hat, anzuschließen. Umstritten ist auch, ob V 10b.11 sowie V 18–20 zur Stufe des Evangelisten gehören.264 Es liegt nahe, auch diese Verse zur Endredaktion zu zählen, denn die breite Entfaltung des Judasverrats paßt nicht zum pointierten Ausspruch Jesu in V 21, der dieses Thema allererst einzuführen scheint. Auch überrascht, daß Jesus in V 10b die Reinheit der Jünger direkt konstatiert (MCKWBOGKLMCSCTQK GXUVG CXNN8QWXEK RCPVGL), läßt doch der Evangelist Jesus sonst nur allgemeingültige Aussagen in bezug auf den Heilsstatus der Glaubenden machen, wie dies auch in V 10a (QBNGNQWOGPQL…) der Fall ist.265 Die Endredaktion ließ es sich nicht nehmen, vor der Überleitung zur zweiten Deutung der Fußwaschung das vom Evangelisten angeschnittene Thema aufzugreifen und mit V 10b Jesus die Reinheit der Jünger mit einer Einschränkung bestätigen zu lassen, um dann mit V 11 zu erklären, daß Jesus seinen Verräter kannte. Mit V 18f bearbeitete sie das ihr am Herzen liegenJoh von den synoptischen Evangelien (vgl. u.a. Sabbe, Footwashing; Kleinknecht, Johannes 13). 261 Die These, daß V 12–17 zur ersten Deutung (V 6–11) hinzugefügt wurde, vertreten von den unter Anm. 260 erwähnten Exegeten Bultmann, Thyen (Verhältnis „gnostisierende Grundschrift“/„vierter Evangelist“), Richter, Becker, Segovia, Kohler, Winter und Dettwiler. 262 Vgl. zu diesen Argumenten Winter, Vermächtnis, 236–238. 263 Vgl. Zumstein; Fusswaschung, 106; vgl. zu dieser These auch Lazure, lavement; Schnelle, Schule, 211–216; Wengst, Gemeinde, 224f; vgl. außerdem von Wahlde, Technique, 532f. 264 Becker führt beide Passagen auf die Endredaktion zurück (Becker, Joh II, 500.507. 510–512), Thyen und Winter ordnen ihr nur V 10bf zu, während sie V 18f zur Redaktion des Evangelisten ziehen (Thyen, Johannes 13, 351f; Winter, Vermächtnis, 240 Anm. 17), umgekehrt – V 10bf: Evangelist, V 18f: Endredaktion – strukturieren Richter und Segovia (Richter, Fußwaschung, 52.55f; Segovia, Footwashing, 46–48). 265 Vgl. dagegen die Endredaktion in 15,3.

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 187

de Thema des Verrats erneut.266 Auch V 20 ist der Endredaktion zuzuschreiben, vermutlich aber einer anderen, späteren Hand als V 18f.267 Die folgende Erörterung konzentriert sich auf die erste, vom Evangelisten stammende Deutung der Fußwaschung. Da diese in V 7 auf die Kreuzigung Jesu anspielt, ist insbesondere ihr Bezug zu der in Kap. 18f vom Evangelisten dargelegten Interpretation des Todes Jesu zu untersuchen. 3.3.1.2. Die erste Auslegung der Fußwaschung (13,6–10a) Wie die synoptischen Evangelien (Mk 14,12ff parr) erzählt auch das Joh von einem letzten Mahl Jesu mit seinen Jüngern. Während dieses Mahl in den synoptischen Evangelien mit dem Passamahl zusammenfällt und das Thema der Erzählung bildet, ist es im Joh vor dem Passa situiert (V 1: 2TQ FG VJLGBQTVJLVQW RCUEC) und liefert lediglich den Rahmen für eine andere Szene: die Fußwaschung. Durch den Hinweis in V 1 tritt die Fußwaschung allerdings in einen engen Bezug zur Passathematik. Inwiefern der Evangelist mit seiner Interpretation der Fußwaschung auf das Passa anspielt, soll im Anschluß an den folgenden Exkurs zur joh Passatypologie erörtert werden. Die johanneische Passatypologie Die zentrale Bedeutung des Passafestes im Joh ist offenkundig: Es werden drei Feste erwähnt – das erste in 2,13.23, das zweite in 6,4 und das dritte in 11,55; 12,1; 13,1 –, und in der Erzählung der Kreuzigung Jesu, die auf den Rüsttag des dritten und letzten Passafestes fällt,268 finden sich mehrere Hinweise und Anspielungen auf das Passafest und das Passalamm (18,28.39; 19,14.31.33.36). Diese werden oft mit der Aussage des Täufers in 1,29.36, Jesus sei das Lamm Gottes, in Beziehung gesetzt.269 Da die Aussage in 1,29b, Gottes Lamm schaffe die Sünde der Welt weg, als erweiterte Dublette von 1,36 der Endredaktion zuzuschreiben ist,270 ist in 1,36 auf der Stufe des Evangelisten die Bedeutung des Begriffs CXOPQL VQW SGQW zunächst 266

V 18f kann nur dem Evangelisten zugeordnet werden, wenn in V 10 die Wendung MCK ebenfalls noch zum Evangelisten gezählt wird. Diese stammt m.E. jedoch bereits von der Endredaktion (s.o.). V 18f wurde von demselben Endredaktor wie V 12–17 ins Evangelium eingefügt. V 18 schließt denn auch gut an V 12–17 und erst recht an V 10bf an. 267 Vgl. Richter, Fußwaschung, 57. 268 Während Jesus in der Chronologie der synoptischen Evangelien am Abend vor seiner Kreuzigung mit den Jüngern das Passamahl ißt (Abend des 14. Nisan), also am 15. Nisan hingerichtet wird, findet die Kreuzigung im Joh am Rüsttag des Passas (14. Nisan) statt. Zur Diskussion der einander widersprechenden Chronologien sowie der verschiedenen Harmonisierungsvorschläge vgl. Brown, Death II, 1356–1373. 269 Zumstein, Interpretation, 126: „Die Figur des Passalamms gestaltet einen Spannungsbogen, der die gesamte Erzählung unter das Zeichen des Kreuzes stellt.“ Vgl. u.a. Wengst, Gemeinde, 200–203; Kohler, Kreuz, 199; Knöppler, theologia crucis, 87f. 270 Vgl. die Argumente bei Becker, Joh I, 111.120f. WBOGKLMCSCTQK GXUVG

188 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 noch offen und läßt sich nicht a priori sühnetheologisch interpretieren. Zudem gilt es zu beachten, daß in 1,29.36 zwar vom Lamm Gottes (QB CXOPQLVQW SGQW), jedoch nicht vom Passalamm271 die Rede ist und daß umgekehrt Kap. 18f auf das Passa anspielen, ohne Jesus explizit und unter Verwendung des Begriffs CXOPQL mit dem Passalamm zu identifizieren. So ist die Inklusion zwischen 1,29.36 und der Kreuzigungserzählung nicht sehr deutlich. Es ist deshalb problematisch, 1,36 in Verbindung mit 1,29 als Schlüssel zum Verständnis der joh Passatypologie heranzuziehen und sie vorschnell sühne- oder kreuzestheologisch zu interpretieren. Die joh Passatypologie ist anhand von Texten zu identifizieren, die deutlich auf das Passa anspielen. Die meisten von ihnen finden sich in Kap. 18f; sie werden im folgenden untersucht.272 Die erste dieser Anspielungen steht in 18,28, wo die 8,QWFCKQK bzw. die Hohenpriester 273 das Prätorium nicht betreten, um sich nicht zu verunreinigen und vom Passamahl auszuschließen. Ein ähnliches Bestreben der Hohenpriester kann in 19,31 (vgl. 19,42) identifiziert werden: Sie bitten Pilatus darum, die Körper der Gekreuzigten noch am Rüsttag von den Kreuzen zu nehmen, damit die Toten nicht die (Passa-)Nacht über hängen bleiben und das Land verunreinigen (vgl. Dtn 21,22f). Sowohl in 18,28 als auch in 19,31 sind die Hohenpriester also bestrebt, ihre kultische Reinheit zu bewahren, um ihre Teilnahme am Passa nicht zu gefährden. 19,14 hält fest, daß Jesu Todesurteil am Mittag (6. Stunde) des Passa-Rüsttags gefällt wird. Da jeweils am Nachmittag des Rüsttags die Schlachtung der Passalämmer stattfand – in mPes V,1 heißt es, daß das Passalamm, wenn das Fest auf einen Sabbat fiel,274 nach 7½ geschlachtet wurde –, sehen die meisten Exegeten die Stoßrichtung der Zeitangabe in 19,14 darin, daß sie Jesus als das wahre Passalamm identifiziert, das am Nachmittag geschlachtet wird.275 Es ist jedoch zu beachten, daß das Joh bei der Kreuzigung Jesu und bei der Todesszene selbst gerade keine entsprechende Zeitangabe macht. Zwar fällt im chronologischen Aufriß von 18,28– 19,42 Jesu Hinrichtung mit der Schlachtung der Passalämmer zusammen und wird so Jesus als das Passalamm identifiziert, doch liegt der Akzent der Zeitangabe in 19,14 nicht auf dieser Parallelisierung. Als Mittagsstunde tritt die 6. Stunde vielmehr mit dem Tagesanfang in 18,28 (JPFG RTYK) und dem in 19,31.42 vorausgesetzten Tagesende des Rüsttags in Beziehung und markiert so die Szene, in der Pilatus Jesus den Hohenpriestern als ihren König gegenüberstellt und diese ihr eigenes Gerichtsurteil fällen läßt (19,13–15), als das zentrale Geschehen dieses (letzten) Ta271

Das Passa wird erst in 2,13 zum ersten Mal erwähnt. Steht die Stoßrichtung der in Kap. 18f entfalteten Passatypologie einmal fest, kann auf 1,36.29b zurückgeblendet und ein eventueller Zusammenhang dieser Verse mit der Passatypologie erörtert werden. 273 S.o. Anm. 69 und Anm. 56. 274 Dies ist im Joh der Fall (vgl. 19,31). 275 Billerbeck, Kommentar, 836f: „[D]as war die Stunde, in der sich an jenem Freitag die Hausväter in Jerusalem etwa anschickten, ihr Passahlamm zur Schlachtung nach dem Tempel zu schaffen: in derselben Stunde tritt Christus als CXOPQLVQW SGQW […] seinen Gang nach der Opferstätte des Kreuzes an, um die letzte Erlösung zu vollenden.“ Vgl. u.a. Becker, Joh II, 686; Zumstein, Interpretation, 126; Knöppler, theologia crucis, 121; Frey, Eschatologie II, 186; Schnelle, Joh, 281; Wengst, Joh II, 245. 272

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 189 ges.276 Die primäre Stoßrichtung der Zeitangabe ist es, das Selbstgericht der Hohenpriester herauszuheben.277 Zwar parallelisiert sie darüber hinaus Jesus mit dem an diesem Nachmittag zu schlachtenden Passalamm, ohne aber die Schlachtung bzw. Hinrichtung zu akzentuieren. 19,33.36 spielen erneut auf das Passa an und identifizieren Jesus mit dem Passalamm.278 Allerdings steht auch bei dieser Anspielung nicht die Hinrichtung des Lamms im Mittelpunkt der Darstellung, sondern die Bewahrung seiner Knochen. Wie die Auslegung von 19,29 gezeigt hat,279 spielt die dortige Erwähnung des Ysops höchst wahrscheinlich ebenfalls auf das Passa an. In Ex 12,22 befiehlt Mose, mittels Ysopbüscheln die Türpfosten mit Blut zu bestreichen, damit die so gekennzeichneten Häuser vom Gericht über die Ägypter verschont bleiben. Mit dieser Handlung läßt sich die kurze Episode in Joh 19,29 allerdings in keinen unmittelbaren Zusammenhang bringen. Der joh Ysop spielt nur punktuell auf Ex 12 an und assoziiert die reinigende Funktion, die dieser Pflanze sowohl in Ex 12 als auch in den übrigen alttestamentlichen Stellen, die sie erwähnen (vgl. Lev 14,4–6.49–51; Num 19,6.18 und Ps 51,9), zukommt. Keine der verschiedenen Anspielungen auf das Passa in Kap. 18f legt ihren Akzent auf die Schlachtung des Lamms. Zwar wird Jesus indirekt als Passalamm identifiziert, doch wird seine Hinrichtung eigenartig in den Hintergrund gerückt. Dabei wäre es dem Evangelisten ein leichtes gewesen, deutlicher auf das Moment der Lämmerschlachtung anzuspielen. Die explizite Nennung des Passas in 18,28 sowie die Anspielungen in 19,31 und in 19,33.36 lassen sich jedoch auf einen anderen gemeinsamen Nenner bringen: An allen Stellen geht es um die korrekte Durchführung des Passas. In 18,28 sorgen sich die Hohenpriester um ihre Reinheit, in 19,31 um die Reinheit des Landes (Dtn 21,23);280 beide Verunreinigungen würden das Passa gefährden. In 19,33.36 widerspiegelt die durch den früh eingetretenen Tod Jesu ausgelöste Handlung bzw. Nicht-Handlung der Soldaten den korrekten Umgang mit dem wahren Passalamm: Weil Jesus bereits gestorben ist, brechen sie ihm, wie es der Umgang mit dem (bereits geschlachteten) Passalamm erfordert (LXX Ex 12,10.46),281 die Beine nicht (19,36). Werden die verschiedenen Anspielungen zusammengenommen, ergibt sich die folgende Aussage: Die Hohenpriester, die sorgfältig darauf bedacht sind, keine Regeln zu verletzen und ihre Reinheit nicht zu gefährden, um sich nicht vom Passamahl auszuschließen, verwerfen das wahre Passalamm, mit dem korrekt umgegangen wird. Dieser Befund bestätigt, was bereits die Auslegung von Kap. 18f gezeigt hat, daß nämlich das zentrale Thema der joh Kreuzigungserzählung nicht die Offenbarung der Identität Jesu ist: Von der Verhaftung 276

Zur 6. Stunde des Passa-Rüsttags finden sich in der Mischna folgende Hinweise: In mPes I,4.5b heißt es, daß am Anfang der 6. Stunde alles Gesäuerte zu verbrennen bzw. wegzuschaffen sei (vgl. Ex 12,15), in mPes IV,1a.6b, daß bis zum Mittag des Rüsttags noch gearbeitet werden darf (vgl. Ex 12,16). Die Mittagsstunde des Rüsttags markiert also den Abschluß der Zurüstungen. 277 S.o. in Abschnitt 3.2.3.4. (Szene VII) die Interpretation der Zeitangabe. 278 S.o. Abschnitt 3.2.4.5. 279 S.o. Abschnitt 3.2.4.4. 280 In 19,29 spielt der Ysop ebenfalls auf die Reinheitsthematik an (s.o.). 281 Zu Ex 12 als Bezugstext des Zitats s.o. Abschnitt 3.2.4.5.

190 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 bis zum Begräbnis Jesu geht es um die Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Unglauben, um das Gericht über die Welt. Die Stoßrichtung der joh Passatypologie ist es nicht, Jesu Hinrichtung mit der Schlachtung des Lamms zu identifizieren, sondern auf den Selbstausschluß der Hohenpriester vom wahren Passa hinzuweisen. Das Gerichtsthema steht allerdings in einem engen Zusammenhang mit der in Ex 12,12f.21–23 entfalteten Kultlegende, die das Passafest im Exodus der Israeliten aus Ägypten situiert: Die Bedeutung des Passas besteht darin, daß die Israeliten, die mit dem Blut des Lamms ihre Türpfosten bestreichen, vom Strafgericht Gottes (MSY), das in der Nacht über die Ägypter hereinbricht, verschont bleiben, da der Herr an ihren Häusern vorübergeht. So wird denn auch der Name des Passafestes in Ex 12 etymologisch vom Verb [V3 (vorübergehen, verschonen) abgeleitet (vgl. Ex 12,12f.23.27).282 Das Passa schafft nach Ex 12 also dadurch Heil, daß es vom Unheilshandeln Gottes, von seinem Gericht, verschont. Diese Interpretation des Passas korrespondiert mit dem Gerichtsgedanken, der in Joh 18f entfaltet wird. Durch die Verwerfung Jesu, des wahren Passalamms, ziehen sich die Hohenpriester das Gericht zu. Während aber diejenigen, die nicht glauben, gerichtet werden, bleiben die Glaubenden verschont. Der Gedanke der Verschonung ist auch in der joh Kreuzigungserzählung anzutreffen, weist doch die Entlassung der Jünger in 18,8 in diese Richtung: Diejenigen, die Jesu Wort hören und glauben, sind in Kap. 18f abwesend; als Gerettete kommen sie nicht ins Gericht (Joh 5,24), sondern bleiben von ihm verschont. Derjenige, der das Gericht vollzieht, geht an ihnen vorüber (Ex 12,13: aNOH>@\7L[VS :).

Da in der ersten Deutung der Fußwaschung explizit von der Reinheit der Jünger Jesu die Rede ist und zudem in 13,1 die Fußwaschung mit dem Passa in Verbindung gebracht wird, liegt es nahe, einen Bezug zu 18,28 und 19,31 herzustellen, wo das Bestreben der Hohenpriester, sich nicht zu verunreinigen, ebenfalls mit dem Passa in Verbindung steht. Während die Hohenpriester in Kap. 18f vergeblich um ihre Reinheit bemüht sind, stellt Jesus in Kap. 13 die Reinheit der Jünger sicher. Sie werden von Gottes Gericht, das über den Unglauben hereinbricht, verschont. Ob sich diese These verifizieren läßt, soll die folgende Auslegung von Joh 13,6–10a zeigen. Nach der kurzen Schilderung der Fußwaschungshandlung Jesu in V 4f folgt ein Dialog mit Petrus, in dem Jesus den Protest von Petrus mit der Erklärung zurückweist, Petrus werde seine Handlung erst im nachhinein (OGVC VCWVC) verstehen (V 7). Daß die Zeitangabe OGVCVCWVC auf Jesu Kreuzigung bzw. auf seine Rückkehr zum Vater anspielt,283 ist insofern naheliegend, als 282 Vgl. Lohse, Pascha, 1061–1064. Auch Jub 49,2–6(insb. 4).15 leitet sein Passaverständnis klar aus Ex 12 her und betont den Aspekt des Verschont-Werdens bzw. Vorübergehens. Vgl. auch mPes X,5a: „Pascha: Weil Gott an den Häusern unserer Väter in Ägypten vorübergegangen ist.“ 283 Der Bezug von OGVCVCWVC auf die Kreuzigung Jesu bzw. auf seine Auferstehung wird kaum bestritten (vgl. u.a. Bultmann, Joh, 355f; Becker, Joh II, 503; Segovia, Footwashing, 43; Zumstein, Fusswaschung, 104). Einige Exegeten beziehen OGVC VCWVC zusätzlich auf die

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die Anspielung auf dieses Ereignis bereits in der Einleitung der Perikope gegeben ist. Zudem steht der Dialog mit Petrus in einem engen Konnex mit der Ankündigung der Verleugnung Petri (13,36–38), einer Szene, die ebenfalls voraussetzt, daß Petrus Jesus erst nach der Kreuzigung verstehen kann. Derselbe Gedanke ist schließlich auch in 14,29 leitend. Auf den erneuten Protest von Petrus hin (V 8a) nimmt Jesus zur Bedeutung seiner Handlung Stellung: Wenn er Petrus nicht wäscht, hat dieser keinen Anteil an ihm (V 8b). Die Gemeinschaft der Jünger mit Jesus ist auf einen Reinigungsakt angewiesen, den Jesus an den Jüngern vollzieht. Die Bitte von Petrus, auch seine Hände und den Kopf zu waschen (V 9), weist Jesus jedoch zurück (V 10a), indem er betont, wer ein Bad genommen habe, müsse nicht auch noch gewaschen werden, sondern sei ganz rein. Die textkritischen Varianten von 13,10 V 10 ist textkritisch höchst umstritten. Es stehen sich zwei Hauptvarianten gegenüber: Eine kürzere, von wenigen Handschriften (u.a. von D) bezeugte Variante, die NGNQWOGPQLQWXMGEGKETGKCPPK[CUSCK CXNN8GUVKPMCSCTQLQ=NQL liest, und eine längere, von den wichtigsten Textzeugen außer D bezeugte Variante, die vor PK[CUSCK eine Einschränkung einfügt, die in den einzelnen Handschriften leicht abweichend formuliert sein kann: GKXOJVQWLRQFCL. Beide Lesarten stellen vor Schwierigkeiten. Die kürzere, schlechter bezeugte Lesart steht vor der Schwierigkeit, daß sie mit NGNQWOGPQL auf die Fußwaschung und mit PK[CUSCK auf die von Petrus geforderte zusätzliche Waschung referiert, obwohl das Gegenteil zu erwarten wäre, da die Fußwaschungshandlung Jesu in der Perikope konsequent mit PKRVY wiedergegeben wird. Vor diesem Hintergrund läßt sich die längere Lesart erklären: Sie versucht, den unmittelbaren Widerspruch zwischen V 8 (GXCP OJ PK[Y UG  QWXM GEGKL OGTQL OGV8 GXOQW) und V 10 (QWXM GEGK ETGKCP PK[CUSCK) zu glätten, indem sie die Einschränkung GKX OJ VQWLRQFCL einfügt. Die längere, besser bezeugte Lesart evoziert jedoch ihrerseits einen Widerspruch, indem sie einerseits behauptet, der Gewaschene (NGNQWOGPQL) sei ganz rein, andererseits, es müßten ihm die Füße gewaschen werden. Außerdem ist die Struktur des Satzes (QWXM…GKXOJ…CXNNC…) höchst ungewöhnlich. Nun kann die Schwierigkeit der kürzeren Lesart im Unterschied zu derjenigen der längeren Lesart leicht dadurch beseitigt werden, daß die Wendung QB NGNQWOGPQLQWXMGEGKETGKCPPK[CUSCK als Sprichwort verstanden wird. In V 10 spricht Jesus im Unterschied zu V 8 nicht mehr direkt Petrus an, sondern macht eine allgemeingültige Aussage. Die unerwartete Verteilung der Verben ist insofern logisch, als NQWY die Waschung des ganzen Körpers bezeichnet (vgl. Act 9,37; 16,33; Hebr 10,22; II Petr 2,22), während PKRVY verwendet wird, wenn es um die Waschung einzelner Körperteile geht (Mt 6,17; 15,2; Mk 7,3; Joh 9,7.11.15; I Tim 5,10). Die Sentenz besagt: „Wer ein Vollbad nahm, für den erübrigen sich weitere WaschunErklärung Jesu in V 12–17 (vgl. u.a.: Lazure, lavement, 59; Kohler, Kreuz, 211.219f; Thomas, Footwashing, 91f ). Auf der Stufe der Endredaktion kommt der Wendung tatsächlich diese doppelte Stoßrichtung zu.

192 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 gen.“284 Jesus versteht seine Handlung der Fußwaschung nicht als Waschung eines einzelnen Körperteils, sondern als „Vollbad“ und weist die Forderung von Petrus nach weiteren Waschungen zurück. „Das Mehr, das Petrus sich wünscht, ist absurd. Das Heil ist nicht quantifizierbar, sondern ganz oder gar nicht da; es besitzt den Charakter unteilbarer Qualität.“285

Die Fußwaschung wird als einmaliger Reinigungsakt interpretiert, der dem Jünger Anteil an Jesu Schicksal gibt. Bereits Bultmann hat darauf hingewiesen, daß die hebraisierende Wendung GEGKPOGTQLOGVC VKPQL nicht einfach mit MQKPYPKCPGEGKPOGVCVKPQL identifiziert werden kann, sondern die gemeinsame Anteilhabe an etwas oder auch einfach die Schicksalsgemeinschaft bezeichnet.286 Die Beziehung ist dreipolig: Da Jesus in V 7 die Fußwaschung auf seine bevorstehende Rückkehr zum Vater bezieht, läßt sich das Schicksal bzw. Gut, an dem er seinen Jüngern Anteil gibt, als seine Rückkehr zum Vater bzw. seine unmittelbare Gegenwart bei Gott identifizieren (vgl. 14,2.20).287 Den Jüngern wird bereits jetzt auf Erden eschatologische Gottesgemeinschaft zuteil, denn ihre Gemeinschaft mit dem zurückgekehrten Sohn bedeutet zugleich ihre unmittelbare Gemeinschaft mit dem Vater.288 Die Begegnung mit dem Irdischen führt die Jünger zum Glauben an Jesus und zur Glaubenserfahrung des wahren Lebens, dessen Schöpfer Gott ist. Daß dieses neue Leben aus Gottes Gegenwart ewiges Leben ist, wie Jesus es in seinen Offenbarungsreden behauptet, daß die Lebenszusage Jesu also letztgültig ist und eschatologische Gottesgemeinschaft bedeutet, wird mit Jesu Erhöhung besiegelt, denn mit seiner Rückkehr zum Vater 284

Becker, Joh II, 506. Becker, Joh II, 506. Die kürzere Lesart vertreten u.a. auch Bultmann, Joh, 357f Anm. 5; Richter, Fußwaschung, 45 Anm. 6; Thyen, Johannes 13, 348; Kohler, Kreuz, 215f; Hultgren, Footwashing, 540f. Die längere Lesart vertreten Segovia, Footwashing, 44 Anm. 33; Thomas, Footwashing, 19–25 (weitere Vertreter der längeren Lesart bei Hultgren, Footwashing, 545 Anm. 8). 286 Vgl. Bultmann, Joh, 357 Anm. 3. Die Vergleichsstellen sind: LXX Dtn 10,9; 14,27.29; II Sam 20,1; Jes 57,6; Ps 49,18; Lk 12,46 par; Apk 20,6 (es steht meist OGTKL statt OGTQL). 287 Vgl. Becker, Joh II, 505. 288 Vgl. die Interpretation von Joh 13,1–11 durch Hultgren, der die These vertritt, daß in der ersten Deutung die Fußwaschung ein Zeichen der eschatologischen Gastfreundschaft Gottes ist. Hultgren, Footwashing, 542: „Jesus knows that his hour has come to depart from this world to the Father (13. 1); he who had come from God was now going to God (13. 3). In washing the disciples’ feet, he does an act of hospitality, receiving the disciples into the place to which he is going, the very house of his Father (14. 2).“ Daß die Fußwaschung keine Geste der Aufnahme oder der Gastfreundschaft sein könne, weil sie entgegen der üblichen Sitte nicht vor dem Mahl stattfinde (so Zumstein, Fusswaschung, 103; vgl. Becker, Joh II, 505), trifft nicht zu, denn mit dem unüblichen Zeitpunkt signalisiert das Joh den Symbolcharakter der Handlung: Es geht nicht um die Gastfreundschaft dieses letzten Mahls Jesu, sondern um die Aufnahme in eine viel umfassendere Gemeinschaft, in die ewige Gemeinschaft von Vater und Sohn. Die erste Abschiedsrede wird deutlich machen, daß die Glaubenden die eschatologische Qualität dieser Gemeinschaft bereits auf Erden erfahren. 285

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werden die an Jesus Glaubenden in die Gemeinschaft des Sohnes und des Vaters mit einbezogen (vgl. 12,32). Bedeutet die Rückkehr Jesu zum Vater auf der einen Seite das Gericht über den Unglauben, so versichert sie auf der anderen Seite die Glaubenden letztgültig ihrer Gemeinschaft mit Gott: Wer glaubt, wird vom Gericht verschont, denn jeder, der glaubt, hat im erhöhten Menschensohn ewiges Leben (3,15).289 Es stellt sich nun die Frage, inwiefern die Handlung der Fußwaschung eine Symbolhandlung ist, die auf Jesu Rückkehr und deren Tragweite für die Glaubenden verweist.290 In der Exegese wird der Akzent oft vorschnell auf den Niedrigkeitsdienst Jesu gelegt und gefolgert, die Fußwaschung verweise auf den sich am Kreuz in Niedrigkeit offenbarenden Sohn Gottes.291 Demgegenüber ist einzuwenden, daß Jesus mit keinem Wort die Niedrigkeit seines Dienstes erwähnt, sondern lediglich dessen Notwendigkeit betont (V 8b). Die Empörung von Petrus in V 6 thematisiert zwar die ungewöhnliche Situation, daß Jesus, der MWTKQL, seinen Jüngern die Füße wäscht, doch weist Jesus diesen Einwand in V 7 mit dem Hinweis zurück, Petrus könne sein Tun jetzt noch gar nicht verstehen. Die Fußwaschungshandlung wird erst vom Erhöhungsereignis her verständlich. Dieses Ereignis zeigt, daß nur der Unglaube meint, Jesus werde am Kreuz erniedrigt und vernichtet. Wer glaubt, erkennt hingegen, daß Jesus, von der Erde erhöht, das Gericht über den Unglauben vollzieht – bzw. genauer: daß der Unglaube sich seinen eigenen Richter erhöht und mit Jesu Weggang aus der Welt ohne Gott und das Leben zurückbleibt. Von diesem Gericht werden die Glaubenden verschont: Die Rückkehr Jesu zum Vater versichert sie der ewigen Gottesgemeinschaft.292 Während Jesus in der Kreuzigungserzählung indirekt zwar als Subjekt agiert, auf der unmittelbaren Erzählebene aber das Objekt der Handlung derjenigen ist, die nicht glauben und ihn deshalb vernichten wol289

Vgl. die Interpretation von 3,14–16 unter Abschnitt 2.3.2.1. Zur Funktion und Bedeutung der Fußwaschung in der jüdischen und griechisch-römischen Welt vgl. die Textsammlung bei Thomas, Footwashing, 26–56; Neuer Wettstein I/2, 636–647. In den meisten Belegen dient die Fußwaschung dem Ausdruck von Gastfreundschaft. Sie wird in der Regel von Dienern des Hausherrn durchgeführt; manchmal wäscht sich der Gast die Füße selbst, und es kann auch vorkommen, daß der Hausherr den Dienst verrichtet und damit seiner Ehrerbietung und Liebe dem Gast gegenüber besonderen Ausdruck verleiht. Hohe Ehrerbietung und Liebe symbolisiert auch die Salbung der Füße Jesu mit kostbarem Öl durch Maria in Joh 12,1–8. 291 Kohler überschreibt den Abschnitt zur Fußwaschung (Kohler, Kreuz, 192–229) mit dem Titel „Die herrliche Erniedrigung des Gekreuzigten“. Vgl. Koester, Passion, 86: „The footwashing portrays the scandal of the cross.“ Vgl. auch Bultmann, Joh, 355f; Lazure, lavement, 56; Wengst, Gemeinde, 207–210; Thomas, Footwashing, 76–116. 292 Umgekehrt formuliert: Um die ewige Gottesgemeinschaft zu realisieren, ist Jesu Weggang notwendig. Vgl. insofern Zumstein, Fusswaschung, 111: „V. 8 antizipiert sodann das Thema der Abschiedsreden und zeigt auf, dass einzig der Tod des Sohnes den Ausgangspunkt einer neuen und auf Dauer angelegten Beziehung bilden kann. Nur wer in den Weggang des irdischen Jesus einwilligt, kann in eine echte Beziehung zu ihm treten.“ 290

194 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 len,293 tritt er in der Fußwaschungsszene als direktes Handlungssubjekt auf. Die Kreuzigung entfaltet das Selbstgericht des Unglaubens, die Fußwaschung die eschatologische Vollendung des Glaubens. Auch die Fußwaschungshandlung erniedrigt Jesus nicht, stellen doch weltliche Statusdefinitionen Jesu Hoheit und göttliche FQZC nicht in Frage.294 Nicht als der Erniedrigte, sondern als der Erhöhte empfängt Jesus die Jünger im Haus seines Vaters.295 Während Jesus in der ersten Interpretation der Fußwaschung den Einwand von Petrus ignoriert und lediglich betont, daß die Fußwaschung unerläßlich ist, greift er in der zweiten Interpretation (V 12b–17) das von Petrus ins Spiel gebrachte Stichwort MWTKQL auf und erörtert, was es bedeutet, daß er als der MWTKQL seinen Jüngern die Füße gewaschen hat. Die zweite Auslegung der Fußwaschung in 13,12–17 Allerdings macht die zweite Deutung mit dieser Erörterung nur implizit eine christologische Aussage, denn im Unterschied zu den Zeichenhandlungen des ersten Buchteils hält Jesus im Anschluß an die Fußwaschungsszene keine Offenbarungsrede, in der er seine Identität reflektiert. Die Betonung, daß er seinen Jüngern als ihr MWTKQL und Lehrer die Füße gewaschen hat (V 13f ), zielt vielmehr auf die Aufforderung, daß die Jünger dem Beispiel ihres MWTKQL folgen sollen (V 14c.15). Die ethisch-ekklesiologische Auslegung der Fußwaschung unterstreicht, daß der Jünger sich wie sein MWTKQL in den Gehorsam dessen stellen soll, der ihn gesandt hat (V 16). Wie Jesus als der von Gott gesandte Sohn den ihm aufgetragenen Liebesdienst an der Welt (vgl. 3,16) bis zum Ende erfüllt (13,1b), so sollen auch die Jünger untereinander den Liebesdienst üben (V 14b; vgl. 13,34). 296 Implizit, insbesondere in Verbindung mit V 1b, mag die zweite Interpretation der Fußwaschung darauf anspielen, daß Jesu Liebesdienst in seiner Kreuzigung kulminiert. Dieses Liebeshandeln Jesu am Kreuz wird von der Endredaktion in anderen Texten als Hingabe des Lebens für (WBRGT) die Seinen interpretiert (vgl. z.B. 6,51cff; 10,11ff oder 15,13). Die liebende Selbsthingabe Jesu, nicht die paradoxale Selbstoffenbarung des MWTKQL als FQWNQL, ist das Interpretament, mit dem die Endredaktion das Kreuzesgeschehen verbindet. Wohl deshalb nimmt sie auch 13,13f nicht zum Anlaß, die paradoxale Identität Jesu zu reflektieren.

293

S.o. die Zusammenfassung in Abschnitt 3.2.5.3. Vgl. 5,41–44; 7,18; 8,50. Vor der Einfügung von 12,44–50 durch die Endredaktion (zur literarkritischen Zuordnung dieser Stelle vgl. Becker, Joh II, 480–484) bildete außerdem 12,43 – ein Vers, der ebenfalls dieses Thema aufnimmt – den Abschluß des ersten Buchteils und ging somit der Fußwaschungsperikope unmittelbar voraus. Jesu Verzicht auf die FQZC VYPCXPSTYRYP tangiert seine FQZCVQWSGQW nicht. 295 Zu dieser Metapher s.o. Anm. 288, vgl. auch 14,2.23 sowie die Auslegung dieser Stellen in Abschnitt 3.3.2. (s.u.). 296 Zur Interpretation der Fußwaschung in V 12–17 als eines Liebesdienstes vgl. u.a. Bultmann, Joh, 362; Becker, Joh II, 508f; Koester, Passion, 87; Winter, Vermächtnis, 238; Dettwiler, Gegenwart, 72; Zumstein, Fusswaschung, 113. 294

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Zusammenfassend kann zur Fußwaschungsszene im Werk des Evangelisten festgehalten werden, daß Jesu Handlung zwar ein Dienst an seinen Jüngern ist, ihre symbolische Bedeutung aber nicht darin liegt, als Demutsakt die wahre Identität Jesu zu offenbaren. Jesus thematisiert die Fußwaschung als notwendigen (V 8) und vollendenden (V 10) Reinigungsakt (PKRVY/MCSCTQL), der im Unterschied zu den Reden und Zeichen des ersten Buchteils nicht darauf ausgerichtet ist, Glauben zu wecken, sondern sich an diejenigen richtet, die Jesu Wort gehört haben und glauben.297 Die Analyse der Anspielungen auf das Passa in Kap. 18f hat gezeigt,298 daß sich die Hohenpriester, obwohl sie sorgfältig auf ihre Reinheit achten, vom wahren Passa ausschließen und das Gericht zuziehen. Ein Bezug zur Fußwaschungsszene liegt insofern nahe, als 13,10 und 18,28 die einzigen Stellen im zweiten Buchteil sind, die das Thema Reinheit/Unreinheit aufgreifen. Indem Jesus in Kap. 13 den Jüngern die Füße wäscht, garantiert er ihnen umfassende Reinheit (V 10: MCSCTQLQ=NQL) und insofern die Teilnahme am Passa. Während sich der Unglaube, der das wahre Passalamm verstößt, das Gericht zuzieht – denn mit Jesu Kreuzigung entledigt er sich des Lebens –, werden die Glaubenden, denen Jesus die Füße wäscht, so daß sie ganz rein sind, vom Gericht verschont: Die Rückkehr Jesu zum Vater versichert sie der Ewigkeit ihres Lebens in Gottes Gegenwart. In den auf die Fußwaschung und die Ankündigung des Judasverrats folgenden Abschiedsreden erörtert Jesus erneut die Bedeutung seiner Rückkehr zum Vater für die Jünger. Wie der Name Abschiedsreden, der sich zur Bezeichnung von Joh 13,31–17,26 durchgesetzt hat, erkennen läßt, spricht Jesus nicht von seiner Kreuzigung, sondern von seinem Weggang aus der Welt. 3.3.2. Die erste Abschiedsrede (Joh 13,31–14,31) Der widersprüchliche Übergang von 14,30f zu 15,1ff 299 sowie die theologischen Verschiebungen, die zwischen 13,31–14,31 und Kap. 15–17 auszu297 So wurde in 12,37–43 das negative Fazit zur Offenbarung Jesu vor der Welt gezogen. In der Folge richtet sich Jesus mit der Handlung der Fußwaschung und seinen Abschiedsreden nur noch an die Jünger, die im Unterschied zur Welt an Jesus glauben. Diese Differenzierung darf bei der Interpretation von Kap. 13f nicht vernachlässigt werden. Die Kreuzigung bzw. Rückkehr Jesu bezieht sich auf voneinander geschiedene Gruppen: Während sich der Unglaube mit der Erhöhung Jesu das Gericht zuzieht, werden die Glaubenden in die eschatologische Gottesgemeinschaft aufgenommen. 298 Zu dieser Analyse s.o. im vorliegenden Abschnitt 3.3.1.2. den Exkurs zur joh Passatypologie. 299 In 14,30f erklärt Jesus seinen Jüngern, nicht mehr viel unter ihnen zu reden, und bricht mit ihnen auf, dem Herrscher der Welt entgegen. Dann aber folgt in Kap. 15–17 der längste

196 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 machen sind, lassen sich durch die klassische literarkritische These, die die sogenannte erste Abschiedsrede mit Ausnahme von 13,34f dem Evangelisten zuschreibt und Kap. 15–17 der Endredaktion, am einfachsten erklären.300 Die folgende Erörterung richtet sich auf die vom Evangelisten stammende, erste Abschiedsrede. Da im Rahmen dieser Arbeit nicht die ganze Rede exegesiert werden kann, konzentriert sich die Auslegung auf drei Abschnitte am Schluß der Rede (14,18–21; 14,23f; 14,27f), während der vorausgehende Kontext (13,31–14,17) lediglich kurz skizziert wird. 3.3.2.1. Die Kontinuität der Offenbarung (13,31–33; 13,36–14,17) Jesus eröffnet die Rede mit dem Hinweis auf seine bevorstehende Verherrlichung (V 31f),301 die er als reziprokes Geschehen zwischen Vater und Sohn darstellt.302 So interpretiert er nach 12,23f seinen Tod erneut als Verherrlichung303 und setzt damit die folgenden Erörterungen unter ein positives Vorzeichen. Daß die Jünger nicht dorthin gehen können, wohin Jesus weggeht (V 33),304 bedeutet denn auch keinen Verlust an Gemeinschaft, sondern – wie Jesus im Verlauf der Rede deutlich macht – einen Gewinn. Nach dem Dialog mit dem unverständigen Petrus und der Verleugnungsansage (13,36–38) fordert Jesus die Jünger auf, nicht zu erschrecken, sondern an Gott und an ihn zu glauben (14,1). Er gehe weg, um ihnen beim Vater einen Ort zu bereiten, und komme daraufhin wieder, um sie zu sich aufzunehmen (V 2f). Der frühchristliche, apokalyptische Spruch (V 2f), der Christi Himmelfahrt und Parusie thematisiert, bildet den Ausgangspunkt der weiteren Erörterungen: Der Evangelist profiliert seine Interpretation des Weggangs Jesu als Reinterpretation der apokalyptischen Parusievorstellung.305 Redeteil des Evangeliums überhaupt. Erst in 18,1–12 tritt der Herrscher der Welt auf und Jesu Jüngerschaft ab. 300 Zu dieser klassischen literarkritischen These vgl. Becker, Abschiedsreden, 215–219. Zu den verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Modellen, die auf dieser These basieren, vgl. Haldimann, Rekonstruktion, 16–42; zum Relecture-Modell im speziellen vgl. Dettwiler, Gegenwart, 34–52. Zu den nichtliterarkritischen Modellen vgl. die Auflistung und Erörterung bei Dettwiler, Gegenwart, 35–41. 301 Zu den verschiedenen Zeitstufen in V 31 und V 32, die dasselbe Geschehen bezeichnen, vgl. Dettwiler, Gegenwart, 132f. 302 Zur Auslegung dieser Reziprozität vgl. Becker, Joh II, 534. 303 Im zweiten Buchteil ist nur noch von Jesu Verherrlichung (FQZC\Y) die Rede, nicht mehr aber von seiner FQZC – auch dies ein Hinweis, daß der zweite Buchteil nicht auf derselben Ebene wie der erste steht, sondern auf einer Metaebene zu ihm. Im zweiten Buchteil geht es nicht mehr um die Offenbarung der göttlichen FQZC Jesu, sondern um seine Rückkehr in sie. 304 Womit Jesus die Jünger zunächst auf dieselbe Ebene stellt wie die 8,QWFCKQK (V 33: MCSYLGKRQPVQKL8,QWFCKQKL [vgl. 7,34; 8,21] […] MCK WBOKPNGIY), um dann später zwischen der ungläubigen Welt und den Jüngern zu unterscheiden (vgl. 14,17.19). 305 Die fast unbestrittene Traditionsgebundenheit von V 2f läßt sich entweder mit der Übernahme eines festen Traditionsstücks erklären (vgl. z.B. Becker, Abschiedsreden, 221f;

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Zwei Einwände (V 5/V 8), vorgebracht von Thomas und von Philippus, die nicht verstehen, wieso sie den Weg zum Vater (V 4) bzw. den Vater selbst kennen sollten, veranlassen Jesus, ausgehend von einem GXIY- GKXOKWort (V 6), seine Einheit mit dem Vater zu unterstreichen und auf die zurückliegende Offenbarungstätigkeit zu verweisen, die den Jüngern diese Einheit vor Augen geführt hat (V 7.9–11). Nun, da er die Welt verläßt, werden die Glaubenden diese Offenbarungstätigkeit fortsetzen, und die Werke, die der Erhöhte auf ihre Bitte hin wirkt, werden die Werke des Irdischen sogar übertreffen (V 12–14). Um die Kontinuität seiner Werke, deren Ausführung er den Glaubenden überantwortet, zu gewährleisten (V 15), verspricht Jesus die Gabe des Parakleten, der als sein Stellvertreter für alle Ewigkeit bei den Jüngern bleiben und ihnen beistehen wird, während die nichtglaubende Welt leer ausgeht (V 16f). Wie der zweite Parakletspruch (V 25f) zeigt, wird der Paraklet als Lehrer und Erinnerer der zurückliegenden Selbstoffenbarung Jesu auftreten.306 Inwiefern Jesu Weggang sein Offenbarungswerk nicht gefährdet, sondern diesem vielmehr eine große Zukunft verleiht, soll nun anhand der drei Redeabschnitte V 18–21, V 23f und V 27f erörtert werden. Stufenweise wird in ihnen die apokalyptische Vorstellung von Jesu Himmelfahrt und Parusie aus V 2f reinterpretiert. 3.3.2.2. Jesu Wiederkunft (14,18–21.23f.27f) V 18–21: Unmittelbar auf die Verheißung des Parakleten (V 16f) verspricht Jesus in V 18, daß er selbst zu den Jüngern kommen werde. Einerseits bezieht sich die Formulierung GTEQOCK RTQL WBOCL auf den apokalyptischen Spruch in V 2f zurück, auf das Thema der Parusie Christi (V 3: RCNKP GTEQOCK); andererseits tritt der ganze Abschnitt (V 18–21) mit dem vorangehenden Parakletspruch (V 16f) in Beziehung. Die strukturellen und inhaltders., Joh II, 549–551) oder mit der Aufnahme traditionellen Sprachmaterials, das der Evangelist eigenständig zu einem Text komponierte (vgl. z.B. Dietzfelbinger, Abschied, 31–33). Beide Thesen gehen jedoch davon aus, daß die Traditionsgebundenheit des Textes offen zu Tage liegt und daß der Evangelist in V 4ff seine Interpretation dieser apokalyptischen Tradition darlegen will. Zur religionsgeschichtlichen Einordnung des Spruchs vgl. Dettwiler, Gegenwart, 146–155. Scholtissek bestreitet, daß V 2f in den folgenden Versen der ersten Abschiedsrede reinterpretiert wird. Der Evangelist halte an der urchristlichen Parusieerwartung fest (Scholtissek, In ihm, 248–253). 306 Auf die Figur des Parakleten kann hier nicht näher eingegangen werden. Zur Traditionsgeschichte vgl. Dettwiler, Gegenwart, Exkurs 2 (181–189): „Der Paraklet (in begriffs-, religions- und traditionsgeschichtlicher Hinsicht)“; Literaturangaben ebd., 181 Anm. 265. Zum joh Konzept des Parakleten in Kap. 14 vgl. die Thesen bei Dettwiler, Gegenwart, Exkurs 3 (203–207): „Einige hermeneutisch-theologische Aspekte zu Eigenart und Aufgabe des Parakleten von Joh 14“.

198 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 lichen Parallelen zwischen diesen beiden Texten zeigen,307 daß Jesu Kommen in einem unmittelbaren Zusammenhang zur Gabe des Parakleten steht. Schließlich findet sich in V 19 eine weitere Formulierung, die auf eine andere Textstelle verweist: GXIY\Y spielt auf das Osterereignis (Kap. 20) an.308 Damit stehen in 14,18–21 Parusie, Pfingsten und Ostern zur Debatte. Im folgenden wird untersucht, in welchen Bezug der Evangelist diese drei urchristlichen Konzepte zu Jesu Abschied von den Jüngern setzt. Jesus erklärt in V 18, sein Weggang aus der Welt zum Vater bedeute nicht, daß er seine Jünger als Waisen zurücklasse. Seiner Rückkehr zum Vater stellt er sein Kommen zu den Jüngern gegenüber. Die in V 2f deutlich formulierte Unterscheidung zwischen Jesu Weggang (GXCPRQTGWSY) und seiner Wiederkunft (RCNKPGTEQOCK) fehlt jedoch in V 18f, wo weder von einer zwischenzeitlichen Verwaisung der Jünger die Rede ist noch davon, daß sie Jesus aus den Augen verlieren werden.309 So spricht Jesus auch nicht von seiner Wiederkunft (V 3: RCNKP GTEQOCK), sondern lediglich von seinem Kommen (V 18b: GTEQOCKRTQLWBOCL), als ob er gar nicht wegginge. Während er außerdem in den beiden vorangehenden Versen (V 16f) erklärte, er werde den Vater um die Gabe eines anderen Parakleten (CNNQLRCTCMNJVQL) bitten, damit dieser für immer bei den Jüngern sei, und er in V 18a folgerichtig mit der Zusage fortfuhr, die Jünger nicht als Waisen zurückzulassen, spricht er in V 18b plötzlich von seinem eigenen Kommen zu ihnen. Jesu Wiederkunft ereignet sich in der Ankunft des Parakleten,310 die dem Weggang Jesu aus der Welt korrespondiert. Die Ankunft des anderen Parakleten ist die Folge bzw. das unmittelbare Gegenstück der Rückkehr Jesu zum Vater: Zurückgekehrt zum Vater, bleibt Jesus in der Gabe des Parakleten bis in alle Ewigkeit bei den Glaubenden.311 Jesu Rückkehr zum Vater bedeutet zugleich seine Wiederkunft im Parakleten. Pfingsten und Parusie ereignen sich zu dem Zeitpunkt, da Jesus die Welt verläßt; die apokalyptische Vorstellung von der Parusie Christi (V 2f) wird vergeschichtlicht. Während die Kreuzigungserzählung (Kap. 18f) zeigt, daß sich der Unglaube mit der Erhöhung Jesu das Gericht zuzieht,312 erörtert die Abschiedsrede in Abgren307

Auflistung dieser Parallelen bei Bultmann, Joh, 477; Dettwiler, Gegenwart, 191f. Vgl. u.a. Bultmann, Joh, 478f. 309 So aber die zweite Abschiedsrede in 16,16. Zur Modifikation von 14,19 in 16,16 vgl. Haldimann, Rekonstruktion, 339–343. 310 Vgl. Bultmann, Joh, 477. 311 Dettwiler, Gegenwart, 204: „Die Gegenwärtigkeit des Geist-Parakleten zeichnet sich gegenüber der Existenz des irdischen Jesus dadurch aus, dass sie ‚für immer‘ (GKXLVQPCKXYPC: 14,16c) der Gemeinde zugesprochen ist. Die damit angezeigte Differenzierung zwischen Jesus und dem Geist ist allerdings nicht eine Differenz zweier voneinander getrennter Entitäten, sondern zweier Modi der Anwesenheit Jesu. Denn in der Gegenwart des Geistes wird letztlich die Gegenwart des erhöhten Jesus zum Ereignis.“ 312 S.o. Abschnitt 3.2. 308

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 199

zung zum Schicksal der nichtglaubenden Welt (V 17.19) die Bedeutung dieses Vollendungsgeschehens für die Glaubenden: Zum Vater zurückkehrend, nimmt Jesus die mit ihm verbundenen Glaubenden in seine ewige Gemeinschaft mit dem Vater auf (V 20) bzw. umgekehrt: Die eschatologische Gottesgemeinschaft kommt zu den Glaubenden.313 Jesu Rückkehr zum Vater löst seine begrenzte Gegenwart durch eine unbegrenzte ab: Als Zurückgekehrter und im Vater Verherrlichter bleibt er im Wirken des Parakleten überall und für immer bei den Glaubenden. In V 19 spielt der Evangelist schließlich auf das Osterereignis an. Während die nichtglaubende Welt Jesus zum Zeitpunkt, da er die Welt verläßt, aus den Augen verliert (GVKOKMTQPMCKQBMQUOQLOGQWXMGVKSGYTGK),314 gilt dasselbe nicht für die Jünger: Sie sehen ihn (WBOGKL FG SGYTGKVG OG), denn sein Leben wird mit dem Ende seines irdischen Daseins nicht, wie die Welt meint, vernichtet, sondern kehrt – wie der Glaube erkennt – in die Gegenwart des Vaters zurück, und in diese lebendige Gemeinschaft von Vater und Sohn werden die Jünger mit einbezogen (V 19: GXIY \Y MCK WBOGKL\JUGVG). An dieser Anspielung auf Ostern irritiert, daß sie das Osterereignis nicht als Auferstehungs- bzw. Auferweckungsereignis thematisiert. Weder ist davon die Rede, daß die Jünger Jesus zwischenzeitlich nicht sehen, noch wird erwähnt, daß Jesus aus dem Tod zum Leben gelangt. V 20 (GXP GXMGKPJ^ VJ^ JBOGTC^ IPYUGUSGWBOGKL Q=VK…) spricht denn auch nicht von der österlichen Erkenntnis im urchristlichen Sinne – von der Erkenntnis nämlich, daß Gott diesen Menschen vom Tod bzw. vom Fluchtod auferweckt und sich mit ihm identifiziert hat, von der Erkenntnis der Gottessohnschaft Jesu bzw. seiner göttlichen FQZC –, sondern V 20 spricht von der Erkenntnis der eschatologischen Gemeinschaft von Vater, Sohn und Glaubenden.315 An jenem Tag 313

S.u. die Auslegung von 14,23. Die Wendung GVK OKMTQP bezieht sich deutlich auf 13,33 zurück und damit ebenso deutlich auf den Weggang Jesu aus der Welt, der eben der Grund dafür ist, daß die Welt Jesus nicht mehr sieht. 315 Die Jünger machen die „österliche“ Glaubenserkenntnis bereits in Kana (2,1–12) bzw. im ersten Buchteil, der breit entfaltet, wie Jesus sich als Sohn Gottes bzw. als vom „Tod“ der Gottlosigkeit Auferweckter offenbart. Am dritten Tag in Kana, nicht erst am Ostertag, offenbart Jesus seine göttliche FQZC, tritt er als der einziggeborene Sohn Gottes auf, der in und aus seinem himmlischen Vater lebt, und weckt er als der Auferstandene den Glauben der Jünger (s.o. Abschnitt 2.2.5.1.). So wird auch in 14,1–11 die Offenbarung der Immanenz von Vater und Sohn als bereits ergangene Offenbarung vorausgesetzt. Wenn das joh Ostern erneut erkennen läßt, daß Jesus im Vater ist, dann nicht, um die Gottessohnschaft Jesu allererst zu offenbaren – darin besteht vielmehr gerade das Mißverständnis von Judas in V 22 (s.u.) –, sondern um zu zeigen, daß der Sohn, der die Welt verlassen hat, zum Vater zurückgekehrt ist. Deshalb gilt auch für die Jünger, daß sie im Glauben an den einziggeborenen Sohn bereits vor dessen Rückkehr seine Gemeinschaft und mit ihr die Gemeinschaft Gottes erfahren. Jesu Rückkehr zum Vater läßt sie jedoch erkennen (14,20), daß die ihnen geschenkte Gottesgemeinschaft ewige, unmittelbare, kurz: eschatologische Gottesgemeinschaft bedeutet (s.o. in Abschnitt 2.3.2.1. die Auslegung von 3,14f; s.u. die Fortsetzung im vorliegenden Abschnitt). 314

200 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 (V 20: GXP GXMGKPJ^ VJ^ JBOGTC^),316 an dem der Unglaube Jesus erhöht und zu seinem eigenen Gericht erkennen muß, daß er es ist (8,28: IPYUGUSG Q=VK GXIY GKXOK),317 erkennen die Jünger, daß Jesus zum Vater zurückgekehrt ist und sie selbst in diese ewige, lebendige Gemeinschaft von Vater und Sohn mit einbezogen sind (14,20: IPYUGUSG WBOGKL Q=VK GXIY GXP VY^ RCVTK OQW MCK WBOGKLGXPGXOQKMCXIYGXPWBOKP). An Ostern erkennen die Glaubenden nicht allererst, wer Jesus ist, sondern sie erkennen, daß Jesus als der Erhöhte ihre Gemeinschaft mit Gott ans Ziel geführt hat.318 Die These, der Evangelist bediene sich der apokalyptisch geprägten Sprache, um die Endgültigkeit von Ostern bzw. die Endgültigkeit der an Ostern gemachten Erfahrung zu betonen,319 ist zu modifizieren: Der Evangelist definiert die an Ostern gemachte Erfahrung als Erfahrung der Parusie Christi, die die in der Begegnung mit dem Irdischen gemachte Glaubenserfahrung für letztgültig erklärt. Haben die Jünger Jesus schon längst als den vom „Tod“ Auferstandenen und als Gottes Sohn erkannt – wurde ihnen die urchristliche „Ostererfahrung“ bereits vor Ostern zuteil –,320 so erkennen sie an Ostern, daß mit Jesu Erhöhung am Kreuz der Auferstandene für immer bei ihnen sein wird: Er ist nun in ihnen.321 Mit Jesu Kreuzigung ereignet sich die eschatologische Scheidung (MTKUKL) in Gerichtete und Gerettete: Während die nichtglaubende Welt dadurch, daß sie Jesus aus der Welt hinausstößt, in ihrer Finsternis und im „Tod“ ihrer Gottlosigkeit zurückbleibt, werden die Glaubenden durch Jesu Rückkehr zum Vater der Ewigkeit ihres Lebens mit Gott versichert. Sie, die Jesu Wort halten und ihn lieben (V 21a),322 werden ihrerseits von Jesu Vater und von Jesus geliebt (V 21b): Die Glaubenden erfahren die eschatologische Gemeinschaft Gottes, die sich 316 Zur apokalyptischen Prägung der Wendung GXP GXMGKPJ^ VJ^ JBOGTC^ vgl. Dietzfelbinger, Osterglaube, 55. Scholtissek bestreitet die Anspielung auf die Parusie (Scholtissek, In ihm, 261), V 20 reinterpretiert nach seiner Auffassung denn auch nicht den apokalyptischen Spruch aus V 2f (s.o. Anm. 305). 317 Zu dieser Erkenntnis s.o. die Auslegung von 8,28 in Abschnitt 2.3.2.2. sowie z.B. die Erörterungen in Abschnitt 3.2.2.1. (zu 18,5–8) oder in Abschnitt 3.2.3.4. (Szene VII, zu 19,15) oder die Zusammenfassung in Abschnitt 3.2.5.3. 318 Die joh Interpretation des Osterereignisses gilt es im nächsten Abschnitt zu Kap. 20 noch näher auszuführen. 319 Vgl. Dettwiler, Gegenwart, 194; Dietzfelbinger, Abschied, 57. 320 S.o. Anm. 315. 321 In bezug auf diese eschatologische Vollendung der Gemeinschaft von Jesus mit den Glaubenden gilt (Scholtissek, In ihm, 272): „Das vorösterliche ‚Mit-euch-Sein‘ des irdischen Jesus wird überschritten zum nachösterlichen ‚In-euch-Sein‘ Jesu.“ 322 In Abschnitt 14,15–24 ist immer wieder von demjenigen die Rede, der Jesus liebt und seine Worte bzw. Gebote hält. Dettwiler, Gegenwart, 197: „Die Rede von der Liebe als des Bewahrens des Wortes Jesu berührt den joh Glaubensbegriff aufs engste. […] wobei durch diese Wendung offenbar sowohl das Moment des Dauerhaften als auch des Gehorsams betont werden soll.“ Während es im ersten Buchteil um das Zu-Jesus-Kommen bzw. das Zum-Glauben-Finden geht, thematisiert der zweite Buchteil die Zukunft dieses Glaubens.

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 201

darin konkretisiert, daß sich Jesus ihnen zeigt bzw. kundtut (GXOHCPKUYCWXVY^ GXOCWVQP).323 Obwohl Jesus zum Vater zurückkehrt, wird er sich ihnen weiterhin offenbaren, bleibt er doch als Zurückgekehrter im Wirken des Parakleten für alle Zeiten präsent. V 23f: Die Frage von Judas in V 22, wie es denn komme, daß Jesus sich den Jüngern zeigen wolle, der Welt jedoch nicht, ist Anlaß für einen weiteren Erklärungsgang in V 23f. Judas versteht nicht, daß es um die eschatologische Gemeinschaft Gottes geht, die den Glaubenden zuteil wird und insofern den Glauben voraussetzt. Auf dieses Mißverständnis hin expliziert Jesus die eschatologische Gottesgemeinschaft erneut, indem er die apokalyptische Vorstellung der himmlischen Wohnungen aus V 2f aufnimmt und reinterpretiert: Jesus bereitet den Glaubenden nicht einen Ort im Haus seines Vaters, sondern er nimmt mit seinem Vater bei ihnen Wohnung.324 Der Glaubende, der an dem vom Parakleten erinnerten Wort des Irdischen (V 25f) festhält, ist sich der Gemeinschaft mit dem Erhöhten und mit Gott bereits hier auf Erden gewiß.325 Wer dieses Wort jedoch als Lüge diffamiert und nicht glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, entledigt sich durch diesen 323 Der Begriff GXOHCPK\Y wird im Unterschied zu HCKPY im Neuen Testament nie zur Bezeichnung der Ostererscheinung verwendet; er unterstreicht denn auch weder im Neuen Testament noch in der LXX den visuellen Aspekt einer Offenbarung: Nur gerade in Weish 17,4; 18,18; Mt 27,53; Hebr 9,24 tritt dieser deutlich hervor. In Ex 33,13 und I Makk 4,20 muß er durch die zusätzliche Verwendung von QBTCY betont werden. An den übrigen Stellen (Est 2,22; II Makk 3,7; 11,29; Weish 1,2; 16,21; Jes 3,9; Act 23,15.22; 24,1; 25,2.15; Hebr 11,14) ist er unbetont oder fehlt ganz (nur auditiver Aspekt). Hat der Evangelist das Osterereignis in 14,19f in ganz neuer Richtung interpretiert (s.o.), so geht es nun auch in 14,21 um diese joh Interpretation des Ostertags, die eine andere Erfahrung thematisiert als die urchristliche Ostererfahrung. Die These, der Evangelist evoziere mit der Wendung GXOHCPKUY CWXVY^ GXOCWVQP die urchristliche Ostererfahrung, die er als eine allen Glaubenden aller Zeiten zukommende Erfahrung reinterpretiere (vgl. Bultmann/Lührmann, HCKPY, 8; Dietzfelbinger, Osterglaube, 58–60; ders., Abschied, 59; Dettwiler, Gegenwart, 196.198f; Zumstein, Jesus, 73; Theobald, Osterglaube, 96f mit Anm. 11), ist deshalb zu bestreiten. Die urchristliche Interpretation des Osterereignisses rückt in V 21 fast vollständig in den Hintergrund. Es geht dem Evangelisten nicht um die urchristliche Ostererfahrung – diese hat er bereits im ersten Buchteil einer viel tiefgreifenderen Reinterpretation unterzogen (s.o. Abschnitt 2.2.5.1.), signalisiert durch einen eindeutigen urchristlichen Osterterminus (2,1: VJ^ JBOGTC^ VJ^ VTKVJ^, s.o. Abschnitt 2.2.2.3.) –, sondern mit der Wendung GXOHCPKUY CWXVY^ GXOCWVQP artikuliert er die Ausdehnung der im ersten Buchteil reflektierten joh Ostererfahrung zur (joh) Parusieerfahrung, die den Glaubenden am Ostertag bzw. eben am letzten Tag (V 20) zuteil wird: Das im Glauben an den Irdischen als den Sohn Gottes erfahrene Leben (Ostererfahrung) wird im Erhöhten als ewiges Leben erfahren (Parusieerfahrung). V 21 spricht von der endzeitlichen Offenbarung der eschatologischen Gegenwart Christi bei den Glaubenden. Zur näheren Erläuterung s.u. die Auslegung von Kap. 20 im nächsten Abschnitt. 324 Die Ankunft Jesu bei den Glaubenden (V 3.18) wird also zu einer Ankunft Jesu und seines Vaters ausgeweitet. 325 Dettwiler, Gegenwart, 202 (im Original kursiv): „Diese Zeit ist nicht mehr Interim zwischen Heilsvergangenheit und erhoffter Heilszukunft, sondern ist schlechthin erfüllte Zeit. Die Zeit der Erfahrbarkeit des liebenden Kommens und Da-Seins Gottes.“

202 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Akt der rettenden Gegenwart Gottes: Er richtet sich selbst. Der letzte Tag wird im Wort des Irdischen, das der Paraklet erinnert, ständige Gegenwart. V 27f: Im Gegensatz zur nichtglaubenden Welt leben die Glaubenden in Frieden (V 27). Es gibt für sie keinen Grund, in Unruhe zu sein, denn der Friede, der ihnen Jesus zurückläßt, ist kein weltlicher Friede, der stets in Gefahr ist zu zerbrechen, sondern ein himmlischer Friede, den nur Gott selbst den Glaubenden als eschatologische Heilsgabe zusprechen kann. So sind die Jünger im Unrecht, wenn sie jetzt verzweifeln, statt sich über Jesu Weggang zu freuen (V 27b.28). Würden sie Jesu Wort glauben, d.h. liebten sie ihn,326 verstünden sie, daß Jesu Weggang zum Vater für sie nur positiv zu deuten ist, denn der Vater ist größer als der Sohn (V 28b). Die begrenzte Gegenwart des Irdischen wird durch seine Rückkehr zum Vater entgrenzt: Als zum Vater Zurückgekehrter ist Jesus im Wort des Parakleten für immer und überall mit den Glaubenden verbunden.327 Würden die Jünger Jesus glauben, verstünden sie, daß sein Weggang seine Ankunft in einer neuen Dimension bedeutet, in der Dimension eschatologischer Gottesgemeinschaft. Dies wird in der Ostererzählung (Kap. 20) rückblickend entfaltet. 3.3.3. Ostern (Joh 20) Von den verschiedenen Perikopen in Kap. 20 steht die Thomasgeschichte (V 24–29) an exponiertester Stelle, denn unmittelbar auf sie folgt der ursprüngliche Schluß des Evangeliums (V 30f). Diese Schlüsselposition im Rahmen des Gesamtevangeliums läßt vermuten, daß die Erzählung vom ungläubigen Thomas für die Theologie des Evangelisten von hoher Bedeutung ist. Da sie außerdem in der Argumentationskette derjenigen Exegeten, die die joh Theologie für eine Kreuzestheologie halten, eine wichtige Position einnimmt, soll diese Perikope abschließend interpretiert und zu den bisherigen Ergebnissen in Beziehung gesetzt werden. 3.3.3.1. Jesu Erscheinen vor den Jüngern ohne Thomas (20,19–23) Wie die weitgehend parallele Formulierung von V 19 und V 26 zeigt, ist die Thomasgeschichte eng auf die ihr vorausgehende Perikope bezogen, die Je326 Vgl. den Irrealis in V 28b. Die mangelnde Freude zeugt von mangelndem Glauben, daß Jesus Gottes Sohn ist und das Ende seines irdischen Daseins nicht seinen „Tod“, sondern seine Rückkehr zum Vater bedeutet, die seine ewige Gegenwart beim Glaubenden initiiert. 327 Zumstein, Logien, 120: „Obwohl er [sc.: der nachösterliche Jünger] die physische Gegenwart des Offenbarers entbehren muss, begegnet ihm dieser in seiner Gesamtbedeutung. Er begegnet ihm in der Gestalt eines Wortes, das sich der Kontingenz des irdischen Lebens entzieht, das sich vervielfacht und austeilt. Das Paradigma dieses Wortes, das die Bedeutung des gekommenen Offenbarers vollständig erfasst, ist natürlich das Evangelium selbst.“

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su Erscheinen vor den Jüngern erzählt. Thomas spielt die Rolle des Jüngers, der Jesus nach dessen Tod nicht mit eigenen Augen gesehen hat, sondern nur das Zeugnis der anderen Jünger hört (V 25): GBYTCMCOGPVQPMWTKQP. Ein kurzer Blick auf V 19–23 soll aufzeigen, daß dieser Abschnitt – und insofern auch die Thomasgeschichte, die diesen Abschnitt redupliziert – den thematischen Faden wiederaufgreift, der mit 14,31 fallengelassen wurde: die Zukunft der Glaubenden nach Jesu Weggang. So nimmt die Erzählung der Erscheinung Jesu in 20,19–23 deutlich Bezug auf 14,27f: Jesus tritt in 20,19 mitten unter die Jünger, die aus Furcht vor den 8,QWFCKQK hinter verschlossenen Türen versammelt sind, und spricht ihnen wie in 14,27 seinen Frieden zu. Wie er es bereits in 14,28 von den Jüngern erwartet hat, freuen sich diese nun, da sie ihn erkennen (20,20). Die Geistübergabe in 20,22 schließlich nimmt deutlich Bezug auf die Verheißung des Parakleten in 14,16f.26. „Jener Tag“, von dem Jesus in 14,20 spricht, ist nun eingetreten (20,19: VJ^JBOGTC^GXMGKPJ^).328 Da der Sendungsauftrag (V 21), die Übergabe des Geistes (V 22) sowie die Übertragung der Vollmacht zur Sündenvergebung (V 23) in der Thomasgeschichte nicht wiederaufgenommen werden, konzentriert sich die folgende Auslegung auf V 19f. Vor dem Hintergrund der ersten Abschiedsrede sollen diese beiden Verse genauer betrachtet werden. Obwohl die Jünger hinter verschlossenen Türen versammelt sind, tritt Jesus mitten unter sie (V 19). Dieses Erzählmoment, das in der Thomasgeschichte wiederholt wird (V 26), hebt die Wunderhaftigkeit des Auftretens Jesu deutlich hervor. V 30 erklärt denn auch explizit, daß die Erscheinungen Jesu in die Reihe der Zeichenhandlungen (UJOGKC) einzuordnen sind. Wie das Wunder zu Kana, die Brotvermehrung, die Blindenheilung oder die Auferweckung von Lazarus ist auch dieser Auftritt Jesu mitten unter seinen Jüngern ein Zeichen, das über sich selbst hinaus auf eine umfassendere Wirklichkeit verweist.329 328 Vgl. zu diesen Rückbezügen auf Kap. 14 Bultmann, Joh, 534–537. Der Evangelist bringe „die Geschichte als symbolische Darstellung der Erfüllung der Verheißung 14,18“ (ebd., 535). Vgl. auch Theobald, Osterglaube, 118f. 329 Vgl. auch Theobald, Osterglaube, 116–119. Kammler spricht von einer formalen und einer sachlich-inhaltlichen Entsprechung zwischen den Wundertaten Jesu und seinem österlichen Auftritt. Die formale Entsprechung betreffe die Wunderhaftigkeit der Ereignisse, die sachlich-inhaltliche den Offenbarungscharakter der Zeichen, die Jesu göttliche FQZC aufscheinen lassen (Kammler, Zeichen, 208). Kammlers These, daß die Wundererzählungen des ersten Buchteils von der Ostererzählung her zu lesen sind und von der FQZC des vom Kreuzestod Auferstandenen erzählen, ist allerdings zu bestreiten. In Kap. 2 dieser Arbeit wurde aufgezeigt, daß die Prolepsen des ersten Buchteils die Wundererzählungen nicht unter den Vorbehalt des Kreuzes stellen, sondern daß sich Jesus in seinen Wunderzeichen unabhängig vom Osterereignis als der vom „Tod“ Auferstandene offenbart (s.o. Abschnitt 2.2.5.1.). Im folgenden soll nun dargelegt werden, daß die joh Ostererzählung Jesus nicht als den vom „Tod“ Auferstandenen, sondern als den zum Vater Zurückgekehrten offenbart.

204 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Jesu Kommen zu seinen Jüngern und seine Gegenwart mitten unter ihnen manifestiert jene Wirklichkeit, auf die Jesus in Kap. 14 vorausgewiesen hat. Die Zukunft, die er den Jüngern vor seiner Rückkehr zum Vater versprochen hat, ist nun Gegenwart geworden. Waren die Jünger vor Jesu Weggang skeptisch (vgl. 14,28), so freuen sie sich jetzt, da sie erkennen, was geschehen ist (vgl. 14,20.29). Ihre Freude ist die Reaktion auf Jesu Selbstidentifikation: Da er ihnen die Hände und die Seite zeigt, sehen und erkennen sie ihren MWTKQL und freuen sich (20,20). Jesu Identifikation anhand der signa crucifixi, die sich in der Thomasgeschichte wiederholt, wird oft kreuzestheologisch interpretiert: Jesus identifiziere sich als der „auferweckte Gekreuzigte“330; er zeige sich „in der Ohnmacht des Gekreuzigten“331. Daß sich Jesus anhand seiner Wundmale als der Gekreuzigte identifiziert, soll nicht bestritten werden, im Gegenteil: Daß Jesus, um sich zu identifizieren, auf die signa crucifixi verweist, macht unmißverständlich deutlich, daß die Ostererzählung kein anderes Ereignis neben der Kreuzigung oder deren Fortsetzung erzählen will, sondern die Bedeutung der Kreuzigung Jesu für die Glaubenden entfaltet – dies allerdings in Anknüpfung an die in Kap. 2–19 dargelegte Interpretation der Kreuzigung als Erhöhung bzw. als Rückkehr zum Vater. Wenn Jesus in 20,17 zu Maria sagt, er sei noch nicht zum Vater aufgestiegen (V 17a), steige nun aber zu ihm auf (V 17b), so ist dieser Aufstieg weder als ein zweites Ereignis neben der Kreuzigung zu verstehen noch als die Fortsetzung des Aufstiegs, der mit der Kreuzigung begonnen hat,332 sondern dieses Wort weist darauf hin, daß die Ostererscheinung Jesu den Jüngern nichts anderes offenbart als die Bedeutung und Tragweite seiner Kreuzigung.333 Kreuzigungserzählung und Ostererzählung schildern ein und dasselbe Ereignis. Während die Kreuzigungserzählung in Kap. 18f die Erhöhung Jesu als Gericht über den Unglauben entfaltet, entfaltet die Ostererzählung in Kap. 20 dasselbe Ereignis als Übereignung des eschatologischen Friedens an die Glaubenden.334 330

Wengst, Gemeinde, 218. Kohler, Kreuz, 181. Vgl. u.a. auch Knöppler, theologia crucis, 266–268; Zumstein, Ostergeschichte, 182; Lang, Johannes, 294; Wilckens, Joh, 312f. 332 So z.B. Dietzfelbinger, Osterglaube, 24; Becker, Joh II, 727; Wilckens, Joh, 310. 333 Theobald, Osterglaube, 112f: „Der Evangelist interessiert sich hier nicht für einander ablösende Etappen eines Weges: Auferweckung – Erscheinungen – Aufstieg, sondern sieht diese eingespannt in die Polarität eines ‚Zeichens‘ mit seinen beiden Dimensionen des ‚Bezeichnenden‘ und ‚Bezeichneten‘: Die Erscheinungen des Auferweckten als das Vor-läufige sind das Zeichen; sie weisen hin auf die eigentliche Wirklichkeit der Erhöhung Jesu, die notwendigerweise ‚un-anschaulich‘ beibt […].“ Zum Zeichencharakter der Ostererscheinung s.o. Anm. 329. 334 Müller, Bedeutung, 69: „Nicht der Gekreuzigte wird der Gemeinde proklamiert, sondern der Verherrlichte.“ 331

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 205

Wie die bisherigen Exegesen zum ersten Buchteil, zur Kreuzigungserzählung, zur Fußwaschungsperikope und zur ersten Abschiedsrede gezeigt haben, interpretiert der Evangelist die Kreuzigung als Erhöhung Jesu, als seine Verherrlichung und Rückkehr zum Vater. Identifiziert sich Jesus in 20,20 anhand seiner Wundmale als der Gekreuzigte, so offenbart er sich den Jüngern als derjenige, den die nichtglaubende Welt zu ihrem eigenen Gericht am Kreuz erhöht hat, als derjenige, der in die FQZC des Vater zurückgekehrt ist und der ihnen, den glaubenden Jüngern, wie in 14,27 versprochen, seinen eschatologischen Frieden schenkt. Die Jünger sehen Jesus lebend vor sich stehen (vgl. 14,19), denn die Kreuzigung als das Ende seines irdischen Daseins (als sein natürlicher Tod) bedeutet nicht das Ende seines Lebens, seinen (Fluch-)Tod,335 sondern sie bedeutet nichts anderes als die Verherrlichung des längst vom „Tod“ auferstandenen, einziggeborenen Sohnes:336 seine Rückkehr zum Vater. Die Freude der Jünger kann aufgrund ihres deutlichen Rückbezugs auf 14,28 nur verstanden werden als Freude über Jesu Hingang zum Vater, der größer ist als Jesus. Die Exegese von V 24–29 wird erörtern, ob auch in der Thomasgeschichte die Wundmale als Zeichen des Verherrlichten verstanden werden. 3.3.3.2. Die Thomasgeschichte (20,24–29) Thomas, der sogenannte Zwilling, tritt bereits vor Kap. 20 zweimal im Joh auf: in 11,16, wo er seine Mitjünger auffordert, nach Judäa zu ziehen, um dort mit Jesus zu sterben, und in 14,5, wo er erklärt, das Ziel des Weggangs Jesu nicht zu kennen. 20,24f schließt insofern an diese beiden Stellen an, als Thomas seinen Mitjüngern, die ihm berichten, daß sie in seiner Abwesenheit den MWTKQL gesehen haben, nicht glaubt: Er versteht nicht, daß Jesus zum Vater zurückgekehrt ist, daß die Kreuzigung nichts anderes als seine Verherrlichung ist (vgl. 14,5), sondern ist davon überzeugt, daß Jesus nicht mehr lebt, daß die Kreuzigung seinen (Fluch-)Tod bedeutet (vgl. 11,16). Um glauben zu können, so erklärt er in 20,25, müsse er an Jesu Händen das Mal der Nägel sehen und seinen Finger dort hinein und seine Hand in Jesu Seite legen. Das Zeugnis genügt ihm nicht, sondern er will selbst Augenzeuge sein, und nicht nur sehen will er die Wundmale, sondern sie auch betasten, um einen handfesten Beweis dafür zu haben, daß der Gekreuzigte vor ihm steht und lebt.337 335

Zur Unterscheidung von natürlichem Tod und Fluchtod s.o. Abschnitt 2.2.4.2. Zur joh Ostererfahrung s.o. Abschnitt 2.2.5.1. 337 Thomas zweifelt am Wort seiner Mitjünger: GBYTCMCOGPVQPMWTKQP. Wie insbesondere auch der Vergleich mit 11,16 und 14,5 zeigt, glaubt er nicht, daß ihnen der für tot gehaltene Jesus als Lebendiger, als zum Vater Zurückgekehrter erschienen ist. Sein Bestreben, Jesus anhand der Wundmale zu identifizieren, ist also auf die Erkenntnis ausgerichtet, daß Jesus trotz seiner Kreuzigung lebt. Die These, der von Thomas geforderten Identifizierung entspreche 336

206 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Genau eine Woche später, nach acht Tagen, tritt Jesus noch einmal mitten unter seine Jünger, unter denen sich diesmal auch Thomas befindet (V 26). Sowohl die Zeitangabe als auch die exakt parallele Formulierung, insbesondere aber der seltsame Umstand, daß die Jünger, obwohl sich ihre Furcht in Freude gekehrt hat, weiterhin die Türen verschlossen halten, machen deutlich, daß es sich nicht um eine zweite, neue Erscheinung handelt, sondern um eine Wiederholung der ersten. Für den ungläubigen Thomas wird das Wunderzeichen noch einmal inszeniert. Nach seinem Friedensgruß fordert Jesus Thomas auf, seine Wundmale zu betasten (V 27). Die gegenüber V 25 (erst sehen, dann betasten) umgekehrte Reihenfolge – erst betasten, dann sehen – verschiebt den Akzent: Das Betasten soll für Thomas das Primäre sein; es soll den Zweifler, der dem Zeugnis seiner Mitjünger nicht glaubt, allererst zum Sehen führen, zu einem Sehen allerdings, das über die visuelle Wahrnehmung hinausgeht: Das Betasten soll ihn von seinem Unglauben zum Glauben bekehren (V 27: MCK OJ IKPQWCRKUVQLCXNNC RKUVQL). Doch Jesu Aufforderung, gläubig zu sein, beantwortet Thomas, ohne die Hand nach den Wundmalen auszustrekken, mit dem Bekenntnis (V 28): QB MWTKQLOQWMCK QB SGQLOQW.338 Die unmittelbare, visuelle Begegnung mit Jesus öffnet ihm die Augen und das an ihn gerichtete Wort führt ihn zur Erkenntnis, daß der gekreuzigte Jesus nicht gestorben, sondern in Gottes Gegenwart zurückgekehrt ist (vgl. 1,1), daß er sein MWTKQL und sein SGQL ist.339 Ein Wort Jesu schließt die Thomasperikope ab (V 29). Thomas hat geglaubt, weil er Jesus sah. Selig preist Jesus diejenigen, die glauben, ohne zu sehen. Die visuellen und ertastbaren Erscheinungen Jesu sind Wunderzeichen (UJOGKC), die auf die Verherrlichung Jesu verweisen. Wie die Wunder des ersten Buchteils gehören sie zu den geschichtlichen Ereignissen der Ofdie Einsicht, „daß sich der Glaube an den Auferstandenen mit Beantwortung der Frage entscheidet, ob dieser die Geschichte seines Kreuzestodes an sich trägt“ (Knöppler, theologia crucis, 267), ist abzulehnen. Thomas ist kein Pionier der Kreuzestheologie, der die „Gefahr eines Auferstehungsglaubens, der sich an der Gewißheit des Sieges Christi über den Tod genügen läßt“ (ebd.), bannen will. Seine Identifikation des MWTKQL zielt nicht auf den Glauben, „daß eben der Auferstandene die signa crucifixi am Leibe trägt“ (ebd.), sondern auf den Glauben, daß der Gekreuzigte nicht tot ist, sondern lebt. Thomas will mit eigenen Augen verifizieren, daß Jesus am Kreuz nicht getötet wurde, sondern zu seinem Vater zurückkehrte. 338 Das Bekenntnis ist das Gegenstück zum in V 25 geäußerten Zweifel: Thomas identifiziert nun den für tot Gehaltenen als lebendigen MWTKQL und SGQL (s.o. Anm. 337). Entscheidend für die joh Erzählung ist nicht, „daß sich der Auferstandene mit dem Gekreuzigten identifizieren läßt“ (Knöppler, theologia crucis, 268; vgl. Kohler, Kreuz, 179–183), sondern daß sich der Gekreuzigte mit dem Verherrlichten identifizieren läßt. Thomas erkennt, daß Jesu Kreuzigung nichts anderes bedeutet als die Rückkehr des Sohnes zum Vater. 339 Dietzfelbinger, Osterglaube, 48: „Jetzt tritt die eigentliche Funktion des Thomas zutage. Er ist der Prototyp des Menschen, der den Schritt tut von einem kontrollieren wollenden Glauben zu einem Glauben, der aus der Unmittelbarkeit der Christusbegegnung erwächst und der darum keiner weiteren Bestätigung bedarf.“

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 207

fenbarungstätigkeit Jesu, die mit seiner Rückkehr zum Vater abgeschlossen ist. Als Zeichen dieser Rückkehr selbst sind sie die letzten Werke des Irdischen.340 Von nun an wird der Paraklet bei den Glaubenden sein und sie alles lehren und sie an alles erinnern, was Jesus ihnen gesagt hat (14,26). Die Abwesenheit des Irdischen ermöglicht die Präsenz des Zurückgekehrten im Wort des Parakleten in Ewigkeit (14,16: GKXLVQPCKXYPC). Wer diesem erinnerten Wort des Irdischen Gehör schenkt und glaubt, daß Jesus von Nazaret Gottes Sohn ist, dem wird sich der zum Vater zurückgekehrte Sohn zeigen (14,19.21), und mit dem Sohn wird sich ihm auch der Vater zeigen (14,7.20) und ihn eschatologische Gottesgemeinschaft erfahren lassen (14,23). Denn an Jesus als den Christus, den Sohn Gottes, zu glauben heißt, aus dem „Tod“ ins Leben zu schreiten (20,31), ins ewige Leben. 3.3.4. Zusammenfassung Die Ergebnisse der Exgesen zur Fußwaschungsperikope, zur ersten Abschiedsrede sowie zur Thomasgeschichte werden im folgenden unter einem christologischen und unter einem soteriologischen Gesichtspunkt zusammengefaßt und diskutiert. 3.3.4.1. Jesu Weggang aus der Welt als Rückkehr des Sohnes zum Vater Obwohl sich die Fußwaschungsszene und die Abschiedsrede deutlich auf die bevorstehende Kreuzigung Jesu beziehen, erwähnen diese Texte weder Jesu Kreuzigung (UVCWTQL/UVCWTQY) noch seinen Tod oder sein Sterben (SCPCVQL/CXRQSPJUMY).341 Die Terminologie, mit der sie auf die Kreuzigung Jesu Bezug nehmen, bewegt sich wie im ersten Buchteil in räumlichen Kategorien: OCVCDCKPYGXMVQW MQUOQWVQWVQWRTQLVQPRCVGTC (13,1), WBRCIY (RTQLVQPSGQP) (13,3.33.36; 14,4f.28), RQTGWQOCK (RTQLVQPRCVGTC) (14,2f. 12.28). Außerdem ist von Jesu Verherrlichung die Rede: FQZC\Y (13,31f; vgl. 14,13). Die Ostererzählung ihrerseits spricht außer in 20,9, einer Anspielung auf die Schrift, nicht von Jesu Auferweckung oder seiner Auferstehung, nimmt jedoch in 20,17, der ersten Erklärung des „Auferstandenen“, mit dem Begriff CXPCDCKPY ebenfalls auf Jesu Rückkehr zum Vater Bezug (vgl. 3,13; 6,62). Um die Ausrichtung von Kap. 13f.20 besser verstehen zu können, soll noch einmal kurz auf die bisherigen Analysen zum ersten Buchteil und zur Kreuzigungserzählung zurückgeblendet werden: Die Auslegung zentraler 340 Zugespitzt kann formuliert werden: Der (noch) Irdische verweist in diesen Zeichen auf den (bereits) Zurückgekehrten (s.o. zu 20,17). 341 Zum Fehlen der Vokabeln UVCWTQL/UVCWTQY und zur spezifischen Verwendung der Begriffe CXRQMVGKPY/CXRQSPJUMY im ersten Buchteil vgl. in Kap. 2 Abschnitt 2.3.

208 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 Texte des ersten Buchteils hat gezeigt, daß der irdische Jesus sich als der vom „Tod“ Auferstandene offenbart und den Jüngern als der einziggeborene Sohn Gottes begegnet. „Ostern“ ereignet sich bereits in Kana, wo die Jünger die göttliche FQZC Jesu sehen und zum Glauben gelangen (2,11). In Kana machen sie die Erfahrung, daß Gott Jesus von Nazaret zu seinem Sohn berufen hat, daß er ihn aus der Gottlosigkeit der Welt, aus dem „Tod“, zum Leben in und aus ihm auferweckt hat. Die joh Ostererfahrung basiert nicht auf der Begegnung mit dem vom Kreuzestod Auferstandenen, sondern auf der Begegnung mit dem irdischen Jesus, der vom „Tod“ als der Selbstverstrickung der Menschen in ihre irdische Herkunft auferstanden ist. Die Exegese von Kap. 18f hat denn auch deutlich gemacht, daß Jesu Selbstoffenbarung kein Gegenstand der joh Kreuzigungserzählung mehr ist. Nicht Jesus tritt in dieser Erzählung als Offenbarer auf, sondern der Unglaube, der seine Absicht, Jesus zu kreuzigen, in die Tat umsetzt und so seinen Willen, ohne Gott zu leben, realisiert: Er entledigt sich der Gegenwart Gottes, des Lebens, und bleibt im „Tod“ zurück; er erhöht Jesus zu seinem eigenen Richter. In Kap. 13f wird die Kreuzigung nicht wie in Kap. 18f als Selbstgericht des Unglaubens, sondern in ihrer Bedeutung für den Glauben thematisiert. Im Unterschied zu Kap. 18f kommt Jesus nicht als der Gekreuzigte, sondern als der zum Vater Zurückkehrende in den Blick, tritt also unzweideutig als Handlungssubjekt auf. Dennoch geht es auch in diesen Kapiteln nicht mehr wie im ersten Buchteil um die Offenbarung der christologischen Identität Jesu. Jesus offenbart seinen Jüngern nicht erneut, wer er ist oder wer er in Wahrheit ist, sondern er expliziert die Tragweite, die sein Weggang für diejenigen hat, die seine Identität bereits erkannt haben und glauben: Sie werden eschatologische Gottesgemeinschaft erfahren. Selbst das GXIY- GKXOK-Wort in 14,6 ist diesem Zweck unterstellt: Während an die GXIY- GKXOK-Worte aus dem ersten Buchteil (6,35; 8,12 und 11,25) stets ein affirmativer, den Glauben an Jesus betreffender Relativsatz anschließt (6,35: QBGXTEQOGPQLRTQLGXOG… bzw. QB RKUVGWYPGKXLGXOG…; 8,12: QB CXMQNQWSYPGXOQK…; 11,25: QBRKUVGWYPGKXLGXOG…), steht in 14,6 eine negative bzw. ausschließende Aussage, und nicht mehr Jesus ist das Ziel der Bewegung, sondern der Vater: QWXFGKL GTEGVCK RTQL VQP RCVGTC GKX OJ FK8 GXOQW. In Kap. 13f geht es nicht mehr darum, zum Glauben an Jesus zu kommen, sondern darum, den bereits Glaubenden eschatologische Gottesgemeinschaft zu verbürgen. Auch Kap. 20 ist hier einzuordnen. Ließ der Evangelist den „dritten Tag“, d.h. Ostern, in Kana (2,1–12) sich ereignen und reinterpretierte er mit der Erzählung des Weinwunders die urchristliche Ostererfahrung, so interpretiert er in Kap. 20 den Ostertag als den Tag der Vollendung, als den letzten Tag. An diesem Tag begegnet Jesus seinen Jüngern nicht erneut als der vom Tod bzw. vom Fluchtod Auferweckte und offenbart nicht erneut oder

Jesu Rückkehr als produktives Ereignis für die Glaubenden (Joh 13f.20) 209

allererst seine göttliche FQZC, sondern an diesem Tag tritt den Jüngern der Verherrlichte (FGFQZCUOGPQL) gegenüber, der für immer in die FQZC des Vaters zurückgekehrt ist und so den auf Erden Glaubenden eschatologische Gottesgemeinschaft garantiert. Wird in Kap. 13f.20 die Identität Jesu thematisiert, so geht es nicht um seine christologische Identität, die der unmittelbare Gegenstand des Glaubens ist, sondern um die eschatologische Identität des Christus, darum also, daß der als Gottes Sohn Erkannte immer und ewig Gottes Sohn sein wird und die im Glauben an ihn empfangene Lebensgabe von eschatologischer Dimension ist. Im Vordergrund des gesamten zweiten Buchteils steht somit die Entfaltung der Eschatologie, während die Diskurse zur christologischen Identität Jesu, die im ersten Buchteil breiten Raum einnehmen, völlig zurücktreten. Jesus offenbart nicht mehr, wer er ist und was es heißt, zu ihm zu kommen bzw. sich von ihm abzuwenden, sondern im zweiten Buchteil wird die eschatologische Tragweite dieser Offenbarung und der ihr korrelierenden Antwort des Menschen dargelegt. Nur insofern geht es im zweiten Buchteil auch um Jesu Identität, als derjenige, der sich bereits als Sohn Gottes offenbart hat, nun als Erhöhter den Unglauben richtet und als Verherrlichter die Glaubenden ans Ziel der eschatologischen Gottesgemeinschaft führt. 3.3.4.2. Die eschatologische Gemeinschaft Gottes mit den Glaubenden Während in der Kreuzigungserzählung (Kap. 18f) die Jünger nach Jesu Verhaftung nicht mehr auftreten, ist umgekehrt in Kap. 13f sowie in Kap. 20 die Gegnerschaft Jesu abwesend. Es geht in diesen Kapiteln nicht um das Gericht über den Unglauben, sondern um die Kehrseite dieses Ereignisses, genauer: um die Frontseite eines Ereignisses, dessen Kehrseite das Gericht ist. Die erste Interpretation der Fußwaschungsszene, die erste Abschiedsrede sowie die Ostererzählung entfalten jeweils in unterschiedlicher Akzentuierung, welche Tragweite für die Glaubenden die Rückkehr des Sohnes zum Vater hat. Wie für den Unglauben bedeutet Jesu Erhöhung auch für die Glaubenden das Eschaton. Während sich der Unglaube mit der Kreuzigung Jesu das Gericht zuzieht, bleiben die Glaubenden vom Gericht Gottes über die Welt verschont. Die Fußwaschungshandlung Jesu (13,4f) symbolisiert ihre Aufnahme in die eschatologische Gemeinschaft Gottes (13,8b): Die Jünger, deren umfassende Reinheit Jesus garantiert (13,10a), kommen nicht ins Gericht, sondern der zurückgekehrte Sohn empfängt sie im Haus seines Vaters. Wie die erste Abschiedsrede (13,31–14,31) zeigt, werden die Glaubenden mit Jesu Rückkehr und Verherrlichung in die ewige Gemeinschaft von Vater und Sohn mit einbezogen. Ausgehend von einem apokalyptischen Spruch, der Christi Himmelfahrt und Parusie thematisiert (14,2f), erklärt Jesus seinen Jüngern, daß sein Weggang aus der Welt sie nicht, wie das für die Welt gilt, ohne Gott und das Leben zurückläßt. In

210 Gericht und ewige Gottesgemeinschaft. Die Eschatologie in Joh 13–20 dem vom Parakleten erinnerten Wort des Irdischen wird der Verherrlichte für immer auf Erden bei seiner Gemeinde sein: Das im Glauben an den Irdischen empfangene Leben erweist sich als ewiges Leben in Gottes unmittelbarer Gegenwart; Christi Parusie ereignet sich hier und jetzt. Nach der Kreuzigungs- und der Begräbnisszene entfaltet der Evangelist die Interpretation des Ostertags: In den beiden letzten Passagen seines Werks (20,19–23.24–29) erzählt er vom Glauben der Jünger angesichts der angekündigten Ereignisse (vgl. 14,29). Der zum Vater zurückkehrende bzw. zurückgekehrte Sohn selbst schafft diesen Glauben: In einer Zeichenhandlung tritt er vor die Jünger und dann vor den zweifelnden Thomas, demonstriert, daß sein in Gott gründendes Leben am Kreuz nicht, wie die Welt meint, vernichtet wurde, und spendet den Jüngern – wie in der Abschiedsrede verheißen – den heiligen Geist, eschatologischen Frieden und Freude. Das Eschaton ist nun irdische Realität.

4. Zusammenfassung und Ausblick Der folgende Abschnitt 4.1. faßt in thesenartiger Form die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen. Die Thesenreihen unter den Ziffern 1–3 beziehen sich auf die drei Hauptkapitel der Arbeit: Thesenreihe 1 umreißt die Problemstellung, Thesenreihe 2 faßt die im ersten Buchteil des Joh (Kap. 1–12) entfaltete Christologie zusammen, Thesenreihe 3 die im zweiten Buchteil (Kap. 13–20) entfaltete Eschatologie. Eine vierte Thesenreihe widmet sich schließlich der Verbindung der beiden Buchteile. Ein zweiter Abschnitt (4.2.) nimmt sodann die im ersten Kapitel erörterte Fragestellung nach dem Verhältnis von joh Christologie und paulinischer Kreuzestheologie wieder auf und diskutiert unter christologischem und unter eschatologischem Gesichtspunkt die Frage, inwiefern der Entwurf des Evangelisten Anlaß zu Sachkritik gibt.

4.1. Thesen zum Johannesevangelium 1.

Die Frage, ob der joh Entwurf kreuzestheologisch zu nennen ist oder nicht, interessiert nicht als Frage nach der formalen Klassifizierung der joh Theologie, sondern als Frage nach der Sache, die diese Theologie vertritt und die es in einen Dialog mit der eigenen, kreuzestheologisch geprägten Glaubensidentität zu setzen gilt.

1.1.

Die christliche Glaubensidentität reformatorischer Tradition ist insofern kreuzestheologisch geprägt, als sie in der paulinischen Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen gründet, die im Wort vom Kreuz ergeht.

1.1.1.

Das Wort vom Kreuz und seine Botschaft von der Rechtfertigung aus freier Gnade wird im neutestamentlichen Kanon vom Apostel Paulus verkündigt und reflektiert. Auf seine Briefe stützte sich Luther, der die systematische Kategorie theologia crucis in die Diskussion einführte.

1.1.2.

Die paulinische Kreuzestheologie, d.h. die Kreuzestheologie im strengen Sinne des Wortes, ist durch die exklusive Stellung des

212

Zusammenfassung und Ausblick

Kreuzes definiert, dessen kritischer Impetus zur Rechtfertigungslehre lenkt: Das Wort vom Kreuz macht die Weisheit dieser Welt zur Torheit, befreit den Menschen aus seinen Fixierungen und stellt ihn in ein lebendiges Gegenüber zu Gott. 1.2.

Die Frage, ob das Joh eine Kreuzestheologie vertritt oder nicht, führt so stets zur direkten oder indirekten Gegenüberstellung von joh und paulinischem Entwurf.

1.2.1.

Soll die Eigenständigkeit des joh Entwurfs gewahrt werden, muß diese Gegenüberstellung streng sachbezogen erfolgen.

1.2.2.

Es interessiert nicht die Frage nach dem formalen Stellenwert des Kreuzes – und insofern letztlich auch nicht die Frage nach einer joh Kreuzestheologie –, sondern es geht um die Frage, ob der kritische Impetus, der das unverzichtbare Moment der kreuzestheologischen Rede von der Rechtfertigung des Gottlosen bildet, auch im Joh von zentraler Bedeutung ist und – wenn ja – wo er verankert ist: Verrät oder reduziert die vom Evangelisten entfaltete Theologie eine in Auseinandersetzung mit dem Wort vom Kreuz stehende Glaubensidentität?

2.

Der Evangelist demonstriert nicht in naiver – wie Käsemann es behauptet –, sondern in höchst reflektierter Weise, daß der irdische Jesus der Auferstandene ist.

2.1.

Der Evangelist versteht die Welt als gefallene Schöpfung, und dies radikal: Der sündige Mensch steht nicht nur in einer defizitären Beziehung zu Gott, sondern er lebt ganz ohne ihn. Insofern aber lebt er gar nicht, sondern fristet ein Dasein im „Tod“: Als die absolute Beziehungslosigkeit des Menschen zu Gott, dem Schöpfer allen Lebens, beherrscht der „Tod“ die Menschen mitten in ihrem Dasein und tritt nicht erst mit dessen zeitlichem Ende ein. Die Welt ist die Sphäre der undurchdringbaren Finsternis, die Sphäre des „Todes“. Als diese wird sie allerdings einzig im Glauben erkannt: in der Begegnung mit demjenigen, der das Licht und das Leben ist (s.u. 2.2. und 2.3.).

2.1.1.

Statt in Gott gründet der Mensch sein Dasein in der Welt. Ganz seinem irdischen Ursprung verhaftet, den er zur Quelle seines Lebens erhebt, erkennt und anerkennt er Gott nicht als seinen Schöpfer. Er urteilt nach eigenen Maßstäben über Leben und Tod, über Himmel und Erde, über Gott und die Welt. Den Blick auf das Greifbare und

Thesen zum Johannesevangelium

213

zu Erwartende gerichtet, ist er blind für Gottes schöpferische Kraft und seine unverfügbare Lebensgabe. 2.1.2.

Der in der Finsternis lebende Mensch, der sich für sehend hält, erkennt nicht, daß er nicht sieht und der „Tod“ sein Leben zunichte macht, sondern meint, im Licht und im Leben zu stehen. Deshalb versteht er sein irdisches Ende als bedrohlichen Abbruch und als Negation, obwohl dieses Ende ein Dasein negieren bzw. beenden wird, das bereits im „Tod“ der Gottlosigkeit gefangen ist und das (wahre) Leben gar nicht zu Gesicht bekommt.

2.2.

In dieser Welt der „Toten“ tritt ein Mensch auf, der behauptet, die Auferstehung und das Leben zu sein. Jesus von Nazaret, der Sohn irdischer Eltern, offenbart in Zeichen und Reden seine FQZC, seine Herkunft von oben. Er ist der Einziggeborene, den Gott aus dem „Tod“ zum Leben auferweckt hat. Als Gottes Sohn, der ganz aus der Gegenwart seines Vaters lebt, bringt er das Licht in die Finsternis und das Leben zu den „Toten“.

2.2.1.

Nicht die Begegnung mit dem vom Kreuzestod Auferstandenen führt zum joh Osterglauben, sondern die Begegnung mit demjenigen, den Gott aus der Gottlosigkeit, d.h. aus dem „Tod“, der die Menschen mitten in ihrem Dasein beherrscht, zum Leben mit ihm auferweckt hat. Der dritte Tag, der Tag, an dem der Auferstandene den Jüngern in seiner göttlichen FQZC begegnet und ihren (Oster-) Glauben begründet, ereignet sich im Joh in Kana (2,1–12), am Anfang der Offenbarungstätigkeit des Irdischen, und dieser Tag findet seine Fortsetzung in den Zeichen und Reden, von denen der erste Buchteil erzählt: Der Sohn irdischer Eltern offenbart sich als Gottes Sohn, als der Einziggeborene, der sein Dasein nicht in seiner irdischen Herkunft gründet, sondern ganz in und aus seinem himmlischen Vater lebt.

2.2.2.

Während das Korpus des Evangeliums von der Selbstoffenbarung des Auferstandenen erzählt, davon also, wie Jesus von Nazaret, Sohn irdischer Eltern, sich als Gottes Sohn offenbart, geht der Prolog über die Entfaltung dieser Ostererfahrung hinaus und preist in mythologischer Sprache die Inkarnation des präexistenten NQIQL. Aus dieser mythologischen Inkarnationsperspektive kann zugespitzt formuliert werden: Gottes Sohn steigt in die Sphäre des „Todes“ herab und erleidet – bei ebendiesem Herabstieg, nicht erst bei seiner Rückkehr zum Vater – den „Tod“, aus dem er siegreich hervorgeht: Er wird zum Leben auferweckt und scheint als das Licht in der Finsternis.

214

Zusammenfassung und Ausblick

2.3.

Wer an den vom „Tod“ auferweckten Sohn Gottes glaubt, wird selbst vom „Tod“ zum Leben auferweckt.

2.3.1.

Das Ereignis der Auferweckung Jesu zum Leben kann sich in der Welt nicht ausweisen. Daß Jesus von Nazaret von himmlischer Herkunft ist, läßt sich nicht anhand weltlicher Maßstäbe verifizieren, sondern nur im Glauben erkennen. Jesu Anspruch widerspricht den weltlichen Vorstellungen vom Kommen des Messias, und seine irdische Herkunft führt drastisch vor Augen, daß er nicht aus dem Himmel herabgestiegen ist.

2.3.2.

Wer sich auf Jesu Anspruch, Gottes Sohn zu sein, einläßt und glaubt, erkennt die Wahrheit dieses Anspruchs und sieht Jesu FQZC. Wer glaubt, wird vom „Tod“ befreit und empfängt (wahres) Leben. Wie Jesu Selbstoffenbarung läßt sich auch die Glaubenserkenntnis des Menschen in der Welt nicht ausweisen, so daß die zum Glauben Gekommenen ihren Glauben nicht auf ihr eigenes Vermögen, sondern allein auf Gott selbst zurückführen. Als vom „Tod“ Befreite bergen sie ihr Leben und ihren Glauben ganz in Gottes schöpferischer Gegenwart.

2.3.3.

Wer hingegen nicht an Jesus als den Einziggeborenen Gottes glaubt, sondern an den Maßstäben der Welt festhält und sein eigenes Urteil über dasjenige Gottes stellt, schlägt mit diesem Akt des Unglaubens die Lebensgabe aus. Er zieht es vor, sein Dasein weiterhin ohne Gott, d.h. im „Tod“, zu fristen. Aus der Perspektive des Glaubens läßt sich nicht erklären, weshalb Menschen das befreiende und Leben schenkende Wort Jesu nicht hören und sich in ihrer Gottlosigkeit verschließen.

3.

Das Kreuz Jesu ist im Joh nicht der Ort, an dem die christologische Identität Jesu allererst in ihrer wahren, paradoxen Dimension offenbar wird, sondern der Ort, an dem das Eschaton in die Geschichte eingeht. Kap. 18f entfalten die Tragweite der Kreuzigung Jesu für den Unglauben, das Gericht, Kap. 13f.20 die Bedeutung desselben Ereignisses für die Glaubenden, die Vollendung ihrer Gottesgemeinschaft.

3.1.

Jesus steht in der joh Kreuzigungserzählung dem Geschehen in absoluter Souveränität gegenüber; er weiß um alles, was auf ihn zukommt, und sorgt dafür, daß es sich schriftgemäß ereignet. Der Sohn Gottes gibt sein Schicksal nicht aus den Händen. Weder ist er der Erniedrigte noch der Leidende. Von einer Passionsgeschichte kann deshalb keine Rede sein.

Thesen zum Johannesevangelium

215

3.1.1.

Die Kreuzigung bedeutet nicht Jesu „Tod“, denn von diesem wurde Jesus bereits vor dem Kreuz auferweckt. Das Ende des irdischen Daseins kann dem Leben des Einziggeborenen Gottes nichts antun. Der vom „Tod“ als von der Selbstverstrickung des Menschen in die Welt Auferstandene verläßt mit der Kreuzigung die Welt und kehrt zum Vater zurück. Das Ende seines irdischen Daseins bedeutet seine Verherrlichung und Erhöhung, nichts sonst.

3.1.2.

Die Niedrigkeit des Gekreuzigten besteht nur in den Augen der ihn kreuzigenden Welt, die mit ihrer Tat den falschen Sohn Gottes zu vernichten meint. Sie sieht nicht, daß sie den wahren Sohn Gottes zur Welt hinausstößt und sich selbst, nicht Jesus, des (wahren) Lebens entledigt.

3.2.

In der Kreuzigungserzählung (Kap. 18f) tritt Jesus als unmittelbares Handlungssubjekt zurück und überläßt das Feld dem Herrscher der Welt und seinen Knechten. Nicht die Selbstoffenbarung Jesu, sondern die Selbstoffenbarung des Unglaubens ist das Thema dieser Kapitel. Mit der Kreuzigung Jesu setzt der Unglaube seine Entscheidung in die Tat um. Indem er Jesus aus der Welt hinausstößt, realisiert er sein Bestreben, ohne Gott sein zu wollen.

3.2.1.

Von der Verhaftung Jesu mitten in der Nacht bis zu seinem königlichen Begräbnis vor Sonnenuntergang erstreckt sich der Tag des Gerichts: der letzte Tag. Nicht Jesus initiiert dieses Gericht – als ob er in die Welt gekommen wäre, um sie zu richten –, sondern die Rolle des Richters wird ihm vom Unglauben zugeschrieben. Mit der Kreuzigung Jesu erhöht der Unglaube seinen eigenen Richter und muß erkennen, daß er es ist.

3.2.2.

Im Gerichtsprozeß vor Pilatus (18,28–19,16a), der auf politischer Ebene die Hohenpriester demütigt und sie als bekennende Untertanen des römischen Kaisers vorführt, vollzieht sich auf einer tieferen Ebene Gottes Gericht über die Welt bzw. das Selbstgericht des Unglaubens. Szene für Szene wird immer deutlicher herausgestellt, daß der Unglaube der inneren Konsequenz seines Machtstrebens nicht entrinnen kann. Die politische Kapitulation der Hohenpriester, nur den Kaiser als König zu haben, widerspiegelt das Unglaubensbekenntnis derer, die Jesus kreuzigen: Sie dienen nicht Gott, sondern dem Herrscher dieser Welt.

3.2.3.

In Wahrheit wird nicht Jesus der Prozeß gemacht, sondern steht der Unglaube vor Gericht und spricht sich selbst das Urteil: Gottverlassenheit bzw. „Tod“. Indem die Hohenpriester die Kreuzigung ihres Königs (DCUKNGWLVYP8,QWFCKYP) durchsetzen, fällen sie ihr eigenes

216

Zusammenfassung und Ausblick

Gerichtsurteil: Sie entledigen sich desjenigen, der die Auferstehung und das Leben ist. 3.3.

Auch für die Glaubenden bedeutet Jesu Erhöhung das Eschaton. Während sich der Unglaube mit der Kreuzigung Jesu das Gericht zuzieht, bleiben die Glaubenden von Gottes Gericht über die Welt verschont. Der zum Vater Zurückgekehrte nimmt sie in die ewige Gottesgemeinschaft auf.

3.3.1.

Wie in Kap. 18f tritt auch in Kap. 13f.20 die Selbstoffenbarung Jesu in den Hintergrund. Wird in diesen Kapiteln Jesu Identität thematisiert, so geht es nicht mehr um seine christologische Identität als unmittelbaren Gegenstand des Glaubens, sondern um die eschatologische Identität des zurückgekehrten bzw. wiedergekommenen Christus, darum also, daß der als Gottes Sohn Erkannte immer und ewig Gottes Sohn sein wird und die im Glauben an ihn empfangene Lebensgabe von eschatologischer Dimension ist.

3.3.2.

Die Fußwaschungshandlung Jesu (13,1–10a) symbolisiert die Aufnahme der Jünger in die eschatologische Gottesgemeinschaft, ihre Reinigung, die sie vom Endgericht verschont. Nur in den Augen der Welt und des unverständigen Petrus bedeutet der Dienst der Fußwaschung die Erniedrigung Jesu. Nicht als Erniedrigter, sondern als Erhöhter bzw. als Verherrlichter empfängt Jesus die Jünger im Haus seines Vaters.

3.3.3.

In der ersten Abschiedsrede (13,31–14,31) erklärt Jesus den Jüngern, daß sein Weggang aus der Welt ihre Gemeinschaft mit ihm nicht in Frage stellt, denn im vom Parakleten erinnerten Wort des Irdischen bleibt der Zurückgekehrte immer und überall bei den Glaubenden. Ewige Gemeinschaft mit dem Sohn bedeutet zugleich ewige Gemeinschaft mit dem Vater, zu dem der Sohn zurückkehrt. Jesu Erhöhung versichert die Glaubenden letztgültig ihrer Gottesgemeinschaft, d.h. des eschatologischen Friedens und des ewigen Lebens. Die Wohnungen, die der zurückgekehrte Sohn den Glaubenden im Haus seines Vaters errichtet, stehen auf Erden: Christi Parusie ereignet sich hier und jetzt.

3.3.4.

Die joh Ostererzählung (20,19–29) entfaltet nicht die Begegnung der Jünger mit dem auferweckten Gekreuzigten – auferweckt vom „Tod“ zum Leben ist bereits der Irdische –, sondern die Begegnung mit dem Zurückgekehrten. Nicht in der Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten, sondern im realisierten Eschaton liegt die theologische Tragweite jenes Ostertags, des letzten Tags. Jesu Auftritt unter den Jüngern ist ein Zeichen dafür, daß sein Leben am Kreuz

Thesen zum Johannesevangelium

217

nicht vernichtet wurde, daß die Zukunft, die Jesus den Jüngern vor seiner Kreuzigung verheißen hat, nun realisiert ist. Das im Glauben an den Irdischen empfangene Leben erweist sich als ewiges Leben in Gottes unmittelbarer Gegenwart. 4.

Während der erste Buchteil des Joh (Kap. 1–12) die christologische Selbstoffenbarung des irdischen Jesus darlegt, reflektiert der zweite Buchteil (Kap. 13–20) deren eschatologische Dimension. Während im ersten Buchteil Jesus mit dem Anspruch, Gottes lebendiger Sohn zu sein, den im „Tod“ gefangenen Menschen entgegentritt und diese mit Glauben oder Unglauben antworten, erörtert der zweite Buchteil die eschatologische Tragweite dieses Geschehens: das Selbstgericht des Unglaubens einerseits, die eschatologische Vollendung der Gemeinschaft von Vater, Sohn und Glaubenden andererseits. Erster und zweiter Buchteil bilden zusammen ein Ganzes: das Evangelium, das Jesu Geschichte erzählt. Ostererfahrung und Parusieerfahrung sind im Glauben denn auch untrennbar miteinander verbunden: Wer an den Irdischen als den Sohn Gottes glaubt, hat im Erhöhten ewiges Leben.

4.1.

Der erste Buchteil weist auf den zweiten voraus, ist jedoch thematisch deutlich von ihm abgegrenzt.

4.1.1.

Der erste Buchteil entfaltet einerseits die Identität Jesu als des Einziggeborenen Gottes, der mitten im „Tod“ die Auferstehung und das Leben ist; er reflektiert andererseits die Identität der Menschen, die zu Jesus kommen und zum Glauben finden. Im Glauben an Jesus von Nazaret als den Sohn Gottes werden sie zum Leben mit Gott auferweckt und erkennen, daß sie bisher ein Dasein im „Tod“ der Gottlosigkeit fristeten. Christologie und Soteriologie sind die Themen des ersten Buchteils.

4.1.2.

Der erste Buchteil weist auch voraus auf die Zukunft, die die Rückkehr des Sohnes aus der Welt zum Vater den Glaubenden und den Nicht-Glaubenden zuteil werden läßt: Die Nicht-Glaubenden werden Jesus aus den Augen verlieren, die Glaubenden ihrer Gemeinschaft mit ihm und seinem Vater für immer versichert werden.

4.1.3.

Am Ende des ersten Buchteils (Kap. 12) steht der Unglaube der Welt fest – von ihm ausgenommen ist eine kleine Jüngerschar –, und die Selbstoffenbarung des Irdischen vor der Öffentlichkeit bricht ab. Im zweiten Buchteil wird nicht mehr offenbart, an wen zu glauben die Menschen aufgefordert sind und was es bedeutet, zum Glauben zu kommen. Jesu christologische Identität sowie

218

Zusammenfassung und Ausblick

Glauben und Unglauben sind nun vorausgesetzt. Der zweite Buchteil entfaltet ihre eschatologische Tragweite. 4.2.

Der zweite Buchteil setzt den ersten voraus und bewegt sich auf einer Metaebene zu ihm.

4.2.1.

Das Kreuz ist der Ort, wo die im ersten Teil des Evangeliums entfaltete Offenbarung ewige Gültigkeit erhält, wo über ihre Ablehnung gerichtet und ihre zukünftige Relevanz begründet wird, ohne daß sie selbst noch einmal oder gar in radikalisierter Form zur Darstellung gelangt. Die Eschatologie ist das Thema des zweiten Buchteils.

4.2.2.

Nach Kap. 12 und dessen Fazit über den Unglauben der Welt werden Glaubende und Nicht-Glaubende voneinander geschieden: Den Glaubenden, die bei der Kreuzigung Jesu nichts zu suchen haben, verheißt Jesus in Kap. 13f die Unverbrüchlichkeit seiner Gemeinschaft, einer Gemeinschaft, die sich die Welt, die Jesus kreuzigt, in eigener Regie zunichte macht (Kap. 18f). Über den Unglauben ergeht das Gericht, die Glaubenden aber werden vom Gericht verschont und in die eschatologische Gottesgemeinschaft aufgenommen (Kap. 20).

4.2.3.

Jesu Identität kommt im zweiten Buchteil zwar insofern neu zur Sprache, als der Auferstandene des ersten Buchteils nun als Erhöhter und Richter, als wiedergekommener Christus auftritt; unmittelbarer Glaubensgegenstand bleibt jedoch der irdische Auferstandene: In der Abkehr von ihm erhöht der Unglaube seinen Richter, und im Glauben an ihn ereignet sich die Parusie Christi und wird die eschatologische Gottesgemeinschaft auf Erden Wirklichkeit.

4.2. Johannes und Paulus: die Frage nach der Sachkritik Obwohl der Evangelist dem Kreuz eine zentrale Position zuordnet, vertritt er keine Kreuzestheologie, denn das Kreuz steht weder exklusiv in der Mitte seiner Theologie noch eignet ihm der kritische Impetus, der im paulinischen Wort vom Kreuz die Weisheit der Welt zur Torheit macht, den Menschen aus seinen Fixierungen befreit und in ein lebendiges Gegenüber zu Gott stellt.1 Den kritischen hermeneutischen Schlüssel, der die Wahrheit 1 Zur Definition des Begriffs Kreuzestheologie und zur Grundstruktur der paulinischen Kreuzestheologie s.o. Abschnitt 1.1. Anstelle einer eigenen exegetischen Darstellung und Er-

Johannes und Paulus: die Frage nach der Sachkritik

219

über Gott und die Welt erschließt, entdeckt der Evangelist nicht wie Paulus im Kreuz, sondern im Wort des irdischen Jesus, der behauptet, vom Himmel herabgestiegen zu sein. Mit der Erzählung der Selbstoffenbarung Jesu in Reden und Zeichen verkündigt das Evangelium den unbedingten Schöpferwillen Gottes, der alle menschliche Selbstbehauptung zerschlägt. Das Kreuzigungsgeschehen jedoch klammert der Evangelist aus dieser Verkündigung aus und situiert es auf einer Metaebene zu ihr. Das Kreuz ist nicht der Ort, wo Jesus sich als Sohn Gottes offenbart, sondern mit der Kreuzigung Jesu offenbart der Unglaube seine Identität der Gottlosigkeit. Er entledigt sich des Einziggeborenen Gottes, der das Leben ist, und realisiert so eigenhändig sein Gericht. Nur insofern geht es in diesem Offenbarungsgeschehen um die Identität Jesu, als der Unglaube ihn als seinen Richter identifiziert. Die forensische Dimension des Kreuzes betrifft jedoch nur den Unglauben, denn die Glaubenden kommen nicht ins Gericht. Sie bleiben trotz Jesu Weggang aus der Welt mit ihm verbunden: Im vom Parakleten erinnerten Wort des Irdischen erfahren sie die Gegenwart des zum Vater Zurückgekehrten: eschatologische Gottesgemeinschaft. Zugespitzt läßt sich formulieren: Was bei Paulus das Wort vom Kreuz, ist im Joh die Erzählung von der Selbstoffenbarung des Irdischen. Was im Joh die Kreuzigungserzählung, sind bei Paulus die Verweise auf die erhoffte Parusie Christi, auf Endgericht und Vollendung.2 Wie Paulus entfaltet auch der Evangelist eine kritische Theologie, die die Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen weder verrät noch reduziert, sondern selbst verkündigt. Im Unterschied zur paulinischen Kreuzestheologie entgeht die Theologie des Evangelisten jedoch der Gefahr, in eine Theologie des Leidens verkehrt zu werden, denn das Werk des Evangelisten reflektiert die Selbstoffenbarung Jesu nicht in den Kategorien Niedrigkeit, Leiden und Schwachheit. Demgegenüber muß sich die in den paulinischen Briefen entfaltete Kreuzestheologie gegen das Mißverständnis zur Wehr setzen, das Schwachheit und Niedrigkeit vom Gekreuzigten löst und sie als solche zu Gottes Stärke und Hoheit erklärt. Allerdings steht die Theologie des Evangelisten gerade dadurch, daß sie das Leiden des Gekreuzigten nicht thematisiert, ihrerseits in Gefahr, als theologia gloriae mißverstanden zu werden, gegen die sich wiederum Paulus leidenschaftlich zur Wehr setzt. Die joh und die paulinische Theologie sind weder alternative noch streng kongruenörterung der paulinischen Kreuzestheologie verweise ich auf die Arbeiten von Käsemann, Heilsbedeutung (s.o. die Skizze in Abschnitt 1.2.1.1.); Luz, Theologia crucis, 121–131; Becker, Paulus, 209–229; Merklein, Bedeutung; ders., Paradox; Söding, Kreuzestheologie; ders., Geheimnis. 2 Obwohl die Glaubenden auch bei Paulus die Endzeitgemeinde bilden, steht die Parusie Christi, Endgericht und Vollendung, noch aus. Vgl. z.B. I Thess 1,10; 2,19; 3,13; 4,14–17; 5,1–11.23f; I Kor 3,10–17; 5,5; 6,14; 15,20–28.50–58; II Kor 1,14; 5,10; Röm 8,18–25; 16,20. Ausführliche Erörterungen der paulinischen Eschatologie bei Becker, Paulus, 468– 478; Söding, Hoffnung.

220

Zusammenfassung und Ausblick

te Entwürfe, sondern sie stehen einander im Kanon korrigierend und ergänzend zur Seite. Gegenseitig machen sie sich auf die Gefahr einer Leidensbzw. einer Herrlichkeitstheologie aufmerksam. In den folgenden beiden letzten Abschnitten dieser Arbeit sind deshalb die kritischen Fragen zu erörtern und zu beantworten, die sich aus der Perspektive einer paulinischen Kreuzestheologie der joh Christologie und Eschatologie gegenüber stellen.3 4.2.1. Christologie Das Joh löst das Grundbekenntnis des christlichen Glaubens, daß Gott den gekreuzigten Jesus vom Tod auferweckt hat, vom Kreuz. Der „Tod“, von dem Gott Jesus auferweckt, ist nicht sein Tod am Kreuz, verstanden als absolute Gottesverlassenheit des Menschen am zeitlichen Ende seines Daseins, sondern der „Tod“ der Gottlosigkeit, in die der Mensch von allem Anfang seines Daseins an verstrickt ist.4 Daß Jesus der Auferstandene ist, wird bereits in Kana erkannt, wo er seine göttliche FQZC zum ersten Mal offenbart und sich als Gottes Sohn erweist, der ganz in und aus dem himmlischen Vater lebt. 4.2.1.1. Die johanneische Ostererfahrung und ihr kritischer Impetus Obwohl das Joh die Christologie vom Kreuz löst, hält es am kritischen Impetus fest, der bei Paulus das unverzichtbare Moment der Rede vom Kreuz und des Evangeliums von der Rechtfertigung des Gottlosen darstellt. Auch im Joh ist die Kritik menschlicher Selbstbehauptung und Auflehnung gegen Gott von zentraler Bedeutung; sie ist jedoch nicht in der Kreuzesoffenbarung, sondern in der Selbstoffenbarung des irdischen Auferstandenen verankert. Diese führt das Urteil der Welt über Gott und sich selbst ad absurdum, denn nach weltlichen Maßstäben geurteilt, kann Jesus von Nazaret, dessen irdische Herkunft bekannt ist, nicht, wie er behauptet, vom Himmel herabgestiegen sein. Der in Reden und Zeichen zur Sprache kommende Anspruch Jesu, als Sohn irdischer Eltern der Einziggeborene Gottes zu sein, erregt Anstoß und Widerspruch; an ihm zerbricht das eigenmächtige Urteilen der Welt. Dieser Anspruch läßt sich einzig im Glauben verifizieren. Wer sein Vertrauen auf Gottes Wort setzt, auf Jesus das Leben, erkennt die Wahrheit und besiegt die Lüge der Welt, präziser: Die Wahrheit, Gottes unbedingter Schöpferwille und seine bedingungslose Liebe, begegnet ihm und läßt ihn erfahren, wer und was das Leben ist. Im Glauben an den irdischen 3 Zur klassischen Sachkritik am Joh s.o. in Kap. 1 die Abschnitte 1.2. sowie 1.4.3. und 1.4.4. 4 S.o. These 2.2.2. sowie in Kap. 2 Abschnitt 2.2.5.

Johannes und Paulus: die Frage nach der Sachkritik

221

Auferweckten wird er selbst aus dem „Tod“ der Gottlosigkeit zum Leben mit Gott auferweckt. Die bereits im Vorfeld der exegetischen Untersuchung gestreifte Frage,5 ob sich der Evangelist mit der von ihm entfalteten Identität von Irdischem und Auferstandenem nicht in fahrlässiger Weise vom historisch ursprünglichen Ort der Erkenntnis, daß Jesus der Christus ist, entfernt und sich den Grund seines eigenen Glaubens entzieht,6 gilt es nun erneut zu stellen. 4.2.1.2. Die historische Verankerung der johanneischen Ostererfahrung Zunächst ist festzuhalten, daß der Evangelist den Gegenstand seiner Reinterpretation explizit macht, ihn also nicht durchstreicht. Einerseits spielen in der Kanaerzählung die Zeitangabe VJ^ JBOGTC^ VJ^ VTKVJ^ (2,1) und der Terminus HCPGTQY (2,11) auf die urchristliche Ostertradition an, andererseits bildet die urchristliche Passions- und Ostergeschichte das narrative Gerüst von Kap. 18–20. Da die Gabe des Parakleten, auf den die Erinnerung aller Worte Jesu zurückgeht, an das Ereignis von Kreuz und Ostern gebunden ist, wird denn auch zu Recht behauptet, die hermeneutische Perspektive des Joh sei in diesem Ereignis verankert.7 Allerdings hat nun die exegetische Untersuchung zu den beiden Buchteilen des Evangeliums gezeigt, daß die urchristliche Passions- und Ostergeschichte vom Evangelisten völlig neu interpretiert wird: Diese Geschichte schildert nicht mehr länger Jesu Tod und Auferweckung, sondern erzählt von der Erhöhung des endzeitlichen Richters bzw. von der Rückkehr und Wiederkunft des Sohnes. Sie erzählt, wie der Kreuzestod dem Leben Jesu nichts anhaben konnte, weil dieses den „Tod“ längst hinter sich hatte; wie sich am Kreuz nicht Jesu „Tod“ ereignete, sondern die Rückkehr des bereits auferweckten Sohnes zum Vater. Aus diesem exegetischen Ergebnis folgt, daß der Evangelist, wenn er die Gabe des Parakleten mit der Rückkehr Jesu zum Vater verknüpft, zwar noch im Gedächtnis hält, daß das Ereignis von Kreuz und Ostern den geistgewirkten Weg zu der von ihm entfalteten, hohen Christologie freimachte; daß er dieses Ereignis selbst jedoch bereits in der Perspektive der hohen Christologie versteht, so daß die urchristliche Ostererfahrung, daß Jesus den Kreuzestod gestorben und von diesem zum Leben auferweckt worden ist, in ihrer angestammten Form im Joh nicht mehr zu finden ist. Jesus begegnet bereits in Kana bzw. in seiner irdischen Wirksamkeit seinen Jüngern als der vom „Tod“ Auferstandene, während er am Ende seines irdischen Daseins als der Erhöhte und Verherrlichte auftritt. 5

S.o. Abschnitt 2.2.1.1. Vgl. Onuki, Gemeinde, 205 (im Original kursiv): „Der Christologie ist somit ein eigener, selbständiger Horizont beizumessen. Trotzdem gilt aber auch, daß die Christologie ihrerseits in der Lage sein muß, die historische Ostererfahrung und die darin verankerte historische Einmaligkeit der Geschichte Jesu in sich zu integrieren.“ 7 S.o. die Diskussion in Abschnitt 2.2.1.1. (Exkurs zu den Parakletsprüchen). 6

222

Zusammenfassung und Ausblick

Daß das Joh seine hermeneutische Perspektive anhand der Figur des Parakleten im Ereignis von Kreuz und Ostern verankert, heißt also nicht, daß die FQZC des vom Kreuzestod Auferstandenen die Darstellung des irdischen Lebens Jesu retrospektiv bestimmt, so daß von einer joh Kreuzestheologie gesprochen werden könnte. Nicht die FQZC des vom Kreuzestod Auferstandenen, sondern die FQZC des Verherrlichten (des FGFQZCUOGPQL) bestimmt die joh Darstellung: Wer an das vom Irdischen gesprochene und vom Parakleten erinnerte Wort glaubt, begegnet dem zurückgekehrten Sohn Gottes und erfährt in ihm eschatologische Gottesgemeinschaft. Die Begegnung mit dem Verherrlichten bleibt allerdings streng an das Wort des Irdischen zurückgebunden, wie ja auch allein aufgrund dieses Wortes erkannt wird, daß Jesu Kreuzigung seine Erhöhung und Rückkehr zum Vater bedeutet. Der Verherrlichte zeigt sich dem Glaubenden nicht losgelöst von der FQZC des Irdischen. Er wird als derjenige erkannt, den Gott aus dem „Tod“ der Gottlosigkeit zum Leben mit ihm auferweckt und zu seinem einziggeborenen Sohn berufen hat. Damit ist zum zweiten Problemkreis überzugehen, zur Frage nämlich, ob die vergeschichtlichte Eschatologie des Evangelisten auf Hoffnungsaussagen verzichtet. 4.2.2. Eschatologie Die joh Reinterpretation der urchristlichen Ostertradition geht mit der Vergeschichtlichung der Eschatologie einher. Im Ereignis der Auferweckung Jesu vom „Tod“ bricht das Eschaton in die Geschichte ein, im Ereignis seiner Erhöhung und Verherrlichung wird es zur geschichtlichen Realität, im vom Parakleten erinnerten Wort des Irdischen bleibt es ständige Gegenwart. Wer dieses Wort hört und glaubt, wird vom „Tod“ zum (wahren) Leben auferweckt und erfährt Gottes eschatologische Gemeinschaft; wer sich von diesem Wort abwendet und nicht glaubt, schließt sich im „Tod“ der Gottlosigkeit ein und vollzieht sein eigenes Gericht. Radikaler als Paulus betont der Evangelist die eschatologische Heilsgegenwart Gottes auf Erden, und es stellt sich die Frage, ob in seiner vergeschichtlichten Eschatologie noch Raum ist für die Hoffnung, daß Gott die Geschichte an ein heilsames Ziel führen wird, das die ganze Schöpfung umfaßt. 4.2.2.1. Die Prozessualisierung des Eschatons Die Vergeschichtlichung des Eschatons bedeutet seine Prozessualisierung: Christi Parusie und sein Endgericht vollziehen sich nun nicht mehr am Ende der Zeit, sondern in der Zeit. Hier und jetzt wird die gerettete Schöpfung von der gerichteten Welt getrennt, hier und jetzt werden die Glaubenden zum ewigen Leben auferweckt und ergeht über den Unglauben das Ge-

Johannes und Paulus: die Frage nach der Sachkritik

223

richt.8 Der letzte Tag wird zum ständigen Ereignis. Die vergeschichtlichte Eschatologie des Evangelisten ist somit nicht einfach eine präsentische Eschatologie, sondern es eignen ihr futurische Züge: Einerseits prozessualisiert sie die endzeitliche Trennung in Glaubende und Nicht-Glaubende, Lebende und „Tote“, so daß die Geschichte des Eschatons vor einer offenen Zukunft steht;9 andererseits bestimmt sie das Leben, zu dem Gott die Glaubenden auferweckt, als ewiges Leben, die Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn als ewige Gemeinschaft, so daß den einzelnen Glaubenden über das Ende ihres irdischen Daseins hinaus eine Zukunft verheißen ist.10 4.2.2.2. Glaube ohne Hoffnung? Die exegetischen Stimmen, die die Frage, ob das Joh eine Kreuzestheologie vertritt oder nicht, negativ beantworten und in der Folge Sachkritik am Joh üben, entdecken in der vergeschichtlichten Eschatologie des Evangelisten das entscheidende Sachproblem.11 „Wenn Jesus das Leben ist und alles in seine Hand gegeben ist, wenn der an ihn Glaubende das ewige Leben hat und Gott schaut, wenn umgekehrt der jetzt den Glauben Verweigernde gerichtet ist, dann ist die Fülle der Heilszeit in einem solchen Maße gegeben, daß sie alle andere Zeit verschlingt; dann muß die Verheißung für Israel eingelöst sein, dann muß die Welt draußen bleiben, weil sie die Erneuerung abgelehnt hat, dann ist begreiflich, daß die Begriffe ‚hoffen‘ und ‚Hoffnung‘ nicht mehr begegnen, und dann ist ebenso konsequent, daß Jesus nach dem Johannesevangelium nicht mehr wiederkommt, sondern – im Geist – bereits wiedergekommen ist.“12 Gegenüber dieser Sachkritik ist zunächst festzuhalten, daß die Vergeschichtlichung der Eschatologie keine Distanzierung von Gott und Welt bedeutet, als ob mit der Rettung der Glaubenden die Welt sich selbst überlassen würde.13 Im Gegenteil: Mit der Auferweckung der Glaubenden zum ewigen Leben errichtet Gott in der Welt seine immerwährende Präsenz; er wirft den Herrscher der Welt hinaus und errichtet sein Reich. So ereignet sich Gottes eschatologischer Friede nicht in einer fernen Zukunft, sondern in der konkreten Gegenwart der Glaubenden, nicht durch Entweltlichung im 8 Zum Problem, daß im Joh die 8,QWFCKQK fast durchwegs die Vertreter der nichtglaubenden Welt sind, s.o. Abschnitt 2.1.2. 9 Das Gericht über den Unglauben ist insofern – in bezug auf diesen prozeßhaften Aspekt, jedoch nicht in bezug auf seine existentiellen Implikationen innerhalb des Prozesses selbst – denn auch nicht letztgültig, steht doch den Nicht-Glaubenden aufgrund der Sendung der Glaubenden (20,21) Zeit ihres Daseins die Möglichkeit offen, zum Glauben und zum (wahren) Leben zu kommen. S.u. Anm. 14. 10 Vgl. diesbezüglich auch Becker, Hoffnung, 203f. 11 S.o. in Kap. 1 Abschnitt 1.2. Vgl. insb. Käsemann, Wille, 108–112; von der OstenSacken, Leistung, 173–176; Becker, Hoffnung, insb. 210f. 12 Von der Osten-Sacken, Leistung, 173. 13 Gegen Becker, Hoffnung, 210.

224

Zusammenfassung und Ausblick

Himmel, sondern durch die Präsenz des Verherrlichten im Geist auf Erden, nicht durch Weltüberwindung, sondern durch Überwindung der Weltverhaftung. Der Evangelist schränkt allerdings die eschatologische Präsenz Gottes auf Erden auf Gottes Gemeinschaft mit den Glaubenden ein. Die Hoffnung für die im Unglauben verschlossene und gerichtete Welt und die Hoffnung auf eine Neugestaltung der ganzen Schöpfung reflektiert er nicht. Dennoch schließt seine Theologie diese Hoffnung nicht aus, denn nicht nur läßt die vergeschichtlichte Eschatologie Raum dafür, daß die Welt die Präsenz des Erhöhten in der Gemeinde der Glaubenden erkennt und Nicht-Glaubende zum Glauben und zum (wahren) Leben gelangen,14 sondern sie läßt vor allem auch Raum für ein Ende bzw. Jenseits der Geschichte, das allerdings unanschaulich bleibt und sich der theologischen Reflexion entzieht. Folgerichtig läßt der Evangelist diesen Raum leer; sein Werk thematisiert allein die vom Glauben wahrgenommene Geschichte des unbedingten Liebeswillens Gottes, die in dieser Geschichte ergangene Selbstoffenbarung des Irdischen und die in ihr ergehenden Antworten des Glaubens und des Unglaubens, den eschatologischen Prozeß von Rettung und Gericht.15 Die Theologie des Joh kann aufgrund ihrer kritischen Ausrichtung das Zum-Glauben-Kommen der Menschen nicht anders beschreiben als ein Ziehen Gottes und ein Empfangen von Gnade um Gnade aus der Fülle des Einziggeborenen, während sie keine Erklärung findet, weshalb es Menschen gibt, die nicht glauben und sich von Gottes Leben spendender Gegenwart ausschließen. Sie läßt damit einerseits offen, ob Gott in seinem Liebeshandeln – jenseits der vom Glauben erkennbaren Geschichte dieses Liebeshandelns – nicht auch den Unglauben überwindet, und sie verbietet andererseits den aus Gnade Glaubenden, über diejenigen, die nicht glauben, zu urteilen und zu richten und ihnen in eigener Regie das (wahre) Leben abzusprechen. Daß der vierte Evangelist mit seiner harten antijüdischen Polemik diese Grenze selbst überschreitet,16 bleibt eine Aporie; Sachkritik ist hier in aller Schärfe geboten.

14

Die Endredaktion macht diese Hoffnung explizit (vgl. 13,35; 17,18–21). Darüber hinausgehende Themen wie das Ende dieser Geschichte, aber auch ethische Überlegungen kommen nicht in den Blick. Die Endredaktion hat diese Themen bearbeitet und ins Werk des Evangelisten eingefügt (vgl. z.B. Joh 6,39.40c.51c–58; 13,12–17; 21). 16 Zum joh Antijudaismus s.o. Abschnitt 2.1.2. 15

Literaturverzeichnis Die Abkürzungen für Kommentarreihen, Serien, Zeitschriften, Lexika und Quellenwerke richten sich nach Siegfried M. Schwertner, IATG2. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, Berlin / New York 21992. Die alphabetische Reihenfolge richtet sich nach den Namen der Autorinnen und Autoren sowie nach den in der Arbeit verwendeten Kurztiteln der Werke.

1. Quellen und Übersetzungen Das Äthiopische Henochbuch (JSHRZ V/6), hg. von S. Uhlig, Gütersloh 1984. Biblia Hebraica, ed. R. Kittel, Stuttgart 1937. Biblia Hebraica Stuttgartensia, ed. K. Elliger / W. Rudolph / H.P. Rüger, Stuttgart 4 1990. Die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas, Johannes. Die Psalmen (Zürcher Bibel, Fassung 1996), hg. vom Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich, Zürich 1996. Josephus, Flavius, De bello Judaico. Der Jüdische Krieg, Griechisch und Deutsch, Bde. I–III, hg. von O. Michel / O. Bauernfeind, Darmstadt 1959ff. Das Buch der Jubiläen (JSHRZ II/3), hg. von K. Berger, Gütersloh 1981. Die Mischna. Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung, hg. von G. Beer / D.O. Holtzmann, Gießen 1912–1967. Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus, Bd. I/2: Texte zum Johannesevangelium, hg. von U. Schnelle unter Mitarbeit von M. Labahn / M. Lang, Berlin / New York 2001 (Abk.: Neuer Wettstein I/2). Novum Testamentum Graece, post E. et E. Nestle, ed. K. Aland / B. Aland u.a., Stuttgart 271993. Philonis Alexandrini opera quae supersunt, Vol. I–VI, ed. L. Cohn / P. Wendland, Berlin 1896–1915. Septuaginta. Id est Vetus Testamentum graece iuxta LXX interpretes, ed. A. Rahlfs, 2 Bde., Stuttgart 1935. Die syrische Baruch-Apokalypse (JSHRZ V/2), hg. von A.F.J. Klijn, Gütersloh 1976.

2. Allgemeine Hilfsmittel Aland, K. (Hg.), Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament, Bde. I/1, I/2, II (ANTT IV/1/1, IV/1/2, IV/2), Berlin / New York 1978–1983.

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Stellenregister (in Auswahl) Fett gedruckte Seitenzahlen verweisen auf ausführliche Behandlung der entsprechenden Stellen, kursiv gedruckte auf Anmerkungen.

1. Altes Testament Genesis 2,2

168

Exodus 12 12,10 12,12f 12,15f 12,22 12,23 12,27 12,46 16,4 16,5 16,15 16,16 19,10f 19,16 21–23 33,13

189f 177, 189 190 189 170, 189 190 190 177, 189 101 105 101 105 69 69 190 201

Leviticus 14,4–6 14,6f 14,49–51 14,51

189 170 189 170

Numeri 6,3 9,12 19,6 19,18 21,4–9 21,8f

170 177 170, 189 170, 189 114 110

Deuteronomium 10,9 192 14,29 192 21,22f 174, 188 21,23 181, 189 2. Samuelbuch 20,1 192 1. Regum 5,13

170

2. Regum 4,42–44

102

Jesaja 3,9 6,10 53,1 57,6

201 119 119 192

Hosea 6,2

69

Jona 2,1

69

Sacharja 12,10

177f

Psalmen 6,4 6,5 22

132 131, 132 164f

239

Stellenregister 22,2f 22,8f 22,16 22,19 31,6 34,21 42,6 42,12 43,5 50,9 50,18 51,9 69,22

165 165 165 164f, 167, 177 172 177 132 132 132 170 192 189 168–170

78,24

101

Hiob 9,8

103

Ruth 2,14

170

Esther 2,22

201

Nehemia 9,15

101

2. Außerkanonische Schriften neben dem Alten Testament syrische Baruch-Apokalypse 29,8 101 äthiopisches Henochbuch 37–71 113 Jubiläenbuch 49,2–6 49,15

190 190

1. Makkabäerbuch 4,20 201

2. Makkabäerbuch 3,7 201 11,29 201 4. Makkabäerbuch 9,20 176 Weisheit Salomos 1,2 201 16,21 201 17,4 201 18,18 201

3. Neues Testament Matthäusevangelium 6,17 191 15,2 191 15,33 102 16,21 69 17,23 69 20,19 69 23,34 111 24,9 111 24,30 178 27,15–17 147 27,27–30 150 27,50 171 27,53 201

27,64 28,1

69 166

Markusevangelium 3,4 111 6,19 111 6,31f 102 6,35 102 6,37 102 6,39 102 6,43 105 6,47 105 6,48 105 7,3 191

240 8,4 8,31 9,31 10,34 14,12–26 14,32–42 14,44f 14,47 14,50 15,7 15,8 15,16–19 15,17 15,20 15,21 15,22 15,23 15,24 15,27 15,29–32 15,29–31 15,33 15,34–37 15,34 15,36f 15,36 15,37 15,40f 15,40 15,42–46 16,1 16,12 16,14

Stellenregister 102 108 108, 112 108 187 129 134 131 130 148 147 150 149 160 160 156 171 165, 173 161 159, 167 165 160 169 165 171 169, 170 171 165 166 173 166 70 70

Lukasevangelium 9,22 69 11,47–49 111 12,4f 111 12,46 192 13,4 111 13,34 111 14,27 161 18,33 69 23,4 147 23,13–18 147 23,19 148 23,32f 161 23,36f 170

23,36 23,46 24,1 24,7 24,21 24,46

169 171 166 69 69 69

Johannesevangelium 1,1 206 1,3 85, 167 1,12f 79 1,12 104 1,14 65f, 67, 75, 92 1,18 78 1,19–34 80–82, 175 1,29 187f 1,32–34 82 1,32f 172 1,33 82 1,34 67, 172 1,35–51 67, 130, 133 1,36 107, 187f 1,45f 94 1,45 68 1,46 75, 134 1,47f 67 1,49 67, 75, 134, 144 1,51 64, 66, 75 2,1–12 66–76, 167, 199, 208, 213 2,1 69–71, 201, 221 2,2 125 2,4f 71–73 2,4 107, 167 2,6 81 2,7f 73 2,9 81 2,11 119, 133, 208, 221 2,13 187, 188 2,14 138 2,14–22 107 2,17 62 2,18–22 70f 2,19 69, 107 2,21–22 107 2,21f 69 2,22 62 2,23–25 75

Stellenregister 2,23f 2,23 3,1–8 3,1f 3,2 3,3 3,4 3,5 3,8 3,10–12 3,12 3,13–21 3,13f 3,13 3,14–21 3,14 3,15 3,16 3,17f 3,18 3,22–30 3,31 4,10f 4,10 4,11 4,13f 4,14 4,29 4,34 4,39 4,41 4,48 4,50 4,53 5,6 5,7 5,8 5,12 5,16f 5,17 5,18f 5,18 5,19f 5,19 5,21

119 187 76–85 180 86 145 68, 102 79–84, 162 74 84 119 85 107 64, 78, 162, 172, 207 112–115 64, 109–111, 112, 132, 162 193 79 184 120f 175 78 175 81 74, 81 81, 170 100, 175f 63 168 119 119 73 73, 119 119 73 81 73 63 137 73 152 57, 63, 108, 111, 143, 153 73 137 70

5,22 5,24 5,25 5,27 5,36f 5,39 5,41–44 5,41 5,44 5,45 6,1–51b 6,2 6,4 6,5 6,10 6,12 6,15 6,19f 6,20 6,26 6,27 6,35 6,36 6,37 6,38 6,39f 6,39 6,41 6,42 6,44 6,44a 6,51 6,51c–58 6,53 6,59 6,60 6,62 6,64 6,66 6,69 6,70 7,1 7,5 7,6–8 7,14 7,17f 7,18 7,19f

241 115 90, 94, 184, 190 115 64, 115 168 168 194 137, 150 120, 136, 150 143 99–106 136 187 73f 73 73 132, 137 73 134 137 64 94f, 170, 208 119 99, 118, 130 73 224 130 78 63, 68, 94 117 99 78 99, 106, 166, 224 64 138 71 64, 107, 109, 207 119 71, 102, 119 116 117f 57, 108, 111 119 107 138 143 137, 194 111

242 7,19 7,21–23 7,25 7,27f 7,28 7,30 7,31 7,32 7,33f 7,33 7,34 7,37f 7,37 7,38f 7,39 7,45f 7,47–49 7,48f 7,50f 7,51 7,52 8,12 8,14 8,17 8,20 8,21–29 8,21 8,22 8,23 8,26 8,28f 8,28 8,30 8,32–41 8,37 8,40 8,42 8,43f 8,44 8,46 8,47 8,50 8,54 9,1–41 9,6 9,7

Stellenregister 108, 134, 143 143 108, 111 74 138 71, 107 119, 136 135, 137 107, 163 98, 109 134, 196 175f 170 81, 178 107, 172, 176 135 136 137 180 143 94 88, 94f, 105, 208 74, 84, 107 179 71, 107, 138 115f 107, 163, 196 108 78, 155 115 73 64, 71, 107, 112, 115f, 132, 135, 162, 183, 200 119 143 108, 111 63, 108, 111 78 120f 57, 117f, 150 119 120f 150, 194 150 88–90 73 73, 191

9,11 9,15 9,16 9,24 9,25 9,29 9,35 9,39 9,41 10,11–16 10,11 10,15 10,17f 10,23 10,25 10,28 10,33 10,38 10,42 11,1–44 11,6 11,16 11,25f 11,25 11,33 11,39 11,42 11,43f 11,43 11,45 11,47–53 11,47 11,48 11,50 11,51 11,53 11,55 11,74–53 12,1–8 12,1 12,9f 12,9 12,10f 12,10 12,11 12,12–14 12,12f 12,13

63, 191 191 63 63 98 74 64 64, 98, 120 98 194 107 107 107 138 73 130 63 73 119 94–99 73 205 89f, 94–99 208 132, 172 73 132 73 148 119 136–138, 153 63, 143 138, 158 63, 108 108 108, 111, 143 187 57 193 70, 187 137 70 136 108 119, 136 137 145 144, 148

Stellenregister 12,16 12,17 12,18 12,23f 12,23 12,27f 12,27 12,28 12,30 12,31f 12,31 12,32f 12,32 12,33 12,34 12,35 12,37–43 12,37 12,40 12,43 12,44–50 12,46 12,47f 13,1–10a 13,1–3 13,1 13,2 13,3 13,4f 13,6–10a 13,6 13,7 13,8 13,10 13,10bf 13,12–17 13,18–20 13,21 13,23–25 13,27 13,30

62, 107 70 136 107, 196 64, 71f, 117, 121, 132 107, 117, 131f 71, 121, 129 150 132 117f, 126 115, 121, 131f, 159 109, 111 104, 107, 112, 162, 193 108, 143 64, 100, 112 105 118–121, 195 75, 137 120 194 194 87, 105 115 185–195, 216 124f 71f, 107, 109, 121, 132, 167, 187, 194, 207 117 78, 98, 109, 167, 181, 207 209 187–195 131 126, 184 131, 209 191f, 209 186f 166, 185f, 191, 194, 224 186f 132, 172, 186 138 117f, 124, 129, 134, 155 127, 129

13,31–14,31 13,31–33 13,31f 13,31 13,33 13,34f 13,34 13,36–14,17 13,36–38 13,36 13,37f 13,37 14,1–11 14,2f 14,2 14,3 14,4f 14,5 14,6 14,7 14,10f 14,12f 14,18–21 14,18 14,19 14,12 14,13 14,15–26 14,15–24 14,16f 14,16 14,20 14,21 14,22 14,23f 14,23 14,25f 14,26 14,27f 14,27 14,28 14,29 14,30f 14,30 14,31

243 195–202, 209, 216 196f 64, 150, 207 121 199, 207 186, 196 194 196f 125, 139, 191 161, 207 131 131 199 196, 197f, 201, 207, 209 192, 194 117, 118, 201 207 205 121, 208 207 114 73 197–201 201 163, 196, 205, 207 109, 207 207 73 200 62, 197f, 203 167, 207 114, 176, 192, 203f, 207 207 199 201f 194, 207 167, 201 61, 63, 203, 207 202, 203 192, 205 109, 204f, 207 63, 126, 185, 191, 204, 210 126, 129f, 182, 195 117, 134f, 155, 159 135, 139, 203

244 14,32–42 15–17 15,1–17 15,1 15,13 16,2 16,5 16,7 16,11 16,16 16,28 16,33 17,1 17,2f 17,12 17,13 18,1–27 18,1–12 18,1 18,2f 18,2 18,3f 18,3 18,4–8 18,4 18,5f 18,5 18,6 18,8 18,9 18,10f 18,11 18,12 18,14 18,15–18 18,17 18,19–24 18,19–23 18,22f 18,25–28 18,25–27 18,27 18,28–19,16a 18,28

Stellenregister 131 196 186 107, 195 77, 194 108 98, 109 62, 108 159 198 108, 109 114 72 121 130 108 129–139 129–135, 181, 196 125, 127, 180, 184 155 172 134 118, 127, 137 134f, 162 124, 127, 167, 171, 182 139 155, 172 183 122, 125, 127, 130, 133, 138f, 182, 184, 190 130, 143 131–133 139, 161, 170f 137, 141 108 125, 131, 138 63 139 181f 150 125 131, 138 182 139–159, 181f, 215 127, 141f, 157, 181, 187–190, 195

18,29–19,3 18,29–32 18,29 18,30 18,31 18,32 18,33–38a 18,34 18,35f 18,35 18,36 18,37 18,38 18,38b–40 18,39 18,40 19,1–3 19,2f 19,4–16a 19,4–8 19,4 19,5 19,6 19,7f 19,7 19,8 19,9–12a 19,10f 19,11f 19,11 19,12f 19,12 19,12b–15 19,13–15 19,13 19,14 19,15

19,16 19,16a 19,16b–42

142–151 142–144 63 152f, 155, 158, 172 57, 108, 111, 141, 143, 146, 147f, 149, 152f 108, 130, 143 139f, 144–147, 149 181 158 153, 172 132, 150, 154, 162 146f 57, 142, 150 147f 146, 147f, 154f, 187 148 149–151 149–151 151–158 151–154, 162 149f 63, 149, 151, 156f 57, 108, 111, 141, 147f, 149f 146 57, 63, 108, 143, 152–154, 155f 147, 156 140, 149, 154f 108 146 142, 158, 181 147 57, 137, 147f, 152– 154 155–158 159, 171, 188 161 57, 127, 174, 187f 57, 108, 111, 137, 141, 148, 153, 157f, 161–163, 174, 181, 183 108, 172 158 159–181, 182

245

Stellenregister 19,16b–37 19,16b–18 19,17 19,18 19,19–22 19,19 19,20 19,21f 19,21 19,22 19,23f 19,23–24b 19,23 19,24 19,24c–27 19,25–27 19,25 19,26f 19,26 19,27 19,28–30 19,28f 19,28 19,29 19,30 19,31–34 19,31f 19,31 19,32–34 19,32 19,33 19,34 19,35 19,36f 19,36 19,37f 19,38–42 19,38 19,41 19,42 20 20,1 20,2–10 20,9

182 160f 156 108, 127, 174 161, 163, 171 133 108 183 174 180 169, 173f, 176–178 163–165, 167 108 168 165–167 125, 178f 127 138 167 127 167–173 177 124, 165, 167–170, 182 170, 189 108, 170–172, 176, 179 173–175, 177 180 127, 177, 187–190 164, 177f 161 108, 187, 189 175–176, 178 121, 139, 166, 173, 176, 178–180 164, 173, 176–178, 179 168, 187, 189 166 127, 180f, 182 173f 108, 127, 184 127, 157, 188 198, 202–207 166, 184 138 62, 71, 207

20,11 20,15 20,17 20,18f 20,19–29 20,19–23 20,19 20,22 20,24–29 20,25 20,26 20,30f 20,30 20,31 21 21,1 21,2–8 21,14 21,20–24 21,24

166 133 73, 204, 207 125 217 202–205, 210 130 172 202, 205–207, 210 203 202f 202 203 114, 121, 207 166, 224 70 138 70 138 179

Acta Apostolorum 9,37 191 10,40 69 16,33 191 23,15 201 23,22 201 24,1 201 25,2 201 25,15 201 Römerbrief 1,3f 4,24 5,6 5,8 6,8–10 6,16 6,21 6,23 7,10 7,13 8,11 8,13 8,18–25 8,34 10,9 14,9

83 92 108 108 108 87 87 87 87 87 92 87 219 108 92 108

246 14,15 16,20

Stellenregister 108 219

1. Korintherbrief 2,2 13 3,10–17 219 5,5 219 6,9–11 82 6,14 219 8,11 108 15,3 108 15,4 69, 92 15,20–28 219 15,50–58 219 2. Korintherbrief 1,14 219 4,10–12 87 5,10 219 5,14f 108 Galaterbrief 2,21 6,8

108 87

1. Thessalonicherbrief 1,10 92, 219

2,19 3,13 4,14–17 4,14 5,1–11 5,10 5,23f

219 219 219 108 219 108 219

1. Timotheusbrief 5,10 191 Hebräerbrief 9,24 10,22 11,14

201 191 201

2. Petrusbrief 2,22

191

1. Johannesbrief 5,6–8 179 Johannes-Apokalypse 1,7 178 20,6 192

Register der Autorinnen und Autoren Barrett, C.K. 79f, 86, 88, 100, 114, 116, 130, 134, 154, 161, 163 Bauer, W. 102, 168f Baum-Bodenbender, R. 31, 140, 147–149, 151, 153, 155, 158 Beck, B. 132 Becker, J. 13f, 17f, 25, 30, 41, 46, 47–51, 52f, 55, 57, 60, 62, 65–69, 71, 76, 79, 82, 88f, 96, 99–101, 104, 107–109, 113f, 116–119, 124, 130, 132, 135, 138–140, 143f, 146, 149, 151–153, 155, 160f, 163, 165f, 169, 174, 176–179, 185–188, 190, 192, 194, 196, 204, 219, 223 Belle, G. van 130 Bergmeier, R. 79, 82, 168 Billerbeck, P. 188 Blank, J. 79f, 87–89, 96, 100, 110, 114–117, 119–121, 127, 132, 140, 144, 146–148, 150–152, 154f, 157f, 160–163 Borgen, P. 101 Bornkamm, G. 14, 21, 24, 31, 60f Bratcher, R.G. 67 Brawley, R.L. 169 Brongers, H.A. 131 Brown, R.E. 55, 66, 68, 79, 86, 89, 100, 119, 131, 134–136, 140, 143, 147–149, 151, 154, 160f, 164, 166, 168, 170, 172, 176, 178, 180, 187 Brownson, J.V. 155 Bühler, P. 13f, 31 Bühner, J.-A. 47 Bultmann, R. 17f, 27, 41, 42–45, 46, 53, 56, 60f, 65, 71, 76, 79, 89, 95f, 103, 114, 116f, 119, 124f, 130, 132, 134, 146, 148f, 151, 154, 158, 161, 163f, 168,

179, 185f, 190, 192–194, 198, 201, 203 Collins, A.Y. 103 Culpepper, R.A. 129 Dalferth, I.U. 67 Dauer, A. 116, 129, 131, 134f, 138, 140, 151, 156, 160f, 163f, 167 Derrett, J.D.M. 131, 149 Dettwiler, A. 56, 78, 185f, 194, 196–198, 200f Diebold-Scheuermann, C. 140, 145f, 148, 150–153, 156, 158 Dietzfelbinger, Ch. 71, 79, 101, 119, 132, 135, 140, 142, 146, 149, 152, 154f, 157, 160f, 163, 171, 179f, 197, 200f, 204, 206 Dodd, C.H. 69 Droge, A.J. 131 Fabry, H.-J. 110 Ford, J.M. 146 Frey, J. 24, 28, 31, 89, 95f, 106, 110f, 114, 121, 149, 188 Giblin, Ch.H. 127, 134, 140, 146, 148, 151, 155 Grässer, E. 57 Haenchen, E. 47, 79, 95, 146, 158, 161, 163, 179 Hahn, F. 148, 151, 153f, 156, 158 Haldimann, K. 55, 57, 77, 196, 198 Hegermann, H. 14, 24 Heidland, H.W. 170 Heil, J.P. 134, 136, 151, 160, 166, 170, 172, 179 Hengel, M. 25, 148, 167–169, 173, 178 Hoffmann, P. 92 Hofius, O. 67, 77, 79, 106, 113f, 117 Hultgren, A.J. 192 Janssens de Varebeke, A. 140 Jones, L.P. 80f

248

Register der Autorinnen und Autoren

Jüngel, E. 14, 87 Kammler, H.-Ch. 89, 95, 97, 116, 203 Käsemann, E. 13f, 17f, 19–24, 27, 29–31, 38f, 49, 53, 60f, 65, 72, 107, 212, 219, 223 Kleinknecht, K.T. 186 Knöppler, Th. 14f, 17, 31, 39f, 55, 69, 71f, 109, 130, 135, 140, 149, 151, 163, 165, 169, 173, 176, 187f, 204, 206 Koehler, T. 166 Koester, C.R. 193f Kohler, H. 14, 17, 24, 28, 31, 36–38, 45, 109f, 112f, 185–187, 191–193, 204, 206 Köster, H. 25 Kraus, W. 168f Kügler, J. 167 Kuhn, H.-W. 15 Labahn, M. 88, 96 Lampe, P. 144 Lang, M. 17, 31, 41, 55, 204 Lazure, N. 185f, 191, 193 Léon-Dufour, X. 67, 80, 86, 89, 96, 114, 117, 119, 132, 135, 154, 160f, 163f, 166, 168–170, 172f, 176, 180 Lieu, J.M. 83 Lindars, B. 119, 132, 134, 151, 160f, 164, 171 Loader, W. 62 Lohse, E. 190 Lütgehetmann, W. 68f, 71f, 74–76 Luther, M. 13, 15, 211 Luz, U. 13f, 16, 219 Manns, F. 127 Maynard, A.H. 68 Menken, M.J.J. 164, 177f Merklein, H. 13f, 84, 86, 219 Metzner, R. 31, 155 Miranda, J.P. 47 Moloney, F.J. 64, 69, 71f, 79, 89, 101, 104, 114, 132, 151, 160f, 172, 179f Müller, U.B. 14f, 18, 30f, 35, 40, 46, 52f, 66, 108–110, 113, 149, 163, 173, 204 Neyrey, J.H. 139f

Ng, W.-Y. 81f Nielsen, H.K. 31 O’Day, G.R. 79f, 83, 86, 96, 99, 103f, 130, 135, 161, 163, 170 Obermann, A. 101, 119, 165, 168f, 173, 176–179 Onuki, T. 24, 45, 60–62, 71, 86, 221 Osborn, E.F. 24 Osten-Sacken, P. von der 14, 17, 30f, 57, 223 Painter, J. 88, 99, 101 Pamment, M. 80, 177 Pfister, M. 131 Pokorný, P. 24 Potterie, I. de la 140, 156, 164, 166, 168, 172, 176 Rahner, J. 17, 24, 28, 31, 40f, 45, 55, 70f Reim, G. 168f Rengstorf, K.H. 148 Richter, G. 24, 55, 79, 82, 101, 130, 134, 179, 185–187, 192 Riedl, J. 116 Riniker, Ch. 99 Rissi, M. 71f Sabbe, M. 186 Sasse, M. 64 Schenke, L. 67, 71f, 96, 100 Schlatter, A. 161 Schnackenburg, R. 67, 69, 72f, 79, 84, 89, 95f, 101, 105, 114, 116f, 119, 124, 135, 140, 142, 144, 146f, 149, 151–158, 160f, 163–166, 168–171, 174, 176, 178f Schnelle, U. 31, 66–69, 79, 86, 88, 96, 101, 119, 146, 148, 151, 154, 157, 160f, 163, 165–169, 173, 179f, 185f, 188 Scholtissek, K. 166, 197, 200 Schottroff, L. 14, 18, 25–30, 35, 64 Schuchard, B.G. 164, 178 Schulz, S. 79, 101, 116, 132, 169 Schürmann, H. 166 Schwank, B. 79, 86, 100, 114, 132 Schweizer, E. 24, 31, 176, 179 Segovia, F.F. 124, 185f, 190, 192 Senft, Ch. 24

Register der Autorinnen und Autoren Senior, D. 130, 134, 160f, 163f, 170f, 173, 176, 180 Smith, D.M. 130, 134, 163, 172, 179 Söding, Th. 13f, 79, 144, 146, 219 Stimpfle, A. 79, 82, 86, 89f, 96–98 Straub, E. 55 Theißen, G. 136, 159 Theobald, M. 66–68, 139, 165, 201, 203f Thomas, J.Ch. 191–193 Thompson, M.M. 17, 24, 31, 38f, 45, 55, 60, 63f, 67, 100, 105f, 151, 176, 179 Thüsing, W. 71f, 109, 117, 132, 149, 163, 168f, 179 Thyen, H. 28, 40, 139, 185f, 192 Trumbower, J.A. 83, 86, 98 Urban, Ch. 85 Viering, F. 19 Vollenweider, S. 92 Wahlde, U.C. von 186 Weder, H. 31, 71, 86, 99f, 110,

249

113–115 Welck, Ch. 88, 96, 100, 104f Wellhausen, J. 55 Wengst, K. 14, 17, 31–35, 38f, 45, 55, 57, 60, 64, 69, 71f, 79, 96, 104, 119, 130, 132, 135, 141, 147, 149, 151, 161, 163, 169, 179f, 185–188, 193, 204 Wikenhauser, A. 79 Wilckens, U. 31, 67, 71f, 79, 86, 89, 96, 100, 114, 117, 119, 132, 135, 151, 163, 165, 168, 171, 173f, 179f, 204 Winter, M. 185f, 194 Witherington III, B. 80 Witkamp, L.Th. 168, 170 Zahn, Th. 79, 96 Zumstein, J. 45f, 56–58, 60, 62, 65f, 69, 71f, 76, 107, 140, 146, 148f, 151, 155f, 158, 161, 163f, 166, 169f, 172, 179f, 185–188, 190, 192–194, 201f, 204 Zwickel, W. 180

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Dietrich-Alex Koch und Matthias Köckert.

202: Gerd Theißen

196: Christl Maier

Jesus als historische Gestalt

Jeremia als Lehrer der Tora

Beiträge zur Jesusforschung. Zum 60. Geburtstag von Gerd Theißen. Herausgegeben von Annette Merz. 2003. VIII, 373 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53886-3

Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches. 2002. 422 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53880-4 195: Joachim Jeska

201: Matthias Köckert / Martti Nissinen (Hg.)

Propheten in Mari, Assyrien und Israel 2003. VIII, 175 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53885-5

Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels. 2001. 336 Seiten mit 10 Abbildungen, Leinen. ISBN 3-525-53879-0

200: Ulrich Wilckens

Der Sohn Gottes und seine Gemeinde

194: Angelika Reichert

Studien zur Theologie der Johanneischen Schriften. 2002. 208 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53884-7

Der Römerbrief als Gratwanderung Eine Untersuchung zur Abfassungsproblematik. 2001. 366 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53878-2

199: Florian Voss

Das Wort vom Kreuz und die menschliche Vernunft

193: Thomas Witulski

Eine Untersuchung zur Soteriologie des 1. Korintherbriefes. 2002. 320 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53883-9

Untersuchungen zur Gemeinde von Antiochia ad Pisidiam. 2000. 260 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53877-4

198: Lena Lybaek

New and Old in Matthew 11-13 Normativity in the Development of Three Theological Themes. 2002. 269 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53882-0 197: Bernd Kuschnerus

Die Gemeinde als Brief Christi Die kommunikative Funktion der Metapher bei Paulus am Beispiel von 2Kor 2-5. 2002. 398 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53881-2

Die Adressaten des Galaterbriefes

192: Eduard Lohse

Das Neue Testament als Urkunde des Evangeliums 2000. 262 Seiten, Leinen ISBN 3-525-53876-6

Paulus-Studien Peter Arzt-Grabner

Eduard Lohse

Philemon

Der Brief an die Römer

Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament, Band 1. 2003. 309 Seiten, Leinen ISBN 3-525-51000-4

Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, Band 4. 15. Auflage (1. Auflage dieser Neubearbeitung) 2003. 423 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag ISBN 3-525-51630-4

Die Analyse außerbiblischer Papyri und Ostraka ermöglicht neue Zugänge zu den Ansichten des Paulus über Gemeindestruktur und Sklaverei sowie zu seinem Briefstil.

Neue Reihe: Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament Die papyrologischen Kommentare beziehen überwiegend Texte des Alltags (Papyri und Ostraka) in die Interpretation der Bibeltexte ein, dazu ausgewählte Texte der Literatur, einschließlich der philosophischen und sonstigen wissenschaftlichen, und Texte gesetzlichen Charakters. In Vorbereitung: Amfilochios Papathomas, Franz Winter, Ruth Kritzer und Peter Arzt-Grabner (mit einem Beitrag von Michael Ernst): 1.Korinther/ 1Corinthians Ruth Kritzer und Peter Arzt-Grabner (mit Beiträgen von Franz Winter und Amfilochios Papathomas): 2.Korinther/ 2Corinthians Roberta Mazza: Mark/ Markus Bei Subskription der Reihe erhalten Sie 10 % Ermäßigung.

In den letzten Jahrzehnten hat die internationale und interkonfessionelle Diskussion über den Römerbrief des Apostels Paulus in beeindruckender Weise an Breite und Tiefe gewonnen und sich der Horizont religionswissenschaftlicher Erörterung weit gespannt. Diesen Veränderungen, die die gelehrte Forschung bestimmen, sucht dieser Kommentar ebenso Rechnung zu tragen wie der Aufforderung an einen wissenschaftlichen Kommentar, sich nicht nur für die Förderung theologischer Wissenschaft, sondern auch für den Gebrauch durch die Pfarrerund Lehrerschaft als nützlich zu erweisen. Diese Auslegung des Römerbriefs achtet besonders auch die jüdischen Voraussetzungen, die das Denken des Apostels Paulus bestimmen, und sucht herauszuarbeiten, was der Apostel den Christen in Rom zu sagen hatte – mit ihnen aber zugleich den Christen aller Zeiten, und damit auch uns.