Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945 3100022602, 9783100022608

Im Zweiten Weltkrieg war den ab 1939 in Polen eingesetzten Wehrmachtsangehörigen, SS-Männern und Polizisten jeglicher Ko

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Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945
 3100022602, 9783100022608

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Maren Röger

Kriegsbeziehungen Intimitä t, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939bis 1945

I

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S. FISCHER

Inhalt

Die Zeit des Nationalsozialismus Eine Buchreihe Begründet und bis 2011 herausgegeben von Walter H. Pehle Eine Publikation in Verbindung mit dem Deutschen Historischen Instititut War schau

Einleitung

I-II

Deutsches Historisches Institut Warschau

IJ FSC www.f$c.org

.

Kontakte: Prostitution im besetzten Polen Einrichtung und Organisation der Besatzerbordelle - Politiken der (Zwangs-)Prostitution - Sexarbeit jenseits der Kontrolle und Ü berlebensprostitution

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1. Kommerzielle

Niemiecki Instytut Historyczny w Warszawie

2. Konsensuale Kontakte: Deutsch -polnische Besatzungsbeziehungen Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung - Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag - Fraternisierende Frauen und Männer - Disziplinierungsmaßnahmen: Polnischer Patriotismus und NS-Autoritäten - (Versuchte) Legalisierung der Beziehungen

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MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen

FSCO C083411

3. Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen. . . . . . . . . . . . .. Muster sexueller Gewalt im besetzten Polen - Sexuelle Gewalt

Erschienen bei S. FISCHER © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015

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vor Polizei und Gericht

Satz: Fotosatz Arnann, Memmingen Karten: Peter Palm, Berlin Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-10-002260-8

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Nach dem Krieg: ein Epilog - Fazit

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Anhang Dank Anmerkungen Quellen und Literatur Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Abkü rzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Personenregister

231 234 281 301 302 303

Einleitung

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In aller Eile, irgendwo aus der Sowjetunion,

vermutlich in einem unbequemen Quartier sitzend, schrieb der deutsche Soldat]akob B. im April 1943 seiner polnischen Freundin: »Mein liebes süßes Kind (... ), mein herzgeliebtes Fränzlein, ich denke sehr oft an die schönen Minuten, die wir beide verlebt haben, und an Dich, dass Du von mir unglücklich geworden bist und ich Dir jetzt leider nicht helfen kann.« ! Er malte seiner von ihm schwangeren Freundin Franciszka K. trotz aller Kriegswirren eine gemeinsame Zukunft aus. Kennengelernt hatten sich die bei den während seiner Stationierung im Landkreis Warschau im Vorjahr - und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem jeglicher gesellschaftliche und insbesondere sexuelle Verkehr zwischen deutschen Besatzern und einheimischen polnischen Frauen und Männern verboten war. Mit dem Ü berfall auf Polen im September 1939 regelten die unterschiedlichen Institutionen der Wehrmacht, der Polizei und der SS den intimen Umgang ihrer Angehörigen mit der Bevölkerung auf polnischem Territorium. Heinrich Himmler hatte in seiner Funktion als Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei sogar Monate zuvor, am 19. April 1939, also nach der Einverleibung der Tschechoslowakei, in einem Sammeierlass verfügt, dass seinen Männern jeder Geschlechtsverkehr mit Frauen andersrassiger Bevölkerungen im »Osteinsatz« verboten sei." Zivilbesatzern und Wehrmachtsangehörigen wurden gesellschaftliche und sexuelle Kontakte mit Polinnen und Polen ebenfalls untersagt.' Das Kontaktverbot mit Polen speiste sich aus ihrer niedrigen Wertigkeit in der nationalsozialistischen Rassenhierarchie - die Ideologen entwerteten Franciszka K. und ihre Landsleute als »Unterrnenschen«, die als Sexualpartner für die »arischen« Deutschen unerwünscht waren.' Im »Dritten Reich« wurde das deutsche Volk im Allgemeinen als biologisch-rassische Einheit gedacht, als »Volkskörper«, der von fremden und als minderwertig erachteten rassischen Einflüssen freizuhalten sei.

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Einleitung Seit der Machtübertragung 1933 unternahm die NSDAP zahlreiche Anstrengungen, ihr pervertiertes Ideal des rassisch reinen Deutschlands zu verwirklichen. Dies gipfelte in den antisemitischen Nürnberger Gesetzen von 1935, die jüdischen Deutschen den Geschlechtsverkehr und die Heirat mit nicht jüdischen Deutschen verboten und Zuwiderhandlungen unter strenge Strafen stellten.' Sowohl im sogenannten Altreich, also in den Gebieten, die vor der seit 1938 betriebenen Expansionspolitik deutsches Territorium waren, als auch in den später annektierten und besetzten Gebieten Europas war die offensichtlichste Form der Sexualitätsregulierung eine Verbotspolitik. Aus diesem Grund dachten Historiker lange, dass für das besetzte Polen die Geschichte sexueller Kontakte schnell erzählt sei: Es habe das dezidierte Umgangsverbot gegeben - und das sei auch befolgt worden." Doch die Kriegsbeziehung des Soldaten]akob B. zu seinem »Fränzlein«, der Polin Franciszka K., fand trotz Verbot statt, genauso wie die intimen Kontakte zwischen Fritz R. und Anna Z., Ernst P. und Maria N. oder Walter O. und Olympia G., um nur einige Paare, die in den umfangreichen zeitgenössischen Polizei- und ]ustizakten dokumentiert sind, namentlich herauszugreifen. Auch der Schriftsteller Heinrich Böll, der zwischen 1939 und 1945 Soldat war, erwähnte Polinnen, als er einen seiner Protagonisten im Roman »Der Zug war pünktlich(1947) über die Frauenkontakte der deutschen Landser im Zweiten Weltkrieg räsonieren ließ: »da ist man durch Europa gezogen, hat da bei einer Franzö sin gepennt und mit einer Rumänin gehurt und ist in Kiew hinter den Russinnen hergerannt; und wenn man in Urlaub fuhr und hatte Aufenthalt, da irgendwo in Warschau oder auch in Krakau, da konntest Du den schönen Polinnen auch nicht widerstehen.«?

Der Unterschied zwischen politischen Vorgaben und Besatzungsalltag war offenbar beträchtlich - doch wie ist er zu erklären? Wie reagierten die Behörden auf die Kriegsbeziehungen? Und was führte und hielt diese Paare zusammen, die unter großem Druck der deutschen Besatzungsmacht standen und zudem von zahlreichen polnischen Mitbürgern misstrauisch beäugt wurden, die intime Kontakte als Verstoß gegen die patriotische Bürgerpflicht sahen? In Polen, eine Besonderheit unter den europäischen Ländern, agierte während der gesamten Besatzungszeit

Einleitung ein komplexer Untergrundstaat, der von der polnischen Exilregierung in London angeleitet wurde. Zu ihm gehörte ein militärischer Flügel, die Armia Krajowa (Heimatarmee), aber auch eine eigene Gerichtsbarkeit sowie eine rege Untergrundpresse, die aus zahlreichen, oft kurzlebigen Blättern bestand. All diese Organe sowie weitere, ideologisch anders orientierte Widerstandsbewegungen versuchten der durch die brutale Besatzungspolitik demoralisierten polnischen Gesellschaft Halt zu geben, indem sie an den Patriotismus appellierten, aber auch Strafmaßnahmen gegenüber Kollaborateuren anwandten. Aus Sicht der patriotischen Mehrheit waren mehr oder minder freiwillige Kriegsbeziehungen polnischer Frauen mit deutschen Männern eine Schande, und die betroffenen Frauen, die nach Besatzungsende im Land blieben, verinnerlichten diese Sichtweise durchaus und schämten sich entsprechendoder hatten einfach Angst: Angst vor den neuen kommunistischen Machthabern, die nach Kriegsende Sondergerichte zur Verurteilung von Kollaborateuren installierten, und Angst vor sozialer Ausgrenzung in der Familie und im Bekanntenkreis. Die Frauen vernichteten die Erinnerungsstücke aus ihren Beziehungen, sie verbrannten Briefe und zerrissen Fotos ihrer ehemaligen Bekannten. Unter welchen Umständen waren die Frauen aber zu Geliebten der Besatzer geworden? Und was trieb die deutschen Männer an, die Kontakte zu polnischen Frauen pflegten? Die Geschichten dieser Paare und vor allem der oft geschmähten Frauen möchte ich in diesem Buch erzählen, nicht als naive liebesgeschichten, sondern als Spiegel der Besatzungszeit und der damaligen Machtverhältnisse. Macht ist »Bestandteil der kleinsten und intimsten menschlichen Beziehungen«," und die deutschen Männer hatten qua Besatzungsstatus viel Macht. Ein Merkmal des deutschen Besatzungsregimes in allen Teilen des besetzten Polens war die Einführung einer rassisch begründeten Hierarchie, die die reichsdeutschen Besatzer an die Spitze stellte und ihnen umfassende Privilegien verlieh. Mit den Volksdeutschen der verschiedenen Gruppen schufen die Besatzungsbehörden neue Führungs- und Zwischenschichten bei gleichzeitiger Entrechtung der katholischen Polen. Noch weiter unten standen die polnischen Juden, die - entrechtet und beraubt - systematisch verfolgt und ermordet wurden. Die neue Ordnung in den besetzten Gebieten veränderte so bestehende soziale Hierarchien, darunter die etablierten Geschlechter-

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Einleitung hierarchien. Während fü r reichsdeutsche Frauen der Osteinsatz als Wehrmachtshelferin oder Lehrerin oft einen beruflichen und finanziellen Aufstieg darstellte, durch den sie zudem in der Hierarchie ü ber den polnischen und jü dischen Männern standen," befanden sich jü dische Frauen am Ende dieser Rangordnung. Was diese Hierarchien fü r die sexuellen Begegnungen zwischen deutschen Besatzern und polnischen Frauen - jü discher und nicht jü discher Herkunft - bedeuteten, ist ein zentrales Thema dieses Buches. Denn das Studium der zeitgenö ssischen Akten und der Erinnerungsliteratur zeigt schnell, dass die Kriegskontakte zwischen den Besatzern und den Einheimischen mal mehr und mal weniger freiwillig waren. Neben den im Großen und Ganzen konsensualen Kontakten, wie Franciszka K. und Jakob B. sie pflegten, kam es auch zu sexueller Gewalt - zum einen in organisierter Form innerhalb des Prostitutionssystems der Besatzer, zum anderen in Form von Vergewaltigungen und sexuellen Ü bergriffen durch einzelne oder in Gruppen handelnde deutsche Männer. Obwohl sich die deutsch-, polnisch- und englischsprachigen Forschungen seit Jahrzehnten mit Repressionen und Verbrechen in den besetzten polnischen Gebieten auseinandersetzen, blieben Vergewaltigungen und Nö tigungen, also erzwungene Kontakte, eigentü mliche Leerstellen. Wie kann man das erklären? In Polen hatte das Schweigen vor 1989 auch geschichtspolitische Grü nde, da sexuelle Gewalt der Deutschen ausgespart bleiben sollte, um zu vermeiden, dass damit zugleich an Vergewaltigungen der sowjetischen Soldaten erinnert wurde. Auf ihrem Weg nach Westen vergewaltigten Sowjetsoldaten Frauen der späteren »Brudervölker«. Fü r Ungarn, den Verbü ndeten Nazi-Deutschlands, liegen mit den Arbeiten der Historikerin Andrea Petö Untersuchungen zur sexuellen Gewalt von Seiten der Rotarmisten vor, die nicht zuletzt das nach 1945 ideologisch bedingte Schweigen herausarbeiten.'? In anderen postkommunistischen Ländern harren diese Taten noch einer detaillierten geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung, so auch in Polen. Arbeiten ü ber die Zwangsaussiedlung der Deutschen weisen aber zunehmend darauf hin, dass von den Rotarmisten nicht nur Deutsche vergewaltigt wurden, sondern ebenfalls die sogenannten Autochthonen, also Schlesierinnen und Kaschubinnen sowie » ethnische« Polinnen." Das Schweigen hatte also (geschichts- )politische Grü nde, spiegelte aber auch eine Sprachlosigkeit der Forschung wider.

Einleitung Der Historiker Marcin Zaremba erklärt die Nichtberü cksichtigung sexueller Gewalt in den Forschungen der Nachkriegszeit mit dem Geschlecht der Forscher. Die polnische Geschichtswissenschaft sei männlich dominiert. Eine Gewaltform, die zumeist Frauen treffe, sei unter Männern nicht wahrgenommen worden." Tatsächlich liegt es nahe, Vergewaltigungen als » das geschlechterspezifischste aller Verbrechen-s" einzuordnen, doch sollte nicht ü bersehen werden, dass sexuelle Ü bergriffe gegenü ber Männern ebenfalls existierten. Weitere Grü nde waren eine falsch verstandene Diskretion sowie die Einordnung von sexueller Gewalt als nur eine Begleiterscheinung der umfassenden Gewalt in der Besatzungssituation, die deswegen als nicht weiter untersuchenswert empfunden wurde, ja vielen Historikern nicht einmal nennenswert schien." Vergewaltigung wurde von diesen Forschern als eine potentielle Erfahrung in jedem Frauenleben gesehen, weshalb ein Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg oder dem Holocaust oft angezweifelt wurde." Da die Holocaust Studies sich seit den 1980er Jahren vermehrt geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen geö ffnet haben, ist die Forschungslage zur sexuellen Gewalt gegenü ber jü dischen Frauen und Männern im besetzten Polen etwas besser als bezogen auf nicht jü dische Polinnen und Polen. Sexuelle Gewalttaten inklusive Zwangsprostitution in Ghettos und Lagern stehen in den bisherigen Beiträgen im Vordergrund." In diesem Buch werde ich mich auf die bislang kaum erzählten Geschichten sexueller Ü bergriffe außerhalb der Lager- und Ghettomauern konzentrieren, da dies Orte mit eigenen Mechanismen der Gewalt waren. Dementsprechend ist zu fragen, welche Muster sexueller Gewalt es in der Besatzungssituation gab. Wer waren die Täter, und was waren ihre Motive? Welche Urteile verhängten die Richter? Und wie gingen Polizei und Gerichtsbarkeit mit den polnischen Opfern um? Sexuelle Gewalt kann unterschiedliche Formen annehmen. Im engeren Sinne fallen darunter Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen sowie sexuelle Nö tigungen. Im weiteren Sinne gehö ren Belästigungen dazu, etwa anzü gliche Bemerkungen, das unaufgeforderte Zeigen pornographischer Abbildungen oder unerwü nschte Berü hrungen. Sexuelle Gewalt verletzt das Recht auf Selbstbestimmung und hat die Funktion der Demü tigung und Erniedrigung oder gar Unterwerfung. In der jü ngeren Forschung wird deshalb häufig der Begriff der » sexualisierten Gewalt« verwendet, um zu betonen, dass die Täter primär an

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Einleitung Gewaltausü bung interessiert sind und dafü r sexualisierte Formen wählen, weswegen Vergewaltigungen oder Nö tigungen nicht in erster Linie als sexuelle Handlungen zu verstehen sind." Unter sexualisierter bzw. sexueller Gewalt - ich werde beide Begriffe benutzen - werden mitunter auch sämtliche kommerziellen Kontakte zwischen Frauen und Männern klassifiziert. Eine gängige Interpretation von Prostitution, worunter ü blicherweise der Geschlechtsverkehr mit wechselnden Sexualpartnern gegen Bezahlung gefasst wird, lautet, dass sie immer strukturelle sexuelle Gewalt sei, da die Veräußerung des Kö rpers nicht freiwillig sein kö nne. Im Gegensatz dazu steht die Sichtweise, dass Prostitution ebenso wie andere Dienstleistungen als Arbeit verstanden werden kann, eben als » Sexarbett« ." Die Soziologin Sabine Grenz und der Historiker Martin Lü cke vertreten die zweite These und nennen als konstitutiv fü r die Prostitution deren » Charakter als Tauschhandel zwischen Kö rperlichkeit und Sexualität auf der einen und materiellen Gegenleistungen auf der anderen Seite«.!? Doch in Kriegszeiten kann dieses Prinzip des Tausches leicht ausgehebelt werden. Während der deutschen Besatzung Polens richtete die Wehrmachtfü hrung Bordelle fü r ihre Soldaten ein; ebenso handelte die SS. Beide sahen diese Bordelle als Alternative zum unkontrollierten Sex mit Einheimischen an. Doch wie funktionierte dieses System? Und wer waren die Frauen, wie ihre Position als kontrollierte Prostituierte? Waren sie alle Opfer sexueller Versklavung und damit andauernder sexueller Gewalt, wie die Historikerin Insa Meinen vermutete? Im Jahr 2002 formulierte sie die These: » Im deutsch beherrschten Osteuropa, soviel lässt sich ungeachtet der mangelhaften Forschungslage sagen, handelt es sich beim militärischen Bordellbetrieb eher um organisierte Vergewaltigung unter Terrorbedingungen als um Prostitution.v" Und unter welchen Umständen verkauften Frauen und Männer sexuelle Dienstleistungen außerhalb der kontrollierten Bordelle? Dazu noch einmal Heinrich Bö ll, der zu Beginn des Krieges hauptsächlich in Frankreich und Deutschland im Einsatz war, später dann an der Ostfront mit Aufenthalten in Polen und der Ukraine. Aus Stanislau im Distrikt Galizien schrieb er am 30.1. 1944 an seine Frau einen Brief, in dem er auf die _ wohl nicht zuletzt durch Not bedingte - Käuflichkeit von Frauen verwies: » Ich schrieb Dir ja schon, in Rußland und Polen kann man alles, wirklich alles kaufen, wenn man eine dicke Brieftasche hat. (...) In Odessa

Einleitung (...) konnte man auf dem Bazar alles kaufen, von den schö nsten lebendigen Sü drussinnen bis zur lustig brutzelnden Bratwurst aus der Pfanne.e" Frauen, die sich in der Besatzungszeit prostituierten, blieben stumm nach dem Krieg. Insgesamt liegen aus polnischer Perspektive zwar unzählige Selbstzeugnisse ü ber die deutsche Besatzung vor, doch galt im Nachkriegspolen » ein ungeschriebener Kanon, wie die Besatzungszeit zu präsentieren war« ." Dazu gehö rten die Gefängnis- und Lagererfahrungen sowie der bewaffnete und unbewaffnete Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Professionelle Prostituierte und sich aus Not prostituierende Frauen sind eine klassisch subalterne Gruppe (Antonio Gramsci), die ihre Erlebnisse in Polen nicht publik machte und fü r deren Erfahrungen sich ü ber lange Zeit weder die Ö ffentlichkeit noch die Forschung interessierte." Doch wer waren diese Frauen, die bis heute oft vorschnell verurteilt werden? Dieses Buch erzählt ihre Geschichten, und Vorurteile ü ber das Milieu der Prostitution werden ersetzt mit Einblicken in eine Welt, die in der Besatzungszeit fü r breitere Gruppen Alltag wurde. Es ist somit auch ein Buch ü ber eine Gesellschaft unter extremem Druck, eine Sozialgeschichte des besetzten Landes. Die deutsche Besatzungspolitik fü hrte zur Trennung von Familien, bedeutete die Deportation oder den Tod des Haupternährers und brachte den Hunger in die polnischen Städte. Von Kontakten aufs Land, wo es mehr Lebensmittel gab als in der Stadt, und zu Personen, die einem gute Arbeit verschaffen konnten, hing nach dem Einmarsch der Deutschen oft das berleben ab; und Frauen, die diese Kontakte nicht hatten, suchten sich Ü mitunter Freier. In den polnischen Gebieten gab es ein breites Spektrum an sexuellen Kontakten zwischen deutschen Männern und einheimischen Frauen: Erstens die kommerziellen Kontakte, sprich das von den Besatzern kontrollierte Prostitutionssystem sowie die klandestine Sexarbeit; zweitens die konsensualen Kontakte, also die eigentlich verbotenen deutsch-polnischen Kriegsbeziehungen, die mehr oder minder auf Freiwilligkeit beruhten; sowie drittens die erzwungenen Kontakte, die Vergewaltigungen und Nö tigungen durch deutsche Besatzer. Durch die Analyse mö chte ich zu mehreren Forschungsfeldern beitragen, darunter zur Alltagsgeschichte und Gewaltgeschichte der deutschen Besatzung. Zudem mö chte ich das Wissen um die Rassen- und Volkstumspolitik erweitern. So macht der Blick hinter die Kulisse des Umgangsverbots deutlich, wie

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Einleitung

Einleitung

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Verwaltungseinteilung der annektierten westpolnischen und des Generalgouvernements am 1. März 1940

Ostsee

Gebiete

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Generalgouvernement Vom Deutschen Reich besetzter und nicht annektierter Teil Polens in den Grenzen von 1942

" und sie dü rften durch die Rechtlosigkeit der Polen während der Besatzungszeit noch erhö ht worden sein. Blättler hatte, wie bereits zitiert, die desparate Situation auf dem Warschauer Straßenstrich beschrieben, indem er feststellte, dass den Polinnen nur die Wahl bleibe, entweder zu verhungern oder sich zu prostituieren. Und er fuhr fort: Noch besser als die Polinnen aber wissen das die deutschen Soldaten, » dementsprechend ist auch ihr Benehmen.e-" Generell gilt, dass Frauen jenseits der offiziellen Bordelle, die ü ber Wachen verfü gten, vor Gewalt und Ausschreitungen in keiner Weise geschü tzt waren. In Sanok schlug beispielsweise ein Landser die Tü r zu einem Privatbordell ein, da er längere Zeit hatte warten müssen.P' Auch waren Frauen gefährdet, wenn

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Kommerzielle Kontakte: Prostitution im besetzten Polen die Freier nicht bezahlen wollten. In Krakau verurteilte das Kriegsgericht einen Soldaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Missbrauch der Waffe, »begangen an einer Dirnee.-" Polnische Mitbürger warfen den Frauen zumeist mangelnden Patriotismus vor. Tatsächlich bekämpft wurden Prostituierte, wenn die Widerstandsbewegungen sie verdächtigten, Polen jüdischer und nichtjüdischer Herkunft an die Deutschen verraten zu haben. In solchen Fällen kam es zu Ehrstrafpraktiken, die von der Haarrasur über die Prügelstrafe bis zur Exekution reichten. Generell nahmen die Widerstandsbewegungen auf Prostituierte wenig Rücksicht. So nahm die Gwardia Ludowa (Volksgarde) bei einem Anschlag auf ein SS-Bordell in der Waschauer

Abb.4 Gedenktafel an der Warschauer Nowogrodzkastraße 15, Standort eines ehemaligen SS-Bordells. Die Inschrift lautet: »Ehre den Helden im Kampf um die Freiheit des Vaterlands. An diesem Ort verübte am 23. Oktober 1943 eine Gruppe der Gwardia Ludowa einen Anschlag auf ein Lokal der Hitleristen. In Folge der Aktion starben 18 SS-Männer und Gestapo-Augehörige.«

Sexarbeit jenseits der Bordelle und Ü berlebensprostitution Nowogrodzkastraße den Tod von polnischen Frauen als Kollateralschaden in Kauf. 18 Besatzer sowie alle Insassinnen starben.r" An diesen Schlag gegen die »Hitleristen« erinnert bis heute eine Gedenktafel am Haus; an die ermordeten Prostituierten erinnert dort niernand.>" Andersherum profitierten Konspiranten jedoch auch von der Prostitutionsszene. In Krakau wählten sie eine Wohnung über einem illegalen Bordell, um dort ihre Treffen abzuhalten. Die rege Frequenz, so beschrieb es ein Zeitzeuge, habe dementsprechend nicht einmal dem emsigsten Gestapospitzel auffallen können, da in den Abendstunden sowieso viele Männer - mit und ohne Uniform - ein- und ausgegangen seien.>" Auch in War schau waren Briefkästen zum Austausch von Nachrichten in Bordellen in der Chmielna-Straße platziert.P? Eine andere Form der Zusammenarbeit waren Verstecke bei Frauen, die sich in Privatwohnungen prostituierten. Zofia Zukowskas Mutter arbeitete für die Heimatarmee, ihre jüdische Identität verbergend. Als sie von einer geplanten Strafaktion gegen eine Prostituierte im Warschauer Stadtteil Zoliborz hörte, schlug sie vor, stattdessen die Frau dazu zu erpressen, sie zu beherbergen. So kam es auch, nachdem der Frau Ruhe vor Ehrstrafen zugesagt worden war."? In weiteren Erinnerungsbüchern Holocaustberlebender Ü werden temporäre Verstecke bei Prostituierten erwähnt. Ianma Baumann erinnerte sich an einen Unterschlupf bei der Prostituierten Lily, was allerdings sehr anstrengend war, da deren männliche deutsche Klienten auch an ihr Interesse zeigten.?" Auch Anatol Weksztejn versteckte sich über einer Art Privatbordell in der Przeszkok-Straße, das sechs Polinnen für Gestapo-Leute betrieben.>" Es gab zudem Prostituierte, die Informationen an die Heimatarmee weitergaben. Im Warschauer Nachtlokal »7. Himmel«, in dem hauptsächlich Offiziere verkehrten, war die Verbindung der dort arbeitenden Frauen mit dem polnischen Widerstand recht eng.243 Maria Iwaszkiewicz erklärte, wie einfach die Informationsbeschaffung vonstatten gehen konnte, ohne dass die Frauen gezielt nachfragen mussten: »Prostituierte arbeiteten manchmal mit der AK [Heimatarmee, M. R.] zusammen. Sie wussten, wie Informationen aus den Deutschen herauszubekommen waren. Esreichte, dass ein Klient ihr sagte, dass er morgen wegfährt. Wenn bekannt war, in welcher Einheit er dient, war es schon eine wertvolle strategische Informatlon.s-v'

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Kommerzielle Kontakte: Prostitution im besetzten Polen Die Prostitution als ein Raum, der - trotz aller Versuche - nicht vollständig zu kontrollieren war, bot also verschiedene Mö glichkeiten zum Widerstand, auch wenn die Prostituierten selbst nicht immer freiwillig kooperierten, sondern zum Teil von den Widerstandsbewegungen dazu gezwungen wurden.

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2. Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen

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Kontakträume

in Zeiten der Rassentrennung

Beim Einmarsch in Polen hatten die meisten deutschen Männer kulturelle Bilder von Polen als Land sowie von den polnischen Männern und Frauen im Gepäck. Ein bedeutendes Element war der deutsche Antislawismus. Unzivilisiert, zurückgeblieben und dreckig sei das Nachbarland - dieses Bild hatte eine kulturelle Tradition in Deutschland. Gustav Freytags Bestseller »Soll und Haben« (1855) etwa verbreitete diese Vorstellung massenhaft.' Im Vorfeld des Zweiten Weltkrieges wurden diese Bilder durch die Propaganda verstärkt." Es gab allerdings auch positive Stereotype, vor allem die polnische Frau betreffend. Zu denken ist beispielsweise an Heinrich Heines Lobpreisung der »Weichsel-Aphrodite«. In seinen Memoiren nahm der österreichische Gendarm Adolf Landl Bezug auf ein anderes Kulturerzeugnis, das die schöne Polin besang, und beschrieb die Begegnung mit seiner späteren Freundin mit den Worten: »Unwillkürlich denke ich an das Loblied über die Schönheit der Polin aus Carl Millöckers Operette -Der Bettelstudent- - und gebe dem Komponisten recht.e' Die Bewunderung für polnische Frauen zog sich mitunter auch durch Kriegstagebücher und offizielle Propagandabücher: Im Zentralverlag der NSDAP erschienen 1940 die Kriegserinnerungen des VII. Armeekorps. Unter dem Titel »Wir zogen gegen Polen« versammelt der Band schriftliche Erinnerungen, garniert mit Zeichnungen des Krieges als Abenteuersituation. Zudem enthält er im Mittelteil einige Fotografien, die deutsche Soldaten im Kontakt mit einheimischen Frauen zeigen. Eine Aufnahme von einem flirtenden Paar ist unterschrieben mit »Der Herr Feldwebel hat mit einer hübschen Slowakin angebandelt«, eine andere, die einen zwischen drei Frauen arbeitenden Soldaten zeigt, mit »Polnische Schöne helfen beim Gänserupfen«." In der Schlesischen Sonntagspost, einer nationalsozialistischen Wochenzeitung, vom 3.11.1941 schwärmte der deutsche Reporter regelrecht von den eleganten Warschauerinnen:

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen » ie Frauen sind ausnahmslos sorgfältig zurechtgemacht, soweit sie D sich zur Eleganz rechnen. Ihren Lippen sieht man an, daß sie in ihrem Täschchen einen Lippenstift mit sich führen, die Augenbrauen sind rasiert und von geschickter Hand nachgezogen worden, die Fingernägel glänzen rosarot oder dunkelrot, vermutlich jeweils in der Farbe, die der Drogist noch vorrätig hatte. Sie sind fast alle gut angezogen, viel besser übrigens als die Männer, die neben ihnen gehen, und schon am Vormittag klappern ihre Stöckelabsätze über den Asphalt. Wenn man freilich genau hinschaut, sieht man, daß die hauchdünnen Seidenstrümpfe an mancher Stelle geflickt sind und oft wohl auch durch braungeschminkte Beine vorgetäuscht werden.e> Udo von Alvensleben, Wehrmachtsangehöriger, der Krakauerinnen sehr beeindruckt, bemühte der überschminkten fremden Frau:

war von der Eleganz aber doch das Stereotyp

»Die pariserischen Friseurgeschäfte [in Krakau, M. R.] sind Rüstkammern des sex appeal. Oft wird man von einer unbeschäftigten Manikürdame rasiert. Dies an sich liebenswürdige Mädchen macht sich zum Demonstrationsobjekt aller dekorativen Möglichkeiten des Instituts. Nur mühsam rekonstruiert man das ursprüngliche Aussehen und Wesen unter einer orgiastischen Farbgebung von Violett, Rouge, purem Gold, Lack, Paste und angeklebten Wimpern.s" Doch wie begegneten die polnischen Männer und Frauen ihrerseits den 1,5 Millionen deutschen Soldaten? Welche Deutschenbilder gab es zu Beginn der Besatzung? Viele polnische Familien waren direkt vom Einmarsch der Deutschen betroffen und hatten den Verlust, die Verwundung oder Gefangenschaft von Familienmitgliedern zu beklagen. Polens militärische Verluste beliefen sich auf 66000 bis 100000 gefallene und etwa 133000 verwundete Soldaten. Mehr als 400000 polnische Soldaten, darunter etwa 16000 Offiziere, gerieten in deutsche Gefangenschaft.' Zudem ermordeten Angehörige der Einsatzgruppen auf Grundlage bereits vorbereiteter Fahndungslisten ca. 60000 polnische Staatsbürger, vor allem Angehörige der Intelligenz und polnische Iuden." Hinzu kamen die zivilen Opfer der Luftangriffe auf Wielun, Warschau und Frampol im Lubliner Gebiet. Daher standen weite Kreise der Bevölkerung den Besatzern, die nach nur 20 Jahren der Unabhängigkeit das Land erneut überfielen, feindselig gegenüber.

Kontakträume

in Zeiten der Rassentrennung

Doch sei daran erinnert, dass das polnische Deutschenbild vor dem Kriegsausbruch 1939 noch vielschichtig war. Neben den negativen Erfahrungen mit dem Nachbarland, das immer wieder als Aggressor auftrat, gab es durchaus positive Assoziationen. Zahlreiche polnische Intellektuelle hatten in Deutschland studiert. Nicht nur sie bewunderten die kulturellen Leistungen des Landes." Ungebildetere setzten mitunter Hoffnung in die deutsche Ordnung. Vor allem unter der Landbevölkerung, die bei Kriegsausbruch knapp die Hälfte der polnischen Bevölkerung stellte, habe es Sympathien für die Deutschen gegeben. Der Historiker Wadaw Dlugoborski urteilt gar über die Bauern: »Viele von ihnen begrüßten die neue Herrschaft, bewunderte[n] die -deutsche Ordnungund brachten ihre Dankbarkeit oftmals offen zum Ausdruck.e'" Und auch in der Stadt zeigten sich einige Polen von den Deutschen beeindruckt. Teodora Zukowska berichtete aus Warschau, dass ihre Nachbarin, ein junges Mädchen, den Deutschen beim Einmarsch zujubelte und von ihrem Balkon Blumen herabwarf." In einigen Bevölkerungskreisen gab es eine anfängliche Faszination für die deutsche Armee, insbesondere für deren Militärtechnologie und Erscheinung." Frauen und Mädchen in zahlreichen besetzten Ländern zeigten sich beeindruckt von den Männern in gutgeschnittenen Uniformen, die zu Beginn der Besatzungszeit noch gepflegt waren.P Auch der polnische Schriftsteller Karol Irzykowski berichtete in seinem Tagebuch von zahlreichen deutsch-polnischen Paaren zu Kriegsbeginn und spielte auf den Reiz der (grünlichen) Wehrmachtsuniform an: »Der Deutsche ist in erotischer Hinsicht etwas wie ein Neger [murzyn, M. R.], nur grün und nicht schwarz.v" Die Exotik der Deutschen beruhte in Polen natürlich nicht darauf, dass Deutsche generell unbekannt waren. Schließlich lebte dort eine große deutschsprachige Minderheit, und die letzte Besatzung durch die westlichen Nachbarn war erst zwei Jahrzehnte her. Die Exotik speiste sich also in erster Linie aus der Unitormierung. Zudem hatten die Deutschen auch materielle Angebote zu machen. Zu Beginn der Besatzung verteilten sie teilweise Lebensmittel an die polnische Bevölkerung - nur eine der Paradoxien angesichts der Bombardierungen und Ermordungen in den ersten Besatzungswochen und der kommenden Besatzungszeit. In diesem Kontext kam es zu Kontakten, die sich bis zur »Ostehe« vertiefen konnten. Olympia G. sagte bei-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen spielsweise bei ihrer Vernehmung wegen einer intimen Beziehung zu den Deutschen aus: Beim Einzug der deutschen Truppen versuchten die S.und ich Lebens» mittel zu erhalten. Hierbei lernte ich den Beamten der Sicherheitspolizei Walter O. auf der Hoza-Str, kennen. Die S.spricht deutsch und fü hrte die Unterhaltung. Ich selbst beherrschte nur die polnische Sprache. (...) Da die Sicherheitspolizei in der Hoza gegenü ber meiner Wohnung Quartier bezogen hatte, habe ich O. wiederholt gesehen und mich mit ihm verabredet. Unser erster Geschlechtsverkehr fand ca. 3-4 Wochen nach unserer Bekanntschaft statt. Es entwickelte sich zwischen uns ein Freundschaftsverhältnis.« 15 Neugier, Abenteuerlust und konkrete Offerten fü hrten dazu, dass intime Kontakte gerade in den ersten Wochen und Monaten der deutschen Besatzung beobachtet wurden. Vor allem die frü hen Zeugnisse sprechen von einem verbreiteten Phänomen. Konrad Iarausch beobachtete Kontaktanbahnungen in Krosniewice bei Lödz am Markttag Anfang Oktober 1939. Soldaten riefen den Frauen Scherzworte zu, und diese, so Konrad Iarausch, nahmen » den vö lkischen Gegensatz nicht so tragisch und lacht[en] gern zurück«." Der Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld schrieb im Oktober aus Pabianice bei Lodz an seine Frau: Du kennst mich und weißt, wie sehr ich dem EwigWeiblichen ausge» liefert bin, wie mein Inneres sich spannt in der Umgebung des Weibes. Es wäre hier auch genug Gelegenheit, Liebeleien anzufangen, aber ich werde meinen sü ßen, treuen Schatz nicht verraten.v" Andere Männer in seinem Umfeld waren laut seinen Erzählungen nicht so standhaft." Es war also mitnichten nur der Konkurrenz zwischen SS und Wehrmacht geschuldet, wenn der Einsatzkommando-Trupp aus Bromberg nach Berlin meldete: » Sei es auf dem Lande oder in der Stadt berall sieht man deutsche Wehrmachtsangehö ü rige in zartester Weise mit polnischen Mädchen und Frauen einhergehen. «19 SS-Angehö rige waren vom intimen Verkehr nicht ausgenommen. Auch hier sollen einige Beispiele aus der Frü hphase der Besatzung genü gen: Im Dezember 1939 bezahlte ein SS-Standartenfü hrer seiner polnischen Freundin bereits eine Abtreibung, nachdem sie wiederholt intim geworden waren. Im Zuge der Ermittlungen wurden weitere SS-Fü hrer

Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung und -Unterführer sowie ein Polizeimajor belastet." In Lublin war direkt nach dem Einmarsch ein SS-Angehö riger, der als Mitglied der Einsatzgruppen an dortigen Erschießungen von Polen und Juden teilnahm, in einer eindeutigen Situation bei einer Polin angetroffen worden." Und in Warschau lernte der Sicherheits dienst-Mann Georg D. zusammen mit seinem Kameraden um Weihnachten 1939 mehrere Polinnen in einem Cafe namens »pp« kennen. Danach gingen sie zu einer der Frauen aufs Zimmer, wo sie gemeinsam nächtigten. D. und eine der Frauen trafen sich in der Folge noch mehrere Male, bevor Georg D. eine Beziehung mit einer vermeintlichen Volksdeutschen begann (die allerdings Polin war)." Regelmäßige Ermahnungen von Seiten der militärischen Autoritäten und zahlreiche Erziehungsversuche von Seiten polnischer Patrioten spiegeln wider, dass Feiern, Flirts und Liebeleien zwischen Deutschen und Einheimischen in den ersten Besatzungswochen verbreitet waren. In Debica und Krakau zechten deutsche Polizeibeamte mit einheimischen Frauen," in anderen Städten tanzten sie mit Polinnen oder unterhielten sich offen auf der Straße mit der weiblichen einheimischen Bevö lkerung. Der Befehlshaber der Ordnungspolizei im Warthegau mahnte daher im November 1939 zum wiederholten Male: » Es wird erneut darauf aufmerksam gemacht, daß der unbedingte Abstand zu polnischer Bevö lkerung gewahrt bleibt. Unterhaltungen mit polnischen Frauen auf der Straße und in Lokalen sind zu unterlassen.e= Obwohl einschlägig belehrt, nahmen viele Deutsche das Verbot nicht ernst. Zu Beginn der Besatzung gewährten die paramilitärischen und militärischen Befehlshaber ihren Männern einige Freiheiten, darunter der Besuch nicht registrierter Prostituierter, Flirts und Liebeleien. Erst peu peu begannen sie mit der Umsetzung des Umgangsverbots. Unteroffizier jarausch vermerkte Ende Dezember 1939: » Im ganzen scheint die Stimmung gespannter geworden zu sein. Strenge Befehle verbieten den Soldaten jeden Verkehr mit den Polen.e" Insgesamt wurde offenbar ab Frü hjahr 1940 das Kontaktverbot rigider umgesetzt, was zeitlich mit der Einfü hrung des Umgangsverbotes zwischen den polnischen Zwangsarbeitern im Altreich und den dortigen Deutschen übereinstimmt." Zusätzlich verschärfte sich der Druck auf die Polinnen von Seiten der polnischen Gesellschaft, begleitet von einem immer weiter verbreiteten Wissen ü ber die Brutalität der Deutschen. ä

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Beides fü hrte dazu, dass im Laufe der Besatzung Berichte ü ber intime Kontakte abnahmen. Dies lag natü rlich auch daran, dass sich die Anzahl der deutschen Männer im Lande reduzierte. Es ist zwar schwierig, die Zahlen zu präzisieren, doch belaufen sich Schätzungen auf insgesamt 400000 stationierte Soldaten in den eingegliederten Gebieten und 500000 im Generalgouvernement (im Vergleich zu 1,5 Millionen Männern beim Einmarsch). Zudem befanden sich im Generalgouvernement dauerhaft an die 60000 Polizei- und SS-Männer, während im Warthegau gerade einmal 30000 im Einsatz waren. Die Hälfte der Soldaten war dauerhaft in Polen stationlert." Insgesamt waren die Mannschaften kü rzere Zeit im Land, wohingegen Funktionäre von Polizei und SS oft Jahre in den besetzten polnischen Gebieten verbrachten. Außer den militärischen und paramilitärischen Besatzern lebten noch Zivilbesatzer im Land. Sie fü llten Funktionen in der Verwaltung und im Wirtschaftsleben aus. Allein im Generalgouvernement waren im Jahr 1943 ü ber 17500 Deutsche in der Verwaltung tätig, wobei das Personal der Ostbahn oder der Reichspost aus dieser Rechnung ausgenommen ist." Eine Maßnahme, um Kontakte einzudämmen, war die räumliche Trennung entlang rassischen Kriterien. Sie erfolgte in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität, abhängig von der Grö ße und Bedeutung des Ortes. In Krakau, Dienstsitz des Generalgouverneurs, nahmen die Besatzer den Wawel, die alte Kö nigsresidenz, fü r sich in Anspruch, sperrten zwei Parkanlagen fü r die polnische Bevö lkerung und reservierten im Grü ngü rtel der Stadt, dem Planty, Bänke nur fü r sich. Zudem eigneten sie sich schrittweise die modernsten und besten Restaurants, Lichtspieltheater und Sportanlagen an.> In Warschau begann die Separierung nur wenige Monate nach der Invasion, ebenfalls mit den Parkanlagen. Zuerst war der kö nigliche Park Lazienki an der Reihe, erst im Mai 1942 schlossen die Deutschen den Sächsischen Garten fü r Polen." Die Maßnahmen setzten also nicht sofort ein, sondern konnten sich mehrere Monate oder erst Jahre nach der Invasion abspielen. Grosso modo sollten Mitte 1940 im Warthegau alle Gaststätten ethnisch segregiert und entweder nur fü r Deutsche oder nur fü r Polen zugänglich sein." Doch die Umsetzung verzö gerte sich mitunter: In Reichshof in den eingegliederten Gebieten beispielsweise erging die Anordnung zur Trennung der gastronomischen Einrichtungen erst am 28. 11. 1940Y

Kontakträume Angesichts des Verbots lässt sich fragen, wo sich deutsche Besatzer und polnische Frauen ü berhaupt kennenlernen konnten. Im Besatzungsalltag wurde die Trennung der Gruppen in einigen Orten nicht so streng durchgehalten, wie es in den Vorgaben verlangt wurde. Vielmehr war das Bedü rfnis deutscher Männer nach weiblicher Gesellschaft ein offenes Geheimnis und wurde in Maßen von den militärischen und zivilen Autoritäten toleriert. Der Schweizer Franz Blättler brachte das Paradoxon auf den Punkt: }» Kaffee Otto- an der Bahnhofstrasse, -Nur fü r Deutsche- steht groß an der Tü re angeschrieben. Das will aber nicht sagen, dass Polinnen keinen Zutritt hätten. Im Gegenteil. Ohne Polinnen gäbe es hier auch keine Angehö rigen der Wehrrnacht.e'" Sogar das » Deutsche Haus« - eine Einrichtung, die zur Stärkung des vö lkischen Selbstbewusstseins im besetzten Osten gegrü ndet wurde wurde nicht nur von Deutschen frequentiert. Im November 1941 waren mehrere Verfahren wegen Hausfriedensbruch beim Deutschen Gericht in Warschau anhängig. In einem der Urteile gegen eine Polin heißt es: Wie gerichtsbekannt ist, kam es damals häufiger vor, dass Angehö » rige des polnischen Volkstums, vor allem solche weiblichen Geschlechts, die Gefolgschaftsräume des -Deutschen Hauses- betraten. Aus diesem Grunde mussten zeitweise die Kontrollen verschärft werden.s> Regina aus Bromberg traf im Jahr 1942 ihren deutschen Verehrer im Cafe »Savoy« beim Fü nfuhrtee. Auf dem Schild am Eingang stand » zwar: Nur für Deutsche, aber ob ein Gast Pole oder Deutscher war, schien niemanden zu kümmern«, kommentierte sie ähnlich wie Blättler die Differenz zwischen offiziellen Regularien und dem Besatzungsalltag. Sie ließ sich - ebenso wie ihre Freundinnen - von einem Soldaten nach Hause begleiten, woraus sich eine Beziehung entwickelte." In Posen war die Situation zumindest in der Anfangszeit der Besatzung ähnlich. Im Februar 1940 empö rte sich der Befehlshaber der Ordnungspolizei:

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen An vielen deutschen Lokalen in Posen ist das Schild -Eintritt nur fü » r Deutsche angebracht. Es ist bekannt, daß dieses Verbot von den Polen

in keiner Weiseeingehalten wird, da eine Ü berprü fung

nicht ertolgt.« >

Aus Rzesz6w kam im Februar 1941 hingegen die Klage, dass das Verbot, die polnischen Gaststätten zu besuchen und mit Polen Umgang zu pflegen, von den reichsdeutschen Besatzern nicht befolgt werde." Andere Restaurants waren offene Treffpunkte. So kamen in Krakau die deutschen Besatzer im Restaurant » Pod Röza« mit der polnischen Aristokratie zusammen. Das Cafe » Lardelli« in Warschau war ein ähnlicher Ort.38 Die Restaurant- und Lokalbetreiber fragten im eigenen Interesse oft nicht allzu genau nach, welchem Volkstum die Begleitung der reichsdeutschen Männer angehö rte. Im Zweifelsfall behaupteten sie, von einer volksdeutschen Frau ausgegangen zu sein - womit sie sich häufig nicht allzu weit von der Wahrheit entfernten. Denn Polinnen, die sich mit Gelegenheitsprostitution durchschlugen, fälschten häufig Ausweise von Volksdeutschen, um zu den fü r Deutsche reservierten Lokalen Zutritt zu erhalten." Kneipen waren also Orte, an denen man sich aus dem Korsett der Besatzerregelungen lö sen konnte." Nicht zuletzt machte der Alkohol die Männer dort mutiger und reduzierte ihre Angst vor Regelverstö ßen. Der ö ffentliche Raum konnte ebenfalls ein Ort des Kontaktes sein: Die Warschauer Journalistin Jadwiga Krawczynska schilderte, dass die deutschen Besatzer schö ne polnische Frauen oft eingehend und ü berdeutlich musterten." Nicht allzu selten scheint es vorgekommen zu sein, dass Soldaten junge Polinnen auf der Straße ansprachen, mit der Bitte, diese nach Hause begleiten oder zumindest ein Stü ck des Weges mit ihnen zurü cklegen zu dü rfen. In seinen bereits erwähnten Memoiren schildert Adolf Landl solch eine Situation in Czestochowa. Die betreffende Polin wurde danach seine Freundin, er verkehrte eine Zeitlang in der Familie, bis seine Versetzung die Beziehung beendete.? Auch S5Angehö rige suchten ganz offen den Kontakt. Fritz O. sprach eine Polin in Warschau an, woraus sich eine längere Beziehung entwickelte. Die junge Frau besuchte den 55-Hauptscharfü hrer auch nach seiner Versetzung ins etwa 100 Kilometer entfernte Malkinia regelmäßig von Warschau aus." 55-Angehö rige in Schrö ttersburg, dem heutigen Plock, sprachen im Dezember 1943 eine Polin an, begleiteten sie nach Hause und

Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung luden sie am Folgetag zu einer Feier im Besatzerkreis ein." Selbst in Phasen, in denen das Umgangsverbot kontrolliert wurde, hatten also noch genü gend Besatzer die Chuzpe, Polinnen so offen anzusprechen. Denn als Besatzer, zumal wenn sie den Polizeiformationen angehö rten, ü bten sie die Kontrolle ü ber den ö ffentlichen Raum aus: Sie bestimmten, wann es gefährlich wurde, wann Razzien angesetzt wurden oder wann die Frauen fü r einen Flirt oder eine Feier gewonnen werden sollten. Andere Begegnungen im ö ffentlichen Raum waren Zufallsbegegnungen: Die Mutter von Graiyna B., einer Polin, die ich als Zeitzeugin befragt habe, traf den zukü nftigen Vater ihres Kindes zufällig. Er » rettete« sie aus einer unangenehmen Situation, als sie während einer Straßenrazzia in Ohnmacht fiel. Der Besatzer kannte die junge Frau, die im Krankenhaus arbeitete, vom Sehen." Weitere Bekanntschaften kamen ü ber Bekannte oder Freunde zustande, die bereits in näherem Kontakt mit Deutschen standen. Einige der Besatzer pflegten trotz gesellschaftlichen Umgangsverbots zumindest ein Minimum an sozialen Kontakten mit Polen." Die meisten Paare, die ü ber längere Zeit intimen Umgang pflegten, lernten sich aber am Arbeitsplatz kennen. Dies war der logischste und ungefährlichste Kontaktraum, denn da sich Männer und Frauen hier ohnehin täglich trafen, war es fü r beide Seiten unverdächtig. In vielen Fällen arbeiteten die Frauen fü r die Wehrmacht oder in anderen Betrieben der deutschen Besatzer. Karina G. etwa war in einer Feldkü che in der Nähe von Warschau angestellt. Dort lernte sie Karl, der sich später, wie ich weiter unten noch erzählen werde, Karol nannte, kennen und lieben." Die polnische Jü din Zofia Iasiriska, die 1998 im Berliner AufbauVerlag ihre Kriegserinnerungen publizierte, schilderte, wie ihre Liebesbeziehung mit einem Deutschen ebenfalls in einer Kriegskü che begann: Iasinska hatte sich während der Besatzung Papiere einer nicht jü dischen Polin beschafft, lebte also »über der Oberfläche« (Ringelblum) und arbeitete von 1943 an bis zum Frü hjahr 1945 als Kö chin auf dem Landgut Potwor6w bei Radom. Dort waren deutsche 5S-Männer stationiert. Mit einem Hauptmann der Waffen-SS kam sie ü ber ihre dienstlichen Verpflichtungen ins Gespräch, und sie begannen, nachdem er anfängliche Widerstände bei ihr ü berwunden hatte, eine intime Beziehung. Aus dieser ging ein Kind hervor." Ein häufiger Ort des Kennenlernens waren auch die Kantinen. Als Bedienungen wurden oft Frauen eingesetzt,

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen die zumindest einigermaßen Deutsch sprachen. Nicht zwangsläufig waren dies eingetragene Volksdeutsche, manche von ihnen wollten ihre Aufnahme erst noch beantragen oder behaupteten, dies vorzuhaben. Zwei Mü tter von Kriegskindern, die ich interviewt habe, bedienten im lokalen Kasino: Inge L. beschreibt ihre polnisch-kaschubische Mutter als lebenslustige Frau, deren Schö nheit, Charme und schauspielerische Veranlagung sofort die Blicke der Männer auf sich zog. So geschah es auch in dem Kasino in Pelplin in der Nähe von Danzig, wo die Mutter als Servicekraft arbeitete und einen deutlich älteren deutschen Besatzer kennenlernte." Er hatte in der in Pelplin eingerichteten Schule der Schutzpolizei eine leitende Funktion inne." Auch Krzystzof R.s Mutter arbeitete in Thorn im Kasino, wo ihre Deutschkenntnisse gefragt waren und sie in Kontakt mit einem volksdeutschen SS-Mann kam, der ursprü nglich aus Rumänien stammte und der Vater ihres 1944 geborenen Sohnes wurde." Neben den Bedienungen hatten auch Kö chinnen, Wäscherinnen und Putzfrauen, eben alle, die im Wehrmachtsgefolge arbeiteten, häufig Umgang mit den Soldaten. Die Schneiderin Anna Z. arbeitete von 1941 bis zu ihrer Verhaftung Mitte 1943 im Heeresbekleidungslager Thorn, wohin im Februar 1942 der 18Jahre ältere Reichsdeutsche Fritz R. versetzt wurde. Schon eine Woche » nach seiner Ankunft schloss der Angeklagte R. Freundschaft mit der Z., woraus sich ein intimes Liebesverhältnis entwickelte« , wie es in den Akten des Feldgerichts heißt." Konrad Iarausch, der als Unteroffizier im Polenfeldzug eingesetzt war, schrieb zwar Anfang 1940 von Plänen, polnische Frauen als Arbeiterinnen fü r die Wehrmacht zu verbieten. Er berichtete, dass das Umgangsverbot immer strenger umgesetzt wü rde und sie nicht einmal mehr Wäsche abgeben dü rften." Dies wurde so jedoch nie realisiert, so dass Polinnen fü r die Deutschen weiterhin wuschen, stopften und bü gelten. Nach der Invasion Ostpolens erging sogar der Erlass, dass alle einheimischen weiblichen Angestellten, die fü r das Wehrmachtsgefolge vorgesehen waren, auf Geschlechtskrankheiten zu untersuchen seien. 54 Dies ist ein Beispiel fü r die geschilderte Paranoia vor Geschlechtskrankheiten, verweist aber auch auf die Erfahrung, dass der Arbeitsplatz der Beginn von sexuellen Beziehungen war. Auch besser qualifizierte Frauen, etwa Schreibkräfte oder Dolmetscherinnen, kamen an ihrem Arbeitsplatz mit den Deutschen in Kon-

Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung takt. Teodora Zukowska, die sich als Schreibkraft in das Palais Brü hl einschleichen konnte, um sich als Zuträgerin des polnischen Untergrundes zu betätigen, berichtete in ihren Erinnerungen von den Avancen ihres Vorgesetzten ihr selbst und anderen Frauen gegenü ber. Generell beobachtete sie eine Schü rzenjägerei hoher Besatzungsfunktionäre, die zur Paarbildung mit reichs- und volksdeutschen Schreibkräften und elegant angezogenen Kellnerinnen - Volksdeutschen und Polinnen fü hrte; nicht nur innerhalb des Palais Brü hl, sondern auch außerhalb. Ihr Fazit: » Fast jeder Deutsche, der ins Generalgouvernement delegiert worden war, schaute sich sofort nach einer Affäre und einer Freundin um. «55 Ein deutlicher Fall ist Urszula B., die als Sekretärin bei der Sicherheitspolizei in Lublin arbeitete und dort Alouis Fischotter kennenlernte. Als er auf der Karriereleiter aufstieg und 1942 nach Memel versetzt wurde, folgte B. ihm nach, gebar ein Kind und wurde - nach längerer persö nlicher Auseinandersetzung Fischotters mit Heinrich Himmler seine Prau." Allein aus den deutschen Standesamtsakten in Warschau, die auch Anträge auf sogenannte Mischehen verzeichnen, wird deutlich, wie häufig die Partner im gleichen Betrieb beschäftigt waren. Der Arbeitsplatz bot einen gemeinsamen Bezugspunkt. Die katholische Paula Barbara K. arbeitete in der Kantinenverwaltung im Fliegerhorst Okecie, einem enorm großen Standort, an dem einige deutsch-polnische Paare zusammenfanden. Dort lernte sie den Feldwebel Ernst August O. kennen. Das Paar wich vom ü blichen Muster reichsdeutsch-polnischer Beziehungen ab, da der Berufssoldat O. vier Jahre jü nger als K. war." In der Regel war die Frau deutlich jü nger und schlechter ausgebildet als der Mann. Auch der ehemalige SA-Mann Alfred M., zugehö rig zum Wehrmachtsgefolge als Techniker im BMW-Frontreparaturbetrieb WarschauOkecie, lernte seine Verlobte am Arbeitsplatz kennen. Der Arbeitgeber bestätigte fü r das Standesamt die Anstellung der minderjährigen, katholischen Barbara L. im Werk." Ebenso stellte ein reichsdeutscher Angehö riger der Ostbahn, gottgläubig und Mitglied der NSDAP,in Warschau einen Antrag auf Eheschließung mit der deutlich jü ngeren Polin joanna L., die ebenfalls Angestellte der Eisenbahn war." Auch der Reichsbahninspektor Claus Gerhard R., 1910 im Reich geboren, wollte die elf Jahre jü ngere Reichsbahngehilfin Halina Maria M. heiraten. Sie war 1942 noch polnische Staatsbü rgerin, hatte aber die Kennkarte fü r Volksdeut-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen sehe mit der Nummer 3348 erhalten. Dem Antrag auf Heirat wurde stattgegeben." Einquartierungen waren eine weitere Gelegenheit, ü ber die viele Paare sich kennenlernten. Zwar wollte die Wehrmachtsfü hrung dies theoretisch vermeiden, doch kam es regelmäßig vor, dass Soldaten oder Offiziere phasenweise bei Polen lebten. In den grö ßeren Städten gab es eigene Wohnungsämter, die die Zuteilung von Raum vornahmen. Dabei nahmen die Deutschen Vertreibungen und Enteignungen vor, um fü r sich Platz zu schaffen. Polen konnten sich aber auch freiwillig melden, um ein mö bliertes Zimmer gegen das entsprechende Entgelt zu vermieten." Unzählige Erinnerungsbü cher, Memoiren und Feldpostbriefe legen im westeuropäischen Kontext Zeugnis davon ab, wie sehr sich die Einquartierenden und Einquartierten menschlich näher kamen." Die Journalistin Dorothee Schmitz-Köster rekonstruiert anhand eines Briefwechsels, wie ihr Vater während der Besatzungszeit in Norwegen in die Rolle eines Familienmitgliedes wuchs und mit der Tochter des Hauses eine Beziehung begann." In Osteuropa waren zwar die ideologischen Voraussetzungen der Besatzung andere, und der Blick vieler Soldaten und Offiziere auf ihre Gastgeber war von Antislawismus geprägt, doch gibt es auch fü r diese Länder ähnliche Belege. Die Historikerin Regina Mü hlhäuser betont fü r die Sowjetunion den Distanzverlust bei Einquartierungen;" den sie in ihrem Buch durch entsprechende Landserschnappschü sse illustriert. Fü r das besetzte Polen existieren ebenfalls Zeugnisse guter Kontakte mit den Einquartierten. In Tarn6w waren noch in der Silvesternacht 1944/1945, als die Besatzungsgewalt schon lange eskaliert war, zwei deutsche Uniformierte bei einer polnischen Familie eingeladen, bei der einer der Männer zuvor längere Zeit einquartiert gewesen war." Insbesondere in der im Jahr 1986 in Polen herausgegebenen Kompilation, die auf Deutsch den Titel » Zehn Gerechte« trägt, finden sich Geschichten ü ber solche » guten Deutschen« , die bei Polen einquartiert waren. Positiv erinnert wurde in Thorn eine reichsdeutsche Angestellte, in Krakau ein deutscher Beamter, auch aus Radom und Warschau trafen Berichte ü ber gute, manchmal fast freundschaftliche Kontakte mit den reichsdeutschen Untermietern ein.66 Einzelne Geschichten deuten auch intimere Sympathien an. In Winnog6ra, auf dem Gut einer adeligen Familie, waren 1939 mehrere Offiziere einquartiert, von denen sich

Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung einer in die junge Gräfin verliebte. Als sie sich im Verlauf der Besatzung an einem anderen Ort wiedertrafen, wurde Gräfin Klementyna Mankowska, inzwischen eine Agentin im Dienste des polnischen Untergrundes, bewusst, dass sie ebenfalls in ihn verliebt war. Ihre Gefü hle in diesem Moment beschrieb sie Jahrzehnte nach dem Krieg mit den Worten: » Es war, als hätte man trockenes Stroh auf eine heiße Glut geworfen. Was sollte ich jetzt tun? Ich durfte der Versuchung unter keinen Umständen erliegen.e" Sie versagten sich eine Beziehung. Mankowska leistete in diesem Fall eine Form der » Gefü hlsarbeit« , Mit diesem Begriff beschreibt die Soziologin Arlie Hochschild unter anderem die Kontrolle der Gefü hle - in diesem Fall der patriotischen -, um kulturellen Normen zu genü gen." Das Näherkommen bei Einquartierungen war mitnichten ein städtisches oder adeliges Phänomen. Gerade vom Land sind Berichte ü ber Liebeleien der Soldaten mit Einheimischen ü berliefert. So schilderte nach dem Krieg ein Bauer aus Bienkowice, ca. 50 Kilometer nordö stlich von Krakau, solche Romanzen, die vom Untergrund bestraft worden seien." Auch in Przyszowa, einem Dorf bei Nowy SqCZ(etwa 100 Kilometer sü dlich von Krakau), kamen sich deutsche Soldaten und polnische Mädchen und Frauen bei Einquartierungen nä her." Ein Gendarmerieposten in Sluzewo, knapp 30 Kilometer sü dlich von Thorn gelegen, vermeldete im Dezember 1940: » Durch die in Alexandrow einquartierten Soldaten ist von Volksdeutschen Klage gefü hrt worden, dass diese mit polnischen Mädchen und Familien verkehren. Ein Bericht ist bereits erstattet.x" Dabei entstanden nicht nur Verhältnisse zwischen den erzwungenen Gastgebern und den Einquartierten, sondern es gab Mö glichkeiten des Kennenlernens, die denen in Friedenszeiten nicht unähnlich waren. In einem Dorf bei Zamosc, Blizow, fand während der Besatzungszeit (1941)ein traditioneller Tanz in den Mai statt, bei dem sich die deutschen Soldaten um polnische Frauen bemü hten." Kontakte mit einheimischen Frauen kamen auch im dienstlichen Kontext zustande. Angestellte der Quartierämter inspizierten beispielsweise Wohnungen und Häuser, wobei sie den Frauen häufiger eindeutige Angebote machten. Emilia H. schilderte bei ihrer Festnahme im Juni 1940 die Anfänge ihrer Beziehung zu einem deutschen Unteroffizier folgendermaßen: » Nach dem Einmarsch der Deutschen in Warschau lernte ich den Unteroffizier Richard B. kennen. Er arbeitete im

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Quartieramt der Wehrmacht Hotel -Poloniac- Sie bot dort ihre Wohnung an, und er kam und sah sie sich an. »Als er wieder ging, ließ er auf dem Tisch eine Tü te Konfekt zurü ck. Beim Verabschieden lud ich ihn dann zum Wiederkommen ein.« ?" Sexuelle Tauschgeschäfte, aber auch sexuelle Erpressungen entwickelten sich aus solchen Begegnungen. Polizisten und Zollbeamte lernten Frauen bei Befragungen und Inhaftierungen kennen. Dem Besatzungskind Iwona H. erzählte ihre Mutter folgende Kennenlerngeschichte: Die Mutter, wohnhaft zur Besatzungszeit in Warschau in der ul. Sapiezyriska 7/11, in der Nähe der Ghettomauer, lebte vom Schmuggel in den jü dischen Wohnbezirk. Dabei wurde sie inhaftiert und lernte in der Haft einen deutschen Polizisten kennen, mit dem sie eine Beziehung einging." Die Warschauerin Daniela Piasecka berichtete von Kontaktanbahnungen bei Schmuggelkontrollen. Ihre Mutter musste Daniela, deren ältere Schwester und ihren Bruder in der Besatzungszeit allein durchbringen und handelte mit Lebensmitteln, die aus dem Umland Warschaus stammten. Eines der Kinder war stets dabei, einerseits um zu helfen, andererseits aber auch weil die Kinder die Herzen der deutschen Kontrolleure erweichen konnten. Insbesondere Danielas älterer Schwester, damals 16und nach Angaben von Frau Piasecka sehr hü bsch, wurde häufig Hilfe angeboten. Mit einem der Besatzer ging die junge Frau im Anschluss zweimal spazieren." Auch die Warschauer Journalistin Jadwiga Krawczynska notierte in ihren Tagebü chern der Besatzungszeit, dass deutsche Eisenbahner hü bsche junge Polinnen fahren und schmuggeln ließen." Kazimierz Wyka bezeichnete in seinen 1985 erschienenen Reflexionen ber den Krieg den weiblichen Kö ü rper als wichtige Verhandlungswährung: Wenn schon von Währungen die Rede ist, sollte eine Währung noch » genannt werden, da von ihr ein roter Faden zu häufigen kollektiven moralischen Erscheinungen dieser Jahre ausgeht. Es gab viele Grü nde, warum in den Schichten der Beamten, der Intelligenzija und der Kaufleute Frauen die aktive Rolle spielten. Sie haben eigenständig Handel betrieben, sie vermittelten eigenständig, sie fü hrten fü r ihre Männer und Familien die Geschäfte, sie wurden zu den Deutschen geschickt, vor allem in den Stunden nach Amtsschlussbzw.zur Stunde der Restaurantbesuche. Eine Frau in dieser Situation versteht schnell, dass sie eine weitere Währung in das Geschäft einbringt: ihren Kö rper. Sogar wenn

Kontakträume in Zeiten der Rassentrennung sie Besatzungskellnerin wurde, wusste die städtische Frau, dass sie ihm vor allem das leidvolle Recht, in der Schü rze zu laufen, verdankt.e" Der Schleichhandel mit Lebensmitteln befand sich daher insgesamt fest in der Hand der polnischen Frauen," die oftmals ihre Schö nheit und Kö rperlichkeit als Ressource nutzten.

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Kontakte zwischen Deutschen und Polinnen waren mitunter schnell geknü pft. Doch wie wurden die Besatzungsbeziehungen gelebt? Grundsätzlich muss unterschieden werden zwischen kurzen Treffen, die zum Geschlechtsverkehr fü hrten, aus denen aber keine Affäre, Liebelei oder ernsthafte Beziehung erwuchs, und mehrwö chigen bis mehrmonatigen Beziehungen, die am Ende beide Partner sogar legalisieren wollten. Die Treffen der Paare fanden ü berall statt: bei den Frauen zu Hause, im Park, in gemieteten Zimmern, sogar in den Unterkü nften der Männer und in der Kaserne. So geriet zu Kriegsbeginn eine junge Frau, die in der Kaserne mit einem Soldaten Geschlechtsverkehr hatte, in den Verdacht, eine Spionin zu sein;" Einige Männer luden ihre Bekannten regelmäßig in ihre Unterkunft ein, was zu Spannungen fü hren konnte. Ende 1941 kam es zu einer Untersuchung gegen einen SS-Sturmbannfü hrer. Sein ehemaliger Zimmergenosse aus Warschau sagte aus: ber den Lebenswandel des R. (...) kann ich nur berichten, dass er mit Ü » einer Frau mittleren Jahres verkehrte. Diese Frau besuchte ihn in der Unterkunft. Ich nehme an, dass die Frau Polin ist. Wegen der Beziehung zu dieser Frau bin ich s.Zt. aus der Unterkunft ausgezogen.v'" Der Polizeirat in Sosnowitz ließ regelmäßig seine Freundin bei sich schlafen. Andere »Beamte nahmen daraufhin auch Mädchen in ihre im Polizeigebäude befindlichen Schlafräume. Ich nehme an, dass sie durch das Beispiel H. hier verleitet wurden« , sagte ein Polizeiinspektor aus." An diesem Fall zeigt sich, welche Bedeutung die Gruppendynamik vor Ort fü r das Verhalten der Männer hatte. Intime Beziehungen konnten von den Vorgesetzten und Kollegen toleriert oder selbst gelebt werden, was wiederum das Verhalten der anderen Männer beeinflusste. Manche der Besatzer wollten ihre Freundinnen jedoch nicht in ihre

jeweilige Gruppenunterkunft mitnehmen, was zum Problem wurde, wenn die Frauen ebenfalls ü ber keine Wohnung verfü gten oder ihren Mitbewohnern - meist waren dies die Eltern, mitunter aber auch Freundinnen - den deutschen Freund nicht vorstellen wollten. Dann mussten die Partner ihre Beziehung ü berwiegend im ö ffentlichen Raum leben, in Parks und Cafes. Parks spielten fü r deutsch-polnische Treffen eine besondere Rolle: In den Erinnerungen eines Angehö rigen der Heimatarmee, der unter anderem fü r die Vollstreckung von Ehrstrafpraktiken und Todesurteilen verantwortlich war, wurde ein Park in Rzeszow geschildert, in dem sich zahlreiche deutsch-polnische Paare zur Abendund Nachtstunde aufhielten." berhaupt scheinen die Abendstunden und die Dunkelheit Freiräume Ü fü r deutsch-polnische Begegnungen erö ffnet zu haben. In einigen Orten - vor allem in Warschau - ließen die Besatzer die Sperrstunde ü ber weite Teile der Besatzungszeit allerdings sehr frü h beginnen." Aurelia Wylezynska, eine polnische Journalistin und Schriftstellerin, die später während des Warschauer Aufstands zu Tode kam, notierte in ihrem Tagebuch vom 23.10.1941 anlässlich eines Spaziergangs durch das nächtliche Warschau dennoch: »Einen komischen Eindruck machen die umherschleichenden Leute. Man hö rt Stimmen, und ö fter anders als am Tag hö rt man deutsch mit polnisch gemischt.e'" Die Paare gingen in den Park spazieren, aber auch ins Kino, in Cafes und Restaurants, sofern in der jeweiligen Stadt solche Angebote bestanden. Fü r Warschau und Posen sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Polinnen Deutsche in deren Restaurants begleiteten." Den Frauen drohte bei Entdeckung eine Anklage wegen Hausfriedensbruchs, was zwei Wochen Gefängnis oder eine empfindliche Geldstrafe von 100 Zloty, mehr als der Monatsverdienst einer Kö chin, nach sich zog." In den jeweiligen Cafes, zum Beispiel im »Deutschen Haus« , kontrollierten die Wachposten des Ö fteren die Ausweise, teilweise nach Verdachtsäußerungen von Gästen." Besatzer, die sich mit Polinnen in diese Art der Ö ffentlichkeit begaben, mussten sich also darauf einstellen, dass der Ausweis ihrer Begleiterin kontrolliert wurde, und das vor den Augen von Bekannten und Arbeitskollegen. Dies war mitunter unangenehm, aber nicht in einem solchen Ausmaß, dass es komplett abschreckend wirkte. Im Gegenteil scheinen solche Fälle nicht selten vorgekommen zu sein. Erwachsene Frauen mit eigenen Wohnungen konnten ihre deutschen

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Freunde zu sich nach Hause einladen. Ü ber diese Mö glichkeit verfü gten vor allem ältere Frauen, darunter Witwen oder Frauen, deren Männer sich als polnische Armeeangehö rige in Kriegsgefangenschaft befanden. Diese Beziehungen beobachtete der polnische Untergrund mit besonderer Verachtung." Wohnte die betroffene Frau bei ihrer Familie, war ein Treffen in den eigenen vier Wänden von deren Wohlwollen abhängig. Auch wenn sich nur ein geringer Prozentsatz der polnischen Bevö lkerung aktiv im Widerstand betätigte - sechs Prozent werden fü r Warschau geschätzt" -, war der Großteil mit dem ansteigenden Terror der Besatzer zunehmend antideutsch eingestellt. In vielen Fällen fü hrten daher die Beziehungen der Tö chter zu Deutschen zu starken Spannungen in der Familie. Der Krakauer Adam Kaminski berichtete von Auseinandersetzungen, da seine Schwester mit einem Deutschen ausging, den sie bei der Arbeit kennengelernt hatte. Alle Familienmitglieder hätten auf sie eingeredet, doch sie habe nur geschwiegen.r" Die Großmutter von Katarzyna S., offenbar ü berhaupt nicht mit der deutsch-polnischen Liebelei ihrer Tochter in Radom einverstanden, versuchte sogar, das Neugeborene zu tö ten, das aus dieser Beziehung hervorgegangen war." Die Mutter der polnisch-kaschubischen Bedienung in Pelplin zeigte ihre Tochter bei der Gestapo an." Dies entspricht dem, was auch in Bezug auf die deutsch-jü dischen Sexualkontakte im Altreich galt, wie Alexandra Przyrembel gezeigt hat: Auch hier kamen Anzeigen durchaus häufig aus dem Familienkreis. Unter Ausnutzung der NS-Verfolgungsinstitutionen sollten eigene Ideen ü ber die Gestaltung des Intimlebens der Kinder oder Geschwister durchgesetzt werden." Wie weit die soziale Ä chtung in der Besatzungszeit gehen konnte, zeigen Verzweiflungstaten. Die 19-jährige Kellnerin Sofia M. aus Gnesen, die das Kind aus ihrer Beziehung mit einem deutschen Soldaten nach der Geburt tö tete, sah sich zuvor massiven Vorwü rfen ihrer Mutter und » hämischen Bemerkungen ihrer Arbeitskolleginnen « ausgesetzt." Doch gab es auch Besatzer, die gut mit der Familie ihrer Freundinnen auskamen. In ü berlieferten Briefen und Postkarten der Deutschen an ihre polnischen Partnerinnen ließen sie häufig die Eltern grü ßen." Auch die Väter von Iwona H., Dorota P. und Magdalena T. gingen in der Familie ein und aus.?" Iwona H. besitzt als eines der wenigen Besatzungskinder ein Bild, auf dem ihre Eltern gemeinsam abgebildet sind und ihre Mutter sie als Neugeborene auf dem Arm hält. Im Hinter-

Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag

Abb. 5 Postkarte des Albert C. an seine polnische Freundin aus einem Feldlazarett in Vilnius, abgestempelt am 20.3.1942.

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Abb.7 Mutter mit Besatzungsvater und Neugeborenem im Garten des großelterlichen Hauses in Warschau-Marymont.

Abb.8

Porträtzeichnung des Besatzungsvatersauf Abbildung 7.

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grund ist das Elternhaus der Mutter in Marymont zu sehen - damals noch ein Vorort von Warschau -, in dem der Besatzer regelmäßig zu Gast war. Adolf » Karl« Landl besuchte seine polnische Freundin in Czestochowa regelmäßig in ihrem Haus. Dabei hatte er einen Antrittsbesuch bei den Eltern zu absolvieren, die ü ber seine Uniform nicht erfreut waren, sich aber bemü hten, den Menschen dahinter zu sehen." Die Journalistin Ebba Drolshagen verwendet das Bild von den zwei Kö rpern der Soldaten: Sie waren zum einen Repräsentanten der Besatzungsmacht, zum anderen waren sie Individuen, einfach » Hans« oder » Fritz« , und wurden von den Freundinnen und deren Umfeld auch so gesehen." Entsprechend kann die Akzeptanz der Familien nicht unbedingt als politische Sympathie gedeutet werden. Wie bei Landl konnte es die Fähigkeit der Familienangehö rigen sein, den Soldaten als Menschen und als Individuum und nicht nur als einen Angehö rigen der Besatzungsmacht zu sehen. Es konnte aber auch allgemeine Gastfreundschaft sein, die dazu fü hrte, dass der Besatzer freundlich aufgenommen wurde, ebenso wie die Freude ü ber die Erleichterungen im alltäglichen

Leben, die ein Freund aus den Reihen der Besatzer zumeist mit sich brachte. Teilweise lebten Besatzer und Polinnen in eheähnlichen Verhältnissen. Solche » Ostehen« , wie sie das Reichssicherheitshauptamt bezeichriete," verfü gten meist ü ber das Privileg einer gemeinsamen Wohnung. Dies betraf ü berwiegend Deutsche aus den Reihen der Polizeiformationen, da sie ü ber lange Zeit - oft während der gesamten Besatzung - in den besetzten polnischen Territorien verblieben. In Zakopane lebte beispielsweise der Gestapomann Franz Maiwald mit der Polin Maria T. zusammen.'?? in Lancut pflegten zwei junge Frauen mit Gestapoangehö rigen jeweils eine eheähnliche Beziehung. Das eine der beiden Paare heiratete und zeugte ein Kind. 101 Auch bei den reichsdeutsch-polnischen Paaren aus Warschau, die im Laufe der Besatzungszeit einen Heiratsantrag stellten, war nicht selten auf dem Antrag dieselbe Adresse vermerkt. So hatte etwa der in Kö ln geborene Willy H., Leiter der Distriktspostverwaltung in Warschau, bei der Antragstellung im November 1943 bereits dieselbe Adresse wie seine Freundin Maria K., frischgeba-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen ckene Volksdeutsche seit Juli 1943.102 Ernst P. und Maria N., der Obertelegrafenwerkmeister aus Wuppertal und die polnische Eisenbahngehilfin, wohnten zum Zeitpunkt des Eheantrages bereits ü ber ein Jahr unter derselben Adresse.'?" Auch der Cottbusser Werner H.lebte in WarschauOkecie mit seiner Freundin zusammen und zeugte mit ihr ein Kind.'?' Trotz des Umgangsverbotes erö ffnete der Besatzungsalltag offenbar große Freiräume: Sogar gemeinsame Wohnungen und eine gemeinsame, eheähnliche Lebensfü hrung gehö rten dazu. Derlei Freiräume sind nicht nur aus der Anonymität der Großstadt berliefert, sondern auch vom Lande, wenngleich nicht in diesem Umü fang. Gerade in kleineren sozialen Gemeinschaften war die Geheimhaltung schwer, zum al Gerü chte das Ihre taten. Wenn der Verdacht auf eine Beziehung bestand, erfuhr dies in der Tat bald das ganze Dorf, wie etwa in Sadke im Kreis Wirsitz. Dort verkehrte einer der Gendarmen regelmäßig im Hause des polnischen Kü sters, und die Dorfgemeinschaft munkelte daraufhin von einem Verhältnis mit einer der Tö chter des Hauses. 105

(Emotionale)

Kommunikation

in den Kriegsbeziehungen

Aussagen ü ber die Hoffnungen, Wü nsche, Befü rchtungen und Probleme der deutsch-polnischen Besatzungspaare sind aufgrund des begrenzten Materials schwer zu treffen und zudem kaum zu generalisieren. Es fehlen vor allem Ego-Dokumente von polnischen Frauen in Form von Tagebucheinträgen und Memoiren. Eine Gesprächspartnerin, die ü ber ihre Beziehung Auskunft hätte geben kö nnen, habe ich nicht gefunden.t= Fast alle Mü tter der interviewten Kriegskinder waren inzwischen verstorben. Nur die Mutter von Krzystof R. lebte zum Zeitpunkt des Interviews noch. Da sie ihrem Sohn aber seit Jahren jegliche Informationen verweigert, bat er sie nicht zum Gespräch dazu.'?" An diesem Schweigen zeigt sich die bis heute internalisierte Scham. WB Mit der Besatzungsbeziehung traten polnische Frauen den zeitgenö ssischen Verhaltenscodes der polnischen Gesellschaft entgegen, die auch nach 1945 nicht aufgegeben wurden. Doch lassen sich Aussagen zu den Rahmenbedingungen der Besatzungsbeziehungen treffen, darunter erstens zur sprachlichen Verständigungsmö glichkeit der Paare. Nur wenige Besatzer sprachen Polnisch. Zu

Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag den Ausnahmen gehö rten die wenigen hö heren Verwaltungsbeamten und Militärs, die während des Ersten Weltkriegs bereits geraume Zeit im besetzten Osten verbracht hatten. Einige Besatzer konnten etwas Russisch, so dass mehr schlecht als recht aufgrund der Ä hnlichkeit der slawischen Sprachen kommuniziert werden konnte.'?" Wenn eine gemeinsame Sprache gesprochen wurde, war es oft Deutsch. So hatte Landls erste polnische Freundin Halinka gute Deutschkenntnisse: » Polnisch kann ich kaum einige Worte. Unsere Verständigung in deutscher Sprache ist dank ihrer Sprachkenntnisse ganz gut.« 110 Auch die zweite Freundin beherrschte seine Muttersprache, da sie aus dem Posener Raum stammte.'!' Der Warthegau bestand zu Teilen aus ehemals preußischem Gebiet, so dass deutsche Sprachkenntnisse weit verbreitet waren. 112 Polinnen aus den zuvor russischen Gebieten hatten seltener Vorkenntnisse, doch lernten sie unter den Bedingungen der Besatzung mitunter recht schnell Deutsch. Der gebü rtigen Warschauerin Antonina C. bescheinigte ihr Arbeitgeber, das Junkers-Werk Flugzeugbau, im Jahr 1944: » Die C. wurde am 18.7.1941 als Reinemachefrau bei uns eingestellt und hat im Laufe der Zeit die deutsche Sprache so gut erlernt, dass wir sie als Bü rokraft einsetzen konnten.e-" Die junge Polin lernte bei der Arbeit jedoch nicht nur Deutsch, sondern auch ihren Bräutigam kennen (und durch ihn vertiefte sie vermutlich wiederum ihre Deutschkenntnisse). Im Jahr 1944 stellte sie schließlich einen Antrag auf Eheschließung mit ihm, einem söterreichischen Flugzeugmonteur, der im selben Werk beschäftigt war.l" Andere Polinnen hatten vor dem Krieg längere Zeit im Ausland verbracht und sprachen deshalb westeuropäische Fremdsprachen. So notierte ein Besatzer: »( ... ) mit einer Frau konnten wir uns unterhalten, sie sprach geläufig Franzö sisch, da sie lange Jahre in Frankreich als Landarbeiterin geschafft hat; sie wird vielleicht auch noch Deutsch lemen.e!" Unter den Gebildeteren war Franzö sisch sowieso Umgangssprache. Gräfin Mankowska und die bei ihr einquartierten deutschen Offiziere, von denen sich einer in sie verliebte, unterhielten sich selbstverständlich auf Pranzö sisch.!" Sprach differenzen, die von Angesicht zu Angesicht gerade noch ü berbrü ckt werden konnten, bereiteten den Paaren nach der Versetzung der Männer allerdings ernsthafte Schwierigkeiten. Sofern die Distanz nicht zu groß war, reisten die Paare deshalb, um sich so oft wie mö glich zu sehen. Aniela T. freundete sich mit einem Besatzer an, der zuerst in Warschau und dann in Perlejewo,

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen ca. 100 Kilometer von der Großstadt entfernt, eingesetzt war. Ihre Schmuggelrouten fü hrten die polnische Frau dann eben dorthin aufs Land.117 Auch Hans G. und Helena L. hielten Kontakt, nachdem die Polin aufgrund einer Denunziation ihrer Mutter vom gemeinsamen Arbeitsplatz versetzt worden war. 118 Generell war es allerdings nicht einfach, Kontakt zu halten. Die Männer konnten ihre Freundinnen nach der Versetzung nicht allzu oft besuchen. Selbst rund um den Heimaturlaub konnten Besuche nur selten eingeschoben werden, da die Urlaubsscheine zumeist vorgeschriebene Reiserouten verzeichneten, deren eigenmächtige Veränderung strafbar war. Schriftlicher Kontakt wurde außer durch Sprachprobleme auch durch die Angst vor der Zensur erschwert. Landl notierte in retrospektiver Dramatisierung: Ende November 39. Heute denke ich - wie so oft - viel an Halinka und » mö chte ihr gerne von mir Nachricht geben. Ihr zu schreiben kann ich nicht wagen. In jedem Amt sitzen Deutsche. Jeder gesellschaftliche Verkehr mit Polen -als Feindvolk- ist unter Androhung von K. Z. (Konzentrationslager) verboten (ein solcher mit Juden sogar als -Rassenschandebezeichnet)..

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Private Korrespondenz zwischen deutschen Landsern und Polinnen aus der Kriegszeit ist wenig ü berliefert. Frauen, die Kinder mit Deutschen zeugten, vernichteten in den meisten Fällen das Gros aller Dokumente, die von den politischen Autoritäten als eine Form des Beweises intimer oder gar politischer Fraternisierung hätten gelesen werden können.F" Dazu gehö rten gemeinsame Aufnahmen oder Porträtfotografien des Mannes, aber auch Briefe. Andere Frauen verabschiedeten sich von diesen Erinnerungsstü cken, nachdem sie einen anderen Mann geheiratet hatten.v" b Üerliefert sind einige Briefe und Postkarten der Männer in den Beständen des Standesamtes, da sie als Belege fü r die Vaterschaft eines deutsch-polnischen Kindes dienen konnten. Die polnische Witwe Franciszka K., bereits Mutter zweier Kinder, legte den am Anfang des Buches ausschnittsweise zitierten Brief von Jakob B. zur Beweisfü hrung 122 vor. Der Soldat äußerte sich unter anderem ü ber Zukunftspläne mit der Frau und hoffte, dass ihre Kinder aus erster Ehe Deutsch lernen wü rden. Franciszka K., verstand wohl etwas Deutsch. Sie war katholische Polin, doch 1907 in Bromberg geboren und somit in ihren ersten Lebens-

Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag jahren auf deutschem Gebiet aufgewachsen. Zudem sprach er auch von seiner Angst vor ihrer Untreue und versicherte gleichzeitig - offenbar keine Selbstverständlichkeit im Krieg =, dass er nicht untreu geworden sei. Damit fü gt sich der Brief ein in neue re Forschungsergebnisse, insbesondere von Hester Vaizey, die Treue oder Untreue als gemeinsames Kommunikationsthema beider Partner klassifizieren, das eine wichtige Rolle spielte.!" Der Brief von Jakob B. ist nur ein Zeugnis dafü r, wie stark sich einige deutsche Männer emotional gebunden hatten. Sie sorgten sich um ihre Freundinnen und setzten sich bei den Behö rden fü r sie ein. Der reichsdeutsche Heinrich R. schrieb im Jahr 1944 mehrere verzweifelte Eingaben an das deutsche Standesamt in Warschau, wo er die Ehe mit einer gleichaltrigen Polin beantragt hatte. Ende März informierte er die Behö rde: » Ich bitte Sie zu berü cksichtigen, dass meine Braut im 6. Monat der Schwangerschaft ist. (...) Sollte die Genehmigung längere Zeit in Anspruch nehmen, dann mö chte ich meine Braut schon jetzt zu meinen Eltern nach Deutschland schicken.« Drei Wochen später schrieb er ein weiteres Mal. Seine Braut sei in schwieriger Lage, da sie angesichts der fortgeschrittenen Schwangerschaft bald von der Dienststelle entlassen werde. Dort habe sie genug zu essen gehabt, doch bald drohe ihr Hunger. Er schrieb, er wisse sich keinen Rat und wolle die Frau nicht ihrem Schicksal ü berlassen. Bevor noch die amts ärztliche Ablehnung des Ehegesuchs im Juni 1944 eintraf, hatte der Landser sie zu seinen Eltern nach Mü nster geschickt. Da das Standesamt ihm nicht half, bemü hte er andere Besatzungsinstitutionen. Er schrieb an das Standesamt: Zu Ihrer Orientierung teile ich Ihnen mit, dass sich meine Braut seit » dem 4.7.1944 bei meinen Eltern befindet. [Anschrift] Auf Grund einer Vereinbarung zwischen mir, dem Arbeitsamt Warschau, sowie dem 55und Polizeifü hrer im Distrikt Warschau kam meine Braut als Landhilfe zu meinen Eltern, damit ich ihr als werdende Mutter pflegliche Hilfe zuteilwerden lassen konnte. Meine Braut erwartet ihre Niederkunft in etwa 10Tagen. Ich bitte Sie,mir mitzuteilen, wie weit die Genehmigung zur Eheschließung gediehen ist. Heil Hitler« !" Heinrich R., ein einfacher Landser, war noch recht jung (geboren 1919), vielleicht setzte er sich deshalb mit solcher Vehemenz fü r seine Freundin ein. Unerschrocken verteidigte er seine Interessen gegen die deut-

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Abb.9 Porträtbild des Franz Maiwald mit Widmung an Maria T. auf der Rü ckseite.

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sehen Besatzungsbehö rden, die er fü r seine Zwecke einspannte, vielleicht gerade weil er offensichtlich in recht naiver Weise daran glaubte, dass sie ihm helfen mü ssten. Offenbar hatte er keine Angst vor den Behö rden, obwohl er massiv gegen das Umgangsverbot verstoßen hatte. Seine Braut war nicht nur Polin, sondern hatte zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht einmal einen Antrag auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste laufen. Heinrich R. schien von der Ü berzeugung getragen, die deutschen Behö rden hätten sich fü r ihn einzusetzen. Ä hnliches Vertrauen, aber durchzogen von Anspruchsdenken, zeigte ein reichsdeutscher Wachtmeister, der in der Nähe von Neu-Sandez (Nowy Sacz) eine intime Beziehung mit einer Polin gepflegt hatte, aus der ein Wunschkind hervorgegangen war. Er sorgte sich um Kind und Mutter, da eine polnische Untergrundgruppierung ihr als Ehrstrafe den Kopf geschoren

hatte. Inzwischen in Frankreich stationiert, forderte der Polizist vom Vormundschaftsrichter, ü ber jeden geplanten Schritt informiert zu werden, » worauf als Vater des Kindes u. Deutscher ich ein unbestreitbares Recht haben dürfte!« Diese Passage hatte den Richter erbost. In seinen Unterlagen strich er sie rot an und formulierte darauf: Im Ü » brige[n] weise ich gegenü ber Ihren Anforderungen nur noch darauf hin, dass ein Deutsches Vormundschaftsgericht bei den ihm erforderlich scheinenden Maßnahmen nicht an die Zustimmung des unehelichen Vaters irgendwie gebunden ist, auch wenn dieser ein Deutscher ist. Der Umstand, dass Sieals Deutscher mit einer fremdvö lkischen Frau ein Kind gezeugt haben, ist durchaus nicht dazu angetan Ihre Rechtstellung (...) irgendwie zu heben. «125 Zu den Fällen intensiver Liebe gehö rte auch die Beziehung zwischen dem Gestapo-Chef in Zakopane, Franz Maiwald, und der Polin Maria T. Ein Kommando der Widerstandsbewegung tö tete ihn am 21. 2.1944. An seinem Grab, so berichteten mehrere Zeugen in der Nachkriegszeit,

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen habe Maria T. ö ffentlich geweint.v" In ihren Unterlagen fand sich unter anderem ein Bild des NS-Täters mit Widmung.

Wie die Beziehungen

endeten

Manche Männer setzten sich fü r ihre Beziehungen ein, andere Landser verschwanden schlicht und einfach aus dem Leben der Frauen, das sie mitunter stark beeinflusst hatten, vor allem natü rlich wenn aus der Beziehung ein Kind hervorgegangen war. Eine polnische Bäuerin, angeklagt wegen Kindsmordes, sagte aus: »Der Vater ist ein deutscher Soldat, der an der Fernsprechleitung gearbeitet hat. Sein Vorname ist Hans. Er ist bald nach der Erzeugung des Kindes fortgezogen und ich weiß auch nicht, wo er sich befindet.« -"

Auch eine Kellnerin tö tete ihr Neugeborenes, das von einem deutschen Landser stammte. Ü ber die Schwangerschaft hatte sie ihn, der ihr mit Vor- und Zunamen bekannt war, noch informiert, doch nach der Verlegung des Regiments riss der Kontakt ab. Inwieweit die Kommunikationswirren des Krieges daran schuld waren oder ob der junge Mann - trotz anderslautender Beteuerungen - froh war, sich der Verantwortung entziehen zu kö nnen, lässt sich aus der Ü berlieferung nicht entnehmen.P" Eine polnische Landarbeiterin aus Kepa Okrzewska bei Warschau dagegen versuchte, ihr uneheliches Kind beim deutschen Standesamt zu registrieren. Zum Vater konnte sie gerade einmal angeben, dass er Karl Mü ller heiße, Obergefreiter sei und einen Freund namens Georg habe.?" Auch hier bestand nach seiner Versetzung keinerlei Kontakt mehr. Landser verschwanden ohne ein Wort, andere Männer kü ndigten ihre Versetzung an und versprachen regen Briefverkehr, lö sten dieses Versprechen aber nie ein. Nur einige treue Seelen schrieben noch ü ber eine lange Zeit hinweg. Der Vater von Dorota P. schrieb seiner oberschlesischen Freundin noch aus der Kriegsgefangenschaft. Eine der wenigen aufbewahrten Karten datiert auf den 15.3.1948: Der inhaftierte Soldat grü ßte die Familie in Oberschlesien und sorgte sich darum, ob die gemeinsame Tochter - inzwischen drei Jahre alt - ihn noch kennen werde. Seinen letzten Brief schrieb er in gebrochenem Polnisch, das er in einem sowjetischen Lager gelernt hatte. Sein hauptsächlicher Inhalt war die Frage, ob er nach der Entlassung zu der Freundin nach Polen kommen

Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag dü rfe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihre Familie gerade die Hochzeit mit einem polnischen Mann in die Wege geleitet, um die Schande des unehelichen Kindes zu tilgen."? Andere Paare flohen gemeinsam ins Reich. Vor allem zu Kriegsende nahmen Besatzer ihre einheimischen Freundinnen auf dem Rü ckzug mit. Allein aus Lublin gingen mehrere Polinnen mit nach Deutschland. Eine heiratete einen deutschen Besatzer, der in der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre im Fall Fischotter aussagte. Eine andere junge Frau floh mit ihrem Geliebten, einem Gestapoangehörigen.v" Die Mutter des Besatzungskindes Piotr F. floh mit ihrem deutschen Freund nach Deutschland. Er geriet in Kriegsgefangenschaft, sie wurde in ein Displaced-Persons-Lager ü berstellt, wo ihr Sohn geboren wurde. Mutter und Sohn gingen mit den Sammeltransporten zurü ck nach Polen.!" Auch eine gleichgeschlechtliche Beziehung ist ü berliefert, bei der der polnische Partner mit nach Deutschland ging. Maria Iwaszkiewicz, Tochter eines bekannten polnischen Poeten und selbst Autorin, erinnerte sich: »In Podkowa wohnte ein schö ner junger Mann, der Sohn eines Professors. Ein deutscher Oberst verliebte sich in ihn. Und er ist mit ihm weggefahren. «133 Die Umstände der Ü bersiedlung nach Deutschland sind nicht bekannt. Andere Männer versuchten bereits vor dem absehbaren Kriegsende, ihre Freundinnen bei Eltern oder Bekannten unterzubringen. Der schwangeren Halina, Mutter des Besatzungskindes Grazyna B., vermittelte der Vater, ein reichsdeutscher Polizist, eine Stellung in der Nähe von Gö ttingen, als die Kriegssituation immer bedrohlicher fü r die Deutschen wurde. Kurz vor Weihnachten 1944 kam sie dort an. Nach dem Ende des Krieges musste die junge Frau jedoch zurü ck nach Polen, was sie gerne verhindert hätte. Noch auf dem organisierten Sammeltransport verbü ndete sich die junge Frau mit einer Schicksalsgenossin, die ebenfalls ein Kind von einem Deutschen hatte. Beide Frauen blieben bis an ihr Lebensende eng befreundet und ließen sich bewusst in derselben Stadt nieder, in den » wiedergewonnenen Gebieten« , fernab sozialer (Kontroll-)Netzwerke, die noch aus der Kriegszeit stammten.v" Unter den Frauen, die mit und durch ihre deutschen Freunde ins Altreich kamen, waren aber auch einige, die sich der Rü ckkehr widersetzten. Genowefa C. entband ihre Zwillinge 1946 in Frankfurt am Main. Der Vater, ein deutscher Soldat, fiel am Kriegsende. Nach Polen wollte sie nicht

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen zurü ckkehren, sondern plante, sich mit ihrem neuen Lebensgefährten in Belgien sesshaft zu machen. Ob es ihr gelang, wird aus den Akten nicht ersichtlich. 135 Urszula Fischotter entschied sich freiwillig zur Rü ckkehr nach Polen. Ein wagemutiges Unterfangen, da nach dem Krieg - vergleichbar mit anderen europäischen Ländern - Sondergerichte in Polen eingefü hrt wurden, mit dem Ziel, Kollaborateure und Verräter abzuurteilen. Die junge Frau hatte sich entsprechend den Nachkriegsbestimmungen eines doppelten Vergehens schuldig gemacht: Sie hatte fü r die Sicherheitspolizei gearbeitet, mit einem hochrangigen Besatzer zusammengelebt und - nicht nur um ihn zu heiraten - aktiv die Aufnahme in die Deutsche Volksliste betrieben. Laut Tomasz Szarota war der Abfall vom Polentum, ausgedrü ckt in dem Eintrag in die Deutsche Volksliste, das am häufigsten bestrafte Delikt - etwas mehr als 50 Prozent der Urteile durch die polnischen Nachkriegsgerichte ergingen wegen dieses Delikts.'> Fü r politische Zusammenarbeit drohten Todesurteile und hohe Haftstrafen. Anscheinend wurde Urszula Fischotter, die sich nach der Rü ckkehr wieder Urszula B. nannte, in der Polnischen Volksrepublik ausspioniert, entging aber einem Verfahren. 137

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In Einzelfällen versuchten die Paare ihre Trennung zu verhindern, indem der deutsche Landser mit Hilfe seiner polnischen Freundin desertierte.':" Da kaum Ego-Dokumente von Deserteuren, die sich von ihren polnischen Freundinnen helfen ließen, vorhanden sind, ist es schwer zu beurteilen, ob der Widerwille gegenü ber der deutschen Kriegsfü hrung am Anfang stand und die Kontaktsuche zu einer Polin als erste Abweichung von der Linie zu sehen ist, die in der Fahnenflucht endete. Vermutlich dü rfte es sich aber um einen reziproken Prozess gehandelt haben: Unbehagen am Soldaten- bzw. Besatzertum, Interesse an einer Einheimischen, die Erkenntnis, dass diese Frau und ihr Umfeld nicht dem propagandistischen Zerrbild entsprachen, und gegebenenfalls sozialer Druck wegen des Umgangsverbotes verstärkten sich wechselseitig und mü ndeten in die oft tö dliche Entscheidung. Adolf » Karl« Landl, ein Deserteur, der ü berlebte, indem er sich der polnischen Untergrundbewegung anschloss, zeichnete in seinen nachträglich verfassten Memoiren ein stringentes Bild seiner Entscheidung: Vom Nationalsozialismus sei er frü h abgestoßen gewesen und habe Kontakt zu Polen gesucht. Nach privatem Umgang, unter anderem mit zwei polnischen Freundin-

Beziehungsformen und Beziehungsverläufe im Besatzungsalltag nen, stieg seine Empathie gegenü ber dem polnischen Volk, so dass ihm die Besatzungspolitik, an der er als Gendarm beteiligt war, zunehmend zuwider wurde. Er ging auf Tuchfü hlung mit der Widerstandsbewegung und lief, als seine Enttarnung im Gendarmerieposten Lopuszno bevorstand, zur Heimatarmee über.!" Derlei Narrative der direkten und frü h einsetzenden Gegnerschaft zum NS-System dienten durchaus auch der eigenen Entlastung. Denn Landl wurde noch am 30.1.1942 das Kriegsverdienstkreuz der 11.Klasse mit Schwertern verliehen - zumindest in den ersten Besatzungsjahren schien er also seinen Vorgesetzten noch auszeichnungswürdig.w'

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Für die polnische Mehrheitsgesellschaft waren die Motive der Frauen, die Umgang mit den Deutschen pflegten, eindeutig: Es ging um Geld und sozialen Aufstieg. Diese Frauen waren beliebte Zielscheibe von entsprechenden Witzen. Sehr bekannt war etwa dieser: Zwei Männer treffen sich, der eine fragt den anderen: »Waclaw, weißt du, wie man eine Frau nennt, die mit einem Deutschen ausgeht? - Nein, wie? - Philatelistin (Briefmarkensammlerin). - ? - Sie sammelt Reichsmark.«'" Schlimmstenfalls wurde die fraternisierende Frau der Prostitution bezichtigt. Und tatsächlich müssen viele der Beziehungen während der Besatzung als Ü berlebensprostitution eingeschätzt werden. Ein Wehrmachtsangehöriger sagte über die Situation auf der Krim, dass Not den Besatzern alle Möglichkeiten für sexuelle Beziehungen eröffnet habe, so dass Gewaltmittel überflüssig gewesen seien: »Dort, wo ich war, gab es, glaube ich, nie eine Vergewaltigung. Wegen des Hungers in der Bevölkerung war das auch gar nicht nötig. Verstehen Sie mich: Wenn die Frauen am Leben bleiben wollten, mussten sie sich eigentlich prostttuieren.«!v Haben Historiker und Soziologen lange den Begriff der »Ü berlebensprostitution« verwendet'", hat sich in den letzten Jahren parallel der neutralere Begriff der »sexuellen Tauschgeschäfte« etabliert, da er den Frauen etwas mehr Handlungsmacht zugesteht.t= Und tatsächlich zeigen sich viele Kriegsbeziehungen als komplizierte Interaktionssysteme, in welche die deutschen und polnischen Partner unterschiedliche Tauschwaren einbrachten: Für die Besatzer war es nicht immer nur das Körperliche, sie suchten auch menschliche Wärme und integrierten sich in das soziale Netz der Frau, um ein Stück Normalität im Krieg zu erlangen. Für die einheimischen Frauen war es oft der Bedarf an Nahrungsmitteln, der sie motivierte, wenngleich manche Entscheidung sicher auch

vorbewusst getroffen wurde. janina B. lernte den späteren Vater ihres Kindes 1940 oder 1941 kennen, als er mit seiner Einheit zwischen Bartodzieje und Kruszyna im Generalgouvernement stationiert war. Otto L. - und dies mag ein wichtiger Faktor für die Entstehung der Beziehung gewesen sein - hatte den Posten eines Quartiermeisters inne, er verfügte also über den Schlüssel zum Versorgungsraum der Einheit. janina B. erzählte ihrer Tochter von der großen gegenseitigen Liebe, aber auch davon, was für ein guter Mensch Otto L. gewesen sei, habe er doch die ganze Familie mit Kleidung und Nahrungsmitteln versorgt. In der Zeit der Bekanntschaft habe es der Familie an nichts gemangelt. Ä hnliches berichtete ihre Tante, die mit dem Mann ebenfalls gut bekannt war.!" Auch andere Besatzungskinder nennen - sogar recht häufig - Liebe als Motiv ihrer Eltern. Leicht ließe sich dies als bloße Wunschvorstellung abtun, da es der eigenen - unter schwierigen Umständen erfolgenden Identitätsbildung schließlich entgegenkommt, die komplizierte Familiengeschichte wenigstens durch ein starkes positives Gefühl ausgelöst oder geprägt zu sehen. Doch reicht diese Erklärung nicht aus: Vielmehr scheint es so, dass einige der Besatzungskinder, die erfuhren, dass ihr Vater ein Deutscher war, von der Mutter nur liebevolle Geschichten hörten. So beschrieb Grazyna B.s Mutter ihrer Tochter den Besatzervater als humorvollen Menschen, der für den Krieg nicht gemacht gewesen sei. Er war ihre große Liebe.146 Auch Piotr F. berichtete, dass seine Mutter die Erinnerung an den deutschen Soldaten bis ans Ende ihres Lebens gepflegt und immer wieder Bilder des Mannes zur Hand genommen habe, was ihr späterer polnischer Ehemann toleriert habe. Für sie, zur Besatzungszeit ein junges Mädchen (geb. 1926), war der Unteroffizier Kurt S. - im Altreich verheiratet und Vater zweier Söhne - die erste große Liebe. Sie lernte ihn laut der innerfamiliären berlieferung Ü während ihrer Hilfstätigkeit in der Wehrmachtsküche irgendwo in Westpreußen kennen.v" An dieser Geschichte zeigt sich ein nicht seltenes Muster: Iadwiga F. war sehr viel jünger als der Besatzer und von dem deutlich erfahreneren Mann beeindruckt. Ebenso trennte Urszula B. ein deutlicher Altersunterschied vom SS-Hauptsturmführer Alouis Fischotter.v" Das Gefälle war zwischen diesen Paaren ein Dreifaches: In der damaligen Geschlechterordnung standen Männer über Frauen, als Besatzer standen sie über der einheimischen Bevölkerung und der Altersunterschied verlieh der Beziehung eine weitere Asymmetrie.

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Neben materiellen Vorteilen und romantischen Gefühlen waren Schutz und das Bedürfnis nach menschlicher Nähe weitere Motive. Die polnische Jüdin Zofia jasinska hinterließ als eine der wenigen Frauen umfangreichere Selbstzeugnisse. Ü ber ihre Lebens- und Liebesgeschichte verfasste sie ein Buch und nahm in einem 2002 gesendeten Dokumentarfilm Stellung. Dort kommentierte sie ihre gemischten Motive: »Ich kann nicht sagen, dass ich habe überhaupt nicht da hereingeguckt in das alles, es ist eben passiert, ich war mit ihm, es war für mich gut, ich war nicht allein, ich hab einen Beschützer gehabt. (...) Ich war nicht mehr so allein und das vertrieb die Kälte aus meinem Herzen.«!" Auch verschafften näher bekannte Besatzer den Frauen bessere Arbeit"? oder einen Zugang zur Volksliste, die ihnen weitere Privilegien bot. Der Ortsverbandsleiter der Volksdeutschen Gemeinschaft in Pruszk6w ärgerte sich über den »kurzen Dienstweg«, auf dem eine Frau im Ort zu ihrem Volksdeutschenstatus kam: » ie lernte einen deutschen Feldwebel kennen, durch dessen Vermittlung S sie die Kennkarte ohne unser Wissen erhalten hat. Die Kennkarte erhielt sie vor etwa 3 Monaten. Auf welchem Weg weiß ich nicht. Ich hätte sie wegen ihres deutschfeindlichen Verhaltens ablehnen müssen.e>' Der Historiker Klaus-Peter Friedrich weist darauf hin, dass die Bewerberzahl für den Volksdeutschenstatus während der Besatzung um einiges höher lag als die der bekannten Volksdeutschen vor dem Krieg. Es wollten also nicht nur die Polen mit deutschen Wurzeln Deutsche werden, sondern der Interessentenkreis war deutlich größer.IS2 Weil vielen der Neubewerber materielle Motive unterstellt wurden, kursierten Begriffe wie »Konjunkturdeutsche« oder »Beutedeutsche«. Allerdings waren weder Besatzer noch Besetzte kühl und rational kalkulierende Menschen, die ihre Beweggründe in jedem Stadium der Annäherung durchleuchteten. Monetäre Motive und Zuneigung konnten sich vermischen, wie aus den Aussagen entdeckter Paare deutlich wurde. Olympia G., die in eheähnlicher Beziehung mit einem SS-Hauptscharführer in Warschau lebte, sich also mit ihm die Wohnung teilte, ihm den Haushalt führte und im Gegenzug dafür Lebensführung und Luxusgüter bezahlt bekam, teilte den Untersuchungsbehörden mit:

Fraternisierende Frauen und Männer »Mir war bisher nicht bekannt, dass sich ein Deutscher, der mit einer Polin geschlechtlich verkehrt, strafbar macht. Nicht nur der materiellen Vorteile wegen habe ich mit O. zusammengelebt. Es bestand zwischen uns beiden eine tiefe Zuneigung. «lS3 Der Ehemann der Olympia G., mit dem sie in Trennung lebte, gab als Trennungsgrund an, dass seine Frau »an das Leben Anforderungen stellt]e]« und »mit dem Gebotenen nicht zufrieden« war.IS4 Materielle Motive waren also da, aber das deutsch-polnische Paar wollte auch heiraten und war sich offenbar trotz der vorhandenen Sprachbarriere zugetan. Wie eng eine Beziehung an materielle Bedürfnisse geknüpft sein konnte, verdeutlicht die Geschichte der Warschauer Jüdin Emilia H. Die Avancen eines Unteroffiziers wies sie Anfang 1940 zunächst zurück, doch dann traf sie ihn später im Jahr wieder. In ihrer Vernehmung im Jahr 1941 erklärte sie: »Inzwischen wurden mir die Möbel weggenommen und meine Wertsachen musste ich verkaufen. Ich bin sozusagen plötzlich arm geworden. Ich erzählte das dem B. (...) und er empfand Mitleid mit mir. (... ) Es entwickelte sich nunmehr ein Liebesverhältnis, das nunmehr 8 Monate besteht. Es ist mit B. wiederholt zum GV [Geschlechtsverkehr; M. R.] gekommen. Wir haben die Absicht nach Beendigung des Kriegeszu heiraten. B.weiß nicht, dass ich Jüdin bin.«lss Mit ihrer Aussage schützte H. ihren Partner, indem sie beteuerte, ihm ihren jüdischen Hintergrund verschwiegen zu haben, damit er nicht unter dem Vorwurf der »Rassenschande«, sondern lediglich wegen Verstoßes gegen das Umgangsverbot bestraft würde. Sehr deutlich zeigt sich aber auch, dass erst materielle Not ihr die Beziehung zu dem Deutschen schmackhaft gemacht hatte. Emilia H. als Jüdin war in besonderem Maße darauf angewiesen, sich auf den Handel einzulassen. Die Grenzen zwischen Ü berlebensprostitution, konsensualer Beziehung und sexueller Nötigung waren also fließend. Alle Tauschgeschäfte fanden in einem klar strukturierten Machtfeld statt, das den männlichen Besatzern materielle Ü berlegenheit und juristische Privilegierung sicherte. Die Machtasymmetrie erstreckte sich auf alle Aspekte des intimen Kontakts. Die Männer bestimmten nicht nur, wo, wann und wie lang man zusammen war, sondern alle Konditionen der Liaison.

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Eine weitere Ursache fü r die Nähe zu den Deutschen konnte politische Ü bereinstimmung sein. Im kleinen Lancut bei Rzeszöw pflegte eine junge Polin namens Maria engen Umgang mit den Angehö rigen von Gestapo und Polizei, wobei sich mit einem der Männer eine Beziehung entwickelte. 1944 ließ sie sich in die Volksliste eintragen, kurz darauf heiratete sie ihn und brachte im Frü hjahr 1945 das gemeinsame Kind zur Welt. Mit den Deutschen verbanden sie aber nicht nur eine angenehme Freizeitgestaltung - vor allem Feiern - und Sexualität, sondern auch der Antisemitismus. So verriet sie eine jü dische Familie an die Deutschen, wofü r sie das Sondergericht Rzeszöw in der Volksrepublik Polen zum Tode verurteilte.t= Auch Melania C. wurde von der Staatsanwaltschaft in Chorzöw nach dem Krieg angeklagt. Sie habe in der Besatzungszeit einen polnischen Mann an deutsche Soldaten verraten, der sich defätistisch ü ber den deutschen Kriegserfolg geäußert hatte und aufgrund ihrer Denunziation verhaftet und brutal misshandelt worden sei. Außerdem habe sie einen Wehrmachtsdeserteur ausgeliefert, der dann im Gefängnis starb.!" Ihre persö nliche Zuneigung zum Reichsdeutschen Richard K., der als Grenadier in der Wehrmacht in Schlesien Dienst leistete, verband sie darü ber hinaus mit den Deutschen. Von ihm bekam sie im Mai 1945 ein Kind, das durch eine angestrebte Ehe legalisiert werden sollte. Die Eheschließung konnte aufgrund des Kriegsverlaufes und der bü rokratischen Schwierigkeiten wegen der Rassenpolitik nicht mehr vollzogen werden, dennoch erinnerte Melania C. den deutschen Mann als Liebe ihres Lebens und bevorzugte später das Besatzerkind gegenü ber ihren nachfolgend geborenen Kindern. Auch hier gehö rt zu der Erzählung, dass der Besatzervater der ganzen Familie C. diverse Lebens- und Genussmittel verschaffte. ISS Urszula B. suchte ebenfalls die Nähe zu den deutschen Besatzern und heuerte als junge Frau als Sekretärin der Sicherheitspolizei Lublin an. Als Bü rokraft der Sipo erlangte sie Wissen ü ber geplante Einsätze und Verhaftungen. Die Motive der Danzigerin fü r ihre Arbeit bei der Sipo wie fü r ihren DVL-Antrag und die Heirat mit Alouis Fischotter sind aufgrund fehlender Ego-Dokumente nur annäherungsweise zu erhellen. Sicher ist, dass Urszula B. schon vor den Hochzeitswü nschen ihre Germanisierung verfolgt hatte. In ihrem handgeschriebenen Lebenslauf fü r das Rasseund Siedlungshauptamt (RuSHA)betonte sie jenseits ihrer multinationalen Prägung die deutsche Herkunft - mit teilweise abenteuerlichen

Fraternisierende Frauen und Männer Volten: Es sei in der Familie nur Deutsch gesprochen worden, die Mutter sei Reichsdeutsche gewesen ebenso wie alle Verwandten. Sogar aus dem Vater, einem polnischen Patrioten, machte sie einen teilweisen Deutschen: » Mein Vater war - so habe ich es von meiner Mutter gehö rt deutscher, weissruthenischer und polnischer Abstammung.e'> Der Sohn Alouis Fischotters aus erster Ehe erinnerte sich daran, dass seine Stiefmutter ihre partielle polnische Herkunft vö llig vergessen machen wollte: » Sie hat immer gesagt, sie ist keine Polin, sie ist Danzigerin.e'w Weitere politische Ä ußerungen sind von ihr nicht ü berliefert. Der Sohn erinnerte sich nicht an politische Gespräche der Stiefmutter mit dem Vater, sondern nur daran, dass sie an den NS-Endsieg geglaubt habe. Ihr Zusammenleben mit einem Gestapo-Angehö rigen, kombiniert mit ihrer Tätigkeit bei der Sipo Lublin, die ihr Einblicke in die konkreten antisemitischen und antipolnischen Maßnahmen der Deutschen gewährte, legt nahe, dass sie zumindest während der deutschen Besatzungszeit die nationalsozialistischen Ideen geteilt hatte. Es war also nicht nur Antragsrhetorik« » , als Alouis Fischotter im obligatorischen Fragebogen fü r das RuSHA angab: » Die zukü nftige Brau[t] ist heute ein zuverlässiger Verteidiger der nationalsozialistischen Weltanschauung.ev' Neben politischen Ü berzeugungen dü rften fü r Urszula B. auch persö nliche Motive eine Rolle gespielt haben. Die Besatzungszeit bot ihr die Mö glichkeit, sich vom Elternhaus zu lö sen, sie konnte als junge Frau Geld verdienen und sich unabhängig fü hlen. Eine gewisse Abenteuerlust mag dabei eine Rolle gespielt haben.v" wie auch fü r einige andere fraternisierende Frauen. Durch die Besatzung wurden Konventionen der Partnerwahl aufgehoben und entstehende Romanzen fanden in einer außergewö hnlichen Zeit, vor dem Hintergrund des Ausnahmezustands des Zweiten Weltkrieges, statt. Ein weiteres Motiv war die Nähe zur Macht, die manche Frauen durchaus genossen. Besonders den Nachkriegsverhandlungen lässt sich entnehmen, dass (intim) fraternisierende Frauen sich durch die Beziehung zu einem Deutschen ü berlegen fü hlten und diese Sonderstellung auskosteten. So hat sich Lucja F. laut ihrer Kusine damit gebrü stet, zahlreiche Gestapomänner gut zu kennen.t= Andere Frauen drohten gar ihren Nachbarn oder Arbeitskollegen mit den guten Kontakten zu den allseits verhassten deutschen Polizeiformationen.w Die Quittung erhielten diese Frauen nach Kriegsende, als zumeist Nachbarn und Kolle-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen gen sie wegen politischer Fraternisierung anzeigten - selbst wenn die betreffenden Frauen keine politischen Motive für ihre Verbindung zu den Deutschen hatten.

(Soziokulturelle) fraternisierenden

Charakterisierung Frauen

der

Unter polnischen Historikern stößt die Feststellung, dass auch Polinnen die intime Nähe der Besatzer gesucht haben, heute nicht mehr aufvehementen Widerstand. Doch stets wird die Frage gestellt, um welche Frauen es sich dabei gehandelt habe. Bis heute wird das Vorurteil wiederholt, dass es sich um den Bodensatz der Gesellschaft gehandelt habe, also um eine Frauengruppe, die gleichzeitig mit dem traditionellen Milieu der Prostitution identifiziert wird.l'" Was wissen wir über fraternisierende Frauen aus anderen europäischen Ländern? Annette Warring betont für Dänemark, dass die fraternisierenden Frauen aus allen Schichten stammten. 166 Fabrice Virgili wiederum hat für Frankreich festgestellt, dass der Großteil der für ihre Affären bestraften Frauen, der tondues, unter Angestellten im Dienstleistungsgewerbe zu suchen sei. Viele hatten Beschäftigungen, die als Zuarbeit für die Deutschen galten, waren Wäscherinnen, aber auch Schreibkräfte. Zahlreiche Frauen arbeiteten als Verkäuferinnen und Kellnerinnen. Ü ber ein Drittel führte einen kleinen Laden, in dem sie Dienstleistungen offerierten. 167 Ä hnliches wurde in Bezug auf die norwegischen Frauen festgestellt.v" Die Frauen entstammten in den genannten Ländern also der Arbeiter- und Angestelltenschaft und verfügten über eine niedrige bis mittlere Bildung. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass gerade in Besatzungszeiten Frauen aus der Intelligenz oft Arbeiten unter ihrem Ausbildungsniveau annahmen. Drei Dimensionen können zur Charakterisierung von Klasse herangezogen werden: das ökonomische Kapital, gemessen am Einkommen, das kulturelle Kapital, festzumachen am Bildungsniveau und der Vertrautheit mit der Hochkultur, und der Beruf, der nach dem mit ihm verbundenen Prestige zu bemessen ist."? In der Besatzungszeit in Polen gerieten diese Parameter in starke Unordnung: Ö konomische Not betraf viele der Besserverdienenden, so dass sie in Berufe mit deutlich geringerem Sozialprestige gezwungen wurden. Ganz besonders gilt dies für Frauen aus wohlhabenden oder gebildeten Familien, deren Männer als Militärs

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Fraternisierende Prauen und Männer inhaftiert oder zur Zwangsarbeit deportiert worden waren. Diese Frauen waren gezwungen, andere, zum Teil minder qualifizierte Berufe anzunehmen. So ist für Polen das Phänomen der Besatzungskellnerin bekannt."? Zudem sollten mehrere Faktoren vergegenwärtigt werden: Die Besatzung erweiterte und begrenzte zugleich den Pool an männlichen Partnern, da es auf der einen Seite immer weniger polnische Männer im direkten Umfeld gab, auf der anderen Seite aber zahlreiche Deutsche, die in Polen stationiert waren. Auch veränderte die Besatzungszeit klassische Muster des Kennenlernens: Junge Frauen waren durch Arbeitseinsätze von ihrem klassischen Umfeld entfernt und konnten so jenseits der Sozialkontrolle der Familie ihre Partnerwahl treffen. Von allen Beispielen sind wenige direkt dem Klischee der (in den Augen der polnischen patriotischen Mehrheitsgesellschaft) sexuell devianten Frau zuzuordnen, die aus Familienverhältnissen stammt, die heutzutage mit dem Begriff dysfunktional belegt würden. Der Ortsvorsteher in Mühlental berichtete etwa ausführlich über die zerrütteten Verhältnisse, in denen eine junge Volksdeutsche lebte, die mit zahlreichen Wehrmachtsangehörigen verkehrte. Fast täglich konnten in ihrem Hause deutsche Männer angetroffen werden. 171 Die Behörden empörten sich insbesondere darüber, dass sie auch mit Polen verkehrte, und fürchteten die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten. Deshalb versuchten sie, die junge Frau ins Altreich zur Arbeit zu verrnitteln.v- Den Vorwurf der sexuellen Devianz oder Promiskuität äußerten zudem deutsche Männer gegenüber ihren polnischen Sexualpartnerinnen: Mit der Behauptung des »Mehrverkehrs« versuchten die Besatzer häufig nicht nur die Vaterschaft für Kriegskinder abzustreiten, sondern stellten sich gar als Opfer der promiskuitiven Frauen dar - eine beliebte Verteidigungsstrategie vor Polizei und Gericht. SS-Hauptscharführer Fritz O. lernte gleich im Oktober 1939 in Warschau eine junge, erst 17-jährige Polin kennen, mit der er ein intimes Verhältnis begann. Dieses setzte sich fort, als er nach Malkinia versetzt wurde. Dazu vernommen, behauptete er, dass die M. sich angebiedert habe und »auch die Belegschaft anderer Stuben und Wohnungen sie kaum los werden konntenc!? Er unterstellte ihr alle möglichen Motive, von Spionage bis zur »Erschlafung« eines Visums für Holland oder Belgien. Sein Ziel war es, ihre Zurechnungsfähigkeit in Frage zu stellen.

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Bei zwei Frauengruppen, die berufsbedingt die Nähe der Besatzer suchten, vermengten sich in besonderem Maße gesellschaftliche Projektionen, Mythen und Realität. Dies betraf zum einen Unterhaltungskü nstlerinnen, also Sängerinnen und Schauspielerinnen, und zum anderen Agentinnen. Es ist kein Zufall, dass im Ersten Weltkrieg eine Frau zur Legende wurde, die beides war (oder sein sollte): Tänzerin und Agentin. Die Niederländerin Mata Hari wurde am 25.7.1917 wegen Hochverrats von den Richtern eines franzö sischen Militärgerichts zum Tode verurteilt. Ihr wurde zur Last gelegt, fü r die Deutschen gearbeitet zu haben. Fü r zwei polnische Unterhaltungskü nstlerinnen bedeutete der Vorwurf, mit Deutschen fraternisiert und gar kollaboriert zu haben, das Ende ihrer Karrieren und beeinflusste auch ihr Privatleben. Der eine Fall ist Maria Malicka, eine polnische Theaterschauspielerin, die zu der Gruppe polnischer Bü hnenkü nstler gehö rte, die weiterhin unter der Besatzung auftraten. Dies galt fü r etwa zehn Prozent der Bü hnenkü nstler, darunter mehrheitlich weniger bekannte, aber auch einige große Namen wie eben Malicka.!" janina Hera, eine polnische Theaterwissenschaftlerin, analysierte ihren Fall und kam zu dem Schluss, dass sich zahlreiche Gerü chte und Gehässigkeiten auf Malicka fokussierten. Sie sei als Sü ndenbock geopfert worden, um stellvertretend fü r andere fü r die kü nstlerische Zusammenarbeit mit den Besatzern zu sü hnen.!" Das Geflecht aus Gerü chten, gezielten Denunziationen und Tatsachen verwirrte sich in Kriegs- und Nachkriegszeit so stark, dass es unmö glich scheint, die Wahrheit zu rekonstruieren. Auch Wiera Gran, Sängerin und Schauspielerin, traf nach dem Krieg der Vorwurf der Kollaboration, der unter anderem auf gesellschaftlichen Kontakten mit Gestapo-Angehö rigen basierte. Die journalistin Agata Tuszynska, die 2010 eine Biographie der bekannten Unterhaltungskü nstlerin vorlegte, sah die Bekanntheit und Schö nheit der Schauspielerin als Ausgangspunkt fü r Gerü chte, die den meisten Nachkriegsanschuldigungen zugrunde gelegen hätten.!" Kü nstlerinnen als Inbegriff der libertinären Frau, die gesellschaftliche Grenzen ü berschreitet, dienten im Nachkriegspolen offenbar als besondere Projektionsfläche zur Verhandlung gesellschaftlicher Schulddiskurse. Nur in Ausnahmefällen traf es die Frau auf der Straße, etwa durch Ausbruch von offener Gewalt, wie aus Frankreich bekannt. Aber es gab noch eine andere Gruppe von Frauen, die den Besatzern nahe kamen: Polinnen, die fü r die polnischen Widerstandsbewegun-

Fraternisierende Frauen und Männer gungen arbeiteten. Mythos und Realität vermischen sich hier in besonderem Maße, und die tatsächlichen oder vermeintlichen Doppelagentinnen ü bten eine große Faszination aus. Ein Fall ist der von jarostawa Mirowska, die mit mehreren SS-Granden bekannt war und vom polnischen Untergrund angeworben wurde. Sogar in die Wolfsschanze gelangte die junge Frau, die laut Uwe Neumärker » eine der erfolgreichsten Agentinnen der polnischen Abwehr« war,"? Roger Moorhouse macht aus ihr in seinem Buch gleich » a latter day Mata Hari« .178 Doch was die nachhaltige Faszination betrifft, die sie auf die Ö ffentlichkeit ausü bte, ist Polens wirkliche » Mata Hark Blanka Kaczorowska, die fü r die Gestapo arbeitete und einen Deutschen zum Geliebten hatte. Nach 1945 wurde sie vom kommunistischen Geheimdienst angeworben. Unzählige Publikationen erschienen ü ber sie in Polen."? Insgesamt nutzten die polnischen Frauen im Dienst der Widerstandsbewegung die Tatsache aus, dass die Besatzer sie seltener verdächtigten als ihre männlichen Kollegen. Die Heimatarmee setzte deshalb gezielt Frauen ein, um Kontakte mit deutschen Soldaten aufzunehmen und diese auszuhorchen. Wegen Spionage wurde auch Krystyna Wituska in Moabit und Halle an der Saale inhaftiert und schließlich ermordet. Ihre Aufgabe war es gewesen, im besetzten Warschau » in den Cafes mit deutschen Soldaten Kontakt aufzunehmen und von ihnen Informationen zu erlangen, die fü r die Organisation notwendig waren« . Laut ihrem Geständnis vor dem Kriegsgericht » besuchte sie im Mai und Juni 1942 das Kaffeehaus -Otto- und das -Cafe Bülow- (nur fü r Deutsche). Dort schloss sie Bekanntschaft mit deutschen Soldaten.e's'' Das » Cafe Otto« zeigt sich auch hier als einschlägiger Kontaktraum. Zwar wurde Wituska von den Deutschen entdeckt und festgenommen, doch viele andere Frauen im Dienst der Widerstandsbewegung konnten von den bei der Wehrmacht gängigen Geschlechterstereotypen profitieren, nach denen Frauen eine Spionagetätigkeit selten zugetraut wurde. Klementyna Mankowska, die fü r den polnischen Untergrund als Agentin arbeitete, bemerkte die Nachlässigkeit der Deutschen gegenü ber Frauen recht schnell.?" Wehrmachtsangehö rige nahmen häufig Frauen in ihren Fahrzeugen mit, was fü r die Autoritäten wiederholt Anlass zur Klage und Ermahnung war. Im September 1940 drohte der Militärbefehlshaber im Generalgouvernement strengste Strafen bei Zuwiderhandlung an, denn erst kü rzlich seien Fälle bekannt geworden, in denen weibliche Kuriere der Wider-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen standsbewegung mit illegalen Schriften nach Kielce gelangt seien befö rdert in Wehrmachtsfahrzeugen.182 In Merkblättern zur Spionageabwehr warnten die Militärs wiederholt: » Kein Verkehr mit Polen und besonders Polinnen, die teilweise im Auftrage feindlicher Agenten aushorchen.e=' Eine Leerstelle bleibt potentielle sexuelle Gewalt gegen Frauen, die fü r die polnischen Untergrundbewegungen arbeiteten. Konnte fü r die Sowjetunion belegt werden, dass die Soldatinnen und Partisaninnen bei den deutschen Soldaten wegen ihrer Transgression der Geschlechterrollen besondere Abscheu hervorriefen und sie Opfer sexueller Gewalt wurden.P" fehlen solche Berichte fü r die besetzten polnischen Gebiete. Es ist aber zu berü cksichtigen, dass die zu Spionagetätigkeiten eingesetzten Frauen in sehr gefährliche Situationen geraten konnten, in denen als ein geschlechtsspezifisches Bestrafungsmittel sexuelle Gewalt ebenso wie in der Sowjetunion vorstellbar ist. Aus dem Kanon der polnischen Erinnerungsliteratur ü ber den Widerstand sind solche schambehafteten Erlebnisse aber ausgeschlossen. Polinnen, die deutsche Männer als Väter unehelicher Kinder belangen wollten, wurden mitunter mit Spionagevorwü rfen belegt. Den SSGruppenfü hrer und Generalleutnant der Waffen-SS Hermann Fegelein beschuldigte eine Polin, sie zur Abtreibung gezwungen zu haben. Erste Verdachtsmomente konnten erhärtet werden, und Fegeleins Schuld schien im Mai 1941 erwiesen.I" Weitere Ermittlungen, nun von Freunden des Beschuldigten vorangetrieben, befanden kurz darauf die Anzeigende fü r schuldig: Ich melde, daß sich bei den mir aufgetragenen Untersuchungen bisher » gegen die beteiligten SS-Fü hrer wenig Belastendes ergeben hat, dagegen hat sich in Bezugauf die beteiligte angebliche Halbrussin ein fü r sie so schwerwiegender Verdachtsmoment ergeben, daß ich sofortigen persö nlichen Vortrag fü r erforderlich halte, zumal irrefü hrende Angaben der Frau ü ber ihre persö nliche Vergangenheit bereits erwiesen sind und ihr gefährliche Verbindungen zur Verfü gung zu stehen scheinen.e!" Anstatt Fegelein zu belangen, der zu Kriegsende der Schwager von Eva Braun werden sollte, geriet nun die Polin (oder Halbrussin) ins Visier der deutschen Behö rden. Was aus ihr wurde, ist der Ü berlieferung nicht zu entnehmen.

Fraternisierende Frauen und Männer Motive der Männer Die Motive der reichsdeutschen Männer, sich auf verbotene sexuelle Kontakte und intime Beziehungen mit Polinnen einzulassen, waren ähnlich vielfältig wie die der Frauen. Bordelle waren vielen Männern zuwider. Dessen war sich auch die Wehrmacht bewusst.v" Die Angehö rigen der unterschiedlichen Besatzergruppen waren durch den Krieg aus ihrer natü rlichen sozialen Umgebung gerissen worden. Ehefrauen, Schwestern, Mü tter und Tanten blieben zurü ck, so dass sie sich in weitgehend männlichen Umgebungen bewegten, von den Wehrmachtshelferinnen abgesehen. Viele sehnten sich nach der Nähe von Prauen.t= Dieses Verlangen, das nicht nur ein sexuelles war, protokollierte Wilm Hosenfeld in seinem Tagebuch."? Eine Warschauerin berichtete von ihrem Kontakt mit einem SS-Mann, der sich unter dem Vorwand einer Kontrolle Zutritt zu ihrer Wohnung verschaffte. Er hat mir dauernd Komplimente gemacht und gab mir durch Worte » und Zeichen zu verstehen, dass ich seiner Frau ähnlich sehe. Versuche mich zu kü ssen oder zu umarmen hat er jedoch nicht unternommen. Er hat mir mehrere Male ü ber das Haar gestreichelt, aber sonst nichts gemacht.e''?

Der Mann sei schwer betrunken gewesen und daher in der Wohnung eingeschlafen. Am nächsten Morgen jedoch habe er sich an nichts erinnert und die junge Frau - offensichtlich nachdem die Sentimentalität des Alkohols vergangen war - des Diebstahls bezichtigt. Die Sehnsucht nach weiblicher Gesellschaft ging oft ü ber das rein Sexuelle hinaus, weshalb viele Männer illegale Prostituierte präferierten, mit denen sie vor dem Geschlechtsverkehr einen Kaffee trinken oder ausgehen und so einen » normalen« zwischenmenschlichen Verkehr simulieren konnten. Andere deutsche Männer, die intime Kontakte mit Polinnen suchten, waren klassische Schü rzenjäger, bei denen nicht die veränderten Rahmenbedingungen der Besatzung die Ursache waren, sondern ihr Verhalten entsprach ihrer gewohnten Einstellung gegenü ber Frauen und Sexualität. Ü ber einen Polizisten in den eingegliederten Gebieten berichtete ein Zeuge, er sei » wild auf Frauen« gewesen.'?' ü ber einen Deutschen in Krakau hieß es, dass er » stark frauenhörig« gewesen sei.192 Dennoch waren es Angehö rige aller Formationen, aller Hierarchiestufen, jeden

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Alters und Familienstandes, die Kontakt zu den einheimischen Frauen suchten.v" Dazu gehörten auch zahlreiche verheiratete Männer, etwa Ernst H., ein Kriminalbeamter, der im Altreich eine Frau und zwei kleine Kinder hatte. Das minderte den Unterhaltsbetrag für seine 1944 in Tarnöw geborene Tochter. Sie war die Frucht einer Affäre mit einer Polin mit laufendem Antrag auf Deutschstämmtgkeit.'?' Die besetzten polnischen Gebiete und das Zuhause waren für einige der Männer, deren Familien nicht nachzogen, getrennte Welten. Sie wollten sich im Osteinsatz vergnügen oder eben die Zeit auf angenehme Art und Weise totschlagen, und so existieren zahlreiche Belege dafür, dass die Besatzer bei ihren Feiern unbedingt Frauen dabeihaben wollten - egal welcher Volkstumszugehörigkeit. Aus Sosnowitz etwa ist ein Fall überliefert, in dem eine reichsdeutsche Besatzerin mit Gewalt aus dem Bett zurückgeholt wurde und auf Anordnung des Dienststellenleiters im Pyjama weiter an der Feier teilnehmen musste.!" Solche Fälle der Nötigung innerhalb des Besatzerkreises wurden bislang wenig thematisiert, abgesehen von sexualisierten Beleidigungen gegenüber Wehrmachtshelferinnen.I'" Aber auch Polinnen wurden zu den Partys geladen, etwa zu einer Feier im SS-Kreis in Schröttersburg: Eine Polin behauptete: »Obgleich dem W. (... ) bekannt war, daß es sich bei der W. P. und mir um Polinnen handelte, denn die W. hat dieses (... ) sofort erzählt, erklärte er, daß dies nichts schade, die sollten mal ruhig bleiben.«!" Die sexuellen Erfahrungen jenseits der ehelichen Kontrolle spielten in den Männergesprächen der Besatzer eine große Rolle. In der Männergemeinschaft bildeten Gespräche mit sexualisiertem Inhalt einen wichtigen Teil der Alltagskommunikatlon.'?" Dies spiegelt sich deutlich auch in der Erinnerungsliteratur. Beispielhaft aus den Ausführungen des Infanteristen

Heinz Kuss:

angelegentlichen Erbauung greift hier und da auch jemand mal das -Therna Nr. 1" Dies galt ebenso für Dienststellen der Polizeiformationen: So pflegten mehrere Gestapoangehörige in Zakopane teils langjährige intime Kontakte mit Polinnen, darunter der bereits erwähnte Gestapochef des Ortes.20B Mehrere Männer der Zollstellen und des Grenzpolizeikommissariates Malkinia wurden ebenfalls aktenkundig. Sex mit Minderjährigen-"? wie Erwachsenen und sexuelle Belästigungen von Kellnerinnen und Dienstmädchen gehörten zum dokumentierten Sexualleben.i'" Die in Malkinia eingesetzten Männer waren zuvor häufig Mitglied der Einsatzgruppen gewesen. Dort hatten sie eine entgrenzende Gewalterfahrung gemacht.s" die sie in dem Gefühl bestärkt haben mochte, über alle Personen frei verfügen zu können. Aus Lublin sind ebenfalls mehrere Beziehungen aktenkundig: der bereits mehrfach erwähnte Fischotter, der Fernschreiber des Kommandeurs der Sicherheitspolizei (KdS) Lublin-" und ein weiterer Angehöriger der Polizei formationen mit dem Namen Wilhelm B.213In Lopuszno, nordwestlich von Kielce gelegen, hatten mehrere Gendarmen Affären mit tatsächlichen oder vermeintlichen Volksdeutschen. Frauen wurden zum Feiern auf die Dienststelle eingeladen, oder die Besatzer fuhren in

die Dörfer, »um dort mit der Weiblichkeit weiter zu feiern«, wie der spätere Deserteur Landl betreffs eines größeren Besäufnisses Anfang Januar 1942 notierte.v' Ä hnliches gilt für Sosnowitz, wo nicht nur die Geliebte des Polizeirates in der Unterkunft ein- und ausging, sondern auch Partnerinnen anderer Angestellter. Zudem feierten die dort eingesetzten Männer häufig mit Frauenbesuch, so dass ein dort arbeitender Polizist - der mit dem Treiben nicht einverstanden war - meinte, in der Stadt spreche man davon, dass es »kein Polizeipräsidium, sondern ein Bordell« sej_2IS In der Gesamtschau fällt auf, dass längere Beziehungen mit Polinnen vor allem in den Reihen von Polizei und SS dokumentiert sind. Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens verblieben diese Männer lange in den besetzten polnischen Territorien - ein großer Unterschied zu einfachen Landsern. Armeeangehörige waren zumeist nur kurz im Lande, weshalb der Verstoß gegen das Umgangsverbot in der Regel kürzer dauerte, seltener bekannt wurde und - da die Männer schon längst wieder woanders waren - die Verfolgung kaum lohnte. Polizei- und SS-Angehörige führten im Vergleich dazu ein stabiles Leben in den besetzten Gebieten. Zweitens konnten vor allem diese Männer materielle Vorteile bieten. Im besetzten Osten waren sie reich an Beuteware, die sie ins Reich zu ihren Familien schickten oder eben Frauen in ihrer Umgebung schenkten. Gerade für intime Beziehungen spielten Geschenke - die oberflächlich interesselos scheinen, aber doch die Norm der Gegenseitigkeit aktivieren - eine Rolle.s" Nicht immer mussten die beschenkten Frauen bereits die Freundinnen der betreffenden Männer sein; teilweise wollten die Männer so erst deren Gunst erwerben. In Warschau gab es unter den Frauen in den Polizei- und SS-Unterkünften im Jahr 1940 böses Blut, da eine der Frauen offen aussprach, was sie hinter dem Geschenk an eine andere Frau vermutete: »Aber die J. habe den Kleiderstoff auch nicht umsonst bekommen, denn der Polizeirat (... ) sei in sie verliebt. Sie hat weiter gesagt, es gäbe keinen der Offiziere und Unteroffiziere, die sich nicht mit ihren Mädchen [gemeint sind die zugeteilten Dienstmädchen auf den Zimmern, M. R.] abgäben.e-"

Deutsche Männer übergaben ihren polnischen Freundinnen häufig Luxusgüter. die aus Enteignungen jüdischer, aber auch nicht jüdischer Polen stammten. Felix O. fuhr aus Plöhnen (Plonsk) zum »Einkaufen«

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen mit seiner polnischen Freundin ins knapp 150 Kilometer entfernte Litzmann stadt, in dem es eines der größten jüdischen Ghettos gab.218Ein in der Besatzungszeit verbreitetes Lied des polnischen Widerstands verwies darauf, dass Luxusgüter meist aus den jüdischen Ghettos stammten. In einer der Strophen heißt es: »Geht ein stolzes Fräulein mit dem Besatzer Hand in Hand, aus dem Ghetto hat sie ihr Kleid. Schämst Du Dich nicht, Vater, für solch eine Tochter? Nein, tust Du nicht, denn so wie die Tochter, so der Vater. Du wurdest Volksdeutscher ... «219 Andere Frauen fuhren laut Zeugenaussagen der Nachkriegszeit mit ihren der SS angehörenden Partnern sogar nach Wien und kehrten von dort mit Luxusgütern zurück. 220 Luxusgüter sind laut der Soziologin Eva Illouz wichtige Verführungshilfen, die Männer unterstützen können, ihre sexuellen Ziele zu erreichen.>' Walter A. und Peter S., beide Sipo-Angehörige, nutzten ihre Stellung in anderer Hinsicht aus: Sie bezahlten zwei Minderjährige für den Geschlechtsverkehr aus der Sipo-Kasse, die für Informanten vorgesehen war. Auf Quittung bekamen die Mädchen 45 Zloty für einen vermeintlichen Spitzelauftrag, während ihre Gegenleistung in Wahrheit aus Sex bestand+" Des Weiteren gab es zwischen Paaren eine kriminelle Zusammenarbeit, in der jeder der Partner seine Vorzüge einbrachte. Männer der Polizeiformationen nutzten ihre Stellung jenseits des Rechts und enteigneten und verwendeten beschlagnahmte Ware für sich privat. Einheimische Frauen brachten ihre Sprachkompetenzen ein sowie ihre lokalen Kontakte und verkauften die Ware. Die bereits zitierte Olympia G. harmonierte mit Walter O. nicht nur privat, sondern auch geschäftlich. So vermittelte sie beim Verkauf von beschlagnahmten Waren und brachte von ihm unterschlagenes Geld in Umlauf. Ihr Kommentar bei der Vernehmung zeigt deutlich, wie sie die Machtfülle der deutschen Polizeiformationen einschätzte: »Ich war mir nicht bewusst, dass ich mich durch die Vermittlerrolle, die ich beim Verkauf der ungestempelten Zloty-Noten übernommen hatte, strafbar machte. Ich glaubte, dass dies den Deutschen, insbesondere den Beamten der Sicherheitspolizei alles erlaubt sei.«223 In die Machenschaften war zudem ihr Ehemann, mit dem sie in Trennung lebte, involviert. Auch er erhielt vom Deutschen O. Geschenke als Lohn für Hehlerdienste. Solche Kooperationen waren offenbar nicht selten. Im Mai 1944 referierte der Parteirichter vor dem Generalgouverneur die starke Arbeitsbelastung der Distriktsparteige-

Fraternisierende Frauen und Männer richte. Zu den häufigen Delikten gehörten Alkoholmissbrauch, Schießereien und Verstöße gegen das Umgangsverbot mit Polinnen. Weiter heißt es: »Aus dem Verkehr mit Polinnen resultierten sehr oft auch strafrechtliche Verfehlungen, meistens auf dem Korruptionssektore.s> Auch wenn mehrere Männer einer Dienststelle oder Einheit sich untereinander darauf einigten, dass intimer Verkehr mit der weiblichen einheimischen Bevölkerung nicht ihren ideologischen Ü berzeugungen widersprach, gab es selbst in »korrumpierten« Dienststellen Kritiker dieses Verhaltens. Diese konnten ihren Kollegen gefährlich werden, da der Verstoß gegen das Umgangsverbot mitunter harsch bestraft wurde. Denunziationen waren dabei politisch-ideologisch motiviert, wurden aber auch als Mittel eingesetzt, Konkurrenten oder unliebsame Kollegen loszuwerden. In Lublin beispielsweise ließ Hasselberg, Leiter des Einsatzkommandos 3/1, noch 1939 einen missliebigen Sturmbannführer in einer eindeutigen Situation bei einer Polin festnehmen, um ihn loszuwerden.225 Denunziationen kamen auch aus der volksdeutschen und der polnischen Bevölkerung. So beschwerten sich im Dezember 1940 Volksdeutsche in einem Dorf südlich von Thorn, dass Einquartierungen der Soldaten zu intimen und sozialen Kontakten mit Polinnen geführt hätten.226 Nicht immer basierten Denunziationen jedoch auf tatsächlichen Affären. Im Posener Raum wurde ein Schupo-Angehöriger wegen angeblichen Verkehrs mit einer Polin denunziert. Nachdem sich die Haltlosigkeit der Vorwürfe herausgestellt hatte, bat der Regierungspräsident darum, in Zukunft koordiniert vorzugehen. Der Sicherheits dienst solle - wie in diesem Falle offenbar geschehen - nicht mehr eigenmächtig ermitteln, sondern sich mit den Amtskommissaren oder Landräten abstimmen, um nicht weiteren Verleumdungen Vorschub zu leisten.>" Drittens scheint es naheliegend, dass die stärkere Präsenz von verbotenen Beziehungen unter SS-Männern und Polizisten darauf zurückzuführen ist, dass sie im Gegensatz zu Affären der Soldaten strenger verfolgt wurden. Zwar unterlagen die deutschen Landser ebenso sehr den rassistischen Regularien der NS-Zeit, inklusive Umgangsverbot mit den als »Unterrnenschen« titulierten Slawen, doch sollten die 55-Angehörigen die rassische Elite des neuen Deutschland stellen, weshalb es bei ihnen besonders wichtig war, dass sie sich nicht »verrnischten« - wobei sich hier ein widersprüchliches Bild bietet. Es gab nämlich innerhalb des S5Apparates immer wieder Vorstöße, das Umgangsverbot mit Polinnen zu

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen kippen. Am deutlichsten trat dies während der Richtertagung am 7.5.1943 zu Tage. Dem Chefrichter der SS- und Polizeigerichte und dem Hauptamt war »vordringlich« an einer Ä nderung der Regelungen gelegen, da die Berichte fatal klangen. Ü ber die Leibstandarte Adolf Hitler hieß es: » eschlechtsverkehr mit andersrassigen Frauen sei sehr sehr häufig. Das G käme schon dadurch, dass die Nachschubformationen und ähnliche Verbände viele weibliche andersrassige Hilfskräfte hätten. Es hätte sich vielfach fast die Einrichtung eines Kebsweibes herausgebildet.e=" In Kiew verstoße die Hälfte aller SS-und Polizei angehörigen gegen das Umgangsverbot, der Kommandeur habe es deshalb aufgehoben. In Russland-Mitte drücke der dortige Kommandeur beide Augen zu, da er gegen Bordelle sei. In Krakau seien die Verhältnisse unhaltbar: »Wenig Ungeschickte würden erwischt und bestraft. Meist seien es die Einfältigen, die das erste Mal aus sexueller Not gegen den Befehl verstießen, erwischt und bestraft würden. Die Gerissenen, die gegen den Befehl laufend verstießen oder feste Verhältnisse hätten, würden nicht festgestellt und demzufolge auch nicht bestraft. «229 Und den Männern in Warschau war gar erklärt worden, der Reichsführer-SS habe seine Meinung geändert. Die Beziehungen seien fortan erlaubt, aber es dürften »keine Folgen entstehen«. In Warschau unterhalte »fast jeder Führer (... ) sein polnisches oder andersrassisches Verhältnis«, Vor allem denen, die in der Hierarchie höher standen, sei kaum etwas geschehen, weshalb das Verständnis der Männer hinsichtlich des Umgangsverbotes sehr gering sei. Günther Reinecke, Chefrichter des Obersten SS- und Polizeigerichts, fasste die Stellungnahmen der einzelnen Richter pointiert so zusammen, »dass eindeutig der Befehl nur auf dem Papier stehe und fallen müsse-s.P? Bei nächster Gelegenheit solle dies Himmler vorgetragen werden. Aber bereits zuvor hatte der mehrere Vorstöße, das Umgangsverbot zu kippen, zurückgewiesen. Eine Aktennotiz über die vermeintlich horrenden Infiziertenzahlen unter SS-Männern in Warschau war dem Reichsführer-SS bereits im Juni 1942 vorgelegt worden. Von 70 bis 80 Prozent Infizierten seien 94,5 Prozent von deutschen Frauen und Mädchen angesteckt worden. Deshalb hätten die militärischen Autoritäten eigenmächtig das Umgangsverbot mit Polinnen außer

Fraternisierende Frauen und Männer Kraft gesetzt, da diese nicht annähernd so infektiös seien wie die Deutschen.>' Himmler empörte sich über die Meldungen, die später falsifiziert wurden. Das Umgangsverbot dürfe auf keinen Fall außer Kraft gesetzt werden, stattdessen solle endlich die entsprechende Anzahl Bordelle eingerichtet werden.>" Bereits vorher, im Dezember 1940, hatte der SS-Gruppenführer Paul Scharfe um eine Ü berprüfung des Umgangsverbotes gebeten. Der Chef des SS-Rechtsamtes kommentierte hierzu: »Nach hiesiger Auffassung wü rde eine gewisse Auflockerung den wirklichen Verhältnissen besser gerecht werden.e-" Mindestens einmal im Jahr ersuchte eine der Stellen aus dem SS-Apparat den Reichsführer um Lockerung des Umgangsverbotes mit Polinnen - unter Verweis auf die Realitäten in den besetzten polnischen Gebieten. Davon kann abgeleitet werden, dass der rassenpolitische Anspruch der SS und die Besatzungswirklichkeit offenbar weit auseinanderklafften.

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Disziplinierungsmaßnahmen

Disziplinierungsmaß nahmen: Polnischer Patriotismus und NS-Autoritäten

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Dass die Nachbarschaft viele der Polinnen mit deutschen Freunden oder Liebhabern aufmerksam beobachtete, zeigen die Akten der Nachkriegsgerichte sehr deutlich: Einige Zeugen konnten genau angeben, wie oft und wie lange die betreffende Frau Männerbesuch hatte oder wann sie mit welchen Männern durch die Straßen des jeweiligen Ortes spaziert sein sollte. Abgesehen von der sozialen Ä chtung durch Nachbarn mussten sich die Frauen während der Besatzungszeit vor öffentlichen Diffamierungen und gefährlichen Denunziationen bei der Polizei fürchten. So gab eine Zeugin an, die auf der Polizeiwache zu einem Wirtschaftsdelikt befragt wurde, dass ein Mitarbeiter des Woll stein er Landratsamts bei ihrer Nachbarin verkehre. »Erst gestern habe ich ihn gegen 22 Uhr abends herauskommen sehen«, berichtete die empörte Frau, bezweifelte den vermeintlich volksdeutschen Status der Nachbarin, da der Vater ein »gehässiger Pole« gewesen sei, und brachte ihre Nachbarin so gezielt in den Verdacht, gegen das Umgangsverbot verstoßen zu haben.F" Diffamierungen konnten auch aus Zetteln bestehen, die an öffentlichen Orten ausgehängt wurden und bestimmte Personen beschuldigten. Im Extrem ging die Strafpraxis bis zur lange nachwirkenden Ehrstrafe des Haareschneidens. Ebenfalls in Woll stein brachten Unbekannte im Februar 1940 einen entsprechenden Zettel an - nicht der erste Vorfall dieser Art in der Kleinstadt.t" Fünf Frauen wurden unter der Ü berschrift »Die, die sich mit deutschen Soldaten rumtreiben« namentlich genannt und beschimpft. Das Dokument schloss mit der Wendung »Wir spucken ihnen ins Gesicht«.236 In Kamienna hingen im Dezember 1939 an einer öffentlichen Litfaßsäule antideutsche Plakate aus, wovon eines polnische Frauen ermahnte. In der Ü bertragung ins Deutsche, angefertigt durch einen Besatzer, lautete das Schreiben der anonymen Verfasser folgendermaßen:

»Polnische Frauen! Der Stolz polnischer Prauen muss das Heiligste sein, eure Ehre müsst ihr verteidigen. Eine fürchterliche Schande bringen uns Frauen, welche sich schamlos verhalten gegen die Mörder unserer Söhne, Väter, Brüder. Gedenket, die Augen der ganzen Welt sind gerichtet auf uns und der Ehrgeiz polnischer Frauen darf Schande nicht zulassen. Aufenthalt in Gesellschaft der Deutschen und alles nicht rechtmäßiges Streben bringt für die Betroffenen unmittelbaren Schaden.s-"

Derlei Zettel waren offenbar im ganzen Generalgouvernement

verbreitet:

»Dte ablehnende Haltung der polnischen Bevö lkerung hat sich verschärft. An verschiedenen Stellen wurden Hetzzettel in polnischer Sprache gefunden. Eswird darin allen polnischen Prauen und Mädchen, die sich mit Deutschen einlassen, strenge Bestrafung bis zur Todesstrafe angedroht.e-"

Von Beginn der Besatzung an übten männliche und weibliche Privatpersonen und organisierte Untergrundgruppen Druck auf polnische Frauen aus. Mitglieder der Organisation PLAN verteilten im Dezember 1939 Aufkleber in Warschau, deren Text lautete: » Frauen, die mit Deutschen intime Beziehungen pflegen, informieren wir darüber, dass noch Plätze in Bordellen frei sind.«239 Andere in der Stadt kursierende Broschüren und Aufkleber diffamierten intim fraternisierende Frauen als »Aas« oder »Schweine«, darunter ein Flugblatt (Abb. 11), das eine Sabotagegruppe namens »Wawer« in Umlauf gebracht hatte.>" Zudem finden sich auch moralische Appelle an Frauen in der gesamten Besatzungszeit - zusammen gesehen zeigt dies auch, dass Beziehungen in der gesamten Besatzungszeit sehr verbreitet waren. Ein weiteres Flugblatt, das explizit nur an Frauen adressiert war, datiert auf den September 1940. In ihm wurden Frauen verdammt, die »innige Beziehungen mit Deutschen pflegen«, und alle Polinnen wurden an ihre eigentliche Bestimmung erinnert, den patriotischen Kampf an der Seite ihrer Männer: »Die polnische Frau aus allen Schichten hat eine schö ne Tradition in der Arbeit und im Kampf um die Seele und die Freiheit der Nation in ihren schwersten historischen Momenten. Sie konnte dem Vaterland ihre Söhne, Männer und Brüder erziehen und übergeben: nicht nur einmal zog sie mit ihnen in männlicher Verkleidung in den Kampf, half den

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Disziplinierungsmaßnahmen nationalen Tradition verantwortlich gewesen: Sie sollten die polnische Sprache und Kultur an ihre Nachkommen weitergeben, um diese fü r den Zeitpunkt der Wiedererlangung der staatlichen Unabhängigkeit vorzubereiten. Im 19.Jahrhundert entstand so das Konzept der Matka Polka, der Mutter Polens. Hymnen auf die polnischen Frauen, die sich fü r die Nation und die Familie aufopferten, erschienen auch im Zweiten Weltkrieg, so etwa im zentralen Organ der wichtigsten polnischen Untergrundorganisation, dem Biuletyn Informacyjny. Am Ende der Lobpreisung fü r die guten Polinnen stand die Verdammung der schlechten Polinnen:

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szkopy

&t. .••

~"iniC1mi/!l Flugblatt der Gruppe Wawer aus dem Jahr 1942, » Auf den Warschauer Straßen gehen szkopy [pejorativ fü r die Deutschen] mit Schweinen!!!«

Abb.ll

Verletzten als Krankenpflegerin auf dem Schlachtfeld und im Krankenhaus, opferte ihr Leben, ertrug die Marter des Gefängnisses und der Deportation nach Sibirien als Strafefü r die Arbeit im Untergrund, arbeitete mit der Jugend als Lehrerin unter schwierigsten Bedingungen. (...) Und heute teilt sie mit dem Mann die Schwierigkeit des Kampfes mit dem Feind, und heute muss sie in der Erfü llung der Mutterpflicht auf die Ehre der Nation aufpassen - in der tiefen Ü berzeugung, dass ihre erzieherische Arbeit gekrö nt sein wird von der vollen, schö nen Blü te schö pferischer Kräfte unseres Stammes in der Sonne der Preiheit.«-" Die Aufopferung der polnischen Frau fü r Familie und Nation hatte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges bereits eine lange Tradition. Nach den polnischen Teilungen waren die Frauen fü r die Aufrechterhaltung der

Aber die Verehrung fü » r die edle Haltung der rechtschaffenen, sich wü rdevoll gegenü ber dem Feind verhaltenen Polin erlaubt uns nicht, die Augen zu verschließen vor einem anderen Anblick, der auf die erhebende Gestalt einen Schatten wirft und diese beschmutzt. Wir sehen unter uns ekelhafte, widerwärtige Lurche, wir sehen Mätressen und Tussisder deutschen Räuber und Mö rder der polnischen Nation. Nicht selten sind es Frauen aus frü her rechtschaffenen Familien, die kokettieren und die Zähne blecken, Hauptsache fü r einen Soldaten, in der Hoffnung auf ein Stü ck Wurst oder einen KrugBier. Die Ehrerbietung fü r die polnischen Frauen gebietet uns gleichzeitig die Verachtung und Verfolgung verräterischer Frauen, schamloser Frauen, die in den Dienst des tö dlichen Feindes unseres Vaterlandes getreten sind.« 242 Explizit mit einbezogen wurden Frauen, die sich fü r Nahrungsmittel prostituierten - ein Phänomen, das bei anderen Beobachtern durchaus Mitleid auslö ste. Das sexuelle Verhalten der Frauen war an Konzepte von nationaler Ehre gekoppelt. Intime Beziehungen mit den Besatzern klassifizierten die patriotischen Meinungsmacher als nationalen Verrat.>" Auch hier greift eine Vorstellung des rein zu haltenden Volkskö rpers, in besonderer Weise 244 symbolisiert durch die Frau. Die Verfasser dieser und anderer Flugblätter sind namentlich nicht bekannt. Es darf allerdings davon ausgegangen werden, dass sowohl Männer als auch Frauen an den Moralappellen und Ermahnungen arbeiteten, an Schriften, die sich an alle Polen richteten, ebenso wie an denjenigen, die speziell Frauen adressierten. In den polnischen Untergrundbewegungen versammelte sich schließlich der

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen patriotisch gesinnte und handlungsbereite Teil der polnischen Bevö lkerung, wozu im besetzten Polen zahlreiche Frauen gehö rten. Diese Appelle an die Frauen fü gen sich ein in eine generell volkserzieherische Arbeit des polnischen Untergrundes. Zum Jahrestag des Ü berfalls erschien der erste »Kodex der Polen« , der die polnischen Bü rger in den besetzten Territorien an das richtige moralische Verhalten gemahnen sollte. 1941 folgte dann ein »Kodex der Bürgermorale.>" Der soziale Druck auf Frauen funktionierte auf sehr unterschiedlichen Ebenen: Zum einen wurden Frauen, die ein abweichendes Sexualverhalten an den Tag legten, persö nlich denunziert, zum anderen gab es abstraktere gesellschaftliche Beleidigungen dieser Frauengruppe. Diese zielten auf den zumeist stärksten Vorwurf und bezichtigten die Damen der Prostitution. Flankiert wurden die Beleidigungen durch die zitierten moralischen Appelle, mit dem Ziel, den patriotischen Konsens zu stärken. Auch Ehrstrafen sollten die Gesellschaft zusammenhalten. All diese Maßnahmen richteten sich nicht nur an die Abweichlerinnen, sondern waren gedacht als Kitt einer unter dem Druck der Besatzung auseinanderbrechenden Gesellschaft. Ein deutliches Beispiel ist eine Zeichnung, die in der polnischen Untergrundpresse im Jahr 1942 publiziert wurde.

Disziplinierungsmaßnahmen »Hier ein Kaffee, dort ein Vergnü gen, hier ein Lö ckchen, dort eine Feder, siehst Du das Elend nicht mehr, Du polnische Rabentochterl« , lautet der Spruch unter dem Bild einer eleganten jungen Frau, die diverse Luxusartikel auf einmal konsumiert. Die gesellschaftliche Funktion der Zeichnung macht allerdings erst der Appell darunter deutlich. Dort steht: » Schneide dieses Bild aus und sende es per Post an die Person, die es verdient hat.« 246 Dies war ein recht niedrigschwelliges Angebot zur Teilhabe am patriotischen Konsens. Auch die Polen, die nicht entschlossen genug waren, sich einer Untergrundgruppierung anzuschließen, konnten so - zu Lasten von Frauen in ihrem Umfeld, die mit Deutschen ausgingen oder ü ber die nur die Gerü chtekü che brodelte eine » patriotische Tat« begehen. Eine nächste Aktionsstufe des Untergrundes war die Bespitzelung von Frauen mit deutschen Freunden. So hieß es im Biuletyn In{ormacyjny einmal: » Wir wissen und wir registrieren alles.« -" Fü r die Großstadt Warschau existierten Namenslisten von Frauen aller Gesellschaftsschichten. In Tluszcz, einer kleinen Gemeinde nordö stlich von Warschau, listeten Informanten gleich neun Frauen auf, die sich mit Deutschen eingelassen hatten. Viele von ihnen arbeiteten bei der Bahn und hatten offensichtlich näheren Kontakt zu den deutschen Arbeitskollegen.s" Nach der Bespitzelung erfolgte eine eindringliche Ermahnung, und bei erneutem Zuwiderhandeln wandte die polnische Exekutive des Untergrunds die Ehrstrafpraktik der Kopfrasur an. Dabei handelte es sich um ein tradiertes Strafritual, das bereits in vorchristlicher Zeit gegenü ber Ehebrecherinnen angewendet-" und in den Krisenzeiten des 20. Jahrhunderts in Europa in vielen Ländern wiederbelebt wurde.>? Wie auf dem Land die Sozialkontrolle und Bestrafungsmechanismen funktionierten, kann ein Bericht aus dem Distrikt Lublin erhellen. Stanislaw Rusek beschrieb die Prozedur im Partisanen-Kommando »Zaporczycy«, das nach seinem Befehlshaber - Hieronim Dakutowski Zapora« - benannt worden war, folgendermaßen: »

Abb. 12 Zeichnung aus dem Nowy Dzien vom

1. 8.1942.

»Zu meinen Pflichten gehö rte die Ü berwachung des Verhaltens der Ortsvorsteher und die Weitergabe dieser Informationen an den Anfü hrer, zudem die Ü berwachung des Verhaltens der lokalen Bevö lkerung gegenü ber den Deutschen, ihre Meinungen ü ber die Partisanen, ü ber deren Aktionen, sowie die Ü berwachung, wer im Dorf Waffen, Munition und Granaten besitzt. Ü ber all das habe ich -Kmicic- informiert,

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen und seine Soldaten nahmen in der Nacht den Bauern Waffen ab oder verabreichten Prügel und rasierten den Mädchen die Köpfe, die sich mit den Besatzern einließen.« Genau beschreibt er ein solches Ü berfallkommando: »Die Sache mit den Zigeunern endete, da begann schon die Angelegenheit mit unseren Mädchen, die plötzlich in Liebe zu den Vertretern der arischen Rasse entbrannten - ihren Verfolgern. Das erste Mädchen, das intime Beziehungen mit einem Deutschen hatte, war eine Bewohnerin von Bochotnica. Eines Abends gingen wir zu viert in ihre Wohnung. Drei hatten Gewehre vom Typ kbk, und der -Friseur- hatte eine Kurzwaffe. Wir erklärten dem Mädchen, dass sie von der Untergrundorganisation dazu verurteilt wurde, ihre Haare abgeschnitten und zehn Hiebe mit der Lederpeitsche auf ihren Schlüpfer zu bekommen. Die Reaktion ihrer Eltern war folgende: - Jetzt bereust du, du Flittchen! Das Mädchen schrie während der Prügel nicht. Die gerechte Strafe vollzog Edward Wos, mit Pseudonym -Spatz-. Er erfüllte auch die Rolle des Friseurs. Als das Mädchen in den Spiegel schaute und seine mit dem Messer abgeschnittenen Haare sah - der Friseur hatte die Schere verloren-, warf sie sich auf den Boden und brüllte vor Wut: Wie soll ich mich jetzt zeigen! Solche Kopfrasuren machten wir noch einige in Kazimierz Dolny und Umgebung. Als sich das Wissen in der Umgebung verbreitete, waren die Leute begeistert, dass endlich jemand diesem Abschaum die gerechte Strafe erteilte.e-" Aus unterschiedlichen Dörfern des Generalgouvernements sind solche 52 Strafen überliefert/ dennoch ist nicht für alle Regionen im besetzten Polen klar, wie verbreitet die Ehrstrafe war. Für den Bezirk Krakau sind 1944 zwischen Mitte April und Mitte Juli 21 Fälle intimer Beziehungen mit Mitgliedern des Besatzungsregimes bestraft worden.>" Der Historiker Leszek Gondek leitet aus diversen Quellen ab, dass besonders in den Jahren 1943 bis 1944 Rasur- und Prügelstrafen sehr verbreitet waren.s= Insgesamt muss die Disziplinarkraft des polnischen Untergrundes lokal unterschiedlich hoch eingeschätzt werden. Während sich für die Frühphase der Besatzung Ermahnungsaktionen im Warthegau und im Generalgouvernement dokumentieren lassen, stammen die überlieferten Appelle und Aktionen im weiteren Verlauf der Besatzung überwiegend aus dem Generalgouvernement. Dies lässt sich auf die generell

Disziplinierungsmaßnahmen schwache Entwicklung des polnischen Untergrundstaates in den eingegliederten Gebieten zurückführen.t= Im Generalgouvernement ist dem Untergrund eine höhere Durchsetzungskraft zuzuschreiben, wenngleich es auch hier Unterschiede gab. Der Historiker Andrzej Chwalba resümiert für Krakau, dass die Untergrundgruppen die absolute Demoralisierung der Stadtbevölkerung eingegrenzt hätten.s= Generell war die Widerstandsbewegung in den Bezirken Warschau, Lublin, Krakau und Radom am stärksten.i" Allerdings ist gerade bei den Ehrstrafen nicht ganz klar, inwieweit die einzelnen Aktionen von einer übergeordneten Instanz befohlen oder von den lokalen Widerstandsgruppen selbst beschlossen wurden. Gemäß der Struktur des Untergrunds hätte stets eine Art Bürgergericht involviert sein müssen, das über die Ehrstrafen entschted.>" Doch gerade auf dem Land scheint der örtliche Kommandeur die alleinige Entscheidungsgewalt gehabt zu haben. Zudem gab es Einzelaktionen, die mit dem Untergrundstaat nicht koordiniert waren. So gründete etwa im Powiat Pinczowski die bäuerliche Bevölkerung einen speziellen »Verband der moralischen Erneuerung«, der sich um das Verhalten lokaler Mädchen kümmerte - und gegebenfalls mit einer Ehrstrafe sanktionierte.s" In Warschau war die Kopfrasur als Ehrstrafe weit verbreitet, wie sich auch aus der Interviewsammlung des 2004 eröffneten Museums des Warschauer Aufstandes zetgt.>" Auffällig an den neue ren Interviews mit den inzwischen älteren Herrschaften - geführt wurden die Gespräche seit 2003 - ist der breite Konsens über die Richtigkeit dieser Ehrstrafe, nur wenige kritisieren diese Maßnahme. Die Beteiligten erhalten bis heute gemeinsame moralische Werte aufrecht, die sie höher bewerten als die Würde der bestraften Frauen. Das Strafmittel war auf jeden Fall so bekannt, dass Polinnen es fürchteten: Die kurzen Haare stigmatisierten die Frauen für Monate. Zofia Grodecka, im Warschauer Aufstand aktiv, wehrte sich deshalb in der Besatzungszeit vehement gegen eine nötige Rasur ihrer Haare zur Vorbereitung einer Operatton.>" In Bienkowice, in der Woiwodschaft Krakau, potenzierte sich die Ehrstrafe dadurch, dass der Bürgermeister geschorene Frauen am Sonntag in die Kirche führte, wo sie von der gesamten Gemeinde gesehen wurden.s= So waren zahlreiche Personen Zeugen der Stigmatisierung, und die Sozial kontrolle wurde über Familie, Nachbarn und unvermeidliche Sozialkontakte hinaus deutlich er-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen höht. Das shaming ist also, wie dieses Beispiel zeigt, ein politischer öffentlicher Akt. Nicht alle derart beschämten Personen reagierten allerdings mit einer Internalisierung der Scham. Geschorene Prostituierte wussten sich zu helfen. Anna P., bei der eine polnische Jüdin und ihre Tochter unterkamen, behalf sich nach der Ehrstrafe einfach mit einer Perücke. Die bei ihr versteckte Zofia Zukowska kommentierte dies sarkastisch: Aufgrund der deutschen antisemitischen Vernichtungspolitik seien ja genügend Frauenperücken (der orthodoxen Jüdinnen) im Umlauf gewesen.s= Der polnische Untergrund wandte aber auch andere körperliche Strafen an. So scheint man auf dem Land mitunter die Rasur durch Prügel ersetzt zu haben, da das Haarescheren eine nicht überall bekannte Praxis war.264 Es kam aber auch zu Hinrichtungen fraternisierender Frauen. Leszek Gondek schätzt, dass die Untergrundgerichte während der ganzen Besatzungszeit 3000 bis 3500 Todesurteile verhängten. Es scheint, als seien solche Todesurteile nur verhängt worden, wenn über die Intimität mit Deutschen hinaus gleichzeitig auch der Tatbestand der politischen Kollaboration vorlag. In diesen Fällen wurden die Frauen mitunter vor die Wahl gestellt, für die Widerstandsbewegung zu spionieren oder ermordet zu werden. jaroslawa Mirowska, die mit hochrangigen deutschen Besatzern Umgang pflegte, begann in dieser Situation, ihre Gefährten zu bespttzeln.s= ber tatsächlich ermordete Gefährtinnen Ü deutscher Männer ist wenig bekannt. In den Tagesmeldungen der Gendarmerie im Distrikt Warschau aus dem Jahr 1944 lassen sich zwar immer wieder Morde an Frauen finden, die von den Besatzern als politische Racheakte klassifiziert wurden. Doch ist aus den Aktennotizen nicht erkennbar, welchen politischen Vergehens sich die Frauen schuldig gemacht hatten.s= Einer meiner Interviewpartner, Stefan Oszymowski, wurde Zeuge einer solchen Tat. Er berichtete von einem brutalen Mord an einer kollaborierenden Frau, in seiner Erinnerung eine Prostituierte in Warschau: »Ich (... ) erinnere sogar so ein Ereignis, das sich später bestätigte, dass eine Prostituierte, die Juden den Deutschen auslieferte - dass Unsere [gemeint ist die Widerstandsgruppe; M. R.] ein Urteil vollstreckten, und zwar in der Form, dass sie ihr eine Flasche in die Vagina steckten und in den Czerniakowski-See warfen, wissen Sie. Auf dem Schild stand geschrieben: -Nicht berühren, nicht herausfischen.e--"

Disziplinierungsmaßnahmen Unser Wissen über tatsächliche Exekutionen fraternisierender Frauen bleibt widersprüchlich und fragmentarisch. Zwei Dinge können aber festgehalten werden: Zum einen gilt hinsichtlich der ermordeten Polinnen, die mit Deutschen Umgang pflegten, was Tomasz Szarota bereits für andere exekutierte Personen (und für Frankreich) festhielt: »Natürlich kam es in beiden Ländern auch zu Irrtümern, zu Fällen persönlicher Rache und Abrechnung, ungerechten Anschuldigungen und zu harten Urteilen.s=" Zum anderen ist es kulturhistorisch interessant, dass der erste polnische Spielfilm der Nachkriegszeit einen solchen Frauenmord schildert: In »Zakazane piosenki« (Polen 1946) steht eine Warschauerin im Zentrum, die enge Kontakte mit einem deutschen Gestapoangehörigen unterhielt und sich als Volksdeutsche registrieren ließ. Für den Verrat polnischer Bürger an die Deutschen richtete der Untergrund sie hin.269 Dies kann als kollektive Schuldübertragung auf Frauen und Volksdeutsche interpretiert werden. Als Ausblick auf die Nachkriegszeit lässt sich festhalten, dass der hohe soziale Druck auf fraternisierende Frauen während der Besatzungszeit verhinderte, dass diese nach 1945 als Sündenböcke herhalten mussten, wie das etwa in Frankreich geschah. Es existieren für Polen zwar einzelne Belege für Ehrstrafen, die nach dem Abzug der Deutschen vollstreckt wurden. So führt Zaremba derlei Vorfälle in Kielce - dort mit öffentlichem Paradieren durch die Stadt =, in Sterdyn. in Plock - dort verbunden mit einer Strafgeldforderung von 300 Zloty - und in Zurawcy bei Przemysl an. Die Aktionen richteten sich gegen Frauen, die mit Deutschen, aber auch mit sowjetischen Männern intim geworden waren."" Doch waren die Verhältnisse in Polen weit entfernt von dem »carnaval moche- (Alain Brossat), dem hässlichen Theater, das in Frankreich aufgeführt wurde. Der Historiker Virgili schätzt, dass ca. 20000 Frauen in Frankreich der Kopf geschoren wurde, dem Großteil in der Phase der epuration sauvage, der wilden politischen Säuberungen im Zuge der Befreiung."! Im Gegensatz zu Frankreich gab es, so mein erstes Argument, in Polen nicht jenes Gefühl der Hilflosigkeit des patriotischen Teils der Bevölkerung, das in Frankreich womöglich durch derlei Aktionen kompensiert werden musste. Zweitens gab es in Polen eine beträchtliche Anzahl an Abtrünnigen, unter denen die fraternisierenden Frauen eine kleine und zudem sehr heterogene Gruppe stellten. Als Sündenböcke boten sich vor allem die Volksdeutschen an. Zudem richtete

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen sich öffentliche Gewalt gegen Deutsche, die im Zuge der Westverschiebung Polens umgesiedelt wurden, und gegen überlebende polnische Juden.z72

Strafen durch die Deutschen Wie verbreitet intime Beziehungen zwischen Besatzern und einheimischen Frauen während der Besatzungszeit in Polen waren, zeigen auch die ständigen Erinnerungen an das Umgangsverbot in den diversen Besatzergruppen. Von höchster Stelle, aus dem Reichsinnenministerium, ergingen wiederholt Warnungen an die deutschen Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes."! Die wiederkehrenden Belehrungen mussten teils extra quittiert werden. So finden sich in den Unterlagen des Landrates in Schrimm in den eingegliederten Gebieten unterschriebene Umlaufzettel der Angestellten.s" Damit garantierten die Autoritäten die Kenntnisnahme, zumal die Erlasse betreffs des intimen Umgangs nicht veröffentlicht werden sollten.v" Schließlich wäre dies ein öffentliches Eingeständnis des Zuwiderhandelns gewesen. In der Besatzerpresse waren die Ermahnungen recht allgemein gehalten: Von gesellschaftlichem oder gar intimem Verkehr mit Polinnen und Polen sollten Deutsche sich fernhalten, war 1939 und 1940 noch öfter zu lesen. Später, so Iockheck, »blieben solch heikle Themen unter der Decke der ausschließlich an deutsche Leser gerichteten Parteizeitschriften-s.F" Doch wie setzten die Behörden das Umgangsverbot um? Wie kam die Strafverfolgung in Gang? Verraten wurden die Paare üblicherweise von zwei Gruppen: erstens von den neuen Deutschen, den Volksdeutschen im Land, die intime Kontakte mit Polinnen als Affront gegen die rassische Ordnung und ihren eigenen Status werteten. Zweitens wurden die Männer von ihren Kollegen angeschwärzt, sei es aus der engeren Dienststelle oder dem weiteren Besatzerumfeld. Wehrmacht und Polizeiformationen standen während der gesamten Besatzungszeit in institutioneller Konkurrenz zueinander und benutzten Verstöße gegen das Umgangsverbot als ein Feld, über das Rivalitäten ausgetragen wurden. So hatten Warschauer Wehrmachtsangehörige einen Angehörigen der Sipo angeschwärzt, ein Verhältnis mit einer polnischen Jüdin zu pflegen."? Im Fall der Posener Polizeiangehörigen brachte ein banaler Nachbarschaftsstreit um Zustand und Pflege der angrenzenden Grundstücke die Ermitt-

Disziplinierungsmaßnahmen lungen ins Rollen, die am Ende einen der Männer vermutlich ins KZ brachten.>" Die Besatzung zwang unterschiedliche 'Männer zur mitunter mehrjährigen Koexistenz auf einer Dienststelle, die ihrem Naturell nach ansonsten jenseits des Dienstes nicht unbedingt ihre Freizeit miteinander verbracht hätten. Fern von der Heimat, und - je nach Regionab 1942 zunehmend unter Druck durch die polnische Widerstandsbewegung, waren sie stärker aufeinander angewiesen als normale Arbeitskollegen in Friedenszeiten. Nicht alle Gruppen wurden dadurch zusammengeschweißt, im Gegenteil: Mitunter brachen Animositäten auf. Eine Konfliktlinie konnte die Befolgung des Umgangsverbots sein. Zumeist standen schlichte Denunziationen am Anfang der Strafverfolgung. Bereits hinsichtlich der Verfolgungen im Altreich wurde deutlich, dass die Macht der Gestapo nur so weit reichte, wie sie Zuträger hatte, die ihr deviantes Verhalten meldeten.i" Die Tatsache, dass Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Polen bestraft wurde, nutzten Reichsdeutsche, aber vor allem Volksdeutsche für private Abrechnungen=? - mit (ehemaligen) Geliebten oder den Ehepartnern, wenn diese der Untreue verdächtigt wurden. Auch Zufälle konnten die Ermittlungen auslösen. Im Juni 1940 durchsuchten deutsche Polizisten die Wohnung einer Polin in Warschau wegen eines vermuteten Wirtschaftsdelikts. Dabei fanden sie das Bild eines Angehörigen des Sicherheitsdienstes, auf der Rückseite mit einer blumigen Widmung versehen (siehe Abb. 13 und 14) »Meiner lieben Hanna. Liebe wächst nicht durch Zeit, sondern durch Tiefe. Zum ewigen Andenken in unerschütterlicher Liebe. Dein Georg.«281 Daraufhin begannen sie zu ermitteln. Die Strafverfolgung intimer Beziehungen stellte die Beamten vor mehrere Herausforderungen. Zum einen mussten sie sich mitunter auf Diffamierungen verlassen, zum anderen ein Delikt verfolgen, das sie selbst oder ihre Kollegen eventuell schon begangen hatten, so dass das Unrechtsbewusstsein nicht vollständig ausgeprägt war. Zudem fiel es nicht wenigen Beamten schwer, die Professionalität auch bei Umgangs delikten zu wahren. Im August 1942 erging ein Befehl des Reichsführers-SS, der ein fatales Licht auf vorangegangene Vernehmungspraktiken wirft. Zwar sei es in zahlreichen Fällen notwendig, festzustellen, ob es zu intimem Verkehr gekommen sei, so Himmler, doch nach Ermittlung der bloßen Tatsache sollten die Befragungen beendet werden. Weiter befahl Himmler:

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Disziplinierungsmaßnahmen

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Abb. 13 Beschlagnahmtes Porträtfoto mit Widmung

Ist die Feststellung getroffen, daß Geschlechtsverkehr stattgefunden » hat, so hat jede weitere Fragezu unterbleiben. Insbesondere verbiete ich jede Vernehmung oder Befragung ü ber weitere Einzelheiten nach Art und Umständen des Geschlechtsverkehrs. Ich halte es fü r unwü rdig, an Frauen oder Mädchen derartige Fragen zu stellen, die polizeilich nicht notwendig sind und die lediglich Rü ckschlü sse auf eine merkwü rdige innere Einstellung oder Geistesverfassungdes Fragenden zulassen.e=' Es scheint also, als sei Voyeurismus in diesen Vernehmungen nicht selten gewesen. Aus heutiger Sicht kann eine solche Befragungspraxis durchaus als strukturelle sexualisierte Gewalt bewertet werden, die auch nach dem Himmlerschen Erlass nicht aufgehö rt haben dü rfte. Andeutungen von direkt gewalthaitigen Verhö rpraxen, wie Przyrembel dies fü r die »Rassenschandee-Delikte im Altreich ausgemacht hat, finden sich in den konsultierten Polizeiunterlagen aus dem besetzten Polen nicht.>" Fü r Verstö ße gegen das Umgangsverbot gab es kein einheitliches Strafmaß. Gerieten die Männer ins Visier der Polizei, behaupteten einige der

Abb. 14 Rü ckseite zu Abbildung 13

Delinquenten, dass sie von einem Umgangsverbot nichts gewusst hätten.284 Der Großteil der erwischten deutschen Männer war sich aber bewusst, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Dementsprechend hatten sie eine Reihe anderer Ausreden parat. War der hohe Alkoholkonsum die Standardausrede bei sexuellen Gewaltdelikten, behaupteten viele Männer bei flü chtigeren sexuellen Kontakten oder intimen Beziehungen, sie seien ü berzeugt gewesen, dass es sich bei der Frau um eine Volksdeutsche gehandelt habe. SS-Sturmmann Karl P. und sein Kumpan waren in Warschau ö fter bei einer polnischen Familie zu Gast, die drei Tö chter hatte, die um die 20 Jahre alt waren. Sie gingen mit diesen aus, spazierten im Park, besuchten das » Cafe Otto« oder ein Kino. Bei der Vernehmung sagte einer der Männer aus: » Ich habe ihn und seine Familie fü r Volksdeutsche gehalten, da alle gut deutsch sprachen.« 28s Der Reichsdeutsche Hermann S. argumentierte in seinem 1941 gestellten Antrag auf Eheschließung mit einer jungen Polin ebenfalls, er sei von ihrem volksdeutschen Hintergrund ausgegangen, obwohl sie offenbar kein Wort Deutsch sprach:

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen »Ich (...) bin seit Ende Mai 1940 im Generalgouvernement bei Aufbauarbeiten beschäftigt. In Sandomierz, wo ich zuerst war, lernte ich ein Mädchen kennen, die im guten Glauben war, daß sie Volksdeutsche wäre, und da sie mir ihren Geburtsschein zeigte, daß sie in meiner Heimatstadt geboren ist, habe ich mit ihr verkehrt, hat aber leider die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, die in Galizien geboren sind. (...) in Sandomierz habe ich dann eben, wie ich in den obigen Zeilen geschrieben habe, mit ihr Verkehr gehabt, die nicht ohne Folgen geblieben sind.«286

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josef F., der mehrmals mit einer polnischen Jüdin verkehrte, brachte vor Gericht ebenfalls vor, sie für eine Volksdeutsche gehalten zu haben. Die Richter folgten seiner Argumentation, da die Frau keine Armbinde getragen hatte. Verurteilt wurde daher nicht der deutsche Mann, sondern die Polin.s" Der reichsdeutsche Sipo-Angehörige Iohannes F. behauptete bei seiner Vernehmung, er habe eine polnische Frau, die er zum Sex überreden wollte, zuvor ordnungsgemäß nach ihrer Volkstumszugehörigkeit gefragt: »Bei dieser Gelegenheit habe ich sie gefragt, ob sie Volksdeutsche sei, worauf sie mir erwiderte, dass sie Polin sei.«288 Trotz dieser Auskunft hat er mit der Frau geschlafen. Zudem behaupteten einige Beschuldigte, von der ukrainischen oder russischen Herkunft der Frauen überzeugt gewesen zu sein, so dass der Umgang erlaubt sei. So sagte ein Besatzer: »Im Ü brigen habe ich die Frau G. nie als Polin, sondern als Russin betrachtet, da sie bei Dünaburg geboren ist. Ich bin der Meinung, dass nur der Verkehr mit Polinnen strafbar ist, dass aber gegen den Verkehr mit Russinnen Einwendungen nicht erhoben werden. (...) Frau G. wäre bereit gewesen mich zu heiraten, wenn von Seiten der deutschen Regierung eine Ü berbrückung der völkischen Gegensätze ins Auge gefasst worden wäre.«289 Die Ausreden der Männer, wenn sie zu einem Verstoß gegen das Umgangsverbot befragt wurden, waren nicht selten skurril. Manche bezogen sich auf den vermeintlichen Nicht-Vollzug des Sexualaktes. Zwei Angehörigen der Sicherheitspolizei wurden im Oktober 1939 minderjährige Polinnen von ihrem V-Mann vorgestellt. In der Vernehmung erklärte der eine Mann, dass es sowohl beim ersten als auch beim zweiten Mal zwar zu Intimitäten, nicht aber zum Geschlechtsverkehr gekommen sei:

Disziplinierungsmaßnahmen »Zu einem GV zwischen mir und dem Mädchen ist es nicht gekommen. Ich habe an den Befehl des Reichsführers gedacht, wonach der Geschlechtsverkehr zwischen SS-Angehörigen und polnischen Frauen verboten ist. «290 Sein Kumpan behauptete, seine Nerven seien vom Einsatz den Einsatztruppen gewesen - ramponiert, was der Grund für alverkehr mit Polinnen war. 291Ein Gestapoangehöriger in antwortete, auf seine Anwesenheit in einem Privatbordell chen:

er war bei den SexuWarschau angespro-

»Ich muss mich verbessern, es kann etwa 2 bis 3 Mal gewesen sein, dass ich die Pension aufgesucht habe. Irgendwelchen Geschlechtsverkehr habe ich dort jedoch nicht ausgeübt. Der Zweck des Aufsuchens in dieser Pension war, dieselbe kennen zu lernen und festzustellen, was dort getrieben wurde.«292 Es gab aber auch deutsche Besatzer, die ein erstaunlich geringes Unrechtsbewusstsein an den Tag legten, vor allem Soldaten. Zwischen Weihnachten 1940 und Neujahr verkehrten mehrere Landser mit Polinnen in der Kaserne in Anin - ein deutlicher Verstoß gegen das Umgangsverbot und gegen militärische Bestimmungen. Da die Frauen sie danach beklauten, zeigten sie sie an. Angst, wegen Geschlechtsverkehrs mit Polinnen selbst belangt zu werden, hatten die Männer offenbar ntcht.>" Gerade bei Verstößen von Soldaten fällt auf, dass die strafverfolgenden Behörden auf Ermittlungen keinen Wert legten. So kamen in polizeilichen Ermittlungen oder Gerichtsverfahren gegen Polinnen, geführt wegen anderer Delikte wie Abtreibung oder Kindsmord, immer wieder Verstöße gegen das Umgangsdelikt von Seiten deutscher Landser zutage. Selbst wenn die Soldaten dabei mit Vor- und Zunamen genannt wurden, gab es in keinem einzigen Fall Hinweise auf eine versuchte Strafverfolgung. Nur ein Beispiel: Kazimiera W. tötete ein Kind, das sie mit einem deutschen Soldaten gezeugt hatte. Ein Extraverfahren wegen des verbotenen Geschlechtsverkehrs gegen den identifizierten Soldaten strengten die Justizbehörden nicht an.294

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Strafverfolgung Doch wie war das Strafmaß definiert, und wie wurde es umgesetzt? Wer sollte über Strafe entscheiden und wer verfolgen? Himmler als Reichsführer-SS verlangte, dass jeder Fall in den Reihen von Polizei und SSihm persönlich vorgelegt wurde. Tatsächlich finden sich im splitterhaft überlieferten Material auch Prüfungen sexuellen Verkehrs seiner Männer in den besetzten Gebieten, wobei er höchst unterschiedlich entschied.r" Bianca Vieregge spricht vom »Systern des Dezisionismus«, womit gemeint ist, dass Himmler besonders bei Verstößen gegen das Umgangsverbot die meisten Fälle individuell prüfte.296 Im November 1942 versandte der Chef der Ordnungspolizei dann eine Zusammenstellung der entsprechenden Himmlerschen Befehle vom Juni 1942: Dieser wisse zwar um die sexuellen Nöte der SS- und Polizeiangehörigen im Generalgouvernement, weshalb Bordelle einzurichten seien. Jenseits der Bordelle sei Geschlechtsverkehr aber militärischer Ungehorsam, der vor Gericht gebracht werden müsse. Disziplinarstrafen müssten eine absolute Ausnahme bleiben.>" Anlässlich eines Krakauer Falles hatte der Reichsführer-SS im Juni 1942 nochmals klargestellt: »1. Der Geschlechtsverkehr eines Angehö rigen der SS oder Polizei mit einer Polin wird grundsätzlich als militärischer Ungehorsam gerichtlich bestraft. Hierbei ist es unerheblich, ob zwischen den Beteiligten ein Liebesverhältnis besteht oder es sich nur um einen ein- oder mehrmaligen Geschlechtsverkehr ohne irgendwelche seelischen Bindungen handelt. 2. Eine disziplinare Bestrafung gestatte ich nur in ganz besonderen Ausnahmefällen. Ich denke hierbei z. B. an den Fall, daß ein noch sehr junger Volksdeutscher, der in Polen aufgewachsen ist und infolge erst ganz kurzer Zugehörigkeit zur SS oder Polizei noch nicht gelernt hat, den nötigen Abstand zur polnischen Bevölkerung zu halten, bei Gelegenheit mit einer Polin geschlechtlich verkehrt. 3. Die Entscheidung, ob eine disziplinare Ahndung ausreichend ist, liegt nicht bei den Disziplinarvorgesetzten, sondern allein bei Ihnen als Gerichtsherr. Sie wollen bei der Prüfung dieser Frage stets einen strengen Maßstab anlegen. Ich wünsche unter keinen Umständen, daß eine Lockerung der Auffassung über das Verbot des Geschlechtsverkehrs mit Polinnen eintritt.«298

Disziplinierungsmaßnahmen Wenige Wochen zuvor klang dies anders: »Die zur Unterrichtung des Reichsführers-SS über den Sachverhalt erforderliche Untersuchung soll zunächst im Disziplinarwege ohne Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens durchgeführt werden.c=? Es kann also vermutet werden, dass zahlreiche Verstöße nie aktenkundig wurden. Bettina Birn verwies bereits darauf, dass die Zuständigkeit der SS- und Polizeigerichte häufig unterlaufen wurde durch Bezugnahme auf eine Verfügung des Hauptamt-Gerichts vom 10. Juni 1940. Dort war festgelegt, dass aus Vereinfachungsgründen leichtere Straftaten lediglich disziplinär geahndet werden könnten. Damit war den Disziplinarvorgesetzten die Möglichkeit gegeben, Straftaten unter der Hand auf disziplinarischem Wege in eigener Regie zu erledigen. Birn folgert: »Die Sicherheitspolizei scheint eine Menge krimineller Taten auf diese Weise intern behandelt und vertuscht zu haben.e"? Dazu gehörten auch Fälle von »Rassenschande« und Verstöße gegen das Umgangsverbot. Das RSHAlegte in einem Erlass vom 20.5.1942 fest, dass Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Polen von der Gestapo zu verfolgen und mit entsprechenden Strafmitteln zu ahnden sei."?' Bereits zwei Wochen später monierte die Posener Gestapo, die Delikte würden an Staatsanwaltschaft und Amtsgerichte abgegeben und sie als zuständige Behörde umgangen werden. Sogar mit dienstlichen Maßnahmen drohte der Verfasser des Schreibens, Dienststellenleiter Stoßberg von der Gestapo Posen.t'" Ungeachtet der Drohung ließ die Umsetzung in der Praxis weiter zu wünschen übrig. Zwei Jahre nach dem Erlass komme es noch immer, so klagte der Inspekteur des Sipo und des SD im Juni 1944, zur einfachen Ü berführung dieser Fälle an den Staatsanwalt.w- Dass die Gestapo dennoch sehr aktiv war, kann beispielhaft die Ü berlieferung des Gerichtsgefängnisses in Samter (Szamotuly) nahe Posen zeigen. Von den überlieferten Personen akten betreffen die Nummern 170 bis 205 Polen und Polinnen, die wegen verbotenen Umgangs mit Deutschen inhaftiert wurden, darunter sowohl gesellschaftliche als auch sexuelle Umgangsdelikte. Aufnahme- und gegebenenfalls Entlassungsbefehle stammten durchweg von der Gestapo.wbÜerlappende Zuständigkeiten und Kompetenzgerangel waren Teil der Besatzungsrealitäten in diesem Punkt. Nicht stringent war zudem das Strafmaß. Für die eingegliederten Gebiete erging im Mai 1942 gar die dezidierte Anweisung aus dem Reichssicherheitshauptamt, das Strafmaß

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen unterschiedlich zu belassen: »Wenn eine Ahndung auch in jedem Fall notwendig ist, so wird doch das Strafmaß durchaus verschieden sein müssen.e'?' Die Strafpraxis in den eingegliederten Gebieten sollte also heterogen sein - und war es auch. So sollten Volks- und Reichsdeutsche unterschiedlich bestraft werden. Die Strafpalette für die reichsdeutschen Männer reichte von Verwarnung, Arrest und Schutzhaft über Ausweisung oder Versendung an die Front bis zur Einweisung in Konzentrationslager. Unterschiedliche Strafen verhängten die Richter überdies im Generalgouvernement und im Warthegau. Einige Beispiele aus Warschau dürften die Spannbreite der Strafen gut verdeutlichen. Ein SD-Mann in Warschau, der zu Beginn der Besatzung mehrere Liebeleien mit Polinnen hatte, bekam lediglich eine Verwarnung, und ihm wurde auferlegt, »in Zukunft mit Frauenbekanntschaften vorsichtiger zu sein und sich seines Waffenrockes würdig zu erweisen«.306 Lediglich mit einer Verwarnung davon kam auch ein SS-Hauptscharführer im Juli 1941, der in einer Gaststätte randaliert und eine polnische Tänzerin mit Gewalt hatte zwingen wollen, nach der Vorführung mit ihm zu kommen.r" Direkt suspendiert und mit Wohnungsarrest und Uniformverbot belegt wurden Walter A. und Peter S., die wie bereits beschrieben als Sipo-Angehörige minderjährige Polinnen für Sex aus ihrer Kasse für Spitzeltätigkeiten bezahlt hatten. Ihre weitere Strafe ist nicht überliefert.t?" Ein leichteres Disziplinarmittel waren Arreststrafen. Zu sechs Monaten Gefängnis verurteilte das SS-Gericht in Krakau einen Wachtmeister der Gendarmerie der Reserve aus Lublin, der mit einer Polin wiederholt intim war; ein anderer Gendarm des Lubliner Postens war wegen gesellschaftlichen Verkehrs und versuchten Geschlechtsverkehrs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden.P" Zwei Wochen verschärfte Haft sollte der SS-Oberscharführer Wilhelm S. bekommen, der in einem Warschauer Miethaus, in dem sich Privatbordelle befanden, randaliert hatte. Im Zuge der Ermittlungen kam ans Licht, dass er dort häufig sexuelle Dienstleistungen in Anspruch genommen hatte. Er bat um Diskretion und eine Verschiebung der Strafe, da er bereits eine Urlaubsgenehmigung für sich und Besuchsrecht für seine Ehefrau habe. Bei Verwehrung könne sie Verdacht schöpfen. Seiner Bitte wurde stattgegeben: Zuerst verschoben die Autoritäten die Strafe auf die Zeit nach seinem Weihnachtsurlaub, dann auf die Zeit nach dem Besuch der Ehefrau, dann auf

Disziplinierungsmaßnahmen einen unbestimmten Zeitpunkt, da es im April 1941 an Kraftfahrern - seine Funktion - fehlte.t'? Dies entsprach der SS-Linie, die Himmler im November 1941 fixierte. Er teilte der SS-Richterschaft mit, dass es bei ehelichen Verfehlungen zu vermeiden sei, dass die Ehefrau davon erfahre. Ziel sei die Aufrechterhaltung der Ehe, was die große Bedeutung der Institution Ehe in der SSund im Nationalsozialismus widerspiegelt."! Im Warthegau gab es Fälle von Schutzhaft, eigentlich ein Instrument des NS-Terrors, da sie in weitgehend rechtsfreiem Raum stattfand. Unter Ausschaltung der Legislative wurden die Häftlinge der Gestapo unterstellt. Karl S., ein aus Dresden stammender Kaufmann, musste für drei Wochen in Schutzhaft, da er mehrere Male mit einer Polin in Posen intim gewesen war.312 Eine andere Strafe war die Ausweisung aus den Ostgebieten. Den Warthegau verlassen musste im Herbst 1941 beispielsweise der gebürtige Berliner Günther G. »wegen Verkehrs mit einer Polin«.313 Einen Meister der Gendarmerie beorderte Himmler persönlich zurück ins Altreich, nachdem dessen Antrag auf Heirat mit einer Angehörigen der DVL IV - mit der er bereits ein gemeinsames Kind hatte - gescheitert war.314 Männern, die in Diensten des deutschen Staates standen, drohte der Arbeitsplatzverlust. Beamte sollten unehrenhaft entlassen werden unter Verlust des Ruhegehaltes, Angestellten des öffentlichen Dienstes ebenfalls fristlos gekündigt werden.t" Horst R., der zwischen 1941 und März 1942 sexuelle Kontakte mit mehreren Polinnen gehabt hatte, und seinen Kompagnon entließ man entsprechend der zitierten Anordnung des Reichsministeriums des Inneren (RMI) aus dem Staatsdienst. Ihre Entpflichtung sollte vor versammelter Gefolgschaft der staatlichen Polizeiverwaltung in Posen verlesen werden, » damit dies saemtlichen gefolgschaftsmitgliedern zur warnung dient, weil immer wieder klagen ueber verkehr von deutschen mit polinnen laut werden-.'> Auch im Generalgouvernement sollten die höheren Beamten hart bestraft werden. So heißt es im Diensttagebuch von Hans Frank im Dezember 1940 zur Frage, wie der intime Verkehr mit Polinnen geregelt werden solle, »dass nach wie vor, soweit es sich um höhere Beamte handle, an dem bisherigen strengen Maßstab festgehalten werden müsse«."? Die Historiker Werner Präg und Wolfgang Iacobmeyer werten diese Begrenzung auf die höhere Beamtenschaft als Kapitulation vor den amourösen Besatzungs realitäten:

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Verordnungen, die den allgemeinen Umgang mit Polen und besonders den Geschlechtsverkehr deutscher Beamter und Soldaten mit Polinnen unter empfindliche Strafen stellten, erwiesen sich insgesamt als undurchführbar und daher wirkungslos, so daß Frank zum Kornpromiß gezwungen war und den .bishetigen strengen Maßstab- auf die Inhaber höherer Beamtenstellungen beschränkte: eine aus der Not geborene Verpflichtung auf das elitäre Modell der Beamtenschaft.v'" »Die

Eine beliebte Drohung war die Versetzung an die Ostfront - dies gilt für alle besetzten polnischen Gebiete. Damit sollten die Männer, die sich mit ihrem Besatzerdasein bequem arrangiert hatten, wieder auf Linie gebracht werden. In einer Zeit, in der Millionen deutsche Soldaten an die Front mussten und dort starben, konnte diese Drohung durchaus ein Disziplinierungsmittel sein: Der reichsdeutsche Polizei sekretär Heinrich L. hatte in Krakau intime Beziehungen mit einer Polin unterhalten und dies relativ offen gelebt. Zudem trank der Mann viel und verursachte eine Schießerei. Deshalb schlug der Befehlshaber der Ordnungspolizei vor, ihn »einer Polizei-Fronttruppe zur Dienstleistung zu überweisen-.>" Ein anderer Fall war der von Friedrich von Balluseck. Er hatte sich als Kreishauptmann von Iedrzejow sexuelle Ü bergriffe gegen polnische Kinder zuschulden kommen lassen und zudem mit diversen Verhältnissen gegen das Umgangsverbot verstoßen. Die Strafe war die Einberufung zur Wehrmacht.v" Die Wehrmachtführung bat schließlich im April 1942 darum, die »Bewährungsmöglichkeiten der Ostfront« noch stärker zu nutzen."! Snyder argumentiert für die Wehrmachtsgerichtsbarkeit, dass diese viele Urteile den militärischen Bedürfnissen unterwarf, weshalb oft die Frontversendung und eine milde Bestrafung zwecks Weiterverwendung verhängt worden seien.322 Um längeren Haftstrafen zu entgehen, baten einige der Männer sogar selbst darum, an die Front versetzt zu werden. SS-Hauptscharführer 0., der in Warschau in einer Ostehe lebte, sagte am Ende einer Vernehmung, »er möchte seine Verfehlungen durch seinen Fronteinsatz, wenn möglich, gut machen-.v" Wie oft die Frontbewährung tatsächlich als Strafe bei Umgangsdelikten eingesetzt wurde, ist jedoch schwer zu beantworten.v+ Die Einweisung in ein Konzentrationslager war die schärfste Strafe, deren Anwendung nur in vereinzelten Fällen belegt ist - und wenn, be-

Disziplinierungsmaßnahmen traf dies überwiegend Angehörige der SS. In ein Konzentrationslager geschickt wurde zum Beispiel ein Staffel-Scharführer der Allgemeinen-SS, der 1940 mit diversen Polinnen Geschlechtsverkehr hatte und diverse Geschlechtspartnerinnen mit einer venerischen Krankheit infizierte. Darunter waren seine Ehefrau und volksdeutsehe Frauen, während der Infektionsherd - das war für Himmler klar - eine Polin gewesen sei. Im Rundschreiben vom 21. 6.1941 wütete er: Staffel-Scharführer wurde von mir mit Schande aus der 55 entlassen und für viele Jahre in ein Konzentrationslager eingewiesen. Ich werde auch in Zukunft jeden Verstoß gegen meinen obengenannten Befehl, durch den ich den Angehörigen der SSund Polizei jede geschlechtliche Verbindung mit Frauen und Mädchen einer andersrassigen Bevölkerung verboten habe, nachdrückliehst ahnden.e= »Der

Wegen seiner sexuellen Kontakte zu mehreren Polinnen sollte auch der bereits erwähnte Horst R. auf Wunsch der Sicherheitspolizei Posen auf diese Weise bestraft werden.t= Himmlers Prorege Arthur Greiser wies im April 1941 ebenfalls zwei NSDAP-Angehörige wegen Verstoßes gegen das Umgangsverbot für unbestimmte Zeit ins Konzentrationslager ein, vier weitere Männer für die Dauer von zwei Wochen.!" In der Bestrafung von SS-Männern lassen sich also zwei widersprüchliche Tendenzen beobachten. Harsche Strafen auf der einen Seite - schließlich war das Selbstverständnis das einer rassischen Elite in Deutschland - und Bagatellisierung auf der anderen Seite: Denn Sexualverkehr gestanden sich einige der »Herrenmenschen« als Gratifikation zu.328 So war das Strafmaß auch für diese Gruppe recht willkürlich, und die beobachtete und kritisierte Praxis, dass SS-Männer ins KZ kämen, während einfache Soldaten straflos blieben, ist nicht einmal als grobe Faustregel zu sehen.v? Insgesamt war das Strafsystem willkürlich, was im Umkehrschluss für die Männer völlige Rechtsunsicherheit bedeutete. Weder die Länge der Beziehung noch die Zahl der Partnerinnen waren verlässliche Kriterien für die zu erwartende Höhe des Strafmaßes. Oft konnten Einzelpersonen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang eines Verfahrens nehmen. Ein ehemaliger Bediensteter des KdS Lublin berichtete nach dem Krieg, dass gegen ihn aufgrund seiner Beziehung zu einer polnischen Frau ermittelt worden war. Der Richter des SS-Feldgerichts, der mit dem Fall betraut wurde, war ihm aber wohlgesonnen. Dementsprechend

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen verschleppte er die Untersuchungen so lange, bis ein Verfahren wegen des Kriegsverlaufes nicht mehr stattfand. Das Paar heiratete in DeutschIand.P? Dieser Fall hat durchaus repräsentativen Charakter: Ein wohlgesonnener Richter, eventuell selbst in einer Ostehe lebend oder die Braut kennend und mögend, konnte alle Regularien der NS-Rassenideologie umkehren. Ungleich strenger fielen die Strafen für intimen Verkehr mit Jüdinnen und Juden aus - in diesem Fall gab es kaum Spielraum. Hier kam das Delikt der »Rassenschande« zur Anwendung, wie es in den Nürnberger Gesetzen festgeschrieben war. Für mehrmaligen Verkehr mit einer jüdischen Prostituierten in Wielun bekam Arno L. drei Jahre Zuchthaus. Besonders schwer, so das verurteilende Sondergericht in Kalisch, wiege die Tatsache, dass er über Jahre auf dem Gebiet der Rassenpolitik leitend gearbeitet habe. Im Unterschied zu anderen Verfahren, in denen lange NSDAP-Mitgliedschaft strafmildernd wirken könne, sei es hier der umgekehrte Fall. Außerdem habe L. massiv dem deutschen Ansehen geschadet. erschwerend muß schließlich die Leichtfertigkeit in Betracht gezogen werden, mit der hier ein in die eingegliederten Ostgebiete abgeordneter Beamter, der noch dazu Geschäftsleiter eines Amtsgerichts und Sitzungsvertreter der Amtsanwaltschaft ist, dem deutschen Ansehen geschadet hat.«>' »Besonders

Strafen fü r deutsche und polnische Frauen Besonders streng sollte aber der Geschlechtsverkehr zwischen deutschen Frauen und Polen bestraft werden. Im Altreich drohte deutschen Frauen, die mit polnischen Zwangsarbeitern Umgang pflegten, die Inhaftierung.v" Auf deutsche Frauen aus den eingegliederten Gebieten, also sogenannte Volksdeutsche, wurden einfach die Regelungen des Altreichs hinsichtlich des Kontakts mit polnischen Männern ausgedehnt. Irma M. aus Gratz beispielsweise war wegen Verstoßes gegen das Umgangsverbot mit einem Polen nach Ravensbrück deportiert worden. Auch Klara F. ereilte dieses Schicksal.t" Ihre polnischen Partner kamen ins Konzentrationslager oder wurden direkt ermordet. Der einzige Ausweg in solchen Fällen war die Eindeutschung des polnischen Partners.P'

Disziplinierungsmaßnahmen Ein Beispiel hierzu aus den eingegliederten polnischen Gebieten, dem Danziger Gebiet: Die Gestapo Danzig berichtete im Mai 1944 an das RSHA von dem Fall einer Reichsdeutschen, die von einem Polen ein Kind geboren habe. Dieser habe sich um die Eindeutschung bemüht und signalisiert, dass er sich nach abgeschlossenem Prozess freiwillig zur Wehrmacht melden würde. Zudem .wollten beide heiraten. Das RSHA schickte ihn in das »SS-Sonderlager Hinzert - Abteilung für Eindeutschungsfähige«, dessen Leitung nach sechs Monaten über die Eignung des Mannes berichten sollte. Die Frau wurde nicht bestraft.vNur wenige Monate später schlossen die deutschen Autoritäten auch diese Hintertür. Axiomatisch beschied Ernst Kaltenbrunner aus dem Stab des Reichsführers-SS Ende November 1944, dass ab sofort bis zum Ende des Krieges in Geschlechtsverkehrsfällen von der rassischen Ü berprüfung abzusehen sei. Eheschließung sei nicht mehr möglich, die Fremdvölkischen müssten sofort ins Konzentrationslager.>" Im geschilderten Fall der Reichsdeutschen D. wird - ebenso wie in anderen Fällen aus den eingegliederten polnischen Gebieten, die »deutsche« Frauen betreffen - aus den Akten nicht klar, ob es sich um eine Besatzerin handelte oder ob D. eine Danzigerin war, die nach dem Staatsbürgerschaftsrecht nun als Reichsdeutsche klassifiziert wurde. Bisherige Studien zu den deutschen Frauen im Osten betonen ihre rassischen Ü berlegenheitsgefühle. 337 Besatzerinnen hatten zwar Geschlechtsverkehr im Osteinsatz, verliebten sich auch und heirateten sogar, aber taten dies überwiegend im Kreis der Besatzer+" Deshalb konnte ich auch nur zwei Quellen finden, in denen ein polnischer Mann - einmal in einem Interview, einmal in seinen Memoiren - vom Geschlechtsverkehr mit einer Besatzerin in Warschau zu Zeiten des Warschauer Aufstands berichtet.>" Seine Erzählung mutet in weiten Teilen als phantastische Heldengeschichte an, so dass an ihrer Authentizität Zweifel angebracht sind, doch das Interessante ist hier, dass der Mann sein Verhalten (oder seine Phantasie) nicht im Geringsten als unvereinbar mit seinem Patriotismus ansah - im Gegenteil. Sein Sex war kein Verrat, sondern Eroberung. Er nahm Normen für sich in Anspruch, die den Verhaltensvorgaben für polnische Frauen im Zweiten Weltkrieg diametral gegenüberstanden. Wie sahen aber die Strafen für polnische Frauen aus? Der Körper der deutschen Frau war in der NS-Ideologie ein Analogon zum Volkskörper,

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen und dementsprechend konnte er von Fremdvö lkischen beschmutzt werden.>" In dieser Logik beschmutzten deutsche Männer niemanden, da die Polin bereits als minderwertig galt. Polinnen konnten auch die reichsdeutschen Männer nicht beschmutzen, da sie als Frauen ja in der unterlegenen Position waren. Strafen drohten ihnen aber dennoch. Und diese konnten von einer Verwarnung bis zur Zwangsprostitution im Warthegau - wie geschildert - reichen. Inhaftierungen kamen vor.!" sind aber nicht umfangreich belegt. Auch hier dü rften Inhaftierungsdauer und Strafmaß recht unterschiedlich gewesen sein. Ein Beispiel fü r eine kurze Dauer: Lucie W. aus Treuenheim in den eingegliederten Gebieten, die 1942 mit einem deutschen Soldaten verkehrt hatte, entließ die Gestapo Samter nach knapp drei Wochen.>" Insgesamt scheint es so, als ob Polinnen eher unter dem Vorwurf der Gewerbsunzucht inhaftiert wurden. Das Verzeichnis weiblicher Inhaftierter im Polizeigefängnis Posen protokollierte mehrere dieser Delikte. Darunter war eine Polin, die mit einem SS-Mann verkehrte und dafü r der Gestapo ü berstellt wurde. Und auch ein sehr junges Mädchen, gerade 16 zum Inhaftierungszeitpunkt wegen des Umgangsdeliktes, kam nach kurzem Aufenthalt im Posener Gefängnis weiter nach Litzmannstadt.v"

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(Versuchte) Legalisierung der Beziehungen

Eine Alternative zur geschilderten Strafverfolgung, vor der die reichsdeutsch-polnischen Paare standen, war - auf den ersten Blick paradox die Legalisierung ihrer Beziehungen. Insgesamt waren die Regelungen von Heiraten ein wichtiger Bestandteil der NS-Besatzungspolitik. Im Warthegau setzten die Besatzer das Heiratsalter fü r die polnische Bevö lkerung herauf, mit dem Ziel, die Zahl der polnischen Nachkommen zu verringem.w Damit trieben sie etliche Frauen in den gesellschaftlich schwierigen Zustand der unehelichen Mutterschaft. Im Generalgouvernement hingegen intervenierten die Besatzer bei Heiratswü nschen nur, wenn Volksdeutsche oder gar Reichsdeutsche betroffen waren. Zahlreiche Erlasse zielten darauf ab, die deutsche und neudeutsche Bevö lkerung von der polnischen zu trennen. Neu rekrutierte Deutsche sollten demnach mö glichst untereinander heiraten, aber nicht Polen. Da dies nicht berall gut funktionierte, wie jan und Zbigniew R. Grabowski wiederum ü am Beispiel des annektierten Distrikts Zichenau verdeutlichen.>" ging man partiell dazu ü ber, wilde Ehen zu legitimieren. Durch die Ermö glichung von Eheschließungen wollten die Rassenplaner auch kaschieren, dass die von ihnen angedachte vollständige Trennung der Bevö lkerungen in den besetzten Territorien nicht durchzusetzen war. Langjährige Beziehungen zwischen (Volks-)Deutschen und Polen sollten in Ehen berfü ü hrt werden kö nnen, sofern sich der polnische Partner politisch nicht auffällig verhalten habe. Dieser solle zusätzlich zur politischen berprü Ü fung rassisch ü berprü ft und nach positivem Ergebnis die Eheschließung herbeigefü hrt werden - unter Androhung von Verfolgung, wenn dem nicht entsprochen werde.>" Bereits im März 1941 aber kritisierte der Reichsstatthalter im Warthegau, bekanntermaßen dem besetzten Gebiet mit der schärfsten Volkstumspolitik, die Praxis der Legalisierung der Eheschließung:

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen »Da jeder ü ber den Rahmen des unbedingt notwendigen hinaus gehende Verkehr zwischen deutschen Volkszugehö rigen einerseits und polnischen Volkszugehö rigen andererseits durch Anordnung des Reichsstatthalters verboten ist, kö nnen Liebesverhältnisse, die diesem Verbot zuwider unterhalten worden sind, nicht nachträglich staatlich sanktioniert werden. (...) Anträge auf Erteilung der Erlaubnis zur Eheschließung mit polnischen Volkszugehö rigen, aus denen sich ergibt, dass deutsche Volkszugehö rige oder anerkannte Deutschstämmige derartige Beziehungen unterhalten haben, sind nunmehr durch die Regierungspräsidenten den ö rtlich zuständigen Staatspolizeileitstellen zuzuleiten.«>"

Trotz der klaren Rhetorik blieb das System widersprü chlich. Fü r Eheschließungen der Volksdeutschen galt ebenso wie fü r die komplette Germanisierungspolitik, dass Pragmatik ü ber Ideologie dominierte.l" Anhand der ü berlieferten Standesamtsakten lassen sich persö nliche Tragö dien fü r die Neudeutschen und ihre Partner rekonstruieren. Langjährig Liierte durften ihre Beziehungen nicht legalisieren, Männer mussten akzeptieren, dass ihre schwangeren Freundinnen das gemeinsame Kind unehelich zur Welt brachten.r'" Dabei bewiesen die Volksdeutschen in den Heiratsanträgen einiges Geschick darin, die NS-Sprache einzusetzen - wenngleich die Rechnung nicht immer zu ihren Gunsten aufging. Auch die Ehewü nsche reichsdeutscher Männer erfü llten sich nicht immer. Männliche Besatzer heirateten im Osteinsatz reichsdeutsche Frauen im Wehrmachtsgefolge, aber auch einheimische Frauen: Volksdeutsche unterschiedlicher Kategorien, Deutschstämmige, Staatenlose und Polinnen, wobei bereits diese Aufzählung die Komplexität und nicht selten Widersprü chlichkeit der NS-Rassenpolitik vor Augen fü hrt."? Die Heiratspolitik in den einzelnen besetzten Gebieten zu entwirren, die sich nicht nur hinsichtlich der eingegliederten Territorien und des Generalgouvernements analog zur abweichenden Rassenpolitik unterschied, sondern auch auf regionaler und lokaler Ebene abwich, ist ein Thema fü r eine eigenständige Studie. Hier sollen deshalb nur einige Einblicke genommen werden. Welche Wege fü hrten 1/lUf eigentlich verbotenen Heirat zwischen Reichsdeutschen und Polinnen? Der wichtigste Weg war sowohl in den eingegliederten Gebieten als auch im Generalgouvernement der ü ber die Deutsche Volksliste bzw. den Volksdeutschenstatus. Herbert Strick-

(Versuchte)Legalisierung der Beziehungen ner, der Volkstumsreferent des SD in Posen, sagte nach 1945 aus, dass sich unter den alleinstehenden DVL-Bewerberinnen » einige Hundert unter dem Einfluss ihrer deutschen Bekannten« um den Volksdeutschen-Status beworben hätten.v' Vereinzelt begleiteten die Besatzer die Frauen direkt zur entsprechenden Behö rde: »Ein besonderer Fall gibt mir Veranlassung, in Zukunft allen Angehö rigen der SS,der Sicherheits- und Schutzpolizei sowie der Gendarmerie strikt zu verbieten, sich fü r angebliche VolksdeutschezwecksAufnahme in die deutsche Volkslistepersö nlich und in der Form einzusetzen, daß sie beispielsweise mit einer weiblichen Person die Zentralstelle -Deutsche Volksliste- beim Reichsstatthalter aufsuchen und die Antragstellerin dadurch entsprechend unterstützen.e=

Ein ähnlich gelagerter Fall im Generalgouvernement wurde bereits beschrieben. Dort hatte ein Ortsgruppenleiter sich beschwert, dass ein Armeeangehö riger einer Frau den Zugang zum Volksdeutschen-Status geebnet hatte.>" Knapp 45000 Polen untersuchten die RuSHA-Experten im Warthegau auf ihre Germanisierungsfähigkeit, die sie in den wenigsten Fällen (nur 7,1 Prozent) als gegeben ansahen. Ü ber 17000 Polen aus dem Warthegau gingen darü ber hinaus ins Reich, wo sie das Germanisierungsprozedere durchliefen.t= Wie viele von den Anträgen amourö se Grü nde hatten, ist unbekannt und weder fü r den Warthegau noch fü r ein anderes der besetzten polnischen Gebiete exakt zu rekonstruieren. Zwei Ergebnisse hinsichtlich der Häufigkeit der Heiraten sind aber festzuhalten: Erstens gab es eine deutliche Diskrepanz hinsichtlich der deutsch-polnischen Heiraten in den einzelnen Besatzergruppen. Je nach Zugehö rigkeit zur Gruppe der Zivilbesatzer, der Wehrmacht oder der SS galten andere Regularien. Insbesondere in der SS waren die rassischen Anforderungen fü r Heiraten hoch - Eheschließungen blieben trotz der verbreiteten Beziehungen während der Besatzungszeit eine absolute Ausnahme. Zweitens waren unter den Wehrmachts angehö rigen und Zivilbesatzern Heiraten keine singulären Ausnahmen, wurden aber ebenso wenig ein Massenphänomen wie in anderen Ländern. Während der Besatzung in Dänemark ehelichten nur 109 Wehrmachtssoldaten einheimische Frauen, während der Okkupation Norwegens waren es 400 bis 500, obwohl fü r Norwegen von ca. 400000 Besatzungsbeziehungen aus-

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen gegangen wird.35s Die bü rokratischen - nicht rassenpolitischen - Hü rden waren dort hoch und schreckten wohl viele Interessenten ab. Weitere Grü nde fü r alle Länder, inklusive Polen, waren, dass viele der fraternisierenden Männer in der Heimat verheiratet oder verlobt waren. Außerdem wurde der Großteil der Armeeangehö rigen zu schnell versetzt.>" Fü r Polen ist darü ber hinaus noch anzunehmen, dass die Männer Befü rchtungen hatten, einen Ehewunsch mit einer Polin dem sozialen Umfeld in Deutschland zu präsentieren, das von antislawischen Stereotypen dominiert war. Zudem kann zumindest darü ber spekuliert werden, ob die Erfahrungswelten von deutschen Besatzern und einheimischen Frauen nicht doch zu unterschiedlich waren, was fü r eine kü rzere Romanze ü berbrü ckt werden konnte, nicht jedoch fü r eine langfristige Beziehung oder gar Ehe. Zu den durch die Herkunft bedingten kulturellen Unterschieden kamen zudem konfessionelle Differenzen, wenn der reichsdeutsche Partner evangelisch war. Allerdings konvertierten einige Frauen - auch um ihre Germanisierungschancen im Zuge des Heiratsprozesses zu erhö hen - zum Protestantismus.!" Etwas anders gelagert war der Fall von Maria S. Die junge Frau, gebü rtige Warschauerin, wü nschte vom katholischen zum islamischen Glauben ü berzutreten, wegen ihres Verlobten in den Reihen der Wehrmacht, der dem Namen nach vermutlich muslimisch war. Die Eheschließung sollte vom Imam in Warschau vollzogen werden.s= Wenn der Wunsch nach Legalisierung die lebensweltlichen Differenzen und gesellschaftlichen Widerstände ü berwog, stand dahinter zumeist eine sehr innige Zuneigung, wofü r einige Beispiele gegeben werden konnten. Häufig befö rderten die religiö sen Ü berzeugungen der Partner den Wunsch nach einer Eheschließung. Zudem konnte der Wunsch nach Absicherung des gemeinsamen Kindes dahinterstehen. So heiratete der reichsdeutsche Feldwebel Alfred W. im Mai 1943 Halina C., nachdem drei Monate zuvor ihr gemeinsames Kind geboren worden war.3S9 Ehen, die nicht vor den deutschen Standesämtern in den besetzten polnischen Gebieten geschlossen wurden, oder Legalisierungen von Ehen, die erst nach Ende des Krieges stattfanden, kö nnen hier nicht einbezogen werden. Im vorangegangenen Kapitel wurde geschildert, dass Besatzer ihre polnischen Freundinnen - aber natü rlich auch Freundinnen anderer Nationen - zu Kriegsende ins Gebiet des Altreichs schafften. Es ist nur zu vermuten, dass einige Beziehungen ü berdauerten,

(Versuchte) Legalisierung der Beziehungen wenngleich in der frü hen Bundesrepublik weiterhin antipol nische Ressentiments vorherrschten und somit solche Beziehungen nicht gern gesehen wurden. In Polen hatten solche Paare ebenfalls kaum Chancen: Vereinzelte Geschichten ü ber Liebesbeziehungen von polnischen Männern, die während der Zwangsarbeit eine reichsdeutsche Frau kennen und lieben lernten und mit dieser nach 1945 auf polnischem Territorium eine Familie grü ndeten, verdeutlichen den destruktiven Einfluss des gesellschaftlichen Umfeldes auf andauernde Kriegsbeziehungen, die den politisch-gesellschaftlichen Feindbildern der damaligen Zeit zuwiderliefen."? Die einzige dokumentierte Legalisierung einer Kriegsbeziehung zwischen einem Besatzer und einer Polin nach 1945 betrifft » Karl« Adolf Landl, den ö sterreichischen Gendarmen, der gegen Kriegsende zur polnischen Widerstandsbewegung ü bertrat. Am 13.2.1957 ehelichte er seine Freundin aus Kriegszeiten, Iadwiga K., vor dem Wiener Standesamt Mariahilf. Sie hatte seit 1945 mit ihm in Ö sterreich gelebt.!" Vom Deutschen Standesamt in Warschau sind 300 Aufgebotsakten berliefert, von denen Stephan Lehnstaedt 30 analysiert hat, wobei er ü zum Schluss kam, dass der Großteil Ehen zwischen reichsdeutschen Männern und reichsdeutschen oder volksdeutschen Frauen betraf. Lehnstaedt hat bereits darauf hingewiesen, dass zur letzteren Gruppe auch Polinnen gehö ren konnten, die keine ethnische oder sprachliche Verwurzelung im Deutschtum hatten, aber in der Besatzungszeit ihre nationale Zugehö rigkeit änderten.t= Eine Auswertung der kompletten Akten bestärkt diese These.e= Wenn Besatzer Einheimische heirateten, dann handelte es sich zwar grö ßtenteils um volksdeutsehe Frauen, nicht immer waren dies aber genuin Volksdeutsche.t= In einigen Fällen wird ersichtlich, dass erst fü r die Heirat die Germanisierung beantragt wurde. So beispielsweise im Fall der Eisenbahngehilfin Maria N., die mit ihrem reichsdeutschen Freund schon geraume Zeit in einer Wohnung zusammenlebte. Im Jahr 1943 wollten sie aus ihrer Ostehe eine vor dem Gesetz geltende Ehe machen; 1943 beantragte Maria N. deshalb auch ihre Deutschstämmigkeit. Beides wurde genehmigt.>' Auch eine Verkäuferin beantragte ihre Deutschstämmigkeit erst, als der norddeutsche Berufssoldat Ernst O. und sie Heiratspläne schmiedeten. Bis die Eheerlaubnis eintraf, war der Mann bereits nach Frankreich versetzt worden. Die weitere Entwicklung ist nicht ü berliefert.t= War das Germanisierungsverfahren erst einmal

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen erfolgreich abgeschlossen, stellte die Eheschließung ein geringeres Hindernis dar. Dafü r sprechen Fallzahlen des Standesamts Warschau: Eheschließungen zwischen Reichsdeutschen und Volksdeutschen halten sich mit den Hochzeiten unter reichsdeutschen Besatzern die Waage. Halina Irena K., Katholikin, ließ sich 1941 auf die Volksliste einschreiben. Ihre Hochzeit mit Helmut Kurt S., im Dienste der Wehrmacht stehend, genehmigte das deutsche Warschauer Standesamt problernlos.v" Auch Leokadia W. wurde zuerst Volksdeutsche, bevor sie einen Dresdner Polizeiangehö rigen ehelichte.v" Und ein Bremer, ein bei Junkers arbeitender Monteur, bestellte eineinhalb Jahre nach seiner Ankunft in Warschau sein Aufgebot. Die Braut war eine katholische Bü rogehilfin, frü her Polin, nun Volksdeutsche.>"

Wege zur Eheschließung Insgesamt war der Weg zur Ehe lang und papierintensiv. Im Schnitt warteten die Paare selten unter einem halben Jahr, mitunter konnte es bis zu zwei Jahren dauern. Bei sogenannten Mischehen durften die deutschen Standesbeamten nicht allein entscheiden, sondern mussten sich die Entscheidung durch die Abteilung Innere Verwaltung im Amt des Generalgouverneurs in Krakau absegnen Iassen."? Zahlreiche Dokumente mussten die Ehewilligen den deutschen Standesämtern einreichen. Darunter waren: Geburts- und Taufdokumente der Verlobten, Geburtsurkunden und Heiratsurkunden der Eltern, Sterbeurkunden der Eltern (wenn nö tig), Aufenthaltsbescheinigungen fü r die letzten sechs Monate, Staatsangehö rigkeitsausweis (fü r Ausländer und im Ausland Geborene stets; fü r Inländer, wenn Zweifel bestanden) sowie gegebenenfalls Heiratsurkunden und Scheidungsurteil oder Nichtigkeitsurteil ber bisherige Ehen. Neben diesen eher ü ü blichen Personalunterlagen war als etwas NS-Spezifisches das Eheunbedenklichkeitszeugnis oder auch Ehetauglichkeitszeugnis einzureichen, ein Dokument des Amtsarztes, das ü ber den vermeintlichen rassen- und erbbiologischen Wert der Verlobten fü r die deutsche Volksgemeinschaft Auskunft geben sollte. Die Prü fung des Amtsarztes hatte großen Einfluss auf die Entscheidung ü ber die Eheschließung, was in besonderem Ausmaß fü r Paare galt, in denen ein Partner polnisch war. Das Deutsche Standesamt forderte die Untersuchung beim Amtsarzt mit einem Vordruck an, in

(Versuchte)Legalisierung der Beziehungen dem daran erinnert wurde, dass Mischehen » in den seltensten Fällen und nur dann genehmigt [werden sollen, M. R.], wenn dies die besonderen Verhältnisse im Einzelfall rechtfertigen und die Verlobte rassisch und erbbiologisch besonders wertvoll ist, so dass eine Eheschließung im deutschen Interesse gelegen ist« .!" Der rassische Referenzrahmen wurde also eigens nochmal ins Gedächtnis gerufen. Zu den obligatorischen Dokumenten gehö rten ü berdies Einverständniserklärungen der ü bergeordneten Autorität fü r die Besatzer, die je nach Besatzergruppe recht aufwendig zu erlangen waren. Vollzugsbeamte der Ordnungspolizei brauchten grü nes Licht des obersten Dienstherren, des Reichsministers des Inneren. Ab 1942 war solch eine Verordnung in Kraft.!" Fü r Wehrmachtsangehö rige handelte es sich in den ersten Kriegsjahren lediglich um ein Schreiben ihrer Dienststelle, zum Beispiel des direkten militärischen Vorgesetzten.>" In den ersten Besatzungswochen seien solche Hochzeiten, schenkt man einem Bericht des SD-Einsatzkommandos aus Bromberg Glauben, recht häufig vorgekommen.!" Die Polinnen hätten daran verstärktes Interesse gehabt, da behauptet wurde, sie kö nnten so ihren materiellen Besitz retten. So hätte ein Major von seiner Wehrmachts stelle die Genehmigung erhalten, eine polnische Witwe mit beträchtlichem Vermö gen zu heiraten. Auf diesen Präzedenzfall sollten sich andere heiratswillige Paare immer wieder berufen.>" Im April 1943 erging allerdings ein Runderlass, der die Situation komplizierte. Die militärische Heiratserlaubnis sollte nur noch auf Anordnung des Fü hrers erteilt werden und die Frage im Vordergrund stehen, ob » die beabsichtigte Ehe fü r die Volksgemeinschaft erwü nscht ist oder nicht« .376 Von den Eltern des Kriegskindes Magdalena T., die ihre Beziehung legalisieren wollten, sind noch die nö tigen Dokumente ü berliefert, die zum Zweck der Eheschließung gesammelt wurden. Aufgrund des Kriegsverlaufs konnte die Ehe aber nicht mehr vollzogen werden."? Zusätzlich forderte der Standesbeamte im Einzelfall weitere Dokumente an, etwa eine Untersuchung auf Schwangerschaft, wenn dies von den Paaren als Grund fü r eine Bitte um beschleunigte Bearbeitung angegeben wurde. Bei Minderjährigkeit eines Partners waren Einverständniserklärungen der Eltern nö tig. Zuweilen fü gten die Paare weitere Dokumente bei, mit denen sie ihre Chancen erhö hen wollten, darunter die Bestätigung ü ber deutschen Sprachunterricht.v" Polinnen hatten zudem in einigen Fällen nachzuweisen, dass sie nie

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen polizeilich in Erscheinung getreten waren. Der Ö sterreicher Iohann S., Hilfspolizist in Diensten der Sipo Warschau, bat seine Vorgesetzten um eine direkte Beurteilung seiner polnischen Freundin. Dem kamen sie nach und bescheinigten: »Die Wladyslawa T. (... ) ist die Braut des Hilfspolizisten johann S. Sie ist der hiesigen Dienststelle bekannt. Gegen ihre Person bestehen keine Bedenken.e'" Andere brachten ausführliche Begründungs schreiben bei, die von NS-Rhetorik durchsetzt waren. Die deutschen Empfindungen und das Mütterliche seiner polnischen Braut führte ein ästerreichischer Besatzer ins Feld, um die Behörden von der Eheschließung zu überzeugen: »Fräulein L. zeigt starke hausfrauliche und mü tterliche Eigenschaften. Sie ist die einzige Tochter einer deutsch empfindenden Familie, die in Pruszkow ein mittleres Grundstück besitzt. Fräulein L. beherrscht die deutsche Sprache in Wort und Schrift. Ich beabsichtige, meine Tochter aus Wien hierher zu nehmen und mich auf dem Grundstück meiner Frau niederzulassen. (...) Ich rechne unbedingt mit einer bejahenden Antwort. Heil Hitler!«38o

Der Bräutigam, NSDAP-Mitglied und gottgläubig, wusste offensichtlich die sprachlichen Versatzstücke der NS-Ideologie zu nutzen. Welche Erfolgsaussichten hatten die deutsch-polnischen Paare angesichts der paradoxen Ausgangslage? Oft scheiterten die Anträge auf Mischehe an der rassischen Ü berprüfung. ber eine junge, von einem Ü Reichsdeutschen geschwängerte Polin fällte der Arzt ein vernichtendes Urteil: »Die Maria P. ist erbbiologisch und rassisch als reine Slawin anzusehen,

die noch dazu geistig auf einer sehr primitiven Stufe steht. (... ) Die Ehe mit einem Deutschen oder deutschstämmigen Mann muss - obwohl die P. schwanger ist - auf jeden Fall verhindert werden.e'" Zumeist waren die Ablehnungen nüchtern formuliert. Die Frau habe zwar keine Erbkrankheiten, doch eben auch keine wertvollen erbbiologischen und rassischen Eigenschaften, schrieb der Warschauer Amtsarzt mehr als einmal.v" Auch Jadwiga K. missfiel dem Amtsarzt. Das reichsdeutsch-polnische Paar hatte noch ein zusätzliches Manko in den Augen der Rassenstrategen: Der Altersunterschied betrug satte 34 Jahre. Franz N. war als Werkschutzmann nach Warschau gekommen und

(Versuchte) Legalisierung der Beziehungen hatte die junge Frau in der Nachbarschaft kennengelernt. Nach einem halben Jahr bestellten sie das Aufgebot - aber ohne Happy End.383 In Einzelfällen konnten negative Beurteilungen egalisiert werden. Der oben angeführte bei der Ostbahn angestellte österreichische Besatzer schaffte es, den abschlägigen Bescheid über die vermeintlich mangelnden rassischen Qualitäten seiner Braut durch Hartnäckigkeit in eine Zusage zu verwandeln.v" Die Trauung fand am 6.6.1944 statt, zu einem Zeitpunkt also, da Teile des Generalgouvernements schon unregierbar waren und der Warschauer Aufstand vor der Tür stand. Zusätzlich zu den Beispielen im Bestand des Deutschen Standesamtes Warschau sind im Bestand des Amtes Gesundheitswesen noch Ehetauglichkeitszeugnisse überliefert, in denen Polinnen des deutschen rassenpolitischen Interesses für würdig befunden wurden. Die dahinterstehenden (Beziehungs-)Geschichten sind über dieses Material aber nicht zu rekonstruieren.v" Im Warthegau befanden sich insgesamt weniger Besatzer als im Generalgouvernement, und dementsprechend seltener dürften Eheschließungen gewesen sein. Zusätzlich galten im Warthegau weitere Regeln: Soldaten oder Polizeibeamte, die Polinnen oder andere Fremdvölkische heiraten wollten, mussten neben der Heiratserlaubnis ihrer Dienstvorgesetzten noch eine Ausnahmegenehmigung der Regierungspräsidenten beibnngen.>" Dies galt bereits vor dem Runderlass im April 1943. Dennoch kam es auch in diesem Gebiet zu Eheschließungen zwischen einheimischen Frauen und den Besatzern, wie Birthe Kundrus zeigt. Ihr Vergleich der Rassenpolitik im Warthegau und im Generalgouvernement, unter anderem der Heiratsmöglichkeiten zwischen Reichsdeutschen und Einheimischen, führt sie zu dem Schluss, dass es im Generalgouvernement den »Weg einer bedingten Erlaubnis« gab, im Warthegau den Weg »eines bedingten Verbots«, weil die Volkstumspolitik ungleich strenger war. Doch: »Im Ergebnis erlaubten beide Wege das Gleiche, nämlich eine höchstmögliche Flexibilität in der Regulierung von Heiraten.e"? Die Flexibilität betont die jüngere Forschung durchweg für die gesamte Volkstums- und Germanisierungspolitik.s'"

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Polinnen als SS-Bräute?

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Die SSsollte die Elite des neuen Deutschland stellen. Voraussetzung fü r eine Aufnahme war der sogenannte große Ariernachweis, mit dem die Aspiranten ihre vermeintliche Blutreinheit bis 1800 zurü ckgehend nachweisen mussten. Zudem wurden sie einer Musterung unterzogen.389Potentielle Ehefrauen mussten ähnlich strengen Vorgaben genü gen; sie wurden mit der Heirat schließlich formal Mitglied der Sippengemeinschaft. Insgesamt traten 240000 Frauen dem Orden durch Heirat bei."? Besonderes Augenmerk bei der Eignungsprü fung zur Hochzeit richtete sich auf eine pseudomedizinische Untersuchung. Gebärfähigkeit war ein zentrales Kriterium, da die SS-Paare dazu angehalten waren, mö glichst viele Kinder zu bekommen. Nichtdeutsche Frauen waren in dieser Konzeption nicht erwü nscht, weshalb sich Heinrich Himmler in seiner Funktion als Reichsfü hrer-SS und Chef der Deutschen Polizei das Recht zur Einzelfallprü fung vorbehielt. Der Chef des Hauptamtes SSbeschied: Reichsfü hrer-SS entscheidet persö nlich bei allen Heiratsgesuchen, in denen um Genehmigung einer Verlobung bezw. Heirat mit einer Braut nichtdeutseher Staatsangehö rigkeit gebeten wird.«"?' »Der

Die potentielle Hochzeit mü sse stets im Altreich stattfinden, wohin das Paar auch verziehen mü sse, um die Frau aus dem nichtdeutschen Einflussbereich zu entfernen.t" Hochzeiten mit als arisch oder nordisch klassifizierten Frauen stand Himmler positiv gegenü ber, auch baltische und tschechische Freundinnen hatten mitunter Chancen.v" Ü ber die geplante Eheschließung mit einer Franzö sin beschied der Chef des Sippenamtes im RuSHA aber: » Wenn die Mutter jedoch Franzö sin ist, wird sie niemals in der Lage sein, ihre Kinder so zu erziehen, wie es fü r einen Deutschen notwendig ist.« 394 Trotz dieser Tendenzen galt fü r die Mitglieder der SS, fü r die aufgrund des rassischen Elitegedankens jede Ehe genehmigungspflichtig war, dass Hochzeiten mit fremdvö lkischen Frauen immer der Einzelfallü berprü fung unterlagen. Dementsprechend konnten Norwegerinnen als Bräute abgelehnt und Polinnen, im offenen Gegensatz zu den ideologischen Vorgaben, akzeptiert werden.?" Wie viele der insgesamt 800000 SS-Angehö rigen die Absicht hatten, eine Ausländerin zu heiraten, kann an dieser Stelle nicht beantwortet

(Versuchte) Legalisierung der Beziehungen werden.r" Eine statistische Erfassung der beantragten und geschlossenen Ausländerehen in der SS, wie 1943 offenbar geplant, ist nicht überliefert."" Die Heiratsgesuche der volksdeutschen SS-Männer wollte Himmler ab Mitte 1942 nicht mehr persö nlich prü fen. Wenn die Braut im richtigen, sprich gebärfähigen Alter war und die rassische Ü berprü fung nichts Negatives ergeben hatte, entschied kü nftig das Heiratsamt der SS.39B Insgesamt waren ca. 100000 SS-und Polizeiangehö rige im besetzten Polen im Einsatz. In den okkupierten Territorien waren sie, wie gezeigt, unter den engagiertesten Liebhabern, da sie aufgrund ihrer Privilegien fü r einheimische Frauen besonders interessant waren. Das Spektrum der Kontakte reichte von bloßen Geschlechtsbeziehungen ü ber Ü berlebensprostitution bis zu inniger Zuneigung. Vereinzelt entzogen sich die Männer der SSdem Kontrollnetz ü ber ihr Privatleben, das entsprechend der NS-Ideologie eben nicht mehr privat war. Albert K., SS-Mann, zeitweise als Feldwebel bei der Wehrmacht, heiratete eine ehemals polnische, nun volksdeutsehe Laborantin. Nachdem die Ehe schon genehmigt war, fiel den zuständigen Warschauer Beamten auf, dass er als SSMann einer besonderen Prozedur unterlag. Eigentlich hätte das RuSHA die Ehe genehmigen müssen.v? und zwar nach einer ausfü hrlichen pseudomedizinischen und charakterlichen Untersuchung der Braut. Dabei produzierten die medizinischen Verantwortlichen im besetzten Polen mitunter auch paradoxe Ergebnisse, die eindrü cklich die Widersprü chlichkeit der rassischen Kriterien vor Augen fü hren, so im Fall des bereits erwähnten Alouis Fischotter und seiner polnisch-kaschubischen Geliebten Urszula B. Nachdem Himmler dem Paar ü ber längere Zeit die Ehegenehmigung versagt hatte, konnte B. im Frü hjahr 1944 endlich auf ihren erbbiologischen Wert untersucht werden. Der Amtsarzt war sehr berzeugt von den Qualitäten der jungen Frau - im Gegensatz zu seiner ü Meinung vom SS-Mann Fischotter. Lobend hielt er fest: »Braut rassisch wertvoller als Antragsteller.e'?? Als sein Antrag abgelehnt wurde, kämpfte Fischotter weiter. Er kannte die relevanten Kriterien und argumentierte in seinem zweiten Schreiben vom Juli 1943 geschickt mit der SS-Ideologie: Bevor ich mich entschloss, meinen Heiratsantrag zu stellen, habe ich » mich mit dem Fü r und Wider einer Verbindung mit Fr!.B. eingehend beschäftigt. (...) Dabei ist sie eine ausgesprochen nordische Erscheinung. Was meine Person anbelangt, so darf ich bemerken, daß ich als

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen Witwer im Alter von 41 Jahren mit zwei schulpflichtigen Kindern keine besondere Partie darstelle und es mir im Falle der dortigen Ablehnung schwer fallen würde, eine geeignete Lebenskameradin gemäß dem Heiratsbefehl des Reichsführers-SS und eine gute Mutter meiner Kinder zu finden.v'?'

Wie Fischotter selbst zu der Tatsache stand, dass seine Freundin einen polnisch-kaschubischen Hintergrund hatte, ist nicht überliefert. Es gibt aber keinen Beleg, dass Fischotter aufgrund der Beziehung zu B. von seinen antipolnischen Ü berzeugungen abrückte, was bei einigen anderen deutsch-polnischen Besatzungsbeziehungen durchaus der Fall war. Vielmehr ist Fischotters Vorgehen ein Beispiel für »Eigen-Sinn«, Der von Alf Lüdtke eingeführte Begriff benennt jene Zwischenpositionen im Verhalten von Einzelnen unter totalitären Regimen, die das Durchkommen sichern und eigene Interessen durchsetzen sollen.t'" Im Fall Fischotters diente der gezeigte »Eigen-Sinn« zwar dem eigenen Vorteil, war aber keine Vorstufe zu einer beginnenden Opposition gegen die NS-Ideologie. Anfang 1944 wendete Fischotter sich erneut an das Heiratsamt des RuSHA, um sich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Er war in der Zwischenzeit Vater geworden (Oktober 1943), und die »wilde Ehe« war nicht nach seinen Vorstellungen: »Durch das Ausbleiben der Heiratserlaubnis bin ich in vielerlei Hinsicht in eine schwierige Lage geraten.«403 Später, in einem erneuten Gesuch vom April 1944, schrieb er: »Peinlich ist es mir, wenn die Leute immer wieder fragen, ob ich schon die Heiratserlaubnis habe, was ich Tag für Tag unter allen möglichen Umständen verneinen muss.«404 Schließlich konnte Urszula B. einer weiteren rassischen Ü berprüfung unterzogen werden - das übliche Prozedere bei Eintragungen in die Kategorien I und II in Teilen der annektierten polnischen Gebiete und Eheschließungen mit SS-Angehörigen.4°s Zuvor hatte Fischotter einen weiteren Beschwerdebrief verfasst, aber Himmler als Reichsführer-SS lehnte dennoch ab - wegen des Altersunterschieds, der Himmler auch bei anderen Paaren störte, aber auch wegen der polnischen Orientierung von B.s Familie. Fischotter, treu er Diener des jeweiligen Staates seit seinem Freikorps-Engagement, wollte diese Entscheidung nicht akzeptieren: Er führte den gemeinsamen Sohn an, ß.s Trennung von der Familie sowie ihr Engagement und die Arbeit bei deutschen Dienststellen. Er schlug so-

(Versuchte) Legalisierung der Beziehungen gar vor, B. in ein Lebensbornheim bringen zu lassen. All diese Punkte formulierte er nochmals schriftlich, und Ernst Kaltenbrunner referierte Himmler im Juni 1944 den Fall Fischotter erneut. Daraufhin gab dieser die Heirat auf eigene Verantwortung frei. Kaltenbrunner sandte Glückwünsche und betonte, dass er »von Ihnen die Führung einer guten Ehe nach den sittlichen und völkischen Auffassungen unseres Ordens- erwarte.wWas mag Himmler zum Meinungswechsel bewogen haben? Wahrscheinlich war es schlicht Fischotters Hartnäckigkeit. Als Alternative zur Genehmigung der Hochzeit blieb ihm lediglich der Ausschluss des Leiters des Grenzpolizeikommissariats Memel aus der SS. Schließlich war zu diesem Zeitpunkt aktenkundig, dass Fischotter mit seiner Partnerwahl seit Jahren offen gegen die Gebote des SS-Ordens verstieß und diese Gehorsamsverweigerung in Memel offen lebte. Mitte 1944 konnte und wollte Himmler kein qualifiziertes Führungspersonal mehr wegen solcher Differenzen verlieren. Zu einem Zeitpunkt, zu dem der Männermangel auch in der SS gravierend war, fiel ein Verzicht auf jemanden wie Fischotter schwer. Im Rang eines SS-Hauptsturmführers gehörte er zur gehobenen Hierarchieebene (Führer), und war durch seine langjährige Praxis im Polizeiapparat ein erfahrener Funktionär. Die Formel, mit der Himmler Fischotters Eheschließung freigab - »auf eigene Verantwortung« =, war aber die letzte Eskalationsstufe vor dem SS-Ausschluss. Isabel Heinemann kategorisiert die »Freigabe der Eheschließung auf eigene Verantwortung« als abgeschwächte Form des SS-Ausschlusses: Die Heirat war zwar abgesegnet, das Paar wurde aber »aus dem engeren Kreis der als hochwertig betrachteten SS-Sippen ausgeschlossen-s.v" Fischotter bekam also seinen Willen, sein Status in der SS war aber gesunken. Ein weiterer Grund, warum Himmler die Genehmigung schließlich doch erteilte, mag der Wohnort des Paares gewesen sein. Das Memelland war im Frühjahr 1939 wieder dem Reich eingegliedert worden. Eine Anweisung, ins Altreich zurückzukehren, wie dies sonst bei gemischten Paaren der Fall war, brauchten die Fischotters folglich nicht. Die Eheschließung fand kurz darauf - und kurz vor der ersten Räumung Memels Ende Juli 1944 entsprechend den Anweisungen des RuSHA für SS-Angehörige statt. Parteigenossen nahmen an der sogenannten Eheweihe teil, die in einem Hotel stattfand; das Paar ging nach der Trauung durch ein Spalier von SSMännern, die den deutschen Gruß entboten, und besuchte im Anschluss gemeinsam mit seinen Gästen ein gehobenes Restaurant in Memel.

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Konsensuale Kontakte: Deutsch-polnische Besatzungsbeziehungen In anderen Fällen gab es kein Happy End. SS-Unterscharfü hrer Gerhard B., vermutlich Volksdeutscher (da er Polnisch sprach), durfte seine Freundin aus politischen Grü nden nicht heiraten, da diese » total polonisiert ist und ferner (... ) weil B. offenkundig mit seiner Braut in den ganzen 3 Jahren, seit er sie kennt, nur polnisch gesprochen hat und sie in keiner Weise zur deutschen Sprache, deutschen Art und zu nationalsozialistischer Gesinnung hingefü hrt hat« .408 Grundlage der Entscheidung fü r Eheschließungen waren rassische, biologistische und politische Beurteilungen. Eine eindeutige Prioritätenliste gab es hierbei nicht. Auch konnten Einzelpersonen großen Einfluss erlangen. Dem Obermedizinalrat in Litzmannstadt war bereits die Ehetauglichkeitsprü fung einer Polin, die er im April 1942 vorzunehmen hatte, zuwider: Regina M. ist Angehö » rige des uns stammesfremden polnischen Volkstums. Aufgrund ihrer vö lkischen Abstammung und ihres rassischen Gesamtbildes halte ich es fü r ausgeschlossen, daß sie sich auch bei bestem Willen soweit in die deutsche Weltanschauung einzufü hlen vermag, um wirklich Kinder eines SS-Mannes nicht zu deutschen Menschen, sondern zu politischen Aktivisten zu erziehen.« Er echauffierte sich, dass nichtdeutsehe Frauen aufgrund » ihrer anderen vö lkischen Lebensgesetze und ihrer meist anders gearteten rassischen Struktur nicht nur schlechte Lebensgefährtinnen und Kameradinnen, sondern vor allem schlechte deutsche Mü tter werden« . Beim Verständnis der N5-Ideale gehe es um mehr als das formale Beherrschen der deutschen Sprache. Daher beschied er der SS-Pflegestelle: »Es wü rde daher ein Verbrechen an unserem Volkstum und ein schwerer Verstoß gegen den Auslesegedanken der 55 sein, wenn wir es zulassen wollten, daß politische Aktivisten, die selbst oder deren Kinder zur Fü hrung in Partei und Staat berufen sein sollen, durch die Ehe mit fremdstämmigen Frauen, besonders slawischen Volkstums, den vö lkischen und rassischen Wert des Fü hrernachwuchs gefährden.v?"

Sein Gutachten zu Regina M. und einer weiteren polnischen Frau ü bersandte er gleichzeitig an seinen Bekannten, Helmut Poppendick, seines Zeichens Chef des Persö nlichen Stabs beim Reichsarzt 55 und Polizei.v? Er bat darum, dass dieser solche Fälle stärker im Auge haben solle, denn:

(Versuchte) LegaUsierungder Beziehungen Wenn in solchen Fällen der RFS5die Ehegenehmigung erteilen sollte, » dann dü rfen wir getrost unsere Arbeit hier draußen einstellen, da der Begriff einer rassischen Auslese vö llig illusorisch wäre.e+" Fanden sich innerhalb des S5-Apparates viele Vertreter, die das sexuelle Umgangsverbot mit Polinnen kippen wollten, weil es nicht der Realität der Besatzungszeit entsprach, hö rte bei der Eheschließung und Aufnahme in den SS-Orden die Toleranz offensichtlich auf. An den Schaltstellen der Rassenpolitik und vor Ort saßen Ideologen, die an die Ü berlegenheit der nordischen Rasse glaubten.v- Angesichts solch starker ideologisch motivierter Widerstände muss die Gesamtzahl der geschlossenen Ehen als sehr gering veranschlagt werden.

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3. Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen

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Muster sexueller Gewalt in Polen Sexuelle Gewalt: Schwer zu erforschen Trotz der umfangreichen Forschungen zu den deutschen Verbrechen in Polen blieben sexuelle Ü bergriffe eine Leerstelle, wofür einige Erklärungen eingangs bereits dargelegt wurden. Ein weiterer Grund liegt in der Art und Weise, wie Historiker Erkenntnisse gewinnen. Die Quantität und die Qualität der Ü berlieferungen zu sexueller Gewalt sind oft dürftig. I Zum einen gibt es sehr hohe Dunkelziffern, zum anderen sind die Quellen häufig nur beschränkt aussagefähig. Wichtige Dokumente in Bezug auf die sexuelle Kriegsgewalt in Polen sind Ü berlieferungen der Exekutive und Judikative der Besatzer, also Akten von Polizei und Gerichten, ergänzt durch Interviewsammlungen und Ego-Dokumente von Besatzern und Besetzten. Doch gerade das Sprechen über sexuelle Gewalt ist geprägt von kulturellen Vorannahmen- und beinhaltet Vorstellungen über sexuelle Bedürfnisse, (sexuelle) Rechte und Pflichten von Frauen und Männern, die nicht zuletzt in sprachliche Formeln gegossen sind. Polizeiprotokolle und Gerichtsurteile waren (und sind auch gegenwärtig noch) geprägt von einer formelhaften Sprache, die in sich kulturelle Konzepte von Geschlechterordnungen birgt: Männer gebrauchen oder missbrauchen Frauen, nehmen sich Frauen vor, verüben Notzucht oder ein Triebverbrechen. Während viele Formulierungen von einem Objektcharakter der Frau ausgehen, steht hinter der Formulierung des Triebverbrechens die Vorstellung, das sexuelle Bedürfnis des Mannes sei so stark geworden, dass es zu dem Verbrechen quasi kommen musste.' Das Vokabular ist dabei nicht vorschnell als »Männervokabular« zu verstehen, obwohl darauf hingewiesen werden muss, dass an Vernehmungen und Verhandlungen sexueller Gewalt damals überwiegend Männer - außer dem zumeist weiblichen Opfer - teilnahmen. Das Vokabular ist vielmehr Ausdrucksmittel einer Gesellschaft, die sexuelle Selbstbestimmung, vor allem von Frauen, noch nicht als gemeinsamen Wert anerkannte.

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen Andere Beispiele aus den konsultierten Akten der Exekutive und Judikative belegen eine wö rtliche Ü bernahme der Täteraussagen, die nicht selten den sexuellen Ü bergriff verharmlosten. Ein reichsdeutscher Kaufmann, der als Gutsverwalter in die eingegliederten Gebiete gekommen war, beschrieb beispielsweise seine sexuellen Ü bergriffe gegen die dort angestellten Landarbeiterinnen mit den Worten: I»ch gebe zu, daß zwischen mir und den polnischen Arbeiterinnen ein zufriedenes Verhältnis bestand. Esist richtig, daß ich diese mitunter in einer mehr als zuträglichen Art behandelt habe. Hierbei ist es auch vorgekommen, daß ich diese entweder an den Busen gefasst, auf den Hintern geklopft oder auf andere Art und Weisezärtlich behandelt habe. Zu einem Geschlechtsverkehr mit Polinnen ist es jedoch nicht gekommen.v' Ein weiterer Punkt ist, dass Täter und Opfer in den Polizeiprotokollen und Gerichtsurteilen oft gefiltert sprechen, indem Aussagen zusammengefasst oder transkribiert werden. Vor allem die Stimme der Opfer spricht aus diesen Quellen von Polizei und Gericht nie direkt, da im Fall polnischer Frauen und Männer ein Ü bersetzer dazwischengeschaltet war, der unter Umständen schon eine Ü bertragung ins Amtsdeutsche vornahm. Diese Transkriptionen und die formelhafte Amtssprache verdeckten oft die konkreten kö rperlichen Schmerzen und Verletzungen, die Folgen sexueller Gewalttat waren.' Eine Dobscher Bäuerin berichtete ü ber ihre Vergewaltigung durch einen deutschen Soldaten: Er verlangte von mir Eier, ich konnte ihm aber keine geben, weil ich » selbst keine hatte. Er setzte sich zu mir und zog mich auf seinen Schoss. Hierbei verlangte er fortgesetzt geschlechtlichen Verkehr mit mir. Ich konnte ihn nicht loswerden und ging endlich, seinem Drängen nachgebend, geschlechtlichen Verkehr mit ihm ein. Danach ging er nach Hause und ist nie wieder gekommen. « 6 Das distanzierte Sprechen der Opfer lässt sich auf mehrere Grü nde zurü ckfü hren. Zum einen nutzten sie ein anderes Vokabular ü ber den Kö rper als heutzutage ü blich.' Zum anderen verbirgt sich hinter dem formelhaften Sprechen der Opfer die Scham. Die konsultierten direkten Opferquellen« » , vor allem Interviews aus dem Visual History Archive,

Muster sexueller Gewalt in Polen also mit einer Kamera aufgezeichnete Gespräche mit Holocaust-Ü berlebenden, sprechen vor allem eine Sprache: die des Schweigens. Die Frauen deuten ihre Vergewaltigung nur an und erzählen keine Details. Nur ein Beispiel ist der Bericht der polnischen Jü din Maria Gadomskas, die von einem Angehö rigen der Policja Granatowa, der polnischen Polizei unter deutschem Kommando, vergewaltigt wurde. Sie berichtet lediglich, dass der Polizist ihr befohlen habe, sich auszuziehen. Danach lächelt sie ironisch und bitter zugleich in die Kamera, ohne weitere Details zu beschreiben." Dabei handelte es sich um das mittlerweile bekannte Muster aus Oral-History-Studien ü ber sexuelle Gewalt, in denen Frauen den eigentlichen Gewaltakt in ihrer Erzählung auslassen."

Anzeigeverhalten

- Dunkelziffern

Emotionale Ü berforderung, Scham und der Wunsch, Befragungen und Untersuchungen zu vermeiden, hinderten Polinnen während des Zweiten Weltkrieges daran, die Täter anzuzeigen. Der wichtigste Grund war aber das ausgeprägte Machtgefälle zwischen Tätern und Opfern. Je geringer das Vertrauen in das Besatzungsregime war, umso niedriger muss die Bereitschaft eingeschätzt werden, sich an die Behö rden zu wenden.'? Und das Vertrauen war in Polen äußerst gering, da das implementierte Recht« bereits bei Bagatelldelikten harte Strafen vorsah. Mit der Polen» strafverordnung vom 4.12.1941 kam es zu einer weiteren Strafverschärfung in den eingegliederten Ostgebieten, so dass das Gesetz zu einem Terrorinstrument wurde. 11 Im Generalgouvernement zogen bereits Vergehen wie Schwarzschlachtungen strenge Strafen nach sich." Am strengsten bestraften die Besatzungsbehö rden Beleidigungen oder gar Handgreiflichkeiten gegenü ber Deutschen. In den ü berlieferten Polizei- und Justizakten des besetzten Polen finden sich deutliche Belege sowohl dafü r, dass viele sexuelle Gewalttaten nicht angezeigt wurden, als auch dafü r, dass die verfolgten Vergehen oft nur durch einen Zufall ans Licht kamen. Als die Polizei eine Bäuerin aus dem Großraum Bromberg wegen des » unnatü rlichen Abgangs« eines sechs Monate alten Fö tus verhö rte, berichtete sie davon, dass der Erzeuger ein deutscher Soldat sei, der sie zum Geschlechtsverkehr gezwungen habe. Angezeigt hatte sie diese Tat vom November 1940 nicht." In einem Urteil des Sondergerichts Hohensalza gegen einen Reichsdeutschen, der

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen mehrere Polinnen vergewaltigt hatte, hieß es explizit, dass »die Zeugen nicht von sich aus Anzeige erstattet hatten, sondern die Verfehlungen erst offenbarten, nachdem sie zu diesem Zweck von den zuständigen Gendarmeriebeamten herangeholt worden sind«." Andere Verstöße kamen über Vertrauenspersonen zur Anzeige. So wurden sexuelle Ü bergriffe gegen einen polnischen Mann durch einen deutschen Bäckermeister, der seinen Kriegseinsatz als Chef einer polnischen Küche leistete, wiederum nur dadurch offenbar, dass sich eine polnische Mitarbeiterin vertrauensvoll an den deutschen Sanitätsoffizier in diesem Abschnitt wandte. Dieser sagte im September 1944 aus: »Meine Dolmetscherin, die Polin Halina ]. fragte mich an einem Tag in der vorherigen Woche - es kann Mittwoch oder Donnerstag gewesen sein -, ob es das gibt, dass 2 Männer miteinander verkehren und wie man das nennt. Ich sagte ihr, dass es so etwas gäbe und man dieses Homosexualität nenne. Ich fragte sie dann, wie sie darauf komme. Darauf sagte sie mir dann, dass ihr Freund von einem Deutschen, der an der Küche beschäftigt sei, belästigt worden sei.. Der junge Medizinstudent erfragte darauf den Namen des Delinquenten, erstattete Meldung und leitete somit die Untersuchung ein." In anderen Fällen meldeten volksdeutsehe Bewohner eines Ortes den bergriff, den die betroffenen Polinnen »angeblich aus Furcht vor den Ü Drohungen«, wie die Gendarmerie zweifelnd formulierte, nicht angezeigt hatten. 16 Sexualverbrechen gegenüber Kindern wurden dagegen häufiger angezeigt." Bei diesen Delikten waren die Anzeigenden anscheinend eher überzeugt, Recht bei den Besatzungsbehörden zu finden, oder die Empörung über das Vergehen war zu groß, um rational Chancen und Risiken einer solchen Anzeige abzuwägen. Denn die Entwertungsstrategien der Besatzer waren ansonsten massiv. Bei Anzeigen von vergewaltigten Frauen nahmen die untersuchenden Polizeibeamten nicht selten eine Beurteilung des Charakters vor, die meist dazu führte, dass die Vorwürfe durch den Hinweis auf den liederlichen Charakter der betroffenen Frau entkräftet wurden." Dass die deutschen Täter sich der geringeren Wertigkeit polnischer Aussagen bewusst waren, wird in den Verteidigungsstrategien deutlich: Von einer politischen Racheaktion der den Deutschen feindlich gesinnten Polen fabulierte nicht nur ein Delinquent.

Muster sexueller Gewalt in Polen Beredtes Zeugnis von der absoluten Verharmlosung einer versuchten Vergewaltigung durch die Untersuchungsbehörden legt eine Akte betreffs eines Warschauer SS-Mannes ab, der sich mit einem anderen SSAngehörigen geprügelt hatte. In den polizeilichen Untersuchungsdokumenten befindet sich folgender Bericht vom 18.3.1940: Am Sonnabend, den 16.3.1940 gegen 22 Uhr, erschien in der Woh» nung 43 der Kraftfahrer SS-Scharführer S. Er trank dort zusammen mit den dort anwesenden SS-U.-Scharführer R. und Hilfspolizist S. ein Glas Bier. Als das Dienstmädchen in der Wohnung erschien, balgte sich S., der etwas angetrunken war, mit ihr, wobei ein Stuhl und ein Nachttisch umfielen. Als das Mädchen sich nach kurzer Zeit dieses entschieden verbat, ließ S. von ihr ab und verließ die Wohnung.«!"

Weder zeigte die Bedienstete den Vorfall an, noch ging die Untersuchungsbehörde dem Ereignis nach, das auch hier nur im Zuge einer Untersuchung wegen eines anderen Vorfalls überhaupt bekannt wurde. Vielmehr zeugt die Wortwahl von einer Verharmlosung des sexuellen bergriffs. Aus einigen Opferaussagen in anderen Fällen spricht zudem Ü eine gewisse Resignation aufgrund der gesellschaftlichen und geschlechtlichen Machtverhältnisse, vor allem im Milieu des städtischen und ländlichen Dienstpersonals. Ein weiterer Grund für das verbreitete Schweigen mag in dem Kriegsphänomen zu suchen sein, dass betroffene Frauen sich im Umgang mit sexueller Gewalt einen gewissen »Pragrnatisrnus« angewöhnten.> Insbesondere für die massenhaft stattgefundenen Vergewaltigungen deutscher Frauen zu Kriegsende ist das belegt." Retrospektiv klingen diese pragmatischen Zugänge befremdlich, gilt sexuelle Gewalt doch als eines der psychisch destruktivsten Delikte. Doch zeitgenössischer Pragmatismus und Jahrzehnte später einsetzende Traumaschübe schließen einander nicht aus. Die Psychologen Philipp Kuwert und Harald Freiberger sehen als Hauptunterschied zwischen dem Erleiden sexueller Gewalt in Friedens- und in Kriegszeiten die Erwartbarkeit: In Friedenszeiten ist der sexuelle Ü bergriff ein überraschender brutaler Eingriff in die persönliche Integrität, in Kriegszeiten ist er immer noch brutal, aber oft erwartet.> Schließlich muss vermutet werden, dass viele Frauen nach der Vergewaltigung getötet wurden. Mühlhäuser kommt für die Sowjetunion zu

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen

Muster sexueller Gewalt in Polen

dem Schluss, dass » jü dinnen (... ) nach einer Vergewaltigung wohl in den meisten Fällen ermordet wurden« ." Auch in den besetzten polnischen Gebieten brachten Deutsche jüdische Frauen nach Sexualverbrechen um. In den für ihre Arbeitsbedingungen berüchtigten HASAGWerken in Skarzysko-Kamienna kam es zu sexueller Gewalt gegen mindestens drei Frauen, die der Lagerkommandant und seine Helfer danach ermordeten." Weitere derartige Morde vor allem in den Ghettos, mit denen die Besatzer das Land überzogen, sind in Nachkriegsaussagen dokumentiert." Aber auch nicht jüdische Polinnen fielen solchen Verbrechen zum Opfer. Sie wurden in Nachkriegsverhandlungen immer wieder angedeutet, blieben aber schemenhaft und ließen sich aufgrund der dünnen Beweislage kaum verfolgen. Ein Angehöriger der 3. Kompanie des 1. Gendarmerie-Bataillons beschuldigte seine damaligen Kollegen, im Raum Kielce Gräueltaten begangen zu haben, insbesondere Raub- und Sexualmorde. In der Vernehmung sagte er aus, »daß von Gendarmen dieser Kompanie Polen beraubt und ermordet worden und daß Polinnen vergewaltigt und anschließend erschossen wurden« ." Den meisten Beteiligten waren, wie so häufig in den Nachkriegsprozessen, alle Details entfallen, doch an einzelne Begebenheiten erinnerten sich Wilhelm L. und Michael G. Ersterer gab zu Protokoll: Auf die hier in Rede stehenden Taten angesprochen, so fällt mir nun» mehr ein, dass B. einmal ein hübsches polnisches etwa 18 Jahre altes Mädchen hatte, mit dem er die Nacht verbracht hatte. Am nächsten Morgen ist dieses polnische Mädchen erschossen aufgefunden worden.e"

Der andere erinnerte sich an eine vermeintliche Vergewaltigung durch seinen früheren Gruppenführer, der dafür aber ins KZ gekommen sei. Vom Hörensagen wisse er noch von der Plünderung einer polnischen Gastwirtschaft, bei der die Besatzer vier Personen erschossen hätten. » In der oben genannten Wirtschaft waren auch zwei Mädchen gewesen. Von diesen weiß ich, dass sie auch erschossen worden sind. Wer der Täter war und ob sie vorher vergewaltigt worden sind, kann ich nicht sagen. Ich glaube es aber nicht. «28 Getarnt hätten sie dies als Ü berfall der polnischen Partisanen. In einem anderen bundesrepublikanischen

Nachkriegsverfahren

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treffs Verbrechen beim Septemberfeldzug sagte ein ehemaliger Angehöriger des Selbstschutzes aus, welche Polen in Sadke, Kreis Hohensalza, ermordet worden seien. Unter anderem erwähnte er, dass eine der Polinnen vergewaltigt worden sei, bevor ein reichsdeutscher Polizist sie ermordet habe." In diesem Kontext geführte Nachkriegsermittlungen ließen den Oberstaatsanwalt in Lübeck vermuten, dass zwei andere, nun volksdeutsehe Männer »das erwähnte summarische Selbstschutz.Standgerichts-Verfahren auch dazu ausnutzten, eigene Straftaten zu verdecken (Notzucht)« ." Schließlich gab es überdies sexuelle Ü bergriffe auf bereits zum Tode verurteilte Frauen, da diese Sexualstraftaten nicht mehr bestraft wurden. Das vermutete beispielsweise der rekonstruierende Oberstaatsanwalt hinsichtlich des reichsdeutschen Polizisten Otto O. Dieser habe vermutlich »eine von politischen Stellen aus politischen Gründen gebilligte oder gar angeordnete Tötung der Polin mit dem eigenen Verbrechen der Notzucht« verbunden." Vor dem Hintergrund der geschilderten Quellenlage und aufgrund der hohen Dunkelziffern kann es im Folgenden nur darum gehen, sich verschiedenen Mustern der sexuellen Gewalt anzunähern. Dabei lassen sich drei zeitliche Phasen unterscheiden sowie fünf Tatkonstellationen, die mit der Besatzungssituation zusammenhängen.

Die Eroberung:

Sexuelle Gewalt in den ersten Besatzungswochen Am Polenfeldzug nahmen rund 1,5 Millionen deutsche Männer teil, darunter 1,1 Millionen Angehörige der aktiven Truppe. Die Soldaten, Offiziere, Polizisten und Angehörigen der Einsatzgruppen entstammten verschiedenen Bildungsschichten und Regionen, hatten unterschiedliche Berufe, Lebenswelten und Selbstverständnisse. Es waren sowohl Kriegsneulinge als auch Teilnehmer des Ersten Weltkriegs darunter. Im Sprechen über die Militärs sollte man sich stets vergegenwärtigen, dass die Männer voneinander abweichende Meinungen und Ideen über das Wesen des Krieges hatten und darüber, was im Krieg rechtmäßig war und wann diese Grenze überschritten wurde. Zudem brachten sie heterogene Vorstellungen in Bezug auf die polnische Bevölkerung und hier nochmals über polnische Christen und polnische Juden mit." Jochen Böhler hat herausgearbeitet, mit welchen Vorstellungen über das Land

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen das Gros der deutschen Soldaten einmarschierte und wie diese Stereotype dazu beitrugen, dass es bereits in den ersten Kriegswochen zu neuen Formen der Kriegführung kam. Dazu gehörte die Misshandlung und Tötung von Zivilisten, Kriegsgefangenen und polnischen Juden. Plünderungen waren darüber hinaus an der Tagesordnung." Die Männer brachten überdies unterschiedliche Auffassungen zu den Geschlechterverhältnissen mit, insbesondere zu Rechten und Pflichten von Männern und Frauen (im Frieden wie im Krieg), sowie unterschiedliche Einschätzungen des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung. Quer zu individuellen, aus Glauben oder Ethik gespeisten Vorstellungen über sexuelle Selbstbestimmung lag eine tradierte Rhetorik im (nicht nur deutschen) Militär, welche die Eroberung fremden Territoriums und die zeitgleiche Miteroberung fremder Frauen zusammendachte. In der Frühen Neuzeit war dies noch erlaubte Politik, und es gab meist zu Beginn der Feldzüge legale Möglichkeiten für Vergewaltigungen und Plünderungen.> Von dieser Tradition war zumindest die Rhetorik übrig geblieben, so dass nicht nur Soldatenlieder vorangegangener Jahrhunderte sexuelle bÜergriffe als Gratifikation beschworen," sondern dieser Topos auch zeitgenössisch besungen wurde. Eine erst 1941 gedruckte Broschüre im Warthegau, die unter anderem für Soldatenschulungen eingesetzt wurde, verdeutlichte in nationalsozialistischer Terminologie diesen Zusammenhang: »In hundert Volksliedern ist dem Soldaten das Recht auf -ei das hü bsche, ei das feine Mägdlein- zugesprochen; in tausend Pöbelliedern ist dieser Anspruch vergrößert worden. Diese Texte sind nicht bloß alt, sondern auch veraltet. Denn einst vertrat der Soldat eine Macht; heute vertritt er mehr: eine Weltanschauung. Eine überlegene Sittlichkeit hat er zu vertreten. Der Soldat von heute ist kein Landsknecht.«>

Das seit dem Kaiserreich populäre Soldatenlied des »Polenmädchens in einem Polenstädtchen«, das auch im Zweiten Weltkrieg gesungen wurde, spricht von der Verweigerung der jungen Frau (vaber nein, aber nein, sprach sie«) und deutet einen sexuellen Ü bergriff an." Beispielhaft kann auch das Lied von Konrad Iarauschs Bataillon angeführt werden. Dort pflegte man die Verbindung von militärischer und sexueller Eroberung, wenngleich dort Einvernehmen der Frauen vorausgesetzt wurde:

Muster sexueller Gewalt in Polen »Gefällt Dir meine graue Tracht / Du Mädel mit rosigen Wangen / Ich seh's an Deiner Augenpracht / Dein Herz hat Feuer gefangen. / Ich gebe Dir, was ich geben kann / Der Liebe lachenden Lohn ... / Horrido, ich bin ein Landesschütz vom V.Bat!. Die Büchse kracht, es blitzt der Schuss / Getroffen habe ich heute / Dreimal ins Schwarze, wie es muss / Das war fürwahr 'ne Freude (... ).«38

Aus dem Septemberfeldzug der Deutschen sind bislang einzelne Vergewaltigungen belegt, die häufig in Tateinheit mit Plünderungen verübt wurden." Die von Rossino und Böhler angeführten Beispiele beziehen sich auf Unterlagen der Geheimen Feldpolizei 520 des Heeresgruppenkommandos Süd. Allein diese Einheit, die nach Zersetzungserscheinungen in der Wehrmacht fahndete, trug im September 1939 mehrere Fälle sexueller Gewalt zusammen. Bei Kielce drangen fünf Soldaten in die Wohnung einer polnischen Eisenbahnerehefrau ein, durchsuchten alles nach Wertvollem und vergewaltigten die 16-jährige Tochter." In der gleichen Region kam es zu einer Gruppenvergewaltigung einer Jüdin durch drei reichsdeutsche Militärs. Die gleichen Täter überfielen in Busko den Inhaber eines Ledergeschäfts. Während sie von diesem die Herausgabe des Geldes forderten, sollte seine Schwester ihre Brust entblößen, und auch seine Tochter sollte sich entkleiden. Als die Schwester sich weigerte, wurde einer der Täter handgreiflich." In Kielce selbst überfielen mehrere Soldaten Frauen in einer Parterrewohnung. Einer der Beschuldigten gab zur Rechtfertigung an, dass sie die Wohnung für ein Bordell gehalten hätten. Er als Vorhut hatte den nach ihm folgenden Männern durch die offenstehende Türe zugerufen: »Da gibt's was zu ficken.e= An diesen Beispielen können zwei Punkte festgehalten werden. Erstens verdeutlicht der letzte Fall noch einmal den bereits geschilderten Anstieg der Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen in Polen zum Zeitpunkt des Einmarsches. Die Grenzen zwischen käuflichem Sex und sexualisierter Gewalt waren fließend, wie auch ein Fall aus Krakau zeigt. Dort verurteilte ein Kriegsgericht einen Soldaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung unter Missbrauch der Waffe, »begangen an einer Dirne«." Zum anderen waren zahlreiche der frühen Fälle Gruppenvergewaltigungen, wenngleich es ebenso Belege für Vergewaltigungen durch einzelne Soldaten, Polizisten oder SS-Angehörige gibt." Verschie-

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen dene Studien haben belegt, dass Gruppenvergewaltigungen in Armeen und Kampfverbänden das Wir-Gefühl stärken. In Einmarsch- und Besatzungssituationen komme es durch diese Art der gemeinschaftlichen Tat, verübt vor allem an einheimischen Frauen, zur Ausprägung einer engen Verbindung unter den Männern, in der Sprache der Soziologen male bonding genannt." Das vom Selbstschutz in Lobsens in den eingegliederten Gebieten während der ersten Besatzungswochen betriebene Gefängnis war Ort massenhafter sexueller Ü bergriffe. Der volksdeutsehe Justizaushelfer Willi B. beteiligte sich nach eigenen Angaben nicht an den sexuellen Ü bergriffen, weshalb er zum Gespött seiner Kollegen wurde: »Als S. die M. vorgenommen hatte, ö ffnete er die Türe und forderte mich, der ich mit drei anderen Kameraden in dem Büro sass, auf, nunmehr meinerseits die M. vorzunehmen. Ich lehnte das jedoch ab, weil mir das unappetitlich war und wurde von den anderen deswegen noch ausgelacht.s"

Offene und gemeinsame sexuelle Gewalt konnte im Männerverbund Militär und den paramilitärischen Formationen wie dem Selbstschutz verbindend wirken. Thomas Kühne zeigt, dass die Loyalität in der Wehrmacht der militärischen Kleingruppe galt, die über das Konzept der Kameradschaft verbunden war, weniger durch einen ideologischen berbau." Ü Sexuelle Ü bergriffe führten aber auch zu Unstimmigkeiten. Zwischen Einsatzgruppe I, Einsatzkommando 3 - eines der brutalsten Kommandos während des Ü berfalls auf Polerr" - und der Wehrmachtsführung kam es zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich der »Leibesvisitationen« an Jüdinnen. Die Männer unter der Leitung von Alfred Hasselberg hatten tatsächliche oder vermeintliche körperliche Verstecke von Wertsachen zu prüfen. Die dabei ausgeübten sexuellen Ü bergriffe führten schließlich zu einer Beschwerde von Seiten der Wehrmacht." Der Chef des Generalstabs für das Oberkommando des Grenzabschnitts Süd beschuldigte ebenfalls vorrangig die Angehörigen von SS und Polizei. Am 19.11.1939 meldete er: »Soldaten, vor allem aber Beamte der verschiedenen Gattungen und Polizeibeamte machen sich durch Exzesse in der Trunkenheit, Hausdurchsuchungen und sonstige bergriffe sehr mlssliebig.e-" Die deutschen paramilitärischen Ü Forma-

Muster sexueller Gewalt in Polen tionen, insbesondere die Einsatzgruppen, waren von Beginn an mit einem exzessiven Gewaltauftrag ausgestattet, so dass verstärktes Auftreten sexualisierter Gewalt als eine Form der Gewalt nicht überraschen sollte - auf der einen Seite. Auf der anderen Seite spiegeln sich in den Schuldzuweisungen Selbst- und Fremdbilder der Wehrmachtsführung sowie Konkurrenzen zwischen den Institutionen wider - ein Umstand, der die weitere Besatzungszeit dominierte." Sexuelle Gewalt beschränkte sich nämlich nicht auf Polizei und SS.Am 15. 10. 1939 mahnte beispielsweise der Militärbefehlshaber von Posen an: »Bedauerliche Vorfälle der letzten Zeit geben mir Veranlassung, die Truppenbefehlshaber aller Art, die Kommandeure der Einsatz-Kommandos und Führer der Bau-Bataillone zu ersuchen auf schärfste Wahrung von Zucht und Ordnung sowie strengste Aufrechterhaltung der Disziplin bei den ihnen unterstellten Verbänden zu sorgen. Mit dem Ansehen der bewaffneten Macht des Reiches ist es nicht vereinbar, wenn Plünderungen, Sittlichkeitsverbrechen, Rohheitsdelikte, Trunkenheit, Anbiederung mit der polnischen Bevölkerung, im besonderen mit der weiblichen, und Verstöße gegen die Manneszucht oder irgendwelche Ü bergriffe vorkommen.e=

Beim Landesschützenbataillon VlXI, im November 1939 in Zgierz bei Lodz eingesetzt, wurden Jüdinnen gezwungen, die Unterkünfte der Wehrmacht zu säubern. Dabei kam es zu sexualisierter Gewalt, wie Konrad Iarausch andeutet: ist eine fabelhafte Reinlichkeit um uns. Jüdische Mädchen und Frauen mussten die Kaserne scheuern und die Fenster putzen. Es waren viele darunter, die sicher aus wohlhabenden Familien stammten. Die Kameraden haben sich leidlich verhalten. Die Rassegesetzgebung kann sich vielleicht praktisch auch als Schutz der jüdischen Frau auswirken. Mit den Polinnen ist es hier ganz schlimrn.e" »Es

Die Bewertung Iarauschs, der dem Bildungsbürgertum angehörte, oszillierte zwischen offensichtlicher Empathie mit den weiblichen Opfern, die eine zweifache Demütigung erdulden mussten, eine soziale und eine persönliche (sexuelle), sowie der Akzeptanz kriegsbedingter Machtverhältnisse. Die Führer der betreffenden Einheit ihrerseits duldeten die Belästigungen offensichtlich.

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen Die deutschen militärischen Autoritäten insgesamt waren während und mehr noch nach Abschluss des Einmarsches damit beschäftigt, die Disziplin der Truppe zu kontrollieren. Offiziell war der Polen feldzug am 6.10. 1939 abgeschlossen, als die letzten Truppen kapitulierten. Die Phase der Eroberung, inklusive Ü bergriffen auf die Zivilbevölkerung, dauerte jedoch noch einige Wochen an, wie aus den obigen Beispielen abzuleiten ist. Krakau beispielsweise nahmen die Deutschen zwar bereits am 6.9.1939 ein, doch erst Mitte November vermeldete der dortige Militärbefehlshaber, dass man die zahlreichen Ü bergriffe durch Erziehungs- und Ausbildungsmaßnahmen langsam in den Griff bekomme."

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Zur Disziplinherstellung gehörte auch die Kontrolle sexueller Ü bergriffe: Die Feldgendarmerie bearbeitete Fälle sexueller Gewalt, Standgerichte tagten betreffs Körperverletzung und Vergewaltigung. Konsultiert man nur die Quellen von Polizei und Gericht, scheint es, als ob jeder Straftäter verfolgt wurde. Dagegen zeugen Nachkriegsaussagen - in Oral-History-Interviews mit überlebenden Jüdinnen, aber auch in den Prozessen nach 1945 - von einem diffusen Wissen über unbestrafte Vergewaltigungen in den ersten Kriegswochen. 55 Zudem kursierten während der Besatzungszeit in der polnischen Bevölkerung Gerüchte über sexuelle Gewalttaten. Priester hatten zu Kriegsbeginn Gräueltaten prophezeit.v und im weiteren Verlauf der Besatzung spielten derlei Erzählungen durchaus eine Rolle. Das katholische polnischsprachige Magazin Daj mi dusze, das außer halb Polens - in Lourdes - erschien, berichtete im November 1942 von anhaltenden Entführungen und Vergewaltigungen durch die Besatzer," Zwischen dem Abschluss der ersten Phase verdichteter sexueller Gewalt während der Invasion und der dritten Phase - der massenhaft auftretenden sexuellen Gewalt während des Warschauer Aufstandes - liegt die lange Phase der Besatzung. Sie war insgesamt geprägt von alltäglicher, teils brutaler Gewalt gegen die Zivilbevölkerung. 58 In dieser Phase lassen sich weder charakteristische regionale Unterschiede etwa zwischen dem Generalgouvernement und den eingegliederten Gebieten noch lokale Schwerpunkte rekonstruieren. Allerdings stellten Gefängnisse und Lager sowie der Arbeitsplatz Möglichkeitsräume dar, in denen Besatzer sich vermehrt sexuelle Ü bergriffe zuschulden kommen ließen. Der von Bernd Greiner eingeführte Begriff der »Gelegenheitsräume der

Muster sexueller Gewalt in Polen Gewalt« weist darauf hin, dass Krieg einen (veränderten) Kontext hervorbringt, in dem Besatzer handeln, ohne dass die eröffneten Gewaltoptionen durch alle Kämpfenden wahrgenommen werden.v Zwar hat Greiner den absolut asymmetrischen Krieg in Vietnam zum Ausgangspunkt, doch argumentieren Neitzel und Welzer mit Blick auf das Gewaltverhalten deutscher Soldaten im Zweiten Weltkrieg ähnlich, indem sie daran erinnern, dass »soziale Situationen immer Gelegenheitsstrukturen« seien, »die in unterschiedlichen Freiheitsgraden genutzt und ausgeweitet werden können«. Eher gewaltbereiten Personen kämen asymmetrische Machtverhältnisse entgegen, während diese bei sensiblen Personen Abscheu hervorrufen würden."

Amtsmissbrauch: Sexualisierte Gewalt unter Berufung auf Amtsmacht Ein Muster sexueller Gewalt waren Ü bergriffe, die unter dem Vorwand eingeleitet wurden, eine amtliche Maßnahme durchzuführen. Die einzelnen Geschichten ähneln sich, weshalb nur einige Fälle angeführt werden. Der volksdeutsehe Adolf W. hatte 1940 seine SA-Uniform angelegt und von einem polnischen Mann und der Frau, die diesen begleitete, die Ausweise verlangt, als er ihnen zufällig auf der Straße begegnete. Den Mann schickte er weg, die Polin vergewaltigte er an Ort und Stelle." Ein anderer Fall ereignete sich vor den Toren Warschaus. Dort zog im August 1941 ein KFZ-Fahrer, der sich als Polizeibeamter ausgab, eine Polin in seinen Wagen und versuchte sie zu missbrauchen. Die Frau wehrte sich lautstark, es liefen Zeugen zusammen, die der Mann zwar als »polnische Schweine« beleidigte, doch ließ er von der Frau ab.62 Im Juni 1943 vergewaltigte ferner ein Uniformierter eine 19-jährige Polin bei Guntershausen in den eingegliederten Gebieten. Er hatte sie unter der Behauptung, ihre Dokumente kontrollieren zu müssen, vom Fahrrad geholt. 63 Unter fadenscheinigen Vorwänden drangen die Besatzer außerdem in polnische Wohnungen und Häuser ein, um Durchsuchungen und Beschlagnahmungen vorzunehmen. Besonders rangniedrige Funktionäre hätten sich dabei hervorgetan, so beschreibt es die Historikerin Anna Czocher für Krakau, und diverse materielle Güter erpresst: ein kostenloses Mittagessen, Alkohol, Wertsachen oder schlicht Geld." Mitunter

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen kam es bei solchen Vorfällen zu Vergewaltigungen. Im August 1940 gab es bei Litzmannstadt einen Raubü berfall mit Vergewaltigungsversuch von 2 Männern, die durch Tragen von Uniform und Ausrü » stung den Anschein erweckten, dass sie Gendarmen seien« . Sie hätten erklärt, die Mädchen des Hauses zur Arbeit nach Deutschland mitnehmen zu rnüssen." Einen ähnlich vorgehenden Mehrfachtäter suchten die Behö rden in Leslau im Februar 1942.66 Andere Täter agierten im Schatten von aktuellen Besatzungsmaßnahmen: Vom 22. auf den 23. Juli 1944 fanden Durchsuchungen und Festnahmen in den Dö rfern um Praschnitz statt. Ein 25-jähriger Volksdeutscher, der einige Monate zuvor wegen seiner Verwundungen aus der Wehrmacht entlassen worden war, nutzte dies, um mit der Behauptung, er sei von der Polizei, eine Polin aus ihrer Wohnung zu holen und etwas abseits zu vergewaltigen." Weitere Täter verschafften sich Zutritt unter dem Vorwand, die Familie solle ausgesiedelt werden." Ein Obergefreiter drang im Oktober 1944 in ein Haus ein. Er behauptete, die Tochter mü sse ihn wegen einer dringenden Verwaltungsangelegenheit begleiten. Sie ging mit ihm, und der Soldat vergewaltigte sie brutal. Ein anderer Soldat gab vor, eine Polin mü sse ihn zu Kü chenarbeiten in seinem Regiment begleiten. Außerhalb ihres Hauses erfolgte die Vergewaltigung.w Vereinzelt sind auch direkte Einbrü che und Vergewaltigungen ohne Camouflage ü berliefert. Herbert ]. stand 1946 vor einem polnischen Gericht, da er im Juli 1940 eine 13-Jährige im Haus ihrer Eltern vergewaltigen wollte." Drei Obertruppenfü hrer vom Reichsarbeitsdienst vergewaltigten im November 1940 innerhalb einer Woche zweimal die minderjährigen Tö chter einer polnischen Familie." Im Raum Zarnosc berichtete ein Mann nach Kriegsende vor Gericht von der Vergewaltigung seiner Tochter durch einen Oberwachtmeister der deutschen Gendarmerie. Dies sei, so der Mann, kein Einzelfall gewesen." Ein reichsdeutscher Polizist bedrängte in Sadke polnische Frauen. Ernst G., 1964 dazu befragt, berichtete von abfälligen Gesprächen der volksdeutschen Hilfspolizisten ü ber den reichsdeutschen Polizisten 0., der sich vor allem unter Alkoholkonsum grausam verhalten habe." Als Autoritätsinsignien nutzten die Täter Uniformen oder deutsche Abzeichen. Vor allem wenn es um die Uniform der Polizei oder Gestapo ging, schien es den ermittelnden deutschen Beamten ausgeschlossen, dass dies etwas anderes als eine Verkleidung gewesen sein konnte.

Muster sexueller Gewalt in Polen Schließlich hätte das eine Verdächtigung und Ermittlung im Kollegenkreis bedeutet. Die Täter hatten Polen oder Russen zu sein. Wie weit solche Vorannahmen gingen, zeigt ein besonders absurdes Beispiel, eine Ermittlung« in den ans Reich angeschlossenen Gebieten. In dem Forst » Konicbor, Kreis Sudauen, wurde im Oktober 1942 eine ermordete Polin aufgefunden, die offensichtlich einer Vergewaltigung zum Opfer gefallen war. Der Fall stand im Zusammenhang mit der Vergewaltigung und dem Mord an einer Jungbäuerin, begangen einige Tage zuvor in der Umgebung. In keinem der Fälle gab es Zeugen, auch keinerlei Verdachtsmomente. Doch fü r die Kripo stand fest: » Vom Täter fehlt jede Spur, vermutlich kommen aber russ. Kriegsgefangene oder flü chtige Arbeiter aus den Ostländern infrage.e" Auch wenn es unmö glich ist, absolute Zahlen sexueller Ü bergriffe von Seiten der Deutschen anzugeben, fällt die hohe Zahl von Gewalttaten Volksdeutscher gegenü ber nicht jü dischen Polen auf. Insgesamt kann gesagt werden, dass sich in den Gendarmerie- und Kripoberichten häufig Ereignismeldungen von Vergewaltigungen Volksdeutscher an Polinnen finden. Dies dü rfte erstens auf eine hö here Bereitschaft zur Anzeige von Seiten der Polen zurü ckzufü hren sein. Wenn die Anzeige sich nicht direkt gegen Besatzungsmachtangehö rige richtete, hatten die Betroffenen womö glich mehr Zutrauen in die Polizei. Zum anderen dü rfte die Identifizierung in solchen Fällen leichter gewesen sein, da die Täter nicht selten aus dem gleichen Ort stammten wie die Opfer oder aus den Nachbardö rfern. Zumindest das Gesicht war in solchen Fällen unter Umständen bekannt. Dagegen konnten betroffene Frauen ihnen unbekannte Täter - zumal in Momenten des Schocks - häufig trotz der Uniform nicht genau einordnen, denn es gab ein ausdifferenziertes und wechselndes Uniformwesen der Sicherheits- und Kriminalpolizei sowie des Sicherheitsdienstes. Neben einer erhö hten Bereitschaft zur Anzeige auf Seiten der Opfer gab es im Fall volksdeutseher Täter zweitens eine erhö hte Bereitschaft zur Strafverfolgung von Seiten der Deutschen. Die Ermittlungen hatten dann nicht den Geruch des Kameradenverrats; vereinzelt mag es auch eine Gelegenheit gewesen sein, einem » Beutedeutschen« - wie der herabsetzende Begriff fü r die Volksdeutschen wareins auszuwischen. Auch in der Besatzerpresse wurde lediglich ü ber sexuelle Gewalttaten berichtet, die Volksdeutsche begingen, nie aber ber die der Reichsdeutschen." ü

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen Drittens liegt es nahe, die hohen Zahlen der Sexualstraftaten Volksdeutscher als Spiegelbild der neuen Machtverteilung zwischen Polen und Volksdeutschen zu sehen. Das rassistische Regime der deutschen Besatzer setzte die sogenannten Volksdeutschen plö tzlich in der Hierarchie ü ber ihre (ehemaligen) Landsleute. Volksdeutsche wurden in die Wehrmacht eingezogen, meldeten sich zur SA und 55 und wurden als Angehö rige dieser Gliederungen in fremden Orten eingesetzt. Andere blieben zwar in ihren Dö rfern, stiegen dort aber sozial auf, indem sie als Hilfspolizisten und Ü bersetzer dienten und als Deutsche einer anderen Lebensmittelzuteilung und Rechtsprechung unterlagen. Einige der neuen Deutschen« wählten sexuelle Gewalt als Mittel zur Erniedrigung » der polnischen Frauen und ihrer Männer, die diese nicht schü tzten konnten, und kommunizierten dadurch ihren neuen sozialen Status. Denn: Ein Teil der angezeigten Vergewaltigungen fand vor den Augen von Familienmitgliedern statt. So versuchte ein volksdeutseher SS-Mann zweimal eine polnische Ehefrau im Beisein ihres Mannes zu vergewaltigen." August T., zum Tatzeitpunkt 55-Bewerber und zuvor ebenfalls beim Selbstschutz organisiert, ging mit seiner Hakenkreuzarmbinde zu diversen polnischen Gehö ften, um dort Holz zu stehlen, und versuchte in einem Fall, die polnische Ehefrau eines Gastgebers zu vergewaltigen, mit dem er kurz zuvor noch gesellig zusammen gesessen hatte." In der Forschung zu sexueller Kriegsgewalt ist es Konsens, dass Vergewaltigungen eine kommunikative Funktion erfü llen, die sich vor allem an die Männer des Kriegsgegners richtet. Vereinzelt wird vom Austausch rein männlicher Botschaften gesprochen." Betreffs der Volksdeutschen ist diese Deutung zu eingeschränkt, da nur auf die Männer bezogen. Denn die Frauen sollten ebenfalls erniedrigt werden. Besonders auffällig ist in einigen Fällen die persö nliche Bekanntschaft mit den Opfern. So wurde deutlich, dass die volksdeutschen Täter die Gewalt nicht wahllos gegen Polinnen richteten, sondern mitunter alte Begierden stillten bzw. alte Rechnungen beglichen. Der Volksdeutsche Friedrich H. schlug nach einem Besäufnis mit Kollegen von der Hilfspolizei vor, » noch ins Dorf hineinzugehen, um dort die Polen zu kontrollieren« . Tatsächlich aber ging er direkt zu einer ihm bekannten Polin, mit der er im Januar 1939 schon einmal gegen Geld verkehrt hatte. Nun, in seiner neuen Machtposition, musste sie ihm ohne Bezahlung zu Willen sein." Ä ltere Begierden stillte auch Heinrich B., Mitglied des Selbstschutzes in Lobsens,

Muster sexueller Gewalt in Polen einem kleinen Ort 60 Kilometer nordwestlich von Bromberg. Als das frü here polnische Hausmädchen seiner Mutter in Haft kam - sie vermutete sogar, auf sein explizites Betreiben hin -, vergewaltigte er sie und forderte den Gefängnisaufseher auf, es ihm glelchzutun." Was zwischen Opfer und Täter vor Kriegsausbruch vorgefallen war, ob sie ihn zurü ckgewiesen hatte, bleibt in der kurzen Aktennotiz unklar. Dass es jedoch eine Vorgeschichte gab, legt neben der Tatsache, dass beide sich bereits kannten, auch ihre Vermutung nahe, dass B. sie habe festnehmen lassen. Einige der Vergewaltigungen begleiteten die volksdeutschen Täter mit antipolnischen Parolen. Der Mehrfachtäter Harry S. sagte zu einer Polin, während er sie zu vergewaltigen versuchte: » Deine Rasse muss vernichtet werden und wir haben das Recht, sei ruhig und ergebe Dich im Guten.e" In Schwetz nahmen Angehö rige des Selbstschutzes Erschießungen an polnischen Männern vor. Ein junges Mädchen wollten sie ebenfalls mitnehmen - aus Rache. Die 15- bis 16-Jährige, so ein volksdeutscher Zeuge nach dem Krieg, » hatte sich unbeliebt gemacht. Sie war verlogen, auch insofern, als sie Deutsche den Polen gegenü ber denunziert haben soll.« Das Mädchen sollte aber nicht erschossen, sondern vermutlich vergewaltigt werden: » Es war unschwer zu erraten, was auf die Abholung des Mädchens folgen sollte. «82 Sexuelle Gewalt wurde also auch als geschlechtsspezifische Form der Rache eingesetzt.

Herren ü ber das Schicksal: Sexuelle Erpressung Die Besatzer hatten qua Amt die Macht ü ber Leben und Tod polnischer Frauen und inhaftierter Familienangehö riger, ber Arbeitsplätze, Pasü sierscheine oder andere wichtige Dokumente. Zahlreiche Studien haben auf die Korruption unter den Besatzern hingewiesen." Tauschmittel konnte nicht nur Geld, sondern auch Sex sein. Dabei war die Grenze zu sexueller Nö tigung und Vergewaltigung fließend. Denn ein weiteres Gewaltmuster, das in der Besatzungssituation anzutreffen war und von ihr befö rderte wurde, war sexuelle Erpressung. Herbert Strickner, der im Warthegau fü r Eindeutschungen zuständig war, sagte man nach, dass er besonders hü bschen Polinnen die Zugehö rigkeit zur DVL, die eine bessere Rechtssituation mit sich brachte, schneller ausstelle. Eine Polin hatte ihm sexuelle Belästigung im Rahmen solch eines Verfahrens vor-

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geworfen, weswegen unter anderem beim SS-und Polizeigericht ein Verfahren gegen ihn angestrengt worden war.84 »Wenn Du am Leben bleiben willst, musst Du Dich mir heute Nacht schenken« - dies waren die Worte des Reichsdeutschen Heinrich R., der für die Ü berwachung der Internierungslager nach Einmarsch der Deutschen zuständig war, gegenüber der 19-jährigen Polin Wanda R. Unter dem Vorwand, sie zum Arzt zu führen, brachte Heinrich R. sie aus dem Gefängnis, schüttelte dabei die Hilfspolizisten ab und erzählte ihr, dass sie exekutiert werde - es sei denn, sie erfülle seine Bedingung. Die junge Frau ging darauf ein und wurde von ihm in einem Hotel dreimal vergewaltigt." Im Großteil der Fälle wurde den Frauen der Verlust des Arbeitsplatzes angedroht. Zu Zeiten der Besatzung war dies keineswegs banal, da Arbeitslose kurzerhand ins Reich »vermittelt« wurden, wo unbekannte Arbeits- und Lebensumstände sie erwarteten, oder sie wurden innerhalb der besetzten Gebiete auf andere Gehöfte beordert, die weit von ihrem Zuhause entfernt lagen. Insbesondere diejenigen, die in ihrer Heimatstadt angestellt waren, taten viel, um die Stelle nicht zu verlieren. In Suwalki nötigten der Leiter einer Desinfektionseinheit und sein Stellvertreter über Monate ihre weiblichen Angestellten zum Geschlechtsverkehr. Ins Rollen gebracht hatte den Fall Bronislawa P., die bereits an ihrem ersten Arbeitstag, im August 1940, einem Vergewaltigungsversuch des Leiters zum Opfer fiel. Ihre Anzeige führte zu Ermittlungen, die schließlich ein System der sexuellen Erpressung zutage förderten. Der Stellvertreter war angehalten, für die Besuche des Chefs in Suwalki »auch für Mädels zu sorgen. Hierbei sollte es sich aber um Mädchen handeln, die bei uns beschäftigt sind.« Das fand drei- bis viermal im Monat statt. Natürlich bestritt der Mann, Druck ausgeübt zu haben, doch aus den Befragungen der Polinnen wurde deutlich, dass ihnen mit Entlassung gedroht worden war, falls sie den Termin nicht wahrnehmen würden, und diese Drohungen in entsprechenden Fällen auch realisiert worden waren. Eine der entlassenen Polinnen berichtete, dass von anfangs 29 Beschäftigten nur noch zehn dort seien: »Die anderen hat S. alle entlassen, die ihm nicht willig waren, wie ich.« Was in der Wohnung passiert sei, wisse sie nicht genau: »Ich habe aber gehört, dass es dort gutes Abendbrot gibt und auch Schnaps geben soll.«86 Tatsächlich wurden die Frauen verpflegt - was für die eine oder andere Anwesende

in Zeiten des Hungers ein zusätzlicher Grund gewesen sein mag, der Erpressung nachzugeben. Außer dem verheirateten Ernst S. und seinem Kompagnon waren stets ein Wehrmachtsangehöriger, offensichtlich höherrangig, und eine entsprechende Anzahl Frauen anwesend. Den Meister des Heeresbekleidungslagers in Thorn verbanden mit einer seiner Angestellten ein intimes Verhältnis und ein gemeinsamer Schwarzhandel: Kleider aus seiner Heimatstadt Berlin oder dem Lager tauschten sie gegen knappe Lebensmittel wie Eier oder Butter aus dem Umland ein, und er sendete diese zurück ins Reich. Das Feldkriegsgericht in Graudenz kam im August 1943 zu dem Schluss, dass der Reichsdeutsche seine Stellung ausgenutzt habe, um die Frau gefügig zu machen, und sie unter Druck stand, da sie ihre in Thorn wohnenden Eltern und ihr minderjähriges uneheliches Kind versorgen musste: »Wenn sie sich dem Angeklagten R. nicht hingab, so lief sie Gefahr entlassen zu werden und gegebenenfalls aus Thorn weg und in eine andere Stadt dienstverpflichtet zu werden, von wo aus sie ihre Angehörigen nicht genügend unterstützen konnte.e" In Krakau bedeutete der Verlust des Arbeitsplatzes vor Ort gleichzeitig den Verlust der Wohnung: Arbeitslose mussten sich außerhalb der Stadt niederlassen und den Wohnraum in der an Unterkünften knappen Stadt räumen." Das Erpressungsporential, das in solchen Regelungen steckte, war enorm. In diesem Kontext sind auch sexuelle Ü bergriffe gegen Männer übermittelt, so der Fall des bereits erwähnten reichsdeutschen Bäckermeisters Otto J., der an der Narew eine Feldküche leitete. Bereits am ersten Tag im Einsatz belästigte]. einen der dort arbeitenden Polen, nannte ihn Liebling und fasste ihm ans Glied. Zwei weitere Polen waren ebenfalls betroffen." Ä hnliche Ü bergriffe ließ sich ein Gutsinspektor zuschulden kommen, der am 9.2.1944 nach Wieczfnia bei Mielau, also in die eingegliederten Gebiete, versetzt wurde. Den erst 17Jahre alten Polen Stanislaw G. bestellte er mehrere Male abends auf sein Zimmer. Am ersten Abend suchte der Verwalter ein sexualisiertes Gespräch über Frauen, am zweiten musste sich der Junge ausziehen - unter Vorhaltung einer Waffe. Er wurde in der Nacht dreimal vergewaltigt. Neben der Einschüchterung versprach Walter G. seinem Opfer aber auch Vergünstigungen: Wenn er über alles schweigen würde, bekomme er einfachere und leichtere Arbeiten. Geld habe er, so heißt es in den Akten, nicht versprochen. Ans Licht kam die sexuelle Nötigung, als der traumatisierte

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen Junge in der Ö ffentlichkeit heftig weinte. Ein Deutscher fragte nach dem Grund, und als der Junge sich ihm anvertraute, zeigte der Zeuge den Vorfall bei der Polizei an.90 Auch ein volksdeutseher Landwirt nutzte die Verängstigung seiner polnischen Lehrjungen aus. In der ersten Vernehmung verschleierte eines der Opfer die Delikte noch, »denn ich habe angenommen, wenn ich die Wahrheit sagen würde, würde man mich festhalten«, Gerade bei Delikten von Männern gegen Männer litten die Opfer unter höherer Scham, da die Existenz gleichgeschlechtlichen Sexes nicht allen bekannt war." Im Fall des Landwirts R. offenbarten sich die tragischen Folgen mangelnder Sexualaufklärung sowie das Quasi-Feudalsystem auf dem Lande. R. hatte bereits vor 1939 seine Lehrjungen zum regelmäßigen Schlaf und Beischlaf im Ehebett gezwungen, wobei seine Frau im gleichen Zimmer lag. Keiner der Jungen hatte Anzeige erstattet. In einem Fall war zunächst der ältere Sohn einer Familie als Lehrjunge auf dem Hof missbraucht worden, dann kam der jüngere und wurde ebenfalls Opfer sexueller Nötigung, ohne von seinem Bruder gewarnt worden zu sein. Nach dem deutschen Einmarsch passte der volksdeutsehe Mehrfachtäter seine Drohgebärden den neuen politischen Realitäten an. War vorher der Rausschmiss das Einschüchterungsmittel, so nun laut Ian W.: »Wenn ich mich dann ernstlich gewehrt habe, sagte R. zu mir, ich käme dann eben nach Deutschland als Arbeiter. Dieses wollte ich auch nicht, deshalb habe ich es weiter geduldet.e= Das immense System der Zwangsarbeit im Altreich, das im Laufe der Besatzung zwei Millionen Polen betraf, war ein überaus wirksames Einschüchterungsmittel, das angestellte Polen und Polinnen in den besetzten Gebieten zumeist gefügig machte. Kazimierz Wyka, einer der Chronisten der Besatzungszeit, formulierte: »Als Ergebnis dieser Umstände bildete sich folgende psychologische Stimmung heraus: die schlechteste Arbeit im Generalgouvernement ist besser als die Fahrt ins Reich.e"

Mö glichkeitsräume: Ghettos und Lager

Polizeiarrest,

Gefängnisse,

Orte der Inhaftierung waren besonders häufig Orte sexueller Gewalt. In Swilcza im Raum Rzeszöw vergewaltigte ein Gendarmerieangehöriger laut Aussagen mehrerer Zeugen ein heranwachsendes Mädchen auf

Muster sexueller Gewalt in Polen dem Pollzeiposten.?' Ein Amtskommissar im Kreis Hermannsbad missbrauchte zwei Polinnen in Amtsgewahrsam." In Lobsens sind mehrere Fälle von Vergewaltigungen im Gefängnis überliefert: Mindestens fünf Polinnen fielen dem überwiegend volksdeutschen Personal zum Opfer, teilweise handelte es sich um Gruppenvergewaltigungen." Aus Ostroleka berichtete ein Zeuge von sexualisierter Folter: Polnische Juden, mehrere Männer und eine Frau, mussten sich im Gefängnis entkleiden, über längere Zeit entblößt sitzen und währenddessen singen." Und auch Gefängnisse des Selbstschutzes wurden Orte sexualisierter Gewalt gegen jüdische Polinnen." Dies entspricht Ergebnissen von Bernhard Chiari, der unter anderem sexuelle Ü bergriffe eines weißrussischen Gefängnisaufsehers gegen die dort inhaftierten weiblichen und männlichen Juden belegt." Auch Mühlhäuser führt zahlreiche Beispiele für Ü bergriffe in der Haft an, wobei sie ein verstärktes Vorkommen von Gruppenvergewaltigungen vermutet.l'" In ihrem Roman »Lagodne oko blekitu«, erstmals im Exil 1968 und 1987 dann in Polen erschienen, erzählt die polnische Schriftstellerin Zofia Romanowiczowa, selbst Widerstandskämpferin und Opfer von Gestapo- und KZ-Haft, die Geschichte einer jungen Frau in der Gestapo-Haft. Szenen struktureller sexualisierter Gewalt spielen dabei eine wichtige Rolle.'?' In noch größerem Ausmaß waren die Ghettos und Lager Orte der sexuellen Gewalt. In Bezug auf die Lager erinnern sich Frauen und Männer besonders an die erzwungene Entkleidung, begleitet von sexuellen Anspielungen, als Form struktureller sexueller Gewalt.v" Insgesamt beschrieben Ü berlebende Vergewaltigungen und Belästigungen durch deutsche SS-Männer sowie ukrainische und deutsche Polizisten als häufiges Phänomen.'?" Vor allem in Ghettos kam es zu massenhaften sexuellen Ü bergriffen. 104 Auch hier wandten die Täter sexualisierte Foltermethoden an. Im Ghetto in Rejowiec zwang ein SS-Rottenführer einen Mann und eine Frau zum Geschlechtsverkehr vor aller Augen.'?' Ein weiterer Zeuge bestätigte diese Geschichte und sprach von wiederholten Taten. Er selbst gab sich als beteiligtes Opfer zu erkennen.t?"

Die Rechtlosen: Sexuelle Gewalt gegen Juden In der Gesamtschau der Quellen erscheinen Juden als häufige Opfer sexueller Gewalt im besetzten Polen. Dies lässt sich zum Teil auf die ver-

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen wendeten Quellen zurückführen, da insbesondere die nach 1945 angestrengten Verfahren die deutschen Verbrechen gegen die Juden Europas zum Gegenstand hatten und sich auch das Visual History Archive maßgeblich auf Interviews mit jüdischen Ü berlebenden gründet. Gleichzeitig ist aber auch die Dunkelziffer hinsichtlich sexueller Gewalt an jüdischen Polen noch höher zu klassifizieren als bei Ü bergriffen auf nicht jüdische Polen, da es immerhin Anzeigen von Polen wegen Vergewaltigung und Nötigung gab, während dies von jüdischer Seite sehr viel seltener geschah.?" Dass dennoch so viele sexuelle Ü bergriffe gegenüber Juden dokumentiert sind, verweist auf die Entfesselung der Gewalt während des Holocausts und die weitgehende Entrechtung der Juden und Jüdinnen, deren Deprivation zumeist folgenlos blieb. Auffällig ist dabei, dass Angehörige aller Gruppen - wenngleich auch hier natürlich nicht alle Angehörigen dieser Gruppen - im besetzten Polen, also Reichsdeutsche, Volksdeutsche, Ukrainer und Polen, sexuelle Gewalttaten gegen polnische (und nichtpolnische) Jüdinnen (und Juden) verübten. In den Quellen zeigen sich also deutliche Unterschiede zwischen sexuellen bergriffen Ü auf Polinnen und Jüdinnen: erstens in Bezug auf die Orte. Polinnen wurden an ihrem Arbeitsplatz oder an ihrem Wohnort vergewaltigt, Jüdinnen häufig im Ghetto und im Lager - es gab also jeweils unterschiedliche Möglichkeitsräume. Zweitens wurden Ü bergriffe auf Polinnen oft von den Tätern getarnt bzw. unter einem Vorwand verübt, während sexuelle Gewalt gegen Jüdinnen direkter und ohne größere Vorsichtsmaßnahmen ausgeübt wurde. Dies verweist auf die unterschiedlichen juristischen Möglichkeitsräume, die durch die vollständige Entrechtung der Juden gegeben waren. Drittens kam in Bezug auf die Jüdinnen neben anderen Motivationen der Antisemitismus der Besatzer als Motiv für sexuelle Gewalt hinzu. Die Rolle der antisemitischen Ideologie in diesen Gewaltverbrechen kann dabei nicht pauschal bestimmt werden. Bei einigen sexuellen Gewaltverbrechen gegen Jüdinnen verbanden sich antisemitische Handlungen mit Dominanzlust: Jüdischen Männern wurden die Bärte rasiert, ihre Frauen oder Töchter wurden vergewaltigt. lOB Ein reichsdeutscher Beamter in Warschau nutzte die Rechtlosigkeit einer Jüdin auf besonders perfide Art und Weise aus. Im Mai 1940 war er in seiner Funktion als Beamter, zuständig für die Konfiszierung jüdischen Eigentums, in eine Wohnung gekommen, deren Besitzerin er Monate später in einem deut-

Muster sexueller Gewalt in Polen sehen Lokal wiedersah. Er schwärzte sie beim Wachhabenden an, doch das Ergebnis der Kontrolle war negativ, die Frau hatte ethnisch polnische Papiere. Daher fuhr er zweimal zur betreffenden Wohnung, und als er die Frau beim zweiten Mal tatsächlich antraf, war damit ihre Identität als Jüdin bestätigt. Allerdings veranlasste er nicht, dass sie ins Ghetto deportiert wurde, sondern nutzte die Notsituation der Frau aus und zwang sie zu einer sexuellen Beziehung.'?' Ä hnliches erlebte dieselbe Frau später mit einem zweiten Besatzer: »Ich musste mich dem Geschlechtsverkehr hingeben, weil er darauf drängte und ich Angst hatte, dass er mir als Jüdin Unannehmlichkeiten bereitet.e"v Einen volksdeutschen Boten der Polizeidirektion verurteilte das Sondergericht Hohensalza am 7.2.1941 »wegen fortgesetzter Rassenschande« zu einem Jahr Gefängnis. Eine Jüdin auf der Flucht bat ihn um Geld, er nahm sie mit in seine Wohnung, wo sie zwar etwas zu essen bekam, dafür jedoch mit ihm und seinem Bruder, beide balten deutsche Umsiedler, regelmäßig verkehren musste.l" Auch Lilian Ruberl suchte 1942 in Skarzysko Kamienna, südlich von Radom, bei einem ihr bekannten Volksdeutschen Hilfe, der sie daraufhin vergewaltigte.v- Unter den Polen, welche die Situation der Jüdinnen ausnutzten, waren vor allem die szmalcownicy (Erpresser) berüchtigt, die sich mit Geld und eben auch sexuellen Diensten bezahlen ließen.P" Es gab freilich auch Menschen, die Juden versteckten, sich diese Hilfe aber »bezahlen« ließen. In zahlreichen Interviews des Visual History Archive erzählen polnische Holocaust-Ü berlebende solche Geschichten. Lillian Boraks-Nemetz berichtete von einem Bauern, einem Bekannten der Großmutter, zu dem sie geflüchtet waren. Der Mann hatte sie mit falschen Dokumenten beschäftigt, nutzte aber Abwesenheiten der Großmutter aus, um sie zu belästigen.v' Ö stlich von Bialystok, in Tarnopol, versteckte sich die Familie von Lola Margulies gegen Geld bei polnischen Bauern. Einmal, im Jahr 1944, verlangte einer der Polen Sex von der jüngsten Tochter der Familie, woraufhin sich stattdessen die ältere Schwester opferte. Dies sei zwar eine Ausnahme gewesen, so die Ü berlebende, habe aber die Angst im Versteck noch vergrößert.t> Frauen, die aus dem Ghetto oder Lager fliehen konnten, wurden in ihrer Schwäche und Not ebenfalls missbraucht: In einigen Fällen gaben die Täter den Opfern nach der Vergewaltigung ein Stück Brot oder zeigten ihnen den Weg zu den Partisanen.116

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen Sexuelle Gewalttaten gegen Jü dinnen verü bten also sowohl Reichsdeutsche als auch Volksdeutsche und Polen, und selbst Hilfe war oftmals mit sexueller Gewalt verbunden. Dabei sind bei den deutschen Besatzern teils auch rassistische Motive zu erkennen, zudem kam es zu Gruppendynamiken und zu einer Gewö hnung an die entgrenzte Gewalt. Doch auch bei den einheimischen Männern verschob sich der Referenzrahmen« (Welzer): Die Erfahrung, dass bestimmte Verbrechen » während des Krieges straflos blieben, fü hrte bei einigen zu negativen Verhaltensweisen. Zudem spiegelt sich in der Verteilung sexueller Gewalt insgesamt die Verschärfung der Geschlechterhierarchien wider, denn die rassistische Ordnung veränderte und verschärfte etablierte Geschlechterhierarchien. Jü dische Frauen standen ganz am Ende dieser Hierarchie.

Auffü hrungen

der Macht: Ö ffentliche

sexuelle Gewalt

Auch nach dem Ende der Invasion waren angezeigte Vergewaltigungen häufig Gruppenvergewaltigungen: Mehrere Männer drangen gemeinsam nachts in Häuser ein und vergewaltigten die weiblichen Bewohner,!" Im Kreis Jaslo im Distrikt Warschau bildete sich eine Gruppe um den Kreishauptmann Walter Gentz, die nach Alkoholexzessen regelmäßig in fremde Häuser eindrang und Frauen vergewaltigte.'!" Oder eine Gruppe Männer ging nach dem Ende der Ö ffnungszeit in ein Cafe und vergewaltigte nacheinander die Bedienungen.':" Die Heimatarmee berichtete aus Warschau von Gruppenvergewaltigungen junger Polinnen auf einem Fest der Besatzer.120 Angehö rige der SA-Standarte » Feldherrenhalle« vergewaltigten während ihres Dienstes im Warschauer Palais Brü hl eine Polin. Sie wollte im Februar 1942 nach Mitternacht an der Wache vorbeigehen. Die Männer zogen sie jedoch herein, plü nderten ihre Handtasche und misshandelten und vergewaltigten die Frau. In der Verhandlung kam heraus, dass die Männer zuvor bereits in den Diensträumen Geschlechtsverkehr mit Polinnen hatten - ob dieser auf Zwang beruhte, wurde nicht untersucht. In diesem Fall hatte die Polin die Männer angezelgt.!" » Milena« Teodora Zukowska, eine Angehö rige der Untergrundbewegung, die sich als Schreibkraft ins Palais Brü hl eingeschleust hatte, berichtete in ihren Erinnerungen mit Empö rung von diesem Vorfall.'> Die sexuelle Gewalt

Muster sexueller Gewalt in Polen fand in all diesen Fällen vor den Augen der Kameraden statt, war also teilö ffentlich und diente dem male bonding innerhalb der militärischen Gemeinschaft. Laut der Historikerin Birgit Beck waren knapp ein Drittel aller vor dem Militärgericht verhandelten Vergewaltigungen durch Wehrmachts angehö rige Gruppenvergewalttgungen.w Zudem kam es zu diversen Vergewaltigungen vor den Augen der Familienangehö rigen. Eine regelrechte Auffü hrung der Macht, also eine Vergewaltigung vor der ganzen Dorfgemeinschaft, ist in den Akten nur einmal ü berliefert: Auf dem Rü ckweg von einer dienstlichen Verpflichtung im Kreis Kutno hatten sich die reichsdeutschen Hilfszollassistenten Oskar S. und Karl K. in diversen Gasthäusern und bei einer polnischen Familie - zusammen mit Volksdeutschen - betrunken. Dabei hatte einer der Angeklagten bereits die 19-jährige Tochter bedrängt. Auf dem Rü ckweg zog er schließlich eine 35-jährige Polin auf ihr Gespann.'>' Die Männer vergewaltigten die Frau nacheinander - unter vorgehaltener Waffe, mit der sie auch die sich versammelnde Menschenmenge von 50 Personen in Schach hielten. Das Verbrechen fand tagsü ber mitten im Dorf statt.v" Solche Taten, verü bt in der Ö ffentlichkeit, haben hohen Symbolgehalt: Nicht nur die vergewaltigte Frau, sondern die anwesenden Familienmitglieder und Dorfbewohner sollen gedemü tigt werden. Der Historiker Bernd Greiner zitiert einen amerikanischen Vietnamkämpfer mit den Worten, dass eine Vergewaltigung einen bleibenden Eindruck bei dem Kerl hinterlässt, (...) der beobach» ten muss, wie seine Tochter rangenommen wird. (... ) Was wir mit den Frauen gemacht haben, war im Vergleich zu den Männern noch einmal verdoppelt.et=

Massenvergewaltigungen bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes Eine dritte Phase ist der Warschauer Aufstand im August 1944, den die Deutschen mit großer Brutalität niederschlugen. Mit der RONA, einer russischen Waffen-SS-Brigade unter der Fü hrung von Kaminski, und der Brigade Dirlewanger, einem Bataillon von Soldaten, die bereits vor dem Krieg Schwerverbrecher waren, ergänzte sich die Wehrmacht um die skrupellosesten Einheiten: Massenerschießungen und Massentö tungen durch das Entzü nden der unterirdischen Gänge, durch die Aufständi-

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen sehe und Zivilbevölkerung sich in Sicherheit zu bringen versuchten, sind dokumentiert. Zu den Verbrechen zählten auch Vergewaltigungen, die in einigen Stadtteilen massenhaft vorkamen. Der Historiker Wlodzimierz Borodziej spricht von Massenmord und Vergewaltigungen in Ochota, wo vor allem die Kaminski-Brigade eingesetzt war. Anscheinend hatte die Wehrmachtsführung gerade der RONA bewusst und explizit Plünderungen und Vergewaltigungen als brutale Maßnahmen der Bevölkerung gegenüber erlaubt.!" Die genauen Opferzahlen sind nicht bekannt, es wird aber von mehreren hundert Menschen ausgegangen.128 Aus dem Stadtteil Ochota berichtete Barbara Suraga, eine inzwischen über 90-jährige Frau: »Und sie, ich wohnte ja in Ochota, sie haben dort - kurz gesagt - gewütet.« Eine junge Nachbarin sei mehrfach vergewaltigt worden.!" Das Krankenhaus »Dzieciatka jezus« nahmen ukrainische Formationen am 13.8.1944 ein. Zahlreiche Vergewaltigungen von dort arbeitenden Frauen sowie Patientinnen sind dokumentiert."? Ein Mitglied der Kampfgruppe Reinefahrt!" bestätigte in einer Nachkriegsermittlung Massenvergewaltigungen durch die KaminskiBrigade, allerdings wollte er damit sich selbst und die reichsdeutschen Truppen reinwaschen. So behauptete Kurt N., dass sich polnische vergewaltigte Frauen an die Deutschen um Schutz gewendet hätten. 132 Neben Ochota waren die Stadtteile Wola und Marymont Orte von massenhaften Ü bergriffen.t" Obwohl die Massenvergewaltigungen bekannt sind, finden sich in der umfangreichen, 2700 Gespräche umfassenden Interviewsammlung des Warschauer Aufstandsmuseums lediglich zwei Erzählungen von Frauen über sexuelle Gewalttaten im Kontext des Aufstands, wobei sie jeweils die Vergewaltigung anderer Frauen schildem.!" Mehrere Interviewstudien zu sexueller Kriegsgewalt haben bereits darauf hingewiesen, dass beim Sprechen über sexuelle Gewalt häufig eine Opferverschiebung stattfinde, befragte Frauen also nicht über eigene Erfahrungen sprechen, sondern über die von Familienmitgliedern oder Bekannten. 135 Die in Warschau eingesetzten Gruppen nutzten insbesondere die Sammelpunkte von Aufständischen vor der Deportation in die Lager und die Vertreibungsmärsche selbst zu Ü bergriffen. Andrzej Ostrowski erinnerte sich an Vergewaltigungen bei der Vertreibung der Zivilbevölkerung Anfang Oktober 1944 in Richtung Pruszk6w, verübt von der RONA:

Muster sexueller Gewalt in Polen »Später haben sie uns dann in Richtung des jetzigen Viaduktes in der Popieluszki-Straße vertrieben. (... ) Dort haben sie uns in große Gruppen eingeteilt, immer um die Hundert, und dann wurden wir, flankiert von der Soldateska [im Original zotdak, M. R.) in Richtung des Viaduktes an der Powazkowska-Straße entlang den Gleisen getrieben. Dort gab es auch solche Gärtchen. Die Soldateska zerrte auf dem Weg Frauen aus unseren Reihen ins Gestrüpp, später hörte man einen Schuss, und weiter gingen wir. Auch haben wir alle jungen Mädchen in der Mitte unserer Kolonne platziert, mit Dreck beschmiert, damit sie nicht ... (Schweigen) ... aber für diese Tiere war das kein Hindernis.. 136

Von fehlgeschlagenen Schutzstrategien der Gruppe berichtete auch Ierzy Solecki, Jugendlicher während des Aufstandes. Er beobachtete auf dem Gelände des Gemüsemarktes Zieleniak an der Kreuzung Gr6jecka und Opaczewska, heute bekannt als Targowisko Banacha, massenhafte bergriffe. Dort existierte vom 5. bis 20. August 1944 ein DurchgangsÜ lager, das von der RONA kontrolliert wurde und in dem über 1000 Menschen zu Tode kamen.':" In der Forschungsliteratur zur sexuellen Gewalt in Kriegen wird betont, dass massenhafte Vergewaltigungen in kriegerischen Auseinandersetzungen auch zum Ziel hätten, die gegnerischen Männer zu demütigen.P" Soleckis und in geringerem Maß auch Ostrowskis Erzählung zeugen von genau dieser bis heute nachwirkenden Erniedrigung, die vor allem darin bestand, dass es ihnen nicht gelungen war, die Frauen zu schützen.

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Aus dem breiten Spektrum sexueller Gewaltformen wurden nur bestimmte Delikte weiterverfolgt. Beleidigungen mit sexueller Konnotation wurden nicht aktenkundig, obwohl diese laut Zeugenerinnerungen durchaus verbreitet waren.v? Schilderungen unerwünschter Berührungen der primären und sekundären Geschlechtsteile und erzwungener Nacktheit sind in den überlieferten Dokumenten von Polizei und Justiz zwar zu finden, wurden aber kaum von Exekutive und Judikative zur Anklage gebracht. Von den Taten gelangten hauptsächlich versuchte und vollzogene Vergewaltigungen vor Gericht."? Eine Anzeige brachte die Ermittlung zumeist ins Rollen, war aber nicht zwingend nötig. Denn sexuelle Gewalt wurde 1876 zum Offizialdellkt.!" was auch im Zweiten Weltkrieg - entgegen anderslautenden Thesen - nicht geändert wurde.i= Dies bedeutete, dass Strafverfolgungsbehörden von sich aus aktiv werden mussten, wenn sie Informationen über ein Sexualdelikt bekamen. Zuständig waren unterschiedliche Instanzen. In der Invasions- und Besatzungssituation war die Geheime Feldpolizei für derlei Delikte in der Wehrmacht verantwortlich, die die Fälle dem zuständigen Gerichtsherrn übergab. Wenn die Verdachts momente ausreichten, konnte ein kriegsgerichtliches Verfahren eingeleitet werden. Jedoch konnte einer der beteiligten Richter ein Verfahren auch wieder kippen, wenn ihm die geschilderte Beweislage nicht ausreichend erschien.t" Sexuelle Ü bergriffe deutscher Landser wurden später auch häufig durch Feldgerichte verhandelt,144deren Urteile größtenteils vernichtet wurden. Das erklärt auch, warum die zentralen Militärgerichtsbestände nur 232 Fälle sexueller Gewalt im Zweiten Weltkrieg enthalten, wovon 19 auf die polnischen Gebiete entfielen. Diese Fälle sowie die nachfolgenden Urteilsbegründungen wurden von Birgit Beck grundlegend analysiert. Beck verweist auf die hohe Dunkelziffer, vermutet aber angesichts der wenigen Fälle dennoch, dass sexuelle Gewalt tatsächlich nur vereinzelt vorkam.lv Re-

gina Mühlhäuser zweifelt in ihrer Studie zu sexuellen Ü bergriffen in der Sowjetunion diese These an. Ihr Quellenmaterial ist breiter, sie hat neben den Feldgerichtsurteilen diverse Bestände der Wehrmacht einbezogen, besonders der Heeressanitätsinspektion, der SS- und Polizeiführer und der zivilen Besatzungsbehörden in den besetzten Ostgebieten. Zudem wertete sie Ego-Dokumente deutscher Soldaten aus.!" Tatsächlich gerät mit der ausschließlichen Auswertung der Feldgerichtsurteile nur ein Ausschnitt der Kriegssituation in den Blick. Für die besetzten polnischen Territorien waren die Feldgerichte nur eine Instanz, die sich um sexuelle Ü bergriffe oder Nötigung durch Soldaten kümmerte. Zudem muss gerade hinsichtlich der Soldaten betont werden, dass keine Ermittlungen mehr aufgenommen wurden, wenn ein Sexualdelikt den Ermittlungsbehörden erst nach längerer Zeit bekannt wurde. So war es zum Beispiel bei der Dobscher Bäuerin, die wegen einer absichtlich herbeigeführten Fehlgeburt vernommen wurde und dabei den erzwungenen Geschlechtsverkehr durch einen Landser zu Protokoll gab.!" Da Name, Dienstgrad und Einheit in diesem Fall unbekannt waren und der Soldat sich vermutlich schon längst außer Landes befand, wurde vom Versuch einer Strafverfolgung abgesehen. Dies war vermutlich kein Einzelfall, da die Kosten einer solchen mit der Verfolgung verbundenen Suche insgesamt hoch waren - zu hoch, um ein Delikt zu verfolgen, das Regina Mühlhäuser für die Sowjetunion als einkalkuliert beschreibt. 148 Sehr viel konsequenter aber ermittelten und verurteilten andere Instanzen der Besatzung. Gendarmerie, Schutzpolizei, Kripo und Gestapo waren in die Recherche und Aufklärung von Sexualdelikten involviert und gaben die Fälle dann, sofern tatsächlich ein deutscher Bürger beteiligt war, an die Gerichte der Besatzer weiter. In der Theorie gehörten alle Delikte der 55-Angehörigen vor das 55- und Polizeigericht, 149 Delikte von Angehörigen des Verwaltungsapparates und Zivilbesatzern wiederum waren von den deutschen Gerichten vor Ort zu verhandeln.'>" Von den Polizeiformationen waren - je nach Größe des Ortes erst einmal Gendarmerie oder Kriminalpolizei beteiligt, die Vergewaltigungen und Umgangsdelikte sollten dann aber an die Gestapo abgegeben werden, zumindest in den eingegliederten Gebieten.>! Dieser Forderung kamen die Kriminalisten allerdings nicht immer nach, sondern ermittelten häufig selbst.

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Sofern die Exekutivorgane der Besatzer Informationen ü ber Sexualdelikte erhielten, begannen sie zu ermitteln - wenngleich vermutlich nicht in allen Fällen. Es kann nur spekuliert werden, wie viele Anzeigen wegen vermeintlicher Nichtigkeit nicht bearbeitet wurden oder ob auf der einen oder anderen Dienststelle der Konsens bestand, dass sexuelle bergriffe eine Art Kavaliersdelikt seien. So erwähnten die Warschauer Ü Untersuchungsbehö rden der Sicherheitspolizei den Vergewaltigungsversuch eines SS-Angehö rigen an einem Dienstmädchen verharmlosend als » Balgerei« und unternahmen nichts, um die Tat zu verfolgen. 152 Auch ein Fall aus Lobsens illustriert, dass Vergewaltigung als Kavaliersdelikt angesehen wurde, fü r das zumindest die ortsansässigen SS-Männer keinen der Ihren im Gefängnis sehen wollten. Der ehemalige Hilfspolizist Artur S. kommentierte die Stimmung in Bezug auf die Untersuchung der Gendarmerie wegen einer Vergewaltigung zweier polnischer Mädchen folgendermaßen: » In SS-Kreisen in Lobsens soll man schlecht auf die Polizei zu sprechen gewesen sein, nachdem wir in dieser Angelegenheit eingehende Ermittlungen durchgefü hrt hatten.e=' Wenn sich die Exekutivorgane der Besatzung entschlossen hatten zu ermitteln, verhö rten sie zunächst die beteiligten Frauen und Männer sowie potentielle Zeugen. Generell gehö ren sexuelle Gewalttaten zu den Delikten, bei denen die Beweismittel zumeist dü rftig sind und Aussage gegen Aussage steht. Moderne kriminalistische Mittel zur Ü berfü hrung von Sexual straftätern wie die DNA-Analyse standen damals natü rlich noch nicht zur Verfü gung. Ü blicherweise suchten die Amtsärzte nach Spuren der Gewalt am Kö rper des Opfers, dazu gehö rte eine gynäkologische Untersuchung des Hymens.v" Der ehemalige Kreisarzt in Wissek bei Bromberg berichtete im Rahmen von bundesrepublikanischen Nachkriegsprozessen von seinen Untersuchungen im Rahmen von Strafverfahren. So habe er einmal das Jungfernhäutchen einer jungen Polin untersucht, die von einem SS-Angehö rigen vergewaltigt worden sei. Dabei habe er den eigentlich zuständigen polnischen Arzt vertreten, der sich diese Untersuchung nicht getraut habe. ISS Offensichtlich waren bei Sexualstraftaten nicht nur die polnischen Opfer eingeschü chtert, sondern auch polnische Ä rzte im Gerichtsdienst. Im Zweifelsfall hätten sie gegen einen Deutschen aussagen mü ssen. Neben der Hymenuntersuchung gab es natü rlich weitere Mö glichkeiten, nach Beweisen fü r die Tat zu suchen. Bei einem Gewaltverbrechen

gegen ein Kind etwa zogen die Strafuntersuchungsbehö rden alle Register und ü berfü hrten den deutschen Täter in einem wahren Indizienprozess: Sperma- und Cremespuren sowie Dreckreste auf der Hose waren erdrü ckende Beweise, die schließlich mit der Identifizierung durch das Opfer gestü tzt wurden.!" Solche ärztlichen Untersuchungsberichte sind eine besondere Quelle, denn in ihnen ist mitunter die Brutalität der Straftaten deutlich erkennbar.!" die in den anderen Dokumententypen häufig verschleiert wird. Die im Zuge der gerichtlichen Untersuchung stattfindenden Befragungen ü ber die Vergewaltigung stellten die Opfer zumeist vor schwierige psychologisch-emotionale Herausforderungen. Doch auch fü r die Vertreter der Untersuchungsbehö rden waren diese Befragungen schwierig, wenn auch aus ganz anderen Grü nden. Nachdem der Reichsfü hrerSSseinen Kriminalisten detaillierte Fragen nach der Art des Geschlechtsverkehrs bei Verstö ßen gegen das Umgangsverbot im August 1942 untersagt hatte.v" waren zahlreiche Polizeibeamte verunsichert. Himmler, der dem offenbar grassierenden Voyeurismus in der Polizeiarbeit Einhalt gebieten wollte, begrenzte seinen Befehl zwar auf die Untersuchungen in Fällen von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Dennoch fassten zahlreiche Dienststellen die Richtlinie als allgemeines Tabu auf. Doch wie sollten Sexualdelikte angesichts dieser Beschränkung aufgeklärt werden? Der Justizminister richtete eine entsprechende Anfrage an den Reichsfü hrer-SS: Kurz darauf wurde ein Runderlass ausgegeben, der den Kriminalbediensteten erläuterte, dass bei Vergewaltigungsfällen explizit nach Details zu fragen sei. 159 Wie verhielt sich die deutsche Polizei nun gegenü ber anzeigenden Frauen? Häufig untersuchten die Polizisten nicht nur die Tatumstände, sondern beurteilten auch den Charakter der Frau, die eine Vergewaltigung anzeigte. Im Falle einer Gruppenvergewaltigung an zwei Kellnerinnen in Siedlee im Distrikt Warschau stand der positiven Beurteilung des einen Opfers die negative des anderen Opfers gegenü ber: » Bei der vergewaltigten Jadwiga P. handelt es sich um ein Landmädchen, das einen sehr ruhigen, jedoch unbedingt anständigen Eindruck erweckt. Ihren Aussagen, die sehr sachlich und genau gegeben wurden, kann ohne Zweifel Glauben geschenkt werden.e's? Auch wenn es in diesem Fall zu einer Verurteilung der drei reichsdeutschen Täter kam, verdeutlicht der Fall, wie sehr die Frauen Gefahr liefen, bereits im Stadium der

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen polizeilichen Ermittlung als unglaubwürdig angesehen zu werden und am Ende gar ihrerseits wegen Beleidigung eines Deutschen scharfe Strafen zu erhalten. Vor Gericht griffen ähnliche Muster: Auch hier spielte die Glaubwürdigkeit als Polin eine große Rolle."! Im Verfahren gegen den Reichsdeutschen, der seine polnischen Angestellten in Suwalki zu sexuellen Dienstleistungen erpresste und eine Frau zu vergewaltigen versuchte, folgte das Gericht weitgehend den Zeuginnen. Doch stellten die Richter dezidiert fest, dass üblicherweise Aussagen von Polinnen gegen Reichsdeutsche »nicht und in allen Umständen entscheidende Bedeutung« beizumessen sei.162 Mit dem Inkrafttreten der Polenstrafrechtsverordnung im Jahr 1941 war verfügt worden, dass polnische Zeugen überhaupt nur vernommen werden sollten, wenn es absolut notwendig war. Diemut Majer betont, dass damit eine Regelung festgeschrieben worden sei, die zuvor in den eingegliederten Westgebieten bereits praktiziert wurde. 163 Monika Flaschka weist darauf hin, dass neben der Volkstumszugehörigkeit das (sexuelle) Verhalten der Frauen vor der Vergewaltigung entscheidend für die Urteilsfindung war: »Bedeutender als die Rassenfrage waren Annahmen über das normative Verhalten der Frauen. Wenn die Frauen sich in einer Weise verhalten hatten, die nach Ansicht des Gerichts im Konflikt mit normativen Geschlechterrollen stand, bezweifelte das Gericht in der Konsequenz den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen. Selbst ob die Frauen wirklich vergewaltigt worden waren und aus welchen Gründen sie die Soldaten der Vergewaltigung beschuldigten, wurde vom Gericht in Frage gestellt.e= Solche Einschätzungen und Erkundigungen über das Opfer habe es, so Beck, für die nord- und westeuropäischen Länder und für Polen gegeben, nicht aber für die Sowjetunion, weil dort die Opfer von Vergewaltigungen nicht zählten.t= Tatsächlich spielten Einschätzungen des sexuellen Verhaltens der Frau vor Gericht im besetzten Polen eine große Rolle.t= Allerdings war das qualitativ Neue in der NS-Besatzung - und hier möchte ich Flaschkas Argument abschwächen - die rassische Beurteilung. Denn eine »sittliche Beurteilung« des Opfers ist bereits seit dem Kaiserreich belegt, 167 und sie ist bis heute oft genug Gegenstand von Vergewaltigungsprozessen. Dass die deutschen Täter sich der geringeren Wertigkeit polnischer

Sexuelle Gewalt vor Polizei und Gericht Aussagen bewusst waren, wird in den Verteidigungsstrategien während der Polizeivernehmungen und vor Gericht deutlich. Von einer politischen Racheaktion der den Deutschen feindlich gesinnten Polen fabulierte mehr als ein Delinquent. August T. bezichtigte sein Opfer der Falschaussage aufgrund von Deutschenfeindlichkeit. 168 Ein pädophiler Zollbeamter behauptete eine politische Verschwörung des anzeigenden Vaters.v" Selbst notorische Straftäter wie Harry S. aus Lobsens bestritten alles und bezichtigten die Frauen der Lüge."? Die drei Militärs, die bei Kielce eine Gruppenvergewaltigung an einer Jüdin verübt hatten, transferierten die Schuld auf die Frau - ein nicht unübliches Muster bei Sexualdelikten. In diesem Fall wurde die Schuldverlagerung gestützt durch das Stereotyp der sexuell aktiven Jüdin, das die NS-Propaganda in den Jahren zuvor häufig genug bemüht hatte."! »Die Tochter lag ganz geil im Bett«, behauptete einer der Angeklagten. In den Vernehmungen gestanden sie schließlich die Gruppenvergewaltigung. Sie hätten zwar gewusst, dass Geschlechtsverkehr unter Zwang und dazu auch noch mit einer Jüdin verboten sei, aber offenbar fühlten sie sich im besetzten Gebiet unangreifbar. So gab einer der Täter zu Protokoll, dass er sich einfach nicht habe vorstellen können, dass sie geschnappt würden.!" Ein Täter, der an einer Gruppenvergewaltigung von zwei Jüdinnen in Drohobycz beteiligt war, argumentierte ähnlich. Er habe seine Taten »nicht für -so sehr strafbar- gehalten (... ), weil -die Juden Freiwild- seien«.!" Im Fall von Gruppenvergewaltigungen bezeichneten die Angeklagten überdies das Opfer häufig als Prostituierte, um so den Vergewaltigungsvorwurf abzuschwächen. 174 Welzer und Neitzel weisen in ihrer Auswertung der Abhörprotokolle darauf hin, dass die Formulierung, eine Frau habe sich »zur Hure machen lassen«, im Sprachgebrauch der Landser genauso verbreitet war, um sexuelle Gewalt zu umschreiben, wie die Formulierung vom »Hacken« der Frauen. 175 Größere Kreise der Soldatenschaft legten also - das zeigen ihre Rechtfertigungsversuche - durchaus ein Unrechtsbewusstsein hinsichtlich sexueller Gewalt an den Tag, und zwar nicht nur diejenigen, die am Ende tatsächlich vor Gericht standen. Häufig behaupteten die Männer vor Polizei und Gericht, sich an nichts erinnern zu können. Eine große Rolle spielte dabei der Alkohol, dessen übermäßiger Konsum sexuellen Gewalttaten häufig vorausging.176 Im Kreis Wirsitz übergab sich ein volltrunkener volksdeutseher

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Sexuelle Gewalt vor Polizei und Gericht

Mann - der sich zuvor als Polizist ausgegeben hatte - sogar in der Wohnung der Frauen, die er vergewaltigen wollte. Ihm gelang das Delikt nicht, aber sein Kumpan, ein volksdeutseher SS-Anwärter, zwang eine der jungen Polinnen zum Geschlechtsverkehr,"? Bei Untersuchungen von sexueller Gewalt war der ü bermäßige Alkoholkonsum aber auch eine Schutzbehauptung, die von den Gerichten oft aktzeptiert wurde. So gaben die aus dem Großraum Berlin stammenden Täter einer Gruppenvergewaltigung an, sich aufgrund des Alkoholmissbrauchs an nichts mehr erinnern zu kö nnen, ja zum Geschlechtsverkehr gar nicht in der

dem das »Ansehen« der Sipo. Darü ber hinaus verhängten seine Vorgesetzten ein absolutes Alkoholverbot, da der Mann bereits vorher durch Exzesse aufgefallen war.182 Ä hnlich war es im Fall eines Hilfspolizisten im Warthegau. Der Vergewaltiger war wegen Alkoholmissbrauchs und nicht aufgrund der Sexualstraftat verurteilt worden - zumindest wurde dies, vielleicht aus didaktischen Grü nden, in der Tagesanordnung betont: »Pol. Oberwachtmeister wurde wegen Volltrunkenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. H. hatte eine Polin in sinnlos betrunkenem Zustand vergewaltigt.« !"

Lage gewesen zu sein:

Eine andere beliebte Ausrede der Männer war der ü bermächtige Trieb. Aus Mangel an Mö glichkeiten zum Geschlechtsverkehr sei es zur Vergewaltigung gekommen. Ein reichsdeutscher Gutsinspektor hatte so seine Nö tigung polnischer Lehrjungen erklärt, was das Deutsche Sondergericht ihm allerdings nicht abnahm.t'" Ansonsten entsprach diese Argumentation dem Sexualitätskonzept der Nationalsozialisten, das von einer virilen Männlichkeit ausging, fü r deren Fortbestand regelmäßiger Verkehr eine wichtige Voraussetzung sei.18S Aus diesem Grunde zogen die Strafverfolgungsbehö rden in einigen Fällen durchaus Erkundigungen darü ber ein, ob in einem Ort zum Zeitpunkt eines verbotenen sexuellen Kontaktes ein Bordell bestanden habe, wo der deutsche Besatzer seinen Trieb in offiziell geduldeter Form hätte abreagieren kö nnen.!" Birgit Beck hatte bereits argumentiert, dass vor den Wehrmachtsgerichten das Konzept der Geschlechtsnot vor allem hinsichtlich der Ostfront zur Anwendung kam, da den Soldaten dort ü ber längere Zeiträume hinweg kein Urlaub gewährt worden sei.!" Die bislang angefü hrten Entlastungsstrategien vor Gericht, die zu mildernden Umständen fü hren konnten, sollten nicht darü ber hinwegtäuschen, dass die deutschen Gerichte im besetzten Polen durchaus harte Urteile gegen Sexualstraftäter fällten. Insgesamt war das Strafmaß sehr unterschiedlich, wenngleich gewisse Faktoren es strukturierten. Der AIkoholkonsum - zum Zeitpunkt der Tat, aber auch in der Dauer - war einer davon. Bedeutung hatten zudem das Engagement der Männer in Partei und Militär sowie die bisherige Fü hrung. Zudem spielten Vorstrafen eine Rolle, insbesondere natü rlich solche wegen sexueller Delikte. Ein weiterer Faktor war die Volkstumszugehö rigkeit der Männer. Flaschka hat am Beispiel von Vergewaltigungsprozessen im Warthegau darauf hingewiesen, dass Volksdeutsche fü r die gleiche Straftat strenger bestraft

»Es ist mir nicht bekannt, dass wir die Ä ltere der beiden Frauen im Lokal bis aufs Hemd ausgezogen haben. Auch kann ich nicht sagen, ob einer meiner Kameraden die Frau geschlechtlich missbraucht hat. Ich halte es fü r ausgeschlossen, weil wir alle drei erheblich Schnaps getrunken hatten..

Vom Gericht wurden sie zwar der gemeinsam begangenen Vergewaltigung an zwei Kellnerinnen ü berfü hrt und bekamen Gefängnisstrafen zwischen zwö lf und 18 Monaten, doch der Alkoholmissbrauch wirkte sich strafmildernd aus. Einer der Täter war erst seit kurzem im Generalgouvernement und hätte »die tü ckische Wirkung des Wodka bis dahin nicht gekannt« . 17M Damit bestätigen sich Ergebnisse der Historiker Birgit Beck, David Snyder, Regina Mü hlhäuser und Monika Flaschka, die den Verweis auf Rauschzustände als Rechtfertigungsstrategie und Strafmilderung konstatieren.t" Beck resü miert fü r die Wehrmachts richter, dass einige » einen Rauschzustand als willkommene Begrü ndung [nahmen; M. R.], um einem angeklagten Soldaten entgegenzukommen-.w' Diese Art der Rechtsprechung hatte durchaus Tradition, da Tanja Hommen fü r das Kaiserreich bereits zeigen konnte, dass ü ber den Alkohol die Vorstellung kursierte, dieser wü rde unmittelbar den Geschlechtsdrang steigern - und somit auch zu Vergewaltigungen fü hren.'?' Mitunter allerdings bestraften die Gerichte bei Vergewaltigungen im Rausch den Alkoholmissbrauch strenger als die Ü bergriffe gegen Polinnen. Sipo-Mann lohannes F., der volltrunken in die Wohnung einer polnischen Frau eindrang, wurde erst suspendiert und bekam dann wegen militärischen Ungehorsams und Nö tigung eine Arreststrafe von sechs Wochen. Die Nö tigung der Polin stand dabei nicht im Mittelpunkt, son-

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen wurden als Reichsdeutsche. Dies galt besonders dann, wenn sich die Gewalttat gegen (volks- )deutsche Frauen oder Kinder richtete. 188 Volkstumszugehörigkeit konnte aber auch taterklärend sein, da die NS-Richter mitunter Vergewaltigungen als politisch legitime Rache an Polen deuteten. Ein Angeklagter bekam beispielsweise mildernde Umstände vom Deutschen Sondergericht Warschau zugesprochen, da »die Tat zu einer Zeit begangen [wurde], als allgemein, insbesondere in den besetzten Ostgebieten, die Jahre vorher von den Polen an den Deutschen verübten Greuel in frischer Erinnerung waren und zu einer besonderen Missachtung der Polen Veranlassung gaben«."? Eine perverse Logik zeigt sich hier: Die versuchte Vergewaltigung einer Polin rechtfertigten die deutschen Richter mit vorangegangenen vermeintlichen oder tatsächlichen Gräueln. In der NS-Propaganda spielten sexuelle Gewalttaten gegen Frauen deutscher Ethnizität eine besondere Rolle.'?" Ruth Bettina Birn zitiert einen ähnlich gelagerten Fall aus Danzig: Ein Polizist hatte in einem polnischen Mietshaus randaliert, mehrere Vergewaltigungsversuche verübt und zuletzt den polnischen Hausmeister erschossen. Das SS-und Polizei gericht Danzig billigte ihm »Putativ-Notwehr zu (... ), weil der Hausmeister aufgrund seiner polnischen Volkszugehörigkeit per se eine Gefahr für ihn darstelltee.'?' Weiter orientierte sich das Strafmaß gelegentlich an der politischen Einstellung der Opfer. johann Z. hatte im August 1944 in Iablonowo eine junge Frau vergewaltigt, deren polnische Familie sich, wie es das Gericht formulierte, politisch bislang tadellos geführt habe. Dies wirkte strafverschärfend.!" Opferwürde und -wert waren an Volkstumszugehörigkeit und politisches Engagement des Opfers geknüpft. Allgemeiner Opferschutz war dezidiert kein Anliegen der Gerichte. So erklärte das Strafgericht in Hohensalza explizit, dass es nicht um die polnischen Opfer gehe, als ein Sexualstraftäter zu einer hohen Strafe von acht Jahren Zuchthaus verurteilt wurde: »Das Gericht hat den Angeklagten zu 8 Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese Strafe ist nicht etwa deshalb festgesetzt worden, um den Polinnen einen besonderen Schutz ihrer geschlechtlichen Ehre und Unversehrtheit anzugedeihen lassen. Vielmehr hat der Angeklagte diese verhältnismäßig hohe Strafe deshalb verwirkt, weil er mit seinem Verhalten das Ansehen des Deutschtums im hiesigen Gebiet aufs Schwerste geschädigt hat.«193

Sexuelle Gewalt vor Polizei und Gericht Das Strafmaß für sexuelle Gewalttaten reichte von einigen Wochen Arrest über mehrjährige Zuchthaus strafen bis hin zur Todesstrafe, wobei Täter, die an Gruppenvergewaltigungen beteiligt waren, jeweils unterschiedlich bestraft werden konnten. Drei Arbeitsdienstmänner, die sich einer Gruppenvergewaltigung von 14- und 15-jährigen Mädchen schuldig gemacht hatten, bedachte das Gericht mit Strafen zwischen anderthalb und sechs Jahren Zuchthaus.v" Die Todesstrafe wurde laut Snyder durch die Wehrmachtsgerichte nur in einem Prozent der Verhandlungen von sexueller Gewalt verhängt.i" Ob dieser niedrige Prozentsatz auch für die anderen Verurteilungen zutrifft, kann aufgrund der Quellenbasis nicht nachvollzogen werden. Festzuhalten ist aber, dass die Todesstrafe für Fälle reserviert war, die besonders viel öffentliche Aufmerksamkeit erregten. Denn vor Gericht wurde der Ruf der Deutschen verteidigt'?" - eine bittere Ironie angesichts der omnipräsenten Gewaltverbrechen im besetzten Polen. Sexual straf taten sahen die deutschen Besatzer dabei als besonders geeignet an, propagandistisch ausgenutzt zu werden. Deshalb verurteilte das Sondergericht in Hohensalza die Reichsdeutschen, die ihre Vergewaltigung öffentlich in einem Dorf zelebriert hatten, zum Tode - obwohl, so der Urteilsspruch, beide zusammen neun Kinder zu versorgen hätten und bislang politisch ganz ordentlich aufgetreten seien. Pathetisch heißt es im Urteil: ber »Ü ihren persönlichen Interessen stehen jedoch Lebensinteressen des ganzen Volkes. Die Tat der Angeklagten ist ein Angriff auf diese Lebensinteressen, weil sie während eines gewaltigen Abwehrkampfes des Deutschen Volkes infolge des gerichtsbekannten Nachrichtendienstes der Polen dem feindlichen Ausland Hetzmaterial Iiefert.«!" Die Todesstrafe traf gleichfalls einen der Männer, die als diensthabende Wachen im Palais Brühl eine Polin vergewaltigt hatten. In seinem Fall addierten sich mehrere Delikte.'?" Strafverschärfend wirkte es sich darüber hinaus häufig aus, wenn die Tat in Uniform begangen wurde.'?" Doch konnte ein solcher Amtsmissbrauch auch gerechtfertigt werden: Herbert P. und Karl L., beide Volksdeutsche und einer von bei den als Hilfspolizist beschäftigt, drangen in Wohnungen von Juden ein. Die anwesenden Frauen wurden jeweils als »Hure« und »Hexe« beleidigt und unter vorgehaltener Waffe gezwungen, sich auszuziehen. Zudem versuchten die beiden, eine der Frauen zu

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Erzwungene Kontakte: Sexuelle Gewalt und die Konsequenzen vergewaltigen. Der bei der Polizei angestellte Mann war von der mäßigkeit seines Vorgehens ü berzeugt. Der Richter sah darin strafmildernden Grund: » Mö glicherweise ist dem Angeklagten auch etwas die Polizeigewalt, die er auszuü ben hatte, zu Kopf gen. « 200

Rechteinen dabei gestie-

Unter den Gerichtsurteilen betrafen einige schließlich auch Sexualstraftaten gegenü ber Männern. Wie in einem Brennglas zeigt sich in den Begrü ndungen die Widersprü chlichkeit der Rechtsnormen, die auf der minderen Wertigkeit der Polen basierten. So erhielt ein volksdeutseher Landwirt, der wiederholt sexuelle Gewalt gegen seine polnischen Lehrjungen verü bte, nur zwei Jahre Zuchthaus, da das Gericht mildernde Umstände erwog: Bisher habe er ja »nur Polen zur Unzucht benutzt-.w' Dahinter verbarg sich die Idee der Beschmutzung durch Homosexualität, was im Falle polnischer Männer offenbar weniger gravierend war. Bei einem reichsdeutschen Gutsverwalter wirkte sich allerdings gerade die Tat gegen einen Polen strafverschärfend aus. Im Urteil heißt es: »Entscheidend fiel die Wü rdelosigkeit ins Gewicht, die der Angeklagte durch den Mißbrauch eines Polen an den Tag legte.

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Abb.14

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Abb.2

Philatelistin »

Zaruba, ohne Datum)

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deutsche

Mark« (Karikatur von ]erzy

Abb.3

»In der Chmielna-Straße«

(Karikatur von Kazimierz Grus, 1942)

Abb.5

Postkarte des Albert C. an seine polnische

lazarett in Vilnius, abgestempelt

am 20. 3. 1942.

Freundin

aus einem Feld-

Abb.6

Rückseite

zu Abbildung

5.

Mutter mit Besatzungsvater und Neugeborenem im Garten des großelterlichen Hauses in Warschau-Marymont.

Abb.7

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Abb. 8



Porträtzeichnung

des Besatzungsvaters auf Abbildung 7.

Abb.9 Rü ckseite.

Porträtbild

des Pranz Maiwald mit Widmung

an Maria T. auf der