Kriminalprävention und »Neues Polizeirecht«: Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft. Vorträge und Berichte in der Speyerer Werkstatt zur inneren Sicherheit über »Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft« an der DHV 2001 [1 ed.] 9783428507566, 9783428107568

In der gegenwärtigen Debatte um die Staats- und Verwaltungsmodernisierung wird das Gemeinwesen noch sehr unscharf als »G

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Kriminalprävention und »Neues Polizeirecht«: Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft. Vorträge und Berichte in der Speyerer Werkstatt zur inneren Sicherheit über »Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft« an der DHV 2001 [1 ed.]
 9783428507566, 9783428107568

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Kriminalprävention und

~~Neues

Polizeirecht"

Schriftenreihe der Hochschule Speyer Band 148

Kriminalprävention und ,,Neues Polizeirecht" Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft Vorträge und Berichte in der Speyerer Werkstatt zur inneren Sicherheit über "Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft'' an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 2001

Herausgegeben von

Rainer Pitschas

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kriminalprävention und ••Neues Polizeirecht" : Zum Strukturwandel des Verwaltungsrechts in der Risikogesellschaft ; Vorträge und Berichte in der Speyerer Werkstatt zur inneren Sicherheit über "Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft" an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer 2001 I Hrsg.: Rainer Pitschas.- Berlin: Duncker und Humblot, 2002 (Schriftenreihe der Hochschule Speyer ; Bd. 148) ISBN 3-428-10756-X

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0561-6271 ISBN 3-428-10756-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ......................................................................................................................... II

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention Von Rainer Pitschas, Speyer .................................................................................. 13

Erster Teil Entwicklungslinien der Kriminalprävention Kriminalprävention als staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe Von Walter Zuber, Mainz ..................................................................................... 25

Die Justiz als Partner polizeilicher Kriminalprävention Diskussion zu dem Referat von Walter Zuber/Ernst Theilen Bericht von Stefanie Gille, Speyer ........................................................................ 35

Das "Deutsche Forum für Kriminalprävention" als zentrale Institution der Präventionskooperation Von Andreas Kossiski, Köln ................................................................................. 45

Funktions- und Aufgabenlegitimation des Deutschen Forums? Diskussion zu dem Referat von Andreas Kossiski Bericht von Stefanie Gille, Speyer ....................................................................... : 63

2

Inhaltsverzeichnis

Zweiter Teil Kommunale Kriminalprävention Lokale Sicherheitspolitik durch kommunale Kriminalprävention Von Rainer Prätorius, Harnburg .......................................................................... 73

Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft - Kommunale Kriminalprävention durch Behördenkooperation und gesellschaftliche Eigenverantwortung in der Bürgerkommune am Beispiel der Stadt Ludwigshafen Von Wilhelm Zeiser, Ludwigshafen ...................................................................... 89

Kommunale Kriminalprävention unter Budgets im Spannungsfeld zwischen Aufgaben- und Kompetenzkonflikten Diskussion zu den Referaten von Rainer Prätorius und Wilhelm Zeiser Bericht von Alexandra Müller, Mannheim ......................................................... I 03

Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Kriminalprävention Von Udo Behrendes, Lohmar ............................................................................. 109

Rechtliche Rahmenbedingungen ftir kriminalpräventive Polizeiarbeit Diskussion zu dem Referat von Udo Sehrendes Bericht von Burkhard Margies, Speyer ...................................................... ........ !53

Weiterbildung in der Kriminalprävention-KonzeptionelleGrundlegungen Von Rainer Schulte, Münster ................................................................................ 157

Kriminalitätsprävention als Bildungsangebot und Ausbildungsauftrag Diskussion zu dem Referat von Rainer Schulte Bericht von Christian Koch, Speyer .................... ........................ .................. ..... 169

Inhaltsverzeichnis

3

Dritter Teil Privatwirtschaft und Kriminalprävention Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit Von Klaus Stüllenberg, Münster ......................................................................... 177

"Security Management" in der Wirtschaft am Beispiel eines global tätigen Unternehmens Von Michael Sorge, Leverkusen .... .. .. .. .. .. ............ .... .. .. .. .. .. .. ................ ............... 191

Der Beitrag des Sicherheitsgewerbes in Präventionsgremien Von RolfStober, Harnburg ................................................................................. 203

Beteiligung privater Sicherheitsdienste an nachhaltiger Kriminalprävention: Öffentlich-private Sicherheitspartnerschaften zwischen Gesetzesvorbehalt und Staatsmodemisierung Diskussion zu den Referaten von Klaus Stüllenberg, Michael Sorge und Ralf Stober Bericht von Florine La Roche-Thome, Speyer .................................................... 229

Vierter Teil Rechtliche Ordnung der Prävention Polizeirecht im kooperativen Staat. Der Schutz innerer Sicherheit zwischen Gefahrenabwehr und kriminalpräventiver Risikovorsorge Von Rainer Pitschas, Speyer .............................................................................. 241

Verzeichnis der Referenten und Autoren .................................................................. 269

Abkürzungsverzeichnis a.a.O.

am angegebenen Ort

Abi. EG

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft

a.D.

außer Dienst

AG

Aktiengesellschaft, Arbeitsgemeinschaft

AK

Arbeitskreis

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

ASW

Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft

Aufl.

Auflage

Az.

Aktenzeichen

AZT

Aktenzeichen/Tagebuch-Nr.

Bd.

Band

BDGW

Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste e.V.

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BDWS

Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V.

BewHi

Bewährungshilfe (Zeitschrift)

bes.

besonders

Beschl.

Beschluß

BewachVO

Bewachungsverordnung

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBI.

Bundesgesetzblatt

BGS

Bundesgrenzschutz

BKA

Bundeskriminalamt

6

Abkürzungsverzeichnis

BMI

Bundesministerium des Innem

BSG

Bahnschutz- und Servicegesellschaft

BT

Bundestag

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundsverfassungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

CDU

Christlich-Demokratische Union

CP

Community Policing

ders.

derselbe

DFK

Deutsches Forum flir Kriminalprävention

d.h.

das heißt

dies.

dieselbe(n)

DIN

Deutsches Institut flir Normung

DM

Deutsche Mark

DÖV

Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift)

Drs.

Drucksache

DSD

Der Sicherheitsdienst

DV

Datenverarbeitung

DVBI.

Deutsches Verwaltungsblatt

DVS

Deutsche Stiftung für Verbrechensbekämpfung und Straffälligenhilfe

ebd.

ebendie, ebenda

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EPA

European Police Academy

etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EUV

Vertrag über die Europäische Union

Abkürzungsverzeichnis e.V.

eingetragener Verein

f., ff.

folgend, fortfolgend

Fn.

Fußnote

FORSI

Forschungsstelle Sicherheitsgewerbe

FS

Festschrift

GdP

Gewerkschaft der Polizei

geb.

gebunden

GewO

Gewerbeordnung

ggf.

gegebenenfalls

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GO

Gemeindeordnung

GVNRW

Gesetz- und Verordnungsblatt NordrheinWestfalen

HessGO

Hessische Gemeindeordnung

H(rs)g.

Herausgeber

i.d.F.

in der Fassung

i.d.S.

in diesem Sinne

IHK

Industrie- und Handelkammer

IK

Information und Kommunikation

ILS

Institut für Landesplanung und Stadtentwicklung

IMK

Innenministerkonferenz

i.S.d.

im Sinne der/des

i.V.m.

in Verbindung mit

Jg.

Jahrgang

JR

Juristische Rundschau

KJ

Kritische Justiz (Zeitschrift)

km

Kilometer

KOM

Kommission (Europäische)

Krim. Journal

Kriminologisches Journal (Zeitschrift)

LKA

Landeskriminalamt

7

8

Abkürzungsverzeichnis

Ltd.

leitender, leitende

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

mbH

mit beschränkter Haftung

MEPA

Mitteleuropäische Polizeiakademie

MEPoiG

Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder

Mio.

Millionen

Mrd.

Milliarden

m. w. Nachw.

mit weiteren Nachweisen

NGO

Nichtregierungsorganisation

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

N(R)W

Nordrhein-Westfalen

NUR

Natur und Recht (Zeitschrift)

NVwZ

Neue Zeitschrift ftir Verwaltungsrecht

NWVBI.

Nordrhein-westfalische Verwaltungsblätter

o.a.

oben angegeben

OBGNW

Ordnungsbehördengesetz NordrheinWestfalen

ÖPNV

Öffentlicher Personennahverkehr

o.g.

oben genannt

o.J.

ohne Jahrgang

OLG

Oberlandesgericht

o.O.

ohne Ort

OVG

Oberverwaltungsgericht

PDV

Polizeidienstvorschrift

PFA

Polizeiftihrungsakademie

PFI

Polizeifortbildungsinstitut

POG

Polizeiorganisationsgesetz

PoiGNW

Polizeigesetz des Landes NordrheinWestfalen

Abkürzungsverzeichnis Rdnr(n).

Randnurnrner(n)

Rz.

Randziffer

Seite, siehe SDÜ

Schengener Durchführungsabkommen

sog.

sogenannt

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozeßordnung

StVG

Straßenverkehrsgesetz

u.a.

unter anderem

u.a.m.

und andere(s) mehr

UPR

Umwelt- und Planungsrecht (Zeitschrift)

usw.

und so weiter

u.U.

unter Umständen

V.

von, vom

VBIBW

Verwaltungsblätter Baden-W ürttemberg (Zeitschrift)

VerwArch

Verwaltungsarchiv

vgl.

vergleiche

VR

Verwaltungsrundschau (Zeitschrift)

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

z.B.

zum Beispiel

ZEUS

Zeitschrift für europäische Studien

Ziff.

Ziffer

ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

z.T.

zum Teil

z.Zt.

zur Zeit

9

Vorwort Die Teilhabe der Polizei an der Krirninalprävention, die mehr und mehr einen dritten Pfeiler der iimeren Sicherheit darstellt, und deren funktionaler Verbund mit dem inzwischen weitgespannten Netzwerk von Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften haben erhebliche strukturelle Anpassungsbedarfe des deutschen Polizeirechts zur Folge. Dabei geht es nicht nur darum, die immer stärker ausgreifende polizeiliche Vorfeldarbeit als eine "dritte Aufgabenkategorie" neben der Gefahrenabwehr und der repressiven Verbrechensbekämpfung zu erkennen und in den Polizeigesetzen der Länder auszudifferenzieren. Vielmehr und darüber hinaus ist aufgegeben, die polizeiliche Tätigkeit als Handeln kooperativer Leistungsverwaltung einzuordnen sowie die verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Grundlagen dieser Entwicklung auszuzeichnen. In der Folge dessen entsteht das Gerüst eines künftigen Sicherheitskooperations- und polizeilichen Präventionsrechts. Seine Umrisse, Gehalte und Handlungsformen verweisen letztlich darauf, dass es bei der polizeilichen Kriminalprävention um die Bewältigung des Risikos "Sicherheit" in einem übergreifenden Sinn geht, die das "Neue Polizeirecht" in einen engen Zusammenhang mit dem Risikoverwaltungsrecht rückt. Es versteht sich von selbst, dass entsprechende Überlegungen auch und in weitem Ausmaß die Erfahrungen der Präventionspraxis zu Rate ziehen müssen und einer verwaltungs- wie sozialwissenschaftliehen Grundlegung bedürfen. Der hier vorgelegte Tagungsband trägt dem Rechnung. Die in ihm abgedruckten Beiträge gehen auf die interdisziplinäre "Speyerer Präventionswerkstatt" zurück, die Ende März 2001 unter der Leitung des Herausgebers stattfand. Erörtert findet sich die Kriminalprävention als staatlicher und gesamtgesellschaftliche Aufgabe; berichtet wird von Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, von institutionellen Arrangements der Präventionskooperation, über die Bedingungen lokaler Sicherheitspolitik und den Beitrag des Sicherheitsgewerbes zur Prävention. Daneben werden die Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Kriminalprävention reflektiert. Damit sind die Voraussetzungen für den abschließenden Versuch geschaffen, Polizeirecht im kooperativen Staat und als Risikoverwaltungsrecht zu reformulieren. Der Landesregierung Rheinland-Pfalz ist herzlich ftir die Unterstützung der Veranstaltung zu danken. Dem Sicherheitsunternehmen "Securitas" schulde ich ebenfalls Dank für die finanzielle Förderung. An der Hochschule selbst haben mir bei der Vorbereitung und Durchführung der Konferenz Frau M.A. Gabi Gerhardt sowie meine Assistentin Frau Ass. iur. Stefanie Gille intensiv zur Sei-

Vorwort

12

te gestanden. Die letztere hat auch das Manuskript des Tagungsbandes betreut und sich diese Aufgabe mit meiner Sekretärin, Frau Michaela Busch, geteilt. Ihnen allen danke ich sehr herzlich für die große Mühe, die sie mit der "Werkstatt" hatten. Speyer, im Juli 2001

Rainer Pitschas

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention Von Rainer Pitschas

I. Kriminalprävention als "dritter Pfeiler" der inneren Sicherheit

1. Sicherheitsvorsorge durch Kriminalprävention Über die Notwendigkeit, die Kriminalprävention auf der primären und sekundären Ebene auszubauen, bestehen heute keine Zweifel mehr. Dementsprechend nehmen die Bemühungen zu, Prävention neben der repressiven Strafverfolgung und der Abwehr konkreter Gefahren als den dritten Pfeiler der inneren Sicherheit auszugestalten. Dies geschieht zum einen auf der sog. tertiären Ebene der Verbrechensbekämpfung. Auf ihr wird delinquentes Verhalten bzw. Kriminalität im Zeitpunkt des Auftretens angegangen. Hierbei spielen das Strafrecht und die Strafverfolgungsvorsorge 1 eine dominante Rolle . Freilich drängt sich seit jeher die Frage auf, wie geeignet das (deutsche) Strafrecht als Präventionsinstrument überhaupt ist. Zahlreiche empirische Untersuchungen belehren uns inzwischen darüber, dass kein eindeutig feststellbarer Kausalzusammenhang zwischen verhängter Strafe, Strafmaß und Abschreckungswirkung besteht. 2 So könnte sich auch Kriminalitätsverhinderung durch Videographie3 insoweit als Illusion erweisen. Insgesamt bestehen nur wenig Zweifel daran, dass jedenfalls fiir die Verbrechensbekämpfung der tertiäre Präventionssektor lediglich einen schmalen Beitrag leistet. Es liegt deshalb nahe, früher - und zwar auf einer sekundären Ebene der Kriminalprävention - anzusetzen und bereits auf den potentiellen Täter zur Verhütung etwaiger Straftaten einzuwirken, etwa durch Beeinflussung der Tat1 Hierzu näher M. Albers, Die Determination polizeilicher Tätigkeit in den Bereichen der Straftatenverhütung und der Verfolgungsvorsorge, 2001, S.ll8 ff. , 183 ff., 203 ff., 261 ff. 2 Siehe etwa H. J Schneider, Bedrohung durch Kriminalität, Jura 1996, 574 ff., 586; H.- D. Schwind, Kriminologie, 10. Aufl. 2000, § 4 Rdnm. 42 ff., 47 f.; § 8 Rdnm. 2 ff. 3 Albers (Fn. 1), S. 142 f.; A. Geiger, Verfassungsfragen zur polizeilichen Anwendung der Video-Überwachungstechno1ogie bei der Straftatbekämpfung, 1994, passim; R. Pitschas, Das Informationsverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, Die Verwaltung Bd.33 (2000), S. 111 ff., 128 ff.; J. Vahle, Vorsicht, Kamera!, NVwZ 2001, 165 ff.

2 Pitschas

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Rainer Pitschas

bedingungen oder durch Veränderung der Tatgelegenheitsstrukturen. Richtigerweise dient z. B. die Videoüberwachung diesem Zweck. Darüber hinaus wird das hier zugrundegelegte mehrdimensionale Modell der Kriminalitätsprävention dahingehend verstanden, auf der primären Ebene delinquentes Verhalten "an den Wurzeln" anzugreifen, weil es (auch) aus individuell nicht beherrschbaren Umwelteinflüssen wie etwa Erziehungsdefiziten, Sozialisationsschwächen oder auch sozio-strukturellen Mängellagen in der Gesellschaft resultiert.4 Mag auch in der polizeilichen und sonstigen Präventionspraxis nur bedingt mit solchen oder anderen wissenschaftlichen Klassifizierungen gearbeitet werden - man strebt eher nach einer täterbezogenen, situationsorientierten oder strukturellen Vorsorge für die Verfolgung von Straftaten5 - , so offenbart die hier skizzierte stufenweise Differenzierung doch einen erheblichen Eigenwert für die Präventionspolitik Er beruht auf den Kernmerkmalen, die sich mit der voraufgegangenen Kategorialisierung von Präventionsebenen verbinden. Erkennbar wird einerseits die Bedeutung der Verhinderung bzw. Verhütung von Delinquenz; im Vordergrund steht der ex-ante-Charakter von Prävention. Zum anderen soll die Begehung weiterer Straftaten in der Zukunft unterbunden werden. So gesehen, trägt Prävention neben der repressiven Strafverfolgung und der Abwehr konkreter Gefahren heute durch Sicherheitsvorsorge maßgeblich zur Realstruktur der Gewährleistung innerer Sicherheit in Deutschland und in der Europäischen Union (EU) bei.6 Dem entspricht, dass Kriminalprävention eine breite Maßnahmenvielfalt aufweist. Sie umfasst beispielsweise simple technische Vorbeugungseinrichtungen wie die Installierung einer Straßenbeleuchtung, doch tritt sie auch als ein komplexes Maßnahmenbündel auf, so etwa als Stadterneuerungsprogramm im Rahmen des Zusammenhanges von Städtebau und Kriminalitäf. Die erkennbaren großen Entwicklungsspielräume für Präventionsmaßnahmen hängen dabei nicht zuletzt vom Innovationsverständnis und der Kreativität ihrer Schöp4 Zu dem oben im Text verwendeten mehrdimensionalen Modell der Kriminalprävention vgl. E. Kube, Kriminalprävention, in: M. Kniesel/E. Kube/M. Murck (Hrsg.), Handbuch für Führungskräfte der Polizei-Wissenschaft und Praxis, 1996, S. 603 ff. 5 Siehe z. B. H. Ostendorf, Rechtliche Grundlagen und kriminalpolitische Aspekte der Kriminalprävention in Deutschland, in: FS flir G. Grünwald, 1999, S. 419 ff.,; H. J Schneider, Neue Wege der Kriminalitätskontrolle, Universitas 1999, S. 819 ff., 823 ff. 6 Dazu umfassend H. Kury, Kriminalitätskontrolle durch gegenseitige Ergänzung von Prävention und Repression, in: R. Stober/R. Pitschas (Hrsg.), Vergesellschaftung polizeilicher Sicherheitsvorsorge und gewerbliche Kriminalprävention, 200 I, S. 57 ff.; zur Kriminalprävention in der EU siehe m. zahlr. Nachw. R. Pitschas, Kriminalprävention und Polizeirecht Von der polizeilichen Gefahrenabwehr zum kooperativen Leistungshandeln für Sicherheitsvorsorge, ebd., S. I ff., 12 ff., 16 ff. , 23 ff. 7 DetailliertE. Kube, Kriminalprävention und Stadtplanung, VerwArch 91 (2000), S. 280 ff.

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention

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fer ab. Unter dem Aspekt ihrer Wirksamkeit ist Prävention aber in erster Linie auf der primären Ebene gefragt: Die beste Kriminalpolitik ist die Sozialpolitik. Dariiber hinaus müssen im Rahmen der Auseinandersetzung mit einzelnen Präventionsmaßnahmenauch die jeweils bestehenden bzw. fehlenden institutionellen Fundamente hierfür beriicksichtigt werden. 8 2. Formenwandel polizeilicher Kriminalprävention

Bei alledem ist die Rolle der Polizei zunehmend und heftig umstritten. Manche meinen sogar, ihr käme heute im Präventionszusammenhang keine steuernde Funktion mehr zu. Diese Auffassung verkennt freilich die herrschende Rechtslage und die Realität, ohne dass ich der bekannten "Strategie einer Präventionspolizei" das Wort reden wollte. Doch noch immer obliegen der Polizei in Deutschland die legale und faktische Hauptverantwortung für wirksames Handeln auf der zweiten und dritten Ebene der Kriminalprävention in Gestalt ihrer repressiven Aufgabenwahrnehmung einerseits, der Befugnisse zur sog. "Vorfeldtätigkeit" durch vorbeugende Verbrechensbekämpfung mittels Straftatenverhütung und Verfolgungsvorsorge, also Sicherheitsvorsorge andererseits. 9 Gerade in diesen letztgenannten Feldern der Sicherheitsvorsorge entfalten allerdings mehr und mehr nichtpolizeiliche Akteure reichhaltige und fruchtbare Aktivitäten. 10 Dementsprechend ist der beginnende Paradigmawandel in der Kriminalprävention nicht mehr zu übersehen: Mit der wachsenden Erkenntnis, dass polizeiliche Präventionsmaßnahmen nicht mehr ausreichen, um Straftaten zu verhüten und Kriminalitätsprobleme zu lösen, sowie angesichts jahrelanger positiver Erfahrungen mit alternativen Präventionskonzepten in westlichen Staaten sowie - damit eng zusammenhängend - mit der zunehmenden Verlagerung von Präventionsmaßnahmen in den Verantwortungsbereich der Kommunen vollzieht sich in der Praxis wie in der wissenschaftlichen Diskussion ein Standpunktwechsel zur Trägerschaft präventiver Kriminalpolitik Die ganzheitliche Pragmatik der Prävention durch Sicherheitsvorsorge verdrängt den ehedem polizeilichen Quasi-Monopolanspruch. An seine Stelle tritt der Primat einer gesamtgesellschaftlichen Prävention.

8 R. Northoff, in: Ders. (Hrsg.), Handbuch der Kriminalprävention, 1997, Ziff. 1.3.3, Rdnm. 13 ff. 9 Zu Diskussion und Terminologie siehe nur F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Auflage 2000, Rdnm. 15, 71 f., 75 m. Anm. 8 a, b; zum Zitat im Text ("Strategie... ") vgl. m. w. Nachw. Geiger (Fn. 3), S. 50. 10 Dazu vielfältiges Material in R. Pitschas!R. Stober (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken, 2000; dies. (Hrsg.), Kriminalprävention durch Sicherheitspartnerschaften, 2000.

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Rainer Pitschas

Man mag dies als "Entpolizeilichung" oder "Vergesellschaftung" der Kriminalprävention kennzeichnen. Entsprechende Tendenzen sind jedenfalls nicht zu übersehen. Allerdings spielt die Polizei auch in einem solchen "gesamtgesellschaftlichen Ansatz" weiterhin eine zentrale Rolle. Denn sie wirkt nunmehr und zukünftig mit einem breiten Kreis von Akteuren sowohl aus dem öffentlichen Sektor (insbesondere mit den kommunalen Bau-, Familien-, Jugend-, Sozial-, Gesundheits- und Umweltbehörden 11 ) als auch aus dem nicht-öffentlichen Sektor, z. B. Bürgervereinen, Forschungsinstituten, caritativen Verbänden, privaten Sicherheitsdiensten u. a. m. mit dem Ziel zusammen, eine spezifische Sicherheitskooperation aufzunehmen.12 Daneben tritt ein auffalliger Formenwandel der polizeilichen Präventionsanstrengungen. Sie offenbaren sich einerseits als aktivierende Straftatenverhütung - so wenn Bürger den Besuch von Polizisten erhalten, die ihnen Hinweise und Ratschläge zur Sicherung der Wohnung geben und darum bitten, bei Beobachtung von Verdächtigen sofort die Polizei anzurufen. Auf der anderen Seite erscheint es im Gefolge des "BrokdorfUrteils" des BVerfG konsequent, wenn Polizisten nunmehr als ,,Konfliktmanager" bei Großdemonstrationen mit einer speziellen Schulung zur Verhinderung der Eskalation von Gewalt auftreten, also gleichsam im Wege polizeilicher Mediation handeln. 13 3. Kriminalprävention auf der Europäischen Ebene

Auch auf europäischer Ebene wird seit einiger Zeit dem Problernzusammenhang von Kriminalität und öffentlicher Sicherheit ein hoher Stellenwert beigemessen. Art.61 lit.a EGV 14 sieht zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vor, dass der Rat einzelne Maßnahmen zur Verhütung spezifischer Kriminalität erlässt. In diesem Sinne fördern bereits derzeit das Gemeinschaftsrecht und in dessen Anwendung die Europäische Kommission die Prävention als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsgrundsatzes wird institutionell die Einrichtung eines europäischen Netzwerkes der Kriminalprävention angestrebt. 15

11 Vgl. nur H. Frommer, Kommunale Kriminalprävention in Nümberg, in: R. Stober/R. Pitschas (Fn. 6), S. 145 ff, 156 ff. 12 Dazu auch F. -L. Knemeyer (Hrsg.), Innere Sicherheit in der Gemeinde. Kommunale Kriminalprävention, 1999. 13 BVerfGE 69, 315 (355). 14 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) vom 07.02.1992 i.d.F. vom 02.10.1997 (BGBI. 1998 II, S. 387, 465). 15 P. Krevert, Modelle der Kriminalprävention in europäischen Ländern, Vortrag am 12.06.200 I in der Polizei-Führungsakademie in Münster, S.l2.

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention

17

Als weiterer Akteur in diesem Feld der Kriminalpolitik auf europäischerEbene meldet sich schließlich der Europarat zu Wort, der für den Abschluss grenzüberschreitender Präventionsabkommen-auch mit den Beitrittsstaatenplädiert. Wie die Kommission, weist er zudem den Gemeinden und Regionen eine Schlüsselrolle für die Kriminalitätsverhütung zu. Die Vergesellschaftung der Kriminalprävention schreitet sonach auch im europäischen Rahmen voran. Dazu gehört, dass der Ausschuss der Regionen zum Thema "Kriminalität und Sicherheit in den Städten" unlängst darauf hingewiesen hat, dass Verbrechensbekämpfung nicht nur als Aufgabe der Polizei angesehen werden dürfe, sondern als gesamtgesellschaftlicher Auftrag zu betrachten sei. Als wichtige Partner der Polizei kämen dabei Sozialbehörden, Schulen, Untemehmervereinigungen, Anwohner, Hilfsorganisationen usw. in Betracht. Zur Verbesserung der Verbrechensverhütung und zur Erhöhung der allgemeinen Sicherheit sollten überdies "lokale Sicherheitskontrakte" zwischen der Polizei, der Justiz, den Schulbehörden, den Organisationen und den gewählten Mandatsträgem eines Gebietes geschlossen werden. Als weiteres Beispiel werden "Gesprächskreise" genannt, an denen sich Vertreter der lokalen Polizei und der örtlichen Bevölkerung beteiligen. 16

II. Verantwortungspartnerschaft der Zivilgesellschaft für Kriminalprävention In diesen nationalen und supranationalen Veränderungstendenzen gegenüber der Rolle der Polizei bei der Kriminalprävention offenbart sich der Übergang vom vormundschaftlichen Sicherheitsstaat in die wachsende Selbstverantwortung der Zivilgesellschaft für innere Sicherheit. 17 Dem liegt die Logik zugrunde, dass eine höhere Wirkung der Kriminalprävention nur erzielt werden kann, wenn Erfahrungen, Expertise, Information und Ressourcen diverser gesellschaftlicher Akteure gebündelt und intentional zum Einsatz gebracht werden. Ausschließlich polizeiliche Maßnahmen und solche der Behördenkoordination und -kooperation können diesen Effekt nicht erreichen. Es bedarf vielmehr für die Prävention unter Wirkungsgesichtspunkten der Einrichtung eines Netzwerkes staatlicher, kommunaler, privater und solcher Akteure, die aus dem sog. Dritten Sektor kommen. 18 Nachw. im einzelnen bei H. Risch, Die deutsche Polizei und Europa, 1997, S. 33 f. R. Pitschas, Verantwortungsteilung in der inneren Sicherheit?, in: G. F. Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, 1999, S. 135 ff. 18 Hier liegt der Bezug zur Diskussion um sog. "Sicherheitsnetzwerke", vgl. G. Härte/, Die Bildung von Sicherheitsnetzen in Unterfranken, in: F.- L. Knemeyer (Hrsg.), Innere Sicherheit in der Gemeinde, 1999; siehe ferner die Beiträge in R. Pitschas/R. Stober (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken, 2000. 16

17

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Rainer Pitschas

In einem derartigen "gesamtgesellschaftlichen Ansatz" spiegeln sich allf!illige Veränderungen in der Rolle der Polizei bei der Krirninalprävention: Ebensowenig, wie die Gesellschaft künftig ein Sicherheitsmonopol des Staates akzeptiert und statt dessen mit diesem bzw. den Polizeibehörden vielfaltige Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften begründet - unter Einbeziehung der gewerblichen Sicherheitswirtschaft19 - , will sie zukünftig die Steuerungsdominanz polizeilicher Kriminalprävention anerkennen. 20 1. Institutionelle Arrangements: Das Deutsche Forumfür Kriminalprävention

Sichtbarer Ausdruck dessen ist die Institutionalisierung des bundesstaatlich inspirierten "Deutschen Forums für Kriminalprävention" in der Rechtsform einer Stiftung, nicht aber als staatliche Behörde bzw. in Vereinsform. Denn die "Stiftung" entspricht heute als institutionelle Form der anhaltenden RückÜbertragung von Verantwortung auf die Gesellschaft zur Eigensteuerung auch bei der Sicherheitsvorsorge. 21 Die Errichtung des Forums ist freilich nicht unumstritten. Einige Bundesländer und Teile der Wissenschaft sehen in seiner Institutionalisierung auf zentraler (Bundes-)Ebene eine massive Einflussnahme auf die Länderkompetenzen für die lokale Sicherheitspolitik einerseits, eine ungeeignete Organisationsform im Hinblick auf die zuvor berichteten Präventionsinitiativen der Europäischen Union andererseits. 22 2. Lokale Sicherheitspolitik und kommunale Kriminalprävention

Die skizzierten Veränderungstendenzen präventiver Kriminalpolitik fmden ihren Ausdruck vor allem in der kommunalen Sicherheitspolitik Gerade in den Städten und Gemeinden rücken Fragen der Sicherheit und Ordnung immer mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. 23 Hierbei spielt die reale Krimi-

19 R. W. Ottens, Die Rolle der Privaten Sicherheitsdienste in Sicherheitsnetzwerkendeutsche und europäische Aspekte, in: R. Pitschas!R. Stober (Hrsg.), Kriminalprävention durch Sicherheitspartnerschaften, 2000, S. 93 ff. 20 Vgl. nur Ostendorf(Fn. 5), S. 423 : Die Polizei dürfe nicht "als eine allgemeine Präventionsbehörde definiert werden". 21 Siehe auch die im Jahr 1993 gegründete "Deutsche Stiftung für Verbrechensbekämpfung und Straffälligenhilfe". 22 Näher noch Pitschas (Fn. 6), S. 6 f. , 26 f. 23 G. Witte, Möglichkeiten zur Verbesserung der Sicherheit in den Städten aus Sicht des Deutschen Städtetages, in: R. Pitschas!R. Stober (Hrsg.), Staat und Wirtschaft in Sicherheitsnetzwerken, 2000, S. 17 ff.

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention

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nalitätsbelastung und insbesondere die Delinquenz von Kindem und Jugendlichen eine wesentliche Rolle; nicht zu leugnen ist auch das von den Kommunalbürgern ("Bürgerkommune") in wachsendem Maße als bedrohlich empfundene Störpotential bestimmter "Szenen". Dementsprechend richten sich die Anstrengungen der Gemeinde und Städte vornehmlich darauf, sowohl im Rahmen der eigenen Zuständigkeiten als auch gemeinsam mit anderen Akteuren und durchaus auch mit der Polizei in kriminalpräventiven Räten und Ordnungspartnerschaften unliebsame Entwicklungen abzustellen bzw. ihnen vorzubeugen. Kommunale Kriminalprävention dürfte das Gebot der Stunde sein. 24

3. Beiträge der Wirtschaft zur Kriminalprävention Im Zeichen zunehmender Kriminalitätsbelastung durch internationale Kriminalität stellt sich die Gretchenfrage, wie es die Wirtschaft mit ihrem künftigen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention zu halten gedenkt. Eine verbindliche Antwort hierauf hat nicht nur das Sicherheitsgewerbe zu geben, sondern es sind alle für die innere Sicherheit in der Gesellschaft verantwortlichen Wirtschaftssektoren einzubeziehen - von den für die Kraftfahrzeugsicherheit engagierten Unternehmen und Verbänden bis hin zum Versicherungsgewerbe und den raumbedeutsamen Wirtschaftskonzemen. Im Mittelpunkt der insoweit nachgefragten Beiträge für eine erfolgreiche Kriminalpolitik einschließlich der Gewaltbekämpfung steht vor allem das Investment in Prävention. Vor allem das Sicherheitsgewerbe darf sich vor dem damit verbundenen finanziellen Engagement nicht scheuen. Freilich sollen und müssen dabei private SicherheitsdienstleisteT der Eigenlogik ihres Einsatzes folgen und der Gewinnorientierung ihres Produktangebotes Raum geben. Sie dürfen erwarten, aus ihren Dienstleistungen wie alle Wirtschaftsanbieter eine ordentliche Rendite erzielen zu können. So stößt heute die Frage auf besonderes Interesse, welchen Beitrag das Sicherheitsgewerbe unter eben dieser Voraussetzung für die Kriminalprävention im öffentlichen Raum zu erbringen imstande ist. 25 Zu kurz griffe freilich die Antwort, i. S. einer Bündelung aller sicherheitsrelevanten Kräfte komme schon der bloßen Tätigkeit privater Sicherheitsdienstleister im öffentlichen Raum, z. B. durch Verhinderung von Ladendiebstählen oder durch die Tätigkeit von Sicherheitsstreifen, ein kriminalpräventiver Effekt zu.

24 F.-L. Knemeyer, "Kommunale Kriminalprävention" - richtiger: kommunale Sicherheitsvorsorge-, in: Ders. (Fn. 12), S. 13 ff., 24 ff. 25 Siehe hierzu aus der Sicht des Gewerbes W. Waschulewski, Beiträge des Sicherheitsgewerbes im Rahmen der Kriminalprävention, in: R. Stober!R. Pitschas (Fn. 6), S. 187 ff.

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Rainer Pitschas

111. Rechtliche lnstitutionalisierung der Prävention als Sicherheitskonzept 1. Erkenntnisinteressen der" Werkstatt"

Vor diesem Hintergrund verfolgte das hier dokumentierte Werkstattgespräch ein differenziertes Erkenntnisinteresse. Im Vordergrund stand zunächst die Reflektion der gesamtgesellschaftlichen Verankerung von Kriminalprävention und ihrer Entwicklungslinien. Hierzu galt es, die einzelnen Präventionsanstrengungen typologisch auszuloten und sodann die Koordinationsfunktion des "Deutschen Forums fiir Kriminalprävention" als der künftig zentralen Institution Deutschlands fiir die Erreichung von Präventionssynergien darzustellen. Einen zweiten Themenkreis der Präventionswerkstatt bildete der Versuch, lokale Sicherheitspolitik durch kommunale Kriminalprävention zu analysieren. Für das Land Rheinland-Pfalz ist insofern die kommunale Sicherheits- und Ordnungspartnerschaft in Ludwigshafen beispielhaft. Der Blick hierauf lässt die Frage reifen, wie sich konkret die Aufgaben der Polizei in einem solchen Kontext darstellen. Antworten dazu schließen notwendig Überlegungen zur Weiterbildung in der Kriminalprävention ein. Folgerichtig wurde die These einer Prüfung unterzogen, dass Kriminalprävention fiir die damit befassten staatlichen und gesellschaftlichen Instanzen einen organisationsfähigen Lernprozess darstelle, der vor allem ständiger Weiterbildung Raum geben müsse. Es mag dem genius loci zuzuschreiben sein, dass sich die Polizei zum Exempel hierfiir ausgewählt sah. Im dritten Teil der Werkstatt rückte die Teilhabe der Wirtschaft an der Kriminalprävention in das Zentrum der Überlegungen. Hierbei bedurfte es zuvorderst praxisnaher Durchdringung des Gegenstandes, um etwa das "SecurityManagement" in der Wirtschaft näher zu beschreiben. Ein spezieller Sektor der Wirtschaft stand in Bezug auf Kriminalprävention mit dem Auftrag des Sicherheitsgewerbes in lokalen bzw. Länder-Präventionsgremien zur Diskussion. 2. Prävention als rechtsförmiges Sicherheitskonzept

In den im folgenden abgedruckten Ausruhrungen deutet sich ein gewisser Werkstattcharakter des gemeinsamen Bemühens um die vorgenannten Themenfelder an: Zwar ging es auch um die Optimierung der Prävention in ihrer gesamtgesellschaftlichen Ausgestaltung und Differenzierung. Doch reichte das Thema in seinen noch klärungsbedürftigen Verzweigungen weiter. Es umfasste ebenso die Frage nach dem künftigen institutionellen und kommunikativen Muster der Prävention, wie die nach deren Steuerungsbedarf, der Rolle der Polizei im Netzwerk der Akteure sowie ihrer Kooperation mit diesen. Vor allem aber stellt sich im demokratischen Rechtsstaat die Frage nach der Legitimität

Öffentliche Sicherheit durch Kriminalprävention

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von Kriminalprävention als Sicherheitsvorsorge und in zivilgesellschaftlicher Verantwortungspartnerschaft.26 Mit alledem verbinden sich Nachfragen zur Zukunft des Polizeirechts. Dessen Entwicklung scheint gegenwärtig einem Paradigmenwechsel unterworfen zu sein. Dieser liegt in der Perspektivenverschiebung weg von der Polizei als rechtsstaatlich zu begrenzender Aktivität und hin zur Polizei als Garant der Krirninalitätsverhütung. 27 Überdies beginnt sich das Polizeirecht allmählich aus dem allgemeinen Ordnungs- und Gefahrenabwehrrecht auszudifferenzieren. 28 Ich meine allerdings, dabei ändern sich polizeiliche Tätigkeiten und Polizeirecht im kooperativen Staat so grundlegend, dass dessen Dogmatik in weiten Teilen neu entwickelt werden müsste. 29 Darüber im Zusammenhang der vorweg geschöpften Präventionserkenntnisse nachzudenken, war das eigentliche Anliegen dieser Werkstatt. Und kraft der in ihrem Verlauf erlangten Einblicke in die soziale Wirklichkeit der Prävention konnte sie tatsächlich einige Grundlagen daflir liefern, künftig noch präziser die neuen Strukturen und Elemente des Polizeirechts in ihrer Eigenständigkeit zu erfassen und in den zu berücksichtigenden Bezügen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung zu erarbeiten. Von den dabei neu auftretenden Herausforderungen an das Polizeimanagemenf0 sollte dann allerdings flir diesmal nicht mehr die Rede sein.

26 Siehe auch Ostendorf (Fn. 5), der an den Erlass eines spezifischen "Präventionsrechts" denkt (S 429 f.). 27 C. Gusy , Polizeirecht, 4. Aufl 2000, Rdnr. 187. 28 Vgl. auch F.-L. Knemeyer (Fn. 9), Rdnr. 15. 29 Dafür plädiert auch Albers (Fn. I), bes. S. 203 ff., 347 ff.; zuvor bereits R. Pitschas, Auf dem Wege zu einem "neuen" Polizeirecht, Kriminalistik 1999, 153 ff. 30 Die Rede ist von einem "interkulturellen Präventionsmanagement", vgl. nur R. Pitschas, Netzwerke der europäischen inneren Sicherheit, in: R. Pitschas!R. Stober (Hrsg.), Kriminalprävention durch Sicherheitspartnerschaften, 2000, S. I ff., 34 ff.

Erster Teil Entwicklungslinien der Kriminalprävention

Kriminalprävention als staatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe Von Walter Zuber Ich bedanke mich für die Einladung und die freundliche Begrüßung zu dieser Fachtagung der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften und freue mich sehr, Ihnen heute hier über unsere in Rheinland-Pfalz gemachten Erfahrungen mit der Kriminalprävention auf kommunaler Ebene berichten zu können. Innere Sicherheit wird seit einigen Jahren richtigerweise zunehmend als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden und von einem Ansatz bestimmt, der auf Partnerschaft zwischen Polizei und Gesellschaft setzt. Seit meinem Amtsantritt im Jahre 1991 habe ich deshalb die Partnerschaft zwischen der Polizei, den kommunalen Institutionen, der örtlichen Wirtschaft sowie den Bürgerinnen und Bürgern zum zentralen Bestandteil meiner Sicherheitspolitik gemacht. Unser Ziel ist die Kriminalprävention im kommunalen Umfeld und die jüngst vorgelegten Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem vergangenen Jahr bestätigen die Richtigkeit dieser Strategie. Demnach zählt Rheinland-Pfalz im Vergleich aller sechzehn Bundesländer zu einem der sichersten überhaupt. Nach wie vor liegt unsere Kriminalitätshäufigkeit unter dem Bundesdurchschnitt, mit unserer Aufklärungsquote liegen wir bundesweit auf Rang 3. Im Jahr 2000 konnte die Polizei 58,9 % der registrierten Straftaten aufklären, das entspricht einer Steigerung um 2 Prozentpunkte gegenüber dem ohnehin schon sehr erfreulichen Ergebnis aus dem Vorjahr. Doch diese Erfolge fielen uns nicht einfach in den Schoß, sondern sind vielmehr das Ergebnis einer nunmehr zehnjährigen konsequenten Sicherheitspolitik, die zwei Ziele verfolgt: Erstens den Auf- und Ausbau von Sicherheitspartnerschaften auf kommunaler Ebene, um die Sicherheitsarbeit auf eine breitere Basis zu stellen. Denn trotz der positiven sicherheitspolitischen Daten in unserem Land ist die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden, in der Bevölkerung weit verbreitet. Hier unterscheidet sich also das subjektive Sicherheitsempfmden von der objektiven Sicherheitslage. Zweitens legen wir großen Wert darauf, unsere Polizei den sich ständig wandelnden und wachsenden Anforderungen anzupassen.

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Die Durchflihrung längst fälliger Strukturreformen und eine verbesserte technische Ausstattung haben unsere Polizei in die Lage versetzt, ihren Auftrag besser als je zuvor wahrnehmen zu können. Bürgernahe Polizeiarbeit, die Steigerung der polizeilichen Präsenz, der Einsatz modernster Informations- und Kommunikationstechniken, die qualifizierte Nutzung kriminaltechnischer und kriminalwissenschaftlicher Erkenntnisse sowie die Anwendung neuer Ermittlungsmethoden sind in Rheinland-Pfalzheute Standard. Eine gute Ausbildung und modernste Ausrüstung flir unsere Polizistinnen und Polizisten sind allein jedoch sicherlich keine Garanten flir eine drastische Verminderung von Straftaten oder für eine deutlich höhere Aufklärungsquote. Deshalb haben wir in Rheinland-Pfalz frühzeitig mit dem Aufbau kriminalpräventiver Gremien begonnen. Kern dieser Idee ist es, dass Polizei und örtlich zuständige Organisationen unter Führung der Kommunen mit den Bürgerinnen und Bürgern ein gemeinsames Netzwerk bilden, um die Ursachen von Angst und Kriminalität zu analysieren und möglichst rasch zu beseitigen. Dadurch kann nicht nur die örtliche Kriminalität verringert werden, sondern auch das individuelle Sicherheitsgeflihl gestärkt sowie der Gemeinsinn und die Verantwortung füreinander innerhalb einer Kommune entwickelt werden. Kriminalprävention auf kommunaler Ebene bringt öffentliche und private Institutionen und Initiativen, Polizei und Justiz, die Wirtschaft sowie engagierte Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Sicherheitspartnerschaften da zusammen, wo die Probleme entstehen und die Kompetenz zu ihrer Lösung vorhanden ist. Denn die Ursachen von Kriminalität müssen dort bekämpft werden, wo sie entstehen, begünstigt oder gefordert werden. Tatsache ist, dass rund 70 % der ermittelten Tatverdächtigen die Straftaten in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld, in ihrer Heimatgemeinde oder innerhalb der Grenzen ihres Landkreises begehen. Ein Großteil der Kriminalität hat seine Ursachen also in örtlichen Gegebenheiten und kann deshalb auch örtlich am wirksamsten bekämpft werden. Wer beispielsweise Jugendlichen Freizeit- oder Beschäftigungsangebote macht, wer das Vereinsleben fordert, wer sich um die Belange älterer Menschen kümmert, wer flir eine menschengerechte Stadtentwicklung sorgt, der unternimmt gleichzeitig etwas gegen die Entstehung von Kriminalität. Mit diesen und vielen weiteren Aufgaben beschäftigen sich die Mitglieder in den mittlerweile 70 kriminalpräventiven Gremien unseres Landes. Diese stattliche Zahl beweist, dass immer mehr Menschen von diesem Sicherheitskonzept der Zukunft überzeugt sind. Sie finden sich bereit, aktiv an der Sicherheit in ihrer Kommune mitzuwirken und leisten damit einen wirksa-

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men Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld. Diese positive Zwischenbilanz ist das Ergebnis langjähriger und intensiver Überzeugungsarbeit, da die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung und für ein Engagement zur Verbesserung der Inneren Sicherheit nicht von oben herab verordnet werden kann. Die Menschen müssen durch Information und Aufklärung überzeugt und aktiviert werden. Deshalb hat die rheinland-pfälzische Polizei in der Anfangsphase in unzähligen Besprechungen und Veranstaltungen mit kommunalen Verantwortungsträgern, Organisationen und den Bürgerinnen und Bürgern unermüdlich und sehr beharrlich für die Idee der Sicherheitspartnerschaft auf kommunaler Ebene geworben. Sie aber wissen genauso gut wie ich, dass nichts so schwer zu ändern ist wie Einstellungen, Denkmuster und Gewohnheiten, die teilweise über Jahrzehnte geprägt wurden. Vielleicht hat es deshalb fast drei Jahre gedauert, bis 1994 endlich das erste kriminalpräventive Gremium auf kommunaler Ebene seine Arbeit aufnehmen konnte. Aus einem Gesprächskreis aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Stadt Ludwigshafen und des Polizeipräsidiums Rheinpfalz entwickelte sich der Rat für Kriminalitätsverhütung in Ludwigshafen, der erste seines Zeichens in Rheinland-Pfalz. In der Folgezeit kamen weitere Gremien dieser Art hinzu und die Anzahl der kriminalpräventiven Initiativen in unserem Land wuchs stetig. Ebenso zeigten die zahlreichen Anfragen von kommunalen Verantwortungsträgern, Organisationen sowie von Bürgerinnen und Bürgern, dass es gelungen war, das Interesse an dieser Idee zu wecken. Nun war die Zeit reif, dieses bestehende Interesse durch weitere gezielte Maßnahmen zu fördern und Schritte in die Wege zu leiten, um die Aktivitäten der bestehenden Gremien miteinander zu vernetzen. Auf Beschluss des Ministerrates wurde deshalb 1997 bei meinem Ministerium die "Leitstelle Kriminalprävention" eingerichtet, um das erklärte Ziel der Landesregierung, den Auf- und Ausbau eines flächendeckenden Netzes kriminalpräventiver Gremien weiter voranzutreiben. In einem ersten wichtigen Arbeitsschritt hat die "Leitstelle Kriminalprävention" den Status quo der kommunalen Kriminalprävention in Rheinland-Pfalz erfasst und alle Verbandsgemeinden, Städte und Kreisverwaltungen zu ihren bisherigen kriminalpräventiven Aktivitäten und künftigen Absichten befragt. Im Ergebnis war festzustellen, dass es zu diesem Zeitpunkt insgesamt 19 kriminalpräventive Gremien auf kommunaler Ebene in Rheinland-Pfalz gab. Gleichzeitig hat die Umfrage das erfreulich hohe Interesse und den Informati-

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ansbedarf der Kommunen an und über die Kriminalprävention eindrucksvoll verdeutlicht. Auf dieser Arbeitsgrundlage haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Leitstelle zahlreiche Beratungs- und Informationsveranstaltungen durchgefiihrt sowie die Gremien und interessierten Kommunen mit Informationen und Unterlagen zu verschiedenen Themenschwerpunkten, wie z. B. Jugendkriminalität, Kriminalität zum Nachteil älterer Menschen oder Graffiti versorgt. Bei all diesen Veranstaltungen hat die Leitstelle auch die Erfahrungen der Pioniere in der kommunalen Kriminalprävention wie beispielsweise Ludwigshafen, Trier und Worms weitergegeben und viele immer wiederkehrende Fragen beantwortet: Wer kann sich einbringen? Was sind denkbare Arbeitsfelder? Was kosten die Projekte und wie sind sie zu finanzieren? Die Antworten darauf sind in den von der Leitstelle erarbeiteten und von meinem Haus herausgegebenen "Leitfaden fiir Kriminalprävention" eingeflossen. Damit enthält der Leitfaden wertvolle Hinweise zum Aufbau, zur Organisation und zu möglichen Arbeitsfeldern kriminalpräventiver Gremien. Dieses Dokument ist im übrigen auch im Internet unter "www.polizei.rlp.de " abrufbar. Im Dezember 1997 hat die Leitstelle eine Arbeitstagung zum Thema "Erste Erfahrungen zur kommunalen Kriminalprävention in Rheinland-Pfalz" veranstaltet. Wegen der überaus positiven Resonanz habe ich veranlasst, diese Arbeitstagung zu institutionalisieren und als Landespräventionstag jährlich zu einem wechselnden Schwerpunktthema fortzuftihren. 1998 befasste sich der erste Landespräventionstag beispielsweise mit der "Jugendkriminalität". 1999, im internationalen Jahr der Senioren, war die ,,Sicherheit im Alter" zentrales Thema. Im vergangenen Jahr ging es um die "Integration der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler", der diesjährige Landespräventionstag im September in Trier wird sich mit dem Thema "Frauen als Gewaltopfer" auseinandersetzen. Neben der reinen Vermittlung von Wissen und Informationen durch Fachvorträge, Workshops und Diskussionsrunden erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Landespräventionstage durch den sogenannten "Markt der Möglichkeiten" auch wichtige Anreg\lngen fiir ihre praxisorientierte Arbeit vor Ort, indem dort Präventionsinitiativen ihre themenspezifischen Projekte präsentieren.

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Darüber hinaus hat die Leitstelle 1999 für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kriminalpräventiven Gremien einen eintägigen Erfahrungsaustausch organisiert und damit die Möglichkeit geschaffen, sich über aktuelle Entwicklungen und Projekte, aber auch über die Schwierigkeiten und Probleme der verschiedenen Gremien auszutauschen. Dieser so notwendige Erfahrungsaustausch wird auch in diesem Jahr weiter fortgesetzt: Im Frühsommer werden die Verantwortlichen der kriminalpräventiven Gremien zu einer Tagung eingeladen, die sich mit der Konzeption, Durchführung und Evaluation regionaler Präventionsprojekte beschäftigen wird. Bei dieser von der Leitstelle, dem rheinland-pfalzischen Städtetag und dem Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e. V. durchgeführten Tagung geht es vorrangig darum, persönliche Kontakte zu knüpfen und so den Erfahrungsaustausch zwischen den Gremien zu beschleunigen und ihre Vemetzung zu fOrdern. Lassen Sie mich das an einem Beispiel aus der Praxis näher erläutern. Bei der ersten Arbeitstagung haben die Vertreterinnen und Vertreter der Gremien beklagt, dass die Medien ihre Berichterstattung vorwiegend auf spektakuläre Kriminalfalle konzentrieren, während kriminalpräventive Aktivitäten - wenn überhaupt - eher auf den hinteren Seiten zu finden sind. Die Gremien allerdings haben zu Recht größtes Interesse an der Veröffentlichung ihrer Aktivitäten bzw. sind sogar darauf angewiesen, um den Bürgerinnen und Bürgern zu signalisieren, dass es möglich ist, gegen Kriminalität vorbeugend tätig zu werden. Die "Leitstelle Kriminalprävention" hat dieses Problemfeld aufgegriffen und im vergangenen Jahr die Fachtagung "Kriminalitätsdarstellung in den Medienhat die Kriminalprävention in der Berichterstattung eine Chance?" ausgerichtet. In Diskussionsrunden und Workshops haben Vertreterinnen und Vertreter von Justiz, Polizei, kriminalpräventiven Gremien und den Medien gemeinsam erörtert, welche Möglichkeiten bestehen, das Interesse der Medien an kriminalpräventiven Aktivitäten zu fordern. Die Ergebnisse dieser Fachtagung samt konkreten Hinweisen für eine werbewirksame Öffentlichkeitsarbeit wurden in einer Dokumentation zusammengefasst, die über die Leitstelle zu beziehen ist. Erfreulich groß war auch die Resonanz auf eine weitere Fachtagung im zurückliegenden Jahr, die sich mit den Ursachen und Handlungsmöglichkeiten beim Thema Rechtsextremismus beschäftigt hat. Dabei wurde auch das Projekt "Kommunale Bündnisse gegen Rechts" vorgestellt, an welchem sich bislang etwa 45 kommunale Gebietskörperschaften beteiligt haben. Neben allgemeinen Informationen über den Rechtsextremismus werden dabei auch im Rahmen von Workshops lokale Präventionskonzepte gegen die Gewalt von rechts erarbeitet. 3 Pitschas

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Dieses Projekt "Kommunale Bündnisse gegen Rechts" wird durch ein sozialpädagogisches Forschungsinstitut begleitet und evaluiert, weil wir genauer wissen wollen, ob und warum eine Präventionsmaßnahme erfolgreich war oder eben nicht. Das ist im übrigen das erste Projekt seiner Art in Rheinland-Pfalz, das von einem außenstehenden Institut bewertet wird. Broschüren, Fachtagungen, Landespräventionstage und Informationsveranstaltungen sind unverzichtbar, um den Gedanken- und Informationsaustausch zwischen den kriminalpräventiven Gremien zu fördern und der Gremienarbeit neue Impulse zu vermitteln. Um darüber hinaus die Vernetzung der Gremienarbeit weiter voranzutreiben, hat die Leitstelle ein weiteres wichtiges Projekt in Angriff genommen und die internetfähige Datenbank "Kriminalprävention" aufgebaut. In dieser Datenbank wurden in einem ersten Schritt die Adressen und Ansprechpartner aller kriminalpräventiven Gremien erfasst. In einem zweiten Schritt werden derzeit die jeweiligen Projekte der kriminalpräventiven Räte landesweit dokumentiert. Nach Freigabe der Datenbank können Interessierte im Internet jederzeit feststellen, ob und welche Gremien oder auch andere Institutionen sich mit bestimmten Präventionsthemen wie beispielsweise Jugendkriminalität befassen und welche Projekte sie durchgeführt haben. Die Datenbank bietet somit die Möglichkeit, den Wissenstransfer zwischen den verschiedenen Gremien, Institutionen und den interessierten Bürgerinnen und Bürgern zu erleichtern und die Zusammenarbeit weiter zu fördern. Kommunale Kriminalprävention bietet den Menschen die Chance, aktiv an der Sicherheit in ihrer Gemeinde mitzuwirken. Die kriminalpräventiven Gremien in Rheinland-Pfalzhaben diese Herausforderung angenommen und ganz unterschiedliche Projekte zur Steigerung der Sicherheit in ihrer Gemeinde entwickelt. So hat sich beispielweise die Arbeitsgruppe "Sozialintegrativer Lebensraum" des Rates für Kriminalprävention der Stadt Ludwigshafen zum Ziel gesetzt, die Integration junger ausländischer Mitbürgerinnen und Mitbürger zu fördern. In der Arbeitsgruppe haben deutsche und nichtdeutsehe Mitbürgerinnen und Mitbürger Projekte wie "Multi-Kulti-Discos" und die Aktion "Go-on-move" entwickelt und organisiert, um türkische, griechische, albanische und deutsche Jugendliche bei gemeinsamen Aktivitäten in den Jugendeinrichtungen der Stadt zusammenzuführen und dadurch das gegenseitige Verständnis und die Akzeptanz zu stärken. Die Projektarbeitsgruppe "Gewaltprävention in der Schule" des kriminalpräventiven Gremiums in Ludwigshafen erarbeitete ein Aktionsprogramm mit

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dem Titel "Schule gewaltig kreativ", mit dem eine Stärkung der eigenen Persönlichkeit und der sozialen Kompetenz erreicht werden soll. Die einzelnen Bausteine dieses Projekts sollen junge Menschen befähigen und dazu ermutigen, ihre Konflikte ohne Gewalt zu lösen. Der kriminalpräventive Rat der Stadt Koblenz hat sich aktiv an der Neugestaltung des Bahnhofsvorplatzes beteiligt, um die Sicherheit im künftigen Bahnhofshereich zu erhöhen. Die Projektgruppe "Saubere und sichere Stadt" hat einen Maßnahmenkatalog gegen Farbschmierereien und illegale Graffiti in der Stadt Koblenz vorgelegt, der konkrete Handlungsstrategien benennt. In anderen Städten und Verbandsgemeinden wie Pirmasens und Westerburg werden Freizeitprogramme wie "Basketball um Mitternacht", "Sport statt Disco" oder Skatertage angeboten, um ausländischen und deutschen Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, auf spielerische Weise miteinander in Kontakt zu treten und sich besser kennenzulemen. Der kriminalpräventive Rat der Stadt Kaiserslautem hat in Zusammenarbeit mit dem Einzelhandelsverband Rheinhessen-Pfalz und der Werbegemeinschaft "Kaiser in Lautem" eine Informationsbroschüre herausgegeben, die helfen soll, Ladendiebstahl wirksam vorzubeugen. Der Arbeitskreis "Gewalt von und gegen Kinder und Jugendliche" des kriminalpräventiven Rates der Stadt Trier hat das Thema "Gewalt an Schulen" aufgegriffen und unter wissenschaftlicher Begleitung der Universität Trier an den Schulen der Stadt eine Fragebogenaktion durchgefiihrt, die Aufschluss über die Gewalt an Trierer Schulen geben soll. Die Auswertungsergebnisse wurden den Schulen zur VerfUgung gestellt und ermöglichen den Schulleitungen und Lehrkräften, sich ein genaueres Bild über das Phänomen "Gewalt" an ihrer Schule zu machen und dadurch spezifische Ansatzpunkte fiir die Gewaltprävention zu erhalten. Gleichzeitig hat das Gremium in enger Kooperation mit den Verantwortlichen der Schulen und der Polizei ,,Antigewalt- und Deeskalationstrainings" in den Schulen durchgefiihrt. Ähnliche Trainings fiihren die kriminalpräventiven Räte auch in anderen Gemeinden durch. Einige Schulen des Landes sind ferner dazu übergegangen, in enger Zusammenarbeit mit Polizei und kriminalpräventiven Räten, ihre Schülerinnen und Schüler zu Streitschlichterinnen und Streitschlichtem auszubilden. Ziel dieser Ausbildung ist es, gewaltfreie Konfliktlösungsmöglichkeiten zu erlernen und in konkreten Situationen anzuwenden. Diese beispielhaft ausgewählten Projekte zeigen, mit welchem Ideenreichtum die kriminalpräventiven Räte in Rheinland-Pfalz an der Sicherheit in ihrer Kommune mitwirken.

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Sie zeigen aber auch: wenn Ordnungsamt, Jugendamt, Sozialamt, Polizei, Justiz, Schulen, Kirchen, Vereine und die Bürgerinnen und Bürger als Sicherheitspartner vor Ort eng zusammenarbeiten, dann ist es möglich, örtliche Problemfälle schnell zu erkennen und geeignete Lösungen zu erarbeiten. Diese Vemetzung aller relevanten Partner vor Ort ist die wahre Stärke der kommunalen Kriminalprävention. Diese erfolgreiche Arbeit gilt es nun weiter zu fordern und nicht nur lokal, sondern auch landesweit miteinander zu vernetzen. Deshalb habe ich im vergangenen August den Landespräventionsrat ins Leben gerufen, der die kriminalpräventiven Aktivitäten auf Landesebene ressort- und themenübergreifend koordiniert, ohne die Autonomie der kommunalen Räte dabei einzuschränken. Der Vorstand dieses Landespräventionsrates setzt sich aus 9 Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Gruppierungen und Organisationen zusammen, die den interdisziplinären und gesamtgesellschaftlichen Ansatz unseres Verständnisses von Kriminalprävention widerspiegeln. Den Vorsitz hat die Sozialdezernentin der Stadt Mainz übernommen, die gemeinsam mit ihrem Stellvertreter, dem Vertreter der Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände, die Geschicke des Rates erfolgreich lenken wird. Vorrangige Aufgabe des Vorstands wird es sein, ein landesweites Forum zu etablieren, in dem Rheinland-Pfalz spezifische Fragen zur Kriminal- und Sozialpolitik erörtern kann. Aus diesem Diskurs sollen konkrete Ideen und Projekte erwachsen, wie Kriminalität künftig besser verhindert werden kann. Die in meinem Ministerium ansässige Leitstelle "Krirninalprävention" dient dafür zugleich als Geschäftsstelle des Landespräventionsrates. Sie arbeitet der Vorsitzenden und dem Vorstand zu, wirkt als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und dem neuen Rat und koordiniert die Arbeit des Plenums, das sich aus zahlreichen auf Landesebene tätigen kriminalpräventiven Institutionen, Vereinigungen und Behörden zusammensetzt. Die Liste der Plenumsmitglieder weist derzeit 65 Organisationen auf, darunter z. B. auch einen Vertreter des Bundesverbandes deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V. Diese Liste erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern kann jederzeit um weitere Mitglieder ergänzt werden. In seiner ersten Vollversammlung hat der Landespräventionsrat drei Arbeitsschwerpunkte festgelegt, mit denen er sich in der nächsten Zeit beschäftigen wird: mit dem Thema "Gewalt" unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsextremismus, mit dem Thema "Jugend", vor allem unter dem Aspekt der Integration von Fremden und Spätaussiedlern sowie mit dem Thema "Sichere und lebenswerte Kommune".

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Mit dem Landespräventionsrat und seinen Arbeitsgruppen wird das Netz der Kriminalprävention in Rheinland-Pfalz eine stabile Mitte erhalten, das positiv auf die einzelnen Bestandteile des Geflechts wirken wird. Die einzelnen Gremien des Landespräventionsrates werden die Aufgabe haben, das Engagement aufeinander abzustimmen sowie die Aufgaben und Verantwortlichkeiten so zu teilen, dass möglichst hohe Synergieeffekte entstehen und genutzt werden können. Denn welche gewaltigen Möglichkeiten und Chancen die landesweite Koordination kriminalpräventiver Aktivitäten zu einem bestimmten Thema bietet, hat die sehr erfolgreiche Aktion "Wer nichts tut, macht mit." aus dem letzten Jahr gezeigt. Ziel dieser Kampagne war es, für mehr Zivilcourage unter der Bevölkerung zu werben. Zivilcourage, die nötig ist, um von Gewalt oder Unglücksfällen betroffenen Menschen zu helfen, mindestens aber um Hilfe herbei zu holen und sich im Nachhinein als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Mit provokanten Texten wurde auf Großflächenplakaten, auf Plakaten im öffentlichen Personennahverkehr sowie in Einzelhandelsgeschäften, in Kinowerbespots und auf Scheckkarten über das Verhalten in solch einer Situation informiert und damit die Bevölkerung zum Nachdenken angeregt. Die überwältigende und ausschließlich positive Resonanz der Menschen hat gezeigt, dass wir mit dieser Kampagne voll ins "Schwarze" getroffen haben. Überdies habe ich im Zusammenhang mit dieser Aktion einen Preis für Zivilcourage gestiftet, der dem Nichtssehen, Nichtshören und Nichtsreden entgegenwirken soll. Natürlich wird die Kampagne nur dann dauerhafte Wirkung erzielen, wenn die Sicherheitspartner Polizei und kriminalpräventive Gremien dieses gesellschaftlich wichtige Thema weiterhin konsequent aufbereiten. In diesem Jahr sind die Mittelzentren aufgerufen, diese Aktion für mehr Zivilcourage von März bis Oktober in ihrem Zuständigkeitsbereich durchzuflihren. Eine Aktualisierung und Wiederholung der Kampagne in den fünf Oberzentren unseres Landes ist für das Jahr 2002 vorgesehen. Sie sehen, wir bleiben bei diesem Thema weiter "am Ball". Selbstverständlich werden die Inhalte der Kampagne auch im Rahmen der ständigen Präventionsarbeit der rheinland-pfälzischen Polizei fortgeführt, zumal das Anliegen dieser Aktion keinem "Verfallsdatum" unterliegt. Möglich geworden ist der große Erfolg der Kampagne und der Kriminalprävention auf kommunaler Ebene insgesamt vor allem durch die Tatsache, dass alle Beteiligten von der herausragenden Bedeutung dieses Themas überzeugt waren und sich in beispielhafter Weise dafür ehrenamtlich engagiert haben.

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Diese Menschen haben erkannt, dass die kommunale Kriminalprävention den Städten und Gemeinden die einzigartige Chance bietet, durch die Verbesserung der Sicherheitslage die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger sowie die eigene Standortqualität entscheidend zu beeinflussen - für interessierte Unternehmen, Kunden und Touristen ist dies längst zu einem wichtigen Entscheidungskriterium bei der Ortswahl geworden. Deshalb kann ich nur alle ermuntern, kommunale Kriminalprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu verstehen und so engagiert an der Sicherheit und Attraktivität ihrer Kommune mitzuarbeiten, wie dies in mittlerweile 70 Städten und Gemeinden unseres Landes geschieht. In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen, verehrtes Fachpublikum, noch eine interessante Tagung mit hoffentlich zahlreichen neuen Amegungen.

Die Justiz als Partner polizeilicher Kriminalprävention Diskussion zu dem Referat von Walter Zuber I Ernst Theilen' Leitung: Rainer Pitschas

Bericht von Stefanie Gille Den Einstieg in die Diskussion lieferte Stober mit dem Hinweis, dass Theilen eine breite Palette entworfen habe und ihn im Rahmen seiner eigenen Forschungstätigkeit vor allem interessieren würde, wie viele kriminalpräventive Gremien es heute aktuell gäbe. 1997 habe man in Rheinland-Pfalz 19 gezählt und dann die Zählung aufgehört. Im übrigen würde er gerne wissen, in wie vielen Gremien das private Sicherheitsgewerbe eingebunden sei. Dies sei eben von Bedeutung, da man differenzieren müsse zwischen der Wirtschaft, die mit Eigensicherungsaufgaben betraut sei einerseits und dem Dienstleister fur die Wirtschaft, dem Sicherheitsgewerbe, andererseits. Ergänzend weise er darauf hin, dass das Institut, an dem er arbeite, auch in letzter Zeit Umfragen erhoben habe, man allerdings aus dem Innenministerium Rheinland-Pfalz als einzigem Bundesland bis jetzt- trotz intensiven "Nachbohrens" -keine Antwort erhalten habe, wie es konkret mit den kriminalpräventiven Gremien im Land aussehe. Für ihn zählten diese Fakten zu den Möglichkeiten, durch die Werkstatt zu lernen und weitere Informationen zu sammeln, zumal Rheinland-Pfalz selbst ja offensichtlich von einer führenden Stellung innerhalb der Kriminalprävention ausgehe. Theilen wies darauf hin, dass man in Bezug auf die Stellungen der einzelnen Bundesländer bei der Kriminalprävention die Diskussionen aus der Gremien der Innenministerkonferenz gewohnt sei. In der Innenministerkonferenz habe man im Gegensatz zu den anderen Fachministerkonferenzen das (außerordentlich gute) Prinzip der Einstimmigkeit, was bedeuten würde, dass man sich zum Schluss immer einigen müsse. Bezüglich der Zahl der Gremien lägen ihm im Moment auch keine aktuellen Daten vor, diese könne man aber bei Helmut Liesenfeld als Leiter der Leitstelle Kriminalprävention im Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz erfragen. Man habe auch nicht vor, Informationen aus dem Bereich - auch was das private Sicherheitsgewerbe an-

* Herr Dr. Theilen hat das Referat für den erkrankten Staatsminister Zuber gehalten und die spätere Diskussion geführt.

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ginge - zurückzuhalten. Zwar handele es sich bei der Beteiligung des privaten Sicherheitsgewerbes insgesamt um ein momentan noch politisch sehr schwieriges Terrain, aber auf der anderen Seite dürfe man nicht aus den Augen verlieren, dass nach den vorliegenden Statistiken in diesem Sektor mehr Mitarbeiter beschäftigt seien als bei den Polizeien der Länder. Insofern biete sich in einigen Einsatzfeldern eine Kooperation an, z. B. in den Innenstädten und Einkaufszentren, mit dem Einzelhandelsverband usw. Man habe gerade auch im Innenministerium Rheinland-Pfalz bereits sehr früh den Kontakt zum privaten Sicherheitsgewerbe gesucht. Daran anknüpfend könne man sich im Bereich der Ausbildung durchaus vorstellen, bestimmte Module (nicht die Vollzeitausbildung) gemeinsam in den Fachhochschulen der Polizei zu etablieren. Die Kommunikation im Alltagseinsatz würde durch eine gemeinsame Ausbildung durchaus erleichtert und insofern sei eine solche Idee im gegenseitigen Interesse zu unterstützen. Dies stünde auch im direkten Kontext zur berechtigten Forderung der Polizei nach Entlastung von polizeifremder Tätigkeit, wo eben auch eine Kooperation mit dem privaten Sicherheitsgewerbe erstrebenswert sei. Hinderungsgrund dafür seien in der Vergangenheit primär rechtliche Fragen gewesen, z. B. wie ein bestimmter Ausbildungs- und Qualitätsstandard in den privaten Sicherheitsunternehmen sichergestellt werden könne und inwiefern das Gewerberecht greife oder nicht. Problematisch seien momentan auch die Arbeitsbedingungen, weil das private Sicherheitsgewerbe nicht so gut bezahlt sei und z.T. auch zur Schonung der Polizei eingesetzt werde (z. B. erfolge auch der Einsatz zum Schutz des rheinland-pfalzischen Innenministeriums über ein privates Sicherheitsunternehmen). Pitschas erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass die Justiz bei alledem etwas abseits stehe. Ein heikles bzw. latentes Thema sei dabei das Verhältnis zwischen Justiz- und Innenministerium bzw. Innen- und Justizpolitik und ihre Wechselwirkungen zur Kriminalprävention. Die Polizei sehe darüber hinaus selbst (wie im übrigen auch aus dem Referat hervorginge), dass sie immer stärker gefordert werde z. B. auch durch die Arbeit in Präventionsgremien mit den Bürgern und Verbänden. In Folge dessen sei die Polizei immer höher auch als Partner belastet und dies korrespondiere unmittelbar mit dem Bemühen um einen immer schlankeren Staat. Es schließe sich also des weiteren und zwingend die Frage an, wie dies perspektivisch auf mittlere Sicht zusammenpasse. Man müsse sich überlegen, ob man den Polizeidienst verstärken oder primär fiskalische Überlegungen, z. B. budgetärer Natur im Hinblick auf die Bezahlung o.ä. anstellen wolle. Beide Fragen, also das Verhältnis zur Justiz als Außenkooperation, sowie das Verhältnis im lnnern, also was man für die Polizei im Land tun müsse, stünden im Vordergrund weiterer Überlegungen in der Kriminalprävention.

Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Innen- und Justizminister pflichtete Theilen Pitschas insofern bei, als dieses sich gelegentlich etwas delikater gestalte, vor allem aufgrund der Unabhängigkeit der Justiz. In Rheinland-Pfalz

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laufe es allerdings auch auf der Arbeitsebene sehr gut. Dies sei von enormer Wichtigkeit, da vieles ressortübergreifend, also z. B. unter Einbeziehung von Jugend-, Justiz- oder Bildungsministerium geschehen müsse. Als Beispiel versuche man in Rheinland-Pfalz zur Zeit, eine solche Kooperation im Bereich des Rechtsradikalismus zur forcieren, was mit gutem Erfolg geschehe. Ein durchschlagender Erfolg der Zusammenarbeit könne vor allem an zwei Dingen gemessen werden. Zum einen stehe die Mitarbeit in den Lokalräten (frei nach dem Prinzip: "all business are local") im Vordergrund, weil z. B. auch die Richterinnen und Richter vor Ort ihre "Kunden" kennen würden. Zum anderen werde die Idee in den entsprechenden Fachgremien fiir die Ausbildung von Rechtsreferendaren diskutiert, ob nicht wechselseitige Praktika bei der Polizei einer künftigen Zusammenarbeit sehr zuträglich seien. Die künftige Rolle der Polizei stelle ein sehr schwieriges Feld dar, weil man den Personalmangel sowie viele Abgänge bedenken müsse. Gleichzeitig sei die Polizeipräsenz vor Ort, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem subjektiven Sicherheitsempfinden der Bevölkerung stehe, gefordert. Dies zeige, dass der Kräfteeinsatz nach Schwerpunkt sehr geplant werden müsse. Ein Beispiel in diesem Zusammenhang biete die Politik in Bezug auf die Castor-Transporte. Manche verfolgten dabei das Ziel, diese unbezahlbar zu machen. Dies mache das Spannungsfeld deutlich. Zusatztätigkeiten seien in diesem Kontext wegen der Personalstärke fiir die Polizei schwer zu akzeptieren. Ein Lösungsansatz für diesen schwierigen Bereich könnte sein, dass im Rahmen der Ausbildung modulartig auf solche Dinge hingewiesen werde. Dieser neuen Entwicklung müsse gerade auch im Bereich der Fort- und Weiterbildung sehr viel mehr Raum gegeben werden, weil ihre einmalige Erörterung im Rahmen der Ausbildung wohl nicht ausreichen könne, der ganzen Thematik Herr zu werden. Im Zusammenhang der Kooperation zwischen Polizei und Justiz wies Manfred Bitter, Polizeipräsident aus Trier, daraufhin, dass es an der Einbindung der

Justiz durchaus in manchen Bereichen noch kranke. So existiere der kriminalpräventive Rat der Stadt Trier zwar schon sehr lange, aber erst vor wenigen Wochen sei darin auch die Justiz eingebunden worden; vorher habe es offensichtlich aus den Reihen der Justiz kein Bedürfnis gegeben, dort mitzumachen. Jetzt erst habe man offenbar begriffen, dass Prävention auch ein Thema der Justiz sei und der leitende Oberstaatsanwalt in Trier habe gebeten, im kriminalpräventiven Rat mitwirken zu dürfen. Bezugnehmend auf die Ansicht von Pitschas, dass die Polizei nun aber nicht zurücktrete, sondern eine sehr aktive, koordinierende Rolle wahrnehme; sei aus Trierer Sicht festzuhalten, dass die Polizei dort nicht nur eine begleitende, sondern bereits eine sehr aktive Rolle habe. Der Vergleich mit dem Bild von mehreren Motoren in einem "Fahrzeug Kriminalprävention" lege nahe, dass die Polizei in diesem Bild wohl über den Motor mit der stärksten PS-Zahl in der Kriminalprävention der Stadt Trier verfüge. Die Polizei müsse auch auf diesem Gebiet viel tun, da sie sich nicht mehr nur auf Repression beschränken könne. Wenn man mit statistischen Mitteln betrachte, was die Polizei an Straftaten mit eigenen Mitteln aufkläre, so läge diese

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Quote weit unter 50%, so dass man auf die Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen sei. Es sei noch nicht in den Köpfen aller Polizeibeamter, aber die Kriminalprävention werde zu einem zweiten Standbein polizeilichen Handelns. Um diese Entwicklung aufzugreifen und zu verdeutlichen, dass Kriminalprävention kein Luxus sondern ein Essential darstelle, müssten Führungskräfte ins Boot, weil in diesem Kontext auch Ideen und Engagement gefragt seien. Grundsätzlich habe man aber in der ganzen Republik mit dem Thema Personalmangel bei der Polizei zu kämpfen und in diesem Zusammenhang hänge es auch von der Wertigkeit der Aufgabe ab, mit dem Personalmangel umzugehen. Einen Widerspruch zu der Idee vom "Schlanken Staat" sehe er dann nicht, wenn Kernaufgaben definiert würden und Kriminalprävention zu einer solchen Kernaufgabe herameife, wobei gleichzeitig dann aber auch das notwendige Personal zur Erledigung einer solchen Kernaufgabe bereitgestellt werden müsse. Den schlanken Staat könne man dann an anderer Stelle realisieren. Nunmehr schaltete sich Liesenfeld in die Diskussion ein. Er wies bezugnehmend auf die Eingangsfrage von Stober zuerst darauf hin, dass es aktuell in Rheinland-Pfalz etwa 70 Präventionsgremien gebe. Private Sicherheitsdienste seien in fünf bis zehn davon vertreten, nämlich in den Gremien der Oberzentren (größere Städte) und in den der größeren Mittelzentren in Rheinland-Pfalz. Ansonsten seien die Großzahl der Gremien auf Verbandsgemeindeebene existent, weil es sich um ein ländlich strukturiertes Bundesland handele. In diesem Bereich spiele der Private Sicherheitsdienst noch keine große Rolle. Man habe insgesamt keine Berührungsängste mit dem Bereich der privaten Sicherheit und somit könne er sich die fehlende Reaktion auf die Anfrage von Stober nur als Missverständnis erklären. Auch in dem 65köpfigen Gremium des Landespräventionsrates sei das private Sicherheitsgewerbe vertreten, nur sei der Bundsverband mit Sitz in Bad Hornburg leider aus ihm nicht bekannten Gründen bisher in den Plenums- und Arbeitsgruppensitzungen nicht anwesend gewesen. Man habe aber vor, mit dem Geschäftsführer des Bundesverbandes in den nächsten Tagen Kontakt aufzunehmen und hoffe, dass das private Sicherheitsgewerbe dann in Zukunft in der Arbeitsgruppe "Sichere und lebenswerte Stadt" vertreten sei. Wolfgang Hertinger als Referatsleiter aus dem Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz wies an dieser Stelle ergänzend darauf hin, dass die Mitarbeit in kriminalpräventiven Gremien ein Angebot sei und unter der absoluten Prämisse der Freiwilligkeit stünde. Gleichzeitig existiere in RheinlandPfalz die Autonomie der Gremien, so dass in deren Problemanalyse und der Erarbeitung von Lösungsansätzen niemand hineimeden könne. Zum Thema der Justiz stimme er der Beobachtung von Bitter zu, dass diese sich anfangs mit dem Thema Kriminalprävention sehr schwer getan habe. Erstaunlicherweise könne man diese Beobachtung aber auf die Bundesebene nicht übertragen. Dort habe das Justizministerium sehr frühzeitig ein Referat für Kriminalprävention eingerichtet, während man beim Bundesinnenministerium die Entwicklung zu-

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erst etwas verhalten beobachtet habe. Die Idee des "Deutschen Forums für K.riminalprävention" sei im übrigen keine Idee der Bundesregierung, sondern absolut eine der Bundesländer gewesen, die in der Innenministerkonferenz geboren worden sei. Er selbst habe das Vergnügen gehabt, in einigen Fachgremien zu sitzen, die das Konzept des Deutschen Forums erarbeitet hätten und aus dieser Perspektive könne er bestätigen, dass das BMI die Sache sehr verhalten begleitet habe. In der Zwischenzeit habe man aber dazugelernt und man sei kräftig mit eingestiegen, was nicht zu unterschätzen sei. Die rheinlandpfälzische Situation - bezogen auf die Justiz - zeige, dass diese im Landespräventionsrat (in Gestalt des Generalstaatsanwalts in Koblenz) sowie z. B. im Mainzer Präventionsrat (in Form des Leitenden Oberstaatsanwalts) vertreten sei. Die Mitarbeit gerade auch in Mainz, um die sich der Leitende Oberstaatsanwalt sehr bemüht habe, zahle sich für dieses Gremium auch insofern positiv aus, da dieses aus den Bußgeldern, die die Justiz einnehme, erhebliche Zuschüsse erhalte. Insgesamt herrsche in der rheinland-pfälzischen Justiz sehr große Offenheit beim Thema Kriminalprävention. Pitschas warf in diesem Zusammenhang ein, dass man an dieser Stelle sehen könne, wie sich das Bild langsam runde und Farbe bekäme und dass es auch interessant zu beobachten sei, welche Länderinteressen - ob nun berechtigt oder unberechtigt - plötzlich gegen den Bund in Stellung gebracht würden. In dem Beraterkreis des Deutschen Forums, dem er auch angehöre, habe er häufig den Eindruck gewonnen, dass eher die Länder der Hemmschuh seien.

Mit dem Hinweis, dass ihm der Vortrag gut gefallen habe, verband Bülow die Aussage, dass nach seiner Vorstellung der entworfene Weg - nämlich der der Prävention - der einzige sei, um zukünftig ein Mehr an Sicherheit zu gewinnen. In der Repression sei aufgrund der knappen Ressourcen mittelfristig kein signifikanter Zuwachs zu erreichen, weswegen die Kriminalprävention in die oberste Priorität der Sicherheitspolitik gehöre. Die Frage nach den Ressourcen habe ihn allerdings nicht befriedigt, da er schon davon ausgehe, dass man hier zu einer Intensivierung kommen müsse, allein um den Gedanken der Kriminalprävention als Lernprozess zu festigen. Die Investition in die Ausbildung alleine sei dabei aber zu gering. Auch in anderen Bereichen müsse dahingehend einiges unternommen werden, wofür es aber offensichtlich nach dem Gehörten in Rheinland-Pfalz gute Ansätze gebe. Bezogen auf die Rolle der Justiz wolle er noch darauf hinweisen, dass in Düsseldorf der Leitende Oberstaatsanwalt im kriminalpräventiven Rat der Landeshauptstadt und auch Staatsanwälte in einigen Ordnungspartnerschaften vertreten seien. Hier habe die Justiz sich überhaupt nicht geziert, sondern von sich aus die Frage der Mitwirkung gestellt. Dies sei insbesondere deshalb hervorzuheben, weil die Justiz kraft ihrer gesetzlichen Aufgabe ja eigentlich keine präventive Funktion innehabe, sondern sie fast zu 100% in der Repression anzusiedeln sei. Die zentrale Frage, ausgehend vom gesamtgesellschaftlichen Ansatz sei aber nun aus seiner Sicht die Rolle der Polizei. Das Polizeiorganisationsgesetz

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Nordrhein-Westfalen (POG NW) sehe eine allgemeine Aufgabenwahrnehmung im Bereich der Prävention vor. Wenn man von dem generellen Auftrag der Gefahrenabwehr ausginge, passe Kriminalprävention eigentlich nicht, so dass es eine interessante Frage sei, zu untersuchen, was eigentlich polizeiliche Kriminalprävention sei. Allen sei aus der Kriminologie bekannt, dass man von drei Bereichen spreche, nämlich der primären, sekundären und tertiären Prävention. Die polizeiliche Kriminalprävention sei - unter Beachtung der Verteilung der Aufgabenwahrnehmung durch den Gesetzgeber - eigentlich nur im sekundären Bereich zu finden. In der weiteren Verfolgung dieses Ansatzes bedeute das die Beseitigung und Verhinderung von Tatgelegenheitsstrukturen. Wenn das der gesetzliche Auftrag sei, dürfe die Polizei davon gar nichts abgeben und müsse sich dieser Aufgabe aber auch stellen. Wenn man sich die Definition der Prävention aber in der Gesamtschau betrachte, stelle sich die Frage, wer denn verantwortlich sei fiir den Bereich der primären Prävention - jedenfalls nicht die Polizei. Da tauchten dann ganz plötzlich andere Partner aus dem öffentlichen Bereich auf, also z. B. aus dem Bereich Soziales oder aus dem Bereich Jugendamt. Sie alle müssten einbezogen werden, wenn Prävention (bewusst nicht Kriminalprävention) gesamtgesellschaftlich betrieben werden solle. Dabei stelle sich nun aber die Frage, welche Aufgabe denn insoweit (noch) die Polizei habe. Diese überschreite heute nach seinem Dafiirhalten ihren gesetzlichen Auftrag. Es sei nicht originäre Aufgabe der Polizei, ein Netzwerk gesamtgesellschaftlicher Prävention zu organisieren. Sie könne dies zwar kraft ihrer Organisationskompetenz und insbesondere auch kraft ihres Informationsmonopols im Bereich abweichenden Verhaltens leisten oder auch leisten wollen. Die Frage wäre aber primär, ob das die Gesellschaft wirklich wolle. Dabei sei sicherlich zuvor gesetzgeberisches Nachbessern erforderlich. Im kriminalpräventiven Rat der Stadt Düsseldorf habe man diese Frage, was denn eigentlich Kriminalprävention überhaupt sei, stark diskutiert und sei dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Sozialprävention auch einen Beitrag zur Kriminalprävention leiste. Daraus ergebe sich eine enge Vernetzung, wenn man tatsächlich gesamtgesellschaftliche Prävention aufbauen wolle. Doch sei die Rolle der Polizei überfordert, weil sie diese Aufgabe bzw. den Auftrag nicht habe. In Nordrhein-Westfalen habe der Innenministerkraft Erlass der Polizei zugeschrieben, kriminalpräventive Räte zu gründen, mit den Gemeinden zu initiieren und Ordnungspartnerschaften einzurichten, zunächst die Federfiihrung zu behalten, dann sie aber auch abzugeben. Bülow vermag diese Aufgaben, so gerne er sie sehe und fiir so richtig er sie auch halte, nicht im Gesetz zu sehen. Hier scheine ein ganz großer Nachholbedarf der Klärung zu liegen. So sei zuerst eine Einigung erforderlich, was man eigentlich mit Kriminalprävention meine, um dann den Gesetzgeber auffordern zu können, Klarheit zu schaffen, wer dieses Vernetzungswerk und den Prozess zukünftig dann auch steuern solle.

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In Fortsetzung dieses Gedankens fragte Pitschas nunmehr nach, wer denn solche Gesetzesinitiativen bringen solle. Man müsse nach seinem Dafürhalten nicht alles Nordrhein-Westfalen auf dem Gebiet der inneren Sicherheit überlassen. Die nächste Frage wäre dann, was passiere, wenn man eine solche Gesetzgebung am Ende zu stehen habe. Bliebe es dann bei der Personalstärke? Bitter habe einen Kunstgriff angewandt, wenn er die Personalressourcen je nach Wertigkeit umverteilen wolle und im Fall der wirklichen Täterschaft gäbe es dann niemanden mehr, der vor Ort erscheine - vor lauter präventiver Tätigkeit. Das sei natürlich etwas zugespitzt. Im übrigen verwies Pitschas erneut auf die Unterscheidung von Stober und auf den teilweise beklagten Mangel an Beiträgen aus dem Sicherheitsgewerbe als Teil der angesprochenen Wirtschaft. Wolfgang Waschulewski griff als Vorsitzender der Geschäftsführung von SECURITAS Deutschland in diesem Zusammenhang die geäußerten Zahlen zur Personalstärke im Sicherheitsgewerbe auf, weil nach seiner Kenntnis nicht mehr Mitarbeiter im Sicherheitsgewerbe als in den Polizeien der Länder arbeiteten. Ihm lägen Zahlen vor, wonach es ca. 140.000 Mitarbeiter im Sicherheitsgewerbe und ca. 220.000 Mitarbeiter bei der Polizei gäbe. Die private Sicherheit sei zwar auch bisher schon auf verschiedensten Gebieten in die Kriminalprävention eingebunden, wobei man dies wohl nicht als ausreichend betrachten könne. Man sei auch bereit, in den verschiedensten Gremien bis zu einem gewissen Punkt ehrenamtlich mitzuarbeiten, aber selbstverständlich stehe irgendwann am Ende des Ganzen bei dieser Aufgabenverteilung auch der pekuniäre Erfolg für das private Sicherheitsgewerbe.

Die Idee der gemeinsamen Ausbildung der Sicherheitsdienste mit der Polizei, möglicherweise an einer Fachhochschule, wurde von Andreas Peilert von der Fachhochschule des Bundes hervorgehoben, wobei er fragte, ob schon konkrete Konzepte vorlägen, diese Idee zu verfolgen. Er wies darauf hin, dass in Bremen ein solches Projekt gescheitert sei, weil ein Rechtsgutachten aus der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Harnburg Gründe des Geheimschutzes und der Verbandsausbildung als hinderlich feststellte. Im übrigen habe es auch erhebliche Ressentiments auf Seiten der Polizei gegeben. Stüllenberg nahm die Frage auf. Er stellte ebenfalls fest, dass die Ressentiments, insbesondere die politischen, gegenüber dem Aufbau einer gemeinsamen Ausbildung groß seien. Die "Stiftung Kriminalprävention" (bei der er Vorsitzender sei) habe vor 7 Jahren begonnen, an der Fachhochschule KielAltenholz einen solchen Studiengang zu initiieren, der vor 3 Jahren dort begonnen habe. Die ersten Absolventen beendeten gerade ihre Prüfung und man sei der festen Überzeugung, dass das die einzige Möglichkeit sei, die fehlende Kompetenz auf der Ebene des mittleren Managements von Sicherheitsunternehmen auszugleichen. Zwar würden von allen Seiten Klagen laut, dass die private Sicherheit zu schlecht ausgebildet sei, man müsse sich aber fragen, wer dem abhelfen könne und wer über das erforderliche Wissen verfüge. Dieses Wissen sei entstanden, weiterentwickelt, gesammelt und genutzt worden in den

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Bildungseinrichtungen der Polizei und gehe nunmehr auch weiter in andere universitäre Bereiche und würde insofern mehr multidisziplinär ausgerichtet. Er sehe, dass sich eine Verwaltungsfachhochschule wie die in Kiel mit ihrem Engagement erst gegen den politischen Willen, dann mit Billigung und mittlerweile mit Rückenwind durchzusetzen hatte und er halte das für den richtigen Weg. Von solchen Einrichtungen bräuchte man mehr. Das Faktum, dass es so etwas in Kiel bereits gebe, sollte nicht entmutigen, sondern eigentlich Auftrieb geben, die Realisation solcher Vorhaben schnellstmöglich anzugehen. Peilert verwies noch einmal darauf, dass es ihm gerade nicht auf eine solches Konzept ankomme, sondern auf eine gemeinsame Ausbildung von Polizei und Sicherheitsgewerbe. Das Programm in Kiel-Altenholz finde nur an einer Fachhochschule statt, aber gerade die Anregung, gemeinsame Ausbildung durchzuführen, sei von dem Leiter, Herrn Schüler, bisher noch nicht aufgegriffen worden und es gehöre wohl noch in die Kategorie Zukunftsmusik. Es gehe um die Frage gemeinsamer Ausbildung, um dann am Ende zu sehen, in welche Branche man einmünde (so das Bremer Konzept). Er befürworte das Altenholzer Konzept, würde aber gerne wissen, ob der Bremer Weg noch einmal versucht werde. Theilen griff Prononcierungen auf und stellte fest, dass er den betroffenen Personenkreis als "gemeinsame Sicherheitsbusiness-Tätige" betrachten würde. Bezogen auf die Ausbildung konstatierte er, dass man in Rheinland-Pfalz bisher noch keine konkreten Lehrinhalte habe, die gemeinsam in der Fachhochschule auf dem Hahn im Hunsrück angeboten würden. Man arbeite aber sehr stark an einem Konzept, wie man die Schule dem Sicherheitsgewerbe modulartig öffnen und bestimmte Lehrinhalte gemeinsam vermitteln könne. Für ihn seien dabei Vorbild die Community Colleges in den USA mit einem CreditPoint-System, was dann in der Zeitachse zusammengefügt werden könne zu einem bestimmten Curriculum. In bestimmten Bereichen halte er dies für realisierbar. Es werde aber auch weiterhin Lehrinhalte geben, bei denen die Polizei unter sich bleiben müsse. Bei vielen anderen Dingen, z.B. Rechtskunde und Technik, sei eine solche gemeinsame Ausbildung durchaus machbar. Der Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Herr Ministerialdirigent Ludwig, stehe dieserhalb in engem Kontakt mit SECURITAS Deutschland, wobei es schon einmal einen Versuch in diese Richtung gab, bei dem aber nicht so viel Rückmeldung gekommen sei. Nichtsdestotrotz solle man sich doch bei gegebenem Anlass erneut zusammensetzen und überlegen, wie man die Sache ein Stück weitertreiben könne. Er glaube nicht, dass es auf Dauer ohne diese Verzahnung gehen werde. Die Zahl der Mitarbeiterstärke der Polizei im Vergleich zum privaten Sicherheitsgewerbe, die er der Diskussion zugrunde gelegt habe, stamme seiner Erinnerung nach aus einem politischen Papier der IMK. Er müsse dies aber noch einmal überprüfen.

Die Anregung des stärkeren Engagements wurde von Herr Rechtsanwalt Martin Hildebrandt vom Bundesverband Deutscher Wach- und Sicherheitsun-

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ternehmen (BDWS) zum Abschluss der Diskussion direkt aufgegriffen. Er begrüße die Angebote zur Zusammenarbeit sehr und er weise darauf hin, dass der Verband bereits in vielen Gremien anwesend sei, aber in Rheinland-Pfalz durchaus eine Forcierung betrieben werden solle. Bisher sei der BDWS bereits in verschiedenen Landespräventionsräten, z. B. in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten und es gäbe auch eine Zusammenarbeit mit dem Deutschen Forum für Krirninalprävention. Warum im Landespräventionsrat Rheinland-Pfalzbisher kein Vertreter anwesend gewesen sei. Er dürfe aber zusichern, dass eine weitere Zusammenarbeit vorgesehen sei. Pitschas beendete die Diskussion mit einem Dank an Theilen, der als Referent kurzfristig für den erkrankten Innenminister eingesprungen war.

Das "Deutsche Forum für Kriminalprävention" als zentrale Institution der Präventionskooperation Von Andreas Kossiski" I. Aktueller Sachstand der Aufbauarbeit

Um die Einordnung meiner Person und meines Erfahrungshintergrundes zu ermöglichen, bedarf es einleitend einiger Bemerkungen zu meinem bisherigen Werdegang. Seit 26 Jahren bin ich Polizeibeamter in Schleswig-Hostein (z.Zt. Polizeirat). Die Laufbahn eines "typischen Polizeibeamten" habe ich allerdings spätestens Anfang der neunziger Jahre verlassen, als ich persönlicher Referent beim Innenminister in Schleswig-Hostein wurde. Danach arbeitete ich kurze Zeit im Hanse-Office in Briissel, bevor ich an der Führungsakademie der Polizei in Münster noch einmal studierte und danach eine leitende Funktion im höheren Dienst in einer ländlichen Polizeiinspektion wahrgenommen habe. Nach der Rückkehr ins Ministerium wurde ich von dort aus im April 1999 in den Aufbaustab für das Deutsche Forum fiir Kriminalprävention (DFK) entsandt, bei dem ich zur Zeit tätig bin. Schleswig-Holstein hat eine mindestens zehnjährige gute Tradition im Rahmen der Kriminalprävention. Wir haben dort das, was im Rahmen der Tagung fiir Rheinland-Pfalz durch Staatssekretär Theilen vorgestellt worden ist, seit zehn Jahren ähnlich aufgebaut. Damit haben wir nach meinem Eindruck fiir viele Bundesländer eine Vorreiterrolle übernommen, wobei mittlerweile ein großer Kreis von in der Kriminalprävention die gleichen Schritte unternehmenden und in der Zielrichtung gleich ausgerichteten Ländern exisitiert. Es gibt überall Landespräventionsräte und verschiedene andere Organisationen auf Landesebene, die sich mit gesamtgesellschaftlicher Kriminalprävention beschäftigen. Aufgrund der bisherigen Entwicklungen gerade auch auf Länderebene wurde jedoch sehr schnell deutlich, dass gerade Schleswig-Holstein durch seine Vorreiterstellung auch beim Aufbau des Deutschen Forums fiir Kriminalprävention präsent sein sollte. Diese Präsenz findet man nun in meiner Person im Aufbaustab und jetzt in der Geschäftsstelle in Bonn wieder.

* Der Beitrag beruht auf dem mündlichen Vortrag und wurde überarbeitet von Ass. iur. Stefanie Gille. 4 Pitschas

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Der Aufbaustab fiir das Deutsche Forum wurde zunächst von fiinf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gebildet. Er arbeitete in Köln unter Begleitung durch eine Vorbereitungsgruppe (Vorsitz von Mecklenburg-Vorpommern) in Kooperation mit der Deutschen Stiftung fiir Verbrechensverhütung und Straffälligenhilfe (DVS). Unterstützend wirkte eine interdisziplinär besetzte Beratergruppe. Die Hauptarbeitsbereiche des Aufbaustabs setzten sich zusammen aus der konzeptionellen Entwicklung der Zielstellung, der Rechts- und Organisationsform sowie der Finanzierung fiir ein DFK. Weitere Schwerpunkte der nach außen gerichteten Arbeit des Aufbaustabes waren Informationssammlung, Kontaktaufnahme und Werbung fiir die Idee. Die letztgenannten Aktivitäten bildeten die Grundlage fiir den Aufbau eines Netzwerkes an Präventionsbeziehungen von der kommunalen bis zur internationalen Ebene. Der DFK-Aufbaustab beteiligte sich z. B. an der Planung und Ausrichtung des fiinften Deutschen Präventionstages 1999 in Hoyerswerda und des sechsten Deutschen Präventionstages 2000 in Düsseldorf. Er war auf nahezu 100 Veranstaltungen, Seminaren und Fachtagungen vertreten. Zunehmend wurden Informations- und Koordinationsleistungen aus dem In- und Ausland nachgefragt und erbracht. Die Präsentation des DFK im Internet hat sich als geeignetes Mittel der Öffentlichkeitsarbeit und als erster Schritt zur Vernetzung bereits vorhandener Präventionsstrukturen auf kommunaler und regionaler Ebene in Deutschland erwiesen. Der Aufbaustab fiihrt zwischenzeitlich einen Präventionskalender 200012001, entwickelt eine Präventionsmediathek und gibt den periodischen DFK-Newsletter heraus. Er bietet zur Zeit im Internet 160 Verweisungen auf nationale und internationale Präventionsinitiativen. Desweiteren wurde eine Informationsbroschüre als Grundlage fiir Öffentlichkeitsarbeit, Werbung und Akquisition erstellt, in der Persönlichkeiten aus Staat und Gesellschaft fiir die Ziele des DFK eintreten. Neben den Initiatoren Bundesinnenminister Schily, Bundesjustizministerin Prof. Dr. Däubler-Gmelin und dem letztjährigen IMK-Vorsitzenden Dr. Bebrens ist es gelungen, unter anderem den EU-Kommissar Vitorino, den Ministerpräsidenten von Sachsen Prof. Dr. Biedenkopf, den Vorstandsvorsitzenden von Jenoptik, Herrn Dr. Späth, und den ehemaligen Boxweltmeister Henry Maske zu gewinnen. In Kooperation mit Landespräventionsgremien moderiert der DFK-Aubaustab die Entwicklung von Standards fiir eine Präventionsdatenbank, die insbesondere Nutzern auf der kommunalen Ebene zur Verfugung stehen soll. Auch in den elektronischen und Printmedien wurde die Idee des Deutschen Forums fiir Kriminalprävention verbreitet. Der fiir Inneres und Justiz zuständige EUKommissar Antonio Vitorino besuchte mit dem IMK-Vorsitzenden Dr. Bebrens im Mai 2000 den DFK-Aufbaustab in Köln und sicherte diesem seine Unterstützung zu. Aus Bund und Ländern liegen bereits zustimmende Äußerungen auf Kabinettsebene zur Beteiligung an einem künftigen DFK vor. Die Grundstruktur der

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Finanzierung für den Start der Stiftung wurde konkretisiert. Der Bund wird sich am Stiftungskapital mit einem Anteil von 2,5 Millionen DM beteiligen. In den Ländern fmdet ein Prozess zur Klärung einer gemeinsamen Beteiligung in gleicher Höhe statt. Die Umsetzung erfolgt vorbehaltlich einer Billigung durch die Haushaltsgesetzgebungsorgane. Wenn man den Beginn der Arbeit des DFK in den Blick nimmt, ist der IMK-Reschluss von 1998 eine Initiative der Länder gewesen, wobei der Bundesinnenminister Gast der IMK war und damit von Beginn an an den Entwicklungen teilgenommen hat. Der Regierungswechsel 1998 in Bonn führte dann im Bereich der Kriminalprävention eine völlige Änderung der gesamtpolitischen Lage herbei; die jetzige Bundesregierung hat sehr frühzeitig in der Koalitionsvereinbarung den Ausbau der Kriminalprävention und auch die Einrichtung eines Deutschen Forums als Priorität angesehen. Problematisch war lange Zeit die Rolle der Justiz. Heute existieren für deren Einbeziehung auf Länderebene unterschiedliche Modelle. Die Länder Niedersachsen und Hessen z. B. haben die Kriminalprävention im Landespräventionsrat beim jeweiligen Justizministerium angesiedelt. Wir haben in den Aufbaustab sowie in den Beraterstab (auf den noch näher einzugehen sein wird) auch Vertreter der Justizministerkonferenz, also Ländervertreter, eingebunden. Im jetzigen Vorstand ist darüber hinaus ein Vertreter der Bundesjustizministerin präsent, so dass die Justiz ihre Rolle offenkundig immer deutlicher wahrnimmt, wobei nicht zu leugnen ist, dass in einigen Bereichen sicherlich noch ein gewisser Mangel an Beteiligung gegeben ist. Die Struktur in Schleswig-Holstein sah von vorneherein vor, alle Kernressorts am Landespräventionsrat zu beteiligen. Man findet dort die Sozialministerin, den Justizbereich, den Polizeibereich u.a.m. vertreten. Die Geschäftsstelle ist aus organisatorischen Gründen beim Innenministerium angesiedelt, könnte aber auch ebenso innerhalb eines anderen Ministeriums oder auch außerhalb zugeordnet sein. Die Polizei spielt in der Kriminalprävention eine wichtige Rolle; von ihr wird auch die Forumsidee schon lange diskutiert und angeschoben. Sie ist insgesamt der Motor für die Entwicklung der ganzen Präventionslandschaft Die Idee des DFK ist es nun, eine Plattform für gesamtgesellschaftliches Engagement gegen Kriminalität zu bilden. Man will also keine Überbehörde darstellen oder gar zu einer solchen Behörde werden. Ebensowenig ist es das Ziel, eine Institution zu werden, die Richtlinien herausgibt und dabei womöglich noch von oben nach unten aufgibt, sich daran zu halten. Vielmehr wird angestrebt, eine Plattform oder ein nationales Dach für gesellschaftliche Kriminalprävention in Deutschland zu werden. In fast allen westeuropäischen Ländern existieren mittlerweile vergleichbare Institutionen, die die Dreistufigkeil der Kriminalprävention, die es flächendeckend in fast allen westeuropäischen Ländern seit Ende der achtziger Jahre gibt, aufgreifen. Zur Zeit existieren jedenfalls in Deutschland flächendeckend über 2000 kommunale Präventionsräte oder Runde Tische, die die Kriminalprävention auf der kommunalen Ebene, also direkt

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bei den Menschen und Situationen abbilden, also dort, wo sie ursprünglich auch hingehört. Als Dach bzw. Plattform wurde nunmehr das Deutsche Forum fiir Kriminalprävention ins Leben gerufen, um diese Vielfalt zu koordinieren. Die Schöpfer der Idee verstehen moderne Kriminalprävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aufgrund der in den verschiedenen Disziplinen diskutierten Ursachen. Sie wollen als "Netzwerk" Antworten fmden auf die hohen Kriminalitätszahlen und das fehlende subjektive Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Wie vielschichtig Reaktionen hierauf sein müssen, zeigt sich gerade auf einer solchen Tagung wie hier. Es sind verschiedene Ressorts daran beteiligt und es existieren verschiedene Abstufungen und verschiedene rechtliche und originäre Zuständigkeiten. Kriminalprävention kann mit Blick auf diese Gegebenheiten nur funktionieren, wenn sie so wie das Deutsche Forum auf nationaler Ebene angelegt ist. An die ursprüngliche Entwicklung anknüpfend, tauchte an dieser Stelle erstmalig die Idee der Organisationsform des Deutschen Forums als "Stiftung" auf. Die Politiker haben sich mittlerweile mit dieser Idee angefreundet, nachdem man zu Beginn der Arbeit im Aufbaustab davon ausging, einen "Verein" zu verwirklichen. Das große Vorbild, das dem zugrunde lag, ist der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, der seit 40 Jahren im Bereich der Verkehrsprävention in Deutschland hervorragende Arbeit leistet und als e. V. organisiert ist. Sein besonderes Aushängeschild ist der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar, auf dem regelmäßig die Ideen, die Thesen, die Perspektiven im Bereich der Verkehrsprävention diskutiert werden. Man hat es mit seiner Einrichtung geschafft, Medienöffentlichkeit zu erreichen und konkret Politik mit zu gestalten, wie z. B. in den Bereichen Wegfahrsperre, 0,5 Promille-Grenze, Airbag, also bei vielen technischen Sicherheitsfragen, die im Bereich der Verkehrsprävention heute fiir die Bevölkerung nicht mehr hinwegzudenken sind. Die Beteiligten im Verkehrssicherheitsrat, die der Aufbaustab des Deutschen Forums Anfang 1999 in Bonn besuchte, hatten dann aber den Rat erteilt zu prüfen, ob die Konstruktion fiir eine neu zu schaffende Institution noch zeitgemäß sei. Für den deutschen Verkehrssicherheitsrat handele es sich, so sagte man, gewiß um eine ganz gute Konstruktion, die aber heute im Lichte von Bürgerbeteiligung sowie Ressourcenknappheit beim Staat und anderen öffentlichen Institutionen durchaus neu überdacht werden müsste. Im Anschluss hieran kam die Idee der "Stiftung" auf. Nach der Beratung durch Stiftungsfachleute wurde deutlich, dass die Idee einer Bürgerstiftung mit verschiedenen demokratischen Strukturen, demokratischen Gremien und fmanzieller Unabhängigkeit im Bereich der Kriminalprävention durchaus nahe lag. Der Vorteil einer solchen Konstruktion kann darin gesehen werden, dass man als Stiftungsgedanken die Förderung der Kriminalprävention in allen Aspekten festhält, dann Geld stiftet und dieses nur an den Stiftungsgedanken bindet, also auf die Verwendung der Stiftungsmittel keinen direkten Einfluss mehr zuläßt. Außerdem ist eine solche Stiftung auf die "Ewigkeit" ausgerichtet, also

Das "Deutsche Forum für Kriminalprävention"

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nicht irgendwelchen Vier- oder Fünfjahresplänen unterworfen, so dass man über diese Konstruktion auch langfristige Perspektiven und Strategien verwirklichen kann. Die weitreichende Überzeugung von der Idee wurde durch den positiven Beschluss der Innenministerkonferenz im November letzten Jahres bestätigt, wonach die Gründung einer solchen Stiftung eingeleitet werden sollte. Unmittelbar nach dem Beschluß haben der Bundesinnenminister und der damalige IMK-Vorsitzende Bebrens aus Nordrhein-Westfalen den Antrag bei der Stiftungsbehörde in Nordrhein-Westfalen auf Gründung der Stiftung gestellt. Momentan wartet man noch auf die Stiftungsgenehrnigung. Diese werde noch im Mai erteilt, heißt es, so dass man dann in die eigentliche Arbeit einsteigen könne. Von der Stiftungsgenehmigung hängen für das Deutsche Forum wichtige Konsequenzen ab wie z. B. völlig Unabhängigkeit von Behördenstrukturen und gegenüber der Politik. Außerdem kann man dann konkret zur Gewinnung von Zustiftern übergehen, weitere Finanzmittel akquirieren, ein Sponsoring anstreben und man kann vor allem - was auch ein wichtiger Punkt ist - EU-Mittel beantragen. Das ist deswegen von zentraler Bedeutung, weil es für die Gemeinschaft auf nationaler Ebene noch keinen kompetenten gesamtgesellschaftlichen Ansprechpartner für Kriminalprävention gibt. Im Mai letzten Jahres hat man den EU-Kommissar für Inneres und Justiz Vitorino sowie den EU-Kommissar Prodi in der Geschäftsstelle des Aufbaustabs zu Besuch gehabt. EU-Kommissar Vitorino stellte bei der Gelegenheit fest, dass Europa im Grunde genommen auf einen deutschen Partner im Bereich der Kriminalprävention warte. Die Europäische Kommission, speziell im Bereich Inneres und Justiz, setze große Hoffnung darauf, dass die Strukturen, die in vielen anderen europäischen Ländern bereits seit Anfang der achtziger Jahre bestehen würden, langsam nachgeholt werden könnten. Das DFK nimmt in vielen Bereichen genau diese Position ein. II. Aufgaben und Ziele des DFK

Insgesamt bedeutet die Neuschöpfung aber nicht, dass bestehende Institutionen verdrängt werden sollen. Der Nachteil der Stiftung ist, dass sie nicht in Gremienstrukturen der Regierung oder des Staates eingebunden ist. In einigen Bereichen, vor allem in solchen, in denen zügig Positionen besetzt werden müssen, bereitet dies Schwierigkeiten. Im Bereich der Europäischen Union allerdings entwickelt sich der Bereich der Kriminalprävention völlig neu und man hat mit der Idee des DFK als Konstrukt auf diese Entwicklung reagiert. Ein europäisches Netzwerk für Kriminalprävention befindet sich ebenso in der Entwicklung. So hat es jetzt in Schweden die erste Vorbereitungssitzung gegeben, bei der auch ein Vertreter des DFK anwesend war. Im Bereich der Europäischen Union gibt es zusätzlich die Initiative zu einem eigenen Programm mit dem Titel "Hippokrates", welches bestehende Pro-

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gramme zusammenfassen und neue Entwicklungen im Bereich der Kriminalprävention - gerade in den Schwerpunkten Jugend, Gewalt und soziale Stadt aufgreifen soll. Die ersten Aktivitäten im Rahmen diesen neuen Programms werden in diesem oder spätestens nächstem Jahr anlaufen. Da es dafür kompetenter Gesprächspartner, auch Mittler bedarf, möchte das Deutsche Forum gern die Netzwerkfunktion wahrnehmen. Die Oberziele, die das Deutsche Forum für Kriminalprävention verwirklichen soll, richten sich auf seine Netzwerkfunktion, die Tätigkeit als nationale Servicestelle bzw. als Informationsstelle. Aus den Oberzielen wurden insgesamt sechs Mittelziele formuliert: •

Ein über den Bereich der Instanzen der Inneren Sicherheit hinausgehendes Frühwarnsystem der Kriminalprävention soll die begangene Kriminalität strukturell und ursachenorientiert analysieren, um durch deliktsspezifische, täter- und opferorientierte, raum- und zeitbezogene Gegenstrategien eine gesamtgesellschaftlich fundierte Kriminalitätsverhütung für die Zukunft zu initiieren, beispielsweise durch die Vergabe von Präventionsprojekten und -programmen.



Das Wissen über die Präventabilität von Delikten soll interdisziplinär gebündelt werden. Experten und engagierte Bürgerinnen und Bürger sind frühzeitig zu beteiligen.



Die Auswertung einschlägiger Internet-Informationen mit professioneller Betreuung der fachspezifischen Themen soll als Bindeglied für den fachlichen Austausch mit Projektleitern überall in Deutschland und in der Welt entwickelt werden.



Die wissenschaftliche Evaluation von kriminalpräventiven Projekten soll mitfmanziert und eine spätere breitere Umsetzung in Deutschland gefordert werden.



Eine Vernetzung der kriminalpräventiven Akteure soll unterstützt und durch überregionale Veranstaltungen zur Aus- und Fortbildung ausgebaut werden.



Technische Innovationen als Instrumente der Kriminalprävention sollen initiiert und evaluiert werden.

Jedes dieser Ziele umzusetzen, bedeutet für sich alleine bedeutet eine Menge Arbeit und setzt zahlreiche Inputs voraus, die das Forum noch benötigt. Allerdings war es wichtig, solche Ideen und Ziele bereits zu Beginn zu entwickeln und darzulegen, um sie dann in die gesamtgesellschaftliche Diskussion zu geben und abzuwarten, was davon zuerst angegangen wird und wer dabei hilft. Dies ist jedenfalls nicht von einer Geschäftsstelle allein und auch nicht vom Deutschen Forum allein zu leisten. In der Beratung, Information, Fortbildung und Ausbildung von Präventionssachverständigen, von Menschen, die sich im ehrenamtlichen Bereich mit Prävention beschäftigen, kann sicherlich ein priva-

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ter Präventionsrat nicht mehr leisten. Das können auch eher schlecht und wenn nur wenige Landespräventionsräte leisten und insofern muss überlegt werden, wie man in Zukunft mit anderen zusammen, also z. B. mit Universitäten, Hochschulen oder Instituten Fortbildung organisiert. Ein weiterer Bereich ist die Unterstützung und Initiierung von Präventionsprojekten, weil das Vorhaben, eigene Projekte zu beginnen, wohl erst in Zukunft realisiert werden kann. Momentan fehlen dafiir noch Ausstattung und fmanzielle Mittel. So ist man also auf Hilfe anderer angewiesen. 111. Finanzierung

Insgesamt strebt das Deutsche Forum in diesem Jahr als Startkapital ein Stiftungskapital von 10 Mio. DM an. Dieses setzt sich wie folgt zusammen: q

2,5 Mio. DM der Bundesregierung

q

2,5 Mio. DM der Länder

q

ca. 5 Mio. DM aus dem wirtschaftlichen Sektor.

Gerade in der Betrachtung des europäischen Vergleichs sieht man, dass eine solche Summe nicht völlig ungewöhnlich ist. Die Partnerorganisationen in anderen Ländern haben durch ihre langjährige Arbeit schon einen gewaltigen Vorteil und Vorsprung vor Deutschland. Die meisten solcher Organisationen sind in zentral gelenkten Staaten ansässig und haben dort entweder mit einem Innenminister, mit einem Justizminister oder mit eigenverantwortlichen Ministerpräsidenten die Dinge und Unternehmungen abzusprechen. In Deutschland existiert nunmehr das Privileg, mit 16 Innenministern oder 16 Justizministern sprechen zu dürfen. Zusätzlich existiert daneben eine politische Großwetterlage in Bund und Ländern, die dann auch noch untereinander abgestimmt werden müssen. Mittlerweile ist man soweit, dass sich alles in Richtung einer Zustimmung auf breiter politischer Ebene entwickelt und eigentlich keine großen Widerstände mehr gegen das Deutsche Forum erkennbar sind. Es gibt berechtigte und auch nachvollziehbare Einzelinteressen von Ländern, die einen anderen Schwerpunkt für die Arbeit des Forums setzten möchten, aber im Grundsatz das Deutsche Forum auch nicht ablehnen. Im einzelnen sind dies die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Brandenburg. Berlin hat einen fmanziellen Vorbehalt und die Länder Bayern und Baden-Württemberg verweisen sehr auf ihren eigenen Weg, was vom Grunde her überhaupt kein Problem darstellt, weil sie eine langjährige Erfahrung im Bereich der Kriminalprävention haben. In Teilbereichen arbeitet das Forum aber auch mit diesen Ländern schon sehr gut zusammen. Dem IMK-Beschluss vom November 2000 ist zu entnehmen, dass die Länder zunächst einmal aus fmanziellen und aus Doppelhaushaltsgründen eine Beteiligung am Deutschen Forum zurückgestellt haben, es aber nicht mehr ablehnen.

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Andreas Kossiski IV. Europäische Situation

Begibt man sich intensiver in den europäischen Vergleich, so sieht man, dass andernorts in Buropa viel größere finanzielle Mittel in der Kriminalprävention bewegt werden. In England werden z. B. 250 Mio. englische Pfund eingesetzt, wogegen die deutsche Summe von 10 Mio. DM aus Staat und Wirtschaft lächerlich klein wirkt. Dabei allerdings ist zu bedenken, dass es sich um eine zentralstaatliche Regulierung der Prävention handelt. Es ist nicht zu übersehen, dass allerdings die Kriminalprävention auch massiv aus der Wirtschaft unterstützt wird. Fachleute in Deutschland sagen - sicherlich zu recht - dass, wenn man die Einzelmaßnahmen, die in Deutschland unkoordiniert oder in einzelnen Zuständigkeitsbereichen durchgeführt werden, zusammennähme, man sicherlich auf ähnliche Beträge kommen dürfte. Daher sollte man einmal wissenschaftlich aufarbeiten, wie viele Finanzmittel bereits im Bereich Kriminalprävention in Deutschland auf verschiedenen Ebenen eingesetzt werden und was dabei herauskommt. Wenn das Deutsche Forum es schafft, in den Kreis der staatlichen Organisationen im Mai 2001 aufgenommen zu werden, dann hat man in Deutschland - wie in anderen europäischen Staaten auch - eine staatliche Ebene und kann mit allen Partnern koordiniert zusammenarbeiten. Bereits jetzt gibt es Ansätze der Zusammenarbeit mit dem Crime concern in Großbritannien. Basis dieser Zusammenarbeit waren die letzten beiden Präventionstage in Hoyerswerda und Düsseldorf. Dort hat man gerade diese internationale Komponente hervorgehoben und auch die Suche nach Kooperationspartnern stark forciert. Die Kollegen vom Crime concern in Großbritannien waren dort ebenfalls vertreten und sie haben ihre Entwicklung und Perspektiven vorgestellt. Desweiteren wird in diesem Jahr sicherlich eine sehr enge Zusammenarbeit mit Schweden aufgrund des Vorsitzes der Schweden in der EU zustande kommen. Eine fast natürliche Zusammenarbeit gibt es mit Dänemark, weil Dänemark das Vordenkerland für Schleswig-Holstein ist. Aus diesem Bereich hat man sehr viel gelernt und gute Kontakte geknüpft, auf die sich weiter aufbauen lässt. V. Deutsche Aufbauarbeit

Das Deutsche Forum hat seine Geschäftsstelle mittlerweile in Bonn im Haus der Prävention (ehemalige Parlamentarische Gesellschaft, direkt am Bundestag, gelegen in der Dahlmannstraße 5-7). Es handelt sich dabei um ein sehr ansprechendes Haus, das den Bedürfnissen des Forums entgegenkommt. Die Geschäftsstelle wird dort mindestens zwei bis drei Jahre aufrechterhalten werden können. Ab diesem Zeitpunkt gibt es für das ganze Gelände des Regierungsviertels neue Planungen, wobei man allerdings die Hoffnung hat, dort bleiben zu können, um den Standort nicht nochmals wechseln zu müssen. Zur Zeit befinden sich im Haus der Prävention die Geschäftsstelle des Forums, das Institut

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für Prävention sowie das Büro des Deutschen Präventionstages. Letzteres bereitet als Organisationseinheit den Deutschen Präventionstag vor. Die Zusammenarbeit hat sich schon in Köln im Aufbaustab sehr positiv entwickelt, weil man von Anfang an in der Deutschen Stiftung für Verbrechensbekämpfung und Straffälligenhilfe (DVS), die den Deutschen Präventionstag über das Büro und das Institut initiiert, ausrichtet und organisiert, einen guten Kooperationspartner gefunden hatte. Im Zuge dieser Zusammenarbeit verwundert es auch nicht, dass der Geschäftsführer der DVS, Erik Marks, mittlerweile einen Beratervertrag mit dem Deutschen Forum hat und man davon ausgehen kann, dass er in Zukunft die Funktion des ersten Geschäftsführers des Forums übernehmen wirdwas allerdings noch einiger Gremienentscheidungen bedarf. Auch durch die Wahrnehmung der Beraterfunktion werden die Bereiche immer dichter zusammengeführt. Der Deutsche Präventionstag soll dabei eine ähnliche Institution wie der Verkehrsgerichtstag in Goslar werden. Er hat schon in den letzten Jahren einen Quantensprung an Inhalten gemacht, muss sich aber noch zum "Präventionsparlament" weiterentwickeln. Damit ist gemeint, dass dort Themen entwickelt und der Politik Richtlinien gegeben werden, so dass politische Entscheider Kriminalprävention dann in konkrete Politik umsetzen können. Für eine solche Entwicklung gibt es auch einzelne Beispiele aus den Ländern, bei denen Entscheidungen aus den Landespräventionsräten bis in die Gesetzgebung eingemündet sind. Als Beispielsfall sei hier auf die Änderung der Landesbauordnung in Schleswig-Hostein verwiesen, die auf Veranlassung einer Arbeitsgruppe des Landespräventionsrates dahingehend revidiert wurde, dass in Neubaugebieten kriminalpräventive Aspekte bereits bei der Entwicklung und Planung mit einbezogen werden. Dies ist ein wichtiger Schritt, der nach momentanem Wissensstand auch in Düsseldorf umgesetzt werden soll. Solch kleine Schritte in die richtige Richtung will der Präventionstag mit dem Deutschen Forum auch auf nationaler Ebene noch mehr unterstützen und erweitem. VI. Beteiligte Es gibt mittlerweile eine vollständige und hoffentlich nie abzuschließende Liste von Institutionen., Verbänden und Firmen, die bereits vor der Genehmigung der Stiftung gegenüber der Bundesregierung bzw. der Innenministerkonferenz erklärt haben, dass sie gewillt sind, sich aktiv durch Finanzmittel, Personalbereitstellung, inhaltliche Zusammenarbeit oder gemeinsame Projekte an der Entwicklung des Deutschen Forums zu beteiligen. Dieser Kreis wurde vor zwei Wochen zu einem Stiftermeeting nach Bonn eingeladen. Es erfolgte ein sehr konstruktives Gespräch mit Vorständen und Vertretern dieser Verbände und Institutionen. Der Interims-Vorstand des DFK hat die Teilnehmenden gebeten, ja fast schon aufgefordert, über die finanzielle Beteiligung hinaus, die sie gegeben haben, sich auch mit Projekten und Inhalten am Deutschen Forum zu betei-

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ligen. Es gibt bereits konkrete Zusagen in diesem Bereich, wie z. B. die Absprache mit der Firma KPMG, die das Forum bei der Entwicklung eigener Strukturen unterstützen wird. Es werden gemeinsame Workshops durchgefiihrt und ein erstes Projekt ist bereits in groben Zügen in der Planung. Mit dem Deutschen Mieterbund und anderen Verbänden ist ein Projekt zum Stichwort "Sichere und soziale Stadt" geplant. Erstgenannter käme auch als Gesprächspartner fiir einen ersten festen Arbeitskreis beim DFK zum Thema "Sichere Stadt" in Betracht. Zu diesem Kreis liegen bereits Angebote der Mitarbeit gesamtgesellschaftlicher Art vor, was eine Ergänzung zu dem Bereich der bereits bestehenden Projekte und Initiativen auf nationaler Ebene darstellen könnte. Das Ziel wäre, dass beim siebten Deutschen Präventionstag im November 2001 Ergebnisse des Arbeitskreises zum Thema "Sichere und soziale Stadt" aus gesamtgesellschaftlicher Sicht vorliegen. Für das Deutsche Forum wäre das eine sehr gute Entwicklung, weil man damit von einer theoretischen, nur auf dem Papier vorliegenden Sicht zu konkreten Umsetzungen käme. Das zweite und dritte Standbein des Forums ist die sogenannte ,,Präventionswiese", wie Prof. Kerner formuliert. Damit ist gemeint, dass man dort eine bunte Mischung an Mitarbeit fmdet, die nicht abschließend ist und einer gewissen Beliebigkeit unterliegt. Hier sind Arbeitskontakte sowie gemeinsame Aktionen gemeint, die in den letzten zwei Jahren während der Aufbauphase bereits entstanden sind oder vollzogen wurden. Darin findet sich auch der Kontakt zum BKA als Mit-Träger der polizeilichen Kriminalprävention, die innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Prävention einen sehr wichtigen Bereich darstellt. Die Polizei nimmt einen sehr wichtigen Part der Prävention wahr, muss aber auf der anderen Seite fiir einige Bereiche in der Zukunft erkennen, dass sie sich zurücknehmen muss und dass sie auch anderen die Luft lassen muss, sich entwickeln zu können. Zwar gibt es in diesem Bereich noch einige Defizite, aber in der neuen Entwicklung ist bereits auszumachen, dass es im Bereich der Kriminalprävention eigene Zuständigkeiten gibt. Um auf motivierte und gut arbeitenden Polizisten setzen zu können, muss erst einmal Kommunikation hergestellt werden. Es muss miteinander gesprochen und ausgetauscht werden. Diese Arbeit soll vom DFK geleistet werden, weil es sich als Partner und Mittler versteht. Das Forum will nicht die Position des einen oder anderen einnehmen und auch werm man im Aufbaustab Polizisten fmdet, spricht man in "Runden Tischen" nicht als solcher, sondern versteht sich eher in einer moderierenden Funktion. Die Erfahrung der vergangeneo zwei Jahre zeigt im übrigen, dass Kommunikation unabdingbar und notwendige Voraussetzung fiir ein gesamtgesellschaftliches Projekt ist. Dazu zählt auch die Öffentlichkeitsarbeit. Man muss mit der Presse zusammenarbeiten und auch pro-aktiv bereits Kontakte schaffen. Den Werbeagenturen, mit denen man zusammenarbeitet, muss deutlich werden, dass die Kriminalprävention als Begriff positiv "verkauft" und auch in der Presse vernünftig dargestellt werden muss. Dies gilt im übrigen nicht nur fiir

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das Deutsche Forum, sondern auch für die kommunalen oder LandesPräventionsräte. Diese müssen als kompetente Ansprechpartner für Presse und Medien wahrnehmbar sein. Dazu gehören auch intensive Gespräche mit Fachleuten. Eine gewisse Starthilfe bietet da die Geschäftsstelle des DFK, die diese Arbeit mit initiiert. Grundsätzlich gilt, dass der Kreis der Finanziers und Mitwirkenden niemals abschließend sein kann. Wenn man die verschiedenen Kreise unterscheidet, dann sind dort einerseits die Kooperationspartner, andererseits die Finanziers, dann die Organisationen, staatlichen Behörden, Landespräventionsräte oder verschiedene wissenschaftliche Institutionen zu unterscheiden. Die gesamte Sammlung an Aktiven unterstützt die Arbeit des Forums mit Inhalt, bringt eigene Erfahrungen ein und spiegelt damit eigentlich das wider, was Präventionslandschaft ist. Es existiert auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit den Landespräventionsräten. Als Kernländer können dabei wohl Mecklenburg-Vorpommern, SachsenAnhalt, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gelten, weil dies neben Rheinland-Pfalz die Bundesländer sind, die bereits länger Landespräventionsräte haben und auch über eine gute Entwicklungsstruktur verfügen. Im Mai diesen Jahres wird das DFK in Dresden das erste Mal offiziell beim Landesgeschäftsfiihrertreffen der Landespräventionsräte präsent sein und man wird versuchen, mit all' diesen Organisationen ein Partnerkonzept zu entwickeln. Das Deutsche Forum wird mit jeder einzelnen Organisation, mit jedem einzelnen Verband ein Partnerkonzept abschließen, dass einen gegenseitigen Informationsaustausch gewährleistet, Projektarbeit organisiert und - angepasst an die Eigenarten und die Fähigkeiten jedes einzelnen - dann mit dem DFK auf eine vernünftige Arbeitsbasis gestellt wird.

VII. Aufbau und Struktur Die Grundstruktur des DFK ist so gestaltet, dass alle Einrichtungen sowie alle Bürgerinnen und Bürger im Rahmen der Stiftung eine aktive Mitverantwortung für die gesamtgesellschaftliche Kriminalprävention übernehmen und ihre Belange in die Arbeit der Stiftung adäquat einbringen können. Dies gilt insbesondere fiir Gebietskörperschaften (Bund, Länder und Kommunen - mit einem politischen und gesetzlichen Auftrag zur Verhinderung von Straftaten), Verbände und Gruppierungen (die wichtige Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unter dem Aspekt der Beeinflussung von kriminalitätsverhindernden Faktoren prägen) sowie Bürgerinnen und Bürger und private juristische Personen (die sich aus sozialen, wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen für die Kriminalprävention engagieren möchten). Dabei ist sichergestellt, dass keiner der genannten Bereiche die anderen dominieren kann, sondern dass für wichtige Entscheidungen der Stiftung eine Konsensbildung, ganz im Sinne einer gesamtge-

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seilschaftliehen Kriminalprävention, notwendig wird. Alle drei genannten Gruppen sind mit einer Stimmengewichtung, die der oben genannten Zielsetzung entspricht, in sämtlichen Organen der Stiftung vertreten. Die Organe der Stiftung und ihr Zusammenwirken sind derart konzipiert, dass politischstrategische Grundentscheidungen von solchen über die Führung der Geschäfte, Mittelvergabe und Reaktion auf aktuelle Problemlagen getrennt werden. Die drei Stiftungsorgane, das Kuratorium als politisch-strategisches Gremium, der Vorstand als gesetzlicher Vertreter der Stiftung sowie der Stifterrat als Meinungsbildungsorgan der Stiftergemeinschaft, stellen durch ihren Aufgabenzuschnitt und ihre personelle Verzahnung eine gleichbleibend gute Kommunikation sicher. Daneben existieren in der Stiftungsstruktur die Geschäftsstelle, themenbezogene Arbeitsgruppen, Sachverständige und es laufen Projekte. Das alles geschieht unter Einbindung von Kooperationspartnem, also Mitgliedern aus allen Gesellschaftsbereichen. Das Verfahren zur Stiftungsgründung ist zur Zeit - wie oben bereits erwähnt - noch im Gange, aber die Innenministerkonferenz und der Bundesinnenminister haben bereits Ende des letzten Jahres (2000) und Anfang dieses Jahres (2001) sowohl durch Kabinettsentscheidung der Bundesregierung als auch durch Beschlusslage der IMK jeweils zwei Vertreter in den sog. Interims- oder Übergangsvorstand entsandt. Von Seiten der Bundesministerien sind konkret benannt worden der Unterabteilungsleiter Herr Seib aus dem Bundesinnenministerium und der Unterabteilungsleiter Dr. Weingärtner aus dem Bundesjustizrninisterium, so dass also auch die Justiz bereits konkret im Vorstand der Stiftung vertreten ist. Von der Länderseite sind vom IMK-Vorsitzenden im letzten Jahr bereits der Leiter der Polizeiabteilung Nordrhein-Westfalen Herr Salomon sowie der Leiter der Polizeiabteilung Schleswig-Holstein und gleichzeitiger AK II-Vorsitzender, Herr Zierke benannt worden. Diese vier Personen bilden zur Zeit den sogenannten Interimsvorstand und werden durch Herrn Marks als Berater unterstützt. Darunter arbeiten in der Geschäftsstelle zur Zeit vier Mitarbeiter einschließlich zweier Beamter des höheren Dienstes. Konkret sind dies einmal ein Vertreter der Landespolizei Schleswig-Holstein als Bereichsleiter in meiner Person (zur Zeit auch noch fiir die Bereiche Kommunikation, Information und Service zuständig) sowie daneben Herr Dreier vom BKA als Bereichsleiter im Bereich Netzwerk und Strategieinnovation. Zwei weitere Mitarbeiter kommen aus Sachsen und Nordrhein-Westfalen. Unmittelbar nach Gründung der Stiftung erwartet man die Einstellung weiteren Personals aus einigen Ländern und aus einigen der oben bereits erwähnten Verbände und Institutionen. Insgesamt ist sehr wichtig, dass es sich nicht um einen "closed shop" handelt, sondern dass sich der gesamtgesellschaftliche Ansatz des DFK in der Struktur sehr schnell widerspiegeln soll. Man benötigt dabei wissenschaftliche Beratung, Medienberatung sowie die Beratung von Fachleuten der verschiedensten Bereiche. Aus dem Bereich des Innenministeriums gibt es eine solche

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Beratung bereits seit längerem, wobei das wohl einen der Geburtsfehler des Deutschen Forums darstellte. Mittlerweile hat sich dies aber auch als notwendiges Faktum erwiesen, weil aus dem Bereich der Innenpolitik, speziell von Seiten der IMK, die Bereitschaftserklärung vorliegt, das DFK personell solange zu unterstützen, bis die Stiftung fmanziell unabhängig ist. Je schneller dies also geschafft wird, umso schneller wird sich auch in diesem Bereich die gesamtgesellschaftliche Präsenz darstellen. Der Entwurf ist mittlerweile schon ziemlich konkret und fiir die Geschäftsstelle auch schon in Teilbereichen umgesetzt. Man geht davon aus, dass Ende nächsten Jahres ca. 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Geschäftsstelle arbeiten werden. Dabei handelt es sich absichtlich nicht um mehr Mitarbeiter in der Planung, weil man keine große Behörde werden will. Mit diesen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss man dann versuchen, das große Feld der Aufgaben systematisch abzuarbeiten, wobei nicht in den ersten zwei, drei Jahren alle Aufgaben bewältigt werden müssen. Das Deutsche Forum willlangfristige Strategien (mit-)entwickeln und das wird nur funktionieren, wenn alle in Ihren verschiedenen Bereichen, in denen sie bereits kriminalpräventiv arbeiten, die Idee unterstützen und sie als ihre Sache annehmen. Dabei ist ein zentraler Ansatz, dass nicht mehr nur die Innenminister die Idee tragen. Mittlerweile wurde bereits Unterstützung durch verschiedene Ministerkonferenzen der Länder, die Kultus-, die Justiz- sowie die Sozial- und Jugendminister signalisiert. Ein Problem gibt es zur Zeit noch im Bereich der Finanzminister. Die Finanzministerkonferenz hat auf den ersten Beschluss der IMK 1998 negativ reagiert. Nach einer zweieinhalbjährigen weiterentwickelten Arbeit hat die IMK ein weiteres Ergebnis vorgelegt. Leider hat die Finanzministerkonferenz dieses Ergebnis nicht zur Kenntnis genommen; sie hat dann völlig überraschend flir das Forum- in einem Beschluss nochmals darauf Wert gelegt, dass sie zur Zeit eine Beteiligung oder auch eine Mitarbeit im Deutschen Forum fiir nicht erforderlich hält und den Beschluss von 1998 in Erinnerung gebracht. Man hat damit also zweieinhalb Jahre der Konzeptentwicklung einfach nicht zur Kenntnis genommen. Diese Entscheidung soll auch nur dargestellt und nicht kommentiert werden. Insgesamt hat sie das Werden und die Entwicklung des Deutschen Forums nicht aufhalten können; beide scheinen auch nicht umkehrbar zu sein. VIII. Beratung Es existiert schließlich eine Beratergruppe, die das Forum von Anfang an unterstützt hat und bei der Erarbeitung von Strukturen, der Entwicklung von Zielen und durch Strukturierung der Arbeit geholfen hat. In dieser Gruppe befindet sich u.a. der hier anwesende Prof. Pitschas, der jetzige Justizminister Christian Pfeifer aus Niedersachsen, ehemalige Generalstaatsanwälte, Medienvertreter, Professoren von Verwaltungsfachhochschulen, Prof. Kerner (Krimi-

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nologe aus Tübingen), Herr Leonhardt als Vertreter der kommunalen Seite, Dr. Lüders vom Deutschen Jugendinstitut sowie Dr. Ahlf vom BKA. Auch dieser Kreis von Beratern ist nicht abschließend. Er wurde überwiegend auch auf Wunsch von Bundesinnenminister Schily gewählt. Gerade das zeigt noch einmal, dass die Bundesebene doch sehr massiv auf eine positive Entwicklung von Anfang an Wert gelegt hat und in dieser Auswahl lag ein erster erfolgreicher Versuch, aus der reinen engen "Innenminister-Schiene" herauszukommen und das Forum auch gesamtgesellschaftlich zu öffnen. Ferner zählt Regierungspräsident Roters, ehemaliger Polizeipräsident von Köln, zu den Beratern. Er verfUgt über eine langjährige und gute Erfahrung im Bereich der polizeilichen und auch gesamtgesellschaftlichen Kriminalprävention in Köln, so dass die Verbindung zur Basis und zur kommunalen Ebene immer gegeben war. Auch darin spiegelt sich die Struktur der Stiftungsorgane wider.

IX. Moderne Kommunikation Das Internet ist ftir das Deutsche Forum ftir Kriminalprävention ein unverzichtbares Instrument. Bereits zu Beginn der Aufbauzeit wurde eine Internethornepage ftir das Deutsche Forum eingerichtet (www.kriminalprävention.de). Unter dieser Internetadresse finden Sie verschiedene Rubriken, die man abrufen kann, z. B. Präventionsnews, Projekte, Links sowie den Präventionskalender. Mittlerweile ist eine Linksammlung mit 160 Verlinkungen in den gesamtgesellschaftlichen Bereich, sowohl regional, national wie auch international, entstanden. Sie liefert einen Steinbruch von Informationen darüber, was im Moment im Bereich der Kriminalprävention in Deutschland und international stattfmdet. Bisher existierte so etwas auf nationaler Ebene noch nicht, obwohl der Bedarf gewaltig ist, was man anband der Rückmeldungen merkt. Ein wichtiger Punkt ftir die kommunale Ebene oder ftir diejenigen, die kriminalpräventive Projekte fahren, ist die Projektseite. Hier stellt das Forum kostenlos die Projekte vor, die in Deutschland gemacht werden, sobald es das Datenmaterial per E-mail, auf Diskette oder anderweitig bekommen hat. So konnte man z. B. auf das bereits erwähnte erfolgreiche Projekt "Wer nichts tut, macht mit" zugreifen, das erst sehr erfolgreich in Harnburg gelaufen ist und dort gerade wieder beendet wird. Andere Länder konnten so über die notwendigen Informationen verfügen, so dass das Projekt in Rheinland-Pfalz nunmehr zweimal und nach meinen Informationen auch in München sowie in anderen Ländern veranstaltet werden konnte. Auf der Internetseite werden alle initiierten und übermittelten Programme eingestellt, von einem Abriss regionaler Projekte bis hin zum kleinen Projekt vor Ort in einer kleinen Stadt, in der sich ehrenamtlich Menschen bereit erklären, kriminalpräventiv zu arbeiten. Sobald die notwendigen Daten an das Forum übermittelt werden, wird das Programm der Hornepage hinzugefügt. Seit

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zwei Jahren wird dort auch der sogenannte "Präventionskalender" erstellt, der einen Überblick über Präventionsaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland gibt. Dort war z. B. auch diese Veranstaltung zu fmden. Geplant ist, Präventionsmedien zu sammeln und daraus eine Präventionsmediathek entwickeln. Vorbild dafiir ist die DEA-Verkehrsmediathek. Dort fmdet man 4.000 Medien unterschiedlichster Art zum Bereich Verkehrsprävention. Bei den Länderbereisungen und Kontakten in die einzelnen Bereiche der Kriminalprävention hinein wurde festgestellt, dass sehr viele Aktionen mittlerweile auf irgendeinem Medium wiederzufinden sind, sei es in herkömmlicher Form als Broschüre oder aber auf einer CD-Rom oder einem Video. Das Forum hat den Anspruch entwickelt, dieses alles zu sammeln und dann über die Plattform des Iotemets weiterzugeben. Man hofft, dass dann über die Präventionsmedien ein umfassendes Bild zur Kriminalprävention und über die entsprechenden Aktivitäten sukzessive entsteht. Im Präventionsarchiv kann man aktuelle Artikel und Kurzdarstellungen zum Thema Kriminalprävention erhalten. Dabei ist ein entscheidender Vorteil, dass man keine langen Downloadzeiten in Anspruch nehmen muss, sondern man die interessierenden Artikel anklicken und sich per E-Mail zusenden lassen kann. Man kann sich dann alles zuhause ohne große Kosten offline ausdrucken, was bisher ein ausgesprochen positives Feedback bei den Usern ausgelöst hat. Völlig neu entwickelt wurden jetzt auch die Aufgaben des DFK fiir die Hornepage aufbereitet. Die neuen Entwicklungen werden dort jetzt erst eingearbeitet, die Kooperationspartner werden sich neu darstellen und es gibt ein Gästebuch, was allerdings mehr eine Spielerei darstellt. Die Internetseite steht im Rampenlicht und soll von daher auch qualitativ gestaltet werden. Man wird sie anders aufbauen - auch unter Zuhilfenahme von Profis - und man wird das Medium Internet auch weiterhin massiv nutzen, um der Netzwerkfunktion des Forums nachzukommen. Die angesprochene Datenbank, die in Rheinland-Pfalz bereits sehr erfolgreich anläuft, soll auch mit anderen Landespräventionsräten gemeinsam entwickelt werden. Die Moderation dieses Kreises übernimmt das DFK. Es gibt zusätzlich den Versuch von verschiedenen Landespräventionsräten, auf Landesebene eine einheitliche Datenbank zu entwickeln, die dann ins Internet gestellt werden soll. Diese wird dann sicherlich mit Rheinland-Pfalz kompatibel sein. Das Forum will bei alledem darauf achten, dass bestimmte Entwicklungen nicht auseinanderlaufen, sondern dass man hier koordinierend eingreift und versucht, dass so etwas zusammengefiihrt wird, so dass fiir den potentiellen Nutzer auch wirklich umfassende Informationen zur VerfUgung stehen. Am Anfang gab es eine gewisse Irritation beim Infopool des BKA, die aber mittlerweile ausgeräumt ist, weil das BKA selbst aktiv in der Gruppe mitarbeitet. Die Idee einer gemeinsamen Datenbank ist daraus entstanden, dass man die Arbeit des BKA sehr positiv wahrgenommen hat, sie aber in großen Teilen nur den Teilbereich der polizeilichen Kriminalprävention abgebildet hat. Sie stellt

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nur das dar, was das BKA von den LKA's und anderen Initiativen unter Mitarbeit der Polizei erhält. Viele andere Bereiche, die das Forum und die Landespräventionsräte auch bieten, sind im Infopool des BKA nicht vorhanden. Mit der Datenbank soll nunmelu eine Ergänzung entstehen und keine Konkurrenz zum BKA-Infopool aufgebaut werden. X. Stiftungsstruktur

Bereits oben wurde einiges zur Stiftungsstruktur dargestellt, so dass hier nur folgendes ergänzt werden soll: Die Idee der Stiftung ist im angelsächsischen Bereich schon weit verbreitet, wäluend es in Deutschland in diesem Bereich noch keine größeren Entwicklungen gibt. Auf der Hornepage des Forums kann man aber erkennen, dass es z. B. die Bürgerstiftung in Hannover sowie verschiedene andere Stiftungen gibt. Es ist selu wichtig, die unterschiedlichen Stiftungsorgane, nämlich Kuratorium, Stifterrat und Vorstand zu unterscheiden. Das Kuratorium soll das strategische Gremium des DFK werden. Der Vorstand ist der gesetzliche Vertreter der Stiftung und der Stifterrat dient als Meinungsbildungsorgan der Stiftergemeinschaft Sie alle stellen gemeinsam durch ilue Aufgabenstellung und ilue (auch personelle) Verzahnung eine gleichbleibend, hoffentlich gute Kommunikation sicher. Die Firmen und Verbände, die das Forum unterstützen, fmdet man zunächst einmal im Stiftungsrat wieder. Dieser Stiftungsrat wird sich unmittelbar nach der Stiftungsgründung erst einmal zusammensetzen und aus seinem Kreis zwei Vertreter fiir den Vorstand und zwei Vertreter für das Kuratorium wählen. Das heißt also, dass der Stifterrat als das Organ, was primär geldgebend tätig ist, auch die Möglichkeit hat, Einfluss zu nehmen auf die strategischen Entscheidungen im Kuratorium. Außerdem sind die Stifter als Kooperationspartner in Arbeitsgruppen, als Sachverständige, als Projektteilhaber oder als Partner in das ganze Konstrukt "Stiftung" mit eingebunden, so dass keine einzige Gruppe dabei Entwicklungen dominieren kann. Es handelt sich um ein abgewogenes Konstrukt, in dem sich die gesamte Gesellschaft wiederfmden soll und dies auch tut. Der Staat ist dabei gleichermaßen eingebunden wie der zweite Sektor, die Wirtschaft, und der dritte Sektor, die NGO's sowie ähnliche Organisationen, die im Bereich der Kriminalprävention arbeiten. Das alles sind keine "closed shops", sondern Entwicklungsstufen, die zu einer konstruktiven Präventionsstruktur in Deutschland fiiluen sollen. Das Kuratorium wird zur Zeit durch fiinf Bundesminister besetzt; die Bundesregierung hat also fiinf Kernressorts in das Kuratorium entsandt. Die Minister und Ministerinnen können sich dort nicht vertreten lassen, sie müssen persönlich erscheinen. Das gleiche gilt fiir die sechs Ländervertreter. Das Verfahren der Besetzung der Ländervertreter ist jetzt im Moment noch in der Diskus-

Das "Deutsche Forum für Kriminalprävention"

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sion im Arbeitskreis II, wobei es dort noch verschiedene Modelle gibt, weswegen eine endgültige Besetzung derzeit offen ist. Man geht davon aus, dass spätestens mit der im Mai 200 1 stattfmdenden IMK auch von der Länderseite die Kuratoriumsmitgliedern benannt werden, weil die Länder sich nach einem gewissen Prozedere auch in dem Gremium vertreten wissen möchten. Das gleiche gilt für den Vorstand, der zur Zeit übergangsmäßig besetzt ist. Diese Periode endet mit dem Jahr 2002. Dann werden die ganzen Stiftungsorgane auch endgültig nach demokratischen und nachvollziehbaren Regularien besetzt werden und ihre Arbeit aufnehmen. Neben den Stiftungsorganen existiert der Bereich der themenbezogenen Arbeitsgruppen. Dabei handelt es sich um Bereiche bzw. Inhalte, die die wichtigen Standbeine des Deutschen Forums darstellen sollen. Sie entwickeln sich auch bereits langsam. Wie oben schon angedeutet gibt es erste Kontakte mit Fachleuten aus dem Bereich der Wohnungswirtschaft, der Städtebauplanung und Architektur und auch der Polizei mit dem Ziel, einen ständigen Arbeitskreis unter dem Arbeitstitel "Sichere Stadt" einzurichten. Dazu haben bereits erste Gespräche stattgefunden und wenn die Genehmigung des Vorstandes und der anderen Gremien dann auf Basis der Vorschläge erfolgt, ist ein konkreter Schritt gemacht. Es werden sich dann sukzessive weitere Arbeitskreise bilden müssen, so z. B. auch in dem Bereich der Zusammenarbeit zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten oder der Jugendgewalt Vieles, was man sich in dem breiten Spektrum von Kriminalprävention vorstellen kann, soll sich in den Arbeitsgruppen wiederfmden. Diese sollen dann zielgerichtet Ergebnisse für das Kuratorium liefern, in dem sich die Spitzen der Politik und der gesellschaftlichen Verbände wiederfmden, um sie in die Lage zu versetzen, Entscheidungen zu treffen, die dann in die konkrete Politik umgesetzt werden können. XI. Abschlußstatement

"Kriminalprävention geht alle an". Das ist nicht nur so dahingesagt, sondern das ist der rote Faden, der sich durch die Arbeit im DFK der letzten zwei Jahre zieht. Die Ideen, die Entwürfe und die Strukturen sind da. Sie sind zur Diskussion gestellt, sie befmden sich in der Entwicklung. Aber das alles kann nur klappen, wenn alle mitmachen. Es gibt hierfür unterschiedliche Möglichkeiten. Dazu sind Geld, Know-How, Ideen und Engagement erforderlich. Es existiert bereits ein Sonderkonto des DFK, auf dem schon einige Beträge eingegangen sind, u.a. auch schon ca. 800.000 DM vor Gründung der Stiftung aus dem Bereich der privaten Wirtschaft, dem Kreis der Firmen und Verbände. Wenn man dazu die fast 5 Mio. des Bundes und der Länder legt, so hat man ein gutes StartkapitaL Die personelle sowie fmanzielle Unterstützung der Länder und des Bundes für die ersten drei Jahre sind etwas, was das Deutsche Forum meiner Ansicht nach in die Lage versetzen kann, mit der Arbeit zu beginnen. Trotzdem 5 Pitschas

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wird weiterhin Unterstützung aus allen Bereichen benötigt, um das Unternehmen Kriminalprävention erfolgreich angehen zu können.

Funktions- und Aufgabenlegitimation des Deutschen Forums? Diskussion zu dem Referat von Andreas Kossiski Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Stefanie Gille Pitschas leitete die Diskussion mit einem Dank an den Referenten ein. Er bedauere das vermutlich unausweichliche Ausscheiden Kossisikis aus dem Gremium, weil dieser Polizeibeamter sei und sich hierzu die Frage aufdränge, wer in einer solchen Stiftung in welcher Funktion künftig tätig sein könnte. Man müsse sich z. B. fragen, inwiefern die öffentliche Hand ab dem Moment, in dem eine bürgerlich-rechtliche Stiftung bestehe, ihre Beamten noch dorthin entsenden dürfe. Die Kernfrage sei allerdings, wozu man ein solches Deutsches Forum für Kriminalprävention überhaupt brauche.

In Verfolg dieser Frage wurde von Gille das Verhältnis zu den Landespräventionsräten aufgegriffen, weil im Vortrag von der Kontaktaufnahme zwischen dem Forum und den Räten berichtet worden sei. Von Interesse sei in diesem Zusammenhang, ob es in den Präventionsräten eine relativ große Akzeptanz gebe, die dann in partnerschaftliehe Kooperation umgesetzt würde, oder ob man auch Kompetenzkonflikte befürchte. Es wäre ja durchaus denkbar, dass man der Auffassung sei, die Arbeit der Landespräventionsräte könne durch die Arbeit des Forums negativ beeinflusst werden. In direkter Antwort konstatierte Kossiski, dass man bisher nur positive Resonanz bekommen habe und es eine partnerschaftliehe Kooperation gebe. Man habe die Kooperation auch bereits in der anfänglichen Aufbauzeit des Forums, als man noch kein offizielles Mandat gehabt hätte, gesucht. Die Landespräventionsräte seien für das Forum natürlicherweise diejenigen Partner, die man brauche und welche eigentlich das Forum gefordert hätten. Man habe ganz eindeutige Signale aus diesem Bereich bekommen, dass die Entwicklung des Deutschen Forums sehr positiv gesehen werde. Aus den Landespräventionsräten seien auch von Anfang an Vertreter in den Beraterstab mit hineingenommen worden (z. B. der Geschäftsführer des Landespräventionsrates Niedersachsen, Hartmut Pfeiffer, der bis in die letzten Tage, bis zur Erarbeitung der Stiftungsstrukturen, mitgearbeitet habe). Insgesamt lägen von Länderseite nur positive Rückmeldungen vor. Dies basiere vor allem darauf, dass man von vorneherein von Seiten des Forums aus deutlich gemacht habe, dass man nicht "Vorgesetzter" der Landespräventionsräte werden, sondern man mit ihnen

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partnerschaftlieh zusammenarbeiten wolle. In verschiedenen Projekten und in der Datenbankentwicklung habe man mit einer Moderationsfunktion auch bereits einen guten Weg der partnerschaftliehen Zusammenarbeit gefunden. Für die Entwicklung des Deutschen Forums wäre es geradezu "tödlich", wenn man im Bereich der Landespräventionsräte keine Akzeptanz fmden würde. Solche Signale empfange man aber zur Zeit nicht, sondern mache eher die gegenteilige gute Erfahrung. Pitschas meinte, dass damit zwar die Frage nach den Konkurrenzen glatt beantwortet sei. Ihm sei aber nicht ohne weiteres klar, warum ein Landespräventionsrat noch die Arbeit des Deutschen Forums brauche. Wenn man sich als solcher mit anderen austauschen wolle, mache man das selbst und auch eine Koordination sei durch eigene Aktivität möglich.

Dem wollte sich Hertinger nicht anschließen, der die Entwicklung insgesamt begrüßte. Er habe mitarbeiten dürfen in einer ersten Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz, die die Grundlagen für die Arbeit des Forums gelegt habe. Wenn man nun sehe, was sich daraus entwickle, halte er dies für eine ganz tolle Sache. Man brauche das Deutsche Forum für Kriminalprävention, weil es notwendigerweise dazu beitragen werde, in unserer Gesellschaft ein Klima dafür zu erzeugen und zwar weit mehr, als es ein einzelnes Landesgremium in einem Bundesland tun könne. Bürgerschaftliebes Engagement im Bereich der Kriminalprävention bzw. der inneren Sicherheit habe in Deutschland nicht gerade eine lange Tradition. In Deutschland bestehe überwiegend die Auffassung "Ich zahle meine Steuern und im übrigen sollen sich Polizei und Justiz um die innere Sicherheit kümmern. Was geht's mich an?" Es gebe natürlich im Gegensatz dazu viele Projekte, z. B. im Bereich der Bewährungshilfe, wo sehr viel privates Engagement stattfinde. Insgesamt fehle aber leider insgesamt eine gesellschaftliche Philosophie bzw. Akzeptanz der Mitverantwortung für innere Sicherheit und Kriminalprävention. Aus Sicht der Länder sehe man unter anderem deswegen (zumindest könne er das für Rheinland-Pfalz so sagen) ein Bedürfnis für das Deutsche Forum, weil es aufpolitischer und gesamtgesellschaftlicher Ebene zur Herstellung dieses Bewusstseins in der Bevölkerung beitragen könne und auch werde, wovon er überzeugt sei. Anknüpfend an den Aspekt von Sinnhaftigkeit, den Pitschas in die Diskussion eingebracht habe, wollte Stüllenberg dem Deutschen Forum Gelegenheit bieten, ein etwas offensiveres Marketing zu betreiben. Er stelle sich die Frage, was einen potentiellen Investor veranlassen sollte, Geld in das Forum zu investieren und nicht in einen der Landespräventionsräte, wo vor Ort konkrete Aufgaben mit dem Geld erledigt würden und man als Geldgeber die Aufgabenwahrnehmung direkt beeinflussen könne. Gerade Sicherheitsunternehmen als Partner hätten mittelbar die Zielrichtung, dass Branchen- bzw. Unternehmensinteressen in die Präventionsarbeit einfließen sollten, was ja auch durchaus im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Ansatzes gewünscht sei. Die zweite Frage, die ein Investor in diesem Zusammenhang auch noch stellen würde, wäre

Funktions- und Aufgabenlegitimation des Deutschen Forums?

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die, was man mit dem Geld beim Deutschen Forum eigentlich mache, ob es selbstverständlich sei, dass dieses Geld thesauriert und nur aus den Erträgen die laufende Arbeit der Stiftung finanziert werde. Als andere Variante wäre denkbar, dass das Forum, wenn das Geld verbraucht sei, weitersammeln müsse. Diese Fragen drängten sich einem Investor auf, so dass sie befriedigend beantwortet werden müssten. Die Fragen beantwortete Kossiski direkt, indem er auf den Stiftungsgedanken verwies, der vorschreibe, dass das Geld einmal gestiftet würde und man dann von den Erträgen die Arbeit fmanziere. Mithin werde der Zustand nicht eintreten, dass das Geld aufgebraucht sei. Das Stiftungsvermögen sei "auf ewig" angelegt. Wer einmal in die Stiftung etwas einzahle, akzeptiere den Grundgedanken der Förderung der Kriminalprävention in allen Aspekten, wobei er sein Recht, auf bestimmte Präventionsentscheidungen Einfluss zu nehmen, aufgebe. Was grundsätzlich noch möglich bleibe, sei die Beteiligung an den demokratischen Strukturen (Mitarbeit in Kuratorium und Stifterrat). Eine Finanzierung der Arbeit über die Erträge werde realistisch bei erreichten 25 bis 30 Mio. DM als Stiftungsvermögen. Diese Zahl erscheine auf der Basis von 10 Mio. DM Startkapital und im Hinblick auf die europäischen Vergleichszahlen auch durchaus realistisch. Ein Blick auf England zeige, dass der Sun-Konzern dort als größtes Versicherungsunternehmen in England ca. die dreifache Menge des staatlichen Anteils an Geld alleine aufbringe. Man müsse sich schon fragen, was einen solchen Konzern zur Investition solcher Summen animiere und was er sich davon erwarte. Die Wirtschaft unterstütze gerade in England die kriminalpräventiven Unternehmungen sehr massiv. Einem Einzelunternehmen vor Ort könne man dagegen realistischerweise wohl tatsächlich eher empfehlen, in die kommunale Prävention zu investieren, weil kommunale Prävention vor Ort stattfinde und dort bestimmte Projekte durch Investitionen am Leben erhalten werden sollten, räumte Kossiski aber ein. In die Stiftung Deutsches Forum zu investieren heiße demgegenüber, eine bestimmte Form von Lobbyarbeit, auch Politikberatung bzw. politische Einflussnahmen zu akzeptieren. Aus diesem Grund seien weniger einzelne Firmen angesprochen als vielmehr bundesweit tätige Verbände und Institutionen, die ein Interesse daran hätten, gesamtgesellschaftlich, auf nationaler Ebene bundesweit und auf europäischer Ebene etwas zu verändern. Spätestens auf europäischer Ebene höre die Zuständigkeit eines Landespräventionsrats auf und es gebe bisher keinen übergreifenden nationalen Ansprechpartner. Das Forum müsse und wolle zwar akzeptieren, dass es vor Ort und regional andere bzw. eigenbestimmte Strukturen gebe, aber es existierten eben bestimmte Bereiche, die darüber hinausgingen. Dafiir bestehe die Möglichkeit, in einem Kuratorium mit 5 Bundesministern, 6 Landesministern der Kemressorts, Vertretern der großen Kirchen, 4 kommunalen Spitzenvertretern sowie Vertretern von Wirtschaftsverhänden Politik zu beeinflussen, was von einem einzelnen Landespräventionsrat nicht zu leisten sei. Daraus resultiere dann seine Bitte, sich zu en-

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gagieren, aber nicht vordergründig mit der Zustiftung von 20.000 oder 50.000 Euro zu meinen, man könne etwas bewirken. Dies stelle nur das Eintrittsgeld in die Stiftung dar, die Arbeit finde aber in den demokratischen Strukturen statt (Kuratorium, Stifterrat, Plenum und die sich entwickelnden Strukturen). Später könne man einmal sehen, ob man einzelne Firmen oder große Institutionen in dem Bereich der Projekte einsetze. Bereits heute existierten KooperationsProjekte von mehreren Landespräventionsräten, weil einzelne Präventionsräte teilweise Projekte nicht mehr alleine fahren könnten (z. B. im norddeutschen Verbund ein Projekt gegen Rechtsextremismus). Ein einzelner Landespräventionsrat mit zwei oder drei Mitarbeitern in der Geschäftsstelle könne diese Arbeit nicht mehr leisten, weswegen man die Kapazitäten zusammenfasse. Ein weiterer Aspekt sei eben auch der europäische Kontext. Sobald man z. B. mit Italienern kooperieren wolle, riefen diese nach einer nationalen Struktur. All' das seien die Ansatzpunkte für das Deutsche Forum, von wo aus man den Mehrwert bieten könne, den Landespräventionsräte nicht mehr erbringen könnten. Siegmund Ehrmann von der Stadt Moers äußerte seine große Skepsis gegenüber der geschilderten Tätigkeit des Forums, weil er sich frage, ob es wirklich notwendig sei und ihm als kommunalem Endverbraucher weiterhelfe. Der Ernstfall sei für ihn das Geschehen in der Kommune, wie es in der Diskussion bereits von Bülow beschrieben worden sei. Diese Einordnung habe für ihn eine große Hilfe dargestellt. Er sehe klarer, dass vor Ort die Akteure sehr intensiv kommunizieren müssten, um ihre Ansätze in die Fläche zu bringen. Insgesamt sei nachvollziehbar, dass man Informationsaustausch benötige und wenn das Deutsche Forum übernetzt eine Plattform anbiete, dann stelle dies durchaus eine Hilfe dar (z. B. ganz konkret bezogen auf Internet-Adressen). Seine große Skepsis beziehe sich denn auch eher auf die umfassende Arbeit und ob diese wirklich weiterhelfe und nicht vielmehr wieder ein Apparat geschaffen werde, von dem behauptet würde, dass dort Demokratie stattfmde. Dies lasse sich jedoch anzweifeln, weil man sich fragen würde, wo denn die repräsentativ legitimierte demokratische Kontrolle einer solchen Institution läge. In der Kommune werde u.a. von dem Landesinnenminister ein ganz anderes Konfliktfeld hervorgehoben, nämlich die "Korruptionsprävention". Das heiße z. B., sehr vorsichtig mit Sponsoren umzugehen. Die Arbeit des Deutschen Forurns müsse sich also fragen lassen, welches die Interessen seien, was dahinter stecke und wie das, was man dort tue, funktioniere. Gerade wenn man darüber spreche, eine Lobbyfunktion im Bereich der Politikberatung wahrzunehmen, so habe man vor Ort das Bedürfnis nach Rat und Hilfe und nicht so sehr das Bedürfnis, die Sanktionsmechanismen zu erhöhen. Er bedauere daher, dass auf der Tagung relativ wenig Vertreter der sozialen Arbeit vertreten seien, um die Diskussion dahingehend zu vertiefen, wie man eventuell Systeme umgestalten könnte, um seismographisch Möglichkeiten der Jugend- und Sozialarbeit für die Kriminalprävention zu orten. Wie aus dem Gesagten schon ersichtlich würde, habe er lokal andere Nöte und er frage sich, ob das, was hier mit großem Engagement vorangetrieben werde und was aus anderer Sicht auch gut betrieben werde, aus

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der Sicht des kommunalen Endverbrauchers wirklich ein Angebot darstelle. Es könne natürlich sein, dass man diesen nicht im Blick habe. Direkt daran anschließend bekräftigte Kossiski, dass man beim Deutschen Forum den kommunalen Bereich sehr stark im Visier habe. Im Kuratorium säßen vier kommunale Spitzenvertreter, was man überwiegend Herrn Leonard als Beigeordnetem der Stadt Düsseldorf zu verdanken habe. Dieser habe immer wieder und zurecht darauf gedrungen, dass Kriminalprävention vor Ort stattfmde. Eine Idee, die im Deutschen Forum mittransportiert werde und die fiir Kommunen eventuell einen Mehrwert darstellen könne, sei z. B. die Implementation eines Studienganges. In England an der Universität von West England in Bristol existiere ein solcher ganzheitlicher Ansatz eines Studiengangs fiir Kriminalprävention, bei dem Kommunalvertreter, Verwaltung, Kommunalpolitiker, Sozialarbeiter, Polizeibeamte sowie Architekten zusammen Prävention vermittelten. Bisher gäbe es dort nur ganz wenige Deutsche, die diesen Studiengang absolvierten (konkret bekannt sei ihm nur einer, der diesen im Fernstudium besucht habe). Das Deutsche Forum habe vor, diese Idee mit irgendeiner deutschen Hochschule zu verwirklichen. Man könne einen Studiengang entwickeln, bei dem ganzheitlich die vielen Ressourcen zusammen gebündelt würden und Leute, die in ihren Fachbereichen originär zuständig seien, zusammenkämen und diese Themenbereiche ganzheitlich vermittelten. Dies stelle z. B. ein konkretes Angebot in der Zukunft an die kommunale Ebene dar, dort die Akteure fortzubilden und zu qualifizieren, was bisher in Deutschland nicht möglich sei. Deutschland sei in diesem Bereich noch ein "Wüste", weil so etwas bisher nicht existiere. Zwar gebe es viele motivierte Einzelpersonen, aber es gebe keine Struktur in der Fortbildung und keine Ausbildungsstandards. lnsoweit sei das Deutsche Forum eben nun auch auf Wunsch der kommunalen Spitzenverbände tätig geworden. Ihm sei auch bekannt, dass die kommunalen Spitzenverbände in den letzten Jahren dem DFK sehr skeptisch gegenüberstanden, weil es ja auch um viel Geld und Planstellen ginge. Es sei nicht immer einfach, Bürgermeistern zu vermitteln, um eine wie gute Idee es sich handele. Der gesamte Prozess habe sich aber zumindest in den kommunalen Spitzenverbänden völlig umgekehrt. Man habe dort sehr gute Arbeitskontakte und erwarte von den Spitzenverbänden auch eine Unterstützung der Aufbauarbeit. Er könne zwar den Kommunen die eigentliche Skepsis nicht nehmen, hoffe aber, dass man mit dem Forum noch etwas Geduld habe. Zur Korruption und zum Sponsoring verwies er zentral auf das Konstrukt der "Stiftung". Dieses Konstrukt habe ein sehr hohes Ansehen und unterläge intensiver Prüfung sowie der ständigen Offenlegung aller Finanzwege. Dies biete die Gewähr dafiir, dass illegale Dinge oder Einflussnahmen nicht geschehen könnten, weswegen die Stiftungsidee von vorneherein sehr präferiert worden sei. Sie stelle eine fiir Deutschland völlig neue Entwicklung auf diesem Gebiet dar, die unter anderem wegen der genannten Gründe mehrheitsfähig geworden sei, obwohl es noch nicht viele Erfahrungen damit gebe.

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Pitschas gab sich mit diesen Erläuterungen noch nicht zufrieden. Wenn man anknüpfend an die geäußerte Skepsis versuchen würde, eine Gegenposition aufzubauen, könne man auch davon ausgehen, die Bundesrepublik Deutschland habe aus Ersparnisgründen diesen Weg vorgezogen. In der ausgebliebenen Antwort auf die Frage von Stüllenberg wäre nämlich ersichtlich geworden, dass man das Kapital fiir die Zinsableitung noch nicht zusammen habe. Sollte es aber nicht zusammenkommen, weil z. B. nur 2,5 Mio. DM von der Bundesregierung gestiftet worden seien, dann werde es sich überhaupt nicht mittelfristig darstellen lassen, wie das Forum arbeite. Ihn würde deshalb die Meinung Kossiskis zu zwei Thesen interessieren: Die erste These sei, dass die Stiftungsform gewählt würde, damit die Finanzierungszuständigkeit bzw. die Notwendigkeit, erhebliche Geldbeträge durch den Zentralstaat einzuschießen (wie in Frankreich) entfalle. Die zweite These sei, dass mit der Gründung des DFK die Verantwortung fiir Kriminalprävention gleichsam privatisiert würde und der Staat sich aus dieser Verantwortung zurückziehe. Dies sei eigentlich ein Verlauf, der gerade nicht fiir die gewollte Breite gesamtgesellschaftlicher Kriminalitätsbekämpfung spreche. Er selbst sei in der Beratergruppe pro-aktiv tätig gewesen, nur müsse man von vomeherein sehen, wie realistisch die Chancen seien und welcher Gegenwind in den nächsten Jahren noch zu erwarten sei.

In seinem Abschlussstatement verwies Kossiski noch einmal darauf, dass man realistischerweise heute weder von den Ländern noch vom Bund riesige Finanzmittel (z. B. vergleichbar mit denen in Großbritannien) erwarten könne. Ob die Summe von 2,5 Mio. DM außerdem wirklich zu gering sei, darüber ließe sich durchaus noch streiten. Das sei eben das, was der Bund und Länder dem Forum zur Zeit zur VerfUgung stellen könnten und er halte dies insgesamt fiir ein positives Signal. Er habe nicht das Gefiihl, dass der Staat sich dadurch zurückziehe, sondern dieser nehme ja entscheidende Funktionen auch im Kuratorium wahr. Im übrigen sei es immer ein verbreiteter Vorwurf gewesen, dass der Staat dieses Thema zu massiv - gerade auch über die Innenressorts - besetze, so dass im Grunde genommen andere keinen Platz ergreifen könnten. Über die Stiftungsidee bestehe nun die Möglichkeit, dass alle gesellschaftlichen Gruppen (die drei Sektoren Staat, Wirtschaft und NGOs) sich in dieser Aktion wiederfmden könnten. Wenn man von gesamtgesellschaftlicher Prävention rede, müsse sie sich auch dort abbilden und nicht durch einen Part dominiert werden, weder durch die Wirtschaft noch durch den Staat. Aber auch der Staat müsse seine Rolle einnehmen und dies vermutlich auch primär in politischer Umsetzung, die teuer genug sein werde. Die drei Bereiche müssten sich insgesamt gegenseitig kontrollieren und sicherlich immer wieder motivieren, ihre bestimmten Verantwortungsbereiche wahrzunehmen. Er würde es also nicht so sehen, dass der Staat sich zurückziehe, sondern dass er eine andere, fast moderne Position einnehme. Pitschas wies zum Abschluß auf die in der Tat latente Kritik zu dieser ,,modernen" Position der Staatsverantwortung in seinen eigenen Worten hin; er be-

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dankte sich bei den Referenten und den Teilnehmern fiir einen engagierten und interessanten Vormittag.

Zweiter Teil Kommunale Kriminalprävention

Lokale Sicherheitspolitik durch kommunale Kriminalprävention Von Rainer Prätorius I. Eine Analogie zur Einstimmung Jeder Fußballfan ist ein latenter Nationaltrainer und als solcher kennt er natürlich den Unterschied zwischen Mann- und Raumdeckung. Letztere Abwehrstrategie galt seit den 60er Jahren als die überlegene: sie erspare Laufwege und ermögliche trotzdem eine koordinierte Abschirmung, sie erleichtere das Umschalten in den eigenen Spielautbau, sie vermeide vor allem, dass man sich vom Gegner den Ablauf diktieren lasse. Manndeckung konnte noch mit einfach gestrickten Destruktivverteidigern wie Berti Vogts und Nobby Stiles auskommen, mit der Raumdeckung wurde der intelligente und kreative Defensivspieler gefordert. Der mit Kriminalitätskontrolle Befaßte wird ahnen, worauf die Analogie zielt. Eine nur am Täter und am schon geschehenen Delikt fixierte Strategie erscheint reaktiv, sie läßt sich von der Gegenseite das Gesetz des Handeins diktieren. Dagegen ermöglicht der Ansatz beim (potentiellen) Opfer, bei den Tatgelegenheiten und bei dem Raum, in dem Delikte auftreten, die Chance "kürzerer Wege": das Verbrechen bereits im Entstehen beobachten, ihm vielleicht sogar zuvorkommen zu können und Informationen aus dem weiteren Umfeld kontinuierlich verarbeiten zu können. Auch das bessere Umschalten in die eigene "Spielgestaltung" wird versprochen: die beobachtete sozialräumliche Konstellation kann nämlich zum sozialökologischen Gestaltungsauftrag umgedeutet werden; Kriminalprävention avanciert so zur dezentralen Gesellschaftspolitik. Aber die Analogie taugt auch dafiir, dieses euphorische Bild einzutrüben, denn auch im Fußball hat sich "Raumdeckung" nicht als Patentrezept erwiesen. Besonders gefahrliehe gegnerische Stürmer verdienen immer noch individuelle Zuwendung, die Devise "die Räume zumachen!" hilft dagegen eher bei durchschnittlichen Angreifern und beim vorverlagerten Abschirmen im Mittelfeld. So wie im Fußball es wohl dauerhaft immer nur zu wechselnden Kombinationen von Mann- und Raumdeckung kommen wird, so kann auch die Kriminalitätskontrolle der Suche nach einer immer wieder neu zu bestimmenden Balance im vergleichbaren Sinne nicht entraten. Natürlich gibt es dabei auch Moden. Die Wahrnehmung besonders aggressiver Angreifer auf die Rechtsordnung (z. B. Terroristen, Organisierte Kriminalität) begünstigt "manndeckende" Pen-

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delausschläge in der Kriminalpolitik. Generell kann aber ein über die letzten Jahrzehnte sich ausdehnender Trend zugunsten einer Strategie behauptet werden, die Kontexte, Opfer, Voraussetzungen und ,,Anreize" der Kriminalität in den Blick nimmt. "Raum" umschreibt das im figurativen Sinne, wird aber auch im Wortsinne zur Dimension- so z. B. als kriminogene, gebaute Umwelt oder öffentlicher Raum, den die gesetzestreuen Bürger aus den Händen der Belästiger und Kriminellen "zurückerobern" sollen. Anders als bei der äußeren Verteidigung geht es hier überwiegend um kleine Territorien, die es zu schützen gilt. Die politische Organisationsform des Territorialprinzips im kleinen dezentralen Maßstab ist bekanntlich die kommunale Selbstverwaltung. Wenn eine solche elementare Staatsfunktion wie die Erhaltung öffentlicher Sicherheit und die Eindämmung von Kriminalität der örtlichen ,,Allzuständigkeit" zugeschrieben wird, dann erscheint das wie eine späte Rehabilitierung einer früher gering geschätzten Politikebene. In den siebziger Jahren distanzierten sich die deutschen Politologen vom Begriff "Kommunalpolitik", weil er gerade jene autonome, der "großen Politik" abgewandte Aufgabenfmdung in der örtlichen Gemeinschaft suggeriere. Dagegen wurde "lokale" Politik präferiert, implizierend, dass die dezentralen Konflikte denselben Interessen- und Machtkonstellationen gehorchten und von den sektoralen "policies" geprägt seien, die auch die zentrale Staatlichkeit beherrschten. Unter eher normativen Vorzeichen werden heute andere Akzente gesetzt. Wenn die Gefährdung, die von Kriminalität ausgeht, zugleich als Anfechtung des Zusammenlebens einer örtlichen Gemeinschaft bestimmt wird, dann ergeht zugleich ein Gestaltungsauftrag an diese allgemeine Walterin des dezentralen Territorialprinzips, öffentliche Sicherheit nicht mehr segmentären Teilpolitiken zu überlassen, sondern als integrierte Aufgabe mit lokaler Verdichtung zu begreifen. Dahinter steht das Ideal einer Kommune, die "Gefahren", welche das örtliche Zusammenleben beeinträchtigen, als ebenso komplex auffaßt wie diesen zuletzt genannten Rechtfertigungsgrund ihrer Zuständigkeit. Die Verwaltungsgeschichte der Bundesrepublik spricht in der Tat aber eine andere Sprache. Die meisten Gefahren wurden in Spezialnormen aufgerastert und obliegen nun Verwaltungen, die an einer sehr kurzen Leine der Landes- und Bundesgesetzgeber agieren; die komplexeste Gefahr - aus dem gesetzesbrechenden Handeln von Menschen - wird von der Polizei, nunmehr reine Landesbehörde, reguliert (vgl. Prätorius 2001). Schickt sich aber nicht die Kommunalpolitik gegenwärtig an, hier verlorengegangenes Terrain zurückzugewinnen, indem sie als "Kriminalprävention" gerade die komplexesten, am wenigsten in Spezialnormen typisierbaren Gefahrenquellen in ihren Handlungsbereich zurückholt? F.-L. Knemeyer bejaht das und weist aus eben diesem Grunde den Begriff "kommunale Kriminalprävention" zurück, da dieser ein Eindringen in vollzugspolizeiliche Aufgaben vermuten lasse - hingegen gehe es aber um allgemeine Gefahrenabwehr durch die Organe der örtlichen Gemeinschaft, die dann

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auch vorsorgende Maßnahmen zulasse: ,,Dabei kann Vorsorge nicht nur den unmittelbar der konkreten Gefahr vorgelagerten Bereich erfassen; Vorsorge wäre zu eng gesehen, wollte man sie auf die technische oder rechtliche Sorge für eine effiZiente Durchführung der Gefahrenabwehr im Einzelfall formulieren. ,Polizei' muß auch das gefahrenträchtige Umfeld erfassen und, dieses allgemein gestaltend, Voraussetzung für Sicherheit schaffen" (Knemeyer 1999, S. 25). Daraus folgt, "daß nicht einzelne staatliche Polizeiaufgaben auf die Kommunen (in den übertragenen Wirkungskreis) übergewälzt, sondern als im eigenen Wirkungskreis angesiedelt zu sehen sind." (Knemeyer 1999, S. 29). Sollte ein solcher Prozess tatsächlich die Dynamik gewinnen, die dieser Autor ihm wünscht und zutraut, dann sind die kontroversen, politischen Bewertungen schon jetzt absehbar. Einen nostalgischen Rückfall in die Zeit vor dem Kreuzberg-Urteil werden die einen bespötteln, andere sehen schonjetzt forcierte gesellschaftliche Spaltung durch eine "Verpolizeilichung" der Kommunalpolitik, wieder andere werden begrüßen, dass die lokale Demokratie auf einem unleugbar wichtigen Gebiet der Gesellschaftspolitik die Gestaltung zurückbeansprucht In so hitzigen Streit brauchen wir aber solange noch nicht einzutreten, solange der Anlass nicht gewiss ist, solange also die Dynamik zu einer "kommunalen Sicherheitsvorsorge" tatsächlich greift. Für die Prüfung dieser vorausgesetzten Thematik ist - so denke ich - ein Blick ins Ausland hilfreich. Die Vereinigten Staaten von Amerika empfehlen sich für diesen Zweck, weil sie schon früher im großen Maßstab Konzepte integrativer Kriminalitätskontrolle und -prävention unter Einbezug der Kommunen erprobt haben. Außerdem hat die Ausgangssituation in einzelnen Aspekten gewisse Ähnlichkeiten. V ergleichbar ist beispielsweise die Erfahrung einer Aushöhlung kommunaler Selbständigkeit durch funktionale, vertikale Politikstränge. Das amerikanische System war einst durch die klare Entgegensetzung von territorialen "govemrnents" strukturiert: Bund, Staaten, Munizipalitäten. Das 20. Jahrhundert aber brachte den Siegeszug der "sektoralen" Politikstrukturen durch Programme, Transferströme, Regulierungsverantwortungen, die diagonal durch die Territorien verliefen: hier - an Sozialprogrammen beispielsweise ebenso wie an Infrastrukturprojekten - setzen nun die wichtigsten Interesseneinflüsse an: ,,Area govemrnent is weak in the face of sectoral strength. Because of its diverse and fluctuating constituencies, area govemrnent can rarely form a coherent policy (and even then, not one that can last). Instead, an area is left with the choice of accepting, adapting to, or resisting a sector's imposition." (Christensen 1999, S. 152). Unter allen "area govemrnents" sind die Kommunen in der schwächsten Position, da sie die Sektoralisierung der Politik passiv durch die Prägung der eigenen Kompetenzen erfahren: Wohnungsbau ist beispielsweise durch Staatsund Bundesprogramme, durch höherrangige Gesetze, durch sektorale Wirtschaftsinteressen und durch das Planen anderer Körperschaften begrenzt. Lokale Sicherheit erscheint aus dieser Sicht als ein noch relativ günstiger Politikbe-

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reich, denn er erfordert die Kooperation mit staatlichen Agenturen, die selbst überwiegend nach dem Territorialprinzip organisiert sind - nämlich den Polizeien. Da Kriminalitätsfurcht als eine der größten Beeinträchtigungen der subjektiven Lebensqualität identifiziert wurde und als verantwortlich fiir die Flucht der Bessergestellten aus den Großstädten galt, geriet Kriminalprävention zum Herzstück einer rehabilitierenden, integrierten Lokalpolitik Die Voraussetzungen dafiir waren freilich von jeher günstiger als in Deutschland (vgl. Prätorius 1998, S. 31 f. ), denn über die Benennung des Police-Commissionners ist in Großstädten die Polizeiverantwortung zumindest indirekt an kommunale Wahlämter angebunden; vermeintliche und tatsächliche Erfolge in der Kriminalitätskontrolle konnten somit plausibel zum Profilierungsgegenstand des kommunalpolitischen Wettbewerbs geraten. Das ist aber nur ein Kriterium, an dem die mögliche Kommunalisierung der lokalen Sicherheitspolitik geprüft werden könnte. Das andere Kriterium ist der Grad, zu dem die rein polizeiliche Aufgabe der Verbrechenskontrolle und -aufklärung eingebunden ist in das Gesamtensemble der kommunalen Leistungen und Kompetenzen mit Sicherheitsbezug, in dem damit also die Kommunalpolitik eigenständige Akzente in der Verbrechensverhütung setzt. "Community Policing" (CP) enthält diese Dezentralisation als Versprechen und soll darum hier als erstes skizziert werden.

II. Ein Blick über den "Großen Teich" Dass "CP" mehr als ein modisches Schlagwort ist, belegen neueste Zahlen, mitgeteilt durch die Washington Post (Internet-Ausgabe, 26. Febr. 2001). Gemäß Erhebungen fiir das US-Justizministerium betrieben im Jahr 1999 64 % von allen lokalen Police-Departments CP-Programme, ein starker Anstieg gegenüber 1997, als dies auf 34 % zutraf. Die Zahl der Polizisten bei Gemeinden und Staaten, die in solchen Aktivitäten engagiert waren, stieg in diesem Zeitraum von 21000 auf 113000. Ein gewisser Anteil dieses Anstiegs ist allerdings darauf zurückzufiihren, dass zwischen den beiden Vergleichsjahren das Justizministerium die Bezeichnung etwas großzügiger demarkiert hat. Die neue Großzügigkeit ist eine Rücknahme großer Erwartungen der programmatischen Phase. In den frühen Entwürfen wurde CP nicht etwa nur als eine Innovation innerhalb der polizeilichen Taktik angepriesen, sondern als eine grundlegende Neulegitimation im Rahmen von Bürgerbeteiligung. Einerseits sollten die Bürger selbst aktiviert als "frrst line of defense" der Kriminalitätskontrolle begriffen werden, andererseits wurden die Gütekriterien der polizeilichen Arbeit umdefmiert: "In community policing, the justification for policing is not only its capacity to reduce crime and violence at a low cost while preserving constitutionally guaranteed rights but also its ability to meet the needs and desires of the community. Community satisfaction and harmony become important bases of le-

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gitimacy along with crime fighting competences and compliance with the law. Politics, in the sense of community responsiveness and accountability, reemerges as a virtue and an explicit basis of police legitimacy." (Moore 1992, S. 123). Ein so "re-politisiertes" Polizei-Verständnis ordnet diese Institution in die Gesamtheit der lokalen Instanzen ein, die an der Verbesserung der Lebensqualität zielgerichtet arbeiten und dafiir den Bürgern verantwortlich sein sollen (Williarns 1998, S. 19 f.). Ein derart ambitioniertes Verständnis liegt den neuen Zählungen nicht mehr zugrunde. Von der Vorstellung, die gesamte Lokalpolitik dem Sicherheitsbedürfnis und einer integrierenden Lebensqualitätssteigerung unterzuordnen, ist man abgerückt; geblieben ist ein verändertes Polizistenverhalten (mehr Präsenz und leichtere Zugänglichkeil in der Wohnumgebung) und ein diffuses Ideal der ,,Aktivierung", partnerschaftlieber Zusammenarbeit oder Selbsthilfe mit Blick auf die Bevölkerung. Geblieben ist damit aber auch durchaus der Raumbezug der Kriminalitätskontrolle, nur hat diesen Aspekt CP nicht allein fiir sich gepachtet. Zeitgleich mit der CP-Bewegung wurde in den letzten Jahrzehnten Kritik an überkommener Polizeitaktik auch unter dem Schlagwort "problem solving" geübt; man hat beide auch schon als Zweige aus einem identischen, intellektuellen Stamm charakterisiert (Moore 1992, S. 126). In einem Fall soll die Bedürfnisartikulation der Bevölkerung der Polizei die Regelmäßigkeilen und Kontexte der Kriminalität erkennen lehren und dann zu Maßnahmen anleiten; im anderen Fall geht polizeiliche Diagnostik voran: wiederkehrende Muster in Einzeldelikten werden identifiziert; daraus werden dann gemeinsame Problemursachen herausgedeutet; deren Angehen kann als Instrument Bürgerbeteiligung mobilisieren, muß dies aber nicht. "Problem solving" vitalisiert den Raumbezug der Sicherheitsproduktion zunächst einmal dadurch, dass es auf jenen Zweig der Polizeiarbeit setzt, der schon seit jeher am stärksten dem Territoralprinzip verpflichtet war. Der "patrol officer", der bislang nur die erste Tatbestandsaufnahme leistete und dann die weitere Bearbeitung den "detectives" aus der Zentrale überließ, soll eine ausgedehntere Rolle bei der Erforschung von Kriminalität erhalten (Bureau of Justice Assistance 1994, S. 16). Der Einzelfall soll nicht sogleich aus seinem lokalen Entstehungskontext herausgelöst werden und in einer nach Deliktarten zergliederten Kriminalpolizei segmentiert werden. Dies kann eine Dezentralisation mit gleichzeitiger Spartenauflockerung bedeuten: etwa indem "detective-units" in die "precincts" hineinverlagert und größerer Kooperation anbefohlen werden. Ebenso kann es aber eine Anreicherung der schutzpolizeiliehen Aufgaben enthalten, etwa indem eine intensivere Ermittlungskompetenz bei den Polizisten verbleibt, die auch die Kompetenz zur Prävention und zur Vor- und Umfeldbeobachtung haben. "Problem-solving"-Ansätze haben i.d.R. einer Kombination von beiden Elementen das Wort geredet und damit vor allem eine raumbezogene Integration innerhalb der Polizei begünstigt. 6 Pitschas

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Dieser polizeiliche Selbstbezug hat viele Facetten. Eine Ausprägung ist die Aufwertung des "patrol officers" und seines Aktionsterritoriums ("beat") als Schnittpunkte einer an Ursachen ansetzenden Problemanalyse. Diese Aufwertung wird allerdings nicht durchgängig von den Hauptbetroffenen bejubelt: das mittlere Management des Polizeivollzugsdienstes ist irritiert von Aufgabenstellungen, die so wenig standardisiert sind wie Bürgerkontakte, Präventionsberatung und Kooperation mit Sozialbehörden. Hier fiirchtet man, sich unzuverlässigen Erfolgskriterien auszusetzen und die Streifenbediensteten nicht mehr mit klaren Vorgaben steuern zu können (Kelling/Bratton 1993, S. 9 f.; Silverman 1995, S. 46). Die Polizeiruhrungen haben häufig Skepsis gegen die Dezentralisation auf Distrikte und Wachen geäußert: hier lauerten Gefahren, dass die einstmals durch Herauslösung aus dem umgebenden Milieu so betonte Korruptionsbekämpfung wieder aufgeweicht werde (vgl. Bouza 1990, S. 37 f. und 146 f.). Bei den unteren Vollzugsebenen schließlich fiirchtet man häufig Reputationsverlust nach innen und außen: die neuen Tätigkeiten haben nicht die Wertigkeit von "richtiger" Polizeiarbeit, also dem harten Durchsetzen des Gesetzes (vgl. z. B. Reed 1999, S. 32 f. und 124 f. ftir Seattle). Warum hat aber dann ein Amalgam aus "problem solving" mit einer stärkeren Zuwendung zu Bürgerwünschen und Einwohneraktivierung, das heute großzügig als "CP" durchgehen darf, trotz all dieser Skepsis eine solche Verbreitung bei örtlichen Polizeien gefunden? Eine Ursache fiir die Attraktivität dieser Strategien ist ihre politische Vieldeutigkeit (Bayley 1998, S. 18; Eig 1996, S. 8). Konservative schätzen die Verlagerung von Staatskompetenzen auf die örtliche Ebene, Liberale preisen den Ansatz an zugrundeliegenden Problemursachen, technokratische Reformer (vgl. Kratcoski!Dukes 1995, S. 11) hoffen darauf, dass "CP" ein Startsignal fiir eine bürgergerechte Reorganisation lokal erbrachter Dienstleistungen insgesamt gibt. So darf jeder in aktuelle Initiativen hineinlesen, was er will, und da der "Marketing"-Gehalt bei solchen Projekten die realen Änderungen im Polizeialltag häufig übersteigt (vgl. Barlow/Barlow 1999, S. 667: "Community policing is image-management policing"), entgehen die hoffnungsfrohen Erwartungen zumindest zeitweise noch dem Realitätstest Dies gilt vor allem fiir die häufig versprochene Neuausrichtung des gesamten, lokalen Leistungsspektrums entlang des Sicherheitsbedürfnisses der Bevölkerung. Hierfiir wäre sicherlich eine aktive Führung der CP-Projekte seitens der allgemeinsten territorialen Verantwortung auf Ortsebene förderlich, also seitens der Bürgermeister und City Councils beispielsweise. Solcher Rückhalt fiir einen wirklich integrierenden Ansatz ist aber selten (vgl. Eig 1996) - Chicago sticht als das am besten erforschte Beispiel hervor (vgl. Skogan/Hartnett 1997), unter den großen Städten verdienen auch Portland (OR), Seattle, San Diego und - mit Abstrichen - Boston Erwähnung. Dass die Gesamtstadt institutionell eine so geringe Rolle spielt, hat seine Ursachen auch darin, dass

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sie nur ein "local government" unter vielen darstellt und zudem noch mit verbandliehen Organisationen als Projektinitiatoren konkurrieren muss. Dies wird deutlich erkennbar an der Zuleitung von Bundesmitteln fiir innovative, lokale Kriminalprävention (vgl. "Helping Communities Fight Crirne" 1997, S. 72-83). In den einzelnen Programmkategorien dominierten 1997 vor allem "community organizations", Schuldistrikte und andere Erziehungseinrichtungen, Wohnungsbauträger, "public-private partnerships"- also Adressaten, die entweder spezialisierter oder von kleinerem territorialem Zuschnitt als Großstadtregierungen waren - oder beides. Die Förderung hatte auch selten den integralen Raumbezug zum Ziele, sondern richtete sich auf präzisierte, herausgehobene Gefährdungsquellen: wie z. B. Jugendgewalt an Schulen. Aber selbst dort, wo dieser segmentierende Ansatz nicht erkennbar ist, nämlich in der allgemeinen CP-Förderung, für die allein der Bund 1997 1,4 Milliarden Dollar bereitstellte ("Helping Communities Fight Crime" 1997, S. 30), ist der stadtweite Anspruch keineswegs sichergestellt. Empfänger sind zwar PoliceDepartments, doch diese beschränken ihre Aktivitäten meist auf ModellReviere. Das mag Kostengründe haben oder durch Vergleichsmöglichkeiten bei Pilotprojekten motiviert sein, entspricht aber auch dem eher induktiven Ansatz bei "problem solving" und CP. Wenn das Kontextwissen und das Vorfeldeinwirken des uniformierten Vollzugsdienstes gestärkt werden sollen, dann empfiehlt sich ein räumlicher Zuschnitt, in dem beide - Wissen und Wirken realistisch erwartet werden dürfen. Der Trend zum Operieren in nachbarschaftlieber Nähe bewegt dann aber das polizeiliche Handeln weg von der zentralen Kommunalpolitik Aber auch die Bevölkerung agiert in ihren eigenen Sicherheitsbelangen nicht als gesamtstädtische: Kompetenz, die bei ihr abgerufen werden kann, ist vor allem in der Beobachtung des engeren Wohnumfeldes angesiedelt, sie kann zu Informationsausschöpfung (z. B. Anzeigen), aber auch zu sozialgestaltenden, gemeinschaftsfördernden Aktivitäten mobilisiert werden. So wie dann auch die Wahrnehmung der Sicherheitsproblematik nach jenen Gebietseinheiten variiert, die subjektiv wirklich wichtig sind, läßt sich auch selten ein gesamtstädtisch gültiges Bild für die Reaktion auf neue Polizeiaktivitäten ermitteln. Der Glaube, dass mehr Sichtbarkeit und häufigere Kontakte durch vermehrte Fußstreifen die Perzeption der Polizei verbessern, stößt so auf Grenzen: dort, wo die Alltagskontakte zuvor schon negativ besetzt waren, z. B. bei Minoritäten, bleibt die Stimmung auch weiterhin schlecht (Williams 1998, S. 87-89; Reed 1999, S. 124). Viele Untersuchungen belegen, dass die Ausgabe einer neuen Polizeiphilosophie zunächst einmal auf festgefrorene Perzeptionen im Bürger-/PolizeiVerhältnis trifft und dass dann dadurch dieser Philosophie je nach kleinräumigen Verhältnissen Modifikationen widerfahren. In den erwähnten Gebieten mit schlechter "Grundstimmung" wird in der Regel die angebotene größere Präsenz und Zugänglichkeit als Kontrollintensivierung zurückgewiesen; die Polizei

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konstruiert sich dann gern ihre eigene "Community", indem sie selbstbestimmt Kontakte herbeiführt und die Bedürfnisse der Nachbarschaft in der Sicherheitsdimension zu analysieren trachtet (Miller 2000, S. 217; Reed 1999, S. 55). In den Gebieten mit gemischterer und im Schnitt positiverer Resonanz fmdet die Polizei durch Umschalten auf CP durchaus eine Rückkoppelung: häufig allerdings durch ein vermehrtes Anzeigeverhalten der Bürger, was je nach Bedarf als vermehrte Kriminalität oder als besserer polizeilicher Durchgriff interpretiert werden kann. Beide mögliche Tendenzen, zwischen denen natürlich noch viele Schattierungen liegen, illustrieren, dass die neuen Erfahrungen von CP und "problem solving" durchaus im Schatten traditioneller Polizeileitbilder der kompetenten und entschiedenen Reaktion auf Kriminalität verarbeitet werden. Soweit die neuen Kontakte und Informationsgehalte aus der reformierten Praxis durch die Polizei begrüßt werden, erscheinen sie vor allem als Hilfsmittel dafür, dass die Polizei das besser tun kann, was sie schon immer getan hat. Ähnliche Muster wurden auch beobachtet, wenn die Polizei nicht nur auf die Quartierbewohner, sondern auch auf andere kommunale Dienststellen als potentielle Kooperationspartner zuging. Als besonders gesuchte und produktive Partner erwiesen sich die Wohnungs-, Bauaufsichts- und Stadtplanungsinstanzen. Durch solche Kooperationen konnten allgemein sichtbare Problemquellen ("bad buildings", "crack-houses", Zentren der Jugendverwahrlosung und Prostitution) gebündelt sanktioniert werden (Skogan/Hartnett 1997, S. 165 ff)- von Räumungen, Versiegelungen, Nutzungsverboten bis hin zu privatrechtliehen Instrumenten gegen Vermieter (vgl. Finn/Hylton 1994, S. 1 u. 4; Silverman 1999, S. 127-138). Die eher punktuelle Eingriffslogik der Polizei wurde sinnvoll ergänzt, da die Instrumente der Bau- und Planungsautoritäten halfen, einfache Verschiebungen oder gar ,,Metastasen" im Viertel zu vermeiden. Bei dieser Bewertung darf nicht übersehen werden, daß Planungs- und Bauaufsichtsinstanzen selbst regulative Behörden mit eigenem Zwangsmitteln sind - also dem polizeilichem Handlungsauftrag mental nicht allzu fern stehen. Das gilt mit Abschwächung auch für jene Sozialbehörde, die bei CF-Programmen gerne von der Polizei integrativ einbezogen wurde: die Bewährungshilfe - so etwa in Seattle (Miller 2000, S. 215) und in Boston. Bewährungshelfer haben Biographie- und Hintergrundkenntnisse, die der Polizei abgehen, sowie manchmal eigene Zugänge ins "Milieu". Vor allem aber verfügen sie über ein Sanktionsinstrurnent, um das sie Polizisten beneiden: sie können Delinquenten ohne jede zeitliche und prozedurale Verzögerung hinter Gitter bringen, wenn sie Auflagen für verletzt erklären. Ihre Kooperation ermöglicht so ein zielgerichtetes Einwirken auf gefährdete und kriminogene Umwelten. Man kann den polizeilichen Druck zeitlich und partiell lockern, wenn man z. B. in einem Viertel mit schon aktenkundigen Jugendstraftätern Initiativen zur Vertrauensund Gemeinschaftsbildung testen will. Wird diese Offerte aber wider die Intentionen durch mehr Delikte beantwortet, kann sie unverzüglich durch massiv verschärfte und sofort wirksame Sanktion beantwortet werden. Daß die Bewäh-

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rungshilfe gelegentlich bereit ist, diese "flexibilisierte" Sanktionstaktik mitzutragen, liegt daran, daß gerade in den fraglichen Milieus sie massiv auf polizeilichen Schutz angewiesen ist. Andererseits aber ist ihre eigene Klientenlogik fern vom "raumdeckenden", an Opfer, Umgebung und Tatgelegenheit ansetzenden Stil. Hier wendet sich der Blick zurück auf die Behörden, die einen dezidierten Raumbezug in ihrem Auftrag haben, zudem Entwicklungen in dieser Dimension "präventiv" angehen und dabei noch auf erzwingende Instrumente zurückgreifen können. Die kommunalen Zuständigkeiten, die aus Polizeisicht also am ehesten als produktive Kooperationspartner bei der Kriminalprävention erscheinen, waren bislang jene, die Verantwortung für die gebaute Umwelt trugen. Das gilt sowohl für die erwähnte, baupolizeiliche Dimension als auch für die planerische Komponente. Gemeinsam mit vielen CP-Konzepten haben die auf "crime prevention through environrnental design" gerichteten Aktivitäten zwei wesentliche Charakterzüge: sie sollen verloren gegangene, informale, soziale Kontrollen im Alltag kompensieren helfen und sie haben einen kleinräumigen Zuschnitt. Von einstmals ambitionierten Ansprüchen ist die ,,Design"-Schule inzwischen in pragmatischere Gefilde abgestiegen: es geht nicht mehr darum, Architektur und "urbane Ökologie" als unabhängige Variable in Kriminalisierungsprozessen zu begreifen, sondern um bauliche Tatgelegenheitsstrukturen und um Schutzmaßnahmen, die auf diese günstig einwirken (vgl. Ekblom 1993). Förderlich für diese pragmatische Wende war eine Akzentverschiebung von der täter-zu einer opferzentrierten Kriminalitätsbetrachtung (vgl. Evans 1992, S.36 f. und 48 f.). In fortbestehenden Programmen, in denen die mangelnde, soziale Infrastruktur und die Anonymität von Wohnblöcken angegangen wird, um Jugenddeliquenz vorzubeugen, scheint noch der alte Ansatz auf; in polizeilich betreuten Initiativen zur verbesserten Wohnungssicherung, zur Belebung und besseren Einsehbarkeit von Fußgängerwegen, Grünanlagen usw. fmdet man eine Aktivierung der potentiellen Opfer, die an deren Eigeninteresse ansetzt. Eigeninteresse ist aber vorzugsweise mobilisierbar, wo das unmittelbare Wohnumfeld (und damit auch Eigentum!) betroffen ist, wo detaillierte Ortskenntnis waltet und wo Beobachtung auf akkumulierten Erfahrungsschatz aufbauen kann - negativ ausgedrückt: nicht in wohnungsfernen, flüchtig genutzten und anonymen, öffentlichen Räumen. Der spezialisierte, kleimäumige Zugriff ist der gemeinsame Nenner in jenen beiden Komponenten, die sich aus heutiger Sicht als die langlebigsten Zutaten der "policing"-Innovationen angelsächsischer Länder seit etwa 1980 erwiesen haben: "neighborhood watch" und "hot spot"- Taktiken. Beide galten als erfolgreich, obwohl vielfach eingeräumt wird, daß der dauerhafte Erfolg im Sinne einer eigenständigen Reduktion von Kriminalität noch

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nicht bewiesen ist (vgl. Bennett 1992, S. 280-282; Taylor 1998, S. 8 f.). Für die Erfolgsruschreibung genügt es nämlich, daß es hinreichende, z.T. anekdotische Evidenz fiir eine Begrenzung von störenden, ordnungswidrigen und furchteinflößenden Phänomenen gibt. Konzepte des "order maintenance policing" können reklamieren, daß diese Begrenzung im größeren Maßstab einhergeht mit Kriminalitätsrückgang (vgl. Meares/K.ahan 1998, S. 822 f.), doch ist selten die strikte kausale Verknüpfung nachgewiesen worden, auch ist der kleinräumige Zusammenhang zwischen verdrängter Ordnungsstörung und geringerem Kriminalitätsrisiko ein allenfalls behaupteter (vgl. Taylor 1998, S. 9). Für die Popularität von "neighhborhood watch" sind solche Skrupel allerdings belanglos. Typische Aktivitäten wie Beratung bei Wohnungssicherung, erleichterte Erreichbarkeit und sichtbare Präsenz der Polizei, Markierungen an beweglichem Eigentum, "Wachsamkeit auf Wechselseitigkeit" unter Anwohnern haben allein schon einen Effekt auf das Sicherheitsempfmden, weil überhaupt etwas geschieht. Gegenüber den einst hehreren Idealen des CP wirkt mittlerweile ein eher ernüchtertes Menschenbild. Herrschte einst in der "social disorganization"-Kriminologie die Vorstellung, durch gemeinschaftsbezogene Aktivierung der Einwohner könne in einem Viertel deliktverhütende, kollektive Normgeltung verfestigt werden, so ist heute in zweifacher Hinsicht das Anspruchsniveau gesenkt worden. Kriminologen glauben nicht mehr, daß stabile, soziale Normhaushalte ein Viertel von Kriminalität freisprechen (Bursick/Grasmik 1995, S. 112 f.); Polizeistrategen verzichten auf die Ambition, an positiver und normvermittelnder Gemeinschaftsbildung im Viertel durch CP mitzuwirken. Der fiir "neighborhood watch" Aktivierte wird in der Regel weniger idealistisch angesprochen: es geht um seine eigenen Schutz- und Eigentumsinteressen, der wahrgenommene Handlungs- und Beobachtungsraum ist darum denkbar wohnungsnah. Revitalisierungsprojekte fiir ganze Stadtteile, legitime Planungsdimensionen der Kommunalpolitik mithin, lassen sich diesem Anliegen gegenüber nur schwer vermitteln. Befugter Ansprechpartner ist nicht die Stadtregierung, sondern die nächste Polizeiwache, die auch die wahrnehmbaren Fußstreifen schickt. Doch selbst fiir eine derart pragmatisch abgeflachte Präventionsstrategie bleibt die Narrnativität der Bürger relevant- allerdings mehr als Voraussetzung denn als Zielrichtung. So geartete Prävention ist polizei-initiiert und polizeiinfiziert: sie spiegelt daher wider, was bei CP und "problem-solving" schon bekannt wurde - dass Kooperation und Resonanz vor allem abrufbar sind, wo sie weniger gebraucht werden, nämlich in relativ stabilen und saturierten Nachbarschaften (vgl. Bennett 1992, S. 278 f.). "Neighborhood watch" wirkt darum in die Breite auf einem relativ hohen Niveau der Sicherheit. "Hot spot"-Strategien wollen genau das Gegenteil: sie erstreben eine Wirkung in die Tiefe bei einem relativ niedrigen Niveau der Sicherheit. Ausgangspunkt ist die vielzitierte Bilanz einer Pionierstudie in Minneapolis aus den achtziger Jahren: "Hot spot analysis suggests that 3 percent of the pla-

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places in Minneapolis accounted for 50 percent of the calls for police service, that no police cars were dispatched to 40 percent of Minneapolis addresses or intersections, and that the remaining intersections and addresses each logged about one call for service per year." (Greene 1998, S. 49) Die praktische Schlußfolgerung lautet: da Polizeiorganisationen an der aufgeklärten und kontrollierten Kriminalität gemessen werden, sollten sie sich auf jene engeren Räume konzentrieren, wo sie am ehesten fündig werden. Das kann sich durchaus mit gewissen CP-Elementen vertragen: bei der Befriedung gefährlicher Grünanlagen oder bei der Versiegelung von "bad buildings" sind die entsprechenden kommunalen Dienststellen als Kooperationspartner sehr gefragt, im ersten Fall waren auch Bürgerinitiativen schon hilfreich für die Polizei (vgl. Taylor 1998, S. 6 f. u. 11 f.). Generell ist der Zusammenhang von "hot spot"-Strategien und Partizipation aber weniger harmonisch. ,,Hot spots" sind selten isoliert, sondern liegen meist in größeren, problembeladenen Gebietseinheiten (Taylor 1998, S. 9). Mangels Kooperationschancen ist die Polizei hier häufig auf sich selbst zurückverwiesen: "hot spots" werden meistens aus dem systematisierten Erfahrungsschatz des Streifendienstes heraus identifiziert; wird die dabei betriebene Systematisierung durch zentralisierte Datenauswertung und "crime-mapping" (Rieb 1995) gewonnen, geht zudem auch noch dem vorherigen Trend zur Dezentralisation in den Revieren etwas von seinem Schwung abhanden. Mit der Identifikation dieser besonders kriminogenen und besonders eng zugeschnittenen Räume geraten gleichzeitig präzis typisierbare, manchmal namentlich bekannte Personenkreise in das Blickfeld. Es ist statthaft, in dieser nur oberflächlich sozialräumlichen Strategie bereits wieder einen Pendelausschlag zurück zur ,,Manndeckung" zu sehen. Ein Indiz dafür kann sein, daß parallel zur Anwendung von "bot spot"-Strategien in den USA die Diskussion um ,,racial profiling" jüngst wieder an Brisanz gewonnen hat. Es geht dabei um den Vorwurf, daß bei Auto-Stops, Personalfeststellungen und -durchsuchungen sowie Schußwaffenkontrollen immer wieder Schwarze als a-priori Verdächtige behandelt werden. Gerade die erwähnten Maßnahmen gehören aber zum Arsenal der repressiven Mittel gegen "bot spots", und letztere sind nicht selten Treffpunkte von jungen, männlichen Schwarzen. Diese Tendenz, daß nämlich dezentrale Kriminalprävention wieder vermehrt mit repressiven, "manndeckenden" Instrumentarien flankiert wird, tritt auch in anderem Gewand auf. Neben dezentralen, bürgerorientierten Aktivitäten werden nämlich vermehrt zentrale Einsatzkapazitäten aufgebaut, bis hin zu quasimilitärischen "Krisenreaktionskräften" (Waddington 1999, S. 90-92). Gelegentlich wird das sogar aus dem CP heraus begründet: indem zentral verfügbare Spezialisten sich der besonders schweren Kriminalität annehmen, werde die dezentrale Generalisten-Polizei dafür frei, sich bürgernah und präventiv zu betätigen (Barlow/Barlow 1999, S.668, Eig 1996, S. 6). Voraussetzung der CPErfolge ist dann nicht mehr allein die gute Einbettung in die Kommunalpolitik

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und die Resonanz in der urbanen Bevölkerung, sondern auch die traditionelle, repressive Polizeiarbeit, der immer schon ein beträchtliches Absorptionsvermögen gegenüber Neuerungen attestiert wurde. Polizei erweist sich abermals "selbstreferentieller" als es idealistische Entwürfe wahrhaben wollen. 111. Rückbesinnung Was können wir von diesem Ausflug ins Ausland für eher innenpolitische Erörterungen lernen? Wenn die längerfristigen Berachtung von CP und "problem solving" in den USA lehrt, daß sich traditionelle Polizeiaufgaben als so robust erweisen, daß sie einer vollständigen Integration in eine abgestimmte Sicherheitspolitik im Kommunalen widerstreben, dann muß die Prognose für Deutschland ähnlich skeptisch ausfallen. Die Logik des Zugriffs auf spezialisierte Kriminalitätsphänomene erweist sich als ebenso organisationsmächtig wie das Territorialprinzip mit seinem Appell an generelle Lebensqualität Das bedeutet, daß die Polizei initiierend und selektiv ihre Kontakte mit kommunalen Stellen gestaltet, nicht aber die Kommunalpolitik polizeiliches Handeln als eine "Dienstleistung" unter anderen sich gefügig machen kann. Dies läßt sich in Deutschland noch leichter prophezeien, wo die Polizei nicht in das kommunale InstitutionengefUge integriert ist und andere Instanzen - wie die Bewährungshilfe - sich schon aus Gewaltenteilungsgründen abschirmen. Die Führungsrolle der Polizei ergibt sich daraus, daß die Schaffung von Sicherheitsempfmden oft die Voraussetzung dafiir ist, daß Engagement von Bürgern und anderen Instanzen fiir die territoriale Sicherheitsproblematik überhaupt mobilisiert werden kann: Polizei muß erst sichtbar wirksam werden, bevor sie flankiert und ergänzt werden kann. Die deutsche Szene ist nicht mein Thema, darum klingt dieser Aufsatz nur mit derart "starken Behauptungen" aus: auch in unserem Lande wird viel an "kommunaler Kriminalprävention" geleistet, ohne daß sich dabei wirklich kommunalpolitische Führung offenbart. Knemeyer's Hoffnung auf eine Sicherheitsvorsorge innerhalb der örtlichen Allzuständigkeit wird eben dies bleiben: Hoffnung. Lokale Sicherheit hingegen eignet sich durchaus zur reformierten Polizeipolitik mit kommunalen und partizipativen Kontrabanden, denn nur im Horizont der Polizei kann die erforderliche Kombination und Balance von ,,Mann- und Raumdeckung" stabil, aber auch flexibel gewährleistet werden.

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Kriminalprävention in staatlicher und zivilgesellschaftlicher VerantwortungspartnerschaftKommunale Kriminalprävention durch Behördenkooperation und gesellschaftliche Eigenverantwortung in der Bürgerkommune am Beispiel der Stadt Ludwigshafen Von Wilhelrn Zeiser Im Mittelpunkt meiner Ausruhrungen steht das Thema "Kommunale Mitverantwortung im Sicherheitsnetzwerk und Kriminalprävention" im weiteren Sinne. Dies beinhaltet nicht nur ordnungsrechtliches Handeln und Überwachung, sondern ein mit allen gesellschaftlichen Kräften präventiv und vorausschauendes Arbeiten, um dadurch negative Entwicklungen in der Gesellschaft frühzeitig zu erkennen und Gegenstrategien zu entwickeln. Das, was wir in Ludwigshafen machen, ist der Versuch, einen neuen Gesellschaftsvertrag zu defmieren und in vielen Einzelschritten umzusetzen. Bei allen unseren Ansätzen wollen wir die Schere zwischen der objektiven Sicherheitslage und dem subjektiven Sicherheitsempfmden des Einzelnen vermindern. Kriminalität und Sicherheit ist seit Jahren ständiges Thema in der Öffentlichkeit. Die Medien - vor allem die Zeitungen - berichten täglich von negativen Geschehnissen im lokalen und überregionalen Bereich. Die Menschen lesen und hören das und übertragen es als möglich in ihr persönliches Umfeld, vor die eigene Haustüre. Bürgergruppen reagieren, Politiker äußern sich. Nirgendwo in der Welt ist die Angst vor Kriminalität so verbreitet wie in Deutschland. Die bundesweite Kriminalitätsstatistik weist rur die letzten Jahre eine fast gleichbleibende Tendenz auf. Etwa 6,6 Mio. Straftaten pro Jahr seit 1993 und eine durchschnittliche Aufklärungsquote um die 50%, Tendenz steigend, lassen eigentlich nicht den Schluss zu, dass es in den Städten und Gemeinden unsicherer geworden ist. Doch die Realität straft die nüchternen Zahlen Lügen. Das Unsicherheitsgeruhl und die Angst, Opfer einer Straftat zu werden, nimmt seit Jahren in der Bevölkerung zu. Besonders stark verbreitet ist dieses Gefiihl in den städtischen Zentren, wo sich die gesellschaftlichen Probleme fokussieren. Die Städte sind laut Statistik auch ruhrend in der Zahl von Straftaten pro Einwohner. Die Kriminalitätsangst ist überdurchschnittlich hoch. Etwa 70% aller Bürgerinnen und Bürger in Westdeutschland und 86% aller Ostdeutschen berurchten, dass sie Opfer einer Straftat werden könnten. Diese Werte liegen im internationalen Vergleich einsam an der Spitze. Der Giessener Krirninologe Edwin Kube

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führt die zunehmende Angst dabei aber nicht nur auf schlagzeilenträchtige Kapitalverbrechen zurück, sondern auch auf sog. "Verfallserscheinungen", die seiner Meinung nach besonders in den Zentren zu verzeichnen sind. So könne man kaum noch durch deutsche Innenstädte gehen, ohne durch aggressives Betteln, Zerstörungen in Bussen und Bahnen, "Wandmalereien" oder durch die Drogenszene gestört zu werden und damit in der eigenen Unsicherheit eine Bestätigung zu finden. Als Gründe für die Verunsicherung werden von Soziologen auch der Verlust familiärer Bindungen und nachbarschaftlieber Interaktion genannt. Zusammen mit gesellschaftlichen Umwälzungen wie nach wie vor vorhandener Arbeitslosigkeit und der Entstehung von gesellschaftlichen Randgruppen führt dieser emotionale Mix zu immer mehr subjektiver Unsicherheit und Angst. Der Ruf nach der Polizei und dem Überwachungsstaat kann dabei nicht die Lösung des Problems sein. Eine noch so effektiv arbeitenden Polizei ist alleine nicht in der Lage, die Kriminalität und deren Ursachen vollständig einzudämmen. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit und des Rechtsfriedens ist auch nicht allein Aufgabe von Polizei und Justiz; sie ist vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die alle Bürgerinnen und Bürger in die Verantwortung nimmt. Um dauerhaft erfolgreich zu sein, muss man am Ursprung des Übels und der Probleme ansetzen, nicht an den Symptomen. I. Unsere Aktivitäten in Ludwigshafen

Da wir in Ludwigshafen gerade in einer Zeit des raschen sozialen Wandels wollten, dass sich die Bürger in ihren Wohnungen und im öffentlichen Raum sicher fühlen, haben wir uns vor Jahren dem Thema Kriminalitätsverhütung durch Prävention geöffnet. Zusammen mit dem Polizeipräsidium haben wir 1994 den damals ersten "Rat für Kriminalitätsverhütung" in Rheinland-Pfalz eingerichtet. Anlass zur Gründung war ein Gesprächskreis, der sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jugendbereichs der Stadt und dem Polizeipräsidium Rheinpfalz zusammensetzte. Dieser Kreis wurde anlässlich der Brandanschläge in Mölln und Solingen im Frühjahr 1993 initiiert und kam zu dem Ergebnis, dass solche Vorfälle auch in Ludwigshafen bei 170.000 Einwohnern (davon ca. 34.000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger) möglich wären und die Polizei alleine nicht in der Lage sein würde, dies zu verhindern. Die Polizei oder andere Sicherheitsorgane könnten mit ihren Mitteln die vorwiegend gesellschaftlichen Problemfelder auch nur überwachen, aber nicht therapieren. Leider hat uns im Sommer 2000 die Realität eingeholt, als vier rechten Gruppen zuzurechnende Jugendliche einen Brandanschlag auf eine Unterkunft für Bürgerkriegsflüchtlinge in Ludwigshafen-Oppau verübten; zum Glück ist der Anschlag glimpflich ausgegangen. Ich werde darauf zurückkommen.

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Politische Lösungen sollten also - so unser Ansatz - diskutiert und schrittweise aufgenommen werden. Wir wollten und mussten etwas unternehmen, da im Zeichen der krisenhaften Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft die Bürger ihre Prioritäten eindeutig bei der Sicherung ihrer eigenen existentiellen Grundlagen setzen. Sie wollen die Grundfunktionen wie Arbeitsplatz und Wohnraum gesichert sehen, der Umweltschutz soll einen hohen Rang einnehmen und sie wollen sich im öffentlichen Raum und in ihrem Wohnumfeld sowie in ihrer Wohnung sicher fühlen. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Bürgerurnfrage, die wir ebenfalls 1993 in Ludwigshafen durchgeführt hatten. Die Gründung des Rates für Kriminalitätsverhütung erfolgte am 3. April 1994 unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Vertreter aller verantwortlichen gesellschaftlichen Gruppen und die Träger formeller und informeller Sozialkontrolle waren eingeladen und beteiligt. Den Vorsitz im Rat übernahm Herr Oberbürgermeister Dr. Schulte, seine Stellvertreter sind der Polizeipräsident des Polizeipräsidiums Rheinland-Pfalz und der Sozialdezernent der Stadt Ludwigshafen. Die Geschäftsführung obliegt dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie. Damit wird bewusst ein deutliches sozialpolitisches Signal gesetzt. Folgende Arbeitskreise wurden dann schrittweise gebildet und dem Rat für Kriminalitätsverhütung angegliedert: •

ein Arbeitskreis Kriminalitätslagebild (Aufgabenzuordnung bei der Polizei),



ein Arbeitskreis Schule - Soziales - Polizei (zugeordnet dem Schuldezernat),



ein Arbeitskreis "Sozialisation" (zugeordnet dem Sozialdezernat),



ein Arbeitskreis Frauen (zugeordnet der Gleichstellungsbeauftragten)



und ein Arbeitskreis Innenstadt (zugeordnet dem Ordnungsdezernenten).

Der ursprüngliche Initiativkreis wurde als .. Projektplanungsteam" institutionalisiert und befasst sich weiter mit dem Thema Präventionsplanung. Ziel war eine Systematisierung der Präventionsansätze, um eine konkrete Projektplanung, orientiert am Gesichtspunkt der "Machbarkeit" in Angriff nehmen zu können. Die Kernfragen waren:

* Modellkonkretisierung * Festlegung der Zielgruppe

* Zieldefinition

=

Was wollen wir?

=

Für wen wollen wir es?

=

Warum wollen wir gerade dieses?

Das Projektplanungsteam erstellte auch ein Arbeitsraster:

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* Produktion von Sicherheit: * Kommunale Sozialverantwortung: * abgestimmtes Handeln und ressortübergreifende, koordinierende

Wie geht das? Was heißt das? Wie stellen wir die notwendige Vernetzung her?

Zusammenarbeit: All diese Ziele sollten mit Inhalten gefüllt und durch Ergebnisse von Projekten in Arbeitskreisen untermauert werden. Anfang 1995 haben wir dann im Kriminalpräventionsrat eine differenzierte Situationsanalyse der Kriminalität in Ludwigshafen vorgenommen und eine Reihe von konkreten Präventionsprojekten auf den Weg gebracht. Der dauerhaft gültige Leitsatz aller Aktionen lautet: "Gemeinsames Handeln vieler, im Interesse aller. " Sicherheit durch Prävention wollen wir als breite Daueraufgabe dabei erreichen, durch: •

objektive Darstellung und laufende Beobachtung der Kriminalitätslage (diesbezüglich ist eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit besonders wichtig);



Information für und an Multiplikatoren;



Fort- und Weiterbildung, inklusive QualifiZierung und Übertragung von Kompetenzen und Verantwortung;



Kontinuität und Verlässlichkeit in den Fachbereichen der verschiedenen Institutionen;



Herstellung einer kommunikativen Ebene, d.h. Öffnung von Behörden gegenüber anderen Einrichtungen mit Erfahrungsaustausch und gegenseitiger Hilfestellung;



Persönlichkeitsstärkung eiriZelner Bevölkerungsgruppen, z. B. Senioren, jungen Menschen und von Minderheiten (vor allem ausländischen Gruppen);



Schaffung von interaktiven Räumen.

Den Arbeitskreisen wurden unter Einbeziehung dieser Ziele Projektarbeitsgruppen, die den aktuellen Bedürfnissen entsprechen, zugeordnet: q

dem Arbeitskreis Sozialisation o

Eine Projektarbeitsgruppe Sicherheit fiir Senioren, in der alle Vertreter der Seniorenvereine und -verbände einbezogen sind.

o

Eine Projektarbeitsgruppe Ecstasy, die sich um Suchtprävention, vorwiegend auch im schulischen Bereich kümmert.

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q

o

Eine weitere Projektarbeitsgruppe Täter-Opfer-Ausgleich, in der Staatsanwaltschaft, Mitarbeiter des Vereins "Dialog", Jugendgerichtshilfe, Soziale Dienste, usw. mitarbeiten und die im Jahr 1999/2000 ein auch zahlenmäßig wahrlich großes Thema abzuarbeiten hatte, nämliche die Beseitigung und Ahndung von Schäden durch jugendliche Sprayer; auch hierauf komme ich zurück.

o

Eine Projektarbeitsgruppe Sozialintegrativer Lebensraum, tätig vor allem für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger und deren Vereine und Vertretungen. Die Aktionen sind hier z.B. eigenverantwortlich organisierte und durchgeflihrte sog. Multi-Kulti-Discos und die Aktion "go-on-move", d.h. der Versuch, türkische, griechische, albanische und deutsche Jugendliche zu gemeinsamen Aktivitäten zusammenzuflihren. Gestartet wurde auch eine erkennbar sehr erfolgreiche Aktion "Basketball um Mitternacht", d.h. Sport statt Disco, die immer wieder großen Zulauf in städtischen Sporthallen zu ungewöhnlicher Zeit (nachts zwischen 22.00 Uhr und 1.00 Uhr) fmdet.

Im Arbeitskreis Schule - Soziales - Polizei wurde zusätzlich eine Projektarbeitsgruppe Gewaltprävention in der Schule ins Leben gerufen, der Vertreter der verschiedenen Schularten, von Jugendfreizeitstätten, der Staatsanwaltschaft, der Straßensozialarbeit und der Beauftragten flir Jugendsachen angehören. o

q

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Und schließlich ist eine weitere Projektarbeitsgruppe AntiGewalt- und Deeskalationstraining zwischen Schulen, der Polizei und den städtischen Jugendeinrichtungen gebildet worden.

Beim Arbeitskreis Frauen gibt es eine Projektarbeitsgruppe Sicherheit for Frauen mit Trainingsprogrammen, die von der Gleichstellungsbeauftragten geflihrt wird, und der Vertreterinnen der Frauenverbände Ludwighafens sowie aus Betrieben und Behörden angehören.

Alle Projektarbeitsgruppen haben wiederkehrende Arbeitsaufträge: •

Analyse der spezifischen Situation



Zielbestimmung



Durchflihrung



Dokumenation

Im monatlichen Projektplanungsteamsitzungen wird regelmäßig über den Stand der Aktionen berichtet. Es werden Erfahrungen ausgetauscht, die nächsten Schritte vorbereitet und die Aktivitäten analog dem sog. Smeets-Gitter, einem Dokumentations- und Beurteilungsraster eines holländischen Präventionsexperten, festgehalten und bewertet. 7 Pitschas

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Wilhelm Zeiser II. Was haben die einzelnen Arbeitsgruppen bisher erreicht?

Die Auswertung der polizeilichen Kriminalstatistik zeigt, dass die Anzahl der Straftaten in Ludwigshafen in der ersten Hälfte der 90er Jahre leicht steigend, seit 1995 aber bei etwa gleichem Einwohnerstand zurückgehend ist. Es scheint, dass eine verstärkte Präsenz von Polizei- und Ordnungskräften, vor allem in gef!ihrdeten Stadtteilen bzw. an sozialen Brennpunkten und unsere präventive Arbeit nachweisbar Wirkung zeigt. Dabei wird nicht nur optisch Präsenz gezeigt. In "neuer" Offenheit und Freundlichkeit reden Polizeibeamten mit den Bürgern, klären auf, fiihren gezielte Gespräche, teilen Aufklärungsflugblätter aus usw.; es wird ein deutlich geändertes Polizeiverhalten praktiziert. Ludwigshafen ist nach der Häufigkeitszahl, d.h. der Anzahl der Straftaten auf 100.000 Einwohner gerechnet, mit 8.836 Fallhäufigkeit (Landesdurchschnitt 14.146) die sicherste Großstadt in Rheinland-Pfalz; "besser" als Trier, Mainz, Koblenz und Kaiserslautern, auch sicherer als viele Klein- und Mittelstädte wie Speyer, Landau, Neustadt und Worms in der Nachbarschaft. Ein erfreulicher Aspekt: die Aufklärungsquote fiir das Jahr 2000 beträgt 58,3% und ist 7,2% höher als im Jahr 1999. Leider lässt die Kriminalstatistik aber auch erkennen, dass die Täter sowohl bei uns als auch bundesweit immer jünger werden. Die Zahl von Delikten Heranwachsender geht zurück, die von Kindem und Jugendlichen nimmt zum Teil stark zu. Steigend sind zudem Rauschgiftdelikte und der Konsum von Designerdrogen. Der kurzzeitigen Gefahr der Bildung einer offenen Drogenszene durch Verlagerung aus Mannheim, konnte durch Sonderermittlungsgruppen, durch verstärkten Polizeieinsatz, aber auch gerade durch die Zusammenarbeit mit bürgerschaftliehen Gruppen und einer Bürgerinitiative im gefährdeten Stadtteil Hemshof erfolgreich begegnet werden. Präventiv wurden hier Kindergärten, Jugendeinrichtungen, Gaststätten, Diskotheken usw. in die Aufklärungsarbeit einbezogen. Die Bürger waren und sind noch recht aktiv, passen auf, engagieren sich und melden ihre Beobachtungen - was äußerst hilfreich ist - umgehend an die Polizei weiter: Viele Augen sehen eben mehr als wenige . Und Bürger, die das Gefiihl haben, ernst genommen zu werden, bringen sich auch entsprechend ein. Schwerpunkt der Straßenkriminalität ist in Ludwigshafen - wie fast überall - eindeutig die Innenstadt mit den Verlockungen der Geschäftsauslagen, Straßenverkaufsständen, hoher Käuferfrequenz usw. Der Arbeitskreis Innenstadt hat sich gezielt dieser Thematik angenommen und versucht in regelmäßigen Zusammenkünften zwischen Einzelhandelsverband, IHK, Rathaus-Center-Management, Kirchen, gewerkschaftlichen Gruppen, Ortsbeirat und städtischen Dienststellen erkennbare Defizite im Bereich Sicherheit und Sauberkeit aufzunehmen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.

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Ein sehr schwieriges Thema, nämlich Probleme im Zusammenhang mit aggressiv bettelnden Punkern, wurde durch breite Aktivitäten von gezielt eingesetzten Straßensozialarbeitern und - fiir die Bürgerschaft sichtbar - auch durch Sonderkontrollen von Ordnungskräften gelöst. Es gab ein abgesprochenes, koordiniertes Doppelhandeln mit dem eindeutigen Schwerpunkt präventiver Sozialarbeit; z.T. konnten Betroffene in ihre Familien rückgefiihrt, z.T. durch Einzelbetreuung stabilisiert und für die Gesellschaft neu geöffnet werden. Um hier doppelseitig, d.h. auch repressiv arbeiten zu können, haben wir Ende 1995 unsere Gefahrenabwehr-Verordnung verändert. So ist es auf öffentlichen Straßen und in Anlagen verboten, aggressiv zu betteln oder "sich derart zum Konsum von Alkohol oder Rauschmitteln niederzulassen, dass dort als Folge andere Personen oder die Allgemeinheit durch Anpöbeln, lautes Singen, Johlen, Schreien, Lärmen, Liegenlassen von Flaschen und ähnlichen Behältnissen, Erbrechen, Behindern des Fahrzeug- und Fußgängerverkehrs oder Beschimpfen belästigt oder geflihrdet werden können". Außerdem müssen alle Hunde in der Fußgängerzone und in Anlagen generell angeleint sein. Das klingt zwar streng, dennoch war es fiir die Akzeptanz in der Bürgerschaft ungemein wichtig, hier nun Handlungsmöglichkeiten zu haben und sie zur Orientierung im Einzelfall auch demonstrativ einzusetzen. Dem Thema "Sauberkeit", d.h. dem achtlosen Wegwerfen von Papier, Abfall usw., widmen wir uns seit einem halben Jahr durch den Einsatz "Gelber Saubermänner", das sind Sozialhilfeempfänger und Langzeit-Arbeitslose, die über die sozialhilferechtliche "Hilfe zur Arbeit" Zeitarbeitsverträge bekommen haben und durch öffentliche Reinigungsaktionen mit den Bürgern, Vereinen, Schulklassen, usw. besondere Aufmerksamkeit erwecken. Auch "Graffitis" und sonstige unliebsame farbliehe "Verschönerungsaktionen" in der Innenstadt und in den Stadtteilen waren ein Problemfeld, das wir recht erfolgreich angegangen sind. In monatelanger Kleinarbeit konnte die Polizei die Täter ermitteln. Unter Führung der Stadt haben sich die geschädigten Eigentümer, vorwiegend Wohnungsunternehmen, Wohnungsbaugesellschaften, Verkehrsbetriebe und Privateigentümer in ein Konzept einbinden lassen, nach dem nicht die Strafe und der materielle Schadensausgleich, sondern der erzieherische Gedanke im Vordergrund stehen sollte. Einige Jugendliche wären ihres Lebens nicht mehr froh geworden, hätten sie die Schäden (weil 5- und 6stellig) bezahlen müssen. Mit der Staatsanwaltschaft wurde über den Verein "Dialog" das Modell Täter-Opfer-Ausgleich entwickelt und umgesetzt, wobei die Jugendlichen (mit ihrer Zustimmung in den Medien öffentlich abgebildet) ihre "Kunstwerke" beseitigen und zusätzlich gemeinnützige und opferbezogene Arbeit ableisten müssen. Parallel dazu haben Stadt und Staatsanwaltschaft mit den Eltern Gespräche gefiihrt und Aufklärungs- und Vorsorgearbeit geleistet. Es war erschreckend, wie wenig Eltern von den Aktivitäten ihrer Kinder wussten und wie wenig sie sich Gedanken darüber gemacht haben, wofiir Pakete von Spraydosen und Edding-Stiften gebraucht wurden, die z.T. in den Kinder-

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und Jugendzimmern von der Polizei gefunden wurden. Die Sprayereien haben deutlich abgenommen, einzelnen AuffäHigkeiten wird sofort nachgegangen und sie werden umgehend beseitigt. Darober hinaus bieten wir den Jugendlichen "standortverträglich" öffentliche Flächen an, die sie farblieh gestalten können. Die Projektarbeitsgruppe Anti-Gewalt und Deeskalationstraining fuhrt seit Ende des Jahres 1995 praktische Übungseinheiten in verschiedenen Schulen, quer durch alle Schularten, durch. Zur Zeit laufen etliche Trainingsübungen mit allen Jahrgangsstufen, wobei mehr als 100 Schülerinnen und Schüler, aber auch Schulkollegien und Elternvertreterinnen und - Vertreter eingebunden sind. Ausgehend von der These, dass es nicht die Gewalt ist, die Konflikte auslöst, sondern dass es die Konflikte sind, die Gewalt auslösen, arbeiten zwei Trainer, ein Lehrer der Integrierten Gesamtschule Ludwigshafen-Oggersheirn und der Beauftragte für Jugendfragen bei der Polizeidirektion Ludwigshafen sehr offen mit allen zusammen. In einem speziellen Training wird der Bogen von der eigenen Erfahrung mit Gewalt, hin zu reflektierten Positionen, Verhaltensmöglichkeiten in Bedrohungs- und Gewaltsituationen bis zur offenen Auseinandersetzung gespannt. Durch spielerische Übungen werden die unterschiedlichsten Gewalterfahrungen erlebbar gemacht. Es werden Sozialtechniken erlernt, die, und dies belegen die Rückmeldungen, den Schülerinnen und Schülern in dieser Art neu sind. Unsere Bewertungen zeigen, dass mit dieser Art des Umgangs eine angenehme Offenheit der Schüler, aber auch der Lehrer und Eltern feststellbar und die Mitarbeitsbereitschaft sehr groß ist. Die Nachfrage bei den beiden Trainern ist zwischenzeitlich dermaßen angewachsen, dass es Terminschwierigkeiten gibt. Offensichtlich will man weg von der Theoriediskussion hin zu praktischen Bewältigungstechniken. In einem zwischenzeitlich aufgelegten Handbuch ,,Deeskalationstraining" werden das Vorgehen und die Einzelheiten im Detail beschrieben. Die Projektarbeitsgruppe Gewaltprävention in der Schule hat in bisher über 20 Treffen unter anderem Maßnahmen begleitet, die an Ludwigshafener Schulen und Jugendeinrichtungen durchgeführt wurden und geeignet sind, präventiv der Gewalt vorzubeugen. Zum Thema "Gewaltprävention" wurde im November 1999 eine Umfrage an allen Schulen vorgenommen. Von 52 Schulen haben sich 36 an der Umfrage beteiligt. War es an einer Schule das Thema "Sucht", so bearbeiteten andere z. B. die Felder "Gelegenheitsfaktoren", "Gewalt" oder "Integration von ausländischen Schülerinnen und Schülern". Die Antworten wurden ausgewertet und je nach Problernstellung für jede einzelne Schule ein Reaktionskonzept entwickelt. Durch andere Schulwege, andere Pausengestaltungen, gemeinsame Aktionen (Ausstellungen, Freizeitmaßnahmen, Theateraufführungen, usw.), die Einbeziehung der Eltern-, Schü-

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ler- und Lehrervertretungen, auch durch kleinere Umgestaltungsmaßnahrnen, konnte Sensibilität geschaffen und oft eine Entkrampfung erreicht werden. Eine Aktionswoche "Schule gewaltig kreativ" hat sich zusätzlich des Themas angenommen. Am Ende der Veranstaltungen war für die Schülerinnen und Schüler erfahrbar geworden: Sinnloser Krafteinsatz bedeutet Zerstörung; es lohnt sich eigentlich nicht. Ein weiteres Thema habe ich schon kurz angesprochen, nämlich den Brandanschlag von vier rechten Jugendlichen auf die Unterkunft von Bürgerkriegsflüchtlingen, vorwiegend aus dem Kosovo, in Ludwigshafen-Oppau. Dies kam für uns deshalb überraschend, weil es in Ludwigshafen zwar wenige der Polizei und uns bekannte rechte Aktivisten, aber eigentlich keine richtige rechte Szene gibt. Unmittelbar nach der Tat und der Aufdeckung der Täter, haben wir über den Präventionsrat am 24. August 2000 eine Fachtagung "Rechtsextremismus: was tun?" durchgeführt, auf der weit über 100 Teilnehmer, Experten aus Schulen, Kindertagesstätten, offenen Einrichtungen, Polizei, Sozialarbeit, Kirchen, Gerichtsbarkeit, Gewerkschaften und Industrie über Hintergründe, Entwicklungslinien und erste Handlungsansätze beraten haben. Wir hatten diese Fachtagung konzipiert und durchgeführt, auch um öffentlich zu zeigen, dass wir solche Gewalt, Rassismus, Extremismus und Antisemitismus in unserer Stadt nicht dulden werden. Gerade aus diesen Gründen haben wir Anträge auf Aufzüge von NPD-Demonstrationen in den letzten Monaten sehr restriktiv beurteilt und Genehmigungen erst nach Anrufung der Gerichte und mit hohen Auflagen, was Auftreten, Aussehen, Marschordnung, Zugweg usw. angeht, akzeptiert. Als Ergebnis der Fachtagung hat die Verwaltung drei Projekte auf den Weg gebracht. Das erste hat die Gewaltprävention in Kindertagesstätten zum Schwerpunkt, es soll also möglichst früh angesetzt werden und entsteht in Zusammenarbeit mit der städtischen Erziehungsberatung. Zweites Projekt ist die Einrichtung einer "Keep-Cool-Gruppe", einem Trainingskurs für verhaltensauffallige Kinder und Jugendliche an Ludwigshafener Schulen, der den Schülern Techniken vennitteln soll, ihre Gewalt besser in den Griff zu bekommen. Und drittens die Erarbeitung eines speziellen Konflikttrainingsprogramms für Jugendliche in Kooperation mit den Schulen, der Jugendarbeit und dem schulpsychologischen Dienst. Bei all' dem geht es uns darum, Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu sensibilisieren, ihnen konstruktive Strategien im Umgang mit Gewalt an die Hand zu geben und sie mit so viel Wissen wie möglich um andere Kulturen auszustatten. Wissen, Verständnis und Toleranz gehören unbedingt zusammen. Außerdem wollen wir Erzieherinnen und Erzieher sowie andere Fachkräfte auch aus Vereinen, Verbänden und Jugendorganisationen in Fortbildungskur-

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sen im Umgang mit gewaltbereiten Jugendlichen und mit anderen Nationalitäten schulen und sie mit der Frage beschäftigen, wie ein gewaltarmes Klima geschaffen werden kann. Präventionsansätze sind also vorhanden, an der Umsetzung wird gearbeitet. Wir werden die Erfahrungen dokumentieren und öffentlich vorstellen. Wir haben uns in Ludwigshafen gemeinsam mit Kaiserslautern, Koblenz, Mainz und Trier auch an der von Innenministerium bzw. der Leitstelle Kriminalprävention initiierten Kampagne fiir mehr Zivilcourage "Wer nichts tut, macht mit" beteiligt. Vorbildlich organisiert von der Polizei und breit getragen von den Medien, gab es in Ludwigshafen wirklichkeitsnahe Aktionen in Form von "Lebensszenen", aufgefiihrt von Schauspielern auf der Straße, in Einkaufszentren und in Schulen. Es wurde falsches und richtiges Verhalten vorgeftihrt, aufgeklärt, beraten und insgesamt viel Aufmerksamkeit und neue Offenheit erzeugt. Selten zuvor hat eine so intensive, positive Diskussion zwischen Polizei und Bürgern stattgefunden. Die Aktion wurde breit befiirwortet: Es gab Anregungen, aber auch Kritik. Gerade die Frage, ob man sich als Zeuge einer Tat zur VerfUgung stellen solle, wurde von Bürgern immer wieder zögerlich angesprochen. Hier haben Strafverfolgungsbehörden und Justiz noch einiges an Ängsten abzubauen und an Überzeugungsarbeit zu leisten. "Warum überhaupt?", "Was habe ich davon?", "Kommt ja doch nichts raus.", ,,Bringe ich mich selbst in Gefahr?", "Wird ja doch nicht bestraft." waren ständig zu hörende Fragen. Als belastend wurde auch empfunden, dass man als Zeuge oder Geschädigter hinterher nur wenige Informationen über den Fortgang des Ermittlungsverfahrens erhält und damit keine Rückkoppelung stattfmdet, die die Sinnhaftigkeit eigenen Handeins bestätigt. Wir wollen die Aktion periodisch wiederkehrend aufnehmen, damit sie dauerhaft in Erinnerung (im Gespräch) bleibt. Für die Chance, gerade im Zeitalter von Handys und anderen Möglichkeiten, schnell Hilfe rufen zu können und damit zu mehr Schutz und Sicherheit beizutragen, lohnt den Aufwand. Eine Diskussionsebene wurde von uns bisher erst ansatzweise aufgenommen, nämlich die präventiven Möglichkeiten in Form eines sozialverantwortlichen Städtebaues. Hierbei geht es vor allem um die Aufrechterhaltung sozialer Kontinuität, um funktionale und soziale Vielfalt, d.h. gegen monosoziale Großsiedlungen, um die "Belebung" öffentlichen Raumes und von Wohnetagen und Bürogebäuden, um Aktivitäts- und Integrationsmöglichkeiten durch erlebnisreiche Freiräume, und um die Vermeidung sogenannter ,,Angst-Räume", d.h. gegen dunkle Flure, Ein- und Aufgänge, Tunneldurchgänge, verwinkehe und schlecht beleuchtete Wegefiihrungen usw. Die interne Überzeugungsarbeit in der Verwaltung ist angelaufen. Zur Sicherheit gehört fiir uns in Ludwigshafen auch die Verkehrserziehung. Ludwigshafen ist eine Einpendlerstadt mit erheblichen Verkehrsproblemen, vor

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allem im Bereich des Individualverkehrs. Nicht umsonst gibt es in Ludwigshafen ein nicht unerhebliches Hochstraßennetz. Unsere Erfahrung ist, dass Appelle langsamer zu fahren, gerade um die Sicherheit der schwächeren Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten, wenig bewirken. Da wir das Geld, alle Straßen rückzubauen, auch in Ludwigshafen nicht haben, haben wir uns von Anfang an dem Modellprojekt des Landes zur Überwachung des fließenden Verkehrs durch einen kommunalen Vollzugsdienst angeschlossen. Aufgrund der positiven Erfahrungen hat der Stadtrat am 23. März 1998 die dauerhafte Übernahme der Aufgabe beschlossen. Nicht, weil wir verdienen (abzocken) wollen -so groß ist das, was Netto übrigbleibt bei etwa 2,4 Millionen Einnahmen und rund 2,3 Millionen Aufwand und bei allem Ärger wegen rund 70.000 Übertretungen/Bußgeldern im Jahr nicht. Nein, wir wollen in der Tat Verkehrslenkung und Verkehrserziehung betreiben und haben deshalb klare Vorgaben bzgl. der Überwachungsstandorte ftir die zwei Radar-Messtrupps (rund 10 Mitarbeiter) getroffen: •

Unfallschwerpunkte und besondere Gefahrenpunkte, die uns die Polizei nennt;



das Umfeld von Kindergärten und Schulen;



30-krn-Zonen und Anforderungsstandorte in den Stadtteilen;



innerstädtische Strecken, die zum Schnellfahren einladen.

Dass wir mit unserer Aufgabenübernahme die Polizei entlasten, war ein gewünschter Nebeneffekt Die in der Stadt wohnenden Bürger begrüßen - bis auf wenige Ausnahmen - die Überwachung und fordern die Radarfahrzeuge öfter an, als wir kommen können. Leserbriefe gibt es überwiegend von Verkehrsteilnehmern aus dem Umland. Bestätigt wird die alte Erfahrung: "Vor der eigenen Haustür will jeder, dass überwacht und kontrolliert wird; sitzt er erst einmal im Auto, erwartet er vollkommene und unbegrenzte Bewegungsfreiheit ( ... freie Fahrt.... )." Die zurückgehenden Unfallzahlen und die Erfahrungen bestätigen: Es wird deutlich langsamer gefahren und die bisherigen Unfallschwerpunkte haben deutlich abgenommen. Von Anfang an haben wir darauf geachtet, das subtile Thema "Prävention" nicht zum Schlachtfeld parteipolitischer Hahnenkämpfe verkommen zu lassen. Wir wollen mit unserem Kriminalitätsrat die Bündelung selbständiger und eigenverantwortlicher Fachkompetenzen organisieren und nicht Zuständigkeiten verwischen. Kriminalitätsbekämpfung ist und bleibt zunächst originäre Aufgabe der Polizei. Bewusstseinsbildung und Förderung von kriminalitätsverhütenden Strukturen ist fiir uns aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und damit zentraler Teil eines kommunalpolitischen Handlungsauftrages. Wir begeben uns bewusst mit in die Verantwortung. Wohl wissend, dass alle Präventionsprojekte zusätzlichen Aufwand, zusätzliches Personal und auch zusätzliche

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Finanzmittel bedeuten. Wobei es uns in Ludwigshafen möglich gewesen ist, im Rahmen einer umfassenden Verwaltungsreform den begrenzt entstandenen Personalbedan aus vorhandenen Ressourcen zu decken. Wir haben durch die Arbeit seit 1993 mittlerweile viele Präventionsthemen in die öffentliche Diskussion gebracht. Es herrscht eine Aufbruchstimrnung, die wir dringend brauchen und mittlerweile haben in Ludwigshafen auch Ortsbeiräte begonnen, dezentral, d.h. jeweils fiir ihren Stadtteil (vor allem dort wo es erkennbare Defizite gibt), eigene Gesprächskreise zu bilden und ihrerseits kleinräumig präventiv zu arbeiten. Inhaltlich haben wir - wie mehrfach dargestellt - von Anfang an eng mit der Polizei zusammengearbeitet. Wir haben aber auch die Erfahrungen anderer Bundesländer (z. B. Schleswig-Holstein) und europäischer Nachbarn (z. B. Holland), die hier sehr weit vorangeschritten sind, einbezogen. Auf unserem Weg wurden wir vom Innenministerium Rheinland-Pfalz, das sich schon 1996 fiir ein flächendeckendes präventives Netzwerk eingesetzt hat, breit unterstützt und begleitet. Das Land hat durch Beschluss des Ministerrates im September 1996 eine Leitstelle ,,Kriminalprävention" beim Innenministerium eingerichtet, die die Aktivitäten landesweit koordiniert. Es war fiir uns deshalb selbstverständlich, andere Kommunen (z. B. Mainz) beim Aufbau dortiger kriminalpräventiver Räte zu beraten und bei Aktionen zu unterstützen. Zwischenzeitlich gibt es in fast 70 rheinland-pfalzischen Städten und Gemeinden kriminalpräventive Räte, mit steigender Tendenz. Schwerpunktmäßig werden die Themen abgearbeitet, die ich beispielhaft fiir Ludwigshafen genannt habe, aber auch Problemfelder, die vor Ort jeweils auffallig sind, wie neuerdings z. B. Auffalligkeiten und Verhaltensweisen von (jugendlichen) Aussiedlern, vorwiegend aus Russland und anderen östlichen Ländern, werden aufgegriffen. 111. Der Landespräventionsrat

Nachdem mit der Gründung kommunaler Räte eine Grundlage geschaffen war, hat das Land im Jahre 2000 mit der Bildung des "Landespräventionsrates" den nächsten Schritt getan. Der Vorstand setzt sich aus neun Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Gruppierungen und Organisationen zusammen, worin sich der ressortübergreifende und gesamtgesellschaftliche Ansatz widerspiegeln soll. Vorsitzende ist die Sozialdezernentin der Stadt Mainz, Frau Malu Dreyer, Stellvertreter bin ich, auch fiir die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände. Mitglieder im Vorstand sind weiterhin Herr Lotbar Westram, der Geschäftsfiihrer des Landessportbundes Rheinland-Pfalz, Herr Prof. Dr. Franz Hamburger vom Pädagogischen Institut der Universität Trier, Herr General-

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Staatsanwalt Norbert Weise aus Koblenz, Herr Rechtsanwalt Dr. Andreas Ammer aus Trier (einem bekannten Präventionsexperten), Herr Blank, der Geschäftsführer der Landesvereinigung rheinland-pfälzischer Unternehmensverbände und Herr Ltd. Kriminaldirektor Wolfgang Hertinger aus der Polizeiabteilung des Innenministeriums. Es ist unser Ziel, die auf dem Gebiet der Kriminalprävention tätigen Behörden, Organisationen, Institutionen und Gruppierungen landesweit zu vernetzen, das Engagement abzustimmen sowie Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu teilen, damit Synergieeffekte entstehen und genutzt werden können. Nichtjeder muss das Rad jedes Mal neu erfmden! Erfahrungen auszutauschen, Wissen zu bündeln und bei der Erarbeitung von Lösungsansätzen durch gezielten Informationsaustausch Hilfe zu leisten, ist der eine Arbeitsschwerpunkt Ein weiteres Ziel ist die Entwicklung und Umsetzung kriminalpräventiver Projekte auf Landesebene, die ein gemeinsames Engagement von Wissenschaft, Forschung, Verwaltung und Wirtschaft sowie der sozialen und kreativen Vereinigungen erfordern. Mehr als 60 interessierte Institutionen, Organisationen, Behörden und Vereinigungen arbeiteten neben den kommunal für Prävention Verantwortlichen im Plenum und zwischenzeitlich auch in eingerichteten Arbeitsgruppen mit. Die Leitstelle Kriminalprävention fungiert zugleich als Geschäftsstelle des Landespräventionsrates. Sie arbeitet dem Vorstand zu, wirkt als Bindeglied zwischen der Öffentlichkeit und dem neuen Rat und sie koordiniert die Arbeit des Plenums. Geschäftsführer der Leitstelle ist Herr Helmut Liesenfeld. Vorrangige Aufgabe des Landespräventionsrates und des Vorstandes wird in nächster Zeit sein, sich als großes Forum zu etablieren, in dem für RheinlandPfalz spezifische Fragen aus dem Bereich der Kriminal- und Sozialpolitik erörtert werden. Aus diesem Diskurs sollen konkrete Ideen und Projekte erwachsen, wie Kriminalität künftig besser verhindert werden kann. In die Diskussion aufgenommen wurden bisher z. B. Aktionen zu den Themen Gewalt im sozialen Nahraum, Rechtsextremismus, Kinder- und Jugendkriminalität, Ausländerund Aussiedlerintegration oder auch Prävention im Zusammenhang mit Stadtentwicklung. Der Landespräventionsrat hat darüber hinaus noch weitere wichtige Arbeitsfelder. Eine aktive und professionell betriebene Öffentlichkeitsarbeit wird nötig sein, um den gesamtgesellschaftlichen Ansatz der Kriminalprävention ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken und den Vernetzungsprozess zwischen den Gremien zu fördern. Ferner ist die Beratung der Landesregierung in Fragen der Kriminalprävention für das Gremium von Bedeutung, da der Dialog zwischen Landespräventionsrat und den verschiedenen Ministerien über wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen aus der Präventionsarbeit sicherlich für beide Seiten fruchtbar sein wird.

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Schließlich wird die lnitiierung von Fachtagungen, Seminaren und Fortbildungsveranstaltungen wesentlichen Raum in der Arbeit des Landespräventionsrates und seiner Arbeitsgruppen einnehmen. Unsere Arbeit soll also viele Möglichkeiten eröffnen, landesweit Projekte in die kommunalen Räte hineinzutragen. Die Autonomie der kommunalen Gremien soll aber unangetastet bleiben. Der Landespräventionsrat macht lediglich Angebote zur Beratung und Unterstützung, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann. An Aufgaben fiir die kommunalen Präventionsräte und den Landespräventionsrat mangelt es nicht. Die Gesellschaft befmdet sich in einem ständigen Entwicklungs-, viele sagen Erosionsprozess. Gleichgültigkeit, familiären und sozialen Fehlentwicklungen, Verrohungstendenzen muss so früh als möglich begegnet werden. Hier, möglichst am Anfang, liegt die größte Chance fiir eine erfolgreiche Therapie. Das kostet zwar Geld, aber es ist effektiver und auf lange Sicht gesamtwirtschaftlich gesehen kostengünstiger, als später ganz andere Problemfelder abarbeiten zu müssen. Es gibt zur Prävention keine Alternative. Nur so, wenn möglichst viele beitragen, können wir ein Höchstmaß an sozialer und innerer Sicherheit fiir unsere Mitmenschen gewährleisten.

Kommunale Kriminalprävention unter Budgets im Spannungsfeld zwischen Aufgaben- und Kompetenzkonflikten Diskussion zu den Referaten von Rainer Prätorius und Wilhelm Zeiser Leitung: Rainer Pitschas Bericht von Alexandra Müller Pitschas dankte zunächst Zeiser für dessen eindrucksvolles Bild einer selbstverantworteten aktiven kommunalen Sicherheitspolitik Er regte unter gleichzeitiger Hervorhebung der Darlegungen von Prätorius an nachzufragen, wie die Zusammenarbeit mit der Polizei tatsächlich aussehe und wer ihr Motor sei.

Hieran anschließend ergriff Bülow das Wort. Dieser wies darauf hin, dass der Bericht von Prätorius sehr auf den anglo-amerikanischen Raum abgestellt hätte und auf Erfahrungen, die nach seiner Ansicht nicht so einfach zu übertragen seien. In den USA gelte eine ganz andere Polizeiverfassung und ein anderer Sicherheitsbedarf als hier. Beide Referate brächten ihn aber auf den Gedanken der Notwendigkeit einer klaren Definition der Kriminalprävention, um zu einer exakten Aufgabenabgrenzung und dann zu einer exakten Bestimmung zur Rolle der Polizei zu gelangen. Bülow gab sich in diesem Zusammenhang davon überzeugt, dass auf diese Weise der Gefahr entgegengewirkt werde, die Sicherheitspolitik zu "verpolizeilichen". Um seine Ansicht zu konkretisieren, stellte er die Frage an Zeiser, warum dieser seine Jugendarbeit, seine Sozialarbeit und seine Suchtprophylaxe Kriminalprävention nenne. Bülow wies hierzu darauf hin, dass dieses Problem bei ihm in Düsseldorf diskutiert wurde und er im nachhinein froh gewesen war, das einschlägige Gremium nicht "Kriminalpräventiven Rat" genannt zu haben, sondern ,,Arbeitskreis für Vorbeugung und Sicherheit". Allein diese Bezeichnung mache das, um was es eigentlich gehe, deutlicher. Die Quintessenz sei, dass man es mit ganz unterschiedlichen Aufgaben zu tun hätte, die zusammengefasst und vernetzt werden müssten. Das sei von vitalem Sicherheitsinteresse für die Bevölkerung. Es gehe eben nicht darum, die polizeiliche Kriminalprävention einerseits in den kommunalen Bereich abzudrängen und andererseits die Suchtprophylaxe und Jugendarbeit nun plötzlich polizeilich zu dirigieren. Bülow wies überdies darauf hin, dass er, als stellvertretender Leiter des "Arbeitskreises für Vorbeugung und Sicherheit" in Düsseldorf, immer ein mulmiges Gefühl bekomme, wenn der Vorsitzende des Arbeitskreises nicht im Raum

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sitze und er die Verteilung konununaler Gelder zu leiten hätte. Das sei nicht seine Aufgabe und er sei auch froh darüber, nicht entscheidungsbefugt zu sein. Für ihn seien die wesentlichen Punkte, wer was im Bereich der Sicherheitspolitik mache und was im Bereich der gesamten Prävention. Entscheidend sei der jeweilige Aufgabenbereich von Konunune einerseits und der Polizei andererseits. Ohne die Trennung dieser Aktionsräume bestehe die Gefahr, noch die ganze Gesellschaft zu kriminalisieren. Pitschas hielt dem entgegen, in § 1 II PolGNW sei der Begriff der Vorbeugung enthalten. Kraft dieser Definition bestehe eine Präventionskompetenz der Polizei. Bülow hielt dies für zu kurz gegriffen, denn der Gesetzgeber hätte schon vorgegeben, um welche Vorbeugung es sich handele, nämlich um Verbrechensvorbeugung. Die Vorbeugung an sich stehe nicht pauschal im Gesetz. Bülow wies überdies nochmals darauf hin, dass auch im polizeilichen Bereich berücksichtigt werden müsse, was der Gesetzgeber mit dem Auftrag meine. Kriminalprävention umfasse nicht alles. Manfred Bitter, Polizeipräsident von Trier, konunentierte die Aussagen von Bülow dahingehend, dass dieser sich gegen eine gesetzliche Präzisierung ausspreche, was Kriminalprävention bedeute. Bitter wies demgegenüber auf die Überregulierung in Deutschland hin, die abzubauen sei. Es bestehe auch kein Bedürfnis, diesen Fragenkreis in einem Gesetz zu regeln. Was die Polizei in diesem Bereich tue, sei nicht repressiv. Es gehe nicht um die Beschränkung von Rechten anderer. Einer Ermächtigungsgrundlage bedürfe es daher überhaupt nicht. Stattdessen würde die Polizei prozesshaft vorgehen, zusanunen mit vielen Akteuren aus den Jugend- und Sozialbereichen, Schulen etc. Ein solcher Prozess, der als "learning by doing" bezeichnet werden könne, bei dem aber Ziele klar definiert seien, unterliege nicht dem Gesetzesvorbehalt Bitter hielt sogar eine Gesetzesgrundlage letztendlich für schädlich. Es bestehe im Moment ein offener Prozess, aus dessen Fehlern gelernt werden müsse.

An diesem Punkt seiner Ausführungen nahm Bitter Bezug auf die Rolle Bülows, in der dieser als Polizeibeamter in einem Themenfeld über konununale Aufgaben zu reden habe. Er, Bitter, verspüre überhaupt kein schlechtes Geftihl als Landesbeamter und Polizeipräsident in Trier, wenn er als Vorsitzender des konununalen Arbeitskreises gegen Rechtsextremismus tätig werde. In diesem Arbeitskreis hätten sie gemeinsame Interessen und fassten keine Beschlüsse, die mit finanziellen Lasten für die Stadt verbunden seien. Dafür säßen schließlich auch konununale Vertreter dabei. Bitter appellierte schließlich an die Diskussionsteilnehmer, sich von dem starren Kästchendenken zu lösen, in dem sich jeder nur auf seine originären Aufgaben berufe. Mit dieser isolierten Betrachtungsweise könnten die komplexen Probleme nicht mehr gelöst werden. Bülow entgegnete Bitter, er habe Bedenken dagegen, dass außerhalb dessen, was Verfassungs- und Gesetzgeber hier wollten, die polizeiliche "Stabführung"

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zur Aufgabenvermischung führen könnte. Er rufe nicht nach einer Gesetzesermächtigung für die Polizei, sondern nach einer Klarstellung bezüglich deren Aufgabenbereichs, insbesondere dann, wenn sie den Auftrag erhalte, solche Gremien zu initiieren und dann plötzlich in einer führenden Rolle gefangen bleibe. Dies bilde für ihn die Gefahr einer "Verpolizeilichung" der Gesellschaft. Diese sei polizeijuristisch und auch historisch nie gewollt gewesen. Im Anschluß an diese Kontroverse richtete Stüllenberg zunächst die Bitte an Prätorius, seinen letzten VOrtragsabsatz näher zu erläutern. Denn die in Bezug genommene Deregulierung habe ja keinen Selbstzweck, sondern sie diene dazu, dass sich an der Prävention unterschiedliche Akteure beteiligen könnten in einem möglichst freizügigen Umfeld. Deregulierung meine dabei nicht die Idee, dass Behörden munter Felder belegen könnten, die sie dann so identifiziert besetzen wollten. Behörden dürften eben nicht all ' das tun, was nicht ausdrücklich verboten sei. Stattdessen hätten Behörden nur das zu tun, wozu sie ausdrücklich angewiesen worden wären. Stüllenberg stimmte daher ausdrücklich Bülow zu. Der Gesetzgeber stehe in der Pflicht darzulegen, was er möchte und in welchem Umfang die Polizei damit etwas zu tun habe. Er, Stüllenberg, wolle nämlich in einem Staat leben, von dem er wüßte, was die Aufgabe der Polizei sei und welchen Beitrag er erwarten könne und dürfe, und der andererseits der Gesellschaft freien Raum lasse. Hier spiele mit herein, wie sich private Sicherheitsunternehmen an dem Prozess beteiligen könnten. Ob dieser gemeinnütziger oder gewerblicher Art sei, spiele für ihn in dieser Hinsicht eine untergeordnete Rolle. Dies sei die Grundidee von Deregulierung. Die Deregulierung dürfe von Behörden aber nicht nach deren Belieben zur Begründung dafür herangezogen werden, wo sie sich beteiligen möchten und wo nicht. In seiner Antwort bezog sich Zeiser auf eigene praktische Erfahrungen. Dem Bürger sei es, so meinte er völlig egal, ob die Polizei, die Verwaltung, der Ordnungsbereich oder gar ein privates Unternehmen tätig werde. Der Bürger wolle nur das Problem gelöst haben. Darauf habe er einen Anspruch und das reklamiere er für sich. Die Festlegung, wer was mache, könne nicht lange durchgehalten werden. Ludwigshafen habe dies eine Zeitlang versucht und feststellen müssen, dass dies nicht die Lösung des Problems sei. Die Dinge würden sich dermaßen vermischen, dass eine klare Abgrenzung, was Sozialbereich und was Kriminalprävention sei, nicht durchführbar wäre. Aus dieser Feststellung schließe er, Zeiser, dass ein gemeinsames Handeln nötig sei. Ludwigshafen hätte zwölf Leute aktiviert, die nichts anderes machten als uniformierte Innenstadtkontrolle. Im ersten Jahr wären "seine Leute" in Zivil gelaufen. Die Bevölkerung beschwerte sich, weil die Streifen niemandem zuzuordnen waren. Von den "Leuten" selbst wäre dann der Wunsch nach einer Uniformierung gekommen, weil die Akzeptanz der Bevölkerung fehlte. Sie wurden daraufhin uniformiert und zur Doppelstreife verstärkt. Probleme werfe aber die Zusammenarbeit mit der Polizei auf. Hier bestünden unterschiedliche Handlungsweisen. Während die Stadtangestellten die Bürger ansprächen und zu überzeugen

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versuchten, greife die Polizei ein, auch wenn dies ins Leere gehe. Es war deshalb nötig gewesen, dass die Polizei wieder direkt auf die Bevölkerung zugegangen sei, wie z. B. in die Kindergärten und Schulen, um die Bürger zu erreichen. Erst danach sei sie wieder "ihre" Polizei gewesen. Davor hätte nur "die" Polizei gehandelt. Die "Bürgerpolizei" sei aber für die Akzeptanz, die Mitarbeit und Hilfe unverzichtbar. Deshalb halte Ludwigshafen das Verständnis der Polizei als einer Bürgerpolizei neben dem staatlichen Auftrag für wichtig. Bezüglich der Geldfrage sei hervorzuheben, dass Ludwigshafen keinen normalen Haushalt mehr, sondern Budgetierungen kenne. Innerhalb der Budgetierungen bestehe völlige Freiheit der Mittelverwendungen. Dies sei dann eine Frage der Schwerpunktsetzung. Es gäbe hier keine Rechtfertigungszwänge. Prätorius knüpfte hieran an und unterstrich, dass die Kommunen Gebietskörperschaften seien und durch ihre Aufgabenfindungskompetenz eine zusammenhängende integrierte Sichtweise von Sicherheit bevorzugten. Von daher käme es, dass die Kommunen in der Kriminalprävention eine Führungsrolle gegenüber der Polizei übernähmen. Demgegenüber habe er anband des amerikanischen Beispiels zeigen wollen, dass es in Amerika nicht dazu gekommen sei. Daraus zu folgern sei, dass - wenn es schon nicht in Amerika mit der polizeilichen Führungsrolle geklappt habe - es in Deutschland noch unwahrscheinlicher damit sein würde. Ob dies ein zwingendes oder eher ein assoziatives Argument sei, überlasse er der subjektiven Bewertung des Einzelnen. Pitschas stellte im gegebenen Zusammenhang die Frage, wie Ludwigshafen sich in Zeiten der Verwaltungsmodernisierung den Luxus leisten könne, zwölf Leute in Uniform als Doppelstreife laufen zu lassen. Zeiser antwortete hierauf, dass Ludwigshafen mittlerweile auch durch Verwaltungsdefizite im Verwaltungshaushalt gebeutelt werde. Gleichwohl sei noch jedes Mal durch Mittelumschichtung der Personaleinsatz sichergestellt worden. Die zwölf Leute wurden ausgebildet und von der Polizei geschult und trainiert. Sie hätten mittlerweile auch ein sehr breites Einsatzfeld. Wenn man da versuchen wolle, politisch das Rad zurück zu drehen, würde es einen Aufschrei in der Stadt geben. Vor diesem Hintergrund bleibe keine andere Alternative als zu sagen, dies sei eine der wichtigen kommunalpolitischen Aufgaben. Ihr müsse die Stadt sich stellen. Dafiir würden andere Aufgaben in den Hintergrund treten.

Darauf folgend nahm Thomas Zander als Fachbereichsleiter der Stadt Speyer Stellung zu Bülow 's Beitrag zur Krirninalprävention. Aus seiner Sicht umfasse diese all' das, was ein funktionierendes Gemeinwesen sicherer mache. Er sei ein Anhänger der Interpretationen Zeisers und Bitters aufgrund seiner vielen eigenen Erfahrungswerte aus dem Dialog mit den Bürgern in Speyer. Bei Bürgerversammlungen zu den Themen "Innere Sicherheit/Kriminalprävention" mit einem hohen Teilnehmeranteil von 200-300 Leuten wäre schnell die Vermischung der Befindlichkeiten der Bürger zu erkennen gewesen. Es käme sehr häufig sogleich die Frage auf, was getan werde. In diesem Moment spiele es keine Rolle mehr, ob der Polizeidirektor rechts oder links vom Oberbürger-

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meister sitze. Es müßten gemeinsam Antworten gefunden werden. Zander sieht im funktionierenden Gemeinwesen die Verpflichtung, zusammenzustehen und Möglichkeiten zu finden, wie der Bürger an einer sicheren Stadt interessiert werden könne. Es sei dann die Aufgabe der kriminalpräventiven Räte, diese Probleme aufzugreifen und vor allem mit der Polizei und mit der Kommune als "Motor" von Problemlösungen die Probleme aufzuarbeiten und im Dialog mit den Bürgern zu gestalten. Für Zander sei dies reine Systematik. Bülow griff in Richtung Prätorius ' den Gedanken auf, ob die Kommune in der Prävention eine Führungsrolle gegenüber der Polizei übernehmen könne. Er meine, wenn man die Prävention so weit verstehen dürfe, wie Zeiser es vorgetragen habe, stimme er ihm zu. Nach seiner Ansicht werde die Kompetenz und Aufgabe polizeilicher Kriminalprävention dadurch nicht beschnitten. Dann solle die Kommune ruhig die Führungsrolle innehaben. Anband seiner Erfahrungen aus Düsseldorf vertrat Bülow im übrigen die Ansicht, dass sich eine derartige Entwicklung schon anbahne: Der "Arbeitskreis ftir Vorbeugung und Sicherheit" habe eine Geschäftsordnung, die durch den Oberbürgermeister von Düsseldorf bestätigt, abgesegnet und damit durch die Bevölkerung legitimiert sei. In der Geschäftsordnung seien (politische) Leitlinien über die Prävention ftir die Stadt Düsseldorf enthalten. Im Haushalt der Stadt gebe es einen Präventionstitel ftir den Arbeitskreis in Höhe von 100.000 DM. Aus Steuerüberschüssen durch die Automatensteuer habe die Stadt der Prävention weitere 450.000 DM an die Hand gegeben. Etwa eine halbe Millionen DM stehe zusätzlich aus Landesmitteln zur Verfügung. Über die Verteilung der Gelder unterbreite der Arbeitskreis Vorschläge an die Fachausschüsse, die letztendlich in den Hauptund Finanzausschuss einmünden würden. Aufgrund dieser versammelten Fachkompetenz entstehe natürlich auch eine hohe kommunale Definitionsmacht gegenüber den Projekten, in die letztendlich die städtischen und Landesgelder hineinfließen würden. Deswegen habe der Rat der Stadt Düsseldorf den Polizeipräsidenten gebeten, mindestens einmal im Jahr vor dem Haupt- und Finanzausschuss einen Sicherheitsvortrag zu halten. Bülow sieht darin auch einen Weg, gleichzeitig die Führungsrolle der Polizei in Sachen Prävention im weitesten Sinne zu stärken.

Allerdings sei "community policing" in Deutschland anders zu gestalten. Bülow sieht hierftir die Vorgaben des Innenministeriums in Nordrhein Westfalen als ausreichend an. Freilich sei die Polizei wieder dominant. Seiner Vorstellung nach bedürfe es darüber hinaus regelmäßiger Sicherheitsbesprechungen in den Stadtteilen Düsseldorfs mit der Bevölkerung. Diese seien nicht mit der Polizei allein abzuhalten, sondern zusammen mit Vertretern der örtlichen Kommunalpolitik aus den Bezirksverwaltungsstellen. In diesen gemeinsamen Sicherheitsbesprechungen gehe es nicht primär darum, dem Bürger Selbstverantwortung zuzuweisen. Ihm gehe es objektiv vielmehr darum, die Sicherheitslage des Stadtteils vorzustellen. Hierin sieht Bülow sich durchaus in der Konkurrenz mit den Medien. Deren Einsatz könne das subjektive Sicherheitsgefühl

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stärken. In den Besprechungen könnten überdies Kommune und Polizei gemeinsam Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung in dem betreffenden Stadtteil feststellen. Daraus würden zwischen beiden Absprachen und Selbstorganisation resultieren. Dies sei sein Verständnis von "community policing" im umfassenden Sinne. Prätorius erwiderte darauf, dass in den USA auf keiner Seite eine Führungsrolle festgestellt wurde. Weder bei der Polizei noch bei der Kommune. Die Quelle einer Kommunalisierung der polizeilichen Strategie war bei alledem die Hoffnung gewesen, dass nur darüber der Weg zu einer Stärkung der Gemeinschaft und damit zur Begrenzung der Kriminalität führe. Diese Hoffnung habe sich aber nicht bestätigt. Der Weg verlaufe genau umgekehrt. Erst müsse die Polizei erfolgreich sein. Dann wachse das zarte Pflänzchen der Gemeinschaft.

Zum Abschluss nahm Zeiser zur Frage hinsichtlich des Präventionsrates Stellung. Zeiser hielt fest, dass - um dem "politischen Gezänk" zu entgehen absichtlich kein Ausschuss eingerichtet wurde, sondern ein vollständig geöffnetes Gremium. In Bezug auf die Gesetzesfrage wies er darauf hin, dass Gesetze sich weiter entwickeln. Deswegen gäbe es auch keine Ewigkeitsgarantie für Gesetze. Aus diesem Grund plädierte Zeiser dafür, sich nicht auf die Normtexte zu fixieren. Ansonsten müsste auch die Rolle der Polizei insgesamt neu festgelegt werden. Er sehe darin die Gefahr, dass, wenn eine neue Festlegung erfolge, die präventive Arbeit beeinträchtigt werde. Zeiser wünschte sich jedoch noch mehr Ermessensfreiheit in der Präventionsarbeit.

Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Kriminalprävention Von Udo Bebrendes ,,Kriminalprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe" - dieser interdisziplinär und inzwischen nahezu inflationär gebrauchte Programmsatz ist so allgemein, dass er nicht falsch sein kann. Wer in der "Gesamtgesellschaft" versteht aber was unter ,,Kriminalprävention", wo fängt sie an und wo hört sie auf? Wie sehen die verschiedenen Akteure der "Gesamtgesellschaft" ihre Beiträge, wie arbeiten sie zusammen und wie grenzen sie sich ab? In den folgenden Ausführungen soll versucht werden, die Rolle eines Akteurs, der staatlichen Polizei, im Bereich der ,,kommunalen Kriminalprävention" zu beleuchten und die Berührungspunkte und Schnittfelder mit anderen Akteuren herauszuarbeiten. Im ersten Kapitel werden die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben für die Polizei mit dem polizeipolitischen und polizeistrategischen Rollen- und Selbstverständnis abgeglichen. Ausgehend von diesem Befund werden im zweiten Kapitel aktuelle Kooperationsmodelle der Polizei mit Ordnungsbehörden, dem BGS, Trägern der Sozialarbeit und privaten Sicherheitsdiensten untersucht. Im dritten Kapitel werden schließlich 10 Thesen zu den Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Kriminalprävention zur Diskussion gestellt. Die folgende Abhandlung ist nicht ausgewogen. Viele sachgerechte und erfolgreiche Polizeikonzepte und Zusammenarbeitsmodelle im Rahmen des Themenfeldes "Kriminalprävention" werden nicht erwähnt, weil sie rechtlich und fachlich unbedenklich sind und bereits in vielen Beiträgen einschlägiger Fachzeitschriften1 und in offiziellen Publikationen von Ministerien, Behörden und anderen Institutionen hinreichend beschrieben und gewürdigt wurden.

1 Vgl. z.B. die regelmäßigen Darstellungen lokaler und regionaler Projekte in der Zeitschrift Die Kriminalprävention.

8 Pitschas

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Der Schwerpunkt dieses Beitrages liegt demgegenüber bewusst in der kritischen Auseinandersetzung mit einigen zum Teil fragwürdigen Grundlagen und Leitbildern aktueller polizeilicher Präventionskonzepte sowie in der Darstellung einzelner rechtlich bedenklicher Kooperationsformen und Interventionsstrategien. Darüber hinaus werden im Rahmen der Ausarbeitung solche Kooperationsansätze etwas eingehender dargestellt, die sowohl in der öffentlichen als auch in der fachlichen Diskussion bislang eher wenig beachtet wurden.

I. Rechtlicher, politischer und polizeistrategischer Befund

1. Von der Gefahrenabwehr zur Kriminalprävention? Welche Aufgaben die Polizei wahrzunehmen hat, so lehrt und lernt man es in den ersten Unterrichtsstunden der Polizeiausbildung, ergibt sich aus den Gesetzen. Im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz2 (das im Rahmen dieses Beitrages exemplarisch für die 16 verschiedenen Ländergesetze herangezogen wird) sucht man das Aufgabenfeld "Kriminalprävention" vergeblich. § 1 I PolG NW formuliert zunächst in althergebrachter Weise: "Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr)." Die unbestimmten Rechtsbegriffe "Gefahr" und "öffentliche Sicherheit" sind seit über hundert Jahren von Rechtsprechung und Literatur mit allseits anerkannten Inhalten versehen worden. Unter dem Terminus "öffentliche Sicherheit" ist die Summe aller Rechtsgüter, die durch Normen des öffentlichen Rechts geschützt werden, zusammengefasst. 3 Eine "Gefahr" für die öffentliche Sicherheit besteht, wenn ein Schaden für ein geschützten Rechtgut mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. 4 Diese Wahrscheinlichkeitsprognose muss an objektiven Fakten festgemacht werden, wobei nach der berühmten "Je-desto-Regel" des Bundesverwaltungsgerichts5 an die Wahrscheinlichkeit umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je folgenschwerer der mögliche Schaden einzustufen ist (in der zugrundeliegenden Entscheidung ging es um Gefahren ftir Leib oder Leben bei einer Bombendrohung in einem Kaufhaus).

In der Fassung vom 9.5.2000, GVNRW, S. 452. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rz. 81 ff. 4 Denninger, Po1izeiaufgaben, in: Lisken!Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, Rz. 29 ff. 5 Urt. V. 26.6.1970, DÖV 1970, 713 ff. (715). 2

3

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Das gesetzliche Aufgabenfeld der Polizei eröffnet sich also grundsätzlich erst bei objektiv erkennbaren, hinreichend wahrscheinlichen Gefahrenlagen. Während andere Behörden, z. B. im Umweltverwaltungsrecht, Technischem Sicherheitsrecht und Lebensmittelrecht, Vorsorgezuständigkeiten haben, also bereits zur Risikoabwehr im Gefahrenvorfeld auf Posten gestellt sind, soll sich polizeiliches Handeln nicht schon bei lediglich möglichen, sondern erst bei wahrscheinlichen Schäden (insbesondere Verletzungen der Rechtsordnung) entfalten. Diese Beschränkung auf reaktives Handeln, die Abkehr von wohlfahrtstaatlicher Daseinsvorsorge und gesellschaftssanitärer, polizeistaatlicher Allzuständigkeit machte seit den Kreuzbergurteilen des Preußischen OVG Ende des 19. Jahrhunderts den Kern des materiellen Polizeibegriffs des liberalen Rechtsstaates aus. 6 Mit dem von der Innenministerkonferenz 1977 verabschiedeten Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder (ME '77) begann allerdings eine Phase vielfältiger gesetzlicher Änderungen und Ergänzungen im polizeilichen Aufgaben- und Befugnisrecht', die 1986 mit dem "Vorentwurfzur Änderung des Musterentwurfs" (VE '86) bundesweit kontinuierlich weiterentwickelt wurde.8 In den neunziger Jahren wurde das Polizeirecht in den einzelnen Ländern zum Teil in sehr unterschiedlicher Weise verändert. 9 Generell ist dabei die Tendenz zu erkennen, dass Aufgaben und Befugnisse der Polizei sukzessive immer weiter gefasst werden. Das aktuelle Polizeirecht löst sich Stück fiir Stück von den klassischen Beschränkungen des herkömmlichen Gefahrenbegriffs einerseits und von dem klassischen Störerbegriff andererseits. In der polizeikritischen Literatur wurde unlängst diese gesetzgeberische "Salamitaktik" zur scheibchenweisen Reduzierung des materiellen Polizeibegriffs unter der provozierenden Überschrift ,,Auf legalem Weg in einen Polizeistaat" zusammengefasst. 10 Die entscheidende Erweiterung des materiellen Polizeibegriffs erfolgte mit dem Topos der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung. Schon in den siebziger Jahren wurde darauf hingewiesen, dass damit eine dritte polizeiliche Aufgabe (neben den klassischen Aufgaben "Gefahrenabwehr" und "Strafverfolgung")

ff.

6

Behrendes, Von der Eilzuständigkeit zur Allzuständigkeit?, Die Polizei 1988, 220

7 Zu den damaligen Diskussionen über den Musterentwurf und einen vom "Arbeitskreis Polizeirecht" vorgelegten Altemativentwurfvgl. Riegel, DVBI. 1979, 709 ff. 8 Vgl. Kniesel/ Vahle, Fortentwicklung des materiellen Polizeirechts, DÖV 1987, 953 ff. 9 Riegel, Wesentliche Aspekte und Neuerungen im Polizeirecht der Länder, Die Polizei 1998,211 ff. 10 Roggan, Auflegalem Weg in einen Polizeistaat, 2000.

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festgeschrieben würde, deren Berechtigung, Inhalte und Regelungsstandort von Anfang an umstritten waren. 11 Der auch im nordrhein-westfälischen Polizeigesetz 1990 ergänzte Gefahrenabwehrauftrag in § 1 I lautet (übernommen aus dem o.a. VE '86) nunmehr: "Die Polizei hat die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) .... " Die ausdrückliche Erweiterung des materiellen Polizeibegriffs findet dabei mit dem Bezugspunkt Vorsorge für die künftige StrafVerfolgung statt. Diese Aufgabenzuweisung eröffnet das Feld für die im Befugnisteil des Polizeigesetzes geregelten Erhebungs- und Verarbeitungsermächtigungen für personenbezogene Daten (vgl. §§ 16 ff. PolG NW), die ihre polizeipraktische Relevanz allerdings erst nach Begehung einer für die Zukunft prognostizierten Straftat entfalten, somit der späteren Aufklärung, aber eben nicht der Verhinderung einer Straftat dienen sollen. Mit dieser Erweiterung des Gefahrenabwehrauftrages um die antizipierte Strafverfolgung 12 verwischen die klaren Grenzen zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Sie wurde und wird daher von Kritikern als Systembruch angesehen. 13 Für das hier zu erörternde Themenfeld "Kri.minalprävention" muss allerdings dieser Aspekt nicht weiter verfolgt werden. Das Augenmerk ist vielmehr auf den anderen Bezugspunkt des Topos vorbeugenden Verbrechensbekämpfung, die "Verhütung von Straftaten" zu richten. Die explizite Erwähnung der Straftatenverhütung in der Aufgabenzuweisung hat zum einen die formelle Funktion, innerhalb des nordrhein-westfälischen Trennsystems zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden diesen Aufgabenbereich als originäre polizeiliche Zuständigkeit festzuschreiben, während für die allgemeine Gefahrenabwehr ansonsten das Handeln der Ordnungsbehörde vorrangig ist (so die gesetzliche Struktur in der Gesamtbetrachtung von § I PolG NW und § l OBG NW - zur praktischen Realität der Aufgabenwahrnehmung vgl. jedoch unten Nr. II, I). Materiell ist fraglich, ob mit dem Begriff Verhütung der herkömmliche Begriff der Abwehr einer Straftat erweitert werden soll, obwohl er nach dem Gesetzestext gerade als Unterfall der Gefahrenabwehr aufgeführt ist. Folgt man einer 11

(125).

Vgl. Sydow, Verbrechensbekämpfung nach neuem Recht, ZRP 1977, 119 ff.

12 Vgl. Schwan, Die Abgrenzung des Anwendungsbereiches der Regeln des Strafund Ordnungswidrigkeitenverfolgungsrechts von dem des Recht der Gefahrenabwehr, VerwArch 1979, 109 ff. (121). 13 Rehrendes a.a.O. (Fn. 6), 224 m.w.Nachw.

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alten Entscheidung des BVerfG (zu Art. 13 GG) 14, dann soll Verhütung den Zweck haben, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine Gefahr darstellen würde. Verhütung wäre denmach der klassischen Gefahrenabwehr vorgelagert. Ob diese auf eine spezielle Fragestellung zu Art. 13 GG entwickelte Rechtsprechung auf generelle Aspekte des Polizeirechts anzuwenden und auszudehnen ist, erscheint fraglich. 15 Es bleibt jedoch festzustellen, dass der generelle Unterschied zwischen Verhütung und Abwehr einer Gefahr bzw. Straftat bislang weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur mit hinreichender Klarheit herausgearbeitet worden ist. Wagner 's Appell "Rettet die Gefahr" ist angesichts dieser begrifflichen Irritationen nach wie vor so aktuell wie vergeblich.16 Ist schon das gesetzliche Beziehungsgeflecht zwischen Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung nicht mit hinreichender Sicherheit zu klären, so trägt der heute interdisziplinär gebrauchte Begriff der Kriminalprävention schon gar nicht zur Erhellung des rechtlichen Befundes bei. Es wäre jedoch vorschnell, die grundsätzliche Auseinandersetzung mit der Thematik "Kriminalprävention" lediglich am rechtlichen Befund auszurichten. Ein Blick in die 1999 vollständig überarbeitete bundeseinheitliche Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 zeigt, dass das polizeipolitische und polizeistrategische Leitbild ohnehin expressis verbis über den gesetzlichen Auftrag hinausgeht. So heißt es dort in Nr. 1.1 unter der Überschrift ,,Rolle und Selbstverständnis" u.a.: "Polizeiliches Handeln muss - über die Bindung an Recht und Gesetz hinaus - politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigen ... " Zum hier zu erörterndem Thema ,,Kriminalprävention" erfolgen unter Nr. 2.1.1 zunächst allgemeine Ausfiihrungen, um dann unter Nr. 2.1.2.1 (Überschrift: polizeiliche Kriminalprävention) folgende Postulate aufzustellen: "Ziele sind insbesondere Verhindem von Straftaten, Stärken des Sicherheitsgefiihls, Stärken des Selbstschutzgedankens und Bewirken sicherheitsorientierten Verhaltens, Abbauen von objektiv unbegründeter Kriminalitätsangst, Sensibilisierung der Bevölkerung fiir Gefahren, die aus der Kriminalität er14 Urt. v. 13.2.1964, NJW 1964, 1067 ff. (1072). 15 In der Begründung zur Neufassung des § 1 PolG NW wird die Einfügung des

Terminus "Straftatenverhütung" als "Klarstellung" bezeichnet, durch die keine Zuständigkeitsausweitung entstehen solle (Landtag Nordrhein-Westfalen, Drs. 10/3997 vom 24.1.1989, S. 31 f.; vgl. auch Rachor, Das Polizeihandeln, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, Rn. 393 ff.). 16 Wagner, Kommentar zum Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen und zum Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes des Bundes und der Länder, 1987, S.64 f.

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wachsen können, Beseitigen und Mindern von Kriminalitätsursachen, Verhindem des Entstehens oder Verfestigens kriminogener Faktoren." Auch wenn man all dieses Ziele für insgesamt erstrebenswert halten mag als rechtlicher Zwischenbefund ist festzuhalten, dass nur das erste der sieben "Insbesondere-Zielen" dem gesetzlichen Gefahrenabwehrauftrag des § I I PolG NW entspricht. Im "Handbuch zur PDV 100", dem halb-offiziellen Kommentar zu dieser zentralen Polizeidienstvorschrift heißt es im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Gefahrenabwehr und Prävention: ,,Die Entwicklung der letzten Jahre insbesondere in der Kriminalprävention machte es erforderlich, begrifflich schärfer die Gefahrenabwehr im obigen Sinne von der Prävention im modernen Begriffsverständnis abzugrenzen. Früher wurden die Begriffe fast synonym verwandt, denn die Gefahrenabwehr dient ja ,präventiven Zwecken'. Heute ist Prävention eine ,Bewegung' geworden, die im Sicherheitsprogramm i.d.F. der FOrtschreibung 1994 17 einen entscheidenden Schwerpunkt belegt.. .. " 18 Nach dieser Darstellung liegt also die "begrifflich schärfere Abgrenzung" scheinbar darin, einen anerkannten Rechtsbegriff gegen einen diffusen "Bewegungsbegriff' auszutauschen. Weiterhin ist interessant, dass die Polizei mit den Zielsetzungen ,,Beseitigen und Mindern von Kriminalitätsursachen" und "Verhindern des Entstehens oder Verfestigens kriminogener Faktoren" ihre Allzuständigkeit auf dem gesamten Feld der Kriminalprävention (im soziologischen bzw. kriminologischen Sinne) reklamiert. Letztlich ist bemerkenswert, dass sich die Polizei in diesem Themenfeld offensichtlich vorrangig als Leistungs- und nicht als Eingriffsverwaltung versteht. Dies entspricht der heute in der gesamten öffentlichen Verwaltung modernen Dienstleistungsphilosophie, die auch die Polizei immer häufiger als ihr Leitbild formuliert. Bei dieser in der Öffentlichkeit natürlich eindeutig positiv besetzten Selbstetikettierung sollten aber folgende Aspekte (die später noch konkretisiert werden) von vomeherein nicht übersehen werden: Die politische und polizeistrategische Zielsetzung entscheidet über den Ressourceneinsatz und die Schwerpunktbildung der Polizei. Die Erschließung neuer, gesetzlich nicht vorgegebener Betätigungsfelder führt daher zwangsläufig zur Vernachlässigung anderer (gesetzlicher) Aufgaben. Polizeiliche "Dienstleistungen" sind darüber hinaus häufig janusköpfig. Sie stellen nämlich in der Regel nicht nur einseitige Begünstigungen dar, sondern Innenministerkonferenz, Programm Innere Sicherheit, Fortschreibung 1994. Temme, in: Schulte u.a., Handbuch zur PDV I 00, Stand: 24. Erg.-Lfg. Januar 2001, Kornmentierung derNr. 1.2, S. 7. 17

18

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werden nicht selten (wie ebenfalls noch zu zeigen sein wird) durch Eingriffsmaßnahmen gegen andere "fmanziert".

2. Von der öffentlichen Sicherheit zur Inneren Sicherheit? Nicht nur der rechtlich einst klar konturierte Begriff der Gefahrenabwehr wird zunehmend durch den völlig unbegrenzten Terminus "Kriminalprävention" ersetzt, auch der Bezugspunkt polizeilicher Aktivitäten wurde "erneuert". Polizeiliches Handeln ist nach dem polizeipolitischen und -strategischen Verständnis nicht mehr auf die öffentliche, sondern auf die innere Sicherheit ausgerichtet. Die PDV 100, Nr. 1.1 (Rolle und Selbstverständnis) stellt fest: "Die Polizei ist wesentlicher Garant für die Innere Sicherheit ... " Ebenso wie beim Begriff ,,Kriminalprävention" handelt es sich auch hierbei um ein unjuristisches und politisch weitgehend beliebig auffiillbares Schlagwort.19 Es wurde insbesondere in der Hochphase des Linksterrorismus der siebzigerJahrepopulär und hatte, wie der Parallelbegriff der ,,Äußeren Sicherheit", primär den Staatsschutz und weniger den Bürgerschutz im Auge. Mit dem Programmfor die Innere Sicherheit, das erstmals 1974 als gemeinsames Strategiepapier des Bundesinnenministers und seiner Länderkollegen verfasst und 1994 überarbeitet und aktualisiert wurde, ist der Terminus zum polizeipolitischen und -strategischen Sammelbegriff unterschiedlichster Aktivitäten geworden. Die Defmitionsmacht variiert demzufolge mit dem jeweiligen (Be-)Nutzer. 20

3. Vom Primat des Rechts zum Primat der Politik? Wie bereits oben unter Nr. I, 1 erwähnt, gehen nach der PDV 100 (Nr. 1.1) Rolle und Selbstverständnis der Polizei erklärtermaßen über die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 20 III GG (Bindung an Gesetz und Recht) hinaus. Zum grundsätzlichen Verhältnis Polizei - Politik fmdet man dort die Aussage: ,,Als Folge des Primats der Politik sind erfiillbare politische Leitlinien erforderlich." Soll es also neben Gesetzen, Verordnungen und Verwaltungsvorschriften noch außerrechtliche "politische Leitlinien" fiir die Polizeiarbeit geben? Wer soll dafiir zuständig sein und welche Bindungskraft soll ihnen zukommen? 19 Kniesel, "Innere Sicherheit" und Grundgesetz, ZRP 1996,482 ff. (485).

Zu parteipolitischen Aussagen zum Themenfeld "Innere Sicherheit" vgl. Frevel, Kriminalität - Gefahrdungen der Inneren Sicherheit?, 1999, S. 88 ff. 20

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Auch das Schlagwort "Primat der Politik" erscheint in diesem Kontext somit höchst diffus und rundet damit die nebulösen Strategieformulierungen um das Themenfeld "Kriminalprävention" und "Innere Sicherheit" im negativen Sinne ab.

4. Von der Sicherheitslage zum Sicherheitsgefühl? Die PDV 100 (Nr. 1.1) nimmt in ihren Ausführungen zu Rolle und Selbstverständnis der Polizei auch zu dem Spannungsfeld (objektive) Sicherheitslage und (subjektives) Sicherheitsgefühl Stellung: "Die Polizei hat sich bei ihrem Tätigwerden nicht nur an der Sicherheitslage, sondern auch am Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu orientieren. Sie hat ihre Schwerpunktbildung daran auszurichten und fortzuentwickeln." Während der hergebrachte gesetzliche Auftrag der Polizei "Gefahrenabwehr" (also Abwehr objektiv erkennbarer, hinreichend wahrscheinlicher Schäden) lautet, soll sie nach den Vorgaben der PDV 100 nun ihre Schwerpunktbildung am Sicherheitsgefühl (also einer häufig nur vorgestellten Bedrohung bzw. Bedrohungsintensität) ausrichten. Auch hier sei zunächst nur darauf hingewiesen, dass Schwerpunktbildung auf der einen Seite (Sicherheitsgefühl) naturgemäß mit Einschränkungen der Aktivitäten auf der anderen Seite (Sicherheitslage) einhergehen muss. Dies wird auch im "Handbuch zur PDV 100" unumwunden eingestanden: "Unter dem Gesichtspunkt knapper Ressourcen wäre es eigentlich erforderlich, die Schwerpunkte dort zu setzen, wo die objektive Sicherheitslage dies - ungeachtet der Ängste in der Bevölkerung- erfordert. Eine Polizei, die ,Bürgerpolizei' sein will, kann sich dies allerdings nicht leisten."21

5. Zwischenergebnis Allein beim zunächst theoretisch-abstrakten Vergleich zwischen der Rechtslage und dem polizeipolitisch und -strategisch artikulierten Rollen- und Selbstverständnis wird eine starke Inkongruenz deutlich. Die Entwicklungen "von der Gefahrenabwehr zur Kriminalprävention ", "von der öffentlichen Sicherheit zur Inneren Sicherheit", "vom Primat des Rechts zum Primat der Politik" und " von der Sicherheitslage zum Sicherheitsgefühl " stellen nicht nur semantische Spielereien dar. Ihnen allen ist gemein, dass sich damit die Polizei vom materiellen Polizeibegriff des liberalen Rechtsstaates löst.

21

Temme, a.a.O. (Fn. 18), Kommentierung der Nr. 1.1, S. 25.

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Dies alles geschieht nach der festen Überzeugung des Verfassers allerdings nicht etwa aus einer rechtsstaat- oder demokratiefeindlichen Grundhaltung oder polizeilichen Allmachtsphantasien heraus, wie es einige außenstehende Polizeikritiker offensichtlich befürchten. Es geschieht im Gegenteil im Kontext folgender Aussagen der Nr. 1.1 der PDV 100: "Die Polizei ... unterliegt insbesondere als Träger des Gewaltmonopols einer umfassenden öffentlichen Kontrolle. Ihre Integrität ist unabdingbare Voraussetzung für das Vertrauen des Bürgers in seine Polizei." Vieles geschieht (wie auch das o.a. Zitat aus dem "Handbuch zur PDV 100" belegt) aufgrund der für sich genommen lobenswerten, aber häufig in den einzelnen Facetten nicht zu Ende gedachten Vorstellung, die Polizei zu einer "Bürger-" und "Dienstleistungspolizei" weiterentwickeln zu wollen. Manches geschieht allerdings auch mit dem verkürzten populistischen und zuweilen auch opportunistischen Blick auf Tagespolitik und Medienresonanz. ,,Modernität" als solche ist heute überall gefragt, neue Begrifflichkeiten und Leitlinien müssen her, um die Innovations- und Flexibilitätskompetenz von Organisationen und handelnden Personen zu unterstreichen. Aktionismus ersetzt dann häufig die genaue Analyse, Umfrageergebnisse und Presseecho werden zu attraktiveren Parametern als das Abgleichen des polizeilichen Handeins (oder Nicht-Handelns!) mit Recht und Gesetz. Kurzum: Polizeipolitik und -Strategie sind keinesfalls vorsätzlich bemüht, den materiellen Polizeibegriff des liberalen Rechtsstaates abzuschaffen, sie vernachlässigen ihn jedoch in ihrer kurzatmigen Modernisierungshysterie und sie beschädigen ihn fahrlässig durch die (zumeist gutgemeinte) Entwicklung von Polizeileitbildern und -Strategien extra Iegern.

II. Praktischer Befund

Die Auswirkungen der im ersten Kapitel kritisch angesprochenen Inkongruenz von Rechtslage und Polizeistrategie auf konkrete Arbeitsfelder sollen nun anband der Kooperationsmodelle der Polizei mit anderen Akteuren der "staatlichen und kommunalen Kriminalprävention", den Ordnungsbehörden, dem BGS, Trägern der Sozialarbeit und Privaten Sicherheitsdiensten dargestellt werden. I . Zusammenarbeit der Polizei mit Ordnungsbehörden Dieses Themenfeld wird anband des nordrhein-westfalischen Trennsystems zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden behandelt.

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a) Gefahrenabwehr als gemeinsamer gesetzlicher Auftrag Als Ausgangspunkt sind noch einmal (vgl. Nr. I, 1) die allgemeinen Aufgabenzuweisungen im nordrhein-westfälischen Polizei- und Ordnungsrecht zu betrachten. § 1 I OBG NW: "Die Ordnungsbehörden haben die Aufgaben, Gefahren fiir die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr)."

§ 1 I PolG NW: "Die Polizei hat die Aufgaben, Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwehren (Gefahrenabwehr). Sie hat im Rahmen dieser Aufgabe Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten) ... Sind außer in den Fällen des Satzes 2 neben der Polizei andere Behörden für die Gefahrenabwehr zuständig, hat die Polizei in eigener Zuständigkeit tätig zu werden, soweit ein Handeln der anderen Behörden nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint...." Seit 1990 haben die nordrhein-westfälischen Ordnungsbehörden damit einen umfassenderen gesetzlichen Gefahrenabwehrauftrag als die Polizeibehörden.22 Damals wurde (wie auch in einigen anderen Ländem23 ) der Bezugspunkt "öffentliche Ordnung", also der Schutz von ungeschriebenen Sozialnormen, deren Befolgung von der (örtlichen) Bevölkerungsmehrheit als unerläßlich für das Zusammenleben angesehen wird2\ aus dem polizeilichen Aufgabenspektrum entfernt. Hintergrund war u. a. die Überlegung, dass die staatliche Polizei keine Ressourcen zur Aufrechterhaltung lokaler außerrechtlicher Sozialnormen vorhalten und sich auf das wichtigere Themenfeld "öffentliche Sicherheit" konzentrieren sollte. 25 Diese Gesetzessystematik des nordrhein-westfälischen Polizei- und Ordnungsrechts lässt im übrigen, was häufig übersehen wird, auch kein subsidiäres polizeiliches Handeln zum Schutz der öffentlichen Ordnung zu - die Polizei ist schlicht unzuständig auf diesem Gebiet! Denkbar sind daher lediglich punktuelle Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen der Amts- und Vollzugshilfe. Im Gegensatz zur Exklusivzuständigkeit der Ordnungsbehörden für den Bereich der öffentlichen Ordnung sind die grundsätzlich gemeinsamen Aufgaben

22 Tegtmeyer, Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Datenschutzes im Bereich der Polizei und der Ordnungsbehörden (GFDPol) - Auswirkungen auf die Ordnungsverwaltung, NWVBI. 1989, S. 196 ff. (197). 23 Störmer, Renaissance der öffentlichen Ordnung?, Die Verwaltung 1997, 233 ff. (235 f.). 24 Gusy, a.a.O. (Fn. 3), Rz. 98 ff.; Waechter, Die Schutzgüter des Polizeirechts, NVwZ 1997,729 ff. 25 Störmer, a.a.O. (Fn. 23), 233 ff.

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von Polizei- und Ordnungsbehörden im Themenfeld öffentliche Sicherheit in einem Wechselspiel originärer und subsidiärer Zuständigkeiten geregelt. Die Polizei ist demnach originär für die Verhütung von Straftaten und die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung zuständig. Für alle anderen Gefahrenbereiche nimmt die Polizei lediglich subsidiär, an Stelle der originär zuständigen Ordnungsbehörde die "Inkompetenz-Kompetenz" ("... soweit ein Handeln der anderen Behörden nicht ... möglich erscheint....") oder "Eilfallkompetenz" (" ... soweit ein Handeln der anderen Behörden ... nicht rechtzeitig möglich erscheint....") wahr. 26 Wie sich der Gesetzgeber die Aufgabenwahrnehmung der Ordnungsbehörden in der Praxis vorstellt, macht er scheinbar unmissverständlich in § 13 OBG NW deutlich: "Die Ordnungsbehörden führen die ihnen obliegenden Aufgaben mit eigenen Dienstkräften durch."

b) Anspruch und Wirklichkeit des gemeinsamen Gefahrenabwehr-Auftrages Die gerade vorgestellten gesetzlichen Vorgaben erweisen sich jedoch in der Verwaltungspraxis als reine Fiktion. Nur die Polizei weist (neben Feuerwehr und Rettungsdienst) eine rund um die Uhr verfügbare Infrastruktur zur Abwehr unterschiedlichster Gefahrenlagen auf. Die Ordnungsbehörden beschränken sich in aller Regel nur auf die Dienstverrichtung zu den üblichen Bürodienstzeiten im Rahmen einer 38,5-Stunden-Woche; sie decken somit schon rein zeitlich gesehen weniger als ein Viertel der Wochenzeit (164 Stunden) ab. Darüber hinaus gehen die kommunalen Ordnungsbehörden (obwohl sie ihre Gefahrenabwehraufgaben gern. §§ 3 i.V.m. 9 OBG NW als Pflichtaufgaben zur ErjU/lung nach Weisung wahrzunehmen haben!) nach ihrem "traditionellen" Selbstverständnis davon aus, dass sie Gefahrenabwehr nur aus rein kommunaler Sicht und vom Schreibtisch aus zu erledigen haben. Stellvertretend ftir viele seiner Kollegen formuliert der Stadtdirektor der Stadt Essen das ordnungsbehördliche Grundverständnis für die Zusammenarbeit im gemeinsamen gesetzlichen Aufgabenhereich der Gefahrenabwehr wie folgt: " ... Die herkömmliche Arbeitsteilung war die, dass die Polizei als quasi ftir alle Ebenen handelnder Außendienst einschritt und ermittelte: Kommunen als Ordnungsbehörden regelten hierbei den Papierkrieg, führten Anhörungen durch, verhängten Bußgelder usw. Diese herkömmliche Arbeitsteilung ist zum Teil unter dem bereits geschilderten Druck bei der Polizei durch andere wichtige Aufgaben und ihre Personalnot infrage gestellt worden. Ich denke, zu Unrecht ...•m Tegtmeyer, a.a.O. (Fn. 22). Görgens, Kriminalprävention in und mit den Kommunen", in: BewHi 2000, 169 ff. (174 f.). 26

27

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Die staatliche Polizei als (weisungsabhängiger?) Außendienst der kommunalen Ordnungsbehörde? - soweit Interpretation und (Nicht-)Umsetzung der gesetzlichen Aufgabenzuweisung von Seiten der Ordnungsbehörden. Durch ihre Nicht-Anwesenheit im öffentlichen Raum und ihre NichtErreichbarkeit in vielfältigen Gefahrenfällen definiert die Ordnungsbehörde de facto die ständige Eil- und Allzuständigkeit der Polizei - und stellt damit das gesetzlich vorgesehene Regel-Ausnahme-Verhältnis auf den Kopf. Dies geschieht allerdings mit klarer Billigung der staatlichen Instanzen, die von ihrem entsprechenden W eisungsrecht, mit dem sie die Gesetzestreue der Kommunen einfordern könnten, in aller Regel keinen Gebrauch machen. 28 Mit dieser kritischen Bestandsaufnahme zu Anspruch und Wirklichkeit der gesetzlichen Aufgabenzuweisungen soll allerdings nicht etwa dem Aufbau kommunaler Parallel-Polizeien das Wort geredet werden. Das Vorhalten "echter" Bereitschaftsdienste, die in entsprechenden Lagen auch "vor Ort" und nicht nur am Telefon tätig werden können, wäre ein großer und wahrscheinlich auch ausreichender Schritt in die richtige Richtung. Damit würde nicht nur der Gesetzesauftrag endlich umgesetzt, sondern es bestände auch die Chance für einen Zugewinn an Fachkompetenz bei der Bewältigung allgemeiner und spezifischer Gefahrenlagen.29

c) Zusammenarbeit in "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften" Nachdem im Sommer 1997 die "broken-windows-Theorie", "zero-toleranceDoktrin" und "New Yorker Modell" Medien, Politiker und "Sicherheitsexperten" elektrisierten, kam es am 2.2.1998 zu einem Beschluß der Innenministerkonferenz, in dem eine "große Koalition" in Sachen Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften besiegelt wurde. Auf Initiative des damaligen Bundesionenministers Kanther unterschrieben er und die 16 Landes-Innenminister und -senatoren folgende Übereinkunft (Auszug): "Die öffentliche Ordnung ist ein Schützenswertes Gut. Im Rahmen des partnerschaftlichen Zusammenwirkens ist durch alle Beteiligten darauf zu achten, daß alltägliche stark belästigende Verhaltensweisen - wie z. B. aggressives Betteln, Lärmen, Verunreinigung öffentlichen Verkehrsraumes u.a. - differenziert und angemessen unterbunden sowie konsequent verfolgt werden. Das Überhandnehmen solcher Verhaltensweisen würde die subjektive Einstellung der 28 Ausführlich dazu Behrendes. Polizeiliche Zusammenarbeit mit Ordnungsbehörden und sozialen Diensten im Rahmen der Gefahrenabwehr und eines ganzheitlichen Präventionsansatzes, in: Kniesei/Kube/Murck, Handbuch ftir Führungskräfte der Polizei, 1996, s. 169 ff. (Rz 24 ff. ). 29 Hehrendes a.a.O. (Fn. 28), Rz 29 ff.

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Bürgerinnen und Bürger zur Sicherheit des Alltagslebens negativ prägen. Dem ist durch eine niedrigere Einschreitschwelle entgegenzuwirken. " 30 Auf den ersten Blick scheinen diese Forderungen für viele konsensfahig zu sein. Wen stören nicht die verwahrlosten Plätze in vielen Innenstädten und wen beschleicht nicht ein Gefühl der Beklemmung, wenn man an Lagerplätzen von "Punks", "Stadtstreichern" und "Junkies" vorbeigehen muss? Diese Alltagsbelästigungen sind den meisten Bürgern sehr viel näher als Fragen des organisierten Menschen-, Waffen- oder Rauschgifthandels. Gerade weil aber diese Problematik den Alltag berührt, ist es wichtig, genauer hinzusehen und zu hinterfragen, was mit den populären Forderungen tatsächlich gemeint ist und wie sie "vor Ort" umgesetzt werden. Denntrotz der Einbettung in moderate Formulierungen ist die Zielvorgabe für jeden mit der polizeilichen Terminologie Vertrauten klar: "konsequente Verfolgung- niedrige Einschreitschwelle". Rechtlich gesehen stellt diese Formulierung, die von den einzelnen Bundesländern in aller Regel noch durch entsprechende Erlasse konkretisiert worden ist, eine verhaltenssteuernde und ermessensreduzierende Verwaltungsvorschrift dar. Nicht die Grundrechte, nicht die Freiheit, nicht die Sicherheit, sondern die öffentliche Ordnung steht erklärtermaßen im Mittelpunkt der neuen Interventionsstrategien. Mit diesem Schlagwort wird zum Teil bewusst ein künstlicher Nebel erzeugt. Obwohl öffentliche Ordnung, wie oben dargelegt (vgl. Nr. II, 1 a), in rechtlicher Hinsicht klar defmiert ist, weiß man selbst bei amtlichen Verlautbarungen häufig nicht, ob nun die juristische oder die umgangssprachliche Bedeutung dieses schillemden Begriffs gemeint ist. Die nordrhein-westfalische Variante der "Ordnungspartnerschaften" ist dabei gerade vor dem Hintergrund der aufgezeigten Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden in diesem Bundesland besonders pikant. Initiiert die nordrhein-westfalische Polizei Partnerschaften im Rechtsgebiet der öffentlichen Ordnung, für das sie seit 1990 nicht mehr zuständig ist? Oder benutzt auch die nordrhein-westfalische Landesregierung den Ordnungsbegriff nur in einem umgangsprachlichen Sinne? Die Erklärung ist letztlich banal: Da die Bezeichnung "Sicherheitspartnerschaft" schon durch Wortschöpfungen des damaligen CDU-Bundesinnenministers Kanther und seiner Länderkollegen in den sogenannten "B-Ländem" belegt war, das sozialdemokratisch besetzte nordrhein-westfalische Innenressort aber in der Sicherheitsdebatte des Wahlkampfjahres 1998 diesen Begriff in der öffentlichen Auseinandersetzung "toppen" wollte, kreierte man ohne Rücksicht auf die damit zwangsläufig erzeugten Irritationen den Terminus der "Ordnungspartnerschaften". Für die o.a. gemeinsame Erklärung des Bundesinnenministers und aller 16 Länderkollegen 30 Bundesinnenministerium (Hrsg.), Innenpolitik- Informationen des Bundesministers des Innem, Nr. V/1997 v. 14.11.1997, 1 f.; vgl. auch Kant!Pütter, Sicherheit und Ordnung in den Städten, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 59 (111998), 70 ff.

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musste dann notgedrungen der Sammelbegriff Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften verwendet werden, damit sowohl CDU- als auch SPD-Minister ihre "Vaterschaft" an dem Strategiepapier in der Öffentlichkeit darstellen konnten. Nach dem Regierungswechsel 1998 werden nun auch im Bundesinnenministerium, parteipolitisch konsequent, die entsprechenden Zusammenarbeitsmodelle häufig als Ordnungspartnerschaften bezeichnet (vgl. unten II, 4 f). Allerdings zeichnen sich auch hier bereits wieder neue Begrifflichkeiten ab. Derzeit scheint die Bezeichnung Sicherheitskooperationssystem (vgl. unten Nr. II, 2) sehr im Kommen. Dieser etwas anekdotisch anmutende Exkurs belegt zum wiederholten Male, dass die derzeit populären Termini im Themenfeld Polizei nicht rechtlich (und damit verbindlich und überprüfbar), sondern (partei-)politisch definiert werden und häufig nur eine geringe "Halbwertzeit" aufweisen. An zwei Praxisbeispielen sollen nun die Auswirkungen von Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften auf die Zusammenarbeit von Polizei und Ordnungsbehörden untersucht werden.

d) Praxisbeispiel "Aufenthaltsverbote" ("Trick 14") Das Vorgehen gegen "offene Drogenszenen" ist, wie auch in anderen Bundesländern, ein erklärter Bezugspunkt nordrhein-westfälischer Ordnungspartnerschaften. Die planmäßige Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ordnungsbehörden findet in diesem Problembereich aber bereits seit Beginn der neunziger Jahre in vielen nordrhein-westfälischen Städten (ebenfalls parallel zu der Entwicklung in anderen Bundesländern) statt. Damals erfand man in der Praxis den gesetzlich nicht vorgesehenen Eingriff des "langfristigen Aufenthaltverbotes", um Mitglieder der "offenen Drogenszenen" mit zum Teil mehrmonatigen Stadtverboten zu belegen. 31 Diese wohl konkreteste Form der auf Dauer angelegten, zielgerichteten Zusammenarbeit von Polizei und Ordnungsbehörden im öffentlichen Raum soll anhand der nordrhein-westfälischen Rechtslage etwas genauer betrachtet werden. In der landesweiten Praxis (für die es allerdings keine offiziellen landeseinheitlichen Richtlinien gibt) initiiert jeweils die Polizei die dann von den kommunalen Ordnungsbehörden verhängten langfristigen Aufenthaltsverbote. Die 31 Vgl. zu dieser Entwicklung Heeger/Wien, Polizeiliche und ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Reduzierung der offenen Drogenszene am Beispiel Dortmund, Die Polizei 1994, 190 ff.; Latzel/Lustina, Aufenthaltsverbot - Eine neue Standardmaßnahme neben der Platzverweisung?, Die Polizei 1995, 131 ff.; Deger, Platzverweise und Betretungsverbote gegen Mitglieder der Drogenszene und anderer offener Szenen, VBIBW 1996,90 ff.

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Polizei übermittelt dazu die entsprechenden Daten von Personen, die nach ihren Feststellungen zu den Mitglieder der "offenen Drogenszene" gehören und die sich trotz wiederholter, punktueller Platzverweisungen bzw. Aufenthaltsverbote (nach § 34 PolG NW) wiederholt an den entsprechenden Örtlichkeiten einfinden. Die Ordnungsbehörde erlässt daraufhin in einem abgestuften Verfahren bis zu sechsmonatige innerstädtische Aufenthaltsverbote auf der Grundlage der ordnungsbehördlichen Generalklausel des § 14 OBG NW. Diese Verbote werden dann ggf. durch Zwangsgeld und Ersatzzwangshaft durchgesetzt_3 2 Während sich die Ordnungsbehörden ansonsten inuner vehement gegen die Übertragung "polizeilicher" Aufgaben wehren (vgl. Nr. II, 1 b), haben sie im Themenfeld "offene Drogenszenen" erstaunlicherweise klaglos die rechtliche Federführung übernommen, obwohl es doch offensichtlich um einen klassischen polizeilichen Bereich, nämlich die Verhütung von Straftaten (Drogenhandel) geht. Nach der Systematik der Aufgabenzuweisungen von § 1 OBG NW und § 1 I, S. 2 PolG NW gehört dieses Feld, wie oben dargelegt (vgl. Nr. I, 1 und Nr. II, 1 a), expressis verbis zum originären gesetzlichen Aufgabenbereich der Polizei. Diese überlässt jedoch in einem geplanten, konzertierten Vorgehen der Ordnungsbehörde das rechtliche Handlungsfeld. Hintergrund für diese atypische Kooperation und Verantwortungsverschiebung ist eine Rechtskonstruktion, die man, salopp ausgedrückt, als "Trick 14" umschreiben kann: Der Polizei steht für Aufenthaltsverbote die Spezialbefugnis des § 34 PolG NW zu Verfügung. Danach ist sie jedoch lediglich befugt, vorübergehende Platzverweise und Aufenthaltsverbote auszusprechen. Als "vorübergehend" sind aber allgemein anerkannt allenfalls 24-stündige Verbote anzusehen. Da somit die an sich einschlägige Spezialbefugnis fur die beabsichtigten "längerfristigen" Aufenthaltsverbote nicht herangezogen werden kann, glaubt man, für solche weitergehenden Maßnahmen nun einfach auf die (unbegrenzte) Generalklausel zurückgreifen zu können. Diesen rechtssystematisch äußerst fraglichen Rückgriff3 versucht man wiederum dadurch zu verschleiern, dass man nicht die Generalklausel des Polizeigesetzes (§ 8 PolG NW), sondern die des § 14 OBG NW heranzieht.

32 AusfUhrlieh zu dieser Gesamtproblematik Hecker, Die Regelung des Aufenthaltes von Personen im öffentlichen Raum, Materialien der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (Bd. 38), 1998. 33 Haurand, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht in Nordrhein-Westfalen, , 2. Autl 1996, S. 84 f. ; Hecker, Aufenthaltsverbote im Recht der Gefahrenabwehr, NVwZ 1999, 261 ff. (262); Rachor, in: Lisken!Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, S. 398 (Rz. 461 a); Roggan!Sürig, Aufenthaltsverbot flir Drogenabhängige, KJ 1999, 307 ff. ; Volkmann, Die Rückeroberung der Allmende, NVwZ 2000, 361 ff. (364

f.).

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Diesen "Trick" kann man jedoch nur als klassischen Systembruch bezeichnen. Die Grundproblematik des Zusanunenspiels von Generalklausel und Spezialbefugnissen ist in der Gesetzessystematik des OBG NW die gleiche wie im PolG NW. Nach der Überleitungsnorm des§ 24 OBG NW gelten nämlich die meisten Spezialbefugnisse des PolG NW (so expressis verbis auch § 34 PolG NW) ebenfalls flir die Ordnungsbehörden. Deshalb ist auch ihr in dieser Fallkonstellation (abgesehen von ihrer nur subsidiären Zuständigkeit für die Straftatenverhütung) natürlich der Rückgriff auf die Generalklausel gerade deshalb verwehrt, weil man die in einer Spezialbefugnis vorgesehene Rechtsfolge (vorübergehendes Aufenthaltsverbot) nicht einfach per Generalklausel erweitern darf (langfristiges Aufenthaltsverbot). Obwohl dieses Verfahren bereits seit etwa zehn Jahren vielerorts betrieben wird und überwiegend kritische Stinunen in der Fachliteratur zu verzeichnen sind34, gingen unerklärlicherweise jedoch bislang die meisten Gerichte über diese rechtliche Kernfrage ganz oder mit zum Teil sehr oberflächlichen und pauschalen Begründungen hinweg.35 Unter der Hand haben somit Polizei- und Ordnungsbehörden einen gravierenden neuen Grundrechtseingriff kreiert, der von der zuständigen Landesregierung wohlwollend begleitet und von den Verwaltungsgerichten (allerdings zumeist in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) "abgesegnet" wurde. Aufgrund der unbeanstandeten Verwaltungspraxis besteht daher offensichtlich auch rechtspolitisch kein Bemühen, diese Eingriffe in das Grundrecht auf Freizügigkeit gemäß der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts endlich gesetzlich zu regeln. So stellte die nordrhein-wesWilische Landesregierung im Rahmen einer Großen Anfrage im Jahre 1999 zu dieser Problematik fest: "Für Nordrhein-Westfalen besteht kein Bedürfnis, eine Spezialermächtigung zu schaffen. " 36

34 Vgl. Alberts, Freizügigkeit als polizeiliches Problem, NYwZ 1997,45 ff.; Behrendes, in: Kniesei!Kube!Murck, Handbuch flir Führungskräfte der Polizei, 1996, S. 193 (Rz. 160 ff.); ders., Zugbrücken hoch - Stadtverbote ftir unerwünschte Personen, in: Müller-Heide/berg u. a. , Grundrechte-Report 2001, S. 107 ff.; Haurand a.a.O. (Fn.33); Hecker, a.a.O. (Fn. 32 u. 33); Hetzer, Gefahrenabwehr durch Verbannung?, Kriminalistik 1998, 133 ff.; ders. Zur Bedeutung des Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG) für polizeiliche Aufenthaltsverbote, JR 2000, 1 ff.; Rachor a.a.O. (Fn.33), S. 254 (Rz. 60a) und 398 (Rz. 461a); Roggan!Sürig, a.a.O. (Fn. 33); Volkmann a.a.O. (Fn. 33). 35 Vgl. exemplarisch die Kritik am Urt. des OVG Bremen vom 24.3.1998, NYwZ 1999, 314 ff. durch Hecker, a.a.O. (Anm. 33); Roggan/Sürig, a.a.O. (Anm. 33) und Volkmann, a.a.O. (Fn. 33). 36 Landtag Nordrhein- Westfalen, Drs. 12/3560, S. 20 zu Frage 2.11 der Großen Anfrage "Zur Situation der Polizei in Nordrhein-Westfalen".

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Der rechtspolitische Umgang mit der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichtes wird besonders deutlich, wenn man die gesetzgeberischen Aktivitäten in anderen Themenfeldern der Kontrolle des öffentlichen Raumes betrachtet. Im Zuge der bundesweiten Diskussion über die Videoüberwachung öffentlicher Plätze hatte es der i.S. von Aufenthaltsverboten bewusst untätige nordrhein-westfalische Gesetzgeber im Sommer 2000 sehr eilig, eine entsprechende Spezialbefugnis (§ 15a) in das PolG NW aufzunehmen. Die offene Videoüberwachung ist allerdings nur zur Bekämpfung von "Straftaten von erheblicher Bedeutung" zulässig, die Kameras dürfen also in aller Regel nicht zur Beobachtung der "offenen Drogenszene" mit ihrem ,,Ameisenhandel" eingesetzt werden. Hier hat sich also der Gesetzgeber in der Pflicht gesehen, der Exekutive relativ enge Grenzen im Bereich der Überwachung öffentlicher Flächen zu setzen. Zur Bekämpfung derselben Delikte werden andererseits aber weiterhin bedenkenlos mehrmonatige Aufenthaltsverbote gegen die betroffenen Menschen auf der schwammigen Grundlage der Generalklausel verhängt, ohne dass man einen Handlungsbedarf bzw. seine Verantwortung für entsprechende spezialgesetzliche Regelungen und Begrenzungen sieht. e) Praxisbeispiel "Ordnungsbehördliche Verordnungen" ("Trick 27") In einer vom Innenministerium NW und dem Einzelhandelsverband NW (sie!) gemeinsam herausgegebenen Broschüre (Erfahrungen, Empfehlungen und Ratschläge for Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in Innenstädten) findet man auf S. 22 folgenden Hinweis: "Bedacht werden sollte zudem, dass Verstöße gegen die öffentliche Ordnung im Falle des Verbots durch ordnungsbehördliche Verordnung auch von der Polizei als Verstöße gegen die öffentliche Sicherheit geahndet werden können." Abgesehen von der interessanten Terminologie, mit der die klassischen Begrifflichkeiten des Gefahrenabwehrrechts (öffentliche Sicherheit und Ordnung) unmittelbar in den Kontext von "Verstoß" und ,,Ahndung" gesetzt werden, ist dieser Satz die Spielanleitung für "Trick 27". Nach§ 27 OBG NW kann die Ordnungsbehörde ordnungsbehördliche Verordnungen zum Schutz der öffentlichen Ordnung erlassen. Dieses Mittel wird, neben straßenrechtlichen Regelungen, nicht nur in Nordrhein-Westfalen zunehmend genutzt, um unerwünschte Verhaltensweisen von Randgruppen (Bettelei, Alkoholgenuss, Lagern auf öffentlichen Flächen etc.) kommunalrechtlich zu verbieten und per Bußgeld zu sanktionieren. 37 Besonders pikant ist die Be-

37 Behrendes, Zusammenarbeit von Polizei und Stadt im Konfliktbereich von Sicherheit, Ordnung und sozialer Verantwortung, in: Institut for Landes- und Stadtentwick-

9 Pitschas

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trachtung des konkreten Anwendungsbereichs der "öffentlichen Ordnung", wenn man sich vor Augen führt, dass der Bundesgesetzgeber im Jahr 1974 viele der heute diskutierten "unerwünschten Verhaltensweisen" ausdrücklich entkriminalisiert hat. Damals wurden u. a. die aus dem Jahre 1871 stammenden Bestimmungen über "Bettelei" und "Landstreicherei" ersatzlos gestrichen! Es stellt sich deshalb bereits die ganz grundsätzliche Frage, ob diese bundesgesetzliehe Entscheidung nun nach Belieben per Lokalrecht konterkariert werden darf. 38 In einigen grundlegenden Entscheidungen haben inzwischen die Gerichte der Regelungswut in diesen Bereichen Einhalt geboten. 39 Als weitere grundsätzliche Fragestellung ist darüber hinaus noch zu erörtern, ob das Aufgabenfeld der Öffentlichen Ordnung entgegen der Grundentscheidung des Landesgesetzgebers quasi durch die Hintertür des § 27 OBG NW wieder zum polizeilichen Sicherheitsgut "befördert" werden kann. Von der Zulässigkeit einer solchen "Rechtsgüterwaschanlage" geht zumindest die nordrhein-westfalische Landesregierung in der bereits unter Nr. II, 1 d erwähnten Antwort auf die Große Anfrage "Zur Situation der Polizei in NordrheinWestfalen" im Jahre 1999 aus: "Die Ordnungsbehörden haben durch Erlass ordnungsbehördlicher Verordnungen die Möglichkeit, unerwünschte Verhaltensweisen als Verbot zu umschreiben und mit einem Bußgeld zu bewehren. Bei Zuwiderhandlung liegt sodann ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit i.S.d. Generalermächtigung des § 8 PolG NW vor."4° Kommunalpolitisch "unerwünschte Verhaltensweisen" erwachsen also nach Auffassung der Landesregierung zum Verstoß(?) gegen die öffentliche Sicherheit und somit zum Handlungsfeld der staatlichen Polizei. Den absoluten Höhepunkt der Trickkunst (und Tiefpunkt an Rechts- und Gesetzestreue) liefert jedoch ein nicht weiter kommentierungsbedürftiger Hinweis auf S. 23 der bereits o. a. Broschüre Erfahrungen, Empfehlungen und Ratschläge for Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in Innenstädten: "Wird von Kommunen eine Regelung durch ordnungsbehördliche Verordnung nicht für opportun gehalten, könnten verbotene (!?) Handlungsweisen in internen Dienstanweisungen aufgelistet werden, um Vollzugsdienstkräften einheitlilungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Bahnhöfe: Sicherheit, Service, Aufenthaltsqualität (ILS-Schriften 145), 1999, S. 42 ff. (44 ff.). 38 Grundlegend Kohl, Zulässigkeit ordnungsrechtlicher Maßnahmen gegen Obdachlose in den Städten, NVwZ 1991, 620 ff.; Kese, Entkriminalisiertes Verhalten, Freiheitsgrundrechteund die polizeiliche Ordnungsklausel, Die Polizei 1994, 12 ff.; Fahl, Zur Fragwürdigkeit bußgeldbewehrter Einschränkungen der Stadtstreicherei durch Sondernutzungssatzungen, DÖV 1996, 955 ff. 39 Vgl. zu Polizeiverordnungen VGH Mannheim, Beschl. v. 6.7.1998, DÖV 1998, 1015 ff. und Normenkontroll-Beschluss v. 6.10.1998, NuR 1999, 221 ff. sowie zum Straßenrecht OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.9.1997, NJW 1998,251 f. 40 Landtag Nordrhein-Westfalen, a.a.O. (Fn. 36), S. 19 zu Frage 2.1 0.

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ehe Vorgaben für ihr Tätigwerden auf Grund der ordnungsrechtlichen Generalklausel an die Hand zu geben." f) Zwischenergebnis

Sowohl die herkömmliche, alltägliche (Nicht-)Zusammenarbeit zwischen Polizei- und Ordnungsbehörden, als auch die aktuellen Kooperationsmodelle im Rahmen von "Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften" (insbesondere in ihren konkreten Anwendungsfeldern ,,Aufenthaltsverbote" und "Ordnungsbehördliche Verordnungen") zeigen problematische Entwicklungen auf: Personelle und inhaltliche Schwerpunktsetzungen für Polizei- und Ordnungsbehörden im Präventionsbereich werden nicht vom Parlament, sondern von der Exekutive selbst getroffen. In grundrechtsrelevanten Einzelbereichen wird (erfolgreich) versucht, gesetzliche Bindungen durch extra Iegern und zum Teil contra Iegern zusammengebastelte Rechtskonstruktionen "auszutricksen". Die Adressaten solcher "Strategien" (Junkies, Stadtstreicher, Punks) haben aufgrundihrer Lebensbedingungen in aller Regel weder die Möglichkeit, bedenkliche Grundrechtseingriffe gerichtlich überprüfen zu lassen, noch einen Zugang zu den Medien, um entsprechende Maßnahmen zu skandalisieren. Zielbild bei der "Machtintervention im urbanen Raum"41 ist nicht Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung im klassischen Sinne, sondern die "Rückeroberung der Allrnende". 42 Es ist die deutsche Rezeption von amerikanischer "Broken-windows-Theorie" und "Zero-Tolerance-Doctrin", reduziert auf die Verdrängung "unerwünschter Personen" aus exponierten innerstädtischen Räumen.43

41 So die Überschrift einer diesbezüglichen sozialwissenschaftliehen Abhandlung von Krasmannlde Marinis, Krim.Joumal 1997, 162 ff. 42 Volkmann, a.a.O. (Fn. 33). 43 Vgl. grundlegend den Sammelband von Dreher!Feltes (Hrsg.), Das Modell New York: Kriminalprävention durch ,,Zero Tolerance"?, 1997 und zur deutschen Rezeption Hecker, Vorbild New York?, KJ 1997,395 ff.; Volkmann, Broken Windows, Zero Tolerance und das deutsche Ordnungsrecht, NVwZ 1999, 225 ff.; ders. a.a.O. (Fn. 33); Dolderer, Verfassungsfragen der "Sicherheit durch Null-Toleranz", NVwZ 2001, 130 ff.; zu den damit einhergehenden Privatisierungen öffentlicher Flächen vgl. grundlegend Wolf, Das Recht des Lebens auf der Straße, Institut for Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), ILS-Schriften 149, 1999.

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2. Zusammenarbeit der Polizei mit dem BGS

"Der BGS darf nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren" - so der Leitsatz des BVerfG in seinem Beschluss vom 28.1.1998. 44 Am 20.5.1999 vereinbarten der Bundesinnenminister und sein schleswigholsteinischer Kollege den Aufbau eines Sicherheitskooperationssystems um u. a. "der allgemeinen Kriminalität und anderen Störungen der öffentlichen Sicherheit gezielt entgegenzuwirken".45 Auch diese Gegenüberstellung soll nur exemplarisch (ähnliche Kooperationsmodelle zwischen BGS und Länderpolizei gibt es vielerorts, häufig auch ohne ministerielle ,,Absegnung") und schlaglichtartig Anspruch und Wirklichkeit zwischen (Verfassungs-)Recht und Praxis aufzeigen. Eigentlich hätte sich nach Wegfall der innerdeutschen und innereuropäischen Grenzen folgerichtig die Frage nach der weiteren Existenzberechtigung des BGS stellen müssen. Stattdessen suchte und fand der BGS jedoch neue sonderpolizeiliche Betätigungsfelder (Bahn- und Luftsicherheit), die inzwischen auch gesetzlich verankert und verfassungsgerichtlich bestätigt worden sind. 46 Von seinem Selbstverständnis her identifiziert sich der BGS aber keineswegs mit seiner verfassungsrechtlich zugeschriebenen, sonderpolizeilichen Rolle. 47 Das zuständige Bundesinnenministerium und der BGS selbst sind im Gegenteil ständig bemüht, das Image einer laut BVerfG "Polizei mit begrenzten Aufgaben" abzustreifen. Das geschieht optisch dadurch, dass sich der BGS in jüngster Zeit sowohl in seiner Uniform, als auch in seinen Dienstbezeichnungen den Standards der Länderpolizeien anpasste. Aktuell wird berichtet, dass das Bundesinnenministerium auch eine generelle Umbenennung des BGS (Vorschläge sind z. B. ,,Bundespolizei" oder "Polizei des Bundes") plant. 48 Neben diesen äußerlichen Annäherungen besetzt der BGS aber auch inhaltlich immer mehr Felder der Landespolizei, insbesondere durch den o. a. An-

NVwZ 1998, 495 ff. Bundesinnenministerium (Hrsg.), Innenpolitik- Informationen des Bundesministers des Innem, Nr. III/1999 v. 9.7.1999, S. 12 f. 46 BVerfG a.a.O. (Fn. 44) mit Anm. Hecker, NVwZ 1998,707 ff. 47 Vgl. grundlegend Lisken, Polizei im Verfassungsgefllge, in: Lislren/Denninger, a.a.O. (Fn. 15), S. 85 ff. (Rz 29 ff.) und Heclrer a.a.O. (Fn. 46). 48 Fehn, Zuständigkeitsfragen zwischen Bundesgrenzschutz und Landespolizei, Die Polizei 2001, 8 ff., 83 ff., 114 ff. (117). 44 45

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spruch, sich generell um die "allgemeine Kriminalität" und die "öffentliche Sicherheit" zu kümmern. Interessanter Weise wird diese unter der Verantwortung des CDUBundesinnenministers Kanther entwickelte Tendenz von seinem SPDAmtsnachfolger Schily ohne erkennbare Abstriche fortgeführt. Die Länder lassen das sukzessive Eindringen in ihre Aufgabenbereiche einerseits zu, anderseits fördern sie es sogar durch Abschluss von (oben exemplarisch vorgestellten) Sicherheitskooperationsvereinbarungen. 49 Die sich eigentlich aufdrängenden (verfassungs-)rechtliche Fragen werden aus haushaltspolitischen Erwägungen nicht gestellt. Effektivität und EffiZienz gehen vor Rechtmäßigkeit Handlungsleitend ist für viele Verantwortliche die populistische Feststellung, die als Schlusssatz unter einer soeben veröffentlichten Abhandlung über ,,Zuständigkeitsfragen zwischen Bundesgrenzschutz und Landespolizei" steht: "Unabhängig von rechtlichen Überlegungen kommt es im Einsatz darauf an, dass die Beteiligten vor Ort unbürokratisch, aufeinander abgestimmt und in Kenntnis der Leistungsfähigkeit der jeweils anderen Polizeibehörde handeln und so gemeinsam effektiv die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger schützen."so Auch wenn es unpopulär ist, diesen wohlfeilen Worten zu widersprechen- im demokratischen Rechtsstaat der Bundesrepublik Deutschland darf es keinen von "rechtlichen Überlegungen unabhängigen Polizeieinsatz" geben! 3. Zusammenarbeit der Polizei mit Trägern der Sozialarbeit

Zwei Zitate kennzeichnen die Eckpunkte für die ambivalente Standortbestimmung der Sozialarbeit zur Frage der Kooperation mit der Polizei: "Polizei ist eine strafermittelnde und strafverfolgende Institution, Sozialarbeit keine Erfüllungsgehilfin der Polizei und kriminalpräventive Einrichtung. Für eine glaubhafte und erfolgreiche Straßensozialarbeit ist Voraussetzung, dass Straßensozialarbeiter in keiner Weise in ordnungspolitische Zwangsmaßnahmen gegen die Szene, mit der sie arbeiten, eingebunden sind."s 1 "Sozialarbeit und Polizei haben eine gemeinsame Klientel, die durch die vorhandenen Strukturen ... nicht in dem Maße staatliche Hilfe erfährt, wie es sinnvoll fiir diese Klientel und das Gemeinwohl wäre ... Um diesen Bedarf und die vorhandenen Ressourcen besser nutzen zu können, muss die ZusammenarFehn, a.a.O. (Fn. 48), 116. so Fehn, a.a.O. (Fn. 48), 117.

49

st Leitlinien der Lübecker Straßensozialarbeit zu Kontakten mit der Polizei, zitiert nach Wurr/Dittrich, Straßensozialarbeit und Jugendgewalt, 1997, S. 122.

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beit effizienter gestaltet werden. Besonders ist zu prüfen, ob es Sozialarbeiterinnen auf dem Polizeirevier geben sollte. " 52 Diese Zitate belegen schlaglichtartig, dass es derzeit ein völlig uneinheitliches Bild zur Frage der Zusammenarbeit zwischen der Polizei und Trägem der Sozialarbeit gibt. Generell kann man jedoch einen deutlichen Trend des ,,Aufeinander-Zugehens" feststellen. Nach stark ideologisierten Abgrenzungsritualen in den siebziger und achtziger Jahren, haben sich in letzter Zeit viele Kooperationsmodelle in der Praxis entwickelt, die von der Einsicht geleitet sind, dass es eine gemeinsame Schnittmenge von Aufgaben gibt, die sowohl im Interesse der betroffenen Menschen als auch im Interesse des Gemeinwohls liegen. 53 Dies kann exemplarisch an Entstehung und Entwicklung des Banner GAB/-Modells und des Magdeburger G.A.i.L.-Projekts aufgezeigt werden. a) Das Modell GAB! (Gemeinsame Anlaufstelle Bann-Innenstadt) Das GABI-Modell, an dessen Entwicklung und Umsetzung der Verfasser verantwortlich beteiligt war, wird bewusst ausführlich dargestellt, da die Rahmenbedingungen (Umgang mit "Randgruppen-Straßenszenen") auf viele Städte übertragbar sind. Im Gegensatz zu vielerorts praktizierten Verdrängungskampagnen, die häufig euphemistisch als ,,Auflösung der offenen Drogenszenen" dargestellt werden, basiert das GAB/-Modell auf dem Ansatz der kontrollierten Duldung der "Randgruppen-Straßenszenen" im Bonner Bahnhofsumfeld. In einem ober- und unterirdischen Fußgängerbereich der Banner Innenstadt mit unmittelbarer Anhindung an Hauptbahnhof, U-Bahn und Fußgängerzone ("Banner Loch") entstand seit den achtziger Jahren ein Sammelplatz verschiedener Gruppierungen der ., Randgruppen-Straßenszenen" (,,Stadtstreicher", "Junkies", "Punks" etc.). "Normalbürger" (Passanten, Fahrgäste, Touristen, Anwohner und insbesondere Geschäftsleute) fühlten sich von den Randgruppenangehörigen belästigt und bedroht. Das ,,Banner Loch", das täglich von über 100.000 Menschen frequentiert wird, stand im Sicherheitsgefühl weiter Bevölkerungskreise als Synonym für ,,Krirninalitätsbrennpunkt" und "Schandfleck der Stadt". Die Presseberichterstattung bediente diese Fokussierung bereitwillig. Ein (seltenes) Raubdelikt im "Banner Loch" war jeweils Aufmacher in der lokalen Boulevardpresse - das gleiche Delikt an anderer Stelle wurde als Kurzmeldung abgehandelt.

52

Thesen flir einen Mobilen Krisendienst (Projekt G.A.i.L. Magdeburg) zitiert nach

Schmitt-Zimmermann, Sozialarbeit und Polizei, 2000, S. 133. 53 Behrendes, a.a.O. (Fn. 28), Rz. 70 ff.

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Eine genauere Analyse des Problembereichs ergab folgendes Bild (Grobüberblick): "Normalbürger" waren im "Bonner Loch" einer Gefährdung ausgesetzt, die sich nicht von der objektiven (Un-)Sicherheit an anderen Stellen der Innenstadt unterschied. An den Aufenthaltsplätzen der ,,Randgruppen-Straßenszenen" kam es (entgegen der landläufigen Meinung in der Bevölkerung) so gut wie nie zu Übergriffen der Szeneangehörigen auf "Normalbürger. Es war im Gegenteil belegbar, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Gewalttat zu werden, z. B. auf dem zentralen Bonner Münsterplatz (auf dem sich kaum jemand fiirchtete) größer war als im "Bonner Loch", das gleichwohl fiir viele "der Angstraum" schlechthin war. Die tatsächliche Beeinträchtigung der "Normalbürger" durch die Szeneangehörigen spielte sich vorwiegend im Bereich von Belästigungen (z. B. durch Betteln) und wenigen Delikten der Kleinkriminalität (einfacher Diebstahl) ab. Bei Umfragen bestätigten die befragten Passanten diesen objektiven Befund und beklagten (nach ihren persönlichen Erfahrungen gefragt) in erster Linie lediglich optische Belästigungen ("Wie sieht das denn hier aus!?"). Die Untersuchung der Ausgangslage fiir die Geschäftsleute zeigte ein ähnliches Bild. Auch hier gab es (von ganz wenigen Einzelfällen abgesehen) keine gewalttätigen Übergriffe von Angehörigen der "Randgruppen-Straßenzenen" gegenüber dem Geschäftspersonal. Allerdings wurden die Szenemitglieder relativ häufig bei Diebstahlsdelikten in den Kaufhäusern angetroffen. Auch dieses ,,klassische" Deliktsfeld der Beschaffungskriminalität bedarf jedoch einer genaueren Betrachtung. Im Jahr 1995 wurden in Bonn 3.522 Ladendiebe ermittelt. Davon gehörten 191 zur "BTM-Szene"- dies entspricht einem Anteil von 5,4%. Mit anderen Worten: fast 95% der überfiihrten Ladendiebe waren NichtAbhängige (größtenteils "Normalbürger"!). Für die Geschäftsleute stellten aber manche nicht-kriminelle ,,Auswüchse" der Szenen ernstzunehmende Belastungen dar. Durch Lagerstätten vor Geschäften, Urinieren in den Eingangsbereichen etc. kam es in einigen Fällen zu belegbaren Einnahmeverlusten, da die potenziellen Kunden die von den Randgruppen okkupierten Bereiche mieden. Die wichtigsten Erkenntnisse bei der Analyse der Ausgangslage ergaben sich jedoch schließlich bei der Betrachtung der ,,Randgruppen-Straßenzenen" selbst. Innerhalb der Szenen herrschte ein vergleichsweise hohes Gewaltpotenzial was aber in aller Regel nicht auf die "Normalbürger" umschlug. Wechselseitige Körperverletzungen und Raubdelikte waren quasi "an der Tagesordnung", aber auch Vergewaltigungen sowie versuchte und vollendete Tötungsdelikte kamen in relativer Häufung vor; wobei zunächst noch von einem enorm hohen Dunkelfeld auszugehen war, da die Randgruppenangehörigen nur in Ausnahmefällen entsprechende Delikte zur Anzeige brachten. Darüber hinaus waren dieje-

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nigen Szeneangehörigen, die rund um die Uhr "auf der Platte" lebten, auch den Übergriffen von angetrunkenen Skins, anderen Jugendlichen und sonstigen "Normalbürgern" ausgesetzt, die sich nicht selten an den apathischen und wehrlosen Alkoholkranken und Rauschgiftabhängigen abreagierten. Als Zwischenergebnis war daher zunächst festzuhalten: Die Angehörigen der Randgruppen-Straßenszenen waren hinsichtlich der Gewaltkriminalität die mit Abstand gefahrdetste Gruppe im ,,Bonner Loch"! Wenngleich die Aufenthaltsplätze der "Junkieszene" keine Signifikanz hinsichtlich Gewalt- und Beschaffungskriminalität zum Nachteil von "Normalbürgern" aufwiesen, stellten die Treffpunkte natürlich einen Umschlagplatz für illegale Drogen dar - im "Bonner Loch" hatte sich die offene Drogenszene etabliert. Doch die Szenebildung, der Aufenthalt in Gruppen Gleichgesinnter, darf nicht nur auf den Aspekt der "leichten Drogenbeschaffung" verkürzt werden. Die "Szene" bietet Schutz (vor Übergriffen anderer Gruppen), ist Infobörse (nicht nur für die Beschaffung des günstigsten "Stoffs", sondern auch für die Angebote der sozialen Dienste) und häuftg Familienersatz. Die Szene hat also neben ihrer Bedeutung als ,,kriminelle Szene" auch eine wichtige soziale Funktion für ihre häuftg physisch und psychisch verelendeten und vereinsamten Mitglieder. Die Szene bietet Möglichkeiten für Kontakte der aufsuchenden Sozialarbeit und ist somit häuftg der einzige Anknüpfungspunkt zum sozialen Netz. Etwa 100 Meter vom "Bonner Loch" entfernt befmdet sich die wichtigste Beratungsstelle für Drogenabhängige, mit einem Kontaktcafe, ambulanter ärztlicher Versorgung, Methadon-Substitution und einem stationären Betreuungsbereich. Rund 400 Meter entfernt ist die wichtigste Beratungsstelle für alleinstehende Wohnungslose, wo ebenfalls Kontaktcafe, Notschlafplätze und weitere Betreuungsangebote bereitgehalten werden. Nach dieser Bestandsaufnahme wurde in enger Kooperation zwischen Polizei und Stadtverwaltung und unter Einbeziehung der freien Träger der Sozialarbeit folgende Konzeption erarbeitet (Grobüberblick): Zielrichtung der Zusammenarbeit ist die Verbesserung der objektiven Sicherheitslage und des Sicherheitsgefühls aller Bevölkerungsgruppen bei gleichzeitiger Vermittlung von Hilfsangeboten für die im Innenstadtbereich aufhältigen Randgruppen. Als Negativabgrenzung wird festgelegt, dass keine Verdrängung der "Szenen" erfolgt. In einem ganzheitlichen Ansatz soll den miteinander korrespondierenden sicherheitsrelevanten, ordnungsrechtlichen und sozialen Problemen durch unmittelbare Zusammenarbeit zwischen Ordnungsbehörde und Polizei und mittelbare Zusammenarbeit mit den freien Trägern der Sozialarbeit begegnet werden.

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Mitten im unterirdischen Bereich des "Bonner Lochs" wurde 1992 die Dienststelle GAB! (Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-/nnenstadt) eingerichtet. Zum Gesamtpersonal der Dienststelle gehören zur Zeit (2001) 16 Polizeibeamte und 7 Beamte des Ordnungsamtes. Die jeweilige Dienststärke (Öffnungsbzw. Dienstzeiten: montags - samstags 07.00 - 01.00 Uhr, sonntags 14.00 22.00 Uhr) liegt bei 3 - 5 Beamten. Das Aufgabenspektrum liegt neben der Besetzung des Dienstgebäudes (in voneinander getrennten Büroräumen) insbesondere in der zielgruppenorientierten Streifentätigkeit und Einsatzwahrnehmung. Der örtliche Zuständigkeitsbereich umfasst über den Kernbereich des "Bonner Lochs" hinaus die gesamte innerstädtische Fußgängerzone. Bei der gemeinsamen Einsatzwahrnehmung gilt das "Prinzip der federfuhrenden Bearbeitung" durch Ordnungsamt oder Polizei, d. h. je nach Anlass entscheidet der rechtliche Schwerpunkt darüber, ob der Beamte des Ordnungsamtes oder der Polizei die Maßnahmen koordiniert. Den Beamten des Ordnungsamtes obliegt dabei auch die Information und Inpflichtnahme anderer städtischer Ämter (z. B. Jugendamt, Sozialamt, Gesundheitsamt), wenn ergänzende Maßnahmen sofort oder später notwendig erscheinen. In diesem Zusammenhang haben sich mit der Zeit ständige Ansprechpartner anderer Fachämter herauskristallisiert, die auf Anforderung auch "vor Ort" erscheinen.

GAB! unterhält neben der ständigen Kommunikation mit Streetworkern des Jugendamtes und Sozialarbeitern des Allgemeinen Sozialen Dienstes der Stadt Kontakte zu mittlerweile über 100 Einrichtungen freier Träger der Sozialarbeit, deren Beratungs-, Hilfs- und Übernachtungsangebote zum Teil "vor Ort" vermittelt werden. In der Kommunikation mit den Trägem der Sozialarbeit gilt das Prinzip der Einbahnstraße von der Polizei zur Sozialarbeit. Die Polizei gibt die bei ihrer Arbeit gewonnenen Erkenntnisse über individuelle Krisen- und Gefahrensituationen im Rahmen der rechtlichen Bestimmungen zur Datenübermittlung an die entsprechenden staatlichen, kommunalen und privaten Träger der Sozialarbeit weiter, damit von dort wirksame personen- und zielgruppenorientierte Angebote entwickelt werden können. Sie hat dabei auf "Gegenleistungen" für ihre strafverfolgende Tätigkeit zu verzichten und die vertrauliche Behandlung von Klienteninformationen zu respektieren. Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Polizeibeamten der GAB! verstehen sich nicht als "Sozialarbeiter in Uniform". Sie leisten "normalen" Polizeidienst, nehmen Dealer fest und Randalierer in Gewahrsam. Sie schauen nicht weg - sondern im Gegenteil genauer hin. Aufgrund ihrer Personen- und Milieukenntnisse und ihres Informationsstandes über die vorhandenen Hilfsangebote können sie in vielen Situationen angemessener und effizienter reagieren, als ein Beamter des ,,normalen" Streifendienstes. Durch frühzeitige Interventi-

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on in gewaltindizierten Geschehensabläufen werden häufig konkrete Straftaten verhindert. Aufgrund des inzwischen aufgebauten Vertrauensverhältnisses zu den Randgruppenangehörigen konnte das Dunkelfeld der szeneninternen Ge~ waltkrirninalität spürbar aufgehellt werden. Insbesondere die in den Straßen~ szenen lebenden Frauen wenden sich häufig schutzsuchend an die GAB!~ Mitarbeiter von Polizei und Stadt. Alle diesen positiven Wirkungen lassen sich jedoch nur schwer mit ,,band~ festen" Zahlen belegen. Vieles beruht auf einer "Politik der kleinen Schritte". Informelle Regeln über das Verhalten an den Lagerplätzen und die Beseitigung von Müll, die Erhöhung der Reinigungsintervalle sowie die Verlängerung der Öffnungszeiten der öffentlichen Toilettenanlagen führten neben vielen anderen Einzelmaßnahmen allmählich und unspektakulär zur Entspannung (nicht zur Lösung!) der Gesamtsituation im "Bonner Loch". Dennoch stand und steht das Modell immer wieder unter Druck von lnteres~ senvertretem und Politikern. Viele wollen kein differenziertes Vorgehen, kei~ nen Kompromiss, sondern "tabula rasa" - die "saubere Innenstadt". Das GABIModell wird - wie ähnliche andere Projekte auch - immer wieder als "weiche Gangart" und "laissez-faire-Konzeption" denunziert. Die Sehnsucht nach "Schwarz-Weiß-Kategorien" und "schnellen Lösungen" ist (insbesondere in Wahlkampfzeiten) besonders ausgeprägt. b) Das Projekt G.A.i.L. ("Gegen Angst in belastenden Lebenslagen") Während das Bonner GABJ~Modell einen orts-und zielgruppenspezifischen Ansatz der unmittelbaren Zusammenarbeit zwischen Polizei und Ordnungsbehörde und der mittelbaren Zusammenarbeit mit freien Trägem der Sozialarbeit darstellt, versteht sich das Magdeburger G.A.i.L.-Projekt als übergreifendes Angebot "mobiler Krisenintervention" und generelle "Sozialarbeit im Polizeirevier".54 Das Projekt interveniert in menschlichen Notlagen und Krisen unmittelbar zeitlich und örtlich nach Bekanntwerden des Sachverhaltes bei der Polizei durch professionelle Sozialarbeiterische Betreuungs- und Beratungsangebote. Schwerpunkte des Tätigwerdens sind Familien- bzw. Paarkonflikte und Menschen in hilflosen Lagen. Nach der sofortigen ,,Krisenintervention vor Ort" steht die unverzügliche Weitervermittlung der Klienten an andere Träger des sozialen Hilfesystems im Vordergrund des Projekts. Es versteht sich damit auch als "Lückenschließer" im kommunalen sozialen Netz.

54 Konzept des Projektes "Gegen Angst in belastenden Lebenslagen" - Sozialarbeit im Polizeirevier- des Trägervereins Offene Türen e.V. Magdeburg, Stand: 12.7.1999; generell zu diesem Ansatz Schmitt-Zimmermann, a.a.O. (Fn. 52).

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Das Projekt G.A.i.L. ist neben dem schon seit den achtziger Jahren etablierten PPS-Modell Hannover (Präventionsprogramm Polizei!Sozialarbeiter)55 das aktuellste Beispiel unmittelbarer Kooperation von Polizei und Sozialarbeit. 4. Zusammenarbeit der Polizei mit Privaten Sicherheitsdiensten

Die rasante Entwicklung des Themenfeldes ,,Zusammenarbeit der Polizei mit Privaten Sicherheitsdiensten" kann man kurz skizzieren, indem man einen Blick in das .,Programm Innere Sicherheit" (Fortschreibung 1994) und die 1999 neu konzipierte Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 wirft. Das von der Innenministerkonferenz verabschiedete ,,Programm Innere Sicherheit" widmete 1994 in der Fortschreibung des erstmals 1974 erstellten Grundsatzpapiers diesem Themenfeld einen Spiegelstrich: .,Eine Tätigkeit privater Sicherheitseinrichtungen kommt nur unter strikter Beachtung des staatlichen Gewaltmonopols in Betracht. An ihre Zuverlässigkeit und Sachkunde sind hohe Anforderungen zu stellen; eine entsprechende gesetzliche Normierung ist notwendig." Zur Frage der Zusammenarbeit fmdet sich in diesen Allgemeinplätzen kein Wort. In der bundesweit gültigen Polizeidienstvorschrift (PDV) 100 fand sich bis 1999 ebenfalls keine Aussage zu Fragen der Kooperation mit privaten Sicherheitsdiensten- ganz anders als in der aktuellen Neufassung im Jahr 1999 (Nr. 1.7.2.3): .,... Leistungen des Staates für die Innere Sicherheit werden insbesondere durch ... gewerbliche Wach- und Sicherheitsunternehmen ... ergänzt ... Daraus ergibt sich die Notwendigkeit zielgruppenorientierter Zusammenarbeit u. a. durch ... Absprache und Koordination, Kooperation ... " Zur generellen Standortbestimmung fmdet man folgende Aussagen: .,Das staatliche Gewaltmonopol ist unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Staates" und .,Die Tätigkeit der gewerblichen Wach- und Sicherheitsunternehmen findet ihre Grenze dort, wo Aufgaben ausschließlich Hoheitsträgem übertragen sind." Ausgehend von der Themenstellung ,,Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Krirninalprävention" können im Rahmen dieses Beitrages nicht das gesamte Feld des Tätigwerdens privater Sicherheitsdienste und alle Berührungspunkte zur Polizei beleuchtet werden. 56 Parallel zu den vorangestellten Ausführungen zu Kooperationsmodellen mit kommunalen Vgl. Behrendes, a.a.O. (Fn. 28), Rz. 87 ff. Ausführlich hierzu Behrendes/Jungbluth!Twickler, Polizeiliche Zusammenarbeit mit Privaten? Das Spannungsfeld zwischen hoheitlicher und privater Gefahrenabwehr, in: Kniesei/Kube/Murck, Handbuch für Führungskräfte der Polizei, 1996, S. 20 I ff. 55

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Ordnungsbehörden, dem BGS und Trägem der Sozialarbeit soll daher der Fokus auf das Tätigwerden des Sicherheitsgewerbes im öffentlichen Raum und die daraus entstehenden Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit mit der Polizei gerichtet werden. a) Die Wahrnehmung herkömmlicher Polizeiaufgaben durch Private im Lichte des staatlichen Gewaltmonopols und des Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG Die Veröffentlichungen zu dieser Grundproblematik sind kaum noch überschaubar.57 Konsens scheint jedoch hinsichtlich folgender genereller Aussagen zu bestehen: Ausgehend vom staatlichen Gewaltmonopol besteht ein Kernbereich hoheitlicher, grundrechtsrelevanter Eingriffsverwaltung, der für Privatisierungen im weitesten Sinne nicht zugänglich ist und nur durch dem Staat besonders verpflichtete Amtsträger (Beamte) wahrgenommen werden darf. Art. 33 IV GG erlaubt außerhalb dieses Kernbereichs begründete Ausnahmeregeln vom grundsätzlichen Funktions- und Beamtenvorbehalt Vor einer Aufgabenübertragung an Private sind jedoch in einem abgestuften Verfahren zunächst Angestellten-, Verwaltungshelfer- und Beleihungsmodelle zu prüfen, mit denen der staatliche Einfluss und insbesondere die staatliche Kontrolle in einem sehr viel höherem Maße gewährleistet ist als bei reinen Privatisierungsmodellen. 58 Die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist deshalb immer die nach dem Auftraggeber des jeweiligen Akteurs. Handelt er im öffentlichen Interesse, ausgerichtet an den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip oder im Einzel bzw. Gruppeninteresse? Konkret: Bestreifen Sicherheitskräfte eine Fußgängerzone oder ein Wohnviertel im Auftrag der Allgemeinheit oder im Auftrag der Einzelhändler bzw. der Hauseigentümer? b) Verwaltungshelfermodelle In Bund und Ländern gibt es bereits ein buntes Bild von Verwaltungshelfermodellen im Polizeibereich. Dabei geht es in der Regel um sehr spezifische, routinemäßige Abwicklungen einzelner Teilverrichtungen, wie man es exem57 Um eine aktuelle Dokumentation des Diskussionsstandes bemüht sich u.a. die "Forschungsstelle Sicherheitsgewerbe" der Universität Hamburg, vgl. Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000. 58 Behrendes!Jungbluth!Twickler, a.a.O. (Fn. 56), Rz l ff. m.w.Nachw.

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plarisch am sog. Fluggastkontrolldienst im sonderpolizeilichen Aufgabenfeld der Luftsicherheit (§ 29c LuftVG) am Flughafen Köln!Bonn aufzeigen kann. 59 Private Sicherheitsunternehmen stellen dem BGS (der diesen Aufgabenbereich im April 2000 von der Landespolizei übernommen hat) ihre Arbeitnehmer zur Abwicklung der Personen- und Handgepäckkontrollen zur Verfügung. Diese uniformierten Verwaltungshelfer fiihren zwar handwerklich die Kontrollmaßnahmen durch, haben jedoch keinerlei Exekutivbefugnisse. Polizeivollzugsbeamte stehen deshalb immer in unmittelbarer Nähe bereit, um bei Auffmden verbotener Gegenstände oder anderen Konfliktsituationen hoheitlich einschreiten zu können. Solche unselbstständigen, auf Routinetätigkeiten beschränkten Verrichtungen, die unter unmittelbarer Kontrolle von Polizeivollzugsbeamten mit der jederzeitigen Möglichkeit einer entsprechenden Intervention stehen, sind sowohl unter (verfassungs)rechtlichen als auch unter polizeifachlichen Aspekten unbedenklich und bei damit einhergehenden Kostenersparnissen fiir die öffentlichen Haushalte auch sachgerecht. Ausgehend von diesem Befund steigen jedoch die verfassungs(rechtlichen) und polizeifachlichen Bedenken gegen Verwaltungshelfermodelle mit der Größe des Aufgabenspektrums und dem Grad der Selbstständigkeit der jeweiligen Tätigkeiten. Dies soll exemplarisch an uniformierten Streifendiensten von NichtPolizeivollzugsbeamten aufgezeigt werden. Während es in einigen Ländern (Baden-Württemberg, Berlin) schon seit den sechziger Jahren Hilfspolizeien gibt60, haben seit den neunziger Jahren insbesondere sog. ,,Sicherheitswachten" Konjunktur.61 Bei allen diesen Modellen geht es in erster Linie um die Erhöhung der optisch wahrnehmbaren Präsenz uniformierter Sicherheitskräfte im öffentlichen Raum. Bislang wurden als Hilfspolizisten entsprechend ambitionierte Bürger rekrutiert, die diese Tätigkeit als Ehrenamt oder gegen geringes Entgelt wahrnehmen. Für die Befiirworter solcher Organisationsformen käme als Alternative zur bislang praktizierten unmittelbaren Anhindung an die Polizei aber wohl auch eine entsprechende Aufgabenübertragung an private Sicherheitsdienste in Betracht.62 Neben den Kostengesichtspunkten fußen solche ,,Polizei-light-Modelle" offensichtlich auf dem Grundgedanken, dass Aufgabenwahrnehmungen wie ge-

59 Zur grundsätzlichen Problematik und zu unterschiedlichen Handhabungen vgl. Gramm, Schranken der Personalprivatisierung bei der inneren Sicherheit, VerwArch 1999, 329 ff. (333 ff.). 60 Behrendes!Jungbluth/Twick/er, a.a.O. (Fn. 56), Rz 32 ff. 6 1 Behrendes!Jungbluth/Twick/er, a.a.O. (Fn. 56), Rz 36 ff. 62 Vgl. Brauser-Jung, Das Recht des Bewachungsgewerbes, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, S. 55 ff. (79).

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fahrenerkennender Streifendienst und sicherheitsrelevante Kontaktpflege mit den Bürgern minderqualifizierte Tätigkeiten sind, die ohne spezielle Ausbildung zu leisten seien. Zum Teil gehören darüber hinaus aber auch heute schon konkrete Eingriffsbefugnisse wie Identitätsfeststellungen und Platzverweise zum Handlungsrepertoire solcher Hilfspolizisten. Innerhalb des regulären Polizeivollzugsdienstes des Landes Nordrhein-Westfalen entspricht ein solches Aufgaben- und Befugnisspektrum weitgehend der Funktion eines "Bezirksbeamten". Dessen Tätigkeitsfeld wurde im Rahmen einer 1991 durchgefiihrten Funktionsbewertung der Schutzpolizei von der beauftragten Unternehmensberatung wie folgt beschrieben: " ...wird der Bezirksbeamte während eines Streifenganges auch mit den unterschiedlichsten Sorgen und Problemen der Bürger konfrontiert. Nicht selten ergibt sich hieraus ein polizeiliches Einschreiten zur Gefahrenabwehr, zuweilen auch zur Strafverfolgung. Damit geht natürlich auch einher, dass die Konfliktträchtigkeit seines Handeins ad hoc erheblich zunehmen kann. Auch die aus seiner Einschätzung, seinen Schlußfolgerungen schließlich abgeleiteten Maßnahmen und Konsequenzen können im Einzelfall schwerwiegend sein .... Aus qualifikatorischer Sicht sind in diesem Tätigkeitsfeld insbesondere Kontaktfähigkeit, Problembearbeitungsfähigkeit und Konfliktstabilität gefordert .... Insgesamt betrachtet, d.h. sowohl unter Anforderungs- als auch unter Belastungsaspekten, liegt diese Funktion im Bereich des gehobenen Polizeivollzugsdienstes." 63 Dem ist nichts hinzuzufiigen. c) Beleihungsmodelle Im Gegensatz zu Verwaltungshelfermodellen spielen Beleihungen im Rahmen des herkömmlichen polizeilichen Aufgabenspektrums bislang keine erkennbare Rolle. Die Einfiihrung solcher Organisationsformen, an deren grundsätzlicher Zulässigkeit im Rahmen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses des Art. 33 IV GG (vgl. oben II, 4 a) kein Zweifel besteht, wird seit geraumer Zeit am Beispiel der Verkehrsunfallaufnahme diskutiert. 64 Leider ist zu diesem Thema selbst aus Polizeikreisen immer wieder zu hören, dass die Unfallaufnahme hauptsächlich eine Serviceleistung fiir die entsprechenden Versicherungen sei. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Polizei nach wie vor Verkehrsunfälle in erster Linie aufnimmt, um den zugrun63 Kienbaum Unternehmensberatung, Funktionsbewertung der nordrhein-westfälischen Schutzpolizei, Abschlussbericht 1991, S. I 0 I f). 64 Vgl. u. a. Pitschas, Gefahrenabwehr durch private Sicherheitsdienste?, DÖV 1997, 393 ff. (400) und Stober, Staatliches Gewaltmonopol und privates Sicherheitsgewerbe, NJW 1997, 889 ff. (896); Bernhardt, Möglichkeiten und Grenzen der Zusammenarbeit von Polizei/Behörden mit privaten Sicherheitsdiensten - aus Sicht der Polizei, in: Stober (Hrsg. ), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, S. 23 ff. (32).

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deliegenden Verstoß (Straftat oder Ordnungswidrigkeit mit Schadensfolge) zu erforschen und ggf. zu verfolgen. Bei einer Verkehrsunfallaufnahme kommt es dariiber hinaus regelmäßig zu einer Fülle von Eingriffsmaßnahmen. Es werden Identitätsfeststellungen vorgenommen, Führerschein und Fahrzeugschein überpriift, Feststellungen zur Verkehrstüchtigkeit von Personen und zur Verkehrssicherheit von Fahrzeugen getroffen, Blutentnahmen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen angeordnet sowie Verkehrssicherungs- und -regelungsmaßnahmen durchgefiihrt. Letztlich ist die Auswertung von Verkehrsunfällen nach wie vor die wichtigste Erkenntnisquelle fiir wirksame Präventions- und Überwachungskonzepte der Polizei. Eine Beleihung Privater mit diesem komplexen und eingriffsintensiven Aufgabenfeldkommt daher nach dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG (vgl. oben II, 4 a) nicht in Betracht. Verfassungs(rechtlich) unbedenklich und polizeifachlich wünschenswert wäre allerdings die Beleihung Privater mit speziellen Teilverrichtungen dieses Aufgabenkomplexes. So wäre das Fertigen von Unfallskizzen und -fotos, die anschließend sowohl fiir die Auswertung durch Polizei, Bußgeldstelle, Verkehrsbehörde und Staatsanwaltschaft als auch fiir die Schadensregulierung der Versicherungen herangezogen werden könnten, ein durchaus sinnvolles, beleihungsfähiges Teilprodukt Allerdings erscheint es fraglich, ob der Aufbau einer entsprechenden rund um die Uhr abrufbaren Infrastruktur unter Kostengesichtspunkten realistisch und sinnvoll wäre. Beleihungen kommen somit zwar grundsätzlich in Betracht und es ist Stober beizupflichten, dass diese grundsätzlich eine rechtsstaatlich saubere Kooperationsalternative sind. Eine "Konjunktur" dieser Organisationsform erscheint jedoch mit dem Blick auf die denkbaren konkreten Handlungsfelder eher zweifelhaft.65 d) Uniformierte Privat-Streifen im öffentlichen Raum Begegnen schon öffentlich-rechtliche Hilfspolizei- und Sicherheitswachtmodelle (vgl. oben II, 4 b) (verfassungs)rechtlichen und polizeifachlichen Bedenken, so gilt das in zugespitzter Form fiir uniformierte Privat-Streifen im öffentlichen Raum.

65 Stober, Police-Private-Partnership aus juristischer Sicht, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, S. I ff. ( 19 ff. ).

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Häufig wird solchen Bedenken entgegen gehalten, dass eine private Streifentätigkeit ja noch keine rechtliche Relevanz habe. Ein Blick in die Polizeigesetze belegt jedoch das Gegenteil. Die Aufgabenzuweisungen zur Gefahrenabwehr bzw. zum erweiterten Bezugspunkt der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung (vgl. oben I, 1) kennzeichnen diesen Bereich als zwar schlicht-hoheitliche aber eben doch hoheitliche Aufgabe der Polizei. Es ist daher schon im Hinblick auf den Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG generell fraglich, ob es in einem der Polizei gesetzlich zugewiesenen Aufgabenfeld überhaupt "konkurrierende" private Sicherheitsdienste geben darf. 66 Noch evidenter stellen sich diese Fragen bei konkreten Interventionen privater Sicherheitsdienste. Angehörige entsprechender Gewerbebetriebe haben nach der heutigen Rechtslage keinerlei Sonderbefugnisse im öffentlichen Raum. Sie leiten ihr Einschreiten im Gegenteil ausschließlich von den "Jedermannrechten" ihrer Auftraggeber ab. Mit den Selbsthilfe- und Notwehrrechten sind in BGB und StGB gesetzliche Voraussetzungen geschaffen worden, um den einzelnen Bürger in unvorhersehbaren Notsituationen nicht zur Duldung von Rechtsbrüchen zu verurteilen. Die Instrumentalisierung dieser als punktuelle reaktive Befugnisse vorgesehenen Rechte (die mit dieser ursprünglichen Zielrichtung natürlich auch auf Dritte übertragen werden können67) zu konzeptionellen proaktiven Präventivmaßnahmen ist jedoch mit dem staatlichen Gewaltrnonopol und dem davon abgeleiteten Funktionsvorbehalt des Art. 33 IV GG nicht vereinbar.68 Da private Streifen ja kein Selbstzweck sind, sollen sie zumindest "abschreckend" wirken. Je nach Auftreten und Outfit erwecken private Sicherheitsdienste bei vielen Bürgern den Eindruck, über besondere Regelungskompetenzen zu verfugen. Diese Suggestiveffekte werden sowohl vom Sicherheitsgewerbe selbst als auch von den jeweiligen Auftraggebern zum Teil bewusst herbeigefuhrt bzw. erwartet.

Darüber hinaus entdecken bzw. "produzieren" private Streifen von ihrem Selbstverständnis her "Verdachtsfälle", die sie an die staatliche Polizei weiterleiten. Sie wirken sich somit auch unmittelbar auf die polizeiliche Aufgabenwahrnehmung aus und können über die Initiierung von polizeilichen Einsätzen letztlich sogar die örtliche und zeitliche Schwerpunktsetzung der Polizei mit-

Vgl. auch Bernhardt, a.a.O. (Fn. 64). Stober, a.a.O. (Fn. 65), 6 f. 68 Behrendes/Jungbluth/Twickler, a.a.O. (Fn. 56), Rz 121; Wink/er, Private Wachdienste als Horch- und Guckposten der Polizei? Rechtsprobleme der Tätigkeit von Sicherheitsuntemehmen im öffentlichen Raum, NWVBI. 2000, 287 ff. (295 f.). 66 67

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steuern und damit deren pflichtgemäße Ermessensausübung (zumindest hinsichtlich des Entschließungsermessens) faktisch beeinflussen und unterlaufen. 69 Letztlich ist in diesem Zusammenhang auch noch darauf hinzuweisen, dass die staatliche Verpflichtung zur Gefahrenabwehr nicht nur eine Schutzwirkung fiir den gefährdeten Bürger, sondern auch fiir den potenziellen Gefahrder entfaltet. Die Adressaten von Gefahrenabwehrmaßnahmen sollen nicht (willkürlichen) Reaktionen Privater (ob und wie einzuschreiten ist) und damit der Gefahr selektiven und stigmatisierenden Vorgehensausgesetzt werden, sondern auf berechenbare, an Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausgerichtete Ermessensentscheidungen staatlicher Organe vertrauen dürfen. e) Aktuelle Kooperationsmodelle zwischen privaten Sicherheitsdiensten und der Polizei I dem BGS Wie sieht nun die von der PDV 100 als ,,notwendig" eingestufte ,,zielgruppenorientierte Zusammenarbeit" in den Feldern ,,Absprache, Koordination und Kooperation" (vgl. oben II, 4) in der derzeitigen Praxis aus? Da es an gesicherten empirischen Daten über die vielfaltigen Kooperationsmodelle fehlt, sollen exemplarisch jeweils ein "strategisches" und ein "operatives" Zusammenarbeitsprojekt etwas näher beleuchtet werden. In jüngster Zeit stellen die Zusammenarbeitsprojekte der Frankfurter und der Düsseldorfer Polizei mit dem örtlichen Sicherheitsgewerbe die aufgrund entsprechender Publikationen bundesweit bekanntesten "strategischen" Kooperationsansätze dar. 70 In beiden Projekten haben sich die fuhrenden ortsansässigen Sicherheitsunternehmen (deren Personalstärke in Düsseldorf denen der dortigen Polizei ebenbürtig isf 1) zu einer gemeinsamen Einsatz- und Lagezentrale zusammengeschlossen, die wiederum mit ihrem Pendant auf polizeilicher Seite kommuniziert. Die Polizei nutzt die Infrastruktur der Privaten z. B. bei Fahndungsmaßnahmen. Umgekehrt geben die angeschlossenen Sicherheitsdienste verdächtige Wahrnehmungen an die Polizei weiter.

Behrendes/Jungbluth!Twickler, a.a.O. (Fn. 56), Rz 104, 118 ff. Vgl. zum "Düsseldorfer Projekt" Bülow/Hohnen, Zusammenwirken zwischen Polizei und privaten Sicherheitsdiensten, Die Polizei 2000, 65 ff.; zum "Frankfurter Projekt" Gemeinsames Pressepapier des Polizeipräsidiums Frankfurt am Main und des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen (BDWS), zitiert nach Die Polizei 2000, 69; kritisch dazu Wink/er, a.a.O. (Fn. 68); Pitschas, Sicherheitspartnerschaften der Polizei und Datenschutz, DVBI. 2000, 1805 ff.; Brauser-Jung, a.a.O. (Fn. 62), S. 88 ff. 71 Bülow/Hohnen, a.a.O. (Fn. 70), 66. 69

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Solange sich dieser personenbezogene Informationsaustausch auf der Basis der einschlägigen Datenerhebungs- und -verarbeitungsbefugnisse in Polizeigesetzen und StPO abspielt, ist dagegen nichts einzuwenden. Unzulässig wären allerdings "strategische Absprachen", mit denen sich die Polizei systematisch Datenerhebungsquellen erschließt, die ihr nach dem eigenen Befugnisrepertoire nicht zur VerfUgung stehen (z. B. personenbezogene Daten aus privater Videoüberwachung). 72 Problematisch erscheinen darüber hinaus die in den entsprechenden Publikationen nicht näher beschriebenen Lagebesprechungen und die Entwicklung gemeinsamer Lagebilder. Die staatliche Polizei steht in der Pflicht, einen Zustand möglichst gleichartiger Sicherheit fiir alle Bürger herbeizufiihren. 73 Im privaten Auftrag agierende Sicherheitsunternehmen repräsentieren in gemeinsamen Lagebesprechungen jedoch nur einen kleinen Aussemlitt der Sicherheitsinteressen aller Bürger. Ihnen eine exklusive Nähe und damit auch Einwirkungsmöglichkeit auf die dem Allgemeinwohl verpflichtete Polizei einzuräumen, erscheint daher bedenklich. Dies soll an einem Praxisbeispiel erläutert werden. In Köln wurden im Jahr 2000 etwa 4.000 Wohnungseinbrüche verübt, rund 40 davon in einem Villenviertel, dessen Bewohner seit Jahren Patrouillen privater Sicherheitsunternehmen vor ihren Domizilen fmanzieren. Da das entsprechende Sicherheitsunternehmen somit nur 1% der Opfer von W ohnungseinbrüchen repräsentiert, würde durch seine exklusive Beteiligung an der Erstellung eines "Lagebildes Wohnungseinbruch" (das Lagebild ist polizeistrategisch die Grundlage fiir entsprechende operative Interventionsprogramme) eine "Schieflage" im Hinblick auf die nicht besonders repräsentierten Bevölkerungsteile entstehen. Gemeinsame Lagebesprechungen und Erstellung gemeinsamer Lagebilder sind daher (abgesehen von spezifischen Anlässen wie z. B. Fußballspielen und Musikveranstaltungen) insgesamt abzulehnen. Ein aktuell ( 1. Halbjahr 2001) kontrovers diskutiertes Beispiel eines "operativen" Kooperationsprojektes sind die zwischen Bundesinnenministerium und Deutscher Bahn AG im Rahmen einer "Ordnungspartnerschaft" vereinbarten gemischten Streifen von BGS-Beamten und Angehörigen der privaten Bahnschutz und Service Gesellschaft (BSG). Nach Nr. 3 der am 27.11.2000 vom Bundesinnenminister und dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG unterzeichneten Vereinbarung bil72 Wink/er, a.a.O. (Fn. 68), 291 ff.; Pitschas, a.a.O. (Fn. 70), 1812 ff.; Brauser-Jung, a.a.O. (Fn. 62), S. 88 ff. 73 Wink/er, a.a.O. (Fn. 68), 289.

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den "Schwerpunkteinsätze und gemeinsame Streifendienste" zwischen BGS und BSG "eine besondere Form der Zusammenarbeit". Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung wird auf die Anlage 2 zu der bundesweiten "Ordnungspartnerschaft" verwiesen. Danach sind u. a. "gemischte uniformierte Streifen mit jeweils einem Mitarbeiter von BGS und BSG" einzusetzen. Zur Zielrichtung der gemischten Streifen wird u. a. ausgeführt: ,,Die Form gemeinsamer Streifen ist geeignet, präventive Maßnahmen mit hoher Selbstständigkeit durchzuführen, um dabei sowohl hausrechtliche wie auch hoheitliche Aufgaben zu erfiillen. ... Die Präventionsbreite wird damit wesentlich erhöht. Das schließt auch die Verdrängung unerwünschter Personen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ein." Ebenso wie bei den oben angesprochenen "Ordnungspartnerschaften" zwischen Polizei und kommunalen Ordnungsbehörden (vgl. II, 1 c- 1 f) stellt auch hier die "Verdrängung unerwünschter Personen" einen vorrangigen Zielaspekt dar - mit Hilfe eines fragwürdigen Gemenges aus öffentlichem und privatem Recht. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat beim Bundesinnenministerium wegen der offenkundigen Datenschutzproblematik74 bei Durchfiihrung der vereinbarten gemischten Streifen interveniert und bislang (Juni 2001) zumindest ein Moratorium hinsichtlich der Umsetzung erreicht.75 f) Gesetzliche Sonderregelungen fiir das Tätigwerden privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum?

Seit Jahren werden gesetzliche Sonderregelungen fiir private Sicherheitsdienste sowohl von Interessenvertretern des Gewerbes als auch von Vertretern von Politik und Polizei gefordert. Vorrangiges Argument ist dabei immer die Notwendigkeit der gesetzlichen Verankerung besonderer Sach- und Fachkundenachweise. Auf den ersten Blick scheinen diese Vorschläge begrüßenswert zu sein, um den "Wildwuchs" innerhalb des Sicherheitsgewerbes einzudämmen und zur Qualifizierung der Unternehmen und des Personals beizutragen. Jede Sonderregelung fiir das Tätigwerden privater Sicherheitskräfte im öffentlichen Raum würde allerdings zwangsläufig eine grundsätzlich neue

74 Vgl. Pitschas, a.a.O. (Fn. 70), 1813; Peilert, Police-Private-Partnership- Rechtliche Vorgaben und tatsächliche Möglichkeiten fllr das Zusammenwirken von Sicherheitsbehörden und Sicherheitsgewerbe, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, S. 99 ff. (114 ff.). 15 Deutsche Polizei Heft 2/2001, S. 3; Heft 3/2001, S. 28 ff.; Heft 7/2001, S. 18.

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Rechtsbeziehung im Verhältnis Staat - Bürger schaffen. Das private Sicherheitsgewerbe würde irgendwo zwischen den Polen "öffentliche Sicherheit" und "private Selbsthilfe" verortet, mit Auswirkungen auf Dritte, nämlich den potenziellen Adressaten entsprechender Aktivitäten. Dadurch entstände sowohl auf der Seite der Auftraggeber als auch auf der Seite der Adressaten eine ZweiKlassen-Gesellschaft. Diejenigen Auftraggeber, die sich den Einsatz privater Sicherheitskräfte leisten wollen und können, würden sich Interventionsmöglichkeiten im öffentlichen Raum schaffen, die anderen verschlossen blieben. Darüber hinaus würden sie auch (willkürlich) die Adressaten dieser Interventionsstrategien definieren, die damit zumindest unter eine nach privaten Kriterien festgelegte stärkere Beobachtung im öffentlichen Raum gerieten. Ein im Bundeswirtschaftsministerium erarbeiteter Entwurf fiir ein Gesetz zur Änderung des Bewacherrechts (Stand: 1.2.2001) zeigt diese Entwicklung nachdrücklich auf. Der Entwurf sieht eine Ergänzung von § 34a Gewerbeordnung dahingehend vor, dass fiir "Streifendienste im öffentlichen Verkehrsraum oder in Hausrechtsbereichen mit tatsächlich öffentlichem Verkehr" eine Sachkundeprüfung erforderlich wird. Der Entwurf unterstellt somit, dass neben polizeilichen Streifen auch Streifen des privaten Sicherheitsgewerbes im öffentlichen Raum zulässig sein sollen. Da das Gesetz aber über die Zielrichtung dieser Privat-Streifen schweigt, läge die entsprechende Definitionsmacht und Kriterienfestsetzung bei den jeweiligen privaten Auftraggebern (vgl. oben II, 1 d). 111. Zehn Thesen für die Aufgaben der Polizei im Rahmen der staatlichen und kommunalen Kriminalprävention 1. Das Leitbild der Polizei ergibt sich aus Art. 1 I- III und 20 III GG. Die Entwicklung von Leitbildern ist zur Zeit in Unternehmen und Verwaltungen ,,modern". Dabei verkennt man zuweilen, dass die staatliche Verwaltung trotz aller lobenswerten Innovations- und Kreativitätsbestrebungen überhaupt kein Mandat hat, ein eigenständiges Leitbild zu entwickeln. Das Leitbild fiir die staatlichen Exekutive ist von den Parlamenten zu entwickeln und nicht von ihr selbst! Dies gilt in noch viel zugespitzterer Form fiir die Polizei, die neben allen (wiederum fiir sich genommen lobenswerten) Bemühungen um eine "Dienstleistungsphilosophie" nicht vergessen darf, dass sie in erster Linie EiDgriffsverwaltung ist und dass viele "Dienstleistungen" fiir eine bestimmte Bürgergruppe mit Grundrechtseingriffen gegen eine andere "fmanziert" werden. Darüber hinaus hat die Polizei ihr "Produkt Sicherheit" nicht auf dem öffentlichen Markt anzubieten und auf interessierte "Kunden" zu warten, um sich

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dann an deren Wünschen zu orientieren, sondern sie hat ihre Ressourcen und ihren "Output" ohne Ansehen von Partikularinteressen, Einfluss, Medienresonanz und Wirtschaftsmacht dort hinzulenken, wo es im Rahmen der Gesetze sachlich erforderlich ist. Daher muss polizeiliches Handeln eben nicht "über die Bindung an Recht und Gesetz hinaus - politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen berücksichtigen" (so die PDV 100- vgl. oben I, 1 und I, 3). Sie muss diese Rahmenbedingungen vielmehr innerhalb ihrer Gesetzesanwendung berücksichtigen! Insoweit hat sich die Polizei bei ihren strategischen Planungen nicht neue Leitbilder zu erschließen, sondern die vorhandenen, durch Verfassung und Gesetze vorgegebenen Leitbilder mit Leben zu erfüllen. Das polizeiliche Leitbild ergibt sich daher nicht aus einer Polizeidienstvorschrift oder einem Beschluss der lnnenrninisterkonferenz, sondern in erster Linie aus Art. 1 I -III und 20 III GG.

2. Die Polizei ist nur dem Primat des Rechts verpflichtet. Der häufig postulierte "Primat der Politik" ist ein ambivalenter Terminus. Der Grundgedanke politischer Führung im Bereich der Polizei liegt (wie beim Militär) darin, einen demokratie- und rechtsstaatssichemden Gegenpol fiir einen exekutiven Machtapparat zu schaffen und einer Entwicklung dieses Apparates zum .,Staat im Staate" entgegen zu wirken. Auf die Polizeien in der Bundesrepublik Deutschland des Jahres 2001 trifft eine solche Gefahrenprognose bei realistischer Betrachtung aber in keiner Weise zu. Heute entfaltet der Anspruch des .,Primats der Politik" im Polizeibereich nicht mehr eine besondere Schutzwirkung fiir Demokratie und Rechtsstaat, sondern begründet im Gegenteil eher die Gefahr der (partei-)politischen Einflussnahme auf die Gesetz und Recht verpflichtete Polizei. Gerade in dem durch eine besondere Normendichte geprägten Polizeibereich ist kein Raum fiir außerrechtliche "politische Leitlinien", wie sie die PDV I 00 fordert (vgl. oben I, 3). Politische Einflussnahme auf die Polizei hat durch die Parlamente und die Landesregierung in dem dafiir vorgesehenen Rechtsrahmen zu erfolgen. Im Klartext: .,Politische Leitlinien" fiir die Polizei müssen in Gesetze gegossen werden, um verbindlich zu werden. Für die Polizei gilt daher nur der Primat des Rechts - was sie vielleicht sogar im Einzelfall gegen einen angemaßten außerrechtlichen ,,Primat der (Partei-)Politik" zu verteidigen hätte!

146

Udo Behrendes

3. Die notwendige Vernetzung der Kriminalprävention darfnicht zur Verwischung von Zuständigkeiten fUhren. Kriminalprävention ist in der Tat eine "gesamtgesellschaftliche Aufgabe". Die Vernetzung unterschiedlichster Ansätze und Akteure darf aber dabei nicht zu einem diffusen Konglomerat mit intransparenten Kompetenzen und Verantwortlichkeiten fiihren. Bildlich gesprochen dürfen die Einzelzutaten nicht zu einem undurchschaubaren Eintopfgericht verrührt werden, sondern es muss ein Buffet aufgebaut werden, aus dem man situativ, transparent und strukturiert das jeweilige "Präventionsrnenü" zusammenstellt. Gerade staatliche Stellen haben immer ihre jeweilige Aufgabe und Zuständigkeit zu prüfen. Nicht aus einer bürokratischen Beamtenmentalität heraus, sondern aus Rechtsgründen. Nach wie vor gilt: Das Handeln einer unzuständigen Behörde ist rechtswidriges Verwaltungshandeln! Diesen Befund kann man auch nicht mit den wohlfeilen Formeln von "Effizienz", "Bürgemähe" und ,,Dienstleistungsphilosophie" übertünchen. Im Klartext: Wenn man glaubt, dass die Ordnungsbehörden bestimmte gesetzliche Aufgaben auf Dauer nicht sachgerecht umsetzen können, muss man sie entweder personell und materiell besser ausstatten oder die entsprechenden Aufgabenbereiche zu anderen Behörden (z. B. zur Polizei) verlagern. Das Kaschieren von chronischen Vollzugsdefiziten durch die "InkompetenzKompetenz" der Polizei ist sach- und rechtswidrig. Wenn man glaubt, die Länderpolizeien können ohne Hilfe des BGS nicht die wirksame Kontrolle der Alltagskriminalität gewährleisten76, muss man Verfassung und Gesetze ändern und neue örtliche und sachliche Zuständigkeiten für eine ,,Bundespolizei" festlegen. Man darf dies aber nicht "unter der Hand" durch "Sicherheitskooperationsvereinbarungen" auf Landesebene oder "VorOrt-Absprachen" regeln. Rechtswidriges Verwaltungshandeln kann nicht durch ,,Praxisgerechtigkeit" oder die populistische Formel "Dem Bürger ist es egal, wer ihm hilft" schöngeredet werden. Welches hanebüchende und verfassungswidrige Ausmaß "Vemetzungen" annehmen können, zeigt ein Beispiel aus der niedersächsischen Provinz. In Wunstorf wurden Anfang 200 I "Leitlinien der Sicherheitspartnerschaft" entwickelt, in denen ein "niederschwelliges Einschreiten zur Gefahrenabwehr und zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten" im Stadtgebiet postuliert wird. Als "Sicherheitspartner" fungieren dabei folgende drei Behördenorganisationen, die sich laut Vereinbarungstext als "der inneren Sicherheit verpflichtete Institutionen" betrachten: die Stadt, das Polizeikommissariat und die Dienststellen der 76 Vgl. Pitschas, Auf dem Wege zu einem "neuen" Po1izeirecht, Kriminalistik 1999, 153 ff. (158).

Aufgaben der Polizei

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Bundeswehr im Standortbereich Wunstorfl Die konkreten militärischen Beiträge bei den Interventionen der Sicherheitspartner im Stadtgebiet Wunstorf werden in dem Papier nicht näher erläutert.

4. Die Polizei enthält sich selbstständiger Erweiterungen ihres in Verfassung und Gesetzen definierten Aufgaben- und Befugnisspektrums.

Polizeifiihrung und Polizeipraxis leiden unter dem Syndrom, es allen Recht machen zu wollen. Politische Vorgaben, ,,K.undenwünsche" der Bürger und insbesondere die Medienresonanz beeinflussen heute viele personelle und inhaltliche Schwerpunktsetzungen mehr als fachspezifische Erkenntnisse. Man macht das, was erwartet wird, was man für ,,modern" und "nachgefragt" hält, was in der Öffentlichkeit ,,konsensfähig" und "verrnittelbar" erscheint - auch wenn es der Erfiillung des eigentlichen gesetzlichen Auftrag nicht gerecht wird. Darüber hinaus ist man so konditioniert, jedes Problem möglichst schnell und "praxisgerecht" lösen zu wollen. Die Erkenntnis, dass es für gesellschaftliche und psychosoziale Probleme wie Desintegration, Suchtverhalten, Verwahrlosung und Obdachlosigkeit keine polizeilichen Lösungen gibt, wird häufig ausgeblendet, wenn es gilt, durch operative Strategien Handlungskompetenz zu beweisen. Für "praxisgerechte Lösungen" ist man erfmderisch und bereit, auch solche Kooperationsmodelle und Interventionsstrategien zu konstruieren, von denen man weiß, dass sie im rechtlichen Graubereich angesiedelt sind. Es ist demgegenüber jedoch eine transparente, klare und berechenbare Polizei zu fordern, die selbstbewusst verdeutlicht, was sie aus rechtlicher und polizeifachlicher Sicht tut und was sie lässt. Sie hat sich außerrechtlicher Inanspruchnahme (von welcher Seite auch immer) zu verweigern und den Verlockungen zur eigenständigen Ausweitung ihres gesetzlichen Aufgabenspektrums zu entsagen. 5. Im Rahmen eines ganzheitlichen Präventionsansatzes kommen in erster Linie Kooperationsmodelle mit den Ordnungsbehörden und Trägem der Sozialarbeit in Betracht.

Die staatliche Polizei hat in erster Linie mit den Institutionen zu kooperieren, die ebenfalls das Allgemeinwohl, die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip im Blickfeld haben. Die Spektren staatlicher und kommunaler Sicherheits- und Ordnungsverwaltung sind häufig nicht deckungsgleich. Kommunale Ordnungsbehörden sind darüber hinaus weit stärker von politischen Vorgaben abhängig als die staatli-

148

Udo Hehrendes

chen Polizeibehörden. Die Polizei muss daher ihre Unabhängigkeit von der Kommunalpolitik verdeutlichen und darf sich nicht in reine ,,KirchtumspolitikKonzeptionen" einspannen lassen. Bei Beachtung dieser Grundsätze und der unterschiedlichen originären und subsidiären Zuständigkeiten im Gefahrenabwehrbereich sind sinnvolle Kooperationsmodelle denkbar. (Straßen-)Sozialarbeit kümmert sich um die Probleme, die Menschen (insbesondere die in sog. sozialen Randgruppen) haben, Polizeiarbeit häufig um die Probleme, die diese Menschen machen. Während der "Streetworker" sich zu Recht einseitig um die Belange seines Klienten zu kümmern hat, muss die Polizei je nach Situation fiir ihn (z. B. als "hilflose Person" oder als Opfer einer Straftat) oder gegen ihn (z. B. als Ruhestörer oder Ladendieb) tätig werden. Randständige Menschen in ihren ambivalenten Lebenswirklichkeiten sind somit das "Schnittfeld", in dem sich (Straßen-)Sozialarbeit und Polizeiarbeit begegnen. Wenn es durch Sozialarbeiterische Krisenintervention, Beratung und Betreuung gelingt, die entsprechenden Menschen zu stabilisieren, zu (re)sozialisieren und zu (re)integrieren, lösen sich viele der von ihnen ausgehenden Probleme fiir Dritte oder die Allgemeinheit mit auf. Vor diesem Hintergrund muss sozialarbeiterisches Handeln (abgesehen von einem punktuellen polizeilichen Einschreiten in akuten Gefahrenlagen) Vorrang vor präventiven polizeilichen Interventionen haben. 77 Insbesondere muss vermieden werden, dass die Polizei mit ihren Maßnahmen Sozialarbeiterische Konzeptionen konterkariert. Um all' die Wechselwirkungen im jeweils eigenen Berufs- und Rollenverständnis zu berücksichtigen, ist Kooperation, zumindest aber Kommunikation zwischen (Straßen-)Sozialarbeit und Polizei unbedingt erforderlich. Wer sich "auf beiden Seiten" immer noch rituell oder ideologisch von der jeweiligen anderen Berufsgruppe in Form der "Nicht-Kommunikation" abgrenzt, handelt schlicht unprofessionell und verzichtet auf ein wesentliches Erkenntnisfeld fiir die eigene Tätigkeit. 78 6. Die Zusammenarbeit mit dem BGS hat sich auf ergänzende Kooperation in den Zuständigkeitsbereichen des BGS zu beziehen - nicht umgekehrt.

Die (Verfassungs-)Rechtslage ist eindeutig: Der Bundesgrenzschutz, auch wenn er sich in Ausbildung, Uniform und Namensgebung den Länderpolizeien angleicht, ist auf bestimmte örtliche und sachliche Schwerpunktbereiche beschränkt. Kooperationsvereinbarungen mit der Landespolizei können deshalb

77

(48).

Simon, Sozialarbeit und Polizei, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 63 (211 999), 39 ff.

78 Vgl. generell Behrendes, a.a.O. (Fn. 28), Rz. 70 ff.; Wurr/Dittrich a.a.O. (Fn. 51), I 04 ff.; Schmitt-Zimmermann a.a.O. (Fn. 52).

Aufgaben der Polizei

149

nur regeln, wie z. B. die Zusammenarbeit in den Überlappungsbereichen Bahnhof und Flughafen zu gestalten sind. Örtliches (Fußgängerzone) und sachliches (Bekämpfung von Alltagskriminalität und Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung) Expandieren des BGS ist unzulässig und deshalb auch nicht von den Ländern aus haushaltpolitischen Gründen stillschweigend zu tolerieren bzw. zu erwarten.

7. Die Zusammenarbeit mit Sicherheitsdiensten im Privatauftrag daif keinen Sonderstatus haben - dies gilt insbesondere fiir das Tätigwerden im öffentlichen Raum.

Private Sicherheitsdienste leiten ihre Rechte von ihren jeweiligen Auftraggebern ab. Ihnen kommt daher, wenn sie im privaten Auftrag handeln, kein Sonderstatus zu. Die gegenläufigen Suggestivwirkungen, die private Sicherheitsdienste durch uniformiertes Auftreten im öffentlichen Raum erzielen, dürfen nicht noch durch besondere Kooperationsmodelle mit der Polizei verstärkt werden. Insbesondere hat die systematische Nutzung der selektiven Wahrnehmungen privater Sicherheitskräfte durch die Polizei zu unterbleiben. Die Polizei hat ihre Präsenz im öffentlichen Raum nach rechtlichen und polizeifachlichen Gesichtspunkten zu planen. Eine gleichzeitige Präsenz privater Sicherheitskräfte ist für die polizeiliche Tätigkeit grundsätzlich irrelevant. Sie darf sich deshalb insbesondere nicht mit dem Hinweis auf Streifen des Sicherheitsgewerbes aus öffentlichen Räumen zurückziehen, wenn eine polizeiliche Präsenz rechtlich und fachlich angezeigt ist. 79 Eine ,.Aufgabenteilung" zwischen Polizei und privatem Sicherheitsgewerbe im öffentlichen Raum kommt nicht in Betracht, schlicht deshalb, weil das private Sicherheitsgewerbe keine öffentlich-rechtliche Aufgabe hat. 8. Die staatliche Polizei hat sich weder fiir kommunale noch fiir private Partikularinteressen in Anspruch nehmen zu lassen.

Die Polizei ist dem Gemeinwohl, genauer: dem Wohl aller und jedes Einzelnen verpflichtet. Sie hat mit rechtsstaatliehen Maßnahmen, insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, für die Grundrechtsverwirklichung und die Rechtsordnung einzustehen. 79 Hammer, Private Sicherheitsdienste, staatliches Gewaltmonopo1, Rechtsstaatsprinzip und schlanker Staat, in: Stober (Hrsg.), Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, s. 123 ff. (149).

ISO

Udo Sehrendes

Kommunalpolitische Strategien zur Optimierung der städtische Standortfaktoren, Resolutionen des Einzelhandelsverbandes und Ergebnisse von Bürgerbefragungen sind fiir sich genommen flir die polizeiliche Arbeit irrelevant. Die staatliche Polizei muss sich als bürgernahe Polizei zwar mit allen Interessen auseinanderzusetzen und den Dialog mit allen Bevölkerungsgruppen fuhren; ihr Handeln, insbesondere ihr Eingriffshandeln, hat jedoch ausschließlich nach rechtlichen und polizeifachlichen Kriterien zu erfolgen. Diesen Standpunkt muss die Polizei selbstbewusst in die öffentliche Diskussion einbringen und ihre Unabhängigkeit gegenüber "Lobbyisten" jeglicher Couleur unter Beweis stellen. 9. Ein Konkurrenzfeld Sicherheitslage vs. Sicherheitsgefühl ist zu Gunsten der (objektiven) Sicherheitslage aufzulösen.

Jede diesbezügliche Untersuchung belegt, dass das Sicherheitsgefiihl der Bevölkerung nicht mit der objektiven Sicherheitslage übereinstimmt80, auch wenn nach neueren Untersuchungen die zum Teil irrational hohe Kriminalitätsfurcht insgesamt zurückgeht. 81 Das Sicherheitsgefiihl von Menschen determiniert ihr Bewusstsein und ihr Verhalten. Ängste breiter Bevölkerungsteile sind daher sehr ernst zu nehmen. Man darf aber dabei nicht in einen Aktionismus verfallen und durch objektiv unbegründete Interventionen in ,,Angsträume" die dort vorhandenen Ängste als scheinbar berechtigt erscheinen lassen! In erster Linie muss es der Polizei darum gehen, die Schere zwischen objektiver (Un-)Sicherheit und subjektiver (Un-)Sicherheit zu schließen. Dies kann letztlich nur durch Aufklärung (zielgruppenorientierte Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch den ständigen Dialog "vor Ort") gelingen. Bei polizeilichen Konzeptionen muss es prinzipiell immer um beides gehen - die Stabilisierung bzw. Optimierung der objektiven und der subjektiven Sicherheitslage - im Kollisionsfalle muß jedoch der ersteren Vorrang eingeräumt werden. Der Auftrag der Polizeigesetze lautet nämlich (im Gegensatz zum Verständnis der PDV 100- vgl. oben I, 4) "Gefahrenabwehr" und nicht ,,Angsttherapie". Waechter hat es auf den Punkt gebracht: ,,Die Exekutive darf irrationale Ängste nicht zum Verteilungskriterium machen, weil es sich dabei um ein unsachliches Differenzierungsmerkmal handeln würde. Die Polizei darf also nicht 80 Exemplarisch aus jüngerer Zeit Schweer/Thies, Kriminalität und Kriminalitätsfurcht, Kriminalistik 2000, 336 ff. 81 Reuband, Von der Kriminalitätshysterie zur Normalität?, Neue Kriminalpolitik 1999, 16 ff.

Aufgaben der Polizei

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zur Beruhigung in Stadtvierteln mit irrational hohem Angstpegel vermehrt Streife fahren, obwohl in anderen Vierteln eine signifikant höhere Kriminalitätsbelastung vorhanden ist. "82 10. " Unerwünschte Personen " rechtfertigen keine Grundrechtseingriffe.

Sowohl die "Ordnungspartnerschaften" zwischen nordrhein-westfälischer Landespolizei und kommunalen Ordnungsbehörden (vgl. oben II, 1 c und II, 1 e) als auch die "Ordnungspartnerschaft" zwischen BGS und privater BSG (vgl. oben II, 4 f) belegen zum Teil expressis verbis die Zielprojektion solcher Kooperationsmodelle. "Unerwünschte Personen", in der Realität insbesondere Obdachlose, Junkies und Punks sollen aus bestimmten öffentlichen Räumen verdrängt werden. Sie sind nicht gemeint, wenn man sonst verallgemeinernd von "den Bürgern" spricht, denn die ("Normal-")Bürger projizieren (zumeist unbegründet - vgl. oben II, 3 a) ihre Kriminalitätsängste auf diese sozialen Randgruppen und grenzen sich von ihnen ab. 83 Darüber hinaus stören diese Menschen das Stadtbild, beeinträchtigen als weicher Standortfaktor die Attraktivität von Konsum- und Flaniermeilen. An diesem Beispiel zeigt sich am nachdrücklichsten, dass ,,Kundenorientierung" der Polizei auf der einen Seite (Erfiillung der Wünsche von Kommunalpolitikern, Einzelhändlern, Passanten und Touristen) zur ,,Zwangskundschaft" auf der anderen Seite fiihren kann.

82 Waechter, Rechtsgütergewichtung und wahre sowie eingebildete Bedrohungen, DVBL. 1999, 809 ff. (813). 83 Vgl. auch Krasmann/de Marinis a.a.O. (Fn. 41 ), 173; Prätorius, Die Gemeinschaft und ihre Verbrecher- Neue Wege der Kriminalitätskontrolle in den USA, in: Bundeszentrale for politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 19/ 1998, S. 21 ff. (22).

Rechtliche Rahmenbedingungen für kriminalpräventive Polizeiarbeit Diskussion zu dem Referat von Udo Bebrendes Leitung: Rainer Pitschas

Von Burkhard Margies Im Anschluss an den Vortrag von Sehrendes herrschte unter den Diskutanten die einhellige Meinung, dass seine Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen fiir das Handeln der Polizei und der Ordnungsbehörden zutreffend sei. Auch unter methodischen Gesichtspunkten sei es sinnvoll, sich erst die herrschende Gesetzeslage zu vergegenwärtigen, bevor man sich über moderne Formen der Kriminalprävention Gedanken mache. I. Die rechtlichen Grenzen des Polizeiauftrags

Die von Sehrendes geforderte enge Auslegung des gesetzlichen Auftrags der Polizei sorgte jedoch fiir eine kontroverse Diskussion: Wolfgang Sülow vom Polizeipräsidium Düsseldorf bemängelte die in der fachlichen Diskussion vorherrschende diffuse Begrifflichkeit auf dem Feld der Zusammenarbeit von Polizei und kommunalen Ordnungsbehörden. Dies fiihre dazu, dass die PDV 100 - wie von Sehrendes dargelegt - vom gesetzlichen Auftrag der Polizei abweicht und diesen erweitert. Die Folgen daraus seien verheerend, der Vorrang des Gesetzes müsse beachtet werden. Stüllenberg pflichtete bei, dass das Wohl der Allgemeinheit durch die Gestaltung kriminalpräventiver Maßnahmen wesentlich berührt werde. Über den Rahmen der Parlamentsgesetze dürfe sich daher niemand unter dem Hinweis auf die "normative Kraft des Praktischen" hinwegsetzen. Im Gegensatz dazu bemerkte Horst Schult als Leitender Polizeidirektor a.D. und heute fiir SECURITAS Deutschland tätig, er begrüße die Fortschreibung der Rechtsgrundlagen polizeilicher Tätigkeit durch verantwortliche Gremien in und zwischen den Innenministerien. Unter einem gesamtstaatlichen Rechtsverständnis, in dem nicht jedes Mal Gesetze neu gefasst werden müssten, könne sich die moderne Polizei unabhängig von der Politik weiterentwickeln. Die Polizei habe jahrzehntelang unter ihrem uneingeschränkten Rechtsgehorsam gelitten und Kriminalprävention dürfe nicht auf Rechtsfragen reduziert werden.

154

Burkhard Margies

II. Chancen und Risiken der Kooperation mit Sozial- und Ordnungsbehörden

Was heißt polizeiliche Kriminalprävention tatsächlich? Sich mit dieser Frage zu beschäftigen, regte Pitschas daraufhin an. Interessant sei hier beispielsweise die Kooperation von Sozialarbeit und Polizei. Stüllenberg forderte die Schaffung eines durch rechtliche Rahmenbedingungen klar strukturierten Netzwerkes der behördlichen Zusammenarbeit. Die Kooperation mit der Sozialarbeit die zu begrüßen sei -, finde ihre Grenzen beispielsweise im Datenschutzrecht, merkte Wolfgang Bülow an. Gemeinsame Dienststellen führten darüber hinaus zu einer Aufgabenverwischung, die abzulehnen sei. Nach Thomas Zanders (Stadt Speyer) Auffassung gibt es ein Musterbeispiel für gelebte Sozialarbeit durch die Polizei: den "Schutzmann an der Ecke", der Ansprechpartner in allen Lebenslagen sei. Diese Sicht des Auftrags der Polizei käme einer Erweiterung des polizeilichen Betätigungsfeldes gleich, der er nicht zustimmen könne, antwortete Behrendes. Zunächst sei der Schutzmann dem Legalitätsprinzip unterworfen und könne schon deshalb keine Sozialarbeiterischen Lösungen anbieten. Auch verfüge der Polizeibeamte nicht über die hinreichende persönliche Kompetenz für ein Tätigwerden als Sozialarbeiter. Im Gegenteil, wo die Polizei in diesem Sinne auftritt läuft sie Gefahr, Sozialarbeit zu behindern. Seiner Ansicht nach sollte der Polizeibeamte Weichensteiler zu sozialen Hilfsangeboten anderer Organisationen sein. Diese müssten personell entsprechend ausgestattet werden, um ihre Aufgaben erfüllen zu können. In diesem Sinne funktioniere auch die Zusammenarbeit der Polizei mit den kommunalen Ordnungsbehörden ("GABI") in Bonn. Klare Defmitionen, welche Organisation für welche Art der Intervention federführend zuständig ist, ließen dabei auch keine Zuständigkeitslücken entstehen. 111. Subjektives Sicherheitsgefühl als Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe?

Die Aussprache drehte sich ferner um Behrendes These, nach der Kriminalitätsangst als solche keine Grundrechtseingriffe gegen "unerwünschte Personen" rechtfertige. Pitschas merkte an, dass die gegenwärtigen Reformbestrebungen des § 6b BDSG Videoüberwachung als Legalform in Angsträumen wie unbeleuchteten Ecken in Garagen zulassen wollen. Auch die Ländergesetzgeber würden in den Polizeigesetzen zunehmend zum Einsatz der Videographie als allgemeine Maßnahme ermächtigen. Für Wolfgang Bülow rechtfertigt die Zulässigkeit einer Maßnahme noch nicht ihre Anwendung. Seiner Meinung nach ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebrochen, wenn das subjektive Bedrohungsgefiihl als Rechtfertigung für Grundrechtseingriffe herangezogen wird. Auch die objektive Bedrohung sei nach der Rechtslage in NRW streng zu prüfen: selbst eine Zahl von 72.000 Straftaten pro Jahr - wie in Düsseldorf -

Rechtliche Rahmenbedingungen

155

rechtfertige noch nicht eine einzige Videokamera. Dies gelte wohl nicht überall, entgegnete Pitschas. Schließlich kämen Videogeräte in beträchtlicher Zahl in einer Reihe von Bundesländern zum Einsatz. IV. Standortfaktor als Partikularinteresse Von Seiten der kommunalen Vertreter wurde deutliche Kritik an Rehrendes 8. These laut, nach der sich die staatliche Polizei weder für kommunale noch für private Partikularinteressen in Anspruch nehmen zu lassen hätte. Siegmund Ehrmann von der Stadt Moers verwahrte sich scharf dagegen, kommunale und private Interessen derartig über einen Kamm zu scheren. Die Aufgaben der Ordnungsbehörden sind für die Gemeinden Pflichtaufgaben, die sie nach Weisung zu erfüllen haben. In diesem Rahmen verträten die Kommunen im Verbund mit den rechtlich Zuständigen die Interessen der ihr anvertrauten Bevölkerung. Mit der Bezeichnung als Partikularinteresse hätte Rehrendes diese Tätigkeiten diffamiert, indem er damit unterstelle, die Gemeinden handelten aufgrund sachfremder Erwägungen. Rehrendes entgegnete, selbst der Städtetag sage, dass durch die kommunalen Gefahrenabwehrverordnungen das Image der Städte gepflegt werden solle, der Standortfaktor. Würde man die Bestimmungen einiger Gefahrenabwehrverordnungen bezüglich des Alkoholgenusses in der Öffentlichkeit generell anwenden, könnten Veranstaltungen wie der Kölner Rosenmontagszug oder die Berliner Loveparade nicht mehr stattfmden. Angewandt werden sie aber gegen Obdachlose, Junkies und Punks, die in die sauberen Städte nicht hinein passten. An diesem Punkt deckten sich die Interessen der Stadt mit denen des Einzelhandelsverbandes. Die Städte seien aber zuerst dem Wohl der Gesamtbevölkerung und damit auch dem der Randgruppen verpflichtet. Daher gehöre in einen Kriminalpräventiven Rat neben dem Vertreter des Einzelhandelsverbandes auch der Leiter der möglichen Drogenhilfeeinrichtung. Die staatliche Polizei dürfe nicht einseitige Interessen vertreten und müsse sich verweigern, wenn sie in die Grundrechte von Randgruppen aufgrund von Gefahrenabwehrverordnungen eingreifen soll. Für die folgenden Runden regte, hieran anschließend, Pitschas an, genauer zu diskutieren, ob die Polizei tatsächlich so zu trennen sei von der "guten Stube" und ihrer Reinheit, und wie wirtschaftliche Tätigkeit generell in Beziehung zu Kriminalprävention zu gewichten sei. Möglicherweise, so meinte er, fehle es aber auch an einer entsprechenden Weiterbildung der Polizei in Bezug auf die gesellschaftlichen Belange der Kriminalprävention.

Weiterbildung in der KriminalpräventionKonzeptionelle Grundlegungen Von Rainer Schulte Wenn man sich dem Thema "Weiterbildung in der Kriminalprävention Konzeptionelle Grundlegung" nähert, stellt sich zunächst die Frage der begrifflichen Definition. Diese erscheint bei einem so bekannten Themenfeld einfach. Doch hätten Sie spontan einen Erklärungsansatz für: ~

Positive Generalprävention

~

Negative Generalprävention

~

Positive Spezialprävention

~

Negative Spezialprävention

~

Primäre Prävention

~

Sekundäre Prävention

~

Tertiäre Prävention

~

Unmittelbare Prävention

~

Mittelbare Prävention

~

Verkehrsunfallprävention

~

Kriminalprävention

~

Verhaltensorientierte Prävention

~

Technische Prävention

~

Opferschutz als Bestandteil einer sekundären Viktimisierungsprävention

~

Situational crime prevention

~

Social crime prevention 1•

Zugegeben, jeder Begriff ist fiir sich inhaltlich bestimmt und vermittelt uns Erklärungsansätze. Aber vermitteln alle Begriffe zugleich nicht auch die Notwendigkeit nach Systernatisierung, - nach Abstimmung, - nach curricualer Grundsteinlegung? 1

Vgl.: Kube/Koch 1997, Lehr- und Studienbriefe Kriminologie, Nr. 3, S. 8 ff.

II Pitsclw

!58

Rainer Schulte

Im Zeichen globaler Vernetzung heute ein Referat zu halten ohne InternetRecherche, würde bedeuten, den Anspruch jeder systematischen Themenerarbeitung verloren zu haben. Daher lassen Sie mich auf folgendes hinweisen: Wenn Sie in das Internet den Suchbegriff ,,Prävention" eingeben, so erhalten Sie eine Vielzahl von Quellen, die Sie inhaltlich nicht an einem Tag verarbeiten können. Begrenzen Sie jedoch ihre Nachfrage "Prävention" auf Weiterbildung I Fortbildung, so erhalten Sie folgenden Hinweis: ,,Es konnten keine Ergebnisse gefunden werden. "

V ordergrundig betrachtet, könnte dies bedeuten, dass es keine thematische Fortbildung gibt. Tatsächlich finden Sie jedoch einen "bunten Strauß" von Aktionstagen, Seminaren und Arbeitstagungen, die auch alle Fortbildungsinhalte enthalten. Auch hier stellt sich die Frage der thematischen, der didaktischen und der methodischen Systematisierung der Angebote. Lassen Sie mich noch einen weiteren Gedanken vortragen: Wir sprechen von Krirninalprävention. Grenzen wir damit die Verkehrsunfallprävention bewusst aus? Sind nicht beide Präventionsfelder miteinander verknüpfbar? Lässt sich die Verkehrsraumgestaltung isoliert betrachten oder hat es Auswirkungen, wenn z. B. aus Gründen der Verkehrssicherheit, um ein unbewusstes Hinauslaufen auf die Straße zu verhindern, ein Kinderspielplatz mit einem dichten Geflecht aus Grünpflanzen umgeben wird, der zugleich jegliche kriminalpräventive Einsicht von außen auf das Geschehen auf dem Spielplatz verhindert? Ich möchte auf diese Frage der Integration von Kriminalprävention und Verkehrsunfallprävention später noch einmal zurückkommen. Wie sieht die Aus- und Fortbildung nun im Bereich der Polizei aus? Die Polizei befasst sich mit der Defmition und ihrem Verständnis von Prävention sehr umfangreich in insgesamt 25 Ziffern ihrer Basisvorschrift, der PDV 100.2 In der einleitenden Ziffer heißt es unter 2.1.1.1: "Prävention umfasst die Gesamtheit aller staatlichen und privaten Bemühungen, Programme und Maßnahmen, welche die Kriminalität und die Verkehrsunfalle als gesellschaftliche Phänomene oder individuelle Ereignisse verhüten, mindern oder in ihren Folgen gering halten.

2

PDV (Polizeidienstvorschrift) I 00, Stand 2000, Ziffern 2.1 bis 2.1.3.4.

Weiterbildung in der Kriminalprävention

159

Zu solchen negativen Folgen zählen physische und materielle Schäden sowie K.riminalitätsangst, insbesondere die Furcht, Opfer zu werden." Im Kernbereich macht diese Defmition deutlich, dass sie den Opferschutz in den Bereich der Prävention einbezieht, das Kriminalitäts- und Verkehrsunfallgeschehen integriert betrachtet, neben der Polizei alle anderen staatlichen und privaten Institutionen als Adressaten ansieht. Interessant ist nunmehr, wie die Polizei ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorbereitet und ob und wie sie andere Institutionen einbindet. Das Curriculum für das Studium des gehobenen Dienstes an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes NRW ist meines Wissens nach das Aktuellste (Stand: 07.03.2000). 3 Es weist 28 Stunden für die Kriminalprävention und 17 Stunden für die Verkehrsunfallprävention und 45 Stunden Grundlagenvermittlung im Bereich der Prävention aus. Der Studienplan für die Anwärter des höheren Polizeivollzugsdienstes4 in meinem Haus setzt hierauf auf und bietet neben der ganzheitlichen Einbeziehung von bestimmten Themenbereichen wie z. B. der Straßenkriminalität 31 Stunden Kriminalprävention als Gesamtgesellschaftliche Aufgabe und 20 Stunden Präventionsvorhaben im Rahmen ganzheitlicher Konzeptionen im Bereich Verkehrslehre, somit 51 Stunden "Prävention" aus. Wenn ich Ihnen eingangs durch die erfolglose Internetrecherche ein Defizit im Bereich der Fortbildung dargestellt habe, so stimmt dies nur bedingt. Es fehlt die Transparenz und Systematisierung. Wenn Sie wissen, wo Sie anrufen müssen, bekommen Sie verblüffende Angebote. Die Produktpalette des Polizeifortbildungsinstitutes Neuss beinhaltet beispielsweise 31 unterschiedliche Fortbildungsangebote zur Prävention. 5

3 Curriculum für das Studium an der Fachhochschule ftir öffentliche Verwaltung I Polizei NRW vom 07.03.2000. 4 Studienplan für die einheitliche Ausbildung der Anwärter des höheren Polizeivollzugsdienstes vom 15.03.1995 in der Fassung vom 18.03.1998.

Rainer Schulte

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Produktbereich Kriminalprävention

Gemeinsame Lehrgänge

Produktgruppe Technische Prävention

Basislehrgang "Prävention"

(5 Produktangebote)

Produktgruppe Jugendschutz

Produktbereich VerkehrsSicherheitsarbeit Allgemeine Verkehrsprävention "Grundlagen" (5 Produktangebote)

Lehrgang Vermittlungsmethoden/ Öffentlichkeitsarbeit

(4 Produktangebote)

Produktgruppe Verkehrserziehung/ -aufklärung an Kindergärten (1 Produklangebot)

Produktgruppe Verkehrserziehung/ -aufklärung an Schulen

(4 Produktangebote)

Lehrgang "Kooperation mit anderen Verantwortungsträgern"

Produktgruppe SuchtPrävention

Lehrgang "Analyse und Planung"

Produktgruppe Verkehrsaufklärung Erwachsene

Produktgruppe GewaltPrävention

(2 Produktangebote)

Produktgruppe Sonstige Verhaltensprävention

(1 Produktangebot)

(1 Produklangebol)

AT Prävention KVIL

(2 Produktangebote)

Produktgruppe Verkehrsaufklärung Senioren (1 Produklangebol)

Diese Fortbildungsveranstaltungen werden bereits, wenn auch nur vereinzelt, von externen Teilnehmern aus den Kommunen besucht. Natürlich bietet auch die Polizei-Führungsakademie Fortbildung oder besser Weiterbildung im Bereich der Prävention an. Hier möchte ich zunächst auf die beiden Seminare Planung der Kriminalitätskontrolle

und Kriminalprävention und Verkehrssicherheitsarbeit

hinweisen. Inhaltliche Schwerpunkte sind in beiden Seminaren: 5 Vgl. Fortbildungskonzeption des Landes NRW flir den Bereich der Prävention, PoIizeifortbildungsinstitut (PFI) Neuss, Harnrnfelddarnrn 7a, 41460 Neuss.

Weiterbildung in der Kriminalprävention

161

q

Aspekte einer ganzheitlichen Kriminalstrategie

q

Straßensicherheit als integriertes Präventionskonzept

q

Die krinllnologische Bewertung gemeinsamer Sicherheitsstrategien

q

Auswirkung der neuen Ansätze auf die Aus- und Fortbildung.

Unser innovativstes Produkt im Bereich der Prävention beschäftigt sich mit der Qualifizierung für die Tätigkeit in der Unfallkomrnission.

Qualifizierungsseminar

Montag

Dienstag

Anreise

Unfalllisten

Mittwoch (1) Grundlagen zur

Unfalldiagramme

Maßnahmenfin-

(1) dung

Einführung

(2)

Weitere (I)

- Erwartungen

Erhebungen

- Struktur des

Unfallbegünsti-

Seminars

gende Faktoren

-Ziele

Donnerstag

(1)

Freitag

Umsetzung von

Finanzierungs-

Maßnahmen

möglichkeiten

(I)

(2)

(2)

Verfahren für In-

Entscheidungs-

nerortsstraßen,

kompetenz und

mit vorgesetzten

Außersortsstras-

Verantwortung

Stellen/

sen und Autobahnen

Zusammenarbeit

(1) Behörden

(3)

fahren

(I)

Führen und Aus-

Übungen zur A-

Übungen zur

Übungen zur

Abschluß-

führen von Un-

nalyse von Un-

Auswahl geeig-

Öffentlichkeits-

besprechung

fall typen-

fallhäufungen

neter Maßnah arbeit men (3)

Steckkarten

(I)

(3) Präsentation der Ergebnisse

Erkennen und Bewerten von Unfallhäufungen

(1)

Präsentation der Ergebnisse (I)

(2)

Abläufe und Ver-

(2) (3)

Präsentation der Ergebnisse (I)

=36 Stunden

(2) Rangfolgen

(I)

Die Unfallkommission ist ein wesentlicher Bestandteil der Gesamtkonzeption zur Verbesserung der Verkehrssicherheit. Unfallkommissionen haben bundesweit im Rahmen der "Örtlichen Untersuchung von Straßenverkehrsunfällen" die Aufgabe, Unfallhäufungen zu erkennen, zu bewerten und für Abhilfe-

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maßnahmen zu sorgen. Sie leisten damit einen erheblichen präventiven Anteil zur Verkehrssicherheit. 6 Die Unfallkommission auf örtlicher Ebene - ein Präventionsrat im klassischen Sinn - setzt sich im wesentlichen zusammen aus Vertretern der Kommune, der Straßenbaulastträger und der Polizei. Schon die unterschiedlichen beruflichen Zugangsvoraussetzungen machen deutlich, dass eine gemeinsame fachliche Präventionsebene nicht unterstellt werden kann. Dies hatte nicht selten zeitraubende Grundsatzdiskussionen über Präventionsansätze und -notwendigkeiten zur Folge. Eine erfolgreiche Kornmissionsarbeit setzt jedoch spezifische Fachkenntnisse und eine reibungslose Zusammenarbeit aller Beteiligten voraus. All dies machte eine abgestimmte Qualifikation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Tätigkeit in den Kommissionen notwendig. Daher werden auf der Grundlage der Ihnen dargestellten Seminarstruktur zunächst Dozenten aus einigen Bundesländern zentral ausgebildet, um dann in ihren Ländern die ersten QualifiZierungsseminare durchzuführen (Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen). Sollte dieses Beispiel nicht auch übertragbar sein auf die Kriminalprävention? Weit über 1.500 Gremien für Kriminalprävention in der Bundesrepublik Deutschland ist eine stolze Bilanz. Doch wie geht es weiter? Wissenschaftliche Kriminalgeografische Regionalanalysen und Bürgerbefragungen gelten als anerkannte Methoden zur fundierten und differenzierten Beschreibung der objektiven und subjektiven Sicherheitslage. Sie bilden den Grundstein. Was folgt, sind bei kommunalen und polizeilichen Verantwortungsträgern die Fragen nach der richtigen Intervention. Dies wiederum bedingt den Rückgriff auf fundierte Grundlagen, die nur in einer abgestimmten Ausund Fortbildung gelegt werden können. Die Übernahme ursachenorientierter Präventionsaufgaben bedarf immer der Bereitstellung qualifiZierten Personals. Die Qualiftkation muss jedoch systematisch und zielgruppenorientiert betrieben werden. Daher ist eine Systematisierung der QualifiZierung erforderlich. Wenn ich von "Systematisierung der QualifiZierung" spreche, meine ich damit die Festschreibung von Standards for die Aus- und Fortbildung der unterschiedlichen Rezipienten im Bereich der Prävention. 6 Vgl. Qualifizierung für die Tätigkeit in der Unfallkornmission- Aus- und Fortbildungsinhalte der Projektgruppe "Ausbildung" , Hrsg. GDV/ISK Köln- PFA Münster, Nov. 1999.

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Dies ist eine erste Forderung. Doch ich möchte noch einen Schritt weiter gehen. Die Adaption wertegebundener Präventionsvorhaben auf eine Zielgruppe eines anderen Kulturkreises kann keinen Erfolg versprechen. Daher gehört insbesondere die Berücksichtigung unterschiedlicher kultureller Werte und Mentalitäten zu allen Präventionsbemühungen. Basieren unsere Aussagen nicht auch zu sehr aufunserem Werteverständnis? Erreichen wir mit unseren werteorientierten Aussagen überhaupt die Vielzahl nichtdeutseher Bürger? Müssen wir nicht viel früher ansetzen? Können wir dort, wo Stärke zum Idealbild des Mannes gehört, einfach unsere Präventionskonzepte überstülpen? Ich denke nein und fordere daher die

Berücksichtigung und Einbeziehung der unterschiedlichen Kulturen und Mentalitäten der Adressaten der Prävention. Erst dann ist ein interkultureller Werteabgleich möglich und über das kulturelle Verständnis eine präventive Intervention denkbar. Es ist noch nicht lange her, da suchte man in Deutschland fiir die Jugend neue Ideale, neue Idole. Die Eltern und die tradierten Einflussfaktoren "Schule" und "Kirche" wurden nicht mehr als ausreichend angesehen. Prominente wurden als "Werteapostel" der Jugend angeboten. Doch dieses Ansinnen (z. B. Sport - Keine Macht den Drogen!) erbrachte nicht den gewünschten Erfolg. Eine Rückbesinnung auf die Eltern/Elternhaus und Lehrer/Schule erscheint mir dringend geboten. Sie sind insbesondere im Bereich der mittelbaren Prävention die Adressaten unserer Botschaft. Wenn wir z. B. im Bereich der Drogenprävention auf Grund der starken Einflussnahme der peer-group keine Möglichkeit zur unmittelbaren Prävention mehr haben, dann müssen wir über die Eltern und Lehrer Prävention entfalten. Dies bedeutet jedoch auch fiir die Qualifizierung der "Vorbeuger" eine

zielgruppenbezogene Qualifizierungfor die Erwachsenenfortbildung. Für mich ist die Beratung und Unterstützung der Eltern und Lehrer ein wichtiger zukünftiger Schwerpunkt der Prävention! Da hier die Polizei allein personell überfordert wäre, ist dies die große Herausforderung fiir Kommunen und Freie Träger. Hieraus ergeben sich fiir mich jedoch zwei weitere Notwendigkeiten:

Die Studienpläne der kommunalen Bediensteten, der Lehrer, der Juristen, der Sozialarbeiter, Soziologen, Psychologen, Städteplaner und Journalisten müssen die Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe aufnehmen! und

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Die polizeilichen Bildungseinrichtungen müssen sich öffnen für eine kooperative Bildungsarbeit im Bereich der Prävention! Damit die guten Fortbildungsmaßnahmen nicht in einer Art "closed shop" nur wenigen Insidern bekannt und damit zugänglich sind, bedarf es der systematischen Erfassung, modularen Aufbereitung und öffentlichen Darstellung! Eine weitere Forderung bezieht sich auf die inhaltliche Verknüpfung der Verkehrs- und Kriminalprävention. In vielen Bundesländern beschränkt sich das pädagogische Puppenspiel der Polizeipuppenspieler nicht mehr nur auf die Verkehrsprävention, sondern beinhaltet klassische Elemente der Kriminalprävention. Neben der Wertevermittlung werden die Themenbereiche "Mein und Dein", "Umgang mit Fremden" und "Gewalt" gezielt bearbeitet. Die gleiche Zielrichtung, jedoch bezogen auf einen anderen Adressatenkreis, verfolgt derzeit ein Forschungsprojekt der Polizei-Führungsakademie. Hinter dem Forschungsprojekt

"Integrative Prävention durch Audits zur Verkehrsraumgestaltung - Standards für Sicherheitsaudits, Sachbearbeitung und Wissenstransfer" verbirgt sich der kooperative und integrative Ansatz der Prävention. Das interdisziplinär besetzte Forschungsteam (Polizei, Kriminologen, Städtebauarchitekt) prüft, ob durch die Festlegung gemeinsamer Standards fiir die Gestaltung des öffentlichen Verkehrsraumes verkehrs- und kriminalpräventive Wirkungen wahrscheinlich sind. Wenn dies der Fall sein sollte, werden neben den Standards für die städtebauliche Planung Konzepte zur Fortbildung fiir Städteplaner und andere Verantwortungsträger der Prävention erstellt. Hier könnte dann die kooperative Qualifikation greifen, wie sie bereits im Bereich der Unfallkommissionsmitglieder realisiert ist. Der letzte Teil meiner Ausführungen befasst sich zusammenfassend mit den möglichen Lösungsansätzen.

1. Abgestimmte Standards für die Aus- und Fortbildung der unterschiedlichen Rezipienten der mit Prävention befassten Institutionen und Behörden. Noch immer herrscht das Verständnis vor, dass Prävention eine polizeiliche Aufgabe sei. So richtig diese Betrachtung auch ist, so greift sie doch zu kurz. Neben der polizeilichen Präventionsarbeit gibt es das Erfordernis einer gesamtgesellschaftlichen Präventionsarbeit 7 Hieraus folgt der konsequente Ruf

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nach abgestimmten Standards im Bereich der fachlichen Qualifizierung und die Einbeziehung und Abstimmung der unterschiedlichen Qualifikationsanbieter. An der Polizei-Führungsakademie wurde bereits im Juni 20008 die Notwendigkeit einer abgestimmten Grundqualifikation gefordert. Als Vorschlag wurde ein modular aufgebautes Seminar mit folgenden Inhalten entwickelt. Warum sollten nicht auch private Anbieter, die sich nach der DIN EN ISO 9000 ff. (ISO Norm für die berufliche Bildung) qualiftziert haben, derart abgestimmte Seminare für kommunale Beamte, Vertrauenslehrer, Staatsanwälte, Richter, Sozialarbeiter u.v.a.m. durchführen können? 2. Ein interkultureller Dialog verlangt eine zielgruppenbezogene Prävention auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Werte.

Präventionskonzepte werden häufig vor dem Hintergrund des eigenen Verständnisses entwickelt. So wie wir heute sorgsam prüfen, ob gute und wirksame Konzepte des Auslands auf unsere Verhältnisse übertragbar sind, so müssen wir in unserer Gesellschaft auch prüfen, ob werteorientierte Präventionskonzepte von allen Bürgerinnen und Bürgern mit getragen werden. Daher ist es notwendig, das Kultur- und Werteverständnis der Herkunftsländer zu begreifen. Diese ,,Kulturenlehre" muss Eingang finden in die Ausbildung bzw. in das Studium der Bediensteten der öffentlichen Verwaltung und eigenständiger Gegenstand der Fortbildung werden. So wie sich die Polizei im Bereich der Einsatzlehre mit der Feuerkultur der Kurden oder dem Kommunikationsverhalten der Orientalen beschäftigt, so muss auch im Bereich der Prävention ein entsprechendes Verständnis vorhanden sein, um das Präventionsziel überhaupt zu erreichen.

7 Forderungen des 5. Deutschen Präventionstage 1999 in Hoyerswerda: "Der 5. Deutsche Präventionstag hält es für besonders wichtig, dass die Initiativen von Bürgerinnen und Bürgern vor allem im örtlichen Bereich gefordert werden und das die Eltern und Familien, Kindergärten, Schulen, Jugendinitiativen, Sport-, Musik- und andere Vereinigungen eine faire Chance erhalten, ihre eigenen Belange in die öffentliche Präventionsarbeit einzubringen." 8 Jäger, Systematisierung der kriminalpräventiven Aufbauarbeit durch Weiterbildung der Akteure, in: R. Stober!R. Pitschas (Hrsg.), Vergesellschaftung polizeilicher Sicherheitsvorsorge und gewerbliche Kriminalprävention, 200 I, S.l63 ff.

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3. Prävention muss fester Bestandteil des Studiums werden, auch außerhalb der Polizei.

In anderen Ländern, wie z. B. Großbritannien9 oder Belgien 10 gibt es bereits eigene Studiengänge, die Basiswissen im Bereich der Prävention vermitteln. In der Bundesrepublik Deutschland ist Kriminologie jedoch nur bei der Polizei ein Pflicht- und Prüfungsfach. Ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz sollte auch die Forderung enthalten, Richtern, Staatsanwälten, Journalisten, Pädagogen, Sozialwissenschaftlern, Architekten, Städteplanern, Kommunalbeamten und Medienverantwortlichen eine Studieneinheit "Prävention" abzuverlangen. 4. Die polizeilichen Bildungseinrichtungen müssen sich öffnen for eine kooperative Bildungsarbeit im Bereich der Prävention.

Die polizeilichen Bildungseinrichtungen haben ein unbestritten gutes Niveau auch im Bereich der Prävention. Ernsthaft interessierten Angehörigen anderer staatlicher Behörden und Institutionen sollte der Zugang zu polizeilichen Fortbildungsmaßnahmen nicht verwehrt bleiben. Die Angebote sollten allgemein veröffentlicht werden. Ich möchte sogar einen Schritt weitergehen und insbesondere polizeiliche Bildungseinrichtungen, die schon Erfahrung mit interaktiven Lernprogrammen gemacht haben, auffordern, vielleicht sogar in Zusammenarbeit mit Fernuniversitäten, ein interaktives Fernstudium "Prävention" anzubieten. Dass ich zu den polizeilichen Bildungseinrichtungen auch die Fachhochschulen zähle, möchte ich an dieser Stelle ausdriicklich betonen. 5. Die Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen müssen systematisch erfasst, modular aufbereitet und veröffentlicht werden. Dabei darf die Grenze nicht die Bundesrepublik Deutschland sein.

9 Scannan Centre for the Study of Public Order, Leicester: MSc in Criminal Justice Studies oder University of the West of England!Faculty of the Built Environment: Comrnunity Safety and Crime Prevention. 10 Universität Leuven, Belgien: Master in European Criminology.

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Der "Deutsche Präventionstag" unterstützt alle Bemühungen, das "Deutsche Forum für Kriminalprävention" zu einer bundesweit wirksamen Stelle der Kriminalprävention werden zu lassen.'' Um diese Zentralstellenfunktion noch wirkungsvoller ausfüllen zu können, sollten alle Fortbildungsangebote dem Deutschen Forum für Kriminalprävention mitgeteilt werden, um dort erfasst, systematisch aufbereitet und über Internet veröffentlicht zu werden. Nur so ist sichergestellt, dass die ernsthaften Bemühungen um Qualiftkation nicht dem Zufall überlassen bleiben und ein Vergleich der unterschiedlichen Bildungsangebote überhaupt ermöglicht wird. Das ,,Deutsche Forum für Kriminalprävention" sollte sich dabei bemühen, auch Angebote des Auslands zu erfassen. Der Rat der Europäischen Union hat sich im Anschluss an die Tagungen von London und Stockholm 1998 für eine Neubelebung des Netzes der für die Kriminalitätsverhütung zuständigen nationalen Kontaktstellen eingesetzt. Die darauf folgende Sitzung von Vertretern der nationalen Kontaktstellen im Mai 2000, erbrachte folgendes Ergebnis: q

In einem Internet-Handbuch sollen sich nachweislich bewährte und noch laufende vielversprechende Projekte zur Kriminalitätsverhütung erscheinen.

q

In Ergänzung hierzu soll ein Internet-Diskussionsforum eingerichtet werden. 12

Die Unterbringung und Verwaltung dieses Internet-Vorhabens werden derzeit geprüft. Optional erscheint eine Integration in das Internet-Angebot des Generalsekretariates des Rates oder auf der Seite "http://europa.eu.int". Hier sehe ich auch eine grundlegende Aufgabe des Sekretariates der im Aufbau befmdlichen "European Police Academy" (EPA). Die EPA sollte in die Beratungen des Rates der EU einbezogen werden, ihn unterstützen und einen eigenständigen Auftrag zur Ergänzung und Pflege einer zusätzlichen Internetseite über europäische Bildungsangebote zur Prävention erhalten.

11 Vgl. die entsprechenden Forderungen des 5. Deutschen Präventionstages in Hoyerswerda, 1999. 12 Rat der Europäischen Union, Vermerk 5764/01, Brüssel, 31.01.2001.

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6. lntegrative Sicherheitsarbeit verlangt die inhaltliche Verknüpfung von Kriminal- und Verkehrsunfall-Prävention, die ihren Anfang im Bereich der Bildungsarbeit findet. lntegrative 13 Sicherheitsarbeit verhindert Zieldivergenzen, erhöht die Präventionswirkung und schafft durch die Koppelung der beiden eigenständigen Themenfelder "Krirninalprävention" und "Verkehrsunfallprävention" Synergieeffekte auch im Bereich der Bildungsarbeit, wie am Beispiel der QualifiZierungsmaßnahme für Mitglieder der Unfallkommissionen deutlich wurde. Daher sollte in ausgewählten Themenbereichen, wie z. B. der Straßenkrirninalität, eine Verknüpfung der Präventionsansätze Gegenstand der fachlichen Auseinandersetzung werden. Inwieweit das von mir angesprochene Forschungsvorhaben "lntegrative Prävention durch Audits zur Verkehrsraumgestaltung" im Bereich der Integrativen Sicherheitsarbeit neue Impulse geben wird, bleibt abzuwarten. Bei allen fachlichen Überlegungen ist Prävention fiir mich in erster Linie kein Programm, sondern eine Idee - eine Grundeinstellung! Die Grundeinstellung: Verhüten ist besser als Heilen. Dies liegt nicht nur in der Natur der Sache, sondern ergibt sich aus unserem Verfassungsverständnis. Wenn dem so ist, darf sich Prävention nicht nur auf ein spezielles berufliches Tätigkeitsfeld beschränken. Prävention gilt allumfassend und überall dort, wo ein schädigendes Ereignis zu befiirchten ist. Damit ist Prävention eine gesellschaftliche Herausforderung für uns alle.

13 lntegrative Sicherheitsarbeit beinhaltet die Elemente der Kriminal- und Verkehrsunfallprävention. Die Kooperative Sicherheitsarbeit ist Ausdruck der Einbindung der verschiedenen Ämter/Träger der Präventionsarbeit

Kriminalitätsprävention als Bildungsangebot und Ausbildungsauftrag Diskussion zu dem Referat von Rainer Schulte Leitung: Rainer Pitschas Von Christian Koch

I. "Re-insourcing" und der Ruf nach einem kooperationsrechtlichen Rahmen für die Kriminalitätsprävention Die Kriminalitätsprävention als staatliche und auch gesamtgesellschaftliche Aufgabe wird zunehmend durchdrungen wie überlagert von den Strukturen und Gesetzen des Marktes; angesichtsder Vielzahl möglicher Ansätze, unter denen im gesellschaftlichen Raum und als Wirtschaftstätigkeit Kriminalitätsprävention betrieben werden kann, fehlte es bislang schon an tragfahigen Oberbegriffen, so dass bis auf weiteres ,,Krirninalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit" oder "Security Management" oder "das Sicherheitsgewerbe" hier herangezogen werden, um zumindest das Marktsegment zu bezeichnen, aber auch, um eine prinzipielle Haltung und insbesondere die Verantwortungsteilung im Umgang mit Gefahren, Lagen und Risiken im Bereich der inneren Sicherheit zum Ausdruck zu bringen. Prävention als "dritte Säule" neben Strafverfolgung und Gefahrenabwehr lässt Raum fiir die Begrenzung und Schärfung eines Begriffs von der polizeilichen Prävention gegenüber der allgemeineren sozialen Dimension, die im Präventionsbegriff ebenfalls ihren Ausdruck fmdet, etwa im Bereich der Jugendhilfe. Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit darf sich der Tatsache bewusst sein, dass sie eine gesellschaftlich gewollte Form darstellt. Nicht zu übersehen ist hierbei das "Cash is fact"-Prinzip und die Nachfrageabhängigkeit, die durch die allgemeine outsourcing-Welle bislang aufgefangen oder zumindest kaschiert werden konnte. Generell gilt: Eher diffuse Prozesse gesellschaftlicher Verunsicherung lassen die Grenzen in der Durchschlagskraft des staatlichen Gewaltmonopols deutlicher spürbar werden. Sie haben das Bewusstsein dafiir geschärft, dass es kein Sicherheitsmonopol geben kann. Mit dem in vielfaltigen Details und in mancher programmatischen Aussage greifbaren Abschied des Staates von einem

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Dogma der Allzuständigkeit und angesichts der vielfach angeraten erscheinenden Tendenz, sich auf Kernkompetenzen zurückzuziehen, bleibt der Aufruf zu strukturierter Aufgabenverteilung und Aufgaben-Ausgliederung und der Ruf nach Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften staatlicher und privater Gewährträger; mit einem Wort: Der staatlich-gesamtgesellschaftliche Ordnungsauftrag gerät unter Wettbewerbsdruck. Indessen machen sich zugleich Konsolidierungsprozesse bemerkbar, in deren Folge durchaus auch mit re-insourcing gerechnet werden muss. Es gilt sonach, eine Offensive der Personalentwicklung zu gestalten, wobei nicht vergessen werden sollte, dass letztlich im Sicherheitsgewerbe der Kundenauftrag die Einschätzung der Sicherheitsbedürfnisse und damit die Unternehmensstrukturen bestimmt. Bei insgesamt rund 2.100 registrierten Unternehmen mit zusammen 145.000 registrierten Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 45 Milliarden DM ergibt sich hier neben dem Ausbildungsauftrag auch ein Regulierungsbedarf: eine Rahmengesetzgebung sollte zum einen hinreichende Ermächtigungsgrundlagen fiir detaillierte Steuerung durch Rechtsverordnungen geben und andererseits Klarheit über die Institutionen der Aufsicht und Kontrolle und deren Verantwortungshereiche geben. Auch Ansätze einer Aufgaben-Systematik müssten fiir diesen Grenzgang und Balanceakt zwischen staatlicher und gesellschaftlicher Verantwortung formuliert werden. 1 Das sich ausdifferenzierende Bild miteinander konkurrierender Sicherheitskonzepte zeigt, dass schlüssige Antworten auf die Frage nach der Kriminalitätsprävention als Staatsfunktion einigermaßen dringend sind. Wenn Kriminal(itäts)prävention alle Tätigkeiten erfasst, die dazu beitragen, die Kriminalität als gesellschaftliches Phänomen zu bekämpfen, so trägt dies eine Verantwortungs- und Arbeitsteilung notwendig in sich, wie Stober in seinem Diskussionsbeitrag nachdrücklich hervorhob. Im kooperativ handelnden Staat dürfe eine gesamtgesellschaftliche Sicherheitsarchitektur nicht fehlen. Ein Blick auf die bereits bestehenden oder im Entstehen begriffenen Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften, auch unter Einbezug des Sicherheitsgewerbes, macht in der Tat deutlich, dass den im großen und ganzen auch durch privatrechtlich organisierte Unternehmen wahrzunehmenden Aufgaben offener Informationsgewinnung über sicherheitskritische "Lagen" eine Ten1 Vgl. allgemein zuletzt Hermann Hilf, 25 Thesen zu einer Verfahrensordnung flir öffentlich-private Kooperationen (Verwaltungskooperationsrecht), Verwaltung und Management 2001, S. 10 f..; fernerhin: Hartmut Bauer, Zur notwendigen Entwicklung eines Verwaltungskooperationsrechts - Statement, in: Gunnar Folke Schuppert (Hrsg.), Jenseits von Privatisierung und "schlankem" Staat, Baden-Baden 1999, S. 249 ff., sowie die Beiträge von Kuno Schädler und von Klaus Hartmann in: Verwaltung Heute, Beilage zur Wiener Zeitung, Nr. 37, Dezember 2000, dort S. 3 ff. und S. 6 ff.

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denz innewohnt, die dezidiert den Kontrollauftrag des Staates herauszufordern geeignet ist. Schon in der ersten Diskussionsrunde um die Sicherheitspartnerschaft war denn auch der Ruf nach einer kooperationsrechtlichen Rahmensetzung vernehmlich geworden, in der zumindest Leitgrundsätze fiir entsprechende Vereinbarungen zu kooperativer Bewältigung von Aufgaben der Kriminalprävention gestaltet werden könnten. Gegenstand solcher Rahmensetzung müsse auch ein System der Abgrenzung sein, in dem Kernaufgaben, insbesondere solche, die Grundrechtseingriffe bedeuten, gegenüber den eher schon "marktfähigen" Segmenten der Prävention abgegrenzt würden. Ein solcher "Produkt-Katalog" könne immerhin auch die Vorbereitung von Eingriffsmaßnahmen mit erfassen. Im übrigen fehle es an sogenannter ,,Pro-Aktivität" des Sicherheitsgewerbes; dieses werde den erkannten sicherheitspolitischen und sicherheitstechnischen Erwartungen und dem entsprechenden Bedarf eher nachgefiihrt. Die rechtliche Rahmenregelung müsse ein Netzwerk auf rechtlich abgesicherter Basis entstehen lassen können, zusammengesetzt aus den sicherheitsverantwortlichen Behörden und ihren privatgewerblichen Partnern, die ausgegliederte Aufgaben wahrnehmen sollen, unterfangen durch einen effektiven Kontroll- und Sanktionsmechanismus. Hierbei müsse der abgebenden Ebene/Stelle die Defmitionsmacht ebenso verbleiben wie eine ausgeprägte Rückholkompetenz. II. Konzeptionelle Grundlagen für Weiterbildung in der Kriminalprävention Schulte hatte in seinem Beitrag die "konzeptionelle Grundlegung" fiir Strategien und Einzelmaßnahmen der "Weiterbildung in der Kriminalprävention" zum Gegenstand seiner Betrachtungen gemacht. Einer currikularen Grundsteinlegung und weiterer thematisch didaktischer Systematisierung dürfte "Prävention" in ihrer begrifflichen Vielfalt im ersten Anlauf nur begrenzt zugänglich sein, hatte er vermutet. So dürfe beispielsweise die Verkehrsunfallprävention nicht allzu sehr hinter der Kriminalprävention zurücktreten. Entscheidend ist die "Fachlichkeit des Präventionsansatzes"; es gelte, Standards festzuschreiben, unter Berücksichtigung unterschiedlicher Kulturkreise und unterschiedlicher, oft konkurrierender Wertvorstellungen, verbunden mit dem Ziel eines "interkulturellen W erteabgleichs".2

2 Zur Interkulturalität vgl. Rainer Pitschas, Europäische VeiWaltungsintegration als interkulturelle Herausforderung. Das Beispiel des interkulturellen Sicherheitsmanagements im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in: Rainer Pitschas/Christian Koch (Hrsg.), Staatsmodemisierung und VeJWaltungsrecht in den Grenzen der Europäischen Integrationsverfassung, Baden-Baden 2001 (im Erscheinen).

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Nicht gering geachtet werden dürfe die mittelbare - soziale - Prävention. Gerade für den currikularen Auftrag gelte es, zielgruppenbezogene Präventionsqualifikationen zu erreichen und ebenso deutlich zu machen, dass Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gesehen werden müsse. Für die Ausund Fortbildung im Bereich der Prävention gelte es, abgestufte Standards zu entwickeln und den multikulturellen Dialog zielgruppenbezogen aufzubauen. Polizeiliche Bildungseinrichtungen müssten sich für eine kooperative Bildungsarbeit im Bereich der Prävention öffnen, Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen der unterschiedlichsten Anbieter wären systematisch zu erfassen und zu publizieren. Eine integrative Sicherheitsarbeit verlange überdies eine inhaltliche Verknüpfung der Kriminalitäts- und der Verkehrsunfallprävention. Zieldivergenzen sollten sich so vermindern und Synergieeffekte auch im Bereich der Bildungsarbeit erhöhen lassen. In der Diskussion nahm vor allem Wolfgang Bülow, Polizeipräsidium Düsseldorf, die Frage nach der inhaltlichen Zusammensetzung und den möglichen, noch zu konzipierenden rechtlichen Grundlagen für eine Vernetzung im Bereich der Kriminalprävention auf. Auch hierfür müßte jenes bereits mehrfach eingeforderte Kooperationsgesetz eine Grundlage bieten, ebenso, um Gewissheit über die Organisation eines Präventionsnetzes zu schaffen und um die Grenzen der fachlichen Arbeit insoweit zu kennzeichnen. Auch Stüllenberg betonte, das Curriculum ftir ein polizeiliches Präventionskonzept müsse sich auf die Öffnung für andere Präventionsträger ebenso erstrecken wie auf die staatliche Organisation, dem bereits angedeuteten gesamtgesellschaftlichen Ansatz folgend. Einzubinden seien auch Bürger und ihre "Vertretungen", einer Funktion, in der vor allem die privaten Sicherheitsunternehmen zu verorten seien. Schulte bestätigte, dass nach seinen Vorstellungen die Öffnung dieser Curricula für private Sicherheitsdienste ebenfalls in Betracht zu ziehen sei. Harald Olschok, BDWS e.V., Bad Homburg, nahm diesen weitgehenden, integrativen Ansatz auf. Er wollte von jener Öffnung der Curricula auch weitere spezifische Gefahren- und Präventionsbereiche mit umfaßt sehen, so beispielsweise und insbesondere den Arbeitsschutz, den Brandschutz und den Gesundheitsschutz. Aus der Sicht der privaten Anbieter seien die kritischen Überschneidungspunkte zur polizeilichen Arbeit relativ eng gefasst und auf die Kriminalprävention konzentriert. 111. Vorrang der Bildungsarbeit

Stüllenberg betonte als ein Leitmotiv jeder konzeptionellen Arbeit im Bereich der Kriminalitätsprävention die Erfahrbarkeit des Staates als bürgerschaftliche Veranstaltung bereits unterhalb der Eingriffsschwelle. Vor diesem Hintergrund bedürfe es einer Konsolidierung des Sicherheitsgewerbes und sei-

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ner Präventionsangebote; re-insourcing- Strategien und Prozesse einer Rückholung privater Sicherheitsaufgaben - würde sich deutlich verstärken. Aus der Sicht der Sicherheitsunternehmen könne dem nur damit begegnet werden, dass die Unternehmen selbst sich anschickten, die Defizite in ihrem Qualitätsmanagement aufzuarbeiten. Sorge verwies auf die Vielzahl paralleler Sicherheitskonzepte; auch aus diesem Grunde müssten Strukturen gebildet werden, die der Auffangverantwortung des Staates Rechnung trügen und die Re-Integration von Teilaufgaben ermöglichten. In den Vordergrund sollte die Fachlichkeit des Präventionsansatzes gestellt werden, weniger der Aufbau einer Betroffenheitsdimension. Stober nahm sich den Anforderungen an die Organisationsstruktur und die institutionelle Verfestigung eines kooperativ ausgestalteten Präventionsbereiches an. Jede Steuerung durch lediglich informelle Vollzugsstrukturen habe Grenzen, die sich notwendig in einem dann entsprechend ausgeprägten Kontrollauftrag des Staates niederschlagen müßten, übrigens auch im Hinblick auf die Verfassungstreue der gewerblichen Sicherheitsunternehmen und ihrer Mitarbeiter. Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften bedürften genauerer begrifflicher und funktionaler Erfassung. Schulte betonte noch einmal, dass aus der Sicht der Polizeiaufgaben Kriminalitäts- und Verkehrsprävention inhaltlich und methodologisch eng beieinander lägen, wobei im Hinblick auf die Kriminalitätsentwicklung früher vor allem deren Bekämpfung im Vordergrund gestanden sei und das PräventionsBewusstsein fiir diesen Sektor polizeilicher Tätigkeit sich erst allmählich habe entwickeln müssen. Und man solle sich nicht täuschen: Unter den zu stellenden Forderungen erweise sich die Umsetzung gesetzlicher Maßgaben als sekundär; primär sei es um den Aufbau im Bildungsbereich zu tun. In den Blick genommen werden müsse hier die Gestaltung durch die bmenministerkonferenz ebenso wie - hinsichtlich des Bildungsauftrags - die Kultusministerkonferenz. Die Präventionsausbildung gehöre gleichermaßen in die Schulpläne wie in die Konzepte zur Fernausbildung. Neben der Polizeifiihrungsakademie müsse hier ein dezidierter Auftrag auch an die Europäische Polizeiakademie3 gerichtet werden. 3 Hierzu den Beschluss des Rates v. 22.12. 2000 über die Errichtung der Europäischen Polizeiakademie (EPA), Abi.EG Nr. L 336 v. 30.12.2000, S. 1-3. Vgl. im übrigen auch die Mitteleuropäische Polizeiakademie (MEPA), als aufinitiative von Ungarn und Österreich 1991 gegründete polizeiliche Bildungseinrichtung mit Büros in Budal?.est und Wien. Ihre Mitglieder sind: Ungarn, Polen, Slowakei, Tschechien, Slowenien, Osterreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Schweiz (vgl. MEPA-Handbuch, hrsg.: Zentrales Koordinationsbüro der Mitteleuropäischen Polizeiakademie Wien, Berlin/Stuttgart 1999, Loseblattausgabe); siehe ferner Günther Bögl, Kompetenzen der Mitteleuropäischen Polizeiakademie, in: Rainer Pitschas (Hrsg.), Politik und Recht der inneren Sicherheit in Mittel- und Osteuropa, 1996, S.391 ff.

12 Pitschas

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Nicht zuletzt in der Diskussion sei deutlich geworden, so fasste Pitschas seinen Eindruck zusammen, dass Prävention nicht nur ein tragender Pfeiler der inneren Sicherheits-Architektur geworden sei; vielmehr habe deutlich gemacht werden können, dass sie auch ein gesellschaftliches und bildungspolitisches Anliegen vieler Lebenswelten sei.

Dritter Teil Privatwirtschaft und Kriminalprävention

Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit Von Klaus Stüllenberg• Zur Einfiihrung in den Vortrag möchte ich zunächst zwei, drei Sätze zu meiner Person sagen, damit deutlich wird, vor welchem Erfahrungshintergrund ich spreche. Ich bin heute 47 Jahre alt und habe 1988 aus Lust- wohlgemerkt aus Lust und nicht aus Frust- die nordrhein-westfalische Polizei als Kriminalrat verlassen, um die Geschäftsfiihrung eines Ausbildungsunternehmens im privaten Sicherheitsbereich zu übernehmen. Das hatte außerordentlich viel Spaß gemacht und von da aus hatte ich die Chance, insgesamt fiinf Unternehmen in den neuen Bundesländern aufzubauen, zu strukturieren und zu begleiten, bis ich dann 1991 diese Unternehmensgruppe verlassen habe, um die Gelegenheit wahrzunehmen ein - wenn auch konkursreifes, aber immerhin großes - Sicherheitsunternehmen als Geschäftsfiihrer und als Gesellschafter dahin zu bringen, wo ich glaubte, dass es als Unternehmen eigentlich stehen müsse. In meinen Augen handelte es sich um die Aufgabe, eine hervorragende Dienstleistung zu erbringen und dies auf dem Stand einer aufgabenangepassten Qualifikation des Personals. Zwischenzeitlich habe ich mich aus dieser Branche zurückgezogen und fiihre nur noch die Stiftung für Kriminalprävention GmbH mit ihrer Tochtergesellschaft, deren Einrichtung wegen des erfolgreichen ,,Zwischensteps" in eben diesem fiüheren konkursreifen und dann hinterher außerordentlich werthaltigen Unternehmen möglich war.

I. Vorbemerkung Die Thematik Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit will ich mit einem Fragezeichen versehen, weil es nach meiner festen Überzeugung zu kurz greifen würde, wenn man nur die einzelnen Tätigkeitsfelder dieses privaten Sicherheitsgewerbes durchgeht und sich jeweils fragt, ob die einzelne Tätigkeit kriminalpräventiv ist. Ich habe vor fünf Jahren einen Beitrag in der Loseblattsammlung zur Kriminalprävention geschrieben und dort aus voller Überzeugung die Meinung vertreten, die kriminalpräventive Reichweite des priva-

* Der Beitrag beruht auf einer Mitschrift des Vortrags; er wurde ftir die Schriftfassung überarbeitet.

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ten Sicherheitsgewerbes sei außerordentlich begrenzt und vor allem zufallig und nicht vordergründig angestrebt. Ich bin im Prinzip auch heute noch dieser Auffassung. Allerdings haben sich unterschiedliche Rahmenbedingungen verändert, und ich glaube deshalb, dass private Sicherheitsunternehmen oder das private Sicherheitsgewerbe durchaus eine gesellschaftlich gewollte Chance haben, sich an diesem "Prozess Kriminalprävention" - und ich meine bewusst, das ist ein Prozess - zu beteiligen. Eines allerdings kann ich aus meiner Erfahrung sowohl im Umgang mit der Polizei, aber auch als Verantwortlicher fiir die Steuerung eines solchen Unternehmens und der Daseinsvorsorge fiir 1000 Mitarbeiter als im Vordergrund stehend festhalten: "profit is opinion". Allerdings gilt es, über den Begriff "profitabel" nachzudenken, weil man profitabel nicht nur in einem wirtschaftlichen Sinn verstehen kann, sondern auch in seinem gesellschaftlichen, d.h. ein Unternehmen, das sich gesellschaftlich engagiert, kann mit seinem Beitrag einen Gesamtprozess begleiten oder vielleicht sogar beeinflussen. Ein zweiter Punkt steht ebenso fest: "cash is fact". Am Ende des Tages muss noch Geld übrig bleiben, denn ohne dieses Geld lässt sich auch kein gesellschaftliches Engagement darstellen. Ich möchte, dass dies von vomeherein klar ist, damit erst gar nicht der Eindruck entsteht, ich wollte über diese Branche einen Heiligenschein setzen. Die Unternehmen sind nicht aus reiner gesellschaftlicher Verantwortung bemüht, sich an diesem Prozess Kriminalprävention zu beteiligen. Sie sind es nicht vordergründig aus mildtätigen Gründen, sondern weil sie damit rechnen, mit solchem Engagement Geld zu verdienen, und ich denke, das ist auch richtig und gewollt. Das einzig Unseriöse wäre, das zu verschweigen oder gar abzustreiten. Meiner Auffassung nach ist dieses Anliegen auch durchaus berechtigt und in Ordnung. Im folgenden habe ich mich bemüht, jeweils ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, in denen Kriminalprävention heute stattfindet, zu werfen. Sie finden formuliert, was meinen aktuellen Eindruck von dem, was dort passiert, wiedergibt. Ich werde versuchen, nicht etwa zu begründen, sondern anband einiger Kriterien nur herzuleiten, wie ich denn auf diese Faktoren gekommen bin und ich werde dann am Schluss drei oder vier Dinge postulieren, von denen ich glaube, sie seien notwendig. Insofern ist meine Meinung, wie ich eben schon festgestellt hatte, nicht sonderlich anders als vor fiinf Jahren. Ich bin immer noch der Auffassung, privates Sicherheitsgewerbe kann einen Beitrag zur Kriminalprävention leisten. Es gibt dazu allerdings Voraussetzungen, von denen ich glaube, dass sie mehr oder weniger erfüllt werden können. Wir brauchen gesellschaftlichen Konsens und politischen Willen. Ich werde darauf später noch eingehen. Wir brauchen auf jeden Fall eine gesetzliche Normierung, denn wir müssen beschreiben, in welchem Rahmen wer welche Kompetenzen hat. Wenn man

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den Markt komplett öffnen würde, dann würden die Unternehmen so oft wie sie können und so billig wie es ihnen möglich ist, tätig werden und so viel Geld verdienen, wie es eben geht. Ich denke, das Spiel der freien Kräfte bedarf der behutsamen Reglementierung, aber das sehen einige verantwortliche Unternehmen und Berufsverbände genauso. Überdies ist wichtig, dass bei Einbeziehung des Sicherheitsgewerbes in den Kontext der Kriminalprävention die Aktivitäten abgestimmt sein müssen. Dies muss nicht zwingend auf einer großen strategischen Ebene geschehen - wenn, dann möglicherweise zusätzlich -, sondern primär müssen die Aktivitäten auf lokaler Ebene, da wo sie stattfmden, abgestimmt werden. Ansonsten werden sie nur zufallig Nutzen und kriminalpräventive Reichweite entwickeln. Strategische und operative Qualifizierungsvorleistungen dafür muss das Gewerbe erbringen. Denn unglücklicherweise ist es so, dass dieses Gewerbe bisher ein Nachfragegewerbe war, d.h. man reagierte auf jede Neuerung, die sich abzeichnete. Im wesentlichen sind dabei die Outsourcing-Wellen zu nennen, die durch die Unternehmensberatungen unter dem Blickwinkel forciert würden, fiir die Wirtschaft durch Einsatz des Personals von Sicherheitsunternehmen Geld sparen zu können. Die Realität sah aber nicht so aus, dass die Sicherheitsunternehmen dieses Personal vorgehalten haben, um dann auf die Unternehmensberater reagieren zu können. Das geschah erst in dem Moment, in dem der Kunde mit seinem Auftrag "drohte", also absolut reaktiv. Die Lehre, die daraus zu ziehen wäre, ist die, dass es fiir ein Sicherheitsunternehmen gilt, einen vernünftigen kontinuierlichen Verbesserungsprozess intern zu organisieren. Dabei gilt als Ziel, aus dem, was sie tun, ständig zu lernen und dies geradezu prozesshart zu institutionalisieren. Ansonsten kann das jeweilige Unternehmen an diesem Prozess gar nicht teilhaben, sondern es begleitet ihn einfach nur körperlich, aber nicht zielorientiert durch die Verrichtung von Aufgaben. Die kriminalpräventive Wirkung wäre damit eher zufallig, also auch überhaupt nicht vermeidbar. Ein Beispiel fiir eine solche Wirkung ist, wenn ein "Streifenwagen" des privaten Sicherheitsgewerbes durch die Stadt fahrt. Dabei ist nicht auszuschließen, dass dies eine Wirkung ausübt, die u.U. sogar strukturverschlechternd fiir die Tatgelegenheit eines potentiellen Täters ist. Dies ist aber eben nur eine zufallige Wirkung und mir zu wenig. II. Rahmenbedingungen privatwirtschaftlicher Kriminalprävention

1. Gesellschaftliches Umfeld

Wenn wir zunächst einmal das gesellschaftliche Umfeld betrachten und zur Kenntnis nehmen, dass wir seit 10 Jahren den wachsenden Wunsch einer mehr oder weniger entschlossenen Bevölkerung feststellen müssen, sich auf lokaler oder noch weiter heruntergebrochener Quartiersebene an der Gestaltung von

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Rahmenbedingungen zu beteiligen, dann ist dies sicherlich zum einen Zeitgeist, zum anderen aber auch so etwas wie "Glokalisienmg", wie wir sie in unseren Studien in der Stiftung beschrieben haben. Mit Glokalisierung wird das Ohnmachtsverständnis des Bürgers beschrieben, das aus dem Gefiihl resultiert, die Strukturen über sein Wohnquartier hinaus nicht beeinflussen zu können. Der Bürger versteht nicht einmal richtig, was in der globalen Welt stattfmdet, aber er nimmt zur Kenntnis, dass es mit oder ohne ihn geschieht. Auf der anderen Seite sieht er eine große Chance, vor Ort etwas beeinflussen zu können, und das will er auch (nicht jeder, aber viele wollen das). Wenn man von diesen Erkenntnissen ausgehend, die in Untersuchungen aus jüngster Zeit (die u.a. von uns in den Jahren 2000 und 2001 durchgeführt wurden) und die durchaus wissenschaftlich abgesichert sind, den Blick in unsere Welt wendet, kann man sich Gedanken darüber machen, wie eigentlich die Führer der unterschiedlichen Nationen wollen, dass unsere Welt zukünftig aussieht. Den besten Eindruck bekommt man davon, indem man in die Agenda 21 schaut. Dieses Papier, das auf der Ebene der Vereinten Nationen verabschiedet worden ist. beschreibt, wie man sich die Welt in 10, 15, 20 Jahren vorstellt. Diese Vorstellung ist dort außerordentlich spannend zu lesen, methodisch gut strukturiert und aufgebaut, und es geht dabei nicht nur um ökologische Themen. Vielmehr wird deutlich, dass der ganze Agendaprozeß als ein von unten nach oben gesteuerter vorgesehen ist. Das spricht dafür, dass die Bevölkerung sich an der Strukturierung beteiligen und in sie einbringen soll und zwar konkret in die individuelle Strukturierung ihres Wohnquartiers. Bezugnehmend auf den gestrigen Vortrag verwundert es also nicht, dass Rechtsverordnungen auf lokaler Ebene heute durchaus ein "Renner" sind. Dies ist auch in Zukunft zu erwarten. Es wird so weitergehen, dass man individuell vor Ort Regelungen trifft, die auch nur dort umgesetzt werden und nur dort Gültigkeit haben, wo Bürger sich daran beteiligen. Die Agenda 21 spricht im Detail eigentlich nicht von Sicherheit, aber Folgeveranstaltungen wie Habitat li und Urban 21, zuletzt im Jahr 2000 in Berlin, treffen zu diesem Bereich zumindest die Aussage, dass Verunsicherung und gesellschaftlicher Verfall bekämpft und verhindert werden müssen. Daraus ergibt sich sehr deutlich, dass es kein Sicherheitsmonopol gibt. Zwar existiert ein Gewaltrnonopol, worauf noch näher einzugehen sein wird, aber Sicherheit zu gewährleisten, wird als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen und die einzelnen Staaten haben zu bestimmen, wie weit sie sich hoheitlich in diese Gewährleistung mit einbeziehen.

2. Rechtliches Umfeld

Im rechtlichen Umfeld führt dieser Schwenk zu einer Gegenüberstellung Sicherheitsmonopol versus GewaltmonopoL Ich denke, zumindest in Deutsch-

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land besteht kein Zweifel daran, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt, und ich bin der festen Überzeugung, dass dies auch so bleiben soll und private Sicherheitsuntemehrnen diesen Bereich nicht tangieren. Die Ausübung des Gewaltmonopols ist geradezu eine unabdingbare Voraussetzung dafür, Sicherheit zu gewährleisten - nicht Sicherheit zu schaffen, aber den Boden dafür zu bereiten, dass Sicherheit überhaupt stattfmden kann. Insofern liegt zwar das Gewaltmonopol, nicht aber das Sicherheitsmonopol beim Staat. Aus dem Subsidiaritätsprinzip lässt sich eindeutig ableiten, dass jeder zunächst selbst nach Kräften Daseins- (also auch Sicherheits-)vorsorge betreiben muss. Gleiches gilt auch für Unternehmen, die safety und security anbieten, und dazu können Technik und/oder Personal beschafft und eingekauft werden. Die Bürger wollen das nicht nur, sondern sie sind auch bereit, tatsächlich aktiv rnitzugestalten. Sicherlich auch darauf beruhend, existiert die Gewerbefreiheit, die in § 34a GewO i.V.m. der BewachVO für das Sicherheitsgewerbe ihre rechtliche Ausgestaltung fmdet. Das bedeutet, dass private Sicherheitsunternehmen das, was der Bürger/Unternehmer nicht selber tun will oder kann, für ihn im Auftrag durchführen dürfen. Klassisch passiert dies vor allem im Bereich des sogenannten Werkschutzes. Im privaten Bereich existieren - unabhängig von personaleinsatzorientierten Dienstleistungen - technische Einrichtungen, die zunehmend von der Bevölkerung genutzt werden, um sich selber zu schützen, um subjektive oder auch objektive Sicherheit zu gewährleisten. Dabei gilt, dass Rechtsgrundlage für Grundrechtseingriffe ausschließlich Notwehr und-hilferechte sind, wenn und soweit bzw. solange staatliche Hilfe nicht direkt verfügbar ist. Der Grund dafür ist die Vermeidung von Faustrecht, der Primat der staatlichen Gewalt oder besser das .,Grundrechtseingriffmonopol". Die etwas unglückliche Situation ist momentan dadurch gekennzeichnet, dass der Staat - vertreten durch unterschiedliche Organisationen wie Polizei und Konununalverwaltung, aber auch und insbesondere die gestern schon skizzierten Sonderpolizeien - sich von seiner Allzuständigkeit noch nicht so ganz verabschiedet hat. Dabei ninunt er eben nicht nur Sicherheitsaufgaben oberhalb der Eingriffsschwelle z. B. gegenüber Grundrechten wahr, sondern führt auch unterhalb dieser Schwelle Maßnahmen durch. Grundsätzlich bestehen dagegen keine Einwände, wenn dies nicht so weit geht, dass der Staat tun bzw. lassen kann, was er will. Die Politik hat es dabei in der Hand, das sehr weitgehende Entschließungs- und Auswahlermessen des Staates zu begrenzen. Im Moment existiert noch die Situation, dass es Aufgaben gibt, die nur der Staat wahrnehmen kann, beispielsweise die Überwachung des fließenden Verkehrs. 3. Politisches Umfeld Das politische Umfeld gestaltet sich relativ einfach. Während wir bis in die siebziger Jahre noch den Trend hatten (insbesondere in den südlich gelegenen Bundesländern), nach allen Aufgaben zu suchen, die irgendwie noch der Poli-

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zei zugeordnet werden konnten, haben wir - sicherlich nur aus Gründen des Kostendrucks bzw. der Haushaltsbeschränkungen und nicht aus höherer Staatserkenntnis heraus - nunmehr den Trend, auf alles das zu verzichten, was nicht mehr "Kernkompetenz" ist bzw. sein soll. Somit wird nun nach der Kernkompetenz derjenigen Organisation gesucht, die vorher alles an sich gezogen hatte. In diesem Denken bleibt nicht mehr sehr viel übrig von den ursprünglichen Kompetenzen. Beim Nachdenken über Verkehrsunfallsaufnahmen stellt man z. B. fest, das sei nicht Kernkompetenz, und das könnten die Privaten übernehmen. Dabei bestehen auch noch keine Bedenken. Man muss sich allerdings über mögliche Entwicklungen im klaren sein. Wenn man z. B. darüber nachdenkt, Private fiir die Spurensicherung am Tatort einzusetzen, weil dies keine Kernkompetenz mehr darstellen soll, dann ist der Schritt zum weiteren Einsatz auch bei Kapitalverbrechen mit dem erworbenen Wissen und der Erfahrung auch kein großer mehr. Dies könnte dann auch noch mit der Begründung geschehen, dass sich die Polizei nur auf ihre Kernaufgaben zurückziehen können soll und den Rest die Privaten wahrnehmen (nicht unbedingt, weil diese das wollen, sondern weil es als Restaufgabe "frei" vergeben wird). An diesem kurzen Ausflug kann man bemerken, dass ich die Argumentation, die von politischer und nicht von fachlicher Seite der Polizeiorganisation angestrengt wird, fiir außerordentlich gefährlich halte. Sie führt nämlich eher zu einer zufälligen und nicht zu einer strukturierten (Fremd-)Vergabe unterschiedlicher Aufgaben, wovor zu warnen ist. Vorher ist nämlich ein Konsens darüber zu finden welche Aufgaben die Privaten übernehmen könnten und wie dies geschehen soll. Die Verteilung nach dem Prinzip, was sich gerade noch politisch vertreten lässt, ist grundsätzlich abzulehnen, da die Privaten natürlich all' das an Aufgaben übernehmen, was erforderlich ist, denn damit verdienen sie Geld. Die politischen Lösungen sehen z.Zt. so aus, dass eine Verlagerung in andere Ressorts erfolgt, wie man dies z. B. schon seit vielen Jahren beim ruhenden Verkehr beobachten kann. Dessen Überwachung gehört nicht mehr zu den gesetzlich vorgegebenen Kernaufgaben. Es zeichnet sich eine Entwicklung ab, dass auch die Regelung des fließenden Verkehrs u.U. auf die Privaten verlagert werden, also auch nicht mehr zu den Kernaufgaben gehören soll. Momentan steht bei dieser Überlegung der § 26 StVG noch ein bisschen im Weg, aber eigentlich geht es faktisch auch schon nicht mehr um eine Kernaufgabe. Bei der Inanspruchnahme privater Dienste, deren Grenzen sich allein aus den gesetzlichen Aufgabenzuweisungen ergeben, existieren als Krücken die Beleihung und/oder die Arbeitnehrnerüberlassung, wobei aber immer der begrenzte Einfluss und die begrenzte Zeit zu berücksichtigen sind. Im Moment existieren noch solche Grenzen aus den gesetzlichen Rahmenbedingungen, aber Gesetze können geändert und damit auch Grenzen anders gezogen werden. Ich stimme Herrn Bebrendes ausdrücklich darin zu, wenn er fordert, dass erst einmal die Gesetze geändert werden müssen und man erst dann darüber nachdenken kann, wie die faktische Umsetzung aussehen soll und was der Staat alles nicht mehr selbst erledigen soll.

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In diesem politischen Umfeld sind die Sicherheits- und Ordnungspartnerschaften Lösungen gewesen, Aufgaben in unterschiedlicher organisatorischer Kompetenz wahrzunehmen. Dabei liegt noch keine wirkliche Ausgliederung, sondern nur eine Beteiligung vor. Grundsätzlich handelt es sich dabei um die Zusanunenarbeit von öffentlichen und privaten Sicherheitsorganisationen, die politisch und fachlich abgestimmt zusammenarbeiten. Ich denke, dass dieser Weg sicherlich der richtige ist, weil er strukturiert bzw. jedenfalls vor Ort strukturierbar ist und deshalb besser ist, als die zufällige Auswahl von irgendwelchen Aufgaben, die zu privatisieren sind und den jeweils lokal Verantwortlichen in den Kopf kommen. Wir haben allerdings gerade im Bereich der Sicherheits- und Ordnungspartnerschaft Probleme mit dem Wettbewerbsrecht zu lösen. Diese liegen vor allem in der Bestimmung des Partner-Unternehmens, also wer, warum und welche Unternehmen als Partner in Betracht kommen und wenn noch ein anders hinzukommen soll, ob dies möglich ist. Zusätzlich existiert nach wie vor das Problem der Qualifizierung dieser Partner, wobei die Lösung denkbar wäre, die mögliche Partnerschaft an QualifiZierungs-Voraussetzungen zu knüpfen. Ein weiteres Thema ist der Datenschutz. Den Privaten können prozessimmanent im Rahmen der Zusanunenarbeit Informationen zuteil werden, welche sie vielleicht gar nicht haben wollen, deren Weitergabe indes rechtlich verboten ist. Dieses Problem ließe sich organisatorisch lösen. Ein wichtiges Problem bei gemeinsamen Verrichtungen privater und hoheitlicher Stellen sind wohl die Eingriffsbefugnisse. Dabei könnte man jedoch trennen zwischen Eingriffsbefugnissen und der Teilhabe daran, wobei Erngriffsbefugnisse - egal ab welcher Schwelle - nicht auf Private übertragbar sind. Man wäre dann wieder im Bereich Gewaltmonopol Ein Seminar der Polizeifiihrungsakademie aus dem Jahr 2000, bei dem auch einige der hier anwesenden Referierenden mitgewirkt haben, und der Bericht darüber lieferten einen hervorragenden Überblick über die unterschiedlichen Aspekte der neuen Organisationsform "Ordnungspartnerschaft"; sie beleuchten die unterschiedlichen Aspekte. 4. Unternehmerisches Umfeld

Als nächstes ist zu untersuchen, wie sich das unternehmensehe Umfeld des privaten Sicherheitsgewerbes darstellt. Zunächst muss man feststellen, dass es nachgewiesenermaßen seit drei Jahren nicht mehr boomt. Das liegt ganz einfach daran, dass die Nachfrage zurückgegangen ist, weil die wesentlichen Dinge "outgesourct" sind. Der Outsourcingprozess ist abgeschlossen. Der politische Wille zur Vergabe öffentlicher Aufgaben an Private ist groß, aber noch nicht in nennenswertem Umfang realisiert. Wir erleben überdies, dass es in der

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Wirtschaft wieder Re-Insourcingprozesse gibt, d.h., dass Unternehmen rückblickend feststellen, dass sie mit dem Outsourcing falsche Entscheidungen getroffen haben. Ansatz fiir die Entscheidung des Outsourcing ist nicht der zu erwartende Qualitätseffekt, sondern vor allem der zu erwartende Kosteneinspareffekt. Wenn also ein Weltunternehmen den billigsten Anbieter wählt, weil es Kosten sparen will, so geschieht das Outsourcing nur aus diesem Grund. Wenn dabei Probleme entstehen, greift man auf den zweit- und drittbilligsten Anbieter zurück und stellt fest, dass man von den Problemen genug hat und es lieber wieder so handhabt wie früher. Dabei liegen mit Sicherheit Entscheidungsfehler einerseits und andererseits Fehler in der Kommunikation mit dem jeweiligen Dienstleister zugrunde. Die Folge davon sind eben dann ReInsourcingprozesse. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Eingangsqualifikation bei den Privaten praktisch nicht vorhanden ist. § 34a GewO schreibt zwar im Zusammenhang mit der Bewachungsverordnung einen dreitägigen Kurs vor, der allerdings - mit Verlaub gesagt - unterhalb der Schwelle dessen angesiedelt ist, was jemand wissen muss, der eine Kneipe aufmachen will. Eine Eingangsqualifikation möchte ich damit nicht unbedingt verbunden sehen. Das einzige, was damit erreicht wird, ist, dass die Teilnehmer zumindest wesentliche Begriffe zur Kenntnis nehmen, die ihnen hinterher auch im praktischen Dienst begegnen. Darin liegt dann aber wohl auch der einzige Nutzeffekt des Kurses, so dass man von Eingangsqualifikation wohl kaum sprechen kann. Eine Gesetzesnovellierung wird nach meiner Prognose fiir diesen Bereich auch wenig verändern, sondern im wesentlichen die Tätigkeiten im öffentlichen Bereich erfassen, die - wie wir gleich sehen werden - relativ gering sind, wobei insoweit zumindest eine leichte Veränderung in Sicht ist. Ein weiteres grundsätzliches Problem im Unternehmerischen Umfeld liegt darin, dass man auf der Suche nach jemandem, der eine Aufgabe übernehmen kann, zwar Sicherheitsunternehmen findet, die dazu kompetent sind, es dort aber noch nicht einen Mann gibt, der die Aufgabe erfiillen kann. Erst, wenn der Auftrag da ist, wird Personal eingestellt und sollte dann auch qualifiziert werden. Regelmäßig geschieht eine Qualifizierung bei solchen öffentlichen Aufgaben von den Vergebenden oder zumindest unter deren fachlicher Leitung. Begründet liegt dies darin, dass die Sicherheitsunternehmen nicht die Kompetenz haben, ihren Mitarbeitern etwas beizubringen, mit dem sie vorher noch nicht befasst waren. Dies wird also vom öffentlichen Kunden übernommen, wobei das nichts Böses darstellt und auch von meiner Seite nicht beanstandet wird. Es existieren keine omnipotenten Sicherheitsunternehmen; es gibt allenfalls eine Hand voll, die sich inhaltlich und strategisch auf solche Strukturen vorbereiten. Aber auch diese haben nicht I 0 bis 20 Leute da sitzen, die von heute auf morgen staatliche Aufgaben übernehmen können. Darüber muss man sich im klaren sein, wenn man seriös betrachten will, welchen Beitrag die Privaten denn

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leisten können. Sie können einen Beitrag leisten, aber eben mit unterschiedlichen Phasen. Greift man eine Einzelerfahrung in Frankfurt heraus, dann hat die Stadt Frankfurt dort Aufgaben insbesondere im Bereich ruhender Verkehr ausgegliedert und sie war wohl weder mit dem wirtschaftlichen noch mit dem fachlichen Ergebnis so zufrieden, wie sie es eigentlich sein wollte. Die Qualität hatte nachgelassen, die Kosten stiegen, und das Projekt wurde nach ca. 2 Y:z bis 3 Jahren wieder beendet. Auch das ist ein Zeichen fiir Re-lnsourcingprozesse. Was mich an diesem Vorgang begeistert, ist, dass man offensichtlich im kommunalen Bereich kurzfristig in der Lage ist, solche Entscheidungen zu treffen. 5. Der Sicherheitsmarkt

Es schließt sich die Frage an, wie in dem unternehmefischen Umfeld der Sicherheitsmarkt aussieht. Nach der aktuellen Datenlage existieren im Sicherheitsmarkt 2100 registrierte Unternehmen mit 140.000 bis 145.000 Mitarbeitern. Der Umsatz liegt bei ca. 4,5 Mrd. DM. Diese Zahlen gilt es in der Diskussion nun in das Verhältnis zur Polizeistärke zu setzen. Zur Kenntnis genommen werden muss dabei, dass 97% dieses Umsatzes nicht im öffentlichen Raum stattfmden, also die Unternehmen hauptsächlich mit Aufgaben beschäftigt sind, die niemals von der Polizei oder anderen öffentlichen Aufgabenträgem wahrgenommen worden waren. Dabei handelt es sich primär um Werkschutzaufgaben und das vor allem deswegen, weil das eigentliche Werkschutzpersonal des Unternehmens diese Aufgabe nicht mehr wahrnimmt, sondern das Unternehmen outgesourct hat. Das war auch der wesentliche Grund fiir den Boom der Branche und nicht der, dass es Sicherheitsprobleme in Deutschland gegeben hätte, fiir deren Lösung man die Privaten benötigt hätte. Diese drei Prozent sind offensichtlich Anlass genug, heftige Diskussionen zu fuhren, und ich halte diesen Anlass auch fiir tragfähig genug. Denn auch wenn es quantitativ noch wenig ist, könnte es erhebliche Auswirkungen nicht nur fiir das Gewerbe (dieses erschließt sich neue Märkte) , sondern ebenso unter dem Gesichtspunkt eines sehr individuellen Beitrages dieses Gewerbezweiges fiir die Entwicklung des "Prozesses Kriminalprävention" haben.

m. Voraussetzungen und Lösungsansätze Auf die Frage "Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit?" möchte ich im Prinzip gerne mit ja antworten. Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass das funktionieren kann. Allerdings deshalb nur im Prinzip ja, weil es einige Voraussetzungen gibt, die ich in meinem Eingangsstatement kurz pointiert hatte und die ich nun ein bisschen differenzierter darstellen möchte.

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Die Betrachtung basiert auf den eben beschriebenen Umfeldbedingungen, wobei diese nur schlaglichtartig als die interessantesten ausgesucht waren.

1. Qualifikation

Private Sicherheitsdienstleister müssen qualifizieren. Diese Qualifizierung muss auf allen Ebenen erfolgen. Man kann in den Qualifizierungsdiskussionen nicht darin verharren zu postulieren, die operativ eingesetzten Mitarbeiter seien zu gering qualifiziert. Man muss sowohl über die mittlere Management-Ebene als auch über die Top-Management-Ebene nachdenken. Die PFA mit ihrem Weg zur offenen Hochschulkompetenz ist beispielsweise eine geeignete Organisation, strategische Seminare fiir das Top-ManagementLevel anzubieten. Ansätze dazu gibt es bereits heute. Für die mittlere Managementebene ist von der Stiftung Kriminalprävention vor sechs Jahren initiiert und fachlich vorbereitet und seit drei Jahren realisiert und begleitet die Einrichtung eines sogenannten Kontaktstudienganges "Security Management" an der Verwaltungsfachhochschule Kiel-Altenholz, Fachbereich Polizei, Zielgruppe mittleres Management. In einer solchen Umsetzung von Bildungsangeboten fl.ir Private kommt dann auch die gesellschaftliche Aufgabe der Polizei zum Tragen. Denn das notwendige Wissen ist im Moment bei der Polizei gebündelt, weil diese sich bereits aus der geschichtlichen Entwicklung heraus mit der Thematik Kriminalprävention beschäftigt hat und fiir die Sicherheit in Deutschland sorgt. Das Wissen ist im wesentlichen bei den Aus- und Fortbildungsorganisationen der Sicherheitsbehörden vorhanden und darum sind diese in der Pflicht, ihr Wissen organisiert weiterzugeben. Dies setzt Bezahlung voraus, weil es keine kostenlose Dienstleistung sein kann, mit der die Dienstleister anschließend wieder Geld verdienen können. Zu vermitteln ist nach dem Prinzip "Profit gegen Profit" mit der Folge, dass auch der Kontaktstudiengang bezahlt werden muss. Nach meiner Kenntnis gibt es fiir die mittlere Managementebene keine umfassendere und komplexere Einweisung in die Gesamtthematik, als an der Fachhochschule in Kiel-Altenholz. Dieser Ansatz wäre fiir das Top-Management übertragbar. Auf der reinen Arbeitsebene muss allerdings die strukturierte und komplexe Ausbildung in den Hintergrund treten. Hier kann es sowohl unter dem Gesichtpunkt des Profits als auch unter dem Gesichtspunkt der Tätigkeiten nur richtig sein, die Arbeitskräfte jeweils zielgerichtet, auftragsvorbereitend und auftragsbezogen fl.ir den Bereich zu qualifizieren, in dem gearbeitet werden soll. In der Wirtschaft kann sich keiner eine Überqualifizierung oder eine Reservequalifikation leisten. Bei der Polizei können ja auch Dinge, von denen noch ungewiss ist, ob sie jemals Realität werden, Bestandteil der Ausbildung sein. Dies kann sich die freie Wirtschaft - jedenfalls im Moment - nicht erlauben. In diesem

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Bereich ist es viel wichtiger, ein gewisses Maß an Grundlagenwissen zu erwerben, das nicht so komplex ist und eher eine verrichtungsbezogene Qualifikation darstellt. 2. Gesetzliche Regelungen

Für die Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit ist ein Rahmengesetz erforderlich, worüber wohl weitgehend Einigkeit besteht. Es ist nur die Frage, wie dieses konkret aussehen soll, und in diesem Zusammenhang wird bereits darüber gestritten, wer überhaupt etwas in welcher Form dazu sagen darf. Das Thema Sicherheit leidet darunter, dass jeder Fachmann ist. Wenn man im privaten Umfeld das Thema Sicherheit anspricht, hat man nur Fachleute um sich herum sitzen, was ein erheblicher Nachteil der Bearbeitung dieses Themas ist. Die Notwendigkeit eines Rahmengesetzes wird damit aber nicht in Frage gestellt und dabei ist wichtig, im Auge zu behalten, dass man an der Zuständigkeit des Ressorts Wirtschaft nichts verändern kann und auch nicht sollte, weil es sich nun mal um Gewerbeunternehmen handelt. Wichtig ist auch, dass diejenigen, die zukünftig hoheitlich (wenn auch "schlicht hoheitlich") wahrzunehmende Aufgaben vergeben, beschreiben müssen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen diese vergeben werden. Zusätzlich sollte bestimmt werden, welche Qualifikation sowohl von den Mitarbeitern des Unternehmens als auch von den Unternehmen selbst eingefordert wird. Rechtssystematisch ist das meiner Ansicht nach gar nicht in einem Sicherheitsgesetz, sondern nur dezentral von denjenigen Ressorts zu lösen, die jeweils entschlossen sind, Aufgaben auszugliedern. Die Spezialverordnungen, die dann erlassen werden könnten, würden die Qualifikationsvoraussetzungen für Organisation, Prozess, Management, Arbeitsebene sowie die Bestimmung von Kontrollorganen und Sanktionen bei Verstößen enthalten, wobei der letzte Punkt von überragender Wichtigkeit wäre. Die Reglementierung allein reicht nicht aus, man muss diese ggf. durchsetzen können, auch wenn dies vielleicht nicht so der Idee des Wirtschaftsministeriums entspricht. Dort herrscht offensichtlich die Vorstellung, man müsse dafür sorgen, dass das oberste Ziel des Bundeskanzlers, nämlich Arbeitsplätze zu schaffen, erreicht wird und dies nur der Fall sein wird, wenn die Eingangsqualifikationen in diesem Gewerbe nicht mutwillig hochgesetzt werden. In diesem Gewerbe werde, so meint man wohl, eine bestimmte Klientel von nicht so "high-qualified-Angestellten" angesprochen, und diese müssten irgendwo eingesetzt werden, was die politisch nicht ganz unproblematische Situation verdeutlicht. Schließlich müssen im Rahmen der gesetzlichen Regelungen auf den unterschiedlichen Rechtsebenen die Aufgaben und Pflichten sowie die unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit mit öffentlichen Einrichtungen bzw. Behörden (insbesondere der Polizei) defmiert und festgelegt werden.

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Klaus Stüllenberg 3. Vergaberichtlinien!Vergabeverfahren

Um die Kriminalprävention durch privatwirtschaftliche Tätigkeit zu ermöglichen, müssen die Vergaberichtlinien verändert werden, worauf hier nur kurz eingegangen werden soll. Derzeit vergibt die öffentliche Hand nach dem Prinzip des billigsten Angebots, obwohl sie den preiswürdigsten Anbieter auswählen könnte. Das kann nicht richtig sein, und an dieser Stelle greift der schöne amerikanische Spruch "You get what you pay for". Allerdings fällt es ohne Kriterien auch schwer, vor Erbringen der Leistung den Anbieter zu messen. Insofern gilt es, konkrete Vergabe- und Prüfkriterien auf gesetzlicher Grundlage zu entwickeln und anzuwenden. Gleichzeitig müssen eine Tarifanhindungspflicht der Anbieter ebenso festgeschrieben werden wie öffentliche Zuständigkeiten, Kontrollprozeduren und Sanktionen bei Verstößen.

4. Organisation der Akteursgruppen

Eine der wichtigsten Aufgaben ist das Identifizieren, Formieren, Moderieren und Agieren der Akteursgruppen, wozu vor allem Bürger, Wirtschaft und Industrie, Private Sicherheit, Verwaltung und Polizei zählen. Es sollte lokal bis auf die Quartiersebene eine gemeinsame Analyse, Priorisierung, Zielbeschreibung, Maßnahmenkonzeption, Umsetzung, Erfolgskontrolle und Anpassung durch die Akteursgruppen als kontinuierlicher Prozess erfolgen. Die strategische Lobbyisierung lokaler Aktivitäten erfolgt mit dem Ziel des Erfahrungsaustausches (Stichwort: "best practice"), der kriminalpolitischen Einflussnahme und zur Vermeidung der Durchsetzung von Einzelinteressen.

IV. Zusammenfassung In einen gesellschaftlichen Prozess "K.riminalprävention" muss und kann Private Sicherheit eingebunden werden. Eine Frage, auf die im Moment flir die Antwort noch große Ratlosigkeit herrscht, ist die, wer dazu was und wie organisiert. Eine Patentlösung flir die Frage nach der Organisation des Prozesses gibt es im Moment wohl noch nicht, wenn auch klar ist, dass strukturiert werden muss. Ein wesentlicher Wissensträger ist die Polizei; sie wird hier die Verantwortung zumindest des Wissenstransfers auf die übrigen Akteursgruppen wahrnehmen müssen. Die unterschiedlichen Akteursgruppen im Bereich Sicherheit (und dazu gehört nun mal heute auch der Bereich der privaten Sicherheit) müssen ihre Aufgaben im Netzwerk nicht zufällig, sondern gewollt und gezielt möglichst lokal zusammenbringen. Sowohl nach der Agenda 21 als auch im Sinne von Urban 21 muss der Prozess auf Quartiersebene stattfmden und sich dann "nach oben" entwickeln. In der heutigen Bürgergesellschaft erscheint es demnach unmöglich, den ,,Prozess K.riminalprävention" von oben

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nach unten zu organisieren, weil die Bevölkerung dies nicht mittragen würde. Die strategische Lobbyisierung könnte dazu beitragen, einen Erfahrungsaustausch in Gang zu setzen, um kriminalpolitische Einflussnahmen zu organisieren und die Durchsetzung von Einzelinteressen zu vermeiden.

13 Pitschas

"Security Management" in der Wirtschaft am Beispiel eines global tätigen Unternehmens Von Michael Sorge I. Einleitung

Global agierende Wirtschaftsunternehmen befmden sich zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit seit Jahren in einem andauernden Anpassungsprozeß. Diesem Anpassungsprozeß sind nicht nur die Kerngeschäfte, sondern auch die flankierenden Dienstleistungsbereiche unterworfen. Hierzu gehört auch der Sicherheitsbereich, sprich Werkschutz. Daneben haben sich zusätzliche Aufgabenstellungen durch die neuen Technologien, moderne Kriminalitätsentwicklung, bis hin zur Abwehr technologisch geführter Spionageangriffe ergeben. Die heutigen Gefährdungen für ein Unternehmen sind unstrittig anders als vor 10 oder 20 Jahren. Informationen über hochwertige Produkte und Verfahren, Forschungs- und EntwicklungsKnow-how, dazugehörende Techniken und Fertigungskomponenten können nicht mehr wie bisher durch starre Werkschutzstrukturen geschützt werden. Dafür haben sich Täterstrukturen und Werte zu sehr verändert. Auch die weitere Internationalisierung und das damit verbundene Engagement in vielen Ländern der Erde wirft neue Sicherheitsfragen auf, die im Interesse des Unternehmens und seiner Mitarbeiter, die aus ihrem Mutterhaus in diese Länder entsandt werden, gelöst werden müssen. Die Gefahren für einen Global Player durch Kriminalität, Terrorismus und Extremismus sind nicht zu unterschätzen. In den letzten Jahren wurden weltweit zahlreiche Fälle von Entführungen von Mitarbeitern deutscher und europäischer Firmen bekannt. Gleiches gilt für zunehmende Aktivitäten von staatlichen Diensten im Bereich der Ausforschung von Weltunternehmen. II. Security-Struktur

Unter den heutigen Wettbewerbsbedingungen stellt sich auch die Frage nach der Kernkompetenz. Alles, was andere besser und billiger machen können, muss nicht in der eigenen Organisation abgebildet sein. Betriebswirtschaftlich

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ist es sinnvoller, diese Leistungen von Anderen zuzukaufen. Ausgründung oder Fremdvergabe ist die logische Konsequenz. Vor diesem Hintergrund haben sich viele Unternehmen die Frage gestellt, ob die Aufgabenstellung und -zuteilung mit den derzeitigen Werkschutzstrukturen noch zu bewältigen ist. Die Antwort fiel negativ aus, was dazu führte, dass in vielen global agierenden Unternehmen neue, effektive Sicherheitsstrukturen installiert wurden. Als eine der Möglichkeiten bietet sich folgende Konstellation an: Ein Sicherheitsbereich als strategische Einheit für das gesamte Unternehmen weltweit zuständig, angesiedelt am Headquater des Unternehmens, sowie eine operative Linie der Sicherheit an den einzelnen lokalen Standorten. Die lokale Linie betrifft insbesondere die Aufgaben von Werkschutz und Brandschutz. Dabei ist es durchaus sinnvoll, auch die Zusammenführung dieser Einheiten zu berücksichtigen, weil dies sowohl im Sinn von Effizienz als auch von Effektivität möglicherweise Vorteile bringt. In jedem Fall sind dabei die gültigen gesetzlichen Auflagen zu berücksichtigen. Welches sind nun die Aufgaben eines strategischen Sicherheitsbereiches? Solch eine Einheit sollte für alle Sicherheitsaufgaben unternehmensweit im Auftrag des Vorstandes und der Geschäftsbereiche verantwortlich sein. Sie bewertet die dem Unternehmen drohenden Gefahrenpotentiale, initiiert und koordiniert die Sicherheitsmaßnahmen und sie sorgt für deren Umsetzung und Einhaltung. Hierbei handelt es sich um Aufgaben, die wegen ihrer übergeordneten Bedeutung und aufgrundder Sensibilität des Themas eine größere Fachkompetenz und frrmenpolitisches Denken sowie einen vertrauensvollen und regelmäßigen Kontakt zu den Sicherheitsbehörden, Verbänden, Consultants und anderen Unternehmen erfordern (Security-Round-Table ). Ziel aller Maßnahmen und Aufgaben ist die Prävention und die Abwehr von Schäden für das Unternehmen und seiner Mitarbeiter und Kunden. Hierzu bedarf es einer klaren Sicherheitspolicy, um daran ein effizientes Sicherheitsmanagement auszurichten. Diese kaiUl defmiert werden als alle an den Unternehmenszielen ausgerichteten Sicherheitsstrategien und an unternehmensehe Prozesse angepasste Maßnahmen. Die, nennen wir_ es Unternehmenssicherheit, ist daher in die wesentlichen Entscheidungsprozesse der Unternehmensführung eingebunden und fungiert gleichzeitig als interne Schnittstelle zwischen Rechtsabteilung, Unternehmenskommunikation, Revision, Markenschutz und regionalen Betreuungsbereichen.

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Schnittstellenfunktion

\ -----::.

\

Regionale Betreuungsbereiche

1. Informationsweg· Das Vermeiden von Schäden setzt rechtzeitige und vollständige Informationen voraus. Dies gilt sowohl für den Weg von "oben" nach "unten" wie auch von Querschnittinformationen aus den o.g. Schnittstellen. Die Kommunikation gewährleistet ein frühzeitiges Erkennen von Problemen, denen dann rechtzeitig entgegen gesteuert werden kann. Für den Transport der Informationen ist eine dementsprechende Informationsstruktur weltweit erforderlich. In jeder Region, jedem Land und jedem Standort, an dem die Gesellschaft vertreten ist, sollten daher die SecurityAufgaben abgebildet sein.

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Informationswege

Gremien BebOrden

2

2. Auswertung

Notwendigerweise wird eine spezifische, tägliche Auswertung und Informationssammlung, hauptsächlich gespeist aus der Medienauswertung, den abonnierten Diensten, den Gesprächen mit Sicherheitsbehörden und Verbänden sowie den Gesprächen mit Führungskräften aus den Ländern mit hohem Gefährdungspotential betrieben. Diese Recherchen beziehen alle frei zugänglichen Quellen ein. Dabei nimmt die Auswertung der im Internet veröffentlichten Informationen eine herausragende Stellung ein. Ohne Internet-Auswertung ist heute eine effektive Informationsanalyse nicht mehr möglich, wobei die Schwerpunkte individuell bestimmt werden müssen. 3. Internet-Auswertung

Durch die Beobachtung von Chat-Räumen und Internetseiten z. B. von Tierbefreiern, Autonomen, Links- und Rechtsextremisten etc. können bereits frühzeitig Hinweise im Vorfeld von geplanten Aktionen und Kampagnen gegen ein Unternehmen gewonnen werden. Dies ist insofern wichtig, um geeignete Strategien zur Abwehr derartiger Angriffe entwickeln und Personal und Ressourcen vorhalten zu können. Erinnern möchte ich hierbei nur an die Aktionen mili-

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tanter Gentechnikgegner in England und Deutschland oder an die zunehmende Zahl von Kornmunikationsblockaden, die über das Internet organisiert werden. Alle Meldungen werden auf ihre Relevanz für das Unternehmen geprüft, aufbereitet und gezielt an denjenigen weitergeleitet, für den sie von Interesse sein könnten. Entscheidend dabei ist, das die Informationen kurz und präzise aufgearbeitet und gezielt übermittelt werden. Nur dann erfüllen sie auf Dauer ihren Informationszweck Die aufbereiteten Informationen werden im Inland den einzelnen lokalen Einheiten oder auch anderen Fachabteilungen sowie den Business Units, z. B. dem Marketing, zur Verfügung gestellt. Überregional erfolgt die Weitergabe an den Security-Verantwortlichen der entsprechenden Region, der letztlich über die Weitergabe an andere lokale Bereiche oder Security-Beauftragte entscheidet. Die lokalen Security-Beauftragten wie auch die der Regionen haben natürlich die Aufgabe, security-relevante Ereignisse und Entwicklungen für das Unternehmen in dringlichen Fällen umgehend an die zentrale Stelle zu melden.

4. Lagebeurteilungen Die Gesamtheit der Informationen fließt in ständige Lagebeurteilungen und Gefährdungsanalysen ein. Sie dient der Risikoidentifizierung und -klassiflzierung, woraus die Erstellung eines Kataloges möglicher Gegenmaßnahmen resultiert. Erkenntnisse und Empfehlungen werden den betroffenen Bereichen zur Verfügung gestellt. Sie dienen gleichfalls als Entscheidungsgrundlage zur Überprüfung bestehender Sicherheitsstrukturen und -maßnahmen in Risikoländern. Der langfristige Wissensaufbau und Informationsaustausch über bestimmte Länder und Regionen ist unabdingbar. Dazu gehören neben den Risikopotentialen auch Kenntnisse über politische, militärische, wirtschaftliche und soziokulturelle Zusammenhänge, religiöse und ethnische Gruppierungen sowie soziale Konflikte. Dieses Wissen ermöglicht es beispielsweise, Mitarbeiter und deren Familien vor der Entsendung in ein Risikoland sowie Geschäftsreisende vor der Ausreise über security-orientiertes V erhalten zu beraten. Da sie die dortigen Verhältnisse nicht genau kennen, werden sie in der Regel leichter Opfer einer Straftat. Gleiches gilt für die Durchführung von Sicherheitsmaßnahmen bei Konzertveranstaltungen oder Produkt-Events.

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5. Notfallmeldesystem

Integraler Bestandteil solch einer Struktur ist ein eigenständiges, konzernweites Notfall-Meldesystem bzw. Incident-Reporting-System, welches ftir alle Geschäftsbereiche und Beteiligungsgesellschaften im In- und Ausland verbindlich geregelt ist

Notfall-Melde-System

Leiter Krisenstab 3

Es ist ftir die Bewältigung eines breiten Spektrums von Krisensituationen konzipiert und soll die umgehende Information der entsprechenden Managementebenen umfassen, damit im Notfall angemessene Maßnahmen ergriffen und die negativen Folgen soweit wie möglich gering gehalten werden können. Schadensbegrenzung ist hier oberstes Gebot Meldepflichtige Ereignisse können in diesem Sinn beispielsweise sein: q

Größere Betriebsstörungen,

q

Unfalle mit Toten und Verletzten,

q

Umweltbeeinträchtigungen,

q

kriminelle Delikte,

q

Erpressung und Bedrohung von Mitarbeitern und Gesellschaft,

q

Kidnapping,

q

Know-how-Verlust

"Security Management" in der Wirtschaft

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Dem zu Folge ist der Betrieb einer Alarmzentrale, welche rund um die Uhr besetzt ist, erforderlich. Hierbei ist es egal, ob eine eigene oder andere unternehmensinterne Zentralen genutzt werden. Dabei kann auch auf eine vorhandene Zentrale zurückgegriffen werden, in welche diese spezifische Funktion integriert wird.

Beispiele für meldepflichtige Ereignisse

Schwere Unfälle mit Verletzten oder Toten

Know-how-Verlust

6. Konzernkrisenstab

Direkt hinter dem Notfall-Meldesystem steht eine Organisation des Krisenstabs, sowie die Einbindung eines Task-Force-Teams des Sicherheitsbereichs. Eine mögliche Form des Konzernkrisenstabes könnte sein: Vorstandsmitglied Rechtsabteilung Öffentlichkeitsarbeit Sicherheitsorganisation Betroffene Region Betroffene Business Unit.

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Konzernkrisenstab Vorstandsmitglied Rechtsabteilwtg Unternehmenskommunikation Sicherheitsorganisation betroffene Region

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betroffene Business Unit

Beratergruppe je nach. Sachlage

.-V.L..er_h_an-dl-:u-ng_s_gru____,R_J>e..., je nach

Sachlage

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111. Dienstleistungen und Schnittstellen

1. IK-Sicherheit und Projektplanung

In Zusammenarbeit mit der Fachabteilung für Informations- und Kommunikations-Sicherheit und der Konzernrevision erarbeitet die Sicherheitsorganisation Richtlinien und Regeln für die Informations-Sicherheit im Unternehmen und bringt spezifisches "Security-Wissen" ein. Darüber hinaus ist eine beratende Funktion in verschiedenen Gremien der IK-Sicherheit verbanden, die sich u. a. mit der Einführung neuer Technologien und der Anpassung an den Stand der Technik befassen. Dazu gehört auch die Beratung der Geschäftsbereiche, wenn es um die Ausstattung und Sicherung von Serverräumen, der physischen Sicherung von DV-Systemen oder der Sicherung der DV-Infrastruktur geht. Des weiteren überprüft die Sicherheitsorganisation - ggf. gemeinsam mit anderen Fachabteilungen, z. B. der Revision - präventiv die Einhaltung der Richtlinien der IK-Sicherheit. Die Prüfung bezieht sich auf den Schutz q

der Verfiigbarkeit,

q

der Manipulation und Verfälschung

"Security Management" in der Wirtschaft q

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sowie der Vertraulichkeit der Daten. Know-how-Abfluss und die Bestimmungen des Bundesdatenschutz-Gesetzes sind hier die Stichworte.

2. Ermittlungen

Wird ein Geschäftsbereich Opfer einer Straftat und ergibt sich daraus ein Errnittlungsbedarf, werden die Ermittlungen entweder in eigener Zuständigkeit oder in Zusammenarbeit mit Fachabteilungen, Rechtsabteilung oder Revision, zentral durchgeftihrt.

3. Veranstaltungsschutz

Bei Veranstaltungen mit Sicherheitsrelevanz werden Sicherungskonzepte erarbeitet und mit eigenem Personal, gegebenenfalls unter Einbeziehung von angemietetem Sicherheitspersonal, durchgeftihrt. Diesbezüglich finden regelmäßige Abstimmungen mit den Koordinatoren der Veranstaltungen statt.

4. Beratung und Betreuung

Standorte des Unternehmens in Risikoländern unterliegen einer besonderen intensiven Betreuung durch den Sicherheitsbereich des Konzerns und werden von Mitarbeitern der Abteilung regehnäßig oder aus besonderen Anlässen besucht. Hierbei werden Security-Audits ftir die Niederlassung bzw. ftir den Standort durchgeftihrt. Fragen zur physischen Absicherung gehören ebenso dazu wie die Bewertung des eigenen oder fremden Wachpersonals oder der persönliche Schutz der Expatriates. Die Ergebnisse werden schriftlich fixiert und in einer Handlungsliste erfasst, ftir deren Umsetzung ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben wird. Die Standorte haben die Umsetzung schriftlich mitzuteilen.

5. Technische Sicherheit/Beratung

Plant das Unternehmen neue Investitionen oder den Erwerb von Gebäuden oder Fabrikanlagen, bekommt die Sicherheitsorganisation Einsicht in die Un-

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Michael Sorge

terlagen, um Security relevante Schwachpunkte rechtzeitig erkennen und eine entsprechende Sicherheitsanalyse vornehmen zu können. Grundsätzlich erfolgt dort die technische Planung der Sicherheitsausstattung von sensiblen Objekten. Die Installation von Sicherheitseinrichtungen wird unter ihrer Aufsicht durchgeführt. Es versteht sich von selbst, dass die in Betracht gezogene Technik immer auf dem neuesten Stand und wirtschaftlich sein sollte. Um dies zu gewährleisten, sind umfangreiche Marktrecherchen erforderlich.

Aufgabenbeispiele elnel" strategischen Sicherheitsstruktur Gruppe Krlaonmanogomert KnsOOstab I Slctlerflettszontrel$ Gremenarbe t. Verbende u BellOschuffung u Auswertung I Benchtswosen

Gruppe Sonderallgoben IK-SKherflotl Know.how·Sthutz VeranstaltUngs. u. P..-scononschutz

Gruppe Ermittlungen KoCJ'dnation, An•tysen, Auswenuno ErmitUungen Konzern • At; Gruppe Slchorhelbttchnlken Techrische Berewng I Objekt Anaysen Marl4recherchen • Standards

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IV. Werkssicherheit Wie bereits in der Einleitung erwähnt, ist neben der strategischen Linie der operative Bereich Werkssicherheit der zweite Bestandteil des integrierten Sicherheitskonzeptes. Die Werkssicherheit ist für das operative Tagesgeschäft und für den Schutz des jeweiligen Standortes verantwortlich, wobei der Fachbereich Werkschutz die Security-Maßnahmen organisiert und die Feuerwehr den vorbeugenden und abwehrenden Brandschutz sowie die Rettungsdienste betreibt.

"Security Management" in der Wirtschaft

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1. Werkschutz

Der Werkschutz ist zuständig für: Q

Tor- und Empfangsdienst

Q

Streifendienst

Q

Ausweiswesen

Q

Q Q

Q

Ermittlungsdienst (Bearbeitung von Kleinkriminalität und Verstößen gegen die Arbeitsordnung amjeweiligen Standort) Alarmverfolgung Betriebliche Verkehrssicherheit, beispielweise Planung von Parkraurnkonzepten Mobile Betriebssicherheit, beispielweise Überwachung auf Einhaltung der internen Verkehrsbestimmungen und der gesetzlichen Auflagen.

Aus den Bereichen Tor- und Empfangsdienst können Teilbereiche an externe Dienstleister vergeben werden, wenn eine qualiftzierte Ausbildung als Werkschutzfachkraft nicht unbedingt erforderlich ist und das Sicherheitsniveau dadurch nicht unterlaufen wird. Im Rahmen des Streifendienstes nimmt der Werkschutz neben seinen spezifischen Aufgaben auch Aufgaben aus den Bereichen Arbeitssicherheit und Umweltschutz sowie aus dem vorbeugenden Brandschutz wahr. 2. Brandschutz

Aufgabe der Werkfeuerwehr ist der: Q

vorbeugende Brandschutz und der

Q

abwehrende Brandschutz.

Daneben ist die Feuerwehr mit weiteren Komplementäraufgaben betraut: Q

Bearbeitung von Störmeldungen

Q

Herbeiholung von Bereitschaftsdiensten

Q

Interne und externe Rettungseinsätze

Q

Abstellen von technischer Ausstattung und Personal

Q

Winter- und Streudienst

Unternehmensspezifisch können sowohl Werkschutz wie auch Feuerwehr mit weiteren Aufgaben betraut werden. Das gleiche gilt für die Zusammenführung von beiden Einheiten.

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Michael Sorge

Houptaufgaban

Feuerwehrzentrao Vorbeugender Brandschutz Abwehrender Brandschutz

Komplernentlnlufgaban

StOrdronst

Bere~schattsclenst

REltungsdienst Technische/ Personelle Untersnltzung Wlflter- u. Slroudienst

Werl