Konservatives Staatsdenken: Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber 9783050073231, 9783050030401

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Konservatives Staatsdenken: Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber
 9783050073231, 9783050030401

Table of contents :
Einführung
KAPITEL 1: Die Methodik der Wissenssoziologie
1. Der Ansatz der Wissenssoziologie
a) Wissen als Kriterium der Ideologiekritik
b) Der Ideologiebegriff: die „Seinsverbundenheit des Denkens“
2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie
a) Die Beziehungslogik der „relationalen Zurechnung“
b) Logik und Dialektik der „Zurechnung“: der Anwendungskontext
3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung
a) Der staatspolitische Konservatismus
KAPITEL 2: Die Weimarer Jahre. Krise und Kritik: Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung
1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld: Rechtskritik und politische Philosophie
a) Kirchliche Vermögensrechte und „hinkende Trennung“
b) Konkordate: christliches Staatsethos durch politische Philosophie
2. Wirtschaftsverfassung im Wandel
3. Die Rezeption der Lehren Carl Schmitts: Optionen für eine zukünftige Wirtschaftsverfassung
a) Wirtschaftliche Selbstverwaltung
4. Wirtschaftsverwaltungsrecht
5. Die Grundrechte zwischen Notstandsrecht und Auslegungswandel
a) Von der grundrechtlichen Schutzfunktion zur Pflichtfunktion
b) Freiheit gegen Gleichheit
6. Der„Hüter der Verfassung“ im innerpolitischen Verfassungsstreit
a) Art. 48 WRV
b) Die Kritik an der Verfassungsgerichtsbarkeit im Prozeß „Preußen contra Reich“
7. Zwischenresümee zur ideengeschichtlich-zeitgenössischen Zurechnung
KAPITEL 3 : Die Weimarer Jahre. Krise und Kritik. Die wissenssoziologische Zurechnung
1. Die Antwort auf den Weimarer Methodenstreit: Juristisches Methodendenken als Machtfaktor
a) Wissenschaftspolitische Kriterien des Methodenpluralismus
b) Neuhegelianismus: der Etatismus des „objektiven Idealismus“
c) Staat und Volksgeist
d) Existentielles Forschungsdenken. Wirklichkeitswissenschaft
e) Der Begriff des Politischen
f) Die Gegenstandsgebundenheit des Verfassungsrechts
2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären Denkstandortes
a) Die gesellschaftlich-politische Fundierung des konservativ-revolutionären Denkens
b) Das „klubistische“ Element
c) Nationale Verfassungstheorie
d) Antiliberalismus
e) Die Dialektik von „Wachsen“ und „Machen“
f) Das utopische Element des revolutionären Konservatismus
3. Politische Ziele der Verfassungsreform
a) Korporative Funktionen der Verfassung
b) Verfassungswandlung
4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung
KAPITEL 4: Das Dritte Reich. Ausbau und Universalisierung der universalistischen Verfassungstheorie. Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung
1. Machtergreifung und Verfassungsumbau: Rezeptionsprobleme der „legalen Revolution“
2. Rechtserneuerung und „volksgenössische Gliedstellung“: „hoheitliches Recht“ gegen „volksgenössisches Recht“
a) Die neue Rechtssystematik: Dreigliederung und Gestaltung
b) Der „Volksgenosse“
c) Generalklauseln
3. Die nationalsozialistische Wirtschaftsverfassung: der „deutsche Sozialismus“ zwischen „Plan“ und „freier Initiative“
a) Der „deutsche Sozialismus“
b) Formprinzipien der nationalsozialistischen Wirtschaft
c) Die Lösung der berufsständischen Fragen
d) Der korporative Gedanke
4. Die „deutsche Staatswissenschaft“ als enzyklopädisches Wissenschaftsprogramm
a) Staatsbegriff und „politische Wirklichkeitswissenschaft“ als Bausteine einer synthetischen Wissenschaftskonzeption
5. Der Inhalt der „Staatswissenschaft“: „Volk, Bewegung und „Staat“ - die Binnenstruktur der trinomischen Ordnungsreihe als „Verfassung“
a) „Volk“ und „Staat“
b) Die Vermittlungsfunktion der „Bewegung“
c) „Partei“ und „Staat“
d) Volksgemeinschaftspostulat und „Führerverfassung“
e) Die Gestalt der „Verfassung“: Begriff und Inhalt
6. Die Wendung vom „Staat“ zum „Reich“ 1938/39: „Führung“, „Krieg“ und „Großraum“ als neue Leitprinzipien der „Kriegsverfassung“
a) „Führung“ als Formprinzip der „Kriegsverfassung“
b) Die „Außenverfassung“: Großraum und Völkerrecht
c) „Verfassung“ und „Verwaltung“
7. Die historische Suche nach „Nationalidentität“: deutsche Volksgeschichte als nationalstaatliche Verfassungsgeschichte
a) Funktionen der Verfassungsgeschichte: auf der Suche nach historischer Totalität
b) Vom mittelalterlichen Reich zur nationalstaatlichen Einheit: der Durchbruch des „Trennungsdenkens“
8. Zwischenresümee zur ideengeschichtlich-zeitgenössischen Zurechnung
KAPITEL 5: Das Dritte Reich. Die wissenssoziologische Zurechnung. Der soziale und politische Denkstandort im Nationalsozialismus
1. Konservatives Geschichtsdenken
a) Die historische Legitimität des Totalitätsdenkens
b) Die „bürgerliche Gesellschaft“ als Urbild des Heilsdenkens
c) Die Sinnhaftigkeit der Ordnung in der Geschichte: Zyklus und Rhythmus
2. Zum Denkstil völkischen Rechtsdenkens: das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken“
a) „Konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken“ als Juristenphilosophie
b) Zur Konstruktion des Ordnungsdenkens als Denkfigur: „konkret-allgemeiner Begriff“ und „Gestalt“
c) Völkische und etatistische Elemente im Ordnungsdenken
d) „Einlegung“ als Prinzip - die Rechtserneuerungsfunktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens“
e) Eigentum als „konkret-allgemeiner Ordnungsbegriff“: der Dualismus nationalsozialistischen Rechts
f) Immunisierung durch Sprache
3. Ideologische Komponenten des Verfassungsdenkens
4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung
KAPITEL 6: Die Bundesrepublik. Die Lehren aus der Weimarer Verfassung
1. „Wirtschaftsverfassung“ und Grundgesetz
a) Die „Wirtschaftsverfassung“ zwischen Ökonomie und Politik
b) Korporative Einheitsbildung in der „Wirtschaftsverfassung“
c) Die „gemischte Wirtschaftsverfassung“ im Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht
d) Die Interessenwahrung von Markt und Unternehmensverfassung: die „Mitbestimmung“
2. Konservative Prämissen des „sozialen Rechtsstaates“
a) Das Verhältnis von Rechtsstaatsprinzip und Sozialstaatsprinzip
b) Die Sicherung des gesellschaftlichen Status quo
3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe“ des Etatismus?
4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789“ im Kontext der Werkgenese - das „Verfassungsbild“ des deutschen Konstitutionalismus
a) Die Kontinuität des Verfassungsbegriffs
b) Überdauernde Strukturen des Konstitutionalismusbildes seit dem Nationalsozialismus
KAPITEL 7: Wissenssoziologisches Resümee
Anhang
1. Abkürzungsverzeichnis
2. Literaturverzeichnis
a) Publikationen Ernst Rudolf Hubers
b) Begleitende Monographien und Aufsätze
3. Namenverzeichnis

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Ralf Walkenhaus Konservatives Staatsdenken

Ralf Walkenhaus

Konservatives Staats denken Eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Walkenhaus, Ralf: Konservatives Staatsdenken : eine wissenssoziologische Studie zu Ernst Rudolf Huber / Ralf Walkenhaus. - Berlin : Akad. Verl., 1997 Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-05-003040-2

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1997 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der VCH-Verlagsgruppe. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier. Das eingesetzte Papier entspricht der amerikanischen Norm ANSI Z.39.48 - 1984 bzw. der europäischen Norm ISO TC 46. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Druck: GAM Media GmbH, Berlin Bindung: Verlagsbuchbinderei Mikolai GmbH, Berlin Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Einführung

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KAPITEL 1

Die Methodik der Wissenssoziologie 1. Der Ansatz der Wissenssoziologie a) Wissen als Kriterium der Ideologiekritik b) Der Ideologiebegriff: die „Seinsverbundenheit des Denkens" 2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie: a) Die Beziehungslogik der,relationalen Zurechnung" b) Logik und Dialektik der „Zurechnung": der Anwendungskontext 3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung a) Der staatspolitische Konservatismus

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KAPITEL 2

Die Weimarer Jahre. Krise und Kritik: Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung 1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld: Rechtskritik und politische Philosophie a) Kirchliche Vermögensrechte und „hinkende Trennung" b) Konkordate: christliches Staatsethos durch politische Philosophie 2. Wirtschaftsverfassung im Wandel 3. Die Rezeption der Lehren Carl Schmitts: Optionen für eine zukünftige Wirtschaftsverfassung a) Wirtschaftliche Selbstverwaltung 4. Wirtschaftsverwaltungsrecht 5. Die Grundrechte zwischen Notstandsrecht und Auslegungswandel a) Von der grundrechtlichen Schutzfunktion zur Pflichtfunktion b) Freiheit gegen Gleichheit 6. Der „Hüter der Verfassung" im innerpolitischen Verfassungsstreit a) Art. 48 WRV b) Die Kritik an der Verfassungsgerichtsbarkeit im Prozeß „Preußen contra Reich" 7. Zwischenresümee zur ideengeschichtlich-zeitgenössischen Zurechnung

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Inhalt

KAPITEL 3

Die Weimarer Jahre. Krise und Kritik. Die wissenssoziologische Zurechnung 1. Die Antwort auf den Weimarer Methodenstreit: Juristisches Methodendenken als Machtfaktor a) Wissenschaftspolitische Kriterien des Methodenpluralismus b) Neuhegelianismus: der Etatismus des „objektiven Idealismus" c) Staat und Volksgeist d) Existentielles Forschungsdenken: Wirklichkeitswissenschaft e) Der Begriff des Politischen f) Die Gegenstandsgebundenheit des Verfassungsrechts 2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären Denkstandortes a) Die gesellschaftlich-politische Fundierung des konservativ-revolutionären Denkens b) Das ,Jdubistische" Element c) Nationale Verfassungstheorie d) Antiliberalismus e) Die Dialektik von „Wachsen" und „ M a c h e n " f) Das utopische Element des revolutionären Konservatismus 3. Politische Ziele der Verfassungsreform a) Korporative Funktionen der Verfassung b) Verfassungswandlung 4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung

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KAPITEL 4

Das Dritte Reich. Ausbau und Universalisierung der universalistischen Verfassungstheorie. Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung 1. Machtergreifung und Verfassungsumbau: Rezeptionsprobleme der „legalen Revolution" 2. Rechtserneuerung und „volksgenössische Gliedstellung": „hoheitliches Recht" gegen „volksgenössisches Recht" a) Die neue Rechtssystematik: Dreigliederung und Gestaltung b) Der „Volksgenosse" c) Generalklauseln 3. Die nationalsozialistische Wirtschaftsverfassung: der „deutsche Sozialismus" zwischen „Plan" und „freier Initiative" a) Der „deutsche Sozialismus" b) Formprinzipien der nationalsozialistischen Wirtschaft c) Die Lösung der berufsständischen Fragen d) Der korporative Gedanke 4. Die „deutsche Staatswissenschaft" als enzyklopädisches Wissenschaftsprogramm... a) Staatsbegriff und „politische Wirklichkeitswissenschaft" als Bausteine einer synthetischen Wissenschaftskonzeption

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Inhalt 5. Der Inhalt der „Staatswissenschaft": „Volk, Bewegung und „Staat" die Binnenstruktur der trinomischen Ordnungsreihe als „Verfassung" a) „Volk" und „Staat" b) Die Vermittlungsfunktion der „ B e w e g u n g " c) „Partei" und „Staat" d) Volksgemeinschaftspostulat und,,Führerverfassung" e) Die Gestalt der „Verfassung": Begriff und Inhalt 6. Die Wendung vom „Staat" zum ,gleich" 1938/39: „Führung", „Krieg" und „Großraum" als neue Leitprinzipien der „ K r i e g s v e r f a s s u n g " a) „Führung" als Formprinzip der „Kriegsverfassung" b) Die „Außenverfassung": Großraum und Völkerrecht c) „Verfassung" und „Verwaltung" 7. Die historische Suche nach „Nationalidentität": deutsche Volksgeschichte als nationalstaatliche Verfassungsgeschichte a) Funktionen der Verfassungsgeschichte: auf der Suche nach historischer Totalität b) Vom mittelalterlichen Reich zur nationalstaatlichen Einheit: der Durchbruch des „Trennungsdenkens" 8. Zwischenresümee zur ideengeschichtlich-zeitgenössischen Zurechnung

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KAPITEL 5

Das Dritte Reich. Die wissenssoziologische Zurechnung. Der soziale und politische Denkstandort im Nationalsozialismus 1. Konservatives Geschichtsdenken a) Die historische Legitimität des Totalitätsdenkens b) Die „bürgerliche Gesellschaft" als Urbild des Heilsdenkens c) Die Sinnhaftigkeit der Ordnung in der Geschichte: Zyklus und Rhythmus 2. Zum Denkstil völkischen Rechtsdenkens: das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" a) „Konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken" als Juristenphilosophie b) Zur Konstruktion des Ordnungsdenkens als Denkfigur: „konkret-allgemeiner Begriff' und „Gestalt" c) Völkische und etatistische Elemente im Ordnungsdenken d) „Einlegung" als Prinzip - die Rechtserneuerungsfunktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" e) Eigentum als „konkret-allgemeiner Ordnungsbegriff': der Dualismus nationalsozialistischen Rechts f) Immunisierung durch Sprache 3. Ideologische Komponenten des Verfassungsdenkens 4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung

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Inhalt

KAPITEL 6

Die Bundesrepublik. Die Lehren aus der Weimarer Verfassung

330

1. „Wirtschaftsverfassung" und Grundgesetz a) Die „Wirtschaftsverfassung" zwischen Ökonomie und Politik b) Korporative Einheitsbildung in der „Wirtschaftsverfassung" c) Die „gemischte Wirtschaftsverfassung" im Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht d) Die Interessenwahrung von Markt und Unternehmensverfassung: die „Mitbestimmung" 2. Konservative Prämissen des „sozialen Rechtsstaates" a) Das Verhältnis von Rechtsstaatsprinzip und Sozialstaatsprinzip b) Die Sicherung des gesellschaftlichen Status quo 3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe" des Etatismus? 4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789" im Kontext der Werkgenese das „Verfassungsbild" des deutschen Konstitutionalismus a) Die Kontinuität des Verfassungsbegriffs b) Überdauernde Strukturen des Konstitutionalismusbildes seit dem Nationalsozialismus

333 333 338 344 349 353 356 360 363 375 377 381

KAPITEL 7

Wissenssoziologisches Resümee

390

Anhang

406

1. Abkürzungsverzeichnis 2. Literaturverzeichnis a) Publikationen Ernst Rudolf Hubers b) Begleitende Monographien und Aufsätze 3. Namenverzeichnis

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Einführung

Der Konservatismus hat als Ideologie in der deutschen politischen Kultur seit der Vereinigung 1989/90 wieder Konjunktur und legitimiert sich mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme als der stabilere Ordnungsentwurf.1 Das gilt weniger fiir das Ordnungsprogramm von Staat und Gesellschaft, als für die Schlüsselsymbole konservativer Demokratie- und Gesellschaftskritik in der Auseinandersetzung um die deutsche nationale Identität und die historischen Denktraditionen des Konservatismus als Krisenreaktion. Die intellektuelle Auseinandersetzung um die mentale Befindlichkeit der Deutschen und die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Wiedervereinigung ist jüngst als „Kalter Krieg" der Ideologen bezeichnet worden und wird wegen seiner ideologischen Unübersichtlichkeit jenseits der Rechts-Links-Axiomatik mit der „Konservativen Revolution" der zwanziger und frühen dreißiger Jahren in Verbindung gebracht. Der Zweck dieses historischen Vergleichs ist nicht die Krisenparallelisierung von Weimarer Republik und Berliner Republik, sondern vielmehr die Dokumentation, daß die Verhärtung des öffentlichen intellektuellen Diskurses als „literarischer Bürgerkrieg" in der politischen Kultur Deutschlands im zwanzigsten Jahrhundert historische Vorläufer aufweist.2 Mit Botho Strauß und Heiner Müller wurde in den Feuilletons die bundesdeutsche Stimmung mit der zeitgenössischen Lage der Weimarer Republik verglichen und die Schlüsselfiguren der Rechten wie Oswald Spengler, Carl Schmitt und Arthur Moeller van den Bruck genannt. Ist der Vergleich mit diesen republikfeindlichen Vordenkern der zwanziger Jahre auch unangemessen, so zeugt diese Debatte doch von einer Unbefangenheit mit dem öffentlichen Umgang gegenüber als rechts identifizierten Positionen und Autoren.3 Der zeitgenössische Stimmungsvergleich dokumentiert darüberhinaus die Traditionsschübe konservativen Krisendenkens in diesem Jahrhundert. Auch die Konservatismusforschung in Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten Jahren verstärkt dem „symbolischen Feld"4 der „Konservativen Revolution" gewidmet. 1

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Vgl. Rohrmoser, Günter/Frenkin, Anatolij: Neues konservatives Denken als Überlebensimperativ. Ein deutsch-russischer Dialog, 2. Aufl., Frankfurt/M., Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1996, S. 20ff., 179ff.; mit einem Exkurs zum Erbe der „Konservativen Revolution" und ihrem Krisenverständnis. Rupprecht, Michael: Der literarische Bürgerkrieg. Zur Politik der Unpolitischen in Deutschland, Frankfurt/M. 1995, S. 12ff. Ebenda, S. 24ff. Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen, Frankfurt/M. 1995, 24ff.. Sieferle umreißt mit dem „symbolischen Feld" der „Konservativen Revolution" die völkischen, nationalen, sozialistischen und biologischen Phänomene als ideengeschichtliches Konstrukt. Zugleich wird die Komplexität und Uneinheitlichkeit der Entwürfe verdeutlicht.

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Einführung

Eine umfassende Darstellung der Kontinuitätslinien deutschen konservativen Denkens ist genauso komplex wie die noch offene Resümierung des öffentlichen Diskurses seit 1989 unter dem Aspekt der zeitgenössischen Krisenstimmung im Vergleich zu Weimar. Vor allem die 1993 veröffentlichte Studie von Stefan Breuer über die „Anatomie der Konservativen Revolution" kommt zu dem Ergebnis, daß eine Bilanzierung der überaus vielfältigen und divergierenden konservativen Ordnungsentwürfe der Weimarer Zeit begriffs- und ideologiegeschichtlich nicht als „Konservative Revolution" zusammenzufassen ist. 5 Dennoch läßt sich am Einzelfall biographisch und werkgenetisch der politische Denkweg des Konservatismus vor dem Hintergrund der politischen Wechselbäder deutscher Geschichte im zwanzigsten Jahrhunderts nachzeichnen. Kaum ein deutscher Staatsrechtler hat die Krisenerscheinungen der Weimarer Republik auch aus der eigenen Erfahrung und politischen Verstrickung so ausführlich behandelt wie Ernst Rudolf Huber. Wie bei vielen Biographien der um die Jahrhundertwende geborenen Zeitzeugen ist auch bei Huber eine durchgängige national-ganzheitliche politische Orientierung bis in das hohe Alter ein Charaktersitik dieser Generationslagerung. 6 Vorzugsweise das Alterswerk der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" vermittelt die Kontinuitäten konservativen Staatsdenkens über drei politische Systemphasen. Huber, der 1990 gestorben ist, war nicht nur ist einer der profiliertesten und bedeutendsten Öffentlichrechtler Deutschlands von der Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik, sondern hat der nationalstaatlichen Einheit Deutschlands einen Schwerpunkt während seines fast sechzigjährigen akademischen Wirkens gewidmet. Seine wissenschaftliche Biographie ist ein Spiegelbild des dramatischen deutschen Verfassungswandels des zwanzigsten Jahrhunderts, seiner normativen Systemwechsel und der damit verbundenen Anpassungsprobleme eines auf rechtliche Konsistenz gerichteten deutschen Juristenlebens. 7 Ganz allgemein interessiert an Hubers akademischem Werk seine persönlich motivierte und wissenschaftlich fundierte Kontinuität über die drei Verfassungsepochen der Weimarer Republik, des Dritten Reiches und der Bundesrepublik. Darüberhinaus ist dieser Staatsund Verfassungsdenker von besonderem Interesse, handelt es sich bei ihm doch um einen 5

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7

Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993, S. 180ff.. Inwieweit aus Breuers methodischem Verfahren eine Ablehnung des Begriffs „Konservative Revolution" zwingend ist, bedarf noch der eingehenden Überprüfung. Zu diesem generationsspezifischen Faktum der kontinuierlichen politischen Ordnungsorientierung vgl. die vielbeachtete Studie von Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 1996, S. 11-25. Vgl. Klein, Hans Hugo: Zum Gedenken an Emst Rudolf Huber (1903-1990), in: AöR, Bd. 116 (1991), S. 112-119; Simson, Werner von: Nachruf auf Emst Rudolf Huber, in: NJW, 44. Jg. (1991), S. 893-894; Starck, Christian: Ernst Rudolf Huber. 18. Juni 1903-28. Oktober 1990, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1992, Göttingen 1992, S. 232-243; Mußgenug, Reinhard: Nachruf Ernst Rudolf Huber, in: DöV, 44. Jg. (1991), S. 243-245; vgl. zu Leben und Werk die übliche Festschrift- und Gratulationsliteratur in der Rechtswissenschaft: Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, in: AöR, Bd. 98 (1973), S. 155-259; FS fur Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, hrsg. von Ernst Forsthoff, Werner Weber und Franz Wieacker, Göttingen 1973; ferner: Toews, Hans-Jürgen: Ernst Rudolf Huber zu Ehren. Seminar zum 80. Geburtstag, in: AöR, Bd. 109 (1984), S. 593- 605; s. a. Herrmann, Florian: Ernst Rudolf Huber, in: Stolleis, Michael (Hrsg.): Juristen. Ein biographisches Lexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert, München 1995, S. 297298.

Einfiihrung

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Exponenten der autoritär-konservativen Denkrichtung Carl Schmitts und deren bedeutendsten Schüler neben Ernst Forsthoff, Ernst Friesenhahn und Werner Weber. Der „Schmittianische Denkstandort" Hubers, der sich vor allem in der wissenschaftlichen Etablierungsphase zwischen 1926 und 1933 mit der an Carl Schmitts Verfassungslehre orientierten politisierten Rechtsstaats- und Verfassungskritik ausprägte, impliziert die methodologische Synthese von Verfassungsnorm, Verfassungswirklichkeit und Verfassungsidee, von allgemeiner Staatslehre, Staatsphilosophie und geisteswissenschaftlicher Öffnung zu einer synthetisierten Staatswissenschaft. Dahinter stand wesentlich der Impetus, Wissenschaft mit der „Hand am Puls der Zeit" zu betreiben. Von Huber wurden aus den Reihen der konservativen Kritiker des Rechtspositivismus wie Carl Schmitt und Rudolf Smend eine machtorientierte materielle Staats- und Verfassungslehre konzipiert, die sich mit ihrem Anspruch einer antiformalistischen, an der „konkreten Verfassungslage" (Carl Schmitt)8 orientierten Sicht als Antipode zur wertneutralen und agnostischen Normenlehre Hans Kelsens und seiner Schule verstand.9 Ernst Rudolf Huber wurde am 8. Juni 1903 in Oberstein an der Nahe als Sohn eines mittelständischen Kaufmanns geboren.10 Die Prägung durch den Nerother Wandervogel zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Lebensjahr, dem völkischen Zweig der deutschen Jugendbewegung, der sich politisch neutral verhielt, aber völkisch eingestellt war, 11 wird sicherlich für die Bewertung der gesellschaftlichen und staatlichen Krise und die politische Sozialisation entscheidend gewesen sein. Noch 1987 berichtet Huber über diese Zeit: „Was die damalige Generation der Zwanzig- bis Vierzigjährigen kannte, war im Kern eine Kette von inneren Kämpfen: von Streiks, von Vertrauenskrisen, von Erschütterungen des Ansehens des kaiserlichen Amtes, und zugleich von äußeren Krisen: Bosnienkrise, Balkankrise, Marokkokrise, Tripoliskrise. Daran reihte sich der Weltkrieg mit seinen Siegeshoffnungen und seinen Teilerfolgen, mit den beginnenden Niederlagen, endend im äußeren Zusammenbruch und im inneren Umsturz. Die ersten Nachkriegsjahre waren erfüllt von äußerer Bedrückung, von inneren Not- und Gewaltzuständen und von den zu ihrer Überwindung bestimmten Notmaßnahmen."12 8 Vgl. Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung, Berlin 1931, zit. nach der 2. Aufl., Berlin 1969, S. 7Iff., s. a.: Huber, Ernst Rudolf: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in ders.: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 18-36 (24f.), wo der Begriff der „konkreten Verfassungslage" synonym mit „Verfassungswirklichkeit" verwendet wird. 9 Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus. Eine Studie zum Problem der Kontinuität im staatsrechtlichen Denken in Deutschland 1928-1936, Frankfurt/M., New York 1978, S. 52ff. 10 Die biographischen Daten entstammen teilweise einer Mitschrift des Verfassers bei einem Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Emst Rudolf Huber am 19. Januar 1989 und mit Frau Dr. Tula Huber-Simons am 19. Januar 1989 in Freiburg-Zähringen. Zu den akademischen Lehrern und Weggefahrten Hubers s. a. „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789", Bd. 7: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Stuttgart 1984, Vorwort, S. VIII. 11 Nach Auskunft des letzten Assistenten Hubers in Göttingen, Hans-Jürgen Toews; vgl. Starck, Christian: Ernst Rudolf Huber. 18. Juni 1903 - 28. Oktober 1990, a. a. O., S. 232f.. 12 Huber: Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Complexio Oppositorum. Für Carl Schmitt, hrsg. von Helmut Quaritsch, Berlin 1988, S. 33-70 (34). An anderer Stelle spricht Huber auch von einem „Kreis volks- und junkonservativer und christlich-sozialer Prägung', die 1932 vor dem Preußenschlag zusammentrafen; vgl. a. a. O., S. 37.

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Einführung

Huber studierte nach dem Abitur ab 1921 Philologie und Philosophie in Tübingen. Die Inflation nötigte ihn, im kaufmännischen Betrieb des Vaters mitzuarbeiten und das Studium abzubrechen. Im Wintersemester 1922/23 nahm er das Studium wieder auf, diesmal der Nationalökonomie in München. Vorlesungen bei Karl Rothenbücher und Hermann Oncken vertieften seine historisch-philosophischen Kenntnisse und Interessen. Vor allem die politische Aktualität des Staats- und Verfassungsrechts und Vorlesungen beim Zivilrechtler Kisch in München förderten seinen Entschluß, sich im Sommersemester 1923 für Jurisprudenz einzuschreiben. 1924 wechselte Huber nach Bonn, gesellte sich zum engeren Schülerkreis Carl Schmitts neben ebenso bedeutenden zukünftigen Vertretern der Zunft wie Ernst ForsthofF, Ernst Friesenhahn und Werner Weber. 1925 beendete Huber das juristische Studium und promovierte 1926 mit einem staatskirchenrechtlichen Thema 13 bei Carl Schmitt. Danach absolvierte er den juristischen Vorbereitungsdienst am Landgericht Koblenz. Durch Fürsprache Carl Schmitts wurde Huber 1928 Assistent am Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn bei Heinrich Göppert. Dort habilitierte sich Huber 1931 über Wirtschaftsverwaltungsrecht, einem neuen Grenzgebiet zwischen öffentlichem und privatem Recht, das den wirtschaftsverfassungspolitischen Entwicklungen zum Ende der Weimarer Republik Rechnung trug. Diese Säulen seiner öffentlich-rechtlichen Forschung, Staatskirchenrecht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Staatsrecht und Verfassungsgeschichte, profilierten den jungen Privatdozenten zu einem der angesehensten Aufsteiger der Zunft. Die weiterhin enge Zusammenarbeit mit Carl Schmitt führte Huber im Zusammenhang mit der „Gleichschaltung" Preußens im Juli 1932 zu Gesprächen mit der Reichsführung, in Vertretung seines akademischen Förderers. 14 Die mit der nationalsozialistischen Machtergreifung verbundenen Veränderungen in Herrschaftsstruktur und Ideologie schlugen sich in der Hochschulverfassung nieder. Einem Lehrauftrag an der Universität Kiel im Sommersemester 1933 folgte zum Wintersemester 1933/34 eine ordentliche Professur für Staats-, Verfassungs- und Verwaltungsrecht in der Nachfolge des mit den Beamtengesetzen entlassenen liberalen Völkerrechtlers Walter Schücking an das „Institut für Weltwirtschaft" der Universität Kiel. Dort gab Huber als Jurist zusammen mit den Ökonomen Andreas Predöhl und Hermann Bente die traditionsreiche „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" bis 1944 heraus und gewann auch in den Reihen der „Kieler Schule", die nationalsozialistisches Gedankengut entschieden in den juristischen Lehrplänen und der rechtswissenschaftlichen Dogmatik durchsetzte, Einfluß. 1937 wurde er nach Leipzig und 1941 an die wiedergegründete Reichs-Universität Straßburg berufen. Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches endete zunächst auch Hubers akademische Karriere. Er wurde in den Ruhestand versetzt und war damit einer der „131 "er deutschen Beamten, die auf ihre Wiederverwendung warteten. 1947/48 arbeitet Huber zusammen mit Franz Böhm beratend in der bizonalen Wirtschaftsverwaltung. Nach der Währungsrefom übersiedelt Huber mit seiner Familie nach Freiburg. Die Zunft versagte ihm eine Professur und somit blieb er eine Ausnahme in der frühen universitären Aufbauphase der Bundesrepublik. So begann er in der Abgeschiedenheit eines Privatgelehrten seine „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789", deren erster Band schon 1955 fertiggestellt war, aber erst 1957 erschien. Im Gegensatz zu anderen Vertretern des früheren Bonner 13 Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, Tübingen 1927. 14 Vgl. den Erinnerungsbericht: Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, in: Complexio Oppositorum. Für Carl Schmitt, a. a. O..

Einfiihrung

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Schülerkreises distanzierte sich Huber nach 1945 von Carl Schmitt und beschränkte seine Kontakte auf Korrespondenzen.15 Nach kurzer Mitarbeit in der Redaktion des traditionsreichen juristischen Periodikums ,,Archiv des öffentlichen Rechts" ab 1949 16 erhielt Huber 1952 einen Lehrauftrag an der Universität Freiburg, dem 1956 eine Honorarprofessur folgt. 1956 wurde er in die „Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer" aufgenommen, was auch aufgrund seiner vielbeachteten Schriften einer späten Rehabilitierung gleichkam. 1957 folgte ein Ruf an die Sozialwissenschaftliche Hochschule Wilhelmshaven-Rüstersiel. Im Rahmen der Eingliederung der Hochschule in die Universität Göttingen wurde Huber 1962 Mitglied der Göttinger Juristenfakultät bis zur Emeritierung 1968. Im hohen Alter beendete Huber 1984 mit schier übermenschlicher Schaffenskraft die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789". Bis zu seinem Tod 1990 wurde der Registerband zu dieser enzyklopädischen Darstellung fertiggestellt. Quantität wie Qualität des außerordentlich umfangreichen Gesamtwerkes Ernst Rudolf Hubers scheinen bis heute einer systematischen Rekonstruktion und Gesamtwürdigung im Wege gestanden zu haben. Nur einige Teile des Werkes sind bisher unter spezifischen Themenaspekten berücksichtigt worden, wie ζ. B. das nationalsozialistische „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" durch zeitgeschichtlich interessierte Autoren wie Karl Dietrich Bracher und Michael Stolleis und Hubers wirtschaftsverfassungsrechtliche Positionen durch die Spezialliteratur zum Wirtschaftsverfassungsrecht.17 Während das Werk und die Gesamtkonzeption Carl Schmitts, 18 aber auch Ernst Forsthoffs19 ausführlich 15 Huber gehörte werder zu den Gesinnungsfreunden der „Academia Moralis e.V", noch zu den universitären Zirkeln der Schmittianer. Dirk van Laak nennt Huber in seiner Studie über die Wirkung Carl Schmitts in der frühen Bundesrepublik auch deshalb nicht; vgl. Laak, Dirk van: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993. 16 Vgl. exemplarisch die unter Pseudonymen oder anonym veröffentlichten Aufsätze: (ungezeichnet): Beamte als Abgeordnete, in: AöR, NF Bd. 36 (1949), S. 105-109; (gez. U.M.) Parlamentarisches Mandat und öffentliches Amt, in: AöR, NF Bd. 36 (1949), S. 367-371; (gez. U.M.): Mißbilligungsvoten gegen Bundesminister, in: AöR, NF Bd. 37 (1950/51), S. 338-342; alle Aufsätze sind abgedruckt in der Bibiographie der Festschrift zum 70. Geburtstag; vgl. HuberSimons, Tula/Huber, Albrecht: Bibliographie der Veröffentlichungen Ernst Rudolf Hubers, in: Forsthoff, Emst (Hrsg.): FS fur Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, Göttingen 1973, S. 385416 (398f.). 17 Vgl. zusammenfassend Scheuner, Ulrich (Hrsg.): Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, Frankfurt/M. 1971. 18 Zur umfangreichen Carl-Schmitt-Forschung seien nur die wichtigsten Arbeiten genannt: Hofmann, Hasso: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied/Berlin 1964; Maus, Ingeborg: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen Funktion und aktuellen Wirkung der Theorie Carl Schmitts, München 1976; Neumann, Volker: Der Staat im Bürgerkrieg. Kontinuitäten und Wandlungen des Staatsbegrififs in der politischen Theorie Carl Schmitts, Frankfurt/M. 1980; Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels. Katholische Grundeinstellung und antimarxistische Hegelstrategie, Berlin 1989; Koenen Andreas: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches", Darmstadt 1995. 19 Vgl. Storost, Ulrich: Staat und Verfassung bei Ernst Forsthoff, Frankfurt/M., Bern, Las Vegas 1978 (zugleich Diss, iur., Speyer 1976); ders.: Die Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs als Ausdruck eines politischen Verfassungsmodells, in: Hayen, Erk Volkmar (Hrsg.): Wissenschaft

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gewürdigt sind, ist Ernst Rudolf Hubers Gesamtwerk bisher weitgehend vernachlässigt worden. 20 Es fehlt sowohl die Rekonstruktion der Werkgenese unter dem Blickpunkt des Denkweges, als auch die spezifische Analyse des verfassungspolitischen Denkstandortes über die Verfassungsbrüche von 1933 und 1945 hinaus. Bis heute ist weder die Rechtsgeschichtsschreibung noch die Zeitgeschichtsforschung der Untersuchung des komplexen Verhältnisses von akademischem Werk, persönlicher Biographie und politischgesellschaftlicher Bedingtheit bei Ernst Rudolf Huber gerecht geworden. 21 Bei der Analyse des Werkes interessiert nicht nur die argumentative Kontinuität über die Verfassungswandlungen des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus, sondern noch mehr die methodologisch zugrunde gelegte Grundauffassung von Ordnung und Staat, Konflikt und Krisenlagen sowie deren Bewältigung kraft staatlicher und rechtlicher Regelungsmechanismen. Dahinter steht eine transzendente, der Verfassungswirklichkeit enthobene Verfassungsmetaphysik, die Huber in seinem Sammelband „Bewahrung und Wandlung" 22 1975 folgendermaßen umschreibt: „In ihrer Doppelfunktion ist die Verfassung sowohl dem Reich der daseinsbestimmenden Ideen als auch dem Reich der rechtsbestimmenden Wirklichkeit zugeordnet. Das Verhältnis von Verfassungsidee und Verfassungswirklichkeit [...] hat den Autor seit dem Beginn seiner Studien ständig gefesselt." 23 Darüberhinaus prägen in Hegelscher Tradition Begriffe wie „ratio essendi des Staates" oder „Staatlichkeit des Staates" den transzendenten Denkstandort des konservativen Öffentlichrechtlers. Die konservative Dialektik von Bewahrung und Wandlung ist eng mit dem juristischen Selbstbild des Ordnungsdenkens verbunden. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Gesamtwerk Carl Schmitts und Ernst Forsthoffs erscheinen die Schriften Ernst Rudolf Hubers in ihrem methodisch angelegten Rahmen eines metaphysischen Ordnungsdenkens und ihrer antipositivistischen Strenge wesentlich kontinuierlicher und bruchloser. 24 Diese scheinbare „Überzeitlichkeit" des Lebenswerkes

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und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime. Europäische Ansichten, Frankfurt/M. 1984, S. 163-188. Vgl. Geis, Max-Emanuel: Kulturstaat und kulturelle Freiheit. Eine Untersuchung des Kulturstaatskonzepts von Ernst Rudolf Huber aus verfassungsrechtlicher Sicht, Baden-Baden 1990. Geis rezipiert nur die Schriften Hubers aus der Nachkriegsphase, obwohl Ansätze zum Kulturstaatskonzept bereits früher zu datieren sind und der Nachweis des Etatismus bei Huber ohne dessen Schrifttum aus der Weimarer Zeit und dem Nationalsozialismus erbracht wird. Eine ausfuhrliche Analyse der staatskirchenrechtlichen Positionen Emst Rudolf Hubers im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich: Winter, Jörg: Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, Frankfurt/M., Bern, Las Vegas 1979, S. 195-216. Vgl. zum Tabuthema Nationalsozialismus die wissenschaftsgeschichtliche Darstellung von Michael Stolleis: Vorurteile und Werturteile der rechtshistorischen Forschimg zum Nationalsozialismus, in ders.: Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfürt/M. 1995, S. 36-56 (39, 54ff). Huber: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975. Ebenda, S. 8. Diese Frage erscheint im Rahmen der Carl-Schmitt-Schule als „Denkschule" durchaus legitim. Die fur Carl Schmitts Werk festgestellten methodischen Perioden Normativismus, Dezisionismus, konkretes Ordnungsdenken und die bei Emst Forsthoff nach 1945 feststellbare positivistische Trennung von Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht, derartige werkimmanenten Zäsuren sind fur Hubers Denkweg nicht zu konstatieren.

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Hubers ist besonders frappant im Hinblick auf die Bindung des Staats- und Verfassungsjuristen an die normative Ordnung der jeweiligen Verfassungen. Sie drängt auf die Frage, inwieweit der Öffentlichrechtler und Verfassungshistoriker Huber im Rahmen des raschen Verfassungswandels bis 1945 die zeitlich kurzen Ordnungsetappen der Verfassungsordnungen durch eine über Systemwandlungen erhabene Theorie zu neutralisieren suchte. 25 Ernst Rudolf Hubers staatsrechtliche, staatstheoretische und vor allem verfassungshistorische Studien nach 1945, die auf seinen Arbeiten zum Verfassungsrecht der Weimarer Zeit und zur Staatslehre des Drittes Reiches aufbauen, können durchaus als wissenschaftliche Form der eigenen Vergangenheitserfahrung und Vergangenheitsbewältigung interpretiert werden. Dieser Eindruck drängt sich insbesondere nach der Lektüre des 1984 erschienenen siebten Bandes der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" auf, der „Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik" behandelt. In diesem letzten Band der Verfassungsgeschichte gipfeln seine verfassungshistorischen Bemühungen, Interessen, Erfahrungen und Einsichten in der Behandlung der besonderen biographisch-wissenschaftlichen Situation der Jahre 1926 bis 1933, als sich seine zentralen Fragestellungen zu Staat, Verfassung und gesellschaftlicher Ordnung wie die damit zusammenhängenden juristischen Probleme der Verfassungssicherung und Verfassungswandlung konstituierten. So schreibt Huber im Vorwort des siebten Bandes der Verfassungsgeschichte mit berechtigtem Zweifel: „Es ist mir bei diesem letzten Band bewußt, auf welches Wagnis sich ein Autor einläßt, der selbsterlebtes Geschehen als vergangene Geschichte zu behandeln sucht. [...] Aber ist nicht die Unmittelbarkeit der Erfahrung auswegloser Konflikte und verhängnisvoller Fehlentscheidungen die sicherste Voraussetzung historischer Kritik?" 26 Obwohl also im wissenschaftlichen Werk wie in der persönlichen Biographie Ernst Rudolf Hubers Indizien von Selbstkritik und Neuorientierung nicht zu übersehen sind, so bleibt doch die generelle Frage nach der tatsächlichen Verantwortungsbereitschaft und den auch bei anderen durch den Nationalsozialismus belasteten Juristen anzutreffenden „Immunisierungsstrategien" legitim. 27 Baut doch das umfangreiche Projekt der sieben25 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich in Hubers Werk der Gegenstand durch die Methode bestimmt oder umgekehrt. Diese Problematik wird im folgenden hinreichend untersucht; vgl. Sontheimer, Kurt: Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, Freiburg 1963, S. 12f.; ferner: Grimm, Dieter: Die „Neue Rechtswissenschaft" - Über Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, in ders.: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 373fF.. Zum Problem der Kontinuität juristischer Denkhaltungen vgl.: Fiedler, Wilfried: Staatskontinuität und Verfassungsrechtsprechung. Zum Begriff der Kontinuität des deutschen Staatswesens, unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Freiburg/München 1970. 26 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1989, Bd. 7: Ausbau, Schutz und Untergang der Weimarer Republik, Stuttgart Berlin, Köln, Mainz 1984, Vorwort, S. VII. 27 Huber hat sich über sein Schrifttum hinaus sehr zurückhaltend hinsichtlich seiner Vergangenheit gezeigt; offensiver und gar nicht zimperlich dagegen Emst Forsthoff. Er distanzierte sich in seinem Buch „Der Staat der Industriegesellschaft" expressis verbis von seiner Schrift „Der totale Staat" (1933), reagierte auf öffentliche Kritik seiner Vergangenheitsbelastung allerdings schroff: „Nur schwache Naturen können dem Irrglauben verfallen, durch nachträgliche Deutungen und Erklärungen ließe sich irgend etwas verbessern, mildern oder gar ungeschehen machen. Ich halte es mit dem Aphorismus Emst Jüngers (aus Blätter und Steine): Wer sich selbst interpretiert geht unter sein Niveau." (Forsthoff in einem Brief an Rolf Seeliger, abgedruckt in: Braune Universität. Deutsche Hochschullehrer gestern und heute. Dokumentation mit Stellungnahmen, hrsg. von

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bändigen Verfassungsgeschichte, das in der Bundesrepublik ausgeführt wird, konsequent auf dem 1935 wissenschaftlich konzipierten Verfassungsverständnis28 und der staatstheoretischen und historiographischen Rekonstruktion der Weimarer Verfassungskrise auf. Um so enttäuschender ist dann vor dem Hintergrund der eigenen Verstrickung Hubers das Schlußkapitel des letzten Bandes der Verfassungsgeschichte über den Untergang der Demokratie und die Machtergreifung der Diktatur, wird doch die Verantwortung der Wissenschaft im allgemeinen und der Staatsrechtslehre im besonderen nicht thematisiert. 29 So stellt sich an die Analyse des Gesamtwerkes von Ernst Rudolf Huber die zentrale Frage, warum die Zäsuren der Verfassungsbrüche im Jahr 1933 und nach 1945 in seinem Werk kaum Spuren hinterlassen haben. Durch eine Korrelation von wissenschaftlichem Wirken, persönlicher Biographie, politischen Einstellungen und zeitgeschichtlichen Bedingungen sind die intellektuellen und weltanschaulichen Grundbedingungen des Denkens von Ernst Rudolf Huber herauszuarbeiten. Insbesondere stellt sich die Frage, welche wissenschaftlichen und politischen Voraussetzungen für die Staats- und Verfassungslehre konstitutiv sind, die trotz der Verfassungsbrüche ein relativ kontinuierliches, über den Verfassungswandel erhabenes und damit überzeitlich wirkendes thematisches Gesamtwerk ermöglichen, das in der Kontinuität des deutschen konservativen Staats- und Verfassungsbewußtseins mitsamt der Zeitwendungen und ihren denkerischen Reaktionen und Bewußtseinsformen steht. 30 So bedarf die Verknüpfung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten, von Anpassungen und Resistenzen in der Abfolge der drei Verfassungssysteme, und damit insgesamt der Denkweg Hubers in den wechselvollen sechzig Jahren wissenschaftlichen Schaffens und Wirkens der Analyse. Ernst Rudolf Huber deutet die Antwort auf diese zentrale Frage nach der Kontinuität seines Denkens in dem politischen und gesellschaftlichen Diskontinuitäten seiner Zeit selbst an. Er ist der Auffassung, daß nicht die „permanente Bedrohung der Verfassung durch die Kette der Krisenerscheinungen und Konfliktlagen des modernen Staates herauszuheben, sondern die allen Wechsel überhöhende Dauer" 31 zu betonen ist. Es kann deshalb bei Ernst Rudolf Huber ein zeitabgehobenes Juristenbild vermutet werden, das auf die überpositive Dauer und Stabilität von Verfassungssystemen abstellt.

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Rolf Seeliger, H. 6, München o.J., S. 26.) Eine Ausnahme ist Carl-Hermann Ule mit seiner autobiographischen und die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus zusammenfassenden Schrift, die jedoch ein sehr unkritisches Bild von dessem akademischen Lehrer Otto Koellreutter gibt: Beiträge zur Rechtswirklichkeit im Dritten Reich, Berlin 1987. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935; inhaltlich zum Vergleich: Vom Sinn verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, in ders.: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 11-17; zur systematischen Einordnung der verfassungshistorischen Forschung Hubers vgl.: Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte. Zwei Abhandlungen zu ihrer Methodik und Geschichte, Düsseldorf 1984, S. 150ff. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7 (Anm. 22), S. 1266-1281. Grimm, Dieter: Die „Neue Rechtswissenschaft" - Über Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, a. a. O., S. 374. Zu diesem Problem allgemein: Müller, Ingo: Furchtbare Juristen. Die unbewältigte Vergangenheit unserer Justiz, München 1989, S. 7fF.; ferner: Greiffenhagen, Martin. Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1986, S. 178ff. Bewahrung und Wandlung (Anm. 22), S. 8.

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Diese Analyse der konservativen Denkhaltung juristischen Verfassungsdenkens und ihrer gesellschaftlichen sowie politischen Einflußsphären vermag die Wissenssoziologie mit ihrer ideologiekritischen Methode am besten zu bestreiten. Die historische Wissenssoziologie in den Traditionen Karl Mannheims fragt danach, warum in einer bestimmten Zeit Anschauungen über bestimmte Probleme existieren und weshalb das Wissen in der gegebenen weltanschaulichen Form zutage tritt. So verdeutlicht die Wissenssoziologie die soziale und politische Standortgebundenheit des Wissens, indem sie die Beziehung zwischen Denken und sozialer Realität zeitspezifisch auf die Zuordnung von Wertvorstellungen und Denkstrukturen zu sozialen und politischen Lagen, Schichten, Institutionen und Leitvorstellungen zurückführt. 32 Das heuristische Potential der Wissenssoziologie Karl Mannheims ist dabei vor allem in der Entwicklung und Anwendung eines Zurechnungstheorems zu sehen, durch das Denken und Gesellschaft einander zugeordnet werden. Die gesellschaftlichen Erkenntnisse und Bewußtseinslagen (Inhalt) werden mit dem konkreten sozialen Standort (Form) konfrontiert und auf diese Weise die geistige Ausdrucksbeziehung des Sozialen ermittelt. Am Beispiel des Staatsdenkens Hubers läßt sich ζ. B. das soziale, politische und wissenschaftliche Krisenbewußtsein der Weimarer Zeit und des Dritten Reiches ermitteln und als erkenntnismäßig sozialgebundener gesellschaftlicher Standort bestimmen. Im Zusammenhang der konstatierten methodisch-weltanschaulichen Überzeitlichkeit im konservativen Staatsdenken wird wissenssoziologisch zu beantworten sein, warum und auf welche Weise Ernst Rudolf Huber wie die meisten deutschen Staatsrechtslehrer Ende der zwanziger Jahre auf den juristischen Gewißheitsverlust infolge des Verfassungsnotstandes mit politisch-rechtsphilosophischen Setzungen reagierte und auf diese Weise eine methodisch idealisierte, der Verfassungsrealität enthobene Verfassungstheorie konzipierte. Die Analyse des öffentlichrechtlichen und verfassungshistorischen Gesamtwerkes von Ernst Rudolf Huber mit dem Instrumentarium der Wissenssoziologie bewirkt beim Aufbau der folgenden Arbeit einen Zweischritt. In einem ersten Abschnitt, der „ideengeschichtlichzeitgenössischen Zurechnung", ist jeweils das wissenschaftliche Werk Hubers in seinen zentralen Fragestellungen und Aussagen zu rekonstruieren, um dann in einem zweiten Schritt, der „wissenssoziologischen Zurechnung", diese Inhalte der allgemeinen zeitgeschichtlichen Situation und politisch-juristischen Dezision Hubers zuzuordnen. Dieser Zweischritt der Analyse soll jeweils für die Verfassungsepoche der Weimarer Republik und des Dritten Reiches durchgeführt werden. Die so gewonnenen wissenssoziologischen Einsichten in die Strukturen des Gesamtwerkes von Ernst Rudolf Huber sollen dann im Hinblick auf ihre Kontinuität und Diskontinuität in der dritten Lebens- und Verfassungsepoche, der Bundesrepublik, überprüft werden. Abschließend ist dann noch einmal der wissenssoziologische Denkstandort über die drei Verfassungsepochen hinaus zu resümieren. Auf diese Weise wird ein exemplarischer Beitrag zur Konservatismusforschung geleistet. Erweist sich doch die Überzeitlichkeit des politisch-juristischen Ordnungsdenkens Ernst Rudolf Hubers als ein Syndrom des konservativen Denkens im zwanzigsten Jahrhundert. Die Biographie Hubers tritt in der wissenssoziologischen Analyse gegenüber den werkimmenten und werkgenetischen Faktoren zurück, weil aufgrund der fehlenden Einsicht in den 32 Zur ideengeschichtlichen Anwendung des Methodenparadigmas vgl. Mannheim, Karl: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, hrsg. von David Kettler, Volker Meja u. Nico Stehr, Frankfurt/M. 1984.

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Nachlaß nur wenige zuverlässige Informationen zur Verfugung stehen, die wissenssoziologisch ausdifferenziert werden können. Die Arbeit wurde im Juli 1993 von der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung ist sie erheblich gekürzt und neuere Literatur eingearbeitet worden. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Wilhelm Bleek nicht nur für fachlichen Rat, Geduld und Betreuung, sondern auch für die Einblicke in die wissenschaftlichen Institutionen während der langjährigen Mitarbeit am Lehrstuhl, Prof. Hermann Körte für die Schärfung des wissenssoziologischen Blickes und die Begutachtung im Doktorexamen, Prof. Helga Grebing und Prof. Dietmar Petzina für die anregende Auseinandersetzung in der Disputation. Prof. Hans Boldt danke ich für Gespräche, Ratschläge und Durchsicht des Manuskripts, Prof. Martin Gralher für viele Diskussionen und das Sensorium für Verfassungspolitik und Verfassungstheorie, Prof. Ursula Henke für die Vermittlung wichtiger wissenschaftsgeschichtlicher und thematischer Grundlagen in der Soziologie, ohne die diese Arbeit nicht möglich wäre. Desweiteren bin ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls Politische Wissenschaft I in Bochum und den Teilnehmern des Doktorandenseminars für die „Nestwärme", die das Promovieren erleichtert hat, zu Dank verpflichtet. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat mir ein Promotionsstipendium gewährt. Herrn Prof. Ernst Rudolf Huber bin ich für die interessierte Begleitung und ein eindrucksvolles Gespräch im Januar 1989 zu herzlichem Dank verpflichtet, ebenso Frau Dr. Tula Huber-Simons für ihre Offenheit bei Gesprächen und Korrespondenzen wie für Informationen auch nach dem Tode Ernst Rudolf Hubers, desweiteren Herrn Dr. Konrad Huber. Brigitte Schmiedel und Dr. Rainer Bovermann haben Hilfestellung für die Anfertigung der Druckfassung geleistet, meine Schwester Eike und meine Chemnitzer Kollegin Dr. Karin Wieland standen für die Durchsicht des Manuskripts ermutigend zur Seite. Meine Eltern haben mich während der Promotion interessiert und geduldig unterstützt, ihnen ist dieses Buch in Dankbarkeit gewidmet.

KAPITEL 1

Die Methodik der Wissenssoziologie

1. Der Ansatz der Wissenssoziologie Der Zusammenhang von Denkkategorien, Wissensansprüchen und sozialer Realität ist mit der Aufklärung und dem ideologischen Umfeld der sozialen Frage des zwanzigsten Jahrhunderts zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden.1 Aber erst die Wissenssoziologie, der Max Scheler den Namen gab 2 , erfragt den Einfluß sozialer und gesellschaftlicher Faktoren auf das Denken und die dadurch determinierten Wirklichkeitswahrnehmungen, intellektuellen Reflexionen und Urteilsweisen. Die daraus ableitbaren Denkstandorte und Denkstile werden als sozial standortgebunden verortet. Die spezifische Aufgabe der Wissenssoziologie besteht darin, die Beziehung zwischen Denken und sozialer Realität zu erkunden, indem sie die Zuordnung von Wertvorstellungen, Denkstrukturen, Gedankengehalten und sozialen Lagen, Schichten und Institutionen untersucht.3 Mit dem Argument der „Versandung" der Wissenssoziologie wird heute behauptet, daß sie ihrem hohen Anspruch nicht gewachsen sei, die sozialen Bedingungen der Wissensproduktion, Wissensverbreitung und Wissensverwertung offenzulegen, ohne die Analyse durch eigene Wertentscheidungen und durch kriterienlosen Relativismus gleich wieder unglaubhaft zu machen.4 Dieser Vorwurf wird jeglicher Wissenssoziologie als Ideologiekritik gemacht.5 Dennoch ist die Wissenssoziologie für drei Tendenzen modernen Krisenbewußtseins und moderner Krisenlösung repräsentativ: die Tendenz zur selbstkritischen Analyse kollektiv-unbewußter Motive, die das soziale Denken bestimmen; die Tendenz, Geistesgeschichte im Sinne der Wandlungen in den Begriffen auf gesellschaftlich-geschichtliche Veränderungen hin zu interpretieren und drittens die Revidierung der Erkenntnistheorie, um auch die gesellschaftliche Natur des Denkens zu berücksichtigen.6 Die Leistungsfähigkeit der Wissenssoziologie wurde in der deutschen Soziologie und Philosophie bis in die fünfziger und sechziger Jahre immer noch mit den erkenntnistheoretischen und philosophischen Fragestellungen des Streites um die Wissenssoziologie der zwanziger Jahre in der Auseinandersetzung zwischen marxistischer Ideologietheorie und bürgerlicher Erkenntnistheorie verbunden. Obwohl Karl Mannheim mit seiner Schrift 1 2 3 4 5 6

Meja, Volker/Stehr, Nico: Art. Wissenssoziologie, in: Soziologielexikon, hrsg. von Gerd Reinhold, Siegfried Lamnek und Helga Recker, München/Wien 1991, S. 669-672 (669). Scheler, Max: Versuche zu einer Soziologie des Wissens, München 1924. Lieber, Hans-Joachim: Wissenssoziologie, in ders.: Philosophie - Soziologie - Gesellschaft. Gesammelte Aufsätze zum Ideologieproblem, Berlin 1969, S. 82-105 (82f ). Bühl, Walter: Die Ordnung des Wissens, Berlin 1984, S. 9ff. Zu den Schwächen und Unstimmigkeiten bei Karl Mannheim vgl. Engler, Wolfgang: Selbstbilder. Das reflexive Projekt der Wissenssoziologie, Berlin 1992, S. 16f.. Sandkühler, Hans Jörg: Die Wirklichkeit des Wissens. Geschichtliche Einführung in die Epistemologie und Theorie der Erkenntnis, Frankfurt/M. 1991, S. 290.

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Die Methodik der

Wissenssoziologie

„Ideologie und Utopie"7 diese Polemik auslöste und sich die Kritik vornehmlich gegen die philosophischen Grundlagen der Wissenssoziologie und gegen ihre Konstituierung als Spezialdisziplin richtete, ist sein Ansatz zugleich die ehrgeizigste programmatische Grundlegung einer soziologischen Analyse des Wissens. 8 Mit der kritische Rezeption der Wissenssoziologie Karl Mannheims durch die kanadische Soziologie 9 geht heute eine Modifizierung des Begriffs- und Methodenapparates und eine Distanzierung von den Inhalten und den erkenntnistheoretischen Implikationen des Methodenstreits der zwanziger Jahre einher. 10 Die ideologiekritische Option der Neutralisierung und Entmythifizierung von weltanschaulich gebundenem Wissen hat die umfassenden Gegenstandsbereiche der Wissenssoziologie konstituiert.11 Mannheim geht zugleich den Schritt von der Ideologielehre zur Wissenssoziologie und betreibt diese als reflexives Projekt, indem er die soziologische Interpetation auf Geschichtskonstellationen und alle im sozialen Raum lokalisierbaren Denk- und Handlungsströmungen bezieht. Die reflexive Wissenssoziologie macht sich zur Aufgabe, die bisher unbeherrschbaren Determinanten des Wissens, die Sphäre des Unbewußten, auf die Ebene des Kalkuierbaren, Bewußten und Objektvierbaren zu bringen. 12 Die historisch-empirische Wissenssoziologie in den Traditionen Karl Mannheims 13 fragt, warum in einer bestimmten Zeit bestimmte Anschauungen über gesellschaftliche Probleme existieren, weshalb sie in der gegebenen weltanschaulichen Form zutage treten und

7 Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie, 1. Aufl., Bonn 1929, zitiert nach der 5. Aufl., Frankfurt/M. 1964; zur wissenschaftspolitischen Systematisierung des Werks vgl. Loader, Collin: The intellectual development of Karl Mannheim. Culture, polities and planing, London 1985, S. 1011Γ.; ähnlich: Woldring, Henk E.S.: Karl Mannheim. The Development of his Thougts: Philosophy, Sociology and Social Ethics, with a Detailed Biography, New York 1987, Kap. 11, S. 189, 191ff.. 8 Meja/Stehr: Art. Wissenssoziologie (Anm. 1), S. 671. 9 Meja, Volker/Stehr, Nico: Zum Streit um die Wissenssoziologie, in dies. (Hrsg.): Der Streit um die Wissenssoziologie, 2 Bde., Frankfurt/M. 1982, Bd. 1, S. 11-23 (12f ). Zur Erforschung des Werkes von Karl Mannheim s. a. Kettler, David/Meja, Volker/Stehr, Nico: Politisches Wissen. Studien zu Karl Mannheim, Frankfurt/M. 1989. Zur Rehabilitierung Mannheims auch HukeDidier, Eckart: Die Wissenssoziologie Karl Mannheims in der Interpretation durch die Kritische Theorie - Kritik einer Kritik, Frankfurt/M., New York 1985, S. 376ff. 10 Zur Mannheim-Kritik bis in die 70er Jahre: Woldring, Henk E.S.: Karl Mannheim. The Development of his Thougts (Anm. 7), S. 178ff; zur Rezeption: Meja, Volker/Stehr, Nico: Wissen und Gesellschaft, in dies. (Hrsg.): Wissenssoziologie, KZfSS, Sonderheft 22 (1980), S. 7-19 (7f.); ebenso dies.: Zur gegenwärtigen Lage wissenssoziologischer Konzeptionen, in dies. (Hrsg): Der Streit um die Wissenssoziologie, Frankfurt/M. 1982, Bd. 2, S. 893-956 (983). Zum Forschungsstand auch Krüger, Marlis: Wissenssoziologie, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981, S. 92. 11 Mannheim, Karl: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Darmstadt 1958, S. 363ff, ferner: Kettler, David/Meja, Volker/Stehr, Nico: Politisches Wissen. Studien zu Karl Mannheim, Frankfurt/M. 1989, S. 32f.. 12 Engler, Wolfgang: Selbstbilder. Das reflexive Projekt der Wissenssoziologie (Anm. 5), S. 21, 48, 105f.. 13 Zusammenfassend: Woldring, Henk E.S.: Karl Mannheim. The Development of his Thougts (Anm. 7), S. 236f.. Zur historischen Wissenssoziologie vgl. Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, hrsg. von David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr, Frankfurt/M. 1984; Gerth, Hans H.: Bürgerliche Intelligenz um 1800. Zur Wissenssoziologie des deutschen Frühliberalismus. Mit einem Vorwort und einer ergänzenden Bibliographie von Ulrich Herrmann, Göttingen 1976.

1. Der Ansatz der Wissenssoziologie

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sich von anderen vergangenen und zeitgenössischen Interpretationen unterscheiden. 14 Die Wissenssoziologie untersucht somit die „Genealogie" der Denkstandorte und des sozial gebundenen Wissens im Reflex des Zeitgeistes. Sie versteht sich in diesem Sinne auch als Zeitdiagnostik. 15 Die Analyse der „sozialen Anfälligkeit" bestimmter Urteilskategorien des menschlichen Denkens läßt sich auf vielfältige Weise durchführen. Die historisch-empirische Wissenssoziologie benutzt dazu weder konkret psychologische, noch erkenntnistheoretisch fundierte Theorien, sondern bezieht die Urteils- und Denkstrukturen auf die Ideen- und Sozialkonstellation ihrer Zeit. Sie ist demnach primär soziologisch-zeitdiagnostisch rekonstruierende Ideen- und Sozialgeschichte, die einerseits Bewußtseinsinhalte und Denkgebilde (oder syn. „Denken", „Geist" versus „Überbau" oder „Form"), die Sphäre der Gesellschaft mit ihren sozialen Schichten, Institutionen und Strukturen auf der anderen Seite vermittelt. Die Erklärungsversuche Mannheims, die „historisch-soziologische Forschung [...] an den verschiedenen Wissensgehalten der Vergangenheit und der Gegenwart" 16 zu konstitutieren und zu einem heuristischen Arbeitsrahmen weiterzuentwickeln, kann als die fundierteste und differenzierteste empirische Wissenssoziologie gelten, die bis heute entwickelt wurde. 17

a) Wissen als Kriterium der Ideologiekritik Obwohl die Grenzen zwischen Wissenschaftssoziologie und Wissenssoziologie fließend sind und wissenschaftliches Wissen nicht zu einem Sonderfall für die wissensoziologische Forschung geraten muß, hat die Wissenschaftssoziologie für die Entwicklung der Soziologie wissenschaftlichen Wissens keine bedeutende Rolle gespielt. Vielmehr ist die gesellschaftliche und soziale Rekrutierung wissenschaftlichen Wissens aus dem thematischen Potential der Wissenssoziologie entstanden. 18 Wohlgemerkt richtet die Wissenssoziologie nicht ihr Hauptinteresse auf das ungebundene, allgemeine und „gültige" Wissen, sondern auf Wissen über politische, ökonomische und gesellschaftliche Themen, die durch den sozialen Standort des Denkenden determiniert und somit „seinsverbunden" sind. 19 Die jeweiligen „Bedingtheitsmomente" des Denkergebnisses machen die gesellschaftliche Gebundenheit von Theorien und Denkweisen aus, was die „Seinsverbundenheit des Wissens" definiert.

14 Schaff, Adam: Geschichte und Wahrheit, Wien, Zürich 1970, S. 119; ebenso Woldring (Anm. 7), S. 168. 15 Lieber, Hans-Joachim: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 100. 16 Ebenda. 17 Kettler, David/Meja, Volker/Stehr, Nico: Mannheim und der Konservatismus. Über die Ursprünge des Historismus, in dies. (Hrsg.): Karl Mannheim: Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, Frankftirt/M. 1984, S. 11-40 ( l l f ) . 18 Interessanterweise wird in der amerikanischen Wissenschaftssoziologie auch der Mannheimsche Ansatz als „Wissenssoziologie der Wissenschaft" verwendet; vgl. Heintz, Bettina: Wissenschaft im Kontext. Neuere Entwicklungstendenzen der Wissenschaftssoziologie, in: KZfSS, 45. Jg. (1993), S. 528-552 (528f., 536). 19 Mannheim, Karl: Wissenssoziologie, in: Handwörterbuch der Soziologie, hrsg. von Alfred Vierkandt, unveränd. Neudruck, Stuttgart 1959, S. 659-680 (659).

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Die Methodik der Wissenssoziologie

Danach ist der soziologische Wissensbegriff durch zwei Merkmale bestimmt. Zum einen ist das Denken nur in dem konkreten Zusammenhang einer historisch-gesellschaftlichen Situation zu verstehen, aus der sich das individuell differenzierte Denken nur sehr allmählich heraushebt: „Jedes Individuum ist daher durch die Tatsache, daß es in der Gesellschaft aufwächst, in einem zweifachen Sinne prädeterminiert, es findet eine fertige Situation vor und in dieser Situation findet es vorgeformte Denk- und Verhaltensweisen vor." 20 Das zweite für den soziologischen Wissensbegriff und die Methode der Wissenssoziologie kennzeichnende Merkmal ist, „daß sie die konkret existierende Denkweise nicht aus dem Zusammenhang mit dem kollektiven Handeln löst",21 durch das die Welt erst in ihrem geistigen Sinn entdeckt wird. Die fundamentale Einsicht der Wissenssoziologie Mannheims ist daher, daß der Prozeß des Denkens, Erkennens und Wissens in einem kollektiv-unbewußten Motiv bewußt werden kann und in einer ganz spezifischen Situation wirksam wird.22 Freilich muß sich der Wissensbegriff in der wissenssoziologischen Perspektive von den üblichen Begriffsinhalten wie „Wahrheit" und „Erkenntnis" trennen, denn der enge Zusammenhang von wissenschaftlicher Erkenntnis und Wahrheit ist selbst eine soziokulturelle Strategie, um Wissensformen abzugrenzen und auf ihre besondere erkenntnistheoretische Effizienz aufmerksam zu machen.23 Wissen ist allgemein gesprochen die Fähigkeit zum sozialen Handeln, die Möglichkeit, etwas in Gang zu setzen. Die standortgebundene Perspektive des Wissens und damit die Gebundenheit kollektiven Wissens tritt dann in den Blick, wenn nach der Schichtgebundenheit, der Autorität, Solidarität oder der Macht des Wissens gefragt wird. Auch damit tritt Wissen als stratifizierendes Phänomen sozialen Handelns auf. Die Definition von Wissen als Handlungsvermögen verweist zudem auf die wissenssoziologische Frage, daß mit der Realisierung oder Anwendung von Wissen bestimmte soziale und kognitive Rahmenbedingungen stattfinden.24 Wissen tritt in der Vermittlungskonstellation von „Denken" und „Gesellschaft" in vielfaltiger Weise auf: als nicht-institutionalisiertes Alltagswissen, seinem Ursprung, seiner Funktion, Wirkung und Form nach einschließlich der Erkenntnisrestriktionen, die das soziale Umfeld auf die Bewußtseinsstrukturen ausübt, je nachdem, ob es sich um Bewußtseinsprozesse im Spannungsfeld der Gesellschaft oder um objektivierbares Wissen handelt. Andererseits kann die Wissenssoziologie ihr Erkenntnisinteresse dem theoretisch systematisierbaren institutionalisierten wissenschaftlichen Wissen intellektueller Provenienz und den damit zusammenhängenden Wissenstypen und Weltanschauungsarten zuwenden, die in ihren Urteilsstrukturen und Erkenntnisprozessen von der „sozial-geistigen Zeitsituation" abhängig sind.25 Heute besteht weitgehende Übereinstimmung, daß alle Wissensformen stets kollektive, d. h. im Sozialkontext gebundene Wissensformen sind. Obwohl der Wirkung und Bindung von Wissen kollektiv Grenzen gesetzt sind, ist Wissen zugleich reflexiv, d. h. je nach sozialem Standort, nach Bewußtseinsstand und sozialer Situation verbindlich.26 Wissenschaftliches 20 21 22 23

Mannheim: Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 4f.. Ebenda, S. 5. Ebenda, S. 7. Stehr, Nico: Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften, Frankfurt/M. 1994, S. 19, Anm. 7. 24 Ebenda, S. 208-211. 25 Krüger, Marlis: Wissenssoziologie (Anm. 10), S. 97f.. 26 Meja/Stehr: Zur gegenwärtigen Lage wissenssoziologischer Konzeptionen, a. a. O., S. 926.

1. Der Ansatz der Wissenssoziologie

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Wissen wird als ein spezieller Fall von Wissen erkannt, weil es einen spezifischen erkenntnistheoretischen Status hat und deshalb angenommen wird, daß es als institutionalisiertes Wissen nur der soziologischen Analyse zugänglich gemacht werden kann, wenn der Diskurs über die Schranken des philosophischen und soziologischen Zugriffs und damit das wissenssoziologische Paradox zwischen erkenntnistheoretischem Absolutismus und soziologischem Relativismus gesprengt wird. Die „Unteilbarkeit" wissenschaftlichen Wissens deutet darauf hin, daß der Vorwurf des Soziologismus bei Mannheim, d. h. die Annahme, alles Wissen sei seinsverbunden, damit stets kollektiv gebunden und in dieser Form erkenntnistheoretisch unbeweisbar, überwunden ist. 27 Wird dem wissenschaftlichen Wissen als „ungeteiltem" Wissen zuerkannt, daß es bei der Bewertung die Kriterien selbst mit den jeweiligen Kontexten variieren, die Bewertungsmittel der Wissensansprüche selbst nicht standortfrei sind, so spricht diese Einsicht dafür, daß auch wissenschaftliches Wissen als wissenssoziologischer Sonderfall keine allgemeingültige, wahre und ungebundene Wissensform ist. Der herausragende Stellenwert wissenschaftlichen Wissens in der modernen Gesellschaft resultiert nicht aus der Tatsache, daß wissenschaftliche Erkenntnis etwa noch als herausragender und objektiver Maßstab oder unstrittige Instanz behandelt wird, sondern aus der Einsicht, daß wissenschaftliches Wissen mehr als alle anderen Wissensformen permanent zusätzliche Handlungsmöglichkeiten konstruiert, die sich ständig ausweiten und verändern, dadurch neue Handlungschancen eröffnen. Die Abschöpfung dieses Wissens, ob es sich nun um Deutungswissen, Produktivwissen oder Handlungswissen handelt, ebenso die Erkenntnis für die Gesellschaft als Wirkungszusammenhang, hat mit dieser dynamischen Wissensproduktivität nichts zu tun. 28 Mannheims Forschungsinteresse in der Konservatismusstudie hat sich ausschließlich auf Juristen gerichtet. Seine Aufmerksamkeit galt der Unterscheidung von Begriffsvorstellungen, Erkenntnismethoden und intellektuellen Strategien.29 Wissenschaftliches Wissen, wie es im Falle des Staats- und Verfassungsdenkens von Ernst Rudolf Huber besteht, ist wie alle anderen Wissensformen bedingtes, mediatisiertes Wissen, das in eindeutigen sozialen Kontexten entsteht: das Juristenbild ist hier für den Denkkontext ebenso konstituierend wie die dogmatisch fundierten Erkenntnisse der Verfassungspolitik und des Verfassungsrechts. 30

b) Der Ideologiebegriff: die „Seinsverbundenheit des Denkens" Der Begriff „Ideologie" ist strukturell polyvalent und läßt unterschiedliche Bestimmungen zu. Im allgemeinen ist „Ideologie" ein relationaler Begriff, sofern er Annahmen, Theorien und Präsuppositionen umfaßt. Er ist polysemantisch und epistemologisch, wenn damit eine systematische Einheit von ideellen und institutionellen objektivierten Vergesellschaftsfor27 Grünwald, Emst: Wissenssoziologie und Erkenntniskritik (1934), in: Meja/Stehr: Der Streit um die Wissenssoziologie, a. a. O., Bd. 2, S. 748-755 (748, 753). 28 Stehr: Arbeit, Eigentum und Wissen, a. a. O., S. 210. 29 In der Konservatismusstudie arbeitet Mannheim die Denkstandorte der Juristen Adam Müller, Gustav Hugo, Justus Moser und Friedrich Carl von Savigny heraus. 30 Meja/Stehr: Zur gegenwärtigen Lage wissenssoziologischer Konzeptionen (Anm. 10), S. 913; zur Korrespondenz von rechtlichen und sozialen Bezügen s. a. die methodisch noch immer interessante Schrift: Schindler, Dietrich: Verfassungsrecht und soziale Struktur, 5. Aufl., Zürich 1970.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

men des Bewußtseins bezeichnet wird. Ideologien drücken Einstellungen und Wertungen über Dogmen und Ideale aus und haben epistemisches und doxastisches Wissen zum Inhalt. Wenn Ideologien als Bewußtseinsformen existieren, kennzeichnet dies ihren subalternen Status.31 Der Begriff „Ideologie", der bei Mannheim mit dem der „Utopie" 32 korrespondiert, impliziert die Einsicht, daß in bestimmten Situationen das kollektiv Unbewußte die wirkliche Lage der Gesellschaft verdunkelt und damit stabilisiert.33 Die Ideologieanalyse ist bei Mannheim die Kritik des Denkens auf der „Konstitutionsebene" und wird auf die Struktur menschlichen Denkens schlechthin ausgedehnt. Ideologie bedeutet eine „Anzeige einer Forschungsabsicht, die der Frage nachgehen will, wann und wo in Aspektstrukturen historisch-soziale Strukturen hineinragen, in welchem Sinne die letzteren die ersteren in concreto bestimmen können." 34 Diese „seinsverbundenen" Bewußtseinsstrukturen stehen bei Mannheim in der Vorstellung der Unabhängigkeit von Wahrheitskriterien, weil das Ideologische die relationale Beziehung von Wissen und Gesellschaft bestimmt. 35 Es bemüht sich um ein Konzept von Objektivität, das mit der These der „Seinsverbundenheit" des Denkens vereinbar ist. 36 Die „Seinsverbundenheit" steht als relationaler Begriff stellvertretend für den Ideologiebegrifif: „Auch werden wir es im Gebiete der Wissenssoziologie immer mehr vermeiden, den zu sehr belasteten ' Ideologiebegriff zu benützen, im wissenssoziologischen Gebrauch werden wir eben von einer seinsverbundenen' - oder standortgebundenen - Aspektstruktur des Denkens reden." 37 Mannheim überwindet die Marxsche Vorstellung der Ideologie als „falschem Bewußtsein". Handelt es sich beim Theorem des „falschen Bewußtseins" um die Analyse des gegnerischen Bewußtseins und damit nur um einen „partikularen Ideologiebegriff', so gelangt die Wissenssoziologie Mannheims zu einem allgemeinen und „totalen" Ideologiebegriff, der „nicht nur die gegnerischen, sondern prinzipiell alle, also auch den eigenen Standort, als ideologisch zu sehen" umfaßt. 38 Der totale Ideologiebegriff „funktionalisiert" die „Idee" als sozialen Träger von Wissen. 39 Mit dem „totalen Ideologiebegriff" behauptet Mannheim, daß jede Auslegung von menschlich-historischem Selbstverständnis „Ideologie" sei. Nicht nur Teilaspekte der „kategorialen Apparatur" der Vernunft (partieller Ideologiebegriff), sondern schlechthin das gesamte Denken des menschlichen Subjekts (totaler Ideologiebegriff) wird der wissenssozio31 Sandkühler, Hans Jörg: Die Wirklichkeit des Wissens (Anm. 6), a. a. O., S. 19 lf.. 32 Auf die Analyse des utopischem Bewußtsein und des Begriffs der Utopie soll hier verzichtet werden, denn beides umfaßt die Methodologie des Verhältnisses von Ideologie und Utopie. Außerdem hebt Mannheim den Begriff der Utopie in dem der Ideologie auf; vgl. Saage, Richard: Zum Begriff der Utopie und des Konservatismus bei Karl Mannheim, in: Politisches Denken, Jahrbuch 1993, S. 85-103 (96, 99ff). 33 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 36f.. 34 Mannheim: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 660. 35 Boudon, Raymond: Ideologie. Geschichte und Kritik eines Begriffs, Reinbek bei Hamburg 1988, S. 34, 62-71. 36 Heintz, Bettina: Wissenschaft im Kontext. Neuere Entwicklungstendenzen der Wissenschaftssoziologie (Anm. 18), S. 532. 37 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 71. 38 Ebenda, S. 70. 39 Ebenda, S. 61.

1. Der Ansatz der Wissenssoziologie

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logischen Analyse erschlossen. Ideologien sind demnach gesellschaftlich erzeugt und damit notwendig Ausdruck ökonomischer und gesellschaftlicher Gegebenheiten. Während ihr Inhalt sich historisch wandelt, bleibt ihre Funktion in der Stabilisierung der eine Zeit bestimmenden ökonomischen und politischen Verhältnisse und ihre Immunisierung gegen die sie sprengenden Erfahrungen und Vorstellungen immer gleich.40 Der Begriff der „Seinsverbundenheit" des Denkens besagt, daß atheoretische Faktoren, in erster Linie das „soziale Sein", die Geltungssphäre des Denkens konstituieren. Der Terminus des „seinsverbundenen Denkens" versucht den rein wissenssoziologischen Gehalt des Ideologiebegriffs aus der speziellen politisch-agitatorischen Einkapselung herauszulösen und ist dem moralisch-pejorativen Zugriff enthoben, weil der Lügenverdacht und damit gestellte Wahrheitsfragen nur den partiellen Ideologiebegriff betreffen.41 Mannheim unterscheidet methodisch die „Seinsverbundenheit" von der „Seinsgebundenheit", auch wenn dieser Vergleich sich in der empirischen Erforschung des Konservatismus nicht niederschlägt.42 „Seinsgebundenheit" bezieht sich auf eine objektive Verbindung zwischen den Bedingungen des Denkes und kommt einer kausalen Determination nahe, während „Seinsverbundenheit" demgegenüber ein Ausdruck dieser Verbindung ist, etwa Familienbanden oder geistige Verbindungen. Sie ist eine Funktion der subjektiven Verpflichtungen und Identifikationen jenes seinsgebundenen Denkens. Damit knüpft Mannheim mit der Unterscheidung der beiden Typen des Denkens an die frühere kultursoziologischen Dichotomie von kommunikativem und konjunktivem Denken an. 43 Der Ideologiebegriff geht in seiner neutralen Fassung als „Seinsverbundenheit" davon aus, daß „Ideologie" die mit einer bestimmten historischen und sozialen Seinslage verbundene Denkweise und Weltanschauung ist. Der Begriflfsumfang erstreckt sich somit auf die Bezugsebene des ideologischen Bewußtseins, auf Ursachen und Motive der Ideologiebildung als Ausdruck der sozialen Lage und deren Funktion innerhalb sozialer Gruppen.44 Die „Seinsverbundenheit" wird damit zu einer Strukturform des „Weltanschauungswissens", da die „Aspektstruktur" des Denkens, d. h. die voluntative Perspektivität des Denkens, gänzlich erschlossen wird. 45 Der wertfreie Ideologiebegriff schlägt quasi durch seine Zurechnung über die Seinsverbundenheit auf den historisch-sozialen Stoff in den wertenden Ideologiebegriff um und wan40 Lenk, Kurt: Zum Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert. Begriff und Phänomen des ideologischen Bewußtseins, in: Pelinka, Anton (Hrsg.): Ideologien im Bezugsfeld von Geschichte und Gesellschaft, Innsbruck 1981, S. 97-107 (99). 41 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 71, Anm. 22. 42 Woldring, Henk E.S.: Karl Mannheim. The Development of his Thougts (Anm. 7), S. 173f. 43 Mannheim: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 674; Kettler, David/Meja, Volker/Stehr, Nico: Mannheim und der Konservatismus. Über die Ursprünge des Historismus, a. a. O., S. 24; zum konjunktiven bzw. kommunikativen Denken vgl. Mannheim: Strukturen des Denkens, a. a. O., S. 21 Iff., 264ff, 285ff; s. a. : Kettler/Meja/Stehr: Politisches Wissen. Studien zu Karl Mannheim, a. a. O., S. 74f.. 44 Lenk, Kurt: Volk und Staat. Zum Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1971, S. 17. 45 Lenk, Kurt: Wissenssoziologie, in: Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. von Helmut Seiffert und Gerard Radnitzky, München 1992, S. 472-475 (475). Mannheim bezeichnet mit der „Aspektstruktur" die Art, wie einer eine Sache sieht, was er an ihr erfaßt und wie er sich einen Sachverhalt konstruiert. „Aspekt" bezieht sich auf das qualitative Moment des Erkenntnisaufbaus; vgl. Mannheim: Art. Wissenssoziologie, a. a. O., S. 662.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

delt die Wissenssoziologie von einer funktionalen Zurechnungsmethodik in eine ideologiekritische Diszplin. Der Mannheimsche Ideologiebegriff „oszilliert" damit zwischen einer „prinzipiell wertfreien Registrierung der einer sozialen Lage korrespondierenden Aspektstruktur des Denkes, d. h. der jeweiligen Seinsverbundenheit des Denkens, und einem wertenden Urteil über das Verfehlen der sozialen Wirklichkeit im ideologischen Bewußtsein." 46 Mannheims Theorie der „dynamischen Synthese", welche die Bewegungsmomente des Geistigen in der Totalität der Geschichte nach Hegelscher Geschichtsdialektik aufhebt, ist eine spezifische Variante der Behandlung des Relativismusproblems aus der Perspektive des wertenden Ideologiebegriffs.47 Gemäß dieser theoretischen Synthese werden alle Wissensformen als parteilich, d. h. partiell und standortgebunden, angenommen. Die partiellen Wissensaspekte können als Teile eines werdenden Ganzen in einer Zusammenschau synthetisiert werden, allerdings nur provisorisch, weil auch diese Synthesen sozial standortgebunden sind. Sie zerfallen wieder und nur Fonds von Ideen und Einsichten aus der vergangenen Perspektive gehen in eine neue Synthese ein. Das Selektions- und Beurteilungskriterium ist dabei die Brauchbarkeit der verschiedenen Ideen in der Lebenspraxis. „Wahr" sind in diesem Zusammenhang Normen und Denkweisen, nach denen man sich in der seinsadäquaten Situation subjektiv richten kann und die für die Weiterbildung von Synthesen objektiv richtig empfunden werden. 48 Dieser lebensphilosophische Pragmatismus hat eine Reihe von Kritikern auf den Plan gerufen, die Mannheims Seins- und Geschichtsmetaphysik scharf kritisiert haben. 49 So wurde die immer währende Revisionsbereitschaft Mannheims gegenüber dem eingenommen Standpunkt und seine „experimentierende" Denkhaltung als ein „Gleiten der Begriffe" 50 philosophisch-erkenntnistheoretisch für nicht haltbar erklärt. Die aus der Hegel-Rezeption erwachsenden Synthese- und Totalitätsauffassungen51 können wegen ihrer geschichtsphilosophischen Spekulationen und Voraussetzungen heute nicht mehr für die wissenssoziologische Methodik aktualisiert oder rezipiert werden. Eine metatheoretische, teleologische Geschichtsphilosophie konterkariert die strenge Hermeneutik der radikalen Wissenssoziologie und widerspricht dem Postulat der Theorielosigkeit,52 ein Phänomen, das Raymond Boudon mit dem „Mannheimschen Paradox" 53 auf den Begriff gebracht hat. Angesichts der pragmatischen Wahrheitsbestimmung und des Pluralismus der Bewußtseinsinhalte ist der Ideologiebegriff Mannheims nurmehr ein heuristisches Instrument in der Wissenssoziologie.54

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Ebenda. Krüger: Wissenssoziologie, S. 72. Ebenda. Vgl. Spranger, Eduard: Ideologie und Wissenschaft (1930), in: Meja/Stehr: Der Streit um die Wissenssoziologie, Bd. 2, S. 634-636 (635). Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 86. Zur Ideologie Mannheims vgl. Lenk, Kurt: Karl Marx in der Wissenssoziologie. Studien zur Rezeption der Marxschen Ideologiekritik, Berlin, Neuwied 1972, S. 88ff.. Vgl. die Kritik bei Huke-Didier: Die Wissenssoziologie Karl Mannheims in der Interpretation durch die Kritische Theorie (Anm. 9), S. 298ff. Boudon, Raymond: Ideologie (Anm. 35), S. 174. Boudon umschreibt das „Mannheim-Paradox" wie folgt: „Wie kann man sich sicher sein, daß die Ideen gesellschaftlich determiniert sind, da Mannheims Theorie doch selbst gesellschaftlich determiniert ist?" Lenk: Wissenssoziologie (Anm. 45), S. 475.

2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie

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2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie Mannheim begründet die Wissenssoziologie als eine hermeneutische Einzeldisziplin, die aufgrund der postulierten erkenntnistheoretischen Negation ihre methodische Leistung durch „In-Beziehung-Setzen der geistig-systematischen Standorte zu den sozialen Standorten"1 zu begründen vermag. Somit stehen geistige Strukturen in einer Ausdrucksbeziehung zum sozialen Substrat. Der dialektische, relationale Vermittlungszusammenhang von Bewußtsein und Gesellschaft setzt eine kritische Rekonstruktion des Zurechnungstheorems der Mannheimschen Wissenssoziologie voraus. Die wissenssoziologischen Zurechnungsstufen beruhen nur indirekt auf dem erkenntnistheoretischen Problem des Relativismus.2 Die Heuristik der Zurechnung stellt keine Wahrheits- und Gültigkeitskriterien, weil sie sich als ein relationaler Vermittlungszusammenhang darstellt. Ihre empirische Brauchbarkeit ist zu überprüfen. Die auffälligste Reaktion auf das Problem des Relativismus ist die Argumentation, daß sich die Wissenssoziologie mit dem Ursprung der Ideen und nicht mit ihrer Geltung befaßt. Deshalb versucht sie zu verstehen, warum Menschen so gedacht haben und untersucht nicht, ob deren Gedanken auch wahr sind.3 Die kognitiven Grenzen der Mannheimschen Wissenssoziologie manifestiert der, dem Phänomen der Seinsverbundenheit des Denkens zugrunde liegende „ontologische Dualismus", welcher als soziologische Fiktion angesehen werden muß. Es geht um die These des bewußtseinsfreien Seins und des seinsfremden Bewußtseins. Mannheim versichert, daß sich Bewußtseinslagen und soziale Standorte gegeneinander und ineinander verschieben und benutzt die Metapher der sich stets verschiebenden „existentiellen Unterlage". Der Inhalt sei formbestimmt, so wie die Form des Bewußtseins inhaltsbestimmt ist. Mannheim hält aber an dieser Dichotomie fest, die im Zusammenhang der totalen Relativierung des Denkens negiert, daß Bewußtsein und Denken selbst konstitutive Bestandteile der menschlichen Gesellschaft sind.4 Bei der Rezeption des Zurechnungsmodus in der Wissenssoziologie Mannheims geht es also nicht um eine Revision, sondern um eine Kritik der theoretischen Voraussetzungen seiner Heuristik.

a) Die Beziehungslogik der „relationalen Zurechnung" Die Wissenssoziologie untersucht als ideologiekritische Methodik die Korrelation zwischen den geistigen Funktionen, ihren Produkten und dem dazugehörigen sozialen Sein.5 Diese 1 2 3 4 5

Mannheim: Probleme einer Soziologie des Wissens, in: Wolff, Kurt H. (Hrsg.): Karl Mannheim. Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk, Berlin, Neuwied 1964, S. 308-387 (375). Elias, Norbert: Sociology of Knowledge: New Perspectives, in: Sociology. Journal of the British Sociological Association, Bd. 5 (1971), S. 149-168 u. 355-370 (362ff). Stark, Werner: Die Wissenssoziologie. Ein Beitrag zum tieferen Verständnis des Geisteslebens, Stuttgart 1960, S. 126. Elias, Norbert: Notizen zum Lebenslauf, in: Norbert Elias über sich selbst, Frankfurt/M. 1990, S. 107-197(140,149). Schaaf, Julius: Grundprinzipien der Wissenssoziologie, Hamburg 1956, S. 120.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

Korrelation stellt sich als ein Beziehungsproblem heraus, das in den bisher vorliegenden Systemen der Wissenssoziologie nur unzureichend behandelt wurde. Die meisten methodenkritischen Analysen einer empirischen, anwendungsorientierten Wissenssoziologie bewegen sich im Rahmen des Verfahrens der „Zurechnung".6 Deshalb hat Karl Mannheim schon 1929 darauf hingewiesen: „Der Streit um konkrete Zurechnungsprobleme in der Wissenssoziologie zeigt den Übergang von der hypothetisch-emphatischen Vermutung in das Stadium der konkreten Forschung an." 7 Die „relationale Zurechnung"8 muß im folgenden ihre logische und strukturelle Konsistenz erfahren. So kann die Wissenssoziologie als „Theorie des Relationalen" konstituiert werden: „Die Möglichkeit der Wissenssoziologie als eigenständiger Wissenschaft hängt entscheidend davon ab, daß sie sich über die Natur des Relationalen als ihres hauptsächlichen Erkenntnisgegenstandes Klarheit verschafft. Aber auch die Prinzipien ihrer Methodik können ohne eigenständigen Bezug auf die Möglichkeit des Beziehungsseins überhaupt nicht gewonnen werden. So kann ζ. B. im Recht bzw. Unrecht der von Karl Mannheim getroffenen und für sein System der Wissenssoziologie grundlegenden Unterscheidung von Relativismus und Relationismus nur auf Grund einer Untersuchung des Relationalen überhaupt entschieden werden."9 Mannheim hat die Wissenssoziologie bewußt als „vermittelndes Zwischenglied" zwischen Erkenntnistheorie, der dominierenden Wissenschaftsform und der sozial-geistigen Zeitsituation gestellt.10 Wenn die Beziehung zwischen Wissen und „sozialem Sein" Gegenstand der Wissenssoziologie sein soll, dann ist jede Beziehung nur als eigentümliches Verhältnis der gesonderten Relationsglieder zueinander zu verstehen. Die Korrelation zwischen Wissen und „sozialem Sein" ist demnach relationslogischer Struktur. Insofern ist der logische Relativismus kein zwingendes Thema, weil das „soziale Sein" ein relationales Sein ist.11 Das binäre Schema „Relativismus/Absolutismus" oder „logischer (erkenntnistheoretischer) Relativismus/existentieller (sozio-historischer) Relativismus" führt bei dieser relationslogischen Fragestellung nicht weiter. Relationismus bedeutet für Mannheim „die Bezüglichkeit aller Sinnelemente aufeinander und ihre sich gegenseitig fundierende Sinnhaftigkeit in einem bestimmten System", 6 Vgl. insbesondere die Ausführungen bei Marlis Krüger: Wissenssoziologie zwischen Ideologie und Wissenschaft. Zur Rezeption der Wissenssoziologie Karl Mannheims in Amerika. Eine Kritik amerikanischer wissenssoziologischer Theorien, Diss., Berlin 1968, S. 15Iff.; dies.: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 96ff; Huke-Didier, Eckart: Karl Mannheims Wissenssoziologie in der Interpretation durch die Kritische Theorie, a. a. O. S. 217ff, sehr detailliert und kritisch: Neusüss, Arnhelm: Utopisches Bewußtsein und freischwebende Intelligenz, Meisenheim am Glan 1968, S. 78ff.; ferner Mannheim: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 676f.. Für die kritische Analyse des Zurechnungsproblems statt der erkenntnistheoretischen Kritik plädiert Frank E. Härtung: Problems of the Sociology ofRnowlegde, in: Philosophy of Science, Bd. 19 (1952), S. 17-32 (28ff). 7 Mannheim: Wissenssoziologie, S. 677. 8 Schaaf: Grundprinzipien der Wissenssoziologie, a. a. O., S. 19 lf.. Julius Schaaf hat seine philosophische Wissenssoziologie 1956 als eine relationale Theorie des Wissens konstituiert, auf die im folgenden Bezug genommen wird. 9 Ebenda, S. 103. 10 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 250. 11 Schaaf: Grundprinzipien der Wissenssoziologie, a. a. O., S. 120f..

2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie

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was aber nur möglich sei „für ein bestimmt geartetes historisches Sein, dessen adäqater Ausdruck es eine Zeitlang ist." 12 Relativismus entsteht nach Mannheim dann, wenn man die moderne historisch-soziologische Einsicht in die faktische Standortgebundenheit des Denkens mit einer Erkenntnistheorie älteren Typs verbindet, die das Phänomen der Seinsverbundenheit nicht kennt und Erkenntnis trotz der (seinsverbundenen) Lagerung im historischen und räumlichen Prozeß als absolut beansprucht, d. h., einen bestimmten historischen Typ der Erkenntnistheorie herausstellt, der auf die seinsgebundenen Wissensformen nicht zutreffen kann. 13 Verabschiedet man sich von den pejorativ besetzten Begriffen wie „Relativismus" und „Absolutismus", dann ist Mannheim zuzugestehen, daß sein Begriff des „Relationismus" als Gegenbild zum „Relativismus" geformt, durchaus „relationales" Erkennen im Sinne des philosophisch „echten" Relationismus ist. Er beinhaltet die Einsicht, daß ein bestimmtes Seinsgebiet de facto beziehungshaft strukturiert ist. 14 Jedes standortgebundene Wissen ist relationales Erkennen. Es ist wesensmäßig relativ, wenn es im Einzelfall festgehalten wird, unbezüglich und damit absolut ist. Das ist freilich äußerst schwierig ohne erkenntnistheoretische Prämissen und ihren historisch deteminierten Denkstandort. Schaaf führt zu Recht aus, daß dieses relationale Wissen erst dann zu einem „gnoseologischen Relativismus" führt, wenn es selbst absolut gesetzt wird. 15 In diesem Falle würde das falsche Extrem des Absolutismus in das falsche Extrem des Relativismus umschlagen. Das dokumentiert das nur schwer abgrenzbare Theorem des „Relationismus" bei Mannheim, das nur als Kontamination des Relativismus mit dem Absolutismus begreiflich zu sein scheint. Es darf also nicht zu einer Phänomenvertauschung (statt Bezüglichem Unbezügliches bzw. vice versa) kommen. Auch der „soziologische Relationismus", der die Erkenntnis des sozialen Seins, so wie es ist, definiert, ist von Mannheim so nicht intendiert. Die Bewertung der Genesis und der Geltung des Wissens im Sinne der Unterscheidung „wahr" - „falsch" ist nicht nur eine erkenntnistheoretische Wertung, sondern birgt in sich eine spezifische Relation. Wahrheit besteht nicht im Sinne der alten philosophischen Erkenntnistheorie a priori, sondern Wahrheit kann in der Dynamik der Wissensentwicklung in der sich zeitlich ändernden Beziehung von Wissen und Gesellschaft nur stufenweise erreicht werden. 16 Aber die „relationistische Objektivität"17 kann nicht nur als eine bloße Umformulierung der relativistischen These interpretiert werden. 18 Diese theoretische Hilfskonstruktion beruht auf der Annahme, daß es Denkgebiete gibt, in denen standortfreies und unbezügliches Wissen überhaupt nicht möglich ist, das Wissen in seiner Gebundenheit zwischen „Sinnirrelevanz" und „totaler Sinnrelevanz" zu liegen scheint. Sie will der Dichotomie

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Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 41. Mannheim: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 673f. Schaaf: Grundprinzipien der Wissenssoziologie, a. a. O., S. 126. Ebenda, S. 128f.. Elias: Sociology of Knowledge. New Perspectives Π (Anm. 2), S. 358ff; vgl. auch Meja/Stehr: Zur gegenwärtigen Lage wissenssoziologischer Konzeptionen, a. a. O., S. 906f.. 17 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 71. 18 Meja/Stehr: Zur gegenwärtigen Lage wissenssoziologischer Konzeptionen, S. 90Qf..

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Die Methodik der Wissenssoziologie

Relativismus/Absolutismus entgehen, denn die normative Überbewertung des einen oder anderen Teils bringt keine erkenntnistheoretische Lösung des Problems.19 Der Modus der Zurechnung dient der Herausarbeitung der Denkstandorte und ihrer Zuordnung auf die „treibenden Sozialkräfte als Ursprungsort der verschiedenen Sichtorte". 20 Mittels der „Kategorialapparatur" wird die wissenssoziologische Zurechnung operationalisiert. Der Arbeitsbegriff „Kategorialapparatur" ist bei Mannheim nicht eindeutig definierbar. Einerseits bezeichnet er die für einen Denkstil fundamentalen Begriffe, Abstraktionen, Symbole und Argumentationsweisen, die sich auch mit dem Begriff „Aspektstruktur" übersetzten lassen. Andererseits kann damit auch das Verfahren der dreistufigen Zurechnung und die damit intendierten historisch-sozialen Bewußtseinsstrukturen gemeint sein: die sinngemäße Zurechnung, die Faktizitätszurechnung und drittens die wissenssoziologische Zurechnung. 21 Mannheim definiert „Denkstandorte" als „Knotenpunkte", an denen sich eine charakteristische Synthese der Denkströmungen bildet. Jeder Denkstandort ist durch einen „Denkstil" 22 bestimmt, der mit einer Bedeutungsanalyse durch „Zurechnung" ermittelt wird, denn die In-Beziehung-Setzung der geistig-systematischen Standorte mit den sozialen Standorten ist die eigentliche wissenssoziologische Aufgabe. 23 Die Herausarbeitung des Denkstils durch Begriffs- und Bedeutungsanalyse im Rahmen der Vermittlung von Sein und Bewußtsein ist in der Doppelstruktur von genetischer und immanenter Interpretation schon in den frühen kultursoziologischen Arbeiten Mannheims angelegt. 24 Ist der „Denkstil" durch eine immanente Weltanschauungsanalyse als die Frage nach den hinter einem Wissen stehenden sozialen Schichten rekonstruiert, so wird er am deutlichsten in der Art, wie Begriffe typischerweise geformt werden und durch die Logik, mit der sie untereinander verknüpft werden. Jeder „Stil" ist durch einen bestimmten Plan für die Welt ausgedrückt, ein innerhalb einer historischen Epoche vorhandenes Weltwollen, das mit der Situation des einzelnen innerhalb eines der sozialen Schichten verbunden ist.

b) Logik und Dialektik der „Zurechnung": der Anwendungskontext Der Wissenssoziologe interessiert sich nicht für das Wissen als Weltanschauungswissen an sich, sondern nur für die kollektiven und gebundenen Wissensformen, die gesellschaftliche Orientierung manifestieren. Deshalb sind die Zurechnungsschritte nicht als ein kausales Erklärungsverhältnis im Sinne von „bestimmt sein von" oder „sich herleiten von" zu ver-

19 Elias: Sociology of Knowlegde. New Perspectives (I), a. a. O., S. 164ff.. Elias nennt vor allem die Kantsche Erkenntnistheorie mit dem dualistischen Paradigma der Unterscheidung von Subjektivität und Objektivität. 20 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 71 21 Mannheim: Wissenssoziologie, S. 666, 674. 22 Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 51, Anm. 5, 73f., 137; ders.: Das Problem einer Soziologie des Wissens, a. a. O., S. 375, 379. 23 Mannheim: Das Problem einer Wissenssoziologie des Wissens, S. 375. 24 Mannheim: Strukturen des Denkens, a. a. O., S. 68f., 85ff; zur Begriffs- und Bedeutungsanalyse s. a. Art. Wissenssoziologie, S. 663f..

2. Das heuristische Potential der Wissenssoziologie

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stehen. Mannheim setzt sich von den kausalmechanistischen Deutungsschemata wie „einhergehen mit" oder „resultierend aus" ab, bleibt aber mit der Schwierigkeit konfrontiert, die Beziehung von Wissen und Gesellschaft als Ausdruckssinn zu vermitteln. Da der Beziehungsmodus zwischen Wissen und Gesellschaft der Kern wissenssoziologischer Methodik ist, werden die kausal-deterministischen Faktoren durch das „soziale Sein" als einer theoretischen Hilfskonstruktionen zwischen „Bewußtsein" und „Sein" „mediatisiert", mit unterschiedlichen kausalen Faktoren, die dem mechanistisch anmutenden Ursache-Wirkungszusammenhang entzogen sind. 25 Der Ablauf der drei Zurechnungsphasen, der im übrigen auch von Peter von Oertzen in seiner wissenssoziologischen Studie über den staatsrechtliche Positivismus übernommen wurde, 26 kann darüber Auskunft geben, inwieweit dieser methodisch-verfahrenstechnische Modus die wissenssoziologische Methode als anwendungsorientiert zu begründen vermag. Die Herausarbeitung der Denkstandorte geschieht in einem Dreiklang. Auf der ersten Stufe, der „sinngemäßen Zurechnung", werden die Denkstandorte fixiert, diese im zweiten Schritt in der ,,Faktizitätszurechnung" mit Arbeitshypothesen und konkurrierenden Denkströmungen konfrontiert, abschließend in der dritten Vermittlungsstufe, der „soziologischen Zurechnung", die „treibenden Sozialkräfte als Ursprungsort der verschiedenen Sichtorte" verortet. 27 Die beiden ersten Zurechungsschritte bewegen sich im Bereich der Rekonstruktion und Interpretation, während die wissenssoziologisch wichtige Vermittlung von Bewußtsein und Sozialstruktur erst in der soziologischen Zurechnung stattfindet. Übersieht man die drei Zurechnungsstufen im ganzen, dann stellt sich der Vermittlungszusammenhang als ein Dualismus dar, denn in der sinngemäßen Zurechnung und der Faktizitätszurechnung werden die Denkstandorte und Bewußtseinsäußerungen noch unvermittelt, d. h. ohne Zurechnung zur sozialen Schicht, analysiert und erst auf der Ebene der soziologischen Zurechnung einander in Beziehung gesetzt. Die ersten beiden Zurechungsstufen, die „sinngemäße Zurechnung" und die „Faktizitätszurechnung", bewegen sich im Gebiete der Interpretationsproblematik, der idealtypischen Theorie- und Hypothesenbildung und der Rekonstruktion der Denkstile anhand von zeitgenössischen Quellen. Bei der „sinngemäßen Zurechnung" werden einzelne Gedanken und Äußerungen aufgrund gemeinsamer Stil-Eigenschaften auf bestimmte Lebensgefühle und Weltanschauungszentren zurückgeführt, die „Einstellungseinheiten" und Denkstile werden rekonstruiert. Es stellt sich dabei die Frage, ob die sinngemäße Zurechnung rein auf der geistigen Ebene vollzogen wird, d. h. die „sinngemäße Zentrierung auch dem tatsächlichen Verlauf entspricht." 28 Die „Faktizitätszurechnung" als der zweite Zurechnungsschritt nimmt die in der sinngemäßen Zurechnung gebildeten Idealtypen als Forschungshypothesen auf, „um sie daraufhin zu überprüfen, inwieweit etwa Konservative oder Liberale in diesem Fall de facto von diesem Idealtyp in ihrem Denken verwirklicht haben." 29 „Sinngemäße Zurechnung" 25 Krüger: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 23. 26 Oertzen, Peter von: Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, hrsg. von Dieter Sterzel, Frankfurt/M. 1974, S. 285fL 27 Mannheim: Wissenssoziologie, S. 677. 28 Krüger: Wissenssoziologie, a. a. O., S. 24. 29 Neusüss. a. a. O., S. 84f..

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Die Methodik der Wissenssoziologie

und „Faktizitätszurechnung" sollen das konkrete Bild der Entwicklungsrichtung des Ablaufes, also die Entwicklung der Denkstile rekonstruieren. Mit dem Denkstil sollen die nicht zur Reflexion gelangten Kräfte in der Denkgeschichte zutage gefordert werden."30 Die „sinngemäße Zurechnung" und die „Faktizitätszurechung" haben den Sinn, im Rahmen der Rekonstruktion, der Interpretation und der Hypothesenbildung die Grundstruktur und die Entwicklungsrichtung von Denkstilen herauszuarbeiten. Der Unterschied zwischen der „sinngemäßen Zurechnung" und der „Faktizitätszurechnung" besteht darin, daß die „sinngemäße Zurechnung" das Zentrum, d. h. den allen Wandel überdauernden Kern der Weltanschauung definiert, während bei der „Faktizitätszurechnung" die zu bildende Forschungshypothese den Blick auf die sich historisch wandelnden Formen eines Denkstils richtet, dessen „Kern" aber trotz des Wandels hindurch identisch bleibt.31 Das letzte Glied der Zurechnungsstufen, die im engeren Sinne „wissenssoziologische Zurechnung", erklärt Gestalt und Wandel der Denkstile aus der Zusammensetzung der Gruppen und Schichten, konfrontiert die geistigen Gebilde mit der sozialen Struktur der Gesellschaft. Sie vermittelt die sozial abhängigen Erkenntnisstufen im Denken und kann aufgrund der realen gesellschaftlichen Verhältnisse und deren Denkdeterminanten die gegenseitige Abhängigkeit zwischen „Sein" und „Bewußtsein" anhand der Genealogie und der Entwicklung der Denkstile und Denkstandorte konstituieren. Die „soziologische Zurechnung" ist der in der logischen Abiaufrichtung der Zurechnungsphasen wichtigste Schritt, da hier das Zurechnungsmotiv, die Kausalität und der Abbildungscharakter zwischen „Sein" und „Bewußtsein", zwischen „Form" und „Inhalt", seine Gestaltung findet. 32 Die wissenssoziologische Vermittlungsebene geschieht erst im letzten Schritt, d. h. die fur die Rekonstruktion der Denkstile und Bewußtseinsmomente konstitutiven sozialen Kräfte und Wandlungen werden bis zum dritten Vermittlungsschritt vorausgesetzt.33 Aber der logische Ablauf der Zurechnungsphasen ist nach den Aussagen Mannheims nicht als Ursache-Wirkungszusammenhang mit einer strengen Determination vorstellbar, sondern als historisch-situationsspezifische Ausdrucksbeziehung mit dialektischer Dynamik. Würde man die Zurechnungsschritte verkehren und die soziologische Zurechnungsstufe an den Anfang setzen, wären alle Gedanken und Bewußtseinsäußerungen kausal und damit empirisch überprüfbar auf Verursachung zurückzufuhren und die Denkergebnisse und Gedankenmomente auf die jeweiligen Träger im gesellschaftlichen und politischen Reproduktionsprozeß deduzierbar.34 Dieser Ursache-Wirkungszusammenhang stellt den Wissenssoziologen jedoch nicht zufrieden, denn es könnte zwar der liberale und konservative Denkstil durch Zuordnung der sozialen Lebenslage verortet werden, aber die wissenssoziologische Quintessenz, inwiefern die treibenden Sozialkräfte in der Tat „treibend" sind, bliebe soziologisch unbeantwortet und „vermittlungslos" außerhalb der Zurechnungsarbeit. Übersieht man die drei Zurechnungsstufen im ganzen, dann stellt sich der Vermittlungszusammenhang als ein Dualismus dar, denn in der „sinngemäßen Zurechnung" und der „Faktizitätszurechnung" werden die Denkstandorte und Bewußtseinsäußerungen noch unvermittelt, d. h. ohne Zurechnung zur sozialen Schicht analysiert und erst auf der Ebene 30 31 32 33 34

Ebenda. Ebenda, S. 90 Mannheim: Wissenssoziologie, S. 677; Neusäss, a. a. O., S. 84f.. Neusüss, S. 79. Ebenda.

2. Das heuristische Potential der

Wissenssoziologie

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der soziologischen Zurechnung einander in Beziehung gesetzt. Die sozialen und politischen Schichtungs- und Gesellschaftsprozesse erscheinen nur als der letzte problemlos zu vermittelnde Zurechnungsgrund. Die Entwicklungsrichtung eines Denkstils läßt sich demnach aus der sozialen Zusammensetzung der Gruppen und Schichten analysieren und aus der Bewegungsrichtung, ζ. B. des konservativen Denkens. 35 Mannheim benutzt die Kategorie des „sozialen Seins" in der Tat als eine heuristische Konstruktion, um die Vermittlung von geistigen Standorten und sozialen Schichten logisch zu erklären. Das soziale Sein wird als vermittelnder Konstruktionsbegriff, als „geistige Schicht", zwischen „Bewußtsein" und „Gesellschaft" gestellt, als ein vom Geistigen her definierter Vermittlungsbegriff. 36 Der Begriff des „sozialen Seins" bezeichnet den Träger eines Weltanschauungssystems, übernimmt aber keine eigenständige Vermittlungsfunktion, er wird beliebig als Zurechnungsobjekt wie etwa als Kategorie (ζ. B. Generation, Sekte etc.) verwendet. Das dualistische Schema der Zuordnung wird durch den Einschub der „geistigen Schichten" als dem „sozialen Sein" nicht berührt, geistige Schichten werden als Träger der Denkstile den „sozialen Schichten" zugeordnet. Das „soziale Sein" übernimmt als Überbaukategorie nur eine objektbezogene, verdinglichende Funktion, so daß bei der „sinngemäßen Zurechnung" über das soziale Sein der Vermittlungsgrund objektbezogen erfolgt. Die „sinngemäße Zurechnung" ist deshalb nicht voraussetzungslos, das zu interpretierende Weltanschauungszentrum ist bereits über die Vermittlungsebene des „sozialen Seins" als bekannt vorausgesetzt. 37 Die logische Zweistufigkeit der Zurechnung konkretisiert sich erst im Modus der „wissenssoziologischen Zurechnung", in welcher der konkrete Vermittlungszusammenhang von Sein und Bewußtsein, von Über- und Unterbau und damit von Denkgehalt und sozialem Standort erst stattfindet. 38 Bei den ersten beiden Zurechnungsstufen bleiben die Kategorien „Wissen" und „Gesellschaft" trotz der Rekonstruktion der Denkstile auf dem Gebiet des Geistigen unvermittelt. Der Zweck der soziologischen Zurechnung ist, „durch ständige Einschaltung konkreter Zwischenglieder die zunächst in intuitiver Vermutung auftauchenden Beobachtungen über den Zusammenhang zwischen sozialem Sein und Denken kontrollierbar zu machen. Ist das Gesamtleben einer historisch-sozialen Gruppe ein in ihren Erscheinungen interdependentes Gefuge und das Denken nur eine Lebensäußerung in ihr, so findet man dieses Wechselleben, das eben das Wesentliche an diesem Gefüge ist, dadurch, daß man im einzelnen jener Verklammerung und Strukturverknüpftheit der Lebensäußerungen nachgeht." 39 Die in den ersten beiden Vermittlungsebenen fehlenden Verbindung von Überbau und Unterbau läßt die Reduktion auf einen dichotomen Zurechnungsrahmen zu, ohne die Vermittlung von Ideen- und Sozialgehalten dadurch zu beschneiden. Die logische Zweistufigkeit der Zurechnung läßt zur Vereinfachung der Anwendung zu, die sinngemäße Zurechnung und die Faktizitätszurechnung auf einer Zurechnungsebene als „ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung" zusammenzufassen.

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Mannheim: Wissenssoziologie, S. 677; Neusäss, a. a. O., S. 79. Mannheim: Probleme einer Soziologie des Wissens, S. 28 lf.. Neusäss,S. 80. Krüger: Wissensoziologie, S. 79ff.; Neusüss, S. 90. Mannheim: Wissenssoziologie, S. 677.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung Die bundesdeutsche Konservatismusforschung geht in ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Konstituierung und ideengeschichtlichen Rezeption wie Kritik im allgemeinen von der Konservatismusstudie Karl Mannheims aus.1 Diese kann aufgrund ihrer Syntheseleistung von historisch-soziologischer und situationsspezifischer Interpretation des deutschen konservativen Denkens für die politikwissenschaftliche Konservatismusforschung als disziplinbegründend gelten.2 Aufgrund der „babylonischen Sprachverwirrung"3 und der Unübersichtlichkeit zu Phänomen und Begriff des „schwierigen Konservatismus" (Kaltenbrunner) sind methodische und begriffliche Bemerkungen zum Forschungsstand notwendig. Die Rhetorik der Reaktion ist vielschichtig und von nationalen wie geistesgeschichtlichen Faktoren abhängig.4 Geht es bei Ernst Rudolf Hubers staatswissenschaftlichem Gesamtwerk gleichermaßen um einen politischen wie wissenschaftlich motivierten Konservatismus, der werkgenetisch in der Kontinuität der drei durchlebten Verfassungsepochen der Weimarer Republik, des Drittes Reich und der Bundesrepublik angelegt ist, so ist der konservative Denkstil durch das juristische Selbstbild der Gesellschaftsschlichtung ebenso bestimmt wie durch die spezifisch deutschen Verfassungskrisen und geistesgeschichtlichen Traditionen konservativer Krisendiagnose. Deshalb muß nach einem analytischen Konservatismusansatz gesucht werden, der den wissenssoziologischen Fragestellungen genügt. In der Konservatismusforschung gibt es bis heute keinen konsensfahigen Begriff des „Konservatismus". Wird er normativ definiert, sind seine Inhalte je nach politischem Standort austauschbar, werden seine historisch-gesellschaftlichen Varianten betont, läuft man Gefahr, die identischen Momente zu verwischen.5 Auch eine nur begriffsgeschichtliche Rekonstruktion, so verdienstvoll sie ist, vermag zu keinen hinreichenden Auskünften über den politischen Konservatismus zu kommen.6 Dennoch haben sich hinsichtlich der Definitionsprobleme und Deutungsmuster drei Interpretationsmodi herausgebildet, die sich in der sozi1

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Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, Frankfurt/M. 1986, S 12; Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, Frankfurt/M., New York 1989, S. 18ff.; Grebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie. Konservative Kritik an der Demokratie in der Bundesrepublik nach 1945, Frankfurt/M. 1971, S. 24f.; Schumann, Hans-Gerd: Einleitung, in ders. (Hrsg.), Konservativismus, 2. Aufl., Königstein/Ts. 1984, S. 11, 13f. Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, S. 22f.; Greiffenhagen, Martin: das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 157f.; Huntington, Samuel: Konservatismus als Ideologie, in: Schumann, Hans-Gerd (Hrsg.): Konservativismus, 2. Aufl., Königstein/Ts. 1984, S. 89-111 (89f.). Lenk, Kurt: Bundesdeutscher Konservatismus. Ein Deutungsversuch, in: Frankfurter Hefte, 39. Jg. (1992), H. 10, S. 896-900 (896). Hirschman, Albert O.: Denken gegen die Zukunft. Die Rhetorik der Reaktion, Frankfurt/M. 1995, S. 13-18. Saage, Richard: Neokonservatives Denken in der Bundesrepublik, in ders.: Rückkehr zum starken Staat? Studien über Konservatismus, Faschismus und Demokratie, Frankfurt/M. 1983, S. 228-282 (228f.); zur Einordnung der neueren Studien zum Konservatismus vgl. Kraus, Hans-Christof: Konservatismus im Widerstreit, in: Der Staat, 15. Jg. (1989), S. 225-249. Vierhaus, Rudolf: Art. Konservativ, Konservatismus, in: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhard (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. m , Stuttgart 1982, S. 531-565 (533).

3. IVissenssoziologie und Konservatismusforschung

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al-ideengeschichtlichen, begrifflichen und epochalen Einordnung unterscheiden. Die historisch-speziflzierende Interpretation7 ordnet den Konservatismus als ein Kind der Französischen Revolution ein. Als aristokratisch-klerikale Reaktion auf die 1789er Revolution strebt der Konservatismus die Erhaltung vorindustriell-agrarischer und feudaler Institutionen an und flieht, rückwärtsgewandt als „politische Romantik", in die Korporationen des Mittelalters. Mit der soziologischen Zuordnung zur Aristokratie wird Konservatismus hier zu einem unwiederholbaren Epochenphänomen. 8 Die universalistisch-anthropologische Interpretation setzt sich zumeist aus einem konservativen Selbstverständnis über die epochale und sozialpolitische Einordnung hinweg und versteht Konservatismus als ein zeitlos gültiges System universaler Werte und Tugenden, die geschichtsübergreifend gelten und auf ein konstantes Wesen des Menschen hindeuten. Damit wird eine „Normalverfassung" des Menschen unterstellt und Änderungen dieses politischen Spektrums als Abweichung interpretiert. Dieses Deutungsmuster fallt als anthropologische Grundkonstante in die Religionsgeschichte, Anthropologie und Verhaltenswissenschaft. Eine politische Zuordnung des Konservatismusbegriffs ist damit nicht möglich.9 Das dritte und letzte Deutungsmuster, die situationsspezifische Interpretation, geht davon aus, daß der Konservatismus nicht in die historische Kontinuität mit Ideologien wie Liberalismus und Sozialismus gestellt werden kann. Die periodische Situationsgebundenheit des Konservatismus impliziert, daß es keinen allgemeingültigen, universalistischen Konservatismusbegriff gibt, sondern nur ein auf die politisch-sozialen Krisensituationen zugeschnittenes reaktives, historisch modifizierbares Arsenal von ideologischen Argumentationsmustern, das hinsichtlich der Ausdrucksbeziehung von Denkstil und sozialem Standort dem situativen soziologischen Gegenstand Rechnung trägt. Aufkommender Konservatismus ist somit immer ein Indiz gesellschaftlicher Krisen in Weltanschauungslagen und Motivstrukturen. Demnach gibt es keine „ewigen" Werte konservativen Denkens. Der Konservatismus ist so wandlungsfahig wie seine Bedingungen, die er zu verteidigen sucht. 10 Die situationsspezifische Auffassung konservativen Denkens (als reaktives Denken) definiert den Konservatismus als eine positionale Ideologie, die in Krisenlagen entsteht und bei Erlöschen dieses Bedürfnisses wieder verfallt. Diese historische Einsicht impliziert die Auffassung, daß es keine universale konservative Theorie gibt, sondern nur situationsspezifische Reaktion, die wiederum ihre Kontinuität in der Verteidigungshaltung und in historisch variierenden Argumentationen hat. Konservatismus ist hier ein historisch variabler Begriff, der von einer fehlenden historischen Kontinuität ausgeht. So sehr der Konservatismus auch apologetische Strukturen und Funktionen einer Rechtfertigungsideologie als Verneiner des Fortschritts hat, ist im situationsspezifischen Zusammenhang die transzendentalsoziologische Struktur

7 Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, S. 13f.; s. a. Kaltenbrunner, Gerd-Klaus: Der schwierige Konservatismus. Definitionen, Theorien, Porträts, Herford/Berlin 1975, S. 25f.. 8 GreifFenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 37ff.; Kondylis, Panajotis: Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, Stuttgart 1986, S. 1 Iff.. 9 Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 14f.; Kaltenbrunner, Gerd-Klaus: Der schwierige Konservatismus, a. a. O., S. 20ff; Lenk nennt Edmund Burke, Arthur Moeller van den Bruck und Jan Romein. 10 Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 16f; ebenso Huntington, Samuel: Konservatismus als Ideologie, a. a. O., S. 103; zusammenfassend auch Grebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie, a. a. O., S. 27f..

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Die Methodik der Wissenssoziologie

des Konservatismus wichtig, die alle gruppen- und klassenmäßigen Ideologien überwölbt. Konservatismus ist dann eine positionale Ideologie, wobei die Materie dessen, was jeweils institutionalisiert und umgewandelt wird, von der konkreten historischen Situation abhängt. 11 Es hat sich in der politikwissenschaftlichen Diskussion der achtziger Jahre gezeigt, daß vor allem der Konservatismus als übernationales, allgemeinpolitisches Phänomen kaum zu bestimmen ist. Nur eine historisch-situative Eingrenzung mit gesellschaftlich-historisch operationalisierten Begriffen und Techniken kann zu einem zufriedenstellenden Forschungsansatz kommen.12 Der situationsspezifische Ansatz kommt diesen Eingrenzungen insofern entgegen, als er die nationalen Eigenarten konservativen Denkens in den Vordergrund stellt. Das situationsspezifische Deutungsmuster des Konservatismus läßt sich auch mit der wissenssoziologischen Fragestellung verbinden, weil es gegenüber der anthropologischen und nur klassengebundenen Konservatismus-Interpretation die ganzheitlichen Momente ideologischen Denkens verbindet. Der eigentliche Zweck der Wissenssoziologie liegt in der „totalen" Erfassung des weltanschaulichen Denkens mitsamt seiner inneren Wechselwirkungen und Veränderungen, als auch der sich historisch verändernden Klassen- und Generationssituation.13 Mit der Heuristik der Zurechnung werden drei Deutungsebenen unterschieden: die Ebene der Sozialgeschichte der Ideen, die Ebene der morphologischen Sinndeutung und die dritte Ebene der Veflechtung von textuellen und soziologischen Erklärungen. Eine wissenssoziologische Analyse des staatspolitischen Konservatismus des zwanzigsten Jahrhunderts hat demnach vom „rationalisierten" Gefüge in der Gesellschaft und den soziologisch zu hinterfragenden „irrationalen Spielräumen" als dem dialektischen Verhältnis von Inhalt und Form auszugehen.14 Eine zu eng historisierende soziologische Interpretation würde einen Konservatismusbegriff als Kompromiß jedoch erschweren und die situative Genese seiner Werthaltung aufgrund des periodischen Aufkommens schlicht „vergessen".15 Konservatismus entsteht als reaktionäres Denken in der Zeit nach der Französischen Revolution.16 Das Wortbedeutungsfeld des Konservatismus bezieht sich auf die Kontinuität der Verteidigungshaltung, die Defensivstruktur und die jeweiligen Gegner seines Denkens.17 Diese sehr allgemeine Eingrenzung konservativer Denkhaltungen als Weltauslegungsart kann durch die historische Erklärung der Entstehungsbedingungen dieses Denkens als den wissenssoziologisch relevanten gesellschaftlich-politischen Formierungsphasen ergänzt werden. Die Bestimmung des Konservatismus als einer Reaktionsform auf politisch-

11 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus: Der schwierige Konservatismus, in ders. (Hrsg.): Konservatismus in Europa, Freiburg 1972, S. 19-54 (S. 34f.); Huntington, a. a. O., S. 102f.. 12 Kraus: Konservatismus im Widerstreit (Anm. 5), S. 225f.. 13 Kettler/Meja/Stehr: Politisches Wissen, a. a. O., S. 64. 14 Mannheim: Ist Politik als Wissenschaft möglich? (Das Problem der Theorie und Praxis), in: Ideologie und Utopie, 5. Aufl., Frankfurt/M. 1964, S. 95-167 (97). 15 So auch die Kritik bei dem vielbeachteten historisch-strukturellen und begriffsgeschichtlichen Ansatz von Panajotis Kondylis: Konservativismus. Geschichtlicher Gehalt und Untergang, a. a. O., S. 12ff., 500. 16 Dagegen: Kondylis: Konservativismus, S. 23fF.; s. a.: Kraus, Hans-Christof: Konservatismus im Widerstreit (Anm. 5), S. 225ff.. 17 Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 17.

3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung

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soziale Veränderungen und deren Krisen, vor allem die strukturelle Verbindung von Etatismus und Konservatismus, setzt schon eine historisch fortgeschrittene Form voraus, die in ihrer Komplexität aus den Ursprüngen erklärt werden kann. Karl Mannheim geht davon aus, daß sich der konservative Denkstil als ein „reaktives" Weltwollen auf die Französischen Revolution zurückdatieren läßt. So gibt es nach Mannheim auch eine „natürliche", vorrevolutionäre Form dieser Denkhaltung, den „Traditionalismus": „Von einem solchen Traditionalismus, der eben nur das Festhalten am Althergebrachten bedeutet, kann man wohl mit Recht behaupten, daß er die ursprünglichere Verhaltensweise gegenüber jedem Reformismus, gegenüber jedem gewollten Neuerungssystem ist. [...] Ein solcher Traditionalismus ist auch in der modernen Zeit vorhanden und hängt auch heute noch oft mit magischen Restbeständen des Bewußtseins zusammen." 18 Während „Traditionalismus" zunächst als passive Denkhaltung das Beharren auf religiöse Überzeugungen meint, geht er erst in konservatives, selbständiges und zielgerichtetes Denken über, wenn das passive Element verworfen wird. Die Zeitlosigkeit und Passivität traditionalistischen Denkens geht in konservatives, also gerichtetes, aktives Denken über, wenn ein sozialer und gesellschaftlicher Vermittlungszusammenhang besteht. „Konservativ handeln" bestimmt Mannheim nicht als ein formal reaktives Handeln, sondern als ein bewußtes oder unbewußtes Sich-Orientieren an einer Denk- und Verhaltensweise, das sich historisch nachweisen läßt. 19 Die Unterscheidung von Traditionalismus und Konservatismus ist in der Konservatismusforschung vielfach übernommen, 20 aber auch bei der bis heute nicht bestehenden Übereinstimmung zu Struktur, Ursprung und Erscheinungsformen des Frükonservatismus kritisiert und abgelehnt worden. 21 Doch es wird in der Konservatismusstudie Mannheims oft der begriffliche Zusammenhang übersehen. Traditionalismus ist als generalisierender soziologischer Begriff eine allgemeine menschliche Eigenschaft, das „passive" Element vorkonservativen Denkens, während Konservatismus als historisch-soziologischer Begriff die „aktive" politische und historische Denkströmung im sozialen Kräftefeld der Gesellschaft bezeichnet. 22 Die Umstrittenheit der Theorie Mannheims ist vor allem auf die Periodisierungprobleme der Entwicklungsstadien des Frühkonservatismus, insbesondere der Unterscheidung von „Traditionalismus" und „Konservatismus" zurückzuführen, zumal Mannheim dem Traditionalismus selbst Entwicklungsstadien zubilligt, deren Endpunkt der Übergang zum Frühkonservatismus bildet. Der Typus des „nicht mehr"-Traditionalismus und „noch nicht"-Kon-

18 Mannheim: Konservatismus, S. 93. 19 Ebenda, S. 94. 20 Ζ. B. bei Fritz Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770-1815, München 1951, Neudruck, Kronberg/Ts., Düsseldorf 1978, S. 255ff.. 21 Exemplarisch: Kondylis: Konservativismus, S. 14, Anm. 3; Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 54ff; richtigstellend: Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 18ff; zum Forschungsstand: Reinalter, Helmut: Von der Aufklärung zum frühen Liberalismus, Sozialismus und Konservativismus. Zur historischen Entwicklung des Ideologiebegriffs und zu Anfängen ideologisch-politischer „Strömungen", in: Pelinka, Anton (Hrsg.): Ideologien im Bezugsfeld von Geschichte und Gesellschaft, Innsbruck 1981, S. 63-78 (72ff). 22 Mannheim: Konservatismus, S. 92ff; Reinalter, a. a. O., S. 72.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

servatismus ist in der methodischen Unentschlossenheit bei Mannheim von Ernst-Wolfgang Böckenforde am Beispiel Justus Mosers aber widerlegt worden. 23 Konservatives Denken ist nach Mannheim ein „objektiv-geistiger Strukturzusammenhang" gegenüber der „Subjektivität" des einzelnen Individuums aufgrund der gesellschaftlich motivierten Bewußtseinsform des Reaktiven. Als notwendige Vorbedingungen für die Entstehung des Konservatismus nennt Mannheim: die Prozeßartigkeit des historischen Sozialkomplexes, konkret die Entwicklung der kapitalistischen Tausch- und Produktionsgesellschaft, die Entstehung sozialer Differenzierungen in konträren Klassenstrukturen, die Spaltung der Ideen in politische Weltanschauungen aufgrund gegensätzlicher Lebenslagen und Interessen und zuletzt die aus den sozialen und ökonomischen Problemen resultierende Politisierung des öffentlichen Lebens.24 Entsprechend der wissenssoziologischen Prämisse, mit dem „historischen Begriff des Konservatismus in einer bestimmten Epoche" 25 den Denkstandort im Vermittlungszusammenhang von Bewußtsein und Gesellschaft herauszuarbeiten, unterscheidet Mannheim eine vortheoretische und eine theoretische Stufe, 26 die später im wissenssoziologischen Zurechnungsschritt am Beispiel der Juristen Adam Müller, Friedrich Carl von Savigny, Justus Moser und Gustav Hugo im romantisch-ständischen Denkstandort ausgeführt wird. Als problematisch erweist sich die inhaltliche Präzisierung des „historischen Begriffs des Konservatismus". Mannheim bietet weniger eine inhaltliche Definition als eine analytische Umschreibung dieses Begriffs. Die „Formaidefinition" des Konservatismus besagt, daß es Kollektivintentionen gibt, die auf die Prozeßartigkeit, d. h. hemmende und fortschreitende Elemente im Widerstreit, im historisch-sozialen Geschehen gerichtet sind. Der „Relationsbegriff" des Konservatismus bezeichnet nur Eigenarten des Konservatismus in gebundener, bezüglicher - eben „relationaler" - Form zum Progressiven und fuhrt lediglich zu einer allgemeinen Bestimmung dieser Weltauslegungsart, die der „historische Begriff des Konservatismus in einer Epoche" als eines „bestimmten" Konservatismus ablehnt. Eine präzise Definition des Konservatismus scheitert demnach an den heuristischen Vorgaben und der Ablehnung jeglicher apriorischer Wertmeinungen. Die „Morphologie konservativen Denkens" meint das innere Bildungsprinzip und seine Genese im gesellschaftlichen Kontext. Der „historische Begriff des Konservatismus in einer bestimmten Epoche" soll den doppelten Schritt der Analyse der vortheoretischen Elemente konservativen Denkens und den theoretisch gewordenen Elementen des Denkstils sukzessiv herausstellen. Die vortheoretischen Züge konservativen Erlebens und Denkens und ihr Gestalt- und Funktionswandel in der historisch-sozialen Wirklichkeit können der anschließenden ideengeschichtlichen Betrachtung die nötige Konkretion verleihen. Der „historische Konservatismusbegriff" steht demnach selbst im Banne der wissenssoziologischen Verfahrensweisen und Zurechnungsformen und erhält seine inhaltliche Schärfe erst im konkret vermittelbaren relationalen Zusammenhang der historischen Situation, für welche die situa23 Böckenforde, Emst-Wolfgang: Die deutsche verfassungsgeschichtliche Forschung im 19. Jahrhundert, Berlin 1961, S. 30ff.; s. a. Mannheim: Konservatismus, S. 152ff., 197ff, 194ff.; in der Problematik deckungsgleich Greififenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 54.; vgl. auch Saage, Richard: Zum Begriff der Utopie und des Konservatismus bei Karl Mannheim, a. a. O., S. lOfiF.. 24 Mannheim: Konservatismus, S. 108. 25 Ebenda, S. 103. 26 Ebenda.

3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung

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tionsspezifische Interpretation der Konservatismusforschung steht. Diese endogenen Quellen der Wissensproduktion und der Berücksichtigung der „inneren" Struktur eines Werkes sind vergleichbar mit dem methodologischen Ansatz der „semantischen Autonomie", d. h. der Deutung der Wissensproduktion möglichst aus sich selbst heraus. 27 Mannheims Konservatismusansatz ist demnach eine Synthese von historisch-soziologischer und situationsspezifischer Interpretation. 28 Die historisch-empirischen Ergebnisse, die Mannheim aus dem Altkonservatismus des achtzehnten und neunzehnten Jahrhundets zieht, können auch für das gegenwärtige konservative Denken gelten, 29 etwa das Sich-Klammern an das unmittelbare Phänomen mit der Tendenz zur Bevorzugung des konkreten Phänomens gegenüber der begrifflichen Abstraktion (Konkretionismus), die prinzipielle Abneigung gegen die gedankliche Konstruktion eines künftigen besseren Zustandes in Gesellschaft und Politik (Anti-Utopismus), die Präferenz der jeweiligen politischen Wirklichkeit gegen alle normsetzenden Ansprüche geschriebener Verfassungen (Realpolitik) und schließlich die Parteinahme für die überkommenen Institutionen gegen deren kritische Infragestellung (Legalismus).30 Der situationsspezifische Konservatismusansatz kommt der historischen Konstellationen insofern entgegen, als der deutsche Konservatismus in der historischen Genese seine Wertsetzungen „vergißt", seine Defensivstruktur und den Wertkosmos durch die konkrete Ausrichtung am „Feind", dem Rationalismus in den verschiedensten ideologischen Formen, inhaltlich und politisch entwickelt. Die in den sozialen und ökonomischen „Lagen" sich konstituierenden Wertstrukturen und Argumentationen richten sich an den in der historisch-situationspezifischen Lage ausgerichten Traditionselementen neu aus, zumeist an dem legitimistischen Zusammenhang der Ordnungs- und Weltanschauungskrise.31

a) Der staatspolitische Konservatismus Die wissenssoziologische Ausdrucksbeziehung zwischen „Bewußtsein" und „Gesellschaft" manifestiert sich im besonderen in den Traditionen und Rezeptionsschüben des staatswissenschaftlichen Denkens in Deutschland seit dem neunzehnten Jahrhundert. Staat und Politik werden in diesem Denken gleichgesetzt und der Staat als Institution der Konfliktregelung über die Gesellschaft gestellt. Der staatspolitische Konservatismus, der als „Denkstil" in den wissenschaftlichen Traditionen der deutschen Staatswissenschaft seinen Ursprung hat, dokumentiert den wissenschaftlichen Wissensstand der konstitutionellen Staats- und Verfassungsepoche.32 Die „verstaatete" und „verrechtete" Auffassung von Politik 33 findet in der

27 28 29 30 31 32

Bühl, Walter L.: Die Ordnung des Wissens, a. a. O., S. 9, Anm. 1. Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 22f.. Ebenda, S. 21. Ebenda; s. a. Mannheim: Konservatismus, S. 132-135, 198-201. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 142f. Oppermann, Thomas: Öffentliches Recht, Staatswissenschaften und Sozialwissenschaften, in: JZ, 22. Jg. (1967), S. 721-727. 33 Vollrath, Ernst: Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen, Würzburg 1987, S. 108; s. a. Hammans, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik.

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Die Methodik der

Wissenssoziologie

politischen Philosophie und Rechtsphilosophie des neunzehnten Jahrhunderts, etwa bei Hegel und den Traditionen der Reichspublizistik des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts, ihr Zentrum und erhält sich in den Denktraditionen der Staatsrechtslehre als „scientia regis" aller juristischen Wissensbereiche bis in das zwanzigsten Jahrhundert hinein. Zweifellos ist dieses Denken nicht notwendigerweise ursprungshaft „konservativ", aber das deutsche politische Denken ist seit dem neunzehnten Jahrhundert wesentlich und typischerweise etatistisch geprägt und hat den staatspolitischen Konservatismus in den Reihen der Jurisprudenz und der politischen Philosophie maßgeblich mitgeprägt. 34 Aus der Kongruenz von Dauer, Werten, Traditionen, Hierarchie und Organik und dem Staat als der „Institution der Institutionen" (Carl Schmitt) ergibt sich die staatserhaltende und gesellschaftsintegrierende Denkhaltung des Konservatismus im staatspolitischen Sinne. Das Leitbild des staatspolitischen Konservatismus hängt soziologisch mit dem im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert entstandenen Juristenprivileg als dem aus fachlicher Qualifikation und Sozialisation einer relativ homogenen Herrschaftselite in Justiz, Verwaltung und Wirtschaft schöpfenden juristischen Selbstbild eng zusammen und manifestiert sich durch Herkunft, Vorbildung, Tradition und Selbstbewußtsein. 35 Mit der Ablösung des absolutistischen Polizeistaates durch den konstitutionellen Rechtsstaat hat sich das Juristenprivileg am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts als staatsbürgerlicher Führungsanspruch der umfassend gebildeten Rechtsgelehrten durchgesetzt, nicht als Primat der rechtstechnischen Ausbildung. Doch im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts reduzierte sich das Ideal des umfassend gebildeten Rechts- und Staatsgelehrten auf einen in Begriffskonstruktion und Subsumtionstechnik geschulten Juristen. 36 Das Juristenprivileg wurde trotz der seither veränderten gesellschaftlichen Gestalt und Funktion nicht mehr in Frage gestellt, auch wenn der juristische Positivismus bis zur Jahrhundertwende mit der Reduktion interdisziplinärer Bildung zu einer Verengung der juristischen Ausbildung beigetragen hatte. Das Juristenprivileg und der überzeitlich wirkende Autonomieanspruch der Jurisprudenz hat seine Operationsbasis in der juristischen Methode, die das technische Mittel für das Monopol der fachlichen Behandlung des Rechts herstellt. Die juristische Methode ist somit die Schranke, die das Rechtssystem gegenüber der Ideologiekritik schützt. 37 Die strukturgeschichtliche Verbindung von Etatismus und Konservatismus ist keine ideologisch ursprüngliche Verbindung, doch speziell an der Schwelle vom sechzehnten zum siebzehnten Jahrhundert entstehen die philosophische Staatswissenschaft und die juristische Staatsrechtslehre, die den zentralen Begriff des Staates als der kompetenten Rechtsherrschaftsordnung mit dem Politischen identifizieren und zum normativen und moralischen

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Eine Studie zum politischen Konservatismus juristischer Gesellschaftstheorie, Opladen 1987, S. 3ff. Vollrath, a. a. O., S. 102f. Bleek, Wilhelm: Von der Kameralausbildung zum Juristenprivileg. Studium, Prüfung und Ausbildung der höheren Beamten des allgemeinen Verwaltungsdienstes in Deutschland im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin 1972, S. 21f.. Ebenda, S. 295, 298. Haverkate, Görg: Gewißheitsverluste im juristischen Denken. Zur politischen Funktion der juristischen Methode, Berlin 1977, S. 13f..

3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung

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Schlichter in politischen Auseinandersetzungen lancieren. 38 Im staatspolitisch-konservativen Denken korrespondieren Elemente politisch-hierarchischer Werthaltungen mit wissenschaftlichem Wissen. Die systematische und institutionelle Auffächerung der Wissenschaft, insbesondere der deutschen Staatsrechtswissenschaft, kann als Reflex gesellschaftlicher Interessen angesehen werden. 39 In der Ära der Napoleonischen Kriege und der 1848er Revolution kommen in Deutschland die konservativen Staats- und Gesellschaftskonzepte zum Durchbruch. Der nachrevolutionäre Staatsbegriff in Deutschland wird besonders durch die mittelalterliche Auffassung der „societas civilis" und ihrer neuzeitlichen Rezeption geprägt und entwickelt sich in der Auseinandersetzung mit der neuzeitlichen individualistischen Staatslehre. 40 Das bürgerliche Denken auf der juristischen Ebene erklärt den Staat zum Träger des Geschichtlichen und der gesellschaftlichen Geltungsebene.41 Hier ist vor allem die nationale Eigenentwicklung Deutschlands seit dem Mittelalter für die Herausbildung eines spezifisch konservativen Denkstils mit stark etatistischem Denkstandort anzuführen. Die Entwicklung des deutschen konservativen Denkens von der passiven traditionalistischen Sichtweise zur reaktiven und aktiven, somit auch gegenrevolutionären Kraft, führt schon früh zu intellektuellen Rechtfertigungssystemen, wie sie etwa in der nachrevolutionären Staatsrechtslehre dokumentiert werden. Der Wandel der Staatlichkeit und der Verfassungsform birgt Rückschlüsse auf den Grad des Juristenbildes.42 Die verfassungspolitischen Wechselbäder wirken auf das Selbstverständnis und den Reflexions- und Reaktionsmodus des staatspolitischen Konservatismus zurück. Die spezifische „Denkungsart" des autoritären Konservatismus43 und seine beharrenden Ordnungskonzeption über die Verfassungsbrüche des zwanzigsten Jahrhunderts und seiner juristisch-staatsphilosophischen Konzeption hinaus hat sich trotz des historischen Gestaltwandels des deutschen Konservatismus formiert: Die Identität von Staat und Politik, die rechtshegelianische Fundierung einer (etatistischen) Geschichtsphilosophie,44 die damit korrespondierende kosmisch-zyklische Dreistufentheorie der Entwicklung des neuzeitlichen Staates über den absolutistischen Staat des siebzehnten Jahrhunderts, dem „neutralen" Staat des neunzehnten Jahrhunderts zum „totalen Staat" des Nationalsozialismus. Dieser staatsphilosophisch fundierten Ordnungsvorstellung wird der Konservatismus des juristischen Denkens in der Symbiose von Staat und Politik und seiner intellektuellen Rechtfertigungskonzeptionen zugeordnet. 45 Die Kontinuität der Grundmuster autoritär-etatistischen Den38 Vollrath, a. a. O., S. 110f.; s. a. Lenk, Kurt: Konservatismus, in: Greiffenhagen, Martin (Hrsg.): Kampf um Wörter? Politische Begriffe im Meinungsstreit, München/Wien 1980, S. 105ff. 39 Hennis, Wilhelm: Politik und praktische Philosophie. Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft, Neuwied, Berlin 1963, S. 31f.. 40 Kondylis: Konservativismus, S. 254f., 27 lf.. 41 Mannheim: Konservatismus, S. 76. 42 Forsthoff, Ernst: Der lästige Jurist, in ders: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1973, 2. Aufl., nach dem Tode des Verfassers hrsg. von Klaus Frey, München 1976, S. 227-231 (229). 43 Dazu: Hammens, a. a. O., S. 5 Off; Hammens führt den Beweis der Kontinuität autoritären Staatsdenkens bis in die Bundesrepublik vor allem durch den Einfluß Carl Schmitts und seiner Schüler und akademischen Anhänger; vgl. S. 50-71. 44 Zu ihrer Funktion vgl. Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 76. 45 Brocker, Lars: Der Mythos vom Konservativismus des Juristen, in: Frankfurter Hefte, 39. Jg. (1992), S. 261-265; s. a. Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 164ff.

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Die Methodik der Wissenssoziologie

kens liegt in der gesellschaftspolitischen Strategie der Legitimation politischer Autorität und Herrschaft, der Bejahung sozialer Ungleichheit und dem Grundwert der ordnungsstiftenden Staatsgewalt, deren Alternative nur die Anarchie des Naturzustandes sein kann. Die der Hobbesschen Formel „auctoritas non veritas facit legem" immanente autoritäre Auffassung des Verhältnisses zwischen Recht und Macht, zwischen Staat und Politik, kann nur vom juristischem Standort aus als Klischee und Mythos des juristischen Konservatismus abgetan werden. 4 6 Die ideologiekritische Funktion der Wissenssoziologie hat bei der Rekonstruktion und Analyse des staatswissenschaftlichen Konservatismus des Juristen Ernst Rudolf Hubers aber noch von einer anderen gesellschaftlichen Handlungs- und Bewußtseinsebene auszugehen: der Bewußtseins- und Weltauslegungsart aus der Schlichtungs- und Regelungsperspektive des Juristen 47 und seiner allgemeinen Sozialisationsform. Die formalisierte Tradition der Juristenausbildung hat in der Auslegung und Schlichtung zu einer Art „autoritärem Legalismus" 48 gefuhrt, die nach ihrem tradierten Selbstverständnis eine equilibrierende Funktion im politischen System zuweist. Die traditionelle Identitätsformel „staatlich = politisch" verweist die Rechtswissenschaft trotz des Verfassungsdurchbrechenden Defätismus der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik in die Position des Staatsretters und Hüters. 49 Die Erfahrungen mit der Weimarer Staatslehre dokumentieren aber auch, daß die Haltung der Jurisprudenz gerade als Problem innerhalb der Entwicklung des Verfassungsstaates gesehen werden muß. 50 Die Entwicklung von Legalstrukturen und das Offenhalten legitimer Handlungsstrukturen nimmt im Hinblick auf die Tatsache, daß Huber Jurist in drei aufeinanderfolgenden Verfassungsordnungen mit unterschiedlichen Norm- und Auslegungsstrukturen war, nicht nur die scheinlogische Funktion der rechtstechnischen Auslegungsarbeit des Juristen in Anspruch. 51 Der Übergang der Verfassungsordnungen spielt im Rahmen des Zeitlichkeitsbewußtseins52 und der allgemeinen Krisensituation fur den schlichtenden Juristen eine besondere Rolle, die wissenssoziologisch im Werke Hubers außerordentlich wichtig ist.

46 Ebenda, S. 261. 47 Die Intelligenzsoziologie Mannheims kann in diesem Zusammenhang nicht weiterhelfen. Ihre geschichtsphilosophische Einbindung und das die wissenssoziologische Methode konterkarierende Theorem der „freischwebenden Intelligenz" würden mehr Fragen aufweifen als beantworten. 48 Dahrendorf, Ralf: Ausbildung einer Elite. Die deutsche Oberschicht und die juristischen Fakultäten, in: Der Monat, 14. Jg. (1962), H. 166, S. 15-27 (24). 49 Hammans, a. a. O., S. 3ff.. 50 Haverkate, Görg: Gewißheitsverluste im juristischen Denken (Anm. 37), S. 30. 51 Dazu kritisch Rottleuthner, Hubert: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 42ff., S. 209ff.. 52 Zur wissenssoziologischen Relevanz der Zeit und der sozialen Funktion von Zeitwenden vgl. Elias, Norbert: Über die Zeit. Arbeiten zur Wissenssoziologie Π, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt/M. 1988, S. XVHIf., S. 12ff; zur verfassungstheoretischen Relevanz des Faktors Zeit vgl. Häberle, Peter: Zeit und Verfassung, in ders.: Verfassung als öffentlicher Prozeß. Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, Berlin 1978, S. 59-92. Für die Rolle des Juristen im Übergang der Verfassungsepochen sind die über die Zeitwandlungen feststellbaren Balancen von Engagement und Distanzierung von großer Bedeutung; dazu Elias, a. a. O., S. XLII, ebenso ders.: Engagement und Distanzierung, Materialien zur Wissenssoziologie I, hrsg. und übersetzt von Michael Schröter, Frankfurt/M. 1983.

3. Wissenssoziologie und Konservatismusforschung

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Die Struktur und der Aufbau dieser Analyse wird durch den wissenssoziologischen Zweischritt von „Ideengeschichtlich-zeitdiagnostischer Zurechnung" und „wissenssoziologischer Zurechnung" bestimmt. Für die Weimarer Zeit und den Nationalsozialismus wird jeweils Hubers konservatives Staatsdenken im Kontext der staatsrechtlichen und verfassungspolitischen Diskussion im Rahmen der „ideengeschichtlich-zeitgenössischen Zurechnung" rekonstruiert, anschließend in der „wissenssoziologischen Zurechnung" der politische und wissenschaftliche Denkstandort Hubers für den Bereich des Methodendenkens und der Verfassungsdiskussion ermittelt. Für die Werkphase der Bundesrepublik entfallt der wissenssoziologische Zweischritt, stattdessen werden die für die Zeit der Weimarer Republik und des Dritten Reiches ermittelten Denkhaltungen auf ihre Kontinuität im Denken Hubers nach 1945 analysiert. Abschließend erfolgt im wissenssoziologischen Resümee eine verfassungsübergreifende Bewertung des konservativen Staatsdenkens von Ernst Rudolf Huber unter dem Aspekt der Kontinuitäts- bzw. Diskontinuitätslinien.

KAPITEL 2

Die Weimarer Jahre. Krise und Kritik Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Die Auflösung des demokratischen Verfassungskompromisses und die ökonomische und politische Machtverschiebung seit der Stabilisierungsphase der Republik dokumentiert sich aus der Sicht Ernst Rudolf Hubers, der in der wilhelminischen Epoche seine gesellschaftliche Sozialisation erfahren hat, als generationsspezifische Weltauslegungsart. Soziales Milieu, politische Formation, wissenschaftliche Interpretationsstandards und das Berufsethos haben einen Einfluß auf die Bewertung, Kritik, schließlich die Rechtsauslegung der Weimarer Verfassungskonflikte sowie die Reaktionsformen im politisch-gesellschaftlichen Spannungsfeld. 1 Die wissenssoziologische Analyse des Staats- und Verfassungswerkes Hubers in der Weimarer Verfassungsepoche hat in der dialektischen Vermittlung von gesellschaftlichen Krisenlagen und wissenschaftlichem, politisch und zeitbestimmtem Bewußtsein ihren werkgenetischen Denkstandort. Die gesellschaftlich-politische Trägerschaft von Ideologien läßt sich im Spiegel objektiver und subjektiver sozioökonomischer Klassenlage, politischen Positionen und beruflich-gesellschaftlicher Einfluß- und Gestaltungswerte, d.h. in der Form von Engagement und Interesse 2 , interpretieren. Es gehört zu den Eigenarten des Staatsrechts, daß es als politikbezogenes Recht die politische Entscheidungsgewalt in Verfahrens- und Ausübungsmodalitäten bestimmt und dadurch die Macht- und Entscheidungspositionen, auch in ihrer sozialen und verfassungssichernden Funktion, reguliert und verteilt. 3 Das ist das Ziel dieses Kapitels, die Strukturen konservativen Staatsdenkens bei Ernst Rudolf Huber zu rekonstruieren. Die jungkonservative Haltung in den Reihen der politisierten Staatsrechtslehre liegt realen ökonomischen und politischen Optionen zugrunde, 4 welche die auf juristischem Wege reproduzierten Herrschaftsstrukturen aus der gesellschaftlichen Gesamtverfassung herauslösen wollten und für eine mit konservativ-revolutionärem Ideengut vermischte autoritäre Staatsform optieren. 5

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Auf diese Kriterien macht Detlev K. Peukert aufmerksam: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt/M. 1987, S. 13ff, 25ff. Mannheim, Karl: Probleme einer Soziologie des Wissens, a. a. O., S. 376-385; ähnlich: Elias, Norbert: Engagement und Distanzierung, a. a. O., S. 7ff. Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Die Eigenarten des Staatsrechts und der Staatsrechtswissenschaft, in: Recht und Staat im sozialen Wandel, Festschrift für Hans-Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, hrsg. von Norbert Achterberg u. a., Berlin 1983, S. 317-331 (320f ). Exemplarisch: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931; ebenso: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932 und die Artikel in der Zeitschrift „Der Ring". Gerstenberger, Heide: Konservatismus in der Weimarer Republik, in: Kaltenbrunner, KlausGerd (Hrsg.), Rekonstruktion des Konservatismus, Freiburg 1972, S. 331-348 (335ff.).

1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld

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1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld: Rechtskritik und politische Philosophie Das Staatskirchenrecht ist nicht nur die erste wichtige Säule der öffentlichrechtlichen Studien Ernst Rudolf Hubers in der Weimarer Schaffensphase, 1 sondern auch Probierstein für das etatistische Verfassungsverständnis und Ansatzpunkt der Kritik an den Defiziten des Weimarer Verfassungswerkes, das kein ausgeklügeltes, abstrakt konstruiertes kirchenpolitischen System entwickeln konnte.2 Hubers Arbeiten zu diesem Thema dokumentieren, daß dieses scheinbare Randgebiet für Spezialisten ein Teil des Verfassungsrechts ist, das „mit seismographischer Empfindlichkeit auf jede Erschütterung des Verfassungsgefüges reagiert."3 Ausgangspunkt der kirchenverfassungspolitischen Analysen ist die Trennung von Staat und Kirche in der Weimarer Verfassung und die Kritik der staatskirchenrechtlichen Klauseln in ihrer verfassungshistorischen Entwicklung. Die staatskirchenrechtlichen und kirchenpolitischen Studien von 1927 bis 1932 geben ein strukturiertes Bild der Wendung von der streng juristischen zur politisierten, verfassungshistorisch-ideengeschichtlichen Argumentation. Die Probleme der Weimarer Kirchenverfassung, im engeren Sinne das kulturell-geistesgeschichtliche und rechtliche Verhältnis von Staat und Kirche, bleibt für Hubers Werkgenese, geschärft durch die Erfahrungen mit dem Dritten Reich und die Übernahme der staatskirchenrechtlichen Artikel 135-141 WRV in das GG, bis in das Alterswerk der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" bestimmend.4 Dennoch vollzieht Huber in den wesentlichen staatskirchenrechtlichen Positionen mit der nationalsozialistischen Machtergreifung eine Zäsur, die das Kap. X in der „Verfassung" von 1937 erstmalig dokumentiert hat. 5

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Huber hat sich mit dem Staatskirchenrecht in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der Bundesrepublik beschäftigt. Obwohl er 1933 die Weimarer Grundpositionen aufgegeben hat, knüpft er in der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" und dem mit Wolfgang Huber herausgegebenen Dokumentenband „Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert", wieder an seine früheren Werke affirmativ an. Zur Kontinuität und Diskontinuität vgl. Winter, Jörg: Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, Frankfurt/M., Bern, Las Vegas 1979, S. 195— 216 (198ff). Trotz der Zitation der staatskirchenrechtlichen Publikationen bis 1930 sind im „Verfässungsrecht des Großdeutschen Reiches" 1939 keine Kontinuitäten im nationalsozialistischen Reichskirchenrecht festzustellen; vgl. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, S. 490-503. Weber, Werner: Das kirchenpolitische System der Weimarer Reichsverfassung im Rückblick, in: Gesellschaft, Recht und Politik, hrsg. von Heinz Maus u. a., Wolfgang Abendroth zum 60. Geburtstag, Berlin, Neuwied 1968, S. 381-397 (381f ). Campenhausen, Axel Freiherr von: Staatskirchenrecht, 2. Aufl., München 1983, Vorwort. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, Stuttgart 1978, S. 877f., 660-883, 1200f., Bd. 6, Stuttgart 1981, S. 80, 121, 898f., 920-936 und die Quellenedition: Huber, Ernst RudolfTHuber, Wolfgang (Hrsg.): Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. IV: Stoat und Kirche in der Zeit der Weimarer Republik, Berlin 1988, Vorwort; zur Problematik skizzenhaft: Campenhausen: Staatskirchenrecht, a. a. O., S. 36-44. Winter, Jörg: Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, a. a. O., S. 198.

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Die Weimarer Jahre: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

a) Kirchliche Vermögensrechte und „hinkende Trennung" Das geistige und politische Klima der Weimarer Zeit und der im Verfassungskompromiß enthaltene kühle Neutralismus des Staates gegenüber der Kirche geben Huber bereits in der Dissertation über „Die Garantie der kirchlichen Vermögenrechte in der Weimarer Verfassung" von 1927 Anlaß, die Integrationskraft und den Kompromißcharakter der Weimarer Staatskirchenverfassung zu analysieren. Die Weimarer Verfassung hat mit dem Wegfall des Staatskirchentums nach 1918 kein perfektes kirchenpolitisches System geschaffen und steht mit ihren kirchenpolitischen Entscheidungen in der Kontinuität der deutschen verfassungshistorischen Entwicklung.6 Die Untersuchung der kirchlichen Vermögensrechte, als Grenzgebiet des Staatskirchenrechts, erscheint dem jungen Huber von dringlichem juristischen Interesse, weil „von hier aus die großen Probleme des modernen Verfassungsrechts eine besondere Beleuchtung erfahren konnten."7 Die Problematik der ideengeschichtlichen, verfassungshistorischen und verfassungsrechtlichen Vermittlung der Verfassungsform sieht Huber deshalb in der Tatsache, daß die Trennung von Staat und Kirche in der Reichsverfassung (Art. 137 Abs. 1: „Es besteht keine Staatskirche") weniger ein Rechtssystem als ein politisches Prinzip des Liberalismus des neunzehnten Jahrhunderts sei. Die Eigentumsgarantie des Kirchengutes entstamme dem Naturrecht der französischen Aufklärung, während die „liberale Doktrin" jede Privilegierung und jede Sondergarantie bestimmter Rechte ablehne. Huber führt dem Leser seine politische Haltung expressis verbis vor: „Sie (die liberale Doktrin) berührt sich insofern mit der demokratischen Ideologie; ihr aber ist die Gleichheit nur die Voraussetzung für das freie Spiel der Kräfte, das zur harmonischen Schichtung, also zur Ungleichheit führt." 8 Von der Auflösung des alten Reiches 1806 bis zum Erlaß der Weimarer Verfassung gab es keine reichsgesetzliche Garantie des Kirchenvermögens, bestenfalls durch Landesverfassungen. Für Huber beginnt mit der Weimarer Reichsverfassung eine neue Epoche in der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, im typischen Fall der Garantie des Status quo der Vermögenswerte der Kirche.9 Der besondere staatliche Verfassungsschutz kirchlicher Vermögen werde dabei durch sich widersprechende kirchenpolitische Tendenzen in der Reichsverfassung erschwert. Während Art. 137 Abs. 1 eine Trennung vermuten läßt und in Art. 138 Abs. 1 ein ausgesprochenes Trennungsprogramm entwickelt ist, in dem die Staatsleistungen an die Kirchen durch die Landesgesetzgebung abgelöst werden sollen, behält sich das Reich nach Art. 138 Abs. 2 und 3 die Aufstellung von Grundsätzen dazu vor. Als Ergänzung zu diesem Schwebezustand werde in Art. 173 der Fortbestand der Staatsleistungen an die Kirche bis zur reichsrechtlichen Regelung garantiert. In Art. 138 6 7

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Weber, Werner: Das kirchenpolitische System der Weimarer Reichsverfassung im Rückblick (Anm. 2), S. 381f. Huber: Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, a. a. O., Vor-wort, S. ΙΠ. Neben der Dissertation sind zu nennen: Die Staatsleistungen an die Kirchen und die Geldentwertung, in: Preußisches Pfarrarchiv, Bd. 16 (1928), S. 114-118; Die Ablösung der auf Vertrag beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, in: Preußisches Pfarrarchiv, Bd. 18 (1929/30), S. 6-9. Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte, S. 1, Anm. 1. Ebenda, S. 4, 93flf..

1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld

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fanden zwei widersprechende kirchenpolitische Tendenzen ihren gesetzlichen Niederschlag: Die bisherigen Staatsleistungen an die Kirche müßten aufgehoben werden, dürften aber nur gegen Entschädigung erfolgen. Ein Verbot der künftigen Aufhebung von Staatsmitteln für die Kirche fehle. Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte habe keinen grundrechtlichen Charakter, sondern sei eine einzigartige Norm, ein Fall der Garantie des Status quo. 10 Huber resümiert, daß sich das Verhältnis von Staat und Kirche materiellrechtlich in einem Schwebezustand befinde und kommentiert die religionspolitischen Aussagen der WRV: „Der ursprüngliche Sinn des Art. 138 Abs. 1 war, daß es nunmehr die Pflicht der deutschen Länder sei, ihre finanziellen Beziehungen zu den Kirchen zu lösen. Die politische Entwicklung hat dazu geführt, daß dem Art. 138 Abs. 1 heute eine Bedeutung beizumessen ist, die seinem ursprünglichen Sinn diametral entgegensteht."11 Die Vorschrift des Art. 138 Abs. 1 fordere daher nicht die Trennung von Staat und Kirche, wie es der ursprüngliche Sinn sei, sondern halte die bisherige Verbindung von Staat und Kirche aufrecht, weil es den Ländern unmöglich gemacht werde, sich ihrer Leistungspflicht gegenüber der Kirche zu entziehen. 12 Darüberhinaus ließe die föderative Struktur und die parlamentarische Leitung des Reiches eine einheitliche und klare Gestaltung des Reichskirchenrechts nicht zu. 13 Dieses vom staatskirchenrechtlichen Schrifttum der Zeit als „hinkende Trennung" (Ulrich Stutz) 14 bezeichnete Verhältnis von Staat und Kirche könne nur über die Garantie des Status quo geregelt werden. Da kirchliches und staatliches Recht grundsätzlich koordiniert seien, ergäbe sich „eine theoretisch unlösbare Antinomie". 15 Es bestehe nicht die Möglichkeit, daß Fragen des kirchlichen Rechtskreises innerhalb der staatlichen Rechtssphäre in einem anderen Sinne behandeln werden können. Die Bildung eines einheitlichen Willens sei ein organischer Akt, der weder vom Staat noch von der Kirche entschieden werden könne. 16 Ebenso könne die Rechtsfähigkeit der Kirche innerhalb der staatlichen Rechtsordnung nur durch einen anerkennenden „affirmativen" Staatsakt hergestellt werden, ein „konstitutiver" Akt dagegen würde rechtsbegründend in die Rechtssphäre der Kirche eingreifen. 17 Die unzureichende reichsgesetzliche Ausgestaltung des Staatskirchenrechts bis zum Ende der Republik 1933 hat auch im Wege der Reichsaufsicht und der verfassungsmäßig zu gewährleistenden Funktion der Institutionen keine Änderung der „hinkenden Trennung" 10 Ebenda, S. 5f.. 11 Ebenda, S. 106. 12 Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, a. a. O., S. 155; Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte, a. a. O., S. 106. 13 Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 1. Diese Monographie zum Staatskirchenrecht bezieht die Ergebnisse der Dissertation von 1927 mit ein und ist vom Tenor her politischer und kritischer in der Argumentation der Bewährung des Weimarer Kirchenkompromisses als die Dissertation. 14 Vgl. Hubers Kritik an Ulrich Stutz in: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, a. a. O., S. 79ff.; kontinuierlich und stetig die Kritik in der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789", Bd. 6, S. 902ff; zur Trennung von Staat und Kirche im Vorfeld der Verkündigung der Weimarer Reichsverfassung: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, S. 871fiF.. 15 Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, S. 36. 16 Ebenda. 17 Ebenda, S. 37.

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Die Weimarer Jahre: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

von Kirche und Staat bewirkt. 18 Das Weimarer Staatskirchenrecht bewertet Huber aufgrund der koordinierten kirchlichen und staatlichen Rechtssphäre als ein Vertragskirchenrecht, 19 das über politische Verträge zwischen Kirche und Staat geregelt werden kann. Dieser Standpunkt ist im Staatskirchenrecht der Weimarer Zeit vielbeachtet und auch kritisiert worden, aber bis heute Standardargument auch im bundesdeutschen Staatskirchenrecht geblieben. 20 So ist der Weimarer kirchenpolitische Kompromiß durch eine Verbindung von Elementen der Trennung von Staat und Kirche, der staatlichen Kirchenhoheit und des Koordinationssystems charakterisiert. 21 Die juristische und verfassungspolitische Bewertung unternimmt Huber aussschließlich aus verfassungshistorischer Sicht. Die Beziehung zwischen Kirche und Staat habe sich mit dem modernen Staat entwickelt. Die Auffassung vom christlichen mittelalterlichen Universalstaat, der den Menschen in geistlicher und weltlicher Beziehung umfaßte, wurde im Heiligen Römischen Reich verdrängt. Die Zentralgewalten Kaiser und Papst traten zur Klärung des Vorrangs im geistlich-weltlichen Verband an. Erst das Naturrecht der frühen Neuzeit habe die scharfe begriffliche Trennung von Staat und Kirche als dem Verhältnis zweier zweckverschiedener Verbände eingeleitet. Die Konsequenz dieses Denkens sei ein mit physischen Machtmittel ausgestatteter, überlegener Staat, der die Kirche in starke Abhängigkeit zu sich gebracht habe. Das Staatskirchentum sei durch den Polizeistaat des achtzehnten Jahrhunderts insofern gefestigt worden, als die Kirche nach naturrechtlicher Auffassung dem Zweck des Staates als Polizeianstalt diente. Eine weitere Zäsur sieht Huber in der Revolution von 1848, welche die Kirchen dem Prinzip der Vereinsfreiheit unterstellt hat und die Auffassung von den Kirchen als privilegierten Korporationen sprengte. 22 Die institutionelle und rechtliche Trennung von Kirche und Staat wurde erst in der in den Traditionen des konstitutionellen Rechtsstaates stehenden Bismarckschen Reichsverfassung mit dem System der Kirchenhoheit des Staates initiiert. Die Kirche wurde entweder als „Staatskirche", „öffentliche Korporation" oder „Kultusverein" vom beaufsichtigen-

18 Die juristisch außerordentlich schwierige Entscheidungslage im Staatskirchenrecht verdeutlicht der Schulkompromiß der WRV, den Huber folgendermaßen bewertet: „Der sogenannte Weimarer Schulkompromiß, der ein neues Schulsystem mit dem Vorrang der Simultanschule vor Bekenntnisschulen und weltlichen Schulen vorsieht, ist bekanntlich bisher nicht durchgeführt worden, da er vom Erlaß des Reichsschulgesetzes abhängt, der bisher nicht ergangen ist; von den verschiedenen Entwürfen ist der letzte, der Keudellsche, der eine wesentliche Umgestaltung des Weimarer Kompromisses enthielt, im Reichstag gescheitert", vgl. (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Die Bekenntnisschule in Preußen, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 454—455 (454). Die Kritik Hubers deckt sich in diesem Zusammenhang mit der Carl Schmitts; vgl. Verfassungslehre, Berlin 1983, S. 34; ähnlich Huber: Die Beschäftigung bekenntnisloser Lehrer nach der Reichsverfassung, in: AöR, NF Bd. 22 (1932), S. 99-109. 19 Huber spricht synonym von der koordinationsrechtlichen oder staatsverwaltungsrechtlichen Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche, in: Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung, S. 35ff.; s.a. Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 3. 20 Weber, Werner: Das kirchenpolitische System der Weimarer Reichsverfassimg im Rückblick, a. a. O., S. 394ff.; ebenso für das Grundgesetz: Campenhausen, Axel Freiherr von: Staatskirchenrecht, a. a. O., S. 105f.. 21 Weber, S. 386. 22 Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 32f..

1. Das Staatskirchenrecht als frühes Aufgabenfeld

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den und kontrollierenden Staat anerkannt. In der Weimarer Reichsverfassung ist dann schließlich das Prinzip des Landeskirchentums, wie es in der Bismarckschen Verfassung konstituiert war, übernommen worden. Der in der Dissertation konstatierte verfassungsrechtliche Schwebezustand zwischen Staat und Kirche wird bis 1930 in politisch-theologischen Kurzartikeln thematisiert. Huber versucht damit das Gleichrangigkeitsverhältnis von Staat und Kirche mit der idealistischen Staatsphilosophie Hegels zu begründen. Weitere Aussagen über das verfassungspolitische Verhältnis von Kirche und Staat stehen unter dem Gebot der transzendenten Legitimität beider Institutionen. Die Staatlichkeit des Staates erfahrt eine Aufwertung. Ziel, Zweck und Funktion einer staatstheoretischen Begründung des Verhältnisses von Staat und Kirche müssen vor dem Hintergrund einer überpositiven, der verfassungspolitischen Wirklichkeit entzogenen Legitimität beider Institutionen gesehen werden: „Der Staat wie die Kirche sind Institutionen, deren Existenz nicht auf dem zufalligen und wandelbaren Willen ihrer Angehörigen beruht. Sie haben eine überindividuelle Rechtfertigung in einem universalen Prinzip, das unabhängig vom zeitlichen Geschehen ihren Bestand garantiert". 23 Die Kirche sei nach den Vorstellungen des katholischen Kirchenrechts als irdische Institution eine real existierende Verbandseinheit, die nicht identisch mit ihrer Rechtsordnung ist, sondern „sie ist Erzeuger, Träger und Herr dieser Ordnung [...]. Sie ist ein Phänomen der existentiellen und nicht der bloß normativen Sphäre." 24 Die Rechtsordnungen von Staat und Kirche gelten in verschiedenen rechtlichen Bereichen, so daß ein echter juristischer Konflikt nicht denkbar ist. Die Koordination von Staat und Kirche birgt jedoch in staatstheoretischer Sicht erhebliche Probleme, weil die Kirche im gleichen Raum neben dem Staat steht und nicht seiner rechtlichen Macht unterworfen ist. 25 Obwohl Staat und Kirche sich normativ nicht überschneidende Rechtsordnungen haben und die Kirche für den Staat unantastbar ist, ergeben sich staatstheoretische und staatsrechtliche Probleme, weil die weltliche Kirche in ihren Auswirkungen in die staatliche Rechtsordnung hineinragt. Zwar kann die Koordination von Staat und Kirche rechtstheoretisch nur als die Koordination verschiedener Staaten behandelt werden, aber die Kirche hat die Rechtsmacht des Staates relativiert und steht im gleichen Raum neben ihm, ohne seiner rechtlichen Macht unterworfen zu sein. Schließlich kommt dem Staat die Geschlossenheit und Impermeabilität nur innerhalb der eigenen rechtlichen Sphäre zu. 2 6 Carl Schmitts Kritik an den staatskirchenrechtlichen Klauseln der WRV ist dennoch nicht von der Hand zu weisen: „Im Ganzen kann man sagen, daß nach den Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung zwar der Staat von der Kirche getrennt und ferngehalten, also seines Einflusses beraubt ist, nicht aber umgekehrt die Kirche vom Staat getrennt wurde." 27 Immerhin bewertet Schmitt das Verhältnis von Staat und Kirche im zweiten Haupteil der Weimarer Verfassung als „dilatorischen Formelkompromiß" und zieht dazu die Dissertation von Ernst Rudolf Huber als Argumentenlieferanten heran. 28 23 24 25 26

Ebenda, S. 127. Ebenda, S. 25. Ebenda, S. 58. Schmitt, Carl: Verfassungslehre, a. a. O., S. 49; Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 58. 27 Schmitt: Verfassungslehre, S. 34. 28 Ebenda, S. 32f..

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Die Weimarer Jahre: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

Huber lehnt trotz des Dualismus von staatlicher Kontrolle der kirchlichen Vermögensrechte und der Herstellung von kirchlicher Unabhängigkeit in rechtlichen Teilsphären durch die Konkordatspraxis den Ausdruck „Kirchenhoheit" für das Weimarer System als unbrauchbar ab. Es gäbe keine Hoheit des Staates über die Religion und es könne auch im System der Staatskirchenhoheit eine solchermaßen als „Religionshoheit" zu bezeichnende Kontrolle nicht geben, deshalb könne für das heutige Verhältnis von Staat und Kirche „[...] keine einheitliche schlagwortartige Bezeichnung gefunden werden. Denn dieses Verhältnis ist gekennzeichnet durch die dialektische Spannung zwischen zwei entgegengesetzten Prinzipien; einmal ist die Kirche als Kirche souveräne Einheit und damit vom Staate unabhängig und ihm ebenbürtig, zum anderen ist sie ein innerhalb der staatlichen Rechtsordnung anerkannter und privilegierter Verband und damit der staatlichen Gesetzgebung und Aufsicht unterworfen." 29 Der Dualismus sei nur durch die Konkordatspraxis als einem „System der Konkordate" überwindbar.

b) Konkordate: christliches Staatsethos durch politische Philosophie Die Auseinandersetzungen um das bayrische Konkordat (29. März 1924), das preußische Konkordat (14. Juni 1929) 30 und das badische Konkordat (12. Oktober 1932) dokumentierten, daß das Weimarer Staatskirchenrecht im betonten Sinne Vertrags- oder Koordinationsrecht war. Die Verfassungswandlungen der Republik hatten dabei ebenso Einwirkungen auf die staatspolitischen Konfliktlagen wie die verfassungspolitischen Krisen Auswirkungen auf die wirtschaftliche und staatliche Stellung der Kirchen hatten. Die Darlegung der Wechselwirkung von Verfassungspolitik, sozialen und politischen Konfliktlagen und die daraus resultierende politische Funktion der Konkordate, beides ist das Anliegen der Ausführungen Hubers. Die konkordatsfreundliche Einstellung ist denn auch für das politische Profil des Publikationsorgans „Der Ring", in dem zahlreiche Aufsätze eröffentlicht worden sind, repräsentativ. 31 Vor dem Hintergrund der Kompromißstruktur des Weimarer Staatskirchenrechts wird die rechtliche und politische Wirkung der Kirchenverträge zwischen Staat und evangelischer und katholischer Kirche thematisiert, um den Antagonismus von trennenden und verbindenden Elementen in einer politisch-philosophischen Option einer konservativen Staatstheorie dialektisch aufzuheben. Die rechtliche Struktur und die Möglichkeiten der Ausgestaltung des Konkordates liegen diesen Analysen zugrunde. 32 Huber weist im Hinblick auf die veränderten politischen und historischen Verhältnisse darauf hin, den Begriff des Konkordats in seiner Vielheit der Abmachungen und Formen

29 Vgl. Huber: Rez. „Godehard Josef Ebers: Staat und Kirche im neuen Deutschland, München 1930", in: AöR, NF Bd. 21 (1931/32), S. 303-307 (307). 30 Huber: Staatsverträge mit den protestantischen Kirchen, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 868-872. 31 Hubers Aufsätze zu den Konkordaten hebt vor allem Andreas Koenen hervor: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches", a. a. O., S. 116f.. Die Zeitschriften „Der Ring" und „Europäische Revue" entwickelten sich zum Diskussionsforum der „Politische Theologie" bis 1933; dazu detailliert Koenen, a. a. O.. 32 Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 59-84, 117-148.

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auch auf die evangelischen Landeskirchen anzuwenden. 33 Ein Konkordat sei zu bezeichnen als Jede Übereinkunft zwischen Staat und Kirche, die den Willen der Kontrahenten zum Ausdruck bringt, an den vereinbarten Inhalt rechtlich gebunden zu sein." 34 Konkordate seien als echte Verträge auch ohne die Aussprache eines Satzes des positiven Rechts verbindlich. Aus der Gleichartigkeit der rechtlichen Beziehung des Staates zu den evangelischen und katholischen Landeskirchen folge die Gleichwertigkeit des katholischen und evangelischen Konkordats. Als ein besonderes Merkmal des Konkordats hebt Huber die rechtliche Garantie hervor, die der Vertrag in sich trage, die aber bei Vertragsverletzung im Wege des Rechtszwanges nicht durchsetzungsfahig sei. Das Vertragsrecht zwischen Staat und Kirche befinde sich im Naturzustand, dessen normativ-rechtlicher Mangel in der Würde der Träger der Rechtsordnung zur Erfüllung und Bewahrung des Vertrages aufgehoben ist. De jure gäbe es keine Notwendigkeit der Vertragsschließung, da Staat und Kirche grundsätzlich über freie und unabhängige Rechtskreise verfügen. 35 Die nicht allgemeingültig bestimmbare Rechtsnatur des Konkordats hindert Huber nicht daran, aus dem Vertragscharakter politische und staatstheoretische Schlüsse für das Verhältnis von Staat und Kirche auf einer neuen, den verfassungspolitischen Verhältnissen Ende der zwanziger Jahre Rechnung tragenden Grundlage zu ziehen. Ziel seiner historisch rekonstruierenden und ideengeschichtlichen Argumentation ist die Überwindung der liberalen Staatsauffassung und ihrer Konkordatspraxis, die bestrebt sei, „den Staat durch komplizierte und verwirrende Bindungen in seiner Unabhängigkeit und seiner Freiheit gegenüber der Kirche zu beeinträchtigen." 36 Das Konkordat sei bei solcher Zielsetzung „nur ein Glied in der Kette mannigfacher Strebungen, die Staatsgewalt zu beschränken und zu fesseln". 37 Der Staat werde mit den ihm vertraglich eingeordneten Verbänden in seinen politischen Rechten geschwächt, seine Aufgabe bestünde „nunmehr darin, diese pluralistischen Kräfte auszubalancieren und über dem Streit der Parteien eine gedachte Einheit zu symbolisieren. [...] Und es ist klar, daß dieser Staat nichts Existenzielles, nichts in Wirklichkeit Seiendes ist, sondern eine abstrakte Vorstellung, ein bloßer Begriff oder, juristisch gefaßt, ein System von Normen ist." 38 Während der Kern der „liberalen Ideologie" die faktische Einschränkung der Staatsmacht im Konkordat sei, habe die „konservative Ideologie" nach der Auffassung Hubers eine staatsgestaltende Funktion: „Nur wenn es möglich ist, das Konkordat auch als Ausdruck einer den staatsauflösenden Tendenzen der modernen Zeit entgegengesetzten Idee zu würdigen, wird von dieser Einstellung aus der Abschluß eines solchen Vertrages politisch wünschenswert erscheinen". 39 Die Hinwendung von der liberalen zur konservativen Ideologie verdeutlicht den strategischen Denkweg von der verfassungsrechtlichen Argumentation in die verfassungstheoretische Spekulation. Die Konstruktion und Strategie des Etatismus nimmt dabei konkrete Gestalt an.

33 Ebenda, S. 66. 34 Ebenda, S. 67. 35 Ebenda, S. 85; vgl. auch die stringente Behandlung in: Die politische Bedeutung des Konkordats, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 933-935. 36 Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, S. 205. 37 Ebenda, S. 206. 38 Ebenda, S. 207, 208. 39 Ebenda, S. 209.

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Huber argumentiert nicht nach der Methode Carl Schmitts im gegenseitigen Ausspielen widersprüchlicher Wertgehalte und Normen zum Aufspüren von Widersprüchen in dem Verhältnis von Wert, Idee und Inhalt von Verfassungsnormen, sondern „löst" den Antagonismus in der spekulativen Polemik einer politischen Philosophie kraft der Hegeischen Dialektik. Das Postulat des organischen Aktes der Herstellung eines einheitlichen Willens zwischen Staat und Kirche 40 dient ihm als gedankliches Substrat und wird in der 1930 erschienen Schrift „Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich" und zahlreichen unter Pseudonymen veröffentlichen Kurzartikeln in nationalkonservativen Zeitschriften differenziert entwickelt. Das rechtliche und verfassungspolitische Verhältnis von Staat und Kirche ist fur Huber Anlaß vielschichtiger historisch rekonstruierender Analysen und Argumente. Die Koordination von sakralem und profanem Kirchenrecht schafft dabei die Legitimitätsreserven für die transzendente Staatsmetaphysik. Das Identitätspotential für die politische Homogenisierung sucht Huber, allerdings amorph, aber verbunden mit der Option der „konservativen Staatsführung", in der „christlichen Obrigkeit" als „legitimer Autorität" 4 1 Hubers Kritik an der kirchenpolitischen Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik manifestiert sich in der Forderung der Verbindung von Staat und Kirche auf einer dialektisch höheren Stufe. Der Weimarer Staat sei paritätisch, indem er den Glaubensfragen gegenüber indifferent sei und keine Kirche bevorzuge. Da die religiöse Bindung jedoch stärker sei als jedes Parteimanifest, könne sich das neue Deutsche Reich auch nicht der Verbindung zur Kirche entziehen. 42 Allein die Relativierung des modernen Staatsbegriffs durch das Nebeneinander von Kirche und Staat verlange eine stetige und feste Verbindung beider Korporationen, um „sich gegenseitig in den besonderen Nöten der Zeit zu fordern und zu stärken." 43 Die staatskirchenrechtlichen Konsequenzen der geforderten transzendenten Verbindung von Staat und Kirche zur Stärkung der Staatlichkeit des Staates hat insbesondere Hubers kirchenrechtlicher Bonner Lehrer Johannes Heckel kritisiert. Huber gewährt der Kirche als einer öffentlichrechtlichen Institution mit kirchlichem Geltungsgrund die Koexistenz neben dem Staat. Daraus erwächst die verfassungspolitische Unabhängigkeit der Kirche gegenüber gesellschaftlichen Korporationen und Teilverfassungen, denn eine Koordination von Staat und Kirche setzt in der Logik Hubers eine aus der etatistischen Perspektive den gesellschaftlichen Teilsphären entwachsene und herrschaftlich souveräne Kirche voraus, die ihre innere Struktur und Gliederung dem souveränen Staat vergleichend aufbaut. Diese Verfassungsperspektive bricht in Hubers staatskirchenrechtlichen Interpretationen durch. So wird den Kirchen die Parteifahigkeit vor dem Staatsgerichtshof aberkannt. Heckel weist in diesem Zusammenhang auf den Bedeutungswandel der Grundrechte hin, distanziert sich aber von Hubers Grundrechtsverständnis, 44 das im Zusammenhang der Negation der Par40 Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassimg, a. a. O., S. 36. 41 Die politische Bedeutung des Konkordats (Anm. 35), S. 934. 42 Huber (unter dem Pseudonym Walter Esch): Religiöse Besinnung, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 963; ebenso: Die politische Bedeutung des Konkordats, S. 935. 43 Staatsverträge mit den protestantischen Landeskirchen, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 868-870 (870). 44 Heckel, Johannes: Das staatskirchenrechtliche Schrifttum 1930 und 1931, in: VerwArch, 37. Jg. (1932), S. 280-300 (289). Huber verweist auf Heckeis Kritik an seiner Grundrechtsinteipretation

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teifahigkeit der Kirchen vor dem Staatsgerichtshof auch ablehnt, die Kirchen als Willensträger innerhalb der Organisation des Staates anzuerkennen. Wie aber kann die „dialektische Spannung" von trennenden und verbindenden Elementen beider Institutionen als „das reale Gestaltungsprinzip des heutigen Verhältnisses von Staat und Kirche" und als politische Realität anerkannt oder überwunden werden? Huber lehnt die Methode der juristischen Begriffsbildung dabei ab, 45 die in der Tat bei der Wesensverschiedenheit kirchlichen und staatlichen Rechts nicht weiter fuhrt. 46 Die paritätische Rechtsposition der beiden großen Kirchensysteme problematisiert Huber nicht koordinationsrechtlich, sondern idealistisch-staatsphilosophisch. Die Entrechtlichung der Argumentation wird wie folgt deutlich: „Mit den Mitteln der Konstruktionsjurisprudenz allein wird man die großen Probleme unseres Verfassungsrechts, zu denen das Verhältnis von Staat und Kirche ohne Zweifel zu rechnen ist, nicht meistern können. Denn der Verfassungstext birgt in seinen Formulierungen für die juristische Betrachtung so fundamentale Widersprüche, daß ihre Überbrückung nur mit den Mitteln einer die politischen und theologischen Sachverhalte bewertenden Deutung möglich sein wird." 47 Diese unter historisch-verfassungspolitischen und dogmatischen Gesichtspunkten erfolgende Deutung wendet Huber über die politische Bedeutung des Konkordats hinaus auf die gesamten Themenfelder des Staatskirchenrechts an. Dabei fällt im besonderen auf, daß seine Option für eine transzendente und korporative Verbindung von Staat und Kirche zwecks einer geistigautoritären Durchdringung und Verfassungsstärkung des Staates der Symbiose von staatskirchenrechtlichem Koordinationssystem mit der alten Auffassung des „christlichen Staates" gleichkommt. Traditionalistische Elemente des Staatskirchenrechts werden aus der historisierenden Perspektive mit verfassungsgestaltenden und idealistischen Vorstellungen verbunden. Die staatsgestaltende Idee des Konkordats als einem neuen Bund zwischen Kirche und Staat ist zugleich bei Huber ein Grundelement der „konservativen Staatsführung": „Werden Konkordate im Rahmen einer konservativen Staatsführung abgeschlossen, so hemmen sie die staatsauflösenden Tendenzen, die es in jeder politischen Epoche gibt, denn sie stärken die Grundpfeiler der staatlichen Einheit und die Grundvoraussetzungen der staatlichen Autorität." 48 Den Sinn dieser konservativen Staatsführung sieht Huber vor allem in der charismatischen und transzendenten Vermittlung eines „christlichen Staatsethos", das „die absolute Gewalt des Staates über Leben, Freiheit und Gut des Menschen gerechtfertigen" kann und die Staatsgewalt als „christliche Obrigkeit" zu einer „legitimen Autorität" macht. 49 Das Konkordat schöpfe seine politische Funktion aus der organischen Verbindung von Staat und Kirche und fordere gleichzeitig die konservative Durchdringung „kraft der ideologischen Verknüpfung der konservativen Idee mit dem christlichen Dogma". 50 Hubers Wendung von der juristischen zur politisch-theologischen Argumentation

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in: Bedeutungswandel der Grundrechte, in: AöR, NF Bd. 28 (1932/33), S. 63/64, Anm. 109/110 und korrigiert seinen Ansatz. Vgl. die Rezension über Godehard Josef Ebers (Anm. 29), S. 305. Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, a. a. O., S. 30ff.. Vgl. die Rezension über Godehard Ebers, S. 894. Die politische Bedeutung des Konkordats, S. 934. Ebenda. Die politische Bedeutung des Konkordats, S. 935.

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findet ihre logische und ideengeschichtliche Fundierung in der „politischen Theologie" des katholischen Programmatikers und Kirchenhistorikers Johann Adam Möhler. 51 Die Kombination von idealistischer Philosophie und konkret politischen Optionen ist hier als eine gedankliche Vorstufe des Neuhegelianismus wirksam, wie sie später die politische Philosophie der „Konservativen Revolution" darstellt.52 Der Gedanke der „konservativen Staatsführung" wird erweitert zur Idee der „Einheit der Nation". 53 Anlaß dazu gibt ihm diesmal nicht die Krise des Staatsgedankens, sondern der Zwiespalt der beiden christlichen Konfessionen. 54 Johann Adam Möhler wird für Huber zu einem Gewährsmann der kulturellen und konfessionellen Einheit in Deutschland. Die Verständigung und der innere Ausgleich zwischen Protestantismus und Katholizismus und die Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche trage zu einer Minderung der inneren Verfassungskrise des Reiches bei, denn „es gilt doch, in politischen wie kulturellen Dingen die konfessionelle Spannung in den Dienst einer positiven Gesamtleistung der Nation zu stellen"55 und die Folgen des preußischen Kulturkampfes56 zugunsten der 51 Huber (unter dem Pseudonym Walter Esch): Johann Adam Möhler, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 11-12. Der Artikel ist zugleich eine Besprechung des Buches: „Karl Eschweiler: Johann Adam Möhlers Kirchenbegriff. Das Hauptstück der katholischen Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus, Braunsberg 1930". 52 Hubers neuhegelianische „Sympathie" kommt zum Ausdruck in (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Kulturphilosophie und Technik, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 589590; wohlwollender und zustimmender die Rezension: „Karl Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1931", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 141. Hubers Kritik am Stand der neuhegelianischen Staatsphilosophie, der neuerlichen Verbindung von Philosophie und Weltanschauungslehre zu einer „politischen" Staatsphilosophie, wird deutlich in der Rezension: „Hans Gerber: Die Idee des Staates in der neueren evangelisch-theologischen Ethik, Berlin 1930", in: ASWSP, Bd. 66 (1931), S. 188-191. Es werden die noch nicht „erschöpfende" Darstellung und die Mängel des „weltanschaulichen Materials" kritisiert; vgl. ebenda, S. 191. 53 Dieser Gedanke findet sich in den verschiedensten Publikationen Hubers bis 1933, vor allem in den unter Pseudonymen veröffentlichten Aufsätzen in den nationalrevolutionären Zeitschriften „Der Ring" und „Deutsches Volkstum", vgl. (unter dem Pseudonym W. E): Religiöse Besinnung, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 963; zu Inhalt und Begriff „Nation" vgl.: Die deutsche Nation, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 564-571; (anonym): Geschichte und Dogma, in: Der Ring, 2. Jg. (1930), S. 216f. (217); (unter dem Pseudonym Manfred Wild): Repräsentation, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 545-547, hier der Zusammenhang „Volk" und „Staat" als „politisch geeinte Nation" in Anlehnung an Carl Schmitt. 54 Dazu besonders: Evangelisches Kirchenrecht, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 900-903, ferner (unter dem Pseudonym Walter Esch): Kirche und Theologie, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 356358. Huber widmet sich hier besonders den internen theoretischen Konflikten der evangelischen und katholischen Theologie, insbesondere der theoretischen und weltanschaulichen Neuordnung der evangelischen Kirche seit 1918. In dem letzgenannten Artikel ergreift Huber Partei fur den Bonner Theologen Eric Peterson, der wegen seiner scharfen Polemik gegen Karl Barths Kirchenbegriff und Interpretation des Wesens der Theologie seine Lehrbefugnis verloren hatte. Huber glaubt die Führungskrise des Protestantismus durch eine im preußischen Konkordat vorgegebene engere Verknüpfung von theologischen Fakultäten und kirchlichen Behörden überwinden zu können; vgl. ebenda, S. 358. 55 Johann Adam Möhler, a. a. O., S. 11. 56 Huber verweist auf die kirchenhistorische Darstellung seines Bonner Lehrers Johannes Heckel; vgl. (anonym): Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S.

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„Einheit in der Kirche" zu überwinden. Die Leistung Möhlers sei für die kulturelle Einheit der katholischen Kirche im Staat eingestanden, ohne die dogmatischen Positionen des Katholizismus seiner Zeit verlassen zu haben. Huber nimmt Möhlers Gedanken zur Schlichtung des Kirchenkampfes in Dienst, um auf historische Variationen der weltanschaulichen Konflikte der Kirche - den internen wissenschaftlich-weltanschaulichen Konflikt zwischen der katholischen und protestantischen Kirche der Weimarer Zeit - aufmerksam zu machen. Die wissenschaftliche und dogmatische Befriedung der Konfessionen ist ihm die Voraussetzung der Einheit von Staat und Kirche, deren rechtliche Vorstufe durch Konkordate bereits geschaffen ist. Als theoretische Schlichtungsinstanz führt Huber bei Möhler die Hegeische Staatsphilosophie ins Feld, um die dogmatischen Konflikte zwischen den Konfessionen auf einer „höheren Stufe" aufzuheben. Der Versuch, den Kirchenstreit kirchenrechtlich zu schlichten, scheitert daher an der Wesensverschiedenheit beider Konfessionen und an den unüberwindbaren Gegensätzen evangelischer und katholischer Staatsauffassung. 57 Möhler vereint die gegensätzlichen theologischen Staatsauffassungen in der Hegeischen Kategorie des „objektiven Geistes". Im „objektiven Geist" sei das freie Wesen des Geistes nicht mehr abstraktes Bewußtsein und reines Sollen, sondern konkretes Dasein und bestimmte Pflicht. Die für Huber in Hegels Philosophie wichtige Aufhebung von Subjektivität und Objektivität, von Meinung und politischer Tat in der dialektisch höheren Einheit des objektiven Geistes hat das methodisch-theoretische Ziel, die theologischen Divergenzen der beiden Kirchen zu schlichten und neben den Staat zu stellen: „Nun war für Hegel die oberste und entscheidende Verwirklichung des objektiven Geistes der Staat". 58 Somit können Staat und Kirche „in einem geschlossenen philosophischen System zugleich Verwirklichung des objektiven Geistes sein." 59 Die „gemeinschaftsbildende Idee" der Kirche im Staat könne sich verfassungsschöpfend und staatssichernd entfalten. Die von Huber im Zusammenhang mit dem Staatskirchenrecht und der internen theologisch-dogmatischen Auseinandersetzungen gestellte Frage „Hat das geschichtliche Entwicklungsprinzip, das von der Einheit von Staat und Kirche zu immer stärkerer Trennung geführt hat, seine Grenze erreicht, und kündet eine rückläufige Bewegung sich an?", 60 läßt sich teleologisch im Sinne der idealistischen Philosophie beantworten. Das Ziel der Zusammenordnung sieht Huber jedoch nicht in einer „ökumenischen Realität, sondern nur über die Nation" 61 als gewonnen an. Die Nation als Einheit der verfassungsbewegenden und formenden Kräfte im Staat wird in Hubers politisierter Staats- und Verfassungstheorie der theoretische Unterbau einer auf Einheit und Synthese gegründeten Verfassung, als theoretischer Vorlauf einer völkisch orientierten Verfassungsinterpretation.

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553f. und betont die im preußischen Kulturkampf durch Bismarck und Papst Leo ΧΙΠ. 1886 geschaffene Gleichgewichtslage zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche; vgl. ebenda, S. 554. Huber: Evangelisches Kirchenrecht (Anm. 54), S. 902f; Kirche und Theologie (Anm. 54), S. 358. Johann Adam Möhler, a. a. O., S. 12. Ebenda. Staatsverträge mit den protestantischen Landeskirchen, a. a. O., S. 868. Religiöse Besinnung, a. a. O., S. 963.

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Mit der Wendung von der juristischen zur theologisch-philosophischen Argumentation und Konfliktlösung drängt sich der Verdacht einer „politischen Theologie" 62 auf. „Politische Theologie" heißt in diesem Zusammenhang, daß der juristische Begriff auf seinen ideellen Gedankengehalt überprüft wird und die dabei zutage geforderte strukturbestimmende politische Idee mit der die gegenwärtige Situation beherrschenden geistigen Bewegung und ihrem „metaphysischen Zentrum" in Beziehung gesetzt wird. Diese „Begriffssoziologie" im Sinne Carl Schmitts ist auch bei Huber ausgeprägt, der die Sittlichkeit von Staat und Kirche in der Verbindung auf einer höheren, sittlichen Einheit in ihrer gegenseitigen metaphysischen Sinnstiftung sieht und das nicht herrschaftsgebundene oder herrschaftsbezogene Nebeneinander der beiden Institutionen mit dem Ziel der Verfassungsstärkung und Verfassungsformgestaltung begründet. Die Inhalte der „politischen Theologie" Carl Schmitts sucht man bei Huber vergebens. Die Schrift wird nirgends zitiert oder zur metaphysisch-transzendenten Begründung des Staates herangezogen. Die Schmittschen Setzung der „politischen Theologie", d.h. die Souveränitätslehre des Staates nach der Hobbeschen Formel „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", ist nach den kirchenverfassungspolitischen Intentionen nicht möglich, weil Huber Staat und Kirche nebeneinander stellt, während die Souveränitätslehre Schmitts die Kirche schon aufgrund des bürgerkriegsbedingten Ausnahmezustandes unter den Staat stellt. Die Fragwürdigkeit einer „politischen Theologie", wenn sie nicht in formalen Kategorien verstanden werden will, sei vor die unlösbare Aufgabe gestellt, „Staat und Religion zur geschichtlichen Einheit zusammenzufügen, ohne daß eine dieser Mächte oder beide ihrem wahren Sinn entfremdet werden." 63 Freilich laufen die geschichtsphilosophischen Spekulation Hubers ebenfalls auf das in der Geschichte „bewegende" Prinzip der Einheit von Kirche und Staat hinaus, mit ebenso idealistischen wie geschichtsmetaphysischen und wirklichkeitsfremden Kategorien und Thesen. Staat und Kirche gehen als Korporationen ein sich gegenseitig sinn- und autoritätsstiftendes Bündnis ein. 6 4 Das Ziel dieser philosophisch-idealistischen Lösung der Probleme des Verfassungsrechts sieht Huber in der „befruchtenden Wirkung der Philosophie auf das politische und soziale Geschehen". 65

62 Vgl. Hofmann, Hasso: Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neuwied/Berlin 1964, S. 84; zusammenfassend zum Forschungsstand vgl. Koenen, Andreas: Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches", a. a. O., S. 20f.. 63 Kulturphilosophie und Technik, a. a. O., S. 590. Huber verbindet in dieser Besprechung des Buches „Kulturphilosophische Grundlegung der Technik" von dem Kieler Philosophen Richard Kroner (als dem Protagonisten des Neuhegelianismus) die sich in der Philosophie des Neuhegelianismus erhebenden Probleme der Dialektik mit den Aufgaben und Zielen des Staates. Huber kritisiert vor allem an der neuhegelianischen Philosophie die Auffassung, in der Geschichte und Philosophie ewige Prozesse zu sehen, stattdessen sei der Staat bei Hegel der Endpunkt des dialektischen Prozesses; vgl. ebenda S. 590. 64 Diesen Gedanken rezipiert Huber in der Rezension: „Günther Holstein: Luther und die deutsche Staatsidee, Tübingen 1926", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 140-141 (141). 65 Huber: Rez. „Karl Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1931", a. a. O., S. 141. Diese Auffassung impliziert ein besonderes Verhältnis von Theorie und Praxis, das im Neuhegelianismus erkenntnistheoretisch manifestiert ist.

2. Wirtschaflsverfassung im Wandel

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2. Wirtschaftsverfassung im Wandel Das zweite juristische Gebiet, mit dem sich Ernst Rudolf Huber wissenschaftlich auseinandersetzte und das seinen akademischen Ruf als innovativen und profilierten Rechtswissenschaftler begründete, war das Wirtschaftsverfassungs- und Wirtschaftsverwaltungsrecht. Dabei motivierten ihn sicherlich die Erfahrungen der väterlichen Kaufmannsfamilie und die wirtschaftliche wie soziale Krise im Gefolge der Inflation. Durch seine Assistentur am Industrierechtlichen Seminar der Universität Bonn unter Leitung von Heinrich Göppert bekam Ernst Rudolf Huber die Gelegenheit, sich systematisch mit grundlegenden Fragen der Wirtschaftsverfassung auseinanderzusetzen, die er dann auch zum Gegenstand seiner Habilitation im Jahr 1931 machte. Den enormen Bedeutungsgewinn eines außerstaatlichen Lebensbereiches wie der Wirtschaft für die Verfassung in einer Zeit der Krisenhaftigkeit politischer Institutionen und Prozesse hatte schon 1932 Otto Kirchheimer konstatiert. Er stellte fest, daß der Wissenschaftsbetrieb des Verfassungsrechts in Gefahr gerate, sich aufgrund des Schrumpfungsprozesses der positiven Sinngehalte der Weimarer Reichsverfassung bei der Beantwortung positiver Rechtsfragen nicht mehr an der Verfassung zu orientieren.1 Die damit einhergehende Stärkung autoritärer Staats- und Herrschaftskonzeptionen in der deutschen Staatsrechtswissenschaft sah Kirchheimer vor allem in Carl Schmitts VerfassungsbegrifF und der Aufhebung der parlamentarischen Legalität durch die präsidentielle Legitimität, die nun nach der konservativen „Verfassungsreaktion" zu einer „Verfassungsrevolution" führte. 2 In der Tat sind auch Hubers verfassungswissenschaftliche und politische Optionen in den drei Jahren vor der Machtergreifung am Wandel der ordnungspolitischen Gehalte der Verfassungswirklichkeit orientiert und rezipieren dabei vor allem die begrifflichen und methodischen Positionen Carl Schmitts. Obwohl Huber in den staats- und verfassungspolitischen Vorgängen keine Verfassungsrevolution erblickt, spielt die Vorstellung der Verfassungswandlung bei Ablehnung der „normativen Kraft des Faktischen"3 eine zentrale Rolle in seinen wirtschaftsrechtlichen und wirtschaftspolitischen Schriften. Dabei stellt sich die Argumentationstruktur der dogmatischen Kritik an den Verfassungsnormen aufgrund der verteilungspolitischen Fragen im Tenor kritischer und politischer als in seinen Schriften zum Staatskirchenrecht dar. Im Vordergrund steht hierbei die Vorstellung einer „existentiellen Integration" von Verfassungskonflikten. Das Ziel der Analyse der Wirtschaftsverfassung des Deutschen Reiches seit 1918 sieht Huber in seiner Bonner Antrittsvorlesung von 1931 in der Überprüfung der Frage, „ob die normative Ordnung mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmt oder ob nicht 1 2 3

Kirchheimer, Otto: Die Verfassungslehre des Preußen-Konflikts, in ders.: Funktionen des Staats und der Verfassung. 10 Analysen, Frankfurt/M. 1972, S. 42-61 (44). Kirchheimer, Otto: Verfassungsreaktion 1932, in: Funktionen des Staats und der Verfassung (Anm. 1), S. 62-78 (64). Diesen von Georg Jellinek staatsrechtlich geprägten Ausdruck lehnt Huber über die drei Verfassungsepochen hinaus als positivistisch ab; vgl. dazu die späte Stellungnahme in: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O.. Huber kommentiert den formalen Rechtspositivismus mit folgenden Worten: „Georg Jellineks Formel von der "normativen Kraft des Faktischen' war nur eine gelehrt klingende Version der Alltagsweisheit: Sei im Besitze und Du wohnst im Recht'"; vgl. ebenda, S. 135.

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Wandlungen in der tatsächlichen Gestaltung dazu zwingen, auch einen Wandel der Normen, insbesondere einen Wandel des Verfassungsrechts anzuerkennen." 4 Form und Inhalt der Weimarer Wirtschaftsverfassung, wie sie im fünften Abschnitt des zweiten Hauptteils der Verfassung festgelegt ist, verbinden für ihn materielle und geistige Wirklichkeit: „Die Verfassung eines Staates ist nicht nur normative Grundlage dafür, wie das staatliche Leben gestaltet und entwickelt werden soll, sie ist gleichzeitig Ausdruck dessen, wie das staatliche Leben sich im wirklichen Geschehen vollzieht."5 Den Antagonismus von „tatsächlichem Verfassungszustand" und „gesollter Ordnung" sieht Huber zunächst als „Verfassungswidrigkeit" an. Beide könnten nur durch die „zuständigen Organe", Exekutive, Regierung und Verfassungskontrollinstanzen, in Übereinstimmung gebracht werden. Aber es gäbe verfassungspolitische Situationen, „in denen das wirkliche Verfassungsleben sich soweit von der gesollten Ordnung entfernt hat und sich so sehr in neuen, festen Formen ausgeprägt hat, daß das ursprüngliche Verfassungssystem nicht mehr als lebendige und verpflichtende Ordnung empfunden wird, daß vielmehr die neuen Formen und Werte als verbindliche Ordnung anerkannt sind. In solchen Fällen ist die tatsächliche Entwicklung über die alten Verfassungsnormen hinweggeschritten und hat sich eine Verfassungswandlung vollzogen, so daß der neue Zustand nun auch rechtlich als neue gesollte Ordnung anzusehen ist." 6 Das Verhältnis von materieller und formeller Verfassung, das Huber als existentielle Einheit auffaßt, hat sein Bewegungsmoment in der Verfassungswirklichkeit. Der Begründung einer materiellen Verfassungstheorie geht eine spezifisch inhaltliche Bestimmung dieser Verfassungswirklichkeit voraus, die in Anlehnung an Carl Schmitt auch „konkrete Verfassungslage"7 genannt wird. Beide, Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, werden als Funktionen der „politischen Idee" gesehen: „Nur wenn sich diese politische Idee geändert hat, kann sich daher eine echte Verfassungswandlung vollziehen." 8 Wenn also eine „Verfassungswandlung" als „Entstehungsform des staatsrechtlichen Gewohnheitsrechts" über die alten Verfassungsnormen hinweggeschritten sei, dann könne der neue Zustand auch „rechtlich als neue gesollte Ordnung anzusehen sein."9 Huber führt die Verfassungswirklichkeit nicht auf die sozialen und politischen Wandlungen der Weimarer Demokratie in ihren krisenhaften Wechsellagen zurück, sondern versteht staatsrechtliche Norm und Herrschaftswirklichkeit als Funktionen der „politischen Idee", die den genannten Wandlungen „staatsrechtlichen Gewohnheitsrechts" zugrunde liege. Diese im Hegelschen Sinne als „Bewußtseinsverfassung" verstandene Verfassungslage unterscheidet sich deutlich von einer positivistischen Orientierung an der kodifizierten Verfassungsnorm, die durch Verfassungsinterpretation und Rechtspflege den tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnissen angepaßt wird. 10 Die Analyse und Rekonstruktion der in der Weimarer 4 5 6 7

Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 3. Ebenda, S. 4. Ebenda. Ebenda, S. 23. Zu Begriff und Bedeutung „konkrete Verfassungslage" vgl. Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung, 2. unveränd. Aufl., Berlin 1963, S. 71ff.; ebenso Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: BldPh, Bd. 5 (1931/32), S. 304ff.. 8 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4. 9 Ebenda. 10 Vgl. Grimm, Dieter: Verfassung, in ders.: Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt/M. 1991, S. 11-28 (17ff).

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Reichsverfassung fixierten Wirtschaftsverfassung hat daher die Aufgabe, „aus der tatsächlichen Entwicklung eine Änderung der Verfassungsinhalte" zu folgern und zu untersuchen, „ob und inwieweit solche Erwägungen eine zutreffende Erkenntnis des heutigen Verfassungszustandes bedeuten." 11 Dem folgt in der Bonner Antrittsvorlesung eine detaillierte verfassungspolitische Analyse der Weimarer Wirtschaftsverfassung, ihren rechtlichen und normativen Grundentscheidungen, dem Verhältnis von Wirtschaft und Demokratie 12 und schließlich eine autoritärantidemokratische Kritik des Verhältnisses von „Staat" und „Wirtschaft" in der Wirtschaftskrise seit 1929. 13 Ausführlich werden die rechtlichen Grundformen des Verhältnisses von „Staat" und „Wirtschaft" dann in der Habilitationsschrift zum Wirtschaftsverwaltungsrecht erörtert, während die verfassungspolitische Frage des Verhältnisses von Wirtschaft und Staat in der Antrittsvorlesung thematisiert wird. 14 So trägt Huber der Trennung von rein verfassungsrechtlicher und verfassungspolitischer Betrachtungsweise Rechnung, wobei seine Antrittsvorlesung über „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" vermutlich nach der Vorlage von Carl Schmitts „Der Hüter der Verfassung" entstanden ist, an deren Korrekturen neben Johannes Popitz auch Huber beteiligt war. 15 Als wirtschaftspolitische Grundentscheidung der Weimarer Reichsverfassung sieht Huber den Verzicht auf eine grundlegende Umgestaltung der Wirtschaftsordnung nach der Revolution von 1917/18 an: „Es ist notwendig, diese Entscheidung, die damals gefallen ist, anzuerkennen, und scheinbare Widersprüche, die sich in der Verfassung finden, dieser fundamentalen Entscheidung unterzuordnen und so in einer gedanklichen Einheit zu überbrücken." 16 Freilich geht es um den Wandel des Verfassungsrechts und der ideellen Grundlagen der Wirtschaftsverfassung, so daß vielmehr an die „Überbrückung" der Verfassungsentscheidung durch eine gedankliche Konstruktion der politischen Einheit, als die politische Anerkennung der Weimarer Verfassungsnormen intendiert wird. Die verfassungsrechtliche Garantie der freien Wirtschaft nimmt Huber im Bedeutungswandel des Begriffs der „Freiheit der Wirtschaft" im folgenden auch auf. Die Ausgestaltung der Weimarer Wirtschaftsverfassung umfaßt vor allem das Prinzip der freien Wirtschaft als Grundlage der ökonomischen Ordnung in Art. 151 Abs. 1, die Gewährung der Freiheit des Handels und des Gewerbes in Art. 151 Abs. 2, die Vertragsfreiheit der Wirtschaft in Art. 152 sowie die Förderung eines selbständigen Mittelstandes nach Art. 164. Auch die materiellen Voraussetzungen dieser wirtschaftlichen Freiheiten werden in Art. 153 als ein umfassendes Verfügungsrecht über die ökonomischen Güter garantiert.

11 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 5. 12 Ergänzend Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Demokratie und Wirtschaft, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 323-325; Politische Macht und ökonomisches Gesetz, in: Der Ring, 2. Jg. (1930), S. 635-637. 13 Ergänzend Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus über Sozialpolitik, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 161-163. 14 WiVerwR, a. a. O., Vorwort. 15 Vgl. Hubers Selbstzeugnis in: Carl Schmitt in der Krise der Weimarer Endzeit, a. a. O., S. 35. Hubers Fragestellung deckt sich mit Schmitts Problemstellungen und verfassungstheoretischen Lösungsvorschlägen; vgl. Schmitt: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 91-94, 96-100. 16 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 6. Von einer „Anerkennung" kann im folgenden bei Huber jedoch nicht gesprochen werden.

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Da sich der materielle Verfassungswandel - etwa der Interventionismus der öffentlichen Hand in die freie Wirtschaft - und eine mögliche Änderung des Verfassungstextes gegenseitig bedingen, fragt Huber schließlich nach den Möglichkeiten einer verfassungsrechtlichen Änderung der Wirtschaftsverfassung. Die Garantie der Wirtschaftsfreiheit sei „nach Maßgabe des Gesetzes" zwar der inhaltlichen Bestimmung durch die staatliche Gesetzgebung unterworfen, aber die Freiheit der Wirtschaft sei ein Grundinstitut des fünften Abschnittes der Weimarer Reichsverfassung, könne allerdings nach Art. 76 WRV 1 7 „unter einer Reihe von Erschwerungen" geändert werden, um somit „auch in dem Verhältnis von Staat und Wirtschaft einen grundlegenden Wandel zu schaffen." 18 Nur wenn die Wirtschaftsfreiheit zu jenen „Grundentscheidungen" der Verfassung gehöre, ist sie der Lehre Carl Schmitts zufolge dem Änderungsverfahren entzogen und unterliege der Verfassungssicherung. 19 Huber versteht die der Verfassungsänderung entzogene „Grundentscheidung" als ein „endgültiges Formprinzip", das bei der Fragwürdigkeit der Anwendung auf dynamische Verfassungsprozesse eine rigide Verfassung mit überzeitlicher politischer Idee voraussetzen würde. 20 Ziel dieser Argumentation ist die Unterwerfung der rechtlichen Garantie der Wirtschaftsfreiheit unter die Verfahrensmodalitäten der Verfassunsgsänderung, da die materiellen Änderungen im Wirtschaftssystem Ende der zwanziger Jahre die Wirtschaftsverfassung als „Formelkompromiß" bezeichnet hat: „Die Wirtschaftsfreiheit kann daher, auch wenn man der Lehre Carl Schmitts folgt, in der Form des Art. 76 beseitigt werden." 21 Es stellt sich die Frage, weshalb Huber im Vorfeld der verfassungspolitischen Analyse der Wirtschaftsverfassung das Institut der Wirtschaftsfreiheit unter die Relegungsmechanismen der Verfassungsrevision subsumiert. Diese Argumentation dient ihm zur Schaffung von Legalitätsreserven, die mit dem Bedeutungswandel der Idee der Wirtschaftsfreiheit konkret werden. Da Huber Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit als konstituierende Momente des Staates und seiner Formprinzipien dialektisch in dem Konstrukt der „politischen Idee" aufhebt, ist es nur konsequent, dieser Argumentationsstruktur zu folgen und dem ideellen Gehalt der „Wirtschaftsfreiheit" Wandlungen zu unterstellen. Nach ihrer ursprünglichen Idee bedeute die Freiheit der Wirtschaft eine prinzipiell staatsfreie und außerstaatliche Sphäre, die nur an der Staatsgewalt äußere Grenzen finde. Nach dem Sinn der Reichsverfassung sei diese ursprüngliche Freiheit aber nicht mehr das Prinzip, vielmehr die Intervention des Staates nur eine gegen Mißbrauch der Freiheit ge17 Art. 76 WRV schreibt die Verfassungsänderung auf dem Wege der Gesetzgebung bei Zweidrittelmehrheit in Reichstag und Reichsrat fest. Carl Schmitt hebt hervor, daß Art. 76 das „Verfassungsgesetz" meint, nicht den ungenauen Terminus „Verfassung", der auch als politische oder materielle Verfassung bezeichnet werden könne; vgl. Verfassimgslehre, a. a. O., S. 101f.. 18 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 9. 19 Schmitt: Verfassungslehre, a. a. O., S. lOlff.. 20 Vgl. den Begriff der „rigiden Verfassung" bei Schmitt: Verfassimgslehre, S. 17. Schmitt unterstreicht, daß eine „rigide Verfassung" unter verfassungstheoretischen Gesichtspunkten unantastbar ist, weil die Prozeduren der Verfassungsänderung verboten sind. Das gilt auch für Art. 76. Es ist allerdings fraglich, ob Hubers Begriffsbestimmung der „endgültigen Formgebung" überhaupt Inhalt einer auf Verfassungswandlung ausgerichteten materiellen Verfassungstheorie sein kann, oder ob mit diesem Terminus ohne jegliche juristische Begründung a priori Legitimität zugunsten der Verfahren der Verfassungsänderung entzogen wird. 21 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 10.

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richtete Maßnahme. Indem die Wirtschaftsfreiheit durch staatliche Gesetze im Rahmen der Gesetzgebung garantiert wird, werde diese Freiheit zu einer rechtlichen Institution innerhalb der staatlichen Regelungsbereiche: „In der Weimarer Verfassung ist die Freiheit der Wirtschaft ein Rechtsbegriff und ein staatliches Institut, und damit eine gebundene und gestaltete, keine ursprüngliche Freiheit mehr." 22 Bezeichnenderweise unterstellt Huber der Weimarer Verfassungsnorm, daß sie von Anbeginn, d.h. seit der Verfassungsgebung, die Idee der Wirtschaftsfreiheit verfälscht habe. Doch den Nachweis des Wandels der Auslegungsmodi des Verfassungsrechts und der Entwicklung der materiellen Wirtschaftsverfassung unternimmt er hingegen nicht. 23 Zumindest wird die Wirtschaftsfreiheit unter die Institutsgarantie gestellt und ihr somit der Grundrechtscharakter entzogen, was nach der Lehre Carl Schmitts durchaus „zulässig" ist. 24 Auf diese Weise ist der Vorbehalt des Verfassungsschutzes - gegen Verfassungsrevision - hinfällig und wird die Möglichkeit der Verfassungsänderung eröffnet. Die Frage der Verfassungsdurchbrechung stellt sich bei Huber in diesem Zusammenhang nicht, denn sein Gewährsmann Carl Schmitt sieht in der Verfassungsänderung keine Verfassungsdurchbrechung, weil die gesetzliche Normierung nicht geändert wird und der Begriff der Verfassungsdurchbrechung in der Rechtspflege der Weimarer Republik auf die Verfahrensmodi des Art. 48 angewandt wird. 25 Ausgangspunkt seiner Kritik des Verhältnisses von „Wirtschaft" und „Staat" in der parlamentarischen Demokratie ist wiederum die Annahme eines ideellen Bedeutungswandels des Prinzips der Wirtschaftsfreiheit, das in der Weimarer Verfassung zu einer staatsinterventionistischen und gesetzlich eingerahmten Wirtschaftsordnung führte. Hubers Diagnose und Kritik des wirtschaftspolitischen Verhältnisses von „Wirtschaft" und „Demokratie" in der Weimarer Verfassungswirklichkeit steht dabei im Banne der alternativen Vorstellung, daß der Staat entweder nicht in die freie Wirtschaft zu intervenieren habe oder eine reine vom Staat betriebene, gebundene Wirtschaftspolitik durchgeführt werden müsse. Jegliche verfassungspolitische Mischform erscheint Huber hingegen angesichts der tatsächlichen Entwicklung der Wirtschaftsverfassung Ende der zwanziger Jahre suspekt. So sind die Vorstellungen und Analysen auf dem Gebiet der Wirtschaftsverwaltung im wesentlichen durch die Diagnosen Carl Schmitts und durch Heinrich Göppert als seinem wirtschaftsrechtlichen Förderer und Habilitationsvater am Bonner Industrierechtlichen Seminar geprägt worden. 26 Huber setzt sich insbesondere mit der in seiner Zeit oft vertretenen Auffassung auseinander, daß sich in das alte System der Wirtschaftsordnung eine neue selbständige öffentli22 Ebenda, S. 8. 23 Darin liegt vermutlich auch eine Kritik an der Weimarer Nationalversammlung und ihrem endgültigen Verfassungsentwurf. 24 Schmitt: Verfassungslehre, S. 17Qff. 25 Ebenda, S. 99f., 106; vgl. auch aus der zeitlichen Distanz den verfassungshistorischen Rekurs zum „Staatssozialismus", in: WiVerwR, 2. erw. Aufl., Tübingen 1953, Bd. 1, S. 43f.. 26 Vgl. Göppert, Heinrich: Staat und Wirtschaft, Tübingen 1924. Flankierend sind Hubers Rezensionen und theoretische Kommentierung seit der Wirtschaftskrise 1929; vgl. (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 323; Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus über Sozialpolitik, a. a. O., S. 161-163. Göpperts Rekonstruktion und Kritik am wirtschaftlichen „Staatssozialismus" nimmt Huber auf in: Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 883-889; ferner (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Politische Macht und ökonomisches Gesetz, a. a. O..

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che Wirtschaftsverfassung eingeschoben habe. Die von den Gewerkschaften und der Linken unter Berufung auf Art. 156 27 geforderte „Wirtschaftsdemokratie",28 die zur Konzeption des „sozialen Rechtsstaats"29 fuhrt, stößt bei Huber auf harte Kritik: „Die unter dem Schlagwort der Wirtschaftsdemokratie zusammengefaßten Bemühungen, in unserem geltenden Verfassungsrecht den Kern einer selbständigen Wirtschaftsverfassung mit einem eigenen Wertsystem, eigenen Institutionen und besonderen Organisationen nachzuweisen, halten einer nüchternen Prüfung nicht stand."30 Huber gesteht zwar ein, daß das Prinzip des „sozialen Rechtsstaates" in der Verfassung durch die Art. 151 Abs. 1, 156, 157, 161 und 165 formellrechtlich fixiert worden sei, doch verwirft er es, in diesen „allgemeinen Formeln eine leitende Idee fur eine konkrete staatliche Ordnung zu erblicken".31 Auch die liberaldemokratische Trennung von „Staat" und „Gesellschaft" wird nicht akzeptiert. Vielmehr sollen alle wirtschaftsrechtlichen Klauseln der Verfassung aus der Perspektive der Autorität des Staates und seiner Suprematie über die „Gesellschaft" entwickelt werden. Im Mittelpunkt der Analysen zur Wirtschaftsverfassung steht die ideengeschichtliche Rekonstruktion der ordnungspolitischen Elemente. Huber schweigt sich aber darüber aus, ob die Prinzipien der „politischen Verfassung" 32 als eine „Entscheidung für die Gesamtordnung einer politischen Idee" nun auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie mit einer gemischten Wirtschaftsverfassung oder auf neuer staatlicher Grundlage ihre politische Form zu entfalten suchen. Zumindest wird auf ein Wirtschaftssystem abgestellt, das die Positivität der Reichsverfassung ignoriert und den materiellen Verfassungswandel zum Angelpunkt juristischer Modifikation macht: „Es gehört in den Rahmen einer wissen-

27 Der sog. „Sozialisierungsartikel" besagt, daß das Reich durch Gesetze private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überfuhren kann und sich selbst an der Verwaltung der Unternehmungen und Verbände beteiligen darf. Dieser Artikel hat in der wirtschaftspolitischen Diskussion seit etwa 1925 vor allem seitens der Wirtschaftsverbände und Unternehmungen zur Kritik der Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand mit dem Reizwort „kalte Sozialisierung" gefuhrt. 28 Dazu exemplarisch Huber: Rez. „Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel, hrsg. im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Fritz Naphtalie, 2. Aufl. 1928", in: AöR, NF Bd. 18 (1930), S. 262-266. Huber entfaltet eine staatstheoretische und staatsrechtliche Kritik an der Wirtschaftsdemokratie und kommt zu dem Ergebnis, daß das Ziel der Wirtschaftsdemokratie der „Sozialismus" sei und die Weimarer Verfassung in ihrem wichtigsten Fundament, der wirtschaftlichen Neutralität, zerstört sei. Andererseits widerspricht er sich, wenn er an anderer Stelle in der Rezension vom wirtschaftspolitischen Programm der WRV spricht, dem die andernorts festgestellte Neutralität entgegensteht. Wirtschaftsdemokratie bedeute die Herrschaft der Gewerkschaften über die Wirtschaft und stimme nicht mit der Verfassungsoption der WRV überein. 29 Zum „sozialen Rechtsstaat" vgl. Heller, Hermann: Rechtsstaat oder Diktatur? (1930), in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Christoph Müller, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 443-462; s. a. ders.: Staatslehre, Tübingen 1983, S. 244; vgl. Hubers Kritik am „sozialen Rechtsstaat" vor allem in: Bedeutungswandel der Grundrechte, in: AöR, NF Bd. 32 (1932/33), S. 11, Anm. 56. 30 Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 14. 31 Ebenda, S. 11. 32 Dieser Begriff bleibt bis zu der 1935 publizierten Schrift „Vom Sinn der Verfassung" unscharf und schwammig und erhält nur in Anlehnung an Carl Schmitts Verfassungslehre einen Sinn. In der ausgehenden Weimarer Epoche findet man keinen erschöpfenden Verfassungsbegriff in Hubers Schriften.

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schaftlichen Politik, die eben in der Erkenntnis der dem staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Geschehen zugrunde liegenden geschichtlichen Kräfte einen besonderen und eigenen realen Wert erschließt."33 Die in der Weimarer Reichsverfassung fixierten Normen fur das Wirtschaftsleben, die „das organisatorische Rückgrat der sog. Wirtschaftsverfassung"34 bilden, kritisiert Huber unter Zugrundelegung des antagonistischen Schemas von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. Das in Art. 165 Abs. 2 - 5 3 5 vorgesehene System von Räten, das im Reichswirtschaftsrat gipfeln sollte, sei bisher nicht umgesetzt worden. Ebenfalls lehnt Huber die Berufsverbände in Art. 165 Abs. 1 ab, weil ihnen die Anerkennung als zentrale politische Institutionen und die Ausschließlichkeit der Zwangszugehörigkeit aller Arbeiter und Unternehmer eines Berufszweiges oder ein Repräsentationsrecht fehle. Hingegen spielt der berufsständische Gedanke, den Huber durch Bezug auf die Syndikatsorganisation des faschistischen „stato corporativo" Mussolinis konkretisiert,36 für die zukünftige Wirtschaftsverfassung eine gewichtige Rolle. 37 In einem Verfassungsvergleich zwischen italienischem Faschismus und der deutschnational bestimmten Korporatismusdebatte bezweifelt Huber zwar die Übertragbarkeit der berufsständischen Strukturen des italienischen Faschismus auf die deutsche Verfassungslage, doch dann propagiert er die Ausschaltung der Gewerkschaften zugunsten eines korporativen Systems, in dem sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in getrennten, vom Staat gelenkten Fachverbänden (sog. „federazioni") organisieren, gleichgestellt neben den wirtschaftlichen Fachverbänden („confederazioni") und den dafür geschaffenen Verbindungsorganisationen zu Arbeitnehmer- und Arbeitge-

33 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus über Sozialpolitik, a. a. O., S. 161. Huber analysiert in diesem Artikel Eduard Heimanns Buch „Soziale Theorie des Kapitalismus, Tübingen 1929" und resümiert, daß der Sozialismus den Vorrang der Wirtschaft vor der Politik sehe, eine soziale Freiheitsordnung als Ziel der Sozialpolitik verwirklichen will. Huber fordert in konkreter Gegnerschaft zum Wirtschaftsliberalismus eine neue, am Staat orientierte herrschaftlich gebundene (d.h. staatlich gewährte) Freiheitsform (im Gegensatz zur freien Wirtschaft, Art. 151 WRV), die mit der „Selbstorganisation des arbeitenden Menschen" in eine neues staatlich gelenktes Wirtschaftssystem fuhrt; vgl. ebenda, S. 162. 34 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 11. 35 Art. 165 WRV sieht Arbeits- und Wirtschaftsräte zur Mitwirkung von Arbeitern und Angestellten an der Regelung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie an der wirtschaftlichen Entwicklung der produktiven Kräfte vor. In Abs. 2ff. werden der Reichsarbeitsrat und Bezirksarbeiterräte zur Mitwirkung und Ausführung der Sozialisierungsgesetze garantiert. Art. 165 ist demnach die institutionelle Umsetzung des Sozialisierungsparagraphen Art. 156, den Huber ebenfalls ablehnt. 36 Vgl. (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 561-563 (561f.); ebenso: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 12; mit Bezug auf Edgar Tatarin-Tarnheydens berufsständische Vorstellung; vgl. auch Rez. „Edgar Tatarin-Tarnheyden: Berufsverbände und Wirtschaftsdemokratie. Ein Kommentar zu Artikel 165 der Reichsverfassung, Berlin 1930", in: AöR, NF Bd. 20 (1931), S. 426-430. Huber krisitiert, daß Tatarin-Tarnheyden den Berufsverbänden eine partielle öffentliche Rechtsfähigkeit zwar zubilligt, es aber der staatlichen Anerkennung bedarf, um ihre Rechtsnatur als öffentlichrechtliche und nicht mehr als privatrechtliche anzuerkennen. Diesen Schritt unterlasse TatarinTarnheyden (S. 428). 37 Vgl. Die Berufsverbände und der Staat, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 953-958. Die Berufsstände im Schriftum, in: Deutsches Volkstum, 16. Jg. (1934), S. 80-82.

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berverbänden („corporazioni").38 Das Reichsarbeitsgericht habe stattdessen die Tariffahigkeit der Gewerkschaften gefordert und die Bevorzugung der großen drei Gewerkschaftsrichtungen in Gesetzgebung und Verwaltung institutionalisiert.39 Die korporative Vereinheitlichung der wirtschaftlichen Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Berufsverbänden als Zwangsvertretungen beider Flügel sieht Huber in dem Art. 165 Abs. 1 und Art. 159 als Koalitionsverbot behindert. Somit gebe es im Rahmen der Weimarer Reichsverfassung keine Möglichkeit zur Einfuhrung korporatistischer Wirtschaftsstrukturen. Die deutliche Absage an die Weimarer Kompromißstruktur und die Positivität der Verfassung wird mit dem Postulat der „konservativen Staatsführung" verbunden, die bereits in seiner Kritik an der Kirchenverfassung eine Rolle spielte: „Es kann kaum einen Zweifel geben, daß diese organisatorische Lösung des Gewerkschaftsproblems, die der italienische Faschismus gefunden hat, auch für Deutschland gültige Prinzipien enthält. [. . .] Hier wie in anderen Grundzügen seiner Verfassung hat der Faschismus den Sinn einer echten konservativen Staatsgestaltung offenbar gemacht. Nicht unter Vernichtung alter vorgegebener Institutionen, sondern aus der Erfassung und Umdeutung der vorhandenen, geschichtlichen Kräfte hat er die neue Ordnung zu schaffen vermocht." 40 Huber spricht sich dafür aus, den Einbau der Berufsvereinigungen in den Staat verfassungspolitisch als Integrationsprinzip für die „nationale Rechtsgemeinschaft" zu fordern und sich als „Wahrer der Rechtsgleichheit im Staat" „im Geist des Juristen" zu betätigen.41 Den Gestaltungsmöglichkeiten einer neuen Wirtschaftsverfassung geht die Beurteilung des Verhältnisses von „Staat" und „Wirtschaft" bis 1931 voraus. Das Argument, daß sich eine öffentliche Wirtschaftsverfassung in das System der freien Wirtschaft eingeschoben habe, erfahrt hierbei seine verfassungswissenschaftliche Begründung. Huber klassifiziert insgesamt vier Gruppen von Entwicklungserscheinungen für das tatsächliche Verhältnis von „Staat" und „Wirtschaft", wie es sich im Weimarer Verfassungsleben manifestiert und bis Anfang der dreißiger Jahre entwickelt hat: „[...] und zwar erstens Änderungen innerhalb der Struktur der privaten Wirtschaft selbst, zweitens die starke Ausdehnung der öffentlichen Wirtschaft, drittens das System der hoheitlichen Eingriffe in die Produktionsund Absatzbedingungen und viertens die finanzielle Kontrolle des Staates über die private Wirtschaftsführung." 42 „Staat" und „Gesellschaft" werden als getrennte Distributionsebe-

38 Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 562. 39 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 12f.; detaillierter und kritischer in: Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 562; s. a. (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 662-664. In diesem Artikel kritisiert Huber die „Zersplitterung der nationalen Rechtsgemeinschaft" durch die geistige Haltung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und ihrer Manifestation in der Arbeitsgerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Huber spricht in diesem Zusammenhang zwar nicht von einer zukünftigen berufsständischen Organisation, wünscht sich aber als materielle Vorstufe die juristische Vereinheitlichung der Gerichtsformen (Arbeitsgericht als politischer Wortführer der Gewerkschaften, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Kartellangelegenheiten als Wortführer der Arbeitgeber), der die politischen, parteinehmende Rechtsprechung entzogen werden soll. 40 Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 652. 41 Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, a. a. O., S. 662. 42 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 15.

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nen in Frage gestellt. Auch hier rekurriert Huber auf die Argumentationen Carl Schmitts. 43 Darüberhinaus zeige die Kritik an der materiellen Wirtschaftsverfassung der Weimarer Krisenzeit die Konturen einer zukünftigen Verfassung, zumal „kapitalistische Planwirtschaft" und „Staatssozialismus" der Huberschen Verfassungsoption entgegenkommt. Der Gedanke des „Staatssozialismus" spielt in Hubers Studien eine immer deutlichere Rolle. Er rezipiert dabei diesen Wirtschaftsverfassungsgedanken aus den wirtschaftstheoretischen und politischen Schriften seines Habilitationsvaters Heinrich Göppert. 44 Die wirtschaftspolitische Form des „Staatssozialismus" ist für Hubers verfassungspolitischen Denkweg ein wesentlicher Schritt hin zur völkischen Staatsauffassung. Das Verfassungsprinzip des „Staatssozialismus", das zwischen 1879 bis 1914 die preußische Wirtschaftspolitik des Bismarckreiches bestimmte, sei ein Verdienst des Staates, stelle die Wirtschaft in den Dienst des Staates. Das besondere gestaltende Prinzip des „Staatssozialismus" bestehe darin, daß „ein bewußt regelndes Eingreifen des Staates in das freie Getriebe der Wirtschaft im Interesse des Staatsganzen" 45 möglich geworden war. Der verfassungspolitische Zweck dieses Wirtschaftsformprinzips wird in seiner etatistischen Bindung überdeutlich. Huber stellt dabei im Kontrast zum verfassungspolitischen Schwebezustand der Weimarer Wirtschaftsverfassung die „Suprematie des Staates über die Wirtschaft" 46 heraus. Erst die „Emanzipation" der Wirtschaft vom Staat in der Kriegswirtschaft seit 1914 habe zur Weimarer Wirtschaftsverfassung geführt. Die verfassungshistorische Rekonstruktion der Begriffe „Staatssozialismus", „Staatskapitalismus" und „Planwirtschaft" wird bei Huber durch die Synthese von Verfassungsidee und Verfassungswirklichkeit bestimmt. Huber wie Göppert sehen in der Zeit vor 1870 die Ära des wirtschaftlichen Liberalismus, der dann mit der Bismarckschen Wirtschaftspolitik zurückgedrängt worden sei. Der in dieser Zeit praktizierte „Staatssozialismus" zeichne sich durch eine dogmenfreie, praktische Wirtschaftspolitik des Staates aus, die ihre Macht und Fähigkeiten im Interesse des Gemeinwohls zum Ausdruck bringe. In konkreter Gegnerschaft zum „marxistischen Sozialismus"47 habe der „Staatssozialismus" auf der Grundlage des privaten Eigentums eine kapitalfreundliche Politik betrieben. 48 Die dogmen- und verfassungsgeschichtliche Rekonstruktion dieser Wirtschaftsform kommt dann mit der abschließenden Aussage Göpperts zum Ausdruck: „Worin lag es sonst, daß der Staatssozialismus den parlamentarisch-demokratischen Staaten etwas so Unverständliches und Unheimliches schien, daß er die spezifisch preußisch-deutsche

43 Vgl. dazu Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, 3. Aufl., Berlin 1961; ders.: Der Hüter der Verfassung, a. a. O.. 44 Göppert, Heinrich: Staat und Wirtschaft, a. a. O., S. 8f., 11, 19ff., 27f. Den akademischen Einfluß Heinrich Göpperts hebt Huber auch viel später noch hervor. Die Zweitauflage des Wirtschaftsverwaltungsrechts von 1953/54 ist dem Habilitationsvater gewidmet, auch in der Verfassungsgeschichte wird der Einfluß Göpperts überdeutlich; vgl. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 985 zum Einfluß des Bismarckschen Staatssozialismus, Bd. 5, S. 546, 853. 45 Göppert: Staat und Wirtschaft, a. a. O., S. 9. 46 Huber: Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 323. 47 Vgl. dazu Hubers Artikel: Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus, a. a. O.. 48 Göppert, a. a. O., S. 9ff., Huber: Demokratie und Wirtschaft, S. 635.

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Wirtschaftspolitik blieb?" 49 Als Beispiel dient die „staatssozialistische" französische Wirtschaftspolitik im Ersten Weltkrieg, welche die Ausschaltung des Parlamentarismus und die Ausstattung der Regierung mit diktatorischen Vollmachten bewirkt hat. Huber greift diese Argumentation auf, um die Parlamentarismusfeindlichkeit des Bismarckschen Staatssozialismus zu verdeutlichen und seinem eigenen Verfassungsbild einer Unvereinbarkeit von „Wirtschaft" und „Demokratie" Nachdruck zu verleihen. Der „Staatssozialismus" der Weimarer Republik sei die bereits erwähnte Sozialisierungstendenz in der Wirtschaft (nach Art. 156 WRV) und die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand bei gleichzeitiger Zurückdrängung der privatwirtschaftlichen Tätigkeit. Dieser wirtschaftliche Schwebezustand, der sich als öffentlich-rechtliche Form der wirtschaftlichen Staatstätigkeit in „Körperschaften der wirtschaftlichen Selbstverwaltung" niederschlägt, hat nach Hubers Auffassung seine Ursache in einem strukturellen Defizit des Verhältnisses von „Staat" und „Wirtschaft" in der Demokratie: „Der Staatssozialismus, den wir heute erleben und den wir auf allen Gebieten, die er sich neu erworben hat, so kläglich versagen sehen, hat mit dem Staatssozialismus Bismarcks nicht mehr als den Namen gemein." 50 Die gegenwärtige, 1931 analysierte Situation sei durch ein nicht einheitliches und nicht geschlossenes System öffentlicher und halböffentlicher Wirtschaftsverwaltung gekennzeichnet. „Aber ein neues Wirtschaftsprinzip, das die private Wirtschaftsordnung im Ganzen abzulösen bestimmt wäre, enthält diese staatssozialistische und staatskapitalistische Wirtschaftsführung in ihrer jetzigen Gestalt nicht." 51 Die diagnostizierte „Wandlung der bisherigen Marktwirtschaft in eine Planwirtschaft" 52 , die Staatsintervention, sei das Ende der Wirtschaftsfreiheit. Als Faktoren der staatlichen Intervention und Planung fuhrt Huber die staatliche Lohnpolitik, die Preisbestimmungen der Kartelle und den Einfluß des Reichsarbeitsgerichts auf die Tarifvereinbarungen an. 53 Kennzeichnend für diese Formen staatlicher Eingriffe, zu denen auch die Finanzkontrolle des Staates über die privaten Unternehmungen zählt, sei nicht die Wirtschaftsgesetzgebung, sondern die Ausdehnung der staatlichen Wirtschaftsverwaltung, die kontrollierend und regulierend von staatlichen Behörden ausgeübt wird. So resümiert Huber die Entwicklungstendenzen zeitgeistabhängig: „Aber es kann jedenfalls ausgesprochen werden, daß ein endgültiger Umschlag der heutigen existentiellen Wirklichkeit in die normative Ordnung sich vollziehen wird, wenn die staatliche Wirtschaftspolitik sich weiter in der bisherigen Richtung entfaltet und wenn sie durch planvolle Gestaltung eine feste und berechenbare Struktur enthält." 54

49 50 51 52 53 54

Göppert, S. 27. Huber: Politische Macht und ökonomisches Gesetz, a. a. O., S. 637. Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 19. Ebenda, S. 21. Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, a. a. O., S. 663f.. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 25.

3. Die Rezeption der Lehren Carl Schmitts

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3. Die Rezeption der Lehren Carl Schmitts: Optionen für eine zukünftige Wirtschaftsverfassung Der verfassungspolitischen Diagnose der Krise der Wirtschaftsverfassung folgt der verfassungsrechtliche Therapievorschlag. Es geht Huber nicht nur um eine krisentheoretische Erfassung des gegenwärtigen Zustandes, sondern vielmehr um eine Überwindung der Weimarer Verfassungskrise und die Schaffung von Verfassungshomogenität in der dialektischen Einheit von Verfassungsidee, Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. Die Frage nach dem Fortbestand der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und ihrer Formprinzipien im Kräftefeld der wirtschaftlichen Selbstverwaltung offenbare „eine erfreuliche Wechselbeziehung zwischen theoretischer Forschung und praktischem Handeln",1 ohne welche die ökonomische Erkenntnis in der Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit der Wirtschaft nicht mehr auskommen könne und die Wissenschaft aus den „wirtschaftlichen Krisenlagen" heraus eine „Krisentheorie" entwickeln könne.2 Grundlegend für Hubers Therapievorschläge ist „das unangetastete Grundgesetz des Staates, daß er allein berechtigt ist, äußere Herrschaft in seinem Gebiet auszuüben", da „alle andere Herrschaft nur legitim" sei, „wenn sie vom Staate abgeleitet ist und vom ihm überwacht wird".3 Die Zukunftsgestaltung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung beurteilt Huber deshalb aus der Langzeitperspektive, daß „die staatliche Intervention gegenüber solchen Herrschaftsträgern" auf einem „selbstverständlichen Rechtsanspruch" beruhe, die sich juristisch im Wirtschaftsverwaltungsrecht niederschlage.4 Doch für die Wirtschaftsverfassung von 1932 wird kein dynamischer Entwicklungsvorgang zu einem „statischen Ordnungsprinzip der Verfassung" prognostiziert5: „Es ist natürlich nicht abzusehen, ob aus diesem Zustand der Labilität, in dem Norm und Wirklichkeit nicht in Einklang stehen, der Weg zu alten oder zu neuen Formen einer stabilen Wirtschaftsordnung fuhrt. Damit beurteilt Huber die Verfassungsbewegung in der 1

2

3 4 5

Vgl. (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Kapitalismus, Sozialismus, Planwirtschaft, in: Der Ring. 5. Jg. (1932), S. 152-154 (152). Dieser Artikel ist eine Besprechung von neun neueren ökonomischen Arbeiten zur Überwindung der Wirtschaftskrise, u. a. von „ E d u a r d Heimann: Kapitalismus und Sozialismus, Potsdam 1931"; „Karl Landauer: Planwirtschaft und Verkehrswirtschaft, Leipzig 1931"; und „ E m i l Lederer: Planwirtschaft, Tübingen 1932" sowie einiger Schriften zur Zukunft sozialistischer Wirtschaftsverfassungen. Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Wirtschaftskrise und Wissenschaft, in: Der Ring, 5. Jg. (1932), S. 154-155 (154). In diesem Artikel bespricht Huber neun aktuelle nationalökonomische Publikationen zur Wirtschaftskrise und ihrer Theoretisierung. Huber: Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 884. Ebenda. Huber meint mit dem Begriff „statisches Ordnungsprinzip der Verfassung" (vgl. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 25) augenscheinlich den in der „politischen Idee" aufgehobenen Antagonismus von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit und die bleibende und stabile „Statik" einer homogenen „Einheit der Nation" als „endgültige Formgebung". Diese Logik der Verfassungsbewegung deckt sich mit Carl Schmitts Begriff der „Grundentscheidung" einer Verfassung: vgl. Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 9; Schmitt: Verfassungslehre, S. 23f.. In dem „statischen Ordnungsprinzip der Verfassung" eine rigide Verfassung zu sehen, wäre ein Mißverständnis der Intentionen Hubers (vgl. unten Anm. 20).

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Wirtschaft wesentlich skeptischer als Carl Schmitt, der aus den ideologischen Wandlungen von der liberalen Wettbewerbswirtschaft zur staatlich gelenkten Planwirtschaft die Entwicklung zu einem Wirtschaftsstaat folgert. 6 Huber stimmt zwar mit Schmitt darin überein, daß in dem „geistesgeschichtlichen Wandel", der sich in Deutschland in der Wirtschaftskrise vollziehe, „Kultur" und „Wirtschaft" ihren Gegensatz zum Staat verloren haben, es sei aber „eben eine Änderung in der reinen Ideologie, also nur im subjektiven Bemühen um politische Erkenntnis, und nicht eine Änderung in der objektiven Idee, die den Staat trägt." 7 Damit erweist sich Huber im Vergleich der beiden Staatsdenker als der stärkere Hegelianer:8 „Es ist nicht möglich, aus einer ideologischen Entwicklung ohne weiteres verfassungsrechtliche und verfassungstheoretische Konsequenzen zu ziehen, denn die Ideologie braucht keine zutreffende Erkenntnis zu enthalten." 9 Die Unvereinbarkeit von „Demokratie" und „Wirtschaft", die einerseits in einer starken, langfristig planenden und gestaltenden Wirtschaftspolitik, anderseits in einer sich rasch wechselnden und Diskontinuität des Mehrheitswillens verbürgenden Demokratie besteht, hat Huber bereits 1930 konstatiert. 10 Das Ziel der Politik, eine „dienende Wirtschaft" in einem „starken Staat" zu garantieren, entspringt der Auffassung: „Wer die Herrschaft des Staates über die Wirtschaft will, darf nicht zugeben, daß diese Herrschaft von privaten und unverantwortlichen Gruppen ausgeübt werde." 11 Die Unfähigkeit der Demokratie zu einer wirksamen und erfolgreichen wirtschaftspolitischen Führung dokumentiere sich in der „Polykratie"12 innerstaatlicher Interessen, die durch die föderale Struktur des Reiches nur gefordert werde. Huber wie Schmitt interpretieren die „konkrete Verfassungslage" als ein „Nebeneinander und Durcheinander zahlreicher, weitgehend selbständiger und voneinander unabhängiger Träger der öffentlichen Wirtschaft". 13 Diese „Polykratie" in der öffentlichen Wirtschaft werde nur noch durch „den Pluralismus des Staatswesens" gefordert, als dessen Folge „ein Mangel einheitlicher Richtlinien, eine Desorganisation und Planlosigkeit, ja sogar Planwidrigkeit, deren Tragweite deshalb besonders groß ist, weil der Staat längst die Wendung zum Wirtschaftsstaat genommen hat", 14 konstatiert wird. Der Begriff „Wirt6 Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 78ff; detaillierter S. 9 Iff, 98f. 7 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 26. 8 Carl Schmitts Äußerung, daß 1933 Hegel tot sei (vgl. Staat, Bewegung, Volk, Hamburg 1933, S. 32), trifft für den „Junghegelianer" Huber nicht zu, zumal die Kieler Richtung der Staatsrechtslehre ab 1933 zu den Protagonisten der junghegelianischen Staatsphilosophie gehört; vgl. auch Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundeinstellung und antimarxistische Hegelstrategie, Berlin 1989, S. 19, Anm. 47. In diesem Zusammenhang ist die Äußerung Hubers, daß Schmitt kein Hegelianer war, verständlich; vgl. die Anfrage Mehrings bei Huber in Anm. 41. 9 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 26. 10 Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 324. 11 Ebenda. 12 Dieser von Johannes Popitz geprägte Begriff meint das ungelenkte und unkoordinierte Nebeneinander verschiedener Wirtschaftsträger. Der Begriff wird von Carl Schmitt im „Hüter der Verfassung" übernommen (S. 7Iff, 92ff.) und auch in der Wirtschaftstheorie des „totalen Staates" von Huber rezipiert: vgl. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 19. 13 Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 91. 14 Ebenda, S. 92.

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schaftsstaat" ist dem der „Wirtschaftsverfassung" als Teilverfassung des Staates entgegengesetzt und meint im Sinne der „Neutralisierung" 15 der staatlichen Macht die Herrschaft der Wirtschaft über den Staat. In der Diskrepanz von „Wirtschaftsstaat" und „Wirtschaftsverfassung" zeigt sich nach Schmitt die „Polykratie der Wirtschaft" und das Phänomen der innerpolitischen Neutralität des Staates. Die autoritär-konservative Diagnose der Unvereinbarkeit von Demokratie und Wirtschaft gipfelt in der Auffassung, daß sich das Nebeneinander verschiedener Wirtschaftsträger noch durch den Pluralismus des Parteienssystems und einen, die einheitliche Wirtschaftsführung behindernden Föderalismus im Reich zu einem „Gesamtsystem" der Polykratie erweitert. Der Staat sei in dieser Situation ein „labiler Koalitions-ParteienStaat". 16 Diesem „quantitativ totalen" 17 Staat, dem eine negative, vom Begriff der Neutralität wegführende politische Entscheidung zugrunde liegt, setzt Schmitt die Neutralität als positiv besetzten Begriff im Sinne der zur politischen Entscheidung des Staates hinführenden Bedeutung entgegen: „Das ist die Neutralität der staatlichen Entscheidung innerstaatlicher Gegensätze, gegenüber der Zersplitterung und Aufteilung des Staates in Parteien und Sonderinteressen, wenn die Entscheidung das Interesse des staatlichen Ganzen zur Geltung bringt." 18 Dieser als „qualitativ total" geltende Staat, der sich mit einer „dienenden" Wirtschaft verbindet, sei kein Wirtschaftsstaat, sondern gliedere die Wirtschaft als Teilverfassung in sich ein. Diese Prämissen der Schmittschen Verfassungslehre bilden den Grundstock der verfassungspolitischen und verfassungstheoretischen Optionen Ernst Rudolf Hubers für die zukünftige Wirtschaftsverfassung. Dennoch haben beide Verfassungsdenker unterschiedliche Ansätze. Carl Schmitt kann die offensichtliche Diskrepanz von „Wirtschaftsverfassung" und „Wirtschaftsstaat" nicht auflösen. Er glaubt eine Harmonisierung beider herbeizuführen, indem „man entweder den Staat von allen Elementen reinigt, die ihm den Charakter eines Wirtschaftsstaates geben, also den Staat entökonomisieren; oder umgekehrt, indem man 15 Dazu Carl Schmitt: Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffs der innerpolitischen Neutralität, in: Der Hüter der Verfassung, S. 111-115; separat abgedruckt auch in: Positionen und Begriffe im Kampf um Weimar - Genf - Versailles, Berlin 1940, S. 158-161; aus der Perspektive des „Wirtschaftsstaates" insbesondere: Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates (1930), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 41-59 (42ff); zu Hubers Rezeption vgl. auch Politische Macht und ökonomisches Gesetz, a. a. O.; Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O.; Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 29. 16 Schmitt: Das Problem der innerpolitischen Neutralität des Staates, a. a. O., S. 47. 17 Zum Begriff „quantitativ total" und „qualitativ total" vgl. Schmitt: Die Wendung zum totalen Staat (1931), in: Positionen und Begriffe, a. a. O., S. 146-157, deutlicher und stringenter: Die Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland (1933), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 359-366 (361f). Huber verwendet diese auf den Wirtschaftsstaat als „totalen Staat" abzielenden Begriffe nicht. Die Diagnose der staatlichen Verfassung, vielleicht sogar besser „Verfaßtheit", als „quantitativ" im Sinne der politischen Größe und Intensität des Staates gegenüber den partikularen gesellschaftlichen Teilbereichen, ist aber ebenbürtig, nur daß Huber nicht den „totalen Staat" als „Wirtschaftsstaat" etikettiert, sondern homogener als über der Wirtschaft stehenden Staat. Die Auffassung zeigt sich bei Huber auch in der konsequenten Ignorierung (Zitation) der wirtschaftspolitischen Schriften Schmitts, sieht man vom „Hüter der Verfassung" ab. 18 Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 115.

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die geltende Nicht-Wirtschaftsverfassung durch eine Wirtschaftsverfassung ersetzt, also den Staat entschlossen ganz verwirtschaftlicht."19 Ernst Rudolf Huber geht dagegen einen Zwischenweg und votiert für die Verfassung des „Staatssozialismus"20 über den „konkreten Verfassungszustand", d.h. die in der Verfassungswirklichkeit vorhandene wirtschaftliche Selbstverwaltung als eine den Staat stärkende Intervention in die „Wirtschaft", um die „Wirtschaft" wieder unter die Ordnungsmacht des „Staates" zu subsumieren. Die Verfassungsoption konkretisiert sich deshalb in den Fragen: „Ist damit die Entwicklung zum totalen Wirtschaftsstaat' notwendig geworden? Ist die Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsgestaltung notwendig eine unmittelbare Staatsaufgabe? Ist die Wendung zum Staatssozialismus notwendig der Sinn unserer Zeit?"21 Damit soll auch die Entscheidung zu einer gebundenen oder freien Wirtschaftsform beantwortet werden. Den Schwebezustand der Wirtschaftsverfassung und die Vorstellung des „totalen Wirtschaftsstaates" weiß Huber geschickt zu verbinden. Da „aber das Eindringen der Wirtschaft in den Bereich des Öffentlichen das Kennzeichen der Zeit ist, weil nämlich das Öffentliche einen Zwischenbereich zwischen der privaten und der staatlichen Existenz bezeichnet", damit aber ,zugleich zu den tragenden Elementen des staatlichen Daseins gehört", müsse sie „unter der Verantwortung gegenüber dem Staate stehen".22 Die von Huber intendierte Einheit von verfassungstheoretischer und verfassungsrechtlicher Argumentation impliziert,

19 Ebenda, S. 98. Diese These wird auch von Volker Neumann vertreten: Der Staat im Bürgerkrieg. Kontinuitäten und Wandlungen des Staatsbegriffs in der politischen Theorie Carl Schmitts, Frankfurt/M. 1980, S. 191f.. 20 Der Begriff „Staatssozialismus" taucht in den wirtschaftspolitischen Schriften Hubers mit dem Gegenbegriff „Staatskapitalismus" im Zusammenhang der wirtschaftlichen Selbstverwaltung auf. Seine Herleitung und Begriffsbestimmung ist äußerst undeutlich und nur im Hinblick auf die herrschaftliche Bindung der Wirtschaft an den Staat und die damit verbundenen Interventionsmaßnahmen des Staates in die Wirtschaft und den staatlichen Entscheidungsbefugnissen einer Wirtschaftspolitik voll verständlich. „Staatssozialismus", wie ihn das Bismarckreich von 1878 bis 1914 betrieben hat, bedeutet in seiner „idealen Verfassungsform" die Nutzung der wirtschaftlichen Güter durch die öffentliche Hand, die Verwaltung von Wirtschaftszweigen in öffentlichem Interesse und Gemeinnutz (vgl. Huber: Die Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 887). Ihr besonderes Kennzeichen ist die Verwerfung des marktwirtschaftlichen Prinzips, des Eigennutzes, im Gegenzug die Hervorhebung des Prinzips des Gemeinnutzes. Dementsprechend kam die nach 1929 forcierte wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und die daraus hervorgehende wirtschaftliche Selbstverwaltung dieser wirtschaftlichen Verfassungsform am nächsten. In der Zweitauflage des Wirtschaftsverwaltungsrechts von 1953 resümiert Huber in einem historischen Abriß, daß „Staatssozialismus" ein „staatsunmittelbares" Wirtschaftssystem ist, in dem das Eigentum an den Wirtschaftsunternehmen insgesamt oder in einzelnen Bereichen in die Hand des Staates oder staatsunabhängiger Rechtsträger überführt wird (ebenda, S. 43). Dagegen versteht Huber unter „Staatskapitalismus" eine Wirtschaftsverfassung, in der die öffentliche Hand neben der privaten Wirtschaft nach wettbewerbsmäßigen Konditionen wirtschaftet, d.h. fiskalisch, eigennützig und marktwirtschaftlich. Staatskapitalismus und Staatssozialismus haben als Kennzeichen eine unmittelbare Staatstätigkeit in der Wirtschaft gemeinsam, sie unterscheiden sich im Prinzip des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft - interventionistisch oder bilateral. 21 Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 885. 22 Ebenda, S. 886.

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daß ein solches Verhältnis von „Freiheit" und „Zuordnung" seine politische Form im Selbstverwaltungsgedanken zu finden habe. Der Antagonismus von „sozialer Freiheit" und „totalem Staat" 23 ist der Angelpunkt der zukünftigen Wirtschaftsverfassung. Das Prinzip der „sozialen Freiheit", der Wirtschaftsfreiheit und dem Sozialisierungspostulat nach Art. 156 24 , sei nach materiellem Recht überholt, die Verfassungslage 1932 dagegen in der autoritären Staatsrechtslehre als Hinwendung zum „totalen Wirtschaftsstaat" interpretiert. Da Huber bereits in früheren Schriften das tragende Prinzip der „Freiheit der Wirtschaft" in Frage gestellt hat, verbindet er auch 1931/32 das Problem des Verfassungswandels mit der Wertfrage im Freiheitsbegriff: „Ansätze zu einem solchen neuen Erlebnis des Freiheitswertes zeigen sich an vielen Orten in der politischen Welt, und es liegt im Grunde die gleiche Haltung vor, wenn man sich an einem Orte um die Formulierung eines Begriffs sozialer' Freiheit, am anderen um die Erfassung eines konservativen' Freiheitsbegriffs bemüht. Der entscheidende Zug dieses neuen Freiheitswollens liegt darin, daß es nicht um die Erkämpfung einer individuellen Freiheit vom Staate weg' geht, sondern daß es sich darum handelt, einen Raum zu sichern, in dem aus persönlichem, freien Schaffen Werte für die Gemeinschaft und ihren sichtbaren Ausdruck, den Staat, erarbeitet werden könne." 25 Die Etatisierung des Freiheitsbegriffs ist die konservativ-revolutionäre Antwort auf die Verfassungskrise.

a) Wirtschaftliche Selbstverwaltung Der neue „konservative Freiheitsbegriff", 26 der anthropologische Baustein für die verfassungspolitische Option der „konservativen Staatsführung" 27 , wird hier zum „schöpferischen Prinzip" der Umgestaltung der Wirtschaftsverfassung als einer Entscheidung zu einem neuen Formprinzip der Verfassung. Die im „konservativen Freiheitsbegriff' insistierte Bindung des Menschen und der gesellschaftlichen Teilverfassungen an den Staat wird im Sinn der wirtschaftlichen Selbstverwaltung weiter ausdifferenziert. Der Gedanke der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gehe davon aus, daß die Wirtschaftsführung, „soweit sie durch einen neuen Organisationsgedanken bestimmt wird, eine öffentliche Aufgabe ist, die unter Verantwortung gegenüber dem Staat zu besorgen ist." 28 Werde die Wirtschaft als ein eigener „Lebensbereich" aufgefaßt, der eigenen Gesetzlichkeiten unterworfen ist, dann müsse der Gedanke der „Selbstverwaltung der Wirtschaft" „aufs schärfste von Staats-

23 Vgl. die im Sammelband „Bewahrung und Wandlung" aufgenommene Fassung der Antrittsvorlesung „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat", die mit Kapitelüberschriften versehen ist: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, in: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 58. 24 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 10. 25 Ebenda, S. 28. 26 Ebenda, S. 8. Der Bedeutungswandel des Freiheitsbegriffs wird konkretisiert in: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 7ff, 86ffi. 27 Vgl. Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 562. 28 Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 887.

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kapitalismus und Staatssozialismus geschieden"29 werden. „Staatskapitalismus" bedeute, daß sich die öffentliche Hand der Methode der freien Wirtschaft bediene, auf Eigennutz basiere, sich des freien Wettbewerbs bediene und fiskalisch bestimmt sei. „Staatssozialismus" dagegen sei aus dem System der freien Wirtschaft gelöst, wolle einen Wirtschaftszweig im öffentlichen Interesse verwalten und sei im Gegensatz zum Staatskapitalismus auf Gemeinnutz ausgerichtet und politisch orientiert. Huber differenziert den Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung im Gegenbild zu Staatssozialismus und Staatskapitalismus weiter aus: Die Selbstverwaltung gewähre in ihrer Verbindung zum Staat genossenschaftliche, korporative Formen, während der Staatssozialismus selbständige Rechtsträger und Anstalten - im Gegensatz zu den Genossenschaften der Selbstverwaltung - voraussetze.30 Aber weder im Staatskapitalismus, noch im Staatssozialismus sieht Huber die geeignete zukünftige Wirtschaftsverfassung. Während Carl Schmitt trotz der umfangreichen Diagnose des „quantitativ totalen Wirtschaftsstaates aus Schwäche" eine Reichsreform mit der Forderung, dem Staat eine echte Wirtschaftsverfassung wiederzugeben, vor der Schwebelage der Verfassung kapituliert - „[...] mag es nun die eines Stände- eines Gewerkschafts- oder eines Rätestaates sein [...]"31 - und es damit keine konkrete Verfassungsoption der Zukunft gibt, macht Ernst Rudolf Huber aus der Not eine Tugend und stellt konkretere Alternativen der Verfassungsform der Wirtschaft auf, den Zustand der Selbstverwaltung der Wirtschaft in einen der gegenwärtigen Verfassungslage Rechnung tragenden Kompromiß zu fassen. Der Sinn der Selbstverwaltung sei „der in sich gegliederten Nation die eigengesetzliche und zugleich staatsgebundene Gestaltung des eigenen Bereichs möglich zu machen. Heute gilt es, die Ansätze einer solchen Selbstverwaltung, wie sie in den vorhandenen Institutionen unserer Wirtschaft gegeben sind, in Freiheit32 und doch in Hinordnung auf den Staat sinnvoll zu entwickeln."33 Die politische und juristische Intention, wirtschaftliche Selbstverwaltung und Staat zuzuordnen und aus dem Verhältnis eine organische Hierarchie und herrschaftliche Pflichtbindung zu konstituieren, erfährt ihre innere Konsistenz aus dem korporativen Gedanken.34 Auch die verfassungshistorische Herleitung des Gedankens der körperschaftlichen Selbstverwaltung verdeutlicht die Absicht, Staat und Wirtschaft in korporativen Strukturen anzunähern: „Rechtsgeschichtlich betrachtet führt der Gedanke der körperschaftlichen Selbstverwaltung der Wirtschaft die deutsche Überlieferung des mittelalterlichen Staatsaufbaus fort, während der anstaltlich geordnete 29 30 31 32

Ebenda. Ebenda, S. 887f.. Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 99. Huber meint in diesem Zusammenhang den „konservativen Freiheitsbegriff' in seiner herrschaftlichen Bindung des Menschen an den Staat. 33 Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 889. 34 Vgl. zur korporativ-ständischen Auffassung Hubers interessante Argumentation in der Rezension „Erich List, Der Berufsständegedanke in der deutschen Verfassungsdiskussion seit 1919, Leipzig 1930", in: AöR, NF Bd. 22 (1932), S. 365-366. Es wird die Unvereinbarkeit von Demokratie und Ständegedanken, die „organische", „wesenhafte Zuordnimg" zum Staat und die daraus resultierende Entwicklung und Gliederung des Staates hervorgehoben. Besonders deutlich wird hier Hubers naturrechtlich-transzendente Argumentation, die er bei Erich List vermißt, ebenso der Paradigmenwandel der Staatsauffassung hin zu einer „konservativen Ideologie"; vgl. ebenda, S. 365.

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Staatssozialismus an die Vorstellungen und Formen des absolutistischen Polizeitstaates angelehnt ist." 35 Die im Vorfeld gestellte Frage, ob der zukünftige Verfassungszustand als „Staatssozialismus" zu bezeichnen sei, ist damit auch beantwortet. Der Staatssozialismus zielt auf eine staatsummittelbare Wirtschaft mit anstaltshaftem Institutionencharakter, ohne daß Staat und Wirtschaft in ein hierarchisches oder stabiles Formprinzip gebracht werden können. Dagegen besteht die verfassungstheoretische Möglichkeit, den korporativen Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung zu einer staatlich (ideologisch und juristisch) garantierten korporativen Lenkungswirtschaft zu entwickeln. Maßgebliches verfassungspolitisches Instrument ist dabei der Berufsständegedanke. Um die vielen Formen und Spielarten des Berufsverbändegedankens zu reduzieren, erklärt Huber, die Gewerkschaften seien die angemesse Form des Berufsverbandes. Er fordert eine gewerkschaftliche Einheit, „die dem gesellschaftlichen Dasein und der politischen Stellung des Arbeiters und Angestellten wieder Sinn gibt." 36 Das Aufheben der gesellschaftlichen Klassen- und Verfassungskonflikte der Weimarer Zeit in gemeinschaftlichen Korporationen, die organisch zum Staat streben, dient „der Hinwendung zu 'wirtschaftsfriedlichen' Werks- und Arbeitsgemeinschaften und die Ablehnung der klassenkämpferischen' Gewerkschaften mag einem bürgerlichen Sicherheitsbedürfnis angemessen sein." 37 Das Prinzip der „sozialen Gegenspieler" der Weimarer Sozial- und Wirtschaftsverfassung durch eine korporative Berufsorganisation zu ersetzen, dient dem Ziel, sie als „Glied einer neuen Volksordnung einzusetzen". 38 Die völkisch-integrative Funktion, sie zu Körperschaften des öffentlichen Rechts zu erheben, hebt die Klassengegensätze von Kapital und Arbeit ökonomisch vollends auf. Wie Huber bereits im Wirtschaftsverwaltungsrecht argumentiert, untersteht der Aufgabenkreis der Berufsverbände dem rein privaten Bereich, der aber öffentlich kontrolliert wird. Dazu zählt er auch die Einrichtung von Arbeitslagern, Berufsschulen, den halböffentlichen Bereich, der heute auch in den Institutionen des Reichswirtschaftsrat, Reichskohlen- und Reichskalirat vorliege 39 und mit dem Organ der Sozialversicherung und den Arbeitsgerichten und Schlichtungsausschüssen 40 zu verbinden sei. Eingriffe in die Organisationsstruktur der Berufsverbände seien aufgrund ihrer Umformung in öffentlich-rechtliche Körperschaften unumgänglich. Die staatliche Kontrolle der Berufsverbände legitimiert Huber damit, daß „es sich nicht entscheidend um die technische Kontrolle einzelner 35 36 37 38 39

Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 887. Die Berufsverbände und der Staat, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 953-958 (953). Ebenda. Ebenda, S. 954. Zu ihrer wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Relevanz vgl. Rechtsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in: VerwArch, Bd. 37 (1932), S. 301-367 (356ff). 40 Ähnlich: Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, a. a. O.; (unter dem Pseudonym Walter Esch): Reform des Schlichtungswesens, in: Der Ring 5. Jg. (1932), S. 155. Huber kritisiert in dem letztgenannten Artikel das juristische Schlichtungswesen in der parlamentarischen Demokratie als dem Parlament entzogen, da ζ. B. Reichsbahn, Reichsbank, Reichskartellgerichtsbarkeit der Regierung ausgegliedert und damit der parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Die Forderung einer in der Demokratie politisierten Stellung des Schlichtungswesens transformiert Huber in der berufsständischen Ordnung - wie im Wirtschaftsverwaltungsrecht - in die halböffentliche Sphäre und entzieht ihr die politische Kraft.

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Tätigkeitsbereiche durch den Staat handelt, sondern um die Einordnung der Berufsverbände als solcher in den Staat"41 und beide Seiten, Berufsverbände und Staat, davon profitieren würden. Die gegliederte Einheit schaffe für die Berufsverbände die Sicherheit der „vertrauensvollen Zuordnung zum Staate", fur den Staat hingegen die Wandlung zum „wirklichen Volksstaat": „Der Berufsständegedanken kann immer nur verwandt werden, um der Obrigkeit des Staates gegenüber eine rechte Vertretung des Volkes zu bilden, nicht um die staatliche Einheit als solche „von unten her" zu gewinnen." 42 Unter staatlicher Herrschaft, so das umrissene Bild, halte sich die Selbst-verwaltung der Berufsverbände im Bereich der Wirtschaftsverwaltung. Die eigentliche berufsständische „Ordnung", die über den Gedanken der Selbstverwaltung hinausgeht, fordere eine sich aus den Berufsgruppen entwickelnde „politische Verfassungsorganisation", welche die Verfassungsstruktur der Weimarer Verfassung oder eine Reichsre-form betreffen müßte. Die eingangs gestellte Frage der Entwicklung der Weimarer Wirtschaftsverfassung zu einem „totalen Wirtschaftsstaat" wird im Gegensatz zu den Prognosen Carl Schmitts verneint, ein „Wirtschaftsstaat" abgelehnt, weil die Wirtschaftstätigkeit unter die herrschaftliche Allmacht des Staates fällt - eine theoretische Konsequenz des „konservativen Freiheitsbegriffs". Die Wendung zum Staatssozialismus lehnt Huber ebenfalls ab, da sie eine staatsunmittelbare Wirtschaftsform gestalte. Nur die Prognose, daß die Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsgestaltung im Sinne einer korporativen Lenkungswirtschaft Aufgabe des Staates ist, fällt positiv aus dem ursprünglichen Fragenkatalog heraus. 43

41 Die Berufsverbände und der Staat, S. 956. 42 Ebenda, S. 958. 43 Huber findet seine Prognosen nach der „legalen Revolution" 1933 teilweise bestätigt; vgl.: Das Gesetz über die Berufsverbände, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1933), S. 333-339; Die Staatswirtschaft, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1933), S. 806-813. In dem Aufsatz „Staatswirtschaft" greift Huber 1933 auf Argumentationen seines Artikels „Selbstverwaltung der Wirtschaft" (1932) zurück, vor allem auf die im Schwebezustand der Verfassung unlösbare Problematik, ob die Wirtschaftsverfassung des nationalsozialistischen Staates staatssozialistisch oder staatskapitalistisch ist. Der erneute Zugriff auf diese Frage dokumentiert den noch ungelösten Verfassungszustand im Übergang von Weimar zu Hitler. In diesem Artikel sind widersprüchliche Begriffe wie „Staatswirtschaft" und „Sozialismus" zum Teil deckungsgleich verwendet. Die in der Tat überraschende Wendung, der Wirtschaft im Nationalsozialismus einen Freiheitssraum der Wirtschaftsführung zu gewähren, kommt wie folgt zum Ausdruck: ,43er deutsche Sozialismus erkennt also grundsätzlich die Wirtschaft als einen eigenen, vom Staat unterschiedenen Lebensbereich an, er setzt voraus, daß der Staat nicht unmittelbar Träger des wirtschaftlichen Ganzen ist, sondern daß persönliches Eigentum und persönliche Wirtschaftsführung anerkannt sind"; vgl. ebenda, S. 807. Noch widersprüchlicher sind die Ausführungen in dem Aufsatz „Gestalt des deutschen Sozialismus", in: Deutscher Geist, 2. Jahresband 1935, S. 193-201; vor allem in dem grundlegenden Aufsatz „Staat und Wirtschaft" (in: Die Verwaltungsakademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat, hrsg. von HansHeinrich Lammers, Berlin 1934, Bd. 1, Gruppe 2, Text 20) trennt Huber den privaten, halböffentlichen und öffentlichen Bereich der Wirtschaft, den er nicht mit dem berufsständischen Gedanken zu synthetisieren vermochte, in drei Ebenen: völkische Wirtschaft, politische Wirtschaft und Führungswirtschaft; vgl. ebenda, S. 13-16.

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4. Wirtschaftsverwaltungsrecht Die politisierte juristische Kritik an der Kirchenverfassung und der Wirtschaftsverfassung hat Ernst Rudolf Huber in seiner Habilitationsschrift über Wirtschaftsverwaltungsrecht nicht übernommen. Das „Wirtschaftsverwaltungsrecht"1 ist die juristische Antwort auf die verfassungspolitischen Wandlungen der Weimarer Wirtschaftsverfassung und trägt der korporativen Selbstverwaltung der öffentlichen Wirtschaft mit dieser neuen öffentlichrechtlichen Grenzdisziplin2 Rechnung. Diese in juristischen Kreisen vielbeachtete Arbeit, die verfassungsrechtliches Neuland betritt, ist trotz der autoritär-antidemokratischen Kritik ein Dokument verfassungskonformer Rechtskultur: „Es mag als ein Wagnis erscheinen, in diesen Zeiten ein Buch über die rechtlichen Grundformen des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft zu veröffentlichen. Mir erscheint es notwendig, gerade während eine große Entwicklung in diesem Verhältnis sich vollzieht, die bisher geformten Grundlagen des Wirtschaftsverwaltungsrechts in ihrem Aufbau darzustellen und zu untersuchen. Mit Absicht habe ich es vermieden, die Beziehungen von Staat und Wirtschaft in ihrer verfassungspolitischen Bewegung darzulegen und zu deuten. Was ich dazu zu sagen habe, habe ich in einem Vortrag über 'Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat' (Tübingen 1931) ausgeführt". 3 Die ausdrückliche Absage an verfassungspolitische Spekulationen verdeutlicht den Ernst der verfassungsrechtlichen Konstruktion. Begriff, Inhalt und Rechtsstruktur des Wirtschaftsverwaltungsrechts werden vor dem Hintergrund der Veränderungen des Weimarer Wirtschaftssystems, das in der Zuordnung von gemeinwirtschaftlichen, wirtschaftsdemokratischen und sozialwirtschaftlichen Verfassungselementen nicht zu einem Ausgleich der sich widerstreitenden Wirtschaftsverfassungsprinzipien gekommen ist, entwickelt.4 Hatte Huber im Staatskirchenrecht und Wirtschaftsrecht mit der politisch-philosophischen Argumentation den Spannungszustand zwischen Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit über die idealistische Staatsphilosophie dia-

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Neben dem Wirtschaftsverwaltungsrecht sind zu nennen: Die Entwicklung des Tarifrechts und das öffentliche Recht, in: RVB1., Bd. 53 (1932), S. 281-285; Die Nichtigkeit der Handelsgesellschaften und ihre Beschlüsse in verwaltungsrechtlicher Betrachtung, in: VerwArch, Bd. 37 (1932), S. 1-38; Rechtsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in: VerwArch, Bd. 37 (1932), S. 301-367; Die Aktienrechtsreform und das öffentliche Recht, in: Zentralblatt für Handelsrecht, 7. Jg. (1932), S. 25-30. Zur Synthese von wirtschaftsverwaltungsrechtlicher und verfassungspolitischer Argumentation vgl. Die Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 883889. Zum Einfluß des Wirtschaftsprivatrechts auf das Wirtschaftsverwaltungsrecht und auf das öffentliche Recht vgl. auch: Die Aktienrechtsreform und das öffentliche Recht, in: Zentralblatt für Handelsrecht, 7. Jg. (1932), S. 25-30; ebenso: Die Entwicklung des Tarifrechts und das öffentliche Recht, in: RVB1., Bd. 53 (1932), S. 281-285. WiVerwR, a. a. O., Vorwort. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 23f.. Zur Rekonstruktion der Wirtschaftsverfassung der Weimarer Republik und der juristischen Funktion des Wirtschaftsverwaltungsrecht hat Huber in der Neuauflage von 1953 einen verfassungshistorischen Vorspann der erweiterten und den bundesrepublikanischen Wirtschaftsstrukturen angepaßten Auflage vorangestellt; vgl. WiVerwR, 2. erw. Auf., Tübingen 1953, Bd. 1, S. 29fif; Kritik und Inhalt decken sich mit den Aussagen in der Schrift „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat".

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lektisch in einer höheren sittlichen Einheit aufzuheben versucht,5 so ist er in dieser Sphäre des modernen Verfassungsrechts auf die Logik und Subsumtion des Rechtsstoffes ohne die dogmatisch-ideengeschichtliche Rekonstruktion angewiesen. Das tatsächliche Verhältnis von Staat und Wirtschaft, das Huber bei der Rettung der „Staatlichkeit des Staates" gegenüber der Wirtschaft abzugleichen versucht, führt zu einer bestimmten Herleitung und Auffassung des Wirtschaftsrechts. Aufgrund des etatistischen Denkstandortes, der aus der Ablehnung der Durchdringung der staatlichen Kompetenzen mit gesellschaftlich-partikularen Strukturen resultiert, faßt Huber das Wirtschaftsrecht nicht „im Sinne einer Durchdringung des gesamten Rechts mit dem Geist der Wirtschaft" auf, auch nicht als „die wirtschaftliche Bedürfnisbefriedigung schützenden und regelnden Rechtes", sondern ganz im Sinne der verfassungspolitischen Situation Ende der zwanziger Jahre in der Verbindung von staatlicher Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsverwaltung in privater und öffentlicher Wirtschaft als „die Beziehungen des wirtschaftlichen Unternehmens gegenüber dem Staat, gegenüber anderen Unterehmen, gegenüber den zugehörigen Sachgütern und gegenüber den Arbeitnehmern regelndes Recht." 6 Als besonderes Problem stellt sich die gesetzliche Form des Wirtschaftsrechts als vornehmlich privatrechtliche Struktur dar, denn die Regelung der Beziehung zwischen Unternehmen zu anderen Unternehmen, sächlichen Betriebsmitteln, Arbeitnehmern und Verbänden, werde inhaltlich nicht durch die hoheitliche Gewalt des Staates bestimmt, sondern sei eine privatrechtliche Beziehung. Neben diesem Wirtschaftsprivatrecht habe sich aber immer mehr ein Wirtschaftsverwaltungsrecht entwickelt, das im Gegensatz zur rein privatrechtlichen Struktur des Wirtschaftsrechts „auf Grund besonderer Gesetze rechtliche Beziehungen des Unternehmens, die in ihrem Wesen durch die öffentliche Gewalt des Staates und der ihm ein- und untergeordneter Hoheitsträger bestimmt sind", 7 sich entwickeln konnte. Die privatrechtliche wie öffentlich-rechtliche Kompetenz ergibt sich aus dem Entwicklungsschritt, daß die Wirtschaft aufgrund der unternehmerischen Tätigkeit der öffentlichen Hand zum Gegenstand der öffentlichen Verwaltung geworden ist: „Wirtschaftsverwaltungsrecht liegt da vor, wo die Wirtschaftsführung in der Hand vom Staate getrennter Unternehmen liegt und staatlichen Verwaltungsbehörden oder mit staatlichen Machtmitteln ausgestatteten besonderen Stellen eine Befugnis zum Eingriff in die wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben ist." 8 Da Huber mit der inhaltlichen Bestimmung und der Herleitung der Rechtsförmigkeit des Wirtschaftsverwaltungsrecht Neuland betritt, liegt ihm vor allem an der Darstellung des Rechtsstoffes (die Zweiteilung Unternehmens- und Arbeitsrecht als Sachenrecht) und den sich aus der Konfrontation von Verwaltungs- und Verfassungsrecht ergebenden Fragen einer Systematik der Rechtsformen des Wirtschaftsverwaltungsrechts. 9 5 6 7 8

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Vgl. (unter dem Pseudonym Walter Esch): Johann Adam Möhler, a. a. O., S. 12. WiVerwR, S. 2f.. Ebenda, S. 3. Ebenda. Diese Definition des Wirtschaftsverwaltungsrechts ist in der wissenschaftlichen Diskussion auf Kritik gestoßen, weil sie das Prinzip der Wirtschaftsführung als rechtsgestaltendes Prinzip anerkennt, nicht jedoch die Regulierung und Beaufsichtigung als Inhalt der Wirtschaftsführung und die dabei tätigen Personen berücksichtigt. Ebenda, S. 4.

4.

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Der Versuch, die Rechtsformen des Wirtschaftsverwaltungsrechts im ersten Teil zu systematisieren und die verwaltungsrechtlichen Formen des Wirtschaftsrechts mitsamt ihren Verbandsgestaltungen, Satzungen, öffentlichen Rechten und Pflichten, privaten Rechten und Formen der Rechtsgeschäfte zu geben, 10 ist in der öffentlichen Diskussion im allgemeinen auf viel Zustimmung gestoßen, auch wenn sich Hubers Systematisierungsversuch den Grenzziehungen des Wirtschaftsrechts versperrt hat. Im Vergleich zu den verfassungspolitischen Schriften ist auffällig, daß Huber kontinuierlich argumentiert und es bei der Einteilung der wirtschaftsrechtlichen Verbände nicht für statthaft hält, aus der einzelnen Beziehung zum Staat auf den öffentlichrechtlichen Charakter des Verbandes zu schließen, sondern Zweck, Befugnis und organisatorische Stellung eines Verbandes nach Aufgabenstellung, privater und öffentlicher Zugehörigkeit differenziert und den Gesamtstatus eines Verbandes einbezieht. 11 Im einzelnen unterscheidet Huber „Verwaltungsstellen", „Anstalten des öffentlichen Rechts", „Körperschaften des öffentlichen Rechts" sowie „Verbände des Privatrechts". 12 Diese Einteilung ergibt sich aus der einleitenden Systematik der wirtschaftlichen Verbände in öffentliche, private Verbände, öffentliche Verwaltungsstellen ohne Rechtspersönlichkeit, Anstalten und Korporationen. 13 Die jeweilige Unterscheidung nach Unternehmens- und arbeitsrechtlicher Struktur entstamme der Zweiteilung der wirtschaftlichen Interessen in der Rechtsgemeinschaft. 14 Huber verbindet die Probleme des Rechtsschutzes im Wirtschaftsverwaltungsrecht mit den rechtsstaatlichen Wandlungstendenzen: „Der große Strukturwandel des Staates hat eine Auflockerung des Staatsdenkens mit sich gebracht, die sich zunächst in einer krisenhaft gespannten Unsicherheit in der Auffassung vom materiellen Gehalt der juristischen Grundformen äußert. Gerade die Entstehung des Wirtschaftsverwaltungsrechts, d.h. das Eindringen der öffentlichen Verwaltung in das Wirtschaftsleben, gehört zu den großen Wandlungen in der Zwecksetzung des Staates; gerade hier zeigen sich Krisen und Unsicherheiten des Denkens daher mit besonderer Eindringlichkeit." 15 Vor allem die in Art. 107 WRV 1 6 niedergelegte Rechtskontrolle der Verwaltung durch Verwaltungsgerichte erscheint Huber für die Fortdauer des Staates bei dem materiellen Verfassungswandel als ein dringliches Problem. Die bisher in den deutschen Ländern unzureichend verwirklichte Verwaltungsgerichtsbarkeit trage zur Destabilisierung des gegenwärtigen Verfassungszustandes bei. 1 7

10 WiVerwR, S. 5-147. 11 WiVerwR, S. 6f.. 12 Vgl. auch die stringente und einleitende begriffs- und verfassungsgeschichtliche Analyse: Rechtsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, a. a. O., S. 301-376. 13 WiVerwR, S. 5, 9. 14 Vgl. Arbeits- und Wirtschaftsgerichtsbarkeit, a. a. O., S. 663. 15 WiVerwR, S. 149. 16 Art. 107 WRV sichert den Bestand von Verwaltungsgerichten in Reich und Ländern nach Maßgabe der Gesetze zum Schutz der einzelnen gegen Anordnungen und Verfugungen der Verwaltungsbehörden. 17 Zur Kritik der Verwaltungsgerichtsbarkeit vgl. Justiz und Verwaltung im Arbeitsrecht, in: AöR, NF Bd. 22 (1932), S. 147-188.

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5. Die Grundrechte zwischen Notstandsrecht und Auslegungswandel In der Grundrechtsdiskussion Ende der zwanziger Jahre entlädt sich der antidemokratische Zündstoff der verfassungsrevidierenden Kräfte in seiner ganzen Sprengkraft. Der Bedeutungswandel der Grundrechte umspannt Ernst Rudolf Hubers gesamtes öffentlichrechtliches Schrifttum der Weimarer Zeit: die Stellung der Religionsgesellschaften in der Verfassung,1 das Grundrecht der wirtschaftlichen Freiheit2 und die kritische Infragestellung seiner materiellen Ausgestaltung, zuletzt die wichtigen Grundrechte des Eigentums, der Freiheit und Gleichheit.3 Der bereits in den politisch-publizistischen Aufsätzen im „Ring" und der Antrittsvorlesung entwickelte „konservative Freiheitsbegriff"4 erfahrt in diesem Zusammenhang seine rechtlich-dogmatische und politisch-teleologische Einbindung. Die typische Doppelstruktur der Grundrechte, einerseits von der Gesellschaft aus betrachtet als individuelles Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, andererseits vom Staat aus gesehen als Handlungsschranken gegenüber der Gesellschaft, werden im Sinne der objektiven Gestaltung des Staates etatisiert und entliberalisiert. Schlagwortartig überwindet Huber damit den Antagonismus von Gesellschaft und Staat.5 Die folgenden Ausführungen sollen verdeutlichen, wie Huber den relativ offenen Charakter des bürgerlich-rechtsstaatlichen Verfassungssystems dazu nutzt, die im Verfassungstext positivierten sozialen und politischen Grundrechte im Spannungsfeld von Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit zu verbrämen und neuen Inhalten zuzuführen. Insbesondere der Widerspruch von Freiheit und Gleichheit, den Huber in der Argumentation der autoritären Rechtstaatskritik Carl Schmitts vorfindet, wird zum Anlaß genommen, aus der politischen Konservierung des Status quo der Politik der Präsidialkabinette die Grundrechte ihres rechtlichen Schutzes zu entkleiden und den normativen Sinn zu negieren: „Jede Rechtsnorm ist zugleich Ausdruck eines geistigen Gehaltes und technischen Instrumentes; während jedoch in den verfassungsorganisatorischen Regeln der technische Gehalt eine starke und in gewisser Weise sogar vorwiegende Bedeutung besitzt, erscheint in den Grundrechten vor allem der Niederschlag eines geistigen Gehaltes, hinter dem die rechtstechnische Bedeutung der Norm zurücktritt und zuweilen völlig verblaßt."6 Die dabei verwendete „geistesgeschichtliche Methode"7 leistet einer „geschichtsteleologi-

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Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, a. a. O., S. 5f., 35ff.; daran anknüpfend: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 63f.. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 6f.; daran anknüpfend: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 38ff.. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 15ff.; vgl. auch (unter dem Pseudonym Cassius): Die Gleichheit in der Verhältniswahl, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 65-67; femer (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Das Eigentum in der Reichsveifassung, in: Der Ring, 3. Jg. (1931), S. 692-694. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 8, 28. Zur Funktion der Grundrechte vgl. Grimm, Dieter: Grundrechte, in ders. (Hrsg.): Einfuhrung in das öffentliche Recht, Heidelberg 1985, S. 45-82 (57ff, 67f.). Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 2. Vgl. im wissenssoziologischen Zurechnungsschritt die einleitenden Bemerkungen im Kap. 3.1.

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sehen" Interpretation 8 Vorschub, welche die altliberalen Traditionen der Grundrechte begriffssoziologisch in dem Spannungszustand zwischen Ideal und Wirklichkeit aufzuzeigen intendiert. Auch bei der Grundrechtskritik an der WRV wird Huber wie in der Antrittsvorlesung von 1931 von dem Gedanken geleitet, daß der sich in der Weimarer Verfassungswirklichkeit seit Ende der zwanziger Jahre vollzogene „geistesgeschichtliche Wandel", der die gesellschaftlichen Werthaltungen geändert habe, unmittelbaren Einfluß auf die Staatlichkeit und die Rechtsordnung habe: „Es ist nicht Aufgabe der Rechtsordnung, einen Zustand erworbener Rechte auch dann noch zu schützen, wenn diese Rechte im Wandel der juristischen Wertvorstellungen die tragende Wertidee verloren haben."9 Deshalb wird den Grundrechten die formelle Rechtsstaatsgarantie entzogen und bewirkt den Funktions- und Bedeutungswandel der Grundrechte durch eine neue wertgebundene Auslegung. Den Übergang von der formellen, dem Weimarer Verfassungsverständnis obliegenden Rechtsstaatlichkeit, hin zu einer materiellen Auffassung, weiß Huber mit dem Argument zu begründen, daß sich zum einen die „rechtstechnische" Bedeutung der Grundrechte nur schwach im Wandel der geistigen Gehalte auswirke, zum anderen, daß jede Rechtsnorm der geschichtlichen Entwicklung unterworfen sei: „[...] sie erfährt gewohnheitsrechtliche Umbildungen und insbesondere im Verfassungsrecht ist die Verfassungswandlung eine bekannte und in ihrer juristischen Relevanz anerkannte Erscheinung." 10 Diese ersten Anzeichen einer Minderung der Positivität der Verfassung durch die Negation der Rechtsnorm konkretisiert sich in Hubers „geschichtstelelogischer" Auslegung der Grundrechte in der Auffassung, daß die Verfassungswandlung nicht nur gewohnheitsmäßige Umbildungen des Verfassungsrechts bewirke, sondern auch eine rechtliche Änderung der Grundrechte dort möglich sei, „wo von einer bewußten gewohnheitsrechtlichen Änderung des Rechtsgehaltes nicht gesprochen werden kann [...]." u Etiketten besagen noch nichts über den zugehörigen Inhalt von Methoden. Die „geschichtsteleologische" Deutung der Grundrechte, wie sie Huber versteht, erfolgt in den logischen und strukturellen Prämissen der Verfassungslehre Carl Schmitts.12 Besteht das Ziel der Huberschen Argumentation in der Verbrämung liberaler Werte und Inhalte der Grundrechte, so soll andererseits der geistesgeschichtliche Wandel und dessen Einfluß auf Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit dokumentieren, daß der liberal-demokratische Verfassungstyp eine überlebte Verfassungsform für die Gegenwart sei. Dabei stellt Huber die idealisierte, historisch-dogmatisch verzeichnete Verfassungsform der Vergangenheit einer neuen Form gegenüber, um aus diesem Antagonismus und dem sich aus dem Homogeni-

8 Huber fuhrt die diesem Begriff unterstellte Methode nicht weiter aus, verweist aber auf das methodentheoretische Schrifttum der „geisteswissenschaftlichen Wende". Staatsrechtliche Voraussetzungen finden sich in Hubers Artikel: Verfassungswert und Verfassungswirklichkeit im Staatsdenken der Weimarer Republik, in: FS für Gustaf-Clemens Schmelzeisen, a. a. O.. Zur materiellen Bedeutung der Grundrechte s. a. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, S. 94ff. mit zahlreichen Querverweisen auf den Aufsatz „Bedeutungswandel der Grundrechte". 9 Das Eigentum in der Reichsverfassung, a. a. O., S. 694. 10 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 2. 11 Ebenda. 12 Schmitt, Carl: Legalität und Legitimität, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 263-350 (303, 307ff).

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tätspostulat ergebenden Verbot, eine vermittelnde Position einzunehmen, den gegenwärti· gen Zustand als der kommenden Verfassungsform überlebt gegenüberzustellen.

a) Von der grundrechtlichen Schutzfunktion zur Pflichtfunktion Besonders undurchsichtig erweist sich die Vorgehensweise, daß bei der historischen und begrifflichen Rekonstruktion kein eindeutiger Begriff der Grundrechte an die Hand gegeben wird. Allein aus der Negation der nordamerikanischen Grundrechte läßt sich annäherungsweise das Grundrechtsverständnis per definitionem rekonstruieren. Grundrechte umschreibt Huber als „ein geschlossenes und der nationalen Gestaltung dienendes System", als „Ordnungsprinzipien im Rahmen eines demokratischen Volksstaates".13 Grundrechte sind nach dieser Auffassung ein positives Prinzip („status activus") zur „Ordnung und zum Aufbau des Staates, zur Handhabung der Staatsgewalt, zur Richtung der Staatstätigkeit."14 Demgegenüber ist ihr „status negativus" in den Abwehrrechten gegenüber dem Staat zu suchen. Der Bedeutungswandel der Grundrechte zeichnet sich in der Entwicklung der liberalen Abwehrrechte zu , Aufbauelementen des Staates", als Bestandteil eines Kultursystems ab, „in dem das Volk als Einheit sich ständig neu gestalten und erleben soll." 15 Die Zuordnung dieser so verstanden zum Staate führenden Grundrechte bedeutet, daß sie eine objektivierende Funktion gegenüber dem Staat haben. Der Vorrang des materiellen Grundrechtsschutzes, die Grundrechtsgarantie durch den Staat als geeinte Lebensordnung sowie die Geringschätzung der formalen Grundrechtsgarantie im Verfassungstext, findet sich noch in den Schriften Hubers der siebziger Jahre. Auch in der zeitlichen Distanz zur Umburchphase 1932/33 wird Rechtsstaatlichkeit kontinuierlich als rein materielles Rechtsprinzip verstanden. Die Hauptprinzipien des Rechtsstaates, Gewaltenteilung, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit, faßt Huber als „institutionelle Prinzipien der Verfassungsverwirklichung" zusammen. Auch der Grundrechtsschutz verwirkliche sich als materielles Prinzip. Der Rechtsstaat entwickele sich erst dann zu einem formalen Legalitätssystem, wenn der Staat sich der Grundrechte „anerkennend und gewährleistend" annehme und somit zu einem „Staat des Rechts" werde. Der

13 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 84f.. 14 Ebenda, S. 6. 15 Ebenda. Huber rekurriert auf Rudolf Smends Integrationslehre und seine universalistische Auffassung der Grundrechte als Kultursystem, ebenso auf den Inhalt der in Carl Schmitts Verfassungslehre beschriebenen „echten" Grundrechte als absoluten Rechten, die von der Verfassung in Hubers Verständnis vom Staat als Souverän - gewährt werden und nicht „nach Maßgabe des Gesetzes"; vgl. Schmitt: Verfassungslehre, a. a. O., S. 166. Als grundlegend für Hubers Grundrechtsverständnis kann die Definition der Grundrechte von Carl Schmitt angesehen werden: „Grundrechte sind also nur solche Rechte, welche zur Grundlage des Staates selbst gehören und welche deshalb in der Verfassung als solche anerkannt sind"; vgl. Schmitt: Inhalt und Bedeutimg des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Gerhard Anschütz und Richard Thoma, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 572-606 (578).

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materiellen, ganzheitlichen und einigenden Staatlichkeit wird demnach die formale Legalität gewährleistend vorgeschaltet, gewissermaßen als Vorstufe völkischer Homogenität. 16 Gegenüber den positiven Rechtsnormen der Grundrechte in der WRV läßt sich der Übergang von den subjektiven, formalen Abwehrfunktionen der Grundrechte gegenüber dem Staat zu objektiven, materiellen Grundrechten erklären: „Die Grundrechte der RV. bezeichnen die objektiven Ordnungsprinzipien für das positive Verhältnis der Nation zum Staat. Heute bedeuten die Weimarer Grundrechte in ihrem eigentlichen Sinngehalt den Versuch zu einer Bestimmung des Verhältnisses von Autorität und Freiheit auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Nation." 17 Die Kritik an dem formalen Rechtsstaat der Weimarer Republik orientiert sich nicht expressis verbis an dessen rechtspositivistischer Gestaltung und seinen primär normativen Gehalten. Vielmehr ist die frühliberale Herkunft der Rechtsstaatlichkeit im Sinne subjektiver Rechtsgrundsätze, wie auch der subjektiven Freiheitsrechte als Abwehrrechte gegen den Staat, ein Zeichen der für die Weimarer Verfassung kennzeichnenden Trennung von „Staat" und „Gesellschaft". Mit der „geistesgeschichtlichen Gestaltung" wird das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit einer etatistischen Bindung unterworfen und seiner subjektiven Rechtsfunktion entkleidet: „Die Stellung des Staates wird heute durch den Begriff des Rechtsstaates' gekennzeichnet, womit gesagt werden soll, daß der Staat gegenüber dem Bürger nicht nur formal in der Weise des Rechts verfährt, sondern auch materiell die Idee des Rechtes in sich zu verwirklichen strebt. In diesen beiden Grundzügen des materiellen und des formellen Rechtsstaatsbegriffes ist heute das objektive Prinzip der Stellung des Staates zum Recht enthalten." 18 Die Entwicklungstendenzen zur Objektivierung des Rechts, d.h. die Wendung des Rechts vom Individuum zum Staat, konkretisiert sich in der Verlagerung vom formellen zum materiellen Recht, ist aber auch ein Anschlag auf den Schutz des Bürgers vor dem Staat: „Die individuelle Sicherung, die formell und materiell aus dem Begriff des Rechtsstaates folgt, ist zu einem zweitrangigen Element herabgesunken. In erster Linie steht die Wesensbestimmung des Staates in seiner Stellung zum Recht." 19 Trotz der neuen politischen Interpretation gesteht Huber dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit noch die rechtsdogmatische Funktion als einem „allgemeinen Rechtsprinzip" zu, freilich unter veränderten Vorzeichen im Verhältnis von Recht und Politik. Die Gestaltungsmacht des Staates zur Einigung des Volkes negiere absolutes Recht und stelle den „Staat" über das „Recht": „Die 16 Vgl.: Grundrechte im Bismarckschen Reichssystem, in: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 132-151 (132). 17 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 92f.. Die „objektivierende" Funktion der Grundrechte zur Staatsbildung und die damit zusammenhängende Ablehnung der klassisch liberalen Abwehrfimktion hebt Huber an verschiedenen Stellen hervor; vgl. Rez. „Helmut Bindewald: Der Gleichheitsgedanke im Rechtsstaat der Gegenwart, Greifswald 1931", in: AöR, NF Bd. 23 (1932/33), S. 354-355 (355); ebenso: Rez. „Gustav Giese: Das Problem des Wertsystems der Weimarer Grundrechte, Breslau-Neukirch 1932", in: AöR, NF Bd. 24 (1933/34), S. 394f. (395). Hubers wissenschaftliche Intention, die Grundrechte unter dem Wandel der politischen Weltanschauung in ihrem Wertsystem neuen Inhalten zuzuführen, wird besonders deutlich in der Rezension (gezeichnet Fr. Sehr.): „Albert Hensel: Grundrechte und politische Weltanschauung, Tübingen 1932", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 667-668 (668). 18 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 29. 19 Ebenda, S. 30.

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Existenz des Staates als einer politischen Einheit besteht unabhängig von der Rechtsidee, und die Erhaltung dieser politischen Einheit hat den Rang vor allen anderen Staatszielen, auch vor der Verwirklichung des Rechts." 20 Die Option des „nationalen Rechtsstaates", die Huber dem „sozialen Rechtsstaat" Hermann Hellers polemisch gegenüberstellt, als das Aufheben der „inneren Gegensätzlichkeiten des Volkes" zur nationalen Einheit, hat das Ziel, Staatlichkeit als ganzheitliches, konsensuales Prinzip zu begründen.

b) Freiheit gegen Gleichheit Dieser „Staat des Rechts", als Herrschaftsordnung Symbol der staatlich geeinten Nation, wie Huber definiert, beschneidet nicht nur den Grundrechtsschutz wegen seiner nur materiellen Garantie, auch das Verhältnis von „Freiheit" und „Gleichheit" erfahrt durch die Beschränkung des rechtlich geschützten Freiheitsraumes eine inhaltliche wie rechtliche Verkürzung, die sich im gegenseitigen Ausspielen beider Kategorien dokumentiert. Sinngemäß liegt dieser von Huber beabsichtigten autoritären Reduktion der Grundrechtsinhalte die von Carl Schmitt abgeleitete Unvereinbarkeit von „Liberalismus" und „Demokratie" zugrunde, die sich ideengeschichtlich verkürzt und nach dem Schmittschen Homogenitätspostulat im Antagonismus von „Freiheit" und „Gleichheit" manifestiert. 21 Während das Freiheitsprinzip dem liberalen Rechtsstaat zugeordnet wird, ist „Gleichheit" Ausdruck demokratischer Egalität (Demokratie = soziale Homogenität). Wie Schmitt ist auch Huber der Ansicht, „[...] daß Gleichheit und Freiheit im Grunde nichts miteinander zu tun haben und daß deshalb auch Liberalismus und Demokratie nicht notwendig verbunden sind." 22 Hubers Interpretation des Verhältnisses von „Freiheit" und „Gleichheit" bezweckt nicht die ideengeschichtliche Rekonstruktion und damit die Schmittschen Intention, die verfassungspolitische Unvereinbarkeit dieses historischen Entwicklungstyps mit dem gegenwärtigen Verfassungszustand aufzuzeigen. Huber unterstreicht dagegen stärker als Carl Schmitt die Dialektik der materiellen Verfassungsentwicklung als Verfassungsbewegung in der Gestaltung der Verfassungsform als identitäre Lebensform. Schon in der Schrift „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" wird Carl Schmitts Identitätsdenken kritisiert und die Unmöglichkeit absoluter Trennung und absoluter Identität von verfassungsgestaltenden Prinzipien bedacht. 23 Auch bei dem Auseinanderdividieren von Freiheits- und Gleichheitsprinzip erweist sich Huber als der dynamischere Denker der Synthese, wenn er behauptet: „Auch wenn man diesen ursprünglichen Gegensatz von „Freiheit" und „Gleichheit" betont, so schließt das den inneren Zusammenhang, in dem diese beiden Vorstellungen stehen, nicht aus." 24 Im neunzehnten Jahrhundert habe sich die Verbindung der beiden Prinzipien zum bürgerlichen Rechtsstaat vollzogen, indem das Freiheitsprinzip durch die Rücksicht auf das gleiche Freiheitsrecht des Anderen gemildert und die Gleichheit als 20 Ebenda, S. 91. 21 Schmitt, Carl: Der Gegensatz von Parlamentarismus und moderner Massendemokratie (1926), in: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar - Genf - Versailles, Hamburg 1940, S. 52-66 (52ff, 59). 22 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 30. 23 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 26. 24 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 30.

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politisches Recht zum kulturellen, religiösen Recht erweitert wurde. Dieser Ausgleich von Freiheit und Gleichheit 25 darf, so schränkt Huber ein, nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in der Dynamik der Verfassungsbewegungen seit dem Frühliberalismus ständig Schwerpunktverschiebungen gegeben hat. Der Frühliberalismus habe mit der Freiheitsbewegung das Gleichheitsprinzip völlig formalisiert, während in der Weimarer Verfassung umgekehrt das Freiheitsprinzip das der Gleichheit voraussetzte und absorbierte.26 Bei Hubers Interpretation des Art. 109 Abs. I 2 7 der WRV wird das Telos seiner dialektischen Betrachtung deutlich: die durch Auslegung betriebene Unterordnung der „Freiheit" unter die „Gleichheit" hat das Ziel, den Freiheitsrechten die formale Rechtsstaatsgarantie zu entziehen, denn es „steht die Mehrzahl von diesen Freiheitsrechten unter dem Diktaturvorbehalt', d.h. sie gehört zu denjenigen Grundrechten, die nach Art. 48 Abs. 2 durch den Reichspräsidenten außer Kraft gesetzt werden können. Daraus ergibt sich deutlich, daß die Freiheit des Einzelnen den Staatsnotwendigkeiten durchaus hintangeordnet ist und daß der in diesen Freiheitsrechten verbriefte individuelle Wert hinter dem im Staate verkörperten Wert unbedingt zurücktreten muß." 28 Der Trennung des ersten wertneutralen Hauptteils der WRV vom werterfullten zweiten Teil liegt bei Huber und Schmitt die Systematisierung und Einteilung der Grundrechte im Ganzen zugrunde. Man könne zwar, so Huber, die inhaltliche Gliederung der Grundrechte nicht von der Unterscheidung von aktuellem Rechtssatz und Programmsatz ableiten, aber aus der formalen und technisch-juristischen Einteilung ergäben sich wesentliche Einsichten in den verfassungspolitischen Sinn der Weimarer Grundrechte. Während Carl Schmitt im zweiten Hautpteil der Verfassung, in dem die Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen fixiert sind, eine Gegen-Verfassung sieht, die dem konstruktiv-organisatorischen Widerspruch zwischen dem Jurisdiktionsstaat und dem parlamentarischen Gesetzgebungsstaat entspricht, 29 geht Ernst Rudolf Huber noch einen Schritt weiter und bewertet die Grundrechte nach der Entwertung ihrer subjektiven Schutzfunktion gemäß Art. 48 Abs. 1. Erst das, was nach der Diktaturverordnung von den Grundrechten noch übrigbleibt, ist der überdauernde und stabile Wesenskern: „Indem nämlich aufgrund dieser formalen Unterscheidung (von Rechtssatz und Programmsatz, Anm. R.W.) festgestellt wird, daß die altliberalen Grundrechte fast ausnahmslos dem Diktaturvorbehalt oder dem Vorbehalt des einfachen Gesetzes unterworfen sind, dadurch entweder nur im zweiten Grade reichsverfassungskräftig' (nicht diktaturfest) oder nur reichsgesetzeskräftig' oder sogar leerlaufend' geworden sind, ergibt sich ein wichtiges Anzeichen für die verfassungspolitische Entwertung der liberalistisch-individualistischen Grundrechtsgarantie." 30 Der verfassungspolitische Unterschied zwischen „Gewährung" und „Gewährleistung" der Grundrechte im liberalen Rechtsstaat finde in Art. 48 WRV seine auf den Grundrechtsschutz bezogene inhaltliche Grenze. 31 25 Den völligen Ausgleich von Freiheit und Gleichheit sieht Huber im „sozialen Rechtsstaat", da hier die „höchste Form der Vereinigung von Gleichheit und Freiheit erzielt" sei; vgl. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 31, Anm. 56. 26 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 35. 27 D.h.: die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz. 28 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 16. 29 Schmitt: Legalität und Legitimität, a. a. O., S. 307. 30 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 13. 31 Schmitt: Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsveifassung, a. a. O., S. 580.

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Die Praxis des Notstandsrechts der Präsidialkabinette seit Heinrich Brüning rechtfertigt den Interpretationshintergrund für die neuen Auslegungsmodalitäten. In Gerhard Anschütz' Kommentar zur Reichsverfassung wird beim Art. 109 Abs. 1 der Gleichheitssatz als Ausdruck für das allgemeine Freiheitsprinzip interpretiert. Die Gleichheit ist formalisiert und im wesentlichen nicht materiell gesicherte Rechtsgleichheit, sondern „Rechtsanwendungsgleichheit", m.a. W., die gleiche Anwendung des Gesetzes ist auch die richtige Anwendung desselben und damit nur die „Garantie der Freiheit von ungesetzlichem Zwang". 32 Die neuere Auslegung sieht nach Huber in Art. 109 Abs. 1 den Ausdruck des allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips und nimmt auch eine unmittelbare Bindung des Gesetzgebers durch den Gleichheitssatz an. Diese Interpretation führe so zu einem „Übergewicht des Gleichheitsgedankens über die Freiheitsidee", „daß der Gesetzgeber in der positiven Rechtsordnung die ungeschriebenen obersten Rechtsprinzipien [...] auszuschalten hat." 33 Diese Auslegung geht in der hitzigen Diskussion der Weimarer Staatsrechtswissenschaft über das richterliche Prüfungsrecht einher mit der völligen Ausblendung formaler Rechtsstaatlichkeit und der Überführung jeglicher Rechtssicherheit in die Hand des Gesetzgebers. Diese Wendung zum materiellen Recht sieht Huber überwiegend affirmativ im Sinne der Wendung der subjektiven Grundrechte zu einer objektiven, materiellen Form. Der juristische Paradigmenwandel zeigt sich in aller Schärfe in der weiterführenden Interpretation des Art. 109 Abs 1. Das oberste Rechtsprinzip, das den Gesetzgeber binden soll, liegt nun in der Vorstellung der Gleicheit des Gesetzes in dein Sinne, daß „das Gesetz Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln soll, d.h. daß das Gesetz gerecht sein soll. Dabei bedeutet Gerechtigkeit nicht die Unterwerfung des Gesetzes unter die formale Rechtsidee, sondern sie bedeutet die Gebundenheit des Gesetzes an eine materielle, inhaltlich gerechte Wertordnung." 34 Ob und wie gerecht der Inhalt ist, setzt demnach der Gesetzgeber „ratione necessitatis" im Sinne des sich nach 1933 etablierenden Maßnahmenstaat fest. 35 Huber schränkt jedoch ein, daß sich der Gleichheitssatz systematisch auf die „Verwirklichung des Rechtswertes" bezieht und bei der Behauptung der staatlichen Existenz nicht anwendbar ist. Die Anwendung des Gleichheitssatzes macht vor der Staatlichkeit insofern halt, als Huber im Sinne Rudolf Smends die Behauptung und Durchsetzung der staatlichen Existenz als nicht „gerecht" annimmt, daher eine „Gleichheit vor der Maßnahme" des Art. 48 Abs. 2 und ein „gleiches Recht auf Exekution" nach Art. 48 Abs. 1 nicht möglich sein kann. 36 Diese Restriktion verdeutlicht in eindrucksvoller Weise die Folgen formalrechtlicher tabula rasa, daß Huber vom Staate aus denkt und das Recht der staatlichen Maßnahme unterwirft. Die Auslegung des Art. 109 Abs. 2 unterliegt dem Gesetzesbegriff Carl Schmitts, 37 der im Einzelfall das Ausnahmerecht gewähren will. Die Konfrontation neuer Bedeutungsinhalte mit alten Begriffen und ihren Sinngehalten gipfelt in dem abschließenden Satz: „Der Sinn des Gleichheitssatzes besteht somit nach der neueren Auffassung dar-

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Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 31; nach Anschütz, Kommentar zu Art. 109 Abs. 1. Ebenda, S. 32. Ebenda. Schmitt: Legalität und Legitimität, S. 319ff. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 32f., Anm. 58a. Schmitt: Legalität und Legitimität, S. 28 lf..

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in, daß er eine Positivierung des allgemeinen Gerechtigkeitsprinzips und eine Festlegung des rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffes enthält." 38 Der Bedeutungswandel der Rechtsbegriffe und Interpretationsstandards der Grundrechte verpflichte geradezu zu einer Interpretation dieses Satzes angesichts des rekonstruierten Interpretationswandels und stelle den allgemeinen Sinn dieser verwendeten formalrechtlichen Kategorien auf den Kopf: „rechtsstaatlich" meint dann den volklich geeinten „nationalen Rechtsstaat",39 „positivieren" meint gegenüber der überholten positiven Rechtsnorm der WRV eine materielle Rechtsnorm nach Maßgabe des Gesetzes. Für den Bedeutungswandel der Grundrechte sieht Huber in Carl Schmitts Grundrechtssystematik einen wesentlichen Fortschritt in der Erkenntnis des Verfassungsrechts. Den altliberalen Freiheitsrechten, d.h. den subjektiven Rechten des Individuums auf Freiheit vor staatlichen Eingriffen, werden Institutsgarantien zur Seite gestellt, d.h. die Gewährleistung von Rechtsinstituten durch Normenkomplexe und Rechtsbeziehungen und die institutionelle Garantie als der Gewährleistung von Rechtseinrichtungen.40 Huber geht über Carl Schmitts Einteilung noch hinaus und systematisiert den gesamten zweiten Hauptteil der WRV nach den verschiedenen Sinngehalten der Grundrechte und schlägt eine fünffache Stufung vor: „Liberale Freiheitsrechte, allgemeine Rechtsprinzipien, Institutsgarantien, organisatorische und korporative Gewährleistungen. In diesen fünf Gruppen ist der Inhalt des zweiten Hauptteils systematisch gegliedert."41 Diese über Schmitt hinausgehende Einteilung macht insofern Sinn, als die Organisationen und Korporationen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung im Wirtschaftsverwaltungsrecht unter rechtliche Kontrolle und nun unter Grundrechtsschutz zur Wahrung des Status quo gestellt werden. Korporationen stehen für eine potentielle Verfassungsreform als diktaturfester Kern unter Verfassungschutz stehen. Huber definiert die „institutionelle Garantie" deshalb auch als „die Gewährleistung einer verselbständigten Form der Staatsorganisation" 42 , wie sie sich in der in die private Wirtschaft intervenierende öffentliche Hand mit der Aufblähung der Verwaltungsorganisation konkretisiert. Der schon im Sinngehalt des „konservativen Freiheitsbegriffs" unterstellte Bedeutungswandel des Verhältnis von „Freiheit" und „Gleichheit" zu einem neuen Verhältnis von „Freiheit" und „Autorität" hat Huber schon 1930 in einem Angriff auf die staatsrechtliche

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Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 33. Ebenda, S. 92f.. Schmitt: Verfassungslehre, S. 170ff. Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 15. Ebenda, S. 52. Bereits im Wirtschaftsverwaltungsrecht wird der Bedeutungswandel der Grundrechte deutlich. Huber macht mit der Problematik der Unterscheidung von Freiheitsrechten (so auch die Gewerbefreiheit) und den hoheitlichen Befugnissen die Grenzen der „echten", d.h. liberalen Grundrechten als subjektiven Abwehrrechten und die Notwendigkeiten eines Sinnwandels deutlich. Echte Grundrechte sichern dem Individuum eine Sphäre der Freiheit vor Eingriffen der Staatsgewalt und gewähren einen Anspruch auf die Unterlassung aller hoheitlichen Störungen. Huber kommentiert: „Sind mit solchen Unterlassungsansprüchen Rechte auf positive Förderung durch den Staat verbunden, so gehen solche Ansprüche auf positive Leistungen über den Charakter des echten Grundrechts hinaus, bestimmen etwas zusätzliches, das dem eigentlichen Wesen der Grundrechte fremd ist" (ebenda, S. 73f.). In dieser Interpretation liegt schon die Hinwendung der Grundrechte zum Staat als Forderung begründet.

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Linke, insbesondere auf Otto Kirchheimer und die Rechtssprechung des Reichsgerichts,43 zu einem Kernpunkt der Wirtschaftsverfassung44 postuliert. Hier dokumentiert sich der antidemokratische Sinngehalt der umgedeuteten Grundrechte. Das typische Dikussionsforum der autoritären Staatsrechtswissenschaft bietet wieder der Art. 153 Abs. I 4 5 in Verbindung mit der reichsgerichtlichen Rechtssprechung zum Eigentum und zur Enteignung. Diese Grundrechtssphäre entwickelte sich am Vorabend der Machtergreifung zum zentralen Abgriffsobjekt verfassungsdurchbrechender Intentionen. Hubers politische Absicht verdeutlicht darüberhinaus den instrumentellen Charakter der gewandelten Grundrechte bei der Überwindung des gegenwärtigen Verfassungszustandes und der Gestaltung einer neuen Wirtschaftsordnung. Das von der WRV in seinem Bestand garantierte Privateigentum und die durch gesetzliche Schranken und Inhalte geregelte Enteignung wünscht Huber in anderen juristischen Auslegungsebenen, weil die wirtschaftliche Selbstverwaltung seiner Ansicht nach bereits das Institut des Privateigentums in der Verfassung in seinen Wertgehalten außer Kraft gesetzt hat. Huber fordert vom Reichsgericht eine andere Enteignungspraxis nach Art. 153 Abs. 2, im Sinne eines „enger" ausgelegten Enteignungsbegriffs, der die Eigentumsbeschränkungen nach Art. 153 Abs. 1 ad absurdum fuhrt und versteht den „engen" Enteignungsbegriff als die Entziehung des Grundeigentums. Er interpretiert Verwaltungsakte zur Überführung an ein öffentliches Unternehmen ganz im Sinne der schon in die Privatwirtschaft intervenierenden öffentlichen Hand und ihrer staatlichen Bürokratie, aber ohne die Kontrolle des Gesetzgebers, sondern als Maßnahme der Verwaltungsbürokratie. Der Bedeutungswandel der Grundrechte wird hier besonders deutlich: die Hinwendung zum Staat und die Sinnfälschung der Grundrechte von einem subjektiven Abwehrrecht in der Rechtsfunktion des bürgerlichen Rechtsstaates zu einem objektiven Organisationssystem, das vom Staat gewährt wird, dem volklich geeinten „nationalen Rechtsstaat". Eine Synthese der gewandelten Grundrechtsinterpretation und der Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie zeigt sich in der Kritik der Gleichheit im Verhältniswahlrecht. 46 Edgar Tatarin-Tarnheydens Begriff der „Kopfzahldemokratie" und Carl Schmitts arithmetische Rechenspiele zum Verhältniswahlrecht finden in Hubers Ausführungen zur Gleichheit im Verhältniswahlrecht ihren Meister. Der Sinn ist die Infragestellung der Verfassungsmäßigkeit des Reichswahlgesetzes von 1920 hinsichtlich ihrer Funktionsfahigkeit. Der Hintergrund ist, daß der im Rahmen der Verfassungsreformdiskussion Ende der zwanziger Jahre einsetzende Streit um das Verhältniswahlrecht vom Staatsgerichtshof in einem Urteil, speziell der Streit um die Benachteiligung von Splitterparteien, geschlichtet wurde. Hubers Kritik richtet sich gleichermaßen gegen das Urteil des Staatsgerichtshofes 43 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Das Eigentum in der Reichsverfassung, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 692-694. Huber rezensiert und kritisiert vor allem Otto Kirchheimers Schrift „Die Grenzen der Enteignung, Berlin 1930" und verteidigt Carl Schmitts Schrift „Die Auflösung des Enteignungsbegriffs". 44 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 4Iff.. 45 Vgl. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 6f., 13ff.; ebenso: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 41f.; Das Eigentum in der Reichsverfassung, S. 692ff.. 46 Huber (unter dem Pseudonym Cassius): Die Gleichheit in der Verhältniswahl, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 65-67. Dieser Artikel ist zugleich eine Kritik an Hermann Hellers Rechtsgutachten: Die Gleichheit in der Verhältniswahl nach der Weimarer Reichsverfassung, Berlin/Leipzig 1929.

5. Die Grundrechte zwischen Notstandsrecht und Auslegungswandel

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wie gegen die Logik der gleichen Verhältniswahl. Das System der Verhältniswahl habe den Sinn, die Gleichwertigkeit der abgegebenen Stimmen zu sichern, eine absolute Gleichwertigkeit sei dabei aber nicht zu erreichen. Es behindere die Wahlpraxis der Länder mit den Listen und die Anrechnung der Reststimmen die Etablierung kleiner Parteien. 47 Huber kritisiert die Gleichheitsvorstellungen, die sich nicht in der Gleicheit jeder Stimme bei der Auszählung manifestiere: der „Erfolgswert" einer Stimme sei wichtiger als ihr „Zählwert", aber bei dem Verrechnungsmodus der Reststimmen der großen Parteien dominiere der Zählwert der Stimme. 48 Huber negiert dabei die proportionale Repräsentation in indirekten Demokratien und spielt die Wahlrechtsgleichheit gegen die mathematische Proportionalität im Verhältniswahlrecht aus. Inhaltlich ist weniger die Parteienfeindlichkeit für dieses Urteil ursächlich, als vielmehr eine spezifische Auffassung der Gleichheit im Sinne Carl Schmitts, welche die demokratische Homogenität des Volkes jenseits der Logik der Abstimmungsmehrheit in der Arithmetik von 49 zu 51 % sieht. 49 Die Wahlgleichheit begreift Huber denn auch im Sinne des „Volkes" als ganzheitliche Kategorie und stellt sie den „innerstaatlich partikulierenden" Parteien entgegen." 50

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Die Gleichheit in der Verhältniswahl, S. 64. Ebenda, S. 67. Schmitt: Legalität und Legitimität, a. a. O., S. 286, 294ff.. Die Gleichheit im Verhältniswahlrecht, S. 66. Dieses Zitat dokumentiert den eigenartigen Voluntarismus der „Konservativen Revolution", das Wertsystem zwar in Frage zu stellen, in diesem Zusammenhang aber keine sichere Dezision für einen neuen, kommenden Verfassungszustand zu geben. Huber kommt in diesem Artikel auch nicht über die Deskription und Analyse des Heller-Gutachtens hinaus. Trotz der Parteinahme für die sich etablierenden kleinen Parteien kann keine Sympathie für die NSDAP daraus gelesen werden. Überhaupt läßt sich aus Hubers Schriften im Rahmen der „Konservativen Revolution" eher eine skeptische Haltung zur NSDAP ableiten, die nur im Zusammenhang der Wahlerfolge und der Volkstumsideologie sein politisches Interesse weckt: vgl. (alle folgenden Kurzartikel u. d. Pseudonym Fr. Sehr.): Nationalsozialismus und katholische Publizistik, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 567-568; Huber verweist hier auf die Kritik des katholischen Zentrums gegenüber der im Parteiprogramm der NSDAP provozierten Unterordnung des Bekenntnisses unter Rasse und Staat. Ohne eine prononcierte Bewertung hofft Huber auf die „Besinnimg und Aufgeschlossenheit für die Werte des Volkstums" und die Bedeutimg des Nationalsozialismus für die „Staatswerdung", indem „das Volk sich anschickt, sich selbst zum Staat zu gestalten"; vgl. ebenda, S. 568; s. a. Sozialistische Deutung und Kritik des Nationalsozialismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 568-569; In diesem Zusammenhang weist Huber die Kritik der Linken (insbesondere Breitscheidt, Mierendorff, Heimann, Heller) am Nationalsozialismus zurück und hebt die „Unzulänglichkeit des soziologischen Ausgangspunktes" der Linken an der NSDAP hervor. Es sei nicht gerechtfertigt, den Nationalsozialismus einfach auf „Dummheit und psychopathische Störungen" zurückzuführen; vgl. Sozialrevolutionärer Nationalismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 569; in diesem Kurzartikel entwickelt Huber die Hypothese, daß der „revolutionäre Nationalismus" und „Nationalbolschewismus" als Verbindungslinie zwischen Nationalsozialismus und Kommunismus im Entwicklungspotential des heraufziehenden Nationalsozialismus keine Zukunft haben kann; vgl. Reich Gottes - Marxismus - Nationalsozialismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 921-922; hier handelt es sich um eine wenig tendenziöse Rekonstruktion der theologischen Kritik am Nationalsozialismus anhand verschiedener neuer Schriften.

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6. Der „Hüter der Verfassung" im innerpolitischen Verfassungsstreit Seit dem ersten Kabinett Brüning im Frühjahr 1930 wurde die Reichsregierung nicht mehr auf parlamentarischem Wege gebildet, sondern Vertrauensleute des Reichspräsidenten mit der Regierungsbildung ohne Rücksicht auf Parteien und Koalitionen beauftragt. Die Politik der Präsidialkabinette stützte sich auf die Verordnungsermächtigung des Präsidenten nach Art. 48 Abs. 2 WRV und leitete damit eine grundsätzliche Veränderung im Verhältnis von Regierung und Parlament ein.1 Während Anfang 1930 mit dem Zerfall der Reichstagsmehrheit und der Aktualität der finanzpolitischen Fragen die Präsidialgewalt als Regierungsinstrument in den Vordergrund trat, wurde zugleich der Höhepunkt der Diskussion über die Reichsreform erreicht. Die fragmentarischen Remonarchisierungspläne der Brüning-Ära wichen korporativ-autoritären Verfassungsreformplänen der Kanzler Papen und Schleicher,2 die Huber mit der staatsrechtlich-verfassungspolitischen Position Carl Schmitts zu verbinden suchte.

a) Art. 48 WRV Der von Schmitt und Huber gleichermaßen diagnostizierte Antagonismus von dem ersten organisatorischen, wertfreien Haupteil der WRV und dem zweiten grundrechtlichen, werterfullten Teil führt zu einer Reihe von politischen und verfassungstheoretischen Forderungen.3 In ihrem Mittelpunkt steht das Verhältnis von „Legalität" und „Legitimität", d.h. von äußerer Rechtsförmigkeit und innerer Geltungsüberzeugung. Die sowohl positivrechtlichen wie verfassungs- und verfahrenspolitischen Konsequenzen einer Auffassung, die „Legitimität" gegen „Legalität"4 stellt, sehen Huber wie Schmitt vom dem demokratieund rechtspositivismusfeindlichen Denkstandort aus. Die „Legitimität" in der Verfahrensübereinkunft und Gesetzesbeachtung wird aufgehoben und mit einer existentiellen Argumentation dem Begriffspaar die spezifisch rechtsstaatlich-normative Substanz entzogen. Dabei geht es vor allem um die Frage nach dem „Hüter der Verfassung", wie er aus der „plebiszitären Legitimität" nach Art. 48 Abs. 1 WRV gefolgert wird, aber auch um die autoritäre Kritik am parlamentarischen Gesetzgebungsstaat. Die starke Affinität Hubers

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Boldt, Hans: Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. Sein historischer Hintergrund und seine politische Funktion, in: Stürmer, Michael (Hrsg.): Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein/Ts. 1980, S. 288-309 (299). Schulz, Gerhard: Triebkräfte und Ziele der Reichsreform nach der Weimarer Verfassung, in: Morsey, Rudolf (Hrsg.): Verwaltungsgeschichte. Aufgaben, Zielsetzungen, Beispiele, Berlin 1977, S. 71-99 (93-97). Vgl. dazu Schmitt: Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, a. a. O., S. 579ff.. Zu den Positionen Carl Schmitts vgl. die grundlegende Arbeit von Hasso Hofmann: Legitimität gegen Legalität, a. a. O., S. 124ff..

6. Der „ Hüter der Verfassung " im innerpolitischen Verfassungsstreit

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zum Werk Carl Schmitts läßt sich in zahlreichen Rezensionen der Schriften Schmitts und Artikeln zur Verfassungslage nachweisen.5 Huber stellt über die Rezeption der Thesen Carl Schmitts hinaus fest, daß die juristische Kategorie der „Legalität" in ihrer „Verfassungsmäßigkeit" keine Lösung der verfassungsrechtlichen Krise der Gegenwart beinhalten kann: „Alle Versuche zur Überwindung der verfassungsrechtlichen Notlage, in der sich das Reich seit zwei Jahren befindet, werden durch den Schrei nach der Legalität', der ihnen entgegenschallt, als verfassungswidrig gebrandmarkt und diffamiert. Es ist ein Zeichen der politischen Verantwortung eines deutschen Staatsrechtslehrers, daß Carl Schmitt in dieser bedrohlichen Lage durch seine soeben erschienene Schrift über Legalität und Legitimität' die Forderung nach der Legalität in ihrer verfassungsrechtlichen Nichtigkeit entlarvt hat."6 Huber fordert in der Verteidigung der Position Schmitts, daß die „Legitimität" im parlamentarisch-demokratischen Gesetzgebungsstaat, in dem die Trennung von Gesetz und Gesetzgeber besteht, in der „Legalität" aufgehe, die nach Carl Schmitt ausschließlich mit der Herrschaft des Gesetzes zu übersetzen ist.7 Die von Schmitt beabsichtigte Dichotomisierung der Verfassung in zwei wertmäßig unterschiedliche „Gegen"-Verfassungen wirke sich auch auf das Legalitätssystem der Verfassung nachteilig aus, denn die Legalität sei in der Leseart des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates der „Funktionalismus" im ersten organisatorischen Teil der Verfassung, während die materiell-rechtliche Sicherung des zweiten werterfüllten Hauptteils den Legalitätsbegriff in einen niedrigen (einfache Mehrheit) und einen höheren (Zweidrittelmehrheit) spalte.8 Das „Trennungsdenken" im Gesetzgebungsstaat und die „quantitativ totale" Mechanik des „zerstörenden Pluralismus" spalte somit den Legalitätsbegriff in seinem einheitlichen Sinn und sei nur ein anderer Ausdruck eines „quantitativ totalen Staates der Schwäche".9 Huber und Schmitt machen nun aus der Not der im Gesetzgebungsstaat bestehenden Trennung von „Jurisdiktions"-, „Verwaltungs"- und „Regierungsstaat" die Tugend des 5

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Ζ. B. (anonym): Rez. „Carl Schmitt: Hugo Preuß, sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930" unter dem Titel „Hugo Preuß", in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 552; ferner (unter dem Pseudonym Manfred Wild): Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 328-330; darüberhinaus (anonym): Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 998-1001. Es handelt sich um eine kultur- und zivilisationstheoretische Besprechung von Schmitts Vortrag „Die europäische Kultur im Zwischenstadium der Neutralisierung"; vgl. die sehr kritische und deshalb wahrscheinlich unter dem Pseudonym „Manfred Wild" verfaßte Rezension der Schmittschen Verfassungslehre und der Schrift „Römischer Katholizismus und politische Form" unter dem Titel „Repräsentation" in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 545-547; ebenso die methodenkritische Analyse: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O.. Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Verfassung und Legalität, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 733-737 (734). Schmitt: Legalität und Legitimität, a. a. O., S. 263f.. Ebenda, S. 293f„ 31 lf.. Huber: Verfassung und Legalität, S. 736; Schmitt: Legalität und Legitimität, S. 263ff. Konkretere Gedanken dazu sind dem Aufsatz „Die neutralen Mächte im modernen Staat" (in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. lOOlf.) zu entnehmen. Der parlamentarische Staat ist ganz in der Logik Carl Schmitts dann der sich sachlich entscheidende Staat, in dem die „Legalität" nur den Funktionsmodus der Bürokratie darstellt.

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politisch-staatsrechtlichen Kompromisses, indem den außerordentlichen Gesetzgebern dieser drei partikularen Staatsebenen in autoritär-antidemokratischer Intention andere Inhalte und Bedeutungswandlungen unterstellt werden. Das Ziel ist dabei die Umwandlung der „formalen" Legalität des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates durch den außerordentlichen Gesetzgeber „ratione supremitatis"10 in die „materielle", plebiszitäre Legitimität über das Volksgesetzgebungsverfahren nach Art. 73 (über Volksbegehren und Volksentscheid). Die Wendung von der formellen Legalität zur „materiellen" Legitimität auf Grundlage des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung dient dabei der Umbildung des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates in eine, wie Huber meint, „gewohnheitsrechtlich" umgebildete „substanzhafte Ordnung", welche die soziale Homogenität des Volkes wiederherzustellen beabsichtigt. Doch in dieser Argumentationskette fehlt noch ein materiellrechtliches Element, das in der seit 1929 so „wichtigen" Notverordnungspraxis nach Art. 48 Abs. 1 zu finden ist. Danach kann der Reichspräsident Verfassungsteile außer Kraft setzen. Beide außerordentlichen Gesetzgeber, „ratione materiae" und „ratione necessitatis", werden zum Umbau der Verfassung eingesetzt. Die „plebiszitäre Legitimität" wird zum Akklamationsprinzip des Volkes gegenüber dem Reichspräsidenten. Außerdem konstatiert Huber, daß „an die Stelle des auf Dauer und Allgemeinheit gerichteten rechtsstaatlichen Gesetzes die aus der konkreten Situation und den Notwendigkeiten des staatlichen Seins geborene Maßnahme getreten" sei.11 Der zweite Hauptteil der WRV wird „ratione materiae" zum Wertsystem einer neuen Verfassung erhoben. Der erste institutionell-organisatorische Teil sei dann nach der Parlamentarismuskritik schlechthin überflüssig, denn: „Verfassungsmäßig handelt, wer die im zweiten Hauptteil der Verfassung feierlich versprochene Volksordnung herstellt, nicht wer an den durch Schuld der Parteien zerstörten und unabwendbar gewordenen Organisationsnormen des ersten Hauptteils unter allen Umständen festzuhalten sucht."12 Damit würde auch das der sozialen Homogenisierung des Volkes widersprechende Verhältniswahlrecht,13 das „die gleiche Chance politischer Machtgewinnung"14 auch der kleineren Parteien unterbindet, hinfällig werden. 10 Schmitt: Legalität und Legitimität, a. a. O., S. 312ff.; Schmitt unterscheidet drei außerordentliche Gesetzgeber: [...] "ratione supremitatis" in Form des Volksgesetzgebungsveifahrens (Art. 73 WRV) durch Volksentscheid und Volksbegehren, aus der die plebiszitäre Legitimität abgeleitet wird, zweitens der außerordentliche Gesetzgeber „ratione necessitatis", die Verdrängung des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates durch die Maßnahmen des aufgeblähten Verwaltungsstaates im Notverordnungsrecht nach Art. 48 Abs. 1, wonach der Reichspräsident zum Hüter der Verfassung wird, drittens der außerordentliche Gesetzgeber „ratione materiae", d.h. der zweite Hauptteil der Verfassung (Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen) wird über Art. 76 (Verfassungsänderung) zur neuen materiellen und wertgebundenen Verfassung erklärt; vgl. ebenso die Auflistung bei Huber: Verfassung und Legalität, S. 735. 11 Verfassung und Legalität, S. 736. 12 Ebenda, S. 737. 13 Die Gleichheit in der Verhältniswahl, a.a.O., S. 67. 14 Schmitt: Legalität und Legitimität, S. 283f., Huber: Verfassung und Legalität, S. 735. Die gleiche Chance der politischen Machtgewinnung läßt sich nicht nur auf die Legalisierung der Wahlerfolge der NSDAP ummünzen. Schmitt interpretiert diesen Sinnzusammenhang zwar in der Struktur des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates, also nicht als Instrument zur Verwirklichung eines zukünftigen Verfassungszustandes, trotzdem aber ganz als „Maßnahme" im

6. Der „Hüter der Verfassung" im innerpolitischen

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Der Gegensatz von „Demokratie" und „Parlamentarismus",15 der sich im Antagonismus von „Freiheit" und „Gleichheit"16 offenbart, hat auch im Interpretations- und Bedeutungswandel des Begriffspaares „Legalität"17 und „Legitimität" seine Entsprechung. Während die rechtsstaatliche Kategorie der „Legalität" auf liberale und positivistische Positionen eingegrenzt wird, kann die „Legitimität" nun in ihrer plebiszitären Zuspitzung auf die Person des Reichspräsidenten als substantieller Ausgangspunkt für die notstandsrechtliche Revidierung der Verfassung fungieren. Dabei ist der Reichspräsident nach den Maßnahmen des Gesetzgebers „ratione supremitatis" keiner weiteren Bindung unterworfen: „Wenn heute die Frage nach dem Inhalt des Verfassungseides unseres Reichspräsidenten erhoben wird, so antworten wir, daß dieser Eid in erster und entscheidender Linie zur Erfüllung derjenigen Versprechen des zweiten Hauptteils der Verfassung verbindet, die von der Volksvertretung immer wieder zynisch als bloße und unverbindliche Proklamation bezeichnet worden sind. Wer so häufig ein feierliches Versprechen der Verfassung für unverbindlich' erklärt, hat das Recht verwirkt, sich auf die Legalität zu berufen und die pedantische Wahrung unerfüllbar gewordener organisatorischer Normen des ersten Hauptteils zu verlangen, bloß weil damit die Machtpositionen des pluralistischen Interessensystems behauptet werden können." 18 Die Rekonstruktion und Rezeption der Verfassungstheorie Carl Schmitts wird von Ernst Rudolf Huber mit einer gewissen Zweckrationalität betrieben. Er benutzt die Frage nach dem „Hüter der Verfassung" kraft Notverordnungspraxis nicht im Sinne der Interpretation des bürgerkriegsähnlichen „Ausnahmezustandes", sondern ist vielmehr an der Schlichtung und Lösung des Verfassungsnotstandes19 zur Wiederherstellung des „Normalzustandes"

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Sinne des Art. 48 Abs. 2, wenn er schreibt: „Die dreifache, auf Ermessenshandhabimg, Legalitätsvermutung und sofortige Vollziehbarkeit begründete, große Prämie auf den legalen Machtbesitz entfaltet ihre ganze, jeden Gedanken an gleiche Chance beseitigende Hauptwirkung bei der Handhabung der außerordentlichen Befugnisse des Ausnahmezustandes" (Legalität und Legitimität, S. 291). Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 323f; nach Carl Schmitt: Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, a. a. O.. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 30-36. Den Begriff „Legalität" sucht man schon in Schmitts Verfassungslehre vergebens. Schmitt benutzt dagegen das Gegensatzpaar „Legitimität - Illegitimität". Eine Verfassung ist dann „legitim", wenn sie als rechtmäßige Ordnung und als faktischer Zustand, wenn die verfassungsgebende Gewalt anerkannt ist, d.h. das politisch geeinte Volk zum Staat wird (Verfassungslehre, S. 87fF.). Huber hebt an diesem Theorem Schmitts hervor, daß die „Legitimität" der Verfassung als politische Einheit nicht mit formalrechtlichen Kategorien zu fassen ist, sondern die „politische Existenz" als Sein den „Sinn" als den eigentlichen Geltungsgrund in sich trägt. In diesem Zusammenhang wird die Existentialontologie der Schmittschen Verfassungstheorie besonders deutlich; vgl. Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 28. Eine Verfassung ist in der Logik der Verfassungstheorie Schmitts dann „illegitim", wenn sie nicht die politische Einheit des Volkes kraft Existenz herzustellen imstande ist. Der liberalrechtsstaatliche Begriff der Legalität spielt für diese Begründung keine Rolle. Huber: Verfassung und Legalität, S. 737. Huber (unter dem Pseudonym Lothar Veeck): Verfassungsnotstand, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 983-984. Huber unternimmt hier eine Kritik an Johannes Heckeis Theorie des Verfassungsnotstandes, die in ähnlicher Prononcierung in den siebziger Jahren wieder auftaucht

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interessiert. Thematisch zentriert sich dabei Hubers Kritik auf die Verfassungsgerichtsbarkeit, die mit ähnlichem Tenor nur in Schmitts „Hüter der Verfassung"20 1929 vorkommt, 1932/33 aber keine große Rolle mehr im Werk Schmitts spielt. Gleichermaßen entwickelt Huber aus dieser inhaltlichen Weiterfuhrung Schmitts auch seine aus dessen politischer Philosophie und dem Umfeld seines Verfassungsbegriffes hergeleiteten Grundbegriffe „Volk", „Nation", „Herrschaft", „Obrigkeit", die den künftigen Verfassungszustand tragen sollen. In dieser Absicht rezipiert Huber Carl Schmitts Schrift „Der Hüter der Verfassung"21 in ihrer wirtschaftlich-finanziell motivierten Auslegung des Notverordnungsrechts nach Art. 48 Abs. 1 und 2 und fuhrt diese zu einer dikaturfesten Verfassungsform aus, die auf dem organisatorischen Minimum des zweiten Hauptteils der Verfassung aufbaut. Der Art. 48 fungiert dabei als ein präsidentieller Gesetzgebungsparagraph.22 Huber führt die ordnungspolitische Stellung des Reichspräsidenten in der WRV als „pouvoir neutre"23 auf die verfassungshistorische Auslegung Carl Schmitts zurück, wonach der Reichspräsident nicht nur ein plebiszitäres Gegengewicht zum „parteipolitischen" Reichstag sei, sondern als ,Ruhender Pol in der Verfassung"24 eine neutrale, vermittelnde, regulierende und bewahrende Gewalt gegenüber den wechselnden Mehrheitsverhältnissen des „Parteienbundesstaates"25 im Verfassungsgefuge darstellt. Huber legt die in der Hand des Reichspräsidenten gebündelten notverordnungsrechtlichen Mittel der Reichsexekution und der „kommissarischen" Diktatur zum Schutz der Verfassung gegenüber dem „innerpolitischen Feind"26 aus, weil „das relativ Statische und Permanente seiner Stellung wie auch die Art seiner Befugnisse" den Sinn habe, die „Einheit des Volkes als eines politischen Ganzen zu wahren." 27 In Frontstellung zu Carl Schmitt wird aber die verfassungsrechtliche Notstandsgewalt des Reichspräsidenten zum Schutz der Verfassung abgelehnt. Die Ursache dieser Meinungsverschiedenheit kann in Hubers Auffassung gesehen werden, daß die verfassungspolitische Dezision nicht im „innerpolitischen Bürgerkrieg" des Rei-

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in: Zur Lehre vom Verfassungsnotstand in der Staatstheorie der Weimarer Zeit, in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O. Auch hier dokumentiert sich die Kontinuität! Schmitt: Der Hüter der Verfassung, a. a. Ο., S. 12ff., 48ff.. Das erste Kapitel heißt demnach auch „Die Justiz als Hüter der Verfassung". Huber greift diesen Punkt stärker in seiner Diskussion um den Hüter der Verfassung heraus als Carl Schmitt. Dies gilt vor allem für den Preußenkonflikt. Die unter dem Pseudonym Manfred Wild veröffentlichte Rezension der Schrift Carl Schmitts enthält eigenständige Lösungsversuche des Verfassungschutzes im innerpolitischen Verfassungsstreit und grenzt sich ζ. T. deutlich von Carl Schmitts Auslegung der plebiszitären Legitimation des Reichspräsidenten zur Überwindung der Verfassungskrise und Durchbrechung der WRV ab. Auch von Schmitts Positionen im Preußenkonflikt im Juli 1932 distanziert sich Huber und faßt seine verfassungspolitischen Auffassungen zum Schutz der Verfassung, zu den Verfahrensfehlern der Verfassungsgerichtsbarkeit und den damit korrelierenden innerstaatlichen Streitigkeiten der Staatsorgane in der Monographie „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof' zusammen. Boldt, Hans: Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung (Anm. 1), S. 300. Schmitt: Der Reichspräsident als Hüter der Verfassung, in ders.: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 137f. Ebenda, S. 138. Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932, S. 18f.. Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963, S. 20ff, 26ff. Huber: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 329.

6. Der,, Hüter der Verfassung " im innerpolitischen Verfassungsstreit

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ches und der Art. 48 als eine notstandsrechtliche Bremse begründet wird, sondern die präsidentielle Gewalt als „pouvoir neutre" in ihrer permanenten Schlichtungs- und Balancefunktion außerhalb des Ausnahmezustandes fixiert wird. Dabei werden „auctoritas" und „potestas"28 zur Einheit der Staatsgewalt. Die Lösung des Verfassungskonflikts wird nicht im Existenzkampf des Bürgerkrieges gesehen, sondern als „eine besondere Form des Pazifismus",29 die sich in dem Streben nach einer Verfassungsjustiz äußert, die Verfassungsstreitigkeiten innerhalb der verfassungsmäßigen Organe im Staat zu schlichten. So resümiert Huber, daß die Notverordnungspraxis nur ein verfassungspolitisches Instrument zur Überwindung des Verfassungsnotstandes sein kann: „Es bleibt also dabei, daß es hier keinen eigentlichen und organisierten Hüter der Verfassung' geben kann. Möglich ist nur, daß in einem solchen Konflikt ein Organ des Staates sich mit der Verfassung zu identifizieren vermag, sei es kraft einer besonderen Autorität des Reichspräsident, sei es kraft einer entschlossenen und zielbewußten Führung die Reichsregierung, sei es ein willens- und handlungsfähiges Parlament, sei es schließlich das zu einem Volksentscheid oder zu Neuwahlen oder zur Absetzung des Reichspräsidenten aufgerufene Volk."30 Huber legt also aufgrund seines „organischen" Denkens die Entscheidung eines Verfassungskonflikts deutlicher als Carl Schmitt in die Reichsverfassung als einem System gegenseitiger Balancen und Hemmungen, in deren Kräftegleichgewicht der Reichspräsident der ruhende Pol, aber nicht der „Herr" über die Verfassung ist. Die „Behütung" der Verfassung sieht Huber also entschieden im ausbalancierten Kräfteverhältnis der Verfassungsinstitutionen. Der Reichspräsident ist zwar nach Schmittianischer Auffassung der Garant für den Schutz der Verfassung, doch Huber vernachlässigt die beharrende Kraft des „pouvoir neutre" als intervenierende Macht zur Verfassungsänderung: „Im Ganzen bleibt problematisch, ob in den heutigen neutralen Mächten (von den reparationsstaatlichen abgesehen) nur Reste einer früheren oder auch Ansätze zu einer kommenden politischen Einheit zu sehen sind, ob also das Wesentliche der Neutralisierungstendenzen in der Negation des herrschenden Systems oder in der Grundlegung einer neuen Ordnung besteht."31 Auch wenn dem Reichspräsidenten in der Einheit von Diktaturgewalt und Reichsexekution die Rolle des Verfassungsschützers zugestanden wird, d.h. der „pouvoir neutre" als Schöpfer der (positiven) Neutralität im Sinne der alle Gegensätze in sich relativierenden Einheit und Ganzheit,32 so verlegt er die Möglichkeit eines „organisierten" Schutzes der Verfassung von der notstandsrechtlichen Maßnahme in die innerstaatlichen Organe. Die Entscheidung über den Verfassungskonflikt und den Verfassungsnotstand ist daher nur aufgrund des inhaltlichen Sinngehaltes der Verfassung zu treffen. Daß Huber im eigentlichen Sinne die Entscheidung über den Verfassungsnotstand ofifenläßt, dokumentiert seine Kritik an der Theorie seines Bonner Lehrers Johannes Heckel über den Verfassungsnot28 Nach Schmitt: Verfassungslehre, S. 75ff.; Der Hüter der Verfassung, S. 9f.; s. a. Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Obrigkeit und Volk, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 682-684 (683). 29 Huber: Der Hüter der Verfassung, S. 330. 30 Ebenda. 31 Huber (anonym): Die neutralen Mächte im modernen Staat, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 1001-1002 (1002). 32 Schmitt: Übersicht über die verscheidenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität des Staates, a. a. O., S. 115.

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stand. 33 Dabei wählt Huber den Ausweg der verfassungstheoretischen Konstruktion, nicht dagegen die verfassungsrechtliche Subsumtion nach den vorgegebenen Normen des Verfassungstextes oder der herrschenden Lehre in der Staatsrechtswissenschaft. Huber mahnt, daß der Art. 48 für die Schwierigkeiten der gegenwärtigen Verfassungslage, in diesem Falle die Auflösung des nicht mehr mehrheitsfahigen Reichstages am 12. September 1932, nicht das geeignete Instrument der Verfassungssicherung sei, weil sich der Notstandsartikel auf die äußere Lebenssphäre des Staates (Ordnung und Sicherheit) richte, bei der Auflösung des Parlaments dagegen eine innere Störung der höchsten Reichsorgane vorläge und die Durchsetzung der Maßnahmen des Art. 48 zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit des Staates die Funktionsfahigkeit der bestehenden Reichsorgane, Reichstag und Reichspräsident, voraussetzen, was in diesem Falle nicht gegeben sei. 34 Die von Heckel unternommene Unterscheidung von „Ausnahmezustand" (Art. 48, äußere Sicherheit des Staates) und „Verfassungsnotstand" (innere Funktionsfähigkeit des Staates), kritisiert Huber, stimmt aber der Heckeischen Kritik an der herrschenden Notstandspraxis zu. Auch das zweite höchste Reichsorgan, der Reichstag, wird nicht zum „Herrn" über die Verfassung lanciert. Vielmehr deutet Huber in autoritär-antiliberaler Provenienz die institutionelle Herauslösung der Reichsregierung aus dem Parlament, „aus dem Sumpf der Interessenwirtschaft zur Würde eines Repräsentanten der Nation", 35 als die geeignetere Lösung an.

b) Die Kritik an der Verfassungsgerichtsbarkeit im Prozeß „Preußen contra Reich" Die Suche nach einem „organisierten" Verfassungsschützer in den Weimarer Verfassungsinstitutionen umfaßt auch die Justizfunktion und die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit als „Hüter der Verfassung". 36 Dabei orientiert sich Hubers Kritik an dem sich verselbständigenden „Justizstaat" und an den Verfahrensfehlern des Staatsgerichtshofes im Rahmen der Argumentation Carl Schmitts, geht aber in der Bewertung der Gleichschaltung Preußens und des Prozesses „Preußen contra Reich" vom 15. Oktober 1932 wesentlich über Schmitts Lösungsansätze hinaus. 37 Während Schmitts Kritik am Staatsgerichtshof zur

33 Huber (unter dem Pseudonym Lothar Veeck): Verfassungsnotstand, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 983-984. 34 Ebenda, S. 984. 35 Huber (unter dem Pseudonym Manfred Wild): Repräsentation, a. a. O., S. 547. 36 Vgl. Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, Oldenburg 1932, S. 7fF., 38fF., 69ff.; ferner (unter dem Pseudonym Konrad Fehling): Das Urteil des Staatsgerichtshofes, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 985-896; Der Hüter der Verfassung, a. a. O.; s. a. Schmitt: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 12ff., 48ff.. 37 Hubers frühes Interesse an der Verfassungsgeschichte und der ehrgeizige wissenschaftliche Plan, diese enzyklopädisch zu gestalten, geht auf das Jahr 1932 im Vorfeld des Prozesses „Preußen contra Reich" zurück. In einer lebhaften Diskussion mit Carl Schmitt zur Verfassungsgerichtsbarkeit des Deutschen Bundes mußte Huber feststellen, daß dieses Thema verfassungshistorisch nicht erforscht ist. Deshalb nimmt die Problematik der Weimarer Verfassungsgerichtsbarkeit in

6. Der „Hüter der Verfassung" im innerpolitischen

Verfassungsstreit

95

Ausarbeitung der verfassungspolitischen Positionen zum Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung nur vorbereitenden Charakter hat, 38 hat Ernst Rudolf Huber die umfassende staatsrechtliche Problematik dieses Prozesses früh dokumentiert39 und als Adlatus Carl Schmitts an den Verhandlungen des Staatsgerichtshofes auch teilgenommen. 40 Huber entfaltet seine zentrale Kritik an den Möglichkeiten einer justizförmigen Garantie der Verfassung vor dem Hintergrund des in der geltenden Reichsverfassung positivierten demokratischen Gedankens, der in der Interpretation Carl Schmitts die „homogene und unteilbare Einheit des ganzen Volkes beinhaltet, das sie (Hervorhebung im Original) kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt durch positive Entscheidung, also durch einseitigen Akt, selbst diese Verfassung gegeben hat." 41 Diese Entscheidung des Volkes zur Verfassung als „politischem", weil dezisionistisch zur Einheit strebenden Akt des „pouvoir constituant", ist das eigentliche verfassungstheoretische Argument bei der Ablehnung einer justizförmigen Schlichtung der Verfassungsstreitigkeiten durch Huber und Schmitt. Der Weimarer Verfassungskonflikt wird dabei wesentlich aus der Perspektive eines Spannungszustandes zwischen der dem innerpolitischen Neutralismus entzogenen politischen Entscheidung und der juristischen Schlichtung der Verfassungsjustiz gesehen. Das Ziel der Polemik gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit ist, die Verfassungsstreitigkeit aus den Bahnen der juristischen Institutionen zu stoßen, weil die „Justizjuristen" 42 die Lösung aller Probleme einem justizförmigen Verfahren überweisen und damit den Unterschied zwischen einer Prozeßentscheidung und einer Entscheidung über inhaltliche Verfassungsbestimmungen, die ihrem geistesgeschichtlichen Gehalt nach immer „politisch" sind, außer acht lassen. 43 Gewiß spielt für Huber die zentrale Kritik Carl Schmitts eine Rolle, daß die justizstaatliche Erledigung von Verfassungsstreitigkeiten in Wahrheit nicht Rechtssprechung, sondern eine ergänzende Verfassungsgesetzgebung darstelle. Die dezisionistischen Thesen gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit gipfeln in der Argumentation, daß nicht eine Juridifizierung der Politik, sondern eine Politisierung der Justiz die Folge der

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Band 6 und 7 der „Verfassungsgeschichte seit 1789" ein thematisch umfangreiches Feld ein; freundliche Auskunft von Herrn Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber am 19. Januar 1989 in Freiburg. Vgl. zusammenfassend Wehler, Wolfgang: Der Staatsgerichtshof für das deutsche Reich. Die politische Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Zeit der Weimarer Republik, Diss, iur., Bonn 1979, S. 120ff ; zu den Positionen Carl Schmitts in der Prozeßfuhrung „Preußen contra Reich" vor dem Staatsgerichtshof ausführlich: Kaiser, Andreas: Preußen contra Reich. Hermann Heller als Prozeßgegner Carl Schmitts vor dem Staatsgerichsthof 1932, in: Müller, Christoph/Staff, Ilse (Hrg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891-1933, Baden-Baden 1984, S. 287-311 (306ff). Huber: Die Stellung der Geschäftsregierung in den deutschen Ländern, in: DJZ, 37. Jg. (1932), Sp. 194-199; ebenso: Die Rechtsfragen der Reichstagsauflösung vom 12. Sept. 1932, in: DJZ, 37. Jg. (1932), Sp. 1186-1193; s. a. die Überblicksdarstellung in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, S. 1120-1136 und das umfangreiche Schrifttum S. 1120. Vgl.: Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, a. a. O., S. 43fF.. Huber: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 329. Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 4. Ebenda, S. 4; sinngemäß ähnlich bei Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 40f..

96

Die Weimarer Jahre: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

Rechtsprechung der Staatsgerichtsbarkeit ist, die Verfassung aus einer Entscheidung in einen vertraglichen Kompromiß umzudeuten.44 Die Staatsgerichtsbarkeit, so resümiert Huber, ist „politische Justiz", weil Rechtsfragen über Verfassungsstreitigkeiten notwendig zugleich politischen sowie juristischen Charakter haben und die politische Dezision Vorrang vor der juristischen hat. Das setze jedoch voraus, daß „das Gericht der Politik des Staates dient, daß es die politischen Entscheidungen der berufenen Staatsorgane anerkennt und nicht selbst beansprucht, Herr der politischen Entscheidung zu sein."45 Da bei jedem politischen Gerichtshof die Gefahr gegeben sei, daß sich die politische Justiz in Justizförmige Politik" verwandele, müsse gerade die Staatsgerichtsbarkeit in besonders festen und bestimmten Grenzen gehalten werden, weil das Gericht damit zum Verfassungsgesetzgeber in hochpolitischer Funktion werde. Huber weist wie Schmitt das vom Staatsgerichtshof formulierte Selbstbild als dem „Hüter der Reichsverfassung" und auch des Reichsgerichts als „Wahrer der Verfassung" entschieden zurück: „An die Stelle des höchsten politischen Organs ist somit eine mit richterlicher Unabhängigkeit ausgestattete und aus dem politischen Organismus ausgeschaltete Behörde getreten, deren justizförmige Organisation dadurch besonders betont wird, daß ihr Vorsitzender der Präsident des Reichsgerichts ist." 46 Huber erblickt in dieser juristischinstitutionellen Entwicklung ein weiteres Indiz der „pluralistischen Aufteilung" des Staates ,4m Gegensatz zur Verfassung, die eine politisch einheitliche Entscheidung sein soll."47 Die Ablehnung einer sich verselbständigenden Staatsgerichtsbarkeit, die nach Art. 19 WRV eigentlich nur Schlichtungsfunktionen zwischen verschiedenen Ländern, zwischen Reich und Ländern und innerhalb des Reiches zu erfüllen hat, aber nicht zum „Herr" über die Verfassung gemacht werden soll, wirft die verfassungsrechtliche Frage auf, welche Funktionen ein „Hüter der Verfassung" wahrzunehmen hat. Huber hält sich in diesem Zusammenhang an seinen akademischen Lehrer Carl Schmitt. Was er mit der „autoritären Beseitigung des Zweifels"48 übersetzt, ist nur eine andere Sinngebung des Schmittschen Paradigmas nach Hobbes' Formel „auctoritas non veritas facit legem".49 Es wird von Carl Schmitt folgendermaßen definiert: „Die verfassungsrechtliche Funktion eines Hüters der Verfassung liegt aber gerade darin, dieses allgemeine und gelegentliche Gehorsamsverweigerungs- und Widerstandsrecht zu ersetzen und überflüssig zu machen. Nur dann ist ein Hüter der Verfassung im institutionellen Sinne vorhanden."50 Diese Sinnauslegung des Hüters der Verfassung ist aber nur noch eine andere autoritäre Legitimation der Beugung des Rechts durch die Notstandspraxis mit Art. 48

44 Scheuner, Ulrich: Probleme und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik, in: Häberle, Peter (Hrsg.): Verfassungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976, S. 194-213 (196f.); sinngemäß auch Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 9f.. 45 Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 9. 46 Huber: Der Hüter der Verfassung, S. 328. 47 Ebenda, S. 329. 48 Huber: Der Hüter der Verfassung, S. 329. 49 Vgl. Schmitt: Die Diktatur - Von den Anfangen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf, 2. Aufl. München/Leipzig 1928, S. XI; ebenso in: Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Köln 1982, S. 196. 50 Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 21.

6. Der „Hüter der Verfassung" im innerpolitischen

Verfassungsstreit

97

Abs. 2 und der im „Begriff des Politischen" enthalteten Identitätsformel „Politisch = Staatlich" versus,,Recht". Im Mittelpunkt der Kritik an der justiziellen Verkörperung des „Hüters der Verfassung" steht nach dem Leipziger Urteil zum „Preußenschlag" vom 15. Juli 1932 insbesondere die bundesstaatliche Einrichtung des Staatsgerichtshofes und die kritische Rekonstruktion seiner Verfahrensfehler im Prozeß. Huber zeigt dabei auf, daß der Staatsgerichtshof als Bundesgerichtshof, der über Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaates entscheidet, auch seine verfassungsrechtliche Funktion des Hüters der dem Bund wesentlichen „Verfassungshomogenität" verloren und als ausgewiesener Hüter der Verfassung Formenmißbrauch betrieben hat. 51 Die von Carl Schmitt postulierte Teilung des Gesetzgebungsstaates in Jurisdiktions-, Verwaltungs- und Regierungsstaat habe hier ihre Entsprechung in der „Partikularisierung" des „Justizsstaates", als dessen sich über die Verfassung erhebende Institution der Staatsgerichtshof die Verfassungskrise verschärft. Die Zerstörung der Prozeßform, die Zuständigkeitsüberschreitung durch die Kontrolle des politischen Ermessens der Reichsregierung, aber auch die Entscheidung über die Zulässigkeit der Reichsexekution gegen Preußen erhebe den Staatsgerichtshof „zum Instrument des Parteienbundesstaates".52 Die zentrale Kritik an der Verfahrens- und Entscheidungsform des Prozesses „Preußen contra Reich" richtet sich auf den Tatbestand der Justiziabilität oder Nichtjustiziabilität des Reichseingreifens in Preußen. Damit ist weniger die distanzierte Sichtweise gemeint, inwieweit der Reichsstaatsgerichtshof einen Staatsstreich inhibiert hat, 53 als vielmehr die Situationsbezogenheit des Prozesses, die Huber auch noch im siebten Band der Verfassungsgeschichte hervorhebt. 54 Da das Urteil die gewaltsam herbeigeführte Machtverschiebung in Preußen, die Einsetzung eines Reichskommissars und die Auflösung Preußens unangetastet ließ, symbolisiert es die Kapitulation der verfassungsrechtlichen vor der Defacto-Argumentation, das Versagen der Verfassungerichtsbarkeit vor der politischen Macht. Der rechtliche Teil des Urteils, die Ablehnung der Reichsexekution Preußens nach Art. 48 Abs. 1, sprach für die preußische Haltung, der politische Teil, der Tatbestand des Art. 48 Abs. 2 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und die polizeilichen Machtmittel Preußens in der Hand des Reiches, für die verfassungsvernichtende Notverordnungspraxis der Reichsregierung. 55 Somit steht, Huber zuerkennend, das juristische Problem der Justiziabilität hochpolitischer Streitfälle zwischen Reich und Ländern am Anfang der Argumentationskette, das bereits 1932 in der Monographie „Reichsgewalt und Staatsgerichtshof thematisiert wird. Huber befürwortet in seinen Schriften bis 1933 keineswegs die politische Zielsetzung der Regierung Papens bei der Gleichschaltung Preußens. Sein etatistischer Wunsch der Mediatisierung des Reiches unter der Führung Preußens wird dagegen unrealistisch gesehen. 51 Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 9f.; s. a. Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 56f.. 52 Huber definiert den Parteienbundesstaat als „Staatsgemenge, das auf einer Mischung und Überschneidung der staatlichen Organisationen der Länder und der parteipolitischen Organisationen der Interessen- und Weltanschauungsgruppen beruht"; vgl. Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, S. 18. Der Begriff „Parteienbundesstaat" geht auf Carl Bilfinger zurück. 53 So: Scheuner (Anm. 44), S. 397. 54 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, S. 1125. 55 Wehler, Wolfgang: Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich, a. a. O., S. 344; vgl. auch Bracher, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik, Düsseldorf 1984, S. 556ff, 559.

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Die Weimarer Jahre: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

7. Zwischenresümee zur ideengeschichtlichzeitgenössischen Zurechnung Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung läßt zwar noch keine Ermittlung des Denkstandortes in der Vermittlung von Bewußtsein und gesellschaftlicher Lage zu, dennoch zeichnet sich in der Rekonstruktion des staats- und verfassungspolitischen Denkens von Ernst Rudolf Huber eine Strukturierung und Teleologie des Denkweges ab, die von konservativen Topoi begleitet wird. Hubers „autoritärer Etatismus" schöpft bei der begrifflichen und inhaltlichen Gestaltung und Argumentationsstruktur die Grundstrukturen der Verfassungslehre Carl Schmitts, geht aber inhaltlich und vor allem über das Weimarer Werk Schmitts hinaus. Die Eigenständigkeit des Verfassungsreformgedankens und der verfassungstheoretischen - oder anders: volkstheoretischen - Überwindung der Weimarer Verfassungskrise zeigt sich in einer sehr konkreten Reformdiskussion, die sich an der Konzeption des „Neuen Staates" der Regierung Franz von Papens orientiert und den verfassungspolitischen und juristischen Grundstock der Schmittschen Schrift „Der Hüter der Verfassung" dazu verwendet. Darüberhinaus ist Hubers „autoritärer Etatismus" verfassungspolitisch auf die Ablehnung des parlamentarischen Parteienstaates, die Verbrämung liberal-bürgerlicher Werte des Verfassungsstaates, vor allem in der Grundrechtsdiskussion und die mit Auslegung des Art. 48 WRV orientiert. Obwohl Huber ganz in der wissenschaftlichen Denkstruktur Carl Schmitts der Demokratie Weimars, dem Parlament und den Parteien Entscheidungslosigkeit und Krisenschuld zuschreibt, ist sein „autoritärer Etatismus" keineswegs dezisionistisch. Die verfassungstheoretische Diagnose des Krisendenkens im Staatskirchenrecht wird dialektisch im Hegeischen Einheitsdenken bewerkstelligt und statt einer Dezision die Integration gesellschaftlicher Teilerscheinungen in korporativen „Ordnungen" verteidigt. Die Integrationslogik zieht Huber bereits in den frühen Schriften zum Staatskirchenrecht heran, die einer politischen Philosophie der Einheit von Kirche und Staat zur metaphysischen Begründung der Staatlichkeit des Staates als Staatsethik oder Formutopie gleichkommt. Die verfassungshistorische Gedankenführung im Staatskirchenrecht, etwa das dialektische Integrationsdenken Johann Adam Möhlers, aber auch die Wendung von der staatskirchenrechtlichen zur theologisch-philosophischen Argumentation, verdeutlicht seit 1927 bereits Hubers verfassungstheoretisch fundierte, bereist mit völkisch-nationalen Versatzstücken durchsetzte Intention, die juristische Subsumtionslogik zeitdiagnistisch durch eine dialektische Integrationslogik zu ersetzen. Der Aufsatz „Bedeutungswandel der Grundrechte" ist die inhaltliche Konsequenz dieser Wendung des Juristen in die verfassungshistorisch fundierte politische Philosophie, die mit konservativen Topoi wie „Freiheit und Bindung" oder der verfassungstheoretischen Option einer „konservativen Staatsführung" durchsetzt ist. Angelpunkt dieses Denkweges ist die historische Verbrämung der subjektiven Grundrechtsfunktion. Das Ziel ist die antiliberale Zuordnung des Menschen zum Staat, die Etatisierung der Grundrechte. Während die Habiliationsschrift über Wirtschaftsverwaltungsrecht die letzte streng juristische Arbeit auf dem Boden der Weimarer Rechtskultur ist, zeigt die Antrittsvorlesung bereits deutlich den verfassungspolitisch eingeschlagenen Weg einer korporatistischen Wirtschaftsverfassung ganz in den Bahnen der Reformvorstellungen der Präsidialkabinette.

7. Zwischenresümee

zur ideengeschichtlich-zeitgenössischen

Zurechnung

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Die Zuordnung der Wirtschaft zum Staat geht mit Berufsständen und wirtschaftlicher Selbstverwaltung einher, mit genossenschaftlichen und korporativen Verfassungselementen, die Huber aus der monopolkapitalistischen Entwicklung der Weimarer Wirtschaftsstruktur seit Ende der zwanziger Jahre übernimmt. Für die Weimarer Werkperiode ergibt sich ein zweischneidiges Bild zum staats- und verfassungspolitischen Denkweg. Die staatskirchenrechtlichen, wirtschaftsverwaltungsund verfassungrechtlichen Arbeiten korrespondieren mit einer radikalisierten Form der Publizistik in der „Konservativen Revolution", welche den suchenden, autoritären Gestaltungswillen des Juristen dokumentiert, Wege aus der Weimarer Krise zu bestreiten.

KAPITEL 3

Die Weimarer Jahre: Krise und Kritik Die wissenssoziologische Zurechnung

Jedes konkrete wissenschaftliche Denken ist in eine bestimmte historische Konstellation eingebunden und nur aus dieser adäquat verstehbar. Die Umbruchsituation der Weimarer Verfassungsordnung, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des politischen Konservatismus und die aus den sozialen und ordnungspolitischen Strukturverschiebungen resultierende wissenschaftliche Krisensituation der Staatsrechtslehre bedürfen der allgemeinen Erörterung zur Konkretisierung des wissenschaftlichen und weltanschaulichen Denkstandortes von Ernst Rudolf Huber im wissenssoziologischen Zurechnungsschritt.

1. Die Antwort auf den Weimarer Methodenstreit: Juristisches Methodendenken als Machtfaktor In der Gegenstandsgebundenheit, d.h. dem Ausmaß und der Richtung der Erkenntnis der Weimarer Schriften Ernst Rudolf Hubers, korrelieren gesellschaftspolitisches Zweckdenken, Methodenbewußtsein und Wissenschaftsbild im „synthetischen Denkstandort", der soziale und politische Denkweisen zu einem neuen zeitlich verlagerten Denkstil vereinigt.1 Der staatspolitische Konservatismus manifestiert sich in dem politischen Bewußtsein des autoritären Verfassungsumbaus und der methodisch-inhaltlichen Umdeutung staatsrechtlicher Kategorien. Juristisches Methodenbewußtsein impliziert in seiner gesellschaftlichen Funktion inhaltliche Ideologeme, die über die kasuistische Konfliktlösung hinausgehen, sobald Juristen anfangen zu philosophieren. Juristenphilosophien sind eine Antwort auf den Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Staatsrechtswissenschaft gewesen und erfüllen in der Rechtfertigung sozialer und politischer Verhältnisse kompensatorische Legitimationsfunktion.2 Hubers Juristenphilosphie mit dem Impetus - „Jede politische Ordnung braucht ihre eigene politische Philosophie."3 - hat zwar wenig zur Methodendiskussion beigetragen, ist als Rezeptionsphänomen in seiner konservativen Funktion aber im besonderen erklärungsbedürftig.

1 2

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Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 209. Rottleuthner, Hubert: Juristen als Ideologieproduzenten: Die Substanzialisierung des Formalrechts. Zur Rolle des Neuhegelianismus in der deutschen Jurisprudenz, in ders.: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 209f.. Huber: Rez. „Staatsphilosophie. Bemerkungen zu einigen Schriften über die Geschichte der Staatsphilosophie", in: ZgS, Bd. 97 (1936/37), S. 549-558 (557).

1. Juristisches Methodendenken

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Juristische Methoden werden in der Regel nicht mit den Dimensionen von Recht und Macht in Verbindung gebracht, weil sie im engeren Sinne nur der Durchdringung und Anwendung des positiven Rechts gelten.4 Die Geltungserweiterung des Verfassungsrechts der offenen, auslegungsbedürftigen parlamentarischen Demokratie Weimars seit 1919 und der seit 1926 ausbrechende Methoden- und Richtungsstreit der Staatsrechtswissenschaft um die Legitimität und Entwicklungsrichtung der Verfassung haben das unpolitische und entscheidungslose, der Verfassungswirklichkeit abgeschirmte Methodenbewußtsein des Rechtspositivismus als anachronistisch aufgedeckt. Da sich Methoden auf die positivrechtliche Verfassung und ihre materielle Ausgestaltung beziehen, können sie keinen beliebigen Sinn hervorbringen. Sie konstituieren aber seinen Sinn mit, soweit sie ihrem Gegenstand gegenüber selbständig sind. Methodenwahl bedeutet im wissenssoziologischen Sinn die zwangsläufige standortgebundene Vorentscheidung über Interpretationsinhalte. Wissenschaft beruht grundsätzlich darauf, die methodisch erreichten Ergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar, wiederholbar und vor allem in rechtlichen Entscheidungen berechenbar zu machen. Doch die Normenvielfalt führt zu Wertungswidersprüchen, so daß Auslegungsmethoden im Spannungsfeld von Recht und Politik immer rechtspolitische Relevanz haben. Die bürgerliche Rechtsanwendungsmethode gibt daher eine Fülle von juristischen Argumentationstechniken an die Hand, die, wie der Weimarer Methoden- und Richtungsstreit in der Staatsrechtswissenschaft gezeigt hat, vom geisteswissenschaftlich-politischem Standort aus argumentieren. Der inhaltliche Selektionsmechanismus nimmt erst durch Auslegung und Anwendung Machtcharakter an und impliziert die politische und soziale Funktion der inhaltlichen Selektion sowie die Gründe der Entstehung und des Erfolgs einer Methode.5 Die erkenntnistheoretischen und die Legitimität der Weimarer Verfassung betreffenden Inhalte des Methoden- und Richtungsstreits der Staatsrechtswissenschaft weisen in ihrer ideologischen und wissenschaftsstrategischen Zwecksetzung der Selektions- und Machtfunktion der Methodendiskussion einen besonderen Stellenwert zu.6 Der sich seit 1926 abzeichnende „Methoden- und Richtungsstreit"7 in der Staatsrechtswissenschaft ist der Ausdruck einer sehr raschen Abkehr von den Denksystemen des neun-

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Grimm, Dieter: Methode als Machtfaktor, in ders.: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 347-372 (347). Grimm, a. a. O., S. 348f.. Geis, Max-Emanuel: Der Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Staatslehre, in: JuS, 29. Jg. (1989), S. 91-96 (93). Beide Begriffe werden in der Wissenschaftsgeschichte des öffentlichen Rechts unterschiedlich und oft gegeneinander abgrenzend benutzt. Manfred Friedrich lehnt den Begriff „Methodenstreit" zugunsten des Begriffs „Richtungsstreit" ab; vgl.: Der Methoden- und Richtungsstreit. Zur Grundlagenproblematik der Weimarer Staatsrechtslehre, in: AöR, Bd. 102 (1977), S. 161-209 (163ff). Rudolf Smend hält die Bezeichnung „Methodenstreit" für irreführend und hebt die mit dem methodischen Umdenken verbundenen politischen Ziele als für den Richtungsstreit konstituierend hervor; vgl. ders.: Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: FS fur Hans Ulrich Scupin zum 70. Geb., hrsg. von Horst Ehmke u. a., Berlin 1973, S. 575-589 (578). Kurt Sontheimer vermeidet beide Begriffe und spricht stattdessen von der alten (positivistischen) und der neuen (politisierten, geisteswissenschaftlichen) Schule; vgl.: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 63ff. Wolfram Bauer verwendet den Begriff „Methodenstreit" als Ausdruck des erkennntistheoretischen Streits um die

102

Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

zehnten Jahrhunderts und gleichermaßen des polemischen Zusammenhangs zwischen der verfassungsmäßigen Ordnung und der geistigen Neuorientierung der Staatsrechtswissenschaft als einer auf dem Demokratieparadigma fußenden Wissenschaft. Altes und neues Denken über Staat und Recht begegneten sich in einer Ausschließlichkeit, die als Krise empfunden wurde.8 Der Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Staatsrechtswissenschaft hat in seinen inhaltlichen Auseinandersetzungen und seinen formalen Bedingungen zwar keine Vorgeschichte,9 kann aber auf die sich im Umbruch 1918 konzentrierten veränderten Arbeitsund Wirkungsbedingungen bezogen werden. Die mit dem Verlust des Verfassungskompromisses und der Legitimationskrise der Republik eingeleiteten Orientierungsprobleme des Staats- und Verfassungsverständnisses der Staatslehre sind im Antagonismus von formalem, wertrelativistischem Rechtspositivismus und werterfüllten, materiellen, geisteswissenschaftlichen Methodenfragen zu sehen. Die Rekonstruktion von Ernst Rudolf Hubers methodischen Lösungskonzepten, die Staatsrechtswissenschaft aus der rechtspositivistischen Umklammerung zu befreien, ist eine im doppelten Sinne schwierige Aufgabe. Zum einen schöpft Huber seine Begriffe und Positionen aus den Schriften Carl Schmitts und der Dialektik der Hegeischen Staatsphilosophie, zum anderen weiß Huber in seinen verbundenen Theoremen die unterschiedlichsten und divergierendsten Vertreter der antipositivistischen Richtung ohne inhaltliche Präzisierung zu vereinnahmen. Eine aktive wissenschaftstheoretische und metajuristisch transparente Auseinandersetzung im Methoden- und Richtungsstreit, wie sie bei Rudolf Smend, Erich Kaufmann oder Hermann Heller zu konstatieren ist, fehlt bei Huber ebenso wie bei seinem akademischen Lehrer Carl Schmitt.10 Auch spätere Analysen und Lagebeschreibungen der Weimarer Staatsrechtswissenschaft und ihres Paradigmenwechsels dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das methodische Instrumentarium bei Huber in seinen wissenschaftlichen und politischen Strategien stets voraussetzungsvoll bleibt und sich der exakten methodischen, die gesellschaftlich-soziale und erkenntnistheoretische Dimension betreffende Vorgehensweise entzieht.11

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Verfassungsauslegung; vgl.: Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, Berlin 1967, S. 18ff. Sontheimer (Anm. 7), S. 66. Zum wissenschaftlichen Krisenbewußtsein auch: Heller, Hermann: Die Krisis der Staatslehre, in: ASWSP, Bd. 55 (1926), S. 289-316. Heller spricht vom krisenhaften Zustand aller Kulturwissenschaften, die im Zeitalter der Politisierung das Trennungsdenken des alten Positivismus noch nicht überwunden haben; vgl. ebenda, S. 290, 292ff.. Vgl. Friedrich, Manfred: Der Methoden- und Richtungsstreit (Anm. 7), S. 166. Friedrich argumentiert, daß ein im Übergang vom Kaiserreich zur Republik konstatierbarer staatsrechtlicher Grundlagenstreit nicht vorhanden war. Kritische Einwände gegen diese Position hat Klaus Rennert: Die „geisteswissenschaftliche Richtung" in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik. Untersuchungen zu Erich Kaufmann, Günther Holstein und Rudolf Smend, Diss, iur., Berlin 1987, S. 22, Anm. 2. Rennert akzeptiert die These Friedrichs, sofern die veränderten Ursachen der Kaiserzeit gegenüber der Weimarer Republik fur den Richtungsstreit verantwortlich waren, während die These, daß sämtliche Ursachen der verfassungsrechtlichen Polemik erst nach 1918 angelegt worden seien, sachlich und inhaltlich als unrichtig angenommen wird. Deutlich schon Schwinge, Erich: Der Methoden- und Richtungsstreit in der heutigen Rechtswissenschaft, Bonn 1930, S. 19, Anm. 39. Ausnahmen sind die Spätschriften Hubers, die aus einer fast fünfzigjährigen Distanz zu den Weimarer Lehrjahren den Stoff bewerten; vgl. u. a.: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 126-141; Zur Lehre vom Verfassungsnot-

1. Juristisches

Methodendenken

103

Sieht man davon ab, daß sich der Methodenstreit in staatsrechtlichen Einzelproblemen wie etwa dem richterlichen Prüfungsrecht, dem Gesetzesbegriff, der Notstandsverfassung und dem Hüter der Verfassung manifestiert,12 dann sind drei verschiedene Faktoren nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaftsgeschichte 13 für die Krise der Staatsrechtswissenschaft verantwortlich: zum einen die mit dem Umbruch 1918/19 sich wandelnden Aufgaben und das Selbstverständnis der Staatsrechtswissenschaft, das wissenschaftsexogen und wissenschaftsendogen beurteilt werden muß, zum zweiten die mit der komplizierten Verfassungswirklichkeit der Republik korrespondierende staatsrechtliche Legitimität der Verfassungsordnung und die Souveränität des Staates. Die viel stärker als heute erkenntnistheoretisch fundierte wissenschaftsendogene Methodenfrage brachte den überlieferten formalen staatsrechtlichen Positivismus als gesetzestechnische, wertrelativistische Konstruktionsmethode im Bereich der wertoffenen Verfassungsfrage an erkenntnistheoretische und teleologische Grenzen. Die Hinwendung vom Methodenmonismus zu neuen Wegen des Methodensynkretismus14 in der staatsrechtlichen Diskussion wird damit gestellt. 15

a) Wissenschaftspolitische Kriterien des Methodenpluralismus Der Übergang vom positivistischen Methodenmonismus zum „Methodenpluralismus"16 beantwortet Huber mit der Synthese verschiedenster philosophischer und erkenntnistheoretischer Versatzstücke. Das ist der wissenssoziologische Ausdruck seines synthetisierten Denkstandortes aus verschiedenen historisch und sozial gebundenen Denkformen. 17

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stand in der Staatstheorie der Weimarer Zeit, in: FS für Werner Weber zum 70. Geb., hrsg. von Hans Schneider iL Volkmer Götz, Berlin 1974, S. 31-54; Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, S. 15-22. Schwinge, Erich: Der Methodenstreit in der heutigen Rechtswissenschaft (Anm. 10), S. 26f.. Zum Diskussionsstand vgl. Rennert, Klaus: Die geisteswissenschaftliche Richtung in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik (Anm. 9), S. 44ff. Zum Postulat des „Methodensynkretismus" als der perspektivischen Öffnung der „Allgemeinen Staatslehre" fur soziologische, politische, historische und ethisch-metaphysische Fragen und die Einheit von Realitäts- und Bedeutungsforschung in der Jurisprudenz vgl. Heller, Hermann: Bemerkungen zur staats- und rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart (1929), in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Christoph Müller, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 249-278 (278); ders.: Die Krisis der Staatslehre, a. a. O., S. 297, 304f., 31 Iff.. Heller forderte eine allgemeine Staatslehre nur als „empirische Sozialwissenschaft" (S. 312), die den soziologischen und teleologischen Gehalten geöffnet sein muß. Dem formalen Rechtspositivismus Gerbers, Labands und in deren Nachfolger Georg Jellineks und Hans Kelsens wirft Heller „Entscheidungsangst aus Geschichtsangst" vor; vgl. ebenda, S. 252. Vgl. Rennert, a. a. O., S. 42ff., ferner: Geis, Max-Emanuel: Der Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Staatslehre (Anm. 6), S. 9 lf.; Heller: Die Krisis der Staatslehre, a. a. O., S. 29211; Schwinge: Der Methoden- und Richtungsstreit der heutigen Rechtswissenschaft, a. a. O., S. 12f. Schwinge sieht wie Heller im wertrelativistischen Trennungsdenken des staatsrechtlichen Positivismus den eigentlichen Streitgegenstand der Auseinandersetzungen. Vgl. Heller: Die Krisis der Staatslehre, a. a. O.. Mannheim: Konservatismus, S. 269, Anm. 310.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

Um den Wandel vom staatsrechtlichen Positivismus zum Wirklichkeits- und Wertdenken der Weimarer Zeit zu dokumentieren, 18 verwendet Huber die Begriffe „geistesgeschichtliche Methode" 19 oder „geschichtsteleologische Auslegung", 20 in den Spätschriften wird die „geisteswissenschaftliche Wende" 21 der Weimarer Staatsrechtswissenschaft stellvertretend postuliert. Die methodischen Kategorien verdeutlichen die erkenntnistheoretischen und inhaltlichen Ebenen des Weimarer Methodenstreits. Im allgemeinen wird von einer Trennung von „teleologischer" und „geistesgeschichtlicher" Richtung ausgegangen. Die teleologische Richtung, 22 am deutlichsten durch Heinrich Triepel 23 vertreten, interpretiert jeden Rechtssatz als objektiv gewordenen Willen, der Zwecke verfolgt. Jede Rechtsordnung ist ein Komplex von Werturteilen über Interessenkonflikte. Der „teleologische", auf Willensentscheidungen gerichtete Zweck, wird als das Wesen des Rechts gesehen und in der Ablehnung des formalen Rechtspositivismus die Objektivität eines Rechtssatzes nicht mehr in der apriorischen Dignität seiner formalen Logik, sondern allein in der Objektivität der Zwecksetzung gesehen. Mit der politischen Entscheidung über den „Wert" wird das Feld der Politik betreten. Die von Heinrich Triepel und Ernst von Hippel begründete „voluntaristische" Richtung der teleologischen Methode berührt eng die geisteswissenschaftliche, mehr idealistische Strömung der Methodendiskussion, die ebenfalls Rechtsentscheidungen teleologisch auf Werte bezieht, diese vor allem in den Grundrechten formuliert. 24 Da Recht ein „Komplex von Werturteilen über Interessenkonflikten" 25 ist, sieht die teleologische Richtung ihre methodischen Vorteil gegenüber dem Begriffspositivismus vor allem darin, daß Wertungen aufgedeckt und diskutiert werden und Recht inhaltlich legitimiert wird. Unter den antiliberalen Staatsrechtlern, die den Rechtspositivismus überwinden wollten, ragt Carl Schmitts begriffssoziologische und ideengeschichtliche Methode, den Positivismus durch die Konfrontation von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit von unten, von der Wirklichkeit her in Frage zu stellen, hervor. 26 Carl Schmitts Denkschule macht die nationale Weltanschauung zur Grundlage der Staatslehre und stellt die Idee der staatlichen und volklichen Einheit als einer souveränen Instanz den antagonistischen Verfassungsstrukturen entgegen. Der 1919 eingetretene Formwandel politischer Herrschaft soll durch eine antinormative, konservative Staats- und Verfassungstheorie rückgängig gemacht werden, welche die materiellen, ökonomischen und sozialen Strukturen der Verfas-

18 Huber: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 128-132. 19 Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 1. 20 Ebenda, S. 2. 21 Huber: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 128ff.; Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, S. 15-22; Vorwort Bd. 7. 22 Rennert, a. a. O., S. 57ff.. Huber verengt die Auswahl auf Holstein, ζ. B. in dem Aufsatz „Bedeutungswandel der Grundrechte"; kontinuierlich auch in der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789", Bd. 6, S. 27. 23 Triepels berühmte Rektoratsrede: Staatsrecht und Politik, Berlin, Leipzig 1927, S. 37. 24 Rennert, a. a. O., S. 60f.. Dazu auch Schwinge, a. a. O., S. 17. Zur telelogischen Methode bei den Grundrechten vgl. Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 2. 25 Triepel: Staatsrecht und Politik, a. a. O., S. 36. 26 Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 79.

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sungswandlung zum Inbegriff des Methodendenkens machte und mit der Vertreibung der Wertfreiheit auch die parlamentarische Demokratie überwindet. 27 Die Forderung der Politisierung der Staatsrechtswissenschaft schlägt sich in der „teleologischen Methode" im Staatsrecht nieder, die in Heinrich Triepels Rektoratsrede „Staatsrecht und Politik" 1926 ihre konkrete Zielsetzung annimmt. Dieses Methodendenken kommt dem erkenntnistheoretischen Paradigmenwandel seit 1925 in der Staatsrechtswissenschaft insofern entgegen, als die Ablösung des aufklärerischen Neukantianismus durch den irrationalen Neuhegelianismus die Konfrontatation der wertrelativistischen Demokraten mit der Weltanschauungsbestimmtheit antidemokratischer Juristen bestimmt. Wird die telelogische Richtung als Aufhebung des inhaltlichen Denkverbots des formalen Rechtspositivismus interpretiert, dann wird vor allem das Auslegungsergebnis für den Auslegungsvorgang herausgestellt und der soziale und politische Zweck einer Norm im teleologischen Argument verdeutlicht. Der „Voluntarismus" der teleologischen Methode ist deshalb in diesem materiellen Wertzusammenhang (materielles Sollen gegenüber dem bloßen Wollen) zu suchen. Es ist hervorzuheben, daß die teleologische Methode aber nur in Verbindung mit der geisteswissenschaftlichen Richtung der Weimarer Methodendiskussion das materiale Auslegungskorrelat zum fortschreitenden Positivierungsprozeß in der Verfassungswirklichkeit gewesen ist, 28 denn: „[...] telelogisch-wertbeziehende ist typisch geisteswissenschaftliche Begriffsbildung [,..]." 29 Als die juristischen Väter der „geisteswissenschaftlichen" oder „geistesgeschichtlichen Methode" werden im allgemeinen Günther Holstein, Rudolf Smend und Erich Kaufmann genannt, wenn auch mit unterschiedlicher Reichweite.30 Ihr Programm gestaltet sich in dem Ziel, die Reduzierung des Geltungsgrundes des Rechts auf einen transzendenten Punkt zu kritisieren und zu überwinden. Dem Recht soll die materielle Voraussetzung in Soziologie, Ethik und Philosophie unter Wahrung der historischen Bedingtheit wieder gegeben werden. Geistesgeschichtlich knüpft diese Richtung an die Philosophien des deutschen Idealismus, insbesondere Hegel, Schleichermacher und Stahl an. 31 Form und Inhalt des Rechts dialektisch als „Wert und Wirklichkeit" zu verbinden und als absolute Wertgesetzlichkeit zu apostrophieren, ist auch Hubers Verfassungsdenken im Zugriff auf Holstein, Kaufmann und Smend zu eigen. 32 Vor allem Erich Kaufmann gehört zum Kreise der akademischen Lehrer Ernst Rudolf Hubers. 33 27 Bauer, Wolfram: Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie (Anm. 7), S. 145. 28 Haverkate, Görg: Gewißheitsverluste im juristischen Denken. Zur politischen Funktion der juristischen Methode, Berlin 1977, S. 115f., 123; s. a. Hubers Bezug auf die materiale Wertethik Max Schelers, in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, S. 16. 29 Schwinge, a. a. O., S. 19. 30 Geis, a. a. O., S. 94; ebenso: Rennert, a. a. O., S. 62ff, S. 316ff; Renneit schränkt aber ein, daß nur Holstein zur Gänze der geisteswissenschaftlichen Richtung zuzuordnen sei (S. 64). Zur Systematisierung der Richtungen: Rennert, S. 5Iff.. 31 Rennert, S. 62. 32 Huber: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 129. Huber rekurriert auf Erich Kaufmanns „Kritik der neukantianischen Rechtsphilosophie" von 1921. 33 Vgl. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, Vorwort; ausführlicher: Verfassungswirklichkeit und Verfassungwert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O..

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Die von der geisteswissenschaftlichen Richtung rezipierte neukantianische Kritik Erich Kaufmanns, mit dem inhaltlichen Votum, die Unzulänglichkeit der juristischen Begriffsbildung mit metaphysischen Mitteln zu überwinden, führte seit der Tagung der Staatsrechtlehrer in Münster 1926 zu einer Renaissance des Naturrechtsdenkens, insbesondere im Rekurrieren auf die dialektische Rechtsphilosophie Hegels. 34 Die von Günther Holstein ins Feld geführte Wendung zur naturrechtlichen „Werthaltigkeit des Institutionellen", schlicht zum „Rechtsidealismus",35 wollte sich mit der Abgrenzung idealistisch begründeter Metaphysik gegen das Naturrecht des Rationalismus der normativen Ideengehalte des Rechtspositivismus entledigen: „Freilich, alle Zielsetzungen und Methoden des Rechtsidealismus drängen in letzter Konsequenz auf die Frage nach der zentralen Rechtsidee, auf die Frage nach der Gerechtigkeit hin." 36 Die geisteswissenschaftliche Richtung interpetiert den Zweck deshalb nicht als menschlich-willentlich, sondern als naturrechtlich eingeschaltete „Idee". Die Idee hat zugleich regulative und konstitutive Bedeutung als Beurteilungsmaßstab und Gestaltungsprinzip zugleich. Hegels Lehre von der „Wirklichkeit der Idee", die in der geisteswissenschaftlichen Richtung Ende der zwanziger Jahre vor allem durch die Binder-Schule und ihren hervorstechendsten Vertreter, Karl Larenz, 37 interpretiert wurde, stand dabei Pate. Als grobes Programm der geisteswissenschaftlichen Richtung, 38 dem Huber in der verschiedenartigen Rezeption von Theoremen und wissenschaftstheoretischen Ergebnissen 34 Schwinge, S. 10. Kaufmann wandte sich entschieden gegen die Renaissance des Naturrechtsdenkens und führte als Argumentationshilfe seine neukantianische Rechtskritik ins Feld. 35 Holstein, Günther: Von Aufgaben und Zielen heutiger Staatsrechtswissenschaft, in: AöR, NF Bd. 11 (1926), S. 1-40 (29f). 36 Ebenda, S. 33. 37 Vgl. dazu Hubers Rezensionen als Parameter der Rezeption und Sympathie: (gez. W.E.): „Rechtsidee und Staatsgedanke. Beiträge zur Rechtsphilosophie und zur politischen Ideengeschichte. Festgabe für Julius Binder. In Verbindung mit Ernst Mayer und Max Wundt hrsg. von Karl Larenz, Berlin 1930", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 668; ebenso Rez. „Karl Larenz: Rechts und Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1931", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 141. 38 Vgl. dazu die zur Verortung der geisteswissenschaftlichen Richtung im Methoden- und Richtungstreit der Weimarer Staatsrechtslehre verdienstvolle Arbeit von Klaus Rennert, a. a. O., S. 62f. Um nicht einer anachronistischen Werkbewertung Hubers zu unterliegen, muß konstatiert werden, das Hubers spätes Rekurrieren auf die Integrationslehre Rudolf Smends in der Bewertung der Methodenproblematik der Weimarer Staatsrechtswissenschaft für seine frühe Werkphase von 1926 bis 1933 nicht den Stellenwert vermuten läßt, den der Aufsatz „Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit" von 1980 zum Ausdruck bringt (vgl. ebenda, Anm. 13, S. 130-132). In dem offiziell-juristischen und auch publizistischen Schrifttum der „Konservativen Revolution" ist von der Rezeption der Smendschen Integrationslehre nicht die Rede. Wenn Smends geisteswissenschaftlicher Standort, Verfassungswert und Verfassungswirklichkeit sowie Integration und Legitimität methodologisch verbunden zu haben, auch für Hubers Staatsdenken als methodisch-politisches „Durchgangsstadium" auf dem Weg zur Rezeption der politischen Philosophie Carl Schmitts wichtig ist, so durchzieht Hubers Werk eine stringente Kritik an Rudolf Smends Vergeistigung und Abflachung des Integrationsbegriffs Ende der zwanziger Jahre und die damit korrelierende Idealisierung der Staatstheorie. Aus dem Denkstandort der hegelianisch bestimmten „politischen Wirklichkeitswissenschaft" unternimmt Huber 1935 eine theoretische Kritik an Smend, die ideologisch entschärft auch noch in der Nachkriegszeit die mangelnde Wirklichkeitssicht im Smendschen Idealismus der Integrationstheorie kritisiert; vgl. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Ham-

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schematisch zuzuordnen ist, kann trotz der verschiedenen theoretischen Reichweiten resümiert werden, daß ihre Autoren den Staat als nationalen Macht- oder Kulturstaat interpretierten und in der Rezeption der Organismustheorien aus den Staats- und Rechtsphilosophien des deutschen Idealismus den Staat wie die gesamte institutionelle Gesellschaftsordnung nicht statisch, sondern als zu leistende, gestalterische und dynamische Ordnung auffaßten. Das Nationganze wird von unten her „organisch" aus korporativen Lebensbereichen jenseits des Dualismus von Gesellschaft und Staat organisiert. Diese an die Historische Rechtsschule Savignys und die Hegeische Staatsphilosophie anknüpfende Staatsauffassung wird durch eine Rechtstheorie ergänzt, die Recht als universales Volksrecht interpretiert und ihre Quelle im gegliederten Volksganzen hat. 39 Vor allem Holsteins rechtsphilosophische Ansätze kommen in ihrer ständestaatlichen Auffassung von Ordnung und organischer Dynamik den Auffassungen Hubers sehr nahe. Ein anderer gemeinsamer Zug ist die auch bei Smend konstatierbare evangelische und nationalstaatliche Grundhaltung, die bei Huber und Holstein in der geisteswissenschaftlichen Richtung auch über die Affinitäten im Staatskirchenrechts besonders deutlich werden. 40 Die „geisteswissenschaftliche Richtung" sucht im Weimarer „Methoden- und Richtungsstreit" deshalb mit der sukzessiven Ablösung und Kritik des Rechtspositivismus die weltanschauliche Orientierungskrise der Staatsrechtswissenschaft zu überwinden. Ihre neue soziale und politische Rolle im politischen Herrschaftssystem der offenen Demokratie ist in einer offensiveren justiziellen Entscheidungsfahigkeit erkennbar, neue Leitbilder des wertpluralistischen Verfassungsdenkens zu öffnen. 41

b) Neuhegelianismus: der Etatismus des „objektiven Idealismus" Hubers „Methodenpluralismus" geht in der lockeren Vernetzung verschiedenster philosophischer und theoretischer Versatzstücke jedoch weit über die geisteswissenschaftlichteleologische Methode hinaus. Die methodologische Forderung der Synthese von historischem, philosophischem und juristischem Wissen wurde vor allem mit dem Junghegelianismus 42 verbunden, der die „geisteswissenschaftliche Wende" juristenphilosophisch vollzog. Hubers inhaltliche wie weltanschauliche Zordnung zum junghegelianischen Denken

39 40

41 42

bürg 1935, S. 26, s. a. Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Republik, a. a. O., S. 130; zur Kritik der Fortwirkimg der Integrationslehre in der Bundesrepublik; vgl. zuletzt den brillianten Nachruf auf Rudolf Smend, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 105-121 (117f„ 120) Rennert, a. a. O., S. 63. Ebenda S. 47, 62; s. a. Hubers Holstein-Rezension (gez. M.W.): Rez. „Günther Holstein: Luther und die deutsche Staatsidee, Tübingen 1926", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 140-141; ebenso: Evangelisches Kirchenrecht, a. a. O., S. 900-903. Huber will die protestantische Kirche national einigen und macht den Integrationsprozeß vom rechtlichen Zustand des Kirchenbundes und der ökumenischen Bewegung abhängig; vgl. ebenda, S. 903. Friedrich, S. 180f.; Rennert, S. 37ff. Der Begriff „Neuhegelianismus" wird oft synonym benutzt, vgl.: Kiesewetter, Hubert: Von Hegel zu Hitler. Eine Analyse der Hegeischen Machtstaatsideologie und der politischen Wirkungsgeschichte des Rechtshegelianismus, Hamburg 1974, S. 203ff.

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läßt sich durch eine Reihe von Rezensionen und staatstheoretischen Betrachtungen zur Überwindung der Weltanschauungskrise der Weimarer Republik belegen, auch die werkimmanente Affinität zu dem Rechtsphilosophen Karl Larenz und Günther Holstein dokumentiert die später in der Kieler Richtung der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre vereinten Hegelianischen Grundmuster juristischen Methodendenkens. 43 Der als Juristenphilosophie aus der rechtsphilosophischen Schule um Julius Binder und Karl Larenz begründete „Neuhegelianismus" ist als eine theoretische Vermittlung von rechtshegelianischem Machtstaatsdenken und der Volksgeisttheorie der Historischen Rechtsschule zu verstehen. Der Neuhegelianismus hat speziell als Juristenphilosophie zur Legitimation des politischen Verfassungsumbaus der Weimarer Republik beigetragen. Für Huber gewinnen die Schriften von Karl Larenz eine tiefere Bedeutung zur philosophischpolitischen Differenzierung des eigenen Wissenschaftsverständnisses in der Einheit von Philosophie und Politik. Die Staatsrechtswissenschaft wird zur Weltanschauungswissenschaft transformiert, um als Lebensphilosophie dem als Überfremdung empfundenen demokratischen und individualistischen Staatsdenken den Garaus zu machen. Ziel ist die „Überwindung der negativen Epoche des Staatsdenkens."44 Hegels spekulativer, empirischer Dogmatismus in der Staatslehre wird im Sinne des Freund-Feind-Denkens dem als positivistisch etikettierten Neukantianismus entgegengestellt. Das Rekurrieren auf Hegels dialektisches Denken dient einzig dem „Methodischfassen" (Karl Mannheim) naturrechtlicher und irrationaler Gedankengänge. Während die Dialektik, der logische Dreiklang von Thesis, Antithesis, Synthesis, bei oberflächlicher Betrachtung ein rationalistischer Gedanke ist, der die historische Wirklichkeit in ihrer Entwicklungsrichtung in eine logische Formel bannt, hat schon bei Hegel die Dialektik die faktische Funktion, kontemplativ mystische Gedanken der Romantik als Sinndenken vermittelnd rational zu fassen. 45 Die scheinlogische Funktion der Dialektik im neuhegelianischen Denken wird bewußt, wenn „Dialektik" mit der schrittweisen Entwicklung auf ein vorgegebenes Ziel übersetzt wird. Die darin notwendigerweise erkennbare Teleologie impliziert das gegenseitige Aufeinanderzulaufen von Idee und Wirklichkeit, vor allem in der Objektivierung dieses Richtungsdenkens durch die Verwirklichung des „objektiven Geistes". Konservatives Methodendenken ist wissenssoziologisch betrachetet organisches, vermittelndes Entwicklungsdenken. Die Argumente verlieren ihre quälende Eindringlichkeit, indem sie naturrechtlich aufgehoben werden. Aus der transpersonalen Ebene des

43 Folgende geschichtsphilosophische, journalistische und zeitkritische Kurzartikel Hubers sind aus den nationalkonservativen Zeitschriften „Der Ring" und „Deutsches Volkstum" zu nennen: (anonym). Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 998-1001. Hier geht es vor allem um den Antagonismus von Materialismus und Idealismus in der Technikbewertung im Verhältnis zu einer neuen, die „pluralistische" geistige Kultur Weimars als Entfremdung überwindende Geisteshaltung; (anonym): Geschichte und Dogma, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 216f. Huber untersucht Oswald Spenglers Buch „Untergang des Abendlandes" nach der dogmatische Bedeutung von Geschichtserkenntnis und der Bewertung der „politischen Idee" als gestaltendem Prinzip; femer (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Kulturphilosophie und Politik, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 589f.. Hier beschäftigt sich Huber mit der dialektischen Betrachtungsweise des Neuhegelianers Richard Kroner. 44 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 87. 45 Mannheim: Konservatismus, S. 89f.

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Naturrechts läßt sich situativ eine neue wertphilosphische Unterbauung der Argumente finden. Für den Rechtshegelianismus hat dialektisches Denken die Abwehrfunktion, das bürgerliche Bewußtsein aus der Sphäre des Sozialen und Politischen herauszudrängen. Dieser konservative Grundzug lastet auch Hegels Staatsphilosophie an, vor allem in der Rezeption der von Huber ins Feld geführten Larenz-Binder-Schule der Rechtsphilosophie, die ihre Hegel-Interpretation als „objektiven Idealismus" bezeichnet. 46 Der „objektive Idealismus" begeht in der einseitigen Hegel-Rezeption den Fehler, die Dialektik auf ein dualistisches Einheitsdenken zu reduzieren: der Dreiklang wird zum verflachten Zweiklang. 47 Der „objektive Idealismus" bezieht sich auf Hegels Auffassung von der Immanenz der Idee. Die Idee hat als konstitutive wie normative Kategorie sinngebende Funktion auf die Gestaltung der Wirklichkeit, die Idee ist ein formales Ordnungsprinzip der Wahrnehmung. 48 Die Dialektik kommt bei der Frage nach der Synthese von Sein und Sinn, von Wirklichkeit und Idee ins Spiel. Die Synthese beruht auf der dialektischen Struktur des Geistes, der selbst gegenständlich wird und sich als „objektiver Geist" entfaltet. Die Idee bringt die Wirklichkeit dem Individuum vermittelnd schöpferisch hervor, wobei die Idee der schöpferische Geist ist, der sich als subjektiver und objektiver Geist entfaltet und in dieser Tätigkeit zum Bewußtsein seiner selbst erhebt. 49 Als eine Stufe wird in diesem Entwicklungsgang des Geistes auch das Recht als Wesenskern und Substanz der Idee betrachtet. Die Idee ist also nicht nur eine Forderung an das Subjekt, sondern verwirklicht sich auch als „objektiver Geist". Damit sind die Kerngedanken des „objektiven Idealismus" nachgezeichnet. Der von Holstein postulierte „Rechtsidealismus" wird bei Larenz zur „dialektischen Jurisprudenz", 50 die Recht als „Einheit des Gegensätzlichen" auf die Verwirklichung der Idee, die subjektiv auszulegen ist, zurückfuhrt. Die Dialektik wird zum irrationalen, methaphysischen, der Wirklichkeit abgewandten Methodenfaktum. Die Wirklichkeit wird geistesgeschichtlich interpretiert und objektiviert, die soziale und politische Realität methodisch abgeschirmt. Diese Hegelrezeption ist insofern eine Antwort auf den Weimarer Methodenstreit, weil die Sein-Sollen-Sphäre ideell aufgehoben wird. Sollen wird „im" Sein befindlich als „existentiell" umschrieben, die Verfassungswirklichkeit kann dann keine antagonistische Größe zur Verfassungsnorm mehr sein. Wenn Huber 1932 feststellt, daß „offenbar eine starke Beziehung der Grundrechte zu den geistigen Gehalten, die in einem Volk Wirklichkeit geworden sind" 51 besteht, oder in einem anderen Falle Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit als „Funktionen der politischen Idee" umschrieben, die „den Staat und seine Form konstituieren", 52 und die „Änderung der gesamten Ordnung oder eines in sich geschlossen Teiles dieser Grundordnung auf Grund eines Wandels der politischen Idee" 53 herleitet, reduziert er im Sinne des „objektiven Idealismus" die Verfassungswirklichkeit auf die neue, einer Weltanschauung zugrunde liegenden Idee und erhebt sie im Sinne der Verfassungswandlung als „staats46 47 48 49 50 51 52 53

Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1931, S. 83ff.. Geis, a. a. O., S. 94. Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 81. Ebenda, S. 84. Ebenda, S. 92. Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 2. Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4. Ebenda.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische

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rechtliches Gewohnheitsrecht" zum neuen materiellen Verfassungszustand, der mit politischen und juristischen Mitteln zu bewahren ist. Die Konsequenz dieses irrationalen Verfassungsdenkens ist, daß die Subsumtion als Auslegungsmethode der Rechtswissenschaft durch eine metaphysische Wertbetrachtung, die inhaltliche Beliebigkeit stützt, abgelöst wird. 54 Huber kritisiert 1932 die dialektische Betrachtung des Neuhegelianismus als in methodologischen Fragen verfangen: „Die Dialektik wird mißverstanden, wenn sie zu einem romantischen ewigen Gespräch führt, und Hegel selbst war weit davon entfernt, die Philosophie und die Geschichte als ewige Prozesse aufzufassen. Ihm war der Staat der Endpunkt des dialektischen Geschehens, und es zeigt sich daran, daß er ein spezifisch politischer Denker ist." 55 Doch die Gleichsetzung von Staatlichkeit und Begriff des Politischen im dialektischen Denken bringt das Methodendenken auf die Ebene der Vermittlung von Methode und Gegenstand. Erst die monopolkapitalistischen Verzerrungen der Wirtschaft am Ende der Weimarer Republik und die sie als Status quo legitimierende Notstandspolitik der Präsidialkabinette erbringt die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen, für welche die politische Philosophie des Neuhegelianismus optiert. Der Gedanke eines gesellschaftsintegrierten, d.h. konfliktfrei funktionierenden Machtstaates taucht in der politischen Situation auf, wo eine in den Regelungsmechanismen des Verfassungsrechts lösbare Verfassungsstörung nicht mehr denkbar erscheint: 56 „Damit zeigt sich eine Erschütterung der Grundlagen unseres Verfassungslebens, der mit dem Handeln im Verfassungsnotstand [. . .] nicht mehr beizukommen ist." 57 Hubers Rezeption des staatsphilosophischen Idealismus ist die entschlossene Abkehr vom Individualismus und vom normativen Gesellschaftsdenken hin zu einer den Staat als Ordnungsmacht rettenden Ideologie, die sich methodisch auf die Staatsund Rechtsphilosophie Hegels beruft. Der Universalismus ist die Antwort auf den Individualismus, das naturrechtlich-metaphysische Denken auf den aufklärerischen Rationalismus und sein normatives Gedankengut. Hegels Staatstheorie bezieht sich keineswegs auf einen wirklichen Staat, sie beschäftigt sich mit der Idee des Staates. Ein wirklicher Staat kann nicht mehr sein als eine Annäherung an die Idee. Der Etatismus der Hegeischen Staatstheorie manifestiert sich in der Auffassung, daß die Vernünftigkeit die Welt des Menschen durchdringend zuerst im Staat sichtbar werde. Erst in der Sphäre des Staates werde die Vernunft sich ihrer selbst bewußt: „Der Staat ist die Wirklichkeit der sittlichen Idee - der sittliche Geist als der offenbare, sich selbst deutliche, substantielle Wille, der sich denkt und weiß und das, was er weiß insofern er es weiß, vollführt." 58 Das Sittliche im Staat ist die Einheit des subjektiven Bewußtseins und des Objektiven: „Die Substanz in diesem ihrem wirklichen Selbstbewußtsein sich wissend und damit Objekt des Wissens."59 54 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S. 90. 55 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Kulturphilosophie und Politik, a. a. O., S. 590. 56 Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 89f.; s. a. ders.: Volk und Staat. Zum Wandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert, a. a. O., S. 54-65. 57 Huber (unter dem Pseudonym Lothar Veeck): Verfassungsnotstand, a. a. O., S. 983. 58 Vgl. Hegel, Georg Friedrich Wilhelm: Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1986, § 257, S. 398. 59 Ebenda, § 146, S. 294f..

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Der Staat verkörpert die höchste Form der Beziehungen des Menschen untereinander. Um diese Funktion des Staates zu erfüllen, muß der Staat das Selbstbewußtsein des Individuums mitreflektieren. Voraussetzung ist ein Merkmal, das Hegel die Ausstattung des Staates mit der Idee nennt. Die Weise, in der die Institutionen des Staates organisiert sind, entscheidet darüber, ob das Selbstbewußtsein des Individuums im Staate seinen angemessenen Ausdruck findet: „Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willes, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absolut unbewegter Selbstzweck [,..]."60 Wenn Hegel in der Vorrede zur Philosophie des Rechts sagt, der Staat sei „die Vernunft, wie sie sich im Element des Selbstbewußtseins verwirklicht",61 so heißt das, daß Institutionen nicht als äußerliche Zwangsorgane, sondern als Erweiterung des menschlichen Selbstbewußtseins begriffen werden: „Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, daß die persönliche Einzelheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich (im System der Familie und der bürgerlichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen f...]." 62 Hegel differenziert dieses Identitätsdenken mit der Unterscheidung von Wirklichkeit und Dasein. Ein Staat, in dem die Einheit des Besonderen und der Allgemeinheit nicht realisiert sei, sei ein schlechter Staat, dem das Merkmal der Vernunft ermangele: „Der Staat ist wirklich, und seine Wirklichkeit besteht darin, daß das Interesse des Ganzen sich in die besonderen Zwecke realisiert. Wirklichkeit ist immer Einheit der Allgemeinheit und Besonderheit. [. . .] Insofern diese Einheit nicht vorhanden ist, ist etwas nicht wirklich, wenn auch Existenz angenommen werden dürfte. Ein schlechter Staat ist ein solcher, der bloß existiert; ein kranker Körper existiert auch, aber er hat keine wahrhafte Realität." 63 Das Methodischwerden des Machtproblems in der Staatstheorie Hegels vollzieht sich auf zwei Ebenen: zum einen in der Dialektik Hegels selbst, darüberhinaus in der einseitigen Rezeption der Weimarer Junghegelianer, dem für Huber wichtigen „objektiven Idealismus", der den „objektiven Geist" dialektisch verabsolutiert. Hegel macht sich zum Vertreter eines Staates, der sich mit Vernunft und Sittlichkeit ausgestattet, unter dem Namen „objektiv" zwischen die Bereiche des Absoluten und des Subjektiven hineinschiebt, um nach beiden Seiten ausgreifend eine faktische Übermacht zu gewinnen, die er mit der theoretischen Überbewertung der Quasiabsolutheit für sich reservierend in Anspruch nimmt. Die Disproportionalität in der Überbewertung des „Objektiven" kommt einer prinzipiellen Unbegrenztheit der Macht gleich. Im „objektiven Geist" vereinigt sich geglaubter Sinn mit der zu einer Verwirklichung nötigen realen Macht. 64 Der jungnationale Denker Ernst Rudolf Huber rezipiert die Hegeische Staatsauffassung im Wandel von Lebensgefühl und Wertbewußtsein. Die Problematik des Irrationalen erlebt

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Ebenda, § 258, S. 399. Ebenda, S. 15. Ebenda, § 260, S. 406. Ebenda, Zusatz zu § 270, S. 415. Martin, Alfred von: Macht als Problem. Hegel und seine politische Wirkimg. Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Jg. 1976, Nr. 7, Wiesbaden 1976, S. 19f..

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ihre Konjunktur, weil Wahrheit und Wirklichkeit als Begriffe ineinander übergehen, so daß in der Dialektik bereits ein ausgesprochenes Interesse an empirischen Faktizitäten politischen Ranges auftritt und lebendig wird, ein Phänomen, das methodologisch in Hans Freyers Theorem der Wirklichkeitswissenschaft dominant geworden ist. Hegel nannte „Wahrheit" in einem tiefen Sinn platonisierendes Wissen, welches zum transzendent „wahrhaft Seienden" wurde. Der Schein einer Objektivität des Subjektiven entsteht durch eine dogmatische, die subjektive Idee in den objektiven Begriff verwandelnde Metaphysik. 65 Dialektisches Denken ist wissenssoziologisch betrachtet das Produkt realer gesellschaftlicher Spannungen, die konservatives Denken auf den Plan rufen. Hegel wollte die reale Entzweiung der gesellschaftlichen und geistigen Gegenwart dialektisch aufheben. Die Vermittlung der Gegensätze in der Bewegung manifestiert sich ebenso in der Einheit von objektiver Geltung und subjektivem Wollen. Der Staat als Manifestation des objektiven Geistes, der zudem den Volksgeist in der Geschichte entfaltet, gleitet metaphysisch verstanden in das etatistische, die Gesellschaft inkorporierende Fahrwasser ab. Mit Rückgriff auf Hegels Staatslehre läßt sich die Identitätsvorstellung der Einheit von Staat und Volk als organisch-sittlicher Einheit begründen. Die Rückkehr zu Hegel ist zugleich die Abkehr von der Weimarer Republik. Die Volkssouveränität als Inbegriff der parlamentarischen Demokratie wird zur Staatssouveränität uminterpretiert, der Staat wird souveräne Entscheidungseinheit.66 Die Integration des Volkes im Staat ist eine weitere theoretisch-methodische Implikation, die sowohl Huber als auch die junghegelianischen Rechtsphilosophen im allgemeinen interessierte,67 denn mit der Aufhebung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft kann die Einheit von Staat und Volk als integrative und ganzheitliche Prämisse umgesetzt werden: „Die natürliche Volksordnung wird damit zum Bestandteil des politischen Seins; sie wird zur öffentlichen Ordnung. Die Eigenart des nationalen Staates besteht darin, daß die Volksordnung in ihrer natürlichen Wesensgesetzlichkeit aufbauend und tragend in den politischen Bereich einbezogen wird." 68 Das Volk ist als subordinierter Bereich der Staatstheorie Hegels als zum Staat gewordenes freies Volk im freien Staat eine vorwiegende Kraft, die Hegel in der Antike geschichtsphilosophisch fundiert sah. Die Historische Rechtsschule ging dagegen einem organisch, quasi vegetativ wachsenden Volksgeist nach, der als Rechtsquelle den substantiellen Charakter der im Staate aufgehenden Volkskraft dokumentiert. Nach Hegel will das Volk nur Freiheit und hat deshalb keinen Staatssinn, ein Faktum, welches das Hegeische Staatsdenken in seiner substantiellen Form für den Etatismus der Rechtsphilosophie der Binder-Schule zu einseitig machte. 69

65 Ebenda, a. a. 0., S. 25f.. 66 Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, a. a. O.; s. a. Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 323. Dieser Artikel steht sehr stark unter dem Eindruck der Schmittschen Souveränitätslehre. 67 Huber: Die Deutsche Nation, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 664ff.. 68 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 92. 69 Martin, Alfred von: Macht als Problem, a. a. O., S. 46f..

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c) Staat und Volksgeist Doch der Schritt von Hegel zur Historischen Rechtsschule ist nur kurz. Hegel sieht sein politisches und philosophisches a priori im „Volk", in dem zum Staate organisierten Volk. Der Staat ist als anschauliches Ganzes a priori gegeben, die Rechtsphilosophie sucht sein Wesen zu erkennen. Dementsprechend steht das Recht im Dienste der Verwirklichung des Volkes im Staat.70 Savigny geht dagegen den Weg von „unten" und schließt vom Volksgeist auf den Staat. Trotzdem scheint in der von Huber rezipierten Rechtsphilosophie Binders und Larenz eine theoretisch und inhaltlich kaum durchschaubare Vermittlung von Hegels und Savignys Volksgeisttheorie vorzuliegen. Der theoretische Pragmatismus besteht in der „Leistung", den Staat von Hegel aus zu denken, das Volk als integratives organisches Element, zur Abschwächung des Machtstaatsgedankens nach außen, aber von unten aus im Sinne Savignys zu rekonstruieren. Die Identität von Staat und Volk impliziert die Hegeische Auffassung des Staates als Organismus, als Symbol bewußter Machtpolitik. Im Organismusgedanken wird mit Hilfe der dialektischen Methode das Verhältnis der Glieder zum Ganzen, andererseits das des Ganzen zu den Gliedern in der Hegeischen Betonung des „lebendigen Geistes" als Machttrieb von unten bestimmt. Die als Machttrieb von oben wirkende Organisation und die als „lebendige Gliederung" von unten wirkenden Teile streben in dieselbe Richtung zum einheitlichen Ganzen, zur Befestigung nationaler Macht nach außen und nationaler Ordnung nach innen. Der spezifisch konservative Stil dieses Ordnungsdenkens ist in der Feinddimension zu suchen. Mit dem Organismusgedanken wird letzlich der Gegensatz von Herrscher- und Volkssouveränität und die Logik des Vertragsdenkens beseitigt. Er ist sowohl gegen den Absolutismus als auch gegen den Liberalismus gerichtet.71 Das Organische wird zum Gegenbegriff des Mechanischen und Atomistischen, eine Argumentationslinie, die für die Hegel-Rezeption der „Konservativen Revolution" der Weimarer Zeit typisch ist. Die überwundene Vertragsvorstellung des Staates beinhaltet auch die Ablehnung der koordinierenden Funktion des Rechts zwischen Individuum und Staat. Die bei Hegel bereits formulierte Vorstellung vom Staat als sittlichem Organismus stellt den „sittlichen Willen" zur „Macht der Gemeinschaft" als zu einem Ganzen innerlich verbunden dar, die Totalität wird zur gegenständlichen Realität für das Bewußtsein der Glieder. Die damit einhergehende „organische" Versöhnung von Freiheit und Macht impliziert nur die vom Volk im Staat aufgehende sittliche Freiheit, die der Staat ausstrahlt.72 Die Annahme, daß sich das Volk im objektiven Geist in der Metaphysik des Staates verwirklicht,73 impliziert nicht nur die historische Bindung des Volksgeistes, sondern auch den Entstehungsgrund des Rechts. Volksgeisttheorie ist Rechtsquellenlehre, weil das „Recht"

70 Heller, Hermann: Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland. Ein Beitrag zur politischen Geistesgeschichte, Leipzig, Berlin 1921, S. 63. 71 Ebenda, S. 92; s. a. Martin, Alfred von: Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken, in: Deutscher Staat und deutsche Parteien. Beiträge zur deutschen Parteiengeschichte. FS für Friedrich Meinecke zum 60. Geb., München/Berlin 1922, Neudruck Aalen 1973, S. 342-385 (344f.). 72 Heller: Hegel und der nationale Machtstaatsgedanke in Deutschland, a. a. O., S. 93fF.. 73 Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S. 103ff.

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Lebensäußerung des Volkes ist und den „Seinsgrund" im Staat findet. 74 Recht hat als Emanation des Volksgeistes einen ebenso metaphysisch-naturrechtlichen Ursprung wie die gesamte dialektische Vermittlung des Staates und ist Ursprung eines organischen Entwicklungsdenkens. Dieses ontologisierte Denken in „Wesens"-, „Natur-der-Sache"- und „Ordnungs"Argumenten ist in seiner transzendenten, affektiven und diflusen Orientierung sowie homogenen und stabilen Geltung im Hegeischen Sinne „substanziell" oder „konkret" und kann als methodische Vorstufe des seit 1933 geltenden „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" bezeichnet werden. 75 Bei Huber dokumentiert sich das organisch-dialektische Denken in Ordnungen denn auch viel stärker als das dezisionistische Element des Politischen zur Überwindung der Weimarer Kompromißverfassung.

d) Existentielles Forschungsdenken: Wirklichkeitswissenschaft Die dialektische Vermittlung von „Idee" und „Wirklichkeit", in der Binder-Schule aus Hegels Immanenztheorie deduziert, führt Huber noch zur wirklichkeitswissenschaftlichen Theorie Hans Freyers.76 Aus dem erkenntnistheoretisch fundierten Paradigma der „Wirklichkeitswissenschaft" 7 7 Hans Freyers gewinnt Huber die Erkenntnis, daß die Trennung von Staat und Gesellschaft erkenntnistheoretisch „aufgehoben" werden kann. 78 Über Carl Schmitts Verfassungslehre und das Kriterium des Politischen als existentielles Einheitsmoment hinaus findet Huber in Freyers Wissenschaftstheorie die Konnotation von schöpferischer politischer Gestaltung, dem versöhnenden Geist der Hegeischen Geschichtsphilosophie und die Begründung staatswissenschaftlicher Einheit des Gesellschaftlichen im Staat, wobei „Soziologie" und „Staatswissenschaft" austauschbare Kategorien 74 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Historische Rechtsschule und die Geschichtlichkeit des Rechts (1964), in ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt/M. 1991, S. 9-41 (14ff). 75 Vgl. Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934. 76 Freyer, Hans: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Logische Grundlegung eines Systems der Soziologie, Stuttgart 1930. 77 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Staat und Gesellschaft. Bemerkungen zu Hans Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 299-305. Huber geht über den Rezensionsstil hinaus und projiziert Freyers wissenschaftstheoretische Einsichten affirmativ in die Zukunft: „In der Tat finden sich in dem gegenwärtigen pluralistischen Chaos Ansätze zur mannigfachen Neugliederung der Gesellschaft; in einer ständischen, korporativen oder bündischen Ordnung könnte das werdende Strukturgesetz der künftigen Gesellschaft enthalten sein" (S. 305). Das Schöpferische und Willentliche dieser Erkenntnishaltung kommt bei Huber vor allem in der Darstellung des Gegenbildes zum Ausdruck; vgl. (gez. W. E.): Rez. „Pitirim Sorokin: Soziologische Theorie im 19. und 20. Jahrhundert, München 1931", in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 426. Huber kritisiert Sorokin als Positivisten und fordert im Sinne Hans Freyers: „Die Darstellung der modernen soziologischen Theorien würde sein, die Zusammenhänge der einzelnen Theorien und Kontroversen mit der Einheit der Wissenschaftsidee zu zeigen und daraus ihren Rang und ihren Wahrheitsgehalt zu ermitteln" (ebenda). 78 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 86, mit Bezug auf Freyers wirklichkeitswissenschaftliches Konzept.

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sind: „Vielleicht vollzieht sich in der Gegenwart eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft, die einen besonderen Bereich der gesellschaftlichen Gebilde bestehen läßt und der Soziologie damit eine selbständige, von dem Gegenstand der Staatslehre geschiedene Aufgabe vorbehält." 79 Nach Hegel ist der „Geist", das „Absolute" oder die „Idee" dem Menschen zugänglich. Die Wissenschaft hat die Funktion, diesen Zugang erkenntnistheoretisch in der Logik der spekulativen Philosophie zu öffnen. Hans Freyers Theorem der Wirklichkeitswissenschaft nimmt sich dieser Aufgabe im Hinblick auf die erkenntnistheoretische Lösung des Antagonismus' von Idee und Wirklichkeit, von Theorie und Praxis an und löst den Impetus der nationalen Volksgemeinschaft ganz in den Denkkategorien des Rechtshegelianismus im metaphysischen Volksgeist auf. 80 Daß Hubers Affinitäten zu Freyers Wissenschaftsverständnis über die wohlwollende Rezension hinausgeht, dokumentiert ein Zitationsvergleich. Hubers Deskription: „Um alle Mißverständnisse auszuräumen sei betont, daß unter empirischer Wissenschaft' dabei nicht eine Wissenschaft verstanden ist, deren Methode empirisch ist, sondern eine Wissenschaft, deren Aufgabe empirisch ist." 81 , deckt sich sinngemäß mit Freyers Postulat: „Wirklichkeitswissenschaft ist die adäquate Erkenntnishaltung gegenüber einem sinnvollen Geschehen, dem der Erkennende selbst existentiell angehört." 82 Es ist eine neue Erkenntnishaltung des Wissenschaftlers gegenüber dem zu analysierenden wissenschaftlichen Stoff, ein „Grenzfall der Objektivität", den Freyer umschreibt: „Eine lebendige Wirklichkeit erkennt sich selbst: das ist die völlig neue Situation, aus der die logische Struktur und die Erkenntnishaltung der Soziologie verstanden werden muß." 83 Die Soziologie werde zum wissenschaftlichen Selbstbewußtsein einer menschlichen Gegenwart, zur „Theorie einer Existenz". 84 Diese „Objektivität" grenzt sich expressis verbis gegen das Wertfreiheitspostulat Max Webers ab und leitet die Objektivität aus der „in Leben gefaßten Lebens" in der Geschichte ab. Der wissenschaftliche Wille des Forschers zur Erkundung des Daseins zentriert sich in Freyers Postulat: „Wahres Wollen fundiert wahre Erkenntnis". 85 Die neue wissenschaftliche, „existentielle" Situation, die Huber auch für sich inauguriert, ist dadurch geprägt, daß der Forscher in sie eingebunden ist, er seine Methodik, Erkenntnis und Fragestellung aus „der Mitte des Seins" empfangt. Wissenschaft ist nicht mehr objektive Forschung, sondern wird aus einem in sie eingebundenen Standort als „existentiell" und damit gestalterisch-politisch empfunden. 86 Wissenssoziologisch versteht sich diese Konzeption der Wirklichkeitswissenschaft als politisch, weil sie standortgebunden agiert. Die Antithesen wie „Geist" und ,Politik", „Wertfreiheit" und „Weltanschauung" werden existentiell im Dienst der politischen Gestaltung aufgehoben. Das Er79 Huber: Staat und Gesellschaft, a. a. O., S. 300. 80 Bauer, Wolfram: Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, a. a. O., S. 363f.. 81 Huber: Kirche und Theologie, a. a. O., S. 356, Anm. 1. 82 Freyer, Hans: Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft, S. 199, zit. bei Huber, a. a. O., S. 300. 83 Huber, a. a. O., S. 300. 84 Freyer, a. a. O., S. 89. 85 Huber, S. 307. 86 Zur Verschränkung von politischer und erkenntnistheoretischer Argumentation: Henke, Ursula: Soziologien in Deutschland 1918 bis 1945. Kontinuitäten und Diskontinuitäten konkurrierender Denkrichtungen, unveröffentl. Habil., Bochum 1985, S. 235f..

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kenntnisobjekt trägt seine Willensrichtung in sich und der Forscher, der dem Geschehen existentiell angehört, wird von dieser Wirklichkeit bewegt. Der wirklichkeitswissenschaftliche Ansatz nimmt das „wissenschaftliche Selbstbewußtsein einer gesellschaftlichen Wirklichkeit" 8 7 in Anspruch, um die radikale Wendung vom Gesellschaftsdenken zum Staatsdenken methodologisch als lebensphilosophisch begründete Einheit von Theorie und Praxis, von Subjektivität und Objektivität zu vollziehen. Für diesen methodologischen Impetus spricht, daß Huber den etatistischen Soziologen Freyer methodologisch rezipiert. Freyers „Revolution von rechts" dokumentiert den politischen Gestaltungswillen des Wissenschaftlers in diesem Theorie-Praxis-verschränkten Wissenschaftskonzept. Das wirklichkeitswissenschaftliche Denken wird in seiner gegenwärtigen Bedeutung und Substanz im Hegeischen Sinne als „zeitgemäß" apostrophiert, weil der Willensgehalt der Gegenwart als in das Bewußtsein erhoben bewertet wird. 8 8 „Handlungen" und „Erwartungen" konstituieren das Bewußtsein orientierender Wirklichkeit. Die dialektische Betrachtung der Wirklichkeit hat in der Verschränkung von Erkenntnissubjekt und gesellschaftlicher Wirklichkeit den Sinn, die Einheit von Bewußtsein und Handeln durch die „Kurzschließung" von historischem Bewußtsein, politischer Praxisgestaltung und Zukunftsutopismen als Konzeption einer existentiellen politischen Integration herzustellen. 89 Die rechtshegelianische Realdialektik will zudem die Gestaltnatur gesellschaftlicher Gebilde in das Zentrum der politischen Umgestaltung rücken, um die Willensgehalte der Theorie nicht sinn- sondern bedeutungsimmanent abzuleiten. Der wirklichkeitswissenschaftliche Ansatz hat seine Funktion in der lebensphilosophischen Fundierung und der Entfaltung der nationalen Volksgemeinschaft. Freyers Wissenschaftskonzept schafft für Hubers Gesellschaftsintegration in den Staat die erkenntnistheoretisch notwendige Einheit von Material und Subjekt, von Sein und Sollen, von Sinn und Bedeutung, zudem das Baugesetz agierender politischer Gebilde, das dem equilibrierenden Verfassungsdenker von besonderer Bedeutung sein muß.

e) Der Begriff des Politischen Die wirklichkeitswissenschaftliche und existentiell-politische Erkenntnisperspektive verbindet Carl Schmitt schon im „ B e g r i f f des Politischen". Demnach sei die „Möglichkeit richtigen Erkennens und Verstehens" ganz im Sinne des Freyerschen Paradigmas „nur durch das existentielle Teilhaben und Teilnehmen gegeben." 9 0 Hans Freyers soziologisch motiviertes Theorem der Wirklichkeitswissenschaft liefert Huber die kognitiven Elemente der neuen Wissenschaftsauffassung, die durch Carl Schmitts „Verfassungslehre" und den , 3 e g r i f f des Politischen" zu einem „politischen Existentialismus" ausdifferenziert werden. Das Methodendenken wird aus der erkenntnistheoretischen Ebene in den operationalen Bereich von Macht und Herrschaft verschoben, weil 87 Freyer, a. a. O., S. 5. 88 Ebenda, S. 210. 89 Rhonheimer, Martin: Politisierung und Legitimitätsentzug. Totalitäre Kritik der parlamentarischen Demokratie in Deutschland, Freiburg, München 1979, S. 27. 90 Schmitt: Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corrollarien, Berlin 1963, S. 27.

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in der Verzahnung von Existenzphilosophie und teleologischer Politisierung des staatsrechtlichen Stoffes der ganze Tenor des antiliberalen, autoritären Staats- und Verfassungskontextes transparent wird. Denn mit der existentiellen Politisierung wird bei Huber letztlich die Frage nach der Legitimation der Verfassungsordnung gestellt. Huber grenzt die Inhalte und das „Kriterium" des Politischen stark ein. Nicht das Freund-Feind-Kriterium und dessen methodologisches Zentrum, der Dezisionismus, wird rezipiert, sondern konkret das prozessuale Faktum der „Politisierung" als Gegenbegriff zur „Neutralisierung".91 Huber nimmt eine „Verwässerung" der inhaltlichen Elemente des Politischen vor, indem er das „Kriterium des Politischen" auf die innerstaatliche Funktion der Einheitsstiftung von „Volk" und „Staat" reduziert und das bei Carl Schmitt methodologisch damit verbundene dezisionistische Denken um den Ausnahmezustand konkret ausblendet. Stattdessen verlegt Huber das polemische Zentrum des Politischen in die existentielle Einheitsstiftung des Staates und die dialektische Verfassungstheorie, welche die Spannung zwischen Geltung und Wirkung der Verfassung zu thematisieren hat. Huber kritisiert an Schmitts Verfassungstheorie die unzureichende inhaltliche Thematisierung der Wendung vom „parlamentarischen Gesetzgebungsstaat" zum „totalen Staat" unter dem Leitgedanken der Dialektik von Norm und Wirklichkeit.92 Schmitts Dezisionismus wird bezeichnenderweise nicht aus der Schrift „Begriff des Politischen", sondern aus dem Verfassungsbegriff der „Verfassungslehre" 93 rekonstruiert. Die „Entscheidung" für eine Verfassungsform sieht Huber dementsprechend in dem Spannungszustand zwischen „Repräsentation" und „Identität" einer Staatsform und dem daraus erwachsenden „politischen Antrieb der nationalen Einheit": „Unter diesem Spannungsverhältnis erscheint mir die Zuordnung von Herrschaft und Volk als das primäre verfassungstheoretische Grundproblem, aus dem alle anderen Fragen von Belang sich in irgendeiner Weise ableiten." 94 Insofern reduziert Huber Schmitts Entscheidungsdenken auf die einer Verfassungsform zugrunde liegenden Idee und zieht die Konsequenz aus der Statik des Schmittschen Repräsentationsbegriffs, der nur Vorhandenes abbildet und den Vorgang und den Prozeß der Einheitsbildung ausschließt. Der Staat sei als Endzustand der politischen Einheitsstiftung erst der Repräsentation durch ein „politisches Volk" fähig. 95 Das „politische Sein" ist für Huber nicht die Schmittsche Zuspitzung der konkreten Situation auf den Ernstfall als der „Grundbefindlichkeit des Daseins", sondern die inhaltliche Entscheidung für die einer Idee entspringenden Verfassungsbewegung, als der zur „politi91 Huber (anonym): Die neutralen Mächte im modernen Staat, a. a. O., S. lOOlf.; (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 323f.. 92 Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 32. 93 Ebenda, S. 35; s. a. Schmitt, Verfassungslehre, a. a. O., S. 204f.. 94 Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 36. 95 Emst-Wolfgang Böckenforde bemerkt trefflich, daß Schmitts Repräsentationsbegriff ein nicht zur abschließenden Formulierung gebrachter Begriff ist; vgl.: Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsgeschichte, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt/M. 1991, S. 344-366 (363f.). Dem Argument schließt sich auch Huber an: „[...] so bleibt aber auch in der Verfassungslehre', die die zentrale Bedeutung des Phänomens der Repräsentation im Staate so scharf hervorhebt, dunkel, ob Schmitt dem modernen Staate die Möglichkeit einer wirklichen Repräsentation und damit einer Regeneration der staatlichen Formierung zuerkennen will [...]"; vgl. Repräsentation, a. a. O., S. 545.

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sehen Identität von Herrschaft und Volk" strebenden „Nation".96 Die von Karl Löwith konstatierte Unentschiedenheit des Freund-Feind-Denkens Carl Schmitts im Dualismus von „substantieller"97 Feindschaft, im Sinne der verfassungstheoretischen Einheit des Staates und der „okkassionellen", am Bürgerkrieg und der verfassungspolitischen Gesamtsituation ausgerichteten Feindschaft, reduziert Huber auf die substantielle Ebene. 98 Die „substanzielle" Dezision definiert bei Huber den Begriff des Politischen in der Funktion der Politisierung als Entscheidung für politische Homogenität. 99 Insofern bleibt die existenzphilosophische Dimension der Entscheidung bei Huber als Element der Verfassungstheorie erhalten. Das Politische wird seines Bürgerkriegszustandes bereinigt und das „In-der-Polis-Sein" als dynamische Einheitsstiftung auf den „Normalzustand" der Verfassung reduziert. 100 Die politische Verfassung ist als Symbol der Einheit, Homogenität und Harmonie in den befriedeten Zustand zurückversetzt. Offensichtlich stört den jungnationalen Denker Huber der Ernstfall in der Herstellung der politischen Einheit. Die im jungkonservativen Denken prononcierte Synthese von „Wachsen und „Machen" nimmt in der schöpferischen Herstellung von Ordnung einen organisch-dynamischen Weg der Herstellung von „Verfassung". Der geistige und soziale Aspekt des „Wachsens" - in der dialektischen Herstellung der Einheit der Verfassung - wird bei Huber offensichtlich durch die Bürgerkriegsphilosophie behindert. 101 Auf den Intensitätsgrad des Politischen, der Assoziation, Konflikte und Gegensätze in der Gesellschaft durch die „Entscheidung über Art und Form der politischen Einheit" 102 zu schlichten, hat die inhaltliche Reduktion, die Huber vornimmt, keine Auswirkung. Das dokumentiert die multikausale Sinnstruktur und der „Abschichtungsgrad"103

96 Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 329; ähnlich: Die deutsche Nation, a. a. O., S. 568. 97 „Substantiell" wird hier verstanden als ein metaphysischer, die Existenz als Ganzheit betreffender und zu ihr führender prozessualer Begriff. 98 Vgl. Löwith, Karl: Der okkasionelle Dezisionismus von Carl Schmitt, in ders.: Gesammelte Abhandlungen. Zur Kritik der geschichtlichen Existenz, Stuttgart 1960, S. 93-126 (109). In der dritten Auflage des „Begriff des Politischen" fallt dieser Dualismus weg, weil die politische „Gelegenheitsenscheidung" durch die Artgleichheit als Rechtsquelle ersetzt wird. 99 Zur Funktion des substantiellen Dezisionismus im Übergang zum Nationalsozialismus und als Vorstufe des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" vgl. Rottleuthner, Hubert: Substantieller Dezisionismus. Zur Funktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, in ders. (Hrsg.): Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, ARSPh, Beiheft 18 (1983), S. 20-35 (insbes. 27-31). 100 Vgl. Der Hüter der Verfassung, a. a. O.. Huber interpretiert die plebiszitäre Macht des Reichspräsidenten als „pouvoir neutre" zwar im Sinne des finanziell-wirtschaftlich ausgelegten Notstandsrechts nach Art. 48 Abs. 2, will aber die „Entscheidung" im System der Balancen der Verfassung belassen wissen, ohne daß sich der Reichspräsident im Sinne der okkassionellen Dezision im Bürgerkrieg über die Verfassung erhebt. Das ist eine deutliche Absage an die am Bürgerkrieg und dem Ausnahmerecht orientierte Situation des Politischen in der Interpretation Carl Schmitts. 101 Im Sinne Karl Löwiths bereinigt Huber Schmitts Dezisionismus seiner Okkasionalität, so daß die substantielle Dezision als Normalfall übrig bleibt. An anderer Stelle spricht Huber auch von verfassungspolitischem Pazifismus: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 330. 102 Schmitt: Verfassungslehre, S. 20f.. 103 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts (Anm. 95), S. 347.

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des Politischen in seinem Dezisionismus und seiner vielfaltige Verwendung zur innerstaatlichen Einheitsbildung. Welche strategische und politische Funktion hat das Politische in der Sinnstruktur der Politisierung nun für Hubers Staats- und Verfassungstheorie, welche politische und wissenschaftsstrategische Funktion erfüllt das Methodendenken? Wieder ist es die enge Werkrezeption Schmitts, die einen differenzierten, sich über Schmitts Logik und Argumentation erhebenden Gedankengang verhindert. Zumindest hat der „Begriff des Politischen" bei Huber eine wichtigere Funktion, als die oberflächliche Perzeption seiner inhaltlich voraussetzungsvoll agierenden Gedanken tatsächlich erahnen läßt. Das etatistische Denken Hubers impliziert die Prämisse, daß der Begriff des Staates den des Politischen voraussetzt, schon aus der affirmativen Grundhaltung zum Weimarer Verfassungswerk Schmitts. 104 Die den Traditionen der deutschen Staatsrechtswissenschaft Rechnung tragende Denkweise, daß dem Staat allein das Politik-Monopol zukommt und alles Gesellschaftliche aufgrund der fehlenden Machtkompetenz im Sinne der diesem Ordnungsschema immanenten Denkstruktur unpolitisch ist, wird aus der Krisensituation des Weimarer Verfassungslebens entwickelt, in einer Situation des zerstörten Staatsprofils. Der Begriff des Politischen will als „Kriterium" keine erschöpfende Definition und Umschreibung geben, sondern Unterscheidungen nach innen und außen phänomenologisch vornehmen, d.h. er bezeichnet nur den „Intensitätsgrad" einer Assoziation (Freundgruppe) oder Dissoziation (Feindgruppe) von Menschen. 105 Da das Politische nichts anderes als ein Intensitätsgrad von Gegensätzen und Konflikten ist, hat das Politische den Charakter eines Faktums, an dem alle Beurteilungen abprallen. Die theoretische Eigentümlichkeit des „Begriff des Politischen" liegt somit in der existentiellen Befindlichkeit des Forschers selbst, 106 „ob es als reale Möglichkeit oder Wirklichkeit vorhanden ist." 107 Die existentielle Intensität einer Assoziation oder Dissoziation zeigt den Grad der Einheitsbildung (Homogenität) an und bestimmt den Grad der Staatlichkeit. Mit der „politischen Einheit" tritt der Staat aus der Gesellschaft wieder in die Definition des Politischen zurück. 108 Das Wesen des Politischen ist in der Qualität begründet, eine homogene und zugleich souveräne „potestas" als Voraussetzung jeglicher Staatlichkeit zu finden. 109 Nicht nur die Politisierung aller Lebensbereiche ist ein Faktum der theoretischen Konstruktion des „Begriff des Politischen". Die Möglichkeit, das Politische als Element gemeinwesenbezogener Aktivität, als Handlung, Ereigniss und Vorgang zusprechbarer Qualität und Form zu begreifen, entspricht dem modalen Charakter des Politischen. 110

104 Vgl. Schmitt: Der Begriff des Politischen, a. a. O., S. 20. 105 Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, S. 28.; s. a. Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, S. 26f.. 106 Figal, Günter: Der Intensitätsgrad des Politischen. Überlegungen in Anschluß an Carl Schmitt, in: Politischen Denken, Jahrbuch 1933, S. 105-116 (106f.). 107 Schmitt: Der Begriff des Politischen, a. a. O., S. 36. 108 Vollrath, Ernst: Wie ist Carl Schmitt an seinen Begriff des Politischen gekommen?, in: Der Staat, 15. Jg. (1989), S. 151-168 (152). 109 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Obrigkeit und Volk, a. a. O., S. 687. 110 Wenzel, Uwe Justus: Die Dissoziation und ihr Grund. Überlegungen zum Begriff des Politischen, in: Flickinger, Hans-Georg (Hrsg.): Die Autonomie des Politischen. Carl Schmitts Kampf um einen beschädigten Begriff, Weinheim 1990, S. 13-36 (18f).

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Die durch Freyers wirklichkeitswissenschaftliches Erkenntnistheorem und Schmitts Begriff des Politischen doppelt aufgelöste Trennung von Staat und Gesellschaft will durch existentielle Integration den normativen Bestand der Weimarer Verfassungsordnung durchbrechen. Wissenschaftstheoretisch hat Hubers Apperzeption des Politischen in der Sinnstruktur der „Politisierung" den Anspruch, die Krise der deutschen Staatsrechslehre in ihrem Dualismus von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit zu überwinden. „Politisierung" löst als der „politische Kampf um „Gestalt" 111 die Antinomie von Norm und Wirklichkeit dialektisch als Formprinzip der Idee auf. 112 Huber löst die Krise der Staatsrechtswissenschaft aber weder erkenntistheoretisch noch themenspezifisch, sondern verstärkt sie vielmehr durch die metaphysische Kritik an den wertrelativistischen Strukturen der liberal-demokratischen Wertordnung. Im übrigen entzieht sich der Begriff des Politischen jeglichen wissenschaftlichen Zugriffs. Er ist auch bei Carl Schmitt durch die dezisionistische Verortung des Bürgerkriegszustandes metaphysisch so gelagert, daß er in einer existentiellen Situation argumentativ „präsent" ist. „Politisierung" hat als Gegenbegriff zur „Neutralisierung" 113 eine fest umrissene Kontur. Er bedeutet im formellen und fundamentalen Sinne die Mobilisierung „substantieller", im Volk liegender Kräfte zur Erreichung der politischen Einheit. Der Staat als politischer Staat ist als Produkt dieser Vorgänge die Selbstdarstellung der Nation. 114 Es ist der Sinn der neuen Wirklichkeitsauffassung, mit der Politisierung der Weimarer Verfassungsordnung den Gegensatz von Macht und Moral mit der dialektischen Aufhebung von Norm und Wirklichkeit überwunden zu haben. Die Politisierung der Staatsrechtswissenschaft,115 die schon Heinrich Triepel in seiner berühmten Rektoratsrede 1927 gefordert hatte, läßt auch das Verhältnis von Recht und Staat nicht unberührt. „Politisierung" als die Herstellung von politischer Einheit und Aufhebung der innerstaatlichen Neutralität interpretiert das Staatsrecht als genuin politisches Recht, insofern es die Form für den Bestand, den Erhalt und die Aktionsfähigkeit der politischen Einheit des Staates garantiert und möglich macht. Der Gegenstand des Rechts betrifft das Gravitationsfeld des Politischen im positiven Sinne. Erhalt und Stabilisierung von Macht. 116 Das mit der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" methodisch fundierte Dogmatisierungsbedürfnis des Juristen führt zwangsläufig zu einer Abwertung der juristischen Argumentation: „Nur wenn sich erweisen sollte, daß diese Entscheidungsunfähigkeit des Volkes, die heute nur als akute Störung erscheint, eine dauernde Lähmung bedeutet, erhebt sich jenseits der juristischen Überlegungen, die die Grenzen des Handelns im Ausnahmezustand und im Verfassungsnotstand betreffen, die Frage nach der geschichtlichen Rechtfertigung eines Handelns, das den Boden der Verfassung verläßt, um das Reich zu erhalten." 117 Die Perspektivität des Huberschen Denkstandortes bestimmt sich mit der Intensi111 Huber: Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 884. 112 Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4f.. 113 Zur Neutralisierung vgl. Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 28f. mit Bezug auf Carl Schmitts Ebenen der Neutralisierung. 114 Rhonheimer: Politisierung und Legitimitätsentzug, a. a. O., S. 115. 115 Vgl. die Ausführungen bei Jürgen Meinck: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 144ff.. 116 Böckenforde (Anm. 95), S. 349, 355, Anm. 20. 117 Huber (unter dem Pseudonym Lothar Veeck): Verfassungsnotstand, a. a. O., S. 984.

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vierung des Politischen und der Dezision, Freund und Feind zu bestimmen: Antiliberalismus, Antidemokratie und Antiindividualismus sind die Folien der „Dissoziation", die den erkenntnistheoretischen Willen Hubers bestimmen. Politisierung heißt Existentialisierung von politischen Konflikten, die der Staatlichkeit des Staates durch Einheitsbildung die Stärke quasi wissenschaftstheoeretisch zurückführen. Das totalitäre Politisierungsprogramm, das in der erkenntnistheoretischen Situation der Wirklichkeitswissenschaft in der Verschränkung von Erkenntnis und Praxis ideologisches Bewußtsein zur Methode der Wirklichkeitserkenntnis potenziert, ist die extrem politisierte, weil den Weimarer Verfassungswert relativierende Auslegung der telelogisch-wertbezogenen, geisteswissenschaftlichen Richtung im Methodenstreit und dient wissenssoziologisch dem Legitimitätsentzug der geistig-politischen Grundlagen der Weimarer Verfassungsordnung. Die konkrete Zielsetzung ist, mit der Wertgebundenheit des politischen Existentialismus aus Gemeinschaftspostulaten den Wertrelativismus der liberaldemokratischen Verfassungsordnung Weimars als „trennend" und „entfremdend" aufzudecken. 118 Die Sprache wird zum schärfsten Mittel der existentiellen Politisierung. 119 Der Staatsrechtler avanciert zum „geistigen und politischen Führer" 120 zur Umgestaltung der Rechts- und Verfassungsordnung. Der ursprünglich richtigkeitsverbürgende Sinn der juristischen Methode wird mit der Wendung zur verfassungstheoretischen Argumentation dem Politisierungspostulat geopfert. Die nunmehr naturrechtlich aufgefaßte Sein-SollenSphäre wird als Eckpunkt des staatsrechtlich-erkenntnistheoretischen Methodenstreits transzendent gefaßt. Mit der Rücknahme der Positivität des Rechts „überwindet" das neue Methodendenken mit der teleologischen, überpositiven und wertgebundenen Argumentation die Illusion des formallogischen Subsumtionsideals und verdrängt die Rationalität der positivistischen Rechtsauffassung. 121

f) Die Gegenstandsgebundenheit des Verfassungsrechts Die neuen Maßstäbe und Leitbilder des Verfassungsrechts wiesen der Staatsrechswissenschaft 1919 eine neue gestalterische und beratende Funktion im politischen Herrschaftssystem zu, die im krassen Widerspruch zur Rolle der Staatsrechtswissenschaft in den autoritären Machtstrukturen des Kaiserreiches stand. Die gesellschaftliche Rolle des monarchischen Verfassungsrechts war demnach nur begrenzt, hatte keine praktische Verantwortung für dessen Konkretisierung in praktischen Verfassungskonflikten und hatte als Lehrfach die Funktion eines rein staatlichen Organisationsrechts. 122 Die monarchische Staatsrechtslehre war keine praktische Disziplin, das Verfassungsrecht diente nicht der judiziellen Kontrolle und der innerpolitischen Schlichtung des politischen Herrschafts- und Macht-

118 Vgl. Hubers kulturphilosophische Rezensionen: „Geschichte und Dogma", a. a. O., S. 216-217. 119 Rhonheimer, a. a. O., S. 105f. 120 Laim, Rudolf: Der Staatsrechtslehrer und die Politik, in: AöR, NF 4. Jg. (1922), S. 145-199 (196). 121 Dazu detailliert Haverkate, Görg: Gewißheitsverluste im juristischen Denken, a. a. O., S. 115f.. 122 Friedrich, a. a. O., S. 178f.; in der gesellschaftspolitischen Bewertung deckungsgleich: Rennert, a. a. O., S. 35.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

Prozesses als klassengebundenem Akkumulationsprozeß. 123 Vielmehr hatte das Verwaltungsrecht in der rechtspositivistischen Abkehr von der staatswissenschaftlichen zur normwissenschaftlichen Methode die Funktion der justizformigen Schlichtung und Kontrolle als Organisationsrecht. Verfassungsfragen wurden zu verrechtlichten Verwaltungsfragen, indem der Rechtsstaat alle materiellen Bindungen abstreifte und auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung reduziert wurde. 124 Otto Mayers berühmtes Diktum von 1924, „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht", 125 ist die Konsequenz dieser organisationsrechtlichen Entpolitisierung des öffentlichen Rechts gewesen. Die juristische Methode des formalen Positivismus, die sich auf die formale Bearbeitung des geltenden öffentlichen Rechts beschränkte, diente vorzugsweise der Aufrechterhaltung der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung und degenerierte als „Denktechnik der Bürokraten" 126 zu einer Status-quo-Wissenschaft zur Wahrung des monarchischen Interesses. 127 Der juristischen Methode des staatsrechtlichen Positivismus gelang es bis 1914, den monarchisch-konservativen Staat vor politischer Kritik zu schützen, indem die zahlreichen politischen Konflikte, die trotz des Kompromisses zwischen Bürgertum und Monarchie immer wieder aufbrachen, in Rechtsprobleme umbenannt wurden. Die dem Gesetzespositivismus immanente Tendenz, verfassungspolitische, ökonomische und soziale Fragen zu rechtlichen zu reduzieren und die Tätigkeit des Richters, sich allein auf die Interpretation und Systematisierung des geltenden Rechts zu konzentrieren, diese funktionale Herrschaft des Gesetzes war unpolitischer Natur. Der Geltungsgrund des Gesetzes war nur noch die logische Struktur und Richtigkeit des Rechtssystems.128 Der staatsrechtliche Formalismus war der theoretische Ausdruck des Klassenkompromisses zwischen Bürgertum und monarchischem Staatsapparat. Das Bürgertum bezahlte seine durch die juristische Methode freigesetzte und gesicherte ökomomische und soziale Bewegungsfreiheit mit dem Verzicht auf jeglichen politischen Einfluß auf die politische Entwicklung des Deutschen Reiches. 129 Der Formwandel der politischen Herrschaft nach 1917 war insofern eine doppelte Zäsur, als der parlamentarische Parteienstaat jetzt politisches Engagement in rechtlichen Grenzen forderte, zum anderen dem Rechtspositivismus die soziale Grundlage entzogen wurde und 123 Oertzen, Peter von: Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus. Eine wissenssoziologische Studie über die Entstehung des formalistischen Positivismus in der deutschen Staatsrechtswissenschaft, hrsg. von Dieter Sterzel, Frankfurt/M. 1974. 124 Grimm, Dieter: Die deutsche Staatsrechtslehre zwischen 1750 und 1945, in ders.: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 291-307 (300ff.). 125 Vgl. Mayers Position im Richtungsstreit in: Ipsen, Hans-Peter: 50 Jahre deutsche Staatsrechtswissenschaft im Spiegel der Verhandlungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Π. Die Verhandlungen von 1949 (Heidelberg) bis 1971 (Regensburg), in: AöR, NF Bd. 97 (1972), S. 376f. Zur Fortwirkung des positivistischen Vorrangs der Verwaltung gegenüber der Verfassung vgl. Bleek, Wilhelm: Verwaltung und öffentlicher Dienst, in: Die Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Wolfgang Benz, Bd. 1: Politik, Frankfurt/M. 1983, S. 63-91 (63f.). 126 Smend, Rudolf: Politisches Erlebnis und Staatsdenken seit dem 18. Jahrhundert, 1943, S. 528, zit. nach Oertzen, Peter von: Die soziale Funktion des staatsrechtlichen Positivismus (Anm. 123), S. 322. 127 Oertzen, a. a. O., S. 321f.. 128 Neumann, Franz: Der Funktionswandel des Gesetzes in der bürgerlichen Gesellschaft, in ders.: Demokratischer und autoritärer Staat. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/M. 1986, S. 31-81(45ff.,55ff). 129 Oertzen, a. a. O., S. 322.

1. Juristisches

Methodendenken

123

die der juristischen Methode eigene Abschirmung politischer Konflikte zu einem Anachronismus erstarrte, weil sein Realitätsverlust und die Distanz zur gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht mehr der verpflichtenden Gestaltung der verfassungspolitischen Konstellationen der Weimarer Verhältnisse entsprach. War der formale Rechtspositivismus die wissenschaftliche Form des politischen Konsenses zwischen Bürgertum und Monarchie bis 1918, so überwandt das neue hegelianische Methodendenken den offenkundig als Machtdefizit erkannten realitätsfernen Normativismus des formalen Rechtspositivismus. Die Politisierung der Staatsrechtswissenschaft reflektiert auf der Ebene der wissenschaftlichen Erkenntnis die Stellung des Bürgertums vor der Machtergreifung, dessen Politisierung nicht aus historischer Tradition, sondern aus dem Abwehrkampf gegen den sozialen Konsens des Weimarer Verfassungskompromisses und gegen die Arriviertheit der „Lohnklasse" geführt wurde. Das wirklichkeitwissenschaftliche, politisierte Wissenschaftsinteresse kumuliert um die in der Weimarer Staatskrise in Frage gestellten Besitzinteressen und ökonomischen Einflußsphären großbürgerlicher Provenienz. 130 Zusammenfassend kann gesagt werden, daß Hubers Methodendenken trotz der methodologisch kaum reflektierten und verbalisierten Krise der Staatsrechtswissenschaft die wissenschaftspolitischen Motive aus dem Methoden- und Richtungsstreit der Weimarer Staatsrechtswissenschaft gezogen hat. Mit dem Postulat des Methodensynkretismus sind die verschiedensten Versatzstücke hegelianischer Staatstheorie mit dem Anspruch naturrechtlicher Begründung von Recht und Staat miteinander verknüpft. Ausgehend von den erkenntnistheoretischen und rechtspolitischen Inhalten der teleologisch-geisteswissenschaftlichen Richtung um Kaufmann, Smend und Holstein wird der staatsrechtliche Stoff wieder historischen, politischen und rechtsphilosophischen Inhalten geöffnet. Die Wiederherstellung des erkenntnismäßigen Zusammenhangs von Sein und Sollen, Wirklichkeit und Geltung, Existenz und Normativität, bleibt in Hubers Methodendenken nicht auf dieser Reflexionsstufe stehen, vielmehr beinhaltet die geisteswissenschaftliche Richtung nur das methodenkritische Moment zur Überwindung des positivistischen Trennungsdenkens und der Wendung zum Rechtsidealismus. Die paradigmatische Wendung vom Neukantianismus zum Neuhegelianismus ist damit vollzogen. Der Voluntarismus der teleologischen Auslegungsprämissen führt Huber zu einer neuen Wissenschaftstheorie, die in letzter Konsequenz mit der Politisierung und verfassungstheoretischen Umdeutung der Inhalte einen Theoriefatalismus begeht, der den von demokratischen Staatsrechtlern in die Methodendiskussion eingebrachten „Methodenpluralismus" zu einem „Methodenirrationalismus" degenerieren läßt. 131 Der Methoden- und Richtungsstreit wird von Huber in seinem Kern, dem erkenntnistheoretischen und verfassungspolitischen Dualismus der Sein-Sollen-Problematik, oder anders, dem Antagonismus von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, nicht gelöst, sondern sogar beschleunigt, weil die „Objektivierung" des Antagonismus durch die Hegeische Dialektik den Wirklichkeitsbezug abschöpft. Der Etikettenschwindel des konsensualen Aufgehens von Konflikten in einer „objektiven Wirklichkeit" beruht nur auf der Annahme, daß „Wirklichkeit" als Formprinzip der Idee eine theoretische Prämisse ist, der aufgrund der existentiellen Einbindung „Realsinn" gegeben ist. In realiter bleibt das Theorem der Wirklichkeitswissenschaft in einer voluntativen „Sollensobjektivität" stecken, die 130 Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 147. 131 Bauer, Wolfram, a. a. O., S. 155.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische

Zurechnung

mit der existentiell begründeten „Seinsobjektivität" 132 des Forscher legitimiert wird. Wissenssoziologisch bedeutet das, daß dieser methodische Ansatz keinen realkausalen Vermittlungszusammenhang mit der politischen Wirklichkeit herstellen kann. Die Politisierung des verfassungstheoretischen und politischen Krisenstoffs der Weimarer Zeit dient letztlich dem Legitimitätsentzug: Politisierung als weltanschauliche Durchdringung und Auflösung juristischer Begriffe in Politik. Die wissenssoziologische Konsequenz dieses Methodendenkens ist, daß Huber die Wendung vom Verfassungsrecht zur Verfassungstheorie mit dem naturrechtlich-transzendeten „Wirklichkeitsdenken" kaschiert, Form und Inhalt der Verfassung unter die Idee als gestaltendem Prinzip dialektisch „subsumiert". Rechtspolitisch ist das formallogische Sumsumtionsprinzip durch ein materielles Wertdenken ersetzt worden, das inhaltliche Beliebigkeit entsprechend der Situationspolemik voraussetzt. Die theoretischen Grundlagen für die nationalsozialistischen Maßnahmegesetze sind bereits hier geschaffen. Der richtigkeitsverbürgende Sinn juristischer Methode ist zur Herrschaft der Weltanschauung transformiert. Wird die Methode als Abfolge von Lehrmeinungen definiert, deren Bewegungsprinzip Ideen sind, dann bleibt der wissenssoziologische Bezug zur politischen und sozialen Realität des Denkens verschlossen. 133 Politisch stellt sich die Methodenfrage hinsichtlich der Wirkung, die eigentlich im Übergang von Weimar zum Dritten Reich in dieser Form nur schwer zu beantworten ist. Die theoretischen Versatzstücke des Huberschen Methodendenkens sind nur reflexive Vorstufen zum „konkreten Ordnungsdenken", das seine rechtsphilosophische Funktion erst nach der Gleichschaltung voll entfaltet. Der erkenntnistheoretische Dualismus von Sein und Sollen ist zugunsten einer Entscheidung für das „Sein", für eine wertbestimmte Auslegung der Herrschaftswirklichkeit gegen die Norm bestimmt. Das Verhältnis von Macht, Moral, Legimitation und Sittlichkeit ist auf neue methodischintentionale Grundlage gestellt. Die eigentliche Wesensproblematik des Methoden- und Richtungsstreits, das Legitimitätsproblem 134 der Verfassung, konnte durch Kompetenzund Wirkungserweiterung des Verfassungsrechts „gelöst" werden. 1 3 5 Die Wiederentdekkung des Politischen als bewegendes Element für die Analyse der wirklichen Verfassung im Verhältnis zur positivrechtlichen stand im Interesse der Überwindung des bestehenden Staatszustandes. 136

132 Dazu Heller: Bemerkungen zur staats- und rechtstheoretischen Problematik der Gegenwart, a. a. O., S. 252. 133 Grimm, Dieter: Methode als Machtfaktor, a. a. O., S. 348. 134 Als Erinnerungs- und Erfahrungsberichte: Friesenhahn, Ernst: Zur Legitimation und zum Scheitern der Weimarer Reichsverfassung, in: Erdmann, Karl-Dietrich/Schulze, Hagen (Hrsg.): Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Köln 1979, S. 81-118; ebenso Huber: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., auch: Smend, Rudolf: Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und der Richtungsstreit, in: FS für Hans Ulrich Scupin, a. a. O., S. 575-589. 135 Dazu stringent: Rennert, a. a. O., S. 40ff.. 136 Sontheimer, Kurt: Politische Wissenschaft und Staatsrechtslehre, a. a. O., S. 17f., 23.

2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären Denkstandortes

125

2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären Denkstandortes Die innere Labilität der Weimarer Verfassungsordnung, die ihren Antagonismus zwischen Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit durch den rapiden gesellschaftlichen und ökonomischen Wandel und die Konfrontation der geistig-politischen Ideen nicht zu überwinden vermochte, hat ihre wissenssoziologisch erklärbare Ursache in der Überlagerung von traditionellen, aus dem Kaiserreich überkommenen und modernen, sozial-integrativen und emanzipatorischen Denkstrukturen. Die politische Krise der Weimarer Republik war eine Krise der politischen Autorität, verursacht durch einen Mangel an Konsens in der Unübersichtlichkeit weltanschaulicher, partikularer Interessenstrukturen.1 Das wissenssoziologische Relationieren von ideen- und sozialgeschichtlichen Denkhaltungen bedeutet, subjektive und objektive Wirklichkeit zuzuordnen und den perspektivischen Denkstandort von Ernst Rudolf Hubers Staatsdenken zu lokalisieren. Die konservativen Bewußtseinsimpulse des zeitgebunden und sozial standortgebunden Staats- und Verfassungsdenkens müssen im Rahmen der sozialen und mentalen Ordnung beurteilt werden. Konservatives Zeitverständnis entfaltet sich in der Dialektik von Tradition und Moderne notwendigerweise innerhalb des konservativen Selbstverständnisses, wird von ihm bestimmt und wirkt reflexiv aus den sozialökonomischen und technisch sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnissen auf das traditionale Selbstverständnis des Konservatismus zurück.2 Die gesellschaftliche und soziale Einbindung konservativen Denkens als Weltauslegungsdenken, im allgemeinen als liberalreaktionäres Zweckdenken bezeichnet,3 schließt das gesellschaftliche Substrat der Konvertibilität konservativer Argumentation auf sozialen und ökonomischen Wandel und die Bewußtseinskrisen in der Brechung traditionalen und modernen Denkens ein. Der Einfluß sozialer und ökonomischer Determinanten auf das politische Krisenbewußtsein ist dabei nicht zu unterschätzen, denn der Denkstandort des Weltanschauungsdenkens ist inhaltlich im Rechtfertigungszusammenhang des Konservatismus angelegt, auch wenn für den Konservatismus eine fast einhellige Verweigerung besteht, seine Inhalte im Zusammenhang sozialer Bindungen zu definieren.4 Der Begriff „Konservative Revolution" hat sich als Typologie des Jungnationalismus der Weimarer Zeit im allgemeinen durchgesetzt, auch wenn eine Generalisierung seiner nur vage bestimmbaren Ideologie sehr umstritten ist und sich seine Vertreter aus den verschie1

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Sontheimer, Kurt: Die Weimarer Demokratie im Banne politischer Ideologien, in: Rittberger, Volker (Hrsg.): 1933. Wie die Republik der Diktatur erlag, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1983, S. 29-39 (32). Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus, a. a. O., S. 165. Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, in: Zeitschrift für Sozialforschung, 3. Jg. (1934), S. 161-195 (166ff.); Gerstenberger, Heide: Der revolutionäre Konservatismus. Ein Beitrag zur Analyse des Liberalismus, a. a. O., S. 9ff.; dies.: Konservatismus in der Weimarer Republik, in: Kaltenbrunner, Klaus-Gerd (Hrsg.), Rekonstruktion des Konservatismus, Freiburg 1972, S. 331-348 (331). In diesem Aufsatz distanziert sich Heide Gerstenberger von der in ihrer Dissertation getroffenen generalisierenden Aussage, daß Konservatismus in der Weimarer Republik pauschal als liberalreaktionär eingestuft werden kann. Gerstenberger, Heide: Konservatismus in der Weimarer Republik, a. a. O..

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

densten geisteswissenschaftlichen Fachbereichen mit unterschiedlichsten politischen Zielsetzungen rekrutierten.5 Der Minimalkonsens der antiparlamentarischen und antiliberalistischen Geisteshaltung reicht zur Charakterisierung dieses Konservatismus nicht aus, es bedarf einer historisch-situationsspezifischen Eingrenzung, die der biographisch-wissenschaftlichen Situation des Huberschen Werkes bis 1933 Rechnung trägt. Der institutionelle Aspekt jungkonservativer Geisteshaltung ist für Ernst Rudolf Hubers Denkstil das entscheidende Eingrenzungsmoment, zumal die Verortung des Denkstandortes das systematische Inbeziehungsetzen von sozialer und politischer Lage voraussetzt und den Denkstil als „Weltwollen" in seiner Eingebundenheit reflektiert, im Sinne Karl Mannheims „ausdrückt".6 Die Einheit des Denkstils wird in ihrem Bildungsprinzip institutionell erfaßt.7

a) Die gesellschaftlich-politische Fundierung konservativ-revolutionären Denkens Im Falle Hubers konkretisiert sich die „Lage" des Denkens in der „Ring-Bewegung" als dem politisch-publizistischen Organ des Berliner „Herrenclubs" 8 Die außerordentlich umfangreiche Sammlung von Rezensionen und Kurzartikeln programmatisch-tagespolitischer Relevanz, die Huber zwischen 1928 und 1934 zumeist unter Pseudonymen, um in der Staatsrechtswissenschaft nicht der Vielschreiberei bezichtigt zu werden,9 in der Wochenzeitung „Der Ring" und „Deutschens Volkstum" publiziert hat, verdeutlichen diesen Aspekt. Die autoritär-antidemokratische Grundhaltung im jungkonservativen Staatsdenken impliziert strategische und politische Orientierungen, die konsequenterweise Auswirkungen auf die Funktion von Staat und Verfassung im Gefuge von Recht, Politik und Gesellschaft haben. Die Faktizität der subjektiven und objektiven Funktion des revolutionären Konservatismus10 korreliert bei Huber mit der für den Öffentlichrechtler und politischen Denker zentralen Frage nach der soziopolitischen Verfassungsfunktion und ihrer ideologisch bedingten inhaltlichen Schwerpunktverlagerung.

5 Breuer, Stefan: Die „Konservative Revolution" - Kritik eines Mythos, in: PVS, 31. Jg. (1990), S. 585-607 (603). Zum Problem der ideologischen Zuordnung und Systematisierung vgl. ders.: Anatomie der Konservativen Revolution, Darmstadt 1993, S. 180ff.. 6 Mannheim: Das Problem einer Soziologie des Wissens, a. a. O., S. 375, 379. 7 Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 53. 8 Zum institutionellen Aspekt: Gerstenberger, Heide: Der revolutionäre Konservatismus, a. a. O., S. 12ff.; Möhler, Armin: Die Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Ein Handbuch, 2. Aufl., Darmstadt 1972, S. 116ff, Schwierskott, Hans-Joachim: Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962, S. 75ff, 86f.. 9 Freundliche Auskunft von Herrn Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber am 19. Januar 1989 in FreiburgZähringen. Das ist ein Faktum, das auch auf Ernst Forsthoffs Wirken in der „Konservativen Revolution" zutrifft. 10 Gerstenberger, S. 139ff..

2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären

Denkstandortes

127

In der Weimarer Epoche tritt der politische Konservatismus in das Dilemma der weltanschaulichen Spaltung in die alte traditionelle Strömung des „Altkonservatismus" und die neue ideologische Form des „Jungkonservatismus", ein wissenssoziologisch erklärbares Phänomen der komplexeren Strukturierung nationalistischen Denkens. Konservatives Wissen ist ursprünglich Beherrschungswissen, aber auch instinktives und theoretisches Orientiertsein an „seinsimmanenten" Faktoren. 11 Das Wesen der altkonservativen Denkhaltung besteht darin, daß sie das historisch Gegebene anerkennt und von ihm ausgeht. Im Mittelpunkt steht das Prinzip der Legitimität. Der alte Konservatismus (oder Nationalismus) will die Fortsetzung alter, konservativnationalstaatlicher Traditionen in den veränderten sozialen und ökonomischen Verhältnissen der Weimarer Verfassungsordnung. Diese tradionale Form des Konservatismus muß nicht unbedingt antidemokratisch sein, auch wenn skeptische Distanz zum neuen Gesellschafitskompromiß besteht. 12 Der in den zwanziger Jahren entstandene „Jungkonservatismus" oder „neue Nationalismus" geht dagegen andere Wege. Hier bestehen erhebliche ideologische Unterschiede zum klassischen Konservatismus und brechen die Generationenverschiebungen der zwanziger Jahre auf. Diese ideologisch und organisatorisch sehr heterogene Strömung des Jungkonservatismus 13 rekrutierte sich vor allem aus der Frontkämpfergeneration und den um 1900 Geborenen, die aus den Folgen und politischen Entwicklungen der gesellschaftlichen Zäsuren von 1818/19 und der Verfassungswirklichkeit Weimars keine politische Identität schöpfen konnte. Der Jungkonservatismus konkretisiert sich in den ideologischen, gesellschaftlichen und politischen Krisen und ist in seinem ganzheitlichen Gemeinschafts- und Wertdenken nicht mit bestimmten polarisierten klassenmäßigen, parteilichen Positionen gleichzusetzen. Für die radikale, sich gegenüber dem „Geist von Weimar" abgrenzende Haltung des Jungkonservatismus ist charakteristisch, daß sie in ihrer politischen Vorstellungswelt den Parteienpluralismus, den Wertekompromiß und die diesen Ordnungsprinzipien immanente Ideenformation des Liberalismus schroff ablehnt. Der überkommene liberale Individualismus scheint aus der Perspektive der geistigen Rebellion gegen die Bourgoisiegesellschaft als bloßes Übergangsphänomen zu sein. Die Erfahrungen mit der Massengesellschaft machte den Apologeten der „Konservativen Revolution" die Annahme plausibel, daß soziale Prozesse und Ordnungen eigene Beharrungsund Entwicklungstendenzen besitzen. Ganzheitliche Kategorien wie „Volk", „Staat" und „Rasse" sollten die des Individuums ersetzen. Die Wendung zum Irrationalen korrespondiert mit einem apokalyptischen Zeitwendebewußtsein. 14 Der fundamentale Bruch mit der bürgerlichen Welt ist zugleich eine voluntaristische Wende in eine neue Moderne. Der konservativ-revolutionäre Aufbruch verstand sich als eine vitale, elitäre und moderne Bewegung, die sich nicht nur in der soziologischen Situation des Klubs manifestierte, sondern

11 Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 199. 12 Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 26ff.. 13 Vgl. die Rekonstruktion der Strömungen und Gruppen des Jungkonservatismus bei Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 21—40; allgemeiner: Möhler, Armin: Die „Konservative Revolution" in Deutschland 1918-1932, a. a. O., S. 138ff.. 14 Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution, a. a. O., S. 12f.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

auch den seit 1914 aufgetretenen Riß zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen Subjektivität und Realprinzip, zwischen außen und innen, zu überwinden suchte.15 Als „konservative" Bewegung mußte der Jungkonservatismus auf den überkommenen Wertehorizont des Altkonservatismus reagieren. Als „revolutionäre" Bewegung konnte sie sich nicht an diese tradierten Werte klammern. Die spezifisch „moderne" Antwort von rechts ist dementsprechend die Schaffung eines neuen Wertkosmos, der zu erhalten sich in der Zukunft lohnt.16 Der Jungkonservatismus der Zwischenkriegszeit hat die Werthaltung, überkommene Institutionen zu bewahren, längst verloren. Er begeht die Verzweifelungstat, revolutionär zu werden, indem er alte Werte ablehnt und neue Werte, die zu bewahren sich lohnt, erst noch schafft. 17 Der Schritt vom restaurativen zum revolutionären Denken ist die denkerische Konsequenz einer „verlorenen Zwischengeneration".18 Das Syntagma „Konservative Revolution"19 ist zugleich eine ideologische Asymmetrie, die sich historisch in der Verbindung von Revolution und Mythos erklären läßt. 20 Sie besteht in der Vernetzung von Nationalem und Konservativem und der Abgrenzung gegenüber dem Werthorizont des klassischen Konservatismus des neunzehnten Jahrhunderts, indem sie sich konservativ gibt in der Orientierung auf ewige, unveränderliche Werte des Lebens, revolutionär in dem Willen, einen radikalen Bruch mit der Wirklichkeit vorzunehmen.21 Die Achtung vor der geschichtlichen Kontinuität, vor Tradition, Konvention und Institution, weicht einer spannungsvollen Dialektik von Zukunft und Herkunft. Sie ist vom Zeitgeist abhängig und schwankt offenbar entscheidungslos zwischen Fortschrittsoptimismus und intellektueller Dekadenzphilosophie hin und her. 22 Trotz großer differenzierter theoretisch-programmatischer Konsistenz ist der Begriff der „Konservativen Revolution" als die der ideologischen Wirklichkeit der zwanziger und frühen dreißiger Jahre angemessene Formation der extremen Rechten legitim. Er ist ein zeitgenössischer Begriff, der von Anhängern und Gegnern, sowohl nach innen wie nach außen verwendet wurde.23 15 16 17 18 19

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Ebenda, S. 14f.. Ebenda, S. 25. Greiffenhagen, a. a. O., S. 242f.. Zum Begriff „Zwischengeneration" vgl. Mannheim: Das Problem der Generationen, in ders.: Wissenssoziologie, hrsg. von Kurt H. Wolff, Berlin, Neuwied 1964, S. 509-565 (562ff). Zum Begriff und seiner Entmythologisierung neuerdings: Breuer, Stefan: Die „Konservative Revolution" - Kritik eines Mythos (Anm. 5); Zum Forschungsstand und zur Begriffsgeschichte vgl. ders.: Anatomie der Konservatien Revolution, a. a. O., S. 1-7. Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution und das „Dritte Reich", in: Harth, Dietrich/Assmann, Jan (Hrsg.): Revolution und Mythos, Frankfurt/M. 1992, S. 178-205 (193). Kondylis, Panajotis: Konservativismus, a. a. O., S. 478; Sieferle, a. a. O., S. 193f.. Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 253. Sieferle, a. a. O., S. 22f.; gegen diese Einordnung vor allem Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution, a. a. O., S. Iff. Breuers Einwände gegen Begriff, Mentalität und Programm der „Konservative Revolution", die Sieferle widerlegt (vgl. Sieferle, a. a. O., S. 14), sind methodisch bedingt. Die generative Lagerung der Unterscheidung von Alt- und Jungkonservatismus in den zwanziger Jahren, die Breuer soziologisch und mentalitätsgeschichtlich an den Anfang seiner Untersuchung stellt, kann mit dem Konservatismusansatz von Kondylis, der (alt)konservatives Denken als mit der Geschichte des Adels zusammenfallend und mit dem neunzehnten Jahrhundert endend interptretiert, nicht analytische erfaßt werden. Sicherlich ist Breuer zuzustimmen, daß kein konservativ-revolutionärer Apologet die Auflösungserscheingen

2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären

Denkstandortes

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Die nur schwer systematisierbare konservativ-revolutionäre Bewegung setzt sich die geistige Revolutionierung der Gesellschaft zum Ziel und ist deshalb eine politische Intellektuellenbewegung mit elitärem Gestaltungswillen. 24 Als die wichtigsten konservativrevolutionären Zirkel der Weimarer Zeit werden im allgemeinen der „TAT"-Kreis,25 die „Ring"-Bewegung, 26 ihr politisches Organ „Der Ring", das Publikationsorgan „Deutsches Volkstum"27 und die Anhänger der Programmatiker Arthur Moeller van den Bruck, Ernst Jünger und Edgar Julius Jung genannt. Die Abgrenzung zum Altkonservatimus erfolgt vor allem durch die völkische Aufbereitung des Nationalismus und die radikale Ablehnung des Glaubens an das organische Wachstum in der Geschichte. Das Schöpferische der revolutionären Konservativen ist gleichzeitig das Dilemma in der Abgrenzung zum klassischen Konservatismus. Ihm widerspricht die dezisionistische Herstellung von Geschichte in der politischen Philosophie des Jungkonservatismus und das elitäre Intellektuellenkonzept, gestalterisch in die Wirklichkeit einzugreifen. Der Jungkonservatismus ist daher in Front-

der bürgerlichen Gesellschaft mit der Rezeption der vorbürgerlichen „societas civilis" beantwortet. Aber Breuers inhaltliche Schlußfolgerung in Anschluß an Kondylis, daß die „Konservative Revolution" nicht konservativ ist, weil sie weiterhin an den Merkmalen der Moderne festhält und damit den altkonservativen, reaktionären, rückwärtsutopischen Werten widerspricht, geht an dem soziologischen Werthorizont der Programme der „Konservativen Revolution" vorbei. Sieferle stellt dieser altkonservativen Sichweise der ,jung"-konservativen Revolution das Programm der reflexiven Modernisierung entgegen, das mit einem spezifischen Zeitwendebewußtsein auf neue gesellschaftliche Wert- und Ordnungsstrukturen hingearbeitet hat. Gewiß ist Ernst Rudolf Hubers verfassungstheoretisches, zyklisches Krisenmodell, das die „societas civilis" an den Anfang des nationaldeutschen, politischen Einheitsdenkens stellt, eine Ausnahme und stellt Breuers Befunde nicht gänzlich in Frage. Dennoch ist bei den Programmatikern der „Konservativen Revolution", da ist Huber ein eindrucksvolles Beispiel, zu konstatieren, daß das schöpferische intellektuelle Potential des Jungkonservatismus erheblich zur schnellen geisteswissenschaftlichen Umpolung nach 1933 beigetragen hat und wie im Falle Hubers mit einer eigenständigen systemischen Verfassungstheorie reagiert, die den identitäts- und mentalitätshistorischen Verlauf deutscher Verfassungsgeschichte im wesentlich aus dem jungkonservativen Impetus der im Rahmen der reflexiven Modernisierung betriebenen neuen Wertedeutung schöpft; vgl. Breuer, a. a. O., S. 25ff, 180S1; Kondylis, S. 469ff.; zu Hubers verfassungstheoretischem Verfallsmodell und der Rezeptioen der „societas civilis" vgl. Kap. 4.4., 4.7., 5.1. 24 Greiffenhagen, a. a. O., S. 110. In der Bewertimg deckungsgleich: Kondylis: Konservativismus, S. 469; Gerstenberger, S. 342f.; zum Begriff vgl. Breuer: Anatomie der Konservativen Revolution, a. a. O., S. 1-7. 25 Vgl. Sontheimer, Kurt: Der Tatkreis, in ders.: Deutschland zwischen Demokratie und Antidemokratie, München 1971, S. 56-94; ebenso: Maus, Ingeborg: Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der „Konservativen Revolution", in: Konservatismus - eine Gefahr für die Freiheit? Für Iring Fetscher, hrsg. von Eike Hennig und Richard Saage, München 1983, S. 90-120 (96ff). 26 Gerstenberger, Heide: Der revolutionäre Konservatismus, a. a. O.; Zur Organisation der „Ring"Bewegung insbesondere: Schwierskott, Hans-Joachim: Arthur Moeller van den Bruck und der revolutionäre Nationalismus in der Weimarer Republik, Göttingen 1962, S. 39-87. Zur RingBewegung detailliert Ishida, Yuji: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928-1933, Frankfurt/M., Berlin, New York, Paris 1988, S. 51ff. 27 Dazu detailliert Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, S. 172. Huber etikettiert die politischen Kreise um die Zeitschriften „Ring" und „Deutsches Volkstum" als „jungkonservativ" oder ,jungnational" und faßt sie unter dem „neuen Konservatismus" zusammen.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische

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Stellung zum Altkonservatismus schöpferisch und offensiv, aber auch revolutionär in der Ablehnung von Traditionsbeständen und Wertstrukturen.28 In den Reihen der „Konservativen Revolution" ist konservatives Denken als Bewußtseinsstruktur kaum traditionalistisch ausgebildet. Dieses passive Element des Reflexivwerdens überkommener Wertbestände entfällt, weil der Jungkonservatismus im Generationenkonflikt mit dem altkonservativen Wertbeständen gesellschaftlicher und staatlicher Institutionen bricht. Jungkonservatives Denken ist nur insofern im altkonservativen Sinne legalistisch, als überkommene Wertstrukturen im Bruch mit der Gegenwart nur für die Zukunft in Frage gestellt werden und in ihrem überkommenen, jedoch neu zu stiftendem Sinne als konkret und existent gelten. 29 Der Jungkonservatismus ist in der Ablehnung historisch gewachsener und überkommener Ordnungsstrukturen „revolutionär", weil er einen Bruch mit der Gegenwart und einen expliziten Neuanfang in der Begründung hierarchischer Ordnungs- und Kommunikationsstrukturen fordert. Das konservativ-revolutionäre und schöpferische Element des „Machens" tritt dem Traditionalismus des Altkonservatismus entgegen. Der Jungkonservatismus ist originär aktivistisch, weil er seine logische, begriffliche und intentionale Denkstruktur auf den politischen und sozialen Liberalismus als Feindobjekt abstimmt. 30 Diese sinngenetische Struktur des Jungkonservatismus der Zwischenkriegszeit setzt eine veränderte Haltung zur Realität voraus. Der defensiv-wehleidige zeitgenössische Stil des Altkonservatismus wird zugunsten eines forschen, voluntativen Stils überwunden. Der Jungkonservatismus argumentiert und handelt „bewahrend" in der Verabsolutierung des ökonomischen Substrats. Diese Aspektstruktur jungkonservativen Denkens manifestiert sich bei Huber mit der verfassungspolitischen Abstimmung monopolkapitalistischer und staatsinterventionistischer Wirtschaftsstrukturen in einem autoritären Lenkungsstaat. Er argumentiert „revolutionär" in der völligen Ablehnung des bestehenden institutionellen Rahmens von Staat, Gesellschaft und Verfassung. 31 Die „revolutionäre" Dimension des Jungkonservatismus ist die wissenssoziologisch wichtige Aspektstruktur für Hubers konservatives Staatsdenken. Sie bestimmt seinen spezifischen Denkstil als ,jungkonservativ". Einerseits streift der Jungkonservatismus nicht alle Argumentationsmuster altkonservativen Denkens ab, etwa die Diskriminierung pluraler sozialer Interessen, die Verabsolutierung des Staates und dessen Herauslösung aus gesellschaftlichen Bezügen. 32 Zum anderen dringt der Jungkonservatismus in das logische Denkgebäude des Liberalismus ein und übernimmt Konflikt- und Verteidigungsstrukturen, die den Jungkonservatismus sinngenetisch bestimmen. 33 Das latente und fragmentarische Bezugssystem bestimmt den Jungkonservatismus in der sozialen Standortgebundenheit.

28 Maus, Ingeborg: Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der „Konservativen Revolution", a. a. O., S. 91f.; ebenso: Greiffenhagen, a. a. O., S. 242ff. 29 Zum Legalismus vgl. Mannheim: Konservatismus, S. 132fF.; Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 21. 30 Zum Traditionalismus als passives Element: Lenk, S. 19f.. 31 Maus, Ingeborg: Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der „Konservativen Revolution", a. a. O., S. 110. 32 Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 112. 33 Dazu: Schwierskott, S. 158; darauf beruft sich Kondylis, S. 477; subtiler in der Argumentation, weil begrifFspsychologisch: Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, a. a. O., S. 16Iff.

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Die „Ring"-Bewegung war ein übergreifender Zusammenschluß national orientiert bürgerlicher Organisationen in einem äußerst lockeren, meist nur durch Kontakte einzelner Mitglieder der verschiedensten Vereinigungen bewirkten Form. Eine eindeutige Trägerschaft der „Ring"-Bewegung ist nicht zu ermitteln, auch das Programm variiert in seiner Stellung zum geistig-politischen Kräftefeld der Weimarer Republik, so daß nur anhand der verschiedenen Autoren ein Beziehungsgeflecht von programmatischem Idealraum und politisch-gesellschaftlicher Realität herzustellen ist. In der Regel blieb das Denken der „Konservativen Revolution" in einer wenig kohärenten Form fragmentarisch. 34 Deshalb macht eine programmatisch-institutionell enge Verortung Hubers in der „Ring"-Bewegung auch keinen Sinn. 35 Unter dem Symbol des Ringes sollten nach der Idee des Freiherrn Heinrich von Gleichen, dem Herausgeber des „Ring", alle jungkonservativen, nationalgesinnten Deutschen integriert werden, als außerparlamentarische nationale Opposition gegen den Weimarer Verfassungsstaat. 36 Die „Ring"-Bewegung ist als Organisationsversuch der Jungkonservativen bereits 1919 gegründet worden und wechselte bis 1929 mehrmals ihre organisierten Zirkel, vom „Juni-Klub" 1919 über das .Politische Kolleg" 1924 bis zum Berliner „Herrenclub" um Heinrich von Gleichen und Walter Schotte, zu dessen Mitglied auch Carl Schmitt gehörte. 37 Der geistesgeschichtliche Aspekt der „Ring"-Bewegung spielt gewiß eine große Rolle, etwa die Idee von 1914, die Kritik am Versailler Vertrag oder die mit der Volkstumstheorie korrelierende mystifizierende Geschichtsphilosophie. Die sich ändernde Organisationsstruktur des „Rings" und die im Berliner „Herrenclub" seit 1928 sich formierenden wirtschaftspolitischen und industriellen Interessen um Franz von Papen haben eine geänderte Zielrichtung im Vergleich zu den Weimarer Stabilitätsjahren und wurden bereits durch Carl Schmitts „Hüter der Verfassung" im wirtschafts- und finanzpolitisch ausgelegten Notstandsrecht für die Überwindung der bestehenden Staatsverfassung als verfassungspolitisches Rahmenprogramm formiert. Die Konstruktion eines autoritären Wirtschaftsstaates unter präsidialer Führung ist bereits bis in die DNVP hinein diskutiert worden. Finanzielle, programmatische und personelle Querverbindungen zur DNVP und zu anderen parlamentarischen Rechten wurden seit den Kabinetten der nationalen Konzentration deutlich. 38

34 Kondylis, a. a. O., S. 475; s. a. Ishida, Yuji: Jungkonservative in der Weimarer Republik. Der Ring-Kreis 1928-1933 (Anm. 26), S. 78-85. Ishida weis daraufhin, daß der Konservatismus mit dem Begriff „Revolution" bereits seit Arthur Moeller van den Bruck konzeptionell gebräuchlich ist. 35 Vgl. Koenen, Andreas: Der Fall Carl Schmitt, a. a. O., S. 104-106; insbes. S. 117 mit Bezug auf Carl Schmitt und Ernst Rudolf Huber. 36 Schwierskott, a. a. O., S. 40. 37 Gerstenberger, S. 13f.; detaillierter. Schwierskott, S. 39ff. Mehr als andere bestimmte Arthur Moeller van den Bruck die Inhalte der „Ring-Bewegung" bis zu seinem Tode 1925, ebenso Eduard Stadtler und Max-Hildebert Boehm, die seit 1920 in der Zeitschrift „Gewissen", seit 1927 in dem Organ „Der Ring. Politische Wochenschrift", seit 1931 umbenannt in „Der Ring. Konservative Wochenschrift", aufging; s. a. Möhler: Die Konservative Revolution, a. a. O., S. 293. 38 Zur Finanzierung des „Rings" vgl. Schwierskott, S. 69ff. Zur Situation des „Herrenclubs" und die ökonomischen Kontakte seit 1929 vgl. Petzold, Joachim: Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, Köln 1978, S. 218ff.

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Werkgenetisch zentrieren sich Hubers Artikel und Rezensionen im „Ring" vor allem in der wissenschaftlichen und verfahrensmäßigen Lösung und Überwindung der Wirtschaftsund Verfassungskrise seit 1929 und orientierten sich sinngenetisch an den Schriften Carl Schmitts. Dieser Umstand deutet auf eine geänderte Konstellation des Jungkonservatismus seit 192839 hin, zumal sich unter juristisch-ordnungspolitischen Prämissen der programmatisch-ideologische Überbau den tagespolitischen Themen anpaßte und die Politik der Präsidalkabinette affirmativ verfolgt wurde. Einheitlicher gestaltete sich die Front der revolutionär-konservativen „Ring"-Ideologie gegen Parlamentarismus und Demokratie und die Lösungsansätze zur Behebung der Wirtschaftskrise. Die publizistischen Arbeiten zwischen 1928 und 1933 kreisen um eine Verfassungsreform mit Stärkung der Präsidialgewalt, der korporativen Führung, berufsständischer Schichtung und einem, den Dualismus von Regierung und Parlament nach englischem Vorbild in einem Zweikammersystem auflösenden Konzept. 40 Hier ergeben sich Affinitäten zu Hubers Verfassungsoptionen. Der Zustrom von der Rechtswissenschaft in die Organisationen des revolutionären Konservatismus hielt sich jedoch in Grenzen. Neben Ernst Rudolf Huber sind Carl Schmitt, Ernst Forsthoff, Ernst Friesenhahn, Otto Koellreutter, Heinrich Herrfahrdt und Friedrich Grimm zu nennen. 41

b) Das „klubistische" Element Der Weimarer Gesellschaftswandel wirkt in seiner generativen und sozialen Verschiebung auf das konservative Selbstverständnis zurück, zumal konservatives Denken das historische Bewußtsein aus den Inhalten seines ideologischen Gegners, dem Liberalismus, schöpft. 42 Keine Epoche ist von der Generationenfolge und deren Einwirkung auf die Denk- und Erlebnisweisen in ihrem geistigen Konfliktpotential so geprägt worden wie die Weimarer Repubik. 43 Interpretiert man „Zeitgeist" als die kontinuierlich-dynamische Verflechtung der aufeinanderfolgenden Generationszusammmenhänge 44 , dann rekrutieren sich die Krisen des politischen Bewußtseins der Zwischenkriegszeit aus den kulturellen Bewußtseinsinhalten und den zeitlich unterschiedlich erfahrenen historischen Erlebniszusammenhängen der Generationen. Die ideologische Unübersichtlichkeit in der politischen Kultur der Weimarer Zeit resultiert wissenssoziologisch aus der rhytmischen Einbringung kultureller und politischer Erfahrungsbestände von vier Generationen. 45 Die daraus ableitbaren 39 Petzold, Joachim: Wegbereiter des deutschen Faschismus, a. a. O., S. 218ff.. 40 Muralt, Ferdinand: Die „Ring"-Bewegung, in: Hochland, 29. Jg. (1932), Bd. 2, S. 289-299 (294-299). 41 Möhler: Die Konservative Revolution in Deutschland, a. a. O., S. 428ff.. 42 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 203. 43 Das hebt vor allem Detlev K. Peukert hervor: Die Weimarer Republik, a. a. O., S. 25ff; ebenso Mannheim: Das Problem der Generationen (Anm. 18), S. 533ff.. 44 Ebenda, S. 558. 45 Peukert systematisiert folgende Generationen: 1. die Wilhelminische Generation der Altersgenossen von Wilhelm Π., 2. die Gründerzeitgeneration der im Jahrzehnt der Reichsgründung Geborenen, 3. die Frontgeneration der in den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts Geborenen und 4. die „überflüssige" Generation der seit 1900 Geborenen; vgl. Peukert: Die

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„Generationsentelechien",46 die durch die gesellschaftspolitischen Konflikte beschleunigt werden, führen zur Bildung ideologischer „Pole", die ihrerseits durch soziale Lagerung und kulturelle und politische Erfahrungszusammenhänge manifestiert werden. Der Jungkonservatismus ist als gestalterische Intellektuellenbewegung kein Institutionenkonservatismus mehr im klassischen Sinne. Die der Weimarer Verfassung zugrunde liegenden Institutionen des Staates und der Gesellschaft werden in ihrem legitimatorischen Kern als liberal enttarnt und im Sinne eines völkischen Nationalismus mit ständischen oder autoritär-korporativen Regelungsmechanismen und Hierarchien in ein neues Sinnsystem überführt. Das Ziel dieser ideologischen Verbrämung demokratischer und pluralistischer Werte ist die Zerstörung des Liberalismus in Geist und Wirklichkeit. Beispiele dieser wertrelativistischen, antiliberalistischen Philosophie sind etwa Hans Freyers „Revolution von rechts" oder Carl Schmitts „Begriff des Politischen". In der weltanschaulichen Zerrissenheit der Weimarer Jahre waren die „Klubs" als geeignetes Medium kollektiver Willensinpulse die Plattform unmittelbarer Übertragung politischen Wissens. Klubs waren nicht nur die soziale Form liberal-bürgerlicher Politikvermittlung, sondern kanalisierten in der „Konservativen Revolution" auch die durch die Depravierung der Mittelschichten auftretende Radikalität politischen Denkens. 47 Das literarische Vermächtnis des Jungkonservatismus ist ein diesem politischen Radikalismus dienlicher, schöpferischer Verbalkonservatismus mit utopischen Sinngehalten. Der elitäre Tenor der jungkonservativen Zirkel ist eine Reaktion auf die mit dem Bevölkerungswachstum korrespondierende „Vermassung", die der revolutionäre Konservatismus in seinem Kulturpessimismus mit dem Begriff der „Entfremdung" beantwortete. 48 Huber war persönlich mit Wilhelm Stapel und Hans Zehrer bekannt. Er nahm mit Wilhelm Michael Kisch, dem der erste Band der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" gewidmet ist, an einem Bonner Kreis teil, der sich am „Deutschen Herrenclub" orientierte und mit Zeitfragen der zukünftigen Gestaltung Deutschlands beschäftigte. Die elitäre Interessenorganisation49 ist der des Rings vergleichbar, zumal Hubers Vorstellungen zur Verfassungsreform und dem ständisch-korporativen Wirtschaftsumbau dem Programm des Rings entsprachen. 50 Die vermittelnde publizistische Tätigkeit zwischen Staatsrechtswissenschaft und politischem Journalismus im „Ring" und im „Deutschen Volkstum" dokumentiert, daß die öffentlichrechtliche Forschungsarbeit in der politisierten Klubarbeit mit

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Weimarer Republik, S. 26; dazu auch Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 93ff.. Mannheim definiert „Generationsentelechie" als die einer Generation eigenen Stilwandlungen im gesellschaftlich wandelnden Strukturzusammenhang: Das Problem der Generationen, S. 557ff. Mannheim: Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 159; s. a. Kondylis: Konservativismus, a. a. O., S. 473. Bracher, Karl Dietriech: Die Auflösung der Weimarer Republik, Düsseldorf 1984, S. 139ff.. Yuji Ishida hebt für den Deutschen Herrenclub folgende „klubistischen" Elemente hervor: das „Bekenntnis zu den Grundsätzen konservativer Staatsgesinnnung", der Einsatz der Persönlichkeit dafür, der „Wille zur Solidarität der Klubmitglieder". Die Erneuerung des Konservatismus stand unter dem Leitmotiv „Sammlung der Persönlichkeiten", „neue Front" und „neue Oberschicht"; vgl. Ishida, a. a. O., S. 51f.. Vgl. unten Kap. 3 „Politische Ziele der Verfassungsreform"; zu dem Verfassungsprogramm des Rings vgl. Ishida, Yugi: Jungkonservative in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 85ff, 1011Γ..

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Gleichgesinnten fortgesetzt wurde. Insofern ist sein Wirken im Klub eine Verlängerung der gemeinschaftlichen Arbeit, die zwischen dem sechzehnten und neunzehnten Lebensjahr in der völkisch orientierten Nerother Wandervogelbewegung 51 ihren Ausgang genommen hat. So gilt für Huber der als Generationslagerung definierte Denkstil, der mit der Generationsentelechie der um 1900 Geborenen übereinstimmt, das in der Jugendbewegung sozialisierte Gemeinschaftsgefühl in der Orientierungskrise der Weimarer Zeit klubistisch fortzusetzen. In der fast fünfzigjährigen Distanz hat sich Huber im siebten Band der Verfassungsgeschichte dann zu der fehlenden Integrationskraft dieser volkskonservativen Bewegung bekannt, da sie nicht über die elitär geistige Schicht hinausgekommen ist. 52 Wissenssoziologisch ist die „Konservative Revolution" für den Intellektuellen eine „ReSublimierung", 53 mit der Aufgabe, ein neues Gleichgewicht zwischen geistigen und vitalen Werten zu schaffen. Die elitäre Selbstwertbestimmung des Juristen zur Umgestaltung der Verfassungsordnung impliziert die subjektive Funktion des revolutionären Konservatismus, die theoretische Begründung einer politischen und juristischen Wertelite, die den mittelständischen, in der Zwischenkriegszeit ständig gefährdeten Status des Akademikers materiell wie formal wiederherzustellen beabsichtigte. 54 Hubers Votum für das wirklichkeitswissenschaftliche Erkenntnistheorem Hans Freyers ist für die Neubegründung des gesellschaftlichen Forscherbildes ein adäqates Beispiel und impliziert die wissenschaftliche Strategie, die neue wertbestimmte Methode in einen neuen Verfassungszustand hinüberzuretten. Das „klubistische" Element 5 5 kompensierte in seiner kollektiven, überparteilichen und lockeren Form die Ängste der orientierungslosen, intellektuell radikalisierten akademischen Mittelschicht, sublimiert aber auch das elitäre wissenschaftliche Bewußtsein der Neuorientierung. Dieses soziologische Phänomen spiegelt sich auch in der Ideologie des revolutionären Konservatismus wider und drehte sich vornehmlich um drei Themen: den völkisch orientierten Nationalgedanken, die Liberalismuskritik und den starken Staat.

c) Nationale Verfassungstheorie Der völkisch gefärbte Nationalgedanke impliziert die Aufforderung zur Selbstbehauptung der Nation. Der völkische Gedanke hat dabei die Funktion, die wesenhafte, unaustauschba-

51 Vgl. Starck, Christian: Nachruf Ernst Rudolf Huber 1903-1990, a. a. O., S. 232; nach Auskunft des Göttinger Assistenten von Huber, Hans-Jürgen Toews; vgl. ebenso Klein, Hans Hugo: Zum Gedenken an Emst Rudolf Huber (1903-1990), a. a. O., S. 113; vgl. auch Huber: Carl Schmitt in der Reichskrise der Weimarer Endzeit, a. a. O., S. 37, Anm. 3, mit der Etikettienmg als „Kreis volks- und jungkonservativer und christlich-sozialer Prägung" auf Burg Lobeda 1932. 52 Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, S. 15 0f.. 53 Max Scheler verwendet diesen Begriff statt den der „Konservativen Revolution", um das Verhältnis von geistigem und vital-lebensphilosophischem Wissensgehalt emeut ins Erhabene zu steigern, zit. nach Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 111. Karl Mannheim sieht in dem chiliastischen Erleben des Konservatismus das sublimierende Moment; vgl. Ideologie und Utopie, S. 205. 54 Gerstenberger, S. 140. 55 Mannheim, a. a. O., S. 159f.. Das „klubistische Element" diente der elitären Interessenorganisation.

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re nationale Identität als den Wandel der sozialen Systeme überlebend darzustellen - eine für den politischen Systemübergang von der Weimarer Republik ins Dritte Reich wichtige Kontinuitätsbehauptung, die methodischen Charakter hat. „Nation" ist dabei eine organische, durchaus personal zu verstehende Totalität, die sich aus den Anlagen der Sprache, Religion und Kultur manifestiert. Dieser Kollektivismus kann als Durchgangsstadium zu einer ganzheitlichen, völkischen Verfassungstheorie verstanden werden, die staatliche und völkische Existenz ineinssetzt, ohne ein begriffliches Instrumentarium an die Hand zu geben. Die existentielle Einheitsbildung verzichtet mit ihrer transzendenten Logik auf begriffliche Klarheit. 56 Die sozialisationsspezifischen Grundlagen für Hubers völkisch-nationale Grundhaltung sind wissenssoziologisch ohne Einblicke in den Nachlaß nur schwer rekonstruierbar. Sicherlich hat sein Wirken im völkisch orientierten Nerother Wandelvogel in der Zeit zwischen 1919 und 1923 zur autoritären Grundhaltung beigetragen. In der Satzung bekennten sich die Mitglieder des Nerother Wandervogels zu „Führergedanken", „Adelsherrschaft" und „Gefolgschaftstreue" als den Grundlagen bündischen Zusammenlebens. 57 Hat Huber schon mit Hegels Geschichtsphilosophie und dem erkenntnistheoretischen Anspruch der wirklichkeitswissenschaftlichen Betrachtung des verfassungspolitischen Stoffes die Einheit von „Staat" und „Volk" vollzogen und die liberale Trennung von „Staat" und „Gesellschaft" verworfen, so wird das Methodendenken durch das völkisch durchsetzte Element eines Nationalismus ergänzt. Erst dadurch kann der legitimistische Anspruch der Identität von „Staat" und „Volk" geschichtsteleologisch vollendet werden: „[. . .] die Nation ist die Identifikation von Herrschaft und Volk, so wie nach der bekannten Definition Carl Schmitts die Demokratie Identität von Regierung und Regierten ist." 58 Das im „Staate" aufgehende „Volk" und der dadurch zur Nation werdende Staat „ergreift alles, was das Zusammenleben der Menschen angeht; es gibt kein Gebiet mehr, demgegenüber der Staat neutral bleiben könnte; es gibt nichts mehr im Staate, was nicht wenigstens potentiell staatlich und politisch wäre; der Staat wird Wirtschaftsstaat und Kulturstaat und Wohlstandsstaat; er relativiert in sich Religion, Wissenschaft und Recht." 59 Huber betont, daß das Volk deshalb zum Bewußtsein politischer Einheit zu erwecken sei und dem Staat zugeordnet werden muß: „Dieses von politischem Einheitsbewußtsein getragene Volk und in lebendiger Beziehung zum Staat stehende, aber inhaltlich gegliederte Volk ist die Nation." 60 Die Volkstheorie ist in ihrem nationalen Tenor nur Mittel zum Zweck der Identitätsbildung und Auflösung der pluralistischen Gesellschaft in einen ganzheitlichen Staat: „Das nationale Prinzip läßt also die natürlichen Formen und Einrichtungen des Volkes bestehen; ja es macht sie zur Grundlage der politischen Einheit und umgibt sie deshalb mit verfassungsmäßigem Schutz", die „Eigenart des nationalen Staates" bestehe darin, „daß die Volksordnung in ihrer natürlichen Wesensgesetzlichkeit aufbauend und

56 Estel, Bernd: Grundaspekte der Nation. Eine begrifflich-systematische Unterscheidung, in: Soziale Welt, Jg. 42 (1991), S. 208-231 (213ff.). 57 Vgl.die „Weistümer des Bundes", in: Krolle, Stefan: „Bündische Umtriebe". Die Geschichte des Nerother Wandervolgels vor und unter dem NS-Staat. Ein Jugendbund zwischen Konformität und Widerstand, Münster 1985, S. 145. 58 Huber: Die deutsche Nation, a. a. O., S. 569. 59 Ebenda, S. 566. 60 Ebenda, S. 570.

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tragend in den politischen Bereich einbezogen wird." 61 Der dem zugrunde liegende existentielle Volksbegriff schlägt quasi durch seine Deskription in einen politischen Volksbegriff um, wobei die existentiellen Qualitäten wie Bindung, Hierarchie oder nationale Identität den Volksbegriff zugleich objektivieren. Konstituierendes Element ist die Hegeische „Idee", welche die soziale Vorstellung vom „Volk" nicht bestätigt, sondern ihr lediglich eine fiktive Vorstellung gibt. Die objektive Realität „Volk" geht der Idee des „Volkes" nicht voraus, sondern wird durch sie erst hergestellt.62 Die methodische und inhaltliche Logik der Einheitsbildung liegt quasi in dieser völkischen Integration verschlüsselt. Der Volksbegriff immunisiert sich so nicht nur gegen die faktischen Herrschaftsinteressen und sozialen Konstellationen, sondern verschleiert als ideologischer Begriff im Umfeld der „Konservativen Revolution" die soziale Einbettung des Volkes beim Übergang von der segmentierten zur funktional differenzierten modernen Industriegesellschaft. Politische Intention ist zugleich die Abschirmung vor der sozialen Wirklichkeit und die Auflösung sozialer Konflikte im objektivierten Volksbegriff, der als Gegenkonzept zur individualisierten Massengesellschaft fungiert. 63 So enthält Hubers völkisch-nationale Verfassungstheorie vor 1933 bereits jene - wenn auch theoretisch amorphe - Integrationsmechanismen, die erst nach 1933 methodologisch und systemkonform ausdifferenziert werden. Politische und wissenschaftliche Vorbildfunktion hat dabei Carl Schmitts Verfassungstheorie des Staates als souveräne Entscheidungseinheit, die völkisch-integrativ ausdifferenziert wird. Der Etatismus des Huberschen Denkens ist deshalb in dem „Weltwollen" als dem gedanklich-phantasievollen Zustand zu sehen, die Verwirklichung der Einheit von Volk und Staat auf der höchsten (d.h. intensivsten oder utopischen) Stufe, den Staat politisch als die starke Ordnungsmacht über der Gesellschaft zu stärken. Der nationale Charakter des deutschen Volkes wird erst in der Einheitsstiftung des Staates als Endzustand definiert. Während bei Huber also die „Nation" als theoretisches Prinzip nur instrumenteilen Charakter zur Herstellung des starken Staates hat, hat das „Volk" als ganzheitliche Kategorie die zwischen „Staat" und „Volk" bestehende Herrschaftsbeziehung als „Hierarchie-Empfanger"aufzunehmen. Sie ist eine Vorstufe der völkischen Verfassungstheorie und ihrer Kategorien „Führer" und „Volksgemeinschaft". Huber will eine nationale deutsche Verfassungstheorie entwerfen und die Einflüsse französischer Verfassungstraditionen im deutschen Denken einebnen: „Aufgabe einer deutschen Verfassungstheorie ist es, diese französische Dogmatik zu überwinden und die dem deutschen Verfassungssystem eigentümliche Zusammenordnung von Obrigkeit und Volk begrifflich sichtbar zu machen. Die deutsche Verfassungsgeschichte zeigt, daß unter der Fassade der französischen Dogmatik die beiden Elemente der Obrigkeit und des Volkes zugleich als verfassungsgestaltende Kräfte wirksam sind." 64 Die mit nationalem Impetus postulierte Eigenständigkeit deutscher Volkstumstheorie ist an dieser Stelle bereits ein latentes Wissenschaftsprogramm, das Huber im Nationalsozia-

61 Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 92. 62 Hoffmann, Lutz: Das „Volk". Zur ideologischen Struktur eines unvermeidlichen Begriffs, in: ZfS, Jg. 20 (1991), S. 191-208 (194-196). 63 Vgl. ansatzweise ebenda, S. 198ff.. 64 Huber: Obrigkeit und Volk, a. a. O., S. 682 f.. Huber „kappt" die französische und damit aufklärerische Tradition des Nationverständnisses schon in dem Artikel „Die deutsche Nation" (1932), a. a. O..

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lismus verfassungstheoretisch auszudifferenzieren vermochte. 65 In diesem nationalsozialistischen Wissenschaftsplan führt Huber den nationalen Gedanken der „Konservativen Revolution" fort. Die dialektische Voraussetzung, daß die Einsicht und das Eingeständnis geschichtlicher Brüche in das Nationalbewußtsein mit aufzunehmen sind und der Intensitätsgrad der Homogenität des Volkes im Staat in den historischen Etappen der deutschen Geschichte zu rekonstruieren ist, wird mitreflektiert. 66 Zur Trias „Volk" - „Staat" „Nation" kommt unter Herrschaftsprämissen die duale Sinnebene von „Obrigkeit" und „Volk": „Die Obrigkeit wird nicht als fremde Gewalt, sondern als Repräsentant des Volkes empfunden, sie empfangt aber Würde und Macht nicht vom Volk, sondern ist von Gottes Gnaden'; ihr eigentliches Wesen ist also nicht Repräsentation, sondern Legitimität. Und entsprechend ist das Volk nicht Objekt fremder Gewalt, sondern es ist, indem es in dem legitimen Fürsten zugleich seinen Repräsentaten erblickt, der Obrigkeit als tragende Kraft zugeordnet." 67 Huber überzieht in diesem Zusammenhang nicht nur das dialektische Verfassungsdenken tautologisch, sondern nimmt dem „Volk" als dynamischem Element der Verfassungsbewegung „von unten" das Widerstandsrecht, indem er die Identität von Herrscher und Volk mit der „Idee des Rechts" als verkörpertem Volkswillen gleichsetzt und „Widerstand" als die Abwendung des Volkes vom Herrscher bei „Mißachtung der Idee des Rechts" sanktionsgerecht abgrenzt. 68 „ H e r r s c h a f t " bleibt im volkstheoretischen Zusammenhang die autoritäre Macht „von oben", die im korporativ-organischen Identitätsdenken den sittlichgeistigen Tenor dialektischen Denkens nicht vermitteln kann, sondern operationales Kalkül darstellt. Die Verfassung ist also der „konkrete Gesamtzustand politischer Einheit und sozialer Ordnung" oder als „Form der Herrschaft" die konkrete Über- und Unterordnung im Staate und damit zugleich „Status", „Gestaltung" und „Integration". 69 Versagt die Herrschaftsbildung „von unten", begründet man ihre Legitimität „von oben". Huber ersetzt kurzerhand die aus der Einheit des Volkes schöpfende Idee der plebiszitären Legitimation (über Art. 73 WRV) durch eine auf Carl Schmitts Identitätsdenken fußende Einheit von Herrschaft (Obrigkeit) 70 und Volk (Nation). „Obrigkeit" und „Volk" werden gleichermaßen verfassungsgestaltende Kräfte zugebilligt. Huber unternimmt dabei jedoch eine umfassende verfassungstheoretische Synthese beider gestaltenden Formprinzipien, die nach der Methode Carl Schmitts in der dialektischen Betrachtung besteht, nicht Norm und Realität in reiner BegrifElichkeit zu trennen, sondern „sie ihrer notwendigen Verbundenheit und ihrer lebendigen Spannung" 71 zuzuführen. Die Begründung des Verhältnisses von „Obrigkeit" und „Volk" als dialektische Verfassungsbewegung erfaßt Huber 65 Vgl. auch: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935, S. 40f.; sinngemäß optiert Huber für die Entscheidung einer deutschen Volkstradition gerecht werdenden Verfassungstheorie im Rahmen des Ordnungs- und Gestaltungsdenkens; ebenso: Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935, S. 7ff.. 66 Greiffenhagen, a. a. O., S. 288. 67 Obrigkeit und Volk, a. a. O., S. 683. 68 Das Volk als Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 808. 69 Huber: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 20f.; ebenso: Repräsentation, a. a. O., S. 545; Schmitt: Verfassungslehre, a. a. O., S. 4f., 9ff. 70 Das Identitätsdenken Hubers und Schmitts führt aufgrund der tautologischen Logik zu einer beliebigen Austauschbarkeit der Begriffe „Herrschaft", „Obrigkeit" versus „Volk", „Nation". 71 Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 34.

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als die „gleichmäßige Begründung des Staates auf Obrigkeit und auf Volk." 72 Dabei erfahrt Carl Schmitts Identitätslogik, d.h. die Einheit von Herrschaft und Volk, das Aufgehen der Gesellschaft im Staat, eine subtile Kritik. 73 Huber faßt den verfassungstheoretischen Unterschied zwischen „Identität" und „Herrschaft" wesentlich krasser und seiner formgestaltenden Kraft entsprechend kritischer. Es gäbe keine absolute Identität und auch keine absolute Trennung von Herrschaft und Volk. Auch der in der Weimarer parlamentarischen Demokratie vorhandene Gegensatz von Staat und Gesellschaft, von Staat und Wirtschaft, könne trotz der vorhandenen geistesgeschichtlichen und wertemäßigen Wandlungen nicht einfach in eine konfliktlose Identität eines „totalen Staates" übergehen, da Rücksicht auf die „vielfaltigen Gliederungen und Stufungen, Garantien, Beschränkungen, Hemmungen und Balancen des Verfassungssystems"74 in der Entwicklungsrichtung genommen werden müßten. 75 Die attestierte Identität von Regierenden und Regierten als „sozial homogene Demokratie" darf nicht als Identität zwischen „Obrigkeit" und „Volk" mißverstanden werden. Hier geht Huber wesentlich über Schmitts Verfassungstheorie hinaus und läßt unterschwellig Kritik an seinem akademischen Lehrer kundtun. 76 Hubers Auffassung, daß die „Obrigkeit nicht als fremde Gewalt, sondern als Repräsentant des Volkes emfpunden" wird, deren Wesen aber nicht „Repräsentation" sondern „Legitimität" sei, und dem das Volk als „tragende Kraft" zugeordnet wird, 77 dokumentiert, daß „Repräsentation" und „Identität" unterschiedliche verfassungstheoretische Kategorien sind. Huber erkennt an, daß das Prinzip der Identität für die Gestaltung der politischen Einheit des Volkes wichtig ist, schränkt jedoch ein: „Aber es geht nicht an, wie Schmitt es will, in ihm ein schöpferisches und einigendes Prinzip der Staatsgestaltung zu sehen. Denn Identität, das Eins-Sein einer Sache mit sich selbst, ist das Gegenteil eines Formprinzips, bedeutet die natürliche Gegebenheit einer Sache und nicht ihre gestaltete und damit gesteigerte Form." 78 Huber interpretiert die Kategorie „Identität" als eine bereits höhere, in sich geeinte Gestaltung, die in sich keine Dynamik und verfassungsbewegende Formkraft birgt, im Gegenteil gestaltungsunfahig ist: „Die Funktion der Identitätsvorstellung für die Staatsgestaltung ist daher negativer Art. Die Identität ist das Gegenprinzip jeder Formgebung und jeder Organisation." 79 Diese gegenüber Carl Schmitts Verfassungstheorie divergierende Auffassung erfahrt ihre konkrete Begründung in der Tatsache, daß die „Realpräsenz des Volkes" in ihrer geeinten Vielheit nicht verwirklicht sei. „Volk" bedeute die „Totalität der Nation in ihrem vergangenen und zukünftigen Geschick", mit dieser realpräsenten Totalität könne sich das Volk jedoch nicht identifizieren, da diese Identifikation keine reale, sondern eine fiktive sei: „[...] sie ist in Wahrheit Repräsentation des Ganzen durch eine aktionsfähige Grup-

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Obrigkeit und Volk, a. a. O., S. 683. Repräsentation, a. a. O., S. 545-547. Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, S. 27. Hubers Kritik an Schmitts Identitätsdenken findet sich auch in folgenden Aufsätzen: Repräsentation, a. a. O.; Der Hüter der Verfassung, a. a. O.; Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O.,. S. 302-315. Repräsentation, a. a. O.; Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 16. Obrigkeit und Volk, S. 683. Repräsentation, S. 545. Ebenda.

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pe." 80 Das eigentliche politische Formprinzip des Volkes ist somit nicht die Identität, sondern die Repräsentation. Identität sei „fiktiv", während Repräsentation „existentiell" sei. Theoretisch ist die Behauptung der Identität als Gestaltungsmacht des Staates also nicht zu halten 81 : „Der eigentliche Sinn der Repräsentation liegt in der Darstellung und damit der Vergegenwärtigung und Sichtbarmachung einer nicht in realer Identität präsenten Größe [...]." 82 Damit unterstreicht Huber, daß die Formgestaltung der Verfassung durch Öffentlichkeit bezweckt wird, die durch „Repräsentation" gegeben ist, nicht durch „Identität".83 Das Begriffspaar „Repräsentation" und „Identität" erhebt zudem den Anspruch auf präzise Unterscheidung der Staatsformen, trotz der konstatierten Strukturelemente von „Repäsentation" und „Identität" in jedem Staat. Das Mischungs- und Verbindungsverhältnis, nämlich die Balancierung der politischen Formprinzipien im 20. Jahrhundert,84 versieht Schmitt mit negativen Elementen, während Huber den Aspekt der Verfassungsformfrage mit dem Konstitutionalismusproblem des neunzehnten Jahrhunderts seit 1938 als Mischform positiv bewertet.85 Der umständliche Umweg der Begründung des Herrschaftsverhältnisses von „Volk" und „Obrigkeit" „von oben" statt der von Huber in Frage gestellten „plebiszitären Legitimation" durch Volksbegehren und den Eid des Reichspräsidenten, erfährt seine Bündigkeit durch die Unterscheidung von „auctoritas" und „potestas" im Sinne der Schmittschen Verfassungslehre. 86 Huber lehnt deshalb jegliche demokratische Theorie zur Begründung der besonderen Stellung der „Obrigkeit" gegenüber dem „Volk" ab, überträgt die Herrschaftsgewalt der „Obrigkeit" (also „auctoritas" und „potestas") auf die mit dem angewandten Notstandsrecht des Art. 48 Abs. 1 und 2 noch funktionsfähigen und sich des Parlaments entledigenden 80 Ebenda. 81 Hartmann, Volker: Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland. Untersuchungen zur Bedeutung und theoretischen Bestimmung der Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz, der Theorie des Rechtspositivismus und der Weimarer Staatslehre, Berlin 1979, S. 204. 82 Huber: Repräsentation, a. a. O., S. 546. vgl. dazu die divergierende Auffassung Carl Schmitts, in: Verfassungslehre, a. a. O., S. 206. Schmitt spricht nicht von der form- und gestaltungsfeindlichen Kraft der Identität. Er meint, beide seien Formprinzipien der politischen Gestaltung: „Diese beiden Möglichkeiten, Identität und Repräsentation, schließen sich nicht aus, sondern sind nur zwei entgegengesetzte Orientierungspunkte für die konkrete Gestaltung der politischen Einheit"; vgl. Verfassungslehre, S. 206. Huber und Schmitt stimmen überein, daß „Repräsentation" nur zur Gestaltung der politischen Einheit möglich ist, nicht zu dessen „Herstellung". Carl Schmitts These, daß das Volk erst an der Vorstellung der Identität als der politischen Form des Staates auftritt, wenn es Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt ist, würde auch von Huber akzeptiert. 83 Dazu grundlegend Mantl, Wolfgang: Repräsentation und Identität. Demokratie im Konflikt. Ein Beitrag zur modernen Staatsformenlehre, Wien, New York 1975, S. 140f.. „Identität" erweist sich in den Darlegungen Schmitts als unpolitisches Prinzip. Als substanzhafte Gleichheit wird sie aus dem Bereich politisch-sachlicher Entscheidungen herausgehalten. Repräsentation und Identität sind bei Schmitt keineswegs Prinzipien der Staatsformen, sondern nur Weisen von Machtentfaltungen; s. a. Hartmann, Volker: Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, a. a. O., S. 207ff, 212f.. 84 Mantl, Wolfgang: Repräsentation und Identität, a. a. O., S. 146. 85 Vgl. detailliert Kap. 6.4. 86 Schmitt: Verfassungslehre, S. 75f..

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Staatsorgane „Reichspräsident" und „Reichsregierung". Der Konnex von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit wird damit wieder hergestellt. Die Autorität des Reichspräsidenten und die Macht der Reichsregierung bedürfen einer eigenen Rechtfertigung, „die sie über den Charakter bloßer Exponenten und Agenten hinaus erhebt" und als „Obrigkeit" Ausdruck „existentieller Repräsentation" 8 7 ist. Der autoritäre Tenor dieser „politischen Integration" und gleichzeitigen Begründung der Unabhängigkeit der „Obrigkeit" gegenüber dem „Volk", erfahrt seinen politischen Sinn in der Notstandspraxis der Präsidialkabinette, deren Politik Huber mit folgenden Worten verfassungstheoretisch umschreibt: „Auch die Regierung von Papen hat bisher besonderen Wert auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit gelegt und mit dem Eingreifen in Preußen den entscheidenden Schritt dazu getan; zugleich aber zeigen die Kundgebungen des Ministers von Schleicher, daß die Regierung die Notwendigkeit eines Zusammenklanges mit dem Volke erkannt hat. Auch die Begründung der Reichstagsauflösung hatte diesen Sinn. Die Entscheidungen, die nach den Wahlen vom 31. Juli notwendig geworden sind, stellen den Reichspräsidenten, die Reichsregierung und den Reichstag vor die gleiche Verantwortung - nämlich dafür zu sorgen, daß die Obrigkeit, die zugleich Unabhängigkeit vom Volke besitzt und doch Repräsentation des Volkes ist, ihren wahrhaften Ausdruck finde." 88 Die für den revolutionären Konservatismus typische Symbiose aus weltanschaulichem Traktat, wissenschaftlicher Analyse und theoretischem Anspruch führt Hubers volkstheoretische Analyse in die Weimarer verfassungspolitische Diskussion. Brennpunkt dieser häufigen „Ausflüge" seiner „Ring"-Artikel in den verfassungspolitischen und tagespolitischen Bereich ist der inhaltliche Zuschnitt der verfassungstheoretischen Problematik auf Carl Schmitts Verfassungstheorie - in diesem Fall die Einheit von „auctoritas" und „potestas"89 - und die damit verbundene plebiszitäre Legitimität des Reichspräsidenten als Angelpunkt des Verfassungsumbaus zum autoritären Wirtschaftsstaat. Huber gewährt dem Reichspräsidenten („auctoritas") und der Reichsregierung („potestas") gegenüber dem Volk eine unabhängige Stellung als „Obrigkeit", „die mit einer demokratischen Theorie nicht erklärt werden kann". 90 Im Sinne Carl Schmitts wird die „auctoritas" als „Darstellung der Kontinuität und Permanenz der staatlichen Einheit durch das Staatsoberhaupt"91 mit der faktischen Herrschaftsgewalt der „potestas" verbunden. Realpolitisch gedenkt Huber, wie in der Konzeption des „Neuen Staates" Franz von Papens, die verfassungspolitische Ablösung von Reichspräsident und Reichsregierung von Reichstag und Reichsrat zur Bildung einer Zweikammerregierung mit ständischem Aufbau herauszuziehen. 92

87 Huber: Obrigkeit und Volk, S. 683. 88 Ebenda, S. 684. Huber hat vor der Machtergreifimg mit dem Querfrontkonzept Schleichers sympathisiert, was aus den Aufsätzen im „Ring" und im „Deutschen Volkstum" nicht konturiert interpretierbar ist; freundliche Auskunft von Frau Dr. Tula Huber-Simons am 19. April 1993 in einem Gespräch mit dem Verfasser in Freiburg-Zähringen. Die in dem Zitat angedeutete „Notwendigkeit des Zusammenklanges mit dem Volke" deutet möglicherweise daraufhin; vgl. zum Querfrontkonzept: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, S. 1213-1215; S. 1274-1276. 89 Schmitt: Verfassungslehre, S. 75ff.. 90 Obrigkeit und Volk, S. 683. 91 Ebenda. 92 Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 957f..

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Den logischen Zusammenhang zum „Volk" stellt Huber dann in der Funktion der „Obrigkeit" als Repräsentant, Agent und Exponet des „Volkes" wieder her. Diese theoretischen Gedanken haben tagespolitische Relevanz, zeigen aber auch den suchenden und unfertigen Blick jungkonservativen Verfassungsdenkens. Nach der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 mit 37 % NSDAP-Anteil und dem abermaligen Immobilismus zur Mehrheitsfindung im Reichstag resümiert Huber: „Die Entscheidungen, die nach den Wahlen vom 31. Juli notwendig geworden sind, stellen den Reichspräsidenten, die Reichsregierung und den Reichstag vor die gleiche Verantwortung - nämlich dafür zu sorgen, daß die Obrigkeit, die zugleich Unabhängigkeit vom Volk besitzt und doch Repräsentation des Volkes ist, ihren wahrhaften Ausdruck finde." 93 Das amorphe Postulat der „konservativen Staatsfiihrung", 94 das Huber in den Schriften zur Kirchen- und Wirtschaftsverfassung anführt, hat seine konkrete verfassungstheoretische und verfassungspolitische Dimension in der revolutionär-konservativen Auffassung der Einheit von geistigen Werten und vitalen politischen Interessen: „Die konservative Staatsgesinnung erblickt in der politischen Idee des Staates die umfassende Ordnung der gesellschaftlichen Zwecke und in der Einfügung des Einzelnen in diese Ordnung den Weg zur letzten Erfüllung der diesseitigen Ziele. Sie lehnt daher jede Bindung des Staates ab, die ihn seiner Suprematie über die Teilzwecke der Individuen und der korporativen Verbände beraubt." 95

d) Antiliberalismus Das Feindbild des Liberalismus bietet der jungkonservativen Kritik ein weites Feld. Alle mit den normativen Wertsetzungen des Liberalismus behafteten Ordnungs- und Regelungsstrukturen, Institutionen und politischen Ideen sind diesem Feindbild ausgesetzt: Parlamentarismus, Wirtschaft, Staat, Kirche, Kompromißverfassung und Rechtsverständnis. Die „Konservative Revolution" ist als programmatische Form des Totalitarismus ein Gegenentwurf zum „humanitären Liberalismus." 96 Hubers Liberalismuskritik entwickelt die offensive Taktik aus der Rezeption der Schriften Carl Schmitts, hat aber ein spezifisch utopisches Element, das aus dem Standort des fragmentarischen gesellschaftlichen Bezugssystems resultiert. Werkgenetisch ist auffallend, daß eine stringente Liberalismuskritik erst in das nationalsozialistische Wissenschaftsprogramm der „gesamten Staatswissenschaft" als politischer Wirklichkeitswissenschaft einbaut und mit einer wissenschaftshistorischen wie wissenschaftstheoretischen 93 Obrigkeit und Volk, S. 684. Süffisant ist Hubers Bemerkung zur mangelnden Integrationskraft der Jungkonservativen als Träger der Idee des ,,Neuen Staates" Franz von Papens: „Die vielfaltigen Beziehungen zwischen den Mitarbeitern und Lesern der Zeitschriften 'Ring', 'Deutsches Volkstum' auf der einen und der 'Schildgenossen' wie der 'Neuen Blätter für den Sozialismus' auf der anderen Seiten bedürfen noch der Untersuchung"; vgl. Deutsche Veifassungsgeschichte seit 1789, Bd. 7, S. 1051, Anm. 29. 94 Die politische Bedeutung des Konkordats, a. a. O., S. 934; an anderer Stelle spricht Huber von „konservativer Staatsgestaltung"; vgl. Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 562. 95 Die politische Bedeutung des Konkordats, a. a. O., S. 934. 96 Sieferle, Peter: Die Konservative Revolution, a. a. O., S. 22f..

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Positivismuskritk verbunden sind. 97 Doch schon in den Schriften der Weimarer Jahre baut Huber die Liberalismuskritik auf dem Gedankengerüst Carl Schmitts auf, überraschenderweise, ohne dessen Parlamentarismuskritik entscheidend als „Argumententräger" zu verwenden. Er argumentiert voraussetzungsvoll und entwickelt die Liberalismuskritik nicht ex eventu, sondern hat die Verfassungskonzeption des Staates als souveräne Entscheidungseinheit bereits gedanklich durchschritten. Der Liberalismus wird dementsprechend als Gegenbild und Kontrast aus dem utopischen Bild des einheitlichen Staates als Formprinzip der „gestaltenden Idee" und als politisch homogene Instanz ideologisch verbrämt und als eudämonistisch abgelehnt: „Wer einer liberalen Ideologie huldigt, dem mag der Staat Diener und Schützer der individuellen Interessen der im Staate lebenden Bürger und der Verbände dieser Bürger sein. Es wird den Staat in ein Netz von Bindungen gegenüber der individuellen Sphäre und den Verbandsinteressen verstricken suchen, um dadurch eine Garantie für den staatsfreien Raum, der dem Staate eingeordneten Glieder zu erlangen." 98 Doch Huber sieht eine Änderung dieses Zustandes nur in einer Verfassungsreform. Die Aufgabe des Staates bestünde darin, „diese pluralistischen Kräfte auszubalancieren und über dem Streit der Parteien eine gedachte Einheit zu symbolisieren."99 Damit würde die liberalistische Vorstellung des Staates als abstrakte Vorstellung, bloßer Begriff, juristisch in ein System von Normen gefaßt, von der Verfassungswirklichkeit getrennt, überwunden. Die organische Entwicklung eines „autoritären Liberalismus" 100 in die gewünschten universalistischen Ordnungsstrukturen des Staates und damit der Auflösung alles Geschäftlichen im Staat, lehnt Huber ab. Hier ist das Feindbild des Liberalismus konkret. Den aufklärerischen Errungenschaften liberalen Denkens - Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - werden die konservativen Werte - Autorität, Ordnung, Bindung - entgegengestellt. Über die konservative Kategorie der Bindung fordert Huber einen neuen Typus der Parteien, weil „die parlamentarische Partei als solche ihre große politische Rolle in Deutschland ausgespielt hat." 101 Für die liberale Repräsentationspartei sei die Funktion im wesentliche im Wahlakt erschöpft, so daß eine Veränderung des Parteientyps dem „veränderten Anspruch" Rechnung tragen müsse, daß „die Partei an den Menschen herantritt" und alle Lebensbezirke umfaßt. Zukunft habe nur die „absolutistische Integrationspartei", „wie sie sich im Faschismus, Bolschewismus und Nationalsozialismus zeigt." 102 Der Angelpunkt der Liberalismuskritik ist das aus konservativer Sicht veränderte Verhältnis von Freiheit und Gleichheit, 103 Parlamentarismus und Liberalismus 104 sowie

97 98 99 100

101 102 103 104

Die deutsche Staatswissenschaft, in: ZgS, Bd. 96 (1935), S. 1-66. Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, a. a. O., S. 204f.. Ebenda, S. 207. Heller, Hermann: Autoritärer Liberalismus? (1932), in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, hrsg. von Christoph Müller, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 643-653 (650ff). Heller bezeichnet mit diesem „Nationalliberalismus" das Kardinalproblem des „starken Staates", der sich aus der Wirtschaftsordnung zurückzuziehen hat und analysiert kritisch die Konzeption des „Neuen Staates" Franz von Papens und seines verfassungspolitischen Gewährsmannes Carl Schmitt. Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Die deutschen Parteien, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 590-591 (591). Ebenda, S. 591. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 30-36. Repräsentation, S. 546.

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Demokratie und Wirtschaft. 105 Dem zur Begründung der Einheit von „Volk" und „Obrigkeit" sowie von „Staat" und „Nation" eingeführten Begriff der „konservativen Staatsfuhrung" wird nun der „konservative Freiheitsbegriff" 106 zur Seite gestellt. Dieser Freiheitsbegriff ist der strategische Argumentationspol der revolutionär-konservativen Umdeutung normativ-rechtlicher und demokratischer Strukturen in autoritär-organologische Bindungen. Dem universalistischen Anspruch der Einheit des Staates und seiner Glieder wird insofern gedient, als „Freiheit" im konservativen Sinne überindividualistisch orientiert ist. Der Einzelne wird in einen übergreifenden Kollektivzusammenhang reintegriert. Die Freiheit liegt in der Bindung begründet, folgerichtig kann sich der Einzelne nicht vom Kollektiv emanzipieren. Freiheit definiert sich im konservativen Sinne nur im Dienst am Ganzen: 107 „Der entscheidende Zug dieses neuen Freiheitswollens liegt darin, daß es sich nicht um die Erkämpfung einer individuellen Freiheit vom Staate weg', sondern darum handelt, einen Raum zu sichern, in dem aus persönlichem, freien Schaffen Werte für die Gemeinschaft und ihren sichtbaren Ausdruck, den Staat, erarbeitet werden können." 108 Das verfassungsgestaltende Ziel dieser Bindung ist, die „Neutralität des Staates" gegenüber Wirtschaft, Verwaltung und Kirche wiederherzustellen, d.h. Neutralität ist ein Ausdruck der die gegensätzlichen Gruppierungen umfassenden, die Gegensätzlichkeiten in sich relativierende Einheit und Ganzheit. 109 Das „Bindungspotential" des konservativen Freiheitsbegriffes löst die liberale Neutralisierung des Staates als „technischen Apparat" in Bundesstaat, liberalen Rechtsstaat, Reparationsstaat und ökonomischem Sachverständigenstaat zu einer qualitativ totalen Einheit eines „neutralen Staates als über der Gesellschaft stehenden sachlich entscheidenden Instanz" 1 1 0 auf. Die „ideologische Fiktion" des „liberalen Gesellschaftsbegriffs", daß „es möglich sei, den Menschen in seiner wesentlichen Funktion vom Staate zu lösen und auf ihm eine besondere, vom Staate geschiedene „Gesellschaft" aufzubauen, gilt als widerlegt. 111 Der damit korrelierende Grundrechtsbegriff, der besagt, daß die Bindung des Individuums an den Staat als ein geschlossenes, nationales Gestaltungssystem die „öffentliche Ordnung" begründet, hat seine altliberale individualistische Bedeutung zugunsten einer nationalen Wertung abgelegt. Die liberale, positivrechtliche und schützende Grundrechtsbedeutung opfert Huber dem Gemeinschaftspostulat, das als Identifikationsangebot in seiner Subjektivität die Rechte des Individuums substantiell-sittlich aus der übersubjektiven Kraft des Nationalen herleitet. 112 Die revolutionär-konservative Strategie, das Freiheitsprinzip dem liberalen Rechtsstaat zuzuordnen, das Gleichheitsprinzip davon zu trennen und im Sinne demokratischer Egalität (syn. politische Homogenität) als Grund der Volksgemeinschaft zu definieren, setzt 105 Demokratie und Wirtschaft, a. a. O.. 106 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 28; s. a. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 30ff. 107 Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 33. 108 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 28. 109 Ebenda, S. 29; zum Bedeutungsfeld des Begriffes „Neutralisierung" im positiven, d.h. zu einer „Entscheidung" fuhrenden Sinne vgl. Schmitt: Der Hüter der Verfassimg, S. 114f.. 110 Huber: Neutrale Mächte im modernen Staat, a. a. O., S. 1002. 111 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 86. 112 Dazu sinngemäß Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 34.

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Huber konsequenterweise auch für das Verhältnis von Parlamentarismus und Demokratie und das Verhältnis von Wirtschaft und Demokratie fort. Das Ziel ist wieder die Integration pluraler Gesellschaftsformationen und Gesellschaftsinteressen in die souveräne Staatseinheit. Nach Carl Schmitt ist dieser Prozeß die Wendung von der „negativen", d.h. zum Interventionismus führenden Neutralität zur „positiven", zur Ganzheit und Einheit kraft Entscheidung hinführenden Neutralität. 113 Nach dieser Erkenntnisstruktur interpretiert Huber das Verhältnis von Demokratie und Wirtschaft nicht als konkurrenzkapitalistisch, sondern planwirtschaftlich in der gewandelten monopolkapitalistischen Wirtschaftsstruktur in der Zeit der Präsidalkabinette. Das Hubersche Integrationsdenken zieht seine autoritäre Vitalität aus der ideellen Abgrenzung zum Liberalismus. Die „demokratische Entscheidung" ist ihm nicht nur „voraussetzungslos und ohne Bindung an ein früheres Willensziel", sondern er interpretiert die Volkssouveränität der Weimarer Verfassung - „alle Gewalt geht vom Volke aus" - als die Souveränität privater Interessen, der somit die Neutralisierung des Staates durch das Gesellschaftliche anheim fallt. 114 Die staatliche Legitimität ist die durch die Zuordnung des Volkes zum Staat hergestellte Öffentlichkeit. Den Kontrast von entscheidungsloser Demokratie, weil fehlenden plebiszitären Legitimität eines Souveräns, und starker, nach Führung verlangender Wirtschaft, deren „Lebensgesetz" das sinnvolle und rationale Planen ist, verstärkt Huber mit dem Argument der ständig wechselnden und damit diskontinuierlichen parlamentarischen Mehrheiten der Demokratie und der Forderung nach einer diese Neutralisierung konterkarierenden „kontinuierlichen Wirtschaftspolitik". Wieder ist die „Nation" (syn. die politisch geeinte Volksordnung) als Integrationsziel das Identitätsprinzip der Bindung, das Huber in den logischen Kontrast einreiht: Die Wirtschaft einer Nation brauche Stärke. Der „Staat" nehme sich der „Lebensgesetze der Wirtschaft" an. 115 Die jungkonservative Kritik und Überwindung des Liberalismus läßt die Frage nach dem fragmentierten gesellschaftlichen und ideellen Bezugssystem in den Vordergrund treten. Auch der Jungkonservatismus ist wegen seines gespannten Verhältnisses zur historischen Kontinuität, vor allem aus der ablehnenden Haltung zum Traditionalismus des Altkonservatismus und der daraus resultierenden revolutionären Haltung zur Schaffung neuer Werte durch geschichtsphilospische Gründung des Ursprungs, auf die Rezeption rationalistischer Denk- und Urteilstrukturen angewiesen, zumal seine Morphologie auf dem gesellschaftlichen und sozialen Substrat liberaldemokratischer Errungenschaften, der Weimarer Gesellschaft und Verfassung, entstanden ist. 116 In der Verbindung von nationaler Frage und Liberalismuskritik soll die Elite an der Spitze des Kampfes der Nation und des Volkes um die Selbstbehauptung der Nation stehen. Das bei Ernst Rudolf Huber konstituierte ideologische Ensemble setzt sich aus nationalistischer Volkstumstheorie, die zum starken Staat führt, Liberalismuskritik nach Schmittschem Muster und der politischen Verfassungstheorie für den Umbau der Weimarer Reichsverfassung, verbunden mit einem juristischen, elitären Gestaltungswillen, zusammen. Diese zusammengefügten Stufen ideologischen Bewußtseins gehen sehr stark über den klassischen Konservatismus hinaus und dokumentierten die tendenziöse Argu113 114 115 116

Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 11 Iff.. Huber: Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 324. Ebenda. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus, S. 245ff.

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mentationsstruktur Hubers bis zur Machtergreifung in relativ kohärenter Form, wenn auch die Verfassungskonzepte innerhalb des Jungkonservatismus immer fragmentarisch geblieben sind. 117

e) Die Dialektik von „Wachsen" und „Machen" Die wissenssoziologische Analyse der Staatskonzeption Hubers fuhrt in den sozioökonomischen und rechtlichen, den die konservativ-revolutionäre Verfassungsfunktion betreffenden politischen Strukturumbau. Die Staatsführung, nach Hubers Auffassung die aus dem legislativen Bereich herausgelöste Reichsregierung und der Reichspräsident, dient als „Obrigkeit" der Staatsgestaltung, während die „konservative Idee" das umfassende Ordnungsprinzip für die „Einheit des Staates" herstellt. 118 Die Synthese aus wissenschaftlicher Forderung und politischer Verfassungsform ist das spezifisch „Revolutionäre" an diesem konservativen Staatsdenken. Der vitale Wert der Verfassungsgestaltung zur Herstellung politischer Homogenität wird als Formprinzip der „Idee" zum letztlich historisch ausweglosen Entwicklungsziel apostrophiert. Dieses Zeitlichkeitsbewußtsein impliziert eine Symbiose des „Wachsens" und „Machens", 119 die den revolutionär-konservativen Denkstil Hubers bestimmt. Das Dilemma des revolutionären Konservatismus ist das revolutionäre Element, das eine eigentümliche Dialektik von „Wachsen" und „Machen" beschwört und Resultat der weltanschaulichen Spaltung von Jung- und Altkonservatismus in aller Schärfe ist. Der klassische Konservatismus läßt seinem Selbstverständnis entsprechend das Gewachsene gelten und bekämpft gerade im Liberalismus den Geist des schöpferischen „Machens", den sich der Jungkonservatismus trotz Abkehr vom Liberalismus zu eigen macht. 120 Diese geistesgeschichtlich für den Jungkonservatismus charakteristische Heterogenität der ideengeschichtlichen Rezeption dokumentiert andererseits auch, daß der revolutionär gewordene Konservative sein ideologisches Potential aus dem gesellschaftlichen Substrat der Weimarer Republik entwickelt hat und mit den wirtschaftlichen und organisatorischen Grundstrukturen einverstanden ist. 121 Die wissenssoziologisch wichtige Synthese von „Wachsen" und „Machen" vereint den geistigen und sozialen Aspekt. Der konservative Aspekt des „Wachsens" bezieht sich auf die reale ökonomische Entwicklung: die Genese des Monopolkapitalismus und die für die jungkonservative Staatskonzeption des autoritären Wirtschaftsstaates fundamentale Kombination privatwirtschaftlichen und staatlichen Wirtschaftshandelns. Der revolutionierende Aspekt des „Machens" verweist dagegen auf den institutionellen Rahmen, die strukturelle und wertmäßige Umorganisation der Weimarer Staats- und Verfassungsordnung zur au-

117 Zu der ideologischen Vernetzung: Kondylis, a. a. O., S. 475. 118 Huber: Verträge zwischen Staat und Kirche, a. a. O., S. 209. 119 Greififenhagen: Das Dilemma das Konservatismus in Deutschland, S. 213-216; Maus, Ingeborg: Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der „Konservativen Revolution", a. a. O., S. 98f.. 120 Greififenhagen, S. 243; Maus, S. 108f.. 121 Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsaufifassung, S. 166.

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toritär-korporativen Ordnung. 1 2 2 Soziologisch gesehen ist der Mittelstand als Opfer der wirtschaftlichen Krisen der Weimarer Republik die Massenbasis des revolutionären Konzepts. Der Mittelstand fungiert innerhalb des ideellen und strategischen Konzepts der „Konservativen Revolution" als Durchgangsstation zur universalistischen Korporation „Volk" und läßt die präfaschistische Provenienz dieser Ideologie zum Tragen kommen. 1 2 3 Die Verbindung von Konservatismus und Nationalsozialismus ist nur über die Brücke des Jungkonservatismus in der Weimarer Epoche zu schlagen. Die Proletarisierung des Mittelstandes und Radikalisierung und Intellektualisierung des Bürgertums ist deshalb das geistig-ökonomische Substrat jungkonservativer Gesellschaftsstrategie. In Hubers Verfassungstheorie ist die „konservative Idee" das dezisionistische Element, die revolutionäre Umdeutung der als Feindbild betrachteten liberalen Werte. Der organologische Sinn der Bewegung bestimmt das Bild des „Wachsens", während in dem postulierten Umbruch der Ordnung und ihrer Werte das „Machen" in der korporativen Wirtschaftsstruktur zum Ausdruck kommt. Erst dadurch werden die Ursprünge, die dem Jungkonservativen als bewahrenswert gelten, wieder an das Licht gebracht - im krassen Gegensatz zum altkonservativen Institutionendenken. 124 Die „Nation" bleibt in diesem Denken das Integrationsziel der Staatsgestaltung, das „Volk" im substanziellen Sinn die nationstiftende Kategorie. Das „Volk" ist die Herkunftsgemeinschaft, die „Nation" die Zielgemeinschaft Huberschen Integrationsdenkens. „Konservativ" heißt „nationalistisch" und wendet sich gleichzeitig gegen den kommunistischen Internationalismus. Die in den Reihen der „Konservativen Revolution" konstatierbare antikapitalistische Sehnsucht und weltanschauliche Symbiose von nationalistischen und sozialistischen Elementen zu einem Nationalbolschewismus Jüngerscher Provenienz schließt Hubers Staats- und Verfassungskonzept aber aus. Er lehnt die soldatische und Sozialrevolutionäre Spielart des Nationalismus aus wissenschaftstheoretischen Gründen ab. Zum einen wird das „Rechts-Links-Schema" im nationalistischen Denken für unhaltbar angesehen, zum anderen aus dem Denkstandort des Rechtshegelianers und „objektiven Idealisten" die aus der subjektiven Dialektik Marxens resultierende Klassenkampftheorie strikt in Frage gestellt. 125 Das revolutionäre Pathos der Kapitalismuskritik des nationalbolschewistischen und Sozialrevolutionären Nationalismus widerspricht den nationalistischen Prämissen von Hubers integrativer nationalistischer Volkstheorie. Der Volksbegriff unterliegt im Zusammenhang der Integrationslogik einem pseudopositivistischen Trennungsdenken, weil es undialektisch in den Herrschaftszusammenhang zum Staat gesetzt wird. Wissenssoziologisch ist die ganzheitliche Kategorie „Volk" nur das strategische Durchgangsstadium von der pluralistischen Gesamtverfassung Weimars zu einer korporativen Gemeinschaftsordnung, als theoretisches Konzept einer sozial und politisch depravierten akademischen Mittelschicht. 126 Dieser eigenartige Schwebezustand des Einheitsdenkens und das Unvermögen, den Herrschaftszusammenhang zwischen „Volk" und „Staat" organisch zu begründen, ist auch in der nationalsozialistischen Verfassungstheorie nicht hinreichend gelöst worden, denn Hubers Versuch, das Volk als „soziales Substrat der

122 123 124 125 126

Maus, a. a. O., S. 98. Ebenda, S. lOOf.. Greiffenhagen, S. 214f.. Huber (gez. Fr. Sehr.): Sozialrevolutionärer Nationalismus, a. a. O., S. 569. Dazu: Kondylis, S. 475£; Maus, S. 98f..

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Herrschaft" 127 zu definieren, reicht für eine organische Staatsauffassung, die ihren theoretischen Konsens durch die Begründung der Herrschaft „von unten" aus der ständischkorporativen Ebene und „von oben", aus der Sicht der Obrigkeit schöpft, nicht aus. Mythos und Transzendenz des naturrechtlich-irrationalen Verfassungsdenkens verschleiern die theoretischen Probleme als „transzendente Legitimität". 128 Dieser Mangel theoretischer Klarsicht hängt mit der Grundintention konservativen Denkens zusammen, sich an das unmittelbar Vorhandene, das „Konkrete" 129 zu klammern, das ein ausschließliches Wirkenwollen beabsichtigt und die begriffliche Abstraktion ablehnt. Das gleichsam emphatische Erleben des Konkreten steigert sich mit dem naturrechtlichen Ordnungsdenken bei Huber in einen strukturlosen Irrationalismus, der die philosophische Spekulation in den Reihen des revolutionären Konservatismus nur blockiert hat. Zum anderen dokumentiert dieser „Konkretionismus" auch das Unfertige und Suchende des deutschen Jungnationalismus. 130

f) Das utopische Element des revolutionären Konservatismus Hubers junghegelianischer Bezug auf das Formprinzip der Idee läßt die berechtigte Frage aufkommen, ob die konservative Idee in der Form des revolutionären Konservatismus utopisches Bewußtsein ist? Konservatives Bewußtsein ist an und für sich nicht utopisch, wenn es im Idealfall in der Struktur mit der jeweils von ihm beherrschten Wirklichkeit dekkungsgleich ist. 131 Aber jungkonservatives Wissen ist nicht nur Beherrschungswissen, sondern erfahrt seine vorwärtstreibenden Impulse und Erhellungen aus dem Zeitwendebewußtsein seiner politischen Philosophie. Jungkonservative Bewußtseinsimpulse sind mehr als das bloße Auslegen und unbewußtes Vollziehen von Glaube, Mythos und Geschichtstranszendenz. Dem Konservatismus hat der liberale Gegner erst die Ebene des Kämpfens aufoktroyiert. Am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erzwang das liberale ideenhafte Denken bei den Konservativen die Selbstinterpretation auf der Stufe der Idee. Es ist seiner Substanz nach keine liberale Idee, aber morphologisch auf den Gegner Liberalismus ausgerichtet. Die liberale aufklärerische Idee hat für den Konservativen etwas Unkonkretes an sich und wurde von dieser Seite angegriffen und depraviert. Der konservative Gegenspieler dieser Idee interpretiert die Erlebniszusammenhänge substantiell, eine vorhandene Art des Seins und Erlebens wird auf die ideenhafte Ebene gehoben und dem liberalen Werterleben gegenüber in ihrer Eigenart lanciert. 132 Hegel stellt der liberalen Idee als dem bloßen „Meinen" die in die reale Wirklichkeit versenkte, in ihr sich konkret auswirkende Idee 127 Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 26. 128 Obrigkeit und Volk, S. 683. 129 Das in der junghegelianischen Rechtsphilosophie kreierte „konkrete Ordnungsdenken" und der „konkret-allgemeine" Rechtsbegriff sind Derivate des konservativen „Konkretionismus" in der Abgrenzung zu einer abstrakten, die innere Struktur der Sache thematisierenden Auslegung, vgl. auch Mannheim: Konservatismus, S. 119. 130 Mannheim: Konservatismus, S. 111; Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 21. Lenk nennt diese Denkweise in Anlehnung an Karl Mannheim „Konkretionismus"; vgl. ebenda, Anm. 58. 131 Mannheim: Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 199. 132 Ebenda, S. 201.

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entgegen. Sinnziel und Wirklichkeit, Sollen und Sein fallen hier zusammen, in der Utopie der „konkret gewordenen Idee". Im konservativen Denken ist der Prozeß des Näherrückens bereits vollendet, d.h. die Utopie der „konkret gewordenen Idee" ist bereits in das Sein von vornherein versenkt. 133 Huber hypostasiert als Junghegelianer die „Idee" zum verfassungsgestaltenden Prinzip. Das Utopische des revolutionär-konservativen Staatsdenkers manifestiert sich in der „Idee". Die Idee, der Geist wird als sittlich wirkende Kraft, als „Volksgeist" verinnerlicht. Volk, Nation und Gemeinschaft sind die kollektiven Schöpfungen der Verwirklichung der Idee. Die in die Wirklichkeit eingesenkte Idee, ihrem Standort entsprechend in der konservativen Gestalt der Utopie, ist überindividuell. Der liberale Gegner übersetzt dagegen die Idee ins Rationalistische. Die weltanschauliche Spannung zwischen „liberal" und „konservativ" ist beim ersten das emphatische Erleben des Sollens, beim letzteren das Erleben des Seins. 134 Die Art der Zeitbewertung läßt den Gegensatz zwischen Liberalismus und Konservatismus vollends gegenwärtig werden. Das liberale Erleben stiftet eine Verbindung zwischen Sein und Utopie, indem es die Idee als Sinnziel in die Zukunft verschiebt und durch den Fortschritt die utopische Verheißung in der Lebensmitte allmählich werden läßt. Dem Liberalen ist die Zukunft alles, die Vergangenheit nichts. Dem Konservativen erscheint dieser Zusammenhang anders. Konservatives Zeiterleben findet sein Bedingtheitserlebnis in der Entdeckung der Bedeutung der Vergangenheit, in der Entdeckung der Werte zeugenden Zeit. 135 Für den konservativen Revolutionär entfallt diese Perspektive. Der Bruch mit dem Reflexivwerden überkommener Wertbestände und die Kreation neuer Wertestandards aus der weltanschaulichen Kritik der Gegenwart macht die Bedeutung der Vergangenheit nur in der historischen Verankerung der Geschichtsphilosophie interessant. Das chiliastische Element der Dauer wird ganz ausgeblendet. Dialektisches Denken legt den Wert auf die Stufenfolge der historischen Entwicklung mit der Idee als formendem Prinzip und deren Verwirklichung als Ziel. Das Zeiterlebnis ist demnach auf den Raum der Geschichte orientiert. Ohne den Wert der Dauer legt das konservativ-revolutionäre Denken den Geist, die Idee in das Gewordene, läßt es objektiv werden und verleiht dem Geschehen eine immanente Selbstwertigkeit, die jegliche Legitimität von Zeit und Geschichte zu Mythos und Transzendenz zerfließen läßt. Raum- und linienhaftes Erleben des historischen Prozesses ist für den Konservatismus nicht ursprünglich, aber für Huber wird das Substrat des konservativen Denkens, der Staat in seiner „konkreten Substanz", in der Zielbewertung mit den universalistischen Kategorien „Volk", „Obrigkeit", „Nation" zu einer raumhaften Größe. Korporationen fordern zudem die morphologische Sichtweise, das Konkrete gegenüber dem Abstrakten zu bevorzugen. Altkonservatives Denken ist auf die Vergangenheit gerichtet, sofern es im Gegenwärtigen mitlebt. Konservativ-revolutionäres Erleben dagegen kann aufgrund der Ablehnung der Gegenwart historische Bezüge nur im Zusammenhang idealistischer Zielkategorien aufgreifen. Deshalb werden bevorzugt die idealistischen Philosophien Hegels, Schellings und Schleiermachers rezipiert. Die Zukunft spielt als Zielkategorie eine zweckorientierte, 133 Ebenda, S. 202. 134 Ebenda, S. 203. Exemplarisch ist Hubers Besprechung des Spenglerschen Buches „Untergang des Abendlandes", vgl.: Geschichte und Dogma, a. a. O.. 135 Mannheim: Konservatismus, S. 120f.; ders.: Ideologie und Utopie, S. 203f.

2. Die Komplexität des konservativ-revolutionären

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wenn auch metaphysisch verschleiernde Rolle, die diesen Denkstil kraß vom Altkonservatismus abhebt. Das im Junghegelianismus als der politischen Philosophie der „Konservativen Revolution" angelegte Sublimieren des Wirklichen in der Idee wirkt keineswegs quietistisch. Die Radikalität, das Revolutionäre dieses Konservatismus, liegt als Moment der Unruhe im Utopischen begründet, schließlich beruft sich der Jungkonservatismus auf die zerstörte Bezugswelt altkonservativen Denkens und die Veränderung chiliastischen Erlebens. Das Zeitwendebewußtsein der Jungkonservativen zum Ende der Weimarer Republik gibt dem Utopischen eine, dem altkonservativen Denken entgegengesetzte Wendung. Utopisches Bewußtsein ist eine spezifische Art der Weltsicht, die ihren Impuls nicht aus dem unmittelbaren Druck der sozialen Wirklichkeit empfangt, sondern aus Vorstellungen, wie sie in Symbolen, Phantasien und Ideen manifestiert sind. Vom wissenssoziologischen Standpunkt aus sind geistige Konstruktionen „ideologisch", wenn sie der Absicht dienen, die bestehende soziale Wirklichkeit zu verklären oder zu stabilisieren. Sie sind „utopisch", wenn sie kollektive Aktivität hervorrufen, welche die Wirklichkeit so zu ändern sucht, daß sie mit ihren realitätsübersteigenden Zielen übereinstimmt. Im Utopischen ist der soziale Prozeß eng verknüpft mit der geistigen Entwicklung und der Bewußtseinsbildung. Unter psychologischen Aspekten schließt das utopische Bewußtsein den Entwicklungsprozeß des mythischen Bewußtseins mit ein, die Wirklichkeit zu deuten. 136 Der Unterschied zwischen „Ideologie" und „Utopie" besteht in der zeitlichen Richtungsorientiertheit und dem Phänomen, daß Ideologien „bewirken", während Utopien „sind". Utopien gehen einen völlig anderen Weg als den der Rationalisierung des Bewußtseins und intendieren die Transzendierung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, eine Bewußtseinsstruktur, die in der „Konservativen Revolution" die weltanschauliche Zerrissenheit der Weimarer Geisteskultur und den Drang zur Rationalisierung mit einem totalen Wirklichkeitsverlust beantwortete. Für die „Konservative Revolution" kommt das utopische Moment in doppelter Weise zum Tragen, zum einen in der Konzeption utopischer Gedanken in der junghegelianischen Geschichtsphilosphie und im Charakter der jungkonservativen Bewegung als gestaltender geistiger Wertelite. Der soziale Hintergrund ist wieder die Radikalität bürgerlich-mittelschichtorientierten Denkens und seine Kanalisierung in Klubs als kollektivierendem Denkerlebnis. 137 Zum anderen kommt der funktional-gesellschaftspolitische Charakter der „Konservativen Revolution" in der Umsetzung des Utopischen zu begrifflichen Instrumentarien in Herrschaftszusammenhängen zum Ausdruck, vor allem in der Tatsache, daß auch Juristen wie Huber zur Trägerschaft dieses Jungkonservatismus gehören und ihren Beitrag zur geistigen und politischen Gleichschaltung bis 1934 leisteten. 138 Das Utopische kommt im Angriff des ideologischen Gegners, dem Liberalismus, zum Ausdruck. Der Liberalismus hat den Konservatismus gezwungen, ein utopisches Bewußtsein zu entwickeln. Nach Mannheim ist die Utopie nicht nur in das Sein von vornherein versenkt. Die Spannung 136 Mannheim: Art. Utopie, in: Neusüss, Anselm (Hrsg.): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen, Neuwied/Berlin 1968, S. 113-119 (115f.). Dieser Artikel ist eine Übersetzung des in der Encyclopaedia of Social Science (Bd. XV, 1935, S. 200-203) erschienenen MannheimAufsatzes „Utopia"; vgl. auch Ideologie und Utopie, S. 169flF.. 137 Mannheim: Art. Utopie, a. a. O., S. 118f.. 138 Gerstenberger, a. a. O., S. 137ff.

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zwischen Sein und Utopie besteht folglich in der Differenz zwischen den Fehlentwicklungen des soziopolitischen Kontexte und den konstruierten Alternativen. 139 Das Utopische des revolutionären Konservatismus ist zugleich eine die bürgerlichen Herrschaftszusammenhänge beschwichtigende Denkkategorie, welche die soziale und politische Herrschaftswirklichkeit „bewußt" transzendiert. Das bei Huber von Hegel und Savigny abgeleitete Naturrecht glättet die Klassenantagonismen und klammert sie als Denkverbot aus. Die auf Carl Schmitts Verfassungstheorie fußende Konstruktion Huberschen Staatsdenkens kann als „Gegenutopie" 140 zum liberalen Denken gewertet werden, weniger als „Gegenideologie", weil ihre Inhalte nicht verwirklicht sind. Trotzdem sind sowohl utopische als auch ideologische Momente im Staatsdenken Hubers feststellbar, sofern die Unterscheidung beider weltanschaulicher Denkstrukturen die Filtrierung sozialer Realität betrifft. Hubers Staatsdenken ist insofern „ideologisch", als die bestehende soziale und politische Wirklichkeit auf ihre trennenden und positivierenden Moment entlarvt wird. Die Bankrotterklärung der „anachronistischen Ideen" der Weimarer Ordnung ist die Grundlage dafür, daß das konservativ-revolutionäre Schema des „Wachsens" und des „Machens" überhaupt greifen kann. Hubers Konservatismus ist „utopisch", weil der nicht nur ein offensives Verhältnis zum Rationalismus der Aufklärung hat, sondern diesen im Geist des „Machens" nicht individualistisch, sondern kollektivistisch wendet. 141 Das Utopische im Denken entfaltet sich aber in der darauf folgenden Bewußtseinsstufe. Dem zerstörten liberalen Wertkosmos wird bereits eine metaphysische Entität, die „Idee" als rein konstruierte Einheit, 142 die über dem realen Bewußtsein angesiedelt ist, als Ersatzkonstruktion gegenübergestellt. Hubers gedankliche Konzeption der Einverleibung alles Gesellschaftlichen in den Staat bewegt sich bereits über dem realen Verfassungszustand der Weimarer Krisenjahre hinweg. Die Utopie des im „Staat" aufgehenden „konkreten" Volkes und die Etikettierung dieses Identitätsziels, des Staates als eine „politische Volksordnung", ist nach der (ideologischen) Zerstörung des liberalen Werthorizontes bereits eine maximalistische Utopie, welche die Fortschrittsmetaphysik dialektisch in der Verfassungsbewegung aufhebt. Huber interpretiert den tatsächlichen Verfassungszustand Weimars, den Antagonismus von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, als „Verfassungswidrigkeit", verabsolutiert andererseits aber den ökonomischen und sozialen Unterbau der Weimarer Verfassungsordnung als „Seinszustand", weil die Verfassungswandlung zur „Entstehungsform des staatsrechtlichen Gewohnheitsrechts" gehört. Die Verfassungswandlung wird als Form der politischen Idee apostrophiert und somit der materielle Verfassungszustand in eine neue ideelle Form überführt. 143 Die nach Hegelschem Muster „konkret gewordene Idee", die in das Sein bereits von vornherein versenkt 139 Saage, Richard: Zum Begriff der Utopie und des Konservatismus bei Karl Mannheim, a. a. O., S. 94f.. 140 Greiffenhagen, a. a. O., S. 283. Greiffenhagen fuhrt aus, daß sich das Dilemma der konservativrevolutionären Mythoserwartung nicht zuletzt in der dialektischen Abhängigkeit von den utopischen Entwürfen des rationalistischen Gegners zeigt. Karl Mannheim hat das konservative Denken deshalb auch zu Recht dem utopischen Bewußtsein zugeordnet: vgl. Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 199ff. 141 Saage, Richard: Zum Begriff der Utopie und des Konservatismus bei Karl Mannheim, a. a. O., S. 102. 142 Mannheim: Ideologie und Utopie, S. 183. 143 Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4.

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ist, ist im Verfassungsdenken Hubers das utopische Moment, weil der staatstheoretische Antagonismus von Sein und Sollen fern jeglicher sozialen und politischen Realität aufgehoben ist. Diese Utopie „ist", sie kann in realiter nicht „wirken". Huber versucht in dem Maße, wo Deutschland durch Inflation, Arbeitslosigkeit und ökonomische Krise vom Zusammenbruch bedroht ist, weder von der politischen Homogenität des Volkes noch von einem sich in der Idee verwirklichenden Staat etwas zu spüren ist, ein ganzheitliches Gefüge der sozialen und politischen Wirklichkeit wiederherzustellen. Die Mythosbesessenheit wird zu einer Religion des „Als ob". 144 Hubers staatstheoretische Option einer durch Konkordate hergesteilen Einheit von Staat und Kirche als „konservative Durchdringung", die „kraft der ideologischen Verknüpfung der konservativen Idee mit dem christlichen Dogma" 145 zur Gründung eines christlichen Staatsethos vollzogen werden soll, entspricht der mythischen Durchdringung idealistischen Verfassungsdenkens jenseits der sozialer Realität. Die Schriften zum Staatskirchenrecht dokumentieren Hubers frühen verfassungstheoretischen Impetus zur Herstellung von charismatischer und dogmatischer Homogenität zwischen Staat und Kirche als gleichberechtigten, nebeneinander stehenden, sich gegenseitig durchdringenden transzendenten Korporationen, die von der juristischen Praxis abgenabelt sind. Ansätze einer Staatsethik als den Staat durch das christliche, sittliche Dogma der Kirche stiftend, sind unbestreitbar. Diese Staatsethik ist eine auf der methodischen Basis des Integrationsdenkens entworfene Identitätsethik. Schon in den frühen Publikationen zum Verhältnis von Staat und Kirche entwickelt Huber mit der religiös unterlegten Geschichtsphilosophie Hegels eine Realidentität von Staat und Kirche, die mit dem realen Anliegen der Lösung der Zersplitterung des deutschen Protestantismus und der nationalen Einheit mit dem Katholizismus zu einer einheitlichen Kirchenführung korreliert. Der nationale Impetus des jungkonservativen Verfassungstheoretikers gipfelt in der Aussage, daß die Zusammenordnung der Konfessionen nicht über „ökumenische Realitäten", sondern nur über die „Nation" gewonnen werden muß. 146 Der Wirklichkeitsverlust des Staatsdenkens ist wissenssoziologisch die Konsequenz der Wendung Hubers in die Verfassungstheorie 147 und der Umgehung des erkenntnistheoretischen Antagonismus von Norm und Wirklichkeit als Angelpunkt des Weimarer Methodenstreits. Die Gewißheitsverluste juristischen Denkens kanalisieren sich in der utopischen Konstruktion der Wirklichkeit, wie auch das neue Methodendenken wirklichkeitswissenschaftlicher Provenienz bereits den formallogischen Subsumtionsautomatismus zerstört hat.

144 Greiffenhagen, a. a. O., S. 281. 145 Die politische Bedeutung des Konkordats, a. a. O., S. 934; zur hegelianisch fundierten Staatsethik vgl Huster, Ernst-Ulrich: Ethik des Staates. Zur Begründung politischer Herrschaft in Deutschland, Frankfurt/M., New York 1989, S. 39-44. 146 Huber (gez. W. E.): Religiöse Besinnung, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 963. 147 Vgl. Friedrich, Manfred: Der Methoden- und Richtungsstreit. Zur Grundlagenproblematik der Weimarer Staatsrechtslehre, a. a. O., S. 202. Nur in diesem Zusammenhang kann Friedrichs Einschätzung beurteilt werden: „Berechtigter ist es, von der Hinwendung zu einem neuen Arbeitsschwerpunkt auch im disziplinaren Sinne zu sprechen, nämlich zur Verfassungstheorie. Auch diese Hinwendung hat keinen allgemeinen Charakter gehabt. Sie war im wesentlichen nur das Anliegen von wenigen jüngeren, sich betont als oppositionell verstehenden Autoren."

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3. Politische Ziele der Verfassungsreform Die verfassungspolitischen und verfassungstheoretischen Folgerungen aus der Reichskrise seit 1929 sind im konservativ-revolutionären Denken Hubers überaus konkret in Vorschlägen zur Reichsreform manifest. Der Gedanke, die parlamentarischen Institutionen durch eine institutionalisierte Repräsentation organisierter Interessen zu ersetzen, zieht sich durch alle Stilrichtungen des jungkonservativen und nationalrevolutionären Schrifttums.1 Trotz der wertorientierten Strukturverschiebungen ist die Wesenseinheit von konservativem Ordnungsdenken mit der Forderung nach einer verabsolutierten starken Staatlichkeit, welche die pluralen Interessen der Gesellschaft aufhebt, geblieben.2 Auch die Weimarer Verfassungsreformdiskussion impliziert die konservative Funktion eines Staates autoritärer Integration in seiner politischen und ökonomischen Dimension. 3 Doch die politischen und juristischen Erfahrungen mit den Strukturdefekten der Weimarer Reichsverfassung, d.h. die Disproportionalität zwischen Verfassungsauftrag und Verfassungsverwirklichung, ist nicht den Weimarer Verfassungsvätern anzulasten. Die „Verfassung ohne Entscheidung",4 die kein Aktionsprogramm besaß und stattdessen immer mehrere verfassungspolitische Entwicklungsmöglichkeiten zuließ, paßte sich den Grundproblemen des modernen Verfassungsrechts, der Vermittlung antagonistischer sozialer Gegensätze, organisierter Partikularinteressen sowie konkurrierender Weltanschauungen und Werthaltungen an. 5 Dennoch hat die Weimarer Verfassung trotz der ideologischen Verbrämung von rechts, trotz der Notstandsverordnungen, Verfassungsdurchbrechungen und der sozioökonomisch bedingten Verschiebung des Klassenkompromisses ihre Gestaltund Bauform bis 1933 bewahren können, auch wenn die Verfassungswirklichkeit dem

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Vgl. Schulz, Gerhard: Von Brüning zu Hitler. Der Wandel des politischen Systems in Deutschland 1930-1933. Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. 3, Berlin, New York 1992, S. 1034-1037. 2 Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, S. 11 Off.; s. a. Hammens, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 10ff. 3 Überblicksartig zur Diskussion nach 1930: Schulz, Gerhard: Triebkräfte und Ziele der Reichsreform nach der Weimarer Verfassung, in: Morsey, Rudolf (Hrsg.): Verwaltungsgeschichte. Aufgaben, Zielsetzungen, Beispiele, Berlin 1977, S. 71-99 (93ff). 4 Kirchheimer, Otto: Weimar - und was dann?, a. a. O., S. 52f. Kirchheimers Meinung, daß die Verfassung die Nebeneinanderordnung und Anerkennung der verschiedenen Wertsysteme beinhaltet und doch offenläßt, entspricht dem dezisionistischen Ideengut Carl Schmitts, das Kirchheimer in seiner Dissertation zur Staatslehre des Sozialismus und Bolschewismus schon verarbeitet hat. Wolfgang Abendroth wandte sich mit Entschiedenheit gegen die These Kirchheimers, daß die Weimarer Verfassung kein Aktionsprogramm und keine Entscheidung über die politische Form getragen habe: „Deshalb ist die Weimarer Verfassung ihrem normativen Inhalt nach als eine Verfassung der rechtsstaatlichen sozialen Demokratie, als ein zu demokratischer und sozialistischer Umgestaltung der Wirtschaftsverfassung ermächtigtes Rechtssystem zu werten", vgl. Abendroth, Wolfgang: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der Weimarer Republik, in: Mück, Josef (Hrsg.): Verfassungsrecht, Opladen 1975, S. 33—43 (37). Ähnlich auch Hermann Hellers Konzeption des „sozialen Rechtsstaates" und seine Charakterisierung der Verfassung als „offene politische Form"; vgl. Heller: Freiheit und Form in der Reichsverfassung, in ders.: Gesammelte Schriften, Bd. 2, a. a. O., S. 37Iff. 5 Peukert, Detlev J.K.: Die Weimarer Republik, S. 47.

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Verfassungsauftrag vehement widersprach.6 Sie war eine demokratische Republik auf der Grundlage der Volkssouveränität, in der Ausgestaltung als konstitutionelle, rechtsstaatliche Demokratie, mit den ihr zugehörigen Grundprinzipien der Gewaltenteilung, der Anerkennung der Grundrechte und der Unabhängigkeit der Richter. Die Heterogenität der nebeneinander bestehenden Verfassungsideen zeigt sich besonders in der komplizierten Balance von Parlament, plebiszitärer und präsidentieller Gewalt. Die verfassungsrechtliche Gleichgewichtslage der Regierung zwischen Parlamentsmehrheit und Reichspräsident wurde von autoritärer Seite mit dem Argument des nie bestehenden „lähmenden Parlamentsabsolutismus" ausgehebelt. Die Weimarer Verfassung war ihrer Idee nach ein parlamentarisches Regierungssystem, das allerdings durch das Vielparteiensystem mit schwankenden und knappen Mehrheiten in Verbindung mit dem Verhältniswahlrecht die Regierungsbildung und eine kontinuierliche und stabile Regierungsarbeit erschwerte. Die von autoritär-konservativen Interessen gewünschte Machterweiterung des Amtes des Reichspräsidenten war nicht nur aufgrund der Unfähigkeit der Parteien zur Regierungsbildung willkommen, sie wurde durch eine wirtschaftlich-finanzielle Interpretation des ansonsten verfassungspolitisch „neutralen" Notstandsartikels 48 WRV initiiert, die in den Präsidialkabinetten der nationalen Konzentration seit 1928 zur verfassungspolitischen Praxis wurde.7 So ist die politische Form der Weimarer Reichsverfassung und ihre Herrschaftswirklichkeit auch das strukturelle Substrat für die autoritär-konservative Verfassungskritik gewesen. Huber war nicht nur Adlatus Carl Schmitts im Prozeß „Preußen contra Reich" am 15. Oktober 1932,8 sondern hat seine öffentlich-rechtlichen und verfassungstheoretischen Positionen immer im Umfeld der Schmittschen Verfassungslehre entwickelt. Wenn auch Heinrich Göppert sein wichtigster wissenschaftlicher Förderer und Habilitationsvater war, so ist die akademische und politische Verbundenheit zu seinem akademischen Lehrer Carl Schmitt zu dieser Zeit am engsten gewesen. Hubers redaktionelle Mitwirkung an Schmitts Monographie „Der Hüter der Verfassung" 19299 und seine engen Kontakte zu Carl Schmitt während dessen Zusammenarbeit mit der Reichsfuhrung im Sommer 193210 ge-

6 Boldt, Hans: Die Weimarer Reichsverfassimg, in: Bracher, Karl Dietrich/Funke, Manfred/Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Düsseldorf 1987, S. 44-63 (60). 7 Boldt, Hans: Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung. Sein historischer Hintergrund und seine politische Funktion, in: Stürmer, Michael (Hrsg.): Die Weimarer Republik. Belagerte Civitas, Königstein/Ts. 1980, S. 288-309 (303); zur verfassungspolitisch neutralen Funktion des Art. 48 insbesondere Friesenhahn, Ernst: Zur Legitimation und zum Scheitern der Weimarer Reichsverfassung, in: Erdmann, Karl Dietrich/Schulze, Hagen (Hrsg.): Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie. Eine Bilanz heute, Köln 1979, S. 81-198 (98). 8 Vgl. Hubers Erinnerungsbericht: Carl Schmitt in der Weimarer Endzeit, a. a. O., S. 33-70; s. a. Quaritsch, Helmut: Positionen und Begriffe Carl Schmitts, Berlin 1989, S. 105f.. 9 Freundliche Auskunft von Herrn Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber in einem Gespräch mit dem Verfasser am 19. Januar 1989 in Freiburg-Zähringen. 10 Muth, Heinrich: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932, in: HZ, Beiheft 1 (1971), S. 75-147. Muth rekonstruiert die Verfassungspläne Schmitts und Hubers in ihrer Parallelität und bezieht sogar die Ring-Artikel mit dem Huber-Pseudonym „Friedrich Landeck" mit ein. Muth konnte aufgrund der erst in der Huber-Festschrift 1973 erschienenen Gesamtbibliographie und der bis dato nicht entschlüsselten Pseudonyme auch nicht wissen, daß

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ben der themenspezifischen Behandlung der Staatskrise in den Reihen der Jungkonservativen die werkgenetische Sinnstruktur. Der zeitgeschichtliche Aspekt des Weimarer Werkes entfaltet die spezifisch juristischen Probleme im Spannungsfeld von Norm, Situation und Parteilichkeit. Das Grundproblem des offenen, wertpluralistischen Verfassungskompromisses, ein Zugeständnis an die Parteien im Verfassungsgebungsprozeß der Nationalversammlung, gestaltet sich vielschichtig: ein normatives Netzwerk von rechtlichen und ordnungspolitischen Bestimmungen, das der Bewährung in der Verfassungswirklichkeit, Umsetzung und juristischen Ausgestaltung und Kommentierung über den Prozeß der Gesetzgebung und Rechtspflege bedurfte, kollidierte mit den sich nach 1919 und nach der Inflation und Wirtschaftskrise 1922/23 verstärkenden Klassenantagonismen und dem autoritären Paradigmenwandel in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Verfassung schreibt nur die Methoden vor, die Zielbestimmung11 ist ein Spiegel der sozialen und ökonomischen Interessen- und Verteilungsstruktur und ihrer geistig-ideellen Konstellation. Im wissenssoziologischen Sinne manifestiert sich in der Dialektik von Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit, vom formellem und materiellem Recht, der Vermittlungszusammenhang von Inhalt und Form. Die sich zum Ende der Weimarer Republik hin verschärfende Disproportionalität zwischen Verfassungsauftrag und Verfassungswirklichkeit, aber auch die Rigidität der Verfassung als im materiellen Rechtsalltag zu bewährendem Rechtskodex, zentriert in der Verfassungsfunktion ihre wichtigsten Strukturmomente: als Basis politischer Herrschaft, als Rechtsgrund staatlicher Gewalt, als politische Form der bürgerlichen Demokratie und ebenso wichtig als die Frage nach der Legitimation der Ordnung in nuce. Die dem Öffentlichrechtler obliegenden Fragen des Verfassungsschutzes, der Verfassungsänderung und Verfassungsdurchbrechung gewinnen im Zusammenhang der konservativen Funktion staatsrechtlichen Denkens eine besondere weltanschauliche Färbung, die sich themenspezifisch im Staatskirchenrecht, dem Wirtschaftsverwaltungsrecht, der Staats- und Verfassungstheorie bei Huber werkgenetisch dokumentieren. Die überparteiliche Einsicht in die Funktionsfahigkeit der Regierung und der quasimonarchische Semi-Absolutismus des nach englischem Vorbild konstruierten Zweikammersystems sind keine von Ernst Rudolf Huber autonom entworfenen Verfassungspläne, sondern decken sich mit der Konstruktion des „Neuen Staates" des „Berliner Herrenclubs", in dessen Namen der „Ring" die Wirtschaftspolitik des Kabinetts Franz von Papens auch öffentlich vertrat.12 „Friedrich Landeck" ein Pseudonym Hubers ist: „Das Pseudonym 'Friedrich Landeck' ist nicht einwandfrei zu entschlüsseln. Da Stil und Gedankengang den geschulten Juristen verraten, spricht vieles dafür, daß auch dieser Aufsatz aus dem Schülerkreis Carl Schmitts stammt und wahrscheinlich Forsthoff oder Huber zum Verfasser hat. [...] Man kann sich aber auch wegen des mehrfach gebrauchten Begriffs 'Volksordnung' für Huber entscheiden, da Huber gerade diesen Begriff in jener Zeit zu einem seiner beliebtesten Begriffe entwickelt und auch häufig in gleichem Zusammenhang in seinem großen Grundrechtsaufsatz verwendet"; vgl. a. a. O., S. 135. 11 Dazu die interessante Zusammenfassung bei Ernst Friesenhahn: Zur Legitimation und zum Scheitern der Weimarer Verfassung, a. a. O., S. 93. 12 Vgl. dazu: Bracher, Karl Dietrich: Die Auflösung der Weimarer Republik, a. a. O., S. 471ff.; ebenso: Muth, Heinrich: Carl Schmitt in der deutschen Innenpolitik des Sommers 1932, a. a. O., S. 118ff.; zur Konzeption des „Neuen Staates" vgl. das in ideologischen Prämissen an Moeller

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Wie Carl Schmitt votiert auch Huber für eine inhaltliche Verfassungsänderung. Der zweite Hauptteil der WRV soll als der werterfüllte Teil zum Grundelement einer autoritären, auf der plebiszitären Legitimität des Reichspräsidenten fußenden Verfassung werden. Diese Verfassungsrevision impliziert die für den jungkonservativen Denker wichtige Funktion, den alten institutionellen Rahmen der Verfassung zugunsten eines neuen, mit Werten erst zu füllenden Rahmen aufzugeben. Die Ablehnung des ersten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung entspricht der konservativ-revolutionären Überwindung des alten institutionellen Rechts- und Verfassungsrahmens der Republik und des revolutionierenden Aktes des „Machens" einer neuen korporativen Volksordnung. Dieser schöpferische Prozeß des „Machens" bleibt bei der nur oberflächlichen Vorstellung verfassungsstruktureller Prämissen im Modus der „Kraft", des „Aufbaus" und des ,Prozesses" stecken: „Der zweite Hauptteil dagegen macht die in sich gegliederte natürliche Volksordnung mit ihren vielfältigen Formen und Einrichtungen zur Grundlage der politischen Einheit." 13 Während also eine Verfassungsreform den ersten organisatorischen Hauptteil der Reichsverfassung als Inbegriff der „funktionalistischen Legalität" zugunsten des zweiten Hauptteil als „substanzhafter Ordnung" opfert und damit die Grundlagen von Demokratie, Parlamentarismus und Republik überwindet, ist das zweite erklärte Ziel, den Reichspräsidenten auf dem Wege des „außerordentlichen Gesetzgebers" ratione materiae durch „allgemein anerkannte Fortbildung" des Art. 48 WRV zum Führer und Hüter der Verfassung zu lancieren und aus dem Verfassungseid des Reichspräsidenten die Erfüllung der „Versprechungen des zweiten Hauptteils der Verfassung" 14 zu folgern. Der Reichspräsident wird zum „Wahrer der verfassungsmäßigen Einheit des Volkes" und kann zum Gesetzgeber ratione necessitatis lanciert werden. 15 Mit dieser notstandsrechtlichen Umbiegung der Verfassung lassen sich die übrigen Verfassungsreformziele rechtspolitisch verwirklichen: die Entföderalisierung des Reiches, die auch die Doppelstruktur der Verfassungsgerichtsbarkeit beseitigen könnte und die Justiziabilität von Verfassungsstreitigkeit zwischen Reich und Ländern erleichtert. 16 Die Unitarisierung des Reiches bewirkt somit die Aufhebung der Partei- und Landespolitik und löst die doppelte Rechtsstruktur der Länder zum Reich, die durch die Unterscheidung der Verfassungsstreitigkeiten zwischen Reich und Ländern und innerhalb des Reiches herrührt, auf. 17 Der verfassungspolitische Angelpunkt dieser Verfassungskonzeption ist die „plebiszitäre Legitimität" (ratione supremitatis) des Reichspräsidenten, die Huber aber vor dem Hintergrund der Reichstagswahlen skeptisch beurteilt. Die Akklamation (Volksbegehren) zum Reichspräsidenten könne die Entscheidungsunfähigkeit des Volkes aufwerfen: „Führen wiederholte Neuwahlen immer wieder zu einem arbeitsunfähigen Reichstag, so versagt nicht nur das Staatsorgan Reichstag, sondern das Volk. Damit zeigt sich eine Erschütte-

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van den Bruck orientierte Buch von Walter Schotte: Der neue Staat, Berlin 1932; s. a. : Muralt, Ferdinand: Die „Ring"-Bewegung, a. a. O., S. 196f; zum Staatsumbau, der Rolle des Reichspräsidenten und der Verfassungreform des Rings vgl. Ishida, Yuji: Jungkonservative in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 94-107. Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 97. Verfassung und Legalität, S. 737. Der Hüter der Verfassung, S. 330. Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, a. a. O., S. 10, 18, 20ffi. Ebenda, S. 26.

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rung der Grundlagen unseres Verfassungslebens an, der mit dem Handeln im Verfassungsnotstand, das notwendig vorläufigen Charakter trägt, nicht beizukommen ist. Auch der letzte Ausweg, nämlich die Vorlage einer neuen Verfassung durch Reichspräsident und Regierung, über die das Volk durch Abstimmung entscheiden soll, ist wenig verheißend, solange eben die Schwierigkeit darin liegt, daß sich im Volke eine Mehrheit fur irgendeine positive Entscheidung nicht findet. Nur wenn sich zeigen sollte, daß diese Entscheidungsunfähigkeit des Volkes, die heute nur als akute Störung erscheint, eine dauernde Lähmung bedeutet, erhebt sich jenseits der juristischen Überlegungen, die die Grenzen des Handelns im Ausnahmezustand und im Verfassungsnotstand betreffen, die Frage nach der geschichtlichen Rechtfertigung eines Handelns, das den Boden der Verfassung verläßt, um das Reich zu erhalten." 18 Hubers Reformvorstellungen stimmen inhaltlich mit der Konzeption des „Neuen Staates" Franz von Papens überein: An der Spitze steht der vom Volk gewählte Reichspräsident (plebiszitäre Legitimation), der Reichsrat wird in ein territorial-berufsständisch gemischtes Oberhaus integriert. 19 Der Oberhausgedanke hat in Hubers Reichsreformplan 20 bis Ende 1932 eine verfassungspolitische Kernfunktion für die Integration der wirtschaftlichen Verbände und Tarifparteien. Danach soll dem Reichstag eine „Honoratiorenversammlung alten Stils" zur Seite gestellt werden soll. Die Verwirklichung des berufsständischen Prinzips gestaltet sich allerdings schwierig. In einer ersten Kammer soll „die Repräsentation des in sich gegliederten Volkes mit unabhängigen Männern, die sich um das Reich verdient gemacht haben und die das Vertrauen des Reichspräsidenten genießen, zusammenfinden." 21 Die Errichtung eines auf Repräsentation beruhenden Zweikammersystems ist der institutionelle Kern der Verfassungsreform. 22 Während sich die zweite Kammer aus den Mitgliedern der Reichsregierung rekrutiert, wünscht Huber die erste Kammer als „Oberhaus" zum eigentlichen Repräsentationsorgan mit berufsständischer Vertretung zu organisieren, 18 Verfassungsnotstand, a. a. O., S. 984. 19 Schulz, Gerhard: Von Brüning zu Hitler, a. a. O., S. 1008f.. Die Regierung Papen hat den Oberhausgedanken nach dem Prozeß „Preußen contra Reich" allerdings verworfen. 20 Der Begriff „Reichsreform" findet sich erstmalig in dem Artikel „Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau", in: DJZ, 38. Jg. (1933), Sp. 209-215 (215). Dieser Artikel ist noch vor der Machtergreifung geschrieben und publiziert worden. Der Gedanke der Reichsreform spielte in Franz von Papens Plan des „Neuen Staates" und der von Papens Wirtschafts- und Verfassungspolitik getragenen Ring-Bewegung, der auch Huber angehörte, sowie dem „Berliner HerrenClub" eine große Rolle. Ansätze dazu findet man bei Carl Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 9; ebenso die Vortrage Schmitts vor dem Langnamverein. Huber diskutiert den in Papens Konzeption des „Neuen Staates" enthaltenen Verfassungsentwurf eines die Parteien ausschaltenden Zweikammersystems, in dem die 1. Kammer nach der Art des Reichstages, die 2. Kammer nach Ländern und Körperschaftsvertretungen organisiert sein sollte. Huber mißfällt an diesem Plan vor allem das Nebeneinander von Korporationen und Reichstag. Eine veifassungspolitische Lösung sieht Huber jedoch nicht: vgl. Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau, a. a. O., Sp. 211; ebenso: Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 957. Statt des Begriffs „Reichsreform" findet sich vereinzelt der Begriff „Veifassungsreform", vgl. ζ. B. Repräsentation, a. a. O., S. 547. 21 Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 956. 22 Huber spricht an anderer Stelle auch von einer Doppelkammer: vgl. Repräsentation, a. a. O.; zu den Hauptströmungen s. a. Schulz, Gerhard: Von Brüning zu Hitler, a. a. O., S. 1006ff, 1134ff; zur Konzeption des „Neuen Staates" vgl. Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik, a. a. O., S. 475ff.

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um aus der pluralistischen „Interessenwirtschaft" die einheitliche „Würde der Nation" zu gestalten: „Worauf es ankommt, ist, das Parlament aus einer Vertretung von Einzel- und Gruppeninteressen wieder zu seiner eigentlichen Funktion zurückzuführen." 23 Das „Oberhaus" ist also keine „Honoratiorenversammlung" alten Stils, sondern als „zweite Kammer" nur sinnvoll, wenn es „auf die Schaffung einer Körperschaft gerichtet ist, in der sich die Repräsentation des in sich gegliederten Volkes mit unabhängigen Männern, die sich um das Reich verdient gemacht haben und die das Vertrauen des Reichspräsidenten genießen, zusammenfinden." 24 Letztendlich dient die korporative Zuordnung der Berufsstände in die Verfassung dem konservativen Anliegen, den ökonomischen Status quo des Nebeneinander von monopolkapitalistischer Wirtschaftsstruktur und der staatlichen Wirtschaftsintervention in Form der körperschaftlichen Wirtschaftsverwaltung in den Staat zu integrieren. Der konservativrevolutionäre Aspekt des „Machens" impliziert die Integration der selbständig eingetretenen ökonomischen Entwicklungsprozesse in die Entscheidung für eine neue Verfassungsform. In der Synthese von konservativem „Wachsen" und revolutionärem „Machen" vollzieht sich die Anpassung des politisch-institutionellen „Überbaus" an die kaum in Frage gestellte ökonomische „Basis", mit der verfassungspolitischen Intention, die eingetretene Diskrepanz zwischen politischer Demokratisierung und wirtschaftlicher Machtkonzentration, die Otto Kirchheimer bezeichnenderweise als den Gegensatz von Distributions- und Direktionssphäre definiert hat, zugunsten der ökonomischen Strukturen aufzuheben. 25 Der Aspekt des ,Rachens" trägt den konservativen Interessen der Ablösung der Regierung und des Reichspräsidenten aus der Bindung an den Reichstag insoweit Rechnung, als die schwierige Mehrheitsbildung und die Bindung der Reichsregierung an das Vertrauen des Reichstages nach Art. 54 WRV durch den autoritären Akt des Umbaus des zweiten Weimarer Verfassungsteils die Vertrauensfrage in die Hand des Reichspräsidenten legte. Die für Huber verfassungspolitisch fungible Lösung ist, „daß man den Berufsverbänden ein Präsentationsrecht für ein Oberhaus zugesteht." 26 Demgegenüber lehnt er es ab, den Berufsverbänden „das Wahlrecht für ein besonderes Wirtschaftsparlament" 27 zu geben. Diese Möglichkeit erscheint dem „Unitaristen" wenig plausibel, weil nicht die Gesamtpolitik des Reiches durch ein Parlament als Teilverfassung vertreten werden kann. Die zweite Möglichkeit, den Berufsverbänden ein Vorschlagsrecht für den Reichstag zu geben, würde den „pluralistischen Koalitions-Parteienstaat", wie Carl Schmitt formulieren würde, dulden. Das gegenwärtige „Vorschlagsmonopol" der Parteien stünde im Widerspruch zu dem Gedanken einer wirklichen Volksvertretung. Trotz der von der „Ring"-Redaktion in Hubers publizistischer Aktion kritisierten Enthaltsamkeit in der Diskussion der politischen Voraussetzungen der Verfassungstheorie 28 23 Repräsentation, a. a. O., S. 547. 24 Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 958. 25 Maus, Ingeborg: Gesellschaftliche und rechtliche Aspekte der „Konservativen Revolution", a. a. O., S. 108. 26 Huber: Die Berufsverbände und der Staat, S. 958. 27 Ebenda, S. 957. 28 Vgl. die Anmerkung der Schriftleitung in Hubers Artikel: Der Hüter der Verfassung, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 328: „Die nachfolgende Besprechung des Buches, das Professor Carl Schmitt unter dem Titel Der Hüter der Verfassung' soeben veröffentlicht hat, geht der Fragestel-

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rezipiert Huber die Verfassungspläne des „Neuen Staates" im „Ring", um den Interessen der Regierung Papens, vor allem dessen Innenminister Wilhelm Freiherr von Gayl, mit dem Carl Schmitt im Simmer 1932 engste Kontakte pflegte, Geltung zu verschaffen. 29 Die politische „Ummantelung" der monopolkapitalistischen Erscheinungsformen der Weimarer Wirtschaftsverfassung mit einer autoritären politischen Verfassungsform ist das Ziel der Verfassungsreform. Der Dynamik der ökonomischen Entwicklung wird gegenüber der Verfassungsform Handlungsspielraum gewährt. Die hinreichende Tolerierung des wirtschaftlichen Status quo der autoritären Präsidalkabinette und die Beseitigung des Parlamentarismus seit Brüning ist fur Huber das Ziel des autoritären Verfassungsumbaus: „Gewiß muß das Ziel einer Verfassungsreform sein, die Aufblähung des Parlamentarismus zu beseitigen und die Regierung aus einem abhängigen Ausschuß der Parlamentsmehrheit zu einem verantwortlichen, aber selbständigen Träger der obersten politischen Leitung zu machen. [...] auf die Dauer wird jede Verfassungsreform eine oberste RepräsentativVersammlung' (auch in Form einer Doppelkammer) mit einem bestimmten Maß politischer Einflußrechte einrichten müssen." 30 Ähnliche Verfassungspläne sind seit 1927 in der DNVP unter Führung des Staatsrechtlers Axel von Freytagh-Loringhoven diskutiert worden. In der Vorstellung des „Neuen Staates" kommt dagegen die rechte großbürgerlichindustrielle Fraktion Hugenbergs zum Tragen, der auch von Gayl zuzuordnen ist. 31 Unterschiede ergeben sich in der Ständeideologie und der Zuordnung der Wirtschaft zum Staat. Sie zeigen die Skepsis des Staatsrechtlers gegenüber den trivialen Restaurationsvorstellungen rechter Politiker ohne verfassungstheoretischen Hintergrund. Die Verwirklichung der berufsständischen Ordnung ist denn auch das größte Problem verfassungstheoretischer und verfassungspolitischer Konstruktion. Obwohl sich Huber wesentlich präziser als Carl Schmitt mit den verfassungstheoretischen Möglichkeiten der Integration einer berufsständischen Ordnung in den Staat beschäftigt hat, wirkt Carl Schmitts ambivalentes Verhältnis zu der Papenschen Verfassungskonzeption, insbesondere die ständische Organisation des „Oberhauses", auf Huber zurück. Schmitt warnt vor der Überschätzung einer berufsständischen Kammer und votierte für einen starken Staat, der der zweiten Kammer erst Autorität verleiht, um ihre Mitglieder ihrer ständischen Bindung zu befreien. 32 Huber scheint diese Einschätzung Schmitts bei der vorsichtigen Beurteilung des berufsständischen Gedankens berücksichtigt zu haben, vertritt aber stärker als Schmitt die Position des „Neuen Staates", weil er den verfassungspolitischen Weg vom Staatskapitalismus zum Staatssozialismus über ständische

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lung des Verfassers nach, ohne die politischen Voraussetzungen zur Diskussion zu stellen, unter denen das Buch entstanden ist." Muth, a. a. O., S. 133. Das Kabinett Papens sah in der Parlamentarismuskritik Carl Schmitts die entscheidende Wendung zum autoritären Lenkungsstaat. Repräsentation, a. a. O., S. 547. Muth, a. a. O., S. 119ff. Vgl. Schmitt, Carl: Gesunde Wirtschaft im starken Staat, a. a. O., S. 25f.

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Korporationen zu rekonstruieren sucht. 33 Die konservative und staatsgestaltene Funktion von Korporationen kann hier klärenden Sinn haben.

a) Korporative Funktionen der Verfassung „Ganzheit" als systembildende Idee ist im restaurativen Sinne der ständestaatlichen Organisation nach mittelalterlichem Vorbild der Sinn von Korporationen. In einer festgefügten Hierarchie werden die Mitglieder durch Treue und Pflicht fest miteinander verknüpft. Konservatismus ist aber nicht nur Autoritätsgedanke, er ist zugleich von einem kollektivistischen Freiheitsgedanken bestimmt und will die Freiheit der Entwicklung für alle organischen und somit ständischen und korporativen Bildungen festschreiben. Jegliche Atomisierung, Nivellierung und Partikularisierung wird im Kern abgelehnt und bekämpft. 34 Bei Huber liegt das korporative Element des staatspolitischen Konservatismus bereits im „konservativen Freiheitsbegriff" vor und er will in der Verbindung von „Autorität" und „Freiheit" den institutionellen Aspekt der Integrationslogik des autoritären Staates begründen. Im Gegensatz zu den liberalen Grundrechten als staatlichen Abwehrrechten sieht Huber deshalb den Sinn korporativer Garantien von Verbänden und Vereinigungen im Bemühen und der Anerkennung „der natürlich gewachsenen Einheiten und um ihre Einordnung im Staate; das Ziel ist also Gliederung (und nicht Zersetzung) der staatlichen Einheit". 35 Korporationen bedeuten Huber Integration und gegliederte Geschlossenheit nach innen, aber auch rechtlich begründete Öffentlichkeit nach außen. Es ist jedoch auch kein Geheimnis, daß in den Reihen der „Konservativen Revolution" der korporative Gedanke aus dem italienischen Faschismus abgeleitet wurde. Wenn die hierarchischständische Differenzierung einen spezifisch beruflich-technischen Aspekt hervorhob, so lag das zum Teil an der wirtschaftlichen Ausrichtung korporativer Organisation in die Staatsstruktur. 36 Für die Wirtschaftsstruktur und die berufsständischen Perspektiven des Verfassungsreformplans ist bei Huber dennoch eine skeptische Perspektive vor dem Hintergrund der von Carl Schmitt nur zögerlich verfochtenen Struktur berufsständischer Verfassungspläne zu konstatieren. Zum einen glaubt Huber, daß das berufsständische Prinzip nur ein Glied korporativer Ordnung im Staate ist: „Die ausschließliche Repräsentation des Volkes durch die Berufsgruppen ist daher nicht möglich". 37 Zum anderen gewinnt Hubers Volkstheorie ihren autoritären Charakter mit den Berufsständegedanken zurück. Die Berufsstände sind als Repräsentationsinstanz der „zweiten Kammer" das korporative Bindeglied zwischen „Obrigkeit" und „Volk". Der Staat sei von oben wirkende Herrschaft, staatliche Einheit als solche „von unten" durch die Berufsstände nicht möglich. Nur eine angemessene Vertre33 Vgl. Muth, a. a. O., S. 125ff.; Bracher, a. a. O., S. 476f.; Muralt: Die „Ring"-Bewegung, a. a. O., S. 294ff.; ferner Huber: Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O.. 34 Martin, Alfred von: Weltanschauliche Motive im altkonservativen Denken, a. a. O., S. 343f.. 35 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 62. 36 Kondylis: Konservativismus, a. a. O., S. 494; s. a. Huber: Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, a. a. O., S. 562. 37 Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 958.

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tung der Obrigkeit im Volk könne dadurch vollzogen werden. Eine „erste Kammer" aus berufsständischen Korporationen zu rekrutieren, hätte einen vorübergehenden Sinn als Durchgangsstation vom Monopolkapitalismus zum autoritären planenden Wirtschaftsstaat. Die Papensche Verfassungsfrage nach einer berufsständischen Organisation des „Oberhauses" läßt also auch Huber offen. 38 Die konservative Akzeptanz der wirtschaftlichen Entwicklung und Basis des verfassungspolitischen Umbaus zwingt Huber aber zu einer eingehenderen theoretischen Konstruktion der Integration der Wirtschaft in den autoritären Staat. Die Krise der Wirtschaftsverfassung 1932 ist keineswegs gelöst, auch wenn die Regierung Papen den Tiefpunkt der Krise mit der durch einen „Zwölfmonatsplan" initiierten Ankurbelung der Wirtschaft bereits durchschritten glaubte. 39 Hubers Verfassungsplan einer dienenden Wirtschaft im Staat durch eine korporatistische Lenkungswirtschaft, die die „wirtschaftliche Selbstverwaltung" zum zentralen Formprinzip dieser Verfassung macht, hat dabei drei objektive gesellschaftliche und politischen Funktionen: Hinsichtlich des konservativen „Wachsens" sind die ökonomischen Entwicklungsprozesse weitgehend unangetastet geblieben. Mit der juristischen und verfassungspolitischen Festschreibung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung unterstützt Huber den Monopolisierungsprozeß der Wirtschaft und beschleunigt ihn durch einen in juristische Formen gegossenen Prozeß der Staatsintervention. 40 De facto bleibt in Hubers Verfassungskonzeption die gemischte Wirtschaftsverfassung als dem Staate zugeordente Teilverfassung bestehen, ebenso das Nebeneinander von öffentlicher und halböffentlicher Wirtschaftsverwaltung, wie die staatsinterventionistische Preisbestimmung der Kartelle und der Lohnpolitik. Die berufsständische Auflösung kapitalistischer Klasseninteressen und unter staatlicher Intervention erfolgten Wirtschaftsgestaltung läßt Huber zur „Planwirtschaft" gelangen. 41 Das „Wirtschaftsverwaltungsrecht" hat dabei die Funktion der Zuordnung gemeinwirtschaftlicher, wirtschaftsdemokratischer und sozialwirtschaftlicher Verfassungselemente zum Staat durch die Gewährung eines öffentlich-rechtlichen Status. Die Idee der korporativen Selbstverwaltung stiftet als dem aus der staatsinterventionistischen Tätigkeit der „kalten Sozialisierung" übernommenen und tolerierten Verfassungsformprinzip dabei die gegenüber dem Staat konstituierten herrschaftlichen und organischen Pflichtbindungen. Zum zweiten hat Huber mit der körperschaftlichen Selbstverwaltung die organisatorischen und institutionellen Voraussetzungen zur staatlichen Planung und zu Investitionsmaßnahmen geschaffen, die die kapitalistischen Verwertungsinteressen, insbesondere Papens sozialstaatsfeindliche Wirtschaftspolitik gegenüber staatlicher Repression, verabsolutiert. So bleibt ein Höchstmaß an kapitalistischer Wirtschaftseffektivität gewährt. 42 Als die dritte gesellschaftliche Funktion der autoritären Staatstheorie Huber ist die Zusammenführung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen in berufsständischen Strukturen zu nennen, welche die Etatisierung sozialer und ökonomischer Konflikte zur Folge hat. Die berufsständischen Vertretungen sind auf eine zum Staat fuhrende Entschei38 Muth, a. a. O., S. 125fif.. 39 Bracher, a. a. O., S. 476. 40 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 14/56; s. a. : Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O , S. 49. 41 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 21. 42 Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 51f..

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dung neutralisiert und sollen durch Zuordnung zur Staatsverwaltung die Klasseninteressen durch eine Gemeinschaftsideologie ersetzen, deren korporative Integrationskraft in der „Volksordnung" liegt. Doch Huber kann sich dem realen Dualismus von Distributions- und Direktionssphäre der bürgerlichen Gesellschaft trotz der Zuordnung aller Sphären zum Staat nicht ganz entziehen. Das latente gesellschaftliche Bezugssystem des Liberalismus läßt den revolutionär-konservativen Denker nicht unbeeinflußt, denn die etatistische Verschleierungsideologie kann sich durch korporative Bindungen nicht ganz den gesellschaftlichen Antagonismen entziehen. Die ideologische Asymmetrie des konservativen Revolutionärs wird in dem unmittelbaren Nebeneinander von korporativ-völkischer und wirtschaftliberaler Auffassung offenkundig.43 Huber will den Anspruch der Lenkung und Führung der Wirtschaft bei unveränderter Machtposition der wirtschaftlichen Interessen halten, während die Interessengebundenheit des Körperschaftsdenkens in der Gewährung wirtschaftlicher Eigendynamik als verkappter Neoliberalismus zum Ausdruck kommt. Huber gesteht ein, daß es ökomomische Gesetzlichkeiten gibt, denen die Wirtschaft auf Dauer nicht entzogen werden kann: „Aber es liegt auf der Hand, daß Wirtschaft ohne die Verwirklichung von Interessen unmöglich ist. Nicht die Ausrottung, sondern die Bändigung der Interessen ist das Ziel des neuen politischen Denkens [,..]."44 Der autoritär-totale Staat Hubers lenkt den Kampf gegen den Liberalismus deshalb auf einen Kampf gegen Weltanschaungen ab, weil er die gesellschaftliche Grundstruktur beiseite läßt und vor allem mit der Wirtschaftsstruktur des laissez-faire übereinstimmt. Die privatwirtschaftliche, interessenmäßige Organisation des Kapitals bleibt grundlegend.45 Der revolutionäre Aspekt des „Machens" widerspricht teilweise dem organischschöpferischen Prozeß des ökonomisch-technisch tolerierten „Wachsens" und dokumentiert das Dilemma des „revolutionären Konservatismus", weil restaurative Derivate konservativen Denkens auf dem Substrat des Liberalismus als dem gesellschaftspolitischen Bezugssystem beeinflussend bleiben.46 Der „nachdemokratische Staat" bringt höchst vordemokratische Elemente seiner Herrschaft zum Vorschein. Seine Grundlage ist die Totalität des Vetorechts gegen jegliche massendemokratische Erscheinungsform der politischen Gesellschaft. Der „Neue Staat" verkörpert nicht die transpersonale Dauer und „Einheit der Nation", sondern verdeckt nur dürftig die reale Herrschaft seiner privaten und amtlichen Monopolisten.47 Die bei Huber im Staatskirchenrecht bereits vollzogene Wendung von der juristischen zur verfassungstheoretischen Argumentation macht sich die materielle Verfassungsentwicklung zum Maßstab des Verfassungsumbaus. Die Staatsrechtswissenschaft wird zu einer Wissenschaft der konkreten Umstände. Das Verfassungsrecht degeneriert zur technischen Herrschaftslehre.48 Der Angelpunkt des machtorientierten Umbaus der sozialen und

43 Kondylis, a. a. O., S. 478; s. a. : Meinck, a. a. O., S. 50f.. 44 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 71. 45 Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, a. a. O., S. 166. 46 Muralt, Ferdinand: Die „Ring"-Bewegung, a. a. O., S. 296. 47 Kirchheimer, Otto: Die Verfassungslehre des Preußenkonflikts, a. a. O., S. 60. 48 Ebenda, S. 45.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische

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politischen Struktur der Verfassung sind die Grundrechte im bürgerlichen Rechtsstaat. Verfassungsänderung und Grundrechtsverständnis bedingen einander in diesem Punkt. Die juristische Ideologie des autoritären Staates beantwortet die veränderten ökonomischen und politischen Strukturen mit einer radikalen Wendung in der Rechtstheorie und der juristischen Praxis. Der Rechtspositivismus verschwindet aus der Rechtstheorie des autoritären Staates, weil der allgemeine Gesetzesbegriff mit der dezisionistischen Eliminierung rationalen Rechtsdenkens in einen politischen Gesetzesbegriff verwandelt wird. Generalklauseln treten an die Stelle, wo der Staat mit bedeutenden Machtgruppen der Monopolwirtschaft konfrontiert wird. Die Ausrichtung des Rechtssystems auf Situationsrecht hypostasiert die materiale Wirtschaftsverfassung zum Bewegungsprinzip der Verfassungsentwicklung und des Verfassungsausbaus. Die Monopolstruktur der Wirtschaft bestimmt den Machtkreislauf und das Rechtssystem.49 Der Rechtspositivismus hätte dagegen die Interessen der Monopolwirtschaft gefährdet, weil seine positive Rechtsordnung nicht den durchgehenden Interessen der Monopole entsprach. Wissenssoziologisch zieht die autoritäre Staatsideologie Hubers zugleich die ökonomischen und sozialen Konsequenzen aus dem im Weimarer Methodenstreit überwundenen Rechtspositivismus. Die politisierte Staatsrechtswissenschaft paßt sich dem ökonomischen Substrat an, um den radikalen Verfassungsumbau bewerkstelligen zu können.

b) Verfassungswandlung Huber interpretiert die „Verfassungswandlung" als eine Erscheinungsform des „staatsrechtlichen Gewohnheitsrechts", die als solche dem bestehenden Rechtssystem von Weimar formalrechtlich entzogen ist, zumal nach Hegelschem Muster die politische Gesamtordnung im Wandel der politischen Idee steht und Ausdruck der materiellen Verfassungsentwicklung ist. 50 Die Verfassungstheorie Carl Schmitts liefert dabei den Argumentationsrahmen für die „Verfassungsänderung", die vom Gesetzgeber nach Art. 76 WRV durch eine parlamentarische Zweidrittelmehrheit erschwert worden ist. Dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber oblag die Verantwortung und das Vertrauen, die Konzeption der gesellschaftlichen Ordnung einem tragenden Kompromiß in ihrem Grundrechtsteil auch von Art. 76 WRV auszuzufuhren. Daß die Strukturdefekte der Verfassung und ihr praktisch-politischer Funktionswert schließlich zur Machtverlagerung auf die präsidentielle Ebene führte, ist nicht der Rigidität der Verfassung anzulasten, sondern ist Zeugnis eines verfassungstheoretischen Eklektizismus 51 , welcher der Staatsrechtswissenschaft und der Rechtsprechung anzulasten ist. Der Methoden- und Richtungsstreit hatte seinen Angelpunkt in der Frage nach der Verantwortlichkeit des Gesetzgebers bei der ge-

49 Neumann, Franz: Der Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft, a. a. O., S. 55-62, 70-75. 50 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4; dagegen: Hsü Dau-Lin: Die Verfassungswandlung, Berlin, Leipzig 1932, S. 112f. Hsü Dau-Lin interpretiert die gewohnheitsrechtliche Lösung des Problems der Verfassungswandlung als falsch. Interessanterweise wird die Verfassungswandlung bei Carl Schmitt in dieser von Rudolf Smend betreuten Dissertation nicht erwähnt. 51 Boldt, Hans: Die Weimarer Reichsveifassung, a. a. O., S. 61.

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setzlichen und rechtspolitischen Auskleidung der offenen Verfassung und der Problematik ihrer wertpluralistischen Legitimität im erkenntnistheoretisch problematischen Antagonismus von formellem und materiellem Verfassungsdenken. Grundlage für die autoritäre Interpretation des Art. 76 WRV ist bei Huber die Schmittsche Unterscheidung von Verfassung und Verfassungsgesetz,52 die besagt, daß nicht die Verfassung als Ganzes, sondern nur Verfassungsgesetze geändert werden können. Konsequenterweise kann nicht die Verfassung als grundlegende politische Entscheidung und Form geändert werden. Die Substanz ist in ihrem existentiellen Kern unabänderlich und trifft auf die Grenzen der Verfassungsänderung, weitergehende Folgerungen müssen mehr oder minder willkürlich sein.53 Für Huber ist die Theorie Schmitts insofern richtigkeitsverbürgend, als die Grenze der Verfassungsänderung in der „Grund"-Entscheidung der politischen Einheit des Volkes begründet ist. 54 Die Verfassungsänderung ergibt sich nicht aus dem materiellen Ganzen der Verfassung, sondern aus der immanenten Herausstellung einzelner Begriffe der Schmittschen Begriffssoziologie, die auch Huber anzuwenden pflegt. Doch die monistische These, daß alle Grenzen der Verfassungsänderung in der politischen Entscheidung einer politischen Einheit begründet sind, würde es notwendig machen, die vorausgesetzte Einheit des Volkes in der Verfassung, in der Bildung der verfassungsgebenden Gewalt und dem Vorgang der Verfassungsgebung zu untersuchen, zumal das Volk „Subjekt" oder „Träger" der verfassungsgebenden Gewalt ist.55 Da dieser Verfassungsbegriff aber nur das wirklichkeitsferne Integrationsziel, also das in der Verfassung aufgehende Volk als „politische Homogenität" umfaßt, kann er auch nicht auf die den Antagonismus von Verfassung und Volk vertiefende Reichskrise angewandt werden. Die Ambivalenz dieses Verfassungsdenkens tut sich in der Volkssouveränität der WRV und dem Staat als souveräne Entscheidungseinheit mit einer das Volk inkorporierenden Verfassung nach Schmittschem Muster auf. Verfassungsziel und prozessuale Rechtspolitik agieren auf verschiedenen Ebenen. Richtungsweisend bleibt jedoch, daß der Begriff der „Verfassungsänderung"56 nicht die Suspension der Verfassung als politische Totalität begreift, sondern nur verfassungsgesetzliche Bestimmungen meint. Die existentielle Grundentscheidung über die Verfassung kann im Rahmen der Gesetzgebung gar nicht geändert werden. Die Verfassung ist als Begrifflichkeit in ihrer phänomenologischen Transpersonalität und existentiellen Metaphysik über die Regelungsmechanismen des Verfassungsrechts gestellt und dem rechtlichen Abänderungsverfahren gegenüber immun. 57 Der von Huber als „Verfassungswidrigkeit"58 erfaßte Antagonismus von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit wird im Konfliktfall immer mit dem Vorrang der

52 Schmitt: Verfassungslehre, S. 25f., lOlf.. 53 Ehmke, Horst: Grenzen der Verfassungsänderung, in ders.: Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, hrsg. von Peter Häberle, Königstein/Ts. 1981, S. 21-141 (48). 54 Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 9. 55 Ehmke, a. a. O., S. 49ff.. 56 Carl Schmitt sieht die Grenzen zur Befugnis der Verfassungsänderung in der Voraussetzung, daß die Identität und Kontinuität der Verfassung als einem Ganzen gewahrt wird, Verfassungsveränderung ist nicht Verfassungsvernichtung; vgl. Verfassungslehre, S. 103. 57 Schmitt: Verfassungslehre, S. 99. 58 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 4.

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materialen Verfassung geregelt, so daß die normative Rechtsstruktur eine untergeordnete Rolle spielt. So liegt es Huber nahe, auch die regelmäßige Anwendung des Art. 48 als verfassungskonform zu begreifen, weil nach Carl Schmitts Verfassungslehre die Verfassungsänderung im Verfahren des Art. 48 „verfassungsachtend"59 ist und die notstandsrechtliche Handhabung der Verfassung mit diesem Scheinlegalismus immer als „im Geist der Verfassung" betrachtet werden kann. Schließlich ist zu betonen, daß dieser Auslegungsmodus nach Carl Schmitt keine „Verfassungsdurchbrechung" ist, weil er die verfassungsgesetzlichen Bestimmungen der Verfassung nicht verletzt, die durchbrochene Verfassungsbestimmung weiter gilt und auch nicht suspendiert ist.60 Die während der Präsidialkabinette seit 1929 wirtschaftlich-finanzpolitisch motivierte Anwendung des Notstandsparagraphen wurde nach Schmittianischem Geist sowieso als materiell-rechtliche Notwendigkeit erachtet, denn auch eine „Verfassungssuspension", d.h. eine vorübergehende Außerkraftsetzung von Verfassungsbestimmungen, wird nach der Lehre Schmitts als „verfassungsachtend" gesehen, da die „politische" Auslegung des Art. 48 Abs. 2 mit der Zerstörung der Sozialstaatlichkeit und der finanzpolitischen Umverteilung des Sozialproduktes die Einheit des Volkes als obrigkeitsstaatliches, „substantielles" Ziel der Verfassung interpretiert werden konnte.61 Die Bindung der Regierung an den Reichspräsidenten und die Umgehung der demokratischen Legitimität des Parlaments bedeutet, daß der Art. 48 als präsidentieller Gesetzgebungsparagraph völlig den veränderten staatsinterventionistischen und monopolkapitalistischen Strukturveränderungen angepaßt wurde und uminterpretiert wurde. Auch die Staatsrechtslehre erkannte bis zu einem gewissen Grade an, daß der Reichspräsident das Recht zum Erlaß dauerhafter Notverordnungen aus Art. 48 Abs. 2 hatte.62 Insbesondere Carl Schmitt verwertete den verfassungspolitischen Zusammenhang in seiner Schrift „Hüter der Verfassung". Demnach hat der Reichspräsident kraft seiner Wahl durch das ganze Volk dieselben Legitimitätsgrundlagen wie das Parlament und das Recht der Ernennung der Regierung und Auflösung des Parlaments, die ihm kraft des Gesetzgebers „ratione necessitatis" zukommen.63 Die Umdeutung der präsidentiellen Komponenten des Verfassungssystems zu einer finanz- und wirtschaftspolitisch legitimierten kommissarischen Diktatur auf Dauer, wurde von deutschnationalen Interessen mit den Plänen einer Verfassungsreform gleichgestellt. Brünings Remonarchisierungstendenzen und Papens „Neuer Staat", von jungkonservativen Interessen zur Beseitigung des rechtlichen und politischen Kompromißcharakters der Verfassung gefordert, sind die autoritären Einbrüche des materiellen Verfassungswandels, zugleich eine plebiszitäre, antidemokratische Verfassungsreaktion auf den massendemokratischen Parteienstaat.64

59 Schmitt: Verfassungslehre, S. 99. 60 Ebenda, S. 100. 61 Dazu die Ausführungen von Hans Boldt: Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, a. a. O., S. 298ff. 62 Ebenda, S. 301. 63 Ebenda. Zur Legitimitationsgrundlage des Reichspräsidenten insbesondere Friesenhahn: Zur Legitimation und zum Scheitern der Weimarer Reichsverfassung, a. a. O., S. 90. 64 Kirchheimer, Otto: Verfassungsreaktion, a. a. O., 64f..

3. Politische Ziele der Verfassungsreform

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Die Grenzen der Verfassungsänderung sind der Verfassungswirklichkeit ebenso entzogen wie der auf die Verfassungsänderung zugeschnittene substantielle Verfassungsbegrifif (als Integrationsziel der politischen Homogenität des Volkes) und steht bei dieser Handhabung einer grenzenlosen Ausweitung der Diktaturbefugnis des Reichspräsidenten gegenüber.65 Mit dem auf die volkliche Einheit intendierten substanziellen Verfassungsbegrifif läßt sich auch das Phänomen der „Verfassungsstörung"66 nicht integrieren. Für Huber hat die begriffliche und sachliche Unschärfe des Problems der Verfassungsänderung zwar eine untergeordnete Funktion, doch der verfassungsdurchbrechende Tenor dieser Rechtsaufifassung gilt auch für ihn als Apologet der kommissarischen Diktatur des Reichspräsidenten zur Überwindung der Verfassungskrise. Eine Änderung der Weimarer Verfassung im Wege des Art. 76 sieht auch er als aussichtslos. Ganz auf der Linie der Theorie Schmitts glaubt Huber aber über das Verfahren des Art. 76 die Änderung der Wirtschaftsordnung, zumindest als Teilverfassung im Netzwerk der Reichsverfassung, zu bewirken. Voraussetzung dafür ist, die Wirtschaftsfreiheit nicht als existentielle Grundentscheidung der Verfassung zu definieren, da sonst die Gesamtentscheidung der Verfassung im Rahmen eines „Verfassungsumsturzes" beseitig würde.67 Die Wirtschaftsfreiheit sei nicht eine Grundentscheidung der Verfassung, weil sie ein Wertekompromiß ist und nur auf solche Entscheidungen anwendbar ist, „die als endgültige Formgebung gedacht sind". 68 Doch läßt sich mit dem Sinngehalt der „endgültigen Formgebung" als der Verwirklichung der Idee, d.h. zur Identität gesteigerten Homogenität, keine verfassungsrechtliche Konstruktion herstellen. Huber sieht im Verfahren des Art. 76 ein „legales Mittel" zur Änderung der Wirtschaftsverfassung. Bei den Grundrechten greift er zum selben Verfahren, schränkt die Juridizität aber mit den Worten ein: „Die Frage, ob solche Bestandteile der materiellen Verfassung dem Akt der formellen Verfassungsänderung im Wege des Art. 76 RV. unterworfen sind, ist heute noch nicht endgültig geklärt."69 Auch hier geht Huber mit Schmitt konform, der auf der Suche nach einem mit souveräner Macht ausgestattenen Rechtssubjekt die Beschränkungen des Art. 76 mit der Ausdehnung der Diktaturgewalt des Reichspräsidenten nach Art. 48 Abs. 2, Satz 1 WRV ergänzt bzw. ersetzt.70 Doch Huber übergeht diese Schwäche verfassungspolitischer Konstruktion und stützt sich stattdessen auf die gewohnheitsrechtliche Fortbildung der materiellen Verfassung. Da eine verfassungstheoretische Konstruktion im Gegensatz zu Schmitt jedoch nicht im Ausnahmezustand rechtspolitisch zentriert ist, bleibt dieser verfassungstheoretische Schwachpunkt im System der Balancen der Verfassung bestehen und läßt sich nicht im Rahmen der

65 Ehmke, a. a. O., S. 54f. 66 Dieser Begriff findet sich selten in den Weimarer Schriften Hubers, auffallend oft dagegen im Alterswerk in Schriften zur Weimarer Verfassung, ζ. B. in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, a. a. O., S. 702-705, ferner in: Zur Lehre vom Verfassungsnotstand in der Staatstheorie der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 42, 45. 67 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 9. 68 Ebenda. 69 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 96. 70 Schmitt: Verfassungslehre, S. 11 Off.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

Subsumtionslogik aufheben. 71 Das Ziel seiner Argumentation ist die Festschreibung des verfassungsändernden Verfahrens über den Art. 48 Notstandsrecht, nachdem der Art. 76 WRV kein geeignetes Rechtsinstrument ist. Auch in diesem Zusammenhang erweist sich Hubers Gedankenführung als „Schmittianisch". Huber verbrämt die subjektive Funktion der Grundrechte als Abwehrrecht gegenüber dem Staat und gibt den „objektiven Normen" gegenüber der „subjektiven Ausstrahlung" der Grundrechte mehr Gewicht. „Objektive Prinzipien" seien in der Rechtsordnung, der staatlich-organisatorischen Ordnung oder der korporativen Verbandsordnung verwirklicht. Die autoritär-konservative Interpretation der Grundrechte bestimmt, wie schon festgestellt wurde, 72 nach dem konservativen Verständnis von Autorität und Freiheit den kollektivistischen Sinn der Zuordnung des Individuums in die Ganzheit von Korporationen. Dementsprechend entwertet Huber die „subjektive" Schutzfunktion der Grundrechte als „individualistisch" und hebt gegenüber diesem Grundrechtsbild den „objektiven Kern, das Ordnungsprinzip, das sich in ihnen ausdrückt" 73 hervor, nennt es zugleich „nationalistisch".74 Der „objektivierende" Sinn der Bindung bestimmt die neue Logik der zum „Staate hinfuhrenden Freiheit" des Volkes. In der Zuordnung der Grundrechte zum Staat werden sie zu „Grundformen der öffentlichen Ordnung", sind aber auch ein „der nationalen Gestaltung dienendes System".75 Einen definitiven Grundrechtsbegriff sucht man vergeblich, schließlich läßt sich der Dialektiker, der in den Grundrechten nur ein materiellrechtliches Instrument zur Überwindung der formalen Rechtsordnung sieht und die Etatisierung individuellen Rechtsschutzes in staatliche Pflichtbindung vornimmt, nicht auf Begriffe festlegen. Dialektisches Denken - im Sinne des Neuhegelianismus - hat hier die wissenssoziologische Funktion der metaphysischen Verschleierung von rationalen Sinnstrukturen, etwa das gegenseitige Ausspielen von „subjektiver" und „objektiver" Grundrechtsfunktion bei gleichzeitiger Belebung der Antithese mit neuen Sinninhalten. Doch die politische Intention der Auslegung zeigt sich bei Huber in der Subsumtion der Grundrechte unter den „Diktaturvorbehalt" des Art. 48 Abs. 2. „Unter dem Strich" werden alle Freiheitsrechte in ihrer subjektiven Grundrechtsfunktion mit materiellem Notstandsrecht entwertet. Der Artikel 48 hat augenscheinlich die außerhalb des Ausnahmezustandes rechtspolitisch sich stellende Ersatzfunktion, die im Verfahren des Art. 76 aufgrund der parlamentarischen Zweidrittelmehrheit nicht möglich ist. Da der „verfassungsändernde Gesetzgeber" im Verfahren des Art. 76 nicht „allmächtig" 76 ist, findet Huber im Art. 48 als präsidentiellem Gesetzgebungsparagraph die „Allmächtigkeit". 77 Als „diktaturfeste"

71 Huber: Der Hüter der Verfassimg, a. a. O., S. 330. Dieses Kriterium kritisiert Huber aber gerade bei Carl Schmitt; vgl. Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, a. a. O., S. 32f.. 72 Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 33. 73 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 79. 74 Ebenda, S. 80. 75 Ebenda, S. 85. 76 Schmitt: Verfassungslehre, S. 26. 77 Huber: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, a. a. O., S. 27f.. Huber unterstreicht die Untrennbarkeit von Art. 48 Abs. 1 und 2 als die in der Machtbefugnis des Reichspräsidenten vereinte Befugnis der Reichsexekution und Diktaturgewalt; s. a. Boldt: Der Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung, a. a. O., S. 300.

3. Politische Ziele der Verfassungsreform

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Grundrechte bleiben nur die Institutsgarantien, die im zweiten Teil der Reichsverfassung als Rechtsbasis in einen neuen Verfassungszustand transformiert werden können. 78 Die Eigentumsgarantie nach Art. 153 WRV ist nach geltendem Weimarer Recht zwar nicht diktaturfest,79 wird in ihrem grundrechtlichen Rechtswert aber von Huber für einen zukünftigen autoritären Lenkungsstaat als Institutsgarantie dem Staat „objektivierend" zugeordnet. Die Verschränkung von autoritärem Staatsdenken und Verfassungsfünktion wird in ihrer sozialen und politischen Interessengebundenheit offenkundig. Bestand bisher die Funktion der Verfassung verfassungstheoretisch und juristisch in einer totalen „Subsumtion"80 aller substaatlicher und gesellschaftlicher Teilkräfte und Institutionen unter die autoritäre Staatlichkeit als transpersonale, dem Strukturdenken entzogene Substanz, so hat die Eigentumsgarantie einen zweckorientierten Eigenwert zur weitergeltenden Garantie kapitalistischer Wirtschaftsprozesse im sonst obrigkeitszentrierten Lenkungsstaat. Die Eigentumsgarantie und das Institut der Enteignung sind das Zentrum des Funktionszusammenhangs von Privatrechtssystem und Verfassungsstruktur, denn sie schreiben durch die Festlegung der Eigentumsverhältnisse sozial und politisch die Besitzverhältnisse als Grundlage privatwirtschaftlichen Wirtschaftens fest. Auch aus nichtkapitalistischer Motivation werden dadurch Klasseninteressen im Rechtssystem befriedet oder einseitig manifestiert.81 Korporationen reduzieren den ökonomischen Verteilungskonflikt in autoritärer Bindungsfunktion. Die Einverleibung der Privatrechtsordnung in die Verfassungsstruktur kann aber auch als Brennpunkt verfassungspolitischer Entwicklungstendenzen im ökonomischen Verteilungsbereich gesehen werden. Der juristische Kern der Privatrechtsordnung, die Eigentumsgarantie,82 wurde im Verfassungssystem mit seinen Balancen im Rahmen des Klassenkompromisses Gegengewichten ausgesetzt, die öffentliche Gewalt der parlamentarischen Verfassung mit ihrem exekutiven und legislativen Apparat gegen die Privateigentumsherrschaft zu instrumentalisieren: der Sozialisierungsartikel 156 WRV bot die verfassungsrechtlich gesicherte Möglichkeit der Überführung des Privatrechtssystems in das vergesellschaftete Eigentum an. 83 Die ökonomischen Entwicklungstendenzen der Verfassungsordnung, insbesondere der Wandel vom Konkurrenz- zum Monopolkapitalismus, haben die Zerstörung des Verfassungskompromisses als materiellen Verfassungsauftrag beschleunigt und Eingriffe in die Eigentumsordnung durch die Notstandspraxis der Präsidialkabinette seit 1928 beschleunigt. Für Huber gewinnt diese Frage in der Verfassungskrise der frühen dreißiger Jahre an Bedeutung, weil im Rahmen der notverordnungsrechtlichen judiziellen Blockierung des Parlaments und der sich durch das richterliche Prüfüngsrecht gegenüber dem Gesetz und 78 Huber: Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 37ff. 79 Schmitt: Verfassungslehre, S. 101. 80 Dieser Begriff meint trotz der bei Huber überwundenen juristischen Subsumtionstechnik im Methodendenken den in der Dialektik und dem Integrationsdenken technisierten und tautologisch wirkenden Automatismus des Aufhebens aller partikularen gesellschaftlichen Kräfte im Staat. 81 Pereis, Joachim: Kapitalismus und politische Demokratie. Privatrechtssystem und Gesellschaftsstruktur in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 39f.. 82 Vgl. Art. 153 WRV. Dieser Artikel kann auch als das zentrale Herrschaftsinstitut der kapitalistischen Verkehrswirtschaft bezeichnet werden. 83 Pereis, a. a. O., S. 37.

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische Zurechnung

mit dem Votum des Vorrangs der Verfassung verselbständigende Justizapparat auch das Privateigentumsprivileg umzustülpen drohte, auch wenn von der Richterschaft als aristokratischer Kontrollinstanz eine Verschiebung der bürgerlichen Klassen- und Besitzverhältnisse nach links nicht zu befürchten war. 84 Hubers Kritik an dem inhaltlich aufgeblähten Eigentumsbegriff in der Rechsprechung85 ist vor dem Hintergrund einer gelockerten Gesetzesbindung und dem verpflichtenden Schutzes des Privateigentums zum Einfrieren des monopolistischen Status quo zu sehen. Eine feindliche Eigentumsgesetzgebung hätte die jungkonservative Strategie des „Wachsenlassens" der ökonomischen Strukturen des Monopolkapitalismus entgegenwirken können. Auch hier wird die Asymmetrie des Jungkonservatismus der dem Etatismus widersprechenden (liberalen) Gewährung wirtschaftlicher Eigendynamik in Herrschaftsnischen deutlich. Huber fordert wie Carl Schmitt eine Abgrenzung von Enteignung und Eigentumsbeschränkung, um eine Aushöhlung des Eigentumschutzes bei der praktizierten Eigentumsentziehung zu verhindern, da es sonst möglich wäre, „die privatrechtliche Ordnung, die die Verfassung anerkennt, auf einem Umweg aus den Angeln zu heben."86 Die etatistische Argumentation lebt zwar in der Logik auf, die „negative Beziehung des Staates zum privaten Eigentum" durch eine dem „Gemeinwohl" dienende Auslegung zu kollektivieren und dem Individuum das „Herrschaftsrecht" über die von ihm erworbenen Sachgüter zu nehmen, trotzdem bleibt die Zuordnung des Instituts zum Staat und sein Zugriff auf die Enteignung in der Argumentation Hubers schwammig und unentscheiden.87 Huber kritisiert, daß die in Art. 153 Abs. 2 geregelte Enteignung die in Abs. 1 enthaltene Eigentumsbeschränkung zurücknimmt. Die Grenze zwischen Enteignung und Beschränkung müsse zugunsten einer eindeutigen Eigentumsgarantie neu geregelt werden. Bezeichnenderweise wird der aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende „enge" Enteignungsbegriff, der damit die „Entziehung des Grundeigentums durch Verwaltungsakt zur Überführung an ein öffentliches Unternehmen" meint, abgelehnt, obwohl er dem Interventionismus der staatlichen Selbstverwaltung der Wirtschaft zur Garantie der Monopolstruktur am besten entsprochen hätte. Hier wird das Dilemma der Sicherung des ökonomischen Status quo und der Gewährung von wirtschaftlichem Freiraum offenkundig. Das Eigentum will Huber als „objektives" Recht vom Staate geschützt auf das Institut des Sacheigentums beschränkt wissen, wobei nur den individuellen Vermögensrechten eine Enteignungsbeschränkung genommen wird. 88 Der Staat schützt trotz der Einschränkung individuellen Enteignungsschutzes das Privateigentum in seiner Substanz.

84 Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 75f.. 85 Huber: Das Eigentum in der Reichsverfassung, a. a. O., S. 692f.., ebenso: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 41^t4. 86 Das Eigentum in der Reichsverfassimg, S. 693. 87 Ebenda. 88 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 45.

4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung

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4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung Die wissenssoziologische Zurechnung dient dem Zweck, die ideologischen Wandlungen im Staatsdenken Hubers den sozialen und politischen Strukturverschiebungen zuzurechnen. Der synthetische Denkstandort Ernst Rudolf Hubers vereinigt dabei die sozio-politischen Lagen des wissenschaftlichen Wissens und die tagespolitischen und historisch-politischen Wissensformen, die im Denkstil zusammengaßt werden. In den Urteilsstrukturen ist demnach von ungeteiltem Wissen auszugehen. Die Geltungssphäre des Huberschen Staats- und Verfassungsdenkens wird denn auch entscheidend durch die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit bestimmt, insofern ist Hubers etatistischer Ansatz wissenschaftliches Wissen, da er zudem von dem Berufsbild des Juristen als Ordnungsdenker und Schlichter gesellschaftlicher Krisen beeinflußt wird. Bei der Überwindung des formalen Rechtspositivismus ist Hubers Methodendenken durch eine konstruierte Methode verschiedenster Versatzstücke der „geisteswissenschaftlichen Richtung" bestimmt, die aber im Rahmen der dialektischen Staatsmetaphysik selbst „aufgehoben" werden. Der synthetische Denkstandort im Methodendenken zeigt sich in der Rezeption der teleologischen Methode Heinrich Triepels, der Hinwendung zum Wirklichkeits- und Wertdenken durch den naturrechtlich fundierten Rechtsidealismus, der von Günther Holstein methodisch ausdifferenziert wurde. Die Polemik der Politisierung erfahrt Hubers Methodendenken aber entscheidend durch die Volksgeistmetaphysik des „objektiven Idealismus" und das Forschungsprogramm der „existentiellen Politisierung", das aus dem „Begriff des Politischen" Carl Schmitts und dem wirklichkeitswissenschaftlichen Methodenparadigma Hans Freyers rezipiert wird. Schon methodisch läßt sich die Angriffshaltung des staatspolitischen Konservatismus im Denkstandort des „autoritären Etatismus" gegen Rationalismus, Aufklärung, Liberalismus und Demokratie wissenssoziologisch festmachen. Der Irrationalismus des Programms erfahrt seine Konkretion durch den „objektiven Idealismus" und die Hegeische Staatsmetaphysik, die völkische Integrationslogik, die durch die Zuordnung aller Elemente zum Staat etatisiert wird. Der autoritär-etatistische Denkstil Hubers für die Weimarer Werkperiode orientiert sich an der theoretischen Verbindung des Hobbesschen und des Hegeischen Gesellschaftsmodells. Hobbes' Formel, daß souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, hat entscheidenden Einfluß auf die juristische Souveränitätslehre, die Huber aus der Denkschule Schmitts für den autoritären Verfassungsumbau 1932 aus der Notverordnungspraxis ableitet. Die Entpolitisierung der Gesellschaft und die Politisierung des Staates resultiert nicht nur aus der Souveränitätslehre, sie ist auch das dezisionistische Programm, mit der Trennung von rechtsstaatlichen und politischen Bestandteilen der Verfassung die juristische Argumentation zu entrechtlichen und mit staatlicher Intervention die Trennung von Gesellschaft und Staat zugunsten eines autoritären Lenkungsstaates zu überwinden. Der „objektive Idealismus" umgibt das Kalkül des „autoritären Etatismus" zugleich mit der Weihe des Weltgeistes, quasi die Schaffung metapolitischer Transzendenz, so daß das juristische Programm bei Huber mit einer politischen Philosophie umbaut wird. Wird der Existentialismus in Hubers Staatsdenken vorzugsweise wissenschaftlich im Methodendenken manifest, so ist der konservativ-revolutionäre Denkstil als synthetischer Denkstandort aus einem publizistischen Wirken in den Zeitschriften „Deutsches Volkstum"

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Die Weimarer Jahre: die wissenssoziologische

Zurechnung

und „Der Ring" als Ausdruck eines bereits seit 1928/29 radikalisierten politischen Bewußtseins vorhanden, das sich voluntativ gegen die Institutionen und die Wertordnung der Weimarer Verfassung richtet. Die unter Pseudonymen veröffentlichten Kurzartikel sollten der akademischen Reputation auch nicht im Wege stehen. Ist das juristische Programm des autoritären Verfassungsumbaus mit Art. 48 WRV schon in der Rezeption der Verfassungslehre Carl Schmitts relativ konturiert, so hat die verfassungstheoretische Vision eines „Obrigkeit" und „Volk" einenden „Volksstaates" noch amorphe Züge, die erst im Dritten Reich ausdifferenziert werden. Huber argumentiert „bewahrend" in der Verabsolutierung des ökonomischen Substrats, der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, allerdings sind die staatsinterventionistischen Strukturen in einem autoritären Lenkungsstaat teilweise unfertig und noch suchend. „Revolutionär" ist hingegen die Negierung der Weimarer Verfassungsordnung, ihrer politischen Institutionen und liberal-demokratischen Werte aus dem bürgerlichen Konstitutionalismus. Ist das revolutionäre Element des Denkweges vor allem in der „Feind"-Dimension zu suchen - Rationalismus, Liberalismus, parlamentarische Parteiendemokratie, Konstitutionalismus - so ist das konservative Element des „autoritären Etatismus" die intellektuelle Resublimierung, ein neues Gleichgewicht zwischen den geistigen und vitalen Werten der Welt zu finden. Einerseits liegt hier das Dilemma des revolutionären Konservatismus bei Huber verborgen, mit rationalen Strukturen irrationale Weltauslegungsarten zu deuten und organisch-naturrechtlich zu konstruieren, gleichfalls in der Organik des „Machens" und „Wachsenlassens". Andererseits spielt der institutionelle Aspekt des „Klubs" die Rolle der intellektuellen Orientierung und des gemeinschaftlichen Aspekts bei der schwierigen Synthese des „Suchens". Der Konkretionismus in Hubers Staatsdenken, die Bevorzugung des Konkreten als das ausschließliche Wirkenwollen gegenüber der begrifflichen Abstraktion, ist zugleich der denksoziologische Schlüssel zum Irrationalismus und zum Existentialismus.

KAPITEL 4

Das Dritte Reich. Ausbau und Historisierung der universalistischen Verfassungstheorie. Die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler durch den Reichspräsidenten am 30. Januar 1933 und die plebiszitäre Bestätigung der „Regierung der nationalen Erhebung" durch die Wahl vom 5. März 1933 hob die Verfassungsordnung der Weimarer Republik materiell aus den Angeln. Die mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 eingeleitete etwa einjährige Formierungsphase des nationalsozialistischen Führerstaates trug dem konservativ-revolutionären Wunsch einer „Revolution von rechts"1 insofern Rechnung, als sich die Nationalsozialisten der nationalkonservativen Rechten der Präsidialkabinette der Weimarer Endzeit zur Gleichschaltungsarbeit bedienten. Obwohl die Weimarer Reichsverfassung formalrechtlich weitergalt, wurde auf diese Weise die rechtliche Diskontinuität zur ersten deutschen Demokratie hervorgehoben. Die geistig-politische Nähe der „Konservativer Revolution" zum Nationalsozialismus zeigte sich in den ideologischen Parallelen - dem Volksbegriff, der Hochschätzung des Krieges, dem autoritären Führertum und der Kultur- und Parlamentarismuskritik. Der Hypothese, daß die Revolution nie stattgefunden hat und die Konservativen trotz ihrer gewichtigen Gleichschaltungsfunktion von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurden,2 ist entgegenzuhalten, daß der konservativ-revolutionäre Revolutionsbegriff nicht auf einen ordnungspolitischen Umsturz des sozialen und ökonomischen „Unterbaus" hinzielt, sondern auf die Veränderung des Bewußtseins, die Konzentration auf die Sichtweisen und Werthaltungen. Dabei werden die sozioökonomischen Bedingungen ausgeblendet.3 Das unterscheidet ihn vom sozialistischen Revolutionsbegriff. Sieht man von der Umsturzthese ab, so ist das „symbolische Feld" der „Konservativen Revolution" zumindest als „Wertrevolution" der nationalsozialistischen Massenbewegung zugute gekommen. Die Genese und Morphologie des Huberschen Verfassungsdenkens im Dritten Reich wirft die Frage nach den argumentativen Kontinuitäten und Brüchen im Übergang von der Weimarer Republik in das Dritte Reich vor dem Hintergrund der Konjunkturen und ideologischen Phasenverschiebungen des nationalsozialistischen Führerstaates, die Formierungsphase bis 1934, die Konsolidierungsphase bis 1938 und die Radikalisierungsphase 1938 bis 1945, auf.4

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Nach Hans Freyer: Revolution von rechts, Jena 1931. Vgl. die Darstellung des Forschungsstandes der 60er bis 80er Jahre bei Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus, a. a. O., S. 297ff.. Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 140 Frei, Norbert: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 1987, S. 38ff..

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

1. Machtergreifung und Verfassungsumbau: Rezeptionsprobleme der „legalen Revolution" Die nationalsozialistische Machtergreifung wurde im juristischen Schrifttum des Jahres 1933 als „legale" oder „nationale" Revolution" verklärt. Allerdings kann gegen eine Rubrizierung des politischen Umschwungs vom Januar 1933 unter den Begriff der „Revolution" vielerlei eingewandt werden. Auch wenn die Durchführung der Machtergreifung das Signum des Rechts- und Verfassungsbruchs trug, so bestehen doch eindeutige Kontinuitätslinien zur letzten autoritär-präsidentiellen Phase der Weimarer Republik.1 Zu Recht ist die Einschätzung wiederzufinden, daß die nationalsozialistische Machtergreifung ein Sieg der „Konservativen Revolution"2 sei. Vor allem die ideologische Komponente dieses Begriffes dokumentiert die geistige Kontinuität der Trägerschaft autoritär-nationalistischen Gedankenguts aus der Weimarer Epoche.3 In der zeitgenössischen Staatsrechtslehre war der Begriff „legale Revolution" Ausdruck des Spannungsverhältnisses, dem ihr Untersuchungsobjekt - Staat, Verfassung und Rechtsordnung - unterlag. Im Begriff der ,Regalen Revolution" wurde angesprochen, inwieweit altes Recht noch galt oder neben neuem stand, wie die Legalität der Revolution zu beurteilen war und ob Kompatibilität zu den Aussagen vor der Machtergreifung bestand.4 Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 verlor die Weimarer Verfassung zwar ihren Verfassungsrang, wurde aber formell nicht beseitigt. Nach Art. 4 des Gesetzes über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 konnte die Reichsregierung ganz allgemein neues Verfassungsrecht setzen.5 So beschäftigte die staatsrechtliche Problematik von Rechtskontinuität oder revolutionärem Neuanfang die Staatsrechtswissenschaft noch über die Schaffung der großdeutschen Verfassungsstruktur im Jahre 1938 hinaus.6 Daher ist neben der sach- und wissenschaftsimmanenten Klärung des Verständnisses der nationalsozialistischen Machtergreifung als einer „legalen Revolution" im Werke Hu1 2

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Meyer-Hesemann, Wolfgang: Legalität und Revolution. Zur juristischen Verklärung der nationalsozialistischen Machtergreifung als „legale Revolution", a. a. O., S. 11 Of., 118f.. So die Einschätzungen Hans Gerbers, Otto Koellreutters und Karl Lohmanns; vgl. Meinck, Jürgen: Die nationalsozialistische Machtergreifimg und die deutsche Staatsrechtswissenschaft, in: DuR, 7. Jg. (1979), S. 153-162 (156f.); ders.: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 169, 171; s. a.: Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution und das „Dritte Reich", in: Harth, Dietrich/Assmann, Jan (Hrsg.): Revolution und Mythos, Frankfurt/M. 1992, S. 178-205 (182f). Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, S. 164ff. Dannemann, Gerhard: Legale Revolution, Nationale Revolution. Die Staatsrechtslehre zum Umbruch von 1933, in: Böckenförde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 3-22 (3f ). Echterhölter, Rudolf: Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, Stuttgart 1970, S. 16f.. Vgl. Homeffer, Reinhold: Das Problem der Rechtsgeltung und der Restbestand der Weimarer Verfassung, in: ZgS, Bd. 99 (1939), S. 148-178. Hornefifer spricht von der „formalen Legalitat der Machtergreifung" und legitimiert seinen Aufsatz mit dem „verfassungsgeschichtlichen Interesse, das keiner Rechtfertigung bedarf'. Die Zitationskartelle in diesem Aufsatz, von Ernst Rudolf Hubers detaillierten Ausführungen in der „Verfassung" beherrscht, dokumentieren Hubers überragende Stellung in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft.

1. Machtergreifung und Verfassungsumbau

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bers auch die Stringenz und Kontinuität seiner autoritär-staatlichen Argumentation von 1928 bis über die nationalsozialistische Machtergreifung hinaus sowie die Behandlung des Verfassungsphänomens „Gleichschaltung" als dem Fundament nationalsozialistischer Herrschaftsetablierung und Machtsicherung von Bedeutung. Sinn dieses Kapitels ist also die Rekonstruktion der über den Verfassungsumbau fortwirkenden obrigkeitsstaatlichen Bewußtseinsformen, die Huber bereits in den Verfassungsreformplänen der „Konservativen Revolution" zum Ausdruck gebracht hatte. Die weltanschauliche Kritik an der Weimarer Verfassungsordnung und die Legitimierung der nationalsozialistischen Verfassungsordnung müssen für das verfassungspolitische und verfassungstheoretische Fortwirken des Huberschen Werkes als konstitutiv erkannt werden.7 Die Machtergreifung resümiert Huber mit aller Entschiedenheit: „Die Eroberung der Macht durch die nationalsozialistische Bewegung war eine wirkliche Revolution. Sie war nicht nur eine Revolution im weltanschaulichen und geistigen Sinne. .[...] Aber dieser geistige Umbruch hat in den Ereignissen von 1933 auch zu einem politischen und rechtlichen Umsturz geführt. [...] Die nationalsozialistische Revolution hat die Weimarer Verfassung als Gesamtsystem beseitigt; sie hat die völkische Verfassung aufgerichtet." 8 Die „Legalität" der neuen Ordnung betreffe nur die „äußere Ordnungsmäßigkeit der Ereignisse und stelle ihren wahrhaft revolutionären Charakter nicht in Frage." 9 Der oberste Grundsatz der Machtergreifung Hitlers sei es, daß man „nicht vom Boden der Weimarer Verfassung ausgehen kann", sondern der Neuaufbau „vom Boden der werdenden nationalsozialistischen Verfassung aus vollzogen werden muß"; die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler sei „legal" im „Sinne der äußeren Buchstabentreue, aber niemand wird behaupten, daß es dem inneren Sinn der Weimarer Verfassung entsprochen hätte [. . .]." 10 In der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre war man der überwiegenden Auffassung, daß Hitlers Wahl zum Reichskanzler als Akt der Legitimation oder Akklamation gesehen werden müsse. 11 Die Dialektik von „nationaler" und „legaler" Revolution entlarvte aber die Brüchigkeit des Legalitätskonzepts, denn einerseits dienten die nationalen Interessen mit dem „Gemeinwohl" als „Staatszweck" der Abgrenzung vom „partikularen" Geist der Weimarer Verfassung, andererseits mußte der Akt der Regierungsübernahme Hitlers sowohl „formallegal", als auch im Geiste der neuen Ordnung liegend interpretiert werden. 12 Mit der „Legitimität" der nationalsozialistischen Ordnung sollte die Negation der Legalität der Weimarer Verfassung als Gegenbild zum Ausdruck gebracht werden. Allerdings verlor das von Carl Schmitt staatstheoretisch begründete Verhältnis von formaler Legalität und plebiszitärer Legitimität trotzdem zusehends an Stringenz und verfassungsüberdauerndem Erklärungswert. Huber macht im Sinne seiner existentialistischen Wirklichkeitswissenschaft keine Unterscheidung zwischen politischer und rechtlicher Bedeutung der „Revolution" von

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Dafür exemplarisch: Das Ende des Parteienbundesstaats, in: JW, 63. Jg. (1934), S. 193-197. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Hamburg 1939, S. 44. Ebenda. Ebenda, S. 45. Dannemann (Anm. 4), S. 13; s. a. Meyer-Hesemann (Anm. 1), S. 120ff. Meinck, a. a. O., S. 173; Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974, S. 198f.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

1933.13 Bei der Wahl vom 5. März gehe es seiner Auffassung nach „einzig und allein um die Entscheidung für oder gegen Adolf Hitler; das war der ausschließliche Sinn der Frage, die an das Volk gestellt war. [...] Das Volk jedoch legte durch die Abstimmung ein Bekenntnis zum Vorgang der Revolution ab". 14 Doch auch Huber gesteht ein, daß der Übergang von der letzten Notverordnungsregierung bis zum Kabinett Hitler staatsrechtlich gesehen fließend ist, daß Hitler über die Präsidaldiktatur die Reichskanzlerschaft angetreten habe.15 Im Gefolge der Verfassungslehre Carl Schmitts interpretiert Huber den staatsrechtlichen Akt der Übernahme der Reichskanzlerschaft durch Hitler als Ausfluß der „plebiszitären Legitimation" des Reichspräsidenten: „Die eigentliche innere Rechtfertigung erfährt diese Maßnahme des Reichspräsidenten von Hindenburg vom Geiste der neuen werdenden Ordnung aus. [...] Das deutlichste Zeichen des Umbruchs war die Reichstagswahl vom 5. März [...]."16 Das Volk tritt damit als revolutionäres Subjekt neben dem „kommissarischen Diktator" Hitler auf. Insofern wird der von Heinrich Triepel geprägte Begriff der „legalen Revolution" dahingehend relativiert, als die Kanzlerschaft Hitlers nicht als „Revolution", sondern als Legalstrategie der im Rahmen des Art. 48 der WRV möglichen „kommissarischen Diktatur" des Reichspräsidenten ausgelegt wird. So erfährt Carl Schmitts Verfassungslehre in dieser Interpretation durch Ernst Rudolf Huber ihre Fortführung für die „Verfassung" des Dritten Reichs. Auch die Akklamation des Volkes zum Reichspräsidenten nach Art. 73 WRV wird als Brücke vom alten zum neuen Recht benutzt. Huber wertet das Gesetz vom 1. August 1934 über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches als staatsrechtliche und politische Akklamation des Volkes zum Führer. 17 Kein anderer Staatsrechtslehrer hat im Übergang zum Dritten Reich die Vorkommnisse komplexer aufgearbeitet und sich so in die Widersprüche zwischen altem Weimarer Recht und kraft Revolution neu gesetztem nationalsozialistischen Recht verstrickt.18 Huber verschärft noch den Widerspruch zwischen der revolutionär geschaffenen neuen Ordnung und des „kraft Rezeption"19 geltenden neuen Verfassungsrechts. Der Leitgedanke der „Geltung der Verfassung" bestünde im Sinne der neuen materiellen Staatsidee darin, daß die Verfassung „aus der Wirklichkeit erwächst" und „eine geschlossene politische Ordnung" sei, „in der das Volk seine Gestalt gewinnt."20 Das Legalitätsproblem der Machtergreifung wird dabei in die Integrationslogik seiner Verfassungstheorie eingebettet: „Die Revolution und die revolutionäre Ordnung bedürfen dieser Rechtfertigung an der volks- und staatsbestimmenden politischen Idee. So kommt es 13 Der auch im nationalsozialistischen Staatsrecht nach der Machtergreifung weiterhin bestehende Methodenpluralismus hat dazu gefuhrt, daß auch die Auffassung der Einheit von rechtlicher und politischer Betrachtungsweise kritisiert wurde: vgl. die Rezension von Wilhelm Merk: „Ernst Rudolf Huber: Verfassung, Hamburg 1937", in: AöR, NF Jg. 29 (1938), S. 9^-114 (101). 14 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 45. 15 Meinck, a. a. O., S. 164f.. 16 Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 45. 17 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, in: ZgS, Bd. 95 (1934/35), S. 205. 18 Dennoch ist Hubers „Verfassung" das meistzitierte Werk im Rahmen der Rezeption und Zusammenfassung staatsrechtlicher Erscheinungen seit 1933; vgl. Horneffer, Reinhold: Das Problem der Rechtsgeltung und der Restbestand der Weimarer Verfassung (Anm. 6). 19 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, a. a. O., S. 206. 20 Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935, S. 51.

1. Machtergreifung und Verfassungsumbau

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auch für die Geltung der revolutionär geschaffenen nationalsozialistischen Staatsordnung nicht auf die Legalität im Sinne der Weimarer Verfassung, sondern auf die Legitimität im Sinne der völkischen Idee an. [...] Die Revolution ist legitim und zur Schöpfung neuen Rechts imstande, wenn sie die Einheit des Volkes bewirkt, gestaltet und bewahrt, wenn sie die objektive Idee, die geschichtliche Aufgabe des Volkes verwirklicht."21 Das „äußerliche Legalitätssystem" wird daher als formalrechtliches Prinzip abgelehnt, die Berufung auf die „Legalität der Revolution" dient nur als Bekenntnis zur neuen Staatsidee als der „wirklichen Ordnung". Huber setzt der formalen Legalität entgegen, das „Recht der Revolution", das im „Widerstandsrecht des Volkes" bestehe, entfalte eine neue Verfassung als Volksordnung, denn so behält der vor der Machtergreifung geäußerte Satz, daß es „keine Abkehr vom Staate sondern eine neue Staatswerdung bedeutet, wenn das Volk sich anschickt, sich selbst zum Staat zu gestalten", 22 seine Gültigkeit. Auch eine Verfassungsrevolution drängt nach der Frage ihrer Verfassungsgründung und Verfassungsschöpfung, die Huber in seiner Verfassungstheorie nicht hinreichend beantwortet hat. Er verwirft kurzerhand den auf der Schmittschen Verfassungstheorie fußenden „pouvoir constituant" als der im formellen Sinne bestehenden verfassungsgebenden Gewalt: „Der echte Begriff des pouvoir constituant dagegen bezeichnet diejenige Gewalt, von der die Verfassung sich als politische Gesamtordnung herleitet." 23 Huber grenzt sich von Schmitts Verfassungslehre ab und definiert im Sinne des „konkreten Ordnungsdenkens", daß der pouvoir constituant nach revolutionärer Auffassung und als „polemischer Begriff" befugt sei, die bestehende Ordnung umzustoßen und zu vernichten. Der Begriff sei für die völkische Ordnung unbrauchbar, weil er als Begriff der liberaldemokratischen Verfassungskrise und damit als zeit- und epochengebundener Begriff die 'Revolution in Permanenz' proklamiere. 24 Die Frage nach der Kompetenz der Verfassungsänderung, nach der Ergänzung und Fortentwicklung der Verfassung, wird nicht beantwortet, vielmehr reduziert Huber die verfassungsgebende Gewalt zu einem „pouvoir neutre", indem sie mit der „politischen Tat" identifiziert wird. „Führer" und „Volk" bleiben außen vor, „die verfassungsgebende Gewalt" sei durch die geschichtliche Tat der Verfassungsgestaltung erschöpft. Die Revolution von 1933 sei aus dem Einheitswillen des Volkes wesensmäßig abzuleiten. Subjekt und Objekt der Verfassungsgebung bleiben transzendente Akteure in der Verfassungstheorie. Einerseits widerspricht die französische Theorie des „pouvoir constituant" der „dritten Art rechtswissenschaftlichen Denkens", die als antikonstitutionell ausgewiesen ist, andererseits ist diese Theorie „antideutsch". 25

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Ebenda, S. 76f.. Nationalsozialismus und katholische Publizistik, a. a. O., S. 568. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, a. a. O., S. 62. Ebenda, S. 64. Zudem führt auch Carl Schmitt aus, daß das Volk als Träger der verfassungsgebenden Gewalt keine fest organisierte Instanz ist (Verfassungslehre, S. 83) und dem ganzheitlichen Wissenschaftsbild der Verfassungsgestaltung (Einheit von Volk, Bewegung und Staat) nicht standhält. Für die verfassungsgebende Gewalt ist in Verfassungskonflikten die Suprematie über die Verfassung entscheidend, die aber nach der Huberschen Theorie die Einheit und Totalität der völkische Verfassung sprengen würde; vgl. auch Maus, Ingeborg: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus. Zur sozialen und aktuellen Wirkung Carl Schmitts, München 1976, S. 197f..

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Widersprüche ergeben sich demnach bei der Herleitung der Machtergreifung aus der Kanzlerschaft Hitlers kraft der „plebiszitären Legitimation" des Reichspräsidenten. Die „plebiszitäre Legitimation" sei keine wirkliche Legitimation eines revolutionären Geschehens. Doch Huber glaubt das Schisma von Verfassungswandlung und Verfassungsrevolution, der Rezeption alten Rechts und der Schaffung neuen Rechts, dadurch zu überwinden, daß die „kommissarische Diktatur" des Reichspräsidenten als nicht mehr im Geiste der Weimarer Verfassung auszulegen sei und geht hier mit Schmitt und Forsthoff konform, welche die Legalität der Machtergreifung als ,3nicke vom alten zum neuen Staat" deuten. 26 Deshalb sei auch nicht ohne altes Recht auszukommen. Die Übernahme alter Verfassungsgrundsätze in das nationalsozialistische Recht - ein heikler Punkt in der geistigen Umbruchphase, werde durch Auslegung und Anwendung in der neuen politischen Grundordnung bestimmt: „Nicht aus der alten überwundenen Ordnung, sondern aus dem neuen Gesamtsystem leitet sich die Geltung der alten Bestimmungen nunmehr ab. Nicht der Tatbestand des Fortgeltens' liegt vor, sondern die Übernahme, die Rezeption' alter Rechtssätze durch eine neue Ordnung."27 Mit dieser Argumentation zielt Huber darauf ab, die Form des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung staatsrechtlich fungibel zu halten. Denn mit der Tatsache, daß die „nationalsozialistische Verfassung" eine „elastische Verfassung" sei, lasse sich der staatsrechtliche Wandel des Reichspräsidenten im Übergang von Weimar zu Hitler darstellen: „[...] der Reichskanzler des nationalsozialistischen Staates ist ein ganz anderer als der Reichskanzler der Weimarer Verfassung; er bestimmt nicht nur die Richtlinien der Politik', sondern er ist der Führer des Volkes und Reiches." 28 Trotz des mit Nachdruck beschriebenen verfassungspolitischen Übergangsstadiums negiert Huber die Möglichkeit der „Verfassungsüberlagerung" und spielt die in Schmitts Verfassungslehre systematisch aufgearbeiteten Möglichkeiten der Verfassungssuspension durch. 29 Die Festschreibung der Machtergreifung als „Revolution" impliziere den Tatbestand der Verfassungsvernichtung: „Die fundamentalen Formen einer Verfassung werden nicht durch die Gesetzgebung geschaffen, sondern allein durch die revolutionäre geschichtliche Tat. [...] Nur durch die Revolution, nicht durch die Verfassungsänderung, können die politischen Fundamente der Volks- und Staatsordnung vernichtet werden."30

26 Schmitt, Carl: Staat, Bewegung Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933, S. 7; Forsthoff, Emst: Der totale Staat, Hamburg 1933, S. 29ff. 27 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 53. Bei der inhaltlichen Übereinstimmung mit Schmitt spricht Huber von „Rezeption", Schmitt von „Übernahme"; vgl. auch Schmitt: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933, S. 5f.. Erst 1939 schlägt Homeffer vor, den Begriff der „Rezeption" begrifflich zu überdenken und zu fragen, ob es sich dabei um eine Anleihe an alte Rechtsordnungen handelt; vgl. Homeffer (Anm. 6), S. 155ff. 28 Ebenda, S. 54. 29 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 69-77; s. a. Schmitt, Carl: Veifassungslehre, a. a. O., S. 102ff. 30 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 74. Interessanterweise konstruiert Huber für die nationalsozialistische Ordnung ein „letztes Ausnahmerecht", das dem Führer „in Zeiten des Aufruhrs, der Not oder der Verfassungsstörung" gestattet, mit „außergewöhnlichen Mitteln" die drohende Gefahr abzuwenden und schlägt aus „politischer Klugheit" die Übernahme des Art. 48 Abs. 2 in das nationalsozialistische Staatsrecht vor. Offensichtlich konstruiert Huber dieses Notstandsrecht, um damit die Verfassungsform des Nationalsozialismus in ihren „Fundamental-

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Mit der Bewertung des „Ermächtigungsgesetzes" hat Huber dagegen die Revolutionsproblematik juristisch zu entschärfen gesucht und knüpft an die Schmittsche Kategorie des Ausnahmezustandes und des Staatsnotrechts an - eine Auslegung, die den machtsichernden und verfassungskonstituierenden Tenor der Ermächtigungsgesetze überspielt und den Übergangscharakter hervorhebt.31 Die Gleichschaltungsgesetze vom 3. März und 7. April 1933 hätten die Elemente des Weimarer „Parteienbundesstaates", Föderalismus, Demokratie und Liberalismus, beseitigt.32 In Wahrheit sei der Begriff „Ermächtigungsgesetz" ungeeignet, auf das Reichsaufbaugesetz vom 24. März 1933 und das Neuaufbaugesetz vom 30. Januar 1934 angewandt zu werden: „Das Ermächtigungsgesetz bedeutet eine 'Verfassungsdurchbrechung', d.h. eine vorübergehende, beschränkte Ausschaltung bestimmter Einzelvorschriften in einer grundsätzlich und insgesamt fortgeltenden Verfassungsordnung." 33 Als Ausnahmeregelungen müßten „Ermächtigungsgesetze" einschränkend ausgelegt werden, ihre Geltung reiche nur so weit wie ihr Wortlaut. Zwar seien die Gesetze formell im Verfahren der Verfassungsänderung des Art. 76 zustande gekommen, aber die „Legalität" der Machtergreifung stehe in schärfster Diskontinuität zum Weimarer System.34 Diese besage aber nicht, daß sich die nationalsozialistischen Aufbaugesetze der Sache nach aus der Weimarer Verfassung herleiten lassen. Das Scheinargument der „Legalität" der Machtergreifung wird im Grunde damit abgeschwächt, da „Legalität" nur die „äußere Überbrückung der Kluft" zwischen zwei wesensmäßigen Ordnungen sei. Die widersprüchliche Legitimierung und inhaltliche Erklärung der „legalen Revolution" wird dem Argument des in die neue Ordnung übernommenen Verwaltungs- und Behördenapparats als auf der „äußeren Ordnungsmäßigkeit" beruhend geopfert, um die „Normalität" des Übergangs als Brücke von der alten zur neuen Ordnung zu dokumentieren.35 Ein wesentliches Kontinuitätsmoment stellt bei Huber über die nationalsozialistische Machtergreifung die Bewertung der Parteien dar. Den 1932 postulierten Wandel des deutschen Parteientypus von der „demokratischen Integrationspartei" zur im Faschismus, Bolschewismus und Nationalsozialismus sich abzeichnenden „absolutistischen Integrationspartei" hebt Huber vor allem als einen Wandel zum bündischen Charakter der absolutistischen Integrationspartei hervor, die mit ihrer „straffen Durchorganisation" und hierarchischem Aufbau „die Grundlagen des Parlamentarismus" erschüttere.36 Das Dilemma der „Konservativen Revolution", den Parlamentarismus über die Parteienkritik überwunden zu haben, mündet nach der Machtergreifung in die Verlegenheit, die NSDAP als autoritäre, wenn auch nach innen korporativ gegliederten „Partei" im Rahmen der nationalsozialistischen Integrationsideologie hinzunehmen. Nach den vorgezeichneten Strukturen durch die beiden Gleichschaltungsgesetze vom 3. März und vom 7. April 1933 und das Reichsstatthal-

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sätzen" (Totalitätsprinzip, völkischer Gedanke, Führerprinzip) zu sichern; vgl. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, a. a. O., S. 223f.. Vgl. Schmitt: Staat, Bewegung, Volk (Anm. 27), S. 7. Das Ende des Parteienbundesstaates, a. a. O., S. 195f.; s. a.: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 321-325. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 48. Ebenda, S. 49. Zur Absurdität des Begriffs „Revolution" im Zusammenhang der nationalsozialistischen Machtergreifung vgl. Meyer-Hesemann (Anm. 1), S. 121f.. Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Die deutschen Parteien, a. a. O., S. 590; ähnlich: Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, a,a,0, S. 18ff.

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tergesetz lehnt Huber die Bezeichnung „absolutistische Integrationspartei" und „Einparteistaat" ab; die Begriffe seien staatsrechtlich betrachtet „nicht ungefährlich": „Juristische und politische Kategorien tragen immer etwas von der geistigen Umwelt in sich, in der sie geprägt worden sind, und es besteht die Gefahr, daß mit solchen Kategorien überlebte oder fremde Denkgewohnheiten, die dem heutigen deutschen Staatsrecht nicht angemessen sind, übernommen werden."37 Dieses Argument bezieht Huber bezeichnenderweise aus Carl Schmitts Schrift „Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens" 38 und hebt die Zeitgebundenheit von Begriffen und Methoden hervor. Zum einen sei der Nationalsozialismus kein „Einparteistaat", der den Vorstellungen des Faschismus und Bolschewismus entspreche, weil der Ausdruck mit der „unitarischen Reichsreform" der Weimarer Zeit verbunden werden könne.39 Huber gedenkt mit an das Weimarer Verfassungssystem gebundenen Wertbegriflfen 1933 keine Verfassungsrevolution zu machen - ein Beispiel für die Spiegelfechtereien der sich etablierenden nationalsozialistischen Staatsrechtslehre. Den „Einparteistaat" will Huber nur auf das bolschewistische Rußland angewandt wissen - eine Auffassung, die ihm in der staatsrechtlichen Kontroverse des Dritten Reiches viel Kritik beschert hat. 40 Die NSDAP sei dagegen als „staatstragende Bewegung" keine „pars" als „vom Volk abgeschlossener Teil der Partei, sondern: „Die Partei und das Volk sind im nationalsozialistischen Staate eine Einheit, nicht in dem Sinne, daß jeder Volksgenosse notwendig Parteimitglied sein müßte, aber in dem Sinne, daß die Partei nichts anderes sein kann, als eine äußere Verkörperung und Darstellung der allumfassenden totalen Einheit."41 Doch die inhaltliche wie begriffliche Differenzierung Hubers darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gleichschaltung für die nationalsozialistische Ordnung als konstitutiv angesehen wird: „Der Sinn der „Gleichschaltung", die sich gegenwärtig auf allen Lebensgebieten wie selbstverständlich vollzieht, besteht in der totalen Durchdringung der gesellschaftlichen Sphären mit den maßgebenden Prinzipien des staatlichen Seins und Werdens."42 Die Totalität der völkischen Ordnung wird als Verfassungsprinzip anerkannt.

37 Huber: Das Ende des Parteienbundesstaates, in: JW, 63. Jg. 1934, S. 193-197 (196). 38 Hamburg 1934, S. 9ff. 39 Reichsgewalt und Staatsgerichtshof, a. a. O., S. 18ff.; diese Argumentation findet sich auch in Hubers Sammelrezension: „Das Recht der nationalen Revolution", in: RVB1., Bd. 54 (1933), S. 856-858 (857). 40 Vgl. Merk, Wilhelm: Rez. „Emst Rudolf Huber: Verfassung, Hamburg 1937" (Anm. 13), S. 107: „Auch der Bemerkimg, das Dritte Reich dürfe nicht als 'Einparteistaat' gekennzeichnet werden im Gegensatz zum russischen Staat, weil Einparteistaat im genauen Sinne der Staat sei, in dem eine organisierte, sich abschließende Minderheit eine politisch rechtlose Mehrheit beherrsche (S. 158), wird man nicht folgen können. Nachdem alle anderen politischen Parteien [...] verboten sind, wird man die Bezeichnung 'Einparteistaat' auch für das Dritte Reich beibehalten können, so sehr sich diese Partei auch von gewöhnlichen politisch-parlamentarischen Parteien des frühen liberalen Staates unterscheidet." 41 Ebenda. 42 Das Gesetz über die Berufs verbände, a. a. O., S. 333.

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2. Rechtserneuerung und „volksgenössische Gliedstellung": „hoheitliches Recht" gegen „volksgenössisches" Recht In den Gesetzen, die mit dem radikalen Verfassungsumbau seit der Machtergreifung einhergingen, waren jegliche formale Strukturprinzipien der Rechtsstaatlichkeit ad absurdum geführt worden. Die rege Gesetzgebungstätigkeit vom „Ermächtigungsgesetz" bis zum „Gesetz zur Organisation der nationalen Arbeit" bezog sich vornehmlich auf die politischorganisatorischen Grundlagen der nationalsozialistischen Herrschaft. Das Fernziel der langfristigen Änderung großer Rechtskomplexe machte nicht davor halt, ohne das alte Recht auszukommen. Aber die Aufgabe der interpretatorischen Anpassung älteren Rechts an die gewandelten Verhältnisse stellte sich in der Rechswissenschaft nicht erst 1933.1 Hubers vielbeachteter Grundrechtsaufsatz von 1932 ist für den steten Wandel der Zielsetzungen, methodischen Prinzipien und den Stil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zum „völkischen Recht" exemplarisch.2 Mit der Forderung des Bedeutungswandels der Grundrechte ist Huber zugleich der Wortführer der „herrschenden Meinung" der autoritären Richtung der deutschen Staatsrechtswissenschaft vor der Machtergreifung. Die Hinwendung der Grundrechte zum Staat als „objektive Ordnungsprinzipien" impliziert die Verneinung der subjektiven Grundrechtsfunktion als liberale, staatliche Abwehrfunktion. 3 Die sich in der Grundrechtsinterpretation niederschlagende Kritik des liberalen Rechtsstaates wird in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre nach der „legalen Revolution" von 1933 mit der „geschichtsteleologischen Interpretation"4 fortgesetzt. Wenn Huber auch eine sehr eigenständige Rechtstheorie und Praxisauslegung entwickelt hat, so ist sein umfangreicher Begriffs- und Argumentationsmechanismus nur in dem von Carl Schmitt abgezeichneten Rahmen politisch und wissenschaftlich als „neuer Typus des deutschen Juristen" 5 zu verstehen, der in den Reihen der Kieler Richtung der Staatsrechtswissenschaft leitmotivisch unter der von Carl Schmitt begründeten und von Karl Larenz inhaltlich präzisierten Methode des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" steht.6 Das „Recht" sei eine unmittelbare Lebenserscheinung der völkischen Ein1

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Grimm, Dieter: Die „Neue Rechtswissenschaft" - Über Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, in ders.: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 373-395 (374ff, 378f.). Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. Iff.; zur Kontinutät der Argumentation vgl. Die Rechtsstellung des Volksgenossen, in: ZgS, Bd. 96 (1936/37), S. 438-474 (438-^43). Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 29f.. Ebenda, S. 2; Die Rechtsstellung des Volksgenossen, in: ZgS, Bd. 96 (1936), S. 4 3 8 ^ 7 4 (438443), ebenso Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, a. a. O., S. 40ff. Schmitt: Nationalsozialistisches Rechtsdenken, in: DR, 4. Jg. (1934), S. 225-229 (225). Huber bezieht seine methodische Quelle gleichermaßen aus dem Werk Carl Schmitts wie aus den rechtsphilosophischen Schriften von Karl Larenz; vgl.: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30, Anm. 1, 64f.; Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 45 7f.; Öffentliches Recht und Neugestaltung des bürgerlichen Rechts, in: Hans Frank (Hrsg.): Zur Erneuerung des bürgerlichen Rechts. Schriftenreihe der Akademie für Deutsches Recht, Gruppe: Rechtsgrundlagen und Rechtsphilosophie, Nr. 7, Berlin, München 1938, S. 51-64 (58f.); Larenz, Karl: Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, Berlin 1938; Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus und ihre Gegenwartsbedeutung, in: Handbuch der Philosophie, Abt.

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heit", die „völkische Gemeinschaft" finde im „Recht die Ordnung ihres Seins und Wirkens"7 . In der Logik des Ordnungsdenkens hat das Recht demnach sowohl einheitsstiftende wie auch nach innen gliedernde Funktion. „Recht" hatte nur noch einen „Substanzwert" im Rahmen des alles umfassenden Totalitätsprinzips,8 eine Folge der irrationalen Rechtsmetaphysik des Ordnungs- und Gestaltungsdenkens als Rechtsquellen- und Rechtsauslegungsmethode.9 Huber begegnet der neueren Rechtsentwicklung entsprechend dem Postulat der „Juristenreform" mit einer „veränderten Rechtsgesinnung": „Die deutsche Rechtserneuerung wird ihren Sinn nur erfüllen, wenn sie der natürlichen Ordnung des völkischen Lebens gestalthaften Ausdruck zu geben vermag. Dazu ist notwendig, daß sie die Widersprüche und Gegensätze, die miteinander unvereinbaren Strukturprinzipien, die die verschiedenen Sachgebiete des bisherigen Rechts trennten, überwindet und das System des Rechts auf der Einheit der politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Ordnung des völkischen Lebens gründet."10 Das Ziel der Rechtserneuerung sei die „sachliche Einheit des Rechtes, die Verfassung und Verwaltung, ständisches und völkisches Recht in einer gegliederten Ordnung zusammenfaßt", „Unterscheidung und Synthese, Gliederung und Einheit des völkischen Rechts - das ist die Aufgabe, vor die wir gestellt sind." 11 Für Huber bleiben in der nationalsozialistischen Formierungsphase bis Ende 1934 für die Ebenen der weltanschaulichen und methodischen Rechtserneuerung die Positionen und Begriffe Carl Schmitts stets wegweisend, denn trotz der kontinuierlichen Argumentationsweise ist der neuen politischen Ordnung mit einer neuen „Art rechtswissenschaftlichen Denkens"12 zu begegnen. Die Aufgabe der Rechtsgestaltung und Rechtserneuerung ist dem nationalsozialistischen Juristen durch die Forderung „nicht Justizreform sondern Juristenrefom"13 aufgegeben worden. Die Jurisprudenz sei nicht als „freischwebende Intelligenz" zu beurteilen.14 Mit der Parole „Wir denken die Rechtsbegriffe um." 15 ist dem

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IV.: Staat und Geschichte, hrsg. von Alfred Baeumler, München, Berlin 1934, S. 89-188; Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 45fF.; mit Bezug auf Hegels Unterscheidung von konkreten und abstrakten Begriffen; ders.: Nationalsozialistisches Rechtsdenken, a. a. O., S. 228f.; s. a. Anderbrügge, Klaus: Völkisches Rechtsdenken. Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin 1978, S. 106ff.. Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, in: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, hrsg. von Karl Larenz, Berlin 1935, S. 143-188 (145). Gemhuber, Joachim: Das völkische Recht. Ein Beitrag zur Rechtstheorie des Nationalsozialismus, in: Tübinger FS für Ernst Kern, hrsg. von der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, Tübingen 1968, S. 167-200 (181). Dazu detailliert Rüthers, Bernd: Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 3. Aufl., Heidelberg 1988, S. 445ff.. Huber: Einheit und Gliederung des völkischen Rechts. Ein Beitrag zur Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht, in: ZgS, Bd. 98 (1937/38), S. 310-358 (310). Ebenda, S. 311; sinngemäß deckungsgleich: Die deutsche Rechtsemeuerung, in: Europäische Revue, 10. Jg. (1934), S. 693-702 (693f.). Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, a. a. O., S. 57ff.. Diese Forderung Roland Freislers setzt Carl Schmitt begriffssoziologisch in den Begriffen „Art" und „Typus" des Juristen um, s. a.: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit, Hamburg 1933, S. 44; ebenso: Der Weg des deutschen Juristen, in: DJZ, 39. Jg. (1934), Sp. 691-698 (69lf.). Schmitt. Staat, Bewegung, Volk, a. a. O., S. 40. Schmitt: Nationalsozialistisches Rechtsdenken (Anm. 5), S. 229.

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Juristen die gestalterische Aufgabe zu einem neuen Typus rechtswissenschaftlichen Denkens gegeben. Jedes Volk habe einen ihm zugeordneten juristischen Denktypus, mit dessen Vorherrschaft sich die geistige und politische Herrschaft über ein Volk verbinde. 16 Die „Rechtserneuerung" kraft Weltanschaung 17 ist demnach in die „gesamtpolitische Ordnung" und die „innere Logik und Folgerichtigkeit ihrer Voraussetzungen und Methoden" gestellt. 18 „Rechtserneuerung" bedeute als politische Aufgabe die ideologische Umwertung der Rechtsordnung durch „Einlegung" und Rezeption von Rechtsquellen.19 Die ganze Problematik der politischen Ordnungsbindung der Rechtswissenschaft erblickt Carl Schmitt in den „zeit- und volksgebundenen" Ausgangsbegriffen der Wissenschaft, „ohne die sich kein System, keine folgerichtige Argumentation, keine einleuchtenden, überzeugenden Gedankengänge entwickeln kann." 20 Reichsjuristenführer Hans Frank ist Huber der Gewährsmann des Einheitsdenken, indem er resümiert, daß die „innere Einheit in der äußeren Vielgestaltigkeit" das neue „deutsche Recht zu einer Ordnung" mache, die, so Hans Frank, die „Funktion eines im Staate geeinten Volkes zur Erhaltung der inneren und äußeren Rechte des Volkes" habe. 21 Huber umschreibt das „neue deutsche Recht" als „Volksrecht", das „unmittelbarer Ausdruck dieses Volkes, seiner Eigenart, seiner Daseinsgestaltung und Lebensnotwendigkeiten" sei. Die Rechtsordnung sei nicht mehr wie in der „liberalen Ideologie" Niederschlag einer abstrakten, überstaatlichen Rechtsidee, sondern im Sinne des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" die „konkrete, geschichtliche Rechtsidee, die in einem wirklichen Volke Gestalt gefunden hat"; da dieses Volk „nur als politische, staatsbildende Einheit geschichtlich lebendig ist, da es also politisches Volk' ist" nennt Huber das „Volksrecht" auch „politisches Recht". 22 Das Ordnungsdenken kommt dabei voll zum Tragen, um alle Ebenen der völkischen Verfassung zu „durchdringen" und setzt in fast mechanischer Logik die staatsrechtliche Doktrin der „Einheit der Staatsgewalt" um: „Völkisches Recht" ist „politisches Recht", weil es aus der Ordnung des Volkes „wächst" und „mit Bestand und Leben, Zufall und Erneuerung der politischen Einheit unmittelbar verbunden ist". 23 Das Prinzip der „politischen Totalität" gelte als Kennzeichen des Staatlichen auch für das Recht, „d.h. das in der nationalsozialistischen Bewegung verkörperte politische Lebensgesetz des Volkes durchdringt und prägt wie alle anderen völkischen Lebensordnungen auch den Bereich des

16 Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 9; ebenso: Nationalsozialistisches Rechtsdenken, S. 227. 17 Echterhölter, Rudolf: Das öffentliche Recht im nationalsozialistischen Staat, Stuttgart 1970, S. 82f, 159f Mit der kompendienhaften Darstellung und Kommentierung der nationalsozialistischen Rechtsprechung dokumentiert Echterhölter die Widersprüchlichkeit der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie im Recht. 18 Schmitt: Die Rechtswissenschaft im Führerstaat, in: ZAkDR, 2. Jg. (1935), S. 4 3 5 ^ 4 0 (438). 19 Rüthers, Bernd: Entartetes Recht. Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Aufl., München 1989, S. 54ff.; ders.: Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 270ff. 20 Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 22f.. 21 Zit. nach Huber: Die deutsche Rechtserneuerung, a. a. O., S. 693. 22 Ebenda. 23 Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, a. a. O., S. 144.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

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Rechts", das ursprünglich „individualistische" Recht werde ein „wirkliches Gemeinschaftsrecht", die „Volksgemeinschaft als politische Einheit" sein „Grundwert". 24 Bezeichnenderweise ist in Hubers Rechtsdenken das rassische, rechtsidentitätsstiftende Element der „Artgleichheit" weniger akzentuiert als bei Carl Schmitt und die Identität von „Volk" und „Gemeinschaft", von „Führung" und „Gefolgschaft" im dialektischen Ordnungs- und Gestaltungsdenkens „aufgehoben". In Hubers ideologischem „System" wird das völkische Prinzip der „Artgleichheit" sinngemäß, auch wenn es nicht beim Namen genannt wird, durch die „Führung" und „Gefolgschaft" als Identitätsverhältnis aufhebende Zweiteilung von „hoheitlichem" und „volksgenössischem Recht" als Führer-GefolgschaftsVerhältnis ersetzt. 25 Die Identität von Führer und Gefolgschaft resultiert aus der Dialektik des Ordnungs- und Gestaltungsdenkens, nicht aus dem rassischen Prinzip in der trinomischen Ordnung von „Staat", „Bewegung" und „Volk". Die „Gliederung und Einheit des völkischen Rechts" hebe die alte liberale Rechtssystematik der Trennung von öffentlichem und privatem Recht auf, denn „das Ziel der Rechtserneuerung ist die sachliche Einheit des Rechts, die Verfassung und Verwaltung, ständisches und volksgenössisches Recht in einer gegliederten Ordnung" 26 zusammenzufassen. Die Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht steht ganz im Zeichen der geschichtsteleologischen Interpretation. Der Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht sei als „Geist des 19. Jahrhunderts" 2 7 wirksam gewesen. Das „teleologische" Moment der Argumentation wird in dem für das liberale Trennungsdenken „typischen Doppelschritt" verdeutlicht, der erst „zur Emanzipation des gesellschaftlichen Bereichs von der politischen Ordnung, dann zur Unterwerfung der politischen Ordnung unter die gesellschaftlichen Werte, Interessen, Kräfte und Einrichtungen führte". 28 So bereitet es dem Unitaristen Huber keine Schwierigkeit, aus diesem Doppelschritt „die für die Rechtssystematik des neunzehnten Jahrhunderts allgegenwärtigen „Kompromißformen und Zwischenbildungen" der Begriffs- und Rechtskonstruktion als „absolutistisch-liberalen Kompromiß mit liberaler Dominante" abzutun und daraus den „tieferen Gegensatz zwischen dem obrigkeitlichen Staat und der bürgerlichen Gesellschaft"29 zu folgern. Die Gewichtsverschiebung und Kompetenzerweiterung des öffentlichen Rechts diente der anwachsenden Eingriffs- und Vorsorgetätigkeit des Staates in den privaten Bereich - eine autoritäre Staatsfunktion, die Huber mit der Option der Auflösung der subjektiven Grundrechtsfunktion und mit der Zuordnung der wirtschaftlichen Selbstverwaltung zu öffentlichrechtlichen Körperschaften bereits vollzogen hatte. Auch das universalistische Argument des „Gemeinnutzes vor Eigennutz" zur Hinwendung privater Interessenstrukturen in die öffentliche Ordnung trug der Überwindung der Dichotomie von öffentlichem und privatem Recht Rechnung. Die seit 1800 gebräuchliche Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht deckte sich mit der Systematik im römischen Recht. 30 Die ideengeschichtliche Interpretation, die Zweiteilung sei „römisch" und daher mit dem germanisch-deutschen 24 25 26 27 28 29 30

Die deutsche Rechtserneuerung, S. 693f.. Im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" ist vom „Rassenprinzip" die Rede. Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, a. a. O., S. 310. Ebenda, S. 311. Ebenda. Ebenda, S. 313. Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800-1914, München 1992, S. 51-54.

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Recht unvereinbar, gehörte zur herrschenden Meinung der staatsrechtlichen Fachliteratur seit 1933. 31

a) Die neue Rechtssystematik: Dreigliederung und Gestaltung Huber entwickelt eine eigene, den „Grundsätzen des völkischen Rechts" entsprechende Rechtssystematik, die „durch die Verschiedenartigkeit der Sachgebiete und der Gestaltungsformen des Rechts doppelt modifiziert" sei. 32 Die „Sachgebiete" schlüsseln sich nach „staatlichem Recht", „ständischem Recht" und „Gemeinrecht" auf. Zum „staatlichen Recht" gehöre die „Ordnung des politischen Aufbaus und der unmittelbaren staatlichen Wirksamkeit nach innen und außen, also Verfassung, Verwaltung und Völkerrecht", das „ständische Recht" umfasse den „Aufbau und die Tätigkeit der umfassenden Leistungsgemeinschaften des völkischen Lebens in Wirtschaft und Kultur, das „Gemeinrecht"33 das „Recht der Familie und der Person, der Gesellschaften und der Verbände, des Bodens und der Fahrnis, der Verträge und der außervertraglichen Haftung".34 Neben der systematischen Einteilung nach „Sachgebieten" steht die zweite,,funktionale" Unterscheidung nach „Formen der Rechtsgestaltung", des „hoheitlichen" und „volksgenössischen" Rechts. Beide Sachunterscheidungen will Huber nicht als deckungsgleich verstanden wissen, da „die funktionale und die sachliche Gliederung sich vielfach überschneiden und überlagern."35 Die Ausführungen spiegeln die Unübersichtlichkeit und die inhaltlichen Konflikte der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft nach 1934 wider, denn es handelt sich bei

31 Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, a. a. O., S. 80ff.; zur Negation der römischen Quellen deutschen Rechtsdenken vgl. Huber: Die deutsche Rechtserneuerung, a. a. O., S. 693ff.; vgl. auch: Kummer, Heinz: Öffentliches Recht und privates Recht in der politischen Grundordnung, in: ZgS, Bd. 104 (1944), S. 29-74 (33ff). Kummer faßt den Diskussionsstand der Einheit von öffentlichem und privatem Recht zusammen. 32 Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, a. a. O., S. 315. 33 Das „Gemeinrecht" ist als Element der nationalsozialistischen Weltanschauung bereits in Punkt 19 des NSDAP-Parteiprogramms von 1920 dokumentiert und von Hans Frank als Kronjurist der Partei zum Angelpunkt der nationalsozialistischen Rechtsreform lanciert worden. Die untergeordnete Stellung des Gemeinrechts in der Rechtspraxis des Nationalsozialismus wie auch in der Rechtslehre Hubers resultiert aus ihrem ständischen Ursprung innerhalb des „volksgenössischen Rechts", also außerhalb der Leitprinzipien der Führung im staatsrechtlich weitaus politischeren „hoheitlischen Recht"; vgl. Broszat, Martin: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm, Wirklichkeit, Stuttgart 1960, S. 17; zum aktuellen rechtshistorischen Forschungsstand vgl. Landau, Peter: Römisches Recht und deutsches Gemeinrecht. Zur rechtspolitischen Zielsetzung im nationalsozialistischen Parteiprogramm, in: Stolleis, Michael/Simon, Dieter (Hrsg.): Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 11-24; für den Forschungsstand der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft vgl. Kummer, Heinz: Öffentliches Recht und privates Recht in der politischen Grundordnung, a. a. O., S. 59ff. 34 Huber: Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 316, s. a.: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, a. a. O., S. 152, 157flf. 35 Huber: Öffentliches Recht und Neugestaltung des bürgerlichen Rechts, in: Zur Erneuerung des bürgerlichen Rechts, hrsg. von Hans Frank, Berlin 1938, S. 51-64 (52).

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der Huberschen Rechtssystematik um eine eigenständige Ordnungskonzeption, die inhaltlich, begrifflich und methodisch abgestimmt sein wollte: „Trotz der Einwendungen, die gegen das Prinzip der Dreiteilung erhoben worden sind, halte ich an der Auffassung fest, daß die dreifache Gliederung in staatliches Recht, ständisches Recht und Gemeinrecht dem Zielbild der Rechtserneuerung am besten entspricht. [...] Die von mir entwickelte Dreiteilung sucht gerade diese Gegensätzlichkeit zu überwinden, indem sie den Volksgenossen, auch dort, wo er nicht unmittelbar am Verfassungs-, Verwaltungs- oder ständischen Leben teilnimmt, durch die umfassende Gemeinschaft des Volkes gebunden sein läßt." 36 Um nicht dem Antagonismus von „Trennungsdenken" versus „Unterscheidungsdenken" zu verfallen, schlägt Huber vor, den Begriff „Dreiteilung" durch den der „Dreigliederung" des völkischen Rechts als dem Ordnungsdenken besser entsprechenden Begriff vorzuziehen. Offensichtlich wird mit der Problematik des „Unterscheidungsdenkens" auch der dem „hoheitlichen" und „volksgenössischen Recht" immanente Antagonismus von Führung und Gefolgschaft berührt, den Huber in der Weimarer Phase bereits im Spannungsverhältnis von „Obrigkeit" und „Volk" die Grenzen einer organischen Verfassungstheorie aufzuzeigen bereitete.37 Die im „hoheitlichen Recht" angesprochene „politische Führungsgewalt" stehe nicht im Gegensatz zum „volksgenössischen Zusammenwirken": „Wenn ich hoheitliche Entscheidung' sage, so meine ich die Entscheidung einer volksverbundenen Führung, und wenn ich von volksgenössischem Zusammenwirken' spreche, so setzte ich gemeinschaftsgebundene Volksgenossen voraus, die aus ihrer Gemeinsamkeit handeln. Die hoheitliche Entscheidung wird also nicht aus dem Zusammenhang der Gemeinschaft herausgenommen und dem gemeinschaftlichen Zusammenwirken der Beteiligten gegenübergestellt', sondern die Unterscheidung von hoheitlicher Entscheidung' und volksgenössischem Zusammenwirken' ist auf die Einheit von Führer und Volk als eine selbstverständliche und unerschütterliche Gegebenheit gegründet."38 Die Unterscheidung zwischen „hoheitlicher Führung und „volksgenössischem Zusammenwirken" gehöre zum „Wesen des Gemeinschaftsrechts", in dem der „Gegensatz von Bindung und Einung" überwunden sei.39 Entscheidend für den Begriff des „hoheitlichen Rechts" sei das unmittelbare Wirken der „politischen Führung", in dessen Rahmen der Staat Träger „hoheitlichen Rechts" ist: „Wo der Staat mit den Mitteln der Führung vorgeht, insbesondere dort, wo er die Mittel des Befehls und des Zwangs anwendet, handelt er in hoheitlicher Funktion".40 Die hoheitliche Entscheidung finde sich in den Formen des Führerbefehls, des Gesetzes, der Verordnung, der Satzung, des Militär-

36 Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 316f.. 37 Zum verfassungspolitischen Prinzip von „Führung" und „Gefolgschaft" außerhalb des Rechts vgl.: Partei, Staat, Volk, in: DR, 5. Jg. (1935), S. 309-312 (311f.). An anderer Stelle erklärt Huber: „Da es den alten Dualismus von Obrigkeit und Volk nicht mehr gibt, gehört auch der Führer als solcher zum Volk und zur Volksvertretung. [...] Die Verbindung von Führeramt und Volksvertretung entspricht dem neuen Staate, der auf der Einheit der politischen Gewalt beruht"; vgl. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, in: ZgS, Bd. 95 (1935/36), S. 202-229 (208f ). 38 Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 320; ähnlich: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 153. 39 Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 155. 40 Ebenda, S. 159.

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befehls, des Verwaltungsaktes und des Urteils. Jede dieser „hoheitlichen Entscheidungen" besitze eine autoritative Kraft, die auf den politischen Willen des „Führers" zurückgehe.41 Huber beansprucht mit der Unterscheidung von „Gestaltungsformen" und „Sachformen" des Rechts keineswegs eine „systembildende" Kraft, doch die ursprüngliche Rechtsgestaltung des „hoheitlichen Rechts" betreffe das ursprüngliche Verfassungs- und Verwaltungsrecht und das „Gemeinrecht", während das „volksgenössische Recht" die Ebenen der Verbandsgestaltung, des Familien-, Boden- und Arbeitsrechts meint. Auf dem Gebiet des „ständischen Rechts" dagegen sei die Rechtsgestaltung in hoheitlicher und in volksgenössisch-rechtsgeschäftlicher Form gleichmäßig vertreten.42 Ständischen Organisationen sei als Genossenschaften die „hoheitliche Führungsgewalt" vom Staate übertragen. Das volksgenössische Rechtsverhältnis ergäbe sich aus den ständischen Arbeitsverhältnissen: „Gerade darin, daß die Stände keine ihnen allein eigentümliche Art der Rechtsgestaltung entwickeln, sondern hoheitliches und volksgenössisches Recht untrennbar verbinden, wirken sie als vereinigendes Element in unserer Volksordnung."43 Mit der neuen Verbindung von Verfassung und „Gemeinrecht" sieht Huber die Trennung von öffentlichem und privatem Recht endgültig überwunden und die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Rangverkehrung von privatem und öffentlichem Recht zugunsten der öffentlichen Bindungen als Hoheitsakte bewältigt an. Die „völkische Bindung des Gemeinrechts" sei nicht nur ein „Bestandteil der veränderten Rechtsgesinnung". Der „innere Sinn des Privatrechts" habe sich nun von Grund auf gewandelt. Die liberalen Grundsätze der Eigentumsfreiheit, der Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit und Wettbewerbsfreiheit seien in das „gebundene Arbeitsverhältnis, das gebundene Eigentum, den gebundenen Vertrag" übergegangen, die „Lehre von der gliedhaften Rechtsstellung des Volksgenossen in der Gemeinschaft im geltenden Gemeinrecht an die Stelle des Systems der subjektiven Rechte des Individuums getreten, ohne das es zu einer ausdrücklichen Änderung im Einzelfall bedurft hätte."44 Das Rekurrieren auf den „ungeschriebenen Wandel der Verfassungsgrundsätze" ist im Verfassungsdenken Hubers dabei nicht neu, sondern nur eine mit der „nationalsozialistischen Revolution" 1933 einhergehende Ächtung der Schriftlichkeit formalen Rechts als konstitutionelles Verfassungsdenken.45 Die Weimarer Grundrechte, die Huber 1932 nur mit ihrem (nach Art. 48 WRV) „diktaturfesten" Wesenskerns als politisch überdauernd auffaßte, sind „als Verfassungsbestandteile endgültig beseitigt worden, weil sie den Grundsätzen der völkischen Weltanschauung entgegenstehen", denn erst „der poli-

41 Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 321f. 42 Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 158f.; Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 322f.. 43 Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 161; vgl. auch: Die genossenschaftliche Berufsordnung, in: BldPh, Bd. 7 (1933), S. 290-310 (298f ). 44 Einheit und Gliederung des völkischen Rechts, S. 329f.. 45 Ebenda, S. 324; Öffentliches Recht und Neugestaltung des bürgerlichen Rechts, S. 56f., detaillierter: Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935, S. 7f.; Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935, S. 7, 49ff.; zuerst in: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 4.

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tische Durchbruch der völkischen Weltanschauung" habe die „liberalen Grundrechte wirklich überwinden können." 46

b) Der „Volksgenosse" Aus Carl Schmitts Forderung der „Umdeutung der Rechtsbegriffe" für eine neue Art rechtswissenschaftlichen Denkens folgert Huber die Überwindung der „subjektiven öffentlichen Rechte der Individuen" zugunsten der „pflichtgebundenen gliedhaften Rechtsstellung des Volksgenossen in der Gemeinschaft". 47 Die verfassungspolitische Option der nationalen Gestaltung des Staates von 1932 wird hier kontinuierlich, aber mit völkischer Begriffsbesetzung erfüllt. Die Kritik der Weimarer Grundrechte wird dem systematischen Ausbau der volksgenössischen Rechtsstellung vorangestellt, ohne daß Diskontinuitäten zu den autoritären Verfassungsoptionen der Weimarer Zeit deutlich werden. 48 Einzig die in Anlehnung an Carl Schmitt eine Verfassungsreform überdauernden institutionellen Garantien der Grundrechte seien Änderungen unterworfen: „Freiheitsrechte, Institutsgarantien und institutionelle Garantien fallen in der völkischen Verfassung dahin. Der tiefere Grund dafür ist der, daß in einer völkischen Verfassung das Prinzip der Garantie' überhaupt überwunden worden ist. Die liberale Verfassung war ihrem Wesen nach 'Garantie'; sie war ein System von Sicherungen und Gewährleistungen gegen die Staatsgewalt. Die völkische Verfassung hat diese Garantiefunktion nicht; sie soll im Gegenteil die Wirksamkeit und Schlagkraft der politischen Gewalt erhöhen." 49 Die Kernthese von 1932, Ziel der materialen Grundrechtsinterpretation sei die „Objektivierung" der Grundrechte zum Staat, zum Aufbau eines „nationalen Rechtsstaates", ergänzt Huber durch die völkische Gewichtung der Bindung des Einzelnen. Jedem „Volksgenossen" komme in der Gemeinschaft eine „konkrete Gliedstellung" zu, er sei nicht nur „Objekt", „Bezugspunkt staatlicher Belastung" oder „staatlicher Fürsorge", „Steuerzahler" und „Wohlstandsempfanger", sondern ein „lebendiges Glied der Ordnung", die integrative, auf die „Einheit" gerichtete Bindung, die ihre Stellung „im Recht" nur aus der „Pflichtgebundenheit und „Gemeinschaftsbezogenheit" zuläßt, habe „mit den alten Rechtsvorstellungen nichts mehr gemein". 50 Der in der Weimarer Periode von Huber bereits entwickelte „konservative Freiheitsbegriff" wird im dialektischen Totalitätsdenken in „konkreten Ordnungen" somit zur Funktionslosigkeit verzerrt: Der „Volksgenosse" setzt sich „aus Freiheit für die Gemeinschaft ein", 51 die Dialektik von Pflicht und Bindung, die aus der Anthropologie des völkischen 46 Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 449. 47 Ebenda, S. 445. 48 Vgl.: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 28ff.; Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 438—443. 49 Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 443. 50 Ebenda, S. 449. 51 Ebenda; differenzierter: Die volksgenössische Rechtstellung in der Verwaltung, in: ZAkDR, 4. Jg. (1937), S. 323-327 (323f.). Huber unterscheidet als „Arten der volksgenössischen Rechtsstellung" in der Verwaltung die „Dienststellung", die „Verbandszugehörigkeit", die „ B e f u g n i s " staatlichen oder ständischen Verwaltungshandelns (S. 326). Die volksgenössische Rechtsstellung

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Staatsdenkens resultiert, hat auch fur das „Verfahren des Rechtsschutzes" Auswirkungen: „Die völkische Ordnung ist der eigentliche Gegenstand des Rechtsschutzes, nicht die "subjektiven Rechte'." 52 Die materielle Geltung der „gebundenen gliedhaften Stellung des Volksgenossen" will Huber in Anlehnung an die Schriften des rechtsphilosophischen Vordenkers der Kieler Richtung, Karl Larenz, verstanden wissen. Die Idee der Einfügung in die Gemeinschaft bestimmt auch den Gleichheitsgedanken in der „volksgenössischen Gliedstellung". Sinn und Gehalt der Gleichheit erwachse aus der Einbindung des Artgleichen in die „konkrete Ordnung". Die „Substanz" der Gleichheit werde durch das rassische Element erfüllt. 53 Doch das „volksgenössische Recht" tritt in der Argumentation Hubers gegenüber dem „hoheitlichen Recht" deutlich zurück, weil die „ H a u p t f u n k t i o n s b e r e i c h e des hoheitlichen Rechts" definitionsmäßig Verfassung und Verwaltung sind und die „Einordnung der Volksgenossen in die Gemeinschaft und ihre Unterordnung unter den Staat" als „hoheitlich" zu behandeln sei.54 Das alte Dilemma der Zuordnung der Volksgemeinschaft als Gefolgschaft „von unten" und der durch „politische Führung" geregelten Herrschaftsbereiche „von oben" tritt wieder deutlich zutage.55 Der autoritäre Charakter der volksgenössischen Gliedstellung als der in politischen Lagen notwendigen Unterordnung des „volksgenössischen Rechts" unter das „hoheitliche Recht" kann seine an den „organischen" Prämissen der Volksgemeinschaftsideologie gemessenen volkstumstheoretischen Grundsätze zumindest scheinlegal nach außen tragen. Das idealistische Leitbild der „Volksgemeinschaft" wird durch das Nebeneinander von „volksgenössischem" und „hoheitlichem Recht" in den Funktionsbereich von „Führung" und „Gefolgschaft" aufgespalten. Auch das aus dem Privatrecht in der Rechtssystematik hervorgehende „Gemeinrecht" sei durch „Hoheitsakte der Verwaltung" zu gestalten. Voraussetzung dieser Gedanken ist, daß das Verwaltungsrecht „politisches Recht" ist, da seine Grundlagen selbst in der Verfassung gegeben sind. Der „Geist der Verwaltungsgesetze entstamme dem politischen Gesamtsystem, so daß die „politische Weltanschauung, die sich in der Verfassung ausdrückt", auch die „Verfassung beherrscht".56 Da das Verfassungsrecht vom Grundsatz des „totalen völkischen Führerstaates" bestimmt sei, müsse auch das Verwaltungsrecht als hoheitlicher Funktionsbereich von diesen Vorstellung her neu durchdacht werden.

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in der hoheitlichen Verwaltung ist in der „Verwaltungsordnung" fixiert. Eine „ungeschriebene VerwLrkung" dieser Rechtsstellung durch „Pflichtvergessenheit" will Huber trotz des „ungeschriebenen Rechts" als in den Verwaltungsinstanzen behandelt sehen; vgl.: Die Verwirkimg der volksgenössischen Rechtsstellung im Verwaltungsrecht, in: ZAkDR, 4. Jg. (1937), S. 366-369 (368f.). Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 450. Scheuner, Ulrich: Der Gleichheitsgedanke in der völkischen Verfassungsordnung, in: ZgS, Bd. 99 (1939), S. 245-278 (267). Dort heißt es weiter: „Für unser deutsches Rechtsdenken liegt die Substanz in der blutmäßigen Artgleichheit der deutschen Menschen." Vgl. auch: Die Einheit der Staatsgewalt, in: DJZ, 39. Jg. (1934), Sp. 956f.: J m nationalsozialistischen Staat ist die Verwaltung derjenige Bereich der staatlichen Tätigkeit, in dem der politische Führungswille durch nähere Anordnungen oder Einzelanweisungen konkret vollzogen wird. Dabei ist die Verwaltung heute unmittelbar auf die Erhaltung des Volkes, die Sicherung des Staates und die Durchsetzung der öffentlichen Belange gerichtet [...]." Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 167. Ebenda, S. 166.

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Die Vorstellung der rechtlichen Organisation der „völkischen Verfassung" in Familie, Eigentum, Arbeitverhältnis, Wirtschaft, Verbänden und Verwaltung durch „Hoheitsakte der Verwaltung" diene vor allem der „Neugestaltung" und des „Übergangs" zur neuen Ordnung nach der Machtergreifung: „Es muß schnell, es muß bestimmt, es muß im Hinblick auf die konkrete Lage des Einzelfalls gehandelt werden. Die gesetzliche Normierung und der nachträgliche, notwendig unvollkommene richterliche Schutz reichen hier nicht aus; sie müssen durch die verwaltungsmäßige Einzelgestaltung des Gemeinrechts ergänzt werden." 57 Das in der nationalsozialistischen Verfassungswirklichkeit dominierende Prinzip der „politischen Führung" erfährt materiell keine Abschwächung, 58 denn auch bei Huber ist das Spannungsverhältnis zwischen völkischem und autoritärem Prinzip zugunsten des Führerstaates entschieden, wie im allgemeinen in der nationalsozialistischen Rechtstheorie schnell über dieses Spannungsverhältnis hinweggegangen wird. 59 Die in der Volksgemeinschaftsideologie eingelagerte Prämisse der Identität von völkischem Prinzip und Führerprinzip als „Wesens"-Moment kann dabei nicht hilfreich sein, zumal Huber das Gesetz erst als „Führungsakt" und erst dann als „Gemeinschaftsakt" bezeichnet. 60 Für die Fortentwicklung der staatsrechtlichen Diskussion um die völkische Rechtssystematik bleibt bezeichnend, daß die Institutionalisierung von „volksgenössischem" und „hoheitlichem Recht" mit der erweiterten großdeutschen Verfassungsstruktur und ihrem ideologischen Paradigmenwandel ebenso abbricht wie die volkstheoretische Diskussion um das Verhältnis von „Volk" und „Staat". 61 Die mit der „Großraumordnung" und der Kriegswirtschaft gestellten staatspolitisch und verfassungstheoretisch dominierenden Fragen nach Führung beantwortet Huber in seinen rechtspolitischen Schriften mit der ausschließlichen Thematisierung der juristischen Aspekte der Verwaltung als Funktionsbereich des hoheitlichen Rechts und der Reduzierung rechtsgestaltender Fragen außerhalb des „hoheitlichen Rechts".

57 Öffentliches Recht und Neugestaltung des bürgerlichen Rechts, S. 60. 58 Anderbrügge, Klaus: Verwaltungsrechtliche Aspekte der volksgenössischen Gliedstellung, in: Rottleuthner, Hubert (Hrsg.): Recht, Rechtsphilosphie und Nationalsozialismus, ARSP, Beiheft 18 (1982), S. 128-139 (128f.). Anderbrügge weist auf die Spannungen des im konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens bestehenden, jedoch dialektisch aufgehobenen Polaritätsverhältnisses von Einzelpersönlichkeit und Staat des bürgerlich-liberalen Staates hin; vgl. a. a. O., S. 131. 59 Gemhuber, Joachim: Das völkische Recht. Ein Beitrag zur Rechtstheorie des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 179ff.; zu dieser Problematik auch Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken. Zur Rechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, a. a. O., Kap. 3, S. 98ff.. Anderbrügge beschreibt das Dilemma der nationalsozialischen Rechtstheorie, in die Leitideen der NSWeltanschuung eine Rangfolge ohne Beschwörung des Gegensatzes zu legen; vgl. a. a. O., S. 104ff. 60 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 239f.. 61 Ausnahmen bestätigen die Regel: vgl. die resümierende Darstellung von Heinz Kummer: Öffentliches und privates Recht in der politischen Grundordnung, a. a. O.. Kummer bringt den Methodenpluralismus des NS-Staatsrechts auf den Punkt und subsumiert öffentliches und privates Recht unter das „Gemeinrecht".

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c) Generalklauseln Im Bereich der unbestimmten Rechtsbegriffe gibt es solche, die vom Gesetzgeber aufgrund der interpretativen Wertauffüllung gewollt sind und jene unbestimmten Wertbegriffe des Gesetzes, die entweder vom Gesetzgeber außer acht gelassen wurden oder als Lücke im Gesetz gelten. Die Eigenart der Generalklauseln ist, daß sie den Richter auf wertausfüllungsbedürftige Begriffe verweisen, ohne daß der Gesetzgeber eine gesetzliche Inhaltsbestimmung gibt. Schon die Interessenjurisprudenz sah in der Weimarer Republik die Blankettfunktion von Generalklauseln.62 1 93 3 wurden die Generalklauseln als „Einbruchsteile" für das neue Rechtsdenken gefeiert, ihre Lückenfünktion mit der Anpassung von altem und neuem Recht interpretiert und Rechtsschöpfung betrieben.63 Die Übernahme von „Generalklauseln" aus der Rechtsprechung der Weimarer Republik für die Bindung der Verwaltung hält Huber für sehr fragwürdig, auch wenn ihre politische Funktion die Normenauflösung und Reduktion der Positivität des Rechts dem nationalsozialistischen Recht entgegenkommt. Die „bürgerlich-rechtsstaatliche Auffassung" der Handhabung der Generalklauseln im Verwaltungsrecht, d.h. die inhaltliche Liberalisierung mit „liberalem Rechtsgeist", ihre Verrechtlichung zur Herbeiführung objektiver Rechtsgrundsätze und letztlich die Ausbildung der Lehre unbestimmter Rechtsbegriffe, die das Gesetz in die „eigene Stellungnahme begeben hat", würde für die „hoheitliche Verwaltung" im „völkischen Führerstaat" keine Geltung beanspruchen können.64 Die Unbestimmtheit der Generalklauseln für die rechtliche Verankerung der nationalsozialistischen Weltanschauung bereitete offenbar Probleme,65 aber Huber vermeidet den Begriff „Generalkausel" dennoch nicht in allen Zusammenhängen völkischen Rechts. Der in den Generalklauseln mögliche verwaltungsrechtliche Ermessensmißbrauch „muß im Führerstaat unter allen Umständen ausgeschlossen werden, nicht nur im Interesse des Staates und einer guten Verwaltung, sondern vor allem, um die völkische Weltanschauung und die politische Führung in ihrem Bestände und in ihrem Werden zu sichern."66 Diese mit moralischen Gerechtigkeitsansprüchen behaftete Bewertung von Generalklauseln im nationalsozialistischen Recht mag nicht recht in die auf Unbestimmtheit und Irrationalität fußende Rechtsmetaphysik des Nationalsozialismus passen, einen „politischen Rechtsgeist zu erneuern".67 Der von Carl Schmitt geforderte „Leitsatz" für die Rechtspraxis, daß „für die Anwendung und Handhabung der Generalklauseln [...] die Grundsätze des Nationalsozialismus unmittelbar und ausschließlich maßgebend"68 sind, bleibt für Huber inhaltlich zwar bin62 63 64 65

Rüthers, Bernd: Die unbegrenzte Auslegung, a. a. O., S. 211-215. Ebenda, S. 214f.. Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 180ff.. Rüthers weist nach, daß im bürgerlichen Recht im Dritten Reich der Plan bestand, eine neue einheitliche Generalklausel für das gesamte bürgerliche Recht einzuführen; vgl. Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, S. 265. Für das öffentliche Recht dominiert in Hubers Rechtslehre dagegen die Auffassung des „Gesetzes" gemäß „Plan des Führers", so daß Generalklauseln faktisch kraft Führerbefehl erlassen werden konnten; vgl. Huber: Der Führer als Gesetzgeber, in: Deutsche Rechtswissenschaft, 9. Jg. (1939), S. 275-278. 66 Ebenda, S. 188. 67 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 59. 68 Schmitt, Carl: Neue Leitsätze für die Rechtspraxis, in: JW, 62. Jg. (1933), S. 2794.

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dend, doch die neue Korrelation von „Rechtmäßigkeit" und „Gesetzmäßigkeit" der Verwaltung zwischen hoheitlicher Rechtsausübung und Führerbefehl gibt ihm zu große Ermessensspielräume auf. Die frühere Interpretation, daß Generalklauseln „zur freien Entscheidung gemäß den politischen Grundwerten der nationalsozialistischen Rechts- und Staatsordnung" 69 ermächtigen, ist bei ihm um die Ausschließung der mißbräuchlichen Anwendung erheblich einzuschränken. Die „objektive", in der Rechtswirklichkeit des Nationalsozialismus aber nicht ausgesprochene Funktion der „Generalklauseln", der dezisionistischen Beliebigkeit der Inhalte der politischen Führung zu dienen, stellt Huber dagegen nicht in Frage. Die Ausfüllung der Generalklauseln mit „neuen Inhalten" sei deshalb wichtig, weil das Verwaltungsrecht durch die „unbestimmten Rechtsbegriffe" erst seinen wahren „politischen Sinn" erfahrt, Generalklauseln seien im Geiste der herrschenden politischen Wertvorstellungen auszulegen und anzuwenden. Durch das „Verstehen der Generalklauseln" wandle sich das „gesamte positive Recht". 70 Hubers vorsichtige Beurteilung der Generalklauseln bezieht sich also auf die Verwaltung als Eingriffs- und Interventionsinstanz innerhalb des „hoheitlichen Staates" und deklariert die Verwaltung als konkretisierende Instanz neben der Verfassung zum eigentlichen Maßnahmenstaat. 71 Der Diskussion um die Bewertung der „Rechtsstaatlichkeit" und der Rechtsordnung im nationalsozialistischen Staat hat sich Huber entzogen. 72 Der noch in der Weimarer Endphase verwendete Begriff „nationaler Rechtsstaat" 73 fallt der völkischen Terminologie zum Opfer, schließlich ist das Recht in die Totalität der völkischen Gesamtverfassung eingebettet. Die Schaffung berechenbarer Rechtsstrukturen stieß in der amorph wirkenden und stets flexiblen Verfassungstruktur des Nationalsozialismus den Juristen an die Grenzen der Argumentation. Stets mußte die Elastizität des Staates in Ausnahmesituationen als in den Bahnen der „politischen Führung" liegend aufrecht erhalten werden - ein Indiz für die Dominanz des „hoheitlichen Rechts" gegenüber dem „volksgenössischen Rechts". Auch wenn das Bekenntnis zur Legalität bei den ungeschriebenen Führerbefehlen im Recht keine hinreichende Stütze mehr war, sind Bereiche „institutionellen Rechtsdenkens" zur Schaffung (minimal) berechenbarer Rechtsstrukturen durchaus zu konstatieren. Die Notwendigkeit rechtlicher Regelung mit verbindlicher Wirkung ist in Hubers Rechtsdenken bis in die vierziger Jahre konstitutiv, trotz der in der „Kieler Schule" betriebenen Ablehnung der Allgemeinheit des generellen Gesetzes.74

69 Vgl.: Die Einheit der Staatsgewalt, a. a. O., Sp. 958. 70 Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 185ff.. Zweifellos werden mit diesen Aussagen die obigen Einschränkungen der Anwendung von Generalklauseln im Rahmen der „Rechtmäßigkeit der Verwaltung" durch die Führung wieder konterkariert. 71 Fraenkel, Ernst: Der Doppelstaat, Frankfurt/M. 1974. 72 Meinck: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, S. 188ff.; Schellenberg, Ulrich: Die Rechtsstaatskritik. Vom liberalen zum nationalen und nationalsozialistischen Rechtsstaat, in: Böckenförde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 71-88. 73 Bedeutungswandel der Grundrechte, S. 91. 74 Meinck: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 192f..

3. Die nationalsozialistische

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3. Die nationalsozialistische Wirtschaftsverfassung: der „deutschen Sozialismus" zwischen „Plan" und „freier Initiative" Das historisch-dogmatische und verfassungspolitische Hauptwerk Ernst Rudolf Hubers zur nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung, „Die Gestalt des deutschen Sozialismus" 1 , entstand unmittelbar vor den zum Gesetz zur „Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft" vom 27. Februar 1934 2 sich abzeichnenden Verfassungsformprinzipien, die das monopolkapitalistische Wirtschaftssystem der Weimarer Präsidialzeit als einer autoritären, sozial repressiven, hochgradig organisierten kapitalistischen Wirtschaftsordnung bestätigten.3 Mit der Unterordnung der Wirtschaft unter den nationalsozialistischen Führerstaat hatte sich das Verhältnis von Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung zwar erledigt, doch die Einschätzung der Bindungsform war angesichts der Heterogenität der Wirtschaft im Dritten Reich keineswegs gelöst. 4 Das Stichwort „Staatskapitalismus",5 teilweise auch „Planwirtschaft", „gelenkte Wirtschaft" oder „Verwaltungskapitalismus" genannt, wurde in der totalitären Form unterschiedlich bewertet und etikettiert. Für Huber stellt sich die Frage nach der Wirtschaftsordnung des Nationalsozialismus nicht in ökonomischer sondern in verfassungspolitischer Hinsicht als die „politische Form" in der Bindung an „Staat", „Partei" und „Volk". Sein Rekurrieren auf das Weimarer 1

Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, Hamburg 1934. Das Verhältnis von „Staat", „Volk" und „Wirtschaft" ist in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft entweder nach etatistischen oder volksgemeinschaftsbezogenen Prämissen diskutiert worden. Zur Kritik an Hubers Wirtschaftsverfassungskonzept vgl. Jessen, Jens: Gebundene oder völkische Wirtschaft, in: DR, 7. Jg. (1937), S. 436-438; dazu die Erwiderung Hubers in: Einheit und Gliederung des völkischen Rechts. Ein Beitrag zur Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht, a. a. O., S. 238, Anm. 2; ferner die inhaltlich zustimmende aber die hegelianische Grundposition Hubers kritisierende Rezension Otto Koellreutters: „Emst Rudolf Huber: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931; ders.: Wirtschaftsverwaltungsrecht. Institutionen des öffentlichen Arbeits- und Untemehmensrechts, Tübingen 1932; ders.: Rechtsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, in: VerwArch, Jg. 1932, S. 301-376; Tula Simons: Der Aufbau der KohlenWirtschaft nach dem Kohlenwirtschaftsgesetz vom 23. März 1919, Bonn 1931", in: AöR, NF Bd. 26 (1935), S. 122-127. 2 Das Gesetz zog zahlreiche Durchführungsverordnungen nach sich; insbesondere im thematischen Zusammenhang ist die „Erste Verordnung zur Durchführung des Gestzes zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der deutschen Wirtschaft" vom 27.11.1934 wichtig; vgl. Hirsch, Martin/Majer, Diemut/Meinck, Jürgen (Hrsg.): Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus. Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933-1945, Köln 1984, S. 212ff.; vgl. dazu auch Huber: Der Treuhänder der Arbeit, a. a. O., S. 202-210. 3 Vgl. Salje, Peter: Bürgerliches Recht und Wirtschaftsordnung im Dritten Reich, in ders. (Hrsg.): Recht und Unrecht im Nationalsozialismus, Münster 1985, S. 46-79 (60ff). 4 Ambrosius, Gerald: Staat und Wirtschaft im 20. Jahrhundert, München 1990, S. 9f., 94f.. 5 Pollock, Friedrich: Staatskapitalismus, in: Wirtschaft, Recht und Staat im Nationalsozialismus: Analysen des Instituts für Sozialforschung 1939-1942, hrsg. von Helmut Dubiel und Alfons Söllner, Frankfurt/M. 1981, S. 81-110 (82f ); ebenso: Neumann, Franz L.: Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933-1944, Frankfurt/M. 1984, S. 271ff.

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Schrifttum bestätigt dabei den prognostizierten Gestaltwandel der Wirtschaft: „Der Zusammenbruch der Wirtschaft und das Versagen der parlamentarischen Verfassung haben dazu geführt, daß schon vor dem Durchbruch der nationalsozialistischen Revolution zahlreiche Pläne einer Wirtschafts- und Verfassungsreform aufgetaucht sind, die darauf abzielen, eine berufsständische Wirtschaftsverfassung aufzubauen."6

a) Der „deutsche Sozialismus" Hubers Votum für einen der materiellen Verfassung zugehörigen „Korporationenstaat", der die Berufsverbände dem Staat zuordnet und zu Selbstverwaltungskörpern erhebt, entspricht dem Reichsreformplan der Ära Franz von Papens in der Zuordnung der Berufsverbände zu einem Teil eines Zweikammersystems. Die Machtergreifung hat den Reichsreformplan, nicht aber die Struktur des substantiellen Verfassungsumbaus nach der Vorstellung Hubers entwertet.7 Das ideelle Element von „Freiheit" und „Bindung" bleibt weiterhin zur Zusammenfassung aller Träger der Wirtschaft unter den Staat erhalten.8 Huber führt den Begriff des „deutschen Sozialismus"9 zur Bestimmung der nationalsozialistischen Wirt6

Huber: Die Berufsstände im Schrifttum, in: Deutsches Volkstum, 16. Jg. (1934), S. 80-82 (80); s. a.: Die Selbstverwaltung der Berufsstände, in: Frank, Hans (Hrsg.): Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937, S. 239-261. 7 Huber: Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau, in: DJZ, 38. Jg. (1933), S. 209-215 (211f.); ebenso: Die Berufsverbände und der Staat (1932), a. a. O., S. 985f.; s. a.: Das Gesetz über die Berufsverbände, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1933), S. 333-339 (333f.). In diesem Aufsatz überprüft Huber die im Dezember 1932 vertretenen verfassungspolitischen Strukturen der Berufsverbände auf ihre nach dem Gesetz über die Berufsverbände 1933 mögliche Verfassungsform. 8 Zuerst in: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 28f.; s. a.: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, in: Deutscher Geist, 2. Halbband 1935, S. 193-201 (195). 9 Der Begriff „deutscher Sozialismus" ist in den Weimarer Schriften Hubers zur „Konservativen Revolution" zwar vorhanden aber nur unterentwickelt. Schon 1930 schreibt Huber: „Aller Sozialismus ist autoritär; die Wirtschaftsform der Demokratie ist der Liberalismus" (vgl. Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 324) - ein Beispiel für die starke Kontinuität verfassungspolitischen Denkens und Planens. Der Begriff geht vor allem auf die Universalisten Werner Sombart, Othmar Spann, Oswald Spengler und Arthur Moeller van den Bruck zurück und wurde im TATKreis als „deutscher" oder „preußischer Sozialismus" rezipiert, der sich mit dem aus konservativen Inhalten wie ,3indung" und „Freiheit" schöpfenden Begriff „Sozialismus" gegen die marxistische und sozialistische Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik wendet. Huber bezieht sich als Jungkonservativer vor allem auf die Schriften Arthur Moeller van den Brucks und die am Staatssozialismus orientierten Wirtschaftsprogramme, die in Anlehnung an Heinrich Göppert entwikkelt werden; vgl. Eine Auseinandersetzung mit einem Theoretiker des Sozialismus über Sozialpolitik, a. a. O., S. 16Iff; femer: „Kapitalismus, Sozialismus, Planwirtschaft", a. a. O., S. 152-154. In dieser Rezension lehnt Huber den aus sozialistischer oder sozialdemokratischer Sicht verteidigten Fortbestand der „sogenannten kapitalistischen Wirtschaftsordnung" ab; ferner Huber: Rez. „Werner Sombart: Deutscher Sozialismus, Charlottenburg 1934", unter dem Titel: „Deutscher Sozialismus. Bemerkungen zu Werner Sombarts neuem Buch", in: Deutsches Volkstum, 16. Jg. (1934), S. 925-929; ebenso: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 14. Huber entwickelt den Begriff „deutscher Sozialismus" vielmehr als „Kampfbegriff' gegen die

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schaftsverfassung und der Bezeichnung der wirtschaftlichen Güter, Kräfte und Funktionen ein: „Es bedarf der festen Organisation der gefügten Form, um seine Aufgabe, die Daseinsbedingungen des Volkes zu sichern, erfüllen zu können", der „deutsche Sozialismus" sei die „Wirtschaftsordnung des totalen völkischen Staates." 10 Die Wirtschaft des nationalsozialistischen Staates sei eine „öffentliche Wirtschaft", die aus dem privaten Gebiet der Gesellschaft in den „öffentlichen Lebensraum des Volkes" dringt: „[...] sie strömt in einen Bereich ein, der, ohne unmittelbar staatlichen Charakter zu tragen, existentielle Bedeutung für die politische Einheit der Nation besitzt. Die Wirtschaft hörte auf, eine innergesellschaftliche Erscheinung zu sein; sie wurde ein Lebensbereich von öffentlicher Verantwortung und von politischem Rang." 11 Der „deutsche Sozialismus" sei durch „seinen Gegensatz gegen die kapitalistische und die marxistische Interessenwirtschaft bestimmt". 12 Huber umschreibt den „deutschen Sozialismus" in Anlehnung an Arthur Moeller van den Bruck als eine „körperschaftliche Auffassung von Staat und Wirtschaft, die auf den Gedanken der Berufsstände und der Gemeinwirtschaft beruht und durch Verwurzelung, Staffelung, Gliederung bestimmt ist." 13 „Deutscher Sozialismus" sei, solange das Reich um seinen Bestand ringe, eine „Kampfordnung, keine Friedensordnung". 14 Gemäß der Logik des Ordnungs- und Gestaltungsdenkens und den Prämissen der „totalen völkischen Idee" 15 wird ausgeführt, daß der „deutsche Sozialismus" „wirklicher Sozialismus" sei, „weil er wieder von der Einheit der Nation ausgeht und den Gegensatz von Besitz und Nichtbesitz, von Unternehmer und Arbeiter, von Stadt und Land in der Gemeinschaft des Volkes aufhebt. [...] Träger der sozialistischen Wirtschaft ist das Volk als Einheit und Ganzheit." 16 „Sozialismus" sei immer „konkret", weil er mit der Eigenart des Volkes verbunden ist, die Gemeinschaft seine Grundform ist, die „Gemeinwirtschaft" sein wirtschaftlicher Ausdruck. Huber hebt die Verbindung von „Volk" und „Wirtschaft" als für den „deutschen Sozialismus" entscheidenden Wert hervor: ,,Die Wirtschaft muß auf das Volk ausgerichtet sein, wenn sie sozialistische Ordnung sein will. Diese Wirtschaft ist echte Volkswirtschaft', d.h. sie ist Erscheinungsform der völkischen Einheit selbst f...]" 17 , sie sei Ausdruck des „politischen Nomos der Nation" 18 selbst. Auch mit dieser Integrationslogik ist Huber in den Reihen der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft auf Widerstand gestoßen, weil offenbleibt, ob der „deutsche Sozialismus" über den Modus der Totalität des Staates gebundene Wirtschaft ist, d.h. die Einheit von politischer

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Intentionen Sombarts und richtet seine Strategie und Logik an Sombarts Buch als Gegenentwurf aus; vgl. auch Barkai, Avraham: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1988, S. 90-96. Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 193. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 5. Ebenda, S. 15. Ebenda, S. 74. Huber: Deutscher Sozialismus. Bemerkungen zu Werner Sombarts neuem Buch (Anm. 9), S. 929. Die Totalität des völkischen Staates, a. a. O., S. 35. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 20. Zitation aus der gekürzten Version: Die Gestalt des deutschen Sozialismus (Anm. 9), S. 194. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 14. Huber führt an anderer Stelle aus, der „politische Nomos der Nation" sei das staatliche Lebensgesetz, dem sich die Wirtschaft unterzuordnen habe.

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Führung und Herrschaft assoziiert, oder das Volksgemeinschaftspostulat die Identität des Volkes meint. Der „deutsche Sozialismus" soll allerdings nicht auf die Verfassungsform beschränkt sein, er sei in erster Linie eine neue geistige Haltung gegenüber der Wirtschaft, eine neue „Wirtschaftsgesinnung": „Alle Pläne und Reformen des Wirtschaftssystems' bleiben technische und unwesentliche Änderungen, wenn sie nicht von einem neuen Wirtschaftsethos getragen sind. Nichts ist gefahrlicher, als wenn die Interessenwirtschaft sich sozialistischer Schlagworte und Formen bedient, um sich zu tarnen." 19 Der Theorie-Praxis-Bezug der wirklichkeitswissenschaftlichen Konzeption Huberschen Staatsdenkens findet auch hier seine Entsprechung. Sozialismus sei nicht nur „Gesinnung" und „geistige Haltung", er bedürfe der „Ausprägung in einer konkreten Form": „Es gibt keine Trennung von Ethos und Wirklichkeit. Der Sozialismus ist nicht nur Haltung, sondern auch Gestaltung." 20 So schreibt Huber im Nachwort zur „Gestalt des deutschen Sozialismus": „Das Thema „deutscher Sozialismus" umschließt eine Aufgabe von zugleich politischer und wissenschaftlicher Art, und die Schrift setzt den Weg der politischen Wissenschaft fort, den ich mit einigen früheren Arbeiten bewußt beschritten habe." 21 Auch das unmittelbar nach Abschluß des Manuskriptes in Kraft getretene „Gesetz zum organisatorischen Aufbau der deutschen Wirtschaft" hatte auf die Inhalte keine korrigierende Auswirkung und dokumentiert Hubers kontinuierliches und einer autoritären, dienenden Wirtschaftsordnung Rechnung tragendes verfassungspolitisches Konzept über den Verfassungsumbruch von 1933 hinaus.

b) Formprinzipien der nationalsozialistischen Wirtschaft Doch das Dilemma der Bestimmung der nationalsozialistischen Wirtschaftsform im Spannungsfeld von „Staat", „Partei" und „Volk" offenbart sich in dem Nebeneinander von „staatlicher Führungswirtschaft" (Staatswirtschaft) und „wirtschaftlicher Selbstverwaltung" (Eigenwirtschaft, Gemeinwirtschaft). Der als „öffentliche" Wirtschaftsordnung etikettierte „deutsche Sozialismus" hat auch die halböffentlichen und nichtöffentlichen Bereiche der Wirtschaft in den Staat zu integrieren. Doch hat Huber offensichtlich Probleme, die Zuordnung im Nebeneinander von geplanter Führung und gewährter Eigenwirtschaft zu gestalten, um nicht die „dienende" Funktion der Wirtschaft im starken Staat als „MischVerfassung" - ein Kennzeichen des Weimarer Interventionsstaates 22 - zu konterkarieren. Stattdessen wird von der „Gesamtwirtschaft" des Nationalsozialismus gesprochen. 23 Einerseits sei der „deutsche Sozialismus" eine „staatliche Führungswirtschaft", in der die politische Führung die Wirtschaft auf ein „Gesamtziel" ausrichte und die „Grundlagen 19 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 21. 20 Ebenda, S. 22. 21 Vgl. das Nachwort in: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 86. Die Schrift ist am 23. Dezember 1933 abgeschlossen worden! 22 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 10; Demokratie und Wirtschaft, a. a. O., S. 324. 23 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 76.

3. Die nationalsozialistische

Wirtschaftsverfassung

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und Grundformen des wirtschaftlichen Gesamtprozesses" 2 4 bestimme, andererseits wird darauf hingewiesen, daß die innere Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft nur in der Weise bestehe, daß jede wirtschaftliche Maßnahme bestimmte Folgewirkungen nach sich ziehe: „Die ökonomische Gesetzlichkeit schließt also die politische Gestaltung nicht aus; aber die Politik muß die Eigensetzlichkeit des Wirtschaftsablaufs kennen und berechnen, um erfolgreich handeln zu können. [...] Der deutsche Sozialismus wird nur Wirklichkeit werden, wenn es gelingt, die politische Führung und den wirtschaftlichen Ablauf in der politischen Wirtschaft zu einer lebendigen Gestalt zu vereinen." 25 Theorie und Praxis seien also nur durch „Führung" erfolgreich zu verbinden. Den Antagonismus von Führungswirtschaft und wirtschaftlicher Eigengesetzlichkeit legt Huber demnach als „Gestalt" und Grundform fest. Doch die hoheitliche Kontrolle über die Wirtschaft verwischt sich vollends, wenn die körperschaftliche Auffassung von Staat und Wirtschaft, der Gedanke der Berufsstände und der Gemeinwirtschaft und die damit verbundenen Prinzipien der „Verwurzelung, Staffelung und Gliederung", ins Spiel gebracht werden. 26 Die „Gemeinwirtschaft" erkenne das „Gemeineigentum", das als öffentliches und privates Recht nicht in die Hand des Staates überfuhrt werden muß, als „Urform des menschlichen und wirtschaftlichen Lebens" an: „Die sozialistische Wirtschaft hebt das Eigentum an den Produktionsmitteln' nicht auf und beseitigt deshalb das wirtschaftliche Kapital' nicht." 27 Der „deutsche Sozialismus" beseitige auch ebensowenig die „Eigenwirtschaft", „das vom Einzelunternehmer schöpferisch aufgebaute und autoritativ geleitete wirtschaftliche Werk". 28 Insofern ist die weiterhin auf „Privateigentum" basierende „Eigenwirtschaft" der Angelpunkt der „wirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit", die neben die staatliche Führungswirtschaft gestellt ist. Sieht man von den im Nationalsozialismus üblichen Gemeinwohlformeln der Volksgemeinschaftsideologie29 ab, so ist der „deutsche Sozialismus" der Provenienz Ernst Rudolf Hubers wenig „sozialistisch", denn selbst die extremste staatliche Dirigierung der Wirt24 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 193. 25 Ebenda, S. 201. 26 Die Selbstverwaltung der Berufsstände, in: Frank, Hans (Hrsg.): Deutsches Verwaltungsrecht, München 1937, S. 239-261 (244ff.); Huber fuhrt die Dialektik von Führung und Selbstgestaltung als Voraussetzung der ständischen Leistungen an; deckungsgleich: Verfassung, Hamburg 1937, S. 289ff. 27 Staat und Wirtschaft, in: Die Verwaltungsakademie. Ein Handbuch für den Beamten im nationalsozialistischen Staat, hrsg. von Hans-Heinrich Lammers, Bd. 1: Die weltanschaulichen, politischen und staatsrechtlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Staates. Gruppe 2, Beitrag 20, Berlin 1934, S. 27. Albrecht Götz von Olenhusen verweist auf den in der Antisemitischen Volkspartei und der Deutschsozialen Partei bereits vorgezeichneten „deutschen Sozialismus" in den Jahrzehnten vor und nach der Jahrhundertwende, die ebenfalls keine revolutionäre Umwälzung der Eigentumsverhältnisse im Sinn hatten; vgl. Olenhusen, Götz von: Zur Entwicklung völkischen Rechtsdenkens. Frühe rechtsradikale Programmatik und bürgerliche Rechtswissenschaft, in: Vogel, Hans/Simon, Helmut/Podleck, Adalbert (Hrsg.): Die Freiheit des Anderen, FS für Martin Hirsch, Baden-Baden 1981, S. 77-108 (84f.). 28 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 25. 29 Ζ. B. die strapazierte Formel „Gemeinwohl vor Eigennutz". Gemeinnutz wurde dabei von der politischen Führung bestimmt; vgl.: Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, a. a. O., S. 147ff.; ebenso Salje, Peter: Bürgerliches Recht und Wirtschaftsordnung im Dritten Reich, a. a. O., S. 63f..

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

schaft durch Führerbefehl und „politische Führung" stand grundsätzlich auf dem Boden des Privateigentums der Produktionsmittel und dem privaten Profitanreiz. Auch die Einschränkung marktwirtschaftlicher oder „interessenwirtschaftlicher" Preis- und Lohngestaltung stellte keineswegs die kapitalistischen Besitztitel in Frage.30 In diesem Sinne ist der „deutsche Sozialismus" trotz seiner kapitalismusfeindlich orientierten Terminologie, die „Sozialismus" aber antimarxistisch und deshalb nicht mit Verstaatlichung und Volkseigentum übersetzt, sondern vielmehr mit Gemeinschaftsbezügen identifiziert, nicht der monopolkapitalistischen Wirtschaftsstruktur entwichen. Huber sucht sogar in den offiziellen Stellungnahmen die Gewähr für die Existenz eigenwirtschaftlichen Handels in der nationalsozialistischen Wirtschaftsverfassung: „[...] im Gegenteil haben alle maßgebenden Männer des neuen Staates immer wieder betont, daß die Eigenwirtschaft', die Wirtschaftsführung durch selbständige und selbstverantwortliche Unternehmer, nicht aufgehoben werden soll."31 Der „deutsche Sozialismus" erkenne die Wirtschaft grundsätzlich als einen eigenen, vom Staat geschiedenen Lebensbereich an. Der Widerspruch der Doppelexistenz von „Staatswirtschaft" und „Eigenwirtschaft" in der „Gesamtwirtschaft" wird vollends deutlich, da die „Staatswirtschaft", d.h. die wirtschaftliche Tätigkeit, die der Staat durch seine Organe vollzieht, im Gegensatz zur „Eigenwirtschaft" als „echter Staatssozialismus" etikettiert wird. Die Verfassungswirklichkeit des Reiches hat dagegen gezeigt, daß die Planwirtschaft des Reichswirtschaftsministeriums ebenso die Bedingungen der Arbeits- wie der Unternehmensordnung bestimmt und die intervenierende und planende „staatliche Führungswirtschaft" das Verfassungsformprinzip des Nationalsozialismus ist.32 Die „Eigenwirtschaft" ist eine auf der privaten Eigentumsordnung und der privatwirtschaftlichen Initiative basierende Ordnungsform im Übergang vom Weimarer Monopolkapitalismus zur nationalsozialistischen Planwirtschaft. Sie hat als verfassungspolitische Form die wissenssoziologische Funktion der organischen Abschwächung der staatlichen Führungswirtschaft und der Gewährung eines neoliberalen „freien Wirtschaftens" neben der staatlichen Intervention der politischen Führung. 33 In der Schrift „Die Gestalt des 30 Barkai, Avraham: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 94; zum Verhältnis von Eigentum und „deutschem Sozialismus" vgl. Huber: Einheit und Gliederung des völkischen Rechts. Ein Beitrag zur Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht, a. a. O., S. 326ff.; ferner: Die Rechtsstellung des Volksgenossen. Erläutert am Beispiel der Eigentumsordnung, a. a. O., S. 452ff.. Huber kommt zu dem Ergebnis, daß zwar das Weimarer Privatrechtssystem keine Geltung mehr hat, aber unterstreicht, daß es neben der gemeinschaftsbezogenen „volksgenössischen Rechtsstellung" auch die „Einzelstellungen" gibt, die offensichtlich den nichtkollektivistischen Charakter des Privateigentums verschleiert; darüberhinaus „wohne" dem „konkret-allgemeinen Eigentumsbegriff als Wesensbegriff" die Gemeinschaftsbindung als Pflichtbindung inne. Huber zitiert den Punkt 27 des NSDAPParteiprogramms, in dem das Privateigentum festgeschrieben ist; vgl. Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 456. 31 Huber: Die Staatswütschaft, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1933), S. 806-813 (807). 32 Buchmann, Peter: Wirtschaft und Recht im Nationalsozialismus, in: JuS, 29. Jg. (1989), S. 13-20 (14f.); s. a. Barkai, a. a. O., S. 93ff. 33 In dem Aufsatz „Staat und Wirtschaft" von 1935 verwendet Huber den Begriff der „Eigenwirtschaft" in dieser Schärfe und begrifflichen Gegenmacht nicht mehr. Jürgen Meinck kommt zu dem Schluß, daß Huber den Widerspruch zwischen dem Anspruch der Lenkung und Leitung der Wirtschaft durch die politische Führung und die Tatsache, daß die durch die öffentliche

3. Die nationalsozialistische

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deutschen Sozialismus" hält Huber an dem Prinzip der „Eigenwirtschaft" neben dem der „Staatswirtschaft" als Verfassungselement der „Gesamtwirtschaft" fest. Die Unterschiede in den „verfassungsgestaltenden Grundsätzen" von „Eigenwirtschaft" und „Staatswirtschaft" machen die Gewichtung von Eigeninitiative und „Plan" deutlich. Das in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung verwurzelte Prinzip der Genossenschaft begründe das „Volk" in seiner „ungeformten Natürlichkeit", während die verfassungsgestaltende Form des „Staates" eine andere sei: „Der auf dem Gedanken der Macht gegründete Staat muß, um voll wirken zu können, durch eine hierarchisch gegliederte, politische Elite getragen werden."34 Der Kern des Staates sei das „Führerprinzip", das in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung als „Körperschaft des öffentlichen Rechts" durch die Verbindung von „Führer" und „Gefolgschaft" als Aufsicht des Staates über die Selbstverwaltung bestimmt ist. Die umfassende Führung des Staates meine aber keine „Verstaatlichung" der Selbstverwaltungskörper, denn eine „Eigenwirtschaft" wäre in dieser Verfassungslage nicht mehr möglich. Den autoritären Führungsanspruch des Staates keineswegs abschwächend, führt Huber die „Zwangsverbände" als Selbstverwaltungsträger ein und nennt aus der Weimarer Zeit die Kali- und Kohlensyndikate als solche Zwangsverbände.35 Diese privatrechtlichen Zwangssyndikate oder Zwangskartelle, zu denen auch die Monopole zählen, schützen in Form der „Stützungsmonopole" die „Eigenwirtschaft": „Das Monopol dient also hier lediglich dazu, die Eigenwirtschaft durch die gemeinsame zentrale Verwaltung eines Wirtschaftsgutes zu schützen."36 Doch wird das eigenwirtschaftliche Moment in der „sozialistischen Gesamtwirtschaft" zugunsten der „Bindung durch geplante Ordnung", des „großen Plans", abgeschwächt.37 Das Monopol habe den Zweck, die Regelung der Wirtschaft in einem bestimmten Bereich nach einem staatlichen Plan zu ermöglichen: „Der Staat will die Verwaltung eines bestimmten wirtschaftlichen Gutes in den Grundlinien planvoll bestimmen, indem er ein

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Kontrolle bekämpften herrschenden Kräfte der Wirtschaft ihre Machtposition unverändert halten, auch ideologisch nicht zu verschleiern vermochte: vgl. Meinck: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 5Of.; es handelt sich bei Huber aber augenscheinlich um eine Übergangsphase, denn nach 1934 wird dieses Argument nicht mehr verwendet, da die „Dynamik" des „Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" zu sehr die Verschleierungsintention argumentativ aufbereitet, statt es tatsächlich zu verschleiern. Die Gewichtung der „Eigenwirtschaft" in der Sozialismus-Konzeption Hubers verdeutlicht zudem die Abschwächung der dirigistischen Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus. Die von Huber initiierte Übernahme des Begriffs der „Eigenwirtschaft" in die „ganzheitlichen" Zusammenhänge der nationalsozialistischen Wirtschaftsordnung dokumentiert die unreflektierte Rezeption „bürgerlichen Trennungsdenkens", da der Widerspruch von gesellschaftlich fundiertem Wirtschaften und Staat bestehen bleibt. Im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" behandelt Huber die „Wirtschaftsordnung" nur noch als unter die ständische Selbstverwaltung fallendes Kapitel mit der Systematik: „Führungswirtschaft, Arbeiter- und Untemehmensordnung"; vgl. ebenda, S. 469ff.. Der Begriff „sozialistische Wirtschaft" wird aber trotzdem verwendet. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 34f.. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, S. 17f.. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 62. Die Kartelle und der Staat, S. 551.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

Zwangskartell schafft und ihm ein kontrolliertes Monopol verleiht." 38 Die planvolle Durchgestaltung der Wirtschaft kehrt also die Dominanz der Führungswirtschaft hervor. Der Unterschied zur monopolistischen Kartellpolitik der Weimarer Präsidialkabinette besteht deshalb in der Überführung der „privatrechtlichen Stützungskartelle" in „öffentlichrechtliche Planungskartelle". Schließlich unterstreicht Huber die gegenüber der Wirtschaftskrise seit 1929 veränderte Funktion der Kartelle. Nicht die Ausschaltung des Wettbewerbs, die Zerstörung des Marktes, die Ausweitung der Erzeugnisse sei die Aufgabe der Kartelle, sondern die durch Planungsmonopole fundierte „öffentlich-rechtlichen Kartellordnung" als Teil der Selbstverwaltung der Wirtschaft. Die Kartellordnung sei als Form der „genossenschaftlichen Wirtschaftsgestaltung" in das „Ganze des Staates" und „im Dienste an der Gesamtwirtschaft" eingegliedert, mildere die „Festigkeit der Kartellwirtschaft" in der Wirtschaftskrise, 39 denn der neue Wirtschaftsstil des Nationalsozialismus, der „Plankapitalismus", 40 will mit dem Eingriff befehlsorientierter Zwangskartelle die Markt- und Preispolitik vor allem der kleinen und mittelständischen Betriebe beeinflussen und die marktbedingten Konjunkturen nach oben und unten korrigieren. 41 Dient die Kartellordnung im politischen Sinne der zwangsweisen Integration der „wirtschaftlichen Selbstverwaltung" nach außen in die nach Plan arbeitende Gesamtwirtschaft, so soll sie nach innen weiterhin die „Eigenwirtschaft" schützen. Der Widerspruch der Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die Kartellordnung und der „privaten Unternehmerinitiative" im Rahmen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung bleibt also bestehen. Mit dem Argument, daß ein dirigistischer Staatssozialismus nicht an die Stelle des gemeinwirtschaftlichen Wirtschaftens treten könne, bleibt der Raum für die Eigenwirtschaft weiterhin gestaltlos und unbestimmt: „Mit allem Nachdruck ist in der amtlichen Begründung des Gesetzes (d.h. Kartellverordnung, Anm. R.W.) betont worden, daß nicht beabsichtigt ist, die bestehende Wirtschaftsordnung, die auf der Initiative und der Verantwortung des einzelnen Unternehmen beruht, durch eine staatliche Planwirtschaft' zu ersetzen. Damit sind die geplanten Maßnahmen scharf gegen jede bürokratische und zentralistische Planwirtschaft, gegen jeden Staatssozialismus abgegrenzt."42 Huber glaubt in den Eingriffen des Reiches in die Wirtschaft keine die Eigenwirtschaft im Rahmen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung gefährdende Situation zu sehen. Die Unternehmungen würden die „Ermächtigung nach einem in sich geschlossenen und klaren Plan" geradezu verlangen. Die Kartellwirtschaft sei „Planwirtschaft im Sinne einer selbstverwaltungsmäßig geleiteten, vom Staate planvoll geführten Wirtschaft." 43

38 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 62; vgl. zum Zwangskartell das „Gesetz über die Errichtung von Zwangskartellen" vom 15.07.1933. 39 Ebenda, S. 548, 553. 40 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 57. 41 Barkai, a. a. O., S. 128f.. 42 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 64. 43 Ebenda. Zum Verhältnis von „Herrschaft" und „Planung" verweist Huber auf Hans Freyer: Herrschaft und Planung. Zwei Grundbegriffe der politischen Ethik (1933), in ders.: Herrschaft, Planung, Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hrsg. von Elfriede Üner, Weinheim 1987, S. 17-43; vgl. auch Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 8. Auch Carl Schmitt zitiert Freyer in: Die Machtposition des modernen Staates (1933), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, S. 367-371 (371).

3. Die nationalsozialistische

Wirtschaflsverfassung

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Die „Eigenwirtschaft" hat sich demnach dem „Plan" in der durch Zwangskartelle organisierten wirtschaftlichen Selbstverwaltung unterzuordnen, die begriffliche Abgrenzung vom „Staatssozialismus" ist dabei nur eine Scheinlogik, um die Wirtschaftsordnung nicht als einen permanenten Interventionsstaat erscheinen zu lassen. Der hierarchische Einbau der Verbände und Interessenorganisationen in den Staat impliziert den Vorrang des „Plans" von der Eigeninitiative. Die von Huber erwartete Initiative freien Unternehmertums, die dem Wirtschaftsdirigismus des autoritären Staates nur schwer unterzuordnen ist, wird dahingehend eingeschränkt, daß der „Plan" akzeptiert wird, solange die 44 „ H e r r s c h e n d e n planen." Das Moment der Herrschaft wird gegenüber dem Plan verabsolutiert: „Jede Planung [...] setzt Herrschaft voraus." 45 Der „Plan" konkretisiert erst die Wirtschaft als „sozialistisch." 46 Die Aussage, daß die „Staatswirtschaft" als das „stehende Heer des totalen Wirtschaftsstaates" 47 „echter Staatssozialismus" ist, bringt die im Rahmen der Weimarer Wirtschaftsverfassung diskutierte Frage der Verfassungsform wieder auf den Plan. Der Begriff „totaler Wirtschaftsstaat" erscheint im dialektischen Totalitätsdenken Hubers widersprüchlich. Dieser von Carl Schmitt übernommene Begriff, 4 8 der seine ursprüngliche inhaltliche und begriffliche Identität aus dem „quantitativ totalen" Weimarer Wirtschaftsstaat zieht und die Ökonomisierung des Staates einerseits, die Wirtschaft als nicht staatsfreie Sphäre andererseits diagnostiziert hat, impliziert auch im Zusammenhang der nationalsozialistische Gesamtverfassung den „Bindestrich-Staat", der Wirtschaft und Verfassung aufgrund der autoritären Bindungswirkung der monopolitistischen Wirtschaftsstruktur identitär betrachtet und das Monopol des Politischen, die Wirtschaft staatsfrei zu halten, ausschaltet. Außerdem läßt der „totale Wirtschaftsstaat" als „Interventionsstaat" die Totalität des Staates, der alle politischen und gesellschaftlichen Erscheinungen kraft seiner Souveränität integriert, vermissen. 49 Die 1932 gestellte Frage „Ist die Wendung zum Staatssozialismus notwendig der Sinn unserer Zeit?" 50 gewinnt nach dem Verfassungsbruch von 1933 wieder aktuellen verfassungspolitischen Bezug im kontinutitätsbezogenen Denken Hubers: „Die echte Form der 44 Frey er, Hans: Herrschaft und Planung, a. a. O., S. 22. 45 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 8. 46 Ähnlich Schmitt: Die Machtposition des modernen Staates, a. a. O., S. 371; mit Bezug auf Hans Freyer; vgl. zu Schmitt die Ausführungen von Ingeborg Maus: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, a. a. O., S. 124ff., 148f.. 47 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 76. 48 Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 96ff.. 49 Die Kritik Otto Koellreutters an dieser von Huber verwendeten und im Zusammenhang der „Totalität des völkischen Staates" mißverständlichen Integrationsproblematik ist nicht ganz unberechtigt, da der Begriff „totaler Wirtschaftsstaat" auch als epochenspezifischer (auf Weimar bezogener) Terminus verstanden werden kann, auch wenn konstatiert werden muß, daß Koellreutter als Nichthegelianer das Schmittianische Totalitätsdenken methodisch und ideologisch ablehnt; vgl. die Rezension Koellreutters (Anm. 1). Koellreutter über Huber: „Huber schließt sich der These von Carl Schmitt an, daß der nationalsozialistische Staat ein totaler Staat und demnach auch ein totaler Wirtschaftsstaat sei. Demgegenüber darf ich auf die Meinung von Rosenberg, Freisler und mir verweisen, wonach das Wesen des nationalsozialistischen Staates nicht in seiner Totalität liegt. Denn die Totalität als Möglichkeit staatlicher Herrschaft liegt im Wesen jedes echten Staates"; vgl. ebenda, S. 122f.. 50 Vgl.: Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 885.

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Staatswirtschaft ist der Staatssozialismus, in dem der Staat als Herrschaftsträger in den Formen des öffentlichen Rechts in die Wirtschaft eintritt."51 Diese verfassungspolitische Option setzt sich in der Feststellung fort: „Im neuen Staat dagegen ist es möglich, das Prinzip des echten Staatssozialismus wiederaufzunehmen und die staatliche Hoheit auf die wenigen, aber besonders wichtigen Bereiche der Wirtschaft auszudehnen. Die Staatswirtschaft begnügt sich mit den wenigen Wirtschaftsstellungen, die unentbehrlich sind, um die Macht und Hoheit des Staates unantastbar zu erhalten."52

c) Die Lösung der berufsständischen Fragen Die Bewertung der berufsständischen Verfassung hat in der interessanten Übergangsphase 1932/33 eine zentrale Funktion bei der Diagnose der zukünftigen Totalität der nationalsozialistischen Verfassung. Auch wenn die berufsständische Ordnung in der Systematik der nationalsozialistischen Verfassung bei Huber in der „Ständeordnung"53 und der „Arbeitsrdnung" 54 aufgegangen ist, so bleibt eine Korrektur der prognostizierten Verfassungsformprinzipien von 1932 feststellbar.55 Wie bereits 1932 gefordert, sind die Berufsverbände Erscheinungsformen der wirtschaftlichen Selbstverwaltung, die sich organisatorisch, vom Staate anerkannt und zugleich zugeordnet, in „Körperschaften des öffentlichen Rechts" niederschlagen:56 „Juristisch drückt sich dieser Wandel darin aus, daß ihre Tätigkeit zur öffentlichen Verwaltung' wird, politisch darin, daß ihre wesentliche und vornehmste Aufgabe wird, die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Standesgruppen in die Nation und in den Staat einzufügen. Die Verbände erhalten also die Aufgabe, das schaffende Volk dem Staate zuzuordnen, die Brücke zu schlagen zwischen dem Volk und seiner Obrigkeit."57 Hubers Vorschlag, die Gewerkschaften zu „Einheitsverbänden" zusammenzuschließen, ist dann auch in der „Deutschen Arbeitsfront" als „Zwangsverband des öffentlichen Rechts" verwirklicht worden. Eine interessante Parallele zum wirtschaftspolitischen

51 Staat und Wirtschaft, S. 33. 52 Ebenda. 53 Die „Ständeordnung", auch „ständische Selbstverwaltung" genannt, umfaßt den Reichsnährstand, den Reichsstand des deutschen Handwerks und den Reichsstand der Industrie; die „Arbeitsordnung" umfaßt die Betriebsgemeinschaften und die Deutsche Arbeitsfront: vgl. Staat und Wirtschaft, S. 16f., 20f.; Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 67f.. 54 Detaillierter: Die Arbeitsverfassung des völkischen Reiches, in: ZAkDR, 4. Jg. (1937), S. 73-77; ebenso: Die Rechtsnatur der Deutschen Arbeitsfront, in: ZAkDR, 6. Jg. (1939), S. 435^40. In beiden Aufsätzen wird die Funktion der Deutschen Arbeitsfront näher erläutert; deckungsgleich: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, a. a. O., S. 473ff. 55 Vgl.: Selbstverwaltung und Veifassungsaufbau, in: DJZ, 38. Jg. (1933), S. 209-215; darauf aufbauend und korrigierend anhand des neuen Gesetzes über die Berufsverbände: Das Gesetz über die Berufsverbände, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1933), S. 333-339; ferner: Die Berufsstände im Schrifttum, a. a. O., 80-82.; Die genossenschaftliche Berufsordnung, in: BldPh, Bd. 7 (1933/34), S. 293-310. 56 Das Gesetz über die Berufsverbände, a. a. O., S. 338. 57 Ebenda, S. 336.

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Schrifttum vor 1933 ist die Ablehnung der „Faschisierung"58 des Gewerkschaftswesens und die Einfuhrung einer „Staatsgewerkschaft": „Auch wenn wir ein Berufsverbandsgesetz haben, das äußerlich in zahlreichen Beziehungen mit dem italienischen Korporationsrecht übereinstimmt, so heißt das bei weitem nicht, daß das deutsche Berufsverbandswesen in der Sache faschistisches Gepräge trage [...]; es entspricht den besonderen italienischen Voraussetzungen und kann in Deutschland nicht nachgeahmt werden. Der Gedanke der echten korporativen Selbstverwaltung ist ein eigentümlicher Ausdruck deutscher staatlicher Gestaltung, der für romantische Völker nicht faßbar ist."59 Auch die inhaltliche Bewertung der „Stände" weicht insbesondere von Othmar Spanns berufsständischer Ideologie stark ab. Huber distanziert sich vom Ständebegriff des Mittelalters im Sinne einer „ursprungshaften, naturhaften und unbewußten Einheit ihrer Glieder" 60 und sieht allgemein nur in der Ständeorganisation als eines ursprünglich eigenen, nicht vom Staate übertragenden Lebensbereiches die historische Verwandtschaft: „Stände im Sinne der ständischen Selbstverwaltung sind solche Verbände, die die Aufgabe haben, die gemeinsamen Interessen der Unternehungen des gleichen Wirtschaftszweiges wahrzunehmen."61 Auch die 1932 gestellte Frage, „Ist die Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsgestaltung notwendig eine unmittelbare Staatsaufgabe?"62, beantwortet Huber nach der Machtergreifung als ein konstitutives Verfassungsprinzip des „deutschen Sozialismus". Die „wirtschaftliche Selbstverwaltung", in der Weimarer Wirtschaftskrise für das Wirtschaftsverwaltungsrecht eine Form der neuen Verfassungswirklichkeit, erweist sich als verfassungsüberdauerndes, die nationalsozialistische „Gesamtwirtschaft" begründendes Verfassungsformprinzip. Die Integrationskraft des „deutschen Sozialismus" erfolgt in der Verfassungstheorie Hubers ausschließlich durch „politische Führung" und „Staatswirtschaft". So schreibt Huber noch 1944: „Strenge Staatswirtschaft, nicht freie Wettbewerbswirtschaft bleibt das Fundament der ökonomischen Existenz."63 Die „Gemeinwirtschaft" ist wie die „ständische Wirt58 Ebenda, S. 338. 59 Ebenda; ebenso: Die Berufsstände im Schrifttum, a. a. O., S. 82; ablehnend aber noch unentschieden: Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 561-563; hier noch: „Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß diese organisatorische Lösung des Gewerkschaftsproblems, die der italienische Faschismus gefunden hat, auch fur Deutschland gültige Prinzipien enthält." (S. 562). Letztendlich hat die Tatsache, daß die italienischen Syndikate als Korporationen keine Zwangsorganisationen sind, den Ausschlag für die Ablehnung gegeben. Dazu auch Informationen in dem Aufsatz: Die genossenschaftliche Berufsordnung, a. a. O., S. 299f., 304ff, in dem Huber die deutschen Genossenschaftstraditionen als das „tragende Glied" der körperschaftlichen Selbstverwaltung interpretiert. Darin heißt es: „Der wesentliche Unterschied des faschistischen stato corporative von der deutschen Berufsordnung liegt darin, daß der Faschismus eine wirkliche Selbstverwaltung nicht kennt. [...] Die faschistischen Syndikate und Korporationen sind daher keine wirklichen Selbstverwaltungskörper"; vgl. a. a. O., S. 308f. 60 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 67. 61 Ebenda; deckungsgleich: Die genossenschaftliche Berufsordnung, S. 300f.. 62 Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 885. 63 Goethe und der Staat, Straßburg 1944, S. 20. Der Widerspruch zwischen „Plan" und „freier Initiative" durchzieht Hubers Schriften bis 1944. Je nach der Fragestellung und der dialektischen Hervorhebimg von „Führungswirtschaft" oder „Gemeinwirtschaft" dominiert das Wirtschaftse-

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schaft" hierarchisch untergeordnet, die nationalsozialistische Wirtschaftsordnung bleibt kraft politischer Führung„Führungswirtschaft".

d) Der korporative Gedanke Bekanntlich hatten die Vertreter des ständestaatlichen Gedankens in den Reihen der Weimarer Jungkonservativen mit dem an den klassischen Konservatismus des neunzehnten Jahrhunderts gebundenen korporativen Gedanken, die sich entfaltende Industrie in die Fesseln des feudalen Immobilismus zu legen, gebrochen. 64 Wenn sich auch die Idee in die Zwischenkriegszeit hinüberrettete, daß Korporationen die bestehende soziale Hierachie widerspiegeln und festigen mußten, so hatten die ständisch-korporativen Konzeptionen der „Ring"-Bewegung und des „ΤΑΤ''-Kreises die Funktion, im Rahmen der verfassungspolitischen Diskussion der Präsidialkabinette mit scheinbar demokratischer Verhüllung der Beförderung der Diktatur zu dienen. Das Argument, die Ausdehnung der Staatsgesetzgebung und der Staatsverwaltung auf die sozialökonomische Sphäre zu verhindern, war mehr ein strategisches denn realpolitisches Ziel korporativer Staatsauffassung. Die Ständestaatstheorien der Weimarer Zeit waren der Versuch, die Sehnsucht der verproletarisierten kleinbürgerlichen Massen und deren Bedrohung durch das Monopolkapital nach einem geordneten Sozial- und Staatswesen ideologisch auszudrücken. Die im ständischen Denken verwurzelte Diskrepanz von ideeller Projektion und sozialer Realisation zeigte sich besondern in der Verkennung der historisch entwickelten Struktur des organisierten Kapitalismus. Das industrielle Verbandswesen wurde abstrakt negiert, sein Einfluß auf den ständisch-korporativen Aufbau zu reduzieren gesucht. Die Verkennung des Organisiertheitsgrades der Wirtschaft und die Abstraktion der historischen Entwicklung vom Konkurrenzzum Monopolkapitalismus dokumentiert das verzerrte Realitätsbild ständestaatlicher Theorien im Übergang von Weimar zu Hitler. Dem ständischen Staatsbild entsprach der

lement des „Plans" oder der „freien Unternehmerinitiative". Im Rahmen der (hoheitlichen) Wirtschaftsverwaltung wird das Argument der Unternehmerinitiative revitalisiert: „Das eigentlich Neue an diesem System ist aber, daß es gelungen ist, diese Wirtschaftsverwaltung von praktisch totalem Charakter mit der Möglichkeit der persönlichen Unternehmerinitiative zu verbinden. Das mag zunächst einmal überraschend klingen, ist aber leicht einzusehen, sobald man sich klarmacht, daß die Freiheit der Initiative nicht notwendig in der Schrankenlosigkeit des Wettbewerbs besteht. Es ist geradezu so, daß ein tüchtiger Unternehmer, indem man ihn von dem Zwangsmechanismus des alten sogenannten "freien' Wettbewerbs befreit, den Kopf und die Hände für die eigentlichen Aufgaben frei bekommt, nämlich für die Anpassung der Produktion an den Bedarf, für die Rationalisierung des Betriebes, für die Verbesserung der Produktion usw.. Die geführte und gesteuerte Wirtschaft hat in Deutschland Untemehmerleistungen möglich gemacht, wie die freie Wirtschaft sie nicht kannte. Es ist daher eine falsche Antithese, wenn häufig Wirtschaftsverwaltung und Wirtschaftsfreiheit einander entgegengesellt werden. Die Vereinigung von Bindung und Freiheit in der Wirtschaft ist das Ziel, das die deutsche Wirtschaftsverwaltung verfolgt"; vgl. Begriff und Wesen der Verwaltung, in: Geist der Zeit, 19. Jg. (1941), S. 287-294 (290). 64 Kondylis, Panajotis: Konservativismus, a. a. O., S. 494.

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sich die Wirtschaft unterordnende autoritäre Staat, welcher der Zentralisierung der Macht wirksam begegnet. 65 Die Affinitäten zur nationalsozialistischen Ideologie stellte das NSDAP-Parteiprogramm von 1920 mit der Option von Stände- und Berufskammern in Punkt 25 her. 66 Den Anpassungsbemühungen von universalistischer Ständetheorie und nationalsozialistischer Programmatik stand die ständestaatliche Gliederung und ihre Durchführung im Wege, soweit der Staat als „Stand" begriffen und die staaltliche Macht aus der ständischen Gliederung abzuleiten war. Bei den Gegnern ständisch-korporativer Staatsauffassungen stießen vor allem die gegen den Monopolkapitalismus gerichteten aggressiven Komponenten ständestaatlicher Theorien auf Widerstand. Auch aus den Reihen des „Deutschen Volkstums" regte sich der Widerstand gegen ständestaatliche Verfassungspläne.67 Die ideologische Struktur des von Huber im Dritten Reich verarbeiteten korporativen Verfassungsdenkens ist nur im Übergang konservativ-revolutionären Gedankenguts vor und nach 1933, wie auch die berufsständische Verfassungsfrage im Zusammenhang der Verfassungsformfrage 1932/33 werkgenetisch durch zahlreiche Aufsätze belegt ist. Charakteristisch ist ferner, daß Huber den ständestaatlichen Auffassungen etwa Julius Binders, Edgar Tatarin-Tarnheydens oder Heinrich Herrfardts ebenso skeptisch gegenüberstand wie deren programmatische Protagonisten Othmar Spann, Werner Sombart oder Arthur Moeller van den Bruck. 68 Der mit dem „Ring" sympathisierende Carl Düssel 69 prägte den wirtschaftspolitischen Standort des „Rings" mit der Aufnahme der Diskussion um berufsständische Verfassungspolitik. Huber und auch Walter Schotte standen diesem Unternehmen skeptisch gegenüber.70 Die differenzierte Haltung Hubers zu berufsständischen Verfassungsfragen mani-

65 Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 87. 66 Rämisch, Raimund Hubert: Die berufsständische Verfassung in Theorie und Praxis des Nationalsozialismus, Diss., Berlin 1957, S. 37. 67 Vgl. die ausgezeichnete Darlegung der verschiedenen Positionen zur Ständestaatskritik bei Justus Beyer: Die Ständeideologie der Systemzeit und ihre Überwindung, Forschungen zum Staats- und Verwaltungsrecht, hrsg. von Reinhard Höhn, Bd. 8, Darmstadt 1941, S. 91fF.. Beyer rekonstruiert die Ständestaatstheorie der Volks- und Jungkonservativen des TAT-Rreises und des Deutschen Volkstums; vgl. zu Hubers Position: Beyer, S. 94, 98 und 222. 68 Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 67.; dazu auch: Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 8Off.. 69 Düssel, Carl: Der konstitutive Weg zur Veifassungsreform, in: Berber, Fritz (Hrsg.): Zum Neubau der Verfassung, Berlin 1933, S. 171-178. 70 So Knoll, Joachim H.: Der autoritäre Staat. Konservative Ideologie und Staatstheorie am Ende der Weimarer Republik, in: Schumann, Hans-Gerd (Hrsg.): Konservativismus, 2. Aufl., Königstein/Ts. 1984, S. 224-243 (238); zu Düsseis Position vgl. Beyer: Die Ständeideologie der Systemzeit und ihre Überwindung, a. a. O., S. 95-97. Im Gegensatz zu Huber verarbeitet Düssel die Erfahrungen der faschistischen „stato corporativo" für die deutsche berufsständische Wirtschaftsordnung. Düssel verlangt die Trennung von berufsständischen (korporativen) und wirtschaftlichen (verbandlichen) Organisationen, über der die Überparteilichkeit der Staatsfuhrung stehe. Düsseis berufsständische Verfassungspolitik zeigt die Bandbreite jungkonservativer Staatskonzeptionen, die mit dem Nationalsozialismus allerdings nicht zu harmonisieren war. Insofern besteht keine Beziehung zwischen den berufsständischen Auffassungen Düsseis und Hubers.

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festierte sich in der Kritik am ständischen Gedanken; vor allem das „abstrakte Gedankengebilde ohne Wirklichkeitsgehalt", das insbesondere das Wirtschaftsbild betraf. 71 Der korporative Aspekt der „Selbstverwaltung" von unten und der „Führung" von oben wird auch von Huber geteilt, dennoch ist das Volk „politisch" in „konkreten Ordnungen" eingebunden. Die bei Schmitt noch deutlich unpolitische Sphäre des Volkes entfallt. Huber geht in seiner Stände- und Körperschaftslehre deutlich über Schmitt hinaus, denn die fiktive Trennung von „politisch" und „unpolitisch" wird aus dem bei Huber tautologischen Verhältnis von „Volk" und „Staat" in die korporative Ebene der Selbstverwaltung der Berufstände verlegt. Die „politische Form" als die Quintessenz der Huberschen Verfassungslehre bedingt die totale Durchgestaltung der völkischen Verfassung in allen Hierarchien. Die Frage nach dem Stellenwert des ständisch-korporativen Gedankens besitzt zugleich den Rang der gebundenen „politischen Form", zumal Huber das neunzehnte Jahrundert als „Zeitalter der Zerstörung der gebundenen Form" 7 2 periodisiert und als „Interessenwirtschaft" von der nationalsozialistischen „Gemeinwirtschaft" abgrenzt. Besteht das Wesen berufsständischer Ideologien in der Zusammenfassung des Willens einer aus vielen bestehenden Gebietskörperschaft und ökonomische Organisationen zu einer politischen Einheit, so bleibt die politische Kardinalfrage, wie die Einheitsbildung an der Spitze und die ständisch-organische Bildung der obersten Repräsentanten vollzogen werden soll. Korporative Ideologien, so Hermann Heller, schweigen sich über die Art der politischen Einheitsbildung aus. 73 Die kontinuierliche Haltung zum berufsständischen Gedanken in der Zeit des verfassungspolitischen Übergangs 1932/33 verdeutlicht Huber 1932 mit dem programmatischen Satz: „Eine wirkliche konservative Ideologie kann den Staat nur von oben erklären, muß ihn als Herrschaft und Autorität, nicht als Organismus (auch nicht als Integration ) empfinden, und muß die Ordnung, in der diese Herrschaft sich entfaltet, als bewußt gestaltete Hierarchie und nicht als natürliche', gewachsene' Gliederung wollen." 74 Mit der werkimmanenten Kritik an Othmar Spanns „ständischem Staat" nimmt Huber dem korporativen Gedanken wesentliche organische Momente. Spann übersehe, daß ein „Stand" als irrational begründete Form nicht mit rationalistischen Methoden erweckt werden könne. Die Berufskörperschaften seien keine Stände im echten Sinne, weil sie nicht natürliche sondern organisierte Lebenseinheiten sind. 75 Ebenso habe die körperschaftlich organisierte Berufsordnung nichts mit einem „organischen Staat" zu tun: „Die geschichtliche Tat, die Staaten schafft und zerstört, ist nicht organisches Wachsen, sondern vollzieht sich als gewaltsamer Eingriff" in die organische Welt. Deshalb ist der Begriff" des Organischen nicht 71 Vgl. Huber: Rez. „Ständisches Recht", in: ZgS, Bd. 99 (1938/39), S. 351-358, in der sich Huber mit der Rezeption des Universalismus Othmar Spanns in der nationalsozialistischen Staatsdiskussion auseinandersetzt. Das Ständebild Hubers als Selbstverwaltungsaufbau von Kartellen, Gruppen und Arbeitsfront deckt sich mit der Position des „Deutschen Sozialismus"; vgl. auch Beyer, a. a. O., S. 302ff.. 72 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 65. 73 Darauf wies Hermann Heller schon 1930 nicht nur im Zusammenhang des italienischen Faschismus hin: Rechtsstaat und Diktatur?, Tübingen 1930, S. 20f. 74 Vgl. Hubers Rezension von Erich List, a. a. O., S. 366. 75 Vgl. Die genossenschaftliche Berufsordnung, a. a. O., S. 301, ebenso: Die Berufsstände im Schrifttum, a. a. O., S. 80.

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ausreichend, um das wahre Bild des Staates zu umschreiben." 76 Die ursprünglich revolutionär-konservative Setzung, dem „Wachsenlassen" das „Machen" als revolutionärem Prinzip zur Seite zu stellen, ergänzt den Gedanken des Organischen: „Das organische Prinzip der Entwicklung wird also ergänzt durch das revolutionäre Prinzip der geschichtlichen Tat." 77 Huber wendet sich in seinem völkisch-etatistischen Denkstandort mit aller Schärfe gegen die „von unten wachsende Harmonie" des ständischen Staates. Staat sei „von oben wirkende Herrschaft", 78 ein Argument für die der Führung zugebilligte Gestaltungs- und Ordnungsfunktion als „Verfassungsform", 79 weshalb das organische Prinzip allenfalls ein Element im Staatsaufbau des „totalen Staates" ist. Damit entzieht sich Huber der Kritik am ständisch-korporativen Gedanken, wie die Einheitsbildung an der Spitze eines Ständestaates zu bewerkstelligen sei: 80 „Die berufsständische Selbstverwaltung wird ihren organischen Ausdruck nur in einer Mischform von Korporation und Anstalt, in einer Zwischenstellung zwischen Autonomie und Staatsführung, in einer Verbindung von Freiheit und Zuordnung finden", 81 zudem vernichte Führertum nicht „das genossenschaftliche Sein, sondern gibt ihm erst die wahre Gestalt." 82 Mit der Bindung berufsgenossenschaftlicher Ordnung an das Führertum „löst" Huber den in den ständischen Theorien kritisierten Antagonismus von ideeller Rezeption und sozialer Realisation zugunsten der im Führerstaat erwünschten Vorgaben. Das „konservative" Leitmotiv der Legitimierung des Staates „von oben" hat damit seit 1930 im verfassungspolitischen Denkens von Ernst Rudolf Huber Bestand. Die deutliche Distanzierung der ständischen Selbstverwaltungsidee von den ständestaatlichen Vorstellungen Othmar Spanns und ihren zweckbestimmten Staatsvorstellungen83 die politische Willensbildung ist Sache der staatstragenden Bewegung und nicht der Stände 84 - hat vor allem zum Ziel, den etatistischen mit dem korporativen Gedanken zu verbinden: „Der Sinn der wirtschaftlichen Selbstverwaltung besteht darin, die Eigenständigkeit der Wirtschaft mit der unbedingten Geltung des staatlichen Nomos zu verbinden." 85 Schließlich distanzierten sich die Nationalsozialisten trotz der frühen Verbindungen des Programmtheoretikers Gottfried Feder mit der universalistischen Mittelstandsideologie des Spann-Kreises schon 1933, nachdem die „Lagerordnung" der Ständebefürworter innerhalb der Reihen der „Konservativen Revolution" längst nicht mehr bestand. 86 Der Form-Aspekt hat nur dann Verfassungsrang, wenn zugleich das etatistische Moment der Bindung und Gestaltung durch den Staat gegeben ist, denn „Form und Ordnung entstehen nur durch entsagendes Einfügen in ein höheres Ganzes und, wenn nötig, durch 76 77 78 79 80 81 82 83 84

Die genossenschaftliche Berufsordnung, S. 302. Ebenda. Huber: Die Berufsverbände und der Staat, a. a. O., S. 958. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 81. Vgl. Heller: Rechtsstaat oder Diktatur?, a. a. O., S. 21. Die Berufsstände im Schrifttum, a. a. O., S. 82. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 36. Wirtschaft und Staat, a. a. O., S. 24f.. Dazu detailliert Rämisch, Raimund Hubert: Die berufsständische Verfassung in Theorie und Praxis des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 46f.. 85 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 29. 86 Barkai, Avraham: Das Wirtschaftssystem des Nationalsozialismus, a. a. O., S. l l l f . .

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den Zwang, den dieses Ganze gegen die widerstrebenden Glieder ausübt". 87 Die wirtschaftliche Selbstverwaltung werde erst durch die Anerkennung durch den Staat gestaltet. Die körperschaftlich organisierte Gemeinwirtschaft sei „politische Form", in der das Verhältnis gleichzeitiger Freiheit und Bindung der Wirtschaft seinen Ausdruck finde. 8 8 Huber verdeutlicht den Formgedanken anhand von „Begriffsmerkmalen". „Bindung" und „Freiheit" entspreche in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung „Zuordnung" und „Eigenständigkeit". 89 Die ständisch organisierte Wirtschaft wird hier „anthropologisch" auf die harmonische Erhaltung des gesellschaftlichen Gleichgewichts angesichts der Radikalisierung des Mittelstandes im Laufe der Wirtschaftskrise seit 1929 und dem hohen mittelständischen Wähleranteil der NSDAP ausgerichtet. 90 Die Etatisierung des korporativen Gedankens hat auch Einfluß auf den Ständebegriff. Huber unterscheidet den „wirtschaftlichen Stand" vom „politischen" und „ k u l t u r e l l e n Stand". Der „politische Stand" bestimme den staatlichen Verfassungsaufbau, der „geistige" die staatliche Kulturorganisation. Der „wirtschaftliche Stand", der für die Organisationsform des Wirtschaftsaufbaus herangezogen wird, ist entpolitisiert, weil ihm nur die Funktion des Wirtschaftsaufbaus im Staat zugebilligt wird. Die staatliche Aufbaufunktion obliegt ihm nicht, vielmehr ist zur Verwirklichung der Wirtschaftsordnung der staatliche Führungsaspekt zu berücksichtigen: „Nur die wirtschaftlichen Stände kommen daher für die sozialistische Wirtschaftsordnung in Betracht." 91 Die Entpolitisierung der Wirtschaftsund Sozialordnung soll der Fiktion Vorschub leisten, daß im Nationalsozialismus soziale Konflikte auf korporativer Ebene gar nicht entstehen können. Demnach hat die ausschließliche Wirtschaftsordnungsfunktion des „wirtschaftlichen Standes" Einfluß auf den Ständebegriff. Stände beruhen auf der „ursprünglichen, naturhaften und unbewußten Einheit ihrer Glieder." 92 Die berufsständischen Organisationen haben mit den alten Ständen gemein, „daß sie wie diese zur Verwaltung eines ursprünglich eigenen, nicht vom Staate übertragenen Lebensbereichs berufen sind"; im Sinne der ständischen Selbstverwaltung seien Stände „Verbände, die die Aufgabe haben, die gemeinsamen Interessen der Unternehmungen des gleichen Wirtschaftszweiges wahrzunehmen." 93 Die stringente Beschreibung der ständischen Selbstverwaltung im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" verdeutlicht einmal mehr die Reduktion des korporativen Gedan-

87 88 89 90 91

Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 66. Ebenda, S. 28. Ebenda, S. 31. Barkai, a. a. O., S. 110. Huber: Staat und Wirtschaft, a. a. O., S. 22. Auf S. 16 heißt es noch deutlicher: „Der deutsche Sozialismus entscheidet sich grundsätzlich fur die Selbstverwaltung der Wirtschaft unter Führung des Staates." 92 Nach dieser Definition werden „Stände" dem „natürlichen Volk" zugeordnet und entsprechen dem unpolitischen Zustand des Volkes. Huber verdeutlicht diesen Aspekt in der Systematik der „Staatswissenschaft". Der „politische Stand" sei ein Teil der Herrschaftsordnung und gehöre als die das „politische Volk" formierende und den Staat bestimmende und tragende Kraft zu den Gegenständen der Volks- und Staatslehre. Für die dem Politischen abgewandte Ständelehre verbleibe der „wirtschaftliche" und „geistige Stand". Huber kritisiert an Othmar Spann, die Ausgrenzung des „politischen Standes" von der Ständelehre übersehen zu haben; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 52f.. 93 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 67.

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kens auf die verbandliche Sphäre und die begriffliche Entgegensetzung von unpolitischem „Stand" und politischer Bewegung". Die „Bewegung" bilde als „Verfassungskörperschaft" die Verfassung, die Stände dagegen „nehmen an der politischen Führung nicht teil; die politische Ordnung erwächst nicht aus ihnen, sondern sie formt sich in den ständischen Lebensordnungen aus", 94 schon deshalb könne die ständische Ordnung keinen „Ständestaat" ausbilden. Indem Huber den Ständen den Rechtsstatus als Körperschaften des öffentlichen Rechts zubilligt, nimmt er ihnen die politische Gestaltungsfunktion an der völkischen Ordnung. Der Begriff der „Körperschaft" sei nur ein „Sammelbegriff' für den Inhalt nach unterschiedlichen Typen von Verbänden, die der NSDAP angeschlossenen sind. Da die Genossenschaft als „echte Körperschaft" in die höhere Ordnung „Volk", „Staat" und ,gleich" eingegliedert ist, sei der Begriff der Körperschaft kein „konkreter Begriff", weil das lebensgestaltende Prinzip fehle. Körperschaften seien bereits „gefügte und gestaltete Ordnung." 95 Diese, der völkischen Rechtsgestaltung entzogene Auffassung der Körperschaft setzt sich in der juristischen Argumentation fort, daß die Deutsche Arbeitsfront als „Körperschaft des öffentlichen Rechts" vielmehr ein „Mittel hoheitlicher Rechtsgestaltung" sei.96 Die Zuordnung der ständischen Selbstverwaltung zur „Führung" wird mittels des Begriffs der „Körperschaft des öffentlichen Rechts"97 gestaltet, die Etatisierung des korporativen Gedankens durch juristische Begriffsbildung vollzogen. Daß Huber mit der nationalsozialistischen Führung in Fragen der ständischen Selbstverwaltung konform geht, dokumentiert die Publikation seiner wichtigsten wirtschaftspolitischen Positionen in dem vom Chef der Reichskanzlei, Staatssekretär Hans-Heinrich Lammer herausgegebenen Handbuch der „Verwaltungsakademie" bereits 193498 und in dem von Reichsrechtsführer Hans Frank herausgegebenen „Deutschen Verwaltungsrecht"99 von 1937. Den Widerspruch zwischen ideeller Projektion und sozialer Realisation in der korporativen Diskussion reduziert Huber insoweit, als die „ständische Selbstverwaltung" der „Führung" unterstellt wird und die verfassungsgestaltenden Rahmenbedingungen nach Gesetzen, Parteiprogramm und Führerbefehl nachgezeichnet werden. Die instrumenteile Funktion der Selbstverwaltung der Berufsstände wird durch das völkische Arbeitsethos der „Kraft-durch-Freude-Ideologie" ergänzt und in dem Gemeinschaftspostulat gebündelt: „ich bin nichts; mein Volk ist alles!"100 Den Grundsatz der gebundenen Wirtschafts- und Sozialordnung, der in der „Staatswirtschaft" seinen Ausdruck findet, synthetisiert Huber in dem als „Plankapitalismus"101 bezeichneten Wirtschaftsstil des Nationalsozialismus. Die Funktion der „körperschaftlichen Selbstverwaltung" besteht deshalb vor allem im Vorantreiben der Monopolisierung zur Unterstützung der Staatsintervention und der staatlichen 94 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 461. 95 Ebenda, S. 462. 96 Die Arbeitsverfassung des völkischen Reiches, in: ZAkDR, 4. Jg. (1937), S. 73-77 (76), ebenso: Die Selbstverwaltung der Berufstände, a. a. O., S. 248ff. und: Die Rechtsnatur der Deutschen Arbeitsfront, in: ZAkDR, 6. Jg. (1939), S. 435-440 (436f.). 97 Huber: Die Rechtsgestalt der Deutschen Arbeitsfront. Ein Beitrag zur Lehre von der Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: ZAkDR, 6. Jg. (1939), S. 435-440. 98 Staat und Wirtschaft, a. a. O.. 99 Die Selbstverwaltung der Berufstände, a. a. O.. 100 Ebenda, S. 241. 101 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 57.

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Planungs- und Investitionsmaßnahmen zur Absicherung der kapitalistischen Verwertungsinteressen. 102 Der einzige Versuch der wirklich ständischen Neuordnung, das „Gesetz zur Vorbereitung des organischen Aufbaus der Wirtschaft" vom 2. Februar 1934, sah keine ständische Organisation vor. Mit der Ernennung Kurt Schmitts zum Reichswirtschaftsminister hatte Hitler am 7. Juli 1934 alle öffentlichen Diskussionen über den ständischen Aufbau der Wirtschaft verboten.103 Der Reichsnährstand, der für die Nationalsozialisten die so wichtige bäuerliche Ordnung neben der „Marktordnung" schaffen sollte,104 blieb ein Synonym für die ständewirtschaftliche Organisation der Landwirtschaft. Den staatsinterventionistischen Maßnahmen entsprachen die über das Treuhändergesetz verbotenen Tarif- und Marktaktivitäten der nationalsozialistischen Betriebsorganisationen und der Deutschen Arbeitsfront. Hubers Bild, daß die Treuhänder „bis zur Neuregelung der Sozialverfassung Arbeitsbedingungen zu regeln, für die Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens zu sorgen und bei der Vorbereitung der neuen Sozialverfassung mitzuarbeiten"105 haben, deckt sich mit den Inhalten der „Deutschen Führerbriefe" im Juni 1933 und dokumentiert zugleich die Rechtsquelle nationalsozialistischer Verfassungsarbeit.106 Die Einbindung des Ständegedankens in die dirigistische Wirtschaftskonzeption zeigt deutlich die Subsumtion interessenpolitischer Selbstverwaltung unter die Planziele der Führungswirtschaft. Der korporative Gedanke, den Huber schon vor 1933 staatlicher Führung und Lenkung unterwirft, und nie die klassische Funktion der organischen Rekrutierung des Ständestaates von unten zu ordnen, war nur ein Instrument, die wirtschaftliche Selbstverwaltung als ständischen Aufbau der Kommandowirtschaft zum Nationalsozialismus zu unterwerfen. Hubers frühe Spann-Kritik liegt deshalb im Rahmen des offiziellen Ständebildes der NSDAP. 107 Die Etikettierung des neuen Wirtschaftsstils als ,Plankapitalismus" 108 besagt, daß mit staatlich-bürokratischer Aufsicht des Verbandswesens der Wirtschaft, der Zwangskartelle und Arbeitsverwaltung gleichsam eine subsidiäre Lenkungsinstanz geschaffen wurde, 109 die unter privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben wurde.

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Meinck, a. a. O., S. 50. Barkai, a. a. O., S. 121. Huber: Die Selbstverwaltung der Berufsstände, S. 25 lf.. Huber: Treuhänder und Kommissar, in: Deutsches Volkstum, 15. Jg. (1935), S. 740-742 (741); zur Einschränkung der Tarifmacht der Berufsverbände durch die Treuhänder der Arbeit vgl.: Die Selbstverwaltung der Berufsstände, S. 250. Barkai, S. 120. Huber setzt sich in der Monographie „Die Gestalt des deutschen Sozialismus" von der universalistischen Wirtschaftskonzeption des durch den Spann-Sympathisanten Fritz Thyssen gegründeten „Instituts für Ständewesen" in Düsseldorf ab (a. a. O., S. 69). Dieses Institut, das 1935 von der Gestapo aufgelöst wurde, stand mit seiner Interpretation der Deutschen Arbeitsfront in deutlichem Konflikt mit der NSDAP und dem DAF-Führer Robert Ley; s. a. Barkai, a. a. O., S. 114. Programmatisch und ideologisch blieb das von Huber beschriebene Arbeitsfeld der ständischen Selbstverwaltung bis zur Zweitauflage des „Verfassungsrechts des Großdeutschen Reiches" 1942 unangetastet und wurde nicht überarbeitet. Huber blieb also bei der Meinung, daß die Selbstverwaltung der Wirtschaft die „langfristige Form des deutschen Sozialismus" sei (vgl. Staat und Wirtschaft, S. 16ff.). Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 57. Broszat, Martin: Der Staat Hitlers, München 1981, S. 228f..

4. Die „deutsche Staatswissenschafl"

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4. Die „deutsche Staatswissenschafl" als enzyklopädisches Wissenschaftsprogramm Im Sommer 1934 veröffentlichte Ernst Rudolf Huber in der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" einen langen Aufsatz über „Die deutsche Staatswissenschaft"1. Dabei handelt es sich sowohl aus persönlich-biographischer Sicht, als auch im Hinblick auf den theoretisch-methodologischen Anspruch um eine der wichtigsten Veröffentlichungen im Dritten Reich, um einen Programmaufsatz. In diesem Beitrag legte Huber nicht nur die Konzeption einer „politischen Wissenschaft" vor, sondern entwickelte den theoretischen und inhaltlichen Rahmen eines umfassenden Wissenschaftsprogramms, das er dann selbst im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" als einem harmonisierenden System des nationalsozialistischen Rechts- und Staatsverständnisses sowie in zahlreichen verfassungshistorischen Arbeiten zum Verhältnis von „Volk" und „Staat" in Deutschland in der zweiten Hälfte der 30er und der ersten Hälfte der vierziger Jahre ausführte.2 Die Konzipierung einer „deutschen Staatswissenschaft" im Jahre 1934 ging bei Huber einher mit wichtigen Veränderungen in seiner wissenschaftlichen Karriere. Zum einen übernimmt er zusammen mit Hermann Bente und Andreas Predöhl3 als Herausgeberkollegium die Leitung der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschafl" und verkündete mit seinem Aufsatz am Anfang des neuen Jahrgangs ein Programm nicht nur für die eigene Arbeit, sondern auch für die weitere Entwicklung der seit 1844 bestehenden traditionsreichen Zeitschrift. Zum anderen hat Huber seit dem Wintersemester 1933/34 an der Universität Kiel in Nachfolge des liberaldemokratischen Völkerrechtlers Walter Schücking das Ordinariat für Staats- und Verwaltungsrecht inne. Trotz der juristischen und politischen Verbundenheit mit der sogenannten „Kieler Schule"4 und ihrer Juristischen Fakultät, dem „Institut für Politik und Internationales Recht", kann Huber aber nicht als spiritus rector dieser Wissenschaftsgemeinschaft bezeichnet werden. Huber hatte sein Ordinariat am

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Vgl. in: ZgS, Bd. 95 (1934/35), S. 1-60. Neben vielen anderen Arbeiten insbesondere: Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, Hamburg 1937; Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938. Huber war neben den Ökonomen Andreas Predöhl und Hermann Bente der Jurist im Herausgeber-Team. Auch das dokumentiert die staatswirtschaftliche Tradition der „gesamten Staatswissenschafl". Bente und Predöhl lehrten an der Universität Kiel und unterstreichen in ihren Beiträgen den Ganzheitscharakter der neuen Staatswissenschafl, z.B. Bente, Hermann: Gestalt und Gestaltwandel in der Volkswirtschaft, a. a. O., S. 66-101. Vgl. Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialisms, a. a. O., S. 193ff.; Rüthers, Bernd: Rechtslehre und Rronjuristen im Dritten Reich, a. a. O., S. 42fF.; Die „Kieler Schule" rekrutierte sich aus Ernst Rudolf Huber (Staats- und Verwaltungsrecht), Karl Larenz, Martin Busse (Rechtsphilosophie), Georg Dahm, Karl-August Eckhardt, Fritz SchafFstein (Strafrecht), Karl Michaelis, Wolfgang Siebert, Franz Wieacker (Zivilrecht) und erst nach 1936 durch Paul Ritterbusch als Rektor der Universität Kiel und Wissenschaftstheoretiker und -programmatiker. Neben der Universität Kiel gehörten die Grenzlanduniversitäten Breslau und Königsberg als „vollpolitisierte Universitäten" in diese Wissenschaftskonzeption; s. a. Rüthers: Entartetes Recht, a. a. O., S. 42fF..

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„Institut für Weltwirtschaft" inne. 5 Die akademische Nähe zur „Kieler Schule" ergiebt sich bei Huber dann durch die Neuorientierung der Rechtswissenschaft als „politischer Wissenschaft",6 denn die Kieler Juristen hatten sich zum Ziel gesetzt, nicht mehr konträre Standpunkte einzunehmen und wissenschaftliche Meinungsgegensätze auszutragen, sondern durch straff gelenkte Arbeit eines Forschungsteams zu einer Neubesinnung der politischen Wissenschaftsarbeit im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie zu kommen. 7 Die „Staatswissenschaft" in Deutschland weist seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hinsichtlich der Fächerung und Systematik der ihr zugeordneten und von ihr abhängigen Fachdisziplinen eine lange und wechselvolle Tradition auf. 8 Sie hatte sich immer wieder gegenüber den Nachbar- und Nachfolgedisziplinen wie Politische Philosophie, Nationalökonomie, Statistik im älteren Sinne der Staatenkunde, Policeywissenschaft als Verwaltungslehre und Geschichtswissenschaft neu zu definieren. Die Entwicklung dieser politischen Wissenschaft spiegelte dabei zugleich in der enzyklopädischen und bibliographischen Verortung in den Wissenschaftssystemen die Kontinuität und Wandlung der staatlichen Ordnung in Deutschland wider.9 Auch die 1844 von Robert von Mohl an der Tübinger Staatswirtschaftlichen Fakultät gegründete „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" hoffte entsprechend dem freiheitlich-sozialen Programm dieses Altliberalen auf das Rad der Zeit einzuwirken. 10 Mit 5 Freundliche Auskunft von Frau Dr. Huber-Simons am 19. April 1993 in einem Gespräch mit dem Verfasser. 6 Vgl. zum Programm der „Kieler Schule" den Sammelband: Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, hrsg. von Karl Larenz, Berlin 1935. Emst Rudolf Huber hat dagegen abgelehnt, von einer Kieler „Schule" zu sprechen, da die Fakultätsmitglieder aus zu verschiedenen Bereichen der Rechtswissenchaft kamen und nannte vor allem Paul Ritterbusch, der erst später aus Königsberg nach Kiel kam und dort Rektor wurde; freundliche Auskunft von Herrn Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber in einem Gespräch mit dem Verfasser am 19. Januar 1989 in Freiburg-Zähringen. Vgl. zur Kieler Richtung der Jurisprudenz: Rechts- und Staatswissenschaften, in: Die Bewegung. Zeitschrift der deutschen Studenten, Jg. 9 (1941), H. 48/49, S. 7: „Was man als Kieler Richtung' bezeichnet hat, war keine wissenschaftliche Schule im Sinne eines bestimmten Lehrgebäudes und fester Lehrsätze, sondern war eine kameradschaftlich verbundene Arbeitsgemeinschaft junger Rechtslehrer, die durch das Erlebnis des Jahres 1933 zu gemeinsamem wissenschaftlichem Einsatz verbunden waren." Zu Programm und Rekrutierung der „Kieler Schule" vgl.: Eckert, Jörn: Was war die Kieler Schule?, in: Säcker, Franz Jürgen (Hrsg.): Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus: Ringvorlesung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Baden-Baden 1992, S. 37-70; s. a. Döhring, Erich: Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel, Bd. 3, Teil 1: Geschichte der juristischen Fakultät 1656-1965, Neumünster 1965, S. 201-220; zum Wissenschaftsprogramm der „Kieler Schule" ebenso: Erdmann, Karl-Dietrich: Wissenschaft im Dritten Reich, Kiel 1967, S. 15ff.. 7 Limperg, Bettina: Personelle Veränderungen in der Staatsrechtslehre und ihre neue Situation nach der Machtergreifung, in: Böckenforde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 44-76, (57f ). 8 Vgl. Meier, Hans: Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre, 2. Aufl., München 1980, S. 278ffi; und die in Vorbereitung befindliche Überblicksdarstellung von Wilhelm Bleek zur „Geschichte der Politikwissenschaft an den deutschen Universitäten". 9 Hennis, Wilhelm: Politik und praktische Philosophie. Eine Studie zur Rekonstruktion der politischen Wissenschaft, a. a. O., S. 31. 10 Angermann, Erich: Robert von Mohl. Leben und Werk eines Altliberalen, Neuwied, Berlin 1962.

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der adjektivischen Betonung einer „gesamten" Wissenschaft vom Staat wollten Mohl und seine Fakultäts- und Herausgeberkollegen noch einmal die auseinanderstrebenden Wissenschaften vom öffentlichen Leben zusammenfassen, die neben der Wirtschafts- und Sozialwissenschaft auch Geschichte, Statistik, Politik, Völkerrecht, Staatsrecht, Verwaltungsrecht, Kameralistik, Finanzwissenschaft sowie Polizei- und Kriegswissenschaft umfassen. 11 Doch die Positivierung und Ausdifferenzierung dieser Disziplinen in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts führte dazu, daß die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" immer mehr zu einem Forum der Wirtschaftswissenschaft wurde, höchstens noch sozialpolitische Probleme berücksichtigte, aber verfassungspolitische und juristische Themen außen vorließ. 12 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden die meisten Fachzeitschriften als politische Zeitschriften eingestuft. Daraus resultierte das übergeordnete Ziel der staatspolitischen Erziehung, in Schriftleitung und Herausgebergremien, Umsetzungen zu vollziehen. 13 Die mit dem staatsphilosophischen Idealismus und dem positivistischen Empirismus abbrechende Denktradition einer ganzheitlichen Staatswissenschaft, die Staat und Gesellschaft als Einheit behandelt und die verschiedenen Wesenszüge des Staates aus einem Prinzip ableitet, konnte unter der auf Synthese ausgerichteten Weltanschauung des Nationalsozialismus auf eine Neubegründung hoffen. 14 Ernst Rudolf Hubers verknüpft dementsprechend sein politisches, intellektuelles und wissenschaftsorganisatorisches Programm: „Die totale Revolution, die wir erleben, gibt dem alten Wort ' Staatswissenschaft' einen neuen Sinn. Der deutschen Universität ist heute die große Aufgabe gestellt, die Wissenschaft vom Staat als der politischen Gesamtgestalt neu zu begründen und zu entfalten." 15 Die wissenschaftstheoretischen Prämissen dieser staatswissenschaftlichen Konzeption sind allerdings nicht neu, sondern der „verlängerte Arm" der konservativ-revolutionären Wissenschaftsauffassung, die Huber aus dem wirklichkeitswissenschaftlichen Theorem Hans Freyers entwickelt hatte. 16 So sollte eine Staatswissenschaft als „politische

11 Sauermann, Heinz: Die gesamte Staatswissenschaft im Spiegel ihrer Zeitschrift, in: ZgS, Bd. 134 (1978/79), S. 1-14 (4f.); s. a.: Taeuber, Walter: Art. Staatswissenschaft, in: HwbSW, Bd. 9, Stuttgart/Tübingen 1959, S. 763-770 (S. 766ff.). Zur Einordnung der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschafl" für die Geschichte des öffentlichen Rechts vgl. Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, a. a. O., S. 29QE, 419. 12 Sauermann, a. a. O., S. 2ff. 13 Vgl. Heine, Götz-Thomas: Juristische Zeitschriften zur NS-Zeit, in: Salje, Peter (Hrsg.): Recht und Umecht im Nationalsozialismus, Münster 1985, S. 272-293 (279ff). Die Umgestaltung der Zeitschriften geht auf die Etablierung eines „Zeitschriftenrechtsamts" auf Anordnung von Reichsjuristenführer Hans Frank zurück. Das Reichskulturkammergesetz vom 1. November 1933 und die Bildung einer „parteiamtlichen Prüfungskommission" führten schließlich mit einem gezielten Zugriff auf die Rechtszeitschriften zur Bildung des „Amtes für Rechtszeitschriften im Reichsrechtsamt der NSDAP" am 8. Februar 1935. Eine Zusammenarbeit mit dem BNSDJ verstand sich von selbst; vgl. ebenda, S. 278f.. 14 Vgl. Pfenning, Andreas: Staatswissenschafl und Revolution, Leipzig 1936; dazu die Rezension von Heinrich Muth: „Staatswissenschafl und Revolution". Bemerkungen zu einem Buch von Andreas Pfenning, in: Deutsche Rechtswissenschaft, 2. Jg. (1937), S. 250-257. 15 Huber: Die deutsche Staatswissenschafl, a. a. Ο., S. 2. 16 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Landeck): Staat und Gesellschaft. Bemerkungen zu Hans Freyers „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft", a. a. O., S. S. 299-305.

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Wirklichkeitswissenschaft"17 entstehen, deren Aufgabe als politisch wirkender Wissenschaft „empirisch" sei. In dieser Hinsicht ist Hubers Programmaufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" im denksoziologischen Sinne das vom staats- und verfassungstheoretischen Standort begründete nationalsozialistische, wissenschaftstheoretische Pendant zu Freyers Konzeption der „Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft". Die Konstituierung einer neuen „gesamten Staatswissenschaft", die Volkslehre, Staatslehre, Ständelehre, Wirtschafts- und Rechtslehre in den Fächerkanon eines Syntheseprogramms zurückführen soll, hat Huber als Herausgeber der Zeitschrift und als Studienleiter der Verwaltungsakademie der Nordmark sowohl wissenschaftstheoretisch wie wissenschaftspraktisch legitimiert: „Die politische Erziehung ist die Brücke zwischen Gesinnung und Tat. Sie hebt das Grundgefühl, das im Menschen dunkel und ahnungsvoll vorhanden ist, über die Schwelle des Bewußtseins; sie formt den Instinkt zur sicheren Erkenntnis um; sie läßt aus dem unsicheren Trieb das klare und feste Wollen entstehen. Aus dem politischen Meinen und Fühlen erwächst durch die Erziehung die Bereitschaft und die Fähigkeit zum politischen Handeln. Die politische Erziehung ist eine Vorstufe zur tathaften Verwirklichung einer politischen Idee." 18 Die theoretische Vorgehensweise der politischen Erziehung und die politische Schulung des praktischen Handelns seien die Grundlage für das politische Erziehungskonzept der „Grenzlanduniversität".19 Das spezielle Ziel verwaltungsakademischer Ausbildung sieht Huber dabei vorzugsweise im Ausbau der Rechts- und Wirtschaftsordnung als Inhalt der Fachgebiete der gesamten Staatswissenschaft.20 Angesichts dieser völligen Neuformierung der Staatswissenschaft in praktischer, den Nationalsozialismus stützender Absicht, soll die Wissenschaftsgeschichte der deutschen Staatswissenschaft aus dem Synthesegedanken heraus neu geschrieben werden. Für Huber ist die „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" in ihren Gründungsjahren nach 1844 das „letzte Dokument des alten geschlossenen Wissenschaftssystems"21 mit einheitlicher staatswissenschaftlicher Ordnung des Fächerkanons auf der Grundlage einer alle gesellschaftlichen Teilbereiche integrierenden politischen Gesamtgestalt des Staates. Diese frühe Konzeption der Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft will er zwar nicht restaurieren, davon hält ihn die Grundlage des Mohlschen Programms im Altliberalismus ab, doch will er an sie anknüpfen, sie im Hegeischen Sinne „aufheben". Die Staatswissenschaft als eine „politische Gesamtwissenschaft"22 zu begründen, ist daher das Ziel des Wissenschaftsprogramms. Huber bringt es auf die bündige Formel: „Die gesamte Staatswissenschaft ist die Wissenschaft vom totalen Staat". 23 Sie soll als „Verfassungswissenschaft" den „totalen Staat" neu begründen und die positivistische „allgemeine Staatslehre" überwinden, deren Gehalt sich „als eine völlig abstrakte Formallehre" 24 in Staatsrecht, Genossenschaftsrecht, Volkslehre, Privatrecht, Nationalökonomie, Soziologie und Ständetheorie verflüchtig habe. Während die positivistischen Staatswissen17 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 1, 64. 18 Huber: Ziele und Wege der Verwaltungs-Akademien, in: Beamtenjahrbuch, 21. Jg. (1934), S. 693-697 (693). 19 Vgl. zum Programm der „Kieler Schule" Anm. 6. 20 Ziele und Wege der Verwaltungs-Akademien, a. a. O., S. 696f.. 21 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 2. 22 Ebenda, S. 32. 23 Ebenda, S. 45. 24 Ebenda, S. 30.

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Schäften des späten neunzehnten Jahrhunderts in ihrer administrativen Staatsanschauung aus dem Spannungsverhältnis von Verfassung und Verwaltung, Recht und Staatspraxis gelebt hatten, will Hubers Staatswissenschaft mit ihrer ganzheitlischen Staatsauffassung diesem antagonistischen Wissenschaftsbild ein Ende machen. 25 Huber stellt die seit Mitte des 19. Jahrhunderts eintretende Auflösung des alten geschlossenen Wissenschaftssystems in den umfassenderen Zusammenhang des „Trennungsdenkens", 26 wie es die Feindkategorien Liberalismus, Positivismus und Demokratie charakterisieren: „Die Trennung von Staat und Gesellschaft, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts Eingang in die deutsche Wissenschaft fand, hat die einheitliche Staatswissenschaft in ihre Elemente zerlegt." 27 Im ersten argumentativen Schritt seiner Stufenlogik entlarvt Huber den Partikularismus des „Trennungsdenkens": „Das liberale Trennungsdenken setzt sich nach Bismarcks Sturz in der Politik wie in der Wissenschaft durch, und die endgültige Auflösung der Staatswissenschaft in eine Vielheit von Elementen spiegelt einfach die politische Wirklichkeit wider, die nur mehr aus einem Pluralismus von unvereinbaren Werten, Kräften und Formen bestand." 28 Das „Trennungsdenken" sei durch zwei „Denkstufen" bestimmt: die logische Denkoperation des „Separierens des Gegenstandes", wodurch die „Autonomie des Gliedes" erreicht werde, in einem zweiten Schritt strebe das „emanzipierte Glied" nach Souveränität und Eigengesetzlichkeit. Fest stehe, „daß es sich beim Trennungsdenken des Liberalismus von vornherein nicht um rein' theoretische und logische Erkenntnis, sondern um eine versteckt willensmäßige Entscheidung, die politische Ordnung umzukehren, gehandelt hat. Doch zeigt sich gerade bei diesem Versuch, aus dem Trennungsdenken zu einer neuen Rangordnung zu gelangen, erst die volle zerstörerische Wirkung dieser Haltung." 29 Das sich aus einem antagonistischen Verständnis von Staat und Gesellschaft und einem allgemeinen „Trennungsdenken" ergebende „Nebeneinander von selbstherrlichen Wissen-

25 Zur Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts vgl. Schiera, Pierangelo/Gherardi, Raffaella: Von der Verfassung zur Verwaltung: bürgerliche Staatswissenschaft in Deutschland und Italien nach der nationalen Einigung, in: Heyen, Erk Volkmar (Hrsg.): Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime. Europäische Ansichten, Frankfurt/M. 1984, S. 129-146 (129131). 26 Der Begriff „Trennungsdenken" ist schon in der Schrift „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" 1931 gebräuchlich. Die Kritik am positivistischen „Trennungsdenken" durchzieht alle Schriften Hubers im Nationalsozialismus; vgl: Vom Sinn der Verfassung, S. 6, 9; Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 14f., 19ff; Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, S. 37; Verfassungskrisen des Zweiten Reichs, Leipzig 1940, S. 1 Of.; Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ZgS, Bd. 102 (1941/42), S. 594f., 601, 619, 623, 624; Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Straßburg 1942, S. 6 f , 10f., 18ff; Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, in: ZgS, Bd. 103 (1942/43), S. 450, 453, 464f.; Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, in: ZgS, Bd. 104 (1943/44), S. 131, 140f; Goethe und der Staat, Straßburg 1944, S. 3; s. a. die Kritik Hans Gerbers an Huber in: Der politische Begriff des Volkes. Eine kritische Betrachtung zur Volkslehre von E.R. Huber, in: AöR, NF Jg. 31 (1940), S. 129-153 (136). 27 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 3. 28 Ebenda, S. 14f. 29 Ebenda, S. 26.

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schaftsbereichen"30 stellt Huber bereits in den staatswissenschaftlichen Konzeptionen Robert von Mohls und Lorenz von Steins fest. Versuche der Wiedereingliederung der „Gesellschaft" in den „Staat" und der Begründung der geistigen Werte aus der staatlichen Einheit, z.B. durch romantisch-konservative Denker wie Carl Ludwig Haller, Hölderlin und Arndt und geistigen Wegbereitern des Nationalliberalismus wie Treitschke und Gneist, sind Hubers Auffassung nach nicht erfolgreich gewesen. Hingegen war Hegels „System" „die letzte geschlossene Gestalt der Einheit von Gesellschaft, Volk und Staat und damit auch das letzte große Dokument der gesamten Staatswissenschaft".31 Hegel und Adam Müller32 sind für Huber die historischen Gewährsmänner und zugleich der „erfolgsverheißende Anfang eines neuen wissenschaftlichen Totalsystems",33 durch welches das „System der Trennungen" von Staat und Gesellschaft, Staat und Recht, Staat und Genossenschaft, Staat und Persönlichkeit sowie Staat und Wirtschaft überwunden werden kann. Dem als zu abstrakt und zur Einheitsbildung unfähigen „Trennungsdenken" wird die Hegeische Dialektik entgegengestellt: „Die Gegensätze des Trennungsdenkens sind in der neuen Staatswissenschaft aufgehoben', und zwar in dem doppelten Sinne des Hegeischen Wortes: sie sind überwunden und zugleich bewahrt."34 Huber verwirft zwar die Trennung von Staat und Gesellschaft, rezipiert aber den naturrechtlich begründeten Hegeischen Begriff der „bürgerlichen Gesellschaft" als „societas civilis", die als „politischer Zustand" im Gegensatz zum Naturzustand die vollständige Identität von „Volk" und „Staat" bedeutet. Der Begriff der „societas civilis" wird so zum Beleg eines Staat und Gesellschaft umgreifenden einheitlichen Zivilisationszustandes. Die systemische Fundierung des Ganzheitsdenkens manifestiert sich bei Huber in dem historischen Dreiklang „societas civilis" „Gesellschaft gegen Staat" - „totaler Staat", in welchem das letzte Glied bewußt an das erste anschließt und die dazwischenliegende Stufe, das „Trennungsdenken", im Hegeischen Sinne „aufgehoben" wird. 35 Mit dem Anknüpfungspunkt der „societas civilis" ist für Huber zugleich die Rezeptionsmöglichkeit der Staats- und Rechtsphilosophien des Idealismus und der Romantik gegeben.

a) Staatsbegriff und „politische WirklichkeitsWissenschaft" als Bausteine einer synthetischen Wissenschaftskonzeption Nach der „nationalen Revolution" 1933 hatte die Staatswissenschaft als alle völkischen Lebensbereiche des „totalen Staates" umfassende Gesamtwissenschaft Konjunktur.36 Die 30 Ebenda, S. 2. 31 Ebenda, S. 7. 32 Vgl. Adam Müller und der preußische Staat, in: Zeitschrift für Deutsche Geisteswissenschaft, 6. Jg. (1943/44), S. 162-180. Huber würdigt in diesem biogaphisch-werkgenetischen Aufsatz Müllers Verdienste für die deutsche Staatswissenschaft. 33 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 7. 34 Ebenda, S. 37. 35 Ebenda, S. 3; s. a. Boldt, Hans: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 151. 36 Vgl. Pfenning, Andreas: Staatswissenschaft und Revolution (Anm. 14); vgl. Muth, Heinrich: Gemeinschaft und Staatswissenschaft. Versuch einer systematischen Bestimmung des Gemeinschaftsbegriffs, in: ZgS, Bd. 96 (1936), S. 299-318; Pfenning setzt sich von Hubers staatswissen-

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staatswissenschaftlichen Konzeptionen waren faktisch in eine volkstheoretische, den „totalen Staat" als Konzeption ablehnende und einer das „Volk" in einer verfassungstheoretischen, im Staat aufhebenden Position zersplittert. 37 Huber verarbeitet die theoretischen Versatzstücke der von Hans Freyer begründeten hegelianischen Wirklichkeitswissenschaft und Carl Schmitts Begriff des Politischen zu einer ganzheitlichen Staatswissenschaft,38 die sich durch ein besonderes Theorie-PraxisVerhältnis auszeichnet: „Das Dasein einer echten Staatswissenschaft hängt vom Bestand eines wirklichen Staates ab. Die Staatswissenschaft ist die politische Wirklichkeitswissenschaft, und sie ist nur möglich, wenn ihr Gegenstand, der einheitliche und in sich geschlossene Staat, existentiell gegenwärtig ist." 39 Einerseits soll die Staatswissenschaft als „zusammenfassende Ordnung der politischen Wissenschaft" konzipiert werden, welche die „Einheit von staatlicher Form und politischer Aktion" wiederherzustellen beabsichtigt" 40 und die Einzelzweige der Staatswissenschaft wieder zu einer Gesamtheit verbindet. Andererseits will sie die „Stoßkraft, die Aktionsfähigkeit und Einsatzbereitschaft im Volke selbst erhalten", um „im Staat eine lebendige Form zu schaffen". 41 Die Identitäts- und Bindungskraft, die sich Huber aus dieser staatswissenschaftlichen Konzeption von der Theorie auf die Wissenschaftssystematik und die politische Praxis erhofft, soll durch den „politischen Staatsbegriff" als „Gestaltbegriff" quasi gestiftet werden. Der Staatsbegriff wird als der Angelpunkt des Synthesedenkens im staatswissenschaftlichen Programm als „die Wissenschaft der politischen Totalität" erachtet, die dem Staatsbegriff eine „Mittelstellung" zukommen läßt: „Nur von einem völlig neuen Begriff des Staates aus kann die Staatswissenschaft die zusammenfassende Ordnung der politischen Wissenschaft sein." 42 Mit der Negation des liberalistischen „Trennungsdenkens" verbindet Huber die wissenschaftstheoretische Position, mit dem „Aufriß" und der „Gliederung" der gesamten Staatswissenschaft den Begriff der Gesellschaft und des „Sozialen" aufzugeben und an ihre

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schaftlicher Konzeption insofern ab, als die Volksgemeinschaft im Mittelpunkt der Erörterung steht und die Einheit von „Volk" und „Staat" nicht im etatistischen „Staat", sondern in der völkischen „Gemeinschaft" aufgehoben wird. Muth hält Hubers enzyklopädischem Wissenschaftsethos entgegen: „Die Zeit, in der man große wissenschaftliche Systeme entwickeln kann, ist noch nicht gekommen"; vgl. ebenda, S. 256; s. a.: Krüger, Herbert: Die Staatswissenschaft und das 19. Jahrhundert, in: Deutsche Rechtswissenschaft, 2. Jg. (1937), S. 264-270. Krüger fordert detaillierte Behandlung und wissenschaftsgeschichtliche Auseinandersetzung mit der Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts. Dazu die Hubers „Staatswissenschaft" kritisch analysierende Rezension von Max-Hildebert Boehm: Gesamte Staatswissenschaft oder gesamte Volkswissenschaft?, in: Volksspiegel. Zeitschrift fur Deutsche Soziologie und Deutsche Volkstumswissenschaft, München 1935, S. 36-41. Das Verhältnis von Volkstum und Wissenschaft in Hubers „Staatswissenschaft" bewertet der Volkstumstheoretiker Boehm als die „notwendige" Verkümmerung der Volkslehre als Lehre vom Volkstum im Rahmen einer gesamten Staatswissenschaft; ebenda, S. 39. Vgl. Dernedde, Carl: Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft, in: JW, 63. Jg. (1934), Sp. 2514-2519 (2515). Demedde überträgt Freyers Konzeption der Wirklichkeitswissenschaft ebenso wie Huber mit Carl Schmitts Begriff des Politischen auf die „Staatslehre". Die deutsche Staatswissenschaft, S. 1. Ebenda, S. 29. Ebenda. Ebenda, S. 28.

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Stelle „die wirklichen Elemente der politischen Einheit zur Grundlage einer echten Ordnung" 43 zu stellen. Dem „Trennungsdenken" wird mit dem „konkreten Ordnungsdenken" begegnet, das einen Brückenschlag zwischen Normordnung, gesetzlichem Recht und der konkreten Lebenswirklichkeit als „Lebensordnung" zu beabsichtigten sucht. Die Synthesekraft und zugleich enzyklopädische Geschlossenheit wie auch der ganzheitliche Integrationsmechanismus der „gesamten Staatswissenschaft" wird begriffssoziologisch, quasi bausteinhaft mit der Logik des „Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" reproduziert. Als „Bausteine" oder „Begriffe", die kraft der Logik des Ordnungsdenkens zu „Positionen" synthetisiert werden, gelten der „politische Staatsbegriff' und die methodischen und politischen Kriterien des von Carl Schmitt übernommenen „Begriff des Politischen". Huber markiert den „politischen Staatsbegriff' als einheitsstiftendes Moment im staatswissenschaftlichen System aus einer Reihe von Abhängigkeiten und Interdependenzen. Methodisch ist der aus dem Ordnungsdenken abgeleitete „Gestaltbegriff" 44 und der Begriff des Politischen Carl Schmitts der Angelpunkt begrifflicher wie inhaltlicher Konstruktion. Das Politische wie die „Gestalt" sind zweckgebunden zur Stiftung von „Synthese" und Einheit. Das Ziel ist, geistige Strukturen in Begriffe zu fassen und zur „existentiellen Wirklichkeit" zu erheben: „Der Staat ist' Gestalt' heißt also, er ist nicht nur bewegte Kraft und nicht nur ruhendes Sein, sondern er ist die Einheit von Tat und Dauer in einer lebendigen Gestalt". 45 Der Gestaltbegriff begründet den „Staat" als historisch dauernd und formiert und soll ihn als „lebendige Ordnung" dem in Antithesen denkenden Positivismus entgegensetzen. Der „Staat" ist Huber als „Gestalt" eine „durch geschichtliche Tat von oben begründetet und entfaltete Ordnung." 46 Während der Staat als „Gestalt" und in der Intensität des „Politischen" zugleich Lebensform und geschichtliche Ordnung ist, verbindet Huber mit diesen Begriffen und Positionen einen von Hans Freyer abgeleiteten Wirklichkeitsbegriff, der die Staatswissenschaft als „politische Wirklichkeitswissenschaft" zu fundieren sucht: „Zu jeder vollen Wirklichkeit gehören Stoff und Geist, Materie und Idee; auch der Staat besteht nur als Einheit von körperlichem und geistigem Leben. Idee und Existenz des Staates ergeben erst, indem sie sich wechselseitig durchdringen, die Wirklichkeit der politischen Gestalt." 47 Huber distanziert sich vom soziologischen und juristischen Staatsbegriff, da aus beiden nur verschiedene Einzelzüge des staatlichen Seins zu einander entgegengesetzen Staatsbegriffen erwachsen würden. Ganzheitliche Wissenschaft fordert eben die Einheit des Gegenstandes in Theorie und Praxis. Der Begriff des Politischen wird hinzugezogen: „Der Staat ist politische Gestalt und sein wissenschaftlicher Begriff kann daher nur politischer Natur sein." 48 Huber umschreibt das Kriterium des Politischen nach Carl Schmitt als Freund-Feind-Kategorie und distanziert sich von jeglichem „Sachgehalt" des Politischen. Der Begriff des Politischen sei nur „Seins- und Handlungsform" und setze „eine lebendige Gestalt voraus, deren Wille, Entscheidung und Tat im Politischen hervortreten." 49 Die 43 Ebenda, S. 46. 44 Zum Gestaltbegriff bei Huber s. a.: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 30, 72f., 74f.. 45 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 31. 46 Ebenda, S. 70. 47 Ebenda. 48 Ebenda, S. 32. 49 Ebenda, S. 29.

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Identitätsformel „staatlich = politisch" impliziert nach Huber die Auffassung, daß der Staat Träger der Politik ist: „Der politische Begriff des Staates umschließt alle Bereiche des volklichen Seins, die naturhafte Existenz so gut wie die normative Ordnung, die Wirtschaft so gut wie die Sittlichkeit, die Macht so gut wie das Recht."50 Die Staatswissenschaft ist politisch wirkende Wissenschaft aufgrund ihrer Integrationsfunktion, die politischen Leitprinzipien des Nationalsozialismus, „Bewegung", „Führung" und „Gefolgschaft", in der wissenschaftlichen Gesamtschau zu begreifen, denn das wissenschaftstheoretische wie politische Ziel der Staatswissenschaft besteht darin, alle „politischen Betrachtungen" zusammenzufassen, „um den einheitlichen Gegenstand der Staatswissenschaft, die politische Gestalt des Volkes, zu begreifen."51 Aus diesem Ziel staatswissenschaftlicher Erkenntnis erwächst der gegliederte Fächerkanon, das zu einer „politischen Gesamtwissenschaft" integriert wird. An erster Stelle stehe die „Volkslehre" als die „materielle Grundlage der Staatswissenschaft",52 gefolgt von der „Staatslehre", der „Ständelehre", der „Wirtschaftslehre" und der „Rechtslehre" Eine auf eigenem Erkenntnisziel gründende „Politikwissenschaft" wird deshalb abgelehnt: „Die politische Gesamtwissenschaft kann nicht eine Wissenschaft der Politik' sein, da das Politische nur eine Funktion, nicht das Wesen selbst ist. Sie ist vielmehr Staatswissenschaft, die den Staat als wirkliche politische Gestalt und in ihm den Träger der Politik den Mittelpunkt des politischen Denkens begreift."53 Auch die integrationswissenschaftliche Theorie Ernst Kriecks finden dort Erwähnung. 54 50 51 52 53

Ebenda, S. 32. Ebenda, S. 64. Ebenda, S. 46. Ebenda, S. 32. Huber verwechselt trotz der Begründung der Staatswissenschaft als „politischer Wissenschaft" die damit divergierenden Etiketten: Einerseits lehnt er das „Politische an sich" im Sinne des Schmittschen Begriff des Politischen als nicht erschöpfende Definition ab, andererseits widerfahrt ihm der Fehler, die Staatswissenschaft als „dynamische Wissenschaft der Politik" zu definieren, womit die erkenntnismäßige Eigenständigkeit einer „Politikwissenschaft" gemeint ist; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 28; s. a. die mit Hubers Aussagen identischen Inhalte des Aufsatzes von Emst Krieck: Gibt es eine Wissenschaft von der Politik?, in ders.: Wissenschaft, Weltanschauung, Hochschulreform, Leipzig 1934, S. 55-60. 54 Huber: Verfassung, a. a. O., S. 302f.; ähnlich Krieck, Ernst: Zehn Grundsätze ganzheitlicher Wissenschaft, in ders.: Wissenschaft, Weltanschauung, Hochschulreform, a. a. O., S. 60-62. Kriecks Grundsätze ganzheitlicher Wissenschaft stimmen mit Hubers staatswissenschaftlichem System überein: 1. die Lebensbedingtheit aller Wissenschaft; 2. ihre Wirklichkeitsbedingtheit; 3. der Grundsatz der völkischen Bedingtheit von Wissenschaft, bei Huber im „politischen Staatsbegriff'; 4. der Grundsatz der historischen Bedingtheit aller Wissenschaft, bei Huber in der historischen Rekonstruktion und weltanschaulichen Kritik der Staatswissenschaft des 19. Jahrhunderts; 5. der Grundsatz der Gliedhaftigkeit und Standortgebundenheit aller Wissenschaft, der Eingebundenheit des Forschers in die Mitte des Seins im Dienste einer Weltanschauungswissenschaft; 6. der Anspruch der Dauergeltung der Wissenschaft in der Einheit von Theorie und Praxis, bei Huber durch die Freyersche Konzeption der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" konstituiert; 7. der Grundsatz der Totalität der Wissenschaft im Ziel; 8. der Grundsatz der weltanschaulichen Sinnhaftigkeit aller Wissenschaft, in der Option der Politisierung verdeutlicht; 9. der Grundsatz der Gegenwärtigkeit und Bindekraft aller Wissenschaft, der eine argumentitative Linie zu den Punkten 2, 7, 8 zieht; zuletzt 10. der Grundsatz der zukunftsbildenden Aufgabe der Wissenschaft, der in der „schöpferischen Teilhabe am Aufbau" des Nationalsozialismus gesehen wird; vgl. Krieck, a. a. O., S. 61f.

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5. Der Inhalt der „Staatswissenschaft": „Volk, Bewegung, Staat" - die Binnenstruktur der trinomischen Ordnungsreihe als „Verfassung" Der zur Macht gekommene Nationalsozialismus wurde von arrivierten Staatsrechtlern schnell mit neuen Definitionen theoretisch unterfüttert. Die äußere Organisationsform und Führungstechnik der nationalsozialistischen Bewegung war zudem durch die innere Form bestimmt, die sich am Verhältnis von Weltanschauung, Propaganda und Führertum darstellte. Frühe verfassungspolitische Studien hatten sich daran zu orientieren.1 Carl Schmitts knappe Kampfschrift „Staat, Bewegung, Volk - Die Dreigliederung der politischen Einheit" ist in diesem Sinne eine der wichtigsten staatspolitischen Programmschriften seit 1933. In der Periode vor 1933 bewegte sich Hubers Staats- und Verfassungstheorie einerseits in dem polaren Spannungsfeld von Gesellschaft und Staat, andererseits in dem sich aus konservativ-revolutionärem Gedankengut schöpfendem universalistischen Verhältnis einer parteiunabhängigen autoritären „Obrigkeit" zum „Volk".2 Die dreigliederige Ordnungsreihe stellt die Kategorien „Volk", „Bewegung" und „Staat" als „konkrete Ordnungen" im Rahmen des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" als einem neuen rechtswissenschaftlichen Denktypus3 in „allen wesentlichen Konstruktions- und Organisationslinien des konkreten staatlichen Aufbaues"4 der „zweiteiligen Staatskonstruktion der Liberaldemokratie"5 entgegen. Dieser Dreiklang wird bei Ernst Rudolf Huber im Sinne der „Einheit der Staatsgewalt"6 zum verfassungspolitischen Dogma und zum Merkmal des nationalsozialistischen Staatsaufbaus erhoben. Die Wechselbeziehung zwischen den drei „konkreten Ordnungen" stellt Huber über die „politischen Leitprinzipien des Nationalsozialismus",7 Bewegung, Führung, Gefolgschaft, her und konstruiert die ideologische Binnenstruktur des nationalsozialistischen Herrschaftssystems als „politische Verfassung".8 Die „Binnenstruktur" dieses Systems ergibt sich aus dem politischen Verhältnis von „Volk", „Bewegung" und „Staat" als Struktur- und Wirkungszusammenhang. Wesentliche Elemente der universalistischen Staatstheorie Hubers waren schon vor der Machtergreifung in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft ausgebildet, wenn auch bis 1932 aus dem geistesgeschichtlichen Rahmen der „Konservativen Revolution" mehrheitlich nicht tragfahig. Die trotz der Orientierung an den offiziellen „Sprechblasen" der nationalsozialistischen Führung und des Parteiprogramms sehr unterschiedliche Akzentuierung der Kategorien 1 2 3

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Broszat, Martin: Der Staat Hitlers, a. a. O., S. 33. Vgl. Obrigkeit und Volk, a. a. O.; Demokratie und Wirtschaft, a. a. O.. Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, a. a. O., S. 18£; zur Rezeption vgl. Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, a. a. O., S. 143ff, s. a.: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 56ff, 64f.. Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, a. a. O., S. 12. Ebenda, S. 22. Huber: Die Einheit der Staatsgewalt, a. a. O., S. 950. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 28. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, Hamburg 1935, S. 39ff..

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„Volk", „Staat", „Bewegung" und „Verfassung" in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre9 spiegelt sich schon im Zusammenhang des Führer-Gefolgschaftsverhältnisses wider. Darüberhinaus ist der Weimarer Etatismus Hubers und Schmitts seit der sich 1933 abzeichnenden Verfassungsrealität des Dritten Reiches mit der inhaltlichen und verfassungstheoretischen Berechenbarkeit des Spannungsverhältnisses von Staat und Volkstumsideologie sowie Partei und Staat konfrontiert. Der inhaltlich kaum festgelegte programmatische Satz vom „Vorrang des Volkswohls" wurde in der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre zum Gemeinplatz einer bis 1939 kaum berechenbaren Polemik der Priorität des „Volkes" gegenüber dem „Staat". Mit der Vielfalt der Ideenkonglomerate hatte auch Hubers Verfassungstheorie um weltanschauliche Akzeptanz in den Reihen der Staatsrechtswissenschaft zu kämpfen.10 Während Carl Schmitt 1933 mit der Schrift „Staat, Bewegung, Volk" um einen tragfahigen Kompromiß zwischen den Nationalsozialisten, der Reichswehr und der Staatsbürokratie bemüht ist, das Monopol des Politischen auf das „politisch-statische" staatliche Behörden- und Ämterwesen sowie das „politisch-dynamische" Moment der nationalsozialistischen Bewegung aufteilt und damit eine Diskontinuität zu seiner Weimarer Staatstheorie dokumentiert,11 verändert Huber die Konfiguration der dreigliederigen Ordnungsreihe in der Umkehrung der Reihenfolge „Volk, Bewegung und Staat".12 Huber verwirft nicht nur die Reihenfolge der Schmittschen Trinomie „Staat, Bewegung, Volk", sondern modifiziert auch die von Carl Schmitt definierte Hierarchie und Teleologie der dreigliederigen Einheit innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaftsordnung. Der Grund dieser inhaltlichen Akzentuierung liegt in der eigenständigen Rezeption des Schmittschen „Begriff des Politischen" und des „Einheitsdenkens". Schmitts Kategorisierung des „Volkes" als neben dem „statischen" Staat und der „dynamischen" Bewegung „im Schutz und Schatten der politischen Entscheidung wachsende unpolitische Seite" 13 , muß bei Huber auf scharfe Ablehnung im Rahmen des programmatischen Leitsatzes der „Einheit der Staatsgewalt" stoßen. Zum einen bricht Schmitt mit dem in der Hand des Staates befindlichen Monopol des Politischen, indem das „Volk" als unpolitisch etikettiert wird. Im übrigen würde im Rahmen der Schmittschen Terminologie die Frage der „Neutralisierung" als Antithese zum Politischen heraufbeschworen. Zum anderen ist auch die Argumentation, daß mit dem Nationalsozialismus „das Politische nicht mehr vom Staate her", sondern der „Staat vom Politischen her bestimmt"14 werde, keine hinreichende Legitimation, das Volk als „unpolitisch" neben die „Bewegung" zu stellen. Der „Staat" wird dem Politischen nach der ideologischen Vorgabe des Nationalsozialismus untergeordnet, so daß die ursprüngliche Fassung des „Begriff des Politischen", der Staat sei der „politische Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes",15 indem er den Begriff des Politischen voraussetze, nicht mehr gilt. Die Priorität des

9 Meinck: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 152ff.. 10 Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, a. a. O., S. 217f.. 11 Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, a. a. O., S. 13. Dazu Neumann, Volker: Der Staat im Bürgerkrieg. Kontinuitäten und Wandlungen in der politischen Theorie Carl Schmitts, a. a. O., S. 148. 12 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 33, 38. 13 Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, S. 12. 14 Ebenda, S. 15. 15 Schmitt: Der Begriff des Politischen, a. a. O., S. 20.

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Politischen gegenüber dem Staat geht bei Schmitt einher mit der Neutralisierung des Volkes als unpolitische Größe.16 Huber lehnt diese Interpretation Schmitts im Zusammenhang der „organischen Totalität" 17 des Einheits- und Gestaltungsdenkens als Ausdruck der romantischen und idealistischen Staatsphilosophie ab. Das „Politische" sei eine „Seins- und Handlungsform", die „eine lebendige Gestalt" voraussetzt. Träger der Politik sei der Staat, „der trotz aller Veränderungen, Umbrüche und Wandlungen im Kern seines Wesens der gleiche bleibt. [...] Der Staat ist die Gestalt des politischen Volkes."18 Huber bleibt demnach bei dem Schmittschen Begriff des Politischen von 1932 mit der dissoziierten Identität von „Staatlich" und „Politisch" als Status des Volkes und betont dabei: „Der Nationalsozialismus kennt weder einen Primat der Gesellschaft' vor dem Staat, noch einen Primat des Staates' vor dem Volk. Trotzdem ist es möglich und sogar notwendig, die politische Totalität des völkschen Staates zu betonen".19 In diesem Sinne sind Huber „Einheit" und „Ganzheit" die tragenden Verfassungsprinzipien des nationalsozialistischen Staates. Die „völkische Einheit" sei stets das Erste, im ,folgerichtigen praktischen Handeln wird Stück für Stück die Verfassung der deutschen Einheit geformt: Die Einheit der Staatsgewalt, die Einheit von Partei und Staat, die Einheit von Reich und Ländern sind die großen Fundamente des Einheitsgedankens [...]."20 Dem Prinzip der „Einheit" stellt Huber als zweites Verfassungsprinzip das der „Ganzheit" oder „Totalität" als eines „politischen Grundwertes" zur Seite. Das Prinzip der „Totalität" habe den Sinn, „die äußere und innere Einheit des Volkes und Reiches herzustellen und unantastbar zu erhalten."21 Der Grundsatz der politischen Totalität bedeute als „geistige Haltung" die „absolute Verbindlichkeit des alles umfassenden und alles durchdringenden völkischen Lebensgesetzes."22 Das Politische umschreibt Huber als die „Totalität der völkischen Substanz".23 Das besagt in der Logik des durch Hegel bestimmten Einheitsdenkens, daß die „politische Totalität des Nationalsozialismus" als geistige Haltung die „Totalität der völkischen Idee" ist. Die „subjektive Volksüberzeugung" und der „objektive Volkswille" sind im Hegeischen Sinne als subjektiver und objektiver Geist „substantiell" und damit „total".24 Der Schmittsche Begriff des Politischen gewinnt in Hubers Totalitätsdenken somit die Funktion der substantiellen geistigen Durchdringung,

16 Schon in der Verfassungslehre stellt Schmitt zwei entgegengesetzte Gestaltungsprinzipien zur Wahl. Das „Volk" sei als Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt „in seiner Identität mit sich selbst eine politische Einheit" oder es müsse „repräsentiert werden"; vgl. Verfassungslehre, a. a. O., S. 262, 205. Die beiden politischen Gestaltungsprinzipien tauchen in der Schrift „Staat, Bewegung und Volk" in dem Nebeneinander von unpolitischem Volk und politischer Bewegung wieder auf; vgl. auch: Holczhauser, Vilmos: Konsens und Konflikt. Die Begriffe des Politischen bei Carl Schmitt, Berlin 1990, S. 116f., 122ff. 17 Vom Sinn der Verfassung, S. 21. 18 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 29f.. 19 Die Totalität des völkischen Staates, S. 35. 20 Vom Sinn der Verfassung, S. 21. 21 Ebenda. 22 Ebenda. 23 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 45. 24 Die Totalität des völkischen Staates, S. 35.

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welche die „Lebenseinheit" „Volk" als „Seins- und Handlungsform" aktiviert und damit zur,historischen Gestalt" heranwachsen läßt.25 Die bündige Formel „Die Totalität des Staates ergibt sich als notwendige Folge aus der Totalität der Idee, der Bewegung und des Volkes"26 verweist noch einmal auf die dynamische Einheit der Ordnungsreihe „Volk, Bewegung und Staat". Das Totalitätsdenken reduziert die bei Carl Schmitt in der Trinomie stets gegenwärtige Hierarchie von „Staat" und „Volk". Den Anspruch der „organischen Totalität" veranlaßt Huber dagegen, die Hierarchie in „Organschaften" innerhalb des Staates aufzuheben, denn „Ziel der Verfassung ist, alle Äußerungen des politischen Lebens durch objektive Normen zu binden und deren Beachtung durch Kontrolle zu sichern. Deshalb werden alle politischen Kräfte zu Organen' des Staates gemacht und dadurch der Verfassung unterworfen. Mit dem Gedanken der 'Organschaften' [...] bildet sich ein geschlossenes System gegenseitiger Kontrollinstanzen aus. [...] die ganze Verfassung ist im gründe nur ein großer komplizierter Kontrollmechanismus."27 Die Binnenstruktur der trinomischen Ordnungsreihe impliziert das den politischen Leitprinzipien des Nationalsozialismus unterworfene Verhältnis von „Volk", „Bewegung", „Staat" und „Partei". Die „Stufenleiter der Begriffe",28 die Huber verwendet, bedarf der sinnimmanenten Rekonstruktion im Rahmen der staatstheoretischen Debatte.

a) „Volk" und „Staat" Trotz der Dialektik des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" ist das von Huber beschriebene Verhältnis von „Volk" und „Verfassung" als Volksgemeinschaftsideologie in der nationalsozialistischen Staatslehre als nicht unproblematisch beurteilt worden. Das in der Formel „Der Staat ist die Gestalt des politischen Volkes"29 festgeschriebene Verhältnis hindert Huber nicht daran, mit zwei unterschiedlichen Volksbegriffen, welche die Gestaltungsform beschreiben sollen, zu arbeiten.30 Trotz der dem Grundwert der „politischen Totalität" unterworfenen Auffassung, daß „Volk" und „Staat" eins sind, so „wie Wesen und Form, Gehalt und Gestalt zwei Erscheinungsformen derselben Substanz sind",31 verwendet Huber nach Arndt und Hegel einen „doppelten Begriff des Volkes". Der Angelpunkt der Unterscheidung von „natürlichem" und „politischem Volk" ist die der Rezeption des „Begriff des Politischen" immanente Unverbundenheit der Elemente „Natur" und „Idee".32

25 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30; s. a. Wesen und Inhalt der politischen Verfassimg, S. 43, 53f.. 26 Die Totalität des völkischen Staates, S. 39. 27 Vom Sinn der Verfassung, S. 23. 28 Trefflich: Höhn, Reinhard: Volk und Verfassung. Eine Auseinandersetzung mit Emst Rudolf Huber, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 2 (1937), S. 193-218 (200). 29 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30. 30 Dieser Problematik ist in der „Verfassung" und im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" ein ganzes Kapitel gewidmet: „Der politische Begriff des Volkes"; vgl. Verfassung, S. 54ff.; Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 150ff.. 31 Die Totalität des völkischen Staates, S. 42. 32 Meinck, a. a. O., S. 153. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 45; s. a.: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30.

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Das „natürliche Volk" sei die unbewußt entstandene und gestaltete Einheit, die Sprache und Religion in „organischen Wachstum" entwickelt habe, 33 „politisches Volk" dagegen nur „das Volk, das zum Bewußtsein seiner geschichtlichen Sendung erwacht ist und im Staate die Form gefunden hat, in der es diese geschichtliche Aufgabe erfüllen kann." 34 Die zentrale politische Stellung des Volkes besage, daß „es nicht durch den Staat gestaltet und geprägt ist, sondern daß es von sich aus den Staat erzeugt und formt: „Das Volk ist der Urtatbestand des politischen Gesamtdaseins. Es ist Ursprung und Substanz des Staates." 35 Doch der „Urtatbestand" besagt nicht, daß das Volk ursprungshaft „politisch" ist. „Das politische Volk erwächst aus dem natürlichen Volk", das als „blutmäßige und räumliche Einheit ursprünglich entstanden ist." 36 Hubers Annahme, daß das Volk als Vielheit an sich „unpolitisch" und nur durch Zuordnung zu einem „übergeordneten politischen Verbände" zu einem „politischen Status" erhoben werden kann, 37 liegt die historischteleologische Argumentation zugrunde, daß es politische Verfassungsformen gegeben hat, in denen Volk und Staat einem „Trennungsdenken" zum Opfer fielen. 38 Der Antagonismus von „Natur" und „Idee" impliziert den doppelten Volksbegriff.39 Das „natürliche Volk" ist als „reale naturhafte Existenz" und als Vorstufe des „politischen Volkes" nicht Volksgeist, die Einheit von „Idee" und „Wirklichkeit" ist im „politischen Volk" verwirklicht. 40 Immerhin verweist Huber in der staatstheoretischen Auseinandersetzung immer wieder auf das Potential des „Aufgegebenseins" der politischen Einheit im doppelten Volksbegriff.41 Das „politische Volk" sei im Sinne der Volksgeistlehre eine „in sich entwickelte, wahrhaft organische Totalität" und schließe als „Träger der gegenwärtigen Entwicklungsstufe des Weltgeistes" den Begriff des Staates in sich: „[...] seine volle Form, seine Objektivität', findet das Volk erst im Staat". 42 Huber geht also davon aus,

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Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 154. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 35; ähnlich: Die Totalität des völkischen Staates, S. 36f.. Die Totalität des völkischen Staates, S. 36f. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 35. Die Totalität des völkischen Staates, S. 36. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 33; vgl. auch.: Verfassung und Verfassungswirklichkeit bei Carl Schmitt, in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 36, Anm. 40. Demgegenüber fordert Hans Gerber die Einheit von „Natur" und „Idee"; vgl. Gerber: Der politische Begriff des Volkes. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Volkslehre E.R. Rudolf Hubers, a. a. O., S. 146f.. Die Totalität des völkischen Staates, S. 36. Vgl. Huber: „Auf dem Weg zum neuen Reiche". Bemerkungen zu den politischen Schriften von Hans Gerber, in: ZgS, Bd. 95 (1934/35), S. 545-551 (551). Trotz vieler Übereinstimmungen der Staatstheorien Gerbers und Hubers insbesondere in der Lehre von der Einheit von „Volk" und „Staat" vermißt Huber in Gerbers Theorie das „naturhafte Sein des Volkes"; vgl. dazu die Erwiderung Gerbers: Der politische Begriff des Volkes, a. a. O., S. 129f.; s. a. Huber: Rez. „Herbert Krüger: Führer und Führung, Breslau 1935", in: ZgS, Bd. 95 (1934/35), S. 552-554. Huber unterscheidet in der Distanzierung von Krügers Nationbegriff die existentielle „Vorgegebenheit" und die ,Aufgegebenheit" des Volkes, die der Unterscheidung von „natürlichem" und „politischem" Volk entspricht. Das Volk bestehe vor jeder geschichtlichen Leistung als eine „naturhafte Einheit"; vgl. ebenda, S. 553; s. a. Rez. „Hans Gerber: Freiheit und Bindung der Staatsgewalt, Tübingen 1932", in: AöR, NF Bd. 24 (1933/34), S. 244-246. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 6; s. a. Hegel: Rechtsphilosophie, §§ 279, 331, 347 und 349.

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daß sich das Volk im Staat „verwirklicht" und knüpft an Hegels Philosophie des „objektiven Idealismus" an, die den Unterschied von „urständigem" (oder „natürlichem") Volk und dem „politischen Volk" im Staat dialektisch versteht. Politisches und staatsbezogenes Volk fallen in diesem Denken zusammen.43 Der Begriff des „politischen Volkes", der inhaltlich auf Hans Freyer zurückgeht,44 sieht sich der Trennung von Natur und Geist ausgesetzt, die Hans Gerber als dem organischen Gemeinschaftsdenken nicht angemessen kritisierte.45 In der staatstheoretischen und staatsphilosophischen Auseinandersetzung des Nationalsozialismus stieß das junghegelianische Methodendenken mit dem dialektisch verstandenen „doppelte Volksbegriff" keineswegs auf Zustimmung. Reinhard Höhn unterstellt Huber in der Konstruktion von „natürlichem" und „politischem" Volk eine Trennung von „Rasse" und „Geschichte".46 In der Tat verlegt Huber das „rassische" Element in das „natürliche" Volk und entzieht dem Prozeß der „Volkwerdung im Staat" die eigentliche Bedeutung des nationalsozialistischen Rassegedankens, die in seiner „Wirkungskraft"47 liegt. Das „politische Volk", werde durch die „Einheitlichkeit der Art" gebildet. Im „natürlichen" Volk ist das „rassische" Element der „Art" als „Vorwissen" integriert. Die Vermittlung normativer und faktisch „natürlicher" Elemente im nationalsozialistischen Volksbegriff, die im allgemeinen der Rassenideologie zufiel,48 konnte Huber nur mit dem Totalitätsdenken „lösen", weil das „rassische" Element als gestalterisches Moment der Volksordnung fehlt. „Rasse" sei eine durch „leib-seelische Merkmale ausgezeichnete Abstammungsgemeinschaft" im „natürlichen Volk" als „naturhafte, elementare, organische und zunächst unbewußt vorhandene Ganzheit".49 Diese Haltung entsprach der neuhegelianischen Richtung, die „Rasse" als „Naturphänomen" und gegenüber dem „objektiven Volksgeist" nied-

43 Vgl. Larenz, Karl: Rechts und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 146; s. a. Hungelmann, Karl Georg: Volk und Staat im Wandel des deutschen Schicksals, Essen 1940, S. 4, 59; zum „objektiven Idealismus" vgl. Lege, Joachim: Neue methodische Positionen in der Staatsrechtslehre und ihr Selbstverständnis, a. a. O., S. 30-33. Huber verwendet verschiedene Begriffe für das „natürliche" Volk; zum einen den der „Ursprungshaftigkeit", der in der staatstheoretischen Diskussion fälschlicherweise mit Boehms „eigenständigem" Volk in Verbindung gebracht wird, so: Hungelmann, a. a. O., S. 4; Huber: Die Totalität des völkischen Staates, S. 36. Zum anderen verwendet Huber zum „politischen Volk" den antagonistischen Begriff „unpolitisches" Volk. 44 Vgl. Freyer: Der politische Begriff des Volkes, Neumünster 1933. 45 Gerber, Hans: Der politische Begriff des Volkes, a. a. O., S. 146f.; ähnliche Kritik mußte Huber im Rahmen seiner staatswissenschaftlichen Konzeption erdulden, vgl. Muth, Heinrich: Staatswissenschaft und Revolution, a. a. O., S. 252, 254; Muth kritisiert die Hubersche Unterscheidung von „natürlichem" und „politischem Volk" und die Ausblendung der völkischen Perspektive, da der Staat im Mittelpunkt des Denkens stehe: „[...] es fehlt eine eindeutige Herausstellung des Volkes und seiner Gemeinschaftsformen als der Grundlage, von der heute jede Erörterung auszugehen hat"; vgl. a. a. O., S. 252. 46 Höhn, Reinhard: Volk und Verfassung, a. a. O., S. 195f.. 47 Ebenda, S. 195. Huber weist diese Kritik Hohns entschieden zurück, bedient sich aber nicht des ,/assischen" sondern des „historischen" Arguments: „[...] das politische Volk ist als eine geschichtliche Entwicklungsstufe des naturhaften Volkes verstanden"; vgl. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, Anm. 1, S. 153. 48 Meinck, a. a. O., S. 154. 49 Huber: Verfassung, S. 57.

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rigen Ranges aufzufassen. 50 Das „Artbewußtsein" ist dem „natürlichen Volk" zu eigen, die geschichtliche Wirksamkeit dem „politischen Volk".51 Für Huber ist das rassische Element als im „natürlichen Volk" verwurzelte Eigenheit notwending „unpolitisch", da die Bewußtwerdung des Volkes im Staat - die Entwicklung zum politischen Volk - als die historische Aufgabe besteht. Den beim Verhältnis von „Volk" und „Staat" unbeantworteten Entwicklungsmodus vom „natürlichen" zum „politischen" Volk stellt Huber über die „Bewegung" her: „Sie formiert und aktiviert das politische Volk, sie macht es zum willens- und handlungsmäßigen Körper und erbaut aus ihm den Staat."52 In diesem Zusammenhang ist auffallend, daß der „organische" Prozeß des sich zum Staat gestaltenden Volkes seine figurative, „von unten" bildende Kraft verliert. Die „Bewegung" gestalte die „deutsche Lebensgemeinschaft" kraft „Erziehung" zum „politischen Volk und zum „politischen Willensträger der Nation". 53 Der Vorwurf Hohns, daß Huber noch weitgehend von dem bisherigen Dogma des „Zwiespaltes zwischen dem aktionsunfahigen Volk einerseits und dem rechts- und handlungsfähigen Staat andererseits" ausgehe und das Volk erst durch den Staat willens- und handlungsfähig werde, 54 wird auch von Max-Hildebert Boehm geteilt. Schließlich wirft Huber Boehm vor, im „eigenständigen" Volk eine Entzweiung von „Volk" und „Staat" in der Entwicklung einer Volkstheorie als „Gegentheorie zur Staatslehre" zu entwerfen und betont seinen Standpunkt: „Ohne Staat und Staatlichkeit gibt es kein Volk, so wie es ohne

50 Meinck, S. 157; Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 153f.. Auch Otto Koellreutter eliminierte den Rassegedanken aus dem Verhältnis von „Volk" und „Staat"; vgl. Meinck, a. a. O.. Reinhard Höhn kritisiert den Hegeischen Idealismus in der Rechtsphilosophie insoweit, als er mit dem Zwischenglied des „objektiven Geistes" eine „Blutsgemeinschaft" nicht verständlich machen könne; vgl. Höhn: Rechtsgemeinschaft lind Volksgemeinschaft, Hamburg 1935, S. 69f. Für Huber hat die Rassegesetzgebung nur den Sinn, das Volk als naturhafte Einheit wiederherzustellen, während das „politische Volk" als nachgeordnete Gestaltungsfunktion bereits aus diesem „rechtsgestaltenden" Zusammenhang herausfallt; vgl. Gerber, Hans: Der politische Begriff des Volkes. Eine kritische Betrachtung zur Volkslehre von E.R. Huber, a. a. O., S. 149; Gerber zustimmend, das „natürliche Volk" dabei kritisierend: „Huber hat ganz recht, wenn er sagt, 'die Rasse ist naturhafte Grundlage des Volkes'. Aber gerade von dieser Einsicht aus verliert die Vorstellung eines natürlichen Volkes gänzlich ihre Berechtigung" (a. a. O., S. 147). 51 Für die volkstheoretische Auseinandersetzung des Nationalsozialismus ist bezeichnend, daß dem „Volk" als „Wirklichkeitsbestand" naturhaftes und geistiges Prinzip als untrennbar zuerkannt wird, aber entsprechend dem theoretisch-philosophischen Standort das eine oder andere in der Auseinandersetzung dominiert. Huber kritisiert an Hans Gerber die idealistische, wenig wirklichkeitsorientierte Perspektive der Staatstheorie, die das geistbestimmte Volk im Vordergrund sieht; vgl.: Auf dem Weg zum Neuen Reiche. Bemerkungen zu den politischen Schriften von Hans Gerber, a. a. O., S. 549; während umgekehrt Gerber an Huber die Überbewertung des „natürlichen Volkes" und die Geringschätzung des geistigen Wesen des Volkes entgegenhält; vgl. Gerber: Der politische Begriff des Volkes, a. a. O., S. 142. Sinngemäß sind Hubers Positionen mit denen Freyers deckungsgleich, denn auch Freyers Position - „Die Intensivierimg des Historischen ist das Politische"; (vgl.: Freyer: Der politische Begriff des Volkes, S. 4) - findet hier seine Anwendung in der Einheitslogik, daß nur das „politische Volk" zur historischen Gestalt herauswächst. 52 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 38. 53 Vom Sinn der Verfassung, S. 22. 54 Höhn, a. a. O., S. 194.

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Volk keinen Staat gibt."55 So gehöre das „Verhältnis von Volk und Staat im völkischen Staat',, zu den „schwierigsten Problemen der Staatsphilosophie".56 Die Forderung der Einheit von „Volk" und „Staat" scheiterte in der nationalsozialistischen Staatstheorie an den a priori gesetzten Prämissen einer Volkstheorie oder einer Staatstheorie, oder an dem unter einem Begriff des Politischen zusammengefaßten Nebeneinander von „Volk" und „Staat", wie es insbesondere von Alfred Baeumler, Alfred Rosenberg und Roland Freisler vertreten wurde. Die Mißverständnisse resultierten aus einem keineswegs konsensualen Volks- und Staatsverständnis in der offenen nationalsozialistischen Volksgemeinschaftsideologie und einem latenten Methodenpluralismus in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft.57

b) Die Vermittlungsfunktion der „Bewegung" Das aus der Weimarer Zeit überlieferte Bild der „Bewegung" als „politischer Kampfverband" mußte in der Verfassungsordnung bis 1933 als nicht systemgerecht hingestellt werden, um mit der Machtergreifung die „Bewegung" als die „Anlage und den Kern der neuen Verfassung" vorauszusetzen.58 Die Integrationslogik des Totalitätsdenkens bei Ernst Rudolf Huber läßt je nach der Behandlung der verschiedenen Grundprinzipien der nationalsozialistischen Verfassung zu, sowohl vom „totalen völkischen Staat", als auch vom „Führerstaat" oder „Bewegungsstaat"59 zu sprechen. Über die „Bewegung" als „politisch-dynamische Kraft" 60 wird im Rahmen der politischen Totalität des Nationalsozialismus der Zusammenhang von „Volk" und „Führer", von „Führung" und „Gefolgschaft" und von „Staatsgedanken" und „Partei" hergestellt. Die Bewegung übt in der Binnenstruktur der völkischen Verfassung in der Verfassungstheorie Hubers eine strategische Funktion als „Mittler zwischen Volk und Staat"61 aus: „Der deutsche Bewegungsstaat wird durch die dreigliederige Einheit von Volk, Bewegung und Staat begründet, eine Einheit, die dadurch gekennzeichnet ist, daß Staat, Bewegung Volk unterschieden, aber nicht getrennt, verbunden, aber nicht verschmolzen sind." 62 Dieser allgemeine, den Gesamtzusammenhang der Bewegung heraus55 Huber: Rez. „Max-Hildebert Boehm: Das eigenständige Volk. Volkstheoretische Grundlagen der Ethnopolitik und Geisteswissenschaften, Göttingen 1932", in: BldPh, Bd. 7, (1933/34), S. 205. 1935 gesteht Huber Boehm ein, in der Monographie „Volkstheorie als politische Wissenschaft" eine „Abkehr von der unstaatlichen Volkslehre zu vollziehen"; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 48, Anm. 1. 56 Huber: Rez. „Alfred Baeumler: Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934", in: BldPh, Bd. 7, (1933/34), S. 177-180 (179). 57 Rüthers, Bernd: Rechtslehren und Kronjuristen im Dritten Reich, 2. Aufl., München 1989, S.

33t. 58 Huber: Die Rechtsgestalt der NSDAP, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Bd. 4, 1939, S. 314-351 (318). 59 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 37, 40. 60 Ebenda. 61 Die Totalität des völkischen Staates, S. 38. 62 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 293; nach Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, a. a. O., S. 21.

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stellende Satz wird durch die Hervorhebung der Vermittlungsfunktion der „Bewegung" noch detaillierter definiert: „Drei Wesenszüge bezeichnen die Gestalt des deutschen Staates: die staatstragende Bewegung, das Führertum und die Totalität. Die Bewegung besitzt dabei den Vorrang und bildet die Grundlage der beiden anderen Wesensmerkmale, da Führertum und Totalität nur aus dem Sein der Bewegung richtig verstanden werden können." 63 Der amorph wirkende Zusammenhang von „Volk" und „Staat" findet in der ,3ewegung" ein aktives „Zwischenglied", das die Binnenstruktur hierarchisiert und gliedert, aber auch das „Volk" als Subjekt und Objekt der Herrschaftsordnung unterordnet: „Die Bewegung selbst ist die gestaltende Grundkraft des gesamten politischen Lebens".64 Für Hubers Ausführungen ist deshalb charakteristisch, daß einerseits das „Volk" als aus der „Bewegung" schöpfende Kraft mit dem Stichwort „Bewegungsstaat", andererseits das aus der „Bewegung" sich ableitende „Führertum" mit dem Begriff „Führerstaat" in Verbindung gebracht wird. Durch die Zwischenschaltung der NSDAP als der „staatstragenden Bewegung" wird das Konglomerat der „politischen Grundprinzipien der Verfassung" aber noch weiter erschwert. Die innere Einheit von „Volk" und „Bewegung" stellt Huber über die Funktion der „Führung" her, mit der die drei Aufgaben der ,3ewegung" umschrieben werden: „Erziehung des Volkes, Formung der Weltanschauung, Auslese der Führer ergeben zusammen die entscheidende Funktion der Bewegung: politischer Willensträger des Volkes zu sein."65 Die „Bewegung" sei durch diese Mittel die „staatsbestimmende und staatsgestaltende Kraft". Doch die Funktion der Bewegung täuscht nicht darüber hinweg, daß die Herrschaftsstruktur die innere Dynamik des Bewegungsstaates bestimmt. Huber schwächt den hierarchischen Herrschaftswert der „politischen Führung" als „Repräsentation" ab, die nicht Interessenvertretung, sondern im Sinn des Hegeischen Identitätsdenkens „die Idee des Volkes zu sichtbarem Ausdruck" bringe. Die ursprüngliche Aussage, daß das „Volk von sich aus den Staat erzeugt und formt", 66 wird durch den Leitsatz, daß der Führer der „oberste Träger der Willensbildung im Volke"67 ist, relativiert. Erst der durch „Führung" kraft Souveränität und Autorität begründete „herrschaftliche Staat" macht in der Logik des Totalitätsdenkens in der Konstruktion Sinn, „Bewegungsstaat" und „Führerstaat" zur Einheit zu binden, denn: „Der herrschaftliche Staat ist die Totalität des politischen Volkes".68 Durch „den Führer sind Volk, Bewegung und Staat zum geschlossenen politischen Gesamtkörper verbunden worden."69 Mit den Leitmotiven „herrschaftlicher Staat" und „staatliche Führungsordnung" stellt Huber über die „Bewegung" in der dreigliederigen Ordnungsreihe „Volk, Bewegung Staat" den Zusammenhang von „Führung", „Partei" und „Staat" her.

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Die deutsche Staatswissenschaft, S. 36f.. Partei, Staat, Volk, in: DR, Jg. 5 (1935), S. 309-312 (310). Die deutsche Staatswissenschaft, S. 39. Die Totalität des völkischen Staates, S. 37. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 41. Ebenda, S. 43. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, in: ZgS, Bd. 95 (1934/35), S. 202-229 (226).

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschaft "

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c) „Partei" und „Staat" Ein wichtiges Strukturmerkmal der nationalsozialistischen Herrschaft war das Nebeneinander von „Partei" und „Staat". Wenn diese Dualität in der Herrschaftswirklichkeit auch als Neben- und Gegeneinander von Legalitäts- und Opportunitätsprinzip bezeichnet wird, 70 so äußert sich das in Hubers „Verfassung" nach den ideologischen Vorgaben als klare Kompetenzstruktur.71 Die der „Bewegung" zugestandene Funktion der politischen Willensbildung zentriert Huber in der NSDAP, deren Ziel sei, „das gesamte Volk zur politischen Einheit zu formen, alle Volksgenossen zum gemeinsamen freiwilligen Einsatz fur das Ganze zu gewinnen und als Willensträger des Volkes Bürge für die politische Geschlossenheit und Macht nach innen und außen zu sein." 72 Der NSDAP wird nicht nur eine organisatorische Funktion als „öffentlichrechtliche Körperschaft"73 innerhalb des nationalsozialistischen Staatsaufbaus zugewiesen, sondern als „verfassungsgestaltender Bewegung des Reiches" und „Träger hoheitlicher Befugnisse" die Stellung einer „Verfassungseinrichtung" gewährt, die über die hoheitliche Verwaltungsaufsicht öffentlicher Korporation weit hinausgeht. 74 Die NSDAP sei „der politische Stand des deutschen Bewegungsstaates".75 Als „Grundeinrichtung der Verfassung" unterliege die Partei nicht der Aufsicht eines staatlichen Organs, sondern schaffe eigenes Recht. Auch der „Führer" übe als Führer der

70 Vgl. Diehl-Thiele, Peter: Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung 1933-1945, München 1969, S. 28f.. Selbst 1937 hat Reichsinnenminister Wilhelm Frick noch das Verhältnis von Partei und Staat als das Problem des Dritten Reiches überhaupt bezeichnet; vgl. Diehl-Thiele, S. 28, Anm. 76. 71 Dennoch erliegt Huber in dem NSDAP-Rechtsgutachten selber dem Kompetenz- und Strakturwirrwarr und dem Problem der Einheit oder Verklammerung der beiden Machtsphären; vgl. a. a. O., Anm. 58. 72 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 292. 73 Mit dem „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" vom 1. Dezember 1933 bekam die NSDAP den Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts"; vgl. Huber: Partei, Staat, Volk, a. a. O., S. 311; detaillierter das Rechtsgutachten: Die Rechtsgestalt der NSDAP; a. a. O., S. 323ff, 325f.; vgl. auch die Diskussion um das Körperschaftsdenken im Staatsrecht: Zum Begriff der Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: RVB1., Bd. 61 (1940), S. 613-617 (614). 74 Partei, Staat, Volk, S. 311; Die Rechtsgestalt der NSDAP, a. a. O., S. 326. Huber beschreibt äußerst subtil die funktionale Ausstrahlung der Parteiverwaltung in den Bereich der Staatsverwaltung, begeht aber den Fehler, das Verhältnis von Partei und Staat in strukturelle und rationale Formen zu bringen und sich von dem Postulat der „ E i n h e i t v o n Partei und Staat" zu entfernen. Da keine klare Konzeption der rationalen Zuordnung von Partei und Staat im Dritten Reich existierte, versucht Huber die Kompetenzüberlagerung beider Institutionen, die in seinem Gutachten strukturell rekonstruiert ist, nun juristisch zu überspielen. Einerseits weist Huber den Instrumentalcharakter der Partei in der Rechtsform der „öffentlichrechtlichen Körperschaft" von sich, zum anderen vermeidet er eine juristische Ersatzkonstruktion und spricht abschließend im Zusammenhang der „funktionalen Elemente der Rechtsgestalt der NSDAP" von der „Elastizität der Formgebung": „Ausgangspunkt für die rechtswissenschaftliche Betrachtung muß sein, daß die 'Rechtsgestalt' eines verfassungstragenden Verbandes sich nicht statisch in seiner Organisation erschöpft, sondern nur dynamisch in seinem Wirken ergriffen werden kann", vgl. ebenda, S. 351. 75 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 37.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Bewegung nicht als „Staatoberhaupt" in der Partei Rechtssetzungs- und Aufsichtsfunktionen aus, sondern sei in dem System von „Personal- und Realunion" zwischen Partei- und Staatsamt unterschieden.76 Die Partei sei „gegenüber dem Staat ein geschlossener und undurchsichtiger (impermeabler) Gesamtkörper."77 Das von Huber erstellte Rechtsgutachten zur NSDAP in der funktionalen Durchdringung von Partei- und Staatsverwaltung widerlegt diese Behauptung.78 Doch die Gewährung von politischer Homogenität in der Struktur der NSDAP soll dem Argument Vorschub leisten, daß die NSDAP nach dem Gesetz vom 1. Dezember 1933 „Trägerin des deutschen Staatsgedankens" ist.79 Doch die Einheit von Partei und Staat, die nach dem „Gesetz zur Sicherung der Einheit von Partei und Staat" vom 1. Dezember 1933 eines der wichtigsten Gesetze des nationalsozialistischen Staates war, wurde in der Staatsrechtswissenschaft unterschiedlich bewertet. Während Huber 1931 keine Trennung zwischen „Bewegung" und „Partei" in der Einordnung des „ganzen Menschen" macht,80 wird die ,Partei" im Verfassungsgefuge gegenüber der „Bewegung" deutlich lanciert. Die Vorschrift, daß die Partei alleinige Instanz für den „deutschen Staatsgedanken", d.h. für die nationalsozialistische Weltanschauung ist, impliziert eine deutliche Abwertung des „Staates" gegenüber der „Partei" - die „Impermeabilität" der Partei ist dafür ein Beispiel - und wurde in der Staatsrechtslehre zum Grundproblem der „nationalsozialistischen Verfassungsordnung".81 Die an den Verfassungsjuristen gerichtete Aufgabe der Aufwertung der „Partei" gegenüber dem „Staat" eröffnet neue theoretische Probleme, denn die aus der „politischdynamischen" Bewegung hervorgehende „Partei" veranlaßt Huber, den „Staat" nicht mehr als letztes Glied der Trinomie „Volk, Bewegung, Staat" als Gestaltungsziel zu bewerten, sondern wie bei Carl Schmitt als die „politisch-statische Behördenorganisation" gegenüber der NSDAP abzuwerten.82 Daraus folgen zwei Eigenheiten der Huberschen Verfassungstheorie. Zum einen erleichtert die Aufwertung der Partei die Legitimität der Argumentation, sie sei keine auf die hoheitliche Verwaltung zugeschnittene „öffentlich-rechtliche Körperschaft" und habe als Formprinzip Verfassungsrang. Zum anderen resultiert aus der Abwertung des „Staates" gegenüber der „Partei" ein doppelter Staatsbegriff, den Reinhard Höhn heftig kritisiert hat. 83 Der Staat „im engeren Sinne" ist die nach Carl Schmitt aus dem Behörden- und Ämterwesen rekrutierte „Staatsorganisation", die als „politisch76 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 209, 214; Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 222f. 77 Partei, Staat, Volk, S. 311. 78 Die Rechtsgestalt der NSDAP, a. a. O., S. 328ff.. 79 Partei, Staat, Volk, S. 311. 80 Nationalsozialismus und katholische Publizistik, a. a. O , S. 567. 81 Majer, Diemut: Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems. Führerprinzip - Sonderrolle - Einheitspartei, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1987, S. 207. Wilhelm Merks Rezension von Hubers „Verfassung" (1937) kann als Dokument des über Verfassungsfragen kaum herrschenden Konsenses in der Staatsrechtswissenschaft geltend gemacht werden. Merk kritisiert an Hubers Interpretation von „Volk, Bewegung, Partei, Staat", daß die „Bewegung" über die „Staatsorganisation" gestellt und eine Trennung von „Partei- und Staatsgewalt" vollzogen wird; vgl. auch Merk, Wilhelm: Rez. „Ernst Rudolf Huber: Verfassung, Hamburg 1937", in: AöR, Bd. 29(1938), S. 99-114(101). 82 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 296; s. a. Schmitt: Staat, Bewegimg, Volk, S. 12f.. 83 Höhn: Volk und Verfassung, a. a. O., S. 198.

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschafl "

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statisch" bewertet wurde. Der Staat „im weiteren Sinne" ist Huber in der Systematik und Begriffssynthese der „deutschen Staatswissenschaft" die „umfassende politische Grundordnung des Volkes", der „politische Staatsbegriff" 84

d) Volksgemeinschaftspostulat und „Führerverfassung" Der Volksgemeinschaftsbegriff bereitete den Juristen Schwierigkeiten im traditionellen Rechtssystem, weil die Offenheit des Begriffs für beliebige Inhalte die Konstitutierung eines metaphysischen Überbaus voraussetze, die je nach wissenschaftlichem Profil verfassungstheoretisch ausdifferenziert wurde. Wurde die Definition beschreibend aus dem Begriff entwickelt, z.B. durch Rekurs auf das „Wesen" der Gemeinschaft, stellte sie nur eine Reproduktion der Ansicht des Wissenschaftlers dar, deren Erkenntniswert gleich Null war. 85 Insofern trugen die Begriffe „Volk" und „Volksgemeinschaft" die rudimentäre Vorstellung einer inneren Neuordnung jenseits des Dualismus von Staat und Gesellschaft und versprachen neben Einheit und Reinheit eine operative Konfliktreduktion und Hierarchie, die dem gesäuberten, homogenisierten und gesteuerten Zwangspotential der nationalsozialistischen Ideologie entsprachen.86 Das Konfliktpotential der Begriffe im juristischen Verwendungskontext ist nur aus der Integrationslogik der Topoi Volksgemeinschaft und Führertum verständlich, die die Organik der Hierarchie nie harmonisierend aufheben konnten. Das Führerprinzip dokumentiert im besonderen in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft, daß das „Volk" zur Staatswerdung trotz der „Leerformel" der Gemeinschaft mehr Objekt als Subjekt staatlicher Herrschaft war. Auch die „Artgleichheit" als synthetisches Argument der Einheit von „Führer" und „Volk" vermochte die FührerGefolgschafts-Hierarchie nicht aufzulockern.87 Die gedankliche Verbindung zwischen „Führerprinzip" und „Volksgemeinschaft", die über die „Artgleichheit" als Moment der Führung hergestellt wurde, gehörte zu den Grundbegriffen und Standardargumenten in der weltanschaulichen Staatsrechtswissenschaft. Die Verbindung beider Prinzipien wurde durch die „Identitätslehre", die vor allem durch Carl Schmitt postuliert wurde, erreicht.88 Der „Führer" geht demnach aus der „Volksgemeinschaft" hervor und ist „Ausdruck des politischen Willen des Volkes."89 Die psychische Bindekraft des Volksgemeinschaftspostulats erfahrt einschränkende Wirkung in der Verfassungstheorie. Wie schon bei Huber das rassische Element nach 84 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 27ff.. 85 Stolleis, Michael: Gemeinschaft und Volksgemeinschaft. Zur juristischen Terminologie des Nationalsozialismus, in ders: Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1994, S. 94-125 (120f.). 86 Jegelka, Norbert: „Volksgemeinschaft". Begriffskonturen in ,JFührer"ideologie, Recht und Erziehung (1933-1945), in: Graczyk, Annette (Hrsg.): Das Volk. Abbild, Konstruktion, Phantasma, Berlin 1996, S. 115-128 (124). 87 Vgl. Majer, Diemut: Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems, a. a. O., S. 81f.; femer: Meinck, a. a. O., S. 159ffi. 88 Majer, a. a. O., S. 118.; Meinck, a. a. O., S. 159f.; s. a. Schmitt: Staat, Bewegung, Volk, S. 32ff. 89 Schmitt, a. a. O., S. 42; ebenso Huber: Die deutsche Staatswissenschafl, S. 41.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

junghegelianischem Denken auf die naturhaften Kräfte des „Volkes" reduziert wurde, so mußte auch der viel strapazierte Gemeinschaftsbegriff aus dem völkischen Denken eine Reduktion im Totalitätsdenken erfahren. Abweichend von Carl Schmitt warnt Huber vor einem inflationären Gebrauch des Gemeinschaftsbegriffes, der „durch die häufige und unterschiedslose Anwendung, der er ausgesetzt ist, zu einem abstrakten Allgemeinbegriff entartet."90 Den von Höhn vorgeschlagenen integrativen Volksgemeinschaftsgedanken zur Vermittlung von „Volk" und „Staat" sowie „Volk" und „Führer" lehnt Huber kategorisch ab. Die aus der Freund-Feind-Assoziation des Politischen interpretierte „Artgleichheit" tritt auffallend zurück, weil das Rassische im „natürlichen Volk" aufgehoben wird. Stattdessen entwickelt Huber einen eigenen Führungsbegriff und konstruiert im Rahmen seiner Verfassungstheorie die Funktion des Führers quasi verfassungshistorisch. Der Vorteil dieser Vorgehensweise besteht vor allem in der verfassungsvergleichenden Betrachtung, der aus diesem Standort heraus möglichen eigenständigen Legitimierung des Führerprinzips und der mit historischen Formen nur bedingt vergleichbaren „Verfassungsform".91 Den Zusammenhang zwischen „Führung" und „Bewegung" stellt Huber mit dem lapidaren Satz fest: „Insbesondere ist der alles bestimmende Grundsatz von Führung und Gefolgschaft in der Bewegung entwickelt worden und dann in die Verfassung des Reiches übergegangen. Das Führertum, das die völkische Verfassung durchwirkt, ist in der Bewegung entstanden und wird auch künftig in der Bewegung geweckt und geprägt."92 Damit ist der Bogen vom „Bewegungsstaat" zum „Führerstaat" gespannt und das weltanschauliche Zentrum der völkischen Verfassung, die „Führerverfassung", thematisiert. Ihr besonderes Merkmal ist, daß durch den Führer „Volk, Bewegung und Staat zum geschlossenen politischen Gesamtkörper verbunden werden."93 „Führertum" bedeute, daß „das Volk durch eine immer wiederholte geschichtliche Leistung zur politischen Einheit und Ganzheit zusammengefaßt" werde, denn der Führer schaffe „aus der vorgegebenen naturhaften Einheit des Volkes das bewußte und handlungsbereite politische Volk und damit den völkischen Staat."94 Die Entwicklung vom „natürlichen" zum „politischen Volk" wird letztlich durch den Führungsakt hergestellt, so daß Huber den Prozeß der „Volkswerdung im Staat" weniger im völkischen Gedanken und dem Totalitätsprinzip, sondern im Führerprinzip als dem wichtigsten „Fundamentalsatz" der Verfassung wertet. Doch das Verhältnis von „Führer" und „Volk" bleibt trotz dieser politischen Setzung problematisch. Auch das Argument, der alte ,Dualismus von Obrigkeit und Volk" sei überwunden, da „auch der Führer als solcher zum Volk und zur Volksvertretung" gehöre,95 kann das Verhältnis von „Volk" und „Führer" nicht als hinreichend integrativ darstellen. Huber muß in Anbetracht des kritisierten inflationären Gebrauchs des Gemeinschaftsbegriffs eine neue identitäre Formel für die Einheit von „Volk" und „Verfassung" finden, die dem hiesigen „Volksgemeinchaftspostulat" in der Staatsrechtswissenschaft nicht unbedingt entsprechen konnte. Nach dem Entwicklungsgedanken, der dem doppelten Volksbegriff zugrunde liegt, entwirft Hu-

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Verfassung, S. 243. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 81. Ebenda, S. 86. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 226. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 82. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 208.; s. a. Obrigkeit und Volk, a. a. O..

5. Der Inhalt der „Staatswissenschaft"

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ber eine Theorie des „Volkswillens", die den „weltanschaulich einheitlichen Willen der Volksgemeinschaft" nicht voraussetzt, sondern als Entwicklungsziel der „Führung" ansieht. Der Führer schaffe als „Träger der Willensbildung im Volk" den „Volkswillen" aus den „Anlagen, Kräften und Aufgaben, die dem Volke gegeben sind. Der Führer entfaltet zum bewußten Entschluß, was als Willenskern in der Gemeinschaft des Volkes lebendig enthalten ist." 96 Es sei möglich, daß „Volkswille" und „Volksüberzeugung sich decken", und es sei Aufgabe der Führung, „diesen Zustand herbeizuführen und zu erhalten."97 Im „Führer" treten die „Wesensgesetze des Volkes in Erscheinung", der „Volkswille" bilde „in sich den völkischen Gemeinwillen" und verkörpere „die politische Einheit und Ganzheit des Volkes."98 Gegenüber der Kritik Reinhard Hohns, Huber würde die weltanschauliche Geschlossenheit zwischen „Führer" und „Volk" als den „einheitlichen Willen der Volksgemeinschaft" außer acht lassen und mit der „gespaltenen Auffassung des Volkswillens" in „Volksüberzeugung" und „Volkswille" die Identität von Führung und Gefolgschaft als Ursprung der Volksgemeinschaft in Frage stellen,99 erwidert dieser, daß die „Einheit des Volkswillens" etwas „Aufgegebenes" sei, das „durch eine dauernde Selbstbestimmung und Ausrichtung gewonnen werden muß" und als „Problem der Willensbildung"100 eine Seite des Führertums darstelle. Insofern bemerkt Höhn trefflich, daß Huber das „Wesen der Verfassung" aus der „ständig neuen Wiederherstellung einer Willenseinheit entwickelt" und der Integrationstheorie Rudolf Smends nahe komme.101 Immerhin tritt das identitätsstiftende Argument der „Artgleichheit" bei Huber deutlich zurück. Stattdessen wird der Führungsbegriff als gemeinschaftsstiftend eingeführt: „Politische Führung ist sonach: die aus den Grundkräften der Gemeinschaft unmittelbar erwachsende, auf der Verbindung von Autorität und Macht beruhende verantwortliche Bestimmung einer geschlossenen Lebenseinheit."102 Der Begriff der Führung könne nur dort angewandt werden, „wo eine politische Gemeinschaft zur Gefolgschaft, d.h. zur freien Einordnung und Folgeleistung, bereit ist", schließlich beruhe die „politische Ethik der Führungsordnung" auf „Gemeinschaftsbildung und Gemeinschaftsgebundenheit."103 Wenn Huber die „echte" Führung als in der „Bewegung" gebildet und im „Staate" durchgesetzt interpretiert, dann hat die „Bewegung" als Vermittlungsebene zwischen 96 97 98 99 100 101

Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 196; Die deutsche Staatswissenschaft, S. 41. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 195. Ebenda, S. 196f.. Höhn: Volk und Verfassung, a. a. O., S. 206-208. Huber: Verfassungsrecht des großdeutschen Reiches, S. 196, Anm. 1. Höhn, a. a. O., S. 207. Dennoch lehnt Huber Rudolf Smends Integrationslehre fur den Nationalsozialismus als wirklichkeitsfremd und idealistisch ab und kommt zu dem Ergebnis, daß der Integrationsbegriff Smends als abstrakt-allgemeiner Begriff nicht in die Grundvorstellung der neuen Verfassungstheorie übernommen werden kann. Verfassung sei Smend ein „freischwebendes System von Integrationsfaktoren"; vgl. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 24. 102 Huber: Herrschaft und Führung, in: DR, 11. Jg. (1941), S. 2017-2024 (2023). Zur Diskussion um die Antithese von „Führung" und „Herrschaft" in der politischen Theorie: Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, in: ZgS, Bd. 101 (1940/41), S. 530-570 (530ff). Huber verweist wieder auf die aus Carl Schmitts Verfassungslehre bekannte Einheit von „auctoritas" und „potestas" als Element „echter" Herrschaft. 103 Ebenda.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

„Volk" und „Führung" die Funktion der Hinwendung zur „Staatsgewalt" als „Ausdruck der politischen Führung". 104 Ein weiteres Argument der Identität von „Führer" und „Volk" sieht Huber in den veränderten Formprinzipen der Verfassung. Das „Kollegial- und Koalitionsprinzip der Weimarer Verfassung ist in der Reichsregierung durch das Führerprinzip ersetzt worden", der „Reichstag des nationalsozialistischen Staates" sei demnach nicht mehr „Instrument des organisierten Mißtrauens", sondern eine „Einrichtung, die die geistige Übereinstimmung zwischen Führung und Volk zum Ausdruck bringt." 105 Die Verbindung von Führeramt und Volksvertretung entspreche der Einheit von „Führer" und „Volk." Die Legitimierung der Führergewalt sieht Huber nicht im Feindbild der Weimarer Verfassung und dem Gewaltenteilungsprinzip, sondern der Argumentationsstrang knüpft an die Weimarer Diskussion um den Reichspräsidenten als „Hüter der Verfassung" an, indem die Kompetenzausweitung der Macht des Reichspräsidenten bis zum Januar 1933 als „Notbau in der alten Verfassung" charakterisiert wird: „Als sich dann erwies, daß das alte System mit keinem Mittel erhalten werden konnte, mußte allerdings die Präsidialmacht für einen Umbau und Neubau der Verfassung eingesetzt werden [...] um den Staat aus den jungen revolutionären Kräften zu erneuern."106 Dieses Argument deckt sich mit dem konservativ-revolutionären Gedankengut seiner unter Pseudonymen veröffentlichen Artikel. Das „Bündnis zwischen dem greisen Oberhaupt des Staates und dem jungen Führer der Bewegung" wird als einigende und versöhnende „Verkörperung des gesamten Volkes und des geschlossenen Reiches"107 interpretiert, zweifellos ein Scheinargument für die „Einheit der Staatsgewalt" als staatsrechtliches Dogma. Die Identifizierung von „Führer" und „Volk" wurde im Nationalsozialismus in dem Versuch manifest, das Gesetz über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933 staatsrechtlich zu interpretieren. Zum einen hatte diese Interpretation den Zweck, das Volk als Objekt staatlicher Herrschaft zu verschleiern, zum anderen wurde die Weimarer Verfassung als Gegenbild zum Aufbau der Führerverfassung herangezogen.108 Huber bezieht sich stattdessen auf die Volksabstimmung vom 19. August 1934, die den „Führer als Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches"109 kraft „Akklamation" anerkennt. Dieser „Akt des bekennenden Vertrauens", verbinde „den Willen des Volkes mit der Autorität der wirklichen Führung". 110 Darüberhinaus wird die „Akklamation" des Volkes politisch und staatsrechtlich als Symbol der „Einheit der Staatsgewalt" nach dem Tode Hindenburgs dokumentiert, zumal die Volksabstimmung „auf Wunsch des Führers selbst veranstaltet worden ist." 111 Die Identität von „Volk" und „Führer" ist damit verfassungspolitisch legitimiert. Huber zieht eine verfassungsvergleichende Betrachtung heran, um die Einheit der politischen Gewalt des Führers als dem Leitprinzip des Nationalsozialismus hervorzuheben. Mit der Vereinigung der obersten Staatsfunktionen in der Hand des „Führers" sei die Trennung von Exekutive und Legislative, der Grundsatz der Neutralität des Staatsoberhauptes aus der 104 105 106 107 108 109 110 111

Die deutsche Staatswissenschaft, S. 40. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 212. Ebenda, S. 204. Ebenda. Meinck, a. a. O., S. 160; Majer, a. a. O., S. 92. Gesetz vom 1. August 1934, das nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 in Kraft trat. Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 209. Ebenda, S. 205.

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschaft"

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Weimarer Verfassung, überwunden, auch die Inkompatibilität von Präsidentenamt und Reichstagsmandat dürfe in der Funktion des „Führers" als „Führer des Reichstages" als überwunden gelten und der Reichstag verkörpere als politisches Organ die „innere Übereinstimmung von Volk und Führung". Die staatsrechtliche Bezeichnung der Führerfunktion als „Amt" will Huber nicht als bürokratisches Prinzip mißverstanden wissen. Das „deutsche Führeramt" könne sich selbst politisch entscheidend gestalten, so daß die parlamentarische Formel, das Staatsoberhaupt „regne, mais ne gouverne pas", nicht mehr gelte. 112 Dieser in der französischen Theorie vorgenommen Unterscheidung setzt Huber „das innere Einswerden von Hoheit und Macht" entgegen, denn „echte Macht kann nur aus Autorität erwachsen und schafft zugleich Macht." 113 Höhn hat, offensichtlich wegen der körperschaftlichen Bindung des „Führers", dem entgegengehalten, daß der „Führer" in „Volk" und „Bewegung" stehe und nicht ein Amt über „Volk" und „Bewegung" habe. 114 Immerhin gibt das „Amt" des Führers in Hubers Ordnungsreihe „Volk", „ B e w e g u n g " , „Staat" die konstruktive Möglichkeit, das tautologische Nebeneinander von Volk und Staat - das Volk strebt zur politischen Einheit „Staat", der „Staat" wird in der Volkwerdung zur „politischen Verfassung" - im Führertum verbunden.115 Die bereits angesprochene Priorität der „Partei" gegenüber dem „Staat" wirkt sich auch auf die „Ämterunion" des „Führers" aus: „Deshalb ist die Führung in der Partei die ursprüngliche und primäre Stellung; die Führung im Staate schließt sich an. Adolf Hitler ist nicht als Staatsoberhaupt Führer der Partei, er ist als Führer der Bewegung das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches."116 Die Verklammerung der klassischen Gewalten gehöre, so Huber, zur Einheit der Staatsgewalt des „Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches". Trotz der unbegrenzten Machtfülle des Führers, der juristisch keine Grenzen gesetzt sind, weil er auch „Träger der gesetzgeberischen Entscheidung"117 sei, gesteht Huber dem „Führer" die Diktaturgewalt als „Ausnahmerecht" neben den „normalen Bestandteilen der Staatsgewalt" zu. Die Übernahme eines Staatsnotrechts nach dem Vorbild von Art. 48 Abs. 2 WRV in das nationalsozialistische Staatsrecht, das trotz der unumschränkten Herrschaftsgewalt des Führers eigentlich unnötig ist, dient Huber letztlich als Argumentenlieferant bei dem Versagen der staatsrechtlichen Legitimation von Führerbefehl und Führergewalt. Denn einerseits brauche Jeder Staat ein letztes Ausnahmerecht, das dem obersten Träger der Staatsgewalt gestattet, in Zeiten des Aufruhrs, der Not oder der Verfassungsstörung von den normalen Regeln und Methoden abzuweichen und mit außergewöhnlichen Mitteln die drohende Gefahren abzuwenden", 118 andererseits habe man während der „nationalsozialistischen Revolution" und sogar nach dem Gesetz vom 24. März 1933 vom Art. 48 Abs. 2 noch Gebrauch gemacht, die eine nachträgliche Legalisierung über die Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 nicht mehr bedurft hätten. 119

112 Ebenda, S. 214; s. a.: Herrschaft und Führung, a. a. O., S. 2018; ebenso Schmitt: Der Hüter der Verfassung, S. 132ff. 113 Herrschaft und Führung, S. 2018. 114 Höhn: Volk und Verfassung, S. 209. 115 Vgl. auch Meinck, a. a. O., S. 46f.. 116 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 210. 117 Der Führer als Gesetzgeber, in: DR, 9. Jg. (1939), S. 275-278 (276). 118 Das Staatsoberhaupt des deutschen Reiches, S. 223. 119 Ebenda, S. 224.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Das Scheinargument, die Diktaturgewalt diene der „Entfaltung von Volk und Staat" und sei ein „Ausnahmeeingriff, welcher der Erhaltung des Bestehenden, nicht der Gestaltung des Kommenden" diene, verdeckt in der Tat nur die juristische Strategie, auf Legalitätsreserven durch Staatsnotrecht nicht zu verzichten. Wie bei den Generalklauseln sollen Billigkeitserwägungen in der Rechtsanwendung Raum gegeben werden, um den Situationswandel für die Rechtsauslegung offenzuhalten.120 Huber gesteht zwar ein, daß Verfassungsstörungen im einfachen Aufbau des Führerstaates wohl selten seien, aber im Führerstaat müsse die Diktaturgewalt zum Staatsrecht gehören. Der Führerstaat sei weder Absolutismus noch Diktatur. Deshalb wird zur Systematisierung des Staatsnotrechts als „Diktaturgewalt" ein „enger" Diktaturbegriff verwendet,121 der nicht dem Diktaturbegriff der Staatsformenlehre zur Bestimmung der Verfassungsform entspricht: „Die Diktatur aber ist überhaupt keine eigentliche Staatsform, die den anderen Staatsformen wie Demokratie der Monarchie entgegengesetzt werden könnte. [...] Die Diktatur ist eine vorübergehende Ausnahmeregelung, die der Wiederherstellung der normalen Ordnung dient." 122 Ob nun enger oder weiter Diktaturbegriff, die Gewährung eines Staatsnotrechts dokumentiert, daß Huber noch den Verfassungskrisen der Weimarer Republik verhaftet ist.

e) Die Gestalt der „Verfassung": Begriff und Inhalt Die trinomische Binnenstruktur der „Verfassung", durch das Verhältnis von „Volk", „Bewegung" und „Staat" weltanschaulich und organisatorisch vorbestimmt, erweist sich inhaltlich als kompakte Substanz, die auch in der harmonisierenden Darstellung der „Verfassung" und dem „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" zum Ausdruck kommt. 1934 weist Huber darauf hin, daß der Begriff „totaler Staat" in Anlehnung an Ernst Jüngers „totale Mobilmachung" entstand und von Carl Schmitt auf die Ausnahmesituation des Weimarer Pluralismus übertragen wurde. 123 Dennoch ist der Begriff für die Formierungsphase des Dritten Reiches bis Ende 1934 und im Übergang vom Weimarer „Parteienbundesstaat" eine gebräuchliche Analogie, um im Zuge der Gleichschaltung „die 120 Grimm, Dieter: Die „Neue Rechtswissenschaft". Über Funktion und Formation nationalsozialistischer Jurisprudenz, a. a. O., S. 376; s. a. Majer, a. a. O., S. 93. 121 Vgl. Schaefer, Alisa: Führergewalt statt Gewaltenteilung, in: Böckenförde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Staatsrecht und Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 89-105 (100, 105, Anm. 68). Alisa Schaefer weist zu recht daraufhin, daß Huber das Unterscheidungskriterium „Dauer" einfuhrt und darin eine Lücke in Carl Schmitts Diktaturbegriff gefunden hat. 122 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, S. 229. Diesen engen Diktaturbegriff verteidigt Huber in der Rezension: „Erich Becker: Diktatur und Führung, Tübingen 1935", in: ZgS, Bd. 96 (1935/36), S. 403—406 (405f); statt des Ausdrucks „Staatsnotrecht" fuhrt Huber den Begriff „Führernotrecht" ein und kritisiert an Becker die Systematisierung der „Diktatur" als „Verfassungsform". Hubers Verbrämung des Beckerschen Diktaturbegriffs als „abstraktallgemeiner Begriff' soll dokumentieren, daß der Begriff gleichermaßen auf Faschismus, Bolschewismus und deutsches Präsidialsystem anwendbar ist und die „deutsche Idee der Volksgemeinschaft" nur unzureichend zum Vorschein kommt. 123 Schmitt, Carl: Der Hüter der Verfassung, a. a. O., S. 78ff.; ferner: Die Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland, in: Positionen und Begriffe, S. 186ff; s. a. Huber: Positionen und Begriffe. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, a. a. O., S. 16ff..

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschaft "

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sozialen Kräfte und Werte dem politischen Gesamtgeschehen"124 zuzuordnen. Aber angesichts der Mehrung der Stimmen, daß der Ausdruck „totaler Staat" eine „unzureichende Kennzeichnung des nationalsozialistischen Staates" sei, weil der Begriff nur die „Totalität der äußeren Macht" 125 des Staates bezeichne, und die Binnenstruktur außer acht lasse, ersetzt Huber den Begriff durch den der „Totalität des völkischen Staates", der mit dem Zusatz „völkisch" den kruden Etatismus abschwächt und mit dem Begriff „Totalität" dem eigenen methodischen Postulat des Einheits- und Gestaltungsdenkens Rechnung tragen soll.126 Huber reduziert dabei den von Schmitt verwendeten doppelten Begriff der „Totalität" aus seiner dualistischen Struktur im Sinn des quantitativ-qualitativen Kriteriums auf die nach der Machtergreifung vorfindbare neue Machtkonstellation des Staates als einer „völkischen Herrschaftsordnung". Die Schmittsche Logik der „Totalität" im Sinnzusammenhang von Neutralisierung und Intervention wird zugunsten der Kennzeichung der „politischen Leitprinzipien des Nationalsozialismus", aus der Folge der „Totalität der Idee, der Bewegung und des Volkes" verändert.127 Dem Begriff des „totalen Staates" entzieht Huber somit die ideologische Funktion des Verfassungsumbaus aus der Zeit um 1931-1933 und bettet den Begriff in der Logik des dialektischen Integrationsdenkens in seine Verfassungslehre als eine Typologie der Totalitätsformen ein. 128 Reinhard Höhn beurteilt die Entwicklung des Huberschen Verfassungssystems recht anschaulich als eine dauernde Abwandlung vom „totalen Staat": „Schon dadurch, daß Huber seinen totalen Staat auf die drei Faktoren: politisches Volk, politische Idee und totale Bewegung gründet, war dieser totale Staat zu etwas ganz anderem geworden als etwa der 1931/32 von Carl Schmitt entwickelte Begriff."129 Doch Huber will das dezisionistische Element des von Carl Schmitt rezipierten Verfassungsbegriffs zugleich mit existentiellen Momenten verbunden wissen, denn der „existentielle und aktivistische Gehalt dieser Lehre ist der unverzichtbare Ansatzpunkt für den Neuaufbau der Verfassungstheorie."130 Der als „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit" 131 umschriebene Verfassungsbegriff habe die normativistische und idealistische Betrachtungsweise des Positivismus abgestreift und enthalte das „denkbar höchste Maß an Existenz", da die diesem Begriff immanente „Entscheidung" ein seinserfüllter Begriff sei.132

124 Die Totalität des völkischen Staates, S. 31. 125 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 159. 126 Die Totalität des völkischen Staates, S. 30; s. a.: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 159, 164. 127 Die Totalität des völkischen Staates, S. 39; s. a.: Positionen und Begriffe. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, a. a. O., S. 16f.; mit einem Querverweis auf Schmitts Schrift: Die Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland. 128 Huber nennt die Totalität des Absolutismus, der Massendemokratie, des Bolschewismus, des Faschismus und die dieser Systematik nicht entsprechende nationalsozialistische Totalität als „politischen Grundwert" zur Gestaltung des Staates: Die Totalität des völkischen Staates, a. a. 0 . , S . 31-34. 129 Höhn: Volk und Verfassung, a. a. O., S. 216; ähnlich auch Gerber, Hans: Der politische Volksbegriff. Eine kritische Betrachtung zur Volkslehre E.R. Hubers, a. a. O., S. 129ff. 130 Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 40. 131 Schmitt: Verfassungslehre, S. 21. 132 Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 40.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Huber ist sich bewußt, daß der dezisionistische Verfassungsbegriff Carl Schmitts dem Weimarer juristischen Denkens zuzuordnen ist und das „existentielle" Moment des Verfassungsbegriffs stärker dem „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken", der „dritten Art rechtswissenschaftlichen Denkens",133 als dem gegenwärtig zeitgebundenen Denken entspricht. Deshalb wird der dezisionistische Verfassungsbegriff Schmittscher Prägung seiner (auf die Weimarer Verfassungslage bezogenen) Realität entkleidet und das transzendente Element, das die Einheit von „Volk" und „Verfassung" stiftet, als theoretische Konstruktion eingeführt. Der „objektive Idealismus" Julius Binders und Karl Larenz hat bei diesem inhaltlichen Begriffs- und Sinnumbau die Funktion, die „organische" Identität zwischen „Volk" und „Verfassung" kraft der in der „objektiven Wirklichkeit" gegebenen Einheit von Objekt und Subjekt herzustellen, so daß die Smendsche Integrationslehre, die Huber wegen ihrer idealistischen Fundierung methodologisch ablehnt, „hegelianisiert" wird: „Die Integration, die ständige geistige Erneuerung und Bewältigung, in der der Staat sich immer wieder bildet, geht vom einzelnen aus, der den Staat geistig erlebt. Der Staat ist nur noch in der Vorstellung der einzelnen Subjekte vorhanden, die sich zu ihm bekennen, er wird dadurch psychologisiert."134 Indem der „Staat" im Sinne dieser identitären Konfiguration, angereichert durch die junghegelianische Volksgeisttheorie,135 als unmittelbar angelegte Ordnung in „Art und Idee des Volkes" angenommen wird, ist zugleich die transzendente verfassungsgestaltende Funktion dieser theoretischen Konstruktion herausgestellt. Huber verändert also den dezisionistischen Verfassungsbegriff insofern, als er die „Verfassung" nicht mehr selbst als „Entscheidung" bezeichnet, sondern die Staatswerdung des Volkes als „Konkretion" zur Verfassung erhebt: „Sie ist nicht der Entstehungsvorgang als solcher, sondern die durch die Entscheidung gestaltete Ordnung." 136 Die erst aus diesem Prozeß hervorgehende „konkrete Ordnung" der Verfassung kann Huber mit dem Smendschen Begriff der „Lebenstotalität" des Staates gleichsetzen, weil die idealistische Auffassung Smends mit der Hegeischen Einheit von Geist und Wirklichkeit erweitert wird. 137 Zusammengefaßt ergibt sich folgendes Bild: „Verfassung" ist „für das völkische Denken die Grundordnung, in der ein politisches Volk sich zum Staate formt. Sie ist das Fundament für das politische Sein und Handeln des Volkes, die Einheit der den Staat tragenden und leitenden Ideen und Kräfte. Sie ist der Bestand an grundlegenden Gedanken, Mächten und Formen, auf denen das politische Leben und die staatliche Einheit des Volkes beruhen." 138 Damit stellt Huber die Verfassungstheorie im Spannungsfeld von Verfassungsnorm, Verfassungsrealität und Verfassungsidee auf eine neue existentielle Grundlage.139 133 Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, a. a. O., S. 21ff., 57ff.. 134 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 26f.. 135 Vgl. Larenz, Karl: Volksgeist und Recht. Zur Revision der Rechtsanschauung der Historischen Schule, in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie, NF Bd. 1, Tübingen 1935, S. 40-60 (46ff). Larenz unternimmt die Verbindung Hegelscher und Savignyscher Elemente der Volksgeisttheorie und „subsumiert" sie unter das „Ordnungs- und Gestaltungsdenken". 136 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 41. 137 Smend, Rudolf: Verfassung und Verfassungsrecht, a. a. O., S. 78ff.; Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 26, 40f.. 138 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 39. 139 Vgl. für die Weimarer Diskussion: Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 4ff; diese stringente verfassungstheoretische Fragestellung stellt Huber noch nach 1945 deutlich

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschaft "

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Mit dem „politischen Verfassungsbegrifl" wird das ganze Programm seiner nicht das „Verfassungsrecht", sondern die „Verfassungslehre" (als Kern der „Staatswissenschaft") betreffende materielle Verfassungskonzeption umschrieben.140 Der in der „geisteswissenschaftlichen Wende" im Weimarer Methodenstreit der Staatsrechtslehre mit dem Neuhegelianismus überwundene Antagonismus von Sein und Sollen, den Huber 1931 im antithetischen Zusammenhang von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit noch als „Verfassungswidrigkeit" bezeichnet hat und nur deren Übereinstimmung als Ziel einer politischen Verfassungstheorie postuliert,141 wird 1935 mit dem „politischen Verfassungsbegriff" methodologisch „aufgehoben", da sich der überkommene materielle und formelle Verfassungsbegriff nun vielmehr decken: „Die Dialektik des echten Verfassungsbegriffs besteht darin: die Verfassung im echten Sinne gehört zugleich dem Gebiete des Sollens und des Seins an. In ihr zeigt sich ein doppelter Prozeß, dauernd wird im Vorgang der Rechtsverwirklichung das Sollen zum Sein umgeformt, dauernd wird im Vorgang der Rechtsschöpfung das Sein zum Sollen erhoben. Die Verfassung ist weder nur Sollen noch nur Sein, sondern ist ein das Sein gestaltende Sollen und ein zum Sollen strebendes Sein."142 Der auf Hegel bezugnehmende „politische Verfassungsbegriff",143 der als einheitlicher Begriff die „ganze Fülle der lebendigen politischen Wirklichkeit als begriffliches Substrat"144 einfangt, versteht den inneren Zusammenhang von materieller und formeller Verfassung als die „soziale Substruktion der jeweiligen Macht- und Verfassungslage", die mit dem Verfassungsbegriff Ferdinand Lasalles aber nur insofern übereinstimmt, als die Verfassung als Grundordnung „tätige Kraft" ist. 145 Huber bestimmt die vorhandenen Machtverhältnisse auf den die trinomische Binnenstruktur von „Volk, Bewegung und Staat" gestaltende Bewegung und des Führertums als den Gang des Staates bestimmend. Der Verfassungsbegriff fügt sich demnach methodisch in das „System" der Verfassungstheorie ein, die Geschichte erfüllt dabei ihre transzendente, den völkischen Existentialismus betonende Schicksalsfunktion. Huber will seine Verfassungstheorie nicht als Verfassungsrechtstheorie mißverstanden wissen, wenn auch das Recht substantielle „Seins- und Sollensgestaltung" zum Ziel hat. 146 Der Dezisionismus der Huberschen Verfassungsdoktrin147 manifestiert sich im besonderen

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heraus: vgl. Zum Wesen verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 12. Vom Sinn der Verfassung, S. 6. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 4f.. In der Schrift „Vom Sinn der Verfassung" kritisiert Huber das (antagonistische) liberaldemokratische Verfassungsdenken noch einmal mit den Worten: „Die Verfassungswirklichkeit tritt voll in die Erscheinung, wenn die normative Verfassung sich als lückenhaft erweist und versagt"; vgl. ebenda, S. 15. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 53. Vgl. Huber: Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 397. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 32. Diese Parallele zieht Wilhelm Reuß: Rez. „Ernst Rudolf Huber: Vom Sinn der Verfassung, Hamburg 1935", in: AöR, NF Jg. 66 (1936), S. 364-369 (365). Die deutsche Staatswissenschaft, S. 50f.. Vgl. Ridder, Helmut: Zur Verfassungsdoktrin des NS-Staates, in: KJ, Jg. 1 (1968/69), S. 221243 (233f., 237f); Ridder faßt den Begriff „Verfassungsdoktrin" im Zusammenhang des nationalsozialistischen „Unschema eines Nicht-Systems" polemisch auf.

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in der sich aus konservativ-revolutionärem Gedankengut schöpfenden Ablehnung jeglicher „Bürgerlichkeit" des überlieferten Verfassungsdenkens. Die mit der aus dem Weimarer Methodenstreit vollzogene Wiedereinführung ideeller und materieller Wirkungszusammenhänge im Verfassungsdenken wird zur Begründung der „Verfassung" als Machtstruktur herangezogen, wenn auch mit der Ablehnung der bürgerlichen Elemente des Verfassungsdenkens die fruchtbaren Elemente des Richtungsstreits über Bord geworfen werden: 148 schriftliche Verfassung, Verfassungsvertrag, Verfassungsgesetz, formelle Verfassungskraft und die damit korrelierenden „sachlichen" Merkmale, Gewaltenteilung, Ministerverantwortlichkeit, Grundrechte.149 Vor allem der Verzicht Hubers auf eine feste und „begriffsnotwendige Form" der völkischen Verfassung macht den endgültigen Bruch mit den aus der „Idee von 1789" formierten politischen und geistigen Wurzeln des deutschen Konstitutionalismus deutlich. 150 Der im liberal-konstitutionellen Sinne durch Recht begrenzte Machtanspruch der Verfassung wird in eine „materielle Grundordnung" verkehrt, die ihre Lehren aus den Verfassungskrisen der konstitutionellen Verfassungsform und ihrer sie ausgestaltenden positivistischnormativen Staatsrechtswissenschaft zu ziehen sucht. Huber diagnostiziert die Verfassungskrisen des Zweiten Reichs aus der „technisch-formalistischen Art" der Weimarer Staatsrechtswissenschaft, Verfassungswandlungen nicht mit der Änderung verfassungsgestaltender Bestimmungen beantwortet zu haben. Der ungeschriebene Teil der politischen Grundordnung habe einen ebenso rechtserhebenden Rang. Das „Beste einer Verfassung" entziehe sich der gesetzlichen Regelung, weil die Verfassungskrisen im sozialen und geistigen Bereich der Volksordnung hervortreten.151 Das „Verfassungsrecht" ist der normativen Regelung entzogen, es entspricht im Rahmen der im „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" integrierten Hegeischen Volksgeisttheorie der „lebendigen Ordnung", „die sich aus der Gesamtheit des im Volke geltenden Rechtes als der Bereich der leitenden und bestimmenden Grundsätze des politischen Zusammenlebens" heraushebt.152 Der Formalwert des Verfassungsrechts kann nur noch in der aus den Lebensformen des Volkstums sich erhebenden sozialen und ökonomischen Machtlagen und ihrer Faktiztität, die rechtlich substanzbegründend ist, bestehen. Vielmehr ist es die „irrationale geschichtlich-politische Wirkung der Verfassungskräfte", denen Huber eine verfassungsgestaltende Funktion in der materiellen Grundordnung des Dritten Reiches zuschreibt. Der aus den Verfassungskrisen des Konstitutionalismus resultierenden mangelnden Ausbaufahigkeit wird die entwicklungsoffene „völkische Verfassung" als Seins- und Sollensordnung entgegengestellt. Die

148 Grimm, Dieter: Die deutsche Staatsrechtslehre zwischen 1750 und 1945, in ders.: Recht und Staat in der bürgerlichen Gesellschaft, a. a. O., S. 291-306 (304f). 149 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 15; detaillierter: Vom Sinn der Verfassung, S. 14, 18, 19. Huber sieht die innere Gegensätzlichkeit der bürgerlichen Verfassungen vor allem in dem Bestreben der politischen Einheit des Volkes im Rahmen der nationalen Verfassung und die diese Einheit konterkarierende Gewährung der Freiheit der autonomen Persönlichkeit gegenüber dem Staat. 150 Vgl. Häberle, Peter: 1789 als Teil der Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Verfassungsstaates, in: Folgen der Französischen Revolution, hrsg. von Henning Rrauß, Frankfurt/M. 1989, S. 61-104 (80ff). 151 Huber: Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, S. 6. 152 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 18.

5. Der Inhalt der „ Staatswissenschaft "

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Antithese vom materiellen und formellen Verfassungsbegriff hat ihre Gültigkeit damit verloren. Der existentielle Geltungsanspruch der Verfassung veranlaßt Huber auch zu einer Umdeutung des „Verfassungsschutzes", nachdem das Recht seine substantielle Ordnungsfunktion jenseits der Schriftlichkeit zu regeln hat. Da die völkische Verfassung nicht mehr dualistisch strukturiert sei, sondern auf der Einheit des Volkes, sei jeglicher Verfassungskampf und Verfassungskonflikt ausgeschlossen. Der Verfassungschutz habe daher keinen justiziellen sondern „existentiellen Charakter". Nicht liberaler Normenschutz, sondern existenzieller Lebensschutz sei die Maxime des völkischen Verfassungsschutzes. 153 Gemäß der durch „hoheitliches Recht" der Verwaltung zugeschriebenen Eingriffs- und Ordnungsfunktion zur exekutiven Ausgestaltung von Führerbefehl weist Huber der staatlichen Verwaltung, intern der „politischen Polizei" den exekutiven Verfassungsschutz zu: „Denn der exekutive Verfassungschutz ist nicht Sache der Gerichte, sondern der staatlichen Verwaltung." 154 Die Wirkung des Verfassungsschutzes sei repressiv in der Zuleitung des Hochverrates zur Strafverfolgung, präventiv in der Verhinderung des Hochverrates. Trotz einer fehlenden inhaltlichen wie aufgabenspezifischen Eingrenzung der „politischen Polizei" ist sich Huber sicher, „daß damit eine zwar umfassende, aber doch auch inhaltlich bestimmte und konkrete Abgrenzung des Aufgabenbereichs der politischen Polizei gegeben" sei; der herrschaftliche Charakter der politischen Polizei" werde durch die Identitätsthese, daß die Polizei ihrerseits „von der Volksgemeinschaft her konkret bestimmbar" 1 5 5 sei, abgeschwächt. Die repressive Seite des Verfassungschutzes wird durch die identitäre abgeschwächt. Wie schon in der Führerverfassung „Akklamation" und „Treue" die wichtigsten Momente der Bindung von Volk und Führer sind, so wird der Verfassungsschutz in der „Treue des Volkes zur Verfassung" ergänzt. Der „Verfassungseid" ist Huber der oberste „Zurechnungspunkt" der Einheit von „Volk" und „Staat". Die Bindung an die Gemeinschaft ist mit der Bindung an den „Führer" gleichzusetzen. Der Treueeid sei als ein „einheitlich" auf Führer und Verfassung zu leistendes Symbol der Integration und Einheit der „politischen Grundordnung". 156 Nicht mehr der „relative", die Normen der Verfassung betreffende Verfassungsschutz" des liberalen Rechtsstaates, sondern der „absolute" Verfassungsschutz des völkischen Staates, der den „absoluten, materiellen und existentiellen Begriff der Verfassung" voraussetze, sei der Kern existentieller Verfassungssicherung.

153 Der Schutz der Verfassung, in: ZAkDR, 5. Jg. (1938), S. 78-81 (79). 154 Ebenda, S. 81. 155 Huber: Die deutsche Polizei. Bemerkungen zum Schrifttum des Polizeirechts, in: ZgS, Bd. 101 (1940/41), S. 723-728 (725). 156 Der Schutz der Verfassung, S. 80.

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6. Die Wendung vom „Staat" zum „Reich" 1938/39: „Führung", „Krieg" und „Großraum" als neue Leitprinzipien der „Kriegsverfassung" Der Höhepunkt des Streits um Begriffe und Positionen in der staatstheoretischen Auseinandersetzung im Dritten Reich begann mit der sukzessiven Ersetzung des Staatsbegriffs durch den Reichsbegriff nach dem Anschluß Österreichs im März 1938 und den sich abzeichnenden Gebietserweiterungen durch den Zweiten Weltkrieg. Die einsetzende innenund außenpolitische Radikalisierungsphase des Dritten Reiches, welche die Weltanschauungselemente nun mit der „Gewinnung von Lebensraum im Osten" und eugenischrassischen Versatzstücken deutlicher zutage föderte, manifestierte sich in der staatstheoretischen Diskussion mit der ideologisch-programmatischen Aufrüstung des „großdeutschen Gedankens" im Zweiten Weltkrieg,1 deren Sinn Huber wie folgt umschreibt: „Nicht die Polemik gegen den Staat, sondern die Aufnahme aller Elemente der Staatlichkeit in den Reichsbegriff ist die Aufgabe, vor der die deutsche Theorie der Politik steht."2 Diese dialektische Haltung will den Staatsbegriff weder gegen den Reichsbegriff ausspielen, noch seine Verfassungskraft verbrämen. Im ganzen bedient sie sich nicht der begriffssoziologischen Methode Carl Schmitts, die 1933 darauf gerichtet war, den Reichsbegriff im Sinne der Synthesekraft des Ordnungsdenkens als „unmittelbaren Träger politischer Energien"3 für die Verfassungsform des Dritten Reiches nutzbar zu machen und gegen die bundesstaatlichen und staatenbündischen deutschen Verfassungstraditionen abzugrenzen. Schmitt erklärte aus den Traditionen der katholischen Reichstheologie die Epoche der Staatlichkeit für beendet.4 Schon der protestantische Denkstandort Hubers steht dazu im Gegensatz, andererseits ist Huber auch 1938/39 der organischere Denker, der den Reichsbegriff equilibrierend in sein „System" der Verfassung inkorporiert. Die auf thematisch-weltanschauliche Offenheit angelegte enzyklopädische „Staatswissenschaft" Hubers erweist sich gegenüber ideologischen Paradigmenwechsel, Systemspannungen und Strukturveränderungen in der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis als besonders anpassungsfähig. Die „Staatswissenschaft" versteht sich als wissenschaftliches Instrument der Beschreibung und weltanschaulichen Wegbereitung der Machtverschiebungen des Nationalsozialismus. Als „politische Wirklichkeitswissenschaft" ist ihr die Wechselbeziehung von „Idee" und „Existenz" des Staates immanent. Der Staat ist deshalb ein „immer erneuertes politisches Entscheiden und Handeln."5 Dem entspricht die Veränderung der Positionen und Begriffe im Rahmen des machtpolitischen Kontextes und der

1 2 3 4

5

Frei, Norbert: Der Führerstaat, a. a. O., S. 130f.. Huber: Öffentliches Recht und Neugestaltung des Bürgerlichen Rechts, a. a. O., S. 35. Schmitt, Carl: Reich - Staat - Bund, in ders.: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar Genf- Versailles 1923-1939, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 217-226 (223). Vgl. dazu detailliert Koenen, Andreas: Visionen vom „Reich". Das politisch-theologische Erbe der Konservativen Revolution, in: Göbel, Andreas/Laak, Dirk van/Villinger, Ingeborg (Hrsg.): Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren, Berlin 1995, S. 53-74 (66ff). Zur Verortung der Kölner Antrittsvorlesung „Reich - Staat Bund" vgl. ders.: Der Fall Carl Schmitt, a. a. O., S. 212, Anm. 232. Huber: Öffentliches Recht und Neugestaltung des Bürgerlichen Rechts, S. 29.

6. Die Wendung vom „Staat" zum „Reich " 1938/39

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Forderung der „politischen Aktion".6 Die Kategorie „Macht" sei ein „mitgestaltendes Moment"7 in der Führungsordnung des Nationalsozialismus. Huber erklärt die Situationsgebundenheit der „Positionen" und „Begriffe" mit der „konkreten Gebundenheit der Theorie an Ort und Zeit" und der festen „Stellung, die der Theoretiker selbst in Ort und Zeit einnimmt".8 Das Programm des Verfassungsausbaus im Kriege wird konsequent mit dem politischen Formprinzip der Verfassung als dem Kerngedanken der Verfassungsschöpfung in Verbindung gebracht: „Die verfassungspolitische Arbeit des Nationalsozialismus ist von Anfang an bemüht gewesen, die Wirklichkeit des völkischen Reiches in großen Gestalten der Geschichte, in neuen Symbolen und in politischen Institutionen zu einer Form zu prägen, die das Ganze des geschichtlich-politischen Lebens zur verbindlichen Darstellung bringt."9 Die so polemisch diskutierte Antinomie von dem im „Volk" aufgehenden Gemeinschaftsbegriff und dem Staatsbegriff wird nunmehr in dem Zentralbegriff des „Reiches" dialektisch aufgehoben. Der alte Staatsbegriff griff zu kurz, als daß er auf die großdeutsche Verfassungsstruktur angewandt werden konnte und so bestand nun die schwierige Aufgabe, den bis dahin gültigen Staatsbegriff im Zusammenhang der Logik und der immanenten Regelungsstrukturen der Verfassungstheorie Hubers nicht ad absurdum zu führen, sondern umfassender im Reichsbegriff auszubauen: „Auch der Streit um das Verhältnis von Volk und Staat, der unsere deutsche Theorie in den letzten Jahren über Gebühr in Anspruch genommen hat, findet im Begriff und in der Idee des Reiches seine dialektische Lösung."10 Um die trinomische Binnenstruktur der Verfassungstheorie nicht umzuwerfen, mußte das transzendente Argument des „Werdens" herhalten, daß die „volle Verwirklichung" der Verfassung nach der Machtergreifung durch den Reichsgedanken vollzogen und die „völlige Identität von Staat und Volk" erreicht worden sei: „Im Begriff des Reiches erwächst uns das Symbol, das die ganze Fülle des völkischen Seins und Wirkens umschließt."1 1 Der Begriff des Reiches sei der „Ausdruck für die geschichtliche Ordnung, die das deutsche Volk zur politischen Einheit" verbinde.12 Mit der Einfuhrung des historischen Reichsbegriffs in die Verfassungskonzeption vollzieht sich in Hubers Verfassungsdenken eine Wendung, die zugleich das Entwicklungspotential dieser Theorie dokumentiert. Der Wissenschaftsplan der „Kieler Schule" und die Konzeption der „Reichsuniversität" sah die Verfassungsgeschichte als obligatorisch an und schrieb deren Verwendung in verfassungstheoretischen Zusammenhängen vor. 13 Schließlich lenke, so Huber, die Erneuerung des großdeutschen Gedankens „von selbst auf die überlieferte Reichsidee zurück."14 Die Historisierung des Reichsbegriffs solle dem Argument Vorschub leisten, daß mit dem Ausbau der Reichsverfassung die Verwirklichung des „Reichsganzen im 6 7 8 9 10 11 12 13 14

Die deutsche Staatswissenschaft, S. 65. Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, a. a. O., S. 532. Positionen und Begriffe. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, a. a. O., S. 4. Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, a. a. O., S. 544. Huber: Bau und Gefüge des Reiches, in ders. (Hrsg.): Idee und Ordnung des Reiches. Gemeinschaftsarbeit deutscher Staatsrechtler, Bd. 1, Hamburg 1941, S. 5-51 (12). Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Straßburg 1944, S. 23. Bau und Gefiige des Reiches, S. 5. Vgl. Ritterbusch, Paul: Idee und Aufgabe der Reichsuniversität, Hamburg 1935, S. 23ffi; ebenso Huber: Rechts- und Staatswissenschaften, a. a. O., S. 7. Bau und Gefuge des Reiches, S. 12.

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Staat'" 15 erreicht sei. Bereits in den die Verfassungstheorie methodisch manifestierenden Schriften „Vom Sinn der Verfassung" und „Wesen und Inhalt der Verfassung" (beide 1935) ist vom „totalen Staat" nicht mehr die Rede. Huber warnt davor, die Verfassungsstrukturen als abgeschlossen zu betrachten: „Erst nach dem Kriege werden die politischen Grundlagen in vollem Umfang geschaffen sein, auf denen der Aufbau und Ausbau der Reichsverfassung abgeschlossen sein kann." 16 Diese Warnung entspricht denn auch seiner verfassungstheoretischen Haltung, „Werden" und „Vergehen" von „Verfassungen" als „wirkliche Verfassungsschöpfung durch politische Tat" 17 zu interpretieren und die Elastizität der Verfassung als „ständiges Verfaßt-Werden" 18 herauszustellen. Die Verfassung ist aufgrund ihres Machtgehaltes politisch zeitgebunden. Auch wenn „Führung" und „ B e w e g u n g " die „unantastbaren Wesensgrundsätze" innerhalb der „politischen Leitprinzipen des Nationalsozialismus" sind, so ist die Schwerpunktverschiebung der Themenstellungen der konsequente Denkweg der Huberschen „Staatswissenschaft". Die sich in der nationalsozialistischen Etablierungs- und Stabilisierungsphase aus den Verfassungsfragen rekrutierenden Themen, etwa das Verhältnis von „Volk", „Staat" und „Verfassung", die Ordnungsfragen von Wirtschaft und Recht unter dem Leitmotiv der „Einheit der Staatsgewalt", traten seit 1938/39 zugunsten der mit der Radikalisierung und außenpolitischen Expansion verbundenen Priorität der Weltanschauungselemente des Nationalsozialismus zurück.

a) „Führung" als Formprinzip der „Kriegsverfassung"19 Die Korrelation von „Führerstaat" und „Bewegungsstaat", welche die Dialektik von herrschaftlichem „Staat" oder gemeinschaftsgebundenem „Volk" in der Verfassungstheorie Hubers dokumentiert, bleibt auch in der Phase der „Kriegsverfassung" konstitutiv.20 Auch der politische Formgedanke der völkischen Verfassung ist weiterhin für die Kontinuitätsbehauptung und Integration der verfassungspolitischen Machterscheinungen der Angelpunkt der Verfassungstheorie. Ob Wehrordnung oder Wirtschaftsverfassung, Huber betont bei der Zuordnung der verschiedensten Teilverfassungen die „Gleichgerichtetheit" als Prinzip der „guten Verfassung",21 die in ihren Teilverfassungen von der „gleichen politi-

15 Ebenda, S. 13. 16 Aufbau und Ausbau der deutschen Reichsveifassung, in: Das Reich. Deutsche Wochenschrift, Nr. 21 vom 13.10.1940, S. 4. 17 Wesen und Inhalt der politischen Verfasssung, S. 58. 18 Verfassungskrisen des Zweiten Reichs, S. 4; zur Elastizität von Verfassungen vgl. Schmitt: Verfassungslehre, a. a. O., S. 17. 19 Zum Begriff der „Kriegsverfassung" vgl.: Wehrverfassung und politische Ordnung, in: Deutschlands Erneuerung, 24. Jg. (1940), S. 410-418 (417), ebenso: Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, a. a. O., S. 533. 20 Vgl. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, a. a. O., S. 8Iff.; Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 40ff.. 21 Huber begreift die „gute Verfassung" im Sinne der „gleichförmigen Gestaltung" als Lebensordnung des Volkes nicht pejorative, sondern „existentiell" im Sinne der politischen Einheitsbildung und die dafür „existentiell" notwendige Übereinstimmung der Verfassungseinrichtungen,

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sehen Idee" und nach den gleichen Grundsätzen durchdrungen sein soll.22 Diese Gleichgerichtetheit, die mit der Integration der Verfassung als der „politischen Einheit" übersetzt werden kann, und die Kontinuität der Verfassungsordnung als dauernde Funktion festschreibt, hat die Herstellung und Wahrung der Reichseinheit zum Ziel. Das Moment der Kontinuität im Denkweg Hubers ist denn auch überdeutlich: „Die Kriegsverfassung, unter der wir seit vorigem Herbst leben, hat auf vielen Gebieten eine straffere Zusammenarbeit und eine stärkere Durchschlagskraft der staatlichen Befugnisse gebracht. Aber sie ist nicht aus einer Krise der Friedensordnung entstanden und hat keine umstürzlerischen Änderungen der politischen Grundordnung zur Folge gehabt. Die Kriegsverfassung bedeutet lediglich eine folgerichtige Entwicklung der Einrichtungen und Funktionen der politischen Friedensordnung. Insbesondere die im Kriege hervorgetretene Vereinigung der politischen und der militärischen Führung in der Hand des Führers war in der Friedesverfassung des Reiches vorgeformt" 2 3 Der Tenor dieser Äußerung liegt auf der Hand. Während im Zweiten Reich die „Kriegsverfassung" von 1914-1918 als eine dem Ausnahmezustand vergleichbare „Krisenverfassung" beurteilt wird, hat die „Kriegsverfassung" des Dritten Reiches aufgrund ihrer - dem Zweiten Reich fehlenden - machtkonzentrierenden Führungsordnung Verfassungsschöpfenden Sinn. Huber schließt somit eine Verfassungskrise aus, weil die „Kriegsverfassung" des Dritten Reiches aus der militärischen Autorität und Macht der Träger der „Friedesverfassung" hervorgegangen sei. Die „Wehrfähigkeit" des Volkes sei Parameter der Einheit der völkischen Verfassung. Die verfassungspolitische Aufgabe bestehe in der im „System der Reichsführung" bereits in der Friedesverfassung vorgegebenen stärkeren Konzentration und Anpassung. Es handele sich im ganzen bloß um eine „technische Ausgestaltung der gegebenen Grundordnung, nicht um die Verdrängung der normalen Friedesordnung durch ein ihr entgegenstehendes Ausnahmesystem." 24 Hans Freyer ergänzt diese von Huber als „technischen" Verfassungs- und Verwaltungsausbau bezeichnete Vereinheitlichung von Reichsgewalt und Reichsführung mit einer politischen Theorie von „Herrschaft und Planung". „Planung" sei herrschaftliche Bildung von Ganzheiten als synthetische Leistung. 25 Der Plan setze nach Freyer nicht nur „Freund und „Feind" im politischen Sinne, sondern grenzt das „Außen" gegen den Binnenraum seiner Verwirklichung ab. 26 Schließlich bedarf nach Huber die „konkret-gegenwärtige Wirklich-

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die mit der „gleichen politischen Idee" durchdrungen sein sollen. Faktisch ist der Dissoziierungsgrad des Politischen damit gestellt. Die „Wesensprinzipien" einer Verfassung, die Huber nach Carl Schmitt in der „politischen Einheit" und Homogenität der Verfassung definiert, haben zu einem Ausgleich der Verfassungsprinzipien in der Gesamtverfassimg zu führen; vgl. Deutsche Wehrordnung und Verfassung bis zum Ende des Absolutismus, in: ZgS, Bd. 97 (1939), S. 29-70 (31f). Zum anderen bezeichnet Huber das mittelalterliche Reich als „echte" Verfassung, da es ein wirklicher „Staat" gewesen sei; vgl. Heer und Staat, 2. Aufl., Hamburg 1943, S. 49. Deutsche Wehrordnung und Verfassung bis zum Ende des Absolutismus, a. a. O., S. 31. Huber: Deutsche Wehrverfassung und politische Ordnimg, in: Deutschlands Erneuerung, 24. Jg. (1940), S. 410-418 (418). Ebenda. Vgl. Freyer, Hans: Herrschaft und Planung. Zwei Grundbegriffe der politischen Ethik (1933), a. a. O., S. 2Iff.. Ebenda, S. 26.

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keit von Volk und Reich" nach „innen und außen der unmittelbar anschaulichen Verkörperung in klar umrissenen Einrichtungen und Gestalten." 27 Der Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" setzt die Strukturierung des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates, die bereits für die „Friedensverfassung" im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" nachgezeichnet ist, für die „Kriegsverfassung" fort und gibt eine systematische Übersicht über die Regierung und Zentralverwaltung des Reiches als einem „vielgliedrigen Organismus". 28 Form, Struktur und Aufgabenentwicklung der Reichsregierung, das Verhältnis zum Führer und die Kompetenzstrukturen werden minutiös nachgezeichnet.29 Die „verfassungspolitische Arbeit des Nationalsozialismus", die „Wirklichkeit des völkischen Reiches [...] in neuen Symbolen und in politischen Institutionen zu einer Form zu prägen", 30 sieht Huber in der Wandlung und Anpassung der nationalsozialistischen Leitprinzipien in der Kriegsverfassung als Ziel der verfassungspolitischen Arbeit. Die Schlußergänzung „Abgeschlossen am 27. März 1941 "31 t r ägt d e n sich wandelnden Herrschafts- und Kompetenzstrukturen in der Reichsführung und der Kriegsverwaltung Rechnung, widersteht aber dem Gedanken, das „System der Reichsführung" im Kriege als ein „Ausnahmesystem" zu bewerten. Stattdessen warnt Huber vor der ziellosen und einer klaren Entscheidung im Wege stehenden Kompetenzvermehrung der Führungsebene und der Monstrosität der Reichsverwaltung mit zum Teil unklaren Trennungen der Zuständigkeiten: „Je stärker die Reichsregierung selbst durch die zahlenmäßige Vermehrung der Ressorts aufhört, eine Einheit zu sein, in desto höherem Maße ist es notwendig, in der Reichsleitung eine wirkliche Einheit der Regierung, d.h. der planvollen Leitung und Lenkung, wiederherzustellen."32 Dem Unitarist Huber geht es mit dem Ziel der Festigung der Reichsregierung im Kriege bei den sich wandelnden Kompetenz- und Verwaltungsstrukturen um stringente „Führung" und „Planung", die nur durch mediale Führergewalt als der unumstößlichen Gesetzesgewalt garantiert werden könne. 33 Natürlich bleibt bei seiner ideologisch verplanten „politischen Wirklichkeitswissenschaft" kein Raum, die seit 1941 zunehmende Zersplitterung des Verordnungswesens, die Kompetenzverschiebungen der Reichsminister und die direkten Führerermächtigungen als den beherrschenden Faktoren der Machtausübung neben den verwaltungspolitisch verblassenden Organisationen und Zuständigkeiten der

27 Huber: Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, S. 544. 28 Ebenda, S. 561. Neben dem verfassungstheoretischen Teil der Begriffe und Positionen gibt Huber im zweiten Teil des Aufsatzes „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" einen systematischen Überblick über die Reichsregierung, die Kanzleien, Ministerränge, die Kriegsverwaltung und Führerkompetenz. Er kommt 1941 zu 39 dem „Führer unmittelbar untergeordneten Reichsstellen": 3 Kanzleien, 19 Reichsministerien, 4 „Träger der Reichshoheit in eingegliederten oder zugeordneten Gebieten", 3 Chefs der Zivilverwaltung, 4 Oberste Reichsbehörden und 6 selbständige Zentralstellen. 29 Dietrich Kirschenmann bewertet diesen Aufsatz Hubers zurecht als einen der „besten und zugleich auch letzten zusammenfassenden Darstellungen der 'Verfassung' des deutschen Staates der totalen nationalsozialistischen Herrschaft"; vgl.: 'Gesetz' im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS, Berlin 1970, S. 106, Anm. 46. 30 Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, S. 544. 31 Ebenda, S. 579. 32 Ebenda, S. 561. 33 Kirschenmann: 'Gesetz' im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS, a. a. O., S. 104ff.

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Reichsregierung zu kritisieren. Stattdessen beschränkt Huber seine Kritik auf die verhaltenen Worte, daß die bisherigen Verfassungsvorschriften den darin liegenden Wandel noch nicht zum Ausdruck bringen würden.34 Der Jurist hat mit dem aus der direkten Führergesetzgebung resultierenden Durcheinander von Verordnungen, Erlaßen und Gesetzen klarzukommen.35 Das bereits in der Wirtschaftskonzeption des „deutschen Sozialismus" hervortretende Planungs- und Lenkungsdenken wird im Rahmen einer „Theorie der Herrschaft"36 auf die Reichsführung zugeschnitten, welche die „Einheit der Reichsgewalt" zu stärken und zu erhalten hat. Die Funktion der Reichsgewalt ist nicht nur mit dem Begriff der „Führung" verbunden, sondern hat „im Rahmen der vom Führer vorgezeichneten politischen Richtlinien" zu erfolgen. Das planerische Moment der Führung verdeutlicht Huber an den Lokalund Mittelinstanzen der Reichsführung und der zentralen Reichsleitung: „ P l a n u n g , Rechtsetzung und Verwaltung stehen also nicht koordiniert neben der Regierung, sondern sind als Mittel der politischen Gestaltung dem Begriff der Regierung eingefugt"37 und „für einen Staat mit den so außerordentlich gesteigerten Aufgaben des Großdeutschen Reiches in besonderem Maße gegeben."38 Ähnlich argumentiert auch Ulrich Scheuner, der in der Aufgabenerweiterung der Staatsführung im Kriege das zeitliche Gebot sieht.39 „Herrschaft", „Planung" und „Führung" bedingen einander und stellen den Zusammenhang von „Verfassung" und „Verwaltung" her. Was die „Verfassung" konstituiert, hat die „Verwaltung" zu konkretisieren.40 Der Herrschafts- und Entscheidungsaspekt der „Planung" hat hier seinen Ort, denn es sei bei der Reichsgliederung notwendig, „soweit irgend möglich die territorialen Bezirke der großen Ordnungsbereiche des völkischen Lebens in Übereinstimmung zu bringen."41 Verwaltung und Verfassung sind hier in Hubers Argu-

34 Vgl. die Auflösungserscheinungen der öffentlichen und regelhaften Form der Reichsregierung bei Martin Broszat: Der Staat Hitlers, a. a. O., S. 382ff.; ebenso: Gruchmann, Lothar: Die 'Reichsregierimg' im Führerstaat. Stellung und Funktion des Kabinetts im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, in: Klassenjustiz und Pluralismus. FS für Emst Fraenkel zum 75. Geb. am 26. Dezember 1973, hrsg. von Günther Doeker und Winfried Steffani, Hamburg 1973, S. 187-223. 35 Hubers Hoffnung, mit der Errichtung des Ministerrates für die Reichsverteidigung den Anfang einer rationalen Gliederung und planvollen Zusammenfassung aller entscheidenden Aufgaben in der Hand eines engen, arbeitsfähigen Kreises zu erwarten, zerschlug sich schnell; vgl. Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, S. 561. Tatsächlich leitete der Ministerrat für die Reichsverteidigung die Zersetzung der seit 1938 nicht mehr zusammengetretenen Reichsregierung ein; vgl. Broszat, a. a. O., S. 382ff. 36 Herrschaft und Führung, in: DR, 11. Jg. (1941), S. 2017-2024 (2021ff). 37 Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, S. 554. 38 Ebenda, S. 561. 39 Scheuner, Ulrich: Die deutsche Staatsführung im Kriege, in: Deutsche Rechtswissenschaft, 5. Jg (1940), S. 1—43 (S. 8). Scheuner geht über Hubers Deskription des Verfassungsgefüges der Reichsregierung im Kriege hinaus und fordert die planmäßige Lenkung der Wirtschaft, die Integration der Führung des Volkes in die Abwehrfront und die Vereinfachung und Konzentration der Staatsverwaltung. 40 Huber. Verfassung und Verwaltung, in: Pariser Zeitung, 3. Jg., Nr. 260, 20. September 1943, S. 1-2(1). 41 Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege, S. 579.

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mentation synthetisiert, denn Reichsführung sei nur mit einer starken hoheitlichen Verwaltung zu bewerkstelligen.42 Die Kontinuität der Reichsführung als grundsätzliches Verhältnis von „Kriegsverfassung" und Friedensordnung ist Huber in der dialektischen Verfassungstheorie ein ebenso dringliches Anliegen wie das Verhältnis von „Führerstaat" und „Bewegungsstaat". Beides wird für die Kriegsverfassung in einer „echte Theorie der Herrschaft"43 ausdifferenziert. Die der Einheit der Reichsgewalt verpflichtete enzyklopädische Konzeption der Staatswissenschaft geht vom Prinzip der „Führung" als politischem Formprinzip aus, denn: „Von einer Führungsordnung' und von Führung als einem verfassungsrechtlichen Strukturprinzip kann man nur sprechen, [...] wenn sie darüberhinaus als dauernde institutionelle Form politischer Existenz festgehalten werden kann." 44 Verwaltung sei auch in der „Kriegsverfassung" ein hoheitliches Instrument der Führung. Der Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" ist dazu ein rechtswissenschaftliches Resümee zur Theoriedebatte um den Führungsbegriff.45 Huber erscheint es für die in der Wehrverfassung und der in der Kriegsführung unumgänglichen Zentralverwaltung und Reichsführung notwendig, den Führungsbegriff nicht auf die Repräsentation des Reichsoberhauptes zu beschränken, sondern dem Führer im Rahmen der Reichsführung als einem vielgliederigen Organismus „zugleich die bestimmende Leitung der politischen Geschäfte"46 zu übertragen. Trotz erheblicher Kritik aus den Reihen der Staatsrechtswissenschaft47 verteidigt Huber die „Polykratie" des Führers in der Einheit von „auctoritas" und „potestas" im Amtsbegriff. Der Führer sei als „Träger einer umfassenden Führungsaufgabe" der „Inhaber des obersten Amtes in Volk und Reich".48 Mit dem Amtsbegriff gelingt es Huber, die behördlich-technischen Organisationen und die Volksgemeinschaft als in „Verfassung" und „Verwaltung" und im Nebeneinander von „Staat" und „Partei" vorhandenen Führungsaufgaben zu bündeln, aber auch die durch Krieg und Einwirkung der Außenpolitik auf die Binnenstruktur der Reichsführung erfolgenden Formveränderungen offenzuhalten.49 „ H e r r s c h a f t " und „Führung" werden als 42 Meyer-Hesemann, Wolfgang: Kriegsverwaltungsrecht im Nationalsozialismus, in: Salje, Peter (Hrsg.): Recht und Unrecht im Nationalsozialismus, Münster 1985, S. 170-192 (171ff.). 43 Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, S. 531. 44 Herrschaft und Führung, a. a. O., S. 2018f.. 45 Vgl. Dieter Rebentisch/Teppe, Karl: Einleitung, in dies. (Hrsg): Verwaltung contra Menschenfuhrung im Staate Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S. 7 - 3 2 (S. 25). Eberhard Laux bewertet deshalb Ernst Rudolf Huber als den mit Abstand solidesten nationalsozialistischen Staatsrechtler; vgl. Laux, Eberhard: Führung und Verwaltung in der Rechtslehre des Nationalsozialismus, in: Rebentisch, Dieter/Teppe, Karl (Hrsg.): Verwaltung contra Menschenfuhrung im Staate Hitlers, a. a. O., S. 33-64 (53). 46 Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, S. 553. 47 Höhn: Volk und Verfassung. Eine Auseinandersetzung mit Emst Rudolf Huber, a. a. O., S. 209f.. 48 Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, S. 539; s. a.: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, a. a. O., S. 218; ebenso: Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, a. a. O., S. 209f. In dem umfassenderen Aufsatz „Herrschaft und Führung" (1941), der mit dem ersten Kapitel aus „Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege" bei inhaltlicher Ausdifferenzierung fast identisch ist, fehlt die Diskussion des Amtsgedankens. 49 Kap. Π und ΠΙ des Aufsatzes „Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege" behandeln insbesondere die Verfassungsformfragen. Die bereits 1935 in dem Aufsatz „Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches" erarbeiteten Ergebnisse der Kompetenz- und Strukturfragen werden auf das

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dialektische Einheit interpretiert. Deren Unterschied besteht darin, daß „die Herrschaft ein gebietsbezogener Begriff ist, wahrend die Führung eine personhafte Ordnung voraussetzt."50 Der Begriff der „Herrschaft" sei ein „Territorialprinzip" mit institutionellem Gehalt, da seine Verfügungsgewalt auf politische Institutionen gerichtet sei, während der Begriff der „Führung" als „Personalitätsprinzip" die Einheit eines Personenverbandes voraussetze (z.B. Wehrmacht, politische Bewegungen) und nur mit „Menschenfuhrung" zu übersetzen sei. Den institutionellen und personalen Aspekt synthetisiert Huber schließlich über die „Amtsgewalt des Führers" im zum ,gleich" entfalteten „politischen Volk". Dabei gewinnt der Begriff der „Führung" gegenüber dem der „Herrschaft" die zur politischen Form wichtige Gestaltungsfunktion: „Anders als bei der Herrschaft wird bei der Führung nicht durch die Verfügung über die Institutionen die Hoheitsgewalt über das Volk ausgeübt, sondern umgekehrt dadurch, daß das Volk als ganzes gewonnen und zur Einheit geformt ist, auch die Verfügungsgewalt über die Institutionen erworben."51 Politische Führung ist sodann „die aus den Kräften der Gemeinschaft unmittelbar erwachsende, auf der Verbindung von Autorität und Macht beruhende verantwortliche Bestimmung einer geschlossenen Lebenseinheit."52 Der institutionelle Herrschaftsaspekt wird in die Gemeinschaftsbildung verlegt, die Dialektik von „Volk" und „Staat" in der staatstheoretischen Begriffsbildung „aufgehoben".53 Vor allem in der „Kriegsverfassung" gewinne die Reichsgewalt an verfassungspolitischem Wert, weil die Hoheitsrechte, die aus der „occupatio bellica" resultierenden, dem „Oberhaupt des Großdeutschen Reiches" im Rahmen der „auswärtigen Gewalt" zufallen. Die „Reichsbildung" ist Leitmotiv der zwischenstaatlich-völkerrechtlichen Ordnung. Huber subsumiert den Begriff der „Herrschaft" unter den der „Führung". „Führung" sei das politische Formprinzip, „Herrschaft" dagegen die „politische Funktion: „Das herrschaftliche Sein und Walten ist eine politische Funktion, die sich notwendig entwickelt, wo überhaupt ein handlungs- und widerstandsfähiges politisches Gebilde entstehen soll; ohne Herrschaft gibt es keine Einheit, Ordnung und Dauer im Bereich der politischen Existenz."54

b) Die „Außenverfassung"55: Großraum und Völkerrecht Den nationalsozialistischen Primat der Außenpolitik nach 1939 und die Wendung zum Raumdenken vollzieht Huber in seinen Schriften nur zögerlich. Der Begriff des Reiches

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Großdeutsche Reich übertragen. Vor allem dieser verfassungspolitische Aspekt macht den Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsfiihrung im Kriege" zum (innenpolitischen) wehr- und kriegspolitischen Ausbauversuch des „Verfassungsrechts des Großdeutschen Reiches". Die Kriegsverfassung hat auf die Funktionen der Führergewalt keinen Einfluß. Die Parteiführung, Kommandogewalt über die Wehrmacht, Dienstgewalt, auswärtige Gewalt und Rechtsgewalt bleiben bestehen. Herrschaft und Führung, S. 2021. Ebenda. Ebenda, S. 2023. Vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 59f; Herrschaft und Führung, S. 2020. Reichsgewalt und Reichsfiihrung im Kriege, S. 533. Zum Begriff vgl. Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, a. a. O., S. 747. Der Begriff , Außenverfassung" entspricht der „innen/außen"-Logik des Planungsdenkens.

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solle zwar zum „Kerne einer neuen völkerrechtlichen Konzeption" werden, doch „Entscheidendes ist hier noch im Flusse und bedarf noch der endgültigen Formierung."56 Trotz der umfangreichen wehrverfassungshistorischen Darstellung „Heer und Staat" vollzieht Huber die Radikalisierungsphase der nationalsozialistischen Kriegsaufrüstung nicht außenpolitisch. „Heer und „Staat" ist die stark idealisierte, verfassungshistorische Herausstellung der nationalen Kampfbereitschaft des deutschen Volkes, endet aber dennoch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Eine ausführliche verfassungspolitische Würdigung und Stellungnahme zur „Kriegsverfassung" bleibt nur auf den Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" beschränkt. Auch eine verfassungspolitische Theorie des Krieges sucht man in Hubers Schrifttum vergeblich. Nicht der Krieg als politisches Ereignis, sondern die ganzheitliche Struktur der Wehrverfassung im Sinne des kämpferischen Volkes findet in den wehrverfassungshistorischen Analysen Erwähnung. Der Krieg wird als alle Kräfte des Volkes in einer starken Verfassung gebündelten Wehrkraft thematisiert.57 Einer militärisch dominierten, auf Expansion und Großraum fußenden Verfassungstheorie folgt Huber nicht, stattdessen wird die „Wehrmacht" als verfassungspolitische Kraft in ihren „geschichtlichen Entwicklungsstufen" im Verhältnis von „Heer" und „Staat" und in der „Ordnung" und „Gestalt" zwischen militärischer und politischer Führung verortet. Die Wehrgemeinschaft wird als eine notwendige Folge der „Volksgemeinschaft" in der Friedensverfassung gefolgert. Weder eine Fortsetzung der Positionen und Begriffe seit 1933 erfolgt, noch wird der „totale Krieg" aus dem „totalen Staat" abgeleitet.58 Mit den ideologischen Versatzstücken des Nationalsozialismus stimmt der Kriegsbegriff und seine, den völkischen Vitalismus schöpfende Funktion überein. „Krieg" sei das Naturgesetz des Stärkeren, zu dem das gesamte Volk in Anspruch genommen wird. Dem Zwang zur Effizienz entspreche die höchste Konzentration der Kräfte.59 Eine über die Auseinandersetzung mit Carl Schmitts völkerrechtlichem Großraumdenken hinausreichende eigenständige Position60 ist ebenso wenig wie die konsequente Ein-

56 Bau und Gefüge des Reiches, a. a. O., S. 51. 57 Vgl. Heer und Staat, S. 13-21; ähnlich die historische Überblicksdarstellung: Die staatsbildende Kraft des Heeres, in: Zeitschrift für Deutsche Geisteswissenschaft, 3. Jg. (1940/41), S. 1-10. 58 Zur ideologischen Programmatik und Strategie vgl. Jacobsen, Hans-Adolf: Krieg in Weltanschauung und Praxis des Nationalsozialismus (1919-1945), in: Bracher, Karl Dietrich/Funke, Manfred/Jacobsen, Hans-Adolf (Hrsg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933-1945. Eine Bilanz, Bonn 1983, S. 427-^39 (430f.). 59 Meyer-Hesemann (Anm. 42), S. 172. 60 Schmitt, Carl: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Ein Beitrag zum Reichsbegriff im Völkerrecht, Berlin, Wien 1939. Huber hebt an dieser Schrift Carl Schmitts die Verbindung von „Recht" und „Ordnung" als synonyme Begriffe für die wirtschaftliche Zusammenarbeit staatenübergreifender Machtgebilde hervor. Schmitt habe verdeutlicht, daß die 1939 neuentstandene Großraumordnung ein völkerrechtliches Gefiige sei, weshalb es sinnvoll ist, den Begriff der „Großraumordnung" durch den Zusatz „völkerrechtlich" zu qualifizieren; vgl. Huber: Herrschaft und Führung, a. a. O., S. 2023f., Anm 33; der Aufsatz „Großraum und völkerrechtliche Neuordnung" (in: Straßburger Monatshefte, 5. Jg. (1941), S. 744-748) kommt über die Rezeptionen der Positionen Schmitts nicht hinaus; s. a. Das neue Völkerrecht, in: Pariser Zeitung, 3. Jg., Nr. 348, 17. Dez. 1943, S. 1; zur kritischen Bewertung vgl.: Positionen und Begriffe. Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, in: ZgS, Bd. 101 (1941), S. 1-44 (36—44).

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bindung der Begriffe „Volk" und „Raum" 61 in die als „ius belli" begriffene politischen Stoßrichtung einer völkerrechtlichen Großraumordnung zu finden. Hubers verhaltene Auseinandersetzung mit der Großraumtheorie bleibt bei der Summierung der Begriffe Schmitts stehen, ohne die Positionen extensiv in einen ideen- oder rechtsgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.62 Im Vergleich zu Schmitt ist Huber die Wendung vom Staat zum Reich kein Primat der Außenpolitik gegenüber den Binnenstrukturen der Verfassung, denn es wird der mit der „echten Großraumordnung" korrelierende Begriff der „Außenverfassung" von der auf „Führung" und „Bewegung" beruhenden nationalen „Binnenverfassung" abgegrenzt. Die nationale völkische Verfassung bleibt zum Ausbau einer „völkerumspannenden Großraumordnung" tendenziell herausgestellt; mit dem Raumdenken „innen/außen" soll das verfassungspolitische Interesse auf die von der völkischen Ordnung ausgehenden Gestaltungsfunktion als „ausgreifende Ordnungsaufgabe" gelenkt werden. 63 Die nach innen „verfassungsrechtliche" und nach außen „völkerrechtliche" Ordnung der nach Großraum strebenden Verfassung soll die „eigenvölkische Selbstentfaltung" als grundlegend voraussetzen, erst dann sieht Huber den Rechtscharakter der politischen Ordnung als „Macht in Recht" aufgehen. 64 Nicht der außenpolitische „Imperialismus", sondern die für diese Politik sinnstiftende innenpolitische Ordnungsfunktion ist Huber die verfassungspolitische Aufgabe: „Ein Volk muß in einer bestimmten inneren Verfassung gefestigt sein, um der Verantwortung für eine weitere Ordnung genügen zu können. Hier liegt die entscheidende Aufgabe beim weiteren Ausbau der Verfassung [. . .] ." 65 Es komme darauf an, „ob das Volk, das den Kern eines solchen Großraums bildet, den Raum, den es sich erschlossen hat, lediglich als unterworfenen Herrschaftsbereich ausbeutet, oder ob es ihn als anvertrautes Lebensganzes zu führen entschlossen ist." 66 Die eigenartige innenpolitische Wendung Hubers im Großraumdenken, die themenmäßige Beschränkung auf die reichsbildende Kraft des Kriegs, führt zu einem wenig imperialen Expansionsdenken, das vielmehr einer völkischen Gleichheitsanalogie das Wort redet: „Wer das eigene Volkstum wirklich achtet, schätzt auch das fremde nicht gering, wer sich der eigenen Kraft und Leistung bewußt ist, erkennt freimütig fremde Eigenschaften und Vorzüge an." 67 Wirtschaftliche Autarkie und militärische Garantie sind Huber die „begriffsnotwendigen Merkmale" des Großraums. Der wirtschaftlichen Versorgung aller Reichsteile stehe die abzuwehrende Intervention „raumfremder Mächte" entgegen. Der Großraumgedanke habe seine politische Realität als wirtschaftliches, politisches und militärisches Prinzip im Drei61 Vgl. Verfassung, S. 58—60; Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 155-157. Auch die Zweitauflage des Verfassungsrechts von 1943 bleibt „großraumfrei". Die „raumpolitische Aufgabe des Reiches" sieht Huber hier auf die Eingliederung des Protekorats Böhmen und Mähren beschränkt. So heißt es nur: „Für das deutsche Volk ergibt sich aus seiner Verwurzelung im Räume die unverlierbare Aufgabe, Ordner des mitteleuropäischen Raumes zu sein", vgl. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 157. 62 Vgl. dagegen Carl Schmitt: Beispiele unechter oder überholter Raumprinzipien, in ders.: Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte, a. a. O., S. 9-20. 63 Bau und Gefüge des Reiches, S. 51; 64 Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, S. 746. 65 Bau und Gefuge des Reiches, S. 53. 66 Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, S. 747. 67 Das neue Völkerrecht (Anm. 58), S. 1.

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mächtepakt zwischen Deutschland, Italien und Japan vom 27. September 1940. 68 Träger des Großraumrechts seien somit nicht mehr die Staaten, sondern die „Reiche" 69 Die Freund-Feind-Konstellation der völkischen Ideologie verbrämt das Versailler System und den Völkerbund. Der Völkerbund habe nicht nur „in starrem Festhalten am status quo jede Anpassung der Weltordnung an die berechtigten Lebenswünsche der Völker" abgelehnt, sondern auch Siedlungsraum, Rohstoffe und Absatzmärkte vorenthalten; an die Stelle wirklichen Völkerrechts sei ein „Staatensystem" getreten, das auf „Eigennutz und Willkür der großen imperialistischen Demokratien" beruhe und damit „nichts anderes als eine Organisation der Fried- und Rechtlosigkeit" sei. 70 Die nationalsozialistische Machtergreifung 1933 und die Raumrevolution von 1939 habe dem ein Ende gesetzt. Die Frage nach der „rechtsbildenden Kraft" der Großraumordnung und die des Völkerrechts setze voraus: „Aus Faktizität wird nicht ohne weiteres Legitimität. Raummaterialismus ist noch keine Rechtsidee."71 Der Großraum entfalte seine „Legitimität"72 kraft „Führung", im „Wechselspiel von Recht und Pflicht, von Freiheit und Gebundenheit": Es komme darauf an, „ob das Volk, das den Kern eines solchen Großraums bildet, den Raum, den es sich erschlossen hat, lediglich als unterworfenen Herrschaftsbereich ausbeutet, oder ob es ihn als anvertrautes Lebensganzes zu fuhren entschlossen ist". 73 Das Rechtsprinzip des Großraums beruhe auf dem Prinzip der Führung. Auch hier wird wieder deutlich, daß die völkische Einheit die pflichtgebundene völkische Gemeinschaftsarbeit hierarchisch nach „oben" ist, während der Führungsakt das die Verfassung gestaltende Formprinzip nach „unten" darstellt. Erst durch beide hierarchischen Linienrichtungen konkretisiert sich die Gemeinwohlabsicht des Großraumprinzips als Rechtsgestaltung für „Volk" und „Verfassung" im Raum. Ohne es ausdrücklich zu erwähnen, folgt Huber der den Reichsbegriff umschreibenden Trias „Großraum", „Volk" und „politische Idee".

c) „Verfassung" und „Verwaltung" Das Verhältnis von „Verfassung" und „Verwaltung" ist im Nationalsozialismus durch ein Doppeltes bestimmt. Zum einen wird an der Koordination beider öffentlicher Sphären das Theorie-Praxis-Verhältnis, insbesondere in der Juristenausbildung deutlich, zum anderen 68 Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, S. 745. 69 Ebenda. In dem Aufsatz „Positionen und Begriffe" (a. a. O., S. 36, Anm. 3) kritisiert Huber Schmitts Verwendung des Plurals „Reiche" und schlägt vor, den Begriff des Reiches nur auf die „konkrete Gestalt des Großdeutschen Reiches" zu beschränken. Dieser nebensächlich erscheinende Aspekt verdeutlicht Hubers wenig expansionistische, mehr innenpolitische Argumentation in Abgrenzung zu seinem akademischen Lehrer Carl Schmitt. 70 Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, S. 744. 71 Huber: Das neue Völkerrecht, a. a. O., S. 1. 72 Bezeichnenderweise rekurriert Huber auf den Legitimitätsbegriff Max Webers. Weber sehe in der Legitimität die „Verbindlichkeit" und „Vorbildlichkeit" einer Ordnung. Huber korrigiert Webers Definition: „[.. ] nach meiner Auffassung ist für den Begriff der Legitimität primär nicht die Geltung, sondern der Geltungsgrund einer Ordnung. Die 'Vorbildlichkeit' kann zu den Geltungsgründen gerechnet werden"; vgl. Herrschaft und Führung, a. a. O., S. 2022, Anm. 32. 73 Großraum und völkerrechtliche Neuordnung, S. 747.

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dokumentieren die Konjunkturen der Verwaltungsrechtsdiskussion seit 1933, daß dieses Medium nicht nur wie die Verfassungsdiskussion ein Transmissionsbereich der nationalsozialistischen Ideologie war, sondern durch die Expansion des deutschen Territoriums und durch die Kriegsverwaltung bei einem behenden Praxisdruck durch Planung und Systembewältigung seit 1938/39 eine Belebung erfuhr, während die staatsrechtliche Diskussion seit dem großdeutschen Reichsgedanken so gut wie beendet schien.74 Weil die Verfassung als staatsrechtlich zu behandelndes Thema „erledigt" schien, blieben die Binnenstrukturprobleme der Verwaltung in ihrer Verfassungsmäßigkeit relevanter, denn in der Studienreform von 1935 hieß es: „Verwaltung und Verfassung sind eine Einheit. Ihre weltanschauliche und organisatorische Struktur ist gleich".75 Doch Huber bestreitet energisch die Rezession verfassungsrechtlicher Themen und bestimmt die Verfassungsmäßigkeit der Verwaltung als Kernbestand des Verfassungsdenkens: „[...] der wirkliche Charakter eines Staates hängt nicht so sehr von den politischen Leitgedanken ab, die er proklamiert, als von der Art und Weise, wie er diese Grundgedanken durch die Verwaltung verwirklicht."76 Der konstituierenden Funktion des Verfassungsrechts stehe die konkretisierende Funktion des Verwaltungsrechts gegenüber. Die Endphase des Dritten Reiches wurde durch eine verwaltungsrechtliche Diskussion bestimmt, die zugleich Verfassungsformcharakter besaß. Die politische Funktion des Verhältnisses von „Verfassung" und „Verwaltung" und die phasenweise Veränderung der Argumentation als Ausdruck der systemimmanenten wissenschaftlichen Adaption des Staats- und Verfassungsrechtlers soll im folgenden analysiert werden. Die verfassungsrechtliche Funktion bürokratischer Organisation und Koordination von Verfassung und Verwaltungsrecht stand auch nach 1939 außer Frage.77 Auch in Hubers verwaltungsrechtlichem Schrifttum ist seit dem Krieg eine ideologische Lockerung spürbar, die sich in der Revitalisierung bereits ideologisch verbrämter bürgerlich-konstitutioneller Begriffe wie „Rechtsstaat" oder „Exekutive"78 und der deutlichen Abkehr vom „konkreten Ordnungs-

74 Vgl. Kohl, Wolfgang/Stolleis, Michael: Im Bauch des Leviathan. Zur Staats- und Verwaltungsrechtslehre im Nationalsozialismus, in: NJW, 41. Jg. (1988), S. 2849-2856 (2852, 2855); ähnlich: Meyer-Hesemann, Wolfgang: Kriegsverwaltungsrecht im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 170-192, 170f., 180ff.; zur Entwicklung der verwaltungsrechtlichen Diskussion im Nationalsozialismus: Stolleis, Michael: Verwaltungsrechtswissenschaft im Nationalsozialismus, in ders.: Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus, Frankfurt/M. 1994, S. 147-170; ders.: „Die Wiederbelebung der Verwaltungslehre" im Nationalsozialismus, in: Heyen, Erk Volkmar (Hrsg.): Wissenschaft und Recht der Verwaltung seit dem Ancien Regime. Europäische Ansichten, Frankfürt/M. 1984, S. 147-162 (150ff.); ferner die grundlegende Dissertation von Wolfgang Meyer-Hesemann: Methodenwandel in der Verwaltungsrechtswissenschaft, Karlsruhe 1981. 75 Heckel, Johannes: Staats-, Verfassungs- und Kirchenrecht im Dritten Reich, in: Berichte über die Lage und das Studium des öffentlichen Rechts, Hamburg 1935, S. 9-29 (26). Zur „Einheit der Verwaltung" vgl. Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 339f.. 76 Huber: Verfassung und Verwaltung (Anm. 38), S. 1. 77 Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, in: FS für Heinrich Sieber zum 10. August 1940. Leibziger rechtswissenschaftliche Studien, hrsg. von der Leipziger Juristenfakultät, Heft 124, Leipzig 1941, S. 275-326 (319ff); zu dieser Problematik s. a.: Mommsen, Hans: Beamtentum im Dritten Reich, Stuttgart 1966, S. 20ff. 78 Vgl. Begriff und Wesen der Verwaltung, in: Geist der Zeit, 19. Jg. (1941), S. 287-294 (289f.).

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

und Gestaltungsdenken" 79 dokumentiert, ebenso wie in der Rezeption der verwaltungsrechtlichen Grundgedanken der „Leistungsverwaltung" von Ernst Forsthoff. Wenn Huber auch keinen Beitrag zum Verhältnis von Verwaltungsrecht, Verwaltungspolitik und Verwaltungslehre beigetragen hat, 80 so bleibt die Bemühung um die Ausbildung des Juristen und Verwaltungsbeamten im Rahmen der Studienpläne der Kieler Juristenfakultät und ihrer curricularen Fortführung an der Reichsuniversität Straßburg bestehen. Huber subsumiert die „Verwaltung" unter den Arbeitsbereich der „gesamten Staatswissenschaft", die er als Studienleiter der Verwaltungsakademie der Nordmark 81 für die Verwaltungsausbildung als Teil des Lehrplans der Kieler Richtung der Rechtswissenschaft zu fundieren suchte. 82 Die in dem Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" 1941 nachgezeichnete Systematisierung von Kriegsführung und Kriegsverwaltung auf der Ebene der Ministerialbürokratie fußt auf dem Gedanken, den durch „Planung" und „Führung" 83 initiierten Veränderungsdruck und seine Rückkoppelung auf die Verwaltungsstrukturen berechenbar zu machen. Das zunehmende Kompetenzchaos der nationalsozialistischen Führung im Kriege - Huber zählt 1941 immerhin 42 Reichsstellen - war durch die institutionelle Anarchie, dem Dualismus von Partei und Staat, dem Nebeneinander norm- und maßnahmenstaatlicher Elemente gekennzeichnet. Die Phase der relativen Führungslosigkeit in der Kriegswirtschaft dauerte bis Ende 1941 an. Diesem Kompetenzchaos lag die schleichende Durchsetzung des Primats der Partei im Machtdreieck zwischen Wehrmacht, Partei und Industrie zugrunde. 84 Die Realität der nationalistischen Verwaltung im Kriege versuchte Huber durch das Beamtentum als koordinierender Instanz zu stabilisieren, wenn seine Ausführungen auch stark idealisiert und mit wenigen politischen Bezügen behaftet sind. Dem Ruf nach verwaltungs- und verfassungspolitischen Reformen 85 entspricht das Gutachten über die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, das Huber für den „Internationalen Kongreß für Verwaltungswissenschaften" im September 1939 in Berlin verfaßt hatte. 86 Das Beamtentum wird als eigenständige Ordnung neben „Partei" und „Wehrmacht" verortet. Seine integrierende und repräsentierender Funktion, die das Beamtentum als „Dienst-

79 So resümiert Huber 1939 im Zusammenhang der Diskussion um die Lehre von der Körperschaft des öffentlichen Rechts, daß man „angefochtene und umstrittene Auslegungsmethoden" des „konkreten Ordnungsdenkens" vermeiden solle; vgl. Huber: Die Rechtsnatur der Deutschen Arbeitsfront. Ein Beitrag zur Lehre von der Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: ZAkDR, 6. Jg. (1939), S. 435-440 (438). 80 Dazu insbesondere Stolleis: Die „Wiederbelebung der Verwaltungslehre" im Nationalsozialismus (Anm. 74), S. 157ff. 81 Huber: Ziele und Wege der Verwaltungsakademien, in: Beamtenjahrbuch. Wissenschaftliche Monatsschrift fur das deutsche Berufsbeamtentum, 21. Jg. (1934), S. 693-697 (693f.). 82 Zur Fortfuhrung dieses Wissenschaftsplans an der Reichsuniversität Straßburg zuletzt: Rechtsund Staatswissenschaften, a. a. O., S. 7. 83 Huber: Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, S. 554; zu dieser herrschenden Auffassung auch Röttgen, Arnold: Deutsche Verwaltung, Berlin 1944, S. 159ff. 84 Meyer-Hesemann: Kriegsverwaltungsrecht im Nationalsozialismus, S. 179ff. 85 Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich, S. 119ff. 86 Vgl. die Vorbemerkung, in: Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, Anm. 9.

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gefolgschaft"87 wahrzunehmen habe, diene der Reichseinheit. Bereits mit dem Entwurf zum „Deutschen Beamtengesetz" 1937 hatte die Staatsrechtswissenschaft das Berufsbeamtentum überwunden und die Pflichten gegenüber den Rechten des Beamtentums stärker in den Vordergrund gestellt.88 Die Priorität des Führungs-Gefolgschafts-Verhältnisses seit 1938/39 setzt sich trotz der ideologischen Lockerung auch in der Verwaltungsdiskussion durch. Dennoch vermag Huber nicht auf die vom Beamtentum im Verwaltungskörper vorhandenen „Kräfte der Beharrung" zur Überlieferung der „Denk- und Arbeitsgewohnheiten" zu verzichten.89 Doch der etatistische Gedanke, auf „Führung" und „Gefolgschaft" im Verwaltungsrecht bezogen, wird angesichts der in Reichsfuhrung und Kriegsverwaltung vorherrschenden Gemengelage um 1941 thematisiert, um die Einheit der Verfassung als „Einheit der Kriegsverwaltung" zu sichern.90 Die mit der Kriegsverwaltung einhergehende Veränderung des Verwaltungsrechts und der Verwaltungsaufgaben macht Huber an Forsthoffs Schrift über die „Verwaltung als Leistungsträger" fest.91 Hier findet Huber eine Nische gegenüber dem Realitätsdruck der nur schwerlich und strukturell faßbaren Kriegsverwaltung. Forsthoffs Problemverlagerung des Verwaltungsrecht, den materiellen Gehalt der Verfassungsordnung in die Verwaltung zu verlegen um die Kongruenz zwischen Verfassungsrechtslage und Verwaltungswirklichkeit herzustellen,92 ist für Huber der Anlaß, mit dem Prinzip der „Leistungsverwaltung" die sich wandelnden Probleme der Wirtschaftsverwaltung als Aufgabe der „Rechtsgestaltung" zu thematisieren.93 Verwaltung sei nicht mehr nur Schutzorgan für Staat und Gesellschaft, sondern die „Leistungsverwaltung" übernimmt die „Daseinsvorsorge"94 des Einzelnen und ist „Organ der Erzeugung und Verteilung lebenswichtiger Güter, Leiter und Regulator des Güterabsatzes und der Preise, Träger des Verkehrs- und Versorgungswesens."95

87 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 322, 324f.. Zur verwaltungsrechtlichen Begriffsbildung vgl.: Die volksgenössische Rechtsstellung im Verwaltungsrecht, a. a. O., S. 326. Huber stellt den Beamtendienst gleichbedeutend neben Wehr- und Arbeitsdienst. 88 Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich, S. 93. Huber begründet die politisch-weltanschauliche Bindung des Beamtentums mit „Dienstethos" und „Eid" und hebt beides im Begriff der „Dienstgefolgschaft" auf; vgl. Die verfassungsrechtliche Stellung des Beamtentums, S. 305, 318, 322f.;s. a. Anm. 17. 89 Verfassung und Verwaltung, S. 2. 90 Reichsgewalt und Reichsfuhrung im Kriege, S. 578. 91 Begriff und Wesen der Verwaltung, a. a. O., S. 289; s. a. Forsthoff, Ernst: Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart, Berlin 1938; vgl. dazu Huber: Rez. „Emst Forsthoff: Die Verwaltung als Leistungsträger, Berlin 1938", in: ZgS, Bd. 101 (1940/41), S. 411^12. 92 Vgl. Storost, Ulrich: Die Verwaltungsrechtslehre Ernst Forsthoffs als Ausdruck eines politischen Verfassungsmodells, a. a. O., S. 169. 93 Huber: Begriff und Wesen der Verwaltung, a. a. O., S. 293f. 94 Forsthoff: Die Verwaltung als Leistungsträger, a. a. O., S. 6f., 12f.. Forsthoff nennt diejenigen „Veranstaltungen", die zur Befriedigung des Appropriationsbedürfnisses getroffen werden, „Daseinsvorsorge". Zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen des Begriffs vgl. Huber: Vorsorge fur das Dasein. Ein Grundbegriff der Staatslehre Hegels und Lorenz von Steins, in: FS für Ernst Forsthoff zum 70. Geb., München 1972, S. 139-173; wieder abgedruckt in Huber: Bewahrung und Wandlung, Berlin 1975, S. 319-342. 95 Begriff und Wesen der Verwaltung, S. 289; s. a. Forsthoff, a. a. O., S. 7.

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7. Die historische Suche nach „Nationalidentität"1: deutsche Volksgeschichte als nationalstaatliche Verfassungsgeschichte Während der Nationalismus seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts ein Produkt gesellschaftlicher Krisen ist, bedient sich der Nationalsozialismus eines völkischen Nationalismus, um sich historisch von den Krisen des deutschen Nationalbewußtseins abzusetzen: „Der Nationalismus lebt im Nationalstaat fort als rückwärtsgewandte Ideologie zur Glorifizierung des Erreichten, zur Festigung und Bewahrung des nationalen Bewußtseins, als Agens im anhaltenden Prozeß des Nation-Building."2 Aber nicht die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen und Hypotheken des deutschen Nationalismus, sondern seine historische Bezugsebene als ideologische Bewußtseinsform macht den Nationalismus zu einer Denkungsart völkischer Provenienz. Der historisch legitimierte völkische Konservatismus ist eine Ausdrucksideologie, die „Rasse", „Volk" und „Nation" als ein aller Kritik entzogenes Absolutes einführt und sich historischer Argumente bedient, um Mythenkonglomerate aufzubauen.3 Für Huber ist die Hegeische Rechtsphilosophie der Anknüpfungspunkt, über die Dialektik des Volksgeistes den historischen und sozialen Prozeß verfassungsgeschichtlich auf den Begriff zu bringen und die völkisch fundierte Einheit von „Staat" und „Volk" geschichtsphilosophisch zu unterfüttern. Ansätze dieses Denkens sind bei Huber bereits in der völkisch-theologischen Kritik am Weimarer Staatskirchenrecht vorhanden, die ähnlich wie Wilhelm Stapels Volksnomoslehre im „Deutschen Volkstum", das göttliche Gesetz des Volkes aus seinen biologisch-geschichtlichen Zusammenhängen ableitet.4 Der „völkische Nomos", bei Huber Hegeische Volksgeistmetaphysik, leitet die Lebensgesetze des Volkes anstelle des Reiches Gottes aus einem vaterländischen Ethos ab, welches das „Volk" als romantisierende biologisch-geschichtliche Ganzheit begründet. Dem vitalistischen Einheitserlebnis des „Volkes" wird die dazugehörige Lebensform der „Nation" als „Verfassung" in den nationalprotestantischen Traditionen aus der Zwischenkriegszeit zugeordnet.5

1 2 3 4

5

Dieser auf Justus Mosers Werk zurückgehende Begriff bezeichnet die veifassungshistorischen Bemühungen Hubers um eine national-deutsche Variante historischen Denkens trefflich. Alter, Peter: Nationalismus, Frankfurt/M. 1985, S. 54f.. Lenk, Kurt: Volk und Staat. Strukturwandel politischer Ideologien im 19. und 20. Jahrhundert, a. a. O., S. 31f., 35. Tilgner, Wolfgang: Volk, Nation und Vaterland im protestantischen Denken zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (ca. 1870-1933), in: Volk - Nation - Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalsozialismus, hrsg. von Horst Zilleßen, Gütersloh 1970, S. 135-171 (163ff); s. a. Wolf, Emst: Volk, Nation, Vaterland im protestantischen Denken von 1933 bis zur Gegenwart, in: Zilleßen, Horst (Hrsg.): Volk - Nation - Vaterland. Der deutsche Protestantismus und der Nationalsozialismus, Gütersloh 1970, S. 172-312 (185ff.) mit Bezug auf die jungkonservativen Theoretiker des Volksgedankens: Max-Hildebert Boehm, Emst Krieck, Hans Frey er, Julius Binder und Emst Rudolf Huber. Tilgner, a. a. O., S. 161£; s. a. ders.: Volksnomostheologie und Schöpfungsglaube, Göttingen 1966. Hubers unter Pseudonymen veröffentlichte Aufsätze zum Staatskirchenrecht und dem

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Interessanterweise hat Huber den Themenrahmen seiner Schriften über das deutsche Einheitsbewußtsein schon vor 1933 entwickelt. Bereits in einem Aufsatz von 19326 wird verdeutlicht, daß die „deutsche Nation" Einheitsbewußtsein bedeute, welches die bestehenden politischen Ordnungen nicht auflöse, „sondern sich zu ihnen in lebendiger Beziehung setzt."7 Es wird eine „sinnvolle Gestaltung des deutschen Nationalprinzips" jenseits der nationaldemokratischen Vorstellung gesucht, „das Volk zum Bewußtsein politischer Einheit zu erwecken, dem Staate in lebendiger Übereinstimmung zuzuordnen und damit in einen politischen Status zu überfuhren. Dieses von politischem Einheitsbewußtsein getragene und in lebendiger Beziehung zum Staate stehende, aber inhaltlich gegliederte Volk ist die Nation."8 Voraussetzung dazu sei die Überwindung der Rezeption des französischen Nationbegriffs und die Anknüpfung an alte deutsche Reichstraditionen. Huber entwirft zwar keine Volksnomoslehre in der Werkphase des Dritten Reiches, dennoch wird der „politische Nomos der Nation"9 als Erscheinungsform der völkischen Einheit definiert und die Verfassungsgestaltung in den Dienst des „Nomos" gestellt: „Auch die verfassungsgestaltende Tat bildet sich nur auf dem Boden einer vorgegebenen Ordnung, die zwar noch nicht in voller Wirklichkeit entstanden ist, die aber als naturhafte Anlage wie als geistiges Prinzip besteht. Der Nomos', der im Anfang war, ist nicht auf die sich selbst gestellte Tat, sondern das naturhafte und geistige Prinzip, das der Ursprung aller sinnvollen Taten und Entscheidungen ist."10 Dementsprechend beruhe die „deutsche Nation" auf „wesensmäßiger Gleichartigkeit",11 verlange aber keine formale Homogenität. Tautologien gleichkommend, spielt Huber die begrifflichen Varianten der nationalen Einheit durch. Der „Nomos" sei Lebensgesetz des Staates,12 der wiederum seine innere Rechtfertigung aus dem „totalen Sein der Nation"13 erfahre. Das Volk habe seine eigenen Lebensgesetze, die den „Vorrang des nationalen Nomos"14 gewähren sollten - Varianten begrifflicher Totalität. Das Interesse an Verfassungsgeschichte stellt Huber in den Dienst am „Volksnomos", dem Grundmotiv des Hegeischen Systems ähnelnd, das den Widerspruch zwischen der faktischen Weltabhängigkeit des Menschen und der prätendierten Weltüberlegenheit des „wahren Ich" zumindest scheinbar mit einer Bewußtseinstheorie zu beseitigen sucht.15

6 7 8 9 10

11 12 13 14 15

Verhältnis von Volk und Kirche in der Weimarer Republik sind aus dem Denkstandort des deutsch-völkischen Nationalprotestantismus entstanden; vgl. Kap. 2.1. Huber: Die deutsche Nation, a. a. O., S. 564-571. Ebenda, S. 568. Ebenda, S. 570. Vgl. Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 14. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 41. Möglicherweise ist Huber auch von Wilhelm Stapels NomosbegrifF angeregt worden. Carl Schmitt setzt in der Schrift „Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens" den „nomos des deutschen Volkes" mit Hitlers Willen gleich; vgl. Mehring. Reinhard: Pathetisches Denken, a. a. O., S. 202, Anm. 64. Die genossenschaftliche Berufsordnung, a. a. O., S. 308. Ebenda, S. 306. Ebenda, S. 307. Ebenda, S. 308. Topitsch, Ernst: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, München 1981, S. 21.

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a) Funktionen der Verfassungsgeschichte: auf der Suche nach historischer Totalität Ernst Rudolf Huber und Carl Schmitt ist die Integration der Verfassungsgeschichte in das Curriculum des nationalsozialistischen Rechtsstudiums verdientermaßen zuzuschreiben. Doch Sinn und Funktion der Verfassungsgeschichte ist über die Juristenausbildung hinaus vor allem in der politischen Verfassungstheorie beider Staatsdenker zu erfassen. Der seit 1938/39 im Vordergrund stehende universale Gehalt der Reichsidee und die Konjunktur des Sendungsgedankens haben die Verfassungsgeschichte als Disziplin der „Staatslehre" 16 auf den Plan gerufen. 17 Hubers Monographie „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" von 1935 schreibt die politischen Formprinzipien als Quintessenz der völkischen Verfassungstheorie fest und auch Carl Schmitt sieht in der Überwindung der „Trennung von Form und Prinzip, und zwar sowohl der Form ohne Prinzip' als auch des Prinzips ohne Form', also die Herausarbeitung echter, aus den Grundsätzen der nationalsozialistischen Weltanschauung gestalteten Formen der Lebensordnung des deutschen Volkes" die „gegenwärtige Aufgabe" 18 der Verfassungsgeschichte. Der von Reichswissenschaftsminister Rust am 10. Januar 1935 in Kraft gesetzte rechtswissenschaftliche Studienplan forderte die „wissenschaftliche Einheit" der Fachdisziplinen des Öffentlichen Rechts, die Huber bereits im staatswissenschaftlichen Programm umgesetzt hatte. Verfassungsgeschichtliche Forschung betrachtete Huber gewissermaßen als die historisierte Konzeption der „politischen Wirklichkeitswissenschaft", schließlich sei „gerade die Verfassungsgeschichte, die die Kräfte und die Formen des vergangenen Seins erforscht", auch für eine „gegenwartsnahe Staatswissenschaft unentbehrlich". 19 Den „wirklichkeitswissenschaftlichen", praktisch gestaltenden Tenor der Verfassungsgeschichte offenbart Huber in der Einheit von Haltung und Gesinnung, in der „Verbundenheit und Wechselbeziehung zwischen geistigem und politischem Dasein." 20 Die zwischen 1938 und 1944 entstandenen verfassungshistorischen Aufsätze und Kurzmonographien zur Wehrverfassung und der nationalstaatlichen Befindlichkeit des deutschen Volkes haben eine thematische und inhaltliche Vorlauffunktion für die große, 1957 mit dem ersten Band begonnene „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789". Der ursprüngliche Plan Hubers, die zwischen 1938 und 1944 veröffentlichten Aufsätze zur Verfassungsbewegung, zum Reichs- und Staatspatriotismus und den geistesgeschichtlichen Wurzeln des Volks- und Staatsdenkens in einer Monographie zur Geschichte der deutschen Staatslehre zusammenzufassen, wurden mit dem Ende des Dritten Reiches zunichte ge16 Huber subsumiert in der Systematik seiner gesamten Staatswissenschaft die Staatstheorie und Verfassungsgeschichte unter die Staatslehre; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 49f . Der Begriff „Staatslehre" sollte in diesem Zusammenhang nicht mit der normativen Staatslehre des Rechtspositivismus verwechselt werden. 17 Vgl. Lübbe, Anna: Die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Stolleis, Michael/Simon, Dieter (Hrsg.): Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte einer Disziplin, Tübingen 1989, S. 63-78 (75f.). 18 Schmitt, Carl: Über die neuen Aufgaben der Verfassungsgeschichte (1936), in: Positionen und Begriffe, Hamburg 1940, S. 229-234 (234). 19 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 50. 20 Goethe und der Staat, a. a. O., S. 3.

7. Die historische Suche nach

„Nationalidentität"

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macht.21 Auch die methodische Fassung der Verfassungsgeschichte 22 als völkischganzheitliche Disziplin und die darin behandelte historische Zeitachse ist bereits seit dieser Zeit bestimmt. Für den werkgenetischen Zeitraum bis 1944 bleibt für die verfassungshistorischen Schriften jedoch konstitutiv,„Reich" und „Staat" seit dem Zerfall des mittelalterlichen Reiches mit dem Westfälischen Frieden 1648 als politische Ordnungen, „die nicht in permamenter Identität' aus sich selber bestehen",23 zu untersuchen. Das „Reich" sei die jdee", der „Staat" die ,JForm" der politischen Existenz. Nur die „unmittelbare Verbindung zwischen der geschichtlichen Idee, der politischen Form und der näheren Kraft des nationalen Daseins" 24 könne die im „Volksstaat" aufgehende Gestalt beschreiben. Der Reichsbegriff bleibt als übernationale Kategorie dem Staatsbegriff verfassungshistorisch übergeordnet und ist eine politisch-programmatische Maxime aus dem 1938 eingeleiteten ideologischen Paradigmenwandel vom Staatsgedanken zum großdeutschen Reichsgedanken. Verfassungsgeschichte ist keine Rechtsgeschichte, vielmehr gedenkt Huber in der geschichtlichen Entwicklung die „lebendige Ordnung als das wirkliche Recht zu begreifen" und die historischen Fragen somit zum „unmittelbaren juristischen Problem" zu machen, das sich aus den „Wesensgesetzen" der Verfassungsordnung ableiten ließe. 25 Die völkisch orientierte Verfassungsgeschichte steckt Huber im Programmzusammenhang der wirklichkeitswissenschaftlichen Staatswissenschaft als die „Kräfte und Formen des vergangenen Seins" ab, die der gegenwartsnahen Staatswissenschaft auf der Suche nach der Einheit von geistigem und politischem Dasein unentbehrlich seien: „Zum anderen werden die großen Entscheidungen der nationalsozialistischen Verfassungsarbeit uns voll verständlich, wenn man begreift, in welchem Maße sie Lösungen nicht bewältigter Verfassungsprobleme der Vergangenheit sind. Zum dritten aber schärft die Erforschung solcher Verfassungskrisen

21 Freundliche Auskunft von Frau Dr. Huber-Simons am 19. April 1993 in Freiburg-Zähringen. Diese Vorlauffunktion dokumentiert nicht nur die kontinuierliche Denkhaltung Hubers über die politische Zäsur von 1945 hinaus, sondern auch die verfassungshistorische Konstruktion der Zeitachse; vgl. im ersten Band der Verfassungsgeschichte das Schriftenverzeichnis des ersten Kapitels „Reich und Nationalstaat", S. 3, das folgende Aufsätze enthält und in ihrer leitenden Fragestellung auch gut zusammenfaßt: Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ZgS, Bd. 102 (1942), S. 593ff; Der preußische Staatspatriotismus im Zeiteiter Friedrichs des Großen, in: ZgS, Bd. 103 (1943), S. 430ff.; Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, in: ZgS, Bd. 104 (1944), S. 12Iff.; Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, Leipzig 1942; Goethe und der Staat, Straßburg 1944, zit. in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1.: Reform und Restauration 1789 bis 1830, (1957), 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1967, S. 3f.. Interessanterweise legt Huber hier seine begleitende Sekundärliteratur zu den oben zitierten Schriften auf, die in den einzelnen Aufsätzen und Monographien fehlt oder nicht einsichtig ist. 22 Vgl. Vom Sinn verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, a. a. O., S. 11-17. Damit identische verfassungstheoretische Bemühungen sind bereits zu finden in: Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 5Of.; ferner: Veifassungskrisen des Zweiten Reiches, a. a. O., S. 5f.; Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, a. a. O., 596f.; ferner: Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 396f.. 23 Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, S. 121. 24 Ebenda. 25 Heer und Staat, a. a. O., S. 19; vgl. zum völkischen Rechtsdenken Kap. 5.2.

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den Blick für die Verfassungswirklichkeit, die sich nicht in politischen Theorien, Programmen und Gesetzen erschöpft, sondern die Gesamtordnung der lebendigen politischen Kräfte eines Volkes umschließt."26 Verfassungsbegriff und Geschichtsauffassung werden in Hubers Analysen zu einem klaren Forschungsbild über Wesen und Ziel verfassungshistorischen Denkens verbunden. Deutlich wird herausgestellt, daß das Ziel verfassungshistorischer Untersuchungen nicht die neue Erschließung der Quellen ist, sondern ein verfassungstheoretisches Erkenntnisinteresse ist, mit dem das „Verfassungsbild" einer Epoche rekonstruiert werden soll: „Nicht das Sammeln, sondern das Deuten des geschichtlichen Materials ist das wissenschaftliche Anliegen, das den Verfassungstheoretiker bei der historischen Forschung leiten muß." 27 Auch der für dieses Forschungsbild konstitutive, nach Hegelschem Vorbild entwickelte „politische Verfassungsbegriff",28 der die politische Wirklichkeit und das Wissenschaftsbild einer Epoche als Einheit betrachtet, korrelliert nach Hubers Verfassungstheorie mit dem „Volk" und „Verfassung" als Totalität begriffenen Verfassungsdenken. Verfassung sei „das Ordnungsgefüge von Kräften, Einrichtungen und Funktionen, in dem die politische Wirklichkeit eines Volkes dauerhafte Gestalt"29 erwerbe. Trotz der Festlegung des Verfassungsbegriffes auf „dauerhafte und geordnete Gestalt" stellt Huber die Dynamik des „Verfassungskampfes"30 für die Verfassungsgeschichte heraus, denn der Sinn der Verfassung liege „nicht in der festen und abgeschlossen Form, sondern in der Bewegung des noch unentschiedenen Kampfes [...]."31 Schließlich sei die Verfassung eines Volkes „kein ruhender Zustand, sondern eine ständig aus inneren Kräften und Prinzipien neu zu gewinnende Ordnung f...]."32 Aus diesem „ständigen Verfaßtwerden" des Volkes in der Verfassungsordnung lasse sich über die Jahrhunderte staatlichen Verfalls seit dem Ende des ersten Reiches eine „übergreifende deutsche Kontinuität" ausmachen, „die es notwendig macht, die Geschichte der deutschen Verfassung über ihre mannigfaltigen Erscheinungsformen hinweg als eine Einheit zu begreifen. Über alle politischen, ja auch über die geistigsittlichen Wandlungen und Umbrüche, die sich in unsrem Volkskörper vollzogen haben, hinweg gibt es eine beständige innere Form des deutschen Wesens und Wirkens - das ist die Einsicht, die für die Geistesgeschichte, die politische Geschichte und die Verfassungsgeschichte fruchtbar zu machen ist, die aber vor allem die im Werden begriffene deutsche Volks- und Staatslehre bestimmen muß."33 Trotz des Bemühens „um den objektiven Sinngehalt einer geschichtlichen Epoche"34 bleibt die Teleologie der Verfassungsgeschichte nicht nur bei der Analyse der Verfassungsform der Epochen stehen. Der „Volksstaat", der „Volk" und „Staat" als eine politische 26 27 28 29 30

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Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, a. a. O., S. 4. Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 397. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, a. a. O., S. 5ff., S. 42ff.. Ebenda. Zum Begriff vgl.: Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 397. Dem Sinngehalt des Begriffes „Verfassungskampf' entspricht der Volksbegriff als „Kampfgemeinschaft", wie Huber ihn in der Monographie „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" verwendet; vgl. a. a. O., S. 44. Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 397. Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, S. 5. Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 596. Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 396.

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Handlungseinheit zusammenfaßt und die „Gleichgerichtetheit der verschiedenen Lebensbereiche"35 dokumentiert, bleibt die „Formutopie", die Huber sowohl in „Heer und Staat" als auch in den übrigen verfassungsgeschichtlichen Darstellungem im Nationalsozialismus anlegt. Die historische Analyse ist nach dem „Dreiklang" konstruiert, die bereits in dem Programmaufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" überdeutlich wird. Dem liberalistischen „Trennungsdenken" auf der Spur, entwickelt Huber einen systemischen Dreischritt in der historischen Ablaufskizze „societas civilis" - „Gesellschaft gegen Staat" - „totaler Staat", wobei das letzte Glied an das erste anschließt und die wissenschaftliche Differenzierung im Hegeischen Sinne „aufhebt".36 Die „societas cilivis" (bürgerliche Gesellschaft) begreift Huber allerdings unaristotelisch als Staat und Gesellschaft umgreifenden Zivilisationszustand des „politischen Volkes" im Gegensatz zum „status naturalis". Sie wird zum Beleg für den alteuropäischen, Staat und Gesellschaft umfassenden Gesellschaftszustand.37 Die Verfassungsform des „Volksstaates" sieht Huber in der „Geschlossenheit und inneren Einheit" des mittelalterlichen Reiches und dialektisch anknüpfend im Großdeutschen Reich seit 1938 verwirklicht. Die dazwischen liegenden historischen Verfassungsformen, die seit dem siebzehnten Jahrhundert in der Entwicklung vom Reich zum Staat und nach der Französischen Revolution zur Trennung von Staat und Gesellschaft und seinem geistigen Wertsystem, dem Liberalismus geführt haben, werden zum Thema der verfassungshistorischen Schriften bis 1944 gemacht, die „geschichtlichen Entwicklungsstufen unseres nationalen Seins"38 zu untersuchen. Der Dialektik von materiell-politischer Wirkung im Rahmen der Verfassungsordnung und geistigem Ausdruck im „staatswissenschaftlichen Weltbild"39 entspricht die wirklichkeitswissenschaftliche Grundhaltung aus dem Aufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft".40 Das nationale Programm der Verfassungsgeschichte wird um die Entstehung und Entwicklung der deutschen Nationalstaatlichkeit als „Verfassungskampf' vom Ende des mittelalterlichen Reiches bis zur Verfassung des Dritten Reichs abgesteckt.41 Die theoretische Prämisse, in der Verfassungsform die „immanente Tendenz zur Übereinstimmung"42 zu suchen, manifestiert sich in der Analyse der Brüche im Verfassungssystem. Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" versetzt Huber in die Lage, den Anspruch der „geschichtlichen Dauer" und die „Forderungen der politischen Aktion" als Gesamtschau zu fassen 43 und den mit dem Großdeutschen Reich 1938/39 erreichten identifikationsfahigen Endzustand der nationalsozialistischen Verfassung als „geistige und soziale Homogenität" auf die deutsche Nationalgeschichte zu übertragen. Den verfassungshistorischen Epochen sucht Huber mit der Hegeischen Volksgeistmetaphysik die histori35 Heer und Staat, S. 17. 36 Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 151; ders.: Rez. „Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 7 Bde., Stuttgart 1957-1984", in: GuG, Bd. 11 (1985), S. 252-271 (257f). 37 Huber: Die deutsche Staatswissenschait, S. 3. 38 Heer und Staat, S. 15. 39 Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, S. 154. 40 Vgl. Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, a. a. O.. 41 Die deutsche Staatswissenschait, S. 2ff.; Vom Sinn der Verfassung, S. llff.. 42 Vgl. das Kapitel „Wehrordnung und Verfassung", in: Heer imd Staat, a. a. O., S. 18. 43 Die deutsche Staatswissenschait, S. 59f..

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

sehe Raum-Zeit-Dimension zu infiltriern, dabei wird der Sendungsgeist der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" besonders deutlich: „Es ist die Aufgabe unserer Generation, Begriff und Wesen des Staates neu zu erfassen, nachdem die politische Ordnung im Zeitalter schärfster innerer Spannungen und Kämpfe aufs stärkste verändert worden ist. Es steht vor uns und dem kommenden Geschlecht die Aufgabe, die Einheit Europas neu zu begreifen, nachdem in einem dreißigjährigen Ringen die alte Weltordnung zerbrochen ist und das neue Gefiige einer völkerumspannenden Gemeinschaft sich bildet."44 Aus diesem Sendungsgedanken erwächst nicht nur das staatswissenschaftliche Interesse an der Verfassungsgeschichte, sondern auch das Motiv, die alle verfassungshistorischen Epochen umspannenden Verfassungskrisen nachzuzeichnen. Aus der Vielzahl der verfassungshistorischen Aufsätze und Monographien zwischen 1937 und 1944 läßt sich ähnlich wie im Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches ein System rekonstruieren, das, einer staatswissenschaftlichen Verfallsskizze gleichkommend, den Wechselbezug von geistigem und politischen Denken in seinem im Staat manifestierten Volksbewußtsein aufzeigt. Huber schränkt zwar ein, daß jede geschichtliche Epoche „nicht nur Vorbereitung und Übergang zur Gegenwart" ist, sondern als Ereignis begriffen werden muß, dessen „Kraft und Sinn aus sich selber"45 nur verständlich sei, ein Epochenvergleich an dem aus der Zeit und aus sich selbst gültigen Formprinzip der Verfassung als überpositivem Wertgefuge scheitere. Doch trotz dieses epochenspezifischen, dem Verfassungsvergleich erhabenen Verfassungsbildes, das der Verfassungstheoretiker zu erfassen sucht, bleibt das Erkenntnisinteresse an den sich in den „Verfassungskrisen" stellenden äußeren Umbrüchen und Verfassungswandlungen bestehen. Verfassungskrisen seien „nicht nur Störungen des bisherigen politischen Systems, sondern zugleich die Vorboten, durch die eine neue, noch unentwickelte Ordnung ihr Recht vor der Geschichte fordert", 46 aber auch „Störungen der wirklichen Grundordnung des Volkes".47

b) Vom mittelalterlichen Reich zur national staatlichen Einheit: der Durchbruch des „Trennungsdenkens" Huber nimmt die „antithetische Entgegensetzung" von „Staatsnation" und „Kulturnation" bei Friedrich Meinecke48 zum Anlaß zu untersuchen, ob die Verfassungsbewegung des neunzehnten Jahrhunderts und deren Volksbegriff als eine „rein geistig-humanitäre Sinngebung"49 geistesgeschichtlich und mentalitätsgeschichtlich erwuchs und ob der „politische Nationalismus" des neunzehnten Jahrhunderts erst seine Anregung aus dem Nationbegriff der Französischen Revolution erlangt hat. Beide Fragen haben insofern Sinn,

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Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 23. Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 395. Ebenda. Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, a. a. O., S. 6. Vgl. Meinecke, Friedrich: Weltbürgertum und Nationalstaat. Studien zur Genesis des deutschen Nationalstaates, München, Berlin 1908, besonders S. 1-19. 49 Vgl. Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, a. a. O., S. 594f.; s. a.: Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 6.

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als Meinecke die „Kulturnation" als vorpolitisches Element des Einheitsbewußtseins ohne staatlichen Einfluß geltend macht und der Begriff „Staatsnation" seinen historischen Bezug in Frankreich und England erlangt hat. 50 Huber bewertet eine, die „Staatsnation" und die deutsche partikularistische Staatenbildung überwölbene vorpolitische „Kulturnation" als reinen Gedanken eines „liberalen Humanitätsstaates",51 zumal auch die geistig-humanitäre Fassung der Nationidee eine deutsche Kontinutität aufweise. Während das Motiv dieser verfassungshistorischen Analyse des deutschen Nationalbewußtseins bereits auf die Überwindung des „liberalistischen Trennungsdenkens" in dem Programmaufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" zurückgeht, ist nun die liberale Antithese von „Staatsnation" und „Kulturnation" die Kontinuitätsbehauptung Hubers, mit der in der deutschen Verfassungsgeschichte seit 1648 die Formprinzipien des „deutschen Wesen und Wirkens" nach der Balance der Verfassungssysteme untersucht werden. Darüberhinaus nimmt Huber aus einem antifranzösischen Standort die politische „Staatsnation" in ihrem aus der Aufklärung und der französischen und englischen Nationidee stammenden Geisteszusammenhang zum Anlaß, nach den spezifisch deutschen Einflüssen der Geistesund Kulturgeschichte zu forschen, um den deutschen Volksgedanken aus dem aufklärerischen Ideengut herauszulösen. Aber es geht Huber bei der völkischen Sicht der deutschen Geistes- und Nationalgeschichte mit der historischen Rekonstruktion des Antagonismus von „Staatsnation" und „Kulturnation" und der Ablehnung der These, der deutsche Nationalbewußtsein sei durch die deutsche Kultur geformt, auch um die Überwindung der in Friedrich Meineckes Geschichtsforschung gebündelten dominierenden Tradition der deutschen Geschichtsforschung: von Historismus und Idealismus.52 Das verfassungshistorische Erkenntnisinteresse hat bei Huber vor allem vor dem Hintergrund des Großraumgedankens und der politischen Sendung des großdeutschen Reichsgedankens das spezifische Ziel, die „innere Form des deutschen Wesens und Wirkens"53 im Zusammenspiel von Geistes- und Verfassungsgeschichte zu bestimmen. Diese völkische Variante des Nationalismus ist wissenssoziologisch eine verfassungsstaatliche Denkungsart, die „Nation" vielmehr als Medium der nationalen Selbstverwirklichung des Volkes oder als ein Volk im „Besitz des Staates" auffaßt. Das Nationale wird mehr als Aufgegebenes denn als Gegebenes abgesteckt.54 Das Verhältnis von „Volk" und „Nation", das Huber begrifflich unklar läßt, ist wesentlich durch eine objektivistische Auffassung des Nationverständnisses geprägt, die nach Hegeischen Grundzügen als eine präformierte Volksgeistlehre zu verstehen ist. „Volk" und „Nation" sind nicht identisch, letzteres geht aus dem ersten hervor und manifestiert sich im objektiven „Volksbewußtsein".55 Der „politische Volksbegriff" beschreibt die „geistig-sittliche Einheit der Nation".56 50 Alter, Peter: Nationalismus, a. a. O., S. 19ff. 51 Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 595. 52 Zur Kritik an Meinecke vgl. Alter, Peter: Nationalismus a. a. O., S. 20f., s. a.: Berdahl, Robert M.: Der deutsche Nationalismus in neuer Sicht, in: Winkler, Heinrich August (Hrsg.): Nationalismus, 2. erw. Aufl., Königstein/Ts. 1985, S. 138-154 (138ff). 53 Huber: Reich, Volk, Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 596. 54 Alter: Nationalismus, S. 16ff, 23-26. 55 Estel, Berd: Grundaspekte der Nation. Eine begrifflich-systematische Untersuchung, in: Soziale Welt, Jg. 42 (1991), S. 208-231 (214f ); ähnlich: Hofinann, Lutz: Das Volk'. Zur ideologischen Struktur eines unvermeidlichen Begriffs, in: ZfS, Jg. 20 (1991), S. 191-208 (194-197); ebenso Alter: Nationalismus, S. 10-19; s. a. Huber: Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbe-

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Dennoch habe der Gedanke der Humanität „folgerichtig zur Unterscheidung des eigentlich bürgerlichen und des staatlichen Bereichs und zur Aufhebung der alten Einheit von Gesellschaft und Staat"57 geführt. Deshalb führt Huber das Programm der nationalstaatlichen Verfassungsgeschichte in die geistig-politische Literatur der vorkonstitutionellen Epoche, um die Überlieferung und Kontinuität der Reste reichsüberlieferten Einheitsdenkens und des am Territorialstaat orientierten Staatsbegriffs zu rekonstruieren. Die in allen Schriften auffindbare teleologische Linie zum Einheitsdenken in der Staatsphilosophie des Idealismus und der Romantik verdeutlicht darüberhinaus die für das „konkrete Ordnungsund Gestaltungsdenken" und die Hegelrenaissance überaus wichtige Epochenanknüpfung im „wissenschaftlichem Totalsystem". Der von Friedrich Meinecke vorbildhaft analysierte Dualismus von „Staatsnation" und „Kulturnation" in der nationalstaatlichen Entwicklung Deutschlands hat Huber dazu motiviert, die Identitätsbildung und Organisation der Nation im Spiegel der Dialektik der territorialen Staatsbildung, vor allem Preußens, und der reichsnationalen Entwicklung zu untersuchen. Daß Huber die nach mittelalterlichem Vorbild geprägte „übernationale" Reichsidee als „Formutopie" auf die Verfassungssysteme projiziert, dokumentiert nur das für seine am Volksbewußtsein orientierte wichtige „nationunitarische Moment" in der Bündelung von politischen und kulturell-sprachlichen Elementen der Nationbildung, der Überwindung des Antagonismus von „Kulturnation" und „Staatsnation".58 Folgerichtig wird als Ziel des Nationalbildungsprozesses die Homogenität sozialer und politisch-staatlicher Teile des Volkes als eines rein „deutschen" Prozesses gesehen.59 Im Nationalbewußtsein des deutschen Volkes werden antifranzösische Elemente entdeckt, die geistigen Errungenschaften der französischen Revolution negiert60 und stattdessen das „nationalpolitische Wollen" obrigkeitsstaatlich aus den tradierten Vorstellungen des „völkerübergreifenden" Reiches abgeleitet. Die verfassungspolitische Option Hubers, das „Volk" im ,gleich" zur staatlich geeinten „Nation" zusammenzuführen, erfahrt in dem bereits erwähnten historischen Dreiklang „societas civilis" - „Gesellschaft gegen Staat" „völkisches Reich" bei der dialektischen, ordnungspolitischen Anknüpfung des letzten Gliedes an das erste zugleich die geistig-politischen Rekonstruktion der Zwischenepoche, die zur Trennung von „Staat" und „Gesellschaft" geführt hat. Die bereits seit dem vierzehnten/fünfzehnten Jahrhundert gebräuchliche Verwendung des Begriffes „Nation" und seine politische Bedeutung synonym zum Patriotismus im achtzehnten Jahrhundert, die zu einer „national-Denkungs-Art" (Friedrich Karl von Moser) führte, motiviert Huber, das Verhältnis von „Volk" und „Nation" seit dem Untergang des mittelalterlichen Reiches 1648 in der politisch-ideengeschichtlichen Literatur zu untersu-

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wußtseins, a. a. O., S. 18-21. Huber fuhrt die Hegeische Volksgeistlehre als Beispiel der völligen Iden-tität von Volk und Staat und „Prozeß der totalen Entfaltung des Bewußtseins" an; vgl. a. a. O., S. 21. Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 9. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 3. Vgl. Kap. „Reich und Nationalstaat", in: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, S. 4. Zu dieser Probematik auch Alter: Nationalismus, S. 26ff.. Der antifranzösische Tenor des Nationbegriffs bei Huber wird schon in der „Konservativen Revolution" vor 1933 deutlich; vgl. Obrigkeit und Volk (1932), a. a. O..

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chen 61 : „[...] der Begriff des Volkes, unter dem jede Nation sich Rechenschaft über das eigene Wesen und die eigene Aufgabe zu geben suchte, war von Volk zu Volk anders erlebt und geformt, und eben darin wurde die Verschiedenartigkeit der geschichtlichen Erfahrungen und der politischen Ziele der einzelnen Völker sichtbar. Der deutsche Volksgedanke, der sich verhältnismäßig spät zum Bewußtsein Prinzip durchrang, war deshalb doch nicht eine bloße Wiederholung und Nachahmung einer Idee, die in anderen Nationen früher lebendig geworden wäre."62 Der Bruch mit der übernationalen Reichsidee im Westfälischen Frieden fuhrt Huber systematisch in die Reichsrechtswissenschaft des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts. Die Loyalitätsgesinnung gegenüber dem alten Reich, die der Reichspatriotismus „der kleineren und schwächeren Stände"63 in den Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz64 oder von Friedrich Karl von Mosers65 kundtut, hat noch wenig mit deutschem Nationalismus zu tun, 66 wird aber als reichsnationale Gesinnung im Sinne der alten übernationalen Reichsidee beurteilt: „Aber auch die politische Theorie und Rechtslehre hat es in dieser Epoche vermocht, einen bedeutenden Beitrag zur inneren Festigung des gesamtdeutschen Bewußtseins zu leisten."67 Auf der Suche nach restaurativen Ideen zur alten Reichsordnung geht Huber überaus selektiv vor, lehnt die Lehre des politischen Körpers bei Pufendorf als „Theorie der Verfassungskrise" ab und lenkt den Blick vor allem auf Theorien der Verfassungreform zur Revitalisierung der alten Reichsidee. Wenn sich im Reichspatriotismus „die Trennung von kulturellem und politischem Bewußtsein der Nation"68 bereits vorbereite, so sei im staatsrechtlich-politischen Denken bei Leibniz die Vorrangstellung der deutschen Nation und des deutschen Kaisertums aus der alten Reichsüberlieferung ein „großartiges Dokument politischen Wirklichkeitssinns, tatbereiten Reichsbewußtseins und leidenschaftlichen nationalen Wollens."69 In Leibniz' Gedanke der „Persönlichkeit des Staates", der dem Reich als Staat den einheitlichen Willen eines Verbandes zuschreibt, sieht Huber den „hegemonialen Vorrang des Imperiums" und die „Kräfte moderner Staatlichkeit für die Wiederherstellung seiner imperialen Sendung".70 Schon bei Leibniz sei die begriffliche Unterscheidung von „Autorität" und „Macht" als Vorbote des Trennungsdenkens zu einer Trennung übersteigert, die dem Kaiser die Autorität, den Territorialfürsten die Macht zuspreche und zu Jener gefahrlichen Trennung vorbereitet, die für das staatstheoretische Denken des neun61 Masur, Gerhard: Deutsches Reich und deutsche Nation im 18. Jahrhundert, in: Preußische Jahrbücher, Bd. 229 (1932). S. 1-23. 62 Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 402. 63 Meinecke, Friedrich: Weltbürgertum und Nationalstaat (Anm. 48), S. 28. 64 (1646-1716), vgl. Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, a. a. O., S. 600ff.. 65 (1723-1798), ebenda, S. 622ff. 66 Schieder, Theodor: Nation und Nationalstaat in der deutschen Geschichte, in ders.: Nationalismus und Nationalstaat, hrsg. von Otto Dann und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1991, S. 145— 165 ( 146f.). 67 Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 600. 68 Ebenda, S. 601. 69 Ebenda, S. 605. 70 Ebenda, S. 606.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

zehnten Jahrhunderts so verhängnisvoll geworden sind."71 Reichspatriotismus als Spielart nationalen Bewußtseins sieht Huber noch bei Friedrich Karl von Moser: „Moser steht geistesgeschichtlich, nicht anders als Leibniz, an der Stelle, an der der alte Reichspatriotismus und ein neues Nationalbewußtsein sich berühren, und es wird an ihm deutlich, wie stark die alte Reichsidee mit zu den Kräften gehört, aus denen der neue Nationalgeist der Deutschen erwuchs."72 Mosers Schrift „teutscher Nationalgeist" habe mit der Idee der Nationalerziehung das Reich auf gesamtdeutsch vaterländischer Grundlage zu erstehen gesucht, auch wenn der Dualismus von kaiserlicher Autorität und ständischer Libertät erhalten blieb. Zwischen dem Reichspatriotismus des siebzehnten Jahrhunderts und der allmählichen Ausbildung eines deutschen Nationalbewußtseins um die Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhunderts ist der Staatspatriotismus der Teilstaaten zwischengeschaltet, der selbst zwar die Nationalidee der Kulturnation förderte, jedoch nicht zu einem gesamtdeutschen staatsnationalen Bewußtsein führen konnte.73 Auch der absolutistische Staatspatriotismus vermochte im Rahmen der konkurrierenden territorialstaatlichen Entwicklungen nicht die Nationentwicklung beflügeln.74 Die nationenübergreifende Autorität der Reichsidee war dahin, der Staatspatriotismus, insbesondere der preußische, orientierte sich an der Macht des absolutistisch-monarchischen Territorialstaates.75 Hubers historischer Nachweis der Antithese von „Kulturnation" und „Staatsnation" findet in dieser Epoche seine Entsprechung. Der Staat wurde zum Gegenstand der „Vaterlandsliebe" und bei der Zerstörung der Reichsnation zum Träger eines neuen Nationbegriffs: „Der Gedanke der 'Staatsnation', der staatsbezogenen Volkskörperschaft, entstand in den deutschen Territorien, während das Gesamtdeutschtum zur Kulturnation', zur menschheitsbezogenen, geistig-sittlichen Wesenheit, zu verblassen drohte." 76 Doch ohne die Person Friedrichs des Großen ist der preußische Staatspatriotismus in der Entwicklung des Territorialstaates von einer „mechanisch gebauten politischen Einheit" zum aufgeklärten Patriotismus des preußischen Staates nicht verständlich. Aus der ,/ritzischen Gesinnung" habe sich mehr und mehr die preußisch-staatliche Haltung entwickelt, die „zu einer in Gesinnung und Haltung geeinten und gefestigten Gesamtordnung" gefügt wurde.77 Auch wenn sich Preußen dem Reichsgedanken entfremdete, so hebt Huber hervor, entwickelte sich das Preußentum zur „Nation", es wurde „aus einer zunächst nur äußerlich-machtmäßig durch Disziplin und Zwang zusammengehaltenen Vielheit von Territorien, Ständen und Untertanen nun zu einer selbstbewußten, in gemeinsamer Gesinnung und Haltung verbundenen Einheit", 78 die dem Heer und dem Beamtentum als planmäßig geschaffenen staatsbestimmenden Ordnungen zugeschrieben werden.79

71 72 73 74 75 76 77 78 79

Ebenda, S. 614; s. a. Herrschaft und Führung, S. 2017ff.. Ebenda, S. 626. Schieder (Anm. 66), S. 146f., s. a. Meinecke (Anm. 48), S. 15ff.. Dann, Otto: Nationalismus und sozialer Wandel in Deutschland 1806-1850, in ders. (Hrsg.): Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 77-128 (78f.). Huber: Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, a. a. O., S. 430. Ebenda, S. 433. Ebenda, S. 434. Ebenda. Heer und Staat, S. 103ff..

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An den staatspolitischen Schriften Thomas Abbts80 verdeutlicht Huber die historische Durchgangsstation des preußischen Staatspatriotismus und die aufklärerische Trennung von „Staatsnation" und „Kulturnation". Abbts Begriff der Nation sei nicht an die „organische Einheit des Volkstums", sondern an die Person des Königs gebunden gewesen. Der Staat bedeute nach der preußischen Grundauffassung nicht die „Emanation des Volksgeistes". Auch die Schriften Friedrichs würden dokumentierten, daß nicht das „Volk" den „Staat", sondern der „Staat" sich aus der Summe der Einzelnen zur ,Ration" forme. „Volksgeist" sei nicht die „bewegende Kraft", von der die „Entfaltung des Staates" und der 81 „ A b l a u f d e r Geschichte" ausgehe. Die Auffassung der preußischen Nation als „Staatsnation", ebenso die Widersprüche im preußischen Staatsethos, beurteilt Huber als Hindernisse für die Entfaltung eines Nationalbewußtseins. Das Faktum des territorialen Machtstaates habe mit der Antithese von „deutscher Nation" und „partikularem Staat" stattdessen zur Zerstörung der Einheit der Nation beigetragen. Der zweite Widerspruch des friderizianischen Staatsethos wird in der abstrakten und nicht existentiellen Begründung der „Vaterlandsliebe" und „Opferbereitschaft" des Volkes gesehen, das „nur als dienendes Glied, nicht als verantwortlich mitgestaltendes Element eingefugt war." 82 Im Ganzen bewertet Huber für die Staatsliteratur des Staatspatriotismus das Trennungsdenken bereits geistig vorbereitet und die bürgerliche Gesellschaft als Ordnungsmoment im Entstehen begriffen: „Die Gefahr einer Trennung von Staat und Gesellschaft, von politischer und bürgerlicher Ordnung, von Macht und Kultur tritt in dieser Auseinandersetzung zwischen dem im Staat aufgehenden König und dem nach Freiheit vom Staat strebenden Bürger offen hervor."83 Ein Zugang zum „gesamtdeutschen Volksbewußtsein" war im achtzehnten Jahrhundert im partikularen Staatsbewußtsein also nicht gegeben, die Suche nach einem „politischen Volksbegriff", der kulturelles Volkstum und politische Staatlichkeit als Einheit definiert, konnte erst im neunzehnten Jahrhundert im Rahmen einer „handlungsfähigen, tatbereiten nationalen Bewegung des Gesamtdeutschtums"84 zum Erfolg führen. Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert kann deshalb kaum von einer überzeitlichen Reichsidee gesprochen werden. Im Reichspatriotismus war das Reich nicht mehr die geschlossene universale Kraft und im Staatspatriotismus wurde das Reich durch den partikularen Staat ersetzt. Hubers Suche nach einer überzeitlichen Reichsidee nach 1648 fuhrt zu dem Resultat, daß das siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert kein Verhältnis zum Mittelalter und zu seiner Geschichte besaß.85 Ansätze kulturellen Nationaldenkens gegenüber dem fehlenden politischen staatsnationalen Bewußtsein werden deutlich. Dennoch ist

80 (1738-1766), vgl. Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, S. 436ff.. Der Reichspatriotismus von Thomas Abbts war systemdestabilisierend, weil der überregional argumentierte und damit Begründungszwänge lancierte. Patriotismus war bei Abbs nicht traditional begründet; vgl. Fuchs, Peter: Vaterland, Patriotismus und Moral, in: ZfS, Jg. 20 (1991), S. 89-110 (91). 81 Der preußische Staatspatriotismus im Zeitalter Friedrichs des Großen, S. 445. 82 Ebenda, S. 465. 83 Ebenda, S. 464. 84 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, a. a. O., S. 7ff. 85 Mommsen, Wilhelm: Zur Bedeutung des Reichsgedankens, in: HZ, Bd. 174 (1952), S. 385-415 (385f.).

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

bei Klopstock, Moser und Herder in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts ein Aufbruch zu einem neuen „National-Geist" konstatierbar.86 Die politische Rolle des Nationalismus im neunzehnten Jahrhundert thematisiert Huber im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels nur unzureichend, obwohl die Konkurrenz von reichsbezogener Kulturnation und territorialer, politischer Staatsnation das gesamte Jahrhundert durchzieht.87 Aber die geistesgeschichtliche Tendenzwende im Übergang von der Spätaufklärung zu Klassik, Romantik, Historismus und Idealismus wird etappenweise herausgearbeitet, weil sie für die nationale Theoriebildung angesichts der antinapoleonischen Erhebungen vor allem in ihren antiaufklärerischen Elementen Huber Argumente liefern, die seiner existentiellen Volkstheorie entgegenkommt.88 Die Bevorzugung des reichsnationalen gegenüber dem staatsnationalen Gedanken tritt jedoch zur Rekonstruktion der Volksbegriffe in der geistig-politischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts nur scheinbar zurück. Die Wendung vom aufgeklärten Volksbegriff des partikularen Staatspatriotismus zum historisch-individuellen Volksbegriff des vorkonstitutionellen neunzehnten Jahrhunderts sei durch die „rationalistisch-humanitäre Grundgesinnung" gegeben, die „in der Identität und Kontinuität der Nation die Verschiedenartigkeit und die damit gesetzte Rangordnung der volkhaften Kräfte" 89 das „gesamtdeutsche Volksbewußtsein" als „dauernde Totalität" aus der Bezogenheit auf den partikularen Territorialstaat löse, wie sie bei Justus Moser, Friedrich Gottlieb Klopstock und Gottfried Ephraim Lessing exemplarisch sei. Diesen Denkstandort bewertet Huber als die „echte Gegenposition, von der aus der aufgeklärte Volksbegriff des absoluten Staates überwunden wurde [,..]."90 Für Huber zeigt sich in Lessings literarisch-politischen Schriften der Dualismus zwischen dem „abstrakt-menschheitlichen Volks- und Staatsbegriff und dem historisch und politisch individualisierten, konkreten Verständnis der Nation",91 weil nationalstaatlicher und weltbürgerlicher Standpunkt in seinem Denken zusammenfallen. Lessings Bevorzugung des geistig-kulturellen Begriffs der Nation gegenüber dem „politisch-staatlichen Begriff des Vaterlandes" impliziere die Scheidung von „Kulturnation" und „Staatsnation" und dokumentiere letztlich die Spannung zwischen historisch-individuellem, staatsbezogenem und dem humanitären, menschheitsbezogenen Volksbegriff. Dagegen lasse Justus Moser das Gedankengut der Aufklärung entschiedener hinter sich. Moser habe den Gegensatz von altem Reichspatriotismus und partikularem Staatspatriotismus überwunden und „das deutsche Volk als eine geschichtlich gewordene und organisch gewachsene Lebenseinheit" begriffen.92 „Staat" sei für Moser nicht mehr der Fürstenstaat, sondern der „Volksstaat", die Antithese von „Kuturnation" und „Staatsnation" werde verworfen zugunsten eines „organischen Volksgedankens", der insbesondere Moser „zum eigentlichen Entdecker des Volkstums und damit auch zum Urheber eines neuen 86 Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 1, a. a. O., S. 319. 87 Der mit den staatspolitischen Strukturen einhergehende soziale Wandel wird dagegen detaillierter in „Heer und Staat" behandelt. 88 Vgl. Dann, Otto: Nationalismus und sozialer Wandel in Deutschland 1806-1850 (Anm. 74), S. 97. 89 Huber: Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historischindividuellen Volksbegriff, a. a. O., S. 125. 90 Ebenda. 91 Ebenda, S. 131. 92 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 5.

7. Die historische Suche nach

„Nationalidentität"

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politisch-staatlichen Denkens" hervorhebt.93 Huber macht Moser zum geistigen Protagonisten des „politischen Begriffs des Volkes", 94 weil das Volk in der Verbindung naturhafter und politischer Elemente als politisch geordneter Gesamtkörper begründet werde. Das Volk erwachse in Staat und Reich durch Kriegsverfassung und Königtum zu seiner „wirklichen Gestalt", am Volksbewußtsein werde die staatsgestaltende Kraft festgemacht. Mit der „Notwendigkeit der politisch-staatlichen Formung des Volkes" verwerfe Moser den Standpunkt der „Kulturnation" und sehe im Nationalinteresse die „Voraussetzung für die sittliche wie die politische Existenz der Nation".95 Die Möser-Rezeption ist für Hubers existentielle Volkstheorie insofern bemerkenswert, als Mosers Staatsauffassung das „Hauptergebnis der späteren politischen idealistischen Staatsphilosophie" vorwegnehme, sein staatswissenschaftliches Weltbild mit „Totalbegriffen" agiere und methodisch mit dem „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" vergleichbar sei. 96 Die antirationalistische Denkweise Mosers reiche aber nicht aus, außerdem führe kein Weg von Moser zu den Vertretern der romantischen Staatstheorie, zu Novalis, Schlegel und Adam Müller. Mosers „staatswissenschaftliche Anschauung" sei zu einer unmittelbaren und selbstverständlichen Ganzheit verbunden, „während Romantiker wie Novalis und Adam Müller „[...] eine verlorene Totalität wiederherzustellen strebten, ohne doch in sich die Kraft zur effektiven Überwindung der bereits vollzogenen Trennung zu besitzen." 97 Das Ziel des irrational-erlebnishaften und ganzheitlich argumentierenden „völkischen Nationalismus" Hubers ist vor allem für die erste Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts und die Revolution von 1848, die in der Klassik und Romantik als Gegenbewegung zur Aufklärung entstandene patriotische Literatur zu untersuchen, inwieweit das deutsche Volk in seinen geistigen und politischen Ideen durch die Einflüsse des Ideenguts der Aufklärung überfremdet sei. 98 Ausgehend von der unitarischen Integrationskraft des „politischen Volksbegriffes" definiert Huber „Überfremdung" als das „Symptom" der Auflösung des Gemeinschaftsgeistes und das „Absinken in die Ideologie des westeuropäischen Liberalismus",99 das zur Überlagerung grundverschiedener geistig-politischer Systeme führe, die an der Rezeption des französischen Staatsgedankens in Deutschland zu beweisen sind. Ausgehend von Justus Moser konstruiert Huber einen Argumentationsstrang über Herder und Goethe in die Staatsphilosophie des Idealismus und rekonstruiert damit die Vorstufen für den „politischen, staatsbezogenen Volksbegriff". 100 Herders Volksbegriff wird dabei vor allem als Vorbote des Trennungsdenkens und des humanitären Staatsdenkens ins 93 Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, S. 136. 94 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30f.; Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, S. 146. 95 Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, S. 140. 96 Ebenda, S. 146, 154, 157. 97 Ebenda, S. 156. 98 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 15; Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 398f., 403, 408, 433. 99 Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 409. 100 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 14; Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, S. 596.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

Feld geführt, denn bei Herder sei bereits die Entwicklung vom humanitären Volksbegriff zur individualistischen Theorie des neunzehnten Jahrhunderts angelegt, aber die „geistighumanitäre Fassung der deutschen Nationidee in den großen Werken der klassischen Epoche bedeutet keine Beschränkung auf die unpolitische, reine „Kulturnation", sondern „bildet die unentbehrliche Vorstufe für einen politischen, staatsbezogenen Volksbegriff." 101 Herders Leistung bestehe darin, den Begriff des Volkes aus der „Verstrickung in die partikularistisch-territoriale Staatlichkeit" befreit zu haben. Aber die Antithese von „Kultur-nation" und „Staatsnation" sei bereits vorgezeichnet, weil Herder den Begriff des Volkes nicht von „Reich, Staat oder Vaterland" als den politischen Gegebenheiten, sondern von der menschlichen Existenz ableite: „Nicht als politisch-staatliche Organisation, sondern als geistig-sittlicher Organismus findet das Volk seine ihm gemäße Gestalt."102 Doch Huber wertet das Humanitätsdenken Herders keineswegs ab und ordnet seinen Denkweg als Vorstufe des „politischen Volksbegriffes" ein. In Herders unpolitischem humanitären Nationalismus werde der geistig-sittliche zum politischen Volksbegriff ausgeweitet. Die grundsätzliche Ablehnung des Staates preisgebend, spreche Herder von der „Möglichkeit eines nationalen Staates, in dem das Volk selbst zur politischen Ordnung geworden ist"; dieser „Volksstaat" gelte ihm als der „vollkommene Staat".103 In der deutschen Geistes- und Kulturgeschichte hatte Huber vor allem einem „ElitenNationalismus", der sich aus der politisch-geistigen zeitgenössischen Literatur rekonstruieren ließ, das Wort geredet. Die Entwicklung vom geistigen Volksbewußtsein zum politischen Nationalbewußtsein als Ausdruck des „Deutschtums" führt in die Staatsphilosphie des Idealismus, zu Adam Müller und Hegel als den Gewährsmännern des Totalitätsdenkens und der Volksgeisttheorie.104 In der 1944 entstandenen esoterischen Schrift „Goethe und der Staat" wird Goethe zum Gewährsmann des monarchisch-aristokratischen Staates und zum Protagonisten des Ganzheitsdenkens, der „Durchdringung des Staates mit volkhaftem Leben",105 in seiner Wechselbeziehung von „geistigem und politischem Sein", einem Denkstil, den Huber der deutschen Klassik als wesensfremd zuordnet. Dennoch sei der Gedanke der „organischen Totalität" und das Prinzip der Ganzheit entscheidend von der Klassik geformt worden, weil „von Goethe zuerst ausgesprochen und von Schiller gedanklich weiterentwickelt, hat die Philosophie der Romantik wie des späten Idealismus entscheidend bestimmt." 106 Goethe habe sich den Gedanken der Totalität zu eigen gemacht. Totalität heiße „nicht Zwang zur uniformen Einheit, sondern meint die freie Wechselbezogenheit aller Teile in einem vielgestaltigen Ganzen. Daß alles im Menschen und in den menschlichen Ordnungen aus 101 Reich, Volk und Staat in der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, a. a. O., S. 596; s. a.: Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. llf.. 102 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volsgebwußtseins, S. 6f.. 103 Ebenda, S. 11. 104 Vgl. Adam Müller und der preußische Staat, in: Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte, 6. Jg. (1943/44), S. 162-180, wieder abgedruckt unter dem Titel „Adam Müller und Preußen" in: Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965, S. 48-70; vgl. zu Hegel die „klassische" Herleitung der Staatsphilosophie in: Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 4ff. und in: Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 18-21. 105 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 18. 106 Goethe und der Staat, S. 3.

7. Die historische

Suche nach

„Nationalidentität"

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einem gemeinsamen Grundbewußtsein hervorgehe und so in Gesinnung und Haltung, in Idee und Stil in lebendiger Entsprechung stehe, ist der Kern des Gedankens der Totalität." 107 In den Hauptwerken Goethes wird die von Herder verpflichtete Humanitätsidee hervorgehoben, die im Sinne des Ganzheitsdenkens für die Wirklichkeit und Vernunft, Natur und Geist zur Einheit verbunden ist. Die „Einheit von Humanität und Nationalität", die Goethes Staatsdenken in der konkreten Rezeption des Herderschen Denkens vermittelt, führe zur historisch-individuellen Erscheinung der Nation: „Aber die Nation verleiht zugleich dem allgemeinen Begriff der Menschheit Sinn und Fülle, indem er aus der Mannigfaltigkeit nationaler Existenz Gestalt erlangt." 108 Goethes Beiträge zu Volksbewußtsein und Volkstheorie bewertet Huber als außerordentlich. „Volkheit" sei als Idee und Wirklichkeit die „schöpferische Kraft". Volksbewußtsein und Volkswille sind lebendig nur im Regenten und Gesetzgeber, der für das Volk denkt, will und handelt. Nicht die Revolution, sondern nur die Autorität hat volkschaffende Kraft." 109 Nur die monarchisch-aristokratische Führung bilde das Volk zu seinem „Wesen" und zur,„Form", nur der monarchische Staat könne dem Willen des Volkes Ausdruck verleihen: „Wenn Herrschaft und Volk sind entzweien, sinkt die Volkheit dahin". 110 Huber hebt besonders hervor, daß Goethes führungsorientiertes Volksbild im Antagonismus zur Vermassung in der Französischen Revolution bestätigt sei. Ebenso habe der nationale Denker Goethe seine Ideen im Widerstand gegen die Französische Revolution erfahren, was für das gegenaufklärerische staatswissenschaftliche Programm des „völkischen Nationalismus" bei Ernst Rudolf Huber grundlegend ist. Goethe optierte zum Aufbau des neuen Staates für eine neue Führungsschicht, die durch Auslese, Bildung, Zucht und Ordnung Form in der neuen Gemeinschaft gewinne. Ist die Vision der Volks- und Reichserneuerung durch das „Reich als politische, sittliche und geistige Daseinsform des freien Volkes" bestimmt, so wird „der Gedanke staatlicher Herrschaft, Hierarchie und Ordnung [...] gegen die Idee des partikularen, mechanisierten Staates abgesetzt".111 Goethe habe in der Erkenntnis des Untergangs des Volkes im „Massentum" ebenso wie in der Warnung vor dem vollindustrialisierten neunzehnten Jahrhundert einen „entscheidenden Beitrag zum Durchbruch des deutschen Staatsgedankens geleistet."112 Huber schließt mit dem für sein wirklichkeitswissenschaftliches, staatwissenschaftliches Programm fundamentalen Satz Goethes: „Denken und Tun, Tun und Denken, das ist die Summe aller Weisheit."113 Das bereits bei Goethe konstatierte Ganzheitsdenken periodisiert Huber für die Geisteshaltung der Romantik und die Staatsphilosophie des Idealismus als charakteristisch. Das gesamtdeutsche Volksbewußtsein der politischen Romantik hat geistesgeschichtlich die Kontinuität des reichsnationalen Gedankens zu bestreiten vermocht, ein Kerngedanke, den Huber für die Romantikrezeption zum verpflichtenden Tatbestand seiner Volkstheorie

107 108 109 110 111 112 113

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda,

S. S. S. S. S. S. S.

4. 6. 9. 10. 23. 25. 26.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

macht. 114 Über diese Argumentationslinie wird Adam Müller zum Apologeten des „totalen Staates". 115 In Adam Müllers Staatslehre wird ein neues Programm einer Staatswissenschaft, das neben der „Lehre vom Gegensatz" (1804) den romantischen Staat als Totalität beschrieben hat, interpretiert. Adam Müller ist Huber weniger für die Ausbildung einer Nationalidentität wichtig, dennoch ist Müller der Wortführer des „totalen Staates" und der Gewährsmann einer ganzheitlichen Staatswissenschaft: „Der Begriff der Totalität, ein Lieblings- und Modewort der politischen Romantik [...], dient bei Adam Müller wie bei Novalis dazu, den Staat als einen allseitig entwickelten, alle Lebenskräfte in sich vereinigenden und auf alle Lebensgebiete erstreckten Wirkungszusammenhang zu begreifen. Dieser romantische Staat ist also in der Tat ein totaler Staat', und zwar im eigentlichen Sinne des Wortes, bei dem es nicht so sehr auf die Totalität der äußeren Machtanwendung, des juristischen Reglementierens und der exekutiven Eingriffe ankommt, als auf die Totalität der politischen Existenz, in der alle seelischen Kräfte, alle geistigen Energien und alle materiellen Güter der Nation in ihrer Mannigfaltigkeit, in ihrem Spannungsreichtum und in ihrer Wirkungsbreite zur Einheit verbunden werden. Entscheidend ist, um Schillers Formel aufzugreifen, die Totalität des Charakters der Nation." 116 Die „Totalität des Staates" sei Müller die „aus Freiheit, innerem Widerstreit und gegenseitiger Bezogenheit gewonnene, gleichwertig gegliederte Einheit eines organischen Lebenszusammenhangs." 117 Müllers Totalitätsdenken ist Huber für die Rezeption seiner völkischen Verfassungsgeschichte ebenso wichtig wie die Hegeische Staatsphilosophie, aber Müller hat den Übergang vom etatistischen zum völkischen Denken nicht vollzogen, wenn er auch trotz der Kritik am preußischen Staatspatriotismus das Selbstbewußtsein des „preußischen Nationalgeistes" forderte. 118 Für die politische Romantik seien „Volk" und „Staat" in weitaus höherem Maße eine Einheit als für das deutsche Denken dieser Zeit im Allgemeinen. Der dem romantischen Staats- und Verfassungsbegriff zugrunde liegende Dreiklang „Totalität - Organismus - Persönlichkeit" schlägt die Brücke zu Hegel. Hegel habe mit dem Dreitakt „Thesis - Antithesis - Synthesis" das Bewegungsgesetz dieser sozialen und geistigen Dialektik auf eine strenge Formel gebracht. Mit Hegels Lehre vom Volksgeist sei der Höhepunkt idealistischer Staatsphilosophie erreicht: „In der vollkommenen Staatswerdung, wie sie in Hegels Denken vollzogen ist, findet das Volk die höchste Ausdrucksform der in ihm angelegten schöpferischen Kraft; aber zugleich geht die Eigenständigkeit des Volkes verloren, indem es nun ganz und mit allen seinen Kräften für diese seine politische Existenzform in Anspruch genommen wird." 119 Mit dem frühliberalen Kieler Historiker und Politikwissenschaftler Friedrich Christoph Dahlmann kehrt Huber anläßlich einer Rede zur Kieler Universitätswoche am 18. Juni 1937 noch einmal zu seinem staatswissenschaftlichen Programm einer „politischen Wirklichkeitswissenschaft" zurück, um mit Dahlmanns Verfassungskonzeption die Traditionen der „politischen Wissenschaft" an der Christian-Albrechts-Universität im Rahmen der 114 Schieder, Theodor: Partikularismus und Nationalbewußtsein im Denken des deutschen Vormärz, in ders.: Nationalismus und Nationalstaat, hrsg. von Otto Dann und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1991, S. 166-196 (187). 115 Boldt, Hans: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 158. 116 Huber: Adam Müller und der preußische Staat, S. 167. 117 Ebenda, S. 168. 118 Ebenda, S. 173. 119 Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, S. 21.

7. Die historische Suche nach

„Nationalidentität"

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politisch-juristischen Arbeit des „Kieler Instituts für Politik und internationales Recht" nach 1933 in Erinnerung zu rufen. 120 Dahlmann ist Huber der Prototyp des „politischen Professors" mit der am nationalen Verfassungsstaat ausgerichteten „politischen Wirklichkeitswissenschaft". Dahlmanns „Politik" sei ein markantes Beispiel politischer Wissenschaft: „Jede theoretische Besinnung zielte zugleich auf die unmittelbare Durchsetzung in der politischen Wirklichkeit; alles praktisch-politische Handeln war ihm eine Bewährung der wissenschaftlichen Einsicht." 121 Huber sieht die „deutsche Verfassungsbewegung" bis zum Vormärz aufgrund der Rezeption französischen Gedankenguts im Vorgang der „Entfremdung" als eine „artwidrige Fehlentwicklung und folglich als „keine wirklich deutsche Bewegung". 122 Er lehnt zwar ab, Dahlmann „als einen bloßen Vorläufer' einer heutigen politischen Gesinnung und Haltung zu preisen", 123 trotzdem wird der Frühliberale als „völkischer Denker" in den Dienst einer integrierten Staatswissenschaft gestellt - der frühliberale Verfassungsdenker von den Füßen auf den Kopf gestellt - und seine Haltung gegen Absolutismus und Französische Revolution in dem Postulat gebündelt, „alle landläufigen Antinomien durch eine volkstümliche Verfassung zu interpretieren."124 Huber begeht den schwerwiegenden Fehler, Dahlmanns Verfassungskonzeption als nationales Programm zu interpretieren und seine romantisch beeinflußte, der historischen Rechtsschule Savignys verhaftete Volksdeutung als völkisch-ganzheitlich fehlzudeuten, 125 obwohl Dahlmann immer den Primat der Verfassungsbewegung vor der nationalen Einigung betonte. Dahlmanns Linie des historisch-dogmatischen Liberalismus 126 , die pragmatischer und anpassungsfähiger war als die des dogmatischen Liberalismus in der Paulskirche, wertet Huber völkisch-organisch um. Wenn auch „Einheit" und „Freiheit" die Prinzipien der Dahlmannschen Verfassung sind, so wird die antiliberale, nationale Deutung der Verfassungsbewegung des Vormärzes nicht den liberalen Zielen Dahlmanns in der eigentümlichen Verschränkung nationalen und liberalen Denkens gerecht. Während „Einheit" die kleindeutsch-preußische Lösung der Verfassung als „die geschlossene politische Ordnung aller deutschen Stämme und Länder"127 ist, wird das Freiheitspostulat Dahlmanns völlig verzeichnet, doch daß die Kulturnation sich über die Verfassungsordnung zur politischen Nation entwickeln könne, stellt auch Huber an Dahlmann richtigerweise heraus. 128 „Freiheit" war Dahlmann nicht ein „zu selbstverantwortlichem und opferbereitem Handeln entschlossenen Volkes im Staat",129 sondern die Emanzipation des politischen Bürgertums in Stellungen der ver-

120 Vgl. die Widmung „Der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in steter Verbundenheit" in: Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegiing, a. a. O.. 121 Ebenda, S. 13. 122 Ebenda, S. 7f.. 123 Ebenda, S. 55. 124 Ebenda, S. 25. 125 Vgl. die Kritik an Ernst Rudolf Huber bei Bracher, Karl Dietrich: Über das Verhältnis von Politik und Geschichte. Gedenkrede auf Friedrich Christoph Dahlmann, gehalten am 5. Dezember 1960 zu seinem 100. Todestag, Bonn 1961, S. 7. 126 Stolleis, Michael: Geschichte des öffentlichen Rechts, Bd. 2, a. a. O., S. 169, 184. 127 Friedrich Christoph Dahlmann und die deutsche Verfassungsbewegung, S. 51. 128 Bracher, a. a. O., S. 10. 129 Huber, a. a. O., S. 52.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische

Zurechnung

schiedenen Macht- und Entscheidungsträgern innerhalb des Verfassungsstaates.130 Auch die staatsbürgerliche Gesinnung des Untertanen durch öffentliche Meinung, die Dahlmann fordert, wertet Huber als die „Treue gegenüber dem Träger der Krone", als lebendiges Prinzip der Verfassung um. So ist auch das Resümee Hubers, daß Dahlmann ,glicht für liberaldemokratische Prinzipien, sondern für nationales Recht" 131 gekämpft habe, eine Verkennung der Lehren dieses frühliberalen Staatsdenkers: der Priorität der Verfassung vor dem Nationalen. Die historische und ideengeschichtliche Einordnung der Revolution von 1848 ist bei Huber dagegen konkreter und den Details der Sozialgeschichte entsprechender. Mit der Rekonstruktion des Volksgedankens im „Verfassungskampf' der 1848er Revolution endet Hubers Zeitachse der nationalunitarischen Bestrebungen des deutschen Volkes nicht zufallig: Die Nation-Bildungsprozesse fallen 1848 mit dem Konstitutionalismus als bürgerlicher Verfassungsform, die Huber in seiner Verfassungstheorie zu überwinden trachtete,132 zusammen. Der Übergang vom „Eliten-Nationalismus" zur „nationalen Massenbewegung" 133 kündigte sich an. Damit ist die patriotisch-nationale Literatur, die Huber zur Rekonstruktion des Volksbewußtseins heranzog, in ihren einheitsstiftenden Tendenzen als „Eliten-Nationalismus" erschöpft, wie auch der Rezeptionsschub der Staatsphilosophie der Romantik seine gestaltende Stoßkraft verlor. Der völkische Überfremdungsgedanke, der bei der Dahlmann-Analyse hervortritt, ist auch in dem Revolutions-Aufsatz134 das Leitmotiv des historischen Interesses: „Fremde Ideologien und fremde Theorien sind hier nur von außen an eine Bewegung herangetragen, die in ihrem Ursprung und in ihren Zielen ein eigentümlich deutsches Gebilde war." 135 Auch hier ist Huber dem Partikularismus als der Reichsnation im Wege stehenden teilstaatlichen Bewußtseins auf der Spur. 136 Die Rekonstruktion der 1848er Revolution steht deshalb vor dem Hintergrund der Rezeption des Staatsphilosophie des Idealismus und der Romantik, weil die Daseinsberechtigung des nationalen Gesamtstaates vor allem im Gedankengut des deutschen Idealismus bestritten wurde. 137 Huber vermag darzustellen, daß der deutsche Volksgedanke in der 1848er Revolution keine „bloße Spielart eines gesamtdeutschen Nationalismus" ist, der „Begriff des Volkes" eine „eigentümlich deutsche Art des nationalen Selbstbegreifens - und keine Rezeption einer fremden Nationidee."138 Der deutsche Volksgedanke sei in Abgrenzung zum französischen Begriff der Nation als „organische Wesenheit" zu verstehen und ursprungshaft in der idealistischen und romantischen Staatsphilosohie ausgebildet. Das der französischen Theorie eigene Moment der rational geformten „volonte generale", das „Nationalstaat" und „Staatsnation" als willensmäßige Entscheidung und als politische Einheit konstruierte, sei dem deutschen Volksge130 131 132 133 134 135 136 137 138

Bracher, a. a. O., S. 16. Huber, a. a. O., S. 39. Vom Sinn der Verfassung, S. 12, 14f.; Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 35ff.. Nach Otto Dann, zit. nach Wolfram Siemann: Die deutsche Revolution von 1848/49, Frankfurt/M. 1985, S. 146f.. Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 398. Ebenda, S. 399. Vgl. auch Schieder, Theodor: Partikularismus und Nationalbewußtsein im Denken des deutschen Vormärz, a. a. O., S. 166-196. Ebenda, S. 187. Huber: Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, S. 402.

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„Nationalidentität"

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danken des neunzehnten Jahrhunderts zunächst als rationales Willenselement wesensfremd gewesen: „Das Volk erschien, weil es eine organisch gewachsene Wesenheit war, als eine selbstverständlich vorhandene Einheit; es bestand, auch ohne daß es sich durch politische Willensbildung konstituiert, ja auch ohne daß es sich seiner Einheit rational bewußt wurde." 139 Eine „Überfremdung" habe erst im Ablauf des Revolutionsgeschehens stattgefunden. Huber weist nun nach, daß die Bewegung von 1848 den Schritt von der „erlebten organischen Wesenheit" zur „sich selbst gestaltenden politischen Willens- und Handlungseinheit des Volkes" vollziehen mußte, um das reichsnationale Ziel der Überwindung der staatlich-dynastischen Aufspaltung zu erreichen. Der Angelpunkt seiner Volkstheorie, der Organisation des Volkes zum „politischen Gebilde", zum „politischen Willens- und Handlungsträger des Reiches", rückt die Frage nach der „Methode" der Neuordnung und ihres Intensitätsgrades in den Blickpunkt. 140 Die politischen Trägergruppen der Revolution stellt Huber in den Vordergrund und überprüft die Rezeptionskraft der Staatsphilosophie von Romantik und Idealismus auf ihre Durchsetzungskraft und ihren Wirklichkeitsgehalt: „Hier enthüllt sich die Tragik der deutschen Revolution von 1848: solange das Volk ein politisches Dasein geführt hatte, war es in seinem sozialen und geistigen Bestände eine Einheit; als es daran ging, sich zur selbstbewußten politischen Einheit zu erheben, wurde es sich zugleich der in ihm angelegten sozialen und geistigen Spannungen bewußt; im Erwachen zur politischen Einheit ging die Grundlage der Einheit verloren." 141 Diesen, als Dialektik der schöpferischen Zerstörung dargelegten Prozeß bringt Huber auf den Begriff. Der Volksgedanke des bürgerlichen Liberalismus selbst sei in seiner Entwicklung in der zweiten Phase der Revolution im Gegeneinander von bürgerlichem Konstitutionalismus, demokratischem Radikalismus und proletarischem Sozialismus die Ursache der fehlgeschlagenen Einheit. Die in der Romantik und dem Idealismus entstandenen „Kernbegriffe der politischen Philosophie des Bürgertums", die Begriffe „Organismus", „Persönlichkeit" und „Freiheit", seien in der Auseinanderreißung der Trias die enge Ursache der verfehlten Einheit. Insbesondere der aus dem Idealismus hervorgegangene Freiheitsbegriff, daß der einzelne, so Huber, „aus Freiheit die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft erfülle", 142 wurde in der liberalen Staatstheorie „entfremdet". Mit dem Einfluß des französischen und englischen Liberalismus weist Huber den schwindenden Einfluß der politischen Vorstellungen der Romantik und des Idealismus nach: „Das lag nicht nur daran, daß es kaum möglich war, die schwierigen Vorstellungen etwa der Schellingschen Organismuslehre oder der Hegeischen Dialektik zum Programm einer bürgerlichen Massenbewegung zu machen." 143 Aus dem „Organismus" habe sich die „bürgerliche Gesellschaft" entwickelt, aus der „Persönlichkeit" das „Individuum", aus der „Freiheit" die „liberte" Zudem sei die konservative Opposition der Revolution in gleicher Weise von der Romantik und dem Idealismus bestärkt worden.

139 140 141 142 143

Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda, Ebenda.

S. S. S. S.

403. 405. 406. 408.

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Das Dritte Reich: die ideengeschichtlich-zeitgenössische Zurechnung

8. Zwischenresümee zur ideengeschichtlichzeitgenössischen Zurechnung Der werkgenetische Übergang von der Weimarer Republik in das Dritte Reich ist bei Ernst Rudolf Huber ohne argumentative Brüche, Korrekturen oder korrigierende Eingriffe in die ganzheitliche, existentielle Verfassungstheorie konstatiert worden. Vielmehr hat die bereits seit 1932 intendierte geistesgeschichtliche Umdeutung und Etatisierung des öffentliches Rechts die Entwicklungsfähigkeit und die Teleologie des Verfassungsdenkens deutlich gemacht, was Huber quasi bausteinhaft nach 1933 weiterentwickelt. Die werkgenetische Kontinuität verdeutlicht vor allem die Schrift "Der deutsche Sozialismus", die die wirtschaftsverfassungspolitische Diskussion im Dritten Reich mit den Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung und der Berufsstände verbindet, die bereits zur Weimarer Verfassungsreform 1931/32 erarbeitet worden sind. Das umfangreiche Schrifttum im Dritten Reich kann als Systementwurf geltend gemacht werden, weil es in seiner ganzheitlichen Strenge und inhaltlichen Geschlossenheit auch widerspruchslos die Ideologie des Nationalsozialismus inkorporiert, wenn auch mit hoher inhaltlicher und methodischer Eigenständigkeit, die sich auf die Rezeption der Verfassungstheorie Schmitts und den Hegelansatz der "Kieler Schule" stützt. Der für die nationalsozialistische Schaffensperiode fundamentale Aufsatz "Die deutsche Staatswissenschaft" trägt zu einer synthetischen Wissenschaftskonzeption bei, die das nationalsozialistische Herrschaftswissen systemstabilisierend in der Staatsrechtslehre reflektiert und die Traditionslinien der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" im Rahmen der deutschen Wissenschaftsgeschichte geschickt für die Zwecke des totalen Wissenschaftssystems zu rezipieren versteht. Dem Ausbau des Wissenschaftsprogramms in der Konsolidierungsphase folgt eine inhaltliche, thematische und begriffliche Anpassung der enzyklopädischen Staatswissenschaft in der Radikalisierungsphase 1938 bis 1945, mit einer ideologischen Aufrüstung im Rahmen des Weltkrieges und der großdeutschen Verfassungsphase. Dennoch bleibt Hubers verhaltenes Eintreten für die Großraumpolitik stets innenpolitisch orientiert. Eine bei Carl Schmitt offenkundige Wendung zum ius publicum europaeum sucht man bei Huber vergebens. Hubers begriffliche und systematische Anstrengung der Anpassung von Staats- und Reichsbegriff, der politischen Legitimation der "völkischen Führerverfassung" an das Herrschafts- und Planungsdenken im Kriege, aber auch die verfassungshistorische Rekonstruktion und Herleitung der deutschen völkischen Nationalidentität, kann als Steigbügelhalterpolitik und wissenschaftliche Zweckintention des enzyklopädischen Wissenschaftsprogramms gleichermaßen gelten. Die Historisierung der Verfassungstheorie mit "Heer und Staat" und die zahlreichen Aufsätze zum Nationalbewußtsein der Deutschen, ebenso die Ausdifferenzierung der ganzheitlichen Binnenstruktur der Verfassungstheorie mit "Volk, Bewegung, Staat" verdeutlichen den systematischen Aspekt des Wissenschaftsprogramms der "deutschen Staatswissenschaft" als politisch wirkender Wirklichkeitswissenschaft. Die Historisierung der Verfassungstheorie dient einerseits der Systemstabilisierung, ist andererseits aber auch eine Wendung von den politischen Bereichen des öffentlichen Rechts in die weniger verfängliche Verfassungsgeschichte, zumal nach der Stabilisierungsphase des Systems und der Wendung in die großdeutsche "Verfassung" eine Erosion der Staatsrechtswissenschaft einleitet wurde.

KAPITEL 5

Das Dritte Reich. Die wissenssoziologische Zurechnung. Der soziale und politische Denkstandort im Nationalsozialismus 1. Konservatives Geschichtsdenken Das Verhältnis zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus ist über die diffuse Trägerschaft der „Konservativen Revolution" als Steigbügelhalter der nationalsozialistischen Massenbewegung herzustellen. Bei der Vielzahl konservativ-revolutionärer Ideologeme ist eine Pauschalisierung des Verhältnisses von Konservatismus und Nationalsozialismus nicht möglich.1 Doch ist für beide in der kulturpessimistischen Bewertung der Krisen der Zwischenkriegszeit der definitorische Gegner in Gestalt des Liberalismus und seiner politischen Form gleich.2 Hatten ideologische Konzeptionen der „Konservativen Revolution" mit der „legalen Revolution" von 1933 ihr Postulat des revolutionären Umschlages verwirklicht, so ging es danach um die Konservierung und Verteidigung des ideologisch und politisch Erreichten. Spätestens seit der mit dem ideologischen Paradigmenwandel 1938/39 einhergehenden Historisierung der Reichsidee in der deutschen Staatsrechtswissenschaft ist der Konservatismus wieder mit seinem gespannten Verhältnis zur historischen Kontinuität konfrontiert. Der revolutionäre Kopfsprung des Konservatismus wirkte sich auch nach der Systemanpassung an den Nationalsozialismus auf die Reaktivierung der Wissensarchive durch Publizistik und Wissenschaft wie auch auf das konservative Traditionsverständnis aus.3 So fußt Ernst Rudolf Hubers umfangreiches nationalpolitisches Schrifttum zur Geschichte und zum historischen Selbstverständnis deutscher Nationalliteratur auf dem Versuch, das Verhältnis des eigenen nationalkonservativen Verfassungsdenkens zur konservativen Tradition zu klären und aus den vergangenen Verfallsformen und historischen Identitätskrisen des Konservatismus Elemente für die nationalvölkische Verfassungstheorie der Gegenwart zu revitalisieren.4 Nicht die nationalsozialistische Machtergreifung 1933, sondern die mit der großdeutschen Verfassung 1938 vollzogene Wendung vom Staats- zum Reichsbegriff ist der identifikationsfähige Endzustand, vom dem aus der dialektische Dreiklang des Heilsdenkens konstruiert wird. Der Volks- und Verfassungsdenker Justus Moser dient Huber als Gewährsmann dieser wissenschaftstheoretischen Linie.5 Das DreiStadiengesetz von Urzeit, Verfall und Erlösung, das in dem staatswissenschaftlichen Pro1 2 3 4 5

Sontheimer, Kurt: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik, a. a. O., S. 296f.. Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 296. Ebenda, S. 143. Huber: Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 395f.. Vgl. Lessing, Klopstock, Moser und die Wendung vom aufgeklärten zum historisch-individuellen Volksbegriff, a. a. O., S. 139ff..

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Das Dritte Reich: die wissenssoziologische Zurechnung

grammaufsatz von 1935 in dem historischen Dreiklang „societas civilis" - „Gesellschaft gegen Staat" - „totaler Staat" 6 als Schema entwickelt wird, 7 ist der Bewertungsmaßstab für die Vergangenheit und stellt die völkische Verfassung des Nationalsozialismus als „gute Ordnung" hin. 8 Die Konstruktion dieses Dreiklangs nach Hegelschem Vorbild ist Resultat des in der „Konservativen Revolution" verschärften Zeitwendebewußtseins, welches dem rationalistischen Fortschrittsdenken ein mythisches Regenerationsdenken entgegenstellt. Die spezfischen ideellen wie theoriegebundenen Ansatzpunkte konservativen Denkens seit dem Ausgang des Mittelalters sind im Rahmen dieses kosmischen Geschichtsdenkens zu suchen. Das Zeitverständnis des Huberschen Konservatismus hat Einfluß auf die Interpretation des Wert- und Erfahrungshorizontes der Vergangenheit. Am Inhalts- und Wirkungsaspekt historischen Denkens ist zu zeigen, daß die historische Rezeption Brüche und Widersprüche beinhaltet, die auf die Merkmale nationalsozialistischer Juristenphilosophien zurückzuführen sind. Diese tragen zur philosophischen Diskussion wenig bei, übersetzen meist nur Resultate, deren Begründungszusammenhang nicht analysiert, sondern durch ein Bekenntnis ersetzt wird. 9 Zentrale Denkkategorien dieser totalen Geschichtssicht sind die Leitkategorien etatistischen Denkens: die soziale Leitvorstellung der „bürgerlichen Gesellschaft" und die zyklisch-kosmische Geschichtsauffassung.

a) Die historische Legitimität des Totalitätsdenkens Totalität hat für den Konservativen über die Zweckorientierung der politischen Integration hinaus einen allgemeinen Sinn. 10 Die ganzheitliche Erfassung und Gleichschaltung von Denken und Leben, die Identifikation von Führung und Gefolgschaft, Partei, Bewegung und Staat, von allgemeinem Willen und Einzelwillen, steht unter der Hegeischen Fiktion 6 Hans Boldt unternimmt die verfassungshistoriographische Einordnung Hubers: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 147-152; s. a. ders: Rez. „Emst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 7 Bde., Stuttgart 1957-1984", in: GuG, 11. Jg. (1985), S. 252271. 7 Vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 3f.. Demgegenüber leitet Huber in der verfassungstheoretisch wichtigeren Schrift „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" (1935) die bürgerliche Geselschaft aus Hegelschem Gedankengut ab, die aristotelisch-thomistische „societas civüis" bleibt außen vor. Auf den (heilsgeschichtlichen) Dreitakt von idealer Urzeit, Verfall und Erlösimg weisen hin: Stolleis, Michael: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Staat, a. a. O., S. 27ff.; ebenso: Lübbe, Anna: Die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Machtergreifung, a. a. O., S. 72f.; s. a. Topitsch, Ernst: Erkenntnis und Illusion, Tübingen 1988, S. 153ff., 210ff.; ders.: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, 2. Aufl., München 1981, S. 16-18, 56f., 64-67, 116-120. 8 Trotz des 1938 erreichten Verfassungszustandes als identifikationsfähigen Endzustand bewertet Huber das mittelalterliche erste Reich als eine vollkommene oder „echte" Verfassung. 9 Rottleuthner, Hubert: Juristen als Ideologieproduzenten. Die Substanzialisierung des Formalrechts. Zur Rolle des Neuhegelianismus in der deutschen Jurisprudenz, a. a. O., S. 210; vgl. auch im folgenden Kap. 5.2. über „konkretes Ordnungsdenken". 10 Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 216.

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des Glaubens an eine absolute Idee. Die historische Legitimität des Totalitätsdenkens ist demnach die mit der Hegeischen Dialektik, dem Totalitätsbegriff und durch die Vermittlung von Begriff und Idee initiierten Verbrämung von Pluralität in der Gesellschaft, von Liberalismus und Demokratie. Ganzheitliche Begriffe wie „Volk", „Staat", „Gemeinschaft" absorbieren das Heterogene und wandeln die in pluralen Vergesellschaftungsformen kritisierte „Verfremdung" organologisch in vergemeinschaftete Identität um. Totalität ist für den revolutionären Konservativen unter den Bedingungen der modernen Zivilisation nur als dymanische Bewegung zu denken. Deshalb hat Hegel auch „Totalität" als Prinzip der Lebendigkeit formuliert.11 Das etatistische Denken ist bei Huber im wesentlichen durch die methodischintentionale Rezeption des Ganzheits- oder Totalitätsgedankens bestimmt. Hier manifestiert sich das Bewußtsein der Kontinuität des Konservatismus, aber auch die ganze Problematik totaler Geschichtssicht.12 Für Huber ist Adam Müller nicht nur der Protagonist des totalen Staates, sondern stellt auch das ideengeschichtliche Durchgangsstadium des organischen Totalitätsdenkens vom romantischen Konservatismus über den Klassizismus 13 zur rechten Hegellinie dar, an welche der Neuhegelianismus anknüpft. Adam Müllers Wirken in der romantisch-konservativen Restauration als Abwehrfront gegen die „Auseinanderreißung" von Staat und Gesellschaft belegt Huber mit dem Müllerschen Satz: „Der Staat ist die Totalität der menschlichen Angelegenheiten, ihre Verbindung zu einem lebendigen Ganzen".14 Daraus folgt die „Totalität des Staates" als Einheit von Staat und Gesellschaft.15 Müller interpretiert Staat und Gesellschaft als synonyme Phänomene, die beide aus der Natur stammen und von Anbeginn da seien. Der Staat ist somit eine dem einzelnen schon vorgegebene Sichtweise. Diese anthropologische Prämisse Müllers paßt in Hubers völkisches Staatsbild. Er rezipiert aus dem romantischen Gedankengut der Müllerschen Staatsphilosophie bei eingehender wirklichkeitswissenschaftlicher Kritik an der Romantik16 den methodologischen Aspekt und reichert das Totalitätsdenken mit der Dialektik der Hegeischen Staatsmetaphysik an, durch welche die Motive des romantischen Idealismus erst hochstilisiert werden. Dabei ist Adam Müllers Kritik an dem friderizianischen „Maschinenstaat" und dem Organismusbegriff als Gegenbegriff die Schlüsselmetapher der romantischen Staatsutopie,17 aus deren Politisierung Huber die Maximen des „völkischen Nationalismus" schöpft. Die wohl unbewußt rezipierten lebensphilosophischen Versatzstücke romantischer Staatsphilosophie sind für die historische Legitimation des Totalitätsdenkens ebenso wichtig wie die etatistischen Linien romantischen Denkens.

11 Ebenda, S. 216f.. 12 Vgl. Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte, S. 151, 157, 171. 13 Huber: Goethe und der Staat, S. 4ff. Huber rekurriert auf Goethes GanzheitsbegrifF und verweist auf seine gedankliche Weiterentwicklung bei Schiller. 14 Vgl. Müller, Adam: Elemente der Staatskunst, 1^09, hrsg. von Jacob Baxa, Jena 1922, S. 481 und 187, zit. nach Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 4. 15 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 27-31. 16 Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 407f.; Adam Müller und der preußische Staat, a. a. O., S. 166f.. 17 Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 84f..

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In diesem Zusammenhang ist die Austauschbarkeit der Sinninhalte und Begriffe von „Totalität", „Einheit", „Ganzheit" und „Gestalt"18 von entscheidender methodologischer Bedeutung für Hubers Totalitätstheorem. Dabei vollendet sich die in der Verfassungstheorie begründete totalitäre Sozialordnung erst im Dienstverhältnis der Staatsphilosophie an der politischen Ordnung.19 Im einzelnen führt Huber aus: „Der Begriff der Totalität, ein Lieblings- und Modewort der politischen Romantik, übrigens schon von Schiller [. . .] später von Hegel weitergeführt, dient bei Adam Müller und Novalis dazu, den Staat als einen allseitig entwickelten, alle Lebenskräfte in sich vereinigenden und auf alle Lebensgebiete erstreckenden Wirkungszusammenhang zu begreifen. Dieser romantische Staat ist also in der Tat ein totaler Staat', und zwar im eigentlichen Sinne des Wortes, bei dem es nicht so sehr auf die Totalität der äußeren Machtanwendung, des juristischen Reglementierens und der exekutiven Eingriffe ankommt, als auf die Totalität der politischen Existenz, in der alle seelischen Kräfte, alle geistigen Energien und alle materiellen Güter der Nation in ihrer Mannigfaltigkeit, in ihrem Spannungsreichtum und in ihrer Wirkungsbreite zur Einheit verbunden sind."20 Die ideologische Ausnutzung des Begriffes „total" bzw. „Totalität" im Sinne der Ausschließlichkeit und Unbegrenzbarkeit der Herrschaftsbereiche und der Durchdringung aller Lebensbereiche erfolgt im Denken Ernst Rudolf Hubers erst über das methodische Zwischenglied des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens". Dennoch ist der Begriff ein Grundpostulat dialektischen Wissenschaftsverständnisses, den gesellschaftlichen und historischen Gesamtzusammenhang des Erkenntnisobjektes „Staat" zu berücksichtigen was Huber in Hegels Rechtsphilosophie vollendet sieht. Es ist die wissenschaftliche Grundhaltung der Ausgestaltung der nationalsozialistischen Weltanschauung und das staatswissenschaftliche Ziel der Identität des völkischen Staates, das mit dem „Totalitätsprinzip"21 erfaßt werden soll.

18 Zum Gestaltbegriff vgl. Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 30, 72f, 76f.; Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 439f; Die deutsche Staatswissenschaft, S. 28ff.. Der Gestaltbegriff wird aus der Romantik abgeleitet; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30, Anm. 1. Gegenüber dem Totalitätsbegriff stellt der Gestaltbegriff deutlicher die Geschichtlichkeit als Raum-Zeit-Dimension der existentiellen Wirklichkeit von Staat und Volk dar. Zur Logik der Ganzheit vgl. Schlick, Moritz: Über den Begriff der Ganzheit, in ders.: Gesammelte Aufsätze 1926-1936, Hildesheim 1969, S. 251-266. Schlick macht die Ganzheit gestalttheoretisch an den Eigenschaften des Gebildes und seiner Wirkung fest. Wenn die Ganzheit mehr als die Summe ihrer Teiles sein soll, ist sie als „Wirkungseinheit" zu verstehen. Schlick sieht die dialektische Argumentation, daß das Ganze den Teilen vorausgeht, als leere Phrase an und schlägt eine gestaltpsychologische Analyse zur Destruktion der Mystik des Gestaltdenkens vor; a. a. O., S. 265f.. 19 Lieber, Hans-Joachim: Ideologie, Paderborn/München/Wien/Zürich 1985, S. 109. 20 Huber: Adam Müller und der preußische Staat, S. 167. 21 Der Totalitätsbegriff wird zum ersten Mal verwendet in dem Aufsatz: Die Einheit der Staatsgewalt, in: DJZ, 39. Jg. (1933), S. 950f.. Das Prinzip der „politischen Totalität" wird nicht nur zum fundamentalen Merkmal des nationalsozialistischen Staatsaufbaus lanciert, sondern füngiert als Gegenbegriff zu allen pluralistischen Verfassungserscheinungen; s. a.: Die Totalität des völkischen Staates, a. a. O., S. 31.

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Die Skepsis gegenüber dem Terminus „totaler Staat" 22 fuhrt Huber über Carl Schmitts „qualitativ" totalen Staat als einem totalen, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur vereinnahmenden Zuständigkeitsstaat hinaus. Stattdessen überträgt Huber die Totalitätsschau Adam Müllers auf die Hegeische Rechtsphilosophie und setzt den mit der Machtergreifung auch weltanschaulich erreichten Zustand der geistbestimmten Wirklichkeit des Staates als Totalität voraus. Eine argumentativ vorangestellte positiv gewertete Totalitarismustheorie, 23 die Absolutismus, Massendemokratie, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus als „verschiedene Arten der politischen Totalität" zum „politischen Grundwert" für die Staatsgestaltung bestimmt, legitimiert die „politische Totalität in der Gestalt des völkischen Staates" als spezifisch „nationalsozialistische Totalität" auf der philosophischen Grundlage Hegelscher Staatsauffassung. 24 Die „Totalität" wird zum Mittel der Herstellung eines homogenen, auf der Grundlage von politischer Idee, Führung und Bewegung geschaffenen Staatszustandes.25 Der Totalitätsbegriff entwickelt sich zu einem identifizierenden Begriff, der die Teilaspekte „Totalität des politischen Volkes", „Totalität der Idee" und „Totalität der Bewegung" auf die „Totalität des völkischen Staates" als die dialektisch „höhere Einheit" bezieht. Die Herkunft des Totalitätsdenkens aus der Romantik und die Anknüpfung Hubers an Adam Müller bedarf der Vertiefung, um der Logik und historischen Legitimität des Totalitätsdenkens auf die Spur zu kommen, denn bekanntlich identifiziert Huber das „politische Volk" als historische Erscheinung mit den Prinzipien „Einheit" und „Ganzheit". 26 Der Aspekt der Politisierung erfahrt seine existentielle Vitalität aus Carl Schmitts Begriffskriterium des Politischen, wie auch der Totalitätsaspekt beliebig mit dem adjektivistischen Zusatz „politisch" nur dem Prinzip der völkisch-weltanschaulichen Durchdringung aller Lebensgebiete zu dienen hatte: „Das Politische ist die Totalität der völkischen Substanz." 27 Die Austauschbarkeit der Kategorien und Kriterien im Totalitätsdenken kennt keine Grenzen, alles ist durch alles je nach Subjekt-Objekt-Konstellation total zu setzten und damit oft 22 Huber kritisiert den „totalen Staat" als nur die Totalität der äußeren Macht bezeichnenden Begriff, der der substantiellen Logik der Totalität aller völkischen Lebensbereiche widerspricht; vgl. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 159. 23 Vgl. Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 152, Anm. 57. Hubers Totalitarismustheorie ist insofern „positiv", als daß alle Herrschaftsformen seit dem Absolutismus unter die geschichtlichen Formen der „Totalität" subsumiert werden und selbst der massendemokratische Parteienstaat als - wenn auch negative - Form geschichtlicher Totalität beurteilt wird; vgl. Die Totalität des völkischen Staates, S. 32f.. 24 Die Totalität des völkischen Staates, S. 32f., 34. 25 Carl Schmitt interpretiert 1936/37 den Begriff total immer noch in den Strukturen des verfassungspolitischen Übergangs vom quantitativ-totalen zum qualitativ-totalen Staat 1932/33: die Vernichtung individueller Freiheit, Zentralisierung, Wandlung des Begriffs 'Gewaltenteilung'', Aufhebung der Trennung von Staat und Gesellschaft. „Totalität" begreift Schmitt als „Ziel" oder „Mittel" dieses Vorgangs und kommt damit Hubers (zielorientierter) Totalitätsauffassung nahe; vgl. Der Staat als Mechanismus bei Hobbes und Descartes, in: ARSPh, Bd. 30 (1936/37), S. 622-632 (623f ). 26 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 157. Auch in diesem Zusammenhang wird hervorgehoben, daß das Prinzip der Ganzheit eine wesensmäßige, substanzhafte Einordnung erforderlich macht; vgl. a. a. O., S. 159. 27 Vgl. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 45, s. a. Krieck, Ernst: Zehn Grundsätze ganzheitlicher Wissenschaft, a. a. O., S. 60f..

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tautologisch. Marcuse bewertet den „Hunger nach Ganzheit" (Peter Gay) als der aus den ökonomischen Verhältnissen des Monopolkapitalismus heraus erforderlichen „Vereinheitlichung" innerhalb der Gesellschaft. Damit ist ein neues „Systems von Abhängigkeiten" geschaffen, man denke bei Huber an die sich aus dem Prinzip der völkischen Einheit und Ganzheit ergebenden Folgerungen „Ausschließlichkeit der politischen Führung" und „Einheit der Führergewalt", das die Herstellung einer Volksgemeinschaft jenseits der Klassengegesätze bewirkt. Als Voraussetzung sieht Marcuse die diesem „künstlichen System" vorgeschaltete Argumentation einer natürlich gewachsenen Einheit, die bei Huber im „natürlichen Volk" vorhanden ist. 28 Die daraus resultierenden methodisch-argumentativen Immunisierungsstrategien bedürfen der wissenssoziologischen Analyse. Huber verknüpft das romantische Freiheitspostulat,29 das in dem romantischen Dreiklang „Organismus - Persönlichkeit - Freiheit" enthalten ist, mit der eigenen Totalitätsposition. In der Romantik bedeute die „Totalität des Staates" die „aus Freiheit, innerem Widerstreit und gegenseitiger Bezogenheit gewonnene, gleichgewichtig gegliederte Einheit eines organischen Lebenszusammenhanges."30 „Freiheit" heißt in der Sprache der Romantik Individualität, heißt Leben, Bewegung, Dynamik, Energie. Nicht der Organismusgedanke ist ursprünglich romantisch, sondern der politische Organismus, der als wirkliches Leben aufgefaßt wurde. Dieser lebensphilosophische Ansatzpunkt und das Bewegungsgesetz romantischen Denkens hat das Interesse Hubers an dem romantischen Staatsdenken beeinflußt. Um diesem „Leben" beizukommen, vollzog die Romantik eine Abkehr von allen festen „Begriffen" hin zu der lebendigen Beweglichkeit der „Ideen", welche die Unmittelbarkeit des Lebendigen aufbringen.31 Die den Zentralbegriffen der „Vermittlung" und „Versöhnung" zugrunde liegenden Gedanken der Vermittlung von Natur und Geschichte, von Idee und Begriff, verweisen Huber auf eine historische Vorstufe eines lebensphilosophischen Konservatismus, der die Orientierung am „Konkreten" und „Erlebten"32 zur Grundlage konservativen Denkens erhebt. Nicht das „Konstruierte", sondern das „Gewachsene", nicht „Begriff" sondern „Idee" sind Müller die Grundlage des Lebens. Die mit der „Lehre vom Gegensatz" begründete spekulative Theorie des In-Beziehung-Setzens, die überall da, wo Leben ist, die Gegensätze miteinander vereint und Leben zur Tatsache der Bewegung macht,33 setzt Huber über die Hegellinie zum Kennzeichen der in der idealistischen deut-

28 Vgl. Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, a. a. O., S. 176f.. 29 Adam Müllers konservativer Freiheitsbegriff greift ähnlich wie Hubers Freiheitsbegriff in dem Aufsatz Bedeutungswandel der Grundrechte" (1932/33) das Gleichheitsprinzip gegenüber der Freiheit als bewegender Idee an; s. a. Mannheim: Konservatismus, S. 115. 30 Huber: Adam Müller und der preußische Staat, S. 168. 31 Martin, Alfred von: Weltanschauliche Motive altkonservativen Denkens, a. a. O., S. 348. 32 Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 112ff.. Mannheims Forschungsinteresse gilt insbesondere Adam Müllers Begriffsvorstellung und Erkenntnismethode zur Identifizierung des konservativen Denkstils. Bei Müller bestimmen die philosophischen Prinzipien die Praxis, wie auch Huber in Adam Müllers staatswissenschaftlichem Konzept die Vermittlung von Theorie und Praxis hervorhebt; vgl. Huber: Adam Müller und der preußische Staat, S. 169; s. a. Mannheim: Konservatismus, S. 154, 181f.. 33 Martin, a. a. O., S. 349f

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sehen Philosophie betriebenen dialektischen Dynamisierung des Lebens- und Wirklichkeitsbegriffs. 34 Müllers Totalitätsidee, die alles umgreift, um es mit einheitlichem Geist zu durchdringen und nach einheitlichem Weltanschauungsprinzip zu gestalten, 35 ist konservativ, weil es in den organisch-ständischen und patriarchischen Bezügen des Mittelalters gedacht wird. Die Kontinuitätslinien des „organischen Konservatismus" Müllers sieht Huber in der Staats- und Ständelehre Othmar Spanns fortwirken, wie auch Müllers Schrift „Die Lehre vom Gegensatz" den philosophischen Grund zum „organischen und totalen Konservativismus" 36 gelegt habe. Die Rezeption der dialektischen Gedanken Müllers ist für Huber nicht nur der Anknüpfungspunkt konservativen Denkens, sondern auch die sensible Amalgamierung und Synthese verschiedenster Elemente des Altkonservatismus für die lebensphilosophische Durchdringung der eigenen totalen Staatsmetaphysik. Dennoch wird Müller nicht zum völkischen Denker hochstilisiert. Die anthropomorphe Staatsauffassung Müllers spricht dagegen. Die Entdeckung des gesamtdeutschen Volksbewußtseins bei Moser und Herder verbindet Huber in der Romantik zum etatistischen Denken: „[...] so bedeutet dies gewiß nicht, daß Adam Müller vom etatistischen zum völkischen Denken übergegangen wäre." 37 Dennoch gewinnt die Lebensphilosophie der Romantik im Denken Adam Müllers ihr vitalistisches Element, das Huber zur Rezeption motiviert hat. Müllers ideologische Leistung besteht gerade in der lebensphilosophischen Durchdringung als Gegenpol zum aufklärerischen Rationalismus. Der konservative Ursprung lebensphilosophischen Denkens besteht in der steten Betonung der Abstraktion der bürgerlichen Rationalisierung, 38 wie sie Huber im „Trennungsdenken" zu verdeutlichen vermochte. Vor allem die Lebensphilosophie der Romantik ist der moderne Anfang des Zustandekommens des lebensphilosophischen Standpunktes, 39 an den die Hegeische Rechte im Nationalsozialismus anknüpft. Das Totalitätsdenken Adam Müllers, das nur aus dem ständisch-romantischen Standort den Staat als bewegte Totalität auffaßt, ist nur über den Begriff der Vermittlung verständlich. 40 Die Dialektik als Vermittlungsdenken taucht in der politischen Romantik zum ersten Mal auf, 41 weshalb Huber Adam Müllers Totalitätsdenken zum historischen Vorläufer des Hegeischen Staatsdenkens datiert. Das Rekurrieren auf die politische Philosophie der Romantik und ihre lebensphilosophischen Wurzeln hat die Funktion, dem ontologischen Bedürfnis nach konservativer Traditionsphilosophie nachzukommen. Die Geschichtsbrüche,

34 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 4fL Huber konstruiert eine unmittelbare Verbindung von Müllers Lehre des Gegensatzes zu Hegels dialektischem Dreitakt Thesis - Antithesis - Synthesis; vgl. Adam Müller und der preußische Staat, S. 165. 35 Martin, a. a. O., S. 350. 36 Adam Müller und der preußische Staat, S. 165. 37 Ebenda, S. 171. 38 Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 183. 39 Adam Müller und der preußische Staat, S. 175, Anm. 216. 40 Ebenda, S. 175. 41 Greiffenhagen, a. a. O., S. 13; vgl. Carl Schmitts Kritik an der romantischen Auffassung der Herstellung organischer Totalität, in: Politische Romantik, 2. Aufl., München/Leipzig 1925, S. 110, 119ff, 141, 146. Huber läßt sich auf diese Kritik nicht ein und wertet Schmitts Vorwurf des subjektivierten Occasionalismus bei Adam Müller als umstrittene Deutung der Romantik; vgl. Adam Müller und der preußische Staat, S. 165.

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die das kosmisch-zyklische Heilsdenken kaschiert, werden durch Rückgriffe auf die historischen Ursprünge der Lebensphilosophie quasi vitalistisch ersetzt. Insofern hat das Totalitätsdenken bei Huber eine historische Legitimation: Geschichtsbrüche, insbesondere die rationalistischen Phasen des neunzehnten Jahrunderts, zu überbrücken und einen roten Faden zu den Ursprüngen konservativer Lebensphilosophie in die Romantik herzustellen. Damit hat die lebensphilosophische Fundierung des kosmischen Heilsdenkens über Hegel eine doppelte Aufgabe: die Überwindung von Geschichtsbrüchen und eine Art Geburtshelferrolle beim Akt der Volkswerdung aus den historischen Wurzeln des Konservatismus.42

b) Die „bürgerliche Gesellschaft" als Urbild des Heilsdenkens Der Begriff des „Dritten Reiches" konnte nach der Machtergreifung seine revolutionärchiliastische Bedeutung weder verleugnen noch erfüllen, was insbesondere die pessimistische Geschichtsphilosophie Oswald Spenglers gezeigt hat. In Hubers verfassungshistorischen Analysen spielt der Begriff keine Rolle. Stattdessen dokumentiert die heilsgeschichtliche triadische Verlaufsstruktur der Geschichte - Urzeit, Verfall und Erlös - das historische Sonderbewußtsein gegenüber dem Nationalsozialismus und ist auch als verlängerter Arm der politisch-ideologischen Position der „Konservativen Revolution" für die Rekonstruktion des nationalistischen Horizonts der deutschen Geschichte wirksam.43 Je mobiler und pluraler die Staatsgesellschaft sich im Laufe entwickelt, desto rigider besteht der Konservatismus auf seine organologische Vorstellung. Das trifft in aller Härte für die konservativen Revolutionäre im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich zu. Die Organität wird konsequenterweise am Ende zur Forderung nach politischer Totalität, wie sie bei Adam Müller bereits staatsphilosophisch vorgegeben ist. 44 Die Legitimität des Totalitätsdenkens schöpft sich bei Huber quasi historisch aus der Diktion des elitären, konservativ-revolutionären Zeitwendebewußtseins, die Vergangenheit im Schema des Verfallszyklus auf die Schaffung neuer Werte für die Ggegenwart und Zukunft umzuinterpretieren. Die historische Denkfigur der „societas civilis" und ihre Instrumentalisierung im kosmischen Heilsdenken ist ein Beispiel für die wenig durchdachte und die allgemeine erkenntnistheoretische Diskussion kaum fordernde Variante nationalsozialistischer Juristenphilosophien. Die Ideologisierung dieses Begriffs und die Normierung seiner Tradition setzt zu dem Zeitpunkten an, an dem mit Hegel die politisch-naturrechtliche Tradition abbricht. Die „societas civilis" markiert den Ort des Ineinanderübergehens von griechischlateinischem und liberal-bürgerlichem Bezugssystem und wird daher in verschiedensten sozialen Zusammenhängen verwendet.45 Deshalb ist Hubers Rezeptionslogik im Rahmen 42 43 44 45

Greiffenhagen, S. 279, 287. Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution und das Dritte Reich, a. a. O., S. 182, 195. Vgl. sinngemäß Greiffenhagen, a. a. O., S. 206. Riedel, Manfred: Gesellschaft, bürgerliche, in: Historische Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hrsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhart Koselleck, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 719-800 (721). Im Zusammenhang der methodischen Brauchbarkeit der Trennung von Staat und Gesellschaft weist insbesondere Erich Angermann auf Hubers Kritik am Trennungsdenken in dem Aufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" hin: An-

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der völkischen Geschichtsinterpertation von Bedeutung. Die wissenssoziologische Zurechnung vermag das kosmische Heilsdenken Hubers und den Denkstil des nationalvölkischen Konservatismus in den spezifischen Ansatzpunkten und Berührungsebenen der historischen Phasen des deutschen Konservatismus zu erhellen, denn auch für Hubers konservatives Staatsdenken gilt die punktuelle Konstituierung in der Krisenphase der Trennung von Staat und Gesellschaft mit dem neuzeitlichen Souveränitätsbegriff auf und sein rezeptiver Anschluß an die ganzheitlichen europäischen Traditionsbegriff der „societas civilis" als Ausdruck der Identitätsvorstellung von Staat und Gesellschaft und „Argumentenlieferant" einer vormodernen Volksgemeinschaft.46 Huber begreift die „societas civilis" als Staat und Gesellschaft umgreifenden Zivilisationszustand des „politischen Volkes" im Gegensatz zum „status naturalis". Die „societas civilis" wird zum Beleg für den alteuropäischen, Staat und Gesellschaft umfassenden Gesellschaftszustand und ist zugleich die Revitalisierung eines Begriffs des Altkonservatismus als soziales Gegenmodell zum Liberalismus.47 „Konservatismus" ist seit dem Aufkommen der modernen Souveränitätsidee die Fortsetzung der Denktradition der „societas civilis".48 Mit dem Verlust der „societas civilis" hatte auch der Konservatismus seine rückwärtsgewandte soziale Sichtweise verloren. Indem Huber aber an dieses altkonservative Sozialmodell anknüpft, wird zugleich die monistische und organische Struktur der „societas" als passende Zivilisationsstufe zum Einheits- und Ganzheitsdenken in „konkreten Ordnungen" hingestellt und bewußt als Gegensystem zur dualistischen, Staat und Gesellschaft trennenden Struktur der „bürgerlichen Gesellschaft" begründet.49 Das Interesse an staatswissenschaftlichen Systemen, die das Totalitätsdenken wissenschaftssystematisch und völkisch-politisch begründen, führt Hubers umfassende Kritik an Positivismus und Liberalismus zum Staatsdenken Hegels zurück. Mit der Anknüpfung des historischen Dreiklangs an Hegels „wissenschaftlichem Totalsystem" als dem letzten Dokument der gesamten Staatswissenschaft und der geschlossenen Einheit von Gesellschaft, Volk und Staat,50 wird Hegels System nicht nur zum ersten, urzeitlichen Heilsschritt erklärt, sondern die vorliberale „societas civilis" eingedeutscht und aus den aristotelischthomistischen Traditionen herausgelöst.51

46 47 48 49

50 51

germann, Erich: Das Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft im Denken des 18. Jahrhundert, in: ZfP, Jg. 2 (1963), S. 89-101 (lOOf.). Boldt, Hans: Verfassungsgeschichte und vergleichende Regierungslehre. Zur Geschichte ihrer Beziehungen, in: Der Staat, Jg. 24 (1985), S. 432-446 (442). Die deutsche Staatswissenschaft, S. 3; s. a. Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution, S. 9ff.. Kondylis: Konservativismus, a. a. O., S. 78. Interessanterweise stellt Stefan Breuer in seiner Studien „Anatomie der Konservativen Revolution" fest, daß keiner seiner analysierten konservativ-revolutionären Autoren (Spengler, van den Bruck, Schmitt, Freyer, Jünger etc.) in den Traditionen der societas civilis denkt, stattdessen die Ablösung durch die moderne bürgerliche Gesellschaft vorausgesetzt wird (vgl. Breuer, a. a. O., S. 180ff). Huber ist ein eindrucksvolles Beispiel, daß die akademische Schülergeneration hier geschlossener und soziomorpher denkt. Vgl. zur „societas civilis" auch Breuer, Stefan: Anatomie der Konservativen Revolution, a. a. O., S. lOff., 180f.. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 7. Diesen auch fur Otto Brunners Verfassungsverständnis fundamentalen Zusammenhang stellt Hans Boldt im Vergleich zu Huber heraus: Einführung in die Verfassungsgeschichte, S. 178-182.

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Mit der Rezeption der „bürgerlichen Gesellschaft" Hegelscher Provenienz entfernt sich Hubers Ganzheitsideal von der aristotelisch-thomistischen Auffassung der „societas civilis" als einer Vielheit politischer Gemeinschaften. Bei Hegel ist bereits mit dem großen Traditionsbruch um 1800 eine Neubestimmung des Begriffs der „bürgerlichen Gesellschaft" zu verzeichnen, der mit dem alten politischen Traditionsbegriff der „societas civilis" als dem Staat und Gesellschaft noch umfassenden homogenen Herrschaftsgefiige der bürgerlichpolitischen Gesellschaft bricht. Insofern erliegt Huber selbst dem Phänomen „Trennungsdenken", das er erst mit Robert von Mohl und Lorenz von Stein staatswissenschaftlich datiert. Denn die Rezeption der „bürgerlichen Gesellschaft" über Hegel impliziert die Trennung der politischen Sphäre des „Staates" von der nun „bürgerlich" gewordenen Sphäre der „Gesellschaft". Hegel löst die politische Substanz der alten „societas civilis" in der sozialen Funktion des „Bürgers" und der „Gesellschaft" als Folge des europäischen Traditionsbruches des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts auf. Wie vorher das Haus die soziale Zelle der „societas civilis" war, so bildet bei Hegel die gewandelte soziale Gestalt der „bürgerlichen Gesellschaft" die soziale Grundlage des modernen Staates. 52 Der Staat „ist" nicht nur „Gesellschaft", sondern zugleich „bürgerliche", „politische Gesellschaft". Huber ist sich bei der tradierten Auffassung der „societas civilis" der bei Hegel verworfenen antiken Begriffsbildung zugunsten der sozialen Konstellation nicht bewußt gewesen, obwohl der eingedeutschte Begriff „bürgerliche Gesellschaft" als Bewußtseinsform vorliberalen Ganzheitsdenkens in Dienst genommen wird. Dennoch war der „societas civilis" am Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts die Differenz von Staat und Gesellschaft fremd. 53 Wenn nach der Traditionsformel die „bürgerliche Gesellschaft" als historisches Ganzes gemeint ist, so versucht Huber das „Volk" als Herkunftsgemeinschaft „politisch" als Ganzheit zu integrieren. Die bewußte Abhebung der „societas civilis" vom „status naturalis" entspricht der Vorstellungsweise eines naturrechtlichen Gesellschaftsvertrages54 und hebt sich von der ursprünglichen Bedeutung der „societas civilis" als der staatsbürgerlichen Gesellschaft, die als Gegensatz nicht den Naturzustand, sondern nichtpolitische Sozietätsformen meint, ab. 55 Die in Hubers Volkstheorie verwandte Dichotomie des „unpolitischen Volkes" als Naturzustand und des „politischen Volkes" als Synonym für historisches Bewußtsein impliziert die Trennung von Natur und Geschichte, die mit dem aristotelisch-thomistischen Verständnis der „societas civilis" als ursprünglich „politischem" Verband bricht. Die Trennung von Natur und Geschichte tritt in der Begriffsgeschichte und Rezeption der „societas civilis" erst im siebzehnten Jahrhundert ein. 56 Während die Trennung von Natur und Geschichte, etwa in der Diskussion um „Rasse" und „Volk", mit dem neuhegeliani52 Riedel, Manfred: Der Begriff der bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, in ders.: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, Frankfurt/M. 1969, S. 135-166 (143-148). 53 Riedel, Manfred: Zur Topik des klassisch-politischen und des modem-naturrechtlichen Gesellschaftsbegriffs, in ders.: Metaphysik und Metapolitik. Studien zu Aristoteles und zur politischen Sprache der neuzeitlichen Philosophie, Frankfurt/M. 1975, S. 281-304 (285f ). 54 Im naturrechtlichen Gesellschaftsvertrag war die voll ausgebildete Staatsgewalt und das Fehlen ständischer Gliederung in idealer Weise ausgebildet; vgl. Angermann, Erich: das Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft im Denken des 18. Jahrhunderts, a. a. O., S. 93. 55 Boldt, Hans: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, S. 178. 56 Riedel, Manfred: Gesellschaft, bürgerliche, a. a. O., S. 737.

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sehen Denkstandort Hubers zu erklären ist, bedeutet die unbewußte Abkehr von den Begriffstraditionen im Naturrecht des siebzehneten Jahrhunderts die Auflösung der Identität von „civitas" und „societas civilis".57 Das „natürliche Volk", mit dem „status naturalis" zu vergleichen, hat nur dann einen Sinn, wenn es in dem heilsgeschichtlichen Drei-StadienGesetz in den Übergang von der Verfalls- in die Heilsstufe verlegt wird und den Übergang vom liberalen Weimar zum völkischen Dritten Reich argumentativ zu bewältigen hat. Im übrigen wird das „natürliche Volk" in vorwissenschaftliche Bereiche verwiesen, wie auch ein naturrechtlicher Gesellschaftsvertrag nach dem Topos „bürgerliche Gsellschaft" ebenfalls nicht nachweisbar ist. Die Hegeische Formel der Identität der „bürgerlichen Gesellschaft" mit dem „Staat", die Hubers Trennung von Natur und Geschichte sowie die Verwendung des eingedeutschten Begriffs „bürgerliche Gesellschaft" verdeutlicht, entfernt sich also deutlich von der alten Begriffstradition der „societas civilis". Huber faßt die „bürgerliche Gesellschaft" nicht nur hegelianisch-idealistisch in den Denkfiguren des organischen Totalitätsdenkens auf, 58 sondern modifiziert ohne philosophische Erkenntnisleistung den historischen Sinn der „societas civilis". Ein Kunstgriff des Konservatismus ist dazu notwendig. Die sozialpolitisch polyzentrisch und ethisch-religiös bzw. ideologisch einheitliche „societas civilis" mit ihrer Unmittelbarkeit göttlichnatürlichen Rechts ist nach außen statisch. Diese Auffassung manifestiert sich in der Rechtsauffassung, daß Recht keinen Setzungscharakter hat und in der Seinsordnung verankert ist. Jeglicher Voluntarismus ist diesem Denken fremd. 59 Huber beabsichtigt, indem nach dem Drei-Stadiengesetz der Erlösungszustand des politisch geeinten Volkes im „völkischen Führerstaat" mit dem Urzustand der „societas civilis" kraft Zirkelschluß historisch anschließt, den nach der Aufassung der statischen „societas civilis" herrschenden Primat der Ruhe durch den der Bewegung zu ersetzen. Ein die heilsgeschichtliche Entwicklung begründender Aktivismus im Kosmos wäre sonst nicht möglich.

c) Die Sinnhafitigkeit der Ordnung in der Geschichte: Zyklus und Rhythmus Die über die „societas civilis" und die als „bürgerliche Gesellschaft" bei Hegel erreichte begrifflich-politische Vorstellung von Urbild, Wesensbegriff und sozialer Leitvorstellung ist für Hubers Geschichtsdenken konstitutiv. Die ideologiekritische Analyse des Regenerationsmodells und seiner Zeitauffassung geht davon aus, daß Huber mit dem Konzept der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" auch die Verfassungsgeschichte und die Staatsphilosophie einbezieht. Die philosophische Argumentation wird ebenso in den Dienst des politischen Aktivismus gestellt wie die verfassungspolitische Gestaltung. Die Hegeische Rechtsphilosophie liegt auch hier dem neuhegelianischen Gedankengut für die Geschichtsinterpretation zugrunde. Hegels Vorstellung der „bürgerlichen Gesellschaft" wird zum Angelpunkt eines Regenerationsmodells, das die geistesgeschichtlichen Etappen des 57 Ebenda. 58 Adam Müller und der preußische Staat, a. a. O., S. 165f.; Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, a. a. O., S. 19f.; Die deutsche Staatswissenschaft, S. 3, 6f.. 59 Kondylis: Konservativismus, a. a. O., S. 65ff, 77.

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Totalitätsdenkens als empirische Realität zu erfassen sucht.60 Die „Stufen der politischen Entfaltung unseres Volk", die Huber als „Verfassungsbildung" umschreibt, werden in das dreistufige Verfallsmodell integriert, die „politische Form" der Verfassung in deren Mittelpunkt gestellt: „Einheit und Dauer des Volkes umgreifen alle geschichtlichen Entwicklungsstufen, jeden Aufschwung und jeden Niedergang, die allmähliche Umbildung wie den gewaltsamen Umbruch."61 Die geschichtlich-gesellschaftliche Realität entfaltet sich in dialektischen Rhythmen von Urbild, Entzweiung und Wiedervereinigung. Huber stellt auch die Geschichte als Handlungs- und Entscheidungsspektrum in den Kosmos. Geschichte ist zugleich das metaphysische Substrat des „völkischen Nomos" als bewegender Kraft. Der „Nomos" wird in vorwissenschaftliche Bereich verlegt und ist der wissenschaftlichen Diskussion entzogen: „Der Nomos', der im Anfang war, ist nicht die auf sich selbst gestellte Tat, sondern das naturhafte und geistige Prinzip, das der Ursprung aller sinnvollen Taten und Entscheidungen ist."62 Der „objektive Geist" bringt seine Realität in der sozialen Welt hervor, zu der neben „Staat" und „Recht" auch die „Geschichte" zählt. Für Huber zählt nach Hegelschem Vorbild die soziale Wirklichkeit im umfassenden Sinnzusammenhang der Geschichte zu einem Abbild und Ausschnitt des universellen Heilsgeschehens.63 Im Kosmos der Geschichte sind Raum, Zeit und Kausalität als Schranken des endlichen Daseins eingelagert. „Verfassung" und „Verfassungsgestaltung" haben für Huber erst vor dem Hintergrund der Geschichtlichkeit ihren dialektischen, bewußtseinswirkenden und staatsschöpfenden Sinn: „Nur aus der Verbindung mit diesen geschichtlichen Grundkräften gewinnt die konkrete politische Tat verfassungsgestaltende Kraft. Erst der geschichtliche Boden, in dem sie wurzelt, und der geschichtliche Grundwert, den sie verwirklicht, gibt der politischen Entscheidung die Fähigkeit, eine staatliche Einheit und Ordnung aufzurichten."64 Deshalb sei die „Verfassung" die „Form, in der sich die geschichtliche Tat in die politische Dauer verwandelt."65 Das Wissen, das Dauer beansprucht, kann für den Konservativen nicht vom Menschen selbst stammen, es muß wie auch seine Endlichkeit in der Geschichte selbst transzendiert werden. Nur heiliges Wissen ist traditionsfähig.66 Wo immer von Vergangenheit gesprochen wird, meint Huber Herkunft, Ursprung und verpflichtende Kraft ursprünglicher göttlicher Setzung. In dem Sinne, wie sich die Tradition mit dem Gedanken des heiligen Ursprungs verbindet, bekommt Geschichte einen kreisförmigen, in sich zurücklaufenden Sinn. 67 Der Sinn zyklischen Geschichtsdenkens besteht darin, die Linearität des Wissens herzustellen und zu garantieren. Wissenskrisen, wie sie Huber in der staatswissenschaftlichen Trennung von Gesellschaft und Staat seit Robert von Mohl und Lorenz von Stein datiert, im Staatsdenken des Konstitutionalismus und den liberaldemokratischen Verfassungen als Feindbild nachzeichnet, werden durch den Gedanken der Enzyklopädie überwunden. Hu60 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 7, 12; Aufstieg und Entfaltung des deutschen Volksbewußtseins, a. a. O., S. 19f.. 61 Der Volksgedanke in der Revolution von 1848, a. a. O., S. 393. 62 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 41. 63 Topitsch, Ernst: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 31. 64 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 41. 65 Ebenda, S. 42. 66 Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 144. 67 Ebenda, S. 145.

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ber nutzt das wissenschaftstheoretische Konzept der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" dazu, die gewonnene staatswissenschaftliche Erkenntnis der existentiellen Ganzheit über den historischen Prozeß der Wirklichkeit anzupassen. Theorie will zur Wirklichkeitskonstruktion beitragen. Die Enzyklopädie ist eine ausgezeichnete Form der Geschichtlichkeit des Wissens und der Wiederherstellung ihrer Linearität. 68 Idee, Programm und Praxis der Enzyklopädie sind der sich historisch verändernde Versuch der Lösung eines alten Wissensproblems, das für die menschliche Erkenntnis und das menschliche Wissen konstitutiv ist: zum einen das umgekehrt proportionale Verhältnis zwischen objektivem Wachstum des Gattungswissens, etwa dem staatsrechtlichen Herrschafts- und Normenwissens, zum anderen der demgegenüber engeren Grenze der subjektiven personalen Aktualisierung des Wissens und der Verfügungsmacht des Wissenschaftlers über das geschichtlich Akkumulierte.69 Enzyklopädien sind Symptome schwieriger Lagen menschlicher Erkenntnis und ein Mittel der Variation und Selektion des Wissens. Sie werden zu einer institutionellen Form der Krisenbewältigung des Wissens. Jedem Konzept von Enzyplopädie liegt ein Begriff diagnostizierter Krise, ein Selbstverständnis des Zeitalters und des Geschichtsprozesses zugrunde. Sie wird somit zu einem die Komplexität der Realität reduzierenden Wissensarchiv. 70 Insofern ist das „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" ein systemischer Entwurf, der nicht nur eine ganzheitliche und widerspruchsfreie Interpretation des Dritten Reiches als Verfassung gibt, sondern auch wissenssoziologisch die Antwort auf die juristischen Gewißheitsverluste der frühen dreißiger Jahre ist. Das soziomorphe Regenerationsmodell von Urbild, Verfall und Erlösung, auf das noch einzugehen ist, fügt Hubers Krisenbild und Verfassungsdenken in die Geschichte ein. Die enzyklopädische Idee und die Wissenskrisen des Positivismus bündeln sich in Hubers Wissenschaftsprogramm mit der Absicht, die innerweltliche Autorität der Geschichte und damit die Zyklizität des Heilsschemas wiederherzustellen. Beides ging in den Wissenskrisen des neunzehnten Jahrhunderts verloren. 71 Huber setzt deshalb mit dem Hegeischen System bei dem letzten Vertreter heilsgeschichtlichen Bewußtseins an. 72 Dieser Prozeß der Projektion oder Introjektion soziomorpher Modelle und ihr Rückbezug auf das menschliche Gemeinschaftsleben vollzieht sich meist im Rahmen einer Weltdeutung, die man als die Konzeption eines „sozio-kosmischen Universums" bezeichnen kann: Natur und Gesellschaft bilden ein umfassendes soziales Gefüge, das durch ein universales Netz geordnet wird. 73 Die geschichtlich-teleologische Komponente läßt die Ordnung des „Vernunftstaates" als eine objektiv vorgegebene Norm- und Wesensgestalt erscheinen, die sich im Laufe der Selbstverwirklichung des Geistes gewissermaßen entelechial entwickelt. Die Fragwürdigkeit dieser ganzheitlichen Sozialtheorie ist mit der immanent-kausalen Logik gestellt. Der Weltprozeß wird in seiner Gesamtheit als dialektische Selbstverwirklichung und zugleich Selbstbewußtwerdung des Geistes gedacht, umfaßt also 68 69 70 71

Sandkühler, Hans Jörg: Die Wirklichkeit des Wissens, a. a. O., S. 383. Ebenda, S. 382. Ebenda, S. 383. Vgl. auch Plessner, Helmuth: Die verspätete Nation, in ders.: Gesammelte Schriften VI, hrsg. von Günter Dux, Odo Marquard und Elisabeth Ströker, Frankfurt/M. 1982, S. 7-223 (114); Sandkühler, a. a. O., S. 383. 72 Zum Verfall heilsgeschichtlichen Denkens: Plessner, a. a. O., S. 121ff. 73 Topitsch, Emst: Die Sozialphilosophie Hegels als Heils- und Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 14; s. a. ders.: Erkenntnis und Illusion, a. a. O., S. 104ff, 126ff.

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gleichermaßen die Realität wie die Logik. Bei Huber übernimmt das „Volk" als ganzheitliche Kategorie die Funktion der Bewußtwerdung und Selbstverwirklichung. Demnach tragen alle Verhältnisse und Vorgänge in Natur und Geschichte einen dialektischen Charakter. 74 Die Konzeption der „gesamten Staatswissenschaft" als Einheitswissenschaft, die „Verfassung" von 1937, aber auch die Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat" von 1938, sind der mühevolle und umfassende wissenschaftliche Versuch, das Wissen um Verfassung in seinen sozialen und institutionellen Teilbereichen zu bündeln und als System nach außen abzuschirmen. Systemisches Denken ist der vormoderne Versuch, in die komplexe Welt, die von sich aus zunächst keinen Zusammenhang aufzuweisen scheint, ein „System" zu bringen. Der Zusammenhang von sozialer und physikalischer Welt kann erst durch methodisches und systematisches Denken erbracht werden.75 Das „Verfassungsrecht" und „Heer und Staat" resultieren aus diesem Denken und bereits Reinhard Höhn nannte Hubers Verfassung ein „System" zur nationalsozialistischen Verfassung.76 Unter wissenschaftsgenetischen wie biographischen Gesichtspunkten muß Hubers intellektueller Läuterungsweg vom Methodenstreit der Weimarer Staatsrechtswissenschaft über die Machtergreifung in die Herrschaftsebenen des Nationalsozialismus als der Versuch gewertet werden, das vorfindbare, zweifellos ideologisch verplante verfassungspolitische Wissen in ein System zu integrieren, das die „Passung" zwischen Erkenntnis und Wirklichkeit unter dem Leitmotiv der „Gleichförmigkeit" als Verfassungsformprinzip integriert. Es hat die Ordnung des Wissens zum Ziel. Die „konkret-geschichtliche Verfassungsbetrachtung", die „nach dem verborgenen inneren Gesetz" strebe, „das die lebendige Wirklichkeit bewegt",77 lasse sich leichter in systematischer Betrachtung bewältigen. Das Aufdecken der theoretischen und außertheoretischen Motive des Huberschen Geschichte- und Verfassungsdenkens impliziert die ideologiekritische Tragweite des Weltbildes und der Selbstinterpretation philosophisch-politischen Denkens aus dem Standort des Neuhegelianismus. Mit der existentialistisch-irrationalen Begründung des Huberschen Heilsdenkens verschiebt sich das Geschichts- und Weltbild in die Ebene des nicht falsifizierbaren ethisch-politischen und ästhetisch-kontemplativen Denkens, das Ernst Topitsch mit dem Begriff der „Leerformel" ideologiekritisch charakterisiert hat. 78 Die Leerheit resultiert aus dem Umstand, daß die Deutung des Universums mit Hilfe sozialer Modellvorstellungen und mit dem Rückbezug des dergestalt „politisierten" Kosmos auf das gesellschaftliche Verhalten des Menschen als Zirkelschluß dargestellt wird. Leerformeln werden als sprachliche Formulierungen im Rahmen dieser geschichtsteleologischen und sozialphilosophischen Denkmodelle als fundamentale Prinzipien des Seins und Erkennens anerkannt. 79 Der ideologische Gehalt dieser Leerformeln, die Topitsch vor allem in Hegels

74 Topitsch, Emst: Über Leerformeln, in: Probleme der Wissenschaftstheorie, FS für Victor Kraft, hrsg. von Emst Topitsch, Wien 1960, S. 223-264 (248). 75 Grebenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus, a. a. O., S. 75. 76 Vgl. Volk und Verfassug, a. a. O., S. 193f.. In der wehrverfassungsgeschichtlichen Forschung spricht Huber selbst von „Verfassungssystem"; vgl. Heer und Staat, a. a. O., S. 18. 77 Heer und Staat, S. 18. 78 In diesem Sinne hat auch der Kritische Rationalismus seinen Beitrag zur Wissenssoziologie geleistet, vgl.: Topitsch, Emst: Über Leerformeln, a. a. O., S. 236f.. 79 Ebenda, S. 242; vgl. auch Lieber, Hans-Joachim: Ideologie, a. a. O., S. 165f..

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Sozialphilosophie nachgewiesen hat, treffen für Hubers Geschichtsteleogie als eines soziomorphen Modells der Geschichts- und Weltinterpretation ebenfalls zu. Die diesem Denken zugunde liegenden konservativen Immunisierungsstrategien, die „lebendige Wirklichkeit" dialektisch erfassen, bedürfen der ideologiekritischen Analyse. Der historisch-genetische Hintergrund, die außersozialen Grundmotive und die Leitvorstellungen des Heilsdenkens werden in Hubers Geschichtsdenken zu einer an Hegel orientierten sozio-kosmischen Sozialphilosophie verbunden, deren ideologische Funktion im folgenden verdeutlicht werden muß. Die Suche nach historischer Gleichgerichtetheit 80 als Ausdruck ganzheitlichen Wissens, führt, übertragen auf Gesellschaft und Geschichte, zu einem soziomorphen Denkmodell, in dem das Vollkommenheitspostulat der Ganzheit eine Idealisierung des Sozialen bewirkt. Wird z.B. in „Heer und Staat" die „Einheit der Verfassung" durch das Prinzip der „Gleichgerichtetheit" als der Übereinstimmung von „Heer", „Volk", „Staat" und den übrigen Verfassungseinrichtungen postuliert, so umscheibt Huber diese politische Homogenität als die Durchdringung aller Verfassungselemente mit der gleichen „politischen Idee": 81 „Die Wechselwirkung von Wehrordnung und politischer Gesamtverfassung, die aus der immanenten Tendenz zur inneren Übereinstimung hervorgeht, wird durch einen Blick über die Wandlungen der Wehrverfassung in der deutschen Geschichte bestätigt." 82 Der in Hubers verfassungshistorischen Schriften im Nationalsozialismus dokumentierte dialektische Rhythmus „bürgerlicher Gesellschaft" - „Gesellschaft gegen Staat" - „völkischer Führerstaat" ist in axiologischer Hinsicht ein soziomorphes Modell der Welterklärung. Das Universum wird als eine feste, umfassende, wert- und sinnhafte Ordnung aufgefaßt, in welchem dem Menschen eine bestimme Funktion zugewiesen wird, ähnlich wie Hegel die gesamte Geschichte der Philosophie als Entwicklungsprozeß ansah, der teleologisch auf den krönenden Abschluß des absoluten Systems hinstrebte. 83 Die menschliche Sozietät ist ein Ausschnitt aus dem sozio-kosmischen Universum und ihre Ordnung ist ein Teil der Herrschaftsordnung, die als Kosmos verstanden wird. Der dialektische Rhythmus ist in axiologischer Hinsicht ebenso frei manipulierbar wie in theoretischer. Man kann jeden beliebigen Sachverhalt, den man negativ bewertet, in der Phase der Entzweiung oder Entfremdung, jeden positiv bewerteten in diejenige der Wiedervereinigung einordnen. Die Leerformeln lassen aufgrund ihrer inhaltlichen Unbestimmtheit zu, den dialektischen Rhythmus zu manipulieren. Es entscheidet daher nicht die „dialektische Methode", sondern die jeweils schon vorausgesetzte Wertung darüber, welche Gegebenheit in welche Phase des Rhythmus eingelegt wird, eine zweckrationale Methode, die auch bei der „Einlegung" von Rechtsbegriffen eine entscheidende Rolle gespielt hat. 84 In „ H e e r und Staat" wird das besonders deutlich. Hier wird nicht wie in den staatswissenschaftlichen Aufsätzen der Rhythmus „bürgerliche Gesellschaft" - „Gesellschaft gegen Staat" - „völkischer Führerstaat" verwendet, wobei die letzte (Heils-)Stufe dialektisch an

80 Die Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat" steht besonders in dieser heilsgeschichtlichen Perspektive. 81 Heer und Staat, S. 17. 82 Ebenda, S. 18. 83 Topitsch, Ernst: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 27. 84 Ebenda, S. 64. Zur „Einlegung" von Rechtsbegriffen vgl. unten Kap. 5.2d.

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die erste anschließt und das historische Heil kraft Zyklizität erreicht wird, sondern der wehrverfassungshistorische Prozeß des Verhältnisses von „Heer" und „Volk" wird linear und regenerativ dargestellt, ohne historisch-teleologisch zur Heilsstufe des Volksheeres im Nationalsozialismus zu gelangen. Für diesen letzten Schritt fehlt die Anknüpfung an die nationalsozialistische Wehrverfassung, denn „ H e e r u n d Staat" endet chronologisch mit dem Ende des Ersten Weltkrieges.85 Die Brüche nationalen Selbstbewußtseins in der deutschen Geschichte sind in das Regenerationsmodell einkalkuliert. Als heilsgeschichtliches Urbild bestimmt Huber die Einheit von „Volk" und „Wehrgemeinschaft" im germanischen Volksheer: „Das Heer umfaßt das ganze wehrfähige Volk; das Volk wurde erst durch das Heer zur bewußten, handlungsfähigen Einheit." 86 Der Dreiklang von „Fürst", „Thing" und „Heer" sei Voraussetzung der frühgermanischen Verfassung, in welcher der Staat ein „Volksstaat", die Verfassung eine „Volksverfassung" gewesen sei. Das Urbild des germanischen Volksheeres hat einen substantiellen Wert für die historische Legitimation der völkischen Ideologie.87 Bereits die fränkische Königsverfassung periodisiert Huber als nach volksfremden Herrschafitsprinzipien aufgebaute Verfassung und fuhrt über das Ritterheer des Mittelalters, in dem der „Volksstaat" durch den Feudalstaat verdrängt wurde. Aber auch der Feudalismus, der als „Verfassungssystem"88 mit dem Primat der Wehrverfassung gegenüber der politischen Gesamtordnung umschrieben wird, habe es auf der Grundlage der öffentlichen Treue und Dienstpflicht zu einer „echten" Verfassung gebracht: „Daß das mittelalterliche Reich eine echte Verfassung besaß und ein wirklicher Staat' war, zeigt sich eben daran, daß die kriegerische Ordnung seine Wesensgrundlage blieb."89 Trotz des Nebeneinanders der Reste des alten Volksheeres, des Ritterheeres und des Söldnerheeres in der Heerschildordnung Barbarossas resümiert Huber: „Das Reich erhielt dadurch eine festgefügte, in ihrer Weltanschauung, ihren sittlichen Grundsätzen, ihrer Lebenshaltung einheitliche Oberschicht, deren Glieder die Träger der kriegerischen und politischen Amter wurden. Da Staat und Verfassung sich in der Bildung einer politischen Elite vollenden, war das mittelalterliche Reich ein vollkommener Verfassungsstaat'".90 Der geschichtliche Abstieg in die „Negation" wird mit dem Zerfall der mittelalterlichen Reichseinheit und der Auflösung der Begründung der Staatseinheit durch die Einheit der Wehrverfassung eingeleitet. Das Söldnerheer in der Zeit der Reichsauflösung sei ein „Heer ohne Staat", der Mangel der staatlichen Bindung des Heeres ein Ausdruck der „Straflosigkeit" 91 Den Bemühungen des sechzehnten Jahrhunderts um die Reichskriegsverfassung bis zum Westfälischen Frieden war deshalb kein Erfolg beschieden. Die Etappe bis zum Dreißigjährigen Krieg, in dem „ H e e r e s o r d n u n g u n ( j politische Ordnung nicht im notwendigen Einklang miteinander" standen, bewertet Huber in der Dialektik von Verfas85 Nur in dem resümierenden Aufsatz „Die staatsbildende Kraft des Heeres" wird der heilsgeschichtliche Dreitakt vom germanischen Volksheer bis zur nationalsozialistischen Wehrverfassung konstruiert; vgl. Zeitschrift für Deutsche Geisteswissenschaft, 3. Jg. (1940/41), S. 1-10. 86 Heer und Staat, S. 21. 87 Broszat, Martin: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit, Stuttgart 1960, S. 2Iff.. 88 Huber: Heer und Staat, S. 41. 89 Ebenda, S. 49. 90 Ebenda, S. 58. 91 Ebenda, S. 72.

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sungsvernichtung und Verfassungsgestaltung ohne langfristige Einheit von „Militär" und „Staat".92 Bis zum aufkommenden stehenden Heer im Absolutismus wird das Heer als eigenständige, vom politischen Gesamtgeschehen getrenntes, „unpolitisches" Machtinstrument beurteilt. Wie in den Aufsätzen zur nationaldeutschen Verfassungsgeschichte stellt Huber den Reichsgedanken und seine Wiedergewinnung zur Gleichgerichtetheit der Verfassung in den Dienst der historischen Zeitachse. Auch die folgenden historischen Entwicklungsstufen bleiben der dialektischen Negation verhaftet: der brandenburgischpreußische Soldatenstaat Friedrichs des Großen, sein Gegensatz von Offizierskorps und Mannschaft, auch wenn aus dem Heer das absolute Königtum und der moderne Staat entstand.93 Das Prinzip der „Gleichgerichtetheit" der Verfassung, der „Selbständigkeit der Nation" in der politischen Form als „völkische Wehrgemeinschaft",94 wurde auch nicht in den Scharnhorst-Boyenschen Reformen mit dem Gedanken des „Volksheeres" Wirklichkeit. Der deutsche Volksgedanke, durch Moser, Herder, Fichte, Arndt, Kleist wie auch Stein und Scharnhorst verkörpert, sei mit dem seit der Französischen Revolution entstandenen Heer eines bürgerlich-liberalen Staates unvereinbar gewesen.95 Das Ideal der ScharnhorstBoyenschen Reformen, die „Nation" als Träger des „Heeres" und die Einheit von „Volksheer" und „Verfassung", sei nicht erreicht worden. Das Ergebnis der politischen Verfassungsbewegung der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts sei die Trennung von Wehrordnung und Verfassung gewesen. Die „völkische Wehrverfassung" sei nicht durch eine „völkische Staatsverfassung" ergänzt worden.96 Huber führt diese Entwicklung auf die „Verbürgerlichung des Heeres" seit den Unruhen des Vormärz zurück. Der axiologische Rhythmus der Negation wird in der 1848er Revolution durch die verfassungsgestaltende Kraft des Heeres aufgebrochen, auch wenn Huber die Verfehlung des „Volksstaates" in der Schwankung von Reaktion und Liberalismus bilanziert: das Scheitern der nationalen Verfassungsbewegung, ein „nationales Reich der Deutschen" in einer Reichskriegsverfassung zu schaffen.97 Die negative Durchgangsstufe der preußischen Verfassung von 1850 bis zum Zweiten Reich macht Huber an dem Verfassungsbild des „konstitutionellen Systems"98 in dem Antagonismus von Königsherrschaft und Parlamentsheer fest, der in den preußischen Verfassungskonflikt 1862-1866 mündet: „Die Parlamentarisierung des Heeres und der Regierung, die Unterwerfung des Königtums unter die Volksvertretung wurde jetzt aus einer ideologischen Doktrin zum Inhalt einer auf unmittelbare Verwirklichung gerichtete politische Aktion."99 Das Ergebnis sei die vollständige Scheidung von militärischer Ordnung und parlamentarischen Institutionen gewesen, mit dem Verfassungskonflikt und seinem „revolutionären Etatismus" sei das Ziel Bismarcks, die „nationale Einigung des deutschen Volkes" zur „Erneuerung des Reiches" gescheitert.100 92 93 94 95 96 97 98 99 100

Ebenda, S. 77. Ebenda, S. 102. Ebenda, S. 101. Ebenda, S. 130. Ebenda, S. 165f.. Ebenda, S. 182ff. Ebenda, S. 190ff. Ebenda, S. 211. Ebenda, S. 244.

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Die Wehrverfassung des Zweiten Reiches wird im Spannungsfeld von „Föderalismus" und „Parlamentarismus" und der Frage nach der Souveränität über die Wehrverfassung bewertet: „Souverän ist, wer über die Wehrmacht gebietet."101 Huber kommt zu dem Ergebnis, daß sich der Gegensatz von Wehrordnung und bürgerlicher Verfassung im Totalitätsanspruch beider Verfassungselemente erschöpfte, die auch in der Kriegsverfassung des Ersten Weltkrieges fortwirkte: „So wurde die Friedensverfassung, weil sie der Belastung des Krieges nicht gewachsen war, in wesentlichen Stücken suspendiert und eine Ausnahmeordnung als Kriegsverfassung in Kraft gesetzt."102 Bestand die Stärke der Kriegsverfassung in den vorkonstitutionellen Elementen des monarchischen Staates, so hat der Zusammenbruch der Kriegsverfassung im wesentlichen seine Ursache in dem Gegeneinander von „parlamentarisch-parteienstaatlichem Geltungswillen" und „staatsrechtlich-politischem Besitzstand".103 Die Zeitachse endet mit dem Versagen der verfassungsgestaltenden Kraft der Wehrordnung und dem Frieden von Versailles 1918: „Mit dem Zusammenbruch der Wehrverfassung ging dem Volk jede Einheit und Ordnung verloren; es geriet außer Verfassung und versank im Chaos, im Umsturz und im Bürgerkrieg."104 Der axiologische Rhythmus der Negation zeigt sich somit bis zum Ende von „ H e e r u n d Staat", der „vollkommene Verfassungsstaat" bleibt auf das Mittelalter als dem heilsgeschichtlichen Urbild beschränkt. Die dialektische Stufe der Negation wird auf „strukturelle Veränderungen" im Verfassungssystem zurückgeführt, die „Wellenbewegungen an der Oberfläche" als wesensmäßig zu einem politischen Sytem gehörend und auch die „konjunkturellen Schwankungen" im „Verfassungssystem" davon deutlich unterschieden.105 Die dialektische Durchgangsstufe der Negation, die sich in der Zeitachse über fast Zweidrittel der Wehrverfassungsgeschichte „ H e e r u n d Staat" erstreckt, wird zur Kennzeichnung der Verschiedenartigkeit der Verfassungskonflikte - von politischen Eliten, Führung, Gefolgschaft, Heer und Staat, Wehrorganisation und verfassungsrechtlichen Kompetenzstreitigkeiten - benutzt. Dabei ist diese Form dialektischen historischen Denkens keineswegs „nichtargumentatives Denken", 106 denn Huber beurteilt gleichfalls die 101 Ebenda, S. 245. Dieser Satz ist nur eine Abwandlung von Carl Schmitts Hobbes-Zitation in der „Politischen Theologie": „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet". Huber wendet sich der staatsrechtlichen Analyse der Bismarckschen Wehrverfassung und dem aus dem preußischen Verfassungskonflikt sich ergebenden „Lücken der Verfassung" zu; vgl. insbesondere: Heer und Staat, S. 255ff. Das Ziel ist das Verfassungsbild anhand der Stilanalyse der Verfassungspolitik des Bismarckschen Konstitutionalismus als Ausdruck des Antagonismus von monarchischer Gewalt und Parlament, insbesondere in dem Kapitel über die kaiserliche Kommandogewalt; vgl. Heer und Staat, S. 261, 292ff. 102 Ebenda, S. 378. 103 Ebenda, S. 378. 104 Ebenda, S. 442. 105 Zum Bild der Verfassungsbewegung vgl.: Heer und Staat, S. 435. 106 Diese von Topitsch ins Feld geführte Immunisierungsstrategie dialektischen Denkens trifft ansonsten auch auf Hubers Verfassungsdenken zu, um damit eine höhere Erkenntnis bieten zu können als das bloße Verstandesdenken, denn damit soll nur jene vermeintliche Einheit von Erklärung und werthafter Deutung des Kosmos, der Geschichte und des Menschen, die iür die vorwissenschafliche Weltauffassung charakteristisch ist, vor dem Zugriff entzaubernder Wissenschaft gerettet werden und vor der rationalen Widerlegung retten; vgl. Topitsch: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 66f.

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realen Konflikte und Schwierigkeiten der verschiedenen Verfassungslagen. Die Erlösungsstufe, die „Synthese" oder „Negation der Negation", die als Abstraktion die „völkische Wehrgemeinschaft" in der Einheit von Wehrverfassung und Staatsverfassung postuliert, bleibt als Formutopie erhalten, wird aber nicht in die Regenerationsskizze von „Heer und Staat" integriert.107 Dennoch bleibt die Identifikationsfunktion der Dialektik erhalten, um die Verfassungsbewegung als Verfassungskampf und als Abfolge von Entwicklungsstadien innerhalb dieses soziomorphen Geschichtsmodells jenseits jeglicher realwissenschaftlicher Widerlegung aufrechtzuerhalten. Die Dialektik von „Verfassungsgestaltung" und „Verfassungsvernichtung" ist die immanente Metaphysik allen Wandels und aller Entwicklung in „ H e e r Und Staat". Das unaufhebare Mißverhältnis zwischen objektiver Geltung und subjektivem Wollen verarbeitet Huber mit der Geschichtszyklik enzyklopädisch und widerspruchsfrei. Insofern entspricht die Tragik der nationalen Identitätskrisen des deutschen Volkes in den verfassungshistorischen Konjukturen der konservativen Natur, weil sich Natur und Geschichte, göttliches Recht und Institutionen als das letztlich stabile überdauernde Kraft erweisen. 108 Ähnlich der Leerformel „Entfremdung",109 die volkstheoretisch die Durchgangstufe der Negation argumentativ zu bestreiten hat, nimmt in „Heer und Staat" das Ethos des Dienstes, der Treue und Gefolgschaft110 wissenssoziologisch als „Tugend" dem historischsozialen Geschehen den Realitätsdruck und immunisiert den historischen Stoff kraft idealisierten Weltdenkens. Mit der in der Geschichtsauffassung immer wieder deutlichen Tragik der Weltauffassung korrespondiert die ursprünglich dem konservativ-revolutionären Gedankengut entspringende Theorie des Opfers 111 , die den Menschen anthropologisch in der Logik von ,flachen" und „Wachsenlassen" in den Dienst der Institutionen stellt. Die konservative Theorie des Opfers bewirkt quasi über den Tugendbegriffe bei Huber eine politische Verhaltenssteuerung, die den Realitätsdruck im historischen Kosmos zu reduzieren sucht.112 Erst dadurch wird dem historischen Heilsgeschehen jene Vollkommenheit und wertirrationale Lebenswirklichkeit gegeben, welche die logischen Voraussetzungen zu argumentativen Immunisierungsstrategien erst schafft.

107 Zu diese Funktionen der „Negation" und der Erlösung in der „Negation der Negation" in der Logik des Ganzheitsdenkens vgl. Topitsch: Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 59; ders.: Über Leerformeln, a. a. O., S. 247. 108 Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus, a. a. O., S. 235. 109 Topitsch: Über Leerformeln, a. a. O., S. 248. 110 Vgl. insbesondere: Heer und Staat, S. 17, 47, 53, 57; ebenso: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, a. a. O., S. 169-171, 189, 437, 447. Die Begriffe „Treue", „Gehorsam" und „Gefolgschaft" sind die autoritative Steigerung des bereits 1932 im Zusammenhang der plebiszitären Komponente des Art. 48 hervorgehobenen Gedankens der Akklamation des Volkes zur Schaffimg eines homogenen Verfassungszustandes; s. a. Huber: Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, a. a. O., S. 205f. 111 Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus, a. a. O., S. 194ff.. Die Idee des Opfers reicht von Adam Müller über Ernst Jünger bis zu Carl Schmitts Begriff des Politischen; vgl. Greiffenhagen, a. a. O., S. 195. 112 Topitsch: Über Leerformeln, a. a. O., S. 242; ders.: Die Sozialphilosophie Hegels, a. a. O., S. 64, 117f..

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2. Zum Denkstil völkischen Rechts: das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" Der wissenssoziologische Erkenntniswert des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" ist der Schlüssel für Hubers juristisches Selbstbild und die Synthesefahigkeit seines staatswissenschaftlichen Programms während der nationalsozialistischen Schaffensperiode. Aus der Logik und Integrationskraft dieser politisierten juristischen Methode resultiert die wissenschaftstheoretische Prämisse der „politischen Wirklichkeitswissenschaft", die trinomische Ordnungsreihe „Volk, Bewegung, Staat", aber auch die Einheit von Recht und Ordnung. Der bereits in der Weimarer Staatskrise während des Methoden- und Richtungsstreits in der Staatsrechtswissenschaft hervortretende Machtfaktor des juristischen Methodendenkens 1 verdichtet sich nach 1933 zu einer Weltanschauung, die von Huber zum Methodenparadigma nationalsozialistischer Jurisprudenz schlechthin postuliert wurde. In Hubers Schrifttum während der nationalsozialistischen Zeit nimmt die Logik und Denkstruktur des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" eine strategische Funktion für die weltanschauliche Zielsetzung der Festigung und Durchdringung des „völkischen Führerstaates" ein. Huber hat zur theoretischen Fortentwicklung des juristischen Neuhegelianismus selbst keine Beiträge geleistet, hingegen widmen sich seine Arbeiten der Systematik und weltanschaulichen Durchdringung des nationalsozialistischen Rechts in der Anwendung neuhegelianischen Gedankenguts auf Bereiche der Rechtsdogmatik, insbesondere bei der Überwindung des Gegensatzes von öffentlichem und privatem Recht. 2 Das „konkrete Ordnungsdenken" beabsichtigt in einer „eigenartigen „Zwischenstellung zwischen einer nur' rechtsmethodischen und einer auch' rechtsphilosophischen Theorieaussage" 3 die rechtsphilosophischen Grundlagen der „Volksgemeinschaft", „Führer" und „Staat" umspannenden Weltanschauungselemente des Nationalsozialismus zu integrieren und ist die rechtsmethodische Ausführung der nationalsozialistischen Integrationsideologien. Der Anspruch des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" geht bei Huber wie insgesamt der Kieler Richtung der Jurisprudenz über die Rechtsquellen- und Rechtsanwendungsfunktion hinaus. Die Verwertung und Inanspruchnahme totalitärer Zwecke übersteigt zudem die rechtserneuernde Bedeutung. 4 Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" wurde 1933 von Carl Schmitt als Variante „institutionellen Rechtsdenkens" 5 postu-

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Vgl. oben Kap. 3 .1. Döhring, Erich: Geschichte der Christian-Albrechts-Universität Kiel 1665-1965, Bd. 3, Teil 1: Geschichte der juristischen Fakultät 1665-1965, a. a. O., S. 21 lf.; vgl. zum „konkreten Ordnungsdenken" S. 213f.. Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Ordnungsdenken, konkretes, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter u. a., Bd. 6, Basel 1984, Sp. 1312-1315 (1312). Ebenda, Sp. 1313; s. a. Rüthers, Bernd: Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, a. a. O , S. 301f.. Schmitt, Carl: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, a. a. O., S. 58. Schmitts Rekurrieren auf die von Maurice Hauriou zwischen 1896 und 1926 entwickelte Institutionenlehre soll dem Umstand Rechnung tragen, den Staat als „Institution der Institutionen" bei der Überwindung von Normativismus und Dezisionismus wieder in Beziehung zum Ordnungsdenken zu bringen, vgl. a. a. O. S. 57; zur Kritik am institutionellen Rechtsdenken s. a. Mengel, HansJoachim: Institutionelles Denken im öffentlichen Recht, in: Göhler, Gerhard/Lenk,

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liert und dem antithetischen, primär normativistischen Gesetzesdenken des neunzehnten Jahrhunderts sowie der Juristischen Methode" des Weimarer Rechtspositivismus entgegengesetzt. Es war ein aus dem Weimarer Richtungsstreit der Staatsrechtslehre hevorgegangenes Methodenpostulat, das Huber mit der Überwindung des „Trennungsdenkens" zum Leitmotiv der Staatswissenschaft lancierte.6 Als eine an Zeit und Begriffe gebundene neue „Art rechtswissenschaftlichen Denkens" glaubte ihr Protagonist Carl Schmitt,7 den rechtspolitisch und verfassungstechnisch problematischen Übergang 1933 „methodisch" damit bewältigen zu können. Nur durch die Umdeutung der Rechtsbegriffe meinten die Nationalsozialisten, ihre Verlegenheit überwinden zu können, mit der veränderten Legitimationsbasis politischer Herrschaft auch die gesamte Rechts- und Staatsordnung und die damit verbundene rechtspolitische Dogmatik der Staatsrechtswissenschaft austauschen zu können.8 Ernst Rudolf Hubers Studien zur Rechtserneuerung9 sind ein Beispiel für den ausgeprägten Methodenmonismus der Kieler Richtung: „Das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken, das Carl Schmitt als die neue Art der rechtswissenschaftlicher Arbeit bezeichnet hat, wird zugleich die Methode der staatswissenschaftlichen Betrachtung sein."10 Daher bedarf der neue, die juristische Begriffs- wie Rechtsfindungs- und Rechtsquellenlehre gleichermaßen abdeckende Funktionshorizont des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" in seiner konstruierten rechtsphilosophischen Logik und Struktur der eingehenden wissenssoziologischen Analyse.

a) „Konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken" als Juristenphilosophie Die rechtsphilosophische Durchdringung und methodische Aufarbeitung des Ordnungsdenkens durch die neuhegelianischen, der Schule Julius Binders verpflichteten Kieler Rechtsphilosophen Karl Larenz und Martin Busse,11 läßt trotz der Feststellung in der

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Kurt/Schmalz-Bruns, Rainer (Hrsg.): Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, Baden-Baden 1990, S. 403-422 (403-410). Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 54ff.; s. a. Anderbrügge, Klaus: Völkisches Rechtsdenken, Berlin 1978, S. 106f.; es ging vor allem darum, die liberalen HegelExegeten Hermann Heller, Friedrich Meinecke und Franz Rosenzweig zu widerlegen. Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaflichen Denkens, a. a. O., S. 57ff; ebenso: Nationalsozialistisches Rechtsdenken, a. a. O , S. 223. Grimm, Dieter: Methode als Machtfaktor, a. a. O., S. 371f.. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, a. a. O., S. 47, 69; vgl. die HegelRezeption der Rechtsphilosophie von Karl Larenz vor allem in: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 4, 30ff.; ebenso die Rez.: „Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, Berlin 1931", a. a. O., S. 141; s. a. Larenz: Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, Berlin 1938, S. 27-^43; vgl. auch Rottleuthner, Hubert: Die Substanzialisierung des Formalrechts. Zur Rolle des Neuhegelianismus in der Jurisprudenz, in: Negt, Oskar (Hrsg.): Aktualität und Folgen der Rechtsphilosophie Hegels, Frankfurt/M. 1970, S. 211-269 (228). Die deutsche Staatswissenschaft, S. 64f.. Vgl. Binder, Julius/Busse, Martin/Larenz, Karl: Einführung in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 1931.

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Das Dritte Reich: die wissenssoziologische

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Forschung, daß die neuhegelianische Rechtsphilosophie nicht zur „herrschenden" rechtsphilosophischen Doktrin im Nationalsozialismus 12 geworden sei, auf die Grundlagenreflexion und Neuinterpretation zentraler Fragen des öffentlichen und privaten Rechts schließen. Dabei ist eine Abgrenzung von Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik nicht möglich. 13 Die rechtsphilosophische Durchdringung rechtsdogmatischer Fragen legt die Vermutung einer Juristenphilosophie nahe, die kompensatorische Legitimationsfunktion hat. Das Schrifttum der Kieler Neuhegelianer Larenz und Huber dokumentiert eindrucksvoll das Reprisenhafte und Rezeptive dieser Juristenphilosophie, das vor allem dem Legitimationsbedarf der gleichgeschalteten Jurisprudenz diente, die nicht mehr durch Dogmatik, methodologische Erörterungen und Rechtslehren gedeckt werden konnte. 14 Die Methode wirkt dabei begriffs- und dogmenstiftend. So ist die Rezeption der rechtsphilosophischen Schriften von Karl Larenz für die denksoziologische Rekonstruktion hilfreich. Das „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" tritt mit dem Anspruch auf, die aus dem Sinnzusammenhang der Lebensverhältnisse erfaßte innere Rationalität des Seins in einer völkischen Ordnung zu entfalten. Rechtsidee und Wirklichkeit werden zusammengedacht und auf den Ursprung des Seins, den „Volksgeist" und seine Sittlichkeit, zurückgeführt. Damit sind die Denkfiguren des „konkreten Ordnungsdenkens" noch keineswegs erschöpft. Erst die bausteinhafte Zusammenführung von „objektivem Idealismus", „konkret-allgemeinem Begriff" und „Gestaltbegriff" synthetisiert die juristische Philosophie des Ordnungsdenkens. Die Kieler „Juristenfakultät" war am besten auf die neuen staatlichen Verhältnisse ausgerichtet, übernahm dieses von Carl Schmitt konzipierte „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" und differenzierte es weiter aus. 15 So suchten die Kieler Rechtsphilosophen 12 Der Neuhegelianismus war nicht die herrschende Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus. Die Hegel-feindliche Grundhaltung in der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie wird vor allem bei Otto Koellreutter und Ernst Krieck deutlich. Zur Situation der Rechtsphilosophie vgl. Dreier, Ralf: Julius Binder (1870-1939). Ein Rechtsphilosoph zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in ders.: Recht - Staat - Vernunft, Studien zur Rechtstheorie 2, Frankfurt/M. 1991, S. 142-167 (160ff.); s. a. Anderbrügge, Völkisches Rechtsdenken, a. a. O., S. 203ff.. Die nationalsozialistische Parteiführung duldete anfangs die auf Hegel bezugnehmenden Arbeiten zur Rechtserneuerung. Die Kieler Hegelianer fielen später in Ungnade, weil ihre Grundgedanken wenig mit der Auffassung der NS-Stellen in Einklang standen: vgl. Döhring, a. a. O., S. 124, Anm. 118. 13 Rottleuthner, Hubert: Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie im Nationalsozialismus, in: Dreier, Ralf/Sellert, Wolfgang (Hrsg.): Recht und Justiz im „Dritten Reich", Frankfurt/M. 1989, S. 295-322 (298f). Die Kieler Juristenfakultät bestritt einen großen Teil dieser Grundlagenreflexion im nationalsozialistischen Recht. Der Kieler Tagungsband gibt darüber Aufschlüsse: Larenz, Karl (Hrsg.): Grundfragen der neuen Rechtswissenschaft, Berlin 1935. 14 Vgl. die Kriterien der Juristenphilosophie bei Rottleuthner: Juristen als Ideologieproduzenten: Die Substanzialisierung des Formalrechts. Zur Rolle des Neuhegelianismus in der deutschen Jurisprudenz, in ders.: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Frankfurt/M. 1973, S. 209f.. 15 Vom neuhegelianischen Standpunkt aus stimmt Larenz der Schrift Carl Schmitts zu; vgl. Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S. 165ff.; s. a. Wagner, Heinz: Kontinuitäten in der juristischen Methodenlehre am Beispiel Karl Larenz, in: Demokratie und Recht, Bd. 8 (1980), S. 243-261 (250f). Zur Ausdifferenzierung des Ordnungsdenkens als Programm vgl. die Rezension von Georg Dahm: „Carl Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens", Hamburg 1933", in: ZgS, Bd. 95 (1935), S. 181-188. Dahm kritisiert an Schmitt die

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die bei Carl Schmitt als „von Außen" entwickelte Denkungsart nunmehr „aus dem Innern" der rechtswissenschaftlichen Arbeit durch begriffliche und erkenntnistheoretische Prämissen als eine völkische Variante des „institutionellen Rechtsdenkens" zu entwickeln. 16 Bezüge zum rationalen Institutionendenken sollten dabeit nicht geknüpft werden. Vielmehr ist „Institution" nicht nur eine deskriptiv-soziologische Kategorie, sondern ein Rechtsbegriff mit normativer Funktion und ist präskriptiv als vornormative soziologische Gegebenheit weitgehend vorgegeben. In diesem Institutionendenken werden naturrechtliche Elemente angereichert. Die so gewonnene Synthese aus „konkretem Ordnungsdenken", „objektivem Idealismus" und Hegelscher Begriffsbildung in „konkret-allgemeinen Begriffen", die auf Karl Larenz 17 zurückgeht, wird oft irrtümlicherweise als drei voneinander getrennte Methoden verstanden. Doch das in den Reihen der Kieler Juristen praktizierte „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" spricht für die Synthese der Theoreme zu einer weltanschaulich durchdrungenen juristischen Methode. 18 Erst Karl Larenz hat das Ordnungs- und Gestaltungsdenken inhaltlich als Rechtsquellen- und Rechtsanwendungsmethode aus dem Geist des Neuhegelianismus weiterentwickelt und ausdifferenziert. Dabei wird Carl Schmitts Hegelbild, die Indienstnahme Hegels als preußischer Regierungsphilosoph, auch von der junghegelianisch bestimmten Kieler Schule vertreten. 19 Mit der Rezeption des „objektiven Idealismus" Julius Binders verfolgte Karl Larenz in der Kieler Jurisprudenz das Ziel, Hegel „umzugestalten und zu ergänzen". 20 Die Erkenntnistheorie des „objektiven Idealismus" sucht daher alle Erkenntnis aus der Einheit von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt zu begreifen. Nach Binder bleibt alle Erkenntnis der realen Dinge eine zwar subjektive aber nicht willkürliche Erkenntnis, denn im Bewußtsein des Menschen lege sich der „objektive Geist", der die subjektive Erkenntnis und Wirklichkeit der Menschen umschließt, selbst in Subjekt und Objekt auseinander. Daraus folgert der „objektive Idealismus", daß sich der Mensch mit seiner Außenwelt in einer umfassenden Einheit des Geistes verbunden wisse.21 Der Geist in seiner dialekti-

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unzureichende Klärung der Begriffe „Ordnung" und „Gestalt" und sieht die Gefahr der „Selbstpreisgabe des Juristischen angesichts der konkreten Situation". Doch dieser Fingerzeig wurde auch von den Kieler Rechtsphilosophen nicht beachtet, stattdessen ist das Ordnungsdenken mit dem „objektiven Idealismus" begrifflich und substantiell entschärft worden; vgl. Dahm, a. a. O., S. 184f.. Lege, Joachim: Neue methodische Positionen in der Staatsrechtslehre und ihr Selbstverständnis, a. a. O., S. 33f.. Rüthers (Anm. 4), S. 279f.; s. a. Larenz, Karl: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 79fif.. Vgl. ζ. B. Kirschenmann, Dietrich: 'Gesetz' im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS, a. a. O., S. 29fL Für Anderbrügge ist der Neuhegelianismus die „letzte wichtige Komponente für das Gesamtbild der so heterogenen nationalsozialistischen Rechtslehre", vgl. Anderbrügge, Klaus: Völkisches Rechtsdenken, a. a. O., S. 204. Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, a. a. O., S. 207fif.; s. a. Schmitt: Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 58. Schmitt interpretiert Hegel jedoch ähnlich neuheglianisch wie die Kieler Rechtsphilosophie. Zu Schmitts Hegelbild vgl. Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken. Carl Schmitts Denkweg am Leitfaden Hegels: Katholische Grundeinstellung und antimarxistiche Hegelstrategie, a. a. O., S. 155, Anm. 226, S. 157. Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S. 129. Binder, Julius: Grundlegung zur Rechtsphilosophie, Tübingen 1935, S. 44ff.; dazu auch Kirschenmann: "Gesetz' im Staatsrecht und der Staatsrechtslehre des NS, a. a. O., S. 38f..

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sehen Struktur ist wesentlich Volksgeist, das „seiende Volk, in seinem So-Sein, in all seinen Lebensäußerungen scheint als Ergebnis des Geistes. Die Wirklichkeit also taugt zum Indikator des Geistes."22 Der „objektive Idealismus" geht also von der Hegeischen Philosophie des Geistes aus und interpretiert die Erkenntnis dialektisch als „Entwicklung des Bewußtseinsinhalts", als „Zusammenfassung der entwickelten Momente in immer neuen Synthesen." 23 Die Dialektik ist demnach die einer universalen Seinsgesetzlichkeit adäquate Denkmethode, die den Gegensatz beseitigt, die dialektischen Momente bewahrt und sie in der dritten Stufe in eine höhere dialektische Stufe hinausheben kann. 24 Die irrationale Faszination und Utopie, die vom „objektiven Idealismus" ausgeht, der alle sozialen Konflikte und das Antagonistisch-Trennende in einer höheren Einheit aufzuheben und damit zu „lösen" verspricht, ist die rechtsphilosophische Antwort auf den Weimarer Methodenstreit in der Staatsrechtswissenschaft. So wird der neukantianische Widerspruch von Realität und Idealität, von Sein und Sollen, von Macht und Recht hegelianisch aufgehoben. 25 Die „empirische Richtigkeit" wird mit „ideeller Richtigkeit" identifiziert und der Machtstaatsideologie Tür und Tor geöffnet. 26 Die naturrechtliche Konstruktion des Kieler Neuhegelianismus besteht darin, Ordnungen als ganzheitlich in der Wirklichkeit vorgegeben zu sehen. Diese Lehre von der sinnhaften Ordnung, die aller Wirklichkeit zugrunde liegt und auch Recht formt, zeigt die eigenartige Vermengung von Sollen und Sein, von sozialer Realität und weltanschaulich vorgegebenen Bewertungsmaßstäben. 27 Der diesem Naturrecht zugrunde liegende Wirklichkeitsbegriff wird von Karl Larenz aus der von Binder begründeten Erkenntnis der Außenwelt abgeleitet: „Die Wirklichkeit bedeutet hier die stufenförmige Entfaltung und Darstellung einer ihr innewohnenden schöpferischen Macht oder Substanz, die als Leben und Geist verstanden wird. Die Verwirklichung der Substanz ist ein Werden, ist Prozeß; die Wirklichkeit ist daher kein ruhendes Sein, sondern Werden und Gestaltung." 28 Als die bestimmenden Kategorien des „objektiven Idealismus" und seiner Wirklichkeit werden genannt: „Organismus, Ganzheit, Totalität, Gestalt, Formkraft und Urgrund [...] Substanz, Volksgeist, ferner Gestaltwerdung und Integration." 29 Die Wirklichkeit erfahrt ihre „Konkretion" im Volksgeist: „Der Volksgeist ist konkrete Idee und als solche Wirklichkeit: sein Wesen ist Konkretion." 30 Der Volksgeist wird nun als die prägende Form und Gestalt der Gemeinschaft angesehen. Die Lebensordnung des Volkes konstituiert sich durch die Verquickung von Sein und Sollen: „Die Lebensordnung eines Volkes gilt nicht nur, son-

22 Kirschenmann, a. a. O., S. 39. 23 Binder: Grundlegung zur Rechtsphilosophie, S. 52ff. 24 Larenz meint damit die dreifache Aufhebung im Hegeischen Sinne: 1. Aufheben im Sinne der Überwindung, 2. Aufheben im Sinn der Bewahrung der tatsächlichen Momente und 3. Aufheben im Sinne der Neukonstitutierung auf einer höheren Ebene; vgl. Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 149f; s. a. Wagner (Anm. 15), S. 260. 25 Anderbrügge, S. 209. 26 Meinck, Jürgen: Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, a. a. O., S. 90f.. 27 Larenz: Volksgeist und Recht. Die Revision der Rechtsanschauung der Historischen Schule, in: Zeitschrift für deutsche Kulturphilosophie, Bd. 1 (1935), S. 40-60 (51f). 28 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart; a. a. O., S. 161; s. a. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 9f.. 29 Larenz, S. 161. 30 Ebenda, S. 163.

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dem ist in dem Handeln seiner Glieder wirklich."31 Diese transpersonale, naturrechtliche Begründung einer Volksordnung wird durch die Rechtsquellenlehre der Historischen Schule noch erweitert - ein Dokument der Affinität des „objektiven Idealismus" zum Nationalsozialismus. Der Volksgeistbegriff der Historischen Rechtsschule eignet sich für die völkische Rechts- und Staatslehre trotz der organischen Entsprechung von Recht und gesellschaftlicher Wirklichkeit nur unzureichend, weil nach dem organischen Entwicklungsdenken die Gleichsetzung des Volksgeistes mit dem Organismus nicht der „Gestaltung" und „Führung" bedarf.32 Das für das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" fundamentale und aggressive Moment der Gestaltung, das aus dem Volksgeist „wesensmäßig" abzuleiten sei, führt die Neuhegelianer wieder zu Hegels Volksgeisttheorie zurück und bricht Hegels System an der schwächsten Stelle auf, dem Unterschied zwischen „echter" Wirklichkeit, in welcher der Geist „zu sich selbst kommt", und bloßer Existenz, die fern ab vom Walten des Geistes zu gestalten und zu ergänzen sei. An die Stelle des Geistes tritt für die Neuhegelianer der Führer: 33 „Der Führer [...] bildet erst in sich den Willen des Volkes und erhebt ihn zum verpflichtenden Gesetz."34 Die Zwischenschaltung des Führers zur „Gewinnung und Behauptung völkischer Eigentümlichkeit", nach Huber die Entwicklung des „natürlichen" zum „politischen Volk" kraft des Volksgeistes, solle die „existentielle Gebundenheit"35 des Volkes an den Führer hervorheben, die erst durch die mediale Führergesetzgebung verwirklicht wird: „In solcher Gesetzgebung wird der Volksgeist dann [...] Gestalt [.,.]."36 Der Volksgeist geht im völkischen Gemeingeist auf, aber nur noch verkürzt, der Logos des Volksgeistes wird durch den Bios als Ausdruck von Rasse, Blut und Boden verdrängt.37 Aus dem „Massenstreben" wird „Gemeinwille".38 Die damit korrespondierende dialektische Situation von Position und Negation, der im Bewußtsein des Führers verwirklichte Geist im Widerspruch zu dem im Bewußtsein des Individuums verwirklichten Geistes treten zu lassen, veranlaßte die Neuhegelianer, diesen Gegensatz auf kurzgeschlossenem Wege zu umgehen.39 Die Einheit von Position und Negation mußte in der metaphysisch-substantiell und eben nicht psychologisch verstandenen „Wirklichkeit des Volkesgeistes" aufgehoben werden, die dem Führer eine Stabilisierungsfunktion in der „Volksmeinung" zuerkannte. Doch die Wirklichkeit wird nach den erkenntnistheoretischen Prämissen des „objektiven Idealismus" nicht nur im „Volksgeist" „konkret", sondern erschließt sich aus dem Hegeischen Verhältnis von Wirklichkeit und Begriff. Aus dieser Denkfigur entwickelt Larenz den „konkret-allgemeinen Begriff', für das „konkrete Ord31 Larenz: Volksgeist und Recht; a. a. O., S. 45. 32 Kirschenmann, a. a. O.; s. a. Larenz: Volksgeist und Recht, a. a. O., S. 52. Larenz sieht in der Historischen Rechtsschule anstelle der metaphysischen Substantialität die psychologische Kausalität des Volksgeistes verwirklicht, die mit der Gleichsetzung des Volksgeistes mit der psychologisch verstandenen Volksüberzeugung den für die völkische Rechtslehre wichtigen „Gemeingeist" außen vorlasse. 33 Kirschenmann, S. 41. 34 Huber: Die deutsche Statswissenschaft, S. 41. 35 Larenz: Volksgeist und Recht, S. 55; Huber, a. a. O., S. 6ffi, 40f.. 36 Larenz, S. 55. 37 Kirschenmann, S. 39. 38 Huber, a. a. O., S. 41. 39 Kirschenmann, S. 42.

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nungs- und Gestaltungsdenken" Ernst Rudolf Hubers erst die Voraussetzung zur Bildung von Rechtsbegriffen. 40

b) Zur Konstruktion des Ordnungsdenkens als Denkfigur: „konkret-allgemeiner Begriff und „Gestalt" Während nach unserem hiesigen Verständnis der Begriff ein Abbildungsversuch der Wirklichkeit ist, kehrt Hegel die Relation von Wirklichkeit und Sprachbegriff um. Begriffe sind Hegel der menschlichen Vernunft vorgegebene Prinzipien des realen Seins, die vom Verstand nur nachdenkend aufgefaßt werden. Die Begriffe sind „das wahrhaft Erste", das die Wirklichkeit gestaltet. Den logischen Formen des Begriffs schreibt Hegel den „lebendigen Geist des Wirklichen" zu, von dem Wirklichen sei nur war, „was kraft dieser Form, durch die und in ihnen wahr ist." 41 Dieser rational nur schwer verständlichen Logik liegt eine Zweiteilung des „Wirklichen" zugrunde. Vom „Wirklichen" solle nur das wahr sein, was kraft der Begriffe als „Princip allen Lebens" 42 wahr ist. Vor allem die der Ratio sich entziehende Begriffslogik Hegels wird von den Kieler Rechtsphilosophen über den „konkret-allgemeinen Begriff' in die Jurisprudenz übertragen. Die Hegeische Setzung des Begriffs als „lebendiger Geist des Wirklichen" 43 diente der Kreation neuer Begriffskonstruktionen und Indienststellung für die völkische Rechtserneuerung. Die von Huber bereits in Hans Freyers Konzeption der „politischen Wirklichkeitswissenschaft" 1932 rezipierte Rangverkehrung von Theorie und Praxis, nämlich des gestaltenden Einflusses theoretischer Erkenntnisse auf die Wirklichkeit, wird in der Denkfigur des „konkret-allgemeinen Begriffs" erkenntnistheoretisch erneuert und rechtsphilosophisch untermauert. Die politische und wissenschaftstheoretische Funktion vermag die Logik des „konkret-allgemeinen Begriffs" zu verdeutlichen. Larenz entwickelt den „konkret-allgemeinen Begriff" zur Erfassung der rechtlichen und politischen Ordnung im völkischen Gemeinschaftsleben. Die Substanz des „konkretallgemeinen Begriffs" stützt sich auf den schon in der Volksgeisttheorie verwendeten „objektiv-idealistischen Wirklichkeitsbegriff". Das „Konkrete" wird als Gegensatz zum „formal-abstrakten" positivistischen Rechts- und Ordnungsdenken benutzt und bedeutet im Gegensatz zum Abstrakten nicht die Vereinzelung, das Isolierte, sondern die „Wirklichkeit als Gestalt einer schöpferischen Kraft oder Idee." 44 Larenz unterstreicht die Dynamik, die der Denkweise des Gestaltbegriffes innewohnt. Die Begriffsbildung ist ein „dialektischer" Akt, demzufolge das eine Moment das andere nach seinem eigentümlichen Sinn fordert und „aus sich heraustreibt" (Hegel). Der „konkrete Begriff" ist ein „dialektischer Begriff", weil er „ein ständiges Ineinander und Miteinander von Innerem' und Äußerem', für das

40 Larenz: Zur Logik des konkreten Begriffs. Eine Voruntersuchung zur Rechtsphilosophie, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Jg. 5 (1940), S. 279-299. 41 Vgl. Hegel: Enzyklopädie der philosphischen Wissenschaften im Grundriß, § 162, zit. nach Rüthers: Entartetes Recht, a. a. O., S. 81. 42 Hegel, § 160, Zusatz. 43 Ebenda, § 162, zit. nach Rüthers, S. 82. 44 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S.167.

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das Wechselspiel von Gesinnung und Haltung nur ein Beispiel ist, garantiert." 45 Somit läßt sich das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" als methodologisch stringente Verfahrensweise der Begriffs- und Sinnbindung charakterisieren, welche die totalitäre Ideologie des Nationalsozialismus schon begriffs- und sinnlogisch schöpft. Es wird vorausgesetzt, daß die institutionell gestalteten Lebensgebiete ihre eigene rechtliche und soziale Substanz haben. Diese Substanz, eben das „Konkrete", wird im Rahmen der ganzheitlichen Betrachtungsweise als existentielle, wesenhafite Eigengesetzlichkeit interpretiert. Die „konkreten Ordnungen" wie etwa „Volk", „Staat", „ B e w e g u n g " , tragen ihre Wirklichkeit in einer eigenartigen Vermengung präskriptiver und deskriptiver Kategorien in sich. 46 In der Logik des Substantiellen, Transpersonalen ist der Organismus, das Leben, das Volk und der Volksgeist „konkret" Während das Abstrakte die Vorstellung der isolierten Teile, die von der politischen Wirklichkeit des Volkes getrennten Staatsmacht meint, ist das ,konkrete" seinem logischen Sinn nach synthetisch.47 Larenz hebt hervor, daß das „Konkrete" im Sprachgebrauch des „objektiven Idealismus" eine „in sich gegliederte Totalität, eine Einheit in der Mannigfaltigkeit" sei. 48 Dieser „konkrete Begriff" erfahrt seine Ableitung aus der Hegeischen Logik, das „Methodischfassen" (Karl Mannheim) des Totalitären: „Es ist die vielleicht wichtigste und jedenfalls eine gerade für die Rechtswissenschaft ganz entscheidende Einsicht Hegels, daß das nur Besondere und das im schlechten, abstrakten Sinne Allgemeine dieselben Abstraktionen des trennenden Verstandes sind: Leben, Ich, Geist, absoluter Begriff sind nicht Allgemeine nur höherer Gattung, sondern Konkrete'." 49 Die Unschärfe des „konkret-allgemeinen Begriffs" erklärt Larenz mit der Herkunft der Konstruktion aus der spekulativen und dialektischen Begriffslogik Hegels. Für die rechtspolitische Funktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" werden detaillierte Vorgaben gegeben: „Wir denken die Wirklichkeit in (Hervorhebung im Original) unseren Begriffen und können daher nicht nach Belieben von den einmal angenommenen Grundbegriffen bei der Einzelanwendung des Rechts wieder absehen." 50 Die Gleichsetzung des ,konkret-allgemeinen Begriffs" mit dem „Verfahren der Konkretisierung" deckt die ideologische Funktion vollends auf. Das Verfahren der „Konkretisierung" definiert Larenz seinem logischen Charakter nach als „synthetisch", „d.h. es fugt dem allgemeinen Grundgedanken etwas hinzu, was nicht schon ohne weiteres in ihm liegt. Die Bestimmtheit, die sie dem Grundgedanken dadurch gibt, gewinnen wir durch Wertung, Vergleichung und durch eine Prüfung der Volksanschauung."51 Dieses Zitat dokumentiert die neue relativistisch-dynamisch verstandene Rechtsidee, die die Begriffe jedweder Version von Gerechtigkeitsvorstellungen öffnen kann. 52 „Konkret-allgemeine Begriffe" sind demnach beweglich und offen und können der Herrschaftspraxis und der ideologischen Situation entsprechende neue Inhalte in sich aufheh45 Ebenda. 46 Wagner, Heinz: Kontinuität und Entwicklung der Methodenlehre am Beispiel Karl Larenz, a. a. O., S. 250f.. 47 Larenz: Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, a. a. O., S. 19; s. a. ders.: Zur Logik des konkreten Begriffes, in: Deutsche Rechtswissenschaft, Jg. 5 (1940), S. 279-299. 48 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie, S. 167. 49 Ebenda. 50 Ebenda, S. 44. 51 Ebenda, S. 19. 52 Rüthers: Entartetes Recht, a. a. O., S. 97.

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men. Alle Lebenserscheinungen und Rechtsfiguren können mittels des „konkret-allgemeinen Begriffs" in den Dienst der nationalsozialistischen Weltanschauung gestellt werden. Rechtspolitisch erwünschte Rechtsänderungen konnten nun mittels Begriffsänderung herbeigeführt werden, indem der Inhalt des „konkret-allgemeinen Begriffs" in die übergeordnete rassisch-völkische Lebensordnung eingeordnet wird.53 Larenz nennt expressis verbis die Füllung von Gesetzeslücken, die der „konkret-allgemeine Begriff" ohne Richterrecht zu initiieren vermag.54 Die juristische Begriffsbildung wird für die Verwirklichung der Weltanschauung dienstbar gemacht. Der nächste Schritt ist die Ableitung des Gedankens der „konkreten Ordnung" aus konkreten Begriffen. Die „konkrete Ordnung"55 sei Wirklichkeit, nicht bloße Normvorstellung, denn die Wirklichkeit des positivistischen Trennungsdenkens soll überwunden werden. „Konkretes Ordnungsdenken" ist im Sinne Hegeis auch dialektisches Denken. Sein und Sollen, Werden und Gestalten, Wirklichkeit und Geist - diese Phänomene müssen einheitlich gedacht, aber strukturiert und gegliedert betrachtet werden, ein dynamisches Insichaufgehen: „Das konkrete Ordnungsdenken muß sich in einer Lehre vom Volksgeist als einer Metaphysik des konkreten Geistes begründen, die ihrerseits nur in einem konkreten Zusammenhang mit der Rechtswissenschaft weiterentwickelt werden kann." 56 Das rechtsphilosophisch hergeleitete „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" ist durch eine begriffliche und logische Unbestimmtheit gekennzeichnet, weil vom Begriff auf die Wirklichkeit geschlossen wird. Die Umbildung des überkommenen Normengefüges und die zugleich politisch-weltanschauliche Durchdringung philosophischer Begriffe des Idealismus macht die dargestellten Kategorien wie „Volk", „Gestalt", „Ordnung" oder „Gemeinschaft" nur begrenzt erfahrbar. Die Verschwommenheit der begrifflichen Erfassung des neuen Denktypus zeigt sich unter anderem darin, daß sich das „Konkrete", die „Ordnung", eben nicht in der Regelmäßigkeit, dem rational Faßbaren erschöpft. Die „innere Sinnhaftigkeit des Lebens" bleibt eine metaphysische, transpersonale Größe, die nur im Umfeld des philosophischen Ganzen zu begreifen ist.57 Über den „Volksgeist" wird Begriffen wie „Volk", „Gemeinschaft", „Ordnung", „Treue" oder „Verantwortung" eine neue Ethik und Ontologie zugesprochen. Das Wesen wird aus der Natur der Sache hergeleitet. 53 Ebenda, S. 85ff, S. 95f.. 54 Larenz: Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens, S. 23if.. 55 Larenz gesteht ein, daß der Terminus „konkrete Ordnung" nicht eindeutig ist. Folgende Bedeutungen können damit verbunden sein: a) Die tatsächlich gelebte, immer schon verwirklichte, weil unmittelbar vorhandene Ordnung im Gegensatz zum bloßen Sollen, der Anordnung, damit ist die reale, das soziale Tun betreffende Ordnung der Volksgemeinschaft gemeint; b) die „gewachsene", in einem gleichsam organischen Lebensprozeß gewordene und in sich weiterentwickelte Ordnung im Gegensatz zur gemachten Ordnung; Larenz meint damit die geistigen und historischen Wurzeln, die Sittlichkeit und den Seinsgrund der völkischen Ordnung; c) die Ordnungen einer fest in sich geschlossenen „konkreten" Lebensgemeinschaft im Gegensatz zu einer Regelung, die fur eine Vielzahl von Personen gelten soll; das sind die Teilordnungen der Volksgemeinschaft wie Ehe, Familie, Betrieb, Hof. usw.; je nachdem, welche Bedeutung im Vordergrund der Argumentation steht, verschiebt sich der Ausdruck der Ordnung; obwohl alle drei Ordnungsebenen zusammengehören, d.h. der Wirklichkeit die Ordnung immanent ist, kann immer nur eine Begriffsebene zur Disposition gestellt sein; vgl. Larenz: Über Gegenstand und Methode des völkischen Rechtsdenkens; a. a. O., S. 29. 56 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 168. 57 Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, a. a. O., S. 298f..

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Damit ist das „konkrete Ordnungsdenken" in der Verquickung von ganzheitlichem Denken (Universalismus), irrationalem Seinsgrund (Naturalismus) und der Rückführung auf die Sinnhaftigkeit des Lebens (Existentialismus) eine rechtsphilosophisch begründete, der Ideologie des Nationalsozialismus geöffnete Rechtsquellenlehre, die dem Rationalismus und Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts und schließlich dem Trennungsdenken liberalistischer Prägung ein Ende macht. 58 Hier zeigt sich besonders deutlich, daß Methoden ideengeschichtlich bewegt sind und durch die Begünstigung und Manipulation von Inhalt zur Erhaltung des Status quo ideologisch beitragen können. 59

c) Völkische und etatistische Elemente im Ordnungsdenken Mit dem „konkreten Ordnungsdenken" beabsichtigt Ernst Rudolf Huber einen Brückenschlag zwischen Normordnung, gesetzlichem Recht und der konkreten Lebenswirklichkeit als ,Lebensordnung". Die völkischen und etatistischen Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung, d.h. Volksgemeinschafts- und Führerpostulat, werden mit dem Vitalismus des Ordnungsdenkens kraft „Konkretion" synthestisiert. In der „Volk", „Bewegung" und „Staat" umgreifenden „völkischen Verfassung" werden integrationslogisch alle „konkreten Ordnungen" aufgehoben: „Das Ordnungs- und Gestaltungsdenken in der Staatswissenschaft ist weder Reaktion noch Willkür, es erwächst aus den wirklichen Ordnungen des völkischen Lebens und wird dem Anspruch der geschichtlichen Dauer wie den Forderungen der politischen Aktion gerecht." 60 Die rechtserzeugende Kraft der Begriffe, von der Hegel ausgeht, wird für das „konkrete Ordnungsdenken" zum Vehikel, über „konkret-allgemeine Begriffe" oder „Gestaltbegriffe" politisch relevante Normkomplexe und Ordnungszusammenhänge ideologisch über „Metaregeln" zu binden. 61 Die hermeneutisch-exegetische Perspektive des „konkreten Ordnungsdenkens" als Juristenphilosophie betreibt Huber im Bereich der Rechtserneuerung mit „Begriffsfüllungen" der „konkreten Ordnungen" wie „Volk", „Staat", „Führung". Die Austauschbarkeit der Etiketten besagt nicht, daß Huber eine andere hermeneutische Auffassung des Ordnungsdenkens als etwa Karl Larenz hat. Vielmehr sind „Gestaltbegriff', 6 2 „konkreter Ordnungsbegriff" 63 oder allgemeiner „Wesensbegriff' einander komplementär. Der „konkrete Ordnungsbegriff" umfasse mehrere Gruppen von Gebilden, vereinige aber nur wesensverwandte Erscheinungen in sich: „Derartige umfassende Ordnungsbegriffe, die nichts mit abstrakten Allgemeinbegriffen zu tun haben, sind im Rahmen des völkischen Rechtes notwendig. Denn sie zeigen, daß auch die Mehrheit von Ordnungen von gleichen Wesenszügen bestimmt ist und deshalb nicht nur auf grund äußerer Umstän58 Marcuse, Herbert: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung, a. a. O., S. 16Iff.. 59 Grimm: Methode als Machtfaktor, a. a. O., S. 148, 172. 60 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 64f.. 61 Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, S. 6. 62 Zu Hubers Gestaltbegriff vgl.: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 439f.; Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 30, 72f., 76f.; Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 28f.. 63 Die Selbstverwaltung der Berufsstände, a. a. O., S. 243.

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de, sondern von innen heraus eine Einheit bildet. [...] In der Einheit der rechtswissenschaftlichen Begriffsbildung prägt sich auch hier die Einheit der völkischen Lebenswirklichkeit aus, die alle Einzelordnungen umspannt." 64 Huber verdeutlicht damit über die Methodenrezeption der Schriften von Karl Larenz hinaus vielmehr das etatistische Moment der Einheit von „Volk" und „Staat", zum anderen verweist selbst Larenz in der rechtsphilosophischen Untersuchung zur Logik des ,konkret-allgemeinen Begriffs" anhand des Huberschen Volksbegriffes die Funktionsweise des „Konkreten" nach. Die „Gestalt" ist zweckgebunden über den Begriff des Politischen als Dissoziationsgrad der Einheitsbildung, zur Stiftung von „Synthese" als „Konkretion". Der Gestaltbegriff setzt voraus, daß eine lebendige Ordnung sich in der Einheit von Tat und Dauer manifestiere und bezeichnet gleichermaßen die Einheit von bewegtem Leben und geprägter Ordnung sowie die Synthese von „Idee" und „Existenz" „Der Staat ist Gestalt", heißt nach Huber, er sei „nicht nur bewegte Kraft und nicht nur ruhendes Sein, sondern er ist die Einheit von Tat und Dauer in einer lebendigen Ordnung." 65 Das Ziel des Gestaltbegriffes ist wieder, geistige Strukturen in Begriffe zu fassen und zur „existentiellen Wirklichkeit" zu erheben, somit über den völkischen Vitalismus dem Begriff das „Daseiende", „Konkrete" zu geben. Der Gestaltbegriff begründet den „Staat" als historisch formiert und soll ihn als „lebendige Ordnung" dem in Antithesen denkenden Positivismus entgegensetzen. Huber leitet den „Gestaltbegriff" als logischen Angelpunkt des synthetisierenden Ordnungsdenkens bewußt aus der Hegeischen Staatsphilosophie ab und verweist auf die Schriften von Karl Larenz. 66 Anhand dieser Rezeption wird ersichtlich, daß der „Gestaltbegriff' 67 die völkischen und etatistischen Perspektiven erst zu synthetisieren vermag. Das Volk wird von Hegel als religiös-sittliche Gemeinschaft zu einer „Gestalt" organisiert, in welcher der Geist des Volkes gegenständlich wird. „Diese Gestalt, das durchsichtige Gefäß gleichsam des Volksgeistes und der absoluten Sittlichkeit, ist der Staat." 68 Der „Gestaltbegriff" ist durch zwei Momente geprägt, die Willenseinheit des Volkes (politisch zu werden im Staat), zum zweiten das Moment der Gliederung (dem Wesen nach in Sittlichkeit, Natur und dem Politischen). 69 Die Dialektik der Einheitsbindung und des zugleich in der Einheit Gliedhaften verkörpert sich in dem Volk als übergreifendes Moment in dem Verhältnis von „Volk" und „Staat". Das Volk ist „Selbstzweck". Als „politisches" Volk ist es Wille und handelndes Subjekt, das zum Staate wird. „Die beiden Momente der gegliederten Vielheit und der substantiellen Willenseinheit [. . .] kehren im Staate wieder als die Momente der lebendigen, seienden Form, der konkreten Ordnung des Volkskörpers und der politischen Gestaltung." 70

64 Ebenda. Im Verwaltungsrecht benutzt Huber den Körperschaftsbegriff als „konkreten Ordnungsbegriff', um damit die ständischen Gliederungen zusammenzufassen. 65 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 31. 66 Ebenda, S. 30, Anm. 1 mit Verweis auf Larenz: Die Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus und ihre Gegenwartsbedeutung, in: Handbuch der Philosophie, Abt. IV: Staat und Geschichte, hrsg. von Alfred Baeumler u. a., München, Berlin 1934, S. 89-188 (insbesondere 152f.). 67 Anderbrügge weist darauf hin, daß der GestaltbegrifF Hubers auch von Hans-Helmut Dietze übernommen wurde: Naturrecht in der Gegenwart, Bonn 1936, S. 109fF.. 68 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie des deutschen Idealismus, a. a. O., S. 152. 69 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, a. a. O., S. 148. 70 Ebenda; s. a. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 34/35.

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Die Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Begriffe als „Konkretionen" im substantiellen Denkstil des „Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" gibt dem „Gestaltbegrifl" eine ebenso strategische wie die völkische Ordnung verwirklichende Funktion. „Konkretes Denken" ist Gestaltdenken, zumal die Gestaltung als aggressives Moment des Ordnungsdenkens die Transmissionsfunktion wahrnimmt, das „Konkrete" erst zum „Konkreten" zu gestalten und das lebensphilosophische Element des „Erlebens" der Ordnung substantiell zu begreifen.71 Der „Staat" ist Huber als „Gestalt" eine „durch geschichtliche Tat von oben begründete und entfaltete Ordnung" 72 und in der Intensität des „Politischen", d.h. des Dissoziationsgrades der Freund-Feind-Intensität, zugleich Lebensform und geschichtliche Ordnung. Huber verbindet mit diesen Begriffen und Positionen einen von Hans Freyer abgeleiteten Wirklichkeitsbegriff, der mit der Erkenntnistheorie der Neuhegelianer zwar übereinstimmt, die Staatswissenschaft als „politische Wirklichkeitswissenschaft" aber in der Hegelinterpretation Freyers zu fundieren sucht: „Zu jeder vollen Wirklichkeit gehören Stoff und Geist, Materie und Idee; auch der Staat besteht nur als Einheit von körperlichem und geistigem Leben. Idee und Existenz des Staates ergeben erst, indem sie sich wechselseitig durchdringen, die Wirklichkeit der politischen Gestalt."73 Der völkische Staatsgedanke habe den Willen zum Politischen, zum Staate zur Voraussetzung: „Es bedurfte zunächst einer neuen Hinwendung des Denkens zur politischen Wirklichkeit, eines neuen politischen Realismus', um die Wendung zum völkischen Staatsgedanken vorzubereiten. [...] Nur vom Volke her erfahrt der politische Bereich seinen Sinn und seine verpflichtende Kraft." 74 Die Einheit von „Volk" und „Staat" kommt in dem Gedanken zum Ausdruck, daß der Staat die „Gestalt des politischen Volkes" ist.75 Huber rezipiert in diesem Zusammenhang den „Begriff des Politischen" Carl Schmitts.76 Dieser, auf das Kriterium der Freund-FeindBeziehung beschränkte Sinngehalt des Politischen erfahrt jedoch eine entscheidende Modifizierung. Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" dämmt die Ausuferung der Feindbestimung des Politischen ein, gibt ihm eine Richtung und macht das Politische zum Angelpunkt der Staatswerdung und Staatsbestimmung im wissenschaftlichen Gesamtsystem.77 „Volk" und „Staat" werden in dem Begriff des Staates als der „Gestalt" des politischen Volkes dialektisch verbunden: „Dabei müssen wir vorausschicken, daß echte Dialektik in dem hier gemeinten Sinne nicht gleichwertige Polarität einander zuordnet, sondern ein unumkehrbares Rangverhältnis statuiert, insofern ein (Hervorhebung im Original) Moment immer das Übergreifende für die Ganzheit Bestimmende ist."78 Die „konkrete Ordnung" „Volk" wird nun nach den methodischen Vorgaben des „konkreten Ordnungs- und Gestal71 Behrends, Okko: Von der Freirechtsschule zum konkreten Ordnungsdenken, in: Dreier, Ralf/Sellert, Wolfgang (Hrsg.): Recht und Justiz im „Dritten Reich", Frankfurt/M. 1989, S. 3479 (59ff.). 72 So Larenz über Huber; vgl. Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 70. 73 Ebenda. 74 Ebenda, S. 139. 75 Nach Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 30. 76 Schmitt, Carl: Der Begriff des Politischen, a. a. O., S. 20ff. 77 Fraenkel, Ernst: Der Doppelstaat, Frankfurt/M., Köln 1974, S. 172ff. Zur Bindung des Politischen durch die „nationale Revolution" vgl. Dernedde, Carl: Staatslehre als Wirklichkeitswissenschaft, in: JW, 63. Jg. (1934), Sp. 2519-2517 (2517). 78 Larenz: Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, S. 148.

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tungsdenkens" synthetisiert: Das Volk ist seinem „Wesen" nach natürliche, geistige und politische Gemeinschaft, d.h. die innere Sinnhaftigkeit des Volkes als „konkrete Ordnung" besteht in der Existenz (also dem Ursprung), der Sittlichkeit und dem Politischen (das zugleich einheitsstiftend ist). Das Natürliche, Sittliche und Politische ist zugleich das „Konkrete", das den Unterschied zum Trennenden, Isolierenden ausmacht. Durch das „Konkretsein" ist dem Volk zugleich das „Wesenhafte" und die „Zweckbestimmtheit" gegeben. Das Konkrete und das Wesenhafte decken sich. Das Verhältnis von völkischen und etatistischen Denkfiguren ist bei Huber im „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" nur über die Hegeische Integrationslogik zu bewerten, ein Kriterium, das die Huber-Kritiker Max-Hildebert Boehm, Reinhard Höhn und Hans Gerber vernachlässigt haben. Sieht man vorläufig von der „Führung" als Gestaltungsprinzip innerhalb des völkischen Staates ab, so reduziert sich die Frage auf das bereits rekonstruierte Verhältnis von „Volk" und „Staat" im Gestaltungsdenken. „Echte Dialektik" ist ein „unumkehrbares Rangverhältnis", so daß die Hubersche Unterscheidung von „natürlichem Volk" und „politischem Volk" zu der Erkenntnis leitet, daß das „natürliche Volk" als „unbewußt entstandene und gestaltete Einheit", als Urelement naturrechtlich am Anfang steht, zumal das rassische Moment des „Artbewußtseins" in die unpolitische Stufe des „natürlichen Volkes" verlegt wird. 79 Die völkische Dimension ist also bereits als unpolitische Stufe vor der durch die Dimension der Geschichtlichkeit als Willens-, Bewußtseins und Tatmoment des „politischen Volkes" vorhanden - Losungen des „konkretallgemeinen Begriffs". 80 Huber unterstreicht im Programmaufsatz der „Staatswissenschaft" überdeutlich die „deutsche" Volksauffassung, daß das Volk aus sich zum Staat strebt, ohne die historische Variante der durch den Staat verwirklichten „Staatsnation" als nicht existentiell fundiert in Anspruch zu nehmen. Die dialektische Stufe vom „natürlichen" zum „politischen Volk" als Brücke zwischen Natur und Geist bringt erst die mit dem Durchbruch des Bewußtseins verbundene etatistische Perspektive zur Geltung: der Gestaltbegriff des Staates, der dem politischen Volk die „Wesensnotwendige" und „seinserfüllende Form" gibt. 81 Der Denkstil des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" läßt sich somit auf den Punkt bringen. Wenn das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" sich in seiner logischen Denkfigur auch aus dem Verfahren der „Konkretisierung" erschließt und eine Form „institutionellen Rechtsdenkens" ist, so läßt es sich weniger über das Institutionenverständnis der im Kieler Neuhegelianismus korporativ verstandenen Ordnungen 82 als vielmehr über ihren Rechtsbildungsvorgang erschließen. 83 Doch das tradierte konservative 79 80 81 82

Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 152ff.. Kirschenmann: "Gesetz' im Staatsrecht und in der Staatsrechtslehre des NS, a. a. O., S. 33. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 35f. Carl Schmitt unterscheidet streng zwischen Ordnung und Institution, läßt sich aber zu dem Satz hinreißen, der Staat sei „die konkrete Ordnung der Ordnungen, die Institution der Institutionen". Trotzdem schlägt Schmitt für die dritte Art rechtswissenschaftlichen Denkens nicht „institutionalistisches", sondern „konkretes Ordnungs- und Gestaltungsdenken" vor; vgl. Über die drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 47. 83 Böckenforde: Ordnungsdenken, konkretes, a. a. O., Sp. 1312ff.; zur rechtspolitischen Funktion vgl. Rüthers: „Institutionelles Rechtsdenken im Wandel der Verfassungsepochen". Ein Beitrag zur politisch-kritischen Funktion der Rechtswissenschaft, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1970, S. 18ff.. Rüthers macht die Funktion des metaphysischen oder ideologischen Institutionbegriffs an

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Institutionenverständnis, eigentlich ein dialektisches Korporationenverständnis, das unmittelbar Vorhandene mit der Tendenz, es als konkretes Phänomen gegenüber der begrifflichen Abstraktion zu bevorzugen,84 kurz „Konkretionismus"85 genannt, gilt auch für das völkische „Ordnungs- und Gestaltungsdenken". Die Vorliebe für das „empirisch Gegebene" und das „Konkrete" zentriert sich im „konkret-allgemeinen Begriff', entsprechend der konservativen Setzung, den Begriff durch metaphysische Logik die Abstraktion zu entziehen und überpositiv als „emphatisches Erleben des Konkreten"86 zu begreifen. In der Überwindung des „abstrakten" liberalistischen „Trennungsdenkens" manifestiert sich der revolutionär-konservative Denkstil, mit dem „Konkreten" einen neuen systematischen Anfang zu setzen, von dem aus das „Ordnungs- und Gestaltungsdenken" rechtsmethodisch und erkenntnistheoretisch fundiert wird. 87 „Konkretes Denken" ist in diesem Fall zugleich reaktives Denken, weil Huber als Neuhegelianer gezwungen ist, ein dem Weimarer Methodenstreit „reaktionäres" Gegensystem zum normativistischen Gesetzesdenken aufzustellen, wenngleich das Ordnungsdenken in seiner Denkfigur selbst wertrelativistisch offen ist, um der faktischen Macht und der a priori gesetzten Weltanschauungsherrschaft Rechnung zu tragen. Der aus dem Gegensatz von „Konkretem" und „Abstraktem" (oder syn. „Dasein" und „Norm") getragene „konkretallgemeine Begriff' ist deshalb nur sekundär eine Denkfigur, stattdessen sucht man sich der Rationalität von Liberalismus und Positivismus durch das „ E r l e b e n " der Umwelt zu entziehen. Das „Konkrete" wird in der Freund-Feind-Dimension zugleich als völkischrassisches Element in Dienst genommen, denn auf der Grundlage der „Artgleichheit des Volksgenossen" werden Juden als Systemfeinde nicht mitumfaßt. Das „Konkrete" ist als vitalistisches Denkelement Zurechnungspunkt für die Einheit und Dissoziierung der „Volksgemeinschaft". Das „Ordnungs- und Gestaltungsdenken" ist ein aus den politischen und logischen Strukturen der „Konservativen Revolution" und seinem „konservativen Freiheitsbegriff' getragenes methodologisches Gegensystem zur Weimarer Staatsrechtswissenschaft. Das Dasein wird in seiner existentiellen Bedingtheit erfaßt, das Normative vom Sein her verstanden.

d) „Einlegung" als Prinzip - die Rechtserneuerungsfunktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" Huber leitet die rechtsdogmatischen und rechtspolitischen Prämissen der nationalsozialistischen Rechtserneuerung im wesentlichen aus der Weimarer Rechtsstaatskritik der Schriften Carl Schmitts ab. Die Verwerfung des bürgerlichen Rechtsstaates als aus Recht nach

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der Erfassung der Gesellschaft als ein fiktives Ganzes in den jeweiligen Ordnungs- und Herrschaftsverhältnissen fest; vgl. ebenda, S. 38f.. Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 21; s. a. Kondylis: Konservativismus, a. a. O., S. 19f., 145f.. Mannheim: Konservatismus, S. l l l f . . Ebenda, S. 111. Den Zusammenhang zwischen rechtsphilosophischer Erneuerung und „konkretem Denken" stellt Carl August Emge her: Die Aufgaben einer neuen Rechtsphilosophie, in: JW, 62. Jg. (1933), S. 2105. Emge spricht vom „Prinzipat des Konkreten" als überpositiver Auffassung.

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Form und Inhalt trennenden und die Gesetze kraft „Verfahren" beherrschenden Funktionalismus gipfelt in der Option, daß ein Staat nur dann Rechtsstaat sein kann, wenn er sich „in der Sache darauf beruft, Recht zu verwirklichen, unrichtiges altes Recht durch richtiges neues Recht zu ersetzen und vor allem die normale Situation zu schaffen, ohne die jeder Normativismus ein Betrug ist." 88 Die Aufgabe der interpretatorischen Anpassung älteren Rechts an gewandelte Verhältnisse stellt sich in der Rechtswissenschaft nicht erst seit dem Weimarer Methodenstreit. Der dem Schmittschen materiellen Rechtsstaatsverständnis zugrunde liegende doppelte Ordnungsbegriff, zu einem der faktischen, machtvoll durchgesetzen Ordnung, andererseits der bereits a priori vorgegebenen substantiellen Ordnung, die „richtiges Recht" erst festlegt, wird von Huber entscheidend verändert, um die „Leitprinzipien" der nationalsozialistischen Verfassung, „Führung", „Bewegung" und „Totalität" für die Rechtsquellenlehre verfugbar zu machen. Angesichts der ungeschriebenen Grundordnung des völkischen „Verfassungsstaates" und der rechtssetzenden Funktion der Führergewalt vermeidet Huber den an die Epoche des Rechtsposivitismus gebundenen Begriff „Rechtsstaat".89 Dennoch ist die von Carl Schmitt aufgeworfene Frage nach dem „richtigen Recht" als Wesensfrage, aber auch die Frage „gerechten" Rechts, zu einem Kernproblem der völkischen Rechtserneuerung geworden. Hubers Beitrag zur Rechtserneuerung in der Rechtsanwendungs- und Rechtsquellenfünktion des „Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" kann das verdeutlichen, um den völkischen Denkstil zu rekonstruieren. Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" hatte primär die Funktion der Schöpfung von Rechtsquellen. Die naturrechtliche Begründung des Gestaltdenkens bildet die Brückenfunktion zwischen Rechtsquellenlehre und Rechtsanwendungslehre, „um das geltende Recht als Ausdruck einer bestimmten weltanschaulichen Haltung zu erfassen." 90 Die naturrechtliche Begründung des Rechts ist demnach die wichtigste Exegese-Instanz, um „konkretes Denken" in der Logik der „Natur der Sache" in die Rechtsbegriffe zu transformieren. 91 Naturrechtliches Denken sucht eine Instanz außerhalb der sozialen Sphäre menschlichen Handelns, um ihr die wirkliche Existenz und Realität zuzuschreiben. Daseinsdeutung kann über Sollensinhalte zu Sinnentwürfen führen. 92 Die Huber so wichtige „seinsgestaltende Wirkung des Sollens" 93 ist naturrechtlich begründet möglich, ohne einen realsozialen Zurechnungspunkt zwischen Sein und Sollen vorzuführen. Huber rekurriert auf die im alten Naturrecht verbundene Einheit von positivem Recht und Rechtsidee, 94 die 88 Schmitt: Legalität und Legitimität, a. a. O., S. 19. 89 Carl Schmitt resümiert bei identischer ideengeschichtlicher und rechtsdogmatischer Kritik 1934 dagegen: „Auch darum dürfen wir nicht mehr von 'dem' Rechtsstaat, sondern nur noch vom 'nationalsozialistischen deutschen Rechtsstaat' sprechen, solange wir kein neues eigenes Wort für eine neue eigene Sache haben"; vgl. Nationalsozialistischer Rechtsstaat, a. a. O., S. 717. 90 Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 58. 91 Vgl. Kalbhen, Uwe: Die NS-Rechtstheorie als Herrschaftsideologie. Logische Struktur und soziale Funktion naturrechtlicher Konstruktionen im Nationalsozialismus, phil. Diss., Heidelberg 1969, S. 165ff. 92 Ebenda, S. 18ff. 93 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 50. 94 Vgl. insbesondere: Ahrens, Heinrich: Naturrecht oder Philosophie des Rechts und des Staates, 6. Aufl., 1870; zit. nach Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 13, Anm. 2, S. 57. Huber führt Ahrens als Außenseiter einer gesamten Staatswissenschaft, die Philosophie, Politik,

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im Positivismus in verschiedene Wissensbereiche getrennt worden sei: „In der politischen Rechtswissenschaft wird die alte Kluft von Rechtsphilosophie und positivem Recht zu überwinden und das Recht als politische, geistige und wirkliche Ordnung darzustellen sein." 95 Die Rechtserneuerung orientiert sich im wesentlichen an der naturrechtlichen Einheit von Rechtsidee und Rechtsphilosophie und dem völkischen Vitalismus als „Wesensprinzip". Der methodische Zusammenhang zum „konkreten Ordnungsdenken" wird folgendermaßen hergestellt: „In den völkischen Lebensbereichen selbst ist das Recht unmittelbar enthalten. Es ist keine aus ihnen abstrahierte Norm und es ist keine über sie gelegte Regel, sondern das Recht ist die Lebensordnung selbst in ihrem unmittelbaren Gegebensein. Es ist möglich, dieses Recht durch Gesetz sichtbar zu machen, zu festigen und auszubauen; aber nicht das Gesetz macht die unmittelbar gegebene Ordnung zum Recht, sondern umgekehrt: das Gesetz ist Recht, weil es ein sichtbarer Ausdruck der lebendigen Ordnung ist. Darin besteht der eigentliche Sinn eines konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens', daß es das Recht als Ordnung selbst begreift, in der die Erscheinungen des natürlichen Lebens ihre Gestalt gewinnen." 96 Es bleibt für Hubers völkische Verfassungslehre konstitutiv, daß das Naturrecht keinen eigenen Theorieanspruch hat, sondern rechtsphilosophisch an das Gestaltdenken gebunden bleibt. Der neuhegelianische Denkstandort ist dafür charakteristisch, denn die Kernthese des Neuhegelianismus, das Allgemeine im Besonderen aufzuheben, entspricht dem Wesen des Naturrechts, in dessen „Gestalt" die Einheit von Idee und Existenz, somit die Wirklichkeit der Idee Ausdruck findet. 97 Mit der neuen Aufgabenstellung der Rechtsphilosophie, speziell der neuhegelianischen Fundierung, wird das Naturrechtsdenken zum Kernbestand völkischen Rechtsdenkens, um dem Apriori der völkischen Ordnung Vorschub zu leisten: „Der Nomos', der im Anfang war, ist nicht die auf sich selbst gestellte Tat, sondern das naturhafte und geistige Prinzip, das der Ursprung aller sinnvollen Taten und Entscheidungen ist." 98 Die naturrechtliche Betrachtung kaschiert darüberhinaus die Rechtfertigung der Herrschaftsrealität des Dritten Reiches und vermag mit der relativen Begründung naturrechtlichen Denkens sich der Verfassungspraxis offenzuhalten. Der Denkstil des „Konkreten" verdeutlicht zudem die Offenheit und den völkischen Vitalismus, der ein Vehikel für die „Volksgemeinschaft" als Ausgangspunkt und Zielaspekt des Gestaltdenkens ist. 99 „Recht" ist in der Logik der absoluten Identität der Begriffe in den Identifikationsprozeß der Volksgemeinschaft als „konkrete Ordnung" neben „Volk", „Bewegung", „Führer" und

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Geschichte, Statistik und positives Recht umfaßt, ins Feld. Die naturrechtliche Komponente des Gestaltdenkens wird von Hans-Helmut Dietze nachdrücklich vertreten, Hubers Gestaltbegriff sogar rezipiert und verwendet: vgl. Dietze, Hans-Helmut: Naturrecht in der Gegenwart, a. a. O., S. 109ff.; dazu auch Anderbrügge, a. a. O., S. 162, Anm. 167. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 57. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 47. Dietze, Hans-Helmut: Naturrecht in der Gegenwart, a.a.O, S 108; Huber: Die Gestalt des deutschen Sozialismus, S. 22; vgl. Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, S. 183. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 41. Dietze nennt als Eigenschaften des ansonsten amorph wirkenden Naturrechts die Ungeschriebenheit und tatsächliche Geltung, ein Rechtsideal als Maßstab und Ziel des positiven Rechts und als Inbegriff natürlicher Nonnen, nach denen soziales Verhalten geregelt wird; zit. nach Kalbhen, a. a. O., S. 41.

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,Partei" eingebunden. Das „Recht" hat als „unmittelbare Lebenserscheinung der völkischen Einheit" sowohl einheitsstifitende wie zielorientierte Wesensfunktion, um das sittliche Empfinden des Volkes mit der staatlichen Rechtsordnung zu verbinden: „Das Recht ist eine unmittelbare Lebenserscheinung der völkischen Einheit; es ist die Ordnung, in der das Gemeinschaftsleben des Volkes sich vollzieht. Volksgemeinschaft und Recht sind hier zur unauflöslichen Einheit geworden; die völkische Gemeinschaft findet im Recht die Ordnung ihres Seins und Wirkens."100 Die Identität von „Volk" und „Recht" manifestiere sich im „Rechtsgeist des Volkes".101 Die Gemeinschaftsidee im Rechtsdenken verbirgt sich vor allem hinter der Formel der „volksgenössischen Gliedstellung" als der Zuspitzung totalitären Gedankenguts in der Vermittlung von völkischen und etatistischen Elementen. Ihre Vermengung erfolgt durch die Zirkelschluß-Logik als Denkstil des Naturrechts. Hier liegt auch die Logik der „Einlegung" verborgen. Die Vorstellung der Volksgemeinschaft als eines körperhaft-überpersönlichen Organismus findet in der Formel der „volksgenössischen Gliedstellung" seine Entsprechung. Im nationalsozialistischen „Gemeinschaftsrecht" tritt die „pflichtgebundene gliedhafte Rechtsstellung des Volksgenossen" als KernbegrifF an die Stelle des „subjektiven Rechts" als Grundfigur der bürgerlichen Privatrechtsgesellschaft.102 Diese „konkrete Rechtsstellung", die Huber für den Aufbau der völkischen Ordung als unentbehrlich ansieht und auf der die „Einheit des völkischen Rechts" beruht, sei eine Stellung „im Recht". 103 Der totalitäre Sinn dieses Rechtsdenkens manifestiert sich in der Grundfigur, die „gliedhafte Rechtsstellung" nicht als Rechtsbeziehung des Einzelnen, sondern nur von der (kollektiven) Gemeinschaft her „Sinn und Richtung", „Wesen und Bindung" zu geben. Diese überpositive Bindung an die irrationale Gemeinschaft, jeglicher subjektiver und einklagbarer Rechte entzogen, sei „gemeinschaftsbezogen" und „pflichtgebunden". Interessanterweise bringt Huber mit dem Pflichtgedanken die „politische Führungsordnung" in den Rechtszusammenhang, denn „Pflicht" ergebe sich durch die „Akklamation" zum Führer. 104 Während die „Gemeinschaftsgebundenheit" des Volksgenossen mit ihrer Eingliederung in der völkischen Ordnung quasi „von unten" gegeben ist, wird über den Pflichtgedanken die Führungsordnung „von oben" ins Spiel gebracht, der organische völkische Gedanke durch den herrschaftlich-etatistischen ergänzt: „In jeder politischen Gemeinschaft hat der Genösse seine Rechtstellung, die ihm vom Führer gegeben ist und die ihn zum wirklichen Gefolgsmann macht." 105 Die beiden Synthesefaktoren, Bindung an die Gemeinschaft „aus Freiheit" 106 und kraft Führerbefehl, bleiben dabei unverbunden und fördern die gedanklichen

100 Huber: Neue Grundbegriffe des hoheitlichen Rechts, S. 145. 101 Die deutsche Staatswissenschaft, S. 58. 102 Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 445; s. a. Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 365f.; s. a. Grimm: Bürgerlichkeit im Recht, a. a. O., S. 27f.. 103 Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 365. 104 Das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches, a. a. O., S. 204, 229: Dort heißt es: „Der einheitliche, klare und entschiedene völkische Wille kann nur durch den Führer geschaffen werden. Das Volk kann sich in Abstimmung und Kundgebimg zu diesem Führerwillen vertrauend bekennen, aber es kann nicht aus sich selbst entscheiden und handeln" (S. 229). 105 Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 367. 106 Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 449. Der konservative Freiheitsbegriff hat hier Pate gestanden.

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Brüche des völkischen Rechtsdenkens im Antagonismus von völkischen und herrschaftlichen Elementen deutlich zutage. Das „Im-Recht-Stehen" als Denkfigur bedeutet nichts anderes als die totale Unterwerfung unter den Führerwillen.107 Das dialektische Polaritätsverhältnis von „Volksgemeinschaft" und „Führer" wird naturrechtlich in die Führer-Gefolgschafts-Bahn gelenkt, Gemeinschaftsbezogenheit ist ohne Führung nicht möglich. Huber verdeutlicht dieses Faktum anhand der Rechtsstellung des Arbeiters, Bauers, Eigentümer oder Familienvaters in ständischer oder hoheitlicher Funktion. Die „konkrete Gliedstellung" des Volksgenossen in den Einzelordnungen sei „Auszahlung" der übergreifenden Rechtsstellung des Volksgenossen", was besagt, daß die Denkfigur der „Gliedstellung" ihre Funktion nur in der ganzheitlichen Perspektive des Gemeinschaftsdenkens hat, von der alle „konkreten Ordnungen" ihren Vitalismus erfahren. Die „unorganische" Integration des Führungsaspektes in den Zusammenhang der Gliedstellung soll über die „Ausstrahlung" wieder zum Primat des Völkischen zurückführen.

e) Eigentum als „konkret-allgemeiner Ordnungsbegriff 408 : der Dualismus nationalsozialistischen Rechts Die Situation der Eigentumsgarantie in der Weimarer Republik war insgesamt von einer Einschränkung der Eigentumsbindung zugunsten des Eigentumsschutzes gekennzeichnet. Obwohl der Gesetzgeber die Bindungen und Pflichten des Eigentümers gemäß Art. 153 Abs. 3 WRV zu aktualisieren hatte, gestaltete sich der Eigentumsschutz nicht als Bestandschutz, sonder als Wertschutz, de facto im Bodenrecht allerdings wegen der großen finanziellen Folgebelastungen gesetzgeberischer Maßnahmen zum Bestandsschutz. Folglich führte diese Auslegung zur Blockierung des Gesetzgebers.109 Die umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit nach der Machtergreifung hatte das Ziel, das Eigentum in die Strukturen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems einzugliedern. Der Reichserbhofgesetzgebung vom 29. September 1933 ist im Dritten Reich die auslösende Rolle für die Eigentumsentwicklung zugesprochen worden.110 Die neue Ausgangslage war entscheidend durch die dogmatische Verarbeitung des „pflichtgebundenen Eigentums" in der Volksgemeinschaft bestimmt und forderte eine Modifizierung des Eigentumsbegriffs und Wandlungen der Eigentumsverfassung. Die Querelen um das NSDAP-Parteiprogramm von 1920, da das Eigentum durch die Forderung nach Bodenreform, unentgeltliche Enteignung und Ver107 Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, S. 154. 108 Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 458. 109 Brandt, Martin: Eigentum und Eigentumsbindung, in: Böckenforde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Staatsrecht und Staatsrechtslehre im Dritten Reich, Heidelberg 1985, S. 212-235 (215f ). 110 Weitzel, Jürgen: Sonderprivatrecht aus konkretem Ordnungsdenken: Reichserbhofgesetz und allgemeines Privatrecht 1933-1945, in: ZNR, 14. Jg. (1992), S. 55-79 (69); s. a. Huber: Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, S. 374 und die dort in § 36 (S. 371f.) angeführte Literatur zur Eigentumsdiskussion. So resümiert Huber: „Der das Reichserbhofgesetz kennzeichnende Gedanke, daß alles Eigentum der Volksgemeinschaft dient und deshalb zum allgemeinen Besten verwalten ist, muß zum Prinzip der ganzen Eigentumsordnung erhoben werden"; vgl. Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 457.

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staatlichung der Betriebe teilweise sozialistisch interpretiert wurde, „löste" Hitler 1928, indem er den Punkt 17 des Parteiprogramms mit der Anmerkung versah, die Partei stehe auf dem Boden des Privateigentums. Seitdem wurde die Existenz des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht mehr angegriffen. 111 Auslegungsregel blieb der in Punkt 24 des NSDAP-Parteiprogramms enthaltene Satz „Gemeinnutz geht vor Eigennutz", 112 der die Auffassung zuließ, das Eigentum als Voraussetzung und Ausstattung der einzelnen zur Erfüllung bestimmter Aufgaben in der Volksgemeinschaft zu umfassen - als „Begriff des pflichtgebundenen Eigentums". 113 Demgemäß erklärt Huber, daß in der Wirtschaftsverfassung des Nationalsozialismus, dem „Deutschen Sozialismus", alles Eigentum Gemeingut sei. Die Wertung des nationalsozialistischen Eigentumsbegriffs als „sozialistisch" 114 hängt unmittelbar mit der Brechung der bürgerlichen Rechtsbegriffe und der Subsumtion des Einzelinteresses unter das völkische Gemeininteresse zusammen, in dem Sinne, „daß die private Willkür des Besitzenden beseitigt und daß seine öffentliche, politische Verantwortung hergestellt wird." 115 Gemeineigentum bleibe jedoch persönliches Eigentum. Die Erfahrungen mit Art. 153 Abs. 3 WRV veranlassen Huber, das Bodenrecht zur Grundlage des „Deutschen Sozialismus" zu erklären und seine öffentliche Verantwortung herauszustellen. Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken", das den Eigentumsbegriff wesensmäßig mit neuen Inhalten füllt, verlangt nach der planenden juristischen Erfassung der neuen Wirklichkeit. Voraussetzung ist der „konkrete Ordnungsbegriff" Eigentum, der die privatrechtliche Stellung des Eigentümers durch die objektive Gliedstellung des Volksgenossen im Staat ersetzt. 116 Der ursprünglich bei Karl Larenz konstruierte „konkret-allgemeine Eigentumsbegriff" verweist auf eine zentrale Dimension des nationalsozialstischen Rechts, 117 seine dualistischen Rechtsstruktur. 118 Die Pflichtgebundenheit der „volksgenössischen Gliedstellung" betrifft vor allem die Lehre vom Eigentum. Das neue Eigentumsrecht geht gemäß der völkischen Bindung des Rechts von der Anerkennung der Rechtsperson durch die Gemeinschaft und in der Gemeinschaft aus: „Die Art des konkreten Eigentumsbegriffs einer politischen Einheit gehört zur Verfassung. [...] Das Eigentum ist eine der Kernstellungen der völkischen Lebensord-

111 Sieling-Wendeling, Ulrike: Die Entwicklung des Eigentumsbegriffes vom Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Ende des Nationalsozialismus, in: Däubler, Wolfgang/Sieling-Wendeling, Ulrike/Welkoborsky, Horst: Eigentum und Recht. Die Entwicklung des Eigentumsbegriffes im Kapitalismus, Darmstadt/Neuwied 1976, S. 75-140 ( l l l f . ) . 112 Brandt, Martin: Eigentum und Eigentumsbindung, a. a. O., S. 219. 113 Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 459. 114 Ebenda, S. 455f.. 115 Die Gestalt des deutschen Sozialismus, a. a. O., S. 23. 116 Wieacker, Franz: Wandlungen der Eigentumsverfassung, Hamburg 1935, S. 59. 117 Larenz: Zur Logik des konkreten Begriffs, S. 293f; vgl. auch Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 452ff. Larenz verweist bei der „volksgenössischen Gliedstellung" als Voraussetzung des konkret-allgemeinen Eigentumsbegriffs wiederum auf Hubers Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches, a. a. O., S. 295, ein Indiz fur die Zitationskartelle der Kieler Juristen. 118 Maus, Ingeborg: Juristische Methodik und Justizfunktion im Nationalsozialismus, in: Rottleuthner, Hubert (Hrsg.): Recht, Rechtsphilosophie, Nationalsozialismus, in: ARSPh, Beiheft 18 (1983), S. 176-196 (189).

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nung." 119 Nach der Logik des „konkret-allgemeinen Begriffs", im Sinne der „Natur der Sache", wird die gemeinschafsgebundene Rechtsstellung des Eigentümers als der „Substanz des Eigentums von vornherein" innewohnend erklärt. „[. . .] das Eigentum ist seinem Wesen und Inhalt nach eine gemeinschaftsgebundene Befugnis." 120 Diese „Wesensschau" ist in der Logik der „Einlegung" der Kern und der weltanschauliche Pol des „konkreten Ordnungsdenkens". Die im Eigentumsrecht überkommene neutrale und subjektivrechtliche Wertung wird zugunsten des NSDAP-Parteiprogramm und des „Geistes des Nationalsozalismus" als vorrangiger Rechtsquelle in die Rechtsbegriffe „eingelegt". Die rechtserzeugende Kraft der neugebildeten Begriffe ist ein weiteres Moment der „Einlegung". Der neuhegelianischen Rechtsphilosophie kam somit eine Protagonistenrolle in der Durchdringung der Rechtsordnung mit nationalsozialistischem Gedankengut zu. 121 Wenn das offizielle Ziel der Erfassung des „Wesens" der „konkreten Ordnung" Eigentum auch die Sinnbestimmung und soziale Funktion in der Gemeinschaft war, 122 so diente das Eigentum als Aneignungstitel des Staates dazu, daß sich rein dezisionistisch getroffene Maßnahmen, durch Generalklauseln handhabbar, als ergebene Notwendigkeit aus der substanzhaften Gliederung des Volkes erwiesen. Die Anpassung von Wertvorstellungen und politischer Wirklichkeit gab dem Juristenphilosophen Huber die Definitionsmacht in die Hand. Der Dualismus von Sein und Sollen ist damit nicht nur naturrechtlich „gelöst", sondern über die Denkfigur der „Einlegung" politisch instrumentalisiert.123 Das jeglicher Handlungssituation durch situative Dynamisierung der Rechtsbegriffe offene „Ordnungsund Gestaltungsdenken" dokumentiert sich mit dem Wechselspiel von Substanz und Dezision, mit dem Vorrang der Dezision angesichts der Priorität des Führerbefehls. Im ganzen ist der „substantielle Dezisionismus" des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" das ideologische Pendant zum strukturellen Chaos des nationalsozialistischen Herrschaftssystems.124 Die „unbegrenzte Einlegung" von ideologischen Versatzstücken in die Rechtsbegriffe sicherte die Auflösung von Theorie in herrschaftssichernden Pragmatismus. Die Anpassung der Rechtspraxis an die materielle Gestaltung des nationalsozialistischen Systems wurde somit methodisch gewährleistet.125 Hierin ist auch die konservative Funktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" im Sinne der taktischen Herrschaftsvariante der Herrschaftsausübung zu sehen. Das Ordnungsdenken trägt dem Lavieren der nationalsozialistischen Führung zwischen den ideologisch-programmatischen Fernzielen der Bewegung und kurzfristigen taktischen Kompromissen als status-quo-stabilisierende In-

119 120 121 122 123 124

Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, a. a. O., S. 453. Ebenda, S. 455. Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung, a. a. O., S. 175f.. Larenz: Über Gegenstand und Methode völkischen Rechtsdenkens, a. a. O., S. 33. Brandt: Eigentum und Eigentumsbindung, a. a. O., S. 222. Rottleuthner: Substanzieller Dezisionismus. Zur Funktion der Rechtsphilosophie im Nationalsozialismus, a. a. Ο., S. 29; Rottleuther erneuert diese These in: Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie im Nationalsozialismus, in Dreier, RalüSellert, Wolfgang (Hrsg.): Justiz und Recht im „Dritten Reich", Frankfiirt/M. 1989, S. 295-322 (300). 125 Neumann, Volker: Vom Entscheidungs- zum Ordnungsdenken. Carl Schmitts Rechts- und Staatstheorie in der nationalsozialistischen Herausforderung, in: ARSPh, Beiheft 18 (1983), S. 152-162 (159f.).

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stanz Rechnung. 126 Die Juristenphilosophie Hubers versteht sich somit in der rechten Hegelrezeption als nationalkonservative Machtstaatstheorie. Die dualistische Struktur nationalsozialistischen Rechts fordert der „konkret-allgemeine Eigentumsbegriff", wie Huber ihn in Anlehnung an Larenz verwendet, deutlich zutage. Bei der Ausdifferenzierung der Eigentumstypen, etwa „Erbhof, „Betrieb", „Fabrik", werden jeweils zwei Momente der Gestaltungsmacht verdeutlicht, einerseits die persönliche Gestaltungsmacht des Eigentumsbegriffes, andererseits die Bindung der Persönlichkeit an Gemeinschaftsaufgaben. Es sind zwei Formen des Verhältnisses von Politik und Ökonomie, die dieser Dualismus kundtut. Die persönliche Gestaltungsmacht hinsichtlich einer Sache, mit der Larenz „persönlichkeitsbestimmte Lebensführung" meint, 127 enthält die klassische liberale Eigentumsfunktion der Selbststeuerung der Wirtschaft, während die Bindung der Persönlichkeit an die Gemeinschaftsaufgabe die enge Beziehung zwischen Staatshandeln und Eigentumsfunktion voraussetzt. Sie ist im engeren Sinne die Staatsintervention der staatsmonopolistischen nationalsozialistische Wirtschaftsordnung.128 Der Dualismus ist im wesentlichen ein Kompromiß von weiterhin sozialgebundenem Eigentum und interessengebundener, planerischer Führungswirtschaft. Die Doppelung der Rechtsstruktur, die im „konkret-allgemeinen Eigentumsbegriff" liegt, betrifft auch die Rechtsanwendung. Neben den konkreten Rechtsbegriflfen bleiben abstrakte Allgemeinbegrifife als technische Hilfsmittel unentbehrlich, wenn auch nur zur inhaltlichen Abgrenzung, etwa bei § 903 BGB, weil Auslegung und Gesetzesanwendung sich methodisch unterscheiden. Es verbleibt unter dem Mantel der „konkret-allgemeinen Begriffe" ein Restbestand überkommener formaler Rechtsanwendung.129 Die Hegeische Begrififstranszendenz vermag dieses Problem ebensowenig zu verwischen wie die Überwindung der für die bürgerliche Rechtstheorie grundlegende Trennung von Rechtssubjekt und Rechtsobjekt, ein Verständnis, Mensch, Umwelt und Dinge als gemeinsam in „Ordnungen" hineingestellt zu begreifen. 130 Das nie zur Fertigstellung gelangte Volksgesetzbuch und die mit liberalem Gedankengut durchsetzte Eigentumsdiskussion im Dritten Reich zeigt das sehr deutlich. Weil das Eigentum seine „innewohnende Gemeinschaftsbindung näher verwirklicht", lehnt Huber den Begriff der „Enteignung" als die Rechtsstellung infragestellend ab. Dagegen werde über die Eigentumsbindung nur der Inhalt näher bestimmt und geregelt.131 Die Gemeinschaftsbindung des Eigentums mußte sich auch in der Enteignungsdogmatik niederschlagen. Aufgrund der nicht mehr bestehenden Gewaltenteilung war der Unterschied zwischen Legalenteignung und Enteignung durch Verwaltungsakt obsolet geworden und die Unterscheidung von Sozialbindung und Enteignung verlor an Bedeutung, weil die Pflichtbindung des Eigentums die Eigentumsbeschränkungen des Eigentums als ,immanente Schranke" wesensmäßig vorsah.132 Die Umgestaltung der Lebensverhältnis126 Ebenda. 127 Larenz: Zur Logik des konkreten Begriffs, a. a. O., S. 293. 128 Maus, Ingeborg: Juristische Methodik und Jusitzfunktion im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 189. 129 Ebenda, S. 190. 130 Weitzel, a. a. O., S. 63f.. 131 Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 460. 132 Sieling-Wendeling, Ulrike: Die Entwicklung des Eigentumsbegriffes vom Inkrafttreten des bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Ende des Nationalsozialismus, a. a. O., S. 120.

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se, z.B. die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Aufrüstung, gaben der Enteignung eine herausragende Bedeutung. Huber unterscheidet deutlich Eigentumsbindung und Eigentumsentziehung. Zur Verwirklichung der dem Eigentumsbegriff inhärenten Gemeinschaftsbindung werden folgende Tatbestände genannt, die keine Enteignung mehr sind: die Verstärkung der dem Eigentum innewohenden Pflichtcharakter durch staatliche Maßnahmen, die wirtschaftliche Verwertung von Gütern im Marktverkehr durch staatliche und ständische Anordnungen und die durch staatliche und ständische Wirtschaftsführung geregelte Ablieferungspflicht für bestimmte Güter.133 Dagegen sei eine „echte Entziehung des Eigentums" dann gegeben, wenn „ein bestimmtes Vermögensobjekt der bisherigen Zweckbestimmung entzogen und einer neuen Aufgabe zugewiesen werden soll."134 Die Verwirkung dagegen fällt nicht aus dem Begriff der Enteignung, sondern wird begrifflich weiter gefaßt als die bisherige zivilrechtliche Dogmatik. Die der volksgenössischen Rechtsstellung immanente Pflichtbindung des Eigentümers beurteilt Huber auch für den pflichtmäßigen Gebrauch des Eigentums. Neben der strafrechtlichen Verwirkung gelte der Rechtssatz, daß dem Eigentümer nur eine Rechtsstellung als Eigentümer zukomme, solange er die „Bindung an die Gemeinschaft" nicht verletzt.135 Die Enteignung grenzt Huber von der Verwirkung ab. Diese sei dann gegeben, wenn die Gründe zur Übertragung ausschließlich in der Sache lägen, ohne daß das Verhalten des Betroffenen irgendeinen Anlaß gäbe: „Dieser Fall ist immer dann gegeben, wenn ein bestimmtes Vermögensobjekt der bisherigen Zweckbestimmung entzogen und einer neuen Aufgabe zugewiesen werden soll." 136 Dazu zählt der Tatbestand der „klassischen Enteignung", der ein Grundstück der alten Benutzung entfremdet und neuer Verwendung zuführt. Für die „echte" Enteignung sei die Zweckentfremdung und die Überweisung zu neuer Bestimmung kennzeichend. Gegenüber dem liberaldemokratischen Enteignungsrecht hat in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft das formale Abgrenzungskritierium des Rechtssubjektswechsel keine entscheidende Bedeutung mehr. Wieder einmal muß die Substanz des Eigentums als „Konkretion" als für die pflichtgebundene, gemeinschaftsgebundene und damit „wirkliche" Bindung des Eigentums herhalten, um den existentiellen Bezug zum Enteignungsrecht darzustellen. Erst wenn die Nutzung des Eigentums in jeder Hinsicht ausgeschlossen sei, so daß dem Eigentümer nur noch ein „nudum ius" 137 bleibe, liege eine Enteignung vor: „Hier kann man nicht mehr von Eigentum in einem materiellen Sinne sprechen; hier ist das Wesen des konkreten Eigentums ausgelöscht, und was bleibt, ist Eigentum' allenfalls in einem abstrakt-allgemeinen, aber nicht mehr in einem wirklichen Sinne." 138 Dem Recht wird somit die Lebenswirklichkeit entzogen, das „konkrete Recht" zum abstraktformalen reduziert. Das „Abstrakt-Allgemeine" wird als Feindkategorie strategisch in die juristische Beurteilung aufgenommen. Der Nationalsozialismus hat keine konsistente Eigentumstheorie hervorgebracht. Hubers Verweis auf die zahlreichen der Arbeitsbeschaffung dienenden Enteignungsgesetze doku133 134 135 136 137

Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 460-462. Ebenda, S. 463. Ebenda, S. 474. Ebenda, S. 463. Vgl. Brandt, a. a. O., S. 224. Huber verwendet den Begriff „nudum ius" als seiner Lebenswirklichkeit entkleidetes formales Recht nach herrschender Auffassung; s. a. Wieacker: Wandlungen der Eigentumsverfassung, a. a. O., S. 457. 138 Huber: Die Rechtsstellung des Volksgenossen, S. 464.

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mentiert die pragmatische und opportunistische Besitzpolitik des Nationalsozialismus; opportunistisch, indem sie auf die sozialistische Aktivierung des Besitzes zugunsten der Vorbereitung und Erhaltung des Rüstungspotentials verzichtete, pragmatisch, weil der Nationalsozialismus die konventionelle Enteignungspraxis durch eine zurüchhaltende Planwirtschaft die Beschaffung des Raumbedarfs für die Rüstung, Autobahnen und Rüstungswirtschaft nicht verließ. 139 Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" erfüllt auch hier wissenssoziologisch seine politisch-soziale Integrationsfunktion, denn es vermag den Antagonismus von Maßnahmenstaat und Normenstaat 140 im nationalsozialistischen Herrschaftssystem und die dualistische Struktur des nationalsozialistischen Rechts methodisch-sprachlich aufzufangen, wenn auch seine Realität nicht zu immunisieren ist. Die Situation des Eigentums drückt letzlich die Struktur und Ideologie des Doppelstaates aus. Den Maßnahmenstaat definiert Ernst Fraenkel als das „ H e r r s c h a f t s s y s t e m der unbeschränkten Willkür und Gewalt, das durch keinerlei rechtliche Garantien eingeschränkt ist", während der Normenstaat das Regierungssystem ist, „das mit weitgehenden Herrschaftsbefugnissen zwecks Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ausgestattet ist" 1 4 1 , wie sie in Gesetzen, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakten der Exekutive zum Ausdruck kommt. Der Normenstaat ist gewissermaßen als „halbierter Rechtsstaat" 142 den Bedürfnissen der verfassungspolitisch unangetasteten Wirtschaft zugeordnet. Seine Verkehrsform ist der Staatsmonopolismus und ist für die Eigentumsdiskussion von großer Bedeutung. Der Normenstaat ist in den Maßnahmenstaat eingelagert, dennoch sind beide keine komplimentären Gewalten, sondern konkurrierende Herrschaftssysteme.143 Die Dialektik des Doppelstaates erklärt Fraenkel mit der sukzessiven Ergänzung und Verdrängung des Normenstaates durch den Maßnahmenstaat, mit dem strategischen Zweck, sich der Ideologie des Normenstaates zu bedienen, um seine mit Willkür und Befehl initiierten politischen Ziele rechtsstaatlich zu tarnen. 144 Die Symbiose von Normen- und Maßnahmenstaat ergibt sich durch das Zusammenspiel von Feindbekämpfung und Aufrechterhaltung der kapitalistischen Grundordnung. Die Konkurrenz beider Herrschaftssysteme ist in der gesellschaftlichen Wirklichkeit strukturell vorbestimmt. 145 Doch gerade im Privateigentum treffen Normenstaat und Maßnahmenstaat im Ökonomischen aufeinander und reflektieren die duale Rechtsstruktur des Nationalsozialismus im Nebeneinander von normativen Prämissen und dezisionistischen Rechtsstrukturen in Form von Generalklauseln und Einzelfallorientierungen. Fraenkel stellt die These auf, daß im Dritten Reich der Normenstaat eng mit dem inzwischen stark modifizierten System von Eigentum und Privatunternehmen verbunden ist, zumal ein auffallender Unterschied zwischen „Eigentum" und „Arbeit" besteht. Der im sozialpolitischen Raum agierende Maßnahmenstaat ist in den ökonomi-

139 Brandt, a. a. O., S. 228. 140 Fraenkel, Ernst: Der Doppelstaat, a. a. O., S. 26ff, 96fiF.; zur Kritik an Fraenkel vgl. Blanke, Bernhard: Der deutsche Faschismus als Doppelstaat, in: KJ, 8. Jg. (1975), S. 221-243. 141 Fraenkel: Der Doppelstaat, S. 21. 142 Blanke, a. a. O., S. 226. 143 Fraenkel, S. 75f.. 144 Ebenda, S. 70. 145 Blanke, S. 226.

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sehen Bereich eingebrochen, weil er die Arbeiterorganisation zerstört und als ständische Organisation die Gemeinwirtschaft unter planerischer Führung integriert hat. 146 Das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" steht in einer genauen Beziehung zur Struktur des nationalsozialitischen Rechts, es vermag die Rechtsbegriffe im Doppelstaat situativ zu dynamisieren, weil die strukturelle Wirklichkeit in den Begriffen vorgegeben beabsichtigt ist. Vom institutionellen Denken her öffnet sich das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" der veränderten staatlichen und sozialen Wirklichkeit, den ihr gewandelten Wertvorstellungen und der spezifisch metajuristischen, ideologisch durchtränkten Strömung der Zeit. Die naturrechtliche Herleitung von Rechtsquellen förderte die Anpassungsstrategie, das in das Dritte Reich übernommene alte Recht inhaltlich, begrifflich und methodisch an die rechtspolitischen Forderungen der nationalsozialistischen Revolution anzupassen. 147 Die doppelte Funktion der Rechtsanwendung des „konkreten Ordnungsund Gestaltungsdenkens", der Einschub von Generalklauseln und Gemeinwohlformeln in Gesetze mit weiteren Einzelbestimmungen oder die Entscheidung nach Einzelfallen, z.B. bei dem fehlenden Reichsenteignungsgesetz die zahlreichen Gesetze zur Arbeitsbeschaffung, passen sich der Struktur des Doppelstaates an. 1 4 8 Die grundsätzliche Garantie des sozialgebundenen Eigentums, vom Normenstaat für das private Unternehmertum geschützt, erwies sich als geeignete Form für die Dezentralisierung sozio-ökonomischer Funktionen. Die Funktion des Eigentums in der staatsmonopolistischen Wirtschaftsstruktur des Nationalsozialismus, im Interesse einer inverventionistischen Wirtschaftsplanung dem Staat gegenüber ungeschützt und auf seine „Kernfunktion" als Aneignungstitel reduziert, 149 verdeutlicht die korrelierende Stellung der Enteignung zwischen Maßnahmenstaat und Normenstaat. Die Privatwirtschaft bleibt eigentumsrechtlich im Normenstaat geschützt, die kapitalistische Grundfunktion aufrechterhalten, die der ideologischen Vorgabe nach wichtige Pflichtbindung des Eigentums wurde durch Einzelmaßnahmen und Gesetze im Maßnahmenstaat geregelt. Hubers Beispiele zur Arbeitsbeschaffung dokumentieren die sozialpolitische Intervention des Maßnahmenstaates, unter Rückgriff auf die dem Normenstaat unterworfenen Eigentumsklauseln.

f) Immunisierung durch Sprache Methodendenken bedient sich der Sprache als Ausdrucks- und Vermittlungsmedium. „Methode" ist sprachliches Handeln, das durch die Mitbestimmung rechtsanwendender Entscheidung Machtcharakter annimmt. Der als Weltanschauungswissenschaft fundierte Ansatz des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" verdeutlicht sich zudem in der hermeneutisch-exegetischen Öffnung nationalsozialistischer Weltanschauungselemente durch „Einlegung" Sprache wird zum Vermittlungsmedium von Gesinnung. Die Rolle der Sprache bei der Durchsetzung totalitärer Systeme ist im Rahmen der naturrechtlichen Be-

146 Fraenkel, S. 219. 147 Anderbrügge: Völkisches Rechtsdenken, S. 113f.. 148 Maus, Ingeborg: Juristische Methodik und Justizfimktion im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 189ff.. 149 Sieling-Wendeling, a. a. O., S. 122.

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gründung der nationalsozialistischen Rechtsphilosophie zu beurteilen. Die Angewiesenheit auf kollektive Sprachregelung, ihre Desensibilierung durch Naturrecht und dialektisch verkürztes Einheitsdenken hat mit dem politischen Phänomen zu tun, die fehlende monolithische Struktur der nationalsozialistischen Herrschaft durch nicht kalkulierte Meinungen zu suggerieren.150 Die Sprache des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" dokumentiert in den Schriften Hubers bei der Verwendung von Tautologien die Umgestaltung juristischer Methoden auf die Situativität des Rechts. Die Verwendung stereotyper Formeln im Einheitsdenken, etwa der Gestaltbegriff, die metaphysische Verschleierung der Sachverhalte bei gleichzeitiger ständiger Wiederholung zur sprachlichen Klärung und Indoktrination, sind nur Mittel der Integrationsleistung des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens", die sich auf Handlungsprädispositionen bezieht.151 Die methodische Intention, über die Logik des „konkret-allgemeinen Begriffs" auch Besonderheiten und Unterschiede begrifflicher Phänomene einzuschließen, als Ausprägung oder „Konkretion" nicht zu subsumieren, sondern korporativ „einzugliedern", trägt dem Aspekt der Einzelfallorientierung Rechnung. 152 Einheitsstiftende methodologische Argumentationsfiguren, die im Ordnungsdenken reichlich überzogen wirken, bezwecken bei der von Huber detailliert beschriebenen Einbindung des Forschers in die Mitte des Seins zugleich eine Immunisierung gegenüber den sozialen und politischen Kontexten. Hubers materielle Verfassungslehre, welche die Seinswirkung von Sollensbezügen postuliert, steht im Konflikt mit der Faktizität der politisch-ideologischen Setzung des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates und der im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" bestrebten harmonisierenden Darstellung der ganzheitlichen Kompetenz- und Regelungsstrukturen des Nationalsozialismus als Sollenspostulat. Der Gedanke der Harmonisierung schlägt sich in der dialektischen Sprache als sprachliche Handlung nieder. Die irrationale Politisierung und weltanschauliche Öffnung der Rechtsbegriffe ist im „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" ein wissenschaftspolitisches Instrument im Dienst an der Appell-, Integrations- und Identifikationsfunktion von Sprache im Nationalsozialismus.153 Als Problem erwies sich im Nationalsozialismus die Vermittlung komplexer theoretischer Zusammenhänge, etwa in der Volkstheorie, bei gleichzeitiger Beibehaltung des akklamatorischen Sprachduktus. Die Vermittlung von inhaltlich-sachlicher Komplexität und der „einfachen Welt" der nationalsozialistischen Sprache mußte in wissenschaftlichen Zusammenhängen zu einer eigenartigen Symbiose „verkommen". Mit der verbalen Aktion auf Akklamation drängt nationalsozialistische Sprache auf den Eindruck von Partizipation und der Herstellung von Gemeinsamkeit, ein Mechanismus partizipationsloser Partizipation. 154 Die zweite Dimension gleichgeschalteter Sprache betrifft die kollektive Erfahrung und Sichtweise der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die möglichen propositionalen Gehalte 150 Kaufmann, Arthur: Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, in: Rottleuthner, Hubert (Hrsg.): Recht, Rechtsphilosophie und Nationalsozialismus, ARSP, Beiheft 18 (1983), S. 1-19 (15£). 151 Kalbhen, Uwe: Die NS-Rechtstheorie als Herrschaftsideologie, a. a. O., S. 163. 152 Maus, Ingeborg: Juristische Methodik und Justizfunktion im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 183. 153 Kalbhen, a. a. O., S. 162. 154 Vgl. Ehlich, Konrad: Über den Faschismus sprechen - Analysen und Diskurs, in ders. (Hrsg.): Sprache im Faschismus, Frankfurt/M. 1989, S. 7-34 (21).

2. Zum Denkstil völkischen Rechts

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zentraler Gebiete gesellschaftlich relevanter Inhalte wurden nicht nur eingeschränkt, auch die Komplexitätsreduzierung, welche die handlungsleitenden Wissenssysteme organisiert, wurde zudem unter den Bedingungen der Massenpartizipation an Politik organisiert. Der dritte Bereich nationalsozialistischer Sprache ist mit der Verheißung einer einfachen Welt verbunden, das Individuum seiner ideologischen und materialen Probleme zu entheben. 155 Wenn in der Wissenschaft diesen Wirkungsmechanismen des Versprechens eine geringere Bedeutung zukommt, so bleibt die Reduktion von sozialem und materialem Sprachgehalt auch hier als Immunisierungsstrategie konstitutiv. In Hubers Verfassungstheorie hat das „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" die Binnenstruktur und Logik nationalsozialistischer Wissenschaftssprache zum Bestandteil des Methodendenkens vereinnahmt. Die totale ideologische Eingebundenheit des „Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" angesichts der mangelnden Geschlossenheit der nationalsozialistischen Ideologie führt folgerichtig nie zu einer endgültigen Festlegung auf eine Langzeitposition. Das Zirkelschlußdenken, eine Prämisse ehemals naturrechtlicher Konstruktionen,156 ist die wissenssoziologische Konsequenz der sprachlichen Immunisierung und des argumentativen Schutzes vor der politisch-ideologischen Undurchdringbarkeit sowie der wissenschaftspolitischen Vorgaben des Nationalsozialismus. Für Huber bedeutet die Zirkelschlußkonstruktion die eigentliche Überwindung des positivistischen „Trennungsdenkens". Dazu ein Beispiel: Im „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" ist die Frage, wer den Inhalt der „konkreten Ordnungen" erkennt, nicht wie sie erkannt wird, das Erkenntnismittel schlechthin. „Wille", „Entscheidung" und „Tat" sind die dafür eingesetzten Losungen, die zu Zirkelschlüssen führen. Damit werden die „politischen Leitprinzipien" des Nationalsozialismus, „Bewegung", „Führung" und „Gefolgschaft", im Kontext dynamisiert. 157 Der Staat entstehe als „Gestalt des politischen Volkes" aus „Wille, Entscheidung und Tat". Huber gesteht dem Staat „bewegende Kraft", „ruhendes Sein" aber auch „Tat" und „Dauer" zu. Das ist nur möglich, wenn der Staat sowohl „existentielle Wirklichkeit" als auch „Idee" ist. Um Antinomien zu vermeiden, fugt Huber den dialektischen Gedanken ein, daß „Wille, Entscheidung und Tat" den Staat als lebendiges Sein erst zur geordneten Einheit gestalten, der Staat aber zugleich aus dieser „lebendigen Ordnung" hervorgeht.158 Indem etwas gewollt wird, wird auch etwas getan, indem etwas geschaffen wird, wird es auch beschützt. Diese offensichtliche Ablenkung von Widersprüchen macht im „konkreten Ordnungsdenken" das „Was" zum Stifter von Ordnung und Gestaltung, wenn auch der „Führer" zur „konkreten Ordnung" wird. Nicht die Tat der Ordnung, sondern die Ordnung der Tat ist im „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" Erkenntnisziel und materialer Gerechtigkeitsinhalt.159 Der Zirkelschluß zwischen „Wille" und „Tat", der den Antagonismus zwischen Sein und Sollen, Volks- und Führerwillen, Norm und Wirklichkeit kraft völkischer Vitalität zunichte macht, wird über die Rezeption von Carl Schmitts „dritter Arten rechtswissenschaftlichen Denkens" als „lebendiger Ordnung" aus der Insti-

155 156 157 158 159

Ebenda, S. 22. Kalbhen, a. a. O., S. 18, 167. Huber: Die deutsche Staatswissenschaft, S. 28f.. Ebenda, S. 29f.. Anderbrügge, a. a. O., S. 117; s. a.: Kirschenmann, a. a. O., S. 33f.. Kirschenmann weist das Zirkelschlußdenken auch bei Carl Schmitt und Karl Larenznach: a. a. O., S. 33, 41.

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tutionentheorie Maurice Haurious' abgeleitet. Auch hier ist die „lebendige Ordnung" die Rechtsquelle für Wille und Tat. Die tautologische Aussage, „Volk", „Staat" und „Führer" staatswissenschaftlich als Einheit zu denken, dient letztlich der Reduktion von Komplexität, um die - zumindest in Ideologie und Theorie vorherrschende - komplexe Wirklichkeit des völkischen Führerstaates als „Theorie einer unlöslichen Verschmelzung" (Anderbrügge)160 nicht zu verabsolutieren. „Volk" und „Staat" sind eins, so wie Wesen und Form, Gehalt und Gestalt zwei Erscheinungsweisen derselben Substanz sind. Diese Beispiele lassen sich in dem Programmaufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" beliebig fortsetzten. Der Gestaltbegriff im „konkreten Ordnungsdenken" schafft für diese Pleonasmen argumentative Brücken, Ersatzwege und Gliederungsmomente. Im ganzen hat das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken" nur noch wenig mit dem institutionellen Rechtsdenken gemeinsam. Es dokumentiert mit seiner ideologischen Integrations- und Weltanschauungsfunktion vielmehr die Grenzen des metaphysischen Institutsbegriffs, der mit der ontologischen Fragestellung nach Existenz rechtsdogmatisch in die totalitäre Situationsjurisprudenz abrutscht. Schon Carl Schmitt interpretiert die französische Variante institutionellen Rechtsdenkens, die bei Hauriou naturrechtlich verbundenen Kategorien der subjektiven und objektiven Leitfunktion von Institutionen, zu einem Institut als Gemeinschaftsverhalten um. Die in der Kieler Rechtsphilososphie betriebene erkenntnistheoretische Ausdifferenzierung des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" rekurriert dabei auf die deutsche rechtsphilosophische Linie Savignys und ist volksgeistbestimmt. Die dem metaphysischen Institutsbegriff immamente, kaum rational klärbare Vermittlung der begrifflichen Bedeutung von „Institution" hängt denn auch mit dem überpositiven Wertsubstrat zusammen, das für die nationalsozialistische Rechtsphilosophie ein argumentatives Einfallstor in die Situativität des Rechts gewesen ist. Wendet man die von Bernd Rüthers unternommene Unterscheidung von faktischem, normativem und metaphysischem Begriff der Institution161 auf die völkische Variante des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" an, so tritt nicht nur die Irrationalität der naturrechtlichen Konstruktion zutage, sondern auch die Erschleichung von juristischen Problemlösungen, die von der Einheit von Sein und Sollen ausgeht, Wesensbegriffe konstruiert und das vor- oder überpositive Wertsubstrat von „konkreten Ordnungen" thematisiert. Insofern ist das „konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken die irrationale Antwort auf die erkenntnistheoretischen und rechtsmethodischen Fragen des Weimarer Methodenstreits. Rechtsfragen werden nicht soziologisiert, sondern ideologisiert. Die normativen Reste instititutionellen Rechtsdenken werden zugunsten überpositiver Wesensargumente geopfert, so daß die „Begriffsdecke" des institutionellen Rechtsdenkens vielleicht doch etwas überstrapaziert ist. 162 Deshalb sollte bei der methodischen Variante des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens besser von „korporativem Rechtsdenken" gesprochen werden.

160 Anderbrügge, S. 161f.. 161 Rüthers, Bernd: Institutionelles Rechtsdenken im Wandel der Verfassungsepochen (Anm. 83), S. 34ff.. 162 Rottleuther, Hubert: Recht und Institution, in: Göhler, Gerhard/Lenk, Kurt/Schmalz-Bruns, Rainer (Hrsg.): Die Rationalität politischer Institutionen. Interdisziplinäre Perspektiven, BadenBaden 1990, S. 337-355 (338f., 354).

3. Ideologische Komponenten des Verfassungsdenkens

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3. Ideologische Komponenten des Verfassungsdenkens Die nationalsozialistische Rechtswissenschaft wies bereits früh darauf hin, daß die Verfassungsgesetze und eine etwaige Verfassungsurkunde nur Ausstrahlungen und Niederschläge des ungeschriebenen Verfassungskerns sind.1 Die Trennung von „Verfassungsgesetzen" als Ausdruck im Führer gebildeten völkischen Gemeinwillens und der „Verfassung" als existentieller Seinsordnung garantiere die Flexibilität eines völkischen „Verfassungsstaates", denn es komme auf die „irrationale geschichtlich-politische Wirkung der Verfassungskräfte" an. 2 Trotz der Ablehnung der Schriftlichkeit und der formellen Geltung der Verfassung vermochte Huber nicht auf den formellen Akt der Kommentierung und Interpretation der Herrschaftswirklichkeit im Sinne der Interpretation seiner enzyklopädischen Staatswissenschaft eines Verfassungsrechts zu verzichten. Der Ordnungs- und Systematisierungsaspekt des juristischen Denkens gilt auch in der nach 1933 eingeleiteten Ära der Identität von materieller Herrschaft und Verfassung fort. Bereits 1934 resümiert Carl Schmitt nach einem Jahr „nationalsozialistischen Verfassungsstaates", daß auch nach der Überwindung des liberaldemokratischen Verfassungssystems der Nationalsozialismus bemüht sein müsse, seinen eigenen Verfassungsbegriff zu schaffen.3 Schmitts profiliertester akademischer Schüler Ernst Rudolf Huber legt 1935 in den Monographien „Vom Sinn der Verfassung" und „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" nicht nur einen ideen- und verfassungshistoriographisch fundierten Verfassungsbegriff vor, sondern ist nach den wissenschaftspolitischen Leitlinien seines staatswissenschaftlichen Programms sogar bemüht, ein „System" der Verfassung bis 1937 zu schaffen. Die „Verfassung" von 1937 und die (großdeutsche) Zweitauflage des „Verfassungsrechts" von 1939 sind nicht nur werkgenetisch die systematische Zusammenfassung der meisten zwischen 1933 und 1939 publizierten Aufsätze zur Volks- und Führungsordnung und dem Leitaspekt der Ordnung und Struktur des Nationalsozialismus4, beide Monographien sind die detailliertesten rechtswissenschaftlichen Kompendien, die zur Struktur und Funktionsweise des nationalsozialistischen Herrschaftssystems, seiner Institutionen und seiner Weltanschauung je erschienen sind. Juristen wie Otto Koellreutter oder Gustav Adolf Walz kommen an die enzyklopädische Struktur und Fülle der Huberschen Werke nicht annähernd heran.5 Die idealistische, harmonisierende Addition der Grundsätze des völkischen 1

2 3 4 5

Vgl. Grimm, Dieter: Art. Verfassung (Π), in: Brunner, Otto/Conze, Wemer/Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 863-899 (897). Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, a. a. O., S. 17. Schmitt, Carl: Ein Jahr nationalsozialistischer Verfassungsstaat, a. a. O., S. 27. Vgl. im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" die Selbstzitationen Hubers in den entsprechenden, den Kapiteln vorangestellten Literaturlisten. Koellreutter, Otto: Deutsches Verfassungsrecht, Berlin 1935; Koellreutters Abhandlung ist im wesentlichen verfassungshistorisch ausgerichtet; Abschnitt 6, „Der Aufbau des deutschen Ftihrerstaates" ist ähnlich konzipiert und gegliedert wie Hubers „Verfassung", Grundlage aber bleibt Koellreutters „Grundriß der Allgemeinen Staatslehre" von 1933; s. a. Walz, Gustav Adolf: Der Begriff der Verfassung, Berlin 1942. Das während des Krieges geschriebene Werk behandelt detailliert den liberalstaatlichen, politischen und rechtlichen Verfassungsbegriff in historischer Perspektive, dennoch nimmt die „nationalsozialistische Verfassungskonzeption" nur insgesamt zehn Seiten ein.

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Das Dritte Reich: die wissenssoziologische

Zurechnung

Staates zu einer Verfassung eröffnet nicht das Vorstellungsvermögen für die praktische Konsequenz dieses enzyklopädischen, als System begründeten Verfassungsrechts des Dritten Reiches.6 Vielleicht erschließt sich darin der Grund, weshalb das Verfassungsrecht in der nationalsozialistischen Phase der Rechtswissenschaft die einzige zusammenhängende große Darstellung ist und staatsrechtliche oder staatstheoretisch bedeutsame Werke in der Zwischenkriegszeit wie durch Kelsen, Smend, Heller oder Schmitt nicht mehr entstanden sind.7 Immerhin ist die „Verfassung" - 1937 überraschend früh, weil erst 1935/36 die Konstituierungsphase des Systems beginnt8 - der vorläufige Abschluß des Systemwechsels und der dogmatischen Neuorientierung der nationalsozialistischen Staatsrechtslehre. Dennoch war der Methodenstreit in der Staatsrechtswissenschaft 19339 nicht beendet. Der Streit um die Auslegungsmethode, welche die nationalsozialistische Weltanschauung mit ihrem Anspruch, alle Lebensbereiche total zu durchdringen, am besten beherrschen konnte, spiegelt sich auch in der Rezension Wilhelm Merks von Hubers „Verfassung" wider. 10 Nicht die Frage nach der Juristischen Methode", die Huber mit dem „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" schulenumgreifend abschöpft, sondern die erkenntnistheoretischen Grundfragen von Geschichtlichkeit, Form und Inhalt der Materien des Verfassungsdenkens bedurften der Konsensfähigkeit. Wilhelm Merk kritisiert an Huber deshalb alle Denkstandorte, die sich aus der „Kieler Schule", der neuhegelianischen und der spezifisch Schmittianischen Position ergeben: die Trennung von „naturhaftem" und „politischem Volk" und der damit einhergehende Mangel des historischen Entwicklungsgedankens, die mit dem Prinzip der „Einlegung" verbundene Einheit von politischer und rechtlicher Argumentation11 und vor allem die Kritik an der Staatslehre Reinhard Hohns und ihrem Grundgedanken der Staatsperson.12 Aber auch grundlegende Gedanken zur Verfassungsstruktur waren nicht konsensfähig, so die von Huber mit hohem argumentativen Aufwand vertretene Ordnung der „Bewegung" neben der Staatsorganisation, die Ablehnung des Begriffs „Einparteistaat", die Interpretation des „Ermächtigungsgesetzes"13 und die Stellung des „Führers" als Amt. Im ganzen liest sich diese Rezension als ein Votum für Reinhart Höhn gegen Huber. Die „Verfassung" wird als die enzyklopädische Einzelleistung Hubers in Frage gestellt, die dem 6 Stolleis, Michael: Art. Nationalsozialistisches Recht, in: Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. von Adalbert Erler und Ekkehard Kaufmann, Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 871-892 (878). 7 Ebenda. Diemut Majer vertritt die These, daß die rechtswissenschaftlichen Vertreter des NSSystems wegen der Substanzlosigkeit der Ideologie auf die Schaffung einer eigenen Verfassungslehre verzichteten. Ersatzweg sei eine Tarnsprache mit Leerformeln gewesen. Diese im Grunde korrekte Aussagen bedarf der Differenzierung. Immerhin haben Koellreutter, Walz und Huber ein detailliertes wenn auch harmonistisches Bild der völkischen Verfassung gegeben. Hubers großdeutsche Zweitauflage 1939 beweist durchaus die Flexibilität und strukturelle Änderung seines Systems der Verfassung auf Verfassungsänderungen; vgl. Majer, Diemut: Grundlagen des nationalsozialistischen Rechtssystems. Führerprinzip - Sonderecht - Einheitspartei, a. a. O., S. 93. 8 Vgl. Frei, Norbert: Der Führerstaat, a. a. O., S. 85ff.. 9 Vgl. dazu: Rüthers, Bernd: Entartetes Recht, a. a. O., S. 33ff.. 10 Vgl. Merk, Wilhlem: Rez. „Ernst Rudolf Huber: Verfassung, Hamburg 1937", a. a. O., S. 99-114. 11 Ebenda, S. 100. 12 Merk, Wilhelm: Der Staatsgedanke im Dritten Reich, Stuttgart 1935, S. 13f.; Huber: Verfassung, S. 219, 241; 275; zuletz der wehrverfassungshistorische Streit: „Verfassungskampf und Heereseid". Eine Auseinandersetzung mit Reinhard Höhn, a. a. O.. 13 Merk (Anm. 10), S. 103fiF..

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Systemwechsel unterzogene Veränderung der Begriffe und Positionen eines umfassenden staatswissenschaftlichen Verfassungsbildes des Nationalsozialismus anzuerkennen. Zweifellos kann es im Nationalsozialismus nicht „die" Verfassungsdoktrin im Sinne der in der akademischen Lehre üblichen Verfassungsrechtslehre mitsamt der sie tragenden, stützenden und umgebenden Theorie gegeben haben. Dagegen spricht der latent weiterbestehende Methodenstreit in der nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft 14 , ebenso wie das nationalsozialistische Verfassungsdenken nicht mit den konstitutionell-liberalen Topoi Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit begriffen werden kann. 15 Der rational-instrumentelle Einsatz von doktrinären Irrationalismen zur Schaffung einer Fassade von „Verfassung", die als materielle Verfassungslehre etikettiert wurde, läßt angesichts der polykratischen Herrschaftspraxis des Nationalsozialismus die Frage zu, wie sich der Jurist vom Druck der Verfassungsrealität zu befreien sucht. Die hintergrunderfüllende Funktion des seinsmächtigen Forschers besteht deshalb darin, dem „Volksgenossen" die komplizierte Logik des Verhältnisses von „Volk", „Bewegung", „Staat" und „Führer" in einer volkstheoretischen Bewußtseinstheorie mit einer teleologisch stabilen und einfachen Binnenstruktur, die mit Tugendbegriffen wie „Treue" und „Gefolgschaft" verfährt, nahezubringen und den Realitätsdruck kraft einer systemischen Verfassung abzuschirmen. Die soziale Funktion der idealistischen Verfassungslehre Hubers liegt hier begründet. Das Theorie-Praxis-Verhältnis, bzw. der Zusammenhang von Wissenschaft und Politik im Werk Hubers, läßt sich über die Begriffslogik und die juristische Funktion des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" „zweckrational" erschließen. Der Anspruch einer politisch verplanten „Wirklichkeitswissenschaft", die als „Weltanschauungswissenschaft" dem Nationalsozialismus ordnend und strukturierend zur Seite steht, verpflichtet zu machtorientierter Autorität. Dennoch ist das Praxisverhältnis dieser politisierten Wissenschaft aus dem Denkstandort einer gesinnungsethischen Haltung und vor dem Hintergrund des politisch-strukturellen Veränderungsdrucks zu beurteilen. Auch wenn Hubers „politische Wirklichkeitswissenschaft" sich mit der wissenschaftspolitischen Kritik am staatsrechtlichen Positivismus beider Formen der Wissenschaftskritik entzieht - der Angst vor Veränderung und der Einsicht in die der Forschung innenwohnenden Grenzen ethischer Belastbarkeit 16 so sucht auch sie ihre Nischen, sich der Verantwortung zu entziehen. Diese „konservative Immunisierungsstrategie" (Ernst Topitsch) ist zwischen Engagement und Distanzierung zu verorten. Auch eine nicht autonome, politisierte Wissenschaft vermag dem stofflich als „existentiell" verbundenen Forscher Grade der Distanzierung zu vermitteln, wenn es auch nur die Sprache ist. 17 Juristische Verfassungsdoktrinen haben stets die politische Funktion, als Integrationsschranke für das politische System zu fungieren, indem der Verfassungsdoktrin im Rahmen der Verfassungsinterpretation und dem „stillen Verfassungswandel" systemimmanente Spielräume überlassen werden. 18 Das wissenschaftliche Selbstverständnis der gleichgeschal14 Vgl. Rüthers, Bernd: Entartetes Recht, a. a. O., S. 33ff.. 15 Ridder, Helmut: Zur Verfassungsdoktrin des NS-Staates, a. a. O., S. 223. 16 Vgl. Papcke, Sven: Wissenschaft und Ethik - ein Dilemma, in: Entfesselte Forschung. Die Folgen einer Wissenschaft ohne Ethik, hrsg. von Anton-Andreas Guha und Sven Papcke, Frankfurt/M. 1988, S. 10-27(11). 17 Elias, Norbert: Engagement und Distanzierung, a. a. O.. 18 Ridder, Helmut: Zur Verfassungsdoktrin des NS-Staates, in: KJ, Jg. 1 (1968/69), S. 221-243 (223).

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teten nationalsozialistischen Staatsrechtswissenschaft hat diese systemimmanenten Spielräume zerstört. Der Schutz des Forschers gegenüber der Herrschaftswirklichkeit und dem Realitätsdruck, diese staatsrechtlich nachzuzeichnen, führte zu den Immunisierungsstrategien, jeden Verfassungszustand als monolithisch zu interpretieren, die Huber in der Idealisierung der Verfassungszustände suchte. Die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Sprache ist dort am größten, wo die Wissenschaft unter dem selbstgewählten Diktat von Weltanschauungen steht. Die „Verfassung des Großdeutschen Reiches" ließ sich nicht über die Vielzahl der Gesetzesakte zu einem Gesamtbild zusammenfügen, vielmehr ist die soziologisch-effektive Art von Verfassungsordnungen, wie sie konstitutionellen Verfassungen im allgemeinen als „Lebensordnung" (Hermann Heller) zukommt, für die „Verfassung" des Dritten Reiches nicht zutreffend, da nicht im vorrechtlichen, soziologischen Raum die Gebote und Verbote die „Verfassung" aufgebaut werden, sondern aufgrund der ungeschriebenen Verfassung der Geltungsfundus nicht durch methodisch zu ermittelnde Rechtsüberzeugungen feststellbar ist. Die unkonturierte Gesamtbefindlichkeit der völkischen Verfassung hat Huber in der ganzheitlichen Zusammenschau auch nur mit Hilfe des „konkreten Ordnungsund Gestaltungsdenkens" seiner Verfassungstheorie zu bewerkstelligen vermocht. 19 Der „Verfassung" und dem „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" liegt deshalb ein Harmonisierungsgedanke zugrunde, der die widersprüchlichen Spektren der nationalsozialistischen Weltanschauung und ihrer Institutionen und Organisationen in ein widerspruchsloses System integriert. Die Intention Hubers, die wenig monolithischen nationalsozialistischen Machtsäulen Partei/Bewegung, Bürokratie, Wirtschaft und Wehrmacht in ein schematisches System zu pressen, um damit die übergreifenden Strukturmerkmale einer völkischen Verfassung zu dokumentieren, hängt mit dem Verständnis zusammen, das Verfassungsdoktrinen im allgemeinen erfüllen: daß sich der Konformismus der Ausfüllung umgekehrt proportional zur Aufgeklärtheit der Doktrin verhält. Dieser Rückkoppelungseffekt zwischen Wirklichkeit und Doktrin hörte jedoch im Dritten Reich auf. 20 Helmut Ridder vertritt die These, daß das von der Verfassungsdoktrin als „Verfassung" prätendierte Bild der politischen Wirklichkeit im hohen Maße widersprach. 21 Stattdessen wurde die Verfassung als „Normenstaat" erfaßt, obwohl sich mit dem Führerprinzip, Staat, Verfassung und die rechtlichen Bindungen und Beschränkungen in einem „Maßnahmenstaat" auflösten. Die Frage nach dem rational-instrumentellen Einsatz doktrinärer Irrationalismen zur Bildung einer Fassade von „Verfassung" läßt sich nur beantworten, wenn die politischen Entscheidungen und die damit zusammenhängenden Herrschaftsaktionen mit der politischen Geschichte integriert werden. Nur mit dem Bild einer „elastischen Verfassung" läßt sich die Zeit als Stabilitätsfaktor von Verfassungsdenken aus dem System der Verfassung eliminieren. Demzufolge werden Liberalismus, Demokratie und Sozialismus durch Leerformeln wie Hierarchie, Autorität und Disziplin ersetzt. Der Verfassungsrealität und Praxis wird mit einer als „empirisch" etikettierten Theorie, die als Praxis ausgewiesen wird, begegnet. Der „Sinn" der Verfassung ist für Huber „politisch" und erschöpft sich in der „Form" und „Ordnung", in der die staatliche Einheit geschaffen und entfaltet wird. Die Verfassung ist 19 Vgl. zu dieser Problematik: Schmidt-Jortzig, Edzard: Entstehung und Wesen der Verfassung des „Großdeutschen Reiches", in: Säcker, Franz-Jürgen (Hrsg.): Recht und Rechtslehre im Nationalsozialismus, Baden-Baden 1992, S. 72-87 (79f.). 20 Ridder, a. a. O., S. 2231. 21 Ebenda, S. 224.

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die Grundordnung des Staates und damit selber „Staat". Insofern deckt sich Hubers völkischer Verfassungsbegriff mit Carl Schmitts absolutem Verfassungsbegriff aus der Verfassungslehre von 1918. Der Staat hat nicht eine Verfassung sondern ist eine Verfassung. 22 Huber setzt die Verfassungsform als Sinnfrage inhaltlich grundlegend von dem Vorbild der Verfassungslehre Carl Schmitts ab, auch wenn die begriffliche Übereinstimmung und die Hegeische Staatsphilosophie als Leitbild bestehen bleibt. 23 Entscheidend dafür ist die geistesgeschichtliche und politische Epochenbindung der Verfassung bei Schmitt an den bürgerlichen Rechtsstaat der Weimarer Republik (und seine Kritik), bei Huber an den völkischen Führerstaat (und seine Akzeptanz und Gestaltung) im Nationalsozialismus, zwei historisch aneinander anschließende Verfassungsbegriffe. Bei Carl Schmitt entscheidet sich die Frage nach dem politischen Formprinzip der Verfassung, dem Form- und Geltungsaspekt in der Souveränitätsfrage. Auch die Verfassungslehre ist an die Bürgerkriegsphilosophie gebunden, denn die Legitimitätsvorstellung und die Frage, wer Souverän ist, entscheiden Monarch und Volk im Ernstfall. 24

22 Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 46f., Anm. 1, S. 47; mit Querverweis auf Carl Schmitts Verfassungslehre; s. a.: Vom Sinn der Verfassung, a. a. O., S. 14. Hubers Umschreibung der Verfassungsform deckt sich mit Carl Schmitts absolutem (sich nicht im Normativen erschöpfenden) VerfassungsbegrifiF in der Verfassungslehre von 1928; d.h. Verfassung als den „Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung" (vgl. Verfassungslehre, S. 4, 8, 20). Ein Widerspruch beherrscht die Schmittsche Begriffsrezeption bei Huber, die unzureichende inhaltliche Abgrenzung von „absolutem" und „positivem" Verfassungsbegriff. Huber bemerkt richtig, daß Schmitts Kernbegriff in der Verfassungslehre der „positive" Verfassungsbegriff ist, der „Verfassung" als die „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit" festlegt (vgl. Verfassungslehre, S. 20f.). Auch der „absolute" Verfassungsbegriff umfaßt den Gesamtzustand politischer Einheit und Ordnung als wirkliches oder gedachtes Ganzes (vgl. Verfassungslehre, S. 3), aber als „status", als seinsmäßig vorhandener Zustand. Interessanterweise rezipiert Huber für den völkischen Verfassungsbegriff als Grundordnung nicht Schmitts „positiven" Verfassungsbegriff, sondern den „absoluten" Verfassungsbegriff, ohne inhaltliche Gründe zu geben. Ausschlaggebend ist, daß der positive Verfassungsbegriff nach der inhaltlichen Definition Schmitts an den Akt der verfassungsgebenden Gewalt gebunden ist, der durch Hubers Ablehnung des „pouvoir constituent" damit inhaltlich und substantiell hinfällig wird. Hubers Bezug auf Schmitts „absoluten" Verfassungsbegriff liegt auf der Hand, denn die Verfassung im absoluten Sinne kann als „wirkliches Ganzes" auf die völkische Verfassung übertragen werden. Schmitt definiert „Verfassung" synonym als „Form", als etwas „Seinsmäßiges". Die „absolute" Verfassung sei die „Form der Formen, forma formarum" (vgl. Verfassungslehre, S. 5). Ferner kommt Huber entgegen, daß Schmitt die „absolute" Verfassung als „Seele", als „konkretes Leben" auffaßt und als „status" mit einer erfolgreichen Revolution ansetzt, ohne die verfassungsgebende Gewalt des Volkes im Sinne des positiven Verfassungsbegriffs zu benennen. Die „legale Revolution" von 1933 kann somit als Ursprung der völkischen Gesamtordnung als „absoluter" Verfassung geltend gemacht werden. Widersprüchlich bleibt bei diesem absoluten Verfassungsbegriff nur das von Huber strapazierte dynamische Verfassungsbild des „ständigen Verfaßtwerdens" als Verfassungskampf, der sich mit dem statischen absoluten Verfassungsbegriff nicht deckt. 23 Zu Schmitt vgl. Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken, S. 122. 24 Zu Schmitts Verfassungslehre vgl. Mehring, Reinhard: Carl Schmitts Lehre von der Auflösung des Liberalismus. Das Sinngefüge der „Verfassungslehre" als historisches Urteil, in: ZfP, Jg. 38 (1990), S. 200-216 (208f.); dazu grundlegend und ausführlich ders.: Pathetisches Denken, a. a. O., Teil Π, Kap. VI: „Kampf um die politische Form", S. 122ff.

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Das Dritte Reich: die wissenssoziologische Zurechnung

Bei Ernst Rudolf Huber ist die Verfassungsformfrage zwar aus dem gleichen Grundgedanken der existentiell begriffenen politischen Einheit des Volkes abgeleitet. Das dezisionistische Element der Schmittschen Verfassungslehre 25 wird durch „konkrete Ordnungen", ersetzt und führt methodisch zu einer Dezision gegendie politische Form der bürgerlichrechtstaatlichen Epoche. 26 Der status mixtus des bürgerlichen Rechtsstaates als einer Mischung aus rechtsstaatlichen und politischen Bestandteilen und die diesem Zustand gegenübergestellten Formprinzipien „Identität" und „Repräsentation" sind im völkischen Führerstaat überwunden. 27 Die kontinuierliche methodische und theoretische Perspektive von Hubers Verfassungsdenken impliziert die Frage nach den Modernitätskriterien seines „Verfassungsrechts" als wissenssoziologisches Moment von „Engagement" im politischen System. Stellt man in Rechnung, daß Hubers Verfassungstheorie ganz hegelianisch von der Theorie auf die Praxis schließt und die politische Identität von „Führer" und „Volk" als „Bewußtseinsverfassung" versteht, so bleibt die Differenz zwischen Ideal und Realität auch vor dem Hintegrund des polykratischen Charakters des nationalsozialistischen Herrschaftssystems überdeutlich bestehen. Die wissenssoziologische Perspektive kann Modernisierungstheorien nicht in der Kombination von deskriptiven und normativen Kriterien der Modernitätsauffassung und Weltauslegungsart begreifen, andernfalls würde sie sich von ihrem ideologiekritischen Theorieanspruch verabschieden. Das Projekt der Moderne ist je nach Interpretation und Denkstandort unterschiedlich zu bewerten. 2 8 Das völkisch-integrationistische Symbolfeld von Hubers Verfassungstheorie als zentrales Kriterium hierarchisch-autoritärer Gegenseitigkeitsvorstellung kann im Rahmen der totalitären Sichtweise moderner Gesellschaft durchaus als Variante moderner Weltauslegungsart gelten, 29 denn es ist die zeitdiagnostische Variante juristischer Gesellschaftsschlichtung, die liberal-demokratische Systeme als überlebt interpretiert. Insofern ist Hubers Verfassungsansatz ein systemimmanenter Beitrag völkischen Rechtsdenken zur Totalitarismustheorie.

25 Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 149; s. a. Huber: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 40f: „Daher muß der dezisionistische Verfassungsbegriff heute stark umgebildet und fortgestaltet werden, um in das völkische Denken eingehen zu können. [...] Wie das normative Denken wird dort das dezisionistische Denken durch das konkrete Ordnungs- und Gestaltungsdenken überwunden." 26 Ebenso: Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 42ff., 6 Iff. 27 Die verfassungshistorische Legitimationsschrift folgte 1940: Verfassungskrisen des Zweiten Reiches, Leipzig 1940. Diese Schrift ist mit Carl Schmitts verfassungsgeschichtlicher Analyse „Staatsgefiige und Zusammenbruch des zweiten Reiches" von 1934 zu vergleichen. Huber entwirft nicht wie Schmitt ein Regenerationsmodell, das in den Verfassungsstaat des 20. Jahrhunderts führt, sondern einen systemischen Zyklus der Verfassungskrisen im Konstitutionalismus, der sich im zweiten Reich zu einer „Krisenverfassung" konzentrierte; vgl. ebenda, S. 28. 28 Die Konfrontation von ideellem Projekt und realem Prozeß fuhrt zu einer Relativierung gesellschaftlicher Prozesse und weltanschaulicher Elemente der politischen Kultur, außerdem ist die „Einheit der Moderne" als empirische Normalität nicht erkennbar; vgl. Sieferle, Rolf Peter: Die Konservative Revolution, a. a. O., S. 200f., 206f.. Sieferle wendet sich in der Diskussion über die Modernisierungsdebatte der Nationalsozialismusforschung massiv gegen die Geschichtsrevisionisten wie ζ. B. Rainer Zitelmann. 29 Vgl. Haverkate, Görg: Verfassungslehre. Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung, München 1992, S. 96-99.

4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung

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4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung Während große Kontinuitäten in der methodischen, begrifflichen und inhaltlichen Argumentationsstruktur des Huberschen Staats- und Verfassungsdenkens im Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich bestehen, verändert sich der Denkstil aus dem Standort der Systemstabilisierung im Nationalsozialismus als der ideologischen Funktion des staatswissenschaftlichen Programms. Ist die wissenschaftlich-zeitdiagnostische Botschaft im ganzen über 1933 hinweg kontinuierlich, so ändert sich der politisch-wissenschaftliche Denkstil entsprechend der Haltung Hubers zu den beiden politischen Verfassungsordnungen. Demnach kann der „revolutionäre Konservatismus" als Denkstil der Weimarer Werkphase nicht für das Dritte Reich gelten. Die systemkonforme, ordnungsstabilisierende Haltung Hubers zum Dritten Reich schwächt die wesentlichen ideologischen Momente des revolutionären Konservatismus ab. Dennoch bleiben für den Denkstil im Dritten Reich Aspektstrukturen des Weimarer Denkstiles erhalten. Das revolutionäre Moment des Weimarer Jungkonservatismus, erst neue Werte zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt, weicht nach der „legalen Revolution" vom 30. Januar 1933 einem institutionellen Aufbau-Impetus. Immerhin verhilft die Umorganisation der Staatsrechtswissenschaft dem Dreißigjährigen auch zu einer Professur in Kiel. Das jungkonservative, revolutionäre Element des „Machens" und „Wachsenlassens" bleibt für die Phase bis 1945 in Hubers Verfassungsdenken zwar als ideologisches Element des Konkretionismus erhalten, verliert aber den Charakter des wertnihilistischen Promotors gegenüber dem Verfassungssystem. Stattdessen wandelt sich Hubers staatspolitischer Konservatismus zu einem „völkischen Nationalismus", der sich nur im Rahmen seines wirklichkeitswissenschaftlichen Totalsystems erschließen läßt. Der „völkische Nationalismus" unterscheidet sich insofern vom „autoritären Etatismus" der Weimarer Werkphase, als das strukturelle und verfassungspolitische Rüstzeug des Dritten Reiches zur „Freund"-Dimension des Politischen assoziiert wird und das völkischetatistische Integrationsdenken, das vor 1933 rudimentär in der Option eines „Volksstaates" und der Bindung von „Obrigkeit" und „Volk" problematisiert wurde, nun zum Baustein der synthetischen „deutschen Staatswissenschaft" wird. Die Differenz zwischen den beiden Denkstilen der Weimarer Werkphase und des Dritten Reiches besteht vor allem im politischen und elitären Voluntarismus des Huberschen Staatsdenkens. Ist der revolutionäre Konservative bis 1933 in seinem Ordnungsdenken noch utopisch, suchend, gesinnungsethisch und elitär, weicht mit dem Dritten Reich der suchende Ordnungsblick des Etatisten einem nunmehr an der politischen Führung und der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik orientierten juristischen Programm. Mit der Systemstabilisierang und der Professur stellt sich bei Huber auf der Grundlage der wissenschaftlichen Positionen und Begriffe vor 1933 eine machtstabilisierende Ordnungsfunktion ein, die ihre institutionelle Hintergrunderfüllung in der nationalsozialistischen Programmatik und der Wissenschaftsund Justizpolitik erfährt. Die Verfassungstheorie und Verfassungspolitik Hubers ist hinsichtlich ihrer wissenssoziologischen Ausdrucksbeziehung „nationalistisch", weil der völkische Aspekt des Deutschtums zum Integrationswert der „deutschen Nation" erhoben wird. Der „völkische Nomos" hat die „Nation" als Integrationsziel zum Inhalt, die sich in der „völkischen Verfassung" als Bewußtseinsverfassung niederschlägt. Der „völkische Nationalismus" Hubers

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Das Dritte Reich: die wissenssoziologische

Zurechnung

stellt sich aber nicht in den Dienst des Antisemitismus. Das rassische Element von Blut und Boden wird in den Traditionen des „objektiven Idealismus" in das vorpolitische „natürliche Volk" verlagert und damit inhaltlich ausgeblendet. Der Nationalismus ist zudem völkischer Natur, weil das Verhältnis von „Volk" und „Führer" einerseits organisch aus der Perspektive der Volksgemeinschaft „von unten" interpretiert wird, der existentielle Ort der „Bewegung" und der Elitenbildung ist. Das autoritäre Bindungsmoment zum „Führer" bleibt in Hubers Verfassungstheorie trotzdem ohne das organische Moment des „Wachsenlassens" machtstaatsapologetisch fundiert. „Führung" hat den Beigeschmack der „Maßnahme" und widerspricht dem gemeinschaftlichen Aspekt des Völkischen, was insofern in Hubers Konstruktion der Wirtschaftsverfassung und der Verfassungstheorie immer wieder deutlich wird. Mit der Kriegsverfassung wird das Prinzip der „Führung" ideologisch auf eine neue, an Befehl und Gehorsam gebundene Grundlage gestellt, die das völkische Element der Gemeinschaftsbindung in den Hintergrund drängt. Dieser ideologische Paradigmenwandel läßt sich deutlich in der Verfassungstheorie Hubers mit der großdeutschen, auf außenpolitische Expansion angelegten Radikalisierungsphase des Dritten Reiches nachweisen und dokumentiert die Anpassungsfähigkeit des staatswissenschaftlichen Programms an die politische Wirklichkeit. Die Binnenlogik der Verfassungstheorie konstituiert das nationalistische Moment des Verfassungsdenkens im Denkstandort. Das Verhältnis von „Volk, Bewegung und Staat" wird im wesentlichen mit dem „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenken" bewerkstelligt und ist zugleich der Fixpunkt des „Methodischwerdens" der Integrationslogik des „völkischen Nationalismus". Das weltanschauliche, politisierende Moment der „Neuen Rechtswissenschaft" dokumentiert sich hier mit der „Einlegung" von Rechtsbegriffen. An die Stelle der bürgerlich-pluralistischen Subsumtionslogik ist die ideologischen Prämissen offene und sprachlich beliebige „Einlegung" von Rechtsbegriffen getreten. Die juristische Dogmatik ist durch eine Juristenphilosophie abgelöst worden, weil der intellektuellenfeindliche Nationalsozialismus eine rationale Begründung und dogmatische Durchdringung seiner Weltanschauung seitens der Staatsrechtslehre nicht wünschte. Das nationalistische Element des „völkischen Nationalismus" gewinnt seine werkimmanete Funktion im Rahmen der wissenssoziologischen Analyse dann deutlich, wenn die systemstabilisierende Funktion des totalen Wissenschaftsprogramms in den Mittelpunkt der Analyse rückt. Der Konservative denkt erst dann systematisch, wenn er systemstabilisierend wirken will. Hubers verfassungshistorische Analysen zur Wehrverfassungsgeschichte und zu den geistesgeschichtlichen Etappen des deutschen Nationalbewußtseins wollen nicht nur die Etappen des Einheitswillens anhand des Volks-, Nation- und Reichsbegriffes rekonstruieren und den deutschen Sonderweg dokumentieren, sondern wollen im synthetischen Denkstandort über den dialektischen Dreiklang auf der Heilstufe des Dritten Reiches auch die Einzigartigkeit dieses „Volk" und Staat" einenden Verfassungssystems beweisen. Während hier das revolutionär-chiliastische Denken der „Konservativen Revolution" nachwirkt, tritt zugleich das zyklisch-kosmische Geschichtsdenken als synthetisches Heilsdenken an die Stelle des offenen bürgerlichpluralistischen Geschichtsmodells. Steht für die nationalsozialistische Gleichschaltung das Denkverbot, so übersetzt Huber die Totalität der völkischen Weltanschauung mit einem enzyklopädischen Wissenschaftsprogramm, die deutsche Nationalgeschichte im Rahmen des „völkischen Nomos" als Ganzes zu interpretieren. Den historischen Wissenskrisen der deutschen Nation wird im Rahmen der neuen völkischen Gewißheit mit dem zyklischen

4. Zwischenresümee zur wissenssoziologischen Zurechnung

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Dreischritt „Urbild - Verfall - Erlösung" die Linearität zum Dritten Reich gegeben. Hubers ehrgeiziges Wissenschaftsprogramm ist mit dem „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches", mit „Heer und Staat" und den zahlreichen verfassungshistorischen Analysen zugleich ein enzyklopädisches Wissensarchiv, das den Widerspruch eliminiert und die historischen Wissens- und Gewißheitskrisen rekonstruiert. Die wissenssoziologische Funktion dieses Programms liegt in dem Nachweis, das Verhältnis von „Volk", „Führer" und „Verfassung" als geeinter „Nation" im Rahmen der Integrationslogik von Bindung, Treue und Gefolgschaft zu interpretieren. Die Suche nach historischer Gleichförmigkeit in der Verfassungsform für den Unitaristen Ernst Rudolf Huber hat zugleich einen staatsethischen Sinn - den der Homogenität und Gleichgerichtetheit von Idee, Norm und Wirklichkeit in der Verfassungsform als Totalitätsprogramm. Der „völkische Nationalismus" in Hubers wissenschaftlichen Werk zwischen 1933 und 1945 ist also der „Transmissionsriemen" für die werkimmanete Themenwahl. Das konservative Staatsdenken gibt sich im Denkstandort des „völkischen Nationalismus" esoterisch, rückwärtsgewandt, andererseits historisierend mit dem Willen zur Systemstabilisierung.

KAPITEL 7

Die Bundesrepublik. Die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Der politische und ideologische Status quo in der Bundesrepublik wird im allgemeinen damit abgestützt, daß Bonn nicht Weimar ist und das Grundgesetz als „Antiverfassung"1 zu den Strukturdefekten der Weimarer Reichsverfassung konzipiert wurde.2 Wenn auch Mitte der sechziger Jahre der zeitgeschichtliche Vergleich mit der Weimarer Republik zunehmend in den Hintergrund tritt, so bleibt er ein verfassungspolitisch wie legitimitätsschöpfender Maßstab für die Bewertung der Bundesrepublik und ihrer Verfassung.3 Die im Vergleich zur Weimarer Reichsverfassung nun auf der Grundlage eines umfassenden politischen Kon1

Vgl. Fromme, Friedrich Karl: Von der Weimarer Reichsverfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, 2. Aufl., Tübingen 1962, S. 9. Gegen diese konservative Prämisse des Verfassungsdenkens wendet sich Dieter Grimm: Das Grundgesetz in der deutschen Verfassungstradition, in: APuZg, Β 16-17/89, S. 3-12 (10). Das Grundgesetz erkläre Republik, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und Bundesstaat zu seinen obersten Prinzipien, die auch der Weimarer Verfassung zugrunde lagen. 2 Vgl. die frühen institutionenkritischen Bemerkungen zum Grundgesetz von Carl Schmitt (unter dem Pseudonym Dr. Haustein): Gegenwartsfragen der Verfassung, in: Eisenbahnerzeitung. Fachschrift für Unterricht und Ausbildung. Ausgabe B/Betrieb, Bahnunterhalt, Verwaltung, 2. Jg. (1949), H. 3, S. 65-66; ders.: Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, in: Eisenbahnerzeitung, 2./3.Jg. (1949/50), wieder abgedruckt in: Hansen, Klaus/Lietzmann, Hans (Hrsg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, Opladen 1988, S. 171-194. Im Vergleich zu den Strukturdefekten der WRV wird das Bundesverfassungsgericht als Gegenmacht zum Parlament, die gesamte Justiz gegen das Parlament ins Feld gefuhrt und die ausnahmerechtlichen Regelungen des Grundgesetzes „akribisch katalogisiert". Im ganzen bleibt der autoritär-etatistische Denkstandort Carl Schmitts, die exekutivisch-repressive Polarität des bürgerlichen Staates erhalten; s. a. Lietzmann, Hans: Carl Schmitt alias Dr. Haustein, in: Hansen, Klaus/Lietzmann, Hans (Hrsg.): Carl Schmitt und die Liberalismuskritik, a. a. O., S. 157-169 (164). Auch Emst Rudolf Huber nimmt die Konstituierung der westdeutschen Bundesorgane zu einem verfassungspolitischen Vergleich zum Anlaß: (gez. AöR): Die Konstituierung der westdeutschen Bundesorgane, in: AöR, Bd. 36 (1949), S. 332-346. Hubers staatsrechliche wie verfassungshistorische Kritik richtet sich auf das Fehlen plebiszitärer Elemente im Grundgesetz, die als „heilsames Korrektiv des repräsentativen Systems" dargestellt werden (S. 338), etwa bei der Wahl des Bundespräsidenten und der Stabilität des Amtes des Bundeskanzlers, daß in seiner praktischen Tätigkeit „von der Gesetzgebungs- und Budgetgewalt des Parlaments abhängig" sei (S. 342). Verfassungshistorische Parallelen zum preußischen Verfassungskonflikt und der Stellung des Kanzlers in der preußischen Verfassung von 1850 stellt Huber nur am Rande heraus, dennoch wird die Stabilität der Bundesregierung gegen das Parlament als angemessen beurteilt (S. 346). 3 Niclauß, Karlheinz: „Restauration" oder Renaissance der Demokratie. Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Berlin 1982, S. 96f..

Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

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senses geschaffene unmittelbare Rechtsverbindlichkeit des Grundgesetzes wurde durch das rasche Wirtschaftswachstum ökonomisch untermauert. Die Legitimität des parlamentarischpluralistischen Systems ist seit der Gründung der Bundesrepublik in der Staatslehre prinzipiell nie bestritten worden. Der Kontext der Staatslehre in der Bundesrepublik hatte sich gegenüber der Weimarer Republik geändert, da nun nicht mehr die politischen Kategorien der Staatslehre die Funktion hatten, die kontroverse Verfassungsinterpretation durch die Konstruktion vorausliegender Prinzipien theoretisch zu untermauern. Die Erfahrung mit dem hinter die parlamentarische Konfliktlösung zurückgefallenen Nationalsozialismus führte gerade zu jenem legitimationsnotwendigen, parlamentarischen Grundkonsens, der in der Weimarer Republik zu einer demokratiestabilisierenden Verfassungsdiskussion gefehlt hatte.4 Wenn heute auch mehr von einer „Renaissance" statt einer „Restauration" der Demokratie in Westdeutschland 1945/49 gesprochen wird,5 so bleibt die Wiederherstellung sozialer Machtverhältnisse und ökonomischer Stärke über die personell-institutionelle Kontinuität aus dem Dritten Reich ein nicht zu bestreitendes Faktum, zumal die mißlungene Entnazifizierung und die fast bruchlose Einfügung der ökonomischen Machtverhältnisse in den privatkapitalistischen Rahmen ihr Übriges dazu beitrug. Wird „Restauration" als die Rückbesinnung auf die Weimarer Zeit und als Reaktivierung eines Teils der personellen Trägerschaft, die aktiv an der Zerstörung der Demokratie beteiligt war, definiert, so führt die Argumentation zum äußerst heteromorphen Nachkriegskonservatismus und der konservativen Staatsapotheose.6 Demnach liegt Richard Saages Argument auf der Hand: „Wer über den etatistischen Neokonservatismus der Bundesrepublik Deutschland heute sich ausläßt, darf über den Konservatismus der Weimarer Republik nicht schweigen."7 In diese Linie fallt auch die Kontinuität der Staatsrechtswissenschaft nach 1945 und des juristischen Konservatismus, der das Selbstverständnis der Jurisprudenz als Wissenschaft nie leicht gemacht hat. 8 Gegenüber der Situation von 1933 haben sich die verfassungspolitischen Rahmenbedingungen 1945 ebenso umfassend inhaltlich und dogmatisch geändert, nur die juristischen Eliten bleiben im Vergleich zu 1933 überwiegend im Amt. Die Ideologie der Staatsrechtswissenschaft trug entscheidend zu dem Juristenbild bei, juristisches Handeln als unpolitischneutrale Verwaltung des Status quo zu interpretieren. Das war somit auch eine Voraussetzung für ihre strukturelle Reproduktion. Diese rechtstechnische, auf dem Wege vorgezeichneter Subsumtion legitimierte Überparteilichkeit der Aufgaben der Jurisprudenz9 war ein entscheidendes Moment der Vergangenheitsverdrängung nach 1945. Wenn die „Vereini4 5 6 7 8

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Hammans, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 29. Niclauß, Karlheinz: „Restauration" oder Renaissance der Demoraktie, a. a. O., S. 98-101. Zum Restaurationsbegriff kritisch: Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 175f.. Lenk: Deutscher Konservatismus, a. a. O., S. 176f. Saage, Richard: Rückkehr zum starken Staat?, in ders.: Rückkehr zum starken Staat. Studien über Konservatismus, Faschismus und Demokratie, Frankfurt/M. 1983, S. 7-42 (7). Zur institutionell-personellen Kontinuität vgl. Fangmann, Helmut: Die Restauration der herrschenden Staatsrechtswissenschaft nach 1945, in: Reifher, Udo (Hrsg.): Das Recht des Unrechtsstaates. Arbeitsrecht und Staatsrechtswissenschaften im Faschismus, Frankfurt/M., New York 1981, S. 211-247; zu den Inhalten des staatspolitischen Konservatismus s. a. Teil 1, S. 3Iff. Hammans, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, S. 15ff; s. a. Fangmann, a. a. O., S. 214ff.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

gung der deutschen Staatsrechtslehrer", die sich am 21. Oktober 1949 wieder konstituierte, der Gradmesser der inneren Verfassung der Staatsrechtswissenschaft ist, 10 so kann resümiert werden, daß sich die Rechtfertigungsideologie der Staatsrechtswissenschaft vor allem aus dem raschen Reorganisationsgrad der nationalsozialistisch belasteten Juristen schöpfte. 11 Die deutsche Staatsrechtswissenschaft der Nachkriegszeit hat bis Ende der sechziger Jahre ihre braune Vergangenheit nicht aufgearbeitet, stattdessen fungierte die heute widerlegte Radbruch-These, der Positivismus habe die Juristen im Dritten Reich wehrlos gemacht, als apologetisches Feindbild. Nicht der „Geltungspositivismus" als herrschende Rechtsauffassung des Juristenstandes, sondern die gesellschaftliche Machtkonstellation, verknüpft mit einem antidemokratischen Weltbild, war die ideologische Mitgift der Gleichschaltung 1933. 12 Die antipositivistische Richtung der Staatsrechtswissenschaft blieb davon unbeeindruckt. Gustav Radbruch hat die Aufarbeitung der juristischen Vergangenheit wissenschaftsgeschichtlich und wissenschaftsmethodisch eigentlich nur erschwert. 13 Sieht man von Reinhard Höhn, Carl Schmitt und Otto Koellreutter ab, so kehrten die meisten „Amtsverdrängten" auf Lehrstühle zurück. 14 Die Nachkriegsphase im Wirken Ernst Rudolf Hubers wird nicht im wissenssoziologischen Zweiklang analysiert, sondern die Arbeitsergebnisse der Weimarer Republik und des Dritten Reiches in analytischer Rekonstruktion auf die Epoche der Bundesrepublik übertragen. Dennoch ist diese Schaffensperiode Hubers ebenso mit staatsrechtlichen wie verfassungspolitischen Kontinuitäts- und Diskontinuitätsebenen verknüpft. Demzufolge muß der konservative Denkstandort in der Staatsrechtswissenschaft rekonstruiert und seine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Weimarer Verfassung analysiert werden: das Verhältnis zu Demokratie und Pluralismus, die Stellung zum Grundgesetz, aber auch die Einbringung verfassungshistorischer Erfahrung um die Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik und ihren Strukturdefekten. Die Kontinutität des Methoden- und Verfassungsdenkens manifestiert sich im besonderen in dem Streit um den deutschen Konstitutionalismus als politische Form, in dem Hubers juristische wie methodische Zugriffsformen auf den verfassungshistorischen Stoff zu analysieren sind.

10 Fangmann, a. a. O., S. 215. 11 Fangmann zählt in der Restaurationsphase der Statsrechtswissenschaft bis 1951 in der „Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer" von den 77 Mitgliedern aus der Bundesrepublik mindestens 42 auf die eine oder andere Weise „nationalsozialistisch" hervorgetretene Größen; vgl. ebenda, S. 232. 12 Walther, Manfred: Hat der juristische Positivismus die deutschen Juristen im „Dritten Reich" wehrlos gemacht? Zur Analyse und Kritik der Rabruch-These, in: Dreier, Ralf/Sellert, Wolfgang (Hrsg.): Recht und Justiz im „Dritten Reich", Frankfurt/M. 1989, S. 323-345 (343f.). 13 Ebenda, S. 353. 14 So ζ. B.: Friedrich Giese schon 1946 als Rektor der Universität Frankfurt, Arnold Köttgen wurde 1949 nach Köln berufen, Ulrich Scheuner 1950 nach Bonn, Werner Weber 1950 nach Göttingen, Hans-Julius Wolff 1949 nach Münster, Ernst Forsthoff 1953 nach Heidelberg, wo er schon bis 1949 gelehrt hatte.

1. „ Wirtschaftsverfassung " und Grundgesetz

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1. „Wirtschaftsverfassung" und Grundgesetz Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft bzw. von Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung ist im Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, die ihm zweiten Hauptteil „Das Wirtschaftsleben" als gesondert mit sozialreformerischen Grundsätzen, Einrichtungen und Programmen behandelt, nicht festgeschrieben. Trotzdem wird aber mit dem juristischen Begriff der „Wirtschaftsverfassung" als einem konsistenten, in der Verfassung festgelegten Verhältnis von Staat und Ökonomie der Eindruck einer gefestigten privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung erweckt.1 Die Enthaltsamkeit der Verfassungsväter könnte mit der Unabgrenzbarkeit der wirtschaftlich relevanten Sachverhalte und der sich darauf beziehenden Normen zusammenhängen. Stattdessen beginnt das Grundgesetz eingedenk der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft mit den Menschenrechten und so wird die Wirtschaftsordnung in wesentlichen Bereichen hauptsächlich durch die Grundrechtsartikel geregelt.2 Huber hat sich vor allem in der Phase der „Erörterung im Zeichen der Auseinandersetzung um die grundsätzliche Orientierung der in Verfassung und Recht konstituierten wirtschaftlichen Ordnung"3 in den fünfziger Jahren eingeschaltet. Weniger die Verschwisterung von Demokratie und Wettbewerbswirtschaft als die juristische Absicherung der „sozialen Marktwirtschaft" in der Auseinandersetzung mit dem Ordoliberalismus war der Inhalt dieser wirtschaftsverfassungsrechtlichen Diskussion.4

a) Die „Wirtschafitsverfassung" zwischen Ökonomie und Jurisprudenz Huber ist nicht nur der akademische Vater des „Wirtschaftsverwaltungsrechts", sondern zugleich in der Verlängerung der wirtschaftsrechtlichen Diskussion von der Weimarer Republik in die frühe Bundesrepublik auch der kontinuierliche Gewährsmann der korporativen Grundkonzeption, die überdeutlich an der staatlichen Intervention mit administrativen Mitteln anknüpft. 5 Seinen Analysen zufolge konstituiert die Bonner „Wirtschaftsverfassung" in dem „Neben- und Gegeneinander von Gewährleistungen und Vorbehalten" 1

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Hammans, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 207; s. a.: Ehmke, Horst: Staat und Wirtschaft, in: Häberle, Peter (Hrsg.): Horst Ehmke: Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, Königstein/Ts. 1981, S. 208-287 (212J0F.). Huber vergleicht die Wirtschaftsverfassung von GG und WRV ausführlich in: WiVerwR, 2. Aufl., Bd. 1, S. 29f.. Bohling, Wolfgang: Die Anforderung des Grundgesetzes an die Wirtschaftsordnung, in ders. (Hrsg.): Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, Stuttgart/New York 1981, S. 1-26 (2ff.). Vgl. Scheuner, Ulrich: Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, in ders. (Hrsg.): Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, Frankfurt/M. 1971, S. 9-84 (10). Vgl. Huber: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, Aufsatzfolge, erschienen in: DöV, 9. Jg. (1956), S. 97-102, 135-143, 172-175, 200-207, wieder abgedruckt in: Bewahrung und Wandlung, Berlin 1975, S. 215-273; zur Lehre von der „gemischten Wirtschaftsverfässung" ebenso: WiVerwR, 2. Aufl., Bd. 1, S. 20-46. Kübler, Friedrich: Wirtschaftsrecht in der Bundesrepublik. Versuch einer wissenschaftshistorischen Bestandsaufnahme, in: Simon, Dieter (Hrsg.): Rechtswissenschaft in der Bonner Republik. Studien zur Wissenschaftsgeschichte der Jurisprudenz, Frankfurt/M. 1994, S. 364-389 (368f.).

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ein „gemischtes System des Wirtschaftsverfassungsrechts, das in der Kombination von wirtschaftlichen Freiheitsverbürgungen gegenüber der öffentlichen Verwaltung mit wirtschaftsinterventionistischen Kompetenzen der Verwaltungsstellen seine konkrete Gestalt gewinnt." 6 Diese These wird damit begründet, daß es scheine, „als habe das GG im Gegensatz zur WeimRVerf. auf ein spezifisches Wirtschaftsverfassungsrecht verzichtet. Eine eindringendere Prüfung ergibt jedoch, daß sich im GG eine Fülle von Einzelbestimmungen finden, die in ihrem Gesamtzusammenhang die Grundzüge eines wirtschaftsverfassungsrechtlichen Systems erkennen lassen. Dabei scheinen die freiheitlichen Gewährleistungen ausgeprägter noch als in der WeimRVerf. vorherrschend zu sein." 7 Huber wird dabei im allgemeinen von der Kontinuitätsthese geleitet, daß sich in den zwanzig Jahren zwischen der Erst- und Zweitauflage seiner Habilitationsschrift die Grundstruktur und Funktion des Rechts der Wirtschaftsverwaltung nicht geändert habe, das Verwaltungsprinzip im Wirtschaftsrecht noch stärker zur Geltung gekommen sei. Während 1953/54 die enzyklopädische Absicht, „die Dynamik des staatlichen und wirtschaftlichen Geschehens in einer bewahrenden Ordnung zu institutionalisieren"8 mit der von 1931 übereinstimmt, ist die verfassungspolitische Bewertung der „Wirtschaftsverfassung" der Bundesrepublik im Vergleich zur Weimarer Wirtschaftsordnung eine völlig andere. Die zeitlichen und juristischen Ausgangspositionen sind dafür völlig verschieden. Während Huber Anfang der fünfziger Jahre inhaltlich zur materiellen „Wirtschaftsverfassung" und ihrer Ausgestaltung als einem auf Staatsintervention beruhenden „Wirtschaftsverwaltungsstaat" beiträgt, befand sich die Weimarer Verfassung 1931 bereits im Niedergang. Das damalige Bemühen um einen „Wirtschaftsrechtsstaat" fand Huber in einem „quantitativ totalen Wirtschaftsstaat" konterkariert, dem eine Überlagerung verschiedenster ,,Formprinzipien" zu einer gemischten „Wirtschaftsverfassung" entsprach. Ein Ausgleich der widerstreitenden Prinzipien zu einem die soziale Wirtschaftsdemokratie mit Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung bringenden materiellen Kompromiß war in der Wirtschaftskrise seit 1929 nicht mehr gegeben.9 Dennoch habe seitdem die Wirtschaftsintervention, d.h. die Wirtschaftsverwaltung, zugenommen: „Dies erklärt sich zum Teil daraus, daß in einem hochentwickelten technisierten und arbeitsintensiven Wirtschaftssystem angesichts der vielfaltigen Methoden wirtschaftsimmanenter Bindung der freie Wirtschaftsprozeß sich nicht mehr spontan selbst garantiert, sondern nur durch kontrollierende und regulierende Staatseingrifife gesichert werden kann. Zum anderen Teil folgt das Beharren und Fortschreiten der Wirtschaftsverwaltung daraus, daß es wirtschaftliche Bereiche gibt, in denen die objektiven Bedingungen einer freien Selbstregulierung nicht gegeben sind, woraus sich dann der Zwang zur administrativen Intervention, sei es auch mit dem Ziel der marktkonformen Lenkung, unabweisbar macht." 10 Die Fiktion der „Einheit" wird auch nach 1945 in der juristischen Argumentation benutzt, um die sozialen und gesellschaftlichen Gemengelagen zu einer substantiellen Ord-

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Huber: WiVerwR, Bd. 1, S. 30. Ebenda. Ebenda, Vorwort, S. V. Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 17, 22flF.; s. a. zusammenfassend WiVerwR, Bd. 1, S. 29. 10 Huber: Beliehene Verbände. Ein Beitrag zu den Rechtsformen des Wirtschaftsverwaltungsrechts, in: DVB1, 76 Jg. (1952), S. 456-460 (456).

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nung zusammenzuschließen. Der Begriff der „Wirtschaftsverfassung" ist dabei nur instrumentalisiert, um über die Bindung ökonomischer Interessen an staatliche Kontrolle und Intervention eine Formgebung zu erreichen. 11 Geht man von der Grundansicht aus, daß die liberale Kontrastierung von Staat und Gesellschaft als zweier prinzipiell gegensätzlicher Bereiche - Freiheit und Zwang, oder nach Huber „Freiheit" und „Bindung" - in der modernen Demokratie überholt und unhaltbar sind, so ist die Nebeneinanderstellung von Staatsverfassung und „Wirtschaftsverfassung" fragwürdig. Die Bedenken gegen den Begriff der „Wirtschaftsverfassung", mit dem bei Huber und in den Reihen der ordoliberalen Schule das materielle Wirtschaftsverfassungsrecht steht und fallt, sind durch die Einfügung von Systemkonzeptionen in das Verfassungsrecht und die Neigung zur Annahme autonomer wirtschaftlicher Normentwicklung verstärkt worden. 12 Horst Ehmke 13 weist zu Recht bei Huber auf die Doppeldeutigkeit der Verbindung von juristischer „Wirtschaftsverfassung" und ökonomischem „Gesamtzusammenhang" hin. Huber läßt bei der juristischen Bedeutung der „Wirtschaftsverfassung" als der „rechtlichen Grundordnung eines staatlichen Verbandes" offen, inwieweit sie die juristische Positivierung für den „Gesamtzusammenhang der ökonomischen Güter, Kräfte und Verrichtungen" 14 und angesichts des „qualitativen Sprungs des wirtschaftlichen Ordnungsgefüges aus der Realität in die Normativität" 15 darstellt. 16 Dabei wird nicht nur die im Weimarer und im nationalsozialistischen Verfassungsrecht entschieden abgelehnte fragwürdige These von der „normativen Kraft des Faktischen" benutzt, sondern trotz der Unterscheidung von materiellem und formellem Wirtschaftsverfassungsrecht die Ebenen verwischt, ob es sich nun um „staats"-verfassungsrechtliche oder wirtschaftsrechtliche Grundsätze handelt. 17 So ist es nicht nur der im Grundgesetz fehlenden formellen „Wirtschaftsverfassung", sondern auch Hubers verfassungspolitischer Grundintention eines der faktischen Macht und Herrschaftswirklichkeit geöffneten Verfassungsrechts zuzuschreiben, daß auch noch 1953 nicht dem formellen, sondern dem materiellen Wirtschaftsverfassungsrecht als „System" „grundgesetzlicher Rang" zugeschrieben wird, um damit die Wirtschaft „innerhalb des politisch-gesellschaftlichen Organismus in ihrer existentiellen und funktionellen Bedeutung" 18 zu begreifen. Diesem Gedanken liegen auch die Erfahrungen mit dem „formalen Rechtsstaat" der Weimarer Republik zugrunde, der in den Anfangen seiner Verwirklichung stecken blieb und den Verfassungsfeinden ausgesetzt war. Die bereits seit der methodisch-begrifflichen Fundierung des existentiellen Verfassungsbegriffs 1935 bekannte ganzheitliche Betrachtungsweise von Verfassungsgestaltung und Verfassungsbewegung macht auch im Wirtschaftsverfassungsrecht vor dem inflationären 11 Sinngemäß: Hammans, a. a. O., S. 40f. 12 Scheuner: Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, a. a. O., S. 23ff.; zur Begriffsbildung zusammenfassend: Zacher, Hans F.: Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, in: Scheuner, Ulrich (Hrsg.): Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, Frankfurt/M. 1971, S. 545-591 (559ff). 13 Ehmke, Horst: Wirtschaft und Verfassung. Einleitungsteil der Bonner Habilitationsschrift von 1961, in ders.: Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik (Anm. 1), S. 23Iff. 14 Huber: WiVerwR, Bd. 1, S. 23. 15 Ebenda, S. 24. 16 Ehmke, Horst: Wirtschaft und Verfassung, a. a. O., S. 232. 17 Ebenda, S. 233. 18 Huber: WiVerR, Bd. 1, S. 27.

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Gebrauch ganzheitlicher Logik nicht ganz halt. Der Systembegriff kommt bei vielen Definitionen zu den Haupttypen der „Wirtschaftsverfassung" zum Tragen. Für das Prinzip der „gemischten Wirtschaftsverfassung" grenzt sich Huber gegen das Modell der „reinen Marktwirtschaft" des Ordoliberalismus ab und gibt - ohne sich von den Hegeischen Prämissen seiner ganzheitlichen, dialektischen Verfassungstheorie zu trennen - zu bedenken „[...] daß die konkrete Wirtschaftsrealität nicht die reinen Modelle widerspiegelt, sondern auf der Kombination verschiedenartiger wirtschaftsverfassungsrechtlicher Grundtypen zu einem Ganzen beruht. [...] Mir dagegen scheint, daß der Sinn und Wert der lebendigen Gestaltung in der konstruktiven Kraft beruht, das scheinbar Gegensätzliche zu einem höheren Ganzen zusammenzufügen und die lebendige Form auch theoretisch im Ausgleich des Unterschiedlichen im übergeordneten Ganzen zu erfassen."19 So klar auch Huber die Vermischung der juristischen und ökonomischen Ebenen der Betrachtung unterläßt,20 behalten in der auf dem System von individueller Freiheit und sozialer Bindung beruhenden „gemischten Wirtschaftsverfassung" marktwirtschaftliche Prinzipien das Übergewicht. 21 Die Intention des ganzheitlichen Verfassungsausgleichs immunisiert Huber zugleich vor der Frage der Trennung oder bewußten Zerlegung juristischer und ökonomischer Argumentation. „Verfassungsrechtlich gefestigt" heißt für Huber soviel wie „positiviert" im Rahmen der Einheit im „System" der „Wirtschaftsverfassung", das ökonomischen Gesetzen unterliegt.22 Huber arbeitet also nicht nur mit in das Juristische übersetzten und modifizierten nationalökomomischen Modellen. Die „Wirtschaftsverfassung" ist bereits vor 19 Vgl. Huber: Rez. „Franz Böhm: Wirtschaftsordnung und Staatsverfassung, Tübingen 1950 (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart, Heft 153/154). - Hans Ritsehl: Das Wesen der Staatswirtschait, Hamburg 1950. - Ludwig Raiser: Wirtschaftsverfassung als Rechtsproblem, in: FS für Julius von Gierke am 25. Oktober 1948, Berlin 1950, S. 181-200. - Adolf Schüle: Verfassung und Wirtschaft, Mannheim 1948. - Hans-Ulrich Scupin: Die Rechtslage der Wirtschaft unter dem Bonner Grundgesetz, Münster 1950. - Herbert Krüger: Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVB1, 66. Jg. 1951, S. 361-368. Derselbe: Grundgesetz und Kartellgesetzgebimg, Göttingen 1950. - Friedrich Giese, Johann Heinrich von Brunn: Wettbewerb und Wettbewerbsbeschränkung, Frankfurt/M. 1950.", in: AöR, NF Bd. 39 (1952/53), S. 499-509 (502). Die Sammelrezension hängt unmittelbar mit der BegrifFsklärung der Wirtschaftsverfassung in Kap. Π § 3, WVerwR zusammen; vgl. auch dort das aufgeführte Schrifttum; WiVerwR, Bd. 1, S. 20. 20 Vgl. auch Hubers Zusammenfassung: Marktinformationsverfahren und Grundgesetz, in: Kooperative Marktinformation. Kartellrechtliche, verfassungsrechtliche und ökonomische Würdigung, hrsg. vom Arbeitskreis Kartellgesetz im Bundesverband der Deutschen Industrie, mit Beiträgen von Wolfgang Hefermehl, Ernst Rudolf Huber und Hellmuth Stefan Seidenfils, Köln, Berlin, Bonn, München 1967, S. 41-94 (48). 21 Scheuner, Ulrich: Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, a. a. O., S. 24f.. Auch in Hubers Rechtsgutachen „Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung" (1970) wird die allgemeine Wirtschaftsfreiheit im Sinne marktwirtschaftlicher Prinzipien zur Eingrenzung der Wirtschaftsverfassung verwendet. 22 Ehmke, a. a. O., S. 233. Auch Zacher hebt für das Methodenproblem der Wirtschaftsverfassung hervor, das Verhältnis von Recht und nichtrechtlichen Umständen sowie Gegenständen deutlich zu differenzieren. Zacher kritisiert Hubers Differenzierung im WiVerwR als zu wenig intensiv und den dialektischen Ansatz der „gemischten Wirtschaftsverfassung" als zwischen Offenheit und materiellem Systemabschluß schwankende Konzeption; vgl. Zacher, Hans F.: Aufgaben einer Theorie der Wirtschaftsverfassung, a. a. O., S. 569, 557.

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der Entstehung des Grundgesetzes in der neoliberalen Schule als Ausdruck des nationalökonomischen Versuches entstanden, die vom Kapitalismus geschaffenen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhänge als einheitliche Ordnung zu begreifen.23 Auch das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse an dem juristischen wie politischen Ausgleich von Norm, Wirklichkeit und Idee wird für die materielle „Wirtschaftsverfassung" durchdacht: Huber bleibt sich seinem verfassungstheoretischen und verfassungspolitischen Wissenschaftsbild zumindest in der Reaktion auf den Weimarer Methodenstreit kontinuierlich bis in die bundesrepulikanische Werkphase treu. Insofern hebt auch Kurt Ballerstedt die Sonderstellung Hubers hervor, die darin besteht, zum einen eine formale Rahmenbestimmung zu geben,24 zum anderen in der Variation des Verhältnisses von Staat und Wirtschaft die „Wirtschaftsverfassung" als Rechtssatz, als Gesamtentscheidung und als „Verfassungsausgleich" (Verfassungsverständigung) zwischen dem formellen und materiellen Wirtschaftsverfassungsrecht zu typologisieren.25 Ehmke, der den Gedanken der „Wirtschaftsverfassung", die einer besonderen Gesellschaftsverfassung gleichkommt, ablehnt, weil er mit einer materiellen Theorie des demokratischen Verfassungsstaates unvereinbar ist,26 bedient sich des Hellerschen Staatsbegriffs der „Entscheidungs- und Wirkeinheit", um die Einheit von Staat und Gesellschaft zu legitimieren. Die Gegensätze in der Wirtschaftsverfassungsdiskussion, die Huber 1953 in der Aufsatzfolge „Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht" zusammengefaßt hat, die unüberbrückbar zu sein scheinen, folgert Ehmke aus dem Fehlen einer „der Struktur und den Aufgaben des modernen Verfassungsstaates gerecht werdenden Staats- und Verfassungstheorie."27 Er kritisiert an Huber insbesondere, daß er entgegen dem früheren Verfassungsdenken nun mit der Trennung von Staatsverfassung und „Wirtschaftsverfassung" und der Ablehnung des ordoliberalen Dezisionismus von dem Einfluß des „Gesellschaftsdenkens" ausgehe, das eigentliche Kompetenzproblem zwischen Staatsverfassung 23 Ehmke, a. a. O., S. 212fF., 233. Die Verwandtschaft von neoliberalem Einheitsdenken und dem Huberschen Ordnungsdenken dokumentiert Hubers Auseinandersetzung mit der von Franz Böhm benutzen Formel der Wirtschaftsverfassung als „Gesamtentscheidung", die auf dem dezisionistischen Verfassungsbegriff Carl Schmitts aufbaut. Huber kritisiert an Böhms von Schmitt entliehenen Verfassungsbegriff den seines Existentialismus bereinigten Entscheidungsdenkens, das zu dem Fehlurteil leiten läßt, die klare Dezision, die Schmitt als „Entweder-Oder" bestimmt, ließe Zwischenlösungen in der Wirtschaftsverfassung zu. Eine Mischung der Modelle sei keine Gesamtentscheidung; vgl. WiVerwR, Bd. 1, S. 24f.; s. a. Scheuner: Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, a. a. O., S. 24; im Tenor ebenso und Huber zustimmend: Ehmke, a. a. O., S. 214-216, insbes. S. 216, Anm. 23. 24 Wirtschaftsverwaltungsrecht definiert Huber als die „Hauptgrundsätze der Einzelgebiete des Wirtschaftsrechts, vor allem die Prinzipien, die für die Stellung der Wirtschaft in der staatlichen Gesamtordnung maßgebend sind"; vgl. WiVerwR, Bd. 1, S. 18. 25 Ballerstedt, Kurt: Wirtschaftsverfassungsrecht, in: Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, hrsg. von Karl August Bettermann, Hans Carl Nipperdey und Ulrich Scheuner, Bd. 3/1, Berlin 1958, S. 1-90 (10). 26 Ehmke, a. a. O., S. 229f.; zum Begriff zusammenfassend: Badura, Peter: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung. Ein exemplarischer Leitfaden, Frankfurt/M. 1971, S. 17-21; ebenso: Liesegang, Helmuth C.F.: Die verfassungsrechtliche Ordnung der Wirtschaft - Zentralfragen und Strukturprinzipien unter besonderer Berücksichtigung grundrechtstheoretischer Überlegungen, Hamburg 1977, S. 3ff. 27 Ehmke, a.a.O, S. 259.

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und „Wirtschaftsverfassung" in der Interpretation des Art. 2 GG als ein System von Grundrechten und Grundrechtseinschränkungen entwickelt und damit eine Beweisführung als „Denken von der Gesellschaft her" ausweist.28 Huber weist aus dem etatistischen Denkstandort diese Kritik Ehmkes mit dem Argument zurück, die „Wirtschaftsverfassung" sei ein Bestandteil der Staatsverfassung und keine von ihr getrennte „gesellschaftliche" Verfassung. Sie führe kein autonomes Sonderdasein, stehe auch nicht im staatsfreien Raum und konstituiere keinen „Staat im Staat". Insofern sieht Huber in der von Horst Ehmke unterstellten Auslegung der „Wirtschaftsverfassung" vom „Gesellschaftsdenken" keinen Anhalt: „[...] die moderne Wirtschaft, und um sie geht es hier, ist existentiell der staatlichen Gesamtordnung eingegliedert und daher der staatlichen Regelungskompetenz unterworfen." 29 Doch mit dem unjuristischen Argument der „existentiellen Integration" ist der strukturellen juristischen Kritik Ehmkes nicht beizukommen. Huber reagiert mit einer umfassenden verfassungstheoretischen Ergänzung zum Vorrang der Staatsverfassung gegenüber der „Wirtschaftsverfassung". 30 Die Gesamtverfassung konstituiere nicht nur Teilverfassungen, auch die „Wirtschaftsverfassung" sei ein konstituierendes Moment der Staatsverfassung: „Der moderne Verfassungsstaat ist in einer existentiellen Weise 'Wirtschaftsstaat'", die Wirtschaft auch ein „Wesensmoment des staatlichen Daseins" 31 schlechthin. Mit der Zitation der Bonner Antrittsvorlesung „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" verfällt Huber nun dem verfassungshistorischen Anachronismus, den an die Weimarer Verfassungsdiskussion gebundenen Begriff des „Wirtschaftsstaates" im Sinne der von Carl Schmitt geprägten „negativen Neutralisierung" als „quantitativ total" und „dezisionistisch" auf die Bundesrepublik zu übertragen. Es wäre irreführend, für die Bundesrepublik, von einem „Wirtschaftsstaat" zu sprechen. Da hilft es auch nicht, die Wechselwirkung von Staatsverfassung und Teilverfassung in der Geschlossenheit und Aktionsfähigkeit des Staates nach dem Staatsbegriff Hellers in der „Handlungs- und Wirkungseinheit" aufzuheben. 32

b) Korporative Einheitsbildung in der „Wirtschaftsverfassung" Die Kontinuität bzw. Diskontinuität der juristischen und verfassungspolitischen Argumentation Hubers über die Verfassungsbrüche von 1933 und 1945/49 hinweg vermag die Bewertung des Prinzips der „wirtschaftlichen Selbstverwaltung" zu verdeutlichen. Für das verfassungspolitische Gesamtwerk von 1926 bis 1989 ist diese Frage deshalb so entscheidend für das Kontinuitätsproblem, weil Huber selbst in der Bundesrepublik an diesem Verfassungsformprinzip die Gestaltung der „Wirtschaftsverfassung" (und ihren Verfassungsausgleich) festhält und der herrschenden Meinung widerspricht, daß die Selbstver28 Ebenda, S. 232, 235. 29 Huber: Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, in: FS für Heinz Kaufmann zum 65. Geb., hrsg. von Horst Bartholomeyczik, Kurt H. Biedenkopf und Helmuth von Hahn, Köln-Marienburg 1972, S. 237-253; mit knappen Zufügungen abgedruckt in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 274-294 (276). 30 Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, a. a. O., S. 277-280. 31 Ebenda, S. 277f.. 32 Ebenda, S. 278.

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waltung der Wirtschaft für eine freiheitlich-soziale „Wirtschaftsverfassung" weder in dem einen noch in dem anderen Sinne hervorragende Bedeutung erlangt habe, weil sie in ihrer Beschränkung auf Unternehmer nicht die übergreifende Partnerschaft der Wirtschaftsgemeinschaft widerspiegele.33 Voraussetzung der Huberschen Argumentation ist, daß die Verfassung das substantielle Substrat ist, in dem „ein Gemeinwesen sein Dasein und Sosein gründet und entfaltet."34 Innerhalb der Verfassung hat das Prinzip der Selbstverwaltung mit dem Sinn von „Freiheit" und „Bindung", mit der „Zuordnung" von Kompetenzen zu tun. Damit schließt Huber im ganzen einen staatsfreien Raum aus, da die „Selbstverwaltung der Wirtschaft ein in Zuordnung zum Staat' entwickeltes Einrichtungsgefüge ist." 35 Dieser Etatismus ist bereits in der Weimarer Werkphase in autoritärer Form vorhanden. Aufgabe des Staates war Huber dort wegen der Unvereinbarkeit von Wirtschaft und Demokratie die Übernahme von Gütern monopolistischer Verwaltung in die Hand der wirtschaftlichen Selbstverwaltung,36 die dem Funktionswandel der Wirtschaft aus dem privaten in den öffentlichen Raum Rechnung trug. Bekanntlich sah Huber 1932 den freien Markt durch Kartelle und Berufsverbände bereits in der staatlichen Planungspolitik aufgehoben.37 In der Verfassungsreformdiskussion seit der Wirtschaftskrise 1929 veränderte sich die strategische, verfassungsgestaltende Funktion des Selbstverwaltungsgedankens. Galt es nach den Plänen des „Neuen Staates" Franz von Papens, die Berufsverbände in der Form körperschaftlicher Selbstverwaltung in einem Zweikammersystem zu repräsentieren, die in der Kombination von „Reichsrat" und „Ständehaus" nur schwierig zu realisieren war, 38 so reduzierte sich mit der Machtergreifung und der Herrschaftswirklichkeit des Dritten Reiches der Selbstverwaltungsgedanke auf die korporative Bindungsfunktion zum Staat.39 In den frühen fünfziger Jahren herrschte die einhellige Meinung in der Staatsrechtswissenschaft, daß die wirtschaftliche Selbstverwaltung in ihrem Entwicklungsstand nur ein Restbestand gegenüber früheren Stadien darstellt. Aber auch ein Ansatz zu neuer Entwicklung als Zwischenglied zwischen eigentlicher staatlicher Verwaltung und freier wirtschaft33 Ballerstedt, Kurt: Wirtschaftsverfassungsrecht (Anm. 25), S. 27; dagegen Huber: WiVerwR, Bd. 1, S. 112f; ders.: Selbstverwaltung der Wirtschaft, Stuttgart 1958, S. 9ff. 34 Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 8. 35 Ebenda, S. 9. Zu den Prinzipien „Bindung" und „Zuordnung" bereits der frühe Aufsatz: Selbstverwaltung der Wirtschaft, in: Deutsches Volkstum, 14. Jg. (1932), S. 886. 36 Huber (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Politische Macht und ökonomisches Gesetz, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 637. 37 Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 888. 38 Selbstverwaltung und Verfassungsaufbau, a. a. O., Sp. 211. 39 Huber „löst" 1958 in der Schrift „Selbstverwaltung der Wirtschaft" das in der Monographie „Gestalt des deutschen Sozialismus" (1934) angesprochene Problem der Gewährung freier wirtschaftlicher Initiative in der korporativen Wirtschaft, indem ein „auf das Ganze der sozialen, ökonomischen und politischen Ordnung gerichteter Korporativismus" mit der realen Notwendigkeit einer Wirtschaft, die in der freien Initiative und des freien Wagnisses der Einzelnen nicht entraten kann, ebenso mit der „verfassungrechtlichen Gewährleistung der wirtschaftlichen Grundfreiheiten der Einzelnen" und mit dem „System einer parlamentarischen Verfassung" als unvereinbar bewertet wird. Die Versöhnung mit dem verfassungspolitischen Status quo und der grundrechtlichen Absicherung des Wirtschaftshandelns nach dem Grundgesetz wird überdeutlich; vgl. Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 55f..

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licher Verbandstätigkeit dokumentiert, daß der Staat seine Aufgabe als höherer Faktor des Ausgleichs aber nur unvollkommen erfüllt, weil seine Intervention das Feld der Sozialpartnerschaft in der wirtschaftlichen Selbstverwaltung frei zu machen hat. 40 Während also eine mehr idealtypische Definition der wirtschaftlichen Selbstverwaltung die sozialen und ökonomischen Wechselbäder der deutschen Verfassungsumbrüche mit einem steten Etatismus des „Zuordnens" überdauert, stellt Huber eingedenk seiner wirtschaftsverwaltungsrechtlichen Interessen seit 1932 das wirtschaftliche Selbstverwaltungsprinzip in der bundesrepublikanischen „Wirtschaftsverfassung" als eine „Gestaltungsform der Unternehmerwirtschaft" in den marktwirtschaftlichen, „wirtschaftsdemokratischen" Zusammenhang: „In der im Vorausgegangenen abgegrenzten Bedeutung ist Selbstverwaltung der Wirtschaft seit vierzig Jahren ein Generalthema aller Diskussionen, die sich um die Frage bemühen, ob es zwischen den beiden Extremen des Wirtschaftsindividualismus und des Wirtschaftskollektivismus einen selbständigen dritten Weg gibt. Gewiß: In Zeiten des Wirtschaftswunders' brennt diese Frage uns wieder auf den Nägeln." 41 Die Antwort einer sozialgebundenen „gemischten Wirtschaftsverfassung" trägt den verfassungspolitischen Erfahrungen Rechnung, daß weder die angestrebte politische Form des Wirtschaftskollektivismus am Vorabend der Machtergreifung, noch eine dem Wirtschaftsindividualismus das Wort redende „reine Marktwirtschaft" Integrationsmöglichkeiten für die deutsche „Wirtschaftsverfassung" der Bundesrepublik zu bieten hat. Der „autoritäre Etatismus" weicht in der Bundesrepublik einem wohlwollenderen Status quoKonservatismus, der suchend und vermittelnd argumentiert, aber insofern nur verfassungstheoretisch fundiert bleibt, solange er korporative Integration betreibt. Wird er auf wirtschaftsverfassungspolitische Fragen angewandt, etwa bei der Mitbestimmung, wandelt er sich zum autoritären Denkstandort Weimarer Provenienz zurück. Darauf wird noch einzugehen sein. Huber definiert die Integrationsfunktion der wirtschaftlichen Selbstverwaltung mit dem „Zwischenbereich" von freier Unternehmerwirtschaft und staatlicher Wirtschaftsverwaltung als einen dialektischen Ruhepol, der „eine in sich ruhende, gefestigte, eigenständige Ordnung darstellt." 42 Die bereits im „totalen Wirtschaftsstaat" 1931 beschriebene Gefahr der „Polykratie" 43 und des Pluralismus im „Neben- und Gegeneinander der Machtkomplexe", welche die Ordnung der Gesamtwirtschaft und die Freiheit der wirtschaftlichen Initiative zerstören könne, sieht Huber auch für die „Wirtschaftsverfassung" der Nachkriegszeit. Dennoch habe die Selbstverwaltung der Wirtschaft als „Träger von Einflußgewalten" gruppenmachtbegrenzende Funktion: „Ihr verfassungspolitischer Sinn ist also gerade die Abwehr des Plu-

40 Vgl. Scheuner, Ulrich: Wirtschaftliche und soziale Selbstverwaltung (1952), in ders. (Hrsg.): Die staatliche Einwirkung auf die Wirtschaft, Frankfurt/M. 1971, S. 145-159 (156f.); ebenso: Ballerstedt, a. a. O., S. 24f.. Scheuner resümiert, daß der Staat die fundamentalen Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Gestaltung in der Hand zu behalten hat, dazu neben rechtlichen Garantien auch den Schutz gegen die „Übermacht sozialer Gruppen" braucht. Das juristische Bild der den Staat gefährdenden gesellschaftlichen Macht tritt wieder zutage; vgl. Scheuner, a. a. O., S. 159. 41 Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 58. 42 Ebenda, S. 59. 43 Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, a. a. O., S. 15ff..

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ralismus durch die Entwicklung eines Ordnungsgefüges, das Einheit in einem freien und vielgliederigen Ganzen schafft." 44 Die „Einheit der Verfassung", die das verfassungstheoretische Problem birgt, die als verfassungsrechtliche Grundsätze proklamierten Bestimmungen wirtschaftsordnenden Charakters mit denen der Staatsorganisation und den Grundrechten zu einer Einheit zu verbinden, stellt sich auch für das Verhältnis von Staatsverfassung und „Wirtschaftsverfassung". Mit der Festschreibung des Wirtschaftsprozesses in den Grundrechten hat das Grundgesetz die Individualrechte auf die Wirtschaftsgemeinschaft übertragen und sich dadurch von der Totalität faschistischer Verfassungen und ihrer staatssozialistischen Wirtschaft distanziert. Für die freiheitliche Demokratie ergibt sich damit die Alternative, alle wirtschaftsordnenden Bestimmungen in der Verfassung festzuschreiben oder die Einheit der Verfassung aufzugeben. 45 Die verfassungspolitischen Zusammenhänge zwischen Staatsordnung und Wirtschaft läßt das Grundgesetz aber bewußt offen, um den „dritten Weg" zwischen Kollektivismus und Individualismus bestreiten zu können. Huber kann also nicht die Frage der Verfassungseinheit mit einer formellen „Wirtschaftsverfassung" legitimieren. Das Prinzip der Selbstverwaltung der Wirtschaft hat in diesem Zusammenhang die Ersatzfunktion, aus der Herrschaftswirklichkeit heraus den etatistischen Prozeß der Integration zu bewerkstelligen, um aus dem marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozeß heraus die staatspolitische Integration der Wirtschaft in den Staat zu vollziehen. Dieser Sphärenwechsel der Etatisierung vom Staat in die Wirtschaft trägt nur dem zwischen Individualismus und Kollektivismus liegenden Mittelweg der „gemischten Wirtschaftsverfassung" als sozialer Marktwirtschaft mit den Gesetzmäßigkeiten des Marktes Rechnung, dennoch wird die Einheitsbildung als juristische Fiktion nicht aufgegeben. Die Integrationsfunktion der wirtschaftlichen Selbstverwaltung charakterisiert Huber dreifach: die Marktgestaltung in der Dialektik von Konkurrenz und Kooperation, die Sozialgestaltung von Unternehmen und Betrieben in der Abhängigkeit von der Produktivität, 46 drittens die Staatsgestaltung, die ihrerseits auf „dreifacher Fügung" beruht: „Das Essentiale der Selbstverwaltung ist vielmehr, daß die Wirtschaft sich aus dem Status der Freiheit im Staat und aus dem Status der Teilhabe am Staat von sich selbst her öffnet für den Dienst am Staat, daß sie aus freien Stücken die Bindung anerkennt, in denen sie innerhalb des Staates steht, daß sie sich spontan in die Grenzen einfügt, die ihr als einem eigenständigen staatsbezogenen Bereich gezogen sind, daß sie die Opfer freiwillig auf sich nimmt, die das Gemeinwohl von ihr verlangt." 47 „Einheit" ist hier die mit klaren abgesteckten Kompetenzen und Pflichten verbundene Verschränkung von Wirtschaft und Staat, welche die Staatsintervention als politisch-ökonomische Grundtatsache betrachtet. Wissenssoziologisch gesehen könnte dieser Denkstandort als „korporativer Konservatismus" bezeichnet werden. Der Etatismus des Huberschen Denkens orientiert sich zudem an der im Grundgesetz verfassungsrechtlich garantierten parteilichen und verbandlichen Einflußsphären und distanziert sich von der ehedem autoritär-konservativen Negierung der Bereiche verbandli-

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Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 56. Ballerstedt, Kurt: Wirtschaftsverfassungsrecht, a. a. O., S. 46f.. Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 60-63. Ebenda, S. 68.

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eher und politischer Willensbildung.48 Die Parteien seien durch die Verfassung konstitutionalisiert und hätten als Verfassungsorgane einen staatsrechtlich anerkannten Rechtsstatus.49 Den von Werner Weber erhobenen Vorwurf des neuen „Ständestaates"50 angesichts der Herrschaft der Verbände, der den traditionellen Etatismus und die genau definierten Herrschaftsräume und Kompetenzen gesellschaftlicher Einflußssphären definiert und diese zerstört, relativiert Huber mit dem Argument des legitimen Einflusses der Sozial- und Wirtschaftsverbände in der Öffentlichkeit. Mit Verneinung sei das Problem der „Herrschaft der Verbände" nicht zu lösen, denn angesichts der Teilhabe der Wirtschaft am Staat als Prinzip wirtschaftlicher Selbstverwaltung könne der Staatsanteil der Verbände nicht geleugnet werden. Pluralismus ist nicht die ungeordnete, anarchische Vielheit oligarchischer, untereinander rivalisierender Gruppen außerhalb der Verfassung, sondern die im Selbstverwaltungsgedanken manifestierte paritätische Kooperation der Sozialpartner, die als legitime Teilhabe am Staat zu verstehen ist. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung diszipliniert die autonomen gesellschaftlichen Bereiche erst.51 Dem Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung kommt insofern eine „Pufferfunktion" zu, als die soziale Homogenität unter dem Grundgesetz durch Klassenausgleich und die Verarbeitung wirtschaftlicher und sozialer Interessengegensätze Verfassungsrang hat. 52 Wirtschaftliche Selbstverwaltung ist deshalb weniger ein Mittel der Dezentralisation der Staatsverwaltung, als vielmehr eine Einfügung und Angliederung von autonomen Gebilden des sozialen Lebens.53 Während Huber 1931 eine auf der Einheit von Staat und Wirtschaft basierende „gebundene Wirtschaftsform" mit dem aus dem „konservativen Freiheitsbegrifif" abgeleiteten Postulat der „Bindung" forderte, ist die wirtschaftsverfassungsrechtliche Lage nach dem Grundgesetz vor allem durch die Bindung des Wirtschaftshandelns an die Grundrechte subjektiv-rechtlich bestimmt. Die konservative Option von „Freiheit" und „Bindung", die bei Huber im Verfassungsprinzip der Selbstverwaltung fortlebt, erfahrt eine entscheidende Modifikation dadurch, daß „Freiheit" und „Bindung" nicht mehr die konservativ-

48 Den autoritär-konservativen Denkstandort nimmt noch Werner Weber ein, der die Einheit und Handlungsfähigkeit des Gemeinwesens durch die Isolierung des Staates von den Intresseneinflüssen gesellschaftlicher Gruppen wiederherzustellen trachtet. Selbst Ernst Forsthoff und Ulrich Scheuner konstatieren eine reformkonservative Sicht des koordinierenden Angewiesenseins des Staates auf die Verbände bei der politischen Willensbildung; vgl. Giebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie, a. a. O., S. 130, 135. 49 Huber: Selbstverwaltung der Wirtschaft, a. a. O., S. 66. 50 Weber, Werner: Der Einbruch politischer Stände in die Demokratie, in ders.: Spannungen und Kräfte im westdeutschen Verfassungssystem, 2. Aufl., Stuttgart 1958, S. 40ff.. 51 Grebing, Helga: Konservative gegen die Demokratie, a. a. O., S. 109, 129f.. 52 Vgl. Voigt, Rüdiger: Soziale Homogenität als Voraussetzung des demokratisch-sozialen Wohlfahrtsstaates - eine vergessene Erkenntnis?, in: Müller, Christoph/Staff, Ilse (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächnisschrift für Hermann Heller, Baden-Baden 1984, S. 397-412 (406f.). Während für Hermann Heller „soziale Homogenität" eine „demokratische Form des Klassenkampfes" ist und gesellschaftlich fundiert ist, kann die konservative, die Integration der Gesellschaft in den Staat intendierende Verfassungslehre Hubers „soziale Homogenität" nur über die Integrationsschranken staatlicher Intervention in die Wirtschaft vollziehen. Die wirtschaftliche Selbstverwaltung ist dafür ein Beispiel. 53 Scheuner, Ulrich: Wirtschaftliche und soziale Selbstverwaltung, a. a. O., S. 151.

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anthropologische Fiktion als objektive Bindung an den Staat haben, 54 sondern gemäß der „Form" der wirtschaftlichen Selbstverwaltung im Sinne von „Zwischengewalten" (pouvoirs intermediaires) 55 im Ordnungsfüge der Wirtschaft interpretiert werden. Nicht die Bindung als Grundrechtsersatz, sondern den Ausgleich der Verfassungselemente der Wirtschaft gesteht Huber den Prinzipien , . B i n d u n g " U nd „Freiheit" in der „gemischten Wirtschaftsverfassung" als dem Nebeneinander von „wettbewerbswirtschaftlichen" und „staatswirtschaftlichen" Elementen zu: „Diese Formen der Selbstverwaltung der Wirtschaft sind Zwischengebilde, deren Sinn darin besteht, in einem umgrenzten Wirkungsbereich den Ausgleich von Freiheit und Bindung zu vollziehen." 56 Das Prinzip der Freiheit wird durch die Anerkennung, Förderung und Geltung des Einzelwettbewerbs gewahrt, das Prinzip der Bindung, indem die wirtschaftliche Selbstverwaltung die Einzelunternehmen zu übergeordneter Kooperation vereinigten. Diesen koordinierenden, regulierenden und fordernden „selbstverwaltungsmäßigen Zwischenformen" versieht Huber „eigenen Wert und Rang". 57 Doch trotz der Interpretation von „Bindung" und „Freiheit" im Sinne institutionellen Wirtschaftshandelns bleibt das etatistische Moment der Einheit von Wirtschaft und Staat erhalten, denn die Einrichtungen wirtschaftlicher Selbstverwaltung „konstituieren eine Ordnung, die den institutionellen und funktionalen Gesamtzusammenhang der sozialen, ökonomischen und politischen Teilbereiche herzustellen sucht. In diesem Sinn ist die Selbstverwaltung der Wirtschaft ein wesentliches Mittel der sozialen, ökonomischen und politischen Integration." 58 Die auf der Ebene der Verfassungsform behandelten „Zwischengewalten" haben für den Begriff der „Wirtschaftsverfassung" die Funktion, klare Kompetenzen zwischen Wirtschaft und Staat zu schaffen und die Intervention des Staates in ökonomischen Abläufen auf marktkonforme Maßnahmen zu beschränken. 59 Die Integrationsfunktion der von Huber nicht differenzierten „Zwischengewalten" zur Wahrung von „Bindung" und „Freiheit" entpolitisiert den ökonomischen Bereich, um ihn dem Staat unterzuordnen. Wenn Huber diese Integration auch dahingehend relativiert, daß die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft durch wirtschaftliche Selbstverwaltung gewahrt bleiben soll 60 , so ist die Aufgabe der Selbstverwaltung die Zuordnung der Wirtschaft zum Staat. Die juristische Fiktion des über der Gesellschaft stehenden Staates wird also auch nach 1945 in der juristischen Theoriebildung und Verfassungsdiskussion eingesetzt. 54 Vgl. Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 38fF., wo Huber den Bezug zur wirtschaftlichen Freiheit herstellt. Art. 151 WRV gewäre die Wirtschaftsfreiheit nur nach „Maßgabe der Gesetze". Die Wirtschaftsfreiheit empfange also ihr „Maß" nach staatlichen Gesetzen. Wirtschaft sei aber nur noch planmäßige Ordnung durch die Aufsicht von Verwaltungsbehörden. Art. 151 habe materiellrechtlich keine Bedeutung mehr. 55 Huber: Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 19. Der Begriff „pouvoirs intermediaires" stammt von Montesquieu; zur verfassungshistorischen Dimension intermediärer Gruppen in der organisierten Wirtschaft der bürgerlichen Gesellschaft und zum Begriff vgl. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 988f.. 56 Selbstverwaltung der Wirtschaft, S. 67 57 Ebenda, S. 20. 58 Ebenda. 59 Hammans, a. a. O., S. 216f.. 60 Dieses Argument ist bereits in der Schrift „Gestalt des deutschen Sozialismus" von 1934 sehr detailliert im Zusammenhang planwirtschaftlicher Intervention behandelt.

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c) Die „gemischte Wirtschaftsverfassung" im Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht Der Etatismus des Huberschen Wirtschaftsdenkens wird besonders in der kritischen Bewertung der vier Hauptlehren zum Wirtschaftsverfassungsrecht deutlich, die Huber 1956 in einer umfassenden juristischen und verfassungspolitischen Auseinandersetzung niedergelegt hat und seine Konzeption der „gemischten Wirtschaftsverfassung" als eine der vier Lehren abgrenzt. Dieser polemisch resümierte Diskussionsstand des Wirtschaftsverfassungsrechts in der Rekonstruktionsphase der Bundesrepublik dokumentiert zugleich die Rehabilitierung des Juristen in der bundesrepublikanischen Staatsrechtswissenschaft, denn der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht ist ein gewichtiges Teilproblem der Gestaltung und Konkretisierung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der Verantwortung des Juristen. 61 Huber bewertet die ökonomisch abgestützten Modelle zum Wirtschaftsverfassungsrecht hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Grenzen staatlicher Wirtschaftsmacht und den „Grenzen der Verantwortung, die der Staat für die Förderung, den Schutz und die Befriedung der Wirtschaft tragen kann und soll." 62 Die staatliche Intervention bzw. die Aufsicht der Wirtschaft gehört zum verfassungspolitischen Grundverständnis des juristischen Verhältnisses von Staat und Wirtschaft im Denken Hubers. Die folgende Debatte wird dadurch entscheidend bestimmt. Gegen die These Herbert Krügers, 63 aus dem fehlenden Abschnitt über die „Wirtschaftsverfassung" im Grundgesetz müsse eine Garantie der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Nicht-Entscheidung gefolgert werden, die daher ein Verbot des Gesetzgebers beinhalte, sich grundsätzlich für ein Wirtschaftsmodell oder Programm zu entscheiden, folgert Huber die völlige „Entstaatlichung" und „Entrechtlichung" der Wirtschaft aufgrund der geforderten Enthaltsamkeit von Gesetzgebung und Verwaltung: „Aber die absolute Entstaatlichung der Wirtschaft, wie sie in der Konsequenz der Neutralitätstheorie läge, wäre mit der Staatlichkeit des Staates' unvereinbar. Denn diese hängt davon ab, daß der Staat auch Verantwortung und Gestaltungsmacht im Bereich der Wirtschaft inne hat." 64 Dennoch hält Huber der Neutralitätsthese entgegen, daß bei Konjunkturkrisen die „regulierende Hand des Staates" in innerwirtschaftlichen und wirtschaftlich-sozialen Konflikten von Nöten sei. Aus dem Standort des Staatsinterventionismus in der modernen Industiegesellschaft65 wird die These Krügers, was als Blankett im Grundgesetz geschaf61 Vgl. Erlinghagen, Peter: Der Streit um die Wirtschaftsverfassimg der Bundesrepublik, in: Festgabe für Heinrich Herrfahrdt zum 70. Geb., Marburg 1961, S. 5-17 (17). 62 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 219. 63 Krüger, Herbert: Staatsverfassung und Wirtschaftsverfassung, in: DVB1, 75. Jg. (1951), S. 361ff.; zur Kritik dieser Thesen besonders nachdrücklich: Erlinghagen, Peter: Der Streit um die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik, a. a. O., S. 15. Erlinghagen beurteilt ein planloses, lediglich von der Situation des Augenblicks diktiertes Handeln auf dem Gebiet der Wirtschaft als ebenso gefahrlich wie in anderen Lebensbereichen, zumal ein Rechtsstaat den Zweck der Schaffung und Erhaltung eines materiell gerechten Rechtszustandes hat; vgl. auch Hubers frühe Auseinandersetzung mit Herbert Krüger in: Die Verfassungsproblematik eines Kartellverbots. Gutachten, veröffentlicht vom Wirtschaftsverband Stahlverformung, Hagen 1955, S. 19. 64 Huber: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, a. a. O., S. 218. 65 Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 257f..

1. „ Wirtschaftsverfassung" und Grundgesetz

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fen worden sei, müsse auch ,31ankett" bleiben, aus dem Interesse einer wertgebundenen materiellen Verfassungsinterpretations scharf zurückgewiesen. Wie Herbert Krüger, so gehe auch das Bundesverfassungsgericht im Urteil um das Investitionshilfegesetz vom 20. Juli 195466 davon aus, daß das Grundgesetz an einem bestimmten „System der Wirtschaftstheorie oder -politik" nicht festgehalten habe und räume dem Gesetzgeber die Entwicklung des Wirtschaftssystems in eine bestimmte Richtung ein. Huber folgert aus diesem Urteilsspruch eine „Generalermächtigung zugunsten der Legislative" zur Wirtschaftsintervention, das aus Art. 74 Nr. 11 GG entnommen wird. Das sei eine Blankettvollmacht, so der Gesetzgeber ,je nach dem Wechsel der Parlamentsmehrheit oder der vorherrschenden Meinung [...] beliebig von einem Höchstmaß an Wirtschaftsfreiheit zu einem Höchstmaß an Wirtschaftsbindung übergehen" könne. 67 Mit diesem Urteil gehe eine Leugnung des materiellen Wirtschaftsverfassungsrechts einher. Demgegenüber besteht Huber auf einer „sachgerechten Verfassungsauslegung", welche die Sozial- und Wirtschaftsordnung in ihrer Kombination von Einzel- und Gesamtnormen als Gesamtschau würdigt, damit die „Lückenhaftigkeit zahlreicher Textstellen" geschlossen werden kann, denn schließlich habe „das Grundgesetz trotz dieser Lücke eine Vielzahl von Einzelbestimmungen vornehmlich seines Grundrechtsteils eine in sich geschlossene Konzeption des Wirtschafts- und Sozialverfassungsrechts entwickelt, die es im Wege der Interpretation zu erschließen gilt." 68 Huber bleibt seiner wertbestimmten Verfassungsinterpretation, die bereits in der Bonner Antrittsvorlesung „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" ausformuliert ist, treu. Der Krügersche „Relativismus" und der „Neutralismus" des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Investitionshilfegesetz wird unter das „System formaler Demokratie" subsumiert. Wie Nipperdey schließt Huber bei der Neutralität der Verfassung gegenüber Lehrgebäuden eine „materielle Wirtschaftsverfassung" nicht aus und rezipiert die wertgebundene wirklichkeitswissenschaftliche Verfassungsinterpretation nach der Integrationstheorie Rudolf Smends, selbst ein Kritiker der formalen Demokratie. Demnach gehöre der „integrierende Sachgehalt" zum Wesen der modernen Verfassungen, d.h. „ein legitimierender 'Wertgehalt' also, der vornehmlich ein Bekenntnis zu dem normativen Ideengefüge umschließt, auf dem die politische Einheit beruht." 69 Eine moderne Verfassung enthalte ein Mindestmaß an Wertgrundsätzen über Wirtschafts- und Sozialgestaltung, die bei einer „Generalbevollmächtigung an die Legislative" in Gefahr stünde, „zu fortwährenden Brüchen in der Kontinuität des wirtschafts- und sozialrechtlichen Ganzen zu fuhren, womit auch die Kontinuität des Staates selbst verloren ginge. Gerade die Demo66 67 68 69

WiVerwR, Bd. 2, S. 23Off.. Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 219. Ebenda, S. 222f.. Ebenda, S. 221. Huber ist der wirklichkeitswissenschaftlich orientierten Verfassungsinterpretation zuzuordnen und unterscheidet sich dadurch deutlich von ForsthofFs klassisch-hermeneutischer Verfassungsinterpretation, die Verfassung und Gesetz gleichsetzt; vgl. dazu Bökkenforde, Ernst-Wolfgang: Die Methoden der Verfassungsinterpretation - Bestandsaufnahme und Kritik, in ders.: Staat, Verfassung, Demokratie. Studien zur Verfassungstheorie und zum Verfassungsrecht, Frankfurt/M. 1991, S. 53-89; vgl. dazu die von Smend ausgehenden wirklichkeitswissenschaftlich orientierten Verfassungsinterpretation S. 7 Off. Zur Kritik an der geistesgeschichtlichen Methode bei Huber vgl. Geis, Max-Emanuel: Kulturstaat und kulturelle Freiheit. Eine Untersuchung des Kulturstaatskonzepts von Ernst Rudolf Huber aus verfassungsrechtlicher Sicht, a. a. O., S. 210-213, insbes. S. 213.

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kratie verlangt Dauer im Wechsel; sonst verfallt sie der Revolution in Permanenz' 7 0 ." 7 1 Im Ganzen ist Hubers Grundgesetzauslegung von dein Gedanken getragen, daß eine geschlossene Konzeption notwendig sei. 72 Doch ganz unproblematisch ist diese Interpretation nicht, da Huber auch vom „System" des Wirtschaftsverfassungsrechts und dem Gesamtkomplex der wirtschafts- und sozialrechtlichen Verfassungsnormen als einem „institutionellen System" spricht. Eine wirklichkeitswissenschaftlich orientierte Verfassungsinterpretation, welche die Verfassung als integrierende Wirklichkeit begreift, welche die staatlichpolitische Gemeinschaft immer wieder neu herstellt, und durch geisteswissenschaftlichinduktives Erkennen und Verstehen von Bewußtseinslagen, Wertkonstellationen und Integrationsprozessen 73 zu einer wertbestimmten „Füllung" der Verfassungslücken kommt, erliegt der Gefahr der Unbestimmtheit und des Verfließens möglicher Interpretationsergebnisse. Dem erliegt Hubers dialektische Verfassungssicht, z.B. die „existentielle Integration" der Wirtschaftsordnung in die staatliche Gesamtordnung, die keine strukturelle, sondern eine ganzheitliche Sichtweise annimmt. 74 Die Gefahr der wirklichkeitswissenschaftlich orientierten Verfassungsinterpretation liegt in der Umkehrung der Bezugspunkte der Interpretation, die nicht mehr die normativen Größen wie die Prinzipien und Grundentscheidungen einer Verfassung, sondern auf eine Gesamtschau und Gesamtanalyse gegebener Wirklichkeit und auf die soziale Funktion der Verfassung Bezug nehmen. Wenn der Verwirklichungsprozeß der Verfassung gegenüber dem normativen Gehalt der Verfassung zum Maßstab der Inhaltsbestimmung wird, wird die Verfassungsnorm gegenüber der Verfassungswirklichkeit zunehmend zum Verschwinden gebracht. 75 Diese Problematik hängt bei Huber unmittelbar mit der Auffassung der Wirtschaftsordnung als „Wirtschaftsverfassung" und ihrer systemischen Interpretation zusammen. Von der Wirtschaftsordnung als „System" auszugehen, impliziert aber gerade die wirtschaftspolitisch und verfassungsrechtlich höchst problematische Sichtweise, die ökonomischen und rechtlichen Konstellationen gegenüber dem sozialen Wandel festzulegen. Systemdenken vermag Erkenntnisse und Einsichten in die Zusammenhänge und Prozesse des Wirtschaftslebens verdeutlichen, bleibt aber eine geistige Konstruktion, die nicht der Wirklichkeit entspricht und nicht zur Ideologie werden darf. Die Wirtschaftsverfassung ist kein für allemal verankertes „System".76 Wenn die Einheit der Verfassung auch für die 70 Dieser Begriff ist bereits in der Schrift „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" (1935) zur Abgrenzung des aus der Französischen Revolution stammenden Begriffs des „pouvoir constituant" als Begriff der permanenten Verfassungskrise gegen die völkische Verfassung benutzt worden und war die bewußte Abkehr Hubers von Begriffen und Positionen des bürgerlichrechtsstaatlichen Konstitutionalismus; vgl. Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 64. Sieht man von den unterschiedlichen Verfassungsordnungen und der strategischen Benutzung von Begriffen ab, so hat der Begriff der „Revolution in Permanenz" seine Bedeutung als Verfassungskrise im Denken Hubers behalten. 71 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 221. 72 So auch Ehmke, a. a. O., S. 236. 73 Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Die Methoden der Verfassungsinterpretation - Bestandsaufnahme und Kritik, a. a. O., S. 72. 74 Zuletzt in Erwiderung auf Horst Ehmkes Kritik in: Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 274—294 (276). 75 Böckenförde, a. a. O., S. 73f.. 76 Zur Kritik des Systemdenkens im Zusammenhang der Wirtschaftsordnung: Hartwich, HansHermann: Grundgesetz und Wirtschaftsordnung. Probleme des wirtschaftlichen, technischen und

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Wirtschaftsordnung zugrunde gelegt wird, ist die Aufgabe der Verfassung nicht nur die materielle Verfassungsfunktion, die Statuierung der rechtlichen Grundordnung unter Zugrundelegung bestimmter Wertentscheidungen, sondern auch die Ermöglichung der politischen Einheit als der formalen Verfassungsfunktion.77 Hubers These der „gemischten Wirtschaftsverfassung", nach der das Grundgesetz ein spannungsvolles Gleichgewicht und einen durchdachten Ausgleich von grundrechtlicher Wirtschaftsfreiheit und unterschiedlichen Sozialbindungen garantiert, die der Gesetzgeber unter Ausnutzung des Gesetzesvorbehaltes durch seine gesamtwirtschaftliche Gestaltungskraft verwirklicht und in der verfassungsrechtlich angelegten Dialektik von „Freiheit" und „Bindung" in der konkreten Sachentscheidung aufhebt,78 wird eben durch den Systemgedanken ergänzt, die materielle Wirtschaftsverfassung auf die „soziale Marktwirtschaft" festzulegen. Hans Carl Nipperdeys Lehre von der Garantie der sozialen Marktwirtschaft wendet sich mit der These, daß das Grundgesetz sich auf die Marktwirtschaft festgelegt habe, gegen Krügers Neutralitätslehre.79 In einem Zehn-Punkte-Katalog hat Nipperdey die „Wirtschaftsverfassung" des Grundgesetzes zusammengefaßt. Wie Huber einen dritten Weg zwischen Kollektivismus und Individualismus in der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung zu erkennen glaubt, so bekennt sich auch Nipperdey zur „sozialen Marktwirtschaft" als einer „dritten wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ordnung" als einer selbständigen Zwischenform zwischen den reinen Modellen der Zentralverwaltungswirtschaft und der freien Marktwirtschaft.80 Nipperdey verlangt mit der Sozialstaatsklausel im Grundgesetz die Durchsetzung und Sicherung des wettbewerbswirtschaftlichen Prinzips und sieht im Zusatz „sozial" nur eine sozialdeterminierte Berichtigung des freien Wettbewerbs:81 „Die Lösung der sozialen Frage erwartet er grundsätzlich vom ungehinderten freien Spiel der Kräfte." 82 Doch nach dieser Logik sei die „soziale Marktwirtschaft" ein Pleonasmus, weil der Marktwirtschaft das soziale Moment ohnehin inhärent sei. Auch mit Nipperdeys eigener Zuordnung zur ordoliberalen „Freiburger Schule" erklärt sich Huber nicht einverstanden, da dieser sich gegen die von Nipperdey vertretenen legislative wie exekutive Kompetenz, nur das Funktionieren des Wettbewerbs zu garantieren, wende. Der Neoliberalismus fordere sehr wohl eine weitgehende Staatsintervention in die Wirtschaft, so daß Nipperdeys These der Entscheidung des Grundgesetzes für die Wettbewerbswirtschaft im Sinne des „Ordoliberalismus" unrichtig sei.83

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sozialen Wandels im Verhältnis zu Wirtschaftsordnung und Verfassung, in: APuZg, Β 4/80, S. 3-18 (3f., 17). Liesegang, Helmuth C.F.: Die verfassungsrechtliche Ordnung der Wirtschaft, a. a. O., S. 33. Vgl. zusammenfassend: Badura, Peter: Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, a. a. O., S. 19f.. Ebenda. Zur inhaltlichen Übereinstimmung zwischen Huber und Nipperdey vgl. Nipperdey: Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 2. Aufl., Köln, Berlin, München, Bonn 1961, S. 14. Zur frühen Auseinandersetzung mit Nipperdey bereits Hubers Rechtsgutachten: Die Verfassungsproblematik eines Kartellverbots, a. a. O., S. 19f.. Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 224. Nipperdey, a. a. O., S. 18f. Huber: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 225. Ebenda, S. 226.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Aus der eigenen Lehre der „gemischten Wirtschaftsverfassung" folgert Huber die „institutionelle Garantie der freiheitlich-sozialstaatlichen Marktverfassung"84: „Die Quintessenz des Grundgesetzes ist vielmehr die institutionelle Garantie einer gemischten Wirtschaftsverfassung, d.h. einer Wirtschaftsverfassung, die auf das Neben- und Ineinander zweier gegenläufiger, jedoch dialektisch verbundener Hauptgrundsätze gleichen Ranges gegründet ist."85 Es wird eine Liste der „Hauptgrundsätze des geltenden Wirtschaftsverfassungsrechts" aufgestellt, die sich teils übereinstimmend, teils ablehnend an dem Zehnpunkte-Programm Nipperdeys orientiert:86 die „wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, die im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannte „Wettbewerbsfreiheit", 87 die „Vertragsfreiheit",88 die „wirtschaftliche Vereinigungsfreiheit"89 und die „Berufs- und Gewerbefreiheit" nach Art. 12 Abs. 1 GG. 90 84 Ebenda. 85 Ebenda. 86 Ebenda, S. 227-248; s. a.: Behling, Wolfgang: Wirtschaftsordnimg und Grundgesetz., a. a. O., S. 8ff. 87 WiVerwR, Bd. 1, S. 646, 661. 88 Dazu schon das Rechtsgutachten: Die Verfassungsproblematik eines Kartellverbots. Gutachten, veröffentlicht vom Wirtschaftsverband Stahlverformung, Hagen 1955, S. 10; ebenso: WiVerwR, Bd. 1, S. 660f.. Das Gutachten, das die Verfassungsmäßigkeit eines Regierungsentwurfes zu einem „Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen" untersucht, nimmt viele Positionen zur „gemischten" Wirtschaftsverfassung im „Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht" vorweg. Das verfassungsrechtlich entscheidende Problem des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, ob ein grundsätzliches Verbot wettbewerbsbeschränkender Abreden mit den Grundrechten der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Vereinigungsfreiheit vereinbar ist, beantwortet Huber wie folgt: Der Gesetzesentwurf sei verfassungswidrig, weil Kartellvereinbarungen den Schutz genießen, den Art. 2 Abs. 1 GG der Vertragsfreiheit verbürgt. Ein generelles Verbot von Kartellvereinbarungen sei durch Vorbehalte grundsätzlich nicht gedeckt. Nur in der Form einer Kartellzulassung mit Verbotsvorbehalt in Einzelteilen sei eine gesetzliche Beschränkung von Kartellvereinbarungen statthaft (Gutachten, S. 24). Ein absolutes Kartellverbot (ohne Erlaubnisvorbehalt) und ein Kartellverbot mit Erlaubnisvorbehalt seinen verfassungswidrig, während Kartellzulassungen mit Verbotsvorhalt, auf Einzelialle beschränkt, verfassungskonform sind, da die Vorbehalte auf den „Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellung" auf das Kartellwesen (Art. 74 Nr. 16) Bezug nehmen (Gutachten, S. 36). Dazu entwickelt Huber in dem Aufsatz „Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht" einen Katalog von Grundsätzen zum Abschluß von wettbewerbsbeschränkenden Kartellvereinbarungen vertikaler und horizontaler Art (a. a. O., S. 23 7f.). 89 Das Empfehlungsverbot. Eine kartellrechtliche Studie, Stuttgart 1959. Das Gutachten lag dem Kartellsenat des Bundesgerichtshofes als Informationsmaterial zur sog. Kölnisch-WasserEntscheidung zur Preisempfehlung vom 8. Oktober 1958 im Verfahren vor. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vom 27. Juli 1957 trete das Dilemma einer zu engen Fassimg des Kartellverbots zutage. Ein absolutes Empfehlungsverbot sei rechtsstaatlich bedenklich, zumal sich starke Unternehmerverbände ohne Benutzung der Mittel der Kartellvereinbarung oder Rechtsbindung zweiter Hand der Empfehlung als Mittel kostensparender Rationalisierungspolitik bedienten. Anhand des Urteils diskutiert Huber die Reformbedürftigkeit des Empfehlungsrechts bei der Preisempfehlung am Beispiel der bei Preislisten, Preisanregungen und Preisvorschlägen gebotenen Anmeldung an das Bundeskartellamt angesichts der fließenden Grenzen des Empfehlungsbegriffs; a. a. O., S. 116ff; s. a. WiVerwR, Bd. 1, S. 347, 350, 364, 372-374. Ein zweites Gutachten verdient Beachtung: Grundgesetz und vertikale Preisbindung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1968. Huber verneint in dem Gutachten ein generelles Preisbindungsverbot, weil das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Beschränkung der unternehmerischen

1. „ Wirtschaftsverfassung"

und Grundgesetz

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d) Die Interessenwahrung von Markt und Unternehmensverfassung: die „Mitbestimmung" Das Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit dokumentiert sich im besonderen in den kollektiv-gesellschaftlichen Mitwirkungsrechten von Herrschaftsunterworfenen. Das Sozialstaats- und Demokratiegebot im Grundgesetz hat sich als Träger des Mitbestimmungsgedankens nicht durchgesetzt, das Sozialstaatsprinzip wird im wesentlichen als Forderung an den Gesetzgeber verstanden, die politisch erwünschte Sozialgestaltung durch Gesetzesakte durchzusetzen. Das Demokratiepostulat ist von der herrschenden Meinung auf den staatlichen Bereich beschränkt worden, der gesellschaftliche Bereich, insbesondere der Unternehmerbereich unterliegt danach nicht der Demokratisierung.91 Größeren Raum hat dagegen die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der paritätischen Mitbestimmung eingenommen, die ein Ableger der Sozialisierungsdiskussion der zwanziger Jahre und der von den Gewerkschaften vertretenen Idee der Wirtschaftsdemokratie ist, daß nach der gescheiterten Revolution von 1918 die ökonomischen Macht- und Eigentumsstrukturen nicht durch Sozialisierung, sondern durch die Überwindung der Alleinherrschaft der Unternehmer gelöst werden kann. 92 Das Grundgesetz hat 1949 über die Mitbestimmung keine materiellen Regelungen aufgestellt, nur einige Länderverfassungen wie z.B. Hessen haben sich für die paritätische Mitbestimmung ausgesprochen. Preisbindungsbefugnis einen sachgerechten Vollzug des Gemeinwohlprinzips darstellt und die verfassungsrechtlich einwandfreie Begrenzung des Rechts zur vertikalen Preisbindung anerkennt (S. 23f). Ein Preisbindungsverbot fördere Wettbewerbsauswüchse und Unternehmenskonzentration und sei ein Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Eigentum der betreffenden Hersteller (S. 55f.); femer sei ein generelles Preisbindungsverbot mit Art. 14 GG unvereinbar. Das Gutachten „Die Einheit des Ruhrkohlenverkaufs und der Montanvertrag, Düsseldorf 1960", dem ein unveröffentliches Gutachten zum Kartellverbot des Montanvertrages vom 24.11.1953 vorausgeht, beschränkt sich auf die Frage, ob der nach Art. 65 des Montanvertrages angesichts der von der Hohen Behörde der Europäischen Gemeinschaft in der Entscheidung vom 18. Februar 1959 erklärten Genehmigungsverbots der einheitlichen Verkaufsorganisation für Ruhrkohle rechtens ist, die Genehmigungsfrage ausschließt oder nicht und analysiert den Art. 65 der Kartellerlaubnis. Mit dem Argument, Art. 65 § 2 sei kein Ermessensakt, sondern ein rechtsgebundener Verwaltungsakt, kommt Huber zu dem Ergebnis, daß der Kontrolltatbestand nicht vorliegt und die These der Unvereinbarkeit der Einheit des Ruhrkohlenverkaufs mit dem Montanvertrag unbegründet ist (S. 42f.). 90 Ehmke wirft Huber mit der extensiven Auslegung der Grundrechte die Interpretation des Modells der sozialen Marktwirtschaft als willkürlich vor, ebenso die Aufblähung der Grundrechte und ihre gleichzeitige Schwächung im Kern durch Vorbehaltsgarantien; vgl. Ehmke, a. a. O., S. 239f.; dazu die Erwiderung Hubers in: Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, a. a. O., S. 277. Huber nennt die ausgewogene Zusammenordnung von Freiheitsgarantien und Staatsvorbehalt als Vorausetzung für eine sachgerechte Einordnung der Wirtschaftsverfassung in die Staatsverfassung. 91 Reich, Norbert: Markt und Recht. Theorie und Praxis des Wirtschaftsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, Neuwied, Darmstadt 1977, S. 338f.. 92 Reich, a. a. O., S. 333; zur Diskussion auch der deutschnationale, berufsständische Denkstandort Hubers vor 1933 (unter dem Pseudonym Friedrich Schreyer): Das Eigentum in der Reichsverfassung, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 692-694; ders.: Gewerkschaften, Betriebsräte, Faschismus, in: Der Ring, 4. Jg. (1931), S. 561-563.

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Die Bundesrepublik:

die Lehren aus der Weimarer

Verfassung

Die „freiheitlich-sozialstaatliche Marktwirtschaft" läßt sich nicht nur nach reinen Markterwägungen beurteilen, sondern umgreift als „gemischte Wirtschaftsverfassung" auch Streitfragen der Mitbestimmung und Sozialisierung im Sinne der wirtschaftlichen Bestimmungs- und Verfugungsmacht. Die wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer erhebt Huber schon 195193 zum „Kernproblem" der „Wirtschaftsverfassung" in der Bundesrepublik und widmet sich in Gutachten94 und der Zweitauflage des zweibändigen Wirtschaftsverwaltungsrechts von 1953/54 dieser Problematik. Eine Extremmeinung von Verfassungsjuristen, zu der auch Hubers Position zählt, die sich aber nicht durchgesetzt hat, vertrat die These, daß eine paritätische Mitbestimmung gegen die Eigentumsgarantie und gegen die Koalitionsfreiheit schlechthin verstoße.95 Die Doppelschichtigkeit des Eigentumsartikels Art. 14 machen Mitbestimmung und Sozialisierung für Huber zu Verfassungsfragen ersten Ranges. Mit der wirtschaftlichen Mitbestimmung soll bezweckt werden, „einem Verfassungsverständnis zu dienen, das auf der ausgewogenen Verbindung der rechtsstaatlichen und der sozialstaatlichen Momente des deutschen Grundrechtssystems beruht."96 Mit der Schrift „Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung" von 1970 wird der im Januar 1970 veröffentlichte Abschlußbericht der Sachverständigenkommission zur Prüfung der Mitbestimmungsfrage, der mit der Gewerkschaftsforderung übereinstimmte, einer eingehenden Kritik unterzogen. Die Dialektik der „gemischten Wirtschaftsverfassung", als „echter Verfassungskompromiß" kein verbindliches Programm, „dessen dauernder Vollzug den Staatsorganen wie den Wirtschaftstätigen bindend aufgegeben ist" 97 , entscheidet Huber im Mitbestimmungsbereich aber zugunsten der „Unternehmensverfassung", denn wirtschaftliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer sei ein Eingriff in das Eigentumsrecht der Kapitaleigner, zudem ohnehin eine Entschädigung der Kapitaleigner nicht eingeführt ist und die wirtschaftliche 93 Huber (gez. U.M.): Wirtschaftliche Mitbestimmung und Enteignung, in: AöR, Bd. 38 (1951/52), S. 366-370. Huber fragt in diesem Aufsatz nach der Vereinbarkeit des paritätischen Mitbestimmungsrechts der Eisen- und Stahlindustrie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz (nach dem Gesetz über das Mitbestimmungsrecht vom 21. Mai 1951 im Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie) mit dem Grundgesetz, da die wirtschaftliche Mitbestimmung in die Hand von nicht an Produktionsmitteln beteiligten Kräften gelegt werde und die Entscheidung über den Wirtschaftsprozeß nach „marktfremden Erwägungen" falle. Die wirtschaftliche Mitbestimmimg stehe unter dem Grundsatz der „verfassungsmäßigen Ordnung" und müsse durch eine „gesunde und gerechte Sozialordnung" und den sozialen Frieden hergestellt werden; sie sei mit dem Grundgesetz vereinbar, betreffe aber mehr die Eigentums- und Unternehmerordnung als die Betriebsverfassung. Das Mitbestimmungsgesetz vom 21. Mai 1951 sei eine Form der Gemernwirtschaft und eine Maßnahme der Vergesellschaftung. Huber weist auf die Grenze von gemeinwirtschaftlicher Enteignung und Eigentumsbeschränkung hin; a. a. O., S. 368ff.. 94 Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970. Die Studie ist aus einem Bericht für den Verband der chemischen Industrie e.V. aus dem Jahre 1969 entstanden; s. a. zusammenfassend: Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, a. a. O., S. 274ff.; Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 250f.; WiVerwR, Bd. 1, S. 30, 37, 522, 656; Bd. 2, S. 204, 359-362, 365-367, 538-542, 545-555. 95 Reich, a. a. O., S. 339; Huber: Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, a. a. O.; zur Kritik: Scheuner, Ulrich: Wirtschaftslenkung und Verfassungsrecht des modernen Staates, a. a. O., S. 31f.. 96 Grundgesetz und wirschaftliche Mitbestimmung, a. a. O., S. 23. 97 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 277.

1. „ Wirtschafisverfassung" und Grundgesetz

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Mitbestimmung ihre Grenzen an der Gleichheitsgarantie und der Wesensgehaltsgarantie im Rahmen der Inhaltsbegrenzung Art. 14 Abs. 1 Satz 4 und der Sozialbindung des Eigentums Art. 14 Abs. 2 finde.98 Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung sei ein Mitentscheidungsrecht in der Unternehmensleitung, in der sich der Übergang eines entscheidenden Teils der Bestimmungsmacht über das Unternehmen auf die Organisationen oder die Organe der Arbeitnehmerschaft vollziehe. Das Prinzip der Parität, das in der sozialen Mitbestimmung als Folge der Autonomie der sozialen Gegenspieler in der Natur der Sache liege und eine anerkannte Legitimität in der Gleichberechtigung der Sozialpartner im Tarif- und Schlichtungswesen besitze, habe in der „wirtschaftlichen Mitbestimmung" eine völlig andere Bedeutung. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung führe, da die echte Parität in der Unternehmensleitung unmöglich sei, zu einem Übergewicht der Arbeitnehmervertretungen und zur Vorherrschaft der Arbeitnehmerverbände im Bereich der Großunternehmen und der Gesamtwirtschaft. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung entwickele sich zum Fundament einer zentral gesteuerten Planungs- und Lenkungspolitik.99 Den Vorwurf der „vermachteten Monopolwirtschaft", welche die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung der gewerkschaftlichen Unternehmenskontrolle rechtfertige, weist Huber entschieden zurück, da in der Wirtschaftsverfassung „die Staatsgewalt die verfassungsrechtliche Befugnis und Verpflichtung, gesetzliche Vorkehrungen zur Abwehr des drohenden Mißbrauchs" treffe. 100 Wieder ist es die Integration gesellschaftlicher Kräfte im Staat und ihre Subsumtion unter die Staatsgewalt, um die Wirtschaftsverfassung zu schützen. Die verfassungsrechtliche Legitimität der Vorkehrungen zur Abwehr wirtschaftlichen Mißbrauchs ergebe sich aus der demokratischen Wahl des Parlaments, aus der Unterwerfung der Regierung unter die Parlamentskontrolle, aus der Bindung der Verwaltungs- und Gerichtskontrolle und aus der Bindung der Verwaltungs- und Gerichtsorgane an das parlamentsbeschlossene Gesetz. Die Folge der mit der erweiterten wirtschaftlichen Mitbestimmung begründeten „gewerkschaftlichen Kontrollmacht aber würde die Verdrängung des Staats aus seiner wirtschaftspolitischen Zuständigkeit und Verantwortung sein." 101 Huber geht sogar so weit, die Kontrollmacht der Gewerkschaften als unkontrollierbar im Vergleich zur verfassungsrechtlichen Kontrolle der staatlichen Institutionen zu bewerten. Die Gewerkschaften seien verfassungsmäßig legitimierte Organisationen im Rahmen der Wahrung der sozialen Interessen ihrer Mitglieder nach Art. 9 Abs. 3 GG, und damit dem rechtlich geordneten Begrenzungs- und Kontrollsystem der sozialen Mitbestimmung, 102 nicht der wirschaftlichen Mitbestimmung zuzuordnen: „Dagegen besitzen sie keine verfassungsmäßige Legitimation zur Ausübung staatlicher Kontrollaufgaben außerhalb ihres sozialpolitischen Aufgabenbereichs." 103 Die Gewerkschaften sind für Huber die Grenzmarke der Interdependenz von Sozialverfassung und Wirtschaftsverfassung, die sich in der „Artverschiedenheit" kundtut. Das Erkenntnisinteresse an der Wahrung der ausgewogenen Verbindung von rechts- und sozialstaatlichen Momenten im Grundrechtssystems wird mit 98 99 100 101 102 103

Ebenda, S. 250. Ebenda, S. 236; Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 44f.. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, S. 289. Ebenda, S. 290. Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 39. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung und der Verfassungsstaat, S. 291.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

der Trennung beider Staatlichkeitsmomente und ihrer Zuordnung auf die wirtschaftliche und soziale Mitbestimmung beantwortet. Die verfassungsrechtliche Empfehlung zur Wahrung des grundrechtlichen Charakters der Wirtschaftsverfassung fallt entsprechend extrem aus. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung sei aufgrund der „Artverschiedenheit" von Wirtschafts- und Sozialverfassung nicht aus dem Sozialstaatsprinzip abzuleiten, denn das Sozialstaatsprinzip sei nur in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich gewährleistet. Die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung ist Huber eine Form der Umgestaltung der Wirtschaftsverfassung, die mit den wirtschaftsrechtlich relevanten Garantienormen des Grundgesetzes nicht in Einklang stehe. Sie verletze das in Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der als Träger von Unternehmen tätigen Einzelinhaber und Gesellschaften. 104 Ebenso sei durch den verfassungsmäßigen Vorbehalt des Art. 9 Abs. 2 GG (Vereinigungsfreiheit) die gesetzliche Einfuhrung der erweiterten wirtschaftlichen Mitbestimmung nicht gerechtfertigt. 105 Auch gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG verstoße die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung, sie sei ein Eingriff in die wirtschaftliche Verfiigungsmacht und damit in das Eigentum der das Unternehmen tragenden Gesellschaft, eine Eigentumsentziehung, jedoch keine Enteignung. 106 Abschließend kommt Huber zu dem Ergebnis, die erweiterte wirtschaftliche Mitbestimmung, die keine Form der Gemeinwirtschaft ist, sei begrifflich ein Fall der Sozialisierung. 107 Hubers „aufgeblähte" Grundrechtsinterpretation 108 dient dem politischen Zweck, die Unternehmerverfassung von gesellschaftlicher (gewerkschaftlicher) Kontrolle freizuhalten und gegen marktfremde Erwägungen und Interessen, insbesondere Sozialstaatlichkeit, zu sichern. Die staatliche Rechtskontrolle wird zum Garant der Unternehmensverfassung. Hubers Extremmeinung, daß die erweiterte Mitbestimmung gegen Koalitionsfreiheit und Eigentumsgarantie verstoße, hat sich nicht durchgesetzt. Einer verfassungsrechtlichen Kritik hat Huber das Mitbestimmungsgesetz vom 4.5.1976 nicht mehr unterzogen. Er teilt nicht die vom Bundesverfassungsgericht bekräftigte Position, daß im Rahmen der Mitbestimmung die Wirtschafts- und Sozialordnung nur punktuell an Grundrechten, Staatszielbestimmungen und die Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes gebunden ist. Insofern ist die Rezession von 1966/67, welche die Einführung der verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Instrumente der Globalsteuerung bewirkt hat und eine Abkehr der von der neoliberalen Schule und auch Huber verplichteten Modell der gemischten Wirtschaft forcierte, eine systematische Zäsur für Hubers Wissenschaftsverständnis.109

104 Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 45f., 134. 105 Ebenda, S. 72, 135. Ulrich Scheuner kritisiert an Huber, der Gedanke, aus der Vereinigimgsfreiheit eine innere Freiheit der Untemehmensbestimmung und eine Garantie bestimmter Typen der Untemehmensverfassung abzuleiten, überzeuge nicht; vgl. Scheuner: Wirtschaftslenkung im Verfassungsrecht des modernen Staates, a. a. O., S. 31, Anm. 100. 106 Grundgesetz und wirtschaftliche Mitbestimmung, S. 86fF, 103ff., 135. 107 WiVerwR, Bd. 2, S. 150. 108 Zur Kritik schon Ehmke, a. a. O., S. 238ff.. 109 Kübler, Friedrich: Wirtschaftsrecht in der Bundesrepublik (Anm. 5), S. 375f.

2. Konservative Prämissen des „sozialen Rechtsstaates"

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2. Konservative Prämissen des „sozialen Rechtsstaates" Kaum eine Verfassung hat den sozialen Gedanken so weitgehend zum Ausdruck gebracht wie die Weimarer Reichsverfassung. Das Grundgesetz ist mit den Artikeln 20, Abs. 1 Satz 1 und 28 Abs. 1, in denen es sich zum „demokratischen und sozialen Bundesstaat" und zum „demokratischen und sozialen Rechtsstaat" bekennt, nicht nur offener, es stellt beide Artikel und die „freiheitlich-demokratische Grundordnung" gemäß Art. 79 Abs. 3 als unveränderliche Rechtsgrundsätze aber auch unter Verfassungsschutz. Weil das Grundgesetz über den Kompetenzkatalog hinaus keine der zahlreichen sozialen Institutionen erwähnt, stellt es diese Formeln der Verfassungsinterpretation anheim. 1 Der Unterschied zwischen Weimarer Verfassung und Grundgesetz im Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit besteht vor allem darin, daß die Weimarer Verfassungsväter eine Fülle sozialstaatlicher Grundrechtsansprüche normiert haben, die aber in der Rechtsprechung mit der Behauptung, es handele sich nur um Programmsätze, bald zu bloßen Leerformeln umgewandelt wurden, während das Bonner Grundgesetz sich mit der Positivierung sozialstaatlicher Grundrechte zurückgehalten hat und die offene Verfassung in die Hände von Rechtspflege und Exekutive legt.2 Die staatsrechtliche wie politikwissenschaftliche Diskussion um das Verhältnis von Rechts- und Sozialstaatlichkeit bewegt sich deshalb in den Bahnen der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung. Im Grundgesetz ist bewußt die Formel „demokratischer und sozialer Rechtsstaat" verwendet worden, um mit der Verbindung demokratischer und sozialer Elemente auszudrücken, daß der Sozialstaat nicht nur beliebige Ansprüche Einzelner an die öffentliche Hand enthalte, sondern den Sinn habe, eine Demokratie sei nur funktionsfähig, wenn sie sich in die Gesellschaft selbst hineinstreckt und allen sozialen Schichten die gleiche Chance im Wirtschaftsprozeß bietet.3 Die Sozialstaatsklausel im Grundgesetz ist deshalb bewußt als Traditionsbrücke zu verstehen, da sie eine unmittelbare Gebotsnorm ist und dem „Sozialstaat" des Grundgesetzes eine andere Qualität als dem kategorialen Rahmen des „Sozialstaates" der Weimarer Reichsverfassung, die zwar zahlreiche einzelne sozialstaatliche Verfassungsinstitutionen vorschrieben, aber kein generelles Gebot „sozialer" und damit „gesellschaftlicher" Staatlichkeit enthielt, gibt. 4 Die inhaltliche Zielbestimmung der Verfassung als eines „sozialen Rechtsstaates", die Hermann Heller in der Weimarer Republik als die Ausdehnung des materiellen Rechtsstaatsgedankens auf die Arbeits- und Güterordnung verstand, 5 hatte für die Verfassungs1

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Vgl. zur Kontroverse um Rechts- und Sozialstaatlichkeit: Abendroth, Wolfgang: Der demokratische und soziale Rechtsstaat als politischer Auftrag, in: Tohidipur, Mehdi (Hrsg.): Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. 1, Frankfurt/M. 1978, S. 265-289 (265ff); Forsthoff, Ernst: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in ders.: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1973, 2. Aufl., vom Verfasser überarbeitet und nach seinem Tode herausgegeben von Klaus Frey, München 1976, S. 65-89 (66f ); Ridder, Helmut: Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, Opladen 1965, S. 45ff. Abendroth, Wolfgang: Der demokratische und soziale Rechtsstaat als politischer Auftrag, a. a. O., S. 269f.. Ebenda, S. 277. Ridder, Helmut: Die soziale Ordnung des Grundgesetzes. Leitfaden zu den Grundrechten einer demokratischen Verfassung, Opladen 1975, S. 46f. Heller, Hermann: Staatslehre, a. a. O., S. 28Iff.

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Schöpfung des Grundgesetzes den Sinn, ökonomische Macht, welche die Mehrheit der Bürger in sozialer Beziehung dem Willen des ökonomisch Mächtigen unterwirft, aufzuheben und die Umstrukturierung der gesamten Wirtschaftsgesellschaft in Angriff zu nehmen.6 Dieser Gedanke der Sozialisierung ist in Folge der Restauration in der Bundesrepublik schnell umgedeutet und durch konservative, sozialstaatsreduzierende Argumente konterkariert worden. Gegenüber dem linken Sozialstaatskonzept Wolfgang Abendroths und seinen dezidiert gesellschaftspolitischen Zielbestimmungen treten die gesellschaftstheoretischen und politischen Implikationen des staatspolitischen Konservatismus in der Debatte um die Einheit von Rechts- und Sozialstaatlichkeit kaum hervor, weil eine substantielle Erfassung des Sozialstaatsprinzips die Offenlegung der gesellschaftlichen Zielvorstellungen voraussetzt. Die sprachlichen wie methodischen Immunisierungsstrategien des Konservatismus belegen die Ersatzwege und Ausflüchte, ihre Zielvorstellungen offenzulegen, zumal vor allem die Interpretation des Sozialstaatsprinzips die Verfassungsinterpretationen und gesellschaftpolitischen Zielvorstellungen, die „staatsideologische Unterbilanz" wie sie Forsthoff nennt, besonders ausgeprägt hervortreten läßt.7 Ernst Rudolf Hubers zeitkritische Analysen zum Verhältnis von Rechts- und Sozialstaatlichkeit mischen sich nicht in die staatsrechtliche Debatte mit Forsthoff, Abendroth, Ridder, Drath und Hans-Peter Ipsen ein, vielmehr resümiert Huber auch aus der wirtschaftsverfassungsrechtlichen Debatte um das Grundgesetz die verfassungstypologische Zuordnung von Rechtsstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit in historischer Perspektive und greift deutlicher als z.B. Ernst Forsthoff die ideengeschichtliche Perspektive und die Verfassungsformfrage auf. 8 Hubers verhaltene Selbstetikettierung als „Reformkonservativer" in den Traditionen Lorenz von Steins beruht auf der Systemsicht von Reform und Revolution, von Sozial- und Gesellschaftsdenken: „Daß mein eigenes Verständnis des Verfassungsstaates an Lorenz von Stein und seinem Modell des Sozialstaates gebildet ist, wird an dem inneren Zusammenhang [...], so weit sie in ihrer Entstehungszeit auseinanderliegen, erkennbar sein."9 Sollte diese Einschätzung dem tatsächlichen konservativen Denkstand6 7 8

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Abendroth, a. a. O., S. 275, 284f.. Hammens, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 141. Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft Vertrag gehalten bei der Feier zum zehnjährigen Bestehen der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie Oldenburg am 16. Oktober 1961, mit Zusätzen abgedruckt in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, Stuttgart 1965, S. 249-272; zur verfassungshistorischen Dimension der Sozialstaatlichkeit vgl.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 1133, Bd. 5, S. 95-115, 739-741, 867-869; Bd. 6, S. 95, 114, 116, 1031, 1082. Vgl.: Nationalstaat und Verfassungsstaat. Studien zur Geschichte der modernen Staatsidee, Stuttgart 1965, Vorwort, S. 8. Hubers konservatives Selbstbild bezieht sich auf die Aufsätze: Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaates. Vortrag, gehalten in der historisch-politischen Vortragsreihe im ,J3lauen Saal" des Lamprechtschen Instituts der Universität Leipzig im Wintersemester 1941/42, wieder abgedruckt in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, a. a. O., S. 127-143; ebenso: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industiegesellschaft, a. a. O., S. 249-272. Die Entstehungszeit beider Aufsätze liegt zwanzig Jahre auseinander, dazwischen liegt die Kapitulation und die zwölf Jahre als „131er" ohne Lehrstuhl. Zweifellos würde Hubers Kommentierung bedeuten, daß der Ablösungsprozeß vom Nationalsozialismus bereist vor 1941 lag.

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ort entsprechen, hätte sich Huber vom „autoritären Etatismus" gelöst und sich kompromißbereiteren, konsensstiftenden Gesellschaftsstrategien zugewendet. Die folgende Analyse verdeutlicht im Vergleich zu Forsthoffs autoritär-etatisti-schem Verständnis des Verhältnisses von Rechts- und Sozialstaatlichkeit die Unterschiede und ideologischen Verschiebungen. Huber liest die Formel vom „sozialen Rechtsstaat" im Grundgesetz als ein „Erbgut der Weimarer Grundrechtsdiskussion" 1 0 , die den sozialen Rechtsstaat bereits als die höchste Form der Vereinigung von Gleichheit und Freiheit interpretiert. Am Vorabend der Machtergreifung gab Huber als Wortführer eines materiellen Verfassungsrechts dem Bedeutungswandel der Grundrechte die Priorität zum Aufbau eines „nationalen Volksstaates", der sich verfassungspolitisch auf eine Verbrämung des subjektiven Grundrechtsschutzes als „überalistisch" und antistaatlich beschränkte.11 Von einem auf sozialpolitischem Klassenkonsens beruhenden „sozialen Rechtsstaat" hat Huber bis 1933 nicht gesprochen. Die nationalkonservative Option der Verabsolutierung der ökonomischen Entwicklung gegenüber der politischen Form der Verfassung stand demgegenüber im Vordergrund. Der Nationalsozialismus erwies sich als die totalitäre politische Form des Monopolkapitalismus. Das Grundgesetz erkennt Huber dagegen als naturrechtlich gegeben an und interpretiert den „sozialen Rechtsstaat" im Sinne des Elitenkonsenses des Parlamentarischen Rates. Die adjektivische Wortfügung „sozial" müsse „ernst genommen werden", als in Art. 20 und 28 enthaltene „verplichtende Norm".12 Das Soziale sei kein abstrakter Begriff, sondern stehe in konkretem Bezug auf die im neunzehnten Jahrhundert mit Technik, Industrialisierung, und Massenstaat heraufgekommene gesellschaftliche Situation sozialer Spannungen.13 Huber erkennt das Sozialstaatsprinzip als Verfassungs- und Rechtssatz an, vor allem, weil die Fundamentalnormen der Rechts- und Sozialstaatlichkeit gegen Verfassungsänderung in Art. 79 Abs. 3 gesichert sind: „Das heißt zugleich, daß Sozialstaatlichkeit nicht nur eine reale Begebenheit, sondern ein Rechtsbegriff ist; denn das Bezugssystem, auf das sich eine die Staatsorgane wie die Rechtsgenossen verpflichtende Norm richtet, wird damit notwendiger Weise aus dem Bereich des Faktischen in den des Normativen erhoben; es wird aus der Welt des realen Seins in die der Rechtsbegrifflichkeit überführt." 14 Die Ewigkeitsgarantie des Sozialstaatsprinzips führt die Interpretation im Vergleich zu 1932 über das materielle Verfassungsrecht in die Ebene der normativen Kraft des Faktischen. Huber ruft die Grenzen des Verfassungsrechts in Erinnerung und setzt die Schwierigkeit der Begriffsbestimmung „sozial" mit denen von „Freiheit", Gleichheit" oder „verfassungsmäßiger Ordnung" gleich. Man könne einem Begriff mit schwer bestimmbaren Grenzen

10 Huber: Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, a. a. O., S. 257; ders.: Bedeutungswandel der Grundrechtee (1932/33), S. 31, Anm. 56, 8 Iff. 11 Vgl. oben Kap. 2.5. 12 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 257. 13 Ebenda, S. 259. Huber gibt einer verfassungshistorischen Begriffsbedeutung den Vorzug, während Emst Forsthoff dem Adjektiv „sozial" den Vorgang des Teilens, Verteilens und Zuteilens zuweist (nach Carl Schmitts Aufsatz „Nehmen, Teilen, Weiden", 1953) und keine Übereinstimmung mit dem Grundbezug des gewährleistenden Rechtsstaates feststellt; vgl. Forsthoff: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in ders.: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1973, 2. Aufl., München 1979, S. 65-89 (80). 14 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 258.

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mit dem Scheinargument des „Grenzenlosigkeitsschlusses"15 nicht die begriffliche Bestimmbarkeit absprechen, denn mit einer unbestimmten Formel im Verfassungstext oder einer Verfassungslücke höre nicht das Staatsrecht auf. 16 Die Erfahrungen mit dem Dritten Reich vermochte Huber mit in die Waagschale zu legen, das Prinzip der Sozialstaatlichkeit mit der Verantwortungsethik des Juristen vor dem Grundgesetz vor Augen zu fuhren: „Notwendig ist vielmehr die Bemühung, den scheinbar substanzlosen oder grenzenlosen Blankettbegriff mittels der Methoden legitimer Auslegung in Inhalt und Grenzen festzulegen und ihn so aus der Gefahr zu befreien, entweder Objekt oder Instrument des Machtmißbrauchs zu werden." 17 Damit verabschiedet sich Huber von der traditionellen Methodeninterpretation, nur in der Übereinstimmung von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit das schlechthin gültige (existentielle) Formprinzip der Verfassung zu sehen.

a) Das Verhältnis von Rechtsstaatsprinzip und Sozialstaatsprinzip Mit der Formel des „sozialen Rechtsstaates" hat das Grundgesetz in den Artikeln 20 und 28 die „untrennbare Verknüpfung" von Rechtsstaats- und Sozialstaatsprinzip garantiert. Dennoch läßt sich der soziale Rechtsstaat nicht einem einheitlichen Verfassungsbegriff einfügen, weil beide Legitimationsprinzipien in Konkurrenz treten. 18 Die Vereinigung beider Legitimationsprinzipien stelle, so Huber, das Grundgesetz nicht als eine bloße Addition vor. Indem es „in einem Atemzug" vom „sozialen Rechtsstaat" spreche, sei vorausgesetzt, daß „das Sozialstaatliche und das Rechtsstaatliche in unserem Dasein von der Natur der Sache her ein zusammengehöriges Ganzes sind." 19 Es wird beiden Kategorien der gleiche Rechtswert eingeräumt. Damit distanziert sich Huber deutlich vom positivistischen Begriffsdualismus Ernst Forsthoffs, die Rechts- und Sozialstaatlichkeit zugunsten der Verfassungsgarantie des Rechtsstaates aufzulösen, weil in Art. 20 und 28 das Adjektiv „sozial" nur eine sehr allgemeine Feststellung sei und die antinomische Relation der Bedeutung des „sozialen Rechtsstaates" nur dadurch gelöst werden könne, indem man sich für ein Element entscheidet - das ist für Forsthoff der Rechtsstaat. 20 Huber lehnt diesen Dezisionismus schon verfassungshistorisch ab, wenn auch das Denken in Antinomien mit dem Forsthoffs übereinstimmt.

15 Ebenda. Carl Schmitt verweist auf das Scheinargument des „Grenzenlosigkeitsschlusses", bei dem von der Schwierigkeit der Abgrenzung auf die objektive Nichtexistenz einer Grenze geschlossen wird, in ders.: Freiheitsrechte und institutionelle Garantien (1931), in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, a. a. O., S. 147. Zum Sophisma des „Grenzenlosigkeitsschlusses" und seiner Bekämpfung durch Ernst Rudolf Huber und die Wendung gegen die Behauptung, das Sozialstaatsprinzip, speziell der Begriff „sozial" sei nicht eindeutig bestimmbar insbesondere: Ulrich Huber: Zivilrechtliche Fahrlässigkeit, in: FS für Ernst Rudolf Huber, a. a. O., S. 253-289 (267, Anm. 48 mit Bezug auf E.R. Huber und Carl Schmitt). 16 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 25 8f.. 17 Ebenda. 18 Preuß, Ulrich K.: Legalität und Pluralismus. Beiträge zum Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt/M. 1973, S. 95. 19 Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, a. a. O., S. 250. 20 ForsthofF: Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, a. a. O., S. 80f..

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Das Zusammendenken beider Begriffe für eine angemessene Interpretation der Artikel 20 und 28 GG fuhrt das Erkenntnisinteresse des Dialektikers zu der Frage, inwieweit die Spannungen, Gegensätze und Kollisionen beider „Ordnungsmomente" im Sinne einer wertbestimmten verfassungshistorischen Analyse ausgeglichen werden können. Dazu bestimmt Huber die Begriffe und den historischen Ort von Rechts- und Sozialstaat. Der Begriff des Rechtsstaates, den Kant 1797 in seiner Schrift „Metaphysik der Sitten" erstmals erwähnt, ist im neunzehnten Jahrhundert im Kampf der bürgerlichen Gesellschaft gegen den Obrigkeitsstaat der absoluten Monarchie entstanden. Den Begriff des Sozialstaates datiert Huber auf das Jahr 1842 mit dem Erscheinen des Buches „Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs" Lorenz von Steins. Der historische Ort des Rechtsstaates sei der in ihm selbst fortdauernde „Gegensatz zwischen dem Staat und der bürgerlichen Gesellschaft", der historische Ort des Sozialstaates der „Gegensatz zwischen dem Staat und der industriellen Gesellschaft".21 Der Rechtsstaatsbegriff sei ein Produkt der bürgerlichen Revolution, der Sozialstaatsbegriff ein Produkt der industriellen Revolution. Nach dem Steinschen Reformkonservatismus begreift Huber den Sozialstaat als aus der „sozialen Reform" hervorgehend, während der proletarische Klassenstaat ein Kind der sozialen Revolution sei. Die soziale Reform ist zugleich das Bindeglied historischer Argumentation und industriegesellschaftlicher Problematik: „Der Sinn der den Sozialstaat konstituierenden Sozialreform ist vielmehr die soziale Integration [...] um so die in der Industriegesellschaft immer wieder hervorbrechenden Spannungen, Gegensätze und Konflikte zu bewältigen." 22 Den Angelpunkt der Antinomie von Rechtsstaat und Sozialstaat sieht Huber folgerichtig in der Problematik, daß die Industriegesellschaft eine der staatlichen Intervention bedürftige Gesellschaft ist: „Der Rechtsstaat bekämpft die Staatsintervention; der Sozialstaat fordert die Staatsintervention". 23 Das Mittel des gestaltenden Eingriffs des Staates in die gesellschaftlichen Verhältnisse sei die „Maßnahme", die der Sozialstaat als regelmäßiges Mittel sozialer Gestaltung verlange. Denn die Hauptaufgabe des Sozialstaates bestehe in der Sicherung der Existenz, der Herbeiführung und Erhaltung der Vollbeschäftigung und dem Schutz der Arbeitskraft. Der Gegensatz von Rechtsstaat und Sozialstaat liege folglich in der historischen Herkunft, der sich in der Verschiedenheit der Rechtsgüter und dem Gegensatz im Verhältnis zum Umfang der Staatsmacht ausdrückt. Die Idee des Sozialstaates ist mit der sozialen Integration als dem „Einswerden einer Vielheit", als dem „ständigen Vorgang unseres gesellschaftlichen Daseins, in dem die isolierende Vereinzelung aufgehoben wird, ohne daß die kollektivierende Vermassung triumphiert" 24 , wesensmäßig verbunden. Grenzt sich Huber damit gegen die „Entfremdung" des Individuums in der Industriegesellschaft ab, so bleibt der Klassenkonflikt ein soziales Merkmal der Sozialstaatlichkeit im Industriezeitalter. Der Gegensatz von „sozialer Revolution" und „sozialer Reform" wird auch für den Sozialstaat zum Votum für die bürgerliche Reform des Reformkonservatismus zugleich als verfassungsbewegendes Prinzip: „Angesichts dieses notwendigen Klassencharakters der freien Industiegesellschaft ist die soziale Integration kein Zustand, sondern eine Bewegung. [. . .] Der aus der sozialen Inte21 22 23 24

Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, S. 256. Ebenda, S. 257. Ebenda, S. 258. Ebenda, S. 260.

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gration erwachsende und zugleich mitgestaltend in den Prozeß sozialer Integration eingeschaltete Sozialstaat ist kein klassenloser Staat." 25 Die soziale Integration will Huber nur auf die Sozialstaatlichkeit beschränkt wissen, die Rechtsstaatlichkeit bleibt außen vor, das Integrationsdenken orientiert sich stattdessen an dem Sozialkonservatismus Lorenz von Steins 26 und dokumentiert die Abwendung vom „autoritären Etatismus" Weimarer Provenienz. Dem liegt die Einsicht zugrunde, die soziale Wirklichkeit im Klassenkonflikt zur Gründung der Staatlichkeit als „daseinsnotwendiger Form der Herrschaft" ohne autoritäre Synthese zu suchen. In der Rezeption Steins vollzieht Huber methodisch die Wendung von der neuhegelianischen „politischen Wirklichkeitswissenschaft" Freyerscher Prägung zu einem an Lorenz von Steins politischer Dialektik anknüpfenden Integrationsdenken, das im Gegensatz zur synthetischen „Staatswissenschaft" 27 von 1935 die Klassenkonflikte und die Verbindung von Rechts- und Sozialstaatlichkeit als Wesensmoment der modernen Industiegesellschaft anerkennt: „Unsere gesellschaftliche Wirklichkeit selbst beruht nämlich auf einer eigentümlichen Verbindung zweier Strukturen, die sich überlagern und durchdringen. Bürgerliche und industrielle Gesellschaft stehen sich nicht in scharfer zeitlicher Scheidung gegenüber, so als ob die Epoche der bürgerlichen Gesellschaft in einem bestimmten Zeitpunkt geendet und im gleichen Zeitpunkt die Epoche der industriellen Gesellschaft begonnen hätte. Vielmehr bestehen die bürgerliche und die industrielle Gesellschaft seit mehr als einem Jahrhundert nebeneinander; sie machen zusammen in einer eigenartigen Verschränkung und Durchdringung die soziale Wirklichkeit unserer Zeit aus." 2 8 Mit der verfassungstypologischen Zuordnung der Rechtsstaatlichkeit zur bürgerlichen Gesellschaft und der Sozialstaatlichkeit zur industriellen Gesellschaft, sowie der realen Situation der Gleichzeitigkeit, begründet Huber eine Bewegungslehre, die an die politische Dialektik Lorenz von Steins anknüpft. 2 9 Die Rezeption der Steinschen politischen Dialektik in der Richtungsänderung der Fragestellungen Hegels 30 ist der wissenssoziologische Kern der Wendung vom „autoritären Etatismus" zum „Reformkonservatismus" im Staats- und Gesellschaftsdenken Hubers, d.h. über die Anerkennung der gesellschaftlich-politischen Verwirklichung der Freiheit, ohne 25 Ebenda, S. 261. Die Integrationslogik ist bereist in der Monographie „Selbstverwaltung der Wirtschaft" (1958) entwickelt, die Dialektik der Integration leitet Huber auch aus dieser Schrift ab. 26 Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaates, a. a. O., S. 133ff., 138ff.; s. a.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. Π, S. 340ff., Bd. VI, S. 1127ff. 27 Vgl. Kap. 4.4. In dem Programmaufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" periodisiert Huber mit Lorenz von Steins „Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich" von 1842 die Aufhebung der Einheit von Staat und Gesellschaft und die Emanzipation einer „Wissenschaft der Gesellschaft". Die Rezeptionsperspektive ist im wesentlichen wieder auf staatswissenschaftliche Synthese gerichtet. Huber sieht richtig, daß Stein im Staat die gemeinschaftsbildende Willensund Tateinheit sieht, in der Gesellschaft dagegen das rein materielle System der Interessen; vgl. Die deutsche Staatswissenschaft, a. a. O., S. 8f., 11; zur dogmatischen Identifikation und Konfrontation und Bezug auf Huber vgl. auch Pankoke, Eckhart: Lorenz von Steins staats- und gesellschaftswissenschaftliche Orientierung, in: Blasius, Dirk/Pankoke, Eckhart: Lorenz von Stein. Geschichts- und gesellschaftswissenschaftliche Perspektiven, Darmstadt 1977, S. 79-179 (80f.). 28 Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, S. 269. 29 Vgl. Willms, Bernard: Lorenz von Steins politische Dialektik, in: Schnur, Roman (Hrsg.): Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, Berlin 1978, S. 97-123. 30 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 99f..

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den bürgerlich-etatistischen Standort preiszugeben. In der bürgerlichen Selbstbehauptung der Steinschen politischen Philosophie liegt die Einsicht in das Bestehen auf Freiheit als das innere Prinzip des Staates in Eigentum und Verfassung. Diese Kontinuität bürgerlichen Denkens ist für Hubers Konservatismus konstitutiv. Die Wendung zum Reformkonservatismus wird über den Totalitätsbegriff Steins und der Abwendung von Adam Müllers totalitärem Identitätsdenken vollzogen. Huber knüpft an Lorenz von Steins Totalitätsbegriff 31 an, „nicht im Sinne einer platten Harmonie menschlicher Kräfte" - die er in der Marxschen klassenlosen Gesellschaft erblickt - „aber auch nicht im Sinne der toten Identität oder der gewaltsamen Uniformität, die jedes mit jedem gleichsetzt; sondern im Sinne der Ganzheit, die sich aus den Antinomien, den Konflikten, dem Kampf als das gemeinsame und Überdauernde erhebt." 32 Das politische Grundproblem der Freiheit, das sich bei Stein dialektisch in der Kernfrage stellt, wie die bisherige Gesellschaftsstruktur und Institutionen verändert und organisiert werden müssen, wenn gegenüber den privilegierten Interessen bestimmter Gruppen jetzt Freiheitsinteressen, also die ökonomische Bewegungs- und Durchsetzungsfreiheit, aber auch Glaubens- und Meinungsfreiheit geltend gemacht werden und auf Dauer in stabile Institutionen gestellt werden müssen, diese Fragestellung ist die Kontinuität bürgerlichen Denkens bei Stein, 33 derer sich Huber bedient. Stein habe den Widerspruch zwischen Gesellschaft und Staat nicht als einfache Negation gesehen, beide gehören einander an und seien Ausdruck des Gedankens der Persönlichkeit auf verschiedene Weise. Der Staat verwirkliche das Prinzip der Persönlichkeit als Idee, die Gesellschaft als Interesse. Steins Totalitätsdenken wird entscheidend durch das Prinzip der Persönlichkeit als den Gegensatz von Staat und Gesellschaft verbindendes Prinzip gestaltet: „Es ist das Wesen jedes zur Einheit verbundenen Gegensatzes, daß jeder Teil sich durch seine eigene Macht zur Herrschaft über den andern zu erheben sucht." 34 So unterscheidet sich Steins Dialektik von der schematischen Dialektik Adam Müllers dadurch, daß der Staat nur Wirklichkeit über den Menschen, der in der Gesellschaft steht, erlangt. Staat und Gesellschaft sind unmittelbar aufeinander bezogen, eine staatliche Sphäre nicht von der gesellschaftlichen zu trennen. Die Überwindung der Klassenunterschiede durch Revolution oder Reform als soziale Bewegungslehre sieht Stein im „dialektischen Umschlag". Die Persönlichkeit wird zum Träger der Bewegung der Freiheit, die auf die Umgestaltung der Staatsverfassung und der Staatsverwaltung zielt. 35 Aber nur die soziale Reform könne die Bewegung der Freiheit zum Erfolg fuhren. Das Ziel der sozialen Reform, bei der Anerkennung der Klassengegensätze, ist die Herstellung der Möglichkeit, das auch die letzte Arbeitskraft zum Kapitalbesitz gelange, ohne daß der Gegensatz von Kapital und Arbeit aufgehoben wird. 36 31 Huber hebt schon 1941/42 hervor, daß Steins TotalitätsbegrifF eine entscheidende Umwertung der Lehre Adam Müllers vom Gegensatz ist. 32 Huber: Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaates, a. a. O., S. 141. Huber hebt den entschiedenen Gegensatz der Sozialstaatstheorie Steins zur der identitären Theorie des „totalen Staates" als die Einheit von Ganzheit und Freiheit hervor. 33 Vgl. Willms, a. a. O., S. 104. 34 Zit. nach Huber: Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaates, a. a. O., S. 131. 35 Ebenda, S. 13Iff. 36 Ebenda, S. 136.

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Die reformerische Dimension des Huberschen Konservatismus wird inhaltlich entscheidend durch den Freiheitsaspekt und die gesellschaftliche Fundierung des Staatlichen bestimmt. Die Unausweichlichkeit des sozialen Wandels und die Bestimmung der Staatlichkeit durch die soziale Frage wird in das Zentrum der Argumentation gestellt, während dieser Reformkonservatismus methodisch über Steins Dialektik der Persönlichkeit legitimiert wird. 37 Doch angesichts der festgestellten verfassungstypologischen Verbindung von bürgerlicher und industrieller Gesellschaft mit dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip, die weder unter dem Gesichtspunkt der „Modellreinheit", noch der „verfassungsrechtlichen Paradoxic"38 erfolgt, führt Huber das dialektische Prinzip auf einer höheren Abstraktionsebene für die moderne Industiegesellschaft fort. Mit dem Prinzip der „Personalität" wird der Rechtsstaat wieder ins Spiel gebracht, der dessen Schutz garantiert. Mit dem Satz „Der Rechtsstaat ist in unserer Zeit nur noch, wenn er zugleich Sozialstaat ist, sinnvoll und möglich."39 versucht Huber die in dieser Abhängigkeit liegende Dialektik von Kollektivismus und Individualismus zu verdeutlichen: „Das Soziale, für sich allein gesetzt, entartet ins Kollektive, das Personale, für sich allein gesetzt, löst sich in Anarchie auf. Der wahre Sozialstaat setzt Rechtsstaatlichkeit, der wahre Rechtsstaat setzt Sozialstaatlichkeit voraus. Dieser Satz ist keine Harmonisierung der Gegensätze; er beruht vielmehr gerade auf der vorhin genannten Einsicht, daß Staat, Verfassung und Recht in ihrem Kern auf der fruchtbaren Wechselwirkung des Gegensätzlichen beruhen. Daher gibt es in dem Spannungsverhältnis des Rechtsstaats und des Sozialstaats [...] auch keinen Vorrang des einen oder des anderen Prinzips."40

b) Die Sicherung des gesellschaftlichen Status quo Die verfassungstheoretische Dialektik von Sozialstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit bedeutet für die verfassungsrechtliche Ebene, daß beide Kategorien nicht verschmolzen sind. Wie Forsthoff argumentiert Huber in verfassungsrechtlichen Zusammenhängen antinomisch. Der Sozialstaat verteile das erwirtschaftete Sozialprodukt um und trete so in den Gegensatz zum Rechtsstaat.41 Somit gelte auch für die soziale Marktwirtschaft „eben keine reine Wettbewerbswirtschaft, sondern ein durch das Sozialstaatsprinzip erheblich abgewandeltes Wirtschaftssystem. Im Wirtschaftsverfassungsrecht des Sozialstaates begegnen sich der wettbewerbswirtschaftliche Gedanke und der sozialwirtschaftliche Gedanke in offenkundiger Rivalität".42 Für die Verfassung des Grundgesetzes gilt Huber die Verfas-

37 Der Begriff Reformkonservatismus ist in der Forschung wenig präzise; vgl. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 32f., ebenso: Epstein, Klaus: Ursprünge des Konservativismus in Deutschland, Frankfurt/M., Berlin 1973, S. 21f.. 38 Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, S. 269. 39 Ebenda, S. 270. 40 Ebenda, S. 272. 41 Vgl. Forsthoff, Emst: Verfassungsprobleme des Sozialstaates, in ders.: Rechtsstaat im Wandel, a. a. O., S. 50-64 (52ff). 42 Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, S. 268.

2. Konservative Prämissen des „sozialen Rechtsstaates"

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sungsformfrage in der Ausprägung rechts- und sozialstaatlicher Momente ebenfalls als „Verfassungskampf'. Das Ziel sozialstaatlicher Funktion ist Huber die dreifache „Bändigung des sozialen Konflikts im sozialen Kontakt" durch sozialen Aufstieg, soziale Partnerschaft und soziale Daseinsvorsorge des Staates, die in der sittlichen Maxime der „Sozialverantwortung" auch verfassungsrechtlich festgemacht werden kann. 43 Huber wendet sich damit gegen die Auslegung Ernst Forsthoffs, die in der Entgegensetzung von Verfassung und Verfassungsgesetz, von Legitimität und Legalität sowie der Substanzialisierung des Verfassungsbegriffs im Gewände formaler Rechtsstaatlichkeit besteht. Während Huber die im positiven Verfassungsrecht begründete Zusammenordnung der demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Komponenten „dialektisch" bestätigt, bricht Forsthoff die Zusammenordnung der drei Verfassungsprinzipien zugunsten einer Entscheidung für das Rechtsstaatsprinzip auf. Der Rechtsstaatsbegriff wird zur verfassungsrechtlichen „Supernorm", die die Verfassungsgesetze relativiert.44 Nur über die a priori gesetzte verfassungsrechtliche Supernorm des Rechtsstaates ist bei Forsthoff das Sozialstaatspostulat als kompensatorisches Anhängsel reduzierbar und als status quo-bedrohend relativierbar. Der Sozialstaat gilt als ein „schwacher Staat".45 Forsthoffs autoritärer Etatismus unternimmt den Versuch, den Verfassungskompromiß des Grundgesetzes auf das Niveau exekutiver, formaler Rechtsstaatlichkeit zurückzuschrauben. Die status quo-bewahrende Gestalt des als primär rechtsstaalich strukturierten Grundgesetzes steht im Vordergrund, die gesamte sozialstaatliche Ausgestaltung der Bundesrepublik ist diesem Grundsatz untergeordnet.46 Huber geht zwar ähnlich wie Forsthoff von der Antinomie rechts- und sozialstaatlicher Bestandteile des Grundgesetzes aus, gewährt beiden Prinzipien aber gleichen Verfassungsrang. Das bei Forsthoff konstatierbare deutliche Übergewicht restaurativer Wahrung des Status quo über rechtsstaatliche Prozeduren, das den Sozialstaat in der Konzeption der „technischen Realisation" die sozialen Kosten privater Kapitalverwertung aufbürdet, die Eigendynamik des Verwertungsprozesses nicht antastet, dieses restaurative Übergewicht wird bei Huber dialektisch verarbeitet. Der „soziale Rechtsstaat" als der Staat der modernen Industriegesellschaft sei die materielle Anerkennung des Staates als planender, sozial intervenierender und verteilender Instanz, schließlich gewähre der Rechtsstaat die Einzelfreiheit, der Sozialstaat das Gesamtwohl.47 Das Sozialstaatsprinzip begründe eine staatliche Sozialkompetenz, die der Gesetzgebung, der Verwaltung und den Gerichten als Recht eingeräumt wie als Pflicht auferlegt ist: „Das Sozialstaatsprinzip ist nicht nur Auslegungsnorm, sondern zugleich Zuständigkeitsnorm. Es umfaßt insbesondere die gesetzgeberische Vollmacht zur sozialen Intervention, die sowohl (negativ) auf Gefahrenabwehr wie (positiv) auf Sozialgestaltung gerichtet sein kann." 48 43 Ebenda, S. 26 lf.. 44 Maus, Ingeborg: Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaates, in: Tohidipur, Mehdi (Hrsg.): Der bürgerliche Rechtsstaat, Bd. 1: Idee und Problematik des bürgerlichen Rechtsstaates, Frankfurt/M. 1978, S. 13-81 (53). 45 Hammans, Peter: Das politische Denken der neueren Staatslehre in der Bundesrepublik, a. a. O., S. 145. 46 Hartwich, Hans-Hermann: Sozialstaatspostulat und gesellschaftlicher Status quo, Köln, Opladen 1970, S. 283; s. a. Storost, Ulrich: Staat und Verfassung bei Emst Forsthoff, a. a. O., S. 24 Iff. 47 Huber: Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, S. 249. 48 Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, S. 260.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Hubers Zugeständnis im Status quo, daß eine dieser gesellschaftlichen Lage angepaßte Verfassung das rechtsstaatliche und das sozialstaatliche Prinzip vereinen muß, fuhrt zum bürgerlichen Rechtsstaat, der sich über restaurative Gesetzgebung verwirklicht, in dem Leben, Freiheit und Eigentum als rechtsstaatlich zu schützende Attribute des höheren Wertes individueller Personalität eingeschlossen seien.49 Daß auch bei Huber die Dominanz der Argumentation im Vorrang der Rechtsstaatlichkeit liegt, verdeutlicht die Umschreibung des den Sozialstaat bewahrenden wie die Besitz- und Statusverhältnisse schützenden Rechtsstaates. Nur das Rechtsstaatsprinzip kann über die exekutive Regulierung einen Ausgleich zwischen Individualismus und Kollektivismus in der verfassungstypologisch vereinigten bürgerlichen und industriellen Gesellschaft sichern. Hubers Gedanken zum „sozialen Rechtsstaat" bewegen sich aufgrund der wiedererlangten konstitutionell-bürgerlichen Sichtweise zwischen den Denkstandorten des „autoritären Etatismus" und des „integrativen Etatismus".50 Für den „autoritären Etatismus" spricht die Annahme der faktischen Antinomie von Rechts- und Sozialstaatlichkeit und die fehlende argumentative Brücke zwischen dem Sozialstaatspostulat und den Inhalten der Demokratisierung, d.h. die Verbindung der materiell-rechtsstaatlich verstandenen Grundrechte und der gesellschaftlichen Ermächtigung.51 Die Antinomie von Rechts- und Sozialstaatlichkeit bleibt bei Huber trotz der Gewährung gleichen Verfassungsranges auf einem ganzheitlichen Niveau stehen. Die außerrechtliche Legitimation des Sozialstaatspostulats als Gemeinwohlklausel spricht für diese universalistische, der gesellschaftlich-politischen Konkretisierung entzogenen Argumentation. Insofern dokumentiert Huber die verfassungspolitische Problematik der frühen Bundesrepublik, was denn „sozial" am Sozialstaat ist? Aus dem konservativen Denkstandort wird das Verhältnis von grundgesetzlichem Freiheitspostulat und des zur Sozialgestaltung ermächtigten Staates verfassungspolitisch ausgeblendet. Hat Forsthofif dem Sozialstaat den Rechtscharakter abgesprochen, so verhindert die korporative Sichtweise Hubers die Frage nach dem sozialen Handeln des Staates. Das Sozialstaatspostulat positivistisch als Zuständigkeitsnorm zu werten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um eine Einseitigkeitsfrage innerhalb der Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung handelt.52 Dem Versuch des autoritären Etatismus, den Verfassungskompromiß auf das Niveau hoheitlicher, exekutivisch formierter Rechtsstaatlichkeit zurückzuschrauben, indem das Sozialstaatsprinzip entpolitisiert wird, entzieht sich Huber jedoch durch Gewährung gleichen Verfassungsranges für das Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip.53 Die Dialektik des Ausgleichs verweist auf die soziale Integrationsfunktion zugunsten eines verteilungspolitischen Kompromisses, wenn auch das Rechtsstaatsprinzip einen höheren Stellenwert als die sozialstaatliche Maßnahme genießt.54

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Hartwich, a. a. O., S. 305. Hammans, a. a. O., S. 14Iff.. Hartwich, a. a. O., S. 49. Haverkate, Görg: Verfassungslehre. Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung, a. a. O., S. 297. Haverkate dokumentiert das Nichtwissen der Staatsrechtslehre in Kommentaren und Abhandlungen über die Sozialgestaltung des Staates; vgl. a. a. O., Anm 4. 53 Zum Vergleich von autoritär-etatistischer und integrativ-etatistischer Sozialstaatsinterpretation vgl. Hammans, a. a. O., S. 149ff.. 54 Hammans, S. 154.

3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe" des Etatismus?

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3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe" des Etatismus? Dem Verhältnis von Staatsnation und Kulturnation in den Etappen der völkisch orientierten Nationalgeschichte galt Hubers verfassungshistorisches Interesse in der großdeutschen Phase des Dritten Reiches, um eine übernationale Reichsidee und ihre völkische Verwurzelung nachzuweisen. War der „völkische Nomos" der Parameter des Verhältnisses von „Volk" und „Staat", so hatte die Entfaltung und Entwicklung der Nationalstaatlichkeit in der völkischen Verfassungstheorie die Aufgabe, die „deutsche Nation" volksgeistbestimmt zu fundieren.1 Huber wies in seinen zahlreichen Aufsätzen trotz der Ablehnung des von Friedrich Meinecke vorgeschlagenen Antagonismus von „Kulturnation" und „Staatsnation" nach, daß das deutsche Nationalbewußtsein im neunzehnten Jahrhundert, etwa im historisch-indivi-duellen Volksbegriff, zumeist kulturell geformt war. Während diese dezidiert völkisch-nationalstaatliche Forschungsebene 1944 abbricht und ansatzweise in Fragestellungen der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" fortwirkt,2 wendet sich Huber erst viel später in der Wilhelmshavener Antrittsvorlesung von 1957 mit der „Problematik des Kulturstaates" wieder dem Verhältnis von Kultur und Staat in einer dialektischen Fünf-Stufen-Systematik zu.3 Das Thema ist also nicht neu, es bleibt bei der Verbindung von Nationalbewußtsein und Kulturbewußtsein als synthetisches Potential des Kulturstaates,4 wird aber unter dem Grundgesetz nicht mehr volksgeisttheoretisch aufgezogen. Die Möglichkeit einer das Verhältnis von Staat und kulturellen Kräften zusammenfassenden Theorie der „Kulturverfassung" nimmt Huber aber nicht auf. Der Ansatz ist zu etatistisch ausgeprägt, als daß er eine Theorie der Kulturverfassung als Quintessenz eines Nation und Kultur synthetisierenden Verfassungsstaates hätte bringen können.5 1 2

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Vgl. Kap. 4.7. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1: Reform und Restauration 1789-1830, a. a. O., S. 3-15; mit Bezug auf das verfassungsgeschichtliche Schrifttum von 1938-1944 auf S. 3. Peter Häberle betont die Elemente einer „Vorgeschichte" der Kulturstaatsproblematik im demokratischen Verfassungsstaat, die Huber in der Verfassungsgeschichte entwickelt hat; vgl. Häberle, Peter: Vorwort, in ders: (Hrsg.): Kulturstaatlichkeit und Kulturveifassungsrecht, Darmstadt 1982, S. νΠ-ΧΓν (XI). Zur Kulturstaatlichkeit vgl. Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 637-644. Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, Tübingen 1958; wieder abgedruckt in: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 295-318, ebenso aufgenommen in: Häberle, Peter (Hrsg.): Kulturstaatlichkeit und Kulturveifassungsrecht (Anm. 2), S. 122-145; s. a. Werner, Fritz: Rez. „Emst Rudolf Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, Tübingen 1958", in: DöV, 11. Jg. (1958), S. 399. Die Fünf-Stufen-Systematik des Kulturstaates wendet Huber auch auf die Phase des Kulturkampfes von 1871-1914 an und bedient sich der Textteile aus der Wilhelmshavener Antrittsvorlesung; vgl. Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 63 7f.. Dazu begleitend: Nationalstaat und supranationale Ordnung, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, a. a. O., S. 277ff.; vgl. zum Verhältnis von „Staatsnation" und „Kultumation" zusammenfassend: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 640ff.. Die detaillierteste Kritik und Würdigung der Kulturstaatsproblematik bei Huber ist bei Kurt Düwell zu finden: Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918-1932. Grundlinien und Dokumente, Köln, Wien 1976, S. 9-14; weniger fundiert und oberflächlich die Aussagen bei Otmar

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Die Kulturstaatlichkeit ist in der bundesrepublikanischen Werkphase gleichermaßen neben den Problemen der Wirtschafts- und Sozialstaatlichkeit das dritte Element des Staatsund Verfassungsdenkens. Insofern ist Ernst Rudolf Huber zum Nestor der Kulturstaatsanalyse geworden, denn seiner Konzeption kommt in staatstheoretischen und verfassungsrechtlichen Diskussionen eine „Leittextfunktion" zu.6 Die Kulturstaatsproblematik ist in der Werkgenese Hubers die „Bewährungsprobe" des Etatismus, denn es geht darum, den autoritären Etatismus der Weimarer Jahre zugunsten einer machtbegrenzenden, die zunehmende Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber dem Staat nicht verschließende Sichtweise zu ersetzen und die „ratio essendi" des modernen Verfassungsstaates aus der gesellschaftlichen Autonomie der Kultur heraus zu begreifen. Inwieweit die Problematik der Kulturstaatlichkeit eine Veränderung der Inhalte und Positionen des Huberschen Etatismus in der Bundesrepublik bewirkt, ist Ziel dieses Kapitels, denn Huber verbindet mit der Begriffsproblematik des Kulturstaates die Frage, „was überhaupt der Staat uns Heutigen noch bedeuten kann." 7 Mit der Kulturstaatlichkeit werden die Lehren aus der „Konservativen Revolution" gezogen, daß wiederhergestellte Autorität totale Macht wird und sich die Religion auf dem Wege der politischen Integration zum Mythos der Gewalt entwickelt8: „Der Staat der kulturellen Diktatur, der Staat der total geplanten, total organisierten und total reglementierten Kultur wäre alles andere als ein Kulturstaat [. . .]."9 Voraussetzung der Autonomie der Kultur ist Huber die Eigenständigkeit der Gesellschaft und die Unterscheidung und Wechselbezogenheit von Staat und Gesellschaft, die im demokratischen Verfassungsstaat verwirklicht und gesichert sei. Nicht die Identität von Staat und Gesellschaft in totalitären Systemen, sondern die Unterscheidung sei Garant kultureller Autonomie.10 Der Kulturstaat sei nur im Typus demokratischer Verfassungen zu verwirklichen11 - eine selbstkritische Grundeinsicht, die in der Erweiterung der Kulturstaatsproblematik zur „Kulturverfassung" ihren Niederschlag findet: „ Kulturverfassung' ist vielmehr die rechtlich gebundene und gebotene Kulturordnung, die in den Rahmen einer konkreten Staatsverfassung eingefügt ist, und die mit der dem Staat gestellten Aufgabe der Pflege, der Förderung und der Vermittlung von Kultur auf Bewahrung im Wandel zielt."12 Damit werden die konservativen Prämissen verfassungspolitischen Wandels in der Dialektik von „Bewah-

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Jung: Zum Kulturstaatsbegriff. Johann Gottlieb Fichte - Verfassung des Freistaates Bayern Godesberger Grundsatzprogramm der SPD, Meisenheim am Glan 1976, S. 165f.; s. a. die Renzension von Fritz Werner (Anm. 3). Zur Auseinandersetzung grundlegend: Geis, Max-Emanuel: Kulturstaat und kulturelle Freiheit. Eine Untersuchung des Kulturstaatskonzepts von Emst Rudolf Huber aus verfassungsrechtlicher Sicht, Baden-Baden 1990, zugleich Diss, iur., Regensburg 1990, S. 19. Geis arbeitet überzeugend die Fragwürdigkeit der deutschen Kulturstaatstradition heraus; a. a. O., S. 120ff.. Zur Problematik des Kulturstaats, a. a. O., S. 295. Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 349. Huber: Zur Problematik des Kulturstaats, S. 303. Huber: Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonilikt, Vortrag, gehalten in gekürzter Fassung vor der Göttinger „Rechtswissenschaftlichen Gesellschaft" am 21. Juni 1974, abgedruckt in: Bewahrung und Wandlung, Berlin 1975, S. 343-373 (367). Dazu grundlegend: Häberle, Peter: Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, Berlin 1982, S. 14f. Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, a. a. O., S. 359.

3. Der Kulturstaat als demokratische „ Bewährungsprobe

" des Etatismus?

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rung" als „Garantie des überkommenen Bestandes", hier in Form der tradierten Kulturgüter, dort der „Wandlung" als der „fortschreitenden Entwicklung und Erneuerung" 1 3 um die beiden Pole der Identifikation und Trennung von Staat und Kultur festgelegt. Das für die materiellrechtliche freiheitlich-demokratische Ordnung bestimmte Verhältnis von Staat und Kultur auf der Ebene von Frieden, Ausgleich, Menschenrechten und die Bestimmung des Kulturstaatspostulats als neben der Rechts- und Sozialstaatlichkeit bestehendes „Zentralereignis" des freiheitlichen Verfassungsstaates 14 ist eine offene verfassungstheoretische Frage, die gleichfalls mit dem bekannten dialektischen Prinzip von „Autonomie" und „Bindung" behandelt wird und sich in der Kernfrage stellt: „Wie kann die im Begriff Kulturstaat' vorausgesetzte Autonomie der Kultur gewahrt und doch das Einssein von Kultur und Staat gewonnen werden?" 15 Für das neunzehnte Jahrhundert gehörte der Kulturstaat zu den ausgesprochenen Leitbildern der Staats- und Gesellschaftslehre. Fichte, von dem der Kulturstaatsbegrifif stammt, konnte sich das Verhältnis von Staat und Kultur nur negativ vorstellen. Kultur als Weg zur Freiheit war für ihn Endzweck des Menschen, der sich selbst zu kultivieren hatte. Der Zweck des Staates zur Kultur lag demnach in der Abstinenz von jeglicher kultureller Betätigung. 16 Im Liberalismus machte der Staat die Kultur nicht wie das Recht zu seinem Inhalt, sondern nahm sie in den Dienst des Rechts, insofern war er nicht Kulturstaat im strengen Sinne. Humboldt ging es vor allem darum, daß der Staat die Kultur nicht mehr für außerhalb ihrer selbst gelegte Zwecke einsetzt, sondern um ihrer selbst willen in den Staatszweck aufnimmt, damit dieser ein freiheitlicher Staat werde. In verfassungsrechtliche Begriffe übersetzt legte Humboldt eine Grundrechtslösung vor, welche die Freiheit nicht gegen den Staat, sondern im Staat begründete. Hubers Interesse gilt nicht der Kulturentfaltung im Staat, sondern der Kulturidee des Staates als „breites geisteswissenschaftlichstaatsphilosophisches Band kulturstaatlicher Manifestation" 17 von Humboldt über Hegel, Lorenz von Stein bis zu Dilthey, Spranger und Carl Heinrich Becker. Der Kulturstaat ist deshalb ein Staatsleitbild, das Huber dialektisch im Verfassungsstaat zu entfalten sucht. 18 Die im Kulturverfassungs- und Kulturverwaltungsrecht definierten drei Hauptbereiche Bildung, Wissenschaft und Kunst 1 9 thematisiert Huber nur am Rande, wichtiger erscheint seinem etatistischen Denkstandort die Vertretung der Funktionsansprüche der Gesellschaft in kulturellen Fragen durch den Staat und der im Verfassungsrecht geregelte Kulturauftrag

13 Vgl. Hubers Bemerkungen in. Bewahrung und Wandlung, Vorwort, S. 7. 14 Zur Problematik des Kulturstaates, S. 296; ebenso Häberle, Peter: Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, a. a. O., S. 14. 15 Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, a. a. O., S. 299. 16 Grimm, Dieter: Kulturauftrag des Staates, in ders.: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt/M. 1987, S. 104-137 (110). Der Verzicht Hubers auf Fichtes Kulturstaatsidee fuhrt auch zum Verzicht auf den außenpolitischen Aspekt, der bei Fichte deutlich herausgearbeite ist; vgl. Düwell, Kurt: Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918-1932, a. a. O., S. 13; zu Fichte auch Geis, Max-Emanuel (Anm. 6), S. 123ff.. 17 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, S. 638. 18 Vgl. Fritz (Anm. 3), S. 399. 19 Schlesky, Helmut: Die Idee des Kulturstaates als Grundlage staatlicher Hochschulpolitik (1963), in: Häberle, Peter (Hrsg.): Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, Darmstadt 1982, S. 178-201, mit Bezug auf Huber.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

des Staates.20 Die verfassungstheoretische Perspektive geht zwar von der im Grundgesetz fixierten verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Kulturstaates zur freiheitsgewährleistenden und fördernden Tätigkeit aus,21 blendet die verfassungsrechtliche Argumentation aber bewußt aus.22 Stattdessen wird die 1957 in der Antrittsvorlesung entfaltete begriffliche und wesensmäßige Perspektive der „Problematik des Kulturstaates" 1974 durch eine verfassungshistorische Blickrichtung auf die „Krise des Kulturstaates" ergänzt, die weniger auf die Kulturstaatlichkeit der Bundesrepublik gerichtet ist, als vielmehr auf die Legitimierung der Kulturstaatsidee nach dem Leitgedanken eines Verfassungsstaates bürgerlicher Reformen.23 Für Hubers Selbstverständnis der Kulturstaatlichkeit ist die, ähnlich dem Antagonismus von Gesellschaft und Staat seit dem neunzehnten Jahrhundert begründete Einsicht, daß der Staat den Prozeß der Verselbständigung der Kultur als bedrohlich empfinden mußte, die eigenen Existenzbedingungen bei der autonomen Kultur nicht mehr in der Hand hatte. 24 Er sieht die Autonomie der Kultur für den demokratischen Verfassungsstaat als grundlegende Form der Autonomie gesellschaftlicher Strukturen im Staat an, was zudem ein Zugeständnis an pluralistischen Strukturen in der Demokratie angesichts der verworfenen identitären Vorstellungen von „Staat" und „Volk" im Nationalsozialismus war, wendet sich mit seinen Kulturstaatsgedanken aber auch gegen kulturelle Autarkie. Die soziale Integration, die der Staat gewährleistet, hängt nicht nur von seinen funktionierenden Institutionen ab, sondern auch von der Existenz einer kulturell begründeten Integrationsbasis, wie auch die Funktion der Institutionen gesellschaftlicher Legitimation, die selbst kulturell erzeugend ist, bedarf.25 Huber leitet die Sittlichkeit des Kulturstaates gerade aus dieser Verbindung von Gesellschaft und Staat ab und begründet damit die beiderseitige Herrschaftsbegrenzung. Das Modell des Verhältnisses von Staat und Kultur ist damit keineswegs utilitaristisch oder dirigistisch, sondern fundiert wertbezogen.26 Sein Kulturstaatsbegriff, der sich dem bloß Zivilisatorischen entgegenstellt, setzt einen „substantiellen Begriff' der Kultur, der durch „geistigen Wert" konstituiert wird, voraus. Man könne nur von einem Kulturstaat sprechen, wenn er sich in doppelter Weise über die zivilisatorische Funktion der Daseinssicherung und Daseinsordnung erhebt - indem er sich der Kulturideen verpflichtet weiß und

20 Schelsky, a. a. O., S. 178ff.; s. a. Grimm: Kulturauftrag des Staates, a. a. O., S. 121ff. 21 Verfassungsrechtlich wird das aus Art. 5, Abs. 3, Art. 7, Art. 74 Ziff. 5 und 13, Art. 75 Ziff. la, Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG gefolgert; zur verfassungsrechtlichen Legitimation staatlicher Kulturgestaltungsmacht vgl. Geis (Anm. 6), S. 229ff. 22 Es ist die Kemthese der Dissertation von Max-Emanuel Geis, daß Hubers Kulturstaatskonzeption verfassungsrechtlich nicht fungible ist, weil Hubers dialektische Konstruktion normativ nicht zu verwerten ist und der anthropozentrischen Staatskonzeption des Grundgesetzes widerspricht; vgl. Geis (Anm 6), S. 26 Iff, 267. 23 Vgl. Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, a. a. O., S. 366ff. Diese Argumentation deckt sich mit Hubers Verfassungsbild des Sozialstaates als Staat der bürgerlichen Reform; vgl. Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft, a. a. O., S. 255ff; ders.: Lorenz von Stein und die Grundlegung der Idee des Sozialstaates, a. a. O., S. 133ff. 24 Grimm, a. a. O., S. 122. 25 Ebenda. 26 Vgl. die Modelle des Verhältnisses von Staat und Kultur bei Grimm, a. a. O., S. 116.

3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe " des Etatismus?

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sich in den Maßstäben seiner Handlungsformen an dieses „geistige Grundsystem" hält. 27 Huber differenziert dazu Kultur und Zivilisation nach Arnold Gehlen und führt dessen Begriff des „Lebensdienlichen" ein, der über die zivilisatorischen Errungenschaften der äußeren Daseinsgestaltung bewußt hinausgeht und auch die Entwicklung der geistigen Güter der Daseinsgestaltung hinzunimmt. 28 Mit dem Unterschied von Kultur und Zivilisation wird das Kulturelle substanziell in den Rang eines „geistigen Wertsystems" erhoben und die Beziehung von Verfassungsstaat, Rechtsstaat und Kulturstaat im „Gebilde des Kulturstaates" begründet. Der Staat erfahrt durch die Kultur seine „Staatlichkeit", denn „Kulturqualität" setzt Huber mit „Staatsqualität" gleich. 29 Die Kulturstaatlichkeit ist nach Hubers Verständnis der industiegesellschaftlichen Diskussion in die ,nationale Technizität" der Nachkriegszeit eingelagert und zielt in die kulturpessimistische Diskussion des „technokratischen Konservatismus"30 von Schmitt, Schelsky, Freyer, Gehlen und Forsthoff. Demnach tritt die Funktionalität und Effizienz des technischen Staates an die Stelle demokratischer Legitimation. Die Industriegesellschaft ist nicht in der Lage, der Inhumanität des technischen Fortschritts mit eigener politischer Macht zu begegnen: 31 „Rechtsstaat und Sozialstaat lassen sich allenfalls in ein System perfekter Technizität und totaler Instrumentalisierung überführen; sie behalten auch in einer voll automatisierten Welt, in der das Rechtliche und das Soziale nur noch als Methoden kollektiver Existenz gelten, einen gewissen, wenngleich veränderten Sinn." 32 Der „technokratische Konservatismus", der mit der Formel des „technischen Staates" eine Art herrschaftsfreie Ordnung umschreibt, in der es nur mehr um die Verwaltung von Sachen geht, politische Entscheidungen ihrerseits die Form sachlogischer Maßnahmen annehmen, geht von der Rationalisierungsfahigkeit und Rationalisierungsbedürftigkeit politischer Entscheidungen aus. Er ist in den sechziger Jahren die kulturpessimistische Negation der Moderne und vollzieht eine Wende im Konservatismus, die Freyer mit der „Schwelle der Zeiten" bezeichnet hat. Gesellschaftlicher Bezugspunkt ist nun die demokratische Revolution, die Amerikanisierung von Wirtschaft und Kultur und die Entfremdungsformen der modernen Industriegesellschaft. Es geht der Technokratiediskussion vor allem um die Immunisierung der Herrschaft gegen Kritik mit der Absage an alle überkommenen „Ismen" und Ideologien. 33 Doch Huber entzieht sich der Diskussion um den technischen Staat. Sein Interesse ist mehr auf die Dialektik der Integrationslogik gerichtet. Der Kulturstaat sei dieser Instrumentalisierung weniger zugänglich: „Sieht man es recht, so wäre dieser in technischer Vollkommenheit gesteigerte Kulturstaat' die ärgste unter allen Drohungen eines total 27 28 29 30

Huber: Kulturverfassimg, Kulturkrise, Kulturkonflikt, S. 344ff. Ebenda, S. 343f.. Ebenda, S. 348. Vgl. Greiffenhagen: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, S. 316-347, femer: Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, S. 231-244. 31 Dazu Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft, München 1971, S. 167£F.; zusammenfassend: Lenk, Kurt: Deutscher Konservatismus, S. 240fF., s. a.: Demirovic, Alex: Zum programmatischen Charakter politischer Theorie bei Carl Schmitt und Ernst Forsthoff, in: Kreuder, Thomas/Loewy, Hanno (Hrsg.): Konservativismus in der Strukturkrise, Frankfurt/M. 1987, S. 100122. 32 Huber: Zur Problematik des Kulturstaats, S. 297. 33 Lenk: Deutscher Konservatismus, S. 242ff..

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

instrumentalisierten und dadurch entseelten Daseins". 34 Der Gedanke einer „organischen Konstruktion", 35 in der „Konservativen Revolution" als bewußtes Eingreifen in den Status quo im Sinne planvollen Gesellschaftshandelns und der Herstellung von neuen erhaltenswerten Traditionsbeständen erhoben, 36 gewinnt für die Hubersche Kulturstaatsproblematik einen neuen Sinn, der konservativen Technikdiskussion als Gegenpol kreiertes Modell: „Die fragwürdige Lage, in die alte Begriffe, wie Kultur und Staat, in der Welt der technischen Revolution geraten sind, erfüllt uns mit Zweifeln gegenüber dem Anspruch, den ein Wort wie Kulturstaat' erhebt." 37 Der moderne Staat sei in dem Sinne Verfassungsstaat, in dem er sich als Rechtsstaat und Sozialstaat bewähre. Um den Kulturstaat dagegen „ist es merkwürdig still geworden." 38 Der Kulturstaat erhebt sich über den technischen Staat, weil er mit der Kultur als „geistigem Grundsystem" auf eine sinnvolle „Daseinsaufgabe" über die Vergänglichkeit des Lebens hinaus verweist und der „Entwertung der Werte" entgegentritt. Insofern ist Hubers Kulturstaatspostulat die etatistische Antwort auf Carl Schmitts „Tyrannei der Werte" und begründet den Werthorizont der Staatlichkeit kulturell. 39 Dem Staat wiederfahrt sittliche Qualität. Die „Gesamtverfassung" ist dann wieder ein Kulturgebilde, „in dem der Geist der Epoche konkrete Gestalt gewinnt". 40 Wie sich der „technokratische Konservatismus" der Rationalisierungsfähigkeit politischer Entscheidungen öffnet, steuert Huber mit dem Kulturstaat als transzendentem Staat der versittlichten Macht gegen, ohne jedoch die gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Strukturbedingungen der bundesrepublikanischen Kulturstaatlichkeit entscheidend zu bestimmen. Vielmehr gehe die Krise der Kulturstaatlichkeit mit einer stärkeren Technokratisierung der deutschen Gesellschaft einher, 41 welche eine Wandlung im Bewußtsein bewirken: „Am Gedanken, ein Volk der 'Dichter und Denker' zu sein, konnte eine Nation sich früher erheben; der Versuch, die nationale Integration darauf zu gründen, daß man ein Volk der Astronauten sei, würde schnell im vordergründigen Bereich vergänglicher Prestigeformeln scheitern". 42 Die Frage, inwieweit die Krise des Nationalstaates auch die Staatlichkeit zu wandeln vermag, beantwortet Huber mit dem Fortbestand nationaler Souveränität, doch die Frage nach der Stärkung des Nationalstaatsprinzips durch einen „starken", sich der Geschichte und Kultur bewußten „Kulturstaates", vermag Huber nicht abschließend zu beurteilen. Im

34 Zur Problematik des Kulturstaates, S. 297. 35 Dieser von Ernst Jünger stammende Begriff geht auf das Gedankengut der „Konservativen Revolution" zurück und nimmt den Kemgedanken auf, in Zustände einzugreifen, die ihrerseits wieder Natur werden und deren Bewahrung sich lohnt. Bei Hubers Kulturstaatsproblematik ist aber nicht das aktivistische Moment gemeint, sondern die mit der dialektischen Verfassungstheorie abgesicherte Schaffung homogener Verfassungsstrukturen durch ausgleichende Institutionen der „Vermittlung", die dem technischen Staat geradezu widersprechen; s. a. GreifFenhagen, a. a. O., S. 341-346. 36 Lenk, a. a. O., S. 232. 37 Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, S. 297. 38 Ebenda, S. 296. 39 Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, S. 347f.. 40 Ebenda, S. 351. 41 Dieses Argument hebt Kurt Düwell an Huber mit Recht besonders hervor: Deutschlands auswärtige Kulturpolitik 1918-1932, a. a. O., S. 13. 42 Huber: Nationalstaat und supranationale Ordnung, a. a. O., S. 279.

3. Der Kulturstaat als demokratische „ Bewährungsprobe " des Etatismus?

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Aufbau supranationaler Ordnungen unter Anwendung des Föderativprinzips sei der Fortbestand des Nationalstaatsprinzip im Gleichgewicht heraufziehender supranationaler Technokratien gesichert.43 Die Kulturstaatsproblematik ist demgegenüber innenpolitisch orientiert, die Dialektik der Stufen des Kulturstaates bleibt allgemein und der historischen Wirklichkeit entzogen.44 Insofern ist der Kulturstaat so gegenüber den gesellschaftlichen Teilerscheinungen und Interventionen immunisiert. Die Kulturstaatsarbeit Hubers ist wie die wenigen den Kulturstaat überhaupt thematisierenden Arbeiten45 begriffsgeschichtlich unergiebig, sieht man von einigen wenigen verfassungshistorischen Ergänzungen zum Kulturstaat des neunzehnten Jahrhunderts ab. 46 Das mag mit der Entfaltung der Begriffe aus der Bewegungsdynamik der Hegeischen Dialektik und der ganzheitlichen Betrachtungsweise zusammenhängen. Eine Definition oder Sinnerklärung von „Kultur" und „Staat" gibt Huber nicht, wendet sich stattdessen der etatistischen Perspektive zu. 47 Den Verfechtern des Kulturstaates gehe es „um die Durchdringung des Staates mit den Bildungswerten des kulturbewahrenden Humanismus oder des freiheitlichen Kulturfortschritts."48 Den Wortführern des technischen Staates stellt Huber geradezu den „Kulturstaat" als sich „über die zivilisatorische Funktionen der Daseinssicherung und Daseinsordnung in doppelter Weise" erhebend entgegen.49 Es geht also um die Erhaltung der „Staatlichkeit des Staates", indem eine wesensnotwendige Beziehung zwischen Staat und Kultur hergestellt wird, die für den Staat zugleich verpflichtend wie ideell durchdringend ist. Der Staat wird in die kulturpessimistische Diskussion um Technik und Kultur geradezu als wert-, sinn- und kulturbestimmte Objektivation eingebracht. Das ist eine Perspektive, mit der dem technokratischen Konservatismus geradezu ein versittlichter Etatismus als bewahrendes Element entgegengestellt wird. Die Dominanz des etatistischen Gedankens, die den Staat als Entscheidungseinheit die Sittlichkeit zuspricht, fordert zudem die Abqualifizierung des Gesellschaftlichen zutage und formiert die Elemente der Staatsethik, die dem Kulturstaatsgedanken zugrunde liegen.50 Daß Hubers Staatsethik auf der Hegeischen Dialektik fußt, ist eines der wichtigsten Kontinuitätskriterien seiner Verfassungstheorie über die Zäsuren von 1933 und 1945 hinaus. Die Systematik des Kulturstaates ist nicht nur ein dialektisches Meisterstück, sondern auch ein Dokument der souveränen Handhabung der in Einzelpunkten nur schwer zu widerlegenden Deduktion. Umgekehrt ist die verfassungstheoretische Monographie „ein Glitzerwerk aus Gegensätzen und Vereinigungen, das 43 44 45 46 47

Zur Problematik des Kulturstaates, S. 291. Zur Kritik an der dialektischen Argumentation vgl. Geis (Anm. 6), S. 208ff.. Eine Übersicht befindet sich in den Schriften von Peter Häberle und Otmar Jung. Zur Kritik an Emst Rudolf Huber vgl. Jung, Otmar (Anm. 5), S. 5, 165f.. Selbst in dem 17 Jahre später gehaltenen Vortrag „Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt" (S. 343) distanziert sich Huber von einem soziologisch fundierten Kulturbegriff, der für die Staatstheorie ohne erkenntnisstiftenden Wert sei. Ahnlich argumentiert auch Häberle, der anthropologische und soziologische Kulturansätze fur die Operationalisierung des Kulturstaates problematisch hält; vgl. Häberle: Verfassungslehre als Kulturwissenschaft (Anm. 11), S. 12. 48 Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, S. 295. 49 Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, a. a. O., S. 346; Huber fuhrt auch die daseinsvorsorgende Bildungsverwaltung des Kulturstaates des 19. Jahrhunderts an: vgl.: Vorsorge furs Dasein, a. a. O., S. 321. 50 Vgl. Böckenforde, Ernst-Wolfgang: Der Staat als sittlicher Staat, Berlin 1978, S. 12ff..

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

etwas spielerisch anmutet", 51 ist die Geschlossenheit der Darstellung ein „ästhetischer Genuß". 52 Der Kulturstaat entfaltet sich in fünf Stufen, denen fünf verschachtelte Begriflfsbedeutungen, die alle die Autonomie der Kultur annehmen, vorangehen. Die Dialektik von „Autonomie" und „ B i n d u n g " , die bereits für den Gedanken der wirtschaftlichen Selbstverwaltung Pate stand, verwendet Huber für die Vermittlung der Entfaltungsstufen „Staatsfreiheit der Kultur" und „Staatsdienst an der Kultur", um das Gesellschaftliche zu diskreditieren. Es wird ganz richtig gesehen, daß Kultur, sich selbst überlassen, von gesellschaftlichen Kräften, „die hervorbringend, vermittelnd, übend und empfangend im Kulturbereich angesiedelt sind" 53 und von diesen getragen, gestaltet und bewahrt wird. Der Grundsatz der Staatsfreiheit der Kultur sei in der „modernen Gesellschaft", die auch „unter Ausnutzung der Freiheit" Monopole und Oligopole im kulturellen Bereich bildet, in Frage gestellt. Dem Argument des Staatsdienstes an der Kultur Vorschub leistend, sucht Huber nach Schutzeinrichtungen für die autonome Kultur und schlägt den „gegen die Versuchung des Machtmißbrauchs abgeschirmten Verfassungsstaat" 54 vor. Die Staatsmacht wirke direkt und offen, die gesellschaftliche Macht dagegen häufig indirekt und unsichtbar. „[. . .] so erscheint die Staatsmacht im Verfassungsstaat als eine Form der rechtlich gebändigten, mit der Freiheit vereinbarten, ja die Freiheit hütenden Macht, während die Gesellschaft gerade unter ihren modernen Daseinsbedingungen, die der Kollektivierung und Monopolisierung einen so weiten Spielraum gewähren, vielfältige freiheitsgefahrdende Machtballungen aufweist." 55 Wie beim „sozialen Rechtsstaat", so interpetiert Huber auch die freie Entfaltung der Kultur als den Staat zur „dienenden Intervention" zwingend. Demnach sind „Autonomie" und „Bindung" als dialektische Kategorien entfaltet, ohne das Kritierium der „Autonomie" ad absurdum gefuhrt zu haben: „Es gibt keine Kultur, wenn nicht der Staat in der Fülle seines Seins wiedergewonnen wird; es gibt keinen Staat, wenn er nicht die Fülle der Kultur sich anzuverwandeln vermag; es gibt in der modernen Welt weder Kultur noch Staat ohne ihre gemeinsame Selbstentfaltung im und zum Kulturstaat." 56 Die dialektische Entfaltung des Kulturstaates in Stufen geht von dem Gedanken aus, daß Kultur nicht machbar ist. Die Verbundenheit von „Staat" und „Kultur" wird als Wesensgesetzlichkeit dialektisch vorausgesetzt. Huber immunisiert sich kraft dialektischer Argumentation jeglicher verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Vermittlung 57 beider Kategorien über Variationen aus der Herrschafts- und Verfassungswirklichkeit: „[...] fünf unterschiedliche Erscheinungsformen des Kulturstaates oder fünf Seiten der einen Erscheinung Kulturstaat". 58 Die fünf Stufen des Kulturstaates kraft der „immanenten Wesensgesetzlichkeit" sind erstens die Staatsfreiheit der Kultur als das „freie Hineinwachsen der frei 51 Jung, Otmar: Zum Kulturstaatsbegriflf, a. a. O., S. 165. Helmut Schelsky bewertet Hubers fünf Bedeutungsbestimmungen des Kulturstaates undialektisch als getrennte Phänomene; vgl. Schelsky , a. a. O., S. 198f.. 52 Werner (Anm. 2), S. 399. 53 Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, S. 300. 54 Ebenda, S. 301. 55 Ebenda, S. 301. 56 Ebenda, S. 298. 57 Vgl. auch Geis (Anm. 6), S. 208ff. 58 Huber: Zur Problematik des Kulturstaates, S. 317.

3. Der Kulturstaat als demokratische „Bewährungsprobe " des Etatismus?

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entfalteten Kulturkräfte und Kulturgüter in das staatliche Ganze", 59 zweitens der Staatsdienst an der Kultur, der vermittelnd, pflegend und fordernd auf die Kultur wirkt, 60 drittens die Kulturgestaltungsmacht des Staates in Form der Kulturhoheit, 61 viertens die Staatsgestaltungsmacht der Kultur6^ und fünftens der Staat als Kulturgebilde als Endbedeutung, die dem Begriff „Kulturstaat" innewohne. Die Aufhebung der Antinomie im „Kulturstaat" erklärt Huber mit der konservativen Wertethik des transzendenten Bewußtseins zum Staat: „In dem Staat, der sich als Kulturgebilde weiß und im ständigen Prozeß der Selbsterneuerung als Kulturgebilde hervorbringt, offenbart menschliche Kulturgesinnung sich unmittelbar als Staat. Der Kulturstaat ist die Selbstdarstellung der Kultur als Staat. Diese Bedeutung von Kulturstaat drückt sich in der Hegeischen Formel aus, der Staat sei die Wirklichkeit der sittlichen Idee'". 63 Darin manifestiert sich nicht nur die Staatsethik des Kulturstaates, sondern die Handlungseinheit des Staates, die im Gegensatz zum „totalen Staat" Freiheit gewährt und Autonomie schützt. Der Staat braucht zur Entfaltung seiner Staatlichkeit die Kultur als herrschaftsbegründende und herrschaftsbegrenzende Kategorie, die im übrigen im Gesellschaftlichen angelegt ist. Damit bestimmt Huber nicht nur auf einer esoterischen und univeralistischen Ebene Umfang und Grenzen der Staatstätigkeit, sondern bestimmt die Herrschaft des Staates als „sittliche" Instanz. Methodisch orientiert sich Huber wieder an der ganzheitlich-staatswissenschaftlichen Konstruktion Hegelscher Provenienz. Eine wie bei Hermann Heller begründete methodologische Staatslehre als Kulturwissenschaft wäre aufgrund der ganzheitlichen Sichtweise nicht möglich, zumal Heller die Staatslehre auch als Strukturwissenschaft festlegt. 64 Hubers Verdienst liegt in der Verbindung der im Verfassungsrecht der Bundesrepublik nur unterschiedlich oder gar gegensätzlich verwendeten Kulturbegriffe, der Kultur als Bildungswert im engeren Sinne und der auf die Ordnung des Gemeinwesens bezogene Kulturbegrifif im weiteren Sinne. Der Staat stehe als „Kulturstaat" in jenem Doppelbezug der Gebilde der „gegenständlichen Welt" und dem Gebilde der „personalen Welt", das „als Staatsidee, als Staatsgesinnung, als Staatsbewußtsein in uns lebendig ist, das wir in uns erleben, und das von uns her in die gegenständliche Welt überführen, indem wir das, was wir als Staat dort vorfinden, mit dem erfüllen, was wir selbst als Träger von Staatlichkeit sind." 65 Die Hegeische Idee der geistbestimmten Wirklichkeit und des Bewußtseins des Staates findet sich in diesen Gedanken einer Staatsethik. Huber vermittelt diesen Gedanken 59 60 61 62 63 64

Ebenda, S. 299. Ebenda, S. 301f.. Ebenda, S. 303ff, 307. Ebenda, S. 31 Of.. Ebenda, S. 315. Vgl. Heller: Staatslehre a. a. O., S. 44ff., 62ff; dazu auch: Robbers, Gerhard: Hermann Heller: Staat und Kultur, Baden-Baden 1983, S. 106ff.. Robbers verdeutlicht die Erfordernis, die verschiedenen Kulturstaatsbegriffe zusammenzufuhren, was neben Heller auch ein Verdienst Ernst Rudolf Hubers ist; vgl. Robbers: Kulturstaatliche Aspeke der öffentlichen Meinung. Zu einigen Grundkategorien im Werk Hermann Hellers, in: Müller, Christoph/Staff, Ilse (Hrsg.): Der soziale Rechtsstaat. Gedächtnisschrift für Hermann Heller, Baden-Baden 1984, S. 413-425, mit Bezug auf Hubers dialektische Methode und Begriffsbildung S. 416f. Heller verwendet im Vergleich zu Huber den Begriff des „Kulturstaates" nur sehr selten und umfaßt die methodologische Analyse des Staates im Sinne kultureller Erscheinungen. 65 Zur Problematik des Kulturstaates, S. 316f..

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Die Bundesrepublik:

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anhand der „umschlagenden" Herrschaftsdialektik der Staatsgestaltungsmacht der Kultur: „Herrschaft meint vielmehr die Einfügung der Kultur als einer autonomen Wesenskraft in die Staatlichkeit, meint die Sinnbeziehung der Kultur auf den Staat, in dem sie waltet, meint aber auch die Anverwandlung des Staates an die Kultur, die er als eigenständiges Leben in sich eingehen lassen muß, wenn er Hoheit über sich üben will. Eben damit schlägt die Herrschaft des Staates über die Kultur in die Herrschaft der Kultur über den Staat um."66 Der Satz wird bewußt in Abkehr von der nationalsozialistischen Unkultur des Staates verwendet, denn „angesichts dieser bösen Erfahrungen will der Satz von der Herrschaft der Kultur im Staat sagen: Kulturstaat ist ein Staat nur in dem Maß, in dem die Herrschaft des Staates über die Kultur sich in der Herrschaft der Kultur über den Staat aufhebt."67 Wenn somit die „Sittlichkeit" des Kulturstaates in der Friedenseinheit und Herrschaftsberechenbarkeit liegt, überwindet Huber die Positionen des „autoritären Etatismus" der Zwischenkriegszeit mitsamt den machtpolitischen Folgen des Totalitarismus. Der krude Autoritarismus wird quasi dialektisch entschärft, die Sittlichkeit des Staates durch die Stiftung von Frieden und Freiheit gerechtfertigt.68 Huber erkennt die Verschränkung von Gesellschaft und Staat in der Autonomie der Kultur in der Gesellschaft an, subsumiert das gesellschaftliche Geschehen jedoch unter die Wirkeinheit des Staates. In Sinne des Grundkonsenses des Grundgesetzes ist Huber nunmehr status quo-konservativ. Trotzdem bleibt dieses Phänomen zweischneidig, denn die kulturellen Kräfte der Gesellschaft und ihre Gestaltungsmacht werden immer dialektisch in der Verbindung von Staat und Kultur aufgehoben, die Kulturautonomie erscheint begrifflich und argumentativ nicht ganz überzeugend. Die theoretische Konstruktion ist im ganzen esoterisch, innerweltlich, wenig auf die gesellschaftlichen Kulturbedürfnisse zugeschnitten. Huber beantwortet seine eingangs gestellte Frage, was der Staat in der heutigen Zeit noch bedeutet, mit seinem, vom autoritären Ordnungsmoment befreiten Etatismus, der sich im Grenzfall jedoch relativiert. Das wird in dem Aufsatz „Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt" von 1974 deutlich, mit dem der Themenkomplex des „Kulturstaates" für die Bundesrepublik abschließt und im Vergleich zur Wilhelmshavener Antrittsvorlesung die westdeutsche Kulturverfassung nun einer politischeren Bewertung unterzogen wird, obwohl die einleitende Bemerkung lautet: „Es liegt nicht in der Absicht dieser Betrachtung, zu den aktuellen Problemen des Kulturstaates Stellung zu nehmen."69 Auch die Immunisierung, die „weitläufige Frage, ob in der gegebenen Lage eine solche Selbstbesinnung auf die Idee des Kulturstaates eine reale Möglichkeit ist", 70 unbeantwortet zu lassen, entspricht nicht dem tatsächlichen Szenario, der Frage nach der systemkonformen Fortbildung der geltenden Kulturordnung, die in diesem Aufsatz entwickelt wird und die sich im Rahmen des dialektisch-konservativen Wertspektrums von „Bewahrung" und „Wandlung" stellt. Dennoch tritt die Fiktion der Garantie der Kulturgebilde durch den Staat trotz des Harmoniebildes der Dialektik immer wieder ideologisch im Spannungsverhältnis von gewährter 66 67 68 69 70

Ebenda, S. 311. Ebenda. Vgl. auch Böckenförde, Emst-Wolfgang: Der Staat als sittlicher Staat, a. a. O., S. 18ff. Kulturverfassimg, Kulturkrise, Kulturkonflikt, a. a. O., S. 367. Ebenda, S. 372.

3. Der Kulturstaat als demokratische

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Kulturautonomie, daraus resultierendem Kulturpluralismus und staatlicher Intervention hervor: „Der Kulturstaat ist ein Staat der kulturellen Spaltung." 71 Der Dissens der pluralen kulturellen Richtungen eröffne die Gefahr kultureller Antinomien, die sich zur Kulturkrise und zum Kulturkonflikt zu steigern vermögen. Die Grenzen der Intervention des Staates in die Kultur und der Nichtintervention im Interesse der Erhaltung der „Staatlichkeit des Staates" weiß Huber aber nicht genau zu definieren, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, die gesellschaftliche Autonomie der Kultur preiszugeben. Der Staat sei gerade dadurch Kulturstaat, daß er sich der Intervention in die Kultur enthalte, auch als neutraler Staat bleibe der moderne Staat „Kulturstaat" und kulturbestimmt. Die Kulturqualität des Staates, die mit dem kulturpolitischen Grundgebot der Toleranz des Staates gegenüber der Kultur verbunden wird, ist der eigentliche Angelpunkt, die Beziehung zur Kultur zu bestimmen. Huber bedient sich hier undialektisch des Schmittschen Dezisionismus und bestimmt die Nichtintervention des Staates in die Kultur als Grenzfall. Wenn „kulturelle Neutralität" die „absolute Entscheidungslosigkeit des Staates in Dingen der Kultur" 7 2 bedeuten würde, seien Kultur und Nichtkultur ununterscheidbar. Das hieße aber, daß der Staat auf Handeln im Kulturbereich nicht verzichten kann, um Kultur und Unkultur gleichzubehandeln: „Es würde das Ende nicht nur des Kulturstaates, sondern der Staatlichkeit überhaupt bedeuten, wenn staatliche Neutralität und Toleranz in Dingen der Kultur dahin fuhren würden, daß im Namen des Kulturstaates die Parität von Kultur- und Antikultur hergestellt werden müßte." 73 Doch die „positive, zu einer Entscheidung hinführenden Bedeutung" 74 der Neutralität führt Huber inhaltlich nicht aus, während Carl Schmitt insgesamt vier Bedeutungsfelder vorschlägt. Die „positive Neutralität" dürfe nicht den Rückzug aus der staatlichen Kulturverantwortung in die Entscheidungslosigkeit bedeuten, „vielmehr umschließt sie die Pflicht zur staatlichen Entscheidungsbereitschaft im kulturpolitischen Grenzfall." 75 Die Annahme des Grenzfalles bringt neues Licht in den Interpretationsmodus und deutet auf die skeptische Haltung zum Kulturpluralismus und seiner gesellschaftlich-autonomen Fundierung angesicht fehlender Obrigkeit und Bewährung der Kulturverfassung in der Herrschaftswirklichkeit hin. Die Pflicht zur staatlichen Entscheidungsbereitschaft im kulturpolitischen Grenzfall behält sich Huber in seinem dialektischen Modell des Kulturstaates als etatistische Notwendigkeit vor, weil Staatsmacht verfassungsrechtlich normiert ist, gesellschaftliche Macht dagegen indirekt und unsichtbar. 76 Die Grenze des kulturstaatlichen Ansatzes Hubers zeigt sich im wissenssoziologischen Übergang vom dialektischen Denken zu praktischen Herrschaftsfragen im „kulturellen Trägerpluralismus" 7 7 Den Antagonismus von gesellschaftlicher Kulturgestaltungsmacht 71 72 73 74

Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, S. 354. Ebenda. Ebenda, S. 355f.. Vgl. Schmitt, Carl: Übersicht über die verschiedenen Bedeutungen und Funktionen des Begriffes der innerpolitischen Neutralität, a. a. O., S. 160f.. 75 Huber: Kulturverfassung, Kulturkrise, Kulturkonflikt, S. 356. 76 Zur Problematik des Kulturstaates, S. 301. 77 Der kulturelle Trägerpluralismus als konstituierendes Prinzip des Kulturstaates ist nach Peter Häberle die rechtliche Basis der „Freiheit der Kultur" und verhindert Monopolbildung auf diesem Gebiet. Formeller Trägerpluralismus meint die Erziehung voneinander unabhängiger Träger, Eltern, Schule, Kirchen, Verbände etc., der durch materiellen Trägerpluralismus ergänzt wird: etwa durch rechtlich ausgestaltete erzieherische Freiräume. Beide Formen des Trägerpluralismus

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und Kulturstaat löst Huber immer zur Rettung der „Staatlichkeit des Staates" zugunsten der Letztentscheidungsmacht des Staates auf, zumal die verfassungstheoretische Perspektive auch bei aktuellen Frage des Kulturkonflikts nicht kulturverfassungsrechtlich ergänzt oder relativiert wird. Letztendlich läßt Huber die „Grenzmarke", ob „der Weg aus der aufgebrochenen Krise über den Versuch der Systemveränderung in den Antagonismus der Kulturideen und in den offenen Konflikt - und der Weg über den erneuten Kulturkompromiß zur systemimmanenten Reform" 78 ansteht, offen und dokumentiert damit den Dualismus von Theorie und Praxis in seinem Kulturverfassungsansatz. Alle verfassungstheoretischen Postulate, die dialektisch fungibel sind, versagen in der Praxis der Kulturverfassung, solange die konservative Option eines sich formell der Intervention enthaltenden politischen Staates in die Kultur und einer unpolitischen Gesellschaft gegenübergestellt werden. Letzlich bleibt der Kulturpluralismus eine unkalkulierbare Größe im etatistischen Denkstandort Hubers. Auch das Ethos des Kulturstaates als eines „sittlichen Staates" bleibt eine theoretische Größe ohne materiellen Verfassungswert, denn die verfassungspolitischen Szenarien, die Huber 1974 entwickelt, konterkarieren die 1957 kreierten „versittlichten" verfassungstheoretischen Elemente des Kulturstaates. Der etatistische Konservatismus hat in Hubers Kulturstaatsdenken die antagonistische Fähigkeit, im theoretischen Denkstandort die herrschaftsbegrenzende wie herrschaftsbegründende Form der Kulturverfassung quasi ahistorisch und idealistisch zu begründen, während das Staatsethos des Kulturstaates, die geist- und kulturbestimmte Macht des Staates aus der Synthese von Kultur- und Staatsqualität, bei aktuellen materialen Verfassungskrisen sukzessiv zurückgenommen wird. Die Kulturautonomie sieht Huber in den gesellschaftlichen Pluralismen geradezu zersetzt, der Gedanke der Kulturautonomie, die „Bewährungsprobe" des Etatismus zu faktisch und politisch demokratischeren Formen konservativen Denkens wird durch die von Huber konstatierte Neutralität des Staates im Kulturkonflikt zu einer wenig fungiblen Größe, geht es doch letztendlich um die Machtbegrenzung der Gesellschaft durch den Staat. Die konservative „Bewährungsprobe" eines dialektisch versittlichten Kulturstaates in der „Lösung" des Dilemmas, daß der Kulturstaat in seiner kultur- und geistbestimmenden Macht aufgrund der fehlenden Staatsintervention in die gesellschaftlich autonome Kultur ein „schwacher Staat" ist, dessen ursprünglich angenommene weniger zugängliche Instrumentalisierung in der Kulturkrise der 70er Jahre zurückgenommem wird, muß scheitern, denn Hubers Etatismus im Kulturstaat ist, solange er der Herrschaftswirklichkeit entzogen ist, ein autoritär entzerrter Konservatismus, der sofern er mit den gesellschaftlichen Pluralismen der Wirklichkeit konfrontiert wird, die Kulturkrise als Grund gesellschaftlicher Autonomie ansieht, und zu autoritären Gesellschaftsdiagnosen greift. Schließlich sei, so Huber, ein Staat, der sich auf die Bewahrung und Vermittlung der Autonomie beschränkt, ein „musealer Kulturstaat" im Sinne dialektischer Unbeweglichkeit. Die ursprüngliche Absicht, den „sittlichen" Kulturstaat als die Staatsmacht geist- und kulturbestimmend dem „technischen Staat" entgegenzustellen, muß angesichts der Sachzwänge scheitern. Die Superiorität des Staates steht dem „gewaltengeteilten" Kulturstaat faktisch im Wege. bezeichnet Häberle als schöpferisch; vgl. Veifassungslehre als Kulturwissenschaft, a. a. O., S. 66f.. 78 Zur Problematik des Kulturstaates, S. 374.

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789" im Kontext der Werkgenese - das „Verfassungsbild" des Konstitutionalismus im Wandel Die beharrende Kontinuität wissenschaftlicher Leitbilder und Ordnungsvorstellungen ohne fundamentale Orientierungsbrüche ist ein konstitutives Merkmale des wissenschaftlichen Denkweges Ernst Rudolf Hubers über die Verfassungswandlungen hinweg. Die konservative Dialektik von „Bewahrung" und „Wandlung" bestimmt in der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" nicht nur die Ordnung und Bewertung des verfassungshistorischen Stoffes, sondern auch die Methodik der Verfassungshistoriographie. Der Verfassungsbegriff wie auch Ansätze der verfassungstheoretischen Prämissen reichen auf die verfassungspolitischen Schriften von 1935 zurück.1 Fritz Härtung hat noch 1956 kritisiert, daß Hubers Verfassungsverständnis, die Verfassung im dynamischen Sinne der ungeschriebenen politischen Ordnung als die aus den geistigen Kräften des Volkes, seiner tatsächlichen Gestalt und aus den Grundsätzen des Staatsaufbaus erkennend, eine gründliche historische Erforschung voraussetze, die im Nationalsozialismus nicht in diesem geforderten Umfang geleistet wurde.2 Es seien in diesem Sinne „auch mehrere Darstellungen der neuen deutschen Verfassungsgeschichte geschrieben worden, die freilich weder methodisch noch stofflich so viel Neues gebracht haben, daß sie die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hätten."3 Der mit dem Verfassungsbruch von 1945 erledigte stoffliche und ideologische Unterbau des Nationalsozialismus ging jedoch mit einer methodischen Kontinuität und Denkhaltung in der volkstheoretischen Interpretation von Verfassungsgeschichte einher, die sowohl bei Otto Brunner als auch bei Ernst Rudolf Huber deutliche werkgenetische Züge trägt. Für beide Verfassungshistoriker bleibt das Ordnungs- und Ganzheitsdenken als methodologische und politische Reaktion auf das liberale und positivistische Rechts- und Trennungsdenken für den verfassungshistoriographischen Entwurf auch nach 1945 konstitutiv. Beide rekurrieren auf die wissenschaftspolitischen Positionen Carl Schmitts und Hans Freyers in der etatistischen und ganzheitlichen Erfassung des verfassungshistorischen Stoffes als Volksgeschichte, wenn auch Brunner mit seinem verfassungshistorischen Interesse einer „historischen Soziologie" eigene Wege gegangen ist.4 Fritz Hartings Bewertung der ver1 2

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Vgl. Kap. 4.7. und die Ausführungen von Hans Boldt: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 147ff. u. 160ff.. Härtung verweist textlich besonders auf Hubers Ausführungen über die Entstehung der „völkischen Verfassung" 1933 im „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches", wo Huber das verfassungshistorische Kontinuitätsproblem ideologisch verbrämt und die „Fortgeltung" mit „Vergeltung" gleichsetzt; vgl. Härtung, Fritz: Zur Entwicklung der Verfassungsgeschichtsschreibung in Deutschland. Sitzungsbericht der deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Jg. 1956, Nr. 3, Berlin 1956, S. 1^»6 (41, Anm. 2). Ebenda, S. 41. Für Otto Brunner vgl. Boldt, Hans: Einführung in die Verfassungsgeschichte, S. 154f.. Huber rekurriert in der Schlußbetrachtung auf die Revitalisierung des germanischen Grundgedankens in der deutschen Verfassungsgeschichte und zitiert Brunner in der Rez. „Edmund Ernst Stengel: Kaisertitel und Souveränitätsidee. Studien zur Vorgeschichte des modernen Staatsbegriffs, Weimar 1939", in: ZgS, Bd. 100 (1939/40), S. 242: „Die deutsche Verfassungsgeschichte ist keine

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

fassungsgeschichtlichen Forschung in Deutschland und ihrer nationalsozialistischen Forschungsderivate bedarf daher einer inhaltlichen Differenzierung bei der Beurteilung der Kontinuität von Hubers Verfassungskonzeption.5 Während also die spezifisch ideologische Einbindung verfassungshistorischer Forschung in die nationalsozialistische Wissenschaftsideologie mit dem Systemwechsel dahin ist, wirken die begrifflichen und inhaltlichen Elemente der methodischen Erneuerung der Verfassungshistoriographie in den dreissiger Jahren kontinuierlich in der Verfassungshistoriographie der Bundesrepublik fort. Wenn Huber auch nicht mehr zu den wissenschaftspolitischen Inhalten der Schrift „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" zurückgekommen ist und eigentlich das „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" aus der wissenschaftspolitischen Wiederbegründung einer deutschen Staatswissenschaft motiviert und forschungsstrategisch begleitet hat, so bleiben für die Verfassungsgeschichte seit 1957 viele Termini und methodische Versatzstücke des alten Entwurfs überdeutlich bestehen, welche die Frage nach Kontinuitäten und Diskoninutäten im Methodenentwurf stellen. Die enzyklopädische siebenbändige „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789", das Alterswerk Hubers, ist ein „Fall von methodischer 'Modernität' im zeithistorisch-völkischen Gewände."6 Vom „deutschen konstitutionellen System" ist seit den 1840er Jahren von Friedrich Bülau über Friedrich Julius Stahl eine fortwirkende Tradition verfassungshistorischer Leitbilder entworfen worden, die bis heute nachwirkt. Mit der Gegenüberstellung von deutscher und westeuropäischer Verfassungsentwicklung wird von der Verfassungstheorie beabsichtigt, eine Entwicklung wie in Westeuropa für Deutschland zu unterbinden. 7 Nach Erich Kaufmann und Rudolf Smend 8 pflichtet auch Ernst Rudolf Huber der Theorie der monarchisch-konstitutionellen Monarchie bei, daß der deutsche Konstitutionalismus eine eigenständige politische Form habe. Sein Konstitutionalismusverständnis, den deutschen Konstitutionalismus des neunzehnten Jahrhunderts als Verfassungssystem zu begreifen, zeichnet sich bereits in den völkisch orientierten Studien zur Verfassungsgeschichte in der nationalsozialistischen Schaffensperiode ab und findet seinen werkgenetischen Höhepunkt in der durch den dritten Band der Verfassungsgeschichte ausgelösten Debatte um die poli-

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Geschichte von Rezeptionen, sondern eine Geschichte eigenständiger Selbstentfaltung"; vgl. auch Brunner, Otto: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Südosteuropas im Mittelalter, Bonn, München, Wien 1943, S. 525f.; zur Rezeption von Hubers programmatischen Aufsatz „Die deutsche Staatswissenschaft" vgl. S. 129, zu Freyer S. 133, zu Schmitt S. 187, insbesondere dessen Aufsatz „Über die neuen Aufgaben der Verfassungsgeschichte", a. a. O.. Trotz zurückhaltender Methodenkritik an Otto Brunners Buch „Land und Herrschaft" weist Härtung das an Volk und Staat orientierte Ganzheitsdenken als statisch zurück und versagt Brunners Konzeption die verfassungshistorische Aufgabe einer wirklichkeitsorientierten, begriffs- und quellenbezogenen Sichtweise aufgrund der ahistorisch-konzeptionellen Begriffe; vgl. Härtung, a. a. O., S. 43ff. Brandt, Hartwig: Ernst Rudolf Hubers „Deutsche Verfassungsgeschichte". Eine methodologische Betrachtung, in: VSWG, Bd. 74 (1987), S. 229-241 (229f.). Boldt, Hans: Deutscher Konstitutionalismus und Bismarckreich, in: Stürmer, Michael (Hrsg.): Das kaiserliche Deutschland. Politik und Gesellschaft 1870-1918, Düsseldorf 1970, S. 119-142 (119); s. a. ders.: Deutsche Staatslehre im Vormärz, Düsseldorf 1975, Kap. 5, S. 263ff.. Vgl. Böckenförde, Emst-Wolfgang: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: Conze, Wemer (Hrsg.): Beiträge zur deutschen und belgischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1967, S. 70-92 (71).

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte

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tische Form des deutschen Konstitutionalismus,9 1967 durch eine Erwiderung ErnstWolfgang Böckenfordes ausgelöst. Der inhaltlichen Kritik und wissenschaftlichen Korrektur tritt Huber aber noch in seinem letzten verfassungshistorischen Aufsatz von 1987 entgegen. 10

a) Die Kontinuität des Verfassungsbegriffs Im ersten Band der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" vermeidet Huber Bemerkungen zu Begriff und Methode der Verfassungsgeschichte mit dem Hinweis, daß der Inhalt für sich selber spreche. Diese methodenkritische Abstinenz hat weniger mit der Haltung des Dialektikers zu tun, sich ungern auf Begriffe und methodische Positionen festlegen zu lassen, als mit der Hoffnung, die Darstellung selbst werde dem Leser Sinn und Wesen der Verfassung deutlich machen. Mit der Ergänzung verfassungshistorischer Be-

9 Auf die Debatte soll im folgenden nur eingegangen werden, wenn sie der Rekonstruktion und Analyse des Konstitutionalismusbildes Emst Rudolf Hubers dienlich ist. Zum Konstitutionalismusverständnis Hubers vgl.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1879, Bd. 3: Bismarck und das Reich, a. a. O., S. 3-26; die Konstitutionalismusdebatte eröffnete Emst-Wolfgang Böckenförde mit dem Aufsatz: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert (Anm. 8); wieder abgedruckt in Böckenförde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 146-170.; im Sinne Böckenfordes auch Rainer Wahl: Der preußische Verfassungskonflikt und das konstitutionelle System des Kaiserreichs, in: Böckenforde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 171-194; darauf die Erwiderung Hubers: Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, in: Schieder, Theodor/Deuerlein, Ernst (Hrsg.): Reichsgründung 1870/71. Tatsachen, Kontroversen, Interpretationen, Stuttgart 1970, S. 164ff., Nachdruck in Huber: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., S. 62-106; ebenso in: Böckenforde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte 1815-1914, a. a. O., S. 171— 207; ders.: Bismarck und der Verfassungsstaat, erweiterte Fassung eines Vortrages, gehalten in einem Symposion der Juristischen Fakultät der Georg-August Universität Göttingen am 10. Juli 1964, abgedruckt in ders.: Nationalstaat und Verfassungsstaat, a. a. O., S. 188-223; zur Kontroverse auch Boldt: Deutscher Konstitutionalismus und Bismarckreich (Anm. 7); ders.: Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie. Eine Auseinandersetzung mit Emst Rudolf Huber, in: Böckenforde, Ernst-Wolfgang (Hrsg.): Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, Beiheft zu „Der Staat", Η. 1, Berlin 1975, S. 75-102; ders.: Rez. „Emst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 7 Bde., Stuttgart 1957-1984", in GuG, Jg. 11 (1985), S. 252271 (263-267); zusammenfassend zum Konstitutionalismus auch: Schefold, Dian: Verfassung als Kompromiß? Deutungen und Bedeutungen des preußischen Verfassungskonfliktes, in: ZNR, 3. Jg. (1981), S. 137-157; Gangl, Hans: Der deutsche Weg zum Verfassungsstaat im 19. Jahrhundert, in: Böckenforde, Emst-Wolfgang (Hrsg.): Probleme des Konstitutionalismus, a. a. O., S. 23-58. 10 Huber: Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Josef Isensee und Paul Kirchhoff, Bd. 1: Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1987, S. 36-83, Rn. 55-58, S. 74ff. Die kontinuierliche Argumentationsstruktur in der Konstitutionalismusdebatte hängt im übrigen damit zusammen, daß Huber diesen Aufsatz auf einen früheren Beitrag aufbaut: Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte; vgl. Anm. 9.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

griffs- und Methodenreflexion im zweiten Band der Verfassungsgeschichte von I960 1 1 und einem ausführlichen Essay zur Frankfurter Buchmesse 1965 12 ist Huber seiner Methodenpflicht nachgekommen. Die Kontinuität bzw. Diskontinuität des Verfassungsbegriffs seit 1935 vermag durch diese Darstellung vergleichsweise verdeutlichen, inwieweit der Systemwechsel, die verfassungspolitische Zäsur von 1945/49, in methodologischen und gesellschaftspolitischen Fragen Einfluß auf Korrekturen im Denkstandort Hubers genommen hat. Wenn auch Bemerkungen zur verfassungshistorischen Methode in der siebenbändigen Verfassungsgeschichte spärlich sind, so läßt der Verfassungsbruch 1945 auf die Hinfälligkeit des für den an die nationalsozialistische Weltanschauung gebundenen „politischen Verfassungsbegriffs" und die auf ihn abgestimmte „konkret-geschichtliche Verfassungsbetrachtung" schließen. 13 Die für das Nachkriegswerk konstitutive „verfassungsgeschichtlich-soziologische Methode" 14 in der Verfassungsgeschichte bleibt allerdings inhaltlich unscharf. Sie macht aber in Bezug zum Verfassungsbegriff insofern Sinn, als Huber die Verfassung als Mittel der „Machtbildung" und „Machtkontrolle" sieht und das institutionelle und rechtliche Aktionsund Handlungsspektrum der Machtfragen auch mit „Verfassungssoziologie" übersetzt. 15 Huber führt die „verfassungsgeschichtlich-soziologische Methode" in Abgrenzung zur „staatswissenschaftlich-begrifflichen Methode" zur Unterscheidung von Konstitutionalismus, Absolutismus und Parlamentarismus an. Zur „Frage" nach den Formprinzipien leite das historisch-politische Denken, aber „die Antwort ist und bleibt Sache der Theorie der Politik". 16 Wenn auch die an die „konkret-geschichtliche Verfassungsbetrachtung" 17 gebundene politisierte Verbrämung der Bürgerlichkeit des Verfassungsstaates im neunzehnten Jahrhundert und das kosmisch-zyklische Geschichts- und Krisenverständnis, das an die „societas civilis" anknüpft, mit dem Systembruch ein Ende hat, so ist Huber mit der Bewertung von Verfassungsfragen im Sinne einer „Theorie der Politik" einem subjektivistischen, wenn auch quellenfundierten Geschichtsbild treu geblieben. Im Ganzen bleibt er dem ganzheitlichen, materiellen und existentiellen Unterbau seines Verfassungsbegriffes verhaftet, wie auch sein wertorientiertes, antipositivistisches, substantielles Ordnungsdenken, das phänomenologisch argumentiert und „Verfassung" als „existentiell", als transpositives, der Wirklichkeit entzogenes Element herausstellt, als Reaktion auf den Weimarer

11 Vgl. Vorwort, S. Vn. 12 Vom Sinn verfassungshistorischer Forschung und Lehre. Vortrag, gehalten beim Empfang des Verlages Kohlhammer auf der Frankfurter Buchmesse am 15. Oktober 1965. Veröffentlicht unter dem Titel: „Verfassungsgeschichte in Darstellung und Dokumentation" in der FS „Hundert Jahre Kohlhammer, 1866-1966", Stuttgart 1966, unverändert abgedruckt in Huber: Bewahrung und Wandlung. Studien zur deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Berlin 1975, S. 1117. 13 Vgl. Die verfassungsgestaltende Kraft der Wehrordnung, in: Heer und Staat, a. a. O., S. 13-19 (18f.). 14 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 6. 15 Ebenda, S. 770, 776, 965; s. a. Bd. 5, S. 9 und: Bismarck und der Verfassungsstaat, in: Nationalstaat und Verfassungsstaat, a. a. O., S. 188-223 (188f.). 16 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 6. 17 Die verfassungsgestaltende Kraft der Wehrordnung, in: Heer und Staat, 2. Aufl., a. a. O., S. 18f..

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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Methoden- und Richtungsstreit fortwirkt.18 Die phänomenologische, seinsbestimmte, transzendierte Logik des existentiellen Verfassungsbegriffs dokumentiert sich in Umschreibungen wie„Dasein" und „Sosein" der Verfassung, deren Doppelfunktion im „Reich der daseinsbestimmenden Ideen" und dem,gleich der rechtsbestimmenden Wirklichkeit"19 zugeordnet seien. Mit dem durch den Systembruch 1945 bedingten Verfall der wissenschaftspolitischen Kritierien der Verfassungsgeschichtsschreibung im Dritten Reich ist aber die Teleologie dahin, den universalen Gehalt der Reichsidee im Endzustand des „Dritten Reiches" historisch aufzuheben. Die teleologische Deutung der deutschen Verfassungsgeschichte als völkische Vorgeschichte des Dritten Reiches weicht einer ebenso ganzheitlichen Interpretation der Verwirklichung des deutschen Verfassungsstaates als nationale Form, ohne aber die zyklische Geschichtsinterpretation fortzuführen. 20 Die „Verfassungsfahigkeit" der Deutschen ist Huber in den verfassungshistorischen Etappen das erkenntnisleitende Interesse.21 Verfassungsgeschichte bleibt aber in der Darstellung wesenhaft „eine Geschichte von Verfassungskämpfen, von Kämpfen um Aufrichtung, Behauptung, Fortbildung, Umgestaltung und Umsturz von Ordnungen",22 als ein Ringen und „selbständiges Bemühen um funktionsfähige und zugleich sachgerechte, in diesem Sinne um gültige Ordnung." 23 Darin liegt der „existentielle" Aspekt seiner Verfassungstheorie begründet. Der markanteste Unterschied zwischen „konkret-geschichtlicher" und „verfassungsgeschichtlich-soziologischer" Methode der Verfassungsgeschichtsschreibung liegt jedoch in der für die Nachkriegszeit wieder an Freiheit, Sittlichkeit, humanistisch-bildungsbürgerlichen Traditionen und kulturstaatstheoretischen Prämissen anknüpfenden Tradition des deutschen Verfassungsstaates:24 „[...] in der Verbindung von Humanität und Nationalität, von Herrschaft und Freiheit, von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, von individueller 18 Die aus der romantischen und idealistischen Staatsphilosophie entnommenen Begriffe der „organischen Totalität" oder der „Organschaft" der Verfassung sind an die „konkretgeschichtliche Verfassungsbetrachtung" gebunden und werden nach 1944 nicht mehr verwendet. Zur Kontinuität und zum wissenschaftspolitischen Urspruch existentiellen Verfassungsdenkens vgl. Huber: Verfassungswirklichkeit und Verfassungswert im Staatsdenken der Weimarer Zeit, a. a. O., S. 13Iff.. Im Vergleich zu Huber ist Ernst Forsthoffs Verfassungsgeschichte begrifflich und wissenschaftstheoretisch dagegen deutlicher durch den Verfassungsbruch von 1945 bestimmt. Wie in der juristisch-politischen Behandlung des Verhältnisses von Verfassung und Verwaltung, so ist auch Forsthoffs Verfassungsgeschichte einem positivistischen Verständnis von Verfassungsgeschichte unterworfen; vgl. Forsthoff: Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl., Stuttgart 1972; zur Kontinuität der Verfassungsgeschichtsschreibung s. a.: Boldt, Hans: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Von den Anfangen bis zum Ende des älteren deutschen Reiches 1806, 2. Aufl., München 1990, S. 13ff.. 19 Bewahrung und Wandlung, a. a. O., Vorwort. 20 Lübbe, Anna: Die deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung unter dem Einfluß der nationalsozialistischen Machtergreifimg, a. a. O., S. 75, 77. 21 Vom Sinn verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, S. 14f.. 22 Ebenda. 23 Ebenda, S. 13. 24 Geis, Max-Emanuel: Kulturstaat und kulturelle Freiheit. Eine Untersuchung des Kulturstaatskonzepts Ernst Rudolf Hubers aus verfassungsrechtlicher Sicht, a. a. O., S. 28f.. Geis verweist auf die in der „Deutschen Verfassungsgeschichte" chronologisch dargestellten Traditionen des Kulturstaates als „Rückgrat" des Kulturstaatsdenkens bei Huber.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Selbstbestimmung und sozialer Verantwortung bildet sich die gültige Ordnung' die den Staat zum Verfassungsstaat, zum Rechtsstaat, zum Sozialstaat, zum Kulturstaat macht." 25 Dem Recht und der Rechtsordnung wird wieder die Schlichtungsfunktion verfassungspolitischer Krisen zugebilligt, während die völkisch orientierte „konkret-geschichtliche Verfassungsbetrachtung" die „rechtliche Verfassung" nur in der substantiellen „inneren Rechtfertigung aus Art und Idee des Volkes" interpretiert hatte.26 Die Selbstverwirklichung des Volkes als „Nation" in der „Form" des Verfassungsstaates steht im Mittelpunkt des Verhältnisses von Verfassungsidee und Verfassungswirklichkeit. 27 Die verfassungshistorischen Studien zum Verhältnis von „Volk" und „Staat" in den verschiedenen geistesgeschichtlichen Epochen seit der Reichsrechtswissenschaft des ausgehenden Mittelalters zwischen 1938 und 1944 haben hier eine thematisch wie inhaltlich wichtige Vorlauffunktion, wenn auch der nationalsozialistische Volksbegriff in der Nachkriegszeit durch einen ebenso universalistischen Nationbegriff ersetzt wird. Da Huber „Verfassung" nicht Juristisch" als „bloßes System des Staatsrechts" begreift, sondern „existentiell" als „Inbegriff von Ideen, Interessen und Institutionen, die sich im Kampf, im Ausgleich und in wechselseitiger Durchdringung jeweils zum Ganzen der Verfassungswirklichkeit einer Epoche verbinden",28 bleibt der aus der Verfassungslehre Carl Schmitts abgeleitete Einheits- und Ganzheitsaspekt der Verfassung als die Volksordnung einend bestehen: „Die Verfassung ist die Grundordnung, in der ein Volk sich als Staat verwirklicht. Sie ist das gegliederte und gefügte System, in dem die im Raum der Gesellschaft rivalisierenden Ideen, Interessen und Kräfte durch Subordination oder Koordination zu einer existentiellen Gesamtordnung verbunden sind."29 Verfassungshomogenität im Verfassungskampf bleibt über den Verfassungsbruch von 1945/49 weiterhin die erkenntnisleitende Perspektive Hubers. Nicht der Verfassungstext im formalen Sinne, sondern das „überpositive Wertgefüge" der Verfassung wird in Abgrenzung zum formalen Verfassungsdenken der positivistischen Linie der Staatslehre als „substantiell" synonym zur Verfassungswirklichkeit betont.30 Die Kontinuität des Verfassungsbegriffs in der Verfassungsgeschichte der Nachkriegszeit und die konservative Funktion des „substantiellen" Aufweisens von quasi zeitstabilen und formprägenden Verfassungstraditionen bestimmt das Konstitutionalismusbild Hubers seit der Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat". Die Schematik der Argumentation ändert sich seither nicht, denn die etatistische Perspektive des Verfassungsbegriffs als Gesellschaft und Staat umfassenden Seinsbegriff verhindert, die duale Struktur des Konstitutionalismus in dem Nebeneinander von Parlament und Krone als verfassungspolitisches Novum herauszustellen, in dem neben dem Staat die Gesellschaft selbst eine steuerungsfa-

25 Vom Sinn verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, S. 16; s. a. Nationalstaat und Verfassungsstaat, Vorwort. 26 Wesen und Inhalt der politischen Verfassung, S. 54. 27 Vgl. Huber: Bewahrung und Wandlung, a. a. O., Vorwort, S. 7f.. 28 Vom Sinn verfassungsgeschichtlicher Forschung und Lehre, S. llf.. 29 Ebenda, S. 12. 30 An anderer Stelle resümiert Huber: „Verfassungsgeschichte ist Geschichte der Verfassungswirklichkeit"; vgl.: Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte", Bd. 3, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1966, Vorwort, S. V.

4. Die „ Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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hige Kompetenz erreicht.31 Der universalistische, überpositive Verfassungsbegriff Hubers verstellt diese Sichtweise zugunsten einer ebenso ganzheitlichen verfassungstheoretisch vorgeprägten Strategie auf der Suche nach bewahrenden und überdauernden Verfassungstraditionen.

b) Überdauernde Denkstrukturen des Konstitutionalismusbildes Das Konstitutionalismusbild Hubers ist über den Verfassungsumbruch von 1945/49 hinaus methodischen und inhaltlichen Veränderungen unterworfen, die sich im übrigen an der Kritik und Abgrenzung zu Carl Schmitt orientieren. Das Konstitutionalismusverständnis des neunzehnten Jahrhunderts wird bei Huber durch die methodisch-politische Monographie „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" (1935), entscheidend aber auch durch die Schrift „Verfassungskrisen des Zweiten Reichs" (1940) bestimmt, die sich im wesentlichen an dem bereits 1934 publizierten Schmittschen Werk „Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches" orientiert. Dennoch geht Huber über Schmitt hinaus und widerspricht dessen These, daß der Konstitutionalismus nur ein Zwischenzustand zum Parlamentarismus in Deutschland gewesen ist.32 Insbesondere Schmitts These, „Die Zeit der Systeme ist vorbei" 33 , eine Aussage, mit der Schmitt das positivistische Verfassungsdenken des Juristischen" neunzehnten Jahrhunderts zu verbrämen sucht, dem der Widerspruch von Begriff und Wirklichkeit zugrunde liege und der nur durch die seinsmäßigen Elemente der konkreten Ordnung zu überwinden sei, setzt Huber sein „Verfassungsbild" des Konstitutionalismus als politische Form der Königsherrschaft entgegen und nimmt damit bereits in der nationalsozialistischen Schaffensphase trotz der methodischen Verschiebungen nach 1949 konzeptionelle Versatzstücke des Konstitutionalismusstreits der Nachkriegszeit vorweg.34 Das soll im folgenden detaillierter zur Sprache kommen. Die dem Konstitutionalismus wesenseigene Form verteidigt Huber geradezu in Frontstellung zu Carl Schmitt, ohne dabei methodologisch von der „konkret-geschichtlichen Verfassungsbetrachtung",35 die thematisch und forschungsstrategisch bereits bei Carl Schmitt vorgegeben ist, 36 abzuweichen: „Die konkret-geschichtliche Verfassungsbetrachtung versandet nicht in einem soziologischen Positivismus, sondern strebt nach dem verborgenen inneren Gesetz, das die lebendige Wirklichkeit bewegt und das der Kern des

31 Grimm, Dieter: Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des modernen Konstitutionalismus, in ders.: Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt/M. 1991, S. 37-66 (45ff.). 32 Vgl. Schmitt: Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Hamburg 1934, S. 29f. 33 Schmitt: Begriff des Politischen, a. a. O., S. 17; ders.: Verfassungslehre, a. a. O., S. 10; s. a. Mehring, Reinhard: Pathetisches Denken, a. a. O., S. 21. 34 Auf diesen Gegensatz zwischen Huber und Schmitt weist Ernst-Wolfgang Böckenforde hin: Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, a. a. O., S. 71f.. 35 Die verfassungsgestaltende Kraft der Wehrordnung, in: Heer und Staat, a. a. O., S. 18f.. 36 Schmitt: Über die neuen Aufgaben der Verfassungsgeschichte (1936), In: Positionen und Begriffe, a. a. O., S. 229-234.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Verfassungsrechts ist." 37 Demnach bleiben die wirklichkeitswissenschaftlichen Inhalte des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" und der begriffliche Fundus des bereits in „Wesen und Inhalt der politischen Verfassung" thematisierten Verfassungsbegriffs weiterhin für die nationalsozialistische Verfassungshistoriographie konstitutiv, selbst die Zweitauflage der Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat" (1943) und das „Verfassungsrecht des Großdeutschen Reiches" (1937) zeugen noch davon. Für beide Verfassungsdenker sind „Konstitutionen" geschriebene Verfassungen des liberal-bürgerlichen neunzehnten Jahrhunderts und im Vergleich zur „völkischen Verfassung" ein „bürgerlich-legitimistischer Kompromiß." 38 „Konstitutionell" heißt demnach „verfassungsmäßig", 39 der „Verfassungsstaat" ist nur im negativen Sinne „politische Verfassung", weil er „nach Abwehr und Begrenzung des Politischen" 40 strebe: „Die Verfassung ist für den Liberalismus nicht Form und Ordnung, sondern sie ist eine Waffe im Kampf des individualistischen Bürgertums gegen den Staat, sie ist eine Sicherungsnorm und keine wirkliche Einheit." 41 Wenn sich auch das völkische Verfassungsdenken der „Verfassungswirklichkeit" als ungeschriebenem, gestaltendem Prinzip unterwirft und die formelle Verfassung als nichtig erkennt, 42 so unterscheiden sich Huber und Schmitt in der immanenten Bewertung des deutschen Konstitutionalismus im neunzehnten Jahrhundert doch entschieden. Carl Schmitts epochales Verfassungsdenken ist nur auf die Abfolge der Gesamtverfassungen gerichtet, ähnlich der Abfolge der drei Arten rechtswissenschaftlichen Denkens, die diesen Gesamtverfassungen zuzuordnen sind. Die preußische Verfassung von 1850 ist dann nur noch ein Vorstadium auf dem Weg zur parlamentarischen Regierung, der Konstitutionalismus als ,,Prinzip ohne Form" ein Zwischenstadium auf dem Weg zum Parlamentarismus. 43 Das Freund-Feind-Denken erfolgt nach statischen Kategorien. Huber argumentiert im Vergleich zu Schmitt „dynamischer" und gesteht jeder Verfassung - auch dem Konstitutionalismus - zu, „als lebendige Ordnung kein abgeschlossener und unverändert in sich ruhender status" zu sein, denn ,jede Verfassung muß sich in der stetigen Selbsterneuerung ihrer Kräfte und der unaufhörlichen Selbstverwirklichung ihres Wesens dauernd bewähren." 44 Diese Dynamik der Verfassungsgestaltung und Verfassungsentwicklung wird auch konsequent auf den Konstitutionalismus angewandt. Folglich wird das Konstitutionalismusbild Carl Schmitts im Sinne der These des Durchgangstadiums in seiner Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat" nicht rezipiert. Huber führt den von Schmitt konstatierten Gegensatz von soldatischer und bürgerlicher Haltung im Rahmen seiner existentiellen Verfassungstheorie inhaltlich nicht aus. 45 Der dem „politischen Verfassungsbegriff" immanente Verzicht auf Verfassungstext und eine ihn begleitende feste begriffsnotwendige Form bestimmt die Interpretation des „konstitutionellen Systems" der preußischen Verfassung von 1850. Huber sucht die 37 38 39 40 41 42 43

Die verfassungsgestaltende Kraft der Wehrordnung, a. a. O.. Schmitt: Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, S. 12. Huber: Vom Sinn der Verfassung, S. 7. Ebenda, S. 9; s. a. Schmitt: Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reichs, S. 14, 17, 19. Vom Sinn der Verfassung, S. 10. Heer und Staat, S. 193. Schmitt: Über die neuen Aufgaben der Verfassungsgeschichte, S. 23 lf., 233f.; Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, S. 3Of.. 44 Huber: Heer und Staat, a. a. O., S. 194. 45 Ebenda, S. 186f, 226ff.

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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„Verfassungsentscheidung" außerhalb der positivrechtlichen Normen, weil er die geschriebene Verfassung als „dilatorischen Kompromiß" ablehnt: „Aber die wahre politische Grundordnung, die durch dieses Normensystem mehr verdeckt als dokumentiert wird, hatte einen sehr eindeutigen politischen Inhalt: Das Prinzip der Verfassung war die Königsherrschaft." 46 Für die Bewertung des konstitutionellen Aspekts ist der wehrgeschichtliche Aspekt der Angelpunkt, so daß das monarchische Prinzip auch im „Ernstfall" gegen die „liberaldemokratischen Bewegungen" und die Parlamentarisierung zu sichern ist. Der Grundsatz der Königsherrschaft stehe über allen geschriebenen Regeln, die Unabhängigkeit und Fortgeltung der Königsherrschaft könne nur die militärische Kommandogewalt des Königs sein.47 In der Anerkennung und Sicherung des unabhängigen Grundsatzes der Königsherrschaft durch Bismarcks Vermittlungsversuche bei der budgetrechtlichen Indemnität im preußischen Verfassungskonflikt sieht Huber die Fortdauer der preußischen Verfassung von 1850 garantiert und weist zugleich die verfassungshistorische Interpretation der Indemintätsvorlage durch Carl Schmitt als „der wirklichen Sachlage nicht gerecht" 48 zurück. Nicht die Beseitigung der Verfassung mit ihren parlamentarischen Einrichtungen, sondern die Verständigungsversuche von König und Kanzler zur Erhaltung der Verfassung entsprächen der verfassungsrechtlichen Situation um 1862. Huber ist also um die immanente Verständigung des Verfassungskonflikts bemüht und stellt Schmitts Konstitutionalismusinterpretation als Durchgangsstadium zum Parlamentarismus in Frage: „Das Staatsrecht hörte hier nicht auf, sondern im Versagen einer in der geschriebenen Verfassung geschaffenen Institution bewährte sich die allen Einrichtungen übergeordnete lebendige Verfassung, die in der Königsherrschaft ihre tragende und gestaltende Kraft besaß."49 Im Gegensatz zu Schmitt verteidigt Huber das Vorgehen der Regierung im Rahmen des „Notrechts der Regierung" als verfassungsmäßig. Die Annahme der Indemnitätsvorlage am 3. September 1866 durch das Abgeordentenhaus habe gezeigt, „in welchem Maße es seine Niederlage im Verfassungsstreit anzuerkennen bereit war." 50 Der Verfassungskonflikt endete nach Hubers Interpretation mit einer „Entscheidung",51 die „Lückentheorie" blieb anerkannt und die Regierungstätigkeit war verfassungskonform. Somit wird die Königsherrschaft als politische Form des monarchischen Konstitutionalis46 Ebenda, S. 188. 47 Ebenda, S. 196f.. 48 Ebenda, S. 227, 234; vgl. auch Schmitt: Staatsgefuge und Zusammenbrach des Zweiten Reiches, S. lOf. Huber widerlegt die Argumentation Schmitts, daß es nicht darauf ankomme, wie der König und Bismarck die Verfassungsmäßigkeit der Wehrvorlage legitimierten. Während die Regierung ihren Rechtsstandpunkt der nachträglichen Bewilligung der Budgetvorlage nicht aufgegeben habe, habe das Parlament mit der Weigerung der nachträglichen Bewilligung seinen Rechtsstandpunkt preisgegeben. Das sei der Schlüssel für die verfassungspolitische Bewertung des Verfassungskonflikts. Huber tritt auch der Schmittschen Indienstnahme der im preußischen Staatsrecht herrschenden „Lückentheorie" entgegen, daß das Eingeständnis der Verfassungswidrigkeit der Regierungstätigkeit ein Aufgeben der „Lückentheorie" nach sich ziehe. Die „Lückentheorie", so Huber, behaupte nicht, daß die Regierung beim Scheitern des Budgets eine formellgesetzliche Grundlage für die Ausgaben zu schaffen habe, sondern ohne „gesetzliche Grundlage" die Ausgaben zu leisten befugt sei; vgl. Heer und Staat, S. 234f.. 49 Ebenda, S. 226. 50 Ebenda, S. 235. 51 Dagegen: Schmitt: Staatsgefuge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, S. 11.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

mus dem Schmittschen Dualismus von Militär und Beamtenstaat entgegengestellt und sein Konstitutionalismusbild in der mit „Positionen und Begriffe" betitelten Auseinandersetzumg mit Carl Schmitt 1941 prägnant zusammengefaßt. „Ich habe in anderem Zusammenhang darzulegen versucht, daß der 'Konstitutionalismus' wie er in Preußen seit 1848/50 und im Bismarckschen Reich verwirklicht war, sich von der parlamentarischen Monarchie dadurch unterschied, daß in ihm das Prinzip der „Königsherrschaft" trotz der verfassungsmäßigen Zugeständnisse an Liberalismus und Demokratie gewahrt blieb. Gewiß war die Königsherrschaft eine „neutrale Gewalt", aber sie war von jener positiven Art der Neutralität, die in sich die Möglichkeit letzter Entscheidung durch den König bewahrte und damit die politische Einheit und Ganzheit sicherte. Dieses Prinzip der Königsherrschaft war allerdings nicht in der„Konstitution" enthalten, sondern fand sich gerade in den ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalten, die gegenüber dem normalen verfassungsmäßigen Verfahren dem König (und Kaiser) das letzte Entscheidungsrecht sicherten. Diese existentiellen Vorbehalte gegenüber der Konstitution' begründen den wesenhaften Unterschied, der den Konstitutionalismus vom Parlamentarismus trennt." 52 Die begriffliche und inhaltliche Kontinuität der verfassungshistorischen Denkhaltung Hubers manifestiert sich in der juristischen und verfassungspolitischen Begriffsoperation der „Einheit der Verfassung" als substanzhafter Eigenschaft von Staat und Verfassung, die sich in der etatistischen Auffassung der Subsumtion alles Gesellschaftlichen unter den Staat bündelt. 53 Hubers Denkstandort eines juristischen Ordnungsmodells, das in der Verfassungstheorie und Verfassungshistoriographie fortwirkt, ist ganz und gar „Schmittianisch" in der geschichtsphilosophisch fundierten existentiellen Verfassung als der politischen Gesamt-entscheidung des Volkes.54 Die dem gesellschaftlichen Juristenbild immanente Schlichtungsfunktion, die den Gesellschaftskonsens über Verfassungshomogenität rechtsstaatlich zu verwirklichen sucht, muß bei dem Schmittianischen Ordnungsbild jedoch sachleer erscheinen, 55 ist in der Verfassungshistoriographie als politisches Geschichtsbild aber vielfach verwendbar. Huber bereinigt den Schmittschen Verfassungsbegriflf seiner dezisionistischen, „Zeitgeist"-bezogenen Elemente, um auch überzeitliche Formprinzipien der Verfassung aufzuzeigen. Der „Verfassungskampf' als existentielles und substantielles Moment der Verfassungstheorie mag den Umstand verschleiern, daß der Kompromißcharakter als Element der Verfassungsform das Interesse Hubers weckt. Zur politisch-ideologischen Legitimierung der verfassungshistorischen These des deutschen Konstitutionalismus als politische Form verwendet Huber die Formprinzipien „Parlamentarismus" und „Konstitutionalismus" als Typusbegriffe nach dem Mehr-oderweniger-Prinzip mit konstruierten Begrifflichkeiten, die zuweilen eine idealistische Übersteigerung der Realität bedeuten, 56 die aber mit der nach Freund-Feind-Kategorien wertenden und politisierenden „konkret-geschichtlichen Verfassungsbetrachtung" übereinstimmt, dem Quellenbefund nicht zu entsprechen braucht und letztendlich das strategische 52 Huber: „Positionen und Begriffe". Eine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, a. a. O., S. 19. 53 Zur „Einheit der Verfassung" als einer ideologischen Formel in der Rechtswissenschaft: Müller, Friedrich: Die Einheit der Verfassung. Elemente einer Verfassungstheorie ΙΠ, Berlin 1979, S. 9, 145f.. 54 Nach Schmitt: Verfassungslehre, a. a. O., S. 3f., 2Iff; s. a.: Müller: Einheit der Verfassung, a. a. O., S. 148f.. 55 Müller, a. a. O., S. 148. 56 Boldt, Hans: Einfuhrung in die Verfassungsgeschichte, S. 30f..

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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Ziel hat, den Konstitutionalismus des neunzehnten Jahrhunderts nicht als Durchgangsstation zum Parlamentarismus zu beschreiben. Huber beurteilt seine Argumentation selbst als „kühn", das „System der existentiellen Vorbehalte" gegenüber der geschriebenen Verfassung als „Konstitutionalismus" zu bezeichnen, da sich die Verfassungwirklichkeit hier nicht in der Verfassungsnorm schöpft, sondern ihre entscheidende Kraft außerhalb der Verfassung finde. Doch aus der bilanzierenden Sicht des Verfassungshistorikers, der die demokratischen Kräfte des neunzehnten Jahrhunderts zu verbrämen sucht, kommt Huber zu der Erkenntnis, daß nicht nach dem Wortsinn der mit Parlamentarismus gleichzusetzende „echte" Konstitutionalismus das Entscheidende ist, sondern „eine Ordnung, in der die vorkonstitutionellen Kräfte des Staates, Königtum, Heer und Bürokratie, die entscheidenden Positionen für sich bewahren und den parteienstaatlichen Pluralismus in einer untergeordneten Stellung halten."57 Aus der bilanzierenden Sicht widerspricht Huber dem Einwand, der Konstitutionalismus sei eine Zwischenlösung. „Konstitutionell", d.h. mit den verfassungsbewahrenden Kräften Königtum, Heer und Bürokratie, sei in Preußen-Deutschland zwischen 1848 und 1918 regiert worden, während der Parlamentarismus, „eine für Deutschland unmögliche Verfassungsform",58 erst mit den Anfangen der Weimarer Republik datiert wird. Huber resümiert: „Der Konstitutionalismus war in Deutschland in der Zeit Bismarcks also durch 30 Jahre hin, eine lebendige Wirklichkeit und eine tragfahige, leistungsstarke politische Form; echten Parlamentarismus aber hat es in Deutschland nie gegeben. [. . .] Doch bleibt es wichtig, daß nach dem kurzen Zwischenspiel eines funktionsunfähigen Parlamentarismus die alten Kräfte der Staatlichkeit (Heer und Bürokratie) auf die existentiellen Vorbehalte zurückgriffen, die das Wesen des Konstitutionalismus bestimmt und das Absinken in den parlamentarischen und pluralistischen Parteienstaat verhindert hatten. Dieser Vorgang erwies, daß der Konstitutionalismus in seinem besonderen, dem westeuropäischen Parlamentarismus entgegengesetzten „deutschen Stil" die adäquate Form des „Verfassungsstaates" in Deutschland war und auch in dieser Spätzeit noch eine stärkere innere Kraft in sich trug als der Parlamentarismus, der in Deutschland niemals Wurzeln geschlagen hat."59 Interessanterweise tritt in dieser verfassungstheoretischen Argumentation das ideologische Moment der Formlosigkeit des bürgerlichen Verfassungsstaates, bedingt durch die fehlende Dezision in dem Nebeneinander von Nationalismus, Liberalismus und Demokratie, zurück.60 Ganz im Gegenteil nimmt Huber in antiparlamentarischer Manier einen auf „existentiellen Vorbehalt" fußenden „Konstitutionalismus" hin, so daß die verfassungshistorische Deutung des Konstitutionalismus als duales Nebeneinander von Krone und Parlament im Sinne einer „Mischverfassung" ohnehin nicht Argumentationskriterium ist. Die „Mischverfassung" fällt auch bei Carl Schmitts Verfassungsbegriff als „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit" aus dem Begriffsraster heraus und ist bei Huber auch nach 1957 nicht Kriterium der Verfassungsform.61 57 58 59 60 61

Huber: Positionen und Begriffe, a. a. O., S. 20. Ebenda. Ebenda, S. 20f.. Vgl. auch: Vom Sinn der Verfassung, S. 12. Schefold, Dian: Verfassung als Kompromiß?, a. a. O., S. 147f.. Auch in der Bewertung des Konstitutionalismus in der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" spricht Huber nicht

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

Die politisch-staatsrechtliche Begriffsoperation des „existentiellen Vorbehalts", 62 als überpositives Notrecht der Regierung konstruiert, ist Huber eine Legitimationsreserve zum Schutz der materiellen Verfassung. Dabei wird die verfassungsrechtliche Perspektive mit verfassungstheoretischen Argumenten verbunden, die zu einer anachronistischen Interpretation des Konstitutionalismus führen. Die notrechtliche wie verfassungstheoretische Kategorie des „existentiellen Vorbehalts" führt Huber ins Feld, um damit die „Einheit der Verfassung" und ihre „Form" über die Kommandogewalt des Königs herzuleiten. Viele argumentative Versatzstücke aus ,,Heer und Staat" fuhrt Huber in dem nach wie vor konstruierten Verfassungsmodell des deutschen Konstitutionalismus als eigenständige Form in dem Nachkriegswerk der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" fort und beweist damit trotz der nun akzentuierten „historisch-soziologischen Methode" der Verfassungsgeschichtsschreibung verfassungstheoretische und argumentative Kontinuität. Die komplexen Verfassungsprobleme des neunzehnten Jahrhunderts werden im allgemeinen als nationale, konstitutionelle und sozial-gesellschaftliche, aber wechselseitige Beziehungen aufgefaßt. 63 Huber interpretiert das konstitutionelle Problem als nationales, die Identität der Verfassung betreffendes Element. Auch im dritten Band der Verfassungsgeschichte wird die Kritik am Konstitutionalismus als Übergangsform und als „dilatorischer Kompromiß" zwischen Monarchie und Volkssouveränität zurückgewiesen. 64 Huber entscheidet sich bei den beiden Gewalten „Königtum" und „Volksvertretung", die „nicht in absoluter Koordination" stünden, zugunsten des monarchischen Prinzips. Es sei nicht zur wirklichen Gleichordnung beider Gewalten gekommen. ,JDas Königtum blieb vielmehr die übergeordnete Kraft, die die Einheit des Staates repräsentierte und bewahrte." 65 Den Wesensunterschied von Konstitutionalismus und Parlamentarismus bewertet Huber nachdrücklich mit traditionalistischer Argumentation. Das preußische

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von einer „Mischverfassung", obwohl die Fähigkeit der koordinierten Verfassungsfaktoren (Krone, Regierung, Parlament) zum Kompromiß auf eine gemischte Verfassungsform schließen läßt. Die dialektische Synthese verhindert offenbar in Hubers Verfassungstheorie derartige Gedanken, obwohl „die eigentümliche Verbindung konkurrierender politischer Formelemente, Prinzipien und Kräfte zu einer gegliederten und gefugten Einheit" (Verfassungsgeschichte, Bd. 5, S. 533) aus dem „Funktionszusammenhang" der Verfassung derartige Gedanken zuließe; s. a. Huber: Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 200f.. Zur Begriffskontinuität: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 14, 16-18, 25£, 343-348. In der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" rekurriert Huber als wissenschaftliche Quelle des „existentiellen Vorbehalts" auf Carl Schmitt: Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, a. a. O., S. 600. Diese Angabe ist mißverständlich, weil Schmitt in der Darstellung der rechtslogischen Struktur der verschiedenen Arten der Vorbehalte den „existentiellen" nicht erwähnt. Der existentielle Vorbehalt bei Huber impliziert die These Carl Schmitts, daß die Verfassimg Vorrang vor dem Verfassungsgesetz hat. Dahinter verbirgt sich strategisch der Schutz der materiellen Verfassung zur Erhaltung der postulierten „Form". Zur Kritik an der BegrifFsoperation auch Boldt, Hans: Rez. „Emst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Stuttgart 1957-1984", a. a. O., S. 265f.. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt/M. 1990, S. 248-262 (248ff). Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 10f.. Ebenda, S. 12.

4. Die „ Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 "

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Königtum habe nach der Verfassung von 1850 mit dem „Regime der Vorbehalte", der Verfügung über die Exekutivgewalt, auswärtige Gewalt und Kommandogewalt, seine Bestimmungsmacht gegenüber dem Parlament ausgebaut: „[...] die staatsbestimmenden und staatstragenden Institutionen der vorkonstitutionellen Ordnung bewahrten auch im konstitutionellen System gegenüber der neu-aufsteigenden bürgerlichen Welt ihren überlieferten Rang; sie behaupteten gegenüber den parlamentarisch-parteienstaatlichen Kräften das Erstgeburtsrecht." 66 Das „System der existentiellen Vorbehalte", zugunsten der Exekutive ,/egeldurchbrechend" in Notsituation angewandt, 67 gewährleiste die Königsherrschaft in der konstitutionellen Monarchie und sei „geradezu das Kriterium des konstitutionellen Systems."68 Sieht man von Hubers staatsrechtlich-politischen Bewertung des preußischen Verfassungskonfliktes als Präzedenzfall der Dualität des deutschen Konstitutionalismus einmal ab, so hat insbesondere die These Widerspruch gefunden, daß das Wesen des Konstitutionalismus in seiner Kompromißstruktur, „in der Verbindung des monarchischen Prinzip mit dem Repräsentativprinzip, in der Aufhebung des Gegensatzes zwischen diesen beiden Strukturprinzipien in einem sie verbindenden Funktionszusammenhang" 69 bestehe. Einerseits widerspricht sich Huber selbst mit dieser These, zumal das „monarchische Prinzip" gegenüber der „Volksvertretung" formbildende Funktion hat, zum anderen läßt sich mit der idealisierten Hegeischen Dialektik keine verfassungshistorische Analyse von Verfassungsformen als Verfassungstypologie bestreiten. 70 Ernst-Wolfgang Böckenförde hat in Widerspruch zu Huber die verschiedenen Bauelemente der konstitutionellen Verfassung untersucht und hält das Vorhandensein eines einheitlichen Formprinzips für fraglich. Böckenförde systematisiert, Huber zustimmend, die Wesensmerkmale des Konstitutionalismus im „monarchischen Prinzip" nach Art. 57 der Wiener Schlußakte, die - wenngleich oktroyierte - Verfassung von 1850, die Organisation der gesetzgebenden Gewalt, Regierung und Verwaltung als Reservat der Monarchie und das Heer als Königsheer. 71 Die konstitutionelle Monarchie hatte dementsprechend ihre Grundlage in einer rechtlich anerkannten monarchischen Herrschaft, legitimiert im monarchischen Prinzip als eine wirkliche Herrschaft. Wenn hier die politische Form der konstitutionellen Monarchie noch eindeutig erscheint, so widerlegt Böckenförde Huber bei der Legitimität der konstitutionellen Monarchie und führt das Schmittsche Argument der von Huber 1938 „widerlegten" Übergangsform des Konstitutionalismus an. Zur Widerlegung, 66 Ebenda, S. 14. 67 Ebenda, S. 16; vgl. zum existentiellen Vorbehalt der Kommandogewalt des Heeres, S. 76ff.; deckungsgleich: Heer und Staat, S. 196f.. 68 Ebenda, S. 17. Gegen diesen notrechtlichen Aspekt sieht Böckenforde die „Konstitutionalität" der konstitutionellen Monarchie gerade in der Einbindung staatlichen Handelns in gesetzliche Ordnung, festgelegte Formen, geschriebene Verfahren und Kontrollen; vgl. Böckenforde: Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, a. a. O., S. 254. 69 Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, S. 20. 70 Für Hubers Argument der eigenen politischen Form entscheidet sich Dian Schefold in der sehr systematischen und deutlichen Zusammenfassung der Positionen zum preußischen Verfassungskonflikt, gesteht aber ein, daß der Angelpunkt der Verfassungsform in der Diskrepanz zwischen geschriebener Verfassung und ungeschriebenem Vorbehalt liegt; Schefold: Verfassung als Kompromiß?, a. a. O., S. 154. 71 Böckenförde, a. a. O., S. 73-82.

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Die Bundesrepublik: die Lehren aus der Weimarer Verfassung

daß das monarchische Prinzip Legitimitätsgrundlage habe, führt Böckenförde als Gewährsleute Otto Brunner und Lorenz von Stein an. 72 Die geistige Funktion des monarchischen Prinzips, das Gottesgnadentum, sei in der Aufzehrung durch das demokratische Prinzip leergelaufen, folglich könne es noch als wirksames geschichtliches Faktum, aber nicht mehr als tragfähiges politisches Formprinzip gesehen werden. Auch das Hubersche Argument der Legitimität aus geschichtlicher Kontinuität widerlegt Böckenforde mit der geistigen Gebundenheit des monarchischen Prinzips als das alte Reich, da der Bruch in der Geschichte gegen seine Kontinuität spreche: „So fehlte der deutschen konstitutionellen Monarchie jene geschichtliche Legitimität, die als eigene politische Formkraft monarchisches und demokratisches Prinzip hätte relativieren und einer höheren Einheit hätte einfügen können. Damit zeigt sich noch einmal, daß die Verbindung von monarchischem und demokratisch-repräsentativem Prinzip in einem sogenanten konstitutionellen System keine eigene politische Form begründet, sondern prinzipiell betrachtet, nur den Übergang zur demokratischen Ordnung der Freiheit und Gleichheit regeln konnte." 73 Auch Hans Boldt hat in einer historischen Langzeitperspektive nachgewiesen, daß die für unabdingbar gehaltenen Merkmale eines monarchisch-konstitutionellen Systems weder für die preußische Verfassung von 1850, noch für die Reichsverfassung 1870/71 galten. Die preußische Verfassung kannte keinen Staatsgewaltsvorbehalt für den König im „monarchischen Prinzip" nach Art. 57 WSA, sondern ging von der Gleichberechtigung von Krone und Parlament aus. Auch im Deutschen Reich seien die Souveränitäts- und Regierungsverhältnisse in ein absichtsvolles Dunkel gehüllt. 74 Huber greift in einer Erwiderung diese Langzeitentwicklung der konstitutionellen Monarchie nicht auf und beantwortet die These der leerlaufenden geistigen Funktion des monarchischen Prinzips mit einem Historismusvorwurf an Böckenförde, der „in der Frage nach dem Realitätsgehalt eines altüberlieferten Legitimationsprinzips"75 besteht. Nach den definitorischen Grenzen des überpositiven Verfassungsbegriffs fällt eine Beurteilung der Verwirklichung eines Wertes oder einer Idee in der „Verfassungswirklichkeit" offensichtlich nicht in das Raster von Hubers „verfassungsgeschichtlich-soziologischer" Methode. „Überpositive Wertprinzipien" gelten naturrechtlich als historische Schicksalskategorien und entziehen sich der rationalen Kontrolle. Huber macht das Legitimitätsprinzip einer Verfassung vielmehr an dem Legitimitätsbewußtsein der Epoche fest, „das auf der Anerkennung der rechtfertigenden Kraft der selbsterrungenen, der selbstgestalteten, der sich in ständiger Bewährung und Fortbildung erneuernden Ordnung besteht." 76 Die verfassungstypologisch geforderte Langzeitperspektive zur Entwicklung des monarchischen Prinzips als Legitimationsprinzip wird zeitimmanent mit der Geltung „echter Legitimität" im „gegenwärtigen Bewußtsein"77 erklärt und das „Legitimitätsprinzip" über den Sinn der geschichtlich überlieferten Idee hinaus auf die „Fortdauer ihres Herrschaftsanteils" im 72 73 74 75

Ebenda, S. 89f.. Ebenda, S. 91f.. Boldt: Deutscher Konstitutionalismus und Bismarckreich, a. a. O., S. 124ff.. Huber: Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 204. Dieser Historismusvorwurf ist in der überarbeiteten Fassimg des Aufsatzes „Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung" von 1987 nicht mehr enthalten. 76 Ebenda. 77 Ebenda.

4. Die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789"

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Verfassungssystem" im Ringen um „Selbstverwirklichung" erweitert.78 Dieses Argument der Hegeischen Bewußtseinsverfassung hat mehr verfassungstheoretischen als verfassungshistorischen Wert, denn es ist eine Denkkategorie von Hubers existentieller Verfassungstheorie. Es kann Huber aber beigepflichtet werden, daß die Abwesenheit eines einseitigen monarchischen Formprinzips die Frage der Eigenständigkeit der konstitutionellen Monarchie nicht unbedingt berühren muß, denn es handelt sich um die Legitimation des Systems. Die Intention Böckenfordes, die Legitimation auf das monarchische Prinzip zu legen, vermag verkürzt erscheinen.79 Der Widerspruch in Hubers verfassungshistorischer Argumentation, einerseits den Vorrang der Exekutive auf Verfassungsinterpretation, zumeist mit existentiellen Vorbehalten, zum Angelpunkt des Konstitutionalismus zu lancieren, andererseits die eigentümliche deutsche Form und die Funktionsfahigkeit des Konstitutionalismus, den Dualismus von Krone und Parlament in einer höheren Einheit als koordinierte Verfassungsfaktoren mit der Fähigkeit zum Kompromiß zu interpretieren80 und der Reichsverfassung von 1870/71 als „vereinbarte Verfassung" eigenständige Form zuzubilligen,81 vermag nur aus der dialektischen Logik der Huberschen Verfassungstheorie zu überzeugen: „Nicht nur der Konstitutionalismus, sondern jedes freiheitliche Verfassungssystem beruht auf der Voraussetzung, daß es auch im schroffen Gegensatz der Ideen und Interessen ein gemeinsames Höheres als eine verbindende Macht gibt."82 Der juristische und zeitgenössisch-historische Nachweis des Formarguments muß als gescheitert angesehen werden, zumal Hubers konservativem Verfassungsdenken in der Dialektik von Zeitlichkeit und Überzeitlichkeit der überdauernden Verfassungstraditionen mit rationalen Argumenten nicht beizukommen ist. 83

78 Ebenda, S. 205. 79 So Boldt: Deutsche Staatslehre im Vormärz, a. a. O., S. 264. 80 Huber: Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, a. a. O., S. 199. 81 Ebenda, S. 176f.; zusammenfassend: Mommsen, Wolfgang J.: Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 als dilatorischer Herrschaftskompromiß, in ders.: Der autoritäre Nationalstaat. Verfassung, Gesellschaft und Kultur im deutschen Kaiserreich, Frankfurt/M. 1990, S. 39-65 (42ff.). Mommsen betont Hubers Sonderstellung in der Einordnimg der Reichsverfassung in die Traditional des deutschen Konstitutionalismus. 82 Ebenda, S. 201. 83 Zum preußischen Verfassungskonflikt und der Auseinandersetzung mit Emst Rudolf Huber: Boldt: Verfassungskonflikt und Verfassungshistorie, a. a. O., S. 75flf..

KAPITEL 7

Wissenssoziologisches Resümee

Der Wissenssoziologie ist auch die Aufgabe zugeschrieben, den Entstehungs-, Wirkungsund Zerfallsbedingungen wissenschaftlichen Wissens nachzugehen.1 In der Langzeitperspektive sind damit die Kontinuitäten und Diskontinuitäten des Verfassungsdenkens von Ernst Rudolf Huber im Hinblick auf die Gewißheitsgrade der deutschen Staatsrechtswissenschaft von der Weimarer Republik bis zur Bundesrepublik im Kontext von Zeiterfahrung und Theoriebildung herauszuarbeiten. Das konservative Staatsdenken ist für die drei Verfassungssysteme verfassungsimmanent in der „Doppelstruktur"2 der wissenssoziologischen Zurechnungsfunktion analysiert worden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß konkretes wissenschaftliches Wissen in eine bestimmte historische Konstellation eingebunden ist und nur aus dieser adäquat verstehbar ist. Demgegenüber wird im wissenssoziologischen Resümee die Kontinuitätslinie des staatspolitischen Konservatismus verfassungsübergreifend bilanziert. Wird der Denkweg Hubers als Kontinuitätslinie3 gesehen, so kann die Ununterbrochenheit und Fortdauer, die Stetigkeit und Gleichförmigkeit etatistischer Werthaltungen in seinem Werk über die Spannungen in den formalen und inhaltlichen Elementen des Verfassungsdenkens, die aus den Systembrüchen resultieren, Auskunft geben. In der abschließenden Bewertung und Bilanz des Gesamtwerkes von Ernst Rudolf Huber sind die Anpassungen und Resistenzen, die konservativen Bewußtseinsstrukturen und Zeiterfahrungen über die Verfassungszäsuren von 1933 und 1945 hinaus aufzugreifen. Auf diese Weise soll wissenssoziologisch herausgearbeitet werden, inwieweit das Verfassungsdenken zeitliche und überzeitliche Komponenten beinhaltet. Die Frage nach der Gebundenheit des verfassungsrechtlichen und staatspolitischen Denkens an den sozialen Standort hat zum Ziel, gesellschaftlich bedingtes „Interesse" in seiner Beschaffenheit auf das Denken auszumachen.4 Das Engagiertsein an bestimmten geistigen Gehalten, im konkreten Fall bei Huber das Ringen um Verfassung als der geeinten Volksordnung, spiegelt eine umfassende Ausdrucksbeziehung zwischen geistigen Gehalten und dem sozialen Standort wider. „Interesse" ist dabei auf die allgemeineren Kategorien von „Engagement" und „Distanzierung" bezogen, wodurch der Denkstil oder Denkstandort zu ermitteln ist. „Engagement" als die emotionale Betroffenheit und „Distanzierung" als die Autonomie des Denkens von sozialen und politischen Bezügen sind bestimmte menschli1 2 3

4

Mannheim, Karl: Ideologie und Utopie, a. a. O., S. 95f.. Mannheim: Konservatismus, a. a. O., S. 57. Zum Kontinuitätsbegriff und seiner juristischen Problematik: Fiedler, Wilfried: Staatskontinuität und Veifassungsrechtsprechung. Zum Begriff der Kontinuität des deutschen Staatswesens unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, München 1970, S. 85f.. Mannheim: Probleme einer Soziologie des Wissens, a. a. O., S. 377f..

Wissenssoziologisches Resümee

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che Einstellungen zur materiellen Umgebung. Ihre Balance ist einem ständigen sozialen Wandel unterworfen. Grad und Form von Engagement und Distanzierung richten sich nach den Gesellschaftsformationen und bringen den Wandel in der Haltung des Wissenschaftlers zu den Wissensobjekten zum Ausdruck. Wandlungen in der Balance von „Engagement" und „Distanzierung" sind somit ein wichtiges Mittel der wissenssoziologischen Diagnose bei der Bestimmung von Strukturveränderungen der Orientierungssymbole des Wissens. Die Richtung des Wissens, sei es auf größere Distanzierung und Realitätskongruenz, sei es auf größeres Engagement und höheren Phantasiegehalt der Symbole, bekommt dadurch ihre Gestalt.5 Für die Beurteilung und Bewertung von Ideologien als geschlossenen Wissenssystemen ist das emotionale Engagement, mit dem an Glaubensüberzeugungen festgehalten wird, ein wichtiger Parameter für das Verständnis der Wertsetzungen und Antriebe dieser Glaubenssysteme.6 Der ständige Wandel der historischen Situation bewirkt das Aufkommen neuer Ideen und Vorstellungen, die nur im Zusammenhang mit diesem Wandel verständlich sind. Anpassungen von Ideen müssen sich dabei nicht zwangsläufig vollziehen, denn soziale Handlungen können aufgrund ihrer sozialen Position an überkommenen Wertvorstellungen festhalten, auch wenn die historische Situation tradierte Zeiteinstellungen und Lösungsvorschläge verändert. 7 Die Wandlungen des staatspolitischen Konservatismus offenbaren über die Verfassungsbrüche des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus einen beharrenden Ordnungskern konservativen Ordnungsdenkens trotz der fehlenden historischen und argumentativen Linearität, die den Konservatismus als positionale Ideologie in seiner historischen Argumentationsstruktur und teleologischen Strategie auszeichnet.8 Engagement und Distanzierung in Hubers Verfassungsdenken hängen unmittelbar mit dem konservativen Zeitbestimmen als sozialer Regulierungstätigkeit zusammen. Die Abhängigkeit des Zeitbestimmens von sozialen Erfordernissen geht einher mit der Spezialisierung sozialer Funktionen im Rahmen der Gesellschaftsformation.9 Das verfassungshistorisch orientierte Juristenleben Ernst Rudolf Hubers, das drei Verfassungssysteme wissenschaftlich überdauert hat, räumt dem Zeitfaktor zwangsläufig mit der Verarbeitung der Zeiterfahrung in der Theoriebildung als Ergänzung der Wirklichkeit einen gewichtigen Stellenwert ein. 10 Es dokumentiert, daß Zeitumstände und politische Lagen und zumindest die neuen Interpretationen alter Theorien als Antworten ausbilden und provozieren. 11 In diesem Sinne ist Wissenschaft sozial standortgebunden. So ist der rasche Verfassungswandel des zwanzigsten Jahrhunderts zu einem Berufsrisiko der deutschen Juristen geworden, 5 Elias, Norbert: Engagement und Distanzierung, S. 59f.; ders.: Über die Zeit, a. a. O., S. XLIf.. 6 Bühl, Walter L.: Die Ordnimg des Wissens, a. a. O., S. 219f.. Bühl macht den Unterschied zwischen Ideologie und Dogma an dem Grad des Engagements fest. Eine vollwertige Ideologie könne nur als ein Glaubenssystem mit einem geschlossenen kognitiven System und einem starken emotionalen Engagement bezeichnet werden, während ein Dogma emotionale Distanzierung mit einer großen kognitiven Offenheit verfolge. 7 Boudon, Raymond: Ideologie, a. a. O., S. 66. 8 Huntington, Samuel: Konservatismus als Ideologie, a. a. O., S. 103. 9 Elias: Über die Zeit, S. 100. 10 Schindler, Dietrich: Verfassungsrecht und soziale Struktur, a. a. O., S. 91f. 11 Gralher, Martin: Mitte - Mischimg - Mäßigung. Strukturen, Figuren, Bilder und Metaphern in der Politik und im politischen Denken, in: Haungs, Peter (Hrsg.): Res Publica. Studien zum Verfassungswesen. Dolf Stemberger zum 70. Geb., München 1977, S. 82-114 (82f.).

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wie generell der Zeitfaktor ein Kritierium der Bewährung und Stabilität von Verfassungen ist. Die Zeit hat beim ideologischen Denken eine bestimmbare soziale Orientierungs- und Regulierungsfunktion. Zeiterfahrung ist eine „soziale Beziehungsform" 12 , die historischkulturell geprägt, gesellschaftlich organisiert und biographisch überformt ist. Daher ist Zeit als sozialer Bezugsrahmen in Hubers Gesamtwerk mit den raschen Verfassungswandlungen im zwanzigsten Jahrhundert in Verbindung zu bringen. Die wichtige Rolle des Zeitfaktors in verfassungsrechtlichen wie staatspolitischen Fragen zeigt sich im Dualismus von Recht und Politik, im Spannungsverhältnis von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. Der materielle Verfassungswandel schlägt sich vor allem als gesellschaftlicher Veränderungsdruck in der Verfassungsinterpretation nieder. Wenn das Problem „Zeit" auch augenscheinlich juristisch nicht verarbeitet wird, so wird doch dem Zeitgeist und seinem Einfluß in den juristischen Auslegungsmethoden und der ordnungspolitisch motivierten Verfassungsinterpretation ein breites Einwirkungsfeld ermöglicht. 13 Im ideologischen Aspekt des Verfassungsdenkens liegt die Verarbeitung der Zeitproblematik verborgen. Verfassungstheorien unterscheiden sich im wesentlichen durch die Bewertung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem ihr eingeräumten Stellenwert. 14 Die Zeitproblematik entfaltet sich in Hubers Werk in zwei Momenten; zum einen die historische Dimension, 15 welche die Verfassung in der Zeit beläßt. Sie stellt die Verfassung als eine Wertordnung in die Abfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und verarbeitet den Zeitfaktor mit der historischen Rezeption von Inhalten und Formen überlieferter Verfassungstraditionen. Die historische Dimension gibt dabei mit der methodischen Bevorzugung von historischen Verfassungswerten dem Ordnungs- und Gestaltungsfaktor der Verfassung als „Wert" und „Inhalt" einen Vorrang. Die historische Dimension offenbart sich in Hubers Gesamtwerk vor allem in der wissenschaftlichen Funktion von Verfassungsgeschichte und der Anbindung der Verfassung an Tradition und Herkommen. 16 Die zweite Dimension der Verarbeitung des Zeitfaktors im Verfassungsdenken beinhaltet die Zeit in Verfassungsrecht und Verfassungstheorie im Sinne des Einflusses vom Zeitgeist auf die Zeit. Beide Dimensionen des Zeitdenkens sind sozial standortbestimmt. 17 So ist für die Beurteilung des Denkweges von Ernst Rudolf Hubers Werk und die darin zum Ausdruck kommende Kontinuität des staatspolitischen Konservatismus die Dialektik der Zeitdimensionen von entscheidender Bedeutung. Ideologien sind nichtssagend und undefinierbar, wenn ihr kognitiver und sozialorganisatorischer Rahmen unerkannt bleibt, innerhalb dessen sie ihren operativen Sinn haben. 18 12 Elias, Norbert: Über die Zeit, S. 43. 13 Zu dieser Problematik fundiert: Häberle, Peter: Zeit und Verfassung. Prolegomena zu einem „zeitgerechten" Verfassungsverständnis, in ders.: Verfassung als öffentlicher Prozeß. Materialien zu einer Verfassungstheorie der offenen Gesellschaft, Berlin 1978, S. 59-92 (60f.); s. a. ders.: Zeit und Verfassungskultur, in: Die Zeit. Dauer und Augenblick. Veröffentlichungen der CarlFriedrich-von-Siemens-Stiftung, Bd. 2, hrsg. von Heinz Gumin und Heinrich Meier, 2. Aufl., München/Zürich 1990, S. 289 - 332. 14 Häberle: Zeit und Verfassung, a. a. O., S. 61. 15 Häberle: Zeit und Verfassungskultur, a. a. O., S. 290f., 295. 16 Häberle: Zeit und Verfassung, S. 62. 17 Ebenda. 18 Bühl, Walter L.: Die Ordnung des Wissens, a. a. O., S. 221.

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Dem staatspolitischen Konservatismus wie allen Ideologien sind heilsgeschichtliche, religiöse und überzeitliche Argumentationsstrukturen zu eigen, welche die politische Funktion und die strukturelle Denkweise zu verdecken suchen. Diese als „Tarnungsstrategien" 19 , „Immunisierungsstrategien" 20 oder „Leerformeln" 21 fungierenden Eigenarten konservativen Denkens sollen gegen Kritik abschirmen und die Grundprinzipien ihrer Oberzeugungssysteme vor Infragestellungen bewahren. Es ist die Aufgabe der wissenssoziologischen Ideologiekritik, diese „Immunisierungsstrategien" herauszustellen. Auf dem Wege der Herausarbeitung der Immunsierungsstrategien vermag man dem Wandel in Hubers weltanschaulichem Denken von 1926 bis 1984 vor dem Hintergrund der Kontinuitätsthese näherzukommen. Der Übergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich und die damit korrespondierende Funktionsveränderung weltanschaulichen Denkens offenbart sich bei Ernst Rudolf Huber im kontinuierlichen Denkweg vom „autoritären Etatismus" der Weimarer Werkphase zum „völkischen Nationalismus" in der Zeit von 1933 bis 1944. Der „autoritäre Etatismus" Ernst Rudolf Hubers, die Denkungsart des staatspolitischen Konservatismus in der Weimarer Schaffensphase, wird im wesentlichen durch die Rezeption und Auseinandersetzung mit der Verfassungslehre Carl Schmitts und den wirtschaftsverfassungspolitischen Studien Heinrich Göpperts deutlich. Dieser Denkstil hat die Zielsetzung, auf der Grundlage des werterfüllten zweiten Hauptteils der Weimarer Verfassung eine Reichsreform zu ermöglichen, die den notrechtlichen Art. 48 WRV zum verfassungsrechtlichen Motor des autoritären Verfassungsumbaus macht. Die Vorstellung eines „starken Staates" mit einem Souverän kreist dabei um die plebiszitäre Legitimation des Reichspräsidenten als verfassungsbewahrender Kraft. Hubers politischer Denkstandort wird im jungkonservativen Denken der „Ring"-Bewegung manifest, welche die monopolkapitalistische Wirtschaftsentwicklung zur bewegenden Kraft der Verfassungsreform erklärt. Die autoritäre Staatsintervention in die Wirtschaft konkretisiert sich in der Vorstellung ständisch-korporativer Wirtschaftstrukturen und einem Zweikammerparlament mit Oberhaus nach der Vorstellung des „Berliner Herrenclubs", die mit der Wirtschaftskonzeption des „Neuen Staates" Papenscher Prägung sympathisierte. So wird die Verfassungstheorie ökonomisch dem Monopolkapitalismus angepaßt. 22 Die anonymisierte inhaltliche Kritik an Carl Schmitt zur Dialektik von ,Repräsentation" und „Identität", vorwiegend in den Kurzartikeln Hubers unter Pseudonymen in den konservativ-revolutionären Zeitschriften „Ring" und „Deutsches Volkstum", dokumentiert den suchenden, schöpferischen, aber auch elitär-wissenschaftlichen Charakter des revolutionärkonservativen Denkstandortes. Huber immunisiert sich im konservativen Denkstandort von den Realitäten der sozialen und politischen Klassenkonflikte und den sozioökonomischen Umverteilungskämpfen der Weimarer Krisenzeit, indem den aktuellen Krisenerscheinungen nicht mit der staatsrecht19 Topitsch, Ernst/Salamun, Kurt: Ideologie. Herrschaft des Vor-Urteils, München/Wien 1972, S. 109. 20 Dieser von Hans Albert geprägte Begriff ist in der Ideologiekritik des Kritischen Rationalismus zu einem Terminus technicus geworden und in den Hegelarbeiten von Ernst Topitsch bereits gewürdigt worden; vgl. Topitsch/Salamun: Ideologie, a. a. O., S. 51; s. a. Lieber, Hans-Joachim: Ideologie, a. a. O., S. 115f.. 21 Vgl. zur Funktion historischen Denkens Kap. 5.1. 22 Maus, Ingeborg: Bürgerliche Rechtstheorie und Faschismus, a. a. O., S. 119f..

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liehen Subsumtionslogik des Öffentlichrechtlers begegnet wird, sondern diese mit der Dialektik der Verfassungstheorie überhöht werden. Sieht man von der Habilitationsschrift über das Wirtschaftsverwaltungsrecht ab, so sind schon seit 1926 die Studien z.B. zur Situation der Weimarer Kirchenverfassung von einer entrechtlichten Argumentionsstruktur geprägt. So wird bei den Überlegungen zur Kirchenverfassung die konkordatsrechtliche Praxis durch eine konsensstiftende, an Johann Adam Möhlers idealistische Staatsphilosophie anknüpfend ergänzt, welche die frühe Hegelverbundenheit Hubers dokumentiert und die verfassungshistorische Dimension der Frage- und Problemstellung schon seit der Dissertation 1926 deutlich macht. Während Huber bis 1932 in seinen Schriften noch eine Trennung zwischen juristischwissenschaftlicher Argumentation und publizistisch-politischer Agitation vornimmt, so dokumentiert der Aufsatz über den „Bedeutungswandel der Grundrechte" von 1932/33 die sich wandelnden Argumentationsstrukturen. Auch im öffentlichen Recht soll durch Politisierung und Verfassungskritik ein Bedeutungswandel der formellen und materiellen Verfassung erreicht werden. Die ideologischen Koordinaten des „autoritären Etatismus" sind in diesem Aufsatz Hubers bereits abgesteckt. Die Ideologie will das wissenschaftlich nicht Erfaßbare wissenschaftlich erfassen: die Wertsetzung des Menschen, seine Funktionen in der Gesellschaft, seine Vergangenheit, Gegenwart und Zunkunft. Das in Wirklichkeit wissenschaftlich nicht zu Leistende wird durch Leerformeln wie „Volk", „Staat", „Nation", „Volksgeist" und „Emanation" verkleidet. Der „konservative FreiheitsbegrifF' und die objektive Bindungsfunktion, die das „Volk" zum „Staat" macht, bilden den ideologischen Komplex dieses Denkens. Die Ideologie imitiert die Wissenschaft und die sprachlichen Formeln schöpfen aus ihrer ästhetisch-kontemplativen Funktion, integrative Wirkung auf das weltanschauliche Ganze zu haben. 23 Die theoretisch konstruierte Wirklichkeit wird der Realität als objektive Gegebenheit zur Seite gestellt. Huber entwirft den methodischen Rahmen dieses weltanschaulich-wissenschaftlichen Wissens in der Form einer konstruierten Methodik. Dabei nimmt er Carl Schmitts Begriff des Politischen und die existentialistischen Forderungen des wirklichkeitswissenschaftlichen Paradigmas von Hans Freyer als Gegenprogramm zu Max Webers Postulat der wertfreien Wissenschaft, zuletzt das Integrationsdenken des „objektiven Idealismus" des Junghegelianismus auf. 24 Diese verknüpfte Methodik ist Hubers Antwort auf die erkenntnistheoretischen Fragen des Weimarer Methoden- und Richtungsstreites der Staatsrechtswissenschaft. Das „Sollen" wird im „Sein" dialektisch aufgehoben, die Staatsrechtswissenschaft den Herrschafts- und Machtfragen existentiell geöffnet. Die antipositivistische Grundtendenz in Hubers Verfassungswerk bleibt von 1926 bis zum faktischen Abschluß der großen Verfassungsgeschichte Anfang der achtziger Jahre offenkundig, aber dennoch verfällt Huber einem entzeiteten Verfassungsdenken, das er selbst an der positivistischen Staatsrechtswissenschaft kritisiert hat. Die Trennung von Staat und Gesellschaft, welche die Verfassung in einer Art Immunisierungsstrategie als rein normativ gedachte staatliche Verfassung und nicht als Staat und Gesellschaft umfassende Einheit deutet, galt als Kritik am Rechtspositivismus. 25 Huber beantwortete dieses bei Gerber, Laband und Kelsen konstatierte entzeitete Verfassungs23 Bühl, S. 212f.; s. a.: Topitsch/Salamun: Ideologie, a. a. O., S. 121. 24 Vgl. Kap. 3.1b. 25 Schenke, Wolf-Rüdiger: Verfassung und Zeit - von der „entzeiteten" zur zeitgeprägten Verfassung, in: AöR, Bd. 103 (1978), S. 566-601 (573).

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Verständnis mit einer historisch-ideengeschichtlichen und begriffssoziologischen Kritik, welche die juristische Argumentation um die wissenschaftsgeschichtliche und verfassungshistorische Perspektive - ähnlich wie bei Schmitt, Heller und Smend - erweiterte und für die Verfassungsform als wirklichkeitsrelevant einschätzte. So wurde die Verfassungswirklichkeit zum Movens seiner materiellen Verfassungslehre lanciert. 26 Die von Ernst Rudolf Huber nach der begriffssoziologischen Methode Carl Schmitts betriebene Politisierung der Verfassungskritik ist zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist. Die Dialektik von Idee, Norm und Wirklichkeit bestimmte seine Kritik am Weimarer Verfassungswerk. In der Positivismuskritik gelangt Huber gar zu der Bilanz, daß das gesetzespositivistische Subsumtionsmodell für die Erfassung der juristischen Problematik der Zeitlichkeit des Verfassungswandels ungenügend sei und geht daher von der verfassungsrechtlichen zur verfassungstheoretischen Argumentation über. Die an Carl Schmitts Verfassungslehre anknüpfende Lehre Hubers, wonach die Verfassung die politische Einheit des Volkes sei und die politische Form der Verfassung mit der Unterscheidung von Verfassung und Gesetz von der Normativität in den überpositiven Bereich der Existentialität erhoben wird, ist keine juristische Argumentation, sondern politische Juristenphilosophie, mit welcher der Weg in das Dritte Reich bereits vorgezeichnet war. Die Argumentationsstrategie Hubers ist dabei denkbar einfach: Mit der Positivismuskritik wird die Verfassungswirklichkeit und die Werteproblematik der Verfassungspolitik zur Diskussion gestellt. Mit der existentiellen Verfassungstheorie, die Huber schon in der Weimarer Werkphase als Ideal- oder Heilssphäre, wissenssoziologisch gesprochen „konstruierte Wirklichkeit", dem Weimarer Krisensyndrom gegenüberstellt, wird die Wirklichkeit quasi im verdinglichten Bewußtsein nach Hegelschem Vorbild dialektisch aufgehoben. Die Homogenität der Verfassung besteht in der Übereinstimmung von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit, so daß Hubers Verfassungstheorie den Zeitfaktor statisch auflöst und die dem sozialen Wandel offene Verfassung in einen entzeiteten, statischen Verfassungszustand überführt. Die Vitalität der Verfassung ist jetzt nur noch in der Logik des Integrationsdenkens möglich. Die Zeit als Ensemble bewegender sozialer Kräfte und Ideen wird dialektisch im Bewegungsgesetz der Verfassungstheorie aufgehoben. Huber immunisiert sich dadurch nicht nur gegenüber dem Zeitfaktor, sondern benutzt die Dialektik auch dazu, durch eine „geschlossene" Auslegung den Zeitweg der Verfassung aus dem Positivierungszusammenhang herauszulösen. Dieser Denkweg ist jedoch ebenso heikel wie die von Huber kritisierte rechtspositivistische Normauslegung selbst. Das Heranziehen der konstruierten Wirklichkeit schafft Legalitätsreserven, um die materiellen Herrschaftsinteressen in der Verfassungsinterpretation zu berücksichtigen. Die Verlagerung der „Verfassung" in den phänomenologischen Bereich der überpositiven Wertprinzipien löst sie zugleich aus dem Wandlungskontinuum Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft heraus. Der Weimarer Verfassungswandel ist für Huber ein argumentatives Durchgangsstadium, um mit metajuristischen Mitteln die Verfassung zu entzeitlichen und aufzuheben. Diese aus existentiellen Begriffen konstruierte Methode im Verfassungsdenken hat schon im wesentlichen die für die nationalsozialistische Wissenschaftsphase konstatierbare Entlastungsfunktion, den Realitätsdruck von verfassungspolitischen Fragen und verfassungsrechtlichen Gewißheitsverlusten durch ein Einheitsdenken zu reduzieren, das mit 26 Dazu exemplarisch: Bedeutungswandel der Grundrechte, a. a. O., S. 52ff..

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ganzheitlichen und korporatistisch motivierten Kategorien wie „Volk" und „Obrigkeit" soziale Bindungen als substanzielle Wahrheiten hypostasiert. 27 Das politische Wissen um „Verfassung", um „Volk" und „Staat" soll nicht den Zweifel in Gang setzen, sondern die alternativen Entscheidungen ausblenden. Die für Hubers Verfassungsdenken eminent wichtige Kategorie des „Verfassungskampfes", eine Handlungsprämisse der existentiellen Verfassungstheorie, stellt schon die kollektive Identität und Funktion der völkischen Integrationslogik dar. 28 Die mit dieser Ideologie angestrebte Änderung der Umwelt wird mit dem 30. Januar 1933 auch politische Realität. Die Machtergreifung ist deshalb in Hubers Verfassungskonzeption keine ideologische Zäsur. Die Geschlossenheit, Plausibilität und Konstruktionslogik kann mit Modifikationen für den neuen Aufbau der völkischen Verfassung übernommen werden. Einzig Korrekturen am Parteibegriff und seiner ideologischen Einbindung in die Verfassungstheorie waren zur Erklärung der nationalsozialistischen Machtergreifung notwendig. 29 Auch nach dem Systemwechsel bleibt die ideologische Funktion der Huberschen Verfassungstheorie kontinuierlich erhalten, aber die kognitive Funktion änderte sich. Die konservativ-revolutionäre Dialektik des „Wachsens" und „Machens", die in dem revolutionären Akt des Werteschaffens erst das Bewahrenswerte zu schaffen sucht, ist im wesentlichen die Ursache für Hubers offenes und suchendes Zeit-Raum-Denken. Das Zeitwendebewußtsein im Wert-, Erkenntnis- und Zielhorizont in der Weimarer Werkperiode hat aber mit der nationalsozialistischen Machtergreifung ein Ende. Nun ist die Verfassungsloyalität des Juristen auf die Stabilisierung des Dritten Reiches gerichtet. Ist der „Klub" für das konservativ-revolutionäre Denken Hubers ein elitär-intellektuelles und gemeinschaftsbildendes Moment, in welchem dem moribunden Weimarer Verfassungskompromiß eine Gegenutopie zur Seite gestellt wurde, so führt zugleich das juristische und politisch-publizistische Engagement Hubers zwischen 1928 und 1933 in die Wissenschaftsgemeinschaft der„Kieler Schule" 30 . Die besonderen Merkmale der gesellschaftlichen und geistigen Erfahrungen des Nationalsozialismus schlagen sich auch in der Wissenschaft und ihren Begriffen nieder. 31 Aus wissenssoziologischer Sicht stellt sich damit die Frage nach der durch Zeiterfahrung bestimmten Theorieverarbeitung, ihrem Wirklichkeitsbezug oder gar Wirklichkeitsverlust im Kontext der materiellen Verfassungsentwicklung des Dritten Reiches. So hat die dem wissenssoziologischen Zweischritt zugrunde liegende Konfrontation von subjektiver und objektiver Wirklichkeit die soziale und politische Funktion der Huberschen Verfassungslehre vor dem Hintergrund der politischen Rolle des Juristen im Dritten Reich zu klären. Das Jahr 1933 stellt keine Zäsur in Hubers Werk dar. Vielmehr erweist sich das konservativ-revolutionäre Gedankengut als das genetische Prinzip im Übergang der beiden Staatsordnungen. Das Wechselverhältnis von Konservatismus und Nationalsozialismus ist 27 Bühl, Walter L.: Die Ordnung des Wissens, a. a. O., S. 214; s. a.: Topitsch/Salamun: Ideologie, a. a. O., S. 96. 28 Bühl, S. 213. 29 Vgl. Kap. 4.1. 30 Die Kieler Fakultät der Rechtswissenschaft kann nicht mehr als verlängerter Arm des Klubismus der „Konservativen Revolution" bezeichnet werden. Huber lehnte es im übrigen ab, von einer Kieler „Schule" zu sprechen, weil die Rekrutierung dieser Wissenschaftsgemeinschaft zu heterogen war. 31 Mannheim, Karl: Mensch und Gesellschaft im Zeitalter des Umbaus, Darmstadt 1958, S. 11.

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in Hubers Verfassungsdenken durch die Verbindung von völkisch-korporativem Integrationsdenken und weltanschaulicher Stabilisierung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems bestimmt. Bis 1933 ist das weltanschauliche Denken Hubers kein ideologisch abgeschlossenes Glaubenssystem, allenfalls ein Ideologem, da die Verfassungsreformwege der Kabinette Papen und Schleicher, aber auch Hubers suchendes wissenschaftlich-publizistisches Engagement noch keineswegs strukturell festgelegt sind. Doch kann Hubers Weltanschauungsdenken bis 1933 als Komplementärideologie typisiert werden.32 Diese geht für die Situation der Weimarer Verfassungsform von der antagonistischen Struktur der Gesellschaft aus, legitimiert sie aber nicht, sondern schafft über den konservativ-revolutionären Denkweg aus der verfassungspolitischen Diskussion verfassungstheoretisch fiktive Ersatzwelten in der „politischen Verfassung". Die liberaldemokratische Verfassung hatte sich in der Herrschaftswirklichkeit vor allem ökonomisch so weit von der Verfassungsnorm entfernt, daß Huber diesen Antagonismus als „Verfassungswidrigkeit" etikettierte. Der gesellschaftliche Mangel an Orientierungen und der Gewißheitsverlust der Lösung der Verfassungskrise war denn auch der argumentative Kern zur Schaffung einer fiktiven Ersatzwelt durch Integrationsdenken. Die Trennung von Verfassung und Verfassungsgesetz schafft den notwendigen ideologischen Spielraum, um außerhalb der juristischen Argumentation ein politisiertes Wertdenken zur Grundlage der Demokratiekritik zu machen.33 Carl Schmitts Verfassungslehre lieferte den ideologischen Überbau für das Einheitsdenken. Insbesondere Hubers Aufsätze in den Zeitschriften „Der Ring" und „Deutsches Volkstum" dokumentierten deutlich die Funktion, daß Theorie als konstruierte Wirklichkeit die soziale Realität und Klassenstrukturen der Weimarer Zeit nicht etwa wie im Falle Hermann Hellers aufnimmt, um klassenkonfliktlösende Gesellschaftsstrategien gegen die geistige Orientierungslosigkeit und die politische Verfassungskrise zu finden, sondern Huber stilisiert die soziale Realität zu einer Idealsphäre, die als Heils- oder Lösungsweg vorgeschlagen wird. Der Wertenihilismus der Demokratiekritik führte Hubers Denkweg in die totalitäre Form des völkischen Verfassungsdenkens.34 Das emotionale und wissenschaftliche Engagement Hubers ist im Dritten Reich auf die verfassungspolitische und weltanschauliche Stabilisierung der völkischen Führerverfassung gerichtet. Der ideologische Zweck änderte sich dabei. Der autoritär-etatistische Denkstil der Zwischenkriegszeit ist entscheidend aus der politischen und wissenschaftlichen Situation des sich etablierenden Privatdozenten aus den Reihen der Denkrichtung Carl Schmitts in der Abgrenzung von Demokratie, Pluralismus und liberal-bürgerlicher Tradition der deutschen Staatsrechtswissenschaft bestimmt. Die soziale und politische Motivierung Hubers erfolgte aus der Identitäts- und Verfassungskrise der Demokratie mit dem Ziel, eine komplizierte, multikausale, arbeitsteilige Industriegesellschaft aus den rechtspolitisch bestimmten ökonomischen und politischen Spannungsverhältnissen herauszulösen. Der für das Dritte Reich charakterisierbare „völkische Nationalismus", der in seinem organischen Dynamismus durch die „Oben-Unten-Dichotomie" von Volksgemeinschaftspostulat und

32 Lenk, Kurt: Volk und Staat, a. a. O., S. 26f.. 33 Vgl. die politischen Ziele der Verfassungswandlung in Kap. 3.3b. 34 Dazu aufschlußreich: Bracher, Karl Dietrich: Formen des Krisendenkens, in ders.: Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1982, S. 189- 212.

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Führergedanken geprägt ist, wird mit dem junghegelianischen Methodenpotential, das bereits vor 1933 entwickelt ist, zu einem geschlossenen System einer „gesamten Staatswissenschaft" ausgebaut. Die „unterdialektische Erfassung der sozialen Wirklichkeit" 35 wird zum typologischen Moment weltanschaulich-wissenschaftlichen Verfassungsdenkens und seiner Immunisierung im Nationalsozialismus. „Unterdialektisch" ist Hubers Etatismus insofern, als jede alternative Sichtweise ausgeschaltet ist. Das Mittel der Entdialektisierung ist die Verdinglichung des Bewußtseins, die Verräumlichung der Zeit und der Identifizierungszwang. 36 Diese drei Wissensstile sind im wissenssoziologischen Sinne konservative „Immunisierungsstrategien" 37 , die den rationalen Zweck irrationaler Weltanschaung zu verschleiern suchen. Hubers staatswissenschaftliche Konzeption ist in ihrer begrifflichen, logischen und inhaltlichen Koordinierung ein Beispiel dafür. Die Verdinglichung des Bewußtseins verdeutlicht Huber mit den methodischen Bausteinen des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" 38 , das die völkische Integrationslogik und den organisch-gemeinschaftlichen Zusammenhang der politischen Einheit von „Volk" und „Staat" als „völkischen Nationalismus" auszugeben meint. Die Verdinglichung des Bewußtseins erfolgt über die „Emanation des Volksgeistes": Wirklichkeit ist nicht mehr die soziale Realität, sondern das dialektische Produkt des Bewußtseins. Die konservative Funktion von Geschichte ist es, den historischen Zeitfluß als Manifestation der völkischen Ideen, Begriffe und Vorstellungen nachzuweisen. Wissenssoziologisch erwachsen aus dieser Verdinglichungsfunktion auch werkgenetisch Hubers verfassungshistorische Themen, durch die das Volksbewußtsein in der deutschen Nationalliteratur und Geschichte in einer Dreistufendialektik von Urheil, Verfall und Erlösung kosmisch-zyklisch erfaßt wird. 39 In den späteren Aufsätzen Anfang der vierziger Jahre zum historischen Volksbewußtsein wird das ideologische Substitutionsschema der Identifikation von Volks- und Führerwille aber schon verfassungshistorisch relativiert. Das esoterische Entwicklungsdenken hat keinen Bezug mehr zu den realpolitischen oder weltanschaulichen Vorgaben des Dritten Reiches. Das zweite Kriterium der Entdialektisierung, die Verräumlichung der Zeit, ist aus der geschichtsphilosophischen Legitimierung der objektiven Wahrheiten des völkischen Führerstaates zu erklären. Das kosmisch-zyklische Verfallsdenken ist dieser Funktion zu zuordnen. 40 Die dritte Charakterisierung der Verdinglichung ist der Identifikationszwang, d.h. das Überwiegen der Identifizierungsfunktion in jeder Erkenntnis, in jedem sozialen Akt. Die Konstruktionslogik des „konkreten Ordnungs- und Gestaltungsdenkens" zur Gestaltung der Einheit von „Volk", „Bewegung", „Staat" und „Partei" schafft dabei jene Tautologien der untereinander nachweisbaren Vielheit zur Einheit, die aus dem totalitären Denkverbot zum Widerspruch erwachsen. Hubers leerformelhafte Gegenüberstellung von „Trennungsdenken" und „Unterscheidungsdenken" ist die intellektuelle Immunisierung vor dem Widerspruch. Die Realitätskontrolle tritt zurück und die Aufgabe des Wissenschaftlers, der

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Bühl, a. a. O., S. 221. Ebenda. Zum dialektischen Denken als Immunisierungsdenken vgl. Kap. 5.2f.. Vgl. Kap. 5.2. Vgl. Kap. 5.1. Bühl, S. 222; s. a. Kap. 5.1c.

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seine Forschungsimpulse existentiell aus der Mitte des Seins empfangt, ist nur noch, die Koordinaten von „Volk", „ B e w e g u n g " , „Staat", „Verfassung" und „Partei" durch metaphysische Symbole zu verkoppeln. Empirische Begründungszusammenhänge haben sich der Allmacht der geistigen Projektion zu unterwerfen. „Wirklichkeit" ist nur noch konstruierte Wirklichkeit. Die inneren Gegensätze und Widersprüche der nationalsozialistischen Staats- und Verwaltungsstrukturen, die Kompetenz- und Machtkämpfe, fallen unter das totalitäre Denkverbot. Homogene Gesellschaften gibt es nur im primitiven Zustand. Deshalb bietet Hubers Konzeption der „deutschen Staatswissenschaft" sowohl fachwissenschaftlich wie weltanschaulich ein kognitives System der Überdeckung von Divergenzen und komplexen Verhältnissen, welche sich aus der Binnenstruktur der Verfassung ergeben. Während dieses wissenschaftliche System schon seit den Weimarer Jahren wissenssoziologisch auf sprachlicher Immunisierung beruht, fördern Hubers Schriften im Dritten Reich eine weitere Funktion des weltanschaulich-wissenschaftlichen Denkens zutage, den Aspekt der Enzyklopädie. Dieser erwächst weniger aus dem konservativen Denken als vielmehr aus dem professionsspezifischen juristischen Systemdenken. Enzyklopädisches Wissen 41 ist im allgemeinen eine Inventarisierung von Wissen im System, das auch in totalitären Gesellschaftsformationen die pädagogische Funktion der Aufklärung und Vermittlung von interdependenten Wissenszusammenhängen hat. 42 Hubers „Verfassung" von 1937, die Zweitauflage des „Verfassungsrechts des Großdeutschen Reiches" von 1939 und die Wehrverfassungsgeschichte „Heer und Staat" (1938/43) sind Dokumente enzyklopädischen Wissens, welche die weltanschauliche Komplexität des Nationalsozialismus in enzyklopädischer Form zu reduzieren und den Zusammenstand der Welt zur Reduktion des Zweifels zu inventarisieren suchen. 43 Alle Fragen der Verfassung, Geschichte und Ordnungsstruktur werden überblicksartig zusammengefaßt. Dem totalitären Denkverbot wird mit der „kreisförmigen" Vermittlung und Inventarisierung von Verfassungswissen im Sinne der Weltanschauungstotalität Rechnung getragen. Die pädagogische Wirkung erreicht das enzyklopädisch dargestellte Wissen als Weltanschauungswissen, das die „wertmäßige Integration der Kollektivität" vermittelt. 44 So geht der enzyklopädische Gedanke mit der Krise des Wissens im totalitären System des Nationalsozialismus einher und sucht die ideologischen Vorgaben wissenschaftlich zu legitimieren. Hubers „Verfassung" stiftet im systemischen Sinne nicht nur eine Ordnung des Wissens zur Reduktion politisch-ideologischer Komplexität, sie ist darüberhinaus im Sinne des staatswissenschaftlichen Programms eine umfassende kognitive Konstruktion der Wirklichkeit, also verdinglichtes Bewußtsein im Hegeischen Sinne. Freilich mag die „Verfassung" im enzyklopädischen Sinne für Huber auch eine Immunisierung gegen die ständige Selbstgefahrdung des Wissenschaftlers im gleichgeschalteten Selbstzensurbetrieb der Staatsrechtswissenschaft gewesen sein. Die Gewißheitsverluste juristischen Denkens haben sich im Übergang zum Dritten Reich in einer Juristenphilosophie niedergeschlagen, welche die Funktions- und Arbeits41 Vgl. zur Begriffsgeschichte Henningsen, Jürgen: „Enzyklopädie". Zur Sprach- und Bedeutungsgeschichte eines pädagogischen Begriffs, in: Archiv für Begriffsgeschichte, Bd. 10 (1966), S. 271-357 (355f); zur Konzeption der „deutschen Staatswissenschaft" bei Huber vgl. Kap. 4.5. 42 Dieser Umstand hat wenig mit der aufklärerischen Funktion der „Enzyklopädie" Diderots oder d'Alemberts zu tun, den weltbürgerlichen Zustand zum politischen Zweck aller Wissenschaften zu machen. 43 Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, a. a. O., S. 75. 44 Bühl, S. 229.

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bedingungen des Juristen verändert hat. Hinter der Verbrämung der Positivität der Reichsverfassung und des formellen Rechts, aber auch der Berücksichtigung des Verfassungswandels durch Gewohnheitsrecht und Herrschaftsfragen, stand die Intention, dem stillen Verfassungswandel durch inhaltliche Sinnänderung der Verfassungsartikel Vorschub zu leisten. So wollte Ernst Rudolf Huber Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit in Übereinstimmung bringen. Schon seine Bonner Antrittsvorlesung über „Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat" hatte den stillen Verfassungswandel, die Veränderung der positiven Verfassungsnormen, ohne Änderung des Wortlauts der Verfassung, zum Inhalt. 45 Die mit der Negierung des formellen Rechts betriebene Substanzialisierung von Rechtsfragen mit junghegelianischem Gedankengut, etwa die etatistische Bindungsfunktion des substanzialisierten Rechts mit dem „konservativen Freiheitsbegriff", führte die Staatsrechtswissenschaft als juristische Philosophie und Weltanschauungswissenschaft in den Nationalsozialismus. Mit der Öffnung der Weimarer Staatsrechtswissenschaft für Machtund Herrschaftsfragen hatte Hermann Heller eine Verantwortungsethik gefordert, die der rechten Linie der Staatsrechtslehre fremd war. Die Gleichschaltung der Staatsrechtswissenschaft im Dritten Reich veränderte ihre Stabilisierungsfunktion im Verfassungsbereich. Die Negierung formeller Rechtsstaatlichkeit, die Überwindung subjektiver Grundrechtsfunktionen und die Auffassung, daß „Recht" nur noch im Rahmen der Integrationslogik die objektive Bindung des „Volksgenossen" an „Staat" und „Führer" kraft „Artgleichheit" beinhaltet, fuhrt die Staatsrechtswissenschaft in das totalitäre System des Nationalsozialismus. „Recht" ist nur noch ein hypostasierter Wahrheitsbegriff, dessen substantielles Ziel die Integration bleibt. Die Staatsrechtswissenschaft ist nicht mehr das durch Interpretation und Auslegung autorisierte Bindeglied zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit. Die nationalsozialistische Staatsrechtswissenschaft mußte als fuhrergebundene Weltanschauungswissenschaft empirische, nichtempirische und theoretische Momente miteinander verbinden. Sie hat mit der Orientierung an einer Juristenphilosophie der Theorie den Vorzug gegeben, womit sie die politischen Strukturen und Entwicklungen der Partei legitimierte und nachzeichnete. Einer Weltanschauungswissenschaft geht es um Zukunftsentscheidungen, die empirisch noch nicht faßbar sind. Die Wahl der „Theorie" bedeutete, daß die irrationale Methodenlehre, vor allem jene der „Kieler Schule", keine Handlungen und Entscheidungen voraussagen konnte, sondern als Funktionsorgan der nationalsozialistischen Führungsinstanzen funktionierte. Wenn auch die Kontinuität des Verfassungsdenkens von Ernst Rudolf Huber von der Weimarer Republik in das Dritte Reich auch ohne Zäsuren und lediglich mit inhaltlichinstitutionellen Anpassungen und Korrekturen vor sich ging, so ist doch wissenssoziologisch ein politisch-ideologischer Unterschied zwischen den Denkstilen des staatspolitischen Konservatismus vor und nach der Machtergreifung zu konstatieren, der systemimmanenter Natur ist. Der „autoritäre Etatismus" der Weimarer Schaffensphase ist im wesentlichen von der Freiheit der Forschung inspiriert, auch eine autoritäre Gegenkonzeption zum Weimarer Verfassungskompromiß aufstellen zu können. Seine komplementärideologische Funktion resultiert aus der antidemokratischen Kritik und Tarnungsstrategie. Die dezidierten verfassungspolitischen Alternatiworschläge zu einer Verfassungsreform und 45 Heydte, Friedrich August Freiherr von der: Stiller Verfassungswandel und Verfassungsinterpretation, in: ARSPh, Bd. 39 (1950/51), S. 461-476 (462ff).

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das verfassungstheoretische „Beiwerk" sind trotz der verfahrenen Situation des Methodenund Richtungsstreits aus der politischen Funktion der Weimarer Staatsrechtswissenschaft entstanden. Der „völkische Nationalismus", der eine mit dem organischen Etatismus des Junghegelianismus begründete Einheit von „Volk", Bewegung" und „Staat" staatswissenschaftlich begründet, hat seine systemstabilisierende Funktion dagegen im gleichgeschalteten, totalitären Wissenschaftsbetrieb. Der Denkweg des staatspolitischen Konservatismus erklärt sich gewissermaßen aus der systemimmanenten Funktion und Wirkung - von dem Ideologem des „autoritären Etatismus" zum geschlossenen Glaubenssystem des „völkischen Nationalismus". Im Gegensatz zum komplementärideologischen Moment des „autoritären Etatismus" ist der „völkische Nationalismus" eine Ausdrucksideologie im Sinne eines geschlossenen Glaubenssystems, das über die positive Aufladung des Kontrastes zum Weimarer Wertesystem und seines ökonomischen sowie verfassungsrechtlichen Krisenzustandes hinaus den kollektiven Machtwillen des Nationalsozialismus in den wissenschaftlichen Institutionen und Publikationen zum Ausdruck bringt. Ein Glaubenssystem läßt sich dabei durch die Verbindung zwischen dem angestrebten Zielobjekt und den persönlichen Antrieben, Wertsetzungen und Zielen definieren. Die Geschlossenheit des Glaubenssystem hat eine kognitive und emotionale Dimension, die ihrerseits den Grad des Engagements bestimmt. 46 Sie ist bei Huber in dem Denkverbot der empirischen Evidenz, dem postulierten Werthorizont der Verfassungstreue und dem Geschichtsmissionarismus bestimmt. So wird der sozialorganisatorische Rahmen des Dritten Reiches enzyklopädisch in der „Verfassung" abgebildet. Das Motiv der völkischen Selbstbehauptung als zentrale Denkkategorie der Ausdrucksideologie des Nationalsozialismus erweitert sich in Hubers wissenschaftlichen Schriften quasi über die verfassungshistorische Forschung als „nationalistisch". Die historische Rekonstruktion der deutschen Volksgeschichte als einer Verfassungsgeschichte des völkischen Bewußtseins ist der wissenschaftliche Ausdruck des nationalen Selbstbehauptungswillens. 47 Hubers wissenschaftliche Intentionen, Themenmotive und Konjunkturen der literarischen Darstellungsform lassen sich zwar nicht „antiintellektualistisch" auf die weltanschaulichen Ziele des Nationalsozialismus reduzieren, aber ihre mit rationalen Mitteln konstatierte irrationale Funktion ist im Rahmen der ideologischen Vorgaben der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik zu erklären und dokumentiert die Legalstrategie und Loyalität des Juristen im politischen Herrschaftssystem. Hubers Verhältnis zur nationalsozialistischen Führung und den wissenschaftspolitischen Institutionen ist ohne eine erschöpfende Sichtung des Nachlasses und der Korrespondenz nur sehr schwer zu beurteilen. Welche Kriterien nationalsozialistischen Denkens müssen vorliegen, um im schier undurchdringbaren Dschungel weltanschaulicher Varianten von einem „Nationalsozialisten" zu sprechen? 48 Huber läßt sich im konservativ-revolutionären Denkstandort mit einem elitären, klubistischen Sendungsbewußtsein als ein zwischen juristischer Wissenschaft und politisch-philosophischer Publizistik vermittelnder Wissen-

46 Bühl, Walter L.: Die Ordnung des Wissens, a. a. O., S. 219f.. 47 Zur Ausdrucksideologie vgl. Lenk, Kurt: Volk und Staat, a. a. O., S. 33-36; sehr deutlich offenbart sich die Ausdrucksideologie in Hubers angedeuteter völkischen Nomoslehre; vgl. Kap. 4.7. 48 Vgl. die Auflistung der Kriterien zu Carl Schmitts Affinitäten zum Nationalsozialismus bei Reinhard Mehring: Pathetisches Denken, a. a. O., S. 150ff.

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schaftler kaum auf die Parteiziele und Inhalte des Nationalsozialismus festmachen. 49 Im konservativ-revolutionären Schrifttum der Jahre 1928-1933 in den Zeitschriften „Ring" und „Deutsches Volkstum" ist keine Sympathie für die Ziele der NSDAP erkennbar. Im übrigen läßt sich das wissenschaftlich motivierte politische Ethos Hubers, die idealistische Verfassungstheorie und die völkisch-nationale Grundhaltung nicht als nationalsozialistisch festlegen. Das wissenschaftliche und politische Engagement des mit dreißig Jahren zum Professor berufenen nährt sich nicht aus den antiintellektualistischen Zielen der NSDAP, sondern dem elitär-idealistischen Bewußtsein eines konservativen Revolutionärs. Huber ist nicht wie Carl Schmitt ein politischer Denker des Interims und Bürgerkrieges, sondern staatspolitischer Denker des Status quo. Die ideelle Kollaboration des revolutionärkonservativen Denkers geht vor dem Hintergrund hochschulpolitischer Etablierung im Verlauf des Dritten Reiches in eine institutionelle Vereinnahmung und Mitwirkung über. Huber war nicht institutionalisiertes Mitglied der „Kieler Schule", sondern an das „Institut für Weltwirtschaft" für die Herausgabe der „Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft" als juristisches Institutsmitglied in den Reihen der Ökonomen berufen worden. Die Fortführung des Wissenschaftsprogramms der Kieler Richtung in den Lehrplänen und der akademischen Besetzung der Rechtswissenschaft an der neugegründeten Reichsuniversität Straßburg 1941 ändert daran nichts. Huber bleibt seiner stabilisierenden Rolle als „politischer Professor" im Rahmen seiner „politischen Wirklichkeitswissenschaft" gesinnungsethisch zwar treu, hielt sich aber aus den akademischen Institutionen der Rechtswissenschaft heraus. Die ideelle Kollaboration führt zur Enzyklopädie der „Verfassung" und des „Verfassungsrechts des Großdeutschen Reiches", in der Huber den umfangreichen Versuch unternimmt, das Dritte Reich ideologisch und politisch in eine homogene Verfassungsform zu bringen. Die hochgradige Flexibilität im System nach innen, auf verfassungspolitische Wandlungen und Veränderungen zu reagieren, zwingt 1939 zur Zweitauflage des wohl umfangreichsten verfassungspolitischen Werkes, das im Dritten Reich geschrieben wurde. Die Publikationen zwischen 1933 und 1944 bleiben über die Rezension und verhaltene Rezeption der völkerrechtlichen Positionen Carl Schmitts hinaus auf den Bereich der Innenpolitik beschränkt und damit frei vom Großraumdenken. Der völkische Wehrgedanke wird in der Verfassungsgeschichte „ H e e r und Staat" 1938 rekonstruiert, doch ideologische Bezüge zum Nationalsozialismus unterbleiben. Die Zeitachse von „Heer und Staat" endet mit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Eine Zweitauflage von 1943 bleibt trotz textlicher Ergänzungen inhaltlich unverändert. Es fehlt sowohl ein politischer Kriegsbegriff als auch das militarisierte Gedankengut der Radikalisierungsphase der nationalsozialistischen Ideologie. Das Chaos des Krieges und die Rückwirkungen auf die Regierungs- und Verwaltungstätigkeiten veranlassen Huber zu dem Aufsatz „Reichsgewalt und Reichsführung im Kriege" 1941, der einen ungewohnt kritischen Unterton gegenüber dem Kompetenzwirrwarr der Kriegsführung hat. 50 In den verfassungshistorischen Studien von 1938 bis 1944 kann eine Wendung in weniger verfängliche Bereiche der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft gesehen werden, auch wenn sich Huber in diesen Studien zu einer autoritären Verfassungslehre, die die 49 Selbst die Kurzartikel in den Zeitschriften „Ring" und „Deutsches Volkstum" geben darüber kaum Auskunft. 50 Vgl. Kap. 4.6a.

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geistesgeschichtlichen Phasen des deutschen Volkes in einem völkisch-nationalistischen Regenerationsmodell rekonstruiert, bekennt. Diese Wende hängt aber auch ursächlich mit dem Niedergang des öffentlichen Rechts nach 1938 zusammen. In den Aufsätzen seit 1941 fehlen die aktualisierenden Bezüge zur nationalsozialistischen Weltanschauung, ebenso der frühe automatische Bezug zur Integrationslogik der Trias „Volk," „Führer" und „Verfassung". Vielmehr verselbständigt sich der verfassungshistorische Stoff und führt Hubers wissenschaftliches Engagement nach 1945 in das umfassende Projekt der „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789". Die institutionelle und ideelle Kollaboration Ernst Rudolf Hubers im Dritten Reiche mündet nicht in einen antiintellektualistisch gesinnten Antisemitismus. Sieht man davon ab, daß Huber die „Rasse" in das unpolitische „natürliche Volk" genetisch verlegt, so ist in den zahlreichen Monographien und Aufsätzen der nationalsozialistischen Zeit keine dezidiert antisemitische Grundhaltung zu finden. 51 Huber ist nie bis zur Negation seiner protestantischen Grundhaltung gegangen und hat sich wie auch Ernst Forsthoff vom Antisemitismus Carl Schmitts stets distanziert. Während der Denkweg Hubers von 1926 bis 1944 kontinuierlich war und die inhaltlichen wie weltanschaulichen Kategorien im Übergang vom „autoritären Etatismus" der Weimarer Zeit zum „völkischen Nationalismus" des Dritten Reiches keine Zäsuren erfuhren, schlägt sich der Wechsel vom Dritten Reich zur Bundesrepublik Deutschland in der Theoriebildung und Verfassungskonzeption als Einschnitt nieder. Ernst Rudolf Huber nahm die Einsicht in die Fehler der Vergangenheit zum Anlaß, die Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik in die Verfassungsdiskussion des Grundgesetzes einzubringen. In der Zweitauflage des Wirtschaftsverwaltungsrechts knüpfte er 1953/54 an die juristische Arbeit der Weimarer Krisenzeit an und dokumentierte einmal mehr, in welchem Maße er der akademische Vater der Disziplin des „Wirtschaftsverwaltungsrechts" ist und weiterhin an enzyklopädischer Wissenschaft festhält. Mit der seit 1957 veröffentlichten „Deutschen Verfassungsgeschichte seit 1789" unternimmt Huber einen methodischen Neuanfang mit der Wendung von der konkretgeschichtlichen Verfassungsbetrachtung" zur „verfassungshistorisch-soziologischen Methode". Damit verknüpft ist auch ein Wandel des konservativen Denkstils, im Laufe dessen das Identifikationsdenken modifiziert wird. Während Huber im Dritten Reich die Lehren von Adam Müller, insbesondere dessen Theorem des Gegensatzes und die Apologie des „totalen Staates" rezipiert und in der Kontrastdialektik des Totalitarismus zum Ausdruck brachte, wendet er sich in der Nachkriegsphase und der Bundesrepublik dem reformerischen Sozialkonservatismus Lorenz von Steins zu. Schon 1941/42 hat Huber die bei Lorenz von Stein angelegte Umwertung der Lehre des Gegensatzes von Adam Müller konstatiert. Auf dieser ideengeschichtlichen Grundlage bestreitet er in den sechziger Jahren die Diskussion um das Verhältnis von Rechts- und Sozialstaatlichkeit. Die Kontinuität des Etatismus in Ernst Rudolf Hubers Verfassungsdenken ist vor allem in der Fortführung der staatstheoretisch und ideengeschichtlich fundierten Staatsphilosophie Hegels zu sehen. Das Themenspektrum umfaßt vor allem den Wirtschafts-, Sozialund Kulturstaat in der sozialen Problematik der modernen Industriegesellschaft. Aus dem Denkstandort des Sozialkonservativen wird der intervenierende Staat zum Schlichter ge51 Eine Ausnahme ist die „rechtstechnische" Interpretation der Rassengesetzgebung in der „Verfassung", a. a. O., S. 71-80.

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seilschaftlicher Konflikte. Eine begriffliche und phänomenologische Vermischung von „Staat" und „Gesellschaft" wird kategorisch abgelehnt. Dennoch ist der Konservatismus nach 1949 in Hubers Staatsdenken verhalten passiv, esoterisch und amorph, solange nicht wirtschaftsverfassungsrechtliche Fragen auf dem Plan stehen. In der Mitbestimmungsfrage werden Aspektstrukturen des antipluralistischen und verbändekritischen Weimarer Etatismus wieder wach. Eine Charakterisierung des konservativen Denkstils seit 1949 ist nur mit Vorbehalt vorzunehmen, denn Hubers Staatsdenken entzieht sich der systematisierenden Einordnung nach den hiesigen Etiketten wie Wert-, Struktur- und Reformkonservatismus und mag sich auch dem technokratischen Konservatisinus nicht anschließen. Der amorphe Standort des Huberschen Konservatismus mag auch aus der unsicheren beruflichen Situation zwischen 1945 und 1957 resultieren. So läßt sich in der Resümierung des sechzigjährigen wissenschaftlichen Denkweges des Verfassungshistorikers, Staatspolitikers und Juristen aufgrund der systemspezifischen Erfahrungen mit den Verfassungsbrüchen, der eigenen politischen Verstrickung, der methodischen Kontinuität und der konservativen Immunisierung gegenüber der politischen Wirklichkeit für die Werkphase seit 1949 ein introvertierter Konservatismus feststellen, der wieder an die liberal-bürgerlichen Werte des Konstitutionalismus anknüpft und wie in der großdeutschen Phase 1938-1945 stets verfassungshistorisch orientiert bleibt. Damit spricht die Wendung von den politischen Themen des öffentlichen Rechts in die Verfassungsgeschichte seit etwa 1938 nicht nur für die faktische Eliminierung der Staatsrechtswissenschaft als juristischer Disziplin im Dritten Reich, sondern auch für die Flucht des politischen Wissenschaftlers in historische Themen, um den konkreten politischen Gegenwartsbezug zu kaschieren. Dennoch wäre es vermessen, von „innerer Emigration" zu sprechen, denn Huber betreibt bis 1944 weiter eine systematisierende, systemstabilisierende nationalgeschichtliche Analyse genau im Sinne seines enzyklopädischen totalen staatswissenschaftlichen Programms. So stellt sich zum Abschluß die Frage, welche wissenssoziologischen Ergebnisse sich aus dem fast sechzigjährigen politisch-wissenschaftlichen Juristenleben Ernst Rudolf Hubers in der Aufeinanderfolge von drei politischen Verfassungssystemen mit unterschiedlichen juristischen Dogmatiken ziehen lassen? Ist es eine „paradigmatische Erschöpfung" des Themas, wie jüngst Andreas Göbel für Carl Schmitts Auffassung der Epoche der Staatlichkeit und die politischen Einheitsbildung festgestellt hat? 52 Wie bei Schmitt bleibt auch für Huber der rote Faden aller wissenschaftlich durchdachten Verfassungsepochen, daß der Staat in den Traditionen des Konservatismus als starke Institution Garant des gesellschaftlichen Ordnungsproblems ist. Soziale Ordnung ist durch den Staat, das Politische möglich und damit immer zugleich in den Souveränitätszusammenhang und Machtbereich der auf Legitimation fußenden Verfassung gestellt. Wie bereits dargestellt, wirkt Hubers dialektische Verfassungstheorie in der Bundesrepublik geradzu realitätsfern und anachronistisch in der Verbindung von Staat und Kultur und der korporativen Bindungslogik des Selbstverwaltungsgedankens, deren ursprünglicher Denkstil aus dem sozialen und politischen Zusammenhang der Weimarer Verfassungsreformdiskussion geradezu ins Auge

52 Göbel, Andreas: Paradigmatische Erschöpfung. Wissenssoziologische Bemerkungen zum Fall Carl Schmitts, in: Göbel, Andreas/Laak, Dirk van/Villinger, Ingeborg (Hrsg.): Metamorphosen des Politischen. Grundfragen politischer Einheitsbildung seit den 20er Jahren, Berlin 1995, S. 266-286.

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springt. Auch das ist ein Indiz für das Fortwirken von Denkkategorien aus dem Standort ihres Entstehens. Für Hubers Verfassungstheorie spielt die Hobbessche Souveränitätslehre nicht die werkimmanente Rolle wie bei Schmitt. Dafür ist sein politisches Einheitsinteresse nicht bürgerkriegsorientiert und der Generationenunterschied zwischen Huber und Schmitt dokumentiert andererseits, daß Schmitt der Verfassungspolitiker des Interims - von der Weimarer Republik zum Dritten Reich - ist, Huber dagegen der systemstabilisierende Jurist, der juristisch, theoretisch und politisch in das Verfassungssystem des Nationalsozialismus hineingearbeitet hat, ohne es in concreto vorausgesagt zu haben. Die kontinuierliche und damit bruchlose Argumentation von 1928 bis 1934 - etwa der korporatistische Selbstverwaltungsgedanke, die kommissarische Diktatur als Transmissionsriemem für den autoritären Verfassungsumbau seit 1931 und die politische Einheit von Obrigkeit und Volk spricht dafür. Dennoch ist die Frage der politischen Einheitsbildung für den Juristen der Nucleus der juristischen Dogmatik und des Schlichtungsinteresses aus dem sozialisierten juristischen Selbstbild. Während Hermann Heller als Linkshegelianer die Klassenkonflikte der Weimarer Zeit dialektisch zu Ende denkt und zum verfassungspolitisch ausgleichenden Moment des „sozialen Rechtsstaates" als Fiktion „politischer Homogenität" gelangt, ist es beim Rechtshegelianer Huber die „Aufhebung" der Dialektik im Bewußtsein, die Theorie und Praxis verschwimmen läßt und sich wissenssoziologisch von der Realität distanziert. Wissenschaftssoziologisch oder gar gesinnungsethisch ist es sogar ein größeres Engagement, mit höheren Phantasiegehalten der Symbole in der Vereinnamung des „objektiven Idealismus" im Übergang zur völkisch orientierten Juristenphilosophie. Die Immunisierung vor der sozialen Wirklichkeit und der wirklichkeitsorientierten Frage nach der Einheitsbildung des Staates als Institution der Institutionen und der Gesellschaft als plurale Organisation ist also nur verständlich vor dem methodologischen Hintergrund einer dialektischen Bewußtseinsphilosophie, die Theorie und Wirklichkeit ineinander verschränkt. Huber denkt die bei Schmitt und Forsthoff viel konturierter thematisierte Frage nach dem Ende der Epoche der Staatlichkeit auch nicht zu Ende, das offenbart die Kulturstaatsproblematik mit ihrer introvertierten integrativen Dialektik. Fakt bleibt, daß die komplexitätsreduzierende Semantik der politischen Einheitsbildung 5 3 auch als juristische Fiktion aus dem Denkstandort der autoritären Staatsrechtswissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts an den sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen der modernen Industriegesellschaft vorbeigeht. Damit konform geht bei Huber die kontinuierliche Zurücknahme der politischen, systemstabilisierenden Funktion des Staatsrechtlers gegenüber dem Herrschaftsapparat. Vom wissenschaftlichen Elan des konservativen Revolutionärs, sieht man davon ab, daß sich die politischen Positionen mit dem Nationalsozialismus diskreditiert haben, bleibt der Wille zur enzyklopädischen Erfassung der Vergangenheit. Sein wissenschaftliches Lebenswerk bestand in der unermüdlichen Aufgabe, die Erfahrungen enzyklopädisch für die Nachwelt festgehalten zu haben, deshalb wird die „Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789" bei der wissenssoziologischen Kenntnis seines Werkes auch für die Zukunft Bestand haben.

53 Vgl. auch das Schlußkapitel bei Andreas Göbel, a. a. O., S. 285f..

Anhang

1. Abkürzungen a. a. Ο. Abs. Anm. AöR APuZg ARSPh ASWSP Art. Aufl. Bd. Bldph BNSDJ bzw. ders. dies. Diss. DJZ DNVP DöV DR DuR DVB1 Frh FS Geb. gez. GG GuG Habil. HbdDStR HbStR hrsg. Hrsg.

am angegebenen Ort Absatz Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Aus Politik und Zeitgeschichte Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik Artikel Auflage Band Blätter für deutsche Philosophie Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen beziehungsweise derselbe dieselbe(n) Dissertation Deutsche Juristenzeitung Deutschnationale Volkspartei Die öffentliche Verwaltung Deutsches Recht Demokratie und Recht Deutsches Verwaltungsblatt Freiherr Festschrift Geburtstag gezeichnet Grundgesetz Geschichte und Gesellschaft Habilitation Handbuch des deutschen Staatsrechts Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik herausgegeben Herausgeber

1. Abkürzungen HwbSW HZ insbes. JöR JuS JW JZ Kap. KJ KZfSS m. a. W. NF NSDAP PVS Rez. Rn. RVB1 S. s. a. Sp. syn. u. u. a. ungez. unveränd. unveröffentl. VerwArch vgl. VjhfZg VSWG WiVerfR WiVerwR WRV WSA ZAkDR ζ. B.

ZfP ZfS ZgS ZNR ζ. T.

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Handwörterbuch der Sozialwissenschaft Historische Zeitschrift insbesondere Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kritische Justiz Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie mit anderen Worten Neue Folge Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Politische Vierteljahrsschrift Rezension Randnote Reichsverwaltungsblatt Seite siehe auch Spalte synonym und und andere ungezeichnet unverändert unveröffentlicht Verwaltungsarchiv vergleiche Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Vierteljahrshefte für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Wirtschaftsverfassungsrecht Wirtschaftsverwaltungsrecht Weimarer Reichsverfassung Wiener Schlußakte Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Politik Zeitschrift für Soziologie Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte zum Teil

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2. Literaturverzeichnis a) Publikationen Ernst Rudolf Hubers Die Bibliographie enthält nur die im Text zitierten Monographien, Aufsätze und Rezensionen Ernst Rudolf Hubers. Zur vollständigen Bibliographie sei verwiesen auf: HuberSimons, Tula/Huber, Albrecht: Bibliographie der Veröffentlichungen Ernst Rudolf Hubers, in: Forsthoff, Ernst (Hrsg.): FS für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geb., Göttingen 1973, S. 385-416. Huber, Ernst Rudolf: Die Garantie der kirchlichen Vermögensrechte in der Weimarer Verfassung. Zwei Abhandlungen zum Problem der Auseinandersetzung von Staat und Kirche, Tübingen 1927. - : Die Staatsleistungen an die Kirchen und die Geldentwertung, In. Preußisches Pfarrarchiv, Bd. 16(1928), S. 114—118. - : Staatsverträge mit den protestantischen Landeskirchen, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 868-872. - : Die politische Bedeutung des Konkordats, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 933-935. (anonym): Das Zeitalter der Technik, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 998-1001. (ungez.): Die neutralen Mächte im modernen Staat, in: Der Ring, 2. Jg. (1929), S. 1001-1002. - : Die Ablösung der auf Vertrag beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften, in: Preußisches Pfarrarchiv, Bd. 18 (1929/30), S. 6-9. - : Verträge zwischen Staat und Kirche im Deutschen Reich, Breslau 1930. (u. d. Pseudonym Cassius): Die Gleichheit in der Verhältniswahl, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 65-67. (anonym): Geschichte und Dogma, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 216-217. - : Rez. „Wirtschaftsdemokratie. Ihr Wesen, Weg und Ziel, hrsg. im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes von Fritz Naphtalie, 2. Aufl. Berlin 1928", in: AöR, NF Bd. 18 (1930), S 262-266. (u. d. Pseudonym Friedrich Schreyer): Demokratie und Wirtschaft, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 323-325. (u.d. Pseudonym Walter Esch): Kirche und Theologie, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 356-358. (u. d. Pseudonym Walter Esch): Religion und Politik, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 492—494. (u. d. Pseudonym Manfred Wild): Repräsentation, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 545-547. (ungez.): Hugo Preuß, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 552. (ungez.): Die Beilegung des Kulturkampfes in Preußen, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 553-554. (u. d. Pseudonym Friedrich Schreyer): Politische Macht und ökonomisches Gesetz, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 635-637. (u. d. Pseudonym Friedrich Schreyer): Das Eigentum in der Reichsverfassung, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 692-694. (u.d. Pseudonym Manfred Wild): Die deutschen Tribute, in: Der Ring, 3. Jg. (1930), S. 699-700.

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Anhang

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Anhang

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438

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440

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3. Namenverzeichnis Abbts, Thomas 264,265 Abendroth, Wolfgang 354 Anderbrügge, Klaus 320 Anschütz, Gerhard 84 Arndt, Ernst Moritz 214, 221, 291 Baeumler, Alfred 225 Becker, Carl Heinrich 365 Bente, Hermann 12, 209 Bilfinger, Carl 97 Anm. Binder, Julius 236,297 Bismarck, Otto von 66 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 38, 377, 387, 388 Böhm, Franz 12 Boehm, Max-Hildebert 224, 306 Boldt, Hans 388 Boudon, Raymond 26 Bracher, Karl Dietrich 13 Breuer, Stefan 10, 128 Anm. Brüning, Heinrich 88 Brunner, Otto 375,388 Bülau, Friedrich 386 Busse, Martin 296 Dahlmann, Friedrich Christoph 270, 271 Düssel, Carl 203

Dilthey, Wilhelm 365 Ehmke, Horst 335, 337,338 Fichte, Johann Gottlieb 291 Forsthoff, Ernst 12, 13, 14, 132, 252, 253, 354, 356, 361,367, 403 Fraenkel, Ernst 316,317 Frank, Hans Freisler, Roland 225 Freyer,Hans 112,114,115,116,133, 134, 169, 211, 212, 216, 223, 243, 305, 367, 375 Freytagh von Loringhoven, Axel Fhr von 158 Friedrich der Große 262, 265 Friesenhahn, Ernst 12, 132 Gay, Peter 279 Gehlen, Arnold 367 Gerber, Hans 172 Anm., 223, 306 Gleichen, Heinrich von 131 Göbel, Andreas 404 Goethe, Johann Wolfgang von 268,269, 270 Göppert, Heinrich 12, 61, 65, 153, 393 Grimm, Friedrich 132 Haller, Carl Ludwig von 214 Härtung, Fritz 375 Heckel, Johannes 52

3.

441

Namenverzeichnis

Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 26, 55, 105, 106, 108. 110-114, 116, 135, 147, 150, 214, 221, 254, 270, 274, 276, 285, 297, 300, 301, 365 Heller, Hermann 204, 295 Anm., 324, 395, 400. Herder, Johann Gottfried von 265, 267, 268, 291 Herrfarth, Heinrich 132,203 Hippel, Ernst von 104 Hitler, Adolf 173, 174, 233, 312 Hobbes, Thomas 42, 96, 169 Höhn, Reinhard 223, 224, 230, 231, 232, 234, 288, 306, 322 Hölderlin, Johann Christian Friedrich 214 Holstein, Günther 105, 106, 123, 169 Hilgenberg, Alfred 158 Hugo, Gustav 38 Humboldt, Wilhelm Frh von 365 Ipsen, Hans-Peter 354 Jünger, Ernst 234 Kaltenbrunner, Gerd-Klaus 34 Kant, Immanuel 357 Kaufmann, Erich 105, 106, 123, 376 Kelsen, Hans 11, Kirchheimer, Otto 57, 86 Kleist, Heinrich von 291 Klostock, Friedrich Gottlieb 265, 266 Koellreutter, Otto 132, 172 Anm., 332 Krieck, Ernst 217 Krüger, Herbert 344, 345, 347 Lammers, Hans-Heinrich 207 Larenz, Karl 106, 108, 109, 187, 236, 296, 297, 300-304, Lassalle, Ferdinand 237 Leibniz, Gottfried Wilhelm 263 Lessing, Gottfried Ephraim 266 Löwith, Karl 118

Lohmann, Karl 172 Anm. Mannheim, Karl 17, 19-20, 22-30, 33, 34, 37, 39, 108 Marcuse, Herbert 279 Mayer, Otto 122 Anm., 363 Meinecke, Friedrich 260, 262, 295 Merk, Wilhelm 322 Möhler, Johann Adam 54, 55, 109 Moeller van den Bruck, Arthur 203 Moser, Justus 38, 265, 266, 267, 291 Mohl, Robert von 210, 212, 213, 254, 286 Moser, Friedrich Karl 262, 263, 264 Müller, Adam 38, 267-270, 277, 278, 280, 281, 359 Müller, Heiner 9 Mussolini, Benito 66 Nipperdey, Hans Carl 345, 347 Novalis 267,270 Oertzen, Peter von 31 Oncken, Hermann 12 Papen, Franz von 88, 97, 98, 131, 138, 156, 339, 397 Predöhl, Andreas 12, 209 Pufendorf, Samuel 263 Ridder, Helmut 324,354 Rosenberg, Alfred 225 Rosenzweig, Franz 295 Anm. Rothenbücher, Karl 12 Rüthers, Bernd 320 Rust, Bernhard 256 Saage, Richard 331 Savigny, Friedrich Karl von 38, 113, 150, 271 271 Schaaf, Julius 29 Scheler, Max 19 Schelsky, Helmut 367

Anhang

442 Schlegel, Friedrich von 267 Schleicher, Kurt von 88, 397 Schleiermacher, Friedrich 105 Schotte, Walter 131 Schücking, Walter 12,209 Schmitt, Carl 11-14, 40, 42, 49, 52, 56-58, 60, 61, 68, 69, 72, 78, 79, 82-84, 86, 88, 89, 91-99, 102, 104, 114, 116, 117, 120, 131, 132, 135-140, 144, 150, 153, 157, 158, 162-164, 168, 169, 170, 174, 175, 177, 179, 180, 182, 186, 189, 204, 216, 218, 219, 221, 228, 229, 230, 234, 240, 248, 256, 274, 294-298, 305, 308, 320, 321, 325, 367, 368, 375, 381-385, 393-395,402 Smend, Rudolf 84, 105, 106 Anm., 107, 23, 236, 345, 376, 395 Sombart, Werner 203

Spann, Othmar 203, 205, 281 Stein, Lorenz von 213, 284, 286, 291, 357, 358, 360, 365 Spengler, Oswald 9,282 Stahl, Julius von 105,376 Stapel, Wilhelm 133 Stutz, Ulrich 47 Stolleis, Michael 13 Strauß, Botho 9 Tatarin-Tarnheyen, Edgar 62 Anm., 86, 203 Topitsch, Ernst 288 Triepel, Hans 104, 120, 169 Weber, Werner 12 Zehrer, Hans 133

RAINER SPRENGEL

Kritik der Geopolitik Ein deutscher Diskurs 1914-1944 1996. 233 Seiten - 170 mm χ 240 mm Gb, DM 78,- / öS 5 6 9 - / sFr 71 , ISBN 3-05-003012-7 Der Autor analysiert die deutsche Geopolitik zwischen 1915 und 1944 als einen weitgefächerten Diskurs, dessen Argumentationsstrukturen und Bilderwelten freigelegt werden. Geklärt werden die Unterschiede und Überschneidungen zu Umfeldtheorien und verwandten Ansätzen, wie derjenigen Carl Schmitts, der Annales-Schule und der politischen Geographie der Jahrhundertwende. Zentraler Gegenstand der Arbeit ist das widersprüchliche Verhältnis von „Raumdiskurs" und „Rassediskurs". Die Studie entwickelt dabei rationale Kriterien, mit denen auch heutige geopolitische Diskussionen jenseits von geschichtsvergessener Apologie und vorschneller political correctness beurteilt werden können. Sie ist so ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte der deutschen Geopolitik und zu einer kritischen Würdigung heutiger Geopolitiken. Aus dem Inhalt: Geopolitik: Chronologie eines Begriffs und Korrektur einer sich verirrenden Debatte - Aneignungsweisen der klassischen Geopolitik in Deutschland - Aneignungsweisen der klassischen Geopolitik im Westen - Eine notwendige Chronologie Zeitorientierte Asymmetrie von Raum und Zeit (Kant, Hegel, Marx) Nomos, Raumrevolution und „Geohistoire" Ontologien des Landes und des Meeres zwischen Wilhelminismus und westlicher Demokratie - Mahan, Mackinder, Ratzel - Die politische Ontologie des Meeres: Aquatologie - Die politischen Ontologien des Landes: Terralogie(n) - Post-Columbian age Land und Meer im geopolitischen Diskurs Exkurs zu einer Allegorie: Leviathan und Anakonda - Kommentierung des Leviathan Der Staat und die politische Gemeinschaft als Organismus - Das Besondere der geopolitischen Organismusvorstellung - Vom geographischen Organismus zum Raumorganismus - Entgrenzung des „Staates als Organismus" - Mechanismus, Organismus Das „Wesen der Geopolitik"

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Geschichte der Staatsbeschreibung Ausgewählte Quellentexte 1456-1813 Herausgegeben und kommentiert v o n MOHAMMED RASSEM u n d JUSTIN STAGL

1994. XIV, 588 Seiten - 170 mm χ 240 mm Gb, DM 9 8 - / öS 7 1 5 / sFr 9 4 ISBN 3-05-002236-1

Dieser Band vereinigt zentrale Texte zur Theorie der frühneuzeitlichen Staatsbeschreibung aus der Zeit von 1456 bis 1813. Jeder Text wird in der Originalfassung und in deutscher Übersetzung wiedergegeben sowie mit einer Einführung zu seinem Verständnis, einer Biographie des Autors, Anmerkungen und Literaturhinweisen versehen. Die Einleitung der Herausgeber stellt die frühneuzeitliche Staatsbeschreibung („deskriptive Statistik") in ihrem geistesgeschichtlichen Zusammenhang dar. Damit ist diese komplexe, folgenreiche und vernachlässigte Disziplin zum erstenmal auch für den nichtspezialisierten Leser aufgeschlossen. Aus dem Inhalt: - Aeneas Silvius - Conradus Celtis - Niccolö Machiavelli - Sebastian Münster - Sigmund Freiherr von Herberstein - Francesco Sansovino - Lodovico Guicciardini - Philipp II - Heinrich Rantzau - Giovanni Botero - Jan de Laet - Herman Conring - John Graunt - Sir William Petty - Veit Ludwig von Seckendorff

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