Geist und Tora: Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue in der Schriftgelehrtentheologie des Pentateuch und der Prophetenbücher 9783631652893, 9783653044256, 3631652895

Dass der Toragehorsam eingehalten wird, ist das zentrale Ziel der Endredaktion. Dies wird auch in den Prophetenbüchern r

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Geist und Tora: Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue in der Schriftgelehrtentheologie des Pentateuch und der Prophetenbücher
 9783631652893, 9783653044256, 3631652895

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhalt
1. Fragestellung und Aufgabe der Untersuchung
2. Einleitung
2.1 Forschungsstand
2.2 Begriffsbestimmungen
2.2.1 (Herz)
2.2.2 Begriffsaspekte von Rûaḥ
2.2.2.1 Wind
2.2.2.2 Geist
2.2.2.2.1 Rûaḥ als anthropologischer Begriff
2.2.2.2.2 Rûaḥ als theologischer Begriff
2.2.2.2.3 Rûaḥ im Pentateuch – Propheten – Psalmen
2.2.3 Tora als Sprechakt und als Schrift
2.2.3.1 Die mündliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen
2.2.3.2 Schriftliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen
2.2.4 Begriffe des Toragehorsams – Tora, Gesetz und Bund
Teil I: Die Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz
1. „Mit ganzem Herzen“: Die Ausrichtung des Bewusstseins auf Gott und sein Gesetz
1.1 Dtn 6,5
1.2 2 Kön 23,25
2. Dtn 30: Die Beschneidung des Herzens
2.1 Formanalyse
2.2 Sprachliche Untersuchung
2.3 Einzelanalyse
2.3.1 Die Herzensbeschneidung
2.3.2 Dtn 29f* und Dtn 4
2.3.3 Historische Einordnung
2.3.4 Dtn 30,11–14
2.4 Zusammenfassung
3. Jer 31,31–34: Die „Tafeln des Herzens“
3.1 Formanalyse
3.2 Sprachliche Untersuchung
3.3 Einzelanalyse
3.3.1 Der Bundesbruch
3.3.2 Die Tora auf das Herz als neuer Bund
3.4 Zusammenfassung
4. Zwischenergebnis
Teil II: Toravermittlung und Geistbegabung
1. Deutero-Jesaja: Gottesknecht – Geist und Toraerteilung
1.1 Jes 42,1–4
1.2 Jes 44,1–4
2. Jes 61: Toragehorsam durch den geistbegabten Mittler
2.1 Formanalyse
2.2 Sprachliche Untersuchung
2.3 Einzelanalyse
2.3.1 Jes 59,21 und Jes 61
2.3.2 Sach 6 und Jes 61
2.4 Zusammenfassung
3. Wortempfang und Toravermittlung: Dtn 18-Jer 1: Jes 51,16–59,21
3.1 Propheten wie Mose: Dtn 18,15.18 und Jer 1,7bβ.9
3.2 Jes 51,16; 59,21
4. Dtn 34: Erfüllung mit dem Geist der Weisheit
4.1 Formanalyse
4.2 Sprachliche Untersuchung
4.3 Einzelanalyse
4.3.1 Die unüberbietbare Gestalt des Mose (Num 11 – Num 16)
4.3.2 Der Geist der Weisheit
4.4 Zusammenfassung
5. Zwischenergebnis
Teil III: Geistempfang und Toragehorsam
1. Num 11: Toravermittlung durch Älteste
1.1 Formanalyse
1.2 Sprachliche Untersuchung
1.3 Einzelanalyse
1.3.1 Mose als Jahwe-Knecht
1.3.2 Ex 18,13–26; Dtn 1,9–18 und Num 11*
1.3.3 Die 70 Ältesten
1.4 Zusammenfassung
2. Ez 36: Ein neues Herz und ein neuer Geist
2.1 Formanalyse
2.2 Sprachliche Untersuchung
2.3 Einzelanalyse
2.3.1 Ein neues Herz und ein neuer Geist
2.4 Zusammenfassung
3. Joel 3: Geistausgießung über alles Fleisch
3.1 Formanalyse
3.2 Sprachliche Untersuchung
3.3 Einzelanalyse
3.3.1 Geist über alles Fleisch
3.4 Zusammenfassung
4. Zwischenergebnis
Teil IV: Zusammenfassung und Ergebnisse
1. Toragehorsam „mit ganzem Herzen“
2. Toravermittlung und Geistbegabung
3. Geistempfang und Toragehorsam
Anhang
Literaturverzeichnis

Citation preview

EHS

PETER LANG · Academic Research X XIII / 943

D

Kyunggoo Min ist als Privatdozent an der Universität Hansei (Südkorea) tätig.

Kyunggoo Min · Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue

Theologie

ass der Toragehorsam eingehalten wird, ist das zentrale Ziel der Endredaktion. Dies wird auch in den Prophetenbüchern reflektiert, wobei sich die drei in dieser Studie untersuchten Modi des Toragehorsams entwickelt haben. Indem am Ende der Geist mit dem Herz gleichgesetzt wird, wird der Geist zur zentralen Größe des Toragehorsams. Die Schriftgelehrten-Redaktoren, die sich nach der Endredaktion für den Toragehorsam einsetzen, bestimmen das Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue schließlich so, dass alle zu Geistbegabten werden sollen, was als umfassender Spiritualisierungsprozess zu verstehen ist.

ISBN 978-3-631-65289-3

Europäische Hochschulschriften

Kyunggoo Min

Geist und Tora Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue in der Schriftgelehrtentheologie des Pentateuch und der Prophetenbücher

www.peterlang.com

PL

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ACADEMIC RESEARCH

EHS

PETER LANG · Academic Research X XIII / 943

Europäische Hochschulschriften

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ass der Toragehorsam eingehalten wird, ist das zentrale Ziel der Endredaktion. Dies wird auch in den Prophetenbüchern reflektiert, wobei sich die drei in dieser Studie untersuchten Modi des Toragehorsams entwickelt haben. Indem am Ende der Geist mit dem Herz gleichgesetzt wird, wird der Geist zur zentralen Größe des Toragehorsams. Die Schriftgelehrten-Redaktoren, die sich nach der Endredaktion für den Toragehorsam einsetzen, bestimmen das Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue schließlich so, dass alle zu Geistbegabten werden sollen, was als umfassender Spiritualisierungsprozess zu verstehen ist.

Kyunggoo Min ist als Privatdozent an der Universität Hansei (Südkorea) tätig.

Kyunggoo Min · Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue

Theologie

Kyunggoo Min

Geist und Tora Zum Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue in der Schriftgelehrtentheologie des Pentateuch und der Prophetenbücher

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ACADEMIC RESEARCH

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Vorwort

Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2012/2013 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälschen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie durchgesehen und überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt zuallererst meinem Lehrer Prof. Dr. Reinhard Achenbach. Er hat nicht nur das Erstgutachten angefertigt, sondern auch das Thema dieser Arbeit angeregt und meine Forschung mit großem Interesse und weiterführender Kritik begleitet. Ferner danke ich den Kollegen an der Münster Fakultät und besonders den Teilnehmern der alttestamentlichen Sozietät für die fundierten wie den kritischen Impuls in den gemeinsamen Diskussionen, insbesondere emeri. Prof Dr. Rainer. Albertz, der das Zweitgutachten übernommen hat, Prof. Dr. Martin Leuenberger, der an der Uni Tübingen gewechselt hat, PD Dr. J. Cornelis de Vos, PD Dr. Jakob Wöhrle und Dr. Frank Matheus. Vor allem danke ich auch Prof. Dr. J.-H. Cha, der mich in Korea betreut hat, dem Herrn Volker Sündermann-Gorland, der für die Korrektur meiner Arbeit sein Beste tat, Pfr. Mike Lee und Dr. J.-H. Baek. Abschließend habe ich meiner ganzen Familie und meinen Eltern zu danken, die für mein Studium in Deutschland unterstützt haben. Meiner Frau ist deshalb dieses Buch gewidmet. 01.03. 2014 Hansei Uni.

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Inhalt

1. Fragestellung und Aufgabe der Untersuchung.................................................. 11 2. Einleitung..........................................................................................................15 2.1 Forschungsstand........................................................................................15 2.2 Begriffsbestimmungen...............................................................................21 2.2.1 ‫לב‬/ ‫( לבב‬Herz).................................................................................21 2.2.2 Begriffsaspekte von Rûaḥ................................................................22 2.2.2.1 Wind....................................................................................22 2.2.2.2 Geist....................................................................................23 2.2.2.2.1 Rûaḥ als anthropologischer Begriff.....................23 2.2.2.2.2 Rûaḥ als theologischer Begriff............................24 2.2.2.2.3 Rûaḥ im Pentateuch – Propheten – Psalmen.......28 2.2.3 Tora als Sprechakt und als Schrift...................................................48 2.2.3.1 Die mündliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen...........................................................48 2.2.3.2 Schriftliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen...........................................................49 2.2.4 Begriffe des Toragehorsams – Tora, Gesetz und Bund....................69 Teil I: D  ie Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz.................75 1. „Mit ganzem Herzen“: Die Ausrichtung des Bewusstseins auf Gott und sein Gesetz.........................................................................................77 1.1 Dtn 6,5.......................................................................................................77 1.2 2 Kön 23,25...............................................................................................80 2. Dtn 30: Die Beschneidung des Herzens............................................................82 2.1 Formanalyse...............................................................................................82 2.2 Sprachliche Untersuchung.........................................................................87 2.3 Einzelanalyse.............................................................................................95 2.3.1 Die Herzensbeschneidung................................................................95 2.3.2 Dtn 29f * und Dtn 4........................................................................102 2.3.3 Historische Einordnung.................................................................107 2.3.4 Dtn 30,11–14.................................................................................. 110 2.4 Zusammenfassung................................................................................... 111

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3. Jer 31,31–34: Die „Tafeln des Herzens“......................................................... 113 3.1 Formanalyse............................................................................................. 113 3.2 Sprachliche Untersuchung....................................................................... 119 3.3 Einzelanalyse...........................................................................................124 3.3.1 Der Bundesbruch...........................................................................124 3.3.2 Die Tora auf das Herz als neuer Bund...........................................129 3.4 Zusammenfassung...................................................................................132 4. Zwischenergebnis............................................................................................133 Teil II: Toravermittlung und Geistbegabung.......................................................135 1. Deutero-Jesaja: Gottesknecht – Geist und Toraerteilung................................137 1.1 Jes 42,1–4................................................................................................137 1.2 Jes 44,1–4................................................................................................138 2. Jes 61: Toragehorsam durch den geistbegabten Mittler..................................139 2.1 Formanalyse.............................................................................................139 2.2 Sprachliche Untersuchung.......................................................................143 2.3 Einzelanalyse...........................................................................................157 2.3.1 Jes 59,21 und Jes 61.......................................................................157 2.3.2 Sach 6 und Jes 61...........................................................................160 2.4 Zusammenfassung...................................................................................161 3. Wortempfang und Toravermittlung: Dtn 18-Jer 1: Jes 51,16–59,21...............163 3.1 Propheten wie Mose: Dtn 18,15.18 und Jer 1,7bβ.9................................163 3.2 Jes 51,16; 59,21.......................................................................................168 4. Dtn 34: Erfüllung mit dem Geist der Weisheit...............................................171 4.1 Formanalyse.............................................................................................171 4.2 Sprachliche Untersuchung.......................................................................176 4.3 Einzelanalyse...........................................................................................188 4.3.1 Die unüberbietbare Gestalt des Mose (Num 11 – Num 16).......................................................................188 4.3.2 Der Geist der Weisheit...................................................................193 4.4 Zusammenfassung...................................................................................196 5. Zwischenergebnis............................................................................................197 Teil III: Geistempfang und Toragehorsam..........................................................199 1. Num 11: Toravermittlung durch Älteste.........................................................201 1.1 Formanalyse.............................................................................................201 1.2 Sprachliche Untersuchung.......................................................................204 1.3 Einzelanalyse...........................................................................................209 1.3.1 Mose als Jahwe-Knecht.................................................................209

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1.3.2 Ex 18,13–26; Dtn 1,9–18 und Num 11*........................................212 1.3.3 Die 70 Ältesten..............................................................................217 1.4 Zusammenfassung...................................................................................223 2. Ez 36: Ein neues Herz und ein neuer Geist.....................................................225 2.1 Formanalyse.............................................................................................225 2.2 Sprachliche Untersuchung.......................................................................230 2.3 Einzelanalyse...........................................................................................237 2.3.1 Ein neues Herz und ein neuer Geist...............................................237 2.4 Zusammenfassung...................................................................................242 3. Joel 3: Geistausgießung über alles Fleisch.....................................................244 3.1 Formanalyse.............................................................................................244 3.2 Sprachliche Untersuchung.......................................................................247 3.3 Einzelanalyse...........................................................................................252 3.3.1 Geist über alles Fleisch..................................................................252 3.4 Zusammenfassung...................................................................................259 4. Zwischenergebnis............................................................................................261 Teil IV: Zusammenfassung und Ergebnisse........................................................263 1. Toragehorsam „mit ganzem Herzen“..............................................................264 2. Toravermittlung und Geistbegabung...............................................................265 3. Geistempfang und Toragehorsam...................................................................266 Anhang................................................................................................................271 Literaturverzeichnis............................................................................................273

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1. Fragestellung und Aufgabe der Untersuchung

Im Aufsatzsammelband „Gegenwart des Geistes: Aspekte der Pneumatologie“ von 1979, hat W. Kasper die Forschungssituation so zusammengefasst: „Immer wieder wird gegenwärtig die Geistvergessenheit, ja Geistlosigkeit der Theologie beklagt und eine Erneuerung der Theologie des Heiligen Geistes gefordert. Viele versprechen sich davon entscheidende Anstöße für das christliche und für das kirchliche Leben, für die ökumenische Annäherung der Kirchen und auch für den Dialog mit dem neuzeitlichen Denken.“1 Doch abgesehen von der Dissertation von M. Dreytza2 im Jahr 1990 sind Monographien über den Geist im AT weiterhin sehr rar geblieben. D. Wagner3 erinnert in seiner Dissertation von 2005 zwar nochmals an die Notwendigkeit sich diesem Thema zuzuwenden, allerdings beschränkt sich seine Arbeit auch nur auf die Samuelbücher. Auch diese Untersuchung widmet sich einem speziellen Thema, nämlich der Rolle, die der Geist für die unterschiedlichen Traditionen bzw. Konzeptionen des Toragehorsams spielt. Der Toragehorsam hat seit der Auffindung des Torabuches und der Josiareformen große Bedeutung gewonnen, was sich z.B. daran zeigt, dass die Unvergleichlichkeit des Königs Josias durch seinen Gehorsam gegenüber der Tora erwiesen wird (2 Kön 23,25; vgl. Dtn 6,5).4 Und die folgenden zwei Fragen, die Dtn 30,12f gestellt werden, lassen erkennen, dass der Gesetzesgehorsam in der Nachexilszeit zu einem zentralen Thema geworden 1

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W. Kasper, Gegenwart des Geistes. Aspekte der Pneumatologie, Freiburg-Basel-Wien 1979, S. 7; allerdings hat M. Landrieus, Le divin Méconnu, Paris 1921, schon viel früher daran erinnert, dass der Heilige Geist in der katholischen Theologie der letzten Jahrhunderte fast gänzlich in Vergessenheit geraten ist, zitiert nach R. Koch, Der Geist Gottes im Alten Testament, Frankfurt a.M. 1991, S. 9. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament. Eine wortund satzsemantische Studie, Gießen-Basel, 1990. D. Wagner, Geist und Tora: Studien zur göttlichen Legitimation und Delegitimation von Herrschaft im Alten Testament anhand der Erzählungen über König Saul, ABG 15, Leipzig 2005. Vgl. M. Arneth, Hiskia und Josia, in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformation, hrsg. von R. Achenbach, M. Arneth und E. Otto, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 290.

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ist:5 Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es [das Gesetz] uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Ziel unserer Untersuchung ist es zu zeigen, dass insgesamt drei Formen des Toragehorsams zu unterscheiden sind, wobei der Geist für die zweite und dritte Form eine entscheidende Rolle übernimmt. Der erste Teil der Arbeit untersucht die Bedeutung des Herzens (‫לב‬/ ‫ )לבב‬für den Toragehorsam, wofür die oft verwendete Formulierung ‫» בבל־לכב‬mit ganzem Herzen« steht. Dabei zeigt sich, dass es Verbindungslinien des Motivs zu verschiedenen literarischen Schichten im Alten Testament gibt (Dtn 6,5; 2 Kön 23,25). Und das Herzenskonzept gewinnt in Dtn 30,6 noch eine ganz neue Dimension, weil der Gehorsam erst dann möglich sein wird, wenn das Herz durch Jahwe selbst beschnitten sein wird (vgl. Jer 4,4). Eine andere Form des individuellen Toragehorsams durch das Herz findet sich in Jer 31,31–34, wo er durch das „Einschreiben“ der Tora auf das Herz bewirkt wird. Somit hat die Redewendung ‚mit ganzem Herzen‘ im Dtn, DtrG und Jeremiabuch für den Gesetzesgehorsam große Relevanz. Daher sind Dtn 30,1–10 und Jer 31,31–34 zu untersuchen, um ihre inhaltlichen und literarischen Beziehungen zu erfassen. Der zweite Teil analysiert eine ganz andere Form des Toragehorsams, der zur ersten Tradition im starken Gegensatz steht, denn im Jesajabuch wird er durch die Geistbegabung ermöglicht (‫ נתתי חוחי עליו‬Jes  42,1–4; vgl. Jes  28,6). Der Geist wird einerseits ganz Israel verliehen, um die Vermehrung des Volkes zu veranlassen, aber andererseits auch einem Auserwählten, dem Jahwe-Knecht, damit er das Recht auf Erden aufrichten kann (Jes 42,4). Darum spielt die besondere Geistbegabung eines Auserwählten für den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam eine entscheidende Rolle. Dieser Gedanke wird in Jes 61 aufgenommen, wobei der Geistbegabte, der hier als Priester zu verstehen ist,6 auch wie ein König, Schriftgelehrter und Prophet agiert (vgl. Jes 59,21). In diesem Verständnis wird eine Gegenposition zur Tradition des Herzens deutlich, da der Toragehorsam nun nicht mehr direkt auf den Einzelnen zielt, weil er jetzt zu seiner Verwirklichung den geistbegabten Auserwählten benötigt, worin ein Vermittlungsmodell sichtbar wird. Durch dessen Tätigkeit wird die Tora dem Volk vermittelt, was der Tradition von Dtn (DtrG) und Jeremiabuch widerspricht, weil dort der Begriff ‚Geist‘ nicht relevant ist bzw. negativ akzentuiert wird. Statt des Herzens ist nun eine singuläre Geistbegabung 5 6

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Zur Datierung von Dtn 30,11–14, s. u. Dtn 30,1–10 Einzelanalyse (2.3.4). S. u. Jes 61 (2.1 und 2.2).

entscheidend, die den direkten Toragehorsam durch ein theokratisches Vermittlungsmodell ersetzt! Eine wichtige Verbindungslinie bildet dabei die Einsetzung Josuas zum Nachfolger Mose, da auch hier der Geist eine wichtige Rolle übernimmt (Dtn 34,9). Das Volk kann dem Befehl des Mose durch Vermittlung des Geistbegabten Josuas gehorchen, wodurch die Figur Josuas als Vermittler des Mosebefehls agiert (Dtn 34,9bβ), was mit Jes 61; 59,21 vergleichbar ist, weshalb eine Verbindung der Josuafigur mit dem Geistbegabten in Jes 61 zu erwägen ist. Der dritte Teil bildet quasi eine Synthese der beiden ersten Teile. In Num 11* werden die 70 Ältesten durch die Geistbegabung zur Torabelehrung befähigt und legitimiert. Durch ihre Teilhabe am Geist des Mose, des ersten Schriftgelehrten, können auch sie als Toralehrer wirken. Somit ist ihre Rolle einerseits mit der des Geistbegabten in Jes 59; 61 vergleichbar, und andererseits greift die erhoffte kollektive Geistbegabung, die als Wunsch des Mose geschildert wird (Num 11,29), den unvermittelten individuellen Toragehorsam, der im Dtn, DtrG und Jeremiabuch durch die Formel „mit ganzem Herzen“ ausgedrückt worden ist, wieder auf. Also ist eine Verbindung beider Formen des Toragehorsams in Num 11 zu beobachten. Die Vermittlung beider Traditionen ist bei Ezechiel sogar noch ausgeprägter, da bei ihm Rûaḥ und ‫ לב‬in Ez 36,26f miteinander identifiziert werden, wobei ihr Ziel zweifellos der Gesetzesgehorsam ist. Außerdem wird der Mosewunsch einer kollektiven Geistbegabung auch in Joel 3,1f aufgenommen, wobei er als göttliche Verheißung umformuliert wird. Insofern sind Num 11*; Ez 36*, Joel 3 und ihre Beziehungen zu untersuchen. Somit besteht ein enges Verhältnis von Toragehorsam und Geist, doch es ist bislang noch nicht genauer untersucht worden, was das Ziel dieser Arbeit bildet. Zu fragen ist also, welche Funktion der Geist für den Toragehorsam hat, und seit wann ihre Verbindung zum Thema geworden ist, bzw. wer sich dafür eingesetzt hat. Weil im Dtn, DtrG und Jeremiabuch eine alternative Form des Toragehorsams zu finden ist, sind im Anschluss auch die Beziehungen zum Jesajabuch zu erläutern. Die Untersuchung des Ezechiel- und Numeribuches sowie Joel zeigt, dass die dort konzipierte kollektive Geistbegabung für den Toragehorsam quasi eine Synthese der beiden früheren Gehorsamsformen darstellt, wodurch ihr Gegensatz überwunden wird. Der Toragehorsam, der zunächst direkt auf das Herz des Einzelnen zielte, wird in einer zweiten Phase indirekt durch einen geistbegabten Vermittler ermöglicht, bis er schließlich durch die kollektive Geistbegabung aller bewirkt wird. Die Exegese der Texte will auch ihre Verbindungen, Konflikte und Rezeptionsrichtungen aufzeigen, wobei sich erweisen wird, dass der Toragehorsam gerade auch als verbindendes Element von Pentateuch und Prophetenbüchern dient.

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Nach einer Einleitung, die einen Forschungsüberblick zum alttestamentlichen Herz-, Geist- und Toraverständnis bietet, untersuche ich deshalb folgende Texte: Dtn 30 und Jer 31 im I. Teil; Jes 61 und Dtn 34 im II. Teil; Num 11; Ez 36 und Joel 3 im III. Teil. Die Exegese zur Genese und Entwicklung der Traditionen versucht anschließend in einem zweiten Schritt die Interdependenzen zwischen den verschiedenen Schulen und die innerjüdischen Diskurse über Legitimität und Kanonizität der Toralehre aufzudecken. Zudem soll in dieser Untersuchung versucht werden, die Entwicklung des Geistverständnisses aufzuzeigen und die Frage beantwortet werden, wie die Tora zu Israel gekommen ist, indem die Formen des Toragehorsams analysiert werden.

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2. Einleitung

2.1 Forschungsstand Angesichts der wenig umfangreichen Literatur bildet noch immer die Monographie von P. Volz zum Geist Gottes aus dem Jahr 1910,7 die die geschichtliche Entwicklung der Geistvorstellung im AT und im Judentum bis in die Zeit des frühen Christentums analysiert hat, einen unverzichtbaren Ausgangspunkt. P. Volz unterscheidet fünf Entwicklungsphasen im Geistverständnis: 1. Rûaḥ als Dämon, 2. Geistwesen, 3. Fluidum / Element, 4. Religiös-sittliche Kraft Jahwes, 5. Ausgeprägte Geisthypostase. Der Geist wird ursprünglich als Dämon verstanden, doch später verleiht er als göttliche Gabe politisches oder prophetisches Charisma, und in der Exils- und Nachexilszeit gilt er schließlich gar als religiös-sittliche Lebenskraft (S.  73–77). Rûaḥ wird später mit der Rûaḥ Jahwes identifiziert, wodurch Jahwe zum einzigen Inhaber der Gottheits-Rûaḥ wird, da der Geist nun einzig ihm untersteht. Rûaḥ als religiös-sittliche Lebenskraft prägt besonders das Ezechielbuch, weil „das sittliche Leben des Menschen in der Mitteilung der sittlichen Rûaḥ Jahwes begründet worden“ ist.8 In dieser Aussage verbirgt sich bereits ein Hinweis auf das Verhältnis von Geist und Gesetz, da das Volk im verheißenen Land dem Gesetz gehorchen wird, da „das Göttliche das sittliche Leben [ist]“ (S. 75; vgl. Ez 39,29). Ein weiterer Entwicklungsschritt in der Geschichte der Rûaḥ zeigt sich in Ez 36,26f, wo die Verheißung einer künftigen Geistbegabung aller Menschen durch Jahwe erfolgt. 7 8

Vgl. P. Volz, Der Geist Gottes und die verwandten Erscheinungen im Alten Testament und im anschließenden Judentum, Tübingen 1910. P. Volz, Der Geist Gottes, S. 74; vgl. E. Kalt, Art. Geist, in: Bibl. Reallexikon I/2, Paderborn 1938, S. 627. „Schon im Alten Testament finden sich Spuren der Erkenntnis, daß der Geist Gottes auch als sittliche Lebenskraft im Menschen bleibend wirkt.“ Aber H. Gunkel behauptet, dass Sittlichkeit im AT nichts mit dem Geist des Herrn zu tun hätte, da erst Paulus das sittliche Leben mit dem Gottesgeist in Verbindung setzt. (Die Wirkungen des Heiligen Geistes nach der populären Anschauung der apostolischen Zeit und der Lehre des Apostels Paulus, Göttingen 31909, S. 9.78. (Gunkel und Kalt sind nach R. Koch, Der Geist Gottes im Alten Testament, Frankfurt a.M. 1991, S. 71 zitiert.)

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Nach der Monographie von P. Volz ist das Thema in der Forschung leider weitgehend in Vergessenheit geraten. R. Koch9 unterscheidet in seiner Arbeit „Der Geist Gottes im Alten Testament“ von 1950 drei Entwicklungsphasen im Geistverständnis: 1. Rûaḥ als Wind in den ältesten Texten, 2. Der ‚Odem‘ oder ‚Atem‘ von Mensch und Tier und 3. Die Rûaḥ Jahwes (S.  14.19.31). Dabei zeigt er, dass in älterer Zeit nur einzelne, episodenhaft auftretende Einzelgestalten zu Geistträgern werden, nämlich Richter, Krieger, Ekstatiker, Künstler und Wundertäter, sowie einige Könige.10 Andererseits stellt Koch aber auch eine bleibende Geistbegabung dar: „So wurde Mose für eine kluge Staatsführung und eine weise Gesetzgebung mit dem Geist Jahwes erfüllt.“ (S. 53) Und die Texte Jes 63,10–14; Ps 51,13; 143,10; Neh 9,20, die in die nachexilische Epoche zu datieren sind, lassen eine „moralische Wirksamkeit der Rûaḥ“ (S. 71) erkennen. Und dieser Geist wirkt vor allen in den singulären Figuren der messianischen Heilszeit (S. 127ff ), wobei die Geistbegabung in der Exils- und Nachexilszeit mit dem Toragehorsam verknüpft ist (vgl. Jes 59,21). R. Koch unterscheidet dabei zwei verschiedene Ziele der Geistbegabung: eine „rein charismatische (Joel)“ und eine „religiös-sittliche (Ezechiel und ­Jeremia)“ (S. 127). F. Baumgärtel11 betont in seinem Artikel über den Geist Gottes dessen dynamische Wirkung, da er die Wüste in ein Paradies verwandeln kann, wodurch sie zur 9

R. Koch, Der Geist Gottes im Alten Testament, S. 9. Seine Arbeit ist ursprünglich bereits im Jahr 1950 unter dem Titel „Geist und Messias“ erschienen. 10 Die Verbindung von Prophetie und Geist gehört für R. Koch nicht mehr in die vorexilische Zeit (S. 55); was bereits P. Volz und S. Mowinckel vertreten haben. P. Volz urteilt so: „So verstehen wir auch die höchst bedeutsame Tatsache, daß die großen vorexilischen Propheten der Rûaḥ so gut wie ablehnend gegenüberstehen und vor allem in ihren Selbstaussagen über ihren prophetischen Besitz und ihre prophetischen Äußerungen, so viel wir sehen, die Ruḥ nirgends erwähnen.“ (Der Geist Gottes und die verwandten Erscheinungen im Alten Testament und im anschließenden Judentum, S. 62ff.) S. Mowinckel, The Spirit and the Word in the Pre-Exilic Reforming Prophets, JBL 53, 1934, S. 199, behauptet: „The pre-exilic reforming prophets never in reality express a consciousness that their prophetic endowment and powers are due to possession by or any action of the spirit of Jahwe.“ Auch für R. Albertz und C. Westermann spielt die Geistverleihung für die vorexilische Prophetie keine Rolle: „Sie fehlt völlig in der Schriftprophetie von Amos bis Jeremia. Erst in nachexilischer Zeit wird die Prophetie selbstverständlich als Wirken des göttlichen Geistes verstanden.“ (R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, THAT II, München-Zürich 1976, S. 746). 11 F. Baumgärtel, Art. Geist im Alten Testament, ThWNT VI, 1959, S. 357–366.

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„Stätte von ‫ מׁשפט‬und ‫“צדקה‬12 wird, was den Geist zur ethischen Größe macht. Den Ausdruck ‫ רוח יהוה‬versteht er als religiös-sittliche Macht, worin sich das personhafte Willenswirken ausdrückt.13 Im Gegensatz zu P. Volz setzt er das Dämonische jedoch extrem spät an, denn er knüpft den Ursprung des Dämonischen an die Voraussetzung, dass es erst entstehen kann: „wenn das AT die kosmischen und die irdischen Gewalten und Mächte entmächtigt hat.“14 J. Scharbert15 leistet einen Beitrag zur alttestamentlichen Anthropologie, wobei sich seine Arbeit auf den Pentateuch konzentriert. Er analysiert die Bedeutungsgeschichte der drei Begriffe Fleisch, Geist und Seele, wobei er der Chronologie der Pentateuchquellen nach der Urkundenhypothese Wellhausens,16 also J, E, D und P, folgt.17 Er beschreibt den jeweiligen Charakter der Quellen, doch weil die Urkundentheorie seit einiger Zeit sehr umstritten ist, sind seine Zuschreibungen der Texte und ihre Datierungen heute recht fraglich geworden.18 R. Albertz und C. Westermann19 haben im Theologischen Handwörterbuch zum Alten Testament einen nach begriffsgeschichtlichen Aspekten verfassten Artikel über ‫ רוח‬veröffentlicht. Grundlegend ist ihre Trennung zweier Epochen: In der Frühzeit bewirkt der Geist charismatisches Führertum und ekstatische Prophetie,20 doch die ‫„ רוח‬fehlt völlig in der Schriftprophetie von Amos bis Jeremia. 12 13 14 15 16

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F. Baumgärtel, Art. Geist, S. 363. F. Baumgärtel, Art. Geist, S. 363. F. Baumgärtel, Art. Geist, S. 366. J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch: Ein Beitrag zur Anthropologie der Pentateuchquellen, SBS 19, Stuttgart 1966. „J ist in die Zeit Salomos oder wenig später (10. Jh.), E etwa in das 9. Jh., Dtn in das 8. oder 7. Jh., und P in die Zeit des Exils (6. Jh.) zu datieren.“ (J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch, S. 10). Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, Berlin∙New-York 51995, S. 47. Zu beachten ist jedoch, dass seine Untersuchung erschienen ist, bevor die Frage nach den Pentateuchquellen neu gestellt worden ist, vgl.: J. van Seters, Abraham in History and Tradition, New Haven 1975; H. H. Schmid, Der sogenannte Jahwist, Zürich 1976; R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin∙New-York 1977; J. C. Gertz und K. Schmid, Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin 2002. J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch, S. 15. Zum Beispiel weist er Num 27,18 und Dtn 34,9 der P-Schrift, Num 11 hingegen der jahwistischen Schicht zu. Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, THAT II, S. 726–753. Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 743.

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Erst in nachexilischer Zeit wird die Prophetie selbstverständlich als Wirken des göttlichen Geistes verstanden.“21 Zur Beziehung von Rûaḥ und Gebotsgehorsam geben sie aber einen wichtigen Hinweis: „Die recht große Anzahl von Stellen, die hierhin gehören, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um einen meist späten und abgeleiteten Gebrauch handelt. Auch hier scheint Ezechiel die erweiternde Entwicklung des rūaḥ-Begriffes entscheidend mit gefördert zu haben, indem er das neue Willenszentrum, das zur Umkehr und zum neuen Gebotsgehorsam nötig ist, nicht nur lēb ḥādāš »neues Herz« (Ez 18,31; 36,26) und lēb bāśār »fleischernes Herz« (11,19; 36,26 im Gegensatz zum alten »steinernen Herzen«), sondern daneben auch noch rūaḥ ḥadāšā »neuen Geist« nannte (11,19; 18,31; 36,26).“22 Dies sollte dazu nötigen, die Beziehung von Rûaḥ und Tora in der Nachexilszeit genauer zu untersuchen. H. W. Wolff 23 hat Rûaḥ im Rahmen seiner Anthropologie des Alten Testaments untersucht, allerdings hat er dabei keine streng diachrone Perspektive eingenommen, sondern das Rûaḥverständnis nach verschiedenen Sinneinheiten gruppiert. Sein Werk gilt noch immer als Standardwerk der biblischen Anthropologie, da es die unterschiedlichen anthropologischen Vorstellungen umfassend behandelt, und eine Alternative immer noch aussteht. Im Richterbuch ist die Rûaḥ als „äußerst aktivierende Kraft“ verstanden und nach den Belegen 1 Sam 10,6; Num 24,2f, die sprachlich eine Parallele zum Richterbuch bilden (1 Sam 10,6 – Ri 14,6.19; Num 24,2 – Ri 3,10), verleiht sie vor allem das Charisma der Prophetie.24 Außerdem verleiht der Geist handwerkliche Kunstfertigkeit (Ex 31,3; 35,31) und Willenskraft: „Geht es beim neuen Herzen um die lautere Gewissensorientierung, so bei der Rûaḥ um die ausdauernde Willenskraft, danach zu handeln.“25 M. Dreytza26 hat die Semantik von Rûaḥ untersucht. Seine Untersuchung der Belege zeigt, dass Rûaḥ in der Umwelt Israels nicht den göttlichen Geist bezeichnet, sondern nur den Wind und Lebensodem. Er unterscheidet im Alten Testament sieben Rûaḥphänomene: 1. Menschliche Krafttaten,27 2. Kraftwirkungen an

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R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 741. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh 72002, S. 57–67. Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 61. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 67. Vgl. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament. Eine wort- und satzsemantische Studie, Gießen-Basel, 1990. 27 Ri 3,10; 6,34; 11,29; 13,25; 14,6.19; 15,14; 1 Sam 11,6; 16,14; 2 Kön 2,15.

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­Menschen,28 3. Ekstatische Wirkungen,29 4. Weisheitliche Begabungen,30 5. Prophetische Rede,31 6. Erneuerndes oder richtendes Handeln32 und 7. Gott selbst.33 H. Schüngel-Straumann34 hat die Systematisierung des Rûaḥ-Begriffes abgelehnt, da dessen Bedeutungsapekte für sie zu sehr ineinander übergehen. Ferner thematisiert sie durch die Einzelinterpretation von Ez 37,1–10 den Konnex zwischen der Geistbegabung und ihrem Ziel, der „Jahweerkenntnis“,35 die als Neuschöpfung zu verstehen ist. Wichtig für das Verhältnis von Geistbegabung und Gesetzesgehorsam ist, dass Rûaḥ „einen neuen Wandel bezüglich der Gottesgebote möglich macht.“36 Leider untersucht sie diese Relatioin nicht weiter, da ihr Interesse nicht dem Ziel, sondern der Wirkungsweise von Rûaḥ gilt. Für sie fungiert rûaḥ als Kraft der Integration, gewissermaßen als Brücke zwischen Gott und Menschen.37 Zum Genus von rûaḥ notiert sie zusammenfassend: „Wenn man einmal von der personal formulierten Stelle 2 Kön 2,16 absieht, ist rwḥ dann masc. formuliert, wenn es etwas Gewaltsames an sich hat. […] Überall dort aber, wo der Zusammenhang mit schöpferischem, lebenschaffendem bzw. belebendem Handeln deutlich wird, ist rwḥ ausnahmslos weiblich.“38 28 1 Kön 18,12; 2 Kön 2,16; Ez 2,2; 3,12.14.24; 8,3; 11,1.5.24; 37,1; 43,5. 29 Num 11,25b.26.29; 1 Sam 10,6.10; 19,20.23. 30 Gen 41,38; Ex 28,3; 31,3; 35,31; Num 11,17.29?; 27,18; Dtn 34,9; l Sam 16,13; 2 Kön 2,9; Jes 11,2; 28,6;42,1; 48,16; 61,1; 63,11; Dan 4,5.6.15; 5,11.12.14; Ps 51,13; 1 Chr 28,12. 31 Num 24,2; 2 Sam 23,2; 1 Kön 22,24 = 2 Chr 18,23; Jes 59,21; Hos 9,7; Jo 3,1.2; Mi 3,8; Sach 7,12; Neh 9,20.30; 1Chr 12,19; 2Chr 15,1; 20,14; 24,20. 32 Jes 4,4; 32,15; 34,16; 40,7; 44,3; 59,19; 63,10.14; Ez 11,19; 36,27; 37,14; 39,29; Hag 2,5; Sach 4,6; 6,8; 12,10; Ps 104,30; 143,10. 33 Jes 30,1; 31,3; 40,13; Ps 139,7. 34 H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt. Gottes schöpferische Lebenskraft in der Krisenzeit des Exils, SBS 151, Stuttgart 1992, S. 30. 35 Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 56f. 36 Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 62. 37 Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 75. 38 H.  Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S.  69f. Ihre Beobachtung findet sich aber schon bei M. Dreytza, da Rûaḥ für ihn sowohl im anthropologischen als auch theologischen Gebrauch feminin ist, während die meteorologische Verwendung maskulin ist (Vgl. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament, S. 187f ). Eine Beziehung zwischen rûaḥ und Wort findet sich in Psalm 33, allerdings nur im Sinne einer wörtlichen Parallele; und in Gen 1,2, wo das Lexem ‫ אמר‬vorkommt, geht es nicht um die Relation von Geist und Toragehorsam; vgl. L. R. Neve, The Spirit of God in the Old Testament, S. 128. Die Abweichungen im Genusgebrauch in Gen 6,3 (‫ )לא־ידון רוחי באדם‬und Ex 6,9 ignoriert er allerdings!

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Jüngst hat D. Wagner in seiner Monographie ‚Geist und Tora‘39 die legitimierende Funktion des Geistes für den Toragehorsam analysiert. In vorexilischer Zeit gilt der Geist als Gabe Jahwes als Zeichen „göttlicher Erwählung“, was z.B. Sauls Königtum legitimiert. Komplementär dazu wird später die Verwerfung Sauls durch „VSam“40 als Gottverlassenheit des scheiternden Königs, der nun von einem bösen Geist besessen ist, gedeutet. Anstatt der Geistbegabung verlangt VSam in seinem Werk strikten Gehorsam gegenüber Gottes Willen (»Tora«),41 um so nach dem Ende des Exils Hoffnung auf eine Neubegründung der Monarchie zu ermöglichen.42 Die Forschung ist also entweder durch den Entwicklungsgedanken des Rûaḥverständnisses (P. Volz; R. Koch), oder durch die Gruppierung der bewirkten Phänomene nach Sinneinheiten (H. W. Wolff ), oder durch die Abhängigkeit von der Neueren Urkundenhypothese (J. Scharbert) bestimmt. Konsens ist jedoch, dass als Grundbedeutung von Rûaḥ der Wind als Naturphänomen zu gelten hat, allerdings gewinnt sie sofort einen neuen Akzent, wenn Jahwe ihr Subjekt ist, denn dann ist die Rûaḥ göttlicher Herkunft, bzw. der Wind ist ein Instrument göttlichen Handelns. Ein anderes wichtiges Wortfeld für Rûaḥ ist der Lebensodem als Lebensprinzip. Dazu wird der Geist mit den Verben ‫»( ידע‬kennen« Jes 29,24), ‫»( ׁשחר‬suchen« Jes 26,9) und ‫»( קׁשה‬erhärten« Dtn 2,30) und mit den Adjektiven ‫»( ׁשפל‬demütig« Jes 57,15), ‫»( דכא‬zerschlagen« Ps 34,19) und ‫»( ׁשבר‬zerbrochen« Ps 51,19) verbunden. Rûaḥ kann auch menschliche Gefühle bezeichnen, indem sie mit ‫»( קנאה‬eifersüchtig« Num 5,14.30) und ‫»( עצב‬gekränkt« Jes 54,6) genauer bestimmt wird. Folglich ist Rûaḥ implizit als Synonym zu ‫לב‬/ ‫ לבב‬aufzufassen, wobei sie als Sitz des Bewusstseins mit dem Herzen gleichgesetzt wird (Jes 57,15; vgl. Jes 65,14). Rûaḥ wird vor allem aber auch mit Gott verbunden, und dann kann sie als göttlicher Geist einem Menschen oder an Gruppen verliehen werden (Ez 36,26; vgl. Hag 2,5). Somit sind zwei grundsätzlich verschiedene Begriffsebenen zu unterscheiden: Rûaḥ als Wind oder Geist, allerdings sind beim Geist vier Aspekte zu unterscheiden, da er entweder als anthropologischer (2.2.2.2.1 [a und b]) oder theologischer Begriff (2.2.2.2.2 [a und b]) zu verstehen ist. Daraus ergeben sich insgesamt fünf Bedeutungen für Rûaḥ: 1. Rûaḥ als Wind; 2. Rûaḥ als Lebensodem bzw. allgemeines Lebensprinzip (ohne Bewusstsein); 3. Rûaḥ als menschliches Lebensprinzip

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Vgl. D. Wagner, Geist und Tora, S. 385f. Das Siglum VSam bezeichnet für ihn den »Verfasser der Samuelbücher«. Vgl. D. Wagner, Geist und Tora, S. 386. Er datiert das Werk von VSam in das letzte Drittel des 6. Jh. v. Chr.; vgl. D. Wagner, Geist und Tora, S. 386.

(mit Bewusstsein); 4. Geist göttlicher Herkunft und 5. Geistbegabung eines Menschen. Die Rûaḥ als göttlicher Geist Herkunft und die menschliche Geistbegabung sind je nach ihrer Verwendung auch noch genauer zu differenzieren.43 Für unser Interesse ist dabei besonders die Frage relevant, in welcher Zeit gerade die Vorstellung einer kollektiven Geistbegabung an Relevanz gewinnt, bzw. wer sie vertritt und was ihr Zweck ist. Wie bereits der Titel unserer Untersuchung zeigt, geht es vor allem um das Verhältnis von Rûaḥ und Tora,44 weshalb die nachexilische Entwicklung des Geistverständnisses im Zentrum stehen wird. Zudem ist das Wortfeld von ‫לב‬/ ‫ לבב‬zu analysieren, da das Herz als Organ des Bewusstsein mit Rûaḥ gleichgesetzt wird (Jes 61,1 ‫ ;לנׁשברי־לב‬Jes 65,14 ‫ ;מׁשבר רוח‬Ez 18,31 ‫)לב חדׁש ורוח חדׁשה‬.

2.2 Begriffsbestimmungen 2.2.1 ‫לב‬/ ‫( לבב‬Herz) Das Wort ‫לב‬/ ‫ לבב‬wird mit zahlreichen Lexemen verbunden, um es je nach ­Kontext und Interesse genauer zu bestimmen: ‫»( ׂשים‬liegen« Ex 9,21) und ‫נתן‬ (»­geben« Pred 1,13), ‫»( בוא‬kommen« Spr 2,10), ‫»( נצר‬bewahren« Spr 3,1) und 43 S. den Abschnitt (2.2.2.2). 44 Vgl. H. Groß, Der Mensch als neues Geschöpf (Jer 31; Ez 36; Ps 51), in: Der Weg zum Menschen. Zur philosophischen und theologischen Anthropologie. Für A. ­Deissler, hrsg. von R. Mosis und L. Ruppert, Freiburg·Basel·Wien 1989, S. 98–109. Er schreibt zu Ez 36,24–28, wo es um das Verhältnis von Geistausgießung und Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes geht, dass sich JHWH nach dem Abfall und Gericht sich mit seinem Geist Israel wieder zuwendet, um „Herz und Geist des Menschen gottgeneigter zu schaffen, so dass Gottes Gebote und seine Weisung dem neugeschaffenen Menschen von innen her spürbar entsprechen.“ M. Greenberg, Three Conceptions of the Torah in Hebrew Scriptures, in: Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte. Festschrift für Rolf Rendtorff zum 65. Geburtstag, hrsg. von E.  Blum u.a., Neukirchen-Vluyn 1990, S.  375. Er behauptet zu Ez  36,24–27: „God will no longer gamble with Israel as he did in old times, and Israel rebelled against him; in the future – no more experiments! God will put his spirit into them, he will alter their hearts (their minds) and make it impossible for them to be anything but obedient to his rules and his commandments.“ Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 27–71. Er notiert zur Verbindung von Geist und Toratreue: „In Num 11 wird der Wunsch geäußert, dass alles Volk letztlich mit diesem Geist mosaischer Toratreue begabt werden möge (Num 11,29).“

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‫­»( תמך‬festhalten« Spr 4,4). Dabei zeigt sich, dass es in den älteren Schichten der hebräischen Bibel als Ort des Bewusstseins gilt.45 Außerdem werden die Akkusativobjekte des Erkennens mit ihm verknüpft, dabei geht es dann um die Belehrung durch die Eltern (‫ תורה‬Spr 6,20f ) oder die Worte des Erfahrenen (Spr 4,21; 7,3). Dies Verständnis des Herzens ist vor allem im Dtn zu finden.46 Der Mensch wird durch die Redewendung „mit ganzem Herzen“ zum Hören und Handeln aufgerufen. Diese Akzentuierung, in ihrer Verbindung mit der Gesetzesparänese, spielt auch im Jeremiabuch eine wichtige Rolle (vgl. Jer 3,10; 4,4; 31,33),47 weshalb das Herzmotiv eine mögliche Verbindung zwischen Dtn und Jeremiabuch impliziert.48 Das Herzmotiv dient zur Begründung der Möglichkeit des Gehorsams, der sowohl der mündlichen als auch schriftlichen Tora gilt. Weil das Gehorsamsmotiv auf die weisheitliche Literatur zurückgeht, ist auch den Verbindungswegen zwischen Dtn, Jeremiabuch und weisheitlicher Tradition nachzugehen. H.-J. Kraus unterscheidet eine Funktionsdifferenz für ‫ לב‬und ‫רוח‬: „[W]ährend ‫ לב‬im Altes Testament einfach das Zentrum der menschlichen Existenz bezeichnet als Sitz alles Fühlens, Denkens und Wollens, bezieht sich ‫ רוח‬auf die wirksame, alles Fühlen, Denken und Wollen durchwehende Macht, die von Jahwe ausgeht.“49 Insofern ist zu beachten, wo sich ein Konnex beider Vorstellungen findet und wie er erfolgt ist.

2.2.2 Begriffsaspekte von Rûaḥ 2.2.2.1 Wind Das Bedeutungsfeld von Rûaḥ ist recht umfangreich. Zunächst ist die Verwendung in der ursprünglichen Bedeutung von Wind zu untersuchen. Das Wort50 wird nicht nur im AT, sondern auch im nordwest- und südsemitischen Sprachbereich verwendet: ug. – rḥ »Wind, Duft«, aram. rwḥ »Wind, Odem«, phönik.-pun rḥ »Lebensodem«, arab.

45 Vgl. H.-J. Fabry, Art. ‫לב‬, ThWAT IV, Stuttgart 1984, S. 434. 46 Dtn 4,9.29; 6,5; 10,12; 11,13.18; 26,16; 30,2.10.14; vgl. Dtn 4,39; 6,6; 8,2.5.14.17; 10.16; 32,46. 47 Vgl. F. Stolz, Art. ‫לב‬, THAT I, München·Zürich 1978, S. 864f. Jedoch ist zu fragen, ob die Herzensbeschneidung ein dtn Motiv ist; s. u. Dtn 30 (2.3.1 und Exkurs). 48 Vgl. F. Stolz, Art. ‫לב‬, S. 865. 49 H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, BKAT XV/1, Neukirchen-Vluyn 51978, S. 546. 50 Von den insgesamt 389 (378 hebr., 11 aram.) Belegen (vgl. R. Albertz u. C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 727) bezeichnet Rûaḥ für H. W. Wolff in 113 Fällen den Wind als Naturkraft (Ders., Anthropologie des Alten Testaments, S. 57), dagegen erkennt J. H. Scheepers sogar 144 Fälle.

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rūḥ »Lebensodem« und rīḥ »Wind«, ath. rōḥa »fächeln«.51 Z. B. ist in Gen 3,8 der Wind als Naturphänomen und in Jer 13,24 als Wüstenwind zu verstehen (vgl. Pred 1,6; Jes 7,2; 17,13). Außerdem gibt es den Nordwind (‫)רוח צפון‬, der den Regen bringt (‫ רוח צפון תחולל גׁשם‬Spr 25,23), doch im Gegensatz zu »Ost- und Westwind« wird er nicht mit Jahwe verbunden. Aber in Ex 14 ist das Naturphänomen auffällig, da ‫רוח‬ ‫» קדים‬Ostwind« (Ex 10,13; 14,21; Jona 4,8) und ‫» רוח־ים‬Westwind« (Ex 10,19) hier göttlicher Herkunft sind. Da der Wind den Charakter des Nichtgreifbaren und Flüchtigen hat, ist Rûaḥ in der Bedeutung »Wind« eben auch Metapher für die Nichtigkeit, Sinnlosigkeit und Nutzlosigkeit (vgl. Jes 41,29; Hos 8,7; 12,2; Mi 2,11; Pred 1,14),52 und darüber hinaus bezeichnet sie auch lediglich Richtungen (Ez 42,16–20).53 2.2.2.2 Geist Neben den unterschiedlichen Bezügen zu Wind referiert das Wort Rûaḥ auf verschiedene Geistvorstellungen, wobei zwischen anthropologischen und theologischen Aspekten zu differenzieren ist. M. Dreytza betont dabei, dass sowohl im anthropologischen als auch theologischen Gebrauch ein Überwiegen des femininen Genus zu finden ist, während der meteorologische Gebrauch hingegen zum maskulinen Genus neigt.54 2.2.2.2.1 Rûaḥ als anthropologischer Begriff a. Rûaḥ als allgemeiner Lebensodem (ohne Bewusstsein) Rûaḥ ist als nomen abstractum als »Geist« zu verstehen (vgl. Gen 26,35; 41,8), wobei dann z.B. Adjektive wie ‫»( קנאה‬eifersüchtig« Num 5,14.30), ‫»( עצב‬gekränkt« Jes 54,6) oder ‫»( קׁשה‬betrübt« 1 Sam 1,15) zur näheren Bestimmung dienen. Vor allem bewirkt Rûaḥ als Lebensodem das Leben aller Wesen, weshalb der Geist auch mit dem Leben gleichgesetzt wird, wobei Rûaḥ entweder mit ‫חי‬ (Gen, 6,17; 7,15.22 u.a.) zusammensteht, oder auch als Synonym dient. b. Rûaḥ als menschliches Lebensprinzip (mit Bewusstsein) Rûaḥ als Lebensodem mit Bewusstsein kann sich vom Menschen auch gewissermaßen lösen bzw. zu ihm zurückkehren, womit Schwäche bzw. das ­Wiedererlangen der Kraft beschrieben wird (Gen 45,27; Jos 2,11; Ri 15,19; 1 Sam 30,12), für 51

M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament, S. 37; R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 726. 52 Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 731. 53 Vgl. L. R. Neve, The Spirit of God in the Old Testament, Tokyo 1981, S. 135f. 54 Vgl. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament, S. 187f; H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 69f.

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d­ iesen Begriffsaspekt werden die Verben ‫( קום‬Jos 2,11), ‫( ׁשוב‬Ri 15,19; 1 Sam 30,12) verwendet. Wenn Rûaḥ als menschliches Bewusstsein verstanden wird, kann es durch die Verben ‫»( ידע‬kennen« Jes 29,24), ‫»( ׁשחר‬suchen« Jes 26,9), ‫קׁשה‬ (»erhärten« Dtn 2,30), ‫»( אמן‬treu sein« Ps 78,8) und die Adjektive ‫»( ׁשפל‬demütig« Jes 57,15), ‫»( דכא‬zerschlagen« Ps 34,19), ‫»( ׁשבר‬zerbrochen« Ps 51,19) und ‫»( קצר‬mutlos« Ex 6,9; Mi 2,7) genauer bestimmt werden. Da das Fehlen der Rûaḥ auch den Zustand der Ohnmacht charakterisiert,55 ist die Einsicht von ihr abhängig. Rûaḥ ist somit an sich die vitale Lebenskraft (Ri 15,19),56 sie kann aber auch die aus Gott hervorgehende Willenskraft bezeichnen (Jes 19,3). Da die Rûaḥ den Menschen belebt, kann sie auch als Kraft, die vom Fleisch zu trennen ist, gedacht werden (1 Kön 10,5; vgl. Gen 2,7). Rûaḥ bezeichnet aber auch den ganz persönlichen Geist, der sich für etwas entscheiden kann (Ez 20,32).57 2.2.2.2.2 Rûaḥ als theologischer Begriff a. Geist göttlicher Herkunft Die Rûaḥ göttlicher Herkunft hat ein breites Bedeutungsspektrum: 1. Als Wind, dann ist sie ein Instrument Jahwes, wobei die Lexeme rb[58 »fahren lassen« im Hifil (Gen 8,1), ‫» נהג‬treiben« im Piel (Ex 10,13), ‫» הפך‬verwandeln« im Qal (Ex 10,19), ‫» הלך‬zurückweichen lassen« im Hifil (Ex 14,21), ‫» יצא‬herauslassen« (Jer 10,13) und ‫» טול‬werfen« im Hifil (Jon 1,4) verwendet werden. Die Darstellung der Rûaḥ als Naturphänomen göttlicher Herkunft erfolgt oft mit den Attributen ‫ קדים‬und ‫ים‬. In Ex 10,13, wo Jahwe ihr Subjekt ist, bringt der Ostwind Heuschrecken herbei, ähnlich treibt in Ex 10,19 der Geist als ein kräftiger Seewind Heuschrecken ins Schilfmeer (‫» רוח־ים‬Westwind«). Und in Ex 14,21 legt ein starker Ostwind das Schilfmeer ­trocken (‫» רוח קדים‬Ostwind« vgl. Gen 8,1; Ps 48,8), wobei Jahwe das Subjekt ist, und der Geist wird mit der Präposition b als Mittel geschildert (Ps 48,8). Im Gegensatz zum bloßen Naturphänomen (2.2.2.1) ist in diesen Darstellungen der Wind eine Jahwe unterstehende Größe (2 Sam 22,16; Jes 40,7), und da er als Mittel einer Handlung Jahwes dient, ist dieser Wind als göttliches Werkzeug aufzufassen (Jon 1,4).59 2. Rûaḥ als einzelner Wind bzw. Vehikel Gottes: Hier wird Rûaḥ auch als Wind geschildert, aber nicht in seinem bloßen Naturcharakter, da er einen besonderen Zweck für Gott selbst erfüllt (2 Sam 22,11; Ez 1,4.12.20f; 10,17; vgl. Ps 104,3). 55 56 57 58 59

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Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 63.67. Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 735 Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 735. Es bezeichnet aber in Num 5,14.30 im Qal das menschliche Gefühl. Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 58.

Rûaḥ ist zwar dann auch meistens mit ‚Wind‘ zu übersetzen, doch seine Funktion ist aber ganz anders als beim Naturphänomen, da er „theologisiert“ wird. 3. Rûaḥ als Lebensodem: Rûaḥ ist hier als Gabe Gottes zu verstehen und bezeichnet das Lebensprinzip (vgl. Jer 10,14). Rûaḥ als Lebensodem steht nicht selten parallel zu ‫( נׁשמה‬Gen 7,22; Hi 27,3; 32,8; 33,4; 34,14; Ps 18,16; Jes 42,5; 57,16),60 was sie zur menschlichen Lebenskraft macht (vgl. Gen 6,17; 7,15.22; Hi 27,3), wodurch der Geist als anthropologische Größe zu verstehen ist. Aber hier besteht ein Unterschied zum Geist als bloßem Lebensprinzip, da Jahwe sein Urheber ist. Die Verbindung des Geistes mit dem Handeln Gottes ist hier entscheidend, allerdings ist der theologische vom anthropologischen Geist nicht zu trennen (vgl. Hi 34,14; Ps 104,29f ),61 da dieser Geist göttlicher Herkunft auch als anthropologischer Begriff zu verstehen ist. 4. Rûaḥ als Sitz des Bewusstseins: Neben H. J. Kraus62 hat H. W. Wolff 63 ‫לב‬/ ‫ לבב‬als Bewusstseinszentrum gedeutet, da es an sich „das Organ der Erkenntnis“ bezeichnet. Aber im AT wird es auch mit anderen Wörtern zusammengestellt,64 wodurch seine Bedeutung als Erkenntnisorgan auf das zusammenstehende Wort übertragen wird. Oft wird Rûaḥ mit dem Herz zusammengestellt,65 so dass sie semantisch mit ‫לב‬/ ‫ לבב‬übereinstimmt, wodurch sie ebenso als Erkenntnisorgan und Bewusstseinszentrum zu verstehen ist. Rûaḥ ist dann der eigene ­menschliche Geist, der aber durch Gott erregt und erweckt werden kann, was ihn zum Herrscher über den menschlichen Geist macht, somit wird Rûaḥ im Gegensatz zu ‫לב‬/ ‫ לבב‬weiterhin als wirkende Macht dargestellt: Und Jahwe erweckte den Geist (Hag 1,14). 5. Rûaḥ als Geist Gottes: Steht Rûaḥ mit den Attributen ‫יהוה‬66 bzw. ‫אלהים‬67 zusammen, oder mit einem Suffix,68 das sich auf Gott bezieht, so bestimmen diese die 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 58. Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 60f. Vgl. H. J. Kraus, Psalmen 1–59, S. 546. Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 87f. Eine bekannte Redewendung ist ‫» בכל־לבבך ובכל־נפׁשך‬mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele« (Dtn 4,29; 6,5; 10,12; 11,13.18; 13,4; 26,16; 30,2.6.10; Jos 22,5; 23,14; 1 Kön 2,4; 8,48; 2 Kön 23,3.25). Ex 28,3; 35,21; Dtn 2,30; Jos 2,11; Hiob 34,14; Ps 34,19; 51,12.19; 77,7; 78,8; Spr 15,13; 17,22; Jes 65,14; Ez 11,19; 18,31; 36,26; Dan 5,20. Ri 3,10; 6,34; 11,29; 13,25; 14,6.19; 15,14; 1 Sam 10,6; 16,13f; 2 Sam 23,2; 1 Kön 18,12; 22,24; 2 Kön 2,16; 2 Chr 18,23; 20,14; Jes 11,2; 40,13; 59,19; 61,1; 63,14; Ez 11,5; 37,1; Mi 2,7; 3,8. Gen 1,2; 41,38; Ex 31,3; 35,31; Num 24,2; 1 Sam 10,10; 11,6; 19,20.23; 2 Chr 15,1; 24,20; Ez 11,24. ‫ – רוחי‬Gen 6,3; Jes  42,1; 44,3; 59,21; Ez  36,27; 37,14; 39,29; Hag 2,5. ‫ – רוחך‬Ps 104,30; 143,10; Neh 9,20; ‫ – רוחו‬Num 11,29; Jes 34,6; 48,16.

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Bedeutung, wodurch die Rûaḥ mit dem Geist Gottes identifiziert wird (Hiob 27,3). Der Vergleich von Hos 13,15 (‫ )יבוא קדים רוח יהוה‬und Ex 14,21 (‫ויולך יהוה‬ ‫ )את־הים ברוח קדים‬lässt erkennen, dass Rûaḥ in Hos 13,15 durch den Ausdruck »ein Ostwind des HERRN« geschildert wird, während in Ex 14,21 das Subjekt ‚Jahwe‘ durch das ‫ הלך‬mit dem Objekt ‚Wind‘ verknüpft ist.69 Im Gegensatz zu Ex 14,21, wo Jahwe als Herrscher über den Wind dargestellt wird, ist hier von der Rûaḥ Jahwes die Rede. Hier ist der Geist kein selbständiges Wesen, sondern ein von Gott ausgehendes Wesenselement, ein Teil seines Wirkens. Theologisch bezeichnet Rûaḥ also nicht nur den Wind als göttliches Instrument, sondern auch den Lebensodem, wobei zugleich eine anthropologische Bedeutung wahrnehmbar ist, da er den menschlichen Geist bezeichnet. Entscheidend ist allerdings, dass dieser Geist auf Jahwe zurückgeht, was Jahwe zum Herrn des Lebens macht. b. Geistbegabung eines Menschen Die Geistbegabung wird ausgedrückt, indem Rûaḥ mit den Präpositionen ‫על‬, ‫אל‬ (1 Sam 16,13) und ‫( ב‬Jes 19,14) und unterschiedlichen Verben verknüpft wird: ‫צלח‬ (»kommen« Ri 14,6.19; 15,14; 1 Sam 11,6 u.a.), ‫»( היה‬sein« Num 24,2; Ri 11,29; ‫ בוא‬Ez 2,2; 3,24), ‫»( נפל‬fallen« Ez 11,5), ~yf (»legen« Num 11,17), ‫»( נתן‬geben« Num 11,29; Jes 42,1) und ‫»( מלא‬erfüllen« Ex 28,3; 31,3; 35,31; Dtn 34,9). Zudem dienen die Lexeme ‫»( ׁשפך‬ausgießen« Joel 3,1) und ‫»( יצק‬ausgießen« Jes 44,3) zur Beschreibung der Geistausgießung.70 1. ‫ רוח‬als des Menschen eigener Geist: In Num 16,22 und Num 26,16 findet sich die Gottestitulatur: »Der HERR, der Gott des Lebensgeistes allen Fleisches«,71 wodurch Gott zum Geber der Rûaḥ für alles Leben wird, womit diese Benennung eine Schöpfungstheologie reflektiert (vgl. Gen 6,3),72 die ein anthropologisches Konzept erkennen lässt, nämlich jeder Mensch empfängt seinen eigenen Geist von Gott. In Num 16,22 ist ‫ רוח‬auf die mit Korach verbundene Gemeinde bezogen, insofern ist ‫ רוח‬als Lebensgeist zu verstehen. Dieser Geist wird also ausnahmslos auf alle Menschen gegeben, wodurch er keine ethische Relevanz besitzt, da er nicht

69 Vgl. H.  W.  Wolff, Dodekapropheton 1. Hosea, BKAT XIV/1, Neukirchen-Vluyn 3 1976, S. 286, er übersetzt so „kommt der Ostwind als Jahwes Wind (Rûaḥ)“; anders übersetzt J. Jeremias, Der Prophet Hosea, ATD 24/1, Göttingen 1983, S. 160, „Der Ostwind kommt, Jahwes Sturm (Rûaḥ)“. 70 ‫» מסך‬ausgießen« Jes 19,14; vgl. ‫ נסך‬Jes 29,10 und ‫ ערה‬Jes 32,15. 71 S. u. Dtn 34 (4.3.1). 72 Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 736f.

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nur den Guten, sondern auch den Bösen gegeben wird, und außerdem verleiht er auch keine besondere Fähigkeit, wie z.B. beim Charismatiker (vgl. Ri 14,6.19). 2. Die Geistbegabung eines Menschen durch Übertragung des Geistes einer Person auf eine andere Person. Dtn 34,9 berichtet, dass Josua mit dem Geist der Weisheit erfüllt war, nachdem Mose die Handaufstemmung an ihm vollzogen hat. Hier ist allerdings nicht vom Geist Gottes die Rede, sondern nur vom Geist der Weisheit. Insofern ist hier wahrscheinlich der Geist des Mose bezeichnet, da es hier um den Geist des Mose geht, da er das Subjekt der Handaufstemmung ist (vgl. Num 11,17.25; 27,18)! Hingegen wird die Redewendung ‫» מלא רוח חכמה‬Erfüllen durch den weisheitlichen Geist« in anderen Belegen mit dem Geist Gottes bzw. dem Subjekt Jahwe in Verbindung gebracht (Ex 28,3; 31,3; 35,31). 3. Aussendung eines himmlischen Geistwesens: In 1 Kön 22,19–23 und 2 Chr 18,18–22 wird der Geist als Mitglied des göttlichen Thronrats, also als ein himmlisches Wesen geschildert (1 Kön 22,22; 2 Chr 18,21), wobei er als Person dargestellt wird. Auf Befehl Jahwes (Jes 34,16; 37,7) agiert er sowohl als Lügengeist wie auch als böser Geist (vgl. 1 Sam 16,14–23). 4. Die individuelle Begabung mit einem von Gott verliehenen Geist: Die Geistbegabung zielt auf eine bestimmte Person (Jes 42,1; 59,21; 61,1) oder ein Volk bzw. eine Gemeinde (Jes 44,3; Ez 36,26f ). Jes 59,21 berichtet von der Geistbegabung eines Auserwählten. Eine seiner Aufgaben ist es, dass das Wort und der Geist Gottes durch ihn nicht aus dem Mund der Nachkommen weichen sollen (vgl. Num 11,17), was die Bedeutung seiner Person und Funktion akzentuiert. Im Gegensatz zu den Psalmbelegen (Ps 34,19; 51,19; 77,7; 78,8), wo sich eine Gleichsetzung von Herz und Geist findet und der Redner sich mit dem Geist bzw. dem Herz gleichsetzt, wird Gott hier als Geber des Geistes dargestellt, wodurch das Bewusstsein von Gott gegeben wird (vgl. Ez 36,27). Insofern dient der Geist ebenso wie ‫לב‬/ ‫ לבב‬im Dtn und DtrG dem Tora- bzw. Gesetzesgehorsam (vgl. Jes 57:15; 65:14; Ez 11:19; 18:31; 36:26), somit ist Geist hier ein Synonym für den Sitz des Bewusstseins. 5. Göttlicher Geist und die kollektive Geistbegabung: In Num 11,17 wird der Geist, der auf Mose ist (‫)הרוח אׁשר עליך‬, auf die 70 Ältesten gegeben, damit sie Mose entlasten können. Implizit geht es hier auch um das Verhältnis von Geistbegabung und Toragehorsam, wohingegen in Jes 59,21 jedoch der singuläre geistbegabte Vermittler die Hauptrolle hierfür einnimmt. Versteht man die Geistbegabung der 70 Ältesten wegen ihrer Aufgabe der Torabelehrung (vgl. Dtn 31,9),73 als ersten Schritt einer limitierten Geistbegabung (vgl. Jes 59,21; 61,1), dann bildet der Wunsch des Mose in Num 11,29 (Mögen doch alle im Volk des HERRN Propheten sein), der auf 73 S. u. Num 11 (1.3.3).

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Einwände Josuas reagiert, den entscheidenden zweiten Schritt zur Durchsetzung der Vorstellung einer kollektiven Geistbegabung (Ez 36,26f; Joel 3). Herz und Geist dienen dem Toragehorsam, doch im Jesajabuch bildet die Vermittlung eines Geistbegabten seine Voraussetzung, womit drei Modi des Toragehorsams zu unterscheiden sind: 1. Die Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz; 2. Toravermittlung durch eine singuläre Geistbegabung und 3. Kollektiver Geistempfang und Toragehorsam. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass sich der Bedeutungsumfang des Rûaḥ-Begriffes im Verlaufe der alttestamentlichen Zeit beträchtlich erweitert hat und dass er dabei mehr und mehr zu einem theologischen Begriff geworden ist. Anfangs hat Rûaḥ keinen Bezug auf die Handlungen Gottes, später aber untersteht sie Gott, ja, wird sogar mit der Rûaḥ Gottes identifiziert. Diese Rûaḥ wird von Jahwe gelegentlich auf einen Menschen oder auf eine Gemeinde begeben, wodurch der Geist neben dem Herzen zum Organ des Jahweerkennens wird (vgl. Ez 36,26). Daraus ergibt sich die Frage, ob die Rûaḥ mit der Tora bzw. dem Gesetz in Verbindung steht, und wenn ja, wie und wann diese Verbindung von Interesse ist. 2.2.2.2.3 Rûaḥ im Pentateuch – Propheten – Psalmen a. Im Pentateuch Belege für Rûaḥ sind im Pentateuch häufig, doch bevor sie genauer betrachtet werden, sei vorab kurz auf die gegenwärtige Debatte zu Entstehung und Kanonisierung des Pentateuch eingegangen. Die Pentateuch-Forschung ist in eine Krise geraten, da die lange Zeit währende kanonische Geltung der „Neueren Urkundenhypothese“ wohl endgültig beendet ist, aber leider ist noch kein neues allgemein akzeptiertes Modell g­ efunden ­worden.74 Das »Modell Wellhausens«75 wird allerdings immer noch von einigen Forschern, wenn auch mit Modifikationen vertreten, als Beispiel sei W. H. Schmidt76 genannt, 74 Vgl. R. Rendtorff, Directions in Pentateuchal Studies, S. 43–50. Die Quelle ‚J‘ wird in zwei Traditionen aufgespalten; R. Smend unterscheidet zwischen ‚J1‘ und ‚J2‘; O. Eissfeld differenziert zwischen ‚L (Laienquelle)‘ und ‚J‘ und G. Fohrer trennt zwischen ‚N‘ (Nomadenquelle) und ‚J‘. 75 J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin, 31899. 76 Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 47. Die Neuere Urkundenhypothese wird auch als die Reuss-Graf-Kuenen-Wellhausen Hypothese bezeichnet. Sie datiert den Jahwisten etwa 950 v. Chr., den Elohisten (E) um 800 v. Chr., also vor der sog. Schriftprophetie, das (Ur-)Deuteronomium (D) ins 7. Jh. v. Chr. und die

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der sogar zwei Varianten vorschlägt, entweder „JE + P + D“ oder „JE + D + P“. ­Einen Gegenentwurf bietet das »Münsteraner Pentateuchmodell« von „JG + D + P“, das P. Weimar und E. Zenger konzipiert haben.77 Eine Übereinstimmung zwischen beiden Modellen besteht darin, dass ihre letzte Redaktion (RP bzw. RD) um 400 v. Chr. in Jerusalem geleistet worden sein soll. Die Urkundenhypothese als solche stellt R. Rendtorff78 nicht nur infrage, denn er kommt zum Ergebnis, dass sie abzulehnen ist. In Aufnahme dieser Kritik hat E. Blum eine vereinfachtes Modell entworfen, das nur noch zwei Quellen postuliert, nämlich „KD + KP“,79 wobei die frühe Komposition (KD) schon das sog. deuteronomistische Geschichtswerk voraussetzt, weshalb sie p­ ostdeuteronomistisch und in die nachexilische Zeit zu datieren ist.80 Und weil die Existenz der p­ riesterlichen Komposition (KP) in der Nehemia-Denkschrift vorausgesetzt ist, ist sie für ihn spätestens in die erste Hälfte des 5. Jh. v. Chr. zu datieren.81 R. G. Kratz wiederum vertritt eine Theorie, welche die Pentateuchentstehung mit der der Bücher Jos – 2 Kön verknüpft (Enneateuch).82 Für dessen Entstehung (Ex – Kön) in der Zeit des zweiten Tempels spielt die Priesterschrift keine Rolle, da sie (PG: Gen 1 – Ex 40; PS: Gen 1 – Lev 27) gleichzeitig als selbständiges Werk

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Priesterschrift (P) um 550 v. Chr. ‚JE‘ ist das jehovistische Geschichtswerk, das nach 722 v. Chr. im Südreich ediert worden ist. Vgl. E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, KStTh I/l, Stuttgart 62006, S.  100–106. Das Siglum JG bezeichnet das Jerusalemer Geschichtswerk (JG), das im 7. Jh. v. Chr. entstanden sein soll. Es wird in literarischer Abgrenzung mit dem ‚jehovistischen Geschichtswerk‘ (JE) gleichgesetzt. Vgl. R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, BZAW 147, Berlin-New York 1977. Er behauptet: „Auch die neuentfachte Diskussion um die Datierung der Pentateuchquellen, insbesondere des »Jahwisten«, verlagert diese Bemühungen nur auf eine andere Ebene, jagt aber auch dort m. E. einem Phantom nach.“ E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, WMANT 57, Neukirchen-Vluyn 1984; ders., Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990. KD steht für die Deuteronomistische Komposition und KP für die Priesterliche K ­ omposition. Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 164, Anm. 276. Für E. Blum umfasst KD neben den Überlieferungen in Genesis, Exodus und Numeri auch das Dtn. Demgegenüber ist KP die eigentliche Komposition des Pentateuch von der Schöpfung bis zum Tod des Mose, wobei diese priesterliche Komposition erst in nachexilischer Zeit mit nichtpriesterlichen Texten verknüpft worden ist. Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 357, Anm. 87. Vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments. Grundwissen der Bibelkritik, UTB 2157, Göttingen 2000; K. Schmid, Erzväter und Exodus: Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments, WMANT 81, N ­ eukirchen-Vluyn 1999.

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entstanden ist.83 Die Priesterschrift ist sodann rasch in den literarischen Zusammenhang des Enneateuch im 5. – 4. Jh. v. Chr eingearbeitet worden, wobei eine Beziehung zwischen der Pentateuchentstehung und der Bearbeitung der vorderen Prophetenbücher unverkennbar ist.84 Für E. Otto ist das Dtn hingegen „die Wiege des Pentateuch“,85 das für ihn durch DtrD,86 DtrL,87 HexRed88 und PentRed89 bearbeitet worden ist. Die ­Entstehung der Priesterschrift datiert er in die spätexilische bzw. frühnachexilische Zeit. Die in der Exilszeit entstandenen Werke DtrL und P werden in nachexilischer Zeit (1 Hälfte des 5. Jh. v. Chr.) durch die »Hexateuchredaktion« verknotet.90 Allerdings trennt die Pentateuchredaktion um 400 v. Chr. mit dem Epitaph Dtn  34,10–12 den ­Pentateuch vom Hexateuch.91 Außerdem werden dann auch das Bundesbuch in die Sinaiperikope und das sog. Heiligkeitsgesetz integriert.92

83 Vgl. R. G. Kratz, Die Komposition der erzählenden Bücher des Alten Testaments, S. 312.328. Für ihn ist nur die Priesterschrift als Quelle eindeutig zu identifizieren: „Sicher ist nur eines: die Ausgrenzung der – ihrerseits vielschichtigen – Priesterschrift, sei es als Quelle oder als Redaktion.“ (S. 12) 84 Für ihn werden die Vorderen Propheten mit den Prophetenschriften verbunden, die im Laufe des 3. Jh. v. Chr. gewachsen sind; vgl. R. Achenbach, Pentateuch, Hexateuch und Enneateuch. Eine Verhältnisbestimmung, ZAR 11, Wiesbaden 2005, S. 123, Anm. 7. Er entdeckt im sog. Enneateuch zudem theokratische Bearbeitungen in Ri 21,27b.28a und 1 Kön 8, 1*.4f *.7–8.10–11.62–65. 85 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 1. 86 Das Siglum DtrD bezeichnet die dtr Hauptredaktion des Dtn.s, die dessen spätvorexilischen Reformgesetze (Dtn 6,4f; 12,13 – 28,44*) zu einer Moserede umgestaltet, indem deren Promulgation durch Mose am Gottesberg Horeb erfolgt (Dtn 5; 9–10*). Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4. 87 „Das Siglum DtrL leitet sich aus der dtr Verbindung des Deuteronomiums mit der Landnahmeüberlieferung des Josuabuches ab.“ DtrL (Dtn 4,45 – 28,68*) historisiert den Horebbund, indem der Moabbund (Dtn 29–30*) im Zentrum von DtrL steht. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4f. 88 Die spät-dtr Redaktion erfolgt zur Zeit Nehemias. Dabei werden die Priesterschrift (PG: Gen 1 – Ex 29,46; PS: Gen 1 – Lev 9), die durch PS erweitert wird, und das durch DtrL revidierte Dtn integriert, wobei „der Landbesitz in der das Wirken Nehemias voraussetzenden Konzeption der Hexateuchredaktion das zentrale Heilsgut ist.“ E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 6f. 89 Hier wird „die am Sinai offenbarte Tora als zentrales Heilsgut“ dargestellt. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7. 90 Vgl. E. Otto, Art. Pentateuch, 4RGG Bd. 6, Tübingen 2003, S. 1100. 91 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7 und bes. S. 211–233. 92 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7.

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Wird der Pentateuch durch mehrere Bearbeitungsstufen um 400 v. Chr. konstituiert und zudem im 4. Jh. v. Chr. vollendet,93 sind die Verbindungslinien zwischen dem Pentateuch und den anderen Teilen des ATs unverkennbar,94 weshalb der Prozess gegenseitiger Beeinflussung zu untersuchen ist. Trotz der Kritik an der klassischen Quellenhypothese95 besteht immerhin doch noch ein Konsens über die Existenz der priesterlichen und deuteronomistischen Schrift. Darum ist zuerst das Geistverständnis der vorpriesterschriftlichen Belege zu eruieren. a) Vorpriesterschriftliche Belege im Pentateuch: In der Urgeschichte ist von der Rûaḥ siebenmal96 die Rede (Gen 1,297; 3,8; 6,398.17; 7,15.2299; 8,1). Rûaḥ in 93 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 629–633. In Anlehnung an E. Otto vertritt er die These einer theokratischen Bearbeitung im 4. Jh. v. Chr. 94 Zur Beziehung zwischen Tora und Jeremiabuch vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora: Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches, FRLANT 196, Göttingen 2002. Zum Abschluss des Zwölfprophetenbuches im 5.–3. Jh. v. Chr. Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches. Buchübergreifende Redaktionsprozesse in den späten Sammlungen, BZAW 389, Berlin 2008; R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 27–71. 95 E. Zenger beschreibt die Abkehr von diesem Quellenmodell recht lakonisch, indem er notiert, dass „es in seiner klassischen Form kaum noch Anhänger hat“. Diese Krise betrifft primär die Existenz der jahwistischen und elohistischen Quelle. Vgl. E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, S. 92. Zum Forschungsstand: R. Rendtorff, Directions in Pentateuchal Studies, CR: BS 5, 1997, S. 43–65; G. J. Wenham, Pondering the Pentateuch. The Search for a New Paradigm, in: D. W. Baker & B. T. Arnold, The Face of Old Testament Studies. A Survey of Contemporary Approaches, Grand Rapids 1999, S. 116–144. 96 In Gen 8,21 und 27,27 wird das Wort in der Verbalform verwendet, wo es »riechen« bedeutet. 97 Gen 1,2 wird traditionell der P-Schrift zugewiesen. 98 Gen 6,3 ist wahrscheinlich eine Ergänzung, da Gen 6,1–4 die Geschlossenheit der Quellenschrift beeinträchtigt, wobei hier P und Nicht-P verknüpft werden. Vgl. J.  Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch, S.  36; für ihn ist Gen 6,1–4 durch den Pentateuchredaktor eingearbeitet worden; T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, ZAR 5, 1999, S. 167–178; T. C. Römer und M. Z. Brettler, Deuteronomy 34 and the case for a Persian Hexateuch, JBL 119, 2000, S. 408, Anm. 30; M. Arneth, Durch Adams Fall ist ganz verderbt … Studien zur Entstehung der alttestamentlichen Urgeschichte, Göttingen 2007, S. 210f; W. Bührer, Göttersöhne und Menschentöchter: Gen 6,1–4 als innerbiblische Schriftauslegung, ZAW 123, 2011, S. 497. 99 Gen 6,17; 7,15.22 sind aufgrund der Dopplung der P-Schrift zuzuweisen. Vgl. C.  Westermann, Genesis 1–11, BKAT I/1, Neukirchen-Vluyn 1974, S.  554. Diese

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Gen 3,8 ist im Sinne von Wind als Naturphänomen zu verstehen. Außer in der Josepherzählung100 wird das Wort nur einmal in der Vätergeschichte gebraucht, doch weil sich Gen 26,35f auf Gen 27,46; 28 bezieht, dürfte der Vers sekundär sein.101 b) Im Dtn: Im Dtn ist von der Rûaḥ insgesamt nur dreimal die Rede: Dtn 2,30; 4,28; 34,9, somit allerdings spielt der Geist im dtn bzw. dtr Dtn keine Rolle, da die genannten Stellen ihm nicht zuzuordnen sind.102 Im Gegensatz zum Geist spielt jedoch im Dtn das Herz als Bewusstseinszentrum für den Tora- bzw. ­Gesetzesgehorsam die zentrale Rolle (Dtn 4,29; 6,5; 10,12; 11,13; 13,4; 26,16; 30,2.6.10), wobei das Herzmotiv wohl aus der älteren Weisheitstradition übernommen worden ist (vgl. Spr 2,10; 3,1; 6,21).103 c) In der Priesterschrift: In Gen 1,2 steht die viel diskutierte Formulierung „Geist Gottes“ (‫)רוח אלהים‬, was dessen Mitwirkung an der Schöpfung andeutet. In Gen 6,17 und 7,15 ist Rûaḥ wie in Gen 7,22 als Lebensodem zu verstehen (‫)בׂשר אׁשר־בו רוח חיים‬, wobei sie noch nicht als Bewusstseinsorgan gilt. In der Sintfluterzählung, die in Gen 8,1–5 endet, bezeichnet Rûaḥ den Wind, doch im Gegensatz zu Gen 3,8 untersteht er explizit der Macht Gottes (‫ויעבר אלהים רוח על־‬ ‫)הארץ‬, da er sein Werkzeug ist. Rûaḥ hat in der priesterschriftlichen Genesis

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Sintflut-Geschichte reicht bis Gen 8,1–5 (aber ohne 2b.3a); vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 81. In ihr kommt der Geist dreimal vor (41,8.38; 45,27), wobei festzuhalten ist, dass der Geist in Gen 41,38 anders zu verstehen ist als in Gen 41,8 und 45,27, da der Geist auf Joseph als Geist Gottes dargestellt wird, während der Geist in Gen 41,8; 45,27 nicht der Geist Jahwes, sondern der Geist eines Menschen ist (des Pharaos bzw. Jakobs). Vgl. C.  Westermann, Genesis 12–36, BKAT I/2, Neukirchen-Vluyn 1981, S.  524; J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch, S. 56. Zu Dtn 4 s. u. Dtn 30 (2.3.2). Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4: Die Pentateuchredaktion im Deuteronomiumsrahmen, in: Das Deuteronomium und seine Querbeziehungen, hrsg. von T. Veijola, SFEG 62, 1996, S. 196–222; G. Braulik, Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden. Zur literarkritischen und redaktionsgeschichtlichen Analyse von Dtn 4,1 – 6,3 und 29,1 – 30,10 durch D. Knapp, in: ders., Studien zum Buch Deuteronomium, SBAB 24, Stuttgart 1997, S. 29–61; zu Dtn 34,9 s. u. Dtn 34 (4.3.2); vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, in: ders., ­DeuteronomiumStudien, FAT 8, Tübingen 1994, S.  123–143; E.  Otto, Forschungen zur Priesterschrift, ThR 62, 1997, S. 1–50. Vgl. H.-J. Fabry, Art. ‫לב‬, ThWAT IV, S. 434. Objekte des Erkennens für ‫ לב‬sind die Belehrung durch die Eltern (Spr 6,21), die Worte des Erfahrenen (Spr 4,21; 7,3), die Tora (Dtn 6,5f ), die Verheißung (Jos 23,14), Zeichen und Wunder (Dtn 29,3; Jes 42,25), das Wort Gottes (Ez 3,10), Gnade und Erbarmen (Klgl 3,21), die Weisheit (Spr 15,14; Pred 7,25), Liebe und Treue (Spr 3,3) und das am Leben der Menschen ablesbare Schicksal (Pred 7,2; 9,1).

also drei Bedeutungen: 1. Göttliche Rûaḥ, 2. Geist als allgemeines Lebensprinzip (ohne Bewusstsein) und 3. Wind göttlicher Herkunft. Obwohl Rûaḥ auch einen theologischen Bedeutungsaspekt besitzt, ist sie im priesterlichen Pentateuch und im Dtn primär eher als anthropologischer Begriff zu verstehen. Im Exodusbuch wird das Wort Rûaḥ zehnmal benutzt.104 Wichtigster Beleg ist die Rettung am Meer (Ex 14,21; 15,10), wo der Wind göttliches Instrument ist, denn das Subjekt von ‫ הלך‬im Hifil ist Jahwe (vgl. Gen 8,1). In Ex 15,8 wird der Wind metaphorisch als Schnauben der Nase Jahwes beschrieben, wobei er wie der Ostwind« (vgl. Ex 14,9) wirkt. Interessant ist die Verwendung in Ex 28,3, wo von der Geisterfüllung die Rede ist, die mit dem Genetivattribut der ‚Weisheit‘ genauer bestimmt wird. Diese Geistbegabung dient nicht für eine amtliche Tätigkeit, sondern ist für eine besondere handwerkliche Tätigkeit nötig, da es um die Herstellung des Priesterornates geht. Hier ist es eindeutig, dass Rûaḥ im Exodusbuch auch als Sitz des Bewusstseins verstanden wird, indem sie dem Herzen gleichgesetzt wird: zu allen reden, die ein verständiges Herz (‫ )חכמי־לב‬haben, das ich mit dem Geist der Weisheit (‫ )רוח חכמה‬erfüllt habe (Ex 28,3). Da Ex 35,30f, der den Vollzug berichtet, sprachlich vor allem mit dem Auftrag in Ex 31,2f verbunden ist, ist die Verbindung zwischen Ex 35,30f und Ex 28,1–3 somit nicht zwingend. Der Ausdruck ‫ חכם־לב‬findet sich häufig in den Sprüchen (Spr 10,8; 11,29; 16,21; 23,15; vgl. ‫ לב חכם‬Spr 16,23), insofern wird diese weisheitliche Tradition wahrscheinlich in der P-Schrift aufgenommen. Bemerkenswert ist, dass Rûaḥ in der P-Schrift mit dem Herz gleichgesetzt wird und dass sich ihr Verständnis im Gegensatz zu den vorpriesterschriftlichen Belegen entwickelt hat. Obwohl der Geist der Weisheit in der P-Schrift auftaucht, geht es in ihr nicht um die Geistbegabung, weil Rûaḥ überwiegend eine anthropologische Bedeutung hat. d) In redaktionellen Abschnitten: Rûaḥ ist als Substantiv im Levitikusbuch nicht belegt.105 In der Erzählung der Heuschreckenlage (Ex 10,13.19)106 ist sie

104 Außerdem wird sie als Verbalform im Hifil verwendet (Ex 30,38). 105 In Lev 26,31 wird sie im Hifil verwendet und ist mit ‚riechen‘ zu übersetzen. 106 Für J. C. Gertz ist die Heuschrecken- nicht älter als die Hagelplage, weil sich die beiden Erzählungen entsprechen (Schuldbekenntnis 9,27 – 10,16; 9,27 (die Erklärung der Schuldlosigkeit Jahwes) – 10,17 (das Schuldbekenntnis nun mit der Bitte um letztmalige Vergebung). Vgl. J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch, FRLANT 186, Göttingen 2000, S. 153. Er weist die Erzählung nicht der priesterschriftlichen Schicht, sondern der nachpriesterschriftlichen Endredaktion zu.

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als Wind zu verstehen,107 dessen Herr Jahwe ist, weil er das Subjekt der Verben ‫נהג‬ »treiben« und ‫» הפך‬verwandeln« (vgl. Ex 15,10) ist. In Ex 35,21 wird die Rûaḥ als Synonym für Herz verwendet (jeder, den sein Herz [‫ ]לבו‬willig machte. Und jeder, dessen Geist [‫ ]רוחו‬ihn antrieb; vgl. Ex 28,3).108 In Ex 31,3 (Auftrag) und 35,31 (Ausführen) findet sich die Verbindung von Geistbegabung und Weisheit: Die Geistbegabung bewirkt Weisheit, Verstand und Können für jedes Kunsthandwerk!109 Trotz der sprachlichen Übereinstimmung ist Rûaḥ jedoch anders als in Dtn 34,9 zu verstehen, da sich das Geistverständnis jeweils fundamental unterscheidet und die Geistausgießung dort als Ritual geschildert ist.110 In Num 5,14.30 geht es in der Verbindung von Rûaḥ mit ‫» קנאה‬Eifersucht« um die menschliche Triebkraft. In der Passage wirkt der Priester als Richter, wobei der Prozess im Heiligtum geführt wird. Wichtig ist hier die Reinheitsregelung, die unter der Voraussetzung der Heiligkeit des Lagers zu verstehen ist (V. 2), da es weniger als Heerlager, denn als Wohnbereich um das Heiligtum dargestellt wird, womit diese Vorstellung den 2. Tempelbau voraussetzt.111 Während Rûaḥ in Num 11,31 der Wind, durch den Jahwe Wachteln vom Meer herbei trieb, ist, bezeichnet Rûaḥ in anderen Versen von Num 11 den Geist des Mose (Num 11,17; 25f ) bzw. den Geist Gottes (‫ רוחו‬Num 11,29). Erstaunlich ist, dass der Geist des Mose zur Legitimation des Ältestengremiums dient (Num 11,17.25). Warum wird sein Geist auf die Ältesten begeben, und welche Funktion übernimmt der Geist? Diese Fragen sind zu beantworten, denn die bewirkte Gabe der Prophezeiung scheint dem ursprünglichen Ziel der Entlastung des Mose zu widersprechen (Num 11,26.29). Vor allem aber ist diese Verbindung vor der Exilszeit eigentlich unvorstellbar (Jer 5,13)!112 – somit interessiert sich hier wohl vielmehr eine späte Gruppe dafür, wie sie ihre Rûaḥ von der des Mose herleiten kann, was dann auch die prophetische Gestalt des Mose voraussetzt (vgl. Dtn 18,18). Ferner bildet wahrscheinlich Dtn 34 den Hintergrund, wo 107 Gen 8,1; Ex 10,13; Ez 8,3; Sach 6,8. Der Ausdruck ‫ רוחי ארץ‬ist durchaus als Naturphänomen zu verstehen. 108 Hier ist der Geist als menschlicher Geist zu verstehen. 109 Sprachlich ist die Rûaḥ der Weisheit in Ex 31,3; 35,31 sowie Ex 28,3 trotz einiger Differenzen zweifellos mit Dtn 34,9 vergleichbar. 110 S. u. Dtn 34 (4.3.2). 111 Vgl. M. Noth, Das 4. Buch Mose Numeri, ATD 7, Göttingen 1977, S. 42f. In Lev 13,46 wird das ‚außerhalb des Lagers‘ durch die Wendung ‚unrein ist er‘ begründet, dagegen nennt Num 5,3 einen religiösen Grund: Damit sie nicht ihr Lager unrein machen, in dessen Mitte ich wohne. 112 Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746.

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ebenfalls die Sonderstellung des Mose deutlich wird, falls Num 11,29 später als das nach-dtr Dtn anzusetzen ist.113 Somit dient Rûaḥ in Num 11 einer zweifachen Geistbegabung, einerseits kommt der Geist des Mose auf die 70 Ältesten (Num 11,17.24f ) und dann wird im Mosewunsch das Ideal der kollektiven Geistbegabung (Num 11,29) sichtbar. In Num 16,22; 27,16 wird Gott als »Gott des Lebensgeistes allen Fleisches« tituliert. Das Indefinitpronomen ‫ כל‬zeigt an, dass alles Fleisch ausnahmslos einen Geist besitzt, insofern ist Rûaḥ nicht als besonderer Geist, sondern als Lebensgeist göttlicher Herkunft zu verstehen.114 Der Geist in Num 27,18 ist ebenso so zu erfassen, denn hier steht kein Suffix bzw. Attribut.115 Jedoch ist der Geist auf Josua als ein besonderer zu verstehen, da er von Gott anerkannt wird, was eine Parallele zum Geist Kalebs bildet, so wie sein Geist von Gott erprobt wird (‫ ;עקב היתה רוח אחרת עמו‬Num 14,24). Von der Handaufstemmung auf Josua ist nochmals in Dtn 34,9 die Rede, wobei aber Differenzen bestehen.116 Beachtenswert ist, dass die zentralen Rûaḥ-Belege in Num 11*; 27* und Dtn 34 allesamt mit Mose verbunden sind, dagegen ist der Geist in Ex 28,3; 31,3 und 35,31 lediglich für die handwerkliche Herstellung des Ornats für den Hohenpriesters von Bedeutung. b. In den Prophetenbüchern In Protojesaja ist von Rûaḥ sehr häufig die Rede. Das Wort bezeichnet ein Naturphänomen (Wind 7,2; 11,15; 17,13117; 27,8; 32,2118; Fruchtbarkeit 32,15; Schlaf 29,10), es dient als anthropologischer Begriff (19,3.14; 25,4; 26,9.18; 29,24119;

113 S. u. Num 11 (1.3.3). 114 Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 63. 115 Vgl. J. Scharbert, Fleisch, Geist und Seele im Pentateuch, S. 58. Er hat aber vor dem Hintergrund von Ex 28,3 den Geist als besonderen Geist verstanden. Das Problem beim Verständnis von Num 27,16 ist aber, dass keine göttliche Geistbegabung geschildert wird, wenn der Geist lediglich der Lebensgeist ist. 116 Vgl. W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, LTP 38, 1982, S. 3. 117 Vgl. U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, FRLANT 178, Göttingen 1997, S. 207. Wegen des Motivs des Völkergerichtes ist diese Passage spät zu datieren. 118 In Jes 32,1ff ist vom künftigen König die Rede, aber vor allem revidiert dieser Text die dtjes. Worte über die Blindheit und Taubheit des Volkes (Jes 42,18ff ). 119 Die Passage Jes 29,17–24 erinnert in ihrer Sprache und Diktion an die dtjes. Verkündigung. Vgl. U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 234.

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30,28120; 31,3121; 33,11; 37,7; 38,16), es bezeichnet eine besondere Funktion des Geistes (4,4; 28,6), und den messianischen Geist (11,2f ) sowie den Geist Gottes (30,1; 34,16). Der Wind ist einerseits Naturphänomen (Jes 7,2; 17,13; 32,2) und Wind göttlicher Herkunft (Jes 11,15; 27,8). In Jes 4,4 wird der Geist in einer Gerichtsfunktion erwähnt (vgl. Jes 28,6; 42,1) und das Motiv der Feuersäule wird aufgenommen, um die Zionsgemeinde zu schützen (Jes 4,3.5; vgl. Gen 19,24). In Jes 11,2–4 erscheint die Geistbegabung, aber obwohl dieser Geistbegriff wörtlich an Ex 31,3 und 35,31 anknüpft, verfolgt er ein anderes Ziel, da der Geistbegabte in Jes 11,2 als messianischer Herrscher gezeichnet wird. Daher ist dieser Text wohl ein Einschub, weil sein Verfasser die kommende Herrschaft nicht von den Davididen, sondern von Isai her erhofft (Jes 11,1; vgl. 2 Sam 7), womit in Jes 11,2 nach dem Zusammenbruch der davidischen Dynastie neues Heil verkündet wird (vgl. Jes  9,5f ),122 nämlich die Herrschaft Gottes als vermittelte Theokratie, da sie durch den auf eine Person ausgegossenen Geist ermöglicht wird. Erneuerung der davidischen Dynastie wird aber in Jes 59 und 61 abgewiesen, da dort der geistbegabte Hohepriester diese Aufgabe übernimmt. Der Geist wird in Jes 19,3 als Lebens- bzw. Willenskraft Ägyptens (‫רוח־‬ ‫)מצרים‬, welches sich Jahwe entgegenstellt, dargestellt. In Jes 19,14 und 37,7 wirkt der Geist als Geist des Schwindels (‫)עועים‬, wozu das Lexem ‫» מסך‬mischen« verwendet wird. Jes 19,14; 37,7 beschreibt die Ausgießung (‫ )מסך‬eines himmlischen Geistwesens, wodurch Jahwe der Grund der Dummheit bzw. Verwirrung ist. Diese 120 Weil sich die Rede ‫( ולהב אׁש אוכלה‬Jes 29,6) auf Jes 30,27.30 bezieht, ist auch Jes 30,28 exilisch bzw. noch wahrscheinlicher nachexilisch. Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt, HBS 16, Freiburg i. Br./ Basel 1998, S. 239. 121 Vgl. U.  Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S.  236–250. Jes  30,1–5 ist ein Vorbild für den Ausdruck Jes  31,1–3, und Jes  31,1–3 ist insofern das Produkt rein schriftgelehrter Tätigkeit (S. 257). Die Rûaḥ in Jes 31,3 bezieht sich auf Pferde, und hier ist von ihrer Trennung vom Fleisch die Rede. Die Rûaḥ auf einem Tier begegnet in Gen 6,17 u.a., da allem Fleisch die Rûaḥ innewohnt, da sie der universale ­Lebensodem ist. 122 Es besteht wahrscheinlich ein literarisch unmittelbarer Zusammenhang zwischen Jes 11,1f und Jes 9,1–6. O. Kaiser, Das Buch des Propheten Jesaja. Kapitel 1–12, ATD 17, Göttingen 1950, S. 207; vgl. K. Marti, Das Buch Jesaja, KHC X, Tübingen 1900, S. 113f. Bei Jesaja ist ansonsten keine derartige Darstellung des Gottesfriedens belegt. Dagegen H. Wildberger, Jesaja 1–12, BKAT X/1, Neukirchen-Vluyn 21980, S. 442f. Die absolute Wirkung des Geistes ist aber auffällig, da in 1 Sam 16,13 die Geistausgießung auf David mit der Salbung verbunden wird, was sich auch in Jes 61,1 findet. Vgl. D. Wagner, Geist und Tora, S. 386.

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­ orstellung setzt die universale Herrschaft Jahwes voraus (vgl. Jes 34,16),123 weil V der Geist außerhalb der Geschichte Israels wirkt. Ein andere Geistvorstellung findet sich in Jes 29,24, wo Rûaḥ in Verbindung mit dem weisheitlichen Wort ‫בינה‬ »Einsicht« als menschliche Bewusstseinseigenschaft zu verstehen ist (vgl. Hiob 20,3; Spr 8,5; Jes 11,4), weil das Wort ‫» תעה‬irren« mit ihm verbunden ist (Hos 4,12). In Jes 28,6 ist vom Geist des Rechts für denjenigen, der zu Gericht sitzt, die Rede. Hier geht es um die Verbindung von Geist und Gesetz. Da in Jes 28,5 Jahwe Zebaot als herrliche Krone bezeichnet wird, liegt die Vorstellung nahe, dass die davidische Dynastie bedeutungslos geworden ist (vgl. Jes 11,2–4), weshalb Jes 28,5f in der Forschung durchgängig in die Nachexilszeit datiert wird.124 In Jes 29,10 ist der Geist mit der Präposition ‫ על‬gebraucht (vgl. Num 11,17; Ri 3,10). Hier erfüllt er einen negativen Zweck, da die Verstockung aus der Wirkung eines Geistes des tiefen Schlafs resultiert (vgl. Jes 6,9–10).125 In Jes 30,1 spricht sich der Geist gegen das politische Bündnis Israels mit Ägypten aus,126 der Vers ist wahrscheinlich im Kontext von Hiskias Aufstand gegen Sanherib zu verstehen,127 ferner wird der Geist als göttlicher Wille verstanden. 123 Jes  34–35 dient für manche Exegeten als Überleitung von ProJes zu DtJes. Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 249. O. H. Steck hat die Brückenfunktion von Jes 35 und die unbestreitbaren Wort- und Sachbeziehungen zwischen Jes 34 und Jes 35 untersucht, für ihn stellt Jes 34 mit Jes 35 eine spätere Schicht dar, obwohl Jes 34 nirgends die Eigenart direkter literarischer Bezugnahme auf den Zweiten Jesaja zeigt. Vgl. O. H. Steck, Bereitete Heimkehr, S. 49–59; in Jes 34,16 wird der Geist zu einem Treiber von Tieren auf Befehl Jahwes. Jes 34,16 schildert die Herrschaft Gottes, und da es in Edom keinen König mehr gibt (Jes 34,12), und Gott nicht nur über Israel, sondern auch außerhalb Israels herrscht, ist diese Darstellung erst nach der Exilszeit vorstellbar. 124 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 222; U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 226. Dabei setzt die Passage Jes 28,5f die Verbindung von VV. 1–4 und 7ff voraus; vgl. O. H. Steck, Bereitete Heimkehr: Jesaja 35 als redaktionelle Brücke zwischen dem Ersten und dem Zweiten Jesaja, SBS 121, Stuttgart 1985, S. 80. 125 Solange der Abschnitt Jes 6,9–10 als jesajanisch gelten kann, könnte dies auch für Jes 29,9f zutreffen; dagegen behauptet U. Becker (Jesaja von der Botschaft zum Buch, S. 239f ), dass Jes 6,9f auf frühnachexilische redaktionelle Hände zurückgehen müsse, damit sich der Verstockungsauftrag auch auf DtJes beziehe. 126 Zum Militärbündnis mit Ägypten (‫ )עצה‬vgl. H. Wildberger, Jesaja 1–12, S. 1152. 127 Vgl. H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 2, GAT 4/2, Göttingen 1995, S. 352f. Befunde aus dem Alten Orient (R. Borger, Der dritte Feldzug Sanheribs, in: O. Kaiser, R. Borger, u.a. TUAT I/Lfg. 4 [Elektronische Daten], Gütersloh 2004, S. 388ff ) sind zum Vergleich heranzuziehen. Dagegen plä-

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Jes 32,15128 führt die Fruchtbarkeit im Land Israel auf die Wirkung des Geistes zurück, wobei der Geist mit der Präposition ‫ על‬verbunden ist. Die Wüste wird zum Fruchtgarten, obwohl der Geist eigentlich sonst nur auf Personen (‚uns‘) kommt! Der Ort ‫» מרום‬Höhe«, der als Wohnsitz Jahwes zu identifizieren ist, dem der Geist der Fruchtbarkeit entstammt (Jes 33,5.16; 57,15)129, erinnert an die Tempelvision (Ez 47,9; vgl. Dtn 30,9). Diese Passage wird wahrscheinlich in Jes 44,3f aufgenommen und für die Fruchtbarkeit der Nachkommenschaft bearbeitet, wodurch die Geistausgießung im Mittelpunkt steht. Rûaḥ bezeichnet den Wind als bloßes Naturphänomen (Jes  7,2; 17,13; 25,4; 26,18; 32,2; 33,11), den Geist als allgemeines Lebensprinzip ohne Bewusstsein: Jes 19,3; mit Bewusstsein: 26,9, 29,24; 31,3; 38,16), der Geist ist göttlicher Herkunft (11,15; 27,8; 34,16)130 und bewirkt die Geistbegabung des Menschen (Jes 4,4; 11,2; 19,14; 28,6; 29,10; 32,15; 37,7).131 In ProJes ist es bedeutsam, dass die Geistbegabung mit der Fruchtbarkeit in Jes 32,15, von der später nochmals in Jes 44,3 die Rede ist, zusammengestellt wird. Ferner wird diese Geistbegabung als kollektive Geistbegabung dargestellt, die in der dtr Literatur nicht vorkommt und erst in der Exilszeit wichtig wird, insofern ist zweifellos eine Verbindung von ProJes mit DtJes zu beobachten, so wie auch Jes 32,15 und 44,3 inhaltlich zu verbinden sind. In DtJesaja ist Rûaḥ neunmal belegt: 40,7.13; 41,16.29; 42,1.5; 44,3; 48,16; 54,6. Der Geist in Jes 40,7.13 wird als Geist Jahwes bezeichnet, aber er ist in 40,7 der Atem und in 40,13 die Fähigkeit Jahwes.132 Jes 42,5 berichtet, dass das Volk ‫ נׁשמה‬und ‫ רוח‬hat. Der Geist ist somit ein Synonym für ‫ נׁשמה‬und bezeichnet den Lebensodem, wobei ein Konnex zwischen Jes 42,5 und der Schöpfungsgeschichte unverkennbar ist (vgl. Gen 2,7). In Jes 54,6 wird er mit dem Lexem ‫» עצב‬krän-

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diert U.  Becker für die späte Redaktion des Grundbestandes (30,1–2.4–5a), damit das Wort aufzeigt, „dass Israel letzten Endes an der Mißachtung des Ersten Gebots gescheitert ist.“ U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 236–250. Ferner ist dieses Wehewort ein Vorbild für den Ausdruck Jes  31,1–3, wodurch Jes  31,1–3 zum Produkt rein schriftgelehrter Tätigkeit wird (S. 257). U.  Becker versteht die VV.  1–5; VV.  6–8; VV.  15–20 als Nachträge in Jes  32, nur VV.  9–14 lässt sich als ein älteres Stück identifizieren, das aber auch redaktionell eingeschaltet worden ist. U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 268. Darum ist der Ausdruck ‫ רוח ממרום‬als Geist Gottes zu verstehen; vgl. R. Kilian, Jesaja II 13–39, NEB 32, Würzburg 1994, S,188f. Wind Gottes (11,15; 27,8); Geist als Sitz des Bewusstseins (28,6); Geist als Geist Gottes (34,16). Aussendung eines himmlischen Geistwesens (4,4; 19,14; 28,6; 29,10; 32,15; 37,7); Gottes eigener Geist und die Geistausgießung auf Menschen (11,2) Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 742f.

ken«, das auch ‫ לב‬zum Objekt nimmt (Gen 6,6), verbunden, dabei ist der Geist ein Organ des Bewusstseins. Eine wichtige Bedeutung von Geist findet sich in 42,1; 44,3 und 48,16.133 Und diese drei Belege stehen zusammen mit einem Suffix, das sich auf Jahwe bezieht. In Jes 48,16 erscheint der Geist mit dem von Jahwe Gesandten, darum hat er eine prophetische legitimatorische Funktion, die vor dem Exil undenkbar gewesen ist (vgl. Jer 5,13; Hos 9,7).134 Auf den Jahwe-Knecht wird nach Jes 42,1 der Geist gelegt, damit er das Recht (‫ )מׁשפט‬zu den Nationen hinausbringen (VV. 1.3) und es aufrichten wird (V. 4). Die Verbindung von ‫ מׁשפט‬und ‫ רוח‬ist schon in Jes 28,6 zu finden (vgl. Jes 11,2f ), wo es um die Richterfunktion ging: Jes 28,6 Jes 42,1

‫ולרוח מׁשפט ליוׁשב על־המׁשפט ולגבורה מׁשיבי מלחמה ׁשערה‬ ‫הן עבדי אתמך־בו בחירי רצתה נפׁשי נתתי רוחי עליו מׁשפט לגוים יוציא‬

In Jes 28,5 wird das Verb ‫ היה‬mit der Präposition ‫ ל‬verwendet, im Gegensatz dazu bezeichnet die Formel in Jes 42,1 die menschliche Geistbegabung, die mit dem Lexem ‫ נתן‬formuliert wird. Folgende Unterschiede bestehen: 1. Beim Recht ist einerseits von ‚mein Knecht‘, andererseits vom ‚Richter‘ die Rede. Die Verbindung des Geistes mit ‫ מׁשפט‬erfolgt in Jes 42,1 ohne Erwähnung der beruflichen Qualifikation, der Geistbegabte hat vielmehr die große Aufgabe erhalten, das Recht zu den Nationen zu bringen. 2. Daher wird die Aufgabe des ‚Jahwe-­Knechtes‘ universalisiert, dagegen ist die Funktion des Geistbegabten von Jes 28,6 auf den Gerichtsort räumlich beschränkt. Ferner verweist Jes 42,4 darauf, dass die Überbringung der Tora durch den Geistbegabten135 erwartet wird, somit besteht eine grundsätzliche Verbindung zwischen Geist und Tora.136 In Jes 44,1 erfolgt eine Titulatur des Jahwe-Knechtes, die sich auf das Kollektiv Israel bezieht: Jakob, mein Knecht, und Israel, den ich erwählt habe. Wenn Israel 133 In Jes 40,13, wo die Ausschließlichkeit Jahwes zum Thema wird, steht ‫רוח יהוה‬. Zu dessen Bedeutung hat K. Elliger mit Recht gesagt, dass mit dem Wort mehr als der „göttliche Verstand“ gemeint ist, nämlich eine „aktive und lebenswirkende Kraft“. K. Elliger, DeuteroJesaja 40–45,7, BKAT XI/1, Neukirchen-Vluyn 1978, S. 50. 134 Vgl. R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746. 135 Vgl. J. Jeremias, ‚‫ ‘מׁשפט‬im ersten Gottesknechtslied (Jes 42,1–4), VT 22, 1972, S. 31–42. Er versteht die Völker als den Empfänger von ‫מׁשפט‬. Dies bewirkt aber eine große Schwierigkeit in V. 3, da das geknickte Rohr und der glimmende Docht wahrscheinlich auf Israel bzw. einzelne Israeliten verweist. Jes 44,3 berichtet hingegen von der Geistausgießung auf Israel, was dessen Vermehrung bewirkt. 136 Hierzu ist Jes 51,4f zu vergleichen, jedoch wird der Geist hier nicht erwähnt. Vgl. C. Westermann, Das Buch Jesaja 40–66, ATD 19, Göttingen 1966, S. 80f.

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als Jahwe-Knecht zu verstehen ist, dann muss auch der Geist auf Israel ausgegossen, werden, was Jes 44,3 berichtet. Erstaunlich ist, dass Jahwe den Geist nicht auf eine bestimmte Person, sondern auf die Nachkommenschaft (‫ )על־זרעך‬ausgießen wird, während der Geist vor der Exilszeit auf eine einzelne Person ausgegossen wird, also wird er nun kollektiv auf das Volk Israel bzw. die Gemeinde begeben! Dieser Geist bewirkt die kräftigere Vermehrung der Nachkommenschaft (Jes 44,4; vgl. Gen 2,9; Ez 37), womit er eine lebensspendende Funktion gewinnt. Hier ist aber nicht von der Verbindung zwischen Geistbegabung und Gerechtigkeit die Rede,137 sondern einzig von der Relation von Geistbegabung und Vermehrung, die in Dtn 30,6–9 jedoch durch die Herzensbeschneidung bewirkt wird.138 Nach dem Untergang Israels werden die königlichen Titel (‫ רוח‬und ‫ ;מׁשיח‬vgl. Klgl 4,20) unterschiedlich verwendet.139 Für Kyros ist die Titulatur xyvm »ein Gesalbter« in Gebrauch (Jes 45,1). Dieser Titel wird ihm wegen eines bestimmten Zwecks verliehen, da er eine göttliche Aufgabe erfüllt: Um meines Knechtes Jakob willen und Israels, meines Auserwählten (Jes 45,4a). Kyros wird aber nicht als Jahwe-Knecht bezeichnet! Zwischen 550 v. Chr. und 530 v. Chr. spielt er in der Historie eine wichtige Rolle, denn um 550 gelingt es ihm, den Mederkönig Astyages zu unterwerfen und der medischen Herrschaft ein Ende zu bereiten. Und in einem letzten großen Erfolg zieht Kyros im Jahr 539 kampflos, bejubelt von Siegern und Besiegten, in Babel ein.140 Jes 45,1b beschreibt somit das reale historische Geschehen der friedlichen Einnahme Babels durch Kyros: damit vor ihm Türen geöffnet werden und Tore nicht verschlossen bleiben. Darum ist Jes 45,1–4 wahrscheinlich in die Nachexilszeit zu datieren,141 da die Identifikation des Jahwe-Knechtes mit dem Volk Israel auch erst dann sinnvoll ist (Jes 45,4). In TriJes ist vom Geist durchaus häufig die Rede. In Jes 57,13 ist er als Wind wie in Jes 64,5 zu verstehen. In Jes 57,15 bezeichnet er einen zerschlagenen und 137 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 236. 138 S. u. Dtn 30 (2.3.1). 139 Vgl. O. H. Steck, Gottesknecht und Zion. Gesammelte Aufsätze zu Deuterojesaja, FAT 4, Tübingen 1992, S. 153. 140 Vgl. H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 2, S. 398. 141 Vgl. O. H. Steck, Gottesknecht und Zion, S. 155.161. Für ihn entstand „die Ebene der Redaktion von Jes  40–55* durch die ‚Kyros-Ergänzungs-Schicht‘“ ca. 535–520 v. Chr. und „die Ebene der Redaktion von Jes 40–55* durch die ‚Ebed-Israel-Schicht‘“ ist in die erste Hälfte des 5. Jh. v. Chr. einzuordnen; dagegen behauptet U. Berges, dass sich Kyros ab 539 nicht mehr wie ein „Gesalbter JHWHs“ verhielt, weil er seitdem bewusst Marduk favorisierte. Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 543.

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demütigen Menschen, bei dem Gott bleibt (vgl. Jes 57,16; Num 27,16). Für uns zentral ist Jes 59,21, hier ruht der Geist auf einem Auserwählten und dieser Geistbegabte wird als Wortinhaber dargestellt. An der Redewendung ‫ודברי אׁשר־ׂשמתי‬ ‫ בפיך‬ist zu erkennen, dass diese Prädikation des Geistbegabten ihn zum Nachfolger des Mose stilisiert (vgl. Dtn 18,15ff; Jer 1,9). Hier werden aber zwei Legitimationsphänomene, nämlich die Geistbegabung und das Legen der Worte in den Mund, verbunden. Da der Geist einem Auserwählten verliehen wird und durch seinen Auftrag der Geist und das Wort im Mund der Nachkommen in Ewigkeit bleiben (vgl. Jes 44,3), erfolgt in Jes 59,21 die Verknüpfung von Toravermittlung und Geistbegabung. Da der Toragehorsam durch den Geistbegabten bewirkt ist, ist seine Funktion mit der dtn / dtr Wendung ‚mit (ganzem) Herzen‘ vergleichbar. Jes 59,21 steht wahrscheinlich Dtn 31,9–13 nahe, da die Worte durch den geistbegabten Hohenpriester142 an die Nachkommen vermittelt werden. Damit kommt auch der Entwicklungsprozess des Jesajabuches in den Blick (Jes 28 – 42 und 44 – 59). Jes 59,21 ist im Zusammenhang mit Jes 61,1 zu verstehen, denn die Ankündigung von Jes 59,21 wird von der Person in Jes 61,1 erfüllt,143 wo die Geistbegabung (‫ )רוח אדני יהוה עלי‬zusammen mit dem Salbungsakt die Legitimation bewirkt (vgl. 1 Sam 10,1; 16,12).144 Vom ‫» רוח קדש‬Heiligen Geist« ist im AT nur in Jes 63,10f und Ps 51,13 die Rede. Das Wort ‫ קדש‬ist sonst nie mit dem Geist verbunden, sondern mit Jahwe, Dingen (Kleid, Opfer, Öl usw.)145 und erwählten Personen. Der Heilige Geist ist in Jes 63,10 eine schützende Kraft,146 und er wird dem Volk verliehen, wobei die 142 S. u. Jes 61 (2.1 und 2.2). 143 Vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66. Eine Untersuchung zu den literarischen Bezügen in den letzten elf Kapiteln des Jesajabuches, BZAW 225, Berlin 1994, S. 226; R. Achenbach, König, Priester und Prophet. Zur Transformation der Konzepte der Herrschaftslegitimation in Jesaja 61, in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, hrsg. von R. Achenbach, M. Arneth und E. Otto, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 196–244; U. Kellermann, TritoJesaja und das Geheimnis des Gottesknechts. Erwägungen zu Jes 59; 61; 66, BN 58, 1991, S. 50. 144 Die Salbung spielt eigentlich allein eine Rolle für die Qualifikation. Der Konnex von Geistbegabung und Salbung ist sonst nur noch in 1 Sam 16,13 zu finden, wo von der Salbung Davids durch Samuel berichtet wird. 145 Person (Ex 19,22; 30,30), Volk (Jes 62,12), Stadt (Jes 52,1), Tag (Ex 20,8; 31,15), Ort (Ex 3,5), Opfer (Ex 13,2), Kleid (Ex 28,2), Öl (Ex 30,31), Name (1 Chr 16,10) und Heiligtum (Ex 29,44; 30,36). All dies bezieht sich auf das Heiligtum bzw. die Theophanie. Vgl. dazu auch die Beschreibung des Baalkultes in 2 Kön 10,20. 146 Vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 291.

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Exodustradition reflektiert wird (Jes 63,11). Hierzu ist Hag 2,5 heranzuziehen, wo der Geist beim Exodus in der Mitte des Volkes geblieben ist – aber eben nicht der Heilige Geist. Vom Heiligen Geist ist sonst nur noch in Ps 51,13 die Rede, häufig verwendet wird dieser Begriff aber erst in Qumran (1QS iii 18 – iv 26).147 In Ps 51,14 ist der Geist durch ‫» נדיבה‬willig« bestimmt, dieses weitere Attribut expliziert den »festen« Geist von Ps 51,12 genauer. H.-J. Kraus erkennt in ‫ נדיבה‬eine Verbindung zwischen den Prophetenbüchern und den Psalmen: „Die Nähe dieser Aussage zu den Prophetenworten in Jer 24,7; 31,33; 32,39; Ez 36,25ff ist unverkennbar. Jeremia und Ezechiel künden an, dass Jahwe selbst seine ‫ תורה‬in das Herz des Menschen legen und damit freudigen, willigen Gehorsam durch seine ‫ רוח‬schaffen werde.“148 Wenn diese Formulierung die kollektive Begabung mit dem Heiligen Geist zum Thema macht, setzt dies die kollektive Geistbegabung von Ez 36,26; Joel 3,1f voraus; doch zeitlich gehört dies Verständnis eher in die Zeit von Qumran, da es besonders häufig und an zentraler Stelle in 1QS iii 18–iv 26 belegt ist.149 In Jes 65,14 ist der Geist ein Synonym für Herz (‫)לב‬, und der Vergleich zwischen Jes 61,1 (‫ )נׁשברי־לב‬und Jes 65,14 (‫ )מׁשבר רוח‬lässt erkennen, dass ‫ לב‬durch ‫רוח‬ ersetzt wird, wobei der Geist als Organ verstanden wird (vgl. Ex 28,3; Dtn 2,30). In Jes 66,2 ist der Geist als ‫» נכה‬zerschlagen« beschrieben (vgl. Jes 61,1 ‫לנׁשברי־לב‬ »gebrochenes Herz«), und der ‫» עני‬demütige« Geist erzittert vor dem Wort Gottes, also ist der Geist hier als Sitz des Bewusstseins verstanden. Im Jesajabuch lassen sich verschiedene Funktionen des Geistes beobachten, und aus den dargestellten Phänomenen lässt sich ein Entwicklungsprozess des Geistverständnisses ableiten, da der Geist nun auch mit dem Gesetz verbunden wird. In ProJes wird der Geist sowohl als Naturphänomen als auch als Wille Gottes im politischen Sinne verwendet.150 Bei DtJes dient der Israel verliehene Geist zu dessen Vermehrung, womit eine erste Form der kollektiven Geistbegabung erscheint. Bei TriJes schließlich gewinnt die Toravermittlung durch den Geistbegabten eine zentrale Rolle (Jes 59; 61; vgl. Jes 11,2f ). Im Jeremiabuch ist von Rûaḥ 17-mal die Rede. Auffällig ist, dass der Ausdruck ‚Geist Gottes‘ (‫ רוח אלהים‬und ‫ )רוח־יהוה‬nicht erscheint, weshalb die Geistbegabung

147 Vgl. F. F. Bruce, Holy Spirit in the Qumran Texts, ALOS 6, 1966–68, S. 50. 148 H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, S. 546f. 149 Vgl. F. F. Bruce, Holy Spirit in the Qumran Texts, S. 49f. In 1QS iii 18–iv 26 findet sich eine dualistische Geistvorstellung: „The one is the spirit of truth, of light, of holiness; the other is the spirit of falsehood, of darkness, of impurity.“ 150 Viele Belege für den Geist in ProJes sind sekundär (vgl. Jes 11; 28; 34).

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keine Rolle spielt.151 Stattdessen bezeichnet Rûaḥ lediglich den Wind als Naturphänomen (Jer 4,11; 13,24; 14,6; 18,17; 22,22; 49,36; vgl. Richtungen 49,32; 52,23; Geruch 2,24; Nichtigkeit 5,13), das Lebensprinzip (Jer 10,14; 51,17), den Wind göttlicher Herkunft (Jer 4,12; 10,13; 51,16), den Sitz des Bewusstseins, der von Gott herkommt (Jer 51,11), und die Aussendung eines himmlischen Geistwesens (Jer 51,1). Von den Belegen ist Jer 5,13 genauer zu untersuchen, wo es um den Konflikt zwischen den Pseudopropheten, die zu Wind werden, und dem wahren Propheten geht. Die Auseinandersetzung mit der Heilsprophetie (vgl. Jer 5,12) findet sich auch in Jer 14,14f und 23,17f, wo die prophetische Legitimation sowohl durch die Sendungsformel (‫ ואני לא־ׁשלחתים‬als auch durch die Teilnahme am Rat Jahwes und das Hören seiner Worte ausgedrückt wird (Jer 23,18; vgl. Jes 6,1.8). Für E. Otto ist Dtn 18,18 sprachlich aus Jer 5,14b und dem dtn Pseudoprophetengesetz übernommen worden,152 somit ist Jer 5,13 wahrscheinlich als jeremianisch zu verstehen. In Jer 51,11 ist Rûaḥ als Geist der Könige von Medien zu verstehen. Dies setzt den Untergang des Tempels voraus und „König von Medien“ bezeichnet Kyros II., der um 550 v. Chr. das Mederreich erobert hat.153 Die Untersuchung der Rûaḥ-Belege im Jeremiabuch führt zum Ergebnis, dass die geistgewirkte Prophezeiungsgabe vor der Exilszeit negativ verstanden worden ist.154 Im Gegensatz zum

151 In der LXX Wiedergabe von Jer 18,17 (a;nemon kau,swna) wird Rûaḥ mit „brennender Wind“ übersetzt; dagegen dient das Wort im Jeremiabuch als Metapher für die Militärmacht (Jer 5,10; 6,5; 12,10; 15,3). Vgl. W. McKane, Jeremiah XXVI–LII, ICC, Edinburgh 1996, S. 1296; G. Wanke, Jeremia 25,25–52,34, ZBAT 20/2, Zürich 2003, S. 447. 152 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium krönt die Arbeit der Propheten. Gesetz und Prophetie im Deuteronomium, in: Ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil (Jesaja 45,7). Studien zur Botschaft der Propheten. Festschrift für L. Ruppert zum 65. Geburtstag, FzB 88, Würzburg 1998, S. 292f; dagegen vgl. F. Crüsemann, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992, S. 280f. Er hat das Prophetengesetz in Dtn 18,18 als Iterativ verstanden, so dass die Passage so zu übersetzen ist: Einen Propheten aus deiner Mitte [immer wieder] erstehen lassen. Aber seine Auffassung ist abzulehnen, da der Ausdruck bei den nach der Exilszeit auftretenden Propheten nicht zu finden ist, während sie bei den Propheten Jesaja (51,16), Jeremia (1,9) und Ezechiel (3,3) auftaucht. Zu Dtn 18,18 s. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10): Some Observations on the Relation between the Pentateuch and the Latter Prophets, Vortrag am 12.01.2010 in Zürich, S. 6–10. 153 Vgl. G. Wanke, Jeremia 25,25–52,34, S. 448f. 154 Dazu R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746. Sie behaupten zu Recht: „Erst in nachexilischer Zeit wird die Prophetie selbstverständlich als Wirken des göttlichen Geistes verstanden.“

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Jesajabuch spielt der Geist daher keine Rolle, denn stattdessen wird bl, das für den dtr Toragehorsam bedeutsam ist, als Schreibtafel für die Tora an zentraler Stelle erwähnt (Jer 31,32; vgl. Jer 24,17; 29,13), was eine Verbindung von Dtn und ­Jeremiabuch impliziert.155 Im Gegensatz zu den anderen Prophetenbüchern ist von der Rûaḥ im Ezechielbuch häufig die Rede.156 Hier findet sich die Formel ‫( נׂשא רוח‬Ez 3,12.14; 8,3; 11,1.24; 37,1; 43,5), wodurch der Geist personifiziert wird (vgl. Ez 8,3 ‫ותׂשא אתי‬ ‫)רוח‬, wobei er den Menschen umkleidet und ihn als Werkzeug benutzt (Ri 6,34). Er wird aber mit keinem Artikel bzw. Jahwe verbunden, somit ist wohl die Aussendung eines himmlischen Geistwesens oder Windes gemeint. Ez 11,22–24 ist bedeutsam, da die Herrlichkeit Jahwes und der Geist Gottes die Übriggebliebenen in Israel verlassen, da der Geist nun zu den Deportierten kommt (Ez 11,22–24).157 Und die Redewendung ‫ ותבא־בי רוח ותעמדני על־רגלי‬in Ez 3,24 begründet die Rechtfertigung von Ezechiels Visionen und den Sonderstatus der Exilierten als das künftige wahre Israel.158 Ez 11,5; 37,14 und 39,29 schildern eine Geistbegabung, allerdings gibt es Differenzen, nicht nur weil verschiedene Verben (‫נפל‬, ‫ נתן‬und ‫ )ׁשפך‬verwendet werden, denn die Geistbegabung zielt in Ez 37 und 39 auf ein Kollektiv, während sie in Ez 11,5 nur Ezechiel zukommt. Der Geist (‫ )רוח־יהוה‬in Ez 11,5 rechtfertigt die Deportation, wobei die Geistbegabung zur Legitimation des Propheten dient (vgl. Jer 22,22). In Ez 37,1–14 geht es um die Neubelebung des Hauses Israel. 155 Zu den Verbindungen zwischen Dtn und Jeremiabuch vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, WMANT 41, Neukirchen-Vluyn 1973; D. Knapp, Deuteronomium 4. Literarische Analyse und theologische Interpretation, GTA 35, Göttingen 1987; C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora. Soziale Gebote des Deuteronomiums in Fortschreibungen des Jeremiabuches, FRLANT 196, Göttingen 2002. 156 Naturphänomen (Ez 5,2.10.12; 12,14; 17,10.21; 19,21; 27,26; vgl. Richtungen Ez 42,16.17.18.19.20); Vehikel Gottes (Ez 1,4.12.20f; 10,17); Wind, der von Jahwe ausgeht (Ez 13,11.13); Geist als bewusstes Lebensprinzip (Ez 13,3; 20,32; 21,12); ‫נׂשא‬ ‫( רוח‬Ez 3,12.14; 8,3; 11,1.24; 37,1; 43,5); Geistausgießung (Ez 2,2; 3,24; 11,5; 36,27; 37.5.6.8.9.10.14; 39,29; vgl. ‫ רוח חדׁשה‬Ez 11,19; 18,31; 36,26. 157 Zum Textbestand in Ez 11,1–13 sagt K.-P. Pohlmann, dass es „einen Text, der von der Anwesenheit des prophetischen Sprechers in Jerusalem ausgeht“, gab. Dieser Text spiegelt deutlich ein vorgolaorientiertes Textstadium wider, worauf die Visionen Ezechiels hinweisen. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 1–19, S. 157. 158 Dass die Herrlichkeit Jahwes den Tempel verlässt, zeigt auch die Frage nach dem wahren Israel (Ez 11,22ff), dementsprechend drückt das Kommen des Geistes auf Ezechiel dessen Sonderstatus aus; vgl. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten ­Hesekiel (Ezechiel) 1–19, S. 158.

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In Ez 37,14, wo wahrscheinlich VV. 5f wieder aufgenommen werden,159 bewirkt der Geist Jahwes eine kollektive Geistbegabung (yxwr; vgl. Ez 39,29).160 Zudem ist in VV. 11–14 auch eine Verdopplung (12aβ=13; 12b=14aβ) zu finden,161 und der Text erinnert an die Schöpfungsgeschichte in Gen 2,7. Beachtenswert ist, dass die Rûaḥ durch den Mund Ezechiels ins Fleisch gelangt, was sich auf Jes 59,21aβb bezieht: Mein Geist, der auf dir ruht, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, werden nicht aus deinem Mund weichen noch aus dem Mund deiner Nachkommen, noch aus dem Mund der Nachkommen deiner Nachkommen, spricht der HERR, von nun an bis in Ewigkeit. Der Konnex und Unterschied der beiden Texte ist so zu erklären: 1) Die Funktion des Priesters. Während in Jes 59,21 der Bund eine futurische Größe ist (Mein Geist … und meine Worte … werden nicht aus deinem Mund weichen), wobei der Priester als Wortverkünder agiert (Jes  61,1–3), kommt der Geist entsprechend der Weissagung Ezechiels zu den Erschlagenen (Ez 37,10), insofern verkündigt der Priester das Wirken des Geistes. 2) Ez 37,10 formuliert die Weissagung präsentisch (‫ והנבאתי‬Ez 37,10), während die Verheißung in Jes 59,21 futurische gehalten ist. Da die Verheißung von Jes 59,21 in Ez 37 Wirklichkeit gewinnt und der Geist in Ez 36,26f als der Neue Geist (‫)רוח חדׁשה‬, der die Voraussetzung des Toragehorsams bildet, bezeichnet wird, ist Ez 37 wahrscheinlich später als Jes 59,21 ­entstanden. Der Geist wird im Ezechielbuch als ‫» רוח חדׁשה‬neuer Geist«, was in anderen Büchern nicht vorkommt, bezeichnet, wobei zugleich die Verbindung von Geist und Gesetz hervorsticht. Gegenüber dem Jesaja- und Jeremiabuch erfolgen hier wichtige Modifikationen,162 denn während die Toravermittlung bei TriJes vom Geistbegabten abhängig ist, ist sie im Ezechielbuch davon unabhängig, da der Geist durch Jahwe direkt an den Toraempfänger verliehen wird. Im Dodekapropheton ist von Rûaḥ in verschiedener Weise die Rede,163 wobei folgende Belege für unsere Fragestellung relevant sind. In Hos 9,7 geht es um den 159 Vgl. J. Garscha, Studien zum Ezechielbuch. Eine redaktionskritische Untersuchung von Ez  1–39, EHS 23, Bern 1974, S.  222; dagegen W.  Zimmerli, Ezechiel 25–48, BKAT XIII/2, 21979, S. 888f. 160 Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 51. 161 Vgl. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 20–48, ATD 22/2, Göttingen 2001, S. 494f. 162 S. u. Jer 31 (3.3.2) und Ez 36 (2.3.1). 163 Wind (Hos 4,19; 8,9; Mi 2,11; Hab 1,11; Sach 5,9; 6,5; vgl. Sach 2,10 – Richtungen); Geist als Lebensprinzip (mit Bewusstsein) nicht göttlicher Herkunft (Hos 4,12; 5,4; Hab 2,19; Mal 2,15; vgl. Sach 13,2 Geist der Unreinheit [‫ ;)]רוח הטמאה‬Wind Jahwes

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Geistbegabten. Hier wird ein Zitat des Volkes wiedergegeben, worin der Prophet mit dem Schimpfwort ‫» אויל‬Narr« belegt wird, weil ‫ איׁש הרוח‬durch das Adjektiv ‫» מׁשגע‬verrückt« negativ konnotiert ist.164 In Hag 1,14 bildet die Erweckung des Geistes durch Jahwe das Thema, womit der Vers voraussetzt, dass der Geist dem Volk165 schon früher gegeben wurde; und seine Erweckung soll den Tempelbau initiieren (vgl. Jes 61,3). Die Geisterweckung zielt auf die Erkenntnis des Willens Gottes. Hag 2,5 berichtet hingegen, dass der Geist Jahwes (‫ )רוחי‬seit dem Exodus in der Mitte des Volkes geblieben ist.166 In Sach 13,2 ist vom ‫» רוח הטמאה‬Geist der Unreinheit« die Rede. Götzendienst wird häufig mit Unreinheit gleichgesetzt,167 womit der Geist der Unreinheit dem Gesetzesgehorsam entgegensteht. Weil die Entfernung der Propheten fremder Götter mit der Abschaffung des Götzendienstes verbunden ist (vgl. Sach 10,2), bezeichnet der Ausdruck in Sach 13,2 nicht das generelle Ende der Prophetie, sondern das Ende der falschen Propheten,168 da de facto weiterhin Propheten aufgetreten sind (vgl. Num 11,24f.29), und dass sie den Prophetenmantel tragen (Sach 13,4), ist ein Indiz spätnachexilischer Schriftgelehrsamkeit (vgl. 2 Kön 2,13f).169 (Hos 13,15; Am 4,13; Jon 1,4; 4,8); Geist als bewusstes Lebensprinzip göttlicher Herkunft (Hab 1,14; Sach 12,1.10; Mal 2,15); Geist Jahwes (Mi 2,7; Hag 2,5; Sach 4,6; 6,8; 7,12) und Geistausgießung (Joel 3,1.2; Mi 3,8; vgl. Hos 9,7 – negativ). 164 Daneben wird im Zusammenhang mit dem Prophezeien in Jer 29,26 das Wort ‫מׁשגע‬ gebraucht (vgl. 2 Kön 9,4–11 Prophetenjünger und ‫מׁשגע‬, besonders V. 11). Dazu behauptet J. Jeremias (Der Prophet Hosea, S. 118), dass „sich die vorexilischen Schriftpropheten selber – im Gegensatz zu den ältesten Propheten Israels und mit Ausnahme Ezechiels – nicht auf Geistbesitz berufen“. E. Sellin versteht den Mann des Geistes als Ekstatiker; (Das Zwölfprophetenbuch: Hosea-Micha, KAT XII, Leipzig 1929, S. 96). 165 Die Identifikation ist unterschiedlich. Für K.  Galling (Studien zur Geschichte Israels im persischen Zeitalter, Tübingen 1964, S. 75.136) bezeichnet der Begriff ‚Rest des Volkes‘ nur die aus dem Exil Heimgekehrten, die für den Tempelbau verantwortlich sind; was auch H.  W.  Wolff (Dodekapropheton 6. Haggai, BKAT XIV/6, ­Neukirchen-Vluyn 1986, S. 36) vertritt; dagegen hält H.-G. Reventlow (Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 17) es für eine Bezeichnung für ‚das gemeine Volk‘ neben den Führern. 166 Vgl. H. G. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 21. 167 Lev 20,3; Jer 2,7f; Ez 20,7.18.31; 22,3.4; 23,7.30; 36,18; 37,23; Hos 5,3. 168 Vgl. H. G. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 119; J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches. Buchübergreifende Redaktionsprozesse in den späten Sammlungen, BZAW 389, Berlin 2008, S. 110. 169 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch. Studien zur Literaturgeschichte von Pentateuch und Hexateuch im Lichte des Deuteronomiumrahmens, FAT 30, Tübingen 2000, S. 232, Anm. 314.

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In Joel 3 ist von der Geistausgießung die Rede (‫)על־כל־בׂשר‬. Sie rekurriert auf Num 11,29, doch hier wird der Mosewunsch als göttliche Verheißung wiedergeben. Somit besteht eine Verbindungslinie zwischen Num 11 und Joel 3. Vom Geist ist in den Prophetenbüchern überwiegend bei Jesaja und Ezechiel die Rede, weshalb auch ihr Konnex zu erwägen ist, da der Geist für den Toragehorsam relevant ist. Im Jeremiabuch dient hingegen das Herz für ihn, was an das Dtn anknüpft. Auffällig ist, dass ‫ רוח‬und ‫ לב‬im Ezechielbuch zugleich diesem Ziel dienen, wodurch hier eine Verknüpfung von jesajanischen und dtn / dtr Vorstellungen des Toragehorsams erfolgt. c. In den Psalmen Die Rûaḥ Belege in Ps 51 sind wichtig, da hier verschiedene Attribute verwendet werden (VV. 12–14). In V. 12 wird der Geist mit dem Partizip im Nif. ‫» נכון‬fest« verknüpft. In V. 13 steht ‫» רוח קדׁש‬Heiliger Geist«,170 in V. 14 ‫» רוח נדיבה‬williger Geist«. In diesen Versen ist der Geist sowohl maskulin (V. 12f) als auch feminin (V. 14). Der Geist in V. 12 bildet eine Parallele zu ‫» לב טהור‬reines Herz«, wobei Rûaḥ als Organ wie ‫ לב‬zu verstehen ist. In V. 12 erhofft der Psalmist die neue Schöpfung, was das Lexem ‫ ברא‬erkennen lässt (vgl. Gen 1,1), da, der Beter in Sünde empfangen und in Schuld geboren ist (V. 7). Die Idee der Erneuerung des Geistes in Ps 51,12 verbindet die Passage mit Ez 36,26f.171 Der obige Überblick lässt erkennen, dass sich das Geistverständnis allmählich entwickelt hat. Von einem Konnex zwischen Geist und Gesetz bzw. Tora ist in ProJes 28,6 die Rede, wo der Geist auf die Berufsqualifikation referiert. Auch in DtJes besteht dieser Konnex, weil die Tora durch einen geistbegabten Vermittler zu den Völkern gelangen soll (Jes  42,1–4). Zudem wird die kollektive Geistbegabung zum Thema, die aber nicht den Toragehorsam, sondern die Vermehrung bewirkt (Jes 44,3f). Des Weiteren wird der Geist in Jes 59,21 durch einen Auserwählten an die Nachkommen weitergegeben, wobei nun der Gesetzesgehorsam zentral ist. Bei Jesaja ist der Toragehorsam mit dem Geist, verbunden, während er im Dtn, DtrG und Jeremiabuch mit dem ‫לב‬/ ‫ לבב‬verknüpft wird.172 Ferner ist vom Gesetzesgehorsam in Ez 11 und 36 die Rede, wo der Geist mit dem Herz gleichgesetzt wird. Folglich sind drei Verknüpfungsstufen zu beobachten: 1. Die Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber 170 Eine solche im Pentateuch nirgends belegte Verknüpfung findet sich sonst nur noch in Jes 63,10f, was eine Beziehung impliziert. S. o. (2.2.2.2.3[b]). 171 Vgl. H.-J. Kraus, Psalmen 1–59, BKAT XV/1, Neukirchen-Vluyn 51978, S. 546. 172 S. u. Dtn 30 (2.3.1); Jer 31,31–34 (3.3.2).

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dem Gesetz, 2. Toravermittlung und Geistbegabung und 3. Geistempfang und Toragehorsam.

2.2.3 Tora als Sprechakt und als Schrift 2.2.3.1 Die mündliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen Sir 39,1 (ca. 190 v. Chr.) ist der ältere Beleg für die Tora als erster Teil des hebräischen Kanons – jedoch ohne ausdrückliche Zuschreibung zu Mose.173 Der Begriff ‫ תורה‬findet sich im AT 220-mal, 208-mal im Sing. und 12-mal im Plural.174 Er wird meist vom Verbum ‫» ירה‬zeigen«, im Hifil, »lehren / unterweisen« abgeleitet175 und entwickelt sich zum Oberbegriff für die Komposition des Pentateuch. Während ‚die Tora‘ (vgl. Jos 1,7) bzw. ‚die Tora des Mose‘ (vgl. Mal 3,22; Esr 7,6) bzw. ‚Buch der Tora des Mose‘ (vgl. Jos 8,31; Neh 8,1) sowohl den ganzen Pentateuch als auch den Inhalt seiner Bücher bezeichnet,176 bedeutet Tora sachgemäß ‚Unterweisung oder Anweisung‘,177 was weisheitliche Erziehung und Belehrung impliziert. Hier wird sie synonym zu ‫ מצוה‬gebraucht (Spr 3,1; 6,20). Die mündliche Tora wird durch Weise (Spr 13,14), Lehrer und Eltern (Spr 1,8; 6,20; 7,2) überliefert, insofern erfolgt sie vor allem als häusliche Einzelbelehrung der Kinder durch die Eltern. Sie umfasst eine unbestimmte Vielzahl von Sachverhalten,178 da die mündliche Tora erst später in schriftlicher Form fixiert wird. Ein anderer Ausdruck für Belehrung (‫» ירה‬unterweisen«) findet sich bei Hiobs Freunden (Hiob 6,24), doch diese mündliche Tora ist nicht zu bestimmen.179

173 Vgl. A. Moenikes, Tora ohne Mose. Zur Vorgeschichte der Mose-Tora, BBB 149, Berlin 2004, S. 13. 174 Vgl. G. Lopez, Art. ‫ תורה‬ThWAT VIII, Stuttgart 1995, S. 600. 175 Vgl. R. Achenbach, Art. Tora, 4RGG Bd. 8, Tübingen 2005, S. 476; W. Gesenius, und F. Buhl, Wilhelm Gesenius Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament: unter verantw. Mitarb. von U. Rüterswörden bearb. und hrsg. von R. Meyer Lfg.II (d-y). Berlin 1995, S. 495. 176 Vgl. E. Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, S. 61; W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 40. ‚Tora‘ ist zunächst die einzelne Mahnung der Eltern (Spr. 1,8; 4,3f. u.a.) oder die Belehrung des Priesters in einem konkreten Fall (Hag 2,11ff). Erst später gewinnt der Begriff die Allgemeinbedeutung ‚Gesetz(buch)‘, das alle Satzungen umfasst (Dtn 4,44f; 17,18; 31,9ff) und mit Moses Namen verbunden ist. 177 Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 43–45. 178 Vgl. A. Moenikes, Tora ohne Mose, S. 49. 179 Vgl. A. Moenikes, Tora ohne Mose, S. 13.

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Im Dodekapropheton findet sich das Lexem ‫» ירה‬lehren, unterweisen«, das mit der priesterlichen Tätigkeit verknüpft ist. Ob Mi 3,11 – ‫ – וכהניה במחיר יורו‬als ein älterer mündlicher Torabeleg zu bewerten ist, ist umstritten.180 Für J. Wöhre181 gehört diese Passage zum echten Text des Propheten, und die priesterliche Belehrung bezieht sich daher wohl auf das Bundesbuch,182 weil die Anklage durch den Vorwurf der sozialen Unterdrückung und Rechtsbeugung begründet wird (Mi 3,9f). Dagegen gilt die Passage für J. Jeremias als sekundär, da die Sozialkritik in Mi 3,10 durch den Einschub des Vorwurfs gegen die Priester religiös begründet wird.183 Dagegen behauptet C. Maier zu Recht, dass sich keiner der drei Verwendungsbereiche bisher definitiv als Ursprungsort erweisen ließ, weshalb in Mi 3,11 sowohl von der mündlichen priesterlichen Belehrung, als auch schriftlich niedergelegten Gesetzeskorpus und dem kultischen Einzelgebot die Rede sein könnte.184 2.2.3.2 Schriftliche Tora im Pentateuch – Propheten – Psalmen a) Im Pentateuch: Hier sind die Stellen in den Büchern Genesis, Exodus und Dtn zu untersuchen, wobei die spezifischen Formen des Toragehorsams zu beachten sind. In der Genesis wird die Tora nur einmal als Objekt in Gen 26,5 verwendet, wo sie aber mit den drei verwandten Begriffen ‫מׁשמרת‬, ‫ מצות‬und ‫חקות‬, die im AT nur sehr selten so vorkommen (vgl. Dtn 30,10), zusammensteht (vgl. Ex 16,28). C. Westermann hat zu Recht über Gen 26,5 geurteilt, dass Abraham hier das Vorbild für den Gesetzesgehorsam ist, wofür ihn Gott mit den Verheißungen belohnt (vgl. Dtn 30,1–5).185 180 Vgl. J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches. Entstehung und Komposition, BZAW 360, Berlin 2006, S. 154; A. S. van der Woude, Micah in Dispute with the Pseudo-Prophets, VT 19, 1969, S. 251f. 181 Vgl. J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 154. 182 Diese mündliche Tora steht zwischen der elterlichen Belehrung und der Theologisierung des Gesetzes. Somit ist der Toragehorsam abhängig von der Belehrung durch Eltern, Priester oder Weisheitslehrer. Vgl. F. Crüsemann, Die Tora, S. 133–135; R. Albertz, Die Theologisierung des Rechts im Alten Israel, in: Geschichte und Theologie. Studien zur Exegese des Alten Testaments und zur Religionsgeschichte Israels, BZAW 326, hrsg. von K. Ingo, Berlin 2003, S. 193. Er datiert das Bundesbuch in die Hiskijazeit; W. H. Schmidt (Einführung in das Alte Testament, S. 121) führt hingegen dessen Kern auf die Richter- oder (ältere) Königszeit zurück. 183 Vgl. J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, ATD 24/3, Göttingen 2007, S. 159. 184 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 302f. 185 Vgl. C. Westermann, Genesis 12–36, S.  518. Der Text könnte in der Zeit der Verschriftung der Tora, in der das Gottesverhältnis Israels auf dessen Gesetzesgehorsam ausgerichtet wird, verfasst worden sein (vgl. Dtn 31,9). R. Achenbach versteht den

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In der älteren Gesetzessammlung, also im Bundesbuch Ex 20,22 – 23,33, wird der Begriff ‫ תורה‬gar nicht verwendet. Die Tora wird jedoch in Ex 12,49 genannt, und hier ist sie mit dem Passafest und der Beschneidungsregel verbunden, die nicht nur den Israeliten, sondern auch dem ‫ גר‬gilt, der sich unter ihnen aufhält (vgl. Gen 17,12).186 Ex 12,44 reflektiert also die Beschneidungsregel der P-Schrift (Gen 17,12, Ps),187 die nun auch für den Fremden gilt (Ex 12,48) – eine Analogie zu Dtn 29,9–14, wo der Fremde durch die Teilnahme am Bundschluss im Land Moab zum Gottesvolk gehören kann. Somit setzt dieser Beleg wahrscheinlich die spätere Landnahmesituation voraus, in der Israeliten und Fremde grundsätzlich einer Bedingung unterworfen werden.188 In Ex 13,9 kommt noch ein weiterer Beleg vor, wobei die Tora in den Mund gelegt wird (‫)תהיה תורת יהוה בפיך‬.189 Diese Vorstellung bezieht sich auf das Prophetengesetz in Dtn 18,18–20. Da sich die Tora schon im Mund des Volkes befindet, ist Ex 13,9 später als Dtn 18,18–20, denn das Verheißungszeichen, einen Prophet zu schicken, wird auf das ganze Volk übertragen (vgl. Num 11,29; Dtn 30,11–14). Ferner knüpft Ex 13,9 an Dtn 31,12 an, da die Eltern den Kindern eine Erklärung geben sollen (Ex 13,8; vgl. Dtn 6,7), insofern sind die Vermittlung des Mose und ihre Übergabe an die Eltern zu beachten. In Ex 16 ist der Sabbat mit der Mannaerzählung verbunden. M. Noth erkennt hier „die vermutlich älteste alttestamentliche Stelle über den Sabbat“.190 Jedoch setzt Ex 16,4 die Sabbatordnung voraus, die mit der Tora identifiziert wird und sich dabei auf Ex 15,25 bezieht (‫ ;חק ומׁשפט‬vgl. ‫ מצותיו וחקיו‬Ex 15,26).191 Weiterhin wird die Gestalt des Mose als Vermittler zwischen Jahwe und Menschen wie in Dtn 5,27 dargestellt (Ex 16,2.4.6). Wenn in Ex 16 eine Kombination aus P-Schrift (Ex 16,10) und dtr Schicht vorliegt, ist dieses Kapitel jedoch eine späte Fassung, die das Josuabuch im Blick hat (Ex 16,35; vgl. Jos 5,12).192

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Text als ein durch die Pentateuchredaktion entworfenes Idealbild (Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 39). S. u. Dtn 30 (2.3. Exkurs). Vgl. J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land. Zur Entstehung und Intention der priesterlichen Passagen der Vätergeschichte, FRLANT 246, Göttingen 2012, S. 42–50. Vgl. M. Noth, Das 2. Buch Mose Exodus, ATD 5, Göttingen 1973, S. 78; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 396. Die 2. Pers. Sg. ist in Bezug auf Ex 13,8 zu verstehen (‫ – והגדת לבנך‬Und du sollst deinem Sohn erklären). M. Noth, Das 2. Buch Mose Exodus, S. 108. Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 39. Vgl. E. Ruprecht, Stellung und Bedeutung der Erzählung vom Mannawunder (Ex 16) im Aufbau der Priesterschrift, ZAW 86, 1974, S. 269–307. Ferner ist Ex 16,28

Nach der Urkundenhypothese ist die Tora in Ex 18 dem Elohisten zuzuweisen.193 Zu Ex 18 bemerkt M. Noth, dass die Neuordnung des Rechtsprechungswesens gewiss nicht aus der Gerichtsverfassung, sondern aus der Organisation des Heerbanns stamme,194 was notwendig auf eine Zeit, in der ein solcher bestand, verweist. R. Knierim betont dagegen, dass der Abschnitt Ex 18,13–27 sowohl Heerbannwesen als auch Richteramt voraussetze und dass die Einsetzung von Richtern in den Festungsstädten zur Josaphat-Tradition gehöre.195 Dann wären die Richter nicht in allen Städten, sondern nur in den Garnisonstädten, die der königlichen Verwaltung unterstehen, eingesetzt gewesen.196 M. Rose neigt aber beim Vergleich der Entlastungserzählungen des Mose mit Recht zur Ansicht, dass sich das Thema der Entlastung von Ex 18 über Dtn 1 bis zu Num 11 bewegt.197 Für R. Albertz198 ist Ex 18 eine „Drehtür“, weil es die Exodusund Wüstenereignisse abschließt (VV. 1–12) und die Sinai-Ereignisse eröffnet (VV. 13–26), wodurch das Kapitel eine kompositorische Funktion übernimmt. Mose hat nach Ex 18,3f zwei Söhne, während in Ex 2,22 und 4,25 nur von einem Sohn die Rede ist. Im Gegensatz zur Ältestendarstellung in Ex 24 können sie in Ex 18,12 an einem Opfermahl, das als Bestätigung der Berufung des Mose zur Befreiung Israels verstanden werden kann, teilnehmen. Aus diesen Gründen ist Ex 18 für R. Albertz jünger als die Priesterschrift, und wahrscheinlich dem spät-dtr Redaktor zuzuweisen. Das Konzept ‚Tora‘ in Ex 18,20 bezieht sich im Kontext auf das folgende Bundesbuch, das auf dem Berg Sinai an Mose übergeben und als Sinaibund dargestellt wird. In Ex 18 erfolgt eine Gerichtszentralisation. Während in dtn Dtn 17,8 neben der Kultzentralisation sowohl ein Zentralgericht199 als auch lokale Gerichtsbarkeiten vorausgesetzt

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einer dtr Schicht zuzuweisen, da das Wort ‫ מאן‬einen Vorwurf charakterisiert (S. 273f, Anm. 12). Vgl. J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, Berlin 31899, S. 80; M. Rose, Deuteronomist und Jahwist: Untersuchungen zu den Berührungspunkten beider Literaturwerke, AThANT 67, Zürich 1981, S. 224. Vgl. M. Noth, Das 2. Buch Mose, S. 120f. Vgl. R. Knierim, Exodus 18 und die Neuordnung der mosaischen Gerichtsbarkeit, ZAW 73, 1961, S. 146–171. Vgl. R. Knierim, Exodus 18 und die Neuordnung der mosaischen Gerichtsbarkeit, S. 163. Vgl. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist, S. 257; R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 182.220; s. u. Num 11. (1.3.2). Vgl. R. Albertz, Exodus 1–18, ZBAT 2/1, Zürich 2012, S. 298. Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, 4RGG Bd. 4, Tübingen 2001, S. 587.

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werden, ist in Ex 18 vielmehr eine Gerichtszentralisation v­ orausgesetzt, weil beim Auftritt eines Streitfalls200 das Volk Israel diesen einzig vor Mose bringt, somit trägt nur Mose die Verantwortung für die Tora. Des Weiteren erinnern Ex 18,16b und 20 begrifflich (‫ חקים‬und ‫ )תורת‬an die Tora bzw. Gebote in Ex 15,26 (‫ מצוה‬und ‫ )חק‬und 16,28 (‫ מצוה‬und ‫)תורה‬.201 M. Rose weist darauf hin, dass Ex 18,16.20 nachdeuteronomistische Elemente enthält, da die Plural-Verwendung ‫ חקים‬und ‫ תורת‬weder im Dtn noch im DtrG begegnen und ihre nächste Parallelen sind Gen 26,5 und Ps 105,45.202 In Ex 24,12 bezeichnet die Formulierung zumindest das Gesetz für die kommende Stiftshütte (Ex 25–27) inklusive des Bundesbuches.203 In Ex 24,12b ist die Tora als die einzige Schrift Jahwes verstanden (‫)התורה והמצוה אׁשר כתבתי להורתם‬, was ein Gegenkonzept zu der von Mose verschriftlichten Tora bildet (‫ויכתב מׁשה את־‬ ‫ התורה הזאת‬Dtn 31,9), womit die Bedeutung des Sinaigesetzes akzentuiert wird. Das Dtn bietet insgesamt 22 Belege für das Wort Tora. Dtn 1–4* und 29–34 gelten in der Forschung allgemein als Rahmen des Buches.204 In Dtn 17,18f wird die Levitisierung der Priesterschaft erkennbar. Dagegen erfolgt eine Kultzentralisation in Dtn 17,8–12*, wo die priesterliche Toratradition beachtet wird, jedoch kann hier nicht die levitische Priesterschaft gemeint sein, da im dtn Dtn von den Leviten nur als personae miserae die Rede ist.205 Darüber hinaus beweist U. ­Dahmen die spät-dtr Levitisierung der Priesterschaft, denn „[d]er Levit als soziale Größe [persona miserabilis] wird nur von der dtn Grundschicht und von DtrH […] erwähnt, später nicht mehr“.206 200 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 248; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 55. Das dtn Reformprogramm ist durch den priesterlichen Redaktor in Ex 12,21–27 korrigiert worden. R. Achenbach plädiert, weil es schon in Ex 18,16 um die Entlastung einer zentralen mosaischen Gerichtsbarkeit geht, was die dtn. Rechtsreform schon voraussetzt, für eine nach-dtn Datierung des Textes. 201 Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, Berlin 1990, S. 158. 202 Vgl. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist, S. 229. 203 Das Wort ‫ ואתנה‬verweist gewiss auf das künftige Gesetz. 204 In Dtn 1,5 geht es um die Schriftauslegung des Mose; vgl. E. Otto, Mose der Schreiber, in: ders., Die Tora, BZAR 9, Wiesbaden 2009, S.  480–489. Zu Dtn  31ff vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4.75; W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 124. 205 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 186; s.a. R. Achenbach, Levitische Priester und Leviten im Deuteronomium. Überlegungen zur sog. „Levitisierung“ des Priestertums, ZAR 5, 1999, S. 285–309. 206 U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium. Literarkritische und redaktionsgeschichtliche Studien, BBB 110, Bodenheim, 1996, S. 393ff; s.a. R. Achenbach,

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In V. 9 steht die Angabe ‚levitischer Priester‘ in Spannung zu V. 12, da dies Adjektiv dort fehlt (vgl. Dtn 17,18f). Zudem wird die Kultzentralisation in Dtn 17,10 vorausgesetzt und an der Stätte, die von Jahwe erwählt wird, ist eine Appellation gegen das Urteil nicht zugelassen, während dies an Lokalgerichten erlaubt ist (V.  8). Darum wird die Appellation mit dem Bösen identifiziert und die Redewendung in Dtn 17,12 (‫ )ובערת הרע מׂישראל‬wird aus Dtn 13,6 und 17,7 übernommen.207 In diesem Zusammenhang ist neben der Kultzentralisation auch eine zentrale Gerichtsbarkeit208 zu beobachten, was sowohl die Funktion des Priesters, dem die Verantwortung für die Tora im Jerusalemer Tempel obliegt, als auch die Kultzentralisation betont (Dtn 17,10–13). Somit ist Dtn 17,11 in die spät-­vorexilische Zeit zu datieren. Also ist diese Torastelle als älterer Beleg zu verstehen,209 sie meint jedoch nicht die Mose-Tora, sondern wahrscheinlich die im Tempel entdeckte Tora (vgl. 2 Kön 22,8.11). Ferner wird diese Tora durch den levitischen Priester verlesen (Dtn 17,18; vgl. 2 Kön 22,10), wobei das ‚Herz‘ eine wichtige Rolle spielt (vgl. Dtn 17,20). In Dtn 27,3.8.26 gibt es drei Belege für Tora. In V. 3 wird sie mit ihrer Niederschrift und der Landnahme verbunden. Ferner wird das Lexem ‫ באר‬in V. 8 mit ihr verbunden – die einzige Parallele hierzu bietet Dtn  1,5. Durch dies Lexem wird Mose als der erste Schriftausleger beschrieben.210 Auffällig ist, dass später

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Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12): Distinktion und Integration von Fremden im Deuteronomium, in: »Gerechtigkeit und Recht zu üben« (Gen 18,19). Studien zur altorientalischen und biblischen Rechtsgeschichte, zur Religionsgeschichte Israels und zur Religionssoziologie, Festschrift für Eckart Otto zum 65. Geburtstag. hrsg. von R. Achenbach, M. Arneth, BZAR 13, Wiesbaden 2009, S. 240–255. Er rechnet die Vorstellung der Levitisierung des Priestertums einer nachdtr Bearbeitung zu. Für Dtn 13 ist das neuassyrische adê-Motiv zu beachten, da es hier rezipiert und neu bewertet wird; vgl. E. Otto, Das Deuteronomium. Politische Theologie und Rechtsreform in Juda und Assyrien, BZAW 284, Berlin 1999, S. 37. Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, S. 587. Vgl. J. C. Gertz, Die Gerichtsorganisation Israels im deuteronomischen Gesetz, FRLANT 165, Göttingen 1994, S. 59–71. Die Apposition ‫ הלוים‬ist als sekundär zu verstehen (vgl. Dtn 17,12). J. C. Gertz unterscheidet zwei unterschiedliche Aufgaben: „Die Priester sind die für eine kultische Beweisführung zuständigen Autoritäten, hingegen ist der Richter der juristische Fachmann.“ Vgl. E. Otto, Mose, der erste Schriftgelehrte. Deuteronomium 1,5 im Narrativ des Pentateuch, in: E. Otto, Die Tora. Studien zum Pentateuch. Gesammelte Aufsätze, BZAR 9, Wiesbaden 2009, S. 480–489; L. Perlitt, Deuteronomium, BKAT V Lfg. 1, Neukirchen-Vluyn 1990, S. 22.

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die Übertragung der Mittlerfunktion des Mose auf die Ältesten erfolgt (Dtn 27,1), obwohl sie eigentlich Aufgabe des Mose ist (vgl. Dtn 31,9). In Dtn 27,19 kommen personae miserae vor und im Gegensatz zu Dtn 26,12f werden die Leviten in Dtn 27,11–26 von dieser Gruppe abgesondert, ferner erhalten sie das Eröffnungswort, dabei vollziehen alle Männer Israels ihre Zustimmung mit ‫אמן‬, weshalb dieser Text ihre Hochschätzung voraussetzt.211 Diese Proklamation der Leviten bezieht sich eher auf Dtn 31,9f, wo die Toravermittlung durch die Ältesten und Priesterschaft erfolgt, insofern steht dieser Abschnitt Dtn 31,9–13 nahe. In Dtn 28,58.61 ist die Tora als Buch dargestellt. Hier werden wahrscheinlich die Plageerzählung in Ägypten (28,60f) und die Verheißung an Abraham und Isaak vorausgesetzt (28,62; vgl. Gen 15,5; 22,17; 26,4), wobei die Observanz der Stimme Gottes für diese Verheißung zum Thema wird (‫כי־לא ׁשמעת בקול יהוה אלהיך‬ Dtn 28,62). Wenn die Tora als Buch dargestellt und durch den Mund des Mose ausgesprochen wird, bezieht sich Dtn 28,58.61 zumindest auf 2 Kön 23,24f, wo die im Tempel gefundene Tora mit der des Mose identifiziert wird. Das Josuabuch bietet einige Belege, wobei die Tora häufig mit dem Wort rps verbunden ist (Jos 1,8; 8,31.34; 23,6; 24,26), was ihre Niederschrift unverkennbar macht. In Jos 1 wird die Tora zweimal genannt (VV. 7.8), wobei sie durch die Vermittlung des Mose erfolgt (vgl. 2 Kön 23,25). Dabei wird Mose als Knecht Jahwes dargestellt (Jos 1,7; vgl. Jos 22,5), dieses Bild wird im Pentateuch nur in Num 12,7 und Dtn 34,5 verwendet, doch es gewinnt in spät-dtr Schichten an Bedeutung.212 Erstaunlich ist, dass die Tora auch in den Mund Josuas gelegt wird (‫ לא־ימוׁש ספר התורה הזה מפיך‬Dieses Buch des Gesetzes soll nicht von deinem Mund weichen Jos 1,8; vgl. Dtn 18,18), also liegt Dtn 18,18 wahrscheinlich dem Text Jos 1 zugrunde, wodurch Josua sowohl Nachfolger des Mose als auch mosaischer Prophet ist (Jos 23,12f.16; 24,2).213 Jos 8,30–35 berichtet von derAusführung des Befehls von Mose (vgl. Dtn 27,1–8). Die Bundeslade (V. 33) wird auf Befehl Jahwes hergestellt (vgl. Ex 25), jedoch findet sich die Bezeichnung ‚Bundeslade Jahwes‘ erst in Num 10,33.214 In Jos 211 Vgl. U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 133. 212 S. u. Num 11 (1.3.1); vgl. T. Veijola, Die ewige Dynastie: David und die Entstehung seiner Dynastie nach deuteronomistischer Darstellung, AASF.B 193, Helsinki 1975, S. 128. 213 Vgl. A. Moenikes, Tora ohne Mose, S. 53.57. 214 In Num 10,33 geht es um den Aufbruch vom Gottesberg, wobei die Ladetradition dominiert. M. Noth rechnet Num 10,33 J zu, da der Text mit VV. 29–32 zusammengehört (Das 4. Buch Mose Numeri, S. 70f). Vgl. V. Fritz, Israel in der Wüste. Traditionsgeschichtliche Untersuchung der Wüstenüberlieferung des Jahwisten, MTS 7, Marburg 1970, S. 14f. Num 10,33a entspricht der jahwistischen Aufbruchsangabe von Ex 15,22;

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8,34f wird die Tora nicht durch die levitischen Priester,215 sondern von Josua, der wie Mose dargestellt wird (vgl. Jos 24,26), verlesen. In der dtr Schicht wird erwähnt, dass das Volk dem HERRN alle Tage Josuas und alle Tage der Ältesten diente (Ri 2,7), wobei die Tora keine Rolle spielt. Demgegenüber wird die Tora bei der Abtrennung des Josuabuches vom Richterbuch als Schrift verstanden, weil Josua als ihr Schreiber bezeichnet wird (Jos 24,26). Diese Tora ist durch die Abtrennung des Josuabuches vom Richterbuch entstanden und sie beginnt mit der Genesis und endet mit dem Josuabuch,216 da die Erzählung von den Gebeinen Josephs ein Rückbezug auf Gen 50,25 ist (Jos 24,32). Darum ist Josua für den Hexateuchredaktor der Schreiber der Tora. Später (nach-dtr) erfolgt die Trennung des Pentateuch vom Josuabuch, indem das Epitaph des Mose in Dtn 34,10–12 einfügt wird, wodurch „der Tod des Mose“ zur „Geburt des Pentateuch“ wird,217 womit die Tora nun mit ihm zu identifizieren ist (Dtn  31,9; vgl. 30,1–4). Esra, der priesterliche Schriftgelehrte, verfügt über die Tora des Mose (Neh 8,1f). Hier liegt der Schwerpunkt auf dem Toragehorsam,218 weshalb die Frage nach seiner Form häufig erscheint (Dtn 30,1–10.11–14; Jer 31,31–33; Ez 36,26f). Es gibt aber nicht nur eine Möglichkeit, denn es werden unterschiedliche Weisen geschildert. Aus der Untersuchung folgt, dass der Toragehorsam überwiegend mit dem ‚Herz‘ verbunden wird. Zudem spielen die Ältesten und Priester dafür eine von Mose übernommene, entscheidende Rolle, die aber erst im spät-dtr und nach-dtr Dtn zu finden ist. Dagegen lässt sich die Verbindung von Toragehorsam und Geist nicht finden. b) In den Vorderen-Propheten: Von der Tora ist in den Büchern Richter und Samuel eigentlich nicht die Rede, denn die Tora in 2 Sam 7,19 meint eine „­bestimmte ­Offenbarung“.219 In 1 Kön 2,3 wird sie noch einmal genannt, hier aber wird sie als

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dagegen ist Num 10,29–36 für G. B. Gray (A Critical and Exegetical Commentary on Numbers, ICC, Edinburgh 1912, S. 92–96) JE zuzurechnen. R. Achenbach (Die Vollendung der Tora, S. 186ff) weist hingegen den Text dem nach-dtr Redaktor zu, da eine positive Verbindung zwischen Juden und Arabern zu beobachten ist, „was unter den Verhältnissen der Achämenidenzeit im fünften Jh. v. Chr. durchaus plausibel erscheint“. Das bildet auch den terminus a quo des Abschnittes, nämlich spät-dtr. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 101. Vgl. C. Dohmen / M. Oeming, Biblischer Kanon – warum und wozu?, QD 137, Freiburg im Breisgau 1992, S. 54–68; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 211–233. In diesem Sinne ist die These von E. Otto plausibel, dass „die am Sinai offenbarte Tora ein zentrales Heilsgut in dem Mittelpunkt ihrer [= Pentateuchredaktion] Konzeption“ ist. F. Stolz, Das erste und zweite Buch Samuel, ZBAT 9, Zürich 1981, S. 219.

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die von Mose geschriebene Tora verstanden. Dass 1 Kön 2,3 später als dtr zu datieren ist, ist damit zu begründen, dass die drei Gesetzesbegriffe (‫וחקתיו ומׁשפטיו‬ ‫ומצותיו‬, vgl. Dtn 11,1b) eine Parallele zu Tora bilden (2 Kön 17,34.37)220 und die Redewendung (‫ תעׂשה למען תׂשכיל את כל־אׁשר‬1 Kön 2,3) ist wahrscheinlich aus Dtn 29,8b (‫ )למען תׂשכילו את כל־אׁשר תעׂשון‬entliehen.221 Hier wird der Toragehorsam wie im dtr Dtn explizit mit dem Herzen verbunden (‫ בכל־לבבם‬vgl. 2 Kön 2,4). In 2 Kön 10,31 wird der König Jehu wegen seiner Abweichung von der Tora verurteilt, wodurch der Toragehorsam eine entscheidende Rolle gewinnt (‫לא ׁשמר‬ ‫ ללכת בתורה־יהות‬2 Kön 10,31), obwohl er „gut ausgeführt hat, was recht ist in meinen Augen“ (2 Kön 10,30). Der Text 2 Kön 14,6 ist mit Dtn 24,16, der vielleicht einer dtr Schicht zuzuweisen ist, verbunden.222 In Dtn 24,16 wird eine Tendenz revidiert, dass nach Ex 21,29.31 für die Tötung eines Kindes durch einen stößigen Ochsen sein Eigentümer als der Verantwortliche und nicht sein Kind zur Rechenschaft gezogen wird,223 somit ist 2 Kön 14,6 terminus a quo mit dem dtr Dtn zu rechnen, da hier die Tora des Mose zudem als Buch (rps) bezeichnet ist (vgl. 2 Kön 22,11; 23,25). Darüber hinaus wird die persönliche Verantwortung in späteren Schichten wie Jer 31; Ez 18; 33 thematisch,224 während der Tod Moses in einer spät-dtr Schicht durch die gemeinsame Verantwortung gedeutet wird (Dtn 3,26).225 220 Darüber hinaus sind diese Konzeptionen im Plural erwähnt; vgl. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist, S. 229. Die Pluralformen ~yqx und trwt begegnen weder im Dtn noch im DtrG. 221 Einige kleine Unterschiede erklärt A. Moenikes (Tora ohne Mose, S. 15). 222 Vgl. G. Braulik, Die dekalogische Redaktion der deuteronomischen Gesetze. Ihre Abhängigkeit von Levitikus 19 am Beispiel von Deuteronomium 22,1–12; 24,10–22; 25,13–16, in: ders., Studien zum Buch Deuteronomium, SBAB 24, Stuttgart 1997, S. 176. Dtn 24,16 ist abhängig von Ez 18,20. Er versteht die Passage Dtn 24,16 im Kontext der Sozialgebote. Dagegen bezieht sie sich für E. Otto eher auf das 5. Gebot „Leben bewahren“ denn auf die Sozialgebote. Ferner werde die mittelassyrische Rechtssammlung der Tafel A im Familienrecht des Deuteronomiums rezipiert (Das Deuteronomium, S. 203ff.226). 223 E. Otto, Das Deuteronomium, S. 292f, Anm. 406. 224 Vgl. G. Hentschel, 2 Könige, NEB 11, Würzburg 1985, S. 64; T. Veijola (Die ewige Dynastie, S. 141) weist die Passage 2 Kön 14,3 DtrN zu, da das Davidbild mit den Forderungen des Königsgesetzes in Dtn (17,18–19) übereinstimmt; vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora. Studien zur Redaktionsgeschichte des Numeribuches im Kontext von Hexateuch und Pentateuch, BZAR 3, Wiesbaden 2003, S. 319. 225 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 179.

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Weiterhin sind die Unheilpropheten in 2 Kön 17,13 als Warner226 und Knechte Jahwes, die sich durch das Exil als echte Propheten erwiesen haben (vgl. Neh 9,30; Sach 7,12), dargestellt. Hier wird der Begriff der Tora erweitert, weil sowohl die von Mose geschriebene als auch die prophetische Verkündigung als Tora bezeichnet sind!227 Zudem werden die Propheten, ebenso wie Mose in der spät-dtr Schicht, als Knechte Jahwes bezeichnet.228 Also sind sie als Toramittler und ebenso wie Mose auch als Schriftausleger zu verstehen (vgl. Dtn 1,5; 18,18).229 In 2 Kön 17,34.37 findet sich die Formulierung ‫עד היום הזה‬, die den vorangegangen Abschnitt 2 Kön 17,24–33 reflektiert. Die Tora ist mit verschiedenen Gesetzesbegriffen zusammengestellt (‫)חקים והמׁשפטים והתורה והמצוה‬, deren Verbindung aber eher nachexilisch ist (1 Kön 2,3; 2 Chr 19,10; Neh 9,13; 10,30). Zudem ist sie nicht früher als dtr zu datieren, da sie in 2 Kön 17,37 als die von Jahwe verschriftete Tora dargestellt wird (‫ ; אׁשר כתב לכם‬vgl. Ex 24,12). In 2 Kön 21,8 ist von der Tora, die durch Mose, den Knecht Jahwes gegeben wird, die Rede. Wird Mose als Wortmittler dargestellt, so wird Bezug auf Dtn 5,27ff genommen. Der Toragehorsam ist nicht mit dem Geist, sondern eher mit dem Herzen verbunden, da 2 Kön 21,9 das Lexem ‫ ׁשמע‬mit der Negation ‫ לא‬verwendet (vgl. Dtn 6,4). In der Darstellung der Josiareform wird die Tora viermal erwähnt. Die schriftliche Identifizierung der Tora ist bekanntlich in 2 Kön 22,8 zu finden. Beachtenswert ist, dass der Hohepriester Hilkija das Buch, nachdem er es gefunden hat, dem Schreiber Schafan übergibt. Doch wenn die Priesterschaft schon die Verantwortung für die Tora übernommen hätte, müsste er dies eigentlich dem König kundtun. Nach 2 Kön 22,10 aber liest Schafan sie dem König vor, und das Buch wird nicht dem Hohenpriester, sondern dem Werkführer übergeben! Daher ist die ausschließlich priesterliche Verantwortung für die verschriftete Tora vor der Josiareform sehr fraglich, aber wenn schließlich die Einrichtung eines Zentralgerichts durch sie erfolgt ist,230 übernimmt zweifellos die Priesterschaft die Verantwortung für die Tora (Dtn 17,18; 31,9; 226 Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S.  6–10. Er bestimmt 2 Kön 17,13 als Klammer zwischen Jer  18,11 (‫ ;ׁשובו נא איׁש מדרכו הרעה‬vgl. 2 Kön 17,13 ‫ )ׁשבו מדרכיכם הרעים‬und Dtn 30,10 ((‫לׁשמר‬ ‫ ;מצותיו וחקתיו‬vgl. 2 Kön 17,13 ‫)וׁשמרו מצותי חקותי‬. 227 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 361. 228 S. u. Num 11 (1.3.1); dazu T. Veijola, Die ewige Dynastie, S. 128. 229 Vgl. E. Otto, Mose, der erste Schriftgelehrte, S. 480–489. 230 Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, S. 587.

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Jer 18,18; Hos 4,6; Zeph 3,4), weil sie im Tempel aufgefunden worden ist, womit der Toragehorsam ‚mit (ganzem) Herzen‘ im dtn / dtr Dtn zum Thema wird (vgl. Dtn 6,5).231 Beachtenswert ist, dass die Tora in 2 Kön 23,25 im Vergleich zu den Belegen in 2 Kön 22,8.11 nur als Tora des Mose dargestellt wird. Daneben kommt es zur abschließenden Würdigung Josias: Vor Josia gab es keinen König wie ihn, der zu dem HERRN umgekehrt wäre mit seinem ganzen Herzen und mit seiner ganzen Seele und mit seiner ganzen Kraft (‫בכל־לבבו ובכל־נפׁשו ובכל־‬ ‫ )מאדו‬nach dem ganzen Gesetz des Mose. Da dieser Text auf Dtn 6,5 basiert, ist er als eine spätere Bearbeitung, die die Theologisierung der Tora, also ihren mosaischer Ursprung anstrebt,232 zu verstehen. Daher findet sich hier die dtr Toradarstellung als mosaischer Tora.233 In diesem Horizont geht der dtr Verfasser davon aus, dass der Ursprung des Buches mosaisch gewesen sein

231 S. u. „mit ganzem Herzen“ (1.1 und 1.2); die Ausrichtung des Bewusstseins auf Gott und sein Gesetz. 232 Vgl. E. Würthwein, Die Bücher der Könige 1. Kön. 17 – 2. Kön 25, ATD 11/2, Göttingen 1984, S. 461. Für ihn ist diese spätere Bearbeitung durch DtrN erfolgt; dazu M. Arneth, Die antiassyrische Reform Josias von Juda. Überlegungen zur Komposition und Intention von 2 Reg 23,4–15, in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 282; vgl. T. Veijola, Das 5. Buch Mose Deuteronomium 1,1 – 16,17, ATD 8/1, Göttingen 2004, S. 177. Weil V. 5 den Zusammenhang zwischen V. 4b und V. 6 unterbricht, ist er als späterer Einschub anzusehen; vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 36; S. 282; N. Lohfink, Das Deuteronomium: Jahwegesetz oder Mosegesetz?, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur III, SBAB 20. Stuttgart 1995, S. 161f. 233 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4; T. Veijola, Die ewige Dynastie, S. 138; H. W. Wolff, Das Kerygma des Deuteronomistischen Geschichtswerk, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 22, München 1964, S. 315f. Hier bemüht er sich, ein wichtiges Thema der deuteronomistischen Geschichtsdarstellung, nämlich die „Umkehr“ (bwv) darzustellen. Für E. Würthwein (Die Bücher der Könige: 1. Kön 17 – 2. Kön 25, S. 454ff) stammt 2 Kön 23,24 von DtrN. G. Hentschel (2 Könige, S. 112f.) vermutet in 2 Kön 23,21–23 auch noch einen „spät-dtr Redaktor (DtrN)“, da in 21a eine Aufforderung aus dem Paschagesetz zitiert wird; dagegen endet die Josia-Reform nach der Meinung von F. M. Cross (Canaanite Myth and Hebrew Epic. Essays in the History of the Religion of Israel, Cambridge 1973, S. 283) im Abschnitt 2 Kön 22,1–23,25, den er als vorexilisch datiert (S. 279).

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muss.234 Dabei muss ‫ ספר‬in 2 Kön 22–23,23*, ein Dokument, das mit Jahwe verbunden wird, im bundestheologischen Sinne bearbeitet werden (‫ספר הברית‬ 2 Kön 23,2.21; vgl. .‫ דברי הברית הזאת‬2 Kön 23,3).235 Ferner wird die Priorität durch die Moseverfasserschaft auf die Tora übertragen, wobei das Herz eine große Rolle für den Toragehorsam spielt (vgl. 2 Kön 23,25). Die Vermittlerfunktion des Mose wird auch in Dtn 5,5 erwähnt, wo er als Offenbarungsmittler zwischen Gott und dem Volk agiert.236 Dabei wird die Autorität Gottes auf die Tora übertragen.237 Da die Tora in den vorderen Propheten zwischen Josua und Josia in Vergessenheit geraten ist,238 findet sich auch kein Beleg der Mose-Tora in der dtn Schicht, sondern erst in der deuteronomistischen Darstellung. Darüber hinaus geht der dtr Verfasser davon aus, dass der Ursprung des ‫ ספר‬Mose gewesen sein muss. Hier wird der Tora- bzw. Gesetzesgehorsam überwiegend mit ‫לב‬/ ‫לבב‬ begründet (2 Kön 10,31; 23,3.25; vgl. 2 Kön 2,4; 21,9), wobei die Tora auch durch die Propheten vermittelt wird (2 Kön 17,13), weil sie wie Mose dargestellt werden. Hingegen ist der Geist für den Toragehorsam in den vorderen Propheten bedeutungslos, dagegen wird das Herzmotiv aus weisheitlichem Gedankengut239

234 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4. 235 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 36. Darum rechnet er zu Recht mit einer späteren Bearbeitung (spät-dtr) in 2 Kön 22–23 (vgl. Dtn 5,23–27; 29). 236 G. Braulik hat festgestellt, dass das Wort ‚Tora‘ mit Ausnahme dreier Stellen (17,11.18.19) nur in den Dtn-Rahmenteilen verwendet wird (Dtn 1,5; 4,8.44; 27,3.8.26; 28,58.61; 29,20.28; 30,10; 31,9.11.12.24.26; 32,46). G. Braulik, Die Ausdrücke für „Gesetz“ im Buch Deuteronomium, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988, S. 36. 237 Dagegen A. Moenikes, Tora ohne Mose, S. 52. Für ihn ist die prophetische Tora mit der Tora Jahwes bzw. Gottes gleichzusetzen; dagegen behauptet C. Maier (Jeremia als Lehrer der Tora, S. 354), dass sich kein authentischer Beleg für Tora im Jeremiabuch findet. 238 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 44. Der Tod Josuas, der den Befehl des Mose ausgeführt hat, ist als Beginn einer Epoche der Gottvergessenheit zu verstehen, wobei diese mit der Toravergessenheit zu identifizieren ist. Daher ist die Zeit zwischen dem Tod Josuas und der Auffindung der Tora (2 Kön 22) die dunkle Epoche der Toravergessenheit. 239 In diesem Sinne ist das Herz Sitz der Weisheit (vgl. Ex 28,3; 35,10.25). Vgl. C. Frevel, Art. Herz, HGANT, hrsg. von A. Berlejung und C. Frevel, Darmstadt 2006, S. 250f.

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übernommen und in der dtn / dtr Schicht häufig gebraucht (Dtn 6,5; 30,2.10; vgl. Ex 28,3; 35,10.25). c) In den Schriftpropheten: In der ältesten Schicht des Jesajabuches, Protojesaja, ist die Tora siebenmal erwähnt: Jes 1,10; 2,3; 5,24; 8,16.20; 24,5; 30,9. Hier bildet allerdings der Toraungehorsam das primäre Thema, was mit den Lexemen ‫­» מאס‬verwerfen« (5,24), ‫» עבר‬verwerfen« (24,5) und ‫ ׁשמע‬mit ‫» לא‬nicht hören« (30,9; vgl. 1,10240) ausgedrückt wird. In Jesaja 2,3 geht es um die Wallfahrt zum Zion, denn von dort wird die Tora ausgehen (‫כי מציון‬ ‫)תצא תורה‬. Hier ist wahrscheinlich die priesterliche Aufgabe der Torabelehrung (Jer 18,18) auf den Zion übertragen worden, was das Wirken Jahwes unterstreicht. Vor allem aber wird das Heil auch allen Völkern, die zum Zion hinaufziehen (‫ )ונעלה אל־הר־יהוה אל־בית אלהי‬und auf den Pfaden Jahwes gehen (‫)ונלכה בארחתיו‬, zugesprochen (vgl. Ez 36,38). Eine inhaltliche Parallele hierzu bietet Mi 4,2, der Vers ist jedoch wegen des Motivs der Völkerfreundschaft in die Nachexilszeit zu datieren.241 In Jes 8,16 wird die Tora mit ‫» תעודה‬Offenbarung«, die nur noch in Rut 4,7 vorkommt, gleichgesetzt, wobei die Botschaft Jesajas als ‫ תורה‬und ‫ תעודה‬bezeichnet wird, wobei sie wahrscheinlich als die Schrift eines Propheten an seine Schüler zu verstehen ist (Jes 8,19f). Dabei wird der Prophet neben Josua und Mose als Toraschreiber dargestellt (vgl. 2 Kön 17,13; Jer 36; Ez 3).242 240 Das Kapitel dient zur Einleitung für die Verkündigung Jesajas; vgl. U. Becker, Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 177ff. Er rechnet mit einem Eingriff eines nachjesajanischen Sammlers im Textbestand; da der Prophet in VV. 10–17 als Toralehrer dargestellt wird. U. Berges vermutet, dass der Text nachexilisch ist (U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 65); dazu H. Barth, Die Jesaja-Worte in der Josiazeit. Israel und Assur als Thema einer produktiven Neuinterpretation der Jesajaüberlieferung, WMANT 48, Neukirchen-Vluyn 1977, 217–220. Auch er beurteilt Jes 1 als Werk eines exilischen Redaktors. 241 Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 337–358; J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 172f. Zu Mi 4,2 erklärt er, dass hier nicht nur traditionelle Zionstheologie, sondern auch persische Herrschaftsideologie zu finden ist. 242 U. Beckers Untersuchung von Jes 8,16–18 kommt zum Ergebnis, dass sprachlichen Indizien eine jesajanische Verfasserschaft ausschließen: „Man verweist gern auf den Begriff ‫» תעודה‬Zeugnis« und auf die ‫» למדים‬Jünger« (V. 16), meint die Verbindung ‫»אתות ומופתים‬Zeichen und Wahrzeichen« (V. 18) vor allem in dtr Texten nachweisen zu können, oder man denkt an die in den Klageliedern verwurzelte und sonst nur in späten Prophetentexten begegnende Terminologie in V. 17.“ (Jesaja – von der Botschaft zum Buch, S. 114f).

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In DtJes ist fünfmal von der Tora die Rede: Jes 42,4.21.24;243 51,4.7.244 In Jes 42,4 geht es um das Aufrichten von ‫ מׁשפט‬und das Warten auf die ‫תורה‬, wobei der Jahwe-Knecht, eine Titulatur, die die spät-dtr Redaktion auf Mose und Josua überträgt,245 zugleich als Geistbegabter bestimmt wird (Jes 42,1). Hier dient der Geist zur Toravermittlung, wobei der Geistbegabte eine Mittlerfunktion übernimmt.246 Daher kann man mit Recht behaupten, dass der Toragehorsam bei DtJes vorherrschend durch den Geistbegabten bewirkt wird. In Jes 51,4 ist vom Ausgehen der Tora von Jahwe die Rede, somit bildet diese Passage eine Parallele zu Mi 4,2. In Jes  42,1–4 geht es um den Geistbegabten. Er wird das Recht (‫ )מׁשפט‬auf Erden aufrichten, und die Inseln warten auf seine Tora, wobei für die Funktion des Toramittlers die Geistbegabung entscheidend ist. Dies findet sich auch in Jes 59,21; 61,1, doch hier wird der Geistbegabte außerdem noch gesalbt. Zwar wird auch Kyros als Gesalbter bezeichnet (Jes 45,1), aber die Geistbegabung und der Jahwe-Knecht dienen bei DtJes nur Israel (Jes 45,4 ‫;עבדי יעקב ויׂשראל בחירי‬ vgl. Jes 44,3). Die Geistbegabung spielt bei DtJes eine zentrale Rolle, wodurch hier im Gegensatz zum Dtn ein anderer Modus des Toragehorsams begründet wird. 243 J. van Oorschot erkennt hier eine spätere Bearbeitung (VV. 21b.24bβγ), da die nachexilische Torafrömmigkeit die Blindheit Israels als Abweichen von der Tora versteht. Zudem sind verschiedene Figuren (Jeremia und Ezechiel) in Jes 42,18–25 vermischt worden. J. van Oorschot, Von Babel zum Zion. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, BZAW 206, Berlin 1993, S. 209; vgl. H.-J. Hermisson, Einheit und Komplexität Deuterojesajas. Probleme der Redaktionsgeschichte von Jes 40–55, in: J. Vermeylen and C. H. W. Brekelmans, The Book of Isaiah. Les oracles et leurs relectures, unité et complexité de l’ouvrage / Le livre d’Isaïe, BEThL 81, Leuven 1989, S. 298. In Jes 42,18–25 finden sich aber auch deuteronomistische Wendungen (bes. V. 24). Vgl. V. 25a »er schüttete seinen Zorn aus« mit Jer 6,11; 10,25; cf. 14,16; aber auch Ez 7,8; 9,8; 14,19; 20,8.13.21.33f. u.ö; »zu Herzen nehmen« mit Jer 12,11; aber auch Jes 47,7; 57,1.11. 244 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, BZAR 12, Wiesbaden 2009, S. 158. In Jes 51,7 wird das Herz zum Ort des Liegens der Tora, womit Jes 51,7 inhaltlich mit Dtn 30,14 und wörtlich mit Jer 31,33 verbunden ist, weshalb dies voraussichtlich als spät-nach-dtr zu verstehen ist. 245 R. Achenbach behauptet: „Die Hexateuch-Redaktion formuliert mit der Ausgestaltung des Mosebildes nach dem Vorbild des leidenden und bewahrten Propheten und Gottesknechts ein von der prophetischen Legitimation unabhängiges Herrschaftsbild.“ (Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 56). 246 Hier erfolgt keine Identifikation des Jahwe-Knechtes, aber dennoch wird die Relation zwischen der Geistausgießung und dem Jahwe-Knecht explizit erwähnt (Jes 42,1): ‫ רוחי עליו‬... ‫עבדי אתמך־בו בחירי‬.

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Im Jeremiabuch ist von der Tora in unterschiedlicher Weise die Rede: Jer 2,8; 6,19; 8,8; 9,12; 16,11; 18,18; 26,4; 31,33; 32,23; 44,10.23. Allerdings hat C. Maier247 gezeigt, dass der Torabegriff in den einzigen echten Jeremia-­Botschaften nicht verwendet worden ist. Ferner hat R. Achenbach248 festgestellt, dass die Verwendung des Torabegriffes einerseits den nach-dtr Vorstellungen entspricht, und andererseits in einer Auseinandersetzung um den priesterlichen Torabegriff steht. Oft wird die Tora mit dem Lexem ‫ ׁשמע‬in Negation verwendet (32,33; 44,23; vgl. 16,11 [‫ ;]ׁשמר‬44,10 [‫ )]הלך‬und dieser Ausdruck dient zur Unheilsbegründung (vgl. Jer 26,4), was das Exilsereignis thematisiert. Den Kontext von Jer 2,8 bildet Jeremias Auseinandersetzung mit seinen Adressaten, wobei eine ungewöhnliche Zusammenstellung von vier Größen erscheint: die Priester, die Handhaber der Tora, die Hirten und die Propheten. Im Gegensatz zu Jer 18,18 gehört die Torabelehrung nicht zum priesterlichen Aufgabenbereich, sondern zu dem der Handhaber der Tora, während nach Jer 8,8 die Schreiber für sie zuständig sind (vgl. 2 Kön 22,8). Das Partizip ‫ תפׂש‬bezeichnet Menschen, die berufsmäßig ein Arbeitsgerät in der Hand haben, nämlich Flöte und Leier (Gen 4,21), Schild (Jer 46,9), Schwert (Ex 38,4) und Bogen (Am 2,15; Jer 45,9). Darum bezeichnet Jer 2,8 eine Gruppe, die sich berufsmäßig mit der Tora beschäftigt.249 Jedoch ist es möglich, dass hier in Verbindung mit Jer 8,8 auf die Weisen und Schreiber angespielt wird (vgl. Esr 7,6).250 Die Sünde des Priesters benennt der Vorwurf (‫ – לא אמרו איה יהוה‬Und sie sagten nicht: Wo ist der HERR?), der vor allem in exilischen bzw. nachexilischen Texten sinnvoll ist (Ps 42,4.22; Mi 7,10; vgl. Jer 2,28).251 Diese Sünde ist auch schon in Jer 2,8 thematisch, insofern dient der Text dazu, den Konflikt zwischen der priesterlichen und der prophetischen Tora aufzuzeigen. 247 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 282–352; dagegen J. P. Hyatt, Torah in the Book of Jeremiah, JBL 60, 1941, S. 381–396. Er weist die Formulierung ‚das Wort Jahwes‘ Jeremia zu; aber der Begriff Tora im Jeremiabuch werde erstmals von exilischen Autoren gebraucht (C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 354). 248 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 48. 249 Dagegen versteht R. Liwak ‫ תפׂשי התורה‬als zweites Attribut in Analogie zu Jer 18,18. R. Liwak, Art. ‫תפׂש‬, ThWAT VIII, Stuttgart 1995, S. 732–741; vgl. G. Wanke, Jeremia 1,1 – 25,14, ZBAT 20/1, Zürich 1995, S. 36. 250 Später gehören aber auch die Priester zu den Schriftgelehrten (Esr 7,6; vgl. Jes 61,1), weshalb sie auch als Schriftgelehrte zu verstehen sind. Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 294. 251 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 288; W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S.  80f. Das Konzept der Tora ist abhängig von der Datierung des Textes. G. Fischer versteht die Tora als Teil des Kanons, was ihre Verschriftung voraussetzt (Jeremia 1–25, HThKAT, Freiburg i. Br., 2005, S. 159).

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Jer 8,8 zielt wahrscheinlich auf eine andere Gruppe. Die ‫ ספרים‬sind nicht als Schreiber, sondern als Schriftgelehrte zu verstehen, da sie sich mit der Tora beschäftigen (vgl. Esr 7,6; Neh 8). Die Tora ist als Tora Jahwes bestimmt, womit ihre Autorität Jahwe zugeschrieben wird (vgl. Dtn 5,27). Hier ist zudem die Auseinandersetzung zwischen der verschrifteten Tora und dem durch den Propheten übermittelten Wort Jahwes,252 ein Konflikt der auch in Jer 31,31–34 wieder auftaucht,253 zu bemerken (vgl. 2 Kön 17,13). Darum setzt dieser Konflikt schon zum Teil das Schriftgut der Tora voraus (vgl. 2 Kön 22,8–10; Dtn 31,9). Nach Jer 18,18254 hat die Priesterschaft die Verantwortung für die Tora übernommen. Diese Formulierung findet sich nochmals in Ez 7,26, wo Jer 18,18 reflektiert wird, um das Volk und die Priesterschaft zu kritisieren, so wie in Jer 31,33 die priesterliche Toraverantwortung abgelehnt wird. Die oben erwähnten Texten stimmen darin überein, dass es in ihnen um die Auseinandersetzung zwischen dem Torainhaber (Handhaber der Tora, Schriftgelehrte und Priester) und dem Propheten geht, was es ermöglicht, die prophetische Verkündigung als neu konzipierte Tora zu verstehen (Jer 26,4f). In Jer 6,18f werden die Nationen (‫ )הגוים‬und die Erde (‫ )הארץ‬als Zeugen aufgerufen. Wegen der Redewendung (‫על‬/‫ אל‬+ ‫ רעה‬+ ‫ בוא‬im Hif.) rechnet W. Thiel Jer 6,19 dem dtr Sprachgebrauch zu (1 Kön 14,10; 2 Kön 21,12; 22,16).255 Der Aufruf der Erde als Zeuge findet sich auch in Dtn 32,1 (vgl. Dtn 30,19) und generiert eine universale Perspektive (vgl. Jer 1,9). Da das Unheil durch den Toraungehorsam untermauert wird, ist dieser Abschnitt frühestens als dtr zu verstehen (vgl. Dtn 28; 2 Kön 23,25). In Jer 9,12 geht es um die Frage nach dem Grund des Untergangs der Städte Judas, was mit dem Verlassen der Tora erklärt wird. In Dtn 29,23f wird das Ablassen von Gott durch Israel parallel zu Jer 9,12 geschildert: 1. Beide Texte beginnen mit dem Interrogativ ‫( על־מה‬Dtn 29,23; Jer 9,11); 2. Der erste Grund: Verlassen mit dem Lexem bz[. Seine Objekte sind in Dtn 29,24 ‫ ברית‬und in Jer 9,12 ‫תורה‬, die in Jer 31,33 verbunden sind; 3. Der zweite Grund: Anderen Götzen nachzulaufen: ‫אחרים‬ 252 Vgl. W. McKane, Jeremiah I–XXV, ICC, Edinburgh 1986, S. 186; C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 302.306. 253 S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2). Gegenüber der auf die Steintafel geschriebenen Tora wird die neue Tora auf das Herz geschrieben, was auch einen Konflikt zwischen Schriftgelehrten, Priestern und Propheten bewirkt. 254 Mit Jer 18,18 beginnt die 4. Konfession, aber als Prosaeinleitung ist sie unabhängig von ihrer Datierung, die Einleitung ist wahrscheinlich erst im Zuge der Positionierung der Konfession an diese Stelle in der Exilszeit formuliert worden. Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 309f. 255 Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 100.

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‫( אלהים‬Dtn 29,24) und ‫( הבעלים‬Jer 9,13); 4. Das Unheil der Deportation (Dtn 29,27; Jer 9,14).256 Darum ist Jer 9,12ff als gleichzeitig mit Dtn 29,23f zu verstehen. Die Tora in Jer 31,33 wird in anderer Weise geschildert, denn sie wird von Jahwe ‚auf ihr Herz‘ (‫ )על־לבם‬gelegt werden, womit die unsichtbare Tora zum Thema wird.257 Hier ist das Herz der Ort des Toraeinlegens, darum ist es als Bewusstsein zu verstehen (Jer 31,34; vgl. Dtn 30,14). Weil der Geist im Gegensatz zum Jesajabuch keine Rolle spielt, erfolgt der Toragehorsam im Jeremiabuch auf ganz andere Weise und mit dem ‚Herzmotiv‘ wird an dtr Gedankengut angeknüpft. Im Jeremiabuch gibt es unterschiedliche Träger der Tora, die wegen ihres Übertretens ihrer Gebote stark kritisiert werden, dem wird die Rede des Propheten kontrastiert, wobei sie auch als Tora Jahwes verstanden wird, aber diese unsichtbare Tora wird die verschriftete Tora ersetzen. Trotz der priesterlichen Abstammung Ezechiels findet sich der Begriff ‚Tora‘ lediglich zweimal in Ez 1–40 (Ez 7,26; 22,26). In beiden Texten gehört die Verantwortung für die Tora zum Priesteramt. Das Thema ‚des Verlorengehen der Tora beim Priester‘ in Ez 7,26 lehnt den in Jer 18,18 ausgedrückten Gedanken des Volkes ab, wodurch das Volk nach Ez 7,26 im Gegensatz zu Jer 18,18 völlig in Panik gerät.258 Ez 22,26 benennt die Sünde der Priester: Seine Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen meine heiligen Dinge. Für K.-F. Pohlmann259 sind beide Texte demselben Verfasser zuzuschreiben. Der Verfasser von Ez 22,26 kennt aber schon die zwei Konzeptionen ‚heilig (‫ )קדׁש‬und profan (‫)חל‬/ rein (‫ )טהור‬und unrein (‫‘)טמא‬ aus Lev 10,10. Das Treffen der Unterscheidungen ist eine priesterliche Aufgabe. Von dieser Aufgabe ist noch einmal in Ez 44,23 die Rede: Und sie sollen mein Volk unterweisen, zwischen heilig und nicht heilig (‫ )ּבין קדׁש לחל‬zu unterscheiden und sollen sie den Unterschied zwischen unrein und rein (‫ )ובין־טמא לטהור‬erkennen lassen. Aus diesem Grund ist Ez 22,26 im Horizont von Ez 44,23 zu verstehen. Jer 31,31–34 ist wegen der wörtlichen und thematischen Übereinstimmungen mit Ez 36,26f zu vergleichen, wobei die Rezeptionsrichtung zu klären 256 Zur Datierung von Dtn 29 s. u. Dtn 30 (2.3.2). In diesem Kontext sind die Abschnitte sprachlich und thematisch verbunden, somit steht Jer 9,12 zeitlich Dtn 29,23f nahe, ist also dtr, wahrscheinlicher sogar erst spät-dtr. C. Maier, die Jer 9,12 mit Dtn 4,8 verglichen hat, versteht sie als dtr. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 320–324; jedoch ist Dtn 4 als nach-dtr zu verstehen. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 167–175. 257 S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2). 258 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 1–24, S. 184; K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 1–19, S. 121. 259 Vgl. K.-F. Pohlmann, Der Prophet Hesekiel (Ezechiel) 20–48, S. 331.

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ist.260 D. Vieweger erklärt hierzu: „Die enge sachliche Beziehung der Hauptgedanken und der Zielrichtung dieser Worte rechtfertigt trotz der sich z.T. unterscheidenden Terminologie angesichts der Einzigartigkeit ihrer Aussagen im literarischen Zeugnis der Zeit die Annahme einer engen traditionsgeschichtlichen Beziehung zwischen den einzelnen Textstellen.“261 In Ez 36,26f wird eine völlige Erneuerung zum Thema, wobei das Herz als ein fleischernes Herz neu bestimmt wird (‫ ;לב חדׁש‬vgl. Jer 31,33). Des Weiteren erfolgt die Gleichsetzung des Geistes mit dem Herzen, somit ist hier der Toragehorsam durch den Geist und das Herz ermöglicht. Der Begriff ‚Tora‘ ist im Dodekapropheton 14-mal verwendet. Abgesehen von den acht Belegen in Hosea und Maleachi findet sich das Wort sonst nur sechsmal (Am 2,4; Mi 4,2; Hab 1,4; Zeph 3,4; Hag 2,11; Sach 7,12). Die Tora wird dreimal bei Hosea erwähnt: Hos 4,6; 8,1.12. Nach Hos 4,6 trägt der Priester die Verantwortung für die Tora. Jedoch ist der Schuldaufweis ‚Vergessen der Tora (‫ׁשכח‬ ‫ ‘)תורת‬im Pentateuch nicht zu finden, in Dtn 4,23 aber ist das Lexem ‫ ׁשכח‬in Verbindung mit ‫ ברית‬gebraucht (vgl. Dtn 29,24). Das Motiv ‫» מאס‬verlassen« in Hos 4,6 wird beinahe wörtlich aus 1 Sam 15,23b übernommen: Weil du das Wort des HERRN verworfen hast, so hat er dich auch verworfen, dass du nicht mehr König sein sollst (‫)יען מאסת את־דבר יהוה וימאסך ממלך‬. Ferner lässt sich eine enge Verwandtschaft von Hos 4,6 und 2 Kön 17,15.20 nachweisen:262 Und sie ­ver­warfen 260 S. u. Ez  36 (2.3.1); vgl. M.  Greenberg, Ezechiel 21–37, HThKAT, Freiburg·Basel·Wien 2005, S. 438f. Dtn 30,6 benennt den Zweck der Herzensbeschneidung »um deines Lebens willen« (‫)למען חייך‬, aber hier wird der Toragehorsam genauer motiviert; vgl. dazu W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 879; dagegen K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches. Untersuchungen zur Redaktions- und Rezeptionsgeschichte von Jer 30–33 im Kontext des Buches, WMANT 72, Neukirchen-Vluyn 1996, S. 82f. Für ihn wird Jer 32,39 in Ez 11,19 zitiert und revidiert. Das Verständnis des Herzen von Jer 31,33 wird in Ez 36,26f. reformuliert. 261 Vgl. D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, BEATAJ 26, Frankfurt a. Main 1993, S. 88.112. 262 M. Nissinen, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch. Studien zum Werdegang eines Prophetenbuches im Licht von Hos 4 und 11, AOAT 231, ­Neukirchen-Vluyn 1991, S. 190–193. Er hat gezeigt, dass 1 Sam 15,23b das Vorbild für Hos 4,6 ist. Beide Texte haben nicht nur die gleiche Form, denn auch ihre theologische Aussage ist identisch. Seine These kann durch ein sprachliches Indiz gestützt werden, weil die Wörter ‫» עזב‬verlassen« und ‫» ׁשכח‬vergessen« „mit entsprechenden Objekten einen unverkennbaren dtr Charakter [haben …]. Diese Wendungen sind zwar nicht ausschließlich dtr bezeugt, aber das Zusammenketten von ihnen allen in einem so knappen Raum wie hier macht es eher schwierig, an einen anderen als einen dtr

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seine ­Ordnungen und seinen Bund (‫ וימאסו את־חקיו ואת־בריתו‬V. 15aα). Da verwarf Jahwe die ganze Nachkommenschaft Israels (‫ וימאס יהוה בכל־זרע יׂשראל‬V. 20aα). Die Verachtung von Ordnungen und Bund Jahwes durch Israel (2 Kön 17,15) bewirkt die Verachtung Jahwes (2 Kön 17,20), dementsprechend wird die Verachtung der Erkenntnis und das Vergessen der Tora seitens der Priester durch die Aberkennung des Priesteramtes für die verantwortliche Priesterfamilie vergolten (Hos 4,6): Weil du die Erkenntnis verworfen hast, so verwerfe ich dich. Du hast das Gesetz deines Gottes vergessen, so vergesse auch ich deine Kinder.263 Insofern ist 1 Sam 15,23b für Hos 4,6 vorauszusetzen und Hos 4,6 ist wahrscheinlich als gleichzeitig mit 2 Kön 17,15.20 zu verstehen. In Hos 8,1 geht es um die Übertretung des Bundes (‫ )עברו בריתי‬und den Torabruch (‫)ועל־תורתי פׁשעו‬. Der Ausdruck ‫ עבר בריתי‬bzw. ‫ עבר ברית יהוה‬ist als Nachtrag zu verstehen, da sich das Suffix bzw. Attribut auf Jahwe bezieht.264 Hier wird das Übertreten der Tora mit dem Bundesbruch gleichgesetzt, was eine Parallele zu Jer 9,12 und Dtn 29,24 bildet, wo das Übertreten der Tora und der Bundesbruch die Objekte des Lexems bz[ »verlassen« sind. Also dürfte der parallele Gebrauch von ‫ ברית‬und ‫ תורה‬für Hosea eher untypisch sein.265 In Hos 8,12266 wird darüber hinaus die geschriebene Tora zum Thema, besonders im Blick auf das Nordreich. Dieser Text ist wegen der Verschriftung

g­ eprägten Hintergrund zu denken.“ (M. Nissinen, S. 190f) Vgl. F. Foresti, The Rejection of Saul in the Perspective of the Deuteronomistic School. A Study of 1 Sam 15 and Related Texts, StTh 5, Rom 1984, 26f. 263 Ferner spielt die Verbindung von ‫ מאס‬mit ‫ חק‬und ‫ מׁשפט‬in Lev 26,15f.43f eine wichtige Rolle. Von der Aberkennung des Priesteramtes wird in Ez 44,10–14 gesprochen. Ferner ist die Tora mit dem Adjektiv ‫ אלהיך‬verknüpft. Also ist Hos 4,6 wahrscheinlich nicht als authentisch anzusehen. Vgl. M. Nissinen, Prophetie, Redaktion und Fortschreibung im Hoseabuch, S. 191. 264 Dieser geprägte Ausdruck ist vor Jeremia nicht nachzuweisen. Vgl. L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, WMANT 36, Neukirchen-Vluyn 1969, S. 146f. Diese späte Datierung lässt sich sprachlich begründen: Die Heimat für Wortgebrauch und Aussage von Hos 8,1b liegt außerhalb des Hoseabuches, weshalb Wortgebrauch und Aussage nicht von Hosea stammen können; dazu J. Jeremias, Der Prophet Hosea, S. 104f; J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 15.439. 265 Vgl. K. Marti, Das Dodekapropheton, KHC XIII, Tübingen 1904, S. 64f; vgl. dazu L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S. 118. 266 Diese Passage gilt traditionell als „der älteste Beleg für die Niederschrift von Priesterweisungen“. J. Jeremias, Der Prophet Hosea, S. 104f; vgl. A. Weiser, Das Buch der zwölf kleinen Propheten I: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, ATD 24, Göttingen 1949, S. 55; A. Moenikes hat in seiner Habilitation die

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der Tora267 mit Ex 24,12 zu verbinden, da sich das Subjekt des Lexems ‫ כתב‬auf Jahwe bezieht. Im Gegensatz dazu wird das Verachten der Tora akzentuiert (vgl. Hos 4,6). Ferner bildet die Strafansage ‚Kultkritik‘ sachlich eine Parallele zu Jes 1,11 (vgl. 1 Sam 15,22; Hos 6,6). Jedoch wird die in Jes 1,11 thematisierte Kultkritik ‫» לא חפצתי‬ich habe kein Gefallen« in Hos 8,13 als Schuld (‫ )עון‬und Sünde (‫ )חטאת‬dargestellt. Diese Konzeption ist vorher schon in Hos 4,8 zu beobachten, wo auch die Opfer mit der Sünde identifiziert werden: Die Sünde (‫)חטאת‬ meines Volkes essen sie, und nach ihrer Schuld (‫ )עון‬verlangen sie. Daher ist Hos 8,13 thematisch wieder mit Hos 4,6–10 verbunden, somit stehen sich beide Abschnitte wahrscheinlich nahe. Zum Ziel der Passage sagt R. Achenbach, dass die Kultkritik nicht nur auf das Nordreich im 8. Jh. v. Chr. zielt, sondern auch ein aktuelles Ziel verfolgt, weil sie die „kultische[n] Gegenwart einer nicht an die Jerusalemer Torot gebundenen Jahwe-Verehrung in der Provinz Samaria“268 kritisiert. In Am 2,4 richtet sich die Unheilsankündigung gegen Juda. Allgemein gilt diese Passage aus terminologischen Gründen als späterer Nachtrag.269 Die Tora in Hab 1,4 ist mit ‫ מׁשפט‬verknüpft, und diese Zusammenstellung findet sich in keinem vor-dtr Text (Jes 42,4; 51,4).270 Hab 1,4 steht zumindest eher Jes 42,1–4 nahe, da hier nochmals von der Verbindung ‫ יצא‬und ‫ מׁשפט‬die Rede ist (vgl. Jes 51,4), wobei Jes 42,4 auf die Klage in Hab 1,4 reagiert.271

267 268

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270 271

­ orformen der Tora untersucht. Sie existiert in ihrer ursprünglichen Form nicht V als Vorläufer der Mose-Tora, denn sie wird eher mündlich durch die Prophetie erteilt, wobei sich in Jos 24 und Hos 8,12 die frühe Vorgeschichte der Tora widerspiegelt (S. 56). Das Niederschreiben der Tora belegen die folgenden Pentateuchstellen: Ex 24,12; Dtn 17,18; 27,3; 28,58.61; 29,20; 30,10; 31,9.24. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 67. Wenn dies richtig ist, werden die Niederschrift und das Verachten der Tora erst in der spät-dtr bzw. noch wahrscheinlicher in der nach-dtr Schicht zum Thema (Dtn 28,58.61; 31,9; vgl. Jer 31,31–34). Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, BKAT XIV/2, ­NeukirchenVluyn 21975, S. 198f; J. Jeremias, Der Prophet Amos, ATD 24/2, Göttingen 1995, S. 28f. Diese Terminologie ist charakteristisch dtr; s. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 15. Vgl. L. Perlitt, Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, ATD 25/1, Göttingen 2004, S. 50f. Lev 26,46; Num 15,16; Dtn 4,8; 17,11; 33,10; 1 Kön 2,3; 2 Kön 17,34.37; 2 Chr 19,10; 30,16; 33,8; Ps 89,31; Jes 42,4; 51,4; Ez 44,24; Hab 1,4. Vgl. L. Perlitt, Die Propheten Nahum, Habakuk, Zephanja, S. 50f.

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In Zeph 3,3–4 werden ‫ׂשר‬, ‫ׁשפט‬, ‫ נביא‬und ‫ כהן‬angeklagt. Hier wird erstaunlicherweise das Lexem smx »gewalttätig handeln« mit der Tora verbunden,272 also knüpft dieser Abschnitt wiederum an Ez 22,26 (‫ׂשר‬, ‫ נביא‬und ‫ )כהן‬an.273 Wenn es in Zeph 3,5 um die Gerechtigkeit Jahwes in der Stadt Jerusalem (Zeph 3,1.3.5) und in Zeph 3,4 um die Forderung, zwischen heilig und profan zu unterscheiden, um den Priester geht,274 behauptet W. Nowack mit Recht: „‫ תורה‬kann hier kaum anders gedeutet werden, das Wort setzt doch wohl die Kodifikation des Gesetzes voraus.“275 Also steht Zeph 3,3f zeitlich dem Text Ez 22,26 nahe.276 Hag 2,11 beschreibt eine gute Beziehung vom Propheten und Priestern (vgl. Jer 31,31–34), wobei sich die prophetische Rede auf die Erteilung priesterlicher Anweisungen für die Ritualpraxis bezieht, somit ist dieser Text zweifellos in die Zeit des Zweiten Tempels zu datieren. In Sach 7,12 werden Propheten als Gesandte Gottes bezeichnet, ferner werden ihre Worte durch den Geist Gottes gesandt. Diese Legitimation der Prophezeiung durch den Geist ist vor der Exilszeit unvorstellbar, doch sie findet sich in Neh 9,30.277 Im Dodekapropheton wird die Tora selten mit dem priesterlichen Auftrag erwähnt (Hos 4,6; Zeph 3,4), wobei die Priesterschaft wegen der Tora-Vergessenheit kritisiert wird, was wiederum wahrscheinlich voraussetzt, dass die Priesterschaft die Verantwortung für die Tora übernommen hat. In Hag 2,11 hingegen wird erläutert, dass die Priesterschaft die Verantwortung für die Tora in der zweiten Tempelzeit übernommen hat. Im Gegensatz dazu wird die Verkündigung der Propheten auch als Tora bestimmt (Sach 7,12). Auffällig ist, dass die Funktion des Geistes erwähnt wird, wobei das Wort, das durch die geistbegabten Propheten verkündigt wird, als Tora zu verstehen ist (vgl. 2 Kön 17,13). Diese durch die Propheten verkündigte Tora bildet wahrscheinlich ein Gegenkonzept zur priesterlichen Tora (vgl. Jer 31,33). Folglich lassen sich zwei Modi des Tora- bzw. G ­ esetzesgehorsams 272 Für W. Rudolph kann das Lexem ‫‚ חמס‬missbrauchen‘ bedeuten. W. Rudolph, ­Micha-Nahum-Habakuk-Zephanja, KAT XIII/3, Gütersloh 1975, S. 288. 273 In LXX ist noch von Fürsten die Rede (avfhgou,menoi). 274 Vgl. W. Rudolph, Micha-Nahum-Habakuk-Zephanja, S. 288. 275 W. Nowack, Die kleinen Propheten, GHK, Göttingen 31922, S. 303. 276 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 68. Hier wird Lev 10,10 vorausgesetzt. 277 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 66. Diesen Text ordnet er der frühnachexilischen Prophetenredaktion zu, da Sacharja als prophetischer Warner im Lichte von 2 Kön 17,13ff.23 gezeichnet wird. Jedoch ist in 2 Kön 17,13ff.23 vom Geist keine Rede. Sach 7,12 bildet sprachlich und inhaltlich eher eine Parallele zu Neh 9,29f, somit ist der Text wahrscheinlich in die Nehemiazeit zu datieren.

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unterscheiden, die sich entweder an der Toravermittlung der Priesterschaft oder an der durch den Geist inspirierter Prophetie orientieren.

2.2.4 Begriffe des Toragehorsams – Tora, Gesetz und Bund Die mündliche Tora wird von den Eltern (Spr 1,8; 3,1; 6,20) oder Weisheitslehrern (Spr 13,14) tradiert, somit ist sie nicht als gesetzlich zu verstehen. In Dtn 17,10f hingegen ist ein älterer Beleg über die schriftliche Tora in der Gerichtszentralisation zu finden. Die Reform Josias bewirkt sowohl eine Kult- als auch Gerichtszentralisation.278 Während ein Widerspruch gegen das Urteil eines Lokalgerichts zulässig ist, wird kein Widerspruch an der von Jahwe erwählten Stätte geduldet (Dtn 17,11; vgl. V. 10). Somit wird die Tora mit ‫ מׁשפט‬gleichgesetzt, wobei sie nicht übertreten werden darf (‫)לא תסור‬: Vom Spruch, den sie dir verkünden werden, sollst du weder zur Rechten noch zur Linken abweichen (V. 11b). Ferner erweist das Verbot der Widerspruchsmöglichkeit auch den absoluten Charakter der Tora. Aus diesem Grund ist eine weitere Phase der Toraentwicklung erkennbar, da sie nämlich in der Vorexilszeit als Gesetz anerkannt ist,279 weil sie bei Gericht benutzt wird. Dass die Tora an der von Jahwe erwählten Stätte gelehrt wird, impliziert zudem ihre Theologisierung. Diese Form des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams ist häufig mit dem Bund verknüpft, wobei ihre Missachtung mit dem Bundesbruch gleichgesetzt wird (Lev 26,15; Dtn 7,9; Jos 24,25; 1 Kön 11,11; 2 Kön 17,15; Neh 1,5; Ps 50,16; 78,10; Jes 24,5; Hos 8,1; Mal 2,4.8).280 Die Rechte und Pflichten werden denen zuteil, die sich am Bundesschluss beteiligten, weshalb das Exil als Folge des Bundesbruches bzw. Übertretens der Tora bzw. des Gesetzes gedeutet wird, und dementsprechend erfolgt ein neuer Bundesschluss durch die Proklamation einer ganz neuartigen Verschriftung der Tora (Jer 31,31–34; vgl. Ez 36,26f). Die mündliche Tora wird durch die Auffindung der Tora im Tempel mit der schriftlichen Tora (‫ )ספר התורה‬identifiziert, wobei auch ihr gesetzliche Gültigkeit zukommt,281 weil sie mit der Tora des Mose identifiziert wird (2 Kön 23,24f). 278 Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, S. 587. 279 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 113.242; dagegen G. Braulik, Die Ausdrücke für „Gesetz“ im Buch Deuteronomium, S. 36, Anm. 115. Für ihn wird die Tora für die levitische Rechtsbelehrung verwendet. 280 Mit ‫( מצוה‬Lev 26,15; Dtn 7,9; Neh 1,5; Mal 2,4); ‫( חק‬Jos 24,25; 1 Kön 11,11; 2 Kön 17,15; Ps 50,16; Jes 24,5); ‫( תורה‬Ps 78,10; Jes 24,5; Hos 8,1; Mal 2,8); ‫( מׁשפט‬Jos 24,25; Hos 10,4). 281 Siehe den Beleg Hos 8,1. Der Ausdruck ‫ עברו בריתי‬bzw. ‫ עבר ברית יהוה‬ist als Nachtrag zu verstehen, ebenso auch ‫תורת‬, denn außer in Hos 8,1 ist dieser geprägte Ausdruck

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Darum ist der gesetzliche Charakter der Tora wahrscheinlich in den dtr bzw. noch späteren, also spät-dtr und nach-dtr Schichten zu finden. Dabei bedeutet der Ungehorsam gegenüber der Tora den Bundesbruch (vgl. 2 Kön 23,2–3). Insofern wird der Toragehorsam mit der Bundestreue identifiziert, wozu die Lexeme rmv »halten« (Dtn 4,2.9; Jer 16,11), ‫» ׁשמע‬hören« (Dtn 30,10; Jer 26,4), ‫» קרא‬ausrufen« (Dtn 31,11), ‫» למד‬lernen« (Dtn 31,12; Jer 31,34), ‫» עׂשה‬tun« (Dtn 32,46), ‫» אזן‬horchen« (Jes 1,10), ‫ ידע‬im Hifil »erkennen lassen« (Dtn 4,9) und ‫ ׁשכח‬mit Negation »nicht vergessen« (Dtn 4,9) verwendet werden. Diese Lexeme beziehen sich wahrscheinlich auf die menschliche Einsicht. Wenn der Geist als menschliches Bewusstsein verstanden wird (vgl. Ez 36,26f), ist er mit dem Herzen gleichzusetzen. Dennoch wird er im Dtn an keiner wichtigen Stelle erwähnt, denn im Dtn, DtrG und Jeremiabuch282 wird überwiegend ‫לב‬/ ‫לבב‬ gebraucht. Im Jesajabuch wiederum ist die Verbindung ‫לב‬/ ‫ לבב‬mit ‫ כל‬sehr selten (vgl. Jes 51,7), da der Geist hier vielmehr die Hauptrolle übernimmt. Somit lassen sich zwei gegensätzliche Modi des Toragehorsams unterscheiden: 1. ‚Herz‘ im Dtn, DtrG und Jeremiabuch; 2. Geist im Jesajabuch. In diesem Zusammenhang ist Ez 36,26 zu beachten (vgl. Ez 11,19; 18,31). Im Gegensatz zu Ez 18,31, wo das Lexem ‫ עׂשה‬im Imperativ steht, um das menschliche Handeln zu betonen, ist in Ez 36,26 die völlige Erneuerung durch Jahwe das Thema, wobei der Geist und das Herz als Gabe Gottes verstanden werden. Ez 18,31 Ez 11,19 Ez 36,26

hvdx xwrw vdx bl ~kl wf[w ~kbrqb !ta hvdx xwrw dxa bl ~hl yttnw ~kbrqb !ta hvdx xwrw vdx bl ~hl yttnw

Außerdem besteht zwischen Ez 11,19 und 36,26 ein kleiner Unterschied bei den Adjektiven, da 11,19 ‫ אחד‬verwendet, während 36,26 ‫ חדׁש‬hat. Beide Adjektive bezeichnen das Neue der Gabe Gottes, und haben einen bestimmten Zweck, nämlich den Gesetzesgehorsam zu ermöglichen (‫)למען בחקתי ילכו ואת־מׁשפטי‬. Insofern wird hier das Verhältnis von Herz und Geist für die Thematik des Gesetzesgehorsames, der übereinstimmend formuliert wird, bedeutsam.

Ez 36,27f

Ez 11,20

`~tyf[w wrmvt yjpvmw wklt yqxb-rva yf[w27b  ~ta wf[w wrmvy yjpvm-taw wkly ytqxb ![ml  `~yhlal ~kl hyha yknaw ~[l yl ~tyyhw28b `~yhlal ~hl hyha ynaw ~[l yl-wyhw vor Jeremia nicht nachzuweisen; vgl. L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S. 146f; J. Jeremias, Der Prophet Hosea, S. 104f; J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 15.439. 282 Dtn 4,29; 6,5; 10,12; 11,13; 13,4; 26,16; 30,2.6.10; Jos 22,5; 23,14; Jer 24,7; 29,13.

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Dabei ist der Bundesschluss als Folge des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams verstanden (vgl. Jer 31,31–34), wie auch anderseits der Bundesbruch als Ungehorsam gegenüber der Tora bzw. dem Gesetz dargestellt wird (vgl. Ez 8,6). Es bestehen also verschiedene Konzepte der Tora. Das erste ist mündlich. Die in Dtn 17,11 erwähnte Tora, ein älterer Beleg der verschrifteten Tora, ist mit der im Tempel aufgefunden zu identifizieren (dtn / vor-dtr; 2 Kön 22,8). Im Gegensatz dazu wird sie in 2 Kön 23,24f als Tora des Mose proklamiert. Ferner ist die Tora mit der göttlichen Horeboffenbarung verbunden (dtr – Horebbund; Dtn 5,23–27283).284 Hier findet sich der Bundesschluss, der mit dem Befolgen der Gebote, der Zeugnisse und der Ordnungen verbunden ist (vgl. 2 Kön 23,3). 283 Die Mittlerfunktion des Mose findet sich dreimal im Pentateuch (Ex 20; Dtn 5 und 18). Durch den Vergleich dieser Offenbarungserzählungen hat R. Achenbach (“A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 6–10) gezeigt, dass der Abschnitt Dtn 18,16–20, der traditionell als dtr gilt, erst der spät-dtr Schicht zuzurechnen ist; vgl. F. Crüsemann, Die Tora, S. 407. Die Fassung in Ex 20 sei nicht älter als Dtn 5, da sie priesterschriftlich ergänzt worden ist. Weil „der Dekalog allein als direktes Gotteswort an das Volk ergeht“, hebt sich der Dekalog in Ex 20 ab (S. 408). Vgl. dazu E. Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, in: M. Vervenne, Studies in the Book of Exodus. Redaction – Reception – Interpretation, BEThL 126, Leuven 1996, S. 76.78. „Ex 20,18 ist in der Verbindung von Dekalog und Theophanie von Dtn 5 abhängig.“ Für F.-L. Hossfeld (Der Dekalog. Seine späten Fassungen, die originale Komposition und seine Vorstufen, OBO 45, Freiburg 1982, S. 161f) setzt der Dekalog die Priesterschrift voraus und ist deshalb erst durch die Hand des Pentateuchredaktors verfasst worden; dagegen A. Graupner, Vom Sinai zum Horeb, in: Verbindungslinien. Festschrift für W. H. Schmidt zum 65. Geburtstag, Neukirchen-Vluyn 2000, S. 95f. „Dtn 5 ist nicht das Modell für Ex 20, sondern setzt umgekehrt Ex 20 mit der Abfolge von Dekalog, Reaktion des Volkes auf die Theophanie und Gesetzespromulgation voraus.“ Vgl. dazu M. Noth, Das 2. Buch Mose Exodus, S. 135; E. Blum, Das sog. „Privilegrecht“ in Exodus 34,11–26. Ein Fixpunkt der Komposition des Exodusbuches?, in: Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten, FAT 69, hrsg. von E. Blum und W. Oswald, Tübingen 2010, S. 158. Diese These gründet sich auf die Neue Urkundenhypothese, demnach handelt es sich um ein elohistisches Stück. In Ex 20,20 steht die Redewendung „fürchtet nicht“, was mit dem Mitsein Jahwes begründet wird (vgl. Jes 41,10). Nach Ex 20,20 soll dagegen das Volk Jahwe fürchten (‫לבלתי תחטאו‬ ‫)ובעבור תהיה יראתו על־פניכם‬. Dies reflektiert wahrscheinlich Ex 9,30, wo es um das Nichtfürchten Gottes durch den Pharao und seine Hofbeamten geht (‫מפני יהוה אלהים‬ ‫ טרם תיראון‬vgl. Ex 14,21; 18,21). Darum ist die Offenbarungserzählung Dtn 5 wahrscheinlich älter als Ex 20, und dementsprechend ist die Mittlerfunktion des Mose zwischen Gott und Volk der dtr Schicht zuzuweisen. 284 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 30.

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In der Nachexilszeit trennt sich die Gruppe der Propheten von anderen Gruppen, also Königen, Obersten, Priestern und Vätern (vgl. Neh 9,34), da sie in Neh 9,26–35, wo die Begründung des Exils erfolgt, als Warner (‫ עוד‬im Hif.; Neh 9,26.29) geschildert wird, während die anderen nicht nach der Tora gehandelt und auf das Gebot geachtet haben. Dabei wird ihre Missachtung der prophetischen Warnung mit dem Ungehorsam gegenüber der Tora gleichgesetzt. Somit sind die Propheten Lehrer der Tora (vgl. Sach 1,4–6; 7,7.12) sowie Toramittler (vgl. 2 Kön 17,13), wodurch sie zu Nachfolgern des Mose werden (vgl. Num 11; nach-dtr).285 Es scheint, als ob die Propheten versuchten, die Verantwortung für die Tora zu übernehmen (Jer 31,32f), indem sie ihre prophetische Rede mit der Tora identifizieren (2 Kön 17,13; Sach 7,12; vgl. Jer 6,19). Allerdings wird die Toraverantwortung auch dem Priester übertragen (Dtn 17,18; 31,9; vgl. Ex 4,15) und seine Aufgabe, die Tora zu verlesen, wird wahrscheinlich durch den Tod des Mose eminent wichtig, da die verschriftete Tora der Priesterschaft übergeben und von Priester zu Priester überliefert werden soll (Jes 61; Dtn 31,9–13 spät-dtr / nach-­ dtr),286 weshalb der Konflikt zwischen Propheten und Priestern unausweichlich wird (Jer  31,31–34).287 Der Ausdruck, dass die Tora schon im Mund bzw. dem Herzen nahe ist (spät-nach-dtr [neuer Bund]; Dtn 30,14; Jer 31,33), revidiert die priesterliche Torabelehrung (vgl. Dtn 31,12),288 da nun kein Wortmittler mehr zwischen Gott und Israel steht, und die Verheißung eines künftigen Propheten wird überboten, indem alle zu Propheten werden (vgl. Dtn 18,18). Aus der bisherigen Untersuchung von Geist und Tora ergibt sich, dass der Gesetzes- bzw. Toragehorsam unterschiedlich begründet wird: 1. Die Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz: Diese Form prägt die Überlieferungen der deuteronomistischen Schriftgelehrten und die von ihnen beeinflussten Schriften, insbesondere das Jeremiabuch. Dabei wird die Personalisierung des Toragehorsams durch die Rede ‚mit ganzem Herzen‘ akzentuiert (Dtn 30,10). Eine Vorstufe des Toragehorsam bildet Dtn 6,5 und 2 Kön 23,25, wo er mit dem Bundesschluss verbunden wird.

285 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 361; zur Datierung von 2 Kön 17 s. N. Lohfink, Deuteronomium: Jahwegesetz oder Mosegesetz?, S. 159. 286 Vgl. C.  Dohmen und M.  Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, S.  54–68; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 211–233. 287 M. E. sind die beiden Gruppe als Schriftgelehrte zu verstehen, da in der Nachexilszeit die Propheten als Schriftpropheten zu begreifen sind, wozu auch der Priester gehört (Jes 51,4; 61; vgl. Neh 8; vgl. Ez 36). 288 S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2).

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2. Toravermittlung und Geistbegabung: Hier werden vorexilische Konzepte der charismatischen Begabung politischer und religiöser Führungspersönlichkeiten unter den Bedingungen des institutionellen Wandels der nachexilischen Zeit auf schriftgelehrte Gestalten (Priester, Propheten, Messias) und Religionsgemeinschaften (Prophetenschüler, Zionsgemeinde) übertragen. Diese Geistbegabten agieren als Toramittler. 3. Geistempfang und Toragehorsam: In den späten priesterlichen und prophetischen Überlieferungen des zweiten Tempels, die im Numeri- sowie Ezechielbuch und im Dodekapropheton zu finden sind, wird ein theokratisches Konzept sichtbar, wofür priesterliche Autorisierung und spirituelle Schulung der Gemeinden relevant sind. Hier kommt es zum Konnex von Geist und Gesetz, und weil auch die direkte Geistbegabung des Toraempfängers wichtig wird, kommt es zur Verbindung der beiden vorangegangen Konzepte.

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Teil I: D  ie Rede vom Gehorsam des Herzens gegenüber dem Gesetz

Hier ist zuerst die Relation von Toragehorsam und Herz, das als Sitz des Bewusstseins verstanden ist, zu untersuchen. Dieses Motiv prägt das Dtn und Jeremiabuch, was eine Beziehung zwischen ihnen impliziert. Auffällig ist, dass in diesen Texten ‚Rûaḥ‘ demgegenüber kaum eine Rolle spielt289 oder gar negativ verstanden wird. Der eingeforderte Toragehorsam wird fast immer mit dem Ausdruck ‚mit ganzem Herzen‘ formuliert, was die wichtige Funktion des Herzens unverkennbar macht. In Dtn 30,1–10, wo es um ‚Heimkehr, Fruchtbarkeit und Toragehorsam‘ geht, wird das Herzmotiv durch die Herzensbeschneidung neu bestimmt. Sie wird zwar schon in Dtn 10,16 erwähnt, aber es besteht ein großer Unterschied, da entweder Israel oder Jahwe ihr Subjekt ist. Dies eröffnet eine neue Dimension des Toragehorsams, weil er nun nicht nur ‚mit ganzem Herzen‘, also mit aller eigenen Kraft, erfolgen soll, da vielmehr jetzt auch die göttliche ‚Herzensbeschneidung‘ zu seiner notwendigen Voraussetzung wird. Mit diesem Ausdruck wird versucht, den Toragehorsam auf die Initiative Jahwe selbst zurückzuführen, wodurch der Verfasser die weisheitliche Tradition290 des Toragehorsams entscheidend modifiziert (vgl. Spr. 4,23; 6,21; 7,3). Wie im Dtn spielt der Begriff ‚Rûaḥ‘ auch im Jeremiabuch keine Rolle für den Toragehorsam (‫ הנביאים יהיו לרוח‬Jer  5,13). In Jer  31,31–34 geht es um den neuen Bund, wo auch das Motiv des Herzens als Tafel erscheint (‫ועל־לבם‬ ‫ אכתבנה‬Jer 31,33).291 Wie Dtn 30 zielt dieser Abschnitt auf den Toragehorsam des Einzelnen durch die Toraverschriftung auf das Herz, somit sind beide Texte durch das Herzensmotiv und dessen Zweck verbunden, was ihre literarische Beziehung impliziert (vgl. Dtn 30,11–14). Zugleich erfolgt aber auch eine Revision des Dtn

289 Im Dtn ist von Rûaḥ nur zweimal die Rede, und diese Stellen finden sich nicht im Gesetzkorpus, sondern in den Erzählstücken Dtn 2,30; 34,9, die wahrscheinlich später als dtr zu datieren sind. 290 Vgl. D. M. Carr, Writing on the tablet of the heart. Origins of scripture and literature, New York 2005, S. 126–142. 291 Vgl. D. M. Carr, Writing on the tablet of the heart, S. 129.

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Konzeptes in Jer  31,31–34, weil die priesterliche Toraverantwortung abgelehnt wird (vgl. Dtn 31,9–13). Die Beziehung zwischen Herzensmotiv und Toragehorsam ermöglicht es abschließend auch, dem Rezeptionsprozess zwischen Pentateuch und Jeremiabuch durch die Modifikationen des Herzensmotives nachzugehen.

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1. „Mit ganzem Herzen“: Die Ausrichtung des Bewusstseins auf Gott und sein Gesetz 1.1 Dtn 6,5 Der Abschnitt Dtn 6,4f ist das sog. „Schema“, und in ihm wird ‚El‘ näher bestimmt, da ‫ אחד‬ohne Artikel »einen« im Sinne eines »einzigen« bezeichnet.292 Das „Schema“ findet sich auch in Dtn  5,1; 9,1; 20,3; 27,9, aber auch der wohl von Dtn 6,4 abgeleitete Aufruf »Israel, höre« in Dtn 4,1 (vgl. 13,12; 21,21) ist mit ihm vergleichbar. T. Veijola interpretiert Dtn 6,5 allerdings als eine spätere Einfügung, weil durch den Vers „diese Worte“ in V. 6 von ihrem inhaltlichen Bezug in V. 4b getrennt würden.293 M. Rose datiert den Vers sehr spät, weil das religiöse Überleben nach der Katastrophe von 587 v. Chr. vorauszusetzen ist, da der Text gerade im synagogalen Gottesdienst und in der familiären jüdischen Frömmigkeit hohe Wertschätzung genießt.294 E. Nielsen erkennt hier den Wechsel von einer geschichtlichen Einleitung zum paränetischen Teil, und „dieser Übergang wird in 6,4–5 durch den Wechsel von ‫( אלהינו‬Dtn 6,4) zu ‫( אלהיך‬Dtn 6,5) vollendet.“295 Die Spätdatierung von Dtn 6,4f ist allerdings abhängig vom Verständnis der literarischen Einheitlichkeit des Abschnitts Dtn 6,4–9, allerdings ist schon in der Anrede rasch eine Spannung erkennbar, denn „Israel“ als Gottesvolk wird in Dtn 6,4f als Adressat benannt, in Dtn 6,6–9 erfolgt dagegen eine Zuwendung zum Einzelnen.296 Für G. Braulik knüpft Dtn 6,4 aber an die Reformation Josias an

292 Vgl. G. Braulik, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, in: ders., Studien zur Theologie des Deuteronomiums, SBAB 2, Stuttgart 1988, S. 260f. Der Ausdruck ‫» יהוה אחד‬Jahwe der Einzige« findet sich auch in Sach 14,9, aber dieser Vers ist zweifellos erst später verfasst worden, denn hier gilt die Einzigkeit sowohl für Jahwe als auch seinen Namen (‫)וׁשמו אחד‬. 293 Vgl. T. Veijola, Das fünfte Buch Mose Deuteronomium 1,1–16,17, ATD 8/1, Göttingen 2004, S. 177. Er hält den Abschnitt Dtn 6,4–9 aber für die älteste Schicht. 294 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, ZBAT 5/2, Zürich 1994, S. 330; ders., 5 Mose 12–25, ZBAT 5/1, Zürich 1994, S. 26–30. 295 E. Nielsen, Deuteronomium, HAT 6/1Tübingen 1995, S. 85. 296 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium, S. 362; R. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot. Literarkritische Untersuchungen zu Deuteronomium 5–11, EHS 422, Frankfurt a.M.·Bern 1991, S. 114f: „Durch Dtn 6,6–9 wird das Deuteronomium zum Lehrbuch einer neuen, vom Gesetz lebenden Frömmigkeit im familiären Bereich. […] Literarisch ist Dtn. 6,6–9 einer Spätphase der Entstehung von Dtn. 5–11 zuzuordnen, in welcher die dtn. Rahmung des Dt. (6,4f.) ebenso wie die von Dtn 5 herkommende

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und „aufgrund der Forderung, nur Jahwe als Israels Gott zu verehren“,297 sind die Fremdkulte zerstört worden. Dies hat z.B. eine Parallele im Handeln Sanheribs (704–681 v. Chr.), der nach der Eroberung Babylons die Zerstörung der dortigen Götterstatuen befohlen hat, um so die „Konzentration auf den Aššur-Kult“298 religionspolitisch durchzusetzen. Trotz dieser Interpretationsdifferenzen gilt es als Konsens, dass Dtn 6,4f das dtn Gesetz eröffnet,299 was bereits A. Alt300 vertreten hat: „Daß das Deuteronomium in seiner ursprünglichen Fassung mit diesen Sätzen begann, ist heute wohl allgemein anerkannt.“ Zum besseren Verständnis ist auf mögliche religionsgeschichtliche Parallelen in der Umwelt Israels einzugehen. Im Alten Orient findet sich die Vorstellung der Einzigkeit oder besser Einzigartigkeit Gottes, was z.B. mit KTU 1.4 VII 49–52a illustriert sei:301 aḥdy . dymlk . ʿl.ilm lymru i̊ lm . w nšm. dyšb[ʿ] . hmlt . arṣ

„Einzig ich bin es, der herrscht über die Götter, der fett macht Götter und Menschen, der sättigt die Mengen der Erde“

Dennoch ist eine direkte Rezeption vom in das 2. Jt. v. Chr. zu datierenden ugaritischen Text in Dtn 6,4 wohl eher unwahrscheinlich. Für die Formulierung, den „HERR zu lieben“ in Dtn 6,5 ist allerdings der Text VTE als Parallele erwähnenswert,302 da er eventuell im Dtn rezipiert worden ist:303 201 ……Sollte am Tage oder in der Nacht 202 zur Unzeit ein Bote aus dem Palast 203 zu einem Prinzen kommen mit der Botschaft: »Dein Vater

297 298 299

300 301 302 303

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(pluralische) Paränese (6,1) vorausgesetzt und das Gesetz zum Lehrbuch wird (6,2f, singularisch).“ G. Braulik, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, S. 257f. Vgl. M. Arneth, Hiskia und Josia, S. 277. Vgl. G. Hölscher, Komposition und Ursprung des Deuteronomiums, ZAW 40, 1922, S. 179; G. Braulik, Deuteronomium 1–16,17, NEB 15, Würzburg 1986, S. 55; E. Otto, Das Deuteronomium, S.  360–364. Es bedarf aber nicht einer Buchüberschrift wie Dtn 4,45; 5,1. Zum Forschungskonsens, den Text als vor-dtr / dtn zu verstehen s. H. D. Preuss, Deuteronomium, EdF 164, Darmstadt 1982, S. 100f. A. Alt, Die Heimat des Deuteronomiums, in: ders., Kleine Schriften zur Geschichte des Volkes Israel II, München 1953, S. 253, Anm. 3. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium, S. 361. R. Borger, Die Vasallenverträge Asarhaddons mit medischen Fürsten, in: O. Kaiser, R. Borger u.a., TUAT I/2 [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 165f. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium, S. 3. E. Otto erkennt eine Übernahme von VTE in Dtn 13,2–10.

204 205 206 207

lädt dich vor, mein Herr möge kommen«, so sollt ihr nicht auf ihn hören, ihn nicht loslassen, er soll nicht weggehen, ihr sollt ihn stark bewachen, bis einer von euch, der seinen Herrn liebt304

266 Wenn ihr Assurbanipal, den Kronprinzen vom »Nachfolgehaus«, 267 den Sohn Asarhaddons, Königs von Assyrien, eures Herrn, 268 nicht wie eure Seelen liebt

Der König Asarhaddon verlangt die Unterordnung einzig und allein unter den König Assurbanipal: Jeder soll Assurbanipal, den Sohn Asarhaddons, wie seine eigene Seele lieben. Daher könnte es möglich sein, dass der Verfasser von Dtn 6,4f diese Vorstellung übernommen hat, wobei die Einzigkeit und Liebe auf Jahwe übertragen worden ist, aber faktisch zielt Dtn 6,4f hingegen im Gegensatz zu VTE (VV.  203–206) auf die antiassyrische Revolution.305 Weil die Kultzentralisation auf die Moserede zurückgeführt wird (Dtn 12,14.28; 2 Kön 23,25), wird Mose als Gesetzgeber dargestellt (2 Kön 23,25).306 Somit geht der Toragehorsam, der durch die Redewendung „das ganze Herz und die ganze Seele“ ausgedrückt wird, wahrscheinlich auf die dtn Schicht zurück. In Dtn 6,5 steht das Liebesgebot, in dem das Herz als Sitz des Bewusstseins verstanden wird. Diese Zusammenstellung findet sich abermals in Dtn 10,12; 11,13; 13,4; 30,6.307 Die Passagen Dtn 6,5; 13,4 und 30,6 unterscheiden sich allerdings stark, weil in Dtn 30,6 die Liebe zu Jahwe nicht unmittelbar durch menschliche Bemühung erfüllbar ist (vgl. Dtn 10,12; 11,13), sondern einzig durch die göttliche Herzensbeschneidung ermöglicht wird.308 Falls Dtn 6,4f als dtn anzusehen ist, dann wird das Liebesgebot aufgrund der Verbindung mit der Herzensbeschneidung durch einen Autor aufgenommen und revidiert, wobei das Herz für den Torabzw. Gesetzesgehorsam immer noch als die entscheidende Größe gilt. 304 Auch die Übersetzung „den sein Herr liebt“ ist möglich. 305 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium, S. 364; ders., Liminalität in der Thronratsvision Jesajas, in: Tora in der Hebräischen Bibel, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 188; N. Lohfink, Die Bundesurkunde des Königs Josias, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur I, SBAB 8, Stuttgart 1990, S. 148; M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 330. Er erkennt in Dtn 6,4–9 ein theologisches Programm. 306 Vgl. N. Lohfink, Deuteronomium: Jahwegesetz oder Mosegesetz?, S. 157f.162. Die Gestalt des Mose ist in Dtn 1–3; 31 und dem Josuabuch vorausgesetzt. 307 Jedoch wird die Wendung ‚mit ganzem Herzen‘ in Dtn 10,12 und 11,13 auch mit dem Lexem ‫» עבד‬dienen« verbunden, in Dtn 13,4 und 30,6 ist es hingegen das Lexem ‫אהב‬ »lieben«. 308 S. u. Dtn 30 (2.3.1).

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1.2 2 Kön 23,25 In 2 Kön 22f ist von der Tora viermal die Rede. 2 Kön 22,8 berichtet über die Auffindung des Torabuches, wobei zwei Personen eine wichtige Rolle spielen, nämlich der Hohepriester Hilkija und der Schreiber Schafan. 2 Kön 23,24f beschreibt die Umsetzung der Gesetzesforderungen des Buches durch den König Josia (2 Kön 23,24), und abschließend erfolgt dessen Würdigung (2 Kön 23,25). Die Bedeutung der Reform Josias wird so herausgestellt, und zugleich wird die aufgefundene Tora mit der des Mose identifiziert, weshalb der Abschnitt 2 Kön 23,24f allgemein als spätere Ergänzung gilt.309 Hier wird auch der Ausdruck ‫ בכל־לבבו ובכל־נפׁשו ובכל־מאדו‬verwendet, der im AT sonst nur noch in Dtn 6,5 begegnet. Daher ist eine Beziehung zwischen Dtn 6,5 und 2 Kön 23,25 unverkennbar, und außerdem ist die Beurteilung der Könige Josia und Hiskia zu vergleichen: 2 Kön 18,5

xjb larfy-yhla hwhyb hdwhy yklm lkb whmk hyh-al wyrxaw wynpl wyh rvaw

2 Kön 23,25

whmkw hyh-al wynpl hwhy-la bv-rva $lm hvm trwt lkk wdam-lkbw wvpn-lkbw wbbl-lkb wyrxaw ~q-al whmk

Beide Passagen betonen ihre Sonderstellung, indem sie ihre Unvergleichlichkeit hervorheben: Bei Hiskia wird zuerst seine Unvergleichlichkeit mit seinen Nachfolgern (‫)ואחריו לא־היה כמהו‬, und sodann die mit seinen Vorgängern (‫ואׁשר היו‬ ‫ )לפניו‬betont. Bei Josia ist die Reihenfolge dagegen umgekehrt (‫וכמהו לא־היה לפניו‬ 309 Vgl. E. Würthwein, Die Bücher der Könige: 1. Kön. 17 – 2. Kön. 25, S. 461. Diese Passage zeigt, „was die Forderung der Umkehr bedeutet: Gehorsam gegen die Gesetze des Dtn und ihre Verwirklichung.“ Vgl. dazu auch G. Hentschel, 2 Könige, S. 113f. Seit langem gibt es eine Debatte über 2 Kön 22–23, einen Überblick bietet N. Lohfink, Zur neueren Diskussion über 2 Kön 22–23, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur II, SBAB 12, Stuttgart 1991, S. 179–207. F. M. Cross (Canaanite Myth and Hebrew Epic, S. 275) vermutet zwei Redaktionen für das DtrG, nämlich eine vorexilische und im Werk Josias gipfelnde Redaktion (Dtr I), und eine zweite exilische Redaktion, die die Geschichte vom Faktum des Untergangs her umdeutet (Dtr II). Er schreibt die Passage 2 Kön 23,25 Dtr I zu.

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und ‫)ואחריו לא־קם כמהו‬. M. Arneth hat für die Struktur von 2 Kön 23,25 gezeigt, dass sie „konzentrisch“310 verfasst ist, weil die Mose-Tora die entscheidende Rolle für die Unvergleichlichkeit Josias spielt, während Hiskia wegen seines Vertrauensverhältnisses zu Jahwe (‫ )בטח‬gewürdigt wird (vgl. 2 Kön 18,6f). Ein gewisser ­Widerspruch bleibt allerdings, da für zwei Könige zugleich die Unvergleichlichkeit postuliert wird. Indem der Verfasser von 2 Kön 23,24 Textelemente aus Dtn 6,5 und 2 Kön 18,5–7* aufnimmt, richtet sich sein Interesse wahrscheinlich darauf, dass er den Gehorsam gegenüber der Mose-Tora als Vertrauensverhältnis bzw. Verbundenheit mit Jahwe verstanden haben will.311 Also wird der dtn / dtr Gedanke wohl in 2 Kön 23,25 direkt aufgenommen, wobei der Toragehorsam mit der Redewendung „mit ganzem Herzen“ ausgedrückt wird.

310 M. Arneth, Hiskia und Josia, in: Tora in der Hebräischen Bibel, BZAR 7, Wiesbaden 2007, S. 290. 311 Der Vergleich der Texte Jos 1,7 und 2 Kön 18,6–7a ermöglicht M. Arneth (Hiskia und Josia, S. 288f) die These, dass Dtn 6,5; Jos 1,7 und 23,6–8 die Vorlage für 2 Kön 23,25 gebildet haben; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 232, Anm. 315, rechnet Jos 1,7 jedoch der Hexateuchredaktion zu.

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2. Dtn 30: Die Beschneidung des Herzens Hier bilden die Heimkehr ins Land und das Leben im Land Israel das Thema, wobei ‫ ׁשמע‬und ‫ ׁשוב‬die Leitworte bilden. Der notwendige Toragehorsam wird durch die Redewendung ‚‫( ‘בכל־לבבך‬Dtn 30,1f) ausgedrückt, so dass die Verbindung mit dem vor-dtr / dtr Motiv unverkennbar ist, darüber hinaus wird sie jedoch auch modifiziert, indem sie durch die Herzensbeschneidung ergänzt wird. Diese Beschneidung gewinnt hier eine entscheidende Rolle, womit auch eine mögliche Beziehung zum Jeremiatext besteht. Deshalb ist hier das Thema Beschneidung zu untersuchen. So kann für den Abschnitt Dtn 30,1–10 auch ein Zeitrahmen bestimmt werden und seine Bedeutung erklärt werden. Dazu ist einerseits der Konnex mit dem Jeremiabuch, und andererseits innerhalb des Pentateuch die Überlieferung zur Beschneidung zu untersuchen (Gen 17; vgl. Dtn 4), und die sich anschließende kurze Erklärung von Dtn 30,11–14 lässt die Korrelation zwischen Dtn und Jeremiabuch abermals sichtbar werden.

2.1 Formanalyse Dtn 30,1–10 unterscheidet sich in einigen Punkten von Dtn 29. In Dtn 29 bezieht sich der Sprecher in die Adressatengruppe ein (V. 28), nicht mehr jedoch in Kap 30 (VV. 1.2.8.11). Während Dtn 29 im Plural formuliert ist, steht in Dtn 30,1–10 der Singular.312 Und die in Dtn 30 verwendeten Leitbegriffe ([mv: 2.8.10.12f.17.20; bwv: 1–3.8–10) werden in Dtn 29 nicht nur sehr selten, sondern auch in anderen Zusammenhängen benutzt (29,3.18). Das Wort ‫כל־הדברים האלה הברכה והקללה אׁשר‬ ‫נתתי לפניך‬, das an Dtn 28,1f.15 und 29,21.23–27 anknüpft,313 fungiert sowohl als Abschluss von Dtn 28f als auch als Einleitung für Dtn 30, was durch die Überleitung mit ‫ והיה כי־יבאו עליך‬bewirkt wird.314 Da in Dtn 28 die Fluchandrohung akzentuiert wird (VV. 15–68), wird das Exil so als Folge des Ungehorsams Israels gedeutet (Dtn 29,23–28; ‫ עזבו את־ברית יהוה אלהי אבתם‬V. 24; vgl. Dtn 28,20). Dieser Fluch findet sich nochmals in Dtn 30,1–10, was Dtn 30 mit den vorigen Kapiteln ­verbindet.

312 Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 131. 313 Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 154. 314 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, 1994, S. 555. Durch das Wort ‫ יבאו‬ist ein Anklang der künftigen prophetischen Rede hörbar: Jes 39,3; 47,13; 49,12; 60,4ff; Jer 6,3; 16,19; 17,19; 31,9; 50,4; 51,53.

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Durch das Aufgreifen des Themas wird die Intention von Dtn 30,1–10 sichtbar: Einerseits soll so der Grund des Untergangs Israels benannt werden, und andererseits soll die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber dem Wort Jahwes unterstrichen werden. Weiterhin wird durch Dtn 30,1–5 die Umkehrmöglichkeit (‫וׁשבת‬ ‫ עד־יהוה אלהיך וׁשמעת בקלו ככל‬V. 2) und das Erbarmen Jahwes (‫ורחמך וׁשב וקבצך‬ V. 3) hervorgehoben. Also ist der Text Dtn 30,1–10 weder eine Fortschreibung der vorherigen Kapitel, noch ist er vom Verfasser von Dtn 28f konzipiert worden, denn hier wird vielmehr ein eigenes Thema entfaltet, nämlich die Umkehr Israels zu Jahwe (2: ‫ ;וׁשבת ַעד־יהוה אלהיך‬6: ‫ ;לאהבה את־יהוה אלהיך‬10: ‫)תׁשוב אל־יהוה אלהיך‬, wozu das Lexem ‫ ׁשוב‬siebenmal verwendet wird (30,1.2.3x2.8.9.10), was zugleich auch für die Umkehr Jahwes benutzt wird (V. 3). Daneben ist die Befolgbarkeit der Tora mit dem Ausdruck ‫ בכל־לבבך‬ein Zentralthema der Passage (2.6.10: vgl. 14: ‫)בפיך ובלבבך‬, was in Dtn 30,12f mit weisheitlichen rhetorischen Fragen fortgeführt wird (Spr 30,4; vgl. Jes 14,13; Job 38,37). Dann folgt in VV. 15.19 wiederum die Gegenüberstellung von Dtn 28, wo das Leben und das Gute dem Tod und dem Bösen kontrastiert werden, was jedoch in 30,1–10 keine Rolle gespielt hat. In VV. 1–10 kommen eine Spannung und eine inhaltliche Verdopplung zusammen. Denn nach V. 2 muss sich der Hörer, der mit „du“ angesprochen wird, selbst seinem Gott zuwenden und der Stimme Jahwes gehorchen; aber nach V. 7 will Jahwe die Flüche auf die Feinde Israels legen, damit die Hörer zu ihm umkehren, d.h. Jahwe wird nun zum Initiator der Umkehr. V. 2aαβ fungiert als ein Bedingungssatz und V. 3 beschreibt die neue Zukunftserwartung.315 In V. 3 kommen das Erbarmen Jahwes und die Sammlung des zerstreuten Israels aus der Gefangenschaft bzw. fremden Ländern dazu, was in V. 4 fortgeführt wird. Die Rückkehr ins Land, welches bereits die Väter in Besitz genommen hatten, wird in V. 5 verheißen, wobei dem heimgekehrten Volk im Vergleich zu ihren Vätern auch größerer Segen und mehr Nachkommen zugesagt werden (‫)והיטבך והרבך מאבתיך‬. Somit ist die Umkehr Israels (‫ ׁשוב‬V. 2) die notwendig zu erfüllende Bedingung für das ­Erbarmen Jahwes und die Rückkehr ins Land (VV. 3–5). Durch die Erwähnung der Nachkommen (‫זרע‬, vgl. Gen 13,15; 17,7) in V. 6 wird die Verheißung von Dtn 30 auch den kommenden Generationen zugesprochen. Die Passage nennt nun aber noch eine neue Voraussetzung, nämlich die Herzensbeschneidung. Diese Voraussetzung greift V. 2 auf, wo die Umkehr Israels die Voraussetzung gebildet hat. In VV. 7f wird das Resultat wiedergegeben, einerseits die Flüche auf die Feinde (V. 7), und andererseits nochmals die Umkehr Israels (V. 8). Weiterhin wird in V. 9 Israel der Segen zugesprochen. Schließlich bilden VV. 1 315 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 555.

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und 10 einen Rahmen beider Erzählschichten. V. 1 dient als Einleitung und V. 10 als Abschluss, wobei folgende Leitworte verwendet werden: ‫בכל־לבבך ובכל־נפׁשך‬, ‫ׁשמע‬, ‫ׁשוב‬. In den VV. 1–10 finden sich unterschiedliche Redewendungen: Die Formulierung »Was ich dir heute befehle« (VV. 2.8., aber auch in VV 11.16) impliziert eine Zeitangabe, die sich auf die zwei Verben, nämlich ‫( ׁשמע‬V. 2) und ‫( עׂשה‬V. 8) bezieht. Durch den Ausdruck in VV. 2 und 8 ist der Text einerseits als Moserede, und andererseits als Erzählung vom Aufenthalt Israels im Land Moab verstehbar.316 Im Text wird auch die Redewendung ‫( בכל־לבבך ובכל־נפׁשך‬VV. 2.6.10; vgl. 14), die sich auf die drei Verben ‫( ׁשמע‬2), ‫( אהב‬6) und ‫( ׁשוב‬10) bezieht, verwendet, um die Kernaussage von Dtn 30 zu formulieren. Manchmal werden diese Verben paarweise verwendet: ‫ ׁשוב‬und ‫( ׁשמע‬Dtn 30,8; 1 Kön 12,24; Sach 1,4), ‫ ׁשמע‬und ‫( אהב‬Dtn 11,13; 23,6). Die Redewendung in V. 2b wird mit den Worten „du und deine Söhne“ verknüpft, so dass der Befehl zum einen für die gegenwärtige Generation gültig ist, durch das Wort [rz in V. 6 gleichzeitig aber auch an die künftige Nachkommenschaft gerichtet ist (vgl. Gen 17; 22,17f).317 Somit ist V. 6 als ein neuer Eröffnungssatz zu verstehen, weil hier die Herzensbeschneidung, die im Dtn außer an dieser Stelle nur noch in Dtn 10,16 vorkommt, eine Voraussetzung für die Rückkehr ins Land darstellt. Weil die exilische Beschneidungsregel318 allerdings älter als das Motiv der Herzensbeschneidung (vgl. Jer 4,4), die von ihr abgeleitet sein dürfte, ist, ist V. 6 erst der nachexilischen Zeit zuzuweisen.319 In V. 4 wird verkündet, dass Jahwe Israel sammeln und wieder in das verheißene Land zurückbringen will (vgl. V. 5), selbst wenn es bis an das Ende des Himmels verstoßen worden wäre. Der Vers bezieht sich einerseits durch ‫» קבץ‬sammeln« auf V. 3b – daher ist er als dessen Erläuterung zu verstehen -, andererseits aber durch ‫» נדח‬verstoßen« auf V. 1b. In VV. 2–5 werden die Umkehr zu Jahwe und der Gebotsgehorsam mit Heimkehr und Segen verbunden, und dazu bilden die Verse VV. 6–9 strukturell gesehen eine Parallele, aber inhaltlich unterscheiden sich die beiden Abschnitte. Folglich sind in Dtn  30,2–9 zwei Mosereden zu finden, die 316 Vgl. J. Taschner, Die Mosereden im Deuteronomium. Eine kanonorientierte Untersuchung, Tübingen 2008, S. 138–153. An vielen anderen Stellen des Dtn.s ist mit ‫כיום הזה‬ bzw. ‫ היום‬immer der „archetypische“ Tag vor der Landnahme bezeichnet (Dtn 1,10; 4,4.8.20.26.38ff; 5,1 u.a.), weshalb er die Zeitangaben als Einfügungen interpretiert. 317 Vgl. R. Rendtorff, Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch, S. 42f. 318 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Geschichte Israels. Von den Anfängen bis Bar Kochba und von Theodor Herzl bis zur Gegenwart, Stuttgart 61989, S. 131. 319 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 155.

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jedoch durch ihr gemeinsames Leitwort bwv wie eine Rede wirken. Tatsächlich hat aber jede Rede ihr eigenes Thema, einerseits ist die Umkehr Israels die Voraussetzung (V. 2), und andererseits ist Israels Umkehr Folge der Umkehr Jahwes (V. 6). V. 1 bildet mit V. 10 einen Rahmen, worin die Exilssituation höchstwahrscheinlich vorausgesetzt wird. In V. 1 steht die Formulierung ‫יבאו עליך כל־‬ ‫הדברים האלה‬, wobei die Wortverbindung ‫ בוא‬mit ‫ על‬typisch für die prophetische Rede ist320 (vgl. Jer 11,17; 35,17 ‫ ;דברתי עליהם‬42,19 ‫)דבר יהוה עליכם‬, was daran erinnert, dass Mose in Dtn 29,21–27 schon als Prophet vorgestellt worden ist (Dtn 18,18; vgl. Jer 26,20; 32,42; 36,31).321 Daraus ist abzuleiten, dass der ­Abschnitt Dtn 30,1–5 sowohl den Moabbund voraussetzt als auch in prophetischer Redeform formuliert ist.322 In V. 2 ist von der Umkehr Israels die Rede. Diese Umkehr wird zweifach ausgedrückt: Einerseits Umkehr zu Jahwe (‫וׁשבת‬ ‫ )עד־יהוה‬und andererseits Wortgehorsam (‫ ;וׁשמעת בקלו‬vgl. Dtn 4,30), wobei beide Vorstellungen zusammengehören, da der Wortgehorsam ihr Ziel ist. Umkehr und Gehorsam sind jeweils mit einer Verheißung verbunden (‫וׁשמעת בקלו‬: Dtn 26,17f; 30,20; ‫וׁשבת עד־יהוה‬: Jes 19,22; Hos 14,2f) und demgemäß entgehen auch diejenigen, die diese Voraussetzung nicht erfüllen, nicht ihrer Strafe (vgl. Jos 5,6). Die Verheißung wird in VV. 3f konkretisiert, wobei die Umkehr bzw. das Erbarmen Jahwes als ihr Resultat dargestellt wird (… ‫וׁשב יהוה אלהיך‬ ‫ ;ורחמך‬vgl. 2 Chr 30,9; Neh 9,28; Jes 55,7). Daher sind die Rückkehr aus der Gefangenschaft und die Sammlung aus allen Völkern als Folge seiner Umkehr zu verstehen. Das endgültige Ziel der Umkehr Jahwes ist die Rückkehr Israels ins Land, um es erneut in Besitz zu nehmen. Weiterhin ist von der Segensverheißung die Rede (V. 5). Wenn die Besitznahme des verheißenen Landes das Ziel der Umkehr Israels ist, so ist die erneute Landnahme als Heilsgabe Jahwes zu verstehen.323 Daher geht der Text Dtn 30,2–5 wahrscheinlich auf einen nachexilischen spät-dtr Verfasser zurück. Interessant ist, dass sich die Struktur von Dtn 30,2–5 im folgenden Abschnitt Dtn 30,6–9 – trotz inhaltlicher Differenzen – wiederholt. Doch die Voraussetzung, dass jede weitere Generation Jahwe liebt (‫)זרעך‬, wird nach V. 6 aber nun durch ihn selbst erfüllt. Dazu dient die göttliche Herzensbeschneidung (V. 6a),

320 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 555. 321 Vgl. E. Otto, Old and New Covenant. A Post-exilic Discourse between the Pentateuch and the Book of Jeremiah. Also a Study of Quotations and Allusions in the Hebrew Bible, OTE 19, 2006, S. 942f. 322 Vgl. E. Nielsen, Deuteronomium, HAT I/6, Tübingen 1995, S. 270. 323 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7.

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wodurch die Nachkommenschaft ihn lieben bzw. zu ihm umkehren kann (V. 6b). Diese Handlung Jahwes‚ nämlich die Herzensbeschneidung, (‫ומל יהוה אלהיך את־‬ ‫ )לבבך ואת־לבב זרעך‬bildet nun die notwendige Voraussetzung für Israels Umkehr, die eben nun nicht mehr wie in 30,1–5 bereits aus eigener Kraft möglich ist.324 Parallelen zum Motiv der »Herzensbeschneidung« lassen sich in Dtn 10,16 und Jer 4,4 finden (vgl. 9,25; 31,33; 32,39f), allerdings wird sie hier als Befehl, dem Israel selbst folgen soll, wiedergegeben. Im Gegensatz dazu wird nach Dtn 30,6 die Herzensbeschneidung durch Jahwe selbst ausgeführt werden, d.h. sie ist als göttliche Heilshandlung zu verstehen, wodurch nun einzig Jahwes Gnade Israels Umkehr ermöglicht (V. 8).325 Die Verse 6b–8 benennen ihre drei Folgen: 1. Liebe zu Jahwe (‫ לאהבה את־יהוה‬V. 6), 2. Fluch auf die Feinde und 3. Umkehr zu Jahwe und ­Gehorsam gegenüber seiner Stimme (VV. 7f). Während der erste Abschnitt Dtn 30,1–5 Parallelen mit der prophetischen Mahnrede aufweist, ist der zweite Abschnitt Dtn 30,6–10 als Verheißung zu verstehen, wodurch er mit Jer 31,33 vergleichbar ist.326 Aus diesem Grund ist Dtn 30,6–10 grundsätzlich anders als VV. 1–5 zu begreifen. In V. 9, welchem V. 5 entspricht, wird das Segensmotiv weiterentwickelt, jedoch wird es nun durch V. 10 unter der Situation der Rückkehr interpretiert, wodurch sich V. 10 von VV. 1f unterscheidet, da dort Israel für die Heimkehr ins Land zu Jahwe umkehren sollte. Weil die Konjunktion yk, die in V. 10 zweimal verwendet wird, wahrscheinlich nicht einen Konditional-, sondern einen Konsekutivsatz einleitet,327 ist die Umkehr Israels in V. 10 anders aufzufassen, denn nach V. 6 hat sich Jahwe dem Volk bereits zugekehrt. Schließlich bildet V. 10 mit V. 1 den Rahmen des Gesamttextes und verlangt, sowohl die Liebe zu Jahwe (V. 6)328 als auch Gesetzesgehorsam (V. 10). Diese Darstellung lässt sich so zusammenfassen:329

Vgl. H. W. Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, S. 321–323. Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 63. S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2). Vgl. W. Gesenius und F. Buhl (1987f), Wilhelm Gesenius Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament: unter verantw. Mitarb. von U. Rüterswörden bearb. und hrsg. von R. Meyer, Lfg. 3 (Kaf-Mem), Berlin 2005, S. 540. 328 Vgl. P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, NICOT, Michigan 1976, S. 364. 329 Dagegen E. J. Ehrenreich, Wähle das Leben! Deuteronomium 30 als hermeneutischer Schlüssel zur Tora, BZAR 14, Wiesbaden 2010, S.  28–31. Für ihn bildet Dtn 29–32 eine Texteinheit, die durch Dtn 28,69 eingeleitet wird. Jedoch hat unsere Untersuchung eine Spannung in Dtn 30,1–10 erwiesen, und darüber hinaus setzen die VV. 11–14 das Fehlen des Mose als Mittler der Offenbarung der Tora voraus, weshalb dieser Abschnitt auf eine noch spätere Redaktion als die der Endredaktion 324 325 326 327

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1

Nehmen all dieser Worte zu Herzen (‫)ׁשוב‬ 2

Voraussetzung – Umkehr Israels (‫)ׁשוב‬ 3–4

Resultat – Umkehr Jahwes (‫)ׁשוב‬ 5

6a

Segen – Rückkehr ins Land und Segen Voraussetzung – Herzensbeschneidung

6b–8

Resultat – Umkehr Israels (‫)ׁשוב‬ 9

Segen – Fruchtbarkeit wegen der Umkehr Jahwes (‫)ׁשוב‬ 10 Folge der Beschneidung (‫)ׁשוב‬

2.2 Sprachliche Untersuchung Die Rückkehr in Dtn 30,5 ist auf die Landnahme gerichtet, wobei beide Motive nicht zu trennen sind (vgl. Gen 50,24; Ex 6,8; 33,1; Num 14,8.24). Hier wird die Landverheißung mit der an die Väter verbunden,330 doch die Vermehrungsverheißung für die neue Generation überbietet diejenige an die Väter (Dtn 30,5),331 da

zurückgeht. Vor allem sind in Dtn  30,1–10 die Abschnitte VV.  2–5 und VV.  6–9 ganz unterschiedlich zu begreifen, denn nur in VV. 2–5 wird die Umkehrhandlung der Gemeinde für die Umkehr und den Segen Jahwes vorausgesetzt. Somit bezieht sich E. J. Ehrenreichs Aussage „bleibt Gottes Umkehr an die Voraussetzung einer Umkehr der Gemeinschaft gebunden“ (S. 46) nur auf diese Passage. Und die Herzensbeschneidung durch Jahwe (V.6) reflektiert das Nichterfüllen des Befehl Jahwes zur Herzbescheidung in Jer 4,4, weshalb das jeweilige Gottes- und Menschenbild bei der Herzensbeschneidung genau zu beachten ist. Vgl. hierzu W. E. Lemke, Circumcision of the Heart: The Journey of a Biblical Metaphor, in: A God so Near. Essays on Old Testament Theology in Honor of Patrick D. Miller, ed. by B. A. Strawn and N. R. Bowen, Indiana, 2003, S. 302ff: „[…] Deuteronomy text may belong to later redactional stages in the composition of the book, and that it could be dependent on Jeremiah for the use of this metaphor.“ Die Passage Dtn 30,6 ist der spätesten Schicht zuzuweisen; vgl. D. L. Christensen, Deuteronomy 21,10– 34,12, WBC 6b, Texas 2002, S. 732–729. 330 Für W. H. Schmidt sind diese Verheißungen vom Jahwisten an entscheidenden Stellen in die Jahwereden eingefügt worden (Einführung in das Alte Testament, S. 83f). Gen 2,16f; 3,14–19; 4,6f.11ff; 6,3.5–8; 8,21f; 11,6f; 12,1–3; 13,14–17; 18,17ff; 26,24; 28,13–15; 31,3. Aber es ist fragwürdig, ob die erwähnten Passagen dem Jahwisten zuzurechnen sind. 331 Also ist diese Mehrungsverheißung – abgesehen von ihrer Datierung – in diesem Horizont zu verstehen. Vgl. C. Westermann, Die Verheißung an die Väter: Studien zur Vätergeschichte, FRLANT 116, Göttingen 1976, S. 139.143. Die Mehrungs- und

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Jahwe ihnen weder ein verständiges Herz, noch die sehenden Augen, noch die hörenden Ohren gegeben habe (Dtn 29,3). Zudem ist von der Herzensbeschneidung der neuen Generation und ihrer Nachkommenschaft die Rede (Dtn 30,6), wodurch das Herz als Organ des Toragehorsams dient (vgl. Dtn 30,10), was sich auch in Dtn 6,5 und in 2 Kön 23,24f findet. In Dtn 30,5 wird zweimal das Lexem ‫» ירׁש‬in Besitz nehmen« benutzt. Es bezieht sich einerseits auf die Väter, also die Vergangenheit, und andererseits durch den Kollektivsingular ‚du‘ auf die gegenwärtige Generation. Die Vätergeneration bezeichnet zweifellos nicht die Ahnväter, da sie kein Land in Besitz genommen haben, am wenigsten aber auch die vorexilischen Generationen, die weder ein ­verständiges Herz noch die sehenden Augen und hörenden Ohren besaßen (Dtn 29,3). Im Gegensatz zu den älteren Generationen wird die gegenwärtige Generation unter der Voraussetzung ‚Umkehr und Gehorchen mit ganzem Herzen und ganzer Seele‘ selig sein, weshalb für Dtn 30,1–5 die Landnahme der vorexilischen Zeit, das Exil und die Rückkehr der Deportierten vorauszusetzen sind. a) V. 1 Zum besseren Verständnis der Passage Dtn 30,1–10 ist es nun auch nötig, einzelne Begriffe und Ausdrücke noch genauer zu untersuchen. Dass sich die Formulierung „Segen und Fluch (‫ “)הברכה והקללה‬auf Dtn 28, wo Segen und Fluch mit der Gehorsambedingung gegenüber dem Wort Jahwes verbunden werden, bezieht, ist zweifellos, da die Konstruktion mit dem Lexem awb »kommen« in Dtn 30,1 durch die Beziehung zum unmittelbaren Kontext in Dtn 28,2.15.45 (V. 2 ‫ בוא‬mit ‫;ברכה‬ VV. 15.45 ‫ בוא‬mit ‫ )קללה‬und in Dtn 29 (V. 26 ‫ בוא‬mit ‫ )קללה‬verstärkt wird.332 Und weil die Wortverbindung ‫ בוא‬mit ‫ על‬hier die prophetische Rede bildet, weshalb Dtn 30,1 vor dem Hintergrund der prophetischen Figur des Mose verfasst wurde (Dtn 18,18). Es ist sehr ungewöhnlich, dass die Worte ‫בכל־לבבך ובכל־נפׁשך‬, die auch in Dtn 4,29; 6,5;333 10,12; 26,16334 verwendet werden, in Dtn 30,1–10 insgesamt dreimal vorkommen (VV. 2.6.10):

Sohnverheißung sind ursprünglich jeweils selbständig gewesen (Gen 16,10–12). Er hat auch die zwei Formen der Mehrungsverheißung untersucht: Einerseits „viel werden“ (‫ )רבה‬und andererseits die in P häufig verwendete Form „zahlreich und fruchtbar machen“ (Gen 17,20; 28,3; 35,11 u.a.). 332 Vgl. E. J. Ehrenreich, Wähle das Leben!, S. 74. 333 S. o. Dtn 6,5 (1.1). 334 Sie findet sich fast nur im Dtn bzw. DtrG (Dtn 4,29; 6,5; 10,12; 11,13; 13,4; 26,16; 30,2.6.10; Jos 22,5; 23,14; 1 Kön 2,4; 8,48; 2 Kön 23,25), sonst ist sie nur noch in 2

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4,29

$vpn-lkbw $bbl-lkb wnvrdt yk tacmw $yhla hwhy-ta ~vm ~tvqbw

6,5

$dam-lkbw $vpn-lkbw $bbl-lkb $yhla hwhy ta tbhaw

10,12

$m[m lav $yhla hwhy hm larfy ht[w wykrd-lkb tkll $yhla hwhy-ta haryl-~a yk $vpn-lkbw $bbl-lkb $yhla hwhy-ta db[lw wta hbhalw

26,16

~yjpvmh-taw hlah ~yqxh-ta twf[l $wcm $yhla hwhy hzh ~wyh $vpn-lkbw $bbl-lkb ~twa tyf[w trmvw

30,6

$[rz bbl-taw $bbl-ta $yhla hwhy lmw $yyx ![ml $vpn-lkbw $bbl-lkb $yhla hwhy-ta hbhal

Der Ausdruck »Jahwe zu lieben« erscheint im Dtn häufig.335 In Dtn 10,12 steht die im AT sehr seltene Frage, die eine Parallele in Mi 6,8 hat (vgl. Hiob 38,3; 40,7; 42,4; Dtn 10,12; Ps 40,7): was fordert Jahwe von dir?336 Während sich die Aussage bei Micha eher auf die Gebotsforderungen bezieht, konzentriert sich Dtn 10,12 dagegen auf die Treue und Liebe zu Jahwe, dabei wird der Befehl Moses mit dem Gebot Jahwes gleichgesetzt (Dtn 10,13; vgl. 11,27f; 13,18f; 15,16; 28,1.13). Und da die Gebote und Ordnungen Jahwes durch seinen Mund ausgesprochen werden (Dtn 10,13), agiert Mose somit als Wortmittler, was schon in dtr Dtn 5,23–27 begegnet ist. Ferner ist das Lexem ‫ ׁשאל‬mit Jahwe als Subjekt im nachexilischen Text Ps 40,7 belegt,337 was wiederum wegen der Kultkritik mit Mi 6,8 verbindbar Chr 15,12; 34,31; Ps 78,18 belegt. Allerdings ist die Redewendung ‫בכל־לבבך ובכל־‬ ‫ נפׁשך ובכל־מאדך‬sonst nur noch in 2 Kön 23,25 belegt. 335 Dtn 6,5; 10,12; 11,1.13.22; 13,4; 19,9; 30,6. 16. 20; Jos 22,5; 23,11; Ri 5,31; 1 Kön 3,3; Ps 26,8; 31,24; 97,10; 116,1; 119,159; 145,20; Jes 56,6. 336 Dtn 10,12 Mi 6,8

$m[m lav $yhla hwhy hm

$mm vrwd hwhy-hmw



Mi 6,6–8 ist wahrscheinlich in einer Liturgie, z.B. einer Einlassliturgie beim Einzug in den Tempel benutzt worden, wobei sich V. 8 auf die Propheten Hosea, Amos und Jesaja bezieht, da er ihre Prophetie zusammenfasst (Am 5,24 ‫ ;חסד חפצתי‬Hos 6,6 ‫ ;מׁשפט וצדקה‬Jes 7,9 ‫)אם לא תאמינו כי לא תאמנו‬. Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 313. Die Echtheit des Textes (6,1–7,7) ist umstritten (S. 227); vgl. R. L. Smith, Micha-Malachi, WBC vol. 32, Texas 1984, S. 50; J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 174. Er bewertet die Verse 6,6–8 als einen Nachtrag, denn sie dienen als Antwort auf 6,3; R. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, S. 93–96. 337 Vgl. R. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, S. 95.

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ist. Da Dtn 10,1–5 kurz über die Offenbarung am Sinai berichtet, so wie Dtn 6,5 nach der Offenbarung am Horeb von Dtn 5 zum Toragehorsam auffordert, fungiert Dtn 10,12 wegen seiner Position genau sowie Dtn 6,5 als Rekapitulierung des Toragehorsams, woraus zu schließen ist, dass sich Dtn 10,12f der Nachexilszeit zuschreiben lässt. In Dtn 26,16–18 wird diese Redewendung zusammen mit der Bundesschlussformel verwendet (V. 17 ‫ ;להיות לך לאלהים‬V. 18. ‫)להיות לו לעם‬, wodurch wahrscheinlich der Horebbund geschlossen wird.338 Im Gegensatz zu Dtn 6,4–9, wo der Befehl als Moserede ausgedrückt wird, wird er hier durch die Rede Jahwes verkündet (Dtn 26,16),339 so dass die Autorisierung des Gesetzes durch Gott selbst erfolgt. Diese Sonderstellung des Mosegesetzes setzt seine Gleichsetzung mit dem Jahwegesetz voraus, und ferner wird so der Gesetzesgehorsam zum Thema (‫ לעׁשות את־החקים האלה ואת־המׁשפטים‬Dtn 26,16). Während Dtn 5 die Eröffnung des Bundesschlusses bietet, berichtet Dtn  26,16–18 vom Bundesabschluss. Darum bildet der Abschnitt zusammen mit Dtn 5 wahrscheinlich den großen Rahmen des dtr Dtn.s.340 Die Formulierung „mit ganzem Herzen“ ist im Dtn mit dem Tora- bzw. Gesetzesgehorsam verknüpft, wobei das Herz der Memorierung des offenbarten ­Wortes dient. b) V. 4 Das Wort ‫» קצה‬Ende« bezeichnet im AT räumliche (Jos 15,1) und zeitliche (Gen 8,3) Grenzen. Der Ausdruck „das Ende des Himmels“ wird im AT nur selten verwendet: Dtn 4,32; 30,4; Neh 1,9; Ps 19,7; Jes 13,5. Da Dtn 30,4 in Neh 1,9 fast wörtlich abgeschrieben worden ist, dürfte Neh 1,9 wohl Dtn 30,4 voraussetzen.341 In Ps 19,7 ist ‫ קצה‬mit der Sonnenmythologie verbunden, um den Auf- und Untergang der Sonne zu beschreiben. Die Formel – vom Ende des Himmels bis 338 Dagegen M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 365. Für ihn bildet die Bundesschlussformel „das zentrale Thema der Theologen der Josia-Ära“. 339 Dagegen N. Lohfink, Deuteronomium: Jahwegesetz oder Mosegesetz?, S. 163–165. Seiner Meinung nach werde das dtn Gesetz als das Jahwes dargestellt, später (dtr) sei es mosaisch stilisiert worden. Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 446; T. Veijola, Das fünfte Buch Mose Deuteronomium 1,1–16,17, S. 176. 340 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 119. Ferner zeigt sich die prophetische Gestalt des Mose in Dtn 26,19, da die Passage eine Zukunftsdarstellung bietet (vgl. Dtn 18,18; 33,3f), weshalb der Vers als eine noch jüngere Ergänzung zu verstehen ist; vgl. dazu M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 366. 341 Vgl. K. D. Schunck, Nehemia, BKAT XXIII/2, Neukirchen-Vluyn 2009, S. 28.

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zum Ende (des Himmels) – dient in Dtn 4 dazu, die Grenzen der Schöpfungswelt zu bezeichnen. Was könnte der geographische Ausdruck »das Ende« historisch bezeichnen? Es gibt zwei Möglichkeiten: 1. Das Ende des Himmels ist eine Metapher für die Meder. In Jes 13,5 wird das Kommen des Heeres Jahwes beschrieben (‫באים מארץ‬ ‫ – מרחק מקצה הׁשמים‬aus fernem Land kommen sie, vom Ende des Himmels), und es ist das Werkzeug, um seine Verwünschung zu verwirklichen. Diese Darstellung hat eine Parallele in Jer 50,25: Jahwe hat seine Rüstkammer aufgetan. Interessant ist, dass beide Texte zur Fremdenvölkerprophetie gehören, doch während im Jesajabuch die Prophetie gegen Babylon an ihrem Anfang steht (Jes 13–24), ist sie im Jeremiabuch an ihrem Ende zu finden (Jer 46–50). Das Heer wird in Jes 13 und Jer 50 ähnlich dargestellt, indem der Feind, die Meder, seine Pfeile gegen Babylon richtet (Jes 13,17f; Jer 50,29). Wären die Meder als das Heer Jahwes zu begreifen, so ist »das Ende des Himmels« mit ihrem Land gleichzusetzen (Jes 13,5), denn in dessen Städte sind die Bewohner Nordisraels nach dessen Untergang (2 Kön 17,6) und die Bewohner Judas (2 Kön 18,9–11) durch Salmanassar, den König von Assur, deportiert worden.342 Die Meder haben zusammen mit den Neubabyloniern die Hauptstadt des assyrischen Reiches Ninive im Jahr 612 v. Chr. endgültig zerstört,343 jedoch wurde das Mederreich durch Kyros II erobert. Daher könnte die Erwähnung „die Meder“ als das Heer, das durch das Mederreich kommt, zu verstehen sein.344 2. Das Ende des Himmels ist eine Metapher für Tarsis. Eine andere Bedeutungsmöglichkeit des Ausdrucks wäre der Ort Tarsis, wohin der Prophet Jona zu fliehen versucht hat (Jona 1,3); denn dort ist der Name Jahwes unbekannt und seine Bewohner haben dessen Herrlichkeit nicht gesehen (Jes 66,19). Der Ort ist wohl als Tartessos in Südspanien zu identifizieren.345 Nach Jes 60,9 kommen Schiffe aus Tarsis nach Zion, sie werden aber nur als Träger der Söhne Israels und der Heilsgüter dargestellt, was die Vermutung erlaubt, dass einige Israeliten wahrscheinlich erst auch nach Tarsis geflüchtet sind. Darum dürfte der Ausdruck „das Ende des Himmels“ eher nach der Exilszeit formuliert worden sein. Interessant ist weiterhin, dass die Heimkehr der Deportierten von den Enden des Himmels auf

342 Außerdem sind die Bewohner Judas auch durch Sanherib deportiert worden (2 Kön 18,13–16; Jes 36,1–3). 343 Vgl. M. Noth, Geschichte Israels, Göttingen 101986; A. Deissler, Zwölf Propheten II. Obadja∙Jona∙Micha∙Nahum∙Habakuk, NEB 8, Würzburg 1986, S. 155. 344 Vgl. H. Wildberger, Jesaja 13–27, BKAT X/2, Neukirchen-Vluyn 1978, S. 520. 345 Vgl. J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 84; C. Westermann, Das Buch Jesaja 40–66, S. 338.

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den Wiederaufbau der Mauern bezogen wird (Jes 60,10; vgl. V. 13).346 Aus diesem Grund kann Dtn 30,2–4 wahrscheinlich in die Nehemiazeit datiert werden. c) VV. 5–6 Das Lexem ‫ ׁשוב‬ist eins der Leitworte347 in Dtn 30 und wird dort siebenmal ­verwendet (30,1.2.3x2.8.9.10). Die Wortbedeutung differiert jedoch, da das Wort einerseits in VV. 2–5 mit der Landnahme- (‫ )וירׁשתה‬und Vermehrungsverheißung, und andererseits in VV. 6–9 mit der Segensverheißung verbunden wird. Der Segen in Dtn 30,9 ist jedoch ohne die Voraussetzung der Landeinnahme schwerlich zu verstehen (‫ ;ובפרי אדמתך‬vgl. Dtn 26,2.10; 28,11). Das Lexem ‫ ירׁש‬im Qal findet sich weiterhin in V. 5. Das Objekt des Verbs ist das zu erobernde Land und bildet gemeinsam mit dem Objekt einen theologischen Begriff „in einem wohl aus der Zeit der josianischen Expansionspolitik stammenden dtr Darstellungsgefüge“.348 Das Wort thematisiert einerseits die Landnahme (Dtn 1,8.21.39; 2,12.21f.24.31; 3,12.18.20), und andererseits ist seine Akzentuierung wahrscheinlich auf die dtr Landnahmeerzählung zurückzuführen.349 Dtn 30,5 steht Jer 30,3 sehr nahe, denn in beiden Texten findet sich die Heilshandlung Jahwes, das Volk Israel und Juda in das Land zurückzubringen, das er schon ihren Vätern gegeben hat, damit sie es nun erneut in Besitz nehmen: Dtn 30,5 $ytbam $brhw $bjyhw htvryw $ytba wvry-rva #rah-la $yhla hwhy $aybhw Jer 30,3

hwvryw ~twbal yttn-rva #rah-la

~ytbvhw

346 Der Wiederaufbau des Tempels ist schon im Jahr 515 abgeschlossen worden, weshalb der Wiederaufbau der Mauern später zu datieren ist. 347 Das Thema ‚Umkehr‘ spielt in der dtr Schicht eine zentrale Rolle Vgl. H.-J. Fabry, Art. ‫ׁשוב‬, ThWAT VII, Stuttgart 1993, S. 1118–1176; es ist aber schwierig, das Thema bei den vorexilischen Propheten zu entdecken. Vgl. H. W. Wolff, Das Thema „Umkehr“ in der alttestamentlichen Prophetie, ZThK 48, 1951, S. 142. „Die Bekehrung ist nicht die Bedingung für den Empfang des Heils, sondern das zugesagte Heil ist die Voraussetzung, die Begründung für die Bekehrung. Das Mahnwort ist als Einladung eindeutig vom Heilsspruch her bestimmt.“ (Ders., Das Kerygma des Deuteronomistischen Geschichtswerks, S. 316) Das Umkehrthema ist für ihn einer der wichtigen Höhepunkte der dtr Geschichtsdarstellung. 348 N. Lohfink, Art. ‫ירׁש‬, ThWAT III, Stuttgart 1982, S. 970ff. 349 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 4. „Das Siglum DtrL leitet sich aus der dtr Verbindung des Deuteronomiums mit der Landnahme-Überlieferung des Josuabuches ab.“ Vgl. R. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, S. 143. Das Landschwurmotiv wird in der spät- und nachexilischen Zeit auf die Vorstellung eines neuen Exodus übertragen (Dtn 30,1–5).

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Beide Verse thematisieren die Rückkehr ins Land, das zuvor schon die Väter ­besessen haben (‫)הארץ אׁשר־ירׁשו אבתיך וירׁשתה‬, damit es nun auch die Heimkehrenden in Besitz nehmen können (‫)והביאך יהוה אלהיך אל־הארץ … וירׁשתה‬. Jedoch steht in Dtn 30,5 noch eine weitere Angabe, die Unterschiede erkennen lässt, nämlich ‫והיטבך והרבך מאבתיך‬. Jer 30,3 zielt auf die Heimkehr, in Dtn 30,5 hingegen richtet der Verfasser seinen Blick auf das Leben im Land (‫)והיטבך והרבך‬, somit ist die Heimkehr wohl schon vorausgesetzt. Aus diesem Grund hat der Text Jer 30,3 dem Verfasser von Dtn 30,5 vorgelegen und die jeremianisch-prophetische Rede ist wahrscheinlich für Dtn 30,3 vorauszusetzen.350 Außerdem bezieht sich die Aussage in V. 5 »Jahwe dein Gott wird dich zum Land bringen« wohl auf den Bundesschluss zwischen Gott und Abraham in Gen 17,8. Interessant ist auch, dass er dort mit der Beschneidung, die auch in Dtn 30,6 erscheint, verbunden ist. Der wichtige Unterschied ist aber, dass in Dtn 30,6 nicht die Vorhaut, sondern das Herz ihr Objekt ist (‫ ;ומל יהוה אלהיך את־לבבך‬vgl. Jer 4,4). Deshalb setzt Dtn 30,5f zweifellos die P-Schrift voraus, so wie der Bundesschluss von Gen 17 dem Verfasser des Moabbundes vorgelegen haben dürfte (vgl. Gen 17,12f – Dtn 29,9f).351 Mit dem Neuverständnis der Beschneidung gewinnt der Verfasser eine neue Möglichkeit des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams. Zwar steht der Toragehorsam von Dtn 30,6–10 in der Tradition des dtn / dtr Gedanken, der ihn mit dem „Herzen“ verbunden hat, dennoch eröffnet der Verfasser durch das neue Motiv der Herzensbeschneidung eine neue Gehorsamsdimension (vgl. Jer 31,31–34). d) V. 7 In V. 7 wird der Fluch thematisiert – der Fluch (‫ )אלה‬auf deine Feinde (‫ )איב‬und auf deine Hasser (anf). J. Scharbert hat das Wort hla den bundesbrüchigen Partnern zugeordnet,352 jedoch gehört das Wort ‫» רדף‬verfolgen« eigentlich zur Kriegsterminologie.353 Das Wort ‫» ׂשנא‬hassen« wird sowohl im Fremdgötterkult (Dtn 12,31; Jer 44,4)354 als auch im menschlichen Beziehungsbereich (Gen 26,27; 37,4) verwendet. Die Feinde und Hasser Israels sind m.E. durch die historische Konstellation der Verfassungszeit der Passage zu erschließen. Wenn in Dtn 30,1–10 die

350 Ob das ganze Jeremiabuch für den Redaktor von Dtn 30,1–10 vorauszusetzen ist, ist nicht mit Gewissheit zu behaupten, jedoch steht Jer 30,3 zweifellos Dtn 30,5 nahe. Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 157. 351 S. u. Dtn 30 (2.3 – Exkurs). 352 Vgl. J. Scharbert, Art. ‫אלה‬, ThWAT I, Stuttgart 1973, S. 282f. 353 Vgl. C. Frevel, Art. ‫רדף‬, ThWAT VII, Stuttgart 1993, S. 364–367. 354 Vgl. E. Lipinski, Art. ‫ׂשנא‬, ThWAT VII, Stuttgart 1993, S. 831.

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göttliche Herzensbeschneidung für die Heimkehr Israels vorausgesetzt wird (V. 6; vgl. Dtn 10,16; Jer 4,4; 31,33), und darüber hinaus der 2. Tempelbau vorauszusetzen ist, so sind als Feinde möglicherweise sowohl Samaritaner (Esr 4,4–10) als auch die Widersacher Nehemias zu vermuten (‫ איב‬Neh 6,1.16; vgl. Neh 2,19; 6,10–12.14.19). e) V. 10 Weil in V. 10 verschiedene als Gesetz zu verstehende Worte (‫)מצותיו וחקתיו‬ verwendet werden, verschiebt sich die Betonung auf das Gesetz, d.h. in Dtn  30,1–10 liegt die Konzentration auf dem Toragehorsam.355 V. 10 wird als Konsekutivsatz f­ ormuliert, somit ist die Umkehr nicht länger Voraussetzung des Segens, sondern drückt aus, dass Jahwe das Herz der Israeliten beschnitten hat (Dtn 30,6). R. Hentschke hat das Wort ‫חק‬/ ‫ חקה‬als „Kultvorschrift“ bestimmt.356 Es bezeichnet sowohl allgemein gültige Pflichten (Lev 3,17; 10,11; 23,14; Num 15,15) als auch besondere Ritualpflichten der Priester (Ex 28,43; 30,21; Lev 10,9; Num 18,23). In V. 10 liegt der Akzent auf dem Gesetz „‫הכתובה בספר‬ ‫“התורה הזה‬, indem diese Gesetze im Buch des Gesetzes (‫ )ספר התורה‬kodifiziert werden. Die genauere Bestimmung des Buches ist von der Textdatierung abhängig. In Dtn 28,58 findet sich zwar eine sprachliche Parallele: ‫את־כל־דברי התורה הזאת‬ ‫הכתובים בספר הזה‬, doch dieser Ausdruck ist nicht wie Dtn 30,10 zu verstehen, da in Dtn  28,15–58 der Akzent auf dem Fluch liegt.357 Um ihm zu entgehen, muss Israel dem Gesetz gehorsam bleiben (Dtn 28,45.58). Dagegen wird in Dtn  30,2–5 die Erfüllung der Verheißungen durch den Gehorsam akzentuiert

355 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7. „In der das Wirken Nehemias voraussetzenden Konzeption der Hexateuchredaktion ist auch darin DtrL folgend der Landbesitz das zentrale Heilsgut, dem das Gesetz in Gestalt des Deuteronomiums zugeordnet wird. Eine die Hexateuchredaktion überlagernde Pentateuchredaktion, […] stellt dagegen die am Sinai offenbarte Tora als zentrales Heilsgut in den Mittelpunkt ihrer Konzeption.“ Vgl. H. D. Preuß, Art. ‫בוא‬, ThWAT I, Stuttgart 1973, S. 542f. Das ‚Kommen‘ der Strafe bzw. der Barmherzigkeit über jemanden ist durch den weisheitlichen Denkansatz bestimmt und wird im dtn-dtr Dtn besonders in Verbindung mit dem Fluch formuliert. 356 Vgl. R. Hentschke, Satzung und Setzender. Ein Beitrag zur israelitischen Rechtsterminologie, Stuttgart 1963, S. 73; P. Victor, A Note on ‫ חק‬in the Old Testament, VT 16, 1966, S. 358–361. Er hat die Belege von ‫ חק‬vier Gruppen zugeordnet: 1. As a religious due, right or privilege; 2.In association with covenant; 3. As a custom und 4. As a legal right. 357 In VV. 1–14 steht ein Segenswort, dagegen erscheint in VV. 15–68 ein Fluchwort.

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(Dtn  30,2–5), und während die Tora in Dtn  28 als Bund zwischen Jahwe und Israel am Horeb zu verstehen ist (Dtn 28,69; vgl. Dtn 5,3), ist sie in Dtn 30,10 auf den Moabbund bezogen (Dtn 29,8.19f.20).358 Jedoch findet sich eine vergleichbare Form zu ‫ התורה הזה‬an anderen Stellen: Dtn 4,44 (‫ ;)וזאת התורה‬6,1 (‫ ;)זאת המצוה החקים והמׁשפטים‬12,1 (‫)אלה החקים והמׁשפטים‬. Auffällig ist, dass diese Verse als Einleitungssatz bzw. Redaktionseinfügung zu verstehen sind,359 und aus dieser Perspektive ist auch die Formulierung in Dtn 30,10 zu begreifen. Angesichts dieser Kritik ist folgendes festzustellen: 1. Dtn 30,1–10 setzt die prophetische Gestalt des Mose voraus (Dtn 18,18; vgl. Jer 11,17; 35,17; 42,19); 2. Dtn 30,1–10 setzt die in Dtn 30,2–5 thematisierte Landnahmeerzählung (V. 9) und den zweiten Tempelbau (VV. 3f) voraus; 3. Für die Herzensbeschneidung bildet die P-Schrift den Hintergrund, und ferner ist die Gruppe der Schriftgelehrten als Träger dieser Verheißung zu verstehen. Ihr Amt gewinnt im nachexilischen Judentum große Bedeutung, weil sie nun die Verantwortung für die Tora tragen. Zu dieser Gruppe gehören Priester und Schreiber, wie z.B. Esra (Dtn 31,9–13);360 4. Die Herzensbeschneidung in Dtn 30,6–10 zielt auf den Toragehorsam, denn sie bildet die Voraussetzung der Umkehr zu Jahwe. Der Text ist sehr wahrscheinlich gleichzeitig mit der nach-dtr Redaktion verfasst worden, und durch die Herzensbeschneidung bleibt der dtn / vor-dtr, dtr Gedanke ‚mit ganzem Herzen‘ in diesem Abschnitt dominant, der sich von der Vorstellung des Toramittlers bei Jesaja deutlich unterscheidet. Hier ist keine indirekte Vermittlung notwendig, da Jahwes Herzensbeschneidung direkt auf jeden einzelnen zieht, wodurch das Herz in den Mittelpunkt gestellt wird.

2.3 Einzelanalyse 2.3.1 Die Herzensbeschneidung In Dtn 30,6 wird die Herzensbeschneidung mit dem Wort ‫» מול‬beschneiden« ausgedrückt, sie wird in den Kapiteln 28–29 nicht erwähnt, jedoch in Dtn 10,16. 358 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr, S. 36–42: E. Otto, Deuteronomium 4, S. 197–201. Hier hat die Priesterschrift zweifellos vorgelegen. S.u. Dtn 30 (2.3 – Exkurs). 359 Vgl. L. Perlitt, Deuteronomium, S. 15.391f. Diese Redeform kommt in Dtn 1,5 vor, und s. E. kennt der Redaktor von 4,44 den Zusatz 1,5 bereits und wollte so eine Verbindung generieren; vgl. U. Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium, NSK 4, Stuttgart 2006, S. 45. 360 Vgl. M. Jacobs, Art. Schriftgelehrte, 4RGG Bd. 7, Tübingen 2004, S. 1006. Viel später gehören auch Pharisäer und Sadduzäer zu dieser Gruppe.

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Außerdem findet sich dies Motiv (‫ )מול את־לבב‬auch bei Jeremia (4,4; 9,25) und Ezekiel (vgl. ‫ ערל‬44,7.9). Durch die Herzensbeschneidung wird der Befehl von Dtn 6,5 erfüllt:361 Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. Die Vorstellung der Beschneidung des Herzens setzt gewiss die allgemeine Konvention der Vorhautbeschneidung voraus.362 In Gen 17 ist die Beschneidung der Vorhaut zusammen mit der Sabbatheilung als Bundeszeichen des Jahweglaubens verstanden (Ps),363 was allerdings erst aus den Bedingungen der Exilszeit verständlich wird.364 Der Bundesschluss von Gen 17 ist mit dem in Dtn 29 zu vergleichen: Gen 17

Dtn 29

~kynybw ynyb wrmvt rva ytyrb taz10 ~kyhla hwhy ynpl ~klk ~wyh ~ybcn ~ta9 `rkz-lk ~kl lwmh $yrxa $[rz !ybw `larfy vya lk ~kyrjvw ~kynqz ~kyjbv ~kyvar twal hyhw ~ktlr[ rfb ta ~tlmnw11 $ynxm brqb rva $rgw ~kyvn ~kpj10 `~kynybw ynyb tyrb `$ymym bav d[ $yc[ bjxm ~kl lwmy ~ymy tnmv-!bw12 wtlabw $yhla hwhy tyrbb $rb[l11 @sk-tnqmw tyb dyly ~kytrdl rkz-lk `~wyh $m[ trk $yhla hwhy rva `awh $[rzm al rva rkn-!b lkm $[rz bbl-taw $bbl-ta $yhla hwhy lmw30,6 $bbl-lkb $yhla hwhy-ta hbhal `$yyx ![ml $vpn-lkbw Der Vergleich der Beschneidungsvorstellungen erweist sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Gemeinsam ist, dass die Beschneidung nicht nur für die Ahnväter, sondern auch die Nachkommenschaft gilt (Dtn 30,6 ‫ ;זרעך‬Gen 17,10 ‫)ובין זרעך‬. Darüber hinaus ist sie nicht nur auf Israeliten beschränkt, sondern auch für Nichtisraeliten verpflichtend: der von irgendeinem Fremden für Geld gekaufte Sklave, der nicht von deiner Nachkommenschaft ist (Gen 17,12). Also setzt Dtn 30 schon den Moabbund voraus, der auch für den Fremden, der heute den Bund mit Jahwe schließen will (Dtn 29,10f ‫)וגרך‬, gültig ist. Aber die vielfältigen Differenzen zwischen Dtn 30,6 und Gen 17,10 widerlegen die angebliche Übereinstimmung 361 Vgl. D. M. Carr, Writing on the tablet of the heart, S. 138. 362 Vgl. G. Mayer, Art. ‫סור‬, ThWAT IV, 1984, S. 738. Für ihn war die Beschneidung bis gegen Ende der Königszeit ein ethnisches Zeichen; s. dazu E. J. Ehrenreich, Wähle das Leben!, S. 170, Anm. 348; die Beschneidung war ein alter Brauch (Gen 34,15.17), sie dient aber in späteren Texten auch als Metapher, z.B. unbeschnittene Ohren (Jer 6,10) und Lippen (‫ ערל ׂשפתים‬Ex 6,12.30). 363 S. o. Dtn 30 (2.2); vgl. J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, S. 46–49. 364 Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 100f.

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beider Texte: 1. Der fundamentale Unterschied zwischen der Herzens- und der Vorhautbeschneidung, wobei erstere zweifellos letztere voraussetzt (‫» ערלי־לב‬ein unbeschnittenes Herz« Jer 9,24f; vgl. Ez 44,7.9); 2. Die Differenz in ihrer Zielgruppe, denn während die Vorhautbeschneidung in Gen 17 auf alle Männer (‫ )כל־זכר‬beschränkt ist, können sich nach Dtn 30 alle Israeliten am Bundschluss beteiligen: Ihr alle steht heute vor Jahwe, eurem Gott: eure Häupter, eure Stämme, eure Ältesten und eure Aufseher, alle Männer von Israel, eure Kinder, eure Frauen und dein Fremder (‫)טפכם נׁשיכם וגרך‬, der mitten in deinem Lager ist, von deinem Holzhauer bis zu deinem Wasserschöpfer, damit du in den Bund Jahwes, deines Gottes, eintrittst und in seine Fluchbestimmung, den Jahwe, dein Gott, heute mit dir schließt (Dtn 29,9–11)! Die Tatsache, dass sich die Frauen und Kinder am Bundesschluss beteiligen konnten, lässt eine Entwicklung im Verständnis der Bundeszugehörigkeit erkennen. Deswegen wird in Dtn 30,6 das Beschneidungskonzept von Gen 17,10ff aufgenommen und modifiziert, womit die P-Schrift vorauszusetzen ist, wobei sowohl die Männer als auch die Personen, die in Dtn 29,9–11 aufgeführt werden, durch das Wort [rz in Dtn 30,6 eingeschlossen werden. In Jer 4,4 wird die Beschneidung des Herzens als Entfernung der Vorhaut des Herzens beschrieben. Deswegen werden nach Jer 9,24f alle, trotz der Beschneidung ihrer Vorhaut von Jahwe heimgesucht, weil sie ein unbeschnittenes Herz haben.365 Somit wird die Zugehörigkeit zu Jahwe nun nicht länger einzig durch die traditionelle Beschneidung garantiert.366 Im Ezechielbuch gehört die Vorhaut- und Herzensbeschneidung in den Ritualbereich (Ez 44,7.9). Während sie nach Jer 4 und 9 nur für die Männer Judäas und die Bewohner Jerusalems notwendig ist, wird sie in Ez 44,7–9 auch von den Fremden, die den Tempel betreten wollen, verlangt, womit dies Verständnis den 2. Tempel voraussetzt.367 Die Fremden gelten als unbeschnitten an Leib und am Herzen (Ez  44,7–9), weshalb sie den Tempel nicht betreten und in ihm dienen 365 Vgl. W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia, ATD 20, Göttingen 2008, S. 213f. Die Einleitung von Jer 9,24f begegnet in jer-dtr Redaktionstexten (7,32; 23,5.7), womit dieses Wort wohl nicht von Jeremia stammt. 366 Vgl. H.-J. Hermisson, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult, WMANT 19, Neukirchen-Vluyn 1965, S. 73; P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, S. 362–364. Er behauptet, dass die Herzensbeschneidung den neuen Bund symbolisiert. 367 Vgl. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 20–48, ATD 22,2, Göttingen 2001, S. 587f. Für ihn ist die Beschneidung in Ez 44,7–9 in die Esra-Nehemia Zeit zu datieren. Dagegen lokalisiert W. Zimmerli die Entstehung der ursprünglichen Ezechielsworte in die Frühzeit des Exils, da „hier die Forderung der Beschneidung, die dann offenbar im Gefolge der Exilssituation in P das große Bekenntniszeichen

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dürfen. Weiterhin wird vom Fremden, der im Land Israel wohnen oder sich mit Israeliten verbinden will, oder von Diasporajuden, die nach der Exilszeit nach Israel zurückkehren, die Vorhautbeschneidung verlangt (vgl. Gen 34,21; Ex 4,24–26).368 Die P-Schrift und die Vorhautbeschneidung sind somit für den nachexilischen ­Verfasser des Textes Dtn 30,6 vorauszusetzen. Erstaunlich ist das Subjekt der Herzensbeschneidung, denn nach Dtn 10,16 und Jer 4,4 soll sich das Volk das Herz selbst beschneiden, im Gegensatz dazu will nach Dtn 30,6 Jahwe selbst dessen Herz beschneiden.369 Dass Jahwe am menschlichen Herzen handelt, ist ein wichtiges Thema im Jeremiabuch (Jer 31,33; 32,39f). Daher ist diese Wendung in Dtn 30 wahrscheinlich inhaltlich und zeitlich mit den Abschnitten Jer 31,33; 32,39f vergleichbar. Die Herzensbeschneidung ermöglicht es, Jahwe zu lieben (V. 6 ‫)לאהבה את־יהוה‬, zu ihm umzukehren (V. 8 ‫)ואתה תׁשוב‬ und seiner Stimme zu gehorchen (V. 8 ‫)וׁשמעת בקול יהוה‬. Dass dieser Text mit der Erkenntnis des Befehls und des Gesetzes zusammengestellt wird, ist nicht zufällig, sondern zeigt, dass der Verfasser die Herzensbeschneidung mit dem Torabewusstsein gleichsetzt, wie es in Dtn 30,10 geschieht. Wenn Dtn 30,6–10 auf das Bewusstsein des Gesetzes zielte, dann stünde der Text so der nach-dtr Redaktion, in der der Toragehorsam eine große Rolle spielt, nahe.370 Darüber hinaus ist die Herzensbeschneidung mit der Toraverschriftung in Jer 31,33 vergleichbar: Dtn 30,6

$[rz bbl-taw $bbl-ta $yhla hwhy lmw $yhla hwhy-ta hbhal `$yyx ![ml $vpn-lkbw $bbl-lkb

Jer 31,33

larfy tyb-ta trka rva tyrbh taz hwhy-~an ~hh ~ymyh yrxa hnbtka ~bl-l[w ~brqb ytrwt-ta yttn `~[l yl-wyhy hmhw ~yhlal ~hl ytyyhw

Nach Dtn 30,6 wird die Herzensbeschneidung durch Jahwe selbst vollzogen, und sie ermöglicht es, Jahwe zu lieben (V. 6 ‫)לאהבה את־יהוה‬, zu ihm umzukehren (V. 8 ‫ )ואתה תׁשוב‬und seiner Stimme zu gehorchen (V. 8 ‫)וׁשמעת בקול יהוה‬. Diese Folgen bewirken die Umkehr Israels, was den Höhepunkt in Dtn 30,10 ausmacht, indem der echten Nachkommenschaft Abrahams ist und unter ­Todesandrohung geboten wird (Gen 17), gar keine Erwähnung findet.“ (W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 1125). 368 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 280. „Dass die seit persischer Zeit sich stabilisierende ägyptische Diasporagemeinde ein massives Interesse an einer Legitimation von jüdisch-kuschitischen Mischehen in Verbindung mit der Mose Gestalt gehabt hat, ist trotz des fragmentarischen Wissens hierüber durchaus wahrscheinlich.“ 369 Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 155. 370 S. u. Dtn 30 (2.3.4). Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7.

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dort der Toragehorsam in V.  10aβ akzentuiert wird (‫לׁשמר מצותיו וחקתיו הכתובה‬ ‫)בספר התורה הזה‬. Doch nach Jer 31,33 wird Jahwe sein Gesetz in ihr Inneres legen und auf ihr Herz schreiben, wobei Jahwe, wie in Dtn  30,1–10, als Urheber des Toragehorsams erscheint. Sowohl der Bundesschluss (V. 33b) als auch die Jahweerkenntnis (‫ )דעו את־יהוה‬sind dann gottgewirkte Folgen. Daher ist das Resultat beider Texte wahrscheinlich identisch,371 ihr Interesse zielt einerseits auf den Urheber, nämlich Jahwe, und andererseits auf die Folgen, nämlich Jahwe- und Tora-­Bewusstsein, wofür das Herz die zentrale Rolle spielt, was durch die H ­ erzensbeschneidung und das Niederschreiben der Tora auf die Herztafel ausgedrückt wird. Somit besteht ein enges Verhältnis zwischen Dtn 30,6 und Jer 31,33: Dtn 30,6–10 Beschneidung des Herzens Jahwe Jahwe zu lieben (V. 6) zu Jahwe zu umkehren (V. 8) der Stimme Jahwes zu gehorchen (V. 8) Tora- bzw. Jahwe- um seine Befehle und Bewusstsein seine Gesetze zu bewahren Tätigkeit Urheber Resultat

Jer 31,33–34 Gesetz auf ihr Herz schreiben Jahwe Bundesschluss (V. 33b)

alle werden mich erkennen (V. 34)

Die Tabelle verdeutlicht, dass beide Texte inhaltlich enge Parallelen besitzen, und es ist zu vermuten, dass Dtn 30,6–10 wahrscheinlich in Jer 31,31–34 aufgenommen worden ist, da das Lexem ‫ למד‬von Dtn 4,1.5.10.14; 31,12f hier kritisch revidiert wird.372 Exkurs – Beschneidung Die Beschneidung wird meistens mit dem Lexem ‫» מול‬beschneiden« und selten mit dem Lexem ‫» כרת‬schneiden« formuliert. Ihre Objekte sind die ‫» ערלה‬Vorhaut« und das ‫לב‬/ ‫» לבב‬Herz«. Die Beschneidung des Herzens ist zweifellos später als die der Vorhaut zu datieren (vgl. Jer 4,4; Ez 44,6). Die Belege zur Vorhautbeschneidung sind im Pentateuch häufig: Gen 17,10–14.23–27; 21,4; 34,15.17.22.24; Ex 12,44.48; Lev 12,3; vgl. auch Jos 5,2–5.7f.373 Bei der Beschneidung in Jos 371 Trotzdem ist ein großer Unterschied unübersehbar, denn die Tora in Jer 31,31–34 ist im Gegensatz zu Dtn 30,1–10 unsichtbar (vgl. Dtn 30,11–14). S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2). 372 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 196. 373 Im Jeremia- und Ezechielbuch findet sich auch die Beschneidung der Vorhaut, aber sie steht zusammen mit der Beschneidung des Herzens.

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5,2–5.7f geht es um die „zweite“ (‫ )ׁשוב‬Beschneidung der Vorhaut (Jos 5,2), da das beim Exodus in der Wüste geborene Volk nicht beschnitten worden ist, während das ganze ausgezogene Volk beschnitten gewesen ist (Jos 5,5). Diese Beschneidung wird auf die Beschneidung in Ex 12,44.48 bezogen, wobei sie mit der Passahordnung verbunden ist. Ex 12,1–14 enthält diese Ordnung, doch die Beschneidung der Vorhaut ist hier unerwähnt. In diesem Kontext ist Ex 12,43–49 später als Ex 12,1–14 zu verstehen.374 In Gen 21,4 geht es um die Beschneidung der Vorhaut Isaaks im Alter von acht Tagen. Hier wird sie als Befehl Gottes, der auf die Ordnung von Gen 17,12 bezogen wird (vgl. Lev 12,3), wiedergegeben, wobei sie als Bundeszeichen dient. Seit langem besteht ein Forschungskonsens, dass Gen 17 zu den priesterlichen Passagen der Vätergeschichte gehört.375 Gegen die literarische Einheitlichkeit von Gen 17376 hat J. Wöhrle377 aber die These verfochten, dass die Beschneidungsordnung in Gen 17,9–14 als sekundär zu verstehen ist, was er so begründet: 1. Der in Gen 17,2–8 geschilderte Bund ist eigentlich bedingungslos; 2. Doch die Beschneidungsordnung in Gen 17,9–14 ist aber mit einer Bedingung verbunden, weil sie durch Abraham und seine Nachkommen unbedingt eingehalten werden muss; 3. Der Unterschied zwischen Gen 9 und Gen 17. Während in Gen 9 der Bogen als ein Zeichen den Bund verkörpert, ist die Beschneidung in Gen 17,9–14 gerade kein Zeichen, da sie vielmehr „die Voraussetzung der Zugehörigkeit zu diesem Bund“ bildet. Auffällig ist, dass die Beschneidung sowohl von den Israeliten (Abraham und seine Nachkommen) als auch von den Sklaven des Hauses (Gen 17,12f), die nicht zu den Nachkommen Abrahams gehören, verlangt wird. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass „die in Gen 17,9–14 belegte Beschneidungsordnung somit

374 Vgl. C. Levin, Der Jahwist, FRLANT 157, Göttingen 1993, S. 339; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 57f. Er erkennt in Ex 12,43–49 eine „sekundär-priesterschriftliche Ergänzung“. 375 Zur wörtlichen Übereinstimmung zwischen Gen 9 und 17 vgl. J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, S. 46, Anm. 66. Übereinstimmungen sind: Die seltene Bezeichnung des Bundesschlusses (‫קים בריתי‬, Gen 9,9.11.17 // 17,7.19.21); die Verheißung von Fruchtbarkeit und Mehrung (‫פרה ;רבה‬, Gen 9,1.7 // 17,2.6.20); die Gültigkeit des Bundes für die Nachkommen (‫זרע‬, Gen 9,9 // 17,7.8.9.10.12.19) und seine Charakterisierung als „ewiger Bund“ (‫ברית עולם‬, Gen 9,16 // 17,7.13.19). 376 Zur literarischen Einheitlichkeit vgl. C. Westermann, Genesis 12–36, S. 308; G. von Rad, Das erste Buch Mose 12,10–25,18, ATD 3, Göttingen 1952, S. 167; E. Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, S. 420; dagegen J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, S. 45–50. 377 Vgl. J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, S. 46–49.

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gut als nachträgliche Konditionierung des zuvor unkonditioniert vorgebrachten Abrahambundes verstanden werden kann.“378 Weiterhin ist die Beschneidung in Gen 17,23–27 in Verbindung mit der Beschneidungsordnung in Gen 17,9–14 zu verstehen. Darum kennt Ps nur die Beschneidung der Vorhaut. Auch in Gen 34,15.17.22.24 geht es um die Beschneidung. Der Jakob-Segen in Gen 49 ist eine Deutung der Schuld Simeons und Levis, von der Gen 34 berichtet, also ihre Ermordung der männlichen Bewohner Sichems. In Gen 34,14aβb verlangen sie von den Männern Sichems: [wir können] nicht unsere Schwester einem unbeschnittenen Mann geben (V.  14aβ), denn das wäre eine Schande für uns (V. 14b). Daher werden sie aufgefordert, sich beschneiden zu lassen (‫להמל‬ ‫ לכם כל־זכר‬Gen 34,15.22.24).379 Dabei hat die Beschneidung offenbar keine religiöse Bedeutung, da sie eher als ein Zeichen der Gruppenzugehörigkeit verstanden wird,380 und außerdem ist sie in Gen 34 im Gegensatz zu Gen 17 nicht auf den Bund (‫ )ברית‬bezogen (vgl. Gen 9), und insofern ist Gen 34 deshalb wahrscheinlich ihr älterer Beleg. Im Dtn geht es jedoch nicht um die Beschneidung der Vorhaut, sondern um die des Herzens (‫ ומלתם את ערלת לבבכם‬10,16; ‫ ומל יהוה אלהיך את־לבבך‬30,6), die der P-Schrift ganz unbekannt ist. Sie dient sowohl dem Gesetzesgehorsam (Dtn 10,13) als auch der Umkehr zu Jahwe. Besonders Dtn 30,6 ist beachtenswert, da Jahwe das Subjekt des Verbs ‫» מול‬beschneiden« ist. Hier wird sie auf das Erbarmen Jahwes zurückgeführt, denn im Gegensatz zu Jer 4,4 meint der Verfasser von Dtn 30,6, dass die Israeliten die Vorhaut ihres Herzens nicht selbst entfernen könnten. Wenn die in Dtn 10,13 erwähnte Herzensbeschneidung zwischen Gen 17 und Dtn 30 steht, könnte der Ausdruck in Dtn 10,13 als spät-dtr zu datieren sein, denn hier wird die Priesterschrift (Gen 17) vorausgesetzt381 und zugleich die ihr unbekannte Herzensbeschneidung thematisch; doch in Dtn 30,6 ist Jahwe ihr Subjekt. In Ez 36,26 wird zudem das Herz als ‫» לב חדׁש‬ein neues Herz« beschrieben. Es ist als ein von Jahwe geschenktes gänzlich neues Herz zu begreifen, und es dient wie das beschnittene Herz in Dtn 30,6 dem Toragehorsam. Aus diesen Beobachtungen ergibt sich: 1. Die Vorhautbeschneidung dient ursprünglich als ein Zugehörigkeitszeichen eines Mannes zu einer Gruppe (Gen 34,14f); 2. In Pg und Ps wird sie als Bundeszeichen religiös interpretiert (Gen 17;

378 J. Wöhrle, Fremdlinge im eigenen Land, S. 48. 379 Dieser Ausdruck stimmt mit Gen 17,10b (‫ )המול לכם כל־זכר‬überein, doch wegen ihrer Unterschiede sind die beiden Texte trotz dieser sprachlichen Übereinstimmung nicht demselben Verfasser zuzuweisen. 380 Vgl. C. Westermann, Genesis 12–36, S. 658. 381 S. o. Dtn 30 (2.3.1).

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vgl. Ex 12,43–49); 3. In Dtn 10,16 und Jer 4,4 findet sich die Herzbeschneidung, wobei das Lexem lwm »beschneiden« mit dem Subjekt 2. Pers. Pl. verwendet wird. In Verbindung mit dem Gesetzesgehorsam bzw. der Umkehr zu Jahwe ist sie metaphorisch zu verstehen; 4. Im Gegensatz dazu hat das Lexem lwm in Dtn 30,6 (nach-dtr) Jahwe zum Subjekt, wobei die Herzbeschneidung als Erweis seines Erbarmens zu verstehen ist; 5. Das Herz wird im Abschnitt Jer 31,31–34 als eine Tafel verstanden, worauf die Tora geschrieben wird; damit reagiert der Verfasser der Passage kritisch auf das nach-dtr Dtn (Dtn 31,9–13; vgl. Dtn 30,11–14); 6. Das Herzmotiv von Jer 31,31–34 wird in Ez 36,26f aufgenommen und überboten, weil ‫» לב חדׁש‬ein neues Herz« die Herzbeschneidung nochmals überbietet, wobei das neue Herz mit ‫» רוח חדׁשה‬einem neuen Geist« identifiziert wird, was als völlige Erneuerung des Menschen zu verstehen ist.

2.3.2 Dtn 29f * und Dtn 4 Für M. Noth382 gilt Dtn  30,1–10 als ein Text, der zum älteren Bestand des Dtn.s gehört, nämlich zu Dtn 4,44–30,20. H. W. Wolff383 hat zu Dtn 30 einige Ergebnisse festgehalten: 1. Dtn 30,1–10 gehört sachlich und sprachlich zu Dtn 28,45ff; 2. Der Abschnitt zeigt typische Einflüsse der Jeremiaüberlieferung. Darüber hinaus plädiert er für die Zusammengehörigkeit des Abschnittes mit Dtn 4,29–31, einerseits wegen der singularischen Formulierung, die er als Ergänzung betrachtet, und andererseits behauptet er, dass Worte der Jeremiatradition in beiden Texten aufgenommen worden seien.384 Im Anschluss an H. W. Wolff vertritt D. Knapp385 in seiner Arbeit ein „Drei-Blockmodell“. Die Texte Dtn  4,1–4.9–14/ 15–16a.19–28/ 29–35 stimmen inhaltlich und formal mit Dtn  29,1(b)-14*/ 15–27*/ 30,1–10 überein,386 weshalb

382 Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien: Die sammelnden und bearbeitenden Geschichtswerke im Alten Testament, Tübingen 1963, S. 16. 383 Vgl. H. W. Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, S. 319. 384 Vgl. H. W. Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, S. 320f. 385 Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 158. 386 Das Wort ‫(» דרׁש‬Jahwe) suchen« in Dtn 4,29 steht mit der Wallfahrt zum Heiligtum in Verbindung (vgl. Am 5,4), wobei das Heil in der Gegenwart der Theophanie erwartet wird (vgl. A.  Weiser, Der Prophet Jeremia 25,15–52,34, ATD 21, Göttingen 1955, S. 261ff. ‫מצא‬, ‫)בקׁש‬. Dieser Vers ist mit Jer 29,13 zu vergleichen, aber Dtn 4,29 ist deutlich länger (‫ מׁשם‬und ‫)ובכל־נפׁשך‬:

102

Dtn 4,29 Jer 29,13

$vpn-lkbw $bbl-lkb wnvrdt yk tacmw $yhla hwhy-ta ~vm ~tvqbw ~kbbl-lkb ynvrdt yk ~tacmw yta ~tvqbw

die jeweiligen Verfasser gleichzusetzen sind.387 Er begründet seine These damit, dass die ausgewählten Texte in ihren Themen und ihrem M ­ otiv, sowie im Sprachgebrauch und in der Intention übereinstimmen. C. Begg388 erkennt aufgrund des ‚Numeruswechsels‘ zwei Blöcke im Text von Dtn 4,1–40. G. ­Braulik389 vertritt dagegen die Einheitlichkeit des Textes. Im Anschluss an ihn hat auch A. D. H. Mayes390 die sprachliche, formale und inhaltliche Einheitlichkeit vertreten; und er hat darüber hinaus festgestellt, dass Dtn 4,1–40 später als Dtn 1–3 verfasst worden ist.391 D. Knapp unterteilt Dtn 4,1–40 in drei Abschnitte: Der Hauptteil ist Dtn 4,1–28, wo durchaus plural formuliert wird, und diese Passage lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen, in einem sind die Leitworte ‫ מׁשפטים‬und ‫( חקים‬VV. 1.5.8.14) charakteristisch sowie das Wort ‫( למד‬VV. 1.5 x2.10.14) und im anderen bildet das zweite Gebot das Leitthema: ‫( ׂעשה פסל‬VV. 16.23.25). In VV. 29ff wechselt dann aber das Thema, denn nun ist vom Bilderverbot keine Rede mehr, vielmehr wird im Abschnitt nun das Thema ‚Umkehr‘ behandelt. Für Dtn 29,15–27 ist die Warnung vor der Missachtung des 1. Gebots charakteristisch (VV. 16.17.25) und der Abschnitt ist so parallel zum 2. Block von Dtn 4. Zuletzt erscheint das Thema ‚Umkehr‘ mit dem Stichwort ‫( ׁשוב‬VV. 1.2.3 x2. 8.9.10) und dem Ausdruck ‫בכל־‬ ‫( לבבך ובכל־נפׁשך‬VV. 2.6.10).392 Daraus schließt er, dass die drei Blöcke von drei verschiedenen Händen dreimal hintereinander gerahmt worden sind.393

387

388 389 390 391 392 393

Aus diesem Grund behauptet D. Knapp, dass Dtn 4,29 wahrscheinlich Jer 29,13 voraussetzt, zumindest aber jünger sei. Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4; E. Ehrenreich betont das Verhältnis zwischen Dtn 4,30 und Dtn 30,2. Seiner Meinung nach hat Dtn 4,29f für Dtn 30 vorgelegen (Wähle das Leben!, S. 73.112): „Aus Dtn 4,29f […] werden in Dtn 30,2.10 drei Elemente kombiniert: die Wendung ‫„ בכל־לבבך ובכל־נפׁשך‬mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele“, die Ankündigung des Zurückkehrens zu JHWH und das Hören auf seine Stimme.“ Vgl. C. Begg, The Literary Criticism of Deut 4,1–40. Contributions to a Continuing Discussion, ETL 56, 1980, S. 49. Vgl. G. Braulik, Die Mittel deuteronomistischer Rhetorik. Erhoben aus Deuteronomium 4,1.40, AnBib 68, Rome 1978. Vgl. A. D. H. Mayes, Deuteronomy 4 and the literary criticism of Deuteronomy, JBL 100, 1981, S. 24f. Vgl. A. D. H. Mayes, Deuteronomy 4 and the literary criticism of Deuteronomy, S. 32. Dtn 1–3 dient eher nicht als Einleitung für das Dtn, sondern vielmehr für das deuteronomistische Geschichtswerk. Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 26–42.128–133.158–163. Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 158; allerdings hat G. Braulik in seinem Aufsatz Knapps Arbeit kritisiert. Vgl. G. Braulik, Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden, S. 29–61.

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Die inhaltlichen Beziehungen zwischen Dtn 4 und 29f sind unverkennbar, aber zu den möglichen Abhängigkeiten zwischen Dtn 4 und 29f ist folgendes ­festzuhalten:394 1. Dtn 5,2f – Dtn 29,12: Dtn 5,2f schildert den Bundesschluss am Berg Horeb. Die Generation, die diese Promulgation des dtn Gesetzes vernommen hat, wird daher als Horebgeneration verstanden (Dtn 5,2). Aber der Bundesschluss in Dtn 29,12 ist als Moabbund zu verstehen, wobei die Horebgeneration durch das Wort ‫ היום‬mit der Moabgeneration identifiziert wird. Durch diese Revision wird die Differenz zwischen der unmittelbaren Horeboffenbarung durch Jahwe und dem durch Mose mitgeteilten dtn Gesetz aufgehoben.395 2. Gehorsam gegenüber dem Gesetz in Dtn 29,3–14 und Dtn 4,3f: In Dtn 29,3f wird gesagt, dass Jahwe Israel bis zum heutigen Tag keine Erkenntnis gegeben habe. Demgegenüber hat es nach Dtn 4,3f das in Gestalt des Dekalogs am Horeb gegebene Gesetz geachtet und diejenigen, die nach Dtn 29,3f den Moabbund geschlossen haben, werden in Dtn 4,3f mit denen, die sich bei Baal-Peor als gehorsam gegenüber dem Gesetz erwiesen haben, identifiziert.396 Somit ist festzuhalten, dass „Dtn 4,3f. Dtn 29,1–14 voraus[setzt] und die Moabbundesüberlieferung in einem entscheidenden Punkt [korrigiert]: Der Gesetzesgehorsam beginnt nicht erst in Moab, sondern bereits vorher auf der Wanderung durch die Länder der Völker.“397 Dass Dtn 4,3 die Erzählung über Baal Peor kennt, zeigt die Voraussetzung der dort geschilderten Sündenerzählung von Num 25.398 Dagegen kennt Dtn 3,29 keine Sündenerzählung bei Baal Peor, sondern Bet-Peor ist hier nur der Ort der Abschiedsrede (Dtn 4,46) und des Todes Moses (Dtn 34,6).399 Daher ist Num 25,1–5 chronologisch zwischen Dtn 4,1 und Dtn 29,3ff400 einzuordnen.401

394 S. bes. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 197–222. 395 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 197–201. 396 Vgl. C. Frevel, Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern. Zum Ende der Priestergrundschrift, HBS 23, Freiburg 2000, S. 259; L. Schmidt, Das vierte Buch Mose Numeri 10,11–36,13, ATD 7/2, Göttingen 2004, S. 146. Er versteht Dtn 4,3 als Interpretation des Mosebefehls in Num 25,5. 397 E. Otto, Deuteronomium 4, S. 204. 398 Vgl. C. Frevel, Mit Blick auf das Land, S. 259. 399 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 425. 400 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 425. Dtn 3,29 gehört zur spät-dtr Geschichtsschreibung wie Dtn 4,46; 34,6; Jos 13,20; 22,17. 401 Dagegen vertritt M.  Noth, dass der Abschnitt Num 25,1–5 auf die frühe Zeit ­zurückgeht und altem Pentateuchgut entstammt. M. Noth, Das 4. Buch Mose Numeri, S. 170.

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3. ‫ אלהים אחרים‬in Dtn 29,25 und Monotheismus in Dtn 4,1–40: In Dtn 29,25 werden andere Götter erwähnt (‫)אלהים אחרים‬, aber sie sind Israel nicht zugewiesen worden, da sie Kultobjekte anderer Völker sind (‫ לא חלק להם‬Dtn 29,25),402 wodurch sie allerdings weiterhin als Götter anerkannt werden. In Dtn 4,19 hingegen werden die Sonne, der Mond und die Sterne nicht mehr als Götter angesehen, sondern lediglich als das ganze Heer des Himmels bezeichnet (‫ כל צבא הׁשמים‬Dtn 4,19), wodurch in Dtn 4 eine Absage an einen impliziten Polytheismus erfolgt,403 was einer identischen Autorschaft von Dtn 4 und Dtn 29f klar widerspricht.404 Von der Gedankenlogik her ist Dtn 29f * vor Dtn 4 verfasst worden, denn aus der Perspektive von Dtn 4,1–40 gibt es nur noch Götzen (Dtn 4,28),405 was schließlich das monotheistische Bekenntnis in Dtn 4,35 ermöglicht: Außer ihm gibt es sonst keinen (‫אין עוד‬ ‫)מלבדו‬.406 4. Das Lexem ‫למד‬: Das Wort kommt von Gen bis Num gar nicht vor, und es wird erst ab Dtn 4 verwendet. Interessant ist, dass es in Dtn 4,1–40 insgesamt fünfmal belegt ist, wobei es dreimal mit dem Gesetz verbunden ist (‫)חקים ומׁשפטים‬ (VV. 1.5.14), in Dtn 29f ist es allerdings nicht belegt (vgl. Dtn 31,12). Das Lexem ist in V. 10 aber mit der Horeboffenbarung, bei der Jahwe Mose den Dekalog gegeben hat, damit das versammelte Volk lernt, Jahwe zu fürchten, und es wiederum seine Kinder belehrt (V. 10), verbunden (vgl. V. 13). Dagegen erhält Mose den Auftrag, Gesetze (‫ )חקים ומׁשפטים‬zu lehren (V. 14),407 d.h., dieser Auftrag umfasst einerseits den Dekalog und andererseits die weiteren Gesetze, die Mose dem Volk in Moab mitteilen soll.408 5. Gnadentheologie in Dtn 30,3 und Dtn 4,31: Dtn 29f * ist auch wegen der Gnadentheologie mit Dtn 4 zu vergleichen.409 Die Verhältnisse zwischen Dtn 30,1–3

402 Vgl. G. Braulik, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, S. 284 403 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 201–203; vgl. dazu G. Braulik, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, S. 283f. Dieses Motiv erscheint auch in Dtn 5,6–9. 404 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 201–203; G. Braulik, Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden, S. 59. 405 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 206. 406 Vgl. G. Braulik, Das Deuteronomium und die Geburt des Monotheismus, S. 287f: „Trotzdem wird mit Dtn 4,35b nicht nur die Tür zum Monotheismus aufgestoßen oder die unmittelbare Nähe auch theoretischer monotheistischer Aussage erreicht, sondern tatsächlich der Monotheismus bereits im Deuteronomium geboren.“ 407 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 205. 408 Vgl. G. Braulik, Die Ausdrücke für „Gesetz“ im Buch Deuteronomium, S. 14. 409 Vgl. P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, S. 363.

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und Dtn 4,29–31 sind bekannt. Während die Gnadentheologie in Dtn 30,3 begründet wird, wird in Dtn 4,31 mit dem Väterbund argumentiert,410 indem Ex 34,6 aufgenommen wird.411 Da in der Priesterschrift nicht Mose (vgl. Ex 4,24–26), sondern bereits Abraham das Gebot für den ‚ewigen Bund‘ empfängt (Gen 17,7),412 ist für Dtn 4,31 wohl die P-Schrift (Ps) vorauszusetzen, wobei der Wille Jahwes geschildert wird (‫ ;ולא יׁשכח את־ברית‬vgl. ‫ את־בריתי וזכרתי‬Gen 9,15f). Die Formel ‫» ׁשכח יהוה‬Jahwe hat jmdn. vergessen« ist eine Ursache der Klage (Ps 13,2; 42,10), wogegen das Nichtvergessen durch ihn als Verheißung oder Heilsorakel dient (Ps 9,13.19; Jes 49,15).413 Wenn hier das Nichtvergessen des Väterbundes (‫ולא יׁשכח‬ ‫ )את־ברית אבתיך‬zum Thema wird (Dtn 4,31), so wird thematisch auf Lev 26,45, wo an den Bund mit den Vorfahren erinnert wird (‫)וזכרתי להם ברית ראׁשנים‬, Bezug genommen. Obwohl Israel den Bund vergessen hat (Dtn 4,23; vgl. Lev 26,43f), gerät der Bund bei Jahwe nicht in Vergessenheit (Dtn 4,31; vgl. Lev 26,45). Wird Dtn 4,31 aus diesem Grund gleichzeitig mit dem Heiligkeitsgesetz verbunden, so ist der Abschnitt Dtn  30* für Dtn  4 vorauszusetzen. Jedoch ist Dtn  30,6–10 wahrscheinlich später noch durch einen nach-dtr R ­ edaktor bearbeitet worden. 6. Priesterschrift in Dtn 4,1–40: Dtn 4,16b–19a knüpft wörtlich an Gen 1,14–27 an: Keine Gestalt (‫ )תבנית‬von ‫» זכר או נקבה‬männlich und weiblich« (Dtn 4,16; vgl. Gen 1,27), ‫» כל־בהמה אׁשר בארץ‬ganzem Tier, das auf dem Land ist«, ‫כל־צפור כנף‬ ‫» אׁשר תעוף בׁשמים‬ganz gefiedertem Vogel, der am Himmel fliegt«, ‫כל־רמׂש‬ ‫» באדמה‬ganzem Kriechtier auf der Erde« (Dtn 4,17.18a; vgl. Gen 1,20–26) und ‫כל־דגה‬ ‫» אׁשר־במים מתחת לארץ‬ganzem Fisch, der Meer unter der Erde ist« (Dtn 4,18b; vgl. Gen 1,14–19). Die Augen sollen sich nicht zum Himmel (‫ )הׁשמימה‬erheben, um die Sonne (‫)הׁשמׁש‬, den Mond (‫ )הירח‬und die Sterne (‫ )הכוכבים‬anzubeten.414 In Dtn 17,3 kommt noch eine mit den Worten ‚andere Götter‘ (‫)אלהים אחרים‬ parallele Formulierung vor, daher dürfte Dtn 17,3 wahrscheinlich dem Autor von Dtn 4 vorgelegen haben.415 Darüber hinaus verwendet der Autor eine spezifische Terminologie. Das Lexem ‫לקח‬, „was sonst im Alten Testament nur noch

Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 97. Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 206. Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 95–101. Vgl. H. D. Preuß, Art. ‫ׁשכח‬, ThWAT VII, S. 1318–1323. Die Form ‫ולא יׁשכח את־ברית‬ mit Jahwe als Subjekt ist in Dtn nur in 4,31 belegt. 414 In den Prophetenbüchern erscheinen die Wörter ‫הׁשמימה‬, ‫ הירח‬und ‫הכוכבים‬: Jes 13,10; Jer 31,35; Joel 2,10; 4,15 (alle 3 Wörter); Jes 60,19f; Jer 8,2; Joel 3,4; Hab 3,11 (Sonne und Mond). 415 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 219. 410 411 412 413

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die Priesterschrift in Ex 6,7 tut“,416 dient zur Anspielung auf die Bundesformel. Der schöpfungstheologische Terminus ‫ ברא‬ist im Dtn nur einmal in Dtn 4,32 verwendet, der sich mit dem Objekt ‫ אדם‬in Gen 2,3; 5,1f als priesterschriftlich erweist.417 Darüber hinaus wird in Dtn 4,37f die Geschichte des Exodus später als die Landnahme im Umriss dargestellt. Nach Dtn 4,37f werden die Ahnen Israels nicht durch ihre Umkehr zu Jahwe, sondern durch Jahwes Liebe aus Ägypten gerettet, und die Vertreibung der ursprünglichen Bewohner und der Landbesitz, die der spät-dtr Redaktion wichtig sind,418 sind vorausgesetzt.419 Wenn fernerhin Dtn 29f * für Dtn 4 vorausgesetzt wird, so ist Dtn 4 wahrscheinlich später als die spät-dtr Redaktion anzusetzen. Auf diesen Gründen ist festzustellen, dass Dtn 4 später als Dtn 29f * verfasst worden ist. Dass die beiden Texte inhaltlich übereinstimmen, ist nicht abzustreiten, jedoch ist Dtn 4 terminologisch und gedanklich schon weiterentwickelt und vor allem zielt Dtn 4 bereits dezidiert auf den Monotheismus, und terminologisch setzt Dtn 4 darüber hinaus die Priesterschrift voraus.420 Dtn 29f * hat dem Autor von Dtn 4 somit als Vorlage gedient.

2.3.3 Historische Einordnung Das Wort ‚Segen und Fluch‘ in Dtn 30,1 bezieht sich auf Dtn 28, wo Segen und Fluch ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Diese Relation zeigt, dass Dtn 28 dem Verfasser von Dtn 30 vorgelegen hat,421 womit der Moabbund vorausgesetzt wird (Dtn 28,69; 29,11). Der Verfasser von Dtn 28f hat das Exil als Bundesbruch und die Heimkehr als erneuten Bundesschluss verstanden (Dtn 28,57f; 29,11), da für ihn Israel durch das Nichthalten und Nichtbefolgen der Gebote den Bundesbruch verursacht hat (Dtn 28,15). In Dtn 30,1–10 wird diese Konzeption schon vorausgesetzt. 416 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 219. 417 Vgl. K.-H. Bernhardt, Art. ‫ברא‬, ThWAT I, Stuttgart 1973, S. 774–777. Gott machte die Tiere der Erde (‫ ׂעשה‬Gen 1,25) und schuf den Menschen (‫ ברא‬Gen 1,27); vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 219. 418 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 6. 419 Vgl. S. Mittmann, Deuteronomium 1,1–6,3 literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht, BZAW 139, Berlin 1975, S. 123. 420 E. Otto (Deuteronomium 4, S.  219) meint, dass der Redaktor von Dtn  4,1–40 das Deuteronomium, das Deuteronomistische Geschichtswerk, die Prophetenbücher, insbesondere Jeremia, und die Priesterschrift überblickt. 421 Vgl. D. Knapp, Deuteronomium 4, S. 154.

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Die Redewendung ‫» בכל־הגוים אׁשר הדיחך יהוה אלהיך ׁשמה‬unter allen Nationen, wohin dein Gott Jahwe dich verstoßen hat« erinnert an die Verbannungssituation nach dem Untergang Israels. Die Rückkehr ins Heimatland ist durch die Umkehr zu Jahwe ermöglicht, d.h., Israel erhält die Gelegenheit zurückzukehren. Diese Situation setzt zweifellos das Ende des Exils voraus. Weil die Rede durch den Mund des Mose ausgesprochen wird, steht die Vorstellung von Mose als Prophet im Hintergrund (Dtn 18,15.18), was einer spät-dtr Schicht angehört.422 Diese ­Vorstellung prägt auch Dtn  29 (Dtn  29,21–27).423 Darüber hinaus kommt in Dtn 30,4 der Ausdruck „das Ende des Himmels“ vor. Anhand der Belege ist zu vermuten, dass damit die Mederstädte gemeint sind, in die die Israeliten des Nordund Südreiches durch den assyrischen König deportiert worden waren (2 Kön 17,6; 18,9–11). Die Gegner Babylons, als das Heer Jahwes, kommen aus einem fernen Lande (Jes 13,5), vom Ende des Himmels. Diesem Gegner entsprechen die Meder bzw. Perser, die das Mederreich erobert haben (Jes 13,17f). Falls hier die Rückkehr Israels erwähnt wird (V. 4), sind die Meder jedoch ausgeschlossen. Dies muss aber noch offen bleiben, da die Möglichkeit besteht, darunter auch Tarsis zu verstehen. Diese Rede setzt jedenfalls die Umkehr der Deportierten bzw. die Diasporasituation voraus und ferner auch den Wiederaufbau der Mauern Jerusalems (vgl. Jes 60,10), weshalb der Text wohl der Nehemiazeit zuzuweisen ist. Parallelen zu Dtn 30,4 (‫נדח‬, ‫קבץ‬, ‫ )לקח‬sind Jer 23,3; 29,14; 32,37. In Jer 29,14 und 32,37 werden die Verben ‫נדח‬, ‫ קבץ‬benutzt, jedoch steht bwv im Hifil anstelle des Verbs ‫לקח‬. Und statt der Angabe ‫» בקצה הׁשמים‬am Ende des Himmels« steht in Jer 29,14 »aus allen Nationen und aus allen Orten« und in Jer 32,37 »aus all den Ländern«. Diese Verse sind jedenfalls nicht jeremianisch,424 und außerdem unterscheiden sich die beiden Jeremiaverse: Während Jer 29,13f thematisch und wörtlich mit Dtn  30,1–5 übereinstimmt, zuerst die Umkehr zu Jahwe, dann die Rückkehr ins Land (‫בכל־לבבך‬, ‫ׁשוב‬, ‫נדח‬, ‫)קבץ‬, was die Rückkehr mit einer Bedingung verknüpft, wird dagegen die Rückkehr der Israeliten nach Jer 32,37 ­voraussetzungslos durch Gott verwirklicht, was mit Dtn 30,6 harmoniert. Darüber hinaus wird der Grund des Exils genannt, nämlich ‫» באף ובחמה ובקצף גדול‬in meinem Zorn und in meinem Grimm und in großer Entrüstung«. In Jer 23,3 stehen auch die Wörter, die in den anderen Parallelen vorzufinden sind, und ferner werden 422 Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 7f; U. Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium, S. 123; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 319, Anm. 395. 423 Vgl. E. Otto, Old and New Covenant, S. 942f. 424 Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, S. 15.

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die Verben ‫» פרה‬fruchtbar sein« und ‫» רבה‬sich mehren« verwendet. Diese Worte erinnern an Dtn 30,9 (‫פרי‬, ‫)טוב‬. Entsprechend zu Dtn 30,6 wird Jahwe selbst als Sammler der Exilierten vorgestellt (vgl. Dtn 23,3). Daher dürfte Jer 29,14 dem Verfasser von Dtn 30 vorgelegen haben und die Abschnitte Jer 32,37–41 und Jer 23,3 stehen zeitlich Dtn 30,6–10 nahe.425 Dtn 30,1–5 thematisiert den Landbesitz Israels (‫)ירׁש‬, somit ist Dtn 30,1–5 in die Nehemiazeit zu datieren.426 In Dtn 30,1–10 ist die ­Landnahmetradition zu finden,427 aber zugleich kommt durch die Herzensbeschneidung durch Jahwe ein neuer Aspekt zum Tragen. Nach Dtn 30,6 wird den Israeliten ihr Herz durch Jahwe beschnitten. Die Vorhautbeschneidung ist in der Exilszeit besonders eine Regel für die Exilierten gewesen, aber nach der Heimkehr wird sie auch für die Daheimgebliebenen und Nichtisraeliten durchgesetzt (Gen 17,12ff; Ex 12,48; vgl. Jos 5,5). Wenn aber die Beschneidung nicht mehr gültig ist und weiterhin die Herzensbeschneidung die Vorhautbeschneidung ersetzt (Jer 4,4; Ez 44,7.9), wird im Vers wahrscheinlich vorausgesetzt, dass einige Generationen, bei denen die Beschneidung das Zeichen des Bundes war (vgl. Gen 17,11f), nach der Heimkehr vergangen sind. Daher ist die Beschneidung unwirksam bei der jetzigen und der neuen Generation (‫)זרע‬. Mit dem Wort ‫ זרע‬versucht der Verfasser die neue Generation einerseits mit der Väterverheißung zu verbinden (Gen 13,15f; 15,18; 17,8; 26,4.24; vgl. Lev 26,45),428 und andererseits sagt er, dass die Verheißungen an die Väter erfüllt werden. Jahwe selbst hat seine Verheißungen an die Väter erfüllt. Dank Jahwes gnädigem Handeln kann Israel zu ihm umkehren.429 Der Vers lässt erkennen, dass das Thema und die Idee von Dtn 30,1–5 korrigiert werden. Denn während dort Israels Umkehr zu Jahwe für die Umkehr Jahwes vorausgesetzt wird und seine Gnade somit eine Reaktion auf Israels Umkehr ist, bildet in Dtn 30,6– 10 die Beschneidung des Herzens, die Jahwe selbst vollzieht, die Voraussetzung der Umkehr Israels zu Jahwe. Aus diesem Grund ist festzuhalten, dass die Erwartung, Israel könnte aus eigener Kraft zu Jahwe umkehren, a­ llmählich zu 425 Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, S. 15. 426 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7. Falls der Landbesitz im Abschnitt Dtn 30,1–5 als Heilsgut verstanden wird, gehört der Abschnitt für ihn zur spät-dtr Redaktion. 427 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 153–155; ders., Pentateuch, S. 1099f. Nach seinem Schema kennt der Redaktor wahrscheinlich schon die Landnahmeerzählungen; R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 36. 428 Vgl. H. D. Preuß, Art. ‫זרע‬, ThWAT II, Stuttgart 1977, S. 677. 429 Vgl. H. W. Wolff, Das Kerygma des deuteronomistischen Geschichtswerks, S. 322.

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erlöschen scheint. In diesem Horizont entwirft der Verfasser eine neue Vorstellung, weshalb Dtn 30,6ff später als der vorangegangene Text einzuordnen ist. Ferner ist auch die Beschneidungsgeschichte aus Gen 17,8ff vorausgesetzt, doch im Gegensatz dazu bietet Dtn 30,6f eine neue Konzeption, nämlich die Herzensbeschneidung, d.h. für den Text ist mit Sicherheit die P-Schrift vorauszusetzen. Aus diesem Grund ist Dtn 30,6–10 nach der Nehemiazeit verfasst worden, und somit in die 2. Hälfte des 5. Jh. zu datieren. Im Dtn  30,1–10 ist der Tora- bzw. Gesetzesgehorsam mit der Zeitbestimmung ‫ היום‬verbunden. Das Wort ‚heute‘ wird in den chiastischen Strukturen in Dtn  29,9–14 mehrmals verwendet,430 um den Bundesschluss in Moab als Entscheidungstag für Israel zu betonen und um den Bund auch künftigen Generationen zuzusprechen.431 Wenn aber Dtn  30,6–10 später als Dtn  30,1–5 ist, dann steht dieser Text der nach-dtr Redaktion nahe, und aus diesem Grund ist die Tora wahrscheinlich als das umfangreiche Gesetz des Pentateuch zu verstehen, weil für die nach-dtr Redaktion die Tora besonders wichtig ist.432 Aus diesen Gründen ist festzuhalten, dass in Dtn 30,1–5 nach der Exilszeit die Umkehr zu Jahwe thematisiert wird, was dem Ziel der spät-dtr Redaktion entspricht, doch in Dtn 30,6–10 werden durch die nach-dtr Redaktion die Herzensbeschneidung durch Jahwe und der durch sie bewirkte Toragehorsam Israels thematisiert. Durch diese letzte Redaktion wird die Verbindung von Herz und Toragehorsam, die für das Dtn, DtrG und Jeremiabuch typisch gewesen ist, in neuer Form proklamiert.

2.3.4 Dtn 30,11–14 Im Gegensatz zu Dtn  30,11–14 wird in Dtn  30,15–20 das Thema ‚Segen und Fluch‘, das sich zweifellos auf Dtn 28 bezieht, wieder aufgegriffen (V. 19). Darüber hinaus haben die beiden Texte gemeinsame Themen: Dienst für andere Götter‘ (Dtn 28,14.36.64; 29,25; vgl. 30,17), ‚Gehorsam bringt Segen‘ (Dtn 28,1; vgl. 30,16) und ‚Ungehorsam den Fluch‘ (Dtn 28,15; vgl. 30,17f). Die Entscheidung zu richtigem oder falschem Verhalten liegt dabei in der Hand Israels, dementsprechend heißt es bei P. C. Craigie „the responsbility now rested on the people themselves.“433 Dagegen übernimmt nach Dtn 30,1–10 Jahwe die Verantwortung,

430 Vgl. N. Lohfink, Der Bundesschluß im Land Moab, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur I, SBAB 8, Stuttgart 1990, S. 58–61. 431 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 197–201. 432 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7. 433 P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, S. 366.

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somit ist für Dtn 30,11–14 die Vorstellung von Dtn 30,1–10 vorauszusetzen: sie ist für dich nicht schwer und nicht fern (V. 11); das Wort ist sehr nahe bei dir und in deinem Mund und in deinem Herzen (V. 14). Beide Aussagen sind die Antworten auf die die rhetorischen Fragen von Dtn 30,12f: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? (V. 12) Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? (V. 13)434 Daneben wird thematisiert, dass das Wort im Mund und im Herzen liegt (V. 14; vgl. Dtn 18,18). Das Personal-Suffix bezieht sich nicht auf eine bestimmte Person, sondern auf alle Israeliten. Diese Metapher bezieht sich auf Dtn 18,18, darum setzt Dtn 30,11–14 die dortige Verheißung voraus. Denn das Wort wird nicht in den Mund einer ausgewählten Person, sondern in den des Volkes gelegt, wodurch die Verheißung von Dtn 18,18, die auch in Jer 1,9 zum Ausdruck kommt, erfüllt wird. Daher ist Dtn 30,11–14 auch später als Jer 1,1–10 zu datieren. Dabei wird der Tod des Mose als des einzigen Wortmittlers Gottes vorausgesetzt,435 was die Frage in Dtn 30,12f verständlich macht (vgl. Dtn 5,27). Hier wird der Bezug des Gotteswortes auf den konkreten Einzelnen, den auch Jer 31,31–34 thematisiert, bildlich ausgedrückt. Daher ist Dtn 30,11–14 als gleichzeitig mit Jer 31,31–34 zu begreifen, da der Ausdruck ‫בפיך‬ ‫ ובלבבך‬mit der Redewendung ‚das Liegen des Wortes im Herzen‘ gleichzusetzen ist (Jer 31,33 Ich werde meine Tora in ihr Inneres legen und auf ihr Herz schreiben).436 Dies zeigt schließlich, dass Dtn 30,11–14 wahrscheinlich später als Dtn 31,9–13 verfasst worden ist, so wie dass Dtn 31,9–13 in Jer 31,31–34 kritisch revidiert wird.437

2.4 Zusammenfassung In Dtn 30,1–10 wird der Blick einerseits auf die Umkehr (‫ )ׁשוב‬gerichtet, die s­ owohl als Umkehr Israels zu Jahwe (VV. 1.2.8.10) als auch als Jahwes erneute Zuwendung an Israel (VV. 3.9) thematisiert wird, wobei beide Bewegungen auf den Toragehorsam abzielen (V. 10; vgl. 2.8). Im Leitwort bwv wird die Intention des Verfassers sichtbar: Für Dtn 30,1–5 bildet der Toragehorsam die Bedingung, um ins Heimatland zurückzugelangen. Zudem muss Israel diesen Gehorsam seinerseits beweisen, um Gutes im 434 Diese rhetorische Frage bezieht sich inhaltlich auf die Gestalt des Schriftgelehrten Esra, den Beauftragten für das Gesetz des Gottes des Himmels (Esr 7,12). 435 Vgl. E. J. Ehrenreich, Wähle das Leben!, S. 213ff.223f.274. 436 Vgl. S. Böhmer, Heimkehr und neuer Bund: Studien zu Jeremia 30–31, GTA 5, Göttingen 1976, S. 76. 437 S. u. Jer 31,31–34 (3.3.2).

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Verheißungsland zu erfahren und um fruchtbarer als seine Väter zu sein (V. 5). Dieser Gehorsam wird aber nach VV. 6–10 einzig durch das Erbarmen Jahwes ermöglicht, d.h. nur durch sein Erbarmen ist Israel zu Jahwe zurückgekehrt, was den Landbesitz zum göttlichen Geschenk macht (V. 8). Für Dtn 30,1–5 ist die prophetische Gestalt des Mose eine notwendige Voraussetzung (vgl. Dtn 29,21–28). Im Anschluss daran folgen in Dtn 30,1–10 Segen und Fluch, was den Text mit Dtn 28 verbindet. Während in Dtn 28 der Akzent auf dem Fluch liegt, und Israel dem Gesetz gehorchen soll, um dem Fluch zu entgehen, werden in Dtn 29f der erneuerte Bund und die Erfüllung der Verheißungen Gottes aufgrund des Toragehorsams thematisiert (Dtn 29,6ff; 30,2–5). Im Gegensatz zu Dtn 30,1–5 wird in Dtn 30,6–10 ein neuer Gedanke, der sogar als Widerspruch zum ersten Abschnitt zu verstehen ist, entwickelt. Die zuvor vertretene Idee, dass Israel aus eigener Kraft zu Jahwe umkehren könne, wird abgelehnt, da die göttliche Herzensbeschneidung jetzt die notwendige Voraussetzung bildet. Obwohl in Dtn 30,1–10 die Begrifflichkeit (‫ׁשמע בקול‬, ‫ׁשוב‬, ‫ צוה‬VV. 2.8.10) und das Thema übereinzustimmen scheint, besteht somit dennoch eine fundamentale Differenz. Der Wendepunkt des Gedankens findet sich in V. 6. Die Erwartung einer Umkehr Israels zu Jahwe verschwindet, stattdessen erfolgt nun die Herzensbeschneidung durch Jahwe, d.h. Dtn 30,1–5 ist für den Verfasser von Dtn 30,6–10 vorauszusetzen. Dtn 30,1–5 gehört thematisch (Umkehr und Rückkehr ins Land) zur spät-dtr Redaktion der Nachexilszeit, weshalb Dtn 30,6–10 dann der noch späteren nach-dtr Redaktion zuzurechnen ist. Aus dieser Erklärung ergibt sich folgendes: 1. Die prophetische Gestalt des Mose liegt dem Verfasser von Dtn 30,1–10 vor; 2. Die Herzensbeschneidung setzt die Vorhautbeschneidung der P-Schrift (Ps) voraus; 3. Dem Verfasser von Dtn  30,6–10 hat die Landnahmeerzählung von Dtn  30,1–5 vorgelegen; 4. Wegen der Beschneidung des Herzens liegt der Schwerpunkt von Dtn 30,6–10 auf dem Tora-Bewusstsein. Aus diesen Gründen geht Dtn 30,1–10438 wahrscheinlich auf spät-dtr und nach-dtr Redaktionen zurück. Das Wort ‫לב‬/ ‫ לבב‬ist in diesem Abschnitt von zentraler Bedeutung. Da der Ausdruck „mit ganzem Herzen“ im Dtn und DtrG eine zentrale Funktion für den Torabzw. Gesetzesgehorsam spielt, steht Dtn 30,1–10 somit in dieser Traditionslinie. Aber zugleich konzipiert der Verfasser des Textes einen ganz neuen Gedanken, da die göttliche Herzensbeschneidung der Forderung der Toratreue ‚mit ganzem Herzen‘ eine ganz neue Dimension eröffnet, da Jahwe zu ihrem Subjekt geworden ist (vgl. Jer 4,4)! Das Motiv einer einschneidenden Herzenstransformation wird auch in Jer 31,31 aufgenommen, wo dem Herzen als Schrifttafel ein neuer Text eingeschrieben wird. 438 Außerdem ist Dtn 30,1–10 mit Jer 31,31–34; Ez 36,26f vergleichbar, da dort ebenfalls die Torabefolgung zur Sprache kommt.

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3. Jer 31,31–34: Die „Tafeln des Herzens“ Im Jeremiabuch hat der Begriff ‚Rûaḥ‘ keine anthropologische Bedeutung, da das Herz als Sitz des Bewusstseins gilt (Jer 3,16f; 4,14.18f; 5,23; 7,24 u.a.), was eine Beziehung des Jeremiabuches zur dtr Literatur sehr wahrscheinlich macht. Der neue Bundesschluss erfolgt hier auf einzigartige Weise, denn die Tora wird auf das Herz eines jeden verschriftet, wobei das Herz als Tafel dient, was der Übertragung der Toraverantwortung auf die Priesterschaft kontrastiert (Dtn  31,9–13; vgl. Dtn  4,15), da nun so alle – vom Kleinsten bis zum Größten – Jahwes Gebot ohne priesterliche Vermittlung erkennen werden. Darum ist diese Tora auch unsichtbar und unbrechbar, was das priesterliche Torakonzept revidiert, weil die priesterliche Tora als sichtbar und brechbar dargestellt wird. Daher ist hier den Bezügen zwischen prophetischer und priesterlicher Tora nachzugehen, indem versucht wird, die literarischen Beziehungen von Tora und Jeremiabuch zu klären.

3.1 Formanalyse In jedem Vers wird die Redefigur ‫» נאם־יהוה‬Spruch Jahwes« verwendet, sie dient in V. 31 und 34 als Einleitungs- bzw. Abschlussformel,439 aber in der Mitte des Abschnitts dient sie zur Bekräftigung der jeweiligen Aussage, um so die Sünde Israels als auch das Versprechen Jahwes zu betonen. Das im Abschnitt Jer 31,31–34 insgesamt viermal verwendete Wort ‫» ברית‬Bund« ist in Jer 31440 nur in diesen Versen 439 Vgl. R. Rendtorff, Zum Gebrauch der Fomel neum jahwe im Jeremiabuch, ZAW 66, 1954, S. 35. Aus diesem Grund hält er V. 34bβγ für einen Zusatz. 440 Die Kapitel Jer 30f rechnet B. Duhm (Das Buch Jeremia, KHC XI, Tübingen / Leipzig 1901) den „Ergänzungen zu den Schriften Jeremias und Baruchs (C)“ zu, während S. Mowinckel (Zur Komposition des Buches Jeremia, Kristiania 1914, S. 47.57.) sie der Quelle D, einer anonymen Sammlung von Heilsweissagungen, zuordnet. B. Duhm versteht den Abschnitt Jer  31,31–34 schon als spät / nach-dtr, denn er bezeichnet Quelle C als „Reden, die sich sprachlich und inhaltlich mit dem ‚Deuteronomisten‘ berühren“. J. P. Hyatt (The Deuteronomic Edition of Jeremiah, Vanderbilt Studies in the Humanities I, 1951, S. 71–95) unterscheidet drei Teile: 1. Baruchs Rolle aus dem Jahr 604 v. Chr; 2. Eine oder mehrere Sammlungen jer. Orakel; 3. Baruchs Memoiren, wobei die „Deuteronomic School“ für die Hauptredaktion des Buches verantwortlich ist. Das Verhältnis Jeremias zum Dtn auf Basis überzeugender sprachlicher Analysen näher zu bestimmen, unternimmt W. Thiel in seiner Monographie über die dtr Redaktion des Jeremiabuches (Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25).

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b­ elegt. Dabei beziehen sich zwei Belege auf den alten Bund, der mit den Ahnvätern Israels geschlossen, aber auch von ihnen gebrochen worden ist. Die zwei anderen Belege beziehen sich hingegen auf den neuen Bund (VV. 31.33), wobei in V. 33 die Bundesformel benutzt wird. Die verwendeten Verben sind einerseits mit dem Wort ‚Bund‘ (‫ – כרת‬VV. 31.32.33, ‫ – פרר‬V. 32), und andererseits mit dem Wort ‚Gesetz‘ verbunden (‫ידע‬, ‫ – למד‬V. 34; vgl. Dtn 4; 31,13). Den neuen Bund zu bestimmen, ist vielfältig versucht worden. C. Levin vertritt die These, dass der neue Bund in Jer  31,31–34 kein qualitativ neuer, sondern nur ein „erneuerter“ Bund ist, weil das Adjektiv lediglich ‫„ חדש‬unverbraucht“ und „frisch“ meint.441 Auch für N. Lohfink wird hier eigentlich nur ein Bund zum Thema, weil der als „neu“ bezeichnete Bund inhaltlich mit dem alten übereinstimmt.442 Im Anschluss daran vertritt E. Zenger, dass ‚den Bund brechen‘ als „nicht halten bzw. übertreten“ aufzufassen sei.443 Die Inhalt der Tora stimmt zwar überein, dennoch besteht eine entscheidende Differenz, die in der Art des Torazugangs liegt: Aber der HERR hat euch bis zum heutigen Tag weder ein Herz gegeben zu erkennen noch Augen zu sehen, noch Ohren zu hören (Dtn 29,3). Wenn in Jer 31,31–34 nicht ein anderer neuer Bund, sondern derselbe Bund thematisiert wird, müssen die Bünde, die hier sowohl als ‚gebrochener‘ als auch als ‚neuer‘ zu verstehen sind, nicht miteinander konkurrieren. Jedoch sind die Unterschiede unverkennbar: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe (Jer 31,32).444 Im Gegensatz dazu wird der neue Bund für E. Otto mit „God’s unconditional turning“ identifiziert, was die Jahweerkenntnis für Alle schenkt, wodurch die priesterliche Toraverantwortung von Dtn 31,12 revidiert wird (Jer 31,34), so dass die Verheißung des neuen Bundes als Konflikt zwischen nachexilischer Jeremiaschule und priesterlicher Rechtshermeneutik zu verstehen ist.445

441 442 443

444 445

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Die nachexilische Datierung des Textes ist generell anerkannt; doch W. L. Holladay (Jeremiah. A Commentary on the Book of the Prophet Jeremiah 26–52, Hermeneia, Philadelphia 1989, S. 197.) rechnet den Text Jer 31,31–34, wegen der Parallele des „Herzschreibens“ in Jer 17,1, Jeremia selbst zu. Vgl. J. P. Hyatt, Torah in the Book of Jeremiah, S. 381–396. Weil jedoch der neue Bund in Jer 31,31 die Lösung von der Sünde voraussetzt, liegt das Kapitel 17 dem Verfasser von Jer 31,31–34 vor. Vgl. C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiegeschichtlichen Zusammenhang ausgelegt, FRLANT 137, Göttingen 1985, S. 140–141. Vgl. N. Lohfink, Der niemals gekündigte Bund. Exegetische Gedanken zum christlichjüdischen Gespräch, Freiburg im Br. 1989, 59. E. Zenger, Die Bundestheologie – ein derzeit vernachlässigtes Thema der Bibelwissenschaft und ein wichtiges Thema für das Verhältnis Israel – Kirche, in: E. Zenger und C. Dohmen (Hg.), Der Neue Bund im Alten. Studien zur Bundestheologie der beiden Testamente (QD 146), Freiburg im Br.·Basel, 1993, S. 29. Vgl. G. Fischer, Jeremia 26–52, HThKAT, Freiburg i. Br. 2005, S. 172. Vgl. E. Otto, Welcher Bund ist ewig? Die Bundestheologie priesterlicher Schriftgelehrter im Pentateuch und in der Tradentenprophetie im Jeremiabuch, in:

Während in VV. 31–33 der alte und neue Bund explizit kontrastiert werden, wodurch ihre Gleichsetzung zu hinterfragen ist (Jer 31,32 nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe), benennt V. 34 die Auswirkung der Gabe des neuen Bundes, nämlich die Jahwe-Erkenntnis.446 Im Abschnitt wird zweimal ein neuer Bund verheißen. Nach V. 33 wird Jahwe im Gegensatz zum Bund, der beim Auszug Israels aus Ägypten geschlossen wurde, einen ganz anderen Bund mit dem Haus Israel schließen. Schon in V. 31 wird dieser andere Bund als ‚Neuer Bund‘ bestimmt, was ihn vom Alten Bund deutlich absetzt. Jahwes Bund mit der Vätergeneration ist im AT mehrfach belegt, wobei dieser sog. ältere Bund mit den Vätern sowohl positiv als auch negativ bewertet wird. Nach dem Heiligkeitsgesetz Lev 17–26 ist der Bund beim Auszug Israels aus Ägypten mit den Vätern geschlossen worden (Lev 26,45). Und trotz der Deportation Israels nach Babylon (Lev 26,44; vgl. 1 Kön 8,21) macht Jahwe nach Lev 26,45 den Bund nicht ungültig, denn er gedenkt seines Bundes mit den Vorfahren. Nach Dtn 29,24 hat hingegen die Exodusgeneration den Bund Jahwes, den er mit Israel geschlossen hat, verlassen. Weil die Moserede in Dtn 29 den Moabbund thematisiert, ist Dtn 29,24 voraussichtlich erst nach der Exilszeit entstanden. Die Perspektive von Dtn 29,24 entspricht dem Vers Jer 31,32, wo auch der Bund, den Jahwe mit der älteren Generation geschlossen hatte, gebrochen worden ist. In diesem Kontext ist daher anzunehmen, dass Jer 31,31–34 möglicherweise auch nachexilisch ist.447 Allerdings besteht ein Unterschied, weil der Bund durch den jeweiligen Verfasser jeweils andersartig dargestellt wird, zum einen als Moabbund und zum anderen als das Verschriften der Tora auf das Herz. Der Ausdruck ‫» הנה ימים באים‬Siehe, Tage kommen« kündigt Zukünftiges an, und dient im Jeremiabuch mit dem Ausdruck ‫ נאם־יהוה‬dazu, seine Aussprüche als prophetische Rede zu charakterisieren. Zudem dient die Redefigur hwhy-~an sowohl C. ­Dohmen und C. Frevel (Hg.), Für immer verbündet. Studien zur Bundestheologie der Bibel. Festgabe für F.-L. Hossfeld zum 65. Geburtstag, SBS 211, Stuttgart 2007, S. 161–169. 166. 446 Vgl. G. Wanke, Jeremia 25,25–52,34, S. 292. 447 Zur Einheitlichkeit vgl. K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, S. 78f; Eine Gegenposition vertritt hingegen C. Levin (Die Verheißung des neuen Bundes, S. 60). Er unterscheidet in Jer 31,27–34 vier Schichten: 1. Die frühexilischen Verheißungen von Neusaat und neuem Bund in VV. 27a.29aβγb–30a.31a.34abα; 2. Ergänzungen der Verheißungen von Neusaat und neuem Bund in VV. 27b–29aα.31b–32.33b.34bαβγ. Diese stammen auch vom Redaktor der 1. Schicht; 3. Die Bundesverheißung in V. 33a in spätalttestamentlicher Zeit; 4. V. 30 als Glosse. Die Datierung von Jer 31,31–34 erweist die späte Redaktion des Abschnitts.

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als Abschluss- als auch Einleitungsformel eines Jahwewortes und ist mit Unheils(1 Sam 2,31; 2 Kön 20,17; Jes 39,6; Am 4,2) bzw. Heilsworten (Jer 16,14f; 23,5; 30,3; Am 9,13) verbunden. Die zusammengesetzte Redefigur ‫הנה ימים באים נאם־‬ ‫ יהוה‬dient hier als Einleitungsrede zur Verheißung des neuen Bundes (vgl. Jer 9,24; 16,14; 23,7; 31,27; 33,14). Bevor diese Verheißung konkretisiert wird, wird noch einmal auf den Bund, der beim Exodus geschlossen worden ist, eingegangen, da V. 32a erkennen lässt, wann und wie der alte Bund geschlossen worden ist. Ebenso wie die Exodusgeneration haben auch die Bewohner Judas den Bund Jahwes gebrochen (vgl. Jer 11,10bα), indem sie anderen Götter nachfolgten und ihnen dienten (Jer 11,10aβ). Jer 31,32 interpretiert die Exilssituation, und der Gedanke, das Exil mit dem Dienst anderer Götter zu erklären, geht erst auf die dtr Schicht bzw. eine noch spätere Redaktion zurück.448 Daher ist diese Rede nicht nur für die alte Exodusgeneration, sondern gerade auch „bis zu (diesem) Tage“ gültig (»Tage kommen« Jer 31,31).449 Also bildet zweifellos ein dtr Gedanke den Hintergrund für Jer 31,31–34. Ferner besteht ein Unterschied in der Gültigkeit des Bundes, weil der alte Bund mit den Vätern schon gebrochen ist,450 aber der dem Herzen eingeschriebene neue Bund ist unbrechbar. Das Wort ‫ ברית‬wird in allen Versen außer V. 34 benutzt, jedoch wird hier das durch den neuen Bund bewirkte Phänomen geschildert. In V. 33 wird der Bundesschluss durch die typische Formel ‫ כתב ברית‬ausgedrückt (vgl. VV. 31–32).451 Das Objekt von ‫ כתב‬ist ursprünglich ein Tier – oder auch mehrere Tiere. Jahwe ratifiziert durch dieses Opfer den Bund, um ihn als 448 Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 152. 449 Vgl. W. Gross, Der neue Bund in Jer 31 und die Suche nach übergreifenden Bundeskonzeptionen im Alten Testament, ThQ 176, 1996, S. 260; vgl. ders., Erneuerter oder Neuer Bund? Wortlaut und Aussageintention in Jer 31,31–34, in: Bund und Tora: Zur theologischen Begriffsgeschichte in alttestamentlicher, frühjüdischer und urchristlicher Tradition, hrsg. von F. Avemarie und H. Lichtenberger, WUNT 92, Tübingen 1996, S. 57. Für ihn bezieht sich das Wort ‫ המה‬in V. 32 einerseits auf die Vätergeneration und andererseits auf die zuvor in V. 31 genannten Häuser Israel und Juda. 450 Inhaltlich ist der LXX-Text anders (Jer 38,32): o[ti auvtoi. ouvk evne,meinan evn th/| diaqh,kh| mou (Denn sie hielten an meinen Bund nicht fest). Für den LXX-Verfasser ist der Bund nicht gebrochen worden. 451 Für J. Begrich bezeichnet das Wort ‫ ברית‬ursprünglich immer ein Verhältnis zwischen ungleichen Partnern, denn ein Mächtiger habe einem Schwachen einen ‫ ברית‬geschnitten (Jos 9,6–15) und der Schwache bittet darum, dass ihm der ‫ ברית‬vom Mächtigeren gewährt werde (Jos 9, 6.11; 1 Sam 11,1; 2 Sam 3,12; 1 Kön 20,34). Inhaltlich ist der Text daher als Verheißungsrede zu verstehen. Vgl. J. Begrich, Berit. Ein Beitrag zur Erfassung einer alttestamentlichen Denkform. Albrecht Alt zum 60. Geburtstage, in:

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unwiderruflich zu bestimmen (Gen 15,18).452 Doch im Gegensatz dazu wird der neue Bund nicht mehr durch ein Opfer, sondern ganz anders geschlossen werden, da er sowohl durch das Einlegen der Tora in das Innere als auch durch das ins Herz Schreiben der Tora durch Jahwe besiegelt wird. Parallelen zu dieser Vorstellung finden sich nur bei den Großen Schriftpropheten: Jes 59,21; Ez 36,26f. Zwar wird die Tora hier anders bezeichnet (‫ דברי‬Jes 59,21; ‫ חקי ומׁשפטי‬Ez 36,27), aber dennoch thematisieren diese drei Texte den Bundesschluss in vergleichbarer Weise453 und mit dieser Rede wird der ganz neue Status des Volkes bezeichnet.454 Die Bundesformel (‫)והייתי להם לאלהים והמה יהיו־לי לעם‬455 steht in V. 33b.456 Der Bundesschluss (‫ )כתב ברית‬in V. 33aαβ bildet eine Parallele zur Rede in V. 31b (‫וכרתי‬ ‫ ברית חדׁשה‬...). Ein kleiner Unterschied steht besteht durch die Ausdrücke ‫יהודה‬ ‫ ואת־בית‬und ‫חדׁשה‬, dennoch stimmt V. 31b mit V. 33aαβ überein, da beide Angaben betonen, dass der verheißene Bund wirklich ein neuer ist.457 ­Demgegenüber

452 453 454 455

456

457

Gesammelte Studien zum Alten Testament, München 1964, S. 56. Die Gleichrangigkeit der Bundespartner ist als spätere Formulierung zu verstehen. Vgl. G. F. Hasel, Art. ‫כתב‬, ThWAT IV, 1989, S. 366. Obwohl das Wort ‚Bund‘ in Ez 36,26ff nicht vorkommt, wird in Ez 36,28 die Bundesformel verwendet. Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 879f. Für L. Perlitt besteht die Formel „aus zwei korrespondierenden Hälften, deren (intentional modifizierbare) Grundaussagen heißen: Jahwe – Israels Gott; Israel – Jahwes Volk. Wo sich nur jeweils ein Teil der Doppelformel zeigt, ist nicht von der Bundesformel zu reden“ (Bundestheologie im Alten Testament, S. 3). Resultat seiner Untersuchung ist die These, dass das Konzept ‚Bund‘ den Propheten des 8. Jahrhunderts nicht bekannt gewesen ist (Bundestheologie im Alten Testament, S. 135–152). Vgl. G. von Rad, Theologie des Alten Testaments I, München 1958, S. 74. Der Begriff ‚Bund‘ im Jeremiabuch gehört nach der Untersuchung von C. Maier (Jeremia als Lehrer der Tora, S. 282–352.) am frühsten zur dtr Bearbeitung bzw. noch späteren Schichten. Die Bundesformel wird in den Prophetenbüchern häufig verwendet: im Jeremia(7,23; 11,4; 24,7; 30,22; 31,1.33; 32,38) und Ezechielbuch (11,20; 14,11; 36,28; 37,23.27) sowie bei Sacharja (8,8). Vgl. K. Baltzer, Das Bundesformular, WMANT 4, Neukirchen-Vluyn 21964, S. 46, Anm. 2. Umstritten ist, ob Hos 1,9 als Bundesformel deutbar ist. Die Aussage ‫» ואנכי לא־אהיה לכם‬und ich will nicht zu euch sein« wird unterschiedlich gedeutet, manche Ausleger lesen auch ‫( לא אלהיכם‬vgl. H. W. Wolff, ­Dodekapropheton 1. Hosea, S. 8; S. Böhmer, Heimkehr und neuer Bund, S. 90.), andere folgen jedoch dem MT-Text (vgl. R. Smend, Bundesformel, ThSt 68, Zürich 1963, S. 38; L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S. 107). Für L. Perlitt ist die Konjektur nur zu postulieren, „wenn man die Doppelformel bei Hosea als geläufig voraussetzt“. Vgl. G. Fischer, Jeremia 26–52, S. 175.

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besteht ein Widerspruch zwischen V. 33aγδ und V. 32, wo es um die Form des Bundesschlusses geht. In V. 32b geht es um den Bundesbruch, während V. 33b den Bundesschluss thematisiert. Der alte Bund konnte gebrochen werden; der zukünftige Bund kann demgegenüber nie mehr gebrochen werden, da Jahwe ihn in ihr Inneres geben wird, indem er ihn auf ihr Herz schreiben wird. In V. 34 sind zwei wichtige Elemente zu finden, nämlich die individualisierte Erkenntnis Jahwes in Israel (‫)כי־כולם ידעו אותי‬, und die Sündenvergebung (‫אסלח‬ ‫)לעונם‬. Das individuelle Erkennen Jahwes ist durch den neuen Bund ermöglicht, weil die Tora von ihm ins Innere und Herz geschrieben werden wird: Im Gegensatz dazu vollzieht sich das Erkennen Jahwes bei Ezechiel durch die Geistesbegabung (Ez 36,26–28).458 Der Ausdruck ‫ סלח עון‬ist sehr selten im AT belegt: Ex 34,9; Num 14,19; Ps 25,11; 103,3; Jer 31,34; 33,8; 36,3. Das Thema „Sünde“ wird nach dem Untergang von Israel und Juda zentral, daher setzt die Sündenvergebung den Wiederaufbau des Tempels voraus.459 Die Sündenvergebung ist weiterhin als Resultat und Basis für das neue Gottesverhältnis zu verstehen. Wenn Jahwe den neuen Bund mit Israel schließt, wird das Jahwe-Bewusstsein im Vordergrund stehen,460 da Jahwe selbst ihre Sünde vergibt und an ihre Schuld nicht mehr denkt. Somit eröffnet die individualisierte Erkenntnis Jahwes eine neue Zukunftsperspektive (V. 34a), und die Sündenvergebung (V. 34b) streicht die vergangene Schuld vor Gott, um den Neuanfang zu ermöglichen. Die Kohärenz von Jer 31,31–34 kann so zusammengefasst werden: 31a

31b

33aαβ

32a

33aγδ

32b

33b

34a 34b

Einleitung Verheißung – ein neuer Bund (‫)ברית חדׁשה‬ Der alte Bund (‫ – )ברית‬Wann und wie? Bundesbruch (‫)ברית‬ Verheißung – der neue Bund (‫)ברית‬ Der neue Bund – Wie? Bundesschluss – Bundesformel Resultat – Individualisierung des Jahwe-Bewusstseins Resultat – Sündenvergebung

458 Vgl B. P. Robinson, Jeremiah’s New Covenant Jer 31,33–34, SJOT 15, 2001, S. 199; G. Fischer, Jeremia 26–52, S. 174. 459 Vgl. S. Böhmer, Heimkehr und neuer Bund, S. 74. 460 Vgl. J. Hausmann, Art. ‫סלח‬, ThWAT V, 1986, S. 863.

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3.2 Sprachliche Untersuchung a) V. 32 V. 32 berichtet, dass der alte Bund beim Auszug Israels aus Ägypten geschlossen worden ist. Zur Darstellung der Exodustradition im Jeremiabuch werden die Verben ‫( יצא‬2,37; 7,22.25; 11,4; 31,32; 32,21; 34,13) und ‫( עלה‬Jer 2,6; 7,22. 11,7; 16,14f; 23,7f) verwendet (vgl. Jer 32,20). Weil die Exodustradition in den Gesetzesbüchern zumeist positiv beschrieben wird,461 ist es recht auffällig, dass im Jeremiabuch ein positives Verständnis eher selten ist (vgl. Jer 32,21f), da vielmehr oft negativ geurteilt wird, denn Israel hat seit dem Auszug aus Ägypten gesündigt, indem es der Tora ungehorsam geworden ist (7,25; 11,7f; 32,20–23; 34,14). Diese zwiespältige oder gar widersprüchliche Exodusdarstellung erscheint auch im Dodekapropheton. Denn die Exodustradition bzw. Wüstenwanderung wird einerseits idealistisch gedeutet (Hos 2,16f), doch zugleich hat Israel auch bereits direkt nach dem Verlassen Ägyptens Sünden begangen (Hos 11,1f). Die negative Bewertung der Exodustradition ist wahrscheinlich durch den Untergang Israels erklärbar, da so wohl der Untergang erklärt werden soll (2 Kön 21,15; vgl. Jer 2,6; 7,22.25).462 Ferner ist diese negative Darstellung schon der Heimkehrgeneration bekannt gewesen (Dtn  29,1–3.24; vgl. Jer  11,7f), da der alte jetzt durch einen neuen Bund ersetzt werden soll (vlg. Dtn 29,11). Im Gegensatz dazu lässt sich ein positives Traditionsverständnis in vorexilischen Texten finden (Dtn 13,5.6; 15,15; 16,1.3.6.12; 24,18),463 da Israel an allen Tagen, also immer, des Tages des Auszugs aus Ägypten gedenkt (Dtn 16,3 ‫)תזכר את־יום צאתך מארץ מצרים כל ימי חייך‬. Dies positive Verständnis ist allerdings auch in der späten Exilszeit zu finden, wobei sie als Propaganda für die Heimkehr des Volkes fungiert, da nun ein Neuanfang mit der Rückkehr Israels verbunden wird (vgl. Jer 16,14f). Wegen dieser zwei konträren Interessen stehen nun zwei Exodustraditionen nebeneinander. In Verbindung mit der Landnahme wird die Hoffnung des zweiten Exodus wichtig (Jer 16,14f), wobei die erste Exodustradition aufgrund der Hoffnung auf einen neuen Exodus auch positiv bewertet werden kann (Hos 2,16f; 12,10; Jer 32,21f). Also fungiert

461 Ex 22,20; Dtn 5,15; Lev 19,34.36; 23,43; 26,13. 462 Vgl. W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia 1–20, S. 184. Die Texte, die den Grund des Untergang Israels zu erklären versuchen, entstehen gewiss erst in der Exilszeit, für sie geht der Untergang nicht auf die Ohnmacht Jahwes, sondern auf die Sünde Israels zurück. Vgl. R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr., BE 7, Stuttgart 2001, S. 113. 463 Vgl. S. Kreuzer, Die Exodustradition im Deuteronomium, in: Das Deuteronomium und seine Querbeziehung, SFEG 62, hrsg. von T. Veijola, Helsinki · Göttingen 1996, S. 84.

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die positive als „Rückkehrpropaganda“ (Jer 32,21f) und die negative als Exilsbegründung (Jer 7,25f; 11,7f; 31,32). b) V. 33 Nach Jer 31,33 wird Jahwe seine Tora in ihr Inneres legen und auf ihr Herz schreiben. was im AT nur hier erscheint. Diese Art der Toragabe bezweckt und bewirkt die allseitige Erkenntnis Jahwes (‫)כי־כולם ידעו אותי‬.464 Implizit wird so die Priesterschaft kritisiert, da sie die Verantwortung für die Tora übernommen hatte. In 2 Chr 15,3 wird die Abwesenheit belehrender Priester mit der Abwesenheit der Tora selbst gleichgesetzt. Diese Darstellung entspricht der sog. vierten Konfession in Jer 18,18. Durch die Rede der Gegner Jeremias ist zu erkennen, dass der Priester die Verantwortung für die Torabelehrung trägt.465 Das Vertrauensmotiv erscheint auch in Mal 2,7, wo der Priester als Bote Jahwe-Zebaots bezeichnet wird.466 Somit ist die priesterliche Verantwortung für die schriftliche Tora wahrscheinlich aber erst kurz vor dem Untergang Israels auf die Priesterschaft übertragen worden (vgl. Dtn 17,11),467 weil die Tora im Tempel aufgefunden worden war und er zugleich zum Zentralgerichtsort wird (Dtn 17,12).468 Die Autorität der Tora ist dem Priester übergeordnet, da die Anklage der Priester durch den Vorwurf der Verfälschung der Tora erfolgt (Hos 4,6; Zeph 3,4; vgl. 464 Vgl. D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, S. 88. 465 Das Vertrauen, die Tora beim Priester zu finden, erscheint auch in Ez 7,26, wo es aber verneint wird. Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 218. 466 Diese Rede ist singulär im AT. Und die Gleichsetzung von Weisheit und Tora ist für die Spätform israelitischer Weisheit bei Ben Sira typisch. Vgl. H. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 145; A. Meinhold, Maleachi, BKAT XIV/8, Neukirchen-Vluyn 2006, S.  86; I.  Willi-Plein, Haggai, Sacharja, Maleachi, ZBAT 24,4, Zürich 2007, S. 240. 467 Für die Gerichtszentralisation und die Kultzentralisation ist die Rolle des Priesters für die Tora wichtig. Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 1–24, BKAT XIII/1, Neukirchen-Vluyn 2 1979, S. 184. Nach seiner Auffassung lehnt sich der Text Ez 7,26b an Jer 18,18 an; vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 218. Die Torabelehrung des Priesters wird schon tradiert, aber die Torabelege im Hoseabuch sind als sekundär zu verstehen. Für den Bericht über das Auffinden der Tora ist die alleinige priesterliche Verantwortung fraglich, da die aufgefundene Tora nicht dem Priester, sondern dem Schreiber Schafan übergeben wurde (2 Kön 22,8). Jedoch ist die priesterliche Verantwortung implizit angedeutet, da die Tora im Tempel gefunden wird! 468 Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, S. 587–589.

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Jer 2,8).469 Interessant ist, dass der Prophet Haggai die Priester nach der Tora fragen soll, obwohl er selbst ein Prophet ist (Hag 2,11 ‫)ׁשאל־נא את־הכהנים תורה‬. Diese Texte lassen zweifellos erkennen, dass der Priester in der Exils- und Nachexilszeit immer noch die Verantwortung für die Tora trägt, und daher bezieht sich die Tora in Jer 31,33 auf die priesterliche Tora. Der große Unterschied ist aber, dass diese Tora nicht mehr auf eine Tafel, sondern auf das Herz geschrieben werden wird, aber es gibt dennoch keine inhaltliche Differenz der beiden Torot. Bei Jeremia wird durch die Rede Jahwes ein neuer Bund verheißen,470 doch wenn ein neuer Bund nötig wird, ist der Bruch des alten Bundes vorauszusetzen, weshalb V. 32 auch den Bundesbruch erwähnt (‫)הפרו את־בריתי‬. Im Gegensatz zu anderen Verheißungen, z.B. Nachkommenschaft (Gen 17,4), Landnahme (Gen 17,8), die auch mit dem Bund verbunden gewesen sind (Gen 17,9f), wird in Jer 31,31f eine ganz neuartige Verheißung, die die Väter nicht gekannt haben, kundgetan. Das Neue im neuen Bund ist die Vermittlung der Tora Gottes ins Herz,471 wodurch die Torabelehrung nicht länger von einem 469 Nach Hos 4,6 wird die Priesterschaft zweifach kritisiert, einerseits wegen der Verwerfung des Erkenntnis Jahwes und andererseits wegen des Vergessens der Tora. Vgl. J. Begrich, Die priesterliche Tora, in: Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 21, München 1964, S. 233f. 470 Vgl. H. Tita, „Ich hatte meine Tora in ihre Mitte gegeben“: Das Gewicht einer nicht berücksichtigten Perfektform in Jer. XXXI 33, S.  551–556; K.  Finsterbusch, „Ich habe meine Tora in ihre Mitte gegeben“. Bemerkungen zu Jer 31,33, BZ 49, 2005, S. 86–92; In Jer 31,31–34 wird ein neuer Bund angekündigt, wozu einzelne Aussagen der Doppelformel, nämlich Jahwe – Israels Gott (Gen 17,7.8; Ex 29,45; Lev 11,45; 22,33; 25,38; 26,45; Num 15,41) und Israel – Jahwes Volk (Dtn 4,20; 7,6; 14,2; 27,9; 28,9; 2 Kön 11,17; Jer 13,11; vgl. Ex 19,5 – mein Eigentum; Dtn 26,19 – ein heiliges Volk) benutzt werden. L. Perlitt hat die Formel ‚Jahwe – Israels Gott; Israel – Jahwes Volk‘ als Bundesformel bestimmt. (L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S. 3.107); R. Smend hat den historischen Wandel der Formel untersucht (Die Bundesformel). Doch für E. Kutsch ist sie lediglich eine sachgemäße „Zugehörigkeitsformel“: „[Mit] ‚Jahwe der Gott Israels – Israel das Volk Jahwes‘ ist das Verhältnis zwischen Jahwe und Israel mit dem Begriff ‚Gott – Volk‘ umschrieben und zwar eben im Sinne von ‚Herr – Knecht‘“ (E. Kutsch, Art. ‫ברית‬, THAT I, Zürich 1978, S. 350; ders., Verheißung und Gesetz: Untersuchungen zum sogenannten »Bund« im Alten Testament, BZAW 131, Berlin 1973, S. 146–149); G. Fohrer bezeichnet sie dagegen als „Zusammengehörigkeitsformel“ (G. Fohrer, Geschichte der israelitischen Religion, Berlin 1969, S. 264). 471 Vgl. H. W. Wolff, Was ist das Neue im neuen Bund?: zum jüdisch-christlichen Dialog nach Jeremia 31,31–34, in: Prophetische Alternativen. Entdeckungen des Neuen im Alten Testament, München 1982, S. 61.

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Vermittler abhängig ist (Jer 31,34a). Im Gegensatz zur äußerlichen Steintafel wird die neue Rede in das Innere geschrieben. Die Toraverschriftung auf das Herz ist das positive Gegenbild zur Herztafel, auf der die Sünde Judas aufgeschrieben worden ist: Die Sünde Judas ist geschrieben mit eisernem Griffel, mit diamantener Spitze; sie ist eingegraben in die Tafel ihres Herzens und an die Hörner eurer Altäre (Jer 17,1). Indem Jahwe auf dem Herzen den neuen Bund quasi ratifiziert, wird so zugleich die alte Schuld vergeben, da die Sünden ausgestrichen werden, wodurch die Sündenvergebung die Voraussetzung des neuen Bundesschlusses bildet. c) V. 34 ‫» אסלח לעונם‬Schuld vergeben« und ‫» לחטאתם לא אזכר־עוד‬an die Sünder nicht mehr denken« werden in V. 34 verwendet. Das Lexem ‫» סלח‬vergeben« ist für profane Zwecke nicht belegt und es wird auch nicht für die zwischenmenschliche Vergebung verwendet.472 Fast alle Belege sind in die nachexilische Zeit zu datieren,473 wobei es immer um die Schuldvergebung durch Jahwe geht.474 Aufgrund dieser Zusage spielt die Schuld, die in V. 32 als Bundesbruch bestimmt worden ist,

472 Vgl. J. Hausmann, Art. ‫סלח‬, ThWAT V, S. 861. 473 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 343. Das Wort ist erst in der exilisch-nachexilischen Zeit belegbar (vgl. J. Hausmann, ‫סלח‬, ThWAT V, S. 861.), und es spielt in der nachexilischen Zeit eine wichtige Rolle; s.a. J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 104. „Sie [U. Becker und G. Steins] verweisen darauf, daß der im Rahmen der Fürbitte gebrauchte Terminus ‫סלח‬, bei 46 Belegen im AT, sonst durchweg in nachexilischen Texten vorkommt, und stellen inhaltliche Parallelen im Pentateuch dar, die ebenfalls eher als späte Texte zu verstehen sind.“ 474 Ex 34,9; Num 14,19; Jer 31,34; 33,8; 36,3; 50,20. Interessant ist, dass ‫ סלח‬auch im Jeremiabuch relativ oft verwendet wird. Mit diesem Wort weist der Prophet die Schuld der Israeliten auf und formuliert so die Unmöglichkeit der Sündenvergebung (Jer 5,1.7; vgl. 36,3). Allerdings bezeichnet das Wort in anderen Belegen bei Jeremia auch die Sündenvergebung durch Gott (Jer 31,34; 33,8). Nach Jer 31,34 ist dies die Folge des neuen Bundes, und dieser neue Bund geht nicht vom Menschen, sondern einzig von Gott aus. Daher setzt der Vers die Unfähigkeit des Menschen zum Gehorsam voraus, und darüber hinaus ist der Vers m. E. wahrscheinlich später als die Vergeltungslehre (1 Kön 8,33–39) zu datieren. Vgl. S.  Herrmann, Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament: Ursprung und Gestaltwandel, BWANT 5, Stuttgart 1965, S. 183; S. Böhmer, Heimkehr und neuer Bund, S. 73. Außerdem setzt der Text wahrscheinlich die individuelle Vergeltungsvorstellung, wie sie in Jer 31,29f thematisiert wird, voraus.

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nunmehr keine Rolle mehr. Sehr ähnliche Parallelen finden sich in Jer 33,8; 36,3 und 50,20. Nach Auffassung von W. Thiel gehört Jer 33,8 zur post-dtr Schicht.475 Jer 50,20 ist in der spät- oder nachexilischen Zeit entstanden, weil der Untergang Babylons vorauszusetzten ist (Jer 50,18.21). Analog zu der Formulierung »An die Sünder nicht mehr denken« kommt aber auch ein Antonym vor, nämlich »seiner Gerechtigkeit wird nicht mehr ­gedenkt werden« (Ez 18,24), wobei die persönliche Verantwortung ausgedrückt ist (Ez 18,27f; vgl. Jer 31,30).476 Dies setzt den dtn bzw. dtr Grundgedanken, dass der Gerechte zum Leben und der Ungerechte aber zum Tode gehört, voraus, doch zugleich wird so auch der Gedanke des Mit-Betroffenseins (‫ )למענכם‬wahrscheinlich korrigiert (vgl. Dtn 3,26).477 Daneben wird in Ez 18,21f und Jer 31,29f die Möglichkeit der Abkehr der Ungerechten von ihrem Unrecht vorgestellt und die der Abkehr der Gerechten von ihrer Gerechtigkeit.478 In diesem Sinne zielen Ez 18,21 und Jer 31,29f auf die persönliche Vergeltung, und weisen so zweifellos den Gedanken ab, dass die Schuld über Generationen hinweg fortwirken kann (Jer 31,29f; Ez 18,2–4; vgl. Ex 20,5; 34,7; Num 14,18). Erstaunlich ist, dass Ez 18,21f nicht nur die Abkehr (‫ )ׁשוב‬von der Sünde, sondern auch die ­Bewahrung und das Einüben von Ordnung, Recht und Gerechtigkeit betont. Demgegenüber ist interessant, dass die Schuldvergebung und das Nichtmehrgedenken der Sünde in Jer 31,34 als Voraussetzung für das Erkennen an Jahwe genannt wird, was einzig von Jahwe ausgeht, was wiederum eine Parallele zu Dtn 30,6 bildet (vgl. Jer 4,4),479 weshalb die persönliche Verantwortung durch die göttliche Handlung in Jer 31,34 auf Jahwe übertragen wird. Wenn in Jer  31,31–34 der neue Bund verheißen wird, wobei die Torabelehrung nicht mehr von einem Vermittler abhängig ist (Jer 31,34a) und die personliche Verantwortung durch die göttlichen Handlung auf Jahwe selbst übertragen wird, reagiert dieser Abschnitt höchstwahrscheinlich kritisch 475 Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, S. 37. 476 Vgl. W. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel, ATD 22/1, Göttingen 1959, S. 21. 477 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 318f. Daher wird die persönliche Verantwortung in Ez 18 durch den nach-dtr Redaktor eingeführt. 478 Vgl. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 1–19, ATD 22/1, Göttingen 1996, S. 273. 479 Vgl. G. L.  Kewon, u.a., Jeremiah 26–52, WBC vol. 27, Texas 1995, S,135; dagegen behauptet R. P.  Caroll, dass „Late additions to their (dtr) work allow for the possibility of Yahweh’s restoration of the nation and the divine circumcision of its mind after it has turned back to him (Deut. 30.1–10).“ R.  P. Carroll, Jeremiah, OTL, London 1986, S. 613f.

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auf die priesterliche ­Aufgabe der Toraverlesung (Dtn 31,11f), weshalb die ­Verschriftung der Tora auf das Herz frühestens dem nach-dtr Verfasser zuzuweisen sein dürfte.480

3.3 Einzelanalyse 3.3.1 Der Bundesbruch In V. 32 geht es um den Bundesbruch, womit Jer 11,10 auffälligerweise eine Paralle bildet,481 weil der Bundesbruch wie in Jer 31,32 in Verbindung mit der Sünde der Väter erwähnt wird.482 In Jer 11 erscheint die Wendung ‫» דברי הברית הזאת‬die Worte dieses Bundes« viermal (VV. 2.3.6.8). Viele Exegeten rechnen diesen Abschnitt wegen der ­Redewendung, die für die exilisch-nachexilische Theologie charakteristisch ist, einer späten Schicht zu.483 Für W. Thiel ist Jer 11,1–14 „eine von D gestaltete und formulierte Einheit“.484 Dagegen versteht P. C. Craigie die Verschwörung (‫)קׁשר‬ Zedekias gegen Nebukadnezar als historischen Hintergrund von VV. 9f,485 weshalb der Abschnitt als echt jeremianisch zu gelten habe. Dagegen erkennt C. Maier eine Beziehung zwischen Jer 11,9 und VTE, denn auch in Jer 11,9 geht es um

480 Vgl. E. Otto, Old and New Covenant, S. 942. Dtn 28 betont die persönliche Verantwortung, da sich jeder zwischen Segen und Fluch entscheiden kann, was durch die Anredeform in der 2. Pers. Sg. unterstrichen wird. 481 In Jer 33,21 werden auffälligerweise mehre Bünde erwähnt, nämlich der Bund mit David (vgl. 2 Sam 7) und der Bund mit den levitischen Priestern. 482 Vgl. A. Schenker, Der nie aufgehobene Bund. Exegetische Beobachtungen zu Jer 31,31–34, in: E. Zenger / C. Dohmen, Der neue Bund im alten. Studien zur Bundestheologie der beiden Testamente, QD 146, Freiburg im Br.- Basel, 1993, S. 109–112. Er bestimmt durch den Vergleich zwischen MT und LXX die Jerusalemer als das Subjekt des Bundesbruches. Und der Bundesbruch ist die Missachtung einer Jahwe gegenüber eingegangenen Verpflichtung im Jahr 587 v. Chr. 483 Vgl. B. Duhm, Das Buch Jesaja, S. 106–111; G. Wanke, Jeremia 1,1 – 25,14, S. 119; Dagegen geht der Kern von Jer 11 auf die Gestalt Jeremias zurück, denn das Kapitel erklärt den Grund des Untergang Judas und eröffnet Hoffnung in der Zeit der Verzweiflung. Diese Rede ist zwar charakteristisch für Jeremia, aber „while not necessarily his ipsissima verba“. J. A. Thompson, The Book of Jeremiah, NICOT, Michigan 1980, S. 342. 484 W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 140. 485 Vgl. P. C. Craigie, Jeremiah 1–25, WBC vol. 26, Texas 1991, S. 170f.

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einen politischen Treuebruch.486 Und der Vergleich von Dtn 29,8a und Jer 11,6b zeige, dass Dtn 29,8a in Jer 11,6b zitiert würde:487 Dtn 29,8a Jer 11,6b

~ta ~tyf[w tazh tyrbh yrbd-ta ~trmvw ~twa ~tyf[w tazh tyrbh yrbd-ta w[mv

Durch das Zitat von Dtn 29 in Jer 11,6 werden die Gestalten von Mose und ­Jeremia vergleichbar. Von Mose, der in Dtn 28,69 als Bundesvermittler dargestellt wird, übernimmt Jeremia diese Rolle (Jer 11,1ff),488 weil seine Proklamation als Bundesrede bezeichnet wird (‫ דברי הברית‬Jer 11,2.3.6.8). Daher behauptet C. Maier mit Recht, dass durch das Zitat an den in Moab geschlossenen Bund erinnert wird.489 Sie hat aber Dtn 29,8 als exilisch oder spätvorexilisch verstanden.490 Jedoch ist Dtn 29 im Zusammenhang mit Dtn 2f zu verstehen, und ferner ist der Bund Abrahams von Gen 17491 und eine neue Generation für den Moabbund vorauszusetzen: Aber Jahwe hat euch bis zum heutigen Tag weder ein Herz gegeben zu erkennen noch Augen zu sehen, noch Ohren zu hören (Dtn 29,3). Diese Aussage benennt den Grund des Untergangs, denn Jahwe selbst hat ihnen ein unverständiges Herz gegeben (Dtn 29,3). Dagegen steht die neue Hoffnung, da nun ein verständiges Herz von Jahwe geschenkt werden wird, weshalb Dtn 29 wahrscheinlich doch eher als nachexilisch zu verstehen ist.492 Darüber hinaus b­ ezieht sich die Antwort „Amen“ in Jer 11,5b auf Dtn 27,15ff, wo sie auf den Fluch 486 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 184ff. Sie hat in Jer 11 die Verse 2a.3aβ.4aβb.6.8b*[nur ‫]עׂשו ולא‬.9–10a.11–12.15.17a als Grundschicht bestimmt, doch diese Verse gehören nicht zum echten Jeremia, denn Jer 11,6b zitiert Dtn 29,8a. 487 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 182f. Die Ersetzung von ‫ ׁשמר‬durch ‫ ׁשמע‬führt sie auf die Angleichung an den Imperativ in Jer 11,4aβ zurück. 488 Vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora. Ein nachexilischer Diskurs, in: Tora in der Hebräischen Bibel. Studien zur Redaktionsgeschichte und synchronen Logik diachroner Transformationen, BZAR 7, hrsg. von R. Achenbach, M. Arneth und E. Otto, Wiesbaden 2007, S. 163. Er erklärt die Parallele zwischen Mose und Jeremia anders: „Wieder wird ein Mosewort, das in der Fabel des Deuteronomiums nicht unmittelbares Gotteswort ist, sondern mosaische Paränese, in Jer 11,6 Gott selbst in den Mund gelegt.“ In diesem Sinne wird Jeremia als Erfüllung der Verheißung in Dtn 18,18 dargestellt, aber Jeremia steht unter Mose, denn er überbietet nicht die Tora des Mose. 489 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 185. Die Aussonderung der Grundschicht ist umstritten. Zur nachexilischen Datierung von Jes 11 vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 160ff. 490 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 184. 491 S. o. Dtn 30 (2.2; 2.3.1 und Exkurs). 492 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 138–155.

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r­ eagiert.493 Weiterhin ist das Motiv von ‚Ägypten als eisernem S ­chmelzofen‘ 494 nur postdtr-nachexilisch in Dtn 4,20 und in 1 Kön 8,51, das eventuell auch als nachexilisch zu verstehen ist,495 belegt. Der Abschnitt Jer 11,1–17 muss somit als nachexilisch gelten.496 Für den Ausdruck ‫» אבותם הראׁשנים‬ihre Väter, die vor ihnen waren« erwägt C. Maier zwei Bedeutungsmöglichkeiten, einerseits ist die Exodusgeneration gemeint, weil das Wort ‫ ראׁשֹון‬im Sinne von „zuerst, anfangs“ zu verstehen ist, doch andererseits sind auch alle Generationen seit dem Exodus gemeint, denn der Vorwurf der Fremdgötterverehrung erfolgt im Jeremiabuch sehr häufig.497 Die Bezeichnung ‫» אבותם‬ihre Väter« erscheint in Jer 31,32 in Verbindung mit der Exodustradition, wobei thematische und wörtliche Parallelen zu beobachten sind.498 Jer 31,32

~twba-ta ytrk rva tyrbk al ~yrcm #ram ~aycwhl ~dyb yqyzxh ~wyb ~b ytl[b yknaw ytyrb-ta wrph hmh-rva `hwhy-~an

Jer 11,4aα.10b

hdwhy tybw larfy-tyb wrph11,10b ~twba-ta ytrk rva ytyrb-ta ~yrcm-#ram ~twa-yaycwh ~wyb11,4aα

493 E. Otto vermutet, dass Dtn 27,26 in der Rahmung der Gehorsamsforderung von Jer 11,4 durch Jer 11,3.5 rezipiert wird. Zu Dtn 27 behauptet er: „Durch die Vorschaltung von Dtn  27 vor Dtn  29–30 unter Einbindung von Segen und Fluch in Dtn  28 in die Sichemszene und die Rahmung des Gesetzes durch Dtn 11,26–30; 27,1–26 wird der Moabbund (Dtn 29–30) neu loziert.“ (Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 230) Somit habe Dtn 27 wenigstens den Moabbund, das Josuabuch und Dtn 30 als Voraussetzung, und folglich sei es „späte postpentateuchredaktionelle Eintragung in den Pentateuch“, denn in Dtn 27 geht es um die Fortsetzung der von Mose im Land Moab begründeten Tradition der Schriftauslegung der Tora nach s­ einem Tod; ders., Jeremia und die Tora, S. 162; Dagegen C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 184. Trotzdem stimmt sie der These der Rezeption des Fluchformulas von Dtn 27 in Jer 11 zu. 494 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 196–222; G. Braulik, Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden, S. 29–61; dagegen D. Knapp, Deuteronomium 4. Literarische Analyse und theologische Interpretation, GTA 35, Göttingen 1987. Er erklärt die Entsprechung zwischen Dtn 4 und Dtn 29f, indem er die Abschnitte denselben Redaktoren zuschreibt. Seine Arbeit wird aber von E. Otto und G. Braulik kritisiert. 495 Vgl. E. Würthwein, Die Bücher der Könige 1. Kön. 17 – 2. Kön 25, S. 100; M. Cogan, I Kings: A New Translation with Introduction and Commentary, AB 10, London 2008, S. 293. 496 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 38. 497 Vgl. C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora, S. 183f. 498 Vgl. B. Gosse, L‘ouverture de la nouvelle alliance aux nations en Jeremie III 14–18, VT 39, 1989, S. 386; K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, S. 296.

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Die wörtlichen Parallelen lassen vermuten, dass entweder Jer 31,32 durch die Aufnahme von Jer 11 verfasst, oder dass beide Texte durch einen Verfasser formuliert worden sind.499 Auffällig ist aber, dass das Motiv des ‚neuen Bundes‘ nur in Jer 31,31–34 erscheint, da es in Jer 11 fehlt. Aber Jer 11 bereitet durch die Rezeption von Dtn 29 die Vorstellung eines neuen Bundes vor, da dort der M ­ oabbund wohl als neuer Bund verstanden wird, somit ist Jer 11 meines Erachtens durch denselben Autor wie von Jer 31 verfasst worden, der schon die nach-dtr500 Redaktion im Blick hat. Vor allem ist in beiden Texten fraglich, was der gebrochene Bund bedeutet. In Jer 31 ist der Bund gebrochen worden, der beim Exodus geschlossen worden war. Die Vorstellung des gebrochenen Gottesbundes schreibt D. Vieweger501 der babylonischen Exilszeit zu. Für G. Wanke bezieht sich die Vorstellung hingegen auf das deuteronomische Gesetz, denn beachtet man „die Belege, in denen von einer Verpflichtung die Rede ist, die Jahwe beim Auszug festsetzte, dann ergibt sich, daß sie allesamt aus deuteronomistischen Kontexten stammen und sich auf Gesetzesbestimmungen bzw. auf den Dekalog beziehen“.502 Demgegenüber behauptet jedoch S. Herrmann, dass „der ‚neue Bund‘ von Jer. 31,31 keine E ­ rneuerung des Sinaibundes“503 ist. V. 33 erklärt, wie er geschlossen wird, nämlich ‫נתתי את־תורתי בקרבם‬. Wenn der neue Bund durch die neuartige Verschriftung der Tora auf das Herz erfolgt, dann ist die steinerne Tora das Siegel des alten Bundesschlusses.504 Wie bereits erwähnt, haben die Priester die Verantwortung für die Tora, was in Dtn 31,9–13 deutlich wird. Mose hat die verschriftete Tora den levitischen Priestern übergeben, so dass sie ins verheißene Land mitgebracht wird, um sie dort vor

499 Vgl. K. Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, S. 296f. Durch den Ausdruck ­‫ הראׁשנים‬ist Jer 11,10 als Gegenpol zum neuen Bund zu verstehen. 500 Die P-Schrift hat dem Verfasser von Dtn 29 schon vorgelegen. S. o. Dtn 30 (2.3.1). 501 Vgl. D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, S. 86. 502 G. Wanke, Jeremia 25,25–52,34, S. 293. 503 S. Herrmann, Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament, S. 180. Jedoch ist der Gedanke des alten und gebrochenen Bundes in V. 32 zu erfassen. 504 D. M. Carr (Writing on the Tablet of the Heart, S. 147ff) versucht, die Passage Jer 31,31–34 auf einen dtn / dtr Redaktor zurückzuführen, da die Nachkommen Schafans die Verantwortung für die Bewahrung und Überlieferung der Reden Jeremias hatten. Jedoch setzt die Rede „ich werde meine Tora in ihr Herz legen“ Dtn 18,18 voraus, dabei werden das Objekt und der Gegenstand, worauf das Objekt gelegt wird, revidiert, somit muss Jer 31,31–34 auch später als Dtn 18,18 verfasst worden sein.

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ganz Israel auszurufen. Eine Parallele bietet Ex 4,15. Wenn Jahwe Mose unterweist, was er reden soll (‫ והוריתיך אׁשר תדבר‬Ex 4,12), dann soll Mose diese Rede in den Mund des Aaron, der später zum Hohenpriester wird, legen (‫ׂושמת את־‬ ‫ הדברים בפיו‬Ex 4,15).505 Durch die Übernahme der Mose-Tora haben die Priester das Promulgationsamt des Mose übernommen, jedoch bezieht sich die Funktion der Offenbarung nicht auf die Priester, sondern nur auf die Tora.506 Insofern wird in Jer 31,31–34 die Vorstellung einer priesterlichen Verantwortung für die Tora, die in Dtn 31 und Ex 4 erscheint, kritisch revidiert (‫ולא ילמדו עוד איׁש את־רעהו ואיׁש‬ ‫ את־אחיו לאמר דעו את־יהוה‬Jer 31,34).507 Weil die priesterliche Vermittlung abgelehnt wird, ist Jer 31,31–34 später als die nach-dtr Redaktion des Pentateuch,508 woraus zu schließen ist, dass der gebrochene Bund im Bezug auf die priesterliche Toraverantwortung zu verstehen ist. Der Inhalt der neuen Tora ist zwar nicht anders als der der priesterlichen Tora, entscheidend ist aber ihre jeweils völlig andere Form. Die Ablehnung der Vermittlung erscheint auch in Dtn 30,11–14,509 denn die Aussage »nahe ist dir das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen« steht der priesterlichen Toravermittlung entgegen (vgl. Dtn 31,9–13). Darüber hinaus ist somit festzustellen, dass Dtn 30,11–14 und Jer 31,31–34 prinzipiell gleichzusetzen sind.510 In Jer 31,31–34 ist schriftgelehrte Prophetie zu beobachten, die Kritik an

505 Vgl. R.  Albertz, Exodus 1–18, S.  77. Für ihn gehört Ex 4,1–17 zur spät-dtr D-­Bearbeitung, die nachpriesterlich anzusetzen ist. 506 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 175ff.211ff. In diesem Zusammenhang bezieht sich die Verschriftung der Tora in Dtn 31 auf die Todeserzählung des Mose in Dtn 34, wobei die Offenbarungsfunktion des Mose nicht auf die Priesterschaft, sondern die Tora übergeht. 507 Das Lehren (‫)למד‬, das in Dtn 4 betont wird, wird durch das Legen der Tora auf das Herz in Jer 31,34 überboten. 508 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 157. 509 Zur Spätdatierung von Dtn  30,11–14 s. o. Dtn  30 (2.3.4). Dieses Wort-liegen im Mund bezieht sich auf Dtn 18,18, und Dtn 30,11–14 setzt bestimmt die Verheißung Dtn 18,18 voraus, da das Wort nicht in den Mund einer ausgewählten Person, sondern in den Mund des Volkes gelegt wird. Ferner liegt die Erfüllung der Verheißung von Dtn 18,18 vor, wie sie in Jer 1,9 zum Ausdruck kommt, aus diesem Grund ist Dtn 30,11–14 später als Jer 1,1–10 zu datieren. Weiterhin wird der Tod des Mose als einziger Wortmittler Gottes vorausgesetzt, was die Frage in Dtn 30,12f verständlich macht: Wer wird für uns in den Himmel hinaufsteigen und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? Wer wird für uns auf die andere Seite des Meeres hinüberfahren und es uns holen und es uns hören lassen, dass wir es tun? (vgl. Dtn 5,27). 510 Vgl. S.  Böhmer, Heimkehr und neuer Bund, S.  76. Für ihn wird Dtn  30,11–14 in Jer 31,31–34 aufgegriffen.

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der priesterlichen Schriftgelehrtengruppe ausübt, indem sie prophetische Traditionen übernimmt.511

3.3.2 Die Tora auf das Herz als neuer Bund Das Wort ‫» ועל־לבם אכתבנה‬auf das Herz schreiben« wird im AT in Jer 31,33 und Spr 3,3; 7,3 benutzt,512 weshalb Parallelen zwischen Jeremia und der Weisheitsliteratur unverkennbar sind. Durch den Imperativ (‫ )כתבם‬bilden Spr 3,3; 7,3 die Einleitung einer belehrenden Mahnrede für einen Schüler. Die Unterweisung ‚Neige dein Ohr und höre die Weisung und nimm auf dein Herz meine Lehre (Spr 22,17)‘ stimmt mit dem ägyptischen Text „Die Lehre des Amenemope“ überein (vgl. Spr  2,1–2; 3,1.4; 7,3).513 Diese Vorstellung entstammt somit wohl ursprünglich der weisheitlichen Literatur. Bemerkenswert ist, dass die Tora in Jer  31,31–34 auf das Herz geschrieben wird (vgl. Dtn 6,6; 11,18), während die verschriftete Tora den levitischen Priestern übergeben wird, um in Stein gemeißelt zu werden. In Jer  31,31–34 wird ein ganz anderes Toraverständnis sichtbar, da die auf das Herz geschriebene Tora unsichtbar ist, was auch in Dtn 30,11–14 zu finden ist, während die Tora in Dtn 31,9 die auf ein äußerliches Material geschriebene sichtbare Tora ist.514 Folglich sind hier zwei Toravorstellungen zu unterscheiden, worin die scharfe Auseinandersetzung zwischen prophetischen und priesterlichen Kreisen ­erkennbar

511 Vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 325, Anm. 46. Obwohl dieser Kreis die prophetischen Traditionen übernommen hat, ist er nicht mit einem solchen zu identifizieren, denn die spätnachexilischen Schriftgelehrten haben sich den Prophetenmantel lediglich umgehängt. 512 Die deutlichsten Parallelen finden sich in folgenden Texten: Spr 2,2.10; 3,1; 4,4.21; 6,20–21; 7,1; 10,8; 14,33; 16,21; 22,11.15.17; 24,32. 513 Die Lehre des Amenemope, TUAT III/2, Gütersloh 2005, S. 227. 9 10 11

Gib deine Ohren / höre, was (ich) sage, gib dein Herz, es zu verstehen. Es ist nützlich, es in dein Herz zu geben

S. a. Aus den Hymnen an Amun-Re des pBerlin 3049, TUAT II/6, Gütersloh 2005, S. 864; Die Sultantepe-Version, TUAT III/4, Gütersloh 2005, S. 772. 514 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 157. In diesem Sinne ist seine These verständlich: „So kann die direkte JHWH-Rede Jer 31,33aβγ […] nicht nur als schärfster Gegenpol zur mosaischen Verschriftung der Moabtora in Dtn 31,9 […] verstanden werden.“

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wird (vgl. Hos 4,6; Mi 3,11).515 Jer  31,31–34 erhebt so den Vorwurf, dass die priesterliche Tora falsch gelehrt worden ist (vgl. Jer 2,8; 8,8; 18,18; Hos 4,6; 8,12). Die Auseinandersetzung zwischen prophetischen und priesterlichen Kreisen verschärft sich in der N ­ achexilszeit, wobei ihre unterschiedlichen Konzepte auch ­weiterentwickelt werden.516 Daher lässt sich diese unsichtbare Tora auch im Pentateuch (Dtn 30,11–14)517 und Ezechielbuch (Ez 3,3; 36,26f) finden.518 Sie ist ganz anders als die alte Tora,519 denn sie kann nie mehr gebrochen werden, weil sie auf das Herz geschrieben ist. Diese Tora könnte nur von Jahwe selbst aufgehoben werden (vgl. Jer 17,1), weshalb sie vom Menschen nicht mehr gebrochen werden kann. Die neue Tora überbietet die alte, dennoch untersteht die Tora des Herzens der Schrift-Tora, denn sowohl ihr Inhalt als auch die Bedeutung Mose

515 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 150; R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 48. Er hat festgestellt, dass die Verwendung des Torabegriffes in einer Auseinandersetzung um den priesterlichen Torabegriff steht. 516 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 207f. Spuren prophetischer Bearbeitung finden sich auch im Pentateuch. In Num 11 dürfte der Mosewunsch auf sie zurückgehen: Mögen doch alle im Volk Jahwes Propheten sein, dass Jahwe seinen Geist auf sie lege! (Num 11,29b). Das dtr Dtn wird in Jer 30f vielfältig korrigiert. Jer 30,18 – Dtn 13,17; Jer 31,5 – Dtn 20,6. Durch dieses Korrigieren und Rezipieren erfolgt die aktualisierte Realisierung der Mose-Tora. Dagegen steht die priesterliche Toravermittlung in Jes 61; 59,21, und diese Vorstellung wird in Dtn 34 weiterentwickelt. 517 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 196. 518 Vgl. W.  Zimmerli, Ezechiel 25–48, BKAT XIII/2, Neukirchen-Vluyn 21979, S. 879; D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, S.  84–92. Dagegen K.  Schmid, Buchgestalten des Jeremiabuches, S. 80. Jer 31,33 könnte als eine antischwärmerische Reaktion auf Ez 36,27 ­gedeutet ­werden. 519 Vgl. C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, S. 139. In diesem Kontext ist die Behauptung von E. Otto verständlich: „Jeremia als Mittler und Verschrifter des Gotteswortes wird, in Jer 30f mit Mose auf eine Stufe gestellt, zu einem Propheten wie Mose.“ Manche Forscher fragen allerdings, ob dieser Bund wirklich ‚neu‘ ist (B. Duhm; C. Levin; N. Lohfink; R. Rendtorff). Dagegen W. Zimmerli; G. von Rad; H. W. Wolff; Aber J. L. Lundbom (Jeremiah 21–36. A New Translation with Introduction and Commentary, AnB 21b, New-York, 2004, S. 466.) hat mit Recht die Neuheit der Tora so erklärt: „it will still be a genuinely new covenant, one that marks a new beginning in the divinehuman relationship because 1) it is given without conditions; 2) it will be written in the hearts of people in a way the Sinai covenant was not (v 33); and 3) it will be grounded in a wholly new act of divine grace, i.e., the forgiveness of sins (v 34).“

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gelten ­weiterhin, weshalb die Gestalt des Jeremia durch die Korrektur des nach-dtr Dtn.s zum Ausleger der Mosetora stilisiert wird.520 In Dtn 30,6 geht es um die Herzensbeschneidung, ihr Urheber ist einzig Jahwe selbst, was auch für den neuen Bund gilt. Ebenso wie der neue Bund nur als G ­ eschenk Gottes zu begreifen ist,521 wird auch die Herzensbeschneidung als G ­ eschenk ­verstanden (vgl. Jer 4,4). Weiterhin konzentriert sich Jer 31,31–34 wie Dtn 30,6–10 auf die Toratreue. Daher sind beide Texte wahrscheinlich durch eine sich für die Tora einsetzende Gruppe, nämlich Schriftgelehrte, verfasst worden.522 Allerdings besteht auch eine große Differenz, denn während die neue Tora in Jer 31,31–34 auf das Herz geschrieben und somit nie wieder gebrochen werden kann, ist die Tora in Dtn 30,1–10 »in diesem Buch der Tora« aufgeschrieben (vgl. Dtn 29,20; 30,10; 31,26; Jos 1,8). Dtn 4 revidiert Dtn 29–30*523 und Jer 31,31–34 reflektiert Dtn 4.524 Eine weitere Folge des neuen Bundes ist, dass die Belehrung zwischen „groß und klein“ hinfällig wird. In Jer 31,31–34 wird somit Dtn 31,12f kritisch revidiert (‫למען‬ ‫ יׁשמעו ולמען ילמדו ויראו את־יהוה‬Dtn 31,12f). Darum setzt Jer 31 die nach-dtr Pentateuchredaktion voraus. In Jer 31,31 wird der neue Bund direkt mit dem Schreiben der Tora auf das Herz identifiziert, während im Dtn die Herzensbeschneidung als entscheidende Voraussetzung des Toragehorsams gilt.525 Darum ist Jer  31,31–34 zeitlich wenig später als Dtn 30,6–10; 31,12f zu datieren. Dtn 30,6 und Jer 31,33 sind durch das Motiv des Herzens verknüpfbar. Nach Dtn 30,6 wird das Herz durch Jahwe beschnitten, was den Toragehorsam ermöglicht, weshalb die Tora auf die Tafel des Herzens niedergeschrieben wird. Folglich ist das Herz im Dtn, DtrG und Jeremiabuch für den Toragehorsam entscheidend, weshalb das Herz auch den Verbindungspunkt der verschiedenen Traditionen bildet, wobei eine Entwicklung sichtbar wird: mit ganzem Herzen (dtn / dtr / spät-dtr) → Herzensbeschneidung (nach-dtr) → Herztafel (spät-nach-dtr). 520 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 208; C. Dohmen, Der Sinaibund als Neuer Bund nach Ex 19–34, in: Der neue Bund im alten. Studien zur Bundestheologie der beiden Testamente, QD 146, hrsg. von E. Zenger, Freiburg im Br./ Basel 1993, S. 51–84. 521 Vgl. H. W. Wolff, Was ist das Neue im neuen Bund?, S. 56f. 522 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 196. Er hat diesen Redaktor mit den Schriftgelehrten identifiziert, da Mose als Gesetzeslehrer und Schriftgelehrter dargestellt wird. 523 S. o. Teil I (2.3.2). 524 Vgl. E. Otto, Deuteronomium 4, S. 201–209; G. Braulik, Literarkritik und die Einrahmung von Gemälden, S. 29–61. 525 S. o. Dtn 30 (2.3.1).

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3.4 Zusammenfassung In Jer  31,31–34 bildet der neue Bund für ganz Israel, der an die Stelle des gebrochenen alten Bundes tritt, das Zentralthema. Seine Neuartigkeit erweist sich gerade in seiner Form, da er durch das Niederschreiben der Tora auf das Herz geschlossen wird. Diese Redewendung bzw. Vorstellung stammt wahrscheinlich aus weisheitlichen Traditionen Ägyptens. Während die alte auf Tafeln geschriebene Tora brechbar ist, kann die neue Tora nie mehr gebrochen werden. Somit sind zwei unterschiedliche Toravorstellungen zu unterscheiden, nämlich die auf Tafeln niedergeschriebene sichtbare Tora und die auf das Herz geschriebene unsichtbare Tora. Die unsichtbare Tora ersetzt die sichtbare Tora, und dies bildet zugleich ein Gegenkonzept zur sichtbaren Tora, denn die Priesterschaft als offizieller Torahüter wird im Jeremiabuch (Jer 2,8; 18,18) und in anderen Prophetenbüchern (Hos 4,6; Mi 3,11; vgl. Jes 56,9–12) wegen ihres Wissenmangels und ihrer falscher Lehre stark kritisiert. Also reagiert der durch die unsichtbare Tora geschlossene neue Bund kritisch auf die priesterliche Toraverantwortung, die in Dtn  31,9ff und Ex 4,15 sichtbar wird. Das Konzept der unsichtbaren Tora findet sich auch in Dtn 30,11–14, wobei die Funktion des Mose als Schriftgelehrter vorausgesetzt wird. Wie bereits erklärt, bilden Dtn 4; 30*; 31, die der spät-dtr bzw. nach-dtr Redaktion zuzurechnen sind, die Voraussetzung für Jer 31,31–34, wodurch Jer 31,31–34 wahrscheinlich der spät-nach-dtr Redaktion zuzuschreiben ist. Ferner ist Jer  31,31–34 mit Ez  36,26f, der aber später verfasst worden ist, vergleichbar.526 Für Jer 31,31–34 spielt die Verbindung des Ausdrucks „mit ganzem Herzen“ und der Tora bzw. Gesetz keine Rolle, da Jahwe die Tora ins Herz schreiben will, weshalb es nicht länger nötig ist, sie zu lehren. Zwar steht dieser Text in der Tradition des dtn / dtr Grundgedankens, vom Herzen als Organ des Toragehorsams, jedoch überbietet er ihn. Also ist die Einheit von Toragehorsam und Herz typisch für das Dtn und DtrG, doch im Jeremiabuch erfolgt darüber hinaus eine wichtige Änderung, da Jahwe sein Gesetz dem Herzen unter Ausschluss von Vermittlungspersonen direkt einschreibt. Diese Modifikation generiert in Jer  31,31–34 zugleich auch Gegensätze: der alte Bund – der neue Bund (Dtn 5; 29/ Jer 31,31); die sichtbare Tora – die unsichtbare Tora (Dtn 31,9/ Jer 31,33); die notwendige Torabelehrung – die nicht länger notwendige Torabelehrung (Dtn 31,12f / Jer 31,34).

526 S. u. Ez 36 (2.3.1).

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4. Zwischenergebnis In diesem Kapitel haben wir das ‚Herz‘ als Organ des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams untersucht. Dies wird im Dtn und DtrG mit dem Ausdruck ‚mit ganzem Herzen‘, und im Jeremiabuch mit dem Ausdruck ‚Herztafel‘ ausgedrückt, wobei das unauflösliche Verhältnis von Herz und Toragehorsam unübersehbar ist. Der Konnex von Toragehorsam und Herz lässt sich bereits in der vor-dtr Schicht finden (Dtn 6,5). Diese Redewendung interessiert sich dafür, dass der Gehorsam individuell gehalten wird. Dies Interesse wird in späteren Schichten aufgenommen, vor allem findet es sich in dtr (vgl. 2 Kön 23,25), spät-dtr (vgl. Dtn 30,2) und nach-dtr (vgl. Dtn 30,6) Texten. Sodann wird das Thema „Herz“ im Jeremiabuch wichtig (Jer 4,4), wobei die Gestalt Jeremias eng auf die Tora bezogen wird (vgl. Jer 31,33). Das Verb ‫» מול‬beschneiden« wird in Jer 4,4 mit dem Subjekt 2. Pers. Pl. verwendet, das sich auf Israel bezieht. Dieser Ausdruck wird in Dtn 30,6 aufgenommen, wobei Jahwe Subjekt des Verbes ist. Die Herzensbeschneidung ist schon in Dtn 10,16 belegt. Die Beschneidung der Vorhaut hat jedoch ursprünglich keine religiöse Bedeutung (Gen 34,14), und erst in Gen 17 (Ps)527 gewinnt sie sie, da sie seitdem unauflöslich mit dem Bund verknüpft ist, allerdings ist die Herzensbeschneidung Ps fremd. Die wichtige Rolle des Herzens wird in Dtn 30,6 unterstrichen, denn hier ist von der Herzensbeschneidung durch Jahwe die Rede, um den Toragehorsam zu ermöglichen. Diese Herzensbeschneidung bezieht sich auf Dtn 10,16. Wegen der unterschiedlichen Subjekte des Verbs lwm wird Dtn 10,16 in Dtn 30,6 aufgenommen. Dtn 30,6 setzt Dtn 29 voraus,528 also den Bundesschluss im Land Moab. Im Gegensatz zu Gen 17 ist der Teilnehmerkreis am Bundesschluss in Dtn 29 explizit größer. Während die Frauen in Gen 17 vom Bundeschluss ausgeschlossen sind, werden sie an ihm in Dtn 29 beteiligt. Somit werden Dtn 10,16 und Gen 17 in Dtn 30,6 aufgenommen und weiterentwickelt. Der Konnex zwischen Herzensbeschneidung und Toragehorsam, von dem in der spät-dtr Schicht die Rede ist, wird in Dtn 30 mit der Handlung Jahwes verbunden, was dessen Souveränität akzentuiert. Die Verbindung von Herz und Toragehorsam wird in Jer 31 weiterentwickelt, indem die Verschriftung der Tora auf das Herz einzigartig als »neuer Bund« zu verstehen ist, weshalb die Relation von Herz und Bund in Jer  31,31–34 durch 527 S. o. Dtn 30 (2.3.1). 528 S. o. Dtn 30 (2.2).

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die Aufnahme von Dtn  30,6 neu konzipiert wird. In Jer  31,31–34 geht es um die Verschriftung der Tora auf die Tafel des Herzens. Hier wird die traditionelle Torabelehrung kritisch reflektiert, weil Dtn 31,12 in Jer 31,34 revidiert wird. Darüber hinaus ist der Konnex zwischen Jer 31,31–34 und Dtn 30,11–14 eindeutig, denn das Wort ist schon im Mund des Volkes (Dtn 30,14). Weil in Dtn 30,11–14 der Abschnitt Dtn  30,1–10, die zukünftige Prophetenverheißung in Dtn  18,18 (‫ )ונתתי דברי בפיו‬und der Tod des Toravermittlers Mose vorausgesetzt werden, ist Jer  31,31–34 dementsprechend später als Dtn  30,1–10 zu datieren, weshalb die Metapher des Herzens in Jer 31,31–34 aufgenommen wird.529 Im Gegensatz zur sichtbaren Tora im Dtn ist die Tora in Jer 31 als unsichtbar verstanden: der alte Bund – der neue Bund (Dtn 5; 29/ Jer 31,31); die sichtbare Tora – die unsichtbare Tora (Dtn 31,9/ Jer 31,33); die notwendige Torabelehrung – die nicht länger notwendige Torabelehrung (Dtn 31,12f / Jer 31,34)! Somit hat der Verfasser von Jer 31,31–34 nicht nur die Redewendung ‚mit ganzem Herzen‘ aufgenommen, sondern auch die verschriftete Tora der nach-dtr Redaktion überboten, wodurch eine Entwicklung sichtbar wird: mit ganzem Herzen (dtn / dtr / spät-dtr) → Herzensbeschneidung (nach-dtr) → Herztafel (spät-nach-dtr)! In diesen Veränderungen lässt sich eine Entwicklung im Verhältnis von Herz und Toragehorsam entdecken. Das Verhältnis prägt besonders das Dtn und DtrG und zielt auf die Individualisierung des Toragehorsams. Darüber hinaus findet sich eine Entwicklung des Bundeskonzepts. Die Vorhautbeschneidung in Gen 17 wird auf den mit Abraham geschlossenen Bund bezogen (Ps), in Dtn 29,9–11 (spät-dtr) hingegen übertrifft der Moabbund durch seinen weit größeren Teilnehmerkreis den Bund mit Abraham. In Jer 31,31–34 ist der Bund ferner durch die Verschriftung der Tora auf das Herz als der mit Jahwe individuell geschlossene Bund zu verstehen (spät-nach-dtr). Das gemeinsame Motiv von ‚Herz‘ und Toragehorsam im Pentateuch und Jeremiabuch zeigt, dass es notwendig ist, das redaktionelle Verhältnis zwischen ihnen wieder verstärkt zu beachten, wobei sich gezeigt hat, dass die Rezeption nicht einseitig, sondern wechselseitig erfolgt ist.

529 S. o. Jer 31 (3.3.2).

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Teil II: Toravermittlung und Geistbegabung

Im Gegensatz zu Teil I ermöglicht jetzt der Geist den Toragehorsam. Während Rûaḥ in der Vorexilszeit lediglich für singuläre Charismatikergestalten bzw. die Legitimation des Königs relevant war, gewinnt sie in der Exilszeit große Bedeutung, was sich sprachlich schon an der häufigeren Begriffsverwendung zeigt.530 Entscheidend ist, dass sie nicht nur einem Auserwählten (Jes 42,1), sondern auch dem Volk gegeben wird (Jes 44,3)! Insofern ist es berechtigt, für das Verständnis von Rûaḥ in der Exils- und Nachexilszeit von einem Wendepunkt zu sprechen. Besonders wichtig ist Jes 61, wo ein Geistbegabter das Wort des Pentateuch proklamiert. Eine ihm verwandte Figur taucht in Jes 59,21 auf, wo ebenfalls das Nichtweichen des Geistes und Wortes vom Geistbegabten zum Thema wird, insofern dieser als Wortmittler für die Nachkommenschaft agiert. Dieser Gedanke knüpft an Jes  42,1–4 an, wobei die Geistausgießung für das Wort bzw. Gesetz entscheidend ist.531 Somit thematisiert das Jesajabuch im Gegensatz zum Dtn bzw. Jeremiabuch eine andere Vorstellung des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams, weil er dem Volk durch einen Geistbegabten ermöglicht oder vermittelt wird. Die Funktion des Geistbegabten wird vor allem in Jesaja 11 mit vielen Attributen beschrieben. Der Ausdruck ‫ רוח חכמה‬knüpft sprachlich an Ex 28,3; 31,3; 35,21 und Dtn 34,9 an. Aber während der Geist nach Ex 28,3; 31,3 und 35,21 lediglich manuelle Kunstfertigkeit verleiht, ist der Geist in Dtn 34,9 mit dem Wort verbunden (‫)ויׁשמעו אליו בני־יׂשראל‬. Im Gegensatz dazu, dass ‚Rûaḥ‘ im dtn / dtr Dtn sonst bedeutungslos ist, spielt er in Dtn 34,9 eine wichtige Rolle. Hier kann das Volk dem Befehl des Mose durch Vermittlung des Geistbegabten Josuas gehorchen, wodurch die Figur Josuas als Vermittler des Mosebefehls agiert (Dtn 34,9bβ), was mit Jes 61; 59,21 vergleichbar ist, somit ist eine Verbindung der Josuafigur mit dem Geistbegabten in Jes 61 zu erwägen.

530 Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 22f. 531 Im Gegensatz dazu dient die allgemeine Geistausgießung von Jes 44,3 lediglich der Vermehrung.

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Ziel ist es, eine Verbindung zwischen Jes 61 und Dtn 34 zu erweisen, wodurch auch die Korrelation zwischen Pentateuch und Jesajabuch deutlicher würde, und es ist zu zeigen, dass die Ruah-Vorstellung in Auseinandersetzung mit dem dtr / jer. Herzensbegriff entstanden ist.

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1. Deutero-Jesaja: Gottesknecht – Geist und Toraerteilung 1.1 Jes 42,1–4 In Jes 42,1 wird der Geist mit ‫ מׁשפט‬verbunden und der Geistbegabte wird in Jes 42,4 als Verkünder der Tora auch in fernen Regionen bestimmt. Jes 42,1–4 ist das sog. ‚Jahwe-Knecht-Lied‘. Nach ihm wird der Jahwe-Knecht durch die Geistbegabung legitimiert, damit er ‫ מׁשפט‬zu den Nationen bringt (VV. 1.3) und es dort aufrichten kann (V. 4). Diese Art der Geistbegabung greift wahrscheinlich Jes 28,6 auf, wo Jahwe den Geist des Rechtes (‫ )רוח מׁשפט‬dem zu Gericht Sitzenden verleiht. Doch während der Geist in Jes 28,6 nur die Befähigung zum Richteramt, also ein begrenztes Amtscharisma, verleiht, kommt der Geist in Jes 42,1 auf einen Auserwählten Jahwes (‫)בחירי‬,532 um das Recht auch zu den Nationen zu bringen, wodurch der Geist eine quasi universale Bedeutung gewinnt. Weiterhin ist die Geistbegabung nicht nur temporär, sondern eher dauerhaft verstanden,533 da er weder verzagen noch zusammenbrechen wird, bis er das Recht auf Erden aufgerichtet haben wird (Jes 42,4). In diesem Kontext ist die Mittlerfunktion des Geistbegabten relevant,534 weshalb eine Verbindung zwischen Jes 42,1–4 und den Texten Jes 59,21 und 61 als sehr wahrscheinlich zu gelten hat.535

532 Den Jahwe-Knecht deutet J. Jeremias (‚‫ ‘מׁשפט‬im ersten Gottesknechtslied, S. 31–42) im kollektiven Sinne, nämlich als Völker. Dagegen F. Delitzsch, Jesaja, Gießen·Basel, 5 1984, S. 439. M. Smith (II Isaiah and the Persians, JAOS 83, 1963, S. 415–421) versucht, den Jahwe-Knecht mittels des babylonischen Neujahrsrituals auf Kyros hin zu deuten; dies ist aber auszuschließen, da er nicht als Jahwe-Knecht, sondern als Gesalbter bezeichnet wird (vgl. Jes 45,1). Ferner ist nicht von der Ausgießung des Geistes Gottes bzw. meines Geistes auf ihn die Rede, denn der Geist wird auf Israel bezogen (vgl. Jes 44,3). Um des Knechtes Jakobs und des erwählten Israels willen, wird dieser Titel auf Kyros übertragen (vgl. Jes 45,4a). 533 Vgl. K. Elliger, Deuterojesaja 40,1–45,7, S. 205. Die Titulatur ‚‫ ‘עבד‬gilt freilich für Mose, Josua und die Propheten, aber in der spät-dtr Schicht wird sie primär für Mose gebraucht. 534 Vgl. K. Baltzer, Art. Gottesknecht, 4RGG Bd. 3, 2000, S. 1225. 535 S. u. Teil II. 2.2.

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1.2 Jes 44,1–4 In Jes 44,3 ist die Rede von einer Geistausgießung, die zum Segen für das Land und die Nachkommen werden soll. Hier ist der Geist mit dem Verb ‫» יצק‬ausgießen« verbunden. Während der Geist vor der Exilszeit nur einer bestimmten Person oder Gruppe als Amtscharisma verliehen wird (1 Sam 10; vgl. Klgl 4,20), soll er hier nun auf die vom Erzvater Jakob sich herleitende Religionsgemeinde Israels ausgegossen werden (‫ על־זרעך‬Jes  44,1–4; vgl. Gen 2,9), wodurch der Jahwe-Knecht mit Israel identifiziert wird. Diese Geistbegabung bewirkt die Vermehrung der Nachkommenschaft, was im Kontrast zu Dtn 30,6 steht, da sie dort mit der Herzensbeschneidung verknüpft gewesen ist. Aber in der Redewendung bei Jesaja besteht keine Verbindung von Geistbegabung und Gesetzesgehorsam,536 denn in Jes 44,3 ermöglicht die Geistausgießung keinen Toragehorsam, sondern nur die Vermehrung. Diese Verbindung ist thematisch mit Ez 47,9.12 vergleichbar, wo die Wiederbelebung durch den heilsamen Strom (apr Ez 47,9) aus dem Tempel erfolgen soll. In Jes 42,1–4 ist dagegen die Mittlerschaft des Geistbegabten, die in Jes 59,21 und 61,1 noch umfassender entwickelt wird, zentral, wodurch der Konnex zwischen Geistbegabung und Toragehorsam ins Zentrum des Interesses rückt.

536 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 236. Er versucht dieses Verhältnis auch in Jes 28,6 zu finden, aber die dortige Geistbegabung dient der Richterfunktion (vgl. auch die Verbindung von ‚Richter und Geist‘ in Jes 11).

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2. Jes 61: Toragehorsam durch den geistbegabten Mittler Die Deutung der Figur des Geistbegabten in Jes 61 ist noch immer umstritten, da hier die Geistbegabung mit der Salbung verbunden ist. Doch die Analyse der sieben Infinitivsätze zeigt, dass ein Verhältnis zum Pentateuch besteht. Die Funktion des Geistbegabten als Wortmittler wird hier akzentuiert, was der Vergleich mit Jes 59,21 besonders deutlich macht, da das Wort durch ihn auch nicht aus dem Mund der Nachkommen weichen wird. Dieser Text hat Parallelen mit Sach 6, wo der Priester königliche Attribute übernommen hat, was die These, dass die Figur des Geistbegabten als Priester zu verstehen ist, unterstützt. Ferner ist der Konnex zwischen Jes 59,21 und Ez 36,26f bedeutsam, weil damit die Rezeptionsrichtung klar wird, die Rezeption und ­Revision werden damit sichtbar, und die Intention des späteren Verfassers ist so zu erfassen.

2.1 Formanalyse Das Kapitel Jes 61 ist thematisch mit Jes 60 und 62 verbunden, denn ihr gemeinsames zentrales Motiv ist die Stadt ‚Zion‘ (vgl. Jes 60,14; 61,3; 62,1.11). Dennoch ist eine Abgrenzung zwischen den Texten vor Jes 60,22 und nach 61,1 zu beobachten, da sich ihre Redeformen klar unterscheiden. Während die Rede in Jes 61,1–3 und VV. 10–11 in der 1. Pers. Sg. steht, wird in Jes 60,15–22 die Rede Jahwes wiedergegeben, neben dem Subjektwechsel ist die Formulierung ‫רוח…עלי‬ »Geist ist auf mir« in Jes 61,1 ein starkes Indiz für einen neu einsetzenden Text. Der Ausdruck findet sich auch an anderen Stellen des AT und zwar oft am Anfang eines neuen Kapitels (Jes 11,2; 42,1; 59,21; Ez 2,2; vgl. Jes 32,15). Das Kapitel 61 beginnt mit dem Sendungswort ‫ׁשלח‬, folglich hat der Text ab V. 1 den Charakter einer Berufungsgeschichte (vgl. Ex 3,10ff; Jes 6,8; Jer 1,7.9; Ez 2,3f) bzw. prophetischen Beauftragung.537 Durch den Ich-Erzähler und das Thema ‚Zion‘ wird eine Verbindung zwischen Jes 61 und Jes 62,1 generiert. Das Subjekt ‚Ich‘ in Jes 61,10 ist identisch mit dem Subjekt in Jes 61,1, während Jahwe in der 3. Pers. Sg. dargestellt wird. In Jes 62,1 steht der Sprecher in der 1. Pers. und Gott bzw. Jahwe in 62,2 in der 3. Pers. Das in Jes 62,1 verwendete Lexem ‫» חׁשה‬schweigen«

537 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 202f.

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findet sich sechsmal in Jes 40–66,538 davon zweimal in Jes 62 (VV. 1.6). In den anderen Belegen ist Jahwe dessen Subjekt (Jes 42,14; 57,11; 64,11; 65,6). Die Lexeme ‫» ׁשקט‬ruhen« (Jes 14,7)539 und ‫( יׁשועה‬Jes 62,1) beschreiben sein Handeln (Jes 49,6; 51,6.8; 52,7.10; 56,1; 59,11.17; vgl. Jes 49,8; 60,18). Folglich ist das Subjekt ‚ich‘ in Jes 62,1 kein Mensch, sondern Jahwe selbst, womit der Abschnitt Jes 61,1–11 vom folgenden Kapitel zu trennen ist. Das Subjekt ‚Ich‘ kommt zuerst in V. 1 und dann wieder ab V. 10 vor. In diesen Abschnitten ist es jedoch nicht mit Jahwe zu identifizieren. In V. 8 hingegen äußert sich Jahwe in der 1. Pers. Sg., also ist der Abschnitt VV. 4–9 als seine Rede zu verstehen. In VV. 4–9 kommt das Auditorium seiner Rede dazu. Die 3. Pers. Sg. ‚sie‘ in V. 4 sowie in Ez 36 ist im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau des Tempels als Heimkehrergeneration, einschließlich der Priester, zu verstehen, welche die seit langem zerstörten Städte aufbauen wird (vgl. Ez 36,33). Dies Auditorium wird in VV. 6f sowohl als Priester Jahwes als auch als Diener Gottes proklamiert. Das Subjekt ‚Ich‘ kommt dann wiederum in V. 10 vor, wo es aber nicht mit Jahwe, sondern mit dem Subjekt aus VV. 1–3 zu identifizieren ist. VV. 1–3 und 10f bilden durch ihr gemeinsames Subjekt eine Einheit, wodurch VV 1–3 und V 10b als Rahmen von Jes 61 zu verstehen sind. In VV. 4–7 und 8f werden die Pronomen ‚ihr (VV. 5–7)‘ und ‚sie (VV. 4.8f)‘ auf die Nomen in den vorangegangen VV. 1–3 bezogen, also auf ‚die Gefangenen‘, ‚die Gefesselten‘, ‚die, die gebrochenen Herzens sind‘, ‚alle Trauernden‘ und ‚die Klagenden Zions‘. Daher ist der Abschnitt VV. 4–9 inhaltlich mit der Freilassung in VV. 1–3 verknüpft. Zudem nimmt V. 3 sachlich Bezug auf VV. 10f. Durch die Wiederholung von ‫ פאר‬in V. 10 wird an das Wortspiel ‫ פאר תחת אפר‬in V. 3 erinnert, und der Ausdruck !wff !mv »Freudenöl« in V. 3 bezieht sich inhaltlich auf ‫» ׂשוׂש אׂשיׂש‬wahrlich werde ich mich freuen« in V. 10. Weiterhin ist der Ausdruck ‫» מעטה תהלה‬Kleider des Lobgesangs« in V. 3 auf ‫» בגדי־יׁשע‬Kleider des Heils« in V. 10 und ‫מעיל צדקה‬ »Obergewand der Gerechtigkeit« in V. 10 bezogen, wodurch der Text zu einer Einheit komponiert wird. Das Kapitel setzt mit der Geistausgießung, die mit der Salbung des Auserwählten kausal verbunden ist, ein: Der Geist des Herrn, Jahwes, ist auf mir; denn der HERR hat mich gesalbt. In V. 1 werden drei traditionelle Formeln verknüpft: 1. Die sog. charismatische Geistbegabung (‫)רוח … עלי‬, 2. Die Salbung (‫ )מׁשח יהוה אתי‬und 3. 538 Jes 42,14; 57,11; 62,1.6; 64,11; 65,6. 539 Diese Ruhe ist mit dem Motiv ‚gottgeschenkter Ruhe‘ verbunden, vgl. E. Bons, Art. ‫ׁשקט‬, ThWAT VIII, Stuttgart 1995, S. 451.

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Der Sendungsauftrag (‫)ׁשלחני‬. Ihre Verknüpfung ist einzigartig im AT, allerdings findet sich die Kombination von Salbung und Geistbegabung in der Erzählung von Davids Einsetzung zum König durch Samuel (1 Sam 16,13). Die Reihung der sieben Infinitive ist abhängig vom Lexem ‫ׁשלח‬, außerdem erfolgen in V. 3 drei neue mit ‫» תחת‬statt« verbundene Zuschreibungen,540 die vom Verb ‫ נתן‬abhängig sind.541 Diese Infinitive ermächtigen den Gesandten für seine Aufgaben, die wahrscheinlich die Aufträge des Jahwe-Knechts aufgreifen.542 Wie die Dreierreihe mittels des Verbs ‫ נתן‬aufgebaut ist, so ist die Reihe der sieben Infinitive mit dem Lexem xlv verbunden. In V. 3a werden Investiturtermini verwendet (‫ פאר‬und ‫)ׁשמן ׂששון‬. Das Wort ‫» פאר‬Turban« bezeichnet einerseits den Kopfbund der Priester (Ex 39,28; Jes 61,10; Ez 44,18; vgl. Sach 3,5 ‫ צניף טהור‬ein reiner Kopfbund), und andererseits das festliche Geschmeide (Ez 24,17.23),543 aber der Kopfbund dient auch als Sinnbild des Königs (Jes 62,3 ‫ ;צנוף מלוכה‬vgl. Sir 11,5; 47,7).544 ‫» ׁשמן ׂששון‬Freudenöl« ist für das Amt des Königs in Gebrauch,545 allerdings ist es auch ein Symbol der Auszeichnung des Gerechten (Ps 45,8). VV. 3b–5 sind formal und inhaltlich von VV. 1–3a zu trennen. In den Versen VV.  3b–5 stehen die Verben in der ‚‫ ‘ו‬konsekutiv AK-Form, um die Sätze als Zukunftsaussagen auszuweisen. Dadurch geht es in ihnen auf der einen Seite um das Ziel, also das, was ‚sie‘ tun sollen, nämlich den Wiederaufbau der Städte, und auf der anderen Seite um die Unterstützung dieser Arbeit durch die Fremden und Ausländer (‫ זרים‬und ‫)בני נכר‬. Im Gegensatz zu VV. 3b–5 finden sich in VV. 6–7 sieben Verben, die in PK gebraucht werden, um so die Verheißung auszudrücken. Sie ist sowohl für die in 540 Eine Parallele findet sich in Jes 60,17: Statt der Bronze werde ich Gold bringen und statt des Eisens werde ich Silber bringen, statt der Hölzer Bronze und statt der Steine Eisen. 541 Vgl. H.-W. Jüngling SJ, »Die Eichen der Gerechtigkeit«, in: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel, FS für N.  Lohfink, hrsg. von G.  Braulik, Freiburg∙­ Basel∙Wien 1993, S. 8f. 542 Vgl. W. A. M. Beuken, Servant and Herald of Good Tidings. Isaiah 61 as an Interpretation of Isaiah 40–55, in: The book of Isaiah. Les oracles et leurs relectures, unité et complexité de l’ouvrage / Le livre d’Isaïe, BEThL 81, hrsg. von J. Vermeylen, Leuven 1989, S. 416f; jedoch erscheinen die wichtigen Wörter ‫ פקח־קוח‬und ‫ דרור‬nicht. 543 Vgl. D.  I. Block, The Book of Ezekiel 1–24, NICOT, Michigan 1997, S.  790; R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 230. Nach Sir 11,5 und 47,6f ist der Kopfbund (‫ )צניף טהור‬ein Attribut des Königs. 544 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 230. 545 Vgl. P. C. Craigie, Psalmen 1–50, WBC vol. 19, Texas 1983, S. 339. In den Psalmen wird dieses Öl auch für Hochzeitzeremonien benutzt.

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der 2. Pers. als auch in der 3. Pers. angesprochene Gruppe gültig, wobei sie sowohl als Priester Jahwes als auch als Gottes Diener tituliert wird.546 Dieser Gruppe werden die Titel und der Reichtum zugesprochen und ihre Zufriedenheit wird durch den Landbesitz erfüllt, da sie in ihrem Land das Doppelte besitzen werden. Die Gruppe ist mit den Trauernden Zions zu identifizieren, wodurch diese als Gefangene (‫ ׁשבה‬Jes 61,1), Freigelassene (‫ פקח־קוח‬Jes 61,1) und Priester Jahwes und Diener Gottes beschrieben werden.547 VV. 8f steht die Rede Jahwes, die mit seiner Selbstvorstellung und seiner Aussage, das Recht zu lieben und Raub und Unrecht zu hassen (Ps 33,5; 37,28; vgl. Mi 3,2), einsetzt. In V. 9bγ ist von der Segenshandlung die Rede. In dieser Passage steht die Bundeszusage (8bβ), und indem dieser Abschnitt eine chiastische Struktur bildet, wird der Bundesschluss betont.548 Ferner wird die Erkenntnis der Völker mit dem Lexem ‫» נכר‬anerkennen« in V. 9b ausgedrückt. In VV. 10f steht das Subjekt auch in der 1. Pers. Sg., jedoch ist es nicht mit dem Subjekt ‚Jahwe‘ von VV. 8f identisch, da es sich mit Jahwe freuen werde. Auch unabhängig vom identischen Subjekt bilden VV. 10f eine einheitliche Struktur. Zuerst stehen die Wörter ‫» ׂשוׂש‬freuen« und ‫» תהלה‬Lob«, die in Psalmen häufig für den Lobpreis verwendet werden, in V. 10aαβ und V. 11b (Ps 35,9; 65,2; 66,2), wodurch eine freudige Atmosphäre entsteht,549 wobei diese zwei Verse den Rahmen des Abschnittes bilden. Weiterhin bieten V. 10aγδ und V. 11a Begründungen des Lobpreises, die mit ‫ כי‬eingeleitet sind. In der Mitte des Abschnittes steht die priesterliche Investitur, deren Darstellung hochzeitliche Züge hat. Beachtenswert ist, dass der priesterliche Turban (‫ )פאר‬in V. 10bα mit dem Verb ‫כהן‬550 den V. 3 aufgreift, um so wahrscheinlich die priesterliche Investitur zu unterstreichen. Infolgedessen bildet der Abschnitt VV. 10f durch seine chiastische Struktur eine

546 Vgl. Joel 1,9; 2,17, dort werden die Diener Jahwes (‫ )מׁשרתי יהוה‬mit den Priestern (‫ )הכהנים‬gleichgestellt. 547 Hier ist aber nicht an die Landverteilung für Priester gedacht. In Jos 21 geht es um die Landverteilung an die Leviten, und diese Passage gehört wahrscheinlich zu einem späteren Nachtrag, da die Landverteilung an sie erst in der nach-dtr bzw. einer noch späteren Schicht belegt ist (Lev 25,32; Num 35,1–8). In diesem Horizont ist Jes 61 älter als Lev 25,32; Num 35,1–8 und Jos 21; vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 72. 548 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 198. 549 Vgl. J. D. W. Watts, Isaiah 34–66, S. 301f. 550 ‫ כהן‬bedeutet im Piel als Priester zu amtieren, Priesterdienst tun. Vgl. W. Gesenius und F. Buhl, Wilhelm Gesenius Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, S. 529.

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Einheit. Somit lässt sich das Kapitel Jes 61 in vier Teile gliedern. Wichtig ist, dass im Text mindestens zweimal das Priestertum erwähnt wird (VV. 6.10):551 1a 1bα 1bβ 1bγ-3aβ1 3aβ2γδ 3b

Geistbegabung Salbung Sendungsauftrag Ziel – Heilsproklamation (sieben Infinitive) Investitur und festliche Freude Ziel – Für die Herrlichkeit Jahwes

4 5 6–7

Ziel – Wiederaufbau Folge des Wiederaufbaus Verheißung: Benennung, Reichtum, Verdopplung und doppelter Besitz

8aα1

8aα2β

9bγ 10aαβ

11b

8bα 9abβ

10aδγ 11a

8bβ

10b

Begründung Hoheitsprädikation Vergeltungszusage Bundeszusage Heilszusage Hoheitshandeln Lobpreis Begründung Die priesterliche Reinvestitur Begründung Lobpreis

2.2 Sprachliche Untersuchung a) V. 1 Die Geistbegabung durch Jahwe und die königliche Salbung werden hier verbunden, indem beide Aussagen durch das Wort ‫» יען‬denn / weil«, das ein charakteristisches Wort für die Prophetie ist,552 verknüpft werden. So beschreibt der Redner 551 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 197f. 552 Vgl. W. A. M. Beuken, Servant and Herald of Good Tidings, S. 415–418; K. Koenen, Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Studie, WMANT 62, Neukirchen-Vluyn 1990, S. 103–112. Der Bezug

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seine Legitimation, eben von Gott selbst eingesetzt zu sein,553 und ferner wird das Wort ‫ ׁשלח‬für die prophetische Sendung häufig gebraucht (Jes 6,8; Jer 1,7; Ez 2,3). Interessant ist, dass sich die Verbindung von Salbung und Geistausgießung sonst nur noch bei der Salbung Davids durch Samuel findet (1 Sam 16,13): 1 Sam 16,13 Jes 61,1

hl[mw awhh ~wyhm dwd-la hwhy-xwr xlctw wyxa brqb wta xvmyw yta hwhy xvm ![y yl[ hwhy ynda xwr

In 1 Sam 16,13 verleiht die Geistausgießung das Amtscharisma, um Davids königlichen Anspruch zu legitimieren. Auffällig ist die Redewendung ‫מהיום ההוא ומעלה‬ »von diesem Tag an und darüber hinaus«, da so ein eher dauerhafter Geistbesitz im Gegensatz zur temporären Geistausgießung (Ri 14,6.19; 15,14) verkündet wird (vgl. Hag 2,5), was einen Kontrast zu Saul bewirkt. In Jes 61 knüpft die Geistbegabung kausativ an die Salbung an (![y), und der Geist wird von Jahwe selbst verliehen, denn er hat den Auserwählten gesalbt. Außerdem werden hier Züge einer königlichen und prophetischen Figur verwoben, weshalb der These von M. Noth zuzustimmen ist: „Das redende Ich ist beides zugleich, ein prophetischer König, ein königlicher Prophet, in dieser doppelten Rolle aber jedenfalls mit dem Geist ausgestattet […].“554 Ferner kommt die Mittlerfunktion in Jes 61,1 vor, da der Geistbegabte gesandt wird, um frohe Botschaft zu bringen. auf die Gestalt des Propheten in Jes 61 erfolgt durch den Rekurs auf die Sprache der Jahwe-Knecht-Lieder, wo sich aber keine Erwähnung der Salbung findet; vgl. dazu W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 66–69; J. A. Soggin, Art. ‫מלך‬, THAT I, München, Zürich 1978, S. 913. Die Salbung zum Propheten ist im übertragenen Sinn zu verstehen; dagegen hat O. H. Steck unter der Voraussetzung, dass Jes 61 Jes 60 fortsetzt, behauptet, dass Zion die Sprecherin in Jes 61 ist. Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2. Ein Kapitel redaktionsgeschichtlicher Kleinarbeit, in: ders., Studien zu Tritojesaja, BZAW 203, Berlin 1991, S. 111, Anm. 22; M. Wischnowsky, Tochter Zion. Aufnahme und Überwindung der Stadtklage in den Prophetenschriften des Alten Testaments, WMANT 89, Neukirchen-Vluyn 2001, S. 231; Dies hat R. Achenbach aber abgelehnt, denn „damit ist noch keineswegs gesagt, dass die Gestalt des Freudenboten (masc.!) für Jerusalem und Zion (Jes 41,27) […], selbst auch mit Zion zu identifizieren ist“. 553 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 212f. 554 M. Noth, Amt und Berufung im Alten Testament. Bonner Akademische Reden, in: Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 6, München 31966, S. 332; vgl. auch H. W.  Jüngling SJ, »Die Eichen der Gerechtigkeit«, S. 204. Meines Erachtens ist Jes 61,1 wegen seiner kausativen Verbindung von Geistbegabung und Salbung wohl später als 1 Sam 16,13 zu datieren.

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W. A. M. Beuken versteht den Auserwählten jedoch als Propheten, wofür er folgende Indizien nennt: 1. Die Salbung soll nicht als ein tatsächliches Ritual, sondern als Erwählung aufgefasst werden; 2. Das prophetische Sendungswort ‫ ;ׁשלח‬3. Die Beziehung zwischen den Jahwe-Knecht-Liedern bzw. DtJesaja und Jes 61 ist unverkennbar, weil Jes 61 sowohl durch die Geistbegabung (Jes 61,1/ 42,1) als auch durch die Leitworte mit DtJes verbunden ist (‫» בעת רצון‬Gnadenzeit« Jes 49,8 [vgl. Jes 42,1 ‫ ]רצה‬und ‫» ׁשנת־רצון‬Gnadenjahr« Jes 61,2; ‫» נחם‬Wohlgefallen / trösten« Jes 61,2 und Jes 40,1; 52,9). Im Gegensatz dazu versteht O. H. Steck die messianische Gestalt von Jes 61 als den Zion, weil Jes 40,1–5.9–11; Jes 49 und Jes 55 im Zusammenhang mit Jes 60f stehen und in Jes 60f ist vom Zion direkt die Rede.555 U. Berges erklärt die Verbindung von Jes 60 und 61 so: „Ist in Kapitel 60 zum größten Teil Zion als Frau angeredet, so antwortet sie in 61 in königlich-prophetischer Manier“, weil sich die Frage nach dem Verhältnis von Zion mit Israel in Jes 60 stelle und sich die Antwort darauf bildet Jes 61,4–9.556 Diese These ist aber fraglich, weil von der Salbung einer femininen Gestalt keine Rede ist.557 Ferner ist die Gestalt Zion nicht als Botin zu verstehen, weil in Jes 61,3 die Zionsgemeinde als Trauernde geschildert wird.

Trotzdem ist eigentlich fast nie belegt, dass Propheten in Israel bei ihrer Berufung durch Ölausgießung auf ihren Kopf gesalbt worden sind.558 Der Beleg, der von der Salbung des Propheten Elisa erzählt, ist im AT singulär (1 Kön 19,16); und er dient wahrscheinlich als Klammer zur Verbindung zweier Erzählungen: einerseits die Erteilung des Befehls an Elija, Hasael zum König über Aram und Jehu zum König über Israel zu salben (1 Kön 19,15f), und andererseits die Ausführung des Befehls durch den Propheten Elisa (2 Kön 8,13; 9,1–6). Der Befehl Jahwes an den Propheten Elija und dessen Ausführung durch Elisa sind durch den Salbungsauftrag an Elija verbunden! Daher dürfte sein Auftrag, Elisa zu salben, später ergänzt worden sein,559 darüber hinaus ist auffällig, dass seine Ausführung gar nicht berichtet wird (vgl. 1 Kön 19,16), da vielmehr die Übernahme des Mantels Elijas das Zeichen 555 Vgl. O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 133f; M. Wischnowsky, Tochter Zion, S. 231. 556 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 424. 557 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 204f. 558 Vgl. E. Kutsch, Salbung als Rechtsakt im Alten Testament und im alten Orient, BZAW 87, Berlin 1963, S. 62. Später „[werden] in 1QM XI, 7 und Dam II, 12 Propheten als »Gesalbte« Jahwes bezeichnet.“ 559 Vgl. S. Otto, Jehu, Elia und Elisa. Die Erzählung von der Jehu-Revolution und die Komposition der Elia-, Elisa-Erzählungen, BWANT 152, Stuttgart 2001, S. 187. Für sie geht die Erzählung über die Beauftragung Elias zur Salbung Jehus (1 Kön 19,16) auf BE2 („Zweite nachdeuteronomistische Bearbeitung im Bereich der Elia-­ Erzählungen“) zurück; vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 208.

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der prophetischen Berufung bildet (2 Kön 2,13f),560 weshalb die Ölausgießung für die prophetische Berufung irrelevant ist. Daher ist es fraglich, ob der Gesalbte in Jes 61,1 als Prophet zu verstehen ist.561 Im Gegensatz dazu werden Könige und Priester gesalbt (1 Kön 1,34; Ex 40,13ff), doch weil es in Israel nach dem Untergang von 587 v. Chr. keinen König mehr gab, kann die Ölausgießung zweifellos nicht mehr für ihn, sondern nur noch für den Priester verwendet werden.562 Dass dem Priester sowohl die Salbung als auch die Geistbegabung zugesprochen werden, ist im AT ungewöhnlich. Allerdings wird mehrfach die Geisterweckung des Hohenpriesters erwähnt, die nicht der Erfüllung einer episodenhaften charismatischen Aufgabe, sondern der dauerhaften Amtsführung dient (Ex 29,7; Hag 1,14; Esr 1,5).563 Aus diesem Grund ist die These, den Geistbegabten als Priester aufzufassen, beachtenswert.564 Die Geistbegabung dient in diesem Kontext zur Legitimation, und sie verleiht ein beständiges Amtscharisma, wozu die Funktion des Geistes in Jes 42,1–4 eine Parallele bildet. Wenn der Geistbegabte von Jes 61,1 mit der Figur in Jes 59,21 gleichzusetzen ist,565 wird die Geistvorstellung von Jes 42,1–4 und 44,3 auf dessen Gestalt übertragen, wobei der Geistbegabte die Figur des Jahwe-Knechts durch seine Aufgabe, die Worte an künftige Generationen weiterzugeben, sogar übertrifft.

560 Vgl. E. Kutsch, Salbung als Rechtsakt, S. 62. 561 Dagegen W. A. M. Beuken, Servant and Herald of Good Tidings, S. 415–418. Er hat die Beziehung zwischen dem Gesalbten und dem Jahwe-Knecht in DtJes untersucht; und obwohl sie zweifellos besteht, ist es fraglich, ob in Jes 61 nur vom Propheten die Rede ist (VV. 6.10). 562 W. Caspari hat schon früher diese These vertreten (Der Geist des Herrn ist über mir, NKZ 40, 1929, 729–747, bes. 734f). In Anlehnung an ihn argumentieren auch R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 212f; U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 445. Ferner ist Serubbabels Titel ‫ פחה‬ein offizieller persischer Beamtentitel, vgl. H. G. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 11. 563 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 209. 564 U. Berges versteht dagegen den Geistbegabten im Rekurs auf V. 3 als die Leidtragenden in Zion (Das Buch Jesaja, S. 424.) und Jes 60 schildert für ihn die Würde Zions (vgl. O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, BZAW 203, Berlin·New York 1991, S. 111). Im Gegensatz zu Threni (Thr 1,2.17) ist Zion bei Tritojesaja stets Gegenstand der Verkündigung (Jes 59,20; 60,14; 62,1.11; 64,9; 66,8). Das Argument von O. H. Steck, dass Jes 61 literarisch den unmittelbaren Kontext von Jes 60,1–16 voraussetzt, ist aufgrund der Trennung zwischen Jes 60 und 61 abzulehnen. Ein weiterer Grund ist, dass der Geistbegabte in Jes 61,1 bei der Freilassung politisch agiert; vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 204–207. 565 S. u. Jes 61 (2.3.1).

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In V. 1 bezeichnet der Ausdruck ‫» בׂשר‬frohe Botschaft« den ersten Auftrag des Geistbegabten (2 Sam 4,10; 18,26f; 1 Kön 1,42; Jes 40,9; 41,27). Er bezieht sich auf den Begriff ‫» נביא‬Berufener / Beauftragter«, da er gesandt wird (‫ ׁשלח‬Jes 6,8; Jer 1,7.9). Folglich hat ein Verfasser die Vorstellung der prophetischen Gestalt aufgenommen und auf die priesterliche Gestalt übertragen, wodurch der Bezug des Textes auf die Jahwe-Knecht-Lieder unverkennbar ist.566 Sein erster Auftrag lautet ‫» לבׂשר ענוים‬eine gute Nachricht den Demütigen zu bringen«. Parallelen zum Wort ‫» ענוים‬Demütigen« sind ‫» אביון‬Arme« (Ps 9,19; Jes 29,19; 32,7; Am 8,4), ‫» דרׁשי‬Gottsuchende« (Ps 22,27; 69,33) und ‫» דלים‬die Geringen« (Jes 11,4; Am 2,7). Der Begriff ‫ אביון‬bezeichnet eine wirtschaftlich benachteiligte Klasse, also sozial Bedürftige (Ex 23,11) bzw. jeden, der in die Schuldsklaverei verkauft wird (Am 2,6; 8,6). Der Ausdruck ‫ דלים‬ist somit ein soziologischer Begriff (Ex 23,3; Lev 14,21; Am 5,11) und der Terminus ‫דרׁשי‬ »suchen, finden« bezeichnet eine fromme Person (Ps 105,4; Jes 31,4; Jer 10,21). Der Ausdruck ~ywn[ umfasst all diese Bedeutungen, und interessant ist, dass er mitunter mit dem Rest Israels identifiziert wird (Zeph 3,12), insofern hat das Wort eher die Bedeutung ‚demütig‘. Die Demütigen haben Anteil an der Festfreude (Ps 34,3). Gott sorgt für sie und lässt sie nicht vergessen werden (Ps 10,12). Ihnen wird ferner die Verheißung des Landbesitzes zugesprochen (Ps 37,11 ‫וענוים יירׁשו־‬ ‫ – ארץ‬die Sanftmütigen werden das Land besitzen).567 Wird ihnen aber nun eine frohe Botschaft angekündigt, so wird mit diesem Vers vorausgesetzt, dass sie nach der Landnahme noch in einer schwierigen Situation waren, da die Heimkehr der Deportierten (Jes 60,4) und der Wiederaufbau des Tempels (Jes 60,7) erforderlich waren.568 Der zweite Auftrag, der durch den Infinitivsatz ausgedrückt wird, lautet ‫» לחבׁש לנׁשברי־לב‬gebrochene Herzen zu verbinden«. Durch das Tun der Bösen 566 Vgl. W. A. M. Beuken, Servant and Herald of Good Tidings, S. 415f. Er hat die Beziehung zwischen den Jahwe-Knecht-Liedern und Jes 61 mit drei Indizien begründet: 1. Die Bezeichnung „der HERR Jahwe“ in Jes 61,1 und Jes 48,16 findet sich auch in Jes 40,10, wo es um die frohe Botschaft geht; 2. Die Übernahme des Erbes des leidenden Jahwe-Knechts (Jes 53,10; 54,17; 56,6); 3. Eine charakteristische sprachliche Gemeinsamkeit, Infinitiv mit dem Präfix l (Jes 42,7; 49,5f.8–9 – Jes 61,3). 567 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 223. 568 Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 109; dagegen J. J. Collins, A Herald of Good Tidings Isaiah 61,1–3 and its Actualization in the Dead Sea Scrolls, in: The Quest for Context and Meaning. Studies in Biblical Intertextuality in Honor of J. A. Sanders, Leiden 1997, S. 228f. Für ihn ist im Text von den Deportierten nach Babylon und ihrer Rückkehr die Rede.

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(Ps 34,17), aber auch durch Jahwe selbst (Ez 6,9) bzw. sein Wort (Jer 23,9) wird das Herz zerbrochen. Jeder, der zerbrochenen Herzens ist, erhofft die Heilung seiner Wunden von Gott (Ps 147,3). Falls aber das Leid auf Böse zurückgeht, wird Gott als Rächer des Leidenden dargestellt (Ps 34,17.22; Jes 65,14). Auffällig ist, dass das Exil als ein Zustand derer, die zerbrochenen Herzens sind, beschrieben wird, denn das Herz wird gerade bei Ezechiel als hurerisch verstanden (Ez 6,9 ‫ – נׁשברתי את־לבם הזונה‬ich habe ihr hurerisches Herz zerbrochen)! Bezeichnet das gebrochene Herz den Zustand des Exils, so symbolisiert sein Verbinden das Ende der Exilszeit. Somit setzt die Rede »gebrochene Herzen zu verbinden« wahrscheinlich den Wiederaufbau des Tempels voraus, da die Betroffenen im Tempel durch Klage Hilfe bei Jahwe suchen (vgl. Ps 147,3; Ez 6,9).569 Hier ist das Lexem ‫» חבׁש‬verbinden« wie auch ‫» רפא‬heilen« als göttliche Heilshandlung zu verstehen (Hiob 5,18; Ps 147,3; Jes 30,26; Ez 34,16; vgl. Hos 6,1),570 weshalb der Gesalbte so auch eine göttliche Funktion übernimmt (Ps 147,3 ‫ – הרפא לׁשבורי לב‬Er heilt, die ­ zerbrochenen Herzens sind).571 Diese Heilungsfunktion erfolgt durch die priesterliche Vermittlung des göttlichen Zuspruchs (1 Sam 1,15.17).572 Darum ist mit Recht zu behaupten, dass das „Ich“ von der Vorstellung der priesterlichen Gestalt abhängig ist und der zweite Tempel vorausgesetzt wird, da eine göttliche Funktion auf ihn übertragen wird. Der dritte Auftrag ist die Freilassung der Gefangenen (‫)לׁשבוים דרור‬, wozu das Wort ‫דרור‬, das die Verkündigung der Freilassung meint und sich auf das ­Erlass- und Jubeljahr bezieht (Lev 25,10; Ez 46,17), benutzt wird. Der Ausdruck »Gefangene« gehört an sich zur Kriegsterminologie (Jes 14,2; Jer 13,17; 41,10; Ez 6,9). Der Terminus ‫» דרור‬Freilassung« wird sechsmal im AT verwendet (Lev 25,10; Jes 61,1; Jer 34,8.15.17; Ez 46,17). Mit Hilfe der Belege in Jer 34,8.15.17 lässt sich unter Vorbehalt eine zeitliche Situierung der Freilassung der Gefangenen vornehmen, denn der Befehl573 in Jer 34 ist nach 598/7 v. Chr. zu datieren: 569 570 571 572 573

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Vgl. dazu R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 223. Vgl. G. Münderlein, Art. ‫חבׁש‬, ThWAT II, Stuttgart 1977, S. 727. Ihm wird auch die königliche Funktion übertragen. Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 224. Dagegen ist die Regel zur ‚Freilassung des Bruders‘ in Dtn 15 noch mit ‫» ׁשמטה‬Erlassjahr« verknüpft (Dtn 15,1f.12), wodurch sie sich auf den Nächsten und Bruder beschränkt (Dtn 15,2 ‫)את־רעהו ואת־אחיו‬, da es nicht verboten ist, den Fremden zu bedrängen (Dtn 15,3 ‫)את־הנכרי תגׂש‬. Hier wird auch nicht das Wort ‫ דרור‬verwendet. Der Vergleich von Dtn 15 und Jer 34 zeigt, dass Jer 34 sehr wahrscheinlich später zu datieren ist, da Dtn 15,1f.12 in Jer 34,14 zitiert wird; vgl. dazu auch W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 26–45, S. 39f.

ein jeder sollte seinen Sklaven und ein jeder seine Sklavin, die Hebräer und Hebräerinnen waren, freilassen (Jer 34,9a; vgl. Dtn 15,1f.12).574 Nach Lev 25,10 soll die Freilassung allen Bewohnern (‫ )לכל־יׁשביה‬verkündet werden. Sie muss in jedem fünfzigsten Jahr als Jubeljahr programmatisch durchgeführt werden. Davon unterscheidet sich allerdings die Freilassung in Jes 61,1, da sie hier mit der hohepriesterlichen Amtseinführung verbunden ist. Die Proklamation über die Versöhnung durch den Hohenpriester lässt sich in Num 35,25.28 und Jos 20,6 – aber ohne das Wort ‫ – דרור‬finden. Der Hohepriester wird mit Öl gesalbt (Num 35,25 ‫)הכהן הגדל אׁשר־מׁשח אתו בׁשמן הקדׁש‬. Nach seinem Tod durften alle, die sich versündigt hatten und in die Asylstädte geflohen waren, in das Land ihres Eigentums zurückkehren (Num 35,28). In den Passagen Num 35,25.28 und Jos 20,6 spielt die Regel der Asylstädte eine große Rolle. Sie werden in Lev 25,32 als ‫» ערי הלוים‬die Städte der Leviten« bezeichnet, aber die Landverteilung an die Leviten ist in Jes 61 kein Thema, deswegen ist Jes 61 wahrscheinlich älter als Lev 25; Num 35,25.28; Jos 20,6. Wie schon erwähnt, soll die Freilassung nach Lev 25,10 in jedem fünfzigsten Jahr programmatisch durchgeführt werden. Ursprünglich ist die Freilassung eine königliche Funktion,575 die wahrscheinlich 574 Der Ausdruck ‚Freilassung eines hebräischen Sklaven‘ wird in Ex 21,2 verwendet. Eine Rechtsvorschrift zur Freilassung von Sklaven ist im Codex Hammurapi zu finden, danach sind die Schuldsklaven im vierten Jahr freizulassen. R. Borger, Der Codex Hammurapi, TUAT I/1, [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 56.

§ 117 54 Wenn einen Bürger 55 eine Schuldverpflichtung 56 erfasst 57 und er seine Frau, seinen Sohn oder seine Tochter 58 für Geld hingibt, 59 oder jeweils in ein Gewaltverhältnis 60 gibt, 61 so sollen diese drei Jahre 62 das Haus ihres Käufers 63 oder desjenigen, der sie in ein Gewaltverhältnis genommen hat, 64 besorgen, und im vierten 65 Jahre 66f sollen sie freigelassen werden. 575 Vgl. R. Borger, Die Inschriften Asarhaddons Königs von Assyrien, AfO 9, Graz 1956, S. 2f; sie verwenden die Termini kidinnu (III 15; II 33 kidinnûtu) šubarrû (II 42), zakûtu (III 3) und andurâru, die mit „Freiheit“ zu übersetzen sind. R. Achenbach (König, Priester und Prophet, S. 215) differenziert so: Abgabenfreiheit bzw. Schuldenfreiheit (kidinnûtu), das Recht auf Befreiung von Sklaven- und Frondiensten (šubarrû), Steuerfreiheit (zakûtu) und Schuldenbefreiung (andurâru); vgl. W. von Soden, AHw 1–3, Wiesbaden 1965–1981. In der Literatur werden die Begriffe auch mit Schutzbefohlener, Befreiung, Abgabefreiung und Lastenbefreiung übersetzt; In „Joy at the Accession of Ramses IV“ wird ein derartiger Akt beschrieben (J. A. Wilson, Joy at the Accession of Ramses IV, ANET, Princeton 31969, S. 378f):

They who were fled have come (back) to their towns; they who were hidden have come forth (again). They who were hungry are sated and gay;

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auf die hohepriesterliche Amtseinführung übertragen worden ist,576 was ein hierokratisches Konzept erkennen lässt.577 Auch in Sach 6 ist von einer derartigen Übertragung auf den Hohenpriester die Rede,578 weshalb Jes 61 durch den Vergleich mit Sach 6 zeitlich einordbar ist. Der vierte Auftrag ist die Entlassung (‫)פקח־קוח‬. Der Ausdruck ist ein Hapaxlegomenon im AT. Von Gefesselten (‫ )לאסורים‬ist im Zusammenhang mit Kriegsgefangenen oder Deportierten die Rede (2 Kön 17,4; 25,7; Jes 22,3; Jer 40,1). Auch Jes 49,9 erwähnt die Freilassung der Gefesselten, was hier aber als göttliche Rede formuliert ist: So spricht Jahwe: Zur Zeit des Wohlgefallens habe ich dich erhört, und am Tag des Heils habe ich dir geholfen. Und ich werde dich behüten und dich zum Bund des Volkes machen, das Land aufzurichten, die verödeten Erbteile auszuteilen, den Gefangenen (‫ )לאסורים‬zu sagen: Geht hinaus! und zu denen, die in Finsternis sind: Kommt ans Licht! Sie werden an den Wegen weiden, und auf allen kahlen Höhen wird ihre Weide sein (Jes 49,8f).579 Diese Proklamation vollzieht sich dagegen in Jes 61 durch Vermittlung des Priesters, was die Bedeutung des Priestertums akzentuiert. they who were thirsty are drunken. They who were naked are clothed in fine linen; they who were dirty are clad in white. They who were in prison are set free; they who were fettered are in joy. 576 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 599; ders., König, Priester und Prophet, S. 224f. „Jes 61 geht zudem über den Rahmen, den Lev 25 vorgibt, hinaus.“ Die Freilassung in Num 35,28 rekurriere auf das Erlassjahrprogramm in Lev 25: Die Frist des Erlassjahres, das in jedem 50. Jahr zu wiederholen wäre, werde durch die Lebenszeit des amtierenden Hohepriesters ersetzt (Num 35,25b). Es ist in Frage zu stellen, dass Jes 61 zeitlich nahe zu Num 35 zu datieren ist, denn die Freilassung nach Num 35 beschränkt sich auf die in Asylstädte Geflüchteten und Täter, die aus Versehen getötet haben. Ferner kommt ‫ דרור‬in Num 35 nicht vor. 577 Vgl. L. Ruszkowski, Volk und Gemeinde im Wandel: Eine Untersuchung zu Jesaja 56–66, FRLANT 191, Göttingen 2000, S. 25f. Er erkennt hier eine Kombination von „Theokratie“ und „Demokratie“. 578 S. u. Jes 61 (2.3.2). 579 Die Stadt Jerusalem ist hier als Objekt eines Erbauers mit dem Suffix 2. Pers. Sg. fem. bezeichnet (Jes 49,17). weshalb Jerusalem als Botin in Zweifel zu ziehen ist; dagegen O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 133. Für ihn ist in Jes 61 nicht an 41,27; 52,7, sondern an 40,9 gedacht; vgl. K. Elliger, Deuterojesaja 40,1–45,7, S. 31. Aber dieses Verständnis wirft ein grundlegendes Problem auf, nämlich ob Zion in der Nachexilszeit die königlichen und göttlichen Funktionen übernehmen konnte, zumal Sach 3 und 6 zeigen, dass der Hohepriester in historischer Hinsicht diese Aufgaben übernommen hat.

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Wer sind nun aber die Gefesselten? Für O. H. Steck sind es Personen, die auf Grund ihrer Verschuldung ihre Freiheit und ihren Grundbesitz im Land verloren haben. Weiterhin ist für ihn im Text kein Unterschied zwischen den aus dem Exil Zurückgekehrten und den im Land Verbliebenen zu erkennen, da „von einer Heimkehr der Freigelassenen in den Folgeaussagen von Jes 61 keine Rede [ist]“.580 Die Identität der Gefesselten lässt sich für ihn nicht klar bestimmen, denn die Bezeichnungen würden sich nicht auf Fromme gegenüber Frevlern, sondern auf eine Lebenslage sozialer Not beziehen,581 weiterhin würden die Räuber sich wiederum nicht auf einen innerisraelitischen Personenkreis beziehen.582 Im Gegensatz dazu erwägt R. Achenbach drei Identifikationsmöglichkeiten: 1. Gefangene innerhalb Israels, 2. Israelitische Gefangene und 3. Innerhalb Israels in Schuldsklavendienst festgehaltene und keine Freizügigkeit genießenden Personen.583 Zum ersten Fall findet sich keine Belege im AT, der zweite Fall ist auszuschließen,584 weil im Text die Heimkehr vorausgesetzt wird, weshalb die Personen außerhalb Israels nicht mehr als Deportierte, sondern als Angehörige der Diaspora zu verstehen sind. Neh 5 bietet allerdings einen Beleg für die dritte Möglichkeit.585 Für H. G. Kippenberg586 wird in Neh 5 die dritte Gruppe 580 Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 109. 581 Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 114. Somit hängen Jes 61,2a und 59,17a nicht ursprünglich zusammen. 582 Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 115. Als Gegner der Gefangenen versteht er Babel, weil er den Text auf das Gerichtshandeln Jahwes in Jes 47,3 bezieht, denn „Babylonier [haben] sich als Vertreter der Besatzungsmacht des unrechtmäßigen Raubes schuldig gemacht […], indem ihre Steuer- und Abgabenforderungen und nicht minder ihre rechtbeugenden Enteignungen und Umverteilung im Bereich des Grundbesitzes zu Schuldknechtschaft führten.“ Wenn der Text auf sie gezielt hätte, dann wäre er m. E. kurz vor bzw. kurz nach dem Untergang Babylons entstanden. Doch wenn man Stecks Interpretation folgt, wird man mit einer Spannung konfrontiert, da im Text dann die Heimkehr vorausgesetzt würde und vom Wiederaufbau Israels die Rede wäre. 583 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 225. 584 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 225. 585 Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 224. Dagegen O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 110. Weil die für einen innerisraelitischen Schulderlass üblichen Bezeichnungen der Begünstigten, nämlich »Bruder«, »Nächster« und »Mitbürger« in Jes 61 durchweg fehlen, lehnt er eine Beziehung beider Texte ab. 586 Vgl. H. G. Kippenberg, Religion und Klassenbildung im antiken Judäa. Eine religionssoziologische Studie zum Verhältnis von Tradition und gesellschaftlicher Entwicklung, SUNT 14, Göttingen 1978, S. 56. Für ihn beschreibt Neh 5 drei Gruppen: „Um Nahrung zu bekommen, musste die erste die Kinder verpfänden; die zweite

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dargestellt, die ihre Kinder bzw. ihren Grundbesitz aus Not verpfänden musste (Neh 5,5.8). Diese Gruppe geriet nicht nur durch Hungersnöte in die Schuldsklaverei, sondern auch durch die Steuerlast, die ihnen von den Persern auferlegt worden war.587 Folglich zielt der Text eher nicht auf die Verkündigung einer Freilassung aus dem Exil, sondern wahrscheinlich auf die durch Fremde verursachte Schuldsklaverei der Israeliten in der Nachexilszeit, womit der Abschnitt wohl in die Nehemiazeit zu datieren ist.588 b) V. 2 Der fünfte und sechste Infinitivsatz steht in V. 2. »Das Wohlgefallen« Jahwes ist ein wichtiges Thema bei Deuterojesaja (Jes 40,1; 49,13; 51,3.12.19; 52,9), das durch die Piel-Form von ‫» נחם‬Wohlgefallen / trösten« ausgedrückt wird, demgegenüber spielt die ‚Rache (‫ )נקם‬Gottes‘ nur eine relativ geringe Rolle (Jes 47,3).589 Die Redewendung »das Wohlgefallen von Jahwe und Entlassung der Gebundenen« steht in Jes 49,8f (vgl. Jes 58,5), in Jes 61,1f wird sie jedoch invertiert gebraucht. Weiterhin ist in Jes 61,2 eine Abweichung zu beobachten, da der Ausdruck ‫» בעת רצון‬Gnadenzeit« durch das ‫» ׁשנת־רצון‬Gnadenjahr« und das Jahr der Vergeltung (~ymwlv tnv Jes 34,8) durch das Jahr der Gnade ersetzt wird.590 Der Terminus ‫» רצון‬Gnade« wird in der vorexilischen Literatur nicht verwendet591 und tritt häufig im Zusammenhang mit dem Kultus auf (Jes 60.7.10; vgl. Ex 28,38; Lev 1,3; 22,29; 23,11; Spr 8,35; 12,2),592 und

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musste in der Hungerszeit ihren Grundbesitz verpfänden; die dritte war auf Grund fiskalischer Schuld gezwungen, ihre Kinder in die Sklaverei zu verkaufen. Einige der Töchter sind bereits Sklavinnen von Heiden geworden.“ Vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 226. Vgl. O. H. Steck, Der Rachetag in Jesaja 61,2, S. 137, bes. Anm. 81. Ausstattung von Zion, Tempel und Stadt, sowie die geringe Bevölkerungszahl (Jes 60) und das Problem der Schuldknechtschaft (Jes 61) zeigen, dass „sich unabhängig von Jes *60f für diese Redaktion gute Gründe zugunsten einer Datierung in die erste Hälfte oder um die Mitte des 5. Jh. v. Chr. geltend machen lassen.“ Vgl. Jes 34,8; 35,4. Vgl. O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 112. Da die Gnade weder mit dem Tag noch mit der Zeit, sondern mit dem Jahr zusammengehört, wird das ‚Ich‘ mit dem Priester identifiziert, sowie die Freilassung mit dem Jobeljahr gleichgesetzt (Lev 25,10). Im DtrG und der vorexilischen prophetischen Literatur wird ‫ רצון‬nicht verwendet. Jer 6,20 ist zwar vorexilisch, jedoch dtr erweitert worden, weshalb die Stelle keinen Gegenbeweis darstellt; vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 100f. Vgl. H. M. Barstad, Art. ‫רצה‬, ThWAT VII, Stuttgart 1993, S. 647f.

i­ nsofern ist es denkbar, dass der Wiederaufbau des Tempels vorausgesetzt ist.593 Die Reihung der Worte ‚Geist und Wohlgefallen‘ ist in Jes 42,1, also im JahweKnecht-Lied, belegt: ‫הן עבדי אתמך־בו בחירי רצתה נפׁשי נתתי רוחי עליו מׁשפט לגוים‬ ‫ – יוציא‬Siehe, mein Knecht, den ich halte, mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat: Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er wird das Recht zu den Nationen hinausbringen. Während in Jes 42,1 der Geistbegabte selbst als der Jahwe Wohlgefallende verstanden wird, ist er in Jes 61,1 der Verkünder des Jahres des Wohlgefallens. Daher greift der Text die Jahwe-Knecht-Tradition für diese Funktion des Geistbegabten auf, wobei der geistbegabte Hohepriester eine wichtige Rolle spielt. ‫» לנחם כל־אבלים‬Alle Trauernden zu trösten« lautet der sechste Auftrag. Das Trösten, das in der späten Exilszeit besonders bei DtJes thematisiert wird (vgl. Jes 40,1; 49,13; 51,3), findet sich auch in Jes 57,18 und Jer 31,13. Hier ist es beachtenswert, dass das Trösten eine Parallele mit ‫» ׂששון‬Erfreuen« bildet (Jer 31,13) und ‫» ׁשמן ׂששון‬Freudenöl«, das bei einem Fest gebraucht wird (Sach 8,19; vgl. Jer 7,34; 16,9; 25,10; 31,13; 33,11),594 auch in Jes 61,3 zu finden ist. Das Thema ‚Trost‘ bezieht sich auf den folgenden V. 3 ‫לאבלי ציון‬. Den Trauernden Zions werden Trostgeschenke wie ein Kopfschmuck, Freudenöl und ein Ruhmesgewand überreicht, wodurch sie zu neuer Freude und Ehre gelangen. An den Aufträgen des Geistbegabten ist unverkennbar, dass sie wörtlich an DtJes anknüpfen, jedoch gibt es auch Modifikationen: Während die Geistbegabung in den Jahwe-Knecht-Liedern zum Thema wird, erfolgt sie in Jes 61 durch die Verbindung von Geistbegabung und Ölsalbung, die sonst nie bei einem Propheten zur Anwendung kommt. Die Aufgabe des Geistbegabten ist die Freilassung (‫ )דרור‬der Gefangen, was als politische und königliche Tätigkeit zu verstehen ist. Da diese Aufgabe in der Nachexilszeit durch den Priester durchgeführt wird (Lev 25; vgl. Num 35,28; Sach 6), ist der Geistbegabte wahrscheinlich als Priester aufzufassen. Daneben kommt das »Gnadenjahr« vor, in DtJes 49,8f wird hingegen die »Gnadenzeit« als Ausdruck gebraucht. Hier dehnt sich die Frist der Gnade auf ein Jahr aus, nachdem das Erlassjahr ausgerufen worden ist (vgl. Lev 25,10.33). Folglich ist es gewiss, dass Jes 61 wörtlich mit DtJes / Jahwe-Knecht-Lied verbunden ist. Dennoch kann der Geistbegabte nicht als Prophet verstanden werden, weil der Verfasser von Jes 61 durch seine Modifikationen nun seinen Blick auf eine andere Figur, nämlich den Priester, richtet. 593 In Jes 60,10 wird außerdem der Bau der Mauer erwähnt (vgl. Neh 4; 12,27–47). 594 „Freudenöl“ dient auch zur Salbung eines Königs anlässlich seiner Hochzeit; vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 78.

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c) V. 3 Das Lexem ‫ נתן‬ist das Verb dreier Sätze, worin drei schlechte Objekte (‫אפר‬, ‫אבל‬ und ‫ )רוח כהה‬durch drei gute (‫פאר‬, ‫ ׁשמן ׂששון‬und ‫ )מעטה תהלה‬ersetzt werden, wobei die Objekte durch ‫» תחת‬statt« einander entgegengesetzt werden. Zuerst werden ‫ אפר‬und ‫ פאר‬durch ein Wortspiel einander kontrastiert. Das Wort ‫ אפר‬impliziert eine Unheilsituation (vgl. Hiob 2,8), denn in der Asche sitzend sind vor allem eigene Vergehen zu bereuen (Hiob 42,6). ‫ פאר‬bezeichnet die Kopfbedeckung des Priesters (Ex 39,28; Jes 61,10), aber auch den Kopfbund einer Frau (Jes 3,20; Ez 24,17). Eine Parallele bietet Sach 3,5, wo von einem reinen Kopfbund im Reinigungsritual die Rede ist: ‫ – יׂשימו הצניף הטהור על־ראׁשו‬Man setze einen reinen Kopfbund auf sein Haupt! Somit zielt ‫ פאר‬in Jes 61,3 wahrscheinlich auf ein Reinigungsritual, da die Asche als unrein gilt (vgl. Num 19,10). Wenn Jes 61,3 eine Parallele zu Sach 3,5 bildet, so ist das Reinigungsritual wegen des Wortes ‫ צנוף‬als königliche Inthronisation zu verstehen (Sach 3,7; vgl. Jes 62,3 ‫)צנוף מלוכה‬. Darum ist es unverkennbar, dass der Hohepriester königliche Funktionen übernimmt. Interessant ist, dass ein Kleid des Lobgesangs dem verzagten Geist kontrastiert wird, demgegenüber wird der Jahwe-Knecht nicht verzagen (‫ לא יכהה‬Jes 42,4).595 Weiterhin bietet Ez 21,12 mit der Redewendung ‫» ונמס כל־לב‬Und jedes Herz wird zerschmelzen« dazu eine Parallele, die die Psyche von Soldaten oder des Volkes beschreibt (Dtn 20,8; Jos 2,11; 5,1; 7,5; 14,8; 2 Sam 17,10; Jes 13,7).596 Beachtenswert ist, dass als Ersatz des verzagten Geistes kein psychisches Element, sondern etwas von physischer Natur erscheint, nämlich ein Lobkleid, das als Gegenbild zum Trauerkleid (‫ בגדי־אבל‬2 Sam 14,2) die Freilassung der Trauernden Zions symbolisieren könnte.597 Daher richtet sich der Text wohl an die Zionsgemeinde, ferner bezeichnen die drei Handlungen ihre Neuheit durch unterschiedliche R ­ ituale. ­Darum ist die Zionsgemeinde nicht als Bote der Freilassung, sondern als ihr O ­ bjekt dargestellt.598 595 Vgl. K. Koenen, Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch, S. 106. 596 In Dtn 20,8 wird das Wort mit ‫‚ ירא‬fürchten‘ gleichgesetzt. 597 Zur Ausstattung der Freigelassenen mit einem neuen Gewand vgl. R. D. Biggs, More Babylonian “Prophecies”, Iraq 29, 1967, S. 117–132.124, nach RCAE 1430 [Harper] heißt es in einem Brief an Assurbanipal: “I have send kindness forth by means of a fire signal … the Assyrians who were imprisoned in the prison of Elam … I released. I clothed them and sent them to the palace”. (zitiert nach R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 230, Anm. 87); vgl. Aufzählung von Metallmengen, Gewändern und Stoffen anläßlich einer Freilassung, H. Lutzmann und W. H. Ph. Römer, TUAT I/3 [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 202. 598 Dementsprechend ist Zion nicht selbst der Bote, sondern der Ziel des Trostes; dagegen M. Wischnowsky, Tochter Zion, S. 233.

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d) VV. 4–7 VV.  4–7 beschreiben die Verheißung. Der Ausdruck ‫» כהן יהוה‬Priester Jahwes« wird in 1 Sam 14,3; 22,17.21; 2 Chr 13,9 und Jes 61,6 verwendet (vgl. ‫כהנת יהוה‬ Jos 18,7), zudem sind im AT auch gleichartige Ausdrücke belegt (‫כהניך יהוה אלהים‬ 2 Chr 6,41; ‫ יהוה הכהנים מׁשרתי‬Joel 1,9; 2,17; ‫ הכהנים אׁשר לבית־יהוה צבאות‬Sach 7,3). Der sinnverwandte Ausdruck ‫» מׁשרתי אלהינו‬Diener unseres Gottes« bezeichnet zuerst einen Diener bzw. Jünger, der dem Priester Jahwes gedient hat (‫והנער היה‬ ‫ מׁשרת את־יהוה‬1 Sam 2,11.18). Diener Jahwes sind auch die Leviten, welche die Lade Jahwes zu tragen hatten (1 Chr 15,2; vgl. Num 1,53), dagegen werden die Diener im Ezechielbuch als Nachkommenschaft Zadoks (Ez 43,19) und bei Joel als Priester, deren Kultus unter einer Katastrophe leidet (Joel 1,9; 2,17), eingeführt. In den erwähnten Belegen werden die Leviten und Priester als ‫ כהני יהוה‬und ‫מׁשרתי אלהינו‬ bezeichnet. In Jes 61 werden so hingegen die Trauernden Zions beschrieben, wozu das Lexem ‫ קרא‬im PK-Nif. verwendet wird, was ihnen eine neue Identität schenkt.599 Zweifelhaft ist dagegen, ob die Bezeichnung auch den Fremden umfasst. Diese Möglichkeit ist jedoch im Zusammenhang mit dem Festhalten am Bund gegeben (Jes 56,6; vgl. 56,4; Num 14,24). In Jes 56,6 ist der Terminus mit dem Ausdruck ‫» לו לעבדים‬ihm zu Knechten zu sein« verbunden,600 wobei ‚ihm‘ Jahwe bezeichnet. Mittels dieser Rede formuliert der Text, dass die Fremden durch den Bundesschluss zu Israel gehören werden (vgl. Gen 17,12; Dtn 29,10–12601), insofern bezieht die Redewendung ‫» מׁשרתי אלהינו‬Diener unseres Gottes« wahrscheinlich die Fremden ein (vgl. Ex 19,5f),602 da der Bundesschluss auch in Jes 61,8 erwähnt wird. Im Gegensatz zum weiteren Begriff ‫ מׁשרתי אלהינו‬bezeichnet ‫ כהני יהוה‬immer eine konkretere Gruppe, wobei die Priesterfunktion später auf die Zadokiden ­beschränkt wird (vgl. Ez 44,15f). Weil der Begriff hier aber auf die Trauenden 599 Zu ihrer Identität erwägt R. Achenbach zwei Möglichkeiten: 1. Die Zionsgemeinde als Priester, wodurch das Volk dann eine Mittlerposition zwischen den Fremden und Gott einnimmt; 2. Die Investitur des neuen Hohenpriesters, der so aber ein ganz neuartiges Amt erlangt (König, Priester und Prophet, S. 232f). 600 ‫ עבד‬dient im Dtn gelegentlich als Synonym für ‚Gottesvolk‘ (Dtn 32,36.43). Vgl. L. Ruszkowski, Volk und Gemeinde im Wandel, S. 139f. 601 Nach Dtn 29,10–12 können sich die Fremden (‫ )גר‬durch den Bundesschluss in Moab Israel anschließen, und im Josuabuch dient Kaleb als Beispiel, wie ein Nichtisraelit sogar Anteil an der ‫ נחלה‬erlangen kann (Jos 14,13; vgl. Jes 61,7); vgl. R. Achenbach, Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12), S. 250f. 602 Vgl. L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S. 174f; dagegen behauptet W. Caspari (Das priesterliche Königreich, ThBl 8, 1929, S. 107.) „Unter einem priesterlichen Reiche sei weiter nichts zu verstehen als ein heiliges Volk.“

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Zions bezogen wird, so ist eine Parallele zum Ausdruck ‫» ממלכת כהנים‬Königreich von Priestern« in Ex 19,6 zu erwägen. In Ex 19,3b–8 sind priesterliche (19,6) und dtn / dtr (19,5a) Traditionen zu erkennen,603 insofern ist zu bedenken, ob hier P-Schrift und dtr Bearbeitung durch einen spät-dtr Verfasser verknüpft worden sind. Während diese Titulatur in Ex 19,5f an das Halten des Bundes anknüpft (‫)אם־ׁשמוע תׁשמעו בקלי וׁשמרתם את־בריתי‬, könnte der Abschnitt Jes 61 eventuell kurz nach Ex 19,5f entstanden sein, da die Titulatur ‚Königtum von Priestern‘ der Zionsgemeinde voraussetzungslos zukommt und der Bund in Jes 61,8 als »ewiger Bund« bestimmt wird.604 603 L.  Perlitt erkennt einen späteren Zuwachs, da Ex 19,3–8 „der Gotteserscheinung vorgreift und V. 5 bereits vom Halten des Bundes spricht“, und somit „gehen spätdtr, priesterliche und exilisch-prophetische Strömungen durch diese Proklamation hindurch. Ihren Vorbehalt (Ex 19,5a) hat sie aus der dt / dtr Welt, ihren verheißenden Ton aus der exilisch-prophetischen.“ L. Perlitt, Bundestheologie im Alten Testament, S.  167–181; Vgl. E.  Ruprecht, Exodus 24,9–11 als Beispiel lebendiger Erzähltradition aus der Zeit des babylonischen Exils, in: R. Albertz u.a. (Hg.), Werden und Wirken des Alten Testaments, FS zum 70. Geburtstag C. Westermann, Göttingen·Neukirchen-V1uyn 1980, S.  138–173. Er erweist die Verbindung von P (VV.  1.2a) mit dem dtr Einschub (VV.  3b–8). Darüber hinaus ist V.  9 für ihn ein ­späterer Nachtrag zu VV. 3b–8 (S. 155); vgl. dazu J. L. Ska, Exode 19,3b–6 et ­lʼidentité de lʼIsraël postexilique, in: M. Vervenne, Ed. Studies in the Book of Exodus. Redaction – Reception – Interpretation, BEThL 126, Leuven 1996, S. 289–317. Er erkennt hier eine Verbindung von ‚dtn-dtr, priesterlichen und prophetischen Traditionen‘. N.  Lohfink sieht in Ex 19,6 „in nucleo eine Definition der Verfassung der späteren Jerusalemer Tempelgemeinde: Von Priestern ausgeübte Herrschaft und heiliges Staatsvolk“. N. Lohfink, Bundestheologie im Alten Testament. Zum gleichnamigen Buch von L. Perlitt, in: ders., Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur I, SBAB 8, Stuttgart 1990, S. 325–361, besonders S. 355. S.a. J.  C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S.  226–228. Jüngst hat er die Möglichkeit erwogen, dass „der in seinem Kontext unbestreitbar sekundäre Abschnitt Ex 19,3b–8.9 auf eine nachpriesterschriftliche Redaktion zurückgeht“, da das Volk als priesterliches Volk unter den Völkern bestimmt wird. Der Abschnitt Ex 19,5f bewirkt die Verallgemeinerung der Priesterschaft, insofern wird die priesterliche Tradition nicht nur übernommen sondern auch weiterentwickelt, weil Israel hier sowohl als erwähltes (Dtn 7,6; 14,2) als auch als heiliges Volk (Dtn 7,6; 14,2.21; 26,19; 28,9) beschrieben wird. 604 Vom ‫» ברית עולם‬ewigen Bund« ist in Jes 61,8 die Rede. Er ist erstmals in der Bogenerzählung (Gen 9,16) erwähnt und sodann in der Abraham Erzählung (Gen 17,7.13.19) zu finden, wo er mit der Beschneidung verbunden wird (Gen 17,13). In Jes 24,5 hingegen werden das Exil und die Zerstreuung auf den Bruch des ewigen Bundes zurückgeführt, um so das erfahrene Unheil zu deuten.

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In Jes 61 werden sie als Gefesselte und Freigelassene (V. 1f), Gereinigte (V. 3) und Priester Jahwes / Diener Gottes (V. 6) geschildert, wobei ihre Statusänderung durch diese Titel proklamiert wird. Daneben wird ein neuer Bund thematisiert. Wenn in Jes 61 vom ewigen Bund gesprochen wird, hat der Verfasser ein Motiv der P-Schrift aufgegriffen (Gen 9,16; vgl. Gen 17,7.13.19), allerdings ist dies ein anderer ewiger Bund, da er weder durch den Bogen noch durch die Beschneidung, sondern durch den Geist und das Wort geschlossen wird (vgl. Jes 59,21).605

2.3 Einzelanalyse 2.3.1 Jes 59,21 und Jes 61 In TriJes gibt es vier Stellen für ‫ברית‬: 56,3.4; 59,21; 61,8. Jes 56,3.4 korrigiert das Gemeindegesetz von Dtn 23,2–9. Während nach Dtn 23,2 einer, bei dem die Hoden zerstoßen oder die Harnröhre abgeschnitten ist, nicht zur Versammlung Jahwes zugelassen ist, wird es den Verschnittenen jetzt durch das Bewahren des Sabbats und das Festhalten am Bund ermöglicht, einen Zugang zum Tempel zu erlangen. Jes 56 lässt erkennen, dass der 2. Tempel und die Mauer wieder aufgebaut worden sind (Jes 56,5). Der Auftrag, Jerusalems Stadtmauer wieder aufzubauen, ist frühesten im Jahr 445 v. Chr. erfolgt (Neh 12,27; vgl. Neh 1,1; 2,1),606 somit ist Jes 56 wahrscheinlich in die Nehemiazeit zu datieren. In Jes 59,21 wird die Dauerhaftigkeit des Bundes durch die Redewendung, dass das Wort nicht aus dem Mund der Nachkommen weichen werde, beschrieben, was mit Jer 1,9 vergleichbar zu sein scheint,607 doch abgesehen von der gemeinsamen

605 Der Terminus ‫ ברית‬findet sich bei TriJes viermal, wobei zwei Belege in Jes 56 stehen, wo die Aufnahme der Nichtisraeliten das Thema ist. Hingegen setzt Jes 59,21 die Zionsgemeinde, mit der Jahwe einen Bund schließt, voraus (59,20). Die beiden Texte Jes 59,21 und Jes 61,8 sind durch den Bundesschluss und die Geistausgießung auf eine bestimmte Person verbunden. 606 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Geschichte Israels, S. 142. 607 Während das Legen des Wortes in den Mund in Dtn 18,18 und Jer 1,9 mit dem Verb ‫ נתן‬formuliert wird, wird in Jes 59,21 ‫ ׂשים‬verwendet. H. Knobloch (Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 206) erörtert die Datierung der Texte. Er geht davon aus, dass Jes 59,21 älter als Jer 1,9 ist; jedoch werden in Jes 59,21 zwei Aufgaben des Priesters genannt: nämlich Wort- und Geistmittler zu sein. Die Funktion des Wortmittlers ist zwar in Ex 4,15 und Jes 59,21 belegt, doch der Geist kommt nur in Jes 59,21 vor. Darum kann Ex 4,15 nicht jünger als Jes 59,21 sein. Für H. Knobloch werden Jes 51 und 59 im nach-dtr Text Ex 4,15 rezipiert (vgl. Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 208); vgl. R. Albertz, Exodus 1–18, S. 71–77.

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Redewendung bestehen folgende Unterschiede: 1. Das Wort Jahwes wird nicht nur in den Mund des Mose-Nachfolgers, sondern auch in den der Nachkommen gelegt, weshalb Dtn 18,18 wahrscheinlich revidiert wird; 2. Einer, auf dem der Geist ruht und in dessen Mund die Worte Jahwes gelegt werden, dient als Wortmittler für die Nachkommen, wodurch er die Funktion des Mose übernimmt.608 Ferner wird so eine göttliche Funktion auf den Geistbegabten übertragen, da die Worte Gottes durch ihn nicht aus dem Mund seiner Nachkommen weichen werden, während in Dtn 18,18 und Jer 1,9 Gott selbst die Worte in den Mund der auserwählten Propheten gelegt hat. Insofern ist anzunehmen, dass der Geistbegabte als Nachfolger des Mose, also als Wort- bzw. Toramittler, geschildert wird (vgl. Dtn 5,23–32), womit der Text später als Dtn 18,18 zu datieren ist. Die Worte und der Geist sind in Jes 59,21 die Subjekte des Lexems ‫» מוׁש‬weichen«. Durch die Funktion des Auserwählten weichen die Worte und der Geist nicht aus dem Mund seiner Nachkommen, was seine Aufgaben als Mittler beschreibt. Diese Übernahme einer göttlichen Funktion findet sich auch in Jes 61,1: Jes 59,21 Jes 61,1

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In beiden Texten geht es um die Geistausgießung, dabei übernehmen die Geistbegabten eine wichtige Funktion, weshalb Jes 59,21 im Verhältnis zu Jes 61,1 zu begreifen ist,609 und weil sich das Suffix 1. Pers. Sg. von Jes  59,21 auf Jahwe 608 Vgl. J. Schreiner, Geistbegabung in der Gemeinde von Qumran, BZ N.F. 9, 1965, S. 179. In Qumran spielt die Geistbegabung für den Leiter eine große Rolle: „Ich preise dich, HERR! Denn du stütztest mich durch deine Kraft, und deinen heiligen Geist hast du auf mich ausgegossen“ [1 QH 7,6f.]. „Diese Geistausgießung macht ihn fähig, Gründer und Vater der Gemeinde zu sein, vor allem aber Künder göttlichen Willens und Vermittler von Offenbarung.“ Aber dies ist eine individuelle und eben keine kollektive Geistbegabung! 609 Der Geistbegabte entstammt der Priesterschaft, dagegen W. A. M. Beuken, Servant and Herald of Good Tidings, S. 416.422; W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 226, Anm. 107. Er versteht den Abschnitt Jes 59,20f als ergänzenden Zusatz (S. 261); vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 141; Für O. H. Steck bereitet Jes 59,21 den Heilsabschnitt Jes 60; 62 vor. Jes 61 gehört jedoch zur ersten Stufe der Tri-Jesaja-­Redaktion, während Jes 59 der vierten Stufe zuzuweisen ist (vgl. O. H. Steck, Tritojesaja im Jesajabuch, in: The Book of Isaiah – Le livre d‘Isaïe. Les Oracles Et Leurs Relectures. Unité Et Complexité de L‘Ouvrage, hrsg. von J. Vermeylen, BEThL 81, Leuven 1989, S. 388); U. Berges (Das Buch Jesaja, S. 443f) deutet die Passage Jes 61,1–3 im Horizont der Situationsbeschreibung von Neh 5, somit ist sie als Grundschrift von Tri-Jes zu verstehen. Demgegenüber rechnet er Jes 59 der Umkehr-Redaktion zu. Wie er mit Recht

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bezieht, sind die beiden Texte gleichzusetzen, und in diesem Sinne ist die Einschätzung von Jes 59,21 als „Übergangsvers“610 durch O. H. Steck zu akzeptieren. Weil der Geistbegabte in Jes 59,21 die Worte im Mund seiner Nachkommen in Ewigkeit bleiben lässt, so ist dieser Bund auch ein ewiger Bund (vgl. Jes 61,8), hier spielt der Geistbegabte als Wortmittler somit eine institutionelle Rolle. Er hat die Worte Gottes übernommen, so wie die Worte Gottes in den Mund des Aarons gelegt worden sind (‫ ירה‬Ex 4,15), weshalb sie als mündliche Tora zu begreifen sind (vgl. Dtn  31,9–13). Die Verkündigung durch den Geistbegabten in Jes 61 wird inhaltlich auf den Pentateuch bezogen (‫ – דרור‬Lev 25,10; vgl. Num 35; Gnadejahr – Lev 25,33; Priester Jahwes – Ex 19), daher ist das enge Verhältnis zwischen Geistbegabung und Tora unverkennbar. Weiterhin läuft die Aufgabe des Geistbegabten wahrscheinlich in einer Erbfolge weiter, denn Geist und Worte liegen nach Jes 59,21 nur auf der auserwählten Person. Werden die Worte von einer Person sowohl einer anderen Person als auch den Nachkommen mitgeteilt,611 gibt es starke Übereinstimmungen zwischen dieser Wortmittlerfunktion und der Aufgabe der Priester in Dtn  31,9–13. Sowie die Priester dem Volk das Gesetz am Ende von sieben Jahren verlesen sollen, damit das Volk es befolge, soll der Geistbegabte nach Jes 59,21 versuchen, die Worte in den Mund des Volkes bzw. der Nachkommen zu legen. Von diesem Hintergrund aus kommt die Aufgabe der Gesetzesbelehrung dem Hohenpriester zu, woraus zu ersehen ist, dass beide Texte große Ähnlichkeiten aufweisen; allerdings besteht auch ein Unterschied, da der Geist in Dtn 31,9–13 keine Rolle spielt. Im Gegensatz dazu kommt die Weitergabe des Geistes dem Geistbegabten zu. Daher ist es denkbar, dass Jes 59,21 wenig später als Dtn 31,9–13 verfasst worden ist.612 Dass die Verantwortung für den Geist urteilt wird in Jes 59*; 60*; 62* das Handeln Jahwes zum Thema, im Gegensatz dazu wird sein Wille in Jes 59,21 und Jes 61 durch einen Geistbegabten verwirklicht. Die Stadt Jerusalem in Jes 60 hat keinen Bezug zum Salbungsakt, weshalb sich Jes 59,21 direkt auf Jes 61 bezieht. In diesem Sinne ist die Einschätzung von O. H. Steck, dass Jes 59,21 als „Übergangsvers“, der nur in Verbindung mit Jes 59,21 und Jes 61 zu verstehen ist, diene, plausibel. L. Ruszkowski (Volk und Gemeinde im Wandel, S. 60–63) erkennt einen Bezug zwischen Jes 59,21 und Jes 61,1 durch das Stichwort ‫רוח‬: „59,21 redet hingegen vom Geist Jahwes als von einem prophetischen Attribut und steht dadurch in einem direktem Verhältnis zu 61,1.“ (S. 62). Zur Eigenständigkeit des Textes Jes 59,15b–20 vgl. K. Koenen, Ethik und Eschatologie im Tritojesajabuch, S. 67. 610 O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 31; vgl. C. Westermann, Das Buch Jesaja 40–66, S. 280. Für ihn steht Jes 59,21 dem Abschluss Jes 66,20–24 nahe. 611 Vgl. H. Knobloch Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 208. 612 Dagegen H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 208. Aber nach Ex 4,15 hat der Priester Aaron die Funktion des Mose als ­Wortmittler

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beim Priester liegt, ist im AT sehr ungewöhnlich. Hier wird wahrscheinlich das deuterojesajanische Konzept aufgenommen (vgl. Jes 42,1–4).613 In Jes 42,1 und 59,21 geht es um die Funktion des Geistbegabten, weshalb hier eine Verknüpfung zwischen DtJes und TriJes vorliegt. Dennoch besteht ein großer Unterschied, da in Jes 59,21 der Geist darüber hinaus durch seine Funktion nicht von den Nachkommen weichen wird. Diese Erklärung macht es möglich, Jes 42,1 und Dtn 31,9–13 für Jes 59,21 vorauszusetzen. Unter Berücksichtigung, dass Jes 61,1 mit Jes 59,21 zu verbinden ist, wird der Geist durch den Wortinhaber und Geistbegabten an die Nachkommen weitergegeben. Durch die Verbindung von Geist und Wort dient der Geist der Wortbefolgung, wobei der Hohepriester eine leitende Funktion für das Wort innehat (vgl. Dtn 31,9–13). Weil er die Aufgabe übernimmt, das Wort mitzuteilen, ist in Jes 59,21 und 61 vom institutionellen Sonderstatus des Hohenpriesters die Rede.

2.3.2 Sach 6 und Jes 61 Die Übertragung königlicher Funktionen auf den Geistbegabten setzt voraus, dass das Ausbleiben eines Davididen auf dem Thron der Provinz Jehud in der Folgezeit akzeptiert worden ist (vgl. Sach 6,11). In Sach 6 kommt dies nicht nur zum Ausdruck, sondern es wird hier auch eine neue Lösung offeriert. Die politische Repräsentanz der Priesterschaft wird in Sach 6 offenkundig, indem eine Krönung am Priester Joschua vollzogen wird! Hier ist jedoch nicht von »einer Krone« im Singular, sondern sogar von »Kronen« (V. 11 ‫)ועׂשית עטרות‬614 die Rede. Entscheidend ist, dass sie nicht Serubbabel, sondern dem Priester Joschua, der in Sach 6,12 als Spross bezeichnet wird, aufgesetzt werden. Das Wort ‫» צמח‬Spross« spielt bei Jesaja eine wichtige Rolle (23,5; 33,15), es dient dort aber zur Bezeichnung eines Davididen (Jer 23,5 ‫)והקמתי לדוד צמח צדיק‬. In Sach 3,8 ist der von Jahwe gesandte übernommen, wobei der Geist jedoch keine Rolle spielt. Das Verhältnis von Geist und Gesetz thematisiert erst Ez 36,26f, und außerdem revidiert dieser Abschnitt, der später als die Endredaktion einzuordnen ist, mit ziemlicher Sicherheit Jer 31,33 und Dtn 30,14. S. u. Ez 36 (2.3.1). 613 Vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 226; H. Knobloch Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 206. 614 Vgl. H.-G. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, ATD 25/2, Göttingen 1993, S. 72. In V. 14 steht das Verb im Singular, obwohl sein Subjekt ‚Krone‘ im Pl. steht. Er löst das Problem, indem er ‚–ot‘ als archaische Singularendung bestimmt. Dies ist jedoch abzulehnen, denn ‫ עטרות‬wird in der LXX auch als Plural übersetzt (stefa,nouj).

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Spross nicht der Priester Joschua, denn der Priester bleibt unter denen des adressierten Auditoriums. Darum ist der häufige Vorschlag verständlich, dass im Text ursprünglich von einer Krönung Serubbabels, des Onkels Jojachins (1 Chr 3,19), die Rede gewesen ist (BHS), aber nach dem Scheitern dieser Davididenhoffnung ist der Text überarbeitet worden.615 In Sach 6,12 wird Joschua als Spross bezeichnet und auf ihn wird eine Zukunftsaussage bezogen: er wird den Tempel des HERRN bauen. In einer früher zu datierenden Nachtvision ist dies aber die Aufgabe Serubbabels gewesen (Sach 4,9). Weiterhin wird in Sach 4 und 6 berichtet, dass Serubbabel zwar die ­Grundmauern des Tempels gelegt habe (Sach 4,9), aber der Bau ist nicht durch ihn,616 sondern erst vom Hohenpriester vollendet worden. Somit sind die Serubbabel betreffenden Textpassagen wahrscheinlich entweder entfernt oder revidiert worden. In diesem Zusammenhang sind die Legitimation des Hohenpriesters und die priesterliche Hierokratie in Sach 6 zu erkennen. Die Texte Sach 6,9–15 und Jes  61 sind thematisch durch den priesterlichen Sonderstatus verbunden und sie stehen sich damit auch wohl zeitlich nahe. Darum ist Jes 61 terminus a quo in die 1. Hälfte des 5. Jh. und Jes 59,21 dementsprechend in die 2. Hälfte des 5. Jh. zu datieren.

2.4 Zusammenfassung In Jes 61 ist von der Berufung eines Hohenpriesters die Rede, wobei viele Parallelen mit den Jahwe-Knecht-Liedern bzw. DtJesaja bestehen: die Geistbegabung (Jes 61,1 – Jes 42,1; vgl. Jes 44,3), frohe Botschaft (‫ בׂשר‬Jes 61,1 – Jes 52,7) und die Freilassung (Jes 61,1 – Jes 42,7), wodurch Charakteristika der Jahwe-KnechtLieder aufgegriffen werden. Beide Figuren dürfen aber nicht miteinander identifiziert werden, da auch wichtige Modifikationen bestehen: Geistbegabung mit der Ölsalbung, Gnadenjahr und Zweck der Geistbegabung. Also dient die Übernahme der Elemente in Jes 61 zur Beschreibung einer ganz anderen Figur, nämlich des Hohenpriesters. Zugleich wird hier aber durch ‫ כהני יהוה‬und ‫ מׁשח‬die priesterliche 615 Vgl. K. Elliger, Die Propheten. Nahum, Habakuk, Zephanja, Haggai, Sacharja, Maleachi, ATD 25/2, Göttingen 1950, S. 120; J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 342. Allerdings besteht keinerlei Bezug auf die Visionsgeschichte; dagegen H.-G. Reventlow, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, S. 71. 616 Ein wichtiger Grund ist, dass die Perser ihn wegen politischer Umtriebe zum Rücktritt zwangen. Vgl. H. Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn in Grundzügen 2, S. 449.

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Funktion der Z ­ ionsgemeinde artikuliert, wozu das Lexem ‫ כהן‬von V. 10 im Stamm 617 Piel dient. Der Hohepriester soll die eigentlich vom König zu verkündende Freilassung (‫ )דרור‬und den göttlichen Heilsakt vermitteln. Durch diese Übernahme fungiert er während der Zeit, in der ein davidischer König ausbleibt, sowohl als König als auch als Vermittler zwischen Gott und Volk. Er ist von Gott selbst zu dieser Aufgabe legitimiert worden, da der Geist Jahwes auf ihm ruht und Jahwe ihn ­gesalbt hat, wodurch er auch die institutionelle Funktion der Toravermittlung übernommen hat (vgl. Dtn  31,9–13; Jes  59,21). Weil der Inhalt seiner Verkündigung in Jes 61 Bezug auf den Pentateuch nimmt (Lev 25; Num 35; Ex 19), kann der Geistbegabte aufgrund seiner Geistbegabung zum Toralehrer der Israeliten und ihrer Nachkommenschaft werden (vgl. Ex 4,15; Dtn 31,12). Hier ist explizit zwar vom Verhältnis von Geist und Wort- bzw. Gesetzesgehorsam die Rede, indem die Funktion des Toramittlers anhand der Geistbegabung akzentuiert wird. Somit ist Jes 61 wie Sach 6 und Neh 5 der Nehemiazeit zuzuweisen. Im Gegensatz zum Dtn, DtrG und Jeremiabuch ist bei Jesaja eine ganz andere Form des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams zu erkennen. Ist er dort durch die Redewendung »mit (ganzem) Herzen« ausgedrückt worden, übernimmt hingegen nun im Jesajabuch der Geist die zentrale Hauptrolle, was sich so schematisieren lässt618: Geistbegabung des Jahwe-Knechts (Jes  42,1–4) → Geistbegabung des auserwählten Priesters! Entscheidend ist weiterhin, dass nun auch ein Mittler für den Toragehorsam wichtig wird, während der Toragehorsam im Dtn, DtrG und Jeremiabuch direkt auf den einzelnen zielt. Somit sind zwei ganz unterschiedliche Gehorsamsformen zu unterscheiden, die jedoch später bei Ezechiel verschmolzen werden (vgl. Ez 36,26f ).

617 Das Wort ist so zu verstehen: als Priester amtieren, Priesterdienst tun und das Priesteramt verwalten (Ex 28,1.3f.41; 29,1.44; 30,30; 40,13.15; Lev 7,35; Num 3,4; Dtn 10,6; 1 Chr 5,36; 24,2; Ez 44,13). vgl W. Gesenius und F. Buhl, Wilhelm Gesenius Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament: unter verantw. Mitarb. von U. Rüterswörden bearb. und hrsg. von R. Meyer, Berlin 1987ff; vgl. E. Jenni, Das hebräische Pi´el. Syntaktisch-semasiologische Untersuchung einer Verbalform im Alten Testament, Zürich 1968, S. 272. 618 Mit Ausnahme von Jes 51,7.

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3. Wortempfang und Toravermittlung: Dtn 18-Jer 1: Jes 51,16–59,21 In Dtn 18 wird das Thema, das in Jer 1,9 aufgenommen wird, einen Propheten wie Mose zu senden, behandelt. Diese Verheißung ist im Vergleich zum Toragehorsam mit ganzem Herz in Dtn 6,5 auffällig, da sie in Jes 51,16 und 59,21 in ähnlicher Weise formuliert wird, weshalb das literarische Verhältnis zwischen Dtn 18 und Jes 51,16; 59,21 zu klären ist.

3.1 Propheten wie Mose: Dtn 18,15.18 und Jer 1,7bβ.9 Manche Exegeten verstehen den Text Dtn 18,15–20 als traditionell deuteronomistisch, da er auf den Abschnitt Dtn  5,22–30 zurückzuführen sei619 und die „­historisierende Gebotseinleitung“620 in Dtn  18,9–13 (‫ )כי אתה בא‬das erste Gebot auslege, indem sie verlange, auf kanaanäische Kultpraktiken zu verzichten. Dagegen zeigt R. Achenbach durch den Vergleich von Ex 20,18– 21; Dtn 5,25–30 und 18,15–18, dass Dtn 18,15–18 nicht der dtr Schicht zuzurechnen, sondern eine spätere Ergänzung ist, also als spät-dtr zu verstehen ist.621

619 Vgl. U. Rüterswörden, Das Buch Deuteronomium, S. 123; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 319, Anm. 395. Mose als Prophet ist eine ­deuteronomistische Bezeichnung; vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 123.194; ders., Das Deuteronomium krönt die Arbeit der Propheten, S. 290. 620 C. Schäfer-Lichtenberger, Josua und Salomo. Eine Studie zu Autorität und Legitimität des Nachfolgers im Alten Testament, VT.S 58, Leiden 1995, S. 56.59. Das ­Königs- und das Prophetengesetz werden durch eine historisierende Gebotseinleitung verbunden. Sie legt in Dtn 18,9 (‫ )כי אתה בא‬das erste Gebot aus, indem sie verlangt, auf kanaanäische Kultpraktiken zu verzichten. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 114. 621 Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 7f. In Ex 20,19; Dtn 5,25 und Dtn 18,16 geht es um die Bitte des Volkes um eine Mittlerschaft. Die Gegenstände der Promulgation sind allerdings unterschiedlich: in Ex 21,1 »Gesetze« ‫מׁשפטים‬, aber in Dtn 5,31 und 6,1f »all die Gebote und die Ordnungen und die Gesetze« ‫כל־המצוה והחקים והמׁשפטים‬. Durch die Übernahme beider Texte wird in Dtn 18,15–18 betont, dass das Volk hören soll, was ein Auserwählter sagt; vgl. M. Rose, 5. Mose 12–25, S. 95.

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Dtn 5

`brxb tyrb wnm[ trk wnyhla hwhy2 twmn hml ht[w25 tazh hldgh vah wnlkat yk [mvl wnxna ~ypsy-~a wnyhla hwhy lwq-ta `wntmw dw[ hwhy [mvyw28 yla ~krbdb ~kyrbd lwq-ta yla hwhy rmayw hzh ~[h yrbd lwq-ta yt[mv `wrrd rva-lk wbyjyh $yla wrbd rva $yla hrbdaw ydm[ dm[ hp htaw31 ~yjpvmhw ~yqxhw hwcmh-lk ta ykna rva #rab wf[w ~dmlt rva `htvrl ~hl !tn

Dtn 18

$yhla hwhy ~[m tlav-rva lkk16 rmal lhqh ~wyb brxb [mvl @sa al yhla hwhy lwq-ta tazh hldgh vah-taw `twma alw dw[ hara-al yla hwhy rmayw17 `wrbd rva wbyjyh $wmk ~hyxa brqm ~hl ~yqa aybn18 wypb yrbd yttnw `wnwca rva-lk ta ~hyla rbdw

In Dtn 18,15–20 geht es um die göttliche Verheißung eines Propheten wie Mose, die Offenbarung Gottes und die Mittlerschaft des Mose sind im Pentateuch noch in Ex 20,19–21 und Dtn 5,25–27 zu finden. Während es in Ex 20 und Dtn 5 um den Dekalog geht, erinnert die Passage in Dtn 18,16 an das Ereignis am Horeb, die sog. Horeboffenbarung, die eher auf Dtn 5 zurückzuführen ist (Dtn 5,2). Die Offenbarung in Dtn 18 ist außerdem mit der Verheißung, einen Propheten wie Mose zu senden, verbunden (Dtn 18,15.18), so dass Israel in der Zukunft einen ­Propheten wie Mose, um das Wort Gottes zu lehren (‫ אליו תׁשמעון‬Dtn 18,15), ­erwarten kann. Somit wird hier ein weiterer Offenbarungsmittler eingeführt, also ist die Offenbarung in Dtn 5 als Hintergrund für das Prophetengesetz in Dtn 18,18 zu verstehen, wodurch Dtn 18,18 jünger als dtr zu datieren ist.622 Die anderen Belege beziehen sich auf die gegenwärtige Offenbarung. In Dtn  18,15–20 wird hingegen ein zukünftiger Offenbarungsvermittler erwähnt, indem ein Auserwählter, in dessen Mund die Worte durch Jahwe gelegt werden, als Nachfolger des Mose zugesagt wird. Also ist die Redewendung ‫בפיו‬ ‫ונתתי דברי‬, die sich nicht in Dtn 5 und Ex 20 findet, als Verheißung zu verstehen (Jes 51,16; Jer 1,9; vgl. Ez 3,2f.10). Entscheidend ist, dass die Tora- bzw. 622 Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 7–10.

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­Gesetzesvermittlung623 an eine mosaische Mittlerfunktion gebunden wird, während der Toragehorsam im Dtn und DtrG individualisiert wird („mit ganzem Herzen“ Dtn 6; 2 Kön 23,25). Auf dieser Hoffnung, der Sendung eines Propheten wie Mose, beruhen die prophetischen Berufungsberichte (Jer 1,9; vgl. Jes 51,16; Ez 3,2), wobei sie primär zur Legitimation dienen. Die Wendung ‫ ונתתי דברי בפיו‬kommt einerseits mit dem Verbum ‫( נתן‬Dtn 18,18; Jer 1,9), anderseits mit ‫ ׂשים‬vor (Ex 4,15; Num 22,38; 23,5.12.16; Jes 51,16; 59,21; vgl. 1 Kön 8,15.24). Eine inhaltliche Parallele findet sich in Ez 3,1f, wo der Prophet Ezechiel eine Schriftrolle isst. Im Pentateuch ist das Wort-Legen in den Mund in Ex 4,12 belegt (‫)אׁשר תדבר והוריתיך‬. Für die Beschreibung der Gestalt vieler Propheten in der Verheißung von Dtn 18,18 dient Mose als Vorbild. In diesem Zusammenhang ist eine Rezeptionsmöglichkeit624 zwischen der prophetischen Darstellung des Mose und anderen prophetischen Gestalten zu erkennen (vgl. Ex 4,15; Num 22,38; 23,5.12.16). Dass Jer 1,9 als Bekräftigungshandlung zu verstehen ist,625 ist vorauszusetzen, da die Rede ‫ נתתי דברי בפיך‬schon als ein Zeichen zu verstehen ist. Wenn sie als Bekräftigungszeichen dient, bedeutet sie nicht bloß das göttliche Einlegen der Worte in den Mund (vgl. Num 23,5; 1 Kön 22,23). Für C. Levin bildet V. 9 den ursprünglichen Text der Jeremiaberufung.626 Dagegen weist W. Thiel Jer 1,4–10 der deuteronomistischen Redaktion (D627) zu, denn Dtn 18,18 würde in Jer 1,7bβ und

623 In diesem Zusammenhang ist ‫» דברי‬meine Worte« in Dtn 18,18 als kanonisch verschriftlichte Tora zu verstehen. Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 8; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7. Den „Hexateuch“ führt er auf die spät-dtr Redaktion zurück. 624 Vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 146. 625 Vgl. W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia 1–20, S. 47. 626 Vgl. C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, S. 150f. Für ihn gilt Jer 1,4–5a.6.9.11–14 im Berufungsbericht als ursprünglich, hingegen werde in VV. 6.9 die Jesajavision und in VV. 11–14 die vierte Amosvision (Am 8,2) aufgenommen und umformuliert. B. Duhm (Das Buch Jeremia, KHC XI) ordnet in seinem Kommentar den Gesamttext drei großen Gruppen zu: 1. Gedichte Jeremias, 2. Biographie Jeremias von Baruch, 3. Ergänzungen. S. Mowinckel (Zur Komposition des Buches Jeremia, Kristiania, 1914) nimmt dagegen folgende Aufteilung vor: A. Sammlung jeremianischer Orakel; B. Sammlung volkstümlicher Erzählungen über Jeremia; C. Reden; D. Heilsweissagungen in Kapitel 30 und 31. Jer 1,1–10 gehört für ihn zu A; dagegen versteht W. Rudolph VV. 4–10 als Teil der „Urrolle“ (Jeremia, HAT 1,12, Tübingen 1968, S. 4). 627 Zu diesem Siglum vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 43; zur späteren Bearbeitung vgl. G. Wanke, Jeremia 1,1 – 25,14, S. 28f. 1.

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9bβ interpretiert und aus dem Wortlaut von Dtn 18,18bα ist in D eine Szenenschilderung entwickelt worden:628 „Wird hier von D die Verheißung eines Propheten ‚gleich Mose‘ aufgenommen, […] so wird daraus die Hochschätzung Jeremias durch D deutlich.“629 In diesem Sinne hat er seine Berufung als „die letzte Chance“630 Israels interpretiert. Für G. Fischer hingegen bezieht sich der Berufungsbericht auf Dtn 18,18, sodass dessen Verheißung in Jeremia erfüllt wird, und der Abschnitt Dtn 34,10–12 sei als Bezugstext des Berufungsberichtes Jeremias in Anschlag zu bringen: „Jer 1 behauptet damit über Dtn 34,10–12 hinausführend, dass Gott nun den angekündigten »Propheten wie Mose« sendet, eben in Jeremia.“631 E. Otto632 datiert Jer 1,9 in die nachexilische Zeit, denn die Jeremiaberufung setze das (Proto)-Jesajabuch sowie das Buch Micha voraus. Weiterhin verbinde Jer 1,16 (‫ )ויקטרו לאלהים אחרים ויׁשתחוו למעׂשי ידיהם‬das Hulda-Orakel in 2 Kön 22,15 mit Jer 2,8 und Mi 5,12. Das Konzept »Jeremia als Prophet wie Mose« wird durch „die Prophetentheorie der Pentateuchredaktion (Dtn 34,10) gleichermaßen wie deren Verschriftungs- und Offenbarungstheorie abrogiert“.633 Die Rezeption von Dtn 18,18 in Jer 1,7bβ.9 beweisen folgende Indizien: Dtn 18,18

$wmk ~hyxa brqm ~hl ~yqa aybn wypb yrbd yttnw wnwca rva-lk ta ~hyla rbdw

628 629 630

631 632 633

166

Jer 1,7bβ.9

yla hwhy rmayw yp-l[ [gyw wdy-ta hwhy lvyw9 `$ypb yrbd yttn hnh `rbdt $wca rva-lk taw7bβ

Durch die Einfügung von 7bβ.9b wird Jeremia als der von Mose angekündigte Prophet bezeichnet; 2. Durch ‫ גוים‬in V. 5 und V. 10 wird Jeremia zum Völkerpropheten. G. Fischer (Jeremia 1–25, S. 132–133) versteht Jer 1,4–19 in wörtlicher, inhaltlicher und sachlicher Hinsicht als Einheit, allerdings deutet er den Text nicht als Anfang einer Jeremiabiographie, sondern als sekundären Einschub. Vgl. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 71. W. Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S. 71. W.  Thiel, Die deuteronomistische Redaktion von Jeremia 1–25, S.  71; vgl. F. ­Crüsemann, Die Tora, S. 280f. Er hat das Prophetengesetz in Dtn 18,18 als Iterativ verstanden, so dass die Passage so zu übersetzen ist: Einen Propheten aus deiner Mitte [immer wieder] erstehen lassen. Seine Interpretation ist jedoch abzulehnen, weil der Ausdruck in der nachexilischen Prophetie nicht belegt ist, während sie sich bei Jesaja (51,16), Jeremia (1,9) und Ezechiel (3,3) findet. Der Ausdruck ist allerdings als spätere Einfügung zu verstehen. Vgl. G. Fischer, Jeremia 1–25, HThKAT, Freiburg i. Br. 2005, S. 139. Vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 138.146. Er hat Mi 5,12 der späten nachexilischen Zeit zugewiesen. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 208.

Das Lexem ‫ נתן‬in Dtn 18,18 wird als AK‫ו‬, aber in Jer 1,9 wird es als AK formuliert. Ferner wird der Ausdruck ‫ ודבר אליהם את כל־אׁשר אצונו‬mit nur zwei Änderungen fast wörtlich in Jer  1,7bβ zitiert: 1. Suffixänderung (von ‫אצונו‬ zu ‫)אצוך‬, 2. Das konjugierte Lexem ‫( דבר‬von ‫ ודבר‬zu ‫ )תדבר‬wird vom Anfang an das Ende des Satzes umgestellt. Außerdem wird die Jesajaberufung in Jer 1,9 aufgegriffen. Auf dieser Voraussetzung basierend wird der Berufungsbericht Jeremias programmatisch verfasst, wobei mehrere Vorlagen kombiniert ­werden.634 Jes 6,7a Dtn 18,18bα Jer 1,9aβb

hnh wypb yrbd yttnw $ypb yrbd yttn

hnh

rmayw yp-l[ [gyw yla hwhy

rmayw yp-l[ [gyw

Da die Passage Dtn 18,18 in Jer 1,7.9 rezipiert ist, ist der Berufungsbericht somit nicht früher, sondern später als spät-dtr zu datieren. Falls die Angabe in Jer 1,9 als Erfüllung der Verheißung in Dtn 18,18 anerkannt werden kann, ist davon auszugehen, dass der Abschnitt Jer  1,9 das Epitaph Dtn  34,10–12 nicht gekannt hat, wo Mose als unüberbietbarer Prophet dargestellt wird,635 was den prophetischen Rang Jeremias gleichzeitig relativierte. Also steht der Berufungsbericht Jeremias zeitlich gesehen wahrscheinlich zwischen Dtn 18,18 und Dtn 34,10–12. Dementsprechend ist die Wendung »meine Worte« yrbd, die durch Jahwe in den Mund Jeremias gelegt werden, am wenigsten als spät-dtr Tora zu verstehen (vgl. Jos 24,26).636

634 Vgl. H. Knobloch, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches, S. 204. Er hat durch den Sprachvergleich von Ex 3,20a (‫את־ידי והכיתי את־מצרים‬ ‫ )וׁשלחתי‬und Jer 1,9aα (‫ )ויׁשלח יהוה את־ידו‬zu zeigen versucht, dass hier die Moseberufung als Modell dient. Die sprachliche Beweisführung seiner These ist nicht zu bestreiten, jedoch ist im Ziel der Redewendung in ihrem jeweiligen Kontext eine Differenz unverkennbar; vgl. dazu W. H. Schmidt, Das Buch Jeremia 1–20, S. 47. 635 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 208. 636 Jos 24 berichtet über eine Verschriftlichung der Tora durch die Hand Josuas, doch damit ist nicht das Pentateuch, sondern das Hexateuch gemeint (Gen 50,24f; Jos 24,32). Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 220; E. Blum, Der kompositionelle Knoten am Übergang von Josua zu Richter, in: Deuteronomy and deuteronomic literature. Festschrift C. H. W. Brekelmans, hrsg. von M. Vervenne u. J. Lust, BEThL 133, Leuven 1997, S. 202f.

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3.2 Jes 51,16; 59,21 Interessanterweise kommt die Redewendung ‫» ואׂשים דברי בפיך‬ich lege meine Worte in deinen Mund« in DtJes vor (Jes 51,16), wobei jedoch anstatt ‫» נתן‬geben« das Lexem ‫» ׂשים‬legen« gebraucht wird: Dtn 18,18

$wmk ~hyxa brqm ~hl ~yqa aybn wypb yrbd yttnw wnwca rva-lk ta ~hyla rbdw

Jes 51,16

$ytysk ydy lcbw $ypb yrbd ~yfaw #ra dsylw ~ymv [jnl hta-ym[ !wycl rmalw

Aus den literarischen Verbindungen zwischen Jes 50 und 51 schließt O. H. Steck, dass V. 15 keine Ergänzung, sondern eine redaktionelle Eigenbildung sei: „50,1aα mit 51,17ff. (bis 54,8?); 50,1aβ mit 51,13b.14 (Verkauf, Befreiung), 50,1bα mit 51,13abα (Verkauf wegen Sünden / vergessen, beben, vgl. unter (4): Einfluß von 43,22ff. auf V. 13); 50,1bβ mit 51,12b (Jerusalem); 50,2aα mit 51,12a (Zuwendung Jahwes) und schließlich 50,2–3 mit 51,9–10a (derselbe Traditionshintergrund).“637 Wenn Jes 51 mit den voranstehenden Texten zu verbinden wäre, wäre der Konnex zwischen Jes 51,16 und Dtn 18,18 dementsprechend schwach. Für H.-J. Hermisson bildet Jes 51,15f jedoch einen Nachtrag, der an die Jahwe-Knecht-Lieder in Jes 49,2 und Jes 50,4 anknüpft.638 Diese Verbindung mit Deuterojesaja erlaubt die These, dass Jes 51* frühnachexilisch zu datieren ist. Obwohl die Heilswende bislang ausgeblieben ist, verkündigt er die Trostrede (vgl. Jes 51,14), in der er sich die Befreiung des Gefangenen erhofft (‫;פתח‬ vgl. ‫ פקח‬Jes 61,1).639 Und die Verzögerung der Heilswende640 wird durch ‫» מהר‬bald« erläutert (vgl. Jes 51,14).641 Durch Aufgreifen der Jahwe-Knecht-Lieder stellt sich der 637 O. H. Steck, Gottesknecht und Zion, S. 67.71. V. 15 ist keine Ergänzung, sondern eine redaktionelle Eigenbildung. Dazu werden einerseits verschiedene vorgegebene Formulierungen der Jahwe-Knecht-Lieder (vgl. V. 16aα / 49,2aα; V. 16aβ / 49,2aβ), und andererseits Verse aus Jer 1 (vgl. V. 16aα / Jer 1,9bβ) in V. 16 aufgenommen; aber wenn Jes 51,16 eng mit Jes 49,2 verbunden wird, ist die Verbindung zu Dtn 18,18 relativ locker, denn Dtn 18,18 könnte später als Jes 51,16 sein. 638 Vgl. H.-J. Hermisson, Einheit und Komplexität Deuterojesajas, S. 300, Anm. 55; C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, S. 243f, Anm. 170; W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 226. Er erkennt einen literarischen Bezug zwischen Jes 42,1 (‫ )נתתי רוחי עליו‬und Jes 51,16 (‫)ואׂשים דברי בפיך‬. 639 Vgl. O. H. Steck, Gottesknecht und Zion, S. 68. 640 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 390. 641 Vgl. H.-J. Hermisson, Einheit und Komplexität Deuterojesajas, S. 295. Darum wird der Abschnitt auch als »qarob«-Schicht oder »Naherwartungsschicht« benannt. Das Stichwort qarob begegnet in Jes 51,5; 55,6 (vgl. Jes 50,8; 56,1).

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Wortinhaber als Jahwe-Knecht dar, insofern bietet der Vergleich mit den deuterojesajanischen Texten wahrscheinlich keinen Anhalt für die unmittelbar wörtliche Verbindung von Jes 51,16 und Dtn 18,18.642 Mittels seiner Verkündigung schließt Gott einen Bund mit dem Volk (‫)עמי־אתה‬, wozu die Funktion des Wortmittlers dient.643 Hier wird eine nachexilische prophetische Offenbarungstheorie von Schriftgelehrten, die sich den Prophetenmantel umgeworfen haben (vgl. Sach 13,4),644 sichtbar. Eine parallele Selbstprädikation findet sich noch einmal in Jes 59,21, dabei sind die Beziehungen der Abschnitte nicht zu ignorieren: Jes 51,16

Jes 59,21

$ypb yrbd ~yfaw hwhy rma ~twa ytyrb taz ynaw $ytysk ydy lcbw $yl[ rva yxwr #ra dsylw ~ymv [jnl $ypb ytmf-rva yrbdw hta-ym[ !wycl rmalw $[rz ypmw $ypm wvwmy-al $[rz [rz ypmw ~lw[-d[w ht[m hwhy rma

Jes 61,1a.8bβ

`~hl twrka ~lw[ tyrbw8bβ yl[ hwhy ynda xwr1a

Die Texte Jes 51,16 und 59,21 bilden inhaltlich eine Parallele, da die Worte in den Mund des Auserwählten gelegt werden, obwohl die Wendung ‫ׂשמתי בפיך‬ in Jes 59,21 als Relativsatz formuliert wird, wobei ‫» בריתי‬mein Bund« an die Bundesformel (‫ )עמו אתה‬von Jes 51,16 erinnert. In der Selbstproklamation von Jes 59,21 fällt auf, dass die Worte Jahwes mit dem Geist verbunden sind, indem sowohl ‫» דברי‬meine Worte« als auch ‫» רוחי‬mein Geist« als Subjekte des Lexem ‫» מוׁש‬weichen« dienen (Jes 59,21). Weiterhin wird das Nicht-Weichen der Worte Jahwes aus dem Mund der Nachkommen als Bundesschluss ausgesprochen, insofern ist der Bund als ewiger Bund, wie in Jes 61,8, zu verstehen. Also wird hier eine sachliche Verbindungslinie zwischen Jes 51,16 – 59,21 – 61,1a.8bβ sichtbar, wobei die Passage Jes 59,21 als „Übergangsvers“645 fungiert. Ferner erscheint dieser Geist wiederum in Jes 61,1, und die Worte werden nicht direkt in den Mund des Volkes, sondern durch die Tätigkeit des Geistbegabten in den Mund der Nachkommenschaft gelegt (Jes 59,21; vgl. Jes 61,1). Im Gegensatz zu anderen Wortmittlern ist der Auserwählte in Jes 59,21 und 61,1 dazu durch die Geistbegabung

642 Vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 146. 643 Zum kollektiven Verständnis des Wortinhabers in Jes 51,16 vgl. dagegen C. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes, S. 243f., Anm. 170. 644 Vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 360; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 232. 645 O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 31.

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legitimiert worden, insofern ist der Konnex zwischen Wortmittlerschaft und Geistbegabung unverkennbar. Das Konzept des Wortmittlers von Jes 59 steht sprachlich näher zu Jes 51,16 als zu Dtn 18,18. Aber obwohl die Figuren in Jes 59,21 und Dtn 18,18 unterschiedlich zu verstehen sind,646 weisen die Texte in der Funktion des Wortmittlers eine Parallele auf. Wenn Jes 59,21 zeitlich später als Dtn 18,18 zu datieren ist,647 dann ist es auch möglich, dass das Konzept eines mosaischen Wortmittler in Jes 59,21 aufgenommen worden ist. Hier findet sich ein großes Interesse an der Verbindung von Geist und Tora. Dies geht auf Vorstellungen der Jahwe-Knecht-Lieder zurück, darum werden hier die Mittlerschaft und die Funktion des Geistes verknüpft. Folglich wird im Gegensatz zur Form des Toragehorsams im Dtn, DtrG und Jeremiabuch, wo er durch ‫לב‬/ ‫( לבב‬vgl. Dtn 6,5; 2 Kön 23,25; Dtn 30,2) auf den Einzelnen zielt, der Toragehorsam im Jesajabuch durch den Wortmittler ­ermöglicht und bewahrt (vgl. Dtn 18,18). Unabhängig von der mosaisch-prophetischen Darstellung des Wortmittlers bildet die Passage Jes 51,16 eine selbständige Vorstellung des Wortmittlers durch Aufnahme deuterojesajanischer Vorstellungen, besonders der Jahwe-Knecht-Lieder. Für Jes 59,21 kommt eine Assoziation zwischen Dtn 18,18 und Jes 51,16 in Betracht, weil der Geistbegabte für den Torabzw. Gesetzesgehorsam die Verantwortung übernimmt, während die Verbindung von Geist und Herz für ihn ganz außer Betracht bleibt.

646 Die Figur in Dtn 18,18 ist zweifellos prophetisch, während sie in Jes 59,21 und 61,1 wahrscheinlich als priesterlich zu verstehen ist, da die Ölausgießung für Propheten untypisch ist. In Ex 4,15 ist zu erkennen, dass hier Dtn 18,9–22 und Jes 59,21 einander angeglichen werden. Wörtlich bezieht sich die Passage Ex 4,15 auf Jes 59,21 (‫)ואׂשים‬, aber inhaltlich wird die in Dtn 18,18 formulierte Offenbarungstheorie in Ex 4,15 revidiert, indem Mose, der die Worte dem Priester Aaron in den Mund legt (‫וׂשמת‬ ‫)את־הדברים בפיו‬, als Erzprophet geschildert wird (Dtn 34,10–12); vgl. E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 142. 647 S. o. Jes 61 (2.3.1).

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4. Dtn 34: Erfüllung mit dem Geist der Weisheit Die Verfasserschaft oder Quellenzuschreibung von Dtn 34 ist umstritten, da verschiedene Themen, wie die Erzählung des Mosetodes (Dtn  34,1–5; vgl. Num 27,12–14; Dtn 3,23ff; 31,1–8; 32,48–52) und eine Spannung in der Darstellung des Mose (Dtn 34,7; vgl. Dtn 31,2), hier verbunden worden sind. Ferner wird die Unüberbietbarkeit des Mose im Epitaph Dtn 34,10–12 zum Thema (vgl. Ex 33,11; Num 12,8), weshalb der Abschnitt durch den Vergleich mit nahestehenden Stellen näher bestimmt werden muss. In Dtn  34,9 wird die Rûaḥ der Weisheit erwähnt, die mit dem priesterlichen Ausdruck (Ex 28,3; vgl. Ex 31,3; 35,31) zu vergleichen ist. Trotz der sprachlichen Parallele besteht aber keine Beziehung, weil diese Passage thematisch an Num 27,18, wo von der Handaufstemmung des Mose auf Josua berichtet wird, anknüpft (vgl. Numm 11,17). Der Vergleich beider Abschnitte macht die Verfasserintention sichtbar, es soll gezeigt werden, dass das Ziel der Geistausgießung auf Josua dem Toragehorsam dienen soll, da das Volk Israel den Befehlen Josuas gehorsam folgt. Insofern ist die Aktivität Josuas als die eines Geistbegabten zu deuten, und die thematische Beziehung mit Jes 61 impliziert eine Verbindungslinie der Traditionen.

4.1 Formanalyse Der Ausdruck ‚Und Mose stieg auf‘ findet sich mehrfach im Pentateuch und leitet oft ein neues Thema ein (Ex 24,1.9.15; Num 27,12; Dtn 32,49), und manchmal dient er zur Einleitung von Offenbarungsberichten (Ex 19,20; 24,12; 34,4). In Dtn 34 wird Mose zumindest erlaubt, das verheißene Land zu sehen (VV. 1b.2), wodurch er gegenüber Aaron, der dieses Land nie zu sehen bekommt (Num 20,22f ), eine höhere Position gewinnt. Jedoch ist es auch ihm nicht gestattet, es zu betreten (V. 4). Bedeutsam ist, dass ‚der Gipfel des Pisga‘, zu dem Mose a­ ufsteigen soll, und das Gebiet ‚Bet-Peor‘ gegenüber, wo er begraben wird (V. 6), an sich als Erbe dem Stamm der Söhne Rubens zugefallen sind (‫ ובית פעור ואׁשדות פסגה‬Jos 13,15.20; vgl. Dtn 3,27.29). Zu dieser Lokalisierung hat R. Achenbach jedoch mit Recht angemerkt, „dass das Ostjordanland hier offensichtlich nicht zum Verheißungsland gezählt wird.“648 Der Aufstieg des Mose und die Erlaubnis des Sehens des verheißenen Landes werden schon in Dtn 3,27 angedeutet. Im Gegensatz dazu wird in Dtn 34,1bβ–3 berichtet, was er auf dem Berg Pisga gesehen hat, und weiterhin wird 648 R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 329; vgl. dazu M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 583f.

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das verheißene Land durch Ortsangaben genauer beschrieben.649 Also ist Dtn 3,27 als Befehl (‫עלה‬, ‫ וׂשא‬und ‫ )וראה‬und Dtn 34,1 als Erfüllung (‫ ויעל‬und ‫ )ויראהו‬zu verstehen, was die Parallele zwischen Dtn 3,23–28 und Dtn 34,1–3 erklärt. V. 4a bietet den Landschwur Jahwes an die Väter, wobei die Namen aller Erzväter genannt werden (Gen 26,3). Die Landschwurformel mit den Namen der ­Väter bildet im Pentateuch eine Kette: Gen 50,24; Ex 33,1; Dtn 34,4; vgl. Dtn 1,8; 6,10.650 Während Abraham bei der Landverheißung auch das Betreten des Landes erlaubt wird (‫ קום התהלך בארץ‬Gen 12,6; 13,15.17), ist der Landschwur mit dem Verbot des Betretens durch Mose verbunden. Das Thema ‚Eintritt des Mose ins verheißene Land‘ findet sich bereits in Dtn 3,26 (vgl. Dtn 31,2), was neben dem Thema ‚Aufstieg und Ansehen‘ eine zeitliche Nähe beider Texte vermuten lässt. In V. 5 wird Mose als Jahwe-Knecht (‫ )עבד־יהוה‬bezeichnet, diese Titulatur ist auch im Josuabuch häufig,651 doch anderswo ist sie recht selten belegt (2 Kön 18,12; 2 Chr 1,3; 24,6). In Dtn 34,5 geht es um den Tod des Mose nach dem Wort Jahwes, der durch das Lexem ‫» קבר‬begraben« in der 3. Pers. Sg. in V. 6 erklärt wird.652 Ferner variieren die Ortsangaben, da im Gegensatz zur Ebene Moab (‫ערבת‬ ‫ מואב‬VV. 1.8) das Land Moab (‫ ארץ מואב‬VV. 5.6) genannt wird. Beide Ortsangaben werden auch in späten Texten verwendet.653 Darüber hinaus werden weitere Ortsangaben, nämlich der Gipfel des Pisga (‫ ראׁש הפסגה‬V. 1) und Bet-Peor (‫בית‬ ‫ פעור‬V. 6), gemacht, die Dtn 3,27–29 aufgreifen, weshalb die beiden Texte wahrscheinlich übereinstimmen. Wenn in Dtn 34,6a vom Ort Bet-Peor die Rede ist, erinnert sich der Verfasser wahrscheinlich an den Abschnitt Dtn 3,29, somit ist der starke Konnex zwischen Dtn 3,23–29 und Dtn 34,1–6* eindeutig.

649 Interessant ist, dass das Ostjordanland in Dtn 34,1bβ als verheißenes Land bestimmt wird (vgl. Jos 13,11). 650 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 218f. 651 S. u. Num 11 (1.3.1). 652 Das Subjekt des Lexems steht in der LXX in der 3. Pers. Pl. (e;qayan): kai. e;qayan auvto.n evn Gai evn gh/| Mwab. Vgl. P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, S. 405. Für E. Nielsen geschieht dies, um eine anthropomorphe Darstellung zu vermeiden. E. Nielsen, Deuteronomium, S. 311; s.a. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 212, Anm. 246. 653 ‫( ערבת מואב‬Num 22,1; 26,3.63; 31,12; 33,48ff; 35,1; 36,13; Dtn 34,1.8; Jos 13,32); ‫( ארץ מואב‬Dtn 1,5; 28,69; 32,49; 34,5f; Ri 11,15.18; Jer 48,24.33). Fraglich ist, ob der Unterschied zwischen der Ebene Moab und dem Land Moab Kriterium einer Quellenzuschreibung sein kann; dagegen L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 243. Die ausführliche Schilderung schließt es aus, V. 5 P zuzurechnen, da der Tod des Mose in der P-Schrift sehr knapp dargestellt wird, „da starb dort Mose“.

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Überraschend ist der Verlust der Kenntnis des Grabes nach Dtn 34,6b, wobei dies allerdings mit der Ortsangabe in V. 6a konkurriert.654 Ein derartiges Vergessen ist weder in der Vätererzählung (Gen 49,30–33) noch in der Erzählung vom Tod des Ahnpriesters Aarons (Num 20,25–26) berichtet. Der Verlust der Kenntnis des Mosegrabes dürfte wahrscheinlich wohl auf seine Bestattung durch Jahwe zurückgehen (V. 6a), wodurch Dtn 34,6b abermals die Sonderstellung des Mose unterstreicht (Dtn 34,10–12). V. 7a nennt sein Alter, Mose ist im 120. Lebensjahr gestorben, diese Angabe erwähnt auch Dtn 31,2. Unterschiedlich ist aber die Darstellung Mose, denn Dtn 31,2 beschreibt ihn als altersschwach, während Dtn 34,7b das Gegenteil ­behauptet. In der Forschung wird V. 7 zumeist P zugeordnet: Bereits B. Stade hat die These vertreten, dass der Tod des Mose und dessen Mitteilung in Dtn 32 und 34 zu lesen sind, was von Pg dargestellt wird.655 So wie die P-Erzählung mit der Schöpfungsgeschichte in Gen 1 beginnt, schließt sie für M. Noth mit dem Tod des Mose in Dtn 34, insofern sei Dtn 34 der P-Schrift zuzuweisen.656 In Anlehnung an M. Noth behauptet auch W. H. Schmidt: „Der Schluß der Priesterschrift liegt in Dtn 34,7–9 vor, so daß dieses Geschichtswerk von der Erschaffung der Welt bis zu Moses Tod führt.“657 Ein Grund dafür ist, dass das Alter des Mose in Dtn 34,7 mit Ex 7,7 harmoniert:658 „In v. 7a steht eine Notiz über das Alter des Mose bei seinem Tod, die genauso formuliert ist wie die chronologische Angabe der Priesterschrift in Ex 7,7.“659 Dagegen vertritt L. Perlitt die Annahme, dass Dtn 34 unter Kenntnis von P in eine Redaktionsphase geraten sein könnte.660 Jedenfalls ist V. 7 einerseits mit Ex 7,7, und andererseits mit Dtn 31,2 zu verbinden. Dtn 31,2 kennt schon Ex 7,7, da Perlitt mit Recht darauf hinweist, dass Mose 120 Jahre alt geworden wäre und dass sich die Israeliten 40 Jahre in der Wüste aufgehalten hätten.661

654 Vgl. R. G. Kratz, Der vor- und der nachpriesterschriftliche Hexateuch, in: Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, hrsg. von J. C. Gertz und K. Schmid, BZAW 315, Berlin 2002, S. 321. 655 Vgl. B. Stade, Geschichte des Volkes Israel II. Geschichte des vorchristlichen Judenthums bis zur griechischen Zeit, Berlin 1888, S. 152. 656 Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt 21960, S. 9. 657 W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 102. 658 Einen Forschungsüberblick zur Priesterschrift im Dtn bietet: L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 123f. 659 Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 241f. 660 Vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 141f; T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg, WMANT 70, Neukirchen-Vluyn 1995, S. 101. 661 Vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 134; T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, S. 102.

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Wenn aber das Alter des Mose schon in Dtn 31,2 bekannt ist und seine Altersschwäche in Dtn 34,7 korrigiert wird,662 so wird in Dtn 34,7 höchstwahrscheinlich auf Dtn 31,2 Bezug genommen,663 d.h., Dtn 34,7 gehört nicht zur Priesterschrift, sondern setzt sie vielmehr voraus, wobei der Ausdruck ‚kein Nachlassen‘ die Sonderstellung des Mose illustriert. V. 8 beschreibt die Totenklage. Die Klage über den Tod des Mose währt 30 Tage, eine Zeitangabe, die sich nur noch einmal in Num 20,29 findet: Und als die ganze Gemeinde sah, dass Aaron verschieden war, beweinte das ganze Haus Israel den Aaron dreißig Tage lang. Diese Parallele führt des Öfteren zur These, dass Dtn 34,8 zur Priesterschrift gehöre,664 doch hier steht hingegen die Ortsangabe ‫בערבת מואב‬ »in den Ebenen Moabs«, die aber nicht in Num 20,29, sondern erst in Num 22,1 zu finden ist,665 wodurch Dtn 34,8 wohl mit der Itinerar-Erzählung verbunden wird. Weiterhin wird der Tod des Mose anders als der Aarons dargestellt. Beiden wird nach Num 20,2–12 wegen ihres Zweifelns an Gott (Num 20,12) das Betreten des Landes verwehrt, was ihren Tod vor der Landnahme erzwingt, doch der Tod des Mose wird zudem mit seinem 120 Lebensjahr begründet, was an Gen 6,3 anknüpft.666 Insofern sind Num 20,29 und Gen 6,3 wahrscheinlich mit der Erzählung vom Tod Moses zu verbinden. V. 8 bietet somit die Begründung für seinen Tod und seine Sonderstellung.

662 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 211. Dagegen meint L. Schmidt, dass V. 7b sich nicht mit Dtn 31,2 vereinbaren lässt, denn die Mosegestalt ist einerseits als schwach, andererseits aber als kräftig beschrieben (Studien zur Priesterschrift, S.  244). Da aber das Mosebild in Dtn  34,10–12 dem von 31,2 widerspricht (vgl. Num 12,7), dürfte wohl die Korrektur von Dtn 31,2 intendiert sein. 663 Die Beziehung zwischen Dtn 3,23–28 und Dtn 31,1–8 ist unverkennbar, da es in ihnen um die Einsetzung des Mosenachfolgers und das verwehrte Betreten des verheißenen Landes geht. Vgl. U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 141; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 178. 664 Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 242. 665 Vgl. E. Otto, Forschungen zur Priesterschrift, S. 20; T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, S. 106. Er wendet ein, dass die in Dtn 34 traditionell P zugeschriebenen Verse sowohl Pg als auch Pge wie auch die Endgestalt des Dtn.s voraussetzen. 666 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 171; und außerdem K. Schmid, Der Pentateuchredaktor. Beobachtungen zum theologischen Profil des Toraschlusses in Dtn 34, in: Les dernières rédactions du Pentateuque, de l‘Hexateuque et de l‘Ennéateuque, BEThL 203, hrsg. von T.  Römer und K.  Schmid, Leuven 2007, S.  185; zu Gen 6,1–4 vgl. W. Bührer, Göttersöhne und Menschentöchter, S. 495–515 (bes. 501–506).

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V. 9 stellt die Person Josua als Nachfolger Moses dar. Auch Num 27,12–23; Dtn  3,28 und 32,49–52 bieten die Episode seiner Einsetzung, jedoch fehlen in Dtn 3,28 und 32,49–52 die Handaufstemmung auf den Nachfolger und die Geistbegabung. Wie W. Vogels667 Vergleich zeigt, sind die Texte Dtn 34,9 und Num 27,18 wörtlich und thematisch zu verbinden. Allerdings ist es fraglich, ob ihr Geistverständnis identisch ist, da der Geist in Dtn 34,9 der Geist der Weisheit ist, während Num 27 eher nur notiert, dass Gottes Geist nicht nur auf Josua, sondern auch auf allen ruht (V. 16).668 Im Gegensatz zu Num 27,18 ist es entscheidend, dass die Handaufstemmung669 in Dtn 34,9 mit der Geistbegabung verknüpft wird, und diese Differenz lässt vermuten, dass Dtn 34,9 nicht zur selben literarischen Schicht wie Num 27,18 gehört,670 das in Dtn 34,9 voraussichtlich aufgenommen worden ist.671 Hier wird wahrscheinlich die Priorität des Mose vorausgesetzt, da der Geist der Weisheit durch seine Handaufstemmung auf Josua ausgegossen wird und dieser Geist wird mit der Geistvorstellung von Jes 11,2 verknüpft (vgl. Ex 28,3).672 In VV. 10–12 geht es um die Sonderstellung des Mose, und durch dieses Epitaph endet jedenfalls der Pentateuch (vgl. Jos 24,26). Mose ist einzigartig, weil er Jahwe von Angesicht zu Angesicht gekannt hat. Seine Sonderstellung wird im Pentateuch mehrfach unterstrichen (Ex 33,11; Num 12,8). In VV. 10–12 wird sie zweifach begründet: 1. Der Ausdruck „von Angesicht zu Angesicht“ offenbart das innige Verhältnis zwischen Jahwe und Mose (vgl. Ex 19,21). Nur Mose konnte sich mit Jahwe treffen und dem Volk die Offenbarung verkündigen; 2. Mose als Mittler der von Jahwe gewirkten Zeichen und Wunder in Ägypten, was die 667 Vgl. W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, S. 3. 668 Der Geist Josuas ist vom Geist Kalebs zu unterscheiden, da dieser anders dargestellt wird (‫ רוח אחרת‬Num 11,23f). 669 Diese Formel wird aber eher für Tiere als für Menschen verwendet (Ex 29,10.15.19; Lev 1,4; 3,2.8.13; 4,4.15.24.29.33; 8,14.18.22). 670 Vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 136ff. Zur Spätdatierung von Dtn 34,9 vgl. R. Lux, Der Tod des Mose als »besprochene und erzählte Welt«. Überlegungen zu einer literaturwissenschaftlichen und theologischen Interpretation von Deuteronomium 32,48–52 und 34, ZThK 84, 1987, S. 403–409; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 225, er behauptet, dass Num 27,17–23 von Dtn 31–34 abhängig ist; s.a. W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, S. 3–7. Er erweist auch die spätere Formulierung von Num 27,18, da Josua schon als Geistbegabter geschildert wird. 671 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 173. 672 S. u. Dtn 34 (4.3.2).

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­ xodustradition voraussetzt. Somit werden in Dtn 34 verschiedene Erzählfäden E verknüpft, wobei trotzdem verschiedene Schichten sichtbar bleiben: 1abα 1bβ–3 4a 4b 5–6a 6b 7 8 9 10 11–12

Aufstieg auf den Berg und Erlaubnis des Sehens Das verheißene Land Erinnerung an die Verheißung Eintrittsverbot des Mose ins verheißene Land Der Tod des Mose und sein Begräbnis Der Verlust der Kenntnis des Grabortes Das Alter des Mose und seine Sonderstellung – kein Nachlassen der Stärke Totenklage Josua als Nachfolger des Mose Die Sonderstellung des Mose – das innige Verhältnis zwischen Jahwe und Mose Die Sonderstellung des Mose – Zeichen, Wunder und Macht

In Dtn 34 sind drei Schichten unterscheidbar: 1. VV. 1–6a.8: Der Tod des Mose und sein Begräbnis; 2. VV.  6b–7.10–12: Moses Sonderstellung; 3. V.  9: Josuas Erfüllung mit dem Geist der Weisheit.

4.2 Sprachliche Untersuchung a) VV. 1–4 In V. 1 wird vom Aufstieg des Mose auf den Berg mit dem Ausdruck ‫עלה אל‬ berichtet. Diese Redewendung wird einerseits auch für die Hineinführung ins verheißene Land,673 andererseits für den Aufstieg verwendet, der das besondere Verhältnis zwischen Jahwe und Mose bezeichnet:674 Hier wird sie zur Darstellung des Mose-Todes verwendet und sie bildet in V. 1 thematisch eine Parallele zu Num 27,12–14, da beide Texte in vier Punkten übereinstimmen: 1. Im Ausdruck ‫( עלה אל־הר‬Num 27,12; Dtn 34,1); 2. Für die Schau des Landes wird das Lexem ‫» ראה‬sehen« verwendet (Num 27,12; Dtn 34,1); 3. Die Ankündigung vom Tod des Mose (Num 27,13; Dtn 34,5)675; 4. Die Landverheißung (Num 27,12; Dtn 34,4).

673 Gen 50,24; Ex 3,17; 33,1; vgl. Num 20,5. 674 Ex 19,3.20; 24,15.18; 32,30; 34,2ff; Num 14,40; vgl. Dtn 17,8. Vgl. L. Schmidt, Das vierte Buch Mose Numeri 10,11–36,13, S.  166f; H.  Seebass, Numeri 22,2–36,13, BKAT IV/3, Neukirchen-Vluyn 2007, S. 218. 675 Vgl. R. Lux, Der Tod des Mose als »besprochene und erzählte Welt«, S. 401.

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Aber es gibt auch zwei Differenzen: 1. Während in Num 27,12–14 der Tod des Mose bloß angekündigt wird, ist er in Dtn 34,1–5 als faktisch zu verstehen; 2. Die unterschiedliche Ortsbestimmung, denn nach Num 27,12 soll Mose wie Dtn 32,49 zum ‚Gebirge Abarim‘ aufsteigen, dagegen nennt Dtn 34,1 als Ort den Berg Nebo, den Gipfel des Pisga‘, wodurch Dtn 32,49 durch seine vermittelnde Angabe ‚auf das Gebirge Abarim, den Berg Nebo‘ eine Brücke zwischen Dtn 34 und Num 27 bildet, da das Motiv des Aufstiegs des Mose auf den Berg Nebo gegenüber von Jericho nur in Dtn 32 und 34 erwähnt wird.676 Zudem wird so eine Relation zwischen Dtn 32 und 34 nachweisbar, weil die gleichen Lexeme sowohl in Dtn 32,49f als auch in Dtn 34 verwendet werden.677 Die Ortsangabe zum Mosegrab ‚im Tal, im Land Moab, Bet-Peor gegenüber‘ in Dtn 34,6a, die in den anderen Erzählungen über seinen Tod fehlt, erscheint auch in Dtn 3,29 (vgl. Dtn 4,46), insofern ist Dtn 34,1 mit dem Text Dtn 3,23–29 zu vergleichen, der sprachlich und inhaltlich eine Parallele bildet. Interessant ist, dass niemand sein Grab bis auf den heutigen Tag kennt, was zeigt, dass der Ausdruck ‫ עלה אל‬abermals das Sonderverhältnis zwischen Jahwe und Mose pointiert (vgl. Ex 19,3.20):678 Dtn 3,27–29

Dtn 34,1–6 27

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wbn rh-la bawm tbr[m hvm l[yw1 wxry ynp-l[ rva hgsph var `!d-d[ d[lgh-ta #rah-lk-ta hwhy wharyw hvnmw ~yrpa #ra-taw yltpn-lk taw2

676 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 222. 677 R. Lux (Der Tod des Mose als »besprochene und erzählte Welt«, S. 401f) verweist mit Recht auf die Korrespondenz; vgl. C. Frevel, Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern, S. 305; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 222. 49a 49b 50a

Dtn 32 ‫עלה‬ ‫וראה‬ ‫ומת‬

Dtn 34 1a ‫ויעל‬ 1b ‫ויראהו‬ 5 ‫וימת‬

678 Aarons Grabstätte ist bekannt (Num 20,28), aber wenn das Subjekt von ‫ קבר‬in V. 6a durch den Kontext als Jahwe zu verstehen ist, so erweist der ungewöhnliche Ausdruck wiederum die Hochschätzung von Mose. In diesem Sinne ist V. 6 bzw. 6b zusammen mit V. 7b und VV. 10–12 zu verstehen. Vgl. P. C. Craigie, The Book of Deuteronomy, S. 405; M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, S. 586.

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Die Befehle (‫עלה‬, ‫ )ראה‬und ihre Ausführungen (‫ויעל‬, ‫ )ויראהו‬werden in Dtn 3,27 und 34,1 beschrieben. Der Ausdruck ‫» לא תעבר‬Du darfst nicht hinübergehen«, der in Num 27 wörtlich so nicht vorkommt, dient zur Abwehr des Eintritts ins verheißene Land (Dtn 34,4; Dtn 3,27; vgl. Dtn 31,2). Diese Abwehr erweist darüber hinaus den Bezug zwischen Dtn 3,27 und Dtn 34,4,679 wodurch der Grund seines Todes zu erkennen ist (‫ למענכם‬Dtn 3,26). Weiterhin stimmen die Ortsangaben in den beiden Texten überein (‫ ראׁש הפסגה‬3,27; 34,1 // ‫ מול בית פעור‬3,29; 34,6). Also rekapituliert der Verfasser anhand der Relation von Dtn 34,1–4 mit Dtn 3,23–29 den Tod des Mose (vgl. Dtn 31,1–8), und somit steht Dtn 34,1–4 wahrscheinlich dem Abschnitt Dtn 3,23–29 zeitlich nahe.680 Der Ausdruck »das Anschauen des Landes« in V. 1 erinnert an die Schilderung Abrams in Gen 13,14f.681 Das Lexem ‫ ראה‬hat ‫ את־כל־הארץ‬zum Objekt, Mose darf wie Abram von einem Berg aus das verheißene Land sehen, wobei der Ausdruck ‫ את־כל־הארץ‬erstmals in Gen 13,15 und letztmalig in Dtn 34,1

679 Der Ausdruck ‫ לא תעבר‬bildet eine Kontrastaussage zu Gen 12,6 ‫;ויעבר אברם בארץ‬ vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 171; s.a. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 221. 680 Hier wird die Sonderstellung des Mose aber nicht erwähnt. Num 27,12–14 knüpft zwar an Dtn 34,1–6 an, dennoch sind aber Unterschiede unverkennbar. Insofern ist es zweifelhaft, dass ein Redaktor Dtn 34,1 mit Num 27,12–14 verbunden hat. Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 241–251. 681 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 216.

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verwendet wird.682 Im Kontext setzt Gen 13,14 durch die Wendung ‫אחרי הפרד־‬ ‫» לוט מעמו‬nachdem Lot sich von ihm getrennt hatte« die vorangegangene ­Erzählung voraus, die Lots Schau der ganzen Jordanebene (‫ )כל־ככר הירדן‬bis nach Zoar hin darstellt (Gen 13,10f). Durch Lots Blick bis nach Zoar wird das östliche Ende des Landes im Text indirekt dargestellt, und der Ortsname fällt wiederum in Dtn 34,3. Die Landschau des Mose ist nicht anders als die von Abram bzw. seinem Verwandten,683 also hat der Text Gen 13,8–18 wahrscheinlich dem Verfasser von Dtn 34,1–4 vorgelegen.684 Da der Ausdruck »der Garten Jahwes« in Gen 13,10 verwendet wird (vgl. Gen 3,23), nimmt Dtn 34,1–3 wohl Bezug auf eine Redaktion, welche die Priesterschrift685 wohl mit dem Dtn verbinden will. In V. 4 ist zu erkennen, dass die Verheißung der Landgabe schon in der Vätergeschichte als Schwur ausgedrückt worden ist (‫)ׁשבע‬: Gen 50,24 Ex 33,1 hnnta $[rzl rmal Dtn 1,8 ~hl ttl Dtn 6,10 $l ttl Dtn 34,4 hnnta $[rzl rmal

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Diese Belege des Landschwurs an die Väter stimmen wörtlich überein. Gen 50,24 berichtet beim Tod Josephs von seiner Aussage über Israels Auszug aus Ägypten und den Einzug ins verheißene Land. Die Erfüllung seiner Rede berichtet neben Ex 13,19 auch Jos 24,32: Und die Gebeine Josephs, die die Söhne 682 Vgl. F. García López, Deut 34, Dtr History and the Pentateuch, in: F. Garcfa ­Martfnez u.a. (Ed.), Studies in Deuteronomy, FS für C. J. Labuschagne, VT.S 53, Leiden / New York 1994, S. 55. 683 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 171. Tatsächlich findet sich der Ausdruck ‫ ככר‬zur Bezeichnung des Jordangebiets um Jericho im Pentateuch außer in Dtn 34,4 nur noch in Gen 13,10f; 19,17.25. 684 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 171. 685 Für C. Westermann (Genesis 12–36, S. 491ff) geht die Überlieferung von Gen 13 auf die nomadische Zeit zurück; für E. A. Knauf ist Gen 12f aber erst in die Nachexilszeit verfasst worden, da die Priesterschaft in die Komposition von Gen 12f eingegriffen hat (Towards an Archaeology of the Hexateuch, in: Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, hrsg. von J. C. Gertz und K. Schmid, BZAW 315, Berlin 2002, S. 293).

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Israel aus Ägypten heraufgebracht hatten, begruben sie in Sichem. Da die Texte Gen 50,24; Ex 13,19 und Jos 24,32 inhaltlich zusammengehören, gehören sie wahrscheinlich zu einer Redaktionschicht, die von der Genesis bis zum Josuabuch reicht.686 Die Rede des Mose in Dtn 34,4 erinnert an die erste Schwurform in Gen 50,24, daher wird die Priesterschrift in Dtn 34,4 sowie Gen 50,24 und Jos 24,32 aufgenommen, insofern behauptet T. C. Römer m.E. zu Recht zu Dtn 34,4: „Hier ist also eine nach-dtr Redaktion am Werk, die einen Bogen zur Genesis spannen will.“687 In Dtn 1,8 sind der Aufbruchsbefehl und ein Landnahmebefehl verbunden, was auch in Dtn 10,11 zu beobachten ist. Durch ihren Vergleich hat R. Achenbach gezeigt, dass der dtr Text Dtn 10,11 die älteste Form des Aufbruchsbefehls enthält und dass Dtn 1,8 an diesen Text anknüpft,688 da der Ausdruck ‫ולזרעם אחריהם‬ ergänzt worden ist. Darüber hinaus zeigt der Vergleich des Landschwurs von Ex 33,1f mit Dtn 10,11, dass in Ex 33,2 ein „Engel“ erwähnt wird, um die Unmittelbarkeit der Präsenz Jahwes zu vermeiden.689 Also ist der Landschwur in Dtn 34,4 in spät-dtr Perspektive zu verstehen.

686 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 219.221. Durch die Überführung von Josephs Leichnam von Ägypten nach Sichem verklammert die spät-dtr Redaktion die Väterüberlieferung bzw. Landverheißung der Genesis mit den Mose- und Josuaerzählungen der Bücher Exodus bis Josua; T. C. Römer, Deuteronomy 34 and the case for a Persian Hexateuch, S. 410. Er behauptet mit Recht: „In fact, Josh 24 is not only connected to the Joseph story at the end of Genesis, forming a type of frame around the Hexateuch.“ 687 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 171; T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, S. 106 „Die in Dtn 34 herkömmlich P zugeschriebenen Verse 1aα.7a.8.(9?) sind Teil einer Bearbeitung, die sowohl Pg mit Pge Zusätzen als auch die Endgestalt des Dtn voraussetzt.“ 688 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 177. Dtn 1

~kl w[sw wnp7 … yrmah rh wabw #rah-ta ~kynpl yttn har8 #rah-ta wvrw wab ~kytbal hwhy [bvn rva bq[ylw qxcyl ~hrbal `~hyrxa ~[rzlw ~hl ttl

Dtn 10

yla hwhy rmayw11 ~[h ynpl [sml $l ~wq #rah-ta wvryw wabyw ~tbal yt[bvn-rva

689 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 177f.

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~hl ttl

In V. 4 steht die negative Formulierung ‫לא תעבר‬. Sie ist für Mose noch zweimal belegt: Dtn 3,27; 31,2; vgl. Num 20,17.20. In Dtn 34,1–4 wird keine Begründung für das ‚Nicht-Hinübergehen‘ gegeben, dennoch ist sie in Rekurs auf Dtn 3,23–26 zu verstehen, was die wörtliche und thematische Analogie der Texte erweist. Dtn 3,25 enthält sein letztes Gebet, das Land doch noch betreten zu dürfen, die Erhörung wird ihm wegen der Schuld Israels jedoch verweigert. E. Otto weist zu diesem Mit-­Betroffensein darauf hin, dass das ‫» בגללכם‬euretwegen« erst in Dtn 1,37 seine Bedeutung entfaltet und es als Hintergrund von Dtn  3,23–28 zu verstehen sei.690 Weiterhin zeigt R. Achenbach: dieser Gedanke „entspricht der Einzigartigkeit des Mose und entstammt weder dem dtr. noch dem priesterschriftlichen Denken noch auch dem des PentRed, der die persönliche Verantwortung betont, sondern entspricht dem prophetischen Bild, das HexRed von Mose in Anlehnung wie die Gestalt des Jeremia u.a. gezeichnet hat.“691 Das Wort ‫» עבר‬hinübergehen« dient als terminus technicus nimmt für die Landnahme (vgl. Jos 1,2.11.14f ),692 und fungiert in Dtn 3,23–28 als Leitwort (VV. 25.27.28). Daher ist V. 4 wahrscheinlich gleichzeitig zum Abschnitt Dtn 3,23–28. b) VV. 5–6 In VV. 5–6 geht es um den Tod des Mose und sein Begräbnis. Die Ortsangabe des Grabes geht nicht ins Detail, jedoch wird sie durch den Ausdruck »im Tal, im Land Moab, Bet-Peor gegenüber« grob lokalisiert. Der Berg, den Mose besteigen soll, wird im Ostjordanland vermutet. Weiterhin wird der Ort Bet-Peor, zwar in Dtn 34 nicht als Erbe bestimmt, in Jos 13,20 wird er hingegen als Erbe dem Stamm Ruben gegeben, weshalb das Ostjordanland wahrscheinlich später als Erbe eingeschlossen wird (vgl. Dtn 19,7–9). Die Örtlichkeit ‚gegenüber Bet-Peor‘ wird als Lagerort der Israeliten bestimmt (Dtn 3,29) und sie gilt ferner als Ort der Verkündigung des Moabbundes (Dtn 4,46; 28,69 vgl. Ex 19,11). Also führt die Passage durch diese Ortsangabe auf den Rahmen des Dtn.s zurück.

690 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 24. 691 R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 319; vgl. T. C. Römer, Deuteronomy 34 and the case for a Persian Hexateuch, S. 403. VV,1–3*. 4*.10–12 gehören zur letzten Schicht von Dtn 34, durch diese Redaktion wird der Pentateuch beendet; ferner wird das Mit-Betroffensein in Jer 31,29f kritisch revidiert (vgl. Ez 18,1–3) und D zugewiesen. Jedoch kommt der Gedanke des Mit-Betroffenseins auch im spät-dtr Dtn vor. 692 Vgl. G. Braulik, Die Mittel deuteronomischer Rhetorik: Erhoben aus Deuteronomium 4,1–40, AnBib 68, Rome 1978, S. 93–95.

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Die Gestalt des Mose greift Elemente verschiedener Figuren auf: Bei der Landschau wird die Figur Abrahams auf Mose übertragen (V. 1), indem das Wort ‫»( ככר‬Umkreis« Dtn 34,3) als geographischer Begriff der Abrahamerzählungen aufgenommen wird (Gen 13,12; 19,17.25.28f; vgl. Gen 13,10f ).693 Weiterhin ist durch die Landschwurformel die Figur des Mose mit der des Joseph zu verknüpfen (Dtn 34,4/ Gen 50,24), allerdings werden diese Patriarchenfiguren umgedeutet, da dieser Ausdruck nur auf die Nachkommen zielt (Dtn 34,4; vgl. Dtn 1,8). Darum ist die Passage Dtn  34,1–6* m. E. wahrscheinlich der spät-dtr Schicht zuzuweisen, da die Sonderstellung des Mose hier fehlt. c) V. 7 Mose stirbt im Alter von 120 Jahren, sein Alter wird durch die Angabe der 80 Lebensjahre beim Exodusbeginn (Ex 7,7) und den vierzigjährigen Wüstenaufenthalt erklärt (Num 14,33f). L. Schmidt hat wegen des Bezugs zwischen Ex 7,7 und Dtn 34,7 die Zugehörigkeit von Dtn 34,7 zur P-Schrift behauptet.694 Das Alter des Mose setzt das Thema der ‚40 Jahre‘, das im Pentateuch oft mit der Wüstenwanderung verbunden ist (vgl. Dtn 1,3; 2,7; 8,2.4; 29,4), voraus. Abgesehen von Ex 16,35 wird die 40-jährige Wüstenwanderung erstmals in Num 14,33, das für V. Fritz P zuzurechnen ist,695 festgestellt (vgl. Num 32,13), wo sie durch die Sünde der alten Generation erklärt wird,696 wobei sie durch das Mit-Betroffensein begründet ist (Num 14,33; vgl. Dtn 3,26). Im Gegensatz dazu wird in Num 14,28–35 der Eintritt der Nichtisraeliten ins verheißene Land zum Thema, weil der Nichtisraelit Kaleb, der Sohn des Jefunne, wegen seiner Toratreue nach der Wüstenzeit das Land betreten darf (Num 14,24.30),697 während die alte Generation wegen ihres Murrens (~tnylh vgl. Num 14,29) im Verlauf der vierzigjährigen Wanderung versterben soll. So wie das Mit-Betroffensein eine Begründung des Mosetodes ist, 693 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 218. ‫ צער‬ist im Pentateuch sonst nur noch in Gen 13,10; 14,2.8; 19,22f.30 belegt. 694 Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 242; einen Forschungsüberblick bieten T. C. Römer und M. Z. Brettler, Deuteronomy 34 and the case for a persian Hexateuch, S. 402–408. 695 Vgl. V. Fritz, Israel in der Wüste, S. 83. 696 Zudem wird die Sünde der jüngeren Generation in Num 32,13f erwähnt: ihr seid an die Stelle eurer Väter getreten. 697 Das Landerben des Nichtisraeliten Kalebs wird durch seine Jahwetreue begründet (‫» וימלא אחרי‬er ist mir treu nachgefolgt« Num 14,24), das Thema gehört wahrscheinlich nicht zu P, sondern ist später als P anzusetzen (vgl. Dtn 29). Vgl. R. Achenbach, Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12), S. 250.

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wodurch Dtn 3,23–29 dem Abschnitt Dtn 34,1–6* vorgelegen ist, steht m.E. Num 14,28–35 nahe zu Dtn  34. Also wäre das Alter von Mose ohne die Angabe der Dauer der Wüstenwanderung nicht zu berechnen. Schon bekannt ist, dass sich das Lebensalter von 120 Jahren auf Dtn 31,2 bezieht. Dtn 31,2 und Dtn 34,7 stimmen einerseits in der Angabe des Lebensalters von Mose, und andererseits in der Erzählung seines Todes, der zusammen mit der Einsetzung Josuas erwähnt wird (Dtn 31,7; 34,9; vgl. Num 27,12–23), überein. Aber während Mose in Dtn 31,2 wegen seiner Altersschwäche die Führungsposition an Josua übergibt, soll er sie nach Dtn 34,7 trotz des Nicht-Nachlassens seiner Stärke übergeben, wobei so allerdings auch auf seine Sonderstellung verwiesen wird (vgl. 2 Sam 19,35f ). Daher wird Dtn 31,2 durch Dtn 34,7 korrigiert.698 Im Rückblick auf den Tod des Mose stehen Motive wie das Murren Israels und der Ungehorsam des Mose im Vordergrund.699 Weiterhin entspricht die Altersangabe für Mose Gen 6,3, da dort das Alter des Menschen auf 120 Jahre beschränkt wird,700 woraus zu schließen ist, dass Dtn 34,7 trotz des Hintergrundes für sein Lebensalter nicht P zuzurechnen, sondern später als die P-Schrift zu datieren ist. In Dtn 34,7 ist von der ausgebliebenen Schwäche (‫ )כהה‬seiner Augen und dem Nicht-Schwinden (‫ )נוס‬seiner Kraft die Rede. Doch nach 2 Sam 19,32–36 konnte der erst achtzigjährige Gileaditer Barsillai weder schmecken, was er isst oder trinkt, noch die Stimmen der Sänger und Sängerinnen hören. Die Trübung der Augen findet sich in der Isaak-Jakob Erzählung (Gen 27,1) und in der Eli-Samuel Erzählung (1 Sam 3,2). Während das Auge das Subjekt des Lexems ‫ כהה‬in Dtn 34,7 ist, ist ein Beauftragter dessen Subjekt in Jes 42,4, da ein Jahwe-Knecht nicht verzagen wird (‫ לא יכהה‬Jes 42,4). Weil so in Dtn 34,5 auf die Gestalt des Jahwe-Knechtes 698 Vgl. T. C. Römer, Deuteronomium 34 zwischen Pentateuch, Hexateuch und deuteronomistischen Geschichtswerk, S. 169. 699 Hier wird der Grund des Mose-Todes wahrscheinlich nicht durch das „Mit-Betroffensein“, sondern durch die persönliche Verantwortung begründet, wenn die Passage die Sonderstellung des Mose darstellt. Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 319; L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 244. 700 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 226; Einige Exegeten verstehen die 120 Jahre als die noch verbleibenden Jahre bis zur Sintflut. Dann wäre Gen 6,3 so zu begreifen, Gott räumt der Menschheit noch eine Gnadefrist von höchstens 120 Jahren ein; vgl. K. Schmid, Der Pentateuchredaktor. Beobachtungen zum theologischen Profil des Toraschlusses in Dtn 34, S. 185; zu den 120 Jahren vgl. V. P. Hamilton, The Book of Genesis 1–17, NICOT, Michigan 1990, S. 269; zu Gen 6,1–4 vgl. W. Bührer, Göttersöhne und Menschentöchter, S. 506.

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angespielt wird701 und der Tod des Mose im Rekurs auf Dtn 3,26 erklärt wird (vgl. Dtn 34,1), ist es wahrscheinlich, dass die Figur des Jahwe-Knechtes auf die Mose-Gestalt übertragen wird, was auch häufig im Josuabuch geschieht. Während aber Mose nach Dtn 31,2 einerseits aufgrund seines Alters, und andererseits auf göttlichen Befehl seine Aufgabe übergeben soll (vgl. Dtn 3,23), ist seine Kraft nach Dtn 34,7 nicht geschwunden und er könnte das Volk eigentlich weiter führen. Somit besteht zwischen beiden Texte eine inhaltliche Spannung. Wenn Dtn 34,7 später als Dtn 31,2 und im Kontext von Dtn 34,10–12, worin die Sonderstellung der Mosegestalt betont wird, zu verstehen ist, so erledigte sich die Spannung. Also ist diese unüberbietbare Position des Mose durch die Aufnahme sowohl der Gestalt des Jahwe-Knechtes als auch des Abschnittes Dtn 31,2 zu erläutern. Außerdem ist die ungewöhnliche Stärke des Mose mit seinem Primat in Dtn 34,10–12 gleichzustellen. Somit ist Dtn 34,7 nicht der P-Schrift, sondern dem Pentateuchepitaph zuzurechnen. d) V. 8 In V. 8 geht es um die Totenklage Israels wegen seines Todes, wobei die Ortsangabe ‫ בערבת מואב‬erscheint. Trotz der unterschiedlichen Ortsangaben, ‫מואב‬ ‫( בערבת‬VV. 1.8) und ‫( בארץ מואב‬VV. 5.6), lässt sich das Lagergebiet der Israeliten bestimmen (‫ בארץ מואב‬Dtn 28,69; ‫ בערבת מואב‬34,1). Umstritten ist, ob die Totenklage zur Priesterschrift gehört, weil sie 30 Tage dauert, aber viele rechnen Dtn 34,8 mit Num 20,29 zu ihr:702 Num 20,29

!rha [wg yk hd[h-lk waryw ~wy ~yvlv !rha-ta wkbyw `larfy tyb lk

Dtn 34,8

hvm-ta larfy ynb wkbww ~wy ~yvlv bawm tbr[b `hvm lba ykb ymy wmtww

Beide Texte weisen wegen des Ausdrucks ‚30 Tage lang beweinen‘ eine unübersehbare Parallele auf, zumal die regulär übliche Trauerzeit lediglich sieben Tage beträgt (Jakob – Gen 50,10703; vgl. 1 Sam 31,13). Sowohl wegen der identischen 701 Es ist kein Zufall, dass der Titel „Jahwe Knecht“ für die Mose-Figur im Josuabuch sehr oft verwendet wird. 702 Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 246. „P hat die Erzählung von dem Tod Aarons in Anlehnung an den deuteronomistischen Bericht von dem Tod des Mose gestaltet. Zwischen dem Tod dieser beiden Männer bestand dann aber auch bei P eine Parallele.“ 703 Ungewöhnlich ist die lange Trauerzeit von 70 Tagen (Gen 50,3).

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Trauerzeit als auch der Gemeinsamkeiten beim Tod von Aaron und Mose wird V. 8 oft der P-Schrift zugeordnet.704 Demgegenüber behauptet L. Perlitt, dass in Num 20,22b–29 ein Nachtrag ‚‫ ‘בית יׂשראל‬mit kaum bestimmbarer Herkunft zu beobachten sei, da er „außer in diesem angehängten Halbvers niemals sonst in Num und niemals im Dtn [steht]“.705 Darum ist Num 20 nicht als P-Schrift zu verstehen, und dementsprechend gehört auch Dtn 34,8 nicht zur ihr.706 L. Schmidt hat jedoch diese These kritisiert und erneut versucht, Num 20,29b der P-Schrift zuzuweisen.707 In den Texten Num 20,29 und Dtn 34,8 geht es jeweils um den Tod Aarons bzw. um den von Mose. Zu fragen ist, wie ihr Tod erklärt wird. In Dtn 34,8 wird kein Grund für den Tod Mose geboten, jedoch ist er entweder durch den Vergleich zwischen Dtn 34,1–6a und Dtn 3,27–29 oder durch den Vergleich zwischen Dtn 34,7 und Dtn 31,2 zu eruieren, Mose soll wegen der Sünde Israels (‫ )למענכם‬oder des Alters von 120 Jahren sterben. Hingegen wird der Tod Aarons in Num 20,12 so erklärt: ‫( יען לא־האמנתם בי להקדיׁשני לעיני בני ישרׂאל‬vgl. Num 20,24).708 Wenn der Tod Aarons aus seiner persönlichen Verantwortung resultiert, so verfolgt die Erzählung des Mosetodes hingegen das Ziel, abermals seine Sonderstellung herauszustellen: 1. Vor seinem Tod steigt Aaron zusammen mit seinem Sohn und Mose auf den Berg Hor, während Mose allein zum Gipfel des Pisga aufsteigt. Diese Angabe der Handlungspersonen bewirkt einen weiteren Unterschied; 2. Denn während die Gemeinde den Tod Aarons indirekt erkennt, da sein Sohn Eleasar dessen Kleider angezogen hat (Num 20,28), können die Söhne Israels den Tod des Mose nicht durch ein Zeichen bemerken, weil Mose allein auf den Gipfel gestiegen ist; 3. Die Erzählung von Aarons Tod wird durch die Angabe ‫» עיני כל־העדה‬vor den Augen der ganzen Gemeinde« bestätigt (Num 20,27), aber die Söhne Israels spielen in der Erzählung des Mosetodes keine Rolle. Die Trauerzeit von 30 Tagen ist zwar

704 Vgl. R. Smend, Die Entstehung des Alten Testaments, Stuttgart 31984, S. 45; M. Noth, Das 4. Buch Mose: Numeri, S. 134. Die beiden Todeserzählungen haben Gemeinsamkeiten: Tod auf einem Berg, das Begrabenwerden und das 30 Tage währende Beweinen. Daher drängt sich der Eindruck auf, dass die Beschreibung von Aarons Tod bei P eine Nachbildung der Geschichte vom Tode Moses ist. 705 Vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 136. 706 Vgl. L. Perlitt, Priesterschrift im Deuteronomium?, S. 136. Hingegen nimmt er in Anlehnung an M. Noth (Das 4. Buch Mose (Anm. 25), 134.) an, „dass ein Glossator dem Aaron die Ehre erweisen wollte, von der er bei Mose gelesen hatte.“ 707 Vgl. L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 209. Daneben stimmt er auch der ­Position von L. Perlitt zu, dass ‫ בית יׂשראל‬als nachträglich zu begreifen ist. 708 Vgl. E. Otto, Forschungen zur Priesterschrift, S. 18; L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 208.

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eine Gemeinsamkeit bei Aaron und Mose, aber die Unterschiede unterstreichen abermals den Primat des Mose (Dtn 34,11).709 Daher ist diese Mosedarstellung wahrscheinlich durch die nach-dtr Redaktion erfolgt, die vom Leitmotiv ‚keiner wie Mose‘ bestimmt ist. e) V. 9 Dtn 34,9 berichtet, dass Josua zum Nachfolger von Mose eingesetzt wird. Seit J. Wellhausen710 wird der Vers der P-Schrift zugewiesen, was M. Noth711 mit der These unterstützt, dass sich die Texte Num 27,18 und Dtn 34,9 ähneln. Jedoch bestehen wichtige Differenzen im Verständnis der Geistbegabung,712 was seiner These widerspricht. Während in Num 27,18 Josua als einer, in dem ‚ein‘ Geist ist, beschrieben wird, ist Josua nach Dtn 34,9 ein Mann, der mit dem Geist der Weisheit erfüllt ist.713 Dtn 34,9 akzentuiert so seine Rolle als Mosenachfolger, weil hier die Handaufstemmung des Mose und die Geisterfüllung mit der Partikel verbunden werden, aber in Num 27,21 geht es dagegen um Josuas Gehorsam gegenüber der Urim-Entscheidung, die in der Nachexilszeit vom Priester für die Geschlechtsregister durchgeführt wird (Esr 2,63; Neh 7,65),714 was den politischen Einfluss der

709 Nach Jos 24,5 ist Aaron mit Mose von Jahwe nach Ägypten gesandt worden, und dort hat er wie Mose gewirkt. Jedoch dekretiert Dtn 34,10–12, dass Mose der Einzige ist, den Jahwe mit all den Zeichen und Wundern nach Ägypten gesandt hat. 710 Vgl. J. Wellhausen, Die Composition des Hexateuchs und der historischen Bücher des Alten Testaments, S. 115f. 711 Vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichtliche Studien, S. 206; L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 241.246. L. Schmidt hat Dtn 34,9 der P-Schrift zugerechnet, da nur in ihren Texten die Handaufstemmung für die amtliche Einsetzung belegt ist. 712 Vgl. J. Blenkinsopp, Prophecy and Canon. A Contribution to the Study of Jewish Origins, Notre Dame 1977, S. 84; W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, S. 3f. In Num 27,18f herrscht diese Reihenfolge: „Spirit → Laying on of hands → Acceptance“. Demgegenüber verläuft sie in Dtn 34,9 so: „Laying on of hands → Spirit → Acceptance“. Er versucht, die Konjunktion ‫ כי‬nicht kausativ, sondern emphatisch zu verstehen, um den Unterschied aufzulösen, sodass sie als „wenn bzw. als“ zu verstehen ist. Zudem bezieht sich der ‫ כי‬-Satz für ihn nicht auf die Geistbegabung, sondern auf den Gehorsam des Volkes. So könnte der Unterschied hinfällig werden; trotzdem bleibt noch immer die Differenz in der Bezeichnung des Geistes, da einerseits nur vom Geist und andererseits vom Geist der Weisheit die Rede ist; vgl. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist, S. 244, Anm. 88. 713 Vgl. W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, S. 5. 714 Urim steht mitunter auch allein (Num 27,21; 1 Sam 28,6), und manchmal wird es zusammen mit Tummim gebraucht (Ex 28,30; Lev 8,8; Dtn 33,8; Esr 2,63; Neh 7,65).

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Priesterschaft erkennbar werden lässt.715 Insofern ist ‚der Geist der Weisheit‘ jeweils ganz unterschiedlich zu begreifen (vgl. Jes 11,2), weshalb die Annahme, dass Dtn 34,9 zur P-Schrift gehöre, abzulehnen ist. Allerdings finden sich im Pentateuch noch weitere Parallelen zur Formulierung „Erfüllung mit dem Geist der Weisheit“ (Ex 28,3; 31,3; 35,31), die in der Einzelanalyse heranzuziehen sind. f ) VV. 10–12 Im Epitaph Dtn 34,10–12 ist von der Sonderstellung des Mose die Rede. Er hat Jahwes Nähe auf einzigartige Weise erfahren, weshalb kein Prophet wie Mose jemals wieder erscheinen wird. Außerdem wird der Auszug aus Ägypten auf seine Wundertaten zurückgeführt, indem die typischen Wendungen ‫» היד החזקה‬die starke Hand« und ‫» הגדול המורא‬das großes Wunder« der Exodustradition verwendet werden (Dtn 4,34; 26,28; Jer 32,21). Beachtenswert an dieser Mosedarstellung ist, dass Israel andererseits auch eigentlich einen Propheten wie Mose erwartet hat, was Dtn 18,15ff und Jer 1,9 erkennen lassen. Insofern wird diese Zukunftshoffnung in Dtn 34,10–12 revidiert. Die einzigartige Beziehung von Mose und Jahwe wird in den folgenden drei Stellen deutlich: Ex 33,11 Num 12,8 Dtn 34,10

… wh[r-la vya rbdy rvak ~ynp-la ~ynp hvm-la hwhy rbdw … jyby hwhy tnmtw tdyxb alw harmw wb-rbda hp-la hp ~ynp-la ~ynp hwhy w[dy rva hvmk larfyb dw[ aybn ~q-alw

In diesen Texten geht es um Moses direkte Gotteserkenntnis (‫פנים אל־פנים‬, ‫פה‬ ‫)אל־פה‬. In Ex 33,11 spricht Mose im ‚Begegnungszelt (‫ ‘)אהל מועד‬mit Jahwe von Angesicht zu Angesicht (Ex 33,7.11), dementsprechend soll Mose nach Num 12,4 mit Aaron und Mirjam zusammen ins ‚Begegnungszelt‘ gehen, der Abschnitt setzt damit das Heiligtumskonzept von P eindeutig voraus (Ex 29,4.44; vgl. Ex 27,21; 28,43).716 Jedoch ist die Verbindung von Begegnungszelt und der Wolkenbzw. Feuersäule bei der Offenbarung in P befremdlich (Num 12,5; vgl. Ex 13,21f; Beide sind der priesterlichen Tradition zuzurechnen und dienen der priesterlichen Orakelerteilung. Vgl. H.-G. Reventlow, Art. Priester / Priestertum I/2, TRE 27, 1997, S. 386. Zur Urim-Entscheidung s. u. Joel 3 (3.3.1). 715 Vgl. C. Dohmen / M. Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, S. 54; H.-C. Schmitt entdeckt in V. 9 eine nach-priesterliche Tendenz, nämlich ‚die Handaufstemmung des Mose‘, denn diese Wendung entspricht dem Epitaph Dtn  34,10–12. Vgl. H.-C. Schmitt, Dtn 34 als Verbindungsstück zwischen Tetrateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk, in: Das Deuteronomium zwischen Pentateuch und Deuteronomistischem Geschichtswerk, FRLANT 206, hrsg. von E. Otto, Göttingen 2004, S. 189. 716 S. u. Num 11 (1.2); vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 193.

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14,19.24), und ferner wird eine solche Säule im gesamten Josuabuch nicht erwähnt.717 Die Sonderstellung des Mose als des unüberbietbaren Propheten gehört in einen textlichen und redaktionellen Verweiszusammenhang, der die Texte Ex 33,7–11; Num 12,2–11*718 samt den Abschluss der Tora in Dtn 34,10–12 miteinander verbindet. E. Otto behauptet zur Redenwendung ‚von Angesicht zu Angesicht‘ zu Recht folgendes: Dies ist ein allein Mose „eingeräumtes Privileg, das mit seinem Tod, wenn die verschriftete Tora seine Funktion der Offenbarungsmittlerschaft übernimmt, endet und durch keine Prophetie fortgesetzt werden kann.“719 Insofern ist die Geburt des Pentateuch damit notwendig mit dem Tod des Mose verbunden.720 Diese Passage korrigiert die Verheißung von Dtn 18,18, daher ist der Text zweifellos nicht dem spät-dtr Verfasser, sondern einem nach-dtr Verfasser zuzuweisen.721 Dtn 34 ist zwar vielfältig mit dem Josuabuch verbunden, doch weil die Vorstellung von Dtn 34,10–12 nicht im Josuabuch erscheint, ist der Pentateuch von dem von Josua geschriebenen Josuabuch zu trennen (vgl. Jos 24,26).

4.3 Einzelanalyse 4.3.1 Die unüberbietbare Gestalt des Mose (Num 11 – Num 16) Im Gegensatz zu Dtn 18,18 wird die Gestalt des Mose in Dtn 34 anders dargestellt: 1. Die Erwartung eines Propheten wie Mose in Dtn 18,18 wird durch die Angabe »Und es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose« (Dtn 34,10) negiert, 717 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 193f. 718 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 237. Er ordnet auch die Texte Num 11,16f.24–29; Dtn  31,14–15.23 dieser Linie zu. Für A.  H. J.  Gunneweg (Das Gesetz und die Propheten. Eine Auslegung von Ex 33,7–11; Num 11,4–12,8; Dtn 31,14f; 34,10, ZAW 102, 1990, S. 169–180.) ist eine Deutung dieser Texte „nur dann möglich“, „wenn man der bisher üblichen Frühdatierung – Zuordnung zu E, zu J oder JE oder sonst als vorpriesterschriftlich – den Abschied gibt“. Vgl. H.-C.  Schmitt, Die Suche nach der Identität des Jahweglaubens im nachexilischen Israel, in: Pluralismus und Identität, VWGTh 8, Gütersloh 1995, S. 259–278. 719 E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 229. 720 Vgl. C. Dohmen / M. Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, S. 61. 721 Dagegen F. García López, Deut 34, Dtr History and the Pentateuch, S. 58. Er orientiert sich an der These von E. Blum, weshalb keine klare Zuschreibung der Verse Dtn 34,11–12 erfolgt; dennoch sind sie aber einer einer nach-dtr Schicht zuzurechnen: „By (one) prophet Yahweh brought Israel up from Egypt: this is Moses (Deut 18:15; 34:10)“ (S. 59); vgl. R. Lux, Der Tod des Mose als »besprochene und erzählte Welt«, S. 409. Er hat den Abschnitt dem dtr Redaktor, der später als Ps ist, zugerechnet.

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wodurch sich die Hoffnung auf den mosaischen Propheten auflöst, weil Mose eine einmalige Sonderstellung gewinnt (VV. 10–12); 2. Der Ausdruck „von Angesicht zu Angesicht“ benennt ihren Grund (vgl. Jos 5,14). In der Formulierung ‚Jahwe erkennt‘ ist Jahwe das Subjekt des Lexems ‫ידע‬ »wissen, kennen«. Der Ausdruck ist eine seltene, aber markante Redeweise (vgl. Gen 32,31; Jos 5,14).722 Diese Sonderstellung spiegelt sich auch in der Reaktion des Volkes, denn als es die Stimme Gottes hört und das Feuer Gottes sieht fürchtet es sich (Dtn 18,16 ‫ ;ולא אמות‬vgl. Jos 5,14 ‫)אל־פניו ארצה ויפל יהוׁשע‬, während Mose im Gegensatz zu ihm ganz anders auf die Theophanie reagiert, da er zu Furchtlosigkeit aufruft: ‫»( אל־תיראו‬Fürchtet euch nicht!« Ex 20,20; vgl. Ex 3,6).723 Darum lässt der Ausdruck ‚von Angesicht zu Angesicht zu erkennen‘ vermuten, dass die Gestalt des Mose die Patriarchen, Josua und die Propheten übertrifft und dementsprechend die von Mose verschriftete Tora allen Propheten übergeordnet wird (vgl. 2 Kön 17,13).724 3. Die Zeichen und Wunder des Mose sind im AT sehr selten mit prophetischen Zeichenhandlungen verbunden (Jes 20,3). Seine Wunder dienten dazu, den Exodus zu ermöglichen. Dtn 34,11 reflektiert den Passus Ex 4,28, wo Mose Aaron alle Worte und all die Zeichen (‫)האתת‬, die Jahwe ihm aufgetragen hat, mitteilt, insofern ist eine Parallele zwischen Ex 4,28 und Ex 4,15 unübersehbar:725 Dann sollst du [Mose] zu ihm [Aaron] reden und die Worte in seinen Mund legen (Ex 4,15). Hier hat Mose quasi eine göttliche Funktion übernommen (vgl. Dtn 18,18), dabei wird Mose in Ex 3f schon prophetisch geschildert (Ex 3,2–12.13–15).726 Dagegen steht die Schilderung von Jos 24,5, denn hier wird Mose zusammen mit Aaron von Jahwe gesandt. Im Gegensatz dazu sind Aaron und Mose hier nebeneinander gestellt, und die Wunder werden als Werke Jahwes erklärt. Darum negiert

722 Vgl. L. Perlitt, Mose als Prophet, EvTh 31, 1971, S. 592. 723 Vgl. Ex 19,20; 20,19; Dtn 5,27f. 724 Vgl. K. Schmid, Der Pentateuchredaktor, S. 188. Er identifiziert hier die Propheten mit Jos-Mal; darum sei noch einmal an die überzeugende These von E. Otto erinnert, dass „die mosaische Funktion des Offenbarungsmittlers am Gottesberg von der Tora selbst übernommen wird“. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und ­Hexateuch, S. 185. 725 Vgl. R. Achenbach, “A Prophet like Moses” (Deut 18:15) – “No Prophet like Moses” (Deut 34:10), S. 20–22. 726 Vgl. H.-C. Schmitt, Das sog. vorprophetische Berufungsschema: Zur »geistigen Heimat« des Berufungsformulars von Ex 3,9–12; Jdc 6,11–24 und I Sam 9,1–10,16, ZAW 104, 1992, S. 202–216; s.a. K. Schmid, Erzväter und Exodus, S. 196f; L. Perlitt, Mose als Prophet, S. 592.

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Dtn 34,10–12 die Gleichwertigkeit von Mose und Aaron, die im Josuabuch sporadisch erscheint, um die Sonderstellung des Mose zu erweisen, indem die von Mose verschriftete Tora nach Dtn 31,9–12 dem Priester übergegeben wird. Der Ausdruck ‚von Angesicht zu Angesicht‘ erinnert an die Patriarchen und Josua, die sich wegen des Sehens des Angesichtes Gottes bzw. des Obersten des Heeres Jahwes fürchteten (vgl. Gen 32,31; Jos 5,14). Im Gegensatz zu ihnen ist die Gestalt des Mose dadurch einzigartig. Die Sonderstellung des Mose wird nun auf die von Mose verschriftete Tora übertragen (vgl. Dtn 31,9), wodurch die Propheten nicht als Offenbarungsmittler (vgl. Jer 36), sondern als Lehrer der Tora gelten können,727 denn „der Tod des Mose ist einerseits die Geburt des Pentateuch“,728 und andererseits ist „das Ende der Tora […] sogleich das Ende der Prophetie“.729 Diese Mosedarstellung findet sich auch in Ex 33,7–11730; Num 12 und 16. Num 16 erzählt in unterschiedlichen Erzählungen von Revolten gegen den Führungsanspruch von Mose und Aaron (Num 16,3: Aufstand der 250 Männer; 16,12–14: Aufstand Datans und Abirams).731 Beim Aufruhr Korachs hingegen geht es um das Priesteramt (Num 16,8–11), wobei Mose als Mittler des Wortes Jahwes fungiert (V. 16f). Wegen seiner Mittlerfunktion ist zu vermuten, dass seine 727 Vgl. D. M. Carr, Writing on the Tablet of the Heart, S. 145ff; E. Otto, Jeremia und die Tora, S. 152; C. Maier, Jeremia als Lehrer der Tora. 728 C. Dohmen / M. Oeming, Biblischer Kanon warum und wozu?, S. 66; vgl. dazu auch E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 185. Darum ist die Tora selbst Offenbarung Gottes. 729 R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 334. 730 S. u. Num 11 (1.2). 731 R. Achenbachs gliedert den Text Num 16f in vier Abschnitte und in jedem wird eine Frage gestellt: 1. Einleitung, welche die Frage nach der Autorität des Mose behandelt. Darauf reagiert der Aufruhr Datans und Abirams (VV. 2*.12–15.27b*.28–32a– 33abα); 2. Die Frage nach „der Heiligkeit und dem Recht des Aarons“ oder „dem Recht der Teilnahme am sakralen Ritus von Laien“. Hierauf antwortet die Erzählung vom Aufruhr der 250 Männer (VV.  2aβ.3.4.16aα*b.27a*.34); 3. „Schließt das Recht des Leviten auf die Teilnahme am Kultgeschehen das Recht auf das Priestertum ein?“ Darauf bezieht sich die Rebellion Korachs (16,1.5–7*.8–11.16*.19a.20– 22.24b.27*[32*].33bβ); 4. Die Frage nach dem Führungsanspruch Aarons für die 12 Stämme Israels, worauf die Erzählung vom Aaronstab reagiere (16,2b*; 17,6–10.16–26). Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S.  37–82.636. Aber V.  Fritz rechnet dagegen das Stück Num 16,12–14.25–27b.28–31.33abα.34, also die Dathan-­AbiramGeschichte, wegen des Sprachgebrauchs (‫ נצב‬Num 16,27b; vgl. Gen 37,7; ‫ ׁשאול‬Num 16,30.33; vgl. Gen 42,38; 44,29.31) dem Jahwisten zu. (V. Fritz, Israel in der Wüste, S. 24; s.a. S. Lehming, Versuch zu Num 16, ZAW 74, 1962, S. 294–299; M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt 21960, S. 34).

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Führungsmacht wahrscheinlich akzeptiert wird. Die Behauptung der 250 Männer, dass ihr Aufruhr auf der Heiligkeit der ganzen Gemeinde beruht (Num 16,3 ‫כי‬ ‫)כל־העדה כלם קדׁשים‬, wird von Mose bezweifelt und ist deshalb nachzuprüfen (vgl. Num 16,7).732 Während die Männer in der Passage Num 16,2 als Vorsteher der Gemeinde (‫ )עדה נׂשיאי‬bezeichnet werden, erscheinen die Aufrührer in Num 16,7 als Leviten. Insofern wird der Aufstand der 250 Männer gegen Mose und Aaron zur Revolte der Leviten gegen Aaron umgeschrieben. Wichtig ist, dass Aaron in Jahwes Auftrag durch Mose autorisiert worden ist (vgl. Ex 28,1; 30,30).733 In Num 17,5 geht es um die Priorität der Nachkommen Aarons, wodurch das levitische Priestertum abgelehnt wird (vgl. Ez 44,10–14),734 da hier das aaronidische Priestertum durch die Moserede nochmals autorisiert wird, zumal Aaron in Jahwes Auftrag zum Priester ordiniert worden ist (vgl. Ex 28,1; 30,30). In diesem Zusammenhang wird der Priester Mose und der Tora untergeordnet, obwohl der Priester künftig die Toraverantwortung trägt (Dtn 31,9–13). In Num 12,1 wird das Lexem ‫( דבר‬3. f. Sg.) wörtlich nur auf Mirjam bezogen, daher ist es verständlich, dass nur sie bestraft wird (Num 12,13–15). In Num 12,2 hingegen steht das Verb ‫ אמר‬in der 3. Pl. (vgl. Num 12,2aβ ‫הלא גם־‬ ‫)בנו דבר‬, wodurch auch Aaron zum Klagenden wird (Num 12,4f ), allerdings ist Num 12,2 von V. 1 zu trennen.735 In Num 12,2–8 ist von der Anerkennung des Mose durch Gott die Rede, die auf den Anspruch von Aaron und Mirjam gegenüber Mose reagiert. Ihre Anklage begründen sie damit, dass Jahwe auch mit ihnen geredet habe (Num 12,2a). Ihre Auseinandersetzung wird durch die Gottesrede beendet, indem Jahwe alle drei ins Begegnungszelt ruft und die 732 Vgl. H. Seebass, Numeri 10,11–22,1, BKAT IV/2, Neukirchen-Vluyn 2003, S. 179. 733 Vgl. H.  Seebass, Numeri 10,11–22,1, S.  179; R. Achenbach, Die Vollendlung der Tora, S. 68. 734 In diesem Kontext wird hier die P-Schrift vorausgesetzt. Vgl. U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 396; R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 91; dagegen P. J. Budd, Numbers, WBC vol. 5, Texas 1984, S. 188. Für ihn reicht die priesterliche Tradition bis in die nachexilische Zeit von Nehemia und Esra. 735 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 267f. Die Itinerar-Notiz klammert das Kap. Num 12 (Hazerot – Num 11,35; 12,16). Die Passage (VV. 1.[2b.9a.10b.]13–15) hat drei Themen: ‚Auseinandersetzung, Mirjams Ausschlag und Fürbitte des Mose‘. Im redaktionellen Abschnitt von VV. 2–8.[9.]10–12 geht es hingegen um die Autorität des Mose als Offenbarungsmittler; vgl. V. Fritz, Israel in der Wüste, S. 75. Die Ortsangabe Hazerot findet sich nochmals in Num 33,17f, wo sie „in das Stationenverzeichnis Num 33“ eingetragen worden ist. Ferner werde sie in Dtn 1,1 wahrscheinlich mit ‫ קרית חצות‬in Num 22,39 verbunden. Jedoch ist es schwierig, den Ort Hazerot, näher zu lokalisieren.

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Sonderstellung des Mose bestätigt (Num 12,8 ‫)פה אל־פה אדבר־בו‬, wobei die Gottesnähe des Mose der eines Propheten übergeordnet wird (Num 12,6). Im Gegensatz zur mittelbaren Offenbarung an einen Propheten kennt Mose den Willen Jahwes direkt, da er unmittelbar mit ihm redet und seine Gestalt schaut. Bei den großen Propheten, Jesaja und Jeremia, findet sich zwar die Wendung $ypb yrbd (Jes 59,21; Jer 1,9; vgl. Jes 51,16; Ez 3,1–4), die sich auf Dtn 18,18 bezieht, doch dies wird aber von der Aussage736 in Dtn 34,10 überboten, da hier vom einzigartigen Privileg des Mose die Rede ist (‫)ידעו יהוה פנים אל־פנים‬. Mittels dieser Redewendung steht nicht nur die Gestalt des Mose im Gegensatz zu den Propheten, denn seine Unüberbietbarkeit nötigt auch dazu, die Propheten der Tora des Mose unterzuordnen. Die großen Propheten werden in den sog. Berufungsberichten zwar als seine Nachfolger stilisiert (Jer 1,9; vgl. Jes 51,16; Ez 3), dennoch wird Mose in den Passagen Num 12,6.8 und Dtn 34,10 im Kontrast zu ihnen durch die Worte Jahwes explizit höhergestellt. Darüber hinaus wird in Num 12,4f und Num 16 die Gestalt des Mose im Verhältnis zum Hohenpriester beschrieben. Nach dem Ruf ins Begegnungszelt in Num 12,4f wird der Vorzug des Mose proklamiert (Num 12,8), was die Priesterschaft Mose nunmehr unterstellt und gleichzeitig die levitische Klage abweist. Ein älterer Abschnitt von Num 16 beginnt mit der Frage nach der Legitimation der mosaischen Autorität (Num 16,2aα) doch diese Frage wird auf Aaron übertragen (Num 16,3). Außerdem findet sich die Mittlerfunktion des Mose in der Korach-­ Leviten Schicht, hier ist sie entscheidend für die Auflösung ihrer Rebellion gegen das Vorrecht Aarons (Num 16,8–11.16f), indem Mose das göttliche Urteil zum Ausdruck bringt (Num 16,4). Der levitische Anspruch des Priestertums wird in der Korach-Erzählung überwiegend kritisch dargestellt (Num 16,7.10f; Ez 44,10–14). Sowie Mose vor Aaron und Mirjam durch Jahwe anerkannt worden ist, wird nun auch die priesterliche Tätigkeit Aarons durch Mose legitimiert, denn Aaron handelt auf seinen Befehl (Num 17,11), insofern wird die vom Priester ausgesprochene Rede der Tora des Mose untergeordnet (Ex 4,15; vgl. Jes 59,21).737 Daher ist die Gestalt des Mose im Vergleich zu den anderen Propheten und dem Priestertum als unüberbietbar dargestellt. 736 Vgl. L. Perlitt, Mose als Prophet, S. 592. 737 Der Toragehorsam wird wahrscheinlich mit der Autorität der Tora begründet. Wenn die verschriftete Tora nach dem Tod des Mose seine Funktion als Offenbarungsmittler übernimmt, ist dementsprechend ihre Autorität zu beachten. Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 229.

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4.3.2 Der Geist der Weisheit Num 27,18

hvm-la hwhy rmayw !wn-!b [vwhy-ta $l-xq wb xwr-rva vya wyl[ $dy-ta tkmsw

Dtn 34,9a

hmkx xwr alm !wn-!b [vwhyw wyl[ wydy-ta hvm $ms-yk

Die ähnliche Struktur und wörtlichen Parallelen lassen zunächst vermuten, dass beide Passagen vom selben Verfasser stammen.738 Doch schon W. Vogels739 hat ­einen wichtigen Kontrast erwähnt, und zudem bestehen noch weitere Unterschiede, weshalb von zwei Verfassern auszugehen ist: 1. Zwar geht es in beiden Passagen um den Geist, aber während der Geist in Num 27,18 ohne Artikel und Attribut ist, steht in Dtn 34,9 ein Attribut und ein charakterisierendes Lexem. Und in Num 27,18 ist er in Verbindung mit V. 16 als Lebensgeist zu verstehen,740 doch der Geist in Dtn 34,9 wird als Geist der Weisheit näher bestimmt. Sprachliche Parallelen hierzu sind Ex 28,3; 31,3; 35,31 und Jes 11,2. Die Belege in Ex 28,3; 31,3; 35,31 beziehen sich auf künstlerische Arbeiten z.B. auf die Ornatherstellung (Ex 28,3) oder die Errichtung der Stifthütte (Ex 31,3; 35,31). In Ex 28,1–3 bedarf der Priester des Ornats, um seinen Dienst auszuüben (vgl. Ex 28,1), was sich wohl auf den Hohenpriester des zweiten Tempels bezieht.741 Trotz der weitgehenden Parallele ist der Geist der Weisheit in Dtn 34,9 anders als in Ex 28,3 zu verstehen. Der Geist der Weisheit in Dtn 34,9 ist im Rahmen 738 Vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 65. 739 W. Vogels, The Spirit in Joshua and the laying on of hands by Moses, S. 3f. In Num 27,18f ist die Reihenfolge so: „Spirit → Laying on of hands → Acceptance“. Demgegenüber lautet sie in Dtn 34,9 so: „Laying on of hands → Spirit → Acceptance“. 740 In der Passage Num 16,19 wird die Gemeinde ‫ עדה‬als Gegner Aarons dargestellt, da sie durch Korah versammelt wird, somit ist die Gemeinde in V. 22 nur in der ­Korah-Erzählung verständlich (vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 636). In diesem Sinne bezieht sich der Geist sowohl auf den sündigen Mann, als auch auf die ganze Gemeinde (‫)עדה‬, die zum Gegner Aarons geworden ist, somit ist der Geist kein besonderer Geist für eine Qualifikation, sondern allgemeiner Lebensgeist. Der Geist in Num 27,16 ist in diesem Sinne zu verstehen. Trotzdem wird der Geist Josuas von Gott anerkannt, jedoch wird er nicht qualifiziert; vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 65. 741 Vgl. M. Noth, Das 2. Buch Mose: Exodus, S. 179f; J. Scharbert, Exodus, NEB 24, Würzburg 1989, S. 109. Auf diesen Ornat werden Elemente des Königsornats nach dem Ende des Königtums übertragen. Vgl. dazu L. Schmidt, Studien zur Priesterschrift, S. 259. Er vertritt „eine frühnachexilische Entstehung der Priesterschrift“.

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eines ­Einsetzungsritus, der zur Qualifikation für das Führungsamt dient, zu begreifen.742 Dagegen ist der Geist der Weisheit von Ex 28,3 nicht mit einem Ritus verbunden, da er episodenhaft zur Qualifikation des künstlerischen Handwerkers dient. Eher ist wegen der wörtlichen Übereinstimmung möglicherweise zu zeigen, dass der Geist der priesterschriftlichen Weisheit (Ex 28,3) in Dtn 34,9 aufgenommen wird, wie die von der Genesis bis zum Josuabuch reichende Redaktion schon in Dtn 34 vorausgesetzt wird (vgl. Dtn 34,1.4.7.10–12). Demgegenüber stimmt der Geist der Weisheit in Dtn 34,9 sowohl wörtlich mit dem Geist der Weisheit als auch thematisch mit dem Führungsamt mit der Passage Jes 11,2743 überein. Zweifellos werden mehrere Attribute für den Geist in Jes 11,2 verwendet, wo der zukünftige Messias das Thema bildet. Darum steht Dtn 34,9 nahe zu Jes 11,2 und im Vergleich mit Jes 11,2 ist terminus a quo wahrscheinlich der Beginn des 4. Jh. v. Chr.744 742 Zur Aufnahme von Num 27,18 in Dtn 34,9 vgl. H. W. Wolff, Anthropologie des Alten Testaments, S. 65. 743 Wegen der Wortverbindung (‫ )נוח רוח‬steht Jes 11,2 dem Passus Num 11,25 nahe. Jedoch dient der Geist in Jes 11,1–3 nicht einer prophetischen, sondern einer königlichen Aufgabe. Diese Herrschaft wird aber nicht aus dem Stamm Davids, sondern aus dem Stamm Isais hervorgehen; vgl. U. Berges, Das Buch Jesaja, S. 132. 744 Zur Datierung und Authentizität des Messiatextes in Jes 11 vgl. R. Kilian, Jesaja 1–39, EdF 200, Darmstadt 1983, S.  10–12. Auf Grund des Wortschatzes vermutet H. Wildberger VV.  1–9 eine jesajanische Herkunft; Jedoch ist zu fragen, ob Jesaja das Heil vom König erwartet hat. R. Kilian (Jesaja 1–12, NEB 17, Würzburg 1986, S. 87ff) verbindet Jes 11,2 mit Mi 5,1, wo von der Heimat Isais die Rede ist. Darum existiere die Davidsdynastie zur Zeit der Entstehung von Jes 11,1 und Mi 5,1 nicht mehr. Für O. Kaiser enthält der Text eine spätere Glosse (V. 3) und zitiert Jes 65,25 und Hab 2,14 (O. Kaiser, Der Prophet Jesaja 1–12, S. 114f), und obwohl prophetisches Gedankengut in VV. 1–5 erscheint, wird weiterhin die Figur Salomos anhand der richterlichen Weisheit damit verbunden (1 Kön 3,16–28). Die Angabe ‚Isai‘ ist später als Jer 23,5, wo ein davidischer Spross erwartet wird. Die Geistvorstellung in Jes 11,2 ist komplex und sowohl bei ProJes als auch DtJes nicht belegt. Denn der Geist bezieht sich bei ProJes fast immer auf das Unheil bzw. Gericht (Jes 32,15; 37,7; 29,10). Das Konzept des Jahwe-Knecht-Liedes wird in Jes 11 aufgenommen (vgl. Jes 42,1). Für J. Wöhrle (Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 189) ist die Davidsverheißung der „fortgeschrittenen persischen Zeit“ zuzuordnen, weshalb Jes 11,2 jünger als die Davidsverheißung ist; U. Becker (Jesaja von der Botschaft zum Buch, S. 204.) behauptet, dass Weisheit (‫ )חכמה‬und Klugheit (‫ )בינה‬als Gottesgabe oder doch als Frucht eines gottgefälligen, d.h. toragemäßen Lebens gelten würden, somit ist hier wahrscheinlich die Endredaktion der Tora vorauszusetzen, wodurch der Passus später als diese zu datieren ist.

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2. In Dtn 34,9 qualifiziert der Geist der Weisheit Josua zu Moses Nachfolger. Diese Funktion ist ein Gegensatz zu Num 27,18, wo der Geist keine Qualifikation des Nachfolgers bewirkt. Auffällig ist das Verhältnis zwischen der Handaufstemmung und Geistausgießung in Dtn 34,9, da es durch die kausative Konjunktion ‫ כי‬bestimmt wird, was eine Parallele zur Geistbegabung der 70 Ältesten bildet, weil auch auf sie der Geist des Mose übertragen wird (vgl. Num 11,17).745 Ebenso wie die Sünde durch die Handaufstemmung übertragen werden kann (Lev 1,4; 3,2 u.a.), ist auch das Übertragen des Geistes des Mose so möglich, damit die Söhne Israels Josua gehorchen (Dtn 34,9bβ). Wenn dieser Text später als nach-dtr zu datieren ist, ist der Befehl Jahwes dementsprechend als Tora, die die Genesis bis zum Dtn umfasst, zu verstehen. Also agiert der Geistbegabte Josua als Toramittler, was mit Jes 61 und Num 11 übereinstimmt. Die kausative Verbindung zwischen der Geistausgießung und einer Handlung ist im AT sehr ungewöhnlich, eine Parallele findet sich allerdings in Jes  61,1, wo die Salbung mit der Geistbegabung kausativ (‫ )יען‬verbunden ist (vgl. 1 Sam 16,13).746 In Jes 61,1 geht es, wie in Num 27,12–23, um die Tätigkeit des Hohenpriesters.747 Während das Subjekt der Salbung in Jes 61 aber Jahwe ist, wird die Geistausgießung in Dtn 34,9 durch die Handaufstemmung des Mose bewirkt. Ferner wird in Jes 59,21 die Mittlerfunktion des Hohenpriesters für das Wort und den Geist geschildert (‫)רוחי אׁשר עליך ודברי אׁשר־ׂשמתי בפיך‬. Ein Unterschied besteht aber im Bezug auf das Priestertum, da Josua nicht levitisch ist. Wenn Dtn 34,9 später als Jes 59,21 und 61,1 zu datieren ist, so wird die Mittlerfunktion für das Wort auf Josua, den Geistbegabten, übertragen, und in diesem Kontext ist die Funktion des Geistbegabten konsekutiv zu begreifen (vgl. Num 11,17). Folglich können wir in Kapitel 34 drei Schichten748 unterscheiden: 1. Die spätdtr Redaktion hat in VV. 1–6a.8 den Hexateuch von der Genesis bis zum Josuabuch im Blick; 2. Die nach-dtr Redaktion in VV.  6b–7.10–12, die sich für die unüberbietbare Gestalt des Mose einsetzt; 3. Die spät-nach-dtr Redaktion, sie hat die ihr vorliegenden Texte Num 27,12–23; Jes 59 und 61 aufgenommen, um ihre Geistvorstellung in V. 9 zu konzipieren, wobei der Geistbegabte die zentrale Rolle für die Wortvermittlung spielt (Num 11; vgl. Jos 24,25f)! 745 746 747 748

Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 41f. Zu Jes 61; vgl. R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 196–244. S. o. Jes 61 (2.2). Vgl. R. Achenbach, Der Pentateuch, seine theokratischen Bearbeitungen und Josua – 2 Könige, in: T. Römer / K. Schmid, Les dernières rédactions du Pentateuque, de l‘Hexateuque et de l‘Ennéateuque, BEThL 203, Leuven 2007, S.  225–253. Er hat diese Phasen mit dem Hexateuch, dem Pentateuch und der theokratischen Bearbeitung identifiziert.

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Der Geist der Weisheit von Dtn 34,9 ist ein besonderer Geist, und die einzige thematische und wörtliche Parallele findet sich in Jes 11,2. Die Hoffnung bei Jesaja zielt aber nicht auf einen Davididen, da dessen Ausbleiben auf dem Thron der Provinz Jehud zu akzeptieren ist (vgl. Sach 6,11). Dieser Geist ist vielmehr ein neuartiger politischer Geist, und dementsprechend ist der Geist der Weisheit auch in Dtn 34,9 sowie Jes 11,2 als messianischer Geist zu verstehen, da der Geistbegabte die Herrschaft Gottes realisieren soll (vgl. Num 11,29; Jes 11,3). In Dtn 34 wird berichtet, dass Josua als Geistbegabter über das Volk herrscht, und dass ihm die Söhne Israels gehorchen. In Dtn 34,9 werden sowohl die Abschnitte Num 27; Jes 59 und 61 aufgenommen, aber Dtn 34,9 bezieht sich wörtlich und thematisch auch auf Jes 11,2. Der Geistbegabte ist folglich als Wortvermittler, der den Toragehorsam ermöglicht, zu verstehen, weil er durch die Handaufstemmung des Mose autorisiert worden ist.

4.4 Zusammenfassung Ob Dtn 34 zur P-Schrift gehört, ist seit langem umstritten. Aus der sprachlichen Untersuchung und Einzelanalyse hat sich für uns schließlich ergeben, dass ihr das Kapitel nicht zuzuweisen ist, sondern sie vielmehr voraussetzt, da sich die älteste Textschicht von Dtn 34 auf Dtn 3,23–28 bezieht. In Dtn 34 sind insgesamt drei Bearbeitungsphasen erkennbar: 1. Eine spät-dtr Redaktion, die auch in Dtn 3; 31 nachweisbar ist, welche die Erzählung des Mosetodes in VV. 1–6a.8 bearbeitet, und sie ist für den von der Genesis bis zum Josuabuch reichenden Hexateuch verantwortlich (vgl. Jos 24,26); 2. Die nach-dtr Redaktion in VV. 6b–7.10–12, die den Pentateuch vom Josuabuch trennt, was die unüberbietbare Gestalt des Mose herausstellt (vgl. Ex 33,11; Num 12,8); 3. Eine spät-nach-dtr Redaktion in V. 9. Dieser Verfasser greift Num 27,12–23 auf und ferner deutet er Num 27,18 um. Er interessiert sich für den Geist der Weisheit (vgl. Jes 11,2), der aus Ex 28,3 aufgenommen, aber nun ganz anders verwendet wird, und dieser Geist wird mit dem Geist des Mose verbunden (Num 11,17). Dieses in Jes 11,2 abermals vorkommende Geistkonzept, das auch Vorstellungen aus Jes 59,21 und 61 aufnimmt, ermöglicht es, den Text terminus a quo in die 1. Hälfte des 4. Jh. v. Chr zu datieren. Vor allem ist die Funktion des Geistbegabten zentral, da er nach Jes 61,1; 59,21 und 11,2 immer auch institutionell fungiert, dabei ist die Toramittlerschaft Josuas zweifellos auch vorausgesetzt (Dtn 34,9b; Jos 24,25f). Insofern bildet der jesajanische Gedanke des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams, der in Dtn 34,9 weiterentwickelt wird, einen Gegensatz zum Dtn, DtrG und Jeremiabuch, wo das Herz für ihn entscheidend ist, da nun eine ganz andere Ermöglichung des Toragehorsams, nämlich die Geistausgießung, entfaltet wird.

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5. Zwischenergebnis Hier wird die Notwendigkeit einer Mittlerfunktion für den Toragehorsam begründet, die auf die Gestalt des deuterojesajanischen Propheten zurückzuführen ist (Jes 42,1–4; vgl. 51,16). In Jes 42,1–4 ist von der Toravermittlung die Rede, da das Wirken des Geistes darin besteht, das Recht zu den Völkern zu bringen (‫נתתי‬ ‫ רוחי עליו מׁשפט לגוים יוציא‬Jes 42,1; vgl. 42,4), wodurch der Geistbegabte die Hauptrolle einnimmt. Im Gegensatz zu Jes 44,1–4, wo die kollektive Geistbegabung der Erweckung der Fruchtbarkeit dient (‫ וצמחו בבין חציר‬Jes 44,4), zielt die Geistbegabung nun auf einen ausgewählten singulären Mittler. Die Mittlerschaft des Jahwe-Knechtes wird in TriJes aufgenommen, was die deutlichen Bezüge zwischen den Jahwe-Knecht-Liedern und Jes 61 beweisen: ‫» בׂשר‬frohe Botschaft« – Jes 41,27; ‫» נחם‬Wohlgefallen / trösten« – Jes 40,1; 49,13; 51,3.12.19; 52,9; ‫» נקם‬Rache (Gottes)« – Jes 47,3 und ‫» ׁשנת־רצון‬Gnadenjahr« – ‫» בעת רצון‬Gnadenzeit« (Jes 49,8). Diese geistbegabte Mittlerperson, die mit dem Hohenpriester zu identifizieren ist, übernimmt königliche und prophetische Funktionen, was durch die Geistbegabung legitimiert wird. Die Datierung von Jes 61 ist mit der Revision von Sach 6,9–15, wo Kronen auf das Haupt des Hohenpriesters gesetzt werden sollen (Sach 6,11), zu verknüpfen (vgl. Hag 2,11f), also ist Jes 61 zeitlich als spät-dtr zu verstehen. Der Primat des Hohenpriesters resultiert aus seiner Aufgabe, die Worte bzw. die Tora zu vermitteln, was ihm durch den Geist ermöglicht worden ist (Jes 59,21). Seine Aufgabe für die Tora wird in Dtn  31,9–13 näher bestimmt: Er hat den Auftrag, sie zu verlesen, damit ganz Israel die Tora lernen kann und die Worte Jahwes werden dann nicht mehr aus dem Mund des Volkes und seiner Nachkommen weichen (Jes 59,21; Dtn 31,11–13; vgl. Dtn 6,9). Diese priesterliche Mittlerfunktion ist terminus a quo der 2. Tempelzeit zuzuweisen (vgl. Jes 61; Sach 6), denn das Priesteramt erlangt so zum Ausgang des 5. Jh. mit der Endredaktion seine Vorrangstellung (Dtn 31,9–13; Jes 59,21; vgl. Hag 2,11). In Dtn 34,9 ist von der Geistbegabung Josuas die Rede. Um sie zu beschreiben, wird eine wichtige Redewendung, die der Priesterschrift entnommen worden ist (Ex 28,3; vgl. Ex 31,3; 35,31), verwendet. Dtn 34,9 ist der spät-nach-dtr Redaktion zuzuweisen, darüber hinaus ist die Passage mit Jes 11,2, wo der zukünftige Messias das Thema bildet, gleichzusetzen.749 Weil das Ausbleiben eines Davididen auf dem Thron der Provinz Jehud aber zu akzeptieren ist (vgl. Sach 6,11), so wird die Hoffnung, nochmals einen Davididen auf den Thron zu setzen, nicht ­abermals 749 S. o. Dtn 34 (4.3.2).

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auf einen künftigen Davididen, sondern auf den Spross aus dem Stumpf Isais übertragen (Jes 11,1). Dieser Geistbegabte generiert eine neue Herrschaftsform, weil er sowohl die Herrschaft Gottes (‫ויׁשמעו אליו בני־יׂשראל ויעׂשו כאׁשר צוה יהוה‬ ‫ את־מׁשה‬Dtn 34,9b) als auch den Toragehorsam realisieren soll (vgl. Jes 59,21; Num 11,17). Somit wird eine Entwicklung im Verhältnis des geistbegabten Vermittlers zum Toragehorsam sichtbar: Geistbegabung des Jahwe-Knechts (Jes 42,1– 4)/ kollektive Geistausgießung für die Vermehrung (Jes 44,3) → Geistbegabung des ausgewählten Priesters (Jes 61) → Geistbegabung des ausgewählten Führers (Dtn 34,9; vgl. geistbegabte messianische Gestalt Jes 11,2f)! Diese Untersuchungen heben im Gegensatz zum Dtn, DtrG und Jeremiabuch, wo der unmittelbare Toragehorsam durch die Wendung ‚mit ganzem Herzen‘ ausgedrückt wird, einen andersartigen Aspekt hervor, da die Betonung der Mittlerschaft des Geistbegabten für die Tora in Jes 61; 59,21 und Dtn 34,9 zentral ist (Jes 11; Jos 24). Nach diesen ausgewählten Abschnitten kann das Volk Israel den Toragehorsam nicht dank einer kollektiven Geistausgießung wie später bei Ezechiel, sondern vielmehr nur durch die singuläre Mittlerfunktion des Geistbegabten erfüllen.

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Teil III: Geistempfang und Toragehorsam

Hier ist nun ein ganz anderer Modus des Toragehorsams zu beobachten. Num 11 ist Resultat einer Verknüpfung verschiedener Überlieferungen, nämlich Wachtelerzählung, Entlastung des Mose, Eldad-Medad-Erzählung. Hier wird der Geist des Mose auf die 70 Ältesten gegeben, damit sie Mose entlasten können. Mit der ‚Geistbegabung der Ausgewählten‘ bezieht sich der Abschnitt auf den Gedanken von Jes 61, zumal hier auch die prophetische Gestalt des Mose vorausgesetzt wird, weil die Ältesten dank der Geistbegabung prophezeien.750 Ferner wird hier nicht ein einziger ausgewählt, wie es in Dtn 18,18 verkündet worden ist, sondern 70, was diese Verheißung revidiert. Darüber hinaus wird im Text anschließend durch den Wunsch des Mose die Geistbegabung der 70 Ältesten zugleich relativiert (Num 11,29), weil in ihm eine allgemeine Geistbegabung erhofft wird, somit ist hier eine Übergangsphase von der Geistbegabung auf einige Auserwählte zur universalen Geistbegabung erkennbar. Wie Rûaḥ in der P-Schrift mit dem Herzen gleichgesetzt wird,751 so ist in Ez 36 interessanterweise die Parallele von Geist und Herzen zu finden, wobei beide dem Toragehorsam dienen (Ez 36,26), wobei auch dasselbe Attribut ‫ חדׁש‬verwendet wird. Ferner ist die Entsprechung von Jer 31,33 mit Ez 36,26 schon lange bekannt, weshalb durch ihren Vergleich die Intention des Verfassers von Ez 36,26f näher zu bestimmen ist. Dabei wird sich zeigen, dass der Geist dank seiner Gleichsetzung mit dem Herzen hier die Aufgabe hat, dtr / jer. und jes. Vorstellungen miteinander zu vermitteln. Hier wird der Geist nicht einem Einzelnen, sondern allen verliehen (vgl. Ez 37,1–14), was auf den Toragehorsam aller zielt (Ez 36,27). Insofern geht es nun um das Verhältnis von kollektivem Geistempfang und Toragehorsam. Dieser 750 M. Noth (Das 4. Buch Mose Numeri, ATD 7, S. 74) und H. Seebass (Numeri 10,11–22,1, BKAT IV/2, S. 31) haben die Änderung der Punktation in eine Form des Lexems ‫סוף‬ vorgeschlagen (= und sie hörten nicht auf), was L. Schmidt hingegen abweist (Das vierte Buch Mose Numeri 10,11–36,13, ATD 7/2, S. 19). Hier ist vor allem die Verbindung vom Geist des Mose mit der Prophezeiung wichtig. 751 S. o. 2.2.2.2.3.

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Gedanke knüpft wahrscheinlich an Num 11,29 an, und durch die Datierung von Ez 36,23–38* ist der Gedanke genauer bestimmbar. In Joel 3 geht es um das Werden zu Propheten aller Menschen. Zweifellos liegt eine Übernahme von Num 11,29 vor, wobei allerdings nun auch die Dichotomie zwischen Fleisch und Geist thematisch wird. Das Ziel der Geistausgießung ist beachtenswert, da es zuerst in Verbindung mit Num 11 und wahrscheinlich im Hintergrund des Erzpropheten des Mose näher zu bestimmen ist. Also geht es im Teil III um die Übertragung der jesajanischen Tradition der singulären Geistbegabung auf die 70 Ältesten und ihre Revision durch den Wunsch des Mose, wodurch ein weiterer Wendepunkt im Modus des Toragehorsams erreicht ist, weil der Vermittlungsgedanke nun überwunden wird. In Ez 36 ist vor allem das Verhältnis von Geist und Herzen zu untersuchen, um es als Synthese von dtr / jer. und jes. Vorstellungen zu erweisen, und bei Joel wird dieser Gedanke sogar noch universalisiert, da die Geistbegabung die Grenzen Israels überschreitet. Zugleich werden so auch die Bezüge zwischen Pentateuch und Prophetenbüchern sichtbar, da deren abschließender Redaktionsprozess auch vom Wechselbezug ihrer Traditionen bestimmt ist.

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1. Num 11: Toravermittlung durch Älteste In Num 11 geht es um die Entlastung des Mose, weshalb die thematisch parallelen Stellen Ex 18* und Dtn 1* heranzuziehen sind. Im Gegensatz zu diesen Texten wird hier den ausgewählten 70 Ältesten dazu der Geist verliehen. Die Prophezeiung der Ausgewählten, was der Geist des Mose ermöglicht hat, zeigt, dass die prophetische Mosefigur vorausgesetzt wird (Dtn 18,18) und darüber hinaus wahrscheinlich dessen prophetische Unüberbietbarkeit (Dtn  34,10–12), somit agierten sie wohl auch wie Mose. Die Entlastungsgeschichte von Num 11* ist voraussichtlich später als die Priesterschrift, weil sich das Konzept der ‚70 Ältesten‘ im Pentateuch sonst nur noch in Ex 24 findet. Der Ausdruck „Mose als Knecht Jahwes“ macht die Verbindung von Num 11 mit DtJesaja Texten unverkennbar, denn er wird im vor-dtr / dtr Dtn sehr selten, doch im Josuabuch häufig erwähnt. Num 11,29 schildert den Konflikt zwischen Mose und Josua, wobei der Mosewunsch diese Prophezeiung relativiert, indem er die kollektive Geistbegabung legitimiert, was als Wendepunkt zu deuten ist, da die singuläre Begabung des Ausgewählten durch die kollektive Geistbegabung künftig aufgehoben werden soll. Mittels der Datierung des Textes ist zu erfragen, wann dieser Gedanke erstmals erschienen ist und was das Ziel der Geistbegabung ist.

1.1 Formanalyse Num 11 berichtet von zwei heterogenen Ereignissen, nämlich dem „Wachtelwunder“ und der „Entlastung des Mose“, weshalb seit jeher Spannungen, die oft zur Identifizierung zweier Erzählstränge geführt haben, beobachtet worden sind. Die Wachtelerzählung umfasst die VV.  5–9.13.18–22.31–33,752 während von der Entlastung durch die 70 Ältesten in VV.  4*.11–12.14–15.16–17. 24–25.26–30 berichtet wird. Entgegen der Quellentheorie früherer Zeit geht man in der neueren Forschung allerdings meist nur noch von der redaktionellen Überarbeitung einer älteren Schicht aus, wobei die Wachtelerzählung als die ältere gilt,753 die Ältestenerzählung wird hingegen als jüngere Bearbeitungsschicht bestimmt. 752 Die VV. 10 und 23 stehen zwischen der Wachtel- und Ältestenerzählung, in ihnen wird Jahwes Reaktion in gleicher Weise dargestellt (‫ ויחר אפו‬VV. 1.10.33; vgl. V. 23), dagegen reagiert er in V. 16f anders. 753 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Das Gesetz und die Propheten, S. 169; V. Fritz, Israel in der Wüste, S. 17. Die Ältestenerzählung entstammt kaum einer der alten Quellen. Seine Ansicht begründet er damit, dass sich die gleichen Vorstellungen vom Amt des Mose

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Eine Gegenposition nimmt aber H. Seebass754 ein, da er die Ältestenerzählung J zurechnet. Seine These ist jedoch abzulehnen, denn die 70 Ältesten werden im Pentateuch nur hier und in Ex 24 erwähnt, wo sie jedoch keine Rolle spielen, und sonst nur noch in Ez 8,11, wo ihr Abfall vom Jahweglauben berichtet wird. Wenn die Ältestenerzählung zu J gehörte, so übten die Ältesten nach der sog. J-Quelle eine Macht aus, die später gebrochen worden wäre. Gegen H. Seebass hat R. Achenbach755 die Ältestenerzählung daher einer späteren Redaktion zugewiesen, wobei er Num 11 in drei Erzählabschnitte gliedert: 1. Die Wachtelerzählung als Fragment einer Wundererzählung Jahwes; 2. Eine Rebellion gegen Jahwe; 3. Die Entstehung des Ältestengremiums.

Interessanterweise ist das Phänomen der Geistbegabung der Ältesten mit der Weissagung verbunden (‫)ויתנבאו‬, weshalb es wohl sicher in die exilische oder nachexilische Epoche zu datieren ist.756 Auf die 70 Ältesten wird jedoch nicht der Geist Gottes, sondern der Geist des Mose gelegt. Weil dieser die Gabe des Prophezeiens bewirkt, wird hier die prophetische Gestalt des Mose vorausgesetzt (vgl. Dtn 18,18),757 womit die Ältestenerzählung jünger als Dtn 18,18 sein muss. Ferner wird das ‫אהל מועד‬ »Begegnungszelt« genannt (V. 16), das zuerst in Ex 27,21 erwähnt worden ist, und die Verbindung von Begegnungszelt und der Wolke als Theophanie findet sich nicht im Josuabuch (vgl. Jos 18,1), weshalb die These von H. Seebass abzuweisen ist. Die Ältestenerzählung beginnt in Num 11 mit der Klage des Mose in VV. 11f, die sich auf die Wachtelerzählung bezieht (VV. 4*.13). Seine Klage wird in VV. 14f (‫ )כי כבד ממני‬fortgeführt, und die Antwort Jahwes bietet VV. 16f, wo der Befehl erfolgt, 70 Älteste auszuwählen, damit sie ihn entlasten. Die Ausführung des Befehls wird in VV. 24f geschildert, wobei die Geistbegabung, welche die Prophezeiung bewirkt (‫ ויתנבאו‬V. 25), eine entscheidende Rolle spielt. Das Ende dieses Phänomens ist wahrscheinlich durch die Angabe ‫» ולא יספו‬Und sie taten es nicht wieder« angedeutet.758 In der Erzählung gewinnen die 70 Ältesten so ein Amtscharisma.759

754

755 756 757 758 759

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und vom Zelt der Begegnung als der Stätte göttlichen Erscheinens und die Bezeichnung Josuas als Diener des Mose auch in Ex 33,7–11 finden. H. Seebass meint, dass in der Entlastungserzählung jedoch Spannungen und Verdopplungen bestehen, weshalb er in Num 11,4–34 verschiedene Erzählungen ausmacht. Die ältere Erzählung über die Einsetzung der Siebzig stammt von J und ihre jüngere Bearbeitungsstufe ist 25b–29; die Wachtelerzählung ist für ihn hingegen jünger als die Ältestenerzählung. Vgl. H. Seebass, Num XI, XII und die Hypothese des Jahwisten, VT 28, 1978, S. 214.219. Vgl. R. Achenbach, die Vollendung der Tora, S. 219. Vgl. R. Albertz / C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746. Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 76. Vgl. L. Schmidt, Das 4. Buch Mose Numeri 10,11–36,13, S. 19, Anm. 14. S. u. Num 11 (1.3.3).

Daran schließt sich etwas unvermittelt die Eldad-Medad-Erzählung an, die von deren Geistbegabung berichtet (VV. 26f ). Schließlich werden in VV. 28–30 die unterschiedlichen Reaktionen von Josua und Mose auf das prophetische Phänomen geschildert, doch im Gegensatz zu Josua, der sich ein Ende des Weissagens durch das Eingreifen Mose erhofft, wünscht sich Mose sogar eine kollektive Geistbegabung: Mögen doch alle im Volk des HERRN Propheten sein (Num 11,29bα). Die Ältesten- und die Eldad-Medad-Erzählung sind thematisch durch das Thema der ‚Geistbegabung‘ verbunden, allerdings unterscheiden sich ihre Formen, da die beschränkte Geistbegabung auf die 70 Älteste in Num 11,29 tendenziell universalisiert wird, somit kommt es in Num 11 zugleich zu einer wichtigen Modifikation.760 Num 11,4*.11–12.14–15.16–17.24–25.26–30 enthält die Ältestenerzählung und die Eldad-Medad-Erzählung, die im Mosewunsch einer kollektiven Geistbegabung endet. Diese Erzählungen sind zwar mit der Wachtelerzählung verknüpft, dennoch stammen sie nicht vom selben Verfasser, denn der Zorn Jahwes entbrennt schon in VV. 10b.31,761 dagegen reagiert Jahwe auf die Klage des Mose in VV. 16f anders. Der Text ist folglich so zu strukturieren:  4* 11 12 14f 16 17 24 25 26f 28 29f

Murren Israels und dessen Grund Klage des Mose Grund der Klage Bitte um Entlastung Antwort und Befehl Jahwes – 70 Älteste auszuwählen Verheißung – Geistbegabung (17a): Legitimation (17b) Ausführung des Befehls Erfüllung der Geistbegabung (25a): Prophezeiung (25b) Eldad-Medad-Erzählung Josuas Reaktion auf das prophetische Phänomen Moses Reaktion auf das prophetische Phänomen

Klage

Antwort und Befehl

Ausführung

Eldad und Medad Reaktion

760 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Das Gesetz und die Propheten, S. 177, Anm. 16. Für ihn ist der Wunsch des Mose noch später als die Ältestenerzählung. 761 Vgl. L. Schmidt, Das 4. Buch Mose Numeri 10,11–36,13, S. 20–21.

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1.2 Sprachliche Untersuchung a) VV. 11f.14f In der Entlastungserzählung bestehen Spannungen und Dopplungen, weshalb sie recht unterschiedlich gedeutet wird.762 In V. 11 steht zweimal ‫למה‬, das in den individuellen Klageliedern häufig verwendet wird (vgl. Ps 22,2; 42,10; 74,1), um die Klage des Mose einzuleiten, und V. 11b benennt ihren Grund: Du legst die Last dieses ganzen Volkes auf mich. Die Formulierung ‫ למה הרעת לעבדך‬in V. 11aβ ist aber auffällig, weil sie fast wörtlich Ex 5,22bα (‫ )למה הרעתה לעם הזה‬entspricht, wobei jedoch die Wendung ‚dein Knecht‘ anstelle der Wendung ‚dieses Volk‘ benutzt wird, wodurch auf die Figur des deuterojesajanischen ‚Jahwe-Knechts‘ angespielt wird,763 um Mose zu charakterisieren. Daher ist entweder eine zeitliche Nähe oder gar Abhängigkeit der beiden Texte zu vermuten. Die Klage des Mose

762 In Num 11,4–34 hat z. B. H. Seebass (Num XI, XII und die Hypothese des Jahwisten, S. 21) verschiedene Erzählungen ausgemacht, und er rekonstruiert insgesamt vier Bearbeitungsstufen. Die Erzählung über die Einsetzung der Siebzig stammt von J und VV.  25b–29 sind eine jüngere Bearbeitungsstufe. L.  Schmidt (Numeri 10,11–36,13, S. 21.) versteht die Ältestengeschichte dagegen als spätere Erweiterung der ­Wachtelerzählung. 763 Wahrscheinlich stammt diese Wendung aber aus der Königstradition, z.B. bezeichnet sich der König Assurbanipal als Knecht des Gottes Nabu:

1 4 5



Vgl. K. Hecker, Zwiegespräch zwischen Assurbanipal und dem Gott Nabu, TUAT II/1, [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 63. Außerdem ist der Ausdruck „Knecht“ mit dem Königtum verbunden, z.B. steht auf dem „Geleitschreiben des Mitanni-­Königs für seinen Legaten an die Könige von Kanaan“:



1 2 3



„Die Knechte“ bezeichnet die Vasallenherrscher in Syrien-Palästina und „mein Bruder“ den Pharao Amenophis III. oder Amenophis IV. Vgl. M. Dietrich / O. Loretz, ­Historisch-chronologische Texte aus Alalah, Ugarit, Kamid el-Loz / Kumidi, TUAT I/5, [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 520; W. C. Delsman, Die Inschrift des Königs Barrakib von Samʾal I, TUAT I/6, [Elektronische Daten], Gütersloh 2005, S. 630.

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[Ich verkü]ndige deinen Ruhm, Nabu, in der Versammlung der großen Götter [Du bist das Vert]rauen Assurbanipals auf ewig und immer. [Dein Knecht bin i]ch, ich schlief zu deinen Fußen, Nabu.

An die Könige des Landes Kanaan, die Knechte meines Bruders! Also spricht der König.

wird in VV. 12.14 und 15 fortgeführt, wobei das Lexem ‫» נׂשא‬tragen« zentral ist (VV. 12.14). Es wird in V. 17 sodann auch wieder für die Geistbegabung der 70 Ältesten verwendet, was VV. 12.14 mit V. 17 thematisch verbindet. In V. 15 erhofft Mose wegen seiner zu schweren Aufgabe und Last sterben zu dürfen, was eine Parallele zur Figur des Propheten Jeremia bildet (Jer 20,14–18; vgl. Hiob 3), zumal auch die Figur des Mose dem Propheten Jeremia bei seiner Berufung ähnelt (vgl. Ex 3,10–12; Jer 1,4– 10; Dtn 18,18). Somit ist in Num 11 wohl die deuterojesajanische Gottesknecht­sowie die jeremianische Prophetenvorstellung auf Mose übertragen worden. b) VV. 16f In VV. 16f ist vom ‫» אהל מועד‬Begegnungszelt« die Rede, das zur priesterlichen Tradition gehört (Ex 27,21; 28,43; 29,4.10f.30.32.42.44). Im Dtn erscheint das Begegnungszelt nur bei Josuas Einsetzung zum Nachfolger von Mose (Dtn  31,14; vgl. Dtn  3,23–29) und wird dann nochmals in Jos 18,1 erwähnt. Diese Bezeichnung in Num 11,16 unterscheidet diese Entlastungserzählung von ihren Parallelen in Dtn 1,9–18 und Ex 18,13–26.764 Ferner ist in Num 11 zu erkennen, dass sich das Begegnungszelt außerhalb des Lagers befindet (VV. 26–30; vgl. Dtn 31,14f),765 und insofern knüpft der Text an Ex 33,7 an:766 Mose nun nahm jeweils das Zelt und schlug es sich außerhalb des Lagers auf, fern vom Lager für sich, und nannte es: Zelt der Begegnung. Und es geschah, jeder, der den HERRN suchte, ging zum Zelt der Begegnung außerhalb des Lagers hinaus. Die Parallelen zwischen den beiden Abschnitten – neben der eben genannten gibt es weitere – sind: 1. Die Lokalisierung des Begegnungszeltes außerhalb des Lagers; 2. Jahwe spricht mit Mose. Ex 33,7–11 beschreibt die Sonderstellung des Mose, indem das Verhältnis zwischen Jahwe und Mose in Analogie einer Freundschaft beschrieben wird (Ex 33,11 ‫ודבר יהוה אל־מׁשה … כאׁשר ידבר איׁש אל־‬ ‫ ;רעהו‬vgl. Num 12; Dtn 34,10–12), wobei das Begegnungszelt erwähnt wird. Die

764 S. u. Teil III (1.3.2). 765 Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 77. Nach Num 5,2f sollen die Unreinen aus dem Lager geschickt werden, da Jahwe ‚in der Mitte‘ des Lagers wohnt. Doch nach Ex 33,7 und Num 11,26–30 befindet sich das ‚Begegnungszelt‘ fern vom Lager. 766 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Das Gesetz und die Propheten, S. 171. Das Begegnungszelt dient zunächst nicht als Wohnung Jahwes inmitten seines Volkes, sondern seiner Begegnung mit Mose, während die Israeliten von ihren Zelten her nur von ferne ­zuschauen (Ex 29,42).

205

Wendung „von Angesicht zu Angesicht reden“ ist sehr selten im AT, und sie charakterisiert nicht nur die Sonderstellung des Mose (vgl. Num 12,8; Dtn 34,10),767 sondern ermöglicht auch die zeitliche Verortung des Textes; 3. Die Wolkensäule wird mit ‫ אהל מועד‬verbunden. Während das Begegnungszelt im Josuabuch erwähnt wird (Jos 18,1; 19,51), fehlt das Motiv der ‚Wolken- bzw. Feuersäule‘. Doch die Verknüpfung von Begegnungszelt und der Wolken- bzw. Feuersäule ist allerdings an vier Pentateuchstellen, die aber allesamt als literarisch spät anerkannt sind,768 belegt: Ex 33,7–9f; Num 11,16–25*; 12,4–5769; Dtn 31,14–15. Anstatt der Wolke bzw. Wolkensäule wird dwbk gelegentlich auch mit ‫ אהל מועד‬verbunden (vgl. Num 767 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 298; und auch A. H. J. Gunneweg, Das Gesetz und die Propheten, S. 173. 768 Ex 33,7–11 ist wegen der Priorität des Mose, die auch in Num 12,4–8 und Dtn 34,10– 12 betont wird, literarisch der nach-dtr Redaktion zuzuweisen (vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 237ff). In Dtn 31 gibt es vielfältige Indizien, dass es ein späterer Text ist: Es gibt einen Erzähler, der Mose in der 3. Pers. darstellt (vgl. J-P. Sonnet, The Book within the Book Writing in Deuteronomy, BIS 14, Leiden / New York 1997, S. 121). Im Pentateuch steht nur in Gen 47,29 ‫ויקרבו ימי־יׂשראל למות‬ und Dtn 31,14 ‫» קרבו ימיך למות‬die Zeit ist für jdn. herangekommen zu sterben«. Darüber hinaus stellt E. Otto fest, dass Ex 33,11b schon auf Dtn 31,14f hin formuliert worden ist (vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 188). Anders als E. Blum, der Ex 33,7–11 der KD zuweist (vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 62ff), rechnet C. Frevel die Texte Dtn 31,14f und Ex 33,7–11 einer nachpriestergrundschriftlichen Redaktion zu, die an der Autorität der Tora orientiert ist (vgl. C. Frevel, Mit Blick auf das Land die Schöpfung erinnern, S. 289). Zur Kritik an der älteren Forschung und der These Blums s. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 188, Anm. 152. Die Aufstellung des ‫ אהל מועד‬setzt für ihn Ex 33,1–6 inhaltlich voraus. Im Kontext wird der Bundesbruch durch das gegossene Kalb in Ex 32 vorangestellt. Durch den Bundesbruch und dessen Folge ist aber die Reaktion des Volkes zu verstehen (‫הרע הזה ויתאבלו‬ ‫ ויׁשמע העם את־הדבר‬Ex 33,4). Dieselbe Reaktion des Volkes beim Hören des Wortes Jahwes findet sich auch in Neh 8,9 (vgl. Num 14,39), somit sind Ex 32 und Neh 8,9 vermutlich gleichzeitig entstanden. Außerdem ist Ex 33 als Klammer zwischen dem Bundesbruch (Ex 32) und der Bundeserneuerung (Ex 34) zu deuten, wobei die Sünde des Ahnpriesters Aaron anerkannt (Ex 32,4f.25; vgl. Ez 44,10) und das levitisch-zadokidische Priestertum akzentuiert wird (vgl. Ex 32,26; Ez 44,15). Darüber hinaus ist der Abschnitt Ex 33,7–11 als Parenthese zu verstehen, die nach der Anweisung (Ex 25–28) und vor der Ausführung (Ex 35–40) steht, denn in Ex 33,11 wird erneut der Ausdruck ‫ תוכל לראת את־פני כי לא־ירני האדם וחי לא‬korrigiert (vgl. Ex 33,20). Daher werden in Ex 33,7–11 wahrscheinlich die Sünde des Aaron und die Anerkennung der Zadokiden vorausgesetzt, weshalb die These Blums abzuweisen ist. 769 S. o. Dtn 34 (4.3.1).

206

14,10);770 4. Das Zelt (‫ )האהל‬wird mit dem Begegnungszelt (‫ )אהל מועד‬identifiziert. In Num 11,16, wo Jahwe Mose befiehlt, die 70 Ältesten zum Begegnungszelt zu führen, steht ‫מועד אהל‬, in V. 24 wird jedoch nur ‫ האהל‬verwendet. Die gleichzeitige Verwendung beider Bezeichnungen setzt wahrscheinlich ihre Gleichsetzung voraus. Auch in Ex 33,7 findet sich die Gleichsetzung von ‫ האהל‬mit ‫אהל מועד‬ (‫)וקרא לו אהל מועד‬, da die Funktion des Wüstenheiligtums mit der des Begegnungszeltes zu identifizieren ist;771 5. Die ähnliche Beschreibung von Josua in Ex 33,7–11 und Num 11*: In Ex 33,11 fungiert er als Diener des Mose (wtrvmw), und obwohl Mose ins Lager zurückkehrte, wich Josua nicht aus dem Innern des Zeltes. Und auch in Num 11 ist Josua der Diener von Mose (‫ מׁשרת מׁשה‬Num 11,28; vgl. Ex 24,13). Aus diesen Gründen steht Num 11 formal und inhaltlich dem Text Ex 33,7–11 nahe, somit sind beide Texte zeitlich eng verbunden. c) V. 29 ‫ יתן יהוה את־רוחו‬ist ein formelhafter Ausdruck für die Geistbegabung, die auch in Ez 36,27; 37,14; 39,29 und Joel 3,1 belegt ist:

Num 11,29 Ez 39,29 Joel 3,1



Ez 36,27 Ez 37,14

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770 Als Josua und Kaleb gesteinigt werden sollten, dient die Herrlichkeit Gottes ihrem Schutz. Die ‫כבוד‬-Erzählung geht in Num 14,21 weiter und thematisiert, wer das Land sehen (‫ יראו את־הארץ‬V. 23), in es eintreten (‫ והביאתיו אל־הארץ‬V. 24) und es besitzen soll (‫ יורׁשנה‬V. 24), wobei Num 14,21 zudem berichtet, dass die Herrlichkeit Jahwes die ganze Welt erfüllt. All den Männern, die zwar die Herrlichkeit und Zeichen Jahwes gesehen haben, jedoch nicht auf seine Stimme gehört haben, bleibt dies verwehrt. Das Gleiche gilt für die Nichtisraeliten. Die Figur des Kaleb, der Sohn des Kenniziters Jefunne, spielt hier eine wichtige Rolle (vgl. Num 13,6; 14,30.38; Jos 14,6.14), denn obwohl er einem nichtisraelitischen Geschlecht entstammt, kann ihm wegen seiner Jahwetreue ein Erbteil zugewiesen werden. Vgl. R. Achenbach, Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12), S. 241–255. Dtn 29,9ff bezieht den Fremden (‫ )גר‬sogar in die Bundesschlussrede ein, zudem habe nun alles Volk inklusive der Fremden der Anweisung, an der regelmäßigen Verlesung der Tora im ‫ הׁשמטה ׁשנת‬teilzunehmen, zu folgen. Demgegenüber wird der Fremde als Personae miserae im Bundesbuch (Ex 22,20; 23,9) und dtn Deuteronomium (Dtn 24,6–22) verstanden, doch in der spät-dtr Schicht wird er Israel gleichgestellt. 771 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 193.

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Für die Geistverleihung werden die Lexeme ‫( נתן‬Num 11,29; Ez 36,27; 37,14) und ‫( ׁשפך‬Ez 39,29; Joel 3,1) verwendet, zwar wird dasselbe Thema behandelt, jedoch ist das Objekt der Geistbegabung verschieden, da in Ez 39,29 der Geist scheinbar auf das Haus Israel ausgegossen wird. Die Geistbegabung, die im Zusammenhang mit der Landnahme steht (‫ והנחתי אתכם על־אדמתכם‬Ez 37,14), geschieht dementsprechend in Ez 37,14 an ‚euch‘ (‫)בכם‬. In Ez 36,27 wird der Geist als Einsicht und Verständnis schenkende Größe verstanden (V. 27), er ermöglicht den Torabzw. Gesetzesgehorsam,772 wobei der Geist mit dem Herzen gleichgesetzt wird. In Ez 36,32 ist der 2. Pers. Pl. mit dem Haus Israel zu identifizieren, darüber hinaus ist er auch mit der „Menschenherde“ (‫)צאן אדם‬, die zu den Festzeiten die Stadt Jerusalem besucht, gleichzusetzen. Daher bezeichnet der Ausdruck ‫» בקרבכם‬in euer Inneres« nicht nur das Haus Israel, sondern auch die Nichtisraeliten, die nach Jerusalem kommen.773 Die kollektive Geistbegabung wird in Num 11,29 mit dem Wort ‫עליהם‬, das sich auf das ‫ עם־יהוה‬bezieht, beschrieben, somit ist auch für die Ältestenerzählung ­davon auszugehen, dass schon Nichtisraeliten in der Mitte der Söhne Israels waren (‫ והאספסף אׁשר בקרבו‬Num 11,4),774 also zielt diese Geistbegabung sowohl auf Israeliten als auch Nichtisraeliten (vgl. Joel 3,1f). Ihr Zweck ist überraschend, da in Num 11,25 die Prophezeiung durch die direkte Geistbegabung ermöglicht wird (‫)ויתנבאו‬, was der Erwartung der Entlastung des Mose zu widersprechen scheint. Allerdings entspricht das Ziel von Num 11,29 der Prophezeiung der 70 Ältesten. Während in Dtn 18,18 ein ausgewählter Prophet verheißen wird, wird die Prophezeiung durch den Mosewunsch kollektiviert, insofern bildet sein Wunsch eine wörtliche und inhaltliche Parallele zu Ez 36,26f. Dieser Wunsch wird in Joel 3,1f aufgenommen und weiterentwickelt, da die Zielgruppe der Geistausgießung mit dem Ausdruck „eure Söhne, eure Töchter, eure Greise und eure jungen Männer“ und „die Knechte und die Mägde“ konkretisiert wird. Folglich besteht eine inhaltliche Nähe zwischen Num 11,29 und Joel 3,1,775 wobei der Mosewunsch in Joel 3,1 jedoch als Gottesrede formuliert ist. 772 Vgl. W. Zimmerli, Ezekiel 1–24, BKAT XIII/2, Neukirchen-Vluyn 1979, S. 879. 773 Hier wird auch die Bundesformel erwähnt (V. 28), und sie erinnert an Dtn 29, wo die Nichtisraeliten durch den Bundesschluss zu Israeliten werden. 774 Zur LXX-Übersetzung von ‫ האספסף‬vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 221, Anm. 89. „LXX bietet o` evpi,miktoj, und zwar sowohl für ‫ האספסף‬in Num 11,4 als auch für ‫ הערב‬in Ex 12,38 und Neh 13,3 (vgl. auch Ez 30,5), also ‚Mischvolk‘, d.h. Mischlinge, die teils aus Ägypten stammten (vgl. Jer 25,20; Ez 30,5), teils aus Babylonien (Jer 50,37), oder aus der syr.-arab. Wüste.“ 775 Vgl. L. Schmidt, Numeri 10,11–36,13, S. 27f; H. Seebass, Numeri 10,11–22,1, S. 53.

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Zur Verbindung von Prophetie und Geist erklärt R. Albertz: „Erst in nachexilischer Zeit wird die Prophetie selbstverständlich als Wirken des göttlichen Geistes verstanden.“776 Weil die mosaisch-prophetische Figur für die Ältestenerzählung vorauszusetzen ist, ist Num 11 später als Dtn 18,18 zu datieren.777 Und da Joel 3,5 die Formulierung „Jeder, der errettet werden wird, der ruft den Namen Jahwes an“ verwendet und die Übriggebliebenen mit den von Jahwe Berufenen identifiziert, dürfte Joel 3 noch später als Num 11 zu datieren sein.

1.3 Einzelanalyse 1.3.1 Mose als Jahwe-Knecht ‚Dein Knecht‘ in V. 11 ist als Synonym für ‚Knecht Jahwes‘778 zu verstehen, denn in V. 11aα ist Mose die handelnde Person. Diese Vorstellung geht auf das sog. ‚JahweKnecht-Lied‘ bei DtJes zurück, und insofern wird die Mose-Gestalt dieser Vorstellung angeglichen. Diese Mosedarstellung findet sich aber zuerst in Ex 4,10779; 14,31780; und

776 R. Albertz und C. Westermann, Art. ‫רוח‬, S. 746. 777 Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 337–361.439–446. Für ihn ist die Rede vom Heil für die Völker in Joel 3,1–4,5 (mit Ausnahme von Joel 3,5bβ) ein völkerfreundliches Wort, und er datiert das Heil-für-die-Völker-Korpus in die Zeit des frühen Hellenismus. 778 Dtn 34,5; Jos 1,1. (7). 13.15; 8,31.33; 9,24; 11,12.15; 12,6; 13,8; 14,7; 18,7; 22,2.4f; vgl. 1 Kön 8,53; 2 Kön 18,12; 2 Chr 1,3; 24,6. Vgl. Gottesknecht (‫)מׁשה עבד האלהים‬ 1 Chr 6,34; 2 Chr 24,9; Neh 10,30; Dan 9,11. Vgl. H. Carzelles, Art. ‫מׁשה‬, ThWAT V, Stuttgart 1986, S. 42. Für ihn gehören die Belege zu dtr Texten. Aber m. E. sind für 1 Kön 8 das Exil (V. 46) und der 2. Tempelbau (VV. 42–45. 48) vorauszusetzen. Vgl. M. Noth 1 Könige 1–16, BKAT IX/1, Neukirchen-Vluyn 21983, S. 189. 779 Für L. Schmidt (Studien zur Priesterschrift, S. 4) gehören Ex 6,2–12; 7,1.2.4–7 zur priesterlichen Erzählung, denn die Abschnitte sind in wesentlichen Punkten eine Dublette zu Ex 3f. Wegen des Vokabulars (‫ סבלות‬und das Lexem ‫ נצל‬im Hifil) behauptet er, dass die nichtpriesterliche Darstellung in Ex 1–5 dem P-Redaktor von Ex 6 vorgelegen habe, womit er die ältere Quellen-Hypothese übernommen hat. Dagegen behauptet E. Otto, dass die P-Offenbarung durch Nach-P korrigiert würde, denn der Ort Ägypten in Ex 6 sei für P kein klassischer Offenbarungsort, zu dessen Gunsten übernehme nun die sinaitische Offenbarung (Ex 3f) die Priorität (E. Otto, Forschungen zur Priesterschrift, S. 9–10), somit ist Ex 4 wahrscheinlich später als die P Schrift entstanden. 780 In diesem Vers wird der Glaube des Volkes an Mose durch das Lexem ‫ אמן‬ausgedrückt, und dieser Glaube wird auch in Ex 4 behandelt:

209

Num 12,7.781 Außerdem wird Mose in Dtn 3,24; 34,5 nur zweimal als Jahwe-Knecht bezeichnet (vgl. Dtn 9,27). Für das Verständnis des Knecht Jahwes sind die Stellen im Dtn zu untersuchen, da diese Vorstellung auffälligerweise im dtr Dtn nicht erwähnt wird. Der Abschnitt, zu dem Dtn 3,24 gehört, gehört zum Rahmen des Dtn-Gesetzes. Im Kontext des Verses geht es um Moses Bitte, ins verheißene Land einziehen zu dürfen (V. 25); doch sein Wunsch wird wegen der Schuld Israels (‫ )למענכם‬abgewiesen (V. 26; vgl. ‫ בגללכם‬Dtn 1,37). Der Abschnitt Dtn 3,23–29 bildet inhaltlich eine Parallele zu Dtn 1,37f, denn beide Texte gleichen sich in drei Punkten: 1. Der Tod des Mose und seine Begründung, „euretwegen“; 2. Die Einsetzung Josuas; 3. Die Aufteilung des Erbes als Aufgabe Josuas. Das Wort „euretwegen“ benennt den Grund des Todes. Wenn es im Text auftaucht, wird so auf die Sünde der Exodusgeneration angespielt, also ist Dtn 1,37f durch Num 14*, wo Mose implizit unter die alte Generation gerechnet wird (vgl. Num 14,29), näher bestimmt. Unter der Annahme der Bestrafung von Mose und Aaron wird ihre Sünde außerdem in Num 20,12 erläutert, da sie hier der in der Kundschaftererzählung schuldig gewordenen Wüstengeneration zugerechnet werden.782 Aber ihr Mit-Betroffensein wird in Jer 31,29 und Ez 18,2 kritisch revidiert, indem dort die persönliche Verantwortung akzentuiert wird. Daher entstammt ihr Mit-Betroffensein weder der dtr noch der priesterschriftlichen



Ex 4,1 Ex 4,5 Ex 4,8

ylqb w[mvy alw yl wnymay-al !hw wnymay ![ml !wvarh tah lql w[mvy alw $l wnymay al-~a lql wnymahw Ex 4,9 hlah twtah ynvl ~g wnymay al-~a

In diesen Versen geht es um den Zweifel des Mose und die Bekräftigung Jahwes, wozu das Lexem ‫ אמן‬verwendet wird. In Ex 14,31 wird berichtet, dass Israel an Jahwe und an Mose glaubt (‫)ויאמינו ביהוה ובמׁשה‬. Ferner wird in Ex 19,9 der Zielpunkt mit den Worten ‫ יׁשמע העם … יאמינו לעולם‬beschrieben, also ist zu behaupten, dass sich dies Lexem wie ein roter Faden durch das Exodusbuch zieht. Vor allem aber ist Ex 14,31 eine redaktionelle Ergänzung, somit ist es wohl später als die P-Schrift zu datieren; zur nach-priesterschriftlichen Bearbeitung von Ex 4; 14,31 vgl. E. Otto, Die nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, S. 103; J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 222f. Zur literarischen Einheit von Ex 4,1–16(17) vgl. W. H. Schmidt, Exodus, BKAT II/1, Neukirchen-Vluyn 1988, S. 192. 781 In Num 12,7 wird die Priorität des Mose postuliert, was auch in Dtn 34,10–12 und Ex 33,7–11 geschieht, weshalb Num 12,7 gewiss gleichzeitig mit Dtn 34,10–12 entstanden ist. 782 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 23.

210

Tradition,783 ­wodurch es in die Zeit zwischen dtr und nach-dtr Redaktion zu verorten ist. Die Einsetzung Josuas wird im Dtn mehrfach erwähnt: Dtn 1,37f; 3,23–28; 31,7f; 34,9; vgl. 32,48–52.784 Im Gegensatz zu diesen Erzählungen sind die Texte Dtn 32 und 34 auffällig, denn einerseits wird der Tod des Mose durch das Ereignis in der Wüste Zin erklärt (Dtn 32,51; vgl. Num 20,1–12; 27,12–14)785 und andererseits wird berichtet, dass Josua mit dem Geist der Weisheit erfüllt worden ist (Dtn 34,9). Demgegenüber wird Josua in den zuvor genannten Stellen lediglich durch das Lexem ‫חזק‬ »stark sein« bzw. ‫» אמץ‬mutig sein« charakterisiert (Dtn 1,38; 3,28; 31,6f), ohne dass dabei der Geist, der jedoch in Dtn 34,9 entscheidend ist, erwähnt wird.786 Dass Josua durch das Lexem ‫ חזק‬bzw. ‫ אמץ‬dazu aufgerufen wird, stark und mutig zu sein, findet sich auch in Jos 1 (Jos 1,6.7.9), somit sind die Abschnitte Dtn 1,37f; 3,23–28; 31,7f inhaltlich eng mit dem Josuabuch verbunden. In Dtn 34,5, wo vom Tod des Mose die Rede ist, wird Mose auch als ‚JahweKnecht‘ bezeichnet. Erstaunlicherweise wird der Ausdruck ‫וימת ׁשם מׁשה‬ ‫ עבד־יהוה‬wörtlich in Jos 1,1 (‫ )אחרי מות מׁשה עבד יהוה‬aufgenommen, und in Dtn  34,7f.10–12 ist zudem noch eine extrem positive Beurteilung des Mose zu finden, wodurch Dtn 34,5 vom Josuabuch getrennt wurde. Ferner wird dem Verfasser von Dtn 34,5 die Verbindung des Dtn.s mit dem Josuabuch vorgelegen haben. Beachtenswert ist, dass Mose überwiegend im Josuabuch als Jahwe-Knecht (‫ )מׁשה עבד־יהוה‬benannt wird,787 während im dtr Dtn demgegenüber davon nicht die Rede ist, weshalb diese Mosefigur im spät-dtr Horizont der Landnahme relevant ist,788 wodurch der Gehorsam gegenüber seinem Befehl ausgedrückt wird (‫ צוה‬Jos 8,31.33; 11,12; 22,2.5; vgl. ‫ נתן‬Jos 12,16; 13,8; 18,7; 22,4). Aus diesem Grund wird dieses Mosebild wahrscheinlich in

783 Der Gedanke der persönlichen Verantwortung findet sich in Dtn 24,16, und er wird auch in Jer 31,29 und Ez 18,2 betont. Im Gegensatz dazu stellt das Mit-Betroffensein einen anderen Grund für den Tod des Mose dar (vgl. Num 27,14); Zur späteren Datierung von Dtn 24,16 vgl. G. Braulik, Die dekalogische Redaktion der deuteronomischen Gesetze, S. 176. Ez 18,20 ist dem Gesetz Dtn 24,16 vorgegeben. 784 In diesem sekundären Rahmentext (Dtn 32,48–52) kommt die Einsetzung des Josuas nicht vor, denn sie ist schon mehrfach im Dtn berichtet worden (vgl. Dtn 1 und 3). 785 Vgl. R. Lux, Der Tod des Mose als »besprochene und erzählte Welt«, S. 409; C. Frevel, Mit Blick auf das Land, S. 304: „Wichtige Linien der Priestergrundschrift werden hier wieder aufgenommen.“ 786 S. o. Dtn 34 (4.2 und 4.3.1). 787 Jos 1,1f.7.13.15; 8,31.33; 11,12; 12,6; 13,8; 14,7; 18,7; 22,2.4f. 788 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 56.

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der Nachexilszeit betont, indem hier das deuterojesajanische Konzept ‚JahweKnecht‘ aufgenommen wird.789 In Num 11,11 wird Mose, der Jahwe-Knecht, als Träger der Schuld des Volkes benannt. Diese Vorstellung setzt darüber hinaus auch die prophetische Darstellung des Mose voraus, und die Geistbegabung mit dem Geist des Mose bewirkt das Prophezeien (Num 11,17.25) und die Torabefolgung (vgl. Jes 42,1),790 da die Ältesten nach Dtn 31 eine wichtige Rolle für die Tora spielen. Dieses prophetische Mosebild wird schon in Dtn 18,18 thematisiert: Einen Propheten wie dich will ich ihnen aus der Mitte ihrer Brüder erstehen lassen. Der Todeswunsch in Num 11,15 steht in Verbindung mit Jeremia, weil Mose als Träger der Schuld des Volkes verstanden wird. Der Todeswunsch in Num 11,15 steht in Verbindung mit Jeremia, weil Mose als Träger der Schuld des Volkes verstanden wird, was auf den spät-dtr Redaktor mit seiner Vorstellung des ‫ עבד־יהוה‬zurückzuführen ist. Das prophetische Mosebild bestimmt auch das der Großen-Propheten (Jer 1,9; Ez 3,3f.10; vgl. Jes 51,16), da die Verheißung des zukünftigen Propheten in den Berufungsberichten wichtig ist (vgl. Dtn 18,18). In diesem Kontext wird einmal mehr der Zusammenhang zwischen dem Pentateuch und den Prophetenbüchern sichtbar. Nun ist die Funktion der Geistbegabung zu untersuchen; sie verleiht einerseits die Befähigung zur Prophezeiung und dient andererseits zur Legitimation der Personen, die Mose entlasten sollen.791 Das ‚Begegnungszelt, das hier mit der Wolkensäule‘ verbunden ist, verknüpft Num 11,25 zugleich mit Ex 33,7–9f und Dtn 31,14–15. Explizit dient der Geist der Prophezeiung und der Legitimation des Ältestenrats, aber implizit auch der Torabefolgung, da die Ältesten nach Dtn 31 die Aufgabe der Torabelehrung übernommen haben.

1.3.2 Ex 18,13–26; Dtn 1,9–18 und Num 11* Das Ziel der Geistbegabung wird durch die Rede Jahwes in Num 11,17 ausgesprochen: damit sie mit dir an der Last des Volkes tragen. Die Geistbegabung in Num 11 steht im Gegensatz zu Ex 18,13–26 und Dtn 1,9–18, wo es auch um die Entlastung des Mose geht, da dies Motiv dort fehlt. 789 In diesem Zusammenhang ist die Figur des dtjes Jahwe-Knechts vorausgesetzt; vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 240, Anm. 152. Er stellt zu Recht fest, dass die Verwendung ‚Knecht Jahwes‘ vor-dtr und dtr nicht belegt ist. 790 Das Verhältnis von Geistausgießung und Torabefolgung ist abhängig von der Datierung von Num 11. Wenn das Kapitel der nach-dtr Pentateuchredaktion zuzuweisen ist, dann ist auch die Torabefolgung impliziert, da sie nach Dtn 31,9–13 die Aufgabe der Ältesten ist. 791 Hier ist zwar die Prophezeiung durch die Geistbegabung bewirkt, aber die Angabe ‚‫ ‘ולא יספו‬deutet an, dass sie nicht ihr primärer Zweck ist.

212

Ex 18,18bβ Dtn 1,9b Ex 18,25aβb Dtn 1,15aβb Ex 18,26b Dtn 1,17b

$dbl whf[ lkwt-al ~kta taf ydbl lkwa-al trf[ yrfw ~yvmx yrf twam yrf ~ypla yrf ~[h-l[ ~yvar ~ta !tyw trf[ yrfw ~yvmx yrfw twam yrfw ~ypla yrf ~kyl[ ~yvar ~ta !taw ~kyjbvl ~yrjvw hvm-la !wayby hvqh rbdh-ta yla !wbrqt ~km hvqy rva rbdhw

Die wörtliche Übereinstimmung zwischen Ex 18 und Dtn 1 zeigt uns, dass beide Texte entweder eine gemeinsame Überlieferung übernommen haben oder einer den anderen beeinflusst hat. Die Verben in Ex 18 werden in 2. oder 3. Pers. formuliert, in Dtn 1 hingegen stehen sie in der 1. Pers., weil die Wendung ‫בעת ההוא‬ »in jener Zeit« zeigt, dass Mose an die Vergangenheit denkt. Dennoch stimmt Ex 18,18.26 mit Dtn 1,9.17 thematisch weitgehend überein. Vergleicht man Ex 18,25aβb mit Dtn  1,15aβb, zeigt sich, dass in Dtn  1,15 einige Wörter (‫וׁשטרים‬ ‫ )לׁשבטיכם‬ergänzt worden sind.792 Aus diesen Gründen bilden die Texte thematisch eine Parallele, aber obwohl sie thematisch übereinstimmen, sind sie dennoch in vielerlei Hinsicht sehr unterschiedlich. a. Ort Nach Ex 18 lagert das Volk Israel schon am Gottesberg in der Wüste, aber im folgenden Kapitel erreicht es ihn noch einmal (Ex 19,2f), was die Offenbarung vorbereitet. Während der Name des Berges in Ex 18 unbekannt bleibt, wird in Dtn 1 der Name Horeb genannt (Dtn 1,6; vgl. 1,19), somit muss diese Erzählung vor dem Hintergrund dieser Lokalität gelesen werden (vgl. Dtn 5). Daher ist dieser Text eher als eine Einfügung durch einen späteren Redaktor zu verstehen, um die Sinai- mit der Horeboffenbarung zu identifizieren. In Num 10,33f bricht das Volk Israel vom Berg Jahwes auf. Dabei wird das Wort ‫ ענן יהיה‬verwendet, das in Num 11,25 in Verbindung mit dem Begegnungszelt gebraucht wird. Somit ist anzunehmen, dass die Ortsangabe in Num 11 auf die Itinerar-Erzählung bezogen ist und dass Num 11 später als diese entstanden ist, da die Zusammenstellung von Wolkensäule und Begegnungszelt im dtr Dtn nicht vorkommt (vgl. Num 12,5; Dtn 31,15).793

792 LXX liest das Wort ‫ לׁשבטיכם‬als ‫לׁשפטיכם‬, was die Richterfunktion akzentuiert. 793 Vgl. S. R. Driver, Deuteronomy, ICC, Edinburgh 1901, S. 336f; s. a. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 188.

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b. Initiator In Ex 18 spielt der Schwiegervater Jitro eine sehr wichtige Rolle, nicht nur als Ausführer eines Brand- und Schlachtopfers, sondern auch als Initiator zur Einrichtung des Richteramtes zur Entlastung des Mose, was durch die Einrichtung eines Zentralgerichts erreicht wird (Ex 18,13–16),794 wonach er dann das Lager verlässt. Doch nach Num 10,29–32 bleibt der Schwiegervater des Mose, Hobab, vermutlich noch länger bei Mose, jedoch spielt er anders als in Ex 18 keine Rolle. In Num 11 ist dagegen Jahwe der Initiator, weil das Ältestengremium durch ihn konstituiert und legitimiert wird, wodurch es primär theologisch interpretiert wird. Doch im Rückblick auf das Geschehen am Berg Horeb in Dtn 1 sagt Mose, dass er selbst die Auswahl der Entlastungsträger vorgeschlagen habe, seine Belastung aber auf Jahwes Verheißung an Abraham gründe (Dtn 1,10; vgl. Gen 15,5). c. Anlass In Ex 18,15 wird ein Grund für die Entlastung des Mose angeführt, in Num 11 hingegen wird sie durch die Klage der Gemeinde verursacht. In Dtn 1,10 wiederum wird die Entlastung durch den Segen Gottes begründet (vgl. Jes 44,3f) und diese Verheißung soll sich für die Heimkehrenden in der Nachexilszeit erfüllen (vgl. Dtn 30,5). d. Aktion und Qualifikation Mose wird als Ausführer der Anweisungen (Ex 18), Initiator der Auswahl (Dtn 1) oder Vermittler des Gottesbefehls (Num 11) geschildert. Während nach Num 11 die 70 Ältesten aus dem ganzen Volk Israel ausgewählt werden sollen, sollen nach den anderen Überlieferungen besonders qualifizierte Personen ausgewählt werden.795 Hier besteht allerdings ein Unterschied, denn Ex 18,21 verlangt eine religiös-­ ethische Qualifikation (‫ אנׁשי־חיל יראי אלהים‬und ‫)אנׁשי אמת ׂשנאי בצע‬, doch Dtn 1 fordert eine fachliche Ausbildung, die quasi eine Schule voraussetzt. Da sich die ausgewählten Richter über eine Ausbildung, die von ihnen strikt verlangt wird, qualifizieren mussten, ist zu vermuten, dass der Qualifizierungsprozess bereits als eine feste Institution bestand (vgl. Sir 51,31).796 Dagegen erfolgt die Qualifikation der Ältesten in Num 11 einzig durch den Geist Jahwes. 794 Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, 4RGG Bd. 4, S. 587. Die Errichtung eines Zentralgerichts erfolgt wahrscheinlich im Zuge der Josiareform. 795 Diese Ältesten agieren im Deuteronomium schon als Stadtrichter (vgl. Dtn 21,19.20; 22,15; 25,7). Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 249. 796 Vgl. E. S. Gerstenberger, Israel in der Perserzeit. 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., BE 8, Stuttgart 2005, S. 285. Da Dtn 1,9–18 zweifellos der Nachexilszeit zuzuweisen ist, so

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e. Funktion Die Ausgewählten in Ex 18 und Dtn 1 fungieren als Richter, die 70 Ältesten dienen wörtlich genommen jedoch nicht als Richter, sondern als Mitträger der Last des Mose und als Führungsgremium (Dtn 31,9). Da der Geist des Mose auf sie gelegt wird, ist ihre prophetische Funktion eindeutig.797 Nach Ex 18,15f wird die Aufgabe der Rechtssprechung auf Mose konzentriert. Im Gegensatz zu Dtn 17,8, wo sowohl eine zentrale Gerichtsbarkeit798 als auch lokale Gerichtsbarkeiten vorausgesetzt sind, beschreibt Ex 18,13–26 eine Gerichtszentralisation, weil bei Auftritt eines Streitfalls das Volk Israel einzig zu Mose kommt, wodurch er die alleinige Verantwortung für die Tora innehat. Ferner werden Ex 18,16b und 20 begrifflich (‫ חקים‬und ‫ )תורה‬mit der Tora bzw. den Geboten in Ex 15,26 (‫ מצוה‬und ‫ )חק‬und 16,28 (‫ מצוה‬und ‫)תורה‬799 verbunden. Daher ist Ex 18,13–26 wahrscheinlich später als das dtr Dtn.800 f. Änderung und Ziel Ex 18,16aβγ Dtn 1,16b Dtn 16,18b

797 798 799

800



wh[r !ybw vya !yb ytjpvw wrg !ybw wyxa !ybw vya !yb qdc ~tjpvw ~kyxa-!yb [mv qdc-jpvm ~[h-ta wjpvw

muss auch die Betonung beachtet werden, also „ein späterer Beginn der organisierten Schreiberzunft im Zusammenhang mit der Konstitution der exilisch-nachexilischen Religionsgemeinschaft, der Sammlung und Weiterbildung alter Glaubenstraditionen und der Ausbildung einer profilierten Laienelite von theologischen Schreibern und Schriftgelehrten. Voll ausgebildet sind Tora-Schulen wahrscheinlich ab der hellenistischen Zeit.“ Vgl. dazu P. R. Davies, Scribes and Schools. The Canonization of Hebrew Scriptures, Louisville 1998, S. 77: „[…] scribal schools probably grew up in the Persian period“. Für E. Otto hat Josua eine wichtige Funktion für das Gesetz, zum Verhältnis zwischen den Ältesten und Josua vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 189. Vgl. E. Otto, Art. Josia / Josiareform, S. 587. Vgl. E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 158; M. Rose weist darauf hin, dass Ex 18,16.20 nachdeuteronomistische Elemente enthält, da die Plural-­ Verwendung ‫ חקים‬und ‫ תורה‬weder im Deuteronomium noch im DtrG begegnet und ihre nächste Parallele Gen 26,5 und Ps 105,45 ist (Deuteronomist und Jahwist, S. 229). Vgl. R. Albertz, Exodus 1–18, S. 298. R. Albertz zufolge ist Ex 18 als eine „Drehtür“ zu verstehen, weil hier die Exodus- und Wüstenereignisse abgeschlossen werden (VV.  1–12) und die Sinaiereignisse beginnen (VV.  13–26), womit das Kapitel eine kompositorische Funktion übernimmt.

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Die Worte ‫ צדק‬und ‫ ׁשפט‬aus Dtn 1,16b sind ebenfalls in Dtn 16,18b zu finden, und sie werden häufig in den Prophetenbüchern verwendet (Jes 11,4; 16,15; Jer 11,20; vgl. Mi 7,3). Die Formulierung in Dtn 1 ist andererseits mit Ex 18,16 verbunden, wo kein Interesse am Fremden, der unter den Israeliten wohnt, besteht. Doch durch diese Angabe vergrößert sich das bestehende Interesse am Fremden beim Verfasser von Dtn 1,9–18 (vgl. Dtn 29,10). Die Erzählintention ändert sich gemäß der Wortwahl (Ex 18,13–27; Dtn 1,9–18) und wird auch von der Ortsbestimmung beeinflusst. Durch die Ortsbestimmung ist Ex 18,13–26 zeitlich vor der Sinaioffenbarung lokalisiert. Im Rückblick erinnert sich Mose – erkennbar an der Formulierung „in jener Zeit“ – an die Einsetzung der Richter in Ex 18,13–26 (Dtn 1,16).801 Darüber hinaus hat der Verfasser von Dtn  1,9–18 durch die Ortsbestimmung und die Einsetzung bzw. den Austausch einiger Ausdrücke eine neue theologische Perspektive eröffnet. In Dtn 1–3 wird die Horeb-Offenbarung vorausgesetzt, und ferner dient der Text zur Vorbereitung der Erläuterung des Gesetzes in Moab (vgl. Dtn 1,5; 28,69), indem der Text an die Wüstenzeit anknüpft, nämlich Dtn  1,9–18 an Ex 18,13–27, Dtn  1,19–30 an Num 13 usw. In Num 11 erfolgt die Errichtung des Ältestengremiums, darüber hinaus wird die kollektive Geistbegabung durch den Wunsch des Mose legitimiert. Somit bestehen folgende Differenzen:802 Ex 18,13–27 Ort

Dtn 1,9–18

Num 11

Gottesberg (18,5; 19,1)

Horeb (1,6. 19)

Nach dem Aufbruch vom Berg Jahwes (10,33)

Initiator

Der Schwiegervater des Mose, Jitro

Mose

Jahwe

Anlass

Überlastung des Mose beim Richten

Segen Gottes: Überlastung durch die Menge des Volks

Murren: Versorgung des Volkes

Aktion

Mose als Vollstrecker der Anweisungen des Schwiegervaters

Mose befiehlt dem Volk, unter ihren Stämmen die Ausgebildeten auszuwählen

Mose versammelt nur eine schon vorher feststehende Gruppe

Qualifikation

gottesfürchtige und weise, kluge und wahrhaftige Männer anerkannte Männer

Älteste als Geistbegabte

801 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34, ZBAT 5/2, Zürich 1994, S. 474. 802 Vgl. M. Rose, Deuteronomist und Jahwist, S. 228.

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Funktion

Richten

Redaktionelle

Positionierung

Vor der Offenbarung

Richten

Mit Mose die Last des Volkes zu tragen – Prophezeiung

Gleichstellung der Fremden mit Israel im Gesetz Rückblick, nach der Offenbarung

Im Gegensatz zu den Paralleltexten ist die Prophezeiung das Ziel der Geistbegabung in Num 11. Wenn die Ältesten durch den Geist des Mose prophezeien, setzt die Erzählung zweifellos Dtn 18,18 voraus. Durch den auffälligen Ausdruck, dass der Mose-Geist auf die prophezeienden Ältesten gekommen ist, wird so zugleich die Priorität des Mose vor den anderen Propheten unterstrichen. Der Ältestenrat wird als ein Gremium mit sowohl amtlichen als auch prophetischen Zügen geschildert. Insofern werden die Ältesten nicht durch eine Ausbildung, sondern durch Jahwe qualifiziert (vgl. Ez  36,26f), und abschließend wird in Num 11,29 darüber hinaus sogar der Wunsch einer kollektiven Geistbegabung ausgesprochen.

1.3.3 Die 70 Ältesten Zu Aufgaben der Ältesten gehören politische (Ri 8,14; 1 Kön 12,6. 8; 2 Kön 10,1.5) und richterliche Aufgaben (Dtn 21,18ff; Klgl 5,14). Im Pentateuch treten sie vor allem beim Auszug Israels aus Ägypten in Erscheinung: Vorbereitung des Auszugs (Ex 3,16.18; 4,29), Einsetzung des Passah (Ex 12,21), Opfermahl mit dem Midianiter Jitro (Ex 18,12), Bundesmahl mit Gott (Ex 24,1.9.11).803 Die Ältesten haben später – was eventuell durch die Kultzentralisation Josias erfolgt ist – die Aufgabe erhalten, die Ordnung der neuen Rechtskultur vor Ort zu verantworten (Dtn 19,12; 21,2; 22,15–19), um den Rückfall in nun verbotene Götzenpraktiken zu verhindern (Dtn 16,21f; vgl. Lev 9,1).804 Aber erstaunlicherweise berichtet Ez 8,5–12, dass sich Gott gerade wegen des Räucherns vor anderen Göttern durch die Ältesten von seinem Heiligtum entfernt hat (Ez 8,6). Im Gegensatz dazu bewahren die Ältesten und Priester in Dtn 31,9–13 die Tora und verlesen sie am Laubhüttenfest dem Volk. In der nachexil. Zeit wird das Ältestenamt ganz neu

803 Vgl. J. Conrad, Art. ‫זקן‬, ThWAT II, Stuttgart 1977, S. 674–650. 804 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 249, Anm. 205.

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organisiert, da sie als Leiter des Gemeinwesens Israels dienen sollen (Esr 10,8.14; vgl. Esr 5,5.9; 6,7).805 M. Rose hat die historische Tradition der Zahl 70, die für die Vorstellung ­einer größeren, geschlossenen Gruppe von Führergestalten steht, untersucht.806 Das Zahlwort 70 ist schon seit der vorstaatlichen Zeit überliefert. „Wie in akk. und ugar. Literatur drückt auch in Israel die Zahl 70 die Größe einer Personengruppe aus“,807 z.B. die Söhne Gideons (Ri 8,30) oder die Nachkommen des Richters Abdon (Ri 12,14). Die Zahl 70 ist im Richterbuch nicht nur mit den Ältesten, sondern auch mit Männern, Königen und Söhnen verbunden (Ri 1,7; 8,30; 9,2.24), und sie kommt in Verbindung mit den Ältesten in Ex 24,1.9; Num 11,16.24 und Ez 8,11 vor. Nach Ex 24,1 und 9 sollen die Ältesten zu Jahwe heraufsteigen, jedoch von ferne beten, dagegen sollen sie nach Num 11,16.24 ins Begegnungszelt eintreten, wo sie Gott treffen können, allerdings spricht Gott nicht zu ihnen. Die 70 Ältesten spielen in Num 11 eine wichtigere Rolle, da sie Jahwe nahe kommen können, während sie nach Ex 24,1f nur von ferne anbeten und nicht mit Mose herantreten dürfen (‫ ונגׁש מׁשה לבדו אל־יהוה‬Ex 24,2). Sie spielen in Num 11 eine zentrale Rolle, weil sie durch die Geistausgießung gleichsam Anteil am Amt des Mose gewinnen; in Ex 24,1.9.14 hingegen, also beim Bundesschluss am Sinai, spielen sie keine Rolle. Daher sind die Ältesten in Ex 24* wahrscheinlich früher als die in Num 11* einzuordnen,808 folglich ist das Ältestenthema in Num 11 aufgenommen und entfaltet worden. Einige Forscher zählen sogar 72 Älteste in Num 11, indem sie Eldad und Medad hinzurechnen. Dies ergäbe die Symbolzahl 6 mal 12, doch 805 Vgl. E. S. Gerstenberger, Israel in der Perserzeit, S. 88. 806 Vgl. M. Rose, „Siebzig Könige“ aus Ephraim (Jdc. V 14), VT 26, 1976, S. 451, hinter dem Zahlwort „70“ vermutet er degradierte Fürsten von Stadtstaaten. Statt wäre zu lesen

qlm[b ~vrv ~yrpa ynm

(MT)

~klm ~[bv wrv ~yrpa ynm

aus Ephraim brachen siebzig Könige auf. 807 E. Otto, Art. ‫ׁשבע‬, ThWAT VII, 1993, S. 1016. 808 Vgl. T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, S. 279f, Anm. 228. Er versteht den Abschnitt als P-Schrift; eine andere Position vertritt E. Otto, Die Nachpriesterschriftliche Pentateuchredaktion im Buch Exodus, S. 80. Für ihn ist Ex 24,9–11 „ein vom Pentateuchredaktor übernommenes Traditionsstück“. Darüber hinaus ist Ex 24,1f als sekundäre Eintragung zu bewerten. Wenn er Ex 24,9–11 als „Traditionsstück“ bezeichnet, so ist anzunehmen, dass die 70 Ältesten hier ursprünglich keine Rolle spielten; vgl. dazu auch E. Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, S. 90. M. E. bezieht sich Ex 24,11b (‫ )ויחזו את־האלהים ויאכלו ויׁשתו‬auf Ex 18,12b (‫… לפני האלהים‬ ‫)וכל זקני יׂשראל לאכל־לחם‬.

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ohne dass 12 Stämme im Text erwähnt würden.809 M. E. aber soll durch die Eldad / ­Medad-Erzählung keine Symbolzahl erfüllt werden (vgl. V. 29), da die Zahl 70 auch in anderen Texten oft verwendet wird (Ex 24,9; Ez 8,11). Die Ältesten erlangen aufgrund Josias erfolgreich ausgeführter Reform810 Hochschätzung (vgl. 2 Kön 23,1). Im Jahr 609 v. Chr. kommt es zu einem militärischen Konflikt Josias mit dem Pharao Necho, da dieser den Restbestand der assyrischen Macht unterstützt hat, um so wiederum selbst die Herrschaft über Syrien-Palästina zu ergreifen. Für die Unabhängigkeit der Region hat Josia in Megiddo gekämpft, aber er scheitert bei diesem Versuch und wird umgebracht (2 Kön 23,29).811 Wegen seines Todes wird die Reform nicht weitergeführt und nach Ez 8,7–12 verfallen auch die 70 Ältesten wiederum dem Götzendienst. Im Jeremiabuch gelten die Ältesten als Führer und Repräsentanten Israels, jedoch ohne Nennung einer Zahl (Jer 19,1f). Erstaunlich ist, dass Ez 8,11f die 70 Ältesten im Land Israel erwähnt, obschon Jeremia an die nach Babylon deportierten Ältesten (‫)זקני הגולה‬, zu denen der Prophet eine enge Beziehung unterhält, einen Brief geschickt hat (Jer 29,1; vgl. Ez 8,1). Diese Gola-Ältesten kann man sich wahrscheinlich als ein Leitungsgremium in Babylon vorstellen (vgl. Ez 8,1; 14,1; 20,1),812 aber sie sind eben nicht mit den 70 Ältesten von Ez 8 identisch. Dass die deportierten Ältesten mit den vom König Josia eingesetzten Ältesten identisch sind, ist dagegen wahrscheinlich. Nach Ez 8 hingegen haben die Ältesten, die im Land geblieben sind, sich Babylon wegen der Not nach dem Untergang gebeugt (Klgl 1,19; 2,10), weshalb sie auch verschont wurden (vgl. Jer 40,4).813 Sie gelten als die Vertreter des Volkes, was ein Indiz dafür ist, dass unter der babylonischen Provinzverwaltung eine beschränkte Selbstverwaltung durch ein Ältestengremium möglich war (vgl. Klgl 4,16; 5,12). Diese babylonische Politik in den Kolonien entspricht auch den Regeln babylonischer Innenpolitik.814 Daher 809 Vgl. H. Seebass, Numeri 10,11–22,1, S. 32.52; A. Böckler, Die Tora in jüdischer Auslegung, Bemidbar – Numeri, Gütersloh 2003, S. 116. 810 Vgl. R. Albertz, Religionsgeschichte Israels, S. 311. Die religiöse Anklage in Jer 2–3 bezieht sich auf das ehemalige Nordreich, seine Verkündigung an das Südreich, die sich in Jer 4,3–6,30; 8,4ff u.a. findet, beginnt erst nach 609 und zeichnet sich durch das Fehlen der Synkretismusanklage aus. 811 Vgl. M. Noth, Geschichte Israels, S. 250–253. 812 Vgl. R. Albertz, Die Exilszeit, Stuttgart 2001, S. 88. 813 Sie haben selbst zu entscheiden, ob es in ihren Augen übel ist, nach Babel zu gehen: Siehe, das ganze Land ist vor dir. Du kannst gehen, wohin du willst (Jer 40,4). 814 Vgl. R. Albertz, Die Exilszeit, S. 86–97. „Über die ‚Babylonische Gefangenschaft‘ muss festgehalten werden, dass die ‚Exulanten‘ weder Kriegsgefangene im m ­ odernen

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ist für die Ältesten in Ez 8 zu vermuten, dass es vom König Josia ausgewählte Personen waren, die nach dem Untergang Israels nicht deportiert wurden, weil die Babylonier sie in ihrer Ältestenfunktion bestätigten, wobei sie unter Einfluss der babylonischen Religion gerieten.815 In Ez 8,11816 werden die übriggebliebenen Ältesten in der Exilszeit sehr stark kritisiert: demgegenüber übernehmen die heimgekehrten Ältesten die Verantwortung für die Tora (vgl. Dtn 31,9–13), denn der Ältestenrat in Dtn 31,9–13 hat die Funktion der Belehrung der Nachkommen Israels.817 Wenn Israel die 70 Ältesten als die wahren Ältesten akzeptiert, zeigt dies, dass sie eine wichtige Funktion besitzen (Ex 12,21; vgl. Esr 5,5.9; 6,7f; 10,8.14) und dass sie von ihren Sünden zu reinigen sind (Ex 24,1.9.14; vgl. Ez 14,3). Also lag der Bundesschluss von Ex 24 dem Verfasser von Num 11 bereits vor, dazu wahrscheinlich auch Ez 8,11.818 Überlieferungen über ein Ältestengremium (‫ )זקני יׂשראל‬reichen von der ägyptischen Zeit in die Zeit Josuas (Ex 3,16.18; 24,1.9; Jos 7,6; 8,10; 24,1).819

815

816

817 818 819

220

Sinne waren, die in Lagern gehalten wurden, noch Sklaven im rechtlichen Sinne, die gekauft und verkauft werden konnten, sondern in ihrer überwiegenden Mehrzahl halbfreie Pächter von Staatsland, wodurch sie an ihre Scholle gebunden, ihre wirtschaftliche Stellung der Krone verdankten und ihr zu Dienst verpflichtet waren.“ Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 88. Ihre Religiosität entspreche der assyrisch-babylonischen Bestimmung zu einem Ritual. Das Stichwort ‫ גלולים‬stehe mit dem fluchwürdigen Götzendienst (vgl. Dtn 29,17; Lev 26,30) der Assyrerzeit (2 Kön 17,12; 21,11.21; 23,24) wie der babylonischen Zeit (Jer 50,2) in Verbindung. Die Erklärungsversuche zur Genese von Ez 8–11 haben noch nicht zu einem allgemein überzeugenden Ergebnis geführt; vgl. K.-F. Pohlmann: „das Ezechielbuch sei teils auf redaktionelle Fortschreibung, teils auf den historischen Propheten selbst zurückzuführen.“ (K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 1–19, ATD 22.1, Göttingen 1996, S. 128). Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 254. „Die Ältesten sind es, die das im Dtn angesprochene Israel im Moment des Eintritts in das Land repräsentieren und die Lehre erteilen (vgl. Jos 4,21–24), den Völkern auf Erden zugut.“ Die umgekehrte Annahme, dass die Angabe der 70 Ältesten in Num 11 aus Ez 8,11 aufgenommen worden ist, ist dagegen unwahrscheinlicher. Ein derartiges Ältestengremium ist schon für Ägypten belegt, allerdings ohne Angabe der Zahl 70. Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 253. Aus Babylon ist ein Dokument bekannt, welches die Existenz eines ägyptischen Ältestenrates belegt. Aus ihm geht hervor, dass die Ägypter über ein Land verfügten, dass sie im königlichen Dienst stehend zu bewirtschaften hatten. Jedoch ist es nicht erstaunlich, dass sich ein Ältestenrat im Alten-Orient findet: Die Ältesten der Stadt [kommen] zur Ratsversammlung heraus. Vgl. W. H. Ph. Römer, Der hemerologische Text aus Ur, TUAT II. Lfg. 1, S. 52.

Wann könnten die Ältesten ausgewählt worden sein? Sie spielen in der P-Schrift keine wichtige Rolle, demgegenüber dienen sie in der Darstellung des dtn / dtr Dtn.s als Richter (Dtn 19,12; 21,1.20). Vor allem aber sind sie auch für die Tora verantwortlich (Dtn 31,9–13)!820 – was eine ganz neue Aufgabe darstellt. Hierzu ist folgendes vorauszusetzen: 1. Das Schreiben des Gesetzes durch Mose; 2. Die Verteilung der Funktion des Mose auf die levitischen Priester und Ältesten; 3. Der Toragehorsam als Ziel. Der Bericht über die Verschriftung der Tora wird durch die Worte ‫ ויכתב מׁשה את־התורה‬ausgedrückt und diese Angabe wird in V. 24 wiederholt (‫)לכתב את־דברי התורה־הזאת‬. Andere Verschriftungsberichte finden sich in Dtn 5,22 und 10,4, die von der Verschriftung durch Jahwe und die Übergabe an Mose berichten (vgl. Ex 24,12). Nachdem Jahwe die geschriebenen Tafeln Mose überreicht hat, übergibt Mose die geschriebene Tora an die levitischen Priester und Ältesten (Dtn 31,9). Weil die verschriftete Tora der Priesterschaft übergeben wird, ist vorauszusetzen, dass die Tora von Mose endgültig niedergeschrieben worden war und nicht mehr weitergeschrieben werden musste. Somit bezieht sich Dtn 31,9 auf den Tod des Mose,821 denn damit die verschriftete Tora zur Geltung kommt – wenn sie am Laubhüttenfest verlesen wird – ist sein Tod notwendig. Aus dieser Perspektive bezieht sich Dtn 31,9 auf den Endtext Dtn 34,10–12. Demnach ist die Einsetzung der 70 Ältesten auch mit Dtn 31,9 zu verknüpfen und ebenso mit Dtn  34,10–12. Darum kann die Ältestenerzählung am frühesten durch den nach-dtr Verfasser verfasst worden sein,822 was ihre zeitliche Einordnung ermöglicht, denn ihr terminus a quo muss deswegen in der Nachexilszeit liegen.823 Zu fragen ist nun noch nach der Funktion der 70 Ältesten. Während in Ex 18,13–26 und Dtn  1,9–18 Fachmänner als Richter auserwählt werden sollen, 820 Zu den drei unterschiedlichen Ursprüngen von Leviten und Ältesten vgl. U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 146f; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 184, Anm. 136. 821 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 182. Er behauptet zu Recht: „Der Pentateuchredaktor differenziert zwischen Moses Funktion als Offenbarungsmittler am Gottesberg und Verkünder der Toraauslegung in Moab. Nur die letztere Funktion geht in Dtn 31,9 auf die Priester über, während die mosaische Funktion des Offenbarungsmittlers am Gottesberg von der Tora selbst übernommen wird.“ (S. 185). 822 Das Ziel der Aufgabe von Leviten und Ältesten beim Laubhüttenfest nennt Dtn 31,12ff. Dabei werden die Lexeme ‫ׁשמע‬, ‫למד‬, ‫ירא‬, ‫ ׁשמר‬und ‫ עׂשה‬verwendet, interessant ist, dass das Verb ‫ למד‬in P nicht vorkommt, aber in Dtn 4 oft benutzt wird. 823 Für L. Schmidt (Das vierte Buch Mose Numeri 10,11–36,13, S. 22) hingegen wird die Ältestenschicht in dem spätdeuteronomistischen Zusatz Dtn 1,9–18 bereits vorausgesetzt. Diese Einschätzung gründet sich auf seine frühe Datierung von Num 11, nämlich der Zuschreibung an „J“.

221

­ erden in Num 11 die Ältesten durch Jahwe qualifiziert. Dtn 31,12f beschreibt w ihre Aufgabe, nämlich die Kinderbelehrung (‫)ובניהם … ולמדו ליראה‬,824 was sich auch in Ex 12,21–23 findet (vgl. Dtn  32,7),825 wo es um die Passavorbereitung geht, wo in V. 21 die Ältesten als Familienoberhäupter die Adressaten sind. Die Ältesten haben auch als Familienoberhäupter die Aufgabe, für die Lehre der Tora in ihren Familien zu sorgen (Dtn 32,7): Frag deinen Vater, er wird es dir kundtun, deine Ältesten, sie werden es dir sagen!826 Hier agieren die Ältesten als Ausleger der Tora. Insofern ist die Funktion des Mose aufgegriffen, weil er selbst als Schriftgelehrter dargestellt wird (vgl. Dtn 1,5).827 Damit sich die Ältesten als Ausleger bzw. Schriftgelehrte betätigen können, benötigen sie den Geist des Mose, des ersten Schriftgelehrten. Wenn sein Geist auf sie übergeben wird, wobei Mose als Knecht Jahwes tituliert wird, ist es möglich, die Ältesten eventuell ebenso zu verstehen. Sie übernehmen aber keine kriegerische bzw. königliche Rolle, sondern die ­Aufgabe der Toraweitergabe. Zu Mose Wunsch – Mögen doch alle im Volk des HERRN Propheten sein, dass der HERR seinen Geist auf sie lege! (Num 11,29b) – ist eine weitere Beobachtung erwähnenswert. Seine Rede – eine deutliche Parallele ist Joel 3 – reagiert auf Josuas Klage, womit hier die kollektive Geistbegabung zum Thema wird. Wenn dadurch die Aufgabe der durch die Geistbegabung qualifizierten Ältesten sowie ihre Lehrtätigkeit abgewertet wird (vgl. Dtn 32,7), ist die Behauptung von A. H. J. Gunneweg828 verstehbar, dass Num 11,26–30 aus einer späteren Feder als die der Ältestengeschichte stammt, da der Geist des Mose (Num 11,17) durch den Geist Jahwes ersetzt wird (Num 11,29). Eine thematische Parallele bietet Jer 31,31–34 und Ez 36,26f. Jer 31,31–34 reagiert durch die Proklamation des „neuen Bundes“ kritisch auf die Belehrungstheorie, ohne jedoch die Geistbegabung zu erwähnen. Dieser Text wird in Ez 36,26f aufgenommen,829 wobei der neue Geist und das neue 824 Die Kinderbelehrung wird auch in Dtn 4,9.10; 6,7; 11,2.19; 32,7.46 erwähnt, aber sie findet nach Dtn  32,7 durch die Ältesten statt. Gegenüber dieser Forderung (Dtn 31,12f) stellt Dtn 6,7; 11,19; 32,7 den Familienvater als Haupttradenten in den Vordergrund. Vgl. R. Achenbach, Israel zwischen Verheißung und Gebot, S. 111. 825 Zur Schwierigkeit, Ex 12,21–27 zeitlich genauer einzuordnen, vgl. J. C. Gertz, Tradition und Redaktion in der Exoduserzählung, S. 38f. 826 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 190. 827 Zur Verwendung des Lexems ‫ באר‬s. E. Otto, Mose, der erste Schriftgelehrte, S. 482–486. In diesem Sinne sind „Ausgelegte, d.h. von Gott offenbarte, und auslegende, d.h. von Mose mitgeteilte Tora (Dtn 4,44ff) […] identisch“. 828 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Das Gesetz und die Propheten, S. 177, Anm. 16. 829 S. u. Ez 36 (2.3.1).

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Herz als Bindeglied dienen. Da die Belehrung durch die Ältesten durch die kollektive Geistbegabung in Num 11,29 indirekt kritisiert wird, ist eine Beziehung zwischen Num 11,29 und Ez 36,26 zu vermuten. Da der Wunsch des Mose durch die Rede Jahwes in Ez 36,26 anerkannt wird, ist Num 11,29 wahrscheinlich ­zwischen Jer 31,31–34 und Ez 36,26 zu verorten.

1.4 Zusammenfassung In Num 11* geht es um die Entlastung des Mose durch die 70 Ältesten. Sie werden auch in der P-Schrift und im Ezechielbuch erwähnt, aber ihre Bedeutung wird in Num 11 in entscheidender Weise modifiziert, weshalb für Num 11 die P-Schrift und der Bericht über die 70 Ältesten in Ez 8 vorauszusetzen sind. Die Angabe „dein Knecht“ in Num 11,11 erinnert zweifellos an den „Jahwe-Knecht“, und diese Vorstellung wird durch einen das Josuabuch bearbeitenden Verfasser in den Pentateuch eingetragen. Deshalb ist festzuhalten, dass die Verbindung von P-Schrift und Josuabuch dem Verfasser von Num 11 bereits vorgelegen haben muss. Zudem wird die prophetische Gestalt des Jahwe-Knechtes aufgegriffen, wobei aber seine kriegerische und königliche Funktion in Num 11 ausgeblendet bleiben. Der Vergleich von Num 11; Ex 18 und Dtn 1 lässt Folgendes erkennen: 1. Die drei Erzählungen von der Entlastung durch Älteste sind thematisch vergleichbar, sie verfolgen aber unterschiedliche Interessen; 2. Die in Num 11 durch Geistbegabung bewirkte Prophezeiung lässt erkennen, dass die mosaisch-prophetische Figur vorausgesetzt wird (vgl. Dtn 18,18) und dass die in der nach-dtr Redaktion wichtige Priorität des Mose im Hintergrund steht, da die 70 Ältesten am Geist des Mose teilhaben. Somit setzt Num 11 das spät-dtr Dtn voraus, und darüber hinaus ist die Ältestenerzählung der nach-dtr Redaktion zuzuweisen, weshalb auch die Verbindung von Geistbegabung und Torabefolgung im Hintergrund steht. In Num 11 hat die Geistbegabung explizit eine wichtige Legitimationsbedeutung, was die Relation zwischen Geist und Prophezeiung akzentuiert. Die Geistbegabung geschieht hier aber nicht an einer einzelnen Person, sondern an einer Gruppe! Die Ältesten als Familienoberhäupter übernehmen nach Dtn 31,12f; Ex 12,21–27 die Kinderbelehrung. Die Ältesten agieren damit als Ausleger bzw. Schriftgelehrte, und in Dtn 1 und 4 wird auch Mose als Schriftgelehrter beschrieben (Dtn 4,5; vgl. Dtn 1.5; 4,9). Wenn die Ältesten als Schriftgelehrte in ihren Familien tätig sind, benötigen sie dazu den Geist des Mose, des ersten Schriftgelehrten, daher bezieht sich dieser Geist explizit auf die Prophezeiung und implizit auf die Torabefolgung (vgl. Dtn 31,9–13). In dieser Perspektive sind die Ältesten in Num 11 als Wortmittler dargestellt. Durch diese ausgewählten Geistbegabten

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kann Israel den Toragehorsam einhalten. Insofern ist ihr Auftrag mit der Pflicht des Priesters gleichzusetzen (vgl. Dtn 31,9), die in Jes 61; 59,21 zum Thema ­gemacht wird. Darum ist die Ältestenerzählung auch auf Jes 59,21 beziehbar. Ferner bezieht sich der Wunsch des Mose »Mögen doch alle im Volk des HERRN Propheten sein, dass der HERR seinen Geist auf sie lege!« auf Jer 31,34, wo die nach-dtr Belehrungstheorie kritisch reflektiert wird. Daneben stellt Num 11,29 thematisch eine Parallele zu Ez 36,26f dar, weil die Begabung mit einem neuen Geist eine wichtige Rolle für den Toragehorsam spielt. Durch den Wunsch des Mose wird der Toragehorsam nicht durch den geistbegabten Toravermittler, sondern durch die kollektive Geistbegabung bewirkt. Darum wird in Num 11* eine Übergangsphase der Modi des Toragehorsams sichtbar, er erfolgt einerseits durch die Ältesten als Toramittler, was den Vermittlungsgedanken stark macht (vgl. Jes 59,21; 61), und andererseits wird dieser Gedanke durch den Wunsch der kollektiven Geistbegabung (vgl. Ez 36,26f) zugleich überwunden. Die Entwicklung des Geistkonzeptes in Num 11* lässt sich so zusammenfassen: Geistbegabung des ausgewählten Jahwe-Knechts (Jes  42,1–4) → Geistausgießung auf die auserwählten 70 Ältesten zur Torabelehrung (Num 11* = Jes 59,21) → Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)!

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2. Ez 36: Ein neues Herz und ein neuer Geist Die Gleichsetzung von Geist und Herzen findet sich zwar schon in der Priesterschrift (Ex 28,3), doch für den Toragehorsam wird sie erst in Ez 36,23–38* relevant. Vor allem ist Ex 36,26 sprachlich mit Jer 31,33 und Jes 59,21830 zu vergleichen, wodurch die Rezeptionsrichtung und Revisionen zu erfassen ist. Entscheidend ist, dass nun die verschiedenen Modi des Toragehorsams, also ‚Herzmotiv‘ und ‚Geistempfang‘ miteinander vermittelt werden, was als Aufhebung ihres Gegensatzes gedeutet werden soll, worin auch die Verbindung von dtr / jer. und jes. G ­ edanken und ferner die Korrelation von Pentateuch und Prophetenbüchern eindeutig zu ­erkennen ist.

2.1 Formanalyse In Ez 36,23–38* geht es um die Reinigung und Erneuerung Israels. V. 16 setzt mit einer Wortereignisformel ein (‫)ויהי דבר־יהוה אלי לאמר‬, was sich häufig im Ezechielbuch findet.831 Im Abschnitt Ez 36,23–38* gibt es einige Referenzen auf vorangehende Reden: 1. Der Ausdruck ‫» ויחללו את־ׁשם קדׁשי‬sie haben meinen heiligen Namen entweiht« wird in jedem Vers verwendet: 20 21 22 23a

yvdq ~v-ta whwllx rva yvdq ~v-l[ ~tllx rva yvdq-~vl ~tllx rva ~ywgb llxmh lwdgh ymv-ta

wllxyw lmxaw -~a yk ytvdqw

Im Gegensatz zur Entweihung des Namens Gottes durch Israel (VV. 20f) erfolgt das Wiederheiligen seines Namens (VV. 22f) durch Jahwe selbst: »Und ich werde meinen großen Namen heiligen« (‫)וקדׁשתי את־ׁשמי הגדול‬, wobei V. 23a futurisch formuliert ist; 2. In VV. 20–24 dient das Wort ‫» הגוים‬Nationen« in den jeweiligen Versen dazu, auf die Deportation anzuspielen. Mit den Worten ‫ גוים‬und ‫ בוא‬in V. 24 wird eine Verbindung zu den vorangehenden Versen generiert. Sie beziehen sich in VV. 20–23 auf das Exil, aber in V. 24 auf das Leben nach der Heimkehr. 830 S. o. Teil I. 2.3.1 831 Ez 3,16; 6,1; 7,1; 11,14; 12,1.17.21.26; 13,1; 14,2.12; 15,1; 16,1; 17,1.11; 18,1; 20,2; 21,1.6.13.23; 22,1.17.23; 23,1; 24,15; 25,1; 27,1; 28,1.11.20; 30,1; 33,1.23; 34,1; 35,1; 36,16; 37,15; 38,1.

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Daher setzen die VV. 23bβ–38 das Thema ‚Exil‘, das in VV. 16–23abα erwähnt worden ist,832 voraus. Durch den Infinitiv im Nif. ‫» בהקדׁשי‬als ich mich heilig erweise«, der aus V. 23a aufgenommen wird (‫)וקדׁשתי‬, wird V. 23bβ mit V. 23abα verbunden.833 Weiterhin bestehen Abweichungen zwischen VV. 16–23abα und VV. 23bβ–38: Das Wort ‫» ׁשם‬Name« wird in VV.  23bβ–38 nicht erwähnt, das jedoch in 22f (‫ כי אם־לׁשם־קדׁשי‬V. 22; ‫ וקדׁשתי את־ׁשמי הגדול‬V. 23a) im Mittelpunkt gestanden hat. Statt des Namens steht in V. 25 das Pronomen „ihr“. Es bezeichnet die Deportierten, die auch rein werden sollen, somit sind in Ez 36 zwei unterschiedliche Reinigungsobjekte zu unterscheiden. Ferner wird in VV. 23bβ–38 die die Reinigung erfordernde Erneuerung zum Thema (VV. 26f ). Die Redewendung ‫» לא למענכם אני עׂשה‬Nicht um euretwillen tue ich es«, die in V. 22 mit dem heiligen Namen Jahwes verbunden gewesen ist, wird in V. 32 wieder aufgegriffen (‫)לא למענכם אני עׂשה בית יׂשראל‬, wobei aber der Gottesname nicht genannt wird. Die Redewendung ist mit dem Lexem ‫» ידע‬wissen« verbunden, sodass so nun ein Lehr- bzw. Lernprozess beschrieben ist. Das Lexem ‫ידע‬ wird in Ez  36,16–38 viermal verwendet (VV.  23.32.36.38) und sein Subjekt in V. 23 sind die Nationen (‫)הגוים‬, die in V. 36 nochmals erwähnt werden (‫וידעו הגוים‬ ‫)אׁשר יׁשארו סביבותיכם‬. In V. 32 ist hingegen Israel das Subjekt, doch in V. 38 steht das Pronomen ‚sie‘ in der 3. Pers. Pl., das die an den Tagen der Wallfahrtfeste zum Tempel strömenden Pilger bezeichnet (vgl. Jes 2,3). Diese entstammen jedoch nicht nur Israel, denn sie kommen aus allen Nationen (vgl. Dtn 29,10–14), aber in V. 23 ist Israel den Nationen noch entgegengesetzt worden (V. 23 ‫בהקדׁשי בכם‬ ‫ – לעיניהם‬als ich mich vor ihren [die Nationen] Augen an euch [die Israeliten] als heilig erweise). Insofern entspricht der Ausdruck ‫» לא למענכם אני־עׂשה‬Nicht um euretwillen tue ich es« in V. 32 zwar wörtlich der Rede in V. 23, erfüllt nun aber einen anderen Zweck. Darüber hinaus richtet sich das Heilshandeln Jahwes in VV. 23bβ–38 sowohl auf die Heimkehr ‫( והבאתי אתכם אל־אדמתכם‬V. 24) als auch auf das Leben im Land Israel (V. 29; vgl. V. 30). Aus diesem Grund ist das Subjekt des Lexems ‫ ידע‬im Abschnitt VV. 23bβ–38 ein anders als in V. 23a.

832 Im Abschnitt VV.  16–23 kommt das Wort ‫ טמא‬36,17f zweimal und das Wort ‫חלל‬ 36,20–23 viermal vor, und mit diesen Verben werden sowohl die Sünden Israels als auch das Exil zum Thema gemacht. Aber diese Verben werden in den folgenden Versen nicht mehr verwendet, jedoch setzt das Thema von VV. 23bβ–38 das Exil unbedingt voraus. 833 Vgl. F. L. Hossfeld, Untersuchungen zu Komposition und Theologie des Ezechielbuches, FzB 20, Würzburg 1977, S. 295.

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Hingegen bildet Ez 36,23bβ–38 trotz der verschiedenen Themen eine homogene Einheit. In VV. 23bβ–38 bildet das Reinigungshandeln Jahwes das Thema, wozu ‫» טהר‬reinigen« verwendet wird (VV. 25.33; vgl. 29a). Dies Thema wird in V. 25 ‫» אטהר אתכם מכל טמאותיכם ומכל־גלוליכם‬von all euren Unreinheiten und von all euren Götzen werde ich euch reinigen«, V. 29a ‫» מכל טמאותיכם‬von all euren Unreinheiten« und V. 33a ‫» טהרי אתכם‬euch reinigen« erwähnt, darauf folgt schließlich das Thema ‚das Leben im Heimatland‘ in VV.  29bf.33b–34a. Ein weiteres Thema, nämlich ‚bauen und pflanzen‘, entfalten VV. 33–36 (V. 36 ‫ ;בנה נטע‬vgl. 33.35). Die Redewendungen ‫» ונתתי … חדׁש‬ich werde neues geben« (VV. 26–27a) und ‫» והרביתי‬vermehren« (VV. 29bf) haben einen Anklang an ‚bauen und pflanzen‘, weil sie nicht nur auf materielle Objekte, sondern auch auf das menschliche Innere bezogen sind. Ez  36,23bβ–38 setzt somit den voranstehenden Abschnitt, wo es um die Heimkehr geht,834 voraus,835 und bildet eine literarisch homogene Einheit.836 Außerdem wird ein weiteres wichtiges Thema, das mit Jer  31,31–34 vergleichbar ist, behandelt. In Ez 36,23bβ–28 geht es um die Geistbegabung bzw. die Gabe des neuen Herzens, deren Ziel der Gesetzesgehorsam ist (V. 27b).837 Interessant ist, dass die Geistbegabung nochmals in Ez 37,14 erscheint (‫ונתתי רוחי‬ ‫ ;בכם‬vgl. Ez 36,26), wobei sie in Ez 36,36 und Ez 37,14 als Bekräftigungsformel erfolgt (‫)יהוה דברתי וׂשעיתיאני‬, insofern sind Ez 36,26f und Ez 37,1–14 durch ihr ­gemeinsames Thema verbunden.838 Mit ‫ ידע‬wird in VV. 32a und 36aα die Gotteserkenntnis839 ausgedrückt. In VV.  29b–30 bezeichnet ‚bauen und pflanzen‘ die Fruchtbarkeit der Felder, dementsprechend geht es in VV. 33b–35 um das ‚Bauen und Pflanzen‘ der Städte, dabei ist in Ez 36,32a und Ez 36,36aα jeweils das Ziel genannt. Aus diesen Gründen bildet der Abschnitt Ez  36,23bβ–38 inhaltlich, sprachlich und thematisch eine größere Einheit, die sich in drei kleinere Passagen gliedern lässt (VV. 25–28; 29–32; 33–36).

834 Vgl. D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, S. 89. 835 V. 23bβ kann nicht die direkte Weiterführung von V. 23abα sein, da Ez 36,23bβ–38 in der Übersetzung G967 fehlt; vgl. dazu K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 20–48, ATD 22,2, Göttingen 2001, S.  487f; L.  C. Allen, Ezekiel 20–48, WBC vol. 29, Texas 1990, S. 176. Wegen der dreimaligen Botenformel (VV. 22.33.37) gliedert L. C. Allen Ez 36,16–38 in drei Abschnitte. 836 Vgl. K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel) 20–48, S. 487. 837 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, BKAT XIII/2, Neukirchen-Vluyn 21979, S. 879. 838 Vgl. H. Schüngel-Straumann, Rûaḥ bewegt die Welt, S. 61. 839 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 898.

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In VV.  23bβ–28 ist die Geistausgießung, die zur Gotteserkenntnis befähigt, was mit der Bundesformel ausgedrückt wird, zentral. In VV. 29–32 erfolgt durch ‫ לא למענכם אני־עׂשה‬ein Bezug auf V. 22. Jedoch besteht ein Unterschied, weil die Unreinheit in VV. 20–23abα mit ‫» חלל‬entweihen« ausgedrückt wird, während es in VV. 36,23bβ–38 nicht mehr verwendet wird, da stattdessen ‫» טמאה‬Unreinheit« benutzt wird (VV. 25.29).840 V.  23bβ verwendet den Ausdruck ‚die Heiligkeit Jahwes vor ihren Augen‘, der sich häufig im Ezechielbuch findet (Ez 20,41; 28,25; 36,23; 38,16.23; 39,27; vgl. Num 27,14; Jes 52,10), und er ist zweifellos als ein Heilswort zu verstehen (Jes 52,10; Ez 28,25; vgl. Num 20,12), da Jahwe selbst seine Heiligkeit erweist. Der Ausdruck bezieht sich in Ez 28,25 auf das Leben im Land, das Jahwe Jakob gegeben hat, weshalb er voraussichtlich erst in nachexilischer Zeit entstanden ist (vgl. Ez 28,25). In V. 24 stehen drei Verben, die auch in Ez 37,21 verwendet werden, um die Errettung durch Gott anzukündigen, ‫» לקח‬herholen« (Dtn 4,34; Ez 37,21), ‫קבץ‬ »sammeln« (Jer 23,3; 32,37; Ez 11,17; 37,21; 39,27; vgl. Dtn 30,3f) und awb »bringen« (Ez 37,12.21; vgl. Ex 6,8). Ihre Erfüllung findet sich in Ez 36,37f, wobei die Menschen ‚wie eine Menschenherde‘ versammelt und an den Jerusalemer Festzeiten ins Land gebracht werden. Somit sind die beiden Abschnitte VV. 23bβ–24 und 37–38 inhaltlich verbunden und sie bilden einen Rahmen des Gesamtabschnitts. Im Mittelteil von VV. 25–36 werden drei ähnliche Strukturen verwendet. Nach V. 25 vollzieht sich die Reinigungshandlung Jahwes durch reines Wasser. Die Israeliten werden so von all ihren Unreinheiten (‫ )מכל טמאותיכם‬rein gewaschen. Dieser Reinigungsritus findet sich auch im Pentateuch, und andere Ausdrücke für die rituelle Reinigung sind dort ‫»( כבס‬waschen« Lev 14,8) und ‫רחץ‬ (»waschen« Lev 14,9; 15,13). Außerdem wird sie auch mit dem Wort ‫»( זרק‬versprengen« Num 19,13.20) und ‫»( נזה‬versprengen« Num 19,18f) ohne e­ igentliche Waschhandlung ausgedrückt. Die Ritualhandlung von Ez 36,25 ‫וטהרתם מכל‬ ‫» טמאותיכם‬Und ihr werdet rein sein von all euren Unreinheiten« wird in V. 29a ‫» והוׁשעתי אתכם מכל טמאותיכם‬Und ich werde euch befreien von all euren Unreinheiten« und V. 33a ‫» ביום טהרי אתכם מכל עונותיכם‬An dem Tag, da ich euch von all euren Sünden reinige« ­aufgenommen,841 daher bilden diese Verse eine Parallele.842

840 In V. 17 findet sich das Wort ‫טמאה‬, jedoch wird der Abschnitt Ez 36,17–23abα durch das in VV. 20–23abα fünfmal verwendete Wort ‫ חלל‬strukturiert. 841 Vgl. F. L. Hossfeld, Untersuchungen zu Komposition und Theologie des Ezechielbuches, S. 300. 842 Vgl. S. Ohnesorge, Jahwe gestaltet sein Volk neu, S. 243. In V. 25 fällt auf, dass das Wort ‫» גלוליכם‬Götzen« verwendet wird, das im Pentateuch nur zweimal belegt ist

228

Nach VV. 26–27a wird Jahwe Neues schenken: Ein neues (fleischernes) Herz und einen neuen Geist. Durch ihre Gleichstellung sind beide Größen quasi identisch und daher austauschbar.843 Diese Ankündigung findet sich auch bereits in Ez 11,19, wo ein Erneuerungsakt Jahwes verheißen wird, da er das Innere des Menschen gänzlich umgestalten will.844 Dies ist vergleichbar mit den Formulierungen ‚bauen und pflanzen‘ in VV. 29b–30 und VV. 33b–35. Die Rede in VV. 29b–30 bezieht sich auf die größeren Ernteerträge des Ackerlands und der Obstbäume.845 Doch in VV. 33b–35 bezieht sich die Formulierung ‚bauen und pflanzen‘ auf die Städte,846 was ihre Befestigung und die Arbeiten zur Errichtung von Gebäuden bezeichnet. Durch das ‚Bauen und Pflanzen‘ wird Land völlig erneuert, so dass es erneut dem Garten Eden gleicht (V. 35). In Ez 36,35 wird zweifellos DtJes 51,3 vorausgesetzt, besonders das Motiv der Restauration des Garten Edens, der in Gen 2,8–10.15f als idealer Lebensraum geschildert worden ist.847 Diese Darstellung lässt erkennen, dass der Autor wohl eine neue Schöpfung erhofft und zugleich eine wahrhafte Gottesbeziehung, die den Status vor der Vertreibung nicht nur wiederherstellt, sondern sogar auch überbietet. Dieser Erneuerungsakt Jahwes bezweckt, dass die Menschen seine Gebote bewahren können (V. 27 ‫)ועׂשיתי את אׁשר־בחקי תלכו ומׁשפטי תׁשמרו ועׂשיתם‬. Dementsprechend bildet in V.  32a und 36a ein Ziel von ‚bauen und pflanzen‘ die Gotteserkenntnis (‫)ידע‬, sowohl für Israel (V.  32aγ) als auch die Nationen (V. 36aα), wodurch V. 32a und V. 36a durch dieses Stichwort verbunden sind. Wenn sich der Ausdruck ‫»לא למענכם‬nicht euretwegen« in V. 32a auf die Angabe in V. 22aγ bezieht, impliziert sie tatsächlich die Angabe aus V. 22bα ‫אם־לׁשם־‬ ‫» קדׁשי‬um meines heiligen Namens willen«.848 Der Wiederaufbau erfolgt nicht

843 844 845 846

847 848

(Lev 26,30; Dtn 29,16), während es sich bei Ezechiel häufig findet. Weitere Belege sind nur noch in den Königsbüchern (1 Kön 15,12; 21,26; 2 Kön 17,12; 21,11.21; 23,24) und im Jeremiabuch (Jer 50,2) zu finden. Diese Einschätzung erweist sich durch den Vergleich von Jer 31,31–34 und Jes 59,21 und mit Ez 36,26 als plausibel. Vgl. W. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel 19–48, ATD 22/2, 1966, S. 349. Vgl. H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels. Form- und traditionskritische Untersuchung zu Ez 6;35;36, FzB 14, Würzburg 1974, S. 93. Vgl. H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels, S. 225; H. Groß, Der Mensch als neues Geschöpf (Jer 31; Ez 36; Ps 51), in: Der Weg zum Menschen. Zur philosophischen und theologischen Anthropologie; für A. Deissler, hrsg. von R. Mosis und L. Ruppert, Freiburg·Basel·Wien 1989, S. 104. Vgl. S. Ohnesorge, Jahwe gestaltet sein Volk neu, S. 251. Vgl. H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels, S. 161.

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‚­euretwegen‘, sondern einzig um des Namens Jahwe willen. Der Vers V. 32b ist inhaltlich mit V. 31 verbunden (V. 31. Sünden und Greuel – ‫עון‬, ‫ ;תועבה‬V. 32b. schämen und beschämen – ‫בוׁש‬, ‫)כלם‬, in V. 32b wird aber die Aufforderung zur Selbsterkenntnis ausgedrückt (‫ ;בוׁשו והכלמו‬vgl. Jer 8,12; Ez 16,52).849 V. 36b verwendet die Bekräftigungsformel ‫אני יהוה דברתי ועׂשיתי‬, die sich auch in Ez 17,24; 22,14 und 37,14 findet (vgl. Ez 24,14), um die Ankündigung Jahwes zu bekräftigen. Die Struktur von Ez 36,23bβ–38, die durch Wiederholungen bestimmt ist, ist so beschreibbar:850 23bβ–24

holen, sammeln und bringen 25

Reinigungshandlung (‫)טהר‬ 26–27a

Geistbegabung ins Herz bzw. Innere 27b

Ziel – Gesetzesgehorsam 28

29a

Reinigungshandlung (‫)מכל טמאותיכם‬ 29b–30

‚bauen und pflanzen‘ (Feld: fruchtbar) 32a

Ziel – Gotteserkenntnis 32b

33a

Selbsterkenntnis – ‫בוׁש‬, ‫( כלם‬V. 31) Reinigungshandlung (‫)טהר‬

33b–35

‚bauen und pflanzen‘ (Gebäude: Städte) 36a

Ziel – Gotteserkenntnis 36b

37–38

Bundesformel

Bekräftigungsformel eine konkrete Darstellung von 23bβ–24

2.2 Sprachliche Untersuchung a) V. 23bβ In V.  23bβ steht die Redewendung ‫» בהקדׁשי בכם לעיניהם‬ich werde mich euch vor ihren Augen als heilig erweisen«, wozu das Lexem ‫» חלל‬entweihen« das Antonym bildet. Diese Redewendung wird im Ezechielbuch häufig verwendet (Ez 20,41; 28,25; 38,23; 39,27; vgl. Num 27,14; Jes 52,10), wobei auch die Völker als Zeugen Jahwes dienen. Gottes Handeln zielt einerseits auf die Heimkehr 849 Vgl. M. Greenberg, Ezechiel 21–37, S. 434. 850 Vgl. S. Herrmann, Die prophetischen Heilserwartungen im Alten Testament, S. 272f.

230

Israels (Ez 20,41; 28,25; 39,27), und anderseits auf die Weltherrschaft Jahwes (Ez 28,22; vgl. Ez 38,23). Auffällig ist, dass hierzu das Lexem ‫» קבץ‬sammeln« verwendet wird (Ez 20,41; 28,25; 39,27), das sonst nur im spät-dtr Dtn 30,3f belegt ist,851 wo die Heimkehr ebenfalls das Thema bildet. b) V. 25 In V. 25 findet sich der Ausdruck ‫» מים טהורים‬reines Wasser«. Befunde aus dem alten Orient852 zeigen, dass die Wasserreinigung ein kultischer Ritus ist,853 ­weshalb der 2. Tempelbau für Ez 36,25 vermutlich vorauszusetzen ist. Dieses Reinigungsritual wird auch in Ex 30,18.20f erwähnt, danach sollen sich die Priester ihre Hände und Füße waschen, bevor sie das Zelt der Begegnung betreten. Zu dieser Handlung waren die Priester verpflichtet (Lev 14,6f). Aber der Befehl gilt auch für die Leviten (vgl. Num 8,7). In Num 8,6–11, wo mit besonderem Augenmerk auf Num 8,8.12 das Opferritual des 2. Tempels dargestellt wird,854 gehören die

851 Vgl. H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels, S. 166. 852 K. Hecker, Namburbi-Rituale, in: B. Janowski, TUAT-NF 4 (Omina, Orakel, Rituale und Beschwörungen), Gütersloh 2008, S. 111f. Der Text ist im 7. Jh. v. Chr. entstanden und ist ein babylonisch-assyrisches Löseritual: (1–2) (Wenn) ein fremder Vogel im Haus eines Menschen gesehen wird, dieses Haus: seine vollen Speicher werden leer werden. DITO, dieses Haus wird zerstreut werden. (3) Lösungsritual dafür, dass das Unheil des fremden Vogel sich dem Menschen und seinem Haus nicht nähert. (4–5) Seine Ausführung: An einem günstigen Tag soll (d)er (Mensch) sich heiligen. Du fegst das Dach (und) versprengst reines Wasser. 3 Tragealtäre richtest du für Ea, Šamaš und Asalluḫi. Ders., Namburbi-Rituale, in: B. Janowski, TUAT-NF 4, S. 114. Der Text stammt aus dem assyrischen Raum (Ninive): (1–2) Wenn im Monat Nisan vom 1. bis zum 30. Tag ein Kind geboren ist: Dieses Kind wird mit seinen Füßen das Haus seines Vaters zerstreuen. (3–4) Sein Vater oder seine Mutter wird sterben. (durch) die Hand des Gottes sterben, (von der Hand des Königs eingenommen werden), Dem Kind selbst wird es späterhin gut gehen. (5–7) Das Löseritual dafür: dass das Unheil von diesem Kind seinen Vater, seine Mutter nicht erreicht, (um) dieses Unheil vorübergehen zu lassen, (damit) das böse Vorzeichen anderswohin gehe, seinem Vater, seiner Mutter sich nicht nähere. (8–9) Seine Ausführung: Am Morgen fegst du in abgelegener Steppe den Boden (und) versprengst reines Wasser: Für Ea, Šamaš und Asalluḫi stellst du 3 Tragealtäre hin. 853 Vgl. H. F. Fuhs, Ezechiel II 25–48, NEB, Würzburg 1988, S. 205. 854 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 541.552; zur Levitisierung des Priestertums vgl. U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 396ff.

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Leviten als clerus minor zum Tempelpersonal (Num 8,11). Weil das Subjekt der Reinigungshandlung in Ez 36,25 kein Priester, sondern Jahwe selbst ist, ist dieses Ritual, das insgesamt dreimal in Ez 36,23bβ–38 vorkommt (VV. 25.29a.33a), von der priesterlichen Handlung zu unterscheiden.855 Weil das Wasser nicht durch den Priester ausgegossen wird, sondern Jahwe die Reinigungshandlung selbst durchführt, wird so indirekt auch die Sünde der Priester angedeutet, da auch sie der göttlichen Reinigung bedürftig sind (Neh 13,28f; vgl. Num 16,8f; Ez 44,10; Jer 23,11; 32,32). In Ez 36,25b wird das Wort ‫» טהר‬reinigen« dreimal verwendet, was seine Bedeutung bekräftigt. Der letzte Beleg steht im Piel mit der Präposition ‫ מן‬und dem Nomen ‫» טמאה‬Unreinheit« sonst nur noch in Ez 24,13, wo es um die Unreinheit Jerusalems geht (‫» ולא טהרת טהרתיך‬du wurdest aber von deiner Unreinheit nicht mehr rein«).856 Der Reinigungsritus und die Reinigung von Unreinheit richten sich somit auf den Jerusalemer Kult, womit die Redewendung ‚reinigen von Unreinheit‘ im Kontext des Tempels zu verstehen ist, was den 2. Tempelbau eindeutig voraussetzt.857 Der Ausdruck ‫» ומכל־גלוליכם‬von all euren Götzen« ist auffällig, da das Wort auch an größere am heiligen Ort errichtete Götzenbilder denken lässt (Ez 14,3; 20,30f).858 Wenn der Abschnitt Ez 36,23bβ–38 aber in der Nachexilszeit verfasst worden ist und durch das Wort ~ylwlg die Reinigung von der Unreinheit thematisiert wird und die priesterlichen Tempeltätigkeiten allein auf Jahwe übertragen werden, so wird in V. 25 die Sünde der levitischen Priester aufgewiesen, so dass sie als clerus minor zum Tempelpersonal gehören, was in Ez 44 ein wichtiges Thema ist: Weil sie ihnen vor ihren Götzen (‫ )גלוליהם‬gedient haben und dem Haus Israel ein Anstoß zur Schuld geworden sind (Ez 44,12. vgl. Num 16; Ez 44,10). Aus diesen Gründen ist für V. 25 die Levitisierung des

855 Sprachlich ist diese Wendung gewiss mit der priesterlichen Handlung verbunden, jedoch ist das Subjekt nicht der Priester, denn das Handlungssubjekt des Rituals ist in Ez  36,23bβ–38 Jahwe. Dieser Handlungsritus ist somit anders als die priesterliche Handlung zu verstehen, da er mit der Gotteserkenntnis verbunden ist (VV.  32a.36a.38b). Vgl. dazu D.  I. Block, The book of Ezekiel 25–48, NICOT, Michigan 1998, S. 354. Außerdem unterscheidet sich das Priesteramt in Num 8 vom Priesteramt in Ez 44,10ff, da hier einerseits das levitische Priestertum, und andererseits dessen Abfall vom Jahweglauben vorausgesetzt werden. Ferner wird die Sonderstellung der Zadokiden, die zum levitischen Stamm gehören, dargestellt (Ez 44,15). 856 Vgl. S. Ohnesorge, Jahwe gestaltet sein Volk neu, S. 231ff. 857 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 878f. 858 Vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 1–24, BKAT XIII/1, Neukirchen-Vluyn 21979, S. 149.

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Priestertums, die durch den spät-dtr859/ nach-dtr860 Verfasser konzipiert worden ist, wohl vorauszusetzen. Ferner ist der Sturz des Hohenpriesters in Neh 13 zu finden (vgl. Neh 13,23–29), und dieser Abschnitt ist vielfältig auf den Pentateuch bezogen. In Neh 13,23 ist von »ammonitisch und moabitisch« die Rede, was A. H. J. Gunneweg861 als Erweiterung bewertet, um den Text an Neh 13,1–3 anzugleichen. Zudem wird hier das Gemeindegesetz von Dtn  23,2–9 vorausgesetzt, wo das Verbot, welches außerhalb des Dtn.s nicht belegt ist, begründet wird, eine ammonitische oder moabitische Frau zu heiraten (Neh 13,1.23–27).862 Das Mischehenverbot findet sich auch in Dtn 7,1–3, danach dürfen Israeliten weder eine ammonitische oder moabitische, noch irgendwelche anderen fremde Frauen heiraten (vgl. Neh 13,25), weil die Mischehe als Bundesbruch gilt (Dtn 7,4–6).863 In diesem Horizont ist die Maßnahme Nehemias zu verstehen, denn er hat den Enkel des Hohenpriesters Eljaschib wegen seiner Mischehe mit der Tochter Sanballats gezwungen, Jerusalem und Juda zu verlassen (Neh 13,28). Doch nach Lev 21,14b darf nur der Hohenpriester keine fremde Frau heiraten (‫)מעמיו יקח אׁשה בתולה‬, im Gegensatz dazu gilt das Mischeheverbot bei Nehemia nicht nur für Angehörige der hohepriesterlichen Familie,864 sondern für alle Israeliten (Neh 13,25). Weil Ez 36,23bβ–38 wahrscheinlich die Sünde des Priestertums thematisiert,865 wird hier eine theokratisches Gegenmodell,866 das durch die göttliche Geistbegabung ermöglicht wird, entworfen, weshalb Ez 36,23bβ–38 später als nach-dtr zu b­ egreifen ist.

859 Vgl. R. Achenbach, Levitische Priester und Leviten im Deuteronomium, ZAR 5, 1999, S. 285–309. Für ihn ist dieser Redaktor mit dem ‚Hexateuchredaktor‘ zu identifizieren; vgl. dazu U. Dahmen, Leviten und Priester im Deuteronomium, S. 396ff. Die levitische Priesterschaft geht auf die spät-dtr Redaktion zurück. 860 Vgl. E. Otto, Die post-deuteronomistische Levitisierung des Deuteronomiums, S. 284. 861 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Nehemia, S. 172. 862 Vgl. U. Kellermann, Erwägungen zum Esragesetz, ZAW 80, 1968, S. 382. 863 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 438. Für A. H. J. Gunneweg ist der Levibund auf den Abschnitt Dtn 33,8–11 bezogen. A. H. J. Gunneweg, Nehemia, KAT XIX/2, Gütersloh 1987, S. 172. 864 Vgl. K. D. Schunck, Nehemia, S. 399. 865 S. o. Jer 31,31–34 (3.3.1 und 3.3.2). 866 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 80. Anm. 149.

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c) V. 30 Um die ‚Frucht des Baums und den Ertrag des Feldes‘ geht es in V. 30. Dasselbe Thema findet sich in Lev 26,4f; Dtn 28,4.11; Ez 34,26f.29; 36,8f.34f. Die Worte ‫פני‬ »Frucht« und ‫» תנובה‬Ertrag« stehen in V. 30 im Singular. #[h yrp »Frucht des Baums« findet sich in der Schöpfungsgeschichte in Gen 1 (VV. 11f.29; vgl. Gen 3,3), um den idealen Frieden und die Fruchtbarkeit des Landes zu schildern (vgl. Ez 34,27). Daher ist es wahrscheinlich, dass in V. 30 die priesterschriftliche Schöpfungsgeschichte aufgenommen wird, um so ebenfalls ein Friedensideal und die Fruchtbarkeit des Landes zu schildern. Der Bezug auf die Schöpfungsgeschichte zeigt, dass die P-Schrift zweifellos dem Verfasser von Ez 36 vorliegt (vgl. V. 35). Während die Rede ‚Frucht des Baums‘ im AT oft belegt ist, kommt der Ausdruck ‚Ertrag des Feldes (‫‘)ותנובת הׂשדה‬ sonst nur noch zweimal (Dtn 32,13) mit der Constructus-Verbindung vor,867 um die Restauration des Landes zu schildern (vgl. Klgl 4,9). d) V. 31 Die Redewendung ‫» וזכרתם את־דרכיכם‬ihr werdet an eure Wege denken« findet sich fast wörtlich übereinstimmend in Ez 36,31 und 20,43 (vgl. Dtn 8,2; Ez 16,61): Ez 20,43

~kynpb ~tjqnw … ~kytwlyl[-lk taw ~kykrd-ta

Ez 36,31

~kynpb ~tjqnw …

~trkzw

~y[rh ~kykrd-ta ~v-~trkzw

In Ez 20,43 ist der Ausdruck ‫» את־דרכיכם ואת כל־עלילותיכם‬eure Wege und eure ­Taten« das Objekt des Lexems ‫זכר‬, was Ez 14,22f aufgreift (vgl. Ez 36,17). Diese Wendung setzt ohne Zweifel die Deportation Israels voraus, weil die Unreinheit in Ez 20,43 nochmals mit der Erinnerung an dessen Taten verbunden wird. Ferner werden in Ez 20,43 die Worte ‫» יצא‬Herausführen« im Hif. und ‫» קבץ‬sammeln« im Pi. verwendet (Ez 20,41), was sich auch in Ez 36,24 findet (‫ מן־הגוים‬... ‫ולקחתי‬ ‫ והבאתי‬... ‫)וקבצתי‬.868 Da in allen Belegen Jahwe das Subjekt ist,869 ist das ‚­Herausführen 867 Es besteht in der Forschung ein Konsens, dass Dtn 32 in viele literarische Abschnitte zu zerlegen ist. Vgl. H. D. Preuss, Deuteronomium, EdF 164, Darmstadt 1982, S. 165ff; E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 191. 868 Vgl. D. N. Freedman, B. E. Willoughby, H.-J. Fabry, Art. ‫נׂשא‬, ThWAT V, 1986, S. 640. Interessanterweise ist der Eid oft mit den Vätern verbunden (Ex 6,8; 20,42; vgl. Ez 20,5f; 47,14). Die Landnahmeverheißung als Schwur durch das Wort ‫ׁשבע‬ geht auf die spät-dtr Redaktion zurück (Dtn 34,4; vgl. Gen 50,24; Ex 33,1; Dtn 1,8; 6,10; vgl. Jer 32,22); R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 323. 869 Vgl. Ex 6,8; Num 14,30; Dtn 32,40; Ez 20,5.6.15.23.28.42; 36,7; 44,12; Neh 9,15.

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und Sammeln‘ eine Verheißung, die aber in einigen Fällen schon erfüllt worden ist. Aber die Erinnerung an die eigenen Wege und Taten Israels ist mit dem Empfinden von Ekel verbunden, denn wenn das Volk seiner Wege und Taten gedenkt, verfällt es der Trauer und dem Weinen, was auch in Neh 8,9 reflektiert wird (vgl. Dtn 31,16–18). e) V. 32 V. 32 benennt den Grund des Heils ‫» לא למענכם‬nicht euretwegen«. Der Ausdruck ‫ למענכם‬dient im Pentateuch zur Begründung der Verweigerung des Betretens des verheißenen Landes für Mose und Aaron (Dtn 3,26), doch in Jes 43,14 dient er zur Begründung des göttlichen Handelns: Ez 36,32 Jes 43,14

larfy tyb hf[ yna ~kn[ml al hlbb ytxlv ~kn[ml

Der Gedanke von ‫ למען‬in Jes 43,14 findet sich auch in Jes 45,4, wo der JahweKnecht das Thema bildet: Um meines Knechtes Jakob willen und Israels, meines Auserwählten, habe ich dich bei deinem Namen gerufen. Dieser Abschnitt ist zeitlich wahrscheinlich nach dem Untergang Babels zu datieren, da Kyrus als dessen Eroberer als Gesalbter Jahwes bezeichnet wird: So spricht der HERR zu seinem Gesalbten, zu Kyrus (Jes 45,1). Interessant ist, dass das Wort ‫ למענכם‬in Ez 36,32 keine Rolle für die Heimkehr spielt, während es in Jes 43,14 den Grund des Exils erklärt (Jes 43,14). Der Terminus bezieht sich inhaltlich und wörtlich auf Ez 36,22 (‫)לא למענכם אני עׂשה‬, wobei auf die Möglichkeit der Umkehr Israels verzichtet wird. Ein gedanklich paralleles Konzept bietet Dtn 30,6, wo erst die göttliche Herzensbeschneidung die Umkehr ermöglicht, aber in Jer 4,4 ist ihr Subjekt noch das Volk selbst. In Dtn 30,6 hingegen ist es Jahwe selbst (‫ומל יהוה אלהיך את־לבבך‬ ‫)ואת־לבב זרעך‬, was die Fähigkeit zur Umkehr aus eigener Kraft ausschließt.870 In diesem Kontext wird die Wendung ‚nicht um euretwillen‘ auf die Autorität Gottes bezogen. Die Heimkehr der Deportierten und die Fruchtbarkeit werden einzig durch das Handeln Jahwes bewirkt, womit die Gnade nicht Folge der Buße ist, da auch sie erst durch das ‚Bauen‘ und ‚Pflanzen‘ Gottes (Ez 36,29–36) möglich wird. Daher ist zu behaupten, dass Ez 36,32 wahrscheinlich an Dtn 30,6 anknüpft, indem es den Hintergrund für Ez 36,32 bildet.871

870 S. o. Dtn 30 (2.3.1). Diese beiden Texte haben auch die Parallele, dass sich die jeweilige Wendung auf die Fruchtbarkeit bezieht (vgl. Dtn 30,9 – Ez 36,29f.). 871 S. u. Ez 36 (2.3.1). Zum Bezug zwischen Jer 31,31–34 und Dtn 30,6 s. o. Jer 31,31–34 (3.3.2).

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f ) VV. 33–36 V. 33 enthält eine Formulierung, die mit der Wendung in V. 30 vergleichbar ist, nämlich ‫» את־הערים ונבנו החרבות‬die Ruinenstätten aufbauen«. Die Zerstörung des Landes wird in V. 34 mit einem anderen Ausdruck beschrieben: ‫»והארץ הנׁשמה‬das verwüstete Land«. Das Wort ‫ חרבה‬hat die gleiche Wurzel wie ‫» חרב‬Schwert«. Es bezeichnet nicht nur die Verwüstung des Landes (Jer 7,34; 25,9–11), sondern auch die der Heiligtümer (Am 7,9), der Stadt Jerusalem (Lev 26,31ff; Ez 6,6; vgl. Neh 2,3), des Königspalastes (Jer 22,5) und des Tempels (Hag 1,4.9).872 In diesem Horizont ist zu vermuten, dass sich der Wiederaufbau in VV. 33b–35 auf die Häuser und Gebäude bezieht (V. 33 ‫ ;והוׁשבתי את־הערים ונבנו החרבות‬V. 34 ‫;הנׁשמה והארץ‬ V. 35 ‫)והערים החרבות והנׁשמות והנהרסות בצורות יׁשבו‬, während der Wiederaufbau in VV.  29b–30 auf die Sicherung der Ernährung zielt. Vor allem das Wort rwcb »befestigt« wird oft mit ‫» עיר‬Stadt« zusammengestellt873 und es gewinnt so die Bedeutung ‚eine befestigte Stadt‘ (‫ בצורות‬V. 35).874 Wenn man die Auffassung von M. Greenberg akzeptiert, dass die antike Vorstellung einer gut gebauten Stadt selbstverständlich Befestigungsanlagen umfasse,875 bezeichnet der Ausdruck eventuell auch den Wiederaufbau des Tempels (Hag 1,4.9), und wahrscheinlich auch den Mauerbau zwischen den Jahren 445–433 v. Chr. (Neh 12,27–43; vgl. Neh 1–2; 5,14; 13,6).876 Aus diesem Grund setzt der Text zumindest sowohl den Wiederaufbau des Tempels als auch die Einweihung der Mauer von Jerusalem in der Zeit Nehemias voraus. g) V. 37f In VV.  37f wird die Metapher einer Herde, die die Metapher in Ez  34,10–15 aufgreift, verwendet.877 In der Redewendung »ich will mich vom Haus Israel 872 Vgl. O. Kaiser, Art. ‫חרב‬, ThWAT III, S. 163. 873 Num 13,28; Dtn 1,28; 3,5; 9,1; Jos 14,12; 2 Sam 20,6; 2 Kön 18,13; 19,25; 2 Chr 17,2; 19,5; 32,1; 33,14; Neh 9,25; Jes 27,10; 36,1; 37,26; Ez 36,35; Hos 8,14; Zeph 1,16. Im AT kommen 25 Belege für das Wort vor. 874 Der Widerspruch findet sich in Ez 38,11, wo die künftigen israelitischen Städte als mauerlos und unbefestigt beschrieben werden. Dazu hat W. Zimmerli angemerkt, dass die theologische Aussage von Ez 38,11 dem Redaktor von 36,35 unbekannt gewesen ist. W. Zimmerli, Ezechiel,25–48, S. 881. 875 Vgl. M. Greenberg, Ezechiel 21–37, S. 449. 876 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Geschichte Israels, S. 142f. Artaxerxes kann nur Artaxerxes I sein (Artaxerxes II. 404–358 und Artaxerxes III. 358–338). 877 Diese Rede ist mit dem Wort ‫ רבה‬verbunden. Wenn es nach dem Ende des Exils und im Bezug auf den 2. Tempel gebraucht wird, bezieht es sich auf die dtr und P-­Literatur,

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erbitten lassen« ist das Lexem ‫ דרׁש‬im Nif. verwendet. Im Gegensatz zu den anderen Belegen in Ez 14,3 und 20,3.31, wo das Erbitten von Jahwe verweigert wird, findet sich eine positive Verwendung des Wortes in Ez 36,37. Die Tatsache, dass die Verweigerung durch den Götzendienst begründet worden ist, zeigt, dass die Erlaubnis des Erbittens die Umkehr zum Jahwedienst voraussetzt (vgl. Ez 36,25). Erstaunlich ist, dass diese Rede nach der Verheißung der neuerlichen Fruchtbarkeit des Landes und des Wiederaufbaus der Städte erscheint. Der Wiederaufbau dient zur Vorbereitung für die Versammlung der Deportierten in Jerusalem, damit sie die Gotteserkenntnis erlangen (V. 38). Mit dem Wort ‫מועד‬ wird an den 2. Tempel erinnert (‫ ;אהל מועד‬vgl. Neh 10,34; Jes 33,20), somit bezeichnet der Ausdruck »Herde in Jerusalem an ihren Festzeiten« die Besucher der Wallfahrtsfeste, denn an diesen Tagen strömten die Pilger zum Tempel. Als Untersuchungsergebnis ist festzuhalten, dass für Ez 36,23bβ–38 zweifellos die Exodus- und Heimkehrtradition, der Bau des 2. Tempels und außerdem die Einweihung der Mauern vorauszusetzen sind. Für das Handeln Gottes in Ez 36 ist Dtn 30,6 vorauszusetzen, weshalb der Text in die nachexilische Zeit, oder gar in die Zeit der spät-nach-dtr Redaktion gehört.

2.3 Einzelanalyse 2.3.1 Ein neues Herz und ein neuer Geist In Ez 36,26 steht die Verheißung, dass Jahwe einen neuen Geist und ein fleischernes Herz verleihen wird. Eine Parallele bietet Ez 11,19 (‫ונתתי להם לב אחד ורוח‬ ‫)חדׁשה‬. Eine weitere ähnliche Angabe ist Ez 18,31, wo sie aber als Imperativ ausgesprochen wird, um die Verpflichtung Israels auszudrücken: Ez 11,19 Ez 18,31 Ez 36,26

~kbrqb !ta hvdx xwrw dxa bl ~hl yttnw hvdx xwrw vdx bl ~kl wf[w hvdx xwrw vdx bl ~kl yttnw

Auch Jer 31,31–34 verheißt Vergleichbares, nämlich eine neue Art der Verschriftung der Tora, weil sie nicht länger auf Steintafeln, sondern auf die Herztafel (vgl. ‫ ועל־לבם אכתבנה‬Jer 31,33) niedergeschrieben werden wird. Ein analoges Phänomen bildet die Herzensbeschneidung in Dtn 30,6, somit kann das neue Herz von

die dem Redaktor von Ez  36,23bβ–38 wahrscheinlich vorgelegen hat. Vgl. dazu H. Simian, Die theologische Nachgeschichte der Prophetie Ezechiels, S. 149.238.

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Ez 36,26 mit einem von seiner Vorhaut befreiten Herz (vgl. Jer 4,4 ‫והסרו ערלות‬ ‫ )לבבכם‬identifiziert werden. So wie bereits Dtn 30,6 den Imperativ der Herzensbeschneidung als göttliche Verheißung reformuliert hat, greift auch Ez 36,26 den Imperativ von Ez 18,31 (‫ )ועׂשו לכם לב חדׁש ורוח חדׁשה‬auf, der dann als Gottesrede reformuliert wird (‫)ונתתי לכם לב חדׁש ורוח חדׁשה‬.878 Die Vorstellung von Dtn 30,6 wird wahrscheinlich in Ez 36,26 aufgenommen, dabei ist jedoch auch eine Abweichung unübersehbar, da nun zur Ermöglichung des Toragehorsams Geist und Herz ­verknüpft werden. Ez 36,26f ist thematisch mit Jes 59,21 und Jer 31,33 vergleichbar: 1). Denn in Jes 59,21 und Ez 36,26f geht es jeweils um die Geistbegabung zur Bewahrung des Gesetzes (vgl. Ez 37,4.9). Ez 36,26f

vdx bl ~kl yttnw26 ~kbrqb !ta hvdx xwrw ~krfbm !bah bl-ta ytrshw `rfb bl ~kl yttnw ~kbrqb !ta yxwr-taw27 wklt yqxb-rva ta ytyf[w `~tyf[w wrmvt yjpvmw

Jes 59,21

hwhy rma ~twa ytyrb taz ynaw $yl[ rva yxwr $ypb ytmf-rva yrbdw $[rz ypmw $ypm wvwmy-al $[rz [rz ypmw ~lw[-d[w ht[m hwhy rma

Der Geist und das Gesetz bzw. Wort spielen eine wichtige Rolle, dennoch lassen sich Unterschiede durch den Vergleich der Konzepte und Handlungspersonen erkennen. Im Gegensatz zur Anrede ‚euch‘ in Ez 36,26, ist in Jes 59,21 die Aussage ‫» זרע זרעך‬die Nachkommen deiner Nachkommen« zu beobachten, was die Mittlerfunktion in Jes 59,21 bzw. 61,1 akzentuiert, während in Ez 36,26 vom durch Jahwe direkt verliehenen Geist die Rede ist. Dieser ‚neue‘ Geist zielt auf den einzelnen Toraempfänger, um seinen Gesetzesgehorsam zu ermöglichen.879 In Jes 59,21 wird der Geist hingegen vom Auserwählten, der als Priester zu verstehen ist,880 vermittelt, wodurch der Toragehorsam dauerhaft auf ihn angewiesen bleibt, woraus zu schließen ist, dass im Gegensatz zu Ez 36,26, wo die kollektive Geistbegabung den Toragehorsam aller ermöglicht, er nach Jes 59,21 einzig durch den geistbegabten Vermittler, den Hohenpriester, ermöglicht wird. Eine Mittlerschaft des Priesters erscheint aber in Ez 37,1–10, denn die Toten werden durch den Geist, der in der Rede Ezechiels wirksam ist 878 Vgl. W. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel 19–48, S. 349. 879 Vgl. G. Braulik, Die Ausdrücke für „Gesetz“ im Buch Deuteronomium, S. 34. 880 S. o. Teil II (2.1).

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(‫)כאׁשר צוני ותבוא בהם הרוח והנבאתי‬, lebendig gemacht, insofern wird Jes 59,21 in Ez 37 wahrscheinlich aufgenommen.881 2). Ez 36,26f und Jer 31,33: Ez 36,26f.

Jer 31,33 26

vdx bl ~kl yttnw ~kbrqb !ta hvdx xwrw ~krfbm !bah bl-ta ytrshw `rfb bl ~kl yttnw ~kbrqb !ta yxwr-taw27 wklt yqxb-rva ta ytyf[w `~tyf[w wrmvt yjpvmw

tyrbh taz yk33 larfy tyb-ta trka rva hwhy-~an ~hh ~ymyh yrxa hnbtka ~bl-l[w ~brqb ytrwt-ta yttn `~[l yl-wyhy hmhw ~yhlal ~hl ytyyhw ytwa w[dy ~lwk-yk … 34 ~lwdg-d[w ~njqml

D. Vieweger schließt aus dem Vergleich, dass „36,24–27 versuch[t] genau wie Jer  31,31–34 diese Überzeugung in die inhaltliche Bestimmung des neuen ­Bundes mit einfließen zu lassen: Jahwe will dem Volk das Gesetz ins Herz schreiben (Jer 31,33) bzw. ihm ein neues Herz geben (Ez 36,26), um Israel nach der Vergebung der Sünden (Jer 31,34; vgl. Ez 36,25) zur Gotteserkenntnis zu verhelfen (Jer 31,34; vgl. Ez 36,27) und um so die Gesetzeserfüllung zu ermöglichen (Ez 36,27; vgl. Jer 31,32b.33).“882 Die Gabe ist Verheißung Jahwes. 881 Manche beziehen diesen Passus auch auf Gen 2,7, da dort von ‚Belebung‘ die Rede ist. Allerdings bezieht sich Ez 37,1–10 eher auf Jes 59,21, weil ein großer Unterschied zwischen Gen 2,7 und Ez 37 durch das jeweilige Handlungssubjekt, Jahwe oder ein Mensch, besteht. Vgl. H. F. Fuhs, Ezechiel II 25–48, NEB 22, Würzburg 1988, S. 208f; dazu auch K.-F. Pohlmann, Das Buch des Propheten Hesekiel (Ezechiel), S. 498f; A. Klein (Schriftauslegung im Ezechielbuch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Ez 34–39, BZAW 391, Berlin 2008, S. 298) versteht den Geist in Jes 59,21 als prophetischen Geist. Aber dies Verständnis ist zu kritisieren, weil der Geist mit dem Suffix (‫ )רוחי‬verwendet wird und der Geistbegabte mit dem Hohepriester identifiziert wird. S. o. Jes 61 (2.2); Im Abschnitt 37,1–14 ist von der Ausführung von Ez 36,26f die Rede, darum ist Ez 37 im Horizont von Ez 36 zu verstehen (‫ רוחי‬Ez 36,27; 37,14); vgl. dazu J. E. Lapsley, Can These Bones Live?: The Problem of the Moral Self in the Book of Ezekiel, BZAW 301, Berlin·New York 2000, S. 169f; S. Ohnesorge, Jahwe gestaltet sein Volk neu: Zur Sicht der Zukunft Israels nach Ez  11,14–21; 20,1–44; 36,16–38; 37,1–14.15–28, FzB 64, Würzburg 1991, S. 335. Ferner ist in Ez 36,26–28 von einer dauerhaften inneren Erneuerung die Rede (vgl. Hag 2,5). 882 D. Vieweger, Die literarischen Beziehungen zwischen den Büchern Jeremia und Ezechiel, S. 87f. Wegen dieser sachlichen Beziehung der Hauptgedanken und der Zielrichtung der Worte behauptet er eine enge traditionsgeschichtliche Beziehung der Texte; vgl. W. Zimmerli, Ezechiel 25–48, S. 879.

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Das Lexem ‫ נתן‬spielt eine wichtige Rolle in beiden Texten, und ‫ קרב‬mit der Präposition ‫ ב‬zeigt, worin die Gabe Jahwes besteht. Allerdings sind die Gaben unterschiedlich: 1. Tora und ein neues Herz: In Jer 31,31 wird die Tora, die auf das Herz geschrieben wird, als Gabe Jahwes verstanden, wobei das Herz als Tafel dient. Diese Tafel ist aber völlig anders als die steinerne Tafel in Ex 34. Jedoch ist das Motiv der Herztafel später als Jer 4,4, wo die Beschneidung des Herzens erwähnt wird (vgl. Dtn 30,6). Während das Herz in Jer 31,33 durch seine Funktion als Tafel der Tora erneuert wird, wird in Ez 36 ein ganz neues Herz als Gabe verheißen, da das alte steinerne durch ein neues ersetzt wird: ‫האבן מבׂשרכם והסרתי את־לב‬ »ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen«. Da aber die Tora auf das Herz beschrieben wird und Jer 31,33 dem Verfasser von Ez 36,26f vorgelegen hat, ist das Herz in Jer 31,33 somit als steinernes Herz bezeichnet, sowie es in Ez 36,26f artikuliert wird. Das fleischerne Herz überbietet die ältere Herzensbeschneidung. Das Stichwort ‫» חדׁש‬neu«, das in Jer 31,33 den Bund charakterisiert, ist hier mit dem Herzen und dem Geist verbunden. Obwohl das Wort ‫ לב‬in beiden Texten auftaucht, ist es unterschiedlich zu verstehen, denn in Ez 36,26 ist von einer völligen Erneuerung durch die Begabung ‚des neuen Herzens (‫ונתתי לב‬ ‫ )חדׁש‬und des neuen Geistes (‫‘)ורוח חדׁשה‬883 die Rede, im Gegensatz dazu wird in Jer 31,33 der neue Bund nur durch das Einschreiben der Tora auf das Herz begründet! Darum liegt Jer 31,33 dem Verfasser von Ez 36,26f vor, da er den Abschnitt aufgenommen und entfaltet hat. Ferner hat er auch die Herzensbeschneidung aus Dtn 30,6 aufgegriffen, denn das Herz ist auch ein Gegenstand der Erneuerung (Ez 36,26). Daher ist Ez 36 später als Dtn 30,1–10 und Jer 31,31–34 zu datieren. Das Neue bei Ezechiel ist, dass hier auch der Geist ins Spiel kommt und er ausdrücklich mit dem Gesetz verbunden wird. Dies reflektiert die Frage, wie der Gesetzesgehorsam zu halten ist, da er in Ez 36,26 als Folge des Einlegens des neuen Herzens und des neuen Geistes verstanden ist. Die ältere Vorstellung des Tora- bzw. Gesetzesgehorsam, der im Dtn, DtrG und Jeremiabuch ‚mit (ganzem) Herz‘ ausgedrückt worden ist, wird durch die Erneuerung des ‚Herzens‘ und des Geistes in Ez 36,26 aufgehoben, d.h. sowohl bewahrt als auch überboten. 2. Der ‚neue‘ Geist: Während der Geist in Jer 31,31–34 nicht erwähnt wird, spielt er in Ez 36,26f eine wichtige Rolle. Dies findet sich nur im Ezechielbuch (Ez 11,19; 18,31; vgl. Ps 51,12). Durch das Adjektiv ‚neu‘ unterscheidet er sich vom negierten alten Geist (vgl. Jes 44,3). Dieses Geistverständnis wird in 883 Vgl. L. C. Allen, Ezekiel 20–48, S. 178f.

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Ez 36,26f auf einzigartige Weise mit dem Toragehorsam verbunden,884 womit der Verfasser versucht hat, die Funktion des Geistes für den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam zu akzentuieren, indem er den Geist mit dem Herzen gleichgesetzt hat. Diese Betonung reflektiert wahrscheinlich Dtn 30,11–14, wo es um den Toragehorsam geht, zumal Jer 31,31–34 gleichzeitig zu Dtn 30,11–14 steht. Sowie die Herzensbeschneidung von Jahwe ausgeht, ist auch der Toragehorsam durch den von Jahwe geschenkten ‚neuen‘ Geist, zu verwirklichen. Ferner ist Num 11,29 mit Ez 36,26f; 37 zu vergleichen: Der Wunsch des Mose zielt auf die Prophetie aller, implizit aber auch auf den Toragehorsam.885 Doch zwischen beiden Texten bestehen gravierende Unterschiede: 1. Die Gleichsetzung von Geist und Herz ist Num 11,29 fremd. In Num 11 (VV. 17.25) wird der Toragehorsam zunächst durch den geistbegabten Toravermittler ermöglicht, doch diese Vorstellung wird in Num 11,29 zugleich durch die erwünschte kollektive Geistbegabung revidiert. Num 11 verkörpert somit eine Übergangsphase, einerseits wird der Gedanke der Toravermittlung durch den Geistbegabten aufgegriffen (Jes 59,21; 61) und andererseits negiert die kollektive Geistbegabung die Notwendigkeit einer Vermittlung. Im Kontrast dazu werden die beiden Modi des Tora- bzw. Gesetzesgehorsams in Ez 36,26f miteinander vermittelt; 2. Die Dichotomie von Geist und Fleisch ist Num 11,29 fremd, sie erscheint hingegen in Ez 37 (VV. 6.8; vgl. V. 5), somit ist Ez 36f wahrscheinlich relativ gleichzeitig mit Joel 3*. Ebenso wie der Wunsch des Mose in Joel 3 als Gottesrede umformuliert wird, geht auch die Geistbegabung in Ez  36,26f auf die Rede Gottes zurück, daher ist Ez  36,23bβ–38 eindeutig später als Num 11 zu datieren. Für Ez 36 bilden Dtn 30,6; Jer 31,33; Dtn 30,14; Num 11,29 die Voraussetzung, und Ez 36 ist später als die Endredaktion des Pentateuch, also wahrscheinlich in das 4. Jh. v. Chr. zu datieren. Denn hier ist die Verbindung der Rollen von Herz und Geist zu beobachten, die früher jeweils eigenständig waren.886 So kann sich jeder Geistbegabter selbst die Tora des Mose aneignen, und wird so wie Mose in Dtn 1,5 zum Ausleger des Gesetzes.887 Es ist also nach einer Gruppe zu s­ uchen, 884 Obwohl sich das Konzept des ‚neuen‘ Geistes in Ez 18,31 findet, bezieht es sich nicht auf die Tora bzw. das Gesetz. 885 S. o. Num 11 (1.3.3). 886 Zur Rolle des Herzens s. Dtn 30 und Jer 31, und für die des Geistes s. Jes 61 und Dtn 34. 887 Zum Wort ‫ באר‬vgl. E. Otto, Mose, der erste Schriftgelehrte, S. 482–487; Dtn 1,5 setzt neu ein, wobei es Dtn 1,1 aufnimmt, trotzdem unterscheiden sich die Texte Dtn 1,1a (‫ )אלה הדברים אׁשר דבר מׁשה אל־כל־ׂישראל‬und Dtn 1,5 (‫)באר‬, weshalb sie nicht auf

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die sich für den Toragehorsam einsetzt und dazu versucht, den dtn / dtr Gedanken ‚mit (ganzem) Herzen‘ mit dem jesajanischen Gedanken der ‚Geistbegabung‘ gleichzusetzen. E. Otto hat zu Recht diese Gruppe mit Schriftgelehrten identifiziert: „Doch ist nach dieser Theorie Moses Auslegung der Tora in Gestalt des Dtn.s Teil der Tora. Mose wird in dieser Theorie zum Vorbild der Priester als Schriftgelehrter.“888 Die Bedeutung des Geistes ist vielfältig. Durch seine Zusammenstellung mit ‫לב‬ ist der Geist als Organ des Bewusstseins zu verstehen. Das Gegenbild zum Geist ist das ‫לב האבן‬. Der neu verliehene Geist ist aber ein Geist, der bis heute nicht bekannt gewesen ist (vgl. Ps 51,13; Jes 63,10f), da der neue Geist nicht ein Geist, sondern der Geist Jahwes ist (‫ רוחי‬vgl. Ez 37,14). Diese Geistbegabung ermöglicht nunmehr endlich die umfassende Torabefolgung (V. 27).

2.4 Zusammenfassung In Ez 36,23bβ–38 geht es um Jahwes Verheißung eines neuen Herzens und eines neuen Geistes, die den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam ermöglichen. Dieses kausale Verhältnis findet sich auch in Jer 31,31–34, und der Vergleich beider Abschnitte hat

einen identischen Ergänzer zurückgeführt werden können. Hierzu behauptet L. Perlitt zu Recht: Die verba dicendi von 1a.3b (‫ )דבר אל‬werden durch ‫באר‬, der Inhalt des Redens von 1a (‫ ))הדברים אלה‬und 3b (‫ )ככל אׁשר צוה יהוה‬wird durch ‫ התורה‬ersetzt; vgl. L. Perlitt, Deuteronomium, BKAT Lfg. 1, Neukirchen-Vluyn 1990, S. 20. 888 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 7.185. Aus seiner Rede wird eine Schriftgelehrtengruppe, zu der die Priester gehörten, abgeleitet. In diesem Zusammenhang behauptet E. Otto, dass eine die Hexateuchredaktion überlagernde Pentateuchredaktion die am Sinai offenbarte Tora als zentrales Heilsgut in den Mittelpunkt ihrer Konzeption stellt; das Ziel der P-Schrift ist umstritten. Für P. Weimar ist ihr Ziel das Land, doch dies Ziel erfüllt sich nicht in ihr selbst (P. ­Weimar, Studien zur Priesterschrift, FAT 56, Tübingen 2008, S. 326); vgl. K. Elliger, Sinn und Ursprung der priesterlichen Geschichtserzählung, ZThK 49, 1952, S. 129. Für ihn ist das eigentliche Ziel von Pg „der Besitz des Landes Kanaan als der materiellen und ideellen Basis.“ Für M. Noth ist die Kultgründung am Sinai das eigentliche Ziel der Priesterschrift (vgl. M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Darmstadt 21960, S. 8); vgl. T. Pola, Die ursprüngliche Priesterschrift, S. 343. Er versucht, das Ende von Pg in der Sinaiperikope zu finden. Das Ziel der P-Schrift ist dagegen für E. Otto die Einsetzung der Aaroniden (E. Otto, Forschungen zur Priesterschrift, S. 36). Das Ziel von Ez 36 ist darum bestimmt ein ganz anderes als das der Priesterschrift!

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gezeigt, dass beide Texte parallele Züge besitzen, jedoch unterscheiden sie sich im Verständnis des Herzens; bei Jeremia dient es als Schreibtafel, während es bei Ezechiel durch ein neues Herz ersetzt wird. In Jer 31,31–34 wird der neue Bund durch die Toraverschriftung auf das Herz geschlossen, doch nach Ez 36,26f wird das Herz gänzlich erneuert werden (‫)לב חדׁש ורוח חדׁשה‬, somit ist Ez 36,26f zeitlich später als Jer 31,33 zu datieren. Zudem reflektiert Ez 36,26f die Passage Dtn 30,14, ebenso wie Jer 31,31–34 Dtn 30,6 aufgenommen hat. Also wird die Herzensbeschneidung von Dtn 30,6 auch in Ez 36,26 aufgenommen. Darum liegen Dtn 30,6; Jer 31,33 und Dtn 30,14 dem Passus Ez 36,26f vor, weshalb das Verhältnis zwischen Pentateuch und Prophetenbüchern zu erwägen ist.889 Da hier sowohl an den Ausdruck ‚mit (ganzem) Herzen‘ (Dtn 30,6; Jer 31,31–34; Dtn 30,11–14) als auch an den Gedanken der Toravermittlung durch den Geistbegabten (Jes 59,21; 61; Num 11*) angeknüpft wird, um die kollektive Geistbegabung zu artikulieren, ist Ez 36,23bβ–38 als späte theologische Bearbeitung in die 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zu datieren.890 Die Geistausgießung, die auf den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam891 und die Gotteserkenntnis zielt, ist nicht auf eine bestimmte Person beschränkt, weil sie eine Heilsgabe an alle ist. Weil der Toragehorsam gleichzeitig mit der dtn / dtr Herzensvorstellung verbunden wird, besteht eine Gleichsetzung von Herz und Geist. Diese Verknüpfung geht auf schriftgelehrte Kreise zurück, die die Lehre der Gottesfurcht und die Tradierung der Tora von Generation zu Generation durch den Lehr- und Lernprozess der Tora als ihre Aufgabe verstehen,892 und die Zadokiden sind auch dieser Gruppe zuzuordnen (Esr 7; vgl. Ez 44,15). Die Entwicklung, die zu Ez 36 geführt hat, lässt sich so schematisieren: Herzensbeschneidung (Dtn 30,6) → Herztafel (Jer 31,33) Geistbegabung des Auserwählten (Jes 59,21; Num 11,25) Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)

Ez 36,26f

889 Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 26–71. 890 Vgl. E. Haag, Das hellenistische Zeitalter. Israel und die Bibel im 4. bis 1. Jahrhundert v. Chr., BE 9, Stuttgart 2003, S. 229f. Für ihn wird das theokratische Programm aber durch den Chronisten konzipiert. 891 Vgl. M. Dreytza, Der theologische Gebrauch von RUAH im Alten Testament, S. 236– 244. „Doch während der Geist damals Menschen zu Krafttaten der Rettung und Befreiung angespornt und befähigt hatte, wirkt sie hier ausnahmslos Wortmitteilung. […] Diese unterschiedliche Akzentuierung dürfte mit der zentralen Rolle der Tora, der Propheten und des Kultus zusammenhängen.“ Jedoch wird der Geist in Jer 31 und Ez 36 nicht auf eine besondere Person ausgegossen, weil die Geistausgießung universalisiert wird. 892 Vgl. E. Otto, Das Deuteronomium im Pentateuch und Hexateuch, S. 185–189.

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3. Joel 3: Geistausgießung über alles Fleisch Das Phänomen der Geistausgießung gewinnt in Joel 3 eine soziale Dimension, da der Geist nicht nur auf freie Menschen, sondern auf Knechte, Mägde und Fremde ausgegossen wird, wodurch soziale Rangstufen und die Abgrenzung gegen den Fremden nicht mehr gültig zu sein scheinen. Die Verbindung von Joel 3,1 mit Num 11,29 ermöglicht es, das Ziel der Geistausgießung zu erschließen. Darüber hinaus ist dieser Text durch die neue Dichotomie von Geist und Fleisch im ­Vergleich mit Qumrantexten näher zu bestimmen. Eine neue Identität der Versammelten in Zion nennt Joel 3,5bβ, doch der Vers erweist sich im Vergleich zu Joel 3,5abα als Nachtrag. Also ist für Joel 3 nochmals die Verbindung mit Num 11,29 zu untersuchen, wobei die Kontinuität des Geistkonzeptes explizit wird, was auch die wechselseitige Rezeptionsgeschichte von Pentateuch und Prophetenbücher plausibel macht.

3.1 Formanalyse Wenn die Wendung ‫ והיה אחרי־כן‬an den Anfang eines Satzes gesetzt wird (Joel 3,1), führt der Satz so entweder eine neue Erzählung (vgl. Ri 16,4; 2 Sam 8,1; 21,18; Jer 34,11) oder eine neue zeitliche oder räumliche Gegebenheit ein (vgl. 1 Sam 10,5; 2 Kön 6,24). Diese Zeitangabe bezieht sich auf die Angabe in V. 2: In jenen Tagen (‫)בימים ההמה‬. Der Ausdruck erfüllt zwei Funktionen: einerseits wird so Joel 3 mit dem vorherigen Kapitel verbunden, und andererseits wird die neue Erzählung thematisch von Joel 2 abgegrenzt, wobei Joel 3 aber Joel 2 voraussetzt.893 Joel 3 hat noch zwei weitere Zeitangaben, die den Text als eschatologischen verstehen lassen: ‫ בימים ההמה‬V. 2b; ‫ יום יהוה‬V. 4b. Das Lexem ‫ ׁשפך‬steht in VV. 1aβ und 2bβ in der 1. Pers. Sg, wobei Jahwe dessen Subjekt ist und der Geist das Objekt, somit ist das Thema von VV. 1–2 die Geistausgießung. V. 3 hat ein anderes Thema, dennoch ist die Rede von V. 3a auf V. 1aβγ bezogen, denn die Geistausgießung über alles Fleisch und die Wunderzeichen am Himmel und auf der Erde (V. 3) sind als Zeichen ‚jener Tage‘ zu verstehen. Außerdem wird der Ausdruck ‚der Tag Jahwes‘ in V. 4b mit den Wunderzeichen in V. 3a, und mit V. 2b verbunden. Dennoch besteht ein Unterschied zwischen den Abschnitten (VV. 1–2 und 3–4), da der Tag in VV. 1–2 ein Tag des Heils ist, aber in VV. 3–4 ist 893 Dagegen H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 78. Für ihn dient die Rede als Verknüpfungsformel.

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er ein Tag des Unheils. In V. 5 geht es um das Heil derer, die den Namen Jahwes anrufen, wobei ‚Zion‘ als Heilsort erwähnt wird. In Joel 2 hat ‚Zion‘ dagegen eine andere Bedeutung (VV. 1.15.23), denn in Joel 2,1 und 15 ist Zion in die Kriegssituation geraten, und in Joel 2,23 sind die Söhne Zions die Übriggebliebenen, da nach Joel 2,20 das feindliche Heer durch Jahwe in ein dürres und wüstes Land verstoßen wird. Der Ausdruck ‫( כל אׁשר־יקרא בׁשם יהוה‬V. 5a) bezieht sich auf die Aussage ‫ על־כל־בׂשר‬in V. 1, denn ebenso wie diese Geistbegabung wegen der Aussage sowohl für Juden als auch Nicht-Juden gültig ist,894 wird auch jeder, der den Namen Jahwes anruft, ungeachtet seiner Nation gerettet werden. Außerdem findet sich in Joel 3,5 ein neuer theologischer Aspekt der Vorstellung des Restes, weil die Übriggebliebenen von Jahwe berufen werden (‫)יהוה קרא ׂשרידים אׁשר‬.895 Die Geistausgießung dient häufig zur Berufungslegitimierung (vgl. Jes 61,1; 1 Sam 16,13; 2 Kön 22,24),896 doch hier sind die von Jahwe berufenen Übriggebliebenen Objekt der Geistbegabung. Daher bezieht sich V. 5b wörtlich auf V. 5aβ, doch inhaltlich auf V. 1aβ. Aus diesem Grund bildet der Abschnitt Joel 3,1–5 eine strukturierte ­Einheit,897 die aber unterteilbar ist. Der Abschnitt enthält drei Zeitangaben (VV. 1.2.4). Die erste verbindet ihn mit dem vorausgehenden Text und in V. 2 folgt die Geistausgießung direkt auf die zweite Zeitangabe: V. 1a V. 2b

yxwr-ta $wpva !k-yrxa hyhw yxwr-ta $wpva hmhh ~ymyb

894 Vgl. J. A. Bewer, A Critical and Exegetical Commentary on Micah, Zephaniah, Nahum, Habakkuk, Obadiah and Joel, ICC, Edinburgh 1948, S. 122ff; J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 336f; A. Weiser, Das Buch der zwölf kleinen Propheten I, Die Propheten: Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, ATD 24, Göttingen 1949, S. 105. 895 Manche neueren Ausleger bewerten das Zitat als Zusatz, jedoch ist diese These von der Datierung des Abschnittes abhängig. Vgl. J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 44; H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 82. Darüber hinaus kritisiert er die Zusammenstellung von ‫ בירוׁשלם‬und ‫ ;בׂשרידים‬vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 335f. 896 Vgl. W. Lau, Schriftgelehrte Prophetie in Jes 56–66, S. 68f. 897 Zweifellos ist 5bβ als Nachtrag anzusehen. Vgl. A. Deissler, Zwölf Propheten. Hosea·Joël·Amos, NEB 4, Würzburg 21985, S. 82; H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 66; J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 424; J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 44.

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Die beiden Verse sind durch die Aussage ‫ אׁשפוך את־רוחי‬verbunden. In V.  1aα ist ‚alles Fleisch‘ Objekt der Geistausgießung, in V.  1aβb hingegen kommt sie über ‚eure (2. Person masc. Pl.)‘ Verwandtschaft (‫) בניכם ובבותיכם זקניכם בחוריכם‬, insofern bezeichnet das Suffix ‚eure‘ alle Glieder Israels. Wenn aber Num 11,29 für Joel 3,1 vorauszusetzen ist, so sind sowohl die Israeliten als auch Nichtisraeliten gemeint, da deren Mitwohnen vorausgesetzt wird (vgl. Num 11,4). In diesem Horizont zielt die Geistausgießung in VV. 1f wahrscheinlich sowohl auf die Israeliten als auch Nichtisraeliten,898 was der Ausdruck ‚über alles Fleisch‘ erweist. Außerdem werden die Phänomene geschildert, die der Geist bewirkt, die Menschen werden prophetisch wirken (‫ נבא‬Jer 26,12.18; ‫ חלום‬Jer 23,28.32; ‫חזיון‬ 2 Sam 7,17),899 ­dabei bilden die beiden Geistausgießungsreden einen Rahmen für die prophetischen Phänomene (vgl. Num 11,25.29). V. 3a nennt die Wunderzeichen Jahwes am Himmel und auf der Erde, die anschließend detaillierter beschrieben werden: Blut, Feuer, Rauchsäulen, die Verwandlung der Sonne in Finsternis und die des Mondes in Blut (VV. 3b–4a). Nach V. 4b werden diese Wunderzeichen am Tag Jahwes, der auf ‚in jenen Tagen‘ in V. 2b Bezug nimmt, erscheinen, daher hat V. 4b eine doppelte Funktion, nämlich sowohl Abschluss der Wunderzeichen als auch als Anschluss an V. 2b. Abgesehen vom theologischen Sinn ist erkennbar, dass am Anfang und Ende von Joel 3,5 eine Wortparallele steht. 5a 5bβ

hwhy ~vb arqy-rva arq hwhy

rva

Die beiden Reden sind durch die „Rettung“ verbunden, und in V.  5bα geht es um deren Lokalsierung. Jede Passage entwickelt einen theologischen Aspekt: V.  5a betont, dass der Name Jahwes zur Rettung anzurufen ist, in V.  5bα bewirkt aber nicht der Ruf, sondern der Zion und Jerusalem als Ort die Errettung. In V. 5bβ hingegen findet sich kein Interesse, wo und wie die Errettung geschieht, weil die Entronnenen von Jahwe berufen sind, womit V. 5a wörtlich aufgenommen wird. Wenn V. 5bβ als eine spätere Einfügung zu begreifen ist, bezöge sich diese neue Bestimmung auf die in Joel 3 erwähnten Gruppen. Darum ist V. 5bβ

898 Vgl. J. A. Bewer, A Critical and Exegetical Commentary on Micah, Zephaniah, Nahum, Habakkuk, Obadiah and Joel, S. 122ff; L. C. Allen, The Books of Joel, Obadiah, Jonah, and Micah, NICOT, Grand Rapids 1991, S. 98f. 899 Dies prophetische Phänomen erhofft sich Num 11,29: Mögen doch alle im Volk Jahwes Propheten sein, dass Jahwe seinen Geist auf sie lege!

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als Abschluss sowohl für V. 5 als auch für Joel 3 zu verstehen. Diese Darstellung fasst die folgende Tabelle zusammen: V. 1aα V. 1aβ V. 1aγ–2a V. 2b V. 3a V. 3b–4a

Eingangsrede der Wunderzeichen Wunderzeichen Abschlussrede der Wunderzeichen

V. 5bα

Errettung durch den Ruf des Namens Jahwes Errettung auf dem Berg Zion und in Jerusalem Errettung durch den Ruf Jahwes

V. 4b V. 5a V. 5bβ

Zeitangabe Eingangsrede der Geistausgießung Geistausgießung Abschlussrede der Geistausgießung

3.2 Sprachliche Untersuchung a) VV. 1–2 Das Lexem ‫ ׁשפך‬hat Wasser (Ex 4,9; 1 Sam 7,6), Blut (Ex 29,12; Lev 4,7.18.25.30), die Glut des Zornes (Jes 42,25; Jer 10,25), das Herz (1 Sam 1,15; Hiob 30,16) und den Geist (Ez 39,29; Joel 3,1.2) als Objekt. Es ist vergleichbar mit dem Lexem ‫»( ערה‬ausgießen« Jes 32:15), ‫»( נתן‬geben« Ez 36,26) und ‫»( ׂשים‬legen« Num 11,17; vgl. Jes 59,21). Ebenso wie in anderen exilischen und nachexilischen Heilsworten, die eine kollektive Geistbegabung erkennen lassen, ist an den mit ‫ ׁשפך‬und mit der Präposition ‫ על‬gebildeten Stellen nicht mehr ausschließlich eine Einzelperson Adressat der Geistausgießung (Ez 39,29; Sach 12,10).900 Das Problem ist aber, wie der Geist zu verstehen ist.901 Für Joel 900 Vgl. R. Liwak, Art. ‫ׁשפך‬, ThWAT VIII, Stuttgart 1995, S. 435. Vergleichbar ist Jes 59,21. Im Text wird zwar das Verb ‫ ׁשפך‬nicht verwendet, aber das Pronomen ‚du‘ in Jes 59,21 bezieht sich wahrscheinlich auf die Person in Jes 61,1. Vgl. O. H. Steck, Tritojesaja im Jesajabuch, S. 390f; R. Achenbach, König, Priester und Prophet, S. 196–244. 901 H. W. Wolff versteht den Geist nicht als Organ des Erkennens und Verlangens, sondern als Fähigkeit der Lebenskraft und des Aktionswillens, was er mit Gen 45,27 und

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3,1 ist festzustellen, dass es offensichtlich nicht um eine Beauftragung zur Verkündigung, sondern um die direkte Verbindung mit Gott geht,902 da die Verkündigungsaufgabe durch die kollektive Geistausgießung hinfällig wird! Interessant ist der Ausdruck: die Rûaḥ über das Fleisch. Texte, die beide Wörter (Rûaḥ und Fleisch) verwenden, finden sich schon im Pentateuch, nämlich in der P-Schrift (Gen 6,17; 7,15), wo der Geist nicht nur Menschen, sondern auch Tiere belebt, da Rûaḥ hier als Lebenskraft aufgefasst wird. Jahwe bzw. Gott wird in Num 16,22 und 27,16 als Gott des Lebensgeistes allen Fleisches (‫אלהי הרוחת‬ ‫ )לכל־בׂשר‬tituliert. Num 16–17 berichtet von drei Aufständen, dem Korachs, dem der 250 Männer und dem von Datan und Abiram. Eine Folge der Revolten ist, dass sich die Leviten nicht mehr Jahwe nahen dürfen: damit kein Fremder, der nicht von den Nachkommen Aarons ist, herzunaht, um Räucherwerk vor Jahwe in Rauch aufgehen zu lassen (Num 17,5; vgl. Ez 44,10–14). Die Titulatur »Gott des Geistes allen Fleisches!« wird hier auch auf die Rebellionsgemeinde bezogen (‫ העדה הזאת‬Num 16,21f), insofern ist der Geist als allgemeiner Lebensgeist zu verstehen. Dazu wird die Fürbitte des Mose dadurch begründet, dass die Gemeinde nicht wegen der Schuld eines einzigen Mannes bestraft werden sollte (Num 16,22; 20,11f; vgl. Dtn 1,37; 3,26).903 Im Gegensatz zu Dtn 3,26 ist dieses Nicht-­Mit-­Betroffensein wahrscheinlich später als Dtn 3,26 und als gleichzeitig mit der p­ ersönlichen ­Verantwortung zu verstehen (Jer 31,29f).904 Weiterhin nimmt der Geistbegriff Bezug auf Num 11, also die Ältestenerzählung und die kollektive Geistbegabung. Der Bezug zwischen Num 11,29b und Joel 3,1f ist schon bekannt und ihr Vergleich macht Übereinstimmungen und Unterschiede offenbar.905 Übereinstimmungen sind: 1. Der Geist Gottes ist als Objekt

902 903 904

905

248

Ri 15,19 begründet, jedoch sind die von ihm genannten Texte in ihrem jeweiligen Kontext zu verstehen. Der Geist in Gen 45,27 ist mit Bezug auf Gen 45,26 ‫ויפג לבו‬ »sein Herz blieb kalt« und Ri 15,19 mit Bezug auf Ri 15,19 ‫» ויצמא מאד‬er hatte großen Durst« zu verstehen. Demgegenüber ist die Geistausgießung in Joel 3,1 keine traditionelle, sondern eine ganz neue Vorstellung. Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 78. Vgl. A. Deissler, Zwölf Propheten. Hosea·Joël·Amos, S. 81. Außer in der Frühzeit sind Geist und Prophetentum erst in der nachexilischen Epoche in eine enge, geradezu exklusive Beziehung gesetzt worden. Vgl. L. Schmidt, Das vierte Buch Mose Numeri 10,11–36,13, S. 71. Hier bezieht sich die Titulatur Gottes auf die Schöpfungsgeschichte (vgl. ‫ ברא‬V. 30), insofern ist die Schöpfungsgeschichte vorgesetzt; vgl. dazu auch M. Noth, Das 4. Buch Mose Numeri, S. 112; H. Seebass, Numeri 10,11–22,1, S. 198; T. R. Ashley, The Book of Numbers, NICOT, Michigan / Cambridge 1993, S. 313f. Zur konkreten Darstellung s. u. Joel 3 (3.3.1).

erwähnt; 2. Das Verhältnis von Prophezeiung und Geistausgießung; 3. Der Zweck der Geistausgießung als personalisierte Toratreue. Unterschiede sind: 1. Die Objekte der Geistausgießung; 2. Wunsch des Mose statt Verheißung Jahwes; 3. Verschiedene prophetische Bezeichnungen; 4. Im Gegensatz zu Num 11,29 trennt sich der Geist vom Fleisch in Joel 3 (‫)את־רוחי על־כל־בׂשר‬. b) VV. 3–4 In VV.  3–4 geht es um die Wunderzeichen (‫ )מופתים‬vor dem Tag Jahwes. H. W. Wolff erklärt den Unterschied zwischen Wörtern und Zeichen so: Während ‫ אות‬als ‚Zeichen‘ nichts Ungewöhnliches sein und ‫ פלא‬als ‚Ungewöhnliches‘ kein Zeichen sein müsse, sei ‫ מופת‬das ganz Außerordentliche, das als solches zugleich zeichenhafte Bedeutung habe.906 Das Wort ‫ מופת‬ist im Pentateuch 14-mal zu finden, und es ist fast immer mit den Wundertaten beim Exodus verbunden (Ex 4,21; 7,3.9; 11,9f; Dtn 4,34; 6,22; 7,19; 26,8; 29,2; 34,11; vgl. Dtn 13,2f; 28,46). Die Worte ‚Blut, Feuer und Rauchsäulen‘ deuten kriegerische Katastrophen auf der Erde an. Demgegenüber stellen ‚die Verfinsterung der Sonne‘ und ‚der Mond in Blut‘ in V. 4 Himmelsphänomene dar, ihre Bedeutung ist wahrscheinlich in Verbindung mit dem Verlust des Glanzes der Sterne in Joel 4,15 zu verstehen. Eine Verfinsterung der Sonne ist im AT mehrmals berichtet. In Jes 5,30 wird das Licht (‫ )אור‬durch das Gewölk verfinstert, und die Sonne und der Mond scheinen nach Jes  13,10 nicht, und dieser Verfinsterungstag ist mit Schrecken und Schmerzen verbunden (Jes 13,8ff). Dieser Tag wird vor dem Tag Jahwes kommen (Joel 3,4), im Gegensatz dazu wird sich das Phänomen nach Joel 4,15 – trotz der parallelen Formulierung – am Tag Jahwes ereignen.907 Für J. Jeremias ist Am 5,18 der älteste Beleg für den Tag Jahwes und die Verfinsterung der Sonne, aber der Tag Jahwes sei nicht gegen Israel oder seine Feinde gerichtet, sondern spiegele die Auseinandersetzung zwischen Amos und seinen Zuhörern wider.908 Wenn Joel 3 in nachexilischer Zeit verfasst worden ist, setzt die Wendung ‚Die Sonne wird sich in

906 Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 81. 907 Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 340. Er vermutet, dass Joel 3,4 in Joel 4,15 aufgenommen wird, wo es in den Zusammenhang des dort geschilderten Völkergerichts gestellt wird. Dieses Gericht soll sich nach dem Tag Jahwes ereignen. 908 Vgl. J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 43; ders., Der Prophet Amos, S. 76. Der Begriff des ‚Tages Jahwes‘ prägt die gesamte Geschichte der Prophetie nach Amos, insbesondere in der nachexilischen Zeit, und Jes 2 und 13, Zef 1 und vor allem das Buch Joel sind die wichtigsten Belege.

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Finsternis verwandeln‘ gewiss die P-Schrift voraus, da deren Schöpfungsordnung negiert wird (vgl. Gen 1,15ff; Hiob 3,4.9; ‫ – חׁשך‬Gen 1,2–5). Nach Joel 2,10; 4,15 verfinstert sich der Mond wie die Sonne, und seine Verfinsterung steht für die irdische Katastrophe. c) V. 5 Auffällig ist V. 5, da die Geretteten unterschiedlich geschildert werden. Das Thema ‚Errettung‘ wird mit verschiedenen Wörtern beschrieben ‫מלט‬, ‫ פליטה‬und ‫ׂשריד‬. Im Nif. bildet das Lexem ‫» מלט‬sich retten, gerettet werden« eine Parallele zu swn (Jer  48,6; 51,6). David flieht (swn) vor Saul und entrinnt oder rettet sich (‫)מלט‬. Ferner ist ‫ מלט‬in der Bedeutung mit dem Verb ‫ מלט‬ähnlich. Das Substantiv ‫ פליט‬bezeichnet einen Entronnenen und im Krieg einen dem Schwert Entronnener, der in der Niederlage durch Flucht sein Leben rettet (Jer 44,28; Ez 6,8). Das Synonym dazu ist ‫ׂשריד‬.909 Das fem. Substantiv ‫ פליטה‬bezieht sich auf Judäa (Jes 37,31f), Israel (Jes 4,2), die Israeliten (2 Chr 30,6), Benjamin (Ri 21,17), Moab (Jes 15,9), die Jerusalemer (Ez 14,22) und die nachexilische Gemeinde (Esr 9,8.13.15; Neh 1,2).910 Die Verwendung der verschiedenen Wörter für das ‚Retten‘ in V. 5 unterstreicht das Handeln Gottes. Wichtig ist die Formulierung ‫ כל אׁשר־יקרא בׁשם יהוה‬in Joel 3,5a. Die erstmalige Anrufung des Namen Jahwes berichtet Gen 4,26, doch in anderen Überlieferungen wird der Name Jahwe erst später kundgegeben (Ex 3,13ff; 6,3). Abgesehen von der Quellenkritik911 ist das Motiv in der Vätergeschichte mit dem Altarbau und der Ätiologie verbunden (Gen 12,8; 13,4; 26,25; vgl. Gen 16,11.13; 21,33). Darüber hinaus wird es in Dtn 28,10 ausgesprochen: Und alle Völker auf Erden werden sehen, dass der Name des HERRN über dir ausgerufen ist. Dieser Vers dient zur Auslegung der Vorstellung des heiligen Volkes in V. 9. Heiliges Volk wird Israel, weil der Name Jahwes über ihm ausgerufen ist (Jer 14,9; vgl. Jes 63,19).912 Israel 909 Vgl. E. Ruprecht, Art. ‫מלט‬, THAT II, München·Zürich 1976, S. 424; G. F. Hasel, Art. ‫מלט‬, ThWAT VI, Stuttgart 1989, S. 598. Das Substantiv steht für die Entronnenen historischer Katastrophen. 910 Vgl. G. F. Hasel, Art. ‫מלט‬, S. 598. Auch dieses Substantiv ist fest im alttestamentlichen Restgedanken (‫ )ׁשארית‬verankert. Die Zusammenstellung von ‫ פליטה‬mit ‫ׁשארית‬ findet sich in Gen 45,7 und Jes 15,9; 37,32. 911 Vgl. W. H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, S. 80. Er deutet Gen 4,26 aber als Zusatz; J. Blenkinsopp, A Post-exilic lay source in Genesis 1–11, in: J. C. Gertz und K. Schmid, Abschied vom Jahwisten. Die Komposition des Hexateuch in der jüngsten Diskussion, BZAW 315, Berlin 2002, S. 49–61. 912 Vgl. M. Rose, 5. Mose 1–11 und 26–34. ZBAT 5,2, Zürich 1994, S. 536.

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steht damit unter dem besonderen Schutz Gottes, was Ps 46 mit dem Zion als Heiligtum verbindet. Zion ist in Joel 3,5bα somit als Heiligtum, also als der 2. Tempel, zu verstehen913 und die Sicherheit und Rettung wird durch das Wohnen Jahwes in der Mitte von Zion begründet (Sach 2,15ff), sodass Zion in V. 5bα als Theophanieort aufzufassen ist, was die Zionstheologie voraussetzt (‫ ובהר ציון תהיה פליטה‬Obad 17).914 ‫» קרא בׁשם יהוה‬den Namen Jahwes anzurufen« bezeichnet auch die gottesdienstliche Verehrung (vgl. Gen 12,8). Durch das unbestimmte Wort lk »jeder« bleibt die Möglichkeit ‚den Namen Jahwes anzurufen‘ für alle offen,915 was analog zur Geistausgießung ist, weil sie über alles (lk) Fleisch erfolgt. Joel 3,5* konzentriert sich auf die Zionstheologie, womit nicht das Priesteramt, sondern Gottes Herrschaft akzentuiert wird (vgl. Sach 6,11–13). Der Schluss von Joel 3,5 ist schwierig zu verstehen: ‫בׂשרידים אׁשר יהוה קרא‬ »die Entronnenen, die Jahwe berufen wird«. Diese Rede bildet zwar eine wörtliche Parallele mit 5a, dennoch besteht eine andere Bedeutung. Während in V. 5a der Ruf zu Jahwe betont wird (Dtn 28,10), liegt der Akzent in V. 5bβ auf dem Ruf Jahwes. Auffällig ist, dass sich der Ruf nicht auf eine Person, sondern die Versammlung bezieht. In Joel 3,5 wird erklärt, dass sowohl die Entronnenen den Namen Jahwes anrufen als auch von ihm gerufen werden. Die Formulierung, dass die Entronnenen durch den Ruf Jahwes gerettet werden, bezeichnet die Gnade Jahwes. Ein paralleles Konzept findet sich in Esr 9,8.13–15, wo auch die Gnade (hnxt) betont wird: Und nun ist uns für einen kleinen Augenblick Gnade von Jahwe, unserem Gott, zuteil geworden. Er hat uns Gerettete übriggelassen (Esr 9,8a). Dieser Passus betont auch das Handeln Jahwes, wozu das Lexem ‫ׁשאר‬ im Hifil verwendet wird, und die Übriggebliebenen sind als Gerettete (‫)פליטה‬

913 Vgl. J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 329–331; Der Abschnitt Sach 2,10–17 ist als Nachtrag zum vorangehenden Nachtgesicht zu verstehen, aber Sach 2,15–17 ist vom Abschnitt Sach 2,10–14 zu trennen, weil dieser völkerfeindlich ist, während Sach 2,15–17 völkerfreundlich ist. Wenn Sach 2,10–14 völkerfeindlich ist, so ist Joel 3,5 durch die Form ‫ כל אׁשר־יקרא בׁשם יהוה ימלט‬später als Sach 2,10–14 zu verstehen, weil es völkerfreundlich ist. Dieser völkerfreundliche Gedanke wird erst durch die spät-dtr Redaktion betont, womit die Rede den 2. Tempel voraussetzt. Vgl. R. Achenbach, Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12), S. 251. 914 Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos. S. 81; A. Deissler, Zwölf Propheten. Hosea·Joël·Amos, S. 82. 915 In diesem Kontext ist der These von J. Wöhrle zuzustimmen, dass Joel 3 völkerfreundlich sei. Vgl. J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 329–331.

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zu verstehen (vgl. Joel 3,5).916 Die Übriggebliebenen haben ein von Jahwe aus Gnade geschenktes Aufleben bekommen,917 wobei sie als Übriggelassene Gottes identifiziert werden. Dieser Gedanke in Esr 9,8.13–15 ist voraussichtlich jünger als derjenige, dass jeder, der den Namen Jahwes anruft, errettet werden wird,918 und steht eher dem Ausdruck Joel 3,5bβ nahe. Also ist Joel 3 später als die Esrazeit, da Num 11,29 vorausgesetzt wird und die Herrschaft Gottes (Theokratie) erscheint.919 Aus der sprachlichen Analyse ergibt sich, dass für Joel 3 der 2. Tempel vorauszusetzen ist, sowie die Priorität des Mose und Num 11,29 vorgelegen haben müssen, somit ist Joel 3 wahrscheinlich gleichzeitig mit Ez 36,23bβ–38.

3.3 Einzelanalyse 3.3.1 Geist über alles Fleisch Der Abschnitt Joel 3,1–5* ist ein völkerfreundlicher Text, da der Geist nicht nur auf Israel, sondern auch auf Nichtisraeliten ausgegossen wird, da mit dem unbestimmten Wort ‫ כל‬die Möglichkeit ‚den Namen Jahwes anzurufen‘ für alle eröffnet wird. Diese völkerfreundliche Tendenz ist nach J. Wöhrle auch in anderen Passagen des Dodekapropheton zu beobachten.920 Für den Abschluss des Zwölfprophetenbuches sind für J. Wöhrle vier Schichten wichtig, nämlich das Fremdvölker-Korpus I und II, sowie das Heil-für-die-Völker-Korpus und das Gnaden-Korpus. Das Heil-für-die-­ Völker-Korpus ordnet er zwischen die Fremdvölkerschicht II, die er an den Beginn der hellenischen Zeit datiert, und dem Gnaden-Korpus, das er in die zweite Hälfte des 3. Jh. v. Chr. verortet, ein. Darüber hinaus nennt er zur historischen Einordnung des 916 Demgegenüber wird das Verb ‫ ׁשאר‬in Esr 9,15 im Nifal verwendet: Denn wir sind als Gerettete übriggeblieben. Weil der Ruf Jahwes diesem Satz vorausgeht, sind die Übriggebliebenen durch seine Handlung gerettet worden (vgl. V. 13 ‫ונתתה לנו פליטה‬ ‫ – כזאת‬und du hast uns eine solche Rettung gewährt). 917 Vgl. A. H. J. Gunneweg, Esra, KAT XIX 1, Gütersloh 1985, S. 167. 918 Diese Veränderung ist durch den Vergleich zwischen Jer 4,4 und Dtn 30,6 zu beobachten. 919 Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 337–361.439–446. Für ihn ist die Rede vom Heil für die Völker in Joel 3,1–4,5 (mit Ausnahme Joel 3,5bβ) ein völkerfreundliches Wort, und das Heil-für-die-Völker-Korpus ist aus den Bedingungen der frühen hellenistischen Zeit verständlich. 920 Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 335 (Obad 17a, Mi 4,1– 4; 5,6; 7,17aβb; Zef 3,9–10* (ohne ‫ ;)עתרי בת־פוצי‬Sach 2,15–16; 8,20–23; DtSach 14,16–19).

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Heil-für-die-Völker-Korpus folgende Faktoren, die politische Ruhezeit nach den Diadochenkriegen (321–301 v. Chr.) in Juda, die griechische Sprache wird von Teilen der jüdischen Oberschicht erlernt und ihre Kindern erhalten griechische Namen.921 Dagegen ordnet R. Achenbach Joel 3,1f wegen der charismatischen Geistausgießung in die spätpersische Zeit, also deutlich früher, ein: „Je länger jedoch sich in der Folgezeit das Ausbleiben eines Davididen auf dem Thron der Provinz Jehud zu akzeptieren ist, desto stärker setzt sich in Auseinandersetzung mit der Prophetie die Überzeugung durch, daß zunächst das ganze Volk selbst sich dem Königtum Jahwes unterstellen muß und von ihm selbst den Geist zur Verwirklichung von Recht und Tora erwarten (Jes 28,5), besonders dann, wenn es um die Sicherung der Stadt Jerusalem angeht (vgl. Neh 3,8ff.)“.922 M. E. ist Joel 3 bestimmt später als Num 11,29 und früher als 1QS iii 18–iv 26 anzusetzen, also terminus a quo voraussichtlich Mitte des 4. Jh. v. Chr., da Gen 1–11 im 4./3. Jh. im Henochbuch aufgenommen wurde.923 Im Gegensatz zur kollektiven Geistausgießung bei Joel wird bei DtJes der Geist nur einer bestimmten Person, nämlich dem Gottesknecht, verliehen (Jes 42,1). Die Vorstellung einer kollektiven Geistbegabung ist in vorexilischer Zeit nicht zu finden (vgl. Klgl 4,20),924 denn die Verbindung von Geistbegabung und Tora wird erst in der Nachexilszeit zum wichtigen Thema (Num 11; Ez 36,26; Jes 59,21). Jeder, auf den der Geist ausgegossen wird, wird nach Joel 3 prophetischer Phänomene teilhaftig. Die prophetischen Bezeichnungen (‫נבא‬, ‫ חלם‬und ‫ )חזיון‬werden nicht auf einzelne Person beschränkt, sondern kollektiv verwendet.925 Indem dieser Text die kollektive Befähigung zur Prophetie schildert, reagiert er zweifellos auf die prophetische Gestalt des Mose (Dtn 18,18ff), denn indem alle zu seinen Nachfolgern werden, wird dessen Ausnahmestellung bekräftigt: Und es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose,

921 922 923 924 925

Vgl. J. Wöhrle, Der Abschluss des Zwölfprophetenbuches, S. 351f.411f. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 265. Vgl. W. Bührer, „Göttersöhne und Menschentöchter“, S. 506. Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 265, Anm. 272. Zu Joel 3 behauptet J. Jeremias, „wenn künftig alle Glieder des Gottesvolkes mit Gottes Geist begabt sind und dieser Geist als ein spezifisch prophetischer Geist dargestellt ist, der befähigt, die Zukunft Gottes zu erkennen, dann bedarf es der gesonderten Institution der Prophetie nicht mehr; jeder Einzelne ist sein eigener Prophet.“ (J. Jeremias, Die Propheten Joel, Obadja, Jona, Micha, S. 41). In Joel 1–2 wird geschildert, dass Joel als einziger Prophet das Verhältnis zwischen der Heuschreckenplage und dem „Tag Jahwes“ durchschauen konnte. Darüber hinaus wird die Individualisierung der Rettung in Joel 3 thematisiert, in Joel 2,12ff hingegen erscheint die Vorstellung, dass das Gottesvolk als ganzes gerettet wird. Zum Problem der persönlichen Verantwortung s. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 319; E. Otto, Old and New Covenant, S. 942.

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den Jahwe gekannt hätte von Angesicht zu Angesicht, (Dtn 34,10–12; Num 12,7f; Ex 33,11; vgl. Ex 33,20). Ziel der kollektiven Geistbegabung ist es zu zeigen, dass jeder den Willen Gottes erkennen kann, dies ist den 70 Ältesten durch die Begabung mit dem Geist des Mose ermöglicht worden, was ihre Aufgabe der Torabelehrung begründet hat (vgl. Ez 36,26f). Doch die Torabelehrung ist nun nicht mehr notwendig, da der Geist, der in allen wirkt, die Belehrung durch Dritte nicht mehr benötigt. In Joel 3 ist die Angabe der Geistausgießung über alles Fleisch besonders interessant, weil diese Darstellung im AT einzigartig ist. Weil sie sich inhaltlich auf Num 11,29 bezieht, sind beide Passagen zu vergleichen: Num 11,29b

Joel 3,1aβ–2

~yaybn hwhy ~[-lk !ty ymw ~hyl[ wxwr-ta hwhy !ty-yk

rfb-lk-l[ yxwr-ta $wpva1aβ ~kytwnbw ~kynb wabnw !wmlxy twmlx ~kynqz wary twnyzx ~kyrwxb twxpvh-l[w ~ydb[h-l[ ~gw2 yxwr-ta $wpva hmhh ~ymyb

Folgende Übereinstimmungen sind zu finden: 1. Der Geist Gottes ist als Objekt erwähnt, denn trotz der unterschiedlichen Lexeme (‫ נתן‬und ‫ )ׁשפך‬ist das Objekt, deren jeweilige Suffixe sich auf Jahwe beziehen, identisch; 2. Das Verhältnis zwischen Prophezeiung und Geistausgießung. Das prophetische Phänomen wird in Num 11,29 mit dem Nomen ‫ נביאים‬beschrieben, in Joel 3 illustrieren drei Verben den prophetischen Charakter (‫חזינות ראה‬, ‫נבא‬, und ‫ ;)חלם‬3. Der Zweck der Geistausgießung als personalisierte Toratreue. Die Geistbegabung in Num 11 bewirkt die Prophezeiung, die aber schon wenig später keine Rolle mehr spielt (‫)ולא יספו‬, und legitimiert den Ältestenrat.926 Im G ­ egensatz zu Abschnitten, die auch P ­ rophezeiung mit Geistbegabung verknüpfen,927 erfolgt in der Ältestenerzählung durch den ­Mosewunsch die Prophetisierung aller durch die Geistbegabung (‫ומי יתן כל־עם יהוה‬ ‫)נביאים כי־יתן יהוה את־רוחו עליהם‬.928 Dies schließt auch die Nichtisraeliten ein, da in Num 11,4–30* ihre „Israelitisierung“ voraussetzt wird (Num 11,4 ‫ ;האספסף‬vgl.

926 Diese Geistausgießung ist mit der Passage Ex 24,1 zu vergleichen (vgl. Ex 18,12). In der P-Schrift wird das Gremium der 70 Ältesten durch die Teilnahme am Bundschluss legitimiert. 927 In den Erzählungen über Saul (1 Sam 10,10; 18,10; 19,20.23) und Ahab (1 Kön 22,22ff). 928 Vgl. L. C. Allen, The Books of Joel, Obadiah, Jonah, and Micah, S. 99.

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Dtn 29,10–12),929 da ihnen ein Erbteil aufgrund ihrer Jahwe- bzw. Toratreue zugewiesen wird (vgl. Num 14,24). Weil sich die geistbegabten Ältesten mit der Tora des Mose beschäftigen, ist der Zweck der kollektiven Geistausgießung auf die Tora bezogen (vgl. Dtn 30,11–14; Jer 31,31–34).930 Indem der Mosewunsch in Joel 3 als Gottesrede artikuliert wird,931 wozu Num 11,29 aufgenommen wird, zielt Joel 3,1f auf die Jahwe- bzw. Toratreue durch die kollektive Geistausgießung,932 wobei sogar auch die Völker zu mosaischen Propheten werden können (vgl. Dtn 18,18)! Jedoch kann niemand mit Mose gleichgestellt werden oder ihn gar überbieten, da einzig er Jahwe von Angesicht zu Angesicht gekannt hat (Dtn 34,10; Num 12,6.8).933 Aber es bestehen auch Unterschiede zwischen beiden Texten: 1. Die Geistbegabten werden unterschiedlich dargestellt. In Num 11,29 ist es das Volk, das sowohl Israeliten als auch Nichtisraeliten umfasst (‫ והאספסף אׁשר בקרבו‬Num 11,4), dagegen konkretisiert Joel 3,1.2 (‫ בניכם ובנותיכם זקניכם ובחוריכם‬und ‫העבדים‬ ‫ )והׁשפחות‬die recht unbestimmte Angabe „Volk“, da nun auch soziale Rangdifferenzen durch die Geistausgießung ausgeglichen werden. Während auf Nichtisraeliten in Num 11 nur implizit als Mitbewohner in Israel angespielt wird, umfasst ‫ כל־בׂשר‬alle Völker, die sowohl innerhalb als auch vor allem außerhalb von Israel leben.934 Das Verständnis der Nichtisraeliten ist unterschiedlich, da ihr Kreis in Joel 3 viel weiter als in Num 11,29 ist, womit der Joeltext aber eine in Num 11 angelegte Linie nunmehr deutlich auszieht.935 929 Die Israelitisierung der Nichtisraeliten erfolgt durch den Bundschluss im Land Moab und durch die spät-dtr Redaktion in Jos 14,13f. Vgl. R. Achenbach, Der Eintritt der Schutzbürger in den Bund (Dtn 29,10–12), S. 250f. 930 S. o. Num 11 (1.3.3). 931 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 262; H. Seebass, Numeri 10,11–22,1, S. 53; L. C. Allen, The Books of Joel, Obadiah, Jonah, and Micah, 99. 932 Dagegen H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos. S. 78f. 933 S. o. Num 11 (1.3.3). 934 Dagegen R. Koch, Der Geist Gottes im Alten Testament, S. 129. Für ihn richtet sich die Verheißung an das jüdische Volk ohne Unterschied des Geschlechts, des Alters und der sozialen Stellung. 935 Außerdem wird wohl Ez 36,26, wonach Jahwe den Geist ‚in euer Inneres‘ geben wird, vorausgesetzt, aber Nichtisraeliten sind bei Ezechiel nicht so ausdrücklich wie bei Joel dazugezählt. Der ‚Geist‘ gewinnt in der apokalyptischen Literatur große Bedeutung, z.B.  1 En 15,4.6–7; Jub 1,25; 2,2; 15,31–32; 2 En 12,1–2; 16,7; T.  Levi 4,1; 4 Esr 6,41. Im Gegensatz zu Joel 3,1f, wo es nicht um den Dualismus von Geist und Fleisch geht, setzt sich später ein Dualismus von Fleisch und Geist, der mit dem von Gut und Böse zu identifizieren ist, durch. Als Beispiel sei auf Qumran verwiesen, vgl. M. J. Davidson, Angels at Qumran. A Comparative Study of 1 Enoch 1–36, 72–108

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2. Wunsch des Mose oder Verheißung Jahwes: Während die Geistbegabung in Num 11,29 als Wunsch des Mose formuliert wird, wird sie in Joel 3,1f als Verheißung Jahwes ausgesprochen.936 Wenn der Mosewunsch in Joel 3 aufgenommen und durch die Rede Jahwes wiedergegeben wird, so wird in Joel 3 die absolute Priorität des Mose vorausgesetzt, weil Jahwe mit ihm von Mund zu Mund bzw. von Angesicht zu Angesicht redet und Jahwe sich ihm nicht in gleichnishafter, sondern in gestalthafter Offenbarung kundgetan hat (vgl. Ex 33,11; Dtn 34,10).937 Dies erzwingt es, Joel 3 später als Num 11,29 zu begreifen. 3. Unterschiedliche prophetische Bezeichnungen: Während in Num 11,29 das Nomen ‚‫ ‘נביא‬benutzt wird, verwendet Joel ‫»( נבא‬weissagen, prophezeien« 1 Sam 9,7; 10,11), ‫»( חלם‬träumen« Num 12,6; 1 Sam 28,6) und ‫»( חזיון‬Vision, Offenbarung« 1 Sam 7,17; vgl. Sach 13,4) finden.938 Abgesehen von Sach 13,4 ist das Wort ‫ חזיון‬als prophetische Offenbarung aufzufassen (2 Sam 7,17; Jes 22,1.5). Der Terminus ‫ חלם‬wird im Jeremiabuch stark kritisiert (Jer 23,25ff; vgl. Dtn 13,2.4). Wenn aber der Traum in Joel 3,1 als prophetisches Phänomen begriffen wird, ist der Text wahrscheinlich später als Jer 23,25ff,939 da die Träume als legitime Offenbarungsmittel akzeptiert werden (Num 12,6). 4. Im Gegensatz zu Num 11,29 trennt sich der Geist vom Fleisch (‫את־רוחי על־‬ ‫)כל־בׂשר‬. Diese Trennung findet sich jedoch auch in Num 16,22940 und 27,16. In Num 27,12–23 soll Josua, der Nachfolger des Mose, vor den Hohenpriester treten und ihn das Urteil der Urim erfragen lassen (Num 27,21), was die Autorität des Hohenpriesters Eleasar akzentuiert (vgl. Sach 6,9–15).941

936 937 938 939 940 941

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and Sectarian Writing from Qumran, JSP.S 11, Sheffield 1992, S.  55. J.  Schreiner, Geistbegabung in der Gemeinde von Qumran, S. 167.180, Anm. 28. Vgl. J. Pryke, “Spirit” and “Flesh” in the Qumran Documents and some New Testament Texts, RQu 5, 1964–1965, S. 350. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 80. Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 298. Jedoch erwartet Joel wohl kaum ein Volk von Ekstatikern, vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 79. Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 79. S. o. Dtn 34; diese Geschichte ist wahrscheinlich der Endredaktion zuzurechnen. Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 66–82. Vgl. R. Achenbach, Die Tora und die Propheten im 5. und 4. Jh. v. Chr., S. 39; dazu auch C. Schäfer-Lichtenberger, Josua und Salomo, S. 211. Jos 8,30–35 = Dtn 27,1–8; Jos 11,12 = Dtn  7,24; Jos 11,20 = Dtn  20,10–18; Jos 13,14.33 = Dtn  18,1–2; Jos 14,2.5 = Num 26,55f; Jos 14,3b–4 = Num 35,2–8; Jos 21,8 = Num 35,2–8. Mose legitimiert Josua als Führer der Gemeinde und er ist durch den von Gott anerkannten Geist qualifiziert worden. So wird Josua zu seinem Nachfolger, um die Gemeinde

Urim942 wird manchmal allein (Num 27,21; 1 Sam 28,6) und mitunter zusammen mit Tummim gebraucht (Ex 28,30; Lev 8,8; Dtn 33,8; Esr 2,63; Neh 7,65). Beide Elemente gehören in die priesterliche Tradition, da sie der priesterlichen Orakelerteilung diene.943 Dtn 33,8944 setzt die Meriba-Erzählung voraus, aber es ist auffällig, dass trotz der Sünden Aarons am Haderwasser (Num 20,12f) das Recht des durch Gottes Gunst lebenden Hohenpriesters proklamiert wird, damit er die Losorakel verwalten und über die Bundesworte, Recht und Gesetz, Räucher- und Brandopfer walten kann (Dtn 33,10). Die Legitimation Aarons bzw. seiner Söhne als Verwalter von Urim und Tummim wird durch die Anerkennung als ‚treuer Mann‘ ((‫ )איׁש חסידך‬proklamiert: Deine Tummim und deine Urim sind für den Mann, der dir treu ist (Dtn 33,8). Im Gegensatz zu Dtn 33,8–10 soll Josua nach Num 27,12–23 für die Urim-Entscheidung vor den Hohenpriester Eleasar treten, insofern ist sein Führungsamt dem Priester untergeordnet, bzw. das Priesteramt gewinnt auch politische Relevanz. Dieses Losorakel ist wahrscheinlich schon längere Zeit vor dem Exil, vielleicht sogar schon nach König Salomo und dem Bau des Jerusalemer Tempels, außer Gebrauch gekommen.945 Jedoch gewinnt die Urim-Entscheidung später wieder an

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ins Verheißungsland zu führen und das Land unter dem Volk zu verteilen (vgl. Num 27,1–11). Interessant ist dann aber, dass Josua im Josuabuch die Aufgabe der Landverteilung vielmehr mit dem Priester Eleasar auszuführen hat, und in Jos 10f hat er lediglich die Funktion des Heerführers. Dass Josua in Num 27,21 vor den Priester treten soll, weist auf die Landverteilung hin, womit diese Aufgabe Josuas wahrscheinlich später eingeschoben worden ist. Von Urim ist insgesamt siebenmal im AT die Rede (vgl. 1 Sam 14,14), einmal als Orakelsmethode in der Königszeit (1 Sam 28,6), einmal als Subjekt (Dtn 33,8), zweimal als Objekt der Brusttasche des Hohepriester (Ex 28,30; Lev 8,8) und dreimal als Urim-Entscheidung (Num 27,21; Esr 2,63; Neh 7,65). Im samaritanischen Pentateuch beginnt Ex 28,30 mit dem Satz, ‫» ועׂשית את־האורים ואת־התמים‬Und du sollst Urim und Tummim machen«; E. Reiner erkennt eine Analogie zwischen LKA 137 aus Assur und Urim-Tummim. Vgl. E. Reiner, Fortune-Telling in Mesopotamia, JNES 19, 1960, S. 25. Im assyrischen Text LKA 137 stehen aban erēši, “the desirable die” und aban la erēši, “the undesirable die”. E. Lipiński, (ʼŪrīm and Tummīm, VT 20, 1970, S. 496.) betont, dass das priesterliche Los ‚ʼŪrīm und Tummīm‘ mit „Ja“ oder „Nein“ antwortet; vgl. E. Robertson, The ʼŪRĪM and TUMMĪM; What were they?, VT 14, 1964, S. 67f. Vgl. H.-G. Reventlow, Art. Priester / Priestertum I/2, S. 386; W. Dommershausen, Art. ‫גורל‬, ThWAT I, 1973, S. 995. „Die beiden Termini selbst lassen sich nicht aus dem hebr. Wortschatz erklären. Israel hat sie von den im Lande ansässigen Völkern übernommen, aber wir wissen nicht, welcher Sprache sie angehören. Die Mimation beweist, dass sie sehr alt sind.“ Für ihn sind die Träger dieser Traditionen die ­Gruppen, die wahrscheinlich in der späteren Zeit als Priester fungieren. Dtn 33,8ff wird mit dem Jakobsegen, der den Hexateuch im Blick hat, verbunden. Hier wird Mose wie in Dtn 34,10–12 als der einzige unüberbietbare Prophet dargestellt. Vgl. K.-D. Schunck, Nehemia, S. 220.

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­ edeutung, denn sie wird vom Priester für die Geschlechtsregister gebraucht (Esr B 2,63; Neh 7,65).946 Wenn keine Eintragung eines Mannes im Geschlechtsregister gefunden werden kann (Esr 2,62f), so durfte er nicht, Hochheiliges zu essen, bis ein Priester die Urim und die Tummim befragt hat. Der Statthalter (‫)תרׁשתא‬947 durfte darüber nicht entscheiden, da auch er die priesterliche Urim-Tummim Entscheidung abwarten soll. In diesem Kontext wird die historische Verwendung, das Unterstellen des Führers unter den Priester948 und dessen politischer Einfluss sichtbar (vgl. Sach 6,11–13; Jes 59,21), und diese politische Funktion des Priesters ist in die zweite Tempelszeit zu datieren. Ferner wächst seine Bedeutung wegen des Ausbleibens eines Davididen auf dem Thron der Provinz Jehud; der Hohepriester kann dann auch dank göttlicher Legitimation königliche Funktionen übernehmen und als politischer Herrscher auftreten (vgl. Jes 61). Die politisch wichtige Rolle des Priesters durch die Urim-­Entscheidung wird in der Nehemia- und Esrazeit besonders wichtig (vgl. Dtn 31,9–13).

Ferner gewinnt die Trennung von ‚Geist und Fleisch‘ im späteren Judentum an Bedeutung.949 Ein dichotomisches oder gar dualistisches Geistverständnis setzt sich in Qumran durch, was mit 1QS iii 18–iv 26 zu belegen ist,950 wobei der Geist entweder ‚heilig‘ (vgl. Ps 51,13; Jes 63,10f) oder böse ist (vgl. 1 Sam 16,14ff).951 Wegen der Rezeption von Gen 1–11 im Enochbuch952 ist Gen 6,1–4 terminus ad 946 Die Urim-Tummim Entscheidung wird mit dem Los (‫ )גורל‬identifiziert. Für J. Lindblom besteht ein Unterschied, ob ein Los für „civil-affair“ verwendet wird, oder es vom Hohepriester Urim und Tummim für „cultic lot-casting“ gebraucht wird. J. Lindblom, Lot-Casting in the Old Testament, VT 12, 1962, S. 170. Zum Verhältnis zwischen Esr 2 und Neh 7 und der Priorität von Esr 2 vgl. A. H. J. Gunneweg, Esra, S. 62f. 947 Das Wort wird nur im Esra- und Nehemiabuch verwendet und meint den persischen Statthalter. Vgl. W. Gesenius, und F. Buhl, Wilhelm Gesenius Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, Lfg. 6, Berlin 2010. 948 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 566, Anm. 32; A. H. J. Gunneweg, Esra, S. 64. 949 Vgl. J. W. Wevers, Notes on the Greek Text of Numbers, S. 465; die ältesten aramäischen Anteile gehören wohl ins 2. Jh. v. Chr. (Vgl. M. Black, The Book of Enoch or I Enoch. A New English Edition with Commentary and Textual Notes, Leiden 1985, S. 34.8). 950 Vgl. F. F. Bruce, Holy Spirit in the Qumran Texts, S. 49–55. Ein dichotomisches Geistkonzept findet sich in 1QS iii 18–iv 26. „The one is the spirit of truth, of light, of holiness; the other is the spirit of falsehood, of darkness, of impurity.“ Dennoch ist das Ziel von 1 QS iii 18–iv 26 nicht mit dem von Joel 3 gleichzusetzen. Vgl. A. Lange, Art.Qumran, TRE 28, 1997, S. 56f. 951 Vgl. P. Volz, Der Geist Gottes, S. 175. Demgegenüber wird der heilige Geist in den Gathas nicht selten erwähnt. 952 Vgl. M. Witte, Die biblische Urgeschichte. Redaktions- und theologiegeschichtliche Beobachtungen zu Genesis 1,1–11,26, BZAW 265, Berlin·New-York 1998, S. 294;

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quem dem 4./3. Jh. v. Chr. zuzuweisen.953 Wenn aber Num 11,29, wo die Sonderstellung des Mose vorausgesetzt wird, als Vorlage für Joel 3 zu verstehen ist,954 ist Joel 3* höchstwahrscheinlich später als Num 11,29, also in die 2 Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zu datieren. Das Ziel der Geistausgießung ist sowohl die Prophezeiung als auch der Toragehorsam, womit die Jahweerkenntnis verbunden ist,955 und auch an anderen Stellen wird die Geistausgießung mit dem Jahwe-Bewusstsein bzw. der Tora-Erkenntnis verknüpft (Ez 36,26f; Num 11*; vgl. Jes 59,21). Die Geistausgießung in Joel 3 greift das Motiv von Num 11,29 auf und formuliert es um, weil der Wunsch des Mose nun als göttliche Verheißung ausgedrückt wird. Die Geistausgießung in Joel 3 bewirkt Prophezeiung. Sie gilt nicht nur den Israeliten, sondern auch den Nichtisraeliten, wobei zugleich soziale Rangdifferenzen aufgehoben werden. Diese Prophezeiung korrigiert die Verheißung in Dtn 18,18, und revidiert Jes 44,3, wo das Thema die Geistausgießung auf die Nachkommen Israels ist (‫)אצק רוחי על־זרעך‬. Zweck der Geistbegabung in Num 11* ist der Toragehorsam gewesen, somit ist die Korrelation zwischen kollektiver Geistausgießung und individueller Torabefolgung eindeutig, da sie bei Joel noch verstärkt wird.

3.4 Zusammenfassung Im Gegensatz zu den vorigen Kapiteln ist in Joel 3 von einem neuen Thema, der Geistausgießung für alles Fleisch, die Rede. Der Vergleich von Joel 3,1f mit Num 11,29 lässt erkennen, dass der Verfasser von Joel 3 den Wunsch des

M. Black, The Book of Enoch or I Enoch, S. 14. Enoch 6–16 ist in das 2. Jh. v. Chr. zu datieren; und weil für J. T. Milik Gen 6,1–4 vom aramäischen Henochbuch abhängig ist, ist Gen 6,1–4 nicht später als im 3. od. 2. Jh. v. Chr. entstanden. Vgl. J. T. Milik, The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumrân Cave 4, 1976, 30–32. 953 Vgl. W. Bührer, Göttersöhne und Menschentöchter, S. 506. In Gen 6,1–4 werden P und Nicht-P verbunden. Wegen der Rezeption von Gen 1–11 im Henochbuch im 4./3. Jh ist Gen 6,1–4 ins ausgehende 5. oder 4. Jh. zu datieren. 954 S. o. Num 11; vgl. dazu noch J. Wöhrle, Die frühen Sammlungen des Zwölfprophetenbuches, S. 276. Eine frühere Einarbeitung des Joelbuches in das werdende Zwölfprophetenbuch ist denkbar. Entstanden ist das Korpus über die Fremdvölker für ihn in der frühen hellenistischen Zeit, also an der Wende vom 4. zum 3. Jh (S. 286). Und die Heil-für-die-Völker-Schicht ist frühestens zu Beginn des 3. Jh. anzusetzen (S. 351). 955 Vgl. H. W. Wolff, Dodekapropheton 2. Joel und Amos, S. 79.

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Mose in Num 11,29 aufgenommen hat.956 Die Geistbegabung ist nicht länger auf einige bestimmte Personen beschränkt, sondern wird zur Gabe an alle. Vor allem ist sie sowohl für Israeliten als auch Nichtisraeliten gültig, der Fremde und Ausländer bleibt somit nicht ausgeschlossen. Und weil die Geistausgießung nicht nur den freien Personen, sondern auch den Knechten und Mägden gilt, werden Rangdifferenzen ebenso ausgeglichen oder gar hinfällig. Das Ziel von Joel 3 ist einerseits der Tora- bzw. Gesetzesgehorsam aller, was der Geist bewirkt (vgl. Num 11,29; vgl. Dtn 18,18; Jes 44,3), was zugleich bedeutet, dass alle den Willen Gottes erkennen (Joel 3,3f). Dafür spielt der Geist die zentrale Rolle, da er wie das Herz als Bewusstseinsorgan verstanden ist (Ez 36,26f). Der Gedanke der Torabefolgung, für den sich die nach-dtr Redaktion stark interessiert (vgl. Jes 59,21; Jer 31,31; Dtn 30,11–14; Num 11; Ez 36), wird vom Verfasser von Joel 3 aufgenommen, Die Rûaḥ wird nun auf jeden, der auf dem Berg Zion ist und den Namen Jahwes anruft, ausgegossen. Insofern werden nun Klassenunterschiede und das Privileg Israels als Heilsempfänger aufgehoben, da jeder, der jetzt den Namen Jahwes anruft, später zum ‚Angerufenen durch Jahwe‘ wird. Der Vergleich von Num 11 und Joel 3 zeigt, dass Joel 3 zeitlich viel später als die nach-dtr Endredaktion verfasst worden sein muss. Obwohl die Relation zwischen Num 11,29 und Joel 3,1f eindeutig ist, bestehen aber auch mehrere Unterschiede. Ferner ist Joel 3 mit Qumrantexten zu vergleichen, wo die Dichotomien von Geist und Fleisch und Gut und Böse noch größere Bedeutung erlangen. In Joel 3 zeigt sich zwar eine Dichotomie, aber eben noch nicht der Dualismus von Geist und Fleisch. Im Gegensatz zu Joel 3,1f wird der Geist, der in Qumran sogar zum Heiligen Geist wird, nicht dem einzelnen Mitglied der Gemeinde verliehen.957 Darum ist Joel 3* zeitlich zwar jünger als Num 11,29, aber älter als Qumran zu verstehen. Eher steht es Ez 36f nah, da die Vorstellung der Gottesherrschaft auf die Theokratische Bearbeitung (= ThB)958 zurückgeht, womit Joel 3 der 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zuzuweisen wäre.

956 Dementsprechend ist die Verbindung von Num 11,29 mit Apg. 2,17 unverkennbar, da Petrus in seiner Predigt Joel 3 zitiert hat. 957 J. Schreiner, Geistbegabung in der Gemeinde von Qumran, S. 180. 958 Vgl. R. Achenbach, Die Vollendung der Tora, S. 33, Anm. 151. „Eine nachendredaktionelle sog. Theokratische Bearbeitung fügt die Darstellung in das Konzept eines heiligen Heeres Israels unter göttlicher Führung ein.“

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4. Zwischenergebnis In den untersuchten Texten dieses Kapitels bildet die kollektive Geistbegabung das gemeinsame Thema. In Num 11 ist sie episodenhaft mit der Prophezeiung verbunden, was die Angabe ‫» ולא יספו‬Und sie taten es nicht wieder« anzeigt. Die Ältestenerzählung (Num 11,4*.11–12.14–15.16–17.24–25) erklärt die Legitimation des Ältestengremiums zur Entlastung des Mose durch die Geistbegabung (vgl. Jes 61,1). Die Geistbegabung der 70 Ältesten ist dadurch bedeutsam, dass der Geist nicht der Geist Gottes, sondern der Geist des Mose ist. Wenn dieser Geist die Prophezeiung bewirkt (‫ ויתנבאו‬V. 25), so ist Dtn 18,18 für Num 11,17f.24f. vorauszusetzen, was die Sonderstellung des Mose unterstreicht (vgl. Num 12,8; Dtn 34,10–12). Die geistbegabten Ältesten widmen sich der Torabelehrung in der Familie, diese Aufgabe benennt auch Dtn 31,9–13, weshalb die Ältestenerzählung wahrscheinlich Bezug auf die Toravermittlung durch die Geistbegabten nimmt. Dies sind Indizien, die die Ältestenerzählung der nach-dtr Endredaktion zuweisen. Weil die Angabe „dein Knecht“ in Num 11,11 zweifellos an die deuterojesajanische „Jahwe-Knecht-Tradition“ erinnert und die Aufgabe der Ältesten als Toravermittler auch auf die Vermittlerfunktion des Hohenpriesters bezogen werden kann (Jes 59,21; 61,1), ist Num 11,16f.24f im Horizont von Jes 59,21 und 61,1 zu deuten. In der Eldad-Medad-Erzählung von Num 11,26–30 wird eine neue Phase einleitet. Auf Josuas Klage reagiert Mose mit dem Wunsch: Mögen doch alle im Volk des HERRN Propheten sein (Num 11,29bα). Vergleicht man diesen Wunsch mit der Geistbegabung der 70 Ältesten, fällt in Num 11,29 die Angabe ‫ כל־עם‬auf, denn im Gegensatz zur limitierten Geistbegabung der Ältesten wird im Mosewunsch eine kollektive Geistbegabung sichtbar. Num 11* repräsentiert eine Übergangsphase, da die Toravermittlung durch einen Geistbegabten (Num 11,24f; vgl. Jes 59,21; 61) von der kollektiven Geistbegabung überboten wird, da sie nunmehr keines Vermittlers bedarf. Damit lässt sich Num 11* auch als Verbindungsabschnitt zwischen Jes  59,21 und Ez  36,23bβ–38 verstehen, womit Num 11,26–30 zeitlich zwischen Jes 59,21 und Ez 36,23bβ–38 steht. Wenn die Ältestenerzählung der Endredaktion zuzuweisen ist, so ist der Wunsch des Mose demnach später, was ihn der 1. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zuweist, was sich so schematisieren lässt: Geistbegabung des ausgewählten Jahwe-Knechts (Jes 42,1–4) → Geistausgießung auf die ausgewählten 70 Ältesten zur Torabelehrung (Num 11* = Jes 59,21) → Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)!

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In Ez 36,23bβ–38 geht es um die Geistbegabung. Der Geist ist ein ganz neuer Geist (‫ רוח חדׁשה‬... ‫)ונתתי‬, und seine Neuartigkeit bildet eine Parallele zum Herzen, da auch dieses ganz erneuert werden wird. Somit erfolgt hier die Synthese zweier Vorstellungen, da der Toragehorsam ‚mit ganzem Herzen‘ und der Geistbegabung zugleich begründet wird. Vergleicht man Ez 36,26f mit Jer 31,33, ist die Aufnahme von Jer 31,33 in Ez 36,26f unverkennbar, wobei die völlige Erneuerung von Geist und Herz thematisiert wird. Da in Ez 36,27 der Tora- bzw. Gesetzesgehorsam als Zweck genannt wird, ist das Verhältnis von Geistbegabung und Toragehorsam explizit. Diese kollektive Geistbegabung reagiert auf den Wunsch des Mose in Num 11*, wobei der Wunsch als Versprechen Jahwes reformuliert wird (vgl. Joel 3,1), Ez  36,23bβ–38 ist somit zeitlich später als Num 11* und Jer 31,31–34 einzuordnen Joel 3 ist beachtenswert wegen der Universalisierung der kollektiven Geistausgießung, wozu Num 11,29b aufgegriffen und weit überboten wird. Während die Geistbegabung in Num 11,29 lediglich israelitisierte Nichtisraeliten implizit umfasst, erfolgt in Joel 3 die Geistausgießung auf alles Fleisch, wobei Volk- und Klassengrenzen obsolet werden. Daher ist Joel 3,1 wegen des Ausdrucks ‫־בׂשר‬ ‫ אׁשפוך את־רוחי על־כל‬als völkerfreundlich zu begreifen. Diese Geistausgießung bewirkt die Prophezeiung für alles Fleisch. Da die Geistausgießung den Wunsch des Mose reflektiert, ist der Zweck der Geistausgießung auch bei Joel der Toragehorsam durch die kollektive Geistausgießung. In diesem Zusammenhang verfolgt Joel 3* die gleiche Intention wie Ez 36,23bβ–38, denn V. 5 enthält Zionstheologie, wozu Ez 36,37–38 eine Parallele bildet (‫)ירוׁשלם במועדיה‬. Folglich setzt Joel 3 zweifellos Num 11,29 voraus und steht zeitlich nahe zu Ez 36,23bβ–38, Joel 3 gehört also in die 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. Die Formulierung ‫(» אׁשר יהוה קרא‬die Übriggebliebenen,) die Jahwe berufen wird« von Joel 3,5bβ setzt im Gegensatz zu Joel 3,5a ‫כל אׁשר־יקרא בׁשם יהוה‬ ‫» ימלט‬Jeder, der den Namen des HERRN anruft, wird errettet werden« einen ganz anderen theologischen Akzent (vgl. Esr 9,8f), weshalb Joel 3,5bβ ohne Zweifel ein literarischer Nachtrag ist. Die beschriebene Entwicklung lässt sich so zusammenfassen: Herzensbeschneidung (Dtn 30,6) → Herztafel (Jer 31,33) Geistbegabung des Auserwählten (Jes 59,21; Num 11,25) Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)

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Ez 36,26f = Joel 3*

Teil IV: Zusammenfassung und Ergebnisse

Die Untersuchung der exlischen bzw. nachexilischen Texten, in denen es um den ‚Toagehorsam‘ geht, hat danach gefragt, welche Modi für ihn verwendet werden und in welchen literarischen Zusammenhängen sie begründet werden, was unterschiedliche Richtungen bzw. Verfasserschaften bewiesen hat. Zunächst hat das Herzensmotiv den individuellen Toragehorsam ermöglicht, was im Dtn und Jeremiabuch relevant ist. In den im zweiten Teil untersuchten Passagen hat hingegen der geistbegabte Auserwählte die Toraverantwortung übernommen (Jer 61; Dtn 34), wobei seine Aufgabe die Torapromulgation bzw. Torabelehrung ist. Schließlich wird der individuelle Toragehorsam durch die kollektive Geistbegabung erfüllt, wobei der Geist mit dem Herzen gleichgesetzt wird, indem die vorigen Modi des Toragehorsams hier integriert und revidiert werden (Num 11*; Ez 36*; Joel 3). Zu klären sind jeweils die Texte im Kontext, die traditionsgeschichtlichen und intertextuelle Korrelationen, und soweit möglich die Datierung der Texte bzw. ihre Zuordnung.

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1. Toragehorsam „mit ganzem Herzen“ Unsere Untersuchung der Formen des Toragehorsams hat gezeigt, dass die Wendung ‚mit ganzem Herzen‘ im Dtn, DtrG und Jeremiabuch für ihn die Hauptrolle spielt. Indem hier das Herz als Bewusstseinssitz den Toragehorsam ermöglicht, greift dieser Modus die weisheitliche Tradition auf (Spr 2,10; 3,1.5; 4,4.21; 6,21; 7,3). Ebenso wie die mündliche Tora (Spr 3,1; 7,3), ist nun auch die schriftliche Tora im Herzen zu bewahren. Diese Gehorsamsform zielt direkt auf den Einzelnen, weil die Wendung ‚mit ganzem Herzen‘ die individuelle Aneignung durch Einübung des Torabewusstseins in Form des steten Auswendiglernens und Repetierens bezeichnet. Diese Gehorsamsform wird in Dtn  30,1–10 jedoch ganz neu begründet (Dtn 30,2.8.10), da nun die göttliche Herzensbeschneidung ihre notwendige Voraussetzung bildet (‫» מול‬beschneiden« Dtn 30,6), wodurch die Vorhautbeschneidung von Gen 17 (Ps), der die Herzensbeschneidung unbekannt ist, reformuliert wird. Aus dem Vergleich von Gen 17 und Dtn 29 ergibt sich, dass die Priesterschrift für Dtn 30 vorauszusetzen ist. Zugleich grenzt sich Dtn 30,6 allerdings auch klar von Jer 4,4 ab, da sich das Subjekt der Beschneidung unterscheidet. Bei Jeremia ist das Subjekt Israel, was die eigenständige Möglichkeit zur Umkehr implizit ausdrückt. In Dtn 30,6 ist das Subjekt hingegen Jahwe selbst, wobei das Motiv der Herzensbeschneidung aus Jer 4,4 kritisch aufgenommen wird, da nun nur noch das Handeln Jahwes die Umkehr ermöglicht, was dessen Macht und Israels Unvermögen betont. Gemeinsam ist beiden Traditionen, dass das Herz im Zentrum steht, weshalb eine nicht zu leugnende Verbindung zwischen dem Dtn und Jeremiabuch besteht. In Jer 31,31–34 geht es um die Verschriftung der Tora auf die Tafel des Herzens. Das Herz dient der Torabelehrung, seine Funktion entspricht Dtn 30,6. Ferner bezieht sich die jeremianische Torabelehrung auf das Dtn, indem Jer 31,34 (‫ולא ילמדו‬ ‫ )עוד‬auf Dtn 31,12f (‫ )למדו‬kritisch reagiert. Hier gerät der starke Konflikt zwischen der von Mose verschrifteten Tora, die dem Priester übergeben worden ist (Dtn 31,9– 13), und der auf das Herz verschrifteten prophetischen Tora in den Blick. Doch der Konnex zwischen Jer 31,31–34 und Dtn 30,11–14 beendet diesen Konflikt, da der jeremianische Gedanke in der Redewendung ‫» הדבר מאד בפיך ובלבבך‬das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen« aufgenommen und bewahrt wird (Dtn 30,14). Ferner revidiert diese Redewendung die spät-dtr Verheißung von Dtn 18,18, da das Wort Jahwes nicht nur in den Mund des auserwählten Propheten, sondern auch in den Mund des Volkes gelegt wird! Obwohl Mose nach Dtn 30 noch nicht gestorben ist, sind sein Tod und das Ende seiner Offenbarungsvermittlung aufgrund der Fragen in Dtn 30,12.13 bereits vorausgesetzt. Darum ist Jer 31,31–34 wie auch Dtn 30,11– 14 kurz nach der nach-dtr Redaktion entstanden, also in der 1 Hälfte des 4. Jh. v. Chr.

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Die Fragen in Dtn 30,12f (‫מי יעלה־לנו הׁשמימה ויקחה לנו ויׁשמענו אתה ונעׂשנה‬ [Dtn 30,12]; ‫[ מי יעבר־לנו אל־עבר הים ויקחה לנו ויׁשמענו אתה וׂעשנהנ‬Dtn 30,13]) machen es unverkennbar, dass der Toragehorsam nach der Endredaktion des Pentateuch abermals zum Thema geworden ist. In der nach-dtr Redaktion wird die Verantwortung für die Torabelehrung auf die Priesterschaft übertragen (Dtn 31,9), aber in Jer 31,31–34 und Dtn 30,11–14 wird dies abgelehnt, da hier die Individualisierung des Toragehorsams explizit artikuliert wird (‫ מאד בפיך ובלבבך הדבר‬Dtn 30,14), womit die priesterliche Vermittlung abgewiesen wird. Dennoch unterscheidet sich die auf das Herz verschriftete Tora inhaltlich nicht von der Tora des Mose. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Tora- bzw. Gesetzesgehorsam ‚mit ganzem Herzen‘ die Überlieferungen der deuteronomistischen Schriftgelehrten und die von ihnen beeinflussten Schriften, insbesondere das DtrG und Jeremiabuch, dominiert, folglich besteht eine Kohäsion zwischen dem Dtn, DtrG und Jeremiabuch durch das ihnen gemeinsame Herzmotiv: mit ganzem Herzen (dtn / dtr / spät-dtr) → Herzensbeschneidung (nach-dtr) → Herztafel (spät-nach-dtr)!

2. Toravermittlung und Geistbegabung Im Gegensatz zum Dtn und Jeremiabuch leitet DtJes eine neue Phase des Toragehorsams ein, weil der Geist jetzt eine entscheidende Funktion erlangt. In Jes 42,1–4 wird der Geist dem Jahwe-Knecht, der so dann das Recht bei den Nationen aufrichten kann, verliehen, also wird der Toragehorsam einzig durch den auserwählten Geistbegabten ermöglicht, weshalb die individuelle Toraaneignung nunmehr auf seine Vermittlung angewiesen ist. Zwar findet sich in Jes 44,3 eine kollektive Geistbegabung, aber sie hat keine Relevanz für den Toragehorsam, da sie nur die Fruchtbarkeit weckt (‫ וצמחו בבין חציר‬Jes 44,4). In Jes 51,16 steht die Redewendung ‫» ואׂשים דברי בפיך‬Und ich werde meine Rede in deinen Mund legen«. Der Vergleich mit der Verheißung in Dtn 18,18 (‫ונתתי‬ ‫ )דברי בפיו‬zeigt, dass nur das Lexem unterschiedlich verwendet wird. Durch die literarische Quotation ist Jes 59,21 wahrscheinlich als abhängig von Jes 51,16 zu verstehen. Der Geistbegabte in Jes 59,21 (‫ )יהוה רוחי אׁשר עליך‬ist durch den Bezug auf Jes 61,1 (‫ )רוח אדני יהוה עלי‬als Hohepriester zu verstehen, und Jes 59,21 ist als ‚Übergangsvers‘ aufzufassen.959 Für den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam übernimmt nun die Priesterschaft die entscheidende Rolle, weil die Torakenntnis und -befolgung den Israeliten durch die Promulgation des Hohenpriesters ermöglicht 959 Vgl. O. H. Steck, Studien zu Tritojesaja, S. 31.

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wird. Dieser Status des Hohenpriesters wird in Sach 6 unterstrichen, da der Hohepriester Joschua sogar gekrönt wird, womit er die Stellung des Davididen Serubbabels übernimmt. Hier wird die Geistbegabung zur Legitimation politischer und religiöser Führungspersönlichkeiten institutionalisiert. Aus diesem Grund steht Jes 61 gleichzeitig zu Sach 6, also ist Jes 61 in die 1. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. und Jes 59,21, wo die Funktion des Hohenpriesters nahe zu Dtn 31,9–13 steht, in die 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr. zu datieren. Die Sonderstellung eines Geistbegabten findet sich auch in Dtn 34,9, wo Josua durch die Handaufstemmung des Mose mit dem Geist der Weisheit erfüllt wird (‫)מלא רוח חכמה‬. Der Vergleich zwischen Dtn 34,9 und Num 27,18.23 zeigt, dass ein Verfasser den Abschnitt Num 27,12–23 rezipiert hat, wobei er Num 27,18 aber zugleich umdeutet. Der Verfasser interessiert sich für den Geist der Weisheit (vgl. Jes 11,2), wobei er auch Ex 28,3 aufgreift, und der Textvergleich erweist, dass der Geist der Weisheit in Dtn 34,9 der Führungslegitimation dient. Dieses in Jes 11,2 noch einmal vorkommende Geistkonzept, das auch in Jes 59,21 und 61 aufgenommen wird, zeigt, dass Josua in Dtn 34,9 als messianische Gestalt zu verstehen ist. Der Text ist terminus a quo der 1. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zuzurechnen, weil Dtn 34,9 später als nach-dtr Endredaktion verfasst worden ist. Hier ist untersucht worden, wie vorexilische Konzepte der charismatischen Begabung politischer und religiöser Führungspersönlichkeiten unter den Bedingungen des institutionellen Wandels der nachexilischen Zeit auf schriftgelehrte Personen und Gruppen sowie Religionsgemeinschaften960 übertragen worden sind. Im Gegensatz zum Dtn und Jeremiabuch übernimmt anstelle des Herzens nun der Geist die Funktion des Tora-Bewusstseins, wodurch der auserwählte geistbegabte Toravermittler im Jesajabuch und in Dtn 34,9 für den Toragehorsam die Hauptrolle übernimmt. Somit wird eine Entwicklung im Verhältnis des geistbegabten Vermittlers zum Toragehorsam sichtbar: Geistbegabung des JahweKnechts (Jes 42,1–4)/ kollektive Geistausgießung für die Vermehrung (Jes 44,3) → Geistbegabung des ausgewählten Priesters (Jes 61) → Geistbegabung des ausgewählten Führers (Dtn 34,9; vgl. geistbegabte messianische Gestalt Jes 11,2f)!

3. Geistempfang und Toragehorsam In der dritten Form des Toragehorsams wird der Geist nicht länger nur an auserwählte Vermittler, sondern schließlich an alle Menschen verliehen. Obwohl die 960 S. o. Num 11 (1.3.3).

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Geistbegabung für die Toravermittlung entscheidend bleibt, ist sie nun ganz anders zu verstehen. Dieser Prozess wird besonders in Num 11* gut sichtbar, da hier limitierte und universale Geistbegabung nebeneinanderstehen. Nach Num 11,25 kommt der Geist einerseits nur auf die 70 Ältesten, die Geistbegabung ist also limitiert, aber andererseits soll er nach Num 11,29 auf Wunsch des Mose an alle verliehen werden. Die Funktion der Ältesten ist äquivalent mit der der Ältesten in Dtn 31,9, denn sie sollen Mose entlasten. Und indem die Vorstellung des ‚JahweKnechts‘ in Num 11,11 aufgegriffen wird (vgl. Jes 42,1–4), werden den Ältesten auch prophetische Züge verliehen, somit sind sie als Prophetenschüler zu verstehen (vgl. Dtn 18,18). Weil Num 11,4–25* die zukünftige mosaische Prophetenverheißung voraussetzt (Dtn 18,18) und die Sonderstellung des Mose nahe zu Ex 33,11; Num 12,8 und Dtn 34,10–12 steht, ist die Ältestenerzählung der Endredaktion zuzuweisen, also in die 2. Hälfte des 5. Jh. v. Chr einzuordnen. In Num 11,26–30 findet sich darüber hinaus die Eldad-Medad-Erzählung, die eine andere Phase einleitet. Im Gegensatz zur limitierten Geistbegabung an die Ältesten findet sich im Wunsch des Mose die Hoffnung auf eine kollektive Geistbegabung: Mögen doch alle im Volk Jahwes Propheten sein, dass Jahwe seinen Geist auf sie lege! (Num 11,29b). Dies ist als Übergangsphase, nämlich von der Toravermittlung durch einen Geistbegabten (Num 11,16f.24f; vgl. Jes 59,21; 61) zur kollektiven Geistbegabung, zu begreifen. Insofern ist Num 11* ein verbindendes Element zwischen Jes 59,21 und Ez 36,23bβ–38, womit Num 11,26–30 zeitlich zwischen Jes 59,21 und Ez 36,23bβ–38 steht. Wenn die Ältestenerzählung der nach-dtr Redaktion zuzuweisen ist, so ist der Wunsch des Mose demnach noch später, also in die 1. Hälfte des 4. Jh. v. Chr. zu datieren, was folgende Entwicklung bedeutet: Geistbegabung des ausgewählten Jahwe-Knechts (Jes 42,1– 4) → Geistausgießung auf die ausgewählten 70 Ältesten zur Torabelehrung (Num 11* = Jes 59,21) → Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)! Auch in Ez 36,23bβ–38 ist von der Geistbegabung die Rede. Der Geist wird als neuer Geist geschildert (‫ ורוח חדׁשה‬... ‫)ונתתי‬, was eine Parallele zum neuen Herzen bildet, wodurch ein Konnex von Herzmotiv und Geistbegabung erfolgt. Vergleicht man Ez 36,26f mit Jer 31,33, so ist die Rezeption von Jer 31,33 in Ez 36,26f unverkennbar, da die völlige Erneuerung des Geistes und Herzens das Thema bildet. Diese Geistbegabung hat den Zweck, den Tora- bzw. ­Gesetzesgehorsam (Ez 36,27) zu ermöglichen, und ihre zuvor nur angedeutete Verbindung ist hier explizit zu beobachten, worin auch der Prozess der Spiritualisierung der Gesetzesfrömmigkeit sichtbar wird. Ferner geht es in Ez 36,26 auch um die kollektive Geistbegabung. Sie reagiert auf den Mosewunsch in Num 11*, wobei der Wunsch jetzt als Verheißung Jahwes formuliert wird. Ez  36,23bβ–38 ist somit zeitlich

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s­ päter als Num 11* und Jer 31,31–34 anzusetzen. Hier erscheinen späte priesterliche und prophetische Überlieferungen des zweiten Tempels, da die Verbindung von Geistbegabung und Toragehorsam ein theokratisches Interesse verfolgt. Die kollektive Geistausgießung erscheint auch in Joel 3. Sie bewirkt das Prophezeien allen Fleisches, was ihren Zweck erkennen lässt, nämlich Toragehorsam dank kollektiver Geistbegabung. Insofern hat Joel 3* das gleiche Interesse wie Ez 36,23bβ–38 (vgl. Zionstheologie: Joel 3,5 und Ez 36,36–38). Joel 3 ist zudem völkerfreundlich, da die Geistbegabung die Grenzen Israels überschreitet, da der Geist alle Völker ergreifen wird. Daher setzt Joel 3 zweifellos Num 11,29 voraus und steht gleichzeitig mit Ez 36,23bβ–38, gehört also in die 2. Hälfte des 4. Jh. v. Chr.961 Diese Entwicklung lässt sich so skizzieren: Herzensbeschneidung (Dtn 30,6) → Herztafel (Jer 31,33) Geistbegabung des Auserwählten (Jes 59,21; Num 11,25) Wunsch nach einer kollektiven Geistbegabung (Num 11,29)

Ez 36,26f = Joel 3*

Es hat sich gezeigt, dass späte priesterliche und prophetische Überlieferungen des zweiten Tempels im Numeri- und Ezechielbuch und im Dodekapropheton zu finden sind, in ihnen werden Konzepte für eine theokratische Orientierung, die priesterliche Autorisierung und die spirituelle Schulung der Gemeinden entwickelt. Der Toragehorsam ist nicht mehr durch einen Toravermittler, sondern durch die von Gott geschenkte kollektive Geistbegabung ermöglicht, wobei der Geist mit dem Herzen gleichzusetzen ist. Insofern werden die beiden früheren Modi des Toragehorsams – einerseits der im dtn, dtr, spät-dtr Dtn, DtrG und Jeremiabuch dominierende Herzensgehorsam, und andererseits die im Jesajabuch zentrale Geistbegabung des Vermittlers – im Numeri- und Ezechielbuch und bei Joel zusammengeführt, d.h. ihr Konflikt wird durch diese Synthese aufgehoben. Ermöglicht wird dies durch die Universalisierung der Geistbegabung, die als Prozess der Spiritualisierung der Gesetzesfrömmigkeit zu verstehen ist. Der Toragehorsam hat entweder auf dem ­individuellen Handeln ‚mit ganzem Herzen‘ beruht (Dtn 6,4f; 2 Kön 23,24f); oder er ist auf die priesterliche Vermittlungsrolle angewiesen gewesen (Jes 59,21; 61). Dieser Gegensatz wird überwunden, indem das Handeln Gottes für den Toragehorsam immer wichtiger wird, denn er ist das Subjekt der Herzensbeschneidung (Dtn 30,6) 961 Für Joel 3,5bβ, s. o. Joel 3 (3.1 und 3.2).

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des Einschreibens der Tora auf die Herztafel (Jer 31,31–34) und der Geistbegabung (Num 11,29; Ez 36,26f; Joel 3). Darin ist ein Prozess fortschreitender Spiritualisierung erkennbar, was der Weltanschauung in spätpersischer Zeit entspricht. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wann der Geist explizit dem Herzen gleichgestellt wird, welche Funktion er für den Toragehorsam hat, wann die Verbindung zwischen Geist und Toragehorsam zum Thema gemacht wird und wer sich dafür eingesetzt hat? Die Verbindung des Geistes mit dem Herzen findet sich in Ez 36,26f, wo der Geist ebenso wie das Herz für den Tora- bzw. Gesetzesgehorsam die entscheidende Rolle spielt, wobei die Einführung des Rûaḥ-Begriffs zur Spiritualisierung des Volkes dient, weshalb die Identifizierung des Geistes mit dem Herzen in der theokratischen Bearbeitung erfolgt ist. Zu den sich für den Toragehorsam einsetzenden Gruppen gehören Priesterschaft (Dtn 31,9–13; Jes 59,21; 61), Prophetenschüler (Num 11), Schriftgelehrte (Dtn 34,9; Jes 11) und Zionsgemeinde (Jer 31; Ez 36; Joel 3). Beachtenswert ist, dass dieser Toragehorsam in der zweiten Tempelszeit stark akzentuiert wird, wobei sich seine Modi gewandelt haben. Die Schriftgelehrten garantieren in nachexilischer Zeit die Torapromulgation (Esr 7,11; Neh 8,1ff), zu ihnen gehörten inspirierte, charismatische Schriftpropheten (Num 11,25; vgl. Jes 59,21), die zadokidische Priesterschaft (Ez 36,26f; vgl. Dtn 31,9) und Schreiber (Esr 7,6.11f). In diesem Kontext ist auch die Beziehung zwischen Pentateuch und Prophetenbüchern zu erfassen. Die vielfältigen Redaktionsphasen des Pentateuchs stehen in enger Verbindung mit der Redaktion der Großen-Prophetenbücher und des Dodekapropheton, weshalb diese Prozesse nicht isoliert verstehbar sind. Dass der Toragehorsam eingehalten wird, ist das zentrale Ziel der Endredaktion, dies wird auch in den Prophetenbüchern reflektiert, wobei sich die drei untersuchten Modi des Toragehorsam entwickelt haben. Indem am Ende der Geist mit dem Herz gleichgesetzt wird, wird der Geist zur zentralen Größe des Toragehorsams, und die Schriftgelehrten-Redaktoren, die sich nach der Endredaktion für den Toragehorsam einsetzen, bestimmen das Verhältnis von Geistbegabung und Toratreue schließlich so, dass alle zu Geistbegabten werden sollen, was als umfassender Spiritualisierungsprozess zu verstehen ist. Hierin vollzieht sich zugleich eine anthropologische Neubestimmung, weil als vermittelndes Element zur Torabefolgung der gottgeschenkte Geist unabdingbar wird. Dieser Konnex von Geistbegabung und Toratreue wird durch Schriftgelehrte in Auseinandersetzung mit der Priesterschaft akzentuiert.

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Anhang

spät-dtr Dtn 30,1–5 Jes 61

nach-dtr Dtn 30,6–10 Num 11,4–25*

spät-nach-dtr Jer 31,31–34 Dtn 30,11–14

ThB spät ThB Num 11,29 Joel 3* Dtn 34,9 Ez 36,23bβ–38

Toragehorsam Herzensmotiv dtn / vor-dtr dtr spät-dtr nach-dtr

Geistbegabung auf Toraempfänger

Dtn 6,5 2 Kön 23,24f Dtn 30,1–5 Dtn 30,6–10

geistbegabter Mittler Jes 42,1–4 Jes 61 Jes 59,21/ Num 11,4–25*

spät-nach-dtr

ThB spät ThB

Jer 31,31–34/ Dtn 30,11–14 Num 11,29 Ez 36,23bβ–38/ Joel 3*

Dtn 34,9

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